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Mßjuries,
1817 z
AKTBS SCI F.
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OESTERREKÖS
* BEDRdNQER *
Die Los-von-Rom Bewegung.
Studien über politische, religiöse •
und sociale Zustände der Gegenwart
von
RUDOLF VRBA. /<$&?*£%
l
PRAG 1903.
Selbstverlag.
In Commission: FR. ftlVNÄÖ, Buchhandlung:
Prag II., Oraben, Palais der Landesbank.
BR.
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V9£
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Druck der „Politik*' in Frag.
Vorwort.
Nach statistischen Schätzungen wird die Erde
jetzt rund von 1660 Millionen Menschen bewohnt.
Davon entfallen auf Asien rund 840, Europa 390,
Afrika 180, Amerika 150, Australien und übrige Länder
7 Millionen Menschen. Diese grosse Menschenfamilie
zerfällt in verschiedene Racen und zahlreiche Völker.
Die Unterschiede der Menschenracen beziehen sich auf
den Wuchs Körperbildung und geistige Begabung.
Die christliche Religion sagt, dass das ganze
Menschengeschlecht von einem einzigen Menschen-
paare abstamme, dass alle Menschen in ihrem Wesen
einander gleich sind. Jede Behauptung, dass eine Na-
tion oder Race berufen sei über eine andere zu herr-
schen, andere auszubeuten angeblich aus dem Grunde,
weil die und jene Race, das und jenes Volk »minder-
werthig« sei, also von anderen angeblich höher ste-
henden beherrscht und ausgebeutet werden könne
oder gar solle, ist wider die christliche Religion, ist heid-
nischen Ursprungs. Die Geschichte ist voll von blu-
tigen Seiten, welche uns Belege geben, wie ganze
Völker ausgerottet wurden. Die Indianer wurden in
Amerika bis auf wenige Ueberreste von der weissen
Rage vollständig vernichtet. In Armenien herrscht seit
dem Jahre 1896 ein ununterbrochenes systematisches
Morden der Armenier von Seite der Türken, auch
das kleine Volk der Boeren in Südafrika sollte
von den Engländern ausgerottet werden, die gelbe
Rage will in ihrem Gebiete keinen Weissen dulden.
Wir sehen, dass unter dem Schlagwort, dass das eine
Volk berufen sei das andere zu beherrschen, die furcht-
barsten Blutmetzeleien und grässlichsten Gräuel auf
der Erde verübt werden. Sollte das Bestreben gewisser
»Herren Völker« die Erde unter sich zu vertheilen
weiter um sich greifen, würden die kleineren Nationen
dem Tode geweiht sein. Aber Gott der Heerschaaren,
vor dessen Antlitz tausend Jahre wie ein Tag sind,
welcher die zahlreichen Völker und ihre Sprachen
entstehen Hess, lenkt auch weiter die Geschicke des
Menschengeschlechtes.
Er hat schon stolze Völker und Reiche von ihrer
Höhe gestürzt und verschwinden gemacht. Vorliegende
Arbeit verfolgt keinen anderen Zweck, als die christ-
liche Idee, dass es keine Völker, die berufen wären
angeblich wegen ihrer höheren Eigenschaften, die sie
sich nur selbst zusprechen, über andere zu herrschen,
von rechtswegen nicht geben dürfe, darzuthun und
zu verbreiten.
Wenn unter den Menschen das Gebot Christi :
»Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst« verschwinden
oder nur auf jene beschränkt bleiben sollte, die sich
mit gleicher Nationalität ausweisen können, dann
wird es zu solchen Umwälzungen und Kämpfen kom-
men, dass gegenseitige Ausrottung das Ende sein wird.
Damit wird aber die Erde verwüstet und der Sieger
ist selbst nicht sicher, ob er von einer anderen kräf-
tigeren Race überwunden wird. Schon jetzt werden
Stimmen laut, dass Europa sehr leicht der gelben
Rage zur Beute fallen könne. Also wäre es den Pre-
digern der berüchtigten Herrenmoral sehr anzurathen,
sie möchten sich etwas bescheidener geberden, denn
es könnte einmal der Tag kommen, wo an ihnen
selbst die Herrenmoral zur That werden könnte und
das von einer Seite, von welcher es ihnen am we-
nigsten wünschenswerth erscheinen würde.
Smichov-Prag, 1. April 1903.
Rudolf Vrba.
I. Die Nationalitätenpolitik bei den alten klassischen
Völkern, vornehmlich bei den Römern.
Um die herrschenden Strömungen der Gegenwart
zu verstehen, ist es sehr nützlich auf die mächtigen
Völker vor Christi zurückzugreifen. Es ist nichts
neues unter der Sonne. So auch das Streben grosser
Völker und Staaten alles zu erobern und alles für
sich zu okkupieren. Zudem geben auch die riesig
entwickelten Kommunikationsmittel, Eisenbahnen.
Dampfschiffe, Telegraphen und Kabel die Möglichkeit
Zeit und Entfernung auf das mindeste Mass herab-
zudrücken, somit sind Bildungen von grossen Staaten
sehr dadurch begünstigt. Man sehe England, Russland
und Nord- Amerika an. Das haben die alten Völker
nicht gekannt. Die antike Welt hat nur ein grosses
Staatengebilde erlebt, das Römerreich. Die Römer
waren ein Räubervolk im wahrsten Sinne des Wortes*
ihre Geschichte ist nur Raub und Unterjochung
besiegter Völker. Als das römische Reich die grösste
Ausdehnung unter den Kaisern erreichte, waren die
Cäsaren darauf bedacht, dem ganzen Reiche ein
einheitliches Gepräge zu geben, es war dies der erste
centralistische Staat im heutigen Sinne. Das Bemühen
der Cäsaren die unterjochten Nationalitäten zu bre-
chen oder ihre Unterschiede wesentlich abzuschleifen,
war fast vom völligen .Erfolge begleitet. Die Völker
verloren ihre angestammte Kraft, nur die Juden und
die alten Aegypter widerstanden der Entnationali-
sierung, die Germanen und Slaven waren zu weit
von Rom entfernt. Das ganze damalige römische
Europa, also das heutige Italien, Spanien, Frankreich,
ein Theil der Alpenländer, ein Theil Englands und
der Balkanhalbinsel, sowie der Süden Ungarns, ganz
Nordafrika, kurz, wo die Macht der römischen Kaiser
hinreichte, herrsche römische Sprache und Sitte, der
Orient aber war hellenisch, hier herrschte das Grie-
chische, welches bis an die Ufer des Indus verstanden
wurde. Selbst im westlichen Theile des römischen
Reiches war Griechisch die Sprache der Gebildeten.
Die Römer Hessen es sich aber nicht nehmen, auch
im Orient alle amtlichen Edikte in lateinischer
Sprache zu verlautbaren, Latein war die Staatsprache,
ihr mussten sich auch die stolzen Hellenen fügen
und bei Amtshandlungen und Gerichten sich eines
Dolmetschen bedienen, falls sie des Lateinischen nicht
mächtig waren. Im ganzen römischen Reiche bedienten
sich sämmtliche Verwaltungsbehörden, der Gerichts-
apparat und die Armee der officiellen Sprache, des
Latein. Plutarch behauptete, dass alle Menschen La-
tein sprechen. Kaiser Claudius beraubte einen Abge-
ordneten aus Lycien des römischen Bürgerrechtes,
weil er des Latein nicht mächtig war.
Bei den Griechen war der Inbegriff aller
Pflichten des Bürgers : mit seiner ganzen Persönlichkeit
im Staate aufzugehen. Alles sei gerecht, was dem
Staate fromme. Alle Griechen, verbunden durch die
Gemeinsamkeit der Sprache, Sitten und Götterwesen
fühlten sich im Gegensatze zu den Nichtgriechen,
den Barbaren, als ein über alle bevorzugtes Volk.
Sokrates sprach die allgemeine Meinung der Nation
aus, wenn er den Göttern täglich dankte, dass er
Mensch und nicht Thier, Mann und nicht Weib,
Grieche uud nicht Barbar sei. Zwischen Griechen
und Barbaren gab es nothwendig nur Feindschaft,
der Grieche war von den Göttern dazu berufen, über
alle Barbaren zu herrschen. Es galt nur das Recht
des Stärkeren und Thukidides betont ausdrücklich,
dass es echt menschlich sei, Andere zu unterdrücken,
dass man selbst nicht unterdrückt werde. Perikles
sagte vor den Athenern, dass man den Hass
Anderer verachten solle, wenn man nur von ihnen
gefürchtet werde. Die Römer hatten folgende Merk-
male. Sie assimilierten fast alle Völker, die mit ihnen
in Berührung kamen. Ihre Selbstsucht kannte kein
anderes Ziel als die Weltherrschaft. Sie überwanden
die Völker, weil sie den Erfolg und Gewinn des
Ganzen, des Staates stets dem eigenen Priwatgewinn,
persönlicher Lust und Bequemlichkeit unterordneten.
Geiz und Habsucht bildeten die Grundlage des rö-
mischen Charakters. Die Kriege wurden nicht etwa
um die Ehre und den Ruhm, sondern der Eroberung
willen geführt, sie dienten als Hauptquelle der Be-
reicherung. Alles öffentliche und private Leben der
Römer war auf dem römischen Rechte aufgebaut
Die Grundlage dieses Rechtes ist der schroffste Begriff
von Mein und Dein, also dem Privateigenthum. Der
Entstehungsgrund des Rechtes ist das Nehmen mit
der Hand, die Mancipation, also die Stärke des
eigenen beutemachenden Armes. Recht ist, was mit
der Gewalt vertheidigt werden kann, so lehrten die
Römer vor zweitausend Jahren und früher und nach
diesem Grundsatze wird heute noch vorgegangen,
man sehe nur die Vernichtung der südafrikanischen
Boerenrepubliken durch den englischen Raubzug.
Was die Römer den besiegten Völkern abnahmen,
das hielten sie für ihr Eigenthum.
Nach der Ansicht antiker Völker standen sich
Menschen, die nicht zu demselben Staate gehörten,
als „Hostes" — Feinde — einander gegenüber.
Zwischen Römern und Nichtrömern galt nur das
Recht des Stärkeren, genau so wie es heute die
Alldeutschen gegen nichtdeutsche Völker in die Welt
proklamieren.
II. Römer und Juden.
Ein seltenes Schauspiel nationalen Zweikampfes
bietet die Unterjochung der Juden durch die Römer.
Hyrkan II. und Aristobul, Söhne der Salome, riefen
einander sich befehdend die Römer zu Hilfe. Im J. 63
kam dann auch Pompejus vor die Mauern Jerusalems,
eroberte die Stadt, betrat mit seinem Stabe den
Tempel, drang selbst in das Allerheiligste ein, wohin
bisher noch kein NichtJude gedrungen war. Römer
und Juden waren überzeugt, dass sie zum Herrschen
über andere Nationen von der Gottheit auserwählt
seien. Herodes, der römische Vicekönig, wüthete denn
37 Jahre lang über dem Judenvolke, wie oft trachtete
man ihm nach dem Leben, so oft nahm er furchtbare
8
Rache an den Juden, die er zu Hunderten hin-
richten Hess. Am Hauptein gange des Tempels Hess
er einen goldenen römischen Adler befestigen, um
die Juden zu verhöhnen. Die heiligen Gewänder, die
der Hohepriester an den hohen Festtagen trug, nahm
Herodes in seinen Gewahrsam und gab sie nur
heraus, wenn sie gebraucht wurden. Der Steuerdruck
der Römer war so grausam, dass die Steuerpächter
und Zöllner von den Juden gemieden und als Aus-
wurf angesehen wurden. Die Tempelsteuer mussten
die Juden jetzt dem Jupiter Gapitolinus nach Rom
zahlen. Sie wurde mit schamloser Härte eingetrieben.
Suctonius sagt, dass ein 90jähriger Greis untersucht
wurde, ob er Jude sei und die Jupiter-Tempelsteuer
zu zahlen habe. Die Juden erhoben sich nun, wurden
aber von den Römern grausam niedergeschlagen,
das Land wurde verwüstet, tausend kleinere Ort-
schaften und 50 grössere Städte dem Erdboden
gleichgemacht, 480 Synagogen wurden zerstört und
weit über eine halbe Million jüdischer Kämpfer von
den Römern getödtet. Das geschah gegen Ende des
ersten Jahrhundertes nach Christus, die römische Welt-
herrschaft hat damit ihren Abschluss erlangt. Das
römische Reich umfasste sämmtliche Länder und
Gebiete um das mittelländische Meer und zählte
circa 50 Millionen Menschen, Rom allein zählte etwa
2 Millionen Menschen. Der Sturz dieses Reiches war
bedingt aus vielfachen Gründen. Der grösste davon
war der, dass die Römer zur Zeit der Nerone, Gali-
gulas etc. vollständiger Sittenlosigkeit sich hingaben
und dann ging die Kraft dieses Volkes vollständig
in Brüche.
III. Die Bildung von grossen Nationalstaaten in
neuester Zeit.
Heute nach zweitausend Jahren sind römisch-
heidnische Anschauungen im Völkerrecht wiederum
massgebend. Ländergier und Eroberungssucht sind
zu einer Epidemie geworden, welcher mächtige Völker
und Staaten jetzt huldigen. Diese Erscheinung, die
im politischen Leben der Völker gegenwärtig so
stark hervortritt, erhielt in Amerika und England
9
den bezeichnenden Namen : Imperialismus. Das Wort
erinnert an das antike imperium romanum. So wie
die Römer im Alterthum die Herren über den
grössten Theil der damals bekannten Welt waren,
so streben die Grossmächte derzeit,, jede für sich,
nach der Weltherrschaft. Uebrigens kann in dieser
Beziehung nicht nur das alte römische Reich als
Vorbild dienen. Expansive Politik wurde zu allen
Zeiten betrieben, vielleicht schon lange vor Errichtung
des assyrischen Reiches, aber niemals, mit Ausnahme
des ersten Napoleon, hat das Streben nach Macht so
grossartige Proportionen angenommen, als in unserer
Zeit und selten ist es wohl so unverhüllt in Gegen-
satz zu jedem Rechtsgefühl getreten.
Dieses Streben nach Macht erscheint unter ver-
schiedenen Formen; doch ist der englische Imperi-
alismus am typischesten. Ueber seinen Zweck und
seine Berechtigung werden seit einiger Zeit in engli-
schen Zeitschriften lebhafte Discussionen geführt;
denn in England werden seit jeher alle socialen und
politischen Fragen einer genauen Prüfung und Erör-
terung unterzogen. Der englische Imperialismus ist
sozusagen verkörpert in der Person des Colonial-
rainisters Josef Chamberlain, der in früheren Jahren
ein hervorragender Geschäftsmann und werkthätiger
Förderer der Stadt Birmingham war. Als er 1876 in
einem Alter von vierzig Jahren ins Unterhaus gewählt
wurde, war er ein Anhänger Gladstone's und stark
socialistisch angehaucht. Die irländische Homerule-
Frage wurde die Veranlassung, dass er seine poli-
tischen Ansichten änderte. Die Mängel und Uebel-
stände in der Verwaltung Irlands entgingen ihm
allerdings nicht, aber die Erhaltung der Reichseinheit
erschien ihm als Hauptbedingung für Zugeständnisse
an die irische Nationalpartei. Er sagte sich daher
1886 von Gladstone los und wurde Imperialist.
Das beste Mittel zum Schutze des Reiches und zur
Hebung des Wohlstandes desselben erblickte er in
einem Handels- und Verteidigungsbündnisse mit den
sich selbst regierenden Golonien, sowie in der Aus-
dehnung der englischen Herrschaft über möglichst
weite Gebiete. Gelegentlich einer Reise nach Canada
10
lernte er Nordamerika kennen, was nebst seiner Ver-
heirathung mit einer Amerikanerin dazu beitrug, in
ihm jene gewissen pananglikanischen Tendenzen
wachzurufen, für die er unzählige Male mit grösstem
Erfolge Propaganda machte. Nachdem er 1895 Staats-
sekretär für die Golonien geworden, war er unablässig
bemüht, für eine Annäherung der Golonien an das
Mutterland zu wirken und seine vielseitig verdammte
Haltung in der Transvaalfrage beruht jedenfalls haupt-
sächlich auf seiner ausgeprägt imperialistischen An-
schauungsweise, weniger auf Rücksichtslosigkeit im
Charakter oder auf Privatinteressen. Sein Ziel ist die
Gentralisirung des grossbritannischen Reiches auf
Grundlage eines Zoll- und Defensivbündnisses zwi-
schen Mutterland und Golonien. Ausser dieser Gen-
tralisation des Reiches schwebt ihm als weiteres
wünschenswerthes Ziel ein künftiger Pananglikanismus
vor, der durch den Anschluss der Vereinigten Staaten
an das britische Weltreich verwirklicht werden soll.
Die Leidenschaftlichkeit, mit welcher Chamber-
lain's Ideen in den hervorragenden englischen Zeit-
schriften immer und immer wieder erörtert werden,
ist ein Beweis dafür, dass die Sache keine blosse
theoretische Frage ist. Auf dem Imperialismus beruht
ja nicht nur die Entwicklung der politischen, sondern
auch die der socialen Verhältnisse des Inselreiches.
Es handelt sich um die ganze Zukunft des englischen
Volkes. Die grösste Schwierigkeit für die Verfechter
des Imperialismus bildet die Lösung der Frage, welche
Stellung die Golonien zum Mutterlande einnehmen
sollten oder würden, nachdem sie durch gemeinsame
Verpflichtungen und Interessen an dasselbe gekettet
wären. Müssten die Golonien die Lasten des Mutter-
landes mit tragen, so müssten sie billigerweise auch
durch Repräsentanten theilnehmen dürfen an der
Entscheidung von Fragen, die das Reich betreffen.
In der Juli-Nummer 1900 von „The Quarterly .Review"
fordert ein Artikelschreiber die Errichtung eines „Im-
perial concil", eines Reichsrathes, in welchem die
Golonien geradeso wie das Mutterland vertreten sein
sollten. Ein anderer Artikelschreiber bestreitet in der
Juli-Nummer von „The Edinburgh Review" dagegen
11
die Möglichkeit und den Nutzen einer solchen Reichs-
repräsentation; die Engländer sollen nicht zugeben,
dass Männer aus anderen Ländern an den Erwä-
gungen und Beschlüssen über Gesetze und sociale
Einrichtungen theilnehmen, eher solle das Alte mit
all seinen Mängeln weiter bestehen. Hie und da findet
man aber auch Äusserungen gegen den Imperialismus*
So enthielt die November-Nummer der „Westminster
Review" (1900) einen scharfen Artikel „Imperialism
in extremis, alias shabby Imperialism", dessen Ver-
fasser sich mit Abscheu gegen ein politisches System
wendet, welches Macht vor Recht gelten lässt. Er
sagt: Englands imperialistische Politik sei eine Serie
von Verbrechen und Fehlern gewesen; grobe Selbst-
sucht sei ihr zu Grunde gelegen; sie sei eine Politik
der Raub- und Mordlust gewesen. In China haben
die Engländer ihr Opium eingeführt, wodurch einige
englische Kapitalisten sich bereicherten, während die
Bevölkerung Chinas demoralisirt wurde. In Indien
habe die englische Staatskunst in einem Aussaugungs-
system bestanden, dessen Früchte sich in der Hungers-
noth zeigen, die Jahr und Jahr fürchterliche Opfer in
dem von der Natur so reich ausgestatteten Lande
fordere. In Afrika und auf Irland feiere die englische
Politik ebenso traurige als schimpfliche Triumphe.
Die inneren Verhältnisse Englands werden ganz und
gar vernachlässigt. Das Grundbesitzsystem werde un-
verrückt beibehalten mit all seinen verhängnissvollen
socialen und ökonomischen Konsequenzen; ebenso
dürfen andere Misstände fortbestehen. Der Verfasser
des Artikels fordert darum, dass ganz neue Bahnen
eingeschlagen werden müssen. Die Bewohner des
Reiches ausserhalb Englands müssen sich frei nach
eigenem Gutdünken entwickeln dürfen. England müsse
zufrieden sein mit seinem mehr als hinreichend
grossen Gebietsumfang und von weiteren Eroberungen
ablassen. England müsse anderen Mächten voran-
gehen als Muster moralischer Stärke und gesunder
Vernunft, indem es Wege einschlägt, die nicht zu
Arsenalen und Marinestationen führen, sondern zu
freundschaftlichen Verbindungen zwischen den Men-
schen und zur Auffindung von Mitteln zur Erleich-
12
terung und Verschönerung des menschlichen Lebens.
Der Imperialismus hat bekanntlich auch in den Ver-
einigten Staaten Wurzel gefasst, wiewohl die weiten
Gebiete der Republik ihren Bewohnern hinlänglich
Gelegenheit zur Ausbreitung und Thätigkeit bieten.
So schreibt in der September-Nummer von „The
Nineteenth Century" (1900) der Amerikaner Bladley
Martin über „Amerikanischen Imperialismus": „Die
Philippinen sollen für die Vereinigten Staaten die
Brücke werden nach dem chinesischen Handels-
markte. Die imperialistische Politik wird uns er-
weiterte Interessen bringen und zugleich wie ein
Sicherheitsventil wirken, welches unsere überflüssige
Energie ableitet." Dass die imperialistische Staats-
kunst Verwüstung und Unglück über die Völker
bringen würde, die nicht das Glück haben, der angel-
sächsischen Race anzugehören, das kümmert die Ver-
fechter des Imperialismus nicht; die befassen sich
überhaupt nicht mit einer wissenschaftlichen Aus-
einandersetzung oder tieferen Untersuchung des frag-
lichen Staatsproblems. Ihre Aufsätze sind meistens
nur eine Art Programmartikel, die in kurzer Form
und entschiedener Sprache die Vortrefflichkeit des
Systems klar zu machen suchen. Der Imperialismus
charakterisirt sich dadurch, dass Staats- und National-
interesse Hand in Hand gehen, ohne alle Rücksicht
auf Humanitäts- und Rechtsgefühl. Dass ein solches
System Opposition wecken muss, ist klar, aber diese
ist erst in Bildung begriffen und wird durch die
Machtmittel der Regierenden an energischem Auf-
treten gehindert.
Unsere Zeit ist denn auch diesen Bestrebungen
sehr günstig. Während die Römer annektierte Län-
der durch Anlegung von Reichsstrassen ihrer Macht
anzuketten genöthigt waren, sind heute Zeit und Raum
wesentlich verringert durch Eisenbahnen und Dampfer.
Zu dem stellt sich noch der oberirdische und unter-
seeische Telegraph, der es ermöglicht, dass von einem
Centrum aus mächtige Staatsgebilde geleitet werden
können. Englands Weltherrschaft ist schwer denkbar
ohne seine unterseeischen Kabeltelegraphen, mit
denen es die ganze Welt umzingelt hat. Ist doch
IS
Afrika allein dreifach vom englischen Kabel um-
geben.
Die Eisenbahnen der Erde bieten jetzt folgendes
Bild dar. Das Anlagekapital der Eisenbahnen der
Erde wird auf rund 155 1/2 Milliarden Mark berechnet.
Eine Rolle von Zwanzig-Markstücken, die diesen Be-
trag enthielte, würde, wie das Archiv dazu bemerkt,
eine Länge von etwa 10.900 Kilometer haben, und zu
ihrer Verladung würden etwa 6220 Eisenbahnwagen
von je 10.000 Kilogramm Tragfähigkeit erforderlich
sein. Die ersten Eisenbahnen wurden eröffnet in Eng-
land im Jahre 1825; 10 Jahre später, im Jahre 1835t
folgten Deutschland und Belgien. Die letzten euro-
päischen Staaten waren Rumänien, das 1870, und
Serbien, das erst 1884 eine Eisenbahn eröffnet hat
Im Jahre 1840 hatte man in Europa 2925 Kilometer
Eisenbahnen in Betrieb ; im Jahre 1860 waren es
rund 52.000 Kilometer, 1880 bereits 169.000 und
Ende des verflossenen Jahrhundertes 283.525 Kilo-
meter. In den übrigen vier Erdtheilen und auf der
gesammten Erde entwickelte sich, Kilometer-Betriebs-
länge gerechnet, das Eisenbahnnetz in diesen Zeit-
abschnitten in folgenden Sprüngen:
1840
1860
1880
1900
Amerika . .
. 4754
53.935
174.666
402.171
Asien . ■
—
1.393
16.287
60.301
Afrika . . .
—
455
4.646
20.114
Australien .
—
367
7.847
24.014
GesammteErde 7679 108.012 372.429 790.125
In dieser Uebersicht fällt namentlich die sprung-
hafte Entwicklung des amerikanischen Eisenbahn-
wesens auf, das an Betriebslänge im Jahre 1860 noch
hinter dem europäischen Eisenbahnnetz zurückstand,
es aber bis Ende 1880 bereits um 5000 Kilometer
überholte und ihm Ende des Jahrhundertes, obwohl
das europäische Netz um rund 114.000 Kilometer
sich vergrösserte, um weitere 120.000 Kilometer
voraneilte. An dieser staunenswerthen Entwicklung der
amerikanischen Eisenbahnen sind in erster Linie die
Vereinigten Staaten betheiligt: im Jahre 1860 waren
sie hinter dem europäischen Netz um 2500 Kilometer
14
zurück, im Jahre 1880 war der Vorsprung Europas
sogar 15.000 Kilometer. Am Ende des verflossenen
Jahrhunderts hatten sie das „alternde Europa" um
27.500 Kilometer überholt. In dieser rapiden Ent-
wicklung des amerikanischen Verkehrswesens gerade
in den letzten 20 Jahren ist die Erklärung zu suchen,
warum sich der wirthschaftliche Wettbewerb der Ver-
einigten Staaten auf allen Gebieten den europäischen
Staaten in so überraschender Weise fühlbar gemacht
und sich bis zu einer Gefährdung der europäischen In-
dustrie und Landwirthschaft entwickelt hat. Unter den
einzelnen Staaten haben die Vereinigten Staaten von
Amerika das grosse Eisenbahnnetz, 311.034 Kilo-
meter; das zweitgrösste Netz hat Deutschland mit
51.391 Kilometer; darauf folgt das europäische Russ-
land mit 48.107, Frankreich mit 42.827, Britisch-Ost-
indien mit 38.235, Oesterreich-Ungarn mit 36.883,
Grossbritannien und Irland mit 35.186, Britisch-Nord-
amerika mit 28.697 Kilometer. Dazu kommt die un-
geheuere Handelsflotte, welche die einzelnen durch
Oceane getrennten Welttheile verbindet. Ende 1901
zählte die Handelsflotte der Welt 29.628 Schiffe
und zwar sind das Fahrzeuge von 100 Tonnen auf-
wärts. Nach dem Raumgehalt sind sie vertheilt auf:
Grossbritannien 14,431.072 Tonnen, Vereinigte Staaten
von Amerika 3,337.156 Tonnen (nach Abzug der auf
den grossen Seen beschäftigten Schiffe verbleibt indess
für die eigentliche Seehandelsflotte nur ein Bestand
von 1,342.913 Tonnen), Deutschland 3,138.568 Tonnen,
Norwegen 2,632.757 Tonnen, Frankreich 1,519.922
Tonnen, Italien 1,159.082 Tonnen, Russland 800.334
Tonnen, Spanien 784.537 Tonnen, Japan 690,581
Tonnen, Schweden 690.581 Tonnen. Ende des 18ten
Jahrhundertes betrug der Welthandel 6, Ende 1900 aber
rund 90 Milliarden Mark. So hat das Verkehrswesen
die Nationen der Welt einander gewaltig genähert.
Einzelne mächtige Staaten ringen auf diesem Ge-
biete nach der Weltherrschaft, die Gier nach Reich-
thum ist überal erwacht. Grosse Nationen wollen sich
nach Art der alten Römer in den Provinzen bereichern.
Der wirthschaftliche Kampf der Kulturstaaten der Erde
ist in folgenden Zahlen ausgedrückt. Die Ein- und
Ausfuhr betrug zusammen
15
Jahr 1882 1900
Millionen Mark
England 12.039 15.323
Deutschland 6.323 10.377
Nordamerika 6.051 9.585
Frankreich 6.801 6.874
Niederlande 2.918 5.914
Russland 3.838 4.105
Belgien 2.376 3.173
Oesterreich-Ungarn 2.441 3.056
Italien 1.927 2.460
Schweiz . 1.123 1.535
Indien 3.065 4.294
Australien 2.365 3.008
China 940 2.985
Japan . . . i 295 2.066
Zwei Drittel des gesammten Welthandels fallen
auf Europa. Vier Fünftel des Welthandels werden auf
dem Meere und nur ein Fünftel auf dem Festlande
abgewickelt. Darnach kann man auch das Wort Kaiser
Wilhelms taxiren : Deutschlands Zukunft sei auf dem
Wasser.
Es ist erwähnt worden, dass sich der Gesammt-
welthandel im Jahre 1900 auf 88 Milliarden Mark, im
Jahre 1882 auf 61 Milliarden Mark belief. Da hiebei
der Ein- und Ausfuhrhandel zusammen gemeint ist
und bei dieser Berechnung jede Waare mindestens
zweimal (als Ausfuhr des einen und als Einfuhr des
anderen Landes) erscheint, stellt sich der Werth der
im Welthandel wirklich umgesetzten Handelsgüter
auf nur 44, beziehungsweise 30 1/2 Milliarden Mark.
Die Menge dieser Güter kann wegen der Verscheiden-
heit der statistischen Angaben der einzelnen Länder
nicht berechnet werden. Da aber in älteren Zeiten
fast nur Kostbarkeiten und feinere Genussmittel (Ge-
würze etc.) im internationalen Handel vorkamen, wäh-
rend jetzt sogenannte Massengüter (Getreide, Kohle
u. s. w.) das Hauptkontingent stellen, so ergibt sich,
dass die im Welthandel bewegten Waarenmengen
noch beträchtlich mehr zugenommen haben als die
Waarenwerthe. Scheidet man die Staaten in Industrie-
staaten und in solche mit vorwiegend landwirthschaft-
16
liehen Betrieben, so findet man, dass erstere vom
Auslande hauptsächlich Nahrungs- und Genussmittel
(Vieh und Rohmaterialen) zur Ernährung und Be-
schäftigung ihrer nach Millionen zählenden Arbeiter-
hfeere beziehen, während letztere in den Industrie-
staaten willkommene Abnemehr für ihre landwirt-
schaftlichen Produkte und ihre Rohstoffe finden und
von ebendaher die Fabrikate beziehen, die sie selbst
aus Mangel an einer höher entwickelten Industrie
nicht herzustellen vermögen. Zu den Hauptrepräsen-
tanten der ersten Gruppe (Industriestaaten) gehören
Deutschland, die Vereinigten Staaten und England ;
aus der Gruppe der Länder mit vorzugsweise land-
wirtschaftlichen Betrieben ist vor allem Russland zu
erwähnen. Aus dieser Gegenüberstellung geht hervor,
das die Länder der Erde in einem unausweichlichen
wechselseitigen Handelsverkehr stehen müssen, und
dass es undenkbar ist, dass ein Land sich ganz un-
abhängig machen kann von fremden Märkten. Alle
Mächte der Erde sind auf einander angewiesen und
können weder die Zufuhr fremder Güter noch die
fremden Absatzmärkte für ihre eigenen Erzeugnisse
entbehren.
Das fieberhafte Streben nach Reichthum und
Macht, nach Weltherrschaft und das Ansichreissen
des Welthandels, dieser riesige Konkurrenzkampf der
Nationen hat denn auch im Laufe des 19. Jahrhun-
dertes die Stellung einiger Kulturstaaten vollständig
verändert, Durch Aufhebung der Leibeigenschaft und
Freigabe der Produktion, durch Entwickelung der
Industrie ist zunächst die Bevölkerung einzelner Kul-
turstaaten in ungeahnter Weise angewachsen. Die Be-
völkerung Europas ist nach Juraschek's Berechnung
folgen dermassen angewachsen :
Jahr 1800 190O
Millionen Einwohner
Russland 388 106-8
Deutschland 245 56ä
Oesterreich-Ungarn 24*3 47'0
Frankreich 26-9 38-7
England 16-2 41*4
Italien 16-8 32-4
IT
Jahr 1800 1900
Millionen Einwohner
Spanien 11-5 17*7
Türkei 7-3 9-8
Schweden-Norwegen 3*2 7*3
Belgien 3*2 6'5
Portugal 3-0 5-9
Durch die europäische Auswanderung ist noch
ein anderes gewaltiges Staatsgebilde gewachsen, Nord-
Amerika. Die Vereinigten Staaten Nordamerikas hatten
im Jahr 1800 nur 53 Millionen Einwohner und zählten
im Jahr 1900 ; 76*1 Millionen Menschen. Wir haben
demnach die gewaltigen Staatsgebilde vor uns in
England, Russland, Deutschland U.Nordamerika. Diese
ringen den Konkurrenzkampf um die Weltherrschaft,
vorderhand jeder in seiner ihm zunächst gelegenen
Macht- und Interessensphäre. Sehen wir uns ein
wenig diese vier Grossmächte näher an.
England mit den Golonien hatte Ende des Jahres
1901 eine Ausdehnung von 28 Millionen Quadrat-
Kilometer mit 389 Millionen Einwohnern. Russland
hatte eine Ausdehnung von 22 Millionen Quadrat-
Kilometer mit 131 Millionen Einwohnern. Vereinigte
Staaten Nordamerikas 9*8 Millionen Quadrat-Kilometer
mit 86 Millionen Einwohnern. Frankreich mit den
Golonien hatte 6 Millionen Quadrat-Kilometer und
84 Millionen Einwohner. Die Schutzgebiete Deutsch-
lands umfassten 2!/2 Millionen Quadrat-Kilometer mit
12-4 Millionen Einwohnern. Alle diese Riesenbe-
sitzungen sind sozusagen im Laufe der letzten
50 Jahre entstanden. So haben sich die Weltmächte
um den schwarzen Erdtheil im Laufe der letzten
Jahre brüderlich getheilt. Es besitzt dort England 2*7,
Frankreich 3*8 Millionen Quadratmeilen, Deutschland
933.380, Portugal 790.124 Quadratmeilen. Einsichtige
Staatsmänner sind diesen riesigen Staaten nicht
absonderlich geneigt. Je grösser der Länderbositz,
desto schwieriger wird die Verwaltung. Londoner
„Morning Post" veröffentlichte Anfangs Auguat über
den Niedergang Grossbritanniens einen langen Artikel,
in welchem unter Anderem folgendes zu Ionen war.
18
Das grösste Handelsreich der Welt wird von
einer Aristokratie regiert, die jedes Geschäft verachtet
und nichts davon versteht. Die Folge ist, dass die
britischen Eisenbahnen blos den Interessen der
Aktionäre dienen, . dass sie ausländische Erzeugnisse
um mehr als die. Hälfte billiger transportiren, als
heimische Produkte, dass alle Privatunternehmungen
stark besteuert und in ihrer Existenz vernichtet werden
zu Gunsten von Trusts und Monopolen von der einen
oder der andern Sorte. Der britische Boden in einem
Umkreise von 40 Meilen um London, das schönste
Korngebiet der Welt, liegt brach und hat nur um
Weniges grösseren Werth als das Veldt in Südafrika.
Die Dörfer sind entvölkert, die Arbeiter wurden durch
die Gefahr des Hungertodes in die Städte getrieben,
wo sie verkommen und degeneriren. England kaufte
im Jahre 1901, um seine Industriebevölkerung zu
ernähren, Nahrungsmittel für 320 Millionen Pfund
Sterling, also ungefähr für 7700 Millionen Kronen
österr. Währung. In ihren aus einem einzigen Zimmer
bestehenden Heimen sind sie wie die Heringe
in einem Fass dicht nebeneinander verpackt. So
führen sie in schmutzigen, krankheiterregenden Spe-
lunken eine namenlos elende Existenz und überdies
werden sie zu Opfern der ungerechten Gesetze und
einer unwissenden und unzulänglichen Verwaltung.
Das Parlament wird ausgespielt und das Volk hat
keine wirkliche Vertretung. Wenn es zu einer Wahl
kommt, erwählt sich jede der beiden politischen
Parteien einen Kandidaten. Der Konservative ist in
der Regel ein Eisenbahndirektor, der Liberale ein
Bierbrauer, und das Volk hat zwischen diesen zwei
Leuten zu wählen, von denen Keiner geeignet ist*
ausser seinem eigenen Interesse irgend etwas zu
vertreten. Ihr Zweck bei ihrem Eintritt ins Parlament
ist nicht der, den Interessen des Landes zu dienen,
sondern der, den Interessen ihrer Gesellschaft Dienste
zu erweisen. Ihr Patriotismus ist durch die Liebe zu
den zehnperzentigen Dividenden eng begrenzt. Lord
Salisbury legte gegenüber dem House of Gommons
immer eine gerechtfertigte Verachtung an den Tag.
Die Häupter der einzelnen grossen Staatsdepartements
19
sind dem Unterhause verantwortlich und können immer
befragt werden, wenn sich das Parlament in Session
befindet; der gewesene Premier trachtete daher
sorgfältig dahin zu wirken, dass die Inhaber der
grossen Departements gerade über das betreffende
Amt, das ihnen anvertraut wurde, so wenig als möglich
wissen. So wurde beispielsweise Mr. Hanbury Vor-
steher des Board of Agriculture, weil ihn seine ganze
vorherige Thätigkeit für das Postamt qualiflcirte ;
Lord Londonderry aber wurde zum Chef des Post-
amtes ernannt, weil seine ganze Erziehung ihn für
das Ackerbauministerium befähigte. Hier hätte er
lästig sein können! Die Folge ist, dass es keine
gehörige Kontrole der öffentlichen Ausgaben gibt.
Jedes grosse Staatsdepartement ist in demselben
chaotischen Zustande, in welchem sich, wie sich zu
Beginn des südafrikanischen Krieges herausstellte,
das Kriegsministerium befand. Reformen sind un-
möglich. Die Eisenbahn gesellschaften, die Bierbrauer,
die Kirche und der Grundbesitz stimmen im Parla-
mente miteinander und vertheidigen sich gegenseitig
Wenn man bedenkt, dass im gegenwärtigen Parla-
mente 200 Eisenbahndirektoren sitzen, kann man
sich leicht ausmalen, dass eine jede Legislation ein-
fach paralysirt wird.
Die Presse, von welcher man meint, dass sie die
freieste und unabhängigste in der Welt sei, ist that-
sächlich von den Finanzinteressenten ausgehalten.
Oeffentliche Gesellschaften bitten das Parlament fort-
während um neue Rechte, sie sind gezwungen, aus-
giebig zu annonciren, und die Presse macht bei der
Vertheilung ihrer Gunstbezeugungen weise Unter-
scheidungen. Unser Eisenbahnsystem würde einer
südafrikanischen Republik unwürdig sein, aber kein
einziges grosses Journal in London oder in der Pro-
vinz ist patriotisch genug, durch einen Angriff auf
dieses System die Annoncen der Eisenbahnen zu
verlieren. Mittlerweile richten diese Eisenbahnen die
heimischen Industrien und besonders die Landwirt-
schaft zugrunde. Vom 1. Jänner bis Mitte August ist
das Land der Nahrungsmittel entblösst, es gibt
während dieser Zeit im Lande nie mehr Brod, als
2*
20
für fünf Wochen ausreicht. Sollte Grossbritannien
durch eine Vereinigung europäischer Mächte zeitlich
im Frühjähr irgend eines beliebigen Jahres angegriffen
werden, so wäre die Nation ausschliesslich auf die
Tüchligkeit ihrer Flotte angewiesen und jede Nieder-
lage würde für England den Hungerstod oder einen
demüthigenden Frieden bedeuten. Diese Thatsachen
sind der Regierung, dem Parlamente und der Presse
wohl bekannt, aber Niemand kümmert sich darum.
Die Nation geht abwärts und Niemand ist da, sie
wieder aufzurichten. Es würde ein arges Erwachen
geben, wenn wir in einen neuen europäischen Krieg
hineingetrieben werden sollten. Man sieht also, das»
die inneren Zustände des grössten Reiches der Welt
(abgesehen von China) nicht gerade die besten sind.
Noch schlimmer sieht es in den englischen Colonien aus.
Indien wird von den Engländern systematisch
ausgeraubt. Das 220 Millionen Köpfe zählende in-
dische Volk muss jährlich rund 750 Millionen Kronen
öst. Währung Steuer entrichten, welches Geld nach
England wandert. Der englische Politiker Digby
schildert Englands Wirthschaft in Indien mit fol-
genden Worten. Die Netto-Rcvenuen Indiens für
1901-1902 weisen ein Deficit von über 2,000.000
Pfd. St. auf, und dieser Fehlbetrag würde noch viel
grösser sein, wenn nicht dem Opiumhandel seitens
der Regierung eine so bedeutende Erleichterung
zutheil geworden wäre, eine Thatsache, deren sich
das „christliche" England zu schämen hat. Wie ent-
setzlich das Land unter der britischen Miss wirthschaft
zu leiden hat, geht u.a. aus der Thatsache hervor,
dass von 1800 bis 1825 nur viermal eine nennens-
werthe Hungersnoth stattfand, wogegen von 1875 bis
1900 nicht weniger als 22 mal die fürchterlichste
Hungersnoth wüthete und ungezählte Opfer forderte.
Bis jetzt haben sich die Eingeborenen hauptsächlich
durch die Lehren ihrer Religion und Philosophie zu
einem stillschweigenden Dulderthum zwingen lassen,
aber seit der Einführung des Christenthums und west-
licher Givilisation, respective seitdem diese beiden
grössere Ausdehnung annehmen, rückt die Gefahr
wieder mehr in den Vordergrund, dass die Inder
21
eines Tages zu der Ueberzeügung gelangen, es dürfte
doch wohl besser für sie sein, wenn sie eine Erlösung
von den unerträglichen Leiden und Bedrückungen
wieder einmal bei dem „Gott der Schlachten" suchen
würden.
Indien ist im Laufe des vergangenen Jahrhunderts
thatsächlich von England ausgeplündert worden, und
es lässt sich ausrechnen, dass das Land in dem ge-
nannten . Zeitraum nicht weniger als eine ganze
Milliarde Pfund Sterling an seine Beherrscher und
Bedrücker hat abgeben müssen. Dabei werden die
Inder principiell auf dem Standpunkt einer niedrigeren
Race gehalten, britische Beamte füllen alle Posten
in der Civilverwaltung aus, und der Inder ist nichts
weniger als ein freier Mann, er ist ein Helot in
seinem eigenen Vaterlande. Während des ganzen
vergangenen Jahrhunderts hat auch nicht ein einziger
Inder ein Amt von irgendwelcher nennenswerthen
Bedeutung ausgefüllt, und an eine Aenderung in
dieser Hinsicht ist gar nicht zu denken. Sozusagen
der gesammte landwirtschaftliche und industrielle
Reichthum Indiens ist heute in britischen Händen,
und die Ergebnisse und Vortheile desselben kommen
fast nur und fast ganz ausschliesslich den Briten
zugute. Ein mehr als schlagender Beweis für das in
der Landwirthschaft obwaltende Missverhältniss wird
durch die Thatsache erbracht, dass der Totalwerth
aller in Indien in einem guten Jahre erzielten Ernten
sich auf etwa 172,000.000 Pfd. St. belauft, wovon
eine Bevölkerung von 220 Millionen Menschen pro-
fitiren soll. Bei solchen Zahlen kann es natürlich
nicht wundernehmen, dass die Hungersnoth mit
jedem Jahre an Umfang und Fürchterlichkeit zunimmt,
und dass von 1854 bis 1901 nicht weniger als neun-
undzwanzig Millionen Menschen in Indien Hungers
gestorben sind, wie die officiellen Ausweise ergeben
und beweisen.
Die britischen Truppen in Indien kosten das
Land jährlich allein über 5,000.000 Pfd. St. und die
ungeheuer hoch bezahlten englischen Givilbeamten
verschlingen eine noch bedeutend höhere Summe,
speciell durch die ausserordentlich reichen Pensionen
22
für verabschiedete Beamte, deren Zahl des häufigen
Wechsels wegen Legion ist. Alles in allem ist der
Bericht des Mr. Digby eine Schilderung der Schmach,
der fürchterlichsten Leiden, der Gewissenlosigkeit und
der schlimmsten Heuchelei auf Seiten der officiellen
Vertretung Grossbritanniens in Indien, und man
kann aus dem ganzen Werk ersehen, dass der Schrei-
ber im tiefsten Herzen von der fürchterlichen Tragödie,
die sich jahraus jahrein in Indien abspielt, berührt
worden ist und als ehrlich denkender Mann und
Patriot jetzt vor allen Dingen den Wunsch hat, die
Indifferenz seiner Regierung und seiner Landsleute
in das Gegentheil umzuwandeln, da er vermeiden
will, dass eines Tages auf die eine oder die andere
Weise die britische Herrschaft in Indien ein unrühm-
liches Ende findet.
IV. Bestrebungen der Alldeutschen nach einer Welt-
herrschaft.
Unter den europäischen Grossmächten zeigen sich,
besonders in Deutschland, letzter Zeit starke Bestre-
bungen nach einer Weltherrschaft des deutschen Volkes.
Die Bewegung umfasst vorderhand einen Theil der
deutschen Bevölkerung im deutschen Reiche und in
Oesterreich, die sich selbst den Namen Alldeutsche
beilegen. Das Ziel dieser Bewegung ist zuerst Vereini-
gung aller Deutschen unter einer politischen Obrig-
keit, dem jetzigen Hause Hohenzollern, dann die all-
mählige Ausdehnung der Herrschaft der deutschen
Nation auf andere Völker und Ländergebiete. Das
erste Ziel der Alldeutschen ist zunächst die Zertrüm-
merung Oesterreichs, oder mit anderen Worten die
Angliederung der „Ostmark" an das deutsche Reich.
Die Proklamation des Alldeutschen Verbandes,
dessen Geschäftsstelle in Berlin West 35, Kurfürsten-
strasse 44 angegeben ist, sagt folgendes: „Der all-
deutsche Verband erstrebt eine kräftige Belebung der
deutschnationalen Gesinnung, die Erhaltung deutscher
Art und Sitte in Europa und über See, und die Zu-
sammenfassung des gesammtenDeutschthums auf der
ganzen Erde; er ist ein Erziehungsverein und ein
Agitationsverein. Erzieherisch will der Verband wirken,
2$
insofern er unser Volk lehren will, die nationalen
Interessen über das Getriebe und Gezänk der politi-
schen und wirtschaftlichen Parteien zu stellen; agi-
tatorisch will er wirken, insofern er einmal überall
da in die Schranken tritt, wo deutsche Volksgenossen
um die Erhaltung ihrer Eigenart mit einem fremden
Volksthume im Kampfe stehen ; weiter aber indem er
darauf dringt, dass dem deutschen Volke der ihm
gebührende Antjieil an der Weltherrschaft und Welt-
wirtschaft nicht vorenthalten werde. Das deutsche
Volk ist ein Herrenvolk; als solches soll es auch von
den andern Mächten überall auf der ganzen Erde ge-
achtet und beachtet' werden. Der Verband ist nicht der
Ansicht, dass die deutsche nationale Entwicklung mit
den Erfolgen des Krieges von 1870/71, so gross und
herrlich sie auch gewesen sind, endgiltig abgeschlossen
sei; er ist vielmehr überzeugt, dass mit der damals
errungenen Stellung dem deutschen Volke eine ganze
Reihe neuer und grosser Pflichten und Aufgaben zu-
gewachsen sind, deren Ausserachtlassung den Unter-
gang unseres Volksthums zur Folge haben würde. Zu
diesen Aufgaben zählt in Europa ein enger wirtschaft-
licher und staatsrechtlicher Zusammenschluss mit den
übrigen Staaten germanischer Art, also zunächst mit
Oesterreich, den beiden Niederlanden und mit der
Schweiz ; Hand in Hand damit hätte der Erwerb eines
geeigneten Kolonialbesitzes in den überseeischen Ge-
bieten zu gehen, der uns nicht nur den nöthigen- Ellen-
bogenraum für unsere jährliche Bevölkerungszunahme
um 600.000 Köpfe böte, sondern der uns auch wirt-
schaftlich unabhängig vom Auslande stellte. Der Ver-
band zählt jetzt an 10.000 Mitglieder und 70 Orts-
gruppen, wovon 24 im Ausland. Zur Verbreitung seiner
Anschauungen dient die von ihm ins Leben gerufene
Wochenschrift „Die Alldeutschen Blätter". Der Mit-
gliedsbeitrag beträgt einschliesslich des Bezugsgeldes
für letztere 5 Mk jährlich."
In seiner Schrift „Der Kampf um das Deutsch-
thum" sagt Fritz Bley folgendes : Wenn wir die Welt-
geschichte nicht in der hergebrachten Schulmeisterart
vom beschränkten europäischen Standpunkte, sondern
aus dem Gesichtswinkel der Veredelung der Mensch-
24
heit betrachten, so rufen wir unwillkürlich dieselben
zwiespaltigen Empfindungen in uns wach, die wir aus
der Beschäftigung mit den Naturwissenschaften davon-
getragen haben. Nicht ohne inneren Kampf dringt man
in beiden Zweigen der Forschung zu klarem Erkennen
vor. Hier wie dort der Kampf ums Dasein, aus dem
die bessere Art als Siegerin hervorgeht: so lehrt die
Regel. Völker tauchen auf und verschwinden. Wie im
Walde auf morschen Pflanzenresten der junge Nach-
wuchs emporschiesst dem Lichte zu, das die Kronen
der stärkeren Nachbaren ihm frei lassen, so gründen
die Herrenvölker der Erde ihre Reiche auf dem von
minderwerthigen Arten ihnen bereiteten Boden, Völker
und Pflanzen sind eben zeugsame Wesen, die einen
von Menschen, die anderen von Zellen gebildet, die
einen wie die anderen abhängig von den günstigen
oder schädlichen Bedingungen ihrer Umgebung und
der inneren Kraft ihrer Art."
Weiter schreibt Fritz Bley: „Mit dem Eintritte des
Christenthums in die Weltgeschichte scheint der völki-
sche Gedanke eine Zeitlang seine Geltung zu verlieren.
Eine Umwerthung ohne Gleichen beginnt namentlich,
als der arianische Glaube dem katholischen gewichen
ist. Hatte der Stifter des Glaubens, der die Mühseli-
gen und Beladenen zu sich rief und mit den Zöllnern
und Sündern sich zu Tische setzte, den verachteten
Sklaven und Fremden den Trost des himmlischen
Vaters gebracht, so beginnt nun eine Verhätschelung
des Schwächlichen, Weibischen, die zum Niedergange
der Menschheit hätte führen müssen, wenn sie gesiegt
hätte, was sicherlich nicht im Wunsche des Herrn
und Heilandes lag. Er, der die Blumen auf dem
Felde und alle Schönheit der Schöpfung so liebevoll
umfasste, war sicherlich weit entfernt von jener Büsser-
verzückung entnervter Schwärmer, die diese ganze
Schöpfung, in der uns Gott sich offenbart, als elendes
Marter- und Siechenhaus hinstellen wollten. Es war
unmöglich, dass diese Verzerrung der Menschenliebe
Jesu Christi sich dauernd behauptete. Wenn sie über-
haupt noch immer einen Theil der christlichen Welt
beherrscht, so dankt sie das vornehmlich der plan-
mässigen Erziehung, in die das zur Weltherrschaft
25
strebende Papsthum die katholische und mittelbar
dadurch die ganze christliche Welt genommen haU
Es ist durchaus bezeichnend für dies Verhältnis, dass
gerade die beiden Völker, in denen die gesündeste
Lebenskraft steckt, sich dieser Zwingherrschaft knecht-
seliger Weltflucht trotzig widersetzt haben: die Deut-
schen und die Tschechen in der Reformation und in
dem Hussitenthum. Die deutsche Welt sträubte sich
im Ritter- und Bürgerthume des Mittelalters gegen
die mönchischen Selbstquälereien aus dem Trotze der
starken Persönlichkeiten heraus ; Johann Hus wandelte
bereits auf ganz anderen Spuren, wie Martin Luther.
Dem tschechischen Glaubensreiniger ging es nicht um
das Recht der freien Selbstbestimmung, für das Luther
zu Worms kämpfte, sondern um den völkischen Staats-
gedanken, den er durch das christlich-katholische
Kaiserthum zu Unrecht seiner tschechischen Volks-
genossen niedergehalten meinte. Schärfer als in Luther
tritt aber in den Niederlanden der völkische Gedanke
in den Streit gegen die Anmassung der volkslosen
Priesterherrschaft, immer stärker und kräftiger zur
Herrschaft ringend. Wie klug und fein gesponnen auch
der Staatsgedanke der römischen Priesterherrschaft
war, den Sieg konnte er im gesunden Deutschthume
nicht erringen, denn er stützte sich nicht auf das den
Deutschen aus tiefer Naturanschauung und starkem
Lebensgefühle unverletzbar heilige Recht des Stärkeren,.
Besseren, Schöneren, sondern auf das angemasste Recht
alles Verächtlichen, Schlechten und Gemeinen."
Hier ist also ganz offen das Faustrecht gegenüber
kleineren schwächeren Nationen proklamiert, genau so,
wie es die Engländer mit den Boeren gethan haben.
Seit einer Reihe von Jahren arbeiten zahlreiche reichs-
deutsche Blätter an der Verwirklichung der gross-
deutschen Idee im Sinne des alldeutschen Verbandes.
Wir führen hier nur einige Beispiele an. So brachte
die Berliner „Gegenwart" Ende August 1902 einen
Artikel mit der Aufschrift „Deutsche Siavenpolitik und
das Habsburger Reich". Darin steht folgendes zu lesen:
„Das Schwarzenberg'sche Siebzigmillionen-Reich war
kein Wahn und thatsächlich eine deutsche Macht — so
heiöst es da — deren Wirklichkeit Preussen in Olmütz
26
und im Krim-, sowie im italienischen Kriege bitter an
sich erfahren hat. Oesterreich selbst stärkte den deut-
schen Kitt in seinem Inneren. Da Preussen nicht
die Zeche bezahlen wollte und andererseits die Kraft
Deutschlands für undeutsche Zwecke, besonders in
Italien, eingesetzt wurde, so musste der österreichische
Plan scheitern. Aber sein Zerstörer schuf wohlweislich
sodann das österreichische Bündniss, das er schon in
Pressburg erwogen hatte. Auch heute* ist die Einheit
des deutschen Mitteleuropas, trotz der fremden Ein-
sprengsel, kein leerer Traum. Unbeschadet der Selbst-
ständigkeit seiner Theile bildet das deutsche Volks-
thum den wirklichen Kern einer thatsächlichen Welt-
macht. Von der vlämischen Scheide bis zum ungarischen
Deutschthum nahe der Donaumündung, von Triest
bis zur Königsau, und den baltischen Landen regt
sich ein Volksfühl. Das kleindeutsche Reich und das
habsburgische Staatswesen mit. den deutschen Aussen-
landen in den Alpen und an der Rhein- und Scheide-
mündung bilden ein einheitliches Volksgebiet, das
noch Karl V. in vollem Umfang beherrschte. Italien
und Spanien wurden der Fluch unseres Volkes, das
noch heute Hochburgund, den grössten Theil Loth-
ringen und die französischen Niederlande in seines
Erbfeindes Hand lassen muss. Gegenüber den euro-
päischen Weltmächten in der sarmatischen Ebene und
auf den britischen Eilanden, sowie dem amerikanischen
Riesen kann sich auch das neue deutsche Reich nur
durch die Zusammenfassung seiner ursprünglichen
Kräfte und Wiederherstellung seiner alten Grösse an
Volkszahl und Bodenfläche unter bündischen Formen
bei aller Schonung der Unabhängigkeit seiner Glieder
dauernd behaupten. Das einzige Hemmniss bildet der
slavisch-magyarische Hass, dem zu begegnen das
deutsche Volksthum im engeren Deutschland und
Oesterreich längst ausreichen würde, drohte nicht die
bereite Hilfe des grössten Slavenreiches und seines fran-
zösichen Verbündeten, der leider noch täglich sprach-
liche Eroberungen in der allemannischen Schweiz und
dem fränkischen Belgien macht. Hier liegt die euro-
päische Bedeutung unserer Poleupolitik, die für uns
auch zur Weltmachtsfrage wird . . . Unser Gedanken-
27
gang hat uns in die Weltpolitik geführt, und unter
diesem Gesichtswinkel müssen wir unser Verhältniss
zum eigenen und österreichischen Slaventhum auf-
fassen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass wir ein
dringendes Interesse an der Aufrechterhaltung der
habsburgischen Monarchie haben, deren staatlicher
Zerfall auch unser Unglück wäre, da wir dann fraglos
Partei für unsere dort bedrängte Volkheit nehmen
müssen. Aber das dortige Deutschthum hat die ernste
Pflicht, nicht über die reichsdeutsche Grenze zum
Anschluss an uns unter Aufgabe des österreichischen
Staates zu blicken, sondern diese deutsche ostmärki-
sche Schöpfung gegenüber dem slavisch-magyarischen
Ansturm zu erhalten. Eine Auslandshilfe für diese
interessanten Völkerschaften wird unser Schwert schon
verhindern und damit das Donaukaiserreich stützen
und nicht selbstsüchtig stürzen, wie die unverbesser-
lichen, beinahe schon entdeutschten Klerikalen, die
ihren konservativen Sinn damit fast verleugnen, als
Berather der Hofburg glauben machen wollen. Die
deutsche Zerrissenheit in beiden Leithaländern ist ja
das ganze Unglück dieses Staates und eine echt deut-
sche Eigenschaft, die schon das deutsche Gepräge des
Landes bezeugt. Aber weitere Versuche der Verslavung
verträgt dieses deutsche Staatswerk im Osten nicht.
Auch für Oesterreich möge unsere thatkräftige Abkehr
von der früheren gefühlsseligen Polen-Verhätschelung
ein beredter Wink zum Wandel sein." — Da liegt
ein Beleg dafür vor, wie man sich in seriösen reichs-
deutschen Kreisen, die nicht auf den vulgären Pan-
germanismus eingeschworen sind, das Verhältniss zu
Oesterreich-Ungarn denkt: dieses soll ein blosser
Appendix des Deutschen Reiches sein, dessen welt-
politische Pläne es gehorsam zu fördern hat. Thut
es das nicht dann wird das — deutsche Schwert
eingreifen. Wie die Berliner „Gegenwart", so denken
sehr massgebende politische Kreise in Berlin. In Wien
aber schweigt man dazu ... Es hat den Anschein, als
ob in Wien gewisse Bürokraten lieber schwarz und
weiss als schwarz und gelb angestrichen sein wollten.
Am deutlichsten spricht Dr. Zimmler in seiner
Schrift rSprachgrenze und Deutschthum", erschienen
28
in der Zeitschrift „ Globus" und als Separatabdruck:
bei Vieweg in Braunschweig. Dieser Herr, ein Deutsch-
Böhme spricht die Sache ganz offen so aus: „Man
sollte meinen, dass nach den Ereignissen der letzten
Jahre jedem Denkenden klar* sein müsste, dass der
Sprachenkampf in Böhmen und Oesterreich nicht
nur eine innere Angelegenheit dieses Staates ist»
Trotzdem gibt es noch allzu Viele, selbst in sonst
gut deutsch gesinnten Kreisen, die glauben, der
Kampf vor den Thoren des Reiches gehe sie nichts
an, oder die infolge unerquicklicher Parteistreitig-
keiten im deutschösterreichischen Lager sich zu einem
absprechenden Urtheil über das gesammte Deutsch-
thum in Oesterreich hinreissen lassen. Wer solche
Anschauungen hegt, vermag nicht über die Grenzen
des Reiches und die Tagespolitik hinauszublicken.
Man nehme nur eine Völkerkarte Mitteleuropas zur
Hand, wie sie jeder Schulatlas bietet, um die Be-
deutung Deutsch-Oesterreichs im Allgemeinen und
Böhmens im Besonderen für die Lebensinteressen (!)
des ganzen deutschen Volkes zu verstehen. Man be-
achte dabei, wie das öechische Gebiet sich zwischen
Schlesien und Baiern, zwischen Berlin und Wien
wie ein brennender Keil hineinschiebt, wie wichtige
Verkehrswege zwischen Oder- und Elbegebiet einer-
seits, Donau, Alpen und Mittelmeer andererseits durch
Cechisches Sprachgebiet führen, wie das deutsche
Sprachgebiet gerade in der Mitte seiner nord-südli-
chen Ausdehnung durch das ßechische eingeschnürt
wird, dann muss man zu der Ueberzeugung kommen»
dass Böhmen und ganz Oesterreich schon um unserer
(Deutschlands?) nationalen Zukunft und Selbsterhal-
tung willen nicht in fremde Hände gerathen dürfen.
Die Deutschen Oesterreichs bilden einen beträchtli-
chen Theil des deutschen Volkes, dessen geistige
und sprachliche Gemeinschaft sich nicht durch poli-
tische Grenzen willkürlich zerschneiden lässt. Das
deutsche Sprachgebiet in Oesterreich bedeckt eine
Fläche, die mehr als ein Fünftel vom Gebiete des
Deutschen Reiches beträgt. Fast dasselbe Verhältniss
besteht zwischen der Bevölkerung beider Gebiete.
Man denke sich für einen Augenblick Deutsch-Oester-
29
reich von slavischen Völkern bewohnt; man wird
dann sofort ermessen können, welchen unschätzbaren
Schutzwall das Deutsche Reich an dem deutschen
Sprachgebiet Oesterreichs besitzt. Ohne dieses wären
wir auf der gesammten Gränze von den Sudeten bis
zum Bodensee der gleichen Bedrohung des deutschen
Besitzstandes wie an den östlichen Grenzen ausge-
setzt. Jede Schmälerung des deutschen Gebietes jen-
seits der Grenze bedeutet eine Schwächung des
gesammten Deutschthums, einen Fortschritt des
Slaventhums. Mit jedem deutschen Dorf, das an der
Sprachgrenze verloren geht, löst sich ein Stein aus
der Schutzmauer gegen den slavischen Osten Europas.
Das geschlossene deutsche Sprachgebiet und die
grossen Sprachinseln, welche die Brücke von dem
Oder- zum Donaugebiet bilden, fallen in den Bereich
der Lebensinteressen des gesammten deutschen Volkes.
Es steht in Oesterreich immer noch die Frage zur
Entscheidung, ob deutscher oder slavischer Einfluss
das Reich regieren soll. Die Deutschen können die
Thatsache des Aufkommens der slavischen Völker-
schaften nicht ignorieren, die Slaven dürfen nicht
vergessen, dass ohne die Deutschen Oesterreich un-
möglich ist. (Ohne die Slaven etwa ja?) Im letzten
Grunde liegt das Uebel in der ungeographischen Ge-
staltung Oesterreichs, das seit 1867 einen Rumpf-
staat bildet, dem alle Vorbedingungen der Langlebig-
keit fehlen (!), der nur in Anlehnung an Ungarn
oder Deutschland leben kann. (?) Ein Oesterreich
unter deutscher Führung wird mit beiden in engem
Einvernehmen fortbestehen können. Ein slavisches
Oesterreich bildet für beide eine drohende Gefahr
und birgt die Keime europäischer Verwickelungen
in sich, da es nur (?) im Schutze Russlands und
Frankreichs bestehen könnte. Die Entscheidung muss
in Böhmen fallen, dort steht nicht nur die Zukunft
Oesterreichs, sondern auch Deutschlands auf dem
Spiel. In Prag sind noch nicht zum letztenmale die
Geschicke Mitteleuropas entschieden worden. Das
Unheilvollste wäre die Aufrichtung des ßechischen
Nationalstaates. In Prag würden dann russische und
französische Einflüsse massgebend sein; die Cechen,
30
auf fast allen Seiten von deutschen Staaten umgebent
müssten an jenen Rückhalt suchen. Es ist noch nicht
vergessen, dass dereinst der Führer der Gechen
Napoleon III. aufforderte, über Prag nach Berlin zu
marschieren. Die Deutschen Böhmens, der öechischen
Mehrheit preisgegeben, würden den Verzweiflungskampf
aufnehmen, Deutsch-Böhmen ein zweites Schleswig-
Holstein werden." — Das ist doch deutlich gespro-
chen. Oesterreich soll nur als eine Art Satrapie des
„Deutschen Reiches" existiren dürfen und hat seine
innere Politik mit der Berliner Scheere zuzuschneiden,
sonst ist seine „Langlebigkeit" in Frage gestellt. Hier
handelt es sich nicht um die Phantasien eines Schwär-
mers, hier handelt es sich um den Ausdruck von
Anschauungen weiter politischer Kreise im „verbün-
deten" Nachbarreiche. In Oesterreich will man freilich
das Alles nicht sehen. Wohin soll dann diese Dul-
dung führen?
Ueber die nationalen Aufgaben der Alldeutschen
hat im Monate Mai 1901 der Führer der deutsch-
socialen Partei Abgeordneter Liebermann in Braun-
schweig folgendes vorgebracht: „Zunächst muss kurz
die Frage beantwortet werden, was das eigentliche
Kennzeichen einer Nation, eines Volkes ist. Ich meine,
der Begriff Nation lässt sich so erklären, dass die-
jenigen, die sich zu derselben rechnen, eine gemein-
same, durch viele Generationen zurückzuführende Ab-
stammung haben müssen, dass also gleiches Blut in
ihren Adern fliesst, dass infolgedessen unbeschadet
der Verschiedenheit der Einzelwesen eine Summe über-
einstimmender körperlicher und geistiger Eigenschaften
bei ihnen vorhanden ist, dass sie ein grosses zusam-
menhängendes Hauptsiedelungsgebiet innehaben, dass
sie durch eine lange Reihe von Jahrhunderten eine
gemeinsame Geschichte miteinander durchlebt haben,,
und dass sie eine gemeinsame Sprache sprechen.
Das Merkmal der gemeinsamen Sprache allein reicht
nicht hin, um die Zusammengehörigkeit zu einer
Nation zu beweisen. Denn eine Sprache kann man
erlernen, für den Begriff der Nation aber kommt es
auf eine Summe meist ererbter Merkmale an. Wir
würden uns doch wohl sehr wundern, wenn die bei
81
uns wohnenden Thee-Ghinesen oder Japaner, sobald
sie deutsch gelernt haben, behaupten wollten, sie
seien Deutsche und darauf nun beanspruchten, bei
uns Offiziere oder Richter zu werden, Lehrer unserer
Kinder zu sein, die Ministersessel zu besetzen oder
in unsern Volksvertretungen das Wort zu führen»
Die grossen Nationen der Gegenwart sind allerdings
durchweg nicht völlig reine Nationalitäten. Sie haben
vielmehr durch den Weltverkehr mehr oder minder
umfangreiche Beimischungen andern Volksmetalles
bekommen. So hat unser deutsches Volk Beimischun-
gen von slavischen, französischen, wendischen Ele-
menten. Aber diese sind aufgegangen in unserem
Volksganzen und der Grundcharakter ist derselbe
geblieben. Die Beimischungen können sogar den
Werth der gesammten Eigenschaften eines Volkes
erhöhen. Die Vorbedingung zu der Möglichkeit einer
solchen Volksmischung ist aber Rassenverwandschaft,
wie sie bei den Europa bewohnenden Kulturvölkern
besteht. Sie ist unmöglich zwischen Weisen und
Schwarzen, Weissen und Rothen (Indianern), Weissen
und Gelben (Mongolen), und sie ist auch, wie die
Geschichte beweist, zwischen weissen arischen Men-
schen und Semiten unmöglich. Aus solchen Mischun-
gen gehen keine lebensfähigen neuen Volks-Individua-
litäten hervor. Es bestehen enge Wechselwirkungen
zwischen dem Körperbau, der Organisation des Ge-
hirns und den geistigen und seelischen Eigenschaften
des Menschen. Die Natur kennzeichnet deutlich, wo
die Möglichkeit einer Rassenmischung aufhört.
Die erste vornehmste nationale Pflicht und Auf-
gabe für jedes Volk ist die Selbst-Erhaltung, d. hv
nach aussen die Sicherung des Raums, auf dem es
lebt, der Grenzen des Vaterlandes, und im Innern
die Erhaltung, Pflege und Förderung der völkischen
Eigenart, der Volkssitte und der Volksideale. Und
da die politischen Grenzen, die durch die geschicht-
lichen Ereignisse sich gebildet haben, meist nicht
alle Besiedelungsgebiete eines Volkes umschliessen,
so haben die Nationen die Aufgabe, überall ihr Volks-
thum zu fördern und zu stärken, auch wo es zer-
sprengt und verstreut zwischen andern Nationen
32
wohnt und den Kampf um seine nationale Eigenart
führt. Das deutsche Volk ist etwa in folgender Weise
über die Erde vertheilt:
Deutsches Reich
Oesterreich
Ungarn
Schweiz
Luxemburg
52-6 Mill. = 59-78 v. H. des Ge-
10-0 „ =11-36 „ sammtbe-
2 2 „ = 2-50 „ Standes an
2-1 „ = 2-38 „ Deutsche.
0-2 „ = 0-23 „
Hochdeutsche
Belgien
Holland
67-2 Mill. = 76-35 v. H.
33 „ = 3-75 „
5-0 „ = 5-68 „
Niederdeutsche 8-3 Mill. = 9-43 v. H.
Geschlossenes deut-
sches Sprachgebiet 75-5 „ = 85-80 n
Sonst in Europa 1-5 „ = 171 „
In Europa zus. also 77 Mill. =87-51 v. H.
Amerika 10 „ =11-36 „
Afrika, Asien, Au-
stralien 1 „ = 1-14 „
Ueberhaupt etwa 88 Mill. = 100 v. H.
Aus dieser Vertheilung der Deutschen über den
Erdball ergeben sich unsere nationalen Pflichten. Wir
haben einen näheren Zusammetischluss zwischen den
Deutsch-Oesterreichern und uns vorzubereiten und
anzustreben. Das geht ohne Hochverrath und ist auf
dem Wege von Bündnissen und Verträgen durchaus
zu erreichen. Wir müssen das in Oesterreich beson-
ders bedrohte Deutschthum mit unseren Sympathien
stärken. Der Kampf, den die Deutsch-Oesterreicher
um ihre Sprache führen, ist auch unser Kampf. Sie
bilden das äusserste Bollwerk des Deutschen Reiches.
Sollten sie unterliegen, so würde das Slaventum uns
mit noch viel grösserer Macht als gegenwärtig inner-
halb unsrer Reichsgrenzen bedrohen. Desgleichen ist
es unsere nationale Aufgabe, einen engeren Zusammen*
schluss der Hochdeutschen und Niederdeutschen an-
zubahnen, so dass ein geschlossenes deutsches Sprach-
gebiet, worin 75'5 Millionen Einwohner, also 85*80
v. H. der gesammten deutschen Bevölkerung auch po-
litisch ein zusammengehöriges Ganzes bildet und seine
33
Macht in die Wagschale werfen kann für die deutschen
Ziele und Aufgaben auf der Erde. Es ist unsre na-
tionale Aufgabe, die Bewohner unsrer Grenzgebiete
davor zu bewahren, dass sie im Polen-, Tschechen-,
Dänen- oder Franzosentum untergehn. Die zeitweilig
ins Ausland gehenden Deutschen sollen sicher des
deutschen Schutzes und im geistigen Zusammenhang
mit der Heimat überall stolz und freudig ihr Deutsch-
tum bekennen. Die Deutschen, die dauernd jenseits
der Meere eine neue Heimat suchen, sollen nicht wie
früher als Gulturdünger in andern Nationalitäten
aufgehn, sondern die Anhänglichkeit an die alte
Heimat aufrecht erhalten und ihr Volksthum bei-
behalten. Am leichtesten wird das der Fall sein in
deutschen Golonien, aber es ist auch erreichbar
innerhalb fremder Staatengebilde, wie wir das an
den deutschen Niederlassungen in Südamerika und
an einigen durchaus deutschen Städten und Distrikten
in Nordamerika sehen. Wo immer auf dem Erden-
runde Volksstämme germanischen Blutes um Erhal-
tung ihrer Eigenart und Selbstständigkeit kämpfen,
da ist es unsere Aufgabe, ihnen beizustehn und aus
diesem richtigen Gefühle heraus steht auch unser
gesammtes Volk mit verschwindenden Ausnahmen mit
seinen Sympathien auf Seiten der kämpfenden Buren.
Wir wissen, dass in jenem Kampf die Entscheidung
fällt, ob Südafrika englisch oder niederdeutsch wer-
den soll. Wir zweifeln aber nicht mehr an einer ent-
giltigen Niederlage des Engländerthums, so dass damit
unsre Colonien in Südost- und Südwestafrika auch
für die Zukunft gesichert erscheinen. Unser National-
stolz und unsre Gefühle für deutsche Ehre erfordern
es, dass wir unbekümmert, ob es bei der jeweiligen
Stimmung unsrer Reichsregierung missliebig oder
nicht ist, diese Auffassung auch offen aussprechen.
Das Deutsche Reich, als die grösste politische
Zusammenfassung der Deutschen, hat grosse Ver-
pflichtungen für die Zukunft des Germanenthums.
Es ist der Anfang für das Germanenreich oder besser
für den Germanenbund der Zukunft. Um seine Gross-
machtstellung, die es sich auf den Schlachtfeldern in
Böhmen und in Frankreich endgiltig erkämpft hat,
3
34
behaupten zu können, muss es Sorge tragen, seine
langen Landgrenzen vor allen den feindlichen Nach-
barn, die uns umgeben, zu schützen. Es ist also eine
nationale Aufgabe ersten Ranges für uns, alle die sociale
Einrichtung zu bewahren, auf denen die Stärke und
Schlagfertigkeit unsres Heeres beruht. Wir sehen in
unserm, auf dem altgermanischen Grundsatze allge-
meiner Wehrpflicht beruhenden Volksheer nicht nur
das beste Instrument zur Sicherung des Weltfriedens,
zum Schutze unsrer Grenzen und zur Aufrechterhal-
tung des Friedens im Innern, sondern wir sehen darin
auch eine Volkserziehungsanstalt ersten Ranges.
Der Heeresschulung verdankt unser Volk seine
geistig und körperlich aufrechte Haltung, wodurch es
sich vor den andern Völkern der Erde seit lange
auszeichnet. Wir sehen in unsrer Heereseinrichtung
auch ein Mittel zur Beförderung des Geldumlaufs im
Lande und zur Beförderung von Handel, Gewerbe
und Verkehr. Die grossen Summen, die für das Heer
ausgegeben werden, sind nicht unproduktiv angelegt.
Sie werden im Lande verausgabt und werden der
Gefahr entzogen, von dem Moloch Börse aufgesogen
zu werden. Natürlich muss wie bisher strenge vor-
sorgliche Sparsamkeit bei unsern Heeresausgaben ge-
übt werden. Es darf der Vertretung des Deutschen
Volkes in keiner Weise das Recht geschmälert wer-
den, im einzelnen die Heeresausgaben zu kontrol-
lieren. Mit der nationalen Aufgabe der Erhaltung
unsrer politischen Wehrkraft hängt, wie ich schon
sagte, eng zusammen die Erhaltung und Stärkung
der socialen Grundlagen, auf denen jene Wehrkraft
beruht. Also in erster Linie die Erhaltung der Bauern-
kraft, die die Kraftquelle für unser gesammtes Volk ist
und die Erhaltung derjenigen geschichtlich gewor-
denen Stände, die im Laufe der Jahrhunderte dem
Heere die geeigneten Führer gegeben haben. Aber
wir haben unsre Grenzen nicht nur auf dem Fest-
lande zu sichern. Aus der Grossmachtstellung Deutsch-
lands ist seine Weltmachtstellung hervorgegangen,
die uns weitergehende nationale Aufgaben auferlegt.
Lange Meeresküsten bilden die Basis unsres Verkehrs
über See. Sie bedürfen auch der Sicherung. Die Volks-
35
Vermehrung der germanischen Race ist eine überaus
starke. Der Ueberschuss der Gebornen über die Ge-
storbenen betrug im Durchschnitt alljährlich in den
Jahren
1872—80 im deutschen Reiche 545.407
1881—90 „ „ „ 551.308
1891—99 „ „ „ 7/6.988
die überseeische Auswanderung in denselben Zeit-
räumen im Durchschnitt
549.744
1,342.423
507.566
Der Abgeordnete Liebermann verlangt nun für
das deutsche Volk einen freien Raum. Das kann nur
auf Kosten des Nachbars geschehn. Reichsdeutsche
Blätter lassen sich auch aus Oesterreich Stimmungs-
bilder einsenden, in welchen das Sehnen nach der
Annexion Oesterreichs durch Deutschland ausgespro-
chen wird, ja als eine Notwendigkeit der Zukunft
dargestellt wird. Ein solches Stimmungsbild brachten
die berliner „Deutschsocialen Blätter" am 3. Oktober
1901. Der Artikel lautet: Dieser Tage ist uns von
einem „Deutschen aus Böhmen eine Zuschrift zuge-
kommen, die sehr viel Wahres und Treffendes ent-
hält und geeignet ist, so manche auffallende Erschei
nung unter den Deutschen in Böhmen zu erklären;
wir veröffentlichen daher diese Zuschrift nachstehend
ihrem vollen Wortlaute nach. Sie lautet:
Geehrter Herr Redakteur!
Unter allen politischen Tages- und Wochen-
blättern, die mir zu Gesichte kommen, haben Sie
bisher die Verhältnisse unter der deutschen Bevöl-
kerung Böhmens am richtigsten beurtheilt. Gestatten
Sie daher auch mir, einem Deutschen aus Böhmen,
der in Deutschböhmen lebt und alt geworden, einige
Bemerkungen, die durch einen Artikel im „Pester
Lloyd" angeregt wurden. Der „Pester Lloyd" vom
12. September d. J. brachte nämlich unter dem Titel
„Die Alldeutschen in der Wahlbewegung" von einem
österreichischen Abgeordneten, den die Redaktion
3*
36
selbst als „zu den hervorragendsten und angesehen-
sten Abgeordneten der deutschen Linken im öster-
reichischen Parlamente zählend" bezeichnet, einen
längern Artikel, in dem so manches Wahre enthalten
ist, der aber einiger wesentlichen Ergänzungen und
Berichtigungen bedarf. Der Verfasser des Artikels
sagt ganz richtig: „Wenn die Alldeutschen bei den
jetzigen Landtagswahlen grössere Erfolge erzielen,
und namentlich die Fortschrittspartei mit Erfolg aus
dem Felde schlagen werden, so verdanken sie, wenn
nicht alle Anzeichen trügen, diese Erfolge nicht ihrem
Programm, sondern dem Anreiz, den die schärfere
Tonart auf abgespannte, in ihren politischen Hoff-
nungen so oft getäuschte Wählerschaften ausübt."
Dieser Satz ist vollständig richtig, und wer die Ver-
hältnisse in Deutschböhmen kennt, wird dies bestä-
tigen. Und hieran anschliessend ist auch der folgende
Satz „Woher kommt aber die Anziehungskraft der
Partei der schärfern Tonart? Sie ist das Ergebnis
eines allmählich entwickelten, in geschichtlichen That-
beständen begründeten Pessimismus der deutsch-
freisinnigen Wählerschaften." Ganz richtig! Sie ist
aber auch das Ergebnis der Unzufriedenheit, der
vollständigen und höchsten Unzufriedenheit mit der
ganzen Wirtschaft in Oesterreich, mit allen politischen,
nationalen, wirtschaftlichen, kulturellen Verhältnissen,
kurz, mit der ganzen Regiererei, wie sie seit dreissig
Jahren in Oesterreich betrieben wird. Diese Unzu-
friedenheit hat sich ganz allmählich entwickelt und
ist immer grösser geworden; es bedurfte nur eines
geringen Impulses, um sie auch praktisch zum Aus-
druck zu bringen. Diesen Impuls hat sie nur seit
dem Auftreten der Alldeutschen durch deren schär-
fern Ton erhalten, und daher erklären sich auch die
Erfolge, die diese schärfere Tonart bis jetzt erzielt
hat und zweifellos noch viel mehr erzielen wird.
Wenn heute ein redegewandter, muthiger, unerschrock-
ner und rücksichtsloser Agitator auftreten würde,
der die Partisane der Alldeutschen Partei an Radi-
kalismus noch übertrumpft, so würde er zweifellos
noch grössere Erfolge erzielen, und selbst die All-
deutsche Partei aus dem Felde schlagen.
37
Woher kommt aber diese grosse Unzufriedenheit
mit allen Verhältnissen in Oesterreich unter der
deutschen Bevölkerung Böhmens, und nicht blos
Böhmens, sondern der ganzen deutschen Bevölkerung
Oesterreichs überhaupt? Diese grosse Unzufriedenheit
und deren Folgeerscheinung, der Radikalismus, ist
durchhaus nicht plötzlich entstanden, sie ist eine
breite und tiefe Volksströmung, deren Ursachen von
Tag zu Tag in stärkerm Masse wirken. Sie ist kein
künstliches Produkt, sondern hervorgegangen aus der
moralischen und materiellen Noth des Volkes, das
sich einfach dagegen wehrt, elend zu Grunde zu
gehn, während ein kleiner, fremder, zumeist einge-
wanderter Theil der Bevölkerung Reichthümer auf-
speichert. Die deutsche Bevölkerung, und namentlich
in Böhmen, hat es endlich einmal satt, immer nur
als Ausbeutungsobjekt für fremde Nationen und
fremde Interessen zu dienen. In Oesterreich regieren
die Magyaren, die Polen, die Tschechen und die
Juden; — die Deutschen haben blos das Vergnügen,
für die Bedürfnisse des Staates zum grössten Theile
aufzukommen, und zu zahlen! Was ist in den
letzten dreissig Jahren nicht alles geschehen, um nur
— wenigstens äusserlich — eine Art Scheinkonsti-
tutionalismus aufrecht zu halten. Diesem Phantom
und der Grossmachtspielerei musste alles geopfert
werden! Mit der Einfuhrung des Dualismus begann
dieser Zustand. Der Ausgleich mit Ungarn, dessen
Erneuerung alle zehn Jahre, dann die Quote usw.,
erfordern kolossale Mittel und diese muss Oesterreich
fast allein tragen, Dank der famosen Bestimmungen
der Ausgleichsgesetze und alles dessen, was drum
und dran hängt. Und da in Oesterreich fast nur die
deutschen Provinzen aktiv sind, und in diesen fast
nur die gewerbliche und industrielle Bevölkerung, —
so hat diese eigentlich fast allein für alles zu sorgen.
Daher der ungeheure Steuerdruck; und die deutsche
Bevölkerung an der Grenze des Deutschen Reiches,
also in Deutschböhmen, hat am besten Gelegenheit,
im vielfachen Verkehr mit Deutschland hierüber
Vergleiche anzustellen. Eines unsrer deutschöster-
reichischen antisemitischen Blätter hat erst vor ganz
38
kurzer Zeit einen Artikel gebracht, in dem auf Grund
der bestehenden Bestimmungen die Belastung des
Hausbesitzes z. B. in Wien mit jener in Berlin und
Dresden verglichen wird; aus diesem Artikel ist
ersichtlich, dass die Gebäudesteuer für ein Haus,
das z. B. 10.000 Mark Miethe trägt, in Dresden 210
Kronen, in Berlin 639*60 Kronen und in Wien
4205*70 Kronen beträgt. Und so wie es mit der
Gebäudesteuer, so ist es in demselben Verhältniss
auch mit den übrigen Steuern; die Steuerlast ist in
Oesterreich einfach unbeschreiblich! Und dazu die
hohen indirekten Steuern! Und das sehen meine
Landsleute in Deutschböhmen recht gut, und sie
vergleichen auch alle übrigen Verhältnisse, wie sie
herüben in Oesterreich sind, mit den gleichartigen
Verhältnissen drüben im Deutschen Reiche, und dann
ist es kein Wunder, wenn man gar oft den Wunsch
aussprechen hört: „Wenn es nur schon bald dazu
käme, wozu es ja doch früher oder später kommen
muss und kommen wird; dann hätten wir doch
wenigstens erträgliche Zustände; die jetzigen Zustände
in Oesterreich sind aber unerträglich!" Und es ist
ja wahr. Seit dreissig Jahren ist in Oesterreich nichts
geschehen, was zur Wohlfahrt des Volkes dienen
könnte. Nichts, rein gar nichts! Im Gegentheile; die
Ausbeutung der arbeitenden gewerblichen und land-
wirtschaftlichen Bevölkerung durch den Grosskapi-
talismus wurde auf alle mögliche Art gefördert und
begünstigt. Alles frisst am Wohlstande des eigent-
lichen Volkes! Das gesammte Aktien- und das Kartell-
wesen, die Bildung der Ringe und Truste, der
Eisen- und Kohlenwucher, der Getreide-Terminhandel,
das total verfahrene Eisenbahnwesen mit seinen
Betriebsdeficiten (die schlechten, nichtstragenden ga-
lizischen Bahnen sind im Staatsbesitze, die guten
und vorzüglich rentierenden Bahnen gehören den —
gelauften und ungetauften Juden); die verunglückte
Valuta-Regulierung, die uns nichts gebracht, als eine
masslose Vertheuerung aller Lebensbedürfnisse (in
Wien kostet alles im Durchschnitt doppelt soviel,
wie in Berlin oder Dresden) usw.
Und allem diesen sehen die österreichischen
39
Regierungen der letzten Jahre unthätig zu; sie sind,
auch wenn sie etwas thun wollten, zu schwach,
gegen die übermächtigen Geldjuden und andere
Faktoren aufzutreten; sie sind zu schwach, um
ernstlich und mit kräftiger Hand einzuschreiten. Die
Regierungen thun nichts gegen die schrecklich um
sich greifende Verwilderung und Verrohung der
Jugend, nichts gegen die haarsträubenden Zustände
an den Universitäten mit ihrem gradezu hochver-
rätherischen Treiben, nichts gegen die Wirthschaft in
Galizien, die jetzt bei den Landtagswahlen so offen
zu Tage getreten, im Gegentheil, der Polenklub regiert
in Oesterreich; sie thut nichts gegen das wüste
Treiben der unreifen Vagabunden, dem die Polizei
ohnmächtig gegenübersteht; nichts gegen die un-
glaublich gesteigerte Herrschaft des Judenthums, das
sich bereits mächtig genug fühlt, in allen öffentlichen
Angelegenheiten allein massgebend aufzutreten, —
kurz, wohin man in Oesterreich sieht, überall wunde
Stellen. Dazu die oft merkwürdigen, lebhaftes Kopf-
schütteln erregenden und sich oft widersprechenden
Urtheile der Justizbehörden, von unten bis oben, ja
bis zum Verwaltungsgerichtshof hinauf, der nichts
ist als eine Versorgungsanstalt für abgethane Minister;
— denn das Protektionswesen bei der Besetzung
sicherer Posten in den Central stellen, wo junge,
unerfahrene Leute, blos weil sie Ministersöhne oder
Abgeordneten-Neffen sind, die höchsten Stellen er-
reichen und in den wichtigsten Fragen entscheiden,
während alte, erfahrene Leute auf die Seite geschoben
werden, worauf der Umstand zurückzuführen ist,
dass wir in Oesterreich lauter schlechte Gesetze haben
usw. usw. Und so kommt es, dass die eigentliche
steuerzahlende Bevölkerung in Oesterreich immer
mehr verelendet, während die Juden und die mit
ihnen verbundene Hochfinanz alles an sich reissen,
so dass die totale Verarmung der österreichischen
Bevölkerung nur mehr eine Frage von kurzer Zeit
ist Und da wundert man sich, dass die Unzufrieden-
heit mit dieser ganzen Wirthschaft immer mehr zum
Radikalismus treibt, und dass diejenigen die meisten
Erfolge erzielen, die die schärfste Tonart anschlagen,
40
die dem österreichischen deutschen Volke die baldige
Erlösung von der Herrschaft der Juden, der Tschechen,
der Polen und der Magyaren versprechen!
Wir wollen dem Einsender dieses Artikels in
Manchem recht geben, doch geben wir ihm zu be-
denken, dass der Haushalt des Deutschen Reiches
pro Jahr 1902 mit einem Abgang von rund 50
Millionen Mark abgeschlossen hat.
Und was die Juden anbelangt, so sind die
Deutschen im Deutschen Reiche wohl etwas besser
daran, aber Hab und Gut ist ebenso vertheilt zwischen
Christ und Jud in Oesterreich wie in Deutschland.
Hier der Beweis. Ueber die Ergebnisse der seit kur-
zem in Baden eingeführten katholischen Kirchensteuer
gibt das neue statistische Jahrbuch für 1901 insofern
werthvolle Aufschlüsse, als sie einen Vergleich der
der allgemeinen Kirchensteuer unterliegenden Steuer-
kapitalien der Evangelischen, der Katholiken und der
Israeliten ermöglichen. Die Kapitalrentensteuer-Kapi-
talien der Evangelischen belaufen sich im Jahre 1900
auf 733-0 Mill. M., die der Katholiken auf 471-3 Mill.
M.. die der Israeliten auf 142\> Mill. M., ausgerechnet
auf den Kopf nach der Seelenzahl vom 1. Dezember
1900 — wo in Baden 701.964 Evangelische, l'l Mill.
Katholiken, 8356 Altkatholiken und 26.132 Israeliten
gezählt wurden — stellt sich das Verhältnis wie folgt :
1044-30 M. für die Evangelischen, 419-70 M. für die
Katholiken und 5452-20 M. für die Israeliten. Die
Grund-, Häuser-, Gefäll- und Gewerbesteuerkapitalien
betragen für den evangelischen Theil 1042-1 Mill. M.,
für den katholischen 1296*6 Mill. M., für die Israeliten
153-1 Mill. M., also für den Kopf 1484-60 M., 1154-30
M. und 5857-40 M. Die Einkommensteueranschläge
stellen sich für die Evangelischen auf 119-2 Mill. M.,
die Katholiken auf 101*6 Mill. M., die Israeliten auf
243 Mill. M.; dies ergibt auf den Kopf 169-8, 9050
u. 931-30 M. Die Verwirklichung des Planes der All-
deutschen kann natürlich in erster Linie nur auf
Kosten Oesterreichs geschehn. In der That, die Zer-
trümmerung Oesterreichs scheint das Endziel aller
preussischen Politik zu sein. Spricht doch die ganze
Vergangenheit Preussens dafür. Schon das Brutei des
heutigen Preussens ist sehr wenig ehrenhaft.
41
„Im Jahre 1525 säkularisirte der Hochmeister
<les deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg,
•das preussische Ordensland und machte sich unter
Genehmigung seines Lehnsherrn, des katholischen
Königs von Polen, laut Vertrag vom 8. April 1525
zum ersten Herzog von Preussen, wodurch er sein
Land zur Wiege des preussischen Staates erhob."
Also der Anfang Preussens ist von Rechtswegen
promptes Kirchengut. Die besten Ländergeschäfte
machte der grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm beim
Abschluss des westphälischen Friedens, annektierte
Pommern und Ostpreussen. Friedrich der Grosse be-
reicherte sich auf Kosten Oesterreichs durch Schlesien,
dann annektierte er Westpreussen. Während der Kriege,
mit denen Friedrich der Grosse Oesterreich bedrängte,
unterhielt er in Böhmen fortwährend bezahlte Agenten,
welche das Land fort und fort bereisten und für das
preussische Regime praeparierten. Im Jahre 1732 hat
der protestantische Prediger Liberda mit 6 Gehilfen
für ein Honorar von 200 Thalern böhmische Unter-
thanen zur Auswanderung nach Preussen bewogen,
er hat ihrer über 2000 gewonnen. Böhmische Prote-
stanten haben im Jahre 1775 direkt Friedrich aufge-
fordert, das Land Böhmen zu annektieren. Die Ab-
sichten Bismarks sind ja allbekannt. Der ehemalige
ungarische Revolutionsgeneral Stephan Türr erzählt
im „Pesti Hirlap" folgendes: „Zur Zeit des 1866er
Krieges lies Bismarck die ungarische Legion organi-
sieren; er betonte, dass er die berechtigten Aspira-
tionen der ungarischen Nation unterstütze. Kaum ein
Jahr später bot sich mir in Belgrad Gelegenheit zu
erfahren, dass der dortige preussische Geschäftsträger,
so dass ich es mit meinen Ohren hörte, ungarisches
Gebiet den serbischen Staatsmännern versprach. 1867
sagte mir Bismarck nur zu deutlich, welche Absich-
ten er mit Oesterreich habe. Durch mich Hess er den
Italienern sagen, dass „Italien mit Hilfe Preussens das
Trentino bekommen könne." aber er fügte hinzu, dass
er Triest nicht in die Hände der Italiener gelangen
lassen wolle, weil das „ein Zukunftshafen Deutschlands"
ist. Ich sagte dies schon mehrmals, als der eiserne
Kanzler noch lebte. Und ich citiere heute neuerlich
42
diese Worte, weil ich die pangermanischen Herren
aufmerksam zu machen wünsche, dass der Ausflug,
den sie auf den Sachsenboden und* für das Banat
planen, Verdacht wecken wird, nicht bloss im Kreise
des Ungarthums, sondern auch bei den österreichi-
schen Völkern." Und da hört man sogar k. k. Beamte
„Heil Bismarck!" rufen. — Am weitesten gediehen
ist in dieser Art eine Brochüre bei Lehmann in Mün-
chen erschienen unter dem Titel: Oesterreichs Zu-
sammenbruch und Wiederaufbau." In diesem Produkt
der alldeutschen Propaganda ist die Theilung Oester-
reichs auf dem Papiere für die Zukunft vollständig
durchgeführt. Den alldeutschen Gedanken verbreiten
in Deutschland systematisch nicht allein die Presse,
sondern auch zahlreiche Vereine. Neben dem all-
deutschen Verein sind hier zu nennen der Schulverein
zur Erhaltung des Deutschthum im Auslande und
andere derartige Organisationen. Aus der Hauptver-
sammlung des allgemeinen deutschen Schulvereines
in Stuttgart vom 20. Mai 1902 entnehmen wir folgen-
des. Der vor mehr als zwei Jahrzehnten von patrio-
tischen Männern in Berlin gegründete Verein war der
erste nationale Schutzverein, der sich die Aufgabe
stellte, das Deutschthum im Auslande zu schützen und
zu erhalten. Er war ein Ausfluss des wiedererstarkten
Selbstgefühls, das die Gründung des Reiches den
Deutschen gegeben hatte. Es ist kein pädagogischer
oder schultechnischer Verein, wie irrthümlich nach
seinem Namen bisweilen angenommen wird. Sondern
er estrebt einzig und allein deutsch-kulturelle Ziele.
Er kennt für seine Thätigkeit keinerlei Unterschiede
der Religion, der Konfession, der politischen Partei-
stellung. Er kennt nur Deutsche, die ihrem Deutsch-
thum treu bleiben und seine Hilfe dazu annehmen
wollen. Er erwartet von jedem Deutschen im Aus-
lande, dass er ein guter Bürger seines besonderen
Staates sei, wünscht aber und wirkt dahin, dass er
zugleich auch ein guter Deutscher bleibe und deutsche
Sprache, Sitte und Kultur sich unverkürzt bewahre.
Wer die Jugend gewinnt, der hat die Zukunft; wer
sie verliert, hat alles verloren. Darum wendet der
Verein seine Mittel für die deutschen Stammes-
43
genossen an der Sprachgrenze und in gemischt-
sprachigen Gegenden hauptsächlich zur Gründung
und Erhaltung deutscher Schulen auf, und nur aus
diesem Grunde führt er den Namen „Allgemeiner
deutscher Schulverein". Der Sitz des Hauptvorstandes
ist in Berlin; der Verein gliedert sich weiter in Lan-
desverbände und Ortsgruppen. Sehen wir in das uns
befreundete und verbündete Oesterreich hinein. Wie
hat das Deutschthum dort zu kämpfen, um sich in
seiner, kraft uralter Kulturarbeit ihm gebührender
Stellung zu behaupten. In Böhmen und Mähren
gegen das Tschechenthum, in Galizien gegen die
Polenwirtschaft, in Krain und Küstenland gegen
den ausserhalb der verantwortlichen Regierung ge-
züchteten Chauvinismus des Magyarenthums, im süd-
lichen Tirol gegen die welschen Autonomiebestre-
bungen und die Minierarbeit der Lega Nazionale.
Nicht allen in Oesterreich eingeborenen Deutschen
ergeht es so gut, wie verhältnismässig noch den
Deutschböhmen, die in zahlreichen Schutzvereinen sich
zur Wehre setzen und neuerdings, vom Mittelpunkt
der Prager deutschen Universität aus, die „deutsche
Arbeit" in Buch und Monatsschrift zur Geltung bringen.
Unter den Klängen der Musik traten Nachmittag
2 Uhr die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen
Schulvereins aus dem Arbeitsraum des Vertretertages
unmittelbar in den Prachtsaal der Liederhalle zum
Festessen hinüber. Wie die Glieder einer Familie, in
Freundschaft und Vertraulichkeit, ordneten sich die
Anwesenden zur frohen Tafel . . . Den Reigen der
Toaste eröffnete Dr. Brüxner-Stuttgart, indem er mit
hinreissender Begeisterung das Hoch auf Kaiser Wil-
helm und auf den König von Württemberg ausbrachte ;
wenn durch eine Naturgewalt eine ganze Stadt mit
30.000 Einwohnern vom Erdboden vertilgt werde,
dann rege sich das Mitleid und jeder wolle helfen;
wie aber, wenn hundert deutsche Städte in Böhmen,
Mähren und anderen bedrohten Gegenden mit 300.000
Einwohnern uns verloren gingen, müsse da erst die
deutsche Hilfe eintreten ! Der Kaiser und der König
seien unsere Vorbilder in nationaler Kraft undThat;
dem Kaiser und dem Könige gelte die treue Huldi-
44
gung des Allgemeinen Deutschen Schulvereins. Major
Kressmann -Karlsruhe, als Norddeutscher in Sud-
deutschland, sprach auf Stuttgart, Prof. Mentz-Jena
auf Dr. Brüxner, Frau von Radnoftai-Dresden mit
vieler Anmut auf die Stuttgarter Frauengruppe, Dr.
Harnischfeger-Frankfurt a. M., dem das Herz auf dem
rechten Flecke sitzt, auf die sog. „berühmten sechs
Berliner Herren", den Hauptvorstand. Sehr eindrucks-
voll gedachte Dr. Weiss-Bremen derer, die durch
Beruf oder Krankheit abgehalten seien, persönlich zu
erscheinen, insbesondere des von schwerer Krankheit
wiedergenesenden wackeren Pfarrers Gamper in Dres-
den. Eingelaufene Depeschen wurden mit Beifall und
Dank verlesen, darunter die des Chefredakteurs der
Vossischen Zeitung, Dr. Bachmann, des Herrn Dr.
Hedinger „aus Roseggörs Heimat", vom Deutschen
Schulverein im Wien, von der „Nordmark" inTroppau.
Nicht in demselben Grade wie die Aufgaben und
Arbeiten des Vereins sind seine Mittel gewachsen.
Dies muss offen und deutlich zum Ausdruck gebracht
werden, damit sich unsere national gesinnten Mit-
bürger besser rühren ; denn mit einem gleichgültigen,
passiven Volk sind keine grossen Ziele zu verfolgen.
Die Mitgliederzahl hat um einige Hundert zugenom-
men: voriges Jahr waren es rund 32.400, dies Jahr
sind es 33.000; aber im Vergleich mit der Bevölke-
rungszunahme ist dies kaum als ein Steigen zu be-
trachten. Von 1899 auf 1900 waren wir doch um
2000 hinaufgegangen. Dabei trifft die Werbekomis-
sion des Hauptvorstandes gewiss kein Vorwurf. Diese
hat vielmehr mit Eifer und Umsicht ihres Amtes ge-
waltet, hat schlafende Ortsgruppen aufgerüttelt und
neue begründet, auch unsere Ansichtspostkarten ver-
mehrt, namentlich um ein Bild von der Johannes-
burger Schule, und den Schulvereinsschriften ein sehr
interessantes Heft hinzugefügt, betitelt „Die Deutschen
Schulen im Ausland", von Dr. Ernst Kapff. Die Ge-
sammteinnahmen sind von rund 176.000 Mark auf
180.000 Mark gestiegen; wir danken dies besonders
der grossartigen Energie einiger Frauen-Ortsgruppen,
voran Berlin und Darmstadt, sowie den Burschen-
schaften, die ihren vorigjährigen Beitrag von 600 M.
45
auf 1570 M. erhöht haben: solch gewichtige Hilfe von
den Müttern und der studierenden Jugend eröffnet
uns einen ermutigenden Ausblick in die Zukunft.
Die meisten Unterstutzungen gingen, wie ge-
wöhnlich, nach Böhmen und Mähren (33.000 M.);
die für überseeische sind gegenüber dem Vorjahr auf
das Doppelte gewachsen. Mit Stipendien hat die
Hauptleitung 18 Studierende aus dem deutschen
Auslande unterstützt, im Gesammtbetrage von 4100
Mark, ferner haben der Landesverband Thüringen
(Prof. Rein, Jena), die Ortsgruppen Marburg (Prof.
Th. Fischer) und Breslau (Prof. Voigt) Stipendien
verliehen. Zu wünschen wäre, dass noch weitere
Landesverbände und Ortsgruppen, in deren Bezirke
Universitäten oder technische Hochschulen sich be-
finden, Stipendien für deutsche ausländische Studie-
rende errichten. Für Büchereien haben wir zirka 2000
Bände angekauft und sie nach Galizien, Böhmen,
Mähren, Steiermark, Osteuropa uud Brasilien geschickt
Auf diese Weise wird von manchen derartigen
Organisationen für den grossdeutschen Plan gear-
beitet. Nach den neuesten Erhebungen sollen die
Deutschen an der Zahl folgendermassen angewachsen
sein. Im Deutschen Reich selbst beträgt die Zahl der
Deutschen nach der jüngsten Zählung vom 1. De-
zember 1900 im ganzen 52,113.159. Etwas älter sind
meist die Zählungen, deren Ergebnis die folgenden
Daten sind. Nach der Zählung von 1890 hatte Oester-
reich damals 8,662.000 Deutsche; für Ungarn liegt
jetzt das endgiltige Ergebnis der Zählung vom 31. De-
zember 1900 vor, wonach die Zahl der dortigen
Deutschen 2,133.181 beträgt, eine Zahl, die hinter
der Wirklichkeit aber sicher erheblich zurückbleibt.
Alle folgenden Zahlen sind das Ergebnis von möglichst
genauen Schätzungen auf Grund des Materials der
jeweils jüngsten Volkszählung. Danach gab es Deutsche
im Jahre 1895 in Bosnien und Herzegowina 30.000,
1891 in Liechtenstein 9400, 1888 in der Schweiz
2,083.000, 1895 in Luxemburg 200.000, 1890 in Belgien
3,420.000, 1889 in den Niederlanden 5,094 800, 1896
in Frankreich 500.000, 1890 in Dänemark 50.000, in
Schweden 5000, in Norwegen 2000, 1891 in Gross-
46
britannien und Irland 100.000, 1897 in Russland
2,001,840, 1894 in Rumänien 50.000, 1895 in Serbien
6400, 1893 in Bulgarien 3600, 1890 in der Türkei
15.000, 1896 in Griechenland 1000, 1898 in Italien
50.000, 1897 in Spanien 3000, 1890 in Portugal 1000.
Das macht alles in allem eine Kopfzahl von
76,536.000. Auf das geschlossene deutsche Sprach-
gebiet fallen davon etwa 72,000.000. Zusammen bilden
diese Deutschen mehr als ein Fünftel der gesammten
europäischen Bevölkerung.
Nach Mulhalls Berechnung waren die Völkerver-
hältnisse Europas folgendermassen beschaffen.
Gesammtzahl der Bevölkerung Europas
Jahr 1801 1890
161,800.000 401,700.000
Von einem Hundert Einwohner sprachen
im Jahre 1801 1890
englisch 12-7 27-7
französisch 19*4 12*7
deutsch 18-7 18-7
italienisch 9-3 8 3
spanisch 16*2 10*7
portugalisch 4*7 3*2
. russisch . . . . 19* — 18 7
Ob diese Zahlen der Wirklichkeit entsprechen, ist
allerdings fraglich.
Innerhalb des deutschen Reiches wird mit
eiserner Rücksichtslosigkeit an der Alleinherrschaft
der Preussen gearbeitet. Wir sagen der Preussen,
denn von ihnen geht ja hauptsächlich diese Bewegung
aus. Die Früchte zeigen sich am deutlichsten in
Elsass-Lothringen.
Als es sich im Jahre 1898 darum handelte, das
deutsche Reichspressgesetz vom 7. Mai 1874 in Elsass-
Lothringen einzuführen, war auch vorgeschlagen
worden, eine Bestimmung aufzunehmen, wonach das
Erscheinen französischer Zeitungen im Reichslande
behördlich verboten werden könnte Der Landes-
ausschuss lehnte jedoch diesen Vorschlag als eine
zu wenig pressfreundliche Massregel ab. Gleichzeitig
wurde in den damaligen Verhandlungen hervorge-
4<
hoben, dass die in französischer Sprache erschei-
nenden Strassburger Blätter von Jahr zu Jahr ohnehin
an Abonenten verlieren und somit in ihrem Einflüsse
und ihrer Bedeutung zurückgingen. Die Wahrnehmung
wird, wie man der Süddeutschen Reichscorrespondenz
aus Strassburg meldet, durch die Thatsachen bestätigt.
Als z. B. vor etwa Jahresfrist in Metz eine neue ka-
tholische Zeitung gegründet werden sollte, da wurde
von den beteiligten Kreisen mit Entschiedenheit betont,
dass die neue Zeitung in deutscher Sprache erscheinen
müsse, wenn anders sie auf eine genügende Zahl von
Abonnenten und Lesern rechnen wolle, um die von
ihr vertretenen Interessen mit Erfolg vertheidigen zu
können. Und so entstand die Lothringer Volksstimme.
Ferner hat die Volkszählung vom 1. Dezember 1900,
bei der zum erstenmale die Muttersprache der orts-
anwesenden Bevölkerung im einzelnen ermittelt
wurde, ergeben, dass die französisch sprechende Be-
völkerung des Reichslandes geringer ist als man ge-
wöhnlich annahm. Es ist dabei zu brachten, dass im
Jahre 1900 eine Individualzählung stattgefunden hat,
während bis dahin nur eine schätzungsweise Ermit-
telung des geschlossenen französischen Sprachgebietes
vorgenommen wurde. Die durch die jetzige Individual-
zählung ermittelten 198.173 Personen, die als Mutter-
sprache Französisch angegeben haben, utnfassten
auch die ausserhalb des französischen Sprachgebietes
im Lande zerstreuten Angehörigen der französischen
Muttersprache. Solcher sind 87.010 gezählt worden.
Dem Reste von 111.163 französisch Sprechenden
stehen im französischen Sprachgebiete bereits 48.750
Personen gegenüber, deren Muttersprache Deutsch
ist, hauptsächlich infolge der deutschen Einwanderung
dorthin. Demnach hat sich das früher als rein fran-
zösisch anerkannte Sprachgebiet, besonders in Loth-
ringen, an Umfang bedeutend verringert, und mehr
als drei Viertel dieses Gebietes sind jetzt sprachlich
gemischt. Der preussischen Polenpolitik können wir
vielleicht ein besonderes Kapitel widmen« Auf diese
Weise haben wir hoffentlich eine Uebersicht von der
alldeutschen Bewegung erhalten und ihre Ziele und
Bestrebungen kennen gelernt.
48
V. Bismarck und Oesterreich.
Seit dem J. 1898, wo Bismarck starb, vergeht
fast kein Tag, an welchem nicht ein Werk über Bis-
marck, sein Leben, Wirken etc. auf dem deutschen
Büchermarkt erscheinen möchte. Da kommt Lothar
Bucher, dort wieder der Hebräer Moritz Busch und
ganze Legionen anderer Bismarcks-Verherrlicher. Selbst-
verständlich ist unsere Juden-Presse in Oesterreich
jedesmal im Freudenrausch, wenn sich ein neuer
Bismarcks-Bekollerter auf dem Büchermarkt anmeldet.
Bismarck war der grösste Feind Oesterreichs. Einen
durchschlagenden Beweis dazu erbrachte A. Kienast
in seinem Werke: Die Legion Klapka. Eine Episode-
aus dem Jahre 1866 und ihre Vorgeschichte. (Wien
1900, bei Seidel u. Sohn.) Wir lesen hier unter Anderem
folgendes :
Als Ludwig XIV. mit jenen Unternehmungen
beschäftigt war, welche die landläufige Geschichtsbe-
trachtung mit dem Namen der Raubkriege belegt hat,
suchte er wiederholt dem Kaiser im Osten Feinde-
zu erwecken durch Gewinnung der Polen, durch
Aufhetzen und ein Bündnis mit den Osmanen, oder
durch Unterstützung und Verbindung mit den auf-
ständischen Ungarn. Friedrich IL von Preussen suchte-
während seiner Kriege mit Maria Theresia einmal die-
Türken und Tataren zu einem Einfall in Sieben-
bürgen oder Ungarn zu bewegen, und ein anderes
Mal trat er mit unzufriedenen Magnaten in Beziehungen,,
um Oesterreich von dieser Seite zu beschäftigen.
Nach diesen und ähnlichen berühmten Mustern
handelte auch Bismarck im Jahre 1866. Oesterreich
sollte in einer eisernen Umklammerung seiner Feinde
erdrückt und für immer zu einer Macht zweiten oder
dritten Ranges herabgemindert werden. Der Bau-
meister des neuen deutschen Reiches begnügte sich
nicht mit dem Plane, dass das Preussen des Nordens
und das Piemont des Südens zugleich von entgegen-
gesetzten Seiten angreifen und sich vor den Mauern
der österreichischen Hauptstadt siegreich die Hände-
reichen sollten: er bereitete noch eine ganze Reihe
von Reserven vor, deren Vorstösse das Schicksal des
49
Kaiserstaates besiegeln oder wenigstens während des
Kampfes einen Theil seiner Heeresmassen fern von
der Hauptschauplätzen festhalten sollten und während
der Friedensverhandlungen noch immer als gefährliche
Drohung ausgespielt werden konnten. Bismarck zog
Serbien und Rumänien in den Kreis seiner Berech-
nung. Am 10. Juni theilte er dem Fürsten Anton von
Hohenzollern mit, dass er den Legationsrath von
Pfuel über Belgrad nach Bukarest sende, „um dort
für die preussischen Interessen thätig zu sein". Der
Abgesandte fand in beiden Ländern Parteien vor,
die auf eine Theilnahme an dem Kriege gegen Oester-
reich hinarbeiteten. In Serbien glaubte Garaschanin
den Augenblick gekommen, ein gross-serbisches Reich
zu gründen, das sich über die Save und bis an die
Adria erstrecken sollte, und es war fraglich, ob der
Fürst Michael diesem Drängen widerstehen werde.
In Rumänien, wo der Prinz von Hohenzollern eben
erst die Regierung übernommen hatte, gab es ähnliche
Bestrebungen. Beide Balfcmstaaten pflogen Unterhand-
lungen über ein Bündniss ; unter ihrem Schutze sollte
sich ein ungarisches Insurgentencorps bilden. Auf
das seit 1848 noch immer gährende Ungarn setzte
Bismarck in besonderer Weise seine Hoffnungen. Be-
ziehungen zwischen Preussen, der Vormacht des Pro-
testantismus und den ungarischen Protestanten, dieser
geborenen Opposition, wie Minister Bach sie nannte,
bestanden schon früher. Friedrich Wilhelm IV. liess
ihnen seine Hilfe angedeihen und als die Bewegung
gegen die Thunschen Verordnungen, welche den Ge-
brauch der protestantischen Konvente zu politischen
Umtrieben verhindern wollten, in Ungarn um sich
griff, sandte der Gustav-Adolf-Verein reiche Geld-
spenden ins Land, um die evangelischen Kirchen und
Schulen wenigstens theilweise von der „Jesuiten-
invasion" zu schützen. Die Anknüpfung von Beziehun-
gen zwischen dem offiziellen Preussen und den un-
garischen Malkontenten blieb jedoch Bismarck und
dem Jahre 1866 vorbehalten. Dieser Staatsmann, der
1849 in der zweiten Kammer es bedauerte, dass
preussische Truppen nicht ebenso wie die russischen
an dem Kampfe gegen die Revolution in Ungarn theil-
so
genommen, sprach 1857 in einer Denkschrift den
Satz aus, dass eine legitime Monarchie den Bund mit
Mächten, die aus der Revolution hervorgegangen sind,
nicht zu scheuen brauche. Fünf Jahre später an die
Spitze des Ministeriums berufen, wusste er je nach
Bedarf Politik zu machen : einmal gegen die Stimme
des Volkes und ein anderesmal im Bunde mit revo-
lutionären Gewalten. Seine Beziehungen zu den un-
zufriedenen Ungarn stammten noch aus Paris. Auf
dem Punkte, den dortigen Gesandtschaftsposten mit
der Ministerpräsidentschaft zu vertauschen, erhielt
Bismarck ein Schreiben des Grafen Arthur Scherr-
Thoss, das ihm für den Fall, dass er in Berlin
„nicht bloss ein preussischer Felix Schwarzenberg,
sondern ein deutscher Gavour zu sein gedenke, die
redliche und nützliche Mitwirkung Ungarns u anbot
Graf Scherr-Thoss, ein gebürtiger PreussischrSchlesier
und Protestant, hatte bis zum Jahre 1841 als Kadet
und Offizier in der österreichischen Armee gedient
und dann Ungarn, wo er sich angekauft hatte, in
dem Grade zu einer zweiten Heimat gemacht, dass
er im Jahre 1848 im Insurgentenheere diente. Nach
der Waffenstreckung von Vilagos entzog er sich
durch die Flucht der drohenden Wiedereinreihung
in die k. k. Armee und lebte, im Dienste der Emi-
gration vielfach zu diplomatischen Sendungen ver-
wendet, in Genf und Paris. Auf jenen Brief hin
wurde er von Bismarck zu einer Unterredung einge-
laden. Er musste ein Bild von den ungarischen Zu-
ständen entwerfen und erhielt darauf von Bismarck
nach seinen eigenen Berichten folgende Versicherun-
gen : „Ich habe mir zum Ziele gesetzt, dieses Oester-
reich niederzuwerfen, das uns auf das unwürdigste
behandelt, uns zu seinem Vasalen erniedrigen möchte.
Ich will Preussen aufrichten und ihm die Stellung
verschaffen, die ihm als rein deutschem Staate gebührt.
Ich verkenne nicht den Werth, den die Hilfe Ungarns
für uns haben kann, und ich weiss, dass die Ungarn
nicht Revolutionäre sind in dem gewöhnlichem Sinne
des Wortes . . . Wenn wir siegen, wird auch Ungarn
frei werden. Verlassen Sie sich darauf." So soll
Bismarck zwei Jahre vor dem. schleswig-holsteinischen
51
Krieg gesprochen haben. In Paris hatte er übrigens
als Gesandter Gelegenkeit gehabt, auch andere Ver-
treter der ungarischen Emigration kennen zu lernen,
die dort, wie die Verschwörer aus aller Herren
Länder, beim „rothen Prinzen*' ein- und ausgingen.
Bismarck erwies sich im Jahre 1866 als ein un-
versöhnlicher Feind Oesterreichs, der vor keinem Mittel
zurückschreckte. Es genügte ihm nicht, der von ihm
geschaffenen Allianz und dem Schwerte die Entschei-
dung zu überlassen, er suchte nach Kräften auch die
inneren Schwierigkeiten des Kaiserstaates zu dessen
Verderben auszunützen. Wie er die ungarische Be-
wegung ausbeutete, so richtete er, als die Preussen
Böhmen betraten, eine Proklamation an das „glor-
reiche Königreich", das den Czechen im Falle des
Sieges der preussischen Waffen Aussichten auf Ver-
wirklichung ihrer nationalen Wünsche machte. Auch
nach dem Frieden unterhielt Bismarck, um sich für
den Fall eines Krieges mit Frankreich den Rücken
zu decken, im Berliner auswärtigen Amt ein eigenes
Bureau zur Betreibung dieser lichtscheuen Beziehun-
gen mit den unzufriedenen Elementen in Oesterreich-
Ungarn. Die Legion Klapka hatte er, während des
Waffenstillstandes in Ungarn einbrechen lassen, und
um den Rücksichtslosigkeiten gegen den Besiegten
die Krone aufzusetzen, wurde sie noch nach dem
Friedensschluss nahe der österreichischen Grenze bei-
sammen gehalten. Eis solches Vorgehen konnte man
in Oesterreich nicht ohne Antwort lassen. Eine kaiser-
liche Verordnung befahl im September 1866, dass bis
auf Weiteres die sieben österreichischen Regimenter,
welche den König oder Prinzen von Preussen; preus-
sische Generale oder mit Preussen verbündete Fürsten
zu Inhabern hatten, ohne deren Namen nur mit der
Nummer benannt werden sollten. Zugleich resignirten
die Erzherzoge Albrecht, Karl Ludwig und Leopold
als Chefs preussischer Regimenter. Dem preussischen
Hof gegenüber wurde kein Geheimniss daraus gemacht,
dass diese Entschlüsse in der Aufstellung einer unga«
irischen Legion gegen Oesterreich ihren Grund hatten.
Es ist kein Zweifel, dass man auch in Preussen ein
solches Vorgehen von Seite Bismarck's missbillrgte.
4*
£2
Im Jahre 1874 warf der Centrumsabgeordnete Freiherr
von Schorlemer-Alst im preussischen Abgeordneten-
haus dem Fürsten von Bismarck die Aufstellung der
Legion Klapka und den Plan einer Insurgirung Ungarns
und Kroatiens vor. Der Reichskanzler wusste darauf
nur zu erwidern, dass er in einem „Akte der Noth-
wehr", als die von Kaiser Napoleon angekündigte Ein-
mischung die bisherigen Erfolge in Zweifel zu stellen
drohte, zu diesem Mittel gegriffen habe ; er habe nichts
gethan, als „Deserteure aufgenommen. * Dazu ist nur
zu bemerken, dass Bismarck die Bildung der Legion
in Angriff genommen hatte, bevor Napoleon eine Miene
machte, dazwischenzutreten. Zu den im Kriege er-
laubten Mitteln gehört ein solches nicht. Als der
preussische General von Werder die kurhessischen
Truppen zum Treubruch und Fahnenwechsel auffor-
derte und ihr Kommandant dies in einem flammenden
Protest zurückwies, schrieb ein Berliner Zeitungs-Kor-
respondent mit Recht nach dem Süden: „Wenn der-
gleichen Verlockungen von revolutionären Regierungen
ausgiengen, so könne das wenig befremden, aber nun
geschehe dies von dem Repräsentanten einer Machte
deren Dynastie sich so viel auf göttliches Recht und
christliche Grundsätze beruft." Angesichts des in der
preussichen Bevölkerung sich kundgebenden Wider-
strebens gegen den Bruderkrieg von 1866 wusste die
der Berliner Regierung so nahestehende „Kreuzzeitung*
sofort zu erinnern, dass das preussische „Strafgesetz-
buch" jene, die während dieses Krieges im feindlichen
Heere Dienste nehmen und die Waffen gegen Preussen
tragen, mit dem Tode bestrafe. Das scharfe Urlheil, das,
wie wir oben anführten, General Rzikowsky über die
ungarische Legion auf preussischer Seite fällte, war
darum gewiss auch jedem preussischen Soldaten aus
dem Herzen gesprochen. „In der preussischen Armee,"
so schrieb Bernhardi am 31. Mai 1866 abrathend an
Türr, „sind gewisse Ideen von redlicher, ritterlicher
Kriegsführung herrschend, mit denen die Bildung solcher
Legionen in einem entschiedenen Widerspruch stehen
würde", und in seinem Tagebuch fügt erhiezu: „Na-
türlich sage ich in Türr's Gegenwart nicht, däss die
Legionäre von unseren Soldaten als eidbrüchige und
5&
pflichtvergessene, ehrlose Gesellen ohne Zweifel mit
der äussersten Verachtung behandelt werden würden".
Die Politik Bismarck' s kannte keine solchen Bedenken.
So schreibt Kienast über Bismarck. Sein Werk
sollte in Oesterreich mehr Verbreitung gefunden haben.
Aus den Werken über Bismarck bringt die Juden-
presse alle Augenblicke Stellen, wie sich Bismarck
über Oesterreich aussprach. So brachte die „Neue Freie
Presse" von einem Berichterstatter aus Friedrichsrühe
folgendes anfangs April 1899. Bismarck wendete sich
mit grosser Entschiedenheit gegen jene Parteien, die
auf eine Annexion österreichischer Gebiete durch
Deutschland hinarbeiten, und verwahrte letzteres
gegen die Ausstreuung, dass es derartigen Bestrebun-
gen mehr oder minder wohlwollend Vorschub leiste.
Es könne und dürfte vielmehr eine derartige Politik
niemals verfolgen. „Wenn die west-österreichischen
Provinzen mit Deutschland vereinigt würden" — sagte
Bismarck — „so wäre die Folge davon, dass wirPreus-
sen im Reichstage nicht mehr über eine unbedingte
Majorität verfügen könnten und dass das alte Sprich-
wort: „Travailler pour le roi de Prusse" hinfällig
werden müsste. Und wie denken Sie sich dann das
Verhältniss von Berlin zu Wien, wenn diese beiden
grossen Gentralpunkte einen und demselben Reiche
angehören sollten, wäre unter diesen Bedingungen
Berlin schon im Hinblick auf seine geographische
Lage nicht gezwungen, mit der Zeit dem vielfach
günstiger gelegenen Wien den Vorrang abzutreten?
Nein, das darf und wird nie geschehen. Natürlich
spreche ich hier von einem Oesterreich, in welchem
der deutsche Volksstamm schon vermöge seiner hi-
storischen und kulturellen Entwicklung die ihm allein
gebührende führende Rolle einnimmt. Es können in
dieser Beziehung wohl noch manche politischen Wand-
lungen eintreten, doch bin ich überzeugt, dass alle
etwaigen Versuche, Oesterreich zu slavisiren, vergeb-
lich bleiben werden, denn ein slavisches Oesterreich
halte ich schlechtweg für ein Ding der Unmöglichkeit.
Als vor Kurzem unter dem Minister-Präsidenten
Grafen Taafife der Versuch gewagt wurde, den Kaiser
Franz Joseph zu bestimmen, sich in Prag die Wen-
54
zelskrone auf das Haupt zu setzen, habe ich dagegen,
allerdings ohne dem Selbstbestimmungsrechte Oester-
reichs irgendwie nahezutreten, meine warnende Stimöie
erhoben. Diese Krönung, welche unmöglich ein rein
religiöser Akt sein könnte, wäre meiner Ansicht nach
der Anfang vom Ende und müsste unabsehbare Fol-
gen nach sich ziehen. Doch damit hat es zur Zeit
keine Gefahr, zu solchen gefährlichen Experimenten
wird sich Kaiser Franz Joseph niemals herbeilassen.
Ich habe persöhnlich die denkbar höchste Verrehrung
für diesen Kaiser, der so schwere Prüfungen bestehen
müsste und der in nie ermüdendem Pflichteifer seine
ganze grosse Arbeitskraft in den Dienst seiner Völker
stellt und nur das Beste seiner Länder im Auge be-
hält Dieses Oesterreich ist schwer zu regieren, und
der Einfluss, den die klerikale Partei und nicht minder
der grosse Feudal-Adel auf die inneren Geschicke
der Monarchie auszuüben suchen, erhöhen um ein
Bedeutendes die ohnehin schon bestehenden grossen
Schwierigkeiten. Doch wird bei alledem Kaiser Franz
Joseph sich nicht beirren lassen, sondern fest und
unentwegt zu uns und der deutschen Sache halten —
hievon habe ich des Oefteren schon unumstössliche
Beweise erhalten. Ich denke mir, dass in Oesterreich
die Deutschen, in Ungarn die Magyaren bis zu einem
gewissen Grade prädominiren sollen, und dass diese
beiden Volksstämme zur Aufrechterhaltung des durch
Deäk geschaffenen Dualismus sich treu und unver-
brüchlich die Hände zu reichen haben. Auf einer
weisen, gerechten und fortschrittlichen Grundlage sich
erhebend, die grossen volkswirtschaftlichen und kom-
merziellen Interessen mit allen Kräften fördernd, müsste
die österreichisch-ungarische Monarchie, Hand in Hand
mit Deutschland, einer schönen und glanzvollen Zu-
kunft entgegengehen. Dabei soll keineswegs von einer
Unterdrücknng der slavischen Volksstämme die Rede
sein, dieselben mögen sich ruhig weiter entwickeln
und im Rahmen des grossen Ganzen die nöihigen
Vorbedingungen für ihre kulturelle und nationale Aus-
bildung finden, aber das Aushängeschild des öster-
reichischen Kaiserstaates muss unter allen Verhältnis-
sen ein deutsches sein und für alle Zeiten ein deutsches
55
bleiben. So," sagte schliesslich Fürst Bismarck, „nun
habe ich wieder einmal frei und offen gesprochen,
und es freut mich, bei Ihnen auch das richtige Ver-
ständniss für meine politischen Darlegungen gefunden
zu haben."
"Aus den Tischgesprächen Bismarcks veröffent-
lichte anfangs Januar 1899 die „Neue Freue Presse"
folgendes : „Oesterreich ist wie ein Haus, das aus
schlechten Ziegeln gebaut ist, welche jedoch durch
einen ausgezeichneten Mörtel zusammengehalten wer-
den — wie nennen Sie diesen — Gement. Dieser
Gement ist seine deutsche Bevölkerung. Was immer
Gutes in seinen barbarischen Provinzen gethan worden,
ist durch die Germanisirung seiner Institutionen ge-
schehen. Ueberall in Oesterreich wird Deutsch ge*
sprochen ; die Bewohner der verschiedenen slavischen,
magyarischen und lateinischen Provinzen müssen sich
des Deutschen bedienen, um sich mit einander zu
verständigen." Und zu dem Würzburger Schriftsteller
Anton Memminger sprach er sich Jahrzehnte später,
kurz nach seiner Entlassung, aus, er lege auf die
Erhaltung bayrischer Eigenart und Selbstständigkeit
darum so viel Gewicht, weil die Baiem für Deutsch-
land das natürliche Verbindungsglied mit Oesterreich
seien, dessen Deutsche echt bairischen Stammes wären.
Vorläufig sei der Bestand Oesterreichs eine Lebens-
frage auch für Deutschland, und dies vom Gesichts-
punkte des europäischen Friedens. „Die Deutschen
in Oesterreich werden nicht zu Grunde gehen, wenn
sie sich nur selbst zu helfen wissen. Sie müssen es
machen, wie die Slaven und Ungarn, sie müssen
unter einer Parole und Fahne marschiren — das
Getrennt-marschiren und Vereint-schlagen ist aller-
dings eine bewährte Regel, aber nur wenn man eine
einheitliche Führung, wie die Moltke's, hat. Aber wenn
gar die Ultramontanen zur Führung unter den Deut-
schen sich drängen, dann weiss ich im voraus, dass
es nicht auf die Einigung der Deutschen, sondern
auf deren Zersplitterung und Schwächung abgesehen
ist; darauf geht ja die ganze ultramontane Politik
hinaus: In Frankreich ist sie demokratisch, in Ita-
lien republikanisch, in Deutschland „christlich-social"
56
oder wenn's passt, social-demokratisch in Schwarz,
in Oesterreich feudal-tschechisch ; sie wird sogar noch
antisemitisch, um sich hinterrücks den Juden als
Retter anzumelden." Die Deutschen in Oesterreich
haben vielleicht im Laufe der Zeit etwas gelernt. Die
österreichischen Adeligen werden in ihrer grossen
Mehrheit überhaupt nie mehr etwas lernen. Die Tsche-
chen hinwiederum machen denselben Fehler wie die
Deutschen vor ihnen, sie verlangen zu viel, und so
wird der Kaiser sich von ihren ungestümen Gelüsten
abwenden, um eine andere Mehrheit in der Volks-
vertretung zu bilden.** Und Bismarck schoss: „Der
Kaiser und seine Staatsmänner werden nicht lange
mit einer nicht deutschen Mehrheit hausen können.
Gerade jene Elemente, denen das Zeug zur Staaten-
bildung abgeht, werden in der Regel masslos frech,
unverschämt, * begehrlich und selbstsüchtig, so dass
sie dann niedergebeugt oder geknickt werden müs-
sen." Ein sehr reiches Material darüber, wie in Preus-
sen systematisch gegen Oesterreich gearbeitet wurde,
veröffentlichte Poschinger in seinem grossen Werke
über Preussens auswärtige Politik. Im dritten Bande
heisst es da unter anderem über das Verbältniss von
Preussen zu Oesterreich folgendermassen :
In Preussen, wo König Fridrich Wilhelm IV. die
Führung der auswärtigen Politik in weit höherem
Masse als seine Domäne betrachtete, als dies später
sein Bruder König Wilhelm that, der sich vertrauens-
voll ganz der Führung Bismarck's hingab, durch-
kreuzte der Monarch vielfach die Politik seines Mi-
nister-Präsidenten, indem er ' zuweilen hinter dem
Rücken ManteuffePs und gegen dessen Willen Spe-
cialgesandte an die einzelnen Höfe sandte, welche
durch ihre Massnahmen und Berichte vielfach die
festen Linien der offiziellen Politik durchkreuzten und
überdies noch das Ansehen des darüber aufgebrach-
ten ordentlichen Gesandten schwächten. Von diesen
Spezialgesandten, welche nach Wien beordert wurden,
nennen wir nur den Oberstlieutenant Edwin v. Man-
teuffel, den späteren General-Feldmarschall und Statt-
halter von Elsass-Lothringen, welcher die Aufgabe
hatte, die Thätigkeit des preußischen Gesandten
57
Grafen v. Arnim in Wien, der eine gar zu augen-
fällige österreichfreundliche Politik befolgte, zu kon-
troliren und ihr vielfach entgegenzuarbeiten. Ueber
seine Unterredung mit dem damaligen österreichi-
schen Minister des Auswärtigen, dem Grafen v. Buol,
berichtet Edwin v. Manteuffel unter dem 8. Jänner
1855 u. A. : Buol habe auf Preussen raisonnirt und
gesagt, ich scheine den Kaiser Franz Josef von Oester-
reich zu seinem eigenen Minister machen zu wollen.
Dann habe er gefragt, wann ich ginge, und auf die
Antwort, dass das vom Kaiser abhinge, habe er ge-
sagt, der würde mich gar nicht fortlassen und ich
würde ewig bleiben. Die Nothwendigkeit der Auffor-
derung an Preussen, am Pariser Kongresse theilzu-
nehmen, genire in Wien, und es müsse daher die
Aufgabe des leitenden preussischen Ministers sein,
durch die Presse das Nationalgefühl wegen des Igno-
rirens Preussens bei den Konferenzen wachzurufen.
Er, Edwin v. Manteuffel, habe in Wien so viele In-
triguen zu besiegen, dass dabei seine Gesundheit er-
schüttert wurde. Das eine Jahr in der österreichischen
Kaiserstadt müsse ihm der König von Preussen we-
nigstens als doppelte Kriegszeit anrechnen, denn er
werde wenigstens zehn Jahre früher Invalide. Der
preussische Minister-Präsident und sein österreichischer
Kollege standen miteinander im intimen Briefwechsel
und Überflossen von Freundschaftsbetheuerungen aller
Art, aber ihre Agenten und Geschäftsträger wurden
nicht müde, den betreffenden Chefs allerlei Ungün-
stiges und Gehässiges von dem gegenseitigen Ver-
halten der leitenden Staatsminister zu berichten. Es
ist zweifellos, dass der gute Wille bei Otto v. Man-
teuffel, mit Oesterreich wohlwollende Beziehungen
zu unterhalten, schon aus dem Grunde ein viel re-
gerer war, als bei dem Grafen Buol, weil man sich
vor der Militärmacht Oesterreichs scheute. Bezeich-
nend ist in dieser Beziehung ein Schreiben Manteuffel's
an Buol vom 18. Deeember 1855, worin Ersterer dem
Letzteren mit voller Offenheit seinen sehnlichen Wunsch
vorträgt, mit Oesterreich Hand in Hand zu gehen. Es
heisst dort u. A. : rEs bedarf nur massiger Einsicht
darüber klar zu werden, dass in dem Verhältnisse
5«
vöü Preussen zu Oesterreich die Entscheidung der
Frage liegt, ob beide Staaten geeinigt, unwiderstehlich
stark oder durch ihren Antagonismus beide paralysirt
sein sollen. Geleitet von dieser Auffassung, ist es
namentlich während der letzten noch jetzt auf Europa
lastenden Krise fortwährend unser Bestreben gewesen,
an Oesterreich sowohl einen Stützpunkt zu finden, als
auch unsererseits ihm einen solchen zu gewähren.
Dies ist nicht immer gelungen. Wir glauben, dass
die Schuld dieses Misslingens nicht auf unserer Seite
gelegen, sind aber weit davon entfernt, unsere An^
sieht für eine unfehlbare halten oder hierüber eine
retrospektive, unfruchtbare Diskussion provociren zu
Wollen. Immerhin werden Ew. Excellenz darin mit
mir einverstanden sein, dass das Zusammenhalten
beider Staaten nicht von dem Willen eines derselben
abhängig ist, sondern dass von beiden Seiten man
steh entgegenkommen muss. Welches ist nun die
gegenwärtige Situation? Wir wissen, dass man von
Wien aus geflissentlich unserer Betheiligung an den
Wiener Konferenzen widerstrebt hat, unsere dahin
gerichteten vertraulichen Mittheilungen hat man den
Westlichen Kabineten als ein Aufdrängen zu einer
ihnen feindlichen Mediation denuncirt, und in diesem
Aligenblick wird in Wien verhandelt, jedenfalls ohne
uns. Es ist uns unbekannt, ob vielleicht gegen uns,
denn auch den vertraulichsten Anfragen unseres Ge-
sandten ist das unbedingteste Stillschweigen entge-
gengesetzt worden. Ew. Excellenz wollen sich -geneig-
test selbst die Frage beantworten, ob es unter diesen
Umständen und bevor wir auf dem politischen Gebiete
klar sehen, auch nur in der Möglichkeit liegt, dass
wir mit Enttäuschung unserer eigenen bereiten Mittel
au einer Stelle hilfreiche Hand leisten, der wir uhser
volles Vertrauen zuwenden, deren Tendenzen" uns
aber nicht nur unbekannt gehalten werden . . . Ich
weiss sehr wohl, dass Ew. Excellenz unsere Verhält-
nisse mit klarem Blicke überschauen und zu wür-
digeh wissen. Sie kennen Se. Majestät unseren König
und wissen, wie hoch er Sie schätzt, wie er Aber
Oesterreich und sein Verhällniss zu Preussen • auf-
richtig und ohne Falsch gesinnt ist, dass ihm selbst
59
Opfer zu bringen — die ja nicht einmal verlangt
werden — nicht schwer fallen würde. Ew. Excel-
lenz brauche ich _ also die Bereitwilligkeit tatsäch-
licher Beweise von dieser Gesinnung nicht erst zu
versichern.
Intim war auch, wenigstens officiell, der brief-
liche und . persönliche Verkehr der Monarchen der
beiden um die Hegemonie in Deutschland rivalisi-
renden Reiche; Friedrich Wilhelm IV. und Franz
Josef I. korrespondirten fleissig mit einander. Am
.18. December 1855 überbrachte der österreichische
Gesandte Graf Esterhäzy ein Schreiben des Kaisers
von Gestenreich an den König von Preussen, worin
in sehr herzlichen Worten die an Russland zu stel-
lende Friedensbasis im Orientkriege mitgetheilt war.
Das Antwortschreiben des preussischen Monarchen
ist gleichfalls in überaus herzlicher und verehrungs-
voller Form gehalten, welche am besten beweist, wie
sehr der Verfasser des Briefes bestrebt war, sich die
Freundschaft und die Gunst des mächtigen Beherr-
schers des Habsburger Kaiserstaates zu erhalten. Als
Stichprobe seien daraus nur die nachstehenden Stellen
mitgetheilt: Als ich nach längerer Zeit wieder Ew.
Majestät theuere Schriftzüge erblickte und den schö-
nen Ausdruck alten Vertrauens darin niedergelegt
fand, waren es zunächst die Gefühle inniger Freude
und aufrichtiger Dankbarkeit, welche mich erfüllten,
und diesen Ausdruck zu geben, ist mir vor Allem
Bedürfniss. Nicht minder aber fühle ich mich ge-
drängt, Ew. Majestät meinen Dank durch die That
zu bewähren und das Vertrauen zu rechtfertigen, von
welchem mir ein neuer wichtiger Beweis vorliegt . . .
Ew. Majestät sprechen am Schlüsse Ihres Schreibens
den Wunsch aus, Preussen wiederum bei dem Frie-
denswerk betheiligt und seinen ihm gebührenden
Einfluss bei diesen wichtigen Verhandlungen wieder-
hergestellt zu sehen. Ich danke Ew. Majestät für
diesen Wunsch. Ich glaube mich meinen deutschen
und meinen europäischen Pflichten niemals entzogen
zu haben und gedenke dies auch ferner nicht zu
thun. Von den Verhandlungen der Wiener Konferenz
habe ich mich nicht zurückgezogen, sondern man
60
hat mich sogar ausgeschlossen. Ich rechte darüber
mit Niemandem. Die von mir in Folge dessen einge-
nommene Stellung hat mir bisher keine Nachtheile
gebracht, vielmehr den Beifall meines Landes und
des grössten Theiles von Deutschland erworben. Ge-
schmerzt hat mich dabei nur, dass ich mich momentan
von Ew. Majestät Regierung getrennt sah. Ich werde
die Stunde segnen, wo hierin eine Aenderung ein-
tritt, und es wird mir zur freudigen Genugthuung ge-
reichen, von Ew. Majestät Seite auf Ihren Ruf meinen
Platz im europäischen Concert einzunehmen . . . .
Finde ich auf diesem Pfade Ew. Majestät, so werde
ich nicht nur mit grosser Freudigkeit, sondern auch
mit grösserer Kraft darauf fortschreiten ; denn Preus-
sen, Oesterreich und Deutschland im engen Vereine
sind eine Macht ohnegleichen. Ich bitte Gott, dass er
in Gnaden ein solches Zusammenhalten gebe!"
Als einer der eifrigsten Freunde Preussens be-
währte sich in seinen zahlreichen vertraulichen Zu-
schriften ah Otto v. Manteuffel der österreichische
Finanzminister Freiherr v. Brück, welcher bekanntlich
durch Selbstmord geendet hat. Immer wieder betont
er es, dass es seine grösste Freude wäre, wenn das
Verhältniss zwischen den beiden Grossmächten ein
recht klares und ein recht gutes werden möchte. Er
sandte mehrere Vertraute nach Berlin, so z. B. den
österreichischen Ministerialrath v. Brentano, um an-
lässlich wichtiger Fragen, wie z. B. der Münzkon-
ferenz, sich der Zustimmung und der Unterstützung
Preussens zu versichern. Er schreibt einmal unter
dem 18. November 1855, anscheinend mit dem Brustton
aufrichtiger Ueberzeugung : „Mir gereicht es immer
zur grössten Freude, wenn ich zu einem recht innigen
Verständniss der beiderseitigen Regierungen beitragen
kann. Dann geht Alles, und die Stellung wird nach
allen Seiten hin eine gebietende." Grosses Vertrauen
brachte Freiherr v. Brück dem. nach Wien gesandten
Agenten Preussens, einem gewissen Lewinstein, ent-
gegen, der zwischen dem Königl, preussischen Kredit-
institut und der Wiener Nationalbank ein Geldgeschäft
abschliessen wollte. „Ich nehme mit Vergnügen die
Bedingungen an," schreibt er an Herrn v. Manteuffel,
61
„welche derselbe mir kundgab, und sobald es Ew. Excel-
lenz gefällig sein wird, mir ein Zeichen zu geben, werde
ich unverzüglich einen Beamten der Bank mit den
nöthigen Vollmachten absenden lassen, um den förm-
lichen Abschluss des Geschäftes dort vornehmen zu
können." Auch dem anderen Antrage Lewinstein's,
die österreichischen Banknoten im Grenzverkehr zum
Paricourse bei Steuerzahlungen bis zu einem gewissen
Betrage annehmem zu wollen, kam Brück sehr sym-
pathisch entgegen; er erkannte in dieser Offerte der
preussischen Regierung ein sehr werthvolles Zuge-
ständnisse das, im rechten Augenblicke angewendet,
von heilsamem Einfluss zur Herstellung der Geldcir-
kulation sein müsste. „Beide Anträge/ so schliesst
Freiherr v. Brück seinen Brief, „zeugen von der
richtigen Erkenntniss der gegenseitigen Stellung und
Beziehungen. Freud' und Leid gehen in beiden Staaten
miteinander und was der eine dem anderen thut,
das thut er sich auch selber an. Dieser Ausspruch
mindert in keiner Weise den Werth, den ich auf die
erfreuliche Erscheinung lege, die in beiden Anträgen
so bedeutungsvoll zu Tage tritt." Als einer der ver-
bissensten und konsequentesten Gegner Oesterreichs
zeigte sich dagegen der überaus einflussreiche Gene-
raladjutant Friedrich Wilhelms IV., der General v»
Gerlach, Chef der Kamarilla, der nicht müde wurde,
sowohl in seinen Briefen an den preussischen Mini-
ster-Präsidenten, wie an andere Staatsmänner, und
in seinen zahlreichen Promemorias die Absichten der
österreichischen Politik zu verdächtigen und den Habs-
burgischen Kaiserstaat als den europäischen Friedens-
störer hinzustellen.
Aus Anlass des Krimkrieges schrieb z. B. Ger-
lach dem Minister v. Manteuffel bei der Rücksendung
der ihm anvertrauten österreichischen Depeschen :
„Preussen muss sich m. E. sehr in Acht nehmen,
nicht zu weit mit Oesterreich zu gehen, um nicht
möglicherweise mit diesem die Unannehmlichkeit zu
erleben, vom Frankreich in der Billigkeit und Nach-
giebigkeit übertreffen zu werden, u Und in einem
Briefe vom 30. März 1856 schimpft er auf Oesterreich
wie ein Fischweib: „Die österreichische Hinterlist
62
und Gemeinheit," sagt er unter Anderem, „ist sehr
traurig. Ich kann mir nur gar nicht denken, dass
diese Freundschaft mit England und Frankreich lange
hält, da die Kollisionen schon vorhanden sind, mit
Sardinien und Italien überhaupt, und es auf der
Hand liegt, dass auf allen verwundbaren Stellen
Oesterreich von Frankreich mehr zu fürchten hat
als von Russland. Halten Ew. Excellenz nur das Geld
fest, was für uns zur Kriegsbereitschaft wichtiger ist
als selbst Festungen/ An demselben Strange zog
auch der Kabinetsrath Friedrich Wilhelms IV., Nie-
buhr, welcher seiner Wuth darüber Ausdruck gibt,
dass anlässlich der Neuenburger Angelegenheit der
schon genannte Edwin v. Manteuflfel als Specialge-
sandter nach Wien delegirt wurde. In einem Briefe
vom 20. December 1856 schüttet er seine Galle mit
folgenden Worten aus: „In einem Moment, wo wir
130.000 Mann auf die Beine stellen, scheint es mir
geradezu unwürdig, irgendwo um Hilfe zu bitten. Es
scheint mir kompromittirend, irgend Jemanden in den
Kampf zu ziehen und dadurch die Entscheidung über
das Ende aus der Hand zu geben. Oesterreich gegen-
über ist es aber unwürdiger und kompromittirender-
als irgend einer anderen Macht gegenüber. 1. Unwür-
diger: Oesterreich. harrt sehnsüchtig auf den Moment
in dem wir der Welt zeigen, dass wir wirklich nur
sine ^sekundäre Macht sind. Oesterreich hat sich un-
schöner gegen uns benommen als irgend eine andere
Macht, denn Englands Roheit kommt wahrlich gegen
die österreichischen Praktiken nicht in Betracht Oester-
reich gegenüber erscheinen wir als Bettler in allen
Fällen, in denen wir Anderen gegenüber als Bittende
erscheinen würden. Andere würden die Bitte rein
abschlagen. Von Oesterreich haben wir zu erwarten,
dass die Erfüllung an demüthigende Bedingungen ge-
knüpft wird. — 2. Kompromittirender: a) Wir können
nicht voraussehen, welche katholischen und italieni-
schen Gesichtspunkte Oesterreich in die Schweizer
Frage hineintragen wird — Klöster, Tessin u. s. w.
b) Wir haben zu gewärtigen, dass Oesterreich, wenn wir
-es hineinziehen, der Frage eine Wendung geben wird,
die uns entweder nöthigt, uns plötzlich von ihm
63
wieder zu trennen, oder in einer Richtung mitzugeben«
die absolut gegen unser Interesse geht Frankreich
würde allerdings eine noch gefährlichere Tendenz,
•die Mediation, hineintragen. Die ist aber so „klobig",
-dass unser Verhalten dem gegenüber nettement vor-
gezeichnet wäre."
Sehr boshaft äussert sich über die österreichi-
sche Politik der Graf Brassier de St-Simon, der
pfeussische Gesandte in Turin, in seinen vielen, sa-
tirisch gefärbten Berichten an Manteuffel.
Unter dem 16. August 1857 schreibt er unter
Anderem : „Wenn man in Wien noch nicht Lust hat,
auf einen Ausgleich mit Piemont einzugehen, so dürfte
ein Grund davon sein, dass Graf Buol seine selbst-
gebackenen Pasteten sehr langsam verdaut. Der Haupt-
grund scheint mir aber in der Hoffnung zu liegen,
die man wohl in Wien noch nährt, die Oppositio-
nellen möchten bei Gelegenheit der bevorstehenden
Wahlen in Piemont siegen und dem verhassten Mi-
nisterium Cavour den Hals brechen, worauf man
dann mit dem nachfolgenden ohne Opfer der Eigen*
liebe sich leicht arrangiren würde. Ich vermuthe, dass
man die Sache solange hinziehen wird, bis die Frage
•entschieden ist. Wird sie, wie ich glaube, nicht den
Wünschen Oesterreichs gemäss gelöst, dann wird,
man doch zuletzt in den sauren Apfel beissen müs-
sen." Derselbe Brassier de St.-Simon berichtet unter
dem 10. October 1857 eine Aeusserung des Grafen
davoür dahingehend: „Die Oesterreicher wollen ab-
solut eine imposante Marine haben, aber sie ver-
gessen, dass die Mehrzahl ihrer Matrosen Italiener
sind, und dass diese keinen Krieg gegen ihre Lands-
leute führen werden." Und er fügt hinzu: „Cavour
ist kein Revolutionär, aber dass er mit Händen und
Füssen zugreifen würde, wenn Frankreich ihm sagte :
„Komm und lass uns die Oesterreicher aus Italien
jagen," ja, dass er einen Theil von Savoyen opfern
würde, um die Herzogthümer oder einen Theil de,r
Lombardei in Folge eines glücklichen Krieges zu er-
werben, daran zweifle ich keinen Augenblick." Wie
wenig der preussische Minister-Präsident Oesterreich
traute, erkennt man aus seinem in jener Zeit an den
64
preussischen Geschäftsträger in Wien, den Grafen
Flemming gerichteten Briefe, worin die folgende Stelle
vorkommt: „Das, was ich habe vermeiden wollen,
ist, dass es nicht den Anschein gewinne, als sänken
wir geröhrt in die Arme Oesterreichs und alles
Geschehene sei begraben und vergessen. Diesen
Gesichtspunkt mögen Ew. Hochgeboren, wenn die
Gelegenheit sich dazu bietet, auch hervorheben, damit
die Sache doch für längere Zeit im Gedächtnisse bleibt
und zur Vorsicht mahnt." Dass Bismarck sich so heftig
gegen die Krönung Kaiser Franz Josefs I. zum böhmi-
schen König aussprach, finden wir sehr begreiflich»
Nach preussischem Muster jagt man legitime Könige
aus ihrem Lande einfach hinaus, annektirt ihr Land,
und macht daraus kurzweg — Provinz Hannover»
Natürlich ist da jede Krönung des preussischen Königs
zum König von Hannover überflüssig. Und das soll
in Oesterreich auch so prakticirt werden? Als Cham-
berlain Mitte November 1902 von England nach Süd-
afrika abreiste, dem Schauplatz seiner Blutdurst,
schrieb „Daily News" über ihn folgendes: Das eng-
lische Volk brachte dem Chamberlain solche Ovationen
dar, als wäre dieser Minister mehr denn der König
selbst. Chamberlain verstand es in der englischen Presse
für sich Reklame zu machen und sparte dabei kein
Geld. Jeder glaubt nun, Chamberlain habe die gros-
sten Verdienste um England. Indessen endete der
Krieg mit vollständiger Verwüstung Süd-Afrikas, und
Milliarden Volksvermögen sind vergeudet. Verübe
einen Diebstahl von 20 Heller und du bekommst das
Zuchthaus. Vernichte ein Volk, mache aus seinem
Lande eine Wüste, und du wirst fast wie ein König.
Was „Daily News" über Chamberlain schrieb,
den die deutsche Presse einen englischen Bluthund
nannte, dasselbe kann man mitnoch grösserem Mass-
stabe über Bismarck anwenden. Beide Männer sind
einander sehr ähnlich.
VI. Wie die grossdeutsch arbeitende Presse im deut-
schen Reiche Oesterreich sanieren will.
Gewisse für den preussischen König arbeitende
reichsdeutsche Blätter geben der oesterreichischen Mo-
65
narchie eine Gnadenfrist und sind so gütig aus eigenem
Antriebe salbungsvolle Recepte für die Rettung Oester-
reichs kostenlos in ihren Spalten zu drucken. Ein
derartiges aus dem berüchtigten Weifenfond fressendes
für den preussischen König arbeitendes Blatt Hess
nun über Oesterreich folgende Weisheit in seinen
Spalten in die Welt hinaus. Wie kam es doch, dass
die Mär von dem bevorstehenden Zerfalle Oester-
reichs so viele Gläubige finden konnte? In einer Zeit,
da sogar der „kranke Mann" am Bosporus wieder
mit günstigeren Augen angesehen wird, sollte die
christliche, ehrwürdige, sturmbewährte Monarchie der
Habsburger dem Untergange geweiht sein? Wie
konnten nur solche Gerüchte entstehen und umlaufen?
Der Grund liegt offenbar darin, dass seit längerer
Zeit das Ausland aus Oesterreich-Ungarn fast nur
von Zwist und Streit hört. Der beständige innere
Krieg wird als eine unheilbare Krankheit aufgefasst.
Wie der Kampf entstand, wie er geführt wird, worum
er geht, das erweckt nur geringeres Interesse. Unsere
rasch lebende Zeit hat keine Müsse übrig für ewigen
Streit. Der Leser im Auslande überschlägt bereits
die Balkanvölker, er ist daran, auch die Oester-
reicher zu überschlagen. Einen verständlichen, grös-
seren Zug fand er seit zwei Jahrzenten nur in Ungarn,
er fand ihn nicht mehr im diesseitigen Oesterreich,
Hier, in der älteren und kultivirteren Reichshälfte,
erblickt er nur ein Chaos und sieht zumal die
Deutschen, die Begründer Oesterreichs, die allent-
halben als leidliche Staatsbürger bekannt sind, in
heftigem Widerstände gegen die Staatsverwaltung,
Darunter hat denn das Ansehen des Reiches schwer
gelitten und als eine Folge sind dann jene Gerüchte
aufgeflattert. Nun bildet aber Oesterreich-Ungarn einen
Haupt- und Eckstein der europäischen Politik, und
damit auch der Weltpolitik. Das Deutsche Reich,
Italien, Russland, die Balkanstaaten sind durch
Nachbarschaft, alle anderen Staaten durch den Verkehr
und die Möglichkeit von Bündnissen an Oesterreich
inleressirt. Die grosse orientalische Frage ruhte bisher
unter russisch-österreichischem Siegel. Der grössere
Theil der Weslslaven steht durch Oesterreich mit
66
der abendländischen Kultur in Verbindung. Es wäre
daher vergeblich, von Oesterreich-Ungarn nichts mehr
wissen zu wollen.
Nach dem Jahre 1866, wo Oesterreich durch
Bismarck und Moltke aus dem Bündniss der deutschen
Staaten blutig hinausgeworfen wurde, haben die po-
litischen Schlaumeier Bismarck und Andrassy die
Rollen gut vertheilt. In Oesterreich begann das Re-
gime der Deutschliberalen, die reichlich mit Finanz-
juden ausgestattet waren. Diese Periode dauerte 12
Jahre. Als es nun zur Okkupation Bosniens kommen
sollte, stellten sich die Deutschliberalen dieser Absicht
entgegen und geriethen so in Konflikt mit der Krone.
Das Blatt fährt dann fort. Es muss festgehalten
werden: der Konflikt in Oesterreich war in seinem
Ursprünge ein rein politischer, aber kein nationaler,
letzteres ist er erst geworden, und zwar herbeigeführt
unter bewusster Mitwirkung und unter Führung aller
Feinde des Deutschthums. Es wurde das Losungswort
ausgegeben „mit den Deutschen kann man nicht
regieren". In dem Reiche Oesterreich-Ungarn dreht
sich nämlich in der Politik (wie bei der Kaiserreise
in Böhmen im Juni 1901 sich klar zeigte) der Streit
der Völker um die Person des Monarchen als der
weit überwiegenden Quelle der Macht,
Am frühesten haben das die Magyaren begriffen
und ihr Verhalten danach eingerichtet. Polen und
Tschechen haben dann die Ungarn kopiert und alle
drei in offenem oder stillem Bunde haben die Deut-
schen aus einem grossen Theile jener Stellung ver-
drängt, welche letztere einnahmen, solange Oesterreich
bestanden hat. Der Konflikt der Krone mit der Ver-
fassungspartei gab zuerst den Magyaren die Gelegen-
heit, sich der Krone zu nähern. Obwohl zu Anfang
heftigere Gegner der Besetzung Bosniens als die Ver-
fassungspartei, stellten die Magyaren doch den Wider-
stand allmählich ein. Sie besassen in Andrassy als
Minister des Auswärtigen den besten Vermittler, und
Andrassy, der seine leitenden Standesgenossen in die
oben erwähnten Geheimnisse der Lage einweihte,
wird ihnen wohl auch eröffnet haben, welche reichen
Früchte ihnen bei gutem Verhalten blühen könnten
67
So ward die Zustimmung der ungarischen Parla-
mentarier gewonnen. Von jener Zeit abrückten die
Magyaren in die ihnen anfangs ganz ungewohnte
Stellung des erstgeborenen Sohnes der Habsburger
Monarchie ein.
Es liegt in der Natur der Dinge, dass Völker
mit aristokratischem Gefüge für derartige Aktionen
mehr Verständniss und Eignung besitzen als ein
Stamm mit entwickeltem Bürgerthum, Bauern thum,
Arbeiterthum und vielseitig entfaltetem Zeitungswesen,
wo nur allzu oft eine Partei hinter der anderen und
ein Pressorgan hinter dem anderen treibt und daher-
jagt. In der That waren es die Polen, die — im
diesseitigen Oesterreich als die ersten, die sich
öffnende, glänzende Konjunktur erkannten. Langsam
folgten die Tschechen nach. Damit aber trat ein
ganz neues Element auf die Bühne. Während näm-
lich Magyaren und Polen durch Geschichte und
geographische Lage eine gewisse getrennte und zu
trennende Einheit besitzen, ist dies bei dien Tschechen
anders. Diese haben sich, wie ihre alten Lieder
sagen, „über drei Ströme heranziehend B, im mittel-
sten Mitteleuropa niedergelassen, und der Gang der
Geschichte hat Deutsche und Tschechen in grossen
Theilen Böhmens, besonders aber in Mähren und
Schlesien, in seltsamer Weise durcheinander gewür-
felt, wobei die Deutschen, als Angehörige eines
älteren Kulturvolkes, vorwiegend die besitzenden und
leitenden Klassen bilden. In Böhmen leben — nach
Professor H. Wieser — 37*2 Procent Deutsche und
62*8 Procent Tschechen; dagegen bezahlen von der
Einkommensteuer die Tschechen nur 42*4 Proc, die
Deutschen dagegen 57*6 Procent. In Mähren und
Schlesien liegen die Verhältnisse noch mehr zu Gun-
sten der Deutschen. Man kann sich daher denken,
welche unleidlichen Verhältnisse entstanden, als Graf
Taaffe die Tschechen aufrief. Es war eine Art Revo-
lution, und seit dieser Zeit war der Kampf bis zum
Ende für die Deutschen eine Notwendigkeit. Die
Vorherrschaft der Magyaren in der östlichen Reichs-
hälfte beruht auf der Verfassung. Auch mit den
Polen wird eine Auseinandersetzung bei gegenseitigen!
68
guten Willen stets möglich sein. Mit den Tschechen
aber, wie sie seit Taaffe geworden sind, ist eine
Verständigung ausserordentlich schwer und hier liegt
offenbar das grosse Hinderniss für den inneren
Frieden, dessen die Monarchie auf das dringendste
bedarf. Nun geht das reichs deutsche Blatt zur Schil-
derung des czechoslavischen Volkes über. Die Ten-
denz dieses Artikels geht dahin, das czechoslavische
Volk auf die Stufe der Hotentoten herabzudrücken
und der Welt zu zeigen, dass es germanisirt wer-
den muss.
Das Blatt schreibt: Die moderne Zeit werthet
Nationalität und Sprache wesentlich nach dem Mass-
stabe des durch sie vermittelten Kulturgehaltes. Nun
sind die Tschechen eine seit unbekannter Vorzeit
mit Deutschen gemischte Bevölkerungsgruppe, die
zufällig noch eine slavische Mundart spricht, wie
die aus ähnlicher Mischung entstandenen östlichen
Preussen deutsch reden. Seit Karl dem Grossen sind
die Tschechen bald freundlich, bald feindlich mit
dem Deutschen Reiche verknüpft. Sie standen in
dessen Abhängigkeit. Ihr vielbesprochenes Staatsrecht
ist ein Theil und Glied des Staatsrechts des alten
Deutschen Reiches. Ein selbständiges tschechisches
Staatsrecht hat es in geschichtlicher Zeit nie gegeben.
Durch die Verbindung mit dem Reiche der Deutschen
wurden sie in den abendländischen Kulturkreis ge-
zogen. Unter kräftigen deutschen Kaisern haben sie
(wie in der Lechfeldschlacht) sich als waffentüchiig
und (wie unter Kaiser Karl IV.) als arbeitstüchtig
bewährt. Schlugen sie jedoch eine deutschfeindliche
Richtung ein, so war regelmässig Blut und Sturz
das Ende. Was hahen denn die Hussitenkriege den
Tschechen Gutes gebracht ausser einer rühmlichen
Erwähnung bei unpraktischen deutschen Dichtern?
Bezeichnend ist auch, dass der unselige Dreissig-
jährige Krieg 1618 bis 1648) in Böhmen begann und
in Böhmen der letzte Schuss in diesem heillosen
Trauerspiele abgegeben wurde. So hnben die Tschechen
zur Zerrüttung des alten Kaiserreiches mehr beige-
tragen, als allgemein angenommen wird. Das in
Europas Mitte gelegene, bergumschlossene, von der.
69
Natur reich ausgestattete Böhmen glich stets einer
starken Festung, aber einer Festung mit zweierlei
Besatzung. Hätten sich die Tschechen, wie Karl IV.
wollte, mit den Deutschen einig gehalten, so wäre
der Gang der Geschichte ein anderer und Böhmen
könnte heute an Mitteleuropas Spitze stehen.* Eine
glänzende Entwicklung ward durch Leidenschaftlich-
keit in den Wind geschlagen! Und ist es denn, im
Grunde genommen, heute anders? Zwar die grossen
Tage Karls IV. und mit ihnen die Aussichten auf
eine Weltstellung Böhmens sind dahin. Verlorene
Gelegenheiten kehren niemals wieder. Böhmen, Oester-
reich, Mitteleuropa erscheinen jetzt klein gegenüber
gewaltigen Weltmächten. Aber soll denn auch ein
bescheideneres Glück in der Heimat, soll denn auch
der goldene Frieden im Reiche für immer geopfert
werden?
Die Tschechen haben sich im Herzen der mittel-
europäischen Lande niedergesetzt, mitten unter deut-
schem Volksthum. Vor ihnen lag nun die Wahl,
entweder sich mit den deutschen Stämmen zu ver-
einigen, oder aber, wie sie selbst sagen, als „Pfahl
im deutschen Fleische** in beständige bewusste Feind-
schaft zu ihren Nachbarn zu treten. Wiederholt
schienen sie in der neueren Zeit zu ersterem ent-
schlossen. Aber Palack^ und Rieger gaben die be-
zeichnende Losung aus: „Ergeben wir uns nicht l"
Und so ward denn der Krieg beschlossen, eine Wahl,
durch die sich das Tschechenthum zu ewiger Tan-
talusarbeit verurtheilte. Nicht als ob seine Leistungen
geringe gewesen! Der kleine Stamm ohne Adel, an-
fänglich auch ohne Industrie und ohne Reichthum,
hat wacker gestrebt und geschafft, aber leider sind
alle seine Bemühungen zur Unfruchtbarkeit verurtheilt,
weil sie gegen die Geographie, Geschichte und Kultur,
gegen die Lagerung der europäischen Völker, kurz,
gegen die Natur der Dinge gerichtet sind. Wirkliche,
dauernde, innere Kraft erlangt ein Stamm in der
Gegenwart nur durch originale Kulturarbeit. Welches
originale Gut haben nun die Tschechen dem abend-
ländischen Kulturkreise zugebracht? Die Antwort
wird negativ ausfallen. Das ist nicht ihre Schuld,
70
wohl aber il>r Verhäggniss. Ein kleiner Stamm fcann
im Vol^erringen des 20. Jahrhunderts keine eigene
Kultur entwickeln, und so ist denn auch die tsche-
chische Kultur im wesentlichen deutsche Kultur, die
ihnen durch deutsche Vermittlung, im deutschen Ger
wände und mit deutsch verarbeitetem Inhalte zuge-
kommen ist. Sieht man von der Sprache ab, so sind
die Tschechen weit mehr deutsch als slavisch. Russen
und Polen bezeichnen sie denn auch als die „Deut-
schen unter den Slaven". Deutsch sind ihre Vorzüge :
der Fleiss, die Liebe zur Arbeit, die Ausdauer, der
Familiensinn. Deutsch sind ihre Fehler: die Theorie
und Pedanterie, die Verbissenheit, der Mangel grös-
seren {Jeberblicks und die Unfähigkeit zur Trennung
des Wesentlichen vom Unwesentlichen. Weil sie das
Deutschthum schon mitten in ihrem Leibe fühlen,
wehren sie sich so erbittert dagegen. Im Grunde ist
es ein Kampf gegen sich selbst, gegen ihr eigenes
Fleisch und Blut, gegen Friede, Gedeihen, Zukunft.
Sie wollen nicht deutsch werden, da sie schon deutsch
sind, nur getrennt vom Deutschthum durch die
Sprache. Die Sprache, der einzige Ueberrest ihrer
Nationalität, ist daher das „Um und Auf" der Führer
geworden, welche den Frieden nicht brauchen können.
Auf einen Verfassungsparagraphen (§ 19) ge-»
stützt, welcher zu Recht besteht, aber im wirklichen
Leben Oesterreichs (in Standesverhältnissen, Steuer-
verhältnissen etc.) hundertfach durchbrochen ist,
verlangen die Tschechen die Gleichstellung ihrer vor
einigen Jahrzehnten erst zur Brauchbarkeit zurecht-
gestutzten Mundart mit einer grossen, weitverbreiteten
Kultursprache. Nicht der tschechische Stamm ist
minderwerthig, wohl aber die tschechische Sprache»
Was bietet die tschechische Sprache, die noch dazu
sehr schwierig ist, dem Erlernenden ? Eine übersetzte
Literatur und ein Verständigungsmittel unter einigen
Millionen Menschen, von welchen eine grosse Zahl,
und jedenfalls Alle, mit denen eine Verständigung
von Werth ist, um eigenen Fortkommens halber
schon deutsch verstehen. Nicht einmal zu den an-
deren slavischen Mundarten gewährt das Tschechische
den Zugang; das Russische und die südslavischen
71
Mundarten müssen vom Tschechen erst erlernt wer-
den, nur mit den Polen kann er sich allenfalls ver-
ständigen. Wollen die Tschechen die russische Sprache
erlernen, so kann dies im Hinblick auf Handel und
Verkehr den Deutschen nur erwünscht sein, aber der
Deutsche gewinnt das Russische nicht durch Erlernen
des Tschechischen, während der Tscheche das Deutsche
in unendlich höherem Grade braucht, als alle s la-
vischen Mundarten zusammengenommen. Da der
Tscheche seinen Wohnsitz mitten unter uns gewählt
hat, so ist — ganz ohne Zuthun der Deutschen —
seine Verkehrs- und Bildungssprache das Deutsche
geworden. „Stujnme Hunde wollt ihr doch nicht
sein,a sagte einst Erzbischof Schwarzenberg zornig
genug zu tschechischen Alumnen, welche ungern
Deutsch lernten ! Dass die deutsche Sprache zugleich
die Dienst- und Verkehrssprache in Oesterreich ist,
kann ihren Werh für die Tschechen doch nur er-
höhen. Alle diese Dinge liegen einfach; der auswär-
tige Beobachter kann daher den ewigen Streit in
Böhmen kaum verstehen. Die Lösung des Räthsels
liegt jedoch darin, dass die Tschechen das ungarische
Beispiel yor Augen haben, wenn auch freilich, wie
bereits dargethan, Geschichte und Verfassung das
Analogon vollständig ausschliessen ; sowie darin,
dass die Sprachenagitation den tschechischen Führern
nie geschadet hat, vielmehr das Postament ihrer
Stellung und ihres Eraporkommens zu Einfluss,
Wohlstand, Macht und Würden bildet.
Dann geht, das Blatt auf die Charakteristik der
Deutschen über. Den Deutschen in Oesterreich ist
es lange Zeit hindurch zu gut gegangen. Mit dem
Scheine des erstgeborenen Sohnes in der Tasche,
waren sie eingeschlummert. Sie glaubten, die Krone
müsste die Sorge für die Deutschen übernehmen,
und als dies infolge des Zerwürfnisses von 1878
sich änderte, vermochten sie sich nur schwer und
langsam in die neue Lage zu finden. Jetzt aber be-
ginnen sie zu begreifen. Nur das Erworbene ist
unser! Und zum Festhalten des Ererbten und zu
neuem Erwerben bedarf es steter Thätigkeit, Kraft
und Opfermuth. Hätte die Regierung nach Nieder-
72
zwingung der Deutschen rechtzeitig eingelenkt, so
konnte die Sammlung noch im Zeichen des Staates
und seiner Bedürfnisse erfolgen. Da das nicht ge-
schah, erfolgt sie unter dem Zeichen der Nationalität.
Magyaren und Tschechen haben dabei das Vorbild
geliefert. So haben denn auch die Deutschen die
lange festgehaltene Sorge um den Staat zurückgestellt
und die nationale Fahne entfaltet. Daraus folgt die
Zusammengehörigkeit aller Deutschen.
Die deutschen Radikalen, die vielgehassten All-
deutschen, sind noch lange keine Unabhängigkeits-
partei ! Gegen den Vorwurf, dass sie über die Grenze
schielen, haben sie sich ernstlich verwahrt. Sie sind
Kinder des Systems Taafife, von diesem künstlich
grossgezogen; sie werden gewaltig wachsen, wenn
jemals dies System eine Wiederholung fände, und
sie werden ihre Zündkraft einbüssen, wenn die
Deutschen in Oesterreich wieder die ihnen gebührende
Stellung erlangt haben werden. Aber die deutschen
Radikalen sind nur der Vortrab der grossen, in
Bildung begriffenen Armee der Deutschen in Oester-
reich. Der nationale Geist ist in stetem Wachsen.
Beweis dafür jenes Moment, das im neuzeitlichen
Leben als Masstab und Machtmittel am schwersten
in die Wagschale fällt: die Wahlen.
Durch die Bedrückung der Deutschen hervorge-
rufen, tritt zum erstenmale in Oesterreich im Jahre
1885 eine Deutschnationale Partei auf den Plan. Ihre
Zahl ist 23. Bei den Wahlen von 1891 gelingt es
noch einmal, die Nationalen auf 19 zurückzudrängen,
wogegen an ihrer Seite auch schon zwei Deutsch-
Radikale auftauchen. Aber schon im Jahre 1897 er-
folgt ein Anwachsen der Nationalen auf 42 und der
Radikalen auf 5, und in 1901, nach den Sprachen-
verordnungen, schwellen die Deutsch-Nationalen auf
öl und die Deutsch-Radikalen auf 21 an. Hier hat
man klar das Vordringen des deutsch-nationalen Ge-
dankens. Er hat nicht nur den blasseren Liberalen,
sondern auch den Ghristlich-Socialen, und sogar —
zum erstenmale auf deutschem nicht bloss, sondern
auf mitteleuropäischem Boden — auch den Social-
demokraten Mandate abgerungen. Hier sieht man
7a
deutlich, was geschehen wird, wenn die Kämpfe gegen
die Deutschen eine Fortsetzung finden sollten. Weder
Ultramontanismus noch Socialismus werden dann ein
wirksames Schutzmittel sein gegen den national-deut-
schen Gedanken in jener schärferen Ausprägung, wie
«r bei Magyaren und Tschechen längst vorherrscht.
Nachdem das Blatt die kämpfenden Parteien einan-
der gegenüber gestellt hat, wobei Licht und Schatten
nach Massgabe des reichsdeutschen Egoismus vertheilt
wurde, geht es nun zum Beweise über, dass die Deut-
schen Oesterreichs erstgeborene Söhne sind. Das Blatt
schreibt : Das Hauptziel bleibt immer der innere Frie-
den, dieser aber wird unter den gegenwärtigen Ver-
hältnissen nicht zu schaffen sein, ohne eine gewisse
Scheidung der disparaten Theile. Ein idealdenkender
Patriot (Fischhof) hat schon vor Jahrzehnten (1868)
diesen Weg gezeigt, welcher durch das falsch geprägte
Schlagwort von der „Theilung Böhmens" nicht ver-
rammelt werden darf. Zusammenschmieden des Un-
vereinbaren könnte nur durch Aufbieten höchster
Gewalt erfolgen, allein die Verbindung wäre rein
mechanisch und die innere Feindschaft bliebe : Ab-
grenzung jedoch und gesonderte Organisation führen
zum Frieden und kann eine allmähliche Vereinigung
vorbereiten. Die letztere nur bringt das Entscheidende :
den Schutz der Minderheit, welchem Stamme sie auch
angehören. Das Kuriensystem hat daher in Oesterreich
eine grosse Aufgabe zu erfüllen. Auf dem vulkanischen
Boden Böhmens hat es sich, im Landesschulrath und
Landeskulturrath, schon bewährt. Die vorausgesagten
ungünstigen Folgen für den Staat sind nicht einge-
treten. Die getrennte Konstituirung arbeitet einfach,
wohlfeil und zweckentsprechend. Wo früher bestän-
diger Kampf herrschte, da ist nun Friede, aus wel-
chem alles Gute hervorspriesst. Wer dauernden Frieden
will, muss für die Kurien eintreten. Auch die Kurien,
das ist selbstverständlich, können der Mitwirkung der
Behörden nicht entbehren. Es haben sich „Interes-
senten des Unfriedens" herausgebildet, die durch
mildes Zureden nicht überzeugt, durch Zugeständnisse
nur immer gieriger gemacht werden. Hier hii't nur
die geschaffene Thatsache. Schon zu ihrer Schaffung
74
ist ein Eingreifen der Regierung nöthig ; nur sie ist
befähigt und verpflichtet, den todten Punkt des Partei*
kampfes zu überwinden. Dahin gehört ferner die Sorge
für das regelmässige Arbeiten der Kurien unter dem
Schutze des öffentlichen Friedens. Ist jedoch diese
Voraussetzung erfüllt, so liegt der ungeheure Vortheil
darin, dass dann diese Mitwirkung der Regierung
nicht mehr die Entscheidung für den einen oder
anderen Theil in sich schliesst, sondern mehr formal
ist und daher rein objektiv sein kann. So werden die
Krone wie das Ministerium von einer allezeit schwer
zu tragenden, in vielen Fällen geradezu furchtbaren
Verantwortlichkeit befreit, und für die streitenden
Theile wird das Dilemma aufhören, dass immer nur
der im Kampf Unterlegene friedenswillig ist, der augen-
blicklich Stärkere jedoch den Krieg fortsetzt, weil
er den Gegner gänzlich und für immer zu beugen hofft.
Wird nun schon durch das Curiensystem ein
Schritt zum öffentlichen Frieden in Oesterreich ge-
macht, so gilt es, eine Hauptquelle des Unheils zu
verstopfen : die Unvollständigkeit und Undeutlichkeit
der Gesetze vom J. 1867, welche das Verhältniss der
beiden Reichshälften regeln. Sie bieten nur Umrisse ; .
die Ausführung ist dann Verhandlungen vorbehalten,
deren Ergebniss nur für zehn Jahre Geltung hat. Da-:
durch kommt in jedem zehnten Jahre über die Habs-
burger-Monarchie eine Art Umwälzung widrigster Art.
Die politisch besser geleitete östliche Reichshälfte
wusste sich bei den Verhandlungen bisher stets neue
und grössere Vortheile zu sichern. Die in sich un-
einige westliche Reichshälfte kam stark zu kurz und
empfand es sehr bitter, sollte aber, wie es die Ver-
fassung heischt, ihre Zustimmung zu den ungünstigen
Verträgen abgeben. Das jeweilige österreichische Mi-
nisterium hatte den Auftrag, die parlamentarische
Genehmigung zu beschaffen. Mit Ueberredung und
Ueberzeugung der Widerstrebenden ging das nicht.
Die Gegnerschaft gegen die Verträge kam naturge-
mäss überwiegend von den Deutschen, welche etwa,
drei Viertel aller Steuern der Monarchie aufbringen
und sich überdies, trotz allem Geschehenen, als Hüter
und Bewahrer der Rechte und des Vermögens der
«{>
diesseitigen Reichshälfte fühlen. Die Deutschen waren
also für einen ungünstigen Ausgleich nicht zu haben.
Um nun dennoch der Form zu genügen — der Sinn
ist leider schon entflohen ! — galt es für das Mini-
sterium, eine Mehrheit, zumeist aus den slawischen
Abgeordneten, zu schaffen, die Slaven aber wollen
theuer bezahlt sein. Sie kümmern sich den Teufel
um den Staat oder das Reich; Sorge und Ziel ist
nur die künstliche Auffütterung ihrer kleinen Nati-
onalitäten. So ward seit Taaffe der Stimmenkauf zu
einer, alle zehn Jahre wiederkehrenden Hauptaufgabe
der österreichischen Minister. Die vielgenannten Spra-
chenverordnungen von 1897 zugunsten Einführung
der tschechischen Mundart in den amtlichen Verkehr
Böhmens sollten der Kaufpreis sein für Bewilligung
des Ausgleichs durch die Stimmen der Tschechen.
Gegen diesen Schacher richtete sich die Obstruktion
der Deutscheu. Sie war gleichsam eine friedliche,
unblutige Revolution der Deutschen. Seitdem wurden
die Sprachenverordnungen zurückgezogen. Aber damit
waren die tschechischen Stimmen verloren und mit
ihnen gerieth der Ausgleich mit Ungarn ins Schwanken»
An dieser Stelle befinden wir uns noch heute»
Man erkennt nun die wahre crux Austriae! Man
sieht auf der Bühne den politisch geschulten und
zugleich drohenden Magyaren mit dem Scheine in
der Hand; den listigen Slaven, welcher zuerst, um
die Verwirrung zu steigern, mit allen Anderen gegen
den Ausgleich donnert, dann aber bei Nacht — der
Tschechenführer Kaizl hat schon seinen Namen unter
den schlechten Ausgleich gesetzt — in das ministe-
rielle Kämmerlein schleicht und mit einem Bündel
von Zugeständnissen triumphirend hervorkommt ;
endlich den Deutschen, abstrakt und ungeschickt in
der Politik, mit guten Absichten, aber fern vom Ziel,
er hat, nach seiner Meinung, in den Zeitungen und
im Wirthshaus immer „Recht", aber die Anderen
haben seine Rechte und sein Geld . . .
. Wird es im Jahre 1901 wieder so werden ? Fast
hat es den Anschein. Wie sehr sich auch die Stellung
de$ Ministeriums Koerber befestigt haben mag, der
Ausgleich mit Ungarn wird ihm nicht geschenkt sein.
16
Mit welcher Mehrheit ? Die Tschechen thun umsonst
dem Staate nichts zuliebe; die beiden „liberalen
Völker", von denen manche Wiener Blätter formel-
mässig reden, werden sich nicht versöhnen, in dieser
Hinsicht sind Kaiserreise, tschechische Technik u. s. w.
vergeblich aufgewendet. Es geht den Tschechen um
höheren Preis, sie sehen schon den Schatten eines
slavischen „Ungarn" heraufsteigen. Soll der Wagen
des Reichs auf dieser Bahn weiterrollen ? Wir sagen:
*er darf es nicht". Und daraus folgt, dass die Deut-
schen den Ausgleich von 1901 machen und bewilligen
müssen. Lässt sich an dem Abschlüsse der beiden
Regierungen noch etwas bessern, so möge das mit
allem Nachdruck versucht werden. Vielleicht sieht man
in Ungarn im Hinblick auf die Weltverhältnisse doch
ein, dass Vortheile, im kleinen erreicht, zuweilen recht
theuer im grossen sein können. Wir hegen jedoch
wenig Vertrauen in dieser Hinsicht. Aber die Erklä-
rung werde von den Deutschen in Oesterreich feier-
lich abgegeben, dass es der letzte Ausgleich sei, der
auf solche Art abgeschlossen wird, und sofort möge
an die Reform der Gesetze von 1867 geschritten wer*
den. Ein solches Vorgehen ihrer Abgeordneten werden
angesichts der leider bestehenden Verhältnisse die
Wähler sehr wohl begreifen. Dem Tschechen, dem
Gegner, den Wunsch erfüllen, galt noch nie für richtig,
und ihm das Geschäft zu machen, ist doch keine
Klugheit! Möge derjenige, der Besseres weiss, sich
melden ! Für ein gutmüthiges Vertrauen auf die Wir-
kung schöner Reden und parlamentarischer Sensation
sind Zeit und Verhältnisse zu ernst!
Von dem Augenblicke jedoch, wo unsere Abge-
ordneten (wenn auch gegen ganz bestimmte Zusagen
im Sinne der Verbesserung der Gesetze von 1867)
abschliessen, wird alsbald die Stellung der Deutschön
in Oesterreich eine geänderte sein. Die auf der Kaiser*
reise in Böhmen wahrgenommenen leisen Spuren
wiederkehrenden Vertrauens zwischen der Krone und
dem deutschen Stamme in Oesterreich werden auf-
keimen und sich befestigen. Dem Deutschen wird
der Weg geöffnet sein, um wieder die Stellung des
Erstgeborenen im diesseitigen Oesterreich zu erobern.
77
In der Wiederherstellung dieses so natürlichen Ver-
hältnisses würden wir, dem Vorausgeschickten ent-
sprechend, den grössten Erfolg erblicken, den Schlüssel-
punkt zu der schon fast verlorenen Stellung der Deut-
schen in Oesterreich. Was Machiavelli sagt, dass Reiche
nur durch die gleichen Mittel erhalten werden, durch
die sie einst begründet wurden, gilt auch für Oester-
reich. Die deutsche Führung ist dadurch ausgespro-
chen. Jener Satz gilt aber nicht nur für das Reich,,
sondern auch für die Deutschen in Oesterreich. An
der Seite und unter Leitung der Babenberger und
Habsburger haben sie Oesterreich begründet. Damals
wie heute braucht in diesen vielumstrittenen Landen
der Ostmark die konstitutionelle Idee eine Ergänzung
durch die altgermanische Idee der Gefolgschaft.
Zum Schlüsse sagt das Blatt, wenn Oesterreich
so geordnet wird, dass die Deutschen die Führung
inne haben, dann ist die Angliederung der Ostmark
an das Deutsche Reich nur eine Frage der Zeit. Man
sieht also, wie manche reichsdeutsche Blätter für die
hohenzollerische Politik mit Dampfdruck arbeiten.
VII. Die Alldeutschen in Oesterreich.
Wenn im Deutschen Reich unter dem Schutze des
berliner Hofes die Bestrebungen nach einem Gross-
Deutschland solche Ausdehnung gewonnen haben,
wie wir sie hier erkannt, können wir uns darüber
schliesslich nicht wundern. Eine Nation, welche das
Glück hatte, Siege zu erringen, ergibt sich dann
diesem Sieges-Rausche, und sind die Mittel dazu
vorhanden, dann kann ja zugegriffen werden. Die
Alldeutschen im Deutschen Reiche haben zu ihren
Bestrebungen um so grösseren Muth, als sie ja von
ihren Gesinnungsbrüdern in der „Ostmark", also in
Oesterreich nach Kräften unterstützt werden. Ja man
muss gestehen, dass die Alldeutschen Oesterreichs
die Gesinnungsgenossen des Deutschen Reiches auf
diesem Gebiete zu übertreffen bestrebt sind. Man
kann behaupten, dass die Alldeutschen Oesterreichs
preussischer gesinnt sind als die genanhten Unter-
thanen des preussischen Königs selbst. Die All-
78
deutschen in Oesterreich können wir in mehrere
Gruppen vertheilen Man findet sie im Abgeordneten-
häUse, in den Staatsämtern, an den Universitäten, in
den Bierstuben, Redaktionen, Volksversammlungen,
kurz, die alldeutsche Propaganda in Oesterreich hat
ihre Organe in allen Schichten desjenigen Thelles
der deutschen Bevölkerung, welche dem Herzen und
Sinne nach dem preussischen Adler zugethan ist.
Wir wollen nur einen Ueberblick machen, damit
wir erkennen, bis wohin der alldeutsche Gedanke in
Oesterreich vorgedrungen ist. Alldeutsche Anwand-
lungen haben die Führer der alten deutsch-liberalfen
Partei öfters gehabt. Beim 50jähr. Jubiläum der
deutschen Lese- und Redehalle der deutschen Stu-
denten in Prag sprach Ende November 1898 Dr.
Schücker unter anderem Folgendes : „Man sucht heule
in Oesterreich an dem Ruhme des deutschen Volkes
zu mäkeln, man sucht den Angehörigen des deutschen
Volkes ihre erbberechtigte Stellung in diesem Reiche
zu schmälern; man versucht es, unsere alter worbeiien
Rechte und den Anspruch, den wir uns dadurch
erworben haben, dass wir dieses Reich gross und
mächtig geschaffen haben, zu unterdrucken, aber die
Zeit, die so schwer über uns gekommen ist, hat auch
ganze Männer gefunden, die kein Opfer scheuen und
bereit sind, unentwegt für die Rechte des Volkes zu
kämpfen und jede Verkürzung der Volksrechte hintan-
zuhalten. (Stürmische Heilrufe.) Man wagt es dem
deutschen Volke seine Berechtigung zu schmälern,
zu einer Zeit, die für einen solchen Anschlag am
allerwenigsten geeignet ist wo das mächtige Deutsche
Reich seine Kräfte entwickelt und über den ganzen
Weltball ausstreckt. Wir sind stolz darauf, Söhne-
Angehörige eines so grossen Volksstammes zu sein
und wenn uns Eines in dem schweren Kampfe kräftigt
und stählt, so ist es das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit mit unseren deutschen Brüdern. (Stür-
mische Heilrufe, lebhafter Beifall.) Ich freue mich,
dass so viele Stammesgenossen aus dem Deutschen
Reiche hieher gekommen sind und ich bitte Sie,
wenn Sie in die Heimat zurückkommen, dort kund-
zrithun, dass hier ein frischer, kräftiger Zweig des
79
deutschen Volksstammes lebt, der nicht Willens ist
unterzugehen, sondern kraftvollen Widerstand jedör
Schmälerung seines Volksthums entgegensetzt. Abg.
Dr. Funke: Meine Herren, jedes Volk hat seine na-
tionale Eigenart und seine nationalen Güter. Eigenart
des deutschen Volkes ist es, einzutreten für sein
Deutschthum. (Beifall.) Das treue deutsche Herz, das
nimmt uns Niemand. (Stürmischer Applaus und Rufe :
Niemand ! Niemand !) Das hat uns Gott gegeben und
wir Deutsche fürchten ja sonst Niemand als Gott!
(Beifallssturm, Händelklatschen, nicht enden wollende
Heil!-Rufe.)
Und sind wir denn nicht Angehörige eines gros-
sen mächtigen Volkes? Ich erinnere mich noch als
Jüngling der Zeiten, wo es 36 Bundesstaaten gab,
wo Deutschland der Spott und der Hohn der ganzen
Welt war. Diese 36 Bundesstaaten waren es, die in
uiiseren Herzen die grösste Erbitterung hervorgerufen
haben. Und jetzt, wo das Deutsche Reich so gross,
so mächtig* so ehrfurchtgebietend dasteht, jetzt sollten
wir vergessen, dass wir Angehörige dieses grossen
deutschen Volkes sind? (Brausender und minuten-
langer stürmischer Beifall.) Wir sollten vergessen,
dass wir Angehörige dieses mächtigen, grossen
deutschen Volkes sind, mit dem uns eine und dieselbe
Sprache, eine tausendjährige Geschichte und die
deutsche Kultur verbindet? Eine und dieselbe Sprache,
in welcher unsere grossen Dichter sprechen, unsere
Philosophen die grössten Geisteswerke schufen,
deutsche Professoren ihre Lehren von den Kanzeln
der Universitäten verkünden und das lebendige Wort
der Wissenschaft in die Herzen der akademischen
Jugend einprägen. Ich bin ein Mann, welcher die
altösterreichische Gesinnung jederzeit an den Tag
gelegt hat. (Jawohl! Bravo!- und HeiÜ-Rufe), jene
altösterreichische Gesinnung, welche aus Oesterreich
immer einen grossen Einheitsstaat unter deutscher
Führung machen wollte. Und, meine Herren, das
geistige Band, welches die Deutschen auf der ganzen
Welt verbindet, welches sie fühlen lässt, dass sie
eh\er grossen, mächtigen Nation angehören, dem
Volke der Dichter und Denker, wie der englische
80
Schriftsteller gesagt hat, dieses geistige Band, welches
auch uns Deutschösterreicher mit den Deutschen der
ganzen Welt verbindet, das nennen wir Alldeutsch-
land. (Tosender Beifall, endlose HeilMEtufe, Tucher-
schwenken.; Und diese geistige Verbindung, die auch
unsere Herzen erfüllt, die kann uns Niemand rauben.
Die wichtigsten Kämpfer für die alldeutsche Idee-
sind natürlich im Parlamente. Die Gruppe der All-
deutschen bildeten Anfangs die Abgeordneten Schö-
nerer, Türk, Kittel, Iro und Wolf, In den letzten
Wahlen ist die alldeutsche Gruppe bedeutend ge-
wachsen. Es arbeiten für den preussischen Adler
im oesterreichischen Abgeordnetenhause unter dem
Schutze der Immunität unmittelbar vor den Mauern
der kaiserlichen Hofburg folgende Abgeordneten:
Georg Schönerer, Gutsbesitzer in Rosenau, Nie-
deroesterreich, sein Rivale Karl Hermann Wolf, Her-
ausgeber der „Ostdeutschen Rundschau" in Wien,
Dr. Ant. Eisenkolb, Advokat in Karbitz, Johann Hofer,
Eigenthümer der „Egerer Zeitung" in Eger, Franco
Stein, Herausgeber der Zeitschrift „Hammer" in Eger,
Dr. Josef Tschan, Advokat in Bilin, Dr. Beurle, Ad-
vokat in Linz, Wilhelm Hauck, Schriftsteller in Wien,
Iro Karl, ebenfalls Schriftsteller in Wien, Dr. Josef
Pommer, k. k. Gymnasialprofessor in Wien, Dr. Ant»
Schalk, Schriftsteller in Wien, Josef Kasper, Lehrer
in Jungbuch bei Trautenau in Böhmen, Dr. Gust.
Schreiner, Notar in Pilsen, ein besonders rühriger
Agitator, Ant. Seidl, Grundbesitzer in Schlesien.
Mit diesen alldeutschen Abgeordneten arbeiten
an der grossdeutschen Idee sehr eifrig noch die völ-
kischen Abgeordneten. Ihre Grundsätze hat besonders
Karl Türk in seiner Schrift „Der Kampf um das
Deutschthum in Böhmen, Mähren und Schlesien" nie-
dergelegt.
Auf Seite 50 seiner Schrift sagt der gewesene
Abgeordnete Karl Türk folgendes: Schon ein flüch-
tiger Blick auf die Karte von Europa belehrt uns,
dass die heutigen politischen Grenzen des deutschen
Reiches südöstlich an Tirol und der Schweiz begin-
nend, an Frankreich, Belgien, Holland, der Nordsee,
Dänemark, der Ostsee nordöstlich bis Russland sich
81
hinziehend und östlich an Russisch-Polen, Oester-
reichisch-Schlesien, Böhmen, dem Oberösterreichi-
schen und Salzburgischen zurückkehrend keine natür-
lichen Volksgrenzen sein können. Das langgestreckte
Deutschland windet sich gleichsam zwischen Oester-
reich und seinem westlichen Nachbarn, sich schmal
machend hindurch ; Westösterreich sitzt ihm auf dem
Nacken und treibt sich mit Böhmen wie ein stumpfer
Keil weit vor bis Mitten zum Herzen Deutschlands
gegen Dresden und das Thüringer Waldgebirge. Das
alte Reich von der Nord- und Ostsee breit und mas-
sig in einem geraden tüchtigen Heereszuge durch
ganz Mitteleuropa bis an die südlich des Alpenwalles
liegende wälsche Grenz- und Sprachscheide ziehend
und am adriatischen Meere fussend — das war die
richtige deutsch-volkliche Grenze. Die heutige Grenze
des Deutschen Reiches ist durch grosse politische
und militärisch-kriegerische Ereignisse und dynasti-
sche Interessen gezwungen zustande gekommen. Das
Land Böhmen, welches wie eine Trutzburg gegen die
Mitte Deutschlands hineinragt, ist freilich ein fast für
sich abgeschlossenes Ganzes mit seinen hohen Berg-
zügen an der bayerischen, sächsischen und preussi-
schen Grenze, allein in diesen Bergzügen sind zahl-
reiche Lücken und Pässe für den freien Verkehr mit
Deutschland, und alle Flüsse Böhmens ergiessen sich
in die Elbe, um mit derselben vereint Deutschland
zu durchziehen, deutsche und böhmische Schiffe zu
tragen und endlich an Hamburg vorbei in die deutsche
Nordsee zu strömen, als ob dies ein Anzeichen sein
sollte dafür, dass dieses Land mit seinen Bewohnern
von der Natur aus schon bestimmt ist, beständig mit
Deutschland in Berührung und Fühlung zu bleiben.
Andererseits ist aber Böhmen infolge seiner Grenz-
gebirgszüge ein Land von hoher strategischer Bedeu-
tung für das benachbarte Deutsche Reich. Das haben
die deutschen Könige und Kaiser seit jeher gar wohl
verstanden und deshalb waren sie auch frühzeitig
und unablässig darauf bedacht, Böhmen in ein Lehens-
verhältniss zum Reiche zu bringen und dieses Verhält-
niss niemals lockern zu lassen.
Der „österreichische Patriot" Türk vergiesst hier
6
82
förmlich Thränen, dass Böhmen dem Deutschen Reiche
nicht einverleibt ist. Er konstatirt, dass der Hunger
nach diesem Lande in Berlin schon sehr alten Da-
tums sei.
Zur „Beruhigung" Oesterreichs empfiehlt Herr
Türk auf Seite 82 seiner Schrift folgende sehr „christ-
liche" Mittel : Der nationale Boykott, der ja von den
Tschechen längst geübt wird, ist ein für die deutsch-
völkischen Zwecke unentbehrliches Hilfsmittel. Die
möglichste Ausschliessung tschechischer Arbeitskräfte
und tschechischer Produkte ist bei dem gegenwärti-
gen Stande der Dinge eine gerechte Sache, denn wir
haben die Pflicht, zuerst gegen unsere eigenen Volks-
und Stammesgenossen human zu sein. Tschechische
Biere und Fabrikate sind von Deutschen nicht zu
kaufen, tschechische Beamte, Bedienstete und Arbeiter
von deutschen Besitzern und Meistern nicht zu be-
schäftigen, tschechische Schulen von deutschen Kin-
dern nicht zu besuchen, der tschechischen Sprache
von Deutschen jede auch mittelbare Vorschubleistung
zu versagen. Ebenso brauchen auch tschechische
Priester von deutschen Gemeinden nicht anerkannt
zu werden. Wenn die bisherige Lammesgeduld der
Deutschen gegenüber dem national werberischen Trei-
ben der ihnen aufgedrängten tschechischen Seelsorger
ein Ende haben wird, und die deutschen Pfarrkinder
entschieden darauf bestehen werden, nur einen deut-
schen Seelsorger haben und anerkennen zu wollen,
dann werden sich die Bischöfe schon dazu herbei-
lassen, auch deutsche Priesterseminare zu errichten,
und sich hüten, dem erwachten Volksbewusstsein
der Deutschen allzukeck Trotz zu bieten !
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 5.
November 1898 Hess Schönerer folgende Aeusserungen
hören. Wenn die Loyalitätskundgebungen aus vielen
deutschen Kreisen im heurigen Jubeljahre ausgeblieben
sind, so mag das vielen gewissen Mächten und Kräften
beweisen, dass man an der Dankbarkeit des Hauses
Oesterreich bereits stark zu zweifeln beginnt, auch in
den weitesten Kreisen der Bevölkerung von Stadt und
Land. Wenn man sagt, Ihr beginnt beinahe Oester-
reich zu hassen, so habe ich immer geantwortet : Ich
83
bin für das ehrliche Hassen dort, wo man unserem
Volke statt Liebe Hass entgegenbringt. Es ist auch
ein Zeichen der Zeit, wenn im Egerlande die Worte
des Bürgers von Eger aus Schiller's „Wallenstein*
immer erwähnt werden : „Wir waren nicht frei, doch
seit 200 Jahren ist die Stadt der böhmischen Krone
verpfändet, daher rührt es, dass wir nur noch den
halben Adler führen. Der untere Theil ist kanzellirt,
bis etwa das Reich uns einlöst." Langsam und bewusst
können Sie diese Worte hören im Egerlande, in Land
und Stadt, und das sind die Früchte der Thätigkeit
der österreichischen patentiren Regierungen : Badeni,
Gautsch, Thun. Abg. Türk : Das Volk sieht in Deutsch-
land seine einzige und letzte Hoffnung. Abg. Schö-
nerer: Wir können trauern darüber, dass man am
Ende dieses Jahrhunderts schon von einem abster-
benden Staate Oesterreich und von einem aufleben-
den deutschen Volke in Oesterreich spricht. Präsident :
Das ist unzulässig. Ich muss Sie nochmals zur Ordnung
rufen. (Lärm bei den Schönerianern.) Abg. Schönerer :
Die deutschen Bürger, die das sagen, sind sich be-
wusst, dass sie nicht der Baum, aber der stärkste Ast
des Baumes sind, und sie wissen sehr wohl, dass
dieser Ast verdorren würde, wenn der Baum nicht
mehr gepflegt wird. Daher muss der Baum von
uns gepflegt und es muss der Ast von uns gehegt
werden, wenn er nicht vom Baume abfallen und ver-
dorren soll. Redner bemerkt, der deutsche Kaiser
Wilhelm II. habe kürzlich seinen kaiserlichen Schutz
jedem zugesichert, der darum ansuchte. Er habe aus-
drücklich von den Deutschen ausserhalb des Reiches
gesprochen. Wir sind zu stolz, trotz der elenden na-
tionalen Lage, in der wir uns befinden, seine Hilfe
zu erbitten. Aber sie wird und muss kommen. Wenn
die Worte Wilhelms II. nicht nur Worte wären, son-
dern bewusst gesprochen wären in der Richtung, dass
man bereit sei, diesen Worten gegebenen Falls auch
Thaten folgen zu lassen . . .
Abg. Wolf ruft: Hurrah Alldeutschland! Abg.
Schönerer : Heute müssen die Deutschen in Oester-
reich hoffen, dass das Bündniss mit dem Deutschen
Reiche je eher je lieber gelöst werde, denn dann
6*
84
werden die Kräfte frei und dann werde der deutsche
Kaiser die Worte durch Thaten erfüllen können. Das
Deutsche Reich werde Bundesgenossen finden, die
eben so mächtig sind, als es Oessterreich heute ist.
In der Militärverwaltung des Deutschen Reiches be-
obachtet man haarscharf die Vorgänge bei den Mel-
dungen der Reservisten. Im Deutschen Reiche kommt
naturgemäss schliesslich der Gedanke zum Durch-
bruch: Auf diese Armee ist kein Verlass mehr im
Felde. Die Elemente der Armee sind so tapfer und
tüchtig wie früher, aber im Kriege wird es nicht
klappen, weil der babylonische Thurmbau in der Mi-
litärverwaltung die Niederlage von vorneherein ver-
bürgt. Mit einem solchen Bundesgenossen wird das
Deutsche Reich im Interesse seiner eigenen Erhaltung,
da es npch grosse Kriege auszufechten haben wird,
das Bündniss nicht aufrecht erhalten wollen. Der
deutsche Kaiser wird selbst eingreifen und die Dinge
so drehen und wenden, dass sie sich gewiss zu Gun-
sten des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes
entwickeln werden. Aus Anlass des Ablebens Bismarck's
sprach Kaiser Wilhelm II. von dem unsterblichen Ge-
danken der deutschen Einheit und Grösse. Warum
sagte er nicht: des Deutschen Reiches? Die Hohen-
zollern treiben deutschnationale Politik und werden
sie auch in Zukunft treiben müssen, und wenn ihnen
die Ministerien Badeni, Gautsch undThun ihre Arbeit
erleichtern, werden wir es nicht hindern. (Beifall bei
den Schönererianern.)
Redner erörtert sodann die Stellung der deutschen
Sprache in Oesterreich. Die Sprachenverordnungen
bestehen fort als unverschämte Verletzung der beste-
henden Gesetze. Sie bestehen fort als Signale zum
erbitterten nationalen Kampfe, sie bestehen fort, trotz-
dem durch sie Parlamentarismus und Konstitutiona-
lismus in Frage gestellt sind, und das sei nur möglich
dadurch, dass die Deutsch-Klerikalen ihr Volk verrathen
und sich an die Seite der Slaven stellen. Immer lauter
werde der Ruf : „Los von Rom !" Das müsse das Schlag-
wort sein in dieser Stunde des nationalen Kampfes f
wo die Deutschen in nationaler Beziehung ihrer Ver-
zweiflung nahe . sind. Wenn die deutschen Vertreter
85
irgendwie und irgendwann im Kampfe ermüden sollten,
wie die Vertreter des Siebenbürger Landes thatsäch-
lich ermüdet sind, dann werden die Sprachenverord-
nungen bleiben; wenn die deutschen Vertreter aber
voll und ganz, rücksichtslos in diesem Kampfe ihre
nationale Pflicht erfüllen, dann wird und muss der
Sieg unser sein trotz Falkenhayn, trotz der Deutsch-
Klerikalen. Die schenken wir Ihnen dann, machen Sie
sie zu Ehrenczechen. Wir wünschen keine neue Taktik,
wir fürchten sie sogar; wir wünschen nur Eines, dass
uns Deutschen in Oesterreich endlich voll und ganz
unser nationales Recht werde. Wenn man uns fragt,
was ist Euer, der Deutschen Vaterland, so sagen wir
immer und sagen es auch heute, das Vaterland in
unserem Sinne ist kein Staatengebilde, kein öster-
reichischer Staat, sondern die deutsche Stammeserde
ist unser heiliges Vaterland. (Heilrufe bei den Partei-
genossen.) Sie werden wir vertheidigen jederzeit, bei
jeder Gelegenheit, und wenn es sein muss, mit Blut
und Eisen. (Heilrufe.)
Welche Ziele die Alldeutschen befolgen, hat ihr
Führer Schönerer am Volkstag in Asch, der am 8.
September 1901 abgehalten wurde, sehr deutlich ausge-
sprochen. Der Berichterstatter eines reichsdeutschen
Blattes schreibt über diese Versammlung folgendes. Am
S. September fand eine Versammlung der Alldeutschen
zu Asch statt, in der Schönerer den Kampf wider
die anderen deutschen Fraktionen in rücksichtsloser
Weise fortführte. Der deutschen Volkspartei warf ..er
politische Gaukelei vor und er forderte sie perempto-
risch auf, binnen acht Tagen eine Erklärung abzuge-
ben, ob sie wirklich für die deutsche Staatssprache
eintrete. Die Alldeutschen wollen die deutsche Volks-
partei bei den Wahlen in den böhmischen Landtag
aus ihren Sitzen verdrängen, und deshalb die harten
Vorwürfe. Man schont sich gegenseitig nicht, wie der
an dieser Stelle bereits veröffentlichte Brief des Ob-
mannes der deutschen Volkspartei, des Abgeordneten
Kaiser, gegen Schönerer beweist. Leider bieten die
Deutschen Oesterreichs stets dasselbe Schauspiel. Sie
wehren sich gegen den gemeinsamen Feind nicht übel,
aber in den Zwischenpausen dieser Kämpfe hauen und
b6
stechen sie aufeinander los, als ob jeder Einzelne ein
Abtrünniger an der gemeinsamen Sache wäre. Uebri-
gens ist das Auftreten der Alldeutschen noch durch
einen anderen, weitaus wichtigeien Umstand bemer-
kenswerte Sie gehen, nachdem die Deutschen Oester-
reichs seit etwa 30 Jahren unaufhörlich in der Defen-
sive gekämpft haben, zum Angriff gegen die Slaven
vor, verwerfen alle bloss auf die Verteidigung ge-
richteten Massregeln wie die der Zweitheilung Böhmens
und fordern die Herrschaft der Deutschen Oester-
reichs, seibat die Germanisirung der übrigen Stämme.
Das ist symptomatisch für den Wandel der Zeiten.
Man kann ihren Optimismus nicht theilen und es wird
sich zeigen, dass sie ihre Kraft weitaus überschätzen.
Zu den schlimmen Folgen des Fraktionswesens
gehört es in Oesterreich wie anderwärts, dass die
neuen Parteien kühn über all die Gedankenarbeit hin-
wegzuschreiten wagen, die das Erbe der früheren
Entwicklung ist. Und doch ist eine feste Tradition die
nothwendige Grundlage für eine gesunde politische
Entwicklung. Es war bisher ein sicherer Punkt in den
Wirren des nationalen Programmwesens in Oesterreich,
dass die Deutschen mit grosser Bestimmtheit auf die
Zweitheilung Böhmens hinarbeiteten, um für sich Sicher-
heit zu gewinnen und die nationalen Streitpunkte zu
verringern. Seit 15 Jahren wird dieses Ziel dauernd
verfolgt, und thatsächlich erreichten auch die Deutsch-
böhmen, dass wenigstens zwei der wichtigsten Be-
hörden des Landes, der Landesschulrath und der
Landeskulturrath, in nationale Kurien getheilt wurden.
Gegen diese Ergebnisse stürmt neuestens die alldeut-
sche Fraktion an und behauptet, die Deutschböhmen
setzten sich damit allzu enge Ziele. In der Ueber-
schätzung ihrer eigenen Kraft behaupten die Alldeut-
schen, Böhmen gehöre vollständig unter die deutsche
Herrschaft, und es sei gefährlich, ein selbständiges
tschechisches Sprachgebiet zu schaffen, das sich nie-
mals wieder für die deutsche Staatssprache werde
erobern lassen. Die Anhänger dieser Partei sprechen
so, als ob demnächst Alldeutschland entstehen und
auch das tschechische Gebiet in seinen Machtkreis
einbeziehen werde. Es leuchtet ein, dass solche, die
87
Möglichkeit übersteigenden Vorstellungen verwirrend
wirken müssen. Dazu kommt, dass in der grossen
Masse des deutschböhmischeri Volkes dadurch das
Gefühl der Sicherheit erschüttert wird, mit d^r es
sich bisher der Erreichung eines praktischen Zieles
widmete. Jedem' deutschböhrhischen Bauer war es
verständlich, wenn man ihm sagte, es sei seine Pflicht,
dafür zu wirken, dass der ererbte deutsche Sprach-
bodeh seinem Volke rein erhalten werde. Mit Recht
sträuben sich alle die Männer, die in den letzten 15
Jahren das deutsch-böhmische Volk geführt und seine
Grenzmarken vertheidigt haben, gegen die neue Lehre.
Die Alldeutschen behaupten, der wichtigste Programm-
satz sei die Erringung der Herrschaft der deutschen
Staatssprache, der Alles untergeordnet werden müsse.
Sie vernachlässigen über einer hochfliegenden Erobe-
rungspolitik die Massregeln zur Verteidigung des
deutschen Sprachgebietes, was sich dereinst bitter
strafen wird.
Seitdem die Gruppe der alldeutschen Abgeord-
neten ins Parlament eingezogen ist, haben ihre Mit-
glieder selten eine Sitzung vorübergehn lassen, um
nicht einer oder der andere Abgeordnete dieser
Gruppe die Bestrebungen der alldeutschen Propa-
ganda womöglich oft zur Geltung zu bringen. Schö-
nerer, Stein und Eisenkolb können nicht oft genug
im österreichischen Parlamente ihren Herzenswunsch
aussprechen, Oesterreich möge sobald als möglich
dem Deutschen Reiche einverleibt werden. Dabei
gebrauchen sie in ihren Reden die schurkenhaftesten
Mittel, um das österr. Parlament vor der ganzen Welt
überhaupt lächerlich zu machen und leider bietet die
Parlamentsordnung keine Handhabe, um derartige
Menschen hinauszuwerfen, dafür sorgen die Freunde
der Alldeutschen, die socialistischen Abgeordneten,
dass der zügellosen Freiheit und Immunität kein
Abbruch geschehe. Eine solche Skandalscene hat Schö-
nerer in der Sitzung am 18. März 1902 angestellt.
Er schloss seine Rede über die deutsche Staatssprache
folgendermassen ab:
Wir streben ein solches bundesrechtliches Ver-
hältniss der deutsch-österreichischen Länder, der ehe-
88
maligen deutschen Bundesländer, mit dem deutschen
Reiche an, das die Erhaltung unseres Volksthums
dauernd sichert. Wir bekämpfen daher jede Regie-
rung, die diesem unseren Ziele entgegenwirkt, wir
müssen daher auch dieser Regierung die Bewilligung
des Staatsvoranschlages verweigern. Wenn sich der
Präsident veranlasst gesehen hat, in den letzten Ta-
gen dem Abgeordneten Eisenkolb einen Ordnungsruf
zu ertheilen, weil er in anerkennender Weise das
deutsche Fürstengeschlecht der Hohenzollern hier
genannt hat, so veranlasst mich das im Namen der
Alldeutschen meine Rede zu schliessen: „Hoch und
Heil den Hohenzollern!" (Stürmische Heilrufe, anhal-
tender Beifall bei den Alldeutschen. Rufe bei den
Alldeutschen: „Heil den Hohenzollern!" Lebhafte
Entrüstungs- und Pfui-Rufe rechts.)
Darauf reagirten die Führer der übrigen deut-
schen Parteien. Abgeordneter Derschatta stellte fest,
dass alle Deutschen in Oesterreich daran festhielten,
für die Kodificirung der deutschen Staatssprache zu
sorgen, jedoch nach gehöriger Vorbereitung und in
einem Augenblick, in dem man bei der Inangriff-
nahme der Lösung einer so wichtigen Frage auch
auf die Möglichkeit eines Erfolges rechnen könne.
Im übrigen würde er es nicht für nothwendig ge-
funden haben, auf die demonstrativen Schlussätze
der Rede des Abgeordneten Schönerer einzugehen.
Die Vertreter des deutschen Volkes in Oesterreich,
das Oesterreich geschaffen, gross gemacht und er-
halten habe, sollten es eigentlich nicht nothwendig
haben, zur Betonung ihrer Loyalität gegenüber Oester-
reich und dem Hause Habsburg in die Debatte ein-
zugreifen. Weil aber der tschechische Abg. Dr. Kramäf
den Moment benutzte, um auf die zu Missdeutungen
geeigneten Worte Schönerers zurückzugreifen — und
gerade das möge dem Abg. Schönerer für die Zukunft
einigermassen zur Lehre dienen, so müsse er (Der-
schatta), so sehr er es bedauere, nun auch den Abg.
Kramäf mit zwei Worten berichtigen. Der volks-
parteiliche Redner fuhr dann fort: „Abg. Kramär
betonte, die Ausführungen des Abg. Schönerer hätten
gezeigt, dass diejenigen, welche die deutsche Staats-
89
spräche wünschten, welche ein deutsches Oesterreich
wollen, die Existenz dieses Reiches als selbständiger
Staat zu untergraben suchten, und dass ein Oester-
reich mit deutscher Staatssprache neben dem grossen,
mächtigen Deutschland unmöglich sei. Mit Verlaub!
Ich glaube, wenn nicht die Gelegenheit so günstig
gewesen wäre, hätte auch Abg. Kramäf diesen Satz
nicht ausgesprochen. (Sehr richtig! links.) In Europa
und auf der Welt ist Platz genug für ein grosses
Deutsches Reich, an welchem wir auch mit allen
Fasern unseres Herzens hängen, weil es das Reich
unseres deutschen Volkes ist, und zugleich für ein
Oesterreich mit der deutschen Staatssprache. Dieses
Nebeneinanderbestehen und Zusammengehen von
Deutschland und Oesterreich, beide Staatswesen ge-
führt von ihren glorreichen Herrscherhäusern, ist für
jeden deutschnational Gesinnten im Deutschen Reiche
wie .in Oesterreich das einzig erstrebenswerthe Ziel.
Der Bund der Deutschen in Europa würde für die
Welt einen Hort des Friedens, der Arbeit, des Fort-
schrittes und des Erfolges bedeuten, wie man ihn
sich schöner nicht denken könne.
Der deutsch-fortschrittliche Abg. Funke sagte
11. a. : „Wir alle wissen, dass die deutsche Staate-
sprache im Interesse unsres grossen Reiches, im In-
teresse unsrer Monarchie gelegen ist, und dass durch
.sie die Einführung der Rechte der anderen Völker-
schaften nicht beeinträchtigt werden würde. Wir sind
deutsch, im Geiste verbündet mit unseren Brüdern
im Reich. Dieses Gefühl wird uns Niemand nehmen.
Deshalb können und werden wir jedoch stets treue
Oesterreicher sein und bleiben."
Der dem Centrum angehörende Obmann des
Budgetausschusses Abg. Dr. Kathrein erklärte u. a..
Es sind heute hier Worte gefallen, die im österrei-
chischen Parlamente noch nie gehört wurden, Worte,
mit einer Tendenz, die hier nie möglich sein sollte.
Sie verletzten uns tief und beleidigten unser patrio-
tisches Gefühl. Namens aller Oesterreicher weise ich
diese Worte mit tiefster Entrüstung zurück (Beifall
und Händeklatschen im Gentrum und rechts; Zwi-
schenrufe links und Lärm bei den Alldeutschen),
90
nicht deshalb, weil hier ein Hoch auf ein uns be-
freundetes Fürstenhaus ausgebracht wurde, sondern
weil wir Oesterreicher Alle treu' und fest zu unserm
Kaiser und zu Habsburg halten. Deshalb müssen wir
uns durch das Auftreten des Abg. Schönerer tief ge-
kränkt fühlen. (Beifall und Händeklatschen rechts ;
Lärm bei den Alldeutschen.) Ich erkläre : Wir halten
fest am Kaiserhaus und an Oesterreich I
Ueber solche skandalöse Sitzungen des oesterrei-
chischen Abgeordnetenhauses, welche von den All-
deutschen angestellt wurden, berichtete ein reichs-
deutsches Centrumblatt folgendes seinen Lesern : Die
Scenen, welche sich am Montag (22. April) im Reichs-
rathe in Wien abspielten, spotten jeder Beschreibung.
Es hagelte förmlich von „gemeiner Schurke" und
„Schuft" und „klerikaler Schafskopf" und „Hetzpfaf-
fen". Das österreichische Parlament will durchaus,
so scheint es, durch den rohen und gemeinen Gas-
senton, der dasselbe, dank der Schwäche seines
Präsidenten, terrorisirt und beherrscht, den Tiefstand
unter den europäischen Parlamenten erreichen. Das
Präsidium verharrt in olympischer Ruhe und feiert
nach dem bezeichnenden Worte Lueger's ein „Still-
leben" eigener Art. Das unwürdige Kompromiss,
welches der Präsident mit den Alldeutschen geschlos-
sen und durch welches er vor ihnen geradezu kapi-
tulirt hat, erklärt die dreiste Ueberhebung, mit welcher
diese Partei auftritt. Aber es gibt denn doch Augen-
blicke und Fälle, in welchen das Schweigen des Prä-
sidiums nicht nur zu einem groben parlamentarischen,
sondern zu einem schweren staatlichen und patrioti-
schen Vergehen wird : Abt Treuinfels hatte in der
ruhigsten und massvollsten Form die nur zu begrün-
dete Beschwerde vorgebracht, dass sich im steno-
graphischen Protokoll in einer Interpellation Stellen
fänden, die auf eine jeden Zweifel abschliessende
Weise das Verbrechen der Religionsstörung enthielten.
Von den nun folgenden Gemeinheiten, durch welche
sich Alldeutsche und Socialdemokraten zu überbieten
suchten, übersteigt besonders eine alles bisher Dage-
wesene. „Der römische Fetischismus ist keine Reli-
gion," schrie der Socialdemokrat Pernerstorfer. Und
91
der Herr Vicepräsident schwieg. Im österreichischen
Parlamente darf also die katholische Religion, die
Religion des Kaisers und seines Hauseä, die Religion
der überwiegenden Mehrheit des Volkes ungerügt be-
schimpft werden, im österreichischen Parlamente darf
das Staatsgesetz ungerügt in der gröbsten Weise ver-
letzt werden! Der Alldeutsche Stein erfrechte sich
kurz darauf, den Erzherzog Franz Ferdinand als den
„wie es heisst{!) zukünftigen Thronfolger von Oester-
reich" zu bezeichnen und ihm vorzuwerfen, dass er
sich „heute schon mit den bestehenden Gesetzen
dieses Staates in Widerspruch gesetzt habe". Und
der Herr Vicepräsident schwieg. Solche Dinge sind
in einem geordneten Staatswesen unerhört. Gott Dank
ist dergleichen bei uns undenkbar. Bei solchen Zu-
ständen kann man für Oesterreich nur wünschen,
dass sich dort endlich ein starker Arm erhebe, der
gewisse Elemente, die sich ins Parlament verirrt ha-
ben, von dort hinaus dorthin befördere, wo die Gas-
senbuben hingehören, näiiilich auf die Strasse, damit
sie von hier, wofern sich noch weiter ihren Uilfug
treiben, dorthin abgeführt werden, wo die Hoch- und
Landesverräther ihren Sitz haben.
Die „Neue Freie Presse" kann kaum ihre Genug-
thuung über diese letzten Auftritte im Reichsrathe
bemeisterri. Sie geht so weit, dem Abt Treuinfels für
dieselben verantwortlich zu machen, den „Gottesmann
von tadellosen parlamentarischen Formen". Es ge-
schehe ja so oft, bemerkt sie mit scheinheiligem Lä-
cheln, dass bei einem Brande das Zündhölzchen von
einer „behandschuhten Hand angerieben werde". Die
„Neue Freie Presse" selbst aber schürt aus Leibes-
kräften, um die Regierung zu einem energischen
Kampf gegen die Kirche aufzureizen. Schon beginnt
sie, den Boden für revolutionäre Strassendemonstra-
tionen zu bereiten. „Gewiss," so schreibt sie, „die
scharfe Auseinandersetzung mit der klerikalen Partei
und ihrer unstillbaren Herrschbegierde, die in Frank-
reich, in Spanien, in Portugal, in fast allen katholi-
schen Ländern wahrnehmbar ist, wird früher oder
später auch Oesterreich nicht erspart bleiben." Um
ihren Zweck zu erreichen, spucknäpfelt die ^Neue
92
Freie Presse" im Ministerzimmer Körber, des „bür-
gerlichen Ministers, der sich erkühnt, beinahe Erfolg
zu haben, wo die hochgeborenen Grafen den schmäh-
lichsten Bankerott haben erklären müssen".
Was die „Neue Freie Presse" mit berechneter
Lüge dem Abt Treuinfels vorgeworfen hat, das trifft
bei ihr im vollen Sinne zu : sie tritt als die „behand-
schuhte" schmeichelnde Goquette an, ist aber in
Wirklichkeit die feile Pressdirne und die jüdisch-
freimaurerische Weltrevolution ist ihre Zuhälterin. —
Der alldeutsche Abgeordnete Franco Stein hat in der
Sitzung der Delegation vom 27. Mai 1902 folgendes
ausgesprochen :
„Ich habe mich gemässigt; ich wollte auch noch
von einem Falschspielen etwas erzählen und habe
dies mit Rücksicht auf die Ermahnung des Herrn
Präsidenten unterlassen. Redner vertritt die Forde-
rungen des Linzer Programms, nach welchem das
Verhältniss zwischen Oesterreich und Ungarn durch
die Personalunion zu ersetzen, Dalmatien, Bosnien
und Herzegowina endgiltlig in Ungarn einzuverleiben
wäre und Galizien und Bukowina entweder mit Un-
garn vereinigt werden oder eine Sonderstellung er-
halten sollen, ähnlich wie Kroatien. Es ist allgemein
bekannt, dass die Ungarn nur den Zeitpunkt abwarten,
bis sie durch Einführung von Industrien von uns
unabhängig sind, um dann unnachgiebig die Perso-
nalunion durchzusetzen. Der Dualismus ist schon
stark durchlöchert. Ein Beweis dafür ist die Honv6d-
truppe mit magyarischer Arraeesprache und das Vor-
gehen Ungarns gegenüber der Volkshymne. Wenn wir
an Stelle des so schädlichen Ausgleichs mit Ungarn
ein Zollbündniss mit dem Deutschen Reiche herbei-
führen würden, würden unserer Industrie neue Ab-
sat? gebiete erschlossen werden.
Redner bekämpft die Kanonenforderung des
Kriegsministers. Das Schicksal des deutschen Volkes
in Oesterreich hängt nicht von den österreichischen
Kanonen ab, sondern von der Bestimmung des XX.
Jahrhunderts, als dem Zeitalter der nationalen Kry-
stallisation. Redner begnüge sich mit der Citirung
des Wortes: „Wenn die rechte Stunde gekommen,
9ä
wird die Thüre des Mutterhauses für die Deutsch-
österreicher weit offen stehen." Er wendet sich so-
dann gegen Dr. Kramäf, dessen Rede nichts anderes
war, als die Denuncirung einer Partei in der Dele-
gation, um etwa heute Abends beim Cercle oder bei
anderer Gelegenheit als Derjenige zu gelten, der als
der einzige in der Delegation der hochverrätherischen
alldeutschen evangelischen Bewegung entgegengetreten
ist. Was die Strassenbenennungen nach Bismarck be-
trifft, sollte dr. Kramäf nicht patriotischer sein wollen,
als der Träger der Krone, der nach Abschluss des
deutsch- österreichischen Bündnisses Bismarck den
höchsten österreichischen Orden verliehen hat. Wir
haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass für uns als
Alldeutsche die evangelische Bewegung eine politisch-
nationale ist, entstanden durch das Zusammengehen
der Gzechen mit den Klerikalen im österreichischen
Reichsrathe 1897, zu Badenis Zeit." Wie es in den
Versammlungen der Alldeutschen zugeht, darüber gibt
uns ein deutliches Bild ein Bericht der „Ostdeutschen
Rundschau", des Organs Karl Hermann Wolfs vom
4. Nov. 1902. Wir drucken ihn ab ohne Kommentar»
Alldeutsche Versammlung in Währing*
Wir haben bereits im heutigen Morgenblatte über
den glänzenden Verlauf der Versammlung berichtet»
welche gestern, einberufen vom deutschnationalen
Verein für Oesterreich, im Apollosaale in Währing
stattfand. Wohl 500 deutsche Männer füllten den
Saal bis auf das letzte Plätzchen. Die Ausführungen
sämmtlicher Redner wurden mit einmüthiger Zustim-
mung aufgenommen. In seinen einleitenden Worten
wies Abgeordneter Wolf, wie wir bereits ausführlich
mittheilten, auf das Kesseltreiben der Schönerianer
gegen ihn hin. Der stürmische Beifall, mit dem seine
Ausführungen aufgenommen wurden, kann als voll-
giltiger Beweis dafür gelten, dass die Dankbarkeit im
deutschen Volke noch nicht zum Märchen geworden
ist, trotz aller Machenschaften Jener, die sich seine
Führer zu nennen wagen. Auch die Ausführungen
des Abgeordneten Schreiter, der an der Hand eines
reichen Ziffernmateriales nachwies, mit welch' ver-
blüffender Unverschämtheit unter dem „deutsch-
94
freundlichen" Ministerium Körber die Tschechisirung
fortgesetzt wird, und die Rede des Herrn dr. Julius
Rader, des alldeutschen Landtagswahlwerbers für die
Bezirke Währing und Döbling, wurden durch reichen
Beifall gelohnt. Stürmisch begrüsst wurde der Land-
wirth Georg Schamberger, der die Wahlumtriebe der
Klerikalen in Oberösterreich schilderte. Zum Schlüsse
besprach Abgeordneter Wolf die Körber'schen Grund-
züge und wies darauf hin, dass das Heil des deut-
schen Volkes in Oesterreich ebenso wie das des
Staates nur in einem engeren Anschlüsse an das
Deutsche Reich zu finden sei. Im Folgenden berichten
wir über den Verlauf der Versammlung. Nachdem
der Schriftführer des Deutschnationalen Vereins, Herr
Ed. v. Stransky, den Vorsitz übernommen hatte, er-
griff Abgeordneter Schreiter das Wort. Redner wies
auf den schweren Kampf hin, den der deutschna-
tionale Verein zu bestehen gehabt. Man sei in der
Bekämpfung Wolfs nicht bei der Person allein ge-
blieben, sondern habe auch den deutschnationalen
Verein angegriffen. Wenn Wolf nicht eingetreten wäre,
so hätte die Partei nicht solche Erfolge zu verzeichnen
gehabt.
Heute stehe die Sache leider anders! Die
niederösterreichischen Landtagswahlen seien die erste
Quittung für den Zwist im alldeutschen Lager. Wir
dürfen aber darum nicht verzagen. Der Ausgang der
mährischen Wahlen beweist, dass unsere Partei ihre
alte Kraft noch nicht verloren hat. Sie wird wieder
wie früher yon Erfolg zu Erfolg eilen, dazu sei aber
mehr nöthig, als bloss in Versammlungen dem Redner
Beifall zu zollen. Jeder muss werkthätig eingreifen
nach seiner Kraft. Redner berührte hierauf die bren-
nendsten wirtschaftlichen Fragen : die Lage der Land-
wirthe und Gewerbetreibenden, die Invaliditäts- und
Altersversicherung, endlich unsere unvernünftige
Steuergesetzgebung. In dieser Beziehung hat das Mi-
nisterium Körber wenig oder nichts gethan; durch
die neue Wehrvorlage aber und durch die Erhöhung
der Civilliste kann dem Volke nicht geholfen werden.
(Lebhafte Zustimmung.) Neue Gewehre und Kanonen
sind oft nur dazu da, um dem sauer arbeitende^
95
Volke den Effekt kosten zu lassen, wie die Vorfälle
in Graslitz und in Galizien gezeigt haben.
Vor Schlichtung der nationalen Streitigkeiten,
führt Redner weiter aus, könne aber von einer Bes-
serung der Verhältnisse nicht die Rede sein. Wenn
man die Durchführung der deutschen Staatssprache
verlange, so sei dies eine berechtigte, mit der ge-
schichtlichen Entwicklung des Reiches übereinstim-
mende Forderung. Es müsse dahin gestrebt werden,
dass kleine Parteien verschwinden, denn Zwietracht
vernichte die Erfolge. Nur festgesqhlossen können wir
den slavischen Massen wirksam entgegentreten. Mit
Energie, Rücksichtslosigkeit und Terrorismus müssen
wir vorgehen, dann wird der Erfolg unser sein.
Redner weist durch zahlreiche Beispiele nach, wie
rein deutsche Städte und Bezirke systematisch durch
Einwanderung tschechischer Beamten zu zweispra-
chigen gemacht werden. Durch diesen Umstand seien
aber auch die deutschen Beamten schwer geschädigt.
In deutschen Sprachgebieten müssten deutsche Be-
amte angestellt werden. Man wende sich damit nicht
gegen einzelne Personen, sondern gegen das Princip.
Ginge es so fort wie bisher, so würden wir einfach
der Kulturdünger in Oesterreich sein. Redner schloss
mit den Worten : „Wir haben die heilige Verpflich-
tung, die Scholle, die .wir von unseren Vorfahren
geerbt haben, auch deutsch zu erhalten. Dahin müss
das Bestreben jedes Einzelnen gehen !" (Stürmische
Zustimmung.) Zustimmungskundgebungen waren ein-
gelaufen : von Dr. Delpin (Friedau), Abgeordneten
Dr. Tschan, Doktor Walter für die Alldeutschen in
Teplitz, aus Falkenau, Gänserndorf (Dr. Weinitschke),
Schluckenau, Haida (Frank), Mährisch-Rothwasser,
Steinschönau, Iglau, Mährisch-Neustadt (Bradatschek),
Witkowitz, Mährisch-Schönberg, Klein-Mohren (vom
Landtagsabgeordneten Zöllner namens des Landge-
meindenbezirkes Römerstadt), Linz, Zistersdorf, Polaun,
Wels, Chodau, Langenlois, Asch u. Trautenau (Schrift-
leiter Lindemayr namens der dortigen Alldeutschen).
Als nächster Redner betrat Herr dr. Rader die Tri-
büne. Es sei kein Vergnügen, sagte er, in dem christ-
lich - social verpöbelten Wien als deutschnationaler
96
Zählkandidat aufgestellt zu werden. Von dem einsti-
gen deutschnationalen Bau in Währing sei nur noch
eine zerrissene Mauer da, und diese heisse Dr. Rader.
(Heiterkeit.) Alle früheren Gesinnungsgenossen seien
ins christlich-sociale Lager gegangen, und er, der
allein ausgeharrt, der für das deutschnationale Pro-
gramm seine Existenz aufs Spiel gesetzt habe, werde
dafür von den Schönerianern beschimpft und ver-
leumdet. (Stürmische Pfuirufe.) Hätte Redner nicht
so treu an dem deutschnationalen Programm festge-
halten, so brauchte er heute nicht als Zählkandidat
dazustehen. (Zustimmung.) Es sei Dr. Lueger mit
Hilfe der Geistlichkeit gelungen, Niederösterreich kle-
rikal zu machen. Jeder Pfarrhof am Lande sei ein
politischer Organisationspunkt. Was den Christlich-
socialeh auf dem Lande zu ihren Siegen verholfen, ist
der Umstand, dass sie dort keine Gegner haben. Ihrer
geschlossenen Masse standen die „geeinten freiheit-
lichen Parteien" gegenüber, Socialdemokraten, Libe-
rale und Deutschnationale, deren Programme ein-
ander schnurstracks widersprechen. Redner bespricht
den Scheinantisemitismus der Ghristlichsocialen, mit
den sie auf Wählerfang ausgehen. Bei der nächsten
Wahl handle es sich um einen Kampf zweier An-
schauungen. Auf der einen Seite stehe der starre
dogmatische Glaube, auf der anderen Seite die Wis-
senschaft und die Freiheit. (Lebhafter Beifall.) Vor-
sitzender v. Stransky dankte mit warmen Worten
dem Redner und sagte, dass es die Pflicht eines je-
den Deutschen sei, seiner Meinung durch Abgabe
des Stimmzettels Ausdruck zu geben und dr. Rader
zu wählen, wenn auch dessen Wahl aussichtslos er-
scheine.
Unter stürmischen, anhaltenden Heilrufen wen-
dete sich der Bauernführer Schamberger an die Ver-
sammelten. Er schilderte in schlichten Worten die
traurigen klerikalen Zustände in Oberösterreich und
wies die Behauptung, die Bauern seien zu wenig
aufgeklärt, entschieden zurück. Ein Fehler sei es,
dass die Bauern an der Geistlichkeit hängen und
diese mehr achten, als sie es verdient. Er schilderte
hierauf die Agitation der Geistlichen zur Wahlzeit
91
Es müsse eine Grenze zwischen politischem und
kirchlichem Leben gezogen werden, Redner meint,
dass das ein glücklicher Staat sei, in dem der Kul-
tur glänzende Gebäude errichtet würden, aber nicht
Gefängnisse, Kasernen u. a. m. Wenn die deutsch-
nationale Partei einig wäre, dann brauchte ihr um
die Zukunft nicht zu bangen. Heil dem Deutschthum,
der deutschnationalen Sache! (Stürmischer Beifall.)
Der Vorsitzende dankt dem alten Bauern Scham-
berger, der die weite Reise nicht gescheut hat, um
an der heutigen Versammlung theilzunehmen. Auf
das schärfste sei es zu verurtheilen, dass Scham-
berger, der ein Menschenalter lang für die deutsch-
nationale Sache gekämpft habe, nun von den Schö-
nerianern beschimpft werde, weil er die Hetze gegen
Wolf nicht mitgemacht habe. (Lebhafte Zustimmung
und Heilrufe auf Schamberger.) Bürgerschullehrer
Bruche erbat sich dann das Wort und sprach über
die Landtagswahlen zu den Ausführungen des Dr.
Rader, der noch lange keine zerrissene Mauer, son-
dern ein Eckpfeiler der deutschnationalen Partei sei.
Redner fordert zu emsiger Arbeit auf, welche gewiss
ihre Erfolge zeitigen werde. Als letzter Redner be-
sprach Abgeordneter Wolf, mit lebhaften Heilrufen
begrüsst, die dem Abgeordnetenhause vom Ministe-
rium Körber vorgelegten Grundzüge. Die Regelung
der Sprachenfrage sei die wichtigste und brennendste
Angelegenheit. Hätte man nach dem Jahre 1866 und
1870 den Deutschen ihr Recht gegeben, hätte man
sich nicht auf den Standpunkt gestellt, dass die
Deutschen Oesterreichs national denaturirt werden
müssen, so wäre der Zustand der Verwirrung und
Zerrüttung nicht eingetreten, unter welchem heute
Oesterreich leidet; dann hätten wir auch im wirth-
schaftlichen Wettbewerb der Staaten unseren Mann
stellen können. Heute aber ist jede wirthschaftliche
Besserung unmöglich, so lange nicht die Sprachen-
frage gelöst ist, ehe eine grosse nationalwirthschaft-
liche Forderung der Alldeutschen zur Entscheidung
gebracht ist: die Zollunion mit dem Deutschen Reiche.
Das ist ein Ziel, des Schweisses der Edlen werth.
Unbekümmert um alle Unkenrufe von Hoch- und
98
Landesverräte wollen wir es laut sagen : Wir streben
einen engeren wirtschaftlichen Anschluss an das
Deutsche Reich an. Dieser wirtschaftliche Anschluss
wird zweifellos auch politische Folgen haben. In wel-
cher Form sich dieselben äussern werden, das können
wir aber getrost der Geschichte zur Entscheidung über-
lassen. Sicher ist, dass nur in einem solchen Anschlüsse
das Heil der Deutschen in Oesterreich gelegen ist, aber
auch das Heil der Dynastie, denn sich selbst über-
lassen wird Oesterreich über kurz oder lang in seine
Partikelchen zerfallen. (Stürmische Zustimmung.) Unter
den heutigen Verhältnissen von einer Regelung der
Sprachenfrage zu sprechen, ist Unsinn. Da kommt
Körber mit seinen Grundzügen, die für das deutsche
Volk einfach unannehmbar, die eine Verhöhnung un-
serer Forderungen sind. Und doch darf man den
Ministerpräsidenten deshalb nicht übermässig tadeln.
Denn er hat ja nichts anderes gethan, als jene Grund-
sätze hervorgeholt, welche einige deutsche Parteien
selber in dem sogenannten „Pfingstprogramm" auf-
gestellt haben. Die Verfasser des Pfingst program mes,
welche an die Stelle der Staatssprache den Schatten
einer Vermittlungssprache setzen, welche den Tsche-
chen die innere tschechische Staatssprache auf dem
Präsentirteller entgegenbrachten, sie müssen für das
verantwortlich gemacht werden, was jetzt geschieht.
Redner bespricht dann die einzelnen Bestimmungen
der Grundzüge, durch welche der Tschechisirung erst
recht Thür und Thor geöffnet würde. Wagt man es
doch schon heute, das ganze Gebiet von Mähren für
zweisprachig zu erklären. Mögen die einzelnen Parla-
mentarier über solche Grundsätze verhandeln, das
deutsche Volk weist sie weit von sich. Wir wollen
geschlossen für einen engeren Anschluss an das
Deutsche Reich eintreten. Diesen Grundsatz wollen
wir mit aller Macht verfechten, und an ihm wird die
Macht des Slaventhums zerschellen. (Stürmischer,
langanhaltender Beifall.)
Wir haben an diesen Aussprüchen der alldeut-
schen Abgeordneten einen hinreichenden Beweis ihrer
Gesinnung erbracht. Der alldeutsche Gedanke ist in
Oesterreich schon zu einem bedeutenden Faktor ge-
99
worden. Mitte Jäner 1902 kam Prinz Adalbert v. Preussen
auf dem Schulschiff „Charlotte" nachTriest. Es wurde
ein Diner auf dem Schiffe gegeben, zu dem der Stalt-
halter Istriens Graf Goess erschien. Ein reichsdeut-
sches Blatt berichtet darüber folgendes.
Bei dem Diner hielt der Staathalter Graf Goess
eine Rede, in welcher er seiner Freude darüber Aus-
druck gab, das deutsche Schulschiff „Charlotte" an
dem Theile der österreichischen Küste begrüssen zu
können, welcher für die Entstehung und Entwickelung
der maritimen Stellung der österreichisch-ungarischen
Monarchie besondere Bedeutung habe. Der Redner
erinnerte daran, dass man in diesen Tagen mit den
Arbeiten begonnen habe, welche den dreifachen mächti-
gen Gebirgswall der Tauern, Karawanken und Juli-
schen Alpen durchbrechen und Triest in wenigen
Jahren dem betriebsamen Norden der Monarchie und
dem Deutschen Reiche um vieles näher bringen werden,
und sprach die Hoffnung aus, dass damit ein neues
Band in den vielfachen Wechselbeziehungen Oester-
reich-Ungarns und Deutschlands geflochten werden
möge. Als Glück verheissendes Zeichen gelte ihm,
dass gerade zu dieser Zeit das Deutsche Reich das
kaiserliche Schiff mit dem erlauchten jugendlichen
Sprossen seines Kaiserhauses nach Triest enl sendet
habe. Der Statthalter fuhr dann fort: „Die Hoffnung
auf die Zukunft ist das unveräusserliche und natür-
liche Recht der Jugend. Auch vor Euerer königlichen
Hoheit liegt vielverheissend die ganze Zukunft eines
thatenretchen Lebens, verbürgt durch die grosse Auf-
gabe der kaiserlich deutschen Kriegsmarine. Wenn,
wie wir hoffen, dieser hohe Beruf Euere königliche
Hoheit dereinst im Zenithe des Lebens stehend wieder
an diese Küste führen sollte, dann mögen Euere kö-
nigliche Hoheit diese Stadt als mächtig entwickeltes
Emporium und in demselben Masse als werlhvollen
Bestandtheil seines Handelsstnndes die deutsche Ko-
lonie in reicher Blüthe wiederfinden. Wir aber wün-
schen Eurer königlichen Hoheit aus ganzem Herzen
im reichsten Masse Glück und Erfolg auf dem Lebens-
wege zur Freude Eurer königlichen Hoheit erhabenen
Eltern und zum Glänze und Ruhme des der öster-
100
reichisch-ungarischen Monarchie eng verbündeten
Reiches." Der Redner schloss mit einem Hoch auf
den deutschen Kaiser, die deutsche Kaiserin und den
Prinzen Adalbert. Man sollte glauben, dass Statthalter
Graf Goess darüber Freude empfinde, dass durch den
Bau der Tauernbahn Bismarck's Pläne um Oester-
reich sehr erleichtert sind. Einen anderen Blick über
das Eindringen des grossdeutschen Gedankens nach
Oesterreich gewährt uns die Zusammenkunft der deut-
schen Naturforscher in Karlsbad, abgehalten im J. 1902.
Das Organ der prager Juden das „Prager Tagblatt*
Hess am 21. September 1902 einen Leitartikel los,
aus dem wir folgendes reproduciren. Wo immer
bisher die Naturforscher tagten, wurden sie namens
der Regierung willkommen geheissen, und der ehe-
malige Universitätsprofessor und jetzige österreichische
Unterrichtsminister Dr. v. Hartel wird es sich nicht
nehmen lassen, die deutschen Gelehrten in Karlsbad
im Namen Oesterreichs zu begrüssen. Sie werden sich
bei uns zu Hause fühlen. Was bei der Nürnberger
Feier der schweizerische Professor Vetter von der
Schweiz sagte, das gilt von Böhmen in noch höherem
Grade. Böhmen ist eine deutsche Provinz und noch
dazu ohne geistiges Reservatrecht. Vor 55 und vor 40
Jahren war sie es ja auch noch politisch; geistig ist
sie es noch heute, denn der deutsche Stamm, der
Böhmen bewohnt, steht in regstem und untrennbar-
stem Zusammenhang mit dem deutschen Geistesleben.
Da macht ein Pressjude mit einigen Federstrichen
aus dem Königreich Böhmen kurzweg eine deutsche
Provinz. Auf dem Festbanket sprach Hofrath Ghiari,
Universitätsprofessor in Prag, folgendes : Der heutige
Kongress ist seitens der Kollegen aus dem Deutschen
Reiche äusserst zahlreich besucht ; diese haben damit
unwiderleglich und klar dargethan, dass die Deutschen
im Deutschen Reiche und die Deutschen in Oester-
reich in wissenschaftlicher Hinsicht ein zusammen-
gehöriges und untrennbares Ganzes bilden. (Demon-
strativer Beifall.) Diese Thatsache ist für uns äusserst
erfreulich. Wenn irgendwo, so sind auf dem Gebiete
der Wissenschaft die innigsten Wechselbeziehungen
zwischen den einzelnen Forschern von Nah und Fern
101
von der höchsten Wichtigkeit. Wir in Oesterreich
empfinden die Summe von Anregung, welche wir der
Unermüdlichkeit der Kollegen im deutschen Reiche
verdanken, und wir sind bemüht, nach besten Kräften
mitzuwirken an der Entwicklung deutscher Wissen-
schaft, wohl wissend, dass wir als treue Bürger unse-
res geliebten Vaterlandes auf diese Art dem Vater-
lande den besten Dienst erweisen. (Stürmischer Bei-
fall.) Dieser Punkt ist ein geistiger, er ist ein schöner
Punkt, und entspricht gewiss den Intentionen der
beiden erhabenen Monarchen, welche sich als wahre
Friedensfürsten erwiesen und die kulturelle Hebung
ihrer Unterthanen stets und unentwegt aufrecht er-
halten haben. Ich bringe meinen Toast auf das Wohl
der erhabenen Majestät des deutschen Reiches, den
deutschen Kaiser, welcher, bewundert von der ganzen
Welt, mit unerreichter Universalität und Thatkraft, mit
wahrer Mannes-Energie sich stets als ein unerreichter
Mäcen der Wissenschaft erwiesen hat und unter dessen
weisen Führung in Deutschland sowie auf vielen an-
deren Gebieten, auch auf dem Gebiete der Wissen-
schaft, die Deutschen zu einer führenden Rolle in der
Welt gekommen sind. So stimmen Sie mit mir denn
ein in den Ruf: „Se. geheiligte Majestät der deutsche
Kaiser Wilhelm II. lebe hoch !" (Die Versammlung
brachte ein dreimaliges begeistertes Hoch aus, worauf
„Heil dir im Siegerkranz !u von den Anwesenden ste-
hend mitgesungen wurde.) Hierauf ergriff der Direktor
der elektrotechnischen Lehranstalt in Hamburg, Pro-
fessor Voller, das Wort und sagte unter Anderem :
„Die Deutschen kämpfen in Oesterreich derzeit einen
schweren Kampf um ihre nationale Stellung. Unsere
Pflicht ist es, sie in demselben voll zu unterstützen,
da wir mit dafür sorgen müssen, dass die Deutschen
in Oesterreich für sich und ihre Kindeskinder das er-
erbte Gut bewahren. Auf freiem deutschen Lande mögen
auch in Zukunft die freien Deutschen, die deutsche
Wissenschaft und die deutsche Kultur hochhalten und
ein deutscher Stamm möge stets die österreichi-
schen Lande regieren." Der Redner sagte zum Schlüsse :
„Wenn wir hier durch die Strassen gezogen und die
schwarz-roth-goldenen Fahnen von den Giebeln wehen
102
saben, fühlten wir, dass wir in deutschen Landen
sind." Der Redner trank auf die deutschen Naturfor-
scher. Die Kapelle intonirte hierauf das „Deutsche
Lied", welches von der Gesammtheit mit heller Be-
geisterung mitgesungen wurde. Es folgte noch eine
Reihe von Toasten, worauf das Festbankett in vor-
gerückter Stunde sein Ende nahm.
Der österreichische Unterrichtsminister von Hartel
Hess sich folgendem! assen hören : „Empfangen Sie
meinen herzlichsten Dank für Ihre ehrenvolle Ein-
ladung zu dieser Versammlung, welche durch die vor-
bildliche Bedeutung für die gelehrten Verhandlungen
dieser Art, durch die so lange Dauer ihres Bestandes,
durch den grossen Werth und den weittragenden Ein-
fluss ihrer Arbeiten, durch den hohen Ruf ihrer Theil-
nehmer aus allen Gauen Deutschlands und Oesler-
reichs unter den wissenschaftlichen Kongressen der
Neuzeit sich mit Recht des höchsten Ansehens erfreut.
Aber es ist nicht bloss mein persönlicher Dank, den
ich für Ihre Einladung und freundliche Begrüssung
ausgebracht haben wollte. Ich bin glücklich, Sie als
Vertreter der österreichischen Regierung und derzei-
tiger Chef der Unterrichtsverwaltung begrüssenund für
Ihr so zahlreiches Erscheinen an diesem Orte danken
zu dürfen. Die Wahl des Ortes war eine fördersame
Ehrung der Stadt Karlsbad, die, von der Mutter Natur
ausgestattet wie kaum eine andere, dem Naturforscher
dankbare Aufgaben stellt und die Kunst des Arztes
durch die geheimnissvolle Wunderkraft ihrer Heil-
quellen unterstützt und fördert. In der Wahl dieses
Versammlungsortes liegt zugleich eine aufmunternde
Anerkennung der Bestrebungen ihrer österreichischen
Fachs?enossen, die sich jenes durch keinerlei Landes-
grenzen auflösbaren kulturellen Zusammenhanges be-
wusst werden, wenn dessen Grösse und Bedeutung,
der Werth jedes einzelnen Gliedes dieses Kreises und
seiner Leistungen mitbestimmt und mitbedingt wird.
Seien Sie uns darum doppelt willkommen in dieser
herrlichen Stadt, dieser Perle österreichischer Lande.
Wir wissen aber abgesehen davon die Vortheile
ihrer Kongresse gar wohl zu schätzen. Dies scheint
nämlich das eigentümlichste Kennzeichen des wissen-
loa
schaftlichen, wie des wirthschaftlichen Lebens unserer
Zeit : die Verbindung vereinzelter Kräfte zu gemein-
samen Handeln, die Vereinigung zersplitterter Mittel
zur Erreichung solcher gemeinsamer Ziele. Während
früher solchen Zwecken in den einzelnen Ländern
Universitäten und Akademien vollauf zu genügen
schienen, verbinden sich jetzt die Akademien nicht
bloss eines Staates oder einer Nation, sondern immer
mehr die gelehrten Gesellschaften der wichtigsten
Kulturstaaten mit einander und legen ihre Mittel zu-
sammen, um nach wohlüberlegten Plänen an Unter-
nehmungen heranzutreten, die ehedem mit Aussicht
auf einen sicheren oder raschen Erfolg nie oder theil-
weise in Angriff genommen werden konnten" u. s. w.
Ueber die Rede des Unterrichtsministers Hartel
hatte die „Neue Freie Presse" eine unbändige Freude.
Sie schrieb : Es war vorauszusehen, dass auf dem
Karlsbader Kongresse auch die Politik, welche nur
ein Ausdrucksmittel für den Darwinschen Kampf ums
Dasein ist, zu Worte kommen werde. Dass aber der
Unterrichtsminister selbst die Bedeutung der gemein-
samen geistigen Arbeit der Deutsch-Oesterreicher und
der Reichsdeutschen hervorheben, dass er in Gegen-
wart seines Ministerkollegen aus Preussen des grossen,
durch keinerlei Landesgrenzen auflösbaren kulturellen
und nationalen Zusammenhanges gedenken werde,
das war eine freudige Ueberraschung, auf welche
keiner der zweitausend Deutschen, welche sich dies-
mal zu wissenschaftlicher Arbeit vereinigt haben, ge-
fasst sein konnte. Der Jubel, welchen diese Worte
unseres Ministers entfesselten, bewies, dass Hofrath
v. Hartel die Wahrheit gesprochen hatte. Der Minister
gedachte auch der vorurteilsfreien Wissenschaft, er
sprach in der österreichischen Goethe- Stadt von Goethe :
„Im Geiste dieses Mannes mögen Sie Ihre Berathun-
gen beginnen, und zum Wohle der Menschheit, zur
Ehre der Wissenschaft zu Ende führen." — Man sollte
doch glauben, dass die Presshebräer in der Fichtegasse
durchwegs ausgediente preussiche Leibhussaren sind
und eine fette Pension aus Berlin beziehen.
Als im Jahre 1898 polnische Aerzte einen solchen
Tag nach Breslau beriefen, verbot die proussische
104
Regierung die Theilnahme an ihm böhmischen und
polnischen Aerzten aus Böhmen, Mähren etc., und
drohte, falls jemand doch käme, ihn mit Gewalt über
die Grenze zu eskortiren. So der preussiche „Kultur-
staat".
Die alldeutsche Propaganda stört schon seit langer
Reihe von Jahren auch sehr bedenklich innere Ver-
hältnisse mitten in Wien selbst. Als das Ministerium
Thun in Wirksamkeit war, hatte der Ministerpräsident
Graf Franz Thun als wahrer österreichischer Patriot
den Muth im Parlament öffentlich zu sagen, dass seine
Regierung reichsdeutsche Angehörige in ihre Heimat
verweisen werde, wenn Preussen fortfährt ohne jede
Rücksicht Arbeiter, österreichische Unterthanen, aus
Deutschland zu verweisen. Auf dieses hin begann das
Quertreiben des deutschen Botschafters Fürsten Eulen -
bürg. Ein reichsdeutsches Blatt schrieb darüber 11.
September 1901 folgendes. „Wie bekannt, fand die
Thätigkeit des Fürsten Eulenburg in Wien ihren Höhe-
punkt während der grossen inneren Krisis von der
Oesterreich unter dem Ministerium Thun heimgesucht
war. Trübes Gewölk zog damals über den Dreibund
herauf; die Tschechen arbeiteten gegen die Allianz
mit Deutschland und ihr Führer Kramarz verglich
den Dreibund mit einem überspielten Klavier. Es schien,
als ob das officielle Oesterreich sich in diese Treibe-
reien hineinziehen lasse; man errinert sich der Ant-
wort, die Graf Thun auf die Interpelation betreffend
die Ausweisung von österreichischen Slaven aus Preus-
sen gab. Damals musste Fürst Eulenburg in Wien
unverhohlen die Besorgniss äussern, dass bei dem
Siege der slavischen Richtung in Oesterreich der Drei-
bund in Gefahr käme, aber er durfte nicht den Ver-
dacht erwecken, als ob er das diplomatische Gebiet
verlassen und sich in die inneren Verhältnisse Oester-
reichs einmischen wolle. Es war nicht eben leicht,
diese Linie einzuhalten. Damals erfuhr Eulenburg von
Seiten der Tschechen in der Presse sowohl wie in
der Delegation bissige Angriffe und diese seine Gegner
suchten seine Stellung in Wien dadurch zu untergra-
ben, dass sie ihn als die entscheidende Person in den
inneren Wirren behandelten. Die Korrektheit, mit der
105
der Botschaflei sich seiner Aufgabe entledigte, be-
wirkte, dass er auch nicht einen Augenblick aufhörte,
am Wiener Hofe persona gratissima zu sein ; so schlecht
Graf Thun auf ihn zu sprechen war, so konnte der
damalige Ministerpräsident das Ansehen seines wirk-
lichen oder vermeintlichen Widersachers doch nicht
erschüttern. Der Botschafter Graf Eulenburg in Wien
und Hr. v. Szögyeny in Berlin theilen sich in die
Arbeit, die Reibungen zu vermindern, die dann mit
dem Falle des slavisch-feudalen Regiments in Oester-
reich aufhörten. Zu Weihnachten 1899 schickte Kaiser
Wilhelm Hr. v. Szögyeny sein Bild und der Adjutant,
der es überbrachte, hatte es mit den Worten zu über-
reichen : „Trotz der Interpelationsbeantwortung durch
den Grafen Thun.u Wer den Dreibund zu festigen
wünscht, sollte diese inneren Zusammenhänge kennen
und nicht vergessen, welche Rolle Fürst Eulenburg
in jenen Verwicklungen spielte. Es werden wieder
einmal Tage kommen, da der deutschen Botschaft in
Wien schwierige Aufgaben erwachsen werden, und
es wäre zu wünschen, dass sie mit demselben Glücke
entwirrt werden, wie seinerzeit durch den damaligen
Grafen, jetzigen Fürsten Eulenburg." — Diesen Bericht
hat offenbar ein Pressjude aus Wien abgeschickt. Er
spricht mehr als deutlich über die Wirksamkeit des
deutschen Botschafters. Ja reichsdeutsche Blätter kon-
trolirten ihn derart, dass sie dem Botschafter Vorwürfe
machten, wenn er nicht ständig auf seinem Wach-
posten in Wien stand Hat ja gegen diesen Botschafter
nicht allein Graf Thun, sondern sein Vorgänger Graf
Taaflfe beim Kaiser selbst sich öfters beschweren müs-
sen. Aus dem Palais des Botschafters Fürst Eulen-
burg wurden alle gehässige Angriffe gegen Oesterreich
in die dienstbaren reichsdeutschen Blätter geschickt, die
dann von der jüdischen Pressreptilien in Wien mit
grossem Nachdrucke abgedruckt wurden. Der Haupt-
ablagerungsplatz dieser Eulenburg' sehen Angriffe gegen
Oesterreich war die „Köln. Zeitung." Fürst Eulenburg
forderte direkt vom österreichischen Monarchen im
Namen des deutschen Kaisers, seines Souverains, Ent-
lasung des Ministerium Thun. Eulenburg selbst brü-
stete sich dann in der „Münchener Allgemeiner", dass
106
er das Ministerium Thun zu Falle gebracht habe.
Um diesen Vertreter Deutschlands in Wien grup-
pierten sich heimlich und offen alldeutsche Agitatoren
aus dem österreichischen Parlament. Welche Angst
in Wien herrschst, wenn in Oesterreich ein wahres
Wort über Preussen fällt, ersehen wir aus dem offi-
ciellen „Fremdenblatt". Nach den furchtbaren Scenen
in Wreschen hat im galizischen Landtag Fürst Czar-
toryski seinen Abscheu über die Misshandlung der pol-
nischen Schulkinder ausgesprochen. Das officiöse
„Fremdenblatt" schrieb darüber aus Angst vor Berlin
folgendes. (Anfangs Jänner 1902.) „Es wäre besser
gewesen, wenn im galizischen Landtage Fürst Czar-
toryski die vor dem Eingang in die Tagesordnung
von ihm abgegebene Erklärung unterlassen hätte, da
dieselbe dem Wirkungskreise des Landtages nicht ge-
mäss war. Wenn der Vertreter der Regierung trotz-
dem keine Einsprache erhob, so entsprang sein Ver-
halten nur dem Wunsche, der Angelegenheit dadurch
nicht zu einer grösseren Ausdehnung zu verhelfen und
dieselbe möglichst einfach und klanglos zu Ende zu
führen. Den beiden Regierungen haben wir es zu
danken, wenn das Ueberschäumen der Wreschener
Affaire auf dem österreichischen Boden und das An-
schlagen derselben sowohl im österreichischen Abge-
ordnetenhause wie im galizischen Landtage keinen
Augenblick lang jene Beziehungen tangiren konnten,
die zwischen unserer Monarchie und der deutschen
verbündeten, sowie zwischen den beiderseitigen Re-
gierungen bestehen, Man darf wohl sagen, dass die
Wreschener Affäre noch rechtzeitig von jenem klaren
Fahrwasser abgeleitet wurde, auf dem sich die Poli-
tik der beiden verbündeten Staaten mit voller Sicher-
heit bewegt. Der Artikel schliesst: „Es ist neuerlich
der Beweis erbracht, dass es bei der Innigkeit der
beiderseitigen Beziehungen zwischen Oesterreich-Un-
garn und Deutschland keine Zwischenfälle geben kann,
die eine Schwierigkeit bereiten können, oder deren
plötzliches Auftauchen zu fürchten wäre. Die stärkste
Wurzel des Bunde?gefühles in beiden Staaten ruht
darin, dass jeder Theil in seinem Hause Herr ist."
Wenn nur der letzte Satz wahr wäre wenigstens
107
für Oesterreich ! Ganz anders geberdet sich der berliner
Pressjude Mosse in seinem Organ über die Thun'sche
Antwort auf die Ausweisungen österreichischer Unter-
thanen aus Deutschland. Er schreibt : Dreissig Jahre
nach der Begründung des neuen Deutschen Reiches,
schlechthin, müssen wir merkwürdige Dinge erleben.
Einige an und für sich ganz unbedeutende Verwal-
tungsangelegenheiten, einige richterliche Erkenntnisse
werden dazu benutzt, um in fremden Volksvertre-
tungen in einer Weise erörtert zu werden, wie sie
glücklicherweise zu den seltenen parlamentarischen
Vorkommnissen gehört. Mit welch einem Rechte
aber ziehen die Herren in der Lemberger Landboten-
stube oder im Wiener Reichsrathe innere preussische
Angelegenheiten vor ihr Forum ? Welch einen Beruf,
wtlch eine staatsrechtliche Befugniss haben die ge-
nannten Herren, sich in unsere Angelegenheiten zu
mischen? Welch einen Lärm würden wohl Franzosen,
Italiener, Holländer, Belgier, Engländer erheben, wenn
etwaige innerpolitische Angelegenheiten dieser eben
genannten Nationen (die Fälle sind sehr leicht denk-
bar) in unserem preussichen Abgeordnetenhause oder
im deutschen Reichstage erörtert werden würden ?
Wahrscheinlich würde seitens der parlamentarischen
Geschäftsleitung bei uns jeder derartige Versuch eines
Uebergriffs in die inneren Angelegenheiten eines frem-
den Staatswesens sofort zurückgewiesen, sofort im
Keime erstickt werden. Es ist eben nicht deutsche
Art, sich in die Angelegenheiten fremder Staaten ohne
die allerzwingendste Notwendigkeit einzumischen.
Dafür haben wir aber auch in Deutschland das un-
bedingte Recht, von unseren Nachbarn die gleiche
Rücksicht zu verlangen.
Die Regierungen, das heisst die amtlichen Voll-
zugsorgane der Völker, werden ja freilich den formellen
internationalen Verpflichtungen nicht untreu werden.
Allein bei gewissen Volksvertretungen tritt jetzt die
fatale Neigung zu Tage, sich mit unseren inneren
Angelegenheiten zu beschäftigen, die europäische öffent-
liche Meinung gegen uns mobil zumachen. Wenngleich
derartige parlamentarische Scharmützel noch lange
keine wirklichen Kriegserklärungen bedeuten, so sind
108
sie andererseits doch sehr dazu geeignet, die fried-
lichen Beziehungen der Völker zu einander auf das
empfindlichste zu beeinträchtigen. Diesen höchst un-
liebsamen Störern des öffentlichen Friedens gilt es bei
Zeiten ein lautes, Achtung gebietendes „Halt!" ent-
gegenzurufen. Lasst, ihr Herren in Lemberg und in
Wien, die Hände davon ! 's sind Nesseln daran ! Das
deutsche Volk ist unerbittlich gewillt, Herr innerhalb
seiner Reichsgrenzen zu bleiben und zwar unbeding-
ter Herr und jedweden Einmischungs versuch in seine
inneren Angelegenheiten mit der seinem Wesen eige-
nen Ruhe und Besonnenheit, aber auch mit der gleich-
falls seinem Wesen eigenthümlichen Entschiedenheit
und Rücksichtslosigkeit — wenn's sein müsste — zu-
rückzuweisen. Auch für Deutschland gilt der aus
der Monroedoktrin abgeleitete praktische Folgesatz :
„Deutschland den Deutschen!" Das sollen sich ge-
wisse Friedensstörer in Lemberg, in Wien und sonst
noch wo sehr genau merken. Je entschiedener die
öffentliche Meinung Deutschlands sich in diesem Sinne
der auch für uns giltigen Monroedoktrin äussert, je
entschlossener sie sich nach dieser Richtung hin
kundgibt, desto rascher werden jene Einmischungs-
versuche seitens Unberufener verschwinden, desto
rascher werden die unliebsamen Wirkungen solch
unvorsichtigen Treibens wieder verblassen. Werden
jene Friedensstörer sich erst der unübersehbaren
Folgen ihres unverantvortlichen Handelns bewusst,
beginnen sie sich über die ungeheure moralische
Tragweite des Satzes klar zu werden : „Deutschland
den Deutschen!" — dann werden sie schon ganz von
selbst auf die Wiederholung ähnlicher thörichter Ein-
mischungsversuche in Deutschlands innere Angelegen-
heiten Verzicht leisten. Denn an derThatsache ist in
alle Ewigkeit nichts zu ändern : „Deutschland den
Deutschen !"
Das klingt anders, als im officiösen „Fremden-
blatt" in Wien. Man sieht, die Pressjuden in Berlin
bedienen den preussischen Hof viel besser als die
Pressjuden in Wien die österreichische Regierung.
Merkwürdig ist nur dabei das, dass diese Pressjuden
in die Welt rufen, Deutschland müsse nur Deutschen
109
gehören, aber den freien Einzug der gefährlichsten
Individuen, der Juden, dabei mit gänzlichem Still-
schweigen behandeln.
VIII. Oesterreichs Nationalitäten.
Die Lage des habsburgischen Reiches ist von der
göttlichen Vorsehung dazu geschaffen, um den zahl-
reichen kleineren Völkern ein Heim zu bereiten. Wäh-
rend in den europäischen Weststaaten eine Nation
ein numerisches Uebergewicht aufzuweisen hat, so
dass man hier von Nationalstaaten sprechen kann,
hat innerhalb der österreichisch-ungarischen Mon-
archie keine Nation ein derartig numerisches Ueber-
gewicht, dass hier von einem Nationalstaat im Sinne
Mazzini's, Cavour's, Bismarck's und Bülow's gespro-
chen werden kann. Die unselige Lehre vom reinen
Nationalstaate hat dem habsburgischen Reiche schon
derartig schwere Wunden geschlagen, dass doch die
Regierungsmänner Oesterreichs nur ein wenig in die
Geschichte dieses Reiches zurückschauen brauchen,
um zu erkennen, dass die römisch-heidnische Lehre
vom reinen Nationalstaate auf Oesterreich keine An-
wendung finden darf. Welches Unglück hat doch
die josephinische Zeit über Oesterreich gebracht!
Damals arbeitete der ganze staatliche bürokratische
Apparat dahin, um die Monarchie zu einem centra-
lisirten deutschen Nationalstaate umzuwandeln. Aber
das Gegentheil wurde erreicht. Die bürokratische
Staatsmaschine bemühte sich auch die Kirche diesem
Zwecke dienstbar zu machen. Die Orgien der jose-
phinischen Aufklärung Hessen denn auch die trau-
rigsten Spuren hinter sich. Die josephinische Regie-
rungszeit gab den heutigen Juden den Grundstock
zu ihrem ungeheueren Reichthum, über den sie heute
verfügen. Wie die Bürokraten in der Kirche wirtschaf-
teten, ebenso machten sie es im Bereiche der Regie-
rung über die Völker des österreichischen Staates.
Und heute scheint die Weisheit gewisser Hofräthe
in Wien nicht anders geworden zu sein, sie können
Oesterreich nicht regieren, ohne ihre „Weisheit" alle
Tage aus den Spalten eines Judenblattes, vor allem
110
der „Neuen Freien Presse" zu schöpfen. Oesterreichs
Nationalitäten bieten nach den Ergebnissen der ofi-
ciellen Statistik folgende Zahlengruppen dar. Wir
behalten die Zählung nach den beiden Reichshälften.
In der österreichischen Reichshälfte waren ge-
zählt :
Jahr 1857 1890 1900
Deutsche 6,042.347 8,461.997 9,167.898
Gzechoslaven .... 4,385.010 5,473.578 5,959.825
Polen 2,117.148 3,726.827 4,260.961
Ruthenen 2,273.719 3,101.497 3,343.323
Slovenen 1,081.862 1,176.535 1,192.750
Serbo-Kroaten . . . 424.431 644.769 711.439
Italiener 483.891 674.701 727.084
Rumänen 175.679 209.026 230.962
Dazu gehören noch Magyaren in der Bukowina,
die im J. 1857 auf 7400 und 1W0 auf 9 >12 angegeben
werden. Hiemit haben wir die Hauptgruppen nach der
oficiellen Zählung angegeben. Leidei existirt in Oester-
reich keine andere Zählung als wie sie von der sta-
tistischen Kommission in Wien vorgenommen wird.
Dass diese Zählungen nicht verlässlich sind, darüber
wurden schon sehr oft Beschwerden eingebracht. Zuerst
müssen wir auf einen Kniff dieser Kommission auf-
merksam machen. Anstatt den richtigen Begriff „Na-
tionalität" führte die Kommission den Begriff Um-
gangssprache ein. Die Absicht ist sehr durchsichtig,
man hat damit sämmtliche Nichtdeutsche, welche
unter den Deutschen wohnen, zur deutsehen Um-
gangssprache oficiell kommandirt, um damit Oester-
reich den deutschen Charakter wenigstens auf dem Pa-
piere zu behaupten. Nach der Tabelle ist denn auch die
deutsche Umgangssprache gewaltig angewachsen, keine
andere Gruppe weist einen solchen numerischen Zu-
wachs auf. Aber es ist dabei hervorzuheben, dass im
Jahre 1857 die Juden als eine separate Nationalität
angeführt sind, während sie später nicht mehr anzu-
treffen sind, als nur in der Rubrik Konfession. Im
Jahre 1857 waren im heutigen Oesterreich Juden
620.996. im Jahre 1900 aber 1,224.708.- Da sich die
Juden erfahrungsgemäss zu der deutschen Umgangs-
sprache melden mindenstens zu 80 Procent, ist also
111
von den Deutschen des Jahres 1900 in Oesterreich
3/4 Million Juden in Abschlag zu bringen und dann
mindestens ein halbe Million Slaven, welche officiell
zu der deutschen Umgangssprache auf dem Papiere
zugeschlagen wurden. Die faktische Zahl der Deutschen
arischer Abstammung im Jahre 1900 in Oesterreich
wird kaum die Zahl ll/2 Millionen erreichen. Gehen
wir nun zu der detaillirten Rechnung über. Darnach
waren die Nationalitäten auf die einzelnen Kronländer
folgendermassen vertheilt.
Niederösterreich.
Jahr
1857
1900
Deutsche
1,341.770
2,711.418
Czechoslaven
12.270
135.477
Juden
6.949
157.248
Oberösti
ärreich.
Jabr
1857
1900
Deutsche
688.290
795.565
Czechoslaven
3.527
Juden
4
1.280
Salzburj
!>•
Jahr
1857
1900
Deutsche
140.197
185.694
Czechoslaven
548
Juden
199
Steiermark.
Jahr
1857
1900
Deutsche
640.866
902.424
Slovenen
369.246
409.449
Juden
6
2.283
Kärnten
Jahr
1857
1900
Deutsche
231 558
269.971
Slovenen
92 767
90.497
Juden
212
Krain.
Jahr
1857
1900
Deutsche
29.783
28.177
Slovenen
421398
475.304
Juden
145
Küstenl
and.
Jahr Deutsche
Slovenen
Serben u.
Kroaten
Italiener
1857 8.150
1900 19.454
198.451
212.978
132.591
143.602
113.486
334.152
Juden
3.713
5.534
112
Tirol und Vorarlberg.
Jahr Deutsche Italiener Juden
1857 525.092 325.415 548
1900 573.156 373.909 1.125
Böhmen.
Jahr Czechoslaven Deutsche Juden
1857 2,925.982 1,766.372 86.339
1900 3,930.071 2,337.044 92.806
Mähren
Jahr Czechoslaven Deutsche Juden
18o7 1,351.982 483.518 41.529
1900 1,728.130 674.740 44.255
Schlesien.
Jahr Czechoslaven Deutsche Polen Juden
1857 92.326 234.843 133.602 3.280
1900 146.362 296.571 220.375 11.988
Galizien.
Jahr Polen Ruthenen Deutsche Juden
1857 1,981.076 2,085.431 114.293 448.973
1900 3,990.621 3,042.199 211.941 811.149
Bukowina.
Jahr Deutsche Ruthenen Rumänen Juden
1857 37.855 188.288 175.679 29.887
1900 159.477 217.809 229.024 96.156
Dalmatien.
Jahr Serbokroaten Italiener Juden
1857 369.310 45.000 318
1900 565.329 15.240 334
Die officielleJStatistik gibt weiter folgende Zah-
len an.
Vom J. 1890-1900 Zunahme Percentea
Deutsch 709.359 8'38
Gzechoslavisch 482.526 8'82
Polnisch 539.920 1452
Ruthenisch 270.355 8*71
Slovenisch 16.108 1-37
Serbo-kroatisch 66.454 10*30
Italienisch 51.797 767
Rumänisch 21.853 10-45
113
Das absolute Verhältniss der Nationalitäten in
den Ländern der böhmischen Krone gibt die officielle
Statistik folgendermassen an:
Deutsch
Böhmen Mähren Schlesien
1890 2,159.011 664.168 281.555
1900 2,337.013 675.492 296.571
Zunahme in Percenten
824 1-7 5-33
Czechoslavisch
Böhmen Mähren Schlesien
1890 3,644.188 1,590.513 129.814
1900 3,930.093 1,727.270 146.255
Zunahme in Percenten
785 8-6 1267
Sehr auffallend ist der Vergleich der percen-
tuellen Zunahme der deutschen Umgangssprache in
den einzelnen Kronländern.
Es zeichneten
Deutsche £e™entuelle
üsmn?aachgr ÄlS,
spräche überhaupt *
Nieder-Oesterreich .... 14-78 1600
Ober-Oesterreich 2*97 3-04
Salzburg 10'56 10-60
Steiermark 6-42 5 07
Kärnten 6-02 1-37
Krain 051 1-76
Triest . . ...... 24-95 H'52
Görz u. Gradiska 60*73 6-40
Istrien 1986 8*37
Tirol 536 4-10
Vorarlberg 671 9-47
Böhmen 8-24 8-06
Mähren 1-70 7-05
Schlesien 5-33 12-00
Galizien 6-96 10-73
Bukovina 19-46 12 61
Dalmatien 13*82 12-22
Diese percentuale Tabelle ist sehr wichtig. Mit
ihrer Veröffentlichung hat die officielle Statistik den
8
114
Deutschen in Oesterreich einen sehr schlechten Dienst
erwiesen. An ihr sehen wir das klare Bild der na-
tionalen Massenmorde, wie sie zu Gunsten des deut-
schen Elementes bei der Volkszählung vorgenommen
werden. Man vergleiche doch die Alpenländer, wo
der Sprachenstreit weniger vortritt, wo also reinere
deutsche Gebiete sind, wie z. B. Ober-Oesterreich.
Da ist die Zunahme der Bevölkerung 3 Percent
und die Zunahme der deutschen Umgangssprache
2'97 Percent, also bei der Volkszählung keine natio-
nalen Morde. Das Bild wird sogleich ein anderes,
wo der Nationalitätenkrieg geführt wird.
In Böhmen hat sich die Bevölkerung absolut um
8*05 Percent vermehrt, aber die deutsche Umgangs-
sprache um 8*24. Darnach könnte man berechnen,
wie viel Personen zur deutschen Umgangssprache ge-
zwungen worden sind.
Die deutsche Umgangssprache nimmt also zu
durch die nationalen Massenmorde, welche bei der
Volkszählung an den Angehörigen nichtdeutscher Natio-
nalität in den Gemeindestuben, wo deutsche Majorität
ist, vorgenommen werden. Und das ist ja das Ziel
der Deutsch-Nationalen. Sie gemessen dabei die Pro-
tektion so mancher Hofräthe in Wien. Auf dieser
künstlichen Volkszählung beruht auch die ganze na-
tionale Politik der Deutschen in Oesterreich. Es sollen
die nationalen Minoritäten mit jeder und aller Gewalt
unterdrückt werden, um darauf die Sprachengesel ze
zu konstruiren. Dass hat denn auch der Minister-
präsident Dr. Körber, der geheime inlime Freund der
Alldeu Ischen auch gethan. Er überreichte dem Reichs-
rathe am 14. Oktober 1902 ein Sprachengesetz, das
ganz auf den Leib der alldeutschen Wünsche zuge-
schnitten ist. Seine „ Grundsätze" für Böhmen
sind : Die deutsche Sprache wäre im bisherigen Um-
fange zu gebrauchen : 1. im gesammten Verkehre mit
den militärischen Behörden und der Gendarmerie
und für deren dienstliche Anforderungen ; 2. im Ver-
kehre mit den Behörden ausserhalb des Königreiches
Böhmen. Die deutsche Sprache wäre ferner zu ge-
brauchen: 1. von allen landesfürstlichen Behörden,
sowohl im inneren Dienstverkehre wie in der amlli^
115
ehen Korrespondenz; bei der Anlegung und Führung
aller Listen, Ausweise und Vormerke, die von den
politischen Behörden in Angelegenheiten der bewaff-
neten Macht geführt werden ; bei den zur Vorlage an
die Gentralstellen bestimmten Berichten, Gutachten,
Geschäfts- und statistischen Ausweisen ; bei den In-
formationen, Berichten, Vormerken und Ausweisen in
staatspolizeilichen Angelegenheiten, bei den Angele-
genheiten der staatlichen Sicherheitswache und bei
den Qualifikationstabellen der Staatsbediensteten ; 2.
von allen landesfürstlichen Kassen und Aemtern, die
mit Geldg^baren, bei der Führung der Kassenjournale,
Kassenausweise, Register, Gebrauchsnachweisungen und
aller sonstigen Kassenbehelfe, die von den Central-
organen zur Ausübung der Kontrolle oder zur Zu-
sammenstellung periodischer Nachweisungen benützt
werden ; 3. in allen Betriebs- und Verkehrsangelegen-
heiten im inneren Dienste und in der Manipulation
des Post- und Telegraphendienstes, der einer Central-
leitung unmittelbar unterstehenden ärarischen Etablis-
sements, sowie für den gegenseitigen Verkehr der
betreffenden Organe und Aemter; für die nichtärari-
schen Postämter mit grösserem Geschäftsumfange wä-
ren diese Bestimmungen soweit als möglich anzu-
wenden.
Abgesehen von der Einheit der Sprache in den
angeführten Amtshandlungen und Agenden, wären
grundsätzlich bei den landesfürstlichen Behörden drei
Sprachgebiete zu unterscheiden: 1. ein einsprachig
böhmisches, 2. ein einsprachig deutsches, 3. ein zwei-
sprachiges Sprachgebiet. Als einsprachig haben jene
Gerichtsbezirke zu gelten, in welchen bei der Volks-
zählung vom Jahre 1900 und in der Folge bei jeder
zweiten jeweiligen Volkszählung weniger als 20 Pro-
cent der ansässigen Bevölkerung die andere Landes-
sprache als ihre Umgangssprache angegeben haben.
Alle anderen Gerichtsbezirke sind zweisprachig. Die
landesfürstlichen Behörden haben je nach dem Ger
biete, auf welche sich ihr Wirkungskreis erstreckt,
als einsprachig oder als zweisprachig zu gelten. Be-
hörden, welche mehrere Bezirksgerichtssprengel um-
fassen, gelten als zweisprachig, wenn einer oder
6*
116
mehrere dieser Sprengel anderssprachig sind als die
übrigen Sprengel. Ausserdem werden im Gesetze
noch einzelne konkrete Behörden (in Prag) bezeichnet
werden, die mit Rücksicht auf die örtlichen Verhält-
nisse als zweisprachig zu betrachten sind. Im Inter-
esse der Erzielung möglichst einsprachiger Behörden
wären binnen eines bestimmten Zeitraumes die Ver-
waltungs- und Gerichtsbezirke derart umzugestalten»
dass die Gerichtsbezirke in der Regel nur einspra-
chige Gemeinden, die politischen Bezirke in der Regel
nur einsprachige Gerichtsbezirke umfassen, wobei
selbstverständlich den Wünschen der Bevölkerung,
sowie den Verkehrsverhältnissen entsprechend Rech-
nung getragen werden müsste. Wenn nach durchge-
führter sprachlicher Abgrenzung der Gerichtsbezirke
einem einsprachigen Bezirke ausnahmsweise einzelne,
grössere einsprachige Gemeinden der anderen Landes-
sprache zugewiesen bleiben, so können für den äusse-
ren Dienstverkehr der zuständigen landesfürstlichen
Behörden mit den Bewohnern und Vertretungen solcher
Gemeinden besondere Bestimmungen zum Zwecke der
möglichsten Berücksichtigung der anderssprachigen
Minderheit auf Verordnungswege getroffen werden.
Wenn wir einen Blick werfen auf die Nationali-
täten Oesterreichs, abgesehen von de* ungarischen
Reichshälfte, so erhalten wir auf Grund der offlciellen
Statistik folgendes Bild:
Ende des Jahres 1857 1900
Deutsche .... 6,042.347 9,167.898
Släven ... . 10,282.470 15,468.298
Wie wir schon gesagt haben, ist die officielle Sta-
tistik zu korrigiren. Wenn wir von den Deutschen
des Jahres 1900 eine l/2 Mill. Juden abrechnen und
mindestens l/2 Million Slaven, die zur deutschen
Sprache gezwungen wurden, so ist die faktische Be-
völkerung in Oesterreich der Nationalität nach höch-
stens 8 Millionen Deutsche arischen Blutes und 16!/2
Millionen Slaven ebenso arischer Abstammung. Die
Gesammtbevölkerung Oesterreichs Ende 1900 war
26,150.708. Somit bilden die Deutschen 32ya Procent
der Gesammtbevölkerung, also nicht ganz ein Drittel.
Die officielle Statistik spricht den Deutschen 36 Pro«
117
cent der Gesammtbevölkerung zu, was wir nun hier
entsprechend der Wirklichkeit korrigirt haben* Soll
nun dieses eine Drittel die Hegemonie m Oesterreich
führen? Das werden doch nicht auch die verbissen-
sten Schönerianer behaupten wollen.
Die Alldeutschen in Oesterreich haben aber einen
Ausweg, sie stützen sich auf ihre Stammesgenossen
draussen in Preussen-Deutschland. Auf diese gestützt
sagen die Schönerianer und Genossen, dass die Deut-
schen in der Mehrheit sind und die slavischen Völker
als die kleinen Nationen dem grösseren Volke unter-
than sein müssen. Der alldeutsche Gedanke hat seinen
Anfang genommen nach dem Siege Deutschlands über
Frankreich. Französische Politiker beginnen auch jetzt
eifrig, die Bestrebungen Preussen^Deutschlands Oester-
reich und seine Völker zu verschlingen, zu beobachten.
Der französische Politiker Lair behauptet fest, dass die
Militärpartei in Preussen-Deutschland sicher und kon-
sequent darauf arbeite, Oesterreich bis zur Adria zu
annektiren und dazu Belgien und Holland. Die offi-
ciellen Diplomaten Preussen-Deutschlands leugnen
dies zwar nach aussen. Darum meidet jetzt Preussen-
Deutschland sehr ängstlich jede Reibung mit Frank-
reich und Russland. Auch Graf Fleury hat unlängst
seine Memoiren veröffentlicht, wie das heutige Preus-
sen-Deutschland gross geworden ist. Es war dies
möglich durch die russische Politik des Jahres 1870.
Der Ausbruch des deutsch-französischen Krieges
war unvermeidlich geworden ; da musste es sich den
feindlichen Mächten um die Knüpfung von Allianzen
einerseits und um die Sicherung der Neutralität seitens
der übrigen Mächte andererseits handeln. Die Lage
gestaltete sich für Frankreich sehr ernst; seine Hoff-
nungen, den russischen Kanzler Gortschakoff, der noch
vor Kurzem eine Schwenkung von der alten preus-
sischen Waffenbrüderschaft und Allianz zu einem
Einvernehmen mit Frankreich zu machen schien, um-
zustimmen, erwiesen sich als eitle, denn Gortschakoff
zögerte nicht, in dem Augenblicke, da die Ereignisse
eine kriegerische Wendung nahmen, Partei für Preus-
sen, das er für den angegriffenen Theil hielt, an den
Tag zu legen. Das Ziel, wonach Gortschakoff strebte,
118
bestand in dem Bemühen, es zu verhindern, das»
Oesterreich-Ungarn seine Unterstützung Frankreich
angedeihen lasse ; überdies übte er einen Druck auf
den dänischen Hof aus, um diesen zur Beobachtung
der striktesten Neutralität zu zwingen und ihn zu
verhindern, dass er sich von der dänischen öffentli-
chen Meinung zum Abschlüsse einer Allianz mit
Frankreich bestimmen lasse. Der russische Kanzler
hoffte, dadurch für Russland die Abänderung der ihm un-
angenehmen Bestimmungen des Pariser Vertrages vorn
Jahre 1856 zu erlangen. Es war nun die Aufgabe des
Grafen Fleury, den überwiegenden Einfluss Preussens
in Petersburg zu bekämpfen. Am 15. Juli 1870 Hess
die russische Regierung dem österreichisch-ungari-
schen Minister der auswärtigen Angelegenheiten die
kategorische Erklärung zukommen, sie werde es unter
keinen Umständen dulden, dass Oesterreich-Ungarn
mit Frankreich gemeinsame Sache mache. Es war
schon ein grosser Erfolg von Fleury's Bemühungen,
dass in der Neutralitätserklärung des Gzars Alexan-
der IL von 23. Juli die entscheidende Klausel, welche
sich auf die österreichisch-ungarische Monarchie bezog,
nicht enthalten war; es bedurfte der grössten Klug-
heit und Vorsicht Fleury's, um dieses unter den da-
maligen Verhältnissen nicht unbedeutende Resultat
zu erlangen. Dies spiegelt sich am deutlichsten in
dem folgenden Berichte Fleury's an den Herzog von
Gramont (vom 13. Juli 1870) ab : „Die Situation ist
hier nicht ohne Ernst ; es gibt hier zwei Strömungen,
die man die russisch-deutsche und die russisch-fran-
zösische nennen kann. Der Czar ist beeinflusst von
seinen Familiengefühlen und von preussischen Einge-
bungen und Interessen. Der Grossfürst-Thronfolger
und die Arniee hingegen sind Frankreich zugethan ;
allein der Czar ist es, der befiehlt. Die Politik des
Kabinets ist» wie ich im Vertrauen erfahren habe, die
folgende : Man wünscht den Krieg lokalisirt zu sehen ;
um diesen Preis kann man auf die Neutralität Russ-
lands rechnen. Wenn. Frankreich jedoch daran ginge,
Oesterreich-Ungarn in den Kampf mitzureissen, würde
der Krieg für Russland einen so gefahrdrohenden
Charakter annehmen, dass es diesem schwer fiele,
119
unparteiischer Zuschauer zu bleiben. Es wäre dem-
nach gefährlich, sich in unnützer Weise mit dem
schwachen und schlaffen Oesterreich blosszustellen,
das durch seine Agenten hier erklären Hess, dass es
vor Ablauf von zwei Jahren sich zu nichts verpflichten
kann, noch will. Russland beobachtet es jedoch. Schon
kündigt man an, dass zwei Kosaken-Regimenter sich
an die galizische Grenze begeben. Andererseits erörtert
die öffentliche Meinung und die Presse die Idee der
Revision des Vertrages vom Jahre 1866. Man droht
wohl noch nicht, allein es scheint, dass man daraus
eine Bedingung der Sympathie und des Einvernehmens
mit Frankreich macht ... Es wäre darum von grösser
Wichtigkeit, ein wenig die bedeutenderen Tagesblätter
zu leiten und auf sie Einfluss zu nehmen. Ich bitte
Sie, mich zu ermächtigen, die nöthigen Ausgaben dafür
machen zu dürfen."
In Paris war man jedoch nicht geneigt, auf die
eventuelle Hilfe Oesterreich-Ungarns unbedingt zu
verzichten. Am 20. Juli richtete der Herzog von
Gratnottt die folgende Note an den Grafen Fleury:
„Wir benöthigen absolut die bewaffnete Neutralität
Oesterreichs, um den Krieg zu beginnen ; das will
sagen 100.000 Soldaten in Böhmen und später seinen
Beistand. Gleichzeitig können wir jedoch Russland
beruhigen und ich kann hoffen, dass das Wiener Ka-
binet nicht säumen wird, Russland in diesem Sinne
Vorschläge zu machen, die ihm annehmbar scheinen
werden. Wir verlangen dagegen vom Petersburger
Kabinet nichts als seine Neutralität . . . Ich muss
Sie im Vertrauen davon benachrichtigen, dass wir
mit Italien gleichzeitig wie mit Oesterreich-Üngarn
verhandeln und die Hoffnung hegen, dass wir näch-
stens zu einem gemeinsamen Einverständniss gelan-
gen werden ; machen Sie Ihrerseits alle Anstrengun*
gen, um Russland zu einem Vertrage zu bestimmen."
Die französische Regierung verhehlte sich nicht
die Schwierigkeit, sich die Neutralität Russlands unter
den geschilderten Umständen zu sichern; sie machte
es jedoch ihrem Petersburger Botschafter zur Pflicht,
Alles aufzubieten, um dieses Ziel zu erlangen, ohne
jedoch irgend eine Verpflichtung für die Zukunft ein-
120
zugeben. Allein der Gzar mochte nicht davon abste-
hen, dass Oesterreich-Ungarn die strikteste Neutralität
— also nicht die bewaffnete — bewahre. Er erklärte dem
Grafen Fleury, dass er den Besitzstand unserer Monar-
chie gegen die allfälligen Gelüste Preussens zu garantiren
bereit sei ; er könne es jedoch unter keiner Bedin-
gung zugeben, dass Oesterreich-Ungarn eine defensive
Haltung einnehme. Wenn es in Böhmen Truppen kon-
centriren würde, sei der Gzar entschlossen, darauf
sofort mit einer bewaffneten Neutralität zu antworten,
deren Folgen und Gefahren nicht vorauszusehen wären.
Vielleicht, so meinte Fleury, hat der Kaiser Alexander,
indem er sich zum Bürgen der österreichisch-
ungarischen Monarchie machen will, die Absicht, da-
durch dieser jeden Vorwand zu benehmen, Frankreich
beizustehen. Am 26. Juli 1870 konnte der Graf Fleury
dem Herzog von Gramont bereits die Versicherung
geben, dass Frankreich auf die strikte Neutralität
Russlands zählen könne, aber immer nur unter der
Voraussetzung, dass Oesterreich nicht eine bewaffnete
Haltung beobachte. „Welches immer auch," so fügte
er hinzu, „die Projekte einer geheimen Allianz mit
Preussen sind, die man Russland zuschreibt, ich werde
nicht daran glauben, so lange, als Oesterreich-Ungarn
keinen Anlass dazu bieten und Frankreich nicht die
Aspirationen Polens ermuthigen wird. Thatsächlich
spricht sich die öffeptliche Meinung, die Presse, die
Armee (Russlands) von Tag zu Tag energischer gegen
jede Vergrösserung Preussens aus und zeigt sich uns
immer sympathischer. * Am nächsten Tage schon be-
auftragte der Herzog von Gramont den französischen
Botschafter, der russischen Regierung die rückhalts-
loseste Erklärung abzugeben, dass Frankreich nicht
daran denke, Russland irgendwo Schwierigkeiten zu
bereiten, noch die Aspirationen Polens zu ermuthigen.
Diese Erklärung machte auf den Kaiser Alexander IL
den besten Eindruck ; er versicherte den Grafen Fleury,
dass Russland sich verpflichte, Oesterreich seine
deutschen Provinzen gegen die Eingriffe Preussens zu
garantiren und die strikteste Neutralität zu bewahren.
Der französische Botschafter knüpfte an diesen
Bericht die folgende Betrachtung: „Wir müssen nun
121
mit Ruhe - und in Kenntniss der Sachlage erwägen,
ob der Verlust der effektiven und unmittelbaren Hilfe
Oesterreich-Ungarns nicht mehr als aufgewogen wird
durch die Gewissheit der strikten Neutralität Russ-
lands sowohl in Rücksicht auf die gegenwärtigen
Verhältnisse, wie auf die künftigen Eventualitäten.
Ich weiss es wohl, dass Oesterreich, wenn es sich
in den Kampf mengen würde, uns eine sehr schätz-
bare und sehr wirkungsvolle Hilfe zu bieten scheinen
müsste. Durch eine Truppenkoncentration in Böhmen
würde es einen beträchtlichen Theil der preussischen
Streitkräfte lahmlegen. Es würde durch sein Bei-
spiel Italien für eine Allianz mit uns mitreissen und
uns, wenn es Italien den Weg durch Tirol freigäbe,
ermöglichen, Süddeutschland in der Flanke anzu-
greifen. Die Verlockung wäre in der That gross, der
Vortheil sehr beträchtlich ; allein Russland würde dies
niemals zugeben. Unter dem Vorwande einer Gährung
in Polen, die es selbst hervorrufen könnte, würde
Russland in Galizien eindringen, sich ganz gegen
Oesterreich richten, das es hasst, um es zu vernich-
ten und sich einen freien Weg nach Konstantinopel
und dem Orient zu bahnen. Wäre Oesterreich im
Kampfe mit den Ungarn, die den Krieg nicht wollen,
materiell in der Lage, den Vorstoss Russlands aus-
zuhalten, selbst wenn alle seine Völker treu zu ihm
hielten? Ich glaube es nicht. Bei seiner verschuldeten
Finanzlage, seiner unvollendeten Rüstung, bei den
Schwierigkeiten, die es im Innern bedrohen, wäre
Oesterreich unfähig, einer unerwarteten Erschütterung
Stand zu halten, und der Ausgang des Krieges müsste
ihm verhängnissvoll werden. Indem der Kaiser Alex-
ander die absolute Neutralität Oesterreichs zur con-
ditio sine qua non der seinigen macht, lässt er sich
von dem Gedanken leiten, dadurch seinem Oheim
(dem König Wilhelm von Preussen) einen Dienst zu
erweisen und dadurch den friedlichen Intentionen
seines Landes Genüge zu leisten. Wie gross auch
immer die Loyalität seines Charakters ist und das
Vertrauen, das. ich zu seinem Worte habe, ich ver-
hehle es mir doch nicht, dass der Czar von seinen
Familiengefühlen beherrscht wird und dass seine
122
Neigungen deutsche sind. Allein das russische Na-
tionalgefühl ist gegen jede Vergrösserung Preussens,
und der Kaiser Alexander weiss es genau, dass die
Armee, die Presse und die öffentliche Meinung täg-
lich Frankreich geneigter werden. Er könnte nicht
ohne triftigen Grund eine offensive Stellung ergreifen,
insolange Oesterreich ihm nicht dazu den Vorwand
bietet. Es ist darum an uns, dieser Macht zu rathen,
in der strikten Beobachtung ihrer Verbindlichkeiten
zu verharren, und da sie nicht bedroht ist, ihre Lage
nicht zu gefährden durch eine sterile Agitation oder
durch unvollständige Vorbereitungen, die weder für
sie, noch für uns von Nutzen sind . . . Die Neutra-
lität Oesterreichs rettet dieses und sichert uns die
Neutralität Russlands. Der Bestand Oesterreichs ist
für uns iiothwendig, es ist eine zu werthvolle Karte
in unserem Spiel, wenn der Moment kommen wird,
anderweitig zu verhandeln und ein gestörtes Gleich-
gewicht wiederherzustellen, um nicht zu wünschen,
dass Oesterreich sich jeder Einmischung begebe, da
von dieser Zurückhaltung meiner Meinung nach unsere
guten Beziehungen zu Russland und das Wohl Oester-
reichs abhängen."
Nichtsdestoweniger blieb die Lage noch immer
ungeklärt. Am 4. August berichtete Fleury dem Her-
zog von Gramont, der Gzar habe ihm eine Depesche
des russischen Gesandten in Paris, des Herrn Oku-
neff, vorgelesen, des Inhalts, dass der Herzog von
Gramont diesen offen davon benachrichtigt habe,
Oesterreich könne nicht von der Koncentration eines
Armeekorps längs seiner Grenzen abgehen. Der Czar
ersuchte darum Fleury, dahin zu wirken, dass die
französische Regierung dies verhindere, da er andern-
falls genöthigt wäre, aus seiner Neutralität herauszu*
treten. Ganz unumwunden erklärte Okuneff dem Her-
zog von Gramont am 5. August, dass Russland sich
rüsten werde, wenn dies von Seite Oesterreichs ge-
schehen sollte, und dass es Oesterreich angreifen
werde, wenn dieses Preussen attaquiren sollte. Gra-
mont erwiderte darauf, dass diese. Mittheilung in Wien
und nicht in Paris zu machen sei; übrigens erklärte
er, es nicht zu begreifen, wie Russland den Angriff
123
auf Oesterreich-Ungarn rechtfertigen könnte, wenn
diese Macht Russland nicht angreift, es müsste denn
ein geheimer Vertrag zwischen Russland und Preus-
sen bestehen. Er fügte noch hinzu, dass zwischen
Frankreich und Oesterreich-Ungarn kein Vertrag ge-
schlossen wurde, dass das Wiener Kabinet sich aus-
schliesslich von seinen eigenen Interessen leiten lasse»
Selbst nach der Niederlage der Generale Mac Mahon
und Frossard konnte Gramont dem russischen Bot-
schafter die Versicherung geben, dass Frankreich
nicht den Beistand Oesterreich-Ungarns verlangt habe ;
was Italien betrifft, bemerkte Gramont, ist es wohl
wahr, dass man von dieser Seite es ihm nahe lege,
dem Kaiser Napoleon III. zu rathen, er möge sich
diesbezüglich an den König Viktor Emanuel wenden,
allein Gramont mochte vorläufig nichts dergleichen
thun, weil er wusste, dass Napoleon nicht dazu zu
bestimmen wäre.
Die Niederlagen Frankreichs machten jedoch.
Russland bedenklich; man sah daselbst der Zukunft
mit Sorgen entgegen; der Graf Fleury hielt den Mo-
ment für geeignet, um Russland der österreichisch-
ungarischen Monarchie zu nähern; er gab in einem
lmmediatberichte vom 14. August 1870 seiner be-
stimmten Ueberzeugung Ausdruck, dass Russland
nichts gegen eine Einmischung Oesterreich-Ungarns
einwenden werde, wenn der Graf Beust die unzwei-
deutige Erklärung abgeben würde, dass er die polni-
schen Aspirationen nicht ermuthigen werde. In die-
sem Falle würde der Kaiser Alexander II. aus seiner
Neutralität nicht heraustreten und trotz seiner per-
sönlichen Neigungen zu Preussen die nationale Po-
litik seines Landes verfolgen, die sich immer ent-
schiedener gegen Preussen erklärt. Der österreichisch-
ungarische Botschafter in Petersburg, Graf C^otek,
begab sich am 14. August 1870 nach Wien, um den
Kaiser Franz Josöf und den Grafen Beust für diese
Politik zu gewinnen; allein er konnte den Kaiser
Alexander IL für den Vorschlag des Kaiser Franz
Jesef, eine bewaffnete Haltung auf dem Boden eines
gemeinsamen Einverständnisses einzunehmen, nicht
gewinnen ; der Gzar war von seiner fixen Idee, Oester-
124
reich nicht aus der striktesten Neutralität heraus-
treten zu lassen, nicht abzubringen.
Inzwischen war die Lage Frankreichs immer
misslicher geworden; man hegte bereits die Besor-
gniss, der Sieger werde den Frieden nur um den
Preis der Abtretung französischen Gebietes schliessen
wollen ; um diesen Unglücksschlag abzuwenden, suchte
die französische Regierung durch ihren Botschafter
den Gzar und den Fürsten Gortschakoff dadurch zu
einer Intervention zu bestimmen, dass sie erklären
Hess, Frankreich werde nicht eher die Waffen nie-
derlegen, bis es nicht die Integrität seines Bodens
gesichert habe. Thatsächlich erklärte Gortschakoff
dem Grafen Fleury klipp und klar, dass der Gzar
unter keinen Umständen einem Frieden zustimmen
werde, der eine Erniedrigung Frankreichs und eine
Verringerung seines Territoriums im Gefolge haben
könnte. Der Gzar selbst bemerkte dem Grafen Fleury
einige Tage später (am 29. August), dass er dem
Könige von Preussen in einem Briefe zu verstehen
gegeben habe, dass, falls Frankreich vollständig be-
siegt wäre, ein Friedensschluss, der auf einer Ernie-
drigung des besiegten Landes beruhen würde, blos
ein Waffenstillstand wäre und dass ein solcher Waffen-
stillstand für ganz Europa gefährlich sein müsste. Der
König habe eine befriedigende Antwort darauf gege-
ben, jedoch auf die grosse Schwierigkeit hingewiesen,
den Verzicht auf einen Theil der eroberten Provinzen
in Deutschland durchzusetzen. „Nach einem Ideen-
austausch und einem energischen Protest dagegen
meinerseits bestand der Gzar nicht weiter darauf.
Sichtlich ergriffen durch meine Worte, antwortete er
mir mit einer gewissen Wärme, dass er meine Mei-
nung theile und dass er im gegebenen Momente laut
und vernehmlich zu sprechen wissen werde, wenn es
nöthig sein sollte."
Allein die Verhältnisse änderten sich vom Grund
aus; was der Gzar eventuell für das monarchische
Frankreich gethan hätte, das konnte das revolutio-
näre, republikanische nicht von ihm erwarten. Graf
Fleury, der am 6. September 1870 der französischen
Regierung seine Demission gegeben hatte, bemühte
125
sich gleichwohl, die Abneigung des russischen Kabi-
nets und des russischen Hofes gegen die französi-
sche Regierung zu bekämpfen; es gelang ihm denn
auch, durchzusetzen, dass das Petersburger Kabinet
der preussischen Regierung rieth, die Pourparlers
mit dem französischen Minister des Aeussern zu be-
ginnen. Die Zusammenkunft wurde bewilligt und
Jules Favre wurde am 19. September 1870 in Fer-
neres empfangen. Von Illusionen erfüllt, bildete sich
Jules Favre ein, dass Preussen den Krieg gegen ein
freies Volk nicht fortsetzen werde. Wie sehr er sich
tauschte, dessen ward er alsbald inne, als Bismarck
die elsässische Frage sofort ganz unumwunden auf-
warf.
Am nächsten Tage, nachdem Bismarck mit
dem vom Gzar beeinflussten König Wilhelm Rath ge-
pflogen hatte, zeigte sich Bismarck geneigt, den Frie-
den gegen die Abtretung von „Strassburg und seiner
Bannmeile" zu schliessen. Jules Favre wies auch
diese Bedingungen zurück und der Krieg wurde wei-
tergeführt. Da der Kaiser Alexander II. sah, dass
seine Intervention fruchtlos gewesen, zog er sich
nunmehr von diesen Dingen vorläufig zurück. Auch
das persönliche Erscheinen Thier's in Petersburg*
konnte an der zuwartenden Haltung des russischen
Kabinets nichts ändern. Als die englische Regierung
im Oktober 1870 den schüchternen Versuch machte,
zu einem Einverständniss mit Russland behufs Vor-
bereitung des Friedens zu kommen, wies der Gzar
diesen Antrag ab, er schrieb jedoch dem Könige von
Preussen und empfahl ihm die Annahme des Waf-
fenstillstandes, indem er der Hoffnung Ausdruck ver-
lieh, dass der Frieden alsbald folgen werde; er rieth
dem König Wilhelm ab, auf der Forderung territo-
rialer Abtretungen zu bestehen, denn diese würde
den Friedensschluss vereiteln.
Die Haltung Russlands im Jahre 1870 ermög-
lichte das heutige Preussen-Deutschland, sie war zu-
gleich eine Vergeltung Oesterreich gegenüber für
seine Theilnahme am Krim-Krieg. Nun dürfte die
Regierung in Petersburg einsehen, dass man jetzt
im Westen einen sehr unbequemen Nachbar habe.
126
IX. Der Sprachenstreit. Die Schwäche der Staate-
maechine Oesterreiche.
Das heutige Preussen-Deutschland hat einen
staatlichen Apparat der nach allen Seiten pünktlich
funktionirt. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. regiert
mit starker Hand die innere und äussere Politik
Preussen-Deutschlands in eigener Person. Ihm stehen
denn auch zur Verfügung sowohl das Heer als auch
die Staatsbeamten. Das Salz dieser ungeheueren Macht
wird aus dem preussischen Landadel rekrutirt, es
sind dies die berühmten preussischen Junker, deren
Ideal Bismarck ist und bleibt. Oesterreich ist in dieser
Hinsicht nicht so glücklich ausgestattet. Es verfügt
schon seit der theresiani sehen Zeit über keinen Staats-
mann, der mit starker und glücklicher Hand die
inneren Verhältnisse Oesterreichs geordnet hätte.
Oesterreich hat bis heute noch kein Nationalitäts-
gesetz, welches den inneren Frieden dieser Monarchie
verbürgen könnte. Ein solches Gesetz ist einfach eine
Unmöglichkeit, solange die Deutschnationalen nach
der deutschen Staatssprache und der Vorherrschaft
der Deutschen überall rufen und sich dabei der Stütze
von Preussen-Deutschland erfreuen.
Die habsburgische Monarchie war denn noch nie
von den nationalen Kämpfen so durchtobt, als es
heute der Fall ist und es hat den Anschein, dass der
Kampf der Nationalitäten Dank der alldeutschen Pro-
paganda an Gefährlichkeit und Ausdehnung immer
zunehmen wird. Oesterreich treibt auf diese Weise
einem inneren Bankerotte entgegen und der gute
Nachbar wartet auf diesen Augenblick, um zu kom-
men und „Frieden" zu stiften. Das ist wohl auch
das Ende und das Ziel der alldeutschen Politik.
Dieser Gefahr müsste eine ehrliche Regierung in
Oesterreich bei Zeiten vorbeugen durch Schaffung
eines gerechten Nationalitäten-Gesetzes und durch
Schaffung eines Beamten, Körpers, dessen Glieder
ehrlich und treu dem Kaiser, dem Vaterlande und
dem Volke dienen sollten. In Oesterreich tobt der
Sprachenstreit an mehreren Stellen des Reiches. In
der Hauptsache dreht sich dieser Kampf um die
127
böhmische Frage. Dann haben wir den Sprachenkampf
im Süden. Hier werden die Slovenen bedrängt von
den Alldeutschen in Steiermark und Kärnten, Slove-
nen und Kroaten im ganzen adriatischen Küstengebiet
von der Italia irredenta. Die Italiener im Südtirol
verlangen auch ihre Autonomie. Endlich zum üeber-
fluss lodert der Kampf zwischen zwei slavischen Na-
tionen in Galizien, zwischen Polen und Ruthenen.
Man sieht, dass die inneren Verhältnisse der
habsburgischen Monarchie nicht absonderlich die
rosigsten sind und man kann wohl auch den Aus-
spruch des greisen Monarchen begreifen, indem er
dem päpstlichen Nuntius erwiederte, dass nicht ein-
mal der Papst soviel Drangsale habe als Er, der
Kaiser von Oesterreich. Ueber die Bedeutung der
böhmischen Frage, den ganzen Sprachenstreit in den
böhmischen Ländern existirt schon eine gewaltige
Literatur. Lassen wir nun die Arbeit des Dr. Kram&f
hier folgen, welche er im September 1902 in der
londoner „National-Review" veröffentlichte. Dr. Kra-
mäf gibt zuerst einen geschichtlichen Ueberblick und
dann geht er auf den Kernpunkt ein, den Kampf des
bureaukratischen, deutschcentralistischen Staates mit
dem modernen Staate der gleichberechtigten Völker,
und kommt dabei auf die Verfassungskämpfe nach
dem Jahre 1867 zu sprechen: „In Wien gab man
auch alle Hoffnung auf," heisst es da, „die Ge-
schichte wieder zurück zu korrigiren und machte
die 1867er Verfassung gegen die nichtdeutschen
Völker und für die Aufrechterhaltung der künstli-
chen Hegemonie der Deutschen. Endlich kam der
deutsch-französische Krieg. Aber auch da hat die
Wiener Bureaukratie nicht eingesehen, dass Sedan
nicht nur ein neues Deutsches Reich, sondern auch
ein neues Oesterreich schaffen musßte, ein Oester-
reich, welches auf alle Zeiten alle deutschen Aspi-
rationen aufzugeben gezwungen war. In den höchsten
Kreisen schien man diesen Gedanken zwar zu ver-
stehen, unter der Regierung des Grafen Hohenwart
wurde das berühmte Reskript an den böhmischen
Landtag erlassen (September 1871), worin die Krö-
nung versprochen wurde; aber bald siegte in Wien
128
die alte bureaukratisch-centralistische deutsche Rich-
tung, und man arbeitete buchstäblich : Pour le roi de
Prasse. Man verstand es nicht, dass die künstliche,
nur durch eine ungerechte Wahlgeometrie und den
Centralismus aufrecht zu haltende herrschende Stel-
lung der Deutschen eine Gefahr werden muss, auch
wenn diese Deutschen damals noch sehr österrei-
chisch waren. Sedan, das neue Deutsche Reich und
die neue Weltstellung der Deutschen konnten mit
ihrer moralischen Wirkung an den Grenzen Oester-
reichs nicht aufgehalten werden. Die Jugend hat sich
zu sehr an der ungeahnten, unerhofften Grösse des
Deutschthums berauscht und neue Generationen
wuchsen auf, die deutschnational, dann alldeutsch
waren, kraft der Logik des nationalen Gedankens. Die
künstliche Stellung der Deutschen, welche Oesterreich
den Charakter eines deutschen Staates gab und es
nach Deutschland unter Oesterreichs Führung hin-
ziehen sollte, hat diese Mission nicht erfüllt, aber
gewiss eine andere. Sie ist zu einer Gefahr für den
Staat geworden, weil die Deutschen natürlich und
selbstverständlich hingezogen werden zu einer Eini-
gung mit den deutschen Brüdern. Diese haben sich
jedoch schon geeinigt unter der Führung der Hohen-
zollern, welche eine Stellung Oesterreichs in Deutsch-
land wohl auf gleicher Linie mit Sachsen und BaiernT
aber nicht jene, von welcher Oesterreich einst ge-
träumt hat, zulassen könnten. Man hat es unterlassen r
nach 1870 die natürlichen Konsequenzen aus den
weltgeschichtlichen Ereignissen zu ziehen, Oesterreich
auf seine föderalistischen geschichtlichen Grundlagen
zu stellen und die Deutschen nicht künstlich zu einer
nationalen Einigung in Oesterreich förmlich zu zwin-
gen, sondern ihnen in den einzelnen Ländern mit
den übrigen Völkern gleiche Rechte und gleiche
Freiheit der vollen kulturellen und wirtschaftlichen
Entwickelung zu gewähren, und so die Entstehung
einer deutschen Frage für alle Deutschen in Oester-
reich für lange Zeit zu verhindern.
Man wollte und will es in Wien nicht verstehen,
dass dieselbe Kraft des nationalen Gedankes, welche
in Deutschland Throne gestürzt und zur Errichtung
129
des neuen Deutschen Reiches geführt hat, an der
Grenze Oesterreichs, wenn es deutsch sein wird, nicht
Halt machen wird, dass zwei deutsche Reiche neben
einander eine Unmöglichkeit, eine Sünde gegen die
Logik des deutschnationalen Gedankes sind, und dass
ein deutsches Oesterreich in eine untrennbare Ver-
bindung mit dem übrigen Deutschland kommen müsse.
Man schaffe ein deutsches Oesterreich, ein Oesterreich
unter deutscher Führung, wie es die Deutschen
wollen, und diese werden die Konsequenzen des na-
tionalen Gedankens, das gesetzlich garantirte Bünd-
niss und die Zollunion mit Deutschland friedlich und
ruhig durchführen, wenn die Opposition der nicht-
deutschen Völker nicht stark genug wäre, sie daran
zu hindern. Und die militärische und kulturelle Ueber-
macht des preussischen Deutschland wird das poli-
tisch und wirthschaftlich mit ihm verbündete, viel
schwächere Oesterreich ohne grosse Schwierigkeiten
effektiv in diese Lage bringen, wenn auch die Formen
der Souveränität aufrecht blieben.
In Wien will man aber das alles nicht verstehen.
Die Bureaukratie ist deutsch, sie will Oesterreich
weiter beherrschen, mit der deutschen Sprache ist es
viel leichter und bequemer, und so ist man in Wien
gar nicht gegen die Forderung des Herrn Schönerer
nach der deutschen Staatssprache, obzwar man weiss,
was die Alldeutschen damit wollen, und führt die-
selbe nur deswegen nicht ein, weil man die Macht
dazu nicht hat, aber wahrhaftig nicht, weil man die Lust
dazu nicht hätte. Das Glück Oesterreichs und seiner
Dynastie, dass das Reich nicht deutsch ist, dass es
in der überragenden Mehrzahl von Völkern bewohnt
ist, welche sich gegen alles Aufdrängen des Deutschen
bis zum Aeussersten vertheidigen, das hält man in
Wien für sein Unglück; seine einzige raison d'etre,
der Hort und die Zuflucht aller seiner Völker zu sein,
verstehen sie nicht oder wollen sie nicht verstehen,
weil sie das Ende des bureaukratisch-deutschen und
centralistischen Oesterreich bedeuten würde. Diese
Tradition ist so stark, dass selbst die Kreise, die
geradezu berufsmässig wollen müssen, und welche
auch besorgt sind um das Reich und seine Zukunft,
9
130
nicht zu erkennen vermögen, dass ein starkes, inner-
lich kräftiges, die alldeutschen Pläne rücksichtslos
bekämpfendes Oesterreich eine europäische Notwen-
digkeit, ja eine Voraussetzung des heutigen Europas
ist Und sie können sich darauf doch getrost verlassen,
denn ohne ein vollständig unabhängiges Oesterreich
wäre für Deutschland der Weg frei zu einer gross-
artigen Weltmachtstellung, wie sie die Weltgeschichte
noch nicht kennt.
Es wäre ein zusammenhängendes Imperium zu-
meist mit natürlichen Grenzen, also militärisch schier
unüberwindlich, ökonomisch stark, mit ungeheueren
natürlichen Schätzen ausgestattet und befruchtet ; ein
Weltreich, das der Träume der nationalen Deutschen
unzweifelhaft werth ist, aber auch nur auf den Trum*
mern des historischen Gleichgewichtes Europas auf-
gerichtet und von keiner Macht Europas ruhig hinge-
nommen werden kann. Das sind so feste Fundamente
für Oesterreichs Grossmachtstellung, dass man es
einfach nicht begreifen kann, wenn, wie gesagt, sogar
in den für die Zukunft des Staates entscheidenden
Kreisen statt dessen mit dem Gedanken ängstlich
herumgewandelt wird, den alldeutschen Radikalismus
durch eine katholischklerikale Politik Oesterreichs zu
bekämpfen. Man scheint sogar auf den Gegensatz des
Katholicismus und Protestantismus in Deutschland
zu rechnen und darin das Heil für die Zukunft, wenn
nicht noch etwas mehr zu erwarten. Man vergisst
aber dabei, dass das Deutsche Reich durch den eini-
gen hinreissenden Enthusiasmus der Katholiken und
der Protestanten aufgerichtet, durch katholisches und
protestantisches Blut gekittet wurde, dass der mäch-
tige, Alles belebende nationale Gedanke in allen,
namentlich die Machtstellung Deutschlands betreffen-
den Fragen alle Katholiken und Protestanten vereinigt
und das Bewusstsein der grossen wirtschaftlichen
und politischen Erfolge für dessen Bewohner doch
viel mächtiger ist, als die Antipathie gegen das
Preussenthum. Man kann eben aus dem Bannkreise
der Gentralisation und damit der Sucht nach einer
deutschen Uniformirung des Reiches nicht heraus,
obzwar beide das alte Reich so tief geschädigt haben.
131
Wie hat die Centralisation die Lebenskräfte Oester-
reichs gelähmt! Eingeführt von Maria Theresia im
Jahre 1749 gegen verbriefte Rechte, gegen geschworene
Krönungseide, sollte sie den von allen Seiten bedrohten
Besitz der grossen Königin zusammenhalten, festigen
und für die Zukunft retten. Und eingeführt wurde
der Centralismus nach dem Muster der preussischen
Verwaltung, wie sie Friedrich II. in dem eroberten
Schlesien eingerichtet hatte. Eine jahrhundertelange
Geschichte .wurde durch die Revolution von oben auf
den Kopf gestellt.
Die Länder der böhmischen Krone, bisher durch
eine lose Realunion verbunden, wurden zu einem
immer mehr bureaukratisch regierten administrativen
Gebiete. Später kam noch Galizien und Dalmatien
dazu, um den Widersinn der Centralisation noch
offenkundiger zu machen. Nach preussischem Muster
richtete man die Gentralisation ein, aber an dem
föderativen neuen Deutschland mit seiner ungeahnten
Riesenkraft des Ganzen und der reichen Gliederung
und Individualisirung seiner einzelnen Theile will
man sich kein Beispiel nehmen. Das zurückgebliebene
Galizien, die Alpenländer mit ihren specifischen For-
men des wirthschaftlichen Lebens, und die hochent*
wickelten böhmischen Länder Böhmen, Mähren und
Schlesien werden nach derselben Schablone, aus
denselben Kanzleien in Wien regiert. Was für die
reichen Länder ein Fortschritt wäre, ist für die zu-
rückgebliebenen ein unerlaubter Radikalismus, und
so hemmt Eines das Andere und das Resultat ist
das Zurückbleiben der Monarchie hinter den übrigen
vorwärtsstrebenden europäischen Staaten. Man tröstete
sich nun mit einem echt österreichischen Tröste. Alles
sieht durch die deutsche Amtssprache nach aussen
einheitlich aus und nach der Lehrmeinung der Deut-
schen und der Wiener Bureaukratie ist diese deutsche
Amtssprache der festeste Kitt, welcher Oesterreich
zusammenhält, obzwar sie von der Majorität der
Völker als Bedrohung ihrer nationalen Entwickelung
und als eine ungerechte Bedrückung angesehen wird.
Man bewegt sich eben in einem verzauberten Kreise,
Die von Maria Theresia eingeführte Gentralisation
9*
132
brauchte eine einheitliche Sprache, und dazu wählte
man die Sprache des Wiener Hofes, die deutsche ;
die germanisirenden Tendenzen seit den Fünfziger-
Jahren bis heute brauchen wieder die Centralisation,
weil die Decentralisation ein Ende der Vorherrschaft
der deutschen Sprache bedeuten würde. Und so ver-
kettet sich die Germanisation und die Centralisation
zu der schweren Fessel, welche jede gesunde Einrich-
tung, des Reiches hemmt und unmöglich macht.
Das sind nach böhmischer Auffassung die bei-
den Todfeinde Oesterreichs, und der Kampf gegen
dieselben bildet das politische Programm des böhmi-
schen Volkes. National wollen die Gechen die Gleich-
berechtigung aller Völker, nicht nur die mechanische,
in Amt und Schule, sondern die innere, volle Gleich-
berechtigung. Jedes Volk, welches Oesterreich be-
wohnt, soll sich unverhindert und frei national aus-
leben» In seinem ganzen inneren und äusseren Leben
soll es alles zu seiner Entwickelung haben, was es
hätte, wenn es staatlich selbständig leben würde. Das
ist ja die eigentliche Staatsidee Oesterreichs, seine
Völker in ihrer Eigenart zu schützen, sie sich unge*
hindert entwickeln zu lassen und ihnen allen gemein-
sam den Schutz und die wirtschaftlichen Vortheile
eines Grosstaates zu gewähren. Man darf nicht von
inferioren Völkern sprechen, wie es sich die Deutschen
angewöhnt haben. Hätte man den kleineren slavischen
Völkern gleichzeitig mit den Deutschen alle die kul-
turellen Hilfsmittel der modernen Bildung gegeben,
wie es die Pflicht des Staates war, so wären sie nicht
in ihrer kulturellen Entwickelung zurückgeblieben.
Aber das Unrecht, welches man an diesen Völkern
verübt hat, noch dadurch verschärfen zu wollen, dass
man ihnen jetzt wegen dieser ungerechten, unver-
schuldeten Rückständigkeit die höheren Schulen ver-
weigert, ist ein Vorgehen, welches der rücksichtslose,
brutale, nationale Chauvinismus wählen kann, aber
nicht die staatliche Politik gegen treue, alle Pflichten
gegen den Staat opferwillig erfüllende Staatsbürger.
Dies gilt namentlich für die Slovenen und die Kro-
aten. Es ist gewiss ein Zeugniss für die sehr unge-
sunden Verhältnisse im Staate, wenn die Frage der
133
Errichtung eines slovenischen Gymnasiums in Gilli,
in einer in Steiermark, im rein slovenischen Gebiete
liegenden, der Majorität nach deutschen Stadt zu einer
Staatsfrage werden konnte.
Die Deutschen empfinden allerdings dieses Streben
nach voller nationaler Gleichberechtigung als einen
nationalen Verlust, weil sie ja bis jetzt durch die
staatliche deutsch-centralistische Politik derart na-
tional unterstützt waren, dass sie auch vollständig
unberechtigte Positionen inne hatten, dass sie, obzwar
die Minorität, in vielen Vertretungskörpern doch die
Majorität haben. Mähren ist z. B. beinahe zu drei
Viertheilen von slavi scher Bevölkerung bewohnt, aber
durch künstliche Wahlordnungen haben die Deutschen
im mährischen Landtage die Majorität. Das ist ein-
fach unhaltbar. Ohne den geringsten Willen, die
Deutschen national zu bedrängen, ihnen ihre Natio-
nalität zu nehmen, werden die Böhmen doch die
Majorität dort, wo sie die Majorität der Bevölkerung
haben, auch in den gesetzgebenden Körperschaften
und in den Städtevertretungen erlangen. Das ist ein-
fach anders unmöglich, weil unnatürliche Zustände
eine gewisse Zeit, aber nicht für immer aufrecht er-
halten werden können.
In Böhmen gibt es deutsche Gebiete, in welchen
die deutsche Industrie böhmische Arbeiter braucht,
weil die Böhmen mehr Ackerbau treiben und einen
Ueberschuss an Arbeitern haben. Die deutsche Indu-
strie kann ohne die böhmischen Arbeiter nicht exi-
stiren, aber sie beschwert sich, dass dieselben die
deutschen Städte und Gemeinden öechisiren. . Und
doch machen die böhmischen Arbeiter keinen einzi-
gen Deutschen zum tiechen, sondern kommen, durch
ehrliche, gute Arbeit ihren Lohn zu verdienen, wollen
aber selbstverständlich Cechen bleiben, weil sie ihre
Arbeit den deutschen Industriellen verkaufen, aber
doch nicht ihre Seele, das heiligste, was sie haben,
ihre Nationalität. ^ Um so selbstverständliche Sachen,
dass ein Ceche Ceche bleibt und dass er für seine
Kinder öechische Schulen haben will, wird der Kampf
geführt. Wenn in Oesterreich der in den Staatsgrund-
gesetzen theoretisch ausgesprochene Grundsatz zur
134
That wird, so sind diese Verhältnisse weiter undenk-
bar, und der Schutz der nationalen Minorität — und
auch der Deutschen — muss neben einer gewissen
Autonomie der Nationalitäten praktisch in der Ge-
setzgebung und Verwaltung zur Geltung kommen. Die
Deutschen behaupten allerdings, dass der Staat eine
Sprache braucht und dass diese nur die deutsche
sein kann. Vor Allem muss wohl der Staat zu seinen
Bürgern die Sprache sprechen, welche diese verste-
hen, er muss also alle Sprachen seiner Nationalitäten
haben.
Die staatliche Verwaltung ist ein lebendiges Ding,
für den Verkehr mit dem Publikum bestimmt, und
nicht ein Arcanum einer über dem Volke schweben«
den Kanzleibehörde. Das mag früher gewesen sein,
der moderne Staat könnte damit nicht leben. Die
über den Völkern schwebenden Amtskanzleien konnten
einst ihr eigenes Leben führen und deutsch inmitten
einer slavischen Bevölkerung sein, aber heutzutage
ist es ein Unsinn, ein Nonsens, ein Hinderniss der
raschen und ins Leben greifenden Verwaltung, und
es muss abgeschafft werden. Im inneren wie im
äusseren Dienste muss das Amt sprachlich gleich sein
mit der Majorität der Bevölkerung. Das wollte Graf
Badeni machen, das war sein grosser Gedanke, und
wenn es den Deutschen gelungen ist, diese so natür-
liche, so selbstverständliche Koncession an die Cechen
durch ihre gewaltsame Obstruktion und durch die
pangermanisöhe Agitation wieder zu vernichten, so
sehen sie wohl selbst heute ein, dass sie zu viel ge-
wollt, und dass den Cechen ihre selbstverständliche
Forderung erfüllt werden muss. Allerdings dort, wo
eine amtliche Sprache nothwendig ist, bei den ober-
sten Behörden, den Ministerien zu Wien, bei der
Armee zur Erzielung einer schlagfertigen Organisation,
bei dem auswärtigen Amte, bis zu einem gewissen
Grade auch bei dem inneren Dienste der Eisenbahn
haben die Böhmen immer dem praktischen Erforder-
nisse die nothwendigen Kohcessionen gemacht Aber
nie werden sie zugeben, dass dieses praktische, mit
<ier nothwendigen Decentralisation der Verwaltung
immer geringer werdende Bedürfniss zu einer Fest-
13$
Stellung der deutschen Sprache als Staatssprache be-
nützt werde. Man muss den Deutschen gegenüber
vorsichtig sein, denn sie sind in der Politik sehr
logisch und verstehen es, alle Eonsequenzen aus einer
scheinbar noch so unschuldigen Eoncession zu ziehen.
Die Alldeutschen sagen es ja ganz offen heraus,
warum sie die deutsche Staatssprache wollen. Erstens
wünschen sie, dass Oesterreich ein deutscher Staat
nach aussen sei, mit einer officiellen deutschen Staats-
sprache dazu gestempelt, um daraus ihre Eonsequen-
zen zu ziehen, wie sie schon angedeutet wurden, und
im Innern wollen sie unverhüllt, dass die Festlegung
der deutschen Sprache als Staatsprache zur oblig. Erler-
nung der deutschen Sprache in allen Schulen verpflichte
oder; um es nach praktischen Erfahrungen darzu-
stellen: Der Anfang heisst deutsche Staatssprache
iind der Schluss Wreszen und Marienburg. Die kleine
Minorität der Polen in Preussen wird sich wehren,
aber muss sich jede Gewalttätigkeit dort, wo Macht
zum Rechte wurde, gefallen lassen, aber die Mehr-
heit der Bevölkerung Oesterreichs wird sich von der
deutschen Minorität dieses kaudinische Joch nimmer
aufzwingen lassen.
Das zweite« was die Böhmen wollen, ist die Re-
stitution ihres historischen Rechtes. Freiwillig haben
sie mit den Ungarn 1526 die Monarchie der Habs-
burger gegründet und der Besitz der Eönigstitel von
Böhmen und Ungarn war das Fundament der M^cht
der Habsburger, nicht aber die deutsche Eaiserkrone
oder der Besitz der Alpenländer. Die Folgen der
Auflehnung der Stände gegen Ferdinand I. und die
Schlacht am Weissen Berge waren eine innere Schwä-
chung. Aber Böhmen blieb ein selbständiger Staat,
Und .Maria Theresia war ja, nie etwas anderes, als
Eönigin von Böhmen und Ungarn, weil sie ja nur
die Gattin eines Eaisers von Deutschland war, der
eine Krone, aber keine Macht besass. Maria Theresia
hat zwar die böhmischen und österreichischen Länder
centralisirt und so die Selbständigkeit des Königrei-
ches Böhmen, ohne ein Recht dazu zu haben, schwer
beschädigt, aber nach aussen waren die Eönigreiche
Böhmen und Ungarn die Bedingung ihrer Machtstel-
136
lung in Europa. Und als der Kaiser Franz 1804 den
Titel Kaiser v. Oesterreich annahm, hat er die rechtliche
Grundlage seiner Macht, die Sonderstellung Ungarns
und Böhmens, ausdrücklich anerkannt. Erst die letzten
40 Jahre haben die staatsrechtliche Stellung Böhmens
schwer beschädigt durch die Verfassung von 1861
und 1867 und durch die systematische Untergrabung
der Autonomie Böhmens durch die Deutschen, welche
den Centralismus und darin ihre Uebermacht haben
wollen. Aber historische Rechte kann man nicht ein-
seitig aufheben. Ueber die Rechte des Königreiches
Böhmen können nicht Abgeordnete von Steiermark,
Niederösterreich und Kärnten entscheiden, wenn ihnen
dazu nicht das Recht von den Vertretern der böhmi-»
sehen Länder gegeben wurde . . . Die Verfassung von
1867 hat Niemand in Böhmen ausser den Deutschen
anerkannt, die Böhmen waren nicht im Reichsrathe,
als über dieselbe verhandelt und beschlossen wurde,
sie haben immer gegen dieselbe protestirt und ihr
fester Glaube ist es, dass der Tag kommt, wo man
froh sein wird, historische Rechte auf die Krone
Böhmens zu besitzen, und dankbar Denjenigen, die
den Glauben daran nie verloren haben.
Die Krone Böhmens hat tiefe Wurzel in der Ge-
schichte Europas, wogegen an dem Bestände des
neuen Oesterreichs in der heutigen Form zu sehr
gerüttelt wurde, als dass es tief genug wäre, Wurzel
fassen zu können. Es ist eine sehr verwegene Be-
hauptung der Gegner der böhmischen Rechte, dass
die Verfassung, welche einen so schwachen Rechts-
boden und nur dieThatsache eines sehr bestrittenen
Bestehens für sich hat, und dass eine deutsche, die
sprachlichen Rechte anderer Völker missachtende
centralistische Verwaltung, welche von Wien aus
geleitet wird, eine festere Garantie für den Bestand
des Reiches, ein festeres Band für die einzelnen
Länder und Völker ist, als der felsenfeste Boden der
Rechte der einzelnen Königreiche und Länder und
die Zufriedenheit aller Völker der Monarchie, welche
Gut und Blut für das Reich, das sie glücklich macht,
einsetzen . . .
Viele Gesetze werden in Wien von den Deut-
137
sehen abgeschrieben, nur das eine nicht, die födera-
tive Grandverfassung des Deutschen Reiches, welche
dasselbe so stark und kraftvoll gemacht. Und dies
nur, weil die Deutschen, welche durch den Demo-
kratismus der Wahlordnungen die Majorität im Par-
lamente verloren haben, in der deutsch-centralistischen
Bureaukratie das letzte Bollwerk ihrer privilegirten
Stellung sehen. Uebrigens wird bald die Zeit kommen,
wo sich selbst die eifrigsten Vertheidiger des heu-
tigen Zustandes werden zugestehen müssen, dass das
Centralparlament vollständig unfähig ist, diejenigen
Aufgaben zu erfüllen, welche ihm die Verfassung
zuweist. Die Obstruktion der Deutschen, welche das
grösste Interesse an dem Wiener Reichsrathe haben,
hat demselben den Boden abgegraben, umso mehr,
als dieselbe siegreich geblieben ist. Gegen den wahr-
haft staatsmännischen Gedanken des Grafen Badeni,
die Böhmen durch nationales Entgegenkommen aus
ihrer, den heutigen Zustand absolut negirenden Hal-
tung zu einer positiven Reformarbeit zu bringen, haben
die Deutschen das Parlament und das Reich revolu-
tionirt.
Mag auch die Durchführung der Pläne Badeni's
nicht einwandfrei gewesen sein, kapituliren vor der
deutschen Obstruktion durfte man nicht, wenn man
den Parlamentarismus in Oesterreich in der jetzigen
Form nicht bis ins Herz treffen wollte. Die Deutschen
haben die Theorie aufgestellt, dass eine nationale
Minorität das Recht der Obstruktion hat, um ihren
negativen Willen durchzusetzen und die in einem
Parlamente einzig mögliche Majoritätsherrschaft un-
möglich zu machen. Die Zustände des polnischen
Landtages, welche zur Theilung Polens geführt haben,
wurden als das neue Recht der parlamentarischen
Minorität in Oesterreich hingestellt und mit dem
ganzen Aufwand der deutschen Gelehrsamkeit ver-
theidigt. Die Deutschen sind Sieger im Kampfe ge-
blieben, die staatliche Autorität wurde in den Staub
gezerrt, die Cechen durch die Zurücknahme der
sprachlichen Rechte : schwer beleidigt, und die Ob-
struktion ist dadurch zu einer legitimen parlamenta-
rischen Waffe einer jeden Minorität geworden. Die
138
Cechen waren einfach gezwungen, dieselbe Waffe zu
ergreifen, und wenn sie auch den entscheidenden
Schlag bisher nicht geführt haben, so werden sie es
gewiss thun, wenn es sich um die wichtigste Staats-
aufgabe handeln und bis dahin das ihnen zugefügte
Unrecht nicht gutgemacht wird. Die bisher so theuer
erkaufte Ruhe im Parlament ist nur die Stille vor
dem Gewitter, und nichts mehr. Die Krise des Par-
laments ist nur in die Länge geschoben und wird
akut werden, wenn die numerisch schwächeren und
auf fremden Boden in Wien kämpfenden Cechen den
günstigen Momenf zur Führung des entscheidenden
Schlages finden werden, und dieser wird eben
kommen, wenn der Staat ein ruhiges, arbeitendes
Parlament unbedingt nöthig haben wird, d. h. wenn
die Ausgleichsgesetze auf den Tisch des Hauses ge-
legt werden. Für die Deutschen ist die Situation
nicht leicht. Sie fühlen, dass es nothwendig ist, die
Zustände im Parlamente zu heilen, aber sie wissen
auch, dass es anders nicht geht, als durch die Ge-
währung der nationalen Rechte, die man den Cechen
gegeben und wieder genommen, oder durch einen
Umsturz der Verfassung, welcher neue Zustände
schaffen und die Wiederkehr der jetzigen Krisis Wo-
möglich verhindern müsste.
Im ersten Falle müssten die Deutschen der
Durchbrechung der deutschen Amtssprache zustimmen,
welche sie bisher als die letze Zufluchtsstätte des
deutschen Charakters des Staates angesehen haben.
Sie müssten mit dem Gedanken einer privilegirten
Stellung endgiltig brechen und sich bescheiden, mit
den Böhmen friedlich und gleichberechtigt für das
gemeinsame kulturelle und wirtschaftliche Wohl der
von ihnen beiden bewohnten Länder zu arbeiten.
Das würde aber auch zu einer Decentralisation der
Gesetzgebung und Verwaltung führen, weil die Deut-
schen kein Interesse mehr an dem übermässigen
Centralismus hätten, welcher beiden, den Deut^
sehen und den Böhmen, gleich nachtheilig ist, und
weil das Wiener Parlament nur dann gesunden
kann, wenn sich seine Aufgaben auf das wirklich
Gemeinsame für alle Länder beschränken. Der Ent-
139
schluss, freiwillig die Konsequenzen der Gerechtig-
keit für die Böhmen zuzulassen, ist also den Deut-
schen wahrhaftig nicht leicht. Erleichtert wird er
ihnen nur dadurch, das der heutige Zustand unhalt-
bar ist, dass sonst die Böhmen unbedingt das Par-
lament durch die Obstruktion zerschlagen, wie es
einst die Deutschen gethan und dass es dann ent-
weder zum Absolutismus, der jedoch nicht lange
währen könnte, oder zu der Oktroyirung einer neuen
Verfassung kommen müsste, , wobei die Deutschen
mehr verlieren könnten, als sie in einem gerechten
und billigen Ausgleich mit den Böhmen opfern
müssten.
Die Deutschen fühlen wohl selbst, dass der Staat
für sie nicht mehr thun kann, als er bisher gethan
hat Eine neue Verfassung müsste demokratischer
werden, gerecht in den Wahlordnungen, ohne die
künstliche Wahlgeometrie der jetzigen, und die Deut-
schen, welche etwas mehr als 8 Millionen unter 24
sind, müssten damit rechnen, dass ihre Minorität
definitiv festgelegt wäre, Sie müssen auch fürchten,
dass der Staat es in seinem ureigensten Interesse
nicht mehr wagen dürfe, den Deutschen die künstliche
Oberherrschaft zu verschaffen, weil ein grosser Theil
unter ihnen geradezu staatsfeindlich geworden ist
und ein Programm hat, welches für. die Selbständig-
keit und Unabhängigkeit Oesterreichs die grösste
Gefahr. bildet. Die bedeutendste der deutschen Par-
teien, die Deutsche Volkspartei, hat als die vor-
nehmsten Punkte ihres Programmes das staatsrechtlich
in den Grundgesetzgebungen beider Reiche festgelegte
Bündnissund dann die Zollunion mit dem Deutschen
Reiche, also ein Programm, welches mittelbar zu einer
vollständig abhängigen Stellung der Habsburgischen
Monarchie von dem Hohenzollerischen Deutschland,
als dem viel stärkeren Kompaciscenten führen muss,
weil es für das schwächere Oesterreich keinen Aus-
weg, kein anderes Bündniss oder Vertragsverhältnisse
mehr gäbe. Und die Alldeutschen, welche zwar durch
den Kampf ihrer Führer etwas geschwächt wurden,
aber die deutsche, nationale Jugend für sich haben,
wollen ohne alle Umschweife direkt den Anschluss
140
der ehemaligen österreichischen Länder an das Deutsche
Reich.
Diesen „Stützen" Oesterreichs noch grössere Pri-
vilegien zu geben, sie künstlich auf Kosten Derje-
nigen, welche Oesterreich aufrichtig wollen, noch zu
unterstützen und ihr schwindlig-unnatürliches Ueber-
gewicht noch durch neues Unrecht neue Oktroyirungen
zu festigen, das wäre eine so bewusst selbsmörde-
rische Politik, dass sie auch in Wien unwahrschein-
lich sein muss. Es will daher scheinen, dass es
auch für die Deutschen die einzige vernünftige Po*
litik wäre, nicht mehr zu verlangen, als ihnen ohne-
dies Niemand abspricht, alle Träume von einem
Oesterreich unter deutscher Hegemonie aufzugeben
und Frieden zu schliessen mit den übrigen Nationen
auf Grund der ehrlichen Gleichberechtigung. Wirth-
schaftlich würden sie vor allen übrigen dabei nur
gewinnen, wenn sie alle Kräfte der wirtschaftlichen
Entwicklung, unbesorgt um die nationale Existenz,
widmen könnten, und national werden sie ja ohne-
hin immer noch eine bessere Stellung als die übri-
gen haben, weil die Gentralstellen in Wien, das Heer
und die Diplomatie lange noch die deutsche Sprache
als die Geschäftssprache gebrauchen werden. Thun
sie es freiwillig nicht, so wird der Staat unvermeid-
lich gezwungen werden, Ordnung zu machen, hoffent-
lich im Sinne der Lebensinteressen Oesterreichs,
welches ein deutscher Staat nie werden darf, wenn
es neben dem mächtigen Deutschen Reiche frei und
selbständig bleiben will. Man hat ja schon den An-
fang dessen gesehen, was es bedeuten würde, wenn
der Herzenswunsch der Deutschen nach einer in-
nigen unlösbaren Verbindung mit Deutschland ganz
erfüllt würde. Nicht der Mangel an Kolonien, nicht
die Nichtbetheiligung an grossen Weltproblemen hat
die Stellung Oesterreichs international verändert,
sondern seine absolute Ergebenheit in das deutsche
Bündniss.
Seit Jahren arbeitet die gesammte deutsche und
von Deutschland beeinflusste öffentliche Meinung in
wohlorganisirter Weise für eine förmliche Hypnoti-
sirung Oesterreichs durch den Dreibund. Systema-
141
tisch, tagtäglich wurde derselbe als einzig möglicher
Weg der österreichischen Politik gezeigt und es ge-
lang auch, das Bündniss mit Deutschland in Oester-
reich als eine geheiligte Institution in den entschei-
denden Kreisen erscheinen zu lassen, deren Kritik
beinahe zum Landesverrath oder wenigstens als
Wahnsinn gestempelt wurde. Das Verständniss für
die Wirklichkeit verschwand vollständig in diesem
verzückten Kultus der Schöpfung Bismarck's, die
Deutschen proklamirten das deutsche Bündniss als
eine nationale Institution, verlangten im Innern eine
deutschfreundliche Politik als Konsequenz des Bünd-
nisses und die Welt gewöhnte sich daran, nicht
mehr zu fragen, was Oesterreich will, weil es über-
flüssig war, wenn man wusste, was Deutschland thun
wird. Dabei machte man die unmögliche Politik mit
Stambulov und Milan, trieb es zu einem immer mehr
drohendem Konflikte mit Russland und im Schatten
dieses österreichisch-russischen Gegensatzes setzte
sich Deutschland in Konstantinopel fest, verdrängte
Alle und wurde allraälig zur Schutzmacht der Türkei,
wie es sich darin später im griechischen Kriege, in
der Kreta-Frage und in der Bagdad-Bahn-Frage ge-
zeigt hat. Das waren die Früchte der Hypnose, in
welche sich Oesterreich durch das Bündniss ein-
schläfern Hess. Erst durch die Publikation des
deutsch-rassischen Separatübereinkommens, welches
Oesterreich die Augen öffnete, in welche Gefahr es
sich durch seine frühere Balkan -Politik begeben
hatte, und deutlich zeigte, dass es eigentlich ohne
die sichere Rückendeckung war, auf welche es ver-
traute, und seit dem Abschlüsse des Petersburger
österreichisch-russischen Uebereinkommens sind die
Verhältnisse anders geworden.
Es ist schon erlaubt, den Dreibund kritisch an-
zusehen, man fängt an, zu verstehen, was die Cechen
immer wiederholt haben, dass Deutschland Oester-
reich unbedingt für seine Weltmachtstellung als
Rückendeckung brauche und nicht umgekehrt, dass
es gefährlich ist, sich allzu willenlos in die deutsche
Politik zu ergeben, welche so sprunghaft und auch
beim aufrichtigen und ehrlichen Friedenswillen doch
142
gefährlich ist, weil sie ein Grosses will und so zahl-
reiche Lebensinteressen anderer Weltmächte berührt,
ja durchkreuzt. Man fühlte es schon in Wien, dass
man durch die Petersburger Entente freier wurde,
dass Österreich dem Berliner Einflüsse allmälig ent-
geht und dass Deutschland jetzt Oesterreich suchen
muss und dass es daher nicht mehr in Wien als
der unberufene Protektor Oesterreichs und leider
manchmal auch der Deutschen Oesterreichs auftreten
darf, wenn es nicht der Gefahr einer Isolirung in
Europa sich aussetzen will; ja diejenigen Stimmen,
welche von Deutschland fordern, • dass . es seine
Bundespflicht erheischt, die Alldeutschen energisch
von seinen Rockschössen abzuschütteln, sind nicht
mehr vereinzelt und ohne jedes politische Gewicht
Diese zwar langsame, aber sicher vorwärts schrei-
tende Emanzipation Wiens von Berlin — trotz des
Weiteren Bestandes des Dreibundes — r welche von
einer so grossen internationalen Tragweite ist, hat
sich am besten bei dessen Erneuerung gezeigt.
Gejubelt darüber haben nur Diejenigen, welche
im Grunde des Herzens gefürchtet haben, dass der
Dreibund nicht erneuert werden könnte. So mensch-
lich ist die heilige Institution geworden -r- und es
ist ja kein Zweifel, dass sie den Weg alles Mensch-
lichen gehen wird. Den Gipfelpunkt seiner Bedeu-
tung hat der Dreibund längst überschritten. Neues
entwickelt sich daneben und darüber. Die Separat-
übereinkommen - der Dreibundmächte sind es ja,
welche der europäischen Politik ihre Farbe und ihren
Charakter geben Der Dreibund regt Niemanden mehr
auf, der realistisch genug denkt, um zu erkennen,
dass die Erneuerung des Dreibundes sehr wenig,
seine Nichterneuerung jedoch im gegenwärtigen Mo-
itiente noch zu viel bedeuten würde für die ruhige
Entwickelung der internationalen Politik. Der Drei-
bund ist wie der Nothausgang für den Fall einer
Feuersbrunst in einem alten, engen Theater. Für
alle Fälle ist er da, aber weil der Nothausgang im
•Augenblicke der Gefahr manchmal nicht ganz sicher
funktionirt, so wird man endlich auch auf den gründ-
lichen Umbau des Theaters denken müssen, wo man
143
sich auf die moderne, rationelle Anlage eines ganz
neuen, grösseren Gebäudes wird verlassen können,
und nicht auf Nothbehelfe, welche den neuen
Bedürfnissen und Anschauungen nicht mehr ent-
sprechen.
Eine Verstärkung der Stellung der Deutschen in
Oesterreich, ihr entscheidender Einfluss auf die in«
nere und damit auch die -äussere Politik der Mon-
archie würde diese Entwickelung der Dinge unter-
binden und unmöglich machen. Das fühlt man in
Deutschland, und nicht nur nationales Fühlen mit
den Stammesbrüdern jenseits der Grenze, sondern
auch der gesunde Egoismus führt die Deutschen
im Deutschen Reiche dazu, den Kampf der Deut-
schen in Oesterreich als ihren eigenen anzusehen
und in denselben mit allen Mitteln einer mo-
ralischen und allzuoft auch einer materiellen Unter-
stützung einzugreifen. Sie fühlen sehr gut, was
für die deutsche Politik die Sicherung des deutschen
Charakters Oesterreichs für alle Zukunft bedeuten
würde, auch wenn die letzten Ziele der Alldeutschen
nicht in Erfüllung gingen. Das Bündniss mit Deutsch-
land würde wieder die geheiligte Institution für
Oesterreich werden, die anzurühren ein Hochverrate
wäre, und die Deutschen würden gewiss an die Er-
füllung ihres vornehmsten Programmpunktes gehen:
die Zollunion mit Deutschland, Oesterreich würde
wieder ein Appendix Deutschlands in internationaler
Beziehung werden und die europäische Politik wäre
genöthigt, nicht mehr mit einem selbständigen freien
Oesterreich, sondern nur mit einem durch unbedingte
Hingabe Oesterreichs starken, fast unüberwindlichen
Deutschland zu rechnen. Mann könnte dann in Wien
Souveränität, auswärtige Politik spielen, das riesen-
starke Deutschland würde schon die österreichische
Politik dorthin stellen, wohin es ihm passt.
Das wäre das Gefährlichste für das Gleichge-
wicht Europas. Denn ohne einen europäischen
Krieg, ohne Umwälzungen, beinahe unbemerkt, nur
durch Aenderung in der inneren Politik Oesterreichs,
auf welche Niemand hoffen kann und darf, würde
der reelle, der eigentliche Inhalt der grossdeutschen
144
Pläne in Erfüllung gebracht. Die deutsche Politik,
auch die wirtschaftliche, würde von Balt bis zur
Adria gebieten, im Mittelmeer hätte Deutschland
durch das bis zum Aufgeben des eigenen Volkes
verbündete Oesterreich eine neue, feste Position, und
über den Balkan und das ohnehin schon vollständig
botmässige Konstantinopel könnte dann Deutschland,
von Oesterreich gestützt, Klein-Asien, von Hajdar
Pascha bis Bagdad und den persischen Meerbusen
in die Sphäre seiner grossartigen neuen Weltpolitik
fest und für immer einschliessen. Dazu wäre nichts
Anderes nothwendig, als dass die Deutschen in
Oesterreich einen entscheidenden Einfluss bekommen
und im Parlamente die Zollunion mit Deutschland
beschliessen. Das andere wäre nur die selbstver-
ständliche Konsequenz, welche Niemand mehr ab-
wenden könnte. Im Bunde eines Starken mit einem
Schwachen befiehlt, entscheidet und regiert der
Starke. Das ist ein Naturgesetz, welches für Oester-
reich keine Ausnahme machen würde.
Das ist der Hintergrund, die tiefe Perspektive
der nationalen Kämpfe in Oesterreich. Es ist ein
Kampf nicht nur um das nationale Selbstbestim-
mungsrecht der slavischen Nationen, um ihre Freiheit
und Gleichberechtigung, sondern ein Kampf um
Oesterreich, um seine Macht und Unabhängigkeit
und seine vollständige Freiheit nach Aussen. Es hat
lange genug gedauert, dass nur die Deutschen Die-
jenigen waren, welche eine jede Bewegung der Welt-
politik mit allen ihren logischen Folgerungen gleich
anfangs richtig erkannt und auch ausgenützt haben.
Europa kam aus der Ueberraschung nicht heraus.
Wie war man noch zuletzt in Russland überrascht,
als man plötzlich wahrgenommen, dass Deutschland
in Konstantinopel der mächtigste Faktor geworden
ist und dass es die Bagdadbahn bauen wird! Und
die französischen Botschafter verschaffen den Deut-
schen dazu das nöthige, fehlende Kapital, damit ja
die Deutschen Kleinasien ökonomisch und politisch
vollständig beherrschen können. Wie wird man ein-
mal erst überrascht sein, wenn die Deutschen ihre
methodische, beharrliche, stille Politik geendet haben !
145
Deswegen ifct es höchste Zeit, dass man wisse, wormü
es sich in Oesterreich handelt, und dass die öffent-
liche Meinung in Europa sieh darüber klar wird,
dass gerade, so wie einst gegen die Gefahr Tom
Osten die Schaffung des Donaureiches eine Not-
wendigkeit war, es heute eine ebenso unbedingte
Notwendigkeit für das europäische, ja das Gleich-
gewicht der .Welt ist,: damit jetzt das riesenhaft an-
gewachsene Deutschland über Oesterreich nicht den
Osten und die Weltherrschaft gewinnt. Aber nicht
nur dasl Kein schwaches, hinsiechendes Oesterreich
braucht die Welt, sondern nur ein starkes, kräftiges,
innerlich gesundes Reich wird die wichtigste Wacht
des Weltgleichgewichtes erfüllen können. Das Habs-
burger Reich ist alt, aber es könnte noch ein neues«
besseres, kaum geahntes Leben innerer Gesundheit
und Frische zu leben anfangen, wenn es endlich nach
Jahrhunderten seinen einzig richtigen Weg finden
würde: ein Reich zu sein, in welchem das schwier
rige Problem der nationalen Frage gelöst wäre
durch die gleiche' Gerechtigkeit und Billigkeit zu
allen seinen Völkern, ein Reich, welches stark genug
wäre, den Frieden unter seinen Völkern im Innern
herzustellen, aber auch denselben nach Aussen gegen
jede Bedrohung auf dieser für das europäische
Gleichgewicht entscheidenden Stellen aufrechtzuer-
halten.
So kämpfen die Böhmen einen grossen, nicht
nur für sie und Oesterreich bedeutungsvollen Kampf.
Nicht lächerliche Selbstüberhebung ist es, wenn sie
sich der Tragweite ihres Strebens bewusst sind. Es
wäre besser und angenehmer für sie, unbemerkt
um ihr unbestritten nationales Leben zu pflegen
und zu entwickeln und aus ihrer Zukunft keine
europäische Frage zu machen. Der Kampf, den
sie führen, ist ja nicht leicht, nicht angenehm und
zehrt ihre besten Kräfte auf, welche, für die innere
Entwicklung der Nation verwendet, Bedeutendes lei-
sten könnten. Das Schicksal hat jedoch das böh-
mische Volk in das Herz Europas gestellt, in das
germanische Meer hinein, und hier bilden, sie das
Hinderniss, dass sich die germanischen Fluthen von
10
146
der Nordsee bis zur Adria ergiessen. Die Alldeut-
schen haben recht, die Cechen sind der Pfahl im
Leibe Germaniens. Sie wollen, werden und müssen
es bleiben, und hoffen fest und unentwegt, dass es
ihnen gelingen wird, auch ganz Oesterreich zu einem
unüberwindlichen Schutzwall gegen die germanische
Ueberfluthung zu machen."
Soweit die Beleuchtung der böhmischen Frage
von Dr. Kramäf.
Der Sprachenstreit in den böhmischen Ländern
dreht sich hauptsächlich um den Gebrauch der böh-
mischen Sprache bei den Behörden. Ueber diese Frage
hat da3 „Vaterland" in Wien offenbar aus der Feder
Sr. Excellenz Baron Helfert folgende Zusammenstel-
lung gebracht. „Bis zum fünfzehnten Jahrhunderte
richteten sich — wenn von der Zeit vor dem Jahre
1300 abgesehen wird — die Städte Böhmens theils
nach dem Iglauer Stadt- und Bergrechte (aus der Zeit
von 1240-1248;, theils nach dem Stadtrechte der Alt-
stadt Prag (gewiss Ende des dreizehnten Jahrhunderts),
ferner nach dem Magdeburger Rechte (Aussig, Laun,
Leitmeritz, Nimburg, Schlan, sogar die Kleinseite und
Hradschin) und nach dem Brünner Stadtrechte (Eger).
Gemäss der von Vladislav II. im Jahre 1500 hinaus-
gegebenen, später im Jahre 1564 unter Maxmilian IL
korrigirten Landesordnung, Absatz B. XXXII., waren
Ausländer verpflichtet, ihre Rechtsstreite vor dem
Landesgerichte in böhmischer Sprache zu verhandeln.
In dem von Galli 1579 an geltenden sogenannten
böhmischen Stadtrechte, welchem das erwähnte Stadt-
recht der Altstadt Prag (ein Manuskript hievon aus
dem vierzehnten Jahrhundert befindet sich im Archive
der Stadt Prag) zugrunde lag, wurden alle besonderen
Stadtrechte aufgehoben und bestimmt, dass „man nur
einerlei Stadtrecht in den königlichen Städten ge-
brauchen solle". — Im Absatz B. VIII. war angeordnet,
dass bei allen ordentlichen Gerichten in Böhmen in
böhmischer Sprache geklagt und verhandelt werden
solle.
Diese Verhältnisse wurden durch Kaiser Ferdi-
nands IL erneuerte Landesordnung vom Jahre 1627
geändert, welche in sprachlicher Beziehung nament-
147
Hch folgende Bestimmungen enthält: G. II. Die
deutsche und die böhmische Sprache sind gleich-
berechtigt. C. V. Der Kläger hat in der Sprache des
Geklagten zu klagen. Der ganze Process war in der
durch die Klage bestimmten Sprache zu verhandeln
und zu erledigen. D. XLVII. In dieser Sprache sind
auch die Akten abzulesen, Umfrage zu halten und zu
Totiren. G. IV. und D. VII. Zeugen sind in ihrer
Sprache abzuhören, jedoch sind für den Process
Uebersetzungen anzufertigen. D. XLII. Advokaten
bedienen sich ihrer Muttersprache. D. XLIII. Alle
Schriften sind im Originaltexte vorzulesen, daher
Deklamatores für die deutsche und die böhmische
Sprache. D. XLVII. Theilung des grösseren Land-
rechtes in zwei Abtheilungen, nämlich eine deutsche
und eine böhmische. E. IV. Die Kanzlei (das ist Hof-
kanzlei für die politischen Angelegenheiten) hat gleich-
falls ihre Erledigungen deutsch und böhmisch mit
Rücksicht auf die Nationalität der Partei (nach Stand,
Kreis, Person) hinauszugeben. E. XV. Kaufschillings-
berechnungen in Exekutionsfällen sind in der Sprache
der Mehrheit der Gläubiger abzufassen. F. XLVI. und
F. LXXI. Das Kammerrecht und das Hof- und Lehen-
recht werden in eine deutsche und eine böhmische
Abtheilung getheilt. J. VI. Von nun an haben die
Eintragungen in die Landtafel nach Wahl der Partei
in deutscher und böhmischer Sprache zu erfolgen.
Die erneuerte Landesordnung vom Jahre 1627
(nebst den Nachtragsdeklaratorien vom Jahre 1644)
wurde, was das in derselben ausgesprochene Princip
der vollsten Gleichheit beider Landessprachen anbe-
langt, seither bis jetzt durch keinerlei gesetzliche
Bestimmung abgeändert. Die (vom 1. Jänner 1782 an
in Geltung gestandene) allgemeine Gerichtsordnung
vom 1. Mai 1781 bestimmt im § 13, dass beide Streit-
theile in ihren Reden sich der landesüblichen Sprache
zu bedienen haben. Laut der Resolution vom 14. Juni
1784 Nr. 306 I. G.-S. lit. t) „stand den Parteien be-
vor zu fordern, dass ihre mündlichen Nothdurften
von Wort zu Wort in das Protokol eingetragen wer-
den". In der Gerichtsinstruktion (Patent vom 9. Sep-
tember 1785, Nr. 464 I. G.-S.) ist verordnet, dass in
10*
148
deto Referaten die Parteienbitten „von Wort zu Wort"
abzuführen, die von den Parteien vorgelegten Urkun-
den bei der ßerathung „nach ihrem ganzen Inhalte"
vorzulesen sind. Mit Hofdekret vom 30. November
1787, Nr. 750 I. G.-S., wurde allen Appellations-
gerichten verordnet, darauf zu sehen, dass alle Magi-
fetratsvorstände undRäthe der in ihrem Gerichtsbezirke
üblichen Ländessprache mächtig seien. Mit Hofdekret
Vom 22. December 1835 Nr. 109 I. G.-S. wurde zu-
folge allerhöchster Erschliessung vom 27. April 1835
allen Appellations-Gerichten bedeutet, dass ^die Par-
teien gehalten sind,' allen nicht in der Gerichtssprache
oder in einer der Landessprachen ausgestellten Ur-
kunden, wovon in oder ausser Streitsachen bei Gericht
Gebrauch gemacht werden soll, beglaubigte Uebersez-
zungen in die Gerichtssprache oder in eine der Landes-
sprachen beizulegen". Mit Hofdekret vom 16. Jänner
1835, Nr. 2682 I. G.-S. wurde zufolge allerhöchster
Entschliessung vom 8. Jänner 1835 angeordnet, dass
die „Kriminalaktuare bei den verschiedenen Gerichts-
stellen, damit sie ihrer Bestimmung und der Erfül*
hing der ihnen obliegenden Pflichten vollständig ent-
sprechen können, nebst den sonst erforderlichen
Eigenschaften der Sprache des Landes vollkommen
kündig sein sollen, in welchem sie ihre Anstellung
als Aktuare erhalten, wovon sich jederzeit die Ueber-
zeugung zu 'verschaffen ist, bevor ein Individium zu
einer derlei Stelle ernannt wird. Deshalb ist bei der
Konkursausschreibung zu Krimialaktuarstellen stets
ubter den auszuweisenden Erfordernissen die volle
Kenfitnlss der Landessprache anzuführen".
In dem an das böhmische AppellationsgerichMu*-
folge allerhöchster Entschliessung vom 24. Oktober
1840 ergangenen Hofdekrete vom 4. Oktober 1840,
Nr. 474 L G.-S. erscheint ausgesprochen, daäs'tfür
Advokatenstellen auf dem Lande in Böhmen die voll-
kommene Kenntniss der böhmischen Sprache erfor-
derlich ist. Mit Gubernialdekret vom 11. Oktober 1$I&
(Prov.-Gesetzsammlung I., Seite 532) wurden zufolge
Dekret der Studien-Hofkommission vom 23. August
1816 die Kreishauptleute und k. k. StudiendiröktÖrate
angewiesen. Anfangs eines jeden Schuljahres in den
W
philosophisches und juridischen. rStu4ien^psitalt^
bekannt ;zu machen, dass bei Aufnahme zu, denppHt
tischen Stellen der böhmischen Lander den der bohr
mischen Sprache mächtigen SStudirenflen bei gleichep
anderen Fähigkeiten der Vorzug gegeben werde. -Zu-
folge Hofkanzleidekret vom 26. Feber 1818 (Proy.-
Ges.-Samml III. S. 122) : haben Seine Majestät -mit
allerhöchster Erschliessung vom 13. Feber 1819
»neuerdings anzuordnen geruht, bei Anstellungen bei
Kreisämtern darauf zu sehen, dass die Beamten die
Sprache des Landes oder der Gegend, in der sie pnr
gestellt werden, vollkommen besitzen". Zufolge Hoft
ianzleidekret vom 27. Jänner 1833 (Prov.-Ges.-Samml
XV. S. 56) wurde der Hofkanzlei mit allerhöchster Entr
Schliessung vom 21. Jänner 1833 „der Auftrag ertheilt;
den Länderstellen zur Pflicht zu machen, dass für
die Kreishauptmanns- und Kreis-Kommissärs$telleij
nur solche Individuen in Vorschlag gebracht werden,
die sich im Besitze der vollständigen Kenntniss der
«Sprache des Landes und des Kreises, in welche sie
zur Dienstleistung berufen werden, befinden".
; Zufolge Hofkanzlei-Präsidi#lschreibens vom. 15.
December 1834 (Prov.-Gesetzsammlung XVIL, Seite 22)
„haben Seine Majestät aus Anlass eines eingetretenen
Falles mündlich den strengen allerhöchsten Willen
auszusprechen geruht, dass die kreisämtlicheu Be-
amten, welche die Bestimmung haben, mit den Landes-
einwohnern unmittelbar zu verhandeln, die volle und
genaue Kenntniss der Landessprache besitzen müsset*
und dass in dieser Beziehung bei Personalvprschlägen
sich durchaus nicht auf blosse Angaben zu verlassen
sei, sondern dass von dem unmittelbaren Vorgespiel-
ten die bestimmte Versicherung vorliegen müsse, <J#ss
die Behauptung wegen vollkommener Kenntniss der
Landessprache auch richtig sei". Infolge allerhöchsten
Kabinetschreibens vom 8. April 1848 wurde r mit
Ministerialdekret vom 15. April 1848, £. 21415 (ßöhr
mische Prov. Gesetzsammlung Band XXX«, Absatz 9)
wQrtlich ausgesprochen« dass von nun an in Böhmen
alle öffentlichen Aemter und Gerichtsbehörden nur
dujpb Individuen besetzt werden sollen^ weicht beir
der Landessprachen kundig $ind, Auf Grund kliert
150
höchsten Kabinetschreibens hat das böhmische Appel-
lationsgericht mit Genehmigung des Justizministeriums
vom 22. Mai 1848, Nr. 721, eine Verordnung vom
30. Mai 1848, Nr. 9535 (Prov. Gesetzsammlung XXX.,
Absatz 1, Seite 261) erlassen, wonach Jedermann bei
Gericht deutsch oder böhmisch einschreiten kann,
und sich das Protokoll und die Erledigung nach
dieser Sprache zu richten habe.
Mit Erlass des Justizministeriums vom 23. Mai
1852, Z. 11815, wurde dem Oberlandesgerichte und
der Oberstaatsanwaltschaft in Prag bedeutet, dass im
Strafverfahren, falls der Angeklagte nur der böhmi-
schen Sprache mäphtig ist, alle Eingaben der Staats-
anwaltschaft inclusive der Anklage in böhmischer
Sprache zu überreichen, die Vernehmung des Ange-
klagten, sowie der blos der böhmischen Sprache
mächtigen Zeugen und Sachverständigen in böhmi-
scher Sprache zu Protokoll zu bringen, alle gericht-
lichen Entscheidungen in böhmischer Sprache zu er-
lassen sind und die Hauptverhandlung in dieser
Sprache zu pflegen ist, dass aber abgesehen hievon
im Strafverfahren sich der deutschen Sprache zu be-
dienen ist, „welche überhaupt als die Sprache des
inneren Dienstes die Regel zu bilden hat." Mit Erlass
des Justizministeriums Vom 4. März 1856, Z. 4749,
wurde dem Oberlandesgerichte in Prag bedeutet, dass,
da ^nach dem gesetzlich bestehenden Grundsatze im
inneren Geschäftsverkehre der k. k. Gerichte nur die
deutsche Sprache als Geschäftssprache zu gelten hat",
unbeschadet der im § 257 der Strafprocessordnung
enthaltenen Bestimmungen rücksichtlich der Beur-
kundung der Vorgänge der mündlichen Schlussver-
handlung und mit vollkommener Aufrechthaltung des
Ministerialerlasses vom 23. Mai 1852, Z. 11815 (im
Vorstehenden), in allen künftigen Fällen die über
die mündlichen Schlussverhandlungen in Strafsachen
aufzunehmenden Protokolle lediglich in der deutschen
Sprache zu verfassen sind, soweit es sich nicht um
die Protokollirung der Aussagen des Angeklagten, der
Zeugen und Sachverständigen in jener Landessprache,
in welcher sie abgegeben worden sind, oder um jene
Stellen handelt, welche in ihrer wörtlichen Fassung fest-
151
gestellt werden müssen. Mit Erlass des Justizministe-
riums vom 31. März 1856, Z. 6742, wurde dem Prager
Oberlandesgerichte verordnet, die vorstehende Wei-
sung vom 4. März 1856, Z. 4749, auch den Bezirks-
gerichten zur Richtschnur im Verfahren über Ueber-
tretungen (betreffs der Sprache des Schlussverhand-
lungs protokol] es) bekannt zu geben. Im kaiserlichen
Patente vom 9. August 1854, Nr. 208 des Reichs-
gesetzblattes, über das ausserstrittige Verfahren wurde
(§ 4) vorgeschrieben, dass „schriftliche Gesuche in
einer bei Gericht üblichen Sprache geschrieben sein
müssen".
Mit Erlass des Justizministeriums vom 10. Jänner
1864, Z. 617, ai 1863 praes. wurde verordnet, und zwar
den Oberlandesgerichten in Prag und Brunn: 1. dass
die oberlandesgerichtlichen Entscheidungen in jenen
Fällen, wo die Verhandlung in erster Instanz in
einer anderen als der deutschen Sprache geführt wurde,
vom Oberlandesgerichte nicht nur in der deutschen,
sondern auch in derjenigen Sprache, in welcher die
Verhandlung in erster Instanz stattfand, hinauszugeben
sind; 2. dass bei den in zwei Sprachen zu erfolgen-
den Ausfertigungen der Entscheidungen auf der einen
Papierspalte der Text in der deutschen und auf der
anderen Spalte in der Sprache, in welcher die Ver-
handlung geführt wurde, auszufertigen und die all-
fälligen Verfügungen und Bemerkungen an die Ge-
richte am Schlüsse des deutschen Textes beizufügen
oder dieselben mit einer besonderen Ausfertigung hin-
auszugeben sind ; 3. dass die Entscheidungen jeden-
falls, die Entscheidungsgründe aber in allen Fällen,
in welchen sie den Parteien von Amtswegen auszu-
fertigen und in beiden Sprachen hinauszugeben sind
und es nur in jenen Fällen, in denen die Hinaus-
gabe der Entscheidungsgründe nicht von Amtswegen,
sondern blos auf Anmelden der Parteien stattfindet,
zulässig sei, den Parteien, wenn sie die Hinausgabe
nur in einer Sprache verlangen, selbe auch nur in
dieser Sprache zu ertheilen. 4. Das über Eingaben,
die beim Oberlandesgerichte in einer anderen als der
deutschen Sprache überreicht werden und über welche
ohne vorausgegangene Verhandlung ein Bescheid er-
152
theilt wird, der unmittelbar an die Partei ergeht,
derselbe in der Sprache der Eingabe, wenn er aber
mittelst des ersten Richters erfolgen soll, an den-
selben in deutscher Sprache und dem ersten Richter
aufzutragen sei, die Partei in der Sprache der Ein-
gabe zu verständigen. Die Notariatsurkunden sind in
der im Sprengel des Notars üblichen Landessprache
aufzunehmen. '
Es folgte die Verordnung der Ministerien des
Innern und der Justiz vom 19, April 1880 (L.-G.-Bl.>
für Böhmen Stück V., ausgegebeü am 13. Mai 1880),
betreffend den Gebrauch der Landessprachen im Ver-
kehre der politischen, gerichts- und staatsanwalt-
schaftlichen Behörden in . Königreich Böhmen und in
Mähren mit den Parteien und autonomen Organen.
Diese Verordnung bestimmte: § 1. Die politischen,
Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden im
Lande sind verpflichtet, die an die Parteien über
deren mündliche Anbringen oder schriftliche Eingaben
ergehenden7 Erledigungen in jener der beiden Landes-
sprachen auszufertigen, in welcher das mündliche
Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe ab-
gefasst ist. § 2. Protokollarische Erklärungen der
Parteien sind in jener der beiden Landessprachen
aufzunehmen, in welcher die Erklärung abgegeben
wird. § 3. Urkunden oder andere Schriftstücke, welche
in einer der beiden Landessprachen abgefasst sind
und als Beilagen, Behelfe oder sonst zum amtlichen
Gebrauche beigebracht werden, bedürfen keiner Ueber-
setzung. § 4. Die nicht über Einschreiten der Parteien
erfolgenden behördlichen Ausfertigungen haben in
jener der beiden Landessprachen zu erfolgen, die von
der Person, an welche die Ausfertigung gerichtet ist,
gesprochen wird. Ist die Sprache, deren sich die
Partei bediente, nicht bekannt oder ist sie keiüer der
beiden Landessprachen, so ist jene der Landessprachen
zu -gebrauchen, deren Verständniss nach Beschaffen-
heit des Falles, wie insbesondere nach dem Aufent-
haltsorte der Partei vorausgesetzt werden kann.
§ 5. Die Bestimmungen der §§ 1 bis 4 gelten auch
rücksichtlieh der Gemeinden in jenen Angelegenheiten*
in denen sie als Parteien anzusehen sind. § 6. Alle
153
amtliehen. Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen
Kenntniss im Lande bestimmt sind, haben in beiden
Landessprachen ;?u ergehen. Lediglich für einzelne
Bezirke oder Gemeinden bestimmte amtliehe Be-
kanntmachungen, haben in den Landessprachen zu
erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Ge-
meinden üblich sind. § 7. Aussagen von Zeugen sind
in; jener Landessprache aufzunehmen, in welcher die-
selben abgegeben worden sind. § 8. In strafgerichtlichen
Angelegenheiten sind die Anklageschrift, sowie über-
haupt die dem: Angeschuldigten zuzustellenden An-
träge, Erkenntnisse und Beschlüsse für denselben in
fejier der beiden Landessprachen auszufertigen, deren
er sich bedient. In dieser Sprache ist auch die Haupt-
verhandlung zu pflegen und sind in derselben ins-
besondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des
Vertheidigers zu halten und die Erkenntnisse und
Beschlüsse zu verkünden.
Von den Bestimmungen des vorstehenden Ab-
satzes darf , nur insoferne abgegangen werden, als diier
selben mit Rüchsicht auf ausnahmsweise Verhältnisse,
insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammensetzung
der Geschwornenbank unausführbar sind, oder der
Angeschuldigte selbst den Gebrauch der anderen
Landessprache begehrt.
Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Ange-
schuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache
bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Landes-
sprache abzuhalten, welche das Gericht für den Zweck
der Hauptverhandlung entsprechender erachtet. In
allen Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten
und der Zeugen in der von ihnen gebrauchten Landes-
sprache aufzunehmen und die Erkenntnisse und Be-
schlüsse jedem Angeschuldigten in dieser Sprache zu
verkünden und auf Verlangen auszufertigen. § 9. In
bürgerlichen Rechtsstreiten ist das Erkenntniss sammt
Gründen in jener Landessprache auszufertigen, in
welcher der Rechtsstreit verhandelt wurde. Haben
sieh die Parteien nicht derselben Landessprache be-
dient, so hat, falls nicht ein Einverständniss vorliegt,
dass das Erkenntniss sammt Gründen nur in einer
der Landessprachen ausgefertigt werde, die Ausferti-
154
gung in beiden Landessprachen zu erfolgen. § 10. Die
Eintragung in die öffentlichen Bücher (Landtafel,
Bergbuch, Grundbuch, Wasserbuch u. s. w.), dann in
die Handelsfirmen-, Genossenschafts- und andere
öffentliche Register sind in der Sprache des münd-
lichen oder schriftlichen Ansuchens, beziehungsweise
des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu voll-
ziehen. In derselben Sprache sind die Intabulations-
klauseln den Urkunden beizusetzen. Bei Auszügen
aus diesen Büchern und Registern ist die Sprache
der Eintragung beizubehalten. § 11. Der Verkehr der
politischen, gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen
Behörden mit den autonomen Organen richtet sich
nach der Geschäftssprache, deren sich dieselben be-
kanntermassen bedienen.
Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche
die Funktionen der politischen Bezirksbehörde aus-
üben, wird hiedurch nicht berührt. Gegen diese eben
wörtlich angeführte sogenannte Sprachenverordnung
machte sich eine starke politische und nationale
Agitation geltend. Auch kam es vor, dass einzelne
deutsche Gerichte böhmische Eingaben mit Hinweis
darauf, dass die böhmische Sprache in dem betref-
fenden Bezirke nicht landes-, respektive gerichts-
üblich sei (§ 13 A. G.-O. und § 4 des kaiserlichen Paten-
tes vom 9. August 1854, Nr. 208 R.-G.-BL), zurück-
wiesen. Während das Prager Oberlandesgericht über
Rekurs in diesen Fällen konsequent die aufrechte
Erledigung der böhmischen Eingaben mit der Be-
gründung, dass in ganz Böhmen die deutsche und
böhmische Sprache als Landessprachen gelten, ver-
ordnete, entschied über Revisionsrekurs der Oberste
Gerichtshof anfangs in mehreren Fällen, dass in sol-
chen deutschen Gerichtsbezirken blos die deutsche
Sprache landesüblich sei und deshalb die Zurück-
weisung böhmischer Eingaben mit Recht erfolgte.
Später änderte jedoch der Oberste Gerichtshof die
Judikatur dahin ab, dass auch für deutsche Ge-
richtsbezirke die böhmische Sprache als Landes-
sprache (landes- respektive gerichtsüblich) in Betracht
zu kommen habe und demgemäss jede böhmische
Eingabe als böhmisch zu erledigen sei.
155
Mit Erlass des Justizministeriums vom 30. Sep-
tember 1886, Z. 17520 (Justizmin.-Vgsbl. vom Jahre
1886, S. 174) wurde folgende Verordnung wegen Ein-
schränkung der Uebersetzungen von an die Parteien
hinauszugebenden Erledigungen beim Oberlandes-
gerichte in Prag an dieses Oberlandesgericht erlassen :
Um die beim Oberlandesgerichte vorkommenden sehr
zahlreichen Uebersetzungen obergerichtlicher Erledi-
gungen auf das unvermeidliche Mass zu beschränken,
finde ich anzuordnen, dass vom 1. Jänner 1887 an-
gefangen beim Oberlandesgerichte in allen Fällen, in
welchen die Erledigung nur in einer der beiden Landes-
sprachen hinauszugeben ist, schon in den Anträgen
der Referenten die Entwürfe der Erledigungen und
deren an die Parteien hinauszugebende Begründung
in jener Sprache abgefasst und ebenso die etwa
gegen den Antrag des Referenten beschlossenen Er-
ledigungen in jener Sprache festgestellt werden, in
welcher dieselben nach den bestehenden Vorschriften
den Parteien zuzukommen haben. Hat die Erledigung
nach den bestehenden Vorschriften in beiden Landes-
sprachen zu ergehen, so bleibt es vorläufig bei der
bestehenden Uebung der Uebersetzung, welche aber
immer unter der Verantwortung des Referenten
und des Vorsitzenden des Senates zu erfolgen hat;
PraSäk m. p.
Verordnung des Justizministeriums vom 3. Feber
1890, Z. 1549 (Justizmin.-Vgsbl vom Jahre 1890, Nr. 6)
an das Oberlandesgerichts-Präsidium in Prag, betref-
fend Äenderurigen in der Gerichtsorganisation im
Königreiche Böhmen : Das Justizministerium beab-
sichtigt im Königreiche Böhmen, namentlich in den
Sprengein der Kreisgerichte Eger, Brüx, Leitmeritz,
Böhm. Leipa, Reichenberg undBudweis und den an-
grenzenden Sprengein eine Umgestaltung der Sprengel
der Bezirksgerichte und Kreisgerichte mit Berück-
sichtigung der Wünsche der betheiligten Bevölkerung
der territorialen, Kommunikations- und Verkehrs-
verhältnisse in der Weise vorzunehmen, dass soweit
möglich, die Gerichtssprengel nur Gemeinden einer
und derselben Nationalität umfassen. Ich ersuche das
Oberlandesgerichts-Präsidium, zu diesem Zwecke bei
156
dem Oberlandesgerichte eine Kommission qus richter-
lichen Beamten der Gerichte in Prag, welche mit den
lokalen und dienstlichen Verhältnissen der in Prag
kommenden Gebiete vertraut sind, einzusetzen.
Nun folgen Bestimmungen über die Zusammen-
setzung und den Vorgang der erwähnten Kommission,
wonach es dann heisst : Die in Prag eingesetzte Kom-
mission hat die Anträge der Kreisgeriqhte in Berathung
zu ziehen und ihr Gutachten, wenn thunlich, nach
Kreisgerichtssprengeln gesondert, dem Justizministe-
rium vorzulegen. Ich kann wohl voraussetzen, dass
die Kommission die Bedürfnisse und Interessen der
Justizpflege stets im Auge behalten und insbesondere,
wenn es sich um die Neuerrichtung von Gerichten
handeln sollte, die finanziellen Rücksichten beachten
und sich nur auf das Noth wendige beschränken wird.
Schliesslich ersuche ich das Oberlandesgerichts-Präsi-
dium dahin zu wirken, dass diese ganze Angelegen-
heit mit thunlicher Beschleunigung behandelt werde,
indem es mir sehr erwünscht wäre, wenn wenigstens
einzelne Theile dieses Operates in Gemässheit der
Gesetze von 11. Juni 1868, Nr. 59 R.-G.-Bl. und vom
20. April 1873 Nr. 62 R.-G.-B1. dem Landtage vor
dessen nächster Session mitgetheilt werden könnten.
Sjchöuborn m. p.
Infolge dieser Verordnung wurden seitens der
erwähnten sogenannten Landes-Kommission mehrere
Anträge dem Justizministerium vorgelegt und sphin
vom, Letzteren an den böhmischen Landtag zur Be-
gutachtung geleitet. Auf Grund des Kommissions-
antrages wurde wegen Bestandes früherer Landtags-
gutachten sofort ohne Abforderung einer nochmaligen
Aeusserung des Landtages mit Verordnung vom 22.
April 1892 das deutsche Bezirksgericht Weckelsplorf
errichtet. Die angekündigte Berathung der Regierungs-
vortage, betreffend die Frage der Errichtung eines
Kreisgerichtes (deutsch) in Trautenau, gab im böh-
mischen Landtage den Anlass zu den bekannten tur-
bulenten Scenen vom, 17. Mai 1893, welche die Schlies-
sung des Landtages zur Folge hatten. Von jien Ge-
richten , e?sjte£ , Instanz wurden die sämmtlichen
Abgrengungsopeiftte durchgeführt und der Prager
*57
Koirittiission vorgelegt; 'welche {die&6lb£tf gemäss : Ver-
fügung des Justizministerium^ zum Zwecke der Be-
räthiing vorher an den böhmischen Landes-Ausschüös
zur BMusserang mittheilte, zu welcher es jedoch
seither nicht mehr kam. Anbelangend die Abgrenzung
der Gerichtsbezirke womöglich nach der Nationalität
der Bevölkerung, so hat der Landtag des Königreiches
Böhmen schon mit Resolution vom 5; December
18tf2 — (damals gehörte der Landtag seiner Majo-
rität nach der deutschen Partei an) -^ den Wuns'ch
ausgesprochen; dass die Bezirkssprengel soviel als
möglich nach der Sprache dör Gemeinden abgegrenzt
werden.
Weiters wurde im Jahre 1884 vom böhmischen
Ländtage (Majorität damals der böhmischen Partei
angehörend) folgender Beschluss gefasst: In allen
Fällen, wo die Bevölkerung der einen oder andereh
Nationalität in: national gemischten Gerichtsbezirkeh
das Verlangen nach einer Abgrenzung auf Grundlage
der Sprachengrenze geltend macht, ist diesem Ver-
langen, soweit es nach Massgabe der geographischen,
wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse sich als
thunlich erweist, durch Theilung der betreffenden
Gerichtsbezirke, eventuell selbst durch Bildung neuer
Gerichtsbezirke zu entsprechen. Wann immer ein
solches Ansuchen an den Landes-Ausschuss gelangt,
hat derselbe, diesen Grundsatz zur Richtschnur
nehmend, die entsprechende Verhandlung mit den
berufenen Organen entgegenkommend einzuleiten und
auf Grund des Ergebnisses mit der Regierung wegen
Einbringung bezüglicher Vorlagen ins Einvernehmen
zu treten.
Hierüber wurde seitens der Regierung am 9. Ok-
tober 1884 im Landtage die bereitwilligste Berück-
sichtigung dieses Beschlusses zugesagt.
Mit Erlass des Justizministeriums vom 3. Fe-
bruar 1890, Z. 1874, wurde an das Oberlandesge-
richts-Präsidium, das Oberlandesgericht und ; die
Oberstaatsanwaltschaft in Prag und an die Präsidien
der Gerichtshöfe erster Instanz in Böhmen folgende
Verordnung, betreffend die Besetzung der Räths-
stellen und die Behandlung der Personal- und Dis-
158
ciplinarangelegenheiten bei dem Oberlandesgerichte
in Prag und betreffend die Besetzung der Dienst-
stellen bei den Gerichten erster Instanz und bei den
Staatsanwaltschaften in Böhmen hinausgegeben (Just.-
Min.-Vgsbl. Nr. 7 voiyi Jahre 1890): L In Betreff des
Oberlandesgerichtes in Prag finde ich nachstehende
Verfügungen zu treffen: aj Bei Besetzung der für
dieses Oberlandesgericht systemisirten 41 Rathsstellen
wird nur bezüglich der Zahl von 26 Stellen an dem
Erfordernisse der Kenntniss der beiden Landes-
sprachen festgehalten, in Betreff der Zahl von 15
Rathsstellen hingegen von dem Nachweise der Kennt-
niss der böhmischen Sprache abgesehen werden.
Nach diesem Grundsatze ist sowohl bei Erstattung
der Besetzungsvorschläge als auch bei der Eonkurs-
ausschreibung vorzugehen, so dass in diese letztere
das Erforderniss der Kenntniss der böhmischen
Sprache dann nicht aufzunehmen ist, wenn es sich
um die Besetzung einer in der Gruppe von 15 Raths-
stellen erledigten Stelle handelt, b) Aus jeder dieser
zwei Gruppen von Oberlandesgerichtsräthen ist eine
ständige Kommission für Personal- und Disciplinar-
angelegenheiten der Gerichte im Sinne des § 28
kaiserliches Patent vom 3. Mai 1853 Nr. 81 des Reichs-
gesetzblattes zusammenzusetzen. In der aus der
Gruppe der 26 Oberlandesgerichtsräthe hervorgegan-
genen Kommission sind die Personal- und Discipli-
narangelegenheiten der Gerichte in den vorwiegend
von Böhmen bewohnten Theilen des Landes und in
der Kommission aus der Gruppe von 15 Oberlandes-
gerichtsräthen die Personal- und Disciplinarangelegen-
heiten der Gerichte in den vorwiegend von Deutschen
bewohnten Landestheilen zu .behandeln. In jeder
dieser beiden Kommissionen sind auch die Vorschläge
zur Besetzung der Oberlandesgerichtsrathsstellen zu
berathen, welche in der Gruppe, aus welcher die
Kommission gebildet ist, zur Erledigung kommen,
c) In gleicher Weise ist aus jeder dieser beiden
Gruppen von Oberlandesgerichtsräthen ein Discipli-
narsenat im Sinne des § 9 des Gesetzes vom 21. Mai
1868 Nr. 46 des Reichsgesetzblattes zu bilden. Der
aus der Gruppe der 26 Oberlandesgerichtsräthe ge-
159
bildete Senat wird über die richterlichen Beamten
der Gerichte in den vorwiegend von Böhmen be-
wohnten Landestheilen und der aus der Gruppe der
15 Oberlandesgerichtsräthe gebildete Senat über die
richtlichen Beamten der Gerichte in den vorwiegend
von Deutschen bewohnten Landestheilen als Discipli-
nargericht zu fungieren berufen sein.
Auf Grund dieser Verordnungen konnten bei
allen Gerichten in Böhmen böhmische Eingaben und
böhmische Verhandlungen zugelassen werden. Am
o. April 1897 wurden die Sprachenverordnungen des
Ministeriums Badeni veröffentlicht. Sie lauten für das
Königreich Böhmen. § 1. Die Gerichts- und staats-
anwaltschaftlichen Behörden, sowie die den Ministe-
rien des Innern, der Finanzen, des Handels und des
Ackerbaues unterstehenden Behörden im Königreiche
Böhmen sind verpflichtet, die an die Parteien über
deren mündliche Anbringen oder schriftliche Ein-
gaben ergehenden Erledigungen und Entscheidungen
in jener der beiden Landessprachen auszufertigen,
in welcher das mündliche Einbringen vorgebracht
wurde oder die Eingabe abgefasst ist. § 2. Protokol-
larische Erklärungen der Parteien sind in jener der
beiden Landessprachen aufzunehmen, in welcher die
Erklärung abgegeben wird. § 3. Urkunden oder an-
dere Schriftstücke, welche in einer der beiden Lan-
dessprachen abgefasst sind und als Beilagen, Behelfe
oder sonst zum amtlichen Gebrauche beigebracht
werden, bedürfen keiner Uebersetzung. § 4. Die
nicht über Einschreiten der Parteien erfolgenden be-
hördlichen Ausfertigungen haben in jener der beiden
Landessprachen zu erfolgen, die von der Person, an
welche die Ausfertigung gerichtet werden soll, ge-
sprochen wird. Ist die Sprache, deren sich die Partei
bedient, nicht bekannt, oder ist sie keine der beiden
Landessprachen, so ist jene der Landessprachen zu
gebrauchen, deren Verständniss nach Beschaffenheit
des Falles, wie insbesondere nach dem Aufent-
haltsorte der Partei vorausgesetzt werden kann.
§ 5. Die Bestimmungen der §§ 1 bis 4 gelten
auch rücksichtlich der Gemeinden und autonomen
Organe im Königreiche Böhmen in jenen Ange-
160
legenheitert, in denen sie als Parteien anzusehen
sind. § 6. Aussagen von Zeugen sind in jetier
Landessprache aufzunehmen, in welcher dieselben
abgegeben wurden, § 7. Von den im § 1 bezeichneten
Behörden ist die Sprache des mündlichen Anbrin-
gens oder der Eingabe, mit welcher eine Partei eine
Sache abhängig macht, bei allen der Erledigung oder
Entscheidung dieser Sache dienenden Amtshand-
lungen anzuwenden. Insbesondere hat bei den Ge-
richtshöfen die Antragstellung und Berathung im
Senate in dieser Sprache zu erfolgen.
Bei Amtshandlungen, die nicht über Einschreiten
einer Partei eingeleitet werden, sind nach Beschaffen-
heit des Gegenstandes beide Landessprachen oder j
eine derselben anzuwenden. Ist zum Zwecke der Er- j
ledigung der im Absätze 1 und 2 bezeichneten An-
gelegenheiten mit anderen landesfürstlichen, nicht
militärischen Behörden im Lande schriftlicher Ver-
kehr zu pflegen, so gelten auch für diesen Verkehr
die im Absätze 1, beziehungsweise 2 gegebenen Be-
stimmungen.
Für die Verkehr mit Behörden ausser dem Lande
und mit Centralstellen hat es bei den bestehenden
Vorschriften zu verbleiben. § 8. Alle amtlichen Be-
kanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntriiss
im Lande bestimmt sind, haben in beiden Landes-
sprachen zu ergehen. Lediglich für einzelne Bezirke
oder Gemeinden bestimmte amtliche Bekanntma-
chungen haben in den Landessprachen zu erfolgen,
welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden
üblich sind. § 9. Sind an einer Sache mehrere Par-
teien betheiligt, die sich in ihren mündlichen An-
bringen oder Eingaben verschiedener Landessprachen
bedienen, so haben die im § 1 genannten Behörden
die Erledigung oder Entscheidung in beiden Landes-
sprachen auszufertigen, falls nicht ein Einverständ-
niss der Parteien vorliegt, dass die Ausfertigung nur
in einer der beiden Landessprachen erfolgen soll.
Bei den der Erledigung oder Entscheidung der Sache
dienenden Amtshandlungen, die unter Mitwirkung
der Parteien vorgenommen werden, ist, soweit nicht
die gegenwärtige Verordnung etwas Anderes bestimmt»
161
die Sprache der Eingabe, nöthigenfalls in Ermange-
lung eines anderweitigen Einverständnisses der Par-
teien, auch die zweite Landessprache anzuwenden.
§ 10. In strafgerichtlichen Angelegenheiten sind die
Anklageschrift, sowie überhaupt die den Angeschul-
digten betreffenden Anträge, Erkenntnisse und Amts-
handlungen in jener der beiden Landessprachen ab-
zufassen, deren er sich bedient hat. In dieser
Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen
und das Verhandlungsprotokoll zu führen und es
sind in derselben insbesondere die Vorträge des
Staatsanwaltes und des Vertheidigers zu halten und
die Erkenntnisse und Beschlüsse zu berathen und zu
verkünden.
Von den Bestimmungen des vorstehenden Ab-
satzes darf nur insoferne abgegangen werden, als
dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhält-
nisse, insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammen-
setzung der Geschwornenbank unausführbar sind
oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der
anderen Landessprache begehrt.
Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Ange-
schuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache
bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener Landes-
sprache abzuhalten, welche das Gericht für den
Zweck der Hauptverhandlung entsprechender er-
achtet.
In allen Fällen sind die Aussagen der Ange-
schuldigten und der Zeugen in der von ihnen ge-
brauchten Landessprache aufzunehmen und die Er-
kenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in
dieser Sprache zu verkünden und auf Verlangen aus-
zufertigen. § 11. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten
ist das Protokoll über die mündliche Verhandlung
in der Sprache der Verhandlung, wenn aber die
Parteien nicht die gleiche Landessprache gebrauchen,
in der Sprache der Klage zu führen (§ 7). Aussagen
von Zeugen, Sachverständigen und Parteien, die zum
Zwecke der Beweisführung vernommen werden, sind
jedoch stets in der von diesen Personen bei ihrer
Aussage gebrauchten Landessprache im Protokolle
zu beurkunden. Das Gleiche gilt hinsichtlich der
li
162
Vorträge der Parteien und der von ihnen bei einer
mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen
soweit nicht das Protokoll lediglich eine zusammen-
fassende Darstellung des Inhaltes des mündlichen
Parteivorbringens gibt. Das Gericht hat bei der
mündlichen Verhandlung die Sprache zu gebrauchen,
in welcher die Verhandlung von den Parteien ge-
führt wird. Bei Betheiligung von Parteien, die sich
bei der mündlichen Verhandlung verschiedener
Landessprachen bedienen, hat das Gericht die
Sprache des ersten Anbringens, nöthigenfalls beide
Landessprachen zu gebrauchen.
Alle richterlichen Erklärungen sind in der Sprache,
in der sie vom Richter abgegeben wurden und wenn
die Verkündigung in beiden Landessprachen erfolgte,
auf Verlangen der Parteien in beiden Landessprachen
zu protokolliren. § 12. Die Eintragung in die öffent-
lichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch,
Wasserbuch, Depositenbücher u. s. w.), dann in die
Handelsfirma-, Genossenschafts- und andere öffent-
liche Register sind in der Sprache des mündlichen
oder schriftlichen Ansuchen, beziehungsweise des
Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu voll-
ziehen. In derselben Sprache sind die Intabulations-
klauseln bei Urkunden beizusetzen.
Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern
ist die Sprache der Eintragung beizubehalten. § 13.
Bei allen landesfürstlichen Kassen und Aemtern im
Königreiche Böhmen, die mit Geld gebaren, hat es
hinsichtlich der Führung der Kassejournale, Kasse-
Ausweise und aller sonstigen Kassebehelfe, welche
von den Gentralorganen zur Ausübung der Kontrolle
oder Zusammenstellung periodischer Nachweisungen
benützt werden, bei den bestehenden sprachlichen Vor-
schriften zu verbleiben. Dasselbe gilt bezüglich des
inneren Dienstganges und der Manipulation des
Post- und Telegraphendienstes und der der Central-*
leitung unmittelbar unterstehenden ärarischen in-
dustriellen Etablissements, sowie für den gegensei-
tigen Verkehr der betreffenden Aemter und Organe.
Auf die nichtärarischen Postämter mit grösserem
Geschäftsumfange finden die Bestimmungen der gegen-
163
wärtigen Verordnung nach Thunlichkeit Anwendung.
§ 14. Der Verkehr der im § 1 bezeichneten Behörden
mit den autonomen Organen richtet sich nach der
Geschäftssprache, deren sich dieselben bekannler-
massen bedienen. § 15. Die Geltung der Dienst-
sprache der militärischen Behörden und der Gen-
darmerie für den Verkehr mit denselben und für
deren dienstlichen Anforderungen wird durch diese
Verordnung in keiner Weise berührt. § 16. Die gegen-
wärtige Verordnung tritt am Tage der Kundmachung
in Wirksamkeit. Am gleichen Tage verlieren alle in
früheren Verordnungen enthaltenen Bestimmungen,
die mit den Vorschriften der gegenwärtigen Verord-
nung im Wiederspruche stehen, ihre Kraft.
Mit der Verordnung vom nämlichen Tage (wie
die vorstehende, das ist vom ö. April 1897, L.-G.-Bl.
Nr. 13) für Böhmen, wurde hinsichtlich der sprach-
lichen Qualifikation der bei der Behörden im König-
reiche Böhmen angestellten Beamten verfügt: § 1.
Beamte, die bei den Gerichts- und staatsanwaltschaft-
lichen Behörden, sowie bei denjenigen Behörden im
Königreiche Böhmen, welche den Ministerien des In-
nern, der Finanzen, des Handels und des Acker-
baues unterstehen, nach dem 1. Juli 1901 angestellt
werden, haben die Kenntniss beider Landessprachen
in Wort und Schrift nachzuweisen. § 2. Dieser
Nachweis ist entweder gelegentlich der für den be-
treffenden Dienstzweig vorgeschriebenen praktischen
Prüfung oder bei einer hiefür eigens anzuberau-
menden Prüfung, der sich der Beamte spätestens
drei Jahre nach seinem Dienstantritte zu unterziehen
hat, zu erbringen. Letztere Prüfung kann Manipu-
lationsbearaten nachgesehen werden, wenn deren
sprachliche Eignung während ihrer probeweisen Ver-
wendung nachgewiesen wird. Die näheren Bestim-
mungen über die Vornahme dieser Prüfungen
werden im Wege einer besonderen Verordnung ge-
troffen werden. Unteroffizieren, die mit Gertifikats
versehen und nach Böhmen zuständig sind, kann in
besonders rücksichtswürdigen Fällen der Nachweis
der sprachlichen Eignung vom Ressortminister er-
lassen werden. § 3. Unbeschadet dieser Bestim-
164
mungen ist schon dermalen nach Thunlichkeit und
Zulass des Dienstes Vorsorge zu treffen, dass in jenen
Zweigen des Staatsdienstes, für welche die Verord-
nung vom 5. April 1897, betreffend den Gebrauch
der Landessprachen bei den Behörden mit sprach-
kundigen Beamten nach Mass des thatsächlichen Be-
dürfnisses besetzt werden.
Nach der Veröffentlichung dieser gewiss gerechten
Sprachen-Gesetze des Ministerium Badeni wurde nun
der bekannte grosse Krieg der Alldeutschen und der
Deutschnationalen, denen sich sogar die Partei
Dr. Lueger's anschloss, gegen Oesterreich und seine
angebliche Slavisirung begonnen. Hier beginnt der
Siegeszug Wolfs und Schönerer's, hier der Schlacht-
ruf : Los von Rom. Nachdem gewisse Hofräthe in Wien
vor Wolf und Schönerer wilde Flucht ergriffen und vor
dem alldeutschen Sturm eiligst die Staatsfahne strichen,
erliess am 24. Februar 1898 das Ministerium Gautsch
neue Sprachenverordnungen und nach diesem Mini-
sterium steuert das Ministerium des Dr. Körber voll-
ständig im Fahrwasser der Alldeutschen. Sein Ziel
ist, Oesterreich muss die Hegemonie der Deutschen
haben, die Slaven müssen sich beugen. Treu zu Dr.
Körber halten auch andere Minister, wie der Justiz-
minister Spens-Booden, der Eisenbahnminister Dr.
Wittek, Finanzminister Böhm-Bawerk, und der ganze
Staatsapparat. Eilfahrt nach Berlin. Alle Auslagen dazu
werden von den österreichischen Steuerzahlern ge-
tragen. Zur Abwehr gegen die Badenischen Sprachen-
verordnungen haben sich sämmtliche deutsche Par-
teien vereint mit Ausnahme der katholischen Abge-
ordneten aus den Alpenländern und haben die
Hegemonie der Deutschen in Oesterreich in einer
Magna Charta abgefasst und am 21. Mai 1899 als
Pfingstprogramm der Oeflfentlichkeit übergeben.
Die politischen Forderungen der Deutschen in
Oesterreich. Die deutsch-oppositionellen Parteien im
Abgeordnetenhause, und zwar: die Deutsche Volks-
partei, die Deutsche Fortschrittspartei, die Vereini-
gung der Verfassungstreuen Grossgrundbesitzer, die
Ghristlich-sociale Vereinigung, haben sich auf tiafch-
stehende politische Forderungen geeinigt:
165
- I. Allgemeine national-politische
Forderungen.
1. Die planmässige Zurückdrängung und die immer
weitergreifende Demüthigung des deutschen Volks-
stammes in Oesterreich machen es uns zum Pflicht,
unsere national-politischen Forderungen festzustellen,
um für dieselben gemeinsam einzutreten.
2. Die Grundlagen für die Beilegung des natio-
nalen Streites in Oesterreich, den zu beseitigen wir
lebhaft wünschen, können nur gewonnen werden
durch die Anerkennung jener Stellung der Deutschen,
welche sich dieselben seit vielen Jahrhunderten er-
rungen haben und deren Behauptung ein Grund-
pfeiler für die Zukunft dieses Staates ist Wir ver-
langen deswegen an erster Stelle den Bruch mit
einem seit Jahrzehnten befolgten Systeme: die An-
sprüche aller anderen Nationalitäten auf Kosten der
Deutschen zu befriedigen. 3. Unter Abweisung aller
staatsrechtlichen Bestrebungen anderer Nationalitäten
und Parteien halten wir an der Verfassung, sowie
an dem Einheitsstaate fest und fordern, dass dieser
Staat (die im Reichsrathe vertretenen Königreiche
und Länder) die Gesammtbezeichnung Oesterreich
erhalte. 4. Der § 14 des Staatsgrundgesetzes über
die Reichsvertretung, dessen Anwendung gegen Wort
und Geist in der letzten Zeit wiederholt stattge-
funden hat, ist zu beseitigen. Nur für wirkliche
Nothfälle ist durch eine genaue Bestimmung Vor-
sorge zu treffen. 5. Die Verdrängung der Deutschen,
sowie der Sprachenkampf kann nicht ohne Rückwir-
kung auf den geistigen Zusammenhalt und die Schlag-
fertigkeit der Armee bleiben. Wir halten es daher
für unbedingt geboten, dass die deutsche Armee-
sprache besser und zweckbewusster gepflegt wird.
6. Angesichts der autonomen Sonderstellung, welche
Galizien bezüglich seiner nationalen Angelegenheiten
thatsächlich einnimmt, befestigt und verbreitet sich
die Ueberzeugung von der Noth wendigkeit, dass der
Grundsatz der Gegenseitigkeit zur Durchführung
komme, und verlangen wir, dass die Deutschen in
Oesterreich vor ungerechtfertigter Beeinflussung ihres
nationalen Lebens sichergestellt werden. 7. Unsere
166
Beziehungen zu Ungarn, die sich keineswegs im ur-
sprünglichen Geiste der Ausgleichsgesetze vom Jahre
1867 weiter entwickelt haben, bedürfen der Neuord-
nung.
Sie kann gelingen und zum Wohle beider
Theile und der Monarchie im Ganzen führen, wenn
der Grundsatz : dass gleichen Rechten gleiche Pflichten
gegenüberstehen, befolgt und ein dauernder Zustand
geschaffen wird, der eine ungestörte gedeihliche
wirthschaftliche Entwicklung ermöglicht. 8. An dem
Bündnisse mit dem Deutschen Reiche, das der Mon-
archie die Erhaltung des Friedens sichert, soll un-
verbrüchlich festgehalten werden, im Interesse der
wirtschaftlichen Entwicklung des Reiches eine re-
gere Betheiligung im Weltverkehre angebahnt und
zum Zwecke der Erhaltung des wirtschaftlichen
Gleichgewichtes und zum Schutze der einheimischen
Produktion gegenüber überseeischer Konkurrenz ein
engerer Zusammenschluss der westländischen Staaten
Europas angestrebt werden. Hand in Hand mit dem
Bündnisse mit dem Deutchen Reiche muss für uns
Deutsche in Oesterreich die Pflege des grossen gei-
stigen Zusammenhanges mit Deutschland auf allen
Gebieten des kulturellen und wirthschaftlichen Fort-
schrittes, besonders auch bezüglich des Hochschul-
wesens sichergestellt werden. 9. Wir stellen kein
Gesammtprogramm auf für die Regierung dieses
Staates; durch den Druck der Verhältnisse ge-
zwungen, bestellen wir nur unser eigenes Haus. Die
Sicherung unserer Stellung ist aus nationalen Gründen
jedoch auch deswegen nothwendig, damit die poli-
tischen und wirthschaftlichen Interessen eine ent-
sprechende Förderung erhalten können. Was wir
fordern, ist ein Mindestmass, weil es sich lediglich
darauf stützt, was besteht und was zur Erhaltung
unserer Nationalität in Oesterreich unbedingt noth-
wendig ist. Aber innig verknüpft mit dem Schick-
sale der Deutschen in Oesterreich ist das Schicksal
Oesterreich selbst, und wer den Blick auf das Ganze
richtet, muss für unsere Forderungen noch andere,
aus dem innersten Wesen dieses Staates geschöpfte
Gründe den unsrigen hinzufügen.
167
Allgemeine Grundsätze für die Re-
gelung der Sprachenfrage.
Die Herstellung eines Rechtzustandes in Sprachen-
sachen ist eine unerlässliche und unaufschiebbare
Bedingung für das Zusammenleben der verschiedenen
Nationalitäten in Oesterreich, sowie für die Sicherung
geordneter Zustände.
Zu diesem Zwecke sind alle bisherigen Verord-
nungen, Erlässe und Instruktionen in Sprachensachen
ausnahmslos aufzuheben und ist das Geltungsgebiet
einer allgemeinen Vermittlungssprache, sowie der in-
neren und äusseren Amtsprachen der staatlichen
und der autonomen Behörden in den verschiedenen
Theilen des Reiches gesetzlich festzustellen. Es er-
geben sich einerseits allgemeine Grundsätze für die
Geltung der Vermittlungssprache, anderseits, und zwar
bedingt durch die Verschiebbarkeit der Verhältnisse,
besondere Grundsätze für die Regelung der Sprachen-
frage in den einzelnen Ländern. Es wird die Reichs-
gesetzgebung für die Regelung der vorligenden Frage
bei den Staatsbehörden, die Landesgesetzgebung für
die Regelung derselben bei den autonomen Behörden
nach Massgabe der für die einzelnen Länder aufge-
stellten Forderungen und innerhalb des durch die
Reichsgesetzgebung festzustellenden Geltungsumfanges
der deutschen Sprache als Vermittlungssprache ein-
zutreten haben. Die nachstehenden Festsetzungen be-
ruhen auf genauer Erforschung der Stellung, welche
die deutsche Sprache im nationalen, wie im staatlichen
Interesse in Oesterreich beansprucht. Sie sind als ein
untrennbares Ganze anzusehen.
Die Vermittlungssprache des Reiches.
1. Die allgemeine Vermittlungssprache in Oester-
reich ist die deutsche Sprache. Sie ist die Sprache
des Reichsrathes, sowie aller sich auf die Geschäfte
desselben beziehenden Staatsakte, die Sprache der
Ministerien, der Obersten Gerichtshöfe und aller übrigen
Central behörden. Die öffentlichen mündlichen Ver-
handlungen bei dem Obersten Gerichtshofe werden in
der Vermittlungssprache geführt. Die dieser Sprache
nicht mächtigen Parteien sind* durch Dolmetsche zu
168
vernehmen. Der Amtsverkehr zwischen den genannten
Centralstellen und allen staatlichen Behörden geschieht
in der deutschen Vermittlungssprache, die Erledi-
gungen und Ausfertigungen derselben sind in dieser
Sprache herauszugeben. Der gesetzlich festgesetzte
sprachliche Geschäftsumfang des Obersten Gerichts-
hofes bleibt unberührt. Die Geltung der allgemeinen
Vermittlungssprache ist ferner für gewisse Verwaltungs-
zweige, wie die Agenden der Behörden in Militär-
angelegenheiten, für das Rechnungswesen, für den
Post-, Telegraphen- und Eisenbahndienst der Natur
dieser Verwaltungszweige entsprechend durchgreifend
festzustellen.
Ueber die Lösung des Sprachenstreites hat der
Landesmarschall des Königreiches Böhmen Fürst Georg
Lobkowicz am 2. März 1901 folgende Anschauungen
ausgesprochen : Ich habe mir ernstlich vorgenommen,
sagt Redner, in dieser Beziehung nichts zu sagen,
was etwa nach irgend einer Seite aufregend oder
verletzend wirken könnte. Denn es ist, glaube ich,
nicht angezeigt, in diesem Augenblicke in irgend einer
Weise noch mehr Oel ins Feuer zu giessen. (Zustim-
mung.) Ich unterlasse deshalb auch die Besprechung
einer ganzen Reihe von Theilen dieser grossen Frage,
und das schon aus dem Grunde, weil ja in der Thron-
rede eigentlich nur ein ganz kleiner Theil dieses
grossen Gebietes berührt erscheint und weil ich es
für zweckmässiger halte, meine persönlichen Meinun-
gen in Bezug auf diese Fragen für den Zeitpunkt
vorzubehalten, wenn es etwa dazu kommen wird,
dass die von mancher Seite für eine Panakee gehal-
tene legislative Regelung dieser Frage wird in Angriff
genommen werden. Ich beschränke mich hier nur auf
Eines, und zwar um gewissen Wünschen und Be-
denken, welche mir in dieser Richtung mitgetheilt
worden sind bis zu einem gewissen Grade Rechnung
zu tragen. Wenn es zu dieser legislativen Regelung kom-
men wird, so dürfte es meiner Ansicht nach sich aller-
dings nicht empfehlen, etwa die Dinge durch ein
einziges grosses Sprachengesetz regeln zu wollen. Es
gibt grosse und wichtige Theile der Sprachenfrage,
welche durch die Gesetegebung geregelt werden können ;
169
allein, ob die einzelnen Punkte dieser Frage der
Reichsgesetzgebung, ob sie der Landesgesetzgebung
zugehören oder ob sie etwa im Verordnungswege zu
regeln sind, scheint mir, hängt nicht so sehr davon
ab, dass es sich eben um die grosse Sprachenfrage
handelt, als vielmehr davon, . wem die Kompetenz
darüber zusteht, über diejenigen Gebiete legislativ
oder im Verordnungswege zu entscheiden, bezüglich
welcher es sich im konkreten Falle um die Frage
der Regelung der Sprache handelt.
Wenn man in den bezüglichen Passus der Adresse
unter den „thatsächlichen Verhältnissen" diejenigen
in diesem Augenblicke bestehenden Bestimmungen
versteht, welche thatsächlich zur Ausführung gelangen,
dann glaube ich nicht, dass eine gesetzliche Feststel-
lung solcher Verhältnisse irgendwie zur Beruhigung
der Gemüther beitragen werde. Man kann daher diesem
Passus der Adresse nur dann zustimmen, wenn man
unter den thatsächlichen Verhältnissen, welche im
Wege der Gesetzgebung anerkannt werden sollen,
diejenigen Umstände versteht, welche bei richtiger
und ruhiger Erwägung aller nationalen Verhältnisse
in den verschiedenen Ländern sich als thatsächliche
und nicht etwa nur als doktrinär aufgestellte dar-
stellen werden. In diesem Sinne kann man vielleicht
diesem Passus zustimmen. Ich halte aber die Diskus-
sion darüber, ob und wie das wird geschehen können,
heute deshalb für vollkommen gegenstandslos, weil
doch nicht in Aussicht zu nehmen ist, dass in naher
Zeit überhaupt an die legislative Regelung dieser Ver-
hältnisse wird herangetreten werden können. Ich be-
schränke mich daher auf den Punkt, welcher in der
Thronrede erwähnt wurde, und aufweichen die Adresse
reagirt hat. Ich leugne nicht, dass von Seite der Ver-
fasser der Adresse die Stylisirung mit grossem Ge-
schicke und grosser Vorsicht gewählt worden ist, ja
ich . kann die Meinung nicht unterdrücken, dass in
der Beziehung die Fassung der Adresse den Ver-
hältnissen mehr entspricht, als die Fassung, welche
von Seite der Rathgeber der Krone in der Thronrede
zum Ausdrucke gekommen ist. Ich, und ich glaube
mit mir eine grosse Anzahl der Mitglieder des Hauses,
170
hat es schmerzlich empfunden, dass in der Thronrede
die Sprachenfrage erwähnt worden ist, ohne dass der
Grandsatz der Gleichberechtigung in gleicher Weise
zum Ausdrucke gekommen wäre. Dem gegenüber er-
kenne ich an, dass in der Adresse diese Frage rich-
tiger behandelt worden ist. Denn dort ist der Grand-
satz der Gleichberechtigung wenigstens klar und als
eine der wesentlichsten Bedingungen der Ordnung
dieser Fragen zum Ausdrucke gebracht
Wenn ich nun den betreffenden Passus der Adresse
näher ins Auge fasse, so finde ich hier eben schon
einen jener Punkte, welchem von verschiedenen Seiten
vielleicht aus verschiedenen Gründen zugestimmt
werden kann. Ich betone das Wort „kann". Von vielen
Hitgliedern dieses Hauses wird dem vielleicht eine
wesentliche Bedeutung beigemessen« dass in dem
Texte der Adresse von einer Sprache die Rede ist
Sie ist nicht näher bezeichnet, aber welche es sein
solle, darüber ist ja Niemand im Zweifel. Für uns
gerade hat dieser selbe Satz nur dadurch einen ge-
wissen Werth, dass darin ausgesprochen ist, dass diese
eine Sprache in den höchsten Sphären der Admini-
stration nur dort zu gebrauchen sei, wo eine Verstän-
digung erforderlich und nur durch den Gebrauch einer
Sprache möglich ist Dar Wort „nur" ist für uns be-
deutungsvoll. Darüber, wann diese Bedingungen vor-
handen sind, werden wohl noch geraume Zeit ver-
schiedene Ansichten möglich sein. Ich und viele
meiner Freunde sind der Ansicht dass heute in vielen
Fällen diese eine Sprache gebraucht wird, wo die
Bedingungen, wie sie in der Adresse angegeben sind,
nicht vorhanden sind. Selbstverständlich gibt es keinen
ernsten Politiker, der nicht die Armeesprache als ein
noli me tangere betrachten würde. Es ist vollkommen
natürlich, dass bei den Centralbehörden die deutsche
Sprache — um dieses Wort zu gebrauchen, um welches
wir ja nicht streiten — in vorwiegender Weise zur
Anwendung kommt. Allein daraus zu folgern, dass
in allen jenen Sphären, in allen jenen Punkten, wo
diese Sprache gegenwärtig zur Anwendung kommt,
sie auch dauernd als die einzig anwendbare Sprache
in Geltung bleiben solle, ist ein«* Ansicht der wir
171
allerdings nicht zustimmen können. Wir sind vielmehr
der Meinung, dass es eine ganze Reihe von Gebieten
gibt, in welchen im Interesse einer guten Admini-
stration, im Interesse einer guten Justiz es vielleicht
zweckmässiger wäre, auch anderen Sprachen den Ein-
gang auch in die höheren Sphären der Verwaltung
und in die höchsten Sphären der Justiz zuzugestehen.
Meiner Ansicht nach soll die Administration im wei-
testen Sinne des Wortes überhaupt die Frage der
Sprache eigentlich nur von dem Standpunkte behan-
deln, insoferne die Sprache eben ein Verständigungs-
mittel ist. Sie soll nie für die Administration oder
für die Behörden ein Selbstzweck sein.
In Bezug auf die Sprache halte ich es immer
für viel zweckmässiger, wenn die Behörden sich den
Bedürfnissen der Bevölkerung unterordnen, als wenn
sie etwa ihre eigene Bequemlichkeit für das Mass-
gebende in dieser Sache erachten. (Bravo! Bravo ! rechts.)
Ich halte es allerdings auch von der anderen Seite
für verfehlt, wenn von unten Forderungen gestellt
werden, die ernstlich und wirklich nicht erfüllt werden
können. Allein ich halte es für verderblich, wenn
von oben mögliche Dinge nicht gewährt werden, denn
nichts fördert gerade den Sprachenzwist und Sprachen-
hader mehr als eine unbegründete Verweigerung er-
füllbarer Forderungen.
Ich meinerseits habe die traurige Ueberzeugung,
dass bis zu einem gewissen Masse innerhalb einer
vielleicht nicht sehr langen Zeit im Gentrum des Rei-
ches der Parlamentarismus wird eine gewisse Ein-
schränkung erfahren müssen, welche man von mancher
Seite als ein absolutistisches Regime zu bezeichnen
für nothwendig halten wird. Wenn dieser Zeitpunkt
eintritt — und ich fürchte, er wird eintreten — dann
möchte ich eben für diesen Augenblick schon jetzt
den Warnungsruf ausstossen, und ich möchte nichts
sehnlicher wünschen, als dass dieser Warnungsruf
nicht ungehört verhalle.
Diejenigen, welche dann in der Lage sein werden,
das Staatsruder zu führen, mögen dann nicht ver-
gessen, dass der Absolutismus eben nur ein Noth-
behelf sein wird und nicht weiter gehen soll, als
172
wirklich die unbedingte Notwendigkeit dafür besteht
Die Völker Oesterreichs werden es begreifen, dass,
wenn das Gentralparlament seiner Aufgabe absolut
nicht mehr gewach sen ist, für diese Aufgaben in an-
derer Weise gesorgt werden muss. Sie würden es
aber nicht verstehen, warum man ihnen die Mit-
wirkung an der Gesetzgebung dort entzieht, wo diese
Mitwirkung noch weiter möglich sein wird. Es wäre
meiner Ansicht nach ein verhängnissvoller Fehler,
wenn man etwa deswegen, weil das Gentralparlament
sich selbst unmöglich gemacht hat, auch die Land-
tage sperren würde, oder den Landtagen nicht Gele-
genheit bieten würde, ihre Thätigkeit in vollem Masse
ruhig weiter zu führen. Im Gegentheile, ich bin der
Ansicht, dass nur dann, wenn man den Landtagen
die Bewegungsfreiheit lässt, es möglich sein wird,
jene Gefahren zu verhüten, welche mit jedem Abso-
lutismus jederzeit verknüpft sind. Die Völker sind
einmal gewohnt, durch ihre Vertreter ein freies Wort
zu sprechen und dieses freie Wort zu hören. Wenn
sie es nicht im Centralparlamente hören können,
wollen sie es wenigstens in den Landtagen hören,
und nur unter dieser Voraussetzung halte ich es für
denkbar, dass der leider unausweichlich nothwendige
Zustand im Gentrum solange erhalten bleibe, bis eine
gewisse Beruhigung eintritt, und bis man auf richti-
gen Grundlagen an die Wiederkonstituirung des Cen-
tralparlamentes werde gehen können. Nur wenn die
Landtage eine Zeit lang ruhig funktioniren, kann an
eine Sanirung des Gentralparlamentes gedacht werden.
Ich für meine Person halte eine solche Sanirung nur
mit den Landtagen und durch die Landtage für mög-
lich. Ich glaube, dass nur auf die Weise — wie es
in der Adresse heisst — ein wahrhaft organischer
Ausbau der Verfassung möglich sein werde. Dann
wird die Verfassung eine Einrichtung sein, welche
von allen Völkern wirklich als Hort ihrer Rechte
freudig begrüsst werden wird.
Lassen wir nun einmal einen Führer der Deut-
schen Böhmens, Dr. Eppinger, Abgeordneten und
Advokaten in Niemes, reden. Er gehört der alten
mächtigen liberalen deutschen Partei an. Am 16. Fe-
175
bruar 1902 berief dieser Führer eine Versammlung
nach Böhm. Leipa ein, deren Verlauf folgender war.
Ausser dem Obmanne der deutschen Fortschritts-
partei, Dr. Eppinger, war auch der Reichsrathsabge-
ordnete dieses Bezirkes, Dr. Funke erschienen. Ausser-
dem waren anwesend: Der Bürgermeister Bred-
schneider, der frühere Landtagsabgeort. Katzwendel,
Bez.-Obmann Hölzl, Staatsanwalt Götz, die Landes-
Gerichtsräthe Wabe und Schuster, Realschuldirektor
Walda, die Stadträthe Büke, Sommer und Weigel,
sowie der Bürgerschuldirektor Mohaupt. St.-R. Büke
eröffnete die Versammlung, indem er den Regierungs-
vertreter Bez.-Kom. Jindra vorstellte, und dann Dr.
Eppinger und Dr. Funke willkommen hiess. (Stür-
mische Hoch- und Heilruf.) Der Vorsitzende betonte,
dass sich die Einladung an alle Deutschen richtete,
denn wenn auch die Deutschen Böhmens leider in
Parteien gespalten seien, das Gebiet, das Dr. Eppin-
ger heute in seinem Vortrage zu berühren gedenke,
interessire sie doch alle gemeinsam. Sodann ergriff
Dr. Eppinger das Wort zu folgenden Ausführungen:
Ich bin der Einlandung gern gefolgt, obzwar die
innere Lage keineswegs dazu angethan ist, um dar-
über Bericht zu erstatten. Aber gerade in einer Zeit
politischen Niederganges ist es doppelt nothwendig
sachlich die uns Alle berührenden Fragen zu bespre-
chen Schon deshalb, weil es das beste Mittel ist,
der Resignation und Theilnahmslosigheit entgegen-
zuwirken. Denn gerade diese Theilnahmslosigkeit ist
ein grösseres Uebel, als das Gerathen in falsche
Bahnen. Die Formen, die das öffentliche Leben an-
genommen, widerstehen Manchem in innerster Seele
und er denkt sich : Wenn nur die Mache, die Speku-
lation auf die Instinkte die ausschlaggebenden Mo-
mente sind, dann fühle ich mich angeekelt von
diesem öffentlichen Leben. So denkt Mancher und
es ist dies vom menschlichen Standpunkt aus be-
greiflich. Aber in der Politik ist dieses Denken ein
grober Fehler, denn es heisst, dem Gegner das Feld
räumen, ihn widerstandslos walten lassen.
Der Redner erläuterte dann kurz die immer ge-
fährdetere Stellung der Deutschen in Böhmen. Wifc
174
sie sich, weil sie die Gunst der Herrscher, die sie
ins Land riefen, durch Kolonisation des Landes er-
warben, zugleich die Missgunst des nationalen Gegners
zugezogen. Die Gzechen glaubten schon damals die
bessere Nation zu sein, und betrachteten die Deut-
schen als Fremdlinge, als „hergelaufene Kerle". So
erscheinen ihnen die Deutschen bis zur Stunde, und
auch die gebildetsten Geister unter den Czechen
können sich von dieser Vorstellung nicht frei machen.
Das ist die eine Triebfeder des nationalen Kampfes,
die zweite ist folgende: die Deutschen Böhmens sind
nicht nur Bewohner dieses Landes, sondern auch
Glieder des grossen Ganzen, des früheren Kaiserthums
Oesterreich, jetzt der im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder. Die Deutschen sind ein-
gefügt in ein Staatsganzes. Nach dem Werdegang der
politischen Entwicklung haben sich, wie in allen
Staaten, auch hier lose Theile zu einem festen Ganzen
geschlossen und die Herrscher fanden es bald zweck-
mässig, die deutsche Sprache als Bindeglied, zur vor-
herrschenden zu machen. Der durch diese Bestre-
bungen hervorgerufene Centralismus machte auch in
Böhmen derartige Fortschritte, dass z. B. nach Maria
Theresia und Joseph IL zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts thatsächlich die czechische Sprache im
Aussterben begriffen war, und es als Zeichen von
Unintelligenz galt, die deutsche Sprache nicht zu
sprechen. Das Czechische sank zur Sprache des Ge-
sindes herab. Trotzdem hat die czechische Sprache
eine Wiedergeburt erlebt. Erst eine literarische, dann
eine politische und wir müssen dies anerkennen. Es
nützt nichts, fortwährend von Minderwertigkeit zu
sprechen. Es ist besser, die Thatsachen offen zu-
zugeben, dass ist ein besserer Leitstern, als die fort-
gesetzte Verkleinerung des Gegners.
Diese Wiedergeburt war aber nichts anderes als
ein fortgesetzter Wiederstand gegen das Deutschthum.
Bei ihnen gilt es heute noch als Patriotismus ein
Deutschenhasser zu sein. Solange noch, bis zum Jahre
48, beide Stämme durch die Brutalität des Absolu-
tismus niedergehalten wurden, war sogar ein gewisses
Zusammenwirken möglich. Aber als das öffentliche
175
Leben freiheitlichere Formen annahm, dann das
Februarpatent kam, war der Tummelplatz für die na-
tionalen Gelüste geschaffen. Es muss konstatirt werden,
dass die nationale Gegnerschaft gerade durch den
Eintritt der Freiheit in das öffentliche Leben zur
höchsten Blüthe gelangt ist und sich nun als Hemm-
schuh aller Entwicklung darstellt. Worin bestehen
nun eigentlich die nationalen Gegensätze. Alle Ver-
suche zur nationalen Verständigung verliefen bis jetzt
zwar resultatslos. Allein Gelegenheit zur Aussprache
gaben sie doch, und Gelegenheit zur Absteckung des
Kampffeldes. Und so lassen sich denn drei grosse
Kampfgebiete unterscheiden: Reform der Landtags-
wahlordnung und Landesordnung, Regelung des Spra-
chengebrauchs bei den autonomen und landesfürst-
lichen Behörden und Regelung der Schulangelegen-
heiten, speciell der Minoritätsschulen.
Darauf entwickelte Dr. Eppinger das politisch-
nationale Programm seiner Partei. Zum Schlüsse
wandte er sich gegen die Alldeutschen und sagte:
Sie verlangen den Zusammenschluss mit dem Deut-
schen Reiche. Wo aber ist denn der Plan hiezu?
Zudem ist der Zusammenschluss mit dem Deutschen
Reiche bei der grossen Bevölkerungsmenge in Oester-
reich gar nicht populär; so weltgeschichtlich sind
wir eben nicht gesinnt. Allerdings, die Weltgeschichte
kehrt mit eisernem Besen, aber solche Wandlungen
vollziehen sich erst, wenn alle Voraussetzungen vor-
handen sind, und diese Voraussetzungen sind weder
bei uns, noch auf Seite des Deutschen Reiches jetzt
vorhanden. Bei uns ist die Bevölkerung viel zu pa-
triotisch und kaisertreu gesinnt, so dass man nichts
davon wissen will. Und die Stimmung drüben? Es
lässt sich nicht leugnen, dass die letzten Jahre in
Deutschland viel Sympathie für uns erweckt haben,
für solche Bestrebungen, die einen Zusammenschluss
mit uns bezwecken, sind sie doch nicht zu haben.
Der Preusse ist eingefleischter Royalist und officiell
hat dieses Deutschland noch bei jeder Gelegenheit
deutlich und energisch abgewinkt, wenn es sich um
derartige Sachen handelte. Sehen wir doch die Buren
an! Weil die officiellen Kreise nichts damit zu thun
176
haben wollen, so darf auch keine Einmischung statt-
finden. Auf solchen Prämissen baut man keine Politik
auf. Wer auf solche vage Hoffnungen baut, verschlim-
mert nur unsere Lage, ohne an das Ziel zu kommen;
Ich erkenne an, dass solche Zukunftsbilder der Jugend
imponiren, aber sie sind eben nur nach dem Ge-
schmack e der Jugend und für ernste Männer nicht
massgebend. Wer hätte in den siebziger Jahren ge-
glaubt, dass es dreissig Jahre hindurch nicht zu dem
furchtbaren Revanchekriege kommen werde? Und
doch beruhigten sich die Gemüther, weil sie einsehen
gelernt haben, dass die Zeit der Kabinetskriege vor-
über ist.
Am 21. Januar 1902 hielt der deutschnationale
Verein in Reichenberg eine Versammlung ab, in
welcher der Sekretär der Handelskammer in Wien
Dr. Grunzel über brennende politisch-wirthschafüiche
Fragen einen Vortrag hielt. Aus seinem Vortrag sei
Folgendes hervorgehoben : In der gestern Abends statt-
gefundenen Versammlung des „Deutschnationalen
Vereins" hielt Sekretär Prof. Dr. Grunzel aus Wien,
ein gebürtiger Reichenberger, einen interessanten Vor-
trag über brennende wirthschaftspolitische Fragen,
wie Ausgleich mit Ungarn, Zolltarif und Handels-
verträge, Socialpolitik u. dgl. Aus seinem Vortrag sei
nur einiges Wenige hervorgehoben: Was den Aus-
gleich mit Ungarn anbelange, bzw. die Quote, wäre
es wohl das Richtigste, die Bevölkerungszahl als
Grundlage anzunehmen und eventuell einen Zuschlag
nach der Steuerkraft hinzuzufügen. An eine Zoll-
trennung zwischen Oesterreich und Ungarn glaube er
nicht, weil weder in Oesterreich noch in Ungarn der
grösste Theil der Bevölkerung die Trennung will und
ertragen kann.
Was die Meldungen anbelange, dass zwischen
Oesterreich und Russland Vereinbarungen im Zuge
seien, Handelsverträge betreffend, glaube er, dass das
eine jener grossen Machenschaften sei, die ein grosser
Theil der Berliner mit der Pester Presse einrichtet zu
dem Zwecke, um den deutschen Zolltarif zu werfen»
Auf alle Fälle müsse das Vertragsverhältnis mit
Deutschland aufrecht erhalten werden. Bei Bespre-
177
chung der socialpolitischen Fragen wies Redner auf
die grossen Kosten unserer Versicherungen hin.
Während bei uns für die Kranken- und Unfallver-
sicherung allein 2*4 pCt. der Lohnsumme gezahlt
werde, zahle man in Deutschland für die Kranken-,
Unfall-, Alters- und Invaliditätsversicherung zusammen
nur 2-7 pCt. Unsere Versicherungen seien zudem ganz
bureaukratisirt. Redner schloss mit dem Appell, dass
die politischen Parteien den wirtschaftlichen Fragen
einen grösseren Raum geben, als bisher, die Regie-
rung wiederum solle sorgen, dass unsere Verwaltung
im modernen Sinne zeitgemäss umgestaltet werde und
dass nicht ein solcher Bureaukratismus Platz greife,
wie jetzt.
Hierauf ergriff Abg. Prade das Wort. Er sagt,
das ganze politische und wirtschaftliche Elend in
Oesterreich rühre immer von den Verhandlungen be-
treffend den Ausgleich her. Die Ungarn gehen nur
darauf aus, ihre wirthschaftlichen, ihre agrarischen
Interessen zu wahren, höhere Zölle zum Schutze
ihrer agrarischen Produktion, ihrer jungen Industrie
zu erlangen und sind dagegen bereit, die österreichi-
sche Volkswirthschatt, die österreichischen Industrien
und Gewerbe den' ausländischen Staaten zum Opfer
zu bringen. Daher glaubt die österreichische Regierung
selbst nicht daran, dass es ihr gelingen werde einen
Zolltarif zu vereinbaren, der auch nur die mindeste
Aussicht hätte, auf parlamentarischem Wege erledigt
zu werden. Und deshalb, weil die österreichische
Regierung das weiss, und weil sie fürchtet, dass
sich im Abgeordnetenhause keine Mehrheit dafür
finden werde, weil sie weiss, dass sie keine politischen
und nationalen Zugeständnisse mehr zu vergeben
hat und vergeben darf, womit sie die Mehrheit des
Hauses für einen schlechten Ausgleich mit Ungarn
kaufen könnte, deshalb droht sie mit der Auflösung,
mit der Sistirung der Verfassung, mit dem Staats-
streiche, weil sie dann den Ausgleich und die Zoll-
tarife frei und ungebunden mittelst kais. Verordnun-
gen durchführen kann. Das ist der Kernpunkt der
heutigen schwierigen politischen Lage; nicht der
deutsch-czechische Streit, wie man so gerne aller Welt
12
178
verkündet, ist schuld daran, dass das österreichische
Parlament heute lahmgelegt ist, nicht die politischen
und nationalen Differenzen der Deutchen und Gzechen
sind die Ursache, dass wir von Jahrzehnt zu Jahr-
zehnt in immer schlechtere Verhältnisse und bis zum
heutigen Tiefstande unseres parlamentarischen und
öffentlichen Lebens gelangt sind. Die Ursache ist,
dass wir kein einheitlicher, auf einer bestimmten
Basis beruhender Staat mit grossen politischen Zielen,
mit einer ausgesprochen volkswirtschaftlichen, auf
weite Gesichtspunkte hin abzielenden Politik sind,
sondern ein Staat auf 10jährige Kündigung, ein Staat,
dessen Grundlagen alle 10 Jahre erschüttert werden.
Derartige fortgesetzte Erschütterungen könnte auch
ein viel stärkerer Staat wie Oesterreich auf die Dauer
nicht ertragen. Daher muss vor Allem ein dauerndes
Verhältniss mit Ungarn geschaffen werden.
Was das Verhältniss zu dem Deutschen Reiche
anbelangt, müssen wir zu einem neuen Vertragsver-
hältnisse zu gelangen suchen. Die Einfuhr Oester-
reichs nach Deutschland betrug in den letzten Jahren
427 Mill. Mk., die Ausfuhr Deutschlands nach Oester-
reich 510 Mill. Mk. Das sind so gewichtige Posten,
dass wir nur mit Schaudern daran denken, dass
diese Handelsbeziehungen etwa unterbunden oder
wesentlich beeinträchtigt werden sollten. In der Ver-
sprechung, dass uns in Russland ein Ersatz für unser
in Deutschland verlorenes Absatzgebiet geschaffen
werde, können wir durchaus keinen Vortheil für unsere
Volkswirtschaft und vor Allem auch keine Wahrung
der nationalen Interessen unseres Volkes erblicken.
Darum wollen wir mit allen Mitteln dafür eintreten,
dass wir wieder zu einem Vertragsverhältnisse mit
Deutschland gelangen. Allerdings müssen wir da
unsere politischen Forderungen, die dahin gehen,
eine möglichst enge wirthschaftliche Vereinigung mit
dem Deutschen Reiche, der Schweiz und Holland
herbeizuführen, nach der gegenwärtigen Sachlage
zurückstellen ; aufgeben aber werden wir sie niemals.
Redner schliesst, dass der Ausblick in die Zu-
kunft traurig sei. Wir werden wahrscheinlich einen
schlechten Ausgleich mit Ungarn und einen ungün-
179
stigen Vertrag mit Deutschland in den Kauf nehmen
müssen und so werden sich die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse Oesterreichs in der nächsten Zukunft wohl
noch schlechter gestalten. Wenn Ausgleich und Handels-
verträge auf parlamentarischem Wege nicht zustande
kommen, werden sie ausserparlamentarisch gemacht
werden und wir werden nicht die Macht haben, dieses
zu hindern. Wir können uns nur trösten, dass diese
schwankenden Verhältnisse dauernd nicht bestehen
können und dass es heute nicht mehr möglich ist,
mitten im Herzen Europas auf längere Dauer einen
absolutistischen Staat aufzurichten. Lassen sie mich
die Hoffnung ausprechen, dass das deutsche Volk,
eben deshalb, weil es das Volk der Arbeit in diesem
Staate ist, durch diese seine eigene Arbeit die Macht
erlangen wird, dass es aus diesem Kampfe als der
massgebende Faktor in wirthschaftlicher u. nationaler
Beziehung in diesem Staate hervorgehen wird und soll.
Dr. Grunzel als Socialpolitiker schaut auf den
Sprachenstreit weit nüchterner als gewisse Politiker
von Beruf. Was im Norden Oesterreichs das böhmi-
sche Volk für seine nationalen Bedürfnisse dulden
und leiden muss, das müssen im Süden die Slovenen
von den Alldeutschen und Deutschnationalen der
Südmark über sich ergehen lassen. Der Landtag Steieiv
marks, der sich in den Händen von Schönerianern
befindet, ignoriert vollständig alle Bedürfnisse der
Slovenen Unter-Steiermarks. Die Regierung ist nur
das ausführende Organ der deutschnationalen Mehr-
heit des Landtages. Der Landtag Steiermarks bewil-
ligt absolut keine Schule den Slovenen, lässt keinen
Fluss in Untersteiermark regulieren, während sämmt-
liche Flüsse Ober- und Mittel-Steiermarks reguliert
sind auf Landeskosten.
Der Abgeordnete Biankini schilderte am 4. No-
vember 1901 im Abgeordnetenhause die Leiden der
Slovenen. Die Alldeutschen der „Südmarka haben
den Slovenen den Vernichtungskrieg auf ihrem Tage
in Radkersburg in folgenden Sätzen formuliert: „Die
Slovenen im Unterlande sollen aus den Bezirksver-
tretungen und Bezirksschulräthen hinausgedrängt
werden! Den slovenischen Vorschusskassen wird ein
12*
180
Vernichtungskampf angekündigt. Slovenische Lehrer
und Professoren sollen aus dem Unterlande verdrängt
werden. Als Beamte dürfen im Unterlande nur Deut-
sche angestellt werden! (Hört! Hört!) Auch die slo-
venischen Lehrerinnen müssen fort und werden durch
erst zu erziehende deutsche ersetzt. Die utraquistischen
Schulen sind zu kassiren. (Hört!) Es soll eine Kata-
stral map pe des slovenischen Grundbesitzes für deut-
sche Parteizwecke angefertigt und eine besondere Kom-
mission eingesetzt werden, deren Aufgabe es wäre,
zu achten, wo ein slovenischer Bauer aus seiner Be-
sitzung verdrängt und durch einen fremden ersetzt
werden könnte. u
Die Regierung sieht dem Treiben der Alldeut-
schen in der Südmark vollständig unthätig zu, ja sie
fördert die Ziele der Alldeutschen. Sie bevorzugt die
Deutschen durch systematische Ernennung von der
slovenischen Sprache nur selten mächtigen Beamten
in Untersteiermark, und Verdrängung, beziehungsweise
Ernennung der slovenischen Beamten nach Krain,
oder in deutsche Theile Steiermarks, direkt die Ger-
manisierung Untersteiermarks fördernd. Damit wird
ein doppelter Erfolg erreicht. Einerseits wird dadurch
das deutsche Element in den von den beiden Natio-
nalitäten bewohnten Städten und Märkten gestärkt,
anderseits kommt hiemit ein Element in die Verwal-
tung, rücksichtlich Justitz, welches die Verdrängung
der slovenischen Sprache, der Sprache von mehr als
90 Procent der Bevölkerung Untersteiermarks, sich
zur Aufgabe stellt, und diese Aufgabe auch, wie die
Erfahrung zeigt, mit einer ganz eigenthümlichen Kon-
sequenz zur Durchführung bringt. Dies zeigt sich ins-
besondere bei den Gerichten in Unterste iermark, und
zwar in einer Art und Weise, dass die Behauptung
gerechtfertigt erscheint, dass die Richter in Untersteier-
mark sich mit wenigen Ausnahmen von der durch
die deutschnationale Richtung inaugurirten nationalen
Unduldsamkeit nicht frei zu halten wissen. Es können
die untersteirischen Slovenen den Gerichtssaal nicht
mit dem beruhigenden Gefühle des vollen Vertrauens,
sondern nur mit einem gewissen Zittern und Zagen
betreten. Denn eines ist sicher. Müssen sie auch über
181
die meritorische Entscheidung ihrer Angelegenheiten
sich nicht Besorgnissen hingeben, oder mögen sie
nur als Zeugen geladen sein und daher am Ausgange
des Processes kein Interesse haben, sie werden daß
Gerichtshaus doch nicht verlassen, ohne eine Reihe
empfindlicher Kränkungen durch Verletzung ihres
Nationalgefühles erfahren zu haben (Oho !-Rufe),
Kränkungen, die ihnen von staatlich angestellten Ge-
richtspersonen bewusst, ja vielfach mit Absicht, und
in jedem Falle mit stillschweigender Duldung der
Justizverwaltung zugefügt werden.
Es liegt System in der Missachtung und Zurück-
setzung der slovenischen Sprache bei den Gerichten
Untersteiermarks. Ich will in dieser Beziehung heute
keine eingehenden Daten vorbringen, dies wird von
anderer Seite gelegentlich der zweiten Lesung des
Budgets stattfinden. Ich konstatiere nur, dass über
in slovenischer Sprache vorgebrachte Anbringen bei
Gericht, in nahezu 90 Procent der Fälle ein deut->
sches Protokoll aufgenommen wird, und die Partei,
mag sie sich auch sträuben, muss diese ihr oft ganz
unverständliche Niederschrift unterschreiben* Ist nun
einmal das erste Anbringen — die Grundlage für das
weitere Verfahren — deutsch protokolliert, so geht
es im ganzen Akte so weiter, da hilft keine Bitte*
keine Beschwerde mehr. Gegen diesen wohlbekannten
Unfung sind das Justizministerium und das Ober-
lan desgerichtspräsidium nicht nur nicht eingeschritten,
im Gegentheile, sie fördern denselben und überlassen
es ganz dem Belieben jedes einzelnen gerichtlichen
Beamten — natürlich zum Nachtheile der Slovenen,
denn wehe demjenigen, der einer deutschen Partei
in ihrem Sprachenrechte nahetreten wollte, — sich
über die bestehenden Vorschriften hinwegzusetzen. Es
scheint wirklich, als ob sich die Richter zur Aufgabe
gemacht hätten, den ihre Rechte fordernden Slovenen
auf Schritt und Tritt Prügel vor die Füsse zu werfen.
Macht ein Slovene eine slovenische Eingabe,
die man endlich doch in slovenischer Sprache erle-
digen muss, so erhält er sicher die Erledigung mit
deutschem Couvert und deutschem Retourrecepisse,
oder mit einem deutschen Zustellschein zugestellt*
182
Wenn er sich dagegen beschwert und mindest doppel-
sprachige Drucksorten verlangt, so erhält er, wie es
einem Marburger Advokaten geschah, die Zustellung
mit deutsch-italienischem Retourrecepisse. Also zur
Zurücksetzung auch noch den Hohn! In solchen
Kleinigkeiten zeigte sich, wie stark in manchen Richter-
kreisen die deutschnationale radikale Gesinnung ein-
gewurzelt ist. Aehnlich wie in erster Instanz, ist auch
die Behandlung der sprachlichen Rechte der Slo-
vefcen in zweiter Instanz. Sehr arg ist die Verletzung
nicht bloss der sprachlichen Rechte, sonden auch,
die Gefährdung der Rechtssicherheit im Schwurge-
richtsverfahren. In diesem Verfahren, wo es sich um
die schwersten Verbrechen handelt, ist noch nie eine
slovenische Anklage erhoben worden. Man verletzt
da wissentlich alle die grossen Principien und zwar*
wie man behauptet, wegen der Geschworenen.
Da komme ich auf ein trauriges Kapitel, auf die
Zusammenstellung der Geschworenenlisten, bei welcher,
wie wir gelegentlich mit konkreten Daten belegen wer-
den, ausschliesslich politische Erwägungen entschei-
dend sind. Man braucht ein verständnisvolles Werkzeug
zur Knebelung der slovenischen Presse und nimmt
daher in die Liste neben ein paar Paradeslovenen
nur deutsche Parteigänger, und aus letzteren mit
Vorliebe solche, welche die slovenische Sprache über-
haupt nicht verstehen. Dass man gewissenhafte Leute
damit in die peinliche Situation bringt, nach Eid
und Gewisen ihr Votum über die Schuld oder Nicht-
schuld eines Menschen abzugeben, dessen Verantwor-
tung sie ob Unkenntnis seiner Sprache ebensowenig
folgen konnten, als den Angaben der Zeugen, dies
scheint die Gerichte nicht zu berühren.
Diese unerfreulichen Thatsachen lassen nur zu
deutlich erkennen, wie es namentlich im heurigen
Jahre geschehen konnte, dass die Pressprocesse gegen
slovenische Redakteure stets für die Angeklagten einen
ungünstigen Verlauf nahmen, während deutsche Redak-
teure wegen in der Presse erfolgter Ehrenbeleidi-
gungen gegen Slovenen eine Freisprechung stets sicher
erwarten konnten. Fragen wir uns, wer die Schuld
trägt an den traurigen Justizzuständen in der Steier-
183
mark, so können wir mit allem Grund behaupten:
das Oberlandesgerichtspräsidium in Graz und das
Justizministerium. Beide haben durch das Dulden
und theilweise auch durch ausdrückliches Fördern
der bereits geschilderten Praxis, dadurch, dass sie
Richter, welche die Sprachenrechte der Slowenen
achten, wo nur möglich, zurücksetzen, dagegen solche,
die sich über diese Rechte hingewegsetzen, trotz der
offenkundigen Gesetzwidrigkeiten bevorzugen, den
Richterstand zum grossen Theile in seiner Gesinnungs-
tüchtigkeit ungünstig beeinflusst. Ein grosser Theil der
Richter entstammt slovenischen Eltern, wie überhaupt
in Untersteiermark man bei den deutschgesinnten
Richtern in der Regel nicht mehr als höchstens auf
den Grossvater zurückgehen braucht, um auf ganz
slovenische, des Deutschen unkundige Leute zu stos-
sen. Und diese der slovenischen Nation entstammende
Richter sind heute die grössten Gegner derselben.
Warum? Weil es ihnen Graz und Wien bei jedem An-
lasse fühlen lässt, dass nur jener auf ein Fortkommen
rechnen kann, welcher seine slovenische Abstammung
verleugnet. Und wem zuliebe fördert die Regierung
ein solches Vorgehen? Der untersteierischen Deut-
schen wegen! Wer sind diese? Kaufleute, Gewerbs-
leute, Advokaten, Notare, die alle von der slovenischen
Bevölkerung leben und dabei recht klug vorzugehen
verstehen.
Alle diese Urgermanen lernen für ihre Person und
für ihr Geschäft slovenisch; sie annoncieren in der
slovenischen Sprache, lassen slovenische Plakate an-
kleben, schicken den slovenischen Kunden und Klienten
slovenische Rechnungen, Briefe u. s. w., denn sie wissen,
dass sie sonst kein Geschäft machen würden, und
darum: ura's Geschäft, um's Verdienen ist es ihnen in
erster Linie zu thun. Ist das geschehen, dann erwacht das
germanische Gefühl, dann wird versammelt, resolutio-
nirt, petitionirt und verlangt, dass von den staatlichen
Organen alles das, was die deutschen Advokaten und
Geschäftsleute in ihrer Erwerbsthätigkeit als natürlich
befinden, im Verkehre der staatlichen Aemter, mit
den slovenischen Parteien in das gerade Gegentheil
verkehrt wird, denn dies fordere das nationale Recht
184
der Deutschen ! Und das Schreien solcher Charaktere
ist massgebend für die Massnahmen der Regierung!
Wir werden gelegentlich der zweiten Lesung des
Budgets die Ernennungsthätigkeit der Regierung be-
leuchten, und an der Hand konkreter Fakten das
parteiische Vorgehen nachweisen. Wir werden die
Thätigkeit des Landesschulrathes in Graz auf dem
Gebiete der Germanisierung der Volksschulen in Unter-
steiermark ebenfalls bei der zweiten Lesung eingehend
beleuchten ; und konstatiere ich einstweilen nur, dass
der Landesschulrath, der doch nur von pädagogischen
Rücksichten sich leiten lassen sollte, auffallend die
Interessen der slovenischen Bevölkerung in Hinsicht
auf die Schule vernachlässigt.
Ueberall sehen die Slovenen in Untersteiermark
sich zurückgesetzt. Ihre nationalen, kulturellen und
wirthschaftlichen Forderungen finden kein Gehör,
nur eine verletzende Zurückweisung. Der Regierung
sind die Wünsche der Slovenen gut bekannt, doch
nimmt sie keinen Anlass, sich für die Erfüllung der-
selben einzusetzen, und mit ihrem moralischen Ein-
flüsse namentlich in der Richtung zu wirken, dass
die autonome Landesverwaltung Steiermarks auch
den Slovenen gegenüber jene Fürsorge zeige, welche
dieser fast ein Drittel der gesammten Bevölkerung
des Landes ausmachende Volksstamm vollauf ver-
dient. Die Art und Weise, wie die für die bäuer-
liche Bevölkerung des Unterlandes so wichtige Frage
der Regulierung der Pössnitz und der Sotla im stei-
rischen Landes-Ausschusse bisher behandelt wurde,
illustriert die Gesinnungen der Majorität dieser
Körperschaft gegenüber den so begründeten Forde-
rungen der Slovenen auf das schlagendste. Ebenso
sieht es auch in der Frage der so notwendigen Er-
richtung einer slovenischen Bürgerschule und einer
slovenischen Ackerbauschule aus. Landes-Ausschüss
und Landtag verhalten sich geradezu verletzend.
Fürwahr, die Slovenen Untersteiermarks haben allen
Grund zur Verbitterung und zu berechtigten Klagen,
und es ist nur zu staunen, dass die Regierung,
welche über die traurigen Verhältnisse Untersteier-
marks informiert ist, sich so unthätig verhält.
185
Das zweite südslavische Volk, die Kroaten, welche
meist in Istrien koncentriert sind, hat die Italia
Irredenta auf dem Nacken. Die Italianissimi, welche
vornehmlich im Gemeinderathe Triest ihre Macht
zeigen, unterwühlen Oesterreich im Süden zu Gunsten
des revolutionären vereinigten Italien. Sie bedrängen
mit jeder Niedertracht die kroatische Bevölkerung
des Küstenlandes und Dalmatiens, sie scheuen nicht
einmal vor offenen Mordthaten und Bombenwerfen in
die katholischen Kirchen. Dem Treiben der Italianis-
simi fiel fcüm Opfer Bischof Stark in Triest, der vor-
zeitigen Todes starb an den Folgen der furchtbaren
Hetzereien dieser schamlosen Sippe. Direkter Gönner
dieser Revolutionäre war seinerzeit der Statthalter
Rinaldini, der nur zu spät seines Amtes enthoben
wurde. Solche Beamte hat das arme Oesterreich.
Statthalter Rinaldini war auch verwickelt in eine
anrüchige Malversation beim Oesterreichischen Lloyd,
in desäen Verwaltungsrathe er auch sass. Man wies
ihm nach, dass er Trinkgelder in der Höhe von
200.000 fl. angenommen habe. Und solchen Männern
wird die Regierung eines ganzen Landes anvertraut.
Was Abgeordneter Biankini von den Staatsbeamten
im Süden von Steiermark sagte, das gilt von einer
grossen Zahl von Staatsbeamten in allen Verwaltungs-
zweigen in ganz Oesterreich überhaupt. Die höchste
Raison der amtlichen Thätigkeit so mancher Staats-
beamten ist nicht das Wohl des Volkes, des Vater-
landes, der Dynastie, sondern das Wohl der eigenen
Person und ein blindes Parteiinteresse. Der grosse
bureaükratische Apparat Oesterreichs hat die fixe
Vorstellung, der Staat, die Völker seien seinetwegen
hier und nicht umgekehrt. Gewisse Bureaukraten ,
besonders in den Centralstellen der Verwaltung, sind
die verbissensten Feinde der Gleichberechtigung der
Nationen und wenn die gesetzgebenden Körperschaften
auf die Versöhnung hinarbeiten, wird über das Par-
lament und die Landtage im alten System regiert.
Gewisse mächtige Bureaukraten machen in Oester-
reich eben, was sie wollen, sie sind gewaltiger als
das Parlament, die Landtage und der Herrscher.
Manche Bureaukraten arbeiten den Deutschnationalen
186
und Schönerianern in die Hände. Hier ein Beispiel.
Das Organ der Prager Judenschaft „Prager Tagblatt*
brachte am 26. September 1902 folgenden Artikel :
Ein Kapitel deuts ch-böhmische r Schul-
geschieht e.
Hofrath Dr. J. V. Grohrnann, administrativer Re-
ferent im Landesschulrathe, ist um seine Pensioni-
rung eingeschritten. Mit Hofrath Grohmanns Amts-
thätigkeit ist ein bedeutsames Kapitel unseres deut-
schen Schulwesens auf das innigste verknüpft. Als
im Jahre 1869 der Landesschulrath in Böhmen ins
Leben gerufen wurde, wurde Grohrnann — seine
Berufung erweckte grosses Aufsehen, weil er Schul-
mann und nicht Jurist war — zum administrativen
Referenten dieser neugegründeten Behörde, u. zw.
sowohl für die deutschen als für die tschechischen
Schulen ernannt. Ihm fiel damals persönlich die
gewichtige Aufgabe zu, die neuen Volksschulgesetze
gegen die Opposition der tschechischen Bevölkerung
durchzusetzen. Es war die Zeit der Deklaration; die
Cechen halten Reichsrath und Landtag verlassen.
Da die neuen Schulgesetze ohne sie zu Stande ge-
kommen waren, so wollten sie den Beweis liefern»
dass die Regierung nicht im Stande sei, diese Ge-
setze gegen den Willen des ßechischen Volkes durch-
zuführen. Mit den schärfsten Waffen ist gegen diese
Gesetze, die heute von den Cechen als Errungen-
schaft betrachtet werden, damals von ihnen ange-
kämpft worden ; in den Zeitungen hiess es, sie seien
der Tod der öechischen Nation (smrt na§eho näroda),
sie müssten der Gemeinde den Einfluss auf die
Schule rauben, sie brächten die Lehrerschaft* unter
die Botmässigkeit der Bureaukratie u. s. w. Wer
bei der Durchführung der Schulreform behilflich war,
wurde als „okrälak" vervehmt. Kurz, die Verhinde-
rung der Schulreform wurde zur Kraftprobe der na-
tionalen und staatsrechtlichen Opposition! Hofrath
Grohmanns unermündlicher Energie ist es gelungen,
diesen Widerstand zu brechen. Selten noch ist eine
grosse gesetzgeberische Aktion so durch das Wirken
einer einzelnen Persönlichkeit gefördert worden t
187
Schon wenige Wochen nach seiner Ernennung
konnte Grohmann Anträge über die Greirung der
Bezirksschulinspektoren für sämmtliche Schulbezirke
erstatten. In diesen Anträgen kam zum ersten Male
der für die Entwicklung des Schulwesens so be-
deutsam gewordene Gedanke zum Ausdruck, die In-
spektionsbezirke in Böhmen nach der Unterrichts-
sprache abzugrenzen, d. h. für deutsche Schulen
deutsche, für* dechische Schulen öechische Inspek-
toren zu ernennen. Unterrichtsminister Hasner ge-
nehmigte diese Vorschläge Grohmann's rückhaltslos:
in ihrer weiteren Entwicklung führten sie bekannt-
lich zur nationalen Trennung des Schulwesens. Hof-
rath Grohmanns Initiative feierte dann auch in einer
andern verwandten Angelegenheit einen Erfolg: das
Schulaufsichtsgesetz vom 8. Feber 1869 enthielt in
§ 32 die Bestimmung, dass die Schulgemeinden die
Fahrgelegenheiten zu den periodischen Schulvisita-
tionen beizustellen haben. In den oppositionellen
Gemeinden, welche die Fahrgelegenheiten verwei-
gerten, wurden diese Visitationen dadurch selbstver-
ständlich illusorisch. Rasch entschlossen brachte
Hofrath Grohmann — er war damals Landtagsabge-
ordneter für den Städtebezirk Gabel-Kratzau — den
Antrag ein, das Schulgesetz dahin abzuändern, dass
die Bezirksschulinspektoren ihr Reisepauschale aus
Staatsmitteln erhalten. So wurde aller öechischen
Opposition zum Troti der Schulinspektion freie Be-
wegung und die für ihre Funktion nöthige Unab-
hängigkeit erobert!
Als nun im Herbste 1869 zur Bildung der Be-
zirksschulräthe geschritten wurde, verweigerten in
den meisten Cechiscben Schulbezirken die Lehrer und
die Bezirksvertretungen die Vornahme der Wahlen.
Erst mit den schärften Mitteln und erst nach unbe-
schreiblicher Mühe gelang es, wenigstens die Mehr-
zahl der im Gesetze vorgeschriebenen Bezirksschul-
rathsmitglieder aufzubringen und die Konstituirung
des Bezirksschulrathes vorzunehmen. Noch grössere
Schwierigkeiten stellten sich dem Schulerrichtungs-
gesetze vom 19. Feber 1870 entgegen: diesem Ge-
setze gemäss gingen mit Beginn des Schuljahres
188
1870—1871 alle Verpflichtungen* welche bis dahin
den Gemeinden bezüglich der Errichtung und Erhal-
tung ihrer Schulen obgelegen waren, auf den Schul-
bezirk über. Vom 1. Oktober hatten somit die Schul-
bezirke den gesammten Aufwand für die öffentlichen
Volksschulen zu bestreiten* Allein die Schulbezirke
hatten weder Kassen noch Geld. Daraufhin brachte
der Abg. Dr. Hanisch, ein Freund des Hofrathes
Grohmann, im Reichsrathe einen Gesetzentwurf ein,
nach welchem den Steuerämtern die Geld- und Ur-
kundengebahrung der Bezirksschulkassen und des
Lehrerpensionfondes übertragen werden konnte. Erst
seit dem Zustandekommen dieses Gesetzes (11. Mai
1870) war die Voraussetzung für eine ordnungsge-
mässe Führung der Schulbezirkskassen geschaffen.
Allein, da einerseits diese Kassen naturgemäss An-
fangs leer standen, das Gesetz andererseits die Aus-
zahlung der Lehrergehalte in anticipativen Raten
anordnete, die Einnahmen des Schulbezirkes aber
besten Falls in dekursiven Raten erfolgten, da
ferner der Landesausschuss ablehnte, den gesetz-
lichen Landesbeitrag von 329.597 fl. vor Schluss des
Verwaltungsjahres flüssig zu machen, — so sah sich
der Landesschulrath im Oktober 1870 einer fast un-
lösbaren Aufgabe gegenüber. Am höchsten stieg die
Verwirrung in jenen öechischen Schulbezirken, in
denen die Bevölkerung, der ausgegebenen Parole
folgend, die Zahlung des Schulgeldes und der
Schulauslagen verweigerte; die Gemeinden wollten
nicht einmal vorschussweise für die Lehrergehalte
aufkommen. Karolinenthal z. B. versuchte sogar,
das bisherige Schulgebäude zu anderen Zwecken zu
vermiethen !
In dieser verzweifelten Situation wurde ein
scharfer Erlass aii die Bezirkshauptmannschaften
herausgegeben, demzufolge die Schulhäuser als Ge-
meingut erklärt und jedem weiteren Versuche, sie
«der Verwaltung des Schulbezirkes zu entziehen, Ein-
halt geboten wurde. In 11 cechischen renitenten
Schulbezirken wurden die rückständigen Schulgelder
und Schulumlagen mit Militärassistenz eingetrieben!
Der Erfolg dieser Massregel — selbst die Freunde
189
des neuen Schulgesetzes hätten ihn nicht so rasch
erwartet — war, dass im April 1871 die Schulbezirks-
kassen bereits in allen Schulbezirken Böhmens akti-
virt waren. Die Cechen haben seither, durch die
Wohlthaten des Schulgesetzes bekehrt, eingesehen,
welch' schwerer Fehler ihre diesbezügliche damalige
Opposition war. Mit der glücklichen Durchführung
der Schulreform hatte Hofrath Grohmann seinen Ruf
als unermündlicher Organisator fest begründet Unter
dem Statthalter Koller wurde dann ein eigener Re-
ferent für ßechische Schulen bestellt: aber die
grossen organisatorischen Aufgaben, die das ge-
sammte Schulwesen betrafen, wurden auch weiterhin
dem Hofrath Grohmann übertragen.*) Als Regierungs-
kommissär der Schulkommission im böhmischen Land-
tag — er stand dort mit den hervorragendsten Ab-
geordneten der deutschen Partei im freundschaftlich-
sten Verkehr — hat er durch die Verdienste, die er
sich um das Zustandekommen des Schulaufsichts-
gesetzes vom Jahre 1873 erworben hat, auf die Entwick-
lung des Volksschulwesens in Böhmen entscheidende-
und richtunggebenden Einfluss genommen. Die dau-
ernde Bedeutung dieses Gesetzes liegt in den Bestim-
mungen, durch welche die Trennung der Schulbezirkc
nach der Nationalität und die nationale Organisation
der Orts- u. Bezirksschulaufsicht angeordnet wird. Diese
Bestimmungen wurden von Deutschen und Gzechen
mit Befriedigung angenommen und wurden geradezu
epochemachend für die Behandlung der nationalen
Fragen. Bei den Ausgleichsverhandlungen im Jahre
1890 war denn auch der Plan, den beiden Nationa-
litäten ihre Schulen in eigene Verwaltung zu über-
geben, und demgemäss den Lndeschulrath — wie
die unteren Schulinstanzen — zu theilen, beiden
Parteien plausibel. Diesen Gedanken, der seither so
viel zur Beruhigung der Gemüther beigetragen hatt
zuerst angeregt und zur praktischen Durchführung
*) Als 1890 die Stelle des Vicepräsidenten beim Landes chul-
rathe creirt wurde, konnte Hofrath Grohmann für dieses Amt
wegen mangelnder Kenntniss der czechischen Sprache nicht
berücksichtigt werden. Damals wurde ihm der Titel und Charakter
eines Hofrathes verliehen.
190
gebracht zu haben, ist ein ausschliessliches und un-
vergängliches Verdienst Hofrath Grohmanns!
Auf Grund des neuen Schulaufsichtsgesetzes
wurden in Prag ein deutscher und ein czechischer
Bezirksschulrath errichtet. Der deutsche Bezirksschul-
inspektor war Regierungsrath Prof. Lieblein, ein
Freund des Hofraths Grohmann. Dem rastlosen Zu-
sammenwirken dieser beiden vortrefflichen Männer
ist der ungeahnte Aufschwung des deutschen Schul-
wesens in Prag und den Vororten zu danken. Im
Jahre 1869 gab es in Prag und den Vororten blos
drei öffentliche deutsche Volkschulen: die Altstädter
deutsche Knaben- und Mädchenhauptschule, die ge-
mischte Volkschule bei S. Maria de Viktoria und die
Josefstädter Haupt- und Unterrealschule. Die letztere,
1859 begründet, sollte gemäss eines zwischen der
Stadt Prag und der israel. Kultusgemeinde geschlos-
senen Vertrages nach zehnjährigem Bestände — also
im Jahre 1869 — wieder aufgelassen werden. Nur
dem unermüdlich energischen Einschreiten des Hof-
raths Grohmann ist es zu danken, dass diese deut-
sche Schule trotzdem bestehen blieb. Da die Stadt-
gemeinde Prag sich weigerte, den Lehrern ihre Ge-
halte auszuzahlen, Hess Hofrath Grohmann dasjenige
Drittel der Verzehrungssteuer, welches der Stadt zufiel,
mit Beschlag belegen, und Hess hievon die Lehrer
bezahlen. Gegenwärtig gibt es in Prag und Umgebung
nicht weniger als neun deutsche Volkschulen (Bürger-
schulen: zwei auf der Altstadt, eine in Karolinenthal
und Smichov). Ohne jede Uebertreibung darf es aus-
gesprochen werden, dass das Verdienst, diese sechs
Schulen, die seit 1869 neu hinzukamen, für das deut-
sche Volk gewonnen zu haben, ausschliesslich der
Initiative des Hofraths Grohmann zu danken ist! Im
Jahre 1881 beschlossen die Ortsschulräthe von Wein-
berge, Smichov, die Stadträthe von Prag, Karolinen-
thal und Pfibram: sämmtliche Kinder, die der deut-
schen Unterrichtssprache nicht hinreichend mächtig
wären, aus den deutschen Schulen auszuweisen und
den czechischen Ortsschulen zuzuweisen. Dieser Be-
wegung trat der Landesschulrath energisch entgegen,
da es auf Grund der bestehenden Gesetze den Eltern
191
freistehen müsse, ihre Kinder in die deutsche oder
czechische Schule zu schicken. Anfangs im Landtage
wie in den czechischen Zeitungen aufs heftigste an-
gefochten, wurde diese Anschaunung, nachdem auch
Ministerium und Verwaltungsgerichtshof alle dagegen
eingebrachten Rekurse verworfen hatten, schliesslich
anerkannt. Da brachte Abg. Kvißala im Landtag den
Antrag ein, das bestehende Gesetz dahin abzuändern,
dass die schulpflichtigen Kinder je nach ihrer Natio-
nalität von Amtswegen von den Schulorganen einer
deutschen oder czechischen Schule zugewiesen werden.
Dieses lex Kvißala gegenüber hat Hofrath Grohmann
bei jeder Gelegenheit mündlich und schriftlich das
natürliche Recht der Eltern auf die Wahl der Schule,
mit der ihm eigenen von innigster Ueberzeugung
getragenen Energie und Zähigkeit verfochten.
Aber nicht nur auf dem Gebiete des Volksschul-
wesens, sondern auch auf dem der Mittelschule hat
Hofrath Grohmann dem deutschen Volke Dienste ge-
leistet, für welche die Dankbarkeit niemals erlöschen
kann: es sei kurz und bündig ausgesprochen, dass
die Errichtung der deutschen Staatsgymnasien auf der
Altstadt, in der Stephansgasse, in Smichov, in den
Weinbergen, der Realschulen auf der Insel Kampa,
in Karolinenthal und in der Heinrichsgasse der aus-
schliesslichen Initiative des Hofraths Grohmann und
seiner Liebe zu seinem Volke zu danken sind. Ins-
gesammt sind unter Grohmanns Amtswirksamkeit in
Böhmen acht deutsche Gymnasien, sechs deutsche
Realschulen, vier deutsche Lehrerbildungsanstalten aus
Staatsmitteln errichtet worden, neun deutsche Gy-
mnasien und vier deutsche Realschulen in die Staats-
verwaltung übernommen worden.
Hofrath Grohmann schrieb auch unter dem Namen
Josef Winter schneidige politisch-historische Aufsätze
in die „Mittheilungen des Vereins für die Geschichte
der Deutschen". Solcher Grohmanns hat die Staats-
maschine Oesterreichs zu Hunderten, sie sind es,
welche durch ihre Amtsthätigkeit dem Staate Oester-
reich gewaltsam den Stempel des Deutschthums von
Amtswegen aufdrücken. Solche Grohmanns hat die
böhmische Nation nicht aufzuweisen. Staatsbeamte
192
■
böhmischer und slavischer Nationalität dürfen sich |
überhaupt am nationalen Leben ihres Volkes nicht I
betheiligen, ausser sie verzichten darauf im Dienste
vorzurücken und laufen in Gefahr einen existenxiellen
Selbstmord zu begehn. Wenn ein Staatsbeamte böh- I
mischer Nationalität vorrückt, so geschieht es nur,
wenn er sein eigenes Blut zu verleugnen versteht j
Man findet denn auch höhere Stellen des Staats- j
dienstes wie in den Ministerien und den übrigen
wichtigen Gentralstellen fast ausschliesslich von Deut-
schen oder Renegaten besetzt.
Der Typus Grohmann arbeilet für das deutsche
System in Oesterreich wenigstens in solchen Schranken,
die einen ruhigen nationalen Arbeiter für das Deutsch-
thum bekunden, aber es gibt Staatsbeamte, die sich
direkt an deutschnationalen und schönerianischen
Agitationen betheiligen. Der Steueramtsadjunkt Hugo
Bartelt in Oderberg, Schlesien, versendete Ende Au- ,
gust 1902 allen deutschnationalen Vertrauensmännern \
ein Girkulare, worin er sie zu einer nationalen Versamm- 1
hing nach Mähr.-Ostrau einlud, um eine Gegendemon- '
stration der Deutschnationalen gegen das Sokolfest
zu veranstalten. An allen nationalen Wühlereien und |
künstlich herbeigeführten Demonstrationen nimmt in j
- Mähren regelmässig einen direkten Antheil der Ober-
landesgerichtsrath Baron d'Elvert in Brunn.
Es gibt erwiesenermassen einen sehr starken
Procentsatz von Staatsbeamten, welche alldeutsche
und schönerianische Blätter halten und ihrer Gesin-
nung nach dieser Partei angehören. Derartige Beamte
zum Beispiel bei der Post und Eisenbahnen scheuen
sich nicht slavische Adressen an den Sendungen eigen-
mächtig umzuschreiben, zu verunstalten, ja es gibt
Beispiele, dass schönerianische Postbeamte mit Hohn
Sendungen mit böhmischen Adressen als unbestellbar
zurücksenden. Kurz es ist ein wahres Kesseltreiben
von Seite eines grossen Procentsatzes der Staatbeamten
um dem Staate Oesterreich den Charakter der „pre]is- {
sischen Ostmark" von Amtswegen aufzudrücken,
es ist ein systematischer k. k. Hochverrath, der da
ausgeübt wird von Männern, welche doch geschworen
haben dem Kaiser und Reich treu zu dienen. Ja
193
wenn es österreichische Minister gibt, die für Preussen
arbeiten, warum sollte es nicht ein Adjunkt thun, er
wird ja dafür sicher befördert. Fragen wir nun,
woher diese Erscheinung, die wohl in keinem Staate
der Welt vorkommen kann? Kein Hausvater wird
doch im eigenen Hause Leute im Dienste halten, von
denen er überzeugt ist, dass sie ihn direckt bestehlen,
beschädigen. Im österreichischen Staatswesen gilt
diese Vorsicht nicht. Warum denn unter den Staats-
beamten Oesterreichs , soviel schönerianische und
wolfianische Drachensaat? Um diese Erscheinung zu
erklären, muss man auf die deutschen juridischen
Fakultäten Oesterreichs gehen.
Man würde hier vergeblich suchen nach Männern,
welche die studirende Jugend, aus welcher die Staats-
beamten sich rekrutiren, systematisch zur Liebe zum
österreichischen Vaterland anleiten würden. Es ist
bekannt, dass an den Hochschulen Oesterreichs die
Studentenverbindungen schönerianischer Färbung vor-
wiegen, und hier wird schon jahrzehntelang der Bis-
marckkultus und direkter Hochverrath systematisch
gepflegt. Verbindungen katholischer Studirender sind
ja in verschwindender Minorität.
Man suehe doch nicht an den Stätten, wo die
„freie" Wissenschaft vorgetragen wird, irgend welche
Treue zu Gott, zu Kaiser und dem Volk. Wer Gott
nicht treu ist, der ist es auch den Menschen nicht.
Man suche doch nicht an diesen Stätten der „freien
Wissenschaft" irgend welche Liebe und Treue zu Oester-
reich, wo diese „freie Wissenschaft" von so viel Söh-
nen jenes Volkes vorgetragen wird, das schon seit fünf-
tausend Jahren das goldene Kalb konsequent anbetet,
dem also Vaterlandsliebe ein gänzlich unbekannter
Begriff ist. So trägt an der juristischen Fakultät in
Wien die österreichische Reichsgeschichte Dr. Sigmund
Adler, ordentlicher öffentlicher Professor, vor. Nun
wissen wir allerdings nicht, ob dieser gute Herr ge-
tauft ist. Sehr begreiflich finden wir schon, dass
an dieser Fakultät das Handels- und Wechselrecht
Dr. Samuel Grünhut vorträgt. Das geht schon eher.
Nicht allein die Universitäten sind von Semiten über-
reich besetzt, auch die Staatsmaschine Oesterreichs
13
194
überhaupt lässt den Söhnen Judas bereitwillig die
höchsten Staatswürden zugänglich.
Abgeordneter Gregorig beklagte sich, dass die
Statthalterei Nieder-Oesterreichs ganz unter dem Ein-
flüsse des Judenstämmlings Baron Hock stehe. Auch
andere wichtige Centrals teilen sind reich mit Juden
besetzt. Das Eisenbahnministerium in Wien könnte
eine eigene Synagogen-Abtheilung aus seinen Beamten
errichten. Während Schönerianer und Deutschnatio-
nale ein Wuthgeheul erheben, das Deutschthum sei
bedroht, das bis nach Berlin wiederhailt, wenn ein
böhmischer Adjunkt in irgend einen deutschen Kräh-
winkel im Gebirg angestellt wird, schweigen sich diese
Helden gründlich darüber aus, wie Juda seine Söhne
an der Staatsgrippe Oesterreichs gemächlich und satt
füttern lässt, die dummen Gojim bezahlen es. Und
ist es in Preussen-Deutschland anders? Kann doch
Kaiser Wilhelm ohne den Juden Ballin nicht aus-
kommen. Es handelt sich hier nicht um die Ernen-
nung eines böhmischen Gerichtsadjunkten oder um
die Anstellung eines böhmischen Aushilfspriesters im
Sogenannten deutschen Sprachgebiet, es geht hier um
ein System, damit Oesterreich im Innern nie zur Ruhe
komme, bis der ersehnte Augenblick kommt, wo
preussische Regimenter mit blanker Waffe und klin-
gendem Spiel die böhmischen Grenzen überschreiten
werden. Sagte doch Moltke, dass der Krieg für das
jetzige Preussen-Deutschland eine elementare Not-
wendigkeit sei. Die schönerianischen und alldeutschen
Staatsbeamten Oesterreichs sind eine Gefahr, an wel-
cher das Reich über kurz oder lang nothwendig zu
Grunde gehen muss. Wenn die Alldeutschen verlangen,
Oesterreich müsse das Deutsche als Staatssprache
erhalten, so wäre es doch viel konsequenter, für
Oesterreich das Hebräische als Staatssprache zu pro-
klamiren. Die Juden sind in Oesterreich Cis und
Trans die Herren, die Christen sind die Beherrsch-
ten. Warum säubern doch nicht die Alldeutschen
die österreichische Staatsmaschine von den Semiten ?
Oesterreich ist in der Fremde durch seine Hebräer
vertreten. Fast sämmtliche Konsulate Oesterreichs
sind in den Händen der Juden.
195
Hier einige Beispiele. Konsul in Chikago : Dr. Alfred
Flesch; in New-York: Julius Stern; Philadelphia:
Alfred Ostheimer; Pittsburg: Jakob Weiss; Frank-
furt: Wilhelm Rothschild; Leipzig: Rudolf Fasan;
Stuttgart: Adolf Federer; Marseille: Adam Grünberg;
Toulon: Benjamim Jouve; Paris: Gustav Rothschild,
Richard Fürth, Baron Jacob Kahnstein ; Havre : Eugen
Grosos; Athen: Richard Oppenheimer; Liverpool:
Emil Neumann, Georg Behrend; Manchester: Sieg-
mund Oppenheim; London: Alfred Baron Rothschild,
Julius Kohn; Amsterdam: Leopold Grünberg; Bagdad:
Alfred Rapaport; Peru: Samuel Brahm; Moskau:
Franz Sponer; Odessa: Rudolf Wodianer ; Riga: Mo-
ritz Lübeck; Stockholm: Eduard Fränkl; St. Gallen:
Julius Salzmann; Barcelona: Nikolaus Kiss; Madrid:
Gustav Bauer.
Wie manche Staatsämter in Oesterreich aussehn,
davon geben wir ein kleines Beispiel. Die Finanz-
prokuratur in Prag hat folgende Beamte. Finanzräthe :
Franz Meisel, Jakob Adler, Leopold Wiener, Julius
Petschek, Franz Schilder. Sekretäre : Julius Eisenbach,
Ernst Bauer, Max Weis. Adjunkten : Ernst Pick, Lud-
wig Spiegel, Albert Bauer, Viktor Schwarzkopf, Otto
Baumer. Ob von diesen Beamten vielleicht Jemand
Christ ist, können wir nicht angeben. Da sind die
Deutschnationalen ganz still.
Anfangs September entleibte sich der Adjunkt
des Steueramtes in Reichenberg Franz Fiedler. Die
Pressorgane Reichenbergs gaben an, er habe dieses
aus Geistesstörung gethan. Abgeordneter Choc führte
in seiner Interpellation über diesen traurigen Fall im
Abgeordnetenhause am 6. November 1902 unter anderem
folgendes an: „Anfrage des Abgeordneten Choc und
Genossen an Ihre Excellenzen die Herren Minister des
Innern, der Justiz und der Finanzen. „Zufolge einer
Zeitungsnachricht endete am 6. September 1. J. der
k. k. Steueramtsacüunkt Franz Fiedler in Reichenberg
durch Selbstmord. Laut der aus deutschen Quellen
geschöpften Nachrichten soll er dies in unzurechnungs-
fähigem Zustande verübt haben. Das kann jedoch
entschieden nicht der Fall sein. Der verstorbene Herr
Franz Fiedler war und konnte nicht irrsinnig sein,
18*
196
schon deswegen nicht, weil er von den Beamten des
k. k. Hauptsteueramtes in Reichenberg die grösste
Agende mit dem besten Erfolge besorgte.
Der verstorbene Franz Fiedler hat eine in sehr
raffinirter Weise durchgeführte Defraudation des deut-
schen Kollegen Kuh enthüllt, über welche, da diese
Angelegenheit einen Deutschen betraf, in die Oeffent-
lichkeit nicht gedrungen ist, für welche Umsicht
ihm seitens der Finanz-Landesdirektion in Prag eine
besondere belobende Anerkennung zutheil geworden
ist. Von seiner Zurechnungsfähigkeit zeugt bestimmt
auch der Umstand, dass er vor dem Tode zwei voll-
kommen zusammenhängend und verständlich geschrie-
bene Briefe abgesendet hat, und zwar an seine Mutter
und an seine Wohnungsgeberin. Die Ursache des tra-
gischen Todes des jungen Mannes ist nur in den bei
dem k. k. Hauptsteueramte in Reichenberg her-
schenden Verhältnissen zu suchen, über welche sich
Franz Fiedler bei seinen Freunden oft beklagt hatte.
Den Dienst des Hauptkontrolors versieht bei diesem
Amte ein gewisser Ermold, welcher den verstorbenen
Franz Fiedler mit besonderer Vorliebe aus dem Grunde
verfolgte, weil Franz Fiedler ein aufrichtiger Böhme
war; für die korrekte und genaue Erfüllung der Pflichten,
wofür derselbe mit dem Belobungsdekrete ausge-
zeichnet wurde, konnte er doch diesen musterhaften
Beamten nicht chikaniren. Infolge der beständigen
Chikanen, Sekkaturen, Spöttereien und Verfolgungen
seitens dieses Ermold war der verstorbene Franz
Fiedler oft nervös aufgeregt, welcher von Ermold ver-
schuldete Zustand nunmehr für die Behauptung aus-
genützt wird, dass der Verstorbene geisteskrank ge-
wesen sei und dass er sich infolge Geistesstörung
ermordet habe. Um diesen unerträglichen Verhältnissen
zu entgehen, hat Herr Franz Fiedler wiederholt um
seine Versetzung angesucht, aber sein letztes Ansuchen
wurde gerade vor seinem Tode abschlägig beschieden.
Am Tage vor seinem Tode hatte er den letzten Auf-
tritt mit dem Oberkontrolor Ermold, welcher ihn in
roher Weise verhöhnte und ihm seine Krankheit
vorwarf.
Dem Beispiele ihres Vorgesetzten Ermold folgten
197
auch die übrigen deutschen Beamten, Indem sie den
Franz Fiedler beleidigten und den von allen Seiten
verfolgten Kollegen verhöhnten, dessen einziger — in
ihren Augen allerdings schrecklicher — Fehler seine
Nationalität war. Im Hinblicke auf diese unglaublichen
Thatsachen fragen die Gefertigten : „Sind Euere Excel-
lenzen geneigt, durch eine unparteiische und einge-
hende Untersuchung und namentlich durch Einver-
nehmung aller dem k. k. Hauptsteueramte in Reichen-
berg zugetheilten Beamten die Wahrheit der angeführten
Angaben sicherstellen zu lassen und durch eine strenge
Bestrafung der Schuldigen eine Wiederholung ähnlicher
trauriger Fälle hintanzuhalten?" Solcher Fälle gibt es
viel. Wie weit diese Dinge im sogenannten Deutsch-
böhmen gekommen sind, darüber gibt uns ein Bild
der Bericht des „Prager Tagblat" vom 10. November
1902. Das Blatt berichtet folgendes:
Protestversammlungen gegen die Ernen-
nung czechischer Beamten für Deutsch-
böhmen.
Leitmeritz, 9. November. (Priv.) Gestern fanden
hier die Protestversammlungen gegen die Ernennung
czechischer Beamten für Deutschböhmen statt, zu
denen die Ernennung eines czechischen Staatsan-
waltes für Leitmeritz den unmittelbaren Anstoss ge-
geben hatte. Die Delegirtenversammlung fand in der
Elbschlossbrauerei statt und es waren hiezu mehr als
400 Delegirte der Gemeinden und Bezirke des Leitme-
ritzer Kreisgerichtssprengels, sowie die Abgeordneten
Borjan, Siegmund, Tschan, Wolf, Dr. Funke, Unger-
mann und Schreiter erschienen. Abg. Dr. Funke be-
grüsste die Versammlung namens der deutschen Stadt
Leitmeritz, besprach die Stellung der Deutschen in
Böhmen und wies auf die Umtriebe der Czechen hin,
die unter dem Vorgeben der Gleichberechtigung die
rücksichtsloseste Alleinherrschaft im Lande anstreben.
Die Czechen kommen in unsere Gaue, und die öster-
reichischen Regierungen schicken fortwährend cze-
chische Beamte in deutsche Gegenden, ohne zu be-
rücksichtigen, dass wir Deutsche aufs tiefste geschädigt
werden. Wir wollen, fuhr Dr. Funke fort, diesen Zu-
198
stand nicht mehr länger dulden, umsoweniger, als
unsere Söhne dadurch von der Beamtenschaft aus-
geschlossen werden. Auch in Wien nehmen die Slaven
die ersten und besten Stellen ein. Die erbitterte Stim-
mung gegen diese Bevorzugung czechischer Beamten
lebt in uns schon lange und die Ernennung des cze-
chischen Staatsanwaltes ohne Konkursausschreibung
für Leitmeritz hat sie nur zum Ausbruche gebracht.
Wir werden einig und geschlossen vorgehen und mit
Kraft und Entschiedenheit anstreben, dass das deutsche
Volk nicht weiter geschädigt werde. Bürgermeister
Sanitätsrath Dr. Müller (Teplitz-Schönau) stimmt dem
Vorredner zu und bemerkt, dass auch in die deutsche
Stadt Teplitz immer Gzechen gesendet werden. In
gleicher Weise äusserte sich Bürgermeister Dr. Ohn-
sorg (Aussig), Dr. Spiegelbauer (Bodenbach), Deleg.
Gärtner (Tetschen) und Bürgermeister Dr. Kolb. Herr
Julius Lippert als Vertreter des Bezirksausschusses
Aussig führte aus, dass es in dieser Beziehung in der
Schweiz besser stehe als bei uns und zwar deshalb,
weil sich die Kantone ihre Beamten selbst ernennen;
deshalb arbeiten auch viele von den Parteien auf die
vollste Trennung der Verwaltung des Landes hin. Die
Regierung könne das heute schon sehen, aber sie
wolle zeigen, dass die Gzechen im ganzen Lande
herrschen. Es sei sicherlich möglich, dass die Regie-
rung eine deutsche Beamtenschaft erhalte, aber diese
müsse wissen, dass sie ihr Fortkommen findet. So
lange aber unsere Jugend dies nicht sehe, wende sie
sich der Industrie zu, wo die Gzechen nicht fortkommen
können. Wir hatten früher ein allzu festes Vertrauen
auf die Verfassung, allein diese schützt unsere Nation
nicht. Redner besprach die Gemeindewahlen in Pilsen
und wies nach, dass die Beamten die Gemeinde-
Autonomie ernstlich gefährden können ; sie beinflussen
aber auch die nationalen Verhältnisse. Ein czechischer
Kreisgerichtspräsident in einer deutschen Stadt sei
allein schon eine Agitationssäule; er brauche nicht
die Hand zu rühren und leite deshalb doch die Agi-
tation. Bürgermeister Langer beantragt dann die fol-
gende Resolution: „Die Versammlung von 400 Ver-
tretern der deutschen Bezirke und Gemeinden des
199
Leitmeritzer Kreisgerichtssprengels in Leitmeritz am
9. November 1902 erhebt entschieden Einspruch gegen
die ohne Konkursausschreibung erfolgte Ernennung
eines der czechischen Nationalität angehörigen Beamten
zum Staatsanwälte bei dem k. k. Kreisgerichte in Leitme-
ritz und erblickt in dieser Besetzung eine Fortsetzung
der von den jeweiligen Regierungen seit einer langen
Reihe von Jahren bereits beobachteten Haltung, die
Beamtenstellen in sämmtlichen Verwaltungszweigen
der deutschen Bezirke Böhmens vorzugsweise mit
Beamten czechischer Nationalität zu besetzen. Gegen
diesen Vorgang, durch welchen das deutsche Volk
in Böhmen zu seinen wohlerworbenen Rechten und
die deutschen Beamten in ihren begründeten Ansprüchen
auf das Schwerste geschädigt werden, legt die heu-
tige Versammlung deutscher Bezirks- und Gemeinde-
vertreter die entschiedenste Verwahrung ein und er-
wartet von der Regierung mit aller Bestimmtheit, dass
den überwiegend deutschen Bezirken des Leitmeritzer
Kreisgerichtssprengels und der gesammten deutschen
Bevölkerung in Böhmen bei Besetzung von Beamten-
stellen in allen Verwaltungszweigen jene Berücksich-
tigung zu Theil werde, auf welche die Deutschen
durch die Ernennung von Beamten deutscher Nationa-
lität vollen und berechtigten Anspruch haben."
Es sprachen dann die Abg. Schreiter, Dr. Tschan,
der zur Resolution folgenden Zusatz beantragte : „Die
heutige Versammlung fordert die staatsgrundgesetz-
liche Feststellung der deutschen Sprache als Staats-
sprache, weil diese das einzige Mittel ist, den unse-
ligen Nationalitätenstreit zu beseitigen und dem Staate
eine dauernde Grundlage zu geben. Weiter fordert
sie von ihren Abgeordneten, dass sie allen nationalen
und wirthschaftlichen Forderungen der Tschechen,
die nur auf Kosten der Deutschen in Böhmen er-
folgen können, mit aller Kraft entgegentretend Nach-
dem noch Abg. Wolf gesprochen hatte, erfolgte die
einhellige Annahme der Resolution und des Zusatz-
antrages. — Nachmittag um 3 Uhr fand dann die
Protestversammlung unter freiem Himmel auf dem
Marktplatze statt. Zu dieser hatte sich eine ungeheure
Menschenmenge eingefunden; die untere Hälfte des
200
Stadtplatzes vor dem Stadthause war voll besetzt,
es waren weit über 10.000 Menschen anwesend. Die
Tribüne war vor dem Stadthause errichtet. Dr. Funke
erklärte in seiner Eröffnungsrede, der heutige Tag sei
ein Errinnerungstag; vor 43 Jahren, am 9. November
1869, wurde auf dem Stadtplatze die Schillerfeier ab-
gehalten. Die 43 Jahre seither seien eine Zeit des
Kampfes für unser deutsches Volk gewesen, die
Deutschen seien nicht zur Ruhe gekommen. Wir
mussten uns nicht nur gegen den Ansturm unserer
nationalen Gegner wenden, sagte Redner, sondern
auch gegen die Ungunst der jeweiligen Regierungen
ankämpfen. Ein Jahrtausend lang wird uns dieses
Land, das wir bewohnen, streitig gemacht, wir haben
uns behauptet und wir werden, so Gott will und
solange unsere Kräfte reichen, auch weiter in diesem
Lande für alle Zeiten für unser gutes deutsches Recht
kämpfen, nur muss auch Jeder seine Pflicht voll und
ganz erfüllen. Die Regierung hat unsere deutschen
Gaue mit tschechischen Beamten geradezu überfüllt
und durch die Ernennung eines tschechischen Staats-
anwaltes für Leitmeritz die Erregung im deutschen
Volke aufs Höchste gesteigert. Wir haben ein Recht
darauf, dass die Beamten des Staates unsere Sprache
verstehen, dass sie die Volksseele kennen, dass es
unseren Söhnen möglich sei, Beamtenstellen in diesem
Lande zu erlangen. Die Verbitterung im deutschen
Volke ist gross, es ist keine künstliche Bewegung
und wir werden diese Zustände nicht mehr dulden*
Wir verlangen keine Gunst, wir verlangen unser gutes
deutsches Recht. Weiteres sprachen die Abg. Schreiter
und Wolf, worauf folgende Entschliessung ange-
nommen wurde: „Die am 9. November 1902 unter
freiem Himmel am Stadtplatze zu Leitmeritz tagende
Volksversammlung, die von Tausenden Theilnehmern
aus allen deutschen Bezirken des Leitmeritzer Kreis-
gerichtssprengels besucht ist, erblickt in der ohne
Konkursausschreibung erfolgten Ernennung eines der
tschechischen Nationalität angehörigen Staatsanwaltes
für diesen überwiegend deutschen Kreisgerichtssprengel
nicht nur eine Hintansetzung des deutschen Beamten-
standes, sondern auch eine arge Verletzung des natio-
201
nalen Gefühles der deutschen Bewohner dieses Ge-
richtssprengels Die Volksversammlung erkennt in der
systematisch von der Regierung betriebenden Tsche-
chisirung des Beamtenstandes im deutschen Sprach-
gebiete eine schwere Bedrohung des Deutschthums
in Böhmen und eine Verhöhnung des deutschen
Volkes in Oesterreich, das nicht nur die Hauptstütze
des Reiches bildet, sondern auch den übrigen Natio-
nen der Monarchie die Kultur vermittelt hat. Die
Volksversammlung spricht aus diesem Grunde der
Regierung die schärfste Missbilligung aus, und fordert
von ihr, dass sie für künftighin bei allen Gerichten
und Verwaltungsbehörden der deutschen Bezirke des
Kronlandes Böhmen nur deutsche Beamte und Diener
anstelle und tschechische Beamten allmälig entferne;
insbesondere fordert die Versammlung die ungesäumte
Versetzung des für den Leitmeritzer Kreisgerichts-
sprengel neuernannten Staatsanwaltes. Die Versamm-
lung bezeichnet die Aufstellung eines eigenen Beam-
tenstatus für Deutschböhmen als eine unbedingte
Notwendigkeit zur Heranziehung von deutschen Be-
amten. Die heutige Versammlung erwartet von den
deutschen Abgeordneten aller Parteien, dass sie einig
zusammenstehen in der rücksichtslosen Wahrung
aller nationalen Rechte des deutschen Volkes und
dass sie, wenn nöthig, auch zu den schärfsten parla-
mentarischen Mitteln greifen, um dem deutschen
Volkswillen endlich Geltung zu verschaffen."
Alle hier vorgebrachten Reden beruhen keines-
falls auf objektiver Wahrheit, im Gegentheil, das
wissen diese Redner sehr genau, aber gehetzt muss
werden, das ist die Hauptsache. Dr. Funke weiss
sehr genau, dass in Wien bei den Ministerien und
Gentralstellen kein einziger hoher Staatswürdenträger
böhmischer Nationalität ist, aber das geniert ihn ganz
und gar nicht das Gegentheil zu behaupten. So wird
die Brandfackel des wildesten nationalen Hasses in
das Volk hineingetragen, das Ende davon wird in
absehbarer Zukunft eine furchtbare Revolution sein.
Das beweisen die Hussitenkriege und der 30jährige
Krieg. Wer Wind säet, muss Sturm ernten. Wehe
aber den Regierungsorganen, die derartige wüste
202
Orgien des Nationalhasses zulassen, ja mehr noch,
heimlich diese fördern in ihrer eigener Kurzsichtig-
keit. Oesterreichs innere Feinde sind gefährlicher und
furchtbarer als die preussischen Regimenter. Staats-
anwalt Low, der im September 1902 nach Leitmeritz
versetzt wurde, ist überhaupt nicht böhmischer Na-
tionalität, sondern eher hebräischer Abkunft. Er gieng
bei seinem Amtsantritt allen Notabein in der
Stadt sich vorstellen, darunter auch dem Dr. Funke
selbst, der ihn freundlichst empfieng. Staatsanwalt
LöW, wenn er in der Amtslokalität von Jemandem
böhmisch begrüsst wird, dankt konsequent deutsch!
Und seinetwegen veranstaltete Dr. Funke den Protest-
tag in Leitmeritz am 9. November* Ja, wenn man den
Hund prügeln will, findet man den Stock. Die Herren
a la Dr. Funke brauchen den Nationalitätenhader
seinetwillen selbst, er ist ihr Erwerb, ihr Brod.
X. Die Sprachenfrage und die Anträge Dr. Koerbers
im Abgeordnetenhause.
Wie wir schon angeführt haben, hat Minister-
präsident Dr. Koerber Mitte Oktober 1902 ein Spra-
chengesetz dem österreichischen Abgeordnetenhause
unterbreitet. Ueber Antrag des Dr. Kramäf wurde im
Abgeordnetenhause am 6. November eine Debatte
über die Sprachgesetzentwurfe Dr. Koerbers eröffnet.
Der Abgeordnete Biankini schilderte die furcht-
baren Zustände im Süden der Monarchie. Er sagte
nach dem stenogr. Protokoll folgendes : Hohes Haus !
Seine Excellenz der Herr Ministerpräsident hat in
seiner programmatischen Rede am 16. Oktober über
die Regelung der Sprachenfrage — vielleicht nach
dem bekannten römischen Grundsatz: De minimis
non curat praetor! — - vergessen, dass diese Frage
nicht bloss die mit so viel Unrecht, Undankbarkeit
und Unvorsichtigkeit gekränkte und misshandelte
böhmische Nation beunruhigt, sondern auch die übri-
gen slavischen Völker, insbesondere die Kroaten und
Slovenen im Süden der Monarchie. Ja, meine Herren !
Da nun einmal diese Frage auf die Tagesordnung
gesetzt wurde, so haben auch alle übrigen Völker
wenigstens das Recht zu erfahren, was der Herr
203
Ministerpräsident darüber denkt und wie er ihren
Rechtsansprüchen genüge leisten will, umsomehr, als
er im Juni vorigen Jahres in diesem hohen Hause
die feierliche Erklärung gab : „Wir werden gegen kein
Volk dieses Reiches regieren, wir wollen Gerechtig-
keit für alle Völker. Darin erblicken wir unsere poli-
tische Ehre, die wir unbefleckt erhalten wollen."
Durch die Begrenzung der Regelung der Sprachen-
verhältnisse für Böhmen und Mähren allein — über
die berühmten „Grundzüge" für diese Regelung will
ich heute nicht meritorisch sprechen, aber ich glaube
mich nicht zu irren, wenn ich sage, dass mit solchen
tingerechten und unvernünftigen Grundzügen, der
Abzugsmarsch dieses Ministeriums schon im Zuge ist
— hat Seine Excellenz der Herr Ministerpräsident
nicht Gerechtigkeit für alle Völker geübt, hat nicht
seiner vorjährigen Erklärung entsprochen. Gegen einen
solchen Vorgang müssen wir auf das entschiedenste
Einspruch erheben. Insbesondere müssen wir, Kroaten
und Slovenen, dagegen protestiren, weil die Regelung
der Sprachenfrage an unseren südlichen Grenzen
nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, der Ruhe
und Ordnung für unsere Heimat ist, sondern auch
eine Frage der Sicherheit, des Friedens und Ansehens
für die ganze Monarchie. Meine Herren! Die gewalt-
same und ungerechte Aufrechthaltung der italienischen
Sprache in den k. k. Aemtern von Triest und Istrien,
und die infolge dessen antinationale Regierungspolitik
schafft dortselbst bereits eine derartige Verwirrung,
dass jeder Mensch mit Kummer erfüllt werden muss,
wenn er nur ein bisschen patriotisch fühlt und denkt.
Das, was seit einiger Zeit im Süden des Reiches,
infolge der ungerechten Amtssprachverhältnisse und
der Machinationen des benachbarten Italiens, im Na-
men der italienischen Sprache und Kultur vorfällt,
kann man absolut nicht länger dulden, und es ist
die letzte Stunde, hier ohne Rückhalt darüber zu
sprechen. Meine Herreh! In keinem Staate der Welt
würde eine so unverschämte Agitation erlaubt sein,
wie man sie hier von Seite Italiens duldet. (Abge-
ordneter Klofäö: Und Preussens!) Nicht so wie von
Seite Italiens. Es scheint, als hätte die habsburgische
204
Monarchie nicht mehr ihre festgesetzten Grenzen im
Süden; es scheint, als hätte die habsburgische Mon-
archie keine Minister und keine Beamten mehr, um
ihre Interessen und die Interessen der grossen slavi-
schen Majorität ihrer südlichen Bevölkerung zu wahren !
Italienische Senatoren, wie zum Beispiel Pasquale
Villari, kommen zu uns und inspiciren die Schulen
des Vereines „Lega Nazionale", als wären sie öster-
reichische Schulinspektoren, (Abgeordneter Choc :
Stehen sie unter der Inspektion Italiens?) Natürlich,
ich werde darüber später noch sprechen. Irredenti-
stische Agenten jeder Art aus dem Nachbarstaate,
irredentistische und Regierungszeitungen erregen die
italienische Partei in unseren Ländern und reizen sie
gegen die Kroalen und Slovenen auf, welche auch
aus dem Dienste und Arbeitsstellen aus nationalem
Hass weggejagt und durch Italiener des Königreiches
ersetzt werden; solche Italiener organisiren, dispo-
niren und spielen die Herren in unserem Heimatland,
mit einem Worte infolge der Indolenz und Blindheit
der österreichischen Regierung — das ist noch zu
wenig gesagt — und ihrer anlislavischen Politik im
Süden der Monarchie betrachten sich die überseeischen
Irredenten in Triest und Istrien schon als wie im
eigenen Hause und lauern nur auf den Moment, in
welchem ihnen die reife Frucht in den Schoss fällt.
(Abgeordneter Spinöiß: Beim Tode Franz Josephs
sagen sie!) So etwas sagen auch die Magyaren. Die
irredentistischen Komites in Italien, die italienische
Presse, ja sogar viele italienische Staatsmänner und
Würdenträger verkünden dies klipp und klar, so dass
es Jeder einsehen muss, der nicht blind und taub ist.
Ich will hiefür nur einen Beweis anführen, und zwar
einen der zuletzt vorgefallenen. Im September dieses
Jahres war in Neapel eine grosse, jedoch traurige
Feierlichkeit. Man feierte das Andenken des bekannten
italienischen Radikalen und Irredentisten Imbriani,
der im Vorjahre verstorben war. Abgeordnete, Sena-
toren, Staatsbeamte, zahlreiche Bürger erschienen bei
dieser Feier. Die Festrede hielt der bekannte italie-
nische Gelehrte Bovio. Seine Ausführungen waren
von ausserordentlicher Begeisterung erfüllt. Er schloss
205
mit einem Appell an den verstorbenen Imbriani und
sagte, als ob er mit dessen Schatten spräche: „Was
willst Du, Imbriani?" „Ich will weder das Zwangs-
domicil, noch Blei mit Hunger" — erwiderte Imbriani
durch den Mund Bovio's — „Ich stehe am Quarnero
und erwarte die Italiener!" Bei Erwähnung des Quar-
nero entstand unter den vielen Anwesenden ein un-
beschreiblicher Enthusiasmus, und stürmischer App-
laus begrüsste den Redner. Meine Herren! Das sind
die Fruchte der antislavischen österreichischen Politik
im Süden der Monarchie, die Früchte jener Politik,
welche der Sprache der Kroaten und Slovenen in
Triest und Istrien — die doch die Mehrheit der Be-
völkerung ausmachen — keinerlei Recht in den kaiser-
lichen königlichen Aemtern zuerkennt, welche sie seit
Decennien mit Gewalt in den Aemtern und Schulen
und auch — horresco referens — in den Kirchen
entnationalisirt und zur Sklaverei erniedrigt!' Das sind
die Früchte einer ungerechten und unsinnigen Politik,
welche den 20.000 Slovenen der Stadt Triest nicht
einmal eine Elementarschule bewilligen will. (Abge-
ordneter Ghoc: Sowie in Wien!) Jawohl! Ebensowie
in Wien! Das sind die Früchte einer wahnsinnigen
Politik, welche zuletzt der Diöcese von Triest einen
Bischof aufgedrungen hat, welcher mit der riesigen
Mehrheit der Bevölkerung nicht verkehren kann, weil
er nicht ein Wort slovenisch oder kroatisch versteht.
(Abgeordneter Dr. Verzegnassi: Er spricht alle Spra-
chen, kroatisch, slovenisch, was Sie wollen!) Das ist
nicht wahr, er spricht italienisch und deutsch. (Ab-
geordneter Lenassi: Und serbisch, aber nicht kroa-
tisch.) Ich bitte, Herr Kollege, die kroatische und
serbische Sprache ist eine und dieselbe.
Und diese furchtbaren Folgen des österreichi-
schen Regierungssystems an der Adria beobachten
wir, meine Herren, in noch grösserem Massstabe seit
mehr als einem Jahre, seitdem Seine Excellenz der
Herr Ministerpräsident v. Koerber das Wort sprach:
„Wir wollen Gerechtfertigkeit für alle Völker. Darin
erblicken wir unsere politische Ehre, die wir unbe-
flekt erhalten wollen." Nun, wie zum Hohne erklärte
er uns am 16. Oktober d. J. feierlich, dass er nun-
206
mehr zur Regelung der Sprachenfrage schreite, wobei
er nur an Böhmen und Mähren — oder richtiger ge-
sagt, nur an die Deutschen von Böhmen und Mähren
— denkt, die südlichen Ländern vergessend, wo ein
periculum in mora alltäglich vorhanden ist, wo stünd-
lich die Ungerechtigkeit der österreichischen Regie-
rung offen zutage tritt, und wo die italienische Pro-
paganda mit elementarer Gewalt immer weiter um
sich greift, das kroatische und slovenische Element
in Triest und Istrien vernichtend, welchem doch in
dieser Monarchie Schutz und Heil versprochen wurde»
Aber nur versprochen. Hohes Haus! Was speciell
Dalmatien anbelangt, fühlte es sich bis jetzt ziemlich
sicher gegenüber den irredentistischen Umtrieben,
wenngleich auch dort die italienische Amtssprache
der österreichischen Behörden grosse Ungelegen-
heiten, Schaden und Ungerechtigkeiten für das na-
tionale Leben der Kroaten zeitigte. Und doch, wenn
irgendwo, so ist die Lösung der Sprachenfrage in
Dalmatien am einfachsten und leichtesten, weil Dal-
matien das einzige Land in Gisleithanien ist, in
welchem ein einziges Volk lebt, und zwar das kroa-
tische. Nach der letzten amtlichen Statistik leben in
Dalmatien 565.329 Einwohner, welche kroatisch
sprechen und nur 15.240 Einwohner, welche italie-
nisch sprechen. (Abgeordneter Dr. Klaiö: Nur ita-
lienisch sprechen, aber keine Italiener sind!) Ge-
wiss! Der dalmatinische Landtag, der Landesaus-
schuss, die Gemeinden in ganz Dalmatien, alle auto-
nomen Institute, mit Ausnahme derer von der Stadt
Zadar (Zara), gebrauchen die kroatische Amtssprache.
Darum fordern schon seit zwanzig Jahren die Ge-
meinden Dalmatiens, der dalmatinische Landtag und
das ganze Volk, mit Ausnahme von sehr wenigen
Renegaten, die Einführung der kroatischen Sprache
auch in den öffentlichen Regierungsämtern (Abgeord-
neter Skala : Aber das wäre zu gerecht, das kann die
österreichische Regierung nicht!) — ja, natürlich —
umsomehr, als kein Gesetz besteht, welches die ita-
lienische Amtssprache in Dalmatien vorschreibt;
umsomehr, als die italienische Sprache in Dalmatien
ein Ueberrest der venetiani sehen Herrschaft ist, ein
207
Ueberrest der alten Ungerechtigkeiten, ein grober
Abusus. Nur für das Oberlandesgericht Dalmatiens
besteht eine. Verordnung der kaiserlichen Hofkanzlei
vom Anfange des vorigen Jahrhundertes, welche die
italienische Sprache als Amtsprache vorschrieb. Für
alle anderen Aemter in Dalmatien besteht also nicht
einmal eine Verordnung, nicht ein Blatt Papier, wie
Seine Excellenz der Herr Ministerpräsident die Ver-
ordnungen genannt hat, durch welche die italienische
Amtsprache in Dalmatien berechtigt wäre.
Aber es besteht doch das natürliche und natio-
nale Recht des kroatischen Volkes, es besteht die
eherne Tafel des Artikels XIX St.-G.-G. (Zustimmung),
nach welchem allein die kroatische Sprache in Aemtern
Dalmatiens walten müsste. Trotzdem, meine Herren,
trotzdem, dass der dalmatinische Landtag in jeder
Session schon seit 20 Jahren die kroatische Amts-
sprache fordert, wird ohne gesetzliche Grundlage,
ohne irgendwelche Verordnung die italienische Amts-
sprache nicht nur weitergeführt, es wird sogar jetzt
die deutsche als Amtssprache vielfach in Anwendung
gebracht, obwohl keine Deutschen da sind. (Abge-
ordneter Skala: Noch ein grösserer Galimathias !)
Also noch eine grössere Ungerechtigkeit.
Wo könnte in der civilisirtefc Welt so etwas
vorkommen, in einem kroatischen Lande das Singen
von kroatischen Liedern zu verbieten? (Zwischenruf:
Ganz unschuldige Lieder?) Jawohl, ganz unschuldige!
Der neue Statthalter von Dalmatien eröffnet sich
nicht mit einem solchen Vorgehen den Weg zu jenen
glorreichen, dem kroatischen Volke nützlichen, und
mit so viel Sehnsucht von uns erwarteten Thaten,
die uns Seine Excellenz der Herr Ministerpräsident
in Aussicht gestellt hat. Solche Thaten gereichen
keinem Statthalter und keiner Regierung zum Ruhme !
(Das ist eine Schande !) Und alles das, meine Herren,
geschieht in Oesterreich, während man in Italien
öffentlich und in Gegenwart der Regierungsorgane
die niederträchtigsten Beleidigungen gegen das kroa-
tische Volk, gegen die habsburgische Monarchie und
sogar gegen die erhabene Person unseres Monarchen
schleudert! Und alles das geschieht in Oesterreich,
208
während in Italien der Dichter Gabriele d'Annunzio
sich öffentlich in den Zeitungen entschuldigt, dass
er nicht bei der Inaugurationen der istrianischen
Fahne im September dieses Jahres in Rom anwesend
sein konnte und verspricht eine Ode zu verfassen
und sagt (liest): „E la staropa della mia ode sarä
venduta benefizio della Lega Nazionala irredentistia",
das heisst: „Und die Auflage meiner Ode soll zu
Gunsten der irredentistischen Lega Nazionale ver-
kauft werden." Und Alles das geschieht in Oester-
reich, während aus Italien derselbe Gabriele d'Annun-
zio — (Abgeordneter Dr. Bartoli: Er ist ein Dichter!)
Ich habe schon gesagt, dass er ein Dichter ist, aber
das entschuldigt ihn nicht — an die neue Gesellschaft
„Innominata", welche in Triest auch im September
dieses Jahres gegründet wurde und zu welcher die
italienischen Studenten der sogenannten „Venezia
Giulia" gehören, schreibt (liest): „La vostra vittoria
finale 6 certa, come e certo che il Golosseo di Pola
da tutte le sue bocche di pietra ripete di continuo
il nome di Roma al mare . . .", was deutsch lautet:
„Euer endlicher Sieg ist sicher, sowie es sicher ist,
dass das Golosseum von Pola aus allen seinen stei-
nernen Munden immerwährend wiederholt den Namen
von Rom am Meere . . . .u (Abgeordnete Dr. Scheiche*:
Das ist sehr interessant!) Sie werden noch mehr
Interessantes hören ! Und alles das geschieht in Oester-
reich, während in Italien im „Mattino", welcher, wie
man sagt, vom Minister des Aeussern Prinetti inspi-
rirt ist, bedauert wird die Unhöflichkeit des Wiener
Hofes und — das sind seine eigenen Worte —
„dell'Austria birbatica": das heisst: des gaunerischen
Oesterreichs. (Abgeordneter Verzegnassi : Das ist
nicht schlecht gemeint: Birbatica !) Gewiss, so etwas
werden Sie sich nicht gefallen lassen. Aber Sie
werden noch etwas mehr hören.
Und alles das geschieht in Oesterreich, während
in Italien die Zeitung „II Don Marzio" Oesterreich
den Usurpator des Balkans nennt und mit den
extremsten Mitteln droht. Und alles das geschieht in
Oesterreich, während in Italien „II popolo Romano",
das officielle Italien und die italienische Bevölkerung
209
aufruft, Geld zu sammeln für die „Lega Nazionale",
um das Italienerthum — das sind seine eigenen
Worte — in Dalmatien lebendig zu erhalten. Und
alles das geschieht in Oesterreich, während in Italien
„La Capitalea schreibt, man muss Dalmatien für Ita-
lien durch die wirksamste Propaganda losmachen.
Und alles das geschieht in Oesterreich, während in
Italien, in dem Hofe der römischen Universität auch
heute noch eine Steintafel zu Ehren Oberdanks steht
mit einer Inschrift, welche eine blutige Beleidigung
unseres Monarchen ist, und den Dichter Carducci
zum Verfasser hat.
Und Alles das geschieht in Oesterreich, während
in Italien .... — aber, meine Herren, ich würde
nicht so bald endigen, wenn ich mich noch ausführ-
licher mit diesen schändlichen Vorkommnissen be-
fassen wollte. Ich sage nur soviel: Die Geduld von
uns Kroaten und Slovenen ist erschöpft, und die
Regierung spielt insbesondere in Dalmatien ein ge-
fährliches Spiel. Solchem gefährlichen Spiel muss die
nächste Landtagssession in Dalmatien ein Ende machen,
wenn man auch zu den extremsten Mitteln greifen
müsste. Weil wir auf das tiefste überzeugt sind, dass
diesen abnormalen Zustand an der adriatischen Küste
nur die ungerechte Politik der Regierung gegen die
Kroaten und Slovenen und gegen ihre Sprachenrechte
geschaffen hat und erhält, und dass daher die öster-
reichische Regierung selbst die grösste Stütze des
Irrcdentismus, sowie sie auch die Ursache aller
unserer Leiden und unseres Unglückes ist.
Meine Herren! Es ist so weit gekommen, dass
es für uns Kroaten und Slovenen an der adriatischen
Küste keinen Ausweg mehr gibt, noch Zeit zu ver-
lieren. Entweder muss der abnormale Zustand bald
aufhören, infolge einer radikalen Aenderung der Re-
gierungspolitik, oder wir müssen andere Mittel und
Wege finden, wenn es auch die verzweifeltesten wären,
um unsere nationale Existenz zu reiten. Der sünd-
hafte Quietismus der österreichischen Regieruns ist
für uns schon unerträglich und verhängnisvoll. Meine
Herren 1 Ich muss jetzt schliessen. Aber angesichts
aller schweren angeführten Thatsachen will ich bei
14
210
dem Schlüsse einige Anfragen an Seine Excellenz
den Herrn Ministerpräsidenten richten« Erachtet es
der Herr Ministerpräsident nicht als höchst zeit*
gemäss, die Sprachenfrage im Süden der Monarchie
zu regeln? Wer verwehrt ihm, wenigstens in Dalma-
tien, sofort die kroatische Amtssprache einzuführen,
wie dies der Landtag seit mehreren Jahren verlangt?
Wer verwehrt ihm, dass er mit energischer Hand
die Einmischung der italienischen Irredenta in innere
Fragen der südlichen Länder abweise und mit einer
gerechten Politik einer unverschämten Agitation ein
Ende mache, einer unverschämten und frechen Agi-
tation, die selbst unter den feindlichsten Staaten der
Welt nicht erlaubt würde, geschweige denn in Staaten,
die mit einander verbündet sind? Hohes Haus! Wahr-
scheinlich wird Seine Excellenz der Herr Minister-
präsident — ich wünsche mich zu irren — auf diese
Fragen nicht antworten, ebensowenig wie Seine Ex-
cellenz der Herr Minister des Aeussern, Graf Golu-
chowski, der nach seinem kolossalen Triumphe in
der Angelegenheit des San Girolamoinstitutes sich
nun mit einem neuen Arischen Lorbeerkranz der ita-
lienischen Irredenta an den Gestaden des adriatischen
Meeres schmücken kann. Diese Fragen werden aber
schon heute von den erbitterten Kroaten und Slove-
nen an der Adria mit dem verzweifelten himmel-
schreienden Ausrufe beantwortet: Wir sind verrathert
in diesem Reiche ! Für uns gibt es hier weder Schutz
noch Gerechtigkeit! Möge dieser verzweifelte Ausruf
wenigstens bis zu den Stufen des Thrones gelangen,
wo wir noch einen Rettungsanker erblicken wollen.
Das sind wahrhaft schauerhafte Bilder innerer Zustände
Oesterreichs.
XI« Der Antrag der Deutschen zur Regelung der
Sprachenfrage im Königreich Böhmen.
Auf das Drängen der Koerberischen Regierung-
haben am 4. December 1902 die Parteigruppen des
verfassungstreuen Grossgrundbesitz, der deutschen
Fortschrittspartei und der deutschen Volkspartei ein
umfangreiches Elaborat zur Regelung der Sprachen-
frage im Königreich Böhmen veröffentlicht.
211
Gegen diesen Vorschlag erhoben entschiedenen
Widerstand die Deutschnationalen, die Schönerianer
und die Alldeutschen der Wolfpartei. Aber selbst
Organe derjenigen Gruppen, welche den Vorschlag
unterschrieben, nehmen gegen ihn Stellung. So schreibt
das „Tiroler Tagblatt": „Das unter langer und „müh-
seliger" Arbeit zu Stande gekommene Elaborat hat
bei den grossen deutschen Parteien eine merklich,
kühle Zustimmung erfahren, ein bedenkliches Zeichen
gegenüber den vorlauten Hoffnungen, die man auf
dasselbe setzte. Dieser vernichtende Achtungserfolg
darf uns nicht Wunder nehmen, wenn wir bedenken,
dass er von den gemässigten und vorsichtigen deut-
schen Parteien ausgegangen ist und hauptsächlich
der Grossgrundbesitz ihm Gevatterschaft gestanden ist.
Wir sind der Meinung, dass es viel besser wäre, im
Falle neuerlich in nationalen Fragen wichtige Ent-
scheidungen gefällt werden sollen — und an solcher
Gelegenheit fehlt es in Oesterreich, dem Eldorado
des Sprachenstreites, ja nie — wenn von radikaler
Seite ernste und beachtenswerthe, den Wünschen
der überwiegenden Wählerschaft entsprechende Vor-»
schlage gemacht werden würden, denn zum Ab-
schwächen allzu hochgespannter Forderungen käme
der Grossgrundbesitz immer noch zu rechter Zeit in
Aktion. Es wird aber auch die nationale Bewegung
sicherlich nichts verlieren, wenn der Grossgrundbesitz
trotz seines klingenden Namens nicht die Führung
übernehmen würde, er hat bis heute allen jenen völ-
kischen Unternehmen nur einen schimmernden Auf-
putz gegeben, keineswegs aber denselben das herz-
liche und aufrichtige Interesse für das Volkswohl
beigestellt Wir brauchen weder die Rathschläge eines
Baernreither's, noch des aristokratischen Grafen
Stürgkh, noch überhaupt die vornehme Politik eines
Grossgrundbesitzes, der, wenn wir auch einigen Ein-
fluss desselben auf das Volk nicht leugnen, doch
nicht dessen Zuneigung oder gar das Verständnis
für die Sache desselben besitzt. Abgesehen von der
nationalen Schwäche des Elaborates fällt dem auf-
merksamen Leser desselben auch seine Undurchführ-
barkeit sofort ins Auge, und das wäre noch das Beste
14*
212
daran. Der voluminöse Komplex von Forderungen,
denen jeder klare Gedanke fehlt, müsste erst durch
Gesetze geregelt werden, die endlose Erörterungen
voraussetzen und einen ausgedehnten Beamtenorga-
nismus zur Durchführung beanspruchen, um selbst
nach einer nothdürftig erreichten Einigkeit den Staat
in noch grössere nationale Wirren zu stossen. Ein
Blatt Papier will das Schicksal der Deutschen in
Böhmen bestimmen, das Blatt aber wird eher ver-
gilben, als dass die Deutschen Böhmens seinem Rathe
folgen. Sie werden das Papier in der Hand zer-
drücken und selbst ihre Stimme erheben, umso lauter
und eindringlicher, damit ihren richtigen Klang und
Inhalt selbst die Herren am grünen Tische nicht mehr
missdeuten werden können. u
Die Koerber'sche Regierung möchte mit aller
Gewalt den Sprachenstreit lösen, allerdings zu Gunsten
der Deutschnationalen. Die slavischen Völker werden
jedoch derartigen Vorschlügen niemals zustimmen,
sie rufen nach Wien : gibt uns unser Recht, gibt uns
die Gleichberechtigung, die uns nach sichtlichem und
göttlichem Rechte auch gehört.
Ein Pressjude schrieb über diesen Antrag der
Deutschen in ein reichs deutsches Blatt von Wien
aus am 2. December 1902 folgendes : Wäre alle
Arbeitskraft und geistige Anstrengung, die seit Jahren
an den unfruchtbaren Sprachenstreit in Böhmen ver-
schwendet wird, für echte Volksgüter verwendet worden,
so hätten die Völker Oesterreichs schon ein ganz
hübsches Kapital zurückgelegt. Jetzt wird aufs neue
an Verständigungsformeln gearbeitet, und in erster
Linie ist wieder dem unermüdlich thätigen Abgeordneten
Dr. Baernreither die Aufgabe zugefallen, die Grund-
lagen für die Berathung zu schaffen. Sein Entwurf
wurde von einem Komitee deutschböhmischer Abge-
ordneten durchberathen, fertiggestellt und wird heute
den verbündeten deutschen Klubs zugchen, um wahr-
scheinlich morgen bereits der Regierung und den
Tschechen zur weiteren Behandlung übergeben zu
werden. Immer wieder muss man hervorheben, dass
der Grundstein zur gesetzgeberischen Arbeit, auch in
der Sprachenfrage, nur von den Deutschen gelegt wird.
213
Die Tschechen geben sich nie die Mühe, eine brauch-
bare Unterlage zu schaffen, sondern treten einfach
mit ihren nationalen Forderungen hervor, ohne den
Versuch einer Lösung der schwebenden Fragen zu
machen. Dagegen haben die Deutschen bereits in dem
Pfingstprogramm von 1899 eine werthvolle Arbeit ge-
liefert, und auch jetzt wieder geht von ihnen ein
Gesammtvorschlag aus. Es ist dieselbe Geschichte wie
bei den Verfassungsentwürfen des Kremsierer Reichs-
tags 1849, wie bei der Feststellung der jetzt geltenden
Verfassung von 1867 und wie bei jedem der Grund-
sätze, welche in den letzten 50 Jahren die Zustim-
mung des Parlamentes und zuletzt auch die der
Krone erhalten haben. So laut die Slaven auch lärmen,
wenn es sich um die Geltendmachung nationaler An-
sprüche handelt, sind es doch immer wieder die
Deutschen, welche das beste Stück staatlicher Arbeit
in Oesterreich verrichten. Man hat für das jetzige
Verständigungsprogramm zu den gediegenen Vorar-
beiten Pleners über die nationale Abgrenzung in
Böhmen und über eine daselbst zu schaffende Kreis-
einlheilung zurückgreifen müssen, und Baernreither ist
bestrebt gewesen, diese Vorschläge nur in die für den
jetzigen Augenblick zeitgerechte Form zu giessen. Wie
nun werden die Tschechen diese Vorschläge auf-
nehmen? Man ist allgemein der Ansicht, dass sie
dieselben nicht von der Schwelle zurückweisen, sondern
als Grundlage der Verhandlungen akceptiren dürften.
Eigentlich handeln sie darin sehr inkonsequent, da
die Deutschen gewiss mehr fordern werden, als Hr.
v. Körber in den bekannten Grundzügen vorgeschlagen
hat. lieber die letzteren ergoss sich eine ganze Fluth
des Hohnes seitens der tschechischen Wortführer
Herold, Kramaf und Fort, während sie sich ver-
muthlich dazu herbeilassen werden, die Anträge
der Deutschen zu prüfen. Sie haben, um bei ihren
Landsleuten populär zu bleiben, zuerst der Göttin
des Streites eine Hekatombe dargebracht, jetzt aber
werden sie hoffentlich einlenken, weil die Unfrucht-
barkeit ihrer Politik sonst offen zutage läge. Im besten
Falle werden die Verhandlungen eine Basis ergeben,
auf der im Reichsrath und in der nächsten Session
214
des böhmischen Landtages durch Lösung der Auf-
gaben, die nach der Reichsverfassung diesen beiden
Körperschaften zustehen, allgemach weitergebaut
werden kann. Muss es, der Natur der Sache
nach, doch Monate dauern, bis der böhmische Land-
tag seine verfassungsmässig erforderlichen Gutachten
über die Abgrenzung der Gerichtsbezirke erstattet hat.
Die Kernfrage, um die es sich jetzt handelt, ist die,
ob während dieser langwierigen und nicht gerade
hoffnungsreichen Arbeit die Obstruktion ruhen wird.
Alles andere ist Zukunftsmusik. Gegenüber der Ver-
wirrung, die jetzt in Oesterreich herrscht, wäre es
schon eine Art Rettung, wenn man sechs oder auch
nur drei Monate Frist erhielte, um einen Zolltarif,
wie überhaupt den Ausgleich mit Ungarn durchzu-
berathen. Man ist sehr bescheiden geworden, und Herr
v. Körber würde schon- alles Lob ernten, wenn er
durch seine zähe Geduld dieses Ergebnis erzielen könnte.
In dieser Tonart wird systematisch in der Presse
in und ausserhalb Oesterreichs gegen das böhmische
Volk und seine Vertreter gearbeitet. Dieser Pressjude
weiss nicht, dass Franz Palackf im Jahre 1848 ein
genau ausgearbeitetes Elaborat dem nach Wien zum
erstenmal einberufenen Reichsrath unterbreitete, in
welcher Weise Oesterreich regiert werden sollte. Man
hat natürlich von Seite der Deutschen wie von Seite
der Regierung diese Vorschläge Palacky's hochmütig
ignoriert. Und das geschieht bis heute.
Die Sache ist doch begreiflich. Wenn die Deut-
schen fort und fort sagen, sie müssen die Regierer
Oesterreichs sein, dann werden sie doch nicht eine
Regierungsform annehmen, welche von slavischen Ver-
tretern ausgearbeitet ist, und wäre sie noch so gerecht.
Und nun sagt der schlaue Pressjude, die Slaven haben
überhaupt noch kein klares Verfassungsprojekt für
Oesterreich ausgearbeitet. Es soll nur dieser Pressjude
die Archive des Parlaments in Wien und des Land-
tages in Prag ein wenig lüften, er müsste so alt
werden wie Methusalem, wollte er alle Anträge auf
Regelung der Verfassung in Oesterreich, die von sla-
vischen Vertretern verschiedenmale der Regierung zur
Verfügung gestellt worden sind, durchlesen.
215
Die alldeutschen Abgeordneten haben dem Dr.
Baernreither folgenden Speiszettel verabreichen lassen.
„In Erwiderung Ihrer geschätzten Zuschrift vom 28.
d. M. kann ich mit Beziehung auf die neulich ge-
pflogene Rücksprache nur wiederholen, dass die All-
deutsche Vereinigung unverrückt den Standpunkt ein-
nimmt, dass mit der gesetzlichen Festlegung der
deutschen Sprache als Staatssprache, die sie zur Si-
cherung der führenden Stellung unseres Volkes in
Oesterreich und zur Wahrung des deutschen Charak-
ters unseres Staates fordert, die Einführung einer in-
neren tschechischen Amtssprache im direkten Wieder-
spruche steht und unter keiner Bedingung zuzugeben
sei. Die der Alldeutschen Vereinigung angehörigen
Abgeordneten aus Böhmen können und werden daher
ebensowenig wie die Vereinigung an Besprechungen
theilnehmen, die den Zweck verfolgen, trotzdem Bedin-
gungen zu vereinbaren, unter denen die innere tsche-
chische Amtssprache zuzugestehen wäre." Das „Prager
Tagblatt" brachte folgende Nachrichten über alldeut-
sche Protestversammlungen. Fischern bei Karlsbad,
13. December. Im Hotel „Adler* fand heute Abend
eine vom „Alldeutschen Verein für die Ostmark" ver-
anstaltete, von ca. 250 Personen besuchte, nur auf
Mitglieder und geladene Gäste beschränkte Wander-
versammlung statt, in welcher die Abgeordneten
Schönerer, Hauck, Hofer, Iro, Kliemann, Schalk und
Stein sprechen sollten. Anwesend waren jedoch nur
die Reichsrathsabgeordneten Schönerer, Stein und
Kliemann und Landtagsabgeordneter Peters. Letzterer
eröffnete die Versammlung underlheilte sofort Schö+
nerer das Wort. Dieser, mit Heilrufen begrüsst, ent-
schuldigte vorerst die durch Unwohlsein verhinderten
Abg. Schalk, Berger, Hauck und Iro. Redner kam nun
zu seinem Programms punkt: „Die Sprachenfrage und
die Verständigungskonferenzen" zu sprechen und be-
zeichnete die neuen Vorschläge als „eine unfeierliche
Einsegnung der deutschen Staatssprache durch die
nächsten Verwandten derselben". Dies sei ein offener
Verrath des deutschen Volkes. Redner streifte das
Pfingstprogramm, verwarf hauptsächlich die innere
czechische Amtssprache, und unterzog die projektirte
216
Kreiseintheilung einer Kritik. Redner nahm für sich
das Verdienst in Anspruch, das deutsche Volk recht-
zeitig vor einem so bedeutsamen Schritte gewarnt zu
haben und bezeichnete es als eine Frechheit, dass
man sich erlaube, als „deutsch-böhmische Abgeordnete*
den Czechen die Annahme der Sprachenverordnungen
zu unterbreiten. Er verwahrte sich ferner dagegen»
dass die Abg. Schücker, Siegmund, Funke u. s. w.
„im Namen der deutsch-böhmischen Abgeordneten*
sprechen. Nach l'/4stündiger Rede schloss Schönerer
mit dem Dank an die Anwesenden. Nach einer kleinen
Pause besprach Abg. Kliemann ebenfalls die Sprachen-
frage und kam auf die Verhältnisse seit 1848 zu spre-
chen. Im Weiteren beleuchtet Redner die neuesten
Vereinbarungen der Sprachenfrage, insbesondere die
Kreiseintheilung, die zukünftigen Schul- und Lehrer-
verhältnisse. Die Ansicht des ungarischen Landesver-
theidigungsministers über unsere deutsche Staats-
sprache sei eine weit freundlichere als die unseres
Ministerpräsidenten Körber. Redner stellt zwei For-
derungen: Feststellung der deutschen Staatssprache
und Errichtung eines alldeutschen Staatengebildes»
Die Sprachenfrage könne nicht durch Konferenzen»
sondern müsse durch Blut und Eisen gelöst werden l
(Also preussiche Regimenter werden den Sprachen-
streit lösen oder etwa eine Revolution?) Abg. Stein
griff verschiedene Abgeordnete und Mitglieder der
Deutschen Fortschrittspartei und der Deutschen Volks-
partei in scharfer Weise an und citirte deren frühere
Aussprüche über die Sprachenfrage und ihre heutige
Stellung zu derselben. In ausführlicher Weise ver-
breitet sich Redner über den Ausgleich mit Ungarn
und die Bezeichnung „alldeutsch". Hierauf erhielt
Stadtrath Russ aus Fischern das Wort und bean-
tragte die Annahme einer Entschliessung, in der den
Alldeutschen vollstes Vertrauen und die Zuslimmung
ausgesprochen wird. Die Entschliessung gelangt —
nachdem einige Anwesende Wolfscher Richtung da-
gegen protestirt hatten — zur Annahme. — Hierauf
sprach Stadtrath Russ über die am Donnerstag im
Residenz-Hotel in Karlsbad stattgefundene „ Frei-all-
deutsche Vertrauensmänner- Versammlung", in welcher
217
die bereits bekannte Erschliessung gegen den Abg.
Franz Stein (V. Kurie) einstimmig angenommen worden
war und ersucht den Abg. Stein, sein Mandat nicht
zurückzulegen. — Hierauf wurde die Versammlung
geschlossen und unter Absingung der „Schönerer-
Hymne* entfernten sich die Theilnehmer. Ueber die
gestrige „Protestversammlung" in Eger wird uns tele-
graphirt: Eger, 14. December. (Priv.) Die Protestver-
sammlung Schönerers gegen die Verständigungsvor-
schläge war von höchstens 400 Personen besucht,
darunter von vielen völkischen Arbeitern und wenigen
Bauern. Die Eintrittsberechtigung wurde sehr strenge
gehandhabt; auch dieWolfianer hatten keinen Zutritt.
Von den Abgeordneten nahmen Schönerer, Iro, Hofer
und Stein an der Versammlung Theil. Abg. Schöne-
rer bezeichnete das Elaborat der Deutschen als ein
bewusstes Attentat gegen das deutsche Volksthum
Oesterreichs und als den Anfang des czechischen
Staatsrechtes. Die Abg. Iro und Stein sprachen im
ähnlichen Sinne. Es wurde einstimmig eine Resolu-
tion angenommen des Inhaltes, das Verständigungs-
operat sei zurückzuweisen, bis die deutsche Staats-
sprache gesetzlich festgelegt sei. Die Versammlung
verlief ruhig und ohne besondere Begeisterung. Dem
Abg. Schönerer war nichts anzumerken, dass er eine
ernstere Krankheit durchgemacht hatte.
Wir enthalten uns über diese Versammlungen
eines jeden näheren Gommentars. Die böhmischen
Abgeordneten veröffentlichten ihre Antwort auf die
Vorschläge Dr. Baernreithers am 18. December 1902.
Das Elaborat wurde ausgearbeitet vom Abgeordneten
Dr. Kramaf.
XII. Die Fundamentalartikel.
Der Pressjude im reichsdeutschen, vom preussi-
schen Gelde gefütterten Blatt, behauptet, dass immer
wieder hervorgehoben werden muss, dass der Grund-
stein zur gesetzgeberischen Arbeit auch in der
Sprachenfrage nur von den Deutschen gelegt wird.
Derartige Presslügen über Oesterreichs innere Zu-
stände sind an der Tagesordnung. Wie es sich in
Wirklichkeit verhält, wollen wir nur einen Beweis
218
liefern. Als nach den schweren Niederlagen im Jahre
1866 Oesterreich blutete, wollte man in Wien Oester-
reichs Völkern, die alle für das Reich bluteten, glei-
ches Recht ausmessen. Mit dieser Aufgabe war das
Ministerium Hohenwart betraut. Auch in Böhmen
sollte Ordnung geschaffen werden. Der Landtag des
Königreichs Böhmen reichte dem Kaiser Anfangs
Oktober 1871 eine Adresse, an welche Franz Palack?
seine bekannten Fundamentalartikel angliederte. In
diesen Fundamentalartikeln hatte Fr. Palacfy genaue
Grundlagen eines gerechten Sprachengesetzes ausge-
arbeitet.
Eine feierliche Abordnung des böhmischen Land-
tages mit Fürst Georg Lobkowicz an der Spitze, brachte
die Adresse und diese Artikeln nach Wien dem
Mqnarchen.
Aber die Fundamentalartikeln erlangten nie Ge-
setzeskraft. Seit der Niederlage bei Königgrätz ist
Oesterreich nicht mehr Herr im eigenen Hause, es wird
von Berlin aus stetig einer rücksichtslosen Kontrolle
unterworfen, der es sich fügen muss. Als man in
Berlin hörte, Oesterreich wolle mit seinen slavischen
Völkern, deren Söhne zu Tausenden die Schlacht-
felder Nächods und Königgrätz bedeckten, Ordnung
machen, da wurde von Berlin aus Verbot eingelegt,
und das Ministerium Hohenwart musste weichen.
Seit dem durfte an der Vorherrschaft der Deutschen
in Oesterreich nicht gerüttelt werden, wie die Bade-
nischen Sprachenverordnungen und ihre baldige er-
zwungene Beseitigung beweisen.
Die Abhängigkeit Oesterreichs von Berlin wird
stetig furchtbarer. Anfangs Januar 1903 schrieb die
Brüsseler „L'Ind6pendance Beige "folgendes: Es be-
steht ein sehr berechtigtes Misstrauen gegenüber den
Absichten der leitenden Kreise Berlins und der per-
sönlichen Politik des Kaisers, die nichtsweniger als
friedlich ist, trotz aller officiellen Reden und aller
beruhigenden Erklärungen des Herrn von Bülow. Es
gibt jenseits des Rheins eine beständige Bewegung
für ein grösseres Deutschland, wie es jenseits des
Kanals eine Bewegung für ein grösseres Britenreich
gibt. Ist es also nicht natürlich, dass die anderen
219
Völker misstrauisch werden, sich beunruhigen wegen
dieses Bestrebens, die Entwicklung der deutschen
Macht durch Gewaltakte zu beschleunigen ? Was man
ferner berücksichtigen muss, ist "der Umstand, dass
das Berliner Kabinet seit zehn Jahren bei allen inter-
nationalen Vorfällen eine knickerig -selbstsüchtige
Rolle gespielt hat. Im Orient hat es die anderen
Eabinete in Stich gelassen, als es sah, dass die Re-
gelung der kretischen Frage ihm den Verlust der
profitablen Freundschaft der Türkei bringen konnte;
im äussersten Osten hat es für den Führer seiner
eigenen militärischen Expedition das Oberkommando
über alle ausländischen Truppen gefordert, weil es
hoffte, die anderen Mächte in einen Eroberungskrieg
stürzen zu können, anstatt ihre Intervention auf eine
einfache polizeiliche Massnahme zu beschränken. Im
Laufe des südafrikanischen Konflikts hat es jeden
Versuch freundschaftlicher Vermittlung zum Scheitern
gebracht, obwohl eine solche die Unabhängigkeit dejr
Republiken vielleicht noch hätte retten können. Beim
Konflikt mit Venezuela endlich hat es sogleich seine
Zuflucht zur Gewalt genommen, ehe es alle Mittel
friedlicher Auseinandersetzung erschöpft hatte. Deutsch-
land will eine Offensiv-Macht sein; kann man sich
also wundern, wenn es von anderen bekämpft wird ?
Offenbar nicht, und wir glauben unsererseits, dass
die gegenwärtige deutsche Aktion höchst gefährlich
ist und eine ständige Bedrohung für die Aufrechter-
haltung des Weltfriedens begründet." — Hier wird
also auch in aller Form der Ueberzeugung Ausdruck
gegeben, dass die Berliner Aspirationen die eigent-
liche Gefahr für den Frieden bilden, und diese An-
schauung ist so ziemlich eine allgemeine und sie
vertieft sich umsomehr, je hartnäckiger sie von Berlin
aus bestritten wird.
Als der russische Minister des Aeussern Graf
Lamsdorff Ende Dezember 1902 Wien aufsuchte, um
hier eine Vereinbarung zu treffen, damit der grösste
Mörder dieses Jahrhunderts Abdul Hamid an seiner
Blutgier und dem Morden der Makedonier gehindert
werde, auch da wurde man in Berlin unruhig, man
fürchtet eine Verständigung Oesterreichs mit Russ-
220
land und die kann man in Berlin absolut nicht
brauchen. Ein Pressjude hat in ein reichsdeutsches
Blatt, das vom preussische Gelde gefüttert wird, von
Wien aus folgende Korrespondenz geschrieben:
Die Bedeutung der Verhandlungen, die gestern
und heute zwischen dem Grafen Lamsdorflf und sei-
nem austro-ungarischen Kollegen, dem Grafen Golu-
chowski, gepflogen worden sind und die auch morgen
noch fortgesetzt werden dürften, erhellt schon aus
dem Umstände, dass der neue deutsche Botschafter,
Graf Wedel, seinen Posten absichtlich früh genug an-
getreten hat, um während der kritischen Zeit in Wien
anwesend zu sein, und dass Marquis de Reverseaux,
der französische Botschafter, seine Reise nach Frank-
reich und seine Vermählung, die auf die letzten Tage
des Jahres angesetzt war, bis zum Januar verschob.
Wien ist nach längerer Zeit, in der vorwiegend Kolo-
nialfragen, an deren Erledigung Oesterreich-Ungarn
wenig oder gar nicht betheiligt war, die Diplomatie
der Grossmächte beschäftigt hatten, wieder einmal in
den Mittelpunkt der Ereignisse gerückt worden. Die
Sachlage ist verhältnismässig klar, weil kein Hehl
aus den Absichten gemacht wird, die den Grafen
Lamsdorff nach Wien führten. Man will die Mittel
und Wege feststellen, durch welche die Türkei zur
Gewährung einer gewissen Autonomie an die drei
Provinzen von Saloniki, Monastir und Uesküb, die
zusammen das vielgenannte Makedonien ausmachen,
bestimmt werden kann. Niemand ausser den zunächst
Betheiligten weiss nun freilich, was Graf Goluchowski
auf die Vorschläge des russischen Ministers geant-
wortet hat oder zu antworten gedenkt. Aber auch
wenn man nicht den Anspruch erhebt, eingeweiht zu
sein, kann man sich doch ein Bild davon machen,
was Oesterreich-Ungarn zur Wahrung seiner Inter-
essen verlangen muss. Wer in die Verhältnisse des
Balkans Einblick besitzt, weiss, dass Oesterreich-Ungarn
vor allem daran liegt, die der Monarchie im Berliner
Vertrage 1879 gewährten Rechte festzuhalten. Dazu
gehört die politische und militärische Obergewalt
über das Gebiet südlich von Bosnien, von Novibäzar
über Mitrowitza hinaus. Dieser Landstrich, der seit
281
jeher den Namen Altserbien führt, bildet den Ueber-
gang vom österreichischen Besitz in Bosnien zu den
südlicheren Gebieten von Makedonien. Somit ist die
Vermuthung gerechtfertigt, der österreichische Mi*
nister des Aeussern werde sich die bestimmte Zu-
sicherung ausbedingen, dass Altserbien, welche Ver-
änderungen immer stattfinden mögen, nicht der
Machtsphäre Oesterreich-Ungarns entzogen werde.
Die öffentliche Meinuug in Oesterreich-Ungarn billigt
es durchaus, dass die Monarchie zu einer friedlichen
Verständigung mit Russland gelangt Wenn hie und
da doch eine gewisse Beunruhigung sich zeigt, so hat
dies seinen Grund darin, dass die Freunde des
deutsch-österreichischen Bündnisses es für einen
beklagenswerten Rückschritt betrachten müssen,
wenn die Wärme der Beziehungen der beiden mittel-
europäischen Reiche durch die Annäherung der habs-
burgischen Monarchie an Russland Einbusse erlitte.
In dieser Beziehung macht sich in der deutschen
Bevölkerung Oesterreichs in der That einiges Miss-
trauen bemerkbar. Man ist hierzulande der Ueber-
zeugung, dass Russland der Monarchie nichts bieten
kann, was für sie dem deutschen Bündnisse an
Wichtigkeit gleichkommt. Wir hegen indessen die
Zuversicht, dass diese Bedenken unbegründet sind,
und dass in Wien nichts ausgemacht wird, wovon
die österreichisch-ungarische Regierung nicht dem
Berliner Eabinete Mittheilung macht. Jedes andere
Vorgehen wäre bedenklich und würde Oesterreich-
Ungarn zuletzt selbst schädigen. Denn dasselbe bedarf,
wenn es sich auf altserbische und makedonische
Aktionen einlässt, die immerhin Gefahren mit
sich führen, des festen Rückhalts an dem stamm-
verwandten Deutschen Reiche. So loyal die Absiebten
Russlands auch sein mögen, so können doch im Ver-
laufe der Dinge zwischen Wien und St. Petersburg
An- und Absichtsverschiedenheiten auftauchen, und
dann erst würde sich, wie bei den Verwicklungen
von 1887, der hohe Werth des deutschen Bündnisses
für Oesterreich-Ungarn erweisen. Das ist hoffentlich
auch die Auffassung des Wiener Kabinets, welches
es selbst für geboten erachten wird, über die Kon-
222
ferenz mit dem Grafen Lamsdorff der deutschen Re-
gierung gegenüber vollste Offenheit walten zu lassen."
Zu dieser famosen Korrespodenz brauchen wir
kein Wort Erklärung beizufügen, sie spricht Bände.
Soweit also haben es die Hofräthe in Wien gebracht!
Sie dürfen sich im eigenen Hause nicht rühren ohne
Erlaubniss Berlins. Ja wir erleben es noch, dass
eine Telephonlinie Berlin — Wien wird errichtet wer-
den, damit sich die Hofrälhe in Wien gleich nach
dem Frühstück für jeden Tag in Berlin Instruktionen
einholen können. Aber eine Schlappe hat die berliner
Politik jüngster Tage erlebt. Man wollte in Berlin eine
Siegesfahrt nach Venezuela unternehmen und vergass
dabei ganz auf die Monroe-Doctrin.
Schade, dass die Monroedoctrin nur in Amerika
Anwendung findet, sollten nicht unsere Hofräthe in
Wien sich etwas näher damit befassen und eine
Oesterreichische Doctrin zum Schutze vor der stän-
digen berliner Invasion und zum Heile der Völker
Oesterreichs ins Leben rufen?
Hat doch Preussen-Deutschland absolut keine
Rücksichten zu Oesterreich. Beweis davon ist der
neue deutsche Zolltarif, dessen Zollsätze die reinste
Räuberpolitik Oesterreich gegenüber bedeuten. Hier
muss man doch einmal in Wien zur Erkenntniss ge-
langen, dass Oesterreich sich an seinen östlichen
Nachbar, an Russland wenden müsse, um an diesem
Reiche eine Stütze zu finden.
Ueber die Absichten der Koerber'schen Politik
sprach Abgeordneter Fort vor seinen Wählern in
Kolin am 25. Jäner 1903. Unter anderem sagte er
folgendes : Die Gründe, welche uns zwingen, die Ar-
beitsfähigkeit des Parlaments nicht zuzulassen, sind:
die siegreiche deutsche Obstruktion hält heute den
ganzen Staat sammt dem Ministerium Koerber in
ihrer Zange, denn dieses Ministerium ist die Inkar-
nation der siegreichen Obstruktion der Deutschen.
Das Kabinet Koerber dient ausschliesslich den Inter-
essen des Deutschthums. Dieser Zustand muss von
Grund aus beseitigt werden ; so lange Koerber im
Amte bleibt, haben wir nichts zu erhoffen, im Gegen-
theil, die Gefahr, dass die deutsche Gentralisation
223
noch weiter vordringen wird, ist noch grösser. Die
Deutschen haben weiter auch das ganze Parlament
in ihrer Gefangecschaft; ihre Drohung, dass sie ob-
struiren werden, genügt, das Parlament den Kopf
verlieren zu lassen. Der Terror der Minorität be-
herrscht das Parlament. Sagen wir es offen heraus:
die Deutschen haben sich überall Respekt verschafft;
wer es versteht, mit dem Fuss zu stampfen, wer es
trifft, auf seine Kraft zu pochen, der hat eben Re-
spekt. Daraus folgt für uns die Lehre, dass, wenn
wir nicht dasselbe treffen, das deutsche Prestige sich
immer mehr festigen, wir aber zu einem inferioren
Faktor degradirt werden. Wo mit Knüppeln herum-
gehauen wird, sind Glac6handschuhe nicht am Platze.
Das erste Ziel unseres Vorgehens müsse sein: das
Regierungssystem zu stürzen, das zweite: den Terro-
rismus der deutschen Minorität im Parlamente zu
brechen. Das ist die einzig mögliche, weil allein rich-
tige Taktik; 50 bis 60 Männer sind imstande, das
Parlament dauernd arbeitsunfähig zu machen. Ge-
schieht dies, wird nichts Anderes übrig bleiben, als
das Parlament nach Hause zu schicken und sich mit
dem § 14 zu behelfen. Heute Opportunitätspolitik
treiben, wie sie Dr. Stränsk? empfiehlt, wäre Abdika-
tion. Für eine solche Politik wird erst dann die rich-
tige Zeit kommen, bis es uns gelungen sein wird,
die Blöcke zu beseitigen, welche uns die siegreiche
deutsche Obstruktion in den Weg gelegt hat. Früher
zu derselben zu greifen, würde die kampflose Es-
komptirung einer Niederlage bedeuten. Denn die erste
Folge würde sein, dass wir Koerber damit selbst den
Lorbeer aufs Haupt drücken und ihn zum grössten
Staatsmann Oesterreichs im Verlaufe der letzten 50
Jahre machen würden. Wir würden damit weiter
erreichen, dass durch dieses Kabinet diese Expositur
der Deutschen petrificirt würde. Die zweite Folge
wäre, dass die Deutschen im Besitze ihrer Errungen-
schaften blieben. Aber nicht nur blieben, sondern mit
neuem Muth weiter gehen würden. Wir kennen ja
ihre masslosen Forderungen, wir kennen ihre Auf-
fassung der Sprachenfrage und kennen ihr Endziel,
die deutsche Staatssprache. Wenn einmal Alles, was
224
jetzt noch Ursache der Krisis ist, unter Dach ge-
bracht ist, dann hat der gesamrate staatliche Apparat
auf zehn Jahre Ruhe, dann kann die nächsten Jahre
ruhig ein Peter oder Zappel an der Spitze des Kabi-
nets stehen. Wir aber, wir hätten die Ueberfuhr ver-
säumt. Wir wären der Regierung auf Gnade und
Ungnade ausgeliefert. Ich glaube, das Volk würde
eine solche furchtbare Niederlage nicht mehr ertragen,
denn zu dem unverschuldeten Unglück käme noch
das selbstverschuldete. Das wäre das furchtbare Re-
sultat dieser Taklik, wie die Franzosen sagen, das
Debakle nach jahrelangen Kämpfen, und deshalb muss
auch derjenige, der sonst der grösste Feind der Ob-
struktion ist, einsehen, dass nichts Anderes übrig
bleibt, als diesen Schritt zu machen. Wie wir durch
das Schwert um unseren Staat gekommen sind, ebenso
wäre es auch nur möglich, einen selbständigen böh-
mischen Staat durch das Schwert herzustellen; da
uns aber diese Kraft nicht zu Gebote steht, müssen
wir uns andere, näher liegende Ziele stecken. Es
steht fest, dass nach dieser Richtung hin ein Gährungs-
process das österreichische Staatengebilde zersetzt.
Diesen zersetzenden Process müssen wir beschleunigen.
Es ist zweifellos, dass ganz Europa heute die Gefahr
fühlt, dass früher oder später der Versuch gemacht
werden wird, die deutsche Weltregierung einzusetzen.
Wir sind der Vorposten gegen denPangermanismus;
harren wir fest und entschlossen auf diesem Posten
aus, und dann wird Gott geben, dass wir in unserem
und im Interesse des ganzen Slaventhums unser Land
unseren Nachkommen hinterlassen. Dass auf die in-
neren Vorgänge in Oesterreich die Augen aller Welt
gerichtet sind, zeigt zum Beispiel ein Leitartikel des
„Novoje Vremja" Ende Jäner 1903. Unter Anderem
schreibt das Blatt folgendes: „Dass die böhmische
Frage gleichzeitig auch eine slavische Frage ist, braucht
wohl nicht bewiesen zu werden. Diese Frage hat je-
doch auch noch eine europäische Bedeutung. Ob sich
die Böhmen, und mit ihnen die übrigen Slaven auf
ihrem Posten im Centrum Europas erhalten, ob sie
dem mächtigen deutschen Drucke Stand hallen wer-
den, das ist eine Frage von grosser alleuropäischer
&*
225
Bedeutung, denn Europa kann es durchaus nicht
aJaj gleichgiltig sein, dass sich Oesterreich in eine OsK
{m mark Deutschlands verwandle und dass sich ganz
jjjj. Mitteleuropa in einen deutschen Zollbund unter
er. preussischer militärischer Diktatur vereinige. DieUn-
3ij möglichkeit der Zulassung einer solchen Evolution
.jC Deutschlands, dessen Rüstungen schon jetzt die
» grösste Gefahr für den europäischen Frieden bilden,
CJ ist allzu klar. Es ist darum nicht zu verwundern,
e. dass in der letzten Zeit immer häufiger in der euro-
t, päischen Presse in Frankreich, England etc. etc. sich
! Stimmen erheben, welche auf die hohe Wichtigkeit
der sogenannten böhmischen Frage vom internatio«^
nalen Gesichtspunkte hinweisen. Wir als ältere Brüder
der Slaven und Nachbarn des mit uns befreundeten
Oesterreich-Ungarn können jedenfalls zu dieser Frage
nicht gleichgiltiger sein, als Franzosen oder Engländer,
denn es ist für uns, nicht weniger als für Europa,
ein sehr wesentlicher Unterschied, ob es Oesterreich
beschieden ist, slavisch zu sein, wie es nach der Be^
völkerungszahl seiner Völker sein sollte, oder ob es
auf der schiefen Ebene der Germanisation noch weiter
hinabgleiten soll.
XIII. Der Sturm gegen Oesterreich in der Form
der „Los von Romu-Agitation.
Wenn wir einen Blick auf das heutige Frankreich
werfen, so bietet sich uns ein eigenartiges Schauspiel.
Während Alphonse Rothschild in der „Rue Lafitte"
in Paris ruhig nur von der französischen Nordbahn
jährlich seine Rente von 106 Millionen Francs ein-
streicht, werden arme Ordensleute gewaltsam aus
ihrem Heim vertrieben. Der Jude Reinach ist der that-
sächliche Herr der Republik. Das ganze 33 Millionen
zählende französische Volk ist unter dem Joche von
etwa 20 Tausend Juden und Freimaurer. Ebenso sind
die Dinge in Italien und Spanien. Beide Länder sind
nur noch Schein-Monarchien, Das Senatoren -Haus in
Rom zählt 40 Juden, obzwar in ganz Italien unter
30 Millionen kaum 150 Tausend Juden sind. Ebenso
ist der Thron von Russland in Gefahr. Finanzminister
Witte hat eine Jüdin zur Frau. Er richtet Russland
16
226
zu Grunde durch seine Finanzoperationen, die er mit
den Finanzjuden abmacht. Böhm-Bawerk, österrei-
chischer Finanzminister, ist in enger Beziehung mit
der Synagoge, sein Gesicht sagt es. Die Monarchien
Europas sind es nur dem Scheine nach, in Wirk-
lichkeit regieren Judas Finanzmänner. Um die Throne
zu stürzen, muss zuvor die Kirche vernichtet sein,
so ist der Plan der Freimaurer-Juden. In Amerika
haben wir den Juden Staatssekretär Hey, welcher mit
dem Juden Morgan die nordamerikanische Union be-
herrscht. Nun soll Oesterreich-Ungarn an die Reihe
kommen. Austria est delenda, Oesterreich muss ver-
nichtet werden, so beschloss schon der Revolutionär
Mazzini vor 50 Jahren. Die feste Säule Oesterreichs,
die katholische Kirche muss untergraben werden, daher
der Schlachtruf: „Los von Rom!"
Das grosse Judenblatt die „Neue Freie Presse"
brachte im Abendblatte vom 11. December 1897 einen
Bericht „von der Universität". Er lautet: „Die deutsch-
nationale Studentenschaft veranstaltete heute, nach-
dem gestern die deutsch-freisinnigen Studenten dem
Rektor eine Adresse überreicht hatten, als Epilog zu
den stürmischen Novembertagen eine Kundgebung.
Die Aula war dicht gefüllt, alle nationalen Verbin-
dungen waren vollzählig anwesend. Mittags begab sich
eine Abordnung zum Rektor und lud ihn ein, an
einer Feier theilzunehmen, welche die nationale Stu-
dentenschaft im grossen Arkadenhof der Universität
veranstalten wolle. Der Rektor sagte zu. Die Studenten
begaben sich in den Hof, wo sich die Erstchargierten
der nationalen Couleurs um einen langen Tisch grup-
pirten; eine tausendköpfige Studentenmenge umringte
sie. Auch die Fenster des Arkadenhofes waren von
Studenten dicht besetzt. Hier wie im Hof selbst sah
man zahlreiche Damen, Studentinen und Angehörige
von akademischen Hörern, welche sich aktiv an der
Demostration betheiligten. Ein Student hielt zunächst
eine Ansprache, in welcher er darauf hinwies, dass
es sich heute darum handle, gegen die Vergewaltigung
der Rechte der Alma mater zu protestiren. Darauf
wurde das Bundeslied: „Brause der Freiheitsang" ge-
sungen und eine Adresse an den Rektor verlesen, in
227
welcher ihm für sein Eintreten, für die Grundsätze
der akademischen Freiheit für die Rechte und Ehre
des deutschen Volkes gedankt und ausgeführt wird,
die Studentenschaft betrachte es als selbstverständ-
liche Pflicht für die Freiheit, das Recht und die Ehre
der Deutschen in Oescerreich einzutreten, über welche
jetzt schwere Zeiten gekommen sind. (Darunter sind
die Sprachenverordnungen Badenis zu verstehen.) Nun
erschien Rektor Professor Dr. Toldt in stürmischer
Weise begrusst. Auch er hielt eine kurze Ansprache
an die Studenten und erklärte, dass er jederzeit für
die freie Forschung und für die Ehre der deutschen
Universität in Wien eintreten werde. (Da müsste Herr
Toldt diese Universität von den Semiten reinigen,
das wäre die richtige Ehrenrettung dieser Universität.)
Brausende Heilrufe ertönten und die Studierenden
zückten ihre Schläger. (Die Tausend Hebräer auch,
wie schön !) Dann nahm wieder ein Student das Wort
Auch er betonte die Notwendigkeit, die geheiligten
Grundsätze der akademischen Freiheit zu wahren (für
unreife Jungen). Wir lassen, rief der Student, kein
Theresianum aus der Universität machen. Dann fuhr
der Redner fort: nicht nur die deutsche Jungmann-
schaft hat den Komödianten erkannt, der unsere Be-
wegung eine Jugendeselei nannte, wir hoffen, dass
auch die deutschen Frauen sich uns anschliessen
werden. Unseren Kampf gegen Rom haben wir noch
. nicht begonnen. Wir wissen aber, dass Rom unser
grösster Feind ist. Wir wissen, unsere einzige Rettung
ist im protestantischen Bekenntnisse, das auch den
nationalen Gedanken in sich birgt, gelegen. Bei die-
sen Worten kam es zu einem lärmenden Zwischen-
fall. Katholische Studenten riefen: „Pereat!" Sie
* wurden umringt und hinausgedrängt. Der Student
schloss mit den Worten : Jetzt kehrt auf queren Wach-
posten zurück und wenn wieder Gefahr droht, und
der Ruf ertönt: „Bursche heraus!" dann kommt, und
wäre es auch zum letzten Gang (Das machen die
Hebräer gewiss nicht mit.) Stürmische Prosit und
Heilrufe ertönten wieder. Die Studenten, sowie auch
die anwesenden Damen sangen: „Die Wacht am
Rhein" und damit war die Kundgebung zu Ende.
15*
228
So berichtete in der angeführten Nummer die
„Neue Freie Presse" : Der Student, der zuletzt sprach,
war der Mediziner Födisch, der in seinen Gymnasial-
studien von armen Priestern unterstützt wurde, wie
ja auch Dr. Eisenkolb als armer Student von den
Dominikanern in Eger sich futtern liess. Das war der
Anfang der Abfallsbewegung in Oesterreich. In der
Nähe der kaiserlichen Burg, auf dem Boden der
Universität, die von der katholischen Kirche gestiftet
wurde, aus dem Munde unreifer Jungen unter der
Palronanz des Rektor Toldt erscholl zuerst der Ruf
nach organisirtem Reich- und Landesverrath in Oester-
reich. Lassen wir nun chronologisch einige Zeitungs-
stimmea folgen, die uns über den Abfall in Oester-
reich ein Bild geben. Am 21. Juli 1901 berichtete
das „Vaterland". (Abfallstatistik). Schönerer veröffent-
licht in seinen „Unverfälschten deutschen Worten"
wieder eine Abfallstatistik. Dieselbe umfasst das eben
abgelaufene Halbjahr Jänner-Juni. In diesem Zeit-
räume sollen bei ihm 3416 Abfallsraeldungen einge-
laufen sein. Davon entfallen 2538 auf Böhmen und
zwar : Bodenbach-Tetschen 729, Türmitz 230, Graupen
110, Reichenberg 129, Sobochleben 361, Teplitz 280
u. s. w. Niederösterreich figurirt mit der Zahl 469,
wovon 429 auf Wien entfalten. Für Mähren erscheinen
119 Abfälle ausgewiesen, für Steiermark genau 200
(106 in Leoben), für Kärnten 14, für Oberösterreich
10, für Schlesien 16, für Tirol 44, für Salzburg 4,
für Krain 1 und für „ Verschiedene" 1. Schönerer
rechnet aber diesmal ausserdem noch hinzu: Wiener
Superintendenz 656, oberösterreichische Superinten-
denz 287, mährischschlesische Superintendenz 531,
galizische Superintendenz 45, endlich Altkatholiken
in Mähren 1213. Mit den letzterwähnten Ziffern kommt
so Schönerer auf die Gesammtzahl 6148. Wie Schö-
nerer zu den letzterwähnten Ziffern gekommen ist,
darüber gibt der Ausweis keinerlei Aufklärung. Man
kann nur vermuthen, dass Schönerer und die ge-
nannten Superintendenzen ihre Listen gegenseitig
ausgetauscht und verglichen haben. Wenn diese Ver-
muthung zutrifft, so wäre also Schönerer zum Gene-
ralabfallsbureau bestellt worden. Wie lange mag es
229
wohl dauern, bis diese Tausende auch von Schönerer
wieder abfallen?
Münchener Blätter berichteten im September 1901
aus Wien: Endlich liegen authentische Ziffern über
den Umfang der Los von Rom-Bewegung vor. Nach
einer von dem evangelischen Oberkirchenrathe in
Wien veranlassten Veröffentlichung beträgt der Gewinn
des Protestantismus in Oesterreich im Jahre 1899
über 6000, im Jahre 1900 gegen 4700 und im ersten
Halbjahre 1901 etwas über 3000 Personen. Zu be-
merken ist, dass jährlich auch rund 500 Personen
von den protestantischen Kirchen zur katholischen
Kirche übertreten, ein Konfessionswechsel, der ins-
besondere bei Mischehen nicht selten ist. Dieser Ver-
lust des Protestantismus ist bei den obigen Ziffern
bereits mit in Betracht gezogen. Sonach hat die ka-
tholische Kirche in den letzten 2y2 Jahren 13.700
Seelen durch den Uebertritt zum Protestantismus
verloren. Hiezu müsste man noch den Gewinn der
Altkatholiken zählen, der nicht genau bekannt ist und
auch nicht sehr hoch angeschlagen werden kann.
Endlich ist zu bemerken, dass rechtsgemäss nur die
Kinder unter sieben Jahren dem Religionswechsel
der Eltern folgen, während Personen über 14 Jahren
die Konfessionswahl freisteht. Die Kinder zwischen
dem 7. und 14. Jahre sind beim Uebertritte der
Eltern katholisch geblieben, werden ihnen aber wohl
ausnahmslos im entscheidenden Zeitpunkte folgen.
Man kann also als Ergebniss der Uebertrittsbewegung
feststellen, dass 15000 Menschen, eher etwas mehr,
der Los von Rom-Bewegung gefolgt sind. Die Ziffer
ist, absolut genommen, nicht sehr hoch, da es sich
um eine Bevölkerungszahl von 8 Millionen handelt,
innerhalb deren die Bewegung ihre Kreise gezogen
hat. Für die katholische Kirche ist nur beunruhigend,
dass der Abbröckelungsprozess lange nicht seinen
Abschluss gefunden hat. Es ist bekannt, dass die
Kirche durch die Thatsache des vollzogenen Abfalls
sich niemals bestimmt gefühlt hat, Nachgiebigkeit zu
zeigen, dass sie sich vielmehr die schärfere Ausge-
staltung ihrer Dogmen und ihrer Kirchenverfassung
angelegen sein Hess. Diesmal handelt es sich jedoch
230
in erster Linie nicht um religiöse Fragen, sondern
um das Verhältnis der katholischen Kirche znr deut-
schen Nationalität und man sollte glauben, dass in
diesem Punkte eine Einkehr möglich sei. Auch steht
die katholische Geistlichkeit nicht vor einem abge-
schlossenen Prozesse und es ist nicht zu berechnen,
ob der Uebertritt nicht einen noch grösseren Umfang
annehmen wird. Schon heute ist festzustellen, dass
der Katholicismus in Oesterreich seit dem 16. Jahr-
hundert niemals eine gleich grosse Anzahl von Seelen
verloren hat. Weder die Deutschkatholiken der 40er
Jahre, noch die Altkatholiken der 70er Jahre können
auf solche Erfolge hinweisen. Dazu kommt, dass die
Altkatholiken bekanntlich immer mehr zusammen-
schmelzen, während der Protestantismus als eine
gefestetere Organisation mit starkem Bückhalte seine
Bekenner wohl besser festzuhalten vermag. Bei der
Volkszählung von 1880 gab es in Oesterreich 6134
Altkatholiken, deren Zahl in den nächsten 15 Jahren
etwas geringer wurde. Man sieht also, um wie viel
intensiver die jetzige Bewegung gegenüber der durch
die Erklärung des Unfehlbarkeitsdogmas hervorgeru-
fenen ist.
Anfangs Oktober 1901 sprach vor seinen Wählern
im Bezirke Margarethen Dr. Lueger über die „Los
von Born" Agitatation. Er sagte: Man wirft uns, so
führte der Redner weiter aus, immer vor, dass wir
eine klerikale Partei sind. Es ist überhaupt sonderbar,
in ganz Oesterreich wittert man eine klerikale Gefahr
und dabei könnte man ruhig einen Preis aussetzen,
wenn Jemand den Nachweis erbringt, worin die klerikale
Gefahr besteht. Die klerikale Gefahr ist ausgeschlossen,
allein unter diesem Schlagworte betreibt man diegröss-
ten Hetzereien gegen unsere Beligion und kein Mensch
rührt sich dabei. Unsere Bischöfe sind keine Himmels-
stürmer, das ist wahr, sie sind so brav, so ruhig,
damit ja den Anderen nichts geschieht. Ich habe
zwar gehört, dass die Bischöfe jetzt schärfer auftreten,
ich habe jedoch wenig Hoffnung, denn, wie gesagt,
Ilimmelsstürmer sind sie keine. Das Wort Klerika-
lismus ist heutzutage nichts Anderes als ein albernes
Märchen, mit dem fp-x -"- ^rteien in Oesterreich
231
das politische Brot bestreiche. Es wird nur gehetzt
und geschimpft, für das Volk wird gar nichts gethän.
Man kümmert sich nicht um die Gewerbetreibenden,
nicht um den Bauer und auch nicht um den Arbeiter.
Die Slaven beschimpfen die Deutschen, die Deutschen
die Slaven, kurz Jeder nennt den Anderen einen
Lumpen, für's Volk aber geschieht gar nichts. Wir
Christlichsociale werden auch in den kömmenden
schweren Zeiten bleiben, was wir waren, und von
unserem Programme nichts aufgeben. Wir werden
festhalten an unserem deutschen Volke, festhalten
an unserem Vaterlande Oesterreich und sind muthig
genug, dies auch zu sagen (stürmischer Applaus) und
sind auch muthig genug gegen alle Landesverräther
zu kämpfen, wir werden aber auch festhalten an
unserer Religion und werden dieselbe zu verth eidigen
wissen. Wir sind eine tolerante Partei, wir lassen die
Protestanten in Ruhe, verlangen aber auch, dass man
auch unsere katholische Religion in Ruhe lässt. (De-
monstrativer Beifall.) Es ist kaum glaublich, so setzte
der Redner weiter auseinander, was bei uns mit der
sogenannten „Los von Rom "-Bewegung getrieben
wird. Es hat bisher kaum einen Staat gegeben (Der
Regierungsvertreter beginnt eifrigst zu schreiben. —
Dr. Lueger zu demselben: Bitte, schreiben Sie es
nur genau auf; es ist nothwendig!), der eine solche
Bewegung, die ausschliesslich politischen Charakter
hat, geduldet hätte, wie es bei uns geschieht. Die
„Los von Rom "-Bewegung ist nur darauf berechnet,
Oesterreich so herzurichten, damit es das Deutsche
Reich leicht verspeisen kann, ohne Magendrücken zu
bekommen. Das ist gewiss noch in keinem Staate
der Welt vorgekommen, dass man einer solchen Be-
wegung ruhig zugesehen hat. Es ist ja offenkundig,
dass Millionen Mark nach Oesterreich geworfen werden
um diese Bewegung zu fördern und ungezählte deutsche
Pastoren überschwemmen die ganzen Länder, um die
Bewegung zu schüren und zu leiten. (Rufe: Schande!
Das kann man nicht mehr ruhig vertragen! u. s. w.)
Die ganze „Los von Rom"-Bewegung ist nichts An-
deres als der organisirte Landes- und Hochverrath.
(Demonstrativer, minutenlanger Beifall. Rufe; Nieder
282
mit den Landesverräthern 1 Weg mit den Schurken
etc.*) Nichtsdestoweniger scheint man sich in Oester-
reich zu scheuen, dieser Bewegung in die Arme zu
fallen; mit verschränkten Armen sieht man zu, wie
die einzelnen Länder durchwühlt und unterminirt
werden. Ich habe überhaupt die schlechte Erfahrung
gemacht, dass diejenigen Parteien, die gut öster-
reichisch sind und für das Vaterland und Volk ein-
treten, am schlechtesten wegkommen. Uns Christlich-
socialen geht es wenigstens so. Da haben wir gleich
den Statthalter, der offenbar jetzt sehr wenig zu thun
hat, und daher jetzt fortwährend herumnörgelt. An
der Verwaltung der Stadt Wien ist entschieden nichts
auszusetzen, so kommt er uns nun mit den Tauben
etc. (Heiterkeit!) Hingegen die Leute aus den so-
genannten radikalen Lagern werden wie das liebe
Buberl (Heiterkeit) behandelt. Die alldeutschen Ab-
geordneten rühmen sich, was sie Alles bei den Mini-
stern durchsetzen können und manche von ihnen
erzählen öffentlich, wie sie bei den Ministern aus-
und eingehen. Es ist dies ein Beweis, dass man
diese Parteien fürchtet wie den Teufel, und dass man
vor ihnen einen grossen Respekt hat. Dies Alles
geschieht auf unsere Kosten; nun, wir vertragen
etwas, aber wie lange es noch das Vaterland ver-
tragen wird, das ist eine andere Frage. Die Herren
Minister wollen ein ruhiges Parlament haben und da
denken sie sich, die Krakehlmacher müssen wir be-
sänftigen. Auf diese Art opfert man den grössten
Radaubrüdern unsere Religion, die ungescheut in den
Koth herabgezerrt und geschmäht wird, man opfert
das Vaterland Oesterreich, ja diese Leute können
sogar einzelne Mitglieder des Herrscherhauses begei-
fern, es geschieht nichts. Man spielt bei uns in Oester-
reich die Vogel Strauss-Politik und lässt die Dinge
laufen, wie sie laufen. (Allgemeine Zustimmung.) Es
könnte doch noch schlechter ausgehen, als man glaubt
dann aber werden die Minister auch den Muth haben
müssen, die Verantwortung für jenen Moment in der
Geschichte zu tragen, welches d^ ahh rutschen so in-
brünstig ersehnen. Wir Christ" ^rden nach
wie vor unentwegt dafür e es Pflicht
233
der kaiserlichen Behörden ist, Pflicht des Ministers
oben und des letzten Amtsdieners unten, unser Vater-
land vor seinen inneren Feinden zu schützen!
Im April 1902 brachten reichsdeutsche Blätter
aus Wien folgende Nachricht. Der evangelische Ober-
kirchenrath in Wien hat einen Bericht über die Be-
wegung innerhalb der evangelischen Kirche Oester-
reichs herausgegeben, dem wir folgende Zahlen ent-
nehmen. Im zweiten Halbjahr 1901 sind in Cisleithanien
zur . evangelischen Kirche A. G. übergetreten 3054
Personen aus der römisch-katholischen Kirche und
126 Personen aus anderen Bekenntnissen-Gemeind-
schaften, zusammen 3180. Ausserdem traten zur evan-
gelischen Kirche reformirten oder helvetischen Be-
kenntnisses 265 Personen über, insgesammt also 3445.
Aus der evangelischen Kirche sind in derselben Zeit
zur römisch-katholischen Kirche 379 und zu anderen
Kirchen 38 übergetreten, zusammen 417 Personen.
Es ergibt sich daher pro zweites Quartal 1901 für
die evangelische Kirche ein Zuwachs von 3028 Per-
sonen. Für die letzten drei Jahre ergeben sich folgende
Ziffern :
1899 1900 1901 zusammen
Uebertritte zur evangel.
Kirche 6385 5058 6639 18.082
Davon aus der römisch-
kath. Kirche . . . 6047 4699 6299 17.045
Austritte aus der evang.
Kirche 765 813 917 2495
Davon in die röm.-kath.
Kirche 675 705 830 2210
Zuwachs an Seelen für
evangel. Kirche . . 5620 4245 5722 15.587.
Die „Ostdeutsche Rundschau" hat folgendes ver-
öffentlicht: Die statistischen Mittheilungen der Eisen-
acher Kirchen-Konferenz für Deutschland und Oester-
reich für die Jahre 1880 bis 1899 zeigen, dass die
Häufigkeit des Konfessionswechsels im Laufe der
letzten beiden Jahrzehnte stetig zugenommen hat. Der
Uebertritt vom Katholicismus zum Protestantismus
ist in stärkerer Progression gestiegen als der Ueber-
gang vom Protestantismus zum Katkolicismus. Der
234
absolute Gewinn gegenüber dem Katholicismus ist
bedeutend sowohl in Deutschland als auch in Oester-
reich; hier besonders seit der „Los von Rom"-Bewe-
gung des Jahres 1898. Die Statistik der wirklich er-
folgten Uebertritte ergibt für die Jahre 1890 bis 1899 für
Deutschland:
Zum Protestantismus Aus dem Protestantismus
vom Katholicismus zum Katholicismus
1890 . . 3105 1890 . . 654
1891 . . 3202
1892 . . 3342
1893 . . 3532
1894 . . 3821
1895 . . 3895
1896 . . 4366
1897 . . 4469
1898 . .5176
1899 . . 5549
Oesterreich:
Zum Protestantismus
vom
Katholicismus :
Augsb.
Helv.
Conf.
Conf.
1890.
. 620
379
1891 .
. 740
364
1892 .
. 597
424
1893 .
. 798
410
1894.
. 755
424
1895.
. 757
410
1896.
. 947
464
1897 .
. 927
431
1898 .
. 1181
417
1899 .
. 5886
506
1891 . .
442
1892 . .
550
1893 . .
598
1894 . .
659
1895 . .
588
1896 . .
664
1897 . .
705
1898 . .
699
1899 . .
660
ch:
Austritt aus der
Augsb
. Helv.
Conf.
Conf.
1890 302
200
1891 . . 419
212
1892 . . 377
219
1893 . . 426
264
1894 . . 406
273
1895 . . 473
238
1896 . . 495
273
1897 . . 469
287
1898 . . 469
275
1899 . . 499
286
Bei dieser Tabelle bleiben die Zahlen für Deutsch-
land etwas hinter der Wirklichkeit zurück, da nicht
alle Landeskirchen statistische Angaben geben und
nicht alle Austritte, besonders aus der evangelischen
Kirche, zur amtlichen Kenntniss kommen. Für Oester-
reich beträgt infolge der evangelischen Bewegung die
Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche von
1898 bis 1901 zusammen allein circa 27.000 und die
235
Zahl der Uebertritte davon zur evangelischen Kirche
•circa 20.000. Die wesentliche Richtigkeit der Ziffern
vorausgesetzt, geht aus denselben deutlich hervor,
dass die Abfälle in Deutschland in den Neunziger-
Jahren — mit Ausnahme des Jahres 1899 — mehr
als das Dreifache jener in Oesterreich betragen und
jene der Konversionen in jedem Jahre mindestens
um das Sechsfache überstiegen haben. In Oesterreich
betragen die Abfälle selbst in den letzten Jahren, wo
eine specielle Hetze und Agitation hauptsächlich von
Deutschland aus dafür entwickelt wird, nicht viel
mehr, als in Deutschland regelmässig.
Im Februar 1902 veröffentlichte Pastor Gmelin
im „Protestantenblatt" seine Reiseeindrücke aus
Oesterreich. Ueber Lobositz, für welches er besonders
an den reichsdeutschen Klingebeutel appelirt, kommt
er nach Leitmeritz. Zuerst besichtigt er die Brauerei
„Elbschloss", dann erst folgt er den „Abfallsspuren".
Auf dem Wege kommt er auch an der ehemaligen
Jesuitenkirche vorbei, welche jetzt dem bischöfl. Prie-
sterseminar dient. Der Herr Pastor kann es sich
nicht versagen, in dieselbe einzutreten. „Wir haben
es gut getroffen", so erzählt er, „denn es findet
gerade eine Uebungspredigt statt, indem einer der
Zöglinge auf der Kanzel einen lateinischen Sermon
zur Verherrlichung der Kirche, wenn ich recht ver-
standen habe, hält, während der ganze übrige Haufe
— etwa 60 an der Zahl — die Bänke des Schiffs
zur Linken als andächtige Zuhörer füllt. So haben
wir Müsse, uns dieser Andacht anschliessend, nicht
nur von der eleganten Latinität des Redners — in
Wahrheit ein ödes Phrasengeklingel — zu profitiren,
sondern auch, was mich ungleich mehr reizte, die
Köpfe dieses Nachwuchses der nordböhmischen Geist-
lichkeit aufmerksam zu studiren. Das Ergebniss ist
entsprechend dem, was man sonst weiss: Der Ein-
druck von dem weitgehenden Ueberwiegen des ßechi-
schen Elements. Wenigstens vier Fünftel dieser
Schädel gehören" dem slavischen Typus an, mit der
niedrigeren Stirn und namentlich der aufgestülpten
Nase im Verein mit der dunkleren Farbe von Haar
und Haut, auch dem oberflächlichen Bild sich ver-
286
rathend, dazu in der ganzen Haltung überwiegend
bäuerliche Herkunft andeutend. Ich kann nicht sagen,
dass mir das Ganze besondere Hochachtung einge-
flösst hätte, wie sie dem Eindruck wirklicher Intelli-
genz gegenüber jeder Gebildete empfindet." — Dem
Herrn Pastor aus dem Schwabenlande ist da ein
kleiner Sehfehler passirt. Im Leitmeritzer Priester-
seminar befinden sich, aus bekannten Gründen, kaum
mehr soviel böhmische Zöglinge, als Finger an einer
Hand. Die erdrückende Mehrheit ist deutsch, ent-
schieden deutschnational sogar, wie die einfache
Thatsache beweist, dass die Leitmeritzer Alumnen
bei dem Akademikertage aus den Fenstern des Semi-
nars hinaus die — „Wacht am Rhein* sangen. Nun,
und diese wackeren Jünger Frind's zählt der Herr
Pastor wegen ihrer „sla vischen Physiognomie" zu
vier Fünfteln uns Böhmen zu. Wir müssen dankend
ablehnen. Dass es die „Physiognomie" allein nicht
macht, dass sollte der Herr Pastor aus der „Kreuz-
zeitung" wissen, welche zum Beispiel erst vor kurzer
Zeit darthat, dass der Habitus von — Martin Luther
ein slavischer war. Den Leitmeritzer Neuprotestanten
gehe es sehv schlecht, denn der Bischof ist sehr
streitbar. Zum Beweise führt er an, dass eben erst
eine neue evangelische Kirche mit dem Kostenauf-
wande von 32.000 fl. erbaut worden sei. Die 430 Prote-
stanten von Leitmeritz haben diese Summe ebenso
wenig aufgebracht, wie die 70 Abgefallenen von Lo-
bositz, die sich auch eine Kirche um 50.000 Mark
erbauten. Woher kommen aber diese grossen Summen ?
Von Leitmeritz pilgert der Herr Pastor nach Aussig,
hauptsächlich, um den „grossen" Dr. Eisenkolb kennen
zu lernen. Er fragt auf der Redaktion des alldeut-
schen Lokal-Blattes an, erfährt aber hier zu seinem
Leidwesen, dass der Herr Doktor eben nach Teplitz
abgereist sei, allwo er als Kandidat für den Böh-
mischen Landtag eine Wählerversammlung abhalte.
Der Herr Pasior reist ihm also nach und nimmt
an der Wählerversammlung theil, in der auch Herr
Schönerer spricht, der dem schwäbischen „Agen-
ten" gewaltig imponirt. Auf der Fahrt nach Teplitz
erlebt er aber ein kleines Reiseabenteuer. „Mir gegen-
23?
über sass (im Coupe), so erzählt er, ein Herr mit
stattlichem blonden Vollbart, eine echt deutsche Er-
scheinung, den ich nach der sonstigen Unterhaltung
in unserer Abtheilung gleichfalls für einen Anhänger
Eisenkolb' s hielt. Ich redete ihn also an mit der Frage,
ob er den dr. Eisenkolb und die anderen alldeutschen
Häupter persönlich kenne und wen er für den be-
deutendsten Redner unter denselben hält. Darauf er-
widerte er: Was den dr. Eisenkolb betrifft, so hat
der noch nie etwas Gescheits geschwätzt. Und als
wir dann an Karbitz vorbeifuhren, meinte er in spi-
tzigem Tone: ich solle mir den Platz da neben dem
Bahnhof nur recht genau ansehen, denn dahin käme
das Denkmal für den Dr. Eisenkolb zu stehen dafür,
dass er die katholische Kirche von ihren schlechten
Elementen erlöse." — Darüber ist der Herr Pastor
sehr piquirt und er versucht es nun, den Mann mit
dem stattlichen blonden Vollbart durch ein gespro-
chenes Traktätlein umzustimmen. Aber der „Bekla-
genswerte" bleibt fest, weshalb der Pastor den Be-
kehrungsversuch aufgibt, weil der Standpunkt des
Antieisenkolbianers zu öde und gering und es seine
Sache sei, wenn er sich nicht höher ästimire. Für
diesen Aerger im Goup6 wird aber Se. Ehrwürden
reichlich in der Teplitzer Versammlung entschädigt.
Besonders frappirt ihn hier die Art, in der Schönerer
von Allerhöchsten Personen spricht. Dann berichtet
er wörtlich : „Für mich hatten am meisten Einleuch-
tendes die Ausführungen über die wirthschaftliche
Noth Cisleithaniens, das, zwischen Ungarn und dem
Deutschen Reiche eingesperrt und von jenem zollpo-
litisch noch schärfer als Gegner behandelt als von
diesem, gar nichts Anderes vor sich habe zu seiner
wirthschaftlichen Selbstverwaltung, als den innigen
und völligen Anschluss an das grosse deutsche Volks-
ganze. Auf diese Wiedervereinigung, als eine wirt-
schaftlich wie politisch gleich nothwendige, zielte der
Gedankengang des Redners unverblümt ab, auch um
den Preis der selbständigen Grossmachtstellung Oester-
reichs." Der Herr Pastor merkt hier an: „So viel ist
sicher, dass, soviel Wasser auch noch in den all-
deutschen Wein geschüttet werden wird, doch ihre
238
Arbeit so viel bewirkt hat, dass das Verlangen nach
Wiedervereinigung mit dem grossen Deutschen Reiche
nicht mehr aus der Seele des deutschen Volkes in
Oesterreich verschwinden wird, bis es eines Tages
seine Verwirklichung findet." — Und nun möchten
wir den Herrn Pastor fragen, was wohl geschehen
würde, wenn in Deutschland ein Redner eine landes-
preisgeberische Rede hielte, wie es die Schönerer' s
in Teplitz war, wenn bei derselben ein katholischer
Pfarrer aus Oesterreich anwesend wäre und sie dann
publicistisch gutheissen würde? Möchte der Herr
Pastor nicht darauf Antwort ertheilen? Nach der Ver-
sammlung hat Se. Ehrwürden wieder ein Abenteuer.
Er erzählt darüber: „Nach der Versammlung, die nach
11 Uhr ausging, hatte ich das Vergnügen, nach der
Rückkehr in meinen „Anker" mit einer Gruppe junger
Leute, die mich nicht so rasch los Hessen, noch ein
paar Wörter zu verplaudern. Bemerkenswert!!, mit
welcher Schärfe in diesem Kreise, der aus lauter ge-
borenen Katholiken bestand, die äusserlich alle noch
dazu gehörten, über ihre eigene katholische Kirche
geurtheilt wurde. Als ich den Hauptunterschied zwischen
dem Protestantismus und dem Katholicismus dahin
definirte, dass dieser einen „anderen Wahrheitsbe-
griff" habe, fuhr mein Gegenüber, ein junger, leben-
diger Mann, Handlungsschüler, soviel ich mich erin-
nere, dazwischen: „Erlauben Sie, dass ich Ihnen da
widerspreche! Die katholische Kirche hat gar keinen
Wahrheitsbegriff, sie hasst vielmehr, was mit Wahr-
heit überhaupt zusammenhängt u. dgl." Natürlich
konnte ich ihn beruhigen, dass wir sachlich offenbar
zusammenstimmen, dass ich aber in der Form mich
mass voller ausdrückte." — Also nahe an Mitternacht
setzt sich der Herr Pastor mit ein paar jungen Leuten,
die voll von Phrasen und Bier sind, zusammen und
disputirt mit ihnen über Religion. Und als ein Schul-
junge behauptet, dass die „katholische Kirche gar
keinen Wahrheitsbegriff hat", da stimmt der Herr
Pastor „sachlich" zu. Und er ist naiv genug, das
noch weiter zu erzählen. Bieten aber die Reisebrlefe
des schwäbischen Pastors nicht sehr, sehr lehrreiche
Einblicke in die Werkstätte der Abfallsbewegung und
239
sollte man darum die Lektüre derselben nicht auch
den massgebenden Stellen anempfehlen?
Die Magdeburger Zeitung berichtet ganz vergnügt
im September 1901 folgendes: Es gibt in deutschen
Sprachgebieten Böhmens heute deutsch-evangelische
Pfarr- und Filialgemeinden und Predigtstationen in
Trautenau, Braunau, Hohenelbe, Langenau, Hermann-
seifen, Landskron, Grulich, Arnau, Gablonz, Böhmisch-
Aicha, Hermannsthal, Friedland, Neustadtl, Heiners-
dorf, Reichenberg, Gabel, Grottau, Warnsdorf, Rum-
burg, Haida, Böhmisch-Leipa, Niemes, Böhmisch-
Kamnitz, Steinschönau, Rosendorf, Haber, Wernstadt,
Bodenbach, Aussig, Lobositz, Trebnitz, Leitmeritz,
Obersedlitz, Karbitz, Turn bei Teplitz, Teplitz, Graupen,
Dux, Klostergrab, Brüx, Görkau, Komotau, Weipert,
Saaz, Podersam, Kaaden, Horschowitz, Woratschen,
Karlsbad, Chodau, Graslitz, Falkenau, Königsberg,
Eger, Franzensbad, Asch, Rossbach, Neuberg, Marien-
bad, Plan, Pilsen, Winterberg und Budweis. „Ein
ganzes Netz von evangelischen Seelsorgestationen hat
also — so frohlockt das Blatt — Deutschböhmen
überspannt." In Prag gibt es eine deutsch-evangelische
Gemeinde. „In Mähren gibt es deutsch-evangelische
Gemeinden nur in Brunn, Mährisch-Ghrostau, Znaim,
Iglau, Nikolsburg, Zauchtl, Hotzendorf, Christdorf, 01-
mütz, Mährisch-Trübau, Hohenstadt, Müglitz, Mährisch-
Schönberg, Mährisch-Ostrau und Neutischein, während
über 40 Gemeinden ganz und gar ßechisch sind. In
Schlesien sind als deutsch-evangelische Gemeinden
die zu Freiwaldau, Freudenthal, Jägerndorf, Troppau,
Kleinbressel, Hillersdorf, Bielitz und Altbielitz zu be-
zeichnen; die übrigen 15 Gemeinden sind grössten-
theils polnisch." Das Blatt gibt zugleich Aufschluss
über die Höhe der reichsdeutschen Subventionen für
diese Gemeinden, indem es sagt: „Im Vereinsjahr
1898/99 wurden allein 454 österreichische Gemeinden
mit der stattlichen Summe von 374.492 Mark durch
den Gustav Adolf-Verein bedacht; im Ganzen empfin-
gen aber die nothleidendeh Gemeinden bisher rund
8,357.000 Mark milde Gaben/ Es wäre interessant zu
wissen, von wem die „milden Gaben" stammen, welche
die Subventionen des Gustav Adolf-Vereines über-
240
steigen. Zu gleicher Zeit brachten die Mittheilungen
des evangelischen Bundes für Brandenburg die Nach-
richt, dass bereits einundfünfzig reichsdeutsche evan-
gelische Prediger in Oesterreich thätig sind, und zwar
wird diese Angabe wie folgt specialisirt : „In Böhmen
wirken in Haida Hegemann, in Braunau Kinzenbach,
in Erammel Satlow, in Karbitz Weissbach, in Dux
Schaarschmied, in Turn Klein, in Karlsbad Kusserow,
in Komotau Spanuth, in Treibnitz Haflfner, in Lange-
nau Röhrig, in Hohenelbe Wirth, in Pilsen Plaens-
dorf, in Budweis Kittel, in Warnsdorf Zwahr, in Grottau
Hermann, in Klostergrab Ungnad, in Graslitz Schottke.
Aus Falkenau ist Dellit, weil seine Bestätigung nicht
zu erlangen war, in seine Heimat zurückgekehrt; er
wird durch den Hessen Bespermann ersetzt werden.
Zu diesen achtzehn Vikaren treten in nächster Zeit
noch zwei Vikare für den Komotauer, einer für den
Karlsbader, einer für den Egerer, einer für den Pil-
sener Bezirk, und vermuthlich auch einer für die Te-
tschener Gegend, die vorläufig durch einen Pfarrer
emer. versorgt wird. Böhmen wird also in Bälde 24
Vikare haben. — In Steiermark wird der Bestand von
neun Vikaren, von denen Schaudig in Graz, Kappus
in Mürzzuschlag, Höhn in Leoben, May in Gilli, Fischer
in Radkersburg, Hochstetter in Stainz, Mahnert in
Mahrenberg, Schiefmair in Rottermann, Ilgenstein in
Fürstenfeld arbeiten, um zwei vermehrt werden: um
eine Stelle in Graz (Lic. theol. Holtz vom 1. Mai 1901
an) und eine in Judenburg; das macht elf Vikare. —
In Mähren stehen auf dem Posten: in Mährisch-Trübau
Ballerstedt, in Hohenstadt Schmidt, in Neutitschein
Wehrenpfennig, in Olmütz Mühlpfort, in Zauchtl Dr.
Wrzecionko, in Nikolsburg Jaehn, während für Gru-
lich Peisker gewählt ist, und das Amt in Mährisch-
Chrostau unter unserer Beihilfe zum Gehalt Waitkat,
bisher in Bielitz, übernommen hat, an dessen Stelle
c. min. Lobe getreten ist. Das sind in Summe neun
Vikare. — Von den Gemeinden in Kärnten wird Treffen
durch den Evangelisten Busse, Villach durch Vikar
Heinzelmann, St. Ruprecht durch Schacht, Waiern
durch Lehmann versorgt, der wahrscheinlich nach
Komotau berufen wird und durch einen anderen er-
241
setzt werden tnuss, während in Klagenfurt Hicfcmann
im Mai angetreten ist. Das sind fünf geistliche Kräfte.
In Nieder-Oesterreich wird Floridsdorf durch Kühn,
Baden durch Jordan, St. Polten (Krems} durch Monsky
verwaltet, während für Wiener-Neustadt Walbaum
vorgeschlagen ist. Rechnet man dazu, dass für das
in Feldkirch (Vorarlberg), für das in Innsbruck, sowie
für das in Gzernowitz (Bukowina) errichtete vVikariat
schon Vorschläge gemacht sind, so ergibt sich eine
Zahl von 56 geistlichen Kräften, darunter 51 Reichs-
deutsche, die von uns in den Dienst der evangelischen
Kirche Oesterreichs gestellt worden sind." — Mit
Recht bemerkte die „Köln. Volksztg." zu dieser höchst
erbaulichen Thatsache: „Also unter 56 Vikaren sind
nicht weniger als 51 Reichsdeutsche. Daraus geht
hervor, dass diese Agitation für Oesterreich zu einem
grossen Bruchtheil einen reichsdeutschen Importartikel
darstellt; ohne die reichsdeutsche Unterstützung durch
Prediger und grosse Geldsummen wäre sie vielleicht
schon wieder zusammengebrochen. Wenn es trotzdem
Blätter gibt, die noch über österreichische „Intole-
ranz" zetern, so braucht man nur die Frage zustellen,
ob in Preussen wohl eine katholische Agitation durch
ausländische Geistliche gestattet werden würde, zumal
wenn sie noch mit einer hochverrätherischen Bewe-
gung, die auf Losreissung preussischer Staatsgebiete
und ihre Annexion durch eine ausländische Macht
abzielt, sich berührte. Diese Frage stellen, heisst zu-
gleich sie beantworten. Nicht 51, nicht ein einziger
katholischer ausländischer Geistlicher würde zu diesem
Zwecke hier zugelassen werden. Wenn man Jbei uns
schon reichsdeutsche Jesuiten und Lazaristeh nicht
duldet, wieviel kürzeren Process würde man zum
Beispiel mit Franzosen machen, die in Elsass-Loth-
ringen eine Los von Wittenberg-Agitation betrieben
• und dadurch das Volk aufregten! In Oesterreich liul-
digt man in dieser Beziehung dem marichesterlichen
Princip des laisser aller et laisser faire.
Das in Christiania erscheinende „Morgenbladet"
schrieb im Oktober 1901 einen Artikel über die Los
von Rom-Bewegung. Der Verfasser ist darüber voll-
ständig klar, dass es der „Paugermanismus" ist, der
16 ~
242
sein Augenmerk auf Oesterreich gerichtet hat, und
sich im Lande auszubreiten sucht durch Mittel aller
Art, zu denen auch die sogenannte „Los von Rom"-
Bewegung gehört. „Für diese Propaganda," (nämlich
die alldeutsche) sagt der Verfasser, „hat sich beson-
ders im Laufe des letzten Menschen alters eine mäch-
tige Reihe von Organen in Form von ausgebreiteten
Vereinen und Bündnissen entwickelt, die über be-
deutende Geldmittel verfügen, zahlreiche Mitglieder
und eine eihflussreiche Presse haben. Diese politische
Propaganda wird vom sogenannten „Alldeutschen
Verein" geleitet, dessen leitender Geist zur Zeit der
deutsche Reichstagsabgeordnete Dr. Hasse ist und
welcher mit einer ganzen Reihe anderer Vereine in
Verbindung steht, somit dem Gustav Adolf- Verein
und dem evangelischen Bund, welche die protestan-
tische Propaganda besorgen, mit dem Odinsverein in
München, dessen Programm zugleich politisch und
religiös ist ..." Der Verfasser führt sodann in seinem
Artikel zur Bekräftigung seiner Meinung das Urtheil
eines französischen Verfassers an: „Es ist, sagt dieser,
besonders nach den Aufklärungen, welche im Jahre
1899 der Process gegen den deutschen Pastor Ever-
ling in Graz brachte, notorisch, dass die „Los von
Rom "-Bewegung, welche von den reichsdeutschen
Protestanten gestützt wird, eine politische Bewegung
ist, und ein „Los von Oesterreich" anstrebt. Diese
Anschauung ist auch im protestantischen Dänemark
fast allgemein. Und wenn auch einzelne fanatische
salbungstriefende Prediger um milde Gaben bitten,
für die „unter Roms Knechtschaft" (!) schmachtenden
und jetzt nach dem Evangelium (!) seufzenden Ka-
tholiken Oesterreichs und besonders Böhmens, so
wendet sich doch der weit grössere Theil der Pa-
storen mit Verachtung von dieser Bewegung und ihren
Aposteln ab, „da sie mit dem „preussischen Chri-
stenthum" nichts zu thun haben wollen.
Am 26. März brachte das „Vaterland" einen Be-
richt aus Klagenfurt. Es heisst darin: Nicht minder
als in anderen Kronländern hat die „Los von Rom"-
Agitation auch in Kärnten mit grosser Kraft einge-
setzt. Wie Pilze nach dem Regen tauchen „evange-
248
lische" Vikare allerorten auf. Man baut „evangelische"
Kirchen, hält „Familienabende", arbeitet mit Bro-
schüren, Zeitungen und Geld, dass es eine helle Freude
ist. Der katholische Klerus hat diese Dinge nicht
schweigend hingenommen und unter den anderen
Werken der . Katholiken, welche dieser Bewegung
entgegen gestellt wurden, ist gewiss das von Kaplan
Kayser in Feldkirchen gegründete Waisenhaus be-
rufen, eine ganz hervorragende Rolle zu spielen. Un-
weit Feldkirchen besteht nämlich unter der Leitung
des evangelischen Seniors Schwarz seit Jahren ein
Waisenhaus, welches vom evangelischen Bund, vom
Gustav Adolf-Vereine, aber auch von der Kärntner
Sparkasse und vom Lande selbst ausgiebig subven-
tionirt wird. Seit Jahren klagen die katholischen
Seelsorger in Feldkirchen, dass dieses Waisenhaus
mit Vorliebe katholische Kinder aufnehme und sie
zum Abfall vorbereite, aber man fand kein Mittel da-
gegen, bis Herr Kayser am Epiphaniefeste dieses
Jahres das katholische Waisenhaus eröffnete. Dass es
an Waisenkindern in einem Lande, wo das Familiek-
leben so darnieder liegt, nicht fehle, wird Jedermann
glauben, wohl aber fehlt es an Geldmitteln, um die
schreienden Jungen zu stillen.
Was war da natürlicher, als dass Herr Kaplan
Kayser, nachdem er sein Vermögen ganz geopfert
hatte, an die Wohlthätigkeit der Mitmenschen appel-
lirte. Herr Kayser verfasste auch ein Majestätsgesuch
um eine Unterstützung dieser in der „Los von Romw-
Bewegung so dringend nothwendig gewordener An-
stalt. Das Gesuch kam von der allerhöchsten Kabinets-
kanzlei an die k. k. Bezirkshauptmannschaft in Klagen-
furt zur Begutachtung. Da geschah denn was höchst
Sonderbares ! Die k. k. Bezirkshauptmannschaft über-
gab das Gesuch des hochw. Herrn Kayser dem evan-
gelischen Senior Schwarz zur Begutachtung, oder zur
Aeusserung, ob es denn wahr sei, dass die Anstalt
in Wayern die „Los von Romu-Bewegung fördere?
Der Herr k. k. Bezirkshauptmann von Klagenfurt wird
schon seit längerer Zeit sowohl von den deutschen
als slovenischen Katholiken mit grossem Misstrauen
beobachtet. Diesmal ist sein Vorgehen unbegreiflich,
16*
244
umso unbegreiflicher, als der Herr sich einem kirch-
lichen Würdenträger gegenüber sehr indignirt äusserte,
dass Kaplan Kayser konfessionellen Unfrieden nach
Feldkirchen bringe. Vielleicht wollte man das Ordi-
nariat gegen den seeleneifrigen Kaplan mobilisiren.
Die Sache ging aber nicht und erregte an kompetenter
Stelle nur tiefsten Unwillen. Herr Schwarz verfasste
ein Gutachten, das zur Kenntniss des Herrn Kayser
gekommen ist. Kaplan Kayser veröffentlichte dann in
der „Kärntner Ztg." einen offenen Brief an Herrn
Schwarz. Dem Briefe entnehmen wir folgende Stellen :
Ich erinnere an den Abfall des Knaben Joseph
Mauer .... derselbe war der talentir testen einer und
hat mir im Religionsunterrichte nie Anlass zur
Klage oder zum Tadel gegeben. Plötzlich mit dem 14.
Lebensjahre hat ihn der Hauch des Evangeliums in
Ihrer (Herrn Schwarz) Anstalt zum Abfalle gebracht.
Jetzt ist es mir klar, warum die Mutter ihre Zustim-
mung zum Uebertritte ihres Kindes gegeben, denn
der Junge wird ja jetzt auf Ihre (des Seniors) Kosten
zum Lehrer ausgebildet .... Im Laufe der Zeit, wo
Ihre Anstalt besteht, sind nicht weniger als sechs
Kinder vom „Hauche des Evangeliums" erwärmt
worden und abgefallen .... und Sie erzählen der
Behörde, dass katholische Geistliche konfessionelle
Anfeindungen in die Kinder hineingetragen hätten ! . . .
Es ist Thatsache, dass vor katholischen Kindern in
Ihrer Anstalt die Lehren der katholischen Kirche
und ihre Geremonien, die Muttergottes- und Heiligen-
verehrung bespöttelt und lächerlich gemacht wer-
den Sie selbst können es sich nicht versagen,
sogar bei Begräbnissen die Gefühle der anwesenden
katholischen Kinder Ihrer Anstalt und jener Katho-
liken, die ihrem protestantischen Mitbürger die letzte
Ehre erweisen, gröblich zu verletzen . . . indem Sie
einem Protestanten ins Grab nachriefen; „Und wenn
Du tausend Messen lesen lässt, wird es ' dir doch
nichts nützen!" Haben Sie sich nicht bemüssigt ge-
fühlt, an einem anderen offenen Grabe von „Rosen-
kranzplappern" zu sprechen? Mein Vorgänger hatte
'eines Tages einen Versehgang zu machen, der ihn
durch Wayern führte. Ein Knabe Ihrer Anstalt nahm
245
die Mütze ab, während ein anderer ihm zurief: „Lass
das doch, was geht Dich denn der PfafT an!" Und
Jener, der sich diese Beschimpfung und Religions-
störung zuschulden kommen Hess, war Ihr eigener
Sohn. Ich verweise auf das Konfirmandenbüchlein,
das vielleicht auch katholischen Schülern in die Hand
gedrückt wird, worin es von Unrichtigkeiten und
Entstellungen der katholischen Glaubenslehren nur so
wimmelt! Noch erinnere ich Sie an die famose Ver-
sammlung des Jugendbundes „Südwacht" in Feld-
kirchen, wo in Anwesenheit vieler katholischer Kinder
das Bussakrament verhöhnt und in den Koth gezerrt
wurde.
Der Herr Kaplan schliesst den Brief: Einstweilen
bin ich mit Ihnen fertig, was ich Ihnen noch mehr
zu sagen habe, können wir auf später aufsparen.
Vorstehendes beweist vorläufig zur Genüge, dass die
Störer des konfessionellen Friedens nicht wir, sondern
andere Leute sind, was wir mit unendlicher Ent-
sagung des Friedens wegen ertragen haben — jetzt
aber, da Sie selbst die politischen Behörden mit
Ihren grundlosen Beschwerden belästigen, sage ich
Ihnen: Sobald Sie noch weiter, wie früher, uns Katho-
liken im Geheimen oder offen befehden, treffen Sie
auf einen Gegner, dessen Geduld zu Ende ist. Das
Lied vom Frieden ist ein altes Lied, die Katholiken
sollten immer Frieden halten, und wehren sie sich
einmal — nun dann sind sie die Störefriede, selbst
in den Augen mancher Behörden, Gott sein Dank
nicht mehr im Urtheile der kirchlichen Obrigkeit.
Wenn das Sündenregister, welches hier dem „evan-
lischen" Senior vorgehalten wird, den Thatsachen
entspricht, worüber kaum zu zweifeln ist, dann mag
der Katholik mit Recht fragen, was der Protestantis-
mus noch mehr thun solle, um katholische Kinder
„Los von Rom" zu bringen. Vielleicht wird sich die
k. k. Behörde mit der Zeit doch klar, wer den kon-
fessionellen Frieden stört? Es ist eine tief zu be-
dauernde Thatsache, dass ein Grosstheil der k. k.
Beamten sich die Informationen über offenkundige
Thatsachen nur aus der „Los von Rom"- oder doch
nur aus der radikaldeutschen Presse holt, und- dann
246
gegenüber den Katholiken eine Stellung einnimmt,
die schwer zu verantworten ist.
Am 13. März 1902 brachte das „Vaterland" aus
Nordböhmen diesen Bericht. Die Protestanten be-
trachten Klostergrab als ihr Heiligthum. Zu Anfang
des siebzehnten Jahrhunderts hatten sie auf Ossegger
Stiftsgrunde widerrechtlich eine Kirche gebaut Trotz
aller Verbote der Behörde wurde der evangelische
Gottesdienst fortgesetzt und der katholische Pfarrer,
welcher gegen die Aufständischen predigte, hinter
dem Hochaltare gehängt. Nun schritt die Behörde
energisch ein; wie dabei die protestantische Kirche
in Brand gerieth, ist nicht klargestellt. Das geschah
im Jahre 1617. — Am 12. December 1900 wurde nun
der Grundstein zu einer neuen evangelischen Kirche
gelegt; am nächsten Charfreitag soll ihre feierliche
Weihe stattfinden — mit Festgeläute, Festzug, Fest-
essen, Koncert u. s. w. Wahrlich, solcher Rücksichts-
losigkeit und Unverschämtheit wären die Katholiken
Sachsens, auch wenn dort solches geduldet würde,
nicht fähig ! Die katholische Pfarrgemeinde zählt über
4000 Seelen, die evangelische vielleicht gegen 200,
darunter 75 abgefallene Katholiken. Sollten auch dies-
mal wieder wie bei der Grundsteinlegung die katho-
lischen Lehrer an dieser evangelischen Charfreitags-
festlichkeit theilnehmen, so wäre das ein unerhörtes
Aergerniss. — Die Mission, gehalten von denhochw.
Patres Lerch und Pagler vom 2. bis 10. März, nahm
einen unerwartet erfreulichen Verlauf. War die Kirche
bei der Predigt Früh um 8 Uhr gefüllt, so konnte
dieselbe Abends die Menschenmenge nicht fassen.
Bei 1200 Erwachsene jeden Standes empfingen die
heiligen Sakramente Das Volk ist ausgezeichnet gut,
echt österreichisch und katholisch gesinnt, aber diese
Hetzer! — Der evangelische Pfarrvikar, welcher, ob-
schon ein Ausländer, hier pastorirt, wurde erst un-
längst wegen Pressvergehens und Uebertretung des
Vereinsgesetzes zu 60 Kronen verurtheilt. Dennoch
nennt ihn der Volksmund als den Urheber der „Los
von Rom "-Plakate, welche unmittelbar vor dem Be-
ginne der Mission überall angeklebt waren. — Die
Mission, die heute in Mariaschein beginnt, ist seit
247
Beginn des Jahres 1902 schon die achte, die im deut-
schen Antheile der Leitmeritzer Diöcese gehalten wird
— jede mit gutem Erfolge. Nur eine Gemeinde hat'
gegen die Abhaltung einer solchen Gnadenzeit bei
weltlicher und geistlicher Behörde protestirt, und
merkwürdig, nicht eine solche, an deren Spitze ein
öechischer Seelsorger steht, sondern ein deutscher
Pfarrer mit einem deutschen Kaplan. — Wo fehlt es
in unserem Vaterlande ? An österreichisch und katho-
lisch gesinnten Lehrern und Beamten. Sollten es diese
Leute nicht bald herausfühlen, wie sie beim Volke an
Achtung und Liebe immer mehr verlieren?
Die „Wartburg", das Organ der Abfallsbewegung,
die der bekannte Lehmann in München verlegt,
brachte in der Pfingstnummer 1902 eine Uebersicht
der Abfallsbewegung in Böhmen. Es zeigt sich aus
diesen Pastoren-Nachweisen, dass das deutsche Süd-
böhmen und Südwestböhmen ebenso, wie das ge-
sammte eigentliche Nordböhmen vom Abfall frei ist.
Der Grund dafür ist wohl, weil dort auch der poli-
tische Schönerianismus und Wolflfianismus nicht festen
Fuss fassen konnte. Dagegen ist das weite Gebiet am
Erzgebirge, vom Egerland über Komotau, Teplitz,
Aussig bei Leitmeritz und Tetschen hin von diesem
Apostatenthum durchsetzt, und die Agitationen der
Auslands-Pastoren in Verbindung mit den vom Aus-
sland hereingeschafften Millionen und den massigen
Agitationsschriften haben ihre Wirkung geäussert.
Relativ betrachtet, ist der „Seelenfang" allerdings
bescheiden genug, aber er hat doch in den citirten
Gegenden und ausserdem im Trautenau-Hohen^lber
Gebiete manchen Katholiken auf andere Wege geführt
und den Vorwand zur Erbauung mehrerer neuer
lutherischer Kirchen oder Bethäuser gegeben. Das
erste Apostasie-Gebiet, das Egerland, zeigt als Haupt-
orte des Abfalls nicht Dörfer, sondern Städte, wie
Asch, Eger, Karlsbad, dann Falkenau und Chodau,
wo neue Pastorate gegründet wurden. Das nächste
Abfall-Centrum ist Komotau mit Anhängseln in Saaz,
Podersam, Kaaden, Horschowitz und Weipert. In
diesem lutherischen Agitationsgebiete gibt es jetzt 6f
statt früher nur einen Pastor, Der dritte Agitations-
248
herd ist Dux mit Teplitz, Turn und Aussig bis Leit-
meritz, von wo die Abfallprediger nach Klostergrab,
Graupen, Karbitz, Boreslau hinüberzugreifen suchen.
Auf dieses Gebiet des Kohlenbergbaues das über 3
Meilen im Durchmesser hat, werden ein Drittel der
Apostasien ganz Deutschböhmens gerechnet. Ein wei-
terer Abfallkessel ist das Trautenau-Langenau-Hohen-
elbe-Gablonzer Gebiet, das am Riesengebirge liegt.
So gering auch die Kopfzahl der circa 10.000 Ab-
trünnigen in Deutschböhmen im Vergleiche zur Ge-
sammtzahl der Katholiken dieses weitgedehnten Ge-
bietes ist, das massige Geld muckerischer Herkunft
aus Deutschland gibt diesem Schöhererthum einen
gewissen Hintergrund. Während es in Deutschböhmen
1898 nur 28 protestantische Pastoren mit 23 luthe-
rischen Kirchen oder Bethäusern für 48 Ortschaften
gab, werden jetzt 54 Pastoren mit 40 protestantischen
Kirchen oder Bethäusern für 108 Orte gezählt* und
die Mittel der Propaganda werden aus dem Nachbar-
reiche mit vollen Händen geboten. Religiöser Sinn
ist bei dem neuen Abfallzuwachs für das Lutherthum
wohl nicht zu erwarten, denn diese Elemente, viel-
fach ungläubig, bleiben, was sie früher waren, kirchen-
lustscheu. Aber die religiöse Zerrissenheit ist nun
doch ins Volk des westlichen und nordwestlichen
Böhmens hineingetragen worden, und dieser Gähr-
stoff wird fortwirken.
XIV. Die rollende Reichsmark.
Es ist bekannt, dass nach dem siegreichen Raub-
zuge Preussens im Jahre 1866 der damalige preus-
sische König Wilhelm darauf bestand, die böhmischen
Länder müssen Preussen einverleibt werden, sich dem
Begehr des Königs Bismark entgegensetzte, indem er
darauf hinwies, dass diese Länder katholisch sind
und das oficiell lutherische Preussen könne derzeit
einen Zuwachs an Katholiken nicht brauchen. Das im
Jahre 1866 unvollendet gebliebene Werk soll durch
die „evangelische" Agitation, die Los von Rom-Hetze
der Vollendung näher gebracht werden.
Die Los von Rom-Agitation braucht viele Geld-
mittel, diese sind unter der Bevölkerung in Oester-
249
reich schwer zu haben, daher wird von Preussen-
Deutschland ausgeholfen. Die rollende Reichsmark
soll ihre Schuldigkeit thun und das oficielle deutsche
Lutherthum hofft für seine Nachkommen reichliche
Zinsen durch Annexion der böhmischen Länder. Ist
doch Preussen im Haupttheile sehr mager und san-
dig, Böhmen so schön, fruchtbar und reich. Die Geld-
mittel für die Abfallsbewegung in Oesterreich fliessen
auf verschiedenartige Weise ein.
Die in Berlin erscheinende „Germania" brachte
am 4. September 1901 folgenden Artikel. Eine Haus-
kollecte in Mecklenburg für die Los von Rom-Bawe-
gung. Die Mittheilung des ,^Mecklb. TagebL", dass
das Ministerium des Grossherzogthums Mecklenburg-'
Schwerin die Genehmigung zur Abhaltung einer Haus-
kollekte für die Los von Rom-Bewegung ertheilt habe,
wird von der „Täglichen Rundschau" bestätigt, und
zwar mit dem Hinzufügen, dass sie „in dem durch
und durch protestantischen Grossherzogthum Mecklen-
burg allerorten freudigen Wiederhall gefunden hat".
Letzteres möchten wir doch, zur Ehre der protestan-
tischen Bevölkerung Mecklenburgs, in Zweifel ziehen;
Um so weniger aber können wir unser Erstaunen
darüber unterdrücken, dass das Ministerium des Grosse
hsrzogthums Mecklenburg-Schwerin kein Bedenken
getragen hat, der allgemeinen Hauskollekte für die
Los von Rom-Bewegung seine Genehmigung zu er:
theiten. Es kann der mecklenburgischen Regierung
doch unmöglich entgangen sein, dass die Los von
Rom-Bewegung in Oesterreich einen ziemlich stark
ausgeprägten antidynastischen und landesverräthe-
rischen Charakter besitzt, wie auch der österreichisch-^
ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand
es am 17. April d. J. offen ausgesprochen hat, dass
„die Los von Rom-Bewegung zugleich eine Los von
Oesterreich-Bewegung sei, die nicht scharf genug be-
kämpft werden könne". Und eine monarchische kon-
servative Regierung sollte mit der Genehmigung einer
Hauscollekte eine solche revolutionäre Bewegung
unterstützen, sollte der Begünstigung derselben den
amtlichen Stempel aufdrücken! Der einzelne Prote-
stant mag es mit seinem Gewissen abmachen, ob er
260
für die Los von Rom-Bewegung, die zugleich eine
Los von Oeslerreich-Bewegung ist, aus konfessionellen
oder politischen Motiven eine finanzielle Unterstützung
gewähren will. Dass sich unter den orthodoxen und
liberalen „Romhassern " Leute finden, die sich kein
Gewissen daraus machen, die Los von Rom-Bewe-
gung in Oesterreich nicht nur mit ihren Sympathien,
sondern auch mit ihren „Liebesgaben" zu unter-
stützen, kann freilich nicht Wunder nehmen. Einsich-
tige und gewissenhafte Protestanten und konservative
Männer von monarchischer Gesinnung, welche nicht
durch Romhass geblendet sind und sich ein ruhiges
und klares "Urtheil über die religiöse, wie über die
politische Bedeutung der Los von Rom-Bewegung in
Oesterreich verschafft und bewahrt haben, werden
derselben weder religiöse noch politische Sympathien
zuwenden und demgemäss auch zu finanziellen „Liebes-
gaben" nicht geneigt sein. Darüber kann ja kein
Zweifel mehr sein, dass die Los von Rom-Bewegung
in Oesterreich nur äusserlich mit einem „religiösen"
Mantel paradirt, um den politischen Kern zu verdecken.
Dass die zum Protestantismus übertretenden Deutschen
in Oesterreich nur von religiösen Beweggründen ge-
leitet sind, um gläubige Protestanten zu werden, wie
es solche in Mecklenburg erfreulicher Weise noch in
grosser Anzahl gibt, wird Niemand glauben, der die
Los von Rom-Bewegung in Oesterreich auch nur
oberflächlich verfolgt hat. Die Führer dieser Bewe-
gung wollen nicht Luthers Lehre annehmen und ein-
führen, sondern in alldeutscher Schwarmgeisterei zum
altdeutschen Wuotansglauben zurückkehren. „Los vom
Christenthum" ist ihre wirkliche Parole. Wir haben
wiederholt auf Aussprüche von den Führen der Los
von Rom-Bewegung aufmerksam gemacht, die das
bestätigen. Noch jüngst schrieb Schönerer in seinen
„Unverfälschte deutsche Worte" das Geständniss: So
lange nicht das ganze deutsche Volk wiederum los
von Rom ist, frei wie vor mehr als tausend Jahren
— so lange muss es um sein Volksthum, um seinen
nationalen Besitzstand bangen. Wir müssen in religi-
öser Beziehung (den Zeit Verhältnissen entsprechend
geändert) wieder auf die Zustände vor Bonifacius ge-
251
langen — nur dann können wir in Bezug auf unser
Volksthum sorglos sein. Diese modernen Wuotans-
verehrer in Oesterreich wollen also vom Christenthum,
und besonders vom orthodoxen Protestantismus in
Mecklenburg nichts wissen. Und da sollen die gläubigen
Mecklenburger Protestanten unter amtlicher Approba-
tion einer allgemeinen Hauskollekte und verleitet durch
eine solche amtliche Genehmigung in ihrer Unwissen-
heit über den wahren Charakter der Los von Rom-
Bewegung in Oesterreich noch zu einer finanziellen
Beisteuer für dieselbe wenigstens indirekt aufgefordert
werden! Wenn man voraussetzen muss, däss das
Ministerium im Grossherzogthum Mecklenburg-
Schwerin durch die Genehmigung einer Hauskollekte
für die „Los von Rom "-Bewegung Niemanden ab-
sichtlich hat täuschen wollen, so kann demselben
doch der Vorwurf nicht erspart werden, dass es sich
selbst getäuscht hat, als es diese Genehmigung er-
theilte. Getäuscht nicht nur über den religiösen, sondern
auch über den politischen Charakter der Los von
Rom-Bewegung in Oesterreich. Der Karbitzer Advokat
Dr. Eisenkolb, auch ein Führer der Los von Rom-
Bewegung, hat noch auf der alldeutschen Versamm-
lung in Eger am 7. Juli d. J. sogar in Gegewart eines
landesfürstlichen Beamten in seinem Aerger über den
langsamen Fortgang der Abfallsbewegung rund heraus-
gesagt : Wir wollen noch den ganzen endlichen Erfolg
dieser Bewegung miterleben, und darum muss die
Bewegung noch in ein rascheres Tempo kommen.
So lange wir nicht alle los von Rom sind, ist auch
eine organische Verbindung mit dem Deutschen Reiche
nicht möglich. Damit hat Dr. Eisenkolb mit mehr als
hinlänglicher Deutlichkeit den wirklichen Zweck der
Bewegung „Los von Oesterreich" kundgegeben, während
das „Los von Roma ihm selbst — und so ist es
auch in der Wirklichkeit — nur als Mittel zum Zweck
erscheint. Was meint das Ministerium von Mecklen-
burg-Schwerin wohl dazu? Wenn aber die Dinge
sich so verhalten, wenn die Genehmigung der Haus-
kollekte für die Los von Rom-Bewegung in Oester-
reich die politische Förderung einer Bestrebung „Los
von Oesterreich" bedeutet, dann gewinnt das Verhalten
252
der Regierung von Mecklenburg*Schwerin eine erhöhte
politische Bedeutung, welche die Grenzen dieses
deutschen Bundesstaats überschreitet und in das Gebiet
der . Reichspolitik in sehr bedenklicher Weise hin-
übergreift. Die Genehmigung einer Hauskollekte an
sich innerhalb der Landesgrenzen ist allerdings zu-
erst Sache der Landesregierung. Aber auch die Reichs-
regierung, welcher verfassungsgemäss die Vertretung
vor dem Auslande, wozu auch Oesterreich gehört^
allein obliegt, wird dadurch in Mitverantwortung und
dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Das Grossherzog-
thum Mecklenburg-Schwerin hat ja keinen besonderen
Gesandten in Wien und kann auch der österreichischen
Dynastie nicht den Krieg erklären, wie es, durch die
Genehmigung der Hauskollekte für die Los von Rom-,
bezw. Los von Oesterreich-Bewegung geschehen ist.
Die mecklenburgische Regierung kann aber auch
nicht verhindern, dass die österreichische Regierung
als eine Art Kriegserklärung ihr Vorgehen betrachtet.
So kommen hier internationale Beziehungen in Be-
tracht, deren Wahrung dem Reichskanzler, bezw.dem
Auswärtigen Amte obliegt. Wir dürfen wohl erwarten,
dass das für alle deutschen Katholiken verletzende und
für die freundschaftlichen Beziehungen des deutschen
Reiches zu Oesterreich störende Verhalten der Landes-
regierung von Mecklenburg-Schwerin bei der zustän-
digen Reichsregierung die entsprechende Würdigung
und Remedur finden wird und dass wir bald in der
officiösen Presse darüber Näheres erfahren. Inzwischen
hat bereits die „Köln. Zeitung" der mecklenburgischen
Regierung ihre Vorhaltungen gemacht, indem sie
unter dem Zweifel, dass die Regierung von Mecklen-
burg-Schwerin wirklich ihre Genehmigung zu der
Hauskollekte für die Los von Rom-Bewegung gegeben
habe, Folgendes schreibt : Es wäre zu bedauern, wenn
das mecklenburgische Ministerium wirklich zu einer
solchen Kollekte seine Einwilligung gegeben hätte. Zu-
nächst ist es allgemein bekannt, das die österrei-
chischen massgebenden Kreise der Los von Rom-
Bewegung ^ keineswegs freundlich gegenüberstehen,
tmd das die. höchsten Stellen im österreichisch-unga-
rischen Staate darüber gar keinen Zweifel gelassen
263
haben. Nun scheint man freilich dort die Bedeutung
der ganzen Bewegung nicht unerheblich zu überschätzen,
da die römische Kirche viel zu fest getagt ist, um
von einer solchen Agitation ernste Qefahr besorgen
zu ;müssen. Wie die. Dinge aber Hegen,- würde eine
von einer amtlichen deutschen Behörde geförderte
Unterstützung; dieser Bewegung in Öesterreich nicht
als eine Freundlichkeit empfunden werden, und es
wäre daher Pflicht des Kirchenregiments, nichts zu
unternehmen, was als ein Eingriff in die Angelegen-
heiten des befreundeten und verbündeten Kaiserreiches
ausgelegt werden könnte. t Wenn aber- die .Kirchenbe-
hörde sich dieser Erkenntniss verschliesst, so sollte
die mecklenburgische Regierung ;^.ls politische Behörde
sich einer Massnahme widersetzen, die solcher un-
freundlichen Auslegung unterworfen werden könnte.
Aber noch aus einem anderem Grunde erscheint eine
solche in Deutschland mit behördlicher {jrlaubniss
unternommene Kirchenkollekte durchaus unsympatisch.
In gewissen Kreisen der katholischen Kirche ist Nei-
gung vorhanden, mit Mitteln, die nicht zu billigen
sind, sogenannte Seelenrettungen vorzunehmen, und
die liberalen und protestantischen Blätter haben nie-
mals verfehlt, sich, wenn solche Fälle vorkamen, mit
aller Entschiedenheit dagegen auszusprechen. rWas
aber die Protestanten bei den Katholiken verürtHeileh,
das sollen sie auch nicht selbst thun, und es, ist eine
yber die Grenzen des Angemessenen hinausgehende
Proselytenmacherei, wenn man durch Gelds^mm-
lungen dazu beizutragen sucht, Katholiken zuip Ueber-
tritt zur protestantischen Kirche zu veranlassen. Wir
Reichsdeutsche haben uns nicht in innere Ange-
legenheiten Oesterreichs einzumischen, . wenn es uns
auch unbenommen ist, nach uiiserjn persönlichen
: Standpunkte den Verlauf .der „Los. yon Rom"-Bewe-
;gung in Öesterreich mit Sympathie p der mit glelih-
.' giltigen Skepticismus zu betrachten. Mecklenburg^ ist
neben Sachsen der einzige Staat in Deutschland, .dem
man mit einigem Recht vorwerfen kann, dasi,3ie
Katholiken in ihm nicht" mit ganz gleichem^ Masse
gemessen werden und in dem die Katholiken sich
beklagen" könnend Schon deshalb sollte ;m$in dessen
254
Klagen nicht noch eine weitere Berechtigung geben
indem man die protestantische Propaganda auch
über die Landesgrenzen hinausträgt. Wenn hier die
politischen Momente ungleich schärfer hervortreten,
als die religiösen, so lässt sich das bei dem wahren
Charakter der Los von Rom-Bewegung in Oesterreich
sehr leicht erklären. Der Eingriff in die Angelegen-
heiten eines befreundeten und verbündeten Staates,
wie er durch die mecklenburgische Regierung ge-
macht worden ist, liegt hier auch nach dem Zeug-
nisse der .Kölnischen Zeitung" so offen zu Tage, dass
die deutsche Reichsregierung gar nicht mehr umhin
kann, öffentlich dazu Stellung zu nehmen. In welchem
schreienden Gegensatze steht aber diese amtliche Los
von Rom-Unterstützung in Mecklenburg zu der Unter-
drückung der katholischen Kirche! Auch das ist ein
dankbarer Beitrag zum Paritätsantrage des Gentrums
im Reichstage.
Am 29. September 1901 brachte die „Germania"
diesen Artikel: Die Los von Rom- Agitatoren. Die li-
berale „Deutsche Zeitung" in Wien, welche einer
Freundschaft für die katholische Kirche nicht im
Mindesten verdächtig ist, hat vor einigen Tagen die
Los von Rom-Agitatoren einer näheren Beleuchtung
unterzogen und dabei nach einer allgemeinen, wenig
schmeichelhaften Charakteristik auch einige ^Details
an das Tageslicht gebracht, die wir allen Freunden
und Gönnern der Los von Rom-Bewegung in Deutsch-
land, besonders aber den Regierungen, welche diese
Bewegung durch Genehmigung von Hauskollekteh
und Sammlungen unterstützen, auch dem Mecklen-
burgischen und Sächsischen Gotteskasten und last
not least dem Herrn Superintendenten Meyer-Zwickau,
dem Vorsitzenden des „Ausschusses zur Förderung
der evangelischen Kirche in Oesterreich," zur ernsten
Beachtung unterbreiten. Es heisst in diesem Artikel
der „Deutschen Zeitung" unter Anderem. . . . Mehr
interessirt jene nicht unbeträchtliche Zahl von Agita-
toren, denen die Abfallshetze ein Geschäft ist, die
Intimen Wolfs und die Knappen Schönerers, welche
überhaupt die Politik als Gewerbe betreiben. Diese
Burschen hatten nie was Rechtes, wovon sie lebten,
255
sie erkannten bald, dass sich aus der protestantischen
Proselyten macherei Kapital schlagen Hesse. Ihnen dient
überhaupt der nationale und freiheitliche Idealismus
des deutschen Volkes als Mittel zum Zweck, sie selbst
haben keinerlei Ueberzeugungen, sondern schroten
blos die herrschenden Meinungen und Strömungen
für ihre persönlichen selbstischen Zwecke aus. Ihnen
ist aber auch „Los von Romu — los von Oesterreich,
eine Präparirung Deutschösterreichs für eine organi-
sche Verbindung mit Preussen. Das haben die Stein,
Eisenkolb, Schönerer auf offener Tribüne einbekannt,
das ist in jeder Nummer der ,U. d. W.u zu lesen. Mit
reichsdeutschem Gelde wird denn auch die Agitation
unterhalten. Wir haben bereits auf die Hauskollekten
des Evangelischen Bundes hingewiesen und von der
rollenden Reichsmark in verschiedenen Einzelfällen
erzählt. So erschienen auch bei der Karbitzer Kirchen-
weihe Superintendent Meyer aus Zwickau und Ober-
konsistorialrath Dr. Dibelius aus Dresden. Der erstere
überbrachte ein Geschenk von 10.000 Mark, der letztere
ein solches von 2000 Mark. Auch andere Pastoren
überreichten Spenden. Ebenso haben wir das Treiben
der Münchener Odinleute und ihre merkwürdigen
Geldmanipulationen einmal geschildert, die ihnen und
anderen gestatteten, drei Millionen Flugblätter nach
Oesterreich zu schmuggeln. Verlässlichen Angaben
zufolge hat der Gustav Adolf-Verein in drei Jahren
weit über eine Million Mark nach Oesterreich ge-
sandt. Nun soll nicht behauptet werden, dass der
Kassettenmann und seine Clique alle die Unsummen
verschlungen haben. Das meiste davon ging auf Kir-
chenbauten und auf die Besfallung der Seelsorger
auf. Immerhin blieb ein beträchtlicher Bruchtheil der
Unterstützungssummen für die „Los von Rom "-Be-
wegung den Agitatoren in Wort und Schrift. Es ist
ja auch klar: In Böhmen fristen heute ein Dutzend
alldeutsche Lokalblätter mit einem jährlichen Ge-
sammtdeficit von mindestens 60.000 Kronen ihr Da-
sein. Diese beziehen von den evangelischen Muckern
für die Uebertritts Propaganda Subventionen, die dieses
Deficit reichlich decken. Desgleichen die alldeutschen
Versammlungsredner, weshilb sich die Schriftleiter
236
und Wanderprediger aus der Wolf-Schönerer-G§sell-
schaft der Ptoselytenraacherei so lebhaft annahmen.
Dass die Wolf-Clique durch die Sammelbüchsen und
Spenden (10.000 Markspende durch Bergwerksdirektor
Mehlhardt u. v. a. m.) grosse Summen zusammen-
schnorrte, ist bekannt, nicht minder, dass der All-
deutsche Verband, der ewigen Subventionirungen
müde, das Wolf-Organ in eigene Regie übernehmen
wollte. Weniger bekannt ist z. B., dass unter der
Lehrerschaft Deutschböhmens für den Abg. Schreiter
Geld gesammelt wurde, da derselbe bis über den
Kopf verschuldet war. Damals schrieb uns ein hier-
über entrüsteter Lehrer: „Schreiter wende sich in
seiner finanziellen Bedrängniss an den Millionär Schö-
nerer oder an Wolf, der durch seine Sammelbüchsen
schon erkleckliche Summen hereingebracht hat, oder
wende sich doch an den Gustav Adolf- Verein oder
den Evangelischen Bund in Deutschland oder auch
an die reichen Juden; für die Interessen aller dieser
arbeitet er ja mit Feuereifer. Die Lehrerschaft Deutsch-
böhmens, die ja unablässig um eine Gehaltsaufbes-
serung sich bemüht, hat ihr Geld für solche persön-
lichen Zwecke nicht übrig. An diesen Sammlungen
und Spenden wäre gewiss nichts Besonderes auszu-
setzen, wenn nicht durch die Art der damit betrie-
benen Hetzagitation der üble Beigeschmack ent-
stünde" ....
Es sind eigentlich keine neuen Enthüllungen,
welche die „Deutsche Zeitung" hier bringt, sondern
ihre Ausführungen bestätigen nur, was über den
wahren Charakter der Los von Rom-Bewegung und
'über die Los von Rom - Agitatoren in Oesterreich
'Sowohl, wo man den betreffenden Verhältnissen und
Personen näher steht, als auch im deutschen Reiche
bereits .zur Genüge bekannt war und von uns wieder-
-hölt ausgeführt worden ist. Rekapituliren wir die
Ausführungen der „Deutschen Zeitung" über die „nicht
unbeträchtliche Zahl" von „Los von Rom "-Agitatoren
ün Oesterreich, so ergibt sich: dass denselben „die
'Äbfallshetze ein Geschäft" ist und dass sie „aus der
^protestantischen Proselytenmacherei Kapital zuscWä-
' $en" .suchen; dass:„sie selbst keinerlei Ueberzeug^ngen
257
haben", dass ihnen „Los von Rom — Los von Oester-
*reich ist, eine Präparirung Deutsch-Oesterreichs für
die organische Verbindung mit Preussen", dass „mit
reichsdeutschem Gelde die Agitation unterhalten"
wird, dass von den Unsummen dieses Geldes nach
Abzug der Kirchenbaukosten und Seelsorgerbestallun-
gen immerhin noch „ein beträchtlicher Bruchtheil
der Unterstützungssummen für die Los von Rom-
Bewegung den Agitatoren in Wort und Schrift bleibt",
dass auch die böhmischen Lokalblätter für die Ueber-
tritts-Propaganda Subventionen erhalten und desglei-
chen die Wanderredner aus der Wolf-Schönerer-Ge-
sellschaft, welche sich der „Proselytenmacherei" so
lebhaft annahmen.
Diese von der „ Deutschen Zeitung" festgestell-
ten Thatsachen betreffs der Los von Rom- Agitatoren,
die sich nach dem anderweitig vorliegenden Material,
namentlich bezüglich des irreligiösen und antichrist-
lichen Charakters der Los von Rom-Bewegung noch
leicht ergänzen Hessen, — das liberale Wiener Blatt
scheint darauf weniger Gewicht zu legen, — werden
wohl nicht mehr bestritten, jedenfalls aber nicht
widerlegt werden können. Wollen die „Mecklen-
burger Nachrichten" nun nicht endlich zugeben,
dass „ein beträchtlicher Bruchtheil" der vom Mecklen-
burgischen und Sächsischen Gotteskasten in Folge
der von den Regierungen in Mecklenburg und
Sachsen bewilligten Kollekten zur Unterstützung der
Los von Rom-Bewegung aufgebrachten Gelder für die
Uebertritts-Propaganda und Proselytenmacherei der
Agitatoren in Wort und Schrift verwendet wird?
Und wenn den mit reichsdeutschem Gelde subventio-
nirten Agitatoren „Los von Rom" — los von Oester-
reich ist, eine Präparirung Deutsch-Oesterreichs für
die organische Verbindung mit Preussen", ist dann
nicht diese Los von Rom-Bewegung eine dynastie-
feindliche und landesverrätherische Bewegung? Kann
da die deutsche Reichsregierung, die das Bundes-
und Freundschaftsverhältniss zwischen dem Deutschen
Reiche und Oesterreich ungeschmälert erhalten will,
ruhig zusehen, wie einzelne Landesregierungen durch
ihre Förderung der Los von Rom-Bewegung Oester-
17
258
reich brüskiren und an den Bestrebungen zum Ruin
der habsburgischen Dynastie mitarbeiten?
Reichsdeutsche Blätter brachten im Mai 1901
folgende Notiz: Der Ausschuss des ostpreussischen
Zweiges des deutschen Hilfsvereines für die evange-
lische Bewegung in Oesterreich hatte in der Weih-
nachtswoche vorigen Jahres etwa 2000 Mark an die
kleinen und bedrängten evangelischen Gemeinden,
die jetzt in Oesterreich neu entstehen, vertheilen
können, 1000 Mark gab er an sein Pathenkind Krems
dort zu Besoldung des evangelischen Vikars. Im Laufe
des Winters waren dem Ausschusse weitere Gaben im
Betrage von rund 3500 Mark zugeflossen und eine
in dieser Woche gehaltene Sitzung konnte über die
Verwendung dieser Summe beschliessen. Man einigte
sich dahin, wieder in erster Reihe das Pathenkind
Krems zu bedenken, und zwar durch Festlegung eines
Kapitals von 2500 Mark, dessen Zinsen wiederum
für den Unterhalt des dortigen Geistlichen bestimmt
wurden. Die Beschlussfassung über die weiteren 1000
Mark wurde noch ausgesetzt, da man noch Anträge
von einzelnen österreichischen Gemeinden abwarten
wollte. Jene Festlegung geschah darum, weil einmal
in den Geschenken, die dem Ausschusse zugegangen
waren, die Zuwendung eines ungenannt bleibenden
Wohlthäters sich befindet, die ungefähr die gleiche
Höhe hat, also schon gewissermassen ein Kapital ist,
und weil andererseits es vor Allem daran gelegen
sein muss, Alles zu thun, damit dauernd in Krems
ein evangelischer Prediger sei. Es hat deshalb auch
der dortige Vikar, Prediger Monsky, den Kollekten-
ertrag seiner im März durch Ostpreussen gemachten
Predigtreise mit rund 800 Mark zum Grundstock eines
Pfarrdotationsfonds für Krems bestimmt. Auch aus
dieser Notiz geht hervor, wie planmässig von Preussen
aus die sogenannte „Los von Rom"-Bewegung in
Oesterreich unterstützt wird. Und was für Vorkehrungen
trifft man bei uns dagegen?
Die 55te Hauptversammlung des Gustav-Adolf-
Vereines fand 25. September 1902 in Kassel statt.
Deutsch sein, heisst lutherisch sein. So wird wenig-
stens überall gerufen. Aber dem ist nicht so. Der
269
erste Redner war Pastor Duiek aus Kolin in Böhmen.
Wie kommt denn dieser Herr in diese Versammlung?
Wir stellen also den Satz richtig. Lutherisch sein,
heisst international, evangelisch sein, unter der Vor-
herrschaft Preussens. Das Lutherthum strebt einen
grossen Caesaropapismus an für das Haus Hohen-
zollern auf Kosten der Katholiken Oesterreichs. Pastor
DuSek sagte nach der „Vossischen Zeitung" folgendes.
Se. Ehrwürden brachte zunächst einen kleinen Abriss
der Geschichte des Protestantismus in Böhmen, dann
überging er mit der Behauptung ins Aktuelle, dass
sich unter der Cechen dieselbe Bewegung zeige, wie
unter den Deutschen. Den Beweis dafür blieb er frei-
lich schuldig. In jedem Cechen, so behauptete er
weiter, sei ein Zwiespalt zwischen der alten Vergan-
genheit und dem Verdammungsurtheile, welches die
Kirche darüber fällt. Das Volksgewissen werde ange-
blich nicht früher zur Ruhe kommen, als bis es den
alten Grund gefunden haben werde. Die frohe Hoffnung,
die sich nach der Meinung des Herrn Pastors daraus
ergebe, werde aber durchkreuzt von dem Zwist zwi-
schen Cechen und Deutschen. Dieser Zwist hat seine
älteste Wurzel in der Abneigung gegen das nach
1620 eingeführte papistische Verwaltungssystem —
für das man Deutsche verantwortlich machte, und
durch welches das Volk völlig unter das römische
Joch gebeugt werden sollte. Dieses System ist nun
zwar durch die Liberalen in etwas zu Fall gebracht;
aber während die Deutschen bei dem Systemwechsel
wenigstens sich ihre Sprache sicherten, mussten die
Cechen auch dafür fürchten, was ein Grund zu einer
Missstimmung wurde. Aber eine gerechte, Allen das
Recht gebende Verwaltung kann Alles beseitigen.
Heut ist bei beiden gemeinsam der Zug nach Fort-
schritt und beide müssen zusammenstehen, denn
Deutsche und Cechen scheinen in Oesterreich die
fähigsten zur Führung des Staates zu sein. In Böh-
men stehen beide wider einander, ohne dass Einer
den Andern bezwingt. Hetzgeister finden sich in bei-
den Lagern, aber diese müssen beseitigt werden,
dann werden sich die Herzen leichter finden. Zum
Schlüsse gibt der Redner dann eine kurze Uebersicht
17*
260
über die Leiden, welche Deutsche und Cechen ge-
meinsam um ihres Glaubens willen getragen haben,
und knüpft nochmals die Mahnung zur Einheit im
Dienste des Evangeliums an. — Mit diesem Appell
zur Milde und Versöhnlichkeit blieb aber der böh-
mische Redner in der Versammlung völlig vereinzelt,
denn die nachfolgenden Ausführungen sind durch-
wegs von exklusiv national- deutschem Geiste getragen.
In der Abendversammlung führte Superintendent
Karmann, Seh wetz, den Vorsitz. Er schilderte als
erster Redner des Abends die Lage in der Diaspora
Westpreussens, die gleichermassen gegen Polonismus
und Romanismus anzukämpfen habe. Ein Untergang
deutscher und evangelischer Kultur in jenen Gegen-
den sei jedoch nicht zu befürchten, denn wenn auch
die ehemals deutschen Edelleute, wie Hutten-Czapsky,
v. Kalkstein, v. Wollschläger, v. Rossow u. a., unter
der polnischen Herrschaft ihr Deutschthum vollstän-
dig verloren oder aufgegeben hätten, so habe doch
der seinerzeit aus Weslphalen, Friesland, Niedersachsen
u. s. w. eingewanderte deutsche Bauernstand in den
gesegneten Weichselniederungen trotz der jahrhun-
dertelangen harten Verfolgung durch den polnischen
Klerikalismus niemals sein Deutschthum und sein
Evangelium verleugnet und sei noch heute der festeste
Wall gegen -alle deutschfeindlichen und antievangeli-
schen Strömungen. (Lebhafter Beifall.) Aber trotzdem
sei es nöthig, ihnen durch den Gustav Adolf-Verein
Kirchen und Schulen zu bringen, um auch ihrem
Nachwuchs der Väter Glauben zu erhalten. Pastor
May, Cilli, schilderte die Verhältnisse in dieser steier-
märkischen Stadt, die zur Zeit mitten in der Los von
Rom-Bewegung stehe, nachdem sie schon vorher
durch den Universitätsstreit, die Sprachenverordnun-
gen u. a. m. in ihren Tiefen aufgeregt worden sei.
Eine bemerkenswerthe Förderung habe die Bewegung
dort seitens der Katholiken selbst erfahren, die
von ihren Priestern bisher fortgesetzt gequält und getre-
ten worden seien. So sei der Bürgermeister mit seiner
ganzen Familie übergetreten und auch die armen Slo-
venen meldeten sich massenhaft, um des Segens des
Evangeliums theilhaftig zu werden. Vom Amtsblatt
261
der Stadt sei der zum Besuch kommende Erzbischof
sogai* als fanatischer Agent jener Macht bezeichnet
worden, die seit Jahrhunderten Oesterreich beunruhige
und die auf die Ausrottung des Deutschthums in
Oesterreich hinarbeite. Alles das zeige, wie sehr es
unter den Katholiken Oesterreichs gähre, und wenn da
hie und dort Uebertritte erfolgten, so sollte der
Gustav Adolf- Verein für die religiöse Versorgung der-
selben möglichst viel thun, um sie dem neuen Glau-
ben zu erhalten. Redner bittet schliesslich um Unter-
stützung des Cillier Kirchenbaues, zu dem der katho-
lische Bürgermeister bereits den Baugrund kostenlos
überlassen habe. Pastor Correvon, Frankfurt a. M.,
verwies auf das Auftreten Abb6 Bourriers, das in
Verbindung mit den kürzlich erfolgten weiteren Ueber-
tritten von 40 bis 50 französischen Priestern deutlich
zeige, wie auch in Frankreich die Los von Rom-
Bewegung immer weitere Fortschritte mache. Die
Priester seien der Unruhe des katholischen Pfarr-
hauses müde und die Unterstützung der aus der
Kirche ausgetretenen Geistlichen sei dringend nöthig,
da sie meist so ungebildet seien, dass sie nur noch
in niederen Berufen, so als Droschkenkutscher, Ver-
wendung finden könnten. In Paris seien sogar vier
bis fünf ehemalige Geistliche als Rosselenker ange-
stellt. Auch die Thatsache, dass der ehemalige katho-
lische Advokat Reveillon, in dessen Hause der ehe-
malige Priester und jetzige Ministerpräsident Gombes
seine berühmte Rede in Sachen der Kongregationen
gehalten habe, infolge seiner Agitation gegen Rom in
das französische Parlament gewählt worden sei, gebe
doch zu denken. Die Zeichen der Zeit forderten die
Aufmerksamkeit des Vereins heraus. Pfarrer Jaehne,
Kaaden in Nordböhmen, bat um Liebesgaben für die
nordböhmischen Gemeinden, Die Los von Rom-Bewe-
gung habe in diesen Gebieten gegenwärtig mit dem
„Inseratena-Pater Alban auf der einen und der Kon-
kurrenz der Altkatboliken, die sich den Abfall der
Massen ebenfalls zunutze machten, auf der anderen
Seite zu rechnen. Der Pater Alban bekämpfe die Be-
wegung in Inseraten und von der Kanzel herab, wäh-
rend er sich der öffentlichen Debatte stets geschickt
262
entziehe. Er schüchtere die Leute mit der Drohung
ein, dass die Evangelischen alle ins Fegefeuer kämen,
und benütze Unglücksfalle in der Familie von Ueber-
getretenen dazu, um die Uebertrittsbewegung zu ver-
ketzern. Gegenüber solchem Treiben sei die Stärkung
der Uebergetretenen durch eine unermünd liehe Seel-
sorge vonnöthen. Pfarrer Gutemar bat um eine Kirche
und eine Schule für Arko unter Hinweis auf den
Zuzug, den dieser Kurort demnächst aus Deutsch-
land infolge der Eröffnung des kaiserlichen Erholungs-
hauses für deutsche Offiziere erhalten werde.
In der gestrigen zweiten Abendversammlung des
Gustav Adolf- Vereines sprach zunächst, lebhaft be-
grüsst, Pfarrer Andr6 Bourrier aus Sevres über die
Entstehung, Entwicklung u. s. w. der religiösen Be-
wegung in Nordfrankreich, hauptsächlich unter den
katholischen Priestern, und betonte, dass sich heute
schon 800 Personen zu der neuen Lehre bekennen.
Während die deutsche klerikale Presse die Richtig-
keit der französischen Angaben bestreite, gäben die
französischen klerikalen Zeitungen dies bereitwilligst
zu. Selbst der Bischof von Nantes habe es ausge-
sprochen, dass die Bewegung geradezu erschreckliche
Fortschritte mache u. s. w. Ferner melde die Libre
Parole, dass Korsika förmlich überschwemmt sei
von ausgetretenen Priestern. Viele davon, fast alle,
treten in das bürgerliche Leben, vielfach in geringe
Stellen, denn nicht alle können Advokaten, Bankiers
oder Journalisten werden. Man weiss ja jetzt, dass
Ministerpräsident Gombes ein ehemaliger Priester ist,
und. wenn das so weiter geht, dann wird ein ehe-
maliger Priester noch Präsident der Republik werden.
Zwölf der ausgetretenen Priester sind Journalisten
geworden und eine Anzahl renommirter Blätter wer-
den von ehemaligen Priestern redigirt. Grossen Er-
folg hat das Blatt Le Ghretien Frangois erzielt, die
Abonnentenzahl wächst, 3000 Priester in der Provinz
bekommen es jetzt schon zugeschickt und man kann
sicher annehmen, dass es 10.000 Leser hat. Im weite-
ren hob Redner die hohe agitatorische Bedeutung
der Presse hervor und meint, wenn der heilige Pau-
lus heutzutage wieder auf tiig Wulf, käme, würde er
263
— Journalist werden. (Grosse Heiterkeit.) Wie sehr
die Bewegung ins Volk gedrungen sei, beweise der
Umstand, dass man jetzt in Publikum und Presse
schon zwischen Katholik und Christ unterscheide.
Und der Direktor eines renommirten Priester-Seminars
habe bereits erklärt, es genüge nicht katholisch zu
sein, man müsse auch Christ sein. Wenn man etwas
tadelt, so ist es, dass wir aus der Kirche förmlich
ausgetreten sind. Man sagt, wir hätten darin bleiben
und innerhalb derselben eine Reformation vorbereiten
sollen. Es herrscht zwar nicht förmliche Empörung
gegen das Papstthum, aber man findet die Anmassung
des Klerus unerträglich. Man hat uns vorgeworfen,
dass wir zu antiklerikal seien. Wir antworten: Wir
können das niemals genug sein, denn ist nicht auch
Christus antipharisäeriscb gewesen? — Herr Pfarrer
ßourrier wirft dann einen kurzen Rückblick auf seine
Kindheit und Jugend, und wie er Priester geworden
ist und betont, dass seine Jugend durch bittere Thränen
vergiftet worden. Wie ganz anders fühle er sich jetzt
gegen früher, wo er eingeschlossen hinter Kloster-
mauern sass, gebannt durch Vorurtheile, Erziehung
u. s. w., so eine Art von Kirchengeräth. Dass man
es nur wisse: der Priesterstand ist ein grosses Elend,
deshalb: rettet uns! (Beifall.) Redner kommt dann
auf die religiöse Bewegung auf dem Lande zu spre-
chen. Viele Gemeinden haben sich schon von der
kirchlichen Autorität losgesagt oder doch erklärt,
dass sie sich nicht mehr so willenlos fügen wollen
u. s. w. Indem Redner an die Drangsale und das
Heldenthum des 30jährigen Krieges erinnert, bemerkt
er ferner: Und deshalb bin ich zu ihm gekommen,
bei dem Volke Luthers mir Muth zu neuer Arbeit zu
holen, zu einem christlichen Liebeswerke. Ein soziali-
stisches Blatt hat allerdings gesagt, ich sei nach
Kassel gefahren, um mich an die Preussen mit Leib
und Seele zu verkaufen. (Hört! hört!) Allein das Volk
weiss es besser und lacht dazu. (Beifall.) Redner
schloss mit der Mahnung, nicht zu vergessen, dass
auch jenseits der Grenze die Brüder wohnen. Grüsse
von den evangelischen Brüdern in Nordböhmen über-
brachte hierauf der Pfarrer Spannouth aus der Hopfen*
264
stadt Saaz und gab im Anschluss recht interessante
Schilderungen von Land und Leuten, dortigen reli-
giösen Verhältnissen, besonders auch von der eifrigen
Arbeit der Gegner, die alles aufböten, die neu ge-
wonnenen Glaubensbruder wieder abtrünnig zu mä-
chen. Sodann sprach noch Herr Pfarrer Fliedner,
Madrid, der in lebhaften Farben die Verhältnisse in
Spanien schilderte.
In der heutigen zweiten Hauptversammlung wurde
zunächst in eine Debatte über den Geschäftsbericht
des Schriftführers D. Härtung, Leipzig, eingetreten.
Nach einer Begrüssung der Versammlung durch den
Vertreter des lutherischen Landeskonsistoriums Ober-
konsistorinlraths D. Debelius, Dresden, sprach der
siebenbürgische Landeskonsistorialrnth Dr. Teutsch,
Gross-Scheuern, über das Arbeitsfeld der evangeli-
schen Kirche in Siebenbürgen. Die sachsische Kirche
in Siebenbürgen zählt heute 251.380 Seelen. 5000
Seelen befinden sich in der Diaspora des benachbar-
ten Serbien und Rumänien. 1765 zählte man 124.000
und 1863: 188.000 Seelen. Gegenwärtig habe die
siebenbürgische Kirche, die ja von jeher allerlei An-
fechtungen ausgesetzt gewesen sei, schwere Angriffe
von Seiten des Ultramontanismus zu bestehen. Der-
selbe dominire heute in Ungarn und bereite eine neue
Gegenreformation vor. Die österreichischen Jesuiten
durchzögen das Land nach allen Richtungen und er-
freuten sich des Schutzes der staatlichen Autorität,
die sich ganz in den Dienst des Seelenfangs gestellt
habe. Redner schliesst deshalb mit der Bitte, der
siebenbürgischen Kirche nicht zu vergessen. Archi-
diakonus Jakobi, Weimar, berichtete danach über die
drei für die grosse Liebesgabe des Gustav Adolf-
Vereins vorgeschlagenen Gemeinden. Bei der Abstim-
mung erhielt Villach 133, Plantieres-Queuleu 71 und
Wilda-Posen 36 Stimmen. Demnach erhielt Villach
die grosse Liebesgabe im Betrage von 21.980 M.,
während Plantieres-Queuleu 6627 M. und Wilda-Posen
6742 M. erhielt.
Seit seinem Bestände von 64 Jahren hat der
Gustav Adolf- Verein 39,590.417 Mark ausgegeben,
davon kamen nach Oesterreich 11,800.000 Mark, In
265
Oesterreich werden derzeit vorn Vereine 1363 Ge-
meinden unterstützt. Böhmen erhielt bis dato 3 Mil-
lionen Mark, im Jahre 1901 264.000 Mark. Auf der
ganzen Welt wurden an 5060 Gemeinden Unterstützun-
gen vertheilt. Ueber den Ausflug des Kalvinisten
Pastor Sädek nach Kassel schreibt das Hauptorgan
der jungßechischen Partei „Närodni Listy" vom 17.
Juni 1902 folgendes. „Neben Rom ist unserem Volke
ein noch gefährlicherer Feind erstanden in Eerlin,
von wo aus ja der Vernichtungskrieg gegen alle
Slaven unternommen wird. Der evang. Pfarrer Sadek
will das letztere nicht hegreifen und will, dass
alle Evangelische böhmischer Nationalität ihre Natio-
nalität, ihre nationalen Pflichten aufgeben und mit
denen gehen sollen, welche von Schönerer, Iro und
Eisenkolb geführt werden. Wir hoffen, dass alle ehr-
lichen böhmischen Protestanten dem Treiben des
Pastor Sädek sich zur Wehre stellen werden.a So
muss das Organ der jungßechischen Partei seinen
Agitator der böhmischen Protestanten helvetischer
Konfession ermahnen, er soll seine Glaubensgenossen
nicht an Berlin ausliefern. Derzeit sind die grössten
Förderer des Abfalles zum Protestantismus im böh-
mischen Volke die Partei des Professor Masaryk, der
mit Dr. Herben, dem Redakteur des „Gas" dem
Organe dieser Partei zur reformirten Kirche übertreten
sind. Beide Masaryk und Herben wurden in ihren
Gymnasialstudien von katholischen Priestern unter-
stützt, ansonst sie beide heute vielleicht auf einer
Schusterbank sitzen würden-
Die Gustav- Adolf-Stiftung bedachte für das Jahr
1902 folgende Gemeinden in Böhmen, Mähren und
Schlesien: a) fechoslavische Gemeinden Beraun (1000
Mark), Bohuslavice (300), Bojmany (200), Boleho§f
(300), Borovä (300), Chrudim (600), Chvaltice (600),
Cäslav (400), Cernilov (700), Cihost (800), N§mecke
Hofovice, Krupka, Velke Opolany (800), Tfebechovice
(900), Vrchlabi (300), Vysok6 M^to (700), Hor§ice
(500), Hostomice (500), Hronov (1000), Humpolec
(1400), Kladno (600), KläSter, Hradec Krälove (1600),
Kr. Vinohrady (1000), Kolin (1800), Krucemburk (1000).
Krizlice (800), Krounä (600), Kutna Hora (600), Lue-
266
nice (400), Libäice (600), Lysä n. L. (500), Losice
(500), Tisovka (1500), Opatovice (1600), Pardubice
(1200), und andere mehr. Alle diese böhmischen Ge-
meinden sind meistens helvetischer Konfession. Der
Beitrag für das Jahr 1902 ist grösstenteils bestimmt
als Gehalt für den Pastor, Lehrer, oder Abzahlung
des Baufonds und andere. Sämmtliche Industrieorte
Nordböhmens, wie Reichenberg, Aussig, Rumburg,
Klösterle, Saaz, Kaaden, Trautenau und so fort, sind
neben anderen Hunderten von Gemeinden in Oester-
reich im Gabenverzeichnisse aufgeführt. Neben dem
Gustav- Adolf- Verein sorgt um die Finanzierung der
Abfallhetze in Oesterreich, der zweite Verein, es ist
der evangelische Bund. Wir geben hier seine Statu-
ten wieder.
Was will der evangelische Bund? Der evange-
lische Bund ist im Jahre 1886 gegründet worden zur
Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen und
will laut Paragraph 1 seiner Satzungen „gegenüber
den äusseren und inneren Gefahren, welche den
deutschen Protestantismus bedrohen, dazu mitwirken,
dass dem deutschen Volke die Segnungen der Refor-
mation erhalten und immer weiter erschlossen werden".
Er will also Deutschland gegen den Ultramontanismus
schützen. Und zwar will er warnen; zuerst die Prote-
stanten: eure evangelische Kirche, eure protestan-
tische Freiheit ist bedroht; es gilt, der Beeinträch-
tigung der deutsch-evangelischen Interessen durch
Wort und Schrift entgegenzutreten; aber auch die
Katholiken: bleibt christlich und deutsch, lasst euch
nicht jesuitisch und römisch machen; wehren; ab-
wehren die ultramontanen Schmähungen und Ver-
dächtigungen, Angriffe und Uebergriffe; stärken den
evangelischen Geist und evangelisches Leben im
ganzen deutschen Volk, einigen die verschiedenen
kirchlichen Richtungen und Parteien und den end-
lichen Frieden herstellen zwischen allen deutschen
Christen, welcher Konfession sie angehören. Er ruft
allen Evangelischen zu: Einigkeit macht stark! Der
evangelische Bund reicht aber auch allen Bestre-
bungen wahrer Katholicität und christlicher Freiheit
im Schosse der katholischen Tr-- ^- * ndig die Hand,
267
Was bekennt der Evangelische Bund?
Er bekennt sich laut seinem bei der Gründung aus-
gegebenen Programm zu Jesu Christo, dem alleinigen
Mittler des Heils, und zu den Grundsätzen der
Reformation. Was thut der evangelische
B u n d ? Er gibt allen Evangelischen, welche von
der katholischen Kirche bedrängt werden, einen
starken Rückhalt, Ralh und Hilfe. Er verbreitet
Schriften, die für unser gutes evangelisches Recht
und unsere evangelische Kirche eintreten, römische
Ränke aufdecken und Rom kennen lernen. Er unter-
stützt alle Bestrebungen, welche der Rettung der in
ihrem Glauben bedrängten Evangelischen dienen.
Deshalb nimmt er sich besonders der Diaspora-
waisenhäuser und der Diakonissensache an, hat in
Freiburg ein grosses Diakonissenhaus gebaut, stellt
selbst Diakonissen an und gibt Mittel zur Unter-
haltung von Diakonissen und zur Gründung von Dia-
konissenstationen in der Diaspora. Insbesondere hat
sich der Bund der österreichischen Los von Rom-
Bewegung angenommen; er steht den dort übertre-
tenden Gemeinden mit Rath und That bei, sendet
ihnen Geistliche, hilft ihnen Kirchen bauen und unter-
stützt die Bewegung auf jede Weise.
Was sagt die ultramontane Presse
über den evangelischen Bund? Sie klagt :
Der evangelische Bund hat seine Augen überall! Sie
erklärt ihn für durchaus bedeutungslos und jammert
zugleich, sobald wieder eine römische Anmassung
zurückgewiesen oder etwas dem Centrum oder den
Ultramontanen Unangenehmes geschieht. Da hat
wieder der böse Evang. Bund seine Hände im Spiel!
Sie sucht ihn durch Bezeichnungen wie „Hetzbund",
„Nihilistenbund" u. s. w. verächtlich zu machen und
klagt ihn aller möglichen Schandthaten an. Auf einer
Katholikenversammlung in Köln im April 1901 er-
klärte der Hauptredner kurzweg, von Rechts wegen
gehörten alle evangelischen Bundesbrüder ins Ge-
fängniss! Was folgt daraus für den evan-
gelischen Bund? Dass er eine höchst erfreu-
liche Erscheinung ist; dass er segensreich gegen
römische Anmassung wirkt, und dass ohne sein
268
Dasein manches noch schlimmer wäre, als es schon
ist. Wer soll Mitglied des Evangelischen
Bundes werden? Alle diejenigen, welche nicht
wünschen, dass die ultramontanen Ruhmesworte
wahr werden: „Der Papst regiert die Welt!" „Was
wir wollen, geschieht in Deutschland!1 „Katholisch
ist jetzt Trumph!" Alle, denen das Wohl ihrer evan-
gelischen Kirche und ihres deutschen Vaterlandes
am Herzen liegt. Wer kann Mitglied des
Evangelischen Bundes werden? Alle
mündigen evangelischen Deutsche — Männer und
Frauen, — welche die Grundsätze und Zwecke des
Programms billigen, ihren Beitritt erklären und darauf-
hin von einem Vereinsvorstand oder dem Bundesvor-
stände aufgenommen werden. Der Jahresbeitrag ist
mindestens eine Mark, wofür in den verschiedenen
Ländern eigene Bundes-Zeitschriften und Flugschriften
umsonst ausgegeben werden. Wer drei Mark bezahlt,
erhält die monatlich ausgegebene, sehr reichhaltige
„Kirchliche Korrespondenz". Jedes Mitglied, deren es
jetzt 100.000 sind, verpflichtet sich, die Bundeszwecke
in seinen Kreisen nach Kräften zu fördern und be-
kannt zu machen, auch an den Arbeiten und Vereins-
versammlungen soviel als möglich sich zu betheiligen.
Der Cen tra lvor s t and des Evangelischen
Bundes besteht gegenwärtig aus den Herren :
Graf von Wintzingerode-Bodenstein-Bodenstein, Post
Worbis, Vorsitzender; Konsistorialrath D. Göbel-Halle
a. S., stellv. Vorsitzender; Professor Dr. Witte-Halle
a. SM Mühlweg 11, Schriftführer; Senior D. Dr. Bär-
winkel-Erfurt; Landger.-Direkt. Crönert-Halle a. S.;
Pastor Dr. G. Fey-Gösseln bei Stumsdorf ; Geh. Kirchen-
rath D. Fricke-Leipzig; Konsistorialrath Professor D.
Haupt-Halle a. S.; Militäroberpfarrer Konsistorialrath
Professor Dr. Hermens-Magdeburg; Konsistorialrath
D. Leuschner- Wanzleben; Superintendent Meyer-
Zwickau; Kaiserlicher Konsul z. D. Freiherr von
Münchhausen-Gr. Lichterfelde I. bei Berlin ; Professor
D. Nippold-Jena ; Geh. Regierungsrath von Voss-Halle
a. S. ; Professor D. Warneck-Halle a. S.
Der „ Evangelische Volksbote" für das Jahr 1902
im Verlage der Buchhandlung des evangelischen
269
Bundes Carl Braun (etwa Hebräer?) in Leipzig
schreibt über die evangelische Bewegung in Oester-
reich sehr freudig. Er sagt: Die „alldeutsche Partei"
aber, die zuerst von allen den Ruf „Los von Rom"
erhoben und ihn unter ihren Führern Schönerer,
Wolf, Dr. Bareuther u. s. w. unermüdlich weiterträgt,
zog dreimal so stark als vordem in die Hallen ein,
in denen die Geschicke der Völker Oesterreichs sich
entscheiden. Aus 6—7 Abgeordneten, welche sie im
Jahre 1899 zählten, waren es ihrer 21 geworden, und
unter ihnen begegnen wir dem Dr. Eisenkolb, zu
welchem das deutsch-böhmische Volk als dem ersten
religiösen Führer unter den Politikern seiner neuen
Reformationszeit aufblickt Aber auch in den andern
deutschen Parteien, zumal der stärksten von allen,
der „Deutschen Volkspartei", fehlt es nicht an begei-
sterten Vertretern der Bewegung, die es sich zum
Ziel gesetzt, Oesterreich der Segnungen der deutschen
Reformation theilhaftig zu machen. Genannt seien
nur Böheim, der Protestant gewordene Vertreter der
oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, und der
Führer der Altkatholiken Steiermarks, Abgeordneter
Malik. War es da zu verwundern, dass auch die Ver-
handlungen des neuen Reichsraths bisher geradezu
unter dem Zeichen „Los von Romtt standen? Was
niemand ein Jahr vorher auch nur für möglich ge-
halten, haben sie kundgethan: der protestantische
Gedanke hat eine stärkere Vertretung im Parlament
des katholischen Oesterreichs als selbst im Reichstag
des protestantischen Deutschland, wo infolge der
Lässigkeit der protestantischen Wähler und der
Aengstlichkeit ihrer Gewählten heute leider immer
noch das Gentrum Trumpf ist!
Wie reichsdeutsche Pastoren in Böhmen sich
behaglich fühlen, davon ein Beleg. Pastor Wallenstein
aus der Niederau in Sachsen unternahm eine Reise
durch „Deutsch-Böhmerland " und erzählt nunmehr
in einer „Gustav Adolf-Festschrift" seine „Reiseein-
drücke von der evangelischen Bewegung". Der Herr
Pastor fährt zunächst nach Karbitz und traf mit einer
Gesellschaft von deutschen Frauen und Jungfrauen (1)
zusammen. Er erzählt: „Im gemeinsamen Wandern
270
wurden die Deulsch-Böhminen den Reichsdeutschen
innerlich näher gerückt. Jene waren stolz auf ihr
Deutschthum und bekannten mit freudiger Begeiste-
rung, dass sie bei zwangloser Vereinigung gern ein
deutsches Lied anstimmten und beim Singen der
„Wacht am Rhein" ihr deutsches Bewusstsein stärkten,
„den Deutschen zur Ehr', gegen die Gechen zur
Wehr". Das war zur Zeit, wo Rom zur Niederdrückung
seines gewaltigen Gegners, des Deutschthums, es für
gut befand, Cechische Priester in rein deutsche Ge-
meinden zu entsenden. Da gingen dem biederen
deutschen Volke die Augen auf .... Unsere Begleiter
machen uns auf die zahlreichen Kohlengeschäfte, als
auch auf die mitfahrenden jüdischen Gestalten auf-
merksam, deren Liberalismus, religiöse Gleichgiltig-
keit und Geldwucher so schweres Unheil in der Ver-
teuerung der von ihnen mit Beschlag belegten
Kohlen und auch sonst im ganzen staatlichen und
religiösen Leben herbeigeführt hat, dass ausser Ceche
und Jesuit auch der Jude zu den mit aller Gluth
gehassten Leuten gehört. Es ist eine Lust zu hören,
wie man hier sinnt und sorgt, neues Leben zu ver-
breiten, einen Bismarck und Luther dem Volke werth
zu machen. Heil Euch, haltet aus im Kampf und
Strauss. Wir Evangelische im Reiche werden werk-
thätig zur Seite Euch stehen. Lasset uns mitarbeiten
am Fortgang der Bewegung im Verein mit dem
Namen eines grossen Königs! Lasset uns die Bewe-
gung aus der Nähe selbst anschauen, auf dass wir
umso lieber und treuer und standhafter mitarbeiten !
Lasset weiter uns mitfreuen, wenn drüben in Böhmen
oder anderswo die Evangelischen einen Schritt vor-
wärts gethan haben. Sehen und arbeiten und freuen
— welcher Freund des Gustav Adolf-Vereines sollte
dies nicht geloben ! Aber gerade jetzt gilt's zu kämpfen.
Wir wollen mit ihnen kämpfen, für die kämpfen,
ihnen Bresche zu schlagen suchen. Schreiber dieser
Zeilen ward auf das Kampfgebiet Klostergrab hinge-
führt, um in der böhmischen Ostmarkt nach seiner
Kraft in den Kampf mit einzugreifen und der guten
evangelischen Sache einige Dienste zu erweisen. Die
Volkskreise rufen zu uns ins evangelische Sachsen:
271
„Kommt herüber über die Grenze und helft uns!"
Wohl haben wir im eigenen Vaterlande genug zu
thun; aber können wir dabei es übers Herz bringen,
das weite im Böhmerland sich ausbreitende Erntefeld
ohne Arbeiter zu lassen? Damit, dass wir zu ihnen
gehen und ihnen unsere Gaben bringen, entziehen
wir den eigenen Gemeinden nicht die Kraft. Wir
gehen getrost hinüber und fordern andere zum Mit-
gehen auf. Wir sollen und wollen durch Wort und
That, durch persönliche und materielle Hilfe das
erwachte Leben pflegen und fördern und immer
mehr in die rechte Bahn der religiösen Lostrennung
von Rom und Hinwendung zum Evangelium hinein-
leiten. Denn nicht umsonst wohnen wir an der
Grenze des Böhmerlandes."
Der evangelische Bund hat den Gustav Adolf-
Verein zu vervollständigen. Während der Gustav
Adolf-Verein die materielle Versorgung der Kirchen,
Pastoren und Lehrer im Auge hat, übernimmt der
evangelische Bund die Finanzierung der Abfallspresse
und der politisch-religiösen Agitatoren. Es ist sicher,
dass die alldeutsche Presse Oesterreichs ohne die
rollende Reichsmark nicht existiren könnte. Sammelte
man ja doch Liebesgaben für Wolf in Deutschland.
Die alldeutsche Presse in Böhmen allein soll jährlich
an 60.000 Mark von Deutschland an Subventionen
erhalten. Man sieht, dass die Agitation für das officielle
lutherische Preussen - Deutschland von allen Seiten
in Angriff genommen wird. Die verlässlichsten
preussisch-lutherischen Vorposten sind allerdings die
neu erbauten lutherischen und kalvinistischen Kirchen.
Mit einer jeden neuen wächst die Zahl der preussi-
schen Vorposten mitten im Leibe Oesterreichs, sie
sind gleichsam die Bohrwürmer, welche den ganzen
staatlichen Körper Oesterreichs unterwühlen sollen,
bis es ganz unterminirt ist.
XV. Oesterreichs Regierungsmänner und die Los von
Rom-Agitation.
Es ist bekannt, dass im Königreich Sachsen kein
katholischer Priester die hl. Messe celebriren darf,
ohne vorher bei den Behörden um Erlaubniss zu bitten.
272
Königreich Sachsen und vorwiegend protestantische
Theile Preussens gelten denn auch als Missionsgebiete.
Alles das geschieht um den konfessionellen „Frieden"
zu wahren. Wagte es ein Priester die hl. Messe ohne
Erlaubniss zu lessen, so würde er schonungslos mit-
telst Polizei und Gensdarmerie des Landes verwiesen
werden. So scharf wacht das officielle Lutherthum
über seine Gebiete mit Hilfe der Staatsgewalt. In
Oesterreich ist es ganz anders. Zwar ist dieses Reich
zu 90 Percent katholisch, aber nur der Zahl nach,
nicht dem Wesen nach. Wie Staatsmänner Oester-
reichs auf den konfessionellen Standpunkt herab-
schauen, darüber geben uns folgende Ereignisse ge-
nügenden Aufschluss. Anfangs April 1901 brachte das
„Grazer Volksblatt" diese Nachricht: Der Minister-
präsident v. Koerber und die „Los von Romu-Bewe-
gung. Das hiesige socialdemokratische Organ ist in
der Lage, Koulissengeheimnisse aus der Grazer alt-
katholischen Kirchengemeinde auszuplaudern. Unter
anderem erfahren wir, dass der Abg. Malik in der
Kirchenrathssitzung vom 1. April einen Bericht über
seine reichsräthliche Thätigkeit in der „Los von Romu-
Frage erstattete: „Er wusste dabei gar vieles und
Wichtiges mitzutheilen. So habe er neuerlich mit
dem Herrn Ministerpräsidenten Koerber Verhandlun-
gen wegen einer Subvention der altkatholischen Kirche
gepflogen. Der Ministerpräsident sei der Sache auch
gar nicht abhold, meinte aber, dass es mit einer
Subvention aus budgetären Gründen nicht möglich
sein dürfte. Dagegen habe Koerber dem Herrn Malik
versprochen, bei den Altkatholiken eine Abschrei-
bung (!) an den direkten Steuern um jenen Betrag
einzuwilligen, zu welchem diese, obzwar nimmer
römisch - katholisch, zu den römisch - katholischen
Kultuszwecken bei der Steuerbemessung herangezogen
werden. Auch sonst stehe Ministerpräsident Koerber
der altkatholischen Reformbewegung sympathisch
gegenüber. So oft Herr Malik aus Wien zu einer
Gemeindeversammlung oder altkatholischen Kirchen-
rathssitzung kam, wusste er immer so viel zu er-
zählen, was er und auch Reichsrathsabgeordneter
Dr. Eisenkolb (alldeutsch) alles für die altkatholische
273
und für die „Los von Rom "-Bewegung gethan haben.
So habe er mit dem Ministerpräsidenten Koerber
über die altkatholische Kirche und die „Los von
Rom" -Bewegung wiederholt konferirt. Der Herr
Ministerpräsident Koerber stehe der altkatholischen
Bewegung sehr wohlwollend gegenüber und wolle
sie auch unterstützen. Koerber habe ihm (dem
Herrn Reichsrathsabgeordneten Malik) deshalb auch
eine Subvention für die altkatholische Kirche in
Aussicht gestellt. Aber die Sache sei noch nicht
spruchreif von wegen der „klerikalen* Partei. Es
handle sich aber um eine grössere Summe, und er,
Malik, sei seiner Sache sicher." Ein österreichischer
Ministerpräsident als Förderer und Beschützer der
»Lös von Rom"-Bewegung wäre die neueste Errungen-
schaft in der österreichischen Geschichte. Vielleicht
hat der Ministerpräsident noch Gelegenheit, sich dar-
über zu äussern, ob der Bericht des Abg. Malik der
Wahrheit entspricht.
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
4. Juni 1901 sprach Ministerpräsident Dr. Koerber
folgendes. Andere Erörterungen im Laufe der Debatte
bezogen sich theils wirklich auf das konfessionelle
Gebiet, theils wollten sie dem für sich bedauerlichen
aber doch kleinen Vorkommnisse eine erhöhte Be-
deutung geben, indem man sie auf das religiöse
Terrain hinüber spielte. Die Regierung, die, wie ich
wiederhole, die Vorkommnisse dieser letzteren Art
nur lebhaft beklagt, möchte aber doch vor einer
Uebertreibung der Wirkungen solcher Episoden war-
nen, in dem ungleich wichtigeren Falle aber, in wel-
chem es sich um den Glaubenswechsel einer gewissen,
nicht grossen Anzahl von Staatsbürgern handelt, kann
ich nicht umhin nach einem prüfenden Blick in die
Geschichte zu konstatiren, dass wirkliche, tiefgreifende,
mit ernster Gefahr verbundene religiöse Bewegungen
anders aufzutreten pflegen, wenn ich erinnere, mit
welcher Gewalt das Ghristenthum trotz der schwer-
sten Verfolgungen sich die Welt eroberte, und wenn
ich abgesehen von der Rapidität, mit welcher andere
Bekenntnisse sich grosser Reiche bemächtigten, wenn
ich des Tempos gedenke, mit welchem sich spätere
18
274
derlei Bewegungen in Europa vollzogen haben, so
erscheint mir diese Furcht nicht begründet, welche
die Vorkommnisse unserer Tage begleitet und halte
es für ausgeschlossen, dass die katholische Kirche in
Oesterreich irgendwie bedroht ist oder auch nur be-
droht werden kann. Ihre Gewalt über die Herzen ist
zu gross und die Sorge für sie nicht nur in zu si-
cheren Händen, als dass irgend eine Agitation ihr
nahekommen könnte. Wirkliche Umwälzungen sind
stets nur durch neue, der Gedankenwelt und der
Empfindungs weise des Volkes zusagende Ideen her-
vorgerufen worden, während es sich jetzt um die
Bekehrung zu einem in seinem Wesen und seinen
Formen längst bekannten Glauben handelt, dem keine
Leidenschaften mehr voraneilen. Allerdings wenn
eine Ungesetzlichkeit dabei unterliefe, hat die Staats-
verwaltung einzugreifen und die Herren werden wohl
überzeugt sein, dass wir es gegebenen Falls daran
nicht fehlen lassen werden. Ein Uebermass von Polizei
scheint mir unter allen Umständen bedenklich, über-
dies solchen Bewegungen gegenüber unwirksam und
ich glaube, dass die katholische Kirche sich beruhigt
auf ihre Kraft verlassen kann. So weit sprach Dr.
Koerber über die Los von Rom-Agitation. Man muss
sagen, dass er schlau geredet hat und doch auf an-
derer Seite viel zu albern, er selbst wird seinen
eigenen Worten nicht glauben. Das Lob, welches
hier Dr. Koerber der katholischen Kirche in Oester-
reich spendete, ist Scheinlob, ja die ganze Rede
Koerbers ist ein diplomatischer Lug und Trug, um
die Nachlässigkeit der österreichischen Regierungs-
organe zu decken, Ist ja doch Dr. Koerber Busen-
freund der Schoenerergruppe.
Die Judenpresse und die Alldeutschen geizten
denn auch nicht mit dem Lobe für diese Leistung
des Ministerpräsidenten Dr. Körber. Denn so etwas
bringt nur ein Ministr in Oesterreich zu Stande. Das
Organ des Juden Rudolf Mosse, das „Berliner Tage-
blatt4* schrieb darüber folgendes: Ministerpräsident
von Körber über die Los von Rom-Bewegung. In der
gestrigen Sitzung des österreichischen Abgeordneten-
hauses gab der Ministerpräsident von Körber eine
275
bedeutsame Erklärung über die Los von Rom-Bewe-
gung ab, wodurch er die von den Klerikalen verlangte
Unterdrückung der Bewegung durch polizeiliche Macht-
mittel ablehnte. Aus Wien wird darüber telegraphirt :
Das Abgeordnetenhaus setzte in der gestrigen Abend-
sitzung die Berathung des Budgetprovisoriums fort.
Der Deutschfortschrittler Gross sprach die Geneigtheit
zum nationalen Friedensschluss aus unter der Vor-
aussetzung, dass die tschechische Bevölkerung ihre
nationalen Eroberungsgelüste aufgebe. Nachdem der
Sozialdemokrat Rieger gegen und Treuinfels Namens
des Centrums für das Budgetprovisorium gesprochen
hatte, hob Ministerpräsident von Körber hervor, er
werde nicht erlahmen, das verfassungsmässige Leben
zu sichern, dem Gesetze für und gegen Jedermann
Geltung zu verschaffen, das Ansehen der Volksver-
tretung, soweit es an ihm liege, zu mehren und die
Verwaltung zeitgemäss, nur wohlwollend und mit
Festigkeit zu führen. „Wir werden," fuhr der Minister-
präsident fort, „niemals gegen das deutsche Volk in
Oesterreich, gegen kein Volk dieses Reiches regieren,
wir wollen Gerechtigkeit für alle Völker. Darin er-
blicken wir unsere politische Ehre, die wir unbefleckt
erhalten werden. Ein nationalpolitisches Programm
mag wohl hohen Werth für einen national einheit-
lichen Staat haben, taugt jedoch nicht für ein Reich,
dem so viele Nationalitäten angehören, weil es zu
einer Spaltung in lauter schwache, einander bekäm-
pfende Theile führen würde. Wir sind zu der Erkennt-
niss gelangt, dass die gemeinsamen Interessen aller
Nationalitäten, ihre kulturellen, materiellen und so-
zialen Aufgaben zusammengefasst und in den Vorder-
grund gestellt werden müssen, weil sie ohne Schädi-
gung des nationalen Gedankens die Völker zu ver-
binden im Stande sind". Die Los von Rom-Bewegung
berührend, betonte der Ministerpräsident, dass wirklich
tiefgreifende, mit ernstlichen Gefahren verbundene
Religionsbewegungen anders aufzutreten pflegten. Red-
ner hält es für ausgeschlossen, dass die katholische
Kirche in Oesterreich irgendwie bedroht sei oder
auch nur bedroht sein könne, ihre Gewalt über die
Herzen sei zu gross. Wenn dabei allerdings Ungesetz-
16*
276
lichkeit unterlaufe, habe die Staatsverwaltung einzu-
schreiten, und die Regierung werde es gegebenenfalls
daran nicht fehlen lassen. Ein Uebermass von Polizei
erscheine aber bedenklich und überdies bei solchen
Bewegungen unwirksam. Die katholische Kirche könne
sich ruhig auf ihre Kraft verlassen. Redner setze
voraus, dass das patriotische Moment bei allen Parteien
volle Berücksichtigung finde. Ueber die büdgetären
Konsequenzen des Regierungsprogrammes erklärte der
Ministerpräsident, dass die Regierung ein Deficit in
den Staatshaushalt nicht werde einziehen lassen.
(Beifall.) Er betonte die Nothwendigkeit eines defini-
tiven nationalen Friedensschlusses zwischen den
Parteien. Die Volksvertretung, welche eine mächtige
Lebenskraft zur wirthschaftlichen Wiederaufrichtung
des Reiches gefunden habe, werde sich nicht den
Ruhm entgehen lassen, die politische Ordnung wieder-
hergestellt zu haben. Die Regierung habe keine höhere
Pflicht, als die Wege hierzu zu ebnen. (Lebhafter
Beifall im ganzen Hause.)
Nachdem noch mehrere Redner gesprochen hatten
wurde die Verhandlung abgebrochen und die Sitzung
um 1 Uhr Nachts geschlossen. Der Eindruck der
Rede des Ministerpräsidenten von Körber ist im
ganzen Lande ein sehr bedeutender. In liberalen
Kreisen Oesterreichs erblickt man darin eine direkte
Kundgebung des verantwortlichen Staatsleiters gegen
den Erzherzog Franz Ferdinand und seine bekannter-
massen von der Regierung nicht sanktionirten Aeusse-
rungen bei Uebernahme des Protektorats über den
katholischen Schul verein. Von unserem Wiener Kor-
respondenten erhalten wir dazu folgendes Privat-
Telegramm : Das meiste Aufsehen erregte in der ge-
strigen Rede des Ministerpräsidenten von Körber jene
Stelle, wo Körber über die Los von Rom-Bewegung
sprach, ohne sie bei diesem Namen zu nennen. Man
betrachtet diese Stelle als gegen den Erzherzog Franz
Ferdinand und gegen seine Reden bei der Ueber-
nahme des Protektorates des katholischen Schulver-
eins gerichtet. Die Worte des Ministerpräsidenten
wurden von den freisinnigen Parteien mit lebhaltem
Beifall aufgenommen.
277
Die „Neue Freie Presse" schreibt hierüber: Der
Ministerpräsident hat ganz freimüthig gesagt, dass
er angesichts der riesigen Macht der katholischen
Kirche gewisse Vorkommnisse der letzten Zeit für#
gerechtfertigt halte. Zu diesen Vorkommnissen gehört
auch die Begründung, mit welcher der Erzherzog
Franz Ferdinad das Protektorat über den katholischen
Schulverein übernommen hat. Der Erzherzog hatte
gesagt:- Die Los von Rom-Bewegung sei zugleich
eine Los von Oesterreich-Bewegung und könne nicht
genug bekämpft werden. Der Standpunkt des Minister-
präsidenten ist durchaus entgegengesetzt. Körber er-
klärt, er werde ungesetzliche Ausbreitungen mit der
höchsten Energie niederhalten, glaube jedoch nicht,
dass die befürchtete Gefahr wirklich drohe. Die katho-
lische Kirche ist nach der Meinung des Herrn von
Koerber und in Wahrheit so mächtig, dass sie wirklich
keine Gefahr zu fürchten hat. Es war ein dringendes
Bedürfniss, dass der Ministerpräsident sich über die
Frage mit voller Klarheit geäussert hat. Täglich werden
die Worte des Erzherzogs nicht allein benutzt, sondern
verfälscht und missbraucht, um den religiösen Streit
anzufachen und den Schein hervorzurufen, als wäre
die österreichische Gesinnung die besondere Eigen-
thümlichkeit und das Vorrecht einer Partei, die sich
aus tiefem moralischen Niedergange wieder in die
Höhe schmeicheln will, und deren Fäulniss die sitt-
lichen Anschauungen der katholischen Kirche genau
so beleidigt, wie die Kultur und Menschlichkeit. Der
Ministerpräsident hat die widerwärtigen Denuncia-
tionen dieser Partei gebrandmarkt, indem er sagte,
dass ihm ein Uebermass von Polizei unter allen Um-
ständen bedenklich scheine. Man sieht, wie das Juden-
blatt schmunzelt, dass in Oesterreich der Minister-
präsident mächtiger ist als der angehende Herrscher,
dass höchst berufene Hüter des Staates de facto
seine grössten Schädiger sind. Das hat denn auch Ab-
geordneter Dr. Kramaf in den Delegationen in einer
längeren Rede bewiesen. Dr. Kramaf hielt Anfangs
Juni 1902 in den österreichischen Delegationen eine
längere Rede über die Los von Rom-Agitation.
Die Rede des Abgeordneten Dr. Kramaf hat denn
278
auch ihre Wirkung gehabt, sie hat den oesterreichi-
schen Minister des Aeussern Grafen Goluchowski von
Goluchowo aufgerüttelt und in seiner Ruhe gestört. .
.Diesem Minister wurde in den Delegationen vorgeworfen
dass er sein Amt meistens im Schlafrock und der
Schlafhaube versieht. Das hat er denn auch wirklich
mit seiner Antwort auf die Rede des Dr. Kramäf
bewiesen. Man höre nnd staune, wie ein oesterreichi-
scher Minister Fragen behandelt, die den Staat bis
in sein inneres Mark aufrütteln. Goluchowski ant-
wortete: Der Deligierte Dr. Kramäf hat in einer
langen Rede die „Los von Romu- Bewegung erörtert
und mich aufgefordert, auch bei der Bekämpfung
mitzuwirken. Ich muss gestehen, dass ich nicht weiss,
in welcher Form ich seiner Aufforderung nachkommen
kann.
Dass diese Bewegung besteht, das leugne ich
nicht; ich leugne auch nicht, dass es evangelische
Vereine gibt, insbesondere den Gustav Adolf- Verein,
die diese Bewegung unterstützen. Das sind private
Angelegenheiten. Soweit es sich aber um die deutschen
Regierungen, und zwar die preussische, sächsische,
bayerische handelt, kann ich nur konstatieren, dass
sie ausserordentlich korrekt vorgegangen sind und
mir keinen Anlass gegeben haben, in dieser Hinsicht
aufzutreten. Es kann ja vorkommen, dass diese Agi-
tation, die Vorstösse dieser evangelischen Vereine in
Oesterreich nicht immer mit den hiesigen Gesetzen
übereinstimmen. Da ist es Aufgabe der österreichi-
schen Regierung, dagegen aufzutreten und solche
Uebelstände abzuschaffen. Es ist allerdings wahr und
bedauerlich, dass wir, was die Vikare anbelangt, auf
den Zuzug aus der Fremde angewiesen sind. Aber
das hängt mit der Thatsache zusammen, dass wir in
Oesterreich nicht das genügende Material erziehen,
und wenn ich nicht irre, hat das Protestantenpatent
vom Jahre 1864 die Verfügung getroffen, dass, soferne
diejenigen Seelsorger, die für die evanglischen Ge-
meinden nothwendig sind, nicht in Oesterreich erzogen
werden, sie aus dem Ausland bezogen werden können.
Selbstverständlich haben diese Seelsorger sich hier
korrekt zu benehmen. Thun sie das nicht, so ist es
279
Sache der österreichischen Regierung, dagegen auf-
zutreten und die notwendigen Massregeln zu treffen.
In China würde man einen solchen Grossmann
darin nach einer derartigen Leistung den anderen
Tag ganz einfach um den Kopf kürzer machen. Aber
wir sind ja in Oesterreich. Ein reichsdeutsches Blatt
quittirte denn schmunzelnd diese Leistung Golu-
chowski's mit folgenden Worten; „Diese Aeusserungen
gewinnen an Wert, wenn man im Auge behält, dass
die unter der Flagge „Gegen die Los von Rom-Be-
wegung" von den Tschechen und Polen nach Deutsch-
land hin unternommenen Vorstösse den Zweck haben,
das Deutschthum in dem Augenblicke im Südwesten
des Reiches zu erschüttern, indem Preussen im
Nordosten gegen die grosspolnische Agitation mit so
grossen Opfern Schutzwälle für das Reich errichten
muss". Wie anders haben Oesterreichs Herrscher gleich
beim Auftreten des Protestantismus und einem Ein-
dringen nach Oesterreich die Gefahren erkannt und
rechtzeitige Abwehr ergriffen. Selbst der nachgiebige
Kaiser Rudolf wehrte sich gegen das Eindringen der
Pastoren. Er liess ein Mandat gegen die Pastoren
publiciren, dessen Wortlaut wir hier anführen.
Mandat an die Evangelischen Prediger
im Lande. Wir Rudolf der andere von Gottes
Gnaden erwählter Römischer Kayser, zu allen Zeiten
Mehrer des Reichs etc. fügen N. allen und jeden un-
catholischen Prädicanten, so sich bissher in unserm
Stätten und Märkten, Herschaften, wie auch in unsern
der Geistlichen und Gatholischen Stände und Land-
leuth Kirchen und Pfarhen hin und wieder in unserm
Ertz-Herzogthum Oesterreich ob der Enss aufgehalten,
denen diss unser offen General fürkommt, zu Wissens,
Ob wir wol nach verschienen 97 Jahrs allen unsern
nachgesetzten Obrigkeiten, Ständen, Landleuthen und
Unterthanen durch unsere publicierte offene General
und Mandata ernstlich befohlen, alle Prädicanten,
die in Oesterreich ob der Enss bei unserm und der
Gatholischen Stände Pfarhen oder sonst eingeführt
und ausgestelt worden, oder sich eingetrungen haben,
aufnehmen und bestellen lassen, alsobald abzuschaffen
und feiner nicht aufzuhalten oder zu gedulden, son-
280
dem auf dieselbe gute fleissige Achtung zu geben,
und, da sie nach Publicierung obberührter unserer
Kayserlicher Patenten im Land antroffen oder betretten
werden, sie gefänglich einzuziehen, die Pfarren durch
diejenigen, denen sie zugehörig und von Alters zu
bestellen gebührt, mit tauglicheu Priestern und Pfar-
herrn ersetzen und bestellen zu lassen, ferners und
mehrers Inhalt solcher unserer aussgangenen Patenten.
So haben wir doch bisshero im Werck befunden,
dass Ihr, die Prädicanten ungeachtet jetzt angezogener
und anderer von Uns hernach beschehenen Verordnung
Euch in unterschiedlichen unser Stätten. Herrschaften
und Märckten, auch andern Unsern und der Geistlichen
und Catholischen Ständen zugehörigen Oertern und
Pfarren noch biss dato ein Weg als den andern ver-
messentlich und ungehorsamlich aufgehalten, und
alle unsere Kayserliche und Landsfürstliche Mandata
und Befelch bisher in Windeln geschlagen habet.
Wann uns aber tragenden Ammts und Gewissens
halber solches keines wegs länger zuzusehen noch
zu gedulden ist hierum so gebieten Wir Euch den
obbemelten Prädicanten samt und sonders hiemit
von Römisch Kayserlicher und Landsfürstlicher Macht
und wollen, dass ihr innerhalb 8 Tagen den nähesten,
nachdem diese unsere leztte Warnung und Mandat
verkündet und publiciert wird, Euch aus unserm
gantzen Ertzhertzogthumb Oesterreich ob und unter
der Enss alsbald begebet, und weiter drinnen keines-
wegs aufhaltet oder betretten lasset. Denn da einer
oder der ander diesem nicht nachkommen würde, so
solle der oder dieselben als ungehorsame alsgleich
gefänglich eingezogen und an Leib und Guth £e-
straffet werden. Weil wir auch zu mehrmalen berichtet
worden, wasgestalt in gedachten unserm Ertzhertzog-
thumb Oesterreich ob der Enss sich viel apostasirte
Priester, Mönch und Ordens-Persohnen hin und
wieder im Land, so wohl bev unsern Landleuten,
als unsern eigenthümblichen Stätten, Herrschafften,
Märckten und Pfarren aufhalten, und vor andern
wider unsere Catholische Religion und derselben zu*
gethane geistliche und weltliche Obrigkeit und Vor-
steher öffentlich gantz schimpfflich und ärgerlich pre-
281
digen, dardurch gegen gemeinen Mann und Layhen
nit- allein schändlich verführen, sondern auch in
Irrthum stecken, verbittern und zu allem Ungehorsam
und Halsstarrigkeit Ursach und Anleitung geben, so
ist hiemit weiter unser ernstlicher Befelch, Willen
und Meinung, dass alle und jede apostasierte Priester,
Mönch oder Ordens-Persohnen sich alsbald hinweg
aus dem Land machen, dasselbige räumen und dar-
innen keines wegs länger aufhalten wollen, von
einigen Landleuten, Pflegern, Stätten, Märckten oder
Gemeinden, vielweniger von unserm Amtleuthen,
Officirn und Dienern im Land, wer die auch seyen,
und unter was Schein es seyen möcht, aufhalten,
sondern alsbald abgeschafft werden sollen, alles bey
Vermeidung unserer Kayserlichen Ungnad und Leibs-
Strafif auch den Poen geklagten Gewalts, so nit allein
dem Ordinario und dem Prälaten, sondern auch
einem jedweden Interessirten einzubringen bevor-
stehen solle. Wie wir denn unserm Landshauptmann
und den Landräthen hiemit ernstlich auferlegen und
befehlen, drauf schleunig zuerkennen, und wo sie
dergleichen Persohnen betretten, dieselben gefänglich
einziehen zu lassen, und fürters dem Ordinario oder
ihrem Professori zuzuliefern, auch alles dasjenige,
was zu Straflfung solcher glaubbrüchigen und schäd-
lichen Persohnen von nöthen ist, unnachlässig und
alles Fleiss fürzunehmen und zu exequiren. Das
meinen wir ernstlich. Geben auf unserm Schloss zu
Podiebradt den 18. Octobr, Anno 1598, unserer Reiche
des Römischen im 23, des Hungarischen im 27 und
des Boheimischen im 24.*) Rudolph.
Bekanntlich haben die Abfallführer für ihre Agi-
tationen den Kaiser Josef IL für sich und ihre un-
sauberen Zwecke in Beschlag genommen, aber ganz
mit Unrecht.
Es sei hier ausdrücklich erwähnt, dass Kaiser
Josef II. anbefahl, dass auch in jenen Ortschaften,
wenn sie auch nicht 700 Einwohner zählen, eine ka-
tholische Pfarrei zu errichten sei, wo für die Katho-
liken wegen des engen Zusammenwöhnens mit Pro-
testanten eine Gefahr des Abfalls bestehen möchte.
*) Raupach, Das evangelische Oesterreich.
282
XVI. Die Los von Rom-Agitation und der konfes-
sionelle Standpunkt.
Auf den berechtigten Hinweis, dass die Los von
Rom-Agitation nichts anderes sei als eine feindliche
Invasion des oflciellen lutherischen Preussenthums
nach Oesterreich, wollen seine hervorragenden Treiber
behaupten, sie hätten dabei nur die Absicht das
„reine Evangelium" zu verbreiten. Pastor Bräunlich
sagt in seinem Flugblatt: „Die Zustände in der deutsch-
evangelischen Kirche Oesterreichs" (bei Lehmann in
München 1902) unter anderem folgendes: Eine evan-
gelische Kirche hatte aufgehört in Oesterreich zu exi-
stieren, seitdem der dreissigjährige Krieg mit ihren
letzten Resten aufgeräumt hatte. Erst im Jahre 1707
war durch König Karl XII. von Schweden, und zwar
zunächst für Schlesien, ein neuer Grund zu ihr ge-
legt worden. In der Altranstädter Konvention hatte
dieser Erbe Gustav Adolfs den Kaiser Josef I. dazu
genötigt, von 1000 einst den Evangelischen entrissenen
Kirchen ihnen 120 zurückzugeben und ausserdem den
Bau von sechs ,; Gnadenkirchen" zu gestatten. Von
diesen sechs steht heute nur noch eine einzige, die
von Tetschen, auf österreichischem Boden. Sie, die
8000 Zuhörer fasst, ist als die Mutterkirche der gegen-
wärtigen Kirche der Reformation in Oesterreich zu
betrachten. Diesem Rettungswerk des Schweden-
königs ist es zu verdanken, dass es in Oesterreich-
Schlesien heut 90.000 Protestanten gibt, d. i. 20%
aller österreichischen Protestanten oder 14% der Be-
völkerung dieses Kronlandes. Sonst erhielt sich auf
heut österreichischem Gebiet der Protestantismus nur
in dem bis 1772 zu Polen gehörigen Biala, auf den
Besitzungen der Grafen von Zedtwitz im Ascher Land-
zipfel und in dem durch Karl VI. zum Freihafen er-
hobenen Triest. Neue Protestantengemeinden kamen
zu diesen durch besondere Umstände bewahrten
alten hinzu, als Maria Theresia seit 1772 deutsche
Ansiedler in das Polen abgenommene Galizien rief.
Zwar nicht öffentliche, aber doch wenigstens eine be-
schränkte private Religionsübung gestattete endlich
der edle Kaiser Josef II. in dem berühmten Toleranz-
edikt vom 13. Oktober 1781 seinen protestantischen
283
Unterthanen. 74.000, die für katholisch gegolten, traten
damals in den verschiedenen Theilen und Volks-
stämmen Oesterreichs (so besonders auch in Kärnten,
Steiermark und Oberösterreich) mit ihrem evange-
lischen Bekenntniss hervor. Ihre Lage blieb eine in
vielfacher Hinsicht ausserordentlich beengte, bis das
kaiserliche Patent vom 4. März 1849 endlich Glaubens-
freiheit und öffentliche Religionsübung zugestand, um
freilich schon zweieinhalb Jahre später von der trau-
rigen Reaktions- und Konkordatzeit (1855) wieder
verdrängt zu werden, welche alles bisher Erlangte in
Frage stellte und heute noch als eine Zeit der Recht-
losigkeit Beängstigung erregend in der Erinnerung
der protestantischen Generation fortlebt, die jene
Tage mit eigenen Augen gesehen.
Nach den Niederlagen auf den italienischen
Schlachtfeldern brach der Tag der Freiheit für unsere
Glaubensgenossen in Oesterreich mit dem Erlass des
Protestantenpatentes vom 8. April 1861 endlich an.
Auf Grund desselben entwickelte sich die presbyterial-
synodale Verfassung der dortigen evangelischen Kirche,
welche am 6. Januar 1866 in der dann noch einmal
(15. December 1891) revidierten Kirchenverfassung
einen vorläufigen Abschluss fand. Seitdem und zumal
von dem „interkonfessionellen Gesetz" des 25. Mai 1868
ab geniessen die Protestanten in Oesterreich gesetz-
lich volle Gleichberechtigung. Die zwei bis drei Jahre,
welche seit jener Anfangszeit vergangen sind, haben
eine neue kraftvollere Generation im geistlichen Stand
des österreichischen Protestantismus in den Vorder-
grund gerückt und jene unbestimmten Gestalten mehr
und mehr zurückgedrängt. Dies zeigt sich vor allem
in der durchweg der Bewegung begeisternd zustim-
menden Haltung sämmtlicher deutsch-österreichischer
Kirchenblätter. Vor allem ist hier die bekannte vier-
zehntägig erscheinende und stetig an Abonnenten zu-
nehmende „Evangelische Kirchenzeitung" in Bielitz
und der (monatliche) „Oesterr. Protestant" in Klagen-
furt zu nennen, denen wir hier viele Notizen ent-
nehmen. Daneben aber auch der „Christliche Alpen-
bote" in Gilli (monatlich), der „Grazer Kirchenbote"
(monatlich), der „Evang. Hausfreund" in Wien und
284
das „Ev. Vereinsblatt aus Oberösterreich u. Neu hinzu
kam 1901 die „Wiener Oesterr. Evang. Gemeinde-
zeitung" (vierzehntägig). Die Herausgeber dieser Blätter,
nämlich die Pastoren Dr. Schmidt und Modi in Bie-
litz, May in Cilli, Eckardt in Graz, Professor P. D.
v. Zimmermann, Oberkirchenrath Dr. Witz in Wien
und P. Schwarz in Waiern sind wie manch andere,
vor allem Superintendent Gummi in Aussig, Pastor
Antonius in Wien, Molin in Gablonz u. s. w. ebenso
viele energische Vertreter eines tapferen Protestan-
tismus und warme Fürsprecher, ja oft begeisterte
Vorkämpfer der evangelischen Bewegung. Soweit der
Protestantismus in Oesterreich heute in der Oeffent-
lichkeit sich bemerkbar macht, hat man den erfreu-
lichen Eindruck, als wäre aller Orten ein neuer mehr
oder minder apostolischer Geist in die Reihen seiner
Pastoren eingezogen, wie er sich zuerst in jenen ver-
traulichen Konferenzen, die eine Anzahl österreichischer
Pfarrer zu Anfang December 1898 in Wien abhielten,
sowie in dem aus ihnen hervorgegangenen öffentlichen
Protest zuerst der 15 Theologen gegen Johanny, dann
der Erklärung der über 100 evangelischen Pfarrer und
Presbyterien für die Los von Rom-Bewegung und
endlich in den Beschlüssen der Landessynode hin-
sichtlich der Los von Rom-Bewegung vom 5. No-
vember 1901 kund gab. Letztere lauteten bekanntlich
folgendermassen : „1. Die evangelische Generalsynode
A. B. als eine rein kirchliche Körperschaft findet es
nicht in ihrem Wirkungskreis gelegen, über die in
der römisch-katholischen Kirche entstandene „Los von
Rom-Bewegung" zu urtheilen, soweit dieselbe poli-
tischen Beweggründen entspringt und von solchen
genährt wird. 2. Die Generalsynode begrüsst aber
freudig alle aus Ueberzeugung erfolgten Uebertritte
und erhofft von den Uebergetretenen eine gewissen-
hafte Erfüllung der übernommenen sittlichen und re-
ligiösen Verpflichtungen. 3. Angesichts der Schwierig-
keiten der kirchlichen Versorgung der neuentstandenen
Gemeinden spricht die Generalsynode allen Freunden
und Förderern dieser Bewegung den Dank aus. 4. Die
Generalsynode erwartet, dass die Geistlichen und
Amtsträger der evangelichen Kirche ebenso frei^von
285
agitatorischem Auftreten, wie frei von Menschenfurcht
in patriotischer und dynastischer Treue ihre Amts-
pflichten zum Heile der Kirche und des Staates auch
fernerhin erfüllen. 5. Die Generalsynode beklagt es
aufs tiefste, dass von Seiten der Staatsbehörden, zumal
der unteren Instanzen, gegenüber der Bewegung ein
Uebelwollen platzgegriffen hat, das bereits durch Straf-
versetzungen wegen Uebertrittes zum Ausdruck ge-
kommen ist. 6. Die Generalsynode gibt ihre Entrüstung
kund über die gegen Luther und die Reformation
sogar von der Kanzel herab gerichteten Verleum-
dungen. 7. Sie legt entschiedenste Verwahrung ein
gegen die von derselben Seite erhobenen Verdächti-
gungen des Patriotismus und der Treue gegen den
Kaiser, in welchem die Evangelischen den Verleiher
des Protestantenpatentes in aufrichtiger Dankbarkeit
verehren."
Bräunlich beschwert sich über die Konfiskation
protenstantischer Schand-Flugblätter und tröstet sich
mit folgenden Worten : Uebrigens gibt es für jeden
Hieb eine Parade. So schrieb mir zum Beispiel Eisen-
kolb (1901) über die Konfiskation von evangelischen
Flugschriften, dass er nunmehr die Aufnahme fast
aller unserer Flugblätter in das stenograpraphische
Protokoll des Reichsraths als Interpellationen er-
zwungen habe, so dass sie nun als „Auszüge aus
dem stenographischen Protokoll des Reichsrathes"
beliebig öffentlich verbreitet werden könnten. Dann
setzte er hinzu: „Ferner haben unsere Flugschriften
auf Kosten, aber zum Segen Oesterreichs (durch das
stenographische Protokoll) in allen Kronländern Ver-
breitung gefunden und drangen in solche Kreise, in
welche wir sonst keinen Zutritt gehabt hätten. Alle
425 Abgeordneten und überdies die Herrenhausmit-
glieder bekommen das stenographische Protokoll un-
entgeltlich; dazu kommen noch die Abonnenten."
Wass wollen wir eigentlich mehr? Fällt einem da
nicht unwillkürlich das Wort ein: „Die Menschen
gedachten es böse zu machen, aber Gott machte es
gut?" Und ähnlich ist's schliesslich mit aller Verfol-
gung. Vor 1898 hatten die Protestanten in ganz
Oesterreich kein einziges Tagesblatt, das direkt ihre
286
Interessen verfocht, heut5 ist die ganze, überaus zahl-
reiche alldeutsche Presse stramm protestantisch, pro-
testantischer als die protestantischeste Zeitung im
protestantischen deutschen Reich. Und die übrigen
nichtultramontanen Blätter geben ihr zum Theil kaum
etwas nach, oder sind uns doch in ihren Sympathien
ein gut Stück näher gerückt. Und wie sie nur die
Volksstimmung wiederspiegeln, das haben die Wahlen
zum Reichsrath Neujahr 1900 bewiesen mit ihren
Siegen der alldeutschen Los von Rom-Partei, die von
7 Abgeordneten auf 21 heraufschnellte, und mit der
Wahl von Männern anderer Parteien, die theils sich
schon von Rom los gemacht haben, theils recht nahe
daran sind. Im Sommer 1901 aber haben die böh-
mischen Landtags wählen den gleichen Beweis er-
bracht, bei welchen der eine Abgeordnete Wolf allein
mehr Stimmen in seinem Wahlkreis erhielt, als alle
klerikalen Kandidaten zusammengenommen, wo von
den beiden bisherigen christlich-socialen (krypto-
klerikalen) Abgeordneten der Pater Opitz nicht wieder
gewählt wurde, die Alldeutschen aber zu den bishe-
rigen 10 noch 15 Mandate mehr hinzu eroberten,
während sie auch dort, wo ihre Kandidaten nicht
durchdrangen, beträchtliche Minderheiten erzielten.
Zum Schlüsse seiner Flugschrift sagt Bräunlich fol-
gendes. Man darf als Resultat dieser dreijährigen
ausserordentlichen Entwicklung wohl zusammenfassend
erklären: „Die Befürchtungen, welche von evangelisch-
kirchlicher Seite an die Los von Rom-Bewegung an-
fangs geknüpft wurden, sind in keiner Weise einge-
troffen, vielmehr gab diese Bewegung für die evange-
lische Kirche Oesterreichs das Signal zu einem glän-
zenden Vormarsch in jeder Beziehung." Man sieht
aus der Resolution der Landessynode, dass ihre
Thoilnehmer getrieben vom schlechten Gewissen die
Los von Rom-Agitation als eine rein religiöse, den
Bedürfnissen der evangelischen Bekenner entsprun-
gene Bewegung darzustellen suchen. Aber Niemand
wird dieser Proklamation der Synode Glauben schen-
ken, wiederlegt sie doch Pastor Bräunlich mit seinen
eigenen Worten später selbst. Wir können uns hier
unmöglich mit der theologischen Seite des Protestan-
287
tismus befassen, um darzuthun, dass das officielle
preussische Lutherthum weder früher noch heute
noch in der Zukunft berechtigt ist die katholischen
Länder Oesterreichs zu unterwühlen mit der angeb-
lichen Absicht das reine Evangelium zu verbreiten.
Ueber das Entstehen und das Wesen des Protestan-
tismus haben wir ja eine ungeheuere Literatur. Wer
sich nur die Mühe nehmen wollte und Janssen's „Ge-
schichte des deutschen Volkes seit Ausgang des
Mittelalters", dann das grosse Werk Georg Evers:
„Martin Luther", der wird ein derartig massenhaftes
wissenschaftlich geschichtliches und theologisches
Material hier vorfinden, dass er zum Schlüsse dazu-
kommen muss, um dem Protestantismus als solchem
jede Berechtigung abzusprechen eine Invasion in
katholische Länder zu unternehmen, es sei denn,
dass dieser Einbruch nicht das „Evangelium", wohl
aber das Schwert des Eroberers im Hintergrunde
führt.
Die grösste Zahl der Pastoren beider protestan-
tischen Konfessionen glaubt heute weder an Christus
als Sohn Gottes und Welterlöser, noch an die Gött-
lichkeit des Evangeliums. Im Mai 1902 tagte eine
Synode der Pastoren der westlichen Schweiz in Lau-
sanne. Professor Emery aus Bern behauptete im länge-
ren Vortrag, dass es überhaupt eine göttliche Offen-
barung und ein göttliches Erlösungswerk nicht gebe.
Weder Christus noch Paulus haben eine göttliche
Lehre verkündigt. Die Mehrheit der anwesenden
Pastoren akceptirte den Inhalt des Emeryschen Vor-
trages. Es gibt massenhafte Beweise, dass ein grosser
Percentsatz der Pastoren beider Konfessionen über-
haupt an eine göttliche Sendung der christlichen
Kirche nicht glauben.
Im Jahre 1890 schrieb Paul de Lagarde, eine
protestantische Autorität, eine Schrift (neugedruckt
Tübingen 1897) mit dem Titel: Ueber einige Berliner
Theologen und was von ihnen zu lernen ist. In die-
ser Schrift steht folgendes zu lesen : „Der erste Schritt
zum Besseren muss die Einsicht sein, dass es mit
dem Protestantismus vorbei ist." (S. 97.) — „Die
Kirche der ^Reformation' würde die sie jetzt Ver-
288
tretenden ausstossen." (S. 98.) Dass es mit dem
Protestantismus in Deutschland endgiltig vorbei ist,
erhellt aber auch noch aus viel wichtigeren anderen
Thatsachen. Das Volk ist nicht mehr protestantisch,
vorausgesetzt, dass man den Namen Protestantismus
in seinem ursprünglichen Sinne nimmt. Die Bibel
wird als Ganzes nicht mehr gelesen. Die Gemeinde
begnügt sich mit einzelnen, oft in ungehörigster und
lächerlichster Weise aus dem Zusammenhang gerisse-
nen und missverstandenen Sprüchen. Weil sie dies
thut, lehnt sie sich nicht gegen Luther' s ihr als Ganzes
unbekannt bleibende Uebersetzung auf, welche im
19. Jahrhundert ein Recht geduldet zu werden noch
in erheblich geringerem Masse besitzt, als die in der
Zeit des Humanismus angefertigten Uebersetzungen
klassischer Werke der lateinischen Literatur. Die
Grundlehre Luther's, dass der Mensch gerechtfertigt
werde ohne Werke, allein durch den Glauben, ist so
weit vergessen, dass die ernsthafteren protestantischen
Geistlichen nur durch gute Werke sich in ihren Ge-
meinden Duldung verschaffen. Sie nehmen sich der
Armenpflege an: um die für diese nöthigen Mittel
zu erwerben, heissen sie Lampenteller oder Stroh-
decken flechten, sammeln sie Apfelkerne, Postmarken,
Gigarrenabschnitte, verkaufen sie Arzeneien gegen die
Fallsucht und Aehnliches. Auch die Krankenpflege
des Katholicismus hat Aufnahme gefunden. Der
»Glaube4 verbleibt der Predigt: aus dem Leben ist
er verschwunden. Diejenigen Geistlichen, welche nicht
die guten Werke für sich in den Kampf führen, helfen
sich mit der Pose und mit der Phrase pflegen aller-
dings so unverändert dieselben zu bleiben, wie Kolle-
gienhefte eines pflichtvergessenen Professors, und
helfen darum auf die Dauer soviel, wie diese. Sehr
gering ist die Zahl der Geistlichen, welche auf pro-
testantischen Kanzeln wirksam predigen: aber keiner
von ihnen gedenkt auch nur mit einer Silbe des Pro-
testantismus und der Reformation: die Liebe solcher
Männer gehört Zeiten und Ideen, welche weit vor
der „Reformation" des 16. Jahrhunderts liegen. Der
Protestantismus ist im Volke eine Macht nur, soferne
er die dem Volke genehmen Stichwörter der Politik
289
und Gesellschaft wiederholt, also nicht, weil er über,
sondern weil er unter dem Volke steht: soferne er
sich dazu hergibt, Anschauungen und Menschen zu
weihen, welche sich mit irgend welcher christlichen
Frömmigkeit nicht vertragen und doch geweiht sein
wollen. Er ist eine Macht nicht als Leiter des Volkes,
sondern als Mundstück aller hinter den Anforderun-
gen des Lebens zurückgebliebenen, werdefaulen und
bedenklichen Reste früherer Tage. Der Kultus des
Heros Luther ist die Maske für diese Bestrebungen.
Der Protestantismus ist dem Volke so gleichgiltig,
dass es die gleich zu schildernde Kirchenpolitik der
Regierungen gar nicht als Tyrannei empfindet. Die
Regierungen sehen in dem Protestantismus ein Mate*
rial, das hier und da dienen kann, um irgend welche
durch Wildwasser der politischen Entwickelung ver-
ursachte Deichbrüche zu stopfen. Sie haben daher
dem Protestantismus so viele Päpste gesetzt, als es
in Deutschland selbstständige Kirchenverwaltungen
gibt, und diese Verwaltungen sind gewöhnt, für
Protestantismus stets das auszugeben, was höheren
Ortes gerade gewünscht wird. Die Könige Friedrich
der Zweite, Friedrich Wilhelm der Erste, Zweite,
Dritte, Vierte haben sehr von einander verschiedene
Protestantismen vertreten, die Minister Wöllner, Alten-
stein, Eichhorn, Ladenberg, Raumer, Bethmann-Holl-
weg, Mühler, Falk haben dasselbe gethan. Jeder dieser,
die anderen ausschliessenden Machthaber findet in
dem reichen Vorrathe Protestanten, den Deutschland
beherbergt, sofort Personen, die zu seiner Hilfe an-
getanzt kommen, wann Hilfe verlangt wird. Sowie der
Maschinenmeister klingelt, verschiebt sich die Dekora-
tion. Sydow und Websky verschwinden in der Ver-
senkung, und Stöcker tritt aus den Kulissen. Oder
aber umgekehrt. Einheit des Kostüms der Protestanten
ist höheren Ortes unerwünscht, da man für die ver-
schiedenen Scenen auch verschiedene Staffage braucht.
Die Leute stehen bereit und kommen auf das Stich-
wort. Ein ,an die Wand drücken', wie es politischen
Parteien gegenüber ab und zu nöthig wird, ist den
kirchlichen Parteien gegenüber nicht erforderlich. Der
Protestantismus frisst aus jeder Hand. Die Wissen-
19
290
schaft ist mit dem Protestantismus fertig. Die Bibel
ist ihr nicht das irrthumlose Wort Gottes. Nur doch
die „Missourier" glauben in diesem Artikel dem
lutherischen Bekenntnisse gemäss : sogar in Mecklen-
burg muss der rechtgläubige Pfarrer Brauer das Feld
räumen. Selbst die nur wenig heller als die Missourier
gefärbten Theologen Leipzigs holen als Ausleger des
alten Testaments den Dänen Buhl, da Deutschland
sogar in seinen gläubigsten Kindern kritisch «durch-
seucht' ist . . . Die Geschichte ist mit dem Protestan-
tismus fertig. Denn wo der Protestantismus in Deutsch-
land den Fuss hingesetzt hat, verarmten die Herzen . . .
Es ist durch den Protestantismus alles ordinär ge-
worden . . . Weiter : der grosseste politische Fehler
unseres Jahrhunderts, die Gründung Kleindeutschlands,
ist ein Werk protenstantischer Furcht vor dem katho-
lischen Oesterreich. Wenn es irgend möglich ist, darf
die Kirchenpolitik Deutschlands den Fehler nicht
wiederholen, welchen — vom eigentlich» politischen
schweige ich — die sogenannte Reformation began-
gen hat. Man muss die alten Formen nicht zerschlagen,
sondern mit neuem Inhalte füllen . . ,u
Die grösste Revolution im protestantischen Lager
hat wohl der berliner Theologieprofessor Harnack
hervorgerufen durch seine Vorlesungen „über das
Wesen des Christentums" im Wintersemester 1899-
1900 an der Universität in Berlin. In kurzer Zeit
wurden 150.000 Exemplare dieser in Druck erschiene-
nen Vorträge verbreitet. Sämmtliche jüngere Genera-
tion der Pastoren schwört auf Harnack. Harnack sagt
folgendes: Wunder sind nicht möglich. Wir wissen
von Jesu, dem Stifter der Kirche, bis zu seinem 30
Jahre nichts und wissen von ihm nach seinem Tode
und seinem leergefundenen Grabe auch nichts. Jesus
gehöre selbst nicht in's Evangelium, das nichts an-
deres als Gott und die Seele allein zum Inhalt habe ;
Jesus sei aber irgendwie, was eben sein Geheimniss
bleiben müsse, zu dem Gedanken gekommen, Gottes
Sohn zu sein, in doch anderem Sinn, wie wir Gottes
Kinder sind; dieser Sinn erschöpfe sich jedoch in der
tieferen Gotteserkenntniss ; wir dürfen aus dem Chri-
stenthum ja keine Lehre machen; das Ghristenthum
291
sei eben nichts anderes als das Erlebniss, dass Gott
unser Vater sei; wir mögen allenfalls das von Jesus
gestiftete Abendmahl als Gemeinsamkeitszeichen bei-
behalten, und ebenso die Taufe als Gemeindesitte un-
bekannten Ursprungs (Taufe noch immer auf den drei-
einigen Gott? oder auf wen?!?); nur als Sacramente
oder Gnadenmittel soll man sie nicht ansehen; in's
Evangelium gehöre nur dreierlei, nämlich: a) die
Erkenntniss vom innerlichen Kommen des Reiches
Gottes, b) dieses sei identisch mit dem Erleben und
der Erkenntniss Gottes, als unseres Vaters, wodurch
uns denn auch der unendliche Werth der Menschen-
seele aufgehe, c) diese Erkenntniss treibe uns, ein-
ander lieb zu haben, und diese Menschenliebe, mit
der Demuth geeint, sei der einzige denkbare Gottes-
dienst. Ausser diesen einfachen Erkenntnissen gehört
nichts, gar nichts in's Evangelium, namentlich keine
Gnadenmittel und Sacramente, keine Riten, Lehren
und Bekenntnisse (cf. 5). Der katholische Professor
Reinhold in Wien sagt in seiner Gegenschrift, pag. 92 :
Das Gesammt-Resultat der Darlegungen Harnack's
über das Wesen des Christenthums ist jedenfalls ein
verblüffendes. Dieses Ghristenthum ist mosaikmässig
zusammengesetzt aus Naturalismus, Humanitäts-Moral
und Pietismus, die durch eigens dazu ausgewählte
evangelische Texte eine christliche Färbung erhalten.
In diesem Ghristenthum gibt es nichts Uebernatür-
liches. Jesus war ein Mensch, wie alle Andern, pre-
digte eine edle Sittenlehre, aufgebaut auf das Gebot
der allgemeinen Menschenliebe. Nur Bornirtheit der
Zeitgenossen dichtete ihm Wunder an. — Dieses
Wesen des Christenthums ist ein sehr einfaches und
bequemes, es hat nur einen Fehler, — es ist nicht
das Christenthum der Evangelien. Harnack sagt von
der katholischen Kirche, „dass es das gewaltigste Ge-
bilde sei, welches die Geschichte kennt, dass sie die
romanisch-germanischen Völker zur Kultur erzogen,
ihnen bis zum 14. Jahrhundert Führerin und Mutter
gewesen, und noch jetzt sich der politischen Bewe-
gung gewachsen gezeigt, die Selbständigkeit der Re-
ligion und Kirche aufrecht erhalten, zu allen Zeiten
und noch jetzt Heilige erzeugt habe, während dem
19*
292
gegenüber nach Harnack's Zeugniss die evangelische
Kirche in Staatskirchen getheilt, innerlich zerspalten,
nach noch mehr Freiheit und Individualität verlange,
von Anfang an sittlich lax gewesen, nur ein Zerrbild
der in den Evangelien gezeichneten Kirche Christi
darstelle.
Man kann sich nun vorstellen, dass ältere PastorenT
die sich noch zur alten lutherischen Ueberlieferung
bekennen, gegen Harnack sich wehrten, und Gegen*
Schriften herausgaben, aber sie fanden nur bei den älte-
ren Lutheranern Anklang, Die Masse der jüngeren prote-
stantischen Generation denkt nach Harnacks Recept
Was der Protestantismus auf dem religiösen Gebiete
leistet, davon gibt einen Beweis Max Bewers Buch
„Gedanken". Im Kapitel „Christus" steht folgendes
zu lesen: Es ist durch Forschung festgestellt, dass
ungefähr 1Ö00 Jahre vor Christus, aber vielleicht auch
sehr viel früher schon, eine deutsche Einwanderung-
in Galiläa stattgefunden hat. Eine blonde, blauäugige
Rasse mischte sich mit dem schwarzen Typus des
Orients. Abel und Kain sind so verschieden wie Esau
und Jakob; aus dem Wohllaut der Psalmisten, aus
dem Muth der Makkabäer, aus der geistigen Energie
der Propheten, aus dem seelischen Ernst des Täufers
Johannes, aus den ehrlichen Aposteln spricht deutsches
Blut. Von Christus selbst sagt bekanntlich eine jüdische
Sage, dass Esaus Geist in ihn gefahren. Von seinen
leiblichen Brüdern ist er nach seinen eigenen Worten
jedenfalls nicht weniger verschieden, wie Esau von
Jakob« Markus erzählt: „Und es kam seine Mutter
und seine Brüder und standen draussen, schickten
zu ihm und Hessen ihn rufen. Und sie sprachen zu
ihm : Siehe, Deine Mutter und Deine Brüder draussen
fragen nach Dir. Und er antwortete ihnen und sprach :
Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er
sah ringsum auf die Jünger, die um ihn im Kreise
sassen und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und
meine Brüder. Denn wer Gottes Willen thut, der ist
mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter"-
Weiter berichtet Markus : „Und er ging aus von dannen
und kam in sein Vaterland. Und da der Sabbath kam.
hob er an zu lehren. Und Viele verwunderten sich.
293
und sprachen: Woher kommt denn solches? Ist er
nicht der Maria Sohn und der Bruder Jakobi und
Josas und Judä und Simonis? Sind nicht auch seine
Schwestern bei uns? Und sie ärgerten sich an ihm.
Es ist bekannt, dass gerade um die Zeit vor
Christi Geburt sehr viele Deutsche unter den Römern
Kriegsdienste thaten. Hundert Jahre vor Christus
waren ungezählte Heereszüge von Schleswig-Holstein
in Oberitalien erschienen, deren Blut trotz, ihrer
Niederlage nicht ganz im römischen umgekommen
sein wird. Seit Caesars Zeiten war der Blutverkehr
zwischen Rom und dem Niederrhein ein äusserst leb-
hafter geworden. Kurz vor der Zeit vor Christi Geburt,
liat in Galiläa deutsches Blut gewirkt. Dem Gott, der
zart in ihm Christ erwachte, trat der Teufel in voll-
gerüsteter Person entgegen. Nach dem höchsten
jüdischen Glückbegriff will er ihm Macht geben, so
weit sein Auge reicht. Alle Völker der Erde fressen,
das ist ja eines Juden Gottessegen. Es ist das gesammte
jüdische Gesetz, das ihm im Tempel mit geistvol-
lem Rabbinerwitz beigebracht wurde, das er, hier
mit einem Schlag und einem Wort überwindet.
Apage! Gott hat in ihm gesiegt; deutsches über jüdi-
sches Blut. Vater und Sohn sind ihm vereinigt, und
es beginnt der göttliche Enthusiasmus seiner heim-
gekehrten Seele. Wenn Christus sagt, das Heil kommt
von den Juden, so sagt und denkt er nichts andres,
als der Tag kommt aus der Nacht. Er meint hier
das Gleiche, was Goethe von den Farben sagt, dass
sie durch eine Trübung gegangenes Licht sind. Alle
Schöpfung beruht auf einer Mischung und einer Aus-
einandersetzung. Vater und Mutter mischen sich in
einer wonnigen, Kind und Mutter scheiden sich in
einer bitteren Stunde. . . . „Weib, was habe ich mit
Dir zu schaffen?" . . . Die Welt ist ein ewiger Tod,
der stets mit einer Geburt endigt. Die Wiedergeburt
Christi ist der Tod der Juden, so zäh ihr Leben ist.
Dehn Christus bedeutet die fortgesetze Auseinander-
setzung des Guten mit dem Bösen.
Ein Jenseits von Gut und Böse gibt es nicht.
Gut und Böse erfüllen die Welt bis auf den letzten
Winkel, bis in das letzte Geschöpf. Gott und Teufel
294
horrent Tacuum ; wo der Eine nicht ist, ist der Andere.
Also muss der eine dem andern bis in den letzten
Winkel der Welt Platz machen oder Platz streitig
machen. „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich1/
So spricht nur ein Blut, das auf Tod und Leben
vom Kampf wieder das Böse erfüllt ist. Und Gott
und Teufel können zur einer entscheidenden Schlacht
nicht anders zusammengeraten, als in Blut In Christus
gerieten sie aneinander; der Kampf der ganzen Schöp-
fung tobte in dieser einen Brust; aber noch am Kreuz:
bekannte er ungebeugt die Farbe Gottes und des
Guten. Die Farbe, die am kräftigsten aus dem Prisma
hervorbricht, ist Roth; die am längsten an ihm haften
bleibt, ist Blau. Rothes und blaues Blut. Das eine ist
die Farbe reiner Geschlechter, die in der Heimat
edle, ritterliche Gesinnung pflanzen. Das andere ist
die Farbe kämpfender Helden, die auf fremder Erde
die Gesinnung der Väler mit ihrem Blut bezeugen.
Christus gehört zu diesen. In der Fremde bezwingt
er das schwarzseelige Judenthum mit seinem Blut.
Und indem er im Gold der Zukunft als Richter und
Sieger leuchtet, kündet er prophetisch die Farben
seiner wahren Heimat an: Schwarzrothgold.
Er selbst sagt, dass er sich mit seinem Gottesthum
von den Juden und zu den Deutschen wenden werde.
„Ich sage euch: das Reich Gottes wird von euch
genommen und einem Volke gegeben werden, dass
die Früchte desselben hervorbringt." „Es wird den
Heiden gegeben werden," übersetzt Luther ungenau.
Im Gegensatz zu dem auserwählten jüdischen Volk
kann nur dasjenige Volk unter den Heiden gemeint
und auserwählt sein, welches die göttlichsten Früchte
hervorbringt. Denn Christus richtet nach der Güte.
Die Letzten macht er zu den Ersten. Die Ersten zu
den Letzten. Er ist Aristokrat. Und die Besten und
Ersten unter den Heiden sind die Deutschen. Das
deutsche Gemüth ist der Boden, der tausendfältige
Frucht getragen hat; das jüdische Herz war der
steinige Grund, auf der Christi Milde unter die Dornen
des Spottes und der Leiden fiel. Wie man den Baum
an seinen Fruchten erkennt, so erkennt man Christus
an den Deutschen. An den Früchten, die der Christ-
295
liehe Geist unter den Deutschen getragen, erkennt
man, dass Christus deutsch ist; Saft von ihrem Saft;
Blut von ihrem Blut.
Die rührende Häuslichkeit seines Geistes, die
ihn wie ein Kind mit den Dingen der Natur spielen
lässt mit den Lilien auf dem Felde, den Trauben
am Weinstock, den Vögeln in der Luft, mit Sonne,
Mond und Sternen, ist von deutscher Tiefe und Ein-
falt. Er geht so zart, so sinnig und feinfühlend mit
ihnen um, wie ein Kind, das krank war und dem
zu Wiedergenesung der Vater die schönsten Dinge
des Himmels und der Erde als Spielzeug für die
verfeinerten Hände und Sinne gab. Wie nach einem
schwerem Gewitter scheinen sich die Lilien auf dem
Felde vor seinen Augen rein, frisch, doppelt klar und
hell zu wiegen. Die kranke Schwüle des Orients ist
von ihm geweht. Das deutsche Rembrandtbuch spricht
von Christi trüber Freundlichkeit; aber diese Trübe
ward brunnenklar im Todesernst aus Menschenliebe.
Klar und hart wie ein Stahlbrunnen, der für den
Sanftmütigen und Bescheidenen Kühlung, für schamlos
und sündig erhitzte Geister den Tod in sich trägt.
Die Zunge, die ihm nach rnessianischer Weissagung
stockend am Gaumen klebte, löste sich gleich der
seelischen Trübung und „seine Rede ward gewaltig."
Ueber seine Gestalt schüttelten die Leute den Kopf;
alle die ihn sahen, spotteten seiner und hielten ihn
für einen Aussätzigen; „Gestalt und Schöne hatte er
nicht." Und tief bescheiden, wie sein Aussehen war,
fragte er den Petrus mit kindlicher Zartheit: „Hast
du mich lieb, Petrus ?" Und alle, die ihn kannten
und früher vielleicht über ihn gespottet, liebten ihn
nun. Denn von seiner Seele kann man schreiben, wie
von seinen Kleidern geschrieben ist, „sie wurde
glänzend und überaus weiss wie der Schnee." Aus
dem, was hier Max Bewer geschrieben hat, sieht
man, dass der deutschnationale Wahn nicht ein-
mal die Person Christi verschont. Das sind aber die
Früchte der freien protestantischen Bibelforschung.
Dass die Invasion der protestantischen Pastoren nach
Oesterreich mit der Religion nichts zu thun hat,
erhellt auch daraus, dass die protestantischen Seel-
296
sorger, wenn es ihnen wirklich nur um das „Evan-
gelium" ginge, zu Hause in Preussen-Deutschland
mehr als genug zu thun hätten, um die eigenen
Glaubensgenossen zu ihren religiösen Pflichten an-
zuhalten. Sind doch allgemein bekannt die Klagen,
dass protestantische Kirchen Sonntags sehr öde aus-
sehen, die Zahl der Kirchenbesucher protestantischer
Konfessionen ist eine sehr geringe, besonders in den
grösseren Städten. Die Unfruchtbarkeit des Protestan-
tismus auf dem moralischen Gebiete ist beson-
ders erwiesen durch die stetig wachsende Kriminalität
im heutigen Preussen-Deutschland. Machen wir nun
einige Einblicke in die Kriminal Statistik Deutschlands
Jahr
Zahl
der verurtheilten Per-
Von den Verurtheilten
sonen
in Deutschland we-
waren noch nicht 18
gen Verbrechen and Vergehen
Jahre alt
gegen die ßeichsgesetze
1891
391664
42312
1892
422327
46496
1993
430403
43746
1894
446110
45554
1895
454211
44384
1896
456999
44275
1897
463385
45329
1898
477807
47986
1899
478139
47512
1900
469819
48657
Wir haben hier nur eine Generalübersicht der
Kriminalstatistik gegeben, um nur darauf hinzuweisen,
dass die Zahl der justificirten Personen in Deutschem
Reiche stetig zunimmt, besonders ist die Zunahme
der jugendlichen verurtheilten Personen im stetigen
Steigen begriffen. Nach der Volkszählung vom J. 1890
hatte Deutschland 31,026.810 Protestanten und
17,674.921 Katholiken. Demnach können mir mit Fug
und Recht behaupten, dass die protestantischen Pa-
storen, falls es ihnen um das Evangelium zu thun
wäre, zu Hause mehr als genug zu thun hätten.
Sehr interessant ist die Rubrik der Verurtheilten
Personen wegen Unzucht und Nothzucht. Demnach
war die Zahl der Verurtheilten in Deutschland folgende :
297
Zahl der Verartheüten' davon noch nicht 18 Jahre alt
im J. 1891 3332 807
1892 3440 870
1893 • 3859 914
1894 4144 1017
1895 4221 948
1896 4539 976
1897 4222 826
1898 4560 921
1899 4650 907
1900 4812 935
Wir haben diese Rubrik abgesondert angeführt,
weil gerade die Unzucht-Kriminalstatistik ein Spiegel-
bild der Moralität der Bevölkerung in besonders
qualificirter Bedeutung ist Und auch in dieser Ru-
brik ist ein stetiges Steigen zu verzeichnen; also,
meine Herren Pastoren, an Arbeit zu Hause fehlt es
wahrlich nicht, bleibt also daheim und verkündigt
die Lehren des Evangelium zu Hause, wo euch unter
der Hand die Zahl der Justificirten stetig wächst,
also die Zahl derjenigen, die vom Evangelium nichts
wissen und nichts hören wollen.
Dass protestantische Pastoren genug zu Hause
zu thun hätten, glauben wir durch einen anderen
Hinweis auf pathologische Zustände im heutigen
Preussen-Deutschland beweisen zu können, wir meinen
die Selbstmorde. Die Zahl der Selbstmorde im Deut-
schen Reiche ist folgende:
Zahl der Selbstmorde.
Jahr 1895
10510
„ 1896
10888
, 1897
11013
„ 1898
10835
„ . 1899
10761
„ 1900
11393
Schon diese kurze Reihe von Jahren gibt einen
sehr traurigen Beweis, dass die pathologischen gesell-
schaftlichen Verhältnisse in Preussen-Deutschland
durchaus nicht rosig sind, die Zahl der Selbstmorde
im Deutschen Reiche ist im stetigen Steigen begriffen.
Auf diesem Gebiete dürfte wohl Deutschland an erster
298
Stelle unter den sogenannten Kulturstaaten Europas
stehen, was doch nicht für den Protestantismus sehr
empfehlend wäre.
Die Selbstmorde in Deutschland rekrutiren sich
vornehmlich aus protestantischen Provinzen. Hier
sind die ziffernmässigen Belege dazu.
Absolute Zahl der Selbst- Auf 100.000 Einwohner
morde. entfallen Selbstmorde.
Jahr 1895 1896 1897 1895 1896 1897
Ostpreussen „
291 290 301
15
14
15
Westpreussen „
195 208 189
13
14
12
Berlin „
480 531 520
29
31
30
Brandenburg „
791 873 853
28
31
29
Pommern
271 275 804
17
17
19
Schlesien „
1067 1132 1078
24
25
24
Sachsen „
806 861 881
32
32
31
Schlesswig-H. „
396 378 431
31
29
33
Hannover „
541 492 505
22
20
20
Hessen-Nassau „
363 392 381
21
22
21
Königr. Sachsen „
1036 1182 1213
38
31
31
Braunschweig „
151 153 122
35
35
27
Sachsen-Koburg „
107 87 98
50
40
44
Katholische Provinzen und Xänder mit starker
katholischer Bevölkerung.
Absolute Zahl der Selbst-
Auf 100.000 Einwohner
morde.
kommen
Selbstmorde.
Jahre 1895 1896 1897
1895 1896
1897
Posen n
171 173 141
9
9
8
Westphalen „
287 325 298
11
12
11
Rheinland „
506 557 600
10
11
11
Bayern
rechts d. R. „
619 667 694
12
13
ia
links d. R. „
129 130 125
17
17
16
Elsass
208 243 257
13
15
15
An diesen Zahlen sieht man, dass die Zahl der
Selbstmorde relativ zu der Bevölkerung in katholi-
schen Landestheilen in Deutschland um das Doppelte»
ja Dreifache geringer ist als in den protestantischen
Landestheilen. Nehmen wir noch die Statistik der
Selbstmorde in den darauf folgenden Jahren zum Belege.
299
%
ir.t';
Absolute Zahl der Selbst-
morde.
Auf 100.000 Einwohner
kommen Selbstmorde.
Jahre 1898
1899 1900
1898
1899
1900
Ostpreussen . . „
274
275 286
13
13
14
Westpreussen . „
219
217 193
14
14
12
Berlin . . . . „
491
478 484
28
26
26
Brandenburg . „
894
901 948
30
30
31
Pommern . . . „
206
260 260
18
16
16
Schlesien . . „
1070 1115 1111
24
24
24
Sachsen ...»
795
807 859
29
29
30
Schleswig-H. . „
407
412 440
30
30.
32
Hannover . . . „
540
505 551
21
20
21
Hessen-Nassau „
338
330 357
19
18
19
Königr. Sachsen „
1025
1221 1282
30
30
31
Sachsen-Weimar „
97
103 107
28
29
30
Sachsen-Coburg-G.
98
84 102
44
37
45
Reuss jung. . . „
44
49 44
32
35
32
Lübeck . . . . „
18
27 25
20
30
26
Bremen ... . „
77
60 79
37
28
36
Hamburg . . . „
241
225 207
33
30
27
Katholische Landestheile und Länder mit starker
katholischer Minorität,
Absolute Zahl der Selbst- Auf 100.000 Einwohner
morde. kommen Selbstmorde.
Jahre 1898 1899 1900 1898 1899 1900
Posen „ 175 151 172 9 8 9
Westphalen . . „ 294 286 355 10 10 10
Rheinland ...» 564 600 637 11 11 11
Bayern
rechts d. R. . . r
links d. R. . . Ti
Baden . . . . r
Hessen ....,,
Elsass-Loth. . . „
Kommentare zu diesen Zahlen sind überflüssig.
Wir möchten die Herren protestantischen Prediger
damit auffordern, sie möchten fleissig die Ergebnisse
der Statistik des Deutschen Reiches studiren, vielleicht
werden sie dadurch zum Nachdenken über die mora-
lischen Früchte des Protestantismus ein wenig mehr
angeeifert. Dasselbe ist es mit den unehelichen Ge-
619
660
732
12
13
14
125
126
153
16
15
19
359
351
370
20
19
20
222
258
277
20
24
25
242
222
232
14
13
14
300
burten; auch diese sind in protestantischen Landes-
theilen in Deutschland 2- bis 3fach zahlreicher als in
katholischen. Dass die Herren protestantischen Pastoren
ihren Gottesacker in Preussen-Deutschland brach
liegen lassen und in fremde Gebiete einbrechen,
um da eine fragliche Ernte zu halten, davon geben
deutlichen Beweis die moralischen Zustände in
Preussen-DeutschJand. Im Jahre 1900 wurden in
Berlin 18 uneheliche Kinder geboren, deren Mütter
erst 15 Jahre alt waren, daneben gab es noch 4 un-
eheliche Kinder, deren Mütter noch nicht 15 Jahre
alt waren. Die Zahl der unehelichen Kinder im Deut-
schen Reiche war folgende:
Jahr 1894 : 178298 Jahr 1898 : 185220
„ 1895 : 176271 „ 1899 : 183504
„ 1896 : 185359 „ 1900 : 179644
„ 1897 : 184034
Die Zahl der unehelichen Kinder wächst stetig.
So war die Zahl der unehelichen Geburten in Deutsch-
land im Jahre 1871: 144.394, im Jahre 1881: 158.454,
im Jahre 1891: 172.456. In Berlin allein wurden im
Jahre 1900 uneheliche Kinder geboren in der Zahl
von 7722. „Deutsche Tageszeitung" klagte in einem
Aufsatze über moralische Volksvergiftung im Deutschen
Reiche. Sie schrieb : „Welche sittlichen Verwüstungen
durch schlechte, schlüpfrige Unterhaltungsliteratur
unter der heranwachsenden Jugend insbesondere an-
gerichtet werden, ist zu bekannt, als dass es noth-
wendig wäre, darüber sich eingehend zu verbreiten.
Wohl aber erscheint es angezeigt, auf die äusseren
Aenderungen und Wandlungen aufmerksam zu machen,
denen diese Art Literatur von Zeit zu Zeit unterliegt,
und die vorgenommen werden, um das Interesse der-
jenigen Kreise, auf welche dieser Schund berechnet
ist, an demselben rege zu erhalten. In unserer rasch-
lebigen Zeit nun nämlich, die möglichst viel Abwechs-
lung verlangt, werden auch die Gourmands, die lite-
rarischen und die kulinarischen, ihrer Lieblingsge-
richte doch nach und nach überdrüssig, wenn sie
ihnen nicht ab und zu unter anderen Namen oder in
wechselnder Garnitur und Ausstattung geboten werden.
301
Ein Berliner Blatt nun, das Organ des Bundes der
Landwirthe, die „Deutsche Tageszeitung" (Nr. 387) weist
darauf hin, dass seit einiger Zeit eine neue Art Lite-
ratur entstanden ist, die in 10 Pf.-Heftchen verbreitet
wird, und nach der Fülle, in der sie 'ausgeboten wird,
zu urtheilen, nur zu gut zu prosperiren scheine. Bis-
her waren es billige Witzblätter, die für einige Pfen-
nige ausgeboten wurden und ihre Käufer durch illu-
strirte Schnurren nach dem Recept: „Du sollst und
muss lachen" zu unterhalten suchten. Die Zeit dieser
Witzblätter scheint vorüber zu sein, denn nur wenig
mehr werden sie auf den Strassen ausgerufen. Dem
durch diese Lücke entstandenen „Bedürfniss" sucht
nun die neue Spezies Literatur abzuhelfen, die na-
türlich auch zugkräftiger sein muss, als ihre Vorgän-
gerin. Während letztere sich mit wenn auch oft recht
derben, so doch verhältnissmäsig noch harmlosen
Kalauern begnügte, ist die neue „Volks "-Literatur
weit kräftiger gepfeffert: durch Schilderungen und
Anspielungen, die man schon mehr als ein zweideu-
tiges bezeichnen muss, spekulirt sie auf die Lüstern-
heit des derartige Lektüre bevorzugenden Publikums»
Und wo etwa der Text über den wahren Charakter
des Gebotenen noch etwa in Zweifel lassen könnte,
da klären entsprechende Illustrationen auf. Treffend
kennzeichnet das genannte Blatt diese neuen Sumpf-
pflanzen. „Man hütet sich wohl, die Grenze zu er-
reichen, jenseits deren der Staatsanwalt eingreifen
müsste, aber man streift hart an sie heran. Man ver-
zichtet auf die Darstellung der Nacktheit, weckt aber
die Lüsternheit durch die mangelhafte oder berech-
nete Gewandung. Der Ekel vor derartigen Darbietungen
ist bei normalen Menschen so gross, dass er alle an-
deren Empfindungen überwuchert." Wenn dann das
Blatt weiter bemerkt: „Gerade das ist das Bedauer-
liche, dass dieser Schund von Backfischen und halb-
wüchsigen Jungen in der Hauptsache gekauft wird.
In der Stadtbahn, in den Vorortbahnzügen kann man
dann beobachten, wie die Jugend sich an dieser ekel-
haften Kost den Magen verdirbt" — so ist das leider
nur zu richtig. Hauptsächlich auch der Jugend preisen
die Strassenkolporteure diesen Schund an, dessen
302
Titel gewöhnlich schon auf die Reizung der Sinnlich-
keit berechnet sind. Es steht fest, dass diese Sorte
Lektüre seit dem bedauerlichen Ausgang der Be-
ratungen der lex Heinze ganz besonders üppig ins
Kraut geschossen und durch freisprechende Urtheile
der in diesen Dingen ausserordentlich weitherzigen
Berliner Gerichte auf Anklagen wegen Verbreitung
unsittlicher Schriften bedeutsam gefördert worden ist.
Deshalb kann man es verstehen, wenn die Polizei
manches durchgehen lässt, was ihr unzulässig erscheint.
Denn wiederholt schon ist es vorgekommen, dass sie
zweifelhafte Presserzeugnisse beschlagnahmt hat, die
später von dem zuständigen Gerichte als harmlos
„freigegeben" wurden. Und der Polizei wird gewiss
niemand übertriebene Prüderie in diesen Dingen vor-
werfen.
Wie in dieser auf die grosse Masse berechneten
Unterhaltungsliteratur, macht sich auch in der für
„fernere" Kreise bestimmten, eine für die „sittliche
Nation" tief beschämende Erscheinung bemerkbar :
Die Zunahme dersittenlosen, von weiblichen
Autoren geschriebenen Romane. Es ist eines der
traurigsten Zeichen unserer Zeit, dass eine ganze
Reihe der schändlichsten Romane „Damen" zu Ver-
fassern hat, und dass es Dinge gibt, die niederzu-
schreiben ein Mann Anstand nimmt, wenn er auch
noch so tief gesunken ist, vor deren Schilderung aber
weibliche Personen sich nicht schämen. Von einer
solchen Romanschreiberin, die dazu noch adelig ist,
sagt eben in der „Kreuzzeitung" (Nr. 387) der Heraus-
geber einer Monatsschrift, er könne Stilproben ihrer
Sudeleien nicht geben, weil er mit Auszügen aus den-
selben sein Blatt nicht besudeln dürfe. Und diese
Schweinereien, so klagt er, erleben Auflage über Auf-
lage, sind in Leihbibliotheken und werden gelesen —
meist von Backtischen. Und das sind dann die Kreise,
die Sitte und Ordnung besonders pflegen und dem
deutschen Volke mit gutem Beispiel voranleuchten
sollen! In dem erwähnten Artikel der „Kreuzzeitung"
wird das deutsche Volk aufgefordert, sich aufzuraffen,
um endlich dem Treiben ein Halt zuzurufen, das ganz
geeignet ist, der deutschen Literatur den Todesstoss
303
zu versetzen und die Seele unseres Volkes zu ver-
giften. Wir fürchten, dass der unbequeme Mahner in
den Kreisen, an die er sich wendet, ein Rufer in der
Wüste sein wird. Die sittliche Fäulniss ist in weiten
Schichten unseres Volkes schon zu weit vorgeschritten,
als dass sie ganz ohne Katastrophe beseitigt werden
könnte. Eine Berliner Korrespondenz im Wiener
„Deutschen Volksblatte" klagte im folgenden Ton :
Auf der HaUptstrasse der Reichshauptstadt haben
sich zwei feindliche Brüder aus Israel niedergelassen,
der Eine unten, der Andere oben: Tietz und Wert-
heirn, beide von edlem Geschlechte der Waaren-
häusler, das für sich das Recht in Anspruch nimmt,
die Welt mit Waaren aller Art zu beglücken. Hinter
riesigen, aus Glas gebildeten Häuserfronten verkaufen
diese beiden Beherrscher der Leipzigerstrasse um die
Wette Alles, was ein moderner Mensch nur brauchen
kann, von Kunst bis zum Häring im Ramsch. Ein
ebenso ergiebiges, als volkswirtschaftlich nachthei-
liges Geschäft. Jetzt ist das edle Dioskurenpaar aus
Eifersucht in Streit verfallen, und das kam so : Wert-
heim, der ältere, hatte sich seit Langem schon als
Abzeichen für sein Geschäft die Erdkugel patentiren
lassen, offenbar in der Absicht, damit kundzuthun,
dass er die ganze Welt beglücken wolle. Diese Wert-
heim'sche Erdkugel soll nun Tietz wiederrechtlich
sich angeeignet und auf dem Giebel seines Bazars
angebracht haben. Thatsächlich krönt das neue, mit
Reptilien nnd nackten Gestalten geschmückte Tietz'sche
Waarenhaus ein grosser Globus aus Glas, der all-
abendlich elektrisch beleuchtet wird. Dies hat Wert-
heim so verdrossen, dass er jetzt seinen hebräischen
Konkurrenten darauf verklagt hat, die Erdkugel vom
Dache herabzunehmen, da diese ihm (Wertheim)
gehöre. So streitet sich dieses feindliche jüdische
Brüderpaar munter um den Besitz der Erdkugel, ein
Symbol unserer Zeit. — Während die Riesenbazare
immer mehr überhand nehmen, wächst das sociale
Elend unaufhörlich weiter. Das schlimmste Kapitel
desselben ist die Verrohung der Jugend. Vater und
Mutter müssen von Morgens früh bis Abends spät
dem Brote nachgehen, während die Kinder wild auf-
304
wachsen, frühzeitig auf die Strasse gestossen werden
und dort dank der zahlreichen schlechten Beispiele
verkommen. Kein Wunder, dass das jugendliche Ver-
brecherthum eine stehende Rubrik der Kriminal*
Statistik darstellt. Was nützt da alles Klagen? Wo
kein Heim, da kann das Gemüth des Kindes nicht
gedeihen, und ohne Gemüth, wie leicht ist dort der
Weg zum Verbrechen? Mit kleinen Vergehen beginnt
der Lauf des Verbrechers, um defeinst blutig zu
enden. Die Verwilderung der Berliner Jugend hat
solchen Umfang angenommen, dass es bereits ganze
Banden jugendlicher Verbrecher gibt Erst kürzlich
hat man eine solche Sippschaft hinter Schloss und
Riegel gebracht, welche 14 Mitglieder zählte, die
bis auf zwei sämmtlich strafunmündig waren. Die
Bengel hausten in einem grossen Kanalisations-
rohre, in dem sie sich aus zusammengestohlenen
Pferdedecken, Heu und Stroh eine richtige Räuber-
höhle eingerichtet hatten, wo sie übernachteten.
Eine Abtheilung des Rohres hatten sie zur Küche
eingerichtet, in der geheizt und gekocht wurde.
Ihren Lebensunterhalt gewannen die Burschen durch
Einbrüche und Diebstähle in der Umgebung. Während
diese wohlorganisirte Bande wochenlang ihr Unwesen
trieb, hauste in einem anderen Stadttheile eine jugend-
liche Diebsgesellschaft von acht Köpfen. Diese kulti-
virte besonders Taschen- und Laden diebstähle. Ihre
Mitglieder waren alle strafunmündig. — Das sind
in der That sehr bedenkliche Zustände. Das einzige
Mittel, denselben abzuhelfen, liegt auf dem Gebiete
der Erziehung zur Arbeit. Das jugendliche Verbrecher-
thum ist übrigens, wie die deutsche Kriminalstatistik
beweist, keine Eigenart Berlins. Es hat sich bereits
über das ganze Land verbreitet und wächst zusehends»
Im Jahre 1882 gab es nur 30.719 jugendliche Per-
sonen, die wegen Verbrechen und Vergehen bestraft
werden mussten, 1897 waren es schon 45.251. Gewiss
sind nicht alle begangenen Delikte gemeingefährlicher
Art, aber es bleibt doch eine unheimliche Masse
wirklich verbrecherischer Handlungen übrig, selbst
wenn man dem Leichtsinne und Uebermuthe der
Jugend viel zugute hält. Besonders gefährlich erscheint
305
die hohe Zahl der Vorbestraften, also Rückfälligen,
unter den verurtheilten Jugendlichen. Das deutet auf
verbrecherische Anlagen hin. 1889 entfielen auf 36.790
verurtheilte Jugendliche 5590 Vorbestrafte, 1894 schon
8470 auf 45.554 Verurtheilte. Die menschliche Gesell-
schaft wird gut thun, solche Symptome nicht zu
unterschätzen ; sonst dürfte zuletzt der Franzose recht
behalten, der einst schrieb: „Die Hunnen, welche in
Zukunft unsere Kultur bedrohen, kommen nicht von
Osten, sie wachsen in unserer Mitte auf. u Das Haupt-
köntingent der von Jugendlichen begangenen Ver-
brechen entfällt auf Gewalttätigkeiten und Sach-
beschädigungen. So wurden zum Beispiel im Jahre
1889 nicht weniger als 7330 Jugendliche wegen ge-
fährlicher Körperverletzung verurtheilt. Ein Sechstel
aller Sachbeschädigungen, ein Drittel aller Brand-
stiftungen, die zur Aburtheilung kamen, entfiel auf
Jugendliche. Man geht nicht fehl, wenn man die von
Zeit zu Zeit unsere Reichshauptstadt heimsuchenden
Massenbrände auf Brandstiftung junger Burschen
zurückführt. Es ist erst ein paar Jahre her, dass ein
Stadttheil von Berlin vor den unsichtbaren und bis
heute unentdeckten Brandstiftern zitterte, die frech
ihre Brandbriefe an die Ecken hefteten. Damals ging
kein Abend vorüber ohne Dachstuhlbrand in jenem
Stadtviertel. Die Hunnen sind nicht mehr sehr ferne.
Dass im preussischen „Musterstaate" protestan-
tische Pastoren viel zu thun hätten, wollten sie nur
das Evangelium Christi dem Volke verkündigen, be-
weist die Skandalafaire von Trakhenen. Im vierten
Verhandlungstag kam im Gerichtssaale folgende Scene
vor. Die ersten Zeugenaussagen beziehen sich auf
einzelne kleine Momente. Apotheker Schenker soll
bekunden, dass der Gastwirth Grab gewöhnlich vier,
manchmal auch sechs Pferde gehabt und sowohl für
diese als auch für seine Kühe Futter nie gekauft
habe. Der Zeuge kann nur sagen, dass er nie gesehen
hat, dass Grab Heu oder dergleichen gekauft habe.
In einem Falle hat der Zeuge geglaubt, annehmen
zu müssen, dass Grab Häcksel vom Gestüt sich mit-
bringe. Der Zeuge bekundet auf Befragen der Ver-
teidigung: In einem Falle hat er auf Wunsch des
20
306
Bautechnikers Kübart diesem eine Quittung über ge-
lieferten Firniss in Höhe von 300 Mark unterschrieben
und diesen Betrag auch erhalten, obgleich er zu jener
Zeit nur etwa 100 Mark zu fordern hatte. Er hat
dann nach und nach soviel geliefert, bis die über-
schüssigen 200 Mark erschöpft waren. — Zeuge
Kübart erklärt diesen Vorgang dahin, dass er die
sämmtlichen Feuerlöschgeräthe habe neu firnissen
lassen, den Firniss zunächst aus vorhandenen Vor-
räthen entnommen habe und zu Abrechnungszwecken
zunächst einen Betrag in der Höhe von 300 Mark
haben wollte. Irgend ein unlauterer Zweck sei damit
nicht verfolgt worden. — Der Zeuge Apotheker
Schenker bestätigt dem Rechtsanwalt Sonnefeld auf
Befragen, dass er einmal dem Rossarzt Matthias an-
gedroht habe, sich durch Vermittlung eines konser-
vativen Abgeordneten an den Landwirthschaftsminister
zu wenden, wenn er noch mehr bedrückt würde.
Staatsanwalt Beeck: Der Lehrer Nickel soll ein voll-
ständiges Verhör mit seinen Schulkindern darüber
angestellt haben, was sie alles gestohlen haben, und
durch wen sie zu Diebstählen angestiftet worden
seien. Er habe dann darüber ein vollständiges Pro-
tokoll aufnehmen lassen. — Angekl. Nickel: Er habe
in der Religionsstunde die Kinder pflichtgemäss immer
wieder verwarnt, nicht das 7. Gebot zu übertreten,
es seien aber immer wieder Diebstähle vorgekommen.
Als er dann seine Schulkinder einmal wieder auf-
gefordert habe, dass Diejenigen, die gestohlen haben,
sich erheben sollten, habe sich die ganze Klasse er-
hoben. Zeuge Gastwirth Grab gibt zu, dass ihm Stroh,
Häcksel und Streu geliefert worden seien, bestreitet
aber, dass dies zu Unrecht geschehen sei. Er be-
hauptet, dass er nach seinem mit der Gestüts Verwal-
tung abgeschlossenen Vertrage, nach welchem das
Gestüt den Dung von ihm erhielt, auch Anspruch
auf Häcksel hätte und auch seine Vorgänger den
Häcksel erhalten hätten. — Rechtsanwalt Sonnen fei d
bestreitet, dass er Häcksel zu beanspruchen habe.
In Trakhenen haben also Schulkinder den
preussischen Aerar bestohlen. Der evangelische Bund
hat in Halle ein eigenes Heim errichtet, in welchem
307
abgefallene katholische Priester aus Oesterreich selbst
böhmischer : Nationalität aufgenommen werden, um
hier protestantische Theologie zu betreiben. Der ver-
storbene Theologieprofessor Beyschlag pflegte solche
Kandidaten damit zu begrüssen, dass die Bildung
eines katholischen Priesters höchstens zum Berufe
eines Stiefelputzers geeignet mache. Nichts über pro-
testantische Bescheidenheit. Zum Schlüsse dieses
Kapitels führen wir einige Worte des P. Alban
Schachleithner an, die er in seiner Rede gegen die
Invasion der Pastoren gehalten in Wien am 15. No-
vember 1902 vorbrachte. Er sagte unter anderem
folgendes: „Vor Gott, vor der gesammten Christen-
heit klage ich sie an, sie, die die Fahne des religiösen
Aufruhrs unter uns aufgerollt, dass sie die Leugnung
der Gottheit Christi, die Leugnung der heiligsten Drei-
faltigkeit, die. Leugnung der göttlichem Inspiration
der heil. Schrift in ihrem Bekenntnisse dulden. Ich
fordere die Herren Pastoren und Superintendenten
auf vor aller Welt, ihr Bekenntniss abzulegen. Sie
sollen erklären: Wir glauben und bekennen, dass
Christus die zweite Person der heiligsten Dreifaltig-
keit ist. Und ich sage Ihnen: Die Herren werden
dieses Bekenntniss nicht ablegen, sie werden Phrasen
gebrauchen vom Anschluss an den rechten Mittler
des Heiles, votn göttlichen Meister und .dergleichen,
aber seine Gottheit werden sie nicht bekennen! Ich
weiss nicht, ob die Sonne, seit die Welt steht, je
eine Heuchelei beschienen hat, so riesengross, so
riesenfrech, wie die Heuchelei dieser. Prediger des
Abfalles." „Die wahre Kirche," so führte P. Alban
weiter aus, „ist nur da, wo die Einrichtungen sich
befinden, die Christus für eine Kirche vorgesehen
hat. Eine Kirche, die das von Christus eingesetzte
Lehramt zurückweist und Lehrfreiheit verkündet,
eine Kirche, die die Binde- und- Lösegewalt nicht
kennt, nicht ausübt, die kein oberstes Hirtenämt über
alle ihre Glieder anerkennt, die ist nicht die wahre
Kirche, so wahr Christus Gott ist!"
„Die von Christus gegründete Kirche konnte und
kann nie aufhören," so schloss P. Alban, „die wahre
Kirche zu sein. Die wahre Kirche ist jene, die nach
20*
308
dem unwidersprechlichen Zeugnisse der Geschichte
hinaufreicht in die Zeiten der Apostel: die Kirche
der Päpste, die römisch-katholische Kirche. Sie konnte
nie sich ändern, nie verderben, nie durch schlechte
Menschen, auch nicht durch schlechte Päpste, Bi-
schöfe und Priester verdorben werden! Nie konnte
es für irgend Jemandem in der Welt einen recht-
mässigen Grund geben, von ihr, der allein wahren
Kirche sich zu trennen. Wo Petrus, da die Kirche !u
der kathoL Konfession
1871 1900
XVII. Das Anwachsen des Protestantismus in
Preussen-Deutschland.
Seit dem Preussen die übrigen kleineren Staaten
unter seine Botmässigkeit gebracht hat, wächst auch
stetig die Zahl der Angehörigen der officielen preus-
sisch-landesherrlichen Konfession. Die konfesionelle
Statistik von Preussen-Deutschland bietet folgendes
Bild dar. Zahl der Angehörigen
der eyangelifhen
I | Jahr 1871 1900
Ostpreussen 1,560.865 1,698.465
Westpreussen .... 633.548 730.685
Berlin 735,783 1,590.115
Brandenburg 1,987.891 2,907.863
Pommern 1,397.467 1,579.080
Posen . 511.292 569.564
Schlesien 1,760*441 2,042.583
Sachsen 1,966.696 2,610,080
Schleswig-Holstein • . 1,034.363 1,349.297
Hannover 1,711.728 2,227.816
Westphalen 806.464 1,537.948
Hessen-Nassau .... 988.041 1,308.016
Rheinland 906.867 1,663218
Hohenzollern 1.766 2.847
Königreich Bayern . . 1,342.592 1,749.206
Königreich Sachsen . . 2,493.556 8,972.063
Württemberg 1,248.860 1,497.299
Baden 461.008 704.058
Hessen 584,391 746.201
Mecklenburg-Schwerin 558.492 597.268
Sachsen-Weimar . . . 275.492 847.144
Mecklenburg-Streliti . 96.329 100.568
Oldenburg; 242.945 309.510
Braunschweig .... 302.989 436.976
Sachsen-Meiningen . . 181.964 244.810
Sachsen-Altenburg . . 141.901 189.885
238.007
641.572
51.729
84.530
16.858
1,009.491
1,896.136
126.735
6.276
233.631
949.118
371.736
2,628.137
63.051
3.464.864
53.642
553 542
942.560
239.008
1.336
9.404
167
71.205
7030
1.564
193
268.412
800.342
187.846
159.865
38.121
1,280.077
2,569.336
205.861
30.424
338.767
1,616.377
630.317
4,021.177
63.363
4,362.563
197.005
650.311
1,131.413
341.480
8.127
14.095
1.522
86.917
24.120
4.160
4.718
309
Anzahl der Angehörigen
der evangelischen
Jahr 1871 1900
Sachsen-Koburg . . . 172.786 225.074
Gotba-Anhalt 198.107 301.953
Schwarzb.-Rudolfstadt 75.294 92.298
Schwarzb.-Sondershaus. 66.824 79.593
Waldeck 54.055 55.285
Reuss alt. L 44.898 66.860
Reuss j. L 88.782 135.918
Schaumburg-Lippe . . 31.216 41.908
Lippe 107.462 182.798
Lübeck 51.085 98.671
Bremen 118.103 208.815
Hamburg 806.653 712.338
Elsass-Lothringen . . 270.251 372.078
Deutsches Reich . 25,581.685 35,231.104
der kathol. Konfesston
1871 1900
1.263
3.378
104
176
1.305
150
187
386
2.638
400
3.550
7.748
1,235706
14,869.292
3.314
11.602
637
1.092
1.830
1.041
2.575
785
6.157
2.176
13.380
30.731
1,810.891
20,321.441
Ein sehr genaues Bild des Anwachsens des evan-
gelischen Elementes geben die relativen Zahlen. Unter
1000 Einwohner der Gesammtbevölkerung kamen.
Angehörige
der evangelischen
der kathol. Konfession
Jahr 1871
1900
1871
1900
Ostpreussen . . .
860
850
1278
134
Westpreussen . .
481
467
488
511
Berlin
890
841
62
99
Brandenburg . . .
976
935
17
51
Pommern ....
976
965
11
23
Posen
322
301
637
678
Schlesien ....
475
437
511
550
Sachsen
935
921
60
72
Schleswig-Holstein
989
972
6
21
Hannover ....
872
869
119
130
Westphalen . . .
454
482
534
507
Hessen-Nassau . .
705
689
265
279
Rheinland ....
253
288
734
698
Hohenzollern . . .
26
42
961
948
Königreich Bayern
276
283
712
706
Königreich Sachsen .
975
945
20
46
Württemberg . . .
686
690
304
299
Baden
336
376
645
605
Hessen ....
685
666
280
304
Mecklenburg-Schwerii
i 992
982
2
13
310
Angehörige
evangelischen der kathol. Konfession
'Jahr 1871 1900 1871 1900
Sachsen-Weimar . . 962 956 33 38
Mecklenb*rg-Strelitz 993 980 . 1 14
Oldenburg 767 775 224 217
Braunschweig. ... 971 941 22 52
Sachsen-Meiningen . 968 976 8 16
Sachsen-Altenburg . 998 974 1 . 24
Sachsen-Koburg-Gotha 991 980 7 14
Anhalt 983 955 16 36
Schwarzburg-Rudolst. 996 991 1 7
Schwarzburg- 994 988 2 13
Sondershausen
Waldeck 961 954 23 31
Reuss ältere L. . . . 995 977 3 15
Reuss jüngere L. . . 997 976 2 18
Schaumburg-Lippe . 973 971. 1 18
Lippe 967 955 23 37
Lübeck 979 967 7 22
Bremen 964 928 29 59
Hamburg 904 927 23 40
Elsass-Lothringen . . 174 216 797 762
Deutsches Reich . 623 625 362 360
Diese percentuelle Tabelle zeigt sehr genau die
konfessionellen Verschiebungen in Preussen-Deutsch-
land in den letzten 30 Jahren. Diese Zahlen bedürfen
keines Kommentars, sie sprechen zu deutlich für
sich selbst. Wenn heute Windhorst leben und diese
Tabellen studiren möchte, so würde er wohl die
Wirkungen Preussens im heutigen Deutschland sehr
klar erkennen. Er würde vielleicht sich zu einem
heroischen Kampf aufraffen, wie ihn seinerzeit gegen
Preussen der grosse Görres führte. Die grossen katho-
lischen Führer der Katholiken Deutschlands ruhen im
Grabe. P. Krose taxirt den Verlust der katholischen
Kirche im Deutschen Reiche in den letzten 4 Decennien
auf 2 Millionen Seelen. Wenn im Deutschen Reiche
katholische Priester böhmischer Nationalität in der
Seelsorge wirken möchten, würde der Weihbischof
Frind von Prag und sein Gefolge P. Opitz, Theologie-
Professor Dr. Hilgenreiner in Prag und die Presse
311
des P. Opitz diesen Verlust der katholischen Kirche
auf die Schultern der böhmischen Priester laden,
wie sie es mit der Los von Rom-Bewegung in
Böhmen thun.
Wie das landesherrliche Lutherthum in Preussen-
Deutschland arbeitet, das spüren die Katholiken
sehr gut, alle hohen Staatsämter, die Universitäten
und dergl. sind den Katholiken unzugänglich und
will ein Katholik in Preussen-Deutschland etwa eine
Professur bekommen, muss er die Preussen loben
wie Prof. Dr. Spahn, welcher „Den grossen Ghurfirst"
schrieb und dafür die Professur bekam. Ein junger
Mann trat ins Kloster und frug einen bejahrten
Ordensmann, was er thun solle, damit er in der
Ordensgemeihde doch ein gutes Vorwärtskommen
erziele, kurz dass er prosperire, darauf sagte ihm
der bejahrte Ordensmann, man müsse immer den
Guardian loben. Also ist es auch in Preussen-Deutsch-
land. Man muss die Preussen loben. Wie das landes-
herrliche Lutherthum in Preussen-Deutschland arbeitet,
davon gibt einen traurigen Beweis das furchtbare
Vorkommniss am Hofe in Dresden.
Das in München erscheinende „Deutsches Volks-
blatt" schreibt in der Nummer von ll. Januar 1903
folgendes: Der Dresdener Hofskandal gibt der Presse
nach wie vor reichen Stoff, ihre Spalten zu füllen,
doch sind selbst die Judenblätter nach und nach
gezwungen, die Frau und ihren Galan fallen zu
lassen. Die tadellose Haltung des Kronprinzen von
Sachsen in dieser Angelegenheit, dem selbst die
entlaufene Gattin das Zeugniss eines treuen, biederen
Charakters und vollendeten Ehrenmannes aufstellen
muss, wird von keiner Seite mehr bestritten; die
Märchen von der allzustrengen sächsischen Hofetikette
und dem überfrommen religiösen Leben dortselbst,
welches der tugendlichen Prinzessin das Leben so
verbittert hat, dass sie zur Ehebrecherin worden und
ihrem Manne und ihren Kindern davon laufen musste,
haben sich gleichfalls als haltlos erwiesen. Dagegen
versucht man jetzt, das in seiner grossen Mehrheit
protestantische Volk in Sachsen gegen seine katho-
lische Dynastie zu verhetzen, weil sich der Kronprinz
312
nach der Vorschriften seines Glaubens wohl von
seiner ehebrecherischen Frau trennen, aber nicht
scheiden lassen kann. Wir begreifen vollkommen,
dass man im sächsischen Volke, in welchem andere
konfessionelle Anschauungen über die Ehe vorhanden
sind als am Hofe, eine Scheidung sehr gerne sehen
würde, aber es wäre doch geradezu kindisch zu
nennen, wenn die Sachsen ohne eine Königin absolut
nicht auskommen könnten, noch dazu, nachdem die
Thronfolge durch die schon vorhandene Nachkom-
menschaft des Kronprinzen gesichert ist. Dass die
Prinzessin sich selbst für immer aus dem Lande,
vom Hofe und ihrer Familie verbannt hat, kann den
Sachsen nach unserem Ermessen genügen, alles
übrige ist wesentlich Privat- und Familien sache des.
sächsischen Königshauses. Hocherfreulich wäre es*
wenn man angesichts des jüngst erlebten traurigen
Falles in Dresden mit dem guten Beispiele voranginge»
mit den veralteren Hausgesetzen regierender Familien
zu brechen, wonach nur „ebenbürtige" Ehen geschlos-
sen werden dürfen. Wenn die fortgesetzte Inzucht
in den Herrscher fa in ilien nicht aufhören wird, werden
die schon vielfach zu Tage getretenen Entartungs-
erscheinungen (die auch bei den Hohenzollern schon
mehrfach zu konstatiren gewesen sind) schliesslich
den Bestand der Dynastien ernstlich gefährden. Aber
das hat mit dem, was wir hier sagen wollen nur
nebensächlich zu thun. Wenn man gegenwärtig das
„protestantische Bewusstsein" im Volke erwecken und
gegen die Wettiner auszuspielen sucht, so ist die
Ursache davon nicht in religiösen, ethischen oder
sonst auf idealem Gebiete gelegenen Beweggründen zu
suchen, sondern neben der in den Judenblättern zuin
Ausdruck gelangten Gier nach Auflösung aller BandeT
welche die christlichen Staaten und Völker zusammen-
halten, in der in Deutschland immer frecher und
unverhüllter auftretenden Absicht, die mittel- und
kleinstaatlichen Dynastien zu diskreditiren und dem
Einheitsstaat dadurch Vorschub zu leisten. Alles übrige
— eine frische fröhliche Hetze gegen die „römische
Papstkirche" wird natürlich gerne damit verbunden
— ist Schwindel, nackler Betrug und bewusste Irre-
313
führung der öffentlichen Meinung, Wer das nicht
erkennt, der kann uns aufrichtig leid thun. Damit
bei dieser kurzen Betrachtung der Dresdener Affaire
die Hauptmacher nicht um die ihnen gebührenden
Ehren kommen, wollen wir doch auch feststellen,
dass kein einziges Blatt, das uns zu Gesicht gekom-
men ist, mit einer derartigen Schamlosigkeit die
ganze Angelegenheit in dem von uns gebrandmarkten
Sinne ausgebeutet hat, als die „Münchener Neuesten
Nachrichten.* Es ist selbstverständlich, dass dieses
Blatt, welches in seinem Feuilletonromanen den Por-
nographen Zola zu überbieten sucht, und darin, wie
das z. B. in dem zu Neujahr beendeten Roman ge-
schehen ist, Gespräche zwischen Verliebten bringt,
wie sich der Kindersegen verhüten lasse (!), die
Skandalaffaire der sächsischen Kronprinzessin auch
nach erotischen Seite hin eifrigst auszuschlachten
bemüht ist, seine jüdischen Mitarbeiter haben sich
darin selbst übertroffen. Doch darüber wollen wir
diesem Blatte gegenüber nicht viel Worte verlieren,
dagegen sei konstatirt, dass die „Neuesten" das ein-
zige Blatt gewesen sind, welches schamlos genug
war, die bodenlos gemeinen Erfindungen schweinischer
Wiener Juden über die angebliche Erkrankung der
Kronprinzessin durch das Verschulden ihres Gemahls
in Deutschland zu verbreiten, wie es ja auch das-
jenige Blatt gewesen ist, das den Skandal im Sinne
der angestrebten Verpreussung Gesammtdeutschlands
in der gewissenlosesten und frechsten Weise ausge-
beutet hat, wobei es ihm selbst auf die gröbsten
Lügen nicht angekommen ist, die es in wenigen
Tagen selbst zu widerrufen gezwungen war.
Die „Münchener Neuesten Nachrichten", Publi-
kationsorgan der Behörden, sind Hauptorgan des
Münchener liberalen Bildungspöbels und liegen zudem
in zahlreichen Ministerial-, Regierungs- und Magistrats-
bureaus auf. Man braucht angesichts dieser Thatsache
über die Zustände in Bayern und München kein Wort
weiter mehr zu verlieren. Auch das Manifest König
Georgs gegen die Prinzessin Luise wird auf direkten
Druck Berlins zurückgeführt. Berlin arbeitet mit Hoch-
druck auf die Beseitigung des Hauses Wettin.
314
XVIII. Der Hauskrieg im Lager der Alldeutschen.
Es war am 8. December 1898, an welchem Tage
die Führer der alldeutschen Partei Schoenerer, Wolf
und Eisenkolb die Verabredung getroffen haben, die
Abfallshetze systematisch zu betreiben. Schoenerer
behauptete, in der Frist eines einzigen Jahres werden
sicher 10.000 Personen aus der katholischen Kirche
in Oesterreich den Austritt vollzogen haben. Wolf
selbst meldete seinen Austritt aus der katholischen
Kirche am Grünen Donnerstag 1899 um gleichfalls
den Judas zu imitiren. Schoenerer fiel später ab. Am
16. November 1902 feierte Schoenerer in Wien seinen
60jährigen Geburtstag, wo ihm Ovationen dargebracht
wurden. Schoenerer brüstete sich, dass auf sein Zu-
thun 35.000 Personen in Oesterreich aus der katho-
lischen Kirche ausgetreten sind und theils altkatholisch
oder protestantisch geworden sind. In der Sitzung
vom 7. Juni 1898 spielte sich im Abgeordneten Hause
folgende Scene ab :
„Abg. Wolf verweist sodann auf das Edikt des
Fürstbischofs von Trient gegen die „Bozener Zeitung",
in welcher er den Geistlichen und Diöcesanen ver-
bietet, diese Zeitung zu lesen und zu verbreiten und
bemerkt dazu: Leben wir denn in einem Rechtsstaate,
dass ein übermüthiger oder verrückt gewordener
Pfaffe sich herausnehmen darf, ein so freches Edikt
zu erlassen? (Lebhafte stürmische Unterbrechungen
und Entrüstungsrufe rechts.) Abg. Fischer stürzt mit
geballten Fäusten erregt auf den Abg. Wolf zu. Abg.
Dr. 2itnik: Das ist die deutsche Kultur! Abg. Hagen-
hofer (zu den Deutschen gewendet): Das ist Euer
Führer! Schämt Euch! Pfui! Abg. Wolf: Leben wir
denn in einem Rechtsstaate, dass ein übermüthiger
oder verrückt gewordener Pfaffe . . . (Neuerliche stür-
mische Unterbrechung rechts.) Ich achte alle Priester,
die ihres Rockes Würde achten, aber nicht einen
Pfaffen, der sich herausnimmt, sich so frech über die
Staatsgrundgesetze zu stellen. Vicepräsident Ferjanöic :
Das ist ein Ausfall gegen einen geachteten Stand,
und ich rufe Sie deshalb zur Ordnung. Abg. Wolf:
Sorgen Sie lieber dafür, dass diesen Pfaffen das Hand-
werk gelegt werde. Wohin kämen wir denn, wenn es
315
gestattet wäre, dass irgend so ein verrückter oder toll
gewordener Pfaffe (Entrüstungsrufe rechts) das Recht
hat, gegen irgend einen von uns das Interdikt zu
schleudern oder uns in der Bethätigung unserer staats-
bürgerlichen Hechte zu hemmen? Ich mache einen
grossen Unterschied zwischen Priestern und Pfaffen.
Ich habe Priester kennen gelernt, welche die gross te
Hochachtung verdienen. Aber das geistliche Kleid
darf nicht entwürdigt werden, der Geistliche darf nicht
zum Büttel, zum Polizeiknecht • und auch nicht zum
politischen Agitator herabsinken. Er darf nicht her-
absteigen in die politische Arena, wo man mit Liebe
allein nicht auskommt, sondern wo man auch aus
dem Grunde seines Herzens hassen können muss.
Was soll man aber zu einem Geistlichen sagen, der
beispielsweise in Brüx seinen ganzen rhetorischen
Eifer aufbietet, um Schönerer und Wolf in Grund
und Boden zu treten und sich in den Dienst jener
Faktoren zu stellen, die gegen das Deutschthum ar-
beiten? Das ist der Kanzelredner P. Abel. Es ist
dringend nothwendig, dass alle Diejenigen, denen an
den Idealen des höheren Christenthums und der
katholischen Kirche gelegen ist, Alles aufbieten, um
solche Uebergriffe zu verhindern, denn sonst treiben
sie uns geradezu dem Protestantismus in die Arme.
Sie werden schon sehen, welchen Umfang diese Be-
wegung in dem Augenblicke annehmen wird, wenn
wir die Zeit für gekommen erachten, uns an die
Spitze derselben zu stellen. Heute stehen wir noch
nicht auf diesem Standpunkte. Denn wir wollen nicht,
dass die Kluft zwischen den Alpen- und Sudeten-
ländern neuerlich erweitert wird. Aber wenn es so
weiter geht, dann wird es dazu kommen. Wir werden
dazu gezwungen sein durch solche Erlässe, wie sie
der verrückt gewordene Bischof von Trient erlassen
hat (Lebhafte Entrüstungsrufe rechts), und durch
solche Kanzelreden, wie sie der P. Abel hält. Abg.
Kittl: Hüten Sie sich, Sie werden in den Bann ge-
than werden. Abg. Wolf. Ich bin ohnedies mit dem
Bann belegt, aber ich mache mir Nichts daraus
(Heiterkeit), das heisst, ich bin nur ein sogenannter
toleratus. Man hat mich nämlich als Taufpathe für
316
meinen Neffen nicht anerkennen wollen, and ich
massle mir die Anerkennung erst dadurch erzwingen,
dass ich und meine Familie von beiden Seiten ge-
droht haben, dass wir in dem Augenblicke, in dem
ich nicht als Taufpathe zugelassen werde, zum Pro-
testantismus übertreten. Da scheint man denn doch
ein wenig Angst bekommen zu haben, und man hat
mich dann zugelassen." Während Schoenerer längere
Jahre die alldeutsche Propaganda in den Händen
hatte und als Führer der Partei alleingebietend da
stand, wurde er allmählig gewahr, dass Wolf ihm
bedeutend an Popularität überlegen werde. Schoenerer
begann um seine Führerrolle zu fürchten.
Um des gefürchteten Nebenbuhlers los zu wer-
den, kamen auf die Initiative Schoenerers nun über
Wolf Dinge an den Tag, welche über die Führer der
alldeutschen Bewegung ein grelles Licht werfen.
Den Hauptschlag gegen Wolf führte der alldeutsche
Abgeordnete Dr. Schalk aus anfangs Mai 1902, wo er
den Führer Karl Herrmann Wolf öffentlich in einer
Flugschrift für ehrlos erklärte.
Anfangs November 1902 wurde Wolf in Wien
verklagt vom Verlagskonsortium der „Ostdeutschen
Rundschau", er soll Rechnung legen und wurde ihm
zur Last gelegt, dass er dieses Zeitungsunternehmen
financiell zu Grunde gerichtet habe. Trotz diesen
Skandalscenen fährt Karl Herrmann Wolf fort in Ver-
sammlungen zu reden, und weiter als Hauptagitator
der alldeutschen Sache zu wirken. Diese Männer*
welche im Abgeordnetenhause unerhörten Schimpf
der katholischen Kirche anthaten, die Lehrbücher
des Kirchenlehrers hl. Alfons von Liguori als un-
sichtlich bezeichneten, dabei die unfläthigsten Läster-
worte auf Priester und die Kirche häuften, diese
Männer stehen nun da in ihrer furchtbar sittlichen
Verkommenheit und trotzdem treten sie wieder
öffentlich auf. Es gibt eben bei den Deutschnationaleix
keine Moral mehr.
Von Schoenerer ist es bekannt, dass er in Wien:
seine Häuser an öffentliche Dirnen vermiethet hatte
und auf diese Weise aus dem Sündenlohn reich ge-
worden ist. Das sind Führer der Alldeutschen. Aber
317
auch andere kleinere Grössen und Zutreiber der
Deutschnationalen, Völkischen und Alldeutschen sind
nicht viel besser. In Mähren ereignete sich folgender
Fall. Der Gemeinderath der Stadt Hranice ist künst-
lich in der Hand der Deutschnationalen. Bürgermeister
Dr. Plachky, vom Beruf Advokat, verheiratet mit der
Tochter des Juden Mandl, wurde bei einer Sitzung
des Gemeinderathes von der Frau Brunka öffentlich
aufgefordert, er solle ihr Geld und Ehre wiedergeben.
Die Frau kam als junge Witwe vor 13 Jahren wegen
der Verlassenschaft in die Kanzlei des Advokaten
Dr. Plachky, der sie bei dieser Gelegenheit unsittlich
ausnützte, dieses Verhältniss 13 Jahre fortpflegte und
die Verlassenschaft der Frau so „verwaltete", dass der
Armen nichts übrig blieb. Interessant ist auch das
Geständniss der „Alldeutschen Gorrespodenz", dass
Dr. Eisenkolb deshalb das Mandat eines Abgeordneten
besitzen müsse, um den Schutz der Immunität zu ge-
messen ! Das bedarf keines Kommentars. Armer Staat,
dessen grösste Verräther und Schädiger — Abgeordnete
sind. —
Nachdem durch die Veröffentlichung der un-
lauteren Thaten des Volkstribun Wolf dieser von
seinem Siegeslauf in den Abgrund der Vernichtung
zu gerathen drohte, griff Wolf zur Abwehr und klagte
seine Gegner, damit er einer politischen und existen-
tiellen Ermordung entgehe. Wie halten uns an den Be-
richt des „Prager Tagblattes". Das Judenblatt schreibt :
Brüx, 28. November 1902.
Die mit so viel Spannung erwartete Verhandlung
hat heute begonnen, ohne dass eine sonderliche Auf-
regung in der Bevölkerung wahrzunehmen gewesen
wäre. Kaum 50 Personen standen vor dem Gerichts-
saale und keine Hand regte sich, als Abg. Wolf auf
dem Wege in das Gerichtsgebäude die Strassen pas-
sirte. Auch die Verhandlung gestaltete sich anfangs
durch die massenhaften Verlesungen monoton. Aber
als dann Abg. Schalk die erwartete erbarmungslose
Rede hielt, begann es in dem Gesichte Wolfs nervös
zu zucken und bald darauf geriethen auch schon die
Gegner hart aneinander. Mit allem Aufgebot seiner
bekannt mächtigen Stimmittel und mit den Worten,
318
er verwahre sich gegen eine solche verächtliche Kam-
pfes weise, protestirte Wolf dagegen, dass seine Frau
und sein Familienleben von den Gegnern in die Ver-
handlung hineingezerrt werden. Der Vorsitzende musste
eingreifen und Wolf, der sich immer wieder von seinem
Temperamente hinreissen liess, derartige Bemerkungen
untersagen. Es steht zu erwarten, dass die Erregbar-
keit Wolfs noch öfter solche Scenen hervorrufen wird,
trotzdem sich sein Vertheidiger bemüht, ihn zurück-
zuhalten. Dagegen ist Schalk von einer geradezu be-
rechneten Ruhe und vollkommenen Sicherheit. In den
Verhandlungssaal selbst sind nur wenige Personen
zugelassen. Der Andrang war kein sonderlicher. Unter
den heute noch zu vernehmenden Zeugen befinden
sich der Herausgeber des „ Scherer", Habermann und
Abg. Iro. Doch ist es wahrscheinlich, dass nur zwei
oder drei Zeugen im Laufe der Nachmittagsverhandlung
aussagen werden. Wie verlautet, haben die Schüler
der hiesigen Mittelschulen heute seitens der Direk-
tionen den strengsten Befehl erhalten, sich vom Kreis-
gerichtsgebäude überhaupt fernzuhalten und vor Allem
nicht an den Demonstrationen für die eine oder an-
dere Partei theilzunehmen.
Die Anklage besagt: Ich, Karl Hermann Wolf,
Reichsraths- und Landtagsabgeordneter in Wien, VII.
Kandlgasse 4, erhebe gegen 1. Anton Karl Wüst, am
11. Januar 1863 in Prag geboren, nach Weitentrebetisch
zuständig, evangelisch, verheirathet, Schriftleiter und
Herausgeber der „Nationalen Zeitung" in Saaz, bereits
vorbestraft, 2. Fritz Kränzle, am 12. Februar 1844
in Dillingen (Bayern) geboren, dahin zuständig, katho-
lisch, verehelicht, Buchdrucker in Saaz, 3. Dr. Wil-
helm Feistner, am 16. November 1854 in Wartenberg
geboren, dahin zuständig, katolisch, verheirathet, ver-
antwortlicher Redakteur der „Reichenberger Zeitung"
in Reichenberg, bereits vorbestraft, 4. Wilhelm Stiepel,
am 24. März 1854 in Prag geboren, nach Reichenberg zu-
ständig, evangelisch, Buchdruckereibesitzer in Reichen-
berg, wiederholt abgestraft, 5. Dr. Anton Schalk, am
23. Mai 1869 geboren, dahin zuständig, evangelisch,
ledig, Reichsraths- und Landtagsabgeordneter, in Wien
VII., Sieben stern g9*~- QO -orbestraft, die Anklage.
319
Der Gerichtshof bestand aus: Den Vorsitz führt als
Vorsitzender OLGR. Dr. Balling, als Votanten fun-
giren LGR. Strausä und Dr. Pittner, als Ersatzrichter
LGR. Müller, als Schriftführer Auskultant Dr. Feig.
Dem Namen nach zu schliessen, mag wohl Auskultant
Dr. Feig Hebräer sein. Landesgerichtsrath Strauss über-
häufte den Wolf während des ganzen Processes mit
seinem Wohlwollen. Es ist bekannt, dass ein beträch-
tlicher Procentsatz der deutschen Staatsbeamten in
Oesterreich Schoenerianisch oder Wolfianisch gesinnt
ist. Schalk sagte beim ersten Zeugenverhör über Wolf
unter anderejn folgendes aus. „Huber habe die Ein-
wendung erhoben, dass die Affaire Wolf-Seidel eine
gewöhnliche Liebesaffaire gewesen wäre und in dem
unglücklichen Eheleben Wolfs begründet sei. Um
dieser Behauptung entgegenzutreten, habe der Ange-
klagte erklärt, dass ein Verschulden an dieser un-
glücklichen Ehe die Frau Karl Hermann Wolfs nicht
treffen könne. Die ehelichen Verhältnisse lägen bei
Weitem nicht so, wie in der Öffentlichkeit besprochen
wurde, und wenn die Ehe wirklich eine unglückliche
wäre, so sprechen Thatsachen dafür, dass dies auf
Verschulden Wolfs zurückzuführen sei." Der Ange-
klagte fährt dann weiters fort: „Ich wies darauf hin,
dass alle erotischen Abenteuer von Wolf mit dem
Hinweise auf seine unglückliche Ehe eingeleitet wur-
den. Daflials hiess es thatsächlich auch, dass Wolf
das Geld mit vollen Händen ausgebe, während seine
Frau Mangel leide, dass es sogar vorgekommen sei,
dass er verlangtes Geld seiner Ffau vor die Füsse
geworfen hätte. Dass er seine Frau geschlagen habe,
habe ich nie behauptet. Das bestreite ich. Ich habe
aber erklärt, dass bei dem Charakter des Gegners es
leicht möglich sei, dass er auch im Stande sei, seine
Frau gegebenen Falles zu schlagen. Das Gespräch
kam dann auf das Verhältniss Wolfs zu Fräulein
Tschan, jetzt verehelichte Frau Professor Seidel. Da
sagte ich: Wenn das Verhältniss wirklich aus der
Leidenschaft entsprungen ist, so müsste man Nach-
sicht haben. Aber auch wenn es eine schöne ideale
Liebe gewesen wäre, auch dann hätte die alldeutsche
Vereinigung die Pflicht gehabt, Stellung dagegen zu
320
nehmen und Karl Hermann Wolf aus der Vereinigung
auszuschliessen. Ich habe aber bestritten, dass von
einer sittlich ethischen Leidenschaft die Rede sein
kann. Sowie Wolf sich im Falle Seidel benommen
hat, so hat er es auch in den anderen Fällen gemacht.
Der Angeklagte führt diesbezüglich, ohne einen
Namen zu nennen, einen Fall an und bemerkt, dass
er für seine Behauptung den Beweis in Gestalt eines
Liebesbriefes in Händen habe. Der Privatankläger
habe dem Angeklagten selbst erzählt, er habe an-
lässlich einer Versammlung in Bischofteinitz Bezie-
hungen zu einem Mädchen angeknüpft Dr. Schalk
solle ihm das nicht weiter übel nehmen, nach den
Aufregungen einer politischen Versammlung bedürften
seine Sinne immer einer Auflösung. Dass der Ange-
klagte aber erklärt habe, der Privatankläger habe ein
Mädchen im juristischen Sinne, im Sinne, des Gesetzes
vergewaltigt, sei unwahr. Ich habe — sagt Dr. Schalk
— ausdrücklich erklärt, dass von einer Vergewaltigung
im juristischen Sinne nicht gesprochen werden könne.
Darum habe es sich auch gar nicht gehandelt.
Der Zeuge Dr. Huber sagte über Wolf folgendes.
Dr. Adolf Huber gibt bei Abnahme der Generalien
an, dass er 28 Jahre alt, altkatolisch und Schriftleiter
in Linz ist. Ueber das Gespräch lässt er sich folgender-
massen vernehmen : Es war am 25. Februar d. J., da
kam Dr. Schalk zu einer Besprechung der alldeutschen
Partei nach Linz, der nicht ich beigewohnt habe,
sondern Schriftleiter Sträucher. Dieser erzählte mir
nun nachher, es seien da schreckliche Dinge über
Wolf ausgesagt worden. Es wäre die Rede gewesen
von Vergewaltigung und Wechselfälschungen. Später
leistete ich einer Einladung Dr. Schalks zu einer Kon-
ferenz über eine private Unternehmung Folge. Herr
Schalk erörterte u. A. den Plan der Gründung eines
alldeutschen Tagblattes. Er kam auch auf Wolf-
Affairen zu sprechen, deren Details schon längst vor-
her in allen Blättern zu lesen waren. Dr. Schalk
äusserte sich nun zu mir, dass es ausser diesen be-
reits bekannten Fällen noch einige ganze Menge
schmutziger Weibergeschichten gebe. Bei einer Ver-
sammlung in Bischofteinitz sei Wolf mit einem Mäd-
321
chen verschwunden; dieses Mädchen habe sich dann
an Dr. Schalk gewendet und diesem mitgetheilt, dass
Wolf sie zu einem unsittlichen Akte gezwungen
habe. Diesen Brief hätte er (Dr. Schalk) im Besitze.
Weiter wurden die schlechte Geldwirthschaft und die
Bilanzfälschungen in der „Ostdeutschen Rundschau"
erörtert. Auch auf die Familienverhätnisse K. H.
Wolfs kam die Rede. Es wurde erzählt, Wolf brauche
eine ganze Menge Geld fürs Haus, 6000 fl. wurden
genannt, Wolf werfe seiner Frau das Haushaltungs-
geld in einzelnen Geldstücken vor die Füsse. Dann
erzählte Dr. Schalk noch einige intime Vorgänge. Die
Bilanzfälschungen könnten unmöglich ohne Wolfs
Wissen vollzogen worden sein. Dann wurden auch die
Wechselfäschungen zur Sprache gebracht. Dr. Schalk
brachte Gerstgrasser damit in Verbindung; dessen
zweifelhafte Persönlichkeit könne Wolf nicht un-
bekannt gewesen sein, denn Wolf soll sich geäussert
haben : Diesen Kerl könnte ich ins Kriminal bringen.
Warum thut das Wolf nicht? Die Frage Dr. Rosas,
ob Schalk auch grundlos andere Personen verdächtigt
habe, verneint der Zeuge.
Dann wurde Schriftleiter Quido List vorgenommen.
Seine Aussage erregt Sensation theils durch ihren
Inhalt, theils durch die Fragen, die Wolf daran knüpfte.
Der Zeuge sagte aus: Die Sache ist ziemlich lange
her. Ich habe ihr damals keine Bedeutung beigelegt.
Einmal kam Schaufler zu mir und erzählte, er habe
mit einem russischen Staatsrathe gesprochen, der ein
Blatt suchte, das Propaganda für die Einführung
russischen Getreides machen würde. Er stellte dafür
eine Subvention von 30.000 fl. in Aussicht. Ich war
damals ein intimer Freund von Wolf und kannte
seine Geldangelegenheiten. Ich dachte, ich könnte ihm
damit helfen, und schrieb ihm die Sache in einem
Briefe, der die Aufschrift „ Persönlich!" trug. Darauf
kam zuerst Redakteur Sedlak zu mir, dem gegenüber
ich mich sehr reservirt verhielt. Ich fragte ihn, wie
er dazu komme den Brief zu öffnen, und er antwor-
tete, dass er geglaubt habe, es handle sich um ein
Feuilleton. Dann bin ich mit Wolf zusammengetroffen
und er sagte mir nach einigem Nachdenken, das wäre
21
322
zwar kein Verbrechen, aber es müsste geheim bleiben.
Dann hat Wolf mit Schaufler darüber gesprochen. Er
sagte mir noch bei der Unterredung: Du, wenn die
Sache zu Stande kommt, will ich Dir fürstliche Hono-
rare zahlen. (Bewegung.) Dr. Rosa: Woher wissen
Sie denn, dass Wolf mit Schaufler gesprochen hat.
Zeuge: Wolf hat es mir selbst gesagt. Dr. v. Berger:
Sagen Sie mir nochmals genau, was Ihnen Wolf gesagt
hat. Zeuge: Er hat mir gesagt, er sieht nichts Un-
rechtes darin, aber nachdem er von allen Seiten
beobachtet werde, müsse er sich sehr in Acht nehmen.
Für sich brauche er das Geld nicht, aber es wäre
ihm lieb, wenn er seine Familie besser ernähren
könnte. (Neuerliche Bewegung.) Ueber die Geldwirth-
schaft in der „Ost. Rundschau" gibt Zeuge Dr. Ba-
reuther an, dass die „Ostdeutsche Rundschau" öfters
in Geldknappheit war. Es wurden auch wieder-
holt Sanirungsaktionen zur Verbesserung der Verhält-
nisse eingeleitet. Dabei wurde aber die Bedingung
aufgestellt, dass die Geschäftsgebarung unter Kontrole
gestellt werde. Darauf ging aber Wolf nicht ein, da
er fürchtete, seine Selbstständigkeit verlieren zu können.
Eine derartige Aktion ist auch im Frühjahre unter-
nommten worden, aber sie führte zu keinem Resul-
tate. Auf Anregung des Verwalters Gutmann wurde
nämlich eine Versammlung einberufen, welche erklärte,
dass eine künftige Sanirung nur durch Umwandlung
der „Ostdeutschen Rundschau" in eine Genossenschaft
möglich sei. Es wurde ein Komite eingesetzt, welches
Wolf, der an dieser Versammlung nicht theilnahm,
von den gefassten Beschlüssen in Eenntniss setzte.
Gerstgrasser, Administrator der „Ost. Rundschau*"
gibt an, dass Wolf in diesem Blatte monatlich 125 fl,
dann Quartiergeld und Agitationspesen, im Ganzen
nicht über 200 fl. hatte.
Wenn man noch hinzurechnet die Gelder, welche
Wolf als Reichsrath- und Landtagsabgeordneter be-
kommt, die sicherlich jährlich über 2000 Gulden aus-
machen, ersehen wir, dass für Wolf die Politik kein
schlechter Erwerb ist. Der Prokurist der Firma Schoeller
Herr Gniess gab an, dass das Zuckerkartell für die
„Ost. Rundschau" ein jährliches Pauschale von 4000
323
Kronen festgesetzt habe. Wolf gab zu, dass sein Organ
vom Zuckerkartell im Ganzen 1200 Krönen erhalten
hat. Nun kam im Processe die heisse Stunde für
Wolf. Es sollte der Ehebruch mit der Frau des Prof.
Seidel gerichtsmässig zur Verhandlung kommen. Dr.
Berger sagte: Abg. Wolf hat sich mit der Tochter
eines Gesinnungsgenossen, mit der Frau eines Partei-
genossen, in ein intimes Verhältniss eingelassen. Er
ist als Brautzeuge gestanden, wo er sich des schweren
Verbrechens gegen die Sittlichkeit bewusst war. Durch
seine Handlungsweise ist seiner Partei ein grosser
Schade zugefügt worden und alle Blätter des In- und
Auslandes haben diese Affaire ausführlich besprochen.
Es ist darüber in der breitesten Oeffentlichkeit ge-
sprochen worden, es wurde die Sache an die grosse
Glocke gehängt, es entfällt daher der Einwand des
Gesetzes, dass der Wahrheitsbeweis für private und
Familienangelegenheiten nicht zulässig sei. Er spricht
sich für die Zulässigkeit des Wahrheitsbeweises auch
noch insofern aus, als ja diese Angelegenheit der
eigentliche Kern der Sache sei und alles Andere nur
begleitende Umstände seien. Es sprechen alle Gründe
dafür, dass diese Angelegenheit durchgeführt werde.
Dr. Rosa, der Vertheidiger Wolfs spricht sich
gegen die Zulassung des Wahrheitsbeweises aus, nicht
etwa weil sich sein Klient fürchte, dass diese Ange-
legenheit hier erörtert werde. Er ist der sicheren
Ueberzeugung, dass es seinen Gegnern nicht gelingen
werde, den Beweis für die in der Broschüre ausge-
sprochenen Beschuldigungen zu erbringen. Mein Klient
will lieber Unrecht leiden, ehe er als Mann einem
Weibe gegenüber als Angreifer erscheint Das ist der
eine Grund, warum wir gegen diesen Punkt der
Broschüre keine Anklage erhoben haben. Ein weiterer
Grund hiefür ist, das es auf Grund der heutigen Ehr-
begriffe üblich ist, eine Angelegenheit als abgethan
zu betrachten, wenn man für ein Vergehen Genug-
thuung geboten und sein Leben aufs Spiel gesetzt
hat. Wolfs Vergehen motivirt aber deshalb noch immer
nicht den Begriff der Ehrlosigkeit, denn man kann
dies nur von einem Weibe sagen, wenn sich dieses
preisgibt, von einem Manne jedoch nicht, der sonst
21*
324
seine Pflicht erfüllt. Es heisst nicht umsonst: Wer
nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein
Narr sein Leben lang. Vom Standpunkte der Moral
wird mau sagen : Das gehört sich nicht, man kann
aber deshalb einen Menschen nicht für ehrlos erklären.
Nur dann könne der Wahrheitsbeweis zugelassen
werden, wenn Wolf selbst diese Angelegenheit in die
Oeflfentlichkeit gezerrt hätte, aber nicht, wenn er ein-
sieht, dass er gefehlt habe, und erst dann in dieser
Angelegenheit in die Oeffentlichkeit getreten ist, als er
gezwungen war, unwahren Gerüchten entgegenzutreten.
Der Kern der ganzen Sache ist der Kampf zweier
politischer Parteien, und das soll geeignet erscheinen,
dass eine Mutter gegen ihr Kind im Gerichtssaale
aussagen soll? Das kann und darf nicht geschehen.
Es sei sehr bedauerlich, dass hier ein Kampf geführt
werde, der eine politische Persönlichkeit wie Wolf
vernichten soll. Man lasse es darauf ankommen,
dass Personen in ihren heiligsten Gefühlen verletzt
werden, (mit erhobener Stimme) dass eine Frau ihre
Schande eingestehen soll, weil Herr Dr. Schalk frei-
gesprochen werden will. Das kann nicht sein und
wäre im Widerspruche mit dem Gesetze. Der einzige
Richter in dieser Sache waren seine Wähler, und die
haben mit Begeisterung durch die Wiederwahl Wolfs
zu erkennen gegeben, dass sie ihn nicht verdammen.
Dr. Rosa bittet daher die gestellten Beweisanträge
abzulehnen.
Nun ergriff auch Wolf für seine Person das Wort.
Hoher Gerichtshof ! Meine Herren Geschworenen ! Die
Peinlichkeit, welche die Erörterung des in Frage
stehenden Falles für mich hat, entspricht nicht der
Befürchtung, dass durch die Darlegung derselben
der mir gemachte Vorwurf begründet und erwiesen
wird, sondern der Befürchtung, dass wir Zeugen von
Scenen werden, wo die Mutter die Tochter beschul-
digt, der Mann gegen die mitschuldige Dame auftritt.
Und so müsste ich bei der Peinlichkeit, die es für
mich hat, in diesem Punkte mich dadurch verthei-
digen, dass ich nach einer Seite hin anklage, der
gegenüber ich als Mann schonend vorgehen sollte.
Diese Peinlichkeit wird jeder anständige Mann be-
325
greifen, vielleicht Erleichtert es das ganze Verfahren,
vielleicht den Beschluss des Gerichtshofes, als auch
die Schöpfung eines Urtheiles, wenn, ich die Erklä-
rung abgebe: Ich habe in dieser Sache gefehlt. Ich
weiss, dass ich gegen die allgemein üblichen Grund-
sätze, gegen die Anschauungen der Moral gefehlt
habe, gefehlt in der Aufwallung und Erregung sinn-
licher Leidenschaft. Es war dies eine Verwirrung,
die gewiss nicht zu entschuldigen ist, gegen die nur
solche als Kläger auftreten können, die sich salbst
makellos und rein fühlen. In der Bibel steht: Wer
sich rein fühlt und ohne Schuld, der werfe den
ersten Stein. Ich weiss nicht, wer von uns Anwesen-
den, ich weiss nicht, ob der Verfasser der Broschüre
berufen ist, den ersten Stein gegen mich zu schleu-
dern. Ich gestehe es, dass ich es tief bedauere, nicht
deshalb, weil ich dadurch Nachtheile erlitten habe,
sondern aus politischen Gründen bedauere ich es. Es
geschah dies zu einer Zeit, in welcher wir, böhmische
Abgeordnete, in stürmischen Zeiten uns befanden,
wo wir den czechischen Pöbelmassen ausgesetzt waren.
Da eilte ich von Versammlung zu Versammlung,
meine Leidenschaften waren entflammt und die Ver-
sucher waren in mannigfacher Form an mich her-
angetreten. Ich habe gefehlt. Ich weiss nicht, ob nicht
auch ein Stärkerer unterlegen wäre. Eine Verführung
im strafgerichtlichen Sinne liegt nicht vor. Es war
keine Verführung; auch das Alter der beiderseitigen
Personen lässt das als ausgeschlossen erscheinen. Es
war auch keine Verletzung des Gastrechtes, denn den
Vater der Dame habe ich nur oberflächlich kennen
gelernt: von intimen freundschaftlichen Beziehungen
war damals noch gar nicht die Rede. Ich bin erst
nach diesem traurigem Fall mit dem Vater der Dame
bekannt geworden und wurde mit ihm später in
einer Weise befreundet, dass ich es ohne Weiteres
über mich bringen konnte, von dem betreffenden
Herrn ein Darlehen für die „Ostdeutsche Rundschau"
anzunehmen.
Wolf beruft sich darauf, dass er sich sittlich in
einer Zeit vergangen habe, wo die deutsch-böhmischen
Abgeordneten in stürmischen Zeilen sich befanden,
326
wo sie den czechischen Pöbelmassen ausgesetzt waren.
Hier hat Wolf auf die Geschworenen eingewirkt
dass sie ihm das Sittlichkeitsverbrechen als dem
Vorkämpfer und Helden des deutschen Volkes nicht
anrechnen dürfen. Das böhmische Volk als solches hat
sich mit der Person des Wolf noch nirgends abgegeben
und soll es nun als Sündenbock für alldeutsche
Schweinereien dienen! Wolf hat vergessen dem
Schwurgerichte mitzutheilen, dass ihm zum Schutze
seiner Person während der Landtagsession in Prag
2 Geheimpolizisten zugegeben waren, die ihn überall
folgten, und als sie sahen, dass Wolf mit Vorliebe
solche Gassen der ehemaligen Judenstadt in Prag
aufsuche, wo verrufene Lupanare dicht neben einander
sind, haben sich die Geheimpolizisten um Wolf nicht
mehr gekümmert, sie wussten, er sei gut aufgehoben.
Dr. Schalk erwiderte, Wolf habe hier weitschweifig
Dinge enthüllt, über welche er angeblich den Schleier
ziehen wollte. Was er vorgebracht hat, sind Entschul-
digungen führ ihn, und Beschuldigungen für Jene, die
er vernichtet hat. Es geht hier nicht, dass man
Grenzen zwischen privater und öffentlicher Ehre
zieht. Wer als Privatmann keine Ehre hat, der ist
auch nicht berufen im öffentlichen Leben eine Rolle
zu spielen.
Der Gerichtshof entschied, dass der Fall Wolf-
Seidel in die Verhandlung nicht hineingezogen wurde.
Der Berichterstatter des „Pr. Tagblat" schreibt von
Brüx aus am 1. Dezember. Abg. Schönerer wird morgen
nicht bei der Verhandlung erscheinen. Der Wiener
Arzt Dr. Pilz hat dem Abg. Schönerer ein Zeugniss
ausgestellt, nach welchem dieser an einem akuten
Bronchialkatarrh erkrankt und in Folge dessen am
Erscheinen im Gericht ssaale verhindert ist. Die Ver-
treter des Abg. Wolf und Dr. v. Berger als Vertreter
der beiden Angeklagten Schalk und Wüst haben sich
daraufhin in einer gemeinsamen Konferenz mit dem
Vorsitzenden LGR. Balling dahin geeinigt, selbst von
der Einvernahme des Abg. Schönerer im Requisitions-
wege abzusehen. Hiedurch ist dem Angeklagten Dr.
Schalk ein Zeuge entgangen, von dessen Aussagen er
sich einen schwerwiegenden Eindruck versprochen
327
hatte. Für den morgigen Tag ist überdies seitens der
Angeklagten eine Reihe von Alldeutschen und seitens
des Klägers eine Anzahl ostdeutscher Abgeordneter
und Parteigänger zur Zeugenaussage vorgeladen. Von
diesen sind auch die meisten in Brüx bereits einge-
troffen. Auf die Einvernahme des Abg. Beurle, der
krankheitshalber nicht erscheinen kann, haben beide
Parteien verzichtet. Es verlautet, dass heute mit dem
Druckereibesitzer der Saazer „Nationalen Zeitung",
der neben dem Landtagsabg. Wüst wegen des Ab-
druckes der Broschüre angeklagt ist, ein Ausgleich
auf einer ähnlichen Grundlage zu Stande gekommen
ist wie mit Dr. Feistner und Herrn Stiepel von der
j,Reichenberger Zeitung". Von den ursprünglich fünf
Angeklagten bleiben demnach bloss Dr. Schalk und
Landtagsabg. Wüst übrig. Morgen wird die russische
Bestechungsaffaire noch zur Verhandlung gelangen.
Der Kronzeuge Schaufler verlangte einen Vorschuss
von 100 K, der ihm auch bewilligt wurde. Ausserdem
sind die bereits einvernommenen Zeugen Lisst, Flis-
singer und der Bruder des Angeklagten Schalk, der
Wiener Buchhändler Friedrich Schalk, vorgeladen,
um mit Schaufler konfrontirt zu werden. Dr. v. Berger
hat wegen Ablehnung seines Beweisantrages in der
Affaire Seidel die Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht.
Damit war auch Dr. Schalk verrathen und verloren.
Schönerer hatte ihn zum Process aufgestachelt und
ihn dann im Stiche gelassen. Die Krankheit hat Schö-
nerer simulirt. Ueber Wolfs politische Haltung sagte
Dr Berger, dass sich darüber wenig vorbringen lasse.
Trotz des weitgehendsten Entgegenkommens der all-
deutschen Vereinigung und Schönerers, der sich stets
-ihm als uneigennütziger Freund gezeigt habe, habe
Wolf stets aus eigennützigen und selbstsüchtigen Grün-
den etwas zu erzwingen gewusst, — trotz derUeber-
zeugung, dass er dadurch der von ihm vertretenen
Sache einen empfindlichen Schaden zufügen könnte.
Der beste Beweis, dass er die nationale Begeisterung nur
ausgenützt habe und dass er nicht nur nach seinen glän-
zenden Reden beurtheilt werden solle, sei, dass er
nach einer Bismarckfeier, bei der eine Stunde vorher
das hohe Lied der Begeisterung gesungen, in einem
328
öffentlichen Lokale unzuchtige Handlungen begehen
konnte. Zu Wolf gewendet sagte Dr. Berger : Sie
waren der Mephisto der Partei. Zeuge Abgeordneter
Stein erläutert ausführlich, dass schon im Jahre 1895
zwischen ihm und Wolf ein Streit ausgebrochen ist,
weil Wolf damals ein Wahlkompromiss mit den
Christlich-Socialen eingehen wollte. Eine Folge dieser
Verstimmung war auch der Rücktritt Schönerers. Gleich
nach den Reichsrathswahlen im Jahre 1899 hat es
geheissen, dass eine Spaltung im Alldeutschen Lager
bevorstehe. Er (Zeuge) habe sich daraufhin in die
„Ostdeutsche Rundschau" begeben und dortmit Schalk,
den er dort antraf, im Einverständnisse mit Wolf eine
Briefkastennotiz veröffentlicht, in welcher Wolf unter
seinem Namen dieses Gerücht energisch widerruft.
Der Zeuge erzählt weiter, dass die politische Hal-
tung Wolfs immer bedenklich war. Wolfs Haltung
war immer bedenklich, weil es die alldeutsche Ver-
einigung für unmöglich hielt, gegen die Liguori-Moral
aufzutreten, solange sie Wolf in ihrer Mitte hatte.
Wolf: Auf wessen Vorschlag haben Sie das Mandat
in den Landtag erhalten ? Stein : Ich war dort bereits
sehr beliebt und allseitig aufgefordert worden, zu
kandidiren. Wolf: Sie sind auf meinen Vorschlag hin
gewählt worden. Stein : Das ist nicht wahr. Uebrigens
haben Sie damals zu Zwecken der Agitation 1000 Mark
aus Hamburg bekommen und mir nur 50 fl. gegeben.
Wolf springt erregt auf und ruft: Das ist nicht wahr.
Ich habe diese Summe für die gesammte Wahlbewe-
gung erhalten. Sie zeihen mich hier der Unterschla-
gung. Warum haben Sie denn das nicht für die Bro-
schüre Schalks verwendet?
Das ist eine sehr wichtige Etappe im Bruxer
Process. Hier liegt es offen, dass die Alldeutschen
Oesterreichs mit reichsdeutschen Unterstützungen
ihre Agitationen unternehmen. Die Hofrathe in Wien
spielen hier die Politik des Vogel Strauss.
Am 6. Dezember wurde das Beweisverfahren ge-
schlossen.
Der Vertheidiger Dr. Schalks, Advokat Dr. Berger
sagte unter anderem Folgendes: Keine Partei kann
und darf das Verschulden eines Mitstreiters, und
329
stünde er noch so hoch, übersehen, ohne sich selbst
herabzuwürdigen. Der Kampf gegen den Klerikalis-
mus und gegen die Liguori-Moral ist eine der wich-
tigsten Aufgaben unserer Partei. „Hütet Eure Frauen
und Mädchen vor den Liguori-Pfaffen", rief Herr
Wolf erst vor Kurzem im Parlamente aus. Die all-
deutsche Partei wäre zum Gespötte aller Uebrigen
geworden, wenn sie durch Herrn Wolf diesen Schlacht-
ruf fortan ertönen Hesse. „Hütet vor Allem Eure
Frauen und Töchter vor Wolf", hätte geantwortet
werden können. Dies konnte sich Herr Wolf selbst
sagen und es wurde ihm von allen seinen Freunden
in allen Tonarten vorgehalten. Wolf beharrte jedoch
bei seinem Entschlüsse trotz der höchst derben und
eindringlichen Mahnung, die ihm durch den Beschluss
der alldeutschen Vereinigung zutheil wurde Er wusste,
dass bei jener Sitzung die näheren Umstände des
Falles Seidel zur Kenntniss gebracht worden waren
und bei allen seinen bisherigen Verbandsgenossen
den tiefsten Eindruck hinterlassen hatten. Er selbst
habe sich dadurch in die Zwangslage versetzt, seine
politische und damit auch wirtschaftliche Existenz
auf den Trümmern seiner bisherigen Partei aufzu-
bauen. Damit war aber auch für seine bisherigen
Kampfgenossen die Notwendigkeit gegeben, gegen
ihn Stellung zu nehmen. Wolf hielt eine lange Rede ;
unter Anderem sagte er: Ich habe nicht gerade ein
ruhiges Leben geführt ; die Umstände der Zeit, in der
ich lebte, brachten es mit sich, dass mein Leben
stürmisch war, dass darin die Leidenschaft eine
grössere Rolle spielte, als es sonst vorkommt und
ich strauchelte. Ich strauchelte auf einem Gebiete,
auf welchem wir alle sterblich sind und es werden
auf diesem Gebiete nur wenige ganz Gute und ganz
Reine sein, die sich als Richter aufwerfen dürfen.
Ich habe diesen Fehler offen eingestanden, nicht dass
ich mich im Büsserhemde vor die Kirchenthüre ge-
setzt hätte. Ich habe das Ganze in mir niedergerungen
und mit meinem Weibe ausgemacht und der Gesell-
schaft habe ich Sühne gegeben nach den in unseren
Kreisen üblichen Begriffen, indem ich mich vor die
Pistole meines Gegners stellte. Dann habe ich mein
330
Mandat niedergelegt. Ich hatte die Absicht, nie mehr
zu kandidiren. Von den Vertrauensmännern meiner
Wähler wurde mir aber mitgetheilt, dass sie diesen
Fehler nicht für geeignet halten, mein völliges Aus-
scheiden aus dem politischen Leben zu begründen.
Da erklärte ich mich bereit, das Mandat wieder an-
zunehmen. Nach dem Vorfalle hätte man noch ein
Bischen geflüstert, aber in einigen Tagen wäre davon
nicht mehr die Rede gewesen. Das aber passte ge-
wissen Leuten nicht in den Kram, denen, von wel-
chen die Worte Schillers im „Gang zum Eisenhammer
gelten: „Es nährten früh und spat den Brand die
Knechte mit geschäftiger Hand." Das war ihnen nicht
recht, die mein Verschwinden aus dem öffentlichen
Leben wollten, weil ich ihnen im Wege stand. In
solchen Sachen sind nur wenige berufen, Richter zu
spielen, denn auf sexuellem Gebiete sind nur wenige
ohne Fehl und „Richtet nicht, auf das Ihr nicht ge-
richtet werdet !u steht in der Bibel und es gibt nichts
Scheusslicheres als das Bild ctes Pharisäers, der
augenverdrehend sagt : „Herr, ich danke Dir, das ich
nicht bin wie dieser Zöllner." Und der Heiland nennt
die Pharisäer übertünchte Gräber. In wenigen Tagen
wäre das Gerede verstummt, aber man wollte es nicht
zur Ruhe kommen lassen. Es war darauf abgesehen,
mich zum politischen und anderen Krepirten zu brin-
gen, wie es in einer Schrift meiner Gegner heisst,
mich zum Selbstmord zu treiben. Dann hätte es ge-
heissen: „Tragt die Leiche weg. Das Spiel kann
weiter gehen."
Dr. Schalk sagte unter Anderem folgendes: Für
mich ist die Politik kein Gewerbe, ich habe auch
Ehre und Leben ohne Mandat Nichts ist unwahrer,
als dass vielleicht das Motiv unseres Kampfes poli-
tischer Neid gewesen. Sie haben hier zugehört, dass
man gegen mich vielleicht in gutem Glauben gehässig
aussagte, aber Keiner hat sagen können, dass ich
gegen Wolf vielleicht in den Versammlungen gehässig
gesprochen habe. Nicht nur ich, sondern auch alle
meine Kollegen haben dasselbe gethan, weil wir den
notwendigen Rückzug unseres Kampfgenossen decken
wollten. Dass dieser Rückzug nothwendig war, hat
331
Wolf selbst eingesehen, der seine Handlungen als
Schlechtigkeit bezeichnete. Es handelt sich hier nicht
um galante Abenteuer, obwohl bei einer Partei wie
der unseren es nothwendig ist, auf sittlichem Ge-
biete vorwurfsfrei zu sein. Das Mandat soll ja nicht
nur Rechte geben, sondern auch Pflichten. Die Pflicht
vor Allem, dass unser Leben unseren Worten ent-
spreche. Es wäre peinlich gewesen, dass einem der
Unserigen eine Entgleisung passirt wäre, aber das
wäre zu verwinden gewesen. Was aber hier geschah,
war keine Entgleisung, sondern eine That, die zur
Ausscheidung des Thäters aus unseren'Reihen führen
musste. Ich glaube, dass keiner von Ihnen Gemein-
schaft mit einem Manne halten würde, der sein Haus
geschändet, seine Tochter verführt hat. Auch in un-
serer Gemeinschaft konnte ein solcher Mann nicht
verbleiben. Wer das Eigene nicht rein hält, der ist
auch nicht berufen, für die Ehre seines Volkes ein-
zutreten. Der Gerichtshof fällte folgendes Urtheil : Das
k. k. Kreisgericht als Schwurgericht in Brüx hat nach
durchgeführter und heute beendeter Verhandlung in
Sachen K. H. Wolf gegen Karl Anton Wüst wegen
des Vergehens der Ehrenbeleidigung und gegen Anton
Schalk wegen Uebertretung der Ehrenbeleidigung
nachfolgendes Urtheil gefällt: Karl Anton Wüst ist
schuldig des Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre
nach den §§ 5, 487, 488 und 491 des St.-G. und wird
nach § 493 des St.-G. unter Anwehdung des ausser-
ordentlichen Milderungsrechtes nach den §§ 266, 261
und 267 der StPO. zu einer Geldstrafe von 1000 K,
eventuell 20 Tagen Arrest verurtheilt. Nach dem § 39
des PG. ist der Schuldige verpflichtet das Straferkennt-
niss nach Rechtskraft binnen einer Woche an der
Spitze nachstehender Blätter: „Nationale Zeitung*
und „Deutsche Bauernzeitung" in Saaz, „Ostdeutsche
Rundschau", „Trautenauer Zeitung" und „Die Deutsche
Volkswacht" in Teplitz auf seine Kosten zu veröffent-
lichen. Dr. Anton Schalk ist schuldig der Uebertre-
tung gegen die Sicherheit der Ehre nach den §§ 5,
487, 488, 489 und 491 des StG. und wird nach §§
493 unter Anwendung der §§ 66, 267 und 261 der
StPO. zu einer Geldstrafe von 800 K, in Nichtein-
332
bringungsfalle zu 16 Tagen Arrest verurtheilt. Wüst
ist schuldig, die Kosten der Geschworenenbank zu
tragen. Die Kosten der Parteienvertreter zahlt zu zwei
Drittel Wüst, ein Drittel Schalk. Der Privatkläger ist
mit Rücksicht auf das erste freisprechende Erkennt-
niss verpflichtet, an Dr. Schalk ein Drittel der Ver-
tretungskosten rückzuerstatten. Dr. v. Berger meldete
sofort die Nichtigkeitsbeschwerde an und bat um Zu-
stellung des Urtheils. Nach der Urtheilsverkündigung
wurden im dichtgedrängten Zuschauerraum des Ge-
richtssaales lebhafte Heil-Rufe laut.
Der Berichterstatter schliesst. Schon zu Beginn
der Berathung der Geschworenen sammelte sich die
Menge an. Als die Geschworenen nach Schluss der
Verhandlung den Saal verlassen hatten, wurden sie
mit Heil-Rufen begrüsst. Diese Heil-Rufe wurden
sehr stürmisch als Wolf mit seinem Vertreter Dr. Rosa
und dem Führer der Ostdeutschen von Brüx Dr. He-
rold das Gerichtsgebäude verliess. Die grosse Menge
begleitete Wolf unter Heil-Rufen und Hütenschwenken
zum Hotel „Im Löwen", wo Wolf mit seinem Ver-
treter Wohnung genommen hat. Vor dem Hotel wur-
den Wolf eine stürmische Ovation und Heil-Rufe dar-
gebracht, sodann wurde die „Wacht am Rhein" ge-
sungen. Auch im Gastzimmer des Hotels wurde Wolf
und seinem Vertreter eine begeisterte Ovation bereitet.
Dann zerstreute sich die Menge, um sich in die Turn-
halle dem abendlichen Versammlungsorte der Ost-
deutschen, zu begeben.
Unter dem Eindrucke des Brüxer Processes mel-
deten die Blätter am 10. Dezember folgendes aus
Wien. Die alldeutsche Vereinigung wurde zu einer
besonderen Sitzung einberufen, um zu dem Ergeb-
nisse des Brüxer Processes Wolf-Schalk Stellung zu
nehmen. Es wurde darin folgende Erklärung beschlos-
sen: „Die Brüxer Geschworenen haben gegen uns
entschieden. Die Korruption erhebt nunmehr kühner
denn je ihr Haupt. Der Verurtheilte, unser bekannter
Mitkämpfer Abg. Dr. Schalk, dem in der wichtigsten
Processangelegenheit der Wahrheitsbeweis verwehrt
wurde, mag unseres steten, aufrichtigen Dankes ver-
sichert sein. Es musste sich uns die Frage aufdrän-
33a
gen, ob wir den Kampf für den alldeutschen Einheits-
und Reinheitsgedanken fortführen oder denselben
als vergeblich einstellen sollen. Wir haben uns für
das erstere entschieden und werden somit im Glauben
an den endlichen Sieg unserer gerechten Sache auch
künftighin trotz der vielfach vorherrschenden Ver-
ständnisslosigkeit im Kampfe für des Volkes höchste
Güter ausharren und die falschen Freunde unseres
Volkes unschädlich zu machen trachten. Wir sind
daher vollauf berechtigt und verpflichtet, den Kampf
gegen Wolf fortzusetzen, dessen Gesinnung und Cha-
rakter genügend dadurch gekennzeichnet erscheint*
dass er den Erwecker und Festiger des alldeutschen
Gedankens in der Ostmark, den Abg. Schönerer auch
im Gerichtssaale einen „grauhaarigen Schurken" ge-
nannt hat. Wir halten fest an unserer Ueberzeugung
und sind entschlossen in Bethätigung unserer Grund-
sätze auch in Zukunft alles Undeutsche und Gemeine
von unseren Reihen fern zu halten. Wir sagen mit
Bismarck: „Wir Alldeutsche werden den Weg, den
wir im Interesse unseres Volkes für den rechten er-
kennen, bis ans Ende gehen, unbeirrt, ob wir Hass
oder Liebe dafür ernten. Wien, 9. Julmond 1902. Die
alldeutsche Vereinigung.** Der „Wiener Allgemeinen
Zeitung" zufolge stellte in der letzten Sitzung der
alldeutschen Vereinigung Abg. Schalk mit Rücksicht
auf den Ausgang des Brüxer Processes sein Mandat
zur Verfügung. Sämmtliche Abgeordnete der Vereini-
gung erklärten, die Verzichtleistung Schalks nicht
annehmen zu können, zumal die Schrift Schalks vor
deren Veröffentlichung von der alldeutschen Vereini-
gung gutgeheissen wurde. Die Vereinigung sprach
Schalk den Dank aus und beschloss, den Kampf gegen
die ostdeutsche Korruption auch in Zukunft mit
allen Mitteln fortzusetzen. Die Wirkung des Brüxer
Proceses war die, dass fast alle Blätter, die früher
zu Schönerer hielten, nun zu Wolf übergingen. Ebenso
dürften bei den künftigen Wahlen die Verbündeten
Schönerers vom Schauplatz verschwinden.
Dieser Process in Brüx brachte den Führern der
alldeutschen Bewegung keinen Gewinn. Die brüxer
Moral lautet: jedes noch so demoralisirte Individuum
334
kann Führer des Volkes sein, wenn es dazu die
nöthige freche Stirn und ein Rednergabe besitzt dem
Nationalgätzen und den Leidenschaften des Volkes
zu schmeicheln.
Die Gruppe der alldeutschen Abgeordneten hat
in den Monaten Januar bis Mai 1901 im österreichi-
schen Reichsrath jede Arbeit durch wüstes Treiben
unmöglich gemacht Fast in jeder Sitzung brachten
Schönerer und Genossen Interpellationen und An-
fragen vor, welche massenhafte Spalten des steno-
graphischen Protokolls ausfüllen und die nur voll von
den gemeinsten und niederträchtigsten Angriffen auf
die katholische Kirche und Priester sind. Hat doch
Wolf am 1. März 1901 eine Anfrage an den Präsi-
denten gerichet, die wir hier wiedergeben. „Wir
haben gestern 2 Interpellationen eingebracht eine
durch den Herrn Kollegen Schönerer, eine 2. durch
den Herrn Kollegen Lindner. In diesen Interpellatio-
nen wurde der Justizminister gefragt, ob er einver-
standen sei, dass ein Staatsanwalt dort und ein Staats-
anwalt da 2 Artikel in den Zeitungen konfiscirt
haben. In dieser Anfrage war nicht ein einziges Wort,
welches unanständig oder unsittlich genannt werden
könnte. Es waren lediglich Angriffe gegen die poli-
tische Macht der Klerikalen, nicht etwa die katho-
lische Religion als solche, sondern gegen die Miss-
bräuche, die in der katholischen Religion zu Tage
treten, gegen die Art wie Frauen und Mädchen im
Beichtstuhle von Geistlichen nach der Vorschrift der
Liguorimoral ausgefragt werden.
Ich denke also, wenn solche Niederträchtigkeiten
in der Welt vorkommen, dass einer, der die Religion,
dieses heilige Gut, zu pflegen hat, den Beichtstuhl
missbraucht um Gedanken der Unzucht und der
Schamlosigkeit in der heranwachsenden Jugend zu
wecken, wenn ein Diener der Religion den Beichtstuhl
missbraucht, um an die Frauen schamlose Fragen zu
stellen, so ist das zweifellos etwas Entsetzliches
Trauriges, Fürchterliches. Aber wir als Männer haben
da nicht die Pflicht mit gesenkten Augen an diesem
Scheusslichen vorüberzugehen, sondern haben, wenn
wir wirkliche Volksvertreter sind, im Interesse der
.^^A
335
Sittlicheit dafür zu sorgen, dass dem mit Entschie-
denheit entgegen getreten werde.* So sprechen all-
deutsche Mädchenschänder und Ehebrecher im öster-
reichischen Parlament gegen katholische Priester. Die
alldeutschen Abgeordneten haben durch derartige
wüste Scenen das österreichische Parlament in aller
Welt der Verachtung preisgegeben. So sagte am 1.
Dezember 1902 Abgeordneter Richter im deutschen
Reichstag folgendes : »Wir stehen vor der Thatsache,
dass zwei Drittel des Reichstages sich über die mate-
riellen Fragen geenigt haben, und dass für die Herren
nur noch die Frage offen ist, wie sie in legitimer
Weise zu einem Ausdruck ihres Willens gelangen.
War der Antrag Kardorff nicht für legitim, nicht für
zulässig erachtet, dann weiss ich nicht, wie es über-
haupt weiter werden soll. Eins aber weiss ich, dass,
wenn in dieser Weise fort verhandelt werden soll
bis zum April, dann der Parlamentarismus an Auto-
rität und Ansehen tief erschüttert wird. (Sehr rich-
tig!) Kämpfen wir so immer weiter, immer heftiger,
sind wir, ehe wir uns versehen, in österreichischen
Zuständen, und, wenn dieser Reichstag, dem ich seit
31 Jahren angehöre, jemals ein Bild darbieten sollte
wie der österreichische Reichsrath, dann würde ich
es für keine Ehre mehr halten, überhaupt einer solchen
Körperschaft anzugehören. (Lebhafter Beifall rechts.
— Unruhe links.) Der deutsche Reichstag soll nach
unserer Meinung ein Muster sein in korrekten For-
men des Parlamentarismus."
Im deutschen Reichstage handelte es sich um
den Zolltarif, welchen die Socialdemokraten auf jede
Weise vereiteln wollten" nach dem Muster der Schö-
nerianer. Auf Antrag Kardorff wurde der Zolltarif ohne
Debatte en bloc angenommen und hiemit der Ob-
struktion der Socialisten ein Ende gemacht. In Oester-
reich aber geschah das Gegentheil. Die Regierung
ergriff wilde Flucht vor Schönerer und Wolf, kapitu-
lierte und anerkannte so die Herrschaft politischer
Räuber, Ehebrecher und Mädchenschänder.
Zum Schlüsse dieses Kapitels bringen wir noch
Folgendes. Das „Trautenauer Wochenblatt" brachte
Anfangs März 1903 diese Nachricht: „Die Frau des
336
Abg. K. H. Wolf hat gegen ihren Gatten durch den
Advokaten Dr. Friedrich Förster beim k. k. Landes-
gerichte in Wien die Ehescheidungsklage eingebracht.
Die Ehescheidungsklage wurde von der unglücklichen
Frau Wolfs wegen fortgesetzter roher Beschimpfung
und thätlicher Misshandlung durch ihren Gatten gegen
diesen eingebracht. Um weiteren Misshandlungen zu
entgehen, hat sich die Arme mit ihren Kindern zu
ihren Eltern nach Cilli geflüchtet, wo sie sich gegen-
wärtig aufhält. Die Ehescheidung wird von Frau
Wolf auch wegen grober sittlicher Verfehlungen und
8Verirrungentt des Abg. Wolf begehrt. In dem Ehe-
scheidungsprocesse wird auch die durch den Process
Wolf-Schneider enthüllte Thatsache eine Rolle spielen,
dass Abg. Wolf eine nahe minderjährige Verwandte
seiner Frau* die in seinem Hause zu Gaste war, zu
schwerer Unsittlichkeit verleiten wollte, ein Vergehen,
das Abg. Wolf mit Volltrunkenheit zu entschuldigen
und zu bemänteln suchte. Der Process, durch den
die Frau des Abg. Wolf ihre Befreiung von einem
langen Martyrium sucht, wird schon demnächst durch-
geführt werden." — Im Brüxer Proce*se führte Wolf
seine Frau als „braven deutschen Kameraden" vor,
der ihm verziehen habe. Herr Wolf scheint es auch
in diesem Exempel mit der Wahrheit nicht genau
genommen zu haben, was seine Getreuen nicht hindern
wird, ihn auch fernerhin als „hehre Siegfriedsgestalt",
als „Perle des deutschen Volkes" zu feiern.
Zum Schlüsse wollen wir nur folgendes bemer-
ken. Man beachte doch die „sittlichen" Anschauungen
des Vertheidigers Dr. Rosa und des Abg. Karl Wolfs
selbst und vergleiche sie mit den Angriffen, welche
Wolf und seine Genossen gegen katholische Priester
und die gelehrten Werke des hl. Alfons von Liguori
massenhaft gerichtet haben. Die Alldeutschen ver-
decken ihre eigene Unmoral durch Verleumdung und
Schmähung Unschuldiger.
XIX. Der Kampf um die Nationalität dringt in die
katholische Kirche ein.
Der Mensch im Getriebe der blinden Leidenschaf-
ten macht kein *" einmal vor den heiligen
337
Thoren der Kirche. Im Mittelalter haben Verbrecher
das Recht genossen, wenn sie die heiligen Räume der
Kirche betraten, dass sie hier vor der Justificierung
geschützt waren. In unseren Tagen machtder Nationa-
litätenhass nicht einmal Halt vor dem Altare. Wir
wollen hier nicht auf die erhabenen Lehren des
Ghristenthums eingehen, wie sie über das Wesen des
Menschen, die Gleichheit aller Menschen vor Gott,
die Zuwendung der Erlösungsgnade allen Menschen
auf Erden gelehrt werden, das sind Lehren, welche
der katholische Katechismus klar und deutlich enthält
Aber wie anders sieht es im Leben aus. Wer das öffent-
liche Leben heute beobachtet, muss unwillkürlich
zur Erkenntniss gelangen, dass das Christenthum
wohl gelehrt, aber nicht befolgt wird. Die Lehren
Christi finden bei den Menschen keine Anwendung.
Man predigt auf der Kanzel Liebe und wenn man von
der Kanzel heruntersteigt, prakticiert man den Hass,
man lehrt in der Schule, dass alle Menschen vor Gott
einander gleich sind, aber in der Wählerversammlung,
oder in der Sitzung des Gemeinderathes wird pro-
klamiert, dass alle Nichtdeutschen minderwertig sind.
Kurz überall finden wir das Gegentheil von dem,
was gelehrt wird. Die Lehre Christi findet im wirk-
lichen Leben nur selten Anwendung. Mit Moral baut
man keine Eisenbahnen, mit der christlichen Nächsten-
liebe hätte Bismarck sicher nicht das heutige Preussen-
Deutschland aufgebaut. Die Nationalitätenpolitik,
wie sie heute von allen Grossmächten gehandhabt
wird, kann die Lehren Christi für ihre Zwecke absolut
nicht brauchen. Wenn man systematisch auf Raub
ausgeht, wenn man den Nachbar plündern will,
nimmt man doch nicht den Katechismus zur Hilfe,
sondern man greift zum Pulver und Blei. Das Recht
ist heute nur dort, wo es mit der Gewalt vertheidigt
werden kann. So war es, und wird es auch bleiben.
Je mehr die Völker und Staaten vom Christen-
thum abfallen, desto furchtbarer und wilder wird
der Hass und Kampf unter ihnen wüthen. Gemäss
der Weisung des göttlichen Stifters : gehet und lehret
alle Völker, hat die katholische Kirche überall die
erhabene Lehre Christi den Völkern in ihrer Mutter-
22
S38
spräche verkündigt und gelehrt. Das Organ des
österreichischen Episcopats das Wiener „Vaterland8
brachte am 12. Februar 1898 einen Artikel über die
Sprache des Religionsunterrichtes. Der Artikel sagt, es
handelt sich hier nicht um eine innerpolitische Er-
örterung — schon deswegen nicht, weil der Gegen-
stand kein politischer ist, — noch auch um ein
Zurückgreifen auf eine jüngsthin öffentlich behandelte
Angelegenheit, sondern um Hinweis auf die einschlä-
gigen Principien, und dieser Hinweis erscheint wahr-
lich nicht überflüssig, erwägt man die Anschauungen,
die in der bewussten Interpellation der Urteutonen
zutage traten. Die Interpellanten betrachten es offen-
bar als etwas ganz Selbstverständliches, gar keinem
Zweifel Unterliegendes, dass es das ureigenste Recht
der staatlichen Schulbehörde sei, ganz selbständig
zu bestimmen, in welcher Sprache der Religions-
unterricht in den öffentlichen Schulen zu ertheilen
sei; ja sie möchten sogar vorschreiben, in welchem
Idiom vor der Beicht zu beten sei; fehlt nur noch,
dass der Staat auch dekretirt, in welcher Sprache
die Kinder zu beichten haben. Da haben wir wieder
ein Resultat moderner Begriffsverwirrung. Demgege-
nüber ist als Princip festzuhalten : So wie die Kirche
und sie allein das angeborne Recht besitzt, alles auf
den Religionsunterricht Bezügliche (Inhalt, Methode,
Lehrbücher) zu bestimmen, so steht es an und für
sich nur der kirchlichen Autorität zu, auch die Sprache
zu bezeichnen, in welcher der Religionsunterricht zu
ertheilen ist. Massgebend für die kirchliche Autorität
ist hierin das Bedürfniss, Ob und wie die kirchliche
Autorität sich mit der staatlichen Schulbehörde ins
Einvernehmen setzt, welchen Einfluss sie bei der
Ausübung dieses ihr ganz unabhängig und selbst-
ständig zukommenden Rechtes der staatlichen Gewalt
gestattet, ist wieder ihre Sache und ihrer Einsicht
und Klugheit zu überlassen. Aus dem Gesagten ergibt
sich schon, dass dem Staate an sich das Recht nicht
zusteht, die Sprache des Religionsunterrichtes ein-
seitig und ohne ^Rücksicht auf die kirchliche Autorität
zu bestimme- ~ * dies ebensowenig, wie anord-
nen, in we die Sakramente gespendet
339
Dder gepredigt oder gebetet werden müsse. Es wäre
ein rechts verletzender Uebergriff, es wäre offene Ge-
waltthat, wollte der Staat den Religionslehrer zwingen
den Kindern in einer für sie unverständlichen oder
schlechtverständlichen Sprache den Religionsunterricht
zu ertheilen,
Der zweite principielle Punkt betrifft die Frage:
Wie hat es die Kirche in Bezug auf die Sprache der
religiösen Unterweisung stets gehalten? Die Antwort
auf diese Frage gibt schon das Pfingstwunder. Es
wurde den Aposteln das Sprachen-Charisma, die
Gabe verliehen, sich ihren Zuhörern in deren ver-
schiedenen Sprachen verständlich zu machen — ein
göttlicher Fingerzeig für das Verhalten der Kirche
in aller Zukunft. Und in der That hat die Kirche
stets den Grundsatz hochgehalten und bethätigt, dass
jedem Volke, ja jedem Stamme das Evangelium in
der ihm verständlichen und geläufigen Sprache ver-
kündet werden müsse, und sie hat es ihren Dienern
?ur Pflicht gemacht, sich zu diesem Zwecke mühsamen
Sprachstudien zu unterziehen, und gestattet ihnen
nicht, irgend ein Volk zur Aneignung einer fremden
Sprache zu nöthigen, um die christliche Lehre ver-
nehmen zu können. Die Belege hiefür zählen nach
Tausenden. Aus älterer Zeit sei nur hingewiesen auf
das Verhalten der Heiligen Cyrillus und Methodius,
des heiligen Bonifazius und anderer irischer und
angelsächsischer Glaubensboten in Deutschland, auf
die zahlreichen Synodal dekrete im Fränkischen, welche
die Predigt je nach Bedürfniss in romanischer oder
deutscher Sprache vorschrieben, auf die altromanischen
und althochdeutschen Sprachdenkmäler, welche Gebete,
Katechismusstücke usw. in der Volkssprache enthalten.
Und so wurde es in der Kirche stets und wird es
noch gehalten. Zeuge dessen die immense linguistische
und populärreligiöse Literatur in Hunderten von
amerikanischen, afrikanischen, asiatischen und austra-
lischen Idiomen, die Frucht namenloser, kaum vor-
stellbarer Mühen und Anstrengungen katholischer
Missionäre, die mit Paulus sagen: „Griechen und
Nichtgriechen, Weisen und Unweisen bin ich Schuld-
ner." Nehmen wir in Frankreich die bekanntlich einen
22*
340
keltischen Dialekt sprechenden Bretonen. Keinem bei
ihnen wirkenden Priester wird es je einfallen, etwa
um die Kinder im Französischen vorwärts zu bringen
französischen Religionsunterricht zu ertheilen, und es
wurde z. B. die bekannte in Einsiedeln erschienene-
biblische Geschichte von Businger für den bretonischen
Religionsunterricht ins Bretonische übersetzt („Histor.
an Testament Coz hag an Testament Newez"). Ebenso
existiren für die Rhätoromanen im Canton Graubündter*
eigene Katechismen und Lehrbücher der biblischen
Geschichte, und Niemanden fällt es ein, ihnen
deutschen Religionsunterricht aufzwingen zu wollen*
So lange die Sette Gomuni in Benetin nicht italienisirt
waren, wurden sie in ihrem Dialekt in der Religion
unterrichtet, wie aus dem Büchlein hervorgeht: „Dar
klodne Gatechismo etc." (erschienen 1813, wieder
abgedruckt zu „Padebe" — Padua — 1842). Es kann
aus Rücksicht auf den Zweck des Religionsunter-
richtes gar nicht anders sein, und die Kirche Gottes-
kann nie zugeben, dass es anders gehalten werde.
Der Katechet hat nie und nimmer die Aufgabe, den
Kindern Sprachkenntnisse beizubringen, am allerwe-
nigsten chauvinistischen Zwecken sich dienstbar zu
machen. Der Religionsunterricht hat sich an Verstand
und Willen der Kinder zu wenden, um sie zu einer
solchen Erfassung und Uebung der geoffenbarten
Wahrheit, zu einem solchen Denken und Leben in
und nach dem Glauben zu führen, dass sie dadurch
zum ewigen Heile gelangen. Es wäre eine Gewissen-
losigkeit sondergleichen, diese Aufgabe durch An-
wendung einer unverständlichen Sprache zu erschweren
oder unmöglich zu machen. Das ist die wieder in
neuester Zeit unzweideutig ausgesprochene Auffasung*
und Willensmeinung der kirchlichen Autorität, wie-
sich aus der Instruktion der Kongregation der Bischöfe
und Regularen an den ungarischen Episkopat vom
28. Mai 1896 ergibt, wozu wir bemerken, dass diese
Instruktion auch in vielen diesseitigen Diöcesan-
blättern zur Beachtung mutatis mutandis publicirt
und im „Archiv für katholisches Kirchenrecht u mit
Recht als „ein förmliches Programm für das Leben
und die Thätigkeit des Klerus aller Länder, will er
341
unter den gegenwärtigen Verhältnissen seiner Aufgabe
gerecht werden", bezeichnet wurde. In Punkt 9 der
Instruktion heisst es nun: „Die Bischöfe mögen die
Pfarrer und Katecheten der sich nicht der ungarischen
Sprache bedienenden Gläubigen nachdrücklich (vehe-
menter) mahnen . . . ihnen die christliche Lehre
iiicht eher in ungarischer Sprache vorzutragen, als
bis die Kinder diese Sprache vollständig erlernt haben.
Das fordert ebensosehr das ewige Heil der Kinder
wie das Wohl des Gemeinwesens." Die Natur der
Sache verlangt schon, dass diese autoritative An-
ordnung überall Geltung habe und sinngemässe An-
wendung finde, und keine Regierung, kein Wuotanis-
mus, keine deutsche „Gemeinbürgschaft" oder „Eid-
genossenschaft" vermag hierin etwas zu ändern. Es
handelt sich hier um viel zu heilige Interessen, als
dass man ephemeren Tagesmotionen auf sie Einfluss
gestatten dürfte.
Das „Vaterland" hat aber unterlassen den Lesern
xnitzutheilen, dass die meisten ungarischen Bischöfe
diese Weisung des apostolischen Stuhles ganz ein-
fach unter den Tisch warfen und ihre Publikation
dem Klerus ganz einfach unterliessen. Das geschah
im Namen des magyarischen Staatsgottes. Für die
ungarischen Bischöfe gilt nicht das Wort Christi,
man müsse Gott mehr gehorchen als den Men-
schen, denn wenn sie diese Worte Christi je be-
folgt hätten, so wären sie eben in Ungarn nie eines
Bischofsitzes theilhaftig geworden. Welche Leiden ein
gewissenhafter Bischof zu ertragen hat, in dessen
Diöcese der Nationalitätenhass wüthet, das hat der
von den Italianissimi so grimmig gehasste Bischof
Sterk in Triest erfahren. Bischof Sterk wehrte sich
in einem Hirtenbrief gegen die Italianissimi Anfangs
April 1898. Unter anderem sagte er darin Folgendes:
Treu der Aufgabe eines wahren Hirten wollte ich, da
feh sah, wie mit freigebiger Hand Unkraut auf den
Acker des Herrn gestreut wird, und dass die gewöhn-
lichen Predigten, wo der gute Same des Wortes Gottes
gestreut wird, von wenigen' Menschen gehört werden,
nach dem Beispiele anderer, eifriger und frommer
Bischöfe, zunächst hier in Triest den Leuten, na-
342
inentlich der arbeilenden Klasse, leichte Gelegenheit
bieten, das Wort Gottes zu hören. Darum hatte ich.
angeordnet, einen Gyklus von Abendpredigten noch
Art von Konferenzen in den drei Sprachen abzuhalten,,
in denen jeden Sonn- und Feierlag in unseren Kirchen
gepredigt wird, nämlich in einer Kirche in italieni-
scher und deutscher, in San Giacomo in slavischer
Sprache, wie ja dort schon mehreremale derartige
ausserordentliche Predigten stattgefunden haben.
Nachdem ich später gehört, dass auch die Gläubigen
von San Giacomo italienische Konferenzen zu haben
wünschen, habe ich ihr heiliges Verlangen gesegnet
und verordnet, dass dies sofort nach den Osterfeier-
tagen geschehen soll. — Sodann weist der hochw»
Bischof den Vorwurf, er wolle durch die Predigten
in San Giacomo die Italiener slavisiren, zurück und
stellt Folgendes fest: „Seitdem ich mich als Bischof
in Triest befinde, habe ich bezüglich der Slaven in
Stadt und Territorium die Sachen gelassen, wie ich
sie gefunden und keinerlei Neuerung getroffen. Wenn
ich Neuerungen getroffen habe, so sind nur solche
zugunsten der Italiener gewesen. Ich hatte noch vori-
ges Jahr beobachtet, dass bei S. Antonio Nuovo am
Charfreitag keine italienische Nationalpredigt statt-
fand, und sogleich gab ich den Auftrag, eine solche
zu halten, was grossen Gefallen gefunden hat. Das-
selbe that ich heuer bei S. Antonio Vecchio. Wenn
sich gegenwärtig in Rojano ein Kooperatcr für die
italienische Predigt befindet, wie von meinem Vor-
gänger versprochen worden, so kann ich sagen, das
ist mein Werk, und es kostete mich in Anbetracht
des Priestermangels ein grosses Opfer. Und ich bin
auch bereit, wie schon beschlossen worden, einen
nach Barcola und einen anderen nach Servola zu
schicken, sobald ich einen verfügbaren Priester habe»
Seit längerer Zeit hege ich den lebhaften Wunsch*
für S. Antonio Nuovo einen täglichen Fastenprediger
zu besorgen." -— Hierauf legt der Oberhirt eine
Tabelle vor über die Predigten in den drei Sprachen
im Jahre 1857 und im Jahre 1897. Danach wurden
gewöhnliche Predigten jeden Sonn und Feiertag ge-
halten: 1857: italienische 7, slaviscfee 6, deutsche 2;
343
1897: italienische 14, slavische 6, deutsche 1. Ausser-
ordentliche Predigten wurden gehalten im Laufe des
Jahres 1857 italienische 70, slavische 8, deutsche 18 ;
1897 italienische 350, slavische 8, deutsche 18. Dabei
sind nicht gerechnet die vom Pfarrer von S. Giusto
gehaltenen 120 sogenannten fervorini, das heisst, ganz
kurze eindringliche Ansprachen. Daraus ist zu er-
sehen, dass sich seit den letzten 40 Jahren sowohl
die ordentlichen nls die ausserordentl. italienischen
Predigten stark vermehrt haben, die slaviöchen hin-
gegen stationär geblieben sind. — Uebrigens haben
nicht nur italienische, sondern auch slavische Blätter
den Bischof verleumdet. „Und warum dies Alles ?
Weil ich, dem Himmel sei Dank, weder ein italie-
nischer, noch ein slavischer, noch ein deutscher
Bischof bin, sondern einzig und allein ein katholi-
scher Bischof, ein Bischof der heiligen römisch-katho-
lischen Kirche, wo Jesus Christus alle Scheidemauern
zwischen den Nationen niedergerissen hat . . . Darum
muss ich Alle lieben, seien es Italiener, Slaven oder
Deutsche, muss das Wohl Aller fördern, allen Alles
sein. Und mit Gottes Hilfe thue ich das auch, so-
weit meine Kräfte es erlauben." — Der hochw. Ordi-
narius kommt ferner auf das der städtischen Kapelle
ertheilte Verbot zu sprechen, beim Gottesdienste in
San Giusto mitzuwirken. Der Podesta wollte das Ver-
bot nur unter der Bedingung zurücknehmen, wenn
der Bischof die slavischen Konferenzen von San
Giacomo nach Servola verlegte. Darauf erwidert das
Hirtenwort: „Urtheilet selbst, ob ein Bischof, der sich
seines heiligen Amtes bewusst ist, die gegebene An-
ordnung widerrufen könne, das Wort Gottes zu pre-
digen, eine Anordnung, mit der, wie ich oben aus-
einandergesetzt, keinerlei Neuerung eingeführt, son-
dern ein mehr vierzigjähriger — nämlich seit dem
Bestände der Pfarre San Giacomo — Gebrauch bei-
behalten wurde. Man legt mir nahe, die Konferenzen
nach Servola zu verlegen. Die italienischen und sla-
vischen Pfarrkinder von San Giacomo haben das
Recht, ja die Christenpflicht, das Wort Gottes in ihrer
Pfarrkirche zu hören, und darum wird es jeden Sonn-
und Feiertag zweimal italienich und zweimal slavisch
344
gepredigt. Nicht minder haben die Einen wie die An-
deren das Recht, die heiligen Missionen und andere
ausserordentliche Predigten in ihrer eigenen Kirche
zu haben." — Der wahre Grund der Opposition gegen
die slavischen Predigten liegt ganz wo anders. Der
Bischof gibt ihn ohne Umschweife an mit den Worten :
„Mir scheint, ja ich bin überzeugt, dass dieser ganze
in den letzten Tagen losgebrochene Sturm nicht gegen
die Predigten gerichtet ist, denn diese fürchtet Nie-
mand, wohl aber gegen Jesus Christus, gegen seinen
Gesalbten, gegen den Bischof. Man sucht den Bischof
mit Koth zu bewerfen, und wie an eine Säule ge-
bunden, wird er mit Beschimpfungen und Verleum-
dungen aller Art gegeisselt. Diese Leute wissen wohl,
dass wir in der Fastenzeit uns befinden und in der
heiligsten Woche des Jahres, und rechnen darauf,
dass die Schwachen, wie die Apostel in der Nacht,
in welcher der Herr gefangen genommen wurde,
Aergerniss nehmen und sich leicht abhalten lassen
werden, in die Kirche und zu den heiligen Sakra-
menten zu gehen. „Ich will den Hirten schlagen,
und die Schafe werden zerstreut werden." — - Die
Ausstreuung, er habe beim Charwochengottesdienste
in einigen Kirchen Aenderungen zum Nachtheile der
Italiener vorgenommen, bezeichnet der Oberhirt als
eine „Unverschämtheit" und kennzeichnet dann einen
anderen Anwurf mit den Worten: „Man hat mich
verleumdet, auf der Kanzel gelogen zu haben, indem
man behauptete, aus sicherer Quelle zu wissen, dass
die Stimmen der Kanonici des hiesigen hochw. Kapitels
in der Angelegenheit der slavischen Konferenzen bei
San Giacomo drei gegen drei waren, während wir,
wie ich auf der Kanzel sagte, hierin Alle einig waren.
Hier wird nicht nur der Bischof verleumdet, sondern
auch das Kapitel, da wenigstens Einer aus demselben
nicht nur eidbrüchig, sondern auch ein Lügner hätte
sein müssen. Das ist ein blutiger Schimpf auf die
hochw. Kanonici, indem man sie einer so gemeinen
und sakrilegischen Handlung für fähig hält. Ich wehre
das mit Entrüstung von den hochw. Herren ab. Wenn
Ihr mich schlagen wollt, so schlagt zu, nur sage ich
euch mit Jesus Christus: Lasst meine Kanonici in Ruhe."
345
Schliesslich erklärt der Oberhirt, seinen Verleum-
dern zu verzeihen und wünscht allen den Frieden
unseres Herrn Jesu Christi. Bischof Sterk starb vor-
zeitig an Nervenzerrütlung. Seinen Tod haben die
wüsten Treibereien der Irredenta herbeigeführt.
Sein Nachbar der berüchtigte Bischof Flapp von
Parenzo-Pola macht es ganz anders. Er bedrückt die
kroatischen Diöcesanen, wo er nur kann, und arbeitet
vereint mit den Italianissimi an der Unterdrückung
der kroatischen Bevölkerung.
XX. Irrige Ansichten zweier katholischer Priester
über die Nationalitätenfrage.
Es gibt wohl keinen Wahn auf der Welt, der
nicht seine Verlheidiger findet. Dass . der Nationali-
tätenwahn, wie er von den Alldeutschen propagiert
wird, oder wie er von Nietsche in der Lehre vom
Herrenvolk vorgetragen wird, auch seine Fürsprecher
in den Reihen katholischer Priester findet, das ist
eine Errungenschaft, die hier näher gewürdigt werden
soll. Es ist bekannt, dass einen richtigen Begriff
„Nationalität" sehr schwierig aufzustellen ist. Im
Kirchenlexikon hat Moy folgendes fixirt: „Nationalität
ist, in objektivem Sinne aufgefasst, der gesammte Be-
stand eines Volkes (man merke diesen Ausdruck wohl),
in subjektivem Sinne ist es das Bewusstsein davon,
das heisst das innige Durchdrungensein aller Einzelnen
im Volke von dem Gedanken und Gefühle, dass sie
einem so gearteten Ganzen mit Blut, Leben, Vortheil
und Pflicht angehören. Die Nationalität setzt also in
den Einzelnen, die sie umfasst, voraus : Gemeinschaft
des Blutes und der Abstammung, Gemeinschaft der
Sprache, der Sitten und des Rechtes, Gemeinschaft
der durch den Wohnort und Nahrungserwerb begrün-
deten und bedingten Interessen, Gemeinschaft des
politischen und religiösen Verbandes . . . Zur Begrün-
dung einer Nationalität gehören also ursprünglich drei
Dinge: 1. gemeinsame Religion, 2. Familienverband
oder gemeinsame Abstammung und Sprache, 3. ma-
terielle Notwendigkeit des Zusammenhaltens und
Zusammenwirkens im Erwerb und Austausch der
Lebensbedürfnisse und zur gemeinsamen Verthei-
346
digung. Dieses letztere Moment, der materiellen Not-
wendigkeit, ist so wesentlich und unerlässlich, dass
da, wo es wegfallt, selbst eine schon begründete Na-
tionalität sich nicht ferner zu halten vermag, denn
auf diesem Momente beruht der politische und
staatliche Verband, und von diesem hängt die Ge-
meinschaft des Rechtes und zum Theil auch der Sitte
ab, ohne welche die Nationalität nicht denkbar ist."
Nun bemühen sich katholische Gelehrte, um dem
Nationalgott auch ihren Obolus zu bringen, andere
Begriffe aufzustellen und darauf die „nationalen
Pflichten auf christlicher Grundlage" aufzubauen. Das
Gebahren dieser Herren muss näher beleuchtet werden.
Wir nennen hier zuerst das Werk von Dr. Wendelin
Heidegger, Professor an der theologischen Lehranstalt
zu Brixen, betitelt: „Der nationale Gedanke im Lichte
des Christen thums". Das Buch ist versehen mit der
Erlaubniss des Bischofs Simon Aichner zum Drucke.
Man hat es offenbar beim Konsistorium in Trient
mit der Lesung des Manuscriptes nicht besonderlich
genau genommen. Gehen wir nun ein wenig näher
auf den Inhalt dieses Buches ein, welches vom An-
fang bis Ende von Irrthümern schwersten Kalibers
förmlich wimmelt, so dass der Recensent des „Vater-
fand" mit Recht behauptete, von dem Buche sei nur
der Umschlag ohne Fehler. Was ist nach Dr. Hei-
degger Nationalität? „Nationalität bedeutet etymolo-
gisch Geburt, Abstammung". Genetisch wird „Nation"
so erklärt:
„Aus der Familie entstehen weitere Familien und
aus diesen wieder andere, welche alle miteinander
blutsverwandt sind. Daher kann „Nation" also definirt
werden: sie ist eine grosse Anzahl von Menschen,
welche einen gemeinsamen Stammvater haben und
daher durch Abstammung, angeborene Eigenthümlich-
keiten, Sitten und Gewohnheiten und besonders durch
eigene Sprache mitsammen verbunden sind." Nach
Heidegger beruht also die Nationalität auf der gemein-
samen Abstammung und der daraus resultirenden
Blutsverwandtschaft Volksgenossen, Gonnationale sind
zugleich Blutsverwandte. Wie diese Theorie Heideggers
in der Wirklichkeit aussieht, davon bringen wir sogleich
347
einen schlagenden Beweis, Die Juni-Nummer der
katholischen Missionen 1902 enthält einen Artikel
über das heutige türkische Reich, einen Auszug aus
dem Werke des Kanonikus Paul Pisani : „Les Missions
Gatholiques Francaises au XIX. siecle." Da lesen wir
über das Türken volk folgendes: „Gewöhnlich be-
zeichnet man die mohamedanische Bevölkerung der
europäischen Türkei und Kleinasien einfachhin als
Türken. Es wäre aber ein arger Irrtum, sie ohne wei-
teres als die Abkömmlinge der alten turkomanischen
Eroberer zu fassen. „Man kann sogar sagen," meint
Pisani, „dass die türkische Rasse als solche heute in
diesen Ländern überhaupt nicht mehr existiert. Jener
feine Typus des schmucken tataro-finischen Reiters,
behend und kraftvoll, von mittlerem Wuchs, mit leb-
haftem Blick, hervorspringenden Oberwangen, gerader
Nase, mit dem langen, wie ein Krummsäbel gebo-
genen Schnurrbart, tollkühn, keine Ermüdung ken-
nend, mit dem lebhaften, unternehmenden Geiste —
dieser Typus ist verschwunden, oder richtiger, er
findet sich nur noch bei den Magyaren Ungarns, die
ja mit den Türken die Abstammung teilen, aber
auf den Bahnen einer ganz verschiedenen christlichen
Civilisation umgewandelt und veredelt wurden." Die
heutigen Türken haben mit ihren Ahnen, die einst,
wie die Windsbraut über den christlichen Orient her-
einbrechend, das morsche byzantinische Kaiserreich
in Trümmer schlugen und das christliche Byzanz in
das türkische Stambul verwandelten, fast nichts mehr
gemein. Die seit der Eroberung beliebt gewordene
Gewohnheit, die Harems mit Töchtern fremder Völker,
besonders Tscherkessinnen, Griechinnen, Syrerinnen
und selbst mit den Kindern der lateinischen, sla-
vischen und germanischen Rasse zu bevölkern, hat
durch jahrhundertelange Mischung des Blutes den
ursprünglichen Typus völlig verändert. Dazu kam
noch der Brauch, den unterworfenen-: christliehen
Völkern eine jährliche Blutsteuer von Knaben — zöit-
weise waren es 25.000 — aufzulegen, welche, im
Islam erzogen und zu Soldaten herangebildet, bald den
Kern der berühmten Janitscharentruppen bildeten und
dem absterbenden Herrschervolke stets frisches. Blut
348
zuführten. Die eigentlichen Türken von heute, zumal
die Klasse der Effendis (Effendi = Herr ist der Ehren-
titel des türkischen Beamten und sogen. Gebildeten)
ist eine Mischung der verschiedenartigsten Rassen,
ein abgekommenes, sittlich erschlafftes Geschlecht,
ohne geistige Regsamkeit, ohne Charakter. Die tür-
kische Trägheit ist sprichwörtlich, die Verlogenheit
und Käuflichkeit des Beamtenstandes weltberüchtigt
(vgl. das scharfe Urtheil von VambSry, Sittenbilder
aus dem Morgenlande S. 256). Was an Fortschritt in
der Türkei zu finden, ist fast alles den Fremden zu
danken. Das war übrigens schon früher der Fall.
„Das türkische Reich", schreibt Geizer (Geistliches
und Weltliches aus dem türkisch-griechischen Orient
[1900] S. 179), „ist so gross geworden durch die
Christen. Seine genialen Grossverziere, Kapudan-
paschas und Statthalter sind seit der Eroberung Kon-
stantinopels nahezu ausnahmslos Griechen, Kroaten,
Herzegowiner und Serben, Albanesen, Armenier, Geor-
gier und Italiener gewesen. Der regelmässig geübte
Knabenraub hat dem Reiche nicht nur seine tapfersten
Generale, sondern auch seine bedeutendsten geistigen
Kapacitäten geliefert.* Beispielsweise waren während
der Glanzepoche unter der Regierung Suleimans und
Selims von 10 Grossverzieren 8 Renegaten. Die heu-
tigen Osmanlis sind eine aussterbende Rasse; von
ihnen selbst ist eine Besserung der Zustände in keiner
Weise zu erwarten. Nicht der Türke, sondern der
Araber ist heute der eigentliche Träger, die Kern-
truppe des Islams und seiner religiösen Machtstellung."
So schaut die Theorie über den Begriff der Nation
nach Dr. Heidegger in Wirklichkeit aus. Wir geben
noch ein anderes Beispiel.
Die Nordamerikanische Union zählte sammt Schütz-
gebieten Ende 1901 eine Bevölkerung von 85,551.963
Köpfen. Diese Bevölkerung ist entstanden aus fol-
genden Elementen: Vom Jahre 1821 bis 1900 sind in
Nordamerika eingewandert aus
Grossbritanien und Irland . . . 7,063.140 Menschen
Deutschland 5,097,869 „
Schweden u. Norwegen .... 1,280.276
Italien 1,057.918 „
349
Oesterreich-Ungarn ...... 1,050.732 Menschen
Russland 932.615 „
Frankreich 405.454 „
Kanada 1,049.711 „
Die ansässige Bevölkerung Nordamerikas im
J. 1820 war: 9,633.822 Köpfe. Daraus das obige Re-
sultat. Und doch verfolgt das heutige Nord-Amerika
eine nationale, nordamerikanische Politik, bei welcher
die Sprache eigentlich keine Rolle spielt. Noch weiter.
Was sind die Engländer? Sind sie wahrhaft unter-
einander blutsverwandt? Keinesfalls. Auf den Zuwachs
der Deutschen in Oesterreich aus slavischen Elementen
haben wir ja schon hingewiesen. Man kann mit Fug
und Recht behaupten, dass fast kein Volk blutrein
ist. Nur die weiter von einander abstehenden Ra§en
vermischen sich nicht. Es ist geradezu auffallend,
dass Volksgenossen, welche zu einer Nation ihre
Zugehörigkeit reklamieren, ohne von ihr durch Geburt
abzustammen, gerade die wüthendsten Nationalange-
hörige sind. So kann heute jeder Jude in Ungarn
für 1 Krone Stempel Vollblutmagyar werden, und was
für ein wüthender Magyar! Lajos Kossuth war ein
Slowake von Geburt Heute wird er als erster Sohn
des Magyarenvolkes gefeiert, auf den eigentlichen
Schöpfer der Grösse und Macht Ungarns, auf Fr. Deak
denkt man nicht. Die wüthendsten Deutschnationalen
in Oesterreich und die Alldeutschen wimmeln von
Namen Jaksch, Polak, Bohaty, Krepfca, Peschka, Wra-
betz, Schmeykal, Kolisko, Chlumetzky, Dubsky, also
durchwegs slavische Namen, daher auch slavische
Abkunft. In Folge dessen sind auch die weiteren
Conclusionen, welche im Werke Heideggers auf dieser
Blütverwandtschaft beruhen, vollständig falsch.
Wir können uns nicht weitläufig mit der Arbeit
Heideggers befassen. Welche gefährlichen Experimente
im Namen des Christenthums in der Schrift Heideg-
gers vorkommen, davon ein Beleg. Auf Seite 50
(1 Auflage) sagt Heidegger: Die nationale Thatkraft
muss sich weiterhin darin zeigen, dass man der Nation
und den Gonnationalen wirksam zu Hilfe kommt,
dass man die eigene Nation vertheidigt und ihren
gegenwärtigen nationalen Besitzstand gegen ungerechte
350
Angriffe schützt etc. Praktisch angewendet darf nach
Heidegger der Papst von dem geeinigten Italien das
Patrimonium Petri nicht zurückverlangen, denn die
italienische Regierung sagt — Rom sei unantastbar
auch für die Ansprüche des Papstes. Und ein Theo-
logieprofessor unweit von Rom sagte es auch. Der
nationale Besitzstand, und wäre sein Ursprung noch
so verbrecherhaft, darf nicht angetastet werden ! Doch
genug. Die Herren spielen mit Feuer, es wird die
Frucht nicht ausbleiben. Ein zweites Werk, welches
von einem katholischen Theologieprofessor geschrieben
wurde, ist „Das sprachliche und sprachlich-nationale
Recht vom sittlichen Standpunkte aus" von Dr.
Wenzel Frind, Kanonikus des Metropolitakapitels in
Prag, ehedem Professor der Moral an der deutschen
theolog. Fakultät in Prag, nunmehr Weihbischof von
Prag. (Erschien in Wien 1899 bei Manz.) Es ist noch
ein Glück, dass Dr. Frind seinem Buche nicht den
Titel gab „vom christlich-sittlichen Standpunkte aus",
denn dann hätte er der christlichen Moral als ehema-
liger katholischer Moralprofessor einen sehr schlechten
Dienst gethan. Das ganze Werk Frinds ist aufgebaut
auf den Sophisma im § 13, Seite 97, wo verhandelt
wird über die Gleichwerthigkeit der Sprachen. Dr.
Frind sagt da Folgendes: „Die Frage, ob die Sprachen,
beziehungsweise welche Sprachen gleichwerthig sind,
setzt die Fixirung des Sinnes voraus, in welchem die
Gleichwerthigkeit verstanden werden will. Im Affekt-
werthe sowie in der Benützung derselben Sprache
seitens der Sprachgenossen sind selbstverständlich
alle Sprachen gleichwerthig. Allein die Frage der
Gleichwerthigkeit geht nicht auf den Vergleich des
subjektiven Verhaltens der Sprachgenossen zu ihren
Muttersprachen, sondern auf den Vergleich objektiver
Momente. Hier tritt zunächst die Verschiedenheit der
inneren Sprachqualität auf. Die Mischsprachen stehen
an Formenkraft den Originalsprachen nach. Die
klassischen Sprachen sind noch heute die Zierde
unserer Gymnasien und Niemand wird ihnen die
Mischsprachen und die modernen Sprachen als gleich-
werthig an die Seite stellen. (Herr Kanonikus Frind
ist sehr schlau, er lobt die Todten; er weiss genau,
351
sie werden nach der Einführung ihrer Sprache als
Staatssprache in Oesterreich nicht schreien wie Wolf
und Schönerer.)
Wichtiger jedoch und ausschlaggebend für das
Leben und für die Gewinnung der Anhaltspunkte
zur Beurtheilung der Rechtsseite der Sprachen
ist ihr Gebrauchs werth. Der Gebrauchswerth einer
Sprache hängt, allgemein genommen, von der Summe
der sie Sprechenden, von der territorialen Vertheilung
dieser Sprachgenossen, sowie auch davon ab, welche
kulturelle und gesellschaftliche Interessen in dieser
Sprache vermittelt werden." Nachdem Dr. Frind
diesen überaus schlauen und wichtigen Fund vom
Affektions- und Gebrauchswerth der Sprachen gemacht
hat, folgert er auf Grund der offlciellen Nationalitäten-
statistik in Oesterreich (Seite 170), dass der Gebrauchs-
werth des Deutschen zum Gechischen ist wie 60 : 6
(Seite 195). Folgert weiter die Notwendigkeit der
deutschen Staatssprache für Oesterreich und das
»auf sittlicher" Grundlage. Das Buch Frinds trägt
glücklicherweise kein imprimatur vom Erzbischof oder
vom Konsistorium in Prag, übrigens ist dieser Um-
stand nicht ausschlaggebend. Uns fällt der eine Ein-
wand ein, ob der Herr Kanonikus bei Verfassung
seines Werkes selbst dem lieben Herrgott eins aufs
Zeug flicken wollte? War denn schon bei der Sprach-
verwirrung in Babel der Unterschied der Sprachen
nach Affektion und Gebrauchswerth etwa von Gott
selbst eingesetzt? Uns würde es nicht wundern, wenn
Herr Dr. Frind auch dieses in seinem Werke bewiesen
hätte. Nichts ist unmöglich und das Papier ist geduldig.
Man kann sich nun vorstellen, welche Purzelbäume
die deutsche Presse, vorab die von Hebräern bediente,
in Oesterreich geschlagen hat, als das genannte Werk
des Prager Domherrn Dr. Frind auf dem Büchermarkt
erschien. Jetzt haben wir es, die deutsche Staats-
sprache und zwar — auf sittlicher Grundlage, wer
da opponieren wird, der ist ein Heide.
Die Judenpresse war ob dieser Leistung des
Prager Kanonikus Dr. Frind ausser sich vor Freude,
vielleicht hätte sie nicht einmal solche Freude em-
352
pfunden, wenn Dr. Frind für das Hebräische als
Staatssprache für Oesterreich eingetreten wäre.
Die Partei-Organe des Pressfreundes Dr. Frinds,
P, Opitz, erklärten das Werk Dr. Frinds als eine
politische grundlegende Arbeit. Oesterreichische Volks-
zeitung vom 7. Jänner 1902 schreibt zum Beispiel
Folgendes: „Zweimal lesen muss man, um seinen
Augen zu trauen, folgenden Erguss des Cechisch-
nationalen Chauvinismus in der „Politik" gegen einen
katholischen deutschen Bischof, dessen einziges „Ver-
brechen" es war, dass er in einem Werke klar und
logisch die christlichen und moral-philosophischen
Grundsätze darlegte, welche beim sprachlich-nationalen
Streite namentlich in Böhmen einzuhalten sind. Da
nun diese christlichen Grundsätze, die bisher von
keiner Weise zu widerlegen auch nur versucht wurde,
in vielen Punkten den Bestrebungen und Phantomen
eines Grosstheils des ßechischen Volkes zuwiderlaufen,
so hat man nun den ganzen Hass, dessen ein leiden-
schaftlich nationales Herz fähig ist, gegen diesen von
der Kirche inzwischen zum Bischof erhobenen Mann
gekehrt, einen Hass, der aber eigentlich den christ-
lichen Grundsätzen gilt, welche gewisse Cechische Be-
strebungen in die sittlichen Grenzen weisen." So weit
wir wissen, hat die katholische Presse der Alpen-
länder das Werk Dr. Frinds mit Stillschweigen über-
gangen, was nur zu bedauern ist, dass sich leider
Niemand fand, um den heidnischen Standpunkt des
Werkes Dr. Frinds scharf nachzuweisen. Während
Priester in Oesterreich soweit sie in der Seelsorge
beschäftigt und unter der Last ihrer Pflichten oft
zusammenbrechen, haben gewisse Theologieprofesso-
ren oder Kanonici nichts besseres zu thun, als Theo-
rien über Nationalitätspflichten in den Umlauf zu
setzen, welche nur geeignet sind noch mehr Oel in
den Brand zu giessen. Anstatt zu versöhnen und zu
mildern, wird da von einem katholischen Bischof
eine Theorie der Minderwerthigkeit der Sprachen
nach Gebrauchs wer th in Umlauf gesetzt, um vom
„sittlichen" Standpunkt aus die Unterjochung und Er-
drückung nichtdeutscher Völker zu Sanktioniren. Kann
es etwas Frivoleres geben? Merkwürdig ist es, dass
353
beide Werke sowohl Dr. Heideggers wie Dr. Frinds
von Rom aus vom Index keine Gensur erhielten,
obzwar beide Arbeiten die schwersten Irrthümer der
gefährlichsten Art enthalten, und zwar deshalb, weil
beide Arbeiten von katholischen Priestern sind und
als solche im Umlauf sich befinden.
XXI. Streiflichter Ober kirchliche Verhältnisse
in Böhmen.
Es ist bekannt, dass über innere Verhältnisse
in Oesterreich sehr wenig Wahres in die Oeffent-
lichkeit kommt. Die Ursache liegt darin, dass die
Presse in Oesterreich zu 90 Prozent in den Händen
der Press-Hebräer ruht. Das grosse Publikum wird
von dieser Presse wie ein blödes Kind am Gängel-
band herumgeführt. Daher kommt es, dass auslän-
dische Blätter viel besser unterrichtet sind über
innere Vorgänge in Peking, als zum Beispiel von
Prag, der Hauptstadt Böhmens. Die kirchlichen Ver-
hältnisse in Oesterreich sind im Allgemeinen sehr
trauriger Natur. Es gibt zum Beispiel in Nordböhmen
Gegenden, wo ein Priester überflüssig ist, kein Mensch
geht das ganze Jahr hindurchv in die Kirche, nicht
als ob der Priester etwa ein Cechoslave wäre, nein,
auch wenn er ein Deutscher ist. Hat ja Schönerer
ausdrücklich öfters ausgesprochen, dass die All-
deutschen überhaupt mit den Pfaffen nichts zu thun
haben wollen. Daran wird nichts geändert, und mögen
Dr. Heidegger und Dr. Frind sich noch so sehr vor
dem nationalen Götzen beugen und die katholische
Religion und Kirche auf Gnade und Ungnade dem
furor teutonicus preisgeben, es wird ihnen nichts
nützen, Schönerer, Wolf et Gonsortes wollen über-
haupt nichts von katholischer Religion wissen und
hören, sie schwören auf Odin. Im Maiheft 1902 der
„Wahrheit" schreibt „Austriacus" auf Seite 217 folgen-
des über die Stellung der katholischen Priester in
Oesterreich.
Wie wird Rom, die Kirche, in Osterreich behan-
delt? Die Geistlichkeit befindet sich in der Gewalt des
Staates, d. h. eines kirchenfeindlichen Beamtenthums,
in dessen Händen sich auch das Kirchengut (Religions-
28
854
fond) befindet. Durch das Lutherthum, die daraus
erfolgten Kriege und Verwüstungen, ist die Zahl der
Pfarreien sehr vermindert worden. Und ein Bischof in
Böhmen blieb sechs Jahre ohne Antwort, als er die
Genehmigung zur Erhebung einer geldlich genügend
ausgestatteten Filiale zur selbständigen Pfarrei ver-
langte. Dabei hatte er auf die Gefahr des Abfalls,
angesichts der ungenügenden Seelsorge und der Schü-
rungen der benachbarten (nichtösterreichischen) Pro-
testanten, hingewiesen. Trotz schreienden Bedürf-
nisses bleibt die Zahl der Pfarreien klein, die meisten
Priester haben nur eine unselbständige, ärmliche Stel-
lung. Dagegen wird jeder Prediger, der einige Prote-
stanten um sich sammelt, sofort als selbständiger
Pfarrer anerkannt. Als die Prediger aus dem Deut-
schen Reich in Oesterreich einbrachen, um die Los
von Rom-Bewegung hervorzurufen, gegen Kirche und
Oesterreich zu hetzen, beeilten sich die Behörden,
ihnen Pfarrechte und Naturalisation entgegenzubrin-
gen. Die Behörden, obenan der Minister v. Koerber,
verhalten sich sehr wohlwollend gegen die Bewegung,
rühmen die protestantischen Blätter Deutschlands
Wie der geistliche Stand durch die amtliche Bevor-
mundung, die Ueberladung mit unnützem Schreibwerk,
geringes Einkommen, oft geradezu verächtliche Be-
handlung seitens der Behörden herabgedrückt wird,
ist bekannt. Trotzdem zeigt das Volk noch immer
Achtung für seine Priester. Aber wie oft liest man
in den Blättern, welche jedenfalls nur einige der
grellsten Fälle aufweisen, wie Priester in den Städten
auf öffentlicher Strasse, selbst in Ausübung ihres
Amtes, angefallen, verhöhnt, beschimpft werden. Es
sind immer sogenannte Gebildete, Leute aus den
wohlhabenden Klassen, Künstler, Aerzte, besonders
aber Studenten, welche in dieser Weise ihr Müthchen
kühlen, die Priester anlümmeln. Wie die Studenten
den Mitgliedern katholischer Studentenvereine mit-
spielen, zeigen gar zu viele Vorfälle, während die
akademischen Behörden sich dadurch auszeichnen,
dass sie die Lümmel eher in Schutz nahmen, als
tadelten. Die Herabdrückung und Einengung des Prie-
sterstandes, die Entchristlichung der Schulen haben
355
dem Nationalitätenhader unendlichen Vorschub ge-
leistet, steigern denselben noch jeden Tag. Der
Nationalitätenkampf ist Gift für Oesterreich, hat dabei
auch auf die Geistlichkeit selbst zurückgewirkt. Es
giebt leider Geistliche, welche die ihnen fremde
Nationalität ganz unchristlich hassen. Soweit „Austri-
acus". Wenn wir auf die kirchlichen Verhältnisse in
den böhmischen Ländern des Näheren eingehen,
müssen wir konstatieren, dass die Seelsorge bis zu
den 80ger-Jahren auch in deutschen Gemeinden in
Böhmen, Mähren und Schlesien zum grossen Theil
von Priestern böhmischer Nationalität versehen wurde.
In der Zeit der Hochfluth des Judenliberalismus, in
der Zeit des ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwun-
ges, wo der Staat, Eisenbahnen, Geld- und Kredit-
institute, Geschäfts- und Fabriksunternehmungen alle
jungen Männer als Arbeitskräfte aufbrauchten und
placierten, da fiel es in den böhmischen Ländern fast
keinem deutschen Abiturienten ein sich dem Priester-
stande zu widmen. Wozu denn ? Alle Welt stand offen.
Und so gingen Abiturienten aus den böhmischen
Gymnasien in Priesterseminare, die bis zum Jahre
etwa 1890 wohl über die Hälfte böhmische Priester-
kandidaten hatten. Söhne armer böhmischer Eltern
fanden dadurch ein Fortkommen, da sie ja gewöhnlich
die Mittel zu Studien an der Universität nicht zur
Verfügung hatten. Das deutsche Landvolk war mit
seinen böhmischen Pfarrern und Kaplänen zufrieden,
kein Mensch fragte darnach, ob der Pfarrer oder
Kaplan ein verhasster Böhm hoder aber Vollblut-
Teutone ist. Aber mit der Hocfluth der nationalen
Hetze haben sich auch hier die Verhältnisse gründ-
lich zum Schlechten gewendet Die Deutschnationalen
gaben das Losungswort — kein böhmischer Pfaff im
deutschen Sprachgebiet, und wagt einer zu kommen
— so Abfall zum Luther oder sonst Austritt aus der
katholischen Kirche.
Damit wurde denn ein Druck auf die Konsistorien
geübt, sobald sich um die Besetzung einer Pfründe
mit vorwiegend deutscher Seelsorge handelte. Sämmt-
liche Konsistorien kapitulierten vor den Deutschnati-
onalen. Wie die Sachen heute stehen,, darf in Böh-
23*
356
men, Mähren und Schlesien in deutschen Gemeinden
kein Priester böhmischer Nationalität als Pfarrer an-
gestellt werden, wenn nicht zuvor die Gemeinden
dem Konsistorium ihre Zustimmung geben und wenn
der böhmische Pfarrkandidat selbst 20 Jahre als
Kaplan hier gedient und in Arbeit und Mühe grau
geworden ist, — er ist kein Deutscher — er darf
nicht Pfarrer werden — wenn die Gemeinden nicht
einwilligen. Diese Dinge wären nicht so rasch zum
Abschluss gekommen, wenn nicht mit den Deutsch-
nationalen ähnlich gesinnte Priester deutscher Natio-
nalität an diesem Boykott mit ihre Hand angelegt
hätten. Das grösste Verdienst in dieser Angelegenheit
gebührt unbestritten dem Priester Ambros Opitz,
Dieser Priester fieng an, etwa vor 20 Jahren, also
Anfangs 1880 in Warnsdorf ein katholisches Wochen-
blatt „Warnsdorfer Volkszeitung" herauszugeben, die
jetzt unter dem Namen „Oesterreichische Volkszeitung"
herauskommt. Das Blatt hatte sich anfangs zur
Aufgabe gestellt, gegen den Liberalismus in Nord-
Böhmen und die altkatholische Abfallsbewegung zu
kämpfen. Zahlreiche böhmische Pfarrer haben bereit-
willig dem Presspriester Opitz Geldmittel gegeben.
Opitz wurde wohlhabend, erwarb eine Buchdruckerei
in Warnsdorf und damit gieng mit ihm eine Wand-
lung vor; er wurde Führer der deutschgesinnten Prie-
ster, es wurde Herr der Leitmeritzer Diöcese, vor
ihm zitterte der Bischof, ihm musste auch das Konsi-
storium gehorchen. Die Opitzianer verfügten über
wichtige Stellen im Konsistorium, und fast alle Theo-
logie-Professoren waren und sind Förderer und Gön-
ner des P. Opitz. Etwa inmitten der 90ger-Jahre
fieng das Organ P. Opitz' die deutschnationale Fahne
zu entfalten.
Es vergieng fast keine Nummer des Warnsdorfer
Organes P. Opitz', wo nicht an verschiedenen Stellen
die Behauptung aufgestellt wurde, der böhmische
Priester könne in deutschen Gemeinden als Seelsorger
nicht wirksam auftreten, kurz er könne sich mit einem
deutschen Priester nicht messen. Diese Brandfackel
wirkte sehr bald. Sobald eine Stelle, sei es ein Ka-
nonikat, oder ein Lehrstuhl oder ein grösseres Be*
357
neficium zu besetzen war, hatte das Organ des P.
Opitz sofort seinen Kandidaten und setzte seinen
ganzen Terrorismus ein, dass kein böhmischer Kan-
didat es wagen darf um ähnliche Stellen zu petiren,
nur arme Gebirgspfarren werden den böhmischen
Priestern überlassen und letztere Zeit auch diese
nicht mehr. Als vor Jahren der damalige Vicerektor
P. Bernat um ein Kanonikat eingereicht hatte, flehte
der Bischof ihn an, er solle sein Gesuch zurück-
nehmen und sagte ihm, wenn er es nicht thue, so
wird ihm die Opitzpartei die Residenz erstürmen. Ein
Bezirksdekan drückte sich in der Pastoralkonferenz
offen aus, er werde nicht früher ruhen, bis der letzte
böhmische Kaplan aus seinem Dekanat hinaus sei.
Die böhmischen Priester müssen beim Konsistorium
in Leitmeritz den Pfarrkonkurs in deutscher Sprache
ablegen, dabei werden sie von den Domherren der
Opitzpartei hämisch kritisirt, falls sie einen Sprach-
fehler machen. Ein deutscher Alumnus sagte dem
Vicerektor Bernat : Ich als Deutscher gelte mehr als
ein böhmischer Theologe. Ein Theologieprofessor sagte
in seinen Vorlesungen über die Moral : Ein böhmischer
Arbeiter im deutschen Sprachgebiet muss so viel
deutsch können, dass er in der Beichte deutsch
beichten kann — er habe gestohlen. Kurz der wildeste
Hass gegen alles böhmische, hauptsächlich gegen
böhmische Priester ist in ganz Deutschböhmen auch
durch das zweite Ogan des Opitz der „Reichspost"
auch in Nieder-Oesterreich, Mähren, Schlesien ein-
gerissen. In Folge dieser wüsten Treibereien gegen
Priester böhmischer Nation hörte der Zudrang böh-
mischer Priesterkandidaten nach Leitmeritz nach dem
Jahre 1890 allmählig auf. Seminardirektor Kordaö,
ein Gzechoslave, berief nun reichsdeutsche Theologen,
bereiste in Ferien reichsdeutsche Diöcesen und warb
dort alle Jahre Kandidaten. Diese Kandidaten werden
vom Konsistorium in Leitmeritz ausgehalten, da der
Religionsfond für Ausländer nicht beansprucht werden
kann. Die Geldmittel zur Erhaltung der reichsdeutschen
Theologen im Seminar in Leitmeritz verschaffte sich
das Konsistorium aus dem Nachlasse des verstorbenen
Domkapitular Rehäk, der ein ansehnliches Vermögen
358
hinterliess. Also Ersparnisse eines verhassten böh-
mischen Prälaten ermöglichen reichsdeutschen Theo-
logen den Zutritt zum Priesterberuf in Böhmen,
während die Söhne des eigenen Landes wie ein Wild
proskribirt sind. Das sind die Früchte der Hetze
der Opitz-Partei. Aber eine Genugthuung ist doch
schon da. Selbst deutsche Pfarrer haben dem Konsi-
storium nach Leitmeritz Proteste eingeschickt, sie
wollen reichsdeutsche Eapläne nicht haben. Der be-
jahrte Kanzler Seyfert wetterte im Konsistorium : das
soll auch schon der Teufel holen, jetzt wollen deut-
sche Pfarrer deutsche Priester nicht haben. Diese
Experimente werden dem Nationalgott zu Liebe ge-
bracht, das Konsistorium glaubt die Wuotansanbeter
milder zu stimmen. Und doch ist im Deutschen
Reiche eine bittere Noth um katholische Priester. Nur
die Diöcese von Breslau hat derzeit 70 bis 90 Pfarreien
unbesetzt!
Hier in der Kirche wiederholt sich dasselbe
Schauspiel wie im Staate. Die Deutschnationalen
sagen : wir sind der Mörtel, wir die Mehrwerthigen, wir
die allein Berufenen als Bureauchefs, die Söhne der
böhmischen Nation als Minderwerthige dürfen Kanzlei-
diener sein. Wir deutschnational gesinnte Priester,
wir als Mehrwerthige haben allein Anrecht auf Bischof-
stühle, Kanonikate, Lehrkanzel, bessere Praebenden,
— böhmische Priester, als Minderwerthige, mögen
Hungerpfarreien pastoriren, die wir selbst nicht pa-
storiren mögen. So ist der Nationalitätenkampf in
seinem Wesen nicht der Kampf um die Sprache,
nein und tausendmal nein, er ist ein Kampf um das
Brod, wie er schmutziger nicht sein kann, umso
niederträchtiger als er auch mit dem Deckmantel
des Christenthums umhüllt wird. Der bejahrte ehren-
werthe Theologie-Professor Dr. Hackel, ein Deutscher,
am Priesterseminar in Leitmeritz, pflegte unverhohlen
den Opitzjüngern ins Gesicht zu sagen, er habe
böhmische Theologen lieber, weil sie im Allgemeinen
bescheiden und arbeitsam sind, während deutsche
Theologen ans ihrer Nationalität für ihre Person
Kapital schlagen und nichts studiren. Die Kirche
müsse sich ja zur Ehre anrechnen, dass ein deutscher
359
Jüngling den Priesterstand wähle. Während Priester-
kandidaten für die Diöcese Leitmeritz draussen im
Reiche um schweres Geld angeworben werden, irren
oft Priester dieser Diöcese böhmischer Nation in der
Fremde herum als förmliche Bettelpriester und
müssen froh sein, wenn sie irgend wo in Nieder-
oder Ober-Oesterreich ein Messleserposten erhalten,
der sie vor dem Hunger schützt. Nicht allein die
böhmischen Priester leiden furchtbar unter dieser
Nationalitätenhetze die von Jahr zu Jahr an Schärfe
zunimmt, auch das Laienvolk, meistens Arbeiter, obweil
sie im deutschen Sprachgebiet ihr Brod suchen,
haben viele Leiden zu ertragen. Vor allem wird den
böhmischen Arbeitern jeder geistliche Beistand gänz-
lich vorenthalten. Die Opitzianer 'sagen: im deutschen
Sprachgebiete gibt es keine nationalböhmischen Mi-
noritäten, daher muss die Seelsorge deutsch sein.
Am 17. Jänner 1898 sprach auf dem böhmischen
Landtag P. Opitz, der Führer des deutschnational
gesinnten deutschen Klerus in Oesterreich folgendes:
„Ich achte ihre Sprache (die böhmische), ich bedauere,
dass ihre heutige Entwicklung nicht früher voraus-
gesehen wurde, dass wir nichtf rüheran geleitet wurden,
die zweite Landessprache uns zu eigen zu machen.
Wir Deutsche sind durch unsere Lebensverhältnisse
nicht in der Lage, dass wir uns der czechischen
Sprache bemächtigen müssen." Die deutschen Theo-
logen in Leitmeritz haben denn auch diese Worte
P. Opitz konsequent prakticirt und haben nie böhmisch
gelernt, im Gegentheil, immer nach der Sentenz der
Organe des P. Opitz offen und unverhohlen im Se-
minar ihre Verachtung zur böhmischen Sprache an
den Tag gelegt. Weiter sagte P. Opitz in derselben
Sitzung des Landtages über das deutsche Sprach-
gebiet folgendes: „Das Land Böhmen ist in jenen
Theilen, wo der deutsche Volksstamm kompakt ge-
schlossen zusammenwohnt durch die Geschichte,
durch die ganze Entwicklung Eigenthum der Deut-
schen." Daraus folgt die praktische Anwendung, alle
böhmischen Priester müssen hinausgejagt werden, und
böhmischen armen Arbeitern braucht man in ihrer
Muttersprache keinen geistigen Beistand leisten, denn
360
sie essen deutsches Brot, müssen also auch deutsch
verstehen.
Böhmische Minoritäten, velche besonders in gros-
seren Industriestädten in Nordböhmen Tausende
Angehörige zählen, haben nicht einmal, auch dreimal
schriftlich um eine entsprechende böhmische Seel-
sorge beim Konsistorium in Leitmeritz angesucht, aber
sie bekommen auf ihre Eingaben vom Konsistorium
konsequent überhaupt keine Antwort und wenn über-
haupt eine gegeben wird, dann ist sie ausweichend.
Im Bischofsitze selbst in Leitmeritz ist eine natio-
nale böhmische Minorität von gut 5000 Menschen.
Ihnen wird in der Stadtkirche nur in der Fasten-
zeit Nachmittag böhmisch gepredigt, die Kirche kann
die, welche zuhören kommen, nicht fassen. Andere
Kirchen sind leer. In Lobositz sind 1800 Böhmen.
Die Predigten, die Seelsorge sind nur deutsch. Aussig
a. d. Elbe hat 8000 Böhmen, Schönpriesen, Türmitz,
Proedlitz, Nestomitz, alle diese Ortschaften beher-
bergen Tausende von Böhmen; aber die Seelsorge
überall nur deutsch. In Aussig a. d. Elbe ist in der
Fastenzeit ein Cyklus böhmischer Predigten, die Theil-
nahme an denselben ist regelmässig eine so massen-
hafte, dass wahre Gotteshirten eine überaus reiche
Ernte hätten, aber dem Wuotan müssen Tausende
Christenseelen geopfert werden, das Konsistorium in
Leitmeritz zittert vor diesem Götzen. In Karbitz sind
800 Böhmen, in den anliegenden Gemeinden sind
auch zahlreiche Böhmen, die Seelsorge war deutsch.
In Bodenbach, Tetschen und Umgebung sind Tau-
sende von Böhmen, die Seelsorge nur deutsch. Die
Bezirke, Teplitz, Dux, Brüx sind total vermischt mit
nationalen böhmischen Minoritäten. Die böhmische
Schule in Teplitz hat über 300 Kinder böhmischer
Nationalität, die böhmische Schule in Thurn hat
700 Kinder, in Kosten bei Teplitz hat die böhmische
Schule über 300 Kinder. In allen diesen grossen
Gemeinden ist von einer böhmischen Seelsorge keine
Spur, die Kinder böhmischer Schulen sehen dass
ganze Jahr überhaupt keinen Priester, auch den Beicht-
und Kommunionsunterricht geniessen sie nicht, sie
wachsen heran in religiöser Hinsicht ganz ohne Pa-
361
storation von Seite katholischer Priester. Dux allein
hat mindestens 5000 böhmischer Einwohner, Ladowitz
hat ihrer über 2000, Bruch zählt 8000 Einwohner,
zwei Drittel davon sind böhmischer Nationalität. Die
böhmische Schule in Bruch hat über 600, in La-
dowitz über 250, in Dux über 750 Kinder böhmischer
Nationalität. In Schwatz hat die böhmische Schule
400 Kinder. Osseg zählt 10.000 Einwohner, ein gutes
Drittel ist böhmischer Nationalität. Die böhmische
Schule hat hier 400 Kinder. Neu-Warnsdorf bei Klo-
stergrab ist mit seinen 400 Einwohner fast ganz böh-
misch, selbst die Deutschen nennen diese Gemeinde
das böhmische Dorf. In Ladowitz darf der Pfarrer in
der Kirche keine böhmische Predigt abhalten, die
250 böhmische Schulkinder dürfen in der Kirche
keine böhmischen Kirchenlieder singen. Brüx zählt
mindestens 8000 Einwohner böhmischer Nationalität.
Die böhmische Schule zählt hier über 700 Kinder. In
Tschausch sind 3500 Einwohner, a/s davon sind böh-
mischer Nationalität. Die böhmische Schule hat hier
über 300 Kinder. Kopist hat 3000 Einwohner, die
Mehrzahl davon böhmischer Nationalität. Die böh-
mische Schule zählt hier über 500 Kinder. Oberleutens-
dorf zählt 12.000 Einwohner, davon sind min-
denstens 5000 böhmischer Nationalität. Als die erste
Klasse der böhmischen Schule hier eröffnet wurde,
waren in ihr 150 Kinder eingeschult. Niedergeorgenthal,
Wiese und die umliegenden Gemeinden zählen Tau-
sende böhmischer Einwohner. In Saaz sind 1500 Ein-
wohner böhmischer Nationalität. Die Schule zählt
hier 250 Kinder. In Reichenberg sind mindestens
9000 Gzechoslaven. Gablonz, Grünwald, Tannwald
haben starke böhmische Minoritäten. In Trautenau
sind 4000 Böhmen.
Böhmischer Gottesdienst wird hier in einem
Privathaus abgehalten, wie vor 1800 Jahren zu Zeit
der Ghristenverfolgungen im römischen Reiche. In
Hohenelbe, Braunau und Arnau sind ebenfalls starke
Minoritäten. Ueberall wird für diese Angehörigen
böhmischer Nationalität absolut keine Rücksicht geübt.
Der rücksichtsloseste furor teutonicus verwehrt
diesen Hunderttausenden von Arbeitern und ihren
362
Angehörigen jeglichen geistlichen Zuspruch, der nicht
einmal den wilden Indianern in Amerika und den Negern
und Hottentotten in Afrika vorenthalten wird. Hunderte
von Kindern, welche die böhmischen Schulen in den
hier nur beispielsweise angeführten Industriecentren
besuchen, sehen das ganze Jahr hindurch keinen
Priester, werden überhaupt nicht zu den hl. Sacra-
menten geführt, sie wachsen heran wie die heid-
nischen Kinder an den Ufern der Ubanghi in Central-
afrika. Wir wollen hier besonders auf eine Gruppe
der Verlassenen hinweisen. In den Braunkohlenbe-
zirken von Teplitz, Dux, Brüx, Falkenau sind be-
schäftigt rund 32.000 Arbeiter, welche sicher zu 80
Prozent böhmischer Nationalität sind. Man kann hier
also mit einer Bevölkerung von 150.000 Menschen
rechnen. Diese bilden dort die Arbeiterkolonien wie
in Ladowitz, Bruch, Kosten, Zuckmantel und andere.
In Folge der vollständigen Vernachlässigung dieser
Arbeitermassen von Seite der Seelsorge herrscht eine
furchtbare Demoralisation in diesen Kolonien. Sämmt-
liehe Kohlenarbeiter sind denn auch Angehörige der
rothen sozialistischen Internationale. Das hat man
deutlich gesehen beim grossen Kohlenstreik im Jänner
1900. Welche Zustände der wilde und gerade teuf-
lische Hass gegen Angehörige der böhmischen Nation
auch schon in den Reihen der Priester zeitigt, davon
gibt folgender Vorfall einen traurigen Beleg. Die
Gemeinde Schumburg, polit Bezirk Gablonz, zählt rund
3500 Einwohner.
Sie war eingepfarrt zur Pfarre Pfichovic. Die
Bevölkerung ist hier stark durcheinander gemischt
Aus dem Religionsfond wurde hier eine Pfarrei und
Pfarrkirche gebaut, der Monarch spendete zum Baue
der Kirche aus den allerhöchsten Privatmitteln 10.000
Kronen. Das Patronatsrecht gehört dem Bischof. Als
erster Pfarrer wurde hier ernannt vom Bischof der
Priester Franz Symon, der 11 Jahre als Kaplan in
Karbitz bei Teplitz wirkte. Als er seine Stelle als
Pfarrer vom Schumburg antreten wollte und in die Ge-
meinde kam, verweigerte ihm der Gemeinderath die
Herausgabe der Schlüssel sowohl von der Pfarre wie
von der Kirche. Die „Ostdeutsche Rundschau" schreibt
363
ganz vergnügt in der Nummer vom 7. Dezember 1902
über diesen Vorfall folgendes: Aus Schumburg a. d.
Desse (Bezirk Gabi onz) wird uns geschrieben: Wie
wir bereits gemeldet, verweigerte die Gemeinde Schum-
burg die Ausfolgung der Kirchenschlüssel an den für
hier ernannt gewesenen tschechischen Pfarrer P. Sy->
mon, welcher in Folge dessen wieder abreisen musste.
Die hierüber mit dem Konsistorium in Leitmeritz ge-
pflogenen Verhandlungen und Vorstellungen haben
endlich zu dem Ergebnisse geführt, dass ein deutscher
Pfarrer in der Person des P. Andreas Böhm, derzeit
Kooperators in Sebastiansberg, in den nächsten Tagen
in Schumburg seinen Einzug halten wird. Dieser be-
rechtigte Wunsch der Bevölkerung von Schumburg,
die Anstellung eines deutschen Pfarrers, ist somit in
Erfüllung gegangen. Rom hat sich vor dem deutschen
Volkswillen verbeugen müssen, damit die Deutschen
von Schumburg sich wieder unter das Joch Roms
beugen. Die Gemeinde Schumburg, das ist ihre Ver-
tretung, hätte sicher dies nicht gethan, wäre sie nicht
lange Zeit vorher vom Priester Kamshof einem Reichs-
deutschen gehetzt worden, der selbst auf diese Pfarr-
stelle reflektirte. Kamshof wurde hier vom Konsi-
storium zum Katecheten eingesetzt. Die Zeit benützte
er zu Agitationen für seine Ernennung zum Pfarrer,
was ihm aber misslang. Der Priester Franz Symon
wirkte 11 Jahre als Kaplan in Karbitz. Er sollte nach
den üblichen Gewohnheiten die Patronatspfarre Kulm
erhalten. Aber sein Gegner Herlt, Kaplan in Kulm
verhetzte die Gemeinde derart, dass sie mit einem
Massenabfall drohte, falls Symon, ein böhmischer
Priester, zum Pfarrer von Kulm ernannt werden sollte,
zudem drohte Herlt dem Konsistorium und dem
Patronatsamt, er werde sich erschiessen, wenn er die
Pfarre Kulm nicht erhalte. P. Herlt ist erst 4 Jahre
in der Seelsorge, P. Simon schon 13 Jahre thätig. So
erkämpfen sich die Opitzianer in der Leitmeritzer
Diöcese Pfarrbeneficien. Die böhmischen Priester
werden wie ein rechtloses Wild gehetzt und öffentlich
in deutschnationalen Zeitungen oder auch in den
Organen des P. Opitz an den Pranger gestellt. So
brachte am 11. März 1902 das Organ der Prager
364
Judenschaft das „Prager Tagblattu folgende Nachricht.
„Gzechisehe Priester" in deutschen Seelsorgestationen.
Besonders auffallend ist die Zahl der czechischen
Priester in der Leitmeritzer Diöcese. Laut dem Gata-
logus cleri sind von den 470 Seelsorgestationen 324
deutsch und in 121 der letzteren wirken 438 cze-
chische Priester, 82 Pfarrer und 56 Kapläne. Gze-
chische Pfarrer sind: in Hrobisch, Medenost, Ru-
schowan, Struschnitz, Wegstädtl des Auschaer, in
fiiela, Böhm. Pockau, Neschwig, Seesitz, Stäben des
Aussiger, in Moldau, Radowessitz, Sellnitz des Billiner,
in Kleinhahn des Brüxer, in Neuendorf des Fried-
länder, in Brims, Dobrn, Krombach, Kunnersdorf,
Seifersdorf des Gabler, in Albrechtsdorf, Josephsthal,
Irzikowitz, Schumburg des Gablonzer, in Borzira,
Hühnerwasser, Klein-Bösig, Kroh, Töschen, Tuhan,
Woken des Hirschberger, in Chmeleschen, Oberklee,
Podersanka, Scheles, Strojeditz des Jechnitzer, in
Lametitz des Kaadner, in Gersdorf, Herrnskretschen,
Ober-Ebersdorf, Ober-Preschau des Böhm.-Kamnitzer,
in Horatitz, Platz, Schössl, Strähn, Trauschkowitz
des Komotauer, in Hraidisch, Netschenitz, Roscha,
Postelberg, Wittosess, Zuscha des Launer, in Fal-
kenau, Straussnitz, Wolfersdorf des Leipaer, in Libo-
chovan, Pitschowitz, Praskowitz, Saubernitz, Schütte-
nitz, Taucherschin, Zahorzan des Leitmeritzer, in
Suttom, Tschischkowitz, Wellemin, Meronitz des Libo-
chowitzer, in Hermansthal, Langenbruck, Liebenau,
Reichenau des Reichenberger, in Spollititz, Knöschitz,
Liebotitz, Michelob, Mohr, Stankowitz des Saazer, in
Böhm.-Kahn, Boreslau, Ebersdorf, Peterswald, Schima,
Tschochau des Teplitzer-Vikariats. Czechische Ka-
pläne wirken : in Leitmeritz, Wegstädtl des Auschaer,
in Aussig a. E., Biela, Bodenbach, Gartitz, Königs-
wald, Mosern, Reschwitz, Schwaden, Tetschen, Tür-
mitz des Aussiger, in Bill in, Dux, Nie der- Georgen thal,
Ober-Georgenthal, Oberleutensdorf des Biliner, in Brüx,
Tschausch des Brüxer, in Grottau, Heindorf, Wiese
des Friedländer, in Gabel, Reichstadt des Gabler, in
Morchenstern, Polaun, Schumburg, Tannwald des Ga-
blonzer, in Dauba, Hirschberg, Hühnerwasser des
Hirschberger, in Podersam des Jechnitzer, in Klö-
365
sterle des Kaadner, in Bensen, Steinschönau des
Böhm.-Kamnitzer, in Pressnitz, Sonnenberg des Ko-
motauer, in Postelberg, Wittosess des Launer, in
Leipa, des Leipaer, in Lobositz des Leitmeritzer, in
Tschiskowitz des Li bocho witzer, in Liebenau, Maffers-
dorf, Oschitz, Reichenau des Reichenberger, in Bo-
reslau, Schwaz, Weisskirchlitz des Teplitzer Vikariats,
Diese Hetze ist systematisch, sie wird in allen deutsch-
geschriebenen Blättern ganz straflos ausgeübt. Als die
ersten Missionäre nach Tibet kamen, wurden sie
schonungslos niedergemacht. Heute noch darf kein
Europäer Tibet straflos betreten. In Böhmen werden
ehrliche Arbeiter, Beamte, Priester an den Pranger
gestellt, ihr Verbrechen besteht darin, dass sie nicht
deutscher Nationalität sind. Die Behörden reichen
da nicht einen Finger zum Schutze der Verfolgten,
Sollten es mal die Schumburger versuchen, einem
Rabbiner die Schlüssel zur Synagoge zu verweigern, da
käme sicher Militär hin, zum Schulze des bedrohten
Staatsbürgers.
Wenn es sich um Juden handelt, da soll man
sehen, wie energisch die Behörden in Böhmen auf-
treten. So schreibt das Organ der Prager Judenschaft
am 27. August 1898 folgendes: Eger, 25. August.
(O.-C.) (Behördliche Aufhebung eines antisemitischen
Beschlusses der Gremialkrankenkassa.) In der General-
versammlung der hiesigen Gremialkrankenkassa vom
6. Juni 1. J. wurde von radikal-nationaler Seite der
Antrag eingebracht, dass die bei der Kassa beste-
hende freie Aerztewahl aufzuheben und als Kassa-
ärzte in Hinkunft nur deutsche Aerzte arischer Ab-
kunft zu bestimmen seien. Dieser Antrag, dessen
Spitze sich gegen die hier domicilirenden, allgemein
geachteten jüdischen Aerzte lichtete, gelangte fast
einstimmig zur Annahme und mit 1. Juli d. J. zur
Durchführung. Eine Anzahl von Gehilfen rekurrirte
jedoch sofort gegen die Durchführung eines solchen
Statuten- und gesetzwidrigen Beschlusses bei der
k. k. Bezirkshauptmannschaft und diese hat mit Ent-
scheidung vom 17. August d. J. jenen Beschluss im
Grunde des § 127 der Gewerbe-Ordnung behoben
und die weitere Durchführung desselben untersagt
366
mit der Begründung, "dass nicht nur dieser Beschluss
den Statuten zuwiderläuft, sondern auch mit den
Staatsgrundgesetzen über die allgemeinen Rechte der
Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder im Widerspruche steht. u
In den Staatsgrundgesetzen Oesterreichs ist
nämlich ausdrücklich festgestellt, dass jede Stelle
einem jeden Staatsbürger zugänglich ist im Rahmen
der gesetzlichen Bestimmungen. Wir brechen hier ab.
Es würde uns zu weit führen, wollten wir diesen
Gegenstand noch weiter verfolgen. Wer Wind sät,
wird Sturm ernten. Es können Zeiten kommen, wo
auch Priester deutscher Nationalität vor den Odin-
anbetern nicht geschützt sein werden.
Das mögen Opitz und Dr. Frind, sowie ihre
Parteimänner in den Konsistorien, welche den böh-
mischen Priester der wilden Jagd der Deutschnatio-
nalen preisgeben, bei Zeiten bedenken. Die Zukunft
ist trübe. An den Thoren der wetterschwangeren
zukünftigen Zeit steht das Gespenst der rothen
Internationale, die sociale Revolution, die Kommune
ist auf dem Sprunge. Dann wird kein Unterschied
gemacht zwischen Pfafif und Pfafif, ob deutsch oder
böhmisch, ganz gleichgiltig, dann wird auch nichts
helfen die nationale Scheidung der Diöcesen.
Wehe denen, welche aus Egoismus noch Oel in
den nationalen Brand hineingiessen. Das Volk, soweit
es noch christlich denkt, nimmt durchaus keinen
Anstoss daran, ob der Seelsorger einer anderen Na-
tionalität angehört, es beurtheilt den Priester nach
seinem Wirken, seinem Eifer. Wenn die Opitzianer
fortwährend behaupten, dass nur ein deutscher
Priester bei deutschen Pfarrkindern Vertrauen haben
kann, dann dürfte Rom überhaupt keine Missio-
näre zu den noch andersgläubigen und heidnischen
Völkern aussenden. Konsequent müsste nach den
Grundsätzen des P. Opitz, des Weihbischof Dr. Frind
und Konsortes das Institut Propaganda de tide in
Rom vom Erdboden rasirt werden. Dass das Volk,
wenn es noch christlich denkt, den Priester nach
seinen Leistungen beurtheilt, davon geben selbst
deutschnational gesinnte deutsche Priester einen
367
Beweis, Der berüchtigte Pfarrer Kaspar Rank in
BHZejov, in der budweiser Diöcese, der von seinen
böhmischen Pfarrkindern ob seines geradezu brutalen
Benehmens zu ihnen beim Konsistorium in Budweis
wiederholt angeklagt wurde, erfuhr an sich eine
Lynchjustiz von Seite seiner deutschen Pfarrkindern.
Er wurde von ihnen in der Nikolonacht 1902 gegen
3 Uhr Früh in einem deutschen Wirthshaus durch-
geprügelt. In die Zeitungen aber gab Pfarrer Rank
die Nachricht, die bösen czechischen Pfarrkindern
hätten ihn überfallen. Die deutschen Pfarrkinder
gaben ihrem Seelsorger ein Denkzettel, dass es für
ihn nicht passe, die Nächte in Wirthshäusern durch-
zuschwärmen.
Uebrigens sind die Opitzianer nicht allein schlecht
zu sprechen auf die böhmischen Priester. Wer hat
denn in der „Reichspost", dem Organe dieser Frak-
tion, so viel Giftiges und Gehässiges aufgehäuft gegen
die katholischen Abgeordneten aus Ober-Oesterreich
und den Alpenländern, weil sie nicht nach der Pfeife
des Opitz tanzen wollen, welches Blatt brachte gifti-
gere Angriffe gegen katholische Blätter, gegen das
„Vaterland," das „Linzer Volksblatt " und andere
katholische Blätter, als die „Reichspost" (ein angeb-
lich katholisches Organ !), weil diese Organe nicht die
Nationalitätenhetze mitmachen wollen? Wer hat
den Bischof Dr. Schoebel von Leitmeritz so weit ge-
bracht, dass dieser sich fürchtet einen abgehetzten
böhmischen Priester anzuhören und seine Beschwerden
vorzubringen? Wenn ein solcher in seine Residenz
kommt, lässt ihm Se. Excellenz einfach sagen, man
solle die Ruhe ihm nicht rauben. Doch genug, es
würde uns zu weit führen. Die Herren vom Opitz-
lager mögen sicher sein, dass wir uns vor ihren So-
phismen nicht fürchten.
XXII. Oesterreichs konfessionelle Statistik.
Nach dem Zahlenverhältniss ist Oesterreich katho-
lisch. Damit ist natürlich nicht gesagt, als ob in
Oesterreich die katholische Kirche einen grossen Ein-
fluss hätte auf das öffentliche Leben und das Volk
überhaupt. Darüber wollen wir an dieser Stelle keine
368
Kritik üben. Wir können nur das Eine feststellen,
da ss heute zwischen den sogenannten katholischen
und nichtkatholischen Ländern wohl kein grosser
Unterschied ist; die Religion ist den meisten Men-
schenkindern nicht das wichtigste LebenskapiteL Das
ist eben das Kennzeichen des jetzigen Zeitalters. Das
Volk hat unter dem Drucke der Sorgen um das
Brod einerseits und unter dem Drucke der Gier
nach Genuss und Befriedigung der Leidenschaften
andererseits kaum Zeit über die Fragen der Religion
bei sich Einkehr zu halten. Die Zahl der katho-
lischen Bevölkerung Oesterreichs ist folgende:
Absolute Zahl In Perzenten
Jahr 1857 1900 1857 1900
Nieder-Oesterreich 1,350.684 2,867.533 98*5 92-49
Ober-Oesterreich . 673.404 790.270 97*9 97*53
Salzburg 140,132 191.230 999 99-20
Steiermark .... 1,004.919 1,339.358 995 93-74
Kärnten 307.642 346.660 94-8 94-83
Krain 466.768 507.274 99-8 99-83
Triestu. Küstenland 502.729 745.989 99 98-60
Tirol u. Vorarlberg . 864.889 975.818 99-9 99-37
Böhmen 4,601.335 6,067.012 96*3 96-20
Mähren ... . 1,784593 2,325.574 951 95-40
Schlesien .... 396.843 576.497 85-9 84-73
2,072.633
r, ,. . lateinisch. R.
Galizien 2,077.112
griech. R.
Bukowina 51.846 110.483 175 15-13
Dalmatien .... 337.800 496.966 81-3 83.69
44-8 88-42
6,456.147 ^.g
Die Bewegung des katholischen Elementes in
Oesterreich innerhalb 43 Jahre ist also eine abwärts-
gehende, wie man sehr deutlich bei den Perzentzahlen
ersehen kann. Den grössten Niedergang des katho-
lischen Elementes weist Niederösterreich auf, woran
allerdings Wien den grössten Antheil hat. Dass diese
Zahlen nicht absonderlich erfreulich sind, liegt auf
der Hand. Was die Zukunft noch bringen wird,
weiss Gott.
369
Gesammtergebniss :
Absolute Zahl der In
Katholiken Perzenten
Jahr 1857 1900 1857 1900
16,634.190 23,796.814 926 90*99
Die Zahl der Angehörigen evangelischen Konfes-
sionen in Oesterreich ist folgende :
Absolute Zahl . In Perzenten
Jahr 1857 1900 1857 1900
Nieder-Oesterreich . 9.140 65.460 0-8 2-11
Ober-Oesterreich . . 14.882 18.373 21 2-27
Salzburg 65 1.284 01 0-67
Steiermark 5.112 13.159 0*5 0*97
Kärnten 16.679 20.383 5-2 5-55
Krain 100 413 O'O 0-03
Küstenland .... 458 2.623 0'1 0-35
Tirol und Vorarlberg 115 4.767 0-0 0-49
Böhmen 90.936 144.658 1-9 2*29
Mähren 51.765 66.365 2-7 5*27
Schlesien 61.917 91.741 134 13-48
Galizien 31100 45.331 0-7 0'63
Bukowina 8.733 19.272 2 2*64
Dalmatien 25 182 0*0 0-03
Gesammtergebniss :
292.227 494.011 16 1-89
Wir haben hier die Ergebnisse der offiziellen Sta-
tistik zusammengestellt. Grosse Erklärungen dazu
sind überflüssig. Innerhalb 43 Jahre hat die Zahl
der Angehörigen beider protestantischen Konfessionen,
absolut zugenommen, sich fast verdoppelt. Relative
Zahlen sind folgende: Im Jahre 1857 waren unter
10.000 Personen 160 Individuen Angehörige der beiden
evangelischen Konfesionen. Im Jahre 1900 stieg
diese Zahl auf 189 Personen, damit ist auch das re->
lative Anwachsen der Protestanten genau angegeben.
Die Ergebnisse der Statistik des weiteren Decenniums
1910 werden jedenfalls noch trauriger sein.
Auf die näheren Details der letzten Jahre wollen
wir verzichten. Dr. Zemmrich verbreitet sich in der
„Wartburg" vom 9. und 16. Januar 1903 folgender-
massen :•
24
370
Die vor Kurzem veröffentlichten summarischen
Ergebnisse der Volkszählung von 1900 geben ein im
Ganzen recht erfreuliches Bild des Wachsthums der
evangelischen Bevölkerung. Während die Römisch-
Katholischen, die vier Fünftel der Gesammtbevölkerung
ausmachen, sich im letzten Jahrzehnt nur um 9*1
v, H. vermehrten, betrug die Vermehrung der Evan-
gelischen Augsburger Konfession 15'7 v. H. gegen
9'3 im vorletzten Jahrzent. Abgesehen von einigen
Sekten, deren Anhänger nur nach Hunderten
zählen, übertreffen nur die Altkatholiken mit 57-0
v. H. die Zunahme der Evangelischen. Den abso-
luten Zahlen nach besteht naturgemäss das um-
gekehrte Verhältniss. Die Römisch-Katholischen wuch-
sen um 1,726.113, die Evangelischen A.B. um 49.626,
die Altkatholiken um 4697. Die Evangelischen Hel-
vetischer Konfession gewannen nur 8055 Seelen =
6'7 v. H., sie gehören meist dem tschechischen
Sprachstamm an. In absoluten Zahlen sind die wich-
tigeren Bekenntnisse wie folgt vertreten :
Römisch-Katholische . . . 29,660.279 = 79'0 v. H.
Griechisch-Unirte 3,134.439 = 120 „
Juden 1,124.899= 4-7 „
Griechisch-Orientalische . . 606.764 = 2*3 „
Evangelische A. B 365.454 zz 1-4 „
Evangelische H. B 128.557 = 0-5 „
Altkatholiken 12.937 = 005 „
Am günstigsten stellt sich für die Evangelischen
der Vergleich mit dem natürlichen Wachsthum der
Bevölkerung. Oesterreich hat im vorigen Jahrzehnt
398.441 Menschen durch Ueberschuss der Auswan-
derung über die Einwanderung verloren. Von diesem
Verlust gegenüber der natürlichen Vermehrung kom-
men 232.881 auf die Römisch-Katholischen, 104-758
auf die Juden, 60.023 auf die Griechisch-Katholischen.
Die Evangelischen hatten dagegen eine Zunahme zu
verzeichnen, die ihren Geburtenüberschuss um 5429
übertrifft. Hierin drückt sich theilweise der Gewinn
durch Uebertritte aus, welche die gewiss auch bei
den Evangelischen stärkere Aus- als Einwanderung
mehr als ausglichen. Folgende Tabelle gibfr die ab-
371
soluten Zahlen für die Kronländer, in denen minde-
stens 10.000 Evangelische A. B. wohnen, sowie das
Wachsthum der Evangelischen in Vergleich mit dem
der Bevölkerung seit 1890:
Zunahme v. H.
Evangelische A. B. Evang. Bevölkerung
Schlesien 91.264 8*2 12-4
Böhmen 72-922 201 81
Niederösterreich . . . 57.052 37-0 165
Galizien 40.004 45 107
Mähren 26.605 12*9 7 1
Kärnten 20.100 8-1 1*8
Bukowina 18.383 15 9 12*9
Oberösterreich ... 18.143 5*9 3 1
Steiermark .... 12.675 25*9 5*8
Also nur in Schlesien und Galizien bleibt das
Wachsthum der Evangelischen hinter dem ^ier Ge-
sammtbevölkerung zurück. Der Grund hiefür liegt in
der zunehmenden Auswanderung aus den rein deut-
schen Bezirken Westschlesiens und den deutschen
Kolonistendörfern Galiziens. In Schlesien drückt
ausserdem die massenhafte Einwanderung galizischer
Arbeiter in das Ostrauer Kohlenrevier den Antheil
der Evangelischen wie der Deutschen herab. Die
Ziffern für Niederösterreich, Steiermark, Böhmen und
Mähren lassen den Einfluss der Los von Rom-Bewe-
gung am deutlichsten erkennen.
Die übrigen Kronländer werden nur von wenigen
Tausenden Evangelischen A. B. bewohnt, es zählen
Tirol 2806, Triest 1346, Salzburg 1211, Vorarlberg
346, Istrien 290, Krain 285, Görz 269, Dalmatien 153.
Die meist tschechischen Evangelischen H. B. kommen
nur in Böhmen und Mähren in Betracht. Böhmen
7ählt 71.756, Mähren 37.760. Ihre Zunahme bleibt
hinter dem Landesdurchschnitt zurück. Ueber 1000
Evangelische H. B. haben nur noch Niederösterreich
(7408) und Galizien (5327). Prozentual ist der Antheil
der Evangelischen A. B. in den einzelnen Kronländern
am grössten in Schlesien mit 134 v. T. Mehr als 10
vom Tausend bilden sie noch in Kärnten (55), Bu-
kowina (25), Ober-Oesterreich (22), Nieder-Oesterreich
(19), Böhmen (12) und Mähren (11). Dazu kommen
24*
372
in den beiden letztgenannten Provinzen noch llt
bezw. 16 v. T* Evangelische H. B.
Die Vertheilung der Protestanten auf die einzelnen
Gemeinden werden erst die später erscheinenden
Gemeindelexika erkennen lassen. Jetzt liegen nur die
Zahlen für die politischen und Gerichtsbezirke vor,
in denen vereinzelte protestantische Gemeinden wenig
zur Geltung kommen. Wir geben im Folgenden das
Wichtigste aus diesen summarischen Ziffern. In
Niederösterreich zählt Wien 54.264 Protestanten, das
sind 3!/4 v. H. der Einwohner. Die verhältnismässig*
meisten Evangelischen wohnen im Bezirk Lilienfeld
(6*7 v. H.). Oberösterreich besitzt drei konfessionell
gemischte Bezirke. Ischl mit 191, Linz-Umgebung:
mit 10*9 und Eferding mit 10*5 v. H. Evangelischen.
Hier handelt es sich bereits um überwiegend evan-
gelische Orte in katholischer Umgebung. In Salzburg
wird der höchste Antheil in der Stadt Salzburg mit
901 =2-7 v. H. erreicht. In Steiermark beherbergt
die Hauptstadt Graz fast 4000 Protestanten, doch
bilden sie hier nur 2*9 v. H. Hingegen bedeuten im
Bezirk Schladming die dortigen 3318 Evangelischen
fast die Hälfte der Bevölkerung (47-3 v. H.). Weitere:
protestantische Gemeinden bringen den evangelischen
Antheil in den Bezirken Gröbming auf 11*9, Mautem
9*2, Rottenmann 6*1 v. H. Die absoluten Ziffern be-
tragen 670, 554 und 592 Köpfe. Unter den Kärntner
Bezirken steht Villach mit 4660 Evangelischen (13*5
v. H.) der Zahl nach obenan, im Verhältniss jedoch
der Bezirk Paternion, dessen 3716 Protestanten 436
v. H. gleichkommen. Weitere ansehnliche evange-
lische Minderheiten haben die Bezirke Hermagor
(21-3 v. H.), Gmünd (28-6), Millstadt (21-4), Feld-
kirchen (117), Kötsschach (9-0) und Sputa (6-6).
Von den Protestanten in Tirol fällt fast die Hälfte-
auf den Bezirk Meran, zumeist sind es Kurgäste.
Gegen 700 kommen auf Innsbruck mit Vororten, so
dass nur 1100 verstreut über das übrige Land wohnen.
Die wenigen Evangelischen Vorarlbergs wohnen meist
im Bregenzer Bezirk.
Böhmen hat einen einzigen Bezirk, Asch, mit
überwiegend protestantischer Bevölkerung (67*7 v. H.).
373
Auf diesen kommt über ein Drittel (26*547) der Evan-
gelischen A. B. in ganz Böhmen. Von den übrigen
politischen Bezirken haben noch folgende über 1000
Evangelische A.B.: Stadt Prag 1708,. Stadt Reichen-
berg 1144, Aussig 3141, Brüx 1021, Eger* 3326,
Gablonz 1477, Hohehelbe 1233, Reichenberg 1521,
Rumburg 1209, Tetschen 2397. Dies sind deutsche
Protestanten, von den tschechischen Bezirken haben
über 1000 Lutheraner nur Starkenbach (2405),
Oaslau (1057) und Ghotöbof (1040). Die fast genau
so zahlreichen Evangelischen H. B. gehören mit
geringen Ausnahmen zum tschechischen Sprachgebiet,
sie wohnen meist im mittleren Böhmen, von dem
Zusammenfluss der Elbe und Moldau nach Osten bis
zur mährischen Grenze. Ihr Maximum erreichen sie
in der Bezirkshauptmannschaft Podebrad mit 9201
Köpfen. Prozentual tritt in den deutschen Landes-
theilen die evangelische Bevölkerung noch sehr zurück.
Die Lutheraner erreichen, abgesehen von Asch, ihren
höchsten Antheil im Gerichtsbezirk Starkenbach (8*7
v. H.), also im tschechischen Gebiet. Von den deut-
schen Bezirken stehen Wildstein bei Eger (6 '4 v. H.),
Friedland (5*7), Katharinaberg im Erzgebirge (5*3),
Eger (4*8) obenan, 3—4 v. H. Lutheraner finden sich
in der Stadt Reichenberg und den Gerichtsbezirken
Aussig, Arnau, Kratzau, Teplitz und Tetschen auf
deutscher, in den Bezirken Chotebof und Prelautsch
auf tschechischer Seite. Prozentual fallen die Tschechen
H.B. in ihren dünnen besiedelten landwirtschaftlichen
Bezirken viel mehr ins Gewicht. Obenan steht in der
Nähe der mährischen Grenze der Gerichtsbezirk
Skutsch mit 21*9 v. H. Evangelischen H. K. Die im
Osten und Westen angrenzenden Bezirke Politschka
(9-7 v. H.) und Hlinsko (86 v. H.) haben gleichfalls
ansehnliche evangelische Minderheiten; in einer Reihe
weiterer Bezirke des mittleren Ostböhmen betragen
diese noch 2—5 v. H. Weiter nördlich wird ein Ma-
ximum von 7*4 v. H. im Bezirk Opotschno östlich
von Königgrätz (5*1 v. H.) erreicht. Das mittlere Eib-
gebiet bildet das Zentrum der tschechischen Prote-
stanten, sie stellen im Bezirke Prelautsch westlich von
Pardubitz 7"9 v. H. der Bevölkerung, hieran schliessen
374
sich nach Westen die Bezirke Kolin (9*4), Caslau
(8-9), PodSbrad (17-3), Nimburg (115) und König-
stadtl (5*0 v. H.). An der Mündung der Moldau er-
reichen die Evangelischen H. B. noch einmal das
Maximum von 10*6 v. H. im Bezirk Melnik, dem sich
westlich der Bezirk Raudnitz mit 9*0 v. H. anschliessh
Die Altkatholiken entfallen fast ganz auf den deut-
schen Landestheil an der Lausitzer Grenze; der Be-
zirk Warnsdorf mit 3265 = 8-8 v. H. bildet ihren
Mittelpunkt. An der schlesischen Grenze erreichen sie
im Bezirk Tannwald 8*5 v. H., kleinere altkatholische
Minderheiten kommen noch in den Bezirken Haida
(3*7), Rumburg, Gablonz (je 25) und Böhmisch-
Kamnitz (1*4 v. H.) vor.
In Mähren kommt der Haupttheil der Protestanten
auf das tschechische Gebiet. Obenan steht der Bezirk
Wsetin an der ungarischen Grenze, ein Ausläufer
des slowakisch-protestantischen Gebietes. Hier er-
reichen sowohl die Evangelischen A. B. mit 8358
Köpfen = 24-2 v. H wie die H. B. mit 8086 = 234
v. H. ihre Höchstziffer. Beide zusammen kommen
fast den Katholiken (514 v. H.) gleich. Der Sprache
nach ist der Bezirk Wsetin ganz tschechisch-slowakisch,
nur 214 Deutsche wurden ermittelt. Die Evangelischen
A. B. sind auch in den westlich anschliessenden
Bezirken Wisowitz (12-9 v. H.) und Bistritz (54 v. H.)
mit ansehnlichen Minderheiten vertreten Sonst
kommen sie nur im Gesenke an der schlesischen
Grenze in grösserer Zahl vor, hier sind sie Deutsche.
In Betracht kommen die Bezirke Fulnek (8'2), Neutit-
schein (56) und Hof (3'6 v. H.). Die Evangelischen
H. B. gehören auch in Mähren ganz zum tschechi-
schen Gebiet, sie schliessen im Westen an ihre
Glaubensgenossen in Böhmen an und ziehen sich
nach Osten bis in die Karpaten hin. Im Ganzen haben
11 Bezirke über 4 v. H. Evangelische H. B., davon
7 im Karpatengebiet. Hier treten neben Wsetin.
Neustadtl mit 27*5 und Bistritz mit 14*1 v. H. hervor.
Westlich von der March stehen die Bezirke Klobuk
(18-7) südlich und Kunstadt (12*0 v. H.) nördlich von
Brunn obenan.
Die Protestanten Schlesiens gehören fast aus-
375
schliesslich den Evangelischen A. B. an und wohnen
zumeist in dem kleineren östlichen Landestheil. In
Westschlesien ist nur der Bezirk Olbersdorf mit
3906 = 32-5 v. H. Evangelischen A. K. und 303 =
2-5 v. H. H. K. zum grossen Theil protestantisch.
Die Bezirke Würbenthai (9-5), Freudenthal (21) und
Jägerndorf (3*4 v. H.) leiten zu den evangelischen
Deutschen in den genannten nordmährischen Bezirken
hinüber. In Ostschlesien wohnen in der Gegend von
Teschen und Bielitz ebensoviel Evangelische A. B.
wie in ganz Böhmen. Der Nationalität nach sind sie
theils Deutsche, zumeist aber Polen, wie aus nach-
stehender Tabelle hervorgeht.
Evangel. Deutsche
Stadtbezirk Bielitz 28*1 v. H. 8-34 v. H.
Gerichtsbezirk Bielitz .... 34-8 „ 37 7 „
„ Schwarzwasser 16 6 „ 6*7 „
„ Skotschau . . 47*0 „ *j 70
„ Freistadt . . . 12*6 „ 5*4 „
„ Jablunkau . .45*6 „ 2-7 .,
„ Teschen . . . 41*2 „ 209
Wir werden zu diesen Ausführungen des Dr.
Zemmrich in einem anderen Kapitel noch zurück-
kommen. Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass
der Hauptstock der Bekenner Luthers und Kalvins
in Oesterreich die böhmischen Länder abgeben, und
zwar sind es nicht Deutsche, sondern Gzechoslaven.
Es sind dies die Nachkommen der böhmischen Brüder,
welche bekanntlich nach dem Tode des Bischof
Augustus zum Kalvinismus und Lutheranismus über-
gingen. Diese Bevölkerung evangelischer Konfession
czechosla bischer Nationalität hat bekanntlich Friedrich
dem Grossen in seinen Raubzügen gegen Maria
Theresia die wichtigsten Dienste erwiesen. Wenn
wir die Abfallstatistik bis in ihre jüngsten Zeitpunkte
befolgen, haben wir folgende Zahlen vor uns.
In den letzten vier Jahren sind folgende Abfälle
vom katholischen Glauben in Gisleithanien geschehen :
1899 1900 1901 1902 Zusammen
Uebertritte zur evang.
Kirche A B. und H. B. 6385 5058 6639 4624 22.706
376
1809 1900 1901 1902 Zusammen
davon aus römisch-kath.
Kirche 6047 4699 6299 4247 21.292
Austritte aus derevang.
Kirche A.B. und H.B. 765 813 917 1078 3.573
davon in die römisch-
katholische Kirche . . 675 705 830 928 31.38
Zuwachs für die evang.
Kirche A.B. und H.B. 5620 4254 5722 3546 19.133
Unter allen Diöcesen ist am stärksten von der
Abfallsbewegung die Diöcese Leitmeritz betroffen. Es
beziffern sich die Uebertritte vom Jahre 1898 bis
Ende 1902, und zwar zum Protestantismus auf 6366,
zum Altkatholicismus auf 2894, zusammen auf 9260.
In dieser Zeit sind zur katholischen Kirche zurück-
gekehrt: 611 Protestanten, 128 Altkatholiken, 12
Konfessionslose; ausserdem traten 11 Israeliten über,
zusammen 812, so dass sich die Verlustziffer auf
8448 vermindert. Auf die einzelnen Vikariate entfallen:
Protestanten Altkatholiken
Teplitz 1725 14;
Aussig 1416 43
Gablonz 1156 2077
Reichenberg 415 46
Bilin 320 1
Komotau 235 39
Brüx 211 —
Saaz 179 42
Libochowic 85 —
Friedland 83 .... . 18
Gabel 78 43
Kaaden 67 ... . 27
Böhm.-Leipa 58 127
Böhm.-Kamnitz 49 183
Jectinitz 48 . ... —
Hainspach 44 227
Leitmeritz 4\\ _
Auscha 49 —
Nach den einzelnen Jahren stellen dich die Ueber-
tritte wie folgt dar ;
377
Protestanten Altkatholiken
1898 182 762
1899 1847 764
1900 1209 . . . . 454
1901 2068 590
1902 1080 824
Den Gipfelpunkt hat die Bewegung im Jahre
1901 erreicht; im Jahre 1902 weist sie in der Leit-
meritzer Diöcese bereits einen Rückgang auf. Was
die Zahl der evangelischen Kirchen in der Leitmeritzer
Diöcese betrifft, so bestanden daselbst 16 vor dem
Jahre 1898, zugewachsen sind seitdem 18 neue;
Predigtstationen gibt es 3, eine alte und 2 neue,
evangelische Schulen 7. Altkatholische Kirchen zählt
die behandelte Diöcese ebenfalls 7, und zwar 3 alte
und 4 neue.
Wir haben darauf hingewiesen, dass von Seite
der Opitzianer der Vorwurf erhoben wird, dass im
sogenannten deutschen Sprachgebiet die Anwesenheit
von Priestern böhmischer Nationalität der Abfalls-
bewegung einen ganz besonderen Vorwand darbiete.
Wir erlauben uns nun auf der Hand der Abfalls-
statistik die Seelsorger derjenigen Gemeinden anzu-
führen, wo die Abfallstatistik die meisten Resultate
aufweist.
Name des Pfarrers
Teplitz Laurenz Rössel
Aussig Anton Zimmler
Gablonz . Franz Günter
Reichenberg Josef Bergmann
Bilin > . . Karl Trautzel
Komotau Franz Sendner
Brüx ... . • Josef Güntner
Saaz Alois Hanl
Friedland Stephan Neumann
Gabel . Josef Tschörsch
Wir könnten die ganze Reihe der vordem ange-
führten Brennpunkte der Abfallsbewegung anführen
und würden hier finden, dass genannte Seelsorgsta-
tionen nicht einem einzigen Priester böhmischer Na-
tionalität anvertraut sind. Die deutschnational ge-
sinnten Priester deutscher Nationalität suchen einen
378
Sündenbock und haben ihn gefunden, aber damit
haben sie sich selbst nur einen schlechten Dienst
erwiesen. Die Wahrheit soll allen Priestern heilig sein.
Die Abfallshetze geht vorwärts trotz des Importes
reichsdeutscher Theologen nach Leitmeritz, sie geht
ihre Wege ungefragt ob ein deutscher oder böhmischer
Priester da ist, den Abfallsführern ist und bleibt der
katholische Priester — ein Pfaff — seine Nationalität
ist Nebensache.
XXIII. Die Sprachenfrage innerhalb der katholischen
Kirche.
Die katholische Kirche lehrt mehrere grund-
legende Wahrheiten, welche ihr Verhältniss zu den
Völkern der Erde genau kennzeichnen. Das jetzige
menschliche Geschlecht, das ja ungefähr 1560 Millionen
lebende menschliche Wesen zählt, hat nach Schätzung
der Sprachforscher mehr als 1000 verschiedene
Sprachen, die sich von einander derartig unterscheiden,
dass wer eine dieser Sprachen spricht, den andern,
der eine andere von ihnen spricht, nicht versteht. Die
katholische Kirche lehrt: 1. Alle Menschen stammen
von einem Elternpaar, sie sind in ihrem Wesen ein-
ander vollständig gleich aus Seele und Leib bestehend.
Die katholische Kirche hat von ihrem göttlichen
Stifter Jesum Christum die Sendung erhalten, aller
Welt, allen Völkern die Lehre Christi zu verkündigen.
Stellen aus der hl. Schrift werden wir zum Belege
dafür nicht anführen, sie sind ja zu bekannt. Da
nun der christliche Glaube, welcher allen Völkern
der Erde ohne Unterschied verkündigt werden soll,
nur dann Annahme findet, wenn die Glaubensboten
ihn dort verkünden, wo er noch nicht bekannt ist,
folgt doch von selbst, dass die Glaubensboten vor
allem sich des Mittels aneignen müssen, um sich
denen, die sie belehren wollen, verständlich zu
machen. Der Glaube kommt ja vom Hören. Deshalb
studiren katholische Missionäre bevor sie ihr Missions-
gebiet betreten, die Sprache oder auch mehrere Spra-
chen jener, in deren Mitte sie Christenthum predigen
wollen. Darum haben die Apostel für ihr Wirken
direkt von Gott die Gabe der Sprachen erhalten,
379
damit sie ohne Aufschub Christenthum verkündigen
konnten. Alles dies ist klar und einfach, ohne dass es
gelehrter Beweise bedarf. Das Bestreben der modernen
Staaten, einen centralen einheitlichen Nationalstaat zu
schaffen, hat auch in die Kirche und ihr heiliges
Gebiet hineingegriffen ; die kleineren Völker sollen
auch hier in ihren Rechten verkürzt werden und
man diktirt ihnen einfach : ihr müsst das Evangelium
in der Sprache euerer Bedrücker, Beherrscher und
Ausbeuter anhören, und traurig ist es, dass sich dazu
selbst katholische Priester und auch höhere Würden-
träger hergeben.
Es ist doch klar, dass mit einem derartigen
Vorgehen ja direkt das Christenthum geleugnet wird.
Wer da kommt, um die Lehre Christi zu verkündent
welcher in die Welt rief: kommet alle zu Mir, die
ihr mühselig beladen sei, und sagt aber seinen
Hörern, sie müssen diese Lehre Christi in der Sprache
ihrer Bedrücker anhören, der gibt damit offen zu,
dass Gewalt vor Recht geht. Damit ist aber die Lehre
Christi selbst begraben und ihr Verkünden der Welt
überflüssig, denn der Inhalt der Lehre wird durch
ein entgegengesetztes Handeln in Wirklichkeit ge-
leugnet. Das bestätigt auch die Geschichte. Karl der
Grosse vergrösserte sein franko-germanisches Reich
auf Kosten des Christenthums, das er auszubreiten
vorgab, in Wahrheit aber Eroberungen im Sinne hatte,
daher auch der verzweiflungsvolle Widerstand der
Sachsen nicht gegen die Lehre Christi, aber der mit
ihrer Annahme drohenden Knechtung. Die Elbeslaven
widerstrebten nicht dem Kreuze, wohl aber der poli-
tischen Knechtung, der sie sogar ihre eigene völlige
Ausrottung vorzogen. Der deutsche Ritterorden hat
seine ursprüngliche Aufgabe das Christenthum zu ver-
breiten bei Seite geschoben und hat das Eroberungs-
und Kriegshandwerk zu seiner Beschäftigung erwählt.
Das böhmische Volk hat das Christenthum erst im
Laufe des 9ten Jahrhundertes angenommen. Der
christliche Glaube musste doch in Böhmen längst
bekannt sein. Hat ja doch im öten Jahrhundert der hl.
Severin im nachbarlichen Noricum Christenthum ge-
predigt, im 7ten Jahrhunderte evangelisirte in Bayern
380
der hl. Emeran. Im 8ten Jahrhunderte wirkte im
mittleren Deutschland der hl. Bonifaz. Die Südslaven
im heutigen Makedonien nahmen den christlichen
Glauben schon im 7ten Jahrhunderte an. Also war
der Same des christlichen Glaubens ringsum
Böhmen schon längst ausgesäet.
Es kamen Glaubensboten nach Böhmen aus
Bayern, aber sie waren der böhmischen Sprache un-
kundig, sie kamen an die Grenzen des Böbmerwaldes,
aber tiefer in das Land drangen sie nicht vor. Wie
konnten sie predigen, da das Volk ihre Worte nicht
verstand? Zudem war im böhmischen Volke die
Furcht vor Glaubensboten aus deutschen Landen sehr
gross, denn das Beispiel an den Sachsen und Elbeslaven
war ja hier, dass mit dem Kreuze gleichzeitig auch
das Schwert des Eroberers sich einstellte. Das Miss-
trauen und die Furcht vor den Glaubensboten aus
deutschen Landen war darum die Hauptursache, dass
das Christenthum in Böhmen so spät anfing zu
keimen. Im Jahre 845 Hessen sich 14 böhmische
Vladyken aus Opposition zum Herrscher des Landes,
dem Fürsten Hostivit, am Hofe Ludwig des Deutschen
taufen. Auf dieses hin vindicirten sich die Erz-
bischöfe von Regensburg die kirchliche Oberhoheit
über die böhmischen Länder, welcher Umstand auf
die spätere Entwicklung kirchlicher Zustände in
Böhmen von grösster Bedeutung geworden ist. Die
Bischöfe von Passau usurpirten für sich die kirchliche
Jurisdiktion über Mähren und die Bischöfe von Salz-
burg über Nord-Ungarn. Damals spielten für die kirch-
liche Jurisdiktion eine Hauptrolle die Zehentabgaben
und darum begreifen wir auch den geradezu ver-
zweifelten Widerstand genannter Bischöfe, den sie
jahrhundertelang der Errichtung selbständiger Bischof-
sitze in dem Bereite der böhmischen Länder entgegen-
setzten. Der Fürst Mährens Rostislav wollte darum
von einer Apostolisirung von Seite genannter
deutscher Bischöfe nichts wissen, wohl fürchtend, dass
mit dem Kreuze nicht zugleich auch das Schwert des
Eroberers ins Land käme, und darum bat er den
Kaiser Michael III. von Byzanz um slavische Glaubens-
boten. Diesem Ansuchen wurde denn auch Folge
381
gegeben und nach Mähren kamen die beiden Brüder
Cyrill und Method aus Salonichi. Sie predigten Christi
Lehre in slavischer Sprache und wurden vom Volke
auch vollständig verstanden. Während das Volk
überall die Glaubensboten freudig empfing, würden
sie von Seite der deutschen Bischöfe, welche sich die
Jurisdiktion über die böhmischen Länder vindicirten
als „fremde" Priester mit Protest empfangen. Beide
Glaubensboten Gyrill und Method wurden von den
deutschen Bischöfen beim Kaiser und Papst als ver-
dächtige Menschen angeklagt, welche keine Gewähr
für Rechtgläubigkeit bieten. Nachdem Cyrill und
Method 51/2 Jahre in Mähren und Böhmen evange-
lisirt hatten, begaben sie sich im Jahre 867 nach
Rom, unterwarfen sich hier dem Informationsprocesse
und wurden dann zu Bischöfen geweiht; Gyrill starb
im Jahre 869 in Rom, der hl. Method kehrte nach
Mähren zurück. Papst Hadrian erneuerte das alte
Bisthum Illirikum, als Bischofsitz erwählte sich
Method die Stadt Srem. Kaum begann Method seine
apostolische Arbeit in Nord-Pannonien, geriethen in
Zorn Adalvin in Salzburg, Hermenerik in Passau und
Hanna von Freising. Alle drei proklamirten den
hl. Method als „Eindringling" in ihr Jurisdiktions-
gebiet, Hessen ihn mit Gewalt und Trug gefangen
nehmen und der Bischof von Passau hieb auf Method
mit der Peitsche. Drei und ein halbes Jahr wurde
der hl. Method von den deutschen Bischöfen wider-,
rechtlich, trotz seiner Bischofsweihe, im Kerker ge-
halten und erst als Papst Johann VIII. die Peiniger
mit Bann belegte,*liessen sie ihn frei. (Vacek, Kirchen-
geschichte.)
Der hl. Method entwickelte nun eine rührige
apostolische Thätigkeit im ganzen sl avischen Reiche
Svatopluks, taufte in Prag die hl. Ludmila und den
Fürsten Bofivoj. Den deutschen Bischöfen war die
apostolische Arbeit Methods ein Dorn im Auge und
voll hämischen Neides klagten sie Method beim
apostolischen Stuhl, er sei nicht rechtgläubig. Aber
das Resultat war, dass Method zum Metropoliten des
mährischen Reiches wurde mit dem Sitze in Vele-
hrad. Sein erster Suffragan wurde der durchtriebene
382
Viching mit dem Sitze in Neutra. Böhmen war der
Jurisdiktion des mährischen Metropoliten zugetbeilt.
Deutsche Kirchenhistoriker behaupten, Böhmen
sei der kirchlichen Jurisdiktion der Erzbischöfe von
Regensburg unterstanden, was aber total falsch ist.
Der hl. Method wirkte nach seiner Erhebung zum
Metropoliten im Jahre 880 noch 5 Jahre. Er starb
am 6. April 885. Nach seinem Tode begann Viching
zu wirtschaften, die slavische Liturgie wurde unter-
drückt, die böhmischen Priester wurden vertrieben.
Viching ging vollends ins deutsche Lager über und
wurde Bischof in Passau. Mojmir IL bat den Papst
Johann IX. um die Wiederaufrichtung der mährischen
Metropole. Das geschah auch, es wurde ein Metro-
polit und 2 Suffragane geweiht und eingesetzt, alle
drei waren slavische Priester, ihre Namen sind un-
bekannt (Dudik, Geschichte Mährens I, 223). Die
deutschen Bischöfe reichten nach Rom ihren Protest
ein gegen diese Wiederbesetzung. In diesem Proteste
wird die slavische Bevölkerung Mährens „als ein ge-
wisses Volk, welches gutwillig oder nicht den Deutschen
müsse unterwürfig werden, sie seien ein rainder-
werthiges Volk (pars pejor, inferior)". (Vacek, Kirchen-
geschichte.) Man sieht, dass Weihbischof Frind von
Prag und seine Trabanten Theologieprofessor Dr.
Hilgenreiner, P. Opitz und diese ganze Partei nichts
Neues sagen, sie haben schon vor mehr denn 1000
Jahren ihre würdigen Vorgänger gehabt. Boleslav
bemühte sich nun beim Papst Johann XIIL, dass die
Metropole von Mähren nach Prag verlegt werde,
weil ja Boleslav fast über alle Gebiete Mojmirs
herrschte. Der Papst wollte von einer slavischen
Liturgie nichts wissen, es begann schon damals die
östliche Kirche ihren Abfall von Rom vorzubereiten.
Der Papst fürchtete durch die Errichtung einer sla-
vischen Metropole in Prag den zum Schisma neigen-
den Osten zu stärken. Vor 100 Jahren wäre die Sache
leichter gegangen.
Die Päpste des X. Jahrhunderts waren von den
Ottonen derartig abhängig, dass sie die germanisi-
rende Thätigkeit dieser Herrscher zu unterstützen ge-
zwungen wurden. Otto I. setzte es durch, dass in
383
Prag ein Bischofsitz errichtet wurde mit lateinischem
Ritus in Abhängigkeit vom Bischof von Mainz. Das
Bisthum Prag wurde 973 gegründet auf Grund eines
Abkommens Otto I. und Boleslav IL des Frommen.
Papst Benedikt VI. sanktionirte dieses Abkommen.
Otto I. setzte es durch, dass zum ersten Bischof
Prags Ditmar, der deutscher Abkunft war, eingesetzt
wurde. Ditmar erlernte die böhmische Sprache.
Ditmar wurde von Otto I. in Quedlinburg 973 in-
vestirt und vom Mainzer Metropoliten konsekrirt
Leider müssen wir uns wegen Raummangel weitere
geschichtliche Reminiscenzen versagen. Das böhmische
Volk hat den Glauben Christi angenommen und ihn
auch mit der ganzen Glut der Seele erfasst. Man
kann fest behaupten, dass die Geschichte des böh-
mischen Volkes zugleich seine Religionsgeschichte ist.
Sind doch die grössten Religions-Kriege, der Hussiten-
Krieg und der 30jährige Krieg mitten aus dem böh-
mischen Volke hervorgegangen. Nach den Stürmen
der napoleonischen Kriege und dem Revolutionsjahre
1848 wurde Oesterreich bis zum Jahre 1867, also über
ein halbes Jahrhundert, im absolutistischen Sinne
regiert. Das böhmische Volk war unter einem eisernen
Regime an seinen nationalen Rechten gekürzt. Nur
in der Kirche erklang in voller Freiheit die Sprache
des Volkes. Darum liebte das Volk seine Priester
und sah in ihnen seine geborenen Berather und
Führer. Die Zeiten haben sich nun gründlich zum
Schlechten gewendet. Der furchtbare Nationalitäten-
kampf, der auf politischem Gebiete gekämpft wird und
Oesterreich mit aller Gewalt zu einem deutschen
Staatengebilde machen will, greift nur zu tief auch
in die kirchliche Interessensphäre hinein. Die Deutsch-
nationalen verlangen vollständige administrative
Theilung und Trennung einzelner Kronländer, in erster
Reihe des Königreichs Böhmen, nach nationalen
Kreisen. Bisher ist nun jeder Versuch der Zerreis-
sung der historischen Kronländer erfolgreich zurück-
gewiesen worden, die massgebenden Kreise scheuen
selbst davon zurück, eine Brücke zu schlagen zwischen
Preussen und Böhmen durch Schaffung des berüch-
tigten geschlossenen deutschen Sprachgebietes. Was so
384
auf politischem Gebiete sich noch Niemand traute
durchzusetzen, das wagte man nun auf kirchlichem
Gebiete. Es ist zwar unglaublich, aber wahr. Die
Kirche sollte als Sturmbock der deutschnationalen
Pläne dienen, von welchen das Endziel wäre : die
Degradirung Oesterreichs zur preussischen Ostmark.
Dieser Vorschlag ist gemacht worden in einer Schrift,
welche in Prag erschien. Sie führt den Titel: „Zur
Frage deutscher Bisthümer in Böhmen". Ein Wort
zur Aufklärung und Beruhigung aus der Mitte des
deutschen Clerus in Böhmen. Im Verlag der Calve-
schen Buchhandlung. Die Schrift ist also anonym.
Dass die Verfasser dieser Schandschrift nicht den
Muth besassen, das, was sie niederschrieben, auch
mit ihren vollen Namen zu verbürgen, richtet die
Schrift selbst. Wir werden uns nur sehr gedrängt
fassen. Die Verfasser dieser Schrift, falls sie katho-
lische Priester sind, müssen wohl aus dem Kathe-
chismus die Sünden wider den hl. Geist kennen,
von denen Christus sagt, dass sie weder hier noch
jenseits vergeben werden. Die genannte Schrift ist
in ihrem vollen Inhalt eine solche Sünde. Ohne uns
in das Meritorische dieser Schrift einzulassen, was
ja ein Gegenstand ist, welcher in die Machtsphäre
des päpstlichen Stuhles gehört, wollen wir uns nur
einige Grundsätze näher anschauen, welche hier
niedergelegt sind. Auf Seite 46 der zweiten Auflage
steht geschrieben : „Ein einsprachiges Gebiet ceteris
paribus ist in ruhigen Zeiten viel leichter zu pasto-
riren, als ein sprachlich gemischtes, dass ein mehr-
sprachiges Gebiet der Diöcesenleitung Arbeiten und
Schwierigkeiten bereitet, welche ein einsprachiger
Kirchensprengel gar nicht kennt". Mit diesem „Grund-
satze" wird dann in der ganzen Schrift der Beweis
geführt und die Forderung gestellt, mit welcher die
Schrift endigt: neue Bisthümer, aber den Czechen
czechische, den Deutschen deutsche Bisthümer. Die
Forderung der anonymen Schreiber, auch die Diöcesen
sollen einsprachig sein, ist natürlich eine Kopie des
einheitlich centralistisch regierten Staates, in welchem
die Minoritäten ganz- einfach niedergemacht werden
kraft des Rechtes des Stärkeren. Und das soll auch
385
in der katholischen Kirche Anwendung finden? Dass
einsprachige Diöcesen leichter zu pastoriren sind,
als mehrsprachige, begreift ein Jeder ; besonders ist
die Sache sehr bequem für alle privilegirten Fau-
lenzer, welche da sagen: wir werden doch nicht die
Sprache eines minderwerthigen Volksstammes er-
lernen. Wären die Schreiber genannter Schrift katho-
lische Priester, müssten sie doch wissen, dass in allen
Seminarien, in welchen Priesterkandidaten erzogen
werden für Länder mit gemischter Bevölkerung, alle
diese Sprachen erlernt werden müssen. So wird vom
Priesterseminar in Jassy in Rumänien folgendes
berichtet : „Die bunte Vielsprachigkeit Rumäniens, wo
neben Rumänen zahlreiche Ungarn, Polen, Ruthenen,
Böhmen, Deutsche und Franzosen wohnen, musste
natürlich im Schulplan besonders berücksichtigt
werden. Daher wurde die deutsche und französische
Sprache als Pflichtfach für alle aufgenommen. Von
den übrigen Sprachen wählt sich jeder Priesterkan-
didat die eine oder die andere nach Belieben. Von
den 12 Erstlingen des Seminars spricht jeder ziem-
lich geläufig wenigstens je fünf lebende Sprachen.
(Kathol. Missionen, Jahrg. 30, Seite 132.) Gehen wir
nach Ostindien. In der Stadt Bombay, mit einer Ein-
wohnerzahl von 776.006 Personen, werden diese
Sprachen gesprochen: Gujarati, Kanary, Marathi,
Sindbi, Hindustani, Marwari, Malayalam, Tamil,
Telagu, Arabisch, Chinesisch, Englisch und Portu-
giesisch. Der Apostolische Delegat von Ostindien
Monsign. Zaleski gibt den katholischen Missionären
von Ostindien das Zeugniss, dass die Meisten von
ihnen bis 10 lebender Sprachen geläufig mächtig
sind. Katholische Priester in Nordamerika müssen,
falls sie für die Seelsorge brauchbar sein wollen,
neben des Englischen noch mehrere andere lebende
Sprachen erlernen. Wo könnte in diesen riesigen
Ländern, denen gegenüber Böhmen so klein ist wie
eine Handmappe, der obige „Grundsatz" der Ein-
sprachigkeit Anwendung finden P Soll auch das Land
Böhmen wegen einer handvoll geistfauler Theologen
in einsprachige Diöcesen eingerichtet werden? Wir
brechen ab. Wenn der Grundsatz der Einsprachig-
25
386
keit im kirchlichen Interesse zulässig wäre, wozu
hätten die Apostel am Pfingstfeste die Sprachengabe
erhalten ?
Schon dieser eine Satz, den wir aus der genannten
Schrift citirt haben, genügt zu beweisen, dass sie
eine Sünde wider den hl. Geist ist. Doch genug, wir
wollen uns mit dem Inhalte dieser Schandschrift
nicht mehr befassen, sie ist nur ein Beleg, dass der
nationale Wahn auch Priester hinreissen kann zu
Werken, die wohl eines Priesters vollständig un-
würdig sind. Die Hetze über die nationale Theilung
der Diöcesen in Böhmen dauerte fast 3 Jahre. Der
Impuls ging offenbar von den Treibern der Körbe-
rischen Regierung aus. In der päpstlichen Nuntiatur
in Wien wurden schon Berathungen gepflogen und
die Seele von Allem war Weihbischof Frind in Prag.
Da erhob sich der böhmische Rudigier, der leider
zu früh verstorbene Bischot Brynych von Königgrätz
und legte sein Veto ein, überreichte dem Monarchen
in dieser Angelegenheit ein grosses Memorandum.
Darob waren denn Dr. Körber und Weihbischof Frind
dem verstorbenen Oberhirten nicht absonderlich dank-
bar. Uebrigens hätten sich ja die anonymen Schreiber
genannter Schandschrift ihre Arbeit ersparen können.
Viel kürzer und preciser hat ihr Geschäft der Genera-
lissismus der Abfallsarmee Schönerer besorgt. In der
Sitzung vom 27. Februar 1901 stellte Abgeordneter
Schönerer und Genossen folgende Anfrage:
In der Erwägung, dass im Laufe der letzten 20
Jahre immer häufiger die Wahrnehmung gemacht
werden konnte, dass in Pfarrsprengeln von rein deut-
scher oder überwiegend deutscher Bevölkerung die
Pfarrstellen mit solchen Geistlichen besetzt werden,
velche nicht der deutschen Nationalität angehören;
in der weiteren Erwägung, dass es eine Kränkung
der heiligsten Gefühle der deutschen Bevölkerung
genannt werden muss, wenn derselben die Tröstungen
der Religion nicht von Männern ihres eigenen Stam-
mes, sondern von fremdnationalen, nur zu oft dem
Deutschthume feindlich gesinnten und diese feind-
selige Gesinnung sehr häufig zu überlautem Ausdrucke
bringenden Geistlichen gespendet werden ; endlich in
38T
der Erwägung, dass nicht deutsche Priester durch
ihre ausgesprochen deutschfeindliche Gesinnung nur
zu oft den Keim der Zwietracht in die deutsche
Bevölkerung tragen, stellen die Gefertigten die An-
frage:
„Ist die k. k. Regierung geneigt die unterste^
henden Statthaltereien und Landesregierungen dahin
zu beauftragen, bei Vorschlägen zur Besetzung von
Pfarrstellen in rein deutschen oder überwiegend
deutschen Pfarrgemeinden stets nur Priester deut-
scher Abstammung zu berücksichtigen ?u
Schönerer.
Hatick.
Dr. Bareuther.
Berger.
Herzog.
Schreiter.
Lindner.
Dr. Eisenkolb.
Johann Laurenz Hofer.
Stein.
Iro.
Alvin Hanich.
Kutscher.
Dötz.
Kittel.
Kliemann.
Dr. Tschan.
Am 28. Februar 1903 stellten die Alldeutschen
im Wiener Reichsrath den Antrag auf nationale Tren-
nung der Diöcesen in den böhmischen Ländern.
Weihbischof Frind und seine Gefolgschaft und Schö-
nerer mit seinen Manen liegen sich da einig in
Armen. Wahrhaftig eine saubere Gesellschaft das 1
Welche Früchte diese Hetze brachte, dafür ein Bei-
spiel. Ein reichsdeutsches Blatt brachte Anfangs
Jänner 1902 folgenden Bericht. „Wie der „N. Fr. Pr.a
aus Prag berichtet wird, wird die Agitation der
Tschechen gegen die von deutscher Seite nachdrück-
lich befürwortete nationale Theilung einzelner bischöf-
licher Diöcessen in Böhmen mit aller Kraft fortgesetzt.
Aus den Kreisen des böhmischen Klerus erhielt das
in deutscher Sprache erscheinende Prager Tschechen-
blatt, die „Politik", genaue Angaben über den Umfang
dieser Agitation. „Die Parole, dass die Bisthümer in
Böhmen nach der Nationalität getheilt werden sollen",
heisst es in dieser Mittheilung, „findet bei dem deut-
schen Klerus in Böhmen mehr und mehr Wohlge-
fallen. Es wurden mehrere Petitionen nach Wien ge-
25*
388
sendet, in welchen die Theilung verlangt wird; es
wurden auch viele Konferenzen darüber abgehalten.
Der tschechische Klerus wurde durch diese Agitation
tief beunruhigt. Er hat eine Petition an die Nuntiatur
in Wien verfasst, in welcher die religiösen und
nationalen Zustände in Böhmen erörtert werden»
Diese Petition wurde vom tschechischen Klerus in
allen Vikariaten reichlich unterschrieben, namentlich
in der Königgrätzer Diöcese, wo der Bischof Dr.
Eduard Brynych selbst mit dieser Aktion völlig ein-
verstanden war und dann noch im privaten Wege
als Oberhirt bei der Wiener Regierung und beim
päpstlichen Stuhl in Rom intervenirte. Infolge dieser
nicht zu unterschätzenden Bewegung setzte die Regie-
rung die Angelegenheit von der Tagesordnung abt
wie es auch thatsächlich an die einzelnen bischöf-
lichen Ordinariate mitgetheilt wurde". Der tschechische
Klerus, versichert der. Schreiber dieser Mittheilung
an die „Politik", ist tief beunruhigt, denn es sei
offenbar, dass es sich dem deutschen Klerus um die
Vernichtung der tschechischen Minoritäten handle.
Dies werde durch die deutschen Diöcesankataloge
erwiesen, wo früher bei den sprachlich gemischten
Städten und Gemeinden beide Sprachen, nämlich
lingua germanica et bohemica, angeführt wurden.
Aber in den letzten Diöcesankatalogen liest man bei
vielen Städten, z. B. Reichenberg, Brüx, Teplitz, Dux,
Aussig a. d. Elbe, Trautenau, Gablonz, Saaz lingua
germanica. Die Worte et bohemica sind verschwunden.
Und das soll als eine amtliche Nachweisung gelten.
Die tschechischen Geistlichen, so klagt der Berichter-
statter der „Politik", führen in dem „geschlossenen
Sprachgebiete" kein angenehmes Leben. Aber ihre
ärgsten Gegner seien nicht die deutschen Bewohner
der einzelnen Pfarrsprengel, sondern die deutschen
Priester selbst. Auf den Vikariats-Konferenzen dienen
die tschechischen Priester den deutschen Priestern
als Stichblat der grössten Invektiven. Das Konsisto-
rium und die obersten Kirchenbehörden würden in
diesen Konventikeln auf eine solche Art kritisirt,
wie dies der tschechische Priester nie wagen dürfe*
„Der tschechische Klerus", heisst es dann weiter.
389
* erwartet, dass die kompetenten Behörden ein ent-
scheidendes Wort sprechen werden, denn unter die-
sen Umständen müssten die tschechischen Priester
aus dem gemischten Sprachgebiete wirklich fortgehen,
wie es der heisseste Wunsch des deutsch-national
gesinnten Klerus verlangt. Diese Reinigung wäre ein
Unglück für die Kirche und für das ganze Reich."
Dass man auf deutscher Seite die Schaffung der
deutschen Diöcesen und die Berufung deutscher Priester
mit Fug und Recht wünscht, beweisen die Klagen
über das provokatorische Vorgehen der tschechischen
Kapläne, die es als ihre Pflicht ansehen, in deutschen
Gemeinden mit aller Macht zu tschechisiren. So
meldet die mit ruhiger Entschiedenheit für die Inter-
essen des Deutschthums eintretende „Bohemia"
über Vorgänge in der deutschen Sprachinsel Bowitz
und Unter-Groschum, welche der tschechischen Pfarre
Netolitz zugetheilt sind : „Früher wurde die Acht-Uhr-
Frühmesse deutsch gehalten, und es wurde hiebei
deutsch gesungen. Das hat aufgehört. Nur das Evan-
gelium wird in beiden Sprachen gelesen Sobald der
Priester deutsch zu lesen beginnt, da geht ein Räu-
spern los, so dass man die deutschen Worte nicht
vernehmen kann. In Netolitz ist ein Kaplan, der als
glühendster Hasser alles Deutschen bekannt ist.
Während der Weihnachtsfeiertage hielt er eine Predigt,
die vollends jedem Deutschen das Kirchengehen ver-
leidet Die ganze Predigt handelte nur von der
„Nemci". Nicht einmal andeutungsweise können die
einzelnen Kraftstellen wiedergegeben werden. Als
zahm können noch die Worte bezeichnet werden:
„In Böhmen sieht es jetzt traurig aus. In den deut-
schen Schulen ist es verboten tschechisch zu beten,
und doch leben diese „Nemci" in Böhmen, im Lande
des heiligen Wenzel, der doch nur Eine Zunge hatte,
die tschechische u. s. w." So gehen nach der leiden-
schaftslosen Schilderung der „Bohemia" die Tschechen
vor. Dieselben Leute aber, die den Deutschen in
Bowitz und Groschum den Gottesdienst in deutscher
Sprache verwehren wollen, ereifern sich über den
„barbarischen Hakatismus" der preussischen Regie-
rung, die in einem seit mehr denn 100 Jahren mit
390
Preussen vereinigten ehemals polnischen Landestheil
nicht etwa den polnischen Gottesdienst einzuschrän-
ken sucht — denn davon ist in Posen und West-
preussen nirgends die Rede — sondern nur so „rück-
sichtslos und gewaltthätig ist", den des Deutschen
vollkommen mächtigen Schulkindern in der Schule
den Religionsunterricht in deutscher Sprache er-
theilen zu lassen und ihnen, wenn sie die Renitenz
gegen den Gebrauch der deutschen Sprache bis zum
Aeussersten treiben, unter Anwendung der überall
gebräuchlichen Mittel der Schul disciplin eine durch-
aus berechtigte Lektion zu ertheilen. Die ungebärdigen
Rangen werden dann nicht nur als die Blüthe des
Polenthums gefeiert, sondern als Märtyrer ihres na-
tionalen Empfindens und ihrer religiösen Ueberzeugung
in allen Tonarten gepriesen! Es ist wirklich schwer*
hier keine Satire zu schreiben !u
So weit das reichsdeutsche Blatt. Wir wollen
noch einige Bilder aus anderen Ländern hinzufügen»
Die Regierung des Sagasta hatte Mitte 1902 ange-
ordnet, dass in Katalonien nur die spanische Sprache
in den Schulen anzuwenden sei, und auch der Reli-
gionsunterricht dürfe im Katalonischen nicht ertheilt
werden. Die Folge dieses Regierungsaktes war ein
Aufstand in ganz Katalonien. Die Lehrer und Priester
durften der Anordnung gar nicht Folge leisten, das
Volk hätte sie gelyncht. Kardinal Casanas, Erzbischof
von Barcelona, sagte bei der Ertheilung der Firmung
in Kaldetas den versammelten Gläubigen folgendes:
Die Lehre Christi soll jedem Volke in seiner Volks-
sprache verkündigt und gelehrt werden. Darum gab
Gott den Aposteln die Sprachengabe.
Die Kirche darf sich um die Massnahmen der
Politiker und Regierungsmänner, die etwa die Gewalt
in Händen haben, nicht kümmern. Die Politiker kom-
men und gehen, die Kirche aber bleibt und sie darf
nichts von ihren Traditionen preisgeben. Gebrauchet
also die Sprache beim Unterricht der hl. Religion,
welche ihr von euerer Mutter erlernt habt. Die ruch-
losen Gauner, welche in Frankreich die Gewalt iri
Händen haben und dieselbe zur völligen Ausrottung
der katholischen Kirche nun anwenden» graben auch
391
für die Bretagne das Verbot, die Priester dürfen in
der bretonischen Mundart weder predigen noch in
der Schule Religionsunterricht ertheilen. Der Abge-
ordnete Lamy brachte am 16. Jänner 1903 eine Inter-
pellation in der Kammer vor. Der Interpellant er-
klärte, da die bretonische Mundart vor den Friedens-
gerichten gestattet sei und überdies Predigten in bas-
kischer, deutscher und italienischer Sprache geduldet
würden, sei es ungerecht, Predigten in bretonischem
Dialekt zu verbieten.
Minister-Präsident Gombes erwiderte, er habe sich
den von Falliäres und Waldeck-Rousseau erlassenen
Cirkulären, durch welche sämmtliche lokalen Dialekte
bei religiösen Uebungen verboten worden seien, an-
gepasst. In der Kirche wie in den staatlichen Schulen
müsse einzig und allein die französische Sprache zur
Anwendung gelangen. In der Bretagne werde sicher-
lich Friede einkehren, jedoch nur durch die Unter-
werfung des Klerus unter die Befehle der Regierung.
Bald darauf wurde über 40 Pfarrern in der Bretagne
die Gehaltssperre von der Regierung verhängt. Ist das
nicht eine Warnung für unsere Opitzianer, sie sollen
nicht ins Feuer Oel giessen und die germanisirende
Regierung auch in die Kirche hineinrufen, wie sie es
in der verruchten Schrift über die Errichtung ein-
sprachiger Diöcesen in Böhmen gethan haben ? Es ist
bekannt, dass die Bretagne ein treues katholisches
Volk hat, über welches die Juden, Freimaurer bis
jetzt absolut keine Gewalt haben erlangen können.
Wir können uns über diesen wichtigen Gegenstand
nur sehr gedrängt fassen. So könnten wir die
furchtbaren Verheerungen in der katholischen nicht-
magyarischen Bevölkerung in Ungarn durch Aufzwin-
gung der magyarischen Sprache beschreiben. Wir
geben hier nur folgendes an. Am 9. Jänner 1903
brachte das grosse Judenblatt, der „Pester Lloyd" diese
Nachricht :
(Labor omnia vincit!) Mit diesem alten Wahr-
spruche ermuthigt Kardinal-Fürstprimas Klaudius
Vaszary die Schulinspektoren seiner Erzdiözese in
einem Rundschreiben, das der Verbreitung der unga-
rischen Sprache gewidmet ist. Se. Eminenz fordert
392
die erwähnten Organe auf, dahin zu wirken, dass der
Religionsunterricht in den gemischtsprachigen Schulen
ungarisch erfolge, damit derart der Boden für rein
ungarische Predigten vorbereitet werde. Er ersucht
sie, vor etwaigen Schwierigkeiten und Mühseligkeiten
nicht zurückzuschrecken und ertheilt praktische, be-
herzigenswerte Weisungen, wie diese Verfügung am
zweckmässigsten auch dort durchzuführen wäre, wo
die Kinder jetzt der ungarischen Sprache noch gar
nicht mächtig sind. Wenn diese von wahrem patrio-
tischen Geiste diktirte Verordnung des Fürstprimas
streng eingehalten wird, dann wird sie die von un-
serer Unterrichtsverwaltung mit dem Volksschulwesen
verknüpften edlen Ziele jedenfalls wesentlich fördern.
Also Fürstprimas Kardinal Vaszary ordnet an, dass
auch in den Schulen, wo die Kinder das Ungarische
gar nicht verstehen, die Religion doch in dieser Sprache
unterrichtet werden sollte. Wir wollen uns weiterer
Kritik enthalten, fügen jedoch bei, dass alle ehrlichen
Priester die Pflicht hätten, den Kardinal in Rom an-
zuzeigen, denn seine Weisung bedeute wohl einen
massenhaften Seelenmord und keine Seelsorge. Am
12. Februar 1903 brachte der „ Pester Lloyd" diese
Nachricht :
(Bestrafung eines ungarnfeindlichen Katecheten.)
Wie dem „Pol. Ert." aus Deva gemeldet wird, hat
Kultus- und Unterrichtsminister Julius Wlassics den
griechisch-katholischen Katecheten Johann Stupinianu,
welcher an der staatlichen Elementarschule den Re-
ligionsunterricht besorgt, dieser Funktion enthoben
und gegen ihn vor dem kompetenten Strafgerichte die
Anzeige erstatten lassen. Der Seelsorger rief den
Knaben, welche ihn in ungarischer Sprache begrüssten,
wiederholt zu: „Ihr seid keine Ungarn; grüsset mich
nur in rumänischer Sprache!" Das Lugoser Konsisto-
rium hat wohl die gegen den Katecheten erhobene
Beschwerde des Schulinspektors als unbegründet zu-
rückgewiesen, der Minister enthob Stupinian jedoch,
wie erwähnt, seiner Funktion. Welches werden denn
die Folgen sein? Was die Jahrhunderte dauernde
Türkenherrschaft nicht zu Wege brachte, die Ent-
christlichung Ungarns, das werden wohl in kurzer
393
Zeit ungarische Bischöfe zu Wege bringen, sie sollen
nur sofort dem Staate dienen, und die Kirche miss-
achten, es wird die Zeit kommen, wo die Bischöfe
selbst dann überflüssig sein werden. Das Gericht Gottes
stellt sich über kurz oder lang mit eiserner Konse-
quenz ein. Wen würde denn das Drama in Wreschen
das Herz nicht erschüttern, wo kleine polnische Kinder
vor den Richtern aussagten, sie könnten das „Vater
unser" in deutscher Sprache nicht über die Lippen
bringen! Und da wagt ein Kardinal Vaszary selbst
die Herzen der Kleinen zu vergiften? Kennt er den
Ausspruch des Heilandes vom Mühlstein? Fürchtet
er sich nicht vor der Strafe Gottes? Man könnte
ganze Bände darüber schreiben, wie das ganze Volk
der Slovaken, welches doch über 3 Millionen Seelen
zählt, selbst vom ungarischen Episkopat preisgegeben
wird, es soll ganz ausgerottet werden und die unga-
rischen Bischöfe helfen mit, trotz des Veto, das der
apostolische Stuhl ihnen gegeben hat. Ebenso traurige
Zustände herrschen im Süden Oesterreichs, also sehr
nahe an Rom.
Ende Januar 1903 schrieb der „Edinost" folgen-
des. In der Diözese Parenzo-Pola sind zur Zeit 10 Ka-
nonikate, 34 Pfarr- und 12 Kaplanstellen, zumeist im
kroatischen Gebiete, nicht besetzt Es werden die be-
treffenden Titulare nicht ernannt und die Stellen
bleiben entweder ganz unbesetzt oder werden von
minder besoldeten Hilfsgeistlichen versehen. Die Geist-
lichkeit der Diöcese wird dabei um eine Einnahme
von rund 600.000 Kronen gebracht, welche für die
Titulare sonst aus dem Religionsfonde gezahlt würden.
Der Diöcesanbischof verfolgt dabei den Zweck, dass
die slavischen Priester in keine ständige Stellung
kanonisch investirt werden, so dass sie jederzeit amo-
virbar sind. Dieses System besteht in beiden Diöcesen
der Halbinsel Istrien zur Förderung der Italienisirung
der slavischen Diöcesanen. Diesem Zwecke werden
die kirchlichen Interessen der katholischen Kirche
rücksichtslos preisgegeben und geopfert. Die Folgen
davon beginnen sich schon zu zeigen ! Zur Versiege-
lung von Kirchen wird sich wohl immer genug Sie*
gelwachs finden, aber die Entsiegelung dürfte schon
._
394
mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein. Die Ge-
meinde Ricmanje wollte die altslavische Liturgie vom
Konsistorium bestätigt haben. Da dies verweigert
wurde, meldete sich die Gemeinde zur unirten grie-
ehisch-orientalischen Kirche. Die Protestanten machten
der Gemeinde ein Angebot von 280.000 Gulden, falls
alle Einwohner zum Protestantismus übertreten woll-
ten. Das Angebot wurde zurückgewiesen. Der „Edi-
nost* berichtet weiter:
Angesichts der Strenge, welche das bischöfliche
Ordinariat von Triest gegen Ricmanje entwickelt hat,
traten die Triester Slovenen mit der Forderung her-
vor, das Ordinariat möge mit entsprechender Energie
auch dafür sorgen, dass die willkürliche, Nichtchristen
zuliebe verfügte Ausschliessung der slovenischen
Sprache aus den Kirchen zurückgenommen und dem
slovenischen Volk sein ungesetzlich entzogenes Recht
wieder zurückerstattet werde. So wird denn vom
Ordinariat die Wiedereinführung der slovenischen
Predigten in den Triester Kirchen zu Set. Justus und
Antonius Major gefordert, wo sie seit Menschenge-
denken stattgefunden haben, bis sie auf Betreiben des
Triester Magistrats beseitigt worden sind. Sie fordern,
dass der Religionsunterricht den slovenischen Kindern
in ihrer Muttersprache ertheilt werde, wie dies seit
jeher geschah, bis italienische Priester kamen, welche
dem slovenischen Volke die italienische Sprache auf-
zwingen wollen. „Es ist bekannt," heisst es im Auf-
rufe weiter, „dass in Oesterreich preußische Agita-
toren für das Lutherthum arbeiten und thatsächlich
Tausende der katholischen Kirche abwendig gemacht
und sie zum Lutherthum hinübergezogen haben. Wie
gehen kirchliche Behörden in diesen Fällen vor und
welche politische Behörde unterstützt sie dabei? Ein
uniatischer Geistlicher durfte in Ricmanje keinen
Gottesdienst halten, weil er kein österreichischer
Unterthan war. Wann aber sind jene Pastoren, welche
aus Deutschland nach Oesterreich kommen, um hier
den Lutherglauben zu verbreiten, österreichische
Unterthanen geworden?" Während man aber die
germanische Irredenta im Norden, wenn auch nicht
bekämpft, so doch wenigstens nicht direkt unterstützt,
395
erfreut sich die italienische Irredenta im Süden der
Unterstützung der kirchlichen, wie der staatlichen
Behörden, welche ihr zuliebe die Sprache der einhei-
mischen Bevölkerung aus der Kirche und der Seel-
sorge, aus Amt und Schule aüsschliessen, damit die
Irredenta, welche offen die Losreissung dieser Länder
und deren Vereinigung mit Italien betreibt, behaupten
könne, dass sie italienisch seien! Im Norden wird
„pour le roi de Prusse", im Süden „pour le roi
d'Italie* gearbeitet; dass man gar nicht dazu kommt,
sich auch einmal des Kaisers von Oesterreich, des
legitifnen Landesherrn zu erinnern, ist bei einem sol-
chen System nur zu begreiflich ! .
Ein weiterer Bericht desselben Blattes sagt. In
Ricmanje gab es Donnerstag (den 5. Februar 1903)
um 9 Uhr Früh wieder eine Kommission. Es fanden
sich eine grössere Anzahl von Beamten mit dem
Bezirkshauptmann an der Spitze ein, in deren Mitte
drei Priester, unter denen sich auch der neue Kaplan
von Ricmanje befand. Die ganze Kommission begab
sieh in die Kaplanei, blieb dort etwa fünf Minuten^
schloss sie wieder ab. Der Bezirkshauptmann und die
Gensdarmen grüssten nach allen Seiten freundlich,
aber Niemand nahm von ihnen Notiz. Erst später
erfuhren die Leute, dass die Kommission der Instal-
lirung des neuen lateinischen, recte italienischen Orts-
kaplan galt. Die Kirche blieb jedoch vorläufig ver-
siegelt. Der Name „Ricmanje" bürgert sich allmälig
als Fachbezeichnung für den Widerstand gegen die
Italienisirung der katholischen Kirchen im Küsten-
lande ein. Dieser Tage erschien eine Slovenin in der
Pfarre zu Set. Jakob in Triest, um dort einen Sterbe-
schein für ihren Gatten zu erheben. Die Geistlichen
verweigerten ihr die Ausfertigung eines slovenischen
Sterbescheins, weil sie gar nicht slovenisch verstehen*
Auch der Kirchendiener und sein Gehilfe wollten
nicht slovenisch verstehen. Der Katechet Bullo, an
den sich die Frau dann wendete, bemerkte zu ihr, ob
sie denn aus Ricmanje sei? Der Pfarrer, an den sich
die Frau zuletzt wenden wollte, schlug ihr die Thür
vor der Nase zu ! So werden gläubige Katholiken auf
katholischen Pfarren 'behandelt — wenn sie — Slo-
396
venen sind! Wir schliessen dieses Kapitel und über-
lassen den Lesern ihre Betrachtungen über die hier
angeführte Thatsachen anzustellen. Ferne sei von uns
jedes herbe Wort, das wir mit Recht hier anbringen
könnten. Wir sind der Ueberzeugung, dass auch die
Vorsehung Gottes, wann die Zeit reif sein wird, hier
Wandel schaffen wird. Das Eine ist sicher, dass dort,
wo Menschen unterdrückt werden, von einem Christen-
thum nicht die Rede sein könne und wäre der Ort
selbst eine Kirche.*)
XXIV. Zukunftspläne des Protestantismus.
Die Weitpolitik Preussen-Deutschlands.
Die katholische Kirche hat im Laufe der Jahr-
hunderte schwere Verluste erlitten. Der erste grosse
Verlust war das Schisma im Osten, welches vollendet
wurde im Jahre 1050 durch den Patriarchen Michael
Gaerularius. Durch dieses Schisma gieng fast der ganze
asiatische Orient der katholischen Kirche verloren und
wurde Beute des Islam. Der europäische Osten gieng
an den russischen Gar, welcher das Oberhaupt der
russischen orthodoxen Kirche ist, verloren. Den zweiten
grossen Verlust erlitt die katholische Kirche im Westen
Europas durch die deutsche und englische Glaubens-
spaltung. Das Schicksal der katholischen Kirche wurde
in den Gebieten des jetzigen Deutschen Reiches, dann
in Dänemark, Schweden und Norwegen durch den
30jährigen Krieg entschieden. Diese Länder vordem
einig und zugehörig zu Rom, giengen der katholischen
Kirche zum grossen Theil verloren. Luthers Saat trug
tausendfache Früchte Eine grosse Anzahl Landes-
fürsten wurde protestantisch und mit ihnen ein Theil
des Adels, die sich alle einig um die grossen Kirchen-
güter th eilten. Der Protestantismus ist in seiner Wiege
und seinem Wesen nach ein Raubzug an den Gütern
der katholischen Kirche. Historische Belege dazu liefert
ja massenhaft Janssens „Geschichte des deutschen
Volkes" und Döllingers „Die Reformation". Was nach
*) Anmerkung. Als Urheber der Schrift „Zur Frage der
Errichtung deutscher Bisthümer in Böhmen" werden hier in Prag
allgemein bezeichnet Weihbischof Frind und Theologie-Professor
Dr. Hil genreiner in Prag.
397
dem Westphälischen Friedensschluss in den Ländern
des jetzigen Deutschen Reiches der katholischen Kirche
verblieb, das wurde nach den napoleonischen Kriegs-
wirren und während derselben der katholischen Kirche
vollends weggenommen. So schrieb Anfangs März 1903
das „Bayerische Vaterland" folgendes nieder. „1803 bis
1903. Vor 100 Jahren hat der sog. Reichsdeputation-
hauptschluss im deutschen Lande sog. Ordnung ge-
schaffen. 420 Millionen rheinische Gulden Kirchengut
wurden säkularisirt.
Kostbare Paramente und Kirchengefässe, Reli-
quiarien sammt ihrem heil. Inhalt wurden an Juden
verkauft, werthvolle Bibliotheken beraubt und ver-
schleudert" (Kirchenlexikon). Ja die Juden haben allen
Grund, den 25. Feber als die Gentenarfeier des Be-
ginnes ihrer finanziellen Grossmachtstellung in Deutsch-
land zu begehen, denn der grösste Theil des geraubten
Kirchenvermögens fiel den Juden in die Hände. Auf-
fallend, dass gerade nach 1803 das Vermögen der
Rothschild so rapid in's Wachsen kam, nachdem doch
der alte Rothschild im Jahre 1800 noch so viel wie
gar nichts hatte. Bezeichnend ist auch die Vorliebe
der Rothschilds für alte Altäre und sonstige kirchliche
Einrichtungsgegenstände ; ihre Sammlungen geniessen
Fächruf. x
Freilich wird die säkularisirte Masse auch vielen
christlichen und besonders katholischen Kapitalisten
der damaligen Zeit in die Augen gestochen haben,
aber ihr Gewissen hielt sie davon ab, sich mit ge-
raubtem Kirchengut zu bereichern und so hatten die
Juden dank dieser frommen Scheu christlicher Kapi-
talisten vor dem Fluche, der auf dem Verbrechen des
Sakrilegiums und der Beihilfe dazu lag, freies Spiel
und konnten mit dem um wahre Schleuderpreise er-
kauften Kirchengute schachern und wuchern ganz nach
Herzenslust. Unsere Herren Altphilologen können
nicht genug jammern über den Vandalismus der Türken,
die die Bibliothek von Alexandrien verbrannten und
dadurch der Literatur einen unersetzbaren Schaden
zufügten. Ueber die Juden vom Jahre 1803 aber jammern
die Herren nicht, gerade als ob sie nicht wüssten,
dass diese ganze Stösse von Urkunden und kostbaren
398
Bachern und Handschriften den ehrsamen Metzgern,
Käsern und Bäckern am Anfange des vorigen Jahr-
hunderts pfundweise als Makulatur verkauften. Den
Juden gegenüber ist Alles feige, was liberal ist oder
aus dem Liberalismus hervorgegangen ist." Wie wir
gesehen haben, ist der Protestantismus seit 30 Jahren
im geeinigten Deutschen Reiche im stetigen Wachsen
begriffen und das auf Kosten der katholischen Kirche.
Preussen führt im geeinten Deutschen Reiche die poli-
tische Hegemonie und diese führt nothwendig nach
sich auch die Oberherrschaft des Protestantismus auf
allen anderen Gebieten im Deutschen Reiche. Die
Bestrebungen der Alldeutschen sind denn auch darauf
hingerichtet, die deutsche Nation in der Glaubens-
einheit zu organisiren durch die Schaffung einer deut-
schen Nationalkirche unter der Oberhoheit der hohenzol-
lerischen Dynastie, also ein deutscher Cäsaropapismus
nach Art des russischen. Der Traum der Hohenstaufen
soll nun nach 1000 Jahren in Erfüllung gehen. Was
die Hohenstaufen gegen Innocenz III. nicht erkämpfen
konnten, das soll nun Wilhelm IL und seinen Nach-
kommen gelingen. Der letzte mächtige Hohenstaufe
Friedrich II. starb 1250 und bald nach ihm seine
Nachkommen. Die Hohenstaufen unterlagen völlig im
Kampfe mit dem Papst. Die Hohenzollern haben
grössere Pläne als die Hohenstaufen.
Das Organ der deutsch-socialen Partei „Der
Hammer" schreibt in Nr. 14, Jahrgang 1903, folgendes :
»Als in der Mitte der 70er Jahre die deutsche Social-
demokratie am heftigsten tobte, die blutrothen Most
und Hassel mann, glaubten viele junge Handwerker
und Arbeiter, dass die sociale Revolution sehr bald
schon dem ganzen „Kaiser-Rummel" ein Ende be-
reiten würde Der kluge Herr August Bebel verkün-
dete späterhin noch im offenen Reichstag, dass der
„grosse Kladderadatsch" höchstens noch fünf Jahre
auf sich warten lasse. Wilhelm I. ist schon 14 Jahre
todt ; wir hatten inzwischen einen Kaiser Friedrich III.
und haben gegenwärtig einen prononcirt monarchi-
schen Wilhelm II. ; die Deutschen werden wohl auch
noch einen Wilhelm III. und IV. und einen V. und VI.
haben. Sollten die Hohenzollern einmal abblühen, so
399
wird ein Wettiner oder ein anderer königlicher Bun-
des-Fürst das deutsche Kaiser-Scepter ergreifen ; durch
die Bundes-Verfassung erscheint das Kaiserthum in
Deutschland stark und fest vernietet. Es wankt nicht
so leicht, wie die Throne in Frankreich. Diese weite
historische Perspektive thut dem deutschen Auge
wohl, wo die Socialdemokratie immer noch ihren
kurzgesehenen Kladderadatsch verkündet. Der sichere
Ausblick in eine weite Ferne gibt Ruhe für die Ge-
genwart und Geduld und Sinn und behagliche Be-
dachtsamkeit, die Fundamente des deutschen Glücks
tiefer zu legen, als es die jüdische Nervös -Macherei
dulden möchte. Herrn Paul Singer, der kürzlich erst
im Reichstag die Republik für das Ziel der Social-
demokratie erklärte, wird diese weite und sichere
Kaiser-Perspektive in die deutsche Reichs-Zukunft
nicht passen, um so mehr sollten die Deutschen sich
durch sie politisch beruhigt und aufgerichtet und zu
weittragenden Volks-Ideen angeregt fühlen. Deutsch-
land steht erst im Jünglings-Alter seines historischen,
und erst im Kindesalter seines inneren Staatslebens.
Die männlichsten Aufgaben harren seiner noch, nach
aussen wie nach innen. Die Aufgaben nach aussen
kann man leicht an den Gefahren ermessen, die dem
central gelegenen Deutschland von allen Seiten drohen
können.
Die Aufgaben nach innen sind nicht kleiner.
Man denke nur, welch ein Riesengeist dazu gehören
wird, den Deutschen nach der jetzt errungenen Reichs-,
Rechts-, Münz- und Heeres-Einheit die — Glaubens-
Einheit wiederzugeben, ein Problem, das noch kaum
in Angriff genommen wurde. Schwer lasten fernerdie
socialen Räthsel aut dem deutschen Gemüth, das bis
jetzt auf seinem eigenen Grund und Boden noch kein
rechtes Behagen gefunden hat. Hier gilt es Riesen-
Arbeiten zu verrichten ; aber alle diese Aufgaben kann
das deutsche Volk lösen, wenn es nur eben soviel
guten Willen, wie es kraft seiner Jugendlichkeit gute
Zeit dazu hat. Wie ein Gebet klingen die herrlichen
Verse Freiligrath's, die er in der 48er Zeit dichtete,
die aber weit besser für das heute in der Kaiserknospe
ruhende Deutschland passen :
400
.Der Du die Blumen auseinanderfaltest,
0 Hauch des Lenzes, weh auch uns heran!
Der Du der Völker heiFge Knospen spaltest,
0 Hauch der Freiheit, weh auch diese an!
In ihrem tiefsten, stillsten Heiligthume
0, küss' sie auf zu Duft und Glanz und Schein —
Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!"
Heinrich Heine verspottete die Deutschen, die
den Kölner Dom nie fertig bringen würden ; sie haben
es nach vielen harten Jahrhunderlen endlich doch
gethan, trotz Kriegsnoth, Philisterthum und Judenspott.
So werden sie auch den Idealbau ihres Volksthums
vollenden, der politisch weit- und wetterfest, religiös
erhaben und social gemüthvoll und behaglich weit
in die Ferne der Zeiten ragen wird. Dann wird man
erkennen, dass die Zeit des alten Wilhelm, Bismarck's
und Moltke's, die man in leichten Festreden so gern
als die eigentliche Zeit des deutschen Reichs-Früh-
lings anpreisen hört, in Wahrheit nur eine schwere
Zeit der Wintersaat war. Bismarck ist im April und
der alte Wilhelm im März geboren und um beide hat
es gewiss genug geschneit, gehagelt und gestürmt.
Die lieblichsten Tage des Vaterlandes kommen erst
und sie kommen so sicher, wie aus den frischen
Zügen des im Mai geborenen Kronprinzen uns das
Bild des ersten deutschen Frühlings-Kaisers entgegen
blickt!"
Hier haben wir deutlich die Forderung nach der
Einheit des Glaubens für die ganze deutsche Nation
ausgesprochen. Der Führer diese Partei ist der Abge-
ordnete Liebermann von Sonnenberg. Ganz präcise
verlangt „Die Wartburg" vom 2. Jänner 1903 die
Glaubenseinheit für die deutsche Nation und fordert
natürlich, dass dazu nur der Protestantismus als solcher
berechtigt sein könne. Die „Wartburg" schreibt: »Das
innerliche Recht zu dem Kampf, der gegen den Pa-
pismus im Interesse unseres Volkes und im Namen
der christlichen Religion zu führen ist, wird durch
das Wort des grossen Theologen Schleiermacher be-
zeichnet: „Die evangelische Kirche kann mit gutem
Gewissen dahin streben, die Reformation über alle
germanischen Völker als die ihnen eigentlich ange-
40i
messene Form des Christenthums zu verbreitend Das
ist eben deutsch-evangelisch. Wir sind nicht der
Meinung, als würde der Protestantismus nur als Aus-
fluss und Besitzthum unserer Volksart erklärt. Warum
sollten nicht Romanen und Slaven für das hohe Gut
des romfreien Evangeliums empfänglich sein? Die
Geschichte bezeugt, dass die Franzosen einst in kräf-
tigster Weise das biblische Chiistenthum vertraten;
Flammenzeichen am Horizont unserer Tage wecken
die Hoffnung, der Tag sei nahe, wo sie gesta dei, die
Thaten Gottes, wieder allein unter der Führung des
Herrn Jesu Christi vollbringen und nicht mehr unter
dem Banner des Pontifex sich sammeln. Ja, wir hegen
auch die Zuversicht, dass sich die Tschechen auf ihre
im Widerspruch gegen Rom rege Vergangenheit be-
sinnen und durch Hinkehr zum Evangelium ihrem
Volke eine bessere Zukunft sichern werden. Die
Menschheit wird nicht eher frei aufathmen, als bis sie,
vom Druck des Ultramontanismus erlöst, auf die
Strasse der Reformation einbiegt.
Wenn wir deutsch-evangelisch sagen, so sprechen
wir damit die Thatsache aus, dass unser Volk durch
das Werk Luthers die ihm zusagende und entspre-
chende Form des Christenthums gefunden hat, eine
Form, in der es mit heisser Liebe an dem Heiland
hangen, mit festem Muth auf den himmlischen Vater
vertrauen, sein gesammtes Leben in sittlicher Kraft zum
Gottesdienste weihen und durch dies alles zugleich
seine geistigen Kräfte auf allen Gebieten des Daseins
frei und glücklich entfalten konnte. Deutsch und
evangelisch gehören zusammen. Gott hat die beiden
in einander gefügt, und niemand soll sie scheiden.
Niemand vermag es. Luther bleibt der Heros und der
Liebling unseres Volkes, Luther in seiner Frömmig-
keit. Es ist ein Schandfleck der Ultramontanen, dass
sie diesen Helden mit allen ihnen zu Gebote stehen-
den Mitteln ins Gemeine herabzuziehen beflissen
waren ; selbst auf sein Sterbebett schleuderten sie
giftige Verleumdung. Es ist die Grösse Luthers, dass
er trotz allem den obersten Platz im Herzen der deut-
schen Protestanten behauptete, durch römische Hand
nicht zu beflecken, dass er selbst einen Döllinger, der
26
402
einst in römischer Art wider ihn geschrieben hatte,
dazu zwang, ihn später als den gewaltigsten Volks«
mann anzuerkennen. Dass aber Luther aas seiner gei-
stigen Führerstellung, aus der Liebe und Verehrung
seines Volkes, aus der deutschen Geschichte nicht
verdrängt worden konnte, dass er heute wieder in
der vollen Macht seiner Persönlichkeit unter uns lebt
und auf dem Plane der Gegenwart arbeitet, das war
nur möglich, weil in ihm und seinem Glauben unser
deutsches Volk den klarsten Ausdruck seiner Geistes-
art und seines religiösen Sehnens und Bedürfens er-
kannt hat. Deutsch und evangelisch gehören zusammen.
Gewiss sieht es jetzt in Deutschland traurig aus; aus
dem schlechten Metall des Ultramontanismus ist
manche Münze geprägt, die in der Politik ihren Kurs
hat. Das Gentrum sitzt oben auf; romanisches Wesen
und italienische Anschauungen schwirren durch die
Berliner Luft. Aber sie leisten schliesslich doch nur
den Dienst, den der feindliche Gegensatz in der Ge-
schichte zu vollbringen hat. Der Uebermuth des Ro^
manismus, der nach der vollen Herrschaft über das
Deutsche Reich seine begehrlichen Finger ausstreckt,
der unsere Gauen mit Kutten und Jesuiten besiedeln
will, der unsere Universitäten zu ^eineT Domäne,
unsere Volksschule zu seiner Dienerin machen möchte,
der auf heimlichen Pfaden und laut polternd jede
energische Regung des evangelischen Ghristenthums
lahm zu legen sich bestrebt, wird gerade das Gegen-
theil von dem, was er erträumt, erreichen. Er hilft
dazu, den Protestantismus zu neuem, kräftigem Be-
wusstsein seines Werthes und seiner Wahrheit, zu
der Einigung seiner mannigfaltigen Richtungen und
kirchlichen Gestaltungen, zu entschiedenem, ihatkräf?
tigern Widerspruch gegen den archaistischen (alter-
thümelnden) Versuch zu bringen, das deutsche Volk
auf die romanische Frömmigkeit zurückzuschrauben
und zu einer Figur auf dem Schachbrett der Pontifex-
politik zu benutzen.
Schliesslich werden die Ultramontanen auch in
ihrer noch geduldigen Gefolgschaft den Boden veiv
lieren; bei dieser muss und wird das Gefühl des
deutschen Volksthums lebendiger werden und die
403
Ueberzeugung vorbereiten, dass die romanische Form
des Ghristenthums, welche ihre Priester zu Gunsten
des Bischofs in Rom vertreten, nicht auf das deutsche
Volksthum zugeschnitten ist; sie werden das Wort
Sehleiermachers verstehen lernen, däss die evange-
lische Kirche mit gutem Gewissen dahin streben dürfe,
die Reformation über alle germanischen Völker als
die ihnen eigentlich angemessene Form des Ohristen-
thums zu verbreiten."
Soweit die „Wartburg". Man tnuss diese Aus-
führungen sehr genau erwägen. Die „Wartbürg44 erklärt
hier, dass der Protestantismus nicht allein die ganfce
deutsche Nation, sondern auch andere Nationen er-
obern solle, also Welteroberung.
Wie reimt sich das aber mit der Erklärung,-
dass der Protestantismus die Nationalkirche der
deutschen Nation sein wolle ? Wie sollen da noch
andere Völker aufgenommen werden"? Das kann nur
offenbar geschehen auf Kosten ihrer Nationalität. Als
Welteröberung durch den Protestantismus auch in
politischer Beziehung, ein grossartiger Cäesaropapis-
mus der Dynastie Hohenzollern. Wie de* Protestant
tismus im Osten des Deutschen Reiches arbeitet,
davon geben folgende Zahlen ein Beleg. Der Bericht
der Kolonisationskommission füi* Posen sagt: Der
Gesammtankauf im Jahre 1902 beträgt 22.007 Hektar
zum Kaufpreise von 19,094.531 M. Unter Hinzurech-
nung der Erwerbungen aus den Vorjahren umfasst
der Gesammtgrunderwerb der Ansiedlungskommission
am Schlüsse des Jahres 1902 an Gutsareal 180.761
Hektar zum Kaufpreise von 127,378.773 M., an bäu-
erlichem Areal 5740 Jlektar zum Kaufpreise von
5,630.743 M.> zusammen 186.501 Hektar zum Kauf-
preise von 133,009.516 M. Seit dem Jahre 1886 bis
Ende 1902 betrug die Zahl der Anfragen seitens
evangelischer 17.637, seitens katholischer Anwärter
1327, die Zahl der Zuschläge bei Evangelischen
5627 -34 y. H., bei Katholiken 279 ==21 v. H.
Hierbei ist zu bemerken, dass von den katholischen
Bewerbern einmal zahlreiche unerfüllbare Anträge
auf Ueberlassung grösserer Güter gestellt wurden,
andererseits auch verhältnismässig viel Eingesessene
26*
404
der Ansiedlungsprovinzen sich meldeten, bei denen
die Erfüllung der nationalen Bedingungen für die
Zulassung als Ansiedler nicht zweifelfrei war."
Also der officiell preussische Bericht spricht
hier offen seinen Argwohn zu Ansiedlern katholischer
Konfession aus. Zu dem muss erwähnt werden, dass
katholische Ansiedler absolut keine Priester erhalten
zur Errichtung einer Kirchengemeinde. Der Protestan-
tismus arbeitet nicht nur innerhalb des Deutschen
Reiches, sondern auch ausserhalb desselben, wo
immer die preussisch-deutsche Politik eine feste
Unterlage für ihre Zukunftspläne haben will. Einen
sehr interessanten Einblick gewährt uns der Bericht
aus Eski-Schehir in Klein-Asien (Kathol. Missionen
Nov, 1902, Seite 37). Die Oberin der dortigen Ordens-
schwestern schreibt : „Unsere Schule hat sich gut ent-
wickelt, fühlt aber immer mehr die starke Konkurrenz
der Schismatiker und Protestanten. Aus politischen
Rücksichten suchen namentlich die Deutschen unsere
Missionsunternehmungen zu kopieren, um so die
französische Sprache durch die deutsche zu ver-
drängen und eifersichtig die Sympathie der Bevölke-
rung zu gewinnen, die sich bislang uns zugewandt
hat. Bis vor Kurzem hielt sich dieser Wettbetrieb
innerhalb der Grenzen der Loyalität und Gerechtigkeit
und brachte uns wenig Schaden. Letztes Jahr jedoch
haben unsere Gegner, angesichts der Fruchtlosigkeit
ihrer bisherigen Versuche sich entschlossen, einen
grossen Schlag gegen uns zu führen.
Um nur von der deutschen protestantischen
Schule zu reden, die hier kurzweg die „Schule der
Gesellschaft" genannt wird, weil sie auf Kosten der
Anatolischen Bahngesellschaft unterhalten wird, so
sehen wir mit Schmerz, wie man auf die Leute den
gehässigsten Druck ausübt. Von vielen nur ein Bei-
spiel aus jüngster Zeit. Einer der Oberingenieure in
den Werken der Gesellschaft liess die Eltern eines
der Kinder, das unsere Schule besucht, vor sich
kommen und stellte folgendes Verhör mit ihnen an.
„In welche Schule gehen eure Kinder?" — Zu den
Schwestern, Herr Ingenieur.* — »Wie, zu den Schwe-
stern? Kennt ihr denn nicht das Rundschreiben der
405
Bahndirektion, das allen Angestellten zur Pflicht
macht, ihre Kinder in die deutsche Schule zu schicken ?
Wenn innerhalb 3 Tage euer Mädchen nicht in der
Schule der Gesellschaft ist, werdet ihr aus dem
Dienste entlassen." — Was sollten diese braven
Katholiken thun? Wollten sie nicht ihren Verdienst
verlieren, so durften sie ihr Kind nicht länger in
unsere Schulen schicken. Es schien ihnen aber besser;
dasselbe zu Hause zu behalten, als es einem Lehrer
anzuvertrauen, der keine Gelegenheit unbenutzt vor-
übergehen lässt, unsere heilige Religion und ihre
Uebungen zu verunglimpfen. Leider haben nicht alle
Katholiken gleichen Muth, und so sehen wir mit
Schmerz, wie manche unserer Kinder ihren religiösen
Grundsätzen entfremdet werden. Um diesem Uebel-»
stände nach Kräften entgegenzuwirken, halten wir in
der Bahnkapelle, die unweit von der protestantischen
Schule liegt, wöchentlich zweimal Christenlehre.
Freilich, was vermögen diese wenigen Unterrichte
gegenüber dem schädlichen Beispiele der Gottlosigkeit
und Sittenlosigkeit, welche die Kinder täglich vor
Augen haben ! Wir haben auch bei den betreffenden
Behörden Schritte gethan, um auf Abstellung sowohl
der erwähnten Zwangsmassregeln wie des antireli-
giösen Unterrichtes zu dringen« Von 110—130 Zög-
lingen wird die Mehrzahl gratis unterrichtet, die
übrigen zahlen monatlich 1—2 Fr. Schulgeld. Die 15
Internen werden meist umsonst gehalten. Ihre Eltern
wohnen weithin zerstreut längs der Bahnlinien Eski-
Schehir — Angora und Eski-Schehir— Ruiah." Dies
alles bedeutet für die Schwestern eine schwere
finanzielle Last, die sie nur mit Hilfe grossmüthiger
Seelen in Europa tragen können. Dieser Brief der
französischen Schwester ist, mögen auch einige
Stellen durch nationales Vorurtheil etwas gefärbt sein,
recht beachtenswerth, weil er auf die Thatsache hin-
weist, dass das Deutschthum in der Türkei, speciell
in Kleinasien, immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Dass das Deutsche Reich dort umfassende koloniale
Pläne verfolgt und ihnen durch die deutsche Bahn-
linie, die bis Bagdad reichen soll, einen mächtigen
Stützpunkt schafft, ist kein Geheimnis, und jeder
406
Deutsche wird diese Bestrebungen freudig begrüssen.
Dass dieselben naturgemäss zu einer Verdrängung des
französischen Einflusses führen, ist klar und vom
Standpunkt der Mission aus nur insofern zu bedauern,
als die Begriffe französisch und katholisch im Orient
vielfach zusammenfallen. Wir glauben nicht, dass die
deutsche Bahngesellschaft religiöse Propaganda treibt.
Sie befürwortet aber die deutschen Schulen aus
nationalen Gründen. Wir glauben sicher, dass deut-
sche katholische Schulen auch auf die Unterstützung
der Regierung rechnen könnten. Es ist daher lebhaft
zu bedauern, dass das katholisch-deutsche Missions-
element in diesen Ländern so schwach vertreten ist
und speciell dass unsere blühenden . katholischen
Schwesterschaften nicht in grösserem Masstabe sich
dort ein Wirkungsfeld schaffen. Bislang sind sie unseres
Wissens blos durch einige deutsche Borromäerinnen
von Neisse in Alexandrien, Haiffa und Jerusalem ver-
treten. Deutsch darf im Orient nicht länger gleich-
beteutend mit protestantisch gelten."
Die Kritik, welche die Redaktion der katholischen
Missionen an den Bericht der französischen Ordens-
schwester knüpft, ist nach Art des Weihbischofs frind
gehalten. Der Bau der Bagdadbahn ist der erste,
grössere Versuch der preussischen Eroberungspolitik,
aber es scheint mit dem Baue nicht recht vorwärts
gehen zu wollen, das Geld geht aus. Der englische
Ministerpräsident Balfour sprach über den Bau der
Bagdadbahn in der Sitzung des engl. Abgeordneten-
hauses am 8. April 1903 Folgendes: Die deutschen
und die französischen Finanzgruppen sind darüber
einig, dass früher oder später das Unternehmen
ausgeführt werden wird. Eine Schwierigkeit der
Geldbeschaffung ist nicht vorhanden. Freilich steht
es in der Macht der englischen Regierung, jedem
Projekt Unbequemlichkeiten zu bereiten, aber dass
das Projekt schliesslich mit oder ohne unsere
Zustimmung oder Theilnahme durchgeführt werde»
wird, ist ausser Frage, Der Punkt, über den die
Regierung sich schliesslich zu entscheiden haben
wird, ist der, ob qs nicht wünschenswerth ist,
dass,, wenn diese Bahn, die die Operationsbasen des
407
Mittelmeers mit dem Persischen Golf verbindet, gebaut
werden soll, britisches Kapital und britische Interessen
dabei in ebenso hohem Masse vertreten sein sollen,
als Kapital und Interessen irgend einer anderen
Macht. Es sind noch wichtige Nebenfragen zu berück-
sichtigen, aber die eben erwähnte ist die Hauptfrage.
Die geplante Erhöhung der türkischen Eingangszölle
verdient unsere sorgfältige Aufmerksamkeit Wir
würden, ehe wir unsere Zustimmung zu der Zoller-
höhung geben, ganz abgesehen v n der Frage der
Bagdad-Eisenbahn ein quid pro quo verlangen in
Bezug auf Abänderung der für . das Sanitätswesen
geltenden Bestimmungen und andere für den briti-
schen Handel sehr: wichtige Dinge; diese Forde-
rungen würden wir an die türkische Regierung gegen
die. Bedingung stellen, dass. wir mit den anderen.
Machten dahin -übereinkommen, der Türkei in der
Frage der türkischen Eingangszölle grössere-. Erleichte*
rungen zuzugestehen. Sie- würde zu erwägen haben,
oh es erwünscht ist, . dass das, was unzweifelhaft der.
kürzeste Weg nach Indien sein würde, gänzlich in
Händen französischer oder deutscher Kapitalisten
sein soll, ferner ob es wünschenswerth ist, dass die
Erschliessung des Handels im Persischen Golf in den
Gebieten eines Scheiks erfolgt, der unter unserem
besonderen Schutz steht und mit dem wir besondere
Verträge haben, oder in einem Theil des Persischen
Golfes, in dem wir keine solche Vorzugsrechte besitzen*
Wir haben vor allem zu erwägen, ob es rathsam ist,
den Rtaöeverkehr gänzlich unter der Kontrole anderer
Nationen zu lassen, die nicht mit uns die gleichem
Interessen haben. Unsere Politik bezüglich jener we*
aiger ciyHisierten Welttheile geht dahin, eine oder*
mehrere andere -Nationen dort thätig zu sehen, als
allein zu handeln.' Ob in diesem Falle ein Schritt in
der Richtung dieser allgemeinen Politik geschieht,
darüber können Zweifel bestehen, aber im grossen
und ganzen liegt es in unserem Interesse, dass Länder
die wir nicht aufsaugen können, . auch nicht gänzlich
von irgend einer anderen Macht aufgesaugt werden.
Es ist; besser, dass solche ip Händen von drei grossen
Mächten sind, als in denen von zweien oder einer»
408
und wenn sie in europäischen Händen sein sollen,
so lässt sich viel dafür sagen, dass sie theilweise in
Händen von England, Deutschland und Frankreich
sind. Ueber eine etwaige baldige Entscheidung der
Regierung kann ich noch nichts sagen."
In den Preussischen Jahrbüchern (Feberheft 1903)
verlangt Arnold Diezmann eine gänzliche Umänderung
des Unterrichtes der Geschichte und der Erdkunde
im Sinne des Alldeutschthums. Hier werden die Um-
risse der grossen Weltpolitik der Dynastie Hohen-
zollern deutlich angegeben.
Diezmann sagt, „dass das deutsche Staatsgefühl
in deutsches Nationalgefühl umgeprägt werden müsse,
dass darum politische Grenzen nicht zu gelten haben
und dass in diesem Geiste die gesammte deutsche
Jugend zu erziehen sei." „Das etwas unklare National-
gefühl, das sich zur Zeit der Sänger- und Schützen-
feste regte/ so führt der Autor aus, „ist nicht zur
Reife gelangt, sondern von dem neu aufgekommenen
Staatsgefühle verdrängt worden . . . Das Staatsgefühl,
das so gerne, aber mit Unrecht Nationalgefühl ge-
nannt wird, hat Alles überwuchert, hat auch den
Geschichts- und Geographieunterricht in den Mittel-
schulen in seine Bande geschlagen und lässt schon
bei der heranwachsenden Jugend das Moment der
politischen Erziehung völlig in den Hintergrund tre-
ten. Interesse soll geweckt werden für das neue Reich,
mit Recht — aber weiter auch keins, und das ist
der Mangel. Der Unterricht in der Geschichte berück-
sichtigt vor Allem Deutschland, aber nicht etwa das
gesammte von Deutschen in Europa besetzte Gebiet,
sondern nur das neue Reich und soll Liebe wecken
nur für diejenigen Volkstheile, die im Reiche zu-
sammengeschlossen sind, als ob die jetzigen Reichs-
grenzen schon vom Vertrage von Verdun an zu Recht
bestanden hätten oder wenigstens hätten zu Recht
bestehen sollen. Was ausserhalb liegt, ist nicht
„Deutsch* im modernen staatlichen Sinne und geht
uns daher nichts an. Wenn ein Buch für die reifere
Jugend erscheint, in dem etwa Deutschland oder gar
„Alldeutschlands" Heerführer zu Lande und zur See
geschildert werden, so hält man sich streng an die
409
schwarz-weiss-rothen Grenzpfähle. Die eigenartige
Stammesentwickelung der Niederländer, Schweizer
und Balten seit ihrer Loslösung vom alten Reiche
wird kaum mit einem Worte gestreift, ebenso wenig
der Ausbau des österreichischen Staates seit der
Wiedererwerbung Ungarns von den Türken. Da
müssen die Slaven erst recht zu kurz kommen, nicht
nur die Polen und Russen, sondern sogar die Ge-
chen, die bei den Husitenkriegen plötzlich auftauchen,
dann in der Versenkung verschwinden, zu Beginn
des 30jährigen Krieges nochmals auftreten und dann
völliger Vergessenheit anheimfallen. Ebenso steht es
mit der Urkunde. Wenn in dem bekannten Daniel'-
sehen Leitfaden noch heute daran festgehalten wird,
dass das geographische Deutschland von der Rhein-
mündung bis Pressburg und vom Memel bis zum
Waadtlande reicht, wenn unter der allgemeinen Ueber-
schrift „Deutschland" die einzelnen deutschen Staaten,
und zwar 1. Deutsches Reich, 2. Oesterreich, 3. Schweiz,
4. Niederlande, 5. Belgien abgehandelt werden, so ist
das von Seiten des Herausgebers eine politische That,
für die ihm jeder politisch-denkende Deutsche seine.
Anerkennung aussprechen muss. Leider steht sie ganz
vereinzelt da . . . Das sind vielleicht alles Kleinig-
keiten, aber in ihnen spricht sich der Mangel an po-
litischem Denken aus, der jetzt geflissentlich gross-
gezogen wird. Wir sollen aus einem Geschlechte, das
an so bescheidene Selbstgenügsamkeit gewöhnt wird,
Männer in grösserer Zahl hervorgehen, die über das
enge Staatsgefühl hinaus die Augen offen zu halten
verstehen, die begreifen, dass das Deutsche Reich,
wenn es sich nun einmal mit Alldeutschland und
dem deutschen Volksthum gerne identificirt, Aufgaben
nicht nur innerhalb seines jetzigen Bereiches zu lösen
hat, sondern Lebensinteressen in Nord, Süd, Ost und
West wahrzunehmen hat? Wo sollen die Männer
herkommen, die bei Verhandlungen mit Russen und
Engländern ihren Parten die Stange zu halten ver-
mögen und ihnen an Weite des Blickes und der aus
dieser Weite entspringenden Entschlossenheit des
Handelns gleichzusetzen wären? Wir müssen und
werden den Kürzeren ziehen, so lange wir auf dem
410
Standpunkte des reichsdeutschen Partifcularismus^er-
harren und- in unserem Denken und Wollen nicht
mehr Bein wollen, als ein etwas stattlicherer Terri-
torialstaat. Wenn wir mit den Allüren einer aolchen
Weltpölitik treiben wollen, werden wir immer unter-
liegen, nicht nur den Engländern und Nordameri-
kanern, sondern auch den Russen gegenüber.4?
Diesem Ziele der .alldeutschen Politik kamt
nur eine dauernde Unterlage gegeben Werden,, werm
zuvor der Protestantismus in besagten Ländern festen
Fuss fttsst. Die Ausätze der preußisch-deutschen Welt-
pölitik sind nach dem Beispiele aus den preussischeit
Jahrbüchern grossartig angelegt, ob sie nun einmal
verwirklicht werden, das können sterbliche Menschen
nicht voraus- sicherstellen, Schoeriörer hat sich; zwar
gebrüstet in einer' altdeutschen Volksversammlung in
Troppau Ende Mftrz 1903, das* ihm, dem Schoenerer,
Ministerpräsident Koerber mitgetheilt habe, er betrachte
die Pläne der Alldeutschen nicht für undurchführbar.
Bis heute hat Preussen-Deutschland mit seiner Welt-«
Politik kein absonderliches Glück gehabt. Seine afri-
kanischen Besitzungen Deutsch-Ost und Deutsch-Süd-
westafrika sind zur Kolonisation für Europäer wegen
des mörderischen Klima und der Unfruchtbarkeit des
Bodens absolut unbrauchbar. Die Bahnen, welche
Deutschland in diesen Kolonien gebaut hat, haben
solche Güterzüge, dass oft im:ganzen solchen Güterzug
blos 10 Metereentner Kaffee aufgeladen sind, welche
kostbare Ladung von einer Plantage zur rKüste g4-.
Jahren wird. Wäre es Gold, dann wäre die Regia
gedeckt. ■„ Wenn deutsche Landwirthe - eine Anfrage
richten an die Gouverneure dieser .afrikanischen
Kolonien* so bekommen sie im vertraulichen Brief r.tHfe
Antwort, sie sollen ruhig zu Hause im Deutschem
Reiche bleiben. Die Weltpölitik Freusseus besorgt
vorderhand die Geschäfte einiger (gieriger Spekulanten
von der bekannten Rage, die auch dem Deutschen
Reiche mit Fug und Recht den Namen „deutsch*
jüdisches" Reich geben. Das hat mehr als genug die
Campagne nach China bewiesen, aber noch mehr die
Afaire mit Venezuela.
Der belgische Generalkonsul berichtete , Anfangs
411
Fehrupr 1903 über Venezuela folgendes : „Am 1. Jäner
1901 betrugen die inneren Schulden der Republik
Venezuela insgesammt 73,391.058 Bolivar (ä 81 P£)>
Die äussere Schuld belief sich am gleichen Tage auf
120,041.476' Bol., darunter die* sog.; britische 3proc,
Anleihe mit 66,614.650 BoL, , die öproc. Anleihe bei
der Diskontogesellschaft mit 46,880.000 Bpl. An fällige
Zinsen sind 36,297.8.72 Bol. rückständig. :Als Schpldein
posten müssen ferne? in Betracht gesogen werden di$
seitens der Regierung bei -der „Banco Venezuela"
gegen Verpfändung von Antheilen der staatlichen S&Ui
Bergwerke aufgenommene Anleihe von 5,500,000 Bol;
ijiid ferner 10,000*000 Bol., welche. das.Debefealdq in
laufender^ Rechnung dqr- Staatskasse bei der oben-
genannten Bank darstellen. Als Gesammtbetrag det
venezolanischen Staatsschulden ergibt -sich denmaslj
die Summe von 245,280.406. Bol. — Der letzte Etat
der Republik (für die Z^it vom 1. Juni 1901 bis dahin
1902) schlops in. Ausgabe mit 37,000.000 Bol. ab*
wobei die zur Tilgung von' Schuldenzinsen vorg^
tehene Summe derartig bemessen war, dass sie zur
Bezahlung von 50 pCt. der fälligen Kupons ausreichte*
Für d^LS Jahr 1901 belief sich das Deficit der Staats-^
annahmen (41J6&919 Pol.) auf 2,607.956 Bol.; die
Einnahmen aus den Eingangszöllen betrugen 24,267.67$
Bolivar. Im Verlaufe der Streitigkeiten mit Kolumbien
wurde die Zinszahlung völlig eingestellt, und die.
gegenwärtigen kriegerischen Wirren lassen den Zeit-
punkt nicht voraussehen, mit welchem dieselbe wieder*
beginnen wird. Fast alle in Venezuela vorhandenen:
Handelshäuser von Bedeutung betreiben Bankgeschäfte.
Die Zahl der ausgesprochen reinen Bankgeschäfte be-
läuft sich auf drei : Die Banco Venezuela, die Banco
Caracas und die Banco de Maracaibo. . Die Banca
Venezuela wurde 1882 mit einem Kapital von 12 Mill.>
Bolivar gegründet. Seit 1883 ist sie zugleich Staats-
bank und verwaltete die Finanzen der venezolani-
schen Regierung. An Dividende wurden in den letzten,
zehn Jahren durchschnittlich 12 pCt. pro Jahr ver^
theilt, Die Banco Caracas ist eine Handelsbank mit
hinein Kapital von 6,000.000 Bolivar,- wovon, drei
Viertel zur Einzahlug gelangt sind. An Dividenden
412
hat die Bank seit 1890 durchschnittlich 8 pCt. pro
Jahr vertheilt. Was schliesslich die Banco de Mara-
caibo anbelangt, so beschränkt sich deren Geschäfts-
betrieb auf den Geldverkehr in Venezuela ; das Grün-
dungskapital betrug 1,250.000 Bolivar. Der Haupt-
erwerbszweig auf landwirtschaftlichem Gebiete bildet
die Produktion von Kaffee, zu dessen Kultur sich der
Boden Venezuelas sehr gut eignet. Ausser Kaffee pro-
ducirt Venezuela Gacao, Tabak, Kautschuk, Baum-
wolle, Indigo, Bananen und in beträchtlichem Masse
Zuckerrohr. Die ausgedehnten Waldungen Venezuelas
bergen reiche Vorräthe an tropischen Produkten und
Hölzern aller Art. Die mit der Ausfuhr solcher Hölzer
gemachten Versuche sind indess bisher an der Unzu-
länglichkeit der Transportmittel und den bedeutenden
Frachtunkosten gescheitert. Die Viehzucht, die vor
dem Unabhängigkeitskriege in hoher Blüthe gestanden
hatte, ist sehr zurückgegangen; Massregeln zur Wieder-
belebung derselben werden getroffen. Die industriellen
Anlagen Venezuelas sind durchweg von nur geringem
Umfange. Beträchtlich ist der Reichthum Venezuelas
an Mineralien. Kupfererze sind in Venezuela imUeber-
fluss vorhanden. Die Kupfererzminen bei Aroa nehmen
eine Fläche von 111.336 ha. ein; in dem Zeitraum
vom Jahre 1878—1891 sind dort insgesammt 72,267.060
Tons Kupfer gewonnen worden, die in Grossbritannien
abgesetzt wurden und 3,902.421 Lstrl. eingebracht
haben. Im Jahre 1896 sind die Bergwerke in Aroa
dem Kupfertrust einverleibt und seitdem nicht weiter
ausgebeutet worden. Mit der Asphaltgewinnung be-
fassen sich drei Gesellschaften, von denen die bedeu-
tendste die „Newyork and Bermudez"- Gesellschaft
ist. Das Eisenbahnnetz Venezuelas hat eine Länge
von 827 Km. Gebaut sind die Bahnen von verschie-
denen Gesellschaften, die zusammen über ein Kapital
im Nennwerthe von 192,300.000 Fr. verfügen."
Einer der grössten financiellen Ausbeuter Vene-
zuelas ist also die Berliner Diskontogesellschaft. Diese
saubere Gesellschaft hielt Ende März 1903 ihre General-
versammlung ab, also nachdem die deutschen Kriegs-
schiffe wieder von der Blokade heimgekehrt waren.
Die Finanzjuden hatten also ruhiges Blut. Der Berliner
413
Börsencourier berichtet Folgendes: „In der General-
versammlung war ein Gommanditkapital von 2,219.400
M. mit 3699 Stimmen vertreten. Von einem Comman-
ditisten (M, Stern, Hannover) wurde etwa Folgendes
ausgeführt: Wie bekannt, habe sich die Norddeutsche
Bank in Hamburg, deren Kapital bekanntlich im Be-
sitz der Diskontogesellschaft ist, mit 4 Millionen Mark
bei dem Bankhause Ephraim Meyer & Sohn betheiligt.
Dieses habe grosse Verluste bei dem Konkurse Ter-
linden, Gewerkschaft Dahlhausen etc. erlitten. Es frage
sich nun, ob diese Verluste auch die Norddeutsche
Bank und damit indirekt die Diskontogesellschaft be-
rühren könnten. Das genannte Bankhaus in Hannover
habe ferner eine Gesellschaft für industrielle Unter-
nehmungen ins Leben gerufen und durch diese Werthe
unter das Publikum gebracht, wegen deren Processe
schweben. So seien die Aktien der hannover-braun-
schweigischen Kohlenwerke, die jetzt nichts werth
seien, zu 60 pCt. erworben und bald darauf zu 135 pCL
in grossen Beträgen in hannoverschen Adelskreisen
untergebracht worden. Wegen dieser Angelegenheit
schwebe ein Process in zweiter Instanz, bei dem die
Norddeutsche Bank in Mitleidenschaft gezogen werden
könne, wenn die Processe zu Ungunsten von Ephraim
Meyer & Sohn entschieden würden. Geh. Kommerzien-
rath v. Hansemann bemerkte hierzu, dass die ganze
Angelegenheit nicht die Generalversammlung der
Diskontogesellschaft beschäftigen könne. Was die
Aktien der Norddeutschen Bank betreffe, so seien
diese ein werthvoller Besitz für die Diskontogesell-
schaft und viel mehr werth, als sie zu Buch stünden.
Er, Redner, zweifele nicht daran, dass bei der Bilanz-
aufstellung dieser Bank derartige Angelegenheiten,
wie sie zur Sprache gebracht worden sind, genügende
Berücksichtigung gefunden hätten. Im übrigen seien
in den Darstellungen des Gommanditisten sicherlich
Uebertreibungen vorhanden. Der Geschäftsinhaber
Schinkel erklärte, dass auch nach seiner Ansicht die
ganze Angelegenheiten nicht vor die Generalver-
sammlung der Diskontogesellschaft gehöre. Die Be-
hauptung, dass Aktien zu 60 pCt. erworben und zu
135 pCt. verkauft worden seien, entspreche nicht den.
414
Thatsachen. Iin übrigen sei der Process in diesei*
Sache in zweiter Instanz zu Gunsten des Bankhauses
Ephraim Meyer & Sohn entschieden worden. Die
Norddeutsche Bank bedauere jedenfalls nicht, sich an
diesem Bankhause betheiligt zu haben. Däss in den
hinter uns liegenden Jahren auch von dem Bankhause
Ephraim Meyer & Sohn Geschäfte gemacht worden
seien, die Verluste gebracht hätten, sei nicht zu be-
streiten. Diese seien dann aber auch in den Bilanzen
berücksichtigt worden. Der Gommanditist Stern hielt
seine Behauptungen vollkommen aufrecht und ver-
wahrte sich dagegen, dass er sich Uebertreibungen
schuldig gemacht hätte. Er könne, um nur einen
Namen zu nennen, mittheilen, dass einem Herrn Baron
v. Gotzenbach zu 135 pCt. ein grösserer Posten der
bezeichneten Aktien verkauft vvorderi sei. Wenn auch
der Process in zweiter Instanz zu Gunsten von Ephraim
Meyer <fc Sohn entschieden sei, so sei er damit noch
nicht aus der Welt geschafft, denn er werde sicher
bis zum Reichsgericht verfolgt werden. Der Jahres-
abschluss für 19Ö2 wufde hierauf genehmigt und die
sofort zahlbare Dividende auf 8 pCt. für das Gomtaandit-
kapital von 130,000.000 M. und auf 2% pCt. für die
neu ausgegebenen Coijimanditantheile von 20,000.000
M festgesetzt." -
Geschäftsinhaber der Diskontogesellschaft, Sitz in
Berlin W. unter den Linden 35, ist A. v. Hansemann,
geheimer Gommerzienrath, E. Rüssel, Generalkonsul,
A. Lent, Baurath, A. Schoeller, geheimer Seehandlungs-
rath, Moses Schinckel, Hamburg, Dr. Arthur Sala-
monsohn, sämmtlich in Berlin. Der Aufsichtsrath
wimmelt von Excellenzen ausser Dienst. Eis sind:
JUDr. Karl Herzog, Staatssekretär a. D., Excellenz,
F. Bail, Moritz Böninger, Alex. Borgnis, Hermann
Brauns, Commerzienrath, Dr. Fischer, Unterstaats-
sekretär a. D., Excellenz, Albert Ballin, Direktor der
Hamburg-Amerika-Linie, Max v. Duttenhofer, Com-
merzienräth* Dr. Wiegand, Generaldirektor des Nordd.
Lloyd, etc.
Das fetteste Jahr der Diskontogesellschaft war
das Jahr 1872, Dividende 24%, Jahr 1873 Dividende
27%, Wahrscheinlich hat damals die DiskontogöseÜ-
415
schaft Frankreichs Kriegstribut einkassirt. Es fand
sich im deutschen Reichstage nur ein Mann, derauf
diese Art von Preussens Vorkämpfer für die Welt-
politik hinzuweisen den Muth und den richtigen Bück
hatte. Abg. Ahlwardt war seinerzeit Rektor einer Ge-
meindeschule in Berlin. Seine Stellung entsprach bei*
läufig der eines Oberlehrers in München. An die brei-
tere Oeffentlichkeit trat Ahlwardt zuerst mit einer
Broschür: „Der Verzweiflungskampf der arischen Yöl*
ker gegen das Judenthum". Ahlwardt- hatte in den
achtziger Jahren eine Bürgschaft für einen Lehrer-
kollegen übernommen, wurde für eine höhe Summe
zur Zahlung. herangezogen und kam dadurch in die
Hände jüdischer Wucherer. Es nahm sich dann seiner
anscheinend in menschenfreundlichster Absicht der
damalige Chef des kaiserlichen Givilkabinets, Geheim-
rath Manchee, ein getaufter Jude, an, um ihn noch
tiefer in das Judennetz zu verstricken und selbst
finanzielle Vortheile daraus . zu ergattern. In dieser
Broschür, die ungeheueres Aufsehen erregte und als-
bald beschlagnahmt wurde, schilderte Ahlwardt den
schändlichen Judenwueher, die , schamlosen Machina-
tionen des kaiserlichen Geheimrathes und gewisse
Manipulationen jüdischer Spekulanten in der Berliner
Gemeindeverwaltung.' Das Judenthuih schrie Zeter. und
Mordio, Behörden^ erwiesen sich als die dienistbereiten
Helfer der Juden, und der Staatsanwalt erhob sofort
gegen Ahlwardt Anklage wegen Beleidigung des Ge-
heimrathes Manchee und des Berliner Städtmagistrates.
In der Untersuchungssache Manchee hatte Ahlwardt
allein 40 Vernehmungen, man schleppte ihn von
einer Gerichtsstube in die andere, — um schliesslich
das Verfahren gegen Ahlwardt in dieser Sache einzu-
stellen, ja man war genöthigt gegen Manchee selbst
vorzugehen. Es. stellte sich heraus, dass der saubere
Chef des kaiserlichen Givilkabinets ein ganz gemeiner
Schacherer gewesen war, Handel mit Titeln und Orden
und sonstigen kaiserlichen Gnadenerweisungen trieb
und erhebliche Geldbeträge und andere Vortheile
daraus gewann. Obwohl man die Untersuchung auf
möglichst wenige Fälle beschränkte, wurde Manchee,
der bei seinen unsauberen Geschäften mit einem ganzen
416
Heere von Juden, jüdischen Gommerzienräthen und
Wucherern verbunden war, schliesslich doch zu neun
Monaten Gefängnis verurtheilt. Die Klage des Berliner
Magistrates gegen Ahlwardt dagegen zog sich jahre-
lang hin, seiner Beweisführung stellten sich die grössten
Schwierigkeiten entgegen und Ahlwardt wurde zu drei
Monaten Gefängnis verurtheilt, was seine Dienstent-
lassung zur Folge hatte. Gleiches Aufsehen erregte Ahl-
wardt durch seine Angriffe auf den jüdischen „Meineid*
baron" Gerson von Bleichröder. Bleichröder hat die
Beschuldigung, einen Meineid geleistet zu haben, auf
sich sitzen lassen, freilich gelang es auch dem gewalti-
gen Einflüsse Bleichröders, zu verhindern, dass gegen
ihn ein Verfahren wegen dieses Meineides zur Durch-
führung gelangte. Die grösste Sensation erregte Ahl-
wardt durch seine Broschür über die Löwj^schen
„Judenflinten". Obwohl Ahlwardt in dem dieser Ver-
öffentlichung folgenden Processe den grössten Theil
seiner Behauptungen erweisen konnte — bei einem
einzigen Bataillon fielen während eines kurzen Manö-
vers von den neuen aus der Löwy* sehen Fabrik be-
zogenen Armeegewehren hunderte von Visieren her-
unter — wurde Ahlwardt doch auch hier zu schwerer
Gefängnisstrafe verurtheilt. Es war damals ja eine
„herrliche Zeit". Der Jude Lasker herrschte im Reichs-
parlament, der Jude Friedberg war Justizminister, der
Jude Friedländer sass im Polizeipräsidium, an dessen
Spitze ein Madai stand, im kaiserlichen Civilkabinet
war ein Manchee möglich gewesen. Wie konnte es
an den schärfsten Bestrafungen für alle Verbrechen
gegen die Majestät des Judentums und seiner niedrig-
oder hochgestellten Zuhälter, Schmuser und Gewinn-
betheiligten fehlen? 1893 wurde Ahlwardt in Arns-
walde und Neustettin gleichzeitig und mit grossen
Majoritäten in den Reichstag gewählt, die Versamm-
lungen, in denen der „Rektor aller Deutschen" sprach*
waren von riesigen Menschenmassen besucht, im
„Münchner Kindl" in München drängten sich zu seinem:
ersten Vortrage im Jahre 1895 an zehntausend Per-
sonen. Ahlwardt zeigte sich als ein glänzender Redner ;
er dürfte als Agitator unerreicht dastehen. Als Po-
litiker bewährte sich Ahlwardt indessen ebensowenig
417
wie als Parteiführer. Er hat sich vielfach irreführen
lassen und sah sein Vertrauen häufig getäuscht. So
gab er sich manche Blossen, die von seinen hass-
erfüllten Gegnern in unglaublich skrupelloser und
gemeiner Weise gegen ihn ausgebeutet wurden.
Die Judenpresse bezeichnete den Ahlwardt immer
als einen Narr, wie sie es ja auch dem Abgeordneten
Schneider in Wien konsequent anthut, und die „blöden*
Gojims müssen es glauben. Das ist bekannte Juden-
manier. Gefährliche Gegner schickt man in das Irren-
haus* Der Begründer des Deutschen Reiches Bismarck
und sein kaiserlicher Herr Wilhelm I. hatten ja über
30 Jahre ihr Geldvermögen beim Eohn in Dessau in
Verwaltung, der sich auch überall als des preussischen
Königs treuester Diener unterschrieb.
Am 18. Februar 1903 sagte auf dem deutschen
Reichstag Ahlwardt zu der Partei BebeFs gewendet:
„Im Zukunftsstaat gibt es also nur eine grosse, viel-
leicht gut gefütterte Herde ohne Willen und Freiheit.
Dem Handwerk fehlt eine Entfesselung seiner Kräfte.
Das kann erzielt werden durch einen ausreichend
hohen, langfristigen Credit, der den Organisationen
von der Reichsbank gewährt werden könnte. Dadurch
werden die Leute von der Börse abgehalten, wo im
Schaukelspiel ihnen das Geld doch abgenommen wird,
um in die Hände einiger weniger abzufliessen, von
denen ich hier nicht sprechen will, damit mein Vor-
trag nicht unterbrochen wird. (Heiterkeit.) In der
Brotfrage haben Sie (nach links zeigend) recht (Heiter-
keit), und Sie (nach rechts zeigend) auch (Heiterkeit).
Da sitzt aber jemand dazwischen (Heiterkeit). Der
Producent bekommt zu wenig, der Konsument zu viel,
ein Dritter heimst die Millionen ein. Das ist das
Wesen der socialen Frage überhaupt. Ueberlegen Sie
einmal und bedenken Sie das ernsthaft! Was kann
helfen? Nur Verstaatlichung der Reichsbank und des
Getreidehandels. Damit können wir Russland sofort
zahlungsunfähig machen. Dies mein Programm hat
seinerzeit sogar bei meinen Freunden Kopfschütteln
erregt. Den Aufkauf von Gütern im Osten billige ich
nicht; viel werthvoller ist es, die Kanalvorlage aus-
zuführen. Die Grossmächte haben sich in Geldmächte
27
418
verwandelt, das hat auch Frankreich mit dem Erwerb
seiner afrikanischen Kolonie gethan. Fragen Sie die
Wähler, ob sie das wollen! Wenn die Kandidaten
das nicht wollen, sollen die Wähler einen Antise-
miten wählen, der wird dafür eintreten.4 Ahlwardt
behandelt sehr richtig sowohl die Juden, wie ihre
Agenten die Socialisten, deren sich Preussen-Deutsch-
iand heute in Frankreich bedient, um in der franzö-
sischer Nation den Revanchegedanken zu unterdrücken
und das Elsass-Lothringen auf immer sich zu sichern.
Am 25. Januar 1903 sprach der Führer der franzö-
sischen Socialisten Jaures vom Weltfrieden und sagte
zum Schluss folgendes:
„Aber hier steht Frankreich vor der schmerz-
lichsten Alternative, dem tragischesten Problem. Ja,
wir gehen dem Frieden, gehen einer Neuordnung der
Nationen entgegen, aber unsere Nation hat vor 32
Jahren eine schwere Antastung erlitten, die nicht nur
eine Antastung seiner Grösse, sondern auch eine
Rechtsverletzung war. Menschliche Wesen sind ge-
waltsam dem von ihnen gewünschten und erwählten
Vaterlande entrissen worden. Wenn es also wahr ist,
dass das Recht verletzt worden, und wenn es richtig
ist, dass man die Wiederherstellung des Rechtes nur
von einer Rückkehr zur Gewalt erwarten kann, welch
tragische Alternative für unser Land . . . Meine Herren,
bei den gegenwärtigen Verhältnissen Europas kann
nicht der Krieg die^e Frage lösen. Er könnte nur
endlose Gewalthaten auf diejenigen herabbeschwören,
die wir der Gewalt entreissen wollen. Nein, die einzige
Lösung besteht in der Befestigung des allgemeinen
Friedens, in der Befreiung der Demokratien . . .
Frankreich bedarf keiner brutalen und wilden Re-
vanche. Ah, wenn es vor 32 Jahren in diesen tra-
gischen Tagen sich einer Schwäche überlassen, wenn
es nicht der Welt und sich selber seinen Muth be-
wiesen, könnte es, um sich in seinen eigenen Augen
wieder zu erheben, den Kampf neu beginnen wollen.
Aber Frankreich bedarf keines neuen Zeugnisses, es
ist besiegt, nicht gedemüthigt worden. Es hat bis
zum letzten Athemzuge gekämpft, hat seinen Herois-
mus und sein Blut verausgabt, hat alle seine Söhne
419
zum verzweifelten Widerstände vereinigt, von den
Royalisten des Westens bis zu den Revolutionären
Blanquis, die in Paris die Sturmglocke für das ,> Vater-
land und Gefahr" läuteten ... Es hat, unter dem
'glühenden und organisatorischen Ansporn Gambettas,
seine unablässige Zähigkeit gegenüber all' den nie
endenden Schicksalsschlägen, seine feste Hoffhungs-
freudigkeit, die seinen Stolz überdauerte, seine immer
erneute Willenskraft, die dem Unglück standhielt, be-
wiesen. Es hat bei dem plötzlichen Erstehen der Re-
publik eine wunderbare Wiedergeburt der nationalen
Energie gehabt, den Stolz eines verwundeten Volkes,
das von seinem wiedergefundenen Ideal die Kraft zu
leben und zu siegen erhofft, den Stolz des verwun-
deten Adlers, der die Sonne anfleht, ihm die Kraft
zum weiteren Fluge zu geben. Nein, Frankreich be-
darf keiner neuen Zeugnisse der Geschichte für seinen
Heroismus und seinen Muth, und wenn es ihm morgen,
in einem weitsichtigen Verstehen der Zukunft, gefällt
den grossen Menschheitsfrieden anzubahnen, schleppt
es keine erniedrigenden Erinnerungen hinter sich
her. Selbst wenn die Kriege von 1870, wie wir es
hoffen und wie wir es wollen, die letzten Kriege
zwischen Frankreich und Deutschland bleiben, strahlen
sie einen solchen Heroismus aus, dass wir ohne
Zaudern das abscheuliche Buch des Krieges bei dieser
schmerzlichen aber grossen Seite schliessen dürfen."
Die Herrschaft der Socialisten und der von Elsass
eingewanderten Juden mit Reinach an der Spitze,
die jetzt über Frankreich besteht, wird von Berlin
aus kräftig unterstützt. Mit solchen Waffen arbeitet
das oficielle evangelische Preussen. Genau so benimmt
sich Preussen in der Orientfrage. Ende April 1903
berichtete der „Ikdan" in Konstantinopel, Kaiser
Wilhelm hat den Waffenfabriken Krupps und Mausers
den Befehl ertheilt alle anderen Bestellungen bei
Seite zu schieben und nur die Bestellungen für die
türkische Armee schleunigst zu eflfektuiren.
Also dem grössten Mörder der Christen Abdul
Hamid liefert Wilhelm II, die Waffenvorräthe. Die
Absichten sind ja klar; genau so ging Friedrich der
Grosse gegen die 'Kaiserin Maria Theresia vor. Die
27*
420
Alleinherrschaft des Protestantismus und des Preussen-
thums innerhalb des Deutschen Reichs haben die
Bundesstaaten in Hölle und Fülle zu verkosten« Am
meisten seufzt darunter Bayern. Ein Bajuvare Ingenieur
Kuhn gab Anfangs März 1902 in München bei Seyfried
die Schrift heraus: Die Mobilisierung der Reichsidee
in Bayern. Wir führen aus dieser Schrift folgendes an.
„ Wer die wirtschaftliche Entwicklung Bayerns seit 187 1
objektiv verfolgt, der wird obigem Satze zustimmen
müssen. An dieser Thathsache ändert auch der Um-
stand nichts, dass heute in ganz Deutschland gedrückte
Verhältnisse an der Tagesordnung sind. Bayern trat als
der reichste und wohlhabendste Bundesstaat in das
Deutsche Reich, und ist der erste geworden, der seine
wirtschaftliche Erschöpfung zugestehen muss. Es gab
im Jahre 1871 in Preussen eine Sekte, welche, als
sich die Thüre nach längerem freundlichen Zureden
geöffnet hatte, die den Eintritt in das gesegnete Bayer-
land gestattete, sich zur Aufgabe machte, die Schätze
zu heben, die in dem Märchenlande voll blauer Seen,
blühender Felder und wilder Gebirge vergraben waren.
In dichten Schaaren wallfahrteten die Schatzgräber
durch das offene Thor und erregten vor allem bei dem
Bayern volk durch ihren Dialekt und durch die Hurtig-
keit, sich auf die Hochschullehrstuhle zu schwingen,
stumme Verwunderung. — Diesen ersten Pionieren
folgte auf dem Fusse ein Heer kleiner Commis-
Voyageure, meist orientalischen Exterieurs, jeder mit
einem Musterkoffer voll der entzückendsten Sächelchen
beladen, diesen folgte gemessenen Schrittes die Horde
mit dem Gründerblick, unter ihnen manch zweifel-
hafte Erscheinung mit geflickten Sandalen, dann kam
ein schier endloser Zug von Maschinen, von denen
jede mit mindestens drei goldenen Medaillen auf den
Ausstellungen in San Francisco, Baltimore und Berlin
prämiirt war. — Der ganze wilde Zug schritt unter
dem Banner des neuen Reichsadlers und unter dem
Liede: „Deutschland, Deutschland über alles!"
Und siehe da, das Eselein streckte sich ; wie flogen
die alten guten Thaler aus den altdeutschen Truhen
der Städter und Bauern. (Hier folgt nun eine humor-
volle Schilderung der lächerlichen Manie, alles Preussi-
421
sehe besser zu finden als das Einheimische, wie sie
durch die [aus dem Reptilienfond genährte] Presse
großgezogen und von dem Minister Lutz auf allen
Gebieten begünstigt wurde.) Auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens in Bayern konnte man bald den ein-
gebornen Liberalen und den Eingewanderten, welchem
Vorspanndienste geleistet wurden, in festen, gut do-
tierten Stellungen schalten und walten sehen, und
die neuen Fabriken und Geschäfte blühten, aber das
bayerische Geld wurde immer weniger. In den zehn
Jahren von 1889—1899 wurde an bayerischen Post-
schaltern durch Postanweisungen die Summe von
5y2 Milliarden einbezahlt Die Summe der eingegan-
genen Postanweisungen betrug während dieser Zeit
um 300 Millionen Mark weniger. — Diese 300 Millionen
sind zum grösste i Theil in barem Geld aus dem Be-
sitz der bayerischen Bevölkerung nach Preussen ge-
wandert — Leider fehlt uns eine amtliche Aufstellung
darüber, .welche Einbusse das Vermögen des bayeri-
schen Volkes in denjenigen Fällen erlitten, in welchen
die Zahlungen nicht durch die Postbehörden, sondern
durch die Banken etc. etc. vermittelt wurden. Da es
sich in letzterem Falle um höhere Beträge handelt,
so dürfte es nicht zu hoch gegriffen sein, wenn man
einen Baarverlust von circa einer Milliarde in zehn
Jahren, also drei Milliarden innerhalb der Zeit von
1871—1901 verzeichnet. Kann man sich da wundern,
dass Bayern heute seine Erschöpfung zugestehen
muss?u Berlin hatte, um gegen die Eigenart der Bayern
erfolgreich zu arbeiten, seine Männer in München an
die preussischen Vorposten gestellt, so das Ministerium
Lutz und Crailsheim. Welche Zustände in Bayern
herrschten, darüber veröffentlichte das Münchener
Volksblatt ein Schreiben eines ansehnlichen bajuvari-
schen Patrioten am 29. März 1903. Es heisst da:
„Die Vorgänge der jüngsten Zeit, welche mit zum
Rücktritt des Grafen von Crailsheim geführt haben
dürften, haben unser offieiöses Presswesen wieder
einmal in einem ausserordentlich widerlichen Lichte
erscheinen lassen. Dinge, die der leitende Minister
zur Kenntnis seiner Landesangehörigen bringen wollte,
kamen diesem auf Um- und Schleichwegen und mei-
422
stens durch Vermittlung von Pressjuden via Karlsruhe
zu. Diese und unzählige andere Vorgänge im Laufe
der Zeit haben bewiesen, dass für eine Regierung»
die sich ihrer Rechte und Pflichten eingedenk ist,
namentlich seit dem Regierungsantritt Wilhelms IL,
ein eigenes Pressorgan als Sprachrohr unentbehrlich
ist. Die bayerische Regierung braucht wieder eine
Zeitung, durch welche sie ihre Stellungnahme zu wich-
tigen Fragen und ihre Willensmeinung nach allen
Seiten offen kundgibt. Diese Zeitung darf vor allem
im Volke niemals Zweifel über die strikte Wahrung
unserer verfassungsmässigen Rechte durch die Regie-
rung aufkommen lassen, wie dies bisher häufig in so
hohem Masse der Fall gewesen ist. Die Art, wie die
Regierung bisher die Presse für ihre Zwecke benützte,
ist auf die Dauer nicht mehr angängig. Verfügte
man in Bayern schon vor einem halben Jahrhundert
über ein officiöses Presspigan — die „Neue Münchener
Zeitung*, — so kann der Nutzen eines officiösen
Blattes für die Regierung in der Gegenwart erst recht
nicht verkannt werden. Auf die Gründe, welche anno
1867 zur Einstellung des officiellen bayerischen Press-
organs führten, soll hier nicht näher eingegangen,
sondern nur "der Thatsache gedacht werden, dass die
amtlichen Bekanntmachungen und die verschiedenen
Inserate etc. der Staats- und Gemeindebehörden u,
s, w. damals zum grössten Theile auf die „Münchner
Neuesten Nachrichten" übergegangen sind und wesent-
lich zum Aufschwung dieses Blattes mit beigetragen
haben. Das Konsortium, in dessen Besitze sich die
„Neuesten44 befinden und an welchem die Juden einen
erheblichen Antheil besitzen, streicht aHjährlich für
die amtlichen Inserate horrende Summen ein und er-
freut sich der Thatsache, dass Tausende ein Zwangs-
abonnement auf die „Neuesten" nehmen müssen, für
welche das Lesen dieser Bekanntmachungen unent-
behrlich ist. Und in welcher Weise übt dieses Blatt
— im Volksmund Preussen- und Judenblatt genannt —
seine Erkenntlichkeit gegen den bayerischen Staat
und seine Bevölkerung aus ? Herrschte bis vor dreissig
Jahren tiefster Frieden und Eintracht unter den ver-
schiedenen cv~ ,,# ' Konfessionen in unserer Münch-
423
ner Stadt, so begann mit der Aera Knörr und Hirt
eine unerhörte Minier- und Wühlarbeit zugunsten des
preussischen Einheitsstaates und des Hauses Hohen-
zollern und zugleich der Krieg gegen den Katholicis-
mus in der hässlichsten Form, als erste Etappe auf
dem Wege der erstrebten Zerstörung des Christen^
thums überhaupt. Seit jener Zeit leuchtet aus jeder
Zeile der „M. N. N." ein infernalischer Hass gegen
die katholische Kirche, ihre Diener und Einrichtungen,
während der Protestantismus zunächst noch möglichst
geschont, ja als Sturmbock gegen den Katholicismus
missbraucht und als solcher begünstigt wird. Der
Rabbiner ist a priori sakrosankt. Bayern, seine Ge-
schichte, seine Bevölkerung und ihre Eigenart wird
in der gemeinsten Weise verhöhnt, beschimpft und
herabgewürdigt; sein Herrscherhaus unter dem Deck-
mantel der Loyalität und Verehrung für den greisen
Regenten herabgesetzt und degradiert. Vielfach hört
man im Publikum die Meinung äussern, dass mit
dem Geiste, der dieses Blatt durchzieht, die Leser
tropfenweise vergiftet werden. Jeder erfahrene Mann,
jeder denkende und vorurtheilsfreie Zeitungsleser, der
ausser der „Kuhhaut" noch Blätter anderer Richtung
liest, wird zugeben, dass die „Münchner Neuesten
Nachrichten" das grösste und raffinierteste Hetzblatt
in Bayern, wenn nicht im Reiche sind. Die Verleger
dieses Blattes scheinen keine Ahnung zu haben, mit
welcher Missachtung das Gros der Bevölkerung und
selbst die politischen Gesinnungsgenossen der „Neue-
sten" von dieser Zeitung, ihrer Verleumdungssucht,
ihrer Arroganz und unausgesetztem Hetzen spricht*
Die »Münchner Neuesten" können es anscheinend nicht
erwarten und die Verstellung fällt ihnen offenbar recht
schwer, bis die letzte Perle aus der Krone Bayerns
verschwunden ist. Sie haben die Katze schon zu oft
aus dem Sacke gelassen, um dies noch leugnen zu
können. Wenn ein in Berlin erscheinendes notorisches
Bayernblatt gegen den preussischen Staat, seine Dy-
nastie, das Volk und den Protestantismus eine solche
Sprache führen würde, wie die „Neuesten" umgekehrt
in München, man würde seine Redakteure längst
wegen Hochverrath, Beschimpfung der Religion und
424
Störung des konfessionellen Friedens verurtheilt, seine
Herausgeber mit dem Besen aus dem Lande gejagt
haben.
Eine würdige Genossin hat das Färbergrabenblatt
an der „Münchener Allgemeinen Zeitung", welche von
dem ehedem so hochangesehenen und vornehm ge-
haltenen Blatte, als welches es in Augsburg erschienen
war, nur mehr den Namen besitzt, sonst aber zur
reinen Stadtfraubas herabgesunken ist, die mit fast
völligem Ausschluss der Oeffentlichkeit erscheint.
Dieses Blatt, dessen Redakteure von bayerischen Ver-
hältnissen nicht die geringste Kenntnis besitzen, zieht
mit seiner Gesinnungsschwester, den „Neuesten", an
einem Strange. Das merkwürdigste ist, dass dieses
Blatt, welches unter den Zeitungslesern nur „das
preussische Reptil" genannt wird, vom Ministerium
den bayerischen Behörden zum Abonnement empfoh-
len wird."
Der Abgeordnete Dr. Schädler sagte Ende Januar
1903 am Delegirtentag der Gentrumspartei in München
unter anderem Folgendes : „Meine Herren ! Wir haben
dem Ministerium unser Misstrauen erklärt, das Miss-
trauen unserer Wähler, des katholischen Volkes im Lande.
Und in diesen Tagen, mit Stolz kann ich es konstatiren,
haben wir den Beweis dafür erhalten, dass unsere Wähler
im ganzen Lande mit Begeisterung zu uns stehen, dass
sie mit uns eins sind in diesem Misstrauen, in der
Vergangenheit und für die Zukunft, Würden die hohen
Herren einmal herumhören im Volke, so könnten sie
erfahren, dass nicht bloss die Herren Dalier, Hebel,
Schädler, Pichler, lauter geistliche Herren, wie es in
einem liberalen Blatte hiess, sich zum Mundwalt der
kochenden Volksseele gemacht haben, sie würden sich
überzeugen, dass die Volksseele nicht bloss kocht,
sondern dass sie am Ueberschäumen ist Uiid all die
Bitterkeit und all der Schmerz, der sich seit weit
über ein Decennium hinaus aufgehäuft darüber, dass
in einem zu zwei Dritteln katholischen Lande der
katholische Theil systematisch auf allen Gebieten zu-
rückgesetzt, als quantite negligeable behandelt wird,
diese Bitterkeit und dieser Groll ist aufgekocht und
das Volk ruft energisch: Bis hieher und nicht weiter!
425
Und es fordert seine Vertreter auf, dem durch die
That Ausdruck zu geben. Und das, meine Herren, das
soll der sanfte Wind sein, der vom blauen Himmel
weht? Was hat sich denn geändert eigentlich seit
Schluss des Landtags? Im wesentlichen gar nichts!
Ist denn die Entscheidung, die bezüglich der Schule
in Weissenburg getroffen wurde, eine Koncession an
uns? Betrachtet man e3 vielleicht schon als eine
solche, dass ein bestehendes Gesetz nicht gedreht und
gewendet wird gegen uns? Oder ist vielleicht die
Ernennung eines neuen Justizministers eine Konces-
sion an uns? Dann scheint' es fast, als ob schon der
Besitz eines katholischen Taufscheins bei der Beför-
derung gefährlich werden kann. Hat etwa die Hetze
gegen uns abgenommen im Lande von gewisser Seite ?
Ich glaube, wir werden es auch in sehr naher Zeit
erleben, dass die Klage, dass katholische Gelehrte mit
Absicht hintangesetzt werden, eine neue Bestätigung
finden wird. Und, meine Herren, was soll man denn
dazu sagen, wenn man in Bayern von München aus
einen katholischen Bischof herunterreissen darf, wie
es in der ^Freistatt" geschehen ist, in deren Nr. 4
geredet wird von einem Pöbel in der Soutane!
(Der Redner verliest eine längere Stelle aus diesem
Artikel.) Das Blatt hat sich damit als eine Freistatt
der Gemeinheit erwiesen. Da möchte man doch fragen,
ob man nicht von München aus einmal den Hebel
ansetzen sollte; das wäre doch angezeigter, als dass
man es gegen unseren Kollegen Hebel gethan hat.
Nicht zu vergessen, wie in der dem Ministerium oder
besser einzelnen Ministern nahestehenden Presse gegen
einzelne Abgeordnete scharfgemacht wird und sie zu
diskreditiren gesucht werden, die auf sich wohl mit
mehr Recht als die Schreiber in der Preussenfiliale
an der Bayerstrasse das Wort des Königs Jakob an-
wenden dürfen an Archibald Douglas: Der ist in
tiefster Seele treu, der die Heimat so liebt wie du.
Meine Herren! Wohin kommen wir, wenn wir die
Kaiseridee fassen nach der Anschauung des Volkes?
Welches Volk ist denn da gemeint? Gehören wir
nicht auch noch dazu? (Zuruf: „F moa' do' scho' !"
Grosse Heiterkeit) Wie nun, wenn vielleicht die Kaiser-
426
idee im Sinne des Volkes sich dahin entwickeln würde
im Laufe der Jahre, dass auch die Abrundung dazu
gehörte, dass es vielleicht besser wäre, wenn etwa
auch Bayern das Schicksal von Hannover theilte.
Meine Herren! Man hat uns heute ein Bouquett dar-
gebracht in der Mittheilung der „Münchener Neuesten
Nachrichten", wonach sie erfahren haben, dass der
Prinz-Regent sich mit besonderer Freude und Aner-
kennung über die Rede des Reichskanzlers geäussert
und dass er den Ministerpräsidenten beauftragt habe,
den hiesigen preussischen Gesandten davon in Kenntnis
zu setzen. Meine Herren ! Wir anerkennen aus vollem
Herzen die edle Ritterlichkeit des Regenten, der dem
Mitverbündeten Verlegenheiten erspart. Wir haben
diese nicht zu üben; wohl aber stehen wir da als
Vertreter der bayerischen Rechte gegen Ansprüche»
von woher sie auch kommen mögen. Und in diesem
Sinne sage ich: Wir schützen das Haus Witteisbach
und seinen Regenten gegen diese Kaiseridee! Einzig
und allein gibt es für uns die Kaiseridee, nicht wie
sie in Bülow's Kopf sich ausmalt, sondern wie sie
Artikel 11 der Reichsverfassung klipp und klar aus-
spricht: als Präsidium unter den Gleichen."
Der bekannte Wiener Schriftsteller Houston Ste-
wart Ghambarlain, der Konfession nach offenbar ein
Protestant, sagt in der Vorrede seines Werkes „Die
Grundlagen des 19. Jahrhunderts": „Ein ganz anderes
Gebilde ist „Romu. Es ist das imperium romanum
in seiner letzten und verhängnissvollsten Gestalt; der
Geist des grossen Reiches ohne dessen Leib; eine
ausschliesslich politische und — wohl betrachtet —
durchaus unreligiöse Gewalt, die den religiösen Wahn
nur grosszieht, um ihn seinen Zwecken dienstbar zu
machen. Es ist nicht nur erlaubt, eine solche Macht
als eine politische zu kennzeichnen, vielmehr müssen
wir einsehen lernen, dass hier gleichsam die Quint-
essenz aller Politik in die Erscheinung tritt. Das ja
gerade ist es, was sie so gefährlich macht; denn
aberall anderswo ist alle Politik nichts weiter als
ein System von ewig erneuten Kompromissen zwischen
den Bedürfnissen gewisser Gruppen lebender, arbei-
tender Menschen und den Bedürfnissen änderer Grup-
427
pen eben solcher Menschen; überall und immer ist
Politik ein Mittel, nicht ein Ziel, ein ewiges Ungefähr
nie eine Doktrin; sie ist gleichsam ein unvermeid-
liches Uebel und findet ihre Rechtfertigung nur in
ihren nichtpolitischen Erfolgen. Born dagegen — das
"heutige Rom — ist abstrakte, absolute Politik, Politik
als Selbstzweck, Die Givitas Dei, mit dem Papst an
der Spitze als unumschränktem Gebieter, ist ein
Ideal; es wächst nicht aus thatsächlichen, praktisch
gegebenen Verhältnissen heraus, sondern soll von
oben her diesen Verhältnissen aufgezwungen werden ;
kurz, es ist nicht Leben, sondern Lehre. Und Das
heisst nichts Anderes als absolute Politik. Von Be-
dürfnissen, denen diese Politik dienen sollte, kann
keine Rede sein; die Männer, die sie betreiben,
entsagen — mehr oder weniger -— aller völkischen
Gemeinschaft und treten sogar aus der Familie aus;
mit anderen Worten: sie scheiden aus der mensch-
lichen Gesellschaft; folglich existirt für sie die un-
erlässliche Politik der praktischen Bedürfnisse nicht
mehr, sondern sie sind frei, das eine grosse, doch
sonst allseitig bedingte Werkzeug aller Politik — die
Gewalt — als deren Zweck zu erfassen und sich
diesem einen Zweck — der Allgewalt — ungetheilt
zu widmen. Und je reiner und uneigennütziger —
uneigennützig, meine ich, im Sinii weltlicher Genüsse
— eine solche Politik, um so gefährlicher ist sie für
die Staaten. Die Berechtigung aller praktischen Po-
litik und die Entschuldigung für die Gewaltsamkeiten
zu denen sie häufig greifen muss, ist gerade, dass
materielle Vortheile auf dem Spiel stehen und dass
die Völker, wie die Einzelnen, eine materielle Grund-
lage nicht entbehren können ; das ideale Element des
Lebens muss das Volk aus anderen Quellen speisen,
die Politik dagegen kann gar nicht zu ausschliesslich
„real" sein. Hingegen greift eine Politik wie die
Roms um so tiefer in das Leben der Völker ein, je
abstrakter und reiner sie ist ; hier ist Logik, was bei
den Staaten Kanonen sind; und je selbstloser und
sittenreiner die führenden Männer, um so fanatischer
werden sie auf das Ziel losgehen. Ein Papst, der
Maitressen hält und Künstler beschäftigt, ist hannlos
428
gegenüber dem milden Greis, der jetzt auf dem Thron
sitzt. Es liegt auf der Hand, dass eine politische
Macht dieser Art die Schwächung und endliche Ver-
nichtung jedes Staatwesens unausgesetzt betreiben
muss ; hier nützen selbst die besten Absichten — wo
solche vorhanden sind — nichts, denn die Logik der
Situation ist stärker als der stärkste Einzelwille. Es
ist nur konsequent, wenn das katholische Staats-
lexikon die Bildung der europäischen Nationalstaaten
als einen „Zerfall der Christenheit" beklagt. Treitschke
bemerkt: „Die katholische Kirche nimmt immer Partei
für die Sprache der geringeren Kultur"; wir sehen
es in diesem Augenblick in Posen, wo Rom das
ganze Gewicht seines Einflusses in die Wagschale
des Polenthumes wirft, — hier, wo es die schönste
Gelegenheit hätte, sich als staaterhaltend zu erweisen,
wenn es das wäre; wir sehen es in Böhmen, wo
Rom rein deutsche Gegenden mit tschechischen
Pfarrern überfluthet und so die mächtigste Förderin
der Entdeutschung wird; wir sehen es in Irland, wo
Rom allein das für heutige Verhältnisse völlig nutz-
lose keltische Idiom am Leben erhält und von der
Kanzel herab die „Teufelsprache" der Engländer ver-
flucht ; wir sehen es in der Bretagne, wo die Ordens-
schulen so viel wie irgend möglich die französische
Sprache unterdrücken und wo selbst in Städten,
deren Einwohner zum grossen Theil nur französisch
verstehen, dennoch vielfach ausschliesslich bretonisch
gepredigt wird. Das kann aber gar nicht anders sein
und man darf mit apodiktischer Gewissheit behaupten,
dass, was wir bei den Sprachen deutlich erblicken,
auf jedem einzelnen Gebiet des Lebens in genau der-
selben Weise geschieht und dass Rom ausnahmslos
Das thut, Das züchtet, Das fördert, was den Staat
— als solchen — schwächt. Dazu ist ja Rom da.
Das ist seine raison d'Stre; und wenn es heute sein
politisches Ideal aufgäbe, so wäre es morgen ver-
schwunden; denn Religion an und für sich bedarf
solcher gewaltigen Zurüstungen nicht; im Gegentheil."
Man beachte doch diese Schreibweise. Jeder
Satz ist ein protestantischer frecher Schwindl, nichts
wird bewiesen, alles frech nur behauptet, ganz nach
429
Judenart. Wo steht geschrieben, dass das päpstliche
Rom eine auschliesslich politische Gewalt sei? Das
schreiben die Protestanten, den Beweis bleiben sie
schuldig. Dass die katholische Kirche die kleineren
Nationen und ihre Sprache achtet, ist nur ein Beleg
ihrer göttlichen Sendung, wie ja der göttliche Heiland
mit Vorliebe die Schwachen und Unterdrückten zu
sich rief und aufsuchte. Dann sagt Herr Charaber-
lain in der Vorrede noch folgende Liebenswürdigkeit.
Der gewaltigen Erscheinung der römischen Hier-
archie gegenüber achtlos, skeptisch, gleichgiltig, in
blasser Sympathie oder blasser Antipathie — wie
Millionen von Protestanten und Katholiken — zu ver-
harren : Das kann nur Blindheit oder geistige Schwäche
erklären. Wer dagegen erkennt, was hier vorgeht und
wie hier die Zukunft der ganzen Menschheit, insbe-
dere aber die Zukunft alles Germanenthumes auf
dem Spiele steht, hat nur die eine Wahl: entweder
Rom zu dienen oder Rom zu bekämpfen; abseits zu
bleiben, ist ehrlos. Grundlegend ist aber hierbei
die Erkenntnis, dass man Rom, diese rein politi-
sche Macht, der auch einzig politisch beizukommen
ist, bekämpfen kann, ohne darum die katholische
Religion zu bekämpfen; im Gegen theil: indem man
ihr selbst angehört oder ihr herzliche Sympathie ent-
gegenbringt und fühlt, die Welt wäre ärmer ■— auch
ärmer an Hoffnungen für die Zukunft, — wenn sie
nicht wäre. Nicht auf Worte kommt es uns an, sondern
auf Dinge, auch nicht auf Theorien über Das, was
sein müsste, sondern auf die Thatsachen, wie sie
sind. „Römisch" und „Katholisch" sollten — nach
den Lehren der Hierarchie — das Selbe sein; sie
sind es aber nicht ; darum unterscheiden wir sie. Ich
schliesse mit einem oft gehörten, doch nie zu oft wieder-
holten Worte Kant's : „Das Reich Gottes auf Erden :
Das ist die letzte Bestimmung, des Menschen Wunsch.
Dein Reich komme! Christus hat es herbeigerückt;
aber man hat ihn nicht verstanden und das Reich
der Priester errichtet, nicht das Gottes in uns. Im
ganzen Weltall sind tausend Jahre ein Tag. Wir
müssen geduldig an diesem Unternehmen arbeiten
und warten." Auf uns machen diese anscheinend
430
frommen protestantischen Phrasen keinen Eindruck
und können wir uns mit ihnen nicht eingehend be-
fassen. Die Geschichte der Völker lenkt die göttliche
Vorsehung, daran glauben wir fest. Hat auch die
katholische Kirche grosse Verluste erlitten, kann sie
wieder bei anderen Völkern willige Aufnahme finden.
Ob jemals die Zukunftspläne des deutschen Protestan-
tismus in Erfüllung gehn werden, ob das Alldeutsch-
thum von der Ost-See und Nord-See über ganz Oester-
reich bis hinab in die sonnigen Gestade des Bosporus
und Salonichi hinreichen wird, darüber werden wir
uns den Kopf nicht zerbrechen. Die angegriffenen
Völker werden sich wehren und der Sieg wird doch
der gerechten Sache zufallen. Hoffen wir, dass Preussen-
Deutschland seinen friedlichen Nachbar Oesterreich-
Ungarn nicht verschlingen wird, wie sehr es auch die
Pastoren wünschen.
XXV. Die Früchte des Nationalitätenhaders. Vor-
gänge bei der Volkszählung.
Das Leben ist für die meisten Menschen eine
ununterbrochene Kette von Sorgen um das tägliche
Brot. Millionen Menschen gehn an diesen Sorgen vor-
zeitig zu Grunde, ihre Lebensdauer wird durch un-
genügende Nahrung und Entkräftung abgekürzt. Je
grösser die Lebenssorgen, je furchtbarer die Kämpfe
um das Brot, je schrecklicher der Konkurrenzkampf
der Hungernden und Nahrungsuchenden, desto mehr
wächst die Bürde, und die Verachtung des Lebens, es
mehren sich die Selbstmorde. Je rücksichtsloser die
Menschen gegeneinander werden, desto mehr wächst
die Verbitterung der Gemüther, der Krieg aller gegen
alle verbreitet sich, der Bruder verräth den Bruder,
das eigene Blut wird nicht geschont, alles wird
käuflich. Man findet wohl nirgends auf der Welt die
Lebensverachtung so allgemein verbreitet wie in Japan,
China und Ostindien, besonders wenn die Reisernte
missrathet und Hungersnoth einbricht. Diese heidni-
schen Völker mit der grausamen Mandarinen- und
Brahmanenherrschaft kennen weder Gerechtigkeit
noch Nächstenliebe, hier herrscht überall das kalte
Recht des Stärkeren, das Recht der oberen Kasten.
431
Darum finden wir massenhaft den Selbstmord vor,
die Lebensverachtung, das Harakiri. Unter den christ-
lichen Völkern hat die christliche Religion die Men-
schen gelehrt das Leben zu lieben und dem notlei-
denden Mitmenschen nach Kräften in seiner Noth bei-
zustehen. Aber je mehr die sociale Noth wächst, die
Menschen sich mehren, die Erwerbsverhältnisse immer
schwieriger werden, der Reichthum einiger Weniger
meist Juden zum wahnsinnigen Luxus und bestiali-
sche Hartherzigkeit zur Noth Anderer sich breit
machen, schwinden mehr und mehr die Grundsätze
der christlichen Nächstenliebe, es verbreitet sich der
Krieg der Individuen gegeneinander, von denen viele
glauben, wenn sie den Nachbar zu Grunde richten,
sich selbst einen guten Dienst zu erweisen. Unter
diesen Umstanden gewinnt auch der Nationalitäten-
hader einen fast revolutionären und bestialischen
Charakter.
Wenn in Oesterreich für den Loskauf der Neger-
sklaven in Afrika milde Gaben gesammelt werden,
so möge doch nicht vergessen werden, dass zürn
Beispiel in Ried und anderen Ortschaften Nieder-
Oesterreichs auch Märkte gehalten werden, arme böh-
mische Kinder verdingen sich da als landwirtschaft-
liches Gesinde. Was kostet der Böhm? So fragen die
Bauern die Vermittler. Was könnte ein böhmischer
Lehrling erzählen, der in einer Werkstätte in Wien
seine Leidensjahre durchmacht, der nicht anders be-
nannt wird als der böhmische Sau- und Dickschädel
und der mit ungezählten Schlägen und Misshandlungen
Vorlieb nehmen muss. Man braucht nicht nach Afrika
zu gehen, wir haben zu Hause Sklaverei mehr als
genug. Am 6. Juli 1902 war im Gasthaus des Eduard
Hörnig in BlaZim bei Postelberg eine Tanzunterhaltung.
Es kamen auch hin 4 Dragonersoldaten Jelinek, Mi-
kulä§, SafaHk und Derfl. Gegen 7 Uhr Abends bei
einer Pause fiengen die Dragoner ein böhmisches
Soldatenlied an zu singen. Das brachte die anwesen-
den Deutschen so in Wuth, dass sie die Dragoner,
welche ihre Seitenwaffe abgelegt hatten, umzingelten
und den Dragoner Jelinek in den Hofraum schleppten.
Dort versetzte ihm Anton Schweiger einen Schlag
432
mit einer 3 m langen Wagendeichsel und erschlug ihn»
Jelinek starb am 7. Juli zu Mittag, nachdem er infolge
des Schlages das Bewusstsein verlor und bewusst-
los auch blieb. Am 19. September wurde Ant. Schweiger
von den Geschworenen in Brfix für unschuldig erklärt
und freigelassen. Sein Vertheidiger der Advokat Jude
Kornfeld bezeichnete ganz ungestraft die Aussagen
böhmischer Zeugen als unglaubwürdig, wegen der
Nationalitätsangehörigkeit zum Ermordeten. Ende
September 1902 veröffentlichte die berüchtigte „Brüxer
Zeitung" (Nr. T9) folgende Aufforderung an die Deut-
schen in Brüx: Dem Einwandern von Angehörigen
böhmischer Nationalität muss Einhalt gethan werden.
Angehörigen böhmischer Nationalität soll nicht
gestattet werden, dass sie sich in Brüx dauernd nieder-
lassen, dass sie Häuser erwerben. Gewerbetreibende
und Handwerksgesellen sollen aus dem deutschen
Reiche berufen werden, um die böhmischen Arbeits-
kräfte zu verdrängen. Ueber diese Arbeitskräfte soll
ein Evidenzkataster geführt werden. Eine Dienstver-
mittlung für Deutsche soll gegründet werden, damit
böhmische Dienstboten, Arbeiter, Gesellen, Gewerbe-
treibende, Eisenbahnbedienstete und Staatsbeamte
verdrängt werden." Derartige Aufforderungen bringen
deutschnationalle Blätter in Böhmen fortwährend.
„Gablonzer Tagblatt" veröffentlichte Anfangs Oktober
1902 (in Nr. 2ö0) die Namen böhmischer Eisenbahn-
angestellten auf der Gablonzer Linie, darauf meldeten
sich bei der Cent ralle ihm g in Prag diese Angestellten
zur deutschen Nationalität aus Angst, dass sie nicht
brodlos werden. In Dux Hess der Bürgermeister
Franzel alle Grabsteine mit böhmischen Inschriften
demolieren. Das Grab der Tochter des Lehrers der
Duxer böhmischen Schule wurde verwüstet nebst
anderen Gräben, wo böhmische Grabsteine waren. In
Ervönic bei Brüx erschoss der Wachmann Rieger am
Gemeindeplatz einen Bergmann. Rieger ging straflos
aus, der Bergmann war ein Böhme. Der Gemeinde-
rath in Ladowitz bei Brüx, dann der Gemeinderath in
Karbitz affichierte die Bekanntmachung, dass auf dem
Friedhofe nur deutsche Inschriften geduldet werden.
Aus den Textilfabriken Liebigs werden von schöneriani-
433
sehen Beamten böhmische Arbeiter entlassen, wenn
sie nicht ihre Kinder in deutsche Schulen senden
wollen. Johann Hilger war in der Fabrik in Eisen-
brod seit dem Jahr 1867 beschäftigt, nach 35 Jahren
ist er entlassen worden. In Hainspach war im Thun-
schen Brauhause der Obermälzer Prochazka angestellt.
Er diente hier zur vollen Zufriedenheit 10 Jahre. Im
J. 1897 kam Wolf nach Hainspach und wurde beim
Braumeister bewirtet. Bei dieser Gelegenheit forderte
Wolf den Braumeister auf, keine böhmischen Mälzer
und Arbeiter zu beschäftigen.
Daraufhin bekam der Obermälzer Prochazka die
Kündigung; trotzdem dass er Vater einer zahlreichen
Familie war, ist er ins Elend hinaus gestossen worden.
Es wird auf allen Linien ein Vernichtungs-Kampf ge-
führt, der an Grausamkeit nichts zu wünschen übrig
lässt. Das alldeutsche „Gablonzer Tagblatt", alldeutsche
Zeitung für die Provinz Böhmen, wie es im Kopf des
Blattes gedruckt steht, schreibt am 23. Lenzmond 1902:
Deutscher Hausfrauen- Verein. Derselbe hielt am Frei-
tag Nachmittags unter Leitung der Obmännin Frau
Adelheid Rössler seine Jahreshauptversammlung ab»
Dem Berichte der Schriftführerin Frau Lilie sei Fol-
gendes entnommen: Der Verein kann mit den im
letzten Geschäftsjahre erzielten Erfolgen zufrieden sein.
Es wurden von der deutschen Dienstboten-Herberge
120 deutsche Mädchen herangezogen, 265 Vermittelun-
gen abgeschlossen und 455 Posten in Vormerk ge-
nommen. Seit dem Jahre 1898 sind durch Vermittelung
des Vereines 620 deutsche Mädchen von auswärts
nach Gablonz in Dienst gebracht worden. Mit jeder
derselben sei ein Stück nationaler Arbeit thatsächlich
geleistet und eine tschechische überflüssig gemacht
worden. Kein anderer der örtlichen nationalen Schutz-
vereine leiste das Gleiche, und doch werde keiner
mehr benörgelt und missachtet, als der Hausfrauen-
Verein. Es könne nicht genug betont werden, dass
der Verein besonders die Deutscherhaltung des hei-
mischen Gewerbes fördere. Hunderte von deutschen
Dienstboten, die der Verein mit Aufwand vieler Mittel
und Arbeit heranziehe, wendeten sich der Haus-
industrie zu, gründeten einen Hausstand und ver-
28
434
mehrten den Grundstock deutscher Familien der
Heimat Von dieser Seite aus werde die Wirksamkeit
des Vereines gar nicht betrachtet" In der Nummer
vom 3. Ostermond 1902 schreibt dasselbe Blatt
Folgendes: „Vom Bunde der Deutschen in Böhmen.
Aus Grünwald wird uns geschrieben: In letzter
Zeit macht der Name „Cilli" viel Staub, so auch
Troppau, Brunn, Budweis. Das Slaventhum sucht mit
Gewalt überall die deutsche Linie zu durchbrechen.
Schritt für Schritt, ohne dass es beachtet wird, ge-
schieht dieses Vordringen fast naturgemäss. Dieses Vor-
dringen aber lässt sich durch den Willen, durch den
festen Willen des Angegriffenen zurückhalten oder
wenigstens doch vermindern. Durch die Gründung
völkischer Schutzvereine ist an manchen Orten das
Vordringen zum Stillstande gebracht worden, manche
gefährdeten Orte sind gerettet worden. Der mächtigste
Schutzverein ist für Böhmen der Bund der Deutschen.
Auch Grünwald besitzt eine Ortsgruppe des Bundes.
Aber leider steht dieselbe nicht auf jener Stufe, auf
welcher sie sollte und könnte. Darüber werden und
können sich unsere Gegner, leider auch Deutsche, nur
freuen. Die Ursachen, warum viele fernbleiben und
sogar austreten, sind mitunter sonderbarer Art Wenn
vielleicht eine missliebige Person im Vereine ist, wenn
vielleicht jemand von einem Mitgliede beleidigt wird,
so kann das doch keine rechte Ursache sein, den
Verein oder die gute deutsche Sache dafür büssen zu
lassen. Viele andere ähnliche Ursachen halten manchen
zurück; vielleicht auch nur angeblich. Möchte sich jeder
vor Augen halten, dass der Bund nicht politisch ist, dass
er nur dem Volke, dem bedrohten und armen Deutschen
dienen soll; möchte jeder bedenken, welche Erfolge der
Bund erreicht hat, Erfolge, welche wir hier nicht wahr-
nehmen, welche aber an der Sprachengrenze (Adlerge-
birge, Trebnitz) erzielt worden sind ; möchte jeder be-
denken, dass die Abwehr der slavischen Gefahr ein
Nutzen für jeden Einzelnen und für seine Nachkommen
ist ! Möchte jeder bedenken, dass der Mitgliedsbeitrag (1 K
20 h) ein sehr geringer ist, dass mit Geld viel erreicht
wird, und daher jeder Deutsche dieses kleine Opfer leiste,
damit die gefährdetsten Orte, denen keine Geldmittel
435
zur Verfügung stehen, gerettet werden. Soll auch
unsere Heimat, unser Ort nicht in Gefahr gerathen,
so heisst es, jetzt schon auf der Hut zu sein. Da gibt
■es nur ein Mittel : Deutsche, unterstützet den deutschen
Arbeiter, den deutschen Handwerker und nehmt in
Eure Familie und Euer Haus nur Deutsche ! Dann
ist kein Feind hier, dann bleibt uns und unseren
Nachkommen ein Kampf erspart, ein recht lästiger
und schädlicher Kampf. Also Deutschgesinnte von
Grünwald! tretet dem Bunde bei und wirkt im Sinne
«des Bundes." Das sind nur kleine Beispiele von der
Art, wie die deutschnationale und alldeutsche Presse
:gegen Angehörige des böhmischen Volkes hetzen.
Die „Politik" schreibt darüber am 24. September 1902
folgendes : Die Spukgeister des Aufruhrs wirken eben
fort in den deutscljen Landen und allüberall herrscht
hier der Obstruktionstrieb, der schon einmal in solcher
Ueberfülle sieghaft war. Am meisten aber ist diese
Willkür im Norden Böhmens zu spüren, der ohnehin
seit jeher ein Gau der Lieblosigkeit und Unduldsam-
keit war. Was hier seit Jahr und Tag das zur Furiosität
aufgestachelte Nationalgefühl gesündigt hat, das hat
in erschreckender Weise den von Griliparzer vorher-
gesagten Entwickelungsgang wahr gemacht: „Vom
Humanismus durch den Nationalismus zum Bestialis-
mus." Es ist ein wahrer Vertilgungskrieg, der hier
wider Alles geführt wird, was böhmisch ist.
Die meisten der Städte im „geschlossenen Sprach-
gebiete" sind böhmischen Ursprunges. Breite Land-
striche weisen noch heute die alten böhmischen Flur-
namen auf. Der grösste Theil des Ackerbodens da-
selbst ist von den böhmischen Ansiedlern urbar ge-
macht worden, die meisten Deutschen, sofern sie
nicht selber böhmischer Abkunft sind, haben es der
Berufung böhmischer Könige zu danken, dass sie
überhaupt ins Land kamen. Und auch heute noch
ist das, was man mit Stolz als deutsche Industrie
bezeichnet, zu nicht geringem Theile ein Ergebniss
böhmischen Fleisses und böhmischer Arbeit. Trotz
Alledem aber werden unsere Minoritäten, die doch
«ine wirtschaftliche Nothwendigkeit und die unerläss-
iiche Ergänzung der deutschen Unternehmerlust dar-
28*
436
stellen, wie entrechtete Eindringlinge, wie enterbter
Parias behandelt Man verkümmert ihnen mit den
brutalsten Mitteln des Boycotts die Geltendmachung
ihrer staatsbürgerlichen Rechte, man verweigert ihnen
das Wort Gottes in der Muttersprache, man will
ihnen sogar das freie Verfügungsrecht über die
eigenen Kinder entreissen, um diese schon im zarte-
sten Alter dem angestammten Volksthum abtrünnig
zu machen. In jüngster Zeit hat sich zu diesem alten
Brauche noch eine ganze Reihe neuer Trics hinzu-
gesellt. In einer Dorfschule ist der Lehrer verdächtig,
ein „Gechenfreund* zu sein, flugs wird ein Schüler-
strike veranstaltet, und kurze Zeit darauf ist der miss-:
liebige Lehrer beseitigt. Ein Kaplan oder Pfarrer gilt
als Böhme; die Gemeinde droht mit dem Abfalle,,
und die Verfügung der kompetenten Instanzen wird
skrupellos umgestossen. In einem besonders strammen
Wetterwinkel beschliessen die deutschen Kleinstädter,
einem zutransferirten böhmischen Beamten Wohnung
und Speisung zu verweigern und seine Vorgesetzten
revociren pünktlich die Ernennung. Die Väter einer
Gemeinde, die eine Bahn erhalten soll, dekretiren,
dass blos Beamte deutscher Nationalität angestellt
werden dürfen, und die Bahnverwaltung sucht dieselben
gehorsamst in allen Ecken und Winkeln Oesterreichs
zusammen. Ein besonders kühner Bürgermeister ver-
bietet die Anbrigungen zweisprachiger Bahninschriften
und es bleibt bei dem angemassten Diktate. Ja, in
einem Orte ging man sogar so weit, dass man vom
Staate das urkundliche Gelübde abverlangte, er werde
nie und nimmer, was auch kommen möge, in den
Gau einen böhmischen Beamten entsenden. Böhmische
Vereine wollen ihr statutarisches Befugniss geselliger
Zusammenkünfte ausüben; irgend ein nationaler
Schriftleiter oder sonst ein müssiger Leuteverhetzer
wiegelt die deutschen Ortsbewohner auf, die Lokal-
blätter bringen Aufrufe, in welchen sie zu Massen-
demonstrationen und förmlicher Anwendung von
Brachialgewalt animiren, und die Behörde schreitet
gegen die böhmischen Festveranstalter ein und ver-
bietet ihnen die Ausübung ihres statutarischen Be-
fugnisses, ihres staatsbürgerlichen Rechtes. Auf der-
437
^anderen Seite aber wird den Deutschen, wie es das
Littauer Exempel zeigt, der Einbruch in böhmische
Städte zu dem eingestandenen Zwecke der Auf-
wühlung des Bürgerfriedens anstandslos gestattet.
Wo immer man hinblicken mag, überall drängt sich
-der Geist der Auflehnung hervor und überall im
deutschen Lager bleibt er sieghaft. Die Obstruktion
und der Triumph, der ihr zutheil wurde, wirken all-
überall in ungeschwächter Kraft nach; sie dringen
in die Städte und Dörfer ein, lösen überall die Bande
■des Rechtes und erfüllen die Bewohner mit Unbot-
mässigkeit und Unverträglichkeit und lassen die Geister
-der Revolte nicht zur Ruhe kommen. Die gouverne-*
mentalen Kreise aber nähren und fördern diese Stim-
mung noch durch die Benevolenz, mit der sie allen
-diesen Aeusserungen des überströmenden deutschen
Kraftgefühles gewähren lassen, und werden dabei gar
nicht inne, dass sie damit sich selber weit mehr
schaden, als uns Böhmen. Die Kapitulation vor der
deutschen Obstruktion hat unserem Volke zwar eine
herbe Enttäuschung gebracht, aber unser Recht wird
und muss über kurz und lang doch wieder zur Geltung
kommen; weit ärger aber wurde der Staat in die
Mitleidenschaft gezogen, denn er wird noch lange
:nicht die Erschütterungen zu überwinden vermögen,
welche diese Beugung seiner Autorität rief. Auch
unsere Minoritäten werden die Drangsale überdauern,
welchen sie jetzt ausgesetzt sind; ja, sie werden da-
durch nur vor Verweichlichung und Entnationalisirung
bewahrt. Aber wohin ein Staatswesen steuert, das
nicht den Willen hat, den sich immer tiefer einnisten-
den Geist der Unbotmässigkeit in einem grossen Theile
-seiner Unterthanen zu bannen, das zu errathen, setzt
wohl keinen allzugrossen Scharfsinn voraus. Eine Re-
gierung, deren Chef sich den Deutschen in einem
harten Veto verschrieb, deren Unterrichtsminister sich
an alldeutschen Redewendungen gefällt, deren Justiz-
minister durch Geheimweisungen die Beamtenschaft
irritirt und deren Eisenbahnminister vor jeder
Aeusserung — deutschen Trotzes zurückweicht: eine
solche Regierung besitzt wohl nicht die Eignung, der
-verkümmerten Staatsautorität wieder zu uneingeengtem
438
Respekte zu verhelfen. Wohin aber steuern wir dann
in Oesterreich ?u
Das stenographische Protokoll wimmelt von An-
trägen alldeutscher und völkischer Abgeordneten*
welche hinzielen auf Vertreibung der Angehörigen
böhmischer Nation. So enthält das stenographische
Protokoll der Sitzung vom 26. Februar 1901 auf Seite
630 Folgendes: „Anfrage der Abgeordneten Dr. Tschan,,
Kittel, Iro, Berger, Johann Laurenz Hofer, Dr. Eisen-
kolb, Eliemann und Genossen an Seine Excellenz den
Herrn Eisenbähnminister. Die k. k. Staatsbahn, Di-
rection Pilsen, Strecke Dux-Pilsen, durchfährt von
Dux bis Scheles in einer Ausdehnung von 100 Km.
lediglich rein deutsches Gebiet. Nichtsdestoweniger
sind alle Stationen mit doppelsprachigen Aufschriften
deutsch und Cechisch versehen und ebenso sind auch*
die von diesen Stationen ausgegebenen Fahrkarten
deutsch und öechisch. In einem geradezu entwürdi-
genden Verhältnisse stehen aber die deutschen Be-?
amten und Diener zu den Gechen, wie nachstehende
Aufzählung darthut:
Orte
Ladowitz .
Bilin . . .
Potscherad
Postelberg
Lischan . .
Saaz . . .
Saaz Heizhaus
Schaboglück
Kaschitz
Podersam
Rudig . .
Kriegern
Petersburg
Pladen .
Scheles .
Im Procenten ausgedrückt sind in diesen rein
deutschen Stationen 18 Procent deutsche und 82
Procent öechische Beamte und 15 Procent deutscher
Beamte
Diener
iutsch
b techische
deutsche
Cechisc
2
4
10
90
3
4
60
40-
—
4
14
8&
1
3
15
85
—
3
—
100»
3
5
15
88-
—
—
11
89
1
2
20
80
—
5
100-
1
4
15
8&
—
3
15
85
—
3
—
100
—
3
33
67
—
4
100
—
3
17
83
439
und 85 Procent cechische Diener angestellt. Warum
in rein deutschen Stationen auch die Diener Gechen
sein müssen, lässt sich nur dadurch erklären, dass
die k. k. Staatsbahn die Cechisirung in diesen rein
deutschen Gebieten systematisch betreibt. Infolge
dieses ganz unqualificirbaren Vorgehens der k. k.
Staatsbahn ist auch das deutsche Volk auf das ärgste
verbittert und- aufgeregt. Es erfolgt deshalb die An-
frage: „„Was gedenkt Seine Excellenz der Herr Eisen-
bahnminister zu veranlassen: 1. Um diesen mit den
bestehenden gesetzlichen Bestimmungen in Wider-
spruch stehenden Zustand der doppelsprachigen
Stationsaufschriften und Fahrkarten zu beseitigen?
2. Um in diesen rein deutschen Stationen dem deut-
schen Volke sein Recht auf deutsche Beamte und
deutsche Diener zu wahren ?uu Wien, 23. Februar 1901.
Dagegen brachte der Abgeordnete Schneider in
der Sitzung vom 20. März 1901 ein anderes Bild zur
Ansicht. Es heisst im stenographischen Protokoll
Seite 1533:
„Interpellation des Abgeordneten Schneider und
Genossen an Seine Excellenz den Herrn Eisenbahn-
minister. Seit der mit 1. Mai 1897 erfolgten Ueber-
nahme der Amtsleitung der Staatsbahndirektion in
Lemberg durch den Direktor Wierzbicki, welcher als
Personalreferenten seine Vertrauten, den bisherigen
Vorstand des Personalbureau Georg Guttmann mit
einigen anderen Beamten mitgebracht hat (der erste
Fall in Oesterreich, wo ein versetzter Chef seine ganze
Clique mitnimmt), wird das jüdische Element im
Personalstande des Staatsbahndirektions-Bezirkes Lem-
berg in erschreckender Weise successive derart ver-
mehrt, dass es nur noch einer kurzen Zeit bedarf,
dass dieses Element alles beherrscht, was aus nach-
folgender Darstellung entnommen werden möge; Es
wurden als Beamtenkandidaten aufgenommen:
im Jahre 1897 1 Jude,
„ „ 1898 10 Juden,
, „ 1899 11 „
„ „ 1900 12 „
Die Kandidaten für niedere Posten werden nicht
in Berücksichtigung gezogen. Die Bevorzugung des
440
jüdischen Elementes tritt bei der Besetzung der Posten
bei der Staatsbahndirektion selbst sehr drastisch her-
vor, und zwar waren bei dieser Direktion beschäftigt :
im Jahre 1896 31 Juden,
» » KKK ■
* * 1898 40 ,
„ „ 1899 42 „
und ist dieser Stand in den letzten Monaten auf 64
gestiegen. Die meisten Juden sind in den kommer-
ziellen und Eontrolbureaux und als Erhebungskom-
missäre beschäftigt (auf fünf Erhebungskommissäre
in Verkehrsangelegenheiten sind vier Juden und nur
ein Christ). Bei der Exekutive sind die Verhältnisse
nicht günstiger ; in der Station Lemberg zum Beispiel
sind unter 58 Beamten 18 Juden beschäftigt (und
zwar gegen jede Vorschrift zwei Brüder Dubsky). Die
sich um Versetzung von einer Station, Dienststelle
oder von einem Status in den anderen zum Zwecke
eines rascheren Fortkommens bewerbenden Juden
werden sofort berücksichtigt. So sind viele Juden von
der Krakauer und Stanislauer Direktion zur Lem-
berger Direktion versetzt worden (in letzterer Zeit
sind zwei solcher Fälle, und zwar die Versetzung des
Bier von Krakau und die des Dubsky von Stanislau
zu verzeichnen). Es bedarf wohl keiner weiteren Er-
örterung, dass das fernere Bestehen der bisherigen
Verhältnisse bei der Staatsbahndirektion Lemberg,
namentlich das Belassen des Personalreferates in den
Händen des Guttmann, welcher das unbeschränkte
Vertrauen seines Chefs in einer für die Verwaltung
äusserst schädlichen Weise missbraucht, unberechen-
bare Folgen nach sich ziehen würde."
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 12.
März 1901 war die Debatte über die Bewilligung des
erhöhten Rekrutenkontingents. Der verstorbene Abge-
ordnete Hofica sagte Folgendes: (Stenogr. Protokoll
12. März 1901, Seite 1245.)
„Seine Excellenz der Herr Landesvertheidigungs-
minister hat die Güte gehabt, uns mitzutheilen, dass
er den sinnwidrigen Erlass, durch den die Gendarmen
in böhmischen Bezirken und Städten gezwungen
441
waren, bei Gericht in rein böhmischen Streitsachen
-deutsch auszusagen, schon aufgehoben hat. Seine Ex-
zellenz hat also festgestellt, dass ich ihm Unrecht
gethan habe, wenn ich diesen Erlass angegriffen habe.
Es ist nun wieder geheim geblieben, dass dieser Er-
lass nun hoffentlich wirklich bereits aufgehoben wurde.
Dagegen ist die Oeflfentlichkeit gedrungen, wie noch
vor kurzem kannibalisch die Gendarmen bestraft
wurden, die sich erlaubten, bei Gericht böhmisch zu
sprechen. Wenn also Seine Excellenz diesen Erlass
aufgehoben hat, so hat er gewiss energisch und human
gehandelt, und ich hoffe, geradeso energisch, wie er
versichert hat, dass er die Dienstsprache zu wahren
verstehe. Aber ich will nun dazu schreiten, thatsäch-
lich zu berichtigen, was uns Seine Excellenz ver-
schwiegen hat. Seine Excellenz hat nämlich mit keinem
Worte davon Erwähnung gethan, in welcher Weise
•die Militärverwaltung bei der Volkszählung eine ganz
sonderbare Politik getrieben hat. Bei uns werden
nämlich die statistischen Ausweise nicht nach der
Umgangssprache, sondern nach der Nationalität ge-
geben, und daraus ergibt sich das etwas seltsame
Schauspiel, dass es in der österreichischen Armee
ungarische und polnische Offiziere, aber keine böh-
mischen, keine slovenischen oder kroatischen Offi-
ziere gibt. Die werden geschmuggelt. Wie das ge-
schieht, das wissen wir alle. Wir haben doch selbst
gedient. Man nimmt den Mann, wenn man sein Grund-
buchsblatt macht, her und fragt ihn, ob er deutsch
kann. Wenn er sagt: Ja, ein wenig deutsch, dann
heisst es, seine Umgangssprache ist deutsch, und in
•der Volkszählung werden auf diese Weise bei rein
böhmischen Regimentern alle Unteroffiziere und Offi-
ziere, ob sie nun Pospischil oder Kratochwill, ob sie
nun Nowak oder Nowotny heiesen, ob sie nun ein
gut böhmisches Herz und eine feste böhmische Zunge
haben — das nützt ihnen nichts, als deutsch einge-
tragen. Es ist das wichtig zu sagen, weil immer
Herren kommen, welche sagen, wir Deutsche zahlen
zwei Drittel aller Steuern in Oesterreich. Mit diesen
zwei Dritteln • ist es gerade so wie mit der Umgangs-
sprache, die dann in Nationalität umgewandelt wird.
442
Die ganzen Nationalitäten verschwinden durch einen
Zähluogsschwinde], der leider auch so energisch beim
Militär betrieben wird, und durch den die öechische
Nation um Tausende und Abertausende braver öechi-
scher Söhne ganz einfach betrogen wird. Ich weiss,
wie zum Beispiel im letzten Jahre bei der letzten
Volkszählung in der Kadettenschule in Prag gezählt
wurde. Da hat man natürlich niemand gefragt. Die
Umgangssprache aller war die deutsche und sind alle
400 Frequentanten als Deutsche eingeschrieben worden.
Meine Herren! Man wundert sich, dass die Leute
jetzt so wenig in die Kadettenschule gehen, denn,
wie Sie wissen, ist jetzt ein grosser Mangel an Fre-
quentanten. Ja, warum denn? Wenn der böhmische
Beamte seinen Sohn in eine Kadettenschule gibt,
dann ist der arme Teufel moralischen Misshandlungen
preisgegeben, und es ist in der Armee gang und gäbet
dass die Kameraden einen solchen Frequentanten als
„Sauböhm" ansprechen. Ja, meine Herren, das ist
aber etwas Erlaubtes, das ist nämlich keine Beleidi-
gung, und der Beschimpfte kann nicht zum Rapport
gehen und gehorsamst melden, er sei von dem und
dem „Sauböhm u geschimpft worden. Da sagt ihm
sogleich der Oberlieutenant: „Sind Sie denn kein
Sauböhm? Ist denn das eine Beleidigung?" Das
mochte im Mittelalter geschehen oder vielleicht noch
in vormärzlicher Zeit, wo der adelige Offizier da war*
der schnell vorwärts gekommen ist, und der dienst-
leistende Offizier, der arme Teufel, der als Koch an^
gefangen hat und endlich mit 60 Jahren Hauptmann
geworden ist."
Am schrecklichsten entbrennen die nationalen
Leidenschaften in Oesterreich und zwar auf allen
Seiten im Norden und Süden der Monarchie während
d^r Volkszählung. Ueber diese Vorgänge entspann
sich im Abgeordnetenhause am 20. März 1901 eine
eingehende Debatte, die wir wiederzugehen uns leider
versagen müssen aus Raummangel. Wir führen hier
nur an einige Interpellationen und zwar nach dem
stenographischen Protokoll der 12. Sitzung der XV1L
Session vom 27. Februar 1901, Seite 681 : . „Interpel-
lation der Abgeordneten Silen?, Dr. Kurz, Wenzel
443
Hruby und Genossen an Seine Excellenz den Herrn
Minister des Innern in Angelegenheit der Volkszäh-
lung in Znaim und in Selletitz bei Znaim. Auch in
Znaim wurde die letzte Volkszählung am 31. De-
zember 1900 derart durchgeführt, dass das Resultat
derselben nicht richtig sein kann und dass diese
Volkszählung ungiltig ist. Dieselbe wurde etwa unter
solchen Umständen durchgeführt, wie in der! übrigen
Orten mit (böhmischen) Minoritäten unter dem gegen
das böhmische Volk ausgeübten deutschen Terro-
rismus. Diese Volkszählung hat die Stadtgemeinde
Znaim nicht durch ihre „amtlichen"1 Zählungskom-
missäre vorgenommen, sondern die Zählungsbogen
wurden in den Häusern vertheilt und zwar aus dem
Grunde, weil diese Zählungskommissäre denn doch
für die „deutsche Umgangssprache" nicht so frei
wirken konnten, als wenn die Bogen an die einzelnen
Parteien zur Vertheilung gelangen. Durch die Zeitun-
gen wurde allerdings bekanntgegeben und dann durch
besondere gedruckte Girkulare den Hausherren strenge
aufgetragen, dafür zu sorgen, dass den in ihren Häu-
sern wohnenden Parteien niemand die Zählungsbogen
ausfülle, als entweder der Hausherr selbst oder die
anlässlich der Volkszählung von der Gemeinde be-
orderten Vertrauensmänner, welche jedermann mit
Rath behilflich sein werden. Und diese Vertrauens-
männer haben in böhmischen Familien gehörig ge-
wüthet. Vor der Volkszählung schrieben die hiesigen
Zeitungsblätter, insbesondere das „Znaimer Tagblatt"
(welches dem preussischen Staatsangehörigen Karl
Bornemann gehört, der, obwohl er das Druckerge-
werbe nicht erlernt hat, trotzdem eine Druckereikon-
cession besitzt), dass alle in Znaim lebenden Böhmen
als Deutsche angemeldet werden müssen und dass
jedermann, der Einfluss und Macht besitzt, einen
jeden Böhmen als Deutschen anmelden müsse. Des-
gleichen hat der Verein „Eiche" Plakate affichirt,.
womit alle Deutschen aufgefordert wurden, ihre Pflicht
zu thun und alles als deutsch anzumelden. Obwohl
dieses Beginnen eine Aufforderung zu gesetzwidrigen
Handlungen involvirte, hat der Staatsanwalt dennoch
die Konfiskation nicht verfügt. Der Hergang bei der
444
Volkszählung war nun folgender : 1. Zahlreiche Haus-
herren deutscher Nationalität haben die Zahlungs-
höhen ihren böhmischen Miethsparteien gar nicht zur
Ausfüllung übergeben, sondern von denselben bloss
die erforderlichen Dokumente (Tauf- und Heimat-
scheine, Matrikenauszüge etc.) eingeholt, selbst aber
die Bogen ausgefüllt, ohne in die letzteren ihren
Miethsparteien Einsicht zu gewähren, indem sie vorher
die nicht ausgefüllten Bogen von ihnen fertigen Hessen
oder aber nicht einmal dieses thaten. Der Feldwebel
Slavik des 99. Regimentes in Znaim hat in seinem
Hause in Znaim elf Miethsparteien. Die Zählungsbogen
hat derselbe diesen Miethsparteien gar nicht ausgefolgt,
sondern erst als sie der Wachmann sammeln kam,
hat dieselben entweder er selbst ausgefüllt oder der
Wachmann und zwar mit der deutschen Umgangs-
sprache, obwohl dies grösstenteils böhmische Par-
teien sind ; erst nachher Hess er die Bogen durch die
Parteien fertigen. Ein Hausherr, namens Gandl, hat,
als ihm ein Miether den Bogen böhmisch ausgefüllt
hat, in seiner Wuth den Bogen in den Ofen geworfen
und angeordnet, dass, wenn der betreffende Miether
den zweiten Bogen nicht deutsch ausfüllt, derselbe
sofort die Wohnung verlassen müsse. Ein anderer,
Herr Habrdle, Hausbesitzer auf dem Ringplatze, hat
den Miethsparteien gleichfalls alle böhmisch ausge-
füllten Bogen zurückgestellt. Herr Hosinsfy, Sattler,
hat seinen Leuten die Bogen gleichfalls gar nicht vor-
gelegt und Hess sie bloss unterfertigen. Als die letz-
teren dagegen protestirten, sagte er: „Gut, wenn Ihr
die Bogen böhmisch ausgefüllt haben wollt, so packet
Euch gleich aus dem Hause !u Auf diese und ähnliche Art
wurden sehr viele böhmische Bewohner durch die
Wuth der deutschen Hetzer dazu gebracht, dass sie
nachgegeben haben, indem sie sich zur deutschen
Umgangssprache anmeldeten. Welchen Werth hat
dann eine solche „Volkszählung"? 2. Andere Haus-
herren stellten ihren Miethsp'arteien die böhmisch aus-
gefüllten Zählungsbogen zurück, indem sie erklärten,
es sei nicht gestattet, die Bogen böhmisch auszu-
füllen, noch auch die böhmische Umgangssprache an-
zugeben, da — wie sie hinzufügten — jedermann,
445
der sich zur böhmischen und nicht zur deutschen:
Umgangssprache bekennen würde, aus Znaim abge-
schoben werden wird. Böhmisch ausgefüllte Zählungs-
bogen wurden von den Hausherren zerrissen und
verbrannt, den Miethsparteien aber neue, deutsch aus-
gefüllte Bogen (mit der deutschen Umgangssprache)
neuerdings zur Unterschrift vorgelegt. Diesem Terro-
rismus unterlagen zahlreiche böhmische Arbeiter- und
Handwerkerfamilien, wenn sie auch kein Wort deutsch
gekannt haben. 3. Als die böhmischen Parteien (böh-
mische und deutsche Hausherren) die Zählungsbogen
am Rathhause abgegeben haben, wurden die betref-
fenden Familien von den Vertrauensmännern der Ge-
meinde (insbesondere Fleischhacker, Säckel und an-
dere) überlaufen, welche deutsche Abschriften der
ursprünglich böhmisch und mit der böhmischen Um-
gangssprache ausgefüllten Zählungsbogen mitbrachten,,
in denen jedoch die deutsche Umgangssprache ein-
getragen war, und verlangten von den böhmischen
Parteien, ja zwangen dieselben, diese Bogen zu unter-
fertigen, weil ihre bei der Gemeinde abgegebenen
Zählungsbogen unrichtig und ungiltig seien, sie aber
von der Gemeinde entsendet worden seien, diese
neuen korrekten Bogen unterfertigen zu lassen. Unter
diesen Leuten, die so manipulirt haben, befanden
sich auch städtische Wachleute (wie Smejkal und
der Gemeindebeamte Haase). Die Gemeiridebeamten
hatten zu diesem Zwecke Amtsferien. Diese Aktion
hatte auf das Zählungsresultat einen bedeutenden
Einfluss, obwohl hiezu kein Grund vorhanden war,
denn die böhmisch ausgefüllten Bogen waren richtigt
da dieselben von drei böhmischen Kommissionen aus-
gefüllt worden sind, welche in verschiedenen Stadt-
theilen errichtet und mit genauen Instruktionen ver-
sehen waren. Die böhmisch und mit der böhmischen
Umgangssprache ausgefüllten Zählungsbogen, welche
bei der Gemeinde abgegeben worden sind, wurden
beim Polizeiamte von Polizisten in deutsche umge-
schrieben, wobei auch die böhmische Umgangssprache
in die deutsche umgewandelt wurde. Diese Bogen
wurden sodann von den Polizisten und sonstigen
Agenten zur Unterschrift mit dem Bemerken ausge-
446
tragen, dass die ursprunglichen Bogen unkorrekt ge-
wesen seien. Belege dieser Unkorrektheiten befinden
sich in den Händen der Vertreter der böhmischen
Bevölkerung. Die weitaus meisten Arbeitgeber haben
ihre Angestellten als Deutsche angemeldet, wenn sie
auch kein Wort deutsch gekannt haben. Solcher An-
gestellten gibt es in Znaim etwa 90 Percent Böhmen —
ganz abgesehen von den Dienstmädchen. Als ein
markanter Fall wird bloss angeführt, dass der Bau-
meister Schweighofer die Familien der bei ihm in der
Ziegelei beschäftigten Leute, 135 Personen an der
Zahl, als Deutsche angemeldet hat, obwohl von ihnen
niemand deutsch kann und er selbst mit ihnen böh-
misch sprechen muss. 4. In denjenigen Stadttheilen,
wo namentlich die ärmere Arbeiterklasse wohnt,
wurde durch Gemeindewachleute und andere Per-
sonen verkündigt, dass jedermann, der sich nicht zu
den Deutschen melden wird, ausgewiesen werden
wird."
Auf Seite 683 desselben Protokolls steht fol-
gende Interpellation:
„Interpellation der Abgeordneten Dr. Kurz, Dr.
Sileny und Wenzel Hrub^ und Genossen an Seine
Excellenz den Herrn Ministerpräsidenten als Leiter
des Ministeriums des Innern.
Bei der diesjährigen Volkszählung in Budweis
wurden seitens der hiesigen Deutschen solche Unkor-
rektheiten verübt und eine derartige Pression auf nur
halbwegs abhängige Gechen ausgeübt, dass die bei
der Volkszählung erhobenen Daten gänzlich unrichtig
sind, und wenigstens, was die Umgangssprache be-
trifft, der Wahrheit und den thatsächlichen Verhält-
nissen der Bevölkerung in Budweis ganz und gar
nicht entsprechen. Da die Deutschen in Budweis
sahen, dass ihre Zahl sich fortwährend vermindert
und daher mit Recht besorgten, dass die eben durch-
zuführende Volkszählung ihre Schwäche im richtigen
Lichte zeigen wird, so wendeten sie alle Mittel an,
um die grösstmögliche Zahl von Cechen auf Deutsche
umzuschreiben. Zu diesem Behufe scheuten sie weder
Gewalt noch Betrug, ja ihre Zutreiber fürchteten und
schämten sich nicht, selbst als gemeine Diebe in die
447
AVohnungen der Cechen einzubrechen, daselbst den
Zählungsbogen ohne Wissen des Wohnungsinhabers
zu stehlen und, unrichtig ausgefüllt, dann abzugeben.
Es klingt dies zwar unglaublich, nichtsdestoweniger
ereignete es sich so im Hause Nr.-C. 31./UL in der
Klaudiusgasse, woselbst in die Wohnung einer ge-
wissen Katharina J. der städtische „Fleischrevisor"
Winkler mit dem Hausherrn Ed. Bayer eindrang, in
ihrer Abwesenheit aus dem Koffer ihren Zählungs-
bogen zugleich mit dem Zählungsbogen des Jak. Mayer,
Gemeindestrassenkehrers, nahm und ohne Wissen und
gegen den Willen dieser Personen die Bogen deutsch
ausfüllte und abgab. Der eben erwähnte Mayer wurde
später, als er verlangte, mit böhmischer Umgangs-
sprache eingeschrieben zu werden, aus den Gemeinde-
diensten entlassen. Der Gemeinde Budweis gebührt
allerdings an allen verübten Inkorrektheiten der Lö-
wenantheil, denn sie übte an ihren Angestellten und
an nur halbwegs von der Gemeinde abhängigen Leuten
die unmoralischeste Gewalt. Nicht nur die Gemeinde-
wachmänner in Givilkleidung, sondern auch eine ganze
Meute sogenannter „ Meerschweinchen" — von der
Gemeinde gezahlten Agitatoren niedrigster Kategorie
— zerstreute sich in der ganzen Stadt, drang in alle,
nur halbwegs von der Gemeinde abhängige Familien
ein, bot sich unter dem Vorwande an, dass sie aus
dem Rathhause behufs Ausfüllung der Fragebogen
geschickt sei, und machte aus den Cechen durch einen
Federstrich Deutsche, ohne das mindeste nach ihrer
Umgangssprache zu fragen. Wie sie sich dabei be-
nahmen, davon zeugen folgende Fälle :
In das Haus Nr.-G. 277./III. kam der bereits er-
wähnte „Fleischrevisor" Winkler, bot sich an, -dass
er die Zählungsbogen denMiethparteien selbst schreiben
wird, frug sie (allerdings böhmisch) über ihr Nati-
onale aus, Hess dann die Bogen in bianco unter-
schreiben und trug sie mit dem Bemerken davon,
dass er dieselben zuhause selbst ausfüllen werde. So
geschah es bei Jakob Weiss (5 Familienmitglieder),
bei Katharina Dvofäk (2 Familienmitglieder), bei Franz
Fiedler (7 Familienmitglieder), bei Martin Formänek
(6 Familienmitglieder), bei J. Hartl (6 Familienmit-
448
glieder) und noch bei zwei weiteren Miethparteier*
(6 Familienmitglieder), sämmtlich im Hause Nr.-CL
27 7. /HL Diese sämmtlichen Personen, obwohl sie
Cechen sind und obwohl ihre Umgangssprache einzig
und allein die böhmische Sprache ist, wurden gegen
ihren Willen und ohne ihr Wissen seitens des Winkler
mit deutscher Umgangssprache eingeschrieben. Erst
infolge der persönlichen Intervention des Herrn Jakob
Weiss, welcher durch Zeitungen auf die betrügeri-
schen Praktiken Winklers aufmerksam gemacht worden
war, geschah es, dass bei ihm und bei Katharina
Dvorak die Bogen nachträglich und zwar bereits im
Rathhause, richtig gestellt wurden. Die Zählungsbogen
der übrigen eben genannten Familien blieben jedoch
auch weiterhin ohne Korrektur, obschon die in den-
selben von Winkler gemachten Angaben wissentlich
falsch und nach § 40 der Volkszählungsvorschrift
strafbar sind. Marie Zabehlickä, in der Bischofgasse
Nro. 7, hat den richtig ausgefüllten Zählungsbogen
für sich und ihre Familie abgegeben. Nach einigen
Tagen kam zu ihr ein gewisser Doöekal, „städtischer
Angestellter", brachte ihr einen neuen Bogen unter
dem Vorwande, dass der alte Bogen schlecht ausge-
füllt sei, und erlangte, dass ihm dieser neue Bogen
von der Frau Zabehlickä in bianco unterfertigt wurde.
Wie sich herausgestellt hat, bestand die von Docekal
durchgeführte Korrektur darin, dass er die ganze Fa-
milie gegen deren Willen, ohne deren Wissen mit
der deutschen Umgangssprache einschrieb, obzwar es
eine böhmische Familie ist. Derselbe Doßekal hat
auch der Frau Kalät in demselben Hause die Ferti-
gung eines leeren Zählungsbogens unter dem Vor-
wande herausgelockt, dass der bereits abgegebene
Zählungsbogen richtiggestellt werden müsse. Auch in
diesem Falle wurde die Fertigung des neuen Bogens
nur zu dem Zwecke erschwindelt, damit diese Familie
sammt dem Aftermiether Dr. Sachs unkorrekt und
gegen ihren Willen mit der deutschen Umgangssprache
eingeschrieben werde. Bei Herrn Ernst Laager in der
Wienergasse Nr. 10 wohnten Frl. Johanna Laager und
M. Zabehlickä jun., die beide sich in den Zählungs-
bogen mit böhmischer Umgangssprache eingeschrieben
449
haben. Ihre Angabe wurde jedoch am Rathhause (un-
bekannt durch wen) ohne ihr Wissen und gegen ihren
Willen korrigirt und sie beide wurden mit deutscher
Umgangssprache eingeschrieben. Benedikt Mathias,
Fabriksarbeiter, und Eozäk Johann, Schuhmacher,
beide wohnhaft auf der Linzerstrasse Nr. 76, haben
leere Bogen unterschrieben, die ihnen Johann Sleha,
Gemeindeschreiber, abnahm und sodann ausfüllte;
dieselben, sowie ihre Familien sprechen nur böhmisch,
sind aber seitens des erwähnten Sleha mit deutscher
Umgangssprache angemeldet. Kohout Peter, Kutscher,
Stadtpark Nr. 38, wurde gegen seinen Willen von
Kajetan Princ, Gemeindeschreiber, sammt der ganzen
Familie mit deutscher Umgangssprache eingeschrieben.
Eben dasselbe geschah bei Marie Tichä, Landstrasse
Nr. 121, der ein gewisser Neubauer, Gemeindeschreiber,
den Bogen abgenommen hat. Der deutsche Lehrer
Gans kam in die Wohnung der Frau Ber und Herrn
Koöi in der Böhmgasse Nr. 20 neu, bot sich zur Aus-
füllung der Zählungsbogen an und schrieb die eben
genannten Familien mit deutscher Umgangssprache
ein, obwohl diese Familien deutsch überhaupt nicht
sprechen.
Aber die Gemeinde Budweis hat noch in einer
anderen Weise dafür Sorge getragen, dass die Zahl
der Deutschen bei der Volkszählung vermehrt werde.
Die böhmischen Gemeindeangestellten wurden aufge-
fordert, sich im Rathhause einzufinden, wo ihnen die
Zählungsbogen ausgefüllt und sogleich auch abge-
nommen wurden. Die Gemeindestrassenkehrer Mayer,
Lexa und Bukaö wurden aus der Arbeit entlassen,
weil sie sich zur böhmischen Umgangssprache bekannt
haben. Die Folge davon war, dass sich alle übrigen
durchwegs als Deutsche meldeten, mancher von ihnen
vielleicht nach hartem Kampfe in seinem Innern. Es
sind dies insbesonders folgende Gemeindearbeiter
und Angestellte, welche gezwungen waren, sich und
ihre Familien mit deutscher Umgangssprache anzu-
melden, obschon sie nach ihrer Abstammung und
Sprache Cechen sind:
Piskäöek Josef, Kneisselgasse Nr. 160,
BlaZek Laurenz, Wienergasse Nr. 8,
29
450
Stfcpän Felix, Plactrfgasse Nr, 184,
Rataj Johann, Plach^gasse Nr. 21,
Liäka Josef, Schanzgasse Nr. 16,
Heller Franz, Altstädtergasse Nr. 29 a),
Sima Thomas, Backhausgasse Nr. 288,
Zahrädka Johann, Backhausgasse Nr. 75 neu,
Moudry Anton, Backhausgasse Nr. 89 neu,
Holy Kaspar, Backhausgasse Nr. 89 neu,
Prokeä Peter, Todtengräber am jüdischen Fried-
hof Nr. 646/IL,
Noväk Franz, Haasgasse Nr. 32,
Vlöek Augustin, Pflasterer (hat Gemeindearbeit),
Gymnasium gasse Nr. 521,
Subrt A„ Chorsänger, Gymnasiumgasse Nr. 404,
Pechotsch Wenzel, Girowetzgasse Nr. 513,
Toman Kamillo, Fischgasse Nr. 64,
Urban Matthäus, Musiker bei den „Schützen",
Linzerstrasse Nr. 29 a),
PuCelik August, Arbeiter im Wasserthurm,
Komärek Adalbert, Wunderlichgasse Nr. 35,
Nuska Josef, Pragerstrasse Nr. 724,
Libl M., städtische Hebamme, Wienergasse Nr. 8,
Höffer M., Wienergasse Nr. 8 (bezieht von der
Gemeinde eine Unterstützung).
Dass auf die bei der Gemeinde beschäftigten
Arbeiter thatsächlich eine Pression ausgeübt wurde,
dies beweist besonders klar der folgende Fall : Thomas
Krfcka, Gemeindearbeiter, kam zum Redakteur der
„Jihoöesk6 Listy", Herrn Kubicek, und Hess sich bei
ihm aus eigener Motion den Zählungsbogen ausfüllen.
Dieser füllte den Bogen natürlich böhmisch aus, weil
die sämmtlichen Mitglieder der Familie böhmischer
Nationalität sind, und zwar: Thomas Kröka, seine
Frau Marie, die Nichte Emilie Einöder, Fabriksarbei-
terin, und die vierjährige Rosa Bernardickä, welche
bei der Familie KrCka erzogen wird. Als Kröka jedoch
den Bogen abgeben sollte, kam er mit seiner Frau
wieder zum Redakteur Kubißek und ersuchte sicht-
lich bewegt, ihm einen anderen Bogen zu verschaffen
und deutsch auszufüllen, weil die Gemeinde jene
Arbeiter, welche sich zur böhmischen Umgangssprache
bekennen, aus der Arbeit entlasse, und machte gleich
451
einige Arbeiter namhaft, welche entlassen wurden.
Als Redakteur Kubiöek dieses sein Ersuchen abwies,
verschaffte er sich selbst einen anderen Bogen und
liess ihn auf dem Rathhause so ausfüllen, wie es die
Herren bei der Gemeinde wünschten, das heisst mit
-der deutschen Umgangssprache. Aus Furcht vor dem
Verluste seiner Existenz gab also Krcka wissentlich
-eine Unwahrheit an, und zwar nicht nur rücksicht-
lich seiner selbst, sondern auch rücksichtlich seiner
Frau und der beiden übrigen Mitbewohner, von denen
überhaupt niemand deutsch kann, was übrigens be-
züglich der Familien aller eben genannten Gemeinde-
Angestellten gilt.
Gharakterisch ist auch der folgende Fall: Georg
Frey, städtischer Wachmann, Mühlfeldgasse Nr. 1.95,
liess seine Frau und seüie zwei Kinder mit deutscher
Umgangssprache einschreiben, obwohl weder sie noch
■die Kinder deutsch können und auch nicht sprechen.
In seinem Familienbogen sind noch zwei andere Per-
sonen eingetragen, welche bei ihm überhaupt nie
wohnen und auch am Tage der Volkszählung nicht
wohnten. Dieser Fall deutet darauf hin, dass die Zahl
der deutschen Bewohner in Budweis künstlich erzeugt
wurde, und gibt es viele solche Fälle, was wir be-
weisen werden, wenn unserem Vertrauensmanne ge-
stattet werden wird, in die amtlichen Zählungsbogen
Einsicht zu nehmen. Hinter der Gemeinde Budweis
blieb das hiesige deutsche Bräuhaus keineswegs zurück.
Die Bräuhausangestellten wurden kontroliert, was sie
in den Zählungsbogen und insbesondere in die Rubrik 13
eintragen, die Zählungsbogen mussten sie in der
Kanzlei vorlegen und dort wurde ihnen die deutsche
Umgangssprache hineingeschrieben, wenn auch die
Mehrzahl der Arbeiter gar nicht deutsch kann. Und
wehe dem Arbeiter, der es wagen würde, gegen den
Willen der Brauereiverwaltung den Bogen auszufüllen.
So geschah es, dass die folgenden Angestellten des
bürgerlichen Bräuhauses sich und ihre Familie mit
deutscher Umgangssprache anmeldeten, obzwar ihre
Frauen und Kinder deutsch überhaupt nicht kennen
und im Familien verkehr nur böhmisch gesprochen
wird :
29*
452
Bauer Wenzel, Girowetzgasse Nr. 453,
Ploner Wenzel, Moosgasse Nr. 44,
Neuzil Martin, Linzerstrasse Nr. 49,
Bina J., Kutscher, Linzerstrasse Nr. 11,
Spfcvak Franz, Böttcher, Moosgasse,
Zerl Anton, Arbeiter, Mühlfeldgasse Nr. 17
u. s. w.
Die sämmtlichen Fälle, wo die Brauereiangestellten
infolge Pression von Seite der Verwaltung der deut-
schen Brauerei unkorrekt gemeldet sind, werden wir
nach Einsichtnahme in die Zählungsbogen anführen;
die eben genannten Fälle sind nur eine kleine Probe
davon." ^
Damit haben wir nur einige Beispiele angeführt
wie die Nationalitätenzählung in Oesterreich betrieben
wird. Auf dieser Art Zählung wird dann das be-
rüchtigte geschlossene deutsche Sprachgebiet kon-
struirt, auf welchem auch das berüchtigte Buch über
die nationale . Theilung der Diöcesen im Königreich
Böhmen beruht. Wenn wir die Interpellationen eines
Schoenerer lesen oder die furchtbaren Hetzerein der
alldeutschen und völkischen Presse, so finden wir
eine Erklärung, diese Leute suchen und finden darin
ihr Brod. Aber was sollen wir sagen, wenn die ano-
nymen Schreiber der schon citierten Schandschrift
„Zur Frage deutscher Bisthümer in Böhmen" auf
Seite 76 (2. Auflage) folgendes leisten: „Man fürchtet
also angeblich für die Seelsorge der öechischen Mi-
noritäten in dem Falle, dass die Diöcesen sprachlich
getrennt wären. Es läge die Antwort nahe, dass unser
Augenmerk wohl vor allem auf die Seelsorge der er-
drückenden Majoritäten der deutschen Bevölkerung
gerichtet sein müsse, welche durch die Theilung be-
fördert werden soll (werden die Opitzianer nach der
Durchführung der nationalen Theilung der Diöcesen
etwa eifriger in der Seelsorge arbeiten als sie es
jetzt thun, wer hindert sie am Eifer? Schamlose Pha-
risäer!), damit sie nicht als „Indianer", als „Schwarze
irgendwo in Mittelafrika" behandelt werden (diesen
Vorwurf müsste man nur auf Rechnung der Opitzianer
setzen), indem das zusammenhängende deutsche
Sprachgebiet Böhmens (welches in Wirklichkeit eben
453
nicht besteht) in dem oben berührten Sinne zum
„Missionsland" herabgedrückt wird. Erst wenn diese
besorgt sein, so könnten wir auch an die Minoritäten
denken. (Welche Logik!) Doch nein, wir wollen gerade-
aus unsere Meinung sagen, indem wir uns auf die Worte
«ines ruhig prüfenden Autors beziehen (Weihbischof
Frind : Das sprachliche und sprachlich nationale Recht,
Seite 109): Wer ob seines Broterwerbes unter einer
fremden Nation sich ansiedelt, hat es sich selbst zu-
zuschreiben, wenn er auf manches Liebe und Schöne
verzichten rauss, das ihm die eigentliche Heimat ge-
boten. Dahin gehört auch der Verzicht auf seine Spra-
che als Verkehrsmittel. Das eigene Gesammtinteresse
nöthigt den Einwanderer in den Verkehr mit der Be-
völkerung zu treten. Aus seinem Interesse folgt die
natürliche und sittliche Notwendigkeit (wie kommt
hierher das Wort sittlich? Ist der böhmische Arbeiter,
der sein Brod im Schweisse seines Angesichtes ver-
dient und sein Leben daran setzt, ein Sünder, wenn
er die Sprache seines Ausbeuters nicht erlernt?), dass
er die Sprache des neuen Domicils erlerne. Nur selten
wird das Interesse ein umgekehrtes sein oder er selbst
uninteressiert bleiben oder beruflich ausser Zusammen-
hang mit der Bevölkerung stehen, das mag eine Last
für ihn sein, die der bereits Ansässige nicht hat, aber
diese Ungleichmässigkeit der Vertheilung der Last
gründet sich auf die Natur des Gesellschaflskörpers,
demzufolge nicht der winzige Theil dasselbe bedeutet,
wie die moralische Gesammtheit." Man muss wirklich
alle Kraft zusammennehmen, um diese Ergüsse einer
solchen edlen Seele zu lesen. Es wurde noch nie in
einer ekelhafteren Form das Recht des Stärkeren
gelehrt, als es hier geschieht. Wir wollen uns mit
diesen Ergüssen „der Nächstenliebe" des Dr. Frind
nicht weiter abgeben.
Damit wir doch das ganze Trauerspiel der Unter-
drückung der slavischen Nationen in Oesterreich er-
kennen, wollen wir die Staatsgrundgesetze anführen,
welche von den Deutschen am 21. Dezember 1867
ausgegeben und vom Monarchen sanktioniert worden
sind. Artikel II. Vor dem Gesetze sind alle Staats-
bürger gleich. Artikel III. Die öffentlichen Aemter
454
sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich. Artikel IV.
Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens
innerhalb des Staatsgebietes unterliegt keiner Be-
schränkung. Artikel VI. Jeder Staatsbürger kann an
jedem Orte des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und
Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder Art erwerben
und über dieselben frei verfügen, sowie unter den
gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbzweig ausüben.
Artikel VIII. Die Freiheit der Person ist gewährleistet.
Artikel XIX. Alle Volksstämme des Staates sind gleich-
berechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletz-
liches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationa-
lität und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landes-
üblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichen
Leben wird vom Staate anerkannt. An der Kxeiirung*
dieser Staatsgrundgesetze waren damals die böhmi-
schen Abgeordneten nicht betheiligt, sie sind nur von
Deutschen abgestimmt worden. Man vergleiche doch
mit diesen Staatsgrundgesetzen die nackte Wirklich-
keit. Schon der IV. Artikel von der Freizügigkeit
macht doch alle sogenannten geschlossenen Sprach-
gebiete unmöglich. Man versuche nur einem Juden
auf die Zehe zu treten, so schreit er gleich nach.
Wahrung der Rechte des Staatsbürgers und zu seinem
Schutz rückt gleich Militär aus. Der böhmische Arbeiter
aber ist ein Parias in Oesterreich.
XXVI. Die Ausbeutung der Völker durch das inter-
nationale Kapital.
Während die Regierungen der Weltmächte darnach
streben, ihre Herrschaft möglichst zu verbreiten, haben
sie im Laufe der letzten 50 Jahre eine andere Macht
über sich heranwachsen lassen, welcher sämmtliche-
sogenannte Kullurstaaten ohne Ausnahme jetzt unter-
worfen sind, es ist das internationale Kapital, welches
weder Geschichte noch Abstammung, noch Vaterland
kennt und lediglich auf Gewinn ausgeht und in der
Gewalt einiger weniger Besitzer sich befindet. Niemand
lässt seine Tasche freiwillig von Jemandem anderen
visitieren und so können auch die Angaben über das
Kapitalsvermögen nur den Werth der Wahrscheinlich-
keit beanspruchen. Der Werlh des Eigenthums der
455
Welt in Geld ausgedrückt soll etwa 450.000 Millionen
Dollars betragen. Das geprägte Silber und Goldgeld
soll etwa 7500 Millionen Dollars, davon das Goldgeld
allein etwa 3750 Millionen Dollars betragen.
Nach Mulhall betrüg der Reichthum Europas
am Ende des 19. Jahrhundertes 1,175.000 Millionen
Mark, davon das bewegliche Kapital allein 500.000
Millionen Mark. Hinsichtlich des Gesammtreichthums
ordnen sich die Hauptstaaten Europas iti folgender
Reihenfolge: England 295 Milliarden, Frankreich 247,
Deutschland 201, Russland 160, Oesterreich 103, Ita-
lien 79, Belgien 25, Holland 22 Milliarden. — Die Ent-
wicklung des Reichsthums im 19. Jahrhundert ist be-
sonders in England eine ungewöhnliche gewesen,
während sie für Frankreich weit geringere Verschie-
bungen aufweist. Das bewegliche Kapital wird für die
wichtigeren Staaten wie folgt angegeben : England 106
Milliarden, Frankreich 65, Deutschland 37, Russland 14,
Oesterreich 10, Italien und Belgien je 7, Holland 6
Milliarden. Die Reihenfolge ist also dieselbe wie bei
dem Gesammtreichthum, aber das Verhältniss ist
schwankend, am grössten ist es bei den Industrie-
ländern, am schwächsten bei denen, deren Industrie
und Handel erst am Anfang ihrer Entwicklung stehen.
Während es in England 35 v. H. beträgt, in Belgien
28, in Holland 27, in Frankreich 26, in Deutschland
18, fällt es in Russland, Oesterreich und Italien auf
9 v. H. Wenn das Gesammtvermögen der einzelnen
Länder auf die Kopfzahl der Bevölkerung berechnet
wird, so gelangt man zu einer anderen Reihenfolge.
Jeder Engländer besitzt durchschnittlich etwa 5920
Mark, der Franzose 5290, der Holländer 3680, der
Belgier und Deutsche je 3120, der Oesterreicher und
Italiener je 2000 und der Russe 1200 Mark. Wenn
nur das bewegliche Kapital in Betracht gezogen wird,
so besitzt der Engländer im Durchschnitt 2120 Mark,
der Franzose 1360 Mark, der Holländer 1000, der
Belgier 855, der Deutsche und Italiener je 560, der
Russe 115 Mark. Die Belastung des Budgets für die
verschiedenen Staaten Europas wird in runden Ziffern
folgendermassen angegeben : Deutschland 4 Milliarden,
also 2 Proc. seines Gesammtreichthums, England 3
456
Milliarden oder 1 Proc, Frankreich 3y2 Milliarden
oder 1*4 Proc, Russland 2 Milliarden 700 Millionen
oder 17 Proc,, Oesterreich 2 Milliarden oder 1-8 Proc,
Italien 1 Milliarde 800 Millionen oder 2-3 Proc., Belgien
375 Millionen oder 15 Proc, Holland 300 Millionen
oder 1*4 Proc. Danach würde die Belastung des Na-
tionalvermögens durch die Staatsausgabe in Italien
am grössten sein und es folgen weiter: Deutschland,
Oesterreich, Russland, Belgien, Frankreich, Holland
und England.
Nach den Schätzungen des internationalen stati-
stischen Institutes war das bewegliche Vermögen
Europas Ende 1897 folgendermassen konskribiert :
im Milliarden
Francs
England 7.246,902.736 Pfund Sterl. . = 182-6
Niederlande 6.486,480.000 Gulden . . . = 13*6
Belgien 6.193,419.000 Francs . . . = 6-2
Deutschland .... 78.641,000.000 Mark = 92*0
Oesterreich 11.680,800.000 Gulden ö. W. . = 24-6
Italien 17.500,000.000 Lire = 175
Rumänien 1.214,048.000 Lei = 1-2
Norwegen 600—600 MilL Kronen . = 0'7
Dänemark 2.045,679.000 Kronen . . . = 2 7
Frankreich 80.000,000.000 Francs . . . = 80-0
Russland 25.439,000.000 Francs . . . = 25*4
Zusamen rund . . 446*4
Dieses riesige Vermögen erfordert eine jährliche
Verzinsung, welche in die Kassen der Kapitalisten
strömt. Die christlichen Völker Europas dürften jähr-
lich an das Kapital 4000 Millionen Mark reichsdeut-
scher Währung Zinstribut entrichten, dabei sind nicht
gerechnet die Steuern und die Hypothekarschulden
in ihrem ganzen Umfang. In der angeführten Summe
des beweglichen Besitzes sind die Staatsschuldscheine
und auch Hypothekarbelastungen, nämlich die Pfand-
briefe einbegriffen. Aber die übrigen Grundbuch-
schulden sind hier nicht angegeben. Sie werden für
Europa auf 60.000 Millionen Mark geschätzt. Das ist
eine Zinsenlast jährlich von mindestens 240 Millionen
Mark. Nehmen wir noch dazu die Staatsausgaben von
ganz Europa, die sich jährlich auf ungefähr 25.000
Millionen Mark belaufen, so haben wir folgende Lasten :
Zinsen des Kapitalsvermögens 4000 MilL Mark, Zinsen
457
für die Hypothekarschulden 240 Mill. M., öffentliche
Lasten u. Steuern 25.000 MilL M. Diese furchtbare Last,
welche auf den Völkern Europas ruht, ist nicht einmal
50 Jahre alt. Wie lange können die Völker diese Last
ertragen ? Wir sind der Ueberzeugung, dass der Zeit-
punkt kommen wird, wo die Völker den Nationalitäten-
streit werden fallen lassen, und werten genöthigt
sein, ihre Existenz zu wahren vor dem Erdrückt-
werden durch das internationale Kapital. Während
die Deutschen in Oesterreich nach der deutschen
Staatssprache rufen, zahlen die Steuerträger Oester-
reichs, worunter also auch die Deutschen sind, ruhig
jährlich 400 Mill. Kronen Zinsen in das Ausland für
österreichische Wertpapiere, die sich in den Händen
ausländischer Kapitalisten befinden. Dabei wissen
auch die Deutschen nicht, ob dieser riesige Tribut
dem Kaiman Levy in Paris oder dem Bleichröder in
Berlin in die Taschen fliegst Wir geben nun eine
gedrängte Darstellung der Kapitalskräfte einzelner
Staaten, soweit wir eben das Material bei der Hand
haben.
ö) Der Kapitalismus in Oesterreich.
Nach dem Raubzuge Preussens gegen Oesterreich
im J. 1866 begann in diesem Reiche die Herrschaft
der Judenliberalen, die nur durch eine kurze Pause
des Ministeriums Hohenwart unterbrochen war. Der
Kapitalismus feierte in Oesterreich seine Orgien, an
welchen sich auch die Minister wie Giskra, Banhans,
Finanzminister Brück in hervorragender Weise be-
theiligten. Für die Geschäfte, welche zum Beispiel
Finanzminister Brück besorgte, wäre die richtige Di-
vidende der Galgen oder mehrjähriger Aufenthalt im
Zuchthaus.
Die Zeiten sind nun vorüber, das Gründerthum
ist im Misskredit, das Publikum ist arm geworden
und lässt sich jemand fangen, so geschieht es nur
durch einen Betrug beim Advokaten oder Wechsel-
stubeninhaber, die dann im gegebenen Momente
entweder Cyankali oder Revolver nehmen oder rasch
über das grosse Wasser nach New-York zu kommen
trachten. Nichtsdestoweniger ist das mobile Kapital in
458
Österreich zu einer ansehnlichen Höhe herange-
wachsen. Der Hauptgrund der Entwicklung des Ka-
pitalismus ist das Schuldenmachen im populären
Sinne. Heute ist Jedermann voll von Schulden, vom
Staate angefangen bis zum letzten Häusler; die In-
haber der Schuldscheine sind die glücklichen Kapi-
talisten.
Ende des Jahres 1902 hatten an der Börse in
Wien die Staatsschuldscheine folgenden Eurswerth :
Allgemeine Staatsschuld 5437-6 Mill. K; die Staats-
schuld österreichischer Länder 2065*7, der ungarischen
Länder 4436*5 Mill. K. Zusammen machte Ende 190?
die Staatsschuld eine Netto-Summe von 11.939-8 Mill. K.
Die Steuerzahler müssen für die jährlichen Zinsen
aufkommen, die jetzt die Summe von 700 Mill. K
überschreiten. Ein guter Theil davon fällt ja auf die
landwirtschaftliche Bevölkerung. Wie sich doch die
Zeiten ändern. Im Jahre 1850 haben die Steuerzahler
in der ganzen Monarchie« Oesterreich und Ungarn
zusammen, 53,718.361 tl. Zinsen für die Staatsschuld
gezahlt, im Jahre 1900 haben die Steuerzahler in
Oesterreich 172,015.002 und in Ungarn 174,226.866 fl.
Zinsen für die Staatsschuld gezahlt Gehen wir
weiter.
Die vom österreichischen Staate übernommenen
Eisenbahnschuldverschreibungen hatten Ende 1902
einen Kurswerth von 1425*1 Mill. K. Weiter kursierten
an der Börse in Wien öffentliche Anleihen der Länder,
Städte etc. für 1262.7 Mill. K. Pfandbriefe und Obli-
gationen für 3750 Mill. K, Eisenbahnprioritäten für
36£V7 Mill. K, Eisenbahnaktien für 1682-3 MilL K,
Bankaktien für 1474*6 M:il. K, Industrieaktien für
U01%7 MiiL K, Der gesammte Kapitalsbesitz, welcher
Ende l*H>2 an der Börse in Wien kursierte, hatte
einen BArsenwerth von 27.CKM-7 MiK. IL Während
des Jahn*s UH>2 ist das Kapitalvermögen des an der
IVcse in Wien notierten inoK>:i Besities um 1375
Mi?.. K gewachsen, bei etuer Versuehmng dieses Ver-
nu^ens von *^ ^-«- K durch Zulassung neuer
Wer5hpapion\ lY.de des Jahtvs IÄM betrug der Kurs-
werth sAmir.«l;ofc*r T;;:vs an der B?rse in Wien
45»
Das mobile Kapitalsvermögen in Oesterreich ist
in 9 Jahren um 2740 Millionen Kronen angewachsen*
Das Jahr 1901 war für die Börse in Wien ein Hexen-
jahr, ungefähr wie im Jahre 1873. Zahlreiche Schauern
wurden von der Börse rasiert ohne Blut, ohne Messer.
Das dumme Publikum in Oesterreich wurde im Jahre»
1901 von der Börse um eiiie Kleinigkeit von 483 Mil-
lionen Kronen geprellt. So viel betrug der Kurs-
verlust von Industrie- und Bankaktien während dieses
Jahres. Der Geschäftsumfang der Börse in Wien ist
nicht immer gleich. Es wurden Effekten verkauft und
gekauft :
Millionen Kronen
im Jahre 1874 1286
„ „ 1881 9252
„ „ 1895 10328
„ „ 1898 4504
„ „ 1899 5889
„ „ 1900 3685
Man sieht an diesen Zahlen, dass die Glanz-
periode der Börsengeschäfte in Oesterreich vorüber
ist. Die dummen christlichen Gojims haben nichts
mehr. Im Jahre 1901 waren an der Börse in Wien
folgende Schrankenfirmen aufgestellt : Moritz Alter,
Angloösterr. Bank, Samuel Auspitz, Sigmund Bauer,
Simon u. Bauer, Moses Biedermann, Breisach u. Comp.,
Brühl u. Kallmus, Jak. Bunzel, Jaques Ehrenzweig,
Elissen u. Schloss, Ephrussi u. Comp., Felix Epstein,
Brüder Feldmann, Ferd. Figdor, Jos. Figdor u. Söhne,
Moritz Frankl, Friedenstein u. Comp., Garai u. Kohn,
Siegmund Geiringer, Moritz Gerstbauer, Goldberger u.
Pollak, Philipp Gomperz, Gebrüder Gutmann, Moser
Hassberg, Herz und Strauss, Theod. Kantor, Gebrüder
Kohn, Joseph Kohnet u. Comp., Kolisch, Stiassny u.
Comp., Landesberger u. Schmeichler, Leep. Langer,
Lieben u. Comp., Louis Lob, Nagel, Stern u. Comp.»
Nagel u. Wortmann, Nathanson u. Kallier, Alfred
Neu u. Comp., Oplatek u. Hock, Pichler u. Schick,
Julius Pollak, Samuel Reitzes u. Gebrüder, Rosenberg
u. Rosin, Rosenfeld u. Comp., S. Moses Rothschild,
Mathias Rusov, Schlesinger u. Reihmann, J. Singer,
Singer, Walter und Comp., J. Stametz, Nachfolger,
460
J. Stern, Leopold Stern, Strisomer u. Schwarz, Urbach
u. Comp., J. Weinsberger u. Comp., Adolf Weiss,
Jaques Weiss, Moses Weiss, Weissenberger, Frid u.
Comp., David Weiswetter, J. Zett, Bab und Comp.
Sollte sich in dieses Verzeichniss ein Christ verirrt
haben, können wir natürlich nicht wissen. Wir haben
vor uns also die Creme der privilegierten Staats-
bürger Oesterreichs, die in Wirklichkeit seine Regie-
rung bilden. Sollte mal Schönerer oder Funke es
wagen diese Finanzgrössen anzugreifen, dann würde
ein Tanz losgehn, wie ihn die Welt noch nicht erlebt
hat. Die „dummen" Christen werden gegen einander
gehetzt, armen Arbeitern werden Wohnungen ge-
kündigt, die Gelegenheit zum Brodverdienst verweigert,
weil sie zur deutschen Nation nicht gehören, aber
den Volksausbeutern, die keine Nationalität überhaupt
kennen, an diese Finanzgrössen hat sich noph kein
Deutschnationaler herangewagt.
Die Judenzeitungen sind natürlich nicht wenig
stolz darauf, dass in Oesterreich die Finanzbarone
diejenigen sind, um die sich der ganze Staat drehen
muss. So schreibt das „Berliner Tageblatt" Ende April
1903 folgendes : „Zwei Wiener Financiers. Fast in
keinem Staate ist der persönliche Einfluss einzelner
Financiers ein so weitgehender wie in Oesterreich.
Zum Theile ist dies wohl dem Umstände zuzuschreiben,
dass es in Oesterreich überhaupt weniger hervorra-
gende Persönlichkeiten auf finanziellem Gebiete giebt
als in anderen Ländern. Von den Persönlichkeiten,
die zur Zeit die hervorragendste Rolle spielen, steht
jede einzelne an der Spitze einer ganzen Reihe von
Aktiengesellschaften und in einer dominirenden Po-
sition in einer der Wiener Banken. Das Princip der
Solidität wird in erster Reihe von dem Direktor der
Oesterreichischen Kreditanstalt Gustav Ritter von
Mauthner reprftsentirt. Ritter von Mauthner hat alle
Stadien eines geschulten und geübten Finanzmannes
durchgemacht. Er kam in ganz bescheidener Stellung
zu dem Institute, in dem jetzt sein Wille ausschlag-
gebend ist Nur für §anz kurze Zeit hatte er den
Dienst der Oesterreichischen Kreditanstalt verlassen
und zwar im Jahre 1872, wo er als Disponent der
461
damaligen Allgemeinen Oesterreichischen Bank thätig
war. Durch seine Verheirathung mit der Tochter des
Präsidenten der Oesterreichischen Kreditanstalt, Ritter
v. Weiss, trat er schon in verhältnissmäßsig jungen
Jahren in intime Beziehungen zu den Leitern des
Instituts. Bei allen umfangreichen Finanzoperationen,
welche die Oesterreichische Kreditanstalt in den
letzten zwei Decennien durchführte, war Ritter von
Mauthner hervorragend thätig. Seine Domäne bilden
die staatsfinanziellen Geschäfte, die bis zu einem ge-
wissen Grade auch das Privilegium der Öester-
Teichischen Kreditanstalt geworden sind. Ungeachtet
der grossen Erfolge ist Ritter v. Mauthner stets eine
bescheidene Natur geblieben. Grossen Aufwand zu
treiben, verschmäht er. Seine Zerstreuung bildet die
Jagd, die ihn auch häufig mit dem Chef des hiesigen
Welthauses Baron Albert v. Rothschild zusammen-
führt. Mauthner gehört dem Herrenhause an und ist
damit der höchsten Auszeichnung theilhaftig ge-
worden, die für einen jüdischen Staatsbürger in Oester-
reich erreichbar ist. Die Nobilitirung Mauthners datirt
noch von der Zeit, wo die eiserne Krone dritter Klasse
die Erhebung in der Adelstand mit sich brachte. Ob-
gleich noch in voller Schaffenskraft stehend, beschäftigt
sich Mauthner ernstlich mit dem Gedanken, seine
Direktorstelle aufzugeben, um sich mehr seiner Fa-
milie widmen zu können. Wahrscheinlich wird er
alsdann Präsident des Verwaltungsrathes werden. Der
Augenblick hiefür wird wohl dann gekommen sein,
wenn der gegenwärtige Präsident der Oesterreichischen
Kreditanstalt, Ritter v. Gomperz, der in diesem Jahre
seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hat, zu-
rücktritt. Wahrscheinlich wird das schon im nächsten
Jahre geschehen, da Ritter von Gomperz nur dem
Drängen der Verwaltung nachgebend in diesem Jahre
noch seine Stelle als Präsident behalten hat. Eine so
hervorragende Rolle auch Ritter v. Mauthner im ge-
sellschaftlichen Leben spielt, ist er vor Allem doch
Geschäftsmann geblieben, und wer immer in Ange-
legenheiten der Oesterreichischen Kreditanstalt ge-
schäftlich bei ihm vorsprechen will, findet Gelegen-
heit, sein Anliegen vorzubringen. Einen Ersatz für
462
diesen fleissigen und umsichtigen Direktionsleiter
wird die Oesterreichische Kreditanstalt nicht leicht
finden. Ungleich impulsiver und energischer als der
leitende Direktor der Oesterreichischen Kreditanstalt
ist der Generaldirektor der Oesterreichischen Boden-
kreditanstalt Ritter von Taussig. Er ist in einem
Augenblicke in dte Leitung der Oesterreichischen
Bodenkreditanstalt berufen worden, in dem dieses
Institut am Ratide des Konkurses stand. Nur der
Intervention der österreichischen Regierung war es
damals zu danken, dass die grosse Hypothekenbank
ihren Verpflichtungen nachkommen konnte. Die ge-
rammte Kundschaft des Instituts musste gesichtet
werden. Es galt, die unsoliden Elemente, welche auf
Kosten der Bank waghalsige Spekulationen einge-
gangen waren, zu beseitigen. Leicht war diese Auf-
gabe nicht, weil sich unter diesen Kunden auch
Persönlichkeiten befanden, die den vornehmsten Krei-
sen Oesterreichs nahestanden. Entschlossen und ziel-
bewusst hat Ritter von Taussig Ordnung geschaffen.
Auch die Verwaltung der Bank musste davon über-
zeugt werden, dass nur solides und ehrliches Ge-
schäftsgebaren auf finanziellem Gebiete zu Erfolgen
führe. Mit einer bewunderungswürdigen Klugheit hat
Ritter von Taussig später die Persönlichkeiten aus-
findig gemacht, weiche berufen waren, der Verwaltung
seines Instituts grosse Dienste zu leisten. Die ersten
Sektionschefs aus den Ministerien, die Berather des
Hofes wurden in die Verwaltung der Oesterreichischen
Bodenkreditanstalt berufen. Trotz eines verhältniss-
mässig bescheidenen Kapitals hat die Bodenkredit-
anstalt ihre Einflussphäre zusehends erweitert. Die
grössten Erfolge hat Ritter von Taussig dadurch er-
zielt, dass er stets einen grossen Theil des Rein-
gewinns für spätere Zeiten reservirte, um auf diesem
Wege die Leistungsfähigkeit und Sicherheit des Insti-
tuts, dem er angehört, zu erhöhen. Heute sind die Re-
serven der Bodenkreditanstalt bis zu einem Betrage
angewachsen, mittels dessen die Vollzahlung der nur mit
100 fl. eingezahlten Aktien bewerkstelligt werden könnte.
Die eigentliche Domäne Taussig's bildet das
Eisenbahnwesen. Hier hat er seine grössten Erfolge
463
«erzielt. Seiner Initiative war es hauptsächlich zu
danken, dass die Oesterreichisch-ungarische Staats-
«eisenbahngesellschaft immer mehr dem französischen
Einflüsse entrückt worden ist; er hat den Verkauf
•des ungarischen Netzes der Staatseisenbahngesellschaft
durchgeführt und die Industrieunternehmen der Staats-
-eisenbahnges ellschaft zu einer befriedigenden Ent-
Avickelung gebracht. Seit Jahren steht er an der
Spitze des Verwaltungsrathes der Staatseisenbahn-
gesellschaft.
Sein Votum ist zugleich entscheidend für die Er-
schliessungen der Verwaltungen der Oesterreichischen
Nordwestbahn, der Elbethalbahn und der Pafdubitzer
Bahn, dem Verwaltungsrathe der Nordwestbahn ge-
hört er als Vicepräsident an. Gestahlt und gekräftigt
durch den fortwährenden Kampf mit den Regierungen,
fühlt sich Ritter v. Taussig förmlich wohl, so oft es
neue Differenzpunkte zwischen dem Eisenbahnminister
und den Transportunternehmungen auszutragen gilt.
Trotz der fortgesetzten Kämpfe besteht jedoch keine
Animosität zwischen ihm und dem Eisenbahnminister,
und dieser ist von Taussig's Tüchtigkeit derart über-
zeugt, dass er in allen wichtigen Eisenbahn- und Ver-
kehrsfragen Ritter v. Taussig gern als Ratgeber hört.
Mit der Nordwestbahn und der Staatseisenbahn-
gesellschaft ist das Herrschergebiet Taussig's noch
keineswegs erschöpft. Ritter v. Taussig verfügt auch
über die Majorität der Aktien der Donau-Dampf-
schiffahrt, und zum Theil werden wichtige Fragen
in Südbahnangelegenheiten gleichfalls im Bureau der
Oesterreichischen Bodenkreditanstalt gelöst, weil der
Chef der Firma Rothschild, Baron Albert v. Rothschild,
auf das Urtheil des Direktors der Oesterreichi-
schen Bodenkreditanstalt grosses Gewicht legt.
Ritter v. Taussig steht in den besten Jahren und
zeigt zur Stunde noch nicht die geringste Spur von
Ermüdung. Vom frühen Morgen bis in den späten
Abend ist er mit Konferenzen vollauf beschäftigt.
Seine Persönlichkeit gilt als ausnehmend liebens-
würdig, und diesem seinem Wesen dankt er es auch,
dass seine Häuslichkeit zum Mittelpunkte des gesell-
schaftlichen Verkehrs in Wien geworden ist."
464
Die gute Hälfte von dem mobilen Kapital Oester-
reichs dürfte wohl Albert Nathaniel Rothschild haben.
Mitte Dezember 1901 schrieb das in Wien erschei-
nende „Deutsche Voiksblatt" folgendes: „Die diesjähr.
Juni-Bilanz des Wiener Hauses schloss mit einem
Aktiv-Saldo von 11.116,594.672 K 12 h ab! Also
mehr als 11 Milliarden Kronen besitzt das Wiener
Haus allein ! ! Nimmt man nur einen 4procentigen
Zinsfuss an — obwohl Rothschild, Dank seinör Be-
theiligung an allerlei industriellen Unternehmungen
und seiner im grössten Stile betriebenen Börsen-
operationen mehr als 10 Procent erzielt — so hat
der Chef des Wiener Hauses über ein Jahreseinkom-
men'von rund 440 Mill. Kronen zu verfügen. Repar-
tirt gibt dies einen Tagesrevenu von mehr als
1,200.000 K. Auf die Stunde entfallen noch immer
50.000 K, auf die Minute 833 K und in der Sekunde
kann sich der arme Albert auch noch 13 K leisten."
Zur näheren Illustrirung der kolossalen Summen,
die in der Rothschild' sehen Bilanz figuriren, bringt
das Blatt dann noch folgende interessante Proben
bei: „In Mairente besitzt der Wiener Chef nur
63,400.000 fl., die mit 124,264.000 K eingestellt sind,
dafür verfügt er über mehr als 132 Mill. Krönen in
4procentiger österreichischer Goldrente, ferner über
128 Mill. in österreichischer Kronenrente, 122 Mill.
in 4procentiger ungarischer Goldrente, 22 Millionen
in Schuldverschreibungen der Elisabethbahn, über
121 Mill. in 4procentiger ungarischer Kronenrente,
70 Mill. in Februarrente, in Silberrente die riesige
Summe von mehr als 290 Mill. Kronen. Im Albert
Rothschild' sehen Besitze befinden sich ferner 28.500
Stück Nordbahnaktien, welche mit 179,550.000 K
Werth eingestellt sind! 120.000 Stück Kreditaktien
repräsentiren einen Werth von ca. 80 Mill.! Franzö-
sische Wertheffekten besitzt Rothschild für 1231 Mill.,
englische gar für 2374 Mill. ! Realitäten und Güter
sind mit 165 Mill. eingestellt, während der Rest von
Rothschilds Vermögen in Industriewerthen inrestirt
ist: Petroleumquellen, Edelsteingruben, Bergwerken
etc. . . . Der Antheil des Barons Albert Rothschild
an den Petroleumquellen zu Baku warf allein pro
465
1899 einen Ertrag von 98,208.865 K ab! Diese Anga-
ben sind so detaillirt, dass der Aufsehen erregende
Artikel mit dem „besten Willen" nicht ignorirt wer-
den konnte. Finanzminister v. Böhm warf sich denn
auch alsbald für den armen Albert Rothschild ins
Geschirr und „stellte fest", dass die Behauptungen
des „D. V." haltlos seien. Räthselhaft bleibt es in-
dess, woher Herr v. Böhm diese Kenntniss hat, da
gleichzeitig der Vorstand der Steueradministration I.
für Wien, Hofrath v. Lesigang, der doch genau wissen
muss, wie viel Rothschild versteuert, behufs näherer
Information den Herausgebe* des „D. Volksbl.", Hrn.
Vergani, zu sich bat. Dieser hat nun mit massgeben-
den Persönlichkeiten der christlich-socialen Partei
Fühlung genommen, um es dem Gewährsmann des
Blattes zu ermöglichen, ohne Nachtheile für seine
Existenz, sich der Behörde zur Verfügung zu stellen
und ihr genauere Informationen nebst Belegen zu
geben Hat ja doch schon der Goi, der nur einen
galizischen Pinkeljuden „beleidigte", seiner Lebtage
vor der internationalen Mischpoche keine Ruhe, wie
viel weniger der, der einem Rothschild etwas zu nahe
tritt?!"
Nach den Schätzungen der Steuerbehörden be-
trug im Jahre 1900 der Reinertrag des ganzen be-
steuerten Grund und Bodens Oesterreichs die Summe
von 306,429.178 Kronen. Multiplicirt man diese Zahl
mit 25, so bekommt man den Eapitalswerth der be-
steuern Bodenfläche, das wäre 76507 Mill. Kronen.
Der ganze Grund und Boden Oesterreichs gehörte
Ende 1900 4,932.651 Menschen, welche Grundsteuer
zahlten. Nehmen wir noch die Angehörigen dazu,
ernährt die Land- und Forstwirtschaft in Oester-
reich über 13 Millionen Menschen. Nun könnte Roth-
schild allein mit seinem Kapital zweimal den ganzen
Bodenbesitz Oesterreichs käuflich erwerben. Der ganze
fruchtbare Boden des Königreiches Böhmen beträgt
5,027.306 Hektar, davon gehören 1,699.241 Hektar
dem Grossgrundbesitz, d. i. 34 Procent, der andere
Theil 3,228.065 Hektar sind bäuerlicher Besitz, d. i.
66 Procent. Vom Grossgrundbesitze gehören 55.136
Hektar dem kaiserlichen Hause, 634.735 Hektar 39
30
466
Eigentümern fürstlichen Ranges, 532.787 Hektar
107 Eigentümern gräflichen Ranges, 100.143 Hektar
66 Freiherren, 56.268 Hektar 79 Eigenthümern von
einfachem adeligen Stande. Der geistliche Besitz be-
trägt 99.082 Hektar. Nebstdem hat das Aerar, der
Landesausschuss, dann einige Städte Bodenbesitz.
Der bäuerliche Grund ist vertheilt an 816.979 Eigen -
thümer mit 9,262.754 Parcellen. Pächter gab es nach
der Zählung vom Jahre 1890 in Böhmes 15.773. Der
Werth des Bodens des Grossgrundbesitzes im König-
reich Böhmen wird geschätzt auf 1.968,334.000 Kronen,
der Bodenwerth des Bauernlandes auf 2.384,698.400
Kronen. Albert Nathaniel Rothschild kann also den
Grund und Boden des ganzen Adels in Böhmen 6mal
käuflich erwerben. Ein einziger Jude wiegt also 6mal
mehr als der ganze Adel eines alten glorreichen
Königreichs. Zu den Finanziers, die in Wien eine her-
vorragende und entscheidende Rolle spielen, zählt
auch der Generaldirektor des Wiener Bankvereins, Herr
Moric Bauer. Reichsdeutscher Abstammung, ist Bauer
auch jederzeit Deutscher geblieben, obgleich er bereits
vor längerer Zeit die österreichische Staatsbürger-
schaft erworben hat und in Oesterreich zu einer sehr
einflussreichen Stellung gelangt ist. In innigster
Fühlung mit den hervorragendsten deutschen Insti-
tuten hat er es als seine hauptsächliche Aufgabe be-
trachtet, dem deutschen Kapital in Oesterreich die
Wege zu ebnen. Es gibt wenige Persönlichkeiten,
welche in verhältnissmässig so kurzer Zeit sich zu
solcher Geltung gebracht haben wie Bauer. Zu einem
nicht geringen Theile verdankt er diese Erfolge seinem
verbindlichen Wesen und seinem oratorischen Ta-
lente. In welcher Versammlung oder Körperschaft er
immer sich zum Wort meldet, reisst er die Anwe-
senden förmlich mit sich fort. Er versteht es wie
selten Einer, seine Zuhörerschaft zu überzeugen.
Oesterreich-Ungarn dankt ihm eine grosse Zahl
von hervorragenden und leistungsfähigen Aktienunter-
nehmen. Der Wiener Bankverein, Bauer's eigentliche
Domäne, war zu der Zeit, wo er in die Direktion be-
rufen wurde, ein kleines Institut, und waren ihm nur
zwei oder drei Industriegesellschaften attachirt. Heute
467
verfügt die Bank über ein Aktienkapital von. 80 Milli-
onen.Kronen und über bedeutende Reserven. Ein
starker Rückhalt des Instituts liegt in dem engen
Anschlüsse an die Deutsche Bank. Auch die Dresdner
Bank;, die Würtembergische Vereinsbank und andere
grössere deutsche Banken pflegen sich an den Syn-
dikatsgeschäften des Wiener Bankvereins mit ansehnr
liehen Quoten zu betheiligen. Wo immer in Oester-
reich sich die Gelegenheit bietet,, gewinnbringende
Operationen durchzuführen, ist der Wiener Bankverein
an hervorragender Stelle zu. finden. Er hat sich zu-
letzt bei der Eisenbahnverstaatlichung in Oesterreich
wirksam bethätigt und nimmt auch! eine führende
Stellung bei den Eisenkartellverhandlungen ein. Mit
geschickter Hand wusste Herr Bauer der Rima-
Muranyer Gesellschaft eine Position zu verschaffen,
die ihm die Gelegenheit bietet, ein Machtwort hin-
sichtlich des Eisenkartells zu sprechen. Auch in Un-
garn ist der Bankverein zu grosser Beliebtheit ge-
langt, wenngleich dort einzelne seiner Gesellschaften
vom Schicksale wenig begünstigt waren, wie die Un-
garische Industriebank, die innerhalb einer verhält-
nissmässig kurzen Zeit einen grossen Theil ihres
Aktienkapitals verloren hat.
Erleichtert wurde Herrn Bauer der Verkehr mit
den österreichischen und ungarischen Finanzkreisen
durch den Umstand, dass sich sein Bruder an der
Spitze eines der hervorragendsten französischen Bank-
institute befindet und in verwandtschaftlichen Bezie-
hungen zu den Häusern Rothschild steht. Bauer's
Votum ist nicht blos bei zahlreichen Aktiengesell-
schaften, sondern auch oft in der Wiener Börsen-
kammer entscheidend, an deren Berathungen er den
lebhaftesten Antheil nimmt. Eauer schreckt auch nicht
vor grossen Schwierigkeiten, wenn, sie sich seinen
Geschäften entgegenstellen, zurück. Mit den starken
Ressourcen rechnend, die seinem Institute zur Ver-
fügung stehen, nimmt er jederzeit,, wenn es not-
wendig ist, den Kampf mit anderen Banken auf. Für
seine Verdienste um den Österreichischen und unga-
rischen Finanzverkehr wurde Direktor Bauer durch
Verleihung der Eisernen Krone ausgezeichnet. Auch
30*
468
im gesellschaftlichen Leben nimmt Bauer eine aus-
gezeichnete Stellung ein.
Unter den österreichischen Finanzmännern, die
in erster Reihe das industrielle Gebiet kultiviren, steht
obenan Karl Wittgenstein. Als geborener Oesterreicher
hat er sich amerikanisches Temperament und ameri-
kanische Unternehmungslust angeeignet. Schon in
jungen Jahren fand er nämlich Gelegenheit, die Ver-
hältnisse jenseits des Oceans an Ort und Stelle kennen
zu lernen. Vor etwa drei Decennien kehrte er in
seine Heimath zurück und wendete sich hier der
Eisenindustrie zu, die damals eben in der ersten Ent-
wickelung begriffen war. Ein ganz kleines Werk, das
Walzwerk in Teplitz, das sich im Besitze von Ange-
hörigen seiner Familie befand, bot ihm Beschäftigung;
Nachdem er sich in diesem Werke bis zum Geschäfts-
leiter emporgearbeitet, erwarb er es schliesslich ge-
meinsam mit einigen Freunden. Aus den Teplitzer
Walzwerken ist im Laufe weniger Jahre die Prager
Eisenindustriegesellschaft geworden. Von Erfolg zu
Erfolg schreitend, gelangte er zu einer dominirenden
Rolle in der Eisenbranche. Seinem Urtheile ordnete
sich alles unter. Der ursprünglich gänzlich mittellose
Mann hatte in etwa zwanzig Jahren ein Vermögen
von 10 Millionen Gulden erworben, das seither noch
eine wesentliche Erhöhung erfahren hat. So reich
aber auch Wittgenstein geworden ist, er ist immer
ein Arbeiter geblieben. Sein Bureau bildete den Cen-
tralpunkt aller Eisenindustriellen. Vor etwa drei Jahren
fasste er den Entschluss, sich ein wenig Ruhe zu
gönnen. Obgleich immer wieder versichert wird, dass
der Wille Wittgenstein^ allein im österreichischen
Eisenkartell ausschlaggebend ist, darf es als festste-
hend gelten, dass er selbst sich von dem geschäft-
lichen Treiben fernhält. Er hat vielmehr einige seiner
Angestellten mit wichtigen Stellen und Missionen be-
traut, und er will sehen, ob es ihnen gelingen wird,
die Gesellschaften, die ihm nahestehen, auf der Höhe
zu erhalten, auf die er sie gebracht hat. Freilich kann
eine Persönlichkeit, die eine so hervorragende und
ausschlaggebende Rolle gespielt hat, sich nicht gleich-
sam über Nacht von den Geschäften vollständig zu-
469
rückziehen. So oft irgend eine wichtige Frage zu ent-
scheiden ist, holen seine Vertrauensmänner immer
wieder bei ihm Rath ein, und er kann sich diesen
Wünschen schon deshalb nicht entziehen, weil er
noch mit ansehnlichen Kapitalien an den verschie-
denen Unternehmungen betheiligt ist. Seitdem er in
Deutschland an grossen Spekulationen in Kohlen-
werthen empfindliche Verluste erlitten hat, ist er
übrigens in den Operationen an der Börse ein wenig
vorsichtiger und zurückhaltender geworden.
Eine^ impulsive Natur wie Wittgenstein muss für
die Thätigkeit, die er bisher auf geschäftlichem Ge-
biete entwickelt hatte, einen Ersatz finden. Er sucht
ihn vor allem in der Bethäfigung auf landwirtschaft-
lichem und künstlerischem Gebiete. Charakteristisch
ist, dass ihm neuestens die Absicht zugeschrieben
wurde, das Beethoven-Monument von Klinger zu er-
werben, um es der Stadt Wien zu schenken. Die Ge-
rüchte sind offenbar dadurch entstanden, dass Klinger
und Wittgenstein in freundschaftlichen Beziehungen
stehen und Klinger bei seiner Anwesenheit in Wien
Gast des Herrn Wittgenstein war Wittgenstein hatte
übrigens jederzeit eine offene Hand. Wo immer wohl-
thätige Institutionen gefördert werden sollten, stand
er mit nahmhaften Beträgen zur Verfügung. Die erb-
eingesessenen Millionäre wollen indess Wittgenstein
nicht als ebenbürtig ansehen. Für sie bleibt er ein
Parvenü, und manche Anfeindungen, denen er aus-
gesetzt ist, sind aus diesem Gesichtspunkte zu er-
klären.
Anfangs November 1901 beförderte sich selbst
in den Schoss Abrahams der Börsenspekulant Heller.
Die Börsenblätter schrieben folgendes:
Das Ende eines Grosspekulanten. Unser Wiener
Korrespondent schreibt uns: Wien ist seit zwei Wo-
chen um einen Grosspekulanten ärmer. Zwar hat
Herr Heller, dessen Schicksal den allgemeinen Ge-
sprächsstoff bildet, den Schauplatz seiner Thätigkeit
nicht verlassen, doch ist es ein öffentliches Geheimniss,
dass er sein Vermögen verloren hat. Er, der noch
im vorigen Jahre Tausende von Effekten gekauft hat,
ohne auch nur die geringste Aufregung zu verrathen,
470
muss jetzt mit den kleinsten Ziffern rechnen, um
nicht in Gefahr zu gerathen. Die Transaktion Hellers
machten wiederholt, und zwar nicht mir in Wien,
sondern auch in Berlin, Paris und London von sich
reden. Seines ehrlichen, aufrichtigen Charakters wegen
genoss Heller volles Vertrauen. Mit einer seltenen Kalt-
blütigkeit hat er wiederholt Riesenengagements ge-
löst, wenn er zu der Erkenntniss kam, dass er sich
nicht auf der richtigen Fährte befinde. Seine kost-
spielige Einrichtung, seine Wagenparks, alles, was er
zu Geld mächen konnte, hat Heller jetzt verkauft, um
seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Erst
als diese Thatsache bekannt geworden ist, haben sich
gute Freunde entschlossen, ihm unter die Arme zu
greifen. Es gab Perioden, in denen Heller mit 100.000
oder 150.000 Stück Effekten engagirt war. In den
meisten Fällen operirte er in Kreditaktien, Staats-
bahnaktien und Lombarden. Die tristen Wiener Ver-
hältnisse erkennend, ist er vor zwei Jahren nach Paris
übersiedelt, doch ist er von dort bald wieder nach
Wien zurückgekehrt, angeblich weil er in der franzö-
sischen Hauptstadt nicht das erforderliche Entgegen-
kommen gefunden hat. Mit Heller stirbt das Wiener
Grosspekulantenthum aus, denn die übrigen Speku-
lanten, die zeitweilig hier umfangreiche Geschäfte ab-
geschlossen haben, haben sich bereits in das Privat-
leben zurückgezogen. Heller hatte vor seinen Kollegen
noch eine ausserordentliche Temperamentfülle voraus,
die ihre Wirkung auf die Massen nie verfehlt hat.
War er im Treffen und hatte er den Erfolg für sich,
so gab es für ihn kein Nachlassen. In seiner Glanzzeit
besass er ein Vermögen von 5 bis 6 Millionen Gulden.
Bevor er sich der Börse gewidmet hatte, war er Bank-
beamter^
Hier haben wir einige Beispiele gegeben, wer
eigentlich in Oesterreich regiert.
Der Kapitalismus in Oesterreich ist natürlich
in erster Reihe gebunden an die Staatsgeschäfte,
sie geben ihm die Unterlage. Wenn die künftigen
Geschichtsschreiber über die habsburgische Mon-
archie ein richtiges Bild werden entwerfen wollen,
werden sie sicher eines der traurigsten Kapitel nicht
471
unerwähnt lassen das furchtbare Anwachsen der
Geldbedürfnisse des modfernen Staates. Als Lavoisier
Ludwig dem XVI. berichtete, dass das Volk im Lande
Gras und Rinde vor Hunger verzehre, rief Ludwig
aus : „Wahrhaft, das Volk ist zu gut, wenn ich Unter-
thän wäre, ich würde revolutioniren!u Nun zur Sache.
Die Staatsausgäben Oesterreichs innerhalb 50 Jahren
haben sich folgenderraassen gestaltet :
Ausgaben für das Jahr 1850:
Der Allerhöchste Hof ...... . 5,875,032 fl.
Kabinetskanzlei . . . .••..;. 44.910 „
Reichsrath 27.361 „
Ministerrath •.. . . \ : 136.900 „
Das Ministerium für. Auswärtige An-
gelegenheiten 1,690.164 „
Das Ministerium des Innern 13,609.055 „
Das Finanzministerium 24,727.086 „
Das Justizministerium , . ■ 11,180.632 „
Das Ministerium für Kultus und Unter-
richt 9,216.610 „
Das. Handelsministerium 2^,382.159 „
Das Heer . 125,085.731 „
Die Oberste Polizei .......... 4,663.141 „
Kontrolämter ..:.•:,.. 2,375.601 „
Staatsschuld f . • ; y : . . . 53,718.361 „
Summe der Staatsausgaben . . 269,033.653 fl.
Wie bekannt, war im Jahre 1850 die österrei-
chische Monarchie noch ungetheilt. In diesem Jahre
ruhte auf ungefähr 35 Millionen Einwohner der Ge-
sammtmonarchie eine Steuerlast von 269 Mill. Gulden
Conventionsmünze. (1 fl. ö. W. = 1 fl. ö kr. Gonvm.)
Seit dem Jahre 1867 haben wir in beiden Reichs-
hälften eine selbstständige Staatswirthschaft. (Die
Details der beiden Staatsvoranschläge von 1867 sind
in meiner Schrift: Der Nationalitäten- und Verfas-
sungskonflikt in Oesterreich. Prag, Cyrillo-Method'-
sche Buchhandlung.)
Gehen wir nun zum Voranschlage beider Reichs-
hälften für das Jahr 1903.
Ausgaben :
Oesterreich: Kronen
I. Allerhöchster Hofstaat 11,300.000
472
Kronen
IL Kabinetskanzlei Sr. Majestät . . 18U.835
III. Reichsrath 2,802.800
IV. Reichsgericht 50.724
V. Ministerialrath und Verwaltungs-
gerichtshof 3,214.368
VI. Beitragsleistung zum Aufwände
für die gemeinsamen Ange-
legenheiten 270,758.600
VII. Ministerium des Innern .... 70,309.061
VIII. Ministerium für Landesverteidi-
gung 62,165.906
IX. Ministerium für Kultus und Unter-
richt 81,326.562
X. Ministerium der Finanzen . . . 280,777.759
XL Handelsministerium 134,310.860
XII. Eisenbahnministerium 243,388.810
XIII. Ackerbauministerium 46,362.547
XIV. Ministerium der Justiz 72,326.691
XV. Oberster Rechnungshof .... 474.760
XVI. Pensions-Etat 66,538.403
XVII. Subventionen und Dotationen . 19,052.110
XVIII. Staatsschuld 359,207.624
XIX. Verwaltung der Staatsschuld . . 1,677.026
Gesammtsumme des Erfordernisses . . 1.726,225.364
A) Ordentliche Ausgaben:
Ungarn: Kronen
I. Königlicher Hofhalt 11,300.000
II. Kabinetskanzlei 180.835
III. Reichstag 3,572.658
IV. Gemeinsame Auslagen 75,360.115
V. Gentral-Pensionen 40.044
VI. Pensionen 21,047.462
VII. Staatsschulden 254,381.402
VIII. In Folge der Uebernahme garan-
tirter Eisenbahnen übernom-
mene Schulden 24,815.924
IX. Einzelne Portefeuille belastende
Anlehen 8,738.412
X. Eisenbahn-Garantie-Vorschüsse . 170.024
XI. Innere Verwaltung Kroatien-Sla-
voniens 16,138.941
473
Kronen
XII. Staatsrechmmgshof 335.640
XIII. Verwaltungs-Gerichtshof .... 562.064
XIV. Minister-Präsidium 1,073.498
XV. Ministerium am allerhöchsten
Hoflager 139.452
XVI. Ministerium für Kroatinen-Slavo-
nien 94.660
XVII. Ministerium des Innern .... 41,992.262
XVIII. Finanzministerium 179,041.043
XIX. Handelsministerium 202,392.772
XX. Ackerbauministerium 46,969.634
XXI. Kultus- U.Unterrichtsministerium 37,342.802
XXII. Justizministerium 36,295.417
XXIII. Honv6dministerium . . . . . . 38,679.437
Zusammen . . 1.000,664.498
Dazu kommen nach ausserordentliche Ausgaben
und Investitionen im Betrage von 109-7 Millionen
Kronen.
Staatsausgaben für 1903:
Oesterreich Ungarn
1.726,225.436 1.090,462.670
Summa: 2.816,688.106 Kronen
im J. 1850 : 538,067.286 „
Einnahmen für das Jahr 1903 :
Oesterreich: Kronen
I. Allerhöchster Hofstaat —
II. Kabinentskanzlei Sr. Majestät . . —
III. Reichsrath —
IV. Reichsgericht —
V. Ministerialrath und Verwaltungs-
gerichtshof 1,826.470
VI. Gemeinsame Angelegenheiten . —
VII. Ministerium des Innern .... 2,955.175
VIII. Ministerium für Landesvertheidi-
gung 947.646
IX. Ministerium für Kultus und Unter-
richt • .... 14,527.665
X. Ministerium der Finanzen . . . 1.227,735.248
XI. Handelsministerium 133,868.640
XII. Eisenbahnministerium 283,740.380
474
Kronen
XIII. Ackerbauministerium ..... 35,084.930
XIV. Ministerium der Justiz ..... 2,624.288
XV. Oberster Rechnungshof .... —
XVI. Pensions-Etat 3,274.746
XVII. Subventionen und Dotationen . 1,179?300
XVIII. Staatsschuld ......... 27,966.975
XIX. Verwaltung der Staatsschuld . . 21.500
XX. Einnahmen aus der Veräusserung
von unbeweglichem Staats-
eigentum ...... . . . . 880.000
Gesammtsumme der Bedeckung . . 1,726,643.263
A) Ordentliche Einnahmen :
Ungarn: Kronen
I. Pensionen . . . 248.000
II. Staatsschulden . . . ' 2,498.663
III. Beiträge zur Tilgung der die
einzelnen Portefeuilles bela-
stenden Anlehen ...... 201.466
IV. Rückerstattung der Zinsengaran-
tie-Vorschüsse der Eisenbahnen —
V. Ministerium am allerhöchsten
Hoflager 2.000
VI. Ministerium des Innern ... 7,996.607
VII. Finanzministerium . ... 703,721.321
VIII. Handelsministerium 290,105.762
IX. Ackerbauministerium 38,793.072
X. Kultus- und Unterrichts-Ministe-
rium ... ....... 5,521.137
XI. Justizministerium 1^833.922
XII. Honv6dministerium . . . . . 633.254
Zusammen . . 1.051,555.204
Machen wir eine kleine Reminiscenz.
- Aasgaben für das Jahr 1850 * 1900
Das Heer 125,085.731 fl. 153,734.062 fl.
Landwehr 44,347.062 „
Die Staatsschuld . 53,718.361 fl. 347,021.388 „
Kultusministerium . 2,616.610 „ 52,342.617 „
Finanzministerium . 24,727.986 „ 220,726.593 n
Handelsministerium 23,382.159 ^ 260,400.523 „
Justizministerium . 11,180.632 „ 51,003.809 „
475
Kommentare zu diesen Ziffern sind überflüssig.
Im Ausgabeposten des Handelsministeriums ist zu-
sammengezogen auch der Ausgabeposten des öster-
reichischen Eisenbahnministeriums. Gehen wir nun
zu einem noch interessanteren Theil, zu den Staats-
einnahmen oder den Steuern über.
Die direkten Steuern :
Jahr 1850 1900 nur
tür ganz für die österr.
Oesterreich Reichshälfte
Bodensteuer .... .48,072.31411. 28,400.000 fl.
Haussteuer 6,478.525 „ 33,065.000,,
Zinssteuer 2,828>000 „
Gewerbesteuer .... 3,117.813 „ 18,100.000 „
Einkommensteuer. . - 1,337.960 „ 23,100.000,,
Steuer der Geld- und
Aktiengesellschaften . 22,660.000 „
Rentensteuer ...... 3,455.000 „
Besoldungssteuer ... 820.000 „
Exekutionssteuer ... 906.000 „
Verzugszinsen ..... 380.600 „
Verschiedene direkte
Steuern . . . : . . . 3,572.569 „
Summe der direkten
Steuern. .... . .62,579.2080. 133,714.600 ft
Dazu direkte Steuern Un-
. garns rund ..... 110,000.000 „ ;
Indirekte Steuern:
1860 1900
Ranz Oesterreich österr. Beichshälfte
Verzehrungssteuer . . . 22,554.942 fl. 149,433.000 fl.
Zoll 20,639.888 „ 57,321.500 „
Salzverkauf 22,252.711 „ 27,564.000 „
Tabak 15,275.129 „ 104,913.100 „
Stempel 5,922.028 „ 25,000.000,,
Gebühren 47,215.000 „
Taxen 2,340.354 „ 3,000.000 »
Lotterie 2,713.199 „ 15,769.000 „
Mauth 2,556.711 „ • 1,063.000 „
Sämmtl. indir. Steuern 94,543.607 „ 370,465.600 „
Dazu indirekte Steuern
Ungarns 128,277.023 „
Innerhalb der 50 Jahre stellt sich die Steuerlast
folgendermassen dar:
476
reich
Sämmtliche Steuereinnahmen in ganz Oester-
1860
157,122.906 0,
1900
Oesterreich 670,390.469 fl.
Ungarn 338,277,023 fl.
908f667.492 fl.
Ertraf der direkten and indirekten Bteuern in
Oesterreich Ungarn
im Jahre 1903. . . . 1.217,736.248 K 703,721.321 K
Summe 1.921,456.569 K
im Jahre 1850 314,245.810 K.
Im Laufe von 50 Jahren hat sich also die Steuer-
schraube fasst veraiebenfacht Sehn wir uns nun die
Steuerleistung der einzelnen Kronländer näher an.
Es entrichtetrn an direkten Steuern Veraehrungsteuer
im Jahre 1900
Nieder-Oesterreich . . 98,589.686 K 44,441.988 K
Ober-Oesterreich . . . 9,721.698 . 5,694.962 _
Salzburg 2,244.428 „ 2,067.680 „
Steiermark 14,712.255 „ 7,564.444 _
Kärnten 3,485.344 „ 1,674.097 ,
Krain 3,418.162 „ 1,216.384 „
Küstenland 8,325.343 „ 6,497.883 _
Tirol und Vorarlberg . 7,292.701 „ 3,239.720 _
Böhmen 67,982.432 „ 118,256.368 _
Mähren 24,671.121 „ 61,597.784 ,
Schlesien 6,191.687 „ 20,211.679 ,
Galizien 26,095.411 , 40,647.507 „
Bukovina 2,945.161 „ 3,505.674 „
Dalmatien . . . . . . 1,622.311 „ 543.143 „
Summe 278,189.989 K 317,421.526 K
Zu den direkten und den Verzehrungssteuern
kommen noch folgende indirekte Steuern in Betracht :
Nieder-Oesterreich
Ober-Oesterreich
Salzburg . .
Steiermark
Kärnten . .
Krain . . .
Küstenland
Tirol und Vorarlberg
Böhmen
Tabakmonopol
56,959.374 K
7,222.431 „
2,070.813 _
11,234.312 _
2,846.610 „
2,925.083 _
7,435.314 -
7,552.403 _
68,717.906 „
Zolleinnahmen
28,859.029 K
3,350.243 _
1,646.235 „
970.590 „
467.315 _
150.003 „
39,389.208 „
5,482.194 „
27,832.164 _
477
Mähren 17,252.661 K 2,118.075 K
Schlesien 7,591.145 , 3,461.870 „
Galizien 28,386.661 „ 4.281.695 „
Bukovina 3,039.713 „ 1,015.917 „
Dalmatien . . . . . . 1,550.044 „ 646.094 „
Summe 216,865.389 K 119,070.632 K
Zuletzt kommen in Betracht die Staats- Einnahmen
aus Stempel, Militärtaxe, Gebühren für Rechtsgeschäfte,
Urkunden und Amtshandlungen, Mauthgebühren und
das Lotto. Alle diese hier 6 genannten indirekten
Abgaben ergaben dem Staate folgende Einnahmen im
Jahre 1900 in Kronenwährung.
Staatseinnahmen ans Staatseinnahmen
Stempel, Militärtaxe, ans Post und
Gebühren für Hechts- Telegraph
geschälte, Mauth und
Lotto
für das Jahr 1900
Nieder-Oesterreich . . 83,196.812 K 34,145.664 K
Ober-Oesterreich . . . 5,484.027 „ 2,920.324 „
Salzburg 1,646.383 B 1,159.999 „
Steiermark 8,558.342 „ 4,977.098 „
Kärnten 2,245.000 „ 1,286.830 „
Krain 2,062.066 „ 1,117.925 n
Küstenland . ... 6,101.130 „ 4,068.088 „
Tirol und Vorarlberg . 5,736.620 „ 4,773.669 „
Böhmen 40,136.366 „ 25,958.990 „
Mähren 13,075.901 „ 7,839.235 „
Schlesien 3,027.614 „ 2,360.292 „
Galizien 22,225.608 „ 9,756.045 n
Bukovina 2,704.832 „ 1,129.479 „
Dalmatien . . . . . . 1,301-644 „ 1,076.796 .,
Gesammteinnahmen . 209,312.295 K 107,718.310 K
Hiemit haben wir die sämmtlichen Staatsein-
nahmen hier angeführt. Man mag welche Gruppe
auch immer in Augenschein nehmen, immer ist es
das Königreich Böhmen und die 2 böhmischen Krön«
länder Mähren und Schlesien, denen der Löwenan-
theil bei allen Staatseinnahmen zufällt Diese Zahlen
führen den mathematischen Beweis, dass das König-
reich Böhmen und seine 2 Nebenkronländer die wahren
Perlen des habsburgi sehen Reiches sind und dass
ohne diese böhmischen Kronländer Oesterreich auf
47*
ein Niveau herabsinken würde, auf welchem dieses
Reich überhaupt keine absonderliche Rücksicht und
Beachtung unter den europäischen Staaten geniessen
würde. Oesterreich ohne die böhmischen Kronländer
würde zu einem Staate von geringer Bedeutung herab-
sinken. Wir begreifen darum den preussischen
Hunger nach diesen Perlen und begreifen aber nicht
die Art und Weise, wie man von Wien aus das
böhmische Volk für seine riesigen Staatsabgaben be-
handelt
Es ist genau so, wenn ein Grossgrundbesitzer
niemals auf seinem ergiebigsten Gut Nachschau hält
und dann in Folge dessen wirtschaftlich zu Grunde
geht. Die Wahrheit dieser Worte wird noch mehr
in die Augen schlagen, wenn wir die Staatseinnahmen
nach den Gruppen zusammenfassen.
Es entrichteten an direkten und undirekten Steu-
ern unter den vorher angeführten Gruppen im Jahre
1900: a) Alpenländer, Nieder-Oesterreich, Ober-Oester-
reich, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Tirol u. Vorarl-
berg 476,399.264 Kronen; b) Südslavische Kronländer:
Krain, Küstenland und Dalmatien 91,456.521 K; c) Ga-
lizien und Bukovina 162,529.893 K; d) die böhmischen
Kronländer Böhmen* Mähren u. Schlesien 508,183.290 K.
Dabei muss noch eine Korrektur vorgenommen werden.
Von den Alpenländern hat natürlich Nieder-Oester-
reich mit der Reichshauptstadt Wien die stärksten
Einnahmeposten für den Staatssäckel.
So figurieren die direkten Steuern mit 98 '/a Mil-
lionen Kronen, davon sind zu fixieren die Hauszins-
steuer 28'7, Erwerbsteuer 11, Steuer der Geldinsti-
tute 226, Personaleinkommensteuer 20 Millionen
Kronen. Diese Einnahmen fallen wohl auf das Weich-
bild von Wien, wo alles centralisiert ist, so die Banken
und die staatlichen Gentralämter.
Dann figuriert für Wien 50 1/2 Millionen Kronen
Einnahmen für Rechtsgebühren, welche doch aus
allen Kronländern zusammenfliessen und hier als
Staatseinnahme für Nieder-Oesterreich eingereiht sind.
Noch mehr erkennen wir die Steuerkraft der einzelnen
Kronländern aus folgenden Zahlen. Es entfielen von
den Steuern auf einen Einwohner im Jahre 1900 :
479
Direkte Verzehrungs-
Stenern Steuer
Kronen
Nieder- Oesterreich . 31-94 14*40
Ober-Osterreich 12 7-03
Salzburg 11-61 1070
Steiermark 10-85 5'58
Kärnten 9-49 4-56
Krain 6-72 2-39
Küstenland 11-02 8;60
Tirol u. Vorarlberg 7-44 3*31
Böhmen 1076 1872
Mähren 1013 2530
Schlesien 910 2970
Galizien 3-58 5-57
Bukovina 4-03 480
Dalmatien 2-74 0-92
Wahrlich diese Zahlen bedürfen keines Kommen-
tars. Ohne die böhmischen Kronländer müsste der
österreichische Finanzminister sein Amt auf ein sehr
geringes Maass reduciren. Es wird an dieser Stelle
nicht schaden, wenn wir einige Belege aus der Steuer-
leistung der Kronländer in früheren Jahren anbringen.
Moderne Juristen haben die Allmacht des Staates
als die oberste Staatsweisheit proklamirt. Die Macht-
haber Europas haben sich nach Vernichtung Napo-
leons diese Lehre zu Herzen genommen.
Friedrich Wilhelm III. von Preussen besuchte
einige Jahre nach den Befreiungskriegen Moskau. Als
er von den Sperlingsbergen vor der alten Garenstadt
stand, sank er mit seinen Söhnen auf die Knie und
rief aus : „Danken wir Gott, dieser Stadt, die ist es,
die meinen Staat vor dem Untergange gerettet hat."
Seitdem Russland seine Politik nach dem Krim-
Kriege endgiltig nach Asien gerichtet hatte, waren
die westlichen Staaten Europas vom russischen Drucke
frei. Preussen arbeitete mit Dampf an dem Aufbau
des grossen Deutschland und nachdem die Hofräthe
in Wien durchaus nicht begreifen wollten, dass sie
in Frankfurt nichts zu suchen haben, hatte Preussen
den begriffstützigen Herren Diplomaten in Wien eine
blutige Lehre gegeben. Freilich sind die grossen Herren
weder bei Nächod noch bei Königgrätz gefallen, son-
480
dem es wurden dort vom preussischen Zündnadel-
gewehr Tausende Söhne österreichischer Völker nieder-
geschossen. Zum Danke dafür ist nun aus Oesterreich
eine Grossmacht geworden, welcher die Aufgabe zu-
gewiesen ist die preussische Kriegsbeute vom J. 1 870
zu hüten. Als das allein staatserhaltende Element des
österreichischen Staates ist nun Dank dem unge-
störten Treiben der preussischen Agenten Wolf und
Schönerer die deutsche Staatssprache und der poli-
tische Centralismus proklamirt. Durch die Schaffung
grosser politischen und administrativen Gentren wer-
den grosse byrokratische Apparate nothwendig. Alles
Blut vom Lande strömt zum Mittelpunkt. Das alte
Rom ist an dem politischen Centralismus, dem noth-
wendig der wirtschaftliche folgt, zu Grunde gegangen.
Sehen wir nun die Wirkungen des Centralismus in
Oesterreich. Welche Steuern haben die Völker Qester-
reichs entrichtet im Jahre 1862 und welche müssen
jetzt abgeführt werden.
Es entrichteten an direkten Steuern die Länder
des böhmischen Krone :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
Böhmen 17,551.560 0. 29,185.225 fl.
Mähren 6,832.556 „ 11,715.602 n
Schlesien 1,287.474 „ 2,416.903 „
Zu den direkten Steuern im Jahre 1862 wurde
gezählt : Grundsteuer, Hauszinssteuer, Hausklassen*
Steuer, Erwerbsteuer und Einkommensteuer. Zu diesen
direkten Steuern ist seit 1898 noch die Personal-
einkommensteuer hinzugetreten. Vor 40 Jahren haben
demnach die Länder der böhmischen Krone an di-
rekten Steuern rund 25 1/2 Millionen fl. gezahlt, jetzt
müssen sammt der Personal-Einkommensteuer rund
49 V2 Millionen fl. aufgebracht werden. Die Alpen-
länder haben an direkten Steuern gezahlt:
im Jahre 1862 im Jahre 1897
Nieder-Oesterreich . . 14,851.111 fl. 40,625.856 fl.
Ober-Oesterreich . . . 2,900.088 „ 4,823.509 „
Salzburg • 515.018 „ 1,066.040 „
Tirol u. Voralberg . . 1,224.540 , 3,450.252 „
Steiermark 2,996.678 „ 6,600.930 „
481
Kärnten 932.043 fl. 1,556.770 fl.
Krain . 1,217.027 „ 3,677 295 „
Im Jahre 1862 hat die Gruppe der Alpenländer
an direkten Steuern rund 24 Millionen fl. abgeführt,
heute nach 40 Jahren müssen diese Länder sammt
der Personaleinkommensteuer rund 74 V2 Millionen
bezahlen. Die übrigen Länder haben folgende Sum-
men an direkten Steuern aufgebracht :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
Küstenland 1,811.457 fl. 3,677.295 fl.
Dalmatien 541.800 „ 744.888 n
Galizien 6,838.694 „ 13,362.625 n
Bukovina 593.147 „ 3,357.230 „
Die direkten Steuern der jetzigen österreichischen
Länder, die im Wiener Reichstage vertreten sind,
haben eingetragen eine Summe von rund 59 Millionen
Gulden Conventionsmünze, im J. 1897 mussten die-
selben Länder die Summe von 122,259.372 fl. auf-
bringen. Gehen wir nun zu den indirekten Abgaben
über. Hier gibt es mehrere Gruppen.
Die erste Gruppe sind die Verzehrungsteuern,
die Branntwein-, Wein-, Most-, Bier-, Fleisch- und
Schlachtvieh-, Zucker- und sonstige Verzehrungsteuern.
Diese Verzehrungsteuern haben den Staatskassen fol-
gende Beträge eingebracht und zwar in den Ländern
der böhmischen Krone :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
Böhmen 10,453.000 fl. 49,470.012 fl.
Mähren 4,130.000 „ 23,532.013 „
Schlesien 1,267.300 „ 7,775.276 „
Im Jahre 1862 haben die böhmischen Kron-
länder an Verzehrungsteuern 15*8 Millionen fl., im
Jahre 1897 aber 80-7 Millionen fl. entrichtet.
Die Alpenländer:
im Jahre 1862 im Jahre 1897
Nieder-Oesterreich . . 10,904.400 fl. 25,499.746 fl.
Ober-Oest erreich .
Salzburg ...
Tirol u. Vorarlberg
Steiermark . . .
Kärnten
1,690.680 „ 3,009.602
387.190 „ 888.892
751.700 „ 1,395.357
1,937.850 „ 3,525.648
436.200 „ 872.779
Krain 605.170 „ 649.406
31
482
Die übrigen Länder:
im Jahre 1802 im Jahre 1897
Küstenland 925.710 fl. 2,580.396 flL
Dalmatien — , 200.433 „
Galizien 5,284.100 „ 18,861.052 „
Bukovina 586.300 „ 1,553.279 r
Man, sieht dass der österreichische Staat die
grössten Summen der Verzehrungssteuer gerade aus
den Ländern der Böhmischen Krone bezieht, zum
Danke dafür wird das arme czechoslavische Volk
mit Mannlichergewehr und Festungsstrafen belohnt
und mit Ausnahmszustand bedroht. Binnen 40 Jahren
sind die Verzehrungsteuern im Königreich Böhmen
verfünffacht worden! Die Verzehrungsteuern haben
in den sämmtlichen im Reichrathe vertretenen König-
reichen und Ländern folgende Summen eingebracht :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
39,356.800 fl. 139,922.240 fl.
Gehen wir nun zu den weiteren Gruppen. Mit dem
Salzmonopol brauchen wir uns nicht zu befassen.
Hier kommen drei Länder in Betracht: Galizien,
Ober-Oesterreich und das Küstenland. Das Salzmonopol
hat eingetragen :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
22,821.024 fl. 22,545.596 fl.
Eines der interessantesten Kapiteln ist das Tabak-
monopol. Dasselbe trug ein :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
Böhmen 8,850.100 fl. 26,311.233 fl.
Mähren 3,551.500 „ 7,932.918 „
Schlesien 567.500 „ 3,242.255 „
Nieder-Oesterreich . . 8,841.950 „ 26,293.084 „
Ober-Oesterreich . . . 1,768.400 „ 3,438.879 „
Salzburg 466.703 „ 1,003.389 „
Tirol u. Vorarlberg . 1,596 500 „ 3,368.500 „
Steiermark 2,180.600 „ 5,139.931 „
Kärnten 689.840 „ 1,327.736 „
Krain 758.750 „ 1,369.538 n
Küstenland 1,780.400 „ 3,378.807 „
Dalmatien 451.500 r 640.400 „
Galizien 4,663.820 r 12,652.661 „
Bukovina 264,100 . 1,356.358 „
insgesammt .... ~ fl, 98,170.634 fl.
483
Der Tabakkonsum in Böhmen hat sich im Zeit-
räume von 1862—1897 mehr als verdreifacht, im
armen Schlesien versechsfacht! Der „arme" Staat
bereichert sich aus den Taschen der Schusterjungen
und Piccolos, er verschmäht nichts, er ist ja ein
„wahrer Kulturstaat". Die Zolleinnahmen haben in
der österreichischen Reichshälfte eingetragen :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
11,991.530 fl. 61,077.899 fL
An Stempeln wurden abgeführt:
im Jahre 1892 im Jahre 1897
8,562.000 fl. 22,412,457 fl.
Dazu kommt noch der Betrag aus der Militärtaxe,
welcher im Jahre 1897 ergab 927.472 fl. Taxen für
Gnaden-Verleihungen und ähnl. 2,065.875 fl.
Taxen für Rechtsgebühren haben geliefert:
im Jahre 1862 im Jahre 1897
14,208.300 fl. 45,355.413 fl.
Ertrag sämmtlicher indirekten Abgaben :
im Jahre 1862 im Jahre 1897
156,546.120 fl. 282,548.000 fl.
Wie die Steuerschraube arbeitet, ersehen wir aus
folgendem Vergleich. Auf einen Einwohner in Oester-
reich kam eine Steuerleistung von:
im Jabre direkter Abgaben indirekter Abgaben
1888 4 fl. 45 kr. 7 fl. 69 kr.
1898 4 „ 84 „ 11 „ 19 „
Der politische Gentralismus, der grosse Verwal-
tungscentren schafft, hat nothwendig zur Folge die
Schaffung grosser bürokratischer Apparate, welche
immer grösseren Aufwand jährlich verschlingen. Nicht
allein das. In den grossen Gentralämtern in Wien
sitzen Hunderte Grohmanns, welche mit einem ge-
radezu infernalen Hass alle auch noch so gerechten
Kultur- und wirthschaftlichen Ansprüche des böh-
mischen Volkes niederhalten und bekämpfen, damit
ja dieses arme Volk nicht emporkommen könne. In
diesem Hasse wetteifern förmlich gewisse Minister
wie Eisenbahnminister Wittek, Justizminister Spens-
Booden, Unterrichtsminister Hartel mit dem ganzen
mächtigen Centralapparate. Ein verbissener Gegner
böhmischer Priester, falls sich einer von ihnen zu
einer Prälatur meldet, ist Minister Hartel, der für
31*
484
seine „wissenschaftliche" Leistung in Karlsbad den
preussischen Adlerorden erhielt.
In diesen mächtigen Centralämtern in Wien wird
über das Geld verfügt, welches von allen Kronländero
nach Wien zusammenströmt. Da wird Licht und
Schatten nicht nach gleichem und gerechtem Maasse
vertheilt. Man sehe die prächtigen Paläste der Schu-
len, welche in deutschen Städten sind, und die
ärmlichen Schulbauten, die in böhmischen Gemeinden
sind. Handelt es sich um eine deutsche Anstalt, flugs
ist ein Prachtbau fertig, handelt es sich um eine
böhmische Anstalt, muss in Wien jahrelang gebettelt
werden, bis man endlich gnädig einwilligt und den
Bau finanziert. Doch genug an dem. Man behauptet
in Wien, dass die Selbständigmachung der Kronländer
noch mehr Kosten verursachen würde oder gar die
Einführung der nationalen Autonomie. Als im Jahre
1902 die Frage der Autonomie von Wälschtirol ent-
brannt war, schrieb Ende Juli 1902 ein reichsdeutsches
Blatt in einer Korrespondenz aus Wien folgendes :
„Es wäre ein Irrthum, wollte man annehmen, der
nicht perfekt gewordene Tiroler Ausgleich sei aus-
schliesslich an der nationalen Frage gescheitert. In
Bezug darauf, also insbesondere in Sachen der Aus-
scheidung des deutsche Sprachinseln in sich schlies-
senden Fassathales aus Wälschtirol hätte sich wohl
noch irgend ein Ausweg finden lassen. Die eigentliche
Schwierigkeit zeigte sich bei der Lösung der finan-
ziellen Frage. Verwickelt wurde sie dadurch, dass
das wohlhabendere, von einer tüchtigen Bauernschaft
bewohnte Deutschtirol zum Theil die Kosten für die
Verwaltung Wälschtirols aufbringt, die bisher von
Innsbruck aus besorgt werden. Solange ein Land ein-
heitlich verwaltet wird, bezahlt naturgemäss der
wirtschaftlich Stärkere einen Theil der für den
wirthschaftlich Schwächeren nothwendigen Auslagen
Wenn nun dieser letztere Selbstverwaltung anstrebt*
so muss er es sich gefallen lassen, auf bisherige
Zuschüsse zu verzichten. Darüber mussten sich die
Wälschtiroler von vornherein klar sein. Da sie aber
bei der Gewinnung der Selbstverwaltung noch ein
gutes Geschäft machen wollten, so führten sie eine
485
nicht zu lösende Verwicklung herbei. Sie verlangten
nicht bloss, dass der bisher für Wälschtirol ver^
wendete Theil aus den Einnahmen des Kronlandes
dem künftigen italienischen Landesausschuss in
Trient zugewiesen werde; sie erwarteten auch, dass
künftige Ausgaben, so die Erhöhung der Lehrer-
gehalte, ihnen aus den Mitteln der Allgemeinheit,
des Staates oder des Landes ersetzt würden. Es
scheint, dass der Statthalter von Tirol, Freih. v.
Schwarzenau, auch hierin Zugeständnisse machen
und den Staatsschatz zur Bedeckung auch dieser
Lasten heranziehen wollte. Der Finanzminister Böhm-
Bawerk erklärte es aber für unmöglich, dass der
Staat die Kosten des nationalen Ausgleichs tragen
solle. Und daran scheiterte die Sache.
Ganz dieselbe Frage war bei jedem der vielen
nationalen Friedensschlüsse in Oesterreich zu lösen.
Auch als die Polen 1872 eine grössere Autonomie
anstrebten, wünschten sie, dass ihnen die bisherigen
Zuschüsse des Staates ausbezahlt würden. Damit
aber war die damalige deutsche Verfassungspartei in
Oesterreich unter Führung Eduard Herbst's, welche
die Mehrheit im Reichsrathe besass, nicht einver-
standen. Man weiss ferner, dass das Wesen des un-
garischen Ausgleichs von 1867 darin besteht, dass
die Magyaren eine ihnen höchst günstige, den deutsch-
slavischen Erblanden aber sehr ungünstige Lösung
ertrotzten. Ungarn stellt zur gemeinsamen Armee
seiner Bevölkerungsziffer nach 44 Procent der Soldaten,
Oesterreich 56 Procent. Der selbständige ungarische
Staat, der nichts von seinem Rechtstitel hergeben
will, hätte die natürliche Pflicht, die Kosten für diese
44 Proc. aufzubringen. Das aber geschieht bekanntlich
nicht, sondern Ungarn zahlt nicht ganz 34 Proc. zu
den gemeinsamen Ausgaben, mit der Begründung,
dass sein Wohlstand gegenüber dem der anderen
Reichshälfte eine grössere Belastung nicht vertrage.
Die Folge davon ist, dass Oesterreich dem unga-
rischen Staate mehr als den vierten Theil seiner
Militärlasten abnimmt. Allerdings werden die Leistun-
gen Ungarns dadurch etwas erhöht, dass es zur
Givilliste des Monarchen 50 Procent beiträgt. Wenn
486
aber alle nationalen Friedenschlüsse in Oesterreich
zur Folge haben sollten, dass die Deutschen als der
wohlhabendste Theil den übrigen Völkern ihre Auto-
nomie zum Theil zu bezahlen hätten, so würde ihr
Abschluss immer schwieriger werden."
Den grössten Theil der Staatseinnahmen ver-
schlingen die Zinsen für die Staatssehuld und die
Ausgaben für das Heer und die Flotte. Nach den
Ausgaben des kaiserl. staust Amtes des deutschen
Reiches betrugen die Kosten für:
Heer Heer, Flotte, Zinsen
und Flotte und Pensionen
für das Jahr 1908
Millionen Reichsmark:
England 2124*7 2671-7
Nordamerika .... 1482-6 1596-0
Russland 10802 1546-2
Deutschland 985-1 1068-4
Frankreich 927-2 1667-3
Oesterreich-Ungarn .' . 408*2 837*9
Italien 2528 865-4
Japan 218*5 299*1
Die Staatsschuld Oesterreichs nimmt ihren haupt-
sächlichsten Anfang in den Napoleonischen Kriegen.
Wir geben hier die Zahlenreihe an, in der Währung
wie sie in österreichischen Gulden notirt ist.
Hanptsomnie Der im betreffenden Jahre
_ der Staatsschuld gezahlte Zins
1781 . . . 283,300.000 ta ™den
1821 . . 1.010,517.860 24,079.627
1848 . . . 1.238,062.395 38,966.845
1858 . . . 2.439,616.605 100,715.689
Im Jahre 1867 wurde Oesterreich in zwei
Hälften zertheilt und die Staatsschuld blieb beiden
gemeinsam. Sie betrug Ende 1868 2.676,940.599 fl.
Im ersten Jahre der Herrlichkeit des Dualismus
machte Oesterreich schon eine nette Schuld von
307,924.761 Gulden für eigene Rechnung. Seit dem
sind wir gewaltig fortgeschritten. Wie schon an-
geführt, hatten Wir Ende 1902 : Millionen Kronen
allgemeine Staatsschuld 5*437*6
österreichische Schuld ... ... 2.065*7
ungarische Schuld . 4.436-5
Summe . . . 11.939*8
487
Zinserforderniss rund 700 Mill. K. Neben den
riesigen Lasten des Staates müssen die Steuerzahler
Oesterreichs noch für die Bedürfnisse der Kronländer,
Bezirke und Gemeinden aufkommen. Es betrugen
im J. 1900 die Zuschläge zu den direkten Steuern
für die Rechnung der Landes-, Bezirks-, Schul- und
Gemeindebedürfnisse
Betrag der
Umlagen
Prozentverhältniss
zu den vorgeschrie-
benen direkten
Staatssteuern
58-2
88-4
136-7
1101
111-7
81-6
Niederösterreich . . . .'49,229.879
Oberösterreich .... 7,935.507
Salzburg 2,528.874
Steiermark . t . . . . 13,455.667
Kärnten 3,000.845
Krain 2,225.785
Küstenland 4,788.738
Tirol und Vorarlberg . 7,829.757
Böhmen 76,068.713 1172
Mähren 27,602.668 121-1
Schlesien 6,630.396 144-1
Galizien 28,987.501 125*8
Bukovina 2,944.354 113-4
Dalmatien . . . . . 2,518.597 1671
Summe . . . 235,747.278 Kronen.
Also neben den Staatssteuern müssen die Kron-
länder zur Bestreitung der Schulausgaben und anderer
Landesbedürfnisse jährlich rund 250 Mill. Kronen auf-
bringen. Dazu kommen noch die 50 autonomen Städte-
verwaltungen mit Wien an der Spitze, welche in
dieser Ziffer nicht inbegriffen sind. Im Jahre 1899
hatten autonome Städte folgende Ausgaben:
Wien . .
Linz . . .
Salzburg .
Graz . . .
Klagenfurt
Laibach .
Triest . .
Innsbruck
Prag, Jahr 1898
Reichenberg .
139,578.842 K,
3,490.630 „
2,610.408 „
7,991.582 „
1,096.661 „
3,080.321 „
24,371.568 „
3,934.838 „
5,316.704 „
1,655.171 „
488
Brunn 14,941.450 K
Kremsier . . . 1,738.942 „
Olmütz .... 3,356.204 ,
Troppau .... 2,219.874 „
Lemberg. . . . 3,132.147 „
Kolomea .... 1,616.652 „
Czernowitz ... 1,210.222 „
Damit hätten wir ein Bild der öffentlichen Lasten
in Oesterreich entworfen. Wie lange sich dieses
System erhalten wird, kann- wohl Niemand bestimmen,
dass es aber keine weiteren 100 Jahre bestehen kann,
wird wohl jedermann zugeben müssen. Die Schulden-
wirthschaft, die Grundlage des Kapitalismus ist weiter
ersichtlich in der Verschuldung des unbeweglichen
Besitzes in Oesterreich.
Stand der Hypothekarschulden in Oesterreich
war folgender:
Jahr 1868 Jahr 1898
Kronen Kronen
Niederösterreich . 462,911.172 Wien . 1.348,414.480
Land . 636,215.820
Oberösterreich . . 387,846.628 379,146.478
Salzburg 40,946.180 104,721.160
Steiermark. . . .226,009.550 393,380.720
Kärnten ... . 69,245.000 161,455.024
Krain 62,815.054 154,869.836
Küstenland . . . 54,264.916 194,568.960
Tirol u. Vorarlberg 37,698.334 696,450.296
Böhmen 588,382.726 Prag . 419,439.384
Land . 2.640,166.350
Mähren 228,274.812 863,096.260
Schlesien .... 47,731.452 266,306.380
Galizien \ <iAAAaa<\K* 1.013,353.254
Bukovina) • ' ■ • 14M38.058 83;972.176
Die Hypothekarschulden des heutigen Oester-
reich betrugen:
Ende 1858 1898
2.287,738.828 K, 9.543,575.434 K.
Kommentare zu diesen Ziffern sind überflüssig.
Neue Belastung in den Grundbüchern Oesterreichs
betrug:
im Jahre 1899 . . . 388,491.585 K,
„ „ 1900 ... 328,255.762 „
489
Die Hypothekarschulden Oesterreichs betrugen also
im Jahre 1858 2.287,738.828 K
„ „ 1900 10.260,322.781 K
Im Verlauf von 42 Jahren ist der unbewegliche
Besitz in Oesterreich mit einer fünffachen Schulden-
last beladen worden. Die Hypothekarschuldner müssen
den Gläubigern mindestens 470 Millionen Kronen
jährlich Schuldzinsen zahlen, wobei wir sicherlich
nicht zu hoch greifen. Dass es mit dem Wohlstand
in Oesterreich nicht absonderlich aussieht, ersehen wir
aus folgenden Zahlen. Das ganze Volksvermögen in
Oesterreich dürfte 60.000 Millionen Kronen betragen,
das von Ungarn 31.100 Millionen Kronen. Das Brutto-
einkommen der Bevölkerung Oesterreichs dürfte jährlich
6000 Millionen Kronen nicht übersteigen. Von der
Bevölkerung Oesterreichs, die im J. 1901 auf 26,150.708
Menschen angewachsen war, entrichteten nur 837.414
Personen die Personaleinkommensteuer. Zu diesen
waren noch weitere 1,633.725 Personen zugehörig.
Unter das Bereich der Personaleinkommensteuer
gehörten in Oesterreich im J. 1901 nur 2,471.139
Personen.
Nur der zehnte Theil der Bevölkerung in Oester-
reich verfügt über ein Existenzminimum von 1200
Kronen jährlich aufwärts, die anderen neun Zehntel der
Bevölkerung gehören zur Klasse des Proletariats. Das
Bruttoeinkommen der Personalsteuercensiten wurde
abgeschätzt für das Jahr 1901:
Grundbesitz 253,003.638 K
Gebäude 320,794.556 „
Selbständige Unternehmungen . . . 877,676.979 „
Dienstbezüge 1.128,248.132 „
Kapitalsvermögen 482,624.389 „
Sonstiges Einkommen 40,642.188 „
Es ist auffallend, dass die einbekannten Dienst-
bezüge grösser sind, als die einbekannten Einnahmen
aus den selbständigen Unternehmungen. Dürften doch
die Fabrikanten ihre jährlichen 600 bis 800 Millionen
Kronen Einkommen haben, manche Aktiengesellschaften
ersticken ja im Geld, während der kleine Mann zu
Grunde geht, da ihm der billige Kredit unzugänglich
ist. Hat doch die österreichisch-ungarische Bank
490
vom Jahre 1888 bis 1899 Wechsel escomptiert im Be-
trage von
in Wien 11.148*5 Millionen Kronen
in Budapest 6.3296 „ „
in Prag 2.495*5 , „
in Brunn 997 „ „
in Lemberg 809 „ „
in Graz 625 „ „
Dieser billige Kredit ist nur den Grossbetrieben
verfügbar. Dass die Lasten des Kapitalismus auf die
Dauer vom Volk nicht ertragen werden können, ist
doch ausser allem Zweifel. Das ganze Gebäude wird
einmal einstürzen. Dann wird der Nationalitätenkampf
verstummen. Während Schönerer, Wolf und Gonsortes
ein indianisches Wuthgeheul erheben, wenn im soge-
nannten deutschen Sprachgebiet ein Hungerposten
einem Sohne der böhmischen Nation zugewiesen wird,
schweigen diese alldeutschen Wütheriche ganz gründ-
lich, wenn aus Oesterreich jährlich 400 Millionen
Kronen Zinsen ins Ausland gezahlt werden den Kapi-
talisten, die österreichische Wertpapiere besitzen, ob
es nun Kaiman Lewy in Paris oder Salamon Lipp-
mann in Amsterdam sind, das weiss eben das Pu-
blikum nicht. Das Kapital ist international und die
Christen würgen sich, um einige magere Abfallsbrocken
gegenseitig vom Munde sich abzujagen.
Die Finanzjuden geniessen in Ruhe unnahbar ihre
Millionen. Ja sie haben ihre Vertheidiger gefunden,
die allmächtige Judenpresse, welche sie bezahlen und
unter ihren Fittigen mögen die Finanzbarone ruhiger
schlafen als die Erben hundertjähriger Throne.
b) Deutschslands Finanzkräfte.
Das geeinte neue Deutsche Reich hat sich rasch
zu einem Industriestaate ersten Ranges entwickelt.
Die 6000 Millionen Francs Kriegsbeute sind zwar
nicht Volkseigenthum geworden, aber immerhin fielen
einige gute Brocken ab für einzelne Glückliche. Die
Grundlage zur Spekulation und zum Industrialismus
war damit geschaffen.
Deutschland muss für die Ernährung seiner Be-
völkerung jährlich um 700 Millionen Mark fremdes
491
Getreide kaufen. Die veröffentlichten Ziffern des stati-
stischen Amtes über den Getreideverkehr Deutsch-
lands mit dem Auslande im Jahre 1901 liefern einen
Beweis dafür, wie sehr - Deutschlands . Getreide-
versorgung, namentlich in Zeiten nicht befriedigender
Einten, auf das Ausland angewiesen ist. Im Jahre 1901
wurden nämlich eingeführt: 23,063.861 D.-Gtr. Weizen
(gegen 12,995.343 in 1900), 8,871.903 D.-Ctr. Roggen
(9,678.390), 4,760.121 D.-Ctr. Hafer (5,595.433), 9,176.417
D.-Ctr. Gerste (7,725.109), 12,106.839 D.-Ctr. Mais
(13,936.601), 408.845 D.-Ctr. Weizenmehl (370.360)
und 26.426 D.-Ctr. Roggenmehl (18.386). Ausgeführt
wurden dagegen: 238.664 D.-Ctr. Weizen (3,920.105
in 1900), 1,051.476 D.-Ctr. Roggen (1,198.973), 2,236.262
D.-Ctr.Hafer(2.011.978),442.956D.-Ctr.Gerste(407.194),
131.279 D.-Ctr. Mais (107.517), 306.621 D.-Ctr. Weizen-
mehl (347.530) und 564.607 D-Ctr. Roggenmehl
(937.379). Danach überstieg also die Einfuhr von
Weizen die Ausfuhr um weit über das Doppelte des
Bedarfs des Jahres 1900.
Es ergibt sich für die einzelnen Getreidesorten
folgender Einfuhrüberschuss (in D.-Ctr.):
1901 1900 1899
Weizen .... 20,682.197 9,075.238 12,660,757
Roggen .... 7,820.427 8,484.417 4,378.699
Hafer 2,523.859 3,583.465 2,024.311
Gerste 8,733.461 7,317.915 10.823.833
Weizenmehl . . 102.224 2,222.830 92,179
Mais 11,975.560 13,829.084 1,626.595
Des Ausfuhrüberschuss betrug im Jahre 1901 in
D.-Ctr. 543.749 Roggenmehl gegen 918.998 in 1900
und 1,233.451 in 1899. Der Rückgang, den das Export-
geschäft in Roggenmehl unter der Herrschaft des
neuen Mühlenregulativs genommen hat, ist besonders
bemerkenswerth. Während im Jahre 1898 1,122.119
D.-Ctr. Roggenmehl mehr zur Ausfuhr als zur Ein-
fuhr gelangten und im Jahre 1899, wie oben ange-
geben, 1,233.451 D.-Ctr. mehr exportirt wurden, be-
trug der letztjährige Ueberschuss des Exports nur
noch 543.749 D.-Ctr.
Es ist begreiflich, dass die Thätigkeit der jüdi-
schen Finanzmächte hier vornehmlich im Bankwesen
492
und im Handel auftritt. Nach Schmoller zählt Deutsch-
land 12 Millionen Familien, davon sind 250.000 Fa-
milien, deren Vermögen über eine Million beträgt,
2,750.000 Familien haben ein Vermögen, das wir zum
Mittelstande rechnen, 3,750.000 Familien, deren Ver-
mögen zur Zwerg wirthschaft angerechnet wird, der
Rest 5,250.000 Familien bilden das städtische und
ländliche Proletariat Dass die Juden in Deutschland,
gerade so wie bei uns, das grösste Kontingent zu
den Millionären stellen, ist leicht zu beweisen. Im
Mai 1897 veröffentlichte die badische Landeszeitung
die Censiten der Haupstadt Karlsruhe. Darnach zahlten
632 jüdische Steuerträger Steuern von einem Ver-
mögen von 36 Millionen Mark, währed die übrigen
protestantischen und katholischen Censiten, 16.330 an
der Zahl, eine Steuer zahlen von 213 Millionen Mark
Vermögen. In Karlsruhe hat demnach jeder jüdische
Steuerträger ein Vermögen von 56.900 Mark, jeder
christliche Steuerträger nur 18.000 Mark. Also sind
die Juden in Badens Hauptstadt dreimal so reich als
die Christen. Es ist bekannt, dass gerade in Baden
und Elsass der jüdische Wucher am meisten ver-
breitet ist. Es ist begreiflich, dass in einem Staate,
wie Deutschland, wo die Industrie und der Handel
jährlich eine riesige Summe von 200 Milliarden Mark
Geldumsatz vonnöthen haben, dass da der Einfluss
der jüdischen goldenen Internationale ein ungeheurer
ist. Sehen wir uns nun die Berliner Börse an, von
welcher behauptet wird, dass sie jetzt nach der Lon-
doner die erste Rolle spielt. Die 70 Tausend Juden
Berlins haben folgende jüdische Inhaber von Bank-
und Wechselhäusern, welche den Stock der Berliner
Effektenbörse bilden, aufzuweisen: Max Abel, Brüder
Abrahamsohn, Abramczyk, Anger u. Friedländer, Hell-
muth Arnheim, Max Aron, Aron und Haberstolz, Ge-
brüder Arons, Arons u. Walter, Aron Ascher, Sigmund
Achrott, Moritz Bob, SaloBaginski, Brüder Bamberger,
Hermann Baschwitz, Isidor Berliner, Josef Gold-
schmidt, Bernstein, Julius Bleichröder, Hossias Bloch,
Otto Blumberg, Jak. Blumenthal, Blumenthal u. Brandes,
Bruno Boer, Gustav Boer, Boerstein u. Berwald, Moritz
Bonte, Robert Barchard, Barn und Busse, Siegfried
493
Braun, Konrad Braun, Bankhaus Gelpke, Eigenthümer
sind Juden Goldberger, Rosenberg und Winterfeld,
Isidor Brzoza, Abraham Busse, Gähn, Hellmann und
Comp., Gallam und Voss, Ernst Karo, Richard Gerf,
Benno Cohn, Brunno Gohn, Georg Gohn, Ludwig
Gohn, Meyer Gohn, Sali Gohn, Gohn-Löwy, Alex.
Daniel, Martin Daniel, Leo-Delbrück, Dienstbach und
Moebius, Dresl und Friedländer, Dreyfuss-Isidels,
Ehrenberger und Comp., Hermann Eizenberg, Julius
Eisenhardt, Salo Elias, Eugen Ellon, Siegfried Ellon,
Herrman Ellwanger, Max Engel, Ludwig Engelmann,
Abr. Ephraim, Max Epstein, Falkenburger, Feigelsohn,
L. Feig, Filip Feig, Feig u. Pinkus, Siegfried Fischer,
Fischer u. Jakobsohn. Em. Fraenkl, Heinrich Fränkl,
Jean Fränkl, Samuel Fränkel, Friedmann, Albert Fried-
länder, Ed. Friedländer, Arnold Friedländer u. Jakob-
sohn, Friedländer und Freimark, Friedländer und
Pollak, Bernhard Friedmann, Herrmann Friedmann,
Leopold Friedmann, Fromberg, Glasserfeld u. Wolf-
sohn, Fr. Goldschmidt, Moritz Gotstelf, Jul. Magnus,
Em. Gütermann, Gumpert und Filip, Louis Gumpert,
Gumperz und Samuel, Brüder Guttenberg u. Gold-
schmidt, Max Gutmann, Siegfrid Hahlo, Brüder Hei-
mann, Helfift, Natan Helfift, Helfft und Friedländer,
Samuel Herz, Herz u. Loewenberg, Herfeld und Sohn,
Gebrüder Heymann, Heymann u. Loewy, Louis Hirsch,
Nathaniel Hirsch, Jul. Hirschberg, Gebrüder Hirschler,
Louis Hoflfstädt, Hugo Harwitz, Herrmann Jacoby,
Jacquier und Securius, Jaffa und Levin, Siegfrid Jafife,
Jarizlovsky u. Hamburger, Julis Kaimus, David Kapel,
Katz und Wohlauer, Max Katzellenbogen, Eugen Blu-
menfeld, Samuel Kaufmann, Emil Klein, Paul Kno-
blauch, Samuel Köhler, Köhler und Rosental, Koppel
und Braun, Krakauer und Manasse, Kroner, Louis
Kuczynski, Jacob Kussel, Jacob Landau, Wilhelm Lan-
dau, Karl Landsberg, Siegfrid Landsberg, Richard
Landsberger, Siegfrid Landsberger, Samuel Lands-
berger, Langer und Loewy, Lewin und Sohn, Moritz
Loewy, Lemenz und Landauer, Lewin, Georg Loewy,
Lilienthal, Hugo Lion, Moritz Loewe, Peter Loewe,
Gustav Loewenberg, Theodor Loewenberg, Löwenstein
und Bauer, Alex. Loewenherz, Hermann Loewenherz,
494
Selma Loewenstein, Leopold Loewy, Em. Lensfein,
Jakob Magnus, Mahler und Pietsch, Eduard Mamroth,
Mamroth und Sohn, Manasse und Comp., Hugo Man-
kiewicz, Bruno Mark, Felix Mark, Markus u. Voekmer,
Markuseund Fraenkel, Karl Markuson, Emil Mendels-
sohn, Ernst Mendelssohn, Brüder Merzbach, August
Meyer, Meyer und Rosenthal, Meyer und Sachs, Aron
Meyer, Nathan Meyersohn, Moebius und Abraham,
Mailing und Aschenheim, Müller u. Heilmann, Adolf
Munk, Victor Muschak Markus Nelken, Karl Neuburger,
Dawid Neufeld, Josef Naymann, Alfred Neumann,
Otto Neumann, Wilhelm Neumann, Markus Oberländer,
Oehlschläger, Georg Oppenheim, Heinr. Oppenheim,
Oppenheimer und Mamroth, Oppenheimer und Rosen-
baum, Herrn. Parsch, Louis Paderstein, Georg Pader-
stein, Philipsborn, Max Pick, Pinkas, Abraham und
Pinner, Plaut, Prerauer, Rathenau, Reinwald und
Hirsch, Louis Riess, Ritter und Braun, Roessler und
Lunk, Filip Rosenbaum, Julius Rosenberg, Resendorf
und Wechselmann, Rosenfeld u. Goldschmidt, Wilhelm
Rosenheim, Rosenstein, Rosen stock, Paul und Arthur
Rothschild, Louis Rothschild, Rothstein und Pasch,
Russ, Saalfeld, Isidor Sachs, Siegfried Sachs, Sachs
und Pinkus, Samelsohn, Samson, Samuel, Sass und
Martini, Saulmann, Bernhard Schiff, Julius Schiff,
Siegfrid Schiff, Isidor Schindler, Abraham Schlesinger,
Schlesinger u. Trier, Max Schlesinger, Schwen, Schuck,
Schwass und Lewin, Seemann und Rothschild, Max
Sello, Simonsohn u. Goldschmidt, Sonntag u. Martini,
Steinfeld, Bruno Steinitz, Max Steinitz, Louis Stein-
thal, Steinthal u. Blumenthal, Sternberg, Sternheim,
Veit, Robert Warschauer, Wassermann, Cohn u. Keil,
Weisbach, Berlin u. Müller, Max Wiener, Mich. Wiener,
Wiener Lewy, Wohlstein, Zilenziger, Aschenheim,
Conov u. Grünwald, Gans u. Mamroth, Hirschfeld u.
Goldschmidt. Darnach sind in Berlin rund 280 jüdische
Bankhäuser, aus denen die bekannten vielfachen Mil-
lionäre sind die Rothschild, Warschauer, Oppenheim,
Mendelssohn, Bleichröder, Goldschmidt, Heinemann.
Da Berlin rund an 80 Tausend Juden zählt, sind unter
diesen Bankfirmen selbstverständlich nicht die jüdischen
Börsenmakler gezählt, deren es Hunderte pibt.
495
Gehen wir noch einige Schritte weiter und zwar
an die zweite Börse Deutschlands, nach Frankfurt a. M.,
der Wiege der Rothschilde. Der Stock der Frankfurter
Börse ist von folgenden Bankhäusern gebildet: Ju-
lius Boer, Max Grünwald, Bass und Herz, Abraham
Bauer, Brüder Bauer, Markus Bender, Berle, A. Bonn,
Baruch Bonn, Bottenwieser, Heinr. Cohn, Jonas Gohn,
Coppel, Dreyfuss, Ederheiraer, Elissen, Emanuel, H.
Emden, Emden u. Lehrmann, Erlanger, A. Fürth,
Gans, E. Goldschmidt, Goldschmidt und Rissdorf,
Manfred Goldschmidt, Markus Goldschmidt, Simon
Goldschmidt, Goldschmidt und Schlesinger, Gold-
stein, Gross, Gomperz, Hass u. Weiss, Abr. Halle, J.
Heimann, Julius Heymann Ipersheimer, Isaac u.
Fromberg, Jaffe u. Prier, Abr. Josef, Jakob Kohn,
Kohn u. Comp , Katzenstein u. Benjamin, Nathan
Katzenstein, Brüder Klan, Koch, Marx, Ladenburg,
Lewy, Lichtenberg, Lichtenstein und Vöhl, Heinr.
Lust, Lust u. Kohn, Leop. Mainz, Mainz u. Seelig-
mann, Mandelbaum, Jakob Meyer, Louis Meyer, Meyer-
feld und Comp , Merzbach, Aron Meyer, Meyer u.
Comp.. Mosbacher, Müller-Stern, Neumann-Munz, Neu-
stadt!, Nordschild, Linaven, Oppenheimer, Mich.
Oppenheimer, Rosenstein, Rosenthal, Moses Roth-
schild und Söhne, Sachs, Salmony, Salamon-Levins,
Samuel, Schild, Schloss, E. Schwarzschild, Schwarz-
schild u. Söhne, Meier Schwarzschild, Saligmann,
Seemann, Seligmann u. Stetheimer, Sichel, Simon,
Sonnenberg, Leyer-Elisser, Stern, Straus u. Mandel-
baum, Caesar Straus, Sulzbach, Tehlee, Weiller,
Weiss u. Boer, Louis Wertheimer, Zöb Herz, Zunz,
David Zunz, Saimi Saphet. Die Börse in Frankfurt
ist also gebildet von rund 100 Bankhäusern. Ob
darunter Christen sind, können wir nicht angeben.
Die schwerwiegendsten Millionäre sind hier Dreyfuss,
Erlanger, Oppenheimer und Wertheimer. Wir könnten
noch sämmtliche jüdische Bankhäuser in anderen
Handelscentren aufzählen, wie die von Hamburg,
Breslau, Hannover, München, doch glauben wir den
Lesern den Beweis sattsam erbracht zu haben durch
die Bankhäuser von Berlin und Frankfurt. Nun sehen
wir uns noch die grossen Reservoirs von fliessendem
49f>
Kapital, nähmlich die Banken. Abgesehen von der
Reichsbank, sind in Gewalt jüdischer Finanziers in
Deutschland folgende Kreditbanken : Barmener Bank-
verein, Caminsche Wechselbank. In Berlin: Allge-
meine Handels- und Gewerbebank, Komanditbankhaus
von Simon Katz und Comp., Handelsbank, deren
Eigenthümer sind Hirsch, Magdeburg, Riesser, Marx,
Spiritus- und Getreidehaudelsbank ; Berliner Bank.
Direktor Godschmidt. Berliner Gommerzielle Bank,
Direktor Maerker, Berliner Handelsgesellschaft, Ber-
liner Maklergesellschaft, die Börsenhandelsgesellschaft;
Berliner Bank Nord, Deutsche Vereinsbank, Deutsche
Hypothekenbank, Meiniger Hypothekenbank, Deutsch-
russische Handelsgesellschaft, Handels- und Gewerbe-
bank Alt-Berlin, Maklerbank mit dem Direktor Peiser
u. Ring, Mitteldeutsche Creditbank, Norddeutsche
Bodencreditbank, Rheinisch-Westphälische Bank, Di-
rektoren : Friedmann, Pilartz u. Bauer, Schaffhausener
Bankverein. Also über 20 Bankgesellschaften in
Berlin befinden sich in der Gewalt Judas. Weitere
Greditbanken in jüdischer Gewalt sind die Bremer-
bank in Bremen, Breslauer Wechselbank in Breslau,
Breslau er Diskontogesellschaft, der schlesische Bank-
verein; Dresdener Bank in Dresden ist voll von
Juden, Sächsische Bankgesellschaft in Dresden. In
Frankfurt a. M.: Die deutsche Effektenwechselbank,
Deutsche Unionbank, Deutsche Vereinsbank, Frank-
furter Bank. In Hamburg: Hamburger Maklerbank,
Hamburger Wechslerbank. In diesen Banken sind die
Direktoren, Prokuristen, Hauptkassierer meistens Juden.
Hamburg hat rund 40 jüdische Bankhäuser, Hannover
30, Leipzig 12, München 20, Nürnberg 25. Ausserdem
gibt es in kleineren Handels- und Industriestädten
Deutschlands noch über 400 Bank- und Wechselhäuser
in Händen von Juden. Damit ist zur Genüge bewiesen,
dass die goldene jüdische Internationale den sämmt-
lichen Credit in allen Haupt-, Industrie- und Handels-
stätten in Deutschland in ihrer Macht hat. Selbst
das erste Reichsinstitut ist nicht frei vom jüdischen
Einfluss. Der Verwaltungsrath der Deutschen Reichs-
bank hat jüdische Mitglieder den Warschauer, Zwicker,
Plaut, Bleichröder, Hansemann, Rothschild, Meier,
497
Behrend, Mendelssohn, Oppenheim, Stern, Also die
grössten jüdischen Finanzbarone Deutschlands sitzen
in der Reichsbank. Der sämmtliche besteuerte Besitz
Deutschlands ist abgeschätzt auf 64.024 Millionen
Mark. Der besteuerte Bodenbesitz Preussens ist abr
geschätzt auf 22.376 Millionen Mark. Dagegen habeij
die Kapitalisten Preussens ein bewegliches Vermögen
von 31.000 Mill. Mark aufzuweisen. Na,ch Schmoller
beträgt das bewegliche Vermögen in Deutschland die
Summe von 52.000 Millionen Mark. An der Berliner
Börse sind folgende Werthe in Cirkulation:
Nominalwerth :
Staatsschulden 11.798 Mill. Mark,
Landesschulden 260 „ „ :
Städtische Schulden 963 „ „
Pfandbriefe des Grossgrundbesitzes 1.906 „ „
Hypotheksschulden 4.921 „ „
Eisenbahnobligationen 374 „ „
Industriepapiere ...... . . 329 „ „
Summe . . . 20.892 Mill. Mark.
Lose 189 Mill. Mark,
Bahnaktien 427 „ „
Aktien von Versicherungsbanken . 258 „ „
Bankaktien 2.650 „ „
Bergwerksaktien 1.017 „ „
Aktien von Maschinenfabriken . . 220 „ „
Baugesellschaften 66 „ „
Aktien anderer Industrieunterneh-
mungen . 1.472 „ „
Summe . . . 6.112 Mill. Mark.
Es kursieren an der Berliner Börse 655 Werth-
papiere, die ein bewegliches Vermögen von 27.203
Kurswerth darstellen. Die Thätigkeit der Berliner
Börsenjuden ist genau dieselbe wie die an der Börse
in Wien. Die wohlthätige Thätigkeit der Berliner
Börse ist am besten zu erkennen an der Kursr
treiberei der Aktien. Es beträgt der Nominalwerth der
Aktieneffekten folgende Summen:
«r • i _i.i_ Böraenwerth
Nominalwerth ßnde 1896
Eisenbahnaktien . . . 327 Mill. M. 427 Mill. M.,
Versicherungsbanken 57 „ „ 427 „ „
Bankaktien. , ... 1723 „ „ 2650 „ „
32
498
Der Nominalwerth sämmtlicher Aktien deutscher
Provenienz, die an der Berliner Börse kursieren,
beträgt die Summe von 3.854 Mill. Mark, welchen
Betrag die Börse Ende 1896 auf 6.112 Millionen in
die Höhe getrieben hat. Am Tage, wo diese Effekten
emissioniert wurden, sagen wir die Aktien der Ver-
sicherungsbanken, hatten diese Effekten den Werth
zusammen von 57 Millionen Mark- Im Laufe der
Jahre ist aber der Werth derselben Aktien auf
427 Millionen gestiegen. Mann sieht, dass der Zauber-
stab der alten Hexenmeister ein reines Kinderspiel
ist gegenüber der Kunst der Börsenjuden, welche
ernten, wo sie nicht säen. Aus diesen angeführten
Zahlen ersehen wir, dass der Bodenbesitz Deutsch-
lands mit einer Schuldenlast von 17.200 Mill. Mark
beschwert ist. Es müssen die Landwirthe Deutsch-
lands den Kapitalisten mindestens jährlich 600 Mill.
Mark an Zinsen entrichten. Nebst dem Besitz der
Wertpapiere deutscher Provenienz haben die Ber-
liner Börsenjuden eine Unmasse österreichischer
Werthe in ihren Kassen. Im Jahre 1893 hatten die
Berliner Börsenjuden 509 Mill. fL österreichischer
und ungarischer Staatschuld in ihrer Hand. Das
ganze bewegliche Vermögen Deutschlands beträgt die
Summe von 73.640 Millionen Mark, wovon sicherlich
wenigstens 60% in Händen der Juden sein wird.
Darnach würde auf einen jeden Juden in Deutsch-
Deutschland ein Papierbesitz von 73.000 Mark ent-
fallen. Berlin zählt über 68.000 Juden, denen mehr
als die Hälfte aller Berliner Häuser gehören, die
einen Werth von 1.830 Millionen Mark repräsentieren.
Es gibt hier 2.092 Millionäre, deren geringstes Ein-
kommen 36.000 Mark jährlich beträgt, von denen die
reichsten 8 Millionäre 3 bis über eine Million Mark
jährlich Einkommen haben, das kann Niemand an-
derer sein als Rothschild, Bleichröder und Mendels-
sohn. Die Steuerträger Deutschlands müssen jährlich
für die Zinsen der Staatsschuld mindestens 730 Mill.
Mark aufbringen.
Der grösste Theil dieser Zinsen verschwindet In
den festen Geldschranken der jüdischen Börsenbarone.
Die jährlichen E^1"" "" * k* goldenen Internationale
499
aus den Aktien betragen mindenstens 400 Millionen
Mark. Der gesatnmte bewegliche Besitz Deutschlands
bringt den Kapitalisten ein jährliches Einkommen,
wenn wir nur eine dreipercentige Verzinsung annehmen,
von rund 2500 Millionen Mark ein. Davon werden
sicherlich mindestens 70 Percent die Juden vertragen.
Obzwar also Deutschland nur halb so viel Juden
besitzt als wir in Oesterreich, ist doch auch hier das
Kapital in den Händen der jüdischen Finanziers. Um
diese Milliarden des erschwindelten Vermögens sicher-
zustellen für die Zukunft, damit es nicht die Beute
verarmter und zur Verzweiflung gebrachter Massen
werde, dafür hat der Jude weislich vorgesorgt nach den
Worten der hl. Schrift, machet euch Freunde von
dem ungerechten Mammon. Die rothe Internationale
in Deutschland, deren Hauptführer Singer und Arons
jüdische Millionäre sind, ist zu einer mächtigen
Vertheidigungsarmee der goldenen jüdischen Inter-
nationale geworden. Die Rothen, welche fort und
fort den Pfaffen die Verdummung des Volkes vor-
halten, greifen die jüdischen Millionen weder in
ihren Zeitungen, noch in ihren Versammlungen nie-
mals an, weil sie ihren Mund selbst von jüdischen
Schweiggeldern verschlossen haben. Die Börse in
Berlin hatte folgende Umsätze: Es wurden an der-
selben Wertpapiere verkauft im Betrage von
im Jahre 1899 . . . 10.392 Millionen Mark
„ „ 1900. . . 8.994 „
„ „ 1901. . . 5.797
„ „ 1902. . . 6.102
Demnach scheinen auch für die Börse in Berlin
einige magere Jahre angebrochen zu sein. Den Stock
der Berliner Börse geben die von uns citierten
jüdischen Bankfirmen ab. Es sind dies die Millionäre
Berlins. Die Zahl der Millionäre in Berlin berechnet
das „Statistische Jahrbuch der Stadt Berlin" vom
Jahre 1898 auf 2092. Als Millionär wird hiebei ge-
zählt, wer über ein jährliches Einkommen von mehr
als 36.000 Mark verfügt. Der reichste Berliner hatte
ein Einkommen von beinahe 3 Millionen Mark, was
etwa einem Vermögen von 75 Millionen entsprechen
würde. Der zweitreichste Berliner war auf ein Ein-
32*
500
kommen von etwa 1,720.000 Mark eingeschätzt. Ueber
eine Million Mark Einkommen haben sieben Berliner»
Ein Einkommen von mehr als 40.000 Mark haben
1852 Berliner, von 20.500 bis 40.000 Mark 2623, über
9000 Mark 8035, das heisst ohne die höheren Stufen.
Die oberen Zehntausend beginnen also für Berlin
etwa mit einem Einkommen von 9000 Mark. Ueber
5200 Mark Einkommen verfügen 12.559, über 3000
Mark 17.680. Im Ganzen haben also mehr als 42.000
Berliner ein Einkommen von über 3000 Mark. Die
Zahl ist seit den letzten drei Jahren stetig zurückge-
gangen; sie betrug 1894 noch 43.819. Die Zahl der
ein Einkommen von 900 bis 1800 Mark geniessenden
Berliner ist dagegen um 21.107 gestiegen, offenbar
auf Kosten der früher steuerfreien, unter 900 Mark
Eingeschätzten. Das jährliche Gesammteinkommen der
Berliner Bevölkerung berechnet das Jahrbuch auf 1
Milliarde 206 Va Millionen bei den physischen und
öl1/* Millionen bei den nichtphysischen Personen. Das
Durchschnittseinkommen beträgt 731 Mark 64 Pfen-
nige. Im Ganzen betrug das Veranlagungs-Soll der
Einkommensteuer über 20 Millionen Mark, in der
ganzen Monarchie 123 1/2 Millionen.
Das grösste Bankhaus im Deutschen Reiche, das
Rothschildsche in Frankfurt an Main, ist durch den
Tod Wilhelm Rothschilds aufgelöst worden. Im August
1901 berichteten die Börsenblätter folgendes: Die
Liquidation schreitet so rüstig verwärts, dass sie
bereits innerhalb weniger Wochen durchgeführt sein
dürfte. Der ausserordentliche bedeutende Effekten-
besitz der liquidirenden Firma ist schon zum grossen
Theil realisirt und der Erlös für Rechnung der Be-
theiligten an das Bankhaus Rothschild nach London
gesandt worden, durch welches die Abwickelung und
Abrechnung erfolgen wird. Diejenigen Effekten, zu
deren Realisation noch nicht geschritten worden ist,
weil ihre jetzigen Kurse dafür nicht als ausreichend
erachtet werden, sollen ebenfalls nach London gesandt
werden, wo sie in Verwahrung bleiben, bis die Kurse
erreicht sein werden, die man für eine Verwahrung
ins Auge gefasst hat. Die Erben des Privatvermögens
des verstorbenen Freiherrn Wilhelm v. Rothschild
501
sind die beiden Töchter, von denen die eine an den
Baron Edmond v. Rothschild in Paris, die andere
an Herrn Max B. H. Goldschmidt in. Frankfurt a. M.
verheiratet ist. Auch der Gründbesitz, soweit er dem
verstorbenen Freiherrn gehörte, fällt diesen Erben zu;
Der grösste Theil des riesigen Rothschildschen Grund-
besitzes in Frankfurt gehört übrigens der Freifrau v;
Rothschild, die ihr eigenes Vermögen hat. Ueber die
Ziffer der Hinterlassenschaft gehen die Angaben aus-
einander, man bezeichnet den Betrag, der in mobilen
Werthen hinterlassen ist, auf etwa 300 Millionen M.,
während über die Höhe des Geschäftskapitals, mit
dem die Firma arbeitete, keine näheren Angaben im
Umlauf sind. Aus dem Umstände, dass die aus der
Liquidation verfügbar werdenden Gelder zum grössten
Theile nach London überwiesen werden, erklärt es sich
auch, dass in der letzten Zeit sehr häufig starke Nach-
frage für Wechsel auf London hervortrat. Man wird sich
nach alledem wohl mit der bedauerlichen Thatsache
abfinden müssen, dass das grosse Vermögen des
letzten der Frankfurter Rothschilds Deutschland ent-
zogen wird und weder werbend noch an den Steuer-
lasten theilnehmend mehr bei uns mitwirkt.
Ueber die jüdische Bankfirma Robert Warschauer
berichteten die Börsenblätter im September 1901 fol*
gendes: Robert Warschauer u. Co. Die Firma begeht
jetzt ihr öOjähriges Jubiläum und da sie eine der
feinsten und reichsten in der Reichshauptstadt ist,
so verlohnt es sich wohl, kurz die Geschichte des
Hauses zu rekapitulieren. Aus Königsberg kommend
und von vorneherein das grosse russiche Kontokorrent-
Geschäft festhaltend, hat es sehr lange gedauert, bis
sich Robert Warschauer von diesen reinen Kommis-
sions-Geschäften zu Gunsten von Finanzierungen trennen
mochte. Wenig grosse Häuser hatten in der That so
lange den jetzt angeblich veralteten Grundsatz fest-
gehalten, dass die Jahresgewinne eines Bankiers sich
aus den Provisionen (V8 oder V4%) zusammenzusetzen
hätten, nicht aber aus glänzenden Konsortial- oder
Anleihen-Gewinnen, die bei ihrem unsicheren Charak-
ter auch einmal in Verluste umschlagen könnten. In
diesem Sinne hat sich die Firma Warschauer erst
502
von ihr befreundeten Frankfurter Häusern bei den
italienischen Tabakgeschäften „mitnehmen" lassen.
Dennoch ist das Haus reich genung gewesen, um in
den Jahren des siebziger Krachs eine mit verwandte,
allererste Berliner Firma, die heute noch weit reicher
ist, nachdrücklich und in aller Stille sanieren zu
helfen. Die Kommanditierung vor 2 Jahren dann durch
die Darmstädter Bank hatte insofern einige Verwun-
derung erregt, als man bei einem solchen festbegrün-
deten Renommee höchstens an Umwandlung in eine
selbständige Bank denken konnte. Indessen ist damals
Bleichröder trotz allen Erwartens nach dem Tode
des alten Chefs nicht „gegründet" worden, während
bei Warschauer das Unerwartete gerade eintraf. Es
wäre übrigens ein Irrthum, anzunehmen, als ob die
Därmstädter Bank sich über die Geschäfte des War-
schauer'schen Hauses nunmehr irgendwelche Disposi-
tion aneignen würde. Das Gegentheil ist vielmehr der
Fall. Die Warschauers leiten ihr Geschäft auch noch
heute nach eigenem Ermessen, was bei ihren russi-
schen und seit einigen Jahren sehr grossen italieni-
schen Interessen von Wichtigkeit ist."
Am 27. Januar 1903 brachten Berliner Börsen-
blätter folgende Nachricht: „Das Bankhaus S. Bleich-
röder begeht eben sein hundertjähriges Jubiläum. An
welchem Tage das Geschäft gegründet worden ist,
darüber bestehen in der Firma selbst Zweifel. Solche
Gründungsakte vollzogen sich ja früher nicht in der
formellen, durch Urkunden gestützten Weise, wie es
heute der Fall ist; gab es doch damals noch kein
Handels- und Firmenregister. Es wird vielmehr ange-
nommen, dass der Grundstein zu dem Hause Bleich-
röder in ganz formloser Weise gelegt wurde. Der
Grossvater der Herren Hans und James v. Bleich-
röder, die neben Herrn Dr. Schwabach Inhaber der
Firma sind, miethete sich ein paar Stuben im Centrum
des damals noch recht kleinstädtischen Berlin und
eröffnete darin ein kleines Lotterie- und Wechsel-
geschäft, wie eine ganze Anzahl unserer ersten Bank-
firmen, besonders in Süddeutschland, aus kleinen
Los- und Wechselgeschäften hervorgegangen ist. Länger
als ein Menschenalter hatte das Geschäft Bleichröders
503
einen bescheidenen Umfang. Im Jahre 1838 trat der
damals sechzehnjährige Gerson Bleichröder in das
Geschäft ein; Altersgenossen von ihm erzählen dass
den angehenden Finanzfürsten die Zukunft des Eisen-
bahnwesens mehr interessierte, als die griechische
Syntax. Es beweist dies, dass der junge Bleichröder
den wirtschaftlich-finanziellen Zug seiner Zeit richtig
erfasst hatte. Denn damals war die Sturm- und Drang-
periode unseres Eisenbahnwesens. Der Raum für
Finanzkapicitäten war gegeben ; sie brauchten sich ihr
Ziel nur selber zu setzen. Und so sehen wir um die
Mitte des Jahrhunderts Männer wie Hansemann,
Oppenheim, Bleichröder in den Vordergrund rücken;
1855 wurde Gerson Bleichröder alleiniger Inhaber
des Geschäftes. Denselben Scharfblick und dieselbe
Gewandtheit wie in der Erfassung wirthschaftlicher
Situationen bewährte Bleichröder auch den Menschen
gegenüber. So erkannte er früh die Bedeutung Bis-
marcks. Ferner verstand er es, enge Beziehungen zu
dem Hause Rothschild anzubahnen und zu erhalten.
Bleichröder wie Erlanger sind sozusagen aus den
Hüften Rothschilds entsprungen. Als Beweis der
Menschenkenntnis Bleichröders ist ferner die Thatsache
anzuführen, dass er sich seinen Vetter, den inzwischen
ebenfalls verstorbenen Julius Schwabach, zum Socius
nahm, der ihn sehr glücklich ergänzte. Der Bismarcki-
schen Politik leistete Bleichröder grössere Dienste
in dem schweren Augenblicke des Kriegsausbruches
1866. Er war ferner der Berather bei der Ueberführung
der fünf Milliarden nach Deutschland. Mit Preussen-
Deutschland stieg somit auch der Stern Bleichröders.
Das Vertrauen, das er in unseren massgebenden Kreisen
genoss, führte ihn auch auswärts ein, so dass das
Haus Bleichröder bei grossen internationalen Finanz-
geschäften an erster Stelle mitwirkte. Gerson v. Bleich-
röder starb im Jahre 1893. Auch nach dessen Tode
hat das Haus Bleichröder eine rege Thätigkeit entfaltet.
An der Börse zählt es zu den potentesten Geldgebern.
Auf dem Gebiete des Emissionswesens spielt es für
den Staatskredit Terschiedener grosser auswärtiger
Staaten eine bedeutende Rolle, theils an führender
Stelle, theils innerhalb des Rothsildkonsortiums. Auf
504
dem. Gebiete der industriellen Emissionen ist sein
Antheil verhältnismässig nicht so gross wie die der
jüngeren Eonkarrenten. Das Haus Bleichröder hat
in der Gegenwart dadurch eine besondere Bedentang,
dass es einer der letzten grossen Repräsentanten der
Privatbankfirmen ist, die sonst von den wachsenden
Aktienbanken theils aufgesogen, theils in den Hinter-
grund gedrängt werden.4*
Die Verherrlicher des neuen Deutschen Reiches
wie Treitschke und andere werden sicherlich dieses
schmutzige Blatt aus der Reichsgeschichte hinweg
gelassen haben. Also Moltke und Bismarck wären
ohne Bleichröder wie Fische ohne Wasser gewesen,
und dann sollen die Juden nicht stolz sein.
Dass auch Baron Eohn von Dessau, der persön-
liche Banquier Bismarcks, und Wilhelm I. nicht arm
gestorben ist, davon lesen wir am 6. Februar 1902
in Berliner Judenzeitungen folgende Nachricht: Der
Vergleich mit den Erben des Baron Kohn. Aus Berlin
wird uns geschrieben: 7y2 Millionen M. zahlt die
Tochter des Baron Kohn-Dessau an die Neue Boden-
gesellschaft und die Preussische Hypothekenbank zum
Ausgleich der Regressansprüche, die diese Institute
an die Erben des früheren Aufsichtsrathsmitgliedes
der Spielhagenbanken gestellt hatten. Der Betrag, den
die Banken eingeklagt hatten, belief sich auf 30 Mil-
lionen Mark. Indess wurde er auf diese Höhe wohl
nur normirt, damit bei dem Vergleich, mit dem die
Kläger von vornherein gerechnet hatten, eine möglichst
hohe Summe erzielt würde. In der That steht der
Fall wohl einzig da, dass Regressansprüche an einen
Aufsichtsrath und zumal ein einziges Aufsichtsraths-
mitglied in dieser Höhe erhoben und befriedigt wor-
den sind. In der Regel ist selbst in Fällen, in denen
der Aufsichtsrath seine Pflichten verletzt hatte, von
der Erhebung von Regressansprüchen überhaupt ab-
gesehen worden, theils aus unberechtigter Schonung,
theils weil für die civilrechtliche Haltbarmachung
nicht genügende Anhaltspunkte gegeben waren. In
anderen Fällen haben sich die Geschädigten mit un-
bedeutenden Beträgen zufrieden geben müssen. Unter
diesen Umständen kann es als eine nicht bloss für
505
die Aktionäre der Spielhagen-Gesellschaften, sondern
für das Aktienwesen übeihaupt befriedigende That-
sache angesehen werden, dass in diesem Falle eine
Haftbarmachung in solchem Masstabe durchgesetzt
wurde, die denn doch zeigt, dass mit der Stellung
der Aufsichtsräthe nicht bloss Rechte, sondern auch
Pflichten verbunden sind, deren Verletzung unter Um-
ständen schwer gebüsst wird."
Die Reichsherrlichkeit des geeinten deutschen
Reiches kommt den Untexthanen nicht sehr billig.
Der Staatsvoranschlag des Deutschen Reiches für das
Jahr 1902 war folgender:
Von den Ausgaben sind
fortdauernde 1.960,455.968 M.
einmalige im ordentlichen Etat . . 191,073.113 „
einmalige im ausserordentlichen Etat 198,213.375 „
So die Ziffern des Bruttoetats; führt man die
Einnahmen und Ausgaben auf die Nettoergebnisse
zurück, dann ergeben sich für die Hauptausgabeposten
des Etats folgende Ziffern:
Mffl. M.
Reichsheer 619-2
Verwaltung der kaiserlichen Marine 168*9
Reichsschuld 93-9
Allgemeiner Pensionsfonds .74*5
Zur Verminderung der Reichsschuld —
Die Haupteinnahmeposten sind, auf Zehntel Mil-
lionen abgerundet, in ihren Netto-Erträgen wie folgt
beziffert :
Etat für 1902
HilL M.
Zölle 471-6
Tabaksteuer , . 121
Branntwein-Verbrauchsabgabe 110*5
Reichsstempelabgaben . 79*8
Summa . . . 674'2
Ueberweisungen 544*2
Bleiben . . . 1300
Zuckersteuer 114*9
Salzsteuer 49*3
Maischbottichsteuer 16*9
Brausteuer 31-7
506
Etat für 1902
MiU. M.
Spielkartenstempel 15
Wechsel9tempel . 12*2
Statistische Gebühr . 1*0
Postüberschuss 40*3
Reichsdruckerei 16
Eisenbahnüberschuss 20*2
Bankwesen 18*4
Zuschuss des ausserordentlichen Etats . . . 35*0
Ausgleichungsbeträge 16'8
Matrikularbeiträge 568-1
Die Ausgaben des Deutschen Reiches waren fol-
gende :
Jahr Mill. M. Jahr Mill. M.
1874 672-8 1893 * 1223-7
1881 550 1894 1259-1
1885 614-5 1895 13369
1886 637-6 1896 1307-1
1887 693-5 1897 1365-7
1888 876-9 1898 1855-7
1889 1020-2 1899 1960-5
1890 1110-6 1900 2197-3
1891 1353-6 1901 2344-9
1892 1245 1902 2302-6
Wir sehen, die Reichsherrlichkeit wird immer
kostspieliger. In 30 Jahren sind die Reichsausgaben
ins 4fache gestiegen. Da muss natürlich der Borg-
apparat in Bewegung gesetzt werden. Die Finanz-
juden zittern ja darauf vor Begierde.
Am 8. April 1903 schrieben Berliner Börsen-
blätter folgendes: „Die Einladung zur Zeichnung auf
290 Mill. M. dreiproc. Reichsanleihe wird morgen pu-
bliziert werden. Die Subskription findet, wie bereits
mitgetheilt, am 17. d. M. zum Kurse von 92 pCt.
statt. Die Schuldverschreibungen sind eingetheilt in
Stücke zu 200 M., 500 M., 1000 M., 5000 und 10.000 M.
mit Zinsscheinen über vom 1. Januar oder 1. April
d. J. laufende Zinsen. Bei der Zeichnung ist eine
Kaution von 5 pCt. in bar oder in Effekten zu hinter-
legen. Die zugetheilten Beträge können vom 27. April
ab voll abgenommen werden, spätestens muss aber
die Hälfte des zugetheilten Betrages am 27. April
507
und je ein weiteres Viertel am 11. und 25. Mai ab-
genommen werden. Zugetheilte Beträge bis incl. 5000 M.
sind am 27. April ungetheilt zu ordnen. Als Zeich-
nungsstellen fungieren in Berlin die Reichsbank, See-
handlung, Preussische Centralgenossenschaftskasse,
Bank für Handel und Industrie, Berliner Bank, Ber-
liner Handelsgesellschaft, S. Bleichröder, Born und
Busse, A. Busse und Comp., A.^G., Kommerz- und
Diskontobank, Delbrück Leo u. Co., Deutsche Bank,
Deutsche Genossenschaftsbank, Diskontogesellschaft,
Dresdner Bank, Hardy u. Co., G. m. b. H., F. W.
Krause u. Co., Kur- und Neumärkische RitterschaftL
Darlehnskasse, Mendelssohn u. Co., Mitteldeutsche
Kreditbank, Nationalbank für Deutschland, A. Schaaff-
hausenscher Bankverein, Gebr. Schickler, Robert War-
schauer u. Co."
Hier sind die Finanziers des Deutschen Reiches.
In Deutschland lacht die deutsch-nationale Presse
darüber, dass Oesterreich-Ungarn und andere Staaten
von Finanz-Juden abhängig sind — und das Deutsche
Reich ist es genau so. Alles Kreditwesen im Deutschen
Reiche ^hat die Reichsbank an sich gerissen und da-
mit der wirthschaftlichen und auch politischen Selbst-
ständigkeit der Bundesstaaten auf ein Mindestmass
herabgedrückt. Der Jahresbericht der Reichsbank vom
1901 sagt: Die Gesammtumsätze haben bei der Reichs-
hauptbank 63.781,489.400 M., bei den Reichsbankan-
stalten 129.366, 129.900 M., zusammen 193. 147,619.300 M.
oder 4.056,120.300 M. mehr als im Jahre vorher. Der
Bankzinsfuss war im Durchschnitt des ganzen Jahres
4-099 pCt. für Wechsel und 50'99 pCt. für Lombard-
darlehen gegen 5-333 bezw. 6-333 pCt. i. V. Der
höchste Bestand der Giroguthaben mit Ausschluss derje-
nigen der Reichs- u. Staatskassen war 348,062.000 M.
am 23. Juli, der niedrigste 196,999.000 M. am 15. April.
Der höchste Bestand der Giroübertragungen betrug
154,612 000 M. am 15. April, der niedrigste 65,098.000 M.
am 7. Dezember. Die Zahl der Kontoinhaber betrug
am Jähresschluss bei der Reichshauptbank 1512
(1900 : 1494), bei den Reichsbankanstalten 15.622
(1900:14.353), zusammen 17.134 (1900:15.847). Der
höchste Bestand der Guthaben der Reichs- und der
•508
Staatskassen war 354,774.000 M. am 23. Juni, der
niedrigste 107,591.000 M. am 7. Januar, durchschnitt-
lich 236,138.000 M. gegen 178,533.000 M. im Vor-
jahre. Der Metallbestand an kursfähigem deutschen
Gelde und an Gold in Barren oder ausländischen
Münzen betrug: als höchste Summe am 23. Juni
1.004,277.000 M.f als niedrigste Summe am 7. Januar
761,002.000 M., durchschnittlich 911,411.000 M., gegen
das Vorjahr (817,137.000 M.)f also 94,274.000 M mehr.
Am 31. Dezember setzte sich der Metallbestand zu-
sammen aus: Gold in Barren und fremden Münzen
195,534.000 M., Gold in deutschen Münzen 436,651.000 M.
zusam. 632,185.000 M., dazu an Thalern 138,232.000 M.,
Scheidemünzen 98,116.000 M., insges. 868,533.000 M.
Im Durchschnitt des ganzen Jahres waren von den
umlaufenden Noten 76'57 (1900:71*77) pCt. durch
Metall gedeckt. Die Metalldeckung der umlaufenden
Banknoten und der sonstigen täglich fälligen Verbind-
lichkeiten betrug im Jahresdurchschnitt 51*01 (1900
4948) pCt. In Goldbarren und ausländischen Goldmün-
zen waren am 1. Januar 1901 vorhanden 171,615.642 M.,
angekauft wurden für 139,028.552 M., zusammen
310,644.194 M. (i. V. 124,505.098 M.). Davon sind
ausgeprägt oder verkauft 115,120.742 M.u. 195,523.452 M.
im Bestände verblieben. Das Gold hatte einen Werth
von 195,533.964 M., und es hat sich also ein Gewinn
ergeben von 10.511 M. An Platzwechseln waren am
1. Januar 1901 im Bestände: 187.561 Stück im Be-
trage von 538,319.010 M. Diskontirt wurden 1,320.550
Stück im Betrage von 3.276,642.982 M. (3.220,920.144).
Der Gesammtbetrag beläuft sich also auf 1,508.111
Stück mit 3.814,961.993 M. Davon wurden wieder ein-
gezogen 1,307.787 Stück mit 3.260,455.321 Mark
(3.248,529.589). Es blieben also 200.324 Stück mit
554,506.671 M. Bestand Ende 1901, u. zwar 30,946; 740 M.
bei der Reichshauptbank, 52 ,559.931 M. bei den
Reichsbankanstalten. Der Gewinn aus diesen Wech-
seln beträgt bei der Reichshauptbank 720.952 M,
(795.382), bei den Reichsbankanstalten 18,773.230 M.
(22,729,838), zusammen 19,494.183 M. (i. V. 23,525.220),
im Ganzen also 4.031.037 M. weniger als im Vor-
jahre. Die ' -»ge in Platzwechseln hat
509
602,792.000 M. am 30. September, die niedrigste An-
läge 381,647.000 M. am 23. Februar, die durchschritt-
liehe Anlage 476,162.000 M. (435,035.000) betragen.
Die durchschnittliche Grösse aller Platzwechsel ist
2481 M. gewesen. Die durchschnittliche Verfallzeit hat
52 (1900 49) Tage betragen. Unter den angekauften
Platzwechseln befanden sich 63.373 Stück im Betrage
von 100 M. und weniger (1900 58.260 Stück). Ver-
sandt- bezw. Einzugswechsel auf das Inland waren
am 1. Januar 1901 im Bestände: 361.337 Stück im
Betrage von 475,406.271 Mark. Angekauft wurden
3,194.790 Stück im Betrage von 5.303,411.620 M.
(5.330,904.047), zusammen 3,556.127 Stück über
5.778,817.891 M. Eingezogen wurden 3,250.836 Stück
mit 5.378,009.072 M. (5.341,127.999), es blieben also
305.291 Stück mit 400,808.818 M. als Bestand Ende
1901. Der Gewinn an diesen Wechseln hat betragen :
bei der Reichshauptbank 1,658.038 M. (2,004.181), bei
den Reichsbankanstalten 12,331.536 M. (15,935.021),
zusam. 13,989.575 M. (17,939.202), mithin 3,949.627 M.
weniger als im Voqahre. Die höchste Anlage in
diesen Wechseln betrug 490,205.000 M. am 30. Juni,
die niedrigste Anlage 265,489.000 M. am 15. Februar,
die durchschnittl. Anlage 342,242.000 M. (338,392.000).
Die durschnittliche Grösse dieser Wechsel ist 1.659 M.
gewesen. Die durchschnittliche Verfallszeit hat 23
(1900 : 23) Tage betragen. Unter den angekauften Ver-
sandtwechseln befanden sich 423.235 Stück im Be-
trage von 100 M. und weniger (1900 : 394.331 Stück).
An Wechseln auf das Ausland waren am 1. Januar
1901 3511 Stück im Kurswerthe von 75,465.573 M.,
Ende 1901 sind 2905 Stück mit 42,438.607 M. im
Bestände geblieben. Dieselben hatten am 31. De-
zember 1901 einen Kurswerth von 43,961.510 M., es
sind also 1,522.902 M. (1,133.244) als Gewinn zu ver-
rechnen, mithin gegen das Vorjahr 389.658 Mark
mehr.
Der Reservefonds belief sich am 1. Januar 1901
auf 30,000.000 M. Hierzu treten das Aufgeld auf die
neu begebenen 30.000 Stück Reichsbankantheile mit
10,500.000 M., 20 Proc. des Reingewinnes für das
Jahr 1901 mit 4,139.256 M., so dass der Reservefonds
610
nunmehr beträgt 44,639.256 M. Das Grundeigenthums-
konto der Reichsbank war am 1. Januar 1901 belastet
mit 36,026.000 M. Im Laufe des Jahres sind für Neu-
und Umbauten bezw. gekaufte Grundstücke hinzu-
getreten 1,376.500 M. An offenen Depots im Nenn-
werte von 2,888,780.101 M., Ende 1901 288.481 De-
pots über 2,975,918.356 M. An Gebühren für die De-
pots und für die An- und Verkäufe von Werthpapieren
sind für das Jahr 1901 2,215.957 M. (im Jahre 1900
2,062.287 M.) eigegangen. Die Verwaltungkosten ha-
ben betragen: bei der Reichshauptbank 4,523.070
Mark, bei den Reichsbankanstalten 9,224.962 Mark,
zusammen 13,748.033 M. (1900: 12,768.162 M.). Die
Eigenthümer der Reichsbankantheile waren Ende 1900:
6214 Inländer mit 29.804 Antheilen, 1857 Ausländer
mit 10.100 Antheilen, Ende 1901 : 10.363 Inländer
mit 29.517 Antheilen zu 3000 und 28.901 Antheilen
zu 1000 M., 1961 Ausländer mit 10.483 Antheilen zu
3000 und 1099 Antheilen zu 1000 M. An Zweigan-
stalten waren Ende 1901 insgesammt 358 vorhanden
(1^00 : 330). Der Gesammtgewinn der Bank betrug in
1901 44,752.345 M. In Abzug komttfen davon: die
Verwaltungskosten 13,748.033 M., die Banknotenan-
fertigung 471.761 M., Antheil des preussischen Staates
1,865.730 M., Notensteuer 352,684 M., für zweifelhafte
Forderungen 2,363.897 M., Verlust beim Verkauf des
früheren Bankgrundstückes in Hildesheim 4000 M. Das
Reich erhält ausser der Notensteuer von 352.684 M.
12,417.770 M., zusammen 12,770.455 M. Die Aktionäre
erhalten im Ganzen 6*25 proc. oder 9,375.000 M.
Also Ende 1901 waren 1961 Ausländer Eigen-
thümer
von 10483 Antheilen zu 3000 M
und 1099 „ „ 1000 „
Das macht 32,548.000 Mark Nominale. Wer sind
denn diese Ausländer? Wiederum ein Beleg, dass
das Kapital international ist. Der Bericht der Reichs-
bank pro 1902 besagt folgendes: Die Gesammtsätze
betrugen bei der Reichshauptbank 67.087,563.200 M.,
bei den Reichsbankanstalten 124.838,678.800 M., zu-
sammen 191.926,215.000 M. oder 1.221,404.300 M.
weniger als i*- T~u— i(>01. Der Bankzinsfuss be-
511
trug im Durchschnitt des Jahre 3321 Proc. für Wechsel
und 4*321 Proc. für Lombarddarlehen gegen 4-099 be-
ziehungsweise 5-099 Proc. i. V. Der höchste Bestand
der Giroguthaben- mit Ausschluss derjenigen der
Reichs- und Staatskassen war 374,837.000 M. am 23.
Januar, der niedrigste 231,489.000 M. am 15. November,
durchschnittlich 284,131.000 M. (1901:272,464.000).
Der Gesammtumsatz im Giroverkehr einschliesslich der
Ein- und Auszahlungen für Rechnung des Reiches und
von Bundesstaaten hat im Jahre 1902 169.227,395.537
Mark betragen gegen 167.727,164.694 M. im Vorjahre.
Der Metallbestand an kursfähigem deutschen Gelde
und an Gold in Barren oder ausländischen Münzen
betrug als höchste Summe am 23. Juni 1.107,338.000
Mark, als niedrigste Summe am 31. Dezember
786,123.000 M., durchschnittlich 982,202.000 M., gegen
das Vorjahr 70,791,000 M. mehr. Am 31. Dezember
setzte sich der Metallbestand zusammen aus Gold in
Barren und fremden Münzen 143,057.000 M., Gold in
deutschen Münzen 403,623.000 M., Thalern 112,027.000
Mark, Scheidemünzen 127,416.000 M. An Platzwechseln
waren nach Ultimo 1902 im BeStande 218.647 Stück
mit 574,141.624 M. Der Gewinn aus diesen Wechseln
beträgt 15,304.798 M., also 4,159,394 M., weniger als
im Vorjahre. Die durchschnittliche Grösse aller Platz-
wechsel ist 2361 M. gewesen. Unter den angekauften
Platzwechseln befanden sich 72.348 Stück im Betrage
von 100 M. und weniger (1901 : 63.373 Stück). Es be-
dürfen demnach die Industrie, der Handel etc. im
Deutschen Reich an Geldbedarf von der Reichsbahk
in einem einzigen Jahre die Riesensumme von 169.227
Millionen Mark. Die Reichsbank will nun das Kredit-
geschäft vollständig monopolisieren, um die Südstaaten
vollends von Preussen wirthschafllich abhängig zu
machen.
Am 26. Januar 1903 schrieben Berliner Börsen-
blätter folgendes: Es wurden öfters Klagen erwähnt,
die die Reichsbank über die Konkurrenz der Privat-
banken zu führen hat. Diese Konkurrenz hat die
Reichsbank von jeher als einen Uebelstand empfunden.
Insbesondere war es die Diskontpolitik der Privat-
notenbanken, die dem Central noteninstitut seine wirth-
512
schaftlichen Aufgaben wiederholt erschwert hat. Die
Reichsbank wie die Privatnotenbanken können nach
dem Bankgesetz Wechsel, die sie angekauft haben,
weiterdiskontieren. Von dieser Erlaubnis machte die
Reichsbank niemals Gebrauch, wohl aber die Privat*
notenbanken, die in Zeiten schwieriger Geldverhält-
nisse einen Rückhalt an der Reichsbank suchten und
fanden* In Zeiten niedrigen Geldstandes war das Neben-
herbestehen der Privatnotenbanken für die Reichsbank
womöglich noch störender, indem erstere unter den
Sätzen der Reichsbank diskontierten und auf diese
Weise sowohl das beste Wechselmaterial an sich zo-
gen, als auch dem Gentralinstitut die Eontrole über
den Geldmarkt erschwerten. Allen diesen Uebelstanden
sollte die Bankgesetznovelle vom 7. Juni 1899, die
am 1. Januar 1901 in Kraft trat, abhelfen. Nach § 7.
der Bankgesetzenovelle dürfen die Privatnotenbanken
nicht unter dem öffentlich bekannt gemachten Pro-
centsatze der Reichsbank diskontieren, sobald dieser
Satz 4 Proc. erreicht oder überschreitet. Ist der Reichs-
bankdiskont unter 4 Proc. festgesetzt, so dürfen die
Privatnotenbanken um nicht mehr als y4 Proc. bil-
liger diskontieren als die Reichsbank. Sollte dis Reichs-
bank selbst unter ihrem offiziellen Satze, das heisst
am offenen Markte, Wechsel ankaufem, so dürfen die
Privatnotenbanken den Ankaufssatz der Reichsbank
nur um Vs Proc. unterbieten. Durch dieselbe Gesetz-
novelle wurde bekanntlich der der Reichsbank zuste-
hende Antheil an dem Gesammtbetrage des der Steuer
nicht unterliegenden ungedeckten Notenumlaufs von
293-4 Mill. Mark auf 460 Mill. M. erhöht. Mit dem
Inkrafttreten der Banknovelle sahen sich die Privat-
notenbanken vor eine neue Situation gestellt Das
einzige bis dahin in Preussen neben der Reichsbank
bestehende Notentinstitut, die Frankfurter Bank, strich
sofort die Segel, indem es auf das Notenprivileg ver-
zichtete. Auch die Badische Bank zog sofort die Auf-
gabe des Notenprivilegs in Erwägung; indess wurde
schliesslich diese Absicht fallen gelassen. Im übrigen
kamen die Wirkungen der Bankgesetznovelle bei den
Privatnotenbanken im Jahre 1901, dem ersten Jahre,
in dem das Geset^ ' ~~ * getreten war, darin zum
513
Ausdruck, dass die Wechselbestände der Institute
ganz wesentlich zurückgingen. Besonders im ersten
Theile des Jahres 1901 liess sich bei den Privatnoten-
banken eine erhebliche Geschäftsverringerung bemer-
ken. Im zweiten Halbjahr wai1 dagegen bereits wieder
eine vermehrte Thätigkeit zu konstatieren, und, soweit
bis jetzt bekannt geworden ist, haben die Umsätze
des Jahres 1902 die des Jahres 1901 bei den Privat-
notenbanken nennenswerth überstiegen. Der Grund
dafür, dass die Bestimmungen der Banknovelle sich
nur verhältnismässig kurze Zeit bei den Privatnoten-
banken in starkem Masstabe fühlbar machten, ist
zum Theil darin zu suchen, dass die Notenbanken
inzwischen es sich angelegen sein Hessen, den Aus-
fall im Diskontgeschäft zu verringern. Die Privat-
notenbanken sind nämlich nach dem Gesetz nur in
Bezug auf das Diskontieren von Wechseln an den
Satz der Reichsbank gebunden, während ihnen hin-
sichtlich des Lombardgeschäftes freie Hand gelassen
worden ist. Sie legten nun bald nach Inkrafttreten
der Novelle den Schwerpunkt ihrer Thätigkeit auf das
Lombardgeschäft. Hierbei wurden nicht nur wie
früher Wertpapiere und event. Waren lombardiert,
sondern die Privatnotenbanken gingen zum Theil auch
dazu über, Wechsel zu beleihen und zwar zu einem
Satze, der sich nennenswerth unter dem des Reichs-
bankdiskonts hielt.
Dem Lombardgeschäft der Notenbanken ist frei-
lich insofern eine Grenze gesteckt, als sie nach dem
Gesetz zur Deckung für die im Umlauf befindlichen
Noten nur Wechsel, nicht aber auch lombardierte
Unterpfänder verwenden dürfen. Ferner ist in Be-
tracht zu ziehen, dass das Lombardgeschäft, zumal
bei niedrigem Reichsbankdiskont, kein sehr lukratives
ist. Wenn also auch die Umsätzte der Privatnoten-
banken im Jahre 1902 die des Jahres 1901 über-
stiegen haben, so ist damit noch nicht gesagt, dass die
Erträgnisse der Privatnotenbanken im Jahre 1902 son-
derlich günstig waren. Im vorigen Jahre hat denn auch
noch ein weiteres Noteninstitut, die Bank für Süd-
deutschland, auf ihr Notenprivilegium verzichtet und
durch die Vereinigung mit der Darmstädter Bank ihre
88
514
Selbständigkeit aufgegeben. Gegenwärtig bestehen in
Deutschland folgende Noteninstitute:
Steuerfreier Notenumlauf
Reichsbank 470,000.000 M.
Bayerische Notenbank . . . 32,000.000 „
Sächsische Bank 16,771.000 „
Württembergische Notenbank 10,000.000 „
Badische Bank 10,000.000 „
Braunschweigische Bank . . 2,829.000 ,
Aus dieser Zusammenstellung ist ersichtlich, dass
die Bedeutung der Privatnotenbanken im Vergleich
mit der Reichsbank verhältnismässig gering ist. Immer-
hin ist sie nach der Auffassung der Reichsbank gross
genug, um unter Umständen Störungen der volks-
wirtschaftlichen Funktionen der Reichsbank herbei-
zuführen. Die öffentliche Feststellung dieser Wirkung
wird indess gewiss genügen, um die Privatnotenbanken
von einer weiteren Gefährdung der von der Reichs-
bank im öffentlichen Interesse beobachteten Diskont-
politik abzuhalten. Ja nun, der preussische Magen ist
nun einmal sehr gesund und verträgt viel Speise.
Gehen wir nun zu den Staatsausgaben der deutschen
Bundesstaaten über. Im preussischen Etat für 1903
sind die ordentlichen Einnahmem auf 2.602,205.930
Mark, die Ausgaben im Ordioarium auf 2.516,369.633 M,
im Extraordinarium auf 158,536.297 Mark, zusammen
2.674,905.930 M. veranschlagt, mithin die Ausgaben
um 72,700.000 M. höher als die Einnahmen. Der Fehl-
betrag wird durch Aufnahme einer Anleihe zu decken
sein. Ende 1902 betrug die Staatsschuld Preussens
6.720,791.445 M. Die Zahl der eingetragenen Konten
betrug Ende März 1900 : 26,102 über 1.385,316.900
Mark Kapital, 1901: 28.909 über 1.466,168.250 M.
Kapital, sie ist bis Ende März 1902 auf 30.337 über
1,577.323.650 M. gestiegen. Von diesen Konten ent-
fallen 86-2 Proc. auf Kapitalien bis zu 50.000 M% und
13*8 Proc. auf grössere Kapitalsanlagen. Für physische
Personen waren Ende März 1902 18,372 Konten über
717,527.000 M., für juristische Personen 5615 Konten
über 584,669.850 M. eingetragen. Die Zahl der Konten
für Bevormundete oder in Pflegschaft Stehende be-
trägt 1901. Von den Konteninhabern wohnen 26.175
515
in Preussen, 3838 in anderen Staaten Deutschlands,
251 in den übrigen Staaten Europas, 14 in Asien, 16
in Afrika und 43 in Amerika. Also wieder, ein Beleg,
wie das Kapital international ist.
Im Jahre 1862 hatte Preussen 139,9.66.258 Thaler
Staatsausgaben, Das Heer beanspruchte 41,188.961
Thaler. Die direkten und indirekten Steuern trugen
ein 87,749.892; sämmtUche Einnahmen des preussi-
schen Staates waren im Jahre 1862 134,783.544 Thaler.
Die preussische Staatsschuld betrug im Jahre 1862
288,709.874 Thaler, die Zinsen dafür 15,547.700 Tha-
ler. Die Staatsvoranschläge Preussens älteren Datums
waren :
Einnahmen Aasgaben
Thaler
Jahr 1850 . . . 91,338.448 95,997.606
„ 1860 . . 132,948.354 132,948.354
Königreich Bayern :
Staatsausgabe 1902:. . 444,904.691 Mark
Staatsschuld: . . 1.600,237.525 „
Im Jahre 1862:
Staatsausgaben 55,734.212 Thaler
davon Schuldzinsen . . . 10,931.870 „
Heerausgabe 8,963.092 „
Die übrigen Bundesstaaten im Jahre 1902 :
Staatsaasgabe Staatsschuld
Mark
Anhalt 28,022.500
Baden 93,173.277 . 357,700.000
Braunschweig .... 16,629.625 57,537.011
Bremen .... . . 37,110.646 180,474.467
Elsass-Lothringen . . 60,657.192
Hamburg 131,051.995 435,101.110
Hessen 89,088.798 305,156.647
Lübeck 6,884.510 31,696.021
Mecklenburg-Schwerin . 4,153.800 116,853.350
Oldenburg 9,413.515 57,201.805
Sachsen 324,922.859 . 980,136.200
Württemberg 92,197.254 523,116.900
Das geeinte Deutsche Reich nahm einen Riesen-
anlauf in seiner Entwicklung als Industrie- und Ka-
pitalismusstaat. Es wurden im Deutschen Reiche ge-
gründet :
33*
616
Aktienkapital
Jahr Aktiengesellschaften in Millionen
Mark
1871 207 75876
1872 479 1477-73
1878 242 544-18
1874 90 105-92
1876 55 45-56
1876 42 18-18
1877 44 4342
1878 42 13-25
1879 45 57-14
1880 97 91-59
1881 111 199-24
1882 94 5610
1883 192 176-03
1884 153 111-24
1885 70 53-47
1886 113 103-94
1887 168 128-41
1888 184 19368
1889 360 40254
1890 236 270-99
1891 160 90-24
1892 127 79-82
1893 95 77-26
1894 92 88-26
1895 161 25068
1896 182 268-88
1897 254 38047
1898 329 563-62
1899 364 544-39
1900 261 34046
1901 158 158-26
Die Emissionen an der Börse in Berlin betrugen :
Inländische Ausländische
Jahr Effecten Effecten
in Millionen Mark
1888 1985 590
1889 1745 525
1890 1520 359
1891 1217 230
1892 1016 169
1893 1266 342
SIT
Inländische Aasländische
Jahr Effecten Effecten
in Millionen Mark
1894 1420 338
1895 1375 300
1896 1896 489
1897 1944 608
1898 2407 691
1899 ........ 2414 263
1900 2297
Das Jahr 1901 wird in der Wirtschaftsgeschichte
Deutschlands mit schwarzen Lettern eingeschrieben
bleiben. So viel Zusammenbrüche von stolzen Bank-»
und Industrieunternehmungen, wie sie im Laufe des
Jahres 1901 Deutschland erlebt hat, hat die Geschichte
seit dem Börsenkrach in Wien im Jahre 1873 und
dem Panamaschwindel im Jahre 1890 in Frankreich
nicht erlebt. Man konnte während des ganzen Jahres
in der Rubrik „Telegramme" in den grossen Juden*
Zeitungen alle die Phasen studieren, welche der Ka-
pitalschwindel in Deutschlad durchgemacht hat. Von
dem Kapitalismus und seinen Gründungen gilt da
recht das Wort der heil. Schrift: „An ihren Früchten
werdet ihr sie erkennen." Nun zur Sache. Deutschland
ist im Verlaufe der letzten 20 Jahre zu einem gewal-
tigen Industriestaate herangewachsen. Während
Deutschland im Jahre 1882 im Ganzen 9974 Gross-
betriebe hatte, wuchs ihre Zahl im Jahre 1895 auf
18.953. Wir könnten an der Hand der Statistik diesen
Entwickelungsgang genau darstellen. Doch müssen
wir uns kurz fassen. Die fetten Jahre der Industrie,
der Gründer, der Verwaltungsräthe und aller kapi-
talistischen Barone schienen kein Ende nehmen zu
wollen, es waren ihrer mehr denn sieben. Geben
wir nur einige Beispiele. Die chemische Fabrik vor*
mals Milep & Co., Aktiengesellschaft in Posen mit
einem Aktienkapital von nur 2*85 Millionen Mark
zahlte im Jahre 1899 nebst 14 Procent Dividende den
Aktionären, den Direktoren 24.141 Mark Tantieme,
dem Aufsichtsrath 37.821 Mark, den Beamten 20.000
Mark Neujahrstantiöme. Den wildesten Hexentanz
veranstalteten wohl die Kohlenbarone. Sie haben fast
die Besinnung verloren und wussten nicht, auf welche
518
Weise das Publikum am schnellsten und ausgiebig-
sten ausgeraubt werden solle. So vertheilte die Gelsen-
kirchener Bergwerksgesellschaft eine Dividende von
9 Procent im Jahre 1897, dann eine zehnprocentige
in den folgenden zwei Jahren und im Jahre 1900
sogar eine vierzehnprocentige. Dazu bekam der Ver-
waltungsrath Tantiemen von 73.469 Mark, 89.795
Mark, 175.894 Mark und im Jahre 1900 sogar 255.739
Mark. Geradezu fabelhaft klingt es, da wir lesen, dass
die Ärenberg'sche Aktiengesellschaft für Bergbau und
Hüttenbetrieb im Jahre 1899 eine Dividende von 75
Procent und im Jahre 1900 eine solche von 50 Pro-
cent pro Hundert des Aktienkapitales vertheilte. Vor-
sitzender des Verwaltungsrathes der Gelsenkirchener
Bergwerksgesellschaft ist der reiche, gewaltige jü-
dische Finanzbaron A. von Hanseman. Die Schu-
ckert-Affaire liefert einen Beweis dafür, dass die
Tantteme-Wirthschaft, wie sie sich in Deutschland
ausgebildet hat, förmlich am Marke der Aktiengesell-
schaften zehrt. Figurirten doch in dem Abschluss der
Schuckertschen Gesellschaft in Nürnberg für das Ge-
schäftsjahr 1899—1900, für das 15 Proc. Dividende
vertheilt wurden, nicht weniger als 1,207.452 M. an
Tanttemen und 360.000 M. an Gratifikationen, und
für ihre Thätigkeit in dem so unglücklich abgelau-
fenen Geschäftsjahre 1900—1901 hält sich die Ver-
waltung für berechtigt, an Tantiemen die enorme
Summe von 749.000 M. — ursprünglich beanspruchte
sie sogar 906.432 M. — und an Gratifikationen 300.000
Mark auszuweisen. Wohlweislich specialisirt sie nicht,
in welchem Verhältniss die Tantiemen des Aufsichts-
rathes und der Direktion zu denjenigen der übrigen
Beamten stehen; denn zweifellos würde sich dabei,
wie das „Berl. Tagebl." bemerkt, das schreiendste
Missverhältniss zu Ungunsten der Letzteren ergeben.
Noch schöner sind die Ergebnisse der Grund-
und Bodenspekulanten. Die Berliner Bodehgesellschaft
hat im Jahre 1900 ein gutes Geschäft gemacht Es
wurden bei einem Aktienkapital von einer Million
Mark aus Terrainverkäufen 527.950 Mark Gewinn er-
zielt und davon 57.550 Mark Tantieme und 30 von
Hundert Dividende gezahlt. Die Leipziger Terrain-
519
gesellschaft vertheilte für das Jahr 1900 eine zwölf-
procentige Dividende. Nun aber kamen die mageren
Zeiten. Den Anfang machten die Spielhagenbanken,
dann die preussische Hypothehenbank, die pomme-
rische und die Mecklenburg-Sttelitzsche Bank. Die
Hypothekenbank voh Mecklenburg-Strelitz ist einseht
junges Kind und war ihm ein kurzes Leben beschieden.
Die Koncession datiert erst vom Jahre 1896. Im Auf-
sichtsrath dieser Bank wafen die Herren Hofräth
Linde, Banquier Schappach, Kammerherr Dechess,
Hofrath Meyer, Bankdfrektor Schmidt. Gleich Ende
des Jahres 1896 verwaltete diese Bank 14,i86.395 M.
fremdes Vermögen. Die preussische Hypotheken -
Aktienbank, koncessioniert im Jahre 1864, hatte ab
Direktoren Eduard Sander, Heinrich Schmidt, Püch*
müller und Buchholz. Vorsitzender: Kömmerzienrath
Eduard Schmidt. Diese Bank verwaltete Ende 1896
fremdes Vermögen von 309,169.892 Mark. Pomme-
rische Hypotheken-Aktienbank, gegründet im Jahre
1866, in jüngster Zeit zur Hofbank der deutschen
Kaiserin erhoben, hatte zu Direktoren die Herren
Schulz, Romeich, Kellner und Alb. Schappach. Zum
neuen Direktor derselben wurde Banquier Salatrion
ernannt. Der Kammerherr der Kaiserin Baron Mar*
bach ist diesem Institut nicht fremd gewesen. Ende
1896 verwaltete diese Bank an fremdem Vermögen
159,978.704 Mark. Diese Banken haben den wüstesten
Spekulationsschwindel mit Bauparzellen in Berlin
betrieben, belehnten auch mit ihrem Kredite den
Bau jüdischer Bazare, so das Waarenhaus Tietz und
nebstdem führten die Direktoren ein derartig fürst-
liches Leben, dass nun die Katastrophe eintrat. Im
Monat Juni kam ein arger Stoss von Dresden aus.
Die „Dresdener Kreditanstalt" und die Elektricitäts-
werke Kummer geriethen in Schwierigkeiten. Die
Kreditanstalt für Industrie und Handel in Dresden
ist koncediert im Jahre 1856. Die Direktion bestand
aus Konsul Hörn, gewesenem Bürgermeister Klötzer,
Kammerherrn Stieglitz. Die Bank verwaltete Ende 1896
an fremdem Vermögen 20,596.704 Mark. Aktiengesell*
schaft der Elektricitätswerke in Dresden hatte in der
Direktion den Konsul Deuso, Generaldirektor Kummer,
520
Kammerherrn Stieglitz. Die Passiva, also von Fremden
aufgenommenes Geld» betrugen Ende 1896 im Ganzen
6,024.732 Mark. Der grösste Schlag aber kam am
25. Juni 1901. An diesem Tage verkündete ihre In-
solvenz die Leipziger Bank, deren Koncession vom
Jahre 1836 stammt. Die Direktion bestand aus A.
Exner, Advokat Gentzsch, Eugen Sachsenröder, Max
Scholinus, Oskar Hubert, Julius Schuhmacher, Ed.
Ramoth und Karl Behrens. Die Bank verwaltete Ende
1896 an Passiven 81,547.399 M. Mit dem Zusammen-
bruch der Leipziger Bank war auch der Sturz der
Kasseler Trebertrocknungs-Aktiengesellschaft eng ver-
bunden. Richtig gesagt ist die Leipziger Bank durch
die Kasseler Gesellschaft um 80 Millionen Mark
geprellt worden und damit war ihr Schicksal besiegelt
worden. Diese saubere Gesellschaft ist im J. 1889
gegründet worden. Verwaltungsrath : Adolf Schmidt
in Kassel, Herrmann Sumpf, R. Schlegel, Fabrikant
in Kuxhag, Theodor Schulze, Rittergutsbesitzer, Ar-
nold Sumpf, Brauer in Greifswald, Ernst Otto, Kauf-
mann in Dortmund. Die Kasseler Gesellschaft ver-
theilte in den Jahren 1890 bis 1899 folgende Divi-
denden: 7, 10, 12, 10, 10, 10, 38, 50, 40 Procent!
Ende 1898 verwaltete sie an Passiven 33,039.303 M.
Diese saubere Gesellschaft trocknete Treber sogar
bis in Bosnien, allerdings in Form von Ausbeutung
der Staats wälder, welche ihr von dem vortrefflichen
Reichsfinanzminister von Kallay bereitwillig zur Ver-
fügung gestellt worden sind. Natürlich, man muss
doch das Bündniss mit Deutschland auch praktisch
bethätigen, denkt sich Herr von Kallay. In der Kas-
seler . Trebertrocknungsgesellschaft spielte auch eine
grosse Rolle der Getreidejude Sandel Katz, der die
hessischen Bauern sehr gut zu behandeln weiss.
Sandel Katz roch bei Zeiten den Braten und sanierte
sich durch rechtzeitige Flucht, damit er nicht in faulen
Trebern ersticke. Darin besteht die Schlauheit der
Hebräer, während die dummen christlichen Direktoren
hinter Schi oss und Riegel in unfreillige Pension ver-
setzt worden sind. Nach dem Falle dieser zwei grossen
Firmen kam so der Stein ins Rollen. Es meldete
nach dem Yr**h in Leipzig und Kassel eine ganze
521-
Menge von Firmen und Indus trieunternehmüngen
ihren Konkurs an und stellten die Produktion ein.
Mit dem Falle von Leipzig und Kassel kam auch
die Rheinische Bank an den Rand des Abgrundes.
Diese Bank ist eine Gründung des Juden Gustav
Hanau. Sie ist ein ganz junges Kind, Geburtsjahr
erst 1897. Vorstand: Rudolf Trostqrff, zu Mühlheim
a. d. Ruhr, Advokat Mannheimer. Vorsitzender: Leo
Hanau, August Thyssen, Paul Barnewitz, Karl Kahn
in Bonn, Ernst Friedländer, Konsul Eugen Landau,
Dr. Michels, Oskar Rothschild, Dr. Weihtmann. Die
Bank verwaltete Ende 1898 Passiven im Betrage von
25,570.801 Mark. Wie man sieht, ist die rheinische
Bank eine durchaus koschere Gesellschaft. Gleich
darauf krachte es weiter in den Fugen des wirtschaft-
lichen Fahrzeuges. Ende Juli verschwand spurlos der
Spekulant Terlinden. Dieser Fabrikant hat seine
Unternehmungen in Oberhausen in eine Aktiengesell-
schaft umgewandelt und dabei dieselben in die Bi-
lanz zu einem überschwenglichen Preis schlau ein-
gestellt. Durch diesen Schwindel wurden hart ge-
troffen das Bankhaus Beekerath und Heilsmann in
Krefeld, die Hannoversche Bank, Robert Warschauer
und seine Diskontogesellschaft, die Darmstädter
Bank und viele andere. Von den grossen Industrie-
unternehmungen, welche durch die Leipziger und
Kasseler Katastrophe in arge Mitleidenschaft gezogen
worden, sind zu erwähnen die Schuckertwerke in
Nürnberg und die „Elektra" in Dresden. Anfangs
September 1901 kam aus Breslau die Nachricht, dass
der Direktor Schostag von der Rhederei vereinigter
Schiffer in Breslau sich vergiftet habe und der zweite
Direktor Breslauer verhaftet worden sei. Beide Juden
haben der genannten Gesellschaft einen Schaden von
5 Millionen Mark verursacht. Sie hatten einen fixen
Gehalt von jährlich 7.500 Mark. Der Jude Schostag
war ein leidenschaftlicher Börsianer. Nebstdem betrieb
er auch Maitressenwirthschaft.
Das Organ des Juden Mosse, das „Berliner Tagebl."
schrieb am 9. Oktober 1901 : Was für ein Patron
Herr Schostag von der Rhederei vereinigter Schiffer
in Breslau war, hat die gestrige Gläubigerversamm-
522
lung in dem Konkurs Schostag gezeigt, über die gestern
ein Breslauer Privat-Telegramm bereits in Kürze
berichtet hat. Es waren in der Versammlung 12 Gläu-
biger vertreten. Zu den Gläubigern gehört die ^Rhe-
derei Vereinigter Schiffer", deren Forderungen mit
fünf Millionen Mark angegeben wurden, ferner die
Kommanditgesellschaft Hamburger u. Co. in Kattowit*
mit 1,831.000 M., die Filiale der Dresdener Bank in
Hamburg mit 885.000 M., die Norddeutsche Bank in
Hamburg mit 105.000 M.> der Hallesche Bankverein
Kulisch, Kämpf u. Co. mit 301.000 M., F. A. Neubauer
in Hamburg mit 256.000 M. und Ernst Kuznitzky mit
2,365.000 M. Eine Summirang der einzelnen Posten
würde ein falsches Bild von der Schuldenlast geben,
da in der Forderung der Rhederei die Forderungen
der Banken deshalb mitangegeben sind, weil gegen
die Rhederei Regress erhoben wird. Der Konkurs-
verwalter machte weiter folgende Mitteilungen Bevor
Schostag im Jahre 1888 den Direktorposten bei der
Rhederei Vereinigter Schiffer übernahm, war er Leiter
der Oderdampfschiffahrtsaktiengesellschaft, die 1888
in Konkurs gerieth. Dieser Konkurs führte auch zu
einer Strafverfolgung gegen ihn, und nach einer Unter-
suchung von fünfjähriger Dauer wurde er 1893 wegen
Konkürsvergehens zu drei Monaten Gefängniss ver-
urtheilt, welche Strafe dann im Gnadenwege in eine
Geldstrafe von 1000 M. umgewandelt wurde. Im Jahre
1896 verheiratete er sich, und seine Frau brachte
ihm ein Vermögen von etwa 75.000 M. in die Ehe.
Schostag bezog in seiner Direktorstelle ein Jahres-
gehalt von 7500 M. und sehr reichliche Tantiemen.
Trotz seines arbeitsreichen und verantwortungsvollen
Amtes wusste er aber noch Zeit für Nebenbeschäfti-
gungen auf zahlreichen anderen Erwerbsgebieten zu
finden, besonders für Spekulationsgeschäfte. Er spe-
kulirte in höchst waghalsiger Weise nicht blos in
Wertpapieren aller Art, besonders bei einem aus-
wärtigen Bankhause, sondern auch in überseeischen
Produkten, und auf die Misserfolge dieser Spekula-
tionen ist der Verlust der Millionen zurückzuführen,
welche er der Aktiengesellschaft Rhederei Vereinigter
Schiffer veruntreut hat. Nähere Auskunft über den
523
Verbleib des unterschlagenen Geldes kann zur Zeit
nicht gegeben werden, da ordnungsgemäss geführte
Privatbücher nicht vorhanden und alle Aufzeichnun-
gen und Briefschaften des Verstorbenen von der Staats-
anwaltschaft mit Beschlag belegt und noch nicht frei-
gegeben sind. Die Konkurs Verwaltung wird ihre Ermit-
telungen nach dieser Richtung energisch fortsetzen
und prüfen, ob gegen diejenigen Personen, mit denen
Schostag Spekutionsgeschäfte gemacht hat, Ansprüche
zu verfolgen sind. Der Differenzeinwand soll in dem
nach dem Börsengesetz und der Judikatur des Reichs-
gerichts zulässigen Umfange und ferner sollen Rück-
forderungen erhoben werden, soweit das Börsengesetz
Grundlagen hiefür bietet. Die sonstigen Spekulationen
bewegen sich auf dem Gebiete der Grundstückskäufe.
In Krietern erwarb Schostag Anfang 1897 ein Terrain
mit einer Grundfläche von 117.237 Quadratmeter,
welches mit Hypotheken in Höhe von 123.000 M*
belastet ist; eine auf den Namen seiner Frau lau-
tende Hypothek von 20.000 M. wird mit Aussicht auf
Erfolg angefochten werden. Diesem Grundstück wird
ein sehr erheblicher Werth beigemessen, so dass ein
beträchtlicher Ueberschuss zu erwarten ist. -— Im
Weiteren handelt es sich um eine Gruppe von Spe-
kulationen, die mit der Vertrauensstellung Schostags
als Direktor der Rhederei nicht vereinbar waren, da
sie von ihm nur zu dem Zwecke entrirt wurden, um
sich auf Kosten und zum Nachtheil der Aktionäre zu
bereichern. Er brachte nämlich Terrains an sich, von
denen er wusste, dass sie von der Rhederei gebraucht
werden würden, um sie mit reichem Gewinn an diese
wieder loszuschlagen, so in Kosel-Oderhafen ein Grund-
stück von 97.951 Quadratmeter, welches mit 87.000 M.
belastet ist. Ferner gehört hierher eine Spekulation
mit zwei Grundstücken von 38.837 Quadratmeter
Grösse. Dieselben gehörten früher dem Ritterguts-
besitzer Drabizius und wurden von dem Spediteur
Giesel aus dessen Konkursmasse erworben ; schon
damals waren dieselben mit 410.000 M. Hypotheken
belastet. Mit Giesel trat Schostag in Verbindung und
veranlasste ihn, die behördliche Genehmigung zur
Anlage einer Schiffswerft auf den beiden Grundstücken
524
nachzusuchen. Nach Erlangung derselben sollte die
rohe Anlage auf Kosten Beider für 30.000 M. fertig-
gestellt werden, und wenn dies geschehen sei, sollten
die übrigen Anlagen, Schuppen etc. von Schostag
bestellt und von der Rhederei vereinigter Schiffer
gebaut werden. Nach Fertigstellung der Anlagen sollte
die Rhederei ein Pachtverhältniss eingehen, dessen Be-
dingungen durch Schostag als den Direktor der Gesell-
schaft festgesetzt wurden. Die Werft ist seit dem Früh-
jahre d. J. fertig und seit dem 1. Juli dieses Jahres
von der Rhederei in Betrieb genommen. Bei den
sonstigen Organen der Rhederei ist bis zum Tode
Schostag's über die eigenartigen Rechtsverhältnisse
dieser Werft nichts bekannt gewesen, und es stehen
deshalb noch schwierige Auseinandersetzungen zwi-
schen Giesel und der Schostagschen Eonkursmasse
einerseits sowie zwischen den beiden Miteigenthümern
und der Rhederei andererseits bevor. Die hypother
karische Belastung dieser Terrains beträgt 410.000 M.
Schostag war bei mehreren Gesellschaften auf den
Todesfall versichert ; doch sind die meisten Versiche-
rungen wegen Nichtzahlung von Prämien oder wegen
des Selbtsmordes verfallen. Einen Ueberblick über die
Aktivmasse zu geben, ist vorläufig noch nicht möglich,
da erst eine sachgemässe Schätzung der Grundstücke
erfolgen muss. Der Bericht des Konkursverwalters
bestätigt, dass Schostag die veruntreuten Summen
in der Hauptsache durch Börsenspekulationen ver-
loren hat. Ist es schon erstaunlich, dass dem Auf-
sichtsrath von den riesigen Spekulationen nichts zu
Ohren gekommen ist, so muss man sich noch mehr
darüber wundern, dass die Gesellschaft Terrains etc.
erwarb, ohne dass der Aufsichtsrath sich dafür inter-
essirte, dass Schostag als Zwischenkäufer zum Nach-
theile des von ihm geleiteten Unternehmens auftrat.
Auch dass der Aufsichtsrath an dem Vorleben Schos-
tags keinen Anstoss nahm, muss nach dem Bericht des
Konkursverwalters von Neuem auffallen. Dass aus dem
Nachlass Schostag's für die Gläubiger ein nennens-
werther Betrag entfallen sollte, erscheint ausgeschlossen.
Gleichzeitig meldete man den Zusammenbruch
der Gewerbebank in Heilbronn. Ende September gerieth
525
in Konkurs die Grunderwerbsbank für Berlin und
Vororte. Diese war ein Unternehmen des Direktor
Sanden. Nebst diesen Aktienunternehmungen sind
zahlreiche private Bankhäuser entweder ganz ver-
schwunden oder in finanzielle Schwierigkeiten gera-
then. Das grösste Aufsehen machte die finanzielle
Klemme der Firma Hugo Landau in Breslau. Doch
sind dem Juden Landau seine intimsten Freunde,
wie Cäsar Wollheim, Rosenfeld und Goldschmidt,
Schottländer, Behrens in Hamburg, Mendelssohn in
Berlin zu Hilfe geeilt. Landau war ein kühner Speku-
lant und sass in nicht weniger als in 26 Aktien*
gesellschaften entweder als Direktor oder als Mitglied
des Verwaltungsrathes. Selbstverständlich können wir
nicht alle Namen der Industrieaktienunternehmungen
anführen, die in Deutschland während des Jahres 1901
entweder ganz eingingen oder ihre Produktion zeit-
weilig einstellen oder reduciren mussten. Wie viel durch
den Zusammenbruch der verschiedenen Geld- und Kre-
ditinstitute das Publikum an Baargeld verloren, wie viel
tausende Familien zugrunde gerichtet, wie viel Selbst-
morde verübt wurden, das weiss Gott allein. Die
direkten Verluste an Geld, welche durch den Zusam-
menbruch der genannten Unternehmungen dem Publi-
kum zugefügt worden, sind aber nur ein Theil des
Unglückes. Den grösseren Theil des wirthschaftlichen
Unglückes vollendete die Börse. Denn nach jeder
Nachricht von einem Krach folgte in Berlin auf der
Börse der entsprechende Preisdruck der Wertpapiere.
So verloren nach dem Cours vom 7. Juli 1901 die
Aktien der Harpener Eisenindustrie-Aktiengesellschaft
an einem Stück 3510 Mark, Kölnischer Bergwerks-
verein 2057 Mark u. s. f. Ende September 1901 hielt
die „Nationalzeitung" eine Schau auf dem Schlacht-
felde und konstatirte, dass die Industriepapiere Ende
September einen Verlust von mindestens 1500 Milli-
onen Mark erlitten haben. Die deutschen Bankaktien
erlitten einen Vertust von mindestens 700 Millionen
Mark, die Kredit- und Hypothekenbanken haben einen
Verlust von über 200 Millionen Mark zu verzeichnen.
Das ist nur eine oberflächliche Schätzung. Wie gross
die Verluste an Bahnaktien und Staatspapieren sein
Ö26
werden, das wird die Schlussrechnung an der Berliner
Börse pro 1901 ergeben. Diese verheerenden Wirkun-
gen des Kapitalismus werden auf lange Jahre zu
spüren sein. Der. Augenblick, wo die Industrie- und
anderen Wertpapiere ihren Gours verlieren- und dem
Druck der Börse nachgeben, das ist der Augenblick,
wo die grossen Börsenhyänen ihre reiche Ernte halten,
sie kaufen mit vergnügtem Gesicht die niedergedrückten
Papiere, die sie vorher durch eine gaunerhafte Preis-
treiberei dem Publikum theuer aufgepelzt haben. Nun
strömen die Milliarden wieder zurück, die Papiere
fluthen an die Börse wieder und es kann in einiger
absehbarer Zeit der Raub von neuem vollzogen werden.
Machen wir eine kleine Berechnung. Die Aktien des
Kölner Bergwerksvereines haben einen Nominalpreis
pro Stück 600 Mark, es sind ihrer 9000 Stück in
Umlauf. Im Jahre 1900 war der höchste Gours dieser
Aktie an der Börse in Berlin 499, d. h. 100 Mark
Nominale, 499 Mark Gourswerth, das macht den Werth
eines Stückes der Aktie eine Summe von 2895 Mark.
Gesetzt den Fall, dass ein Privatier 30 Stück dieser
Aktien zum Gourse 499 angekauft habe, so hat er
müssen dafür 86.859 Mark erlegen. Nun sind diese
Aktien am 7. Juli 1901 auf den Gours von 293 gefallen,
d. i. ein Verlust von 1137 Mark an einer jeden Aktie,
macht also bei 30 Stück eine Summe von 34.110 Mark
aus, beim ganzen Aktienbesitz von 9000 Stück macht
dies einen Verlust von 10,233.000 M. aus. Und so könnte
man diese Berechnung mit allen Wertpapieren an-
stellen. Wir müssen konstatiren, dass diese grossen
Raubzüge der Börse in Berlin ihren Wiederhall auch
in Wien gefunden haben, doch müssten wir den
Raubzug der Börse in Wien einer eigenen Betrach-
tung unterziehen. Diesen grossartig angelegten Dieb*
stählen am Vermögen des Volkes gegenüber wird in
den Parlamenten von Seite der Liberalen und Juden
ein tiefes beharrliches Schweigen beobachtet, dafür
bringen die Juden Breiter, Malik und Genossen, die
Socialdemokraten und die ganze Judenschutztruppe die
Kirche, die Orden und die Priester ins Treffen, Die
Kirche muss herhalten, um die grossen Raubzüge der
Börse zu verdecken — und es gelingt Von der Christ-
527
liehen Seite wird viel zu wenig gethan, um das Volk
aufzuklären und von der Wahrheit zu überzeugen.
Da zeigt sich eben die furchtbare Macht der Juden -
presse, welche von der Börse und den Kapitalisten
seit Jahren in Dienst genommen wird. Nur mit ihrer
Hilfe können diese Raubzüge veranstaltet werden.
Wann das christliche Volk zur Erkenntniss dieser
Dinge kommen wird, kann man nicht voraussehen.
Die Reaktion wird nur dann kommen, wenn das
christliche Volk gänzlich verarmt sein wird und die
jüdischen Finanzbarone in ihren aufgehäuften Milli-
onen selbst- ersticken werdeij. Dann werden vielleicht
die Regierungen einsehen, dass man die Börsen nach
einer anderen Manier als bisher wird behandeln
müssen.
In. Breslau fallierte der Jude Landau. Die Juden-
blätter schrieben Folgendes : „Jakob Landau Nachfol-
ger. Die Angelegenheit der Breslauer Firma Jakob
Landau Nachfolger kann als erledigt bezeichnet wer-
den. Nicht richtig dürfte die Höhe der gestern ange-
gebenen Sanirungssumme mit iy4 Mill. M. sein, da
es sich jedenfalls um einen weit höheren Betrag
handelte. Generalkonsul Eugen Landau, der eine
Inhaber der Firma, hat eine sehr umfangreiche Emis-
sionsthätigkeit mit Hülfe der ihm nahestehenden
Bankgruppe entfaltet, wofür die Häufung von Auf-
sichtsrathstellen, welche er in seiner Person vereinigt,
einen für sich selbst sprechenden Beweis gibt. Ausser
in der Nationalbank, aus deren Aufsichtsrath er jetzt
ausgetreten ist, bekleidet er noch den Posten eines
Vorsitzenden des Aufsichtsraths bei der Aktien brauer ei
Friedrichshöhe vorm. Patzenhofer, der Akt.-Ges, für
Montanindustrie, der Allgemeinen Deutschen Klein-
bahngesellschaft, der Berlin-Lichtenberger Terrain-
aktiengesellschaft, der Metallwaarenfabrik Akt.-Ges,
Baer u. Stein, sämmtlich in Berlin, der Bayerischen
Bank in München, der Breslau-Kleinburger Terrain-
gesellschaft, der Chemischen Fabrik Hönningen, den
Milowicer Eisenwerken, der Oberschlesischen Eisen-
bahn-Bedarfs-A.-G , der Rositzer Zuckerraffinerie, der
Spinnerei A.-G. vorm. Klauser, München-Gladbach,
lind den Kohlenwerken Glückauf in Zechau Weiter
528
war er Mitglied des Aufsichtsraths der Aluminium-
industrie-A.-G. in Neuhausen, der Bielsfelder Näh-
maschinen- und Fahrradfabrik vorm. Hengstenberg
u. Co., der Bierbrauerei- A .-6. vorm. Gebr. Hugger in
Posen, der Brauerei W. Isenbeck u. Co, A.-G. in
Hamm, der Kommerz- und Discontobank in Ham-
burg, der Leipziger Bierbrauerei Riebeck u. Co., der
Mannheimer Versicherungsgesellschaft, der Oberschle-
sischen Bierbrauerei A.-G. vorm. L. Haendler in Zabrze,
der Oberschlesischen Portland-Cementfabrik in Oppeln,
der Rheinisch-Westfälischen Metall werke in Dornap,
der Waggonfabrik A.-G. vorm. P. Herbrandt u. Co.
in Köln und der Schlesischen Kleinbahn-A.-G. in
Berlin — das sind also 26 Aktiengesellschaften, unter
denen sich 3 Banken, 1 Versicherungsgesellschaft,
2 Trustgesellschaften, 2 Terraingesellschaften, 1 Bahn-
unternehmen, 3 montanistische Unternehmungen, 5
Betriebe der Metallwaaren-, Maschinen- und Waggon-
industrie, 5 Brauereien, je 1 chemische, 1 Cement-,
1 Zucker- und 1 Textilfabrik befinden. Ausserdem ist
Herr Kommerzienrath Hugo Landau in 12 Aktien-
gesellschaften theils als Vorsitzender, theils als Mit-
glied des Aufsichtsraths thätig."
Die Hilfsaktion für das Bankhaus Adolf Landau
Nachfolger, für welche sich die hiesigen Häuser Max
Cäsar Wollheim und Rosenfeld und Goldschmied,
sowie Kommerzienrath Wilhelm Lehrmann und Ritter-
gutsbesitzer Schottländer aus Breslau und schliesslich
das Bankhaus L. Behrens und Sohn in Hamburg
bereit erklärt haben, hat die Forderungen der klei-
neren Gläubiger gesichert. Mit den Hauptgläubigern
wurde ein Arrangement dahin getroffen, dass diese
einstweilen mit 50 Procent befriedigt werden, die
restlichen 50 Procent werden ihnen nach Ablauf eines
Jahres, binnen welcher Zeit die Liquidation des Hau-
ses Landau durchgeführt werden soll, zugesichert.
Das Hilfskonsortium soll der Angabe eines Breslauer
Blattes zufolge iy4 Millionen Mark für die Hilfsaktion
aufgewendet haben. Diese Summe wurde an der Börse
für zu niedrig gehalten. Eine endgiltige Feststellung
der Modalitäten wird in der morgen stattfindenden
Gläubigerversammlung vor sich gehen. Wie verlautet,
529
will das Konsortium auch den Generalkonsul Eugen
Landau in Berlin bei Ordnung seiner Angelegenheiten
unterstützten. Im Juni 1901 schrieb das „Berliner
Tageblatt" folgendes : Der Bankier Th. Löwenberg*
dessen Bank- und Wechselgeschäft in der Leipziger-
Strasse 113 zusammengebrochen ist, hat seine Flucht
in raffinirtester Weise vorbereitet. Ende vorigen Mo-
nats kündigte er seinen Angestellten an, dass er eine
Erholungsreise machen werde. Löwenberg lag vor
allem daran, einen Vorsprung zu erreichen, ehe die
Katastrophe im Geschäft eintrat. Dies ist ihm in der
That gelungen. Am Sonntag, den 30. Juni, begab er
sich Abends „auf Reisen", nachdem er vorher alle
Dokumente, in erster Linie seine Photographien ver-
nichtet hatte, die der Polizei hätten eine Handgabe
zur Ermittelung seines Aufenthaltes bieten können.
Erst am Montag Nachmittag wurde das Geschäft durch
die Kriminalpolizei geschlossen und die Geschäfts-
bücher beschlagnahmt. Diese befinden sich in voller
Unordnung. Die Bücher sind offenbar absichtlich
regellos geführt worden. Die Passiva des verhältniss-
mässig kleinen Geschäfts betragen 300.000 Mark ; die
Aktiven sind kaum nennenswerth. Es steht bereits
fest* dass L ihm anvertraute Depots in beträchtlicher
Höhe unterschlagen hat. Die Ursachen für den Zusam-
menbruch sind, wie so oft, in dem „cherchez la
femme" — der 44 Jahre alte L, selbst war unverhei-
ratet — zu suchen. Ein Steckbrief ist erlassen wor-
den L. ist 1*80 Meter gross, schlank, geht vorn über-
gebeugt, hat geröthete gebogene Nase, dunkelröthli-
chen Schnurbart mit schwachem Ansatz von Kotelett-
Bart, röthliches Haar. Er ist in Tilsit geboren." Aus
Stargard meldete die „Germania" Anfangs März 1901
folgendes : »Der Inhaber eines hiesigen grossen Tuch-
geschäfts, Wolffheim, hatte ausser seinem kaufmän-
nischen Geschäfte noch eine Sparkasse errichtet.
Wolffheim besass unbedingtes Vertrauen bei allen
Konfessionen und Nationalitäten, die ihre Ersparnisse,
in Einzelfällen bis 20.000 Mark, bei ihm hinterlegten
gegen sechs Procent Zinsen. Vor Kurzem ist Wolff-
heim bankerott geworden. Deutsche Bürger hatten
etwa 400.000 M., polnische etwa 120.000 Mark bei
34
680
Wolffheim deponirt. Alle Einlagen sind nach polni-
schen Blättern bis auf den letzten Pfennig verloren.
Verschiedene Familien haben ihr ganzes Vermögen
eingebüsst." Solcher ausgezeichneter Juden-Bürger hat
das neue deutsche Reich in Fülle, sie arbeiten wie
die Miniermäuse und unterwühlen so den stolzen Bau.
Wenn das so fortgeht, dürfte die Expansions-
politik der Alldeutschen in Sand verlaufen. Das
deutsche Reich wird zu Hause genug zu thun haben.
So schreibt das Münchener Deutsches Volksblatt am
81. Mai 1908. Es ist rührend, mit welcher Einmüthig-
keit die liberale Presse die tiefgehenden Verstim-
mungen wegzuleugnen sucht, die mit Recht am baye-
rischen Hofe und in noch viel höherem und bedeu-
tungsvollerem Grade in der bayerischen Bevölkerung
gegen die fortgesetzten preussischen Angriffe auf
bayerische Reservatrechte und die hochmütige Behand-
lung deutscher Bundesfürsten und deutscher Regie-
rungen längst bestehen. Man weiss eben, was man
weiss ; und weiss, dass man in der Residenz von
München ebenso wie in jenen von Dresden, Stuttgart,
Karlsruhe, Darmstadt, Meiningen, Dessau, Schwerin
und Detmold, ebenso wie die Volksseele „kocht",
man weiss aber leider auch, dass die hohen Herren,
die die Sache ja schliesslich doch in erster Linie
angeht, nicht die Energie besitzen, offen ihre Rechte
zu wahren und an das Volk zu appellieren, und
nimmt darum das unabänderlich Scheinende mit
einem gewissen Gleichmuth auf. Die auf das Offizio-
senthum Anspruch machenden Blätter sollten aber
in diesen Dingen das Volk doch nicht gar so dumm
anlügen, wie es die Berliner „Nationalzeitung* thut,
deren Quark natürlich die „Münchner Neuesten" wie
jede Dummheit sofort mit Wonnegefühl an der Spitze
ihrer Kuhhaut abdrucken. Dort heisst es: „Der baye-
rische Ministerpräsident Freiherr v. Podewils nahm
in der längeren Unterredung, die er gestern mit dem
Reichskanzler hatte, wie wir erfahren, Veranlassung,
mit aller Entschiedenheit die Ausstreuungen bayeri-
scher und anderer Blätter zurückzuweisen, wonach
zwischen der beyerischen Regierung und der Reichs-
regierung eine Spannuncr bestehen soll. Der Eindruck
531
war auf beiden Seiten ein überaus sympathischer.
Auch im Verkehr mit anderen hohen Reichs- und
preussischen Staatsbeamten äusserte sich in frei-
müthiger Weise der bayerische Ministerpräsident
in überaus gewinnender Form. Die Anwesenheit
der sämmtlichen Minister bei dem Diner zu Ehren
des Staatsministers Freiherrn v. Podewils bei Bülow
und überhaupt die überaus ehrenvolle Aufnahme
des bayerischen Ministerpräsidenten gelten als Zeichen
dafür, wie unendlich grossen Werth man auf die
innigsten Beziehungen zwischen Preussen und Bayern
legt" Man sieht, wie gedankenlos in gewissen Redakti-
onen gearbeitet wird, beziehungsweise für wie gedan-
kenlos diese die Leser ihres Blattes halten müssen.
Als ob, wenn zwischen den beiderseitigen Regierun-
gen Spannungen bestanden oder auch keine bestanden
hätten, deren Vertreter unter vier Augen „mit aller
Entschiedenheil die Ausstreuungen anderer zurück-
weisen" würden. 0, sancta simplicitas ! Die ganze
lächerche Art und Weise, mit der der Besuch des
bayerischen Ministers des Aeussern am Berliner Hofe
von der grossen Tagespresse glossiert wird, wird in
der „Münchener Post" in folgender geistreich-bos-
haften, aber nicht unzutreffenden Weise bespöttelt:
Berlin, 28. Mai, 9 Uhr 2 Minuten Vormittags : Die
ersten Worte, die Herr v. Bülow an den bayerischen
Ministerpräsidenten richtete, waren : „Herzlich will-
kommen, lieber Baron !" Herr v. Podewils war von
diesem unerwartet liebenswürdigen Empfang so über-
rascht, dass er nur sagen konnte : „Vielen Dank,
Excellenz, nicht war, Sie tragen uns wegen Swine-
münde nichts nach?" Diese bescheidene aber doch
feste Betonung der bayerischen Interessen machte
einen ungemein günstigen Eindruck.
Berlin, 28. Mai, 9 Uhr 3 Minuten. Beim Diner
wurde mit allgemeiner Befriedigung konstatiert, dass
Herr v. Podewils den Fisch ohne Benützung des
Messers zu essen verstand und die Gabel kein ein-
ziges Mal als Zahnstocher verwendete. Auch im Ge-
brauch des Spülglases zeigte der erfahrene Diplomat
sich völlig bewandert. Der Gesandte eines anderen
grösseren Bundesstaates drückte sich hierüber sehr
84*
/>32
anerkennend aus und sagte zu seinem Nachbar gewandt :
„Friedrich der Grosse hatte doch unrecht" Wir ver^
muten, dass der Herr Gesandte hierbei an das harte
Wort des grossen Preussenkönigs Friedrichs des Ein-
zigen dachte : „Bayern ist ein Paradies, bewohnt von
Tieren." Berlin, 28. Mai, 9 Uhr 4 Minuten. Der Kaiser
halte, um seinen hohen Gast zu ehren, Gebirgswichs
mit dem breiten Band des Hubertusordens angelegt
und redete Herrn v. Podewils zweimal direkt an. Die
Antworten des Ministerpräsidenten fielen den Um-
ständen entsprechend befriedigend aus. Nach Auf-
hebung der Tafel wurde bayerisches Bier serviert
In zwangloser Unterhaltung kam das Gespräch auch
auf die Musik. „Sie singen ja auch, Podewils," ermun-
terte Herr v. Bülow den bayerischen Kollegen, worauf
dieser bereitwillig einige seiner pikantesten Schnader-
hüpfel zum besten gab. Eine hochstehende Persönlich-
keit äusserte dann : „Das ist wahre Kunst, er ist noch
besser wie Dreher." Als Dank für dies hohe Wohl-
wollen gab Herr v. Podewils noch die bayerische
Bauernbundshymne zum besten und erregte damit
stürmischen, nachhaltigen Jubel." — Berlin, 28. Mai,
9 Uhr 5 Minuten. Der Erfolg der Reise des Herrn
v. Podewils steht nunmehr fest. Ein hervorragender
Staatsmann versicherte mir: „Er ist charmant; Crails-
heim ist Mode vom vorigen Jahr !"
Dass die socialen Zustände im deutschen Reiche
nicht die beslen sind, davon gibt einen Beleg die
Verschuldung des unbeweglichen Besitzes. Seit dem
Jahre 1886 ist die buchmässige Bewegung der Real-
schulden in Preussen Gegenstand alljährlicher Ermit-
tlung. Vom 1. April 1886 bis zum 31. März 1900 sind in
den Städten, sowie in den Landgemeinden und Guts-
bezirken mit städtischem Wesen, insbesondere Fabrik-
orten und Vorortsgemeinden der Grosstädte insge-
sammt 23.286*49 Millionen Mark an Hypotheken und
Grundschulden eingetragen, dagegen 11.422*37 Mil-
lionen Mark oder 49*1 v. H. der Eintragungen ge-
löscht worden, so dass sich eine Zunahme der Buch-
verschuldung um 11.844'12 Millionen Mark ergibt.
In den Gemeinden mit ländischem Charakter beliefen
sich die Eintragungen auf zusammen 10.652*73 Mil-
533
lionenMark und die Löschungen auf 7 122*82 Millionen
Mark, d. i. 667 v. H. der Eintragungen, mithin die
Mehrverschuldung auf 3549*71 Millionen Mark.
Im Einzelnen betragen
die Bin- die Löschungen
der Ueber-
im
tragungen Oberhaupt
v. H. der
schuss der
Jahre
Mill. M. Mill. M.
Ein-
Eintragungen
tragungen
Mill. M.
a) in den städtischen Bezirken
1895
1676-64 991-32
95-1
68532
1896
1643-53 89226
54-3
75127
1897
1799-17 877-93
48-8
921-24
1898
1869-28 835 30
44-7
1033-98
1899
2039-11 877-25
43-0
1161-86
1900
1914-12 80977
42-3
1104-35
b) in den ländischen Bezirken :
1895
752-02 496-41
660
255-61
1896
783-31 505-81
64-6
277-50
1897
812-72 49166
60-5
321-06
1898
847-93 490-38
57-8
357-55
1899
859-85 471 96
54-9
387-89
1900
877-32 48162
54-9
39570
Beta taxiert die Verschuldung des unbeweglichen
Besitzes im deutschen Reiche auf 42.000 Millionen
Mark. Das Vermögen der physischen Personen in
Preussen wird auf 147.500 Millionen Kronen geschätzt,
das von Würtemberg auf 10.600 Millionen Kronen öst.
Währung.
c) Frankreichs Finanzkräfte.
Frankreich ist das Land der öffentlichen Kor-
ruption. Die französische Republik, wie sie heute
ist, könnte man mit Fug und Recht eine privi-
legierte Gesellschaft auf Ausbeutung des Volkes
nennen. Die Volksmassen ehrlicher Bevölkerung
sind eine Beute durchtriebener meist jüdischer
Gauner geworden. Der Reichthum Frankreichs stammt
von der emsigen Arbeit und Sparsamkeit des fran-
zösischen Bauers und Handwerkers. Das Land ist
fruchtbar, das Volk rührig und genügsam und darum
ist das Kapital Frankreichs das mächtigste nach dem
634
englischen. Das bewegliche Vermögen Frankreichs
ist abgeschätzt auf 80.000 Millionen Francs. Die Staat-
schuld Frankreichs betrag Ende 1896 die Summe von
14.378 Millionen fl. Die französischen Steuerzahler
müssen alle Jahre wenigstens 430 Millionen Gulden
für die Zinsen der Staatsschuld aufbringen, zahlen
also bedeutend mehr als unsere Steuerträger. Das alles
verschlingen die Inhaber französischer Staatsschuld-
scheine. Weiter sind hier für 19.000 Millionen Francs
Eisenbahnobligationen und Prioritäten, 2500 Mill.
städtische Anlehen, 10.000 Mill. Industriepapiere.
Daneben besitzen die Franzosen an 20.000 Millionen
Francs fremde Papiere. Nehmen wir nur eine 3y2
percentige Verzinsung dieses beweglichen Vermögens
an, so beziehen die französischen Kapitalisten ein
jährliches Einkommen von 2800 Millionen Francs.
Frankreich hat nach einigen Angaben nur 72.000
Juden, davon 42.000 in Paris, 3000 in Bordeaux,
19.000 an der Ostgrenze, 8000 im übrigen Lande.
Andere behaupten, Frankreich zähle mindestens 200.000
Juden. Drumond will wissen, dass diesen wenigen
Juden 60% aller französischen Wertpapiere gehört.
Sicher ist es, dass die französichen Juden mindestens
über 20.000 Millionen Francs an beweglichem Kapital
besitzen, wovon die Hälfte nur dem Pariser Roth-
schild allein gehört. Der Chef des Pariser Hauses
James Rothschild ist im Besitze von 2300 Aktien der
Bank von Frankreich, über welche er als oberster Herr
förmlich gebietet. In dem Schreckensjahre der Kommune
1871 brachten ihm diese Aktien 300 Francs Dividende.
Während in den Gassen Paris über 30.000 Men-
schen niedergemetzelt und über 700 Häuser einge-
äschert wurden, war die Ernte des Juden Rothschild
in diesen Schreckenstagen eine überaus reiche. Während
der Kommune wurden öffentliche Häuser, Kirchen,
Paläste, private Häuser geplündert, eingeäschert, aus-
geraubt, den jüdischen Häusern wurde nicht ein
Fenster eingeschlagen.
Die Pariser Börse ist beherrscht von jüdischen
Milliardären, Rothschild an der Spitze, Ehprussi, Drey-
fus, Negropon*^ * " Walter, Brüder Bamberger,
Herkembaut, mlins de Corbeil, Erlanger.
535
Das gesammte Nationalvermögen Frankreichs ist ab-
geschätzt auf 160.000 Millionen Francs, wovon 80.000
den Juden gehören. Der pariser Rothschild allein hat
mehr Vermögen als sämmtliche Gemeinden Frank-
reichs. Und doch ist noch kein Jahrhundert dahin,
als der Urgrossvater Anselm Meyer Rothschild mit
dem blossen Ranzen am Rücken in Paris ankam. Der
französische Staat hat das Kirchenvermögen konfis-
ciert, welches nur 400 Millionen Francs beträgt, wo-
von 40.000 Priester ernährt werden, so dass auf
einen ein jährliches Einkommen von nur 500 Francs
entfällt. James Rothschild hinterliess im J. 1868 seinen
5 Söhnen Alfons, Nataniel, Salamon, Gustav und
Edmond über drei Milliarden, so dass ein jeder über
500 Millionen Francs erbte, von welchem Gelde sich
ein jeder 500 Schlösser mit entsprechendem Gross-
grundbesitz erwerben könnte. Anfangs Juni 1897 starb
der Panamist Dreyfus, ein geborener Jude aus Mühl-
hausen. Er kam nach Paris, spekulierte an der Börse,
kaufte in Peru Salpeter und Guanolager an, besorgte
die peruanischen Staatsfinanzen, sowie die Finanzen
von Argentinien und Brasilien. Zu diesem Zwecke
gründete er in Paris ein eigenes Bankhaus. Der Advokat
Präsident Gr6vy war sein Rechtsfreund. Gr6vy als Präsi-
dent mit seinem Schwiegersohn, dem Finanzminister
Wilson, Hessen diesem Juden 78.000 Frcs. Stempeltaxen
nach, die er an die Staatskasse zahlen sollte. Dreyfus
heiratete die Tochter des germanischen Generals Pinil-
loso, mit welcher er viele Millionen profitierte. Die Pana-
misten waren hauptsächlich Juden und zwar Herz, Rei-
nach, Oberndorffer, Hell mann, Seligmann, Arton. Die Pa-
namisten beraubten das französische Volk um weit über
1000 Mill. Francs. Die Eisenbahnkonyentionen der
französischen Bahnen sind abgeschlossen durch den
Juden Raynart, sie beschädigen den Staatssäckel uro
1000 Mill. Francs. Seit der Herrschaft der Republik
ist das französische Volk durch die Panamisten, Juden
und durch die öffentliche staatliche Korruption um
10.000 Millionen Francs beraubt worden. Diesen Finanz-
juden dient die jüdische Presse Gaulois, Echo de
Paris, Petit Journal, Temps, La Republique frangaise.
La Nation, La Lanterne.
536
Das Gold der Juden erkauft alles, Staatsanwälte,
Abgeordnete, kurz alles ist verkäuflich. Die sämmt-
lichen Anklageakte gegen die Panamisten wurden
unterschlagen und niemand bestraft. Wie weit die
öffentliche Korruption in Frankreich schon gekommen
und die Macht der Juden gewachsen, davon ist der
deutlichste Beweis die Affaire Dreyfus. Weil dieser Jud
wegen Verrath militärischer Geheimnisse an Deutsch-
land verurtheilt, rührt sich die Allianz Israelit mit
dem Grossrabbiner von Paris Zadoc-Kahn, damit um
jeden Preis Dreyfus befreit werde Um jüdisches Geld
Hess sich auch Zola ankaufen, um für Dreyfus zu
schreiben. Im Parlamente schlagen sich Abgeordnete
ins Gesicht wegen dieses einzigen Juden. So weit ist
das französische Volk herabgesunken. Ein 30 Millio-
nen starkes Volk ist zum Sklaven weniger Finanz-
juden geworden. Wie ist das möglich? Das ist sehr
einfach. Sobald ein Volk demoralisiert ist, so wird
alles für Geld wohlfeil. Da nun die wenigen Juden
Frankreichs kollossale Reichthümer besitzen, so finden
sie ums Geld soviel Judase, dass ihnen das ganze
Volk ausgeliefert ist. Geradeso wie in Deutschland
dje socialdemokratische Partei das Söldnerheer der
jüdischen Kapitalisten bildet, ebenso ist es in Frank-
reich der Fall. Die französischen Juden haben eine
grosse und kräftige Vertheidigungsarmee an den
Socialisten und Anarchisten mit dem General Jaures
an der Spitze und den anderen rothen Befehlshabern
der rothen Internationale, es sind die Juden Lafargue,
Quesde, Vaillant. Die rothe Internationale glaubt nun,
dass der Sturz der Republik nahe sei und dass das
Erbe der Republikaner nun die Rothen und Kommu-
nisten antreten werden. Natürlich werden sämmtliche
Juden Frankreichs als geborene Finanzgenies die öffent-
lichen Finanzen des jetzt kommenden socialistischen
Frankreichs erhalten. Es schrieb das Judenblatt „Au-
rore" anlässlich der Dreyfusaffaire : „Die dritte Republik
bricht mit überraschender Schnelligkeit zusammen.
Ihre Grundlagen gelten nur noch dem Namen nach,
ihre Männer haben abgehaust. Der grosse Riss, von
oben bis unten, enthüllt die schlimmste Unordnung,
die Zersetzung aller Sittlichkeit. Das Parlament ist
537
ein verfehmter Ort gewordeu, welchen wirklich fähige
Männer nicht mehr betreten können." Die „Petite
Republique* sagt: „Bei im Todeskampfe liegenden
Regierungen entsteht irgend ein jener grossen Rechts-
h&ndel, welche nicht enden wollen, aber das ganze
Räderwerk einer zerrütteten Maschine biossiegen. Im
vorigen Jahrhundert warenes der Process Beaumarchais
und die Halsbandgeschichte, welche das Vorspiel der
Revolution bildeten. Werden Panama, die Dreyfus-
Sache die Todtenglocke der Bourgeoisieherrschaft
unserer falschen, opportunistischen und klerikalen
Republik sein?44
Trotz der alles zersetzenden Korruption ist doch
noch ein Zug nach Gerechtigkeit im Volke unverkenn-
bar. Der Hass gegen die Juden und Panamisten glim-
mert wie unter einer Decke und bricht zuweilen her-
vor. Darob ein grosser Jammer in den sämmtlichen
Judenzeitungen. Weil einige Studentenversammlungen
in Paris und auf dem Lande gegen die Juden sich
richteten, schreibt die schmutzige prager Judenzeitung
j,Prager Tagblatt" am 19. Januar 1898 folgendes:
„Es ist, als ob das Jahrhundert nicht zu Ende gehen
wollte, ohne nicht noch zum Abschiede eine besonders
hässliche Grimasse zu schneiden. In dem Geburts-
lande der Menschenrechte, wo unter 37 Millionen
christlichen Einwohnern nur 50.000 Juden leben —
Antisemitismus ! Frankreichs hervorragendster Schrift-
steller spricht Feuerworte zu seiner Natioij, er appel-
lirt an ihr Gewissen, an ihr Rechtsgefühi — vergebens !
Die Jugend, an die er sich als den berufenen Träger
der Ideale gewandt, kehrt ihm den Rücken, ihre
Vaterlandsliebe verwildert zu einem gefährlichen
Chauvinismus, der Arm in Arm mit der Leidenschaft
des Racenhasses, einer Nachgeburt des Mittelalters,
durch die Strassen zieht. „Es lebe die Armee! Nieder
mit den Juden !u ist die Parole, mit der das Volk in
seine Sprache übersetzt, was in Parlaments- und Ge-
richtssälen in parlamentarischer Form verhandelt
worden; die Strasse steht auf als Verfechter einer
Welt- und Staatsanschauung, welche die Revolution
vor einem Jahrhundert überwunden, und schneidet
den Vorkämpfern der Menschenrechte und der indivi-
duellen Freiheit das Wort ab. Und die Regierung?
Sie macht sich aus den entgegengesetzten Gesichts-
punkten zum Genossen des Aufruhrs ; um die Staats*
autorität zu wahren, erstickt sie die Wahrheit."
Wir geben diese Worte des Judenblattes unver-
ändert den Lesern zum Nachdenken. Wenn aber die
Studierenden etwa gegen Ordensleute und Priester
demonstriert und auch welche todtgeschlagen hätteü,
dann hätte das Judenblatt nicht ein Wort ge-
schrieben.
Das „Deutsche Volksblatt" schrieb am 29. Juli
1901 Folgendes : Es ist eine bekannte Thatsache, dass
im Panamaprocesse die Hauptmacher, Bauunter-
nehmer, die bestochenen Abgeordneten und Journa-
listen unbestraft geblieben sind. Der Jude Josef
Reinach konnte die Millionenerbschaft seines Onkels
und Schwiegervaters ruhig antreten. Eiffel gab keinen
Heller von den drei in Panama erbeuteten Millionen
zurück, auch der Direktor des „Temps* behielt
seine 1,300.000 Francs. Den grossen Fressern des
Parlaments, zum Beispiel dem Juden Naquet, der
über 200.000 Francs bekam, wie den jüngeren und
bescheideneren Panamisten wurde der ungestörte Be-
sitz der Trinkgelder gesichert. Mit einem Worte, das
Unmöglichste und Undenkbarste, was es geben kann,
wurde zur Thatsache, nämlich die Justiz Hess nicht
nur die grossen Diebe laufen, sondern auch die
kleinen .... Eine anonyme, verborgene Vorsehung
sorgte dafür, dass Keinem etwas zu Leide geschah.
Es ist aber möglich, den Vorhang, hinter dem diese
Vorsehung versteckt war, beiseite zu schieben und
dieselbe beim rechten Namen zu nennen. Man braucht
nur in die vorliegenden Akten Einsicht zu nehmen.
Im Juli 1879 hielt die Freimaurerloge „Elemente
Amitie" zu Paris eine Festsitzung zu Ehren des
vierten Jahrestages der Aufnahme des seither ver-
storbenen Mitgliedes der Akademie, Littr6, in die
genannte Loge. Hier der ofßcielle Bericht über die
Sitzung. Neben dem „Ven6rableu (Meister vom Stuhl)
der Loge „Br.a Cousin, sassen die Herren Ferdinand
de Lesseps, General Türr und zahlreiche freimaure-
rische Notabilitäten. Der zu feiernde Akademiker Br.
539
LittrS, durch Erkrankung verhindert, hatte sein Fern-
bleiben mit folgendem Schreiben entschuldigt: „Sie
wissen, liebe Brüder, wie im Jahre 1876, bei der
Feier meines ersten Jahrestages, der „Etemente Anritte"
ein auf die Schaffung eines Kanals durch den Pa-
nama-Isthmus bezüglicher Plan unterbreitet wurde.
„Was damals erst nur ein kühner Gedanke mit einer
rein provisorischen Skizzirung des Unternehmens war ;
was später zum Gegenstande positiver Hoffnungen
wurde, als .tüchtige Forscher mit dem Auftrage hin-
geschickt wurden, die Bedingungen und Verhältnisse
des denkwürdigen projektirten Werkes zu studieren,
das erscheint nun als greifbare Wirklichkeit. Die
Pläne sind gebilligt. Die finanziellen Kombinationen
sollen demnächst in Angriff genommen werden. Bald
wird der erste Spatenstich des Werkes, welches beide
Okeane vereinigen soll, geschehen. Die „Elemente
Anritte", liebe Brüder, darf und soll die Ehre be-
anspruchen, dass sie diesem Unternehmen, welches
eines der ruhmvollsten des ausgehenden Jahrhunderts
bleiben wird, vom Anfange an weder fremd, noch
gleichgiltig gegenübergestanden ist, und es gereicht
mir zur besonderen Freude, dass der heutige mir ge-
widmete Tag im Zeichen eines ideell so einfachen,
in seinen Wirkungen aber so segensreichen Werkes
gefeiert wird."
Nachdem die Versammlung dieses Schreiben
Littr6's zur Kenntnis genommen hatte, las Br. Cousin
ein im Namen der „Elemente Anritte" an alle Logen
Frankreichs und des Auslandes adressirtes Girkular
vor, dessen Wortlaut folgender war: „Allen Frei-
maurern der drei Riten dreimal Heil ! ! ! Liebe Brüder !
Zur Durchbrechung des amerikanischen Isthmus hat
unsere Familie nicht nur dadurch beigetragen, dass
sie einen beträchtlichen Theil der für die Studien-
und Forschungsreise erforderlichen Summe vorge-
schossen hat, sondern auch dadurch, dass die Brüder
Wyse und Reclus jene Forscher sind, die die Trace
vorgezeichnet haben, welche von dem internationalen
Kanalkongresse gebilligt wurde. Sie wurden nun auch
mit der Leitung der Arbeiten beauftragt, sowie mit
der Oberaufsicht und der Anwerbung des Personales,
540
und überdies stehen ihnen die Brüder Verbrugghe
and Wiener zur Seite, die ebenfalls Mitglieder der
Elemente Amitte sind. Ihre Brüder Türr und Cousin,
welche der „Grosse Franzose", der Schöpfer des
Suezkanals, als Mitarbeiter bei der Anlage des Suez-
kanals erwählt hat, bleiben, und zwar Letzterer als
Vicepräsident der Betriebsabtheilung, bei dem Unter-
nehmen thätig, welches sie vorbereitet hatten, und
welches nun Ferdinand de Lesseps zu einem glück-
lichen Ende führen wird. Vorwärts Brüder, vorwärts!
Im Auftrage der Loge: der „V6n6rable", erster Vice-
präsident des Rathes des Ordens des Grand-Orient
Frankreichs: gez. Cousin. Darauf ergriff Bruder de
Saint-Jean, Präsident des Rathes des Ordens, das
Wort. Er feierte das grosse Werk mit Worten der
tiefen Ueberzeugung und ertheilte dem Herrn von
Lesseps die brüderliche Umarmung. „Recht habt Ihr,
Freimaurer", erwiderte Herr von Lesseps, „indem
Ihr für dieses Werk auftretet, denn dasselbe ist im
höchsten Grade freimaurerisch." Soweit der Bericht,
dessen französischer Text im „XIX. Sifecle" des
10. Juli 1879 zu lesen war. Gleich darauf begann die
riesige Reklame. Das „ideell einfache, aber in seinen
Wirkungen segensreiche Werk" kostete den „Pro-
fanen" vierzehnhundert Millionen, welche unter den
Eingeweihten „brüderlich" getheilt wurden. Diese
Sitzung fällt in die Vorbereitungsperiode, die ge-
wissermassen der erste Akt der grossartigen Tra-
gödie war und mehr als drei Jahre (1876 bis 1879)
dauerte. Der zweite Akt „Schwindel und Plünderung"
dauerte beinahe zehn Jahre. Das Treiben der Loge,
welches während der zwei ersten Akte vollständig
unbemerkt geblieben war, offenbarte sich wieder im
dritten („Rettungsaktion"), als der Präsident der
parlam en tarischen Untersuchungskomm ission die
Thätigkeit derselben plötzlich und mit den Worten
unterbrach : „Alles in Ordnung, Schiuss !"
Was Lesseps betrifft, wird es bei Manchen Be-
fremden erwecken, dass der alte Herr mit den Brü-
dern so intim befreundet war. Lesseps war nämlich
so alt, dass mir die wenigsten sich an sein Vor-
leben erirr ^it der römischen Revolution
541
wurde er von der französischen Regierung nach Rom
geschickt, wo er direkt gegen seine Instruktionen
und im Einverständnisse mit Mazzini handelte, ein
Beweis, dass seine Beziehungen zu der internationalen
Freimaurerei schon im Jahre 1848 die intimsten
waren. Sein unkorrektes und vom staatsrechtlichen
Standpunkte verbrecherisches Benehmen in Rom
hatte zur Folge, dass er vor dem Staatsrathe als An-
geklagter erscheinen musste. Geheime Interventionen
retteten ihn vor der Hochverrathsanklage. Er kam
mit einem scharfen Tadel davon, der seiner diplo-
matischen Carriere ein rasches und ruhmloses Ende
machte. Dass seine Beziehungen zu den Logen nicht
aufhörten, dass er auf anderen Gebieten mit den
Brüdern gemeinsam fortarbeitete, ist nun unwider-
leglich nachgewiesen. Er selbst hat diesem schreck-
lichen Schwindel, durch den dem Volke 1400 Mill.
entwendet wurden, die Benennung beigelegt: „Une
entreprise 6minemment maQonniqueu, das heisst:
„Ein im höchsten Grade freimaurerisches Unter-
nehmen": Laut Bericht der Liquidatoren vom 15,
Jäner 1903 hat die Panamagesellschaft 174,600.000 Fr.
Aktiva und 1,077.847.000 Fr. Passiva. Also wurde
das französische Volk um 903,247.000 Fr. betrogen.
Nach Salefranque beträgt das Vermögen Frank-
reichs 107.147 Millionen Francs unbewegliche und
127.606 Millionen Francs bewegliche Werthe. Ende
1899 waren an der Börse in Paris 1100 Arten Werth-
effekten notirt, die einen Kurs wer th von 125.000 Mil-
lionen Francs hatten, davon waren 602/3 Milliards
fremde Werthe! Wieder ein glänzender Beleg zur
Internationalst des Kapitals. Im Jahre 1901 waren
an der Börse in Paris für 2692, im Jahre 1902 für
1717 Millionen Francs neue Effekten emitirt. Die
jährlichen Umsätze der Pariser Börse sind uns leider
nicht bekannt.
Die Börse von Paris ist wohl die älteste der
Welt.
Die Institution der Pariser Agents de Ghange
besteht seit über 600 Jahren. Das älteste Dekret
dieser Korporation zeigt das Datum des Februar 1304.
Es ist vom Könige Philipp dem Schönen unterzeichnet
542
und besagt, dass die Pariser Wechselmakler ihren
Markt ausschliesslich auf der „Grossen Brücke", heute
Pont au Change genannt, abzuhalten haben. Jeder
anderweitige Verkehr ist unter Androhung der Kon-
fiskation der umgesetzten Effekten untersagt. Eine
Belohnung in der Höhe des fünften Theiles der kon-
fiscirten Beträge ist denjenigen » Mitgliedern der Kor-
poration" zugesagt, die durch Anzeige an die Behörde
zur Konfiscirung beitrugen. Aus dem letzten Passus
geht hervor, dass eine Maklerkorporation zu dieser
Zeit schon bestand, und es werden in späteren Dek-
reten deren Mitglieder mit dem Worte „Courratiers"
oder „Courretiers" (wohl von Courir) bezeichnet. Die
Entlohnung für die mit dem Geschäfte verbundenen
„Laufereien" erhielt die Bezeichnung „Courretage".
Ein anderes Dekret vom Januar 1312 verbietet
den Maklern alle Geschäfte für eigene Rechnung
und legt ihnen Eidespflicht auf. Später, das ist auf
Beschluss vom Dezember 1628 unter Ludwig XIII.
wurden zehn neue erbliche Changen gegründet, wo-
durch die damals bestehenden zwanzig auf dreissig
Changen erhöht wurden. Gleichzig wurden ein Syn-
dikat und eine Börse geschaffen. Aber schon einige
Monate später, das ist am 2. April 1629, wurde diese
Börse auf Verlangen der Makler selbst wieder aufge-
hoben. Dagegen erhielten Letztere den Titel „Agents
de Banque et de Change * und es wurden Strafen
für diejenigen Personen festgesetzt, welche* die Funk-
tionen der dreissig autorisirten Agenten unbefugt
auszuüben sich erlaubten. Das Monopol war somit
begründet Im Februar 1645 wurden neuerdings
sechs Agenten ernannt, womit ihre Anzahl auf 36
erhöht wurde. Von da ab finden wir unaufhörliche
Abänderungen in der Organisation dieser Korpora-
tion, So oft der Staat Geld brauchte, gründete man
neue Changen und liess sich von deren Inhabern
mehr oder minder bedeutende Summen auszahlen,
indem ihnen die Zinsen als eine angebliche fixe
Besoldung vergütet wurden.
Mittels Dekrets vom Dezember 1705, welches die
Unterschrift d*« tttnigs Ludwigs des XIV. trägt,
wurden s* ^ Changen aufgehoben und
543
durch 116 neue ersetzt, von denen 20 in Paris, 20
in Lyon und der Rest in La Rochette, Montpellier,
Aix, Strassburg, Metz, Rouen, Nantes, Tours, Saint-
Malo, Dijon, Bayonne, Toulouse, Dieppe, Havre,
Calais, Dünkirchen, Rochefort, Rennes, Brest und
Port Louis. Die Agenten erhielten den Titel könig-
liche Räthe und eine thatsächliche fixe Besoldung.
Aber unter dem Vorwande, dass es in der Provinz
nur wenig Elemente für den Effekten- und Wechsel-
verkehr gäbe, wurden bereits V/2 Jahre später, das
ist im Mai 1707, alle Changen mit Ausnahme der
20 Pariser aufgehoben.
Auch diese Letzteren wurden im August 1708
aufgelöst und durch vierzig neue ersetzt, welche erb-
lich wurden und zusammen eine jährliche Besoldung
von 40.000 Livres, das ist 1000 Pfund pro Change,
erhielten. Die ersten Statuten der Korporationen
datiren vom Juli 1684. Es heisst im Artikel 1 der-
selben, dass alle Mitglieder bei einer Geldstrafe von
3 Pfund verpflichtet sind, alljährlich bei Jahresbeginn
der Messe des heiligen Geistes beizuwohnen. Der
Art. 2 enthält dieselbe Bestimmung für die Messen,
welche gelegentlich des Ablebens der Mitglieder ab-
gehalten wurden. Dann folgen Bestimmungen über
die Wahl des Obmannes (Syndic), der Adjunkten und
über die regelmässigen Sitzungen des Syndikates. Im
Art. 7 heisst es, dass nur Anhänger der katholisch-
apostolisch-römischen Kirche befugt sind, in die Ge-
sellschaft Zutritt zu erlangen. Die Maklergebühren
werden auf ein Maximum von Vs pCt., welche von
beiden Kontrahenten zu begeben sind, festgesetzt.
Für Darlehen hatten der Nehmer sowohl als auch
der Verleiher 25 Sols für je 1000 Pfund und bei
Waarenverkehr l/2 pCt. Käufer sowie Verkäufer an
den Makler zu vergüten. Mittels Dekrets vom No-
vember 1714 wurden abermals zwanzig neue Changen
kreirt, womit deren Zahl auf sechzig stieg.
Die ersten Aktien datiren vom Jahre 1720, welche
von der berüchtigsten Bank Law für die Compagnie
des Indes herausgegeben wurden. Damals wurde
die Börse in dem Parterre des Hotels Soisson errichtet,
nachdem dieselbe vorerst auf der Grossen Brücke
544
(Pont au Change), nachher im Hofe des Justiz-
palastes in der Rue Quincampois und endlich auf
dem Platz Ludwig des Grossen, heute Place Ven-
dorne, abgehalten worden war.
Infolge des Unfugs, der unter dem Handel in
den Aktien der Gompagnie des Indes betrieben
worden war, wurde auch diese Börse am 25. Oktober
1720 in der Rue Vivienne auf dem heute von der
Nationalbibliothek eingenommenen Platze eröffnet. Am
17. Juni 1793 wurde auch diese Börse geschlossen,
vom 20. Mai bis 14. Dez. 1794 wurde sie im Erdgeschoss
des Louvre in den ehemaligen Gemächern Annas von
Oesterreich abgehalten. Nach vielen neuerlichen Wande-
rungen wurde endlich das gegenwärtige Börsengebäude
mittels Polizeibeschlusses vom 2. November 1826
eröffnet. Unter Ludwig dem XVI. wurde am 17. März
1791 ein Gesetz veröffentlicht, durch das alle Ghangen
vom 1. April ab abgeschafft wurden. Die Agenten
vereinigten sich dann in einer freien Gesellschaft
von 80 Mitgliedern. Erst mit dem Finanzgesetz vom
28. April 1816 wurde das Monopol der Agents de
change wieder eingeführt, die zu stellende Kaution
wurde auf 125.000 Frcs. kreirt, mittels Dekrets vom
9. Oktober 1862 auf 250.000 Frcs. erhöht Noch
heute besteht die Vereinigung unter den allgemeinen
Bestimmungen des Gesetzes vom Jahre 1816; die
Zahl der befugten Agenten ist im Jahre 1898 um 10
Mitglieder, das ist auf 70 erhöht worden. Ihr Mo-
nopol ist durch verschärfte Bestimmungen des Ge-
setzes noch mächtiger geworden.
Dem Beispiele Deutschlands folgend hat der
französische Minister des Aeusseren von seinen kon-
sularischen und diplomatischen Vertretern Ermitte-
lungen über die in den einzelnen Ländern angelegten
französischen Kapitalien anstellen lassen. Es wurde
hierbei festgestellt, wie viele französische Händels-
häuser und industrielle Betriebe in den verschiedenen
Ländern bestehen, wie viel Grundbesitz die Fran-
zosen in ihnen aufzuweisen und welchen Antheil sie
an den finanziellen Unternehmungen, den Bergwerken,
Hafenanlagen, Eisenbahnen u. s. w. haben, und — last
not least — wie viele französische Kapitalien in Staats-,
1
545
Provinz- und Gemeindeanleihen angelegt sind. Die
betreffenden Ziffern sind im „Journal officiel" ver-
öffentlicht worden und bieten, obgleich sie auf abso-
lute Genauigkeit keinen Anspruch erheben können,
ein grosses Interesse dar. Nachstehend die Tabelle
des gesammten im Auslande festgestellten franzö-
sischen Vermögens:
I. E U r O p a. (in Millionen Frca.)
Spanien 2.974
Portugal 900
England 1.000
Belgien 600
Luxemburg 62
Holland . . . 200
Dänemark 131
Norwegen 290
Schweden 123
Deutschland 85
Russland 6.966
Schweiz 455
Monaco 158
Italien 1.430
Oesterreich-Ungarn 2.850
Rumänien 438
Bulgarien 48
Serbien 201
Griechenland 283
Europäische Türkei 1.818
Zusammen für Europa 21.012
II. Asien.
Asiatische Türkei 354
Asiatisches Russland 60
Persien . 2
Englische Besitzungen in Asien . . 22
Siam 10
China 651
Japan . . ' . 22
Zusammen für Asien 1.121
III. Afrika.
Abessinien .... 32
Egypten 1.436
35
646
(In Millionen Frc9.)
Tripolis 1
Tunesien 512
Marokko 6
Kanarische Inseln 2
Kongostaat 72
Englisch-Afrika 1.592
Portugiesisch-Afrika 40
Zusammen für Afrika 3.693
IV. Amerika.
Vereinigte Staaten 600
Kanada 138
New-Fundland 20
Mexiko 300
Centralamerika 42
Kuba 126
Haiti 78
Puerto Rico 34
Antillen 10
Englisch-Guyana 1
Venezuela 130
Kolumbia 246
Ecuador 5
Peru 107
Bolivia 70
Chile 226
Argentinien 923
Uruguay 219
Paraguay 1
Brasilien 696
Zusammen für Amerika 3.972
In Polynesien, Philippinen u. s. w. 51
Insgesammt • . . 29.855
Nahezu also 30 Milliarden ! Das macht auf den
Kopf der französischen Bevölkerung beinahe 800 Francs.
Wie sich aus der Tabelle ergibt, ist Deutschland das
relativ am allerwenigsten mit französischen Kapitalien
bedachte Land der ganzen Welt! Nur 85 Millionen
gegen 6966 für Russland, das allerdings in dieser
Hinsicht die erste Stelle einnimmt. Und dabei sind
in die 85 Millionen für Deutschland die französischen
547
Kapitalanlagen in Elsass-Lothringen nicht einbegriffen .
Deutschlands Kapitalien sind folgendermassen ver-
theilt. Der französische Konsul in Stuttgart, Herr
Jules Lefaivre, veröffentlicht eine interessante Studie
über das in verschiedenen überseeischen Ländern in
Handel und Industrie verwendete deutsche Kapital.
Er schätzt dasselbe auf insgesammt 7 — 7'/2 Milliarden
Mark, also ca. 5000 Millionen Gulden, von denen
etwa 400 Millionen in der Türkei, 10 bis 12 Mill. in
Tunis und Marokko, 5 Mill. in Westafrika, 30 bis
40 Mill. im Kapland, 900 Mill. in Transvaal, 20 Mill.
in Portug.-Afrika, 5 Mill. in Zanzibar, 1000 Mill. in
Deutsch-Ostafrika, 1 bis 2 Mill. in Vorder-Indien,
250 Mill in Indo-China, in Niederländisch -Indien und
auf den Philippinen, 300 Mill. in China, 70 Mill. in
Japan, 550 bis 600 Mill. in Australien, 60 bis 70 Mill.
auf den Inseln im Gross. Ocean, 200 Mill. in Mexiko,
240 Mill. in Central-Amerika, 300 Mill. in Kolumbien
und Venezuela, 100 bis 120 Mill. in Peru und der
Aequatorialprovinz, 270 bis 300 Mill. in Chili, 600
Millionen in Argentinien, 10 Mill. in Paraquay und
Uruguay, 330 Mill. in Brasilien, 25 Mill. in Kanada
und über 2000 Mill. in den Vereinigten Staaten in-
vestirt sind. Herr Lefaivre bewerthet den Ertrag mit
6 bis 10 Percent, wovon allerdings nur ein Theil
nach Deutschland gelangt.
Bei dieser Gelegenheit können wir die Thätig-
keit der Börsen überhaupt in Augenschein nehmen.
Der bekannte belgische Volkswirth De Laveley ver-
öffentlicht soeben, wie schon seit einer Reihe von
Jahren, eine Uebersicht der im Jahre 1901 in den
wichtigsten Ländern erfolgten Emissionen von
Staatswerthen, Actien und Obligationen. Diese all-
jährlichen Aufstellungen geben nicht das Land, wo
die betreffenden Beträge aufgelegt worden waren,
sondern den emittirenden Staat als Ursprungsland
an. In dieser Fassung gestalteten sich im Berichts-
jahre die Emissionen der Hauptländer in Franks
wie folgt rund in Millionen:
1901 1900
Belgien 650 303
Kongo 53 2
35*
548
19dl 1900
Dänemark 55 707
Deutschland 2278 1980
Frankreich 1800 1521
Grossbriiannieu 3732 3934
Italien 64 84
Oesterreich-Ungarn 251 305
Schweiz 46 138
Spanien 53 1041
Transvaal 24 11
Türkei 31 47
Vereinigte Staaten von Amerika . . . 148 44
Südamerika 70 344
Das Jahr 1901 zeichnete sich besonders durch
die Höhe der von Staaten, Provinzen und Städten
vorgenommenenen Emissionen aus. Diese Anleihen
erreichten über 5 Milliarden oder 50 Percent der
Gesammtemissionen. Wir verzeichnen da zunächst
England mit 2*5 Milliarden, Deutschland mit 1 Mil-
liarde, Belgien mit einer halben Milliarde, Russland
mit seiner Anleihe von 425 Millionen, Frank-
reich mit seiner Chinesen-Anleihe von 265 Millionen.
Seit zehn Jahren erreichten die Staatsanleihen nicht
mehr so bedeutende Summen. Konversionen ver-
zeichnen wir zwar noch keine, sie sind eben das
Monopol der Perioden wirklichen Geldüberflusses,
aber trotzdem gewahren wir, dass die Industrie nur
sehr wenig Anforderungen an das Kapital stellt, was
als Rückschlag der Sturmperiode 1897 • bis 1900
übrigens auch nicht zu verwundern ist.
Der Jahresbericht der „Banque de France" für
1900 sagt: Die gesammten produktiven Operationen
der Bank beliefen sich im Jahre 1900 auf 18.663,048.500
Franks und haben gegen das Vorjahr um 830,017.100
Franks zugenommen. Aus dem Nachweis über die
Zusammensetzung des Metallschatzes heben wir her-
vor, dass derselbe mit Jahresschluss 3.433,800.000
Franks betragen hat, wovon 2.334,300.000 Franks auf
das Gold und 1.099,500,000 Franks auf das Silber
entfielen. An Handelseffekten (inklusive Warrants)
wurden in Paris und in den Filialen zusammen
16,784.993 Stück per 12.247,555.500 Franks, das ist
549
um 501,671.400 Franks mehr diskontirt, als im Jahre
1899. Der Durchschnittsbetrag der eskomptirten Pa-
piere ist mit 729 Franks (gegen 726 im Vorjahre)
und ihre durchschnittliche Laufzeit mit 26 Tagen aus-
gewiesen. Von den zum Eskompte angebotenen Pa-
pieren wurden 62.432 Stück im Betrage von 47,180.900
Franks zurückgewiesen, zum grössten Theile wegen
Formfehler, da, wie der Bericht ausdrücklich hervor-
hebt, die französische Kaufmannschaft es für eine
Ehrensache hält, an den Schaltern der Bank nur solche
Papiere einzureichen, die volle statutenmässige Sicher-
heit bieten. — Unter den in Paris eskomptirten Handels-
effekten befanden sich 69.400 Stück von 5 bis 10 Franks,
1,153.500 Stück von 11 bis 50 Franks, 1,105.400 Stück
von 51 bis 100 Franks und 3,701.200 Stück über 100
Franks. Auf diesen angeblich coulanteren Vorgang
bei der Eskomptirung kleinerer Appoints durch die
Banque de France wird oft genug auch bei uns hin-
gewiesen, dabei aber vergessen, dass sie Eskompte-
öinreichungen ausschliesslich nur von jenen Personen
und Firmen annimmt, denen ein besonderes „compte
courant avec faculte d'escompte" eröffnet wurde. Um
aber in die Liste dieser Kontoinhaber eingereiht zu
werden, ist ein an den Gouverneur zu richtendes
schriftliches Ansuchen erforderlich, das zwei der Bank
bekannte Persönlichkeiten empfehlen. Ueber alle der-
artigen Ansuchen entscheidet das betreffende „Comite
desescomptes" vorbehaltlich der vom „Conseil ^Admi-
nistration" in seiner nächsten Sitzung zu ertheilenden
Genehmigung. Da es solche Bankkontoinhaber mit
Eskomptbefugniss in ganz Frankreich nur 7746 gab, ist
es klar, dass diese oberwähnten „kleinen Wechsel" nur
diese beati possidentes (in Paris waren es etwa 800) in
das Bankportefeuille bringen konnten. Ausserdem müs-
sen die bei der Banque de France eingereichten Wechsel
in der Regel die Unterschrift von drei als zahlungsfähig
bekannten Verpflichteten tragen, und zweifirmige Pa-
piere können nur dann genommen werden, wenn die
dritte Unterschrift durch eine Effektenkaution ersetzt
wird. Die Umsätze im Giroverkerhr bezifferten sich
auf 149.247,102.800 Franks und sind um 2.316,365.400
gestiegen. Für Rechnung des Staatsschatzes hat die
550
Bank im vergangenen Jahre insgesammt 3.300,181.700
Franks vereinnahmt und 3.390,205.900 Franks veraus-
gabt und überdies Effekten für 22,672.800 Franks
unentgeltlich einkassiert. Die aus den produktiven
Geschäften der Bank dem Staatsärar zu entrichtende
Quote hat im Vorjahre 5,655.334 Franks, mehr als
das Doppelte der Leistung vom Jahre 1897, betragen.
An Wertpapieren verwahrte die Bank 548.551 De-
pots (gegen 510.608 im Jahre 1899) im Kurswerthe
von 6.566,570.000 Frks. Der Banknotenumlauf, der am
2. Jänner 1900 sein Jahresmaximum mit 4.210,102.600
Fr. erreichte, umfasste durchschnittlich 4.034,145.100
Franks, wovon 3.237,300.000 Franks, also mehr als
Vsi durch den Metallschatz bedeckt waren. Von den
Filialen der Bank nehmen Lyon, Marseille, Bordeaux,
Lille, Le Havre und Roubaix die obersten Plätze ein.
Die ansehnliche Geschäftssteigerung auf dem letztge-
nannten Orte (um 25,554.420 Franks) ist zumeist der
ausgiebigen Hilfeleistung der Bank anlässlich der dor-
tigen Wollkrise zuzuschreiben. Zwölf Filialen, die, eine
einzige ausgenommen, durchwegs neue Bankanstalten
sind, weisen einen Verlust von zusammen 156.638
Franks aus. Ende 1900 erstreckte sich die Geschäfts-
thätigkeit der Bank auf 392 Plätze. Auf 170 derselben
sind von Bankbeamten verwaltete Anstalten e+ablirt,
während 217 Plätze als sogenannte „Villes rattachees",
wo sich kein eigenes Bankbureau befindet, von den
Bezirks-Bankanstalten ressortiren, deren Delegirte täg-
lich in diesen „angeschlossenen Städten" den Inkasso-
und Zahlungsdienst besorgen..Der Reinertrag bezifferte
sich auf 37,433.058 Franks, woraus als Jahresdividende
145 Franks per Aktie = 14y2 Percent des Aktien-
kapitals, gegen 130 Franks pro 1899 bezahlt wurden."
Die Metallvorräthe der Banque de France waren
folgende :
Goldbestand ^Überbestand
Jahr
Maximum
Minimum
in Millionen
Maximum
Franks
Minimum
1811
21-,
18.3
105.2
91.,
1815
5.4
o.,
87.9
i9.;
1820
Ö1.8
22.5
167.4
136.0
1830
1-,
171.8
102.8
1840
267.0
10.0
235.0
185.,
1848
9.,
1852
86.8
1857
95.9
1864
273.3
1869
780.r
1872
657.9
1879
1087.8
1885
1175.8
1890
1320.B
1895
2152.,
1896
2072.e
1897
2037.,
1898
1959.8
1899
1931.6
551
0.4 140.2 46.9
63.9 447.0 349. f
36.8 35-4 25.3
89.6 94.2 60.2
588M 593.3 473.0
551.6 145.4 78.8
752.2 1224.6 1055.9
995.3 H06., 1024.,
1114.2 1276.9 1239.,
1946.2 1262.0 1230.0
1926.8 1259.8 1228.2
1905.0 1232.9 1205.a
1819.5 1247.0 1205.4
1809.6 1222.3 1157.0
Das Geldbedürfniss des französischen Handels
und der Industrie war im Jahre 1900 bei der ßanque
de France 1,119.247 Millionen Franks, eine bedeutend
geringere Summe, als das Geldbedürfniss der Industrie
und des Handels Deutschlands bei der Reichsbank.
Der Gewinnantheil Rothschilds bei der Banque de
France betrug 2,990.000 Franks.
Von den französischen Bahnen gehört die Nord-
bahn dem Pariser Rothschild. SFe trug ihm einen Rein-
gewinn für das Jahr 1900 im Ganzen 100,400.000
Franks. Ueber die Staatsfinanzen Frankreichs schrie-
ben Pariser Blätter Ende 1901 folgendes. Der Staats-
haushalt beziffert sich auf mehr als drei Milliarden
für die Einnahmen und für die Ausgaben. Gegen-
wärtig sind die Einnahmen in grösserer Abnahme.
Letztere dürfte mit Ende des Jahres leicht 200 Mil-
lionen Franks erreichen. Besonders bedauerlich ist es
aber, dass in einem Augenblicke, wo eine Handels-,
Industrie- und landwirtschaftliche Krise den Welt-
markt ungünstig beeinflusst, die Regierung die Idee
hatte, fiskalische Neuerungen vorzunehmen, die mit
einem Verluste mit 100 Millionen Fr. abschliessen.
Es ist noch mehr zu beklagen, dass die socialistische
Partei die Regierung in eine Politik stürzt, welche
das Kapital und die grosse Industrien beunruhigt
und so die Entwicklung unserer Produktion hemmt.
Solche Fehler berühren zwar die Grundlagen der
financiellen Prosperität Frankreichs nicht, der Kredit
552
des Landes und seine Staatswerthe bleiben intakt.
Gleichwohl muss man eingestehen, dass die gegen-
wärtige Situation ungunstig ist und sich voraussichtlich
bis zu Schluss des Jahres noch ungünstiger gestalten
dürfte. Die seitens der Kammer bewilligten Kredite
für das Jahr 1901 betrugen 3.554,354.212 Fr. Dieser
Voranschlag war in vielen Punkten niedriger als die
wirklichen Ausgaben. Man war daher gezwungen, die-
selben auf Grund von Zusatzkrediten zu decken, welche
115,394.914 Fr. ausmachten und aus der schwebenden
Schuld bezahlt wurden. Diese Summe bildet den ersten
Theil des Fehlbetrags. Der zweite Theil des Fehl-
betrags ist auf die Mindererträgnisse der Abgaben
zurückzuführen; sie wurden in den Staatshaushalt
mit einem Gesammtbetrag von 3.554,002.862 Fr. ein-
gestellt, also einige hunderttausend Franks mehr als
die vorgesehenen Ausgaben. Aber dieses fiktive Gleich-
gewicht war nur von kurzer Dauer. Aus verschie-
denen Gründen und infolge der ungünstigen Resul-
tate der fiskalischen Neuerungen waren die Steuer-
ergebnisse in fortgesetzer. Abnahme Für die neun
ersten Monate des Haij*hkltjahres betrugen die Ver-
luste 91,344.000 JPrancs. Dies ist die zweite Ursache
des Deficits. Wenn man die 115 Millionen Fr. Zusatz-
kredite, welche ohne einekorrespondirende Einnahme
genehmigt wurden, hinzufügt, so ergibt sich ein Fehl-
betrag von 206 Millionen Fr. Diese 206 Millionen Fr.
repräsentiren indess nur einen Theil des Deficits.
Zwei weitere Momente kommen noch in Betracht.
Das erste besteht in einer Reihe von Ausgaben,
welche nicht in das gewöhnliche Budget eingestellt
sind, nämlich der Saldo der früheren ausserorden-
tlichen Budgets. Diese Ausgaben erreichen für das
Jahr 1901 90 Millionen Fr. Sie setzen sich haupt-
sächlich aus 69 Millionen Fr. Vorschüssen an die
Eisenbahn-Gessellschaften für Neuanlagen zu Lasten
des Staates und 14 Millionen Fr. für Armeezwecke
zusammen. Das zweite Moment betrifft die Zinsen-
garantie der Eisenbahn-Gesellschaften. Wenn man
alle diese Ausgaben zusammen addirt, so berechnet
sich das n Meficit für 1901 auf die Summe
von run n Fr. Zu berücksichtigen bleibt,
553
dass für das letzte Vierteljahr weitere Mindererträgnisse
wahrscheinlich sind. Man darf daher das Deficit für
da!s Haushaltjahr 1901 sicher mit 369 Millionen an-
geben.
Bei der Berathung des Staatsvoranschlages für
das Jahr 1902 in der Sitzung vom 2. Dezember 1901
ging der konservative Abgeordnete Legrand mit der
Regierung, die keine Sparsamkeit zu üben verstehe,
und dem Budgetausschuss, der zur Besserung der
unguten Finanzlage nur einen Gewaltstreich, die Ab-
schaffung des Kultusbudgets, in Vorschlag zu bringen
wisse, scharf ins Gericht. Legrand musste allerdings
auch' seinerseits keine positiven Vorschläge zu mächen*
die auf allgemeine Zustimmung rechnen können. Er
tadelte mit Recht das kolossale Anwachsen des kost-
spieligen Beamtenapparats, aber in dieser Hinsicht
würde sich doch nur allgemach durch eine funda-
mentale Umgestaltung des Verwaltungssystems Abhilfe
schaffen lassen. Der Redner führte aus, dass vor 50
Jahren die Zahl der Staatsbeamten rund 188.000
betrug und seitdem auf 416.000 angewachsen ist.
Rechne man noch die Beamten der Departements
und Gemeinden hinzu, so habe man einen Beamten
auf 20 Wähler. Vor 50 Jahren kosteten die Beamten
255 Millionen jährlich, jetzt kosten sie 620 Millionen.
Da wundere man sich noch, wenn der französische
Steuerpflichtige 95*95 Fr. per Kopf bezahlt, der Eng-
länder 88#75 Fr. und der Deutsche gar nur 5982 Fr.
Mit den Ausgaben des Staates halten die der Depar-
tements und der Gemeinden leider Schritt. Die Ge-
meindeschuld hat schon vier Milliarden erreicht, die
des Staates 33 Milliarden, woraus sich ergibt, dass
auf jeden Franzosen seit seiner Geburt eine Schuld
von etwa tausend Francs lastet.
Im Jahre 1862 hatte Frankreich 1.723,247.336
Francs Einnahmen. Ausgegeben wurde: 578,865.462
Francs. Zinsen für die Staatsschuld, 372,972.421 für
das Heer, gesammte Ausgaben waren 1.929,579.324
Francs.
Für das Jahr 1902 war für die
gesammten Staatsausgaben be-
willigt 3.602,333.244 Francs
554
davon das Heer 705,492.368 Francs
Marine 306,788.738 „
Zinsen der Staatsschuld .... 1.245,251.202 „
Ende 1902 hatte Frankreich eine Staatsschuld von
30.096,632.622 Francs.
Die dritte Republik ist, seitdem ein abgefallener
Priester Combes an der Spitze der Regierung steht,
vollends Beute der Börsenjuden geworden. Von den
Macht habern der Republik wird die schamloseste
Corruption ausgeübt, welcher vor allem die katho-
lische Kirche zum Opfer gefallen ist Während die
öffentlichen Staatsdiebe ihre Gehälter beziehen und
die Börsenjuden ihre Milliarden nicht anzutasten
wagen, greifen sie frech die Güter der Kirche an. Die
grosse Revolution vor 100 Jahren wird fortgesetzt.
Beim Tode des Pariser Rothschild brachten Pariser
Blätter Ende August 1901 folgende Notiz. Adolph
Frh. V.Rothschild hat seine über 2000 Nummern um-
fassende Sammlung meist kirchlicher Kunstwerke und
Edelschmiede- Arbeiten dem Louvre überwiesen, nebst
250.000 Francs, um den Saal zu derer Aufstellung
herzurichten. Die Kunstwerke stammen aus d. zwölften
bis sechzehnten Jahrhundert und wurden meistens von
dem in Frankreich verstorbenen William Freiherrn von
Rothschild gesammelt Deutschland ist durch mehrere
gute Stücke vertreten. Reliquienscheine, Kelche und
andere kirchliche Gefässe sind besonders zahlreich.
Das Musee Cluny erhält 14 Stücke, meist aus Elfen-
bein. Wie der Adel Frankreichs aussieht davon
brachten deutsche Blätter Ende August 1901 folgende
bissige Bemerkungen: Anlässlich der Heirath des
Grafen Stanislav de Gastellane mit Miss Ferry gibt
der „Gaulois" eine vorläufige Liste der durch Heirath
naturalisirten „Französinen". Wir finden da 8 Eng-
länderinnen, Wikorntesse Aguado geb. Mac Donel),
Gräfin d'Aramon geb. Fischer, Marquise d'Aulan geb.
Christmas, Baronin Bastard geb. Greenough, Baronin
de Baye geb. Wilkinson etc. Sämmtliche sind bürger-
lichen Ursprungs und dürften ihre Standeserhöhung
ihrem Gnl<*~ -—' '«nken. Die Amerikanerinnen treten
in der Tahl von 20 auf und haben sich
die all beutet : Herzogin von La-Roche-
555
faucauld, Herzogin von Choiseul-Praslin, Princessin
von Polignac, Marquise de Breteuil, Gräfin Galiffet
etc. Die neu Geadelten sind sämmtlich geborene
Singer, Forbes, Mitchell, Gould, Stevens, Ritter, etc.
Die Deutschen sind weniger zahlreich vertreten, von
den 4 im „Gaulois" erwähnten sind 3 mit Sicherheit
israelitischer Abkunft. Baronin Plancy geb. Oppen-
heim, Gräfin Gramont, Princessin Wagram geb. Roth-
schild. Unter den 6 Italienerinnen finden sich drei
von hohem Adel, eine geb. Princessin Bonaparte, eine
geb. Princessin Ruspoli, eine geb. Princessin Manga-
nelli. Die Oesterreicherinnen sind wiederum vor-
wiegend israelitischer Abkunft (geb. Guttmann, Lö-
wenthal, Heine). Doch findet sich auch eine geb.
Esterhazy, Kalnoky und Kinsky. Die Russinen und
Belgierinnen sind fast durchweg adeligen Ursprungs
und verdanken Frankreich keine Standeserhöhung.
Der „Gaulois" stellt den Damen zuletzt das Zeugniss
aus, dass sie sich während der Affaire meist als
„gute Französinnen", d. h. Nationalistinnen und Anti-
semitinnen benommen. Daran war wohl kaum zu
zweifeln. Eine geb. Singer, Fischer oder Stevens kann
sich nicht genug ä la Rochefoucauld oder Gramont
geben.
Zu Ende der Dreyfus-Kampagne schilderte Ende
April 1901 die „Schlesische Zeitung" Frankreichs
Zustände folgendermassen : Im Spiegel der Dreyfus-
Affaire kann jede Nation erkennen, wie sie sich zu
halten hat, um Herrin im eigenen Hause zu bleiben
und nicht den internationalen Börsenmächten zum
Raube zu fallen. Lehrreich sind in dieser Hinsicht
sowohl die verhängnisvollen Schwächen, mit denen
Frankreich den Ausbruch der Dreyfus-Wirren erst
möglich gemacht hat, als auch der zähe Nationalsinn,
mit dem die Franzosen schliesslich das Uebel über-
wanden. Als allgemeine Lektion mag vollends die
Beschämung dienen, welche sich ein grosser Theil der
Presse und des Publikums aller Länder zugezogen
hat, indem er sich von einer internationalen Unter-
nehmerschaft zu blindem Eifer hinreissen liess. Wir
wissen wohl, dass dies unter Anrufung der „Huma-
nität" geschah. Das gute Herz aber ist im Staats-
556
wie im Privatleben keinen Schuss Pulver werth,
wenn es sich nicht mit Verstand und Charakter
paart. Die Geschichte der letztverflossenen Jahre lehrt,
wie viel Eigennutz gerade hinter den zudringlichsten
Menschlichkeitspredigten zu stecken pflegt, wie das
schöne Wort „Humanität" leider zu eine? Vokabel
des internationalen Rothwälsch geworden ist, und
welche Verantwortung jeder Staatsbürger übernimmt,
wenn er gutmüthig diesen Ausdruck im ursprünglichen
Sinne auffasst, ohne zu prüfen, was damit bezweckt
wird. Wie die Franzosen zur Dreyfus-Affaire reif
wurden, ist der erste Theil der Lektion, die uns hier
entgegentritt. Den Israeliten war Frankreich zum
Schlaraffenland geworden, seitdem der grosse Um-
sturz von 1789 es ihnen geöffnet hatte. Sie fanden da
Alles, was ihnen behagt: flüssiges Geld, das vom
sparsamen Volke unermüdlich zur Börse getragen
wurde, ein unbeschränktes Gleichheitsprincip, das
ihnen alle Laufbahnen, selbst die militärische, öffnete,
und ein in Auflösung begriffenes sociales Zellgetvebe,
das sich leicht durchbissen Hess. Die Republik von
1870 beseitigte vollends "die Hindernisse, die der
Herrschaft jener noch entgegenstanden: den Thron
und zum Theile selbst den Altar. So wurde Rothschild
Fürst der Republik und seine Stammesgenossen ein
Feudaladel, der das Land mit Monopolen und Staats-
lieferungen zu Lehen erhielt — der „älteste Adel der
Welt", wie der zum Direktor der Landespolizei' avan-
cirte Jesaias Levaillant erklärte. Den Franzosen fiel
das nicht auf Trotz ihrer Freiheitslosung sind ihnen
ja die wirklich freiheitlichen Triebe, die sie im Mittel-
alter noch bethätigten, abhanden gekommen. Ihre
Umstürze seit 1789 haben der Freiheit im Grunde
nicht gedient, sondern nur die angestammte Herrschaft
durch die Geldherrschaft ersetzt. Unter der dritten
Republik kam das vollends zum Ausdrucke. Die
Börsenfeudalen bemächtigten sich des nationalen Ver-
kehrsnetzes durch die Eisenbahnkonventionen von
1883; sie beherrschten mit der Bank von Frankreich
die Finanzen, sie besetzten die Hälfte der Präfekturen
mit Stammesgenossen, nahmen fast die ganze Presse
in Beschlag und erwarben auf bekannte Weise die
557
Dienste des Parlaments. Jüdische Officiere über-
sprangen ihre christlichen Kameraden im Avance-
ment und nisteten sich namentlich in der Verwaltung,
im Generalstabe, überall da ein, wo nicht mit der
Waffe gedient wird. Minister und Staatsoberhäupter
mussten sich den Börsenbaronen beugen. Die Buch-
staben R F, die an öffentlichen Gebäuden prangen,
Hessen sich nach Belieben R6publique Frangaise oder
auch Rothschild Freres lesen. Israel wollte nicht nur
im Stillen herrschen, sondern die Ehre der Macht
gemessen, sein Zion in Paris aufrichten. Bis 1892
war der Vorstoss gelungen. Da erfolgte ein Rück-
schlag in Form der sogenannten Panama- Affaire. Der
zersetzende Einfluss der Börsenherrschaft, der zuvor
nur in engeren, zumeist finanziell interessirten Kreisen
bekannt war, kam an die Oeffentlichkeit. Die Opfer
eines Milliarden-Raubzuges verlangten Licht; man
erfuhr, dass der Baron Jakob v, Reinach die Beste-
chung des Parlamentes in Generalentreprise genommen
und dass ein Aaron, wie weiland am Fusse des
Sinai, den Tanz um's goldene Kalb angeführt hatte.
Die Volksvertretung wurde der Bestechlichkeit über-
wiesen und hatte nicht einmal die sittliche Kraft, die
Bestochenen auszustossen. Die Gerichtsbarkeit hielt
es mit den Dieben, Betrügern und Bestochenen. Kein
Ministerium, kein Staatschef, keine bürgerliche Be-
hörde erwies sich intakt. „Panama* war der Bankerott
der Civilgewalten in Frankreich, und dieser Bankerott
war die Folge der vom Börsenadel ausgegangenen
Korruption. Der Rückschlag gegen die Feudalherren
der Finanz erfolgte jedoch nicht unmittelbar mit
voller Wucht. Er kam erst nach dem Dreyfus-Pro-
cesse 1894 ....
Die „Affaire" lehrt, dass eine Nation sich an sich
selbst versündigt, wenn sie sich die Börsenmächte
über den Kopf wachsen lässt, wenn sie sich gegen
Thron und Altar, gegen die Hüter der öffentlichen
Sitte vergeht, und somit die Bahn für die Mammons-
herrschaft freimacht; wenn sie Zwischenhändler zu
Monopolherren auswachsen lässt und durch das
Uebergewicht des Geldsacks die Korruption in ihren
mannigfaltigen, strafrechtlich oft nicht einmal fass-
558
baren Formen ermöglicht. Frankreich hat diese Ver-
sündigung schwer gebüsst und wird an ihr noch
ferner schwer zu leiden haben. Denn selbst eine zeit-
weilige Zurückdrängung der finanzfeudalen Macht
bringt ihm keinen Ersatz für den Schaden, den die
Zersetzung der Staatsordnung und der politischen
Sittlichkeit angerichtet hat Die Demokraten mögen
sich freilich die Hände reiben und mit den bekannten
Worten eines Ausverkaufsmachers Sprechern: „Enfin
nous avons fait faillite." Alle Autoritäten, bürgerliche
wie militärische, liegen am Boden; das Volk braucht
nichts mehr zu achten, keine Ueberlegenheit mehr
anzuerkennen." Französische Blätter gestehen zu, dass
Frankreich seit der Herrschaft Combes' sich im
Bürgerkriege befinde. „Die Moralität der Minister ist
uns sehr gleichgültig", schreiben übereinstimmend
die Organe der extremen Linken, die Lanterne, Ra-
dikal, Petite Röpublique u. a. m. Was wir wollen,
ist den Klerikalismus jetzt, wo wir die Macht dazu
haben und einmal im Zuge sind, gründlich zu ver-
nichten. Dazu hat sich das jetzige Kabinet von
neuem bereit erklärt und deshalb werden wir es
weiter wie bisher unterstützen, envers et contre tous.
So schrieben genannte Blätter anfangs Juni 1903.
Das Ende Frankreichs kann nicht lange auf sich
warten lassen, wenn nicht der christliche Sinn im
Volke Sieger wird. Wer in Frankreich die Macht in
den Händen hält, hat ja Drumont in seinem Werke
„Das verjudete Frankreich* klar bewiesen, in welchem
Werke er besonders dem Juden Gambetta die Hülle
schonungslos heruntergerissen hat. Die Judenblätter
geben ja fast alle Tage Belege dazu, dass Frankreich
in Händen von etwa 25 bis 30 Tausend Jakobiner
sich befinde, die in der Synagoge beschnitten worden
oder Freimaurer sind. Das in Wien erscheinende
„Jüdische Volksblatt- hatte am 1. Mai 1903 folgende
Nachricht: „Paris. (Senator Raynal.) Der Senator und
ehemalige Minister Raynal ist hier gestorben. David
Raynal wurde 63 Jahre alt. In Paris geboren, ent-
stammte er einer jüdischen, in Bordeaux ansässigen
Weinhändlerfamilie und auch er ergriff den Beruf
seines Vaters und etablierte sich in Bordeaux als
559
Weinhändler. Im Jahre 1877 entsagle er dem kauf-
männischen Berufe und wandte sich der Politik zu.
Er wurde in die Kammer gewählt, wo er seinen Sitz
auf der republikanischen Linken einnahm und sich
eng an Gambetta anschloss. 1880 wurde er als Unter-
staatssekretär in das Ministerium der öffentlichen
Arbeiten im Kabinet Freycinet berufen. Im folgenden
Jahre übertrug ihm Gambetta das Portefeuille der
öffentlichen Arbeiten, das er bis gegen Ende des
Jahres 1882 verwaltete. Ferry berief ihn 1885 in gleicher
Eigenschaft in sein Kabinet, dem er bis 1885 ange-
hörte. Zu wiederholtenmalen war Raynal dann Mit-
glied der Budgetkommission. In der Kammer wurde
er Führer der gemässigten Linken und als solcher
1893 unter Kasimir Perier Minister des Innern. Im
Jänner 1897 wurde Raynal zum erstenmale von der
Gironde in den Senat gewählt." Der Berichterstatter
der liberalen „Münchener Allgemeinen" schildert den
Kampf dieser Jakobiner und Socialisten gegen die
katholische Kirche in Frankreich in einigen Berichten.
Er sagt.
Die Durchführung des Kongregationsgesetzes er-
regt und verbittert in Frankreich die Gemüther offen-
bar weit mehr als es seinerzeit die Beschlussfassung
über die Neuordnung der Verhältnisse der geistlichen
Genossenschaften gethan hatte. Die ausgesprochenen
Kirchenfeinde waren damals allerdings schon der An-
sicht, dass die Regierung von der ihr gewährten Be-
fugnis, den durch das Konkordat nicht ausdrücklich
geschützten Kongregationen das Lebenslicht auszu-
blasen, sofort in umfassendster und rücksichtslosester
Weise Gebrauch machen werde und Gebrauch machen
müsse; die Klerikalen — und bis zu einem gewissen
Grade auch die Anhänger der gemässigteren Linken
— setzten dagegen voraus, dass das Gesetz mehr als
Damoklesschwert denn als ein Richtbeil dienen sollte,
dass man es eigentlich nur gefordert habe, um den
Uebermuth und die antirepublikanischen Tendenzen
gewisser Kongregationen durch die Androhung eines
scharfen Vorgehens im Zaume halten und hie und
da auch ein warnendes Exempel statuieren zu können,
nicht aber in der Absicht, den Orden ohne Unter-
560
schied ihrer Tendenz und ihres bisherigen Verhaltens,
den kämpfenden wie den beschaulichen, den predi-
genden wie den pflegenden, einfach den Garaus zu
machen. Herr Waldeck-Rousseau, der Vater des
Kongregationsgesetzes, war offenbar der milderen
Praxis geneigt, und auch Herr Loubet, der soeben
in Algerien so eindringlich gemahnt hat : Ne pro-
scrivons jamais ! Ne proscrivons peräonne ! würde ihr
sicherlich den Vorzug geben, allein der jetzige Konseil-
präsident, der bekanntlich ein defroqufe und daher,
wie alle Konvertiten oder Renegaten, doppelt und
dreifach streng ist, will teils als prinzipienfester Anti-
klerikaler, teils als kluger Politiker von einem Transi-
gieren mit der Kirche und ihren Autoritäten nichts
wissen. Der radikal-socialistische Block, auf den er
in der Kammer sich stützt, wird sich nämlich als
unzerbrechlich so lange nur erweisen, als der Kitt
der allen Parteien der entschiedenen Linken gemein-
samen Feindschaft gegen den Klerikalismus ihn zu-
sammenhält; sobald dieses Bindemittel nicht mehr
vorhanden wäre, würde er sehr bald bedenkliche
Risse, ja vielleicht klaffende Sprünge aufweisen. Das
Bestreben des Ministeriums geht somit dahin, sich
als Sturmbock gegen den Klerikalismus, als Vorkämpfer
für die Laicisirung des gesammten öffentlichen Lebens
ganz in den Dienst der parlamentarischen Mehrheit
zu stellen, sie zusammen zu halten und in geschlos-
sener Phalanx um sich zu scharen und sich durch
seinen Eifer auf kirchenpolitischem Gebiet für manche
Vergehungs- und Unterlassungssünden auf anderen
Gebieten volle Absolution zu sichern. Die social isti-
schen, bezw. socialistisch-radikalen Blätter verstehen
es übrigens trefflich, Herrn Gombes und seine- Kol-
legen durch halb lobende, halb drohende Auslassun-
gen zu immer erneuter Bethätigung der antiklerikalen
Tendenzen anzuspornen. So schreibt z. B. die Pariser
„Lanterne": „Wie man versichert, hat der Minister-
präsident den Präfekten gemessene Befehle ertheilt,
damit die Auflösungsdekrete binnen kürzester Frist
ausgeführt werden. Andrerseits soll der Justizminister
die Staatsanwälte aufgefordert haben, alle Ruhe-
störungen auf öffentlicher Strasse und alle Rebellion
561
gerichtlich zu verfolgen. Wir hoffen, die Ereignisse
werden diese Nachricht nicht Lügen strafen. Die
Sakristeipresse ist so frech, zu verstehen zu geben,
die Drohungen der Klerikalen haben die Regierung
eingeschüchtert und sie zum Rückzug bewogen. Sie
versichern, um das Gesetz zur Ohnmacht zu verdam-
men, genüge es, recht frech zu sein. Die Pfaffenfreunde
werden aber zu ihrem Schaden erfahren, dass sie in
einer Täuschung befangen sind. Die Regierung muss
die im Solde der Kongregationen stehenden Aufrührer
schonungslos verfolgen. Sobald diese fühlen, dass das
Ministerium zum Handeln enschlossen ist, werden
sie sich schon zurückziehen."
Ob dieser, der derzeitigen KammermehrheU so
genehme, gar leicht das Kind mit dem Bade aus-
schüttende Uebereifer, durch den die vom Ministerium
Waldeck eingeleitete antiklerikale Aktion den Charak-
ter eines lediglich gegen den politischen Katholicis-
mus, gegen unzulässige hierarchische Machtgelüste
und gegen Eingriffe in die staatliche Aktionssphäre
gerichteten Kampfes mehr und mehr verliert und zu
einem Kampfe gegen die Kirche im allgemeinen und
alles was kirchlich gesinnt ist, sich gestaltet, den
Wünschen und Anschauungen der Mehrheit des fran-
zösischen Volkes entspricht, muss zum mindesten als
zweifelhaft gelten. Blätter, wie der Temps, die Repu-
blique Frangaise, die DSbats, die zwar nicht radikal
und ministeriell, aber ohne Zweifel gut republikanisch
sind, üben an dem Terrorismus der Mehrheitsparteien,
die am Konvent-Spielen Geschmack gefunden zu haben
scheinen, eine immer schärfer werdende Kritik; in
den Kreisen der Armee und der Magistratur ist das
Missvergnügen über die sichtliche Beeinflussung der
Beschlüsse und Massnahmen der Regierung durch
die Wortführer der extremsten Demokratie unver-
kennbar im Wachsen und aus allen Teilen Frank-
reichs trifft die Meldung ein, dass die Bevölkerung
des flachen Landes und der kleinen Städte nur durch
die bewaffnete Macht an Gewaltakten gegenüber den
Vollstreckern des Kongregationsgesetzes verhindert
werden kann. Jedenfalls stehen sich die Parteien, in
zwei grosse Lager gespalten, zur Zeit feindseliger ge-
36
562
genüber als seit langen Jahren, und wenn das Volk
heute wieder zur Wahlurne zu schreiten hätte, dürfte
es den Mitgliedern des radikalen und socialistischen
Blocks kaum vergönnt sein, in unverminderter Zahl
in das Palais Bourbon zurückzukehren. Der unbe-
theiligte, objektiv urtheilende Beobachter der franzö-
sischen Vorgänge wird sich des Eindrucks kaum er-
wehren können, als lasse das Ministerium Gombes
bei seinem Anti-Kongregationsfeldzuge das alte Wort
ausseracht, dass allzu scharf schartig macht. Es geht
über das religiöse Gefühl der Landbevölkerung, die
namentlich im Nordwesten und Süden des Landes
in ihrer weit überwiegenden Mehrheit streng kirchlich
gesinnt ist, mit einer Rücksichtslosigkeit hinweg, die
weder von wahrhaft freiheitlicher Gesinnung noch von
wahrer politischer Klugheit zeugt. Unlängst hatte
allerdings Herr Gombes selbst einmal das Empfinden,
dass der Staat, so energisch er sich auch gegen un-
berechtigte Machtansprüche der Kirche und des Klerus
zur Wehre setzen solle und müsse, doch allen Grund
habe, den kirchlichen, religiösen Sinn der breiten
Massen, denen mit philosophischen Systemen nicht
geholfen ist, zu schonen, ja zu pflegen. Das laute,
drohende Murren, welches diese „spiritualis tische
Ketzerei" in den Reihen der extremen Linken hervor-
rief, bestimmte ihn freilich zu schnellem Widerruf
und zu umso schärferem Handeln. Er dürfte aber
mit dieser Unterordnung unter die Anforderungen
einseitigster Parteipolitik dem Frieden im Lande kaum
gedient haben, denn an Unduldsamkeit ^wetteifern die
„mangeurs de prfetres" mit den schwärzesten unter
ihren schwarzen Widersachern. Die einen wie die
anderen verstehen unter Freiheit immer nur die Frei-
heit, die sie meinen, das Recht, alle zu vergewaltigen,
die ihrer Fahne nicht folgen mögen."
Die Phrase, als ob die Republik um ihre Existenz
gegenüber den Ultramontanen kämpfe, ist eben eine
freche Lüge, um das Verbrechen der oficiellen Schurken
zu decken. Abb6 Geyrand sagte in der Kammer, dass
sich die Mitglieder der französichen Kongregationen,
über 38,000 Männer und 123.000 Frauen der Armen-
und Krankenpflege widmen, die 83.000 Kinder, 17.000
563
Greise und Unheilbare und 7000 Irrsinnige, also
107.000 Unglückliche pflegen. Als Missionäre wirken
8500 Mönche und die Kongregationen unterhalten
4758 Schulen mit 112.000 Schülern und 103 Hospi-
tälern oder Kliniken, Die Unterdrückung der Kongre-
gationen würde das Konkordat und das Grundprincip
des öffentlichen Rechtes verletzen. Alle Angriffe, die
in Wirklichkeit gegen die katholische Kirche gerichtet
sind, werden sich als nutzlos erweisen, wie man
dies bereits während der grossen Revolution gesehen
habe. Statt sie zu verfolgen, sollte die Republik mit
den Kongregationen im Wohlthun wetteifern. Während
die Milliarden der Juden und die Millionen der So-
cialistenführer Jaures und Millerand unverletzlich
sind, wird die Kirche schonungslos vor aller Welt
ausgeraubt. Wären alle Priester und Bischöfe Frank-
reichs treu der kathol. Kirche ergeben, wären sie
untereinander einig, übten sie die wahre Liebe gegen
sich, die Dinge hätten unmöglich so weit reifen
können.
Was unter der Judenherrschaft in Frankreich
vorgeht, das schilderte das Luzerner Volksblatt An-
fangs Mai 1903, Die Beraubung der französischen
Karthäuser hat sich im Morgengrauen des 29. April
vollzogen. Seit Mittwoch Früh 7 Uhr ist das grosse,
altehrwürdige Kloster der „Grossen Karthauseu leer,
ohne alle Bewohner. Ein Bataillon des 140. Linien-
regiments und 6 Sappeurs waren Dienstag gegen
Abend von Grenoble zu einem „Uebungsmarsch" be-
ordert worden. Von Dhamb6ry war eine Eskadron
der vierten Dragoner, mit einem ähnlichen Befehle,
ebenfalls gegen Abend abmarschirt. Dem Oberst der
vierten Dragoner, Herrn Oberst Fredy de Goubertin,
wurde die Ordre mitgetheüt, dass es gelte, gegen die
Chartreusemönche auszuziehen. Aber Oberst de Gou-
bertin, dessen Dragoner einst unter den Mauern von
Metz gekämpft, schämte sich gegen wehrlose Mönche
seine Truppen anzuführen ; er ertheilte einem Haupt-
mann den Befehl, mit der Eskadron wegzureiten,
schickte aber gleichzeitig dem Kriegsminister seine
Entlassung und zerbrach seinen Degen! So geheim
die militärischen Befehle ertheilt worden waren und
36*
564
so still die Truppen im Dunkel der Nacht über St.
Laurent du Pont hinaus vorrückten, so blieb doch
dieses Manöver nicht unbeachtet. Eine einzige Land-
strasse steigt längs dem wild hinabstürzenden Guiecs-
Mort zwischen dräuenden Felsen empor. Die Berg-
bewohner waren in Felsenlöcher versteckt oder in
den hohen Tannenbäumen, die an den Felsen kleben.
Rasch wurde von einer Wache der anderen das An-
rücken der Truppen signalisirt, und so kam es, dass
auf das Läuten der Klosterglocke bald eine enorme
Menschenmasse vor dem Kloster sich ansammelte.
Um elf Uhr Nachts marschirte das Bataillon von
Saint-Laurent ab, um 12 Uhr die Kavallerie. Die
Schergen der öffentlichen Gewalt, der Staatsanwalt
und Konsorten, fuhren hinter dem Bataillon in einem
Landauer. Sie wurden in den Strassen der Stadt
ausgepfiffen und mit Schmährufen überhäuft. Von
Saint-Laurent bis zum Kloster beträgt die Entfernung
neun Kilometer. Nach Ueberwindung mehrerer Hinder-
nisse, bestehend in Barrikaden, langten die Truppen
3 Uhr Morgens vor dem Kloster an. Dieses war von
einer Unmasse von Menschen umgeben, von Männern
und Frauen, Bauern und Bewohnern der Stadt Saint-
Laurent. Man schickte zuerst die berittenen Gendarmen
gegen das Volk aus, mit der Aufforderung, den Platz
zu räumen. Darauf antwortete die Menge mit lauten
Protesten. Jetzt drängten die Gendarmen gegen das
Volk. Plötzlich erhoben sich zahlreiche Stöcke, meistens
Alpenstöcke, und sausten auf die Köpfe der Pferde
nieder, welche sich erschreckt umwandten gegen das
hinten aufgestellte Militär. Dieses suchte zu Hilfe zu
kommen. Dabei wurde ein Hauptmann am Kopfe
verletzt, ein Soldat erhielt mit einem Todtschläger
eine Wunde; die Frauen munterten durch Zurufe
die Männer auf, und es mussten die Landjäger sich
schliesslich ganz zurückziehen.
Man muss dem Militär zugestehen, dass es sehr
taktvoll vorging. Die Offiziere bemühten sich, jede
Ausschreitung hinzuhalten. Es rückten die Truppen
langsam Schritt für Schritt vor. Sie drängten so die
Manifestanten für und für vom Eingange weg. Lang-
sam säumt das Tageslicht an den hohen Bergen und
565
wir sehen endlich in voller Klarheit die ehrwürdige
Karthause, sonst ein Bild tiefsten Friedens, heute um-
wogt von Tausenden, vor uns aufsteigen mit ihren
vielen Giebeln und Thürmen. Es ist 5 Uhr Morgens.
Aus ihrem Verstecke, wo sie sich nun sicher fühlen,
treten der Staatsanwalt, der Vicestaatsanwalt und der
Untersuchungsrichter vor und nähern sich dem Portale.
Wie ein Ruf erschallt der Schrei : „Nieder mit Gombes !
es lebe die Freiheit! hoch die Chartreuse!" Der Staats-
anwalt läutet, das Guckloch öffnet sich und P. Clovis
fragt:. „Wer ist da?" Der Staatsanwalt: „Oeffnet im
Namen des Gesetzes!" P. Clovis erwidert: „Es gibt
hier keine Gesetze mehr", und die Oeffnung wird
wieder geschlossen. Nun werden die Sappeure herbei-
gerufen, damit sie eine Holzthür neben dem Haupt-
portal einschlagen. Sie machen sich mit dem Beil in
der Hand an die wenig noble Arbeit und zerschlagen
wirklich nach etwa zehn Minuten die Thür. Die obrig-
keitlichen Schergen dringen ein, gefolgt von sämmt-
lichen Gendarmen. Alles ist still in den weiten Räumen,
alle Thüren sind geschlossen. Nicht weniger denn
sechs Thüren müssen eingeschlagen werden, bis die
Vertreter der glorreichen „Republik" vor der innern
Kapelle anlangen, in welcher sämmtliche Mönche,
jeder in seinem Betstuhle, versammelt sind. Zuvor
muss noch ein Korporal das Gitter überklettern und
von innen die Thür öffnen, die das Schiff der Kirche
vom Hochaltar abschliesst. Er wird dafür wohl den
Orden der „Ehrenlegion" erhalten .... Welch' ein
Anblick in dem mystischen Halbdunkel der Kapelle!
Das ewige Licht flackert heute wohl zum letztenmal
für vielleicht lange Zeit in geheimnisvollem Leuchten
über das mächtige Altarbild, das die Muttergottes
darstellt, auf Wolken thronend. Vor dem Altare knien
unbeweglich die weissen Gestalten und beten
beten, wie sie es seit Jahrhunderten an dieser heiligen
Stätte gethan, indem sie daneben durch Wohlthuen
ihre Menschenliebe bekundeten und niemanden etwas
zuleide thaten im ganzen Lande . . . Und doch tritt
jetzt der Vertreter der schamlosen Judenbande, die
Frankreich regiert, an diese friedlichen, Gott sich
weihenden Männer heran, und fordert sie auf, das
566
Kloster zu verlassen! Und da sie unbeweglich an
ihrer Stelle verharren, treten zwei Polizisten an jeden
Mönch heran und führen ihn weg aus der Kirche,
hinaus aus dem Hause, hinaus aus dem Vaterland . . .
Während die Schergen in das Kloster eindrangen,
hat das vergewaltigte Volk in ängstlicher Ruhe und
Stille verharrt. Als die erste weisse Kleidung zwischen
zwei Polizisten unter dem Portale sichtbar wurde,
enlblösste die Menge das Haupt. Ein andächtiges,
schmerzliches Schweigen lastete auf der Masse, als
die 19 Patres in weisser Kleidung und die vier
Brüder in schwarzer, begleitet von je zwei Polizisten
aus ihrer stillen Klause hinausgeführt wurden in das
sogenannte Frauenhaus zum Verhör. In zwei Reihen
stand das Militär, um das Volk vor Thätlichkeit ab-
zuhalten. Man sah Soldaten, die weinten; andere,
welche die Köpfe umwendeten, um das schmähliche
Schauspiel nicht ansehen zu müssen. Die Patres
wurden dann sofort aus der Haft entlassen, gegen
das Versprechen mit Umgehung von Grenoble über
Chambery nach Italien reisen zu wollen. Sie gingen
zu Fuss bis nach Saint- Laurent; nur der Prior Dom
Michel fuhr mit dem Advokaten des Klosters und
dem Deputirten von Grenoble, der aber in Saint-
Laurent wohnt, in einer Chaise. So endete die Aus-
raubung des alten Klosters und die Vertreibung seiner
letzten Bewohner auf der Höhe der Grand Ghartreuse.
Aber die Manifestation setzte sich noch im Thale
fort. Ueber 2000 Bergbewohner begleiteten die Ver-
bannten bis Saint-Laurent. Als sie um 11 Uhr die
Stadt erreicht hatten, stürzte sich die Menge auf die
Chaise des Priors, spannte die Pferde aus und zog
ihn bis vor das Haus des Deputirten Pichal, wo
sämmtliche Patres ein kleines Frühstück einnahmen.
Der Bischof von Grenoble war ihnen entgegengegangen
und hatte jeden auf der Strasse umarmt. Beim Gang
auf den Bahnhof umwogte sie das Volk wieder zu
Tausenden. Unterdessen hatte der Staatsanwalt und
sein Begleiter sich auf Umwegen nach Grenoble be-
geben, wo sie sich versteckten, einer aber wurde er-
wischt und v~-1,*~u durchgeprügelt: Herr Mouthon,
der Korr' „Matin". Er war in Begleitung
567
der Herren der Magistratur und wurde, da er schon
zweimal in der Gegend weilte, sofort erkannt. Früher
war er katholischer Publicist, jetzt besorgt er für den
„Matin" die kirchlichen Artikel und hat in einem
derselben ganz genieinen Spott an den Mönchen ver-
übt, nachdem er dort — Gastfreundschaft genossen!
Als ihn nun das Volk erblickte, ergoss sich eine
Unmasse von Schmährufen über ihn. Nur der Schutz,
den ihm die Mameluken des Gombes gewährten,
rettete ihn vor Misshandlungen. Als der Raubakt
vollzogen war, sprang Mouthon in sein Gefährte, um
rasch zu entwischen und nach Paris zu telegraphie-
ren. Aber eine Anzahl Bauern setzten ihm nach, er-
reichten seinen Wagen, rissen ihn heraus und prü-
gelten ihn derart durch, dass — der „Matin" heute
ohne eigenen Bericht über die Schliessung der Kart-
hause ist und einen solchen einem anderen Blatte
entlehnen musste .... Auf der Weiterreise wurden
die Verbannten überall mit Ehrfurcht und Begeiste-
rung begrüsst, besonders in Chambery, wo Tausende
den Bahnhof umlagerten und kniend den Segen des
Priors empfingen. Ueberall ertönte der Ruf: „Auf
baldiges Wiedersehen!" — So schildert die Vertrei-
bung der Karthäuser aus Frankreich J. Steiner-Buloz
im „Luz. Volksblatt. u
d) Jtaliens Finanzlage.
Italien hatte im Finanzjahre 1897
Einnahmen Ausgaben
1.696,791.355 Lire 1.686,793.409 Lire
Der Schuldendienst erforderte einen Aufwand
von 589,519.958 Lire. Das Hauptbuch der italieni-
schen Staatsschuld wurde im Jahre 1862 mit einem
Betrage von 3084 y2 Millionen Lire, die ihren Ursprung
in den von den früheren Kleinstaaten übernommenen
Verpflichtungen hatte, eröffnet. Diese Schuld war zu
Ende 1876 auf 11.289 V2 und am 30. Juni 1897 auf
14.865 Millionen Lire angewachsen. Italien ist eine
Beute von privilegirten Gaunern geworden, wie die
Maffiaprocesse bewiesen haben. Für Italien gut der
Grundsatz — je mehr Gold an der Uniform, desto
grösserer Gauner steckt darin. Man sieht, dass Man-
568
darinen nicht allein in China, sondern auch in Europa
zu Hause sind. Den Hauptstock italienischer Staats-
schulden vom J. 1862 bildeten die Schulden beider
Sicilien. Hier hatte „segensreich" gewirkt der Anfangs
Februar 1900 verstorbene Pariser Adolphe de Roth-
schild, dessen Familie auch ein Kondolenztelegramm
aus der Wiener Hofburg zugegangen ist Es ist inter-
essant die aufgeblasenen Berichte jüdischer Zeitungen
über den verstorbenen Pariser Rothschild zu lesen.
So schrieb „Hamburger Gorresp." über den ver-
storbenen Adolphe de Rothschild wie folgt: Der Ver
storbene war der Chef des Neapeler Hauses Roth-
schild und der intime Freund und Diener der Könige
Ferdinand IL und Franz II. von Bourbon und Anjou.
Als die beiden Sicilien vom Königreich Italien an-
nektirt wurden, liess er sich in Paris nieder. In der
Rue Monceau liess er im Jahre 1868 ein pracht-
volles Hotel erbauen, dessen grossartige Salons mit
den aufgestapelten Kunstsammlungen der Rendezvous-
platz der grossen Pariser und auswärtigen Welt
waren. Hier traf man die Prinzen des königlichen
Hauses Frankreichs, ebenso wie die der regierenden
Fürstenhäuser Europas, oft auch den König und die
Königin von Neapel. Dabei machte er keinen Unter-
schied zwischen den Religionen. Eine grosse Anzahl
von kleinen Gemeinden Frankreichs verdankt ihm
den Ausbau oder die Restaurinmg ihrer Kirchen,
die Erbauung ihrer Schulen, Asyle und Spitäler. Die
Pariser Armen werden den Baron Adolphe nicht
minder vermissen. In seinem Hause in der Rue
Monceau wurden täglich über 1500 Francs kleiner
Almosen vertheilt, und im Bois de Boulogne musste
noch in letzter Zeit ein besonderer Ordnungsdienst
von der Polizei eingerichtet werden, um den Baron
bei seinen Spazierfahrten vor der allzu grossen Zu-
dringlichkeit der Bettler zu schützen, die in Haufen
herbeiströmten, sobald sie durch ihre „Eclaireure"
in Erfahrung gebracht hatten, dass der Baron aus-
gefahren war. Rothschilds Wohlthätigkeit beschränkt
sich übrigens nicht auf Paris und Frankreich. Sie
wirkte überall, besonders auch im alten Königreich
Neapel unr» in d*r Schweiz, wo der Verstorbene das
5G9
grossartige Anwesen von Pregny bei Genf besass. In
Genf gründete und subventionirte Baron Rothschild
das ophthalmologische Institut der Universität. Das
Vermögen des Verstorbenen wird auf 200 Millionen
Francs gechätzt.
Die Ausgaben Italiens für das Jahr 1902 waren
1.812,363.541 Lire, davon 587,501.284 Lire Zinsen
für die Staatsschuld. Italien, dieser wirthschaftlich
vollständig zerrüttete Staat wühlt mit seiner Irredenta
systematisch von Süden her gegen Oesterreich. Das
Organ des Juden Mosse, das „Berliner Tagebl." schreibt
anlässlich des Besuches Wilhelms IL in Rom in der
Nr. vom 15. Mai 1903 von Wien aus folgendes : „Die
römischen Toaste des Königs Viktor Emanuel und
des Kaisers Wilhelm werden nicht bloss von der
italienischen, sondern auch von der österreichisch-
ungarischen Presse und natürlich auch in unseren
politischen Kreisen im Hinblick darauf, dass in den
Trinksprüchen jedes Gedenken des dritten Verbün-
deten sorgsam vermieden wurde, lebhaft diskutirt.
In der Presse zeigt sich einiges Unbehagen darüber,
von manchen Leuten wird der Dreibund wieder ein-
mal todtgesagt, in der Bevölkerung herrscht die Em-
pfindung vor, dass in unserem Verhältnisse zu Ita-
lien etwas nicht ganz richtig sei. In den Regierungs-
kreisen bezeugt man allerdings eine sehr nüchterne
Auffassung der Dinge.
Vor allem, meint man in diesen Kreisen, sei es
ganz ausgeschlossen, für das Unterbleiben jeder An-
spielung darauf, dass zum deutsch-italienischen Bünd-
nis noch ein Dritter gehöre, den Kaiser Wilhelm
verantwortlich zu machen. Man hebt ganz im Gegen-
theil anerkennend hervor, dass Kaiser Wilhelm ge-
legentlich der Anwesenheit des Königs von Italien
in Berlin förmlich ein Präcedenz geschaffen habe,
indem er in seinem Trinkspruche auch des dritten
Verbündeten, des Kaisers und Königs Franz Joseph
gedacht. In Italien sei er nur Gast gewesen, da habe
der König von Italien den ersten Trinkspruch aus-
gebracht, und da in diesem Oesterreich - Ungarns
nicht gedacht wurde, habe auch der Kaiser in seiner
Erwiderung den dritten Alliierten nicht erwähnt.
570
Was nun Italien anbelangt, so könne man bei der
unterlassenen Anspielung höchstens von einer Ver-
letzung der Courtoisie sprechen. Man glaube hier
nicht, dass am italienischen Hofe irgend eine Rankün
gegen unsere Monarchie wegen des unterlassenen
Kaiserbesuches in Rom herrsche, da man sehr wohl
wisse, dass die eigenthümlichen Verhältnisse, die den
Kaiser Franz Joseph seinerzeit abgehalten haben, den
Wiener Besuch des Königs Humbert in Rom zu er-
erwiedern, sehr wohl gewürdigt werden. Freilich
werde die Sache unserem Monarchen im italienischen
Volke verübelt. Oesterreich-Ungarn sei in Italien
nicht populär, und man nehme in Rom sehr Rück-
sicht auf populäre Strömungen. Das Bündnis unserer
Monarchie mit Italien werde durch diese Angelegen-
heit natürlich in keiner Weise berührt. Die poli-
tischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten
seien die freundschaftlichsten und herzlichsten.
Auch Italien lege gerade jetzt sehr grossen Werth
darauf, ihnen diesen Charakter zu erhalten, da Ita-
lien unserer Monarchie in zwei wichtigen politischen
Angelegenheiten, in der Frage des Handelsvertrages
und bei der Lösung der albanesischen Verwicke-
lungen, sicher geneigt gestimmt erhalten möchte.
Zur Verbesserung unseres Verhältnisses zu Ita-
lien kann es allerdings nicht beitragen, dass unsere
Katholikentage — wie neuestens auch wieder der
niederösterreichische Katholikentag — regelmässig
ihren „Protest" gegen die „fortdauernde Beschrän-
kung der Freiheit des Heiligen Vaters" und gegen
die „Entziehung der dem Papste zur Ausübung seines
Amtes notwendigen territorialen Souveränität" er-
neuern. Es ist begreiflich, dass immer sich wieder-
holende Resolutionen dieser Art in Italien böses
Blut machen. Es muss indessen hervorgehoben
werden, dass unsere politischen Kreise Kundgebungen
dieser Art durchaus nicht billigen, ja höchst unpas-
send finden. Es hat auch den Versammlungen des
Katholikentages kein Minister, kein Vertreter einer
Behörde, überhaupt keine officielle Persönlichkeit bei-
gewohnt. Herr Dr. Lueger mag über deren Abwesen-
heit so viele ironische Glossen machen, wie er will,
571
so lange sich die Katholikentage unziemlicher Kund-
gebungen politischen Charakters nicht enthalten, wird
auch fernerhin keine officielle Persönlichkeit ihren
Verhandlungen beiwohnen."
Aus diesem Berichte können doch die Regie-
rungsmänner in Wien erkennen, dass Oesterreich von
seinen 2 Bundesgenossen buchstäblich verkauft und
verrathen ist. Wann wird in Wien die Erkenntniss
kommen, dass Oesterreich nur an Russland eine feste
Stütze finden kann? Möge man in Wien mit Russ-
land definitiv die Balkanfrage ordnen und dfe Inter-
essensphäre abgrenzen, dann wurde für Oesterreich
eine glänzende Zeit anbrechen. Das „Berl. Tageblatt"
bringt noch folgende Berichte aus Rom am 4. und
5. Juni 1903. Wir reproducieren dieselben ohne
Kommentar. Es fanden bekanntlich in ganz Italien
Demonstrationen statt wegen der italienischen Uni-
versität in Innsbruck, in welchen Demonstrationen
öffentlich auf den Strassen überall „Abasso Austria"
gerufen wurde. Die Berichte sagen Folgendes: Die
fortgesetzten Demonstrationen in Italien haben hier,
wie ich Ihnen bereits telegraphisch berichtete, eine
tiefgehende Verstimmung hervorgerufen. Man scheint
hier geneigt, diese Demonstrationen mit dem Wieder-
aufleben des italienischen Irredentismus in Verbin-
dung zu bringen. Dies beweist auch der gestrige
Artikel des officiösen „Fremdenblattes", der darauf
hinweist, dass die fortgesetzten italienischen Demon-
strationen und irredentistischen Kundgebungen bei
der Gegenströmung, die sie in Oesterreich schlechter-
dings hervorrufen müssen, zu einer Erschütterung
unseres Bündnisses mit dem Königreich führen könnten.
Was den Anlass dieseri talienischen Kundgebungen
anbelangt, die Vorgänge in Innsbruck, so habe ich
bereits darauf hingewiesen, dass die bedauerlichen
Begebenheiten von alldeutscher Seite ausgingen, also
sicherlich nicht in das Schuldbuch der Regierung
gehören. Eine Wiederholung der Vorgänge wird
energisch verhindert werden. Ebenso habe ich Ihnen
mitgetheilt, dass sich die massgebenden Kreise um
die Errichtung einer italienischen Universität in
Triest bemühen, und dort werden, wie neuere Erklä-
572
rungen darthun, jedenfalls Anstalten gegründet werden,
die Hochschalcharakter besitzen. Es ist also eigent-
lich kein Grund vorhanden zu so weitgehenden De-
monstrationen, wie sie in Italien stattfinden. Man
muss dort auch mit der Eigentümlichkeit unseres
Staates rechnen, dass in Oesterreich alles langsam
geht Was zur Herbeiführung so heftiger Demonstra-
tionen in Italien, zu einer so ausgesprochen feind-
seligen Bewegung gegen unsere Monarchie in dem
ganzen Königreich geführt hat, ist, dass sich auch
sonst in einer ganzen Reihe wichtiger politischer
und wirtschaftlicher Fragen tiefgehende Differenzen
zwischen Oesterreich -Ungarn und Italien zeigen. In
manchen dieser Fragen erscheint auch die italienische
Empfindlichkeit ernstlich verletzt
Die aktuellste Frage, die in Italien ernstliche
Verstimmungen hervorgerufen hat, ist die albanesische.
Unsere Monarchie möchte Albanien der Türkei er-
halten und wird, wenn sich dies als unmöglich er-
weisen sollte, eine albanesische Autonomie in allem
Ernste unterstützen, nur bestrebt, ihre kommerziellen
Interessen in diesem Ländergebiete zu schützen. Ir-
gend eine Okkupation ist nicht geplant, abgesehen
von dem Landstreifen über Mitrowitza hinaus, der
den Schlüssel zur strategischen Position gegen die
unruhigen Balkanvölker bildet Diese Okkupation, die
uns Kraft des Berliner Vertrages und unserer Separat-
abmachung mit der Pforte zusteht, wird aber nur
bei anhaltenden Wirren in* der europäischen Türkei
und in dem Falle eintreten, dass von Seiten eines
der kleinen Balkanstaaten oder von anderer Seite
eine Aktion gegen die Pforte unternommen würde.
Diese strategische Position im Falle ernster Ver-
wickelungen einzunehmen, zwingt uns unsere Stel-
lung in Bosnien und der Herzegowina. In Italien
wäre man indessen mit dieser Entwickelung der
Dinge nicht einverstanden. Man möchte dort gern
eine aktive Politik befolgen, eventuell eine Aufthei-
lung Albaniens vornehmen, und die konservative Po-
litik unserer Monarchie, die von der Festsetzung
einer Grossmacht auf der Balkanhalbinsel nichts
wissen will, steht diesen Tendenzen sehr im Wege.
573
Die albanesische Frage könnte noch zu ernsten Miss-
helligkeiten zwischen Oesterreich-Ungarn und Italien
Anlass geben. Unser Abkommen mit Italien, das
auf die Erhaltung des Status quo in dieser Provinz
abzielt, scheint da nicht mehr ganz auszureichen. Es
wird durch ein anderes Abkommen ergänzt werden
müssen, sobald die Entwickelung der Dinge seine
Unzulänglichkeit erweist. Es wäre zu wünschen, dass
man sich für alle Eventualitäten einigte, um kein
ernstes Zerwürfnis aufkommen zu lassen. Durch die
Kündigung des italienischen Handelsvertrags und die
Gewissheit, dass die Weinzollklausel nicht mehr er-
neuert werden wird, erscheinen die wirtschaftlichen
Interessen Italiens ernstlich angegriffen. Wir hätten
uns die Kündigung des Vertrages ersparen könjien,
denn wie die Dinge stehen, werden wir mit der Ord-
nung unserer wirtschaftlichen Fragen bis Ende
des Jahres nicht fertig werden können und werden froh
sein müssen, wenn der Vertrag, wie er ist, um ein
Jahr verlängert wird. Es ist hier überdies be-
kannt geworden, dass der neue italienische Zolltarif,
der der Vollendung entgegengeht, von einer weit-
gehenden Revanchepolitik gegen Oesterreich-Ungarn
für den Wegfall der Weinzollklausel Zeugnis ablegen
wird. Man wird es wohl auf beiden Seiten an Be-
mühungen nicht fehlen lassen, den Frieden und das
Einvernehmen wiederherzustellen. Aber die Vorberei-
tungen dazu sind sehr krieghafter Art und das Zu-
standekommen des neuen Vertrages wird eine sehr
schwierige Sache bilden. Eine andere Frage, durch
die namentlich die nationale Empfindlichkeit in Ita-
lien gereizt wurde, ist die eines Besuches unseres
Kaisers in Rom. Der Gegenbesuch unseres Monarchen
nach dem seinerzeitigen Besuche des Königs Hum-
bert in Wien ist bekanntlich unterblieben. Wohl war
der Kaiser seither in Venedig, doch wurde dies nicht
als Erwiederung des italienischen Höflichkeit ange-
sehen. Dem Kaiser Franz Joseph wäre es äusserst
peinlich, durch einen Besuch des italienischen Königs-
hauses in Rom den Papst irgendwie verletzen zu
können. Bisher hat sich Leo XIII. auch entschieden
geweigert, irgend ein katholisches Staatsoberhaupt zu
574
empfangen, das vorher im Quirinal vorgesprochen.
In Italien sieht man diese römischen Besuche als
eine solenne Anerkennung der Neuordnung der Dinge
und Roms als Hauptstadt des italienischen König-
reichs an, und man wünscht namentlich Besuche der
katholischen Staatsoberhäupter, die naturgemäss in
innigeren- Beziehungen zum Papste stehen. Sicher
ist, dass König Viktor Emanuel III. seinen Antritts-
besuch in Wien nicht machen wird, bevor er sich
nicht vergewissert hat, dass der Besuch in Rom er-
wiedert wird.
In Italien schreibt man es ferner auch in das
politische Schuldbuch Oesterreichs, wenn hier katho-
lische Vereinigungen und Versammlungen für die
Wiederherstellung der weltpolitischen Macht des
Papstes Resolutionen fassen, obgleich solches auch
in allen anderen Staaten geschieht. Freilich wendet
man ein, der Thronfolger Franz Ferdinand, der bei
seinen italienischen Reisen Rom stets aus dem Wege
gehe, sei Protektor mancher katholischen Vereini-
gungen dieser Art, und seine Gemahlin, Fürstin
Hohenberg, beehre die Versammlungen, die die be-
wussten Resolutionen fassen, mit ihrer Gegenwart.
Diese Dinge finden auch in den politischen Kreisen
unserer Monarchie nicht durchaus Billigung und man
bedauert jedenfalls, dass ihnen in Italien eine über-
mässige Wichtigkeit beigemessen werde. Die Dy-
nastie in Oesterreich ist eben streng katholisch, sie
macht aus ihren Gesinnungen kein Hehl und ist auch
bemüht, ihrer Verehrung des Papstes durch eine leb-
hafte Kundgebung ihrer Sympathien Ausdruck zu
geben. Aber diese Freundlichkeiten für den Papst
habe unsere Monarchie nicht gehindert, eine Allianz
mit Italien abzuschliessen, den Italienern ein treuer
Bundesgenosse zu sein und die Allianz zu erneuern.
Daran könnten die Italiener sich genügen lassen.
Das Entscheidende sind doch nur die politischen Akte.
Und die Forderung nach Bezwingung von Gefühlen, die
mit der Politik nichts gemein haben, wird hier als
unangebracht empfunden. Die Resolutionen der Ka-
tholikentage haben übrigens dem Königreich. Italien
bisher nicht geschadet und dem Papste nicht genützt.
575
Wie sich aus alledem ergibt, herrschen zwischen
Oesterreich-Ungarn und Italien viele wichtige und
verstimmende Differenzen. Und man wird sich ernstlich
mit der Frage befassen müssen, ob bei solchen Diffe-
renzen die Erhaltung eines politischen Bündnisses
noch möglich ist. Diese Frage wird ja sogar durch
den hochofficiösen Arlikel des Wiener „Fremden-
blattes" auf die Tagesordnung der politischen Diskus-
sion gestellt. Der italienische Botschafter Graf Nigra
hat angesichts der Unmöglichkeit, die zahlreichen
Misshelligkeiten zu meistern, seine Demission gegeben.
Einige Minister der auswärtigen Angelegenheiten
sollten sich ein bisschen die Köpfe zerbrechen, wie
der Stand der Dinge zu bessern wäre."
e) Englands Finanzmächt6.
England ist die Heimat des Kapitalismus. Wäh-
rend er in Europa erst im Kindesalter lebte, hatte
er in England schon das Mannesalter erreicht.
Englands Nationalvermögen wird nach Giffen auf
250.000 Millionen Mark geschätzt. Nach Direktor
Cooks über die Statistik der Stock-Exchange betrug
das eingezahlte Kapital der kotierten Werthe an der
Börse in London Ende des Jahres 1897 die Summe
von 7998-6 Millionen Pfund Sterling (ungefähr 201.966
Millionen Kronen öst. Kronenwährung). An der Börse
in London sind fremde Werthe Staatspapiere 3123-2
Millionen Lst., amerikanische Eisenbahnen 972*2 Mil-
lionen Lst. und andere 621*7 Millionen Lst, Hier
haben wir wiederum die Internationalst des Ka-
pitals illustriert. Der Geldbedarf des englischen
Handels und der Industrie im Jahre 1901 war
9.561,169.000 Pfund Sterling (ungefähr 230.009 Mil-
lionen Kronen). England hatte im Jahre 1902 :
Staatsausgaben 251,980.546 Lst.
Zinsen für die Staatsschuld . . . 21,685.532 „
Ausgabe für Heer und Flotte . . . 123,572.000 „
Ende März 1861 hatte England eine Staatsschuld
von 809,430.003 Lst., welche eine Verzinsung von
26,015.894 Lst. erforderte. Die Staatsausgaben Eng-
lands im Jahre 1862 waren 69,186.603 Lst. Am
24. April 1903 theilte Finanzminister Ritchie mit,
576
dass die Staatsschuld Englands 770,778.000 Pfund
Sterling betrage. Der Krieg in Südafrika und China
erforderte 217,000.000 Lst. Die englischen Kolonien
haben folgende Ausgaben:
Indien Civilverwaltung 233,870.000 Rup.
Zinsen der Staatsschuld 31,940.500 „
Man sieht, wie England dieses Land ausraubt.
Die Kosten der Givilverwaltung gehen in englische
Taschen. Nur an Grundsteuer entrichten die armen
Hindus 272,559.000 Rupien. Die Gesammteinnahmen
Indiens pro 1902 waren 1082,878.000 Rupien. Die
Staatsschuld Indiens war 223,843.244 Rupien. Die
Kapkolonie hatte im Jahre 1902 eine Ausgabe von
10,161.043 Lst Die öffentliche Schuld betrug
1,429.231 Lst. Kanada hatte eine Ausgabe von
53,361.639 Doli. Die Staatsschuld betrug 268,480.004
Dollars, der Zins 14,149.056 Dollars. Australien hatte
im Jahre 1902 eine Ausgabe von 28,595.573 Lst. Die
Staatsschuld beträgt 194,378.427 Lst.
Da die Londoner Börse den Mittelpunkt aller
Geldgeschäfte in der ganzen Welt bildet, kann man
sich über den Umfang der Börsengeschäfte in London
eine ungefähre Vorstellung machen. Von hier aus
regiert geheiranissvoll die Dynastie Rothschilds
die Finanzoperationen der ganzen Welt. Hier sind
alle Gelder der Finanzjuden und der von ihnen ab-
hängigen reicheren Christen deponiert. Lord Rothschild
ist mit seinen Trabanten Erlanger, Bernher, Veit und
anderen Finanzjuden der thatsächliche Beherrscher
der Welt Von London aus werden die Finanzen der
Türkei, Aegypten, Südamerikas und anderer Staaten
geregelt und beherrscht Der Jude Hirsch, der hier
an der Börse etabliert war, starb hier. Sein Testa-
mentsvollstreker zahlte 1,200.000 Pfund Sterling Erb-
lassteuer, davon kamen 700.000 Lst auf Grund-
stücke und 500.000 Lst auf Legate. Das Vermögen
des Lord Rothschild ist unkontrolirbar. Bekannt ist es
ja, dass König Eduard v. England an ihn verschuldet ist.
An der Börse Londons wurden emittiert:
Jahr
Millionen Lst
1894
91,835.000
1895
104,690.000
577
Jahr Millionen Lst. ^
1896 152,807.000
1897 157,289.000
1898 149,228.000
Vielleicht an keiner Börse der Welt werden so
viel Schwindelpapiere in Umlauf gesetzt als es in
London geschieht. Den grössten Record in dieser
Art Geldprellen erreichte der Börsenspekulant Whi-
taker Wrigh (ein polnischer Jude) mit der Gründung
der Gesellschaft „London arid Globe Corporation",
worin an 1000 Personen um rund 500 Millionen
Kronen öst. Währung betrogen wurden.
London mit seinem Lombard Street ist der
Mittelpunkt des Kapitalismus, hier laufen alle seine
Fäden aus der ganzen Welt zusammen, hier depo-
nieren ängstliche Kapitalisten ihr Vermögen in die
Kellereien englischer Bankinstitute. England ist die
grösste Handelsmaotit. Der Gesammthandel Gross-
britanniens betrug im Jahre 1902: 16.247 Millionen
Mark, Deutschlands 10.247 Millionen- Mark, Nord-
amerikas 9326 Millionen Mark. Die Depositen der
englischen Banken Ende 1902 betrugen 823 Mi 11. Lst.,
also 19.752 Millionen Kronen öst. Währung. London
ist der wichtigste Sitz der Dynastie Rothschilds.
Ehrenberg jammert über die Zukunft der Dynastie
Rothschilds folgendermassen :
Das Frankfurter Stammhaus, welches schon seit
dem Tode des Barons Maier Karl (1887) jede Be-
deutung verloren hatte, wurde seitdem von dessen
Bruder, Baron Willy, geleitet. Da dieser in den letzten
Jahren seines Lebens nicht mehr mit den Unter-
schriften fertig werden konnte, bestellte er Kollektiv-
Prokuristen. Das war aber den andern Häusern ein
Dorn im Auge. Als Baron Willy starb, trat die
Witwe, wie glaubwürdig berichtet wird, für Erhaltung
des Stammhauses ein und machte dafür auch den
Einfluss ihres Bruders, des Barons Albert, Chef des
Wiener Hauses, mobil. Doch es fand sich unter den
jüngeren Rothschilds niemand, der bereit wäre, in
das veraltete Frankfurter Haus überzusiedeln, und
da man Fremde dort nicht schalten und walten
lassen wollte, beschloss der Familienrath, das altehr-
87
578
würdige Haus zu schliessen. Aehnliches mag in Wien
bevorstehen, wo ebenfalls mit dem Vater des jetzigen
Inhabers die geschäftliche Initiative des Rothschild-
hauses und damit auch dessen Bedeutung für die
Bankwelt aufgehört hat, so dass es jetzt nur noch
mit seinem Namen im Gefolge der Oesterreichischen
Kreditanstalt glänzt. Anders steht es in London und
Paris. An diesen Plätzen stehen noch starke Persön-
lichkeiten an der Spitze der Rothschild-Häuser. In
Paris hat zwar ihr Einfluss durch die Konkurrenz
des mächtigen „Cr6dit Lyonnais" abgenommen; aber
trotz des Verdrusses über den französischen Anti-
semitismus denken sie offenbar nicht daran, ihr
Geschäft aufzugeben. In London vollends ist die
Stellung des Lord Nathanael Rothschild noch immer
eine ausserordentlich starke. Aussereuropäische
Staaten, wie Brasilien und Chile, hängen finanziell
von ihm ab, und ihre Regierungen hören auf ihn
auch in anderen Fragen. Im Londoner Kapitalmarkt
spielt „Swithins Lane" (wo die Geschäftsräumlich-
keiten der Firma sich befinden) noch eine grosse
RolJe, und die City beachtet jeden der Winke, welche
der Lord den vielen Besuchern, Maklern, Agenten
u. s. w. ertheilt, wenn sie alle Morgen in unaufhör-
lichem Zuge an seinem Schreibtische vorbeidefiiiren,
nur stehenbleibend, falls er eine Frage oder einen
kurz bemessenen Auftrag für sie hat. Niemandem
pflegt er sich länger als zwei Minuten hintereinander
zu widmen. Aber auch in London und Paris fehlt es,
soweit man hört, an einem Nachwüchse, der im
Stande wäre, die Geschäfte im grossen Stile der
Väter fortzusetzen, und da Fremde grundsätzlich
nicht zugelassen werden, müsse das konsequent fest-
gehaltene Familienprincip über kurz oder lang zum
Aufhören der Rothschild-Häuser führen. Die Londoner
Börse war es, welche den bestialischen Ausrottungs-
Krieg gegen die Boeren in die Scene setzte. Die
Minenbesitzer haben nun ihren Raub im Sicheren.
Die Minenmagnaten in Transvaal haben Herrn
Chamberlain bei seiner Ankunft in Johannesburg
einen Bericht überreicht, der sich mit 10 Minen-
gruppen und 120 Minengesellschaften beschäftigt.
579
Das Nominalkapital beträgt 57,363.442 Lst, davon
sind 53,750.230 Lst. ausgegeben; der Marktwert stellte
sich am 31. Dezember 1902 auf 174,326.342 Lst.
80% des Kapitals ist von England investiert, die
restlichen 20% vertheilen sich auf Deutschland und
Frankreich. Bezüglich der Witwatersrand-Goldfelder
bemerkt der Bericht, dass die Gentralsektion des
^Randes" in einer Länge von 12!/4 Meilen 76% der
gesammten Goldproduktion liefert, goldhaltige For-
mationen aber auf 308 Meilen nachgewiesen« sind.
Das Reef sei an einzelnen Stellen nur wenige Zoll
breit und an anderen bis zu 15 und 20 Fuss, die
Tiefe desselben variire zwischen 100 und 2500 Fuss,
In den Anfängen der Minenindustrie geschah die
Extraktion mittels Amalgamationsprocesses ; dadurch
wurden aber nur 50—60% gewonnen, während heute
eine gut eingerichtete Mine 85 — 90% des Goldes aus
den Erzen extrahiert. Jede aufgestellte Stampe ver-
ursacht durchschnittlich 5000 Lst. Unkosten, theils
für Entwickelung der Mine, theils für Aufstellung
der nöthigen Maschinen; da die den Minengruppen
angehörenden Gesellschaften etwa 6000 Pochstampfen
errichtet haben, so hatten diese bereits 30,000.000 Lst.
Auslagen, darin ist die grosse Zahl der nicht produ-
cierenden Minen nicht berücksichtigt worden. Die
Totalgoldausbeute von 1884 bis Ende 1889 hatte
einen Werth von 94,855.086 Lst., hiervon entfallen
83,185.894 Lst. oder 87»/*% auf die Main Reef Minen.
Bezüglich der Arbeiterfrage bemerkt der Bericht* dass
das Zusammenarbeiten von weissen und schwarzen
Arbeitern bisher ein unbefriedigendes Resultat ge-
zeitigt hat. Was mechanische Kraftleistungen anbe-
lange, so sei der Schwarze dem Europäer gleich-
werthig; wo besonderes Geschick in Frage komme,
der Europäer überlegen. Vom ökonomischen Stand-
punkt sei es aber ausgeschlossen, für ganz mecha-
nische Arbeiten die Heranziehung eines Europäers
in Erwägung zu ziehen, der 10 bis 20 sh. pro Tag
koste gegen 2—3 sh., die der Eingeborene erhalte.
Angenommen, weisse Arbeiter erhielten nur 12 sh.
pro Tag (dagegen die Eingeborenen 21/* sh. und Be-
köstigung) und leisteten das Doppelte der Einge-
87*
580
borenen (was aber, wie erwähnt, nicht der Fall ist),
so würde das die Kosten pro verpochte Tonne Erz
um ca. 10 sh. 1 d. erhöhen; das hätte zur Folge,
dass 50% der Minen nichts verdienen würden, und
der Rest die Dividenden um 44% einschränken
müsste. Im Jahre 1899 waren auf den Transvaaler
Gold- und Kohlenminen etwa 100.000 Eingeborene
beschäftigt, Ende November letzten Jahres aber nur
48.000, so dass, um dieselben Verhältnisse wie vor
dem Kriege herbeizuführen, weitere 52.000 Einge-
borene eingestellt werben müssten.
Das Haupt dieser Minenraubritter ist der Jude
Beit Am 10. Januar 1903 brachte die „N. Fr. Presse"
diese Notiz: (Ein bewegter Tag in London.) Der
Londoner Minenmarkt war heute heftig bewegt und
wurde durch starke Verkäufe gedrückt, welche aus
Johannesburg ihren Ursprung nahmen. Als Grund
der Verkäufe wurden Gerüchte über die Ermordung
Chamberlain's angeführt, welche jedoch sofort als
vollständig unbegründet erklärt wurden. Dagegen
haben sich die Meldungen über eine schwere Er-
krankung Alfred Beit's als richtig erwiesen. Es wurde
anfangs gemeldet, dass Alfred Beit in Süd-Afrika
einen Schlaganfall erlitten habe und im Sterben liege.
In einer Erklärung der Firma Wernher Beit & Comp.,
deren Chef Alfred Beit ist, wurde zwar diese Meldung
nicht bestätigt, jedoch zugegeben, dass Beit in Afrika
schwerkrank daniederliege. Diese Erkrankung hat den
Ausgangspunkt für die grossen Verkäufe aus Johannes-
burg gebildet. Alfred Beit, der aus Hamburg stammt,
ist im Vereine mit dem verstorbenen Gecil Rhodes
einer der Begründer der grossen Diamanten-Industrie
in Kimberley. Er war auch einer der Ersten, welche
den grossen Goldreich thum des Rand erkannt und
zur Gründung von Minengesellschaften exploitirt
haben. Sein Haus ist die erste Minenfirma in Johannes-
burg und London. Er gehört auch zu den Gründern
der grosseh Randmines-Gruppe. Eine wichtige und
nicht einwandfreie Rolle hat Alfred Beit bei dem
Einfalle Jamenson's ins Transvaal im Jahre 1895
gespielt. HiAÄAr Einfall hat den ersten Anstoss zu
dem w folgten grossen Kriege zwischen
581
England und der Transvaal-Republik gegeben, und
der Einfluss Beit's war damals sehr mächtig. Alfred
Beit wurde auch in der Kommission, welche vorn
englischen Parlament zur Untersuchung dieses Ein-
falles eingesetzt worden war, einvernommen. In der
jüngsten Zeit hatte Beit einen sensationellen Ehren-
beleidigungs-Process mit einem Mitgliede des engli-
schen Parlaments. Der Process wurde aber durch
eine- Ehrenerklärung -des- erwähnten Abgeordneten
gütlich beigelegt. Alfred Beit ist auch einer der reich-
sten Menschen Englands, und sein Vermögen wird
nach vielen Millionen Pfund geschätzt. Seine Er-
krankung ist jedenfalls ein wichtiges Ereigniss für
den Londoner Markt und hat auch heute den Aus-
gangspunkt einer grösseren Bewegung gebildet. —
Aus London wird uns telegraphirt ; Dies war ein
Tag sensationeller Börsengerüchte, die sich nach
fester Eröffnung an die umfangreichen Verkaufsördreä
aus Johannesburg knüpften. Es hiess eine Zeitlang,
Chamberlain sei ermordet, und Zeitungsplakate ver-
breiteten das Gerücht als solches in der Stadt, bevor
es dementirt werden konnte. Ganz .ernst genommein
wurde es nicht, aber es verfehlte nicht, im Minen-
markte besonders zu deprimiren. Dann hiess .es,
Alfred Beit habe in Süd-Afrika einen Schlaganfal!
erlitten und liege im Sterben. Spätere authentische
Erklärungen seiner Firma brachten einige Beruhigung,
aber es wurde bestätigt, dass er schwerkrank danieder:
liege, und auf seine Erkrankung erfolgten jene
Johannesburger Verkäufe. Sein Tod oder selbst seine
Arbeitsunfähigkeit wäre ein wuchtiger Schlag für die
Minen-Industrie, wenn auch wie im Falle von Rhodes
solche Eventualitäten vorgesehen sind.
f) Busslands Finanzlage.
Ende September brachten Börsenblätter folgende
Darstellung der Finanzlage Russlands. Am 1. Januar
1887 übernahm die Staatsfinanzen Minister Wischne-
gradsky, ihm folgte Witte. Mit den Ministern ander-:
ten sich auch die Verhältnisse. Die Pariser Börse
öffnete sich dem Garen, in dem die Franzosen den
Besieger der Türkei und den Beherrscher des Balkans,
682
vor allem aber wohl den Förderer ihrer Revanche-
gedanken sahen, und 1888 wurde in Frankreich die
erste grosse russische Konversionsanleihe im Betrage
von 500 Millionen Francs aufgenommen. Seitdem
entwickelte sich die russische Anleihewirthschaft fol-
gendermassen :
Neu aufgelegt wurden rassische
Staatsanleihen im ganzen
im Jahre 1888 5457 Mill. Fr.
» . 1889 2.159-3 „ „
9 i» !890 947-9 „ „
1 n 1891 871-2 „ „
» „ 1892 202-8 „ „
n » 1893 508-2 „ „
„ „ 1894 bis Ende 1898 7.528-2 „ „
d. h. in 10 Jahren 12.763-4 Mill. Fr.
während 1899 die gesammte russische Staatsschuld
16.494-3 Millionen Francs betrug. Durchschnittlich
wurden jedes Jahr 1*27 Milliarden Francs neue Schul-
den aufgenommen. Gegenwärtig zahlt die russische
Regierung an Zinsen für all ihre Anleihen 742 ya
Mill. Francs jährlich, d. b. fast ein Drittel des ge-
sammten Staatsbudgets. Die immensen Anleihen hatten
zuerst die Wirkung, dass der russische Rubel im
Kurse zu steigen begann und seit 1896 sich auf dem
Niveau von 2-16 Mark hielt. Das wirkte wiederum
günstig auf die Hebung des Kredits der Regierung
in Russland selbst, derart, dass sie 1894 zur Kon-
version ihrer inneren Anleihen schreiten konnte. Bis
dahin cirkulirten ausschliesslich Schuldscheine und
nur wenig Silber, jetzt wurde die sogenannte Gold-
währung eingeführt und trotz aller Skepsis eine
völlige Golddeckung erreicht. Wie war dies möglich?
Vor allem dadurch, dass das angekaufte und geliehene
ausländische Gold in die landläufige Münze umgeprägt,
der gesammte Vorrath im nominellen Werthe erhöht
wurde, und zwar so, dass man zwei Halbimperiale
als drei, d. h. 66V3 Kopeken als einen Rubel cirku-
liren Hess. Die Erhöhung des nominellen Werthes
der Goldmünze ermöglichte, die Kreditbillete, die
auch ohnedem im Ueberfluss vorhanden waren, aus-
zutilgen. Gegen Ende 1897 waren im Schatzamte und
583
in der Reichsbank 3550 >/a Millionen in Gold vor-
handen, während Kreditbillete nur im Betrage von
5211 Millionen Francs cirkulirten. Die Lage schien
äusserst solid zu sein. In Deutschland, Frankreich,
sogar in England, ist das Verhältniss zwischen dem
Goldvorrath und den cirkulirenden Kreditbilleten
weniger günstig. Allein mit der Einführung der Gold-
valuta begann sofort das Gold aus der Reichsbank
zu verschwinden. Seit 1897 wurden für 906-3 Mill.
Francs Kreditbillete vernichtet, während das Gold
im Betrage von 1620 Millionen aus der Reichsbank
abfloss. Der Goldvorrath betrug insgesammt gegen
den 16. Januar 1901 um 459 Millionen Francs we-
niger als im Herbst 1892, während der fürchterlich-
sten Hungersnoth. Inzwischen fliesst das Gold in
Massen nach dem Auslande, so dass sogar Finanz-
minister Witte in seinem letzten Immediatberichte,
in dem für 1901, es „als eine ungünstige Thatsache
erklärt, die die ernsteste Aufmerksamkeit verdient".
Zwar erklärt der Finanzminister diese unliebsame
Erscheinung durch die allgemeinen Bedingungen des
gegenwärtigen Goldmarktes, allein er übersieht ge-
flissentlich und verschweigt dabei eine für die Finanz-
lage Russlands äusserst charakteristische Thatsache.
Während nämlich in anderen Staaten der Zunahme
des cirkulirenden Goldes eine verhältnissmässige Zu-
nahme der cirkulirenden Banknoten entspricht, was
selbstverständlich sein sollte, wenn der allgemeine
Geldbedarf zunimmt, findet in Russland das Gegen-
theil statt — das Gold verschwindet, während die
Kreditpapiere in die Reichsbank zurückkehren. Ob-
wohl die Zahl der Kreditpapiere gegen früher ver-
mindert wurde, häufen sie sich in der Reichsbank
mehr als je an.
Das Ziel der Geldreform war — die Girkulation
der Kreditbillete nach dem festgestellten Kurse zu
sichern; es ergibt sich indess, dass die Auswechs-
lung in Gold überhaupt die Kreditpapiere aus der
Girkulation verdrängt. Die Bank freilich sucht äie
Papiere wieder in Umlauf zu bringen, sie kehfen
aber in Gold ausgewechselt zurück — im Verkehr
nimmt die Quantität des Goldes zu, in der Bank aber
584
ab. Die Regierung rechnete darauf, dass in Russland
wie auch in anderen Ländern ein bestimmtes Ver-
hältniss zwischen der Goldquantität und der der
Kreditpapiere in der Girkulation sich einstellen würde
und dass ein Goldvorrath nur dazu dienen würde,
um die zeitweisen Abweichungen von der Norm zu
begleichen. In Russland aber findet thaisächlich der
entgegengesetzte Effekt statt Wird dieser Process
nicht aufgehalten, muss das Gold aus der Bank voll-
ständig verschwinden. Die Aufnahme von neuen
Schulden, die Russland in ungeheure Verpflichtungen
stürzte, wurde vorläufig in keiner Weise durch die
Erzeugung oder Entdeckung neuer Einnahmequellen
kompensirt. Die russische Industrie kann nur durch
Staatsunterstützung über Wasser gehalten werden.
Der unübertreffliche Spürsinn des russischen Fiskus,
der jede Produktivthätigkeit, die sich im Lande kaum
regt, auszunutzen sucht und so die Tabak-, Zucker-
und Petroleumindustrie in steigendem Tempo mit
Steuern belegt, ist bei weitem nicht imstande, die
versiegenden Steuerquellen durch andere zu ersetzen,
ganz abgesehen davon, dass mit der fortschreitenden
Verelendung des Bauernthums gerade die am meisten
ausgenutzten Einnahmequellen versagen, wie das
Branntweinmonopol u. s. w. Obwohl z. B. die Produk-
tion an Branntwein gegen den 1. Dezember 1900
nur um 1 Million Eimer höher war als im voran-
gehenden Jahre, betrugen die Spiritusvorräthe doch
um 7 Millionen Eimer mehr, da der Branntwein-
verkauf wegen der chronischen Hungersnöthe immer
mehr in Stockung geräth. Dabei ist aber das Brannt-
weinmonopol auch jetzt noch die wichtigste Ein-
nahmequelle des Staates. Die Eisenbahnwirthschaft,
auf die man in Russland so viel Hoffnungen, setzte,
bildet vorläufig nicht nur keinen Ersatz, benöthigt
vielmehr selbst noch bedeutende Zuschüsse. Dem-
gemäss erscheint die Frage nach neuen Anleihen
immer brennender und brennender. Ohne solche ist
das Schatzamt gezwungen, das wenig vorräthige Gold
aus der Hand zu geben, statt immer mehr auf die
Füllung der Reichskassen bedacht sein zu können.
Ferner erher ' "" ^nehmenden Verpflichtungen
585
den anderen Staaten gegenüber neue Aufnahmen.
Jahrein, jahraus bleiben ferner die aufgestellten Be-
stimmungen des regelmässigen Budgets unerfüllt, die
umsomehr gedeckt werden müssen, da sie sich von
vornherein auf die primitivsten Bedürfnisse des
Staates beschränken.
Von dem Erfolge der Anleiheversuche hängt auch
die Zukunft des sibirischen Eisenbahnbaues ab. Zur
Zeit gibt es für die Weiterführung dieser Bahn über-?
haupt kein Geld mehr. Statt der 189 Millionen, die
zu diesem Zwecke im vorigen Jahre bestimmt waren,
konnten trotz der steigenden Anforderungen nur 27
Millionen ausgeworfen werden. Im letzten Immediat-
berichte berechnete ferner Finanzminister Witte die
Kriegskosten, die durch die Ereignisse in China bereits
hervorgerufen waren, mit 167*4 Millionen, für die
sonst auch keine Deckung absehbar ist. Endlich for-
dern ausserordentliche, mit den vorhandenen Staats-
mitteln nicht zu bestreitende Ausgaben die schreck-
lichen Hungersnöthe, die in 17 Gouvernements aus-
gebrochen sind und die nach der officiellen Erklärung
der Regierung das schreckliche Jahr 1891—92 noch
zu übertreffen drohen. Diese officiellen Erklärungen
fallen zusammen mit dem Garenbesuche in Frank-
reich! Das Reichsbudget für 1902 weist folgende
Zahlen auf: An Einnahmen sind bei den ordentlichen
1.800,784.482 Rbl ,bei den ausserordentlichen 1,800.000
Rbl. angesetzt. Aus den freien Baarmitteln. der Reichs-
rente betragen die Einnahmen 143,587.494 Rbl. Die
Gesammtsumme der Einnahmen ist auf 1.946,571.976
Rbl. veranschlagt. Bei den Staatsausgaben betragen
die ordentlichen 1.775,913.481 Rbl. und die ausser-
ordentlichen 170,658.495 Rbl., zusammen 1.946,571.976
Rbl. Bei den ordentlichen Ausgaben entfallen auf
Zahlung für Anleihen 286,459.713 Rbl., auf den Etat
der obersten Reichsbehörden 3,080.667 Rbl., den hei-
ligen Synod 27,954.151 Rubel, das Hofministerium
16,715.243 Rbl., das Auswärtige Amt 5,867 350 Rbl.,
das Kriegsministerium 322,638.537 Rbl., das Marine-
ministerium 98,318.984 Rbl., das Finanzministerium
335,198.430 Rbl., auf Landwirtschaft und Domänen
43,242.831 Rbl., Inneres 93,387.205 Rbl., Unterricht
586
36,624.312 Rbl., Verkehr 435,547.758 Rbl., Justiz
47,392.498 Rbl., Reichskontrole 7,638.860 Rbl. An Ein-
nahmen erwartet man: Direkte Steuern 130,493.826
Rbl., indirekte Steuern 387,127.600 Rbl., Gebühren
91,999.061 Rbl., Staatsregalien 521,724.000 Rbl., Staats-
besitzthum an Kapitalien 508,414.998 Rbl., Ablösungs-
zahlungen 86,431.000 Rbl., Ersatz von Ausgaben der
Reichsrentei 67,529.847 Rbl. und Diverses 6,296.158
Rbl. Der Ueberschuss der ordentlichen Einnahmen
über die ordentlichen Ausgaben beträgt 24,871.001 Rbl.
Der russische Staatshaushalt für 1903 lautet:
Staatseinnahmen :
ordentliche 1.897,032.678 Rbl.
ausserordentliche . 2,500.000 „
1.899,532.678 Rbl.
Aus dem Barbestande der Reichs-
rentei . . 172,134.794 „
2.071,667.472 Rbl.
Staatsausgaben :
ordentliche 1.880,405.229 Rbl.
ausserordentliche . 191,262.243 „
2.071,667.472 Rbl.
Die Einnahmen werden in folgender Weise ver-
anschlagt : Direkte Steuern 132,051.949, indirekte
Steuern 405,994.300, Gebühren 98,169.223, Staatsrega-
lien 562,284.800, Staatsbesitzthum und Kapitalien
523,406.347, Veräusserung von Staatsbesitzthum
531.953, Ablösungszahlungen 89,162.600, Ersatz von
Ausgaben der Reichsrentei 79,085.049, Diverse 6,346.457
Rubel. Von den ordentlichen Ausgaben entfallen auf
Zahlungen für die Staatsschuld 290,966.336, auf die
obersten Behörden 3,210.449, auf das Budget des
heiligen Synods 28,388.049, des Hofministeriums
15,808.652, des Ministeriums des Auswärtigen 5,742.048,
des Krieges 329,923.806, der Marine 115,631.241, der
Finanzen 369,410 068, der Landwirtschaft und Do-
mänen 49,085.335, des Innern 99,717.098, des Unter-
richts 39,214.985, des Verkehrs 458,469.935, der Justiz
49,384 341, auf die Reichskontrole 8,382.592, das Ge-
stütwesen 2,070.294 und im Falle von Preissteige-
rungen r~ " — -nt und Fourage 3,000.000 Rubel.
587
Die in den Voranschlägen nicht vorhergesehenen Aus-
gaben für besondere, im Laufe des Jahres auftretende
Bedürfnisse belaufen sich auf 12,000.000 Rubel. Die
ausserordentlichen Einnahmen weisen folgende Ziffern
auf : Ewige Einlage bei der Reichsbank 2,500.000, aus
freiem Barbestande der Reichsrentei 172,134.794,
ausserordentliche Ausgaben zur Einlösung der 472%
Obligationen der Moskau-Jaroslawbahn 2,458.300, Bau
der Sibirischen Bahn 20,921.023, für Hilfsunterneh-
mungen der Sibirischen Bahn 3,418.340, für den Bau
anderer Bahnen 145,194.580, für Darlehen an Privat-
gesellschaften zum Eisenbahnbau 9,270.000, zur Ent-
schädigung von Privatpersonen und Institutionen für
die Aufhebung der Branntweinbrenh-Gerechtigkeit
10,000.000 Rubel. Die Totalsummen der Einnahmen
und der Ausgaben balanciren mit 2.071,667.472 Rubeln.
Nach Raffallowich beträgt das Nominalkapital der
russischen Werthpapiere 32.046 Millionen Francs.
Fremdes Kapital ist ohne die Bahnen zu rechnen in
Russland für 2075 Millionen Rubel investirt, davon
sind 834 Millionen Rubel aus Belgien, 692 Frank-
reich, 261 England, 235 Deutschland, 18 Holland und
je 11 Millionen Rubel aus Oest erreich und Nord-
amerika.
Alfred Neymarck konstatirt, dass die blos in Paris
von 1884—1898 zur Abstempelung gebrachten russi-
schen Papiere einen Kapitalswerth von Nominale Frcs.
5.821,981.009 ergaben und berechnet weiters, dass
von jenen 20 bis 25 Milliarden Francs ausländischer
Effekten, welche in Frankreich sichere Unterkunft
gefunden haben, mindestens 30% russische Titrcs
sind, der Antheil derselben an dem Gesammtbestand
des Effektenbesitzes Frankreichs per 80 bis 85 Milli-
arden Franks aber 10% ausmacht.
Die Staatsschuld Russlands bezifferte sich Ende
1902 auf 6.473,754.151 Rubel. Die Zinsen pro 1902
betrugen 258,816.418 Rubel. Finanz minister Witte
besorgt die russischen Staatsanleihen ausschliesslich
bei Finanzjuden. „Berliner Tageblatt" brachte Ende
November 1901 folgende Notiz: (Ein Geschenk des
Garen für Herrn Arthur Fischöl), den in Finanzkrei-
sen bekannten Prokuristen des Bankhauses Mendels-
588
söhn u. Co. in Berlin, wird, wie man dem „Berl.
Loc.-Anz.u aus Petersburg telegraphirt, abgesandt.
Dasselbe besteht aus einem Kunstwerke aus Edelge-
stein vom Ural, welches als Zeichen kaiserlichen
Wohlwollens für Herrn Fischel auf einen Bericht des
Finanzministers v. Witte überreicht werden wird.
Bekanntlich ist das Bankhaus Mendelssohn u. Co.
der Berliner Banquier der russischen.Regierung« Herr
Fischel war, bevor er nach Berlin übersiedelte, Direk-
torstellvertreter der Oesterreichischen Kreditanstalt.
Im Jahrgang 1902 der Preussischen Jahrbücher
wird das „Finanzsystem Witte" in einem Artikel von
Paul Rohrbach einer sehr scharfen Kritik unterzogen,
die sich zum Theil auf Arbeiten des erst jüngst wieder
von uns genannten russischen Nationalökonomen Scha-
rapar und auf solche des ebenfalls in der russischen
Nationalökonomie bekannten Butau stützt. Die Aus-
führungen in den Preussischen Jahrbüchern gipfeln
in dem Satze, dass es „diesem Finanzminister gegen-
über unter dem Gesichtspunkte der. deutschen Inter-
essen keine andere Parole mehr geben darf als keinen
Pfennig weiter". Zur Begründung dieses Standpunktes
wird unter anderem Folgendes ausgeführt : Wenn
Herr Witte in seinen Berichten an den Garen das
Gedeihen des Landes aus dem grossen Anwachsen
der Staatseinkünfte beweisen will, so sei darauf zu
erwidern, dass sich ein wesentlich anderes Bild
ergiebt, wenn der Ertrag des immer weiter ausge-
dehnten Staatsbahnnetzes, die Einnahmen aus dem
Alkohol und die Forst-, Zoll- und Münzeinkünfte, die
für die Leistungsfähigkeit des Landes keinen Maßstab
bilden, in die Staatseinnahmen nicht mit eingerechnet
werden. Schaltet man diese Summen aus dem Betrage
der Staatseinnahmen aus, so ergeben sich die Ziffern,
auf Grund deren man in der Lage ist, annähernd
über Zu- und Abnahme der wirtschaftlichen Kräfte
des Volkes zu urtheilen : 4161/, Millionen Rubel für
1899 und 635 ■/, Millionen Rubel für 1902. Bringt
man hierzu die Vermehrung der Bevölkerung von
1889 — 1902 in Anschlag (in Russland erfahrungsge-
mäss 1 V* pGL jährlich), so ergibt sich, dass auf den
Kopf der n- "" ~*% Gesammtrusslands an Leistung
589
entfielen im Jahre 1889 3 Rubel 61 Kop., 1902 : 4 Ru-
bel 60 Kop., was einen Unterschied von 99 Kopj
oder 22*8 pCt. zu Gunsten des Jahres 1902 mächt
Wollte man aber aus diesem Mehr auf ein Wachsthum
des Volkswohlstandes um 22*8 pCt. schliessen, so
würde sich dieser Schluss als fehlerhaft erweisen,
sobald wir berücksichtigen, dass es nicht durch eine
entsprechende Vermehrung des Konsums der besteuer-
ten Gegenstände entstanden ist, wie der Bericht des
Finanzministers behauptet, sondern dass eine Erhö-
hung der Besteuerung in sehr viel höherem Masse als
um jene 22*8 pCt. stattgefunden hat. Die Akcise auf
Zucker ist um 106 pCt., die auf Streichhölzchen
um 100 pCt., die auf Erzeugnisse der Naphtha-
produktion um 50 pCt. gestiegen; ebenso sind auch
die Tabaksteuer, die Stempelsteuer, die Gewerbesteuer,
die Steuer auf Handelspatente gestiegen. Herr Witte
habe als Beweis für die Hebung des Konsums unter
anderem den Verbrauch an Baumwolle angeführt. In
den von Herrn Witte angegebenen Ziffern sei der
Fehler begangen, dass erstens der Werth der Roh-
baumwolle, zweitens der der daraus hergestellten
Gespinnste und drittens der der fertigen Stoffe —
anstatt zu berücksichtigen, dass jede vorhergehende
Ziffer ihrem vollen Betrage nach in der nächstfolgen-
den steckt — einfach addirt und das Resultat dann
als den Gesammtwerth der rassischen Baumwoll-
textilindustrie dargestellt worden ist.
Am dunkelsten werde die Sache vollends da, wo
im Vorwort zu einer späteren Publikation des Finanz-
ministers: „Zusammenstellung von Daten über die
russische Fabrikindustrie für das Jahr 1897 a der im
Jahr vorher gemachte Fehler zwar eingestanden,
darauf aber »das Streben der Fabrikanten, den wah-
ren Umfang ihrer Produkte zu verheimlichen", als
ausreichende Kompensation des untergelaufenen Ver-
sehens in der Berechnung hingestellt wird. In der an
den Kaiser adressirten Denkschrift zum Budget für
1900 erscheint denn auch wieder die auf Grund jener
originellen Berechnungsmethode gefundene kolossale
Summe für den Werth aller Produkte der russischen
Textilindustrie. Auch die von Herrn Witte gemachten
690
Angaben über die Staatsbahnen werden bemängelt.
Während Herr Witte in dem Bericht über 1900 einen
„geringen Reingewinn* herausrechne, ergebe sich ein
Deficit ron 31-6 Millionen Rubel. Ferner wird darauf
hingewiesen, dass die „Reichskontrole" die Aasgaben
für „Verbesserung und Verstärkung" der Eisenbahnen
zu den Betriebsausgaben rechnet, während der Finanz-
minister sie als Kapitalsanlage aufführt Die Verzin-
sung des in den Eisenbahnen angelegten Kapitals
betrage 2*4 pCt. ; obgleich es Russland bekanntlich
noch nicht gelungen ist, zu einem solchen Zinsfuss
Eisenbahnanleihen abzuschliessen, behaupte der Mini-
ster, dass sich die Zinszahlung und Kapitalstilgung
der Eisenbahnschuld aus den Betriebsüberschüssen
bezahlt machen. Unzutreffend seien auch die Angaben
Witte'süber die Verschuldung Russlands. Der Bericht
des Finanzministers für 1902 beziffere den Zuwachs
der Verschuldung Russlands während des letzten
Jahrzehnts auf rund 1750 Millionen Rubel und stelle
ihr den Zuwachs des Werthes der Staatsbahnen mit
2600 Millionen gegenüber. Um „die reine Verschul-
dung" am Anfang und am Ende des abgelaufenen
Jahrzehnts vergleichsweise zu bestimmen, summirt
der Finanzminister den Betrag der Staatsanleihen
und der übrigen Verpflichtungen der Staatskasse ; auf
der anderen Seite fügt er dem angenommenen Werthe
der Staatsbahnen als Aktiva die sicheren Schulden
der Eisenbahngesellschaften an den Staat und andere
Forderungen der Staatskasse hinzu; die Subtraktion
der letzteren Summe von der ersteren ergiebt dann
die „reine Verschuldung". Auf diese Weise rechriet
Herr Witte am letzten Ende eine sehr erhebliche
Verringerung dieser „reinen Verschuldung" Russlands
vom 1. Januar 1892 bis dahin 1902 heraus, unter
ganz besonderer Betonung der angeblichen Thatsache,
dass der Haupteffekt dieser „reinen" Verschuldungs-
abnahme die Verringerung der von der Bevölkerung
aufzubringenden Zinsenlast sei. Die Hauptgrundlage
für diesen ganzen Berechnungsmodus, nämlich die
angebliche Deckung der von der Eisenbahnschuld
herrührenden Zinsenlast durch sich selbst, existirt aber
in Wirklichke'* ~~~ ~5^htf vielmehr werden durch den
591
faktischen Reinüberschuss des Staatsbahnbetriebes
von der Last der Eisenbahnanleihen höchstens 60 pCt.
verzinst und amortisirt. Der Minister habe in seiner
Aufstellung auch übersehen, dass zu den Schulden
des Staates die circa 700 Millionen Rubel betragenden
Einlagen Privater in die vom Staate eingerichteten
Sparkassen gehören. Faktisch aber seien diese Spar-
kasseneinlagen nichts anderes als eine von derRegie^
rung kontrahirte und regelrecht zu verzinsende innere
Anleihe. Ebenso versäume es Herr Witte, ausser den
formellen Staatsanleihen auch die Summe derjenigen
Schulden, die der Staat garantirt, oder für die er
sonst die Verantwortung übernommen hat, aufzufüh-
ren. Die Arbeit in den Preussischen Jahrbüchern tfasst
ihr Urtheil dahin zusammen, dass steigende Zinsen-
last, steigender Steuerdruck und sinkende Tragkraft
der Schultern des Volkes nach seiner grossen Masse
das Resultat des Systems Witte für Russland bilden.
Auf der anderen Seite stehen die Vergrösserung des
Eisenbahnnetzes, namentlich die Erbauung der asia-
tischen grossen Schienenwege, die Vergrösserung der
Seemacht und noch anderes dieser Art Es frage sich
aber, ob der unter der Herrschaft des gegenwärtigen
Systems reissend fortschreitende ökonomische Verfall
es dazu kommen lassen wird, dass Russland die
Früchte dieser Leistungen des Witte'schen Regimes
je erntet. In einem Schlussartikel will der Verfasser
in den Preussischen Jahrbüchern versuchen, den Ur-
sachen der Misserfolge des Systems Witte in Russ-
land auf den Grund zu gehen und zu zeigen, dass
es sich dabei nicht um irgend welche Zufälligkeiten,
sondern um ganz principielle und fundamentale
Fragen sowohl volkswirtschaftlicher als auch na-
mentlich moralischer Natur handelt. Diese weiteren
Ausführungen werden abzuwarten sein, ehe sich ein
abschliessendes Urtheil über Berechtigung der Ver-
urteilung des Witte'sehen Systems abgeben lassen
wird. So viel lässt sich aber schon heute sagen, dass
Herr Witte diese Ausführungen kaum wird ignoriren
dürfen.
Rohrbach, der sich vielfach auf das Werk von
Lochtin über den Zustand der russischen Landwirte
592
schaft im Vergleich mit anderen Ländern beruft, will
nachweisen, dass in den äussern Existenzbedingungen
für die Landwirtschaft merkliche Unterschiede zu
Ungunsten Russlands gegenüber anderen Ländern
nicht existiren. Trotzdem macht der Ertrag der Ernte
im europäischen Russland pro Desjatine im Mittel
38*8 Pud aus, während das Mittel der übrigen Länder
83*7 Pud beträgt. Hierzu bemerkt Lochtin: „Es gibt
also kein Land auf der Welt, in welchem der Ernte-
ertrag von der Flächeneinheit geringer wäre als in
Russland, oder mit anderen Worten, in dem der
Ackerbau schlechter betrieben würde als in Russland. tt
In Russland macht ferner bei dem dort herrschenden
Wirthschaftssystem die jeweilige Brache 30% des
Ackerlandes aus, während in der grossen Mehrzahl
der anderen Länder das primitive Landwirthschafts-
system mit Brache,- zumal einer so umfangreichen
Brache, längst verlassen ist und einer rationellen»
möglichst weitgehenden gleichzeitigen Ausnutzung der
gesammten anbaufähigen Bodenfläche Platz gemacht
hat. Dadurch sinkt der faktische Mittelertrag von der
Desjatine in Russland sogar auf nur 29'8 Pud. Welches
sind nun im Einzelnen die Faktoren der Minder-
werthigkeit russischer landwirtschaftlicher Kultur?
Darauf wird im Wesentlichen die folgende Antwort
ertheilt : Zunächst die Erschöpfung des Bodens durch
den fortgesetzten Getreidebau bei mangelhafter oder
überhaupt nicht geübter Dingung. Dieser Mangel hängt
seinerseits wiederum zusammen mit dem minimalen
Viehbestände Russlands. Der zweite und in Verbindung
mit der Erschöpfung des Bodens doppelt vernichtend
wirkende Faktor ist die Minderwertigkeit aller tech-
nischen Hilfsmittel des russischen Bauers, namentlich
der Mangel an Eisen. Bei dieser schlechthin trost-
losen Lage der russischen Landwirtschaft beruhe nun
das ganze gegenwärtige russische Finanz- und Wirth-
schaftssystem auf der Aufrechterhaltung der Zahlungs-
bilanz vermittelst der Getreideausfuhr. Russland pro-
ducirt auf den Kopf weniger Getreide als beispielsweise
Deutschland; Deutschland aber bedarf bei seinem
Ertrag von 24*2 Pud auf den Kopf noch einer erheb-
lichen Einfuhr (unsere Getreideernte repräsentirt im
593
Durchschnitt nicht mehr als fünf Sechstel des KonT
sums), während Russland von seinen 22-4 Pud noch
eine sehr grosse Ausfuhr bestreitet. Wollte also der
Russe ebenso viel Brod essen wie der Deutsche, so
dürfte aus Russland nicht nur kein Korn Getreide
ausgeführt werden, sondern man müsste im Durch-
schnitt noch ein Quantum, das etwa einem Zehntel
der russischen Ernte gleich käme, jährlich dorthin
importiren. Man kann also die Thatsa<5he als fest-
stehend betrachten, dass Russland von Rechts wegen
zum mindesten keinen Getreideexport haben dürfte,
selbst wenn es mit der Ernährung seiner Bevölkerung
noch unterhalb der Norm der mindest konsumirenden
Länder Europas bleiben wollte. Soll diese Norm er-
reicht werden, so bedürfte es von Rechts wegen des
Getreideimports. Dem gegenüber wurden thatsächlioh
aus Russland von 1885—1900 rund 7 Milliarden Pud
im Werthe von 6 Milliarden Rubel exportirt. Diese
ungeheuere Getreidemenge hat ein Volk hergeben
müssen, das, wenn es sie selber zu seiner Nahrung
behalten hätte, damit noch nicht einmal so viel Brod,
hätte essen dürfen wie der Deutsche oder Franzose-
Ein Blick auf die Sterblichkeitsziffern Russlands zeigt
denn auch unwiderleglich die Folgen der bestehenden
Zustände. Die Sterblichkeit Russlands wird unter allen
Ländern, über die eine Statistik existirt* nur von der
centralamerikanischen Republik Honduras, von den
Fidschi-Inseln und von der weissen Bevölkerung im.
niederländischen Indien übertroffen. Die jährliche
Sterblichkeitsziffer auf das Tausend der Bevölkerung
ist z. B. in Preussen (1873—1886) 25-7, in Holland
22*6, in Frankreich 22*4, in Oesterreich 30'9, während
sie im europäischen Russland beträgt: in 7 Gouver-
nements unter 25, in 10 25—30, in 12 30—35, in 11
30—40, in 10 40—47. Die mittlere russische Sterbe-
ziffer ist 34*8. Angesichts des ganzen bisher beige-
brachten Ziffernmaterials könnte es nur noch die
absichtliche Verblendung wahr haben wollen, dass
der russische Getreideexport sich noch längere Zeit
auf ähnlicher Höhe wird halten können wie heute.
Mit seinem Sturz werde aber auch die russische
Zahlungsbilanz, die schon jetzt erschüttert ist, un-
88
594
rettbar vernichtet. Damit wäre das von Herrn r. Witte
aufgebaute Währungssystem zerstört. Demi wenn Russ-
land kein Getreide mehr exportirt, so hat es nichts
weiter, um seinen Verpflichtungen gegenüber dem
Auslande gerecht zu werden, und muss sein Gold
in Zahlung geben. Damit aber werde aus der Wirth-
schaftskrisis die wirthschafÜiche Katastrophe.
Von einem Export an Industrieprodukten kann —
nach der Darlegung in den Pr. Jahrb. — auf abseh-
bare Zukunft hinaus in gar keiner Weise die Rede
sein. Die russische Industrie ist also, um zur Blüthe
zu gelangen, so gut wie ausschliesslich auf den
inneren Markt angewiesen. Dieser innere Markt
wird im Wesentlichen durch die breite Masse der
bäuerlichen Bevölkerung gebildet. Es gibt zwar ge-
wisse Absatzmärkte in Russisch-Turkestan und im
Kaukasus, wo ganz oder theilweise bessere (wenn
auch gleichfalls noch sehr unetwickelte) Zustände
herrschen als im eigentlichen russischen Gentrum,
aber von dem Zuschuss, den jene Grenzgebiete leisten,
kann die russische Industrie nicht leben. Auf die
Desjatine resp. den annähernd gleich grossen Hektar
berechnet, betragen die Staatssteuern in Russland 237.
in Bayern 282 Pf. In Bayern werden aber pro Hektar
im Durchschnitt 1290 Kg. Roggen geerntet, in Russ-
land höchstens 500, Von 100 kg Ernteertrag hat also
der bayerische Bauer 22 Pf. Steuern zu bezahlen, der
russische aber 47, also mehr als das Doppelte, wobei
man noch berücksichtigen muss, dass der Russe für
sein Getreide einen sehr viel geringeren Preis be-
kommt als der Bayer. Es liegt also in dem faktischen
Druck der Steuern ein Unterschied vor, der gut auf
das Dreifache zu Ungunsten des russischen Bauers
mit seinen ohnehin fast bis zur Tragunfähigkeit be-
lasteten Schultern zu veranschlagen ist. Von der
ganzen Bauernbesteuerung im Betrage von 125 bis
130 Millionen Rubel jährlich hat die russische In-
dustrie wenigstens direkt gar nichts; dieses Geld muss
der Bauer vorweg aufbringen und der Staatskasse
überliefern, bevor er daran denken kann, irgend
welche industriellen Erzeugnisse für sich selbst zu
kaufen. ^ " "rtie Konsument hat für Baumwoll-
595
waaren und Zucker das Zweieinhalbfache, für Eisen
das Viereinhalbfache, für Steinkohle das Sechsfache
zu zahlen wie der deutsche. Die Gesammtsumme der
bäuerlichen Steuerrückstände hat sich unter diesen
Umständen von 1892 bis 1901 um 78'5% vergrössert.
Ebenso ist die Summe der ländlichen Verschuldung
von 1892 bis 1901 um 66*1% gestiegen. Die wirt-
schaftliche Gesammtlage Russlands stellte sich also
folgendermaassen dar: 1. Die Zahlungsbilanz des
Landes befindet sich in absoluter Abhängigkeit von
der Getreideausfuhr. Eine solche Ausfuhr dürfte aber
in Russland von Rechts wegen überhaupt nicht exi-
stiren, weil der Gesammtertrag der Ernte kaum zur
Deckung des normalerweise zu veranschlagenden in-
neren Bedarfes hinreicht. Trotzdem werden Jahr für
Jahr, wenn auch unter steigenden Schwierigkeiten
und unter Anwendung der äussersten Mittel, grosse
Getreidemassen exportirt. Auf die Dauer dieses System,
das einen sehr grossen Theil der Bevölkerung zu fort-
gesetzter Unterernährung, ja zum Hunger zwingt, auf-
recht zu erhalten, ist unmöglich. Die Anzeichen, dass
die Grenze des Erträglichen bereits überschritten wird,
beginnen sich zu häufen : verwüstende Krankheiten,
abnorme Sterblichkeit, Bauernrevolten. 2. Der Ge-
danke, eine russische Industrie zur Blüthe zu ent-
wickeln, ist in dem Umfange, wie das vom System
Witte angestrebt worden ist, verfehlt. Die Produktions-
bedingungen sind wesentlich wegen der minderen
Qualität des Menschenmaterials, zum geringeren Theil
auch aus äusseren Gründen, in Russland derart un-
günstige, dass nur durch einen sehr hohen und
dauernd aufrecht zu erhaltenden Schutzzoll die Kon-
kurrenz der ausländischen Industrie von dem inner-
russischen Markte ferngehalten werden kann. Dieser
innerrussische Markt repräsentirt bereits an sich durch
den chronischen Nothstand bei dem grossen und
wichtigsten Theil der konsumirenden Bevölkerung,
einen Nothstand, der aus dem ungenügenden Quantum
geernteten Getreides, aus dem Ausfuhrzwang und dem
Steuerdruck hervorgeht, eine sehr wenig aufnahme-
fähige Grösse. Im Verein mit der unverhältnissmäs-
sigen, durch die schlechten Produktionsbedingungen
38*
596
und den abnormen Zollschutz hervorgerufenen Theue-
rung der Industrieprodukte, ferner auch mit der
ausserordentlich schwachen, absoluten Kaufkraft des
russischen Getreides steigert sich diese Ungunst für
die Entwickelungsbedingungen der russischen Industrie
noch um ein Bedeutendes. Die Erisis, die über das
russische Wirtschaftsleben hereingebrochen ist und
nun schon seit mehreren Jahren auf ihm lastet, ist
der thatsächliche Ausdruck dieser Verhältnisse. 3. Die
Einführung der Goldwährung war unter diesen Um-
ständen von vornherein ein im höchsten Grade ge-
wagtes Experiment, und es scheint, dass sie sich be-
reits jetzt als für Russland verhängnissvoll erweist
Soll die Goldwährung aufrecht erhalten bleiben, so
darf unter keinen Umständen die russische Zahlungs-
bilanz sich dauernd zu einer passiven gestalten, weil
sonst die Notwendigkeit eintritt, den Metallvorrath
zur Deckung der Verpflichtungen an das Ausland
heranzuziehen. Die ganze russische Anleihewirth-
schaft, inclusive der immensen Eisenbahnanleihen,
hätte nichts Bedenkliches, wenn eine sichere Aus-
sicht auf Hebung des russischen Experts im grossen
Masstabe bestände. Wenn Russland darauf rechnen
dürfte, im Laufe absehbarer Zeit seinen Export so
weit zu entwickeln, dass es durch seinen Werth die
jährlichen laufenden Verbindlichkeiten dem Auslande
gegenüber zu decken in der Lage ist, dann hätte die
russische Regierung ohne Zweifel das Recht, für die
Gegenwart Verpflichtungen zu häufen und von der
Bevölkerung, wenn es nicht anders geht, eine ausser-
ordentliche, ja rücksichtslose Anspannung der Kräfte
zu verlangen. Diese Aussicht auf Steigerung des Ex-
ports besteht aber nicht, Russland kann nach Lage
der Dinge in nennenswerthem Maasse nichts anderes
exportiren als in erster Linie Getreide und andere
Produkte der Landwirthschaft. Für seinen Getreide-
export ist es auf ein im Verhältniss zu der Grösse
des gesammten Reiches nicht sehr grosses Gebiet,
den sogenannten Schwarzerderayon oder das gross-
russische Centrum, beschränkt, da die übrigen Theile
des Reiches, der Norden, Westen und Nordwesten,
dazu demnächst auch noch Tiirkestan, ein Getreide-
o97
defizit haben und der Einfuhr bedürfen resp. noch
weniger als das Centrum fähig sind, zur Ausfuhr
etwas herzugeben. Die russische Getreideproduktion
zeigt aber im Verhältniss zu der der Volksvermehrung
während des letzten Menschenalters einen merklichen
Rückgang. Dieser Rückgang ist verschuldet durch die
Ausraubung des Bodens infolge irrationeller Wirth*
Schaftsführung ; er ist bisher in seiner Erscheinung
grossentheils dadurch kompensirt worden, dass in-
folge der Ausdehnung des Eisenbahnnetzes immer
neue Gebiete des Ostens und Südostens sich dem
Körnerbau und dem Getreideverkauf erschlossen. Da-
mit ist es jetzt aber auch so ziemlich am Ende.
Freies Land existirt im europäischen Russland theils
gar nicht mehr, theils nur in Gegenden, die aus kli-
matischen und anderen Gründen gar nicht oder doch
nur sehr wenig in Betracht kommen. Möglicherweise
wird die fortschreitende Erschliessung Sibiriens noch
einen geringen hemmenden Einfluss auf die weitere
Entwickelung zum Schlimmen resp. auf die Be-
schleunigung derselben in hemmendem Sinne aus-
üben, aber darüber, dass dieser Einfluss kein erheb-
licher sein wird, gibt sich schon jetzt in unter*
richteten Kreisen Niemand einem Zweifel hin. Die
Menge des kulturfähigen Landes in Sibirien ist relativ
gering und ' gleichfalls zum grössten Theil schon ver-
geben ; die Fruchtbarkeit des Bodens steht selbst In
unerschöpftem Zustande derjenigen, die ursprünglich
in den Korngebieten des europäischen Russland vor*
banden war, erheblich nach. Dazu kommt die grosse
Entfernung Sibiriens von den Absatzmärkten des
Welthandels. Das einzige, was mit Fug und Recht
von dem sibirischen Getreide erwartet werden kann,
ist etwa die Deckung des Kornbedarfes, der im rus-
sischen Turkestan bei der fortschreitenden Verwan-
delung des Getreideackers in Baumwollenland ent-
stehen wird. Vergrösserung der russischen Getreide-
produktion ist also in keiner Weise für die Zukunft
anzunehmen, falls nicht, wie schon öfters gesagt* ein
radikaler Umschwung des Wirthschaftssystems eintritt.
Fällt nun auf diese Weise die Möglichkeit fort, die
jetzt gemachten Schulden in Zukunft durch gestei-
598
gerte Ausfuhr zu verzinsen und zu amortisiren, so
bildet die fortgesetzte Kapitaleinfuhr aus dem Aus-
lande in Gestalt von Anleihen ein höchst bedenkliches
Moment in der ökonomischen Gesammtgebarung Russ-
lands. Wenn die Waarenausfuhr, die zur Verzinsung
der auswärtigen Schuld und zur Deckung der übrigen
laufenden Verpflichtungen nicht ausreicht, innerhalb
der Grenzen bleiben soll, so bleibt, um das zur Durch-
führung der Goldwährung ins Land gezogene Edel-
metall zu halten, gar nichts anderes übrig, als fort-
gesetzt neue Anleihen zu machen und damit die
Zinsen der alten Schuld und das Defizit der Zahlungs-
bilanz zu begleichen. Es wird klar sein, dass man
ein solches Wirtschaftssystem auf die Dauer nicht
durchführen kann.
Das „Berliner Tageblatt* brachte Ende November
1902 folgende Betrachtung über die Finanzen Russ-
lands. In diesen Tagen enthielten die Zeitungen die
Mittheilung, dass die Deutsche Reichsbank die in
diesem Jahre aufgelegte russische Anleihe für lombard-
fähig erklärt hat. Herrn Witte, der eben von seiner
asiatischen Reise nach Petersburg zurückgekehrt ist,
wird diese Nachricht eigenthümlich angemuthet haben.
Denn diese Anleihe bedeutet den Höhepunkt der
Witte'schen Erfolge; von ihr wird aber auch das
Ende der Witte'schen Aera, das nunmehr gekommen
zu sein scheint, zu datiren sein. Die 300 Millionen
Mark 4% Anleihe, die Herr Witte am 3. April d. J.
auflegen Hess, wurde nicht weniger als lOOmal ge-
zeichnet. Die Officiösen des russischen Finanzministers
wussten damals diesen Erfolg nicht genug zu rühmen,
und wiesen mit Ueberhebung darauf hin, dass die
kurz vorher an den Markt gebrachten Anleihen des
Deutschen Reichs und Preussens nur öOmal ge-
zeichnet worden waren. Dass die soviel stärkere
Ueberzeichnung der russischen Anleihe aus dem hö-
heren Kursgewinn herrührte, der den Subskribenten
gewährt wurde, wollten die Freunde des russischen
Finanzministers nicht wahr wissen. Kaum hatte Herr
Witte indess diesen Erfolg erzielt, als ein grelles
Schlaglicht auf die Verhältnisse in Russland fiel. Der
Minister des Innern wurde ermordet. Das Ereignis?
599
rief eine um so grössere Bestürzung hervor, als ihm
eine Reihe anderer beängstigender Thatsachen vor-
angegangen war, Unruhen unter der studirenden
Jugend und Revolten unter den Bauern. Für Herrn
v. Witte aber nahmen die Dinge dadurch eine kri-
tische Wendung, dass an Stelle des ermordeten
Ssipjagin Herr v. Plehwe Minister des Innern wurde.
Zu Herrn Ssipjagin hatte Witte in persönlichen Be-
ziehungen gestanden, die es möglich machten, dass,
als der Gar eine Kommission zur. Prüfung der land-
wirtschaftlichen Verhältnisse zusammenberief, Herr
Witte die Leitung dieser Untersuchung übernahm.
Herrn Plehwes Verhältniss zu Witte war ein wesent-
lich anderes. Bestimmt wurde es durch die neueste
Wendung, die sich in der politischen Haltung des
Finanzministers vollzogen hatte. Herr Witte rühmt
sich, keine politischen Grundsätze zu haben. Das mag
Manchem sehr klug erscheinen. Aber Herr Witte
wäre nicht der Erste, der gerade über dem Mangel
an Grundsätzen strauchelt. Und wie seine Klugheit
nicht ausreichte, ihn zu einer Beschränkung in seinen
Aufgaben und vor allem zur Selbstbeschränkung an-
zuhalten, so half sie ihm auch nicht die Gefahren
überwinden, die dem politischen Chamäleon drohen.
Von Grund aus ein Mann mit modernen Anschau-
ungen, hatte Witte in einer Zeit, in der er unter den
entscheidenden Persönlichkeiten in der russischen
Politik in allererster Reihe stand, in seinem Lande
gegen einen Theil der Bevölkerung die grausamsten
Verfolgungen verüben, Hunderttausende zur Aus-
wanderung aus Russland zwingen lassen. Im Jahre
1899 erklärte er sich in einer geheimen Denkschrift
über „Absolutismus und Selbstverwaltung" für den
Absolutismus. In neuester Zeit aber neigte er wieder
dazu hin, politische Reformen für wünschenswerth
anzusehen. Das war der Grund, der das Misstrauen
des reaktionären Plehwe gegen Witte erweckte.
Der neue Minister des Inneren machte auch
seinerseits die erschreckenden Ereignisse der letzten
Monate zum Gegenstand einer Untersuchung, und die
von ihm an den Caren gerichtete Denkschrift darüber
gelangt zu einem so vernichtenden Urtheil über die
600
Wirkungeil der Witte'schen Finanzpolitik, dass da-
nach mit dem Rücktritt des Fiftanzmin isters in ab-
sehbarer Zeit gerechnet werden muös. Es ist aller-
dings nicht das erstemal, dass Herrn Witte's Stellung
bedroht erscheint. Vielmehr hatte er vom Beginn
Seiner nunmehr zehnjährigen Thätigkeit mit allerhand
Gegnern zu thun, Manche bekämpften ihn als einen
Emporkömmling. Auch die Frau des Finanzministers
bot mancherlei Angriffspunkte dar. Eine Zeit lang
wimmelte es nur so an Pamphleten gegen ihn. Neben
unberechtigten Anfeindungen waren es indess auch ge-
rechtfertigte Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden.
Die ernstesten Gegner, die ihm erstanden, waren der
Geheime Rath Schwanenbach, früher im russischen
Finanzministerium unter Herrn Witte selber thätig,
jetzt Mitglied des Kuratoriums der Russischen Reichs-
bank, ferner der Nationalökonom Scharapow, Butmi,
und in der Behandlung der nachtheiligen Bedeutung
Witte's für die russische Landwirtschaft Pet Lochtin.
Ziemlich alles, was Witte für sich als Verdienst in
Anspruch nimmt, stellten diese Männer vielmehr als
verdebliche Wirkungen dar. Die Ziffern, mit denen
Herr Witte seine Leistungen zu illustriren sucht, be-
zeichnen sie vielfach als fingirt. Witte rühmt sich
dessen, dass bei seinem Amtsantritt im Jahre 1892
die allgemeine Staatsschuld 5389 Millionen Rubel, der
ihr gegenüberstehende Staatsbesitz an Bahnen 2361
Millionen, die reine Staatsschuld also 3027 Millionen
betrug, im Jahre 1902 aber von den insgesammt
6457 Millionen Staatsschulden 4614 Millionen auf die
Bahnen entfielen, die reine Staatsschuld sich hiernach
nur auf 1883 Millionen stellte. Die Gegner Witte's
aber fechten einerseits diese Ziffern selber an, ande-
rerseits erklären sie, dass die Rente, die Herr Witte
für die den Bahnen angelegten Kapitalien heraus-
rechnet, unzutreffend sind und nicht einmal mit den
von anderen Begierungsstellen dafür angegebenen
Ziffern übereinstimme. Damit erscheine zugleich die,
allein seit 1896 von 30.377 auf 60.000 Werst gestie-
gene Ausdehnung der Bahnen als eine Leistung von
problematischem Werth. Aber auch die von Herrn
Witte angeführten Ziffern der Staatsschulden selbst
601
und die dafür im Budget aufzubringende Summe
nehmen bei den Kritiken des Finanzministers ein an-
deres Ansehen an. Sie legen Gewicht darauf, dass
sich unter den Schulden 2 bis 3 Milliarden inamor-
tisabler 4% Rente befinde, von der Herr Witte in
Russland selber 1 bis 2 Milliarden nur dadurch
untergebracht hat, dass er allerhand öffentliche Insti-
tutionen, unter anderem Sparkassen, zu Anlagen in
diesem Papiere zwang, dessen Zinsfuss hinter dem
landesüblichen Niveau so -sehr zurückbleibt. Und
wenn Herr Witte die Herstellung der Goldwährung,
die Ansammlung grosser Goldbestände, der Steigerung
der Steuern anführt, wird dem gegenüber auf die
grossen Steuerrückstände verwiesen, auf die For-
cirung des Getreideexportes zum Nachtheil der Er-
nährung der russischen Bevölkerung, auf die Opfer,
die die von Herrn Witte eingeführte Gründungsära
das Land gekostet hat. Der heftige Unwille, bis zu
dem sich die Opposition gegen Herrn Witte gesteigert
hat, wird aber erst verständlich aus den Mitteln, die
er bei der Erreichung seiner Ziele anwendet.- Das hat
Deutschland auch aus nächster Nähe beobachten
können. Mit welcher Rücksichtslosigkeit veranstaltete
er eine „Einschwänzung" der Rubelspekulation an der
Berliner Börse, als er darin eine Vorbereitung zur
Stabilisirung der russischen Valuta erblickte! Nicht
anders verfuhr er auch, als er den Rubel auf zwei
Drittel seines nominalen Werthes „devalvirte". Und
während bei der Verstaatlichung der Russischen
Südwestbahn den Aktionären ein Antheil an dem
Liquidationsüberschuss zugesichert worden war, wurde
er von Herrn Witte den Certifikatbesitzern jahrelang
vorenthalten, das hiergegen eingeleitete Gerichtsver-
fahren verschleppt, und bequemte sich der Finanz-
minister erst, als daraufhin die Einführung weiterer
russischer Anleihen in Deutschland. auf Widerspruch
stiess, dazu, den Aktionären das Almosen, weniger
Rubel hinzuwerfen. Auch der Intriguen gegen die
deutsche Bagdadbahn ist in diesem Zusammenhang
zu gedenken, wenn ein Bild von Herrn Witte ent-
worfen wird. Verfuhr er derartig gegen das Ausland,
so gestattet das einen Schluss, wie rücksichtslos . er
602
im eigenen Lande vorgegangen ist Allerdings für
das russische Zuckersyndikat legte er sich neuerdings
dermassen ins Zeug, dass er darüber in einen ge-
wissen Gegensatz zu allen Ländern gerathen ist, die
durch die Annahme der Brüsseler Konvention mit
der Prämienwirthschaft der Zuckersyndikate aufräumen
wollen. Oder er gibt sich auch wieder den Anschein,
als ob er, der mit zu dem Schutzzollsystem Russlands
und den darauf basirenden Kartellbildungen beige-
tragen hat, berufen wäre, eine internationale Reform
des gesammten Kartellwesens anzubahnen.
In Deutschland wird Herrn Witte immerhin Eines
als Verdienst angerechnet werden. Wenngleich erst
über den Weg eines Zollkrieges, hat er den deutsch-
russischen Handelsvertrag zu Stande bringen helfen*
Auch das hat er zwar nicht aus Liebe zu Deutsch-
land gethan. Ist doch unter Witte Russland in die
Entente mit Frankreich eingetreten, die sich eine
Zeit lang bis zu einer bedrohlichen Intensität zu
steigern schien. Freilich hatte gerade Herr Witte
guten Grund, die Freundschaft mit Frankreich nicht
zu überschätzen. Denn als Russland die Quittung in
der Unterbringung von Anleihen auf dem franzö-
sischen Geldmarkte präsentirte, erwies sich dieser
durchhaus nicht zuverlässig. Herr Witte sah sich
vielmehr wieder auf Deutschland angewiesen. Auch
in England hatte er nur wenige Millionen unter-
bringen können, und ebenso ist er in Amerika nicht
über einen winzigen Versuch hinausgelängt. Mit dem
deutschen Geldmarkt, der bisher nur in den Tagen
der antirussischen Campagne des Fürsten Bismarck
versagte, rechnet Herr Witte, rechnet Russland auch
für die Zukunft. Im Zusammenhang damit steht die
vielfach verbreitete Annahme, dass, Wenn Russland
sich auf der Basis des neuen deutschen Zolltarifs
zum Abschluss eines Handelsvertrages mit Deutschland
bereit finden sollte, dies nur unter der Voraussetzung
geschähe, dass Deutschland in die Uebernahme weiterer
russischer Anleihen willigte. Im Hinblick darauf ist
die Kritik, der Herr Witte und sein System begegnen,
für Deutschland von sehr ernster Bedeutung; Die Ge-
fahren, die Herr Plehwe, der Minister des Inneren,
603
der Witte* sehen Finanzpolitik zuschreibt, bestehen na-
mentlich darin, dass Russland sein Hauptaugenmerk
auf weitausschauende Pläne von vorwiegend poli-
tischer. Bedeutung konzentrirt habe, während die zu
bewältigenden wirthschaftlichen Aufgaben vernach-
lässigt werden. Mit enormen Kosten und unter erheb-
licher Steigerung der Staatsschuld würden grosse
Bahnbauten in den fernsten Gegenden ausgeführt,
wie in der Mandschurei, oder geplant wie in Persien,
Bahnen, deren wirtschaftliche Bedeutung zunächst
problematisch erscheine, ja die, wie das für die
Bauten in Ostasien zutrifft, die eigentlichen russischen
Gebiete schädigen. In Russland selber nehme der
Volkswohlstand ab und gehen die Ernten zurück.
Trotz der günstigen Darstellungen Herrn Witte's über
die Finanzlage sei für die Hebung der Landwirt-
schaft kein Geld zu haben, und sei jahrelang für
diesen Zweck beinahe nichts geschehen. Allerdings,
fügt Herr Plehwe hinzu, ist gerade auch ein Wechsel
im Finanzministerium geeignet, empfindliche Erschüt-
terungen und insbesondere in der Industrie und an
der Börse einen schweren Rückschlag zu verursachen.
Danach haben sich die Verhältnisse in Russland der-
artig gestaltet, dass sie der russische Minister des
Inneren selber mit und ohne Herrn Witte für kritisch
ansieht. Das wird Deutschland nicht aus den Augen
lassen dürfen. Deutschlands Besitz an russischen
Werthen beläuft sich auf Milliarden. Dies ist ein aus-
reichender Grund, in der Darstellung der russischen
Verhältnisse nicht Schreckbilder vorzuführen, die den
deutschen Kapitalisten ohne Noth Verluste ver-
ursachen. Eine Vertrauensseligkeit gegenüber Russ-
land, die Deutschlands Besitz an russischen Papieren
noch ins Grenzenlose vergrösserte, wäre aber nicht
weniger bedenklich. Auch an dieser Sachlage ändert
sich nichts, ob Herr Witte einstweilen noch in seinem
Amte bleibt oder der Rücktritt schon in nächster Zeit
erfolgen wird.
Da Russland so bedeutende Verbindlichkeiten
gegenüber dem Auslande hat, und keine Industrie
besitzt, muss es Getreide ins Ausland liefern, das hat
nun zur Folge, dass die heimische Bevölkerung hun-
604
gern muss. Hier geben wir die Belege dazu. Der Ge-
sammtumsatz des russischen Aussenhandels ist in
1901 im Vergleich zu 1900 um 8 Mill. Rubel zurück-
gegangen und hat einen Werth von 1252 Mill. Rubel
erreicht. Hiervon entfielen 729 Mill. Rubel an die
Ausfuhr und 523 Mill. auf die Einfuhr, so dass die
Bilanz des russischen Aussenhandels mit 206 Mill.
Rubel aktiv erscheint, während in 1900 die Ausfuhr
die Einfuhr nur um 116 Mill. und in 1899 sogar nur
um 7 Mill. Rubel überstieg, üebrigens ist das be-
deutende Ansteigen der Werthziffer des Exports we-
niger auf eine quantitative Steigerung der Ausfuhr
als auf eine bedeutende Preissteigerung der aus-
geführten Lebensmittel zurückzuführen. Besonders
hervorzuheben wäre der Umstand, dass der Werth
der ausländischen Einfuhr nach Russland, infolge
des der chinesischen Unruhen wegen erhöhten Zoll-
tarifs im Vergleich zum Vorjahr um 50 Mill. Rubel
abgenommen hat. Von der russischen Ausfuhr ent-
fallen 59% auf Lebensmittel, 35% auf Rohmaterialien
und Halbfabrikate, gegen 3% auf animalische Pro-
dukte und 3% auf Fabrikate. Von der Waarenausfuhr
Russlands geht der Haupttheil mit 179 Millionen
Ruböl gegen 187 Millionen Rubel im Vorjahr nach
Deutschland, welches seinerseits im Berichtsjahre für
200 Millionen Rubel Waaren nach Russland aus-
führte. Nach England führte Russland für 156 Mil-
lionen Rubel Waaren aus und bezog für 103 Mil-
lionen Rubel Waaren von dort. Der Getreideexport
Russlands betrug 47% der Gesammtausfuhr und ver-
theilte sich fast gleichmässig auf Deutschland, England
und Holland; namentlich letzteres, sodann aber auch
Frankreich zeigten eine verstärkte Aufnahmefähigkeit
für russisches Getreide. Von anderen Waarengruppen
verdient der russische Butterexport eine besondere
Beachtung, da er sich im Vergleich zum Vorjahr ver-
dreifacht hat und einen Werth von 13ya Mill. Rubel
erreichte. Die Gesammtlänge der russischen Eisen-
bahnen (ohne Finnland) ist im Laufe der letzten
20 Jahre um 20.204« Werst (1 Werst = 1067 km)
oder um 95% gewachsen; sie betrug 1881 nur 21.262
Werst und im Jahre 190Ö bereits volle 41.466 Werst.
605
Eine noch viel stärkere Steigerung zeigt der Verkehr.
So stieg der Personenverkehr von 2*9 Milliarde^
Personenwerst auf 8*8 Milliarden im Jahre 1900, er
hat sich also verdreifacht; der Güterverkehr vervier-
fachte sich dagegen in dem bezeichneten Zeitabschnitt.
Die Gesammteinnahmen wuchsen von 200,000.000
Rubel im Jahre 1881 auf 537,600.000 Rubel im Jahre
1900, also um 168%; dagegen betrugen die Ausgaben
145,100.000 Rubel im Jahre 1881 und 319,800.000
Rubel im Jahre 1900. Die Reineinnahme stieg somit
von 51,700.000 Rubel im Jahre 1881 aitf 217,800.000
Rubel im Jahre 1900. Von dieser Reineinnahme sind
noch die für die Tilgung und Verzinsung der Obli-
gationsanleihen erforderlichen Beträge abzuziehen, so
dass ein thatsächlicher Gewinn erst seit dem Jahre
1894 zutage tritt, der im. Jahre 1898 30 Mill. Rubel
betrug Das ist allerdings blutwenig, Russlands
Daeinon ist der Finanzminister Witte, der das Garen-
reich systematisch in die Hände der Börsenjuden
ausliefert. Dann wird die Gleichberechtigung der Juden
proklamirt und dann ist Russland verloren.
Was die Juden in Russland leisten, davon nur
ein kleines Beispiel. Am 19. Mai 1903 brachten
Tagesblätter folgende Notitz. Neuntausend Fragen an
die Geschworenen werden vom Moskauer Bezirkß-
gericht gelegentlich eines Monstreprocesses zu richten
sein. Ein grosser Fälschungsprocess nimmt morgen
vor den Schranken des Moskauschen Bezirksgerichts
seinen Anfang. Es handelt sich um eine Klage gegen
die Kaufleute Bromberg, Gurewitsch und Aronowitsch,
die 2177 Wechsel im Betrage von 2,500.000 Rubel
gefälscht haben. Bis jetzt wehrt sich das russische
Volk gegen den Judenwucher durch Volksaufstände,
wie in KiSinev, wenn aber Russland unter der Wucht
der Staatsschulden wird zusammenbrechen, dann
wehe dem Garenreiche und seinem armen Volke.
g) Finanzen Nordamerikas.
Die neue Welt wird die alte wirtschaftlich er-
drücken. Nach dem Jahresbericht des amerikanischen
Schatzamtssekretärs für das am 30. Juni v. J. zu
Ende gegangene Rechnungsjahr 1900 stellten sich
606
die Einnahmen der Bundesregierung für das letzte
Rechnungsjahr insgesammt auf 699,316.530 Doli.,
die Ausgaben auf 621,508.546 Dollars, so dass sich ein
Ueberschuss von 77,717.984 Doli, ergibt. Gegenüber
dem vorgehenden Rechnungsjahre (1899/1900) haben
sich die Einnahmen um 29,721.099 Dollars erhöht;
dessgleichen hat eine Zunahme der Ausgaben um
22,253.561 Doli, stattgefunden. Für das laufende
Rechnungsjahr werden die Einnahmen auf 688,633.042
Doli, und die Ausgaben auf 588,633.042 Dollars ver-
anschlagt, was einen Ueberschuss von 100 MilJ. Doli,
ergeben würde. Für das Rechnungsjahr 1902/1903
werden die Einnahmen auf 712,020.630 Doli, und die
Ausgaben mit Ausnahme der Tilgungsfonde auf
688,848.318 Doli, veranschlagt, was einen Ueberschuss
von 23,172.311 Doli, ergeben würde. Die Goldreserve
von 150 Mill. Doli, ist unverändert in gemünztem
Golde und in Goldbarren aufrecht erhalten worden.
Unter dem Gesetz vom 14. März 1900 wurden bis
zum 1. November vorigen Jahres Silbercertifikate im
Betrage von insgesammt 45,336.000 Doli, ausgegeben.
Die Goldcertifikate wurden während des abgelaufenen
Rechnungsjahres um weitere 45,160.270 Doli, und im
ersten Quartal des laufenden Rechnungsjahres um
weitere 31,801,430 Doli, vermehrt. Der Gesammtvor-
rath an Gold im Schatzamte betrug am 1. November
v. J., einschliesslich der Goldreserve, 543,831.849 Doli,
eine Summe in Gold, wie sie in der Geschichte der
Vereinigten Staaten noch nie zu verzeichnen war und
vor einigen Jahren von einer anderen Regierung nur
auf wenige Monate besessen wurde. Die Goldcirkula-
tion pro Kopf der Bevölkerung stellte sich am 1. Oktober
v. J. auf 28-52 Doli, gegenüber 26 50 Doli, am 1. Juli
1900; Goldcertifikate sind mehr und mehr in das
Gebiet der grösseren Nennwerthe getreten und fast
ausschliesslich zur Zahlung von Zöllen und zur Ab-
rechnung im New-Yorker Glearing-House verwendet
worden. Zwei Punkte sind im Gebrauch der Zahlungs-
mittel besonders hervorgetreten, nämlich die zu-
nehmende Verwendung von Gold und die fortwährende
Zunahme von Papiergeld in kleinen Beträgen. Die
Goldproduktion der Vereinigten Staaten im Kalender-
607
jähr 1900 stellt sich schätzungsweise auf 3,829.897
Unzen im Werthe von 70,171.000 Doli., die Silber-
produktion auf 57,647.000 Unzen im Werthe von
ungefähr 35,741.140 Dollars. Für die gesammte Welt
wird die Goldproduktion im Kalenderjahr 1900 auf
12,457.287 Unzen im Werthe von 257,514.700 Doli,
geschätzt, die Silberproduktion wird auf 178,796.796
Unzen im Werthe von 110,845.000 Doli, veranschlagt.
Obwohl die Vereinigten Staaten die grösste Gold-
produktion aller Länder hatten, übertraf die Gold-
einfuhr dennoch die Goldausfuhr um 12,866.010 Doli.
Am Schluss des Rechnungsjahres (30. Juni 1901)
wurde der Gesammtvorrath an gemünztem Golde
in den Vereinigten Staaten auf 1.124,652.818 Doli,
geschätzt, der an Silber auf 610,447.025 Doli. Am
1. Juli vorigen Jahres waren 4178 Nationalbanken in
Thätigkeit; 411 neue Banken wurden während des
letzten Rechnungsjahres organisirt. Die Einnahmen
aus den Inlandsteuern (internal revenue) betrugen im
letzten Rechnungsjahre 306,871.669 Doli, gegenüber
295,316.107 Dollars im Vorjahre, was einen Zuwachs
von 11,555.562 Dollars bedeutet.
Consularberichte meldeten Anfangs 1901 aus
Amerika folgendes : Heute, wo das öffentliche Interesse
aus besonderem Grunde in verstärktem Maasse auf
die Vereinigten Staaten hingelenkt wird, ist es von
Interesse, nach der eben unter dem Titel „Der Fort-
schritt der Vereinigten Staaten in deren hauptsäch-
lichsten Industriezweigen" vom Bundesschatzamt in
Washington herausgegebenen Schrift zu zeigen, in
welcher rapiden Weise sich das Land entwickelt hat.
Bezüglich der Produktion von Stapelnartikeln ergibt
sich, dass die Erzeugung von Baumwolle per Jahr
von 155.556 Ballen in 1800 auf 9,436.416 Ballen in
1900 gestiegen ist, die Produktion von Wolle von
35,802.114 Pfd. in 1840 auf 302,502.328 Pfd. in 1901,
die von Weizen von 151,999.906 Busheis in 1866
auf 522,229.505 Busheis in 1900, Mais von 867,946.295
Busheis in 1866 auf 2.105,102.516 Bushels^'m 1900,
Kupfer von 650 To. in 1850 auf 270.588 To. in 1900,
Roheisen von 165.000 To. in 1830 auf 15,800.000 To.
in 1901, Petroleum von 21,000.000 Gallonen in 1860
608
auf 2.661,233.568 Gallonen in 1901, Kohle von
3,358.899 To. in 1850 auf 267,850.000 To. in 1901.
Während die Vereinigten Staaten im Jahre 1850 für
50,000.000 Dol. Gold producirten, waren es im J. 1900
79,171.000 Doli. Was die Entwickelung des Handels-
verkehrs des Landes anlangt, so hat sich der Werth
der Waarenausfuhr von 70,971.790 Doli, im Jahre 1800
auf 1.487,764.991 Doli, im Jahre 1901 gesteigert, was
einer Zunahme per Kopf der Bevölkerung von 13*37
Dollars auf 18*81 Doli, entspricht. Demgegenüber hat
die Absatzgelegenheit für ausländische Produkte in
den Vereinigten Staaten sich ansehnlich vermindert
Denn wenn auch im Jahre 1901 ausländische Waare
im Werthe von 823,172.165 Doli, zur Einfuhr gelangt
ist, während die geringe im Jahre 1880 vorhandene
Bevölkerung für ausländische Waaren nur einen
Bedarf im Werthe von 91,252.668 Doli, hatte, so
entsprach diese Ziffer doch per Kopf der Bevölkerung
einer Waareneinfuhr im Werthe von 17 19 Dollars,
während die Ziffer per Kopf für das Jahr 1901 nur
10*58 Doli, beträgt. Der Nationalreichthum ist von
7.135,780.000 Doli, im Jahre 1850 auf 94.300,000.000
Dollars in 1900 gestiegen, per Kopf der Bevölkerung
von 307 Doli, auf 1.235 Dollars. Die Nationalschuld
belief sich, abzüglich der im Bundestresor vorhandenen
Baargelder, per Kopf der Bevölkerung im Jahre 1865
auf 76*98 Dollars, wogegen sie in 1901 nur noch
13*44 Doli, betrug. Dem entsprechend hat sich der
für die Nationalschuld zu erlegende Jahreszins von
143,781.592 Doli, im Jahre 1867 auf 32,342.797 Doli.
vermindert. Während das in Cirkulation befindliche
Geld im Jahre 1860 ein Total von 435,407.252 Doli,
repräsentirte, waren es in 1901 2.175,387.277 Doli.,
entsprechend eine Zunahme per Kopf von 13*85 Doli,
auf 28*02 Doli. Die Sparbankdepositen sind in fol-
gender Weise gestiegen : in 1830 betrugen sie 6,973.304
Dollars, im Jahre 1883, 53 Jahre später, waren es
1.024,856.787 Doli, und im Jahre 1901, nach Verlauf
einer weiteren Periode von. nur 18 Jahren, hatten
die Depositen eine Höhe von 2.597,094.580 Dollars
erreicht Inzwischen war das Nationalbanksystem in
Kraft getreten, und auch die in den Nationalbanken
609
hinterlegten Depositen weisen die rapide Steigerung
von 500,910.873 Doli, in 1865 auf 1.006,452.583 Doli,
in 1880 und 3.044,600.000 Doli, in 1901 auf. Die
Anzahl der Sparbankdepositoren stieg von 38.085 in
1830 auf 1,067.661 in 1866 und 6,358.723 in 1901.
Das Eisenbahnnetz in den Vereinigten Staaten hat
von 9021 Meilen im Jahre 1850 eine Ausdehnung
auf 190.378 Meilen in 1901 gewonnen.
Die New-Yorker Börse hatte im Jahre 1902 einen
Umsatz von 1081 Millionen Dollars, gegen 1236 Mil-
lionen Dollars im Jahre 1901, Der Giroverkehr der
Nordamerikanischen Banken betrug:
im Jahre 1901 118.533,294.485 Dollars.
„ „ 1902 118.107,300.861 „
Das kostbare Material der Menschen-Einwande-
rung von Europa nach Amerika weist folgende
Zahlen auf.
Es betrug die Einwanderung nach den Vereinigten
Staaten aus
Deutschland
Oesterr.-Ungarn
Bassland
Italien
1887 . .
. 106.865
40.265
30.766
47.622
1888. .
. 109.717
45.811
38.487
51.558
1889. .
. 99.538
34.174
33.916
25.307
1890 . .
. 92.427
56.199
35.598
52.003
1891. .
. 113.554
71.042
47.426
76.655
1892. .
. 130.758
80.136
84.393
62.127
1893. .
. 96.361
59.633
43.828
72.916
1894. .
. 59.386
37.505
38.094
43.967
1895. .
. 36.351
33.462
34.490
36.961
1896. .
. 31.885
65.103
51.445
68.060
1897. .
. 22 533
33.031
25.836
59.431
1898. .
. 17.111
39.797
29.828
58.613
1899. .
. 17.476
62.491
60.982
77.419
1900. .
. 18.507
114.847
90.787
100.185
1901. .
. 21.651
113.390
85.257
135.998
1902. .
. 28.304
171.989
107.347
178.375
Oesterreich-Ungarn und Italien wetteifern an-
scheinend in dem Bestreben, die grösste Auswanderer-
masse hieher zu senden. Russland sieht hinter den
beiden etwas zurück, ist aber allen übrigen Ländern
weit voraus. Zusammen geben diese drei Länder
89
610
volle 70% der letztjährigen Einwanderung. Noch vor
15 Jahren stellten sie bloss 24%.
Die wirtschaftliche Kraft Nordamerikas äussert
sich in folgenden Zahlen des Aussenhandels.
Ausfuhr Einfuhr TJeberschnsa der Ausfuhr
Dollars
1895 • 807,538.165 731,969.965 75,568.200
1896 . 882,606.938 779,724.674 102,882.264
1897 . 1.050,993.556 764,730.412 286,263.144
1898 . 1.231,482.330 616,049.654 615,432.676
1899 . 1.227,023.302 697,148.489 529,874.813
1900 . 1.394,483.082 849,941.184 544,541.898
1901 . 1.487,764.991 823,172.165 664,592.826
1902 . 1.382,033.407 902,911.308 479,122.099
Der Bericht des Schatzsekretärs für 1900 lautet:
Die gesammten Staatseinnahmen sind in dem mit
dem 30. Juni zu Ende gegangenen Rechnungsjahre
im Vergleich zum Vorjahre um 29,721.099, die Aus-
gaben um 22,253.561 Doli, gestiegen. Die gegen Metall-
depositen ausgegebenen Goldcertifikate haben sich im
Rechnungsjahre um 45,160.270 und im ersten Viertel
des neuen Jahres um weitere 31,801.430 Doli, ver-
mehrt. Der Goldbestand im Staatsschatze, einschliess-
lich des Reserve- und des Sicherheitsfonds für Gerti-
fikate, belief sich am 1. November auf 542,831.849
Dollars. Diese Summe an Gold hätte, so hebt der
Schatzsekretär hervor, niemals zuvor der Staatsschatz
der Vereinigten Staaten aufzuweisen gehabt. Dör Be-
stand an ungemünztem Silber betrug bei Beginn des
Jahres 85,268.054, bei Schluss des Jahres 52,562.922
Standard-Unzen. Man berechnete den Gesamintbestand
des Landes an Goldmünzen, einschliesslich des in
den Münzen befindlichen Rohgoldes, bei Söhluös des
Finanzjahres auf 1.124,652.818 und den Bestand an
Silbermünze auf 610,447.025 Doli. Die Gesammtaus-
fuhr von Waaren, Gold und Silber in den letzten
vier Jahren überstieg die Einfuhr um 2.288,028.067
Dollars. Die Handelsmarine zählte am 30. Juni 24.037
Schiffe mit einem Bruttogehalt von 5,524.218 Tonnen*
Sie wird nur noch von der britischen Handelsmarine
übertroffen, welche über 14,064.152 Tonnen verfugt,
während die ^*«*— »k« Marine mit 3,244.208 Tonnen
611
am nächsten kommt. Der Bericht regt im Hinblick
auf die grossen Postdampferlinien des Auslandes
aufs neue an, amerikanische Dampferlinien zum
Transport der amerikanischen Post zu errichten.
Auch könnten Amerikas riesige Eisenbahnlinien nicht
länger an den Ozeanen Halt machen, sie müssten
ihre Fortsetzung über das Wasser hinweg finden.
Zunächst könne ja Amerika den Schiffsbau durch.
Schiffsprämien heben. Bezüglich des Bankwesens in
den Vereinigten Staaten weist der Bericht des Schatz-
sekretärs darauf hin, dass es angebracht wäre, eine
Aenderung des gegenwärtigen Systems, unter welchem
keinerlei Zusammenschluss der Banken zum gemein-
samen Schutz in schlechten Zeiten vorgesehen sei, zu
schaffen. Man könnte nach Muster des in der Union
bestehenden politischen Systems auch bei den Banken
das Princip der Föderation zur Anwendung bringen.
Eine grosse Gentralbank, zu der alle Banken gewisse
Procentsätze des Kapitals beizusteuern hätten, und
die unter einer Leitung stände, die im Wege der
Wahl von allen Banken geschaffen wird, würde die
Interessen des ganzen Landes verkörpern. Schliesslich
führt der Bericht des Schatzsekretärs bezüglich der
Staatsschuld Folgendes aus: Die zu verzinsende
Staatsschuld, welche am 1. April 1898 847,366.680
Dollars betrug und durch den Krieg, auf 1.046,049.020
Dollars gesteigert wurde, ist nunmehr (am 15. No-
vember 1901) auf 954,027.150 Dollars gesunken. Der
Baarbestand des Schatzamtes ist von 226,166.944
Dollars am 1. April 1898 auf 322,524.732 Dollars am
15. November d. J. gestiegen. Diese Zahlen sprächen
für eine so feste Position des Schatzes, wie sie nie
zuvor bestanden habe. Der gegenwärtige Zeitpunkt
sei danach am besten geeignet, das jetzt noch un-
vollkommene Währungssystem des Landes zu ver-
vollkommnen. Nordamerikas wirthschaftliche Kräfte
haben ihre erste Unterlage im Landbau. Der Konsu-
larbericht vom August 1902 sagt Folgendes:
Angesichts der ausserordentlichen industriellen
Fortschritte in den Vereinigten Staaten verdient die
Thatsache hervorgehoben zu werden, dass dort von
einem relativen Rückgang des Landbaues im Ver*
39*
612
gleich zur Industrie der Städte keine Rede sein kann.
Vielmehr ist die Zahl der Farmen in der Zeit von
1890 bis 1900 wieder um ein volles Viertel gestiegen,
während zu gleich ihr Werth um 284 Procent und
auch ihr Durchschnittsareal nicht unbeträchtlich in
die Höhe gingen. Gegenwärtig bestehen gegen 6 Mil-
lionen in Betrieb befindliche Farmen (bei der Volks-
zählung von 1900 wurden 5,739.657 ermittelt), die
gegen 900,000.000 Acker einnehmen (1900 841,201.546
Acker). Der Werth der Farmprodukte hat sich in der
Zeit von 1890 bis 1900 fast um die Hälfte gesteigert
und ist inzwischen weiter in die Höhe gegangen. Der
Werth des Reinertrages einer Farm, der 1900 nur
655 Dollars betrug, mag inzwischen auf 750 Dollars
und mehr gekommen sein, so dass man sagen kann,
die sechs Millionen Farmer, die den Kern der ameri-
kanischen Nation bilden, befinden sich in blühendem
Wohlstande und geben den Landesindustrien eine
stets wachsende Zahl kaufkräftiger Konsumenten. Da
jetzt noch nicht mehr als etwa die Hälfte des ge-
sammten Areals sich unter Kultur befindet, die Mehr-
zahl aller Staaten aber noch eine Masse fruchtbaren
Landes aufweist, so vermag die Union mit Leichtig-
keit noch Millionen von Landbebauern aufzunehmen
und glänzend zu ernähren, die aus Europa noch hin-
zuströmen mögen. Nur drei Staaten haben mehr als
drei Viertel ihres Areals unter Kultur, nämlich Iowa
(86 Procent), Illinois und Indiana (je 77 Procent),
bei den meisten Staaten ist noch lange nicht die
Hälfte des anbaufähigen Bodens in Betrieb genommen.
Der Ertrag aller Farmen wurde 1900 auf 33/4 Milliarden
Dollars = 16.000,000.000 Mark geschätzt. Es ist inte-
ressant, bei einigen Hauptprodukten der Landwirth-
schaft die Ernteerträge von den Jahren 1850 und 1900
gegenüberzustellen. Es stiegen:
Welschkorn von 592 Mill. Bushel auf 2105 Müh Bnshel
Weizen „ 100 „ „ 622 w
Hafer 146 n „ „ 809 „
Baumwolle „ 2 „ Ballen „ rund 10 „ Ballen.
Rohrzuker „ l!/9 „ Tonnen „ „ 24/» „ Tonneu.
Aehnlich war die Zunahme des Viehslandes, des
Werthes der Milchprodukte, der Tabak- und Reis-
ernten und anderer minder bedeutenden landwirth-
613
schaftlichen Erzeugnisse. Dabei war das Vergleichsjahr
1900 keineswegs durch eine besonders günstige Ernte
ausgezeichnet, aber sie war gross genug, um den
Wohlstand der Farmer in aufsteigender Linie zu er-
halten.
Die Industrie Nordamerikas bietet folgendes Bild.
Die zehn Hauptindustriestaaten der Union waren
nach dem Gensus vom Jahre 1900, was Anzahl der
Betriebe, Höhe des angelegten Kapitals, Gesammt-
zahl der beschäftigten Personen und Produktions-
werthe anbetrifft, nachstehende:
Darin angelegtes Zahl Produktions-
Kapital der werth
Doli. Beschäftigten Doli.
1.651,210.220 849.056 2.175,726.900
1.651,548.712 733.831 1.834,790.860
776,829.598 396.110 1.259.730.168
823,264 287 497.448 1.035,198.989
605,792.266 345.869 832,438.113
502,824.082 241.582 611,748933
249,888.581 134.975 385,492.784
234,481.528 155.956 378,120.140
284,097.133 162.355 356,944.082
330,568.779 142.076 360,878,942
Jede der folgenden zwölf Städte weist Gewerbe-
betriebe mit einem Anlagekapital von über 100,000.000
Dollars auf. Alt-New-York (einschliesslich der Stadt-
teile Manhattan und Bronx) und Brooklyn sind hierbei
als besondere Städte behandelt. Die Reihenfolge ist
nach dem Werthe der hergestellten Waaren gewählt]:
Anzahl
Staat
der
Betriebe
New- York . .
. 78.658
Pennsylvanien
. 52.185
Illinois . . .
. 38.360
Massachusetts
. 29.180
Ohio ....
. 32.398
New Jersey .
. 15.481
Missouri . .
. 18.754
Indiaua . .
. 18.015
Michigan . .
. 16.807
Wisconsin .
. 16,187
Anzahl
Anlage-
JGesammtzahl
Werth
Stadt
der
Kapital
der
der Produkte
' Betriebe
Doli.
Beschäftigten
Doll.J
New- York (alt) 27.168
608,661.810
344.054
975,168.202
Chicago . .
Philadelphia
. 19.203
634,0^)0.689
262.621
888,945.311
. 15.887
476,629.407
246.455
603,466.526
Brooklyn .
. 10.713
271,875.301
100.881
342,127.124
St. Louis . .
. 6.732
162.179.331
82.672
233,629.733
Boston . . ,
. 7.247
143,311.576
72.142
206,081,767
Pittsburg .
. 1.938
193,162.900
69.977
203,261.251
Baltimore . .
. 6.359
117,062.459
78 738
161,249.240
Cincionati
. . 6.127
109,532.142
63.240
167,806.834
Newark . .
. 3.339
103,191.403
49.550
126,954.04»
Milwaukee
. . 3.342
110,363.854
48.328
123,786.449
Buffalo . .
. 3.902
103,939.655
43,422
122,230.061
Das Anlagekapital der amerikanischen Eisen-
bahnen betrug Ende 1900 rund 11.491 Mill. Dollars.
614
Die absoluten Bilanzfaktoren der beiden verglichenen
Geschäftsjahre sind die folgenden:
1899/1900 1898/1899
Doli. Doli.
Brutto-Einnahme . . . 1.487,044.814 1.313,610.118
Betriebskosten . . . . 961,428.511 856,968.999
Reinertrag 525,616.303 456,641.119
Der durchschnittliche Brutto-Ertrag pro Strecken-
meile belief sich auf 7723 Doli, oder 717 Doli, mehr
als im Vorjahre. An Steuern hatten die Eisenbahnen
im Jahre 1899 bis 1900 einen Gesammtbetrag von
47,415.433 Doli, zu entrichten, was im Durchschnitt
für die Streckenmeile eine Besteuerung von 246*24 Doli,
ausmacht. Diese Summen begreifen indess weder die
Abgaben in sich, welche nach dem neuen Einkommen-
steuergesetz der Bundeskasse zufliessen, noch die ver-
hältnissmässig geringen Sondergebühren, welche ein-
zelne Staaten von den Eisenbahnen neben der Haupt-
besteuerung noch erheben. Die Gesammtzahl der bei
den Eisenbahnunfallen zu Schaden gekommenen
Personen belief sich im Rechnungsjahre 1899/1900
auf 58.185; von diesen kamen ums Leben 7865, ver-
letzt wurden 50.320. Unter den Getödteten waren
2550, unter den Verletzten 39.643 Angestellte der
Eisenbahnen.
Die Herrschaft des Kapitalismus in Nordamerika
ist eine unumschränkte. Der Präsident und die gesetz-
gebenden Körperschaften müssen ihr unbedingt dienen,
dafür sorgt schon der Staatssekretär Jude Hay. Thal-
sächlicher Herr Nordamerikas ist Jude Morgan, der
nur aus dem Petroleummonopol jährlich 25 Millionen
Dollars reines Einkommen hat. Nordamerika ist das
Land, wo der Dollar alles regiert und beherrscht,
die Freiheit ist nur ein Schwindel.
h) Staats vor anschlage der übrigen civilisirten Staaten.
Argentina. Ausgaben für das J. 1902 : 102,943.693
Pesos in Papier, und 33,072.223 Pesos in Gold.
Staatsschuld betrug 86,984.202 Lib. sterl. 18 Millionen
Pesos Gold, 95 MilL Pesos in Papier. Ende Mai 1903
eröffnete dor President den Kongress mit folgender
Botschaft, Ulo Kriogsbefürchtungen und der Verlust
615
der Ernten in einigen Provinzen legten in dem
Jahre 1901/2 die Geschäfte in sehr empfindlichem
Masse lahm und brachten eine beträchtliche Ver-
minderung der Staatseinnahmen mit sich. Der Ein-
nahmevoranschlag belief sich auf 47,413.347 Pesos
Gold und 72,890.000 Doli. Papier. Die wirklichen or-
dentlichen und ausserordentlichen Einkünfte brachten
jedoch nur 40,240.264 Doli Gold und 69,129.483 Doli.
Papier, so dass sich also gegenüber dem Voranschlage
«in Ausfall von 7,173.082 Doli. Gold und 3,760.516
Doli. Papier ergab. Dank möglichster Sparsamkeit
und dem in Budget vorgesehenen Zuschuss der
Banco Nacional war das Deficit das geringstmögliche,
und ich kann (sagt der Präsident) hinzufügen, dass
dasselbe bereits durch die Verwendung des aus den
ersten Monaten des laufenden Jahres sich ergebenden
Einnahmeüberschusses gedeckt ist. Der erhebliche
Rückgang der Einfuhr und der Staatseinnahmen fand
«inen Ausgleich in der Zunahme der Ausfuhr, die
sich auf 179,486.727 Doli. Gold belief, womit das
Ergebnis des Jahres 1901 um 11,760.625 Doli. Gold
übertroflfen und ein Ueberschuss des Exports über
den Import von 76,447.471 Doli, erzielt wurde, der
auf den Stand der internationalen Wechselkurse ein-
wirkte, die Zahlungen des Importhandels erleichterte
und es der Verwaltung gestattete, ihren Auslands-
verpflichtungen zu vortheilhaften Bedingungen nach-
zukommen. Die am 1. Juli 1901 nach einer seit 1893
dauernden Unterbrechung wieder aufgenommene
Amortisirung der konsolidirten auswärtigen Schuld
ist mit aller Pünktlichkeit geleistet worden. Diese
Pünktlichkeit unseres Verfahrens hat zweifellos zu
der Hebung unseres Kredites und zu der grösseren
Leichtigkeit beigetragen, womit die Regierung ihre
Finanzoperationen auszuführen schon in der Lage
ist. Davon zeugt auch die schon erwähnte Kurs-
besserung unserer Schuldtitel, von denen einige,
nämlich diejenigen von 6 und 5%, über Pari no-
tiren, was die Möglichkeit einer Zinsenreduktion auf
Grund der in diesen Fällen bei den Nationen üblichen
Mittel in nahe Aussicht stellt. Die gleiche Hebung
unseres Kredites hat es der Regierung auch ermöglicht,
616
zu günstigeren Bedingungen die Titel des 1891er An-
lehens und der Banco Nacional in Liq. unterzubringen.
Die Botschaft weist ferner auf die Anhäufung von
Bargold in dem Lande hin und fährt fort: Allein in
der Konversionskasse befinden sich in diesem Augen-
blicke mehr als 25 Millionen Dollar Gold, welche
gegen das unter Garantie der Nation zu dem ge-
setzlich festgesetzten Kurse cirkulirende Papiergeld
umgetauscht wurden. „Ich bintf — so äussert sich
der Präsident weiter — „der Ansicht, dass dieses
Gesetz auf das entschiedenste aufrecht erhalten werden
muss, und dass, sobald der Stand der Staatskasse
dies erlaubt, dem Konversionsfonds die Summen
wieder erstattet werden müssen, die ihrer Verwendung
aus bekannten Ursachen (Kriegsrüstungen gegen Chile)
entfremdet worden sind. Auf diese Weise möchte dann
auch in nicht zu ferner Zeit das Versprechen einer
Barkonversion zu dem festgesetzten Kurse zur Er-
füllung kommen. Wenn Argentinien gute Ernten be-
schieden sind und das Land sich nicht zu neuen
Ausschreitungen verleiten lässt, darf mit einer Konso-
lidation der Verhältnisse des Landes gerechnet werden.
Der Ausbeuter der argentinischen Republik ist Lord
Rothschild in London, er nimmt die Zinsen für die
Staatsschuld in Empfang.
Belgien. Ausgaben pro 1902 waren: 491,368.524
Francs. Die Staatsschuld betrug 2778,051.350 Francs.
Erforderte eine Verzinsung von 133,976.480 Francs.
Ende 1899 betrug das mobile Kapital der Brüsseler
Börse 7718 Millionen Francs. Die Internationalität des
Unternehmerkapitals wird trefflich durch einen bel-
gischen Bericht über den auswärtigen Handel illustrirt.
Danach arbeiten in Spanien 7 belgische Gesellschaften
mit 23 Millionen Franken Kapital; in Portugal eine
Gesellschaft mit 700.000 Franken; in Serbien eine
Gesellschaft mit einer Million. In Italien haben drei
Gesellschaften belgischer Kapitalisten je eine Million,
in Griechenland eine die Summe von 2,200.000 Frcs.
investirt. Zwei Gesellschaften sind in Egypten eta- ,
blirt, wovon eine mit vier Millionen; vier in Persien,
wovon zwei mit 370.000 Franken; eine Gesellschaft i
in Bra** ^ Millionen. In Mexiko ist eine
617
belgische Gesellschaft mit ungenanntem Kapital
thätig; am Kongo 14 Gesellschaften mit 45,950.000
Franken und in Russland 55 Gesellschaften mit über
178 Millionen Kapital. Diese Zusammenstellung ist
aber noch nicht vollständig, indem sich noch grosse
Kapitalsummen, welche ausser Landes arbeiten, jeder
Kenntnis entziehen. Angesichts solcher, übrigens hin-
länglich bekannten Thatsachen ist gewiss auch die
internationale Solidarität der Arbeiterinteressen be-
rechtigt.
Brasilien. Ausgaben für das Jahr 1902 waren:
237,921.289 Milreis in Papier, 33,592.179 Milreis in
Gold. Aeussere Schuld Brasiliens 44,396.976 Liber St
in Gold. Innere Schuld 1425,500.000 Milreis in Papier.
Schulden der Einzelstaaten 10,135.729 Milreis. Staats-
financier Brasiliens ist Lord Rothschild in London»
Rumänien. Staatsausgaben für das Jahr 1902
waren 218,500.000 Lei. (1 Lei = 0-80 M.) Staatschuid
betrug 1.413,339.384 Lei. Zinsen dafür pro 1902 be-
trugen 86,441.092 Lei. Financiers des rumänischen
Staates ist vornehmlich der Pariser Rothschild. Das
internationale Finanzjudenthum will mit aller Gewalt
dieses Land den Juden erobern und das rumänische
Volk vernichten. Rumäniens Bevölkerung treibt vor-
nehmlich Landwirtschaft. Die Gesammtoberfläche Ru-
mäniens beträgt 13*1 Millionen Hektar. Hievon ent-
fallen 3*1 Millionen Hektar auf unkultivirtes und un-
kultivirbares Land, 2*7 Millionen Hektar auf Wälder,
0-2 Millionen Hektar auf Wein- und Obstkulturen
und 6*9 Millionen Hektar auf Acker- und Wiesenland,
welches sich auf 919.082 Eigenthümer vertheilt. Von
diesem Kulturboden kommen: a) auf die Erbbauern
als unveräusserlicher Besitz 4*4 Millionen Hektar,
b) auf den Grossgrundbesitz 1'7 Mill. Hektar, c) auf
in Loose vertheilte und zum Verkauf gestellte Par-
zellen 0*003 Mill. Hektar, d) auf unverkäufliche Staats-
güter 0*2 Mill. Hektar, e) auf vom Domänenministe-
rium an andere Behörden abgetretenen Grundbesitz
0003 Mill. Hektar, f) auf Kirchen, Spitäler, Wohl-
thätigkeitsanstalten 0*6 Millionen Hektar. Hierin sind
Wälder nicht mit inbegriffen; dieselben werden erst
im Augenblick ihrer Ausbeutung steuerpflichtig. Von
618
den Wäldern entfallen: a) auf die Güter der todten
Hand und der Domänen 166.720 Hektar, b) auf den
Staat 1,085.033 Hektar, c) auf den Grossgrundbesitz
1,200.736 Hektar, d) auf die Bauern 321.560 Hektar.
Von den 6*9 Mill. Hektar Ackerland befinden sich ca.
4*40 Mill. Hektar in Händen der Bauern; 1*7 Mill
Hektar gehören dem Grossgrundbesitz. Der bäuer-
liche Besitz ist also um 2y2mal grösser als derjenige
der Latifundien. Der Werth dieser 6*9 Mill. Hektar
Grundbesitz betrug im Jahre 1900 ca. 4560 Mill. Lei
und einschliesslich desWerthes der Staatswal düngen,
der Privatwaldungen, der Wein- und Obstkulturen
im Ganzen ca. 4970 Mill. Lei. Hievon kamen etwa
1115 Mill. Lei auf den Grossgrundbesitz. Das Netto-
einkommen aus diesem Gesammtgrund besitz — aus-
schliesslich der steuerfreien Waldungen und der
Staatsdomänen — belief sich auf etwa 212 Mill. Lei.
Dieser Nettoertrag ist mit etwa 11*5 Mill. Lei Grund-
steuer, und zwar so belastet, dass auf die 4*4 Mill.
Hektar der Bauern ca. 7*7 Mill. Lei, auf die 1*7 Mill.
Hektar des Grossgrundbesitzes ca. 3*6 Mill. Lei ent-
fallen. Letzterer bezahlt erheblich mehr Grundsteuer
als der Kleinbesitz. Zu den erwähnten 11*5 Mill. Lei '
kommen aber noch ca. 10 Mill. Lei Zuschlagsteuern
und etwa 1 Mill. Lei Hektarsteuer für Wein- und
Pflaumenkulturen. Die Gesammteinnahmen des Finanz- i
ministeriums aus dem Landgrundbesitz belaufen sich i
also auf ca. 22 Mill. Lei jährlich. Dieser Gesammt-
grundbesitz ist mit ca. 432 Mill. Lei hypothekarisch
belastet, und zwar in erster Linie wieder der Gross-
grundbesitz mit fast 420 Mill. Lei; der unveräusser-
liche Besitz der Bauern ist daran mit kaum 12 Mil!.
betheiligt. • Beim „Credit funciar rural" sind etwa
225 Mill. Lei, bei Privaten ca. 177 Mill. Lei hypotheka-
risch aufgenommen. Von letzteren 177 Mill. Lei tragen
jedoch nur etwa 134 Mill. Zinsen; der Rest von ca.
43 Mill. Lei besteht aus unverzinsten Garantien.
Für diese Gesammthypothekenschuld zahlt der
ländliche Grundbesitz jährlich an Zinsen:
1. an den Credit Agricol ca. . . . . 2-3 Mill. Lei
2. an den Credit Funciar ..... 26*1
619
3. an die Agricolbank ........ 1*3 MilL Lei
4. an Privatgeldgeber . . lO'OO „ »
zusammen . 39:6 MilL Lei
zu denen noch an Gerichtskosten etc. 3*00 „ „
und an vorerwähnten Grundsteuern . 22-00 „ „
kommen, so dass ca 64*60 Hill. Lei
oder ca. 30 Proc. des Nettoeinkommens zur Bezahlung
von Steuern, Zinsen u. s. w. abgehen. Die seit 1873
gegründete „Societate Greditul funciar rural" gab
zuerst 7procent. Grundbriefe im Nominalwerthe von
17 Hill. Lei zum Kurse von 80*9 Proc. aus, 1881
emittirte sie öproc, vom 1. Juli 1898 an aber 4proc.
In Girkulation befinden sich zur Zeit ca. 230 Hill. Lei
(Nominalwerth) zu 4 Proz. Die Verwaltungskosten
belaufen sich auf 0*25 bani pro 100 Lei nominal pro
Jahr. Bis zum 31. Dezember 1900 wurden bei der
Gesellschaft im Ganzen 1817 Grundstücke mit Hypo-
theken belastet gegen 1756 bis zum Jahre 1897. Von
1873 bis zum 1. Januar 1900 hat die Gesellschaft
ausgegeben: 64 Hill. Lei in 7proc. Titres, 272 Hill.
Lei in öproc. Titres, 24 Hill. Lei in 4proc. Titres,
im Ganzen also 360 Hill. Lei. Hievon wurden im
Ganzen durch Vorausbezahlung und Auslosung ca.
107 Hill, amortisirt. Der Zinsfuss für Privathypotheken
ist ein ungleich höherer und schwankt zwischen 8
bis 18 Proc. pro Jahr, erreicht aber nicht selten auch
36 Proc. Die vorerwähnten 134 Hill, verzinsbarer
Privathypotheken tragen 13 Hill. Lei Zinsen pro Jahr.
Für den ihnen bei Bankiers und sonstigen Geldgebern
eingeräumten Kredit zahlen die Grossgrundbesitzer in
der Regel 24 Proc, zu denen noch 050 Proc. Kom-
mission und andere Auslagen kommen.
Ueber den Wucher berichtete 1901 der Gonsul
Hurter in Bukarest folgendes: Nach einer Broschür,
die die vor 2 Jahren beim rumänischen Domänen-
ministerium errichtete wirthschaftliche Enquetekom-
mission über den Ruralbesitz in Rumänien veröffent-
licht hat, entfallen von der Gesammtoberfläche Ru-
mäniens, welche 13,135.744 ha beträgt, 3,166.444 ha
auf unkultivirtes Land wie Wege, verbaute Grund-
flächen, Flüsse, Sümpfe, Seen, felsiges Terrain, Stein-
620
brüche etc., 2,774.048 ha auf Wälder, 216.656 ha auf
Wein- und Obstgärten und 6,978.596 ha auf Ackerland
und Wiesen. Der effektive Werth des Agrarbesitzes
bei seiner oben angeführten Ausdehnung von 6,978.596
ha wird auf 4.558,971.760 Lei, der Werth der Staats-
waldungen auf 48,911.518 und der Werth der Privat-
wälder, der Wein- und Pflaumengärten auf 135,120.200
Lei geschätzt. Danach würde der effektive Werth des
gesammten Kulturlandes in Rumänien die Höhe von
4.962,993.678 Lei erreichen, wovon 1.114,940.339 Lei
auf den ländlichen Grundbesitz entfallen. Das jährliche
Nettoeinkommen aus dem gesammten Agrarbesitz des
Landes mit Ausschluss der Wälder, die erst beim
Abhieb des Holzes einer Steuer unterworfen werden,
und mit Ausschluss der Staatsgüter beziffert sich
nach den Konstatirungen des Finanzministeriums auf
211.930,346 Lei. Von diesem jährlichen Nettoeinkommen
ist eine jährliche Grundsteuer von 11,424.356 Lei zu
zahlen, welche Summe jedoch durch die Zuschläge
auf 21,195.633 Lei oder 9-44 pCt. sich erhöht, die für
Wein- und Pflaumengärten bestehende Hektarsteuer
im Jahresbetrage von 1,059.000 Lei gar nicht einge-
rechnet. Ausser diesen Abgaben zahlt das Einkommen
aus dem ländlichen Grundbesitz jährlich 26,174.321
Lei Zinsen für die beim Credit funciar und den Pri-
vaten aufgenommenen Hypothekaranleihen, an welchen
der Grossgrundbesitz mit 34*02 pCt. seines oben mit
1.114,940.329 Lei angegebenen Besitzwertes betheiligt
ist. Die Hypothekenzinsen der Privatanleihen sind
hoch und steigen bei einem Durchschnitt von 9*92 pCt.
in einzelnen Fällen bis zu 36 pCt. per Jahr. Noch
weit grösser sind die Zinsen, welche die Landwirthe
für den ihnen eingeräumten Personalkredit bezahlen.
So bezahlen die grossen Grundbesitzer bei den Ban-
kiers 24 pCt. Jahreszinsen und ausserdem noch 0*50
pCt Kommission. Erschreckend ist aber die Höhe der
Zinsen, zu welchen sich der Bauernstand herbeilassen
muss. Ein Zins von 1 Lei für 20 Lei per Monat oder
von 60 pCt. per Jahr gilt noch als ein Freundschafts-
dienst. Ein doppelter Zinsfuss von 120 pCt. ist längs
der ganzen Donau von Turn-Severin bis Galatz ge-
bräuchlich. In einer Gemeinde des Distriktes Mehedint
621
zahlen die Bauern für ein Darlehen von 20 Lei für
-den Tag 20 Bani oder 73 Lei per Jahr, was einer
Verzinsung von 365 pCt. per Jahr entspricht. An
anderen Orten wird der Bauer unter dem Vorwande
des Getreideverkaufes bewuchert, indem man ihn zum
Beispiel erklären last, dass er den Preis von 2 bis
3 Chila Mais empfangen habe, während er blos den
Preis für ein Chila erhalten hat Bis zum 1. Januar
1900 hatte die Hypothekarschuld des Grundbesitzes
431,921.778 Lei betragen, von welcher Summe
254,227.136 Lei vom Credit funciar rural, der Rest
auf dem Privat wege aufgenommen worden war.
Die Wuchergeschäfte besorgen ausschlieslich die
Juden.
Schweden und Norwegen. Ausgaben pro 1902 :
172,468.200 Kronen. Staatsschuld: 349,182.333 Krön.
Zins pro 1902 : 12,974.100 Kronen.
Schweiz. Ausgabe pro 1902: 108,120.000 Francs.
Zins für die Staatsschuld : 4,514.277 Francs.
Serbien, Ausgabe pro 1902 : 72,983.135 Dinars.
(Dinar = 0-80 M.). Staatsschuld 418,685.093 Dinars.
Zins dafür 19,422.000 Dinars.
Spanien. Die Staatsausgaben pro 1902 waren :
971,176.259 Pesetas; Staatsschuld Spaniens betrug
9.651,503.304 Pesetas. Zins dafür 399,905.177 Pesetas.
Staatsfinancier Spaniens ist der Pariser Rothschild
und sein Bevollmächtiger in Spanien Banquier
Moritz Bauer in Madrid. Staatseinnahmen waren:
Immobilien- und Viehsteuer 1902/3 Millionen Pesetas
(166 y4 Millionen); Industrie- und Handelssteuer
43Va Millionen (42!2); Einkommensteuer 1221/,
Mill. (166); Erbschaftssteuer 51 '/2 Mill. (49»/*), Berg-
werkssteuer ll/2 Mill. (7); Personalsteuer 9'/4 Mill.
<9'/0; Munizipalabgaben 31/, Mill. (3 V2); Luxuswagen-
steuer 919.215 Pes. (859.252); Abgaben der baskischen
Provinzen und Navarras 62/3 Mill. (670? Zölle 1423/3
Mill. (169) — eine Folge der guten Getreideernte — ;
Zuckersleuer 2173 Mill. (19y3); Spritsteuer 4 Mill.
<2»/3); Konsulatsabgaben IV* Mill. (P/0? Konsum-
und Salzsteuer 83«/a Mill. (91 y3); Transportsteuer
237* Mill. (23); Stempelabgaben 66 1/2 Mill. (65); Gas-
und Elektricitätssteuer 4y3 Mill. (4) ; Tabaksteuer
622
133V* Mill. (126 1/0; Streichholzsteuer 5 Mill. (5);
Lotterie 34>/4 Mill. (29); Sprengstoflfsteuer 3»/3 MUL
(8y4); Almaden 6V« Mill. (6*/,); Linares Vi Mill. (1);
Kanalabgaben l1/, Mill. (l1/*); Cruzada-Rente 2*/3 Mill.
(2V3); Befreiung vom Militärdienst 13 V* Mill. (8 Vi);
sonstige Einnahmen 29Va Mill. (33V3), zusammen
1014 Mill. (994Va)- Diese Ziffern verdienen gegen-
wärtig insofern besondere Beachtung, als nach der
Frankf. Z. der spanische Finanzminister ein Reorga-
nisationsprogramm ausgearbeitet haben soll, in dem
infolge besserer Steuereinhebung und Schaffung neuer
Steuern, darunter einer Alkoholsteuer, ein Ueberschuss
von 100 Mil. Pesetas in Aussicht gestellt wird. Dieser
Ueberschuss soll theils zu Rückzahlungen an die Bank
von Spanien, theils zu Rückkäufen von Extörieurs
sowie zu Massregeln für Verbesserung des Wechsel-
kurses dienen. Der spanische Aussenhandel zeigt pro
1902 folgende Hauptziffern: Einfuhr 811 Mill. Pesetas
(1901 837V4, 1900 875 Mill. Pes.), Ausfuhr 752 ■/<
(resp. 706 und 753V2 Mill. Pes.).
Das internationale Finanzjudenthum arbeitet mit
aller Kraft dieses Land zur Republik zu machen,
um es auf ähnliche Weise auszubeuten wie Frankreich.
So schreibt der Jude Mosse in seinem Organ Berliner
Tageblatt vom 19. Mai 1903 Folgendes:
Republikaner und Königsthum in Spanien. Der
junge König Alfons hat es, dem den spanischen Hof
beherrschenden klerikalen Einflüsse widerstandslos
ausgeliefert, nicht fertig bringen können, sich diejenige
Popularität zu sichern, die der Inhaber eines so
schwankenden Thrones wie des spanischen unbedingt
haben muss. Die Gefahren dieses Zustandes für die
Dynastie beleuchtet eine Unterredung, die unser
Londoner ß-Korrespondent mit einem loyalen An-
hänger der Dynastie hatte. Er berichtet uns darüber
in folgendem Privat-Telegramm : Ein dem spanischen
Hofe sehr nahe stehender, eben aus Madrid zurück-
gekehrter Herr, dessen besondere Anhänglichkeit an
die königliche Familie mir bekannt ist, theilte mir
sorgenvoll mit, dass die republikanische Bewegung
in Spanien immer aussichtsvoller auftritt. Er mass
diesen Umstarid vornehmlich der Thatsache bei, dass,
62S
während die Republikaner sich eifrigst rühren, der
junge König seit seiner letzten Reise im vorigen
Jahre, wo er von der Bevölkerung enthusiastisch
aufgenommen wurde, sich durchhaus passiv verhalte»
und dadurch die Fühlung mit dem Volke verloren
hat. Wenn er reise, so geschehe dies möglichst un-
auffällig, fast geheim. Die Schuld hierfür wird der
ängstlich um ihren Sohn besorgten Königin bei-
gemessen. Wie gross die Verehrung für die Königin
als Regentin war, so sehr wünscht man heute ihre
Entfernung von der Seite des jungen Königs und
würde am liebsten ihre Rückkehr in ihre öster-
reichische Heimat sehen. Es scheint aber, dass
niemand in ihrer Umgebung es wagt, ihr über die
Situation Aufklärung zu geben und ihr diesen Schritt
nahe zu legen. Mein Gewährsmann wies darauf hin*
wie es der Infantin Isabella gelungen ist, im Volke,
in dessen Mitte sie lebe, grosse Popularität zu er-
langen, und meinte, dass dieses Beispiel genügen
sollte, den jungen König dem Volke mehr zuzuführen,
um eine allen treuen Royalisten und Freunden der
königlichen Familie überaus schmerzliche Katastrophe
zu verhindern. Das klingt nicht gerade tröstlich für
die Zukunft der Dynastie Bourbon-Anjou. Und es
ist nicht abzusehen, das irgendeine Aenderung ein-
treten sollte.
Die spanischen Cortes sind gestern in der üblichen
Weise mit einer ziemlich gleichgiltig lassenden Thron-
rede eröffnet worden. Unser Madrider Korrespon-
dent sendet uns folgendes Privat-Telegramm : Unter
Kanonendonner, Vivas und grossem Aufwand an
königlicher Pracht wurden Montag Nachmittags die
Cortes eröffnet. Nur vereinzelte Vivas ertönten auch
auf der Strasse bei der Durchfahrt -des Königs. Im
Senat war die Begrüssung lebhafter. Die Thronrede
bietet nichts neues ; die verspricht Reformen auf den
verschiedensten Gebieten, gedenkt der Einigkeit der
Mächte bezüglich der Integrität Marokkos und kündigt
ein organisches Grundgesetz für die Verwaltung Fer-
nando Pos und Unterrichtsgesetze auf der Basis völ-
liger Freiheit an, womit die Ultramontanen sehr zu-
frieden sein dürften, da die Schulen dadurch den Kon-
624
gregationen ausgeliefert werden. Bezüglich der Fi-
nanzen stellt die Thronrede einen ausgeglichenen Etat
beziehungsweise einen Ueberschuss in Aussicht, um
die Währungsfrage zu lösen, ferner ein Spritgesetz
und die definitive Regelung der Erbschaftssteuer.
Schliesslich verspricht sie sociale Reformen. Die
Republikaner blieben zum Zeichen des Protestes
gegen die Monarchie der Eröffnung fern.
Türkei. Staatsausgabe pro 1898: 18,429.411 türk.
Pfund. (1 t. Pf. = 18'/* M.) Staatsschuld 133,939 003
türk. Pf. Zins 6,459.306 türk. Pf. Financiers der Türkei
Pariser und Londoner Rothschild, Erlanger in London
und andere Börsengrössen. Pariser Rothschild allein
besitzt rund für 2000 Millionen Francs türkische Titres.
Deswegen muss auch die Türkei unangetastet bleiben,
und wenn Abdul Hamid sämmtliche Christen ermorden
liesse, keine Macht darf eingreifen, Rothschild käme
um seine Zinsen.
Bulgarien. Ausgabe pro 1902: 98,898.337 Lei.
Staatsschuld 290 Millionen Lei, verzinst zu 5%. i
Aegypten. Staatsausgabe pro 1902 war 11,060.000 '
aegypt. Pfund. (1 aegypt. Pf. = 20 M.) Staatsschuld '
103,022.000 Pfund Sterling Gold. Zins dafür 4,399.876 |
aegypt. Pfund. Wird verwaltet vornehmlich für den ,
Londoner Lord Rothschild. I
Chile. Diese Republik ist ein besonders dankbares
Operationsobjekt des Londoner Bankhauses Lord Roth-
schild. Finanzbericht des Sonar Gruzat lautet sehr
anmutend. Noch vor wenigen Jahren vermochte Chile
im internationalen Geldmarkt AnleihTO zu 4y2 Proc.
aufzunehmen, und seine Bonds behaupteten sich da-
mals in unmittelbarer Nähe des Pari-Standpunktes.
Heutzutage notieren seine 4l/2proc. Schuldverschrei-
bungen etwa 85, und als es vor einigen Monaten die
verhältnismässig geringe Summe von 500.000 Pfd. St.
benötigte, sah es sich gezwungen, 7 Proc. Zinsen zu
offerieren. Wie der chilenische Finanzminister gele-
gentlich seines Budgetentwurfes für 1903 berechnete,
dürften die gewöhnlichen Staatseinkünfte in 1900
100,330.000 Doli, und die gewöhnlichen und ausser-
gewöhnlichen zusammen 143,104.967 Doli, ergeben
haben. Der Aufwand in dem ein Deficit von 2,777.663,
I
625
Doli, aus dem Jahre 1901 mit inbegriffen ist, belief
sich auf 101,604.967 Doli., so dass 1902 wiederum
mit einem Fehlbetrage von 8,500.000 Doli, abgeschlossen
habere jnüsste. Hätte der Finanzminister im letzten
Jahre nicht 20 Mill. Doli, dem Währungs-Konyersions-
fonds entnommen und bei der Bank von Tarapaca
6,666.667 Doli, geborgt, so würde das Deficit mehr
als 30 Mill. Doli, betragen haben. Was das Jahr 1903
anbetrifft, so werden die Staatseinkünfte in demselben
auf 1 1 5,000.000 Doli, und die Ausgaben auf 126,240.224
Doli, geschätzt, so dass also ein weiterer Fehlbetrag
von 11,190.224 Doli, bevorsteht Die Staatsschuld Chiles
betrug Ende 1902: 305,568.888 Pesos.
Dänemark. Ausgabe pro 1902: 74,911.809 Kronen.
Staatsschuld 246,394.958 E, Zins dafür 8,126.509 K.
Griechenland. Ausgaben pro 1902: 121,885.707
Drachmen. (1 D. = 080 M.) Staatsschuld 864,398.073
Drachmen.
Japan. Aufgaben pro 1902: 275,887.424 Jen.
Staatsschuld 510,189.078 Jen, Zins dafür 37,851.919
Jen. (1 Jen = 2-09 M.)
Mexiko. Ausgaben pro 1902: 64,738.816 Pesos.
Staatsschuld 250,7X6.856 Pesos. (1 mexik. Pesos =
2*13 Mark.)
Niederlande. Ausgaben pro 1902: 167,333.723
holländ. Gulden. Staatsschuld 1.132,258.750 holländ.
Gulden, Zins dafür 34,129.370 holländ. Gulden. (1 hol.
Gulden = 1 68 M.)
Portugal. Ausgaben pro 1902 - 55,690.114 Milreis.
Äussere Staatsschuld 171,723.502 Pfund Sterling innere
Staatsschuld 51,537.484 Milreis. Zinsen 20,739.310
Milreis. (1 Milreis rr 3-60 M.)
China. Ueber die Staatseioahmen Chinas berichten
die Pekinger gesammelten Nachrichten auf Grund
amtlicher chinesischen Berichte sehr ausführlich. Die
Einnahmen des 25 Jahres Kwanghsüs (Februar 1899
bis 1900) erscheinen dort unter fünf grossen Kapiteln
aufgeführt: .Grundsfeuer, Zölle (Seezölle u. Dschunken-
zölle), Likin, Salzsteuer und verschiedene Abgaben
(Opium, Thee, Holz, Gewerbesteuern und Pfandhaus-
gebühren). Den grössten Ertrag liefern danach die
letzteren gemischten Abgaben und die Grundsteuer;.
40
626
der Gesaram tertrag aller Einnahmen islwaf 83,253.800
Taels angegeben, also etwa 270 Millionen Mark, wobei
aber bemerkt werden muss, dass alle Ziffern nach
unten auf je hundert Taels abgerundet angeführt und
in dieser Verminderung zusammengezählt sind. An
unmittelbarer Grundsteuer und an Naturalabgaben
kommen 23,797.500 Taels ein, an Geldzahlungen an
Stelle ursprünglicher Naturallieferungen 4,447.600
Taels und rückständige Summen aus dem Vorjahre
2,094.000 Taels; zusammen 30,339.100 Taels oder
rund 90 Millionen Mark an Grundsteuer. Die Seezölle
ergeben 22,035.400 Taels oder rund 66 Millionen
Mark. Die Dschunkenzölle für den inländischen Fluss-
und Hafenverkehr einheimischer Fahrzeuge, die von
den Likinabgaben getrennt erhoben werden, bringen
2,906.400 Taels oder rund 8 Millionen Mark ein. Ein-
geschlossen sind dabei für die Provinz Kiangsi die
Seidenzölle des Zollamtes von Eantschoufu (im Süden
der Provinz am Kanfluss). Mit zu den bedeutendsten
Einnahmequellen gehören die unter dem Namen Likin
bekannt gewordenen Inlandzölle. Likin (nach Pekinger
Mandarinenaussprache Litschin) bedeutet eigentlich
„ein Käsch vom Werth", also ein Tausendstel, und
ist seit dem grossen Taipingaufstand der Name für
einen von allen Waren erhobenen Durchgangszoll, der
in allen grösseren Orten und ausserdem an den
Flüssen und auf den bedeutenderen Verkehrswegen
an eigenen Sperren (Tschia) an den Flüssen, Kanälen
und Gebirgspässen eingetrieben wird. Nach dem vor-
liegenden Bericht hat das Likin im Rechnungsjahre
14,678.300 Taels oder rund 45 Millionen Mark einge-
bracht. Fast genau dieselbe Summe liefert Steuer und
Likin auf Salz, nämlich 14,537.400 Taels. Unter den
im fünften Kapitel aufgeführten verschiedenen Steuern
nimmt die Abgabe auf einheimisches Opium die her-
vorragendste Stelle ein, fast die Hälfte aller anderen
zusammengenommen. Insgesammt weist dieser Ab-
schnitt 4,776.400 Taels oder rund 15 Mill. Mark auf.
Anfangs des 19. Jahrhundertes waren sämmtliche
Staaten Europas ungefähr 20.000—25.000 Millionen
Francs schuldig, heute dürften die Staatsschulden
Europas die Summe von 130.000 Millionen Francs
627
i übersehritten haben. Die Börsenzeitungen bringen bei,'
Gelegenheit einer Ausschreibung einer Staatsanleihe1
Nachrichten, dass die Subscription der Staatsanleihe.1
so und sovielmal überzeichnet sei, damit die Finanz-
minister den Eindruck gewinnen, als ob so viel Geld
da sei, dass die Staaten in infinitum Schulden häufen
können. Alles das ist aber eitler Trug der Pressjuden.
In einem unbewachten Augenblicke verrathen sie doch
ihre schöne Seele. !
Es wird und muss auch der Augenblick kommen,
wo die Völker dieses furchtbare Judenjoch von sich •
abzuwerfen werden genöthigt sein, falls sie ihre eigene
Rettung vollbringen wollen.
Schlussbefrachfung,
Das „Bayerische Vaterland * hat in den Nummern
vom 18. und 19. Juli 1901 zwei Leitartikel gebracht
mit der Aufschrift „Diebösen Czechen". Es heisstdä:
Es gibt wohl keine Nation auf Erden, auf die
gegenwärtig so viel hinaufgelogen wird und gegeh
die eine intensivere Hetze veranstaltet wird, als gegen
jene, welche in den österreichischen Kronländern
Böhmen, Mähren und Schlesien die Mehrheit bildet,
das Volk der Czechen. Kein Volk, die Iren u. Polen
vielleicht ausgenommen, wurde in dieser Weise seit
Jahrhunderten unterdrückt und über keines ist. ge-
rade das deutsche Publikum, das sich auf seine um-
fassende Schuldbildung so viel zugute thut, so
mangelhaft unterrichtet. Und wenn die Czechen, seit !
ihnen ein Franz PalackJ erstanden ist, ein ebenso '
uneigennütziger und ehrlicher Patriot, als grosser
Gelehrter und ein Mann, auf den nicht nur Böhmen^
sondern die gesammte Menschheit mit Stolz blicken
darf, sich aus dem tiefsten Elend des 17. und 18. Jahr*
hunderts zu ihrer heutigen Blüthe und Entwickelung .
emporgerungen haben, sc ist dies nur ein Bewöis,
welche Fülle von Kraft und guten Eigenschaften in
diesem intelligenten Volksstamme der Slaven wohnt.
Fast die gesammte deutsche Presse nährt einen
an Fanatismus grenzenden Hass gegen dieses Volk;
40»
628
es ist so weit gekommen, dass ir. manchen Gegenden
Oesterreichs man einen Gzechen für seinen persön-
lichen Feind ansieht, und Mancher, der in früheren
Jahren dem goldenen hundert thürm igen Prag, das
man getrost zu den schönsten Städten der Welt
zählen kann, einen Besuch abgestattet hätte, unter-
lägst dies in der albernen Meinung, er werde dort
von den „halbwilden" Gzechen auf dem Kraut ver-
speist werden. Während man über die thatsachlich
bestehende Deutschfeindlichkeit der Magyaren (d. h.
auch nur der herrschenden Klasse, nicht des Volkes)
nur selten etwas liest, sind alle Blätter mit Alarm-
nachrichten über den „Deutschenhass" der Gzechen
angefüllt. Wie dies kommt, erzählt uns in einem sehr
interessanten und zur Aufklärung empfehlenswerthen
Werke „Der Nationalitäten- und Verfassungskonflikt
in Oesterreich- (Prag 1900, in der Cyrillo-Method'-
schen Buchhandlung) der czechische katholische
Priester Rudolph Vrba. Gleich am Eingange weist er
an Beispielen darauf hin, wie die Reden czechischer
Parteiführer bei bestimmten Gelegenheiten von der
Judenpresse, allen voran die Wiener „N. Fr, Pr.u,
systematisch entstellt und gefälscht werden, wie man
sich nicht scheut, in dieselben Aeusserungen hinein-
zulegen, die gegen das grosse Vaterland Oesterreich
und die allgemein verehrte Dynastie gerichtet sind,
ein Beweis, wie es die Juden verstehen, die Völker
unter einander zu verhetzen nach dem Grundsatze;
„Divide et iuipera !a Vrba sagt zum Schlüsse seines
Vorwortes: „Der Nationalitätenhader würde unmög-
lich solche Ausdehnung angenommen haben, wäre
Oesterreich nicht so reich gesegnet mit der Juden-
presse, dem Fluche Oesterreichs. Diese elende Presse
ist des Landes grösstes Unglück."
Woher kommt es nun, dass gerade die Juden-
presse, die doch in Deutschland unter Umständen,
wie z. B. die Kuhhaut, „deutsch-national" sein kann,
in Frankreich und Italien hyperpatriotisch ist und in
England und Ungarn den verrücktesten Chauvinismus
an den Tag legt, in Böhmen Alles daran setzt, dem
Volke Feinde ir ~ zu hetzen?
Was soll Hensch sagen, wenn all-
629
deutsche Trottel in der Welt herumziehen und den
Leuten erzählen, die Czechen stünden an Kultur den
Hottentotten gleich, ein Volk, das zu Karls IV. Zeiten
-die erste Stelle in Europa eingenommen und das
xiber eine Literatur verfügt, die, obwohl später in der
rohesten Weise unterdrückt, bewunderungswürdig
genannt werden muss. Als ein „Volk von Rastel-
bindern und Mausfallen-Händlern" bezeichnen all-
deutsche vacirende Eisendreher- und Bäckergesellen
die Czechen, von denen Meyers Konversationslexikon
sagt: „Die tausendjährige Anstrengung, das eigene
Wesen vor dem mächtigeren Deutschthum zu retten,
hat den Czechen manchen Charakterzug aufgedrückt,
der sonst den Slaven fremd ist. Misstrauen, Ver-
schlossenheit und eine gewisse verbitterte, nationale
Erregtheit. Seine Natur zeigt aber viele schöne Eigen-
schaften; er ist arbeitsam, tüchtig als Soldat und
Beamter, hat natürlichen Verstand und rege Phantasie,
fasst schnell, eignet sich leicht fremde Sprachen an
und treibt gern Poesie und Musik." Die Entwickelung
des Landes, in dem Landwirtschaft und Industrie
in richtigem gesunden Masstabe vertheilt sind und
das die Schatzkammer Oesterreichs genannt wird,
beweist die Richtigkeit obiger Charakteristik.
Den Czechen ist aber auch nicht gestattet und
wird höchst missfällig bemerkt, was anderen Nationen
ohne weiteres als ihr gutes Recht zugestanden wird.
Wenn deutsche Turnvereine in Oesterreich die Preussen
willkommen heissen, so wird man darin nichts Auf-
fälliges finden. Wenn aber czechische Turnvereine
die stammverwandten Russen, Polen, Serben u. s. w.
begrüssen, so ist dies ein grosses Verbrechen. Wird
dabei noch die Freundscheft mit Russland erwähnt,
•ein Staat, dem Oesterreich im Gegensatze zu Preussen
Tieles zu verdanken hat und der sich stets als treuer
und verlässiger Freund erwiesen hat, so ist dies auch
schon , Landes verrath*. , Wenn dagegen die Alldeut-
schen unter dem Schutze der Immunität im Parla-
mente die Feinde des Vaterlandes anrufen und dieses,
wie die Religion und das Kaiserhaus mit Koth be-
werfen, entrüstet sich die jüdisch-deutschnationale
Presse niemals. Nie wird man ähnliches von den
.630
.Czechen gehört haben, sondern, von der Verirrung
.beim Beginn des 30jährigen Krieges abgesehen, haben
sie stets ihre Loyalität in hervorragender Weise
bewiesen. Wer die glorreiche Geschichte der österreichi-
schen Regimenter durchblättert, der wird finden, dass
die Czechen stets zu den Elitetruppen der herrlichen
österreichischen Armee gezählt, dass sie Wunder der
Tapferkeit und Hingebung an das Vaterland voll-
bracht und eine Reihe der unsterblichsten Heerführer
gestellt haben, — war doch die Heldengestalt des Vaters
.Radetzky aus ihrem Volke.
Und wenn die Czechen in ihrem Patriotismus
keine Freunde des Bismarck' sehen Dreibundes sind,
sondern mit den Franzosen sympathiesiren, wohl-
verstanden mit den ehrlichen ritterlichen Franzosen,
nicht mit den dreyfusistischen Judenknechten, wer
kann ihnen hiezu das Recht absprechen ? Oder bedingt
die Gegnerschaft gegen den Dreibund in Oesterreich '
einsn Mangel an Patriotismus? In den Augen der '
verschiedenen Judenpapiere, die heute die Politik in '
Oesterreich machen, vielleicht ja ! Und wäre es un- '
begreiflich, wenn angesichts der Haltung der deut- '
sehen Presse den österreichischen inneren Kämpfen I
gegenüber, in den Czechen das Gefühl des Misstrauens I
erwachen würde?
Wer die Ereignisse der letzten 5 Jahre in Oester-
reich klar beobachtet hat, der kann die Bemerkung
nicht unterdrücken, dass die Hand Judas den Streit
hervorgerufen hat und unablässig schürt. Als Bürger-
meister Dr. Lueger in Wien die Seinen von Sieg zu
Sieg führte und wie die Hauptstadt, so auch das
flache Land zu nehmen drohte, als die Wahrschein-
lichkeit eines Zusammenschlusses aller ehrlichen
Parteien mit den Jungezechen zu einer grossen Arbeits -
partei im Parlamente, die auch dem Judenthume
tüchtig an den Kragen gegangen wäre, bestand, da
wurde der bekannte Zankapfel wieder unter die Völker
geworfen, in den sich nicht zuletzt die Deutschen
krampfhaft hinein verbissen haben. Wann werden
dieselben endlich einsehen, dass alle christlichen
Völkerschaften ihre Freunde im Kampfe gegen den
wuchernden- ausbeutenden und korrumpirenden Geist
631
des jüdischen' Semitismus sein müssen, wann werden
alle österreichischen Patrioten einsehen, dass nicht
eine deutsche Hegemonie, sondern nur ein gerechter
Ausgleich auf Grund der Gleichberechtigung aller
Nationen, wie er in der Verfassung garantirt und
durch die Humanität und die Vernunft bedingt ist,
den ersehnten Frieden bringen und Oesterreich den
ihm gebührenden ersten RangimRathe der Nationen
sichern kann?" * •- *~^r
Merkwürdig ist es, dass böhmische Blätter diese
Stimme des nB.V.u reproducirten, aber nur den Ein-
gang, sobald sie an die Stelle über die Judenpresse
kamen, brachen sie plötzlich ab. Ja wir wollen darüber
den Schwamm wischen, sonst würden wir ein eigenes
Kapitel schreiben und die Sache hätte kein Ende.
Das böhmische Volk hat seine guten Eigenschaften,
es ist geistig begabt, arbeitsam und auch sparsam.
Böhmische Theologen in Rom bekommen bei den
internationalen Wettbewerben alle Jahre ihre Preise,
was selbst dem Papst Leo XIII. aufgefallen ist. Das
böhmische Volk hat seine geistige Potenz besonders
auf dem Gebiete der Kunst bewiesen, reproducirende
Künstler wie Jan Kubelik, der böhmischer Abstammung
ist, wurde selbst von der deutschen Presse zu einem
überirdischen Wesen gestempelt, die Brüder Ondrifcek,
Kocian und andere Künstler vom Weltruf sind böhmi-
scher Nationalität Mit der Lyrik der Kompositionen
des Smetana kann sich kein Komponist auf der ganzen
Welt messen* So könnten wir auf allen Gebieten der
Kunst und Wissenschaft hervorragende Arbeiternennen,
welche der böhmischen Nation entstammen und so von
ihr das Zeugniss geben, dass das böhmische Volk auf
dem Gebiete der geistigen Arbeit sich mit jeder
anderen Kulturnation wohl messen kann trotz altem
Spott und Verleumdung seitens der Judenpresse und
der deutschnationalen und alldeutschen Pressorgane.
Warum wird von dieser Presse das böhmische
Volk systematisch in den Koth gezerrt und anderwärts
in Wien in verrufenen Lokalitäten von „Sängern" in
Spottliedern öffentlich beschimpft (Spottliedör „Servus
Bfezina" und andere, die sogar in der Hofoper An-
spielungen finden) und dem Hohn preisgegeben?
682
Das hat alles seinen Zweck. Die Söhne des
böhmischen Volkes sollen von allen Stellangen im
Staate und in der Kirche verdrängt, beziehungsweise
diese Stellen ihnen unzugänglich gemacht werden, es
wird ihnen so das Kainszeichen der böhmischen Ab-
kunft auf die Stirn künstlich aufgedrückt, so ein
„Sauböhme" darf sich um nichts bewerben trotz
Staatsgrundgesetze. Preussische Staatsangehörige fin-
den in den vorwiegend deutschen Landestheilen in
Böhmen, Mähren, Schlesien, dann in Wien massen-
hafte Anstellungen, in den Fabriken, Berk werken, bei
den Eisenbahnen ist alles von Preussen voll.
Es werden ihnen gerade die besten Beamten-
stellungen zugewiessen. Jährlich werden in Oesterreich
auf diese Art 1000 Reichsdeutsche naturalisiert. Reichs-
deutsche Pastoren laufen unkontrolliert über die
Grenzen nach Oesterreich, Predigtstationen wachsen
wie die Pilze und politische Behörden Oesterreichs
beeilen sich durch ihre Gegenwart bei den Grundstein-
legungen den Glanz zu erhöhen. Eine solche selbst-
mörderische Politik wird in keinem Staate auf der
ganzen Welt betrieben, selbst Mandarine in China
würden sich dafür schämen. Die Söhne der heimischen
böhmischen Nation müssen in der Fremde ihr Brod
suchen. Hier zu Hause ist alles durch Protektion ver-
geben und besetzt. Der Beruf der Rechtsanwälte, die
Medizin, öffentliche Staatsstellen werden von den
Söhnen Judas in erster Reihe occupiert
Es studierten im Wintersemester des Jahres 1899
his 1900 in Wien 1570, Graz 35, Insbruck 2, Prag
deutsche Univ. 413, böhmische 74, Lemberg 398,
Krakau 24, Czernowitz 169, zusammen 2872 Juden,
18*7% aller Studierenden, obzwar die Juden Oester-
reichs nur 4-69 Procent der Gesammtbevölkerung
ausmachen.
An den technischen Hochschulen waren im Jahre
1900 insgesammt 949 Juden, das ist 17-8% aller Stu-
dierenden. Katholiken waren 3996 eingeschrieben.
Die Juden stellen demnach 4mal so viel Studierende
auf. als die Christen. Davon wissen die Deutschnatio-
nalen und Schoenerianer nichts, da müssen sie
schweigen, n»* K*Kmische Volk hat auch seine Fehler,
633
diö ihifc schon vor mehr denn 1000 Jahren Gosmas
und andere Geschichteschreiber vorwarfen, Leichtsinn,
Vergnügungssucht, Sorglosigkeit für die Zukunft, Zer-
fahrenheit unter sich, Undankbarkeit gegen die besten
SOhne und Arbeiter des Volkes. Ein Volk, welches der
Sittenlosigkeit in die Arme fällt, ein Volk, das sich
der Genussueht hihgibt, braucht erst nicht auf einen
fremden Bedrücker zu Warten, es geht von selbst zu
Grunde.
Wer demnach das Volk zur christlichen Lebens-
weise, zur Sparsamkeit, keuschem enthaltsamen Leben,
welches die Grundlage der Familie bildet, zur Arbeit-
samkeit, zur christlichen Tugend in jeder Art erzieht,
wie es katholische Priester kraft ihres Berufes thün,
der ist der wahre Wohlthäter und Führer de* Volkes.
Ein tugendhaftes, gläubiges, enthaltsames, spar-
sames und sittenreines Volk kann von einem äusseren
Feind nicht ausgerottet werden, denn es hat eine
innere Kraft in sich, die ihm Niemand rauben kann.
Dagegen ein demoralisiertes, ungläubiges, arbeits-
scheues und niederen Genüssen ergebenes Volk geht
von selbst zu Grunde, es braucht nicht erst vom
äusseren Feind angegriffen und ausgerottet zu werden.
Wer demnach sein Volk von diesen Fehlern frei-
machest will, wer es zur Religion und Sittsatnkeit
führt, der ist der grösste Wohlthäter des Volkes. Das
böhmische Volk ist nun ein Gegenstand des Hasses.
Deutschnationale Fanatiker predigen überall seine
Ausrottung ohne auch im geringsten von den Be-
hörden daran gehindert zu werden. Arbeitet doch
der Staat selbst an der Verdeutschung der böhmischen
Länder, das Eisenbahnministerium in Wien übersetzt
ins Deutsche alle auch die entlegensten böhmischen
Dörfer, ob es nun . eine Kosteini Lhota oder Dolni
Lhota ist, so wird für die Zukunft von Wien aus
füfr den preussischen König gearbeitet. Ein starkes
böhmisches Volk ist der beste Schutzwall für ganz
Oesterreich vor dem Eindringen der preussischen Macht
und nur die Verblendung der massgebenden Faktoren
in Wien will diese Wahrheit nicht erkennen. Oder
ist der Hass gegen das böhmische Volk in Wien
grösser als dar Trieb nach der Selbsterhaltung, nach
•684
dqr Unabhängigkeit, nach' Freiheit, die doch durch
jedes Anwachsen der preussischen Macht in Wien
selbst bedroht sind? Österreich wird und kann für die
Zukunft und auf die Dauer nur dann bestehen, wenn
seine Regierungsmächte die Liebe der Völker er-
werben, und das kann nur geschehen, wenn einem
jeden Volke in Oesterreich nach gleichem Masse ge-
messen wird, einem jeden das Seine, es darf keine
bevorzugten und privilegierten und keine unterjochten
Bürger geben.
In Cäslav ereignete sich folgendes Ende Juni 1903.
Es wurden 36 Mann der dortigen Landwehrbesatzung
in den Tabakverlag des Juden Weiner geschickt, um
den Kommisstabak abzuholen. Ein Soldat ahmte die
jüdische Mundart nach in Gegenwart des Juden
Weiner. Dieser Jude beschwerte sich beim Führer
und da derselbe darauf nicht reagirte, lief er gleich
zun) Obersten Müller von Eck. Dieser Herr gab gleich
einen Regimentsbefehl heraus, dass es eines Soldaten
unziemlich sei die Juden zu verlachen. Der Soldat
bekam 10, der Führer 20 Tage, Kasernenarrest Uns
ist dieser Eifer des Obersten Müller Von Eck für
den Judenschutz sehr verdächtig. Aber abgesehen
davon, wir sehen, dass ein Jud nicht einmal scherz-
weise beleidigt werden darf, das trägt gleich den
Christen Kerkerstrafen zu. Was müsste denn erst
geschehen, wenn die ungezählten Verbrechen, welche
Tag um Tag an böhmischen armen Arbeitern, Kindern,
Mädchen und Frauen verübt werden, weil sie nicht zur
deutschen Nationalität zugehören, gestraft werden
sollten? Wo ist hier eine Sühne? Der fanatische Hass
der Deutschnationalen zur Ausrottung des böhmischen
Volkes findet seine Stütze an der Hinterwand, welche
eben das deutsche Reich bildet. Wer bürgt nun dafür.
dass das heutige Deutschland geeint bleibt, wie es Bis-
marck geschaffen hat? So sprach Bebel am 22. Janaar
1903 im deutschen Reichstag unter anderem Folgendes :
„Der vorliegende Etat bedeutet ein vollständiges
Däbacle. Aehnliches ist wohl noch bei keinem Staate
vorgekommen, dass die laufenden Ausgaben von den
Einnahmen nicht gedeckt werden. Selbst wenn die
Budgetkommission alle Künste spielen lässt, wird sich
635
,die Zuschussanleihe höchstens um zwei Drittel er-
niedrigen lassen. Diese Anleihe steht in striktem
/Widerspruch zur Verfassung, Ich sehe es schon
kommen, dass noch vieles mit der Verfassung in
Widerspruch stehen wird. Dann wird es ebenso gehen
wie mit der Geschäftsordnung im Reichstage. Selbst
Freiherr v. Rheinbaben hat im preussischen Landtag
erklärt, so könne es im Reich nicht weitergehen. Die
Regierung, das ist klar, hoffte nur auf die Einnahmen
aus dem Wuchertarif. Sie werden aber nicht aus-
reichen. Die Erhöhung der Zölle wird etwa 240 bis
250 Millionen Mark mehr einbringen. Aber auch diese
Summen werden nichts verschlagen. Es ist unmöglich,
dass wir in Deutschland, selbst wenn der Wohlstand
noch bedeutend anwächst, die Lasten für ein Heer
und eine Marine ersten Ranges tragen. Früher hat
das selbst das Gentrum anerkannt. Der Abg. Schädler
meinte: der deutsche Adler müsse über alle Meere
seine schützenden Schwingen breiten. Einer solchen
Aufforderung nach oben bedurfte es gerade noch!
(Heiterkeit.) Das Wort von Wettkriechen vor Russ-
land gilt noch immer. Wie steht es mit dem Flaggen-
telegramm, das auf der Revalreise abgesandt .ist?
Es soll gelautet haben : „Der Admiral des Atlantischen
Oceans sendet seinen Gruss dem Admiral des Stillen
Oceans" oder nach anderer Lesart: „Der Beherrscher
der westlichen Meere sendet seinen Gruss dem Be-
herrscher des Stillen Oceans." Die Antwort soll sehr
kühl gelautet haben: „Glückliche Reise!" (Lachen
links.) Soll über solche Telegramme die öffentliche
Meinung in England nicht empört sein? Was haben
wir denn für einen Grund, gegen die Stellung eines
Monarchen anzukämpfen? Wir sind Gegner der Mon-
archie, aber damit noch lange nicht Gegner seiner
Person. Der Fürst repräsentirt eine sociale Position,
in die er durch glückliche Umstände, meinetwegen
auch durch sein eigenes Verdienst gekommen ist.
Wenn er an etwas unschuldig ist, so ist er es an
seiner Geburt; er ist in seine Stellung hineinge-
kommen durch den Zufall der Geburt, weil er der
Erstgeborene war. Wenn der Fürst als Mensch
menschlich ist, persönlich seinen Gegnern nicht ge-
636
hässig entgegentritt, so werden wir ihm persönlich
nicht entgegentreten. Die Monarchie ist eine Institution
und keine Person. So wenig wir den Einzelnen für
die bürgerliche Gesellschaft verantwortlich machen,
«o wenig machen wir den, der zufällig auf dem Throne
sitzt, für die Monarchie verantwortlich. Ich bestreite
auf das allerentschiedenste, dass das Gentrum jemals
die jetzige Bedeutung im deutschen Reich erlangt
haben würde ohne den Kulturkampf. (Sehr wahr!)
Ebenso mit dem Socialistengesetz ! Herr v. Kardorff,
der ja die Eigenschaft hat, dass er sich auf beson-
dere Ideen grimmig verbeisst, wie auf die Idee der
Silberwährung (Heiterkeit), hat sich für ein Ausnahme-
gesetz gegen die Socialdemokratie ausgesprochen. Er
hält es vielleicht für einen Akt der Pietät, als einzige
schon geborstene Sause (Heiterkeit) in diesem Reichs-
tag das Programm zu vertreten, dass sein verstor-
bener Freund Stumm sa hartnäckig vertreten hat.
Aber genützt hat das Socialistengesetz nicht Ihnen,
sondern uns! Redner führt dies an der Hand der
Wahlstatistik näher aus und bemerkt weiter: Ich
schätze jede Kaiserrede auf 100.000 Stimmen Gewinn
für uns. (Grosse Heiterkeit.) Wenn diese Reden im
Inlande nichts nützen, sondern sogar noch schaden
— glauben Sie vielleicht, dass sie im Auslande Nutzen
stiften? Glauben Sie, es macht im Auslande einen
Eindruck, wenn alle Augenblicke der deutsche Kaiser
die stärkste Partei Deutschlands heftig bekämpft und
sie als den inneren Feind bezeichnet, der auf den
Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschafts-
ordnung und seines Thrones hinarbeitet ? (Sehr wahr !)
Nun kommt auch der Kronprinz des deutschen
Reiches ! (Heiterkeit bei den Socialdemokraten.) Dieser
junge zwanzigjährige Herr redet auch von der Partei
der Elenden ! Was hat denn der für Verdienste, dass
er überhaupt sich herausnehmen kann, in diesem Tone
über die Socialdemokratie zu sprechen? (Lebhafte
Zustimmung bei den Socialdemokraten. Präsident Graf
Ballestrem hat sich erhoben.) Wir ärgern uns nicht
darüber, schliesslich wird der Name ein Ehrenname
werden (Sehr richtig!^ bei den Socialdemokraten),
genau so wr '^m Namen „Hausen", gleich
63T
Bettler, wurde! Vielleicht; beschliesst nächstens die
socialdemokratische Partei, wir nennen uns künftig
Partei der Elenden."
Der Abgeordnete Vollmar sagte in seiner Rede
am 20. Januar 1903 im deutschen Reichstag folgendes :
„Obwohl ich Social-Demokrat bin, bin ich weit
entfernt, unsere auswärtigen Beziehungen lediglich
aus dem kleinlichen Gesichtspunkte anzusehen, dass
ich darüber Freude empfinde, wenn eine uns entgegen-
stehende Reichsregierung möglichst ungeschickt ist
und Missgriffe begeht und dadurch nichts weniger
als Lorbeeren in der äusseren Politik einheimst Ganz
im Gegentheile! Ich meinerseits würde es sehr be-
grüssen, wenn ich einmal in die Möglichkeit versetzt
würde, in der äusseren Politik des Reiches etwas
Gutes und für das deutsche Volk Erspriessliches und
Erfreuliches finden zu können. Aber wie die Dinge
gegenwärtig liegen, ist leider von einer guten, aner-
kennenswerthen Politik sehr wenig oder vielmehr gar
nichts zu bemerken. Man sieht in der äusseren Po-
litik durchaus einen Mangel an festen Zielen, ein
fahriges Wesen, das alle Augenblicke wetterwendisch
den Cours zu wechseln bereit ist, das jeden Augen-
blick neue Improvisationen in Aussicht stellt und in
beinahe aufdringlicher Weise sich an fremde Regie-
rungen heranwirft. Wir Social-Demokraten sehen die
Lage für gesicherter an, als sie seit Langem war, und
wir werden die Gonsequenzen daraus ziehen, indem
wir noch mehr als bisher wirken für eine Einstellung*
der ins Wahnwitzige gehenden Rüstungen von heute
und für eine fortschreitende Umwandlung des aggres-
siven stehenden Heeres in das defensive Volksheer.a
Das Wachsthum der Socialdemokraten in Deutsch*
land ist an folgenden Zahlen ersichtlich.
Jahr der Wahl
in d«»n deutschen
Reichs tag
1871
1874
1877
1878
1881
Zahl den gültig
abgegebenen
Stimmen der
Socialisten
Zahl der
sooialistisohen
Abgeordneten
117.893
2
349.078
9
481.008
12
420 662
9
335.300
12
638
1884
507.800
24
1887
637.300
35
1890
1,323.200
36
1893
1,782.700
44
1898
2,107.100
57
1903
3,078.000
82
Werden die Socialdemokraten nun das Deutsche
Reich sprengen ? Der erste Satz des Programmes der
Socialisten, welche zu Eisenach in den Tagen vom
7., 8. und 9. August 1869 tagte, lautet:
„Die socialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt die
Errichtung eines freien Volksstaates/ Man vergleiche
doch damit Bebeis Rede. Derselbe Bebel ist auch an
den Verhandlungen von Eisenach unterschrieben.
Man kann also nicht wissen, welchen inneren
Währungen Deutschland entgegengeht. Damit wären
aber die Pläne der Alldeutschen in Frage gestellt
Wie dem auch sein wolle, Oesterreich braucht
für seinen weiteren Bestand den inneren Frieden und
dieser ist nur dann möglich, wenn alle Nationen
gleiches Recht geniessen werden. Dem Rechte voran
aber geht die Nächstenliebe. Diese aber gedeiht nur
dort, wo Christi Religion in den Herzen der Men-
schen lebendig ist.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wer ist
mein Nächster? Es gieng ein Mann nach Jericho und
wurde auf dem Wege von Räubern überfallen, ver-
wundet und auf den Weg geworfen. Da gieng ein
Levit, ein Priester vorüber, sie achteten seiner nicht,
da kam ein Samaritaner, dieser nahm sich seiner
liebevoll an. Wer ist mein Nächster? Auch ein jeder
Gauner, Schurke, Mörder, Frauenschänder, Betrüger,
wenn er nur deutscher Abstammung ist, soll ich ihn
lieben und bevorzugen?
Wer ist mein Nächster?
Soll ich einen braven, fleissigen redliehen
Arbeiter auf die Strasse werfen, weil er nicht deut-
scher Abstammung ist, und weil es Deutschnationale
so verlangen?
Soll ich mir eine diebische Magd im Hause lassen,
weil sie deutsch i«f und die fleissige, ehrliche, weil
sie böhmisr' vn?
639
Wenn die Menschen wahrhafte Christen wären,
wenn sie überall die Gebote der Religion erfüllen
möchten, dann gebe es überhaupt keine sociale Noth
und auch keinen nationalen Hass, alle hätten das
Nothwendige zum Lebensunterhalt.
Staaten und Völker kommen und vergehen und
nur Gottes Gerechtigkeit hält ewig Stand.
/Td'SN
INHALT:
I. Die Nationalitätenpolitik bei den alten klassischen
Völkern, vornehmlich bei den Römern .... 5
II. Römer und Juden 7
III. Bildung von grossen Nationalstaaten in neuester Zeit 8
IV. Bestrebungen der Alldeutschen nach einer Weltherr-
schaft 22
V. Bismarck und Oesterreich 48
VI. Wie die grossdeutsch arbeitende Presse im deut-
schen Reiche Oesterreich sanieren will .... 64
VII. Die Alldeutschen in Oesterreich 77
VIII. Oesterreichs Nationalitäten 109
IX. Der Sprachenstreit. Die Schwäche der Staats-
maschine Oesterreichs 126
X. Die Sprachenfrage und die Anträge Dr. Koerbers
im Abgeordnetenhause 202
XI. Der Antrag der Deutschen zur Regelung der
Sprachenfrage im Königreich Böhmen .... 210
XII. Die Fundamentalartikel 217
XIII. Der Sturm gegen Oesterreich in der Form der
„Los von Rom" Agitation 225
XIV. Die rollende Reichsmark 248
i XV. Oesterreichs Regierungsmänner und die „Los von
» Rom« Agitation 271
XVI. Die „Los von Rom" Agitation und der konfes-
sionelle Standpunkt 282
XVII. Das Anwachsen des Protestantismus in Preussen-
Deutschland 308
XVIII. Der Hauskrieg im Lager der Alldeutschen .... 314
XIX. Der Kampf um die Nationalität dringt in die katho-
lische Kirche ein 336
XX. Irrige Ansichten zweier katholischen Priester über
die Nationalitätenfrage 345
XXI. Streiflichter über kirchliche Verhältnisse in Böhmen 353
XXII. Oesterreichs konfessionelle Statistik 367
XXIII. Die Sprachenfrage innerhalb der kathol. Kirche . 378
XXIV. Zukunftspläne des Protestantismus. Die Weltpolitik
Preussen-Deutschlands 396
XXV. Die Früchte des Nationalitätenhaders. Vorgänge
bei der Volkszählung 430
XXVI. Die Ausbeutung der Völker durch dasinternat. Kapital 454
a) Der Kapitalismus in Oesterreich .... 457
b) Deutschlands Finanzkräfte 490
c) Frankreichs Finanzkräfte 533
ä) Italiens Finanzlage ... 567
e) Englands Finanzmächte 575
/) Russlands Finanzlage 581
a) Finanzen Nordamerikas 605
h) Staatsvoranschläge der übrigen civili-
sierten Staaten 614
Schlussbetrachtung 627
Druckfehler.
Im Text haben sich einige Druckfehler eingeschlichen,
die aber von solcher Beschaffenheit sind, dass sie jeder Leser
ohne Mühe selbst wird corrigieren können.
4-