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Full text of "Ostafrikanische studien"

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Af  4-07O.I2» 


l^arbarli  College  librarg 


FROM   THE 


SUBSCRIPTION    FUND 

BEGUN   IN   1858 


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W.  Mnnzinger, 

Ostafrikanische  Studien. 


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Ostafrikanische  Studien 


Werner  Munzinger. 


Mit  einer  Karte  von  Nord-Abyssinien  nnd  den  Ländern  am  Mareb, 
Barka  und  Anseba. 


Zweite    Ausgabe. 


Benno     Schwabe,     Verlajgsbuchhandlung. 
1883. 


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fyPi^ifOo.  n 


,  Subseription    fui^d 


nüNB,    NOV    10  1910 


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Herrn 


J.    M.    ZIE'GLfeR 


im  Palmgarten  zu  Winterthur 


in    inniger   Verehrung 


der  Verfasser. 


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Inhalt. 


Sdte 

£inleitung 1 

Vom  Rothen  Meer. 

Briefe  vom  Rothen  Meer 89 

Massna 114 

Das  Samhar 132 

Der  Bedni 143 

Die  BeloQ  und  der  Naib 162 

Ronte  vom  Samhar  nach  Keren 177 

*  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Von  Keren  nach  Halhal 185 

üeber  die  Beit  Takue 195 

Von  Halhal  nach  Kelbetu 210 

Ueber  das  Volk  der  Marea 222 

Bäckkehr  nach  Keren 250 

Ueber  die  Beni  Amer. 

Allgemeine  Bemerkungen 275 

Ethnographisches 278 

Politische  Verhältnisse 290 

Staat  und  Recht 307 

Inneres  Leben 323 

Ueber  die  Spraclie  To'bddauie. 

Ceber  das  To'becjauie 341 

Verbalwurzeln 355 

Sobstantive  und  Adjective 363 


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VIII 

Seite 

Reise  durch  das  Land  der  Kunima. 

Sara^ 373 

Von  Mai  Sheka  nach  Adiabo 390 

Von  Az  Nebrid  nach  Mai  Daro* 405 

Von  Mai  Daro  nach  Kassala 420 

•  Der  Mareb 436 

Land  nnd  Volk 448 

Verhältniss  znm  Ausland 456 

Aensseres  Aussehen  der  beiden  Völker 465 

Religion  und  Recht 469 

Blutrecht 4Ö9 

Inneres  Leben,  Wohnung  und  Geräth 505 

Viehzucht,  Ackerbau,  Handel 514 

Nahrung 521 

Schlussbetrachtungen 531 

Einige  Bemeiitungen  Ober  Etlinograpliie  von  Kordofan 539 


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Einleitung. 


Mauziuger,  Ostafrik.  Studien. 


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Die  Untersuchungen,  die  ich  in  diesem  Buche  veröffent- 
lichen will,  betreffen  hauptsächlich  die  Nord^renzen  Abyssi- 
niens.  Sie  haben  zur  Grundlage  jene  Studien,  die  ich  wäh- 
rend eines  mehrjährigen  Aufenthalte  zwischen  Meer  und  Nil 
gemacht  und  neben  einzehien  Abhandlungen  in  der  Schrift 
über  Recht  und  Sitten  der  Bogos  veröffentlicht  habe.  Meine 
Betheiligung  an  der  deutschen  Expedition  zur  Aufsuchung 
Dr.  VogeFs  gab  mir  die  Gelegenheit,  die  früheren  Studien  über 
diesen  Strich  zu  vervollständigen  und  viele  neue  ihnen  bei- 
zufügen. 

Ich  vereinigte  mich  mit  der  deutschen  Expedition  den 
1.  Juli  1861  in  Massua;  den  13.  Juli  brachen  wir  über  die 
Lebkastrasse  nach  Keren  auf,  wo  wir  die  Regenzeit  verbrach- 
ten. In  diese  Zeit  fällt  die  Reise  in  das  Land  der  Marea 
(30.  August  bis  15.  September),  deren  Verlauf  und  Resultate 
in  diesem  Buche  beschrieben  sind.  Ende  October  brach  die 
Gesammtexpedition  nach  Abyssinien  auf;  wir  verfolgten  den 
Anseba  stromaufwärts  bis  Tsasega,  setzten  über  den  M'areb 
bei  seiner  Quelle  und  kamen  über  Godofelassie  an  den  äussersten 
Abhang  des  Sarae  zum  Dorfe  Mai  sheka.  Während  nun  von 
hier  Herr  v.  Heuglin  und  Herr  Dr.  Steudner  gegen  Süd- 
abyssinien  aufbrachen,  kamen  Herr  Th.  Kinzelbach  und  ich 
durch  das  Land  der  Bazen  und  der  Barea  über  Algeden 
nach  Kassala  (16.  November  bis  22.  December).  Die  Beschrei- 


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4  Einleitung. 

bung  dieser  Reise  bildet  einen  andern  Theil  dieses  Buches. 
Von  Kassala  gelangten  wir  über  Chartum  nach  Kordofan, 
von  wo  wir  unter  schon  bekannten  Umständen  umkehrten. 

Es  ergibt  sich  aus  diesen  Daten  und  dem  Inhalt  vor- 
liegender Arbeit,  dass  meiiie  Untersuchungen  sich  vorzüglich 
mit  den  Völkern  beschäftigen,  die  von  Meer  zu  Nil  die  Nord- 
grenzen Abyssiniens  einnehmen  und  schon  ein  Blick  auf  die 
Karte  zeigt,  welche  Interessen  sich  an  diesen  Strich  knüpfen. 
Hier  berührt  sich  das  ägyptische  Reich  mit  Abyssinien;  hier 
streiten  sich  Christenthum  und  Islam  in  unmittelbarer  Nähe. 
Die  Stellung  der  Grenzvölker  wird  dadurch  fest  bestimmt.  Als 
Bewohner  der  Tieflande  sind  sie  den  Bewohnern  Abyssiniens 
entfremdet;  werden  sie  auch  Aegypten  unterthan,  so  sind  sie 
doch  zu  weit  vom  Mittelpunkt  des  Staates  entfernt,  um  auch 
der  Vortheile  theilhaftig  zu  werden,  die  mit  der  Abhängigkeit 
verbunden  sind.  So  sind  sie  beiden  fremd:  im  Süden  haben 
sie  eine  Monarchie,  im  Norden  eine  andere;  sie  sind  von 
beiden  abhängig  und  gehören  doch  eigentlich  zu  keiner;  sie 
werden  besteuert,  aber  nicht  regiert  und  so  haben  sie  die  Frei- 
heit, ihr  eigenthümliches  Leben,  Sitte  und  Recht  treu  zu  be- 
wahren. 

Da  aber  die  beiden  Monarchien,  je  fester  sie  sich  gestalten, 
sich  um  so  näher  rücken,  so  wird  den  Kampfplatz  die  Nord- 
grenze Abyssiniens  abgeben;  der  Kampf  der  rohen  Gewalten  wii*d 
diese  Völker,  die  im  Wege  stehen,  erdrücken  und  das  Grenz- 
land zu  Einer  grossen  Wüste  machen;  so  sehen  wir  Kordofan 
von  Darfor,  Darfor  von  Wadai  durch  Wüsten  getrennt,  weil 
kein  Staatsvertrag  die  Grenzen  schützt  und  niemand  zwei 
Herren  zumal  dienen  kann.  Wenn  aber  Abyssinien  sich  gleich 
Aegypten  zum  Range  einer  civilisirten  Macht  emporschwingt, 
so  wird  die  gegenseitige  Berührung  eine  heilbringende  und 
ihre  Vermittler  die  Grenzvölker  sein,  die  jetzt  unbeachtet  am 
Rand  des  Hochgebirges  sich  ausdehnen. 

Wir  wissen,  dass  der  Kampf  zwischen  den  beiden  Ländern 
nicht  mehr  ferne  steht  und  wir  werden  später  auf  seine  An- 


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Eioleitung.  5 

zeichen  zurückkommen.  Um  nun  die  Lage  der  Grenzvölker 
bei  diesem  Zusammenstoss  zu  begreifen,  müssen  wir  uns  die 
Lage  der  beiden  Länder,  an  die  sie  stossen,  klar  machen. 
Der  Vergleich  ist  nicht  ein  willkürlicher;  er  liegt  in  der  Natur, 
welche  im  VerhäJtniss  von  Abyssinien  zu  Aegypten  einen  ge- 
wissen freundlichen  und  feindlichen  Dualismus,  bedingt.  Beide 
sind  Nilländer,  doch  liegt  das  eine  an  seiner  Quelle,  das  andere 
an  der  Mündung;  beide  liegen  am  Rothen  Meer  und  beherr- 
schen sein  nördliches  und  südliches  Ende.  Beide  sind  zu 
hoher  Cultur  geeignet,  doch  ist  es  Abyssinien  durch  seine 
hohe  Lage  und  seine  reichlichen  Regen,  Aegypten  durch  seinen 
Nu.  Die  zwei  Länder  standen  immer  in  einem  gewissen  Ver- 
kehr, dahin  deuten  die  Ruinen  von  Aksum  und  die  Städte 
der  Griechen  am  Rothen  Meer;  es  waren  ägyptische  Griechen, 
die  das  Christenthum  nach  Abyssinien  brachten,  sodass  es 
noch  jetzt  von  der  Mutterkirche,  dem  Stuhl  des  Marcus,  ab- 
hängig ist.  Freilich  stehen  sich,  seit  Aegypten  den  Islam  an- 
genommen hat,  die  beiden  auch  religiös  feindlich  gegenüber. 
Wir  sehen  femer  in  Aegypten  seit  undenklichen  Zeiten  den 
Staat,  wie  er  das  Individuum  herabwürdiget,  während  in 
Abyssinien  die  zerrissene,  gebirgige  Natur  des  Bodens  die  Ein- 
heit verhindert  und  den  Staat  auf  sein  Minimum  reducirt. 
Deswegen  konnte  es  dem  starken  Mohammed  Ali  mit  verhält- 
nissmässig  wenig  Mühe  gelingen,  Aegypten  zu  regieren,  wäh- 
rend der  abyssinische  Theodoros  noch  immer  mit  halbem  Erfolg 
die  Anarchie  bekämpft. 


IL 

Wir  brauchen  uns  nicht  lange  mit  Aegypten  zu  beschäf- 
tigen, da  es  jedem  Leser  fast  ebenso  bekannt  ist,  wie  jedes 
europäische  Land,  ein  Land  fast  ohne  Geschichte,  das  eine 
Korn-  und  Baumwollenkammer  sein  kann  für  ganz  Europa, 


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6  Einleitung. 

wenn  es  nicht  gar  zu  schlecht  regiert  wird.  In  Aegypten  ist 
der  Mensch  ohne  Erbarmen  der  Willkür  des  Mächtigsten  un- 
terworfen; wüste  Berge  und  todter  Sand  begrenzen  das  frucht- 
bare Thal  und  wehren  jeder  Hoffnung  auf  Befreiung;  das 
offene  Land  verhindert  jeden  Aufstand;  von  allen  Seiten  iso- 
lirt  sind  die  Aegypter  auf  sich  selbst  angewiesen  und  von  der 
Natur  bestimmt,  in  ihrem  schönen  Lande  Sklavenbrod  zu 
essen.  Man  muss  aber  Aegypten  gesehen  haben,  um  die  Vater- 
landsliebe zu  begreifen,  die  den  tausendjährigen  wahnsinnigen 
Druck  ertragen  Hess.  Die  Klagen  der  Israeliten  in  der  Wüste 
sind  die  jedes  Aegypters  im  Ausland;  ich  habe  nie  einen  Aegyp- 
ter gesehen,  der  sich  nicht  nach  seinen  von  Palmen  beschat- 
teten Nilufern  zurückgesehnt  hätte;  er  ist  ein  gebomer  Gärt- 
ner, davon  zeugen  die  Gartenanlagen  im  Sudan ;  und  wenn  das 
ägyptische  Bataillon  nur  wenige  Monate  an  einem  Ort  statio- 
nirt,  so  muss  es  seinen  Gemüsegarten  haben.  Es  ist  klar, 
dass,  wo  Auswanderung  so  schwer,  das  Ausland  so  weit  und 
fremd  und  das  eigene  Land  so  flach  unbefestiget  ist,  von 
Freiheit  keine  Rede  sein  kann.  Dazu  kommt  der  Umstand, 
dass  der  Nil  als  Gemeingut  das  überflutete  Land  zum  Ge- 
meingut macht,  was  zum  Monopole  in  der  Hand  der  Mäch- 
tigsten führt  und  dass  die  Bewässerung,  die  nur  vereinigter 
Kraft  möglich  ist,  zu  Gemeinwesen  zwingt.  Aus  diesen  we- 
nigen Facten  erklärt  sich  die  ganze  ägyptische  Geschichte, 
die  sich  trotz  der  wechselnden  Religion,  trotz  des  neuen  Volkes 
ziemlich  gleich  bleibt. 

Es  darf  uns  daher  nicht  verwundern,  wenn  wir  die  Ge- 
schichte der  Dynastie  Psammetich's  zum  zweiten  Mal  von  der 
Dynastie  Mohammed  Ali's  aufgeführt  sehen.  Zu  Psammetich's 
Zeiten  bestand  eine  alte  Civilisation  ohne  Fortschritt,  als 
Mumie  wohl  erhalten;  die  alten  Aegypter  hatten  vor  den 
jetzigen  nicht  so  viel  voraus,  wie  man  sich  gern  einbildet: 
Hütten  neben  Palästen  standen  ehemals  und  stehen  jetzt,  ge- 
heime Wissenschaft  neben  crasser  Unwissenheit I  Die  Hellenen 
waren  ihnen  durch  ihre  Lebendigkeit  ebenso  sehr  überlegen, 


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Einleitung.  7 

als  die  Franken  den  heutigeÄ  Aegyptern.  Da  traten  zu  beiden 
Zeiten  Regeneratoren  auf,  einst  Psammetich,  jetzt  Mohammed 
Ali;  durch  List  werden  sie  ihrer  Nebenbuhler  Meister;  beide 
sehen  ein,  dass  man  von  den  Fremden  lernen  müsse;  sie 
ziehen  die  Franken  in's  Land,  ob  sie  Griechen  oder  Franken 
heissen,  machen  sie  zu  ihren  Soldaten  oder  wenigstens  In- 
sknctoren  und  geben  ihnen  den  Handel  frei.  Unter  dem  einen 
setzen  sie  sich  in  Naukratis  fest,  unter  dem  andern  in  Alexan- 
drien.  Der  lebhafte  Verkehr  mit  dem  Auslande  macht  Dol- 
metscher nöthig.  Die  Toleranz  erstreckt  sich  sogar  auf  die 
Religion;  mit  Necho's  Hülfe  werden  griechische  Tempel  ge- 
baut, Said  Pascha  subventionirt  christliche  Kirchen.  Die  alten 
Schützer  des  Landes  oder  vielmehr  seine  Herrscher,  die 
Eriegerkaste,  wird  vernachlässigt  und  wandert  gegen  Süden 
aus;  denn  die  Mamluken  waren  auch  eine  Kaste.  Beide  haben 
ihr  Augenmerk  auf  die  Schaffung  einer  Flotte,  sie  erkennen 
beide  die  Wichtigkeit  des  Indienhandels.  Beide  sind  sie 
Vasallen  des  grossen  asiatischen  Reiches,  einst  Babylon,  jetzt 
Stambul  und  entreissen  ihm,  wo  sie  können,  ein  Stück  um 
das  andere.  Denn  beider  Hauptaugenmerk  ist  auf  Syrien  ge- 
richtet, um  das  sie  sich  vergeblich  bemühen. 

Es  ist  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen,  dass  es  ein 
Nachfolger  Psammetich's  war,  der  den  Isthmus  zu  durch- 
stechen begann  und  eigenthümlich  klingt  die  Sage,  dass  er 
das  Werk  aufgab,  um  nicht  für  Fremde  zu  bauen;  sie  klingt 
eigenthümlich  heute,  wo  den  Aegyptern  der  gleiche  Gedanke 
zu  kommen  scheint.  Man  darf  aber  daraus  keinen  Schluss 
ziehen,  da  die  Machtstellung  des  Mittelmeeres  durchaus  eine 
andere  ist. 

Man  kann  Mohammed  Ali  beurtheüen,  wie  man  will,  man 
kann  ihm  seine  Thaten  nicht  ableugnen:  er  war  eine  durchaus 
praktische  Natur;  er  sah  ein,  dass  die  innere  Wohlfahrt  des 
Landes  die  äussere  Machtstellung  bedinge;  er  entdeckte  die 
wahren  Smaragdengruben  wieder,  die  tausend  Jahre  brach 
gelegen  hatten;  was  er  damit  schuf,  sollte  vielleicht  nur  das 


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g  Einleittmg. 

Mittel  sein  zu  kriegerischen  Zwecken;  aber  das  was  Mittel 
war,  wird  nicht  mehr  vergehen,  während  der  Zweck  mit  ihm 
zu  Grabe  ging.  Die  Anpflanzung  der  Baumwolle  im  Grossen 
und  die  Erhebung  Alexandriens  sind  Facten  seines  Lands- 
mannes, des  grossen  Macedoniers,  würdig.  Man  braucht  nur 
zu  bedenken,  dass  von  der  Million  Centner  Baumwolle,  die 
jetzt  ausgeführt  wird,  vor  dreissig  Jahren  kein  einziger  da  war. 

Mohammed  Ali  that  alles,  was  ein  weiser  Despot  thun 
kann, -aber  er  arbeitete,  wie  wenn  er  ewig  leben  könnte  und 
bedachte  nicht,  dass  von  oben  decretirte  Zustände  mit  dem 
Urheber  zusammenfallen.  Er  hinterliess  seinen  Nachfolgern 
ein  friedliches  Reich,  ein  Heer  und  eine  Flotte,  aber  nicht 
den  Geist  der  all  das  beseelte,  und  es  wiederholte  sich  die 
alte  orientalische  Geschichte  von  Zufallsreichen,  Meteoren,  die 
ebenso  schnell  untergehen,  wie  sie  aufgingen.  Denn  hinter 
dem  grossen  Mann  stand  kein  Volk,  das  seine  Ideen  lebendig 
aufnahm;  die  Aegypter  mussten  zu  jeder  Neuerung  gezwungen 
werden;  sobald  aber  der  Geist  von  oben  fehlte,  war  von  unten 
nichts  mehr  zu  erwarten.  Deswegen  hat  Aegypten  als  Staat 
keine  eigentliche  Lebenskraft  und  es  fristet  sein  Dasein,  indem 
es  zwischen  europäischem  und  türkischem  Einfluss  schwankt. 
Uns  scheint  offen  gestanden  eine  aufrichtige  Allianz  mit  dem 
Grossherrn  das  einzige  Heil  der  jetzigen  Dynastie;  denn  iso- 
lirt  könnte  sie  nur  leben,  wenn  immer  ein  Mohammed  Ali 
ihr  vorstände. 

Man  kann  nur  mit  dem  höchsten  Bedauern  von  den  Re- 
gierungsacten  eines  Abbas  und  eines  Said  reden;  man  konnte 
freilich  nichts  anderes  erwarten  in  einer  Despotie,  wo  alles 
von  Einer  Person  abhängt  und  wo  die  Erbfolge  derart  ist, 
dass  der  Herrscher  nur  an  seine  Familie  denken  kann.  Trau- 
rig ist  die  Rolle,  die  die  Europäer  dabei  gespielt  haben.  Man 
kann  sich  keinen  Begriff  machen  von  der  Verschwendung,  die 
diese  beiden  Regierungen  charakterisirte,  wenn  man  nicht  in 
Aegypten  gewesen  ist;  man  braucht  übrigens  nur  die  Finanzen 
des  Landes  vor  sechzehn  Jahren  mit  den  jetzigen  zu  vergleichen. 


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Einleitung.  9 

während  es  doch  damals  zu  Land  und  zur  See  kriegsgerüstet 
dastand.  Man  muss  an  die  Pyramiden  und  alle  andern  un- 
nützen Bauwerke  des  Alterthums  denken,  wenn  man  alle  die 
leer  stehenden  Paläste  ansieht,  die  eine  Laune  aufrichten 
liess  und  eine  andere  wieder  öde  machte.  Selbst  nützliche 
Unternehmungen  wurden  immer  verkehrt  angegriffen;  die 
Eisenbahn  wird  so  unordentlich  verwaltet,  dass  sie  dem  Waaren- 
verkehr  wenig  nützen  kann;  sie  scheint  nur  für  die  Engländer 
gebaut  zu  sein.  Weniger  bekannt  ist  die  Geschichte  der 
Medjidie,  der  Dampfschiffiahrt  auf  dem  Rothen  Meer.  Es  war 
ein  sehr  glücklicher  Gedanke,  regelmässige  Linien  nach  den 
Haupthäfen  desselben  zu  errichten;  sie  hätten  sich  ausser- 
ordentlich rentirt  und  der  Handel  hätte  einen  ganz  neuen 
Aufschwung  genommen.  Aber  die  Sache  wurde  schlecht  aus- 
geführt; man  kaufte  schlechte  Schiffe,  man  bemannte  sie  noch 
schlechter;  man  fuhr  sehr  unregelmässig,  ^sodass  der  Handel 
sich  nicht  darauf  einrichten  konnte.  Es  war  sehr  gefährlich, 
mit  einem  solchen  Dampfschiff  zu  reisen.  Nach  kurzer  Zeit 
ging  alles  so  schlecht,  dass  Said  Pascha  die  Actien  alle  an 
sich  brachte  und  nun  mohammedanisch  verwalten  liess.  •  Nach 
seinem  Tode  gingen  die  Schiffe  an  die  jetzige  Regierung  über, 
die,  scheint  es,  die  Sache  kräftiger  in  die  Hand  nehmen  will; 
die  alten  Dampfischiffe  werden  jetzt  alle  ausgebessert  und  mit 
neuen  Maschinen  versehen;  es  hat  sich  eine  neue  Gesellschaft 
gebildet;  aber  trotz  der  Weisheit  des  jetzigen  Vicekönigs  ist 
zu.  furchten,  dass  die  Unternehmung  nicht  auf  europäischen 
Fuss  gesetzt  wird,  solange  der  Staat  sie  dirigirt.  Denn  wenn 
in  Europa  der  Staat  nie  so  gut  verwalten  kann,  wie  eine 
Privatgesellschaft,  was  ist  dann  von  der  Verwaltung  der 
türkischen  Autokratie  zu  hoffen,  wo  das  Staatsoberhaupt 
trotz  allen  Talentes  immer  in  den  Händen  seiner  Höflinge  ist? 
Ein  Hauptübel  Aegyptens  femer  ist  der  Zustand  der  ange- 
siedelten Europäer  und  ihrer  Conauln.  Die  verschiedenen 
Consulate  sind  wie  ebenso  viele  Burgen,  die  jede  ihre  In- 
sassen gegen  die  andere  wehrt;  gegen  die  ägyptische  Regie- 


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10  •  Einleitung. 

rung  aber  sind  sie  alle  einig.  Dass  der  Europäer  nicht  auf 
den  Fuss  der  Araber  gestellt  werde,  ist  recht  und  billig,  da 
bei  dem  Charakter  der  Mohammedaner  und  ihrer  Gesetz- 
gebung niemand  mehr  seines  Lebens  und  Vermögens  sicher 
wäre.  Aber  der  Schutz  geht  zu  weit,  wenn  er  die  Regierung 
gegenüber  ihren  Unterthanen  blossstellt  und  gegenüber  den 
Fremden  machtlos  macht.  Er  geht  zu  weit,  weil  er  das  Na- 
tionalgefiihl  beleidigt  und  es  könnte  der  Tag  kommen,  wo 
nur  eine  starke  Regierung  den  Europäer  schützen  könnte,  den 
Eingebomen  und  selbst  den  Europäern  gegenüber.  Wie  kann 
sie  aber  das,  wenn  sie  von  allen  verachtet  ist?  Diesen  üebel- 
ständen  ist  abzuhelfen,  wenn  sich  Aegypten  fester  an  die 
Türkei  anschliesst  und  wenn  die  Zerstreutheit  der  Europäer 
in  eine  Masse  Consulate  aufhörte,  indem  man  nur  die  Gross- 
mächte vertretungsfähig  erklärte.  Diese  Uebelstände  werden 
sich  sicherlich  rächen  und  sie  rächen  sich  schon  durch  die 
grosse  Unsicherheit,  die  in  Alexandrien  herrscht;  wer  wird 
uns  schützen,  wenn  ein  paar  Tausend  Europäer  diese  Stadt 
für  ein  paar  Tage  zu  terrorisiren  den  Muth  hätten? 

Wir  haben  einige  Uebelstände  nur  skizzenweise  berührt, 
da  uns  das  Verhältniss  Aegyptens  zum  Süden  hier  näher  an- 
geht. Da  wir  darauf  später  zurückkommen,  so  wollen  wir 
hier  nur  erwähnen,  dass  der  Besitz  des  Sudans  durch  die 
Abtretung  der  Küste  des  Rothen  Meeres  an  die  Pforte  ungemein 
von  seinem  Werthe  verlor;  wir  können  nicht  verschweigen, 
dass  auch  die  Küstenländer  dadurch  ungemein  verloren  haben 
und  sich  noch  immer  nach  der  ägyptischen  Ordnung  zurück- 
sehnen. 

Aegypten  hat  im  Sudan  eine  grosse  Aufgabe,  die  vollstän- 
dig zu  erfüllen  der  Küstenl)esitz  nothwendig  ist;  aber  bis 
jetzt  ist  der  Sudan  fast  nur  eine  Versorgungsanstalt  für  Offi- 
ziere und  Beamten  geworden;  die  Handelsstrassen  offen  und 
sicher  zu  machen,  daran  hat  man  noch  nicht  gedacht.  Selbst 
der  weisse  Fluss  ist  eine  Strasse  des  Fluches  geworden;  die 
Verbindung  mit  Abyssinien  und  Darfor  wird  immer  unsicherer, 


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Einleitung.  \  \ 

während  wenig  Mühe  sie  für  immer  ordnen  könnte  iind  ein 
Blick  auf  die  Karte  schon  beweist,  dass  die  natürliche  Mün- 
dung des  Handels  dieser  Länder  der  Nil  ist.  Weil  das  Rothe 
Meer  der  Türkei  gehört  und  noch  immer  einer  regelmässigen 
D^npfVerbindung  harret,  sucht  sich  der  Sudanhandel  auch 
jetzt  noch  den  mühsamen  und  zeitraubenden  Weg  durch  die 
Wüste,  während  wenig  Mühe  nöthig  wäre,  um  ihn  vom  Nil 
Dach  Suakin  herüberzulenken. 


IIL 

Jetzt  wollen  wir  nach  Süden  un9  wendend  einen  Blick 
nach  Abyssinien  werfen;  wir  kommen  hier  auf  einen  viel  un- 
bekannteren Boden  und  müssen  weiter  ausholen.  Um  aber 
unsem  Standpunkt  zu  bezeichnen,  wollen  wir  unsere  Betrach- 
tung mit  einigen  allgemeinen  Bemerkungen  vorbereiten. 

Wenn  wir  über  abyssinische  Politik  einige  Betrachtungen 
anstellen  wollen,  so  geschieht  es  mit  dem  Wunsche,  aus  vielen 
Erfahrungen  und  Einzelbeobachtungen  einige  allgemeine  prak- 
tische Schlüsse  zu  ziehen.  Wir  denken,  dass  die  zerstreuten 
Daten,  die  der  Reisende  zu  sammeln  bemüht  ist,  am  Ende  zu 
grossen  Resultaten  führen  müssen,  die  für  alle  gleich  nütz- 
lich und  interessant  werden  können.  Der  Wanderer  findet 
nach  langem  Irren  in  engen  gewundenen  Thälem  mit  Freude 
eine  Bergspitze,  von  wo  er  sich  den  gemachten  Weg  deutlich 
machen  kann;  auch  den  Naturforscher  würde  all  sein  Sam- 
meln von  Geschlechtem  und  Arten  wenig  erbauen,  wenn  er 
nicht  die  Hofhung  hätte,  sich  daraus  ein  System  errichten  zu 
können,  das  ihm  den  geheimen  Gang,  den  Geist  der  Natur 
oflFen  legt.  Wenn  wir  nun  von  abyssinischer  Politik  reden, 
80  geschieht  diess  natürlich  in  Bezug  auf  europäische  Politik; 
denn  nur  insofern  sie  in  Wechselwirkung  treten  können,  hat 
unsere  Betrachtung  ein  allgemeines  Interesse. 


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12  Einleitung. 

Die  Ereignisse  der  letzten  Jahre,  die  Revolutionen  in 
Indien,  Djeddap,  Syrien  hatten  zur  Ursache  den  Nationalstolz, 
der  sich  gegen  die  Fremdherrschaft  auflehnt  In  Europa,  wo 
die  Geographie  sich  immer  nationaler  zu  gestalten  scheint, 
wollen  nur  wenige  begreifen,  dass  die  Orientalen  auch  ihr 
Selbstgefühl  haben,  das  sie  dem  schwachen  Fremden  zum 
Freund,  dem  starken  Anmasslichen  aber  zum  Feind  macht 
und  dass  die  Religionsverschiedenheit  dabei  am  wenigsten  in 
Betracht  kommt.  Wir  unterscheiden  bei  uns  Nationen,  die 
sich  fast  instinctmässig  hassen  und  doch  sieht  jedermann  ein, 
dass  z.  B.  die  Franzosen  und  Engländer  in  Religion,  Sitte, 
Sprache  und  Recht  sehr  wenig  von  einander  abweichen.  Wie 
anders  stellen  sich  die  Afrikaner  zu  uns:  ihre  Farbe  steht 
uns  näher,  als  ihre  Sitten,  ihr  Recht  und  ihre  Religion. 

Die  Leichtigkeit,  womit  die  Türken  und  Araber  den  Orient 
in  Besitz  genommen  haben,  darf  uns  nicht  zu  einem  Trug- 
schluss  verführen.  Der  mohanmiedanische  Eroberer  theilt  mit 
seinem  afrikanischen  Unterthanen  eine  gleiche  Denkungsart, 
die  Zufriedenheit  mit  dem  Bestehenden;  er  lässt  Sitten  und 
Gebräuche,  Recht  und  Unrecht,  Glauben  und  Aberglauben 
ruhig  fortwuchern.  Er  erobert,  um  sich  zu  bereichem;  er 
duldet  alles,  was  diesem  Zwecke  nicht  entgegensteht.  Erst 
wenn  er  recht  eingewöhnt  ist,  sucht  er  seine  Religion  anzu- 
empfelilen,  aber  immer  eher  in  gütlicher  Weise,  mit  Ver- 
sprechungen von  materiellem  Gewinn.  Man  muss  übrigens 
eingestehen,  dass  der  Islam  sich  sehr  der  orientalischen  Denk- 
weise anschmiegt.  Der  erobernde  Europäer  dagegen  begnügt 
sich  keineswegs  mit  dem  Tribut;  er  will  alles  nach  seiner 
Weise  umgestalten.  Unsere  Cultur,  die  doch  auch  ihre  Schat- 
tenseiten hat,  soll  dem  Fremden  aufgezwungen  werden;  un- 
sere schwerbegreifliche  Religion  hat  Zacken,  denen  sich  gern 
Schlacken  anhängen.  Mit  unserer  Sucht  nach  dem  Neuen, 
unserm  Hass  gegen  das  Hergebrachte  kommen  wir  dem  Afri- 
kaner fremd  und  abstossend,  ja  wild  vor,  während  der  phleg- 
matische Türke  sich  schnell  eingewöhnt. 


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Einleitung.  13 

Man  kann  sagen,  dass  die  Politik  Europas  im  Allgemeinen 
für  den  Status  quo  im  Orient  ist.  Niemand  macht  aus  freiem 
Willen  neue  Eroberungen  in  entfernten  Ländern,  die  unnützen 
Ruhm  bringen  und  wenig  materiellen  Vortheil.  Europa  will 
in  allen  Meeren  und  Zonen  respectirt  sein;  das  Ziel  ist  ein 
sicherer  freier  Handel.  Zu  diesem  Zweck  schickt  man  Flotten 
und  Heere  aus,  schliesst  man  Verträge  ab,  unterhält  man  Ge- 
sandte und  Consuln.  Wenn  wir  nun  bei  Messung  unserer 
Kräfte  berechnen  können,  dass  Frankreich  allein  im  Stande 
ist,  alle  möglichen  Heere  von  Asien  und  Afrika  zu  besiegen, 
so  kommen  wir  zum  Schlüsse,  dass  die  Barbaren  gezwungen 
sind,  uns  ohne  Weiteres  zu  respectiren.  Dieser  Schluss  be- 
ruht auf  dem  Glauben,  dass  die  Barbaren  sich  der  Machtent- 
wickelung Europas  bewusst  sind.  Es  ist  aber  eine  nicht  zu 
leugnende  Thatsache,  dass  wenige  Ausländer  sich  einen  rich- 
tigen Begrifif  von  Europa  machen.  Man  sieht  gewaltige  Fre- 
gatten und  grossmäulige  Kanonen,  die  aber  selten  sich  un- 
genirt  aussprechen  können  und  sich  gewöhnlich  mit  guten 
Worten  zufrieden  geben  müssen.  Es  ist  verlorene  Mühe,  dem 
Barbaren  zu  erzählen,  wie  viele  Heere  und  Flotten  Europa 
ausrüsten  kann;  der  logisch  denkende  Morgenländer  weiss, 
dass  der  Mensch  der  etwas  nehmen  kann,  es  nehmen  wird. 

Wir  sind  im  Streit  mit  den  Barbaren  —  so  wollen  wir 
kurzweg  die  Nichteuropäer  nennen  —  moralisch  und  materiell 
vielfach  im  Nachtheil.  Erstens  suchen  wir  sie,  während  sie 
uns  meiden.  Wir  sind  die  Angreifer,  während  die  Barbaren 
den  ganzen  Vortheil  eines  Vertheidigungskrieges  haben.  Unser 
Interesse  ist,  mit  den  fremden  Völkern  in  friedlichen  Verkehr 
zu  treten ;  wir  wollen  sie  bekehren  und  bekleiden.  Im  Gegen- 
theil  glauben  die  Barbaren  von  unserer  Annäherung  nichts 
gewinnen  zu  können;  niemand  sucht  uns  auf.  Wenn  wir  in 
die  Fremde  kommen,  wird  man  uns  wohl  das  erste  Mal  recht 
freundlich  aufnehmen.  Nach  den  drei  der  Gastfreundschaft 
heiligen  Tagen  schauen  Wirth  und  Gast  sich  näher  an  und 
dann  darf  man  versichert  sein,  dass  wenig  Leute,   die   uns 


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14  Einleitung. 

kennen,  an  unserm  Besuche  Freude  haben.  Die  Geschichte 
Amerikas  gilt  fiir  alle  Welttheile.  Eine  Ausnahme  macht 
vielleicht  ein  gestürzter  Prinz,  eine  besiegte  Partei,  die  mit 
Hülfe  der  mächtigen  Fremden  die  feindliche  Majorität  unter- 
drücken will. 

Da  wir  uns  im  Verkehr  mit  dem  Ausland  bereichern 
wollen,  lieben  wir  den  Krieg  nicht.  Wir  furchten  kostspielige 
Eroberungen;  wir  erkaufen  des  Handels  wegen  den  Frieden 
selbst  mit  Unehre.  Wir  parlamentiren,  solange  wir  können ; 
wir  sind  unschlüssig  bis  zum  Tod.  Wie  verechieden  ist  die 
Handlungsweise  der  Barbaren:  immer  entschlossen,  immer 
zum  Angriff  bereit,  selbst  im  Frieden  Feind,  scheuen  sie 
keinen  Krieg,  gleichviel  wie;  sie  kennen  keine  ängstlichen 
Rücksichten;  man  weicht  selbst  der  Nothwendigkeit  nur  für 
einen  Tag,  um  morgen  firisch  wieder  anzufangen.  Da  ist 
höchstens  ein  Waffenstillstand  möglich;  der  Krieg  ist  die  Erb- 
schaft der  Kinder  und  Kindeskinder. 

Wir  kämpfen  gewöhnlich  mit  Humanität;  wir  dürfen  nicht 
zu  sehr  erbittern,  da  wir  am  Ende  doch  Frieden  haben  müssen. 
Die  Fremden  haben  alle  Vortheile  der  Barbarei,  die  kein 
Mittel  scheut  und  nichts  zu  schonen  hat.  Wir  sind  weit  vom 
Schlachtfeld  entfernt,  die  Barbaren  sind  mitten  darin.  Für 
uns  wird  es  schwer,  Truppen  weit  fortzuschicken;  wir  sind  in 
Feindesland,  wo  jeder  Schritt  ein  Hinderniss  ist;  wir  kennen 
das  Land  wenig.  Die  Eingebomen  im  Gegentheil  können 
jeden  Tag  neue  Heere  aus  dem  Boden  hervorrufen  und  sie 
ohne  Aufwand  ersetzen.  Sie  fühlen  sich  in  ihrem  Vaterland, 
wo  jeder  zu  Opfern  freudig  bereit  ist.  Der  Europäer  streitet 
für's  Geld,  der  Barbar  für  sein  Vaterland,  für  seine  Freiheit. 
Wir  kämpfen  für  eine  Sache,  die  uns  von  weitem  interessirt, 
der  Barbar  kämpft  für  seine  Existenz.  Wir  haben  Unrecht, 
er  hat  Recht  und  wir  fühlen  es. 

Endlich  sieht  jedermann  ein,  dass  die  Zersplitterung  Eu- 
ropa in  mehrere  Nationen,  die  sich  eifersüchtig  paralysiren 
und  die  Unbeständigkeit  der  Regierungen  mit  immer  neuen 


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Einleitung.  15 

Ansichten  und  Menschen  eine  consequente  reife  Politik  dem 
Ausland  gegenüber  fast  unmöglich  macht.  Wir  sind  zwar 
ganz  überzeugt,  dass  die  Zersplitterung  Europas  in  viele  un- 
abhängige Reiche  der  mannigfaltigen  Entwickelung  seiner 
Cultur  und  besonders  der  allmähligen  Ausdehnung  der  indi- 
viduellen Freiheit  forderlich  und  geradezu  nothwendig  ist. 
Dem  Ausland  gegenüber  soUte  sich  Europa  als  Eine  Macht 
zu  gewissen  allgemein  gültigen  Principien  vereinigen  können. 

Diese  Gegensätze  zusammengenommen  führen  uns  zu  dem 
Schluss:  dass  die  Barbaren  sich  nicht  ohne  Weiteres  von  un- 
serer Uebermacht  überzeugen  lassen;  dass  unser  Handel  in 
der  Fremde  firiedlicherweise  nicht  beschützt  werden  kann; 
dass  die  Protection  auf  einen  Krieg  hinausläuft,  der  nicht 
so  schnell  beendigt  werden  kann,  wie  man  nach  der  euro- 
päischen Militärmacht  annehmen  sollte  und  endlich  immer  zu 
Eroberungen  fuhren  muss;  dass  daher  die  Aufgabe  der  Diplo- 
matie, den  Handel  ohne  Eroberungen  zu  beschützen,  unaus- 
führbar ist;  und  so  möchte  man  sich  zu  dem  Extremen  ver- 
leiten lassen,  eher  gar  nichts  zu  thun,  da  doch  die  Mittel- 
strasse verschlossen  ist. 

Ein  frappantes  Beispiel  zu  dem  Gesagten  bildet  die  Ge- 
schichte der  Ostindischen  Gompagnie,  die  mit  wenig  Freude 
die  Thaten  eines  Clive  aufnahm;  gezwungen  erobert  sie  ein 
Reich,  wenigstens  so  gross  wie  Europa. 

Wir  finden  also  die  Lage  Europas  dem  Ausland  gegenüber 
immer  sehr  schwierig.  Ein  Land  nach  Vernichtung  der  Ur- 
einwohner zu  besetzen,  dazu  braucht  es  eine  Völkerwanderung, 
die  für  Afrika  jedenfalls  noch  sehr  ferne  liegt.  Wir  dürfen 
also  diese  Aussicht  nicht  in  Betracht  ziehen. 

Unterdessen  will  der  Europäer  nicht  zu  Hause  bleiben;  er 
will  mit  dem  Auslande  einen  einträglichen  Handel  treiben. 
Der  Verkehr  zwischen  Culturvölkern  und  Barbaren  muss  noth- 
wendig zu  Collisionen  führen,  die  endlich  in  einen  ewigen 
Krieg  ausarten.  Verträge  sind  immer  ephemerisch.  Wenn 
Friedensschlüsse  selbst  in  Europa  zwischen  civilisirten  Nationen 


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16  Einleitang. 

für  niemand  auf  die  Dauer  bindend  scheinen,  was  kann  man 
dann  von  Verträgen  mit  Wilden  erwarten?  Erlittene  Belei- 
digungen strafen  und  dann  sich  zurückziehen,  das  stellt  den 
Ansiedler  bloss.  Sich  um  nichts  zu  bekümmern,  das  ist 
Schande  und  Tod  von  allen.  So  finden  wdr  uns  in  einem 
Labyrinthe,  wo  es  schwer  ist  einen  Weg  hinauszufinden.  Wir 
verlassen  Europa  mit  einer  grossen  Meinung  von  seiner 
Macht;  wir  sind  stolz,  anmasslich,  wie  römische  .Bürger:  Dann 
kommen  böse  Tage;  man  jagt  auf  uns,  wie  auf  wilde  Thiere; 
der  Hülfeschrei  dringt  bis  Europa;  man  schickt  Flotten  aus, 
man  untersucht;  aber  am  Ende  wird  die  Rache  so  kleinlich, 
dass  die  Eingebornen  uns  verachten  und  wir  selber  einsehen 
müssen,  dass  wir  von  vom  herein  viel  bescheidener  hätten 
sein  sollen. 

Verhehlen  wir  uns  nicht:  die  Ursache  dieser  inconsequen- 
ten  Stellung  Europas  ist  das  Protectionssystem,  worunter  wir 
die  durch  Gesandten  und  Consuln  kundgegebene  Solidarität 
der  Mächte  für  die  Sicherheit  ihrer  Unterthanen  im  Ausland 
verstehen. 

Stellen  wir  uns  ein  Land  vor,  womit  Europa  keinen  ofii- 
ciellen  Verkehr  hat,  wie  es  z.  B.  mit  Abyssinien  fast  bis  auf 
den  heutigen  Tag  der  Fall  ist.  Der  Fremde  kommt  ohne  alle 
Ansprüche  an;  er  weiss,  dass  seihe  Sicherheit  von  dem  guten 
Willen  der  Eingebornen  abhängt;  er  wird  also  alle  Vorsicht, 
alle  Bescheidenheit  aufbieten,  um  sich  beliebt  zu  machen. 
Die  Landeseingebornen,  die,  so  wild  sie  auch  sein  mögen, 
einen  ftiedlichen  Charakter  immer  zu  schätzen  wissen,  werden 
den  hülf losen  Fremden  als  Gast  edehnüthig  aufnehmen;  mit 
einem  klugen  rücksichtsvollen  Benehmen  wird  er  sich  immer 
gut  befinden.  Wenn  durch  Zufall  einmal  in  hundert  Jahren 
ein  Unglück  vorkommt,  was  einem  in  Europa  ja  auch  zu- 
stossen  kann,  so  fällt  es  doch  nur  auf  die  einzelne  Person 
ohne  Zusammenhang  mit  seiner  Brüderschaft  in  Europa.  Des- 
wegen sehen  wir  die  Armenier  und  Griechen,  die  gewöhnlich 
sehr  wenig  Protection  geniessen,  allenthalben  gut  aufgenommen 


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Einleitung.  17 

und  geschätzt,  da  sie  keine  falschen  Ansprüche  machen;  sie 
werden  allmählig  wie  Landeskinder  angesehen,  des  Land- 
rechtes  theilhaftig  und  je  nach  ihrem  Betragen  gut  oder 
schlecht  behandelt. 

Wie  verschieden  ist  die  Stellung  des  protegirten  Euro- 
päers. Er  weiss,  dass  Consuln  express  für  seinen  Schutz 
dahingestellt  sind;  er  glaubt  sich  sicher,  da  er  seine  Nation 
hinter  sich  fühlt  Er  vernachlässigt  die  Freundschaft  der 
Eingebomen,  die  ihm  unnütz  scheint;  er  wird  stolz  und  rück- 
sichtslos. Der  Eingebome  seinerseits  wird  ihn  stets  als  Fremd- 
ling misstrauisch  anschauen  und  da  er  schnell  den  Unter- 
schied zwischen  Consul  und  ünterthan  begreift,  den  Letztern 
eher  verächtlich  behandeln;  das  Gastrecht,  das  er  ja  selbst 
nicht  in  Anspruch  genonmien ,  wird  nie  auf  ihn  angewendet. 
Seine  Sicherheit  hängt  einzig  und  allein  von  dem  Ansehen 
seines  Consuls  ab;  stösst  ihm  ein  Unglück  zu,  so  fällt  die 
Schande  solidarisch  auf  die  ganze  Colonie;  in  Folge  der  Stell- 
vertretung werden  alle,  einer  für  den  andern  verantwortlich; 
bleibt  er  ungerächt,  so  ist  die  ganze  Colonie  preisgestellt,  da 
ihre  Sicherheit  von  der  Macht  ihres  Vaterlandes  abhängt. 

Was  diese  Stellung  verschlimmert,  ist  das  Misstrauen,  das 
die  Einrichtung  von  Consuln  bei  den  Eingebomen  erregt. 
Franken  und  Barbaren  machen  sich  jeder  eine  andere  Defi- 
nition von  einem  Consul.  Die  Franken  verstehen  darunter 
einen  Staatsdiener,  der  das  Interesse  seiner  Mitbürger  wahren 
soll.  Die  Barbaren  betrachten  ihn  als  einen  Spion,  der  das 
Land  studirt,  als  einen  Vorläufer  der  Fremdherrschaft.  Wir 
erinnern  uns  sehr  wohl,  dass  sich  die  Abyssinier  immer  wehr- 
ten, wenn  wir  von  Consuln  in  Abyssinien  redeten.  Es  gibt 
keine  Consuln  in  unserem  Land,  denn  wir  haben  unsere  un- 
abhängigen Könige,  sagen  sie.  Es  scheint  ihnen  ein  Consul 
dem  Landesherrscher  Concurrenz  zu  machen:  begreifen  kann 
man  schon,  dass  sie  sich  einen  so  gewaltigen  Begriff  von  den- 
selben machen,  da  sie  an  der  Küste  die  Pascha's  sich  dem 
Willen  der  Consuln  schmiegen  sehen. 

HnnziDg^r,  OsUfrik.  Studien.  2 


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18  Einleitung. 

Unsere  eigene  Definition  eines  Consuls  ist  zweideutig:  die 
Interessen  seiner  Regierung  und  seiner  Mitbürger  wahren,  ist 
eine  doppelte  Aufgabe,  die  sich  in  gewissen  Fallen  wider- 
sprechen kann.  Die  Regierung  hat  allgemeine  Zwecke,  deren 
Erfüllung  'meist  weit  in  die  Zukunft  reicht,  sodass  ihre  Hand- 
lungsweise oft  dem  Glück  der  einzelnen  Individuen  verderb- 
lich sein  muss.  Hat  die  Gegenwart,  das  Individuum  keine 
Rechte? 

Hat  eine  Regierung  festbestimmte  Absichten  auf  ein  fremdes 
Land,  wovon  es  ihr  nothwendig  scheint,  dass  es  in  der  Bahn 
ihrer  Politik  irgendwo  mitwirke,  so  schickt  sie  mit  vollem 
Rechte  ihre  Gesandten  aus,  um  sich  darin  festzusetzen  und 
niemand  darf  sich  über  gestörte  Interessen  beklagen.  Hat 
eine  Regierung  den  festen  Willen,  ohne  alle  ehrgeizige  Ab- 
sicht, rein  im  Interesse  der  Nationalwohlfahrt  ihren  Handel 
im  Ausland  energisch  zu  schützen,  so  sendet  sie  löblicher- 
weise ihre  Stellvertreter  dahin,  da  jedermann  damit  sein 
Leben  und  Vermögen  versichert  findet.  Der  Consul  schliesst 
mit  der  Landesbehörde  Verträge  ab,  deren  Verletzung  zu  einem 
unvermeidlichen  Krieg  führt,  worüber  sich  niemand  zu  be- 
klagen haben  wird. 

Wo  man  aber  nichts  thun  kann  und  thun  will,  wo  keine 
überlegten  Absichten  uns  zwingen,  eine  der  Gegenwart  schäd- 
liche Politik  zu  treiben,  wo  diplomatische  Rücksichten  eine 
entschiedene  Handlungsweise  verbieten,  wo  man  Verträge  ab- 
schliessen,  aber  nicht  auf  ihrer  Vollziehung  bestehen  kann,  da 
bethört  man  den  Kaufinann,  den  Colonisten  mit  der  falschen 
Hoffnung  einer  Protection,  die  ihn  um  so  eher  in  den  Ruin 
stürzt,  je  mehr  er  daran  glaubt;  da  würde  man  viel  besser 
thun,  gar  keine  Stellvertreter  hinzuschicken,  da  in  deren  Ab- 
wesenheit jeder  Einzelne  thun  wird,  was  ihm  der  Instinct  für 
seine  Sicherheit  zu  thun  befiehlt. 

Hier  müssen  wir  mit  Schmerzen  der  Katastrophe  von 
I)jedda  gedenken,  deren  fünfter  Act  niemanden  befriedigen 
konnte,  da  die  öffentliche  Meinung  im  Orient  den  Sieg  unsem 


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Einleitung.  19 

Feinden  zugeschrieben  hat  und  daraus  den  Schluss  zieht,  dass 
man  Europäer  ungestraft  ermorden  kann,  da  wir  unser  Blut 
mit  Geld  bezahlen  machen.  Die  Millionen,  die  wir  uns  be- 
zahlen Hessen,  hätten  vielleicht  immerhin  einigen  Eindruck  , 
zurückgelassen,  wenn  ihr  Gewicht  wirklich  auf  die  Stadt 
Djedda  gefallen  wäre;  wer  kann  aber  glauben,  dass  der  Sul- 
tan die  Macht  habe,  sich  von  den  Arabern  entschädigen  zu 
lassen,  wenn  man  weiss,  dass  er  den  eingebornen  Fürsten 
ungeheure  Pensionen  zahlt,  um  nur  im  Lande  geduldet  zu 
ßein?l 

Diese  Katastrophe  kann  man  sich  kaum  aus  religiösem 
Fanatismus  erklären.  Die  kuhanbetenden  Banianen  werden 
seit  Jahrhunderten  in  Arabien  tolerirt,  während  doch  jeder 
Araber  weiss,  dass  ihm  der  Christ  religiös  genommen  viel 
näher  steht.  Der  Baniane  geniesst  trotz  seiner  verächtlichen 
Religion  aller  Sicherheit,  weil  er  unschädlich  ist,  während  der 
eoroi^dsche  Ehrgeiz  die  Unabhängigkeit  des  Landes  bedroht. 
Wir  glauben  nicht,  dass  sich  die  europäischen  Consuln  je 
viel  in  die  innere  Politik  der  Halbinsel  gemischt  haben; 
immerhin  hat  sie  die  öffentliche  Meinung  des  Landes  ange- 
klagt, bei  den  Ereignissen  im  Hedjas  1857  die  einen  zu 
Gunsten  der  Türken,  die  andern  zu  Gunsten  des  Scherif  mit- 
gewirkt zu  haben  und  als  Beispiel  genügt  die  Anekdote,  dass 
die  Araber  und  die  Türken  in  der  Schlacht  von  Mekka,  wo 
Abd-el-M6taleb  gefangen  genommen  wurde,  sich  gegenseitig 
den  Schimpfiiamen:  Soldaten  des  Consuls,  Christen  zuwarfen. 
Der  Araber  liebt  vor  seinem  Gott  seine  Unabhängigkeit,  die 
er  von  Jahrtausenden  her  rein  erhalten  hat  und  mit  Recht 
sucht  er  den  Ausländer  fem  zu  halten,  dessen  Eroberungs- 
geist er  kennt.  Jedenfalls  musste  bei  dieser  Gelegenheit  klar 
werden,  dass  die  Europäer  weit  entfernt,  eine  Herrscherpolitik 
zu  treiben,  für  ihre  eigene  Sicherheit  besorgt  sein  müssen 
und  wir  haben  durchaus  keine  Sicherheit,  dass  sich  nicht  ein 
ähnliches  Schauspiel  in  wenigen  Jahren  wiederholt. 

Wir  wollen  mit  einem  Beispiel  die  Schwierigkeiten,  die  der 

2* 


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20  Einleitung. 

europäischen  Politik  im  Orient  entgegenstehen,  darlegen,  indem 
wir  uns  fragen,  was  ihre  Bemühungen,  den  Sklavenhandel  im 
Rothen  Meer  abzuschafifen,  bis  jetzt  gefruchtet  haben. 


IV. 

In  dem  politischen  Durcheinanderarbeiten,  wo  der  eine 
auflöst  was  der  andere  gesponnen  hat,  ist  es  wohlthätig  zu 
sehen,  wenn  ein  und  das  andere  Mal  die  Grossmächte  sich 
über  eine  Idee  vereinigen  und  von  allen  Sonderinteressen  ab- 
sehend zusammenhandeln,  wie  diess  bei  den  Bemühungen  um 
Abschaffung  des  Sklavenhandels  hervortritt.  Und  doch  hat 
keine  diplomatische  Action  weniger  Erfolg  gehabt,  weil  im 
Orient,  wo  der  Staat  das  Individuum  sehr  wenig  beschränkt, 
mit  Verboten  wenig  erreicht  ist.  Die  Pforte,  den  Grossmäch- 
ten nachgebend,  fing  an  den  Sklavenhandel  durch  hohe  Zölle 
—  ein  Drittel  des  Werthes  —  zu  erschweren  und  endlich  wurde 
der  Verkauf  durch  feierliche  Fermane  verboten  —  Feuerwerke, 
die  mehr  Licht  als  Wärme  bringen.  Die  Douane  ist  der 
grossen  Einnahme,  die  sie  von  den  Sklaven  hatte,  beraubt, 
der  Handel  ist  aber  keineswegs  abgeschafft;  der  Fortschritt 
besteht  darin,  dass  man  sich  jetzt  verbirgt,  um  Skandal  zu 
vermeiden.  Auf  meiner  Rückreise  von  Djedda  nach  Suez 
(Januar  1863)  war  das  DampiBschiff,  das  der  ägyptischen  Re- 
gierung gehört,  mit  etwa  200  Sklaven  befrachtet,  für  die  nur 
die  Hälfte  des  Fahrpreises  bezahlt  wurde.  Sie  wurden  in  Suez 
ohne  alle  Schwierigkeit  ausgeschifft.  Einige  Aegypter,  gegen 
die  ich  meine  Verwunderung  aussprach,  sagten  mir,  man 
könne  ihnen  diess  nicht  verargen;  denn  seit  der  Isthmusdurch* 
schnitt  den  Bauer  vom  Pflug  wegnehme,  müsse  man  Sklaven 
einfuhren,  um  die  verlornen  Arbeitskräfte  zu  ersetzen.  Auch 
im  Sudan  wird  es  mit  dem  Verbot  nicht  streng  genommen; 
wir  begegneten   auf  der  Strasse  von   Chartum  nach  L'obeid 


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Einleitung.  21 

mehreren  Sklavenkarawanen;  in  L'obeid  selbst  hätte  man  Hun- 
derte aufkaufen  können ;  nur  werden  sie  nicht  mehr  auf  dem 
Markte  ausgestellt. 

Weit  entfernt,  uns  darüber  zu  beklagen,  sehen  wir  ein, 
dass  die  Wegnahme  von  Hunderten  von  Sklaven  die  Handel- 
schafit  des  Rothen  Meeres  viel  zu  empfindlich  berührt  hätte. 
Was  hätte  z.  B.  in  Massua  der  Kaimakan  im  Falle  eines  Auf- 
ruhrs thun  können  mit  seinen  paar  im  Lande  selbst  ange- 
worbenen Soldaten?  Europäische  KriegsschiflFe  besuchen  wohl 
dann  und  wann  den  Hafen;  sie  bleiben  aber  so  kurze  Zeit, 
dass  man  daraus  keine  Beruhigung  schöpfen  kann. 

Wenn  auch  der  Sultan  wohl  weiss,  dass  er  ohnmäcBtig 
ist,  seine  Fermane  im  Rothen  Meere  in  Kraft  zu  setzen,  so 
kann  er  sich  doch  den  Rathschlägen  seiner  Alliirten  nicht  wider- 
setzen. Wenn  in  Folge  davon  europäische  Colonien  nieder- 
gemetzelt werden,  so  sollte  man  die  Schuld  wenigstens  nicht 
auf  ihn  werfen.  Der  Zweck  wäre  viel  eher  erreicht,  wenn 
ein  paar  Kriegsschiffe  im  Herbst  das  Meer  ernstlich  bewachen 
würden.  Mit  der  Wegnahme  von  einigen  Barken  würde  der 
Handel  von  selbst  aufhören. 

Wir  müssen  hier  der  öffentlichen  Meinung  des  Orients  ge- 
denken —  so  seltsam  sie  klingen  mag  —  die  glaubt,  dass  die 
Christen  die  Sklaverei  mit  dem  Zweck  ausrotten  wollen,  das 
islamitische  Reich  zu  Grunde  zu  richten.  Untersuchen  wir, 
was  Wahres  darin  ist.  Wenn  auch  jeder  Europäer  weiss,  dass 
die  christlichen  Cabinete  jetzt  keine  Kreuzzüge  mehr  machen 
and  ihre  Bemühungen  eher  einen  philanthropischen  Zweck 
haben,  der  im  Geist  der  Zeit  liegt,  so  müssen  wir  doch  be- 
kennen, dass  die  Abschaffung  der  Sklaverei  dem  Islam  einen 
schweren  Schlag  versetzen  muss.  Es  ist  unmöglich,  das  Ver- 
lältniss  der  Leibeigenen  zu  den  Freien  in  Arabien  und  Afrika 
statistisch  zu  berechnen.  Wer  aber  gut  aufinerkt,  wird  ein- 
sehen, dass  es  ungefähr  das  gleiche  ist,  wie  früher  in  Athen 
und  Rom.  Bedenkt  man,  dass  z.  B.  in  Arabien  alle  schweren 
Dienste   und  Handwerke  von  Sklaven  ausgeübt  werden,  dass 


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22  Einleitung. 

auf  jeder  Barke  drei  Viertel  der  Matrosen  Schwarze  sind,  dass 
der  Ackerbau  und  der  Hausdienst  in  ihren  Händen  ist  und  die 
Hälfte  der  Frauen  den  gleichen  Ursprung  hat,  so  wird  man 
sich  überzeugen,  dass  eine  plötzliche  Befreiung  der  Sklaven 
auf  den  Araber  den  gleichen  Eindruck  machen  würde,  den  es 
auf  den  Bürger  von  Athen  gemacht  hätte,  wenn  er  sich  .eines 
Morgens  ohne  Leibeigene  gefunden.  Man  muss  im  Orient  nie 
von  Arabern,  Türken,  immer  nur  von  Muslimin  reden;  denn 
die  Gesellschaft  besteht  zum  grossen  Theil  aus  Farbigen,  die 
einmal  eingewöhnt  und  fortgepflanzt,  auf  die  Gesellschaft 
einen  grossen  Einfluss  ausüben  müssen.  Man  darf  nicht  ver- 
gessen, dass  die  Blutmischung  die  Hassen  gegenseitig  an- 
nähert. Genössen  die  Sklaven  den  gleichen  Nationalzusam- 
menhang, wie  ihn  ihre  Herren  haben,  so  würden  sie  ohne 
Zweifel  furchtbar  werden  und  schon  ihre  Auswanderung  würde 
Städte  und  Dörfer  wüste  lassen.  Doch  stehen  die  Sklaven 
ihren  Herren  selbst  in  Farbe,  Beligion  und  Denkungsart  so 
nahe,  dass  sie  sich  nie  recht  als  getrennter  Stand  fühlen 
können.  Dann  gehören  sie  einer  Unzahl  von  verschiedenen 
Nationen  an,  was  eine  Yereinigimg  geradezu  unmöglich  macht; 
sie  fühlen  sich  ihren  Herren  näher,  ab  ihren  Genossen:  stehen 
sie  sich  doch  in  ihrer  Heimat  Dorf  gegen  Dorf,  Sprache 
gegen  Sprache,  Volk  gegen  Volk  feindlich  entgegen,  ohne  ein 
Band,  das  sie  vereinigte.  In  der  Kindheit  ausgeführt,  jeder 
an  seinen  einzelnen  Herrn  gewöhnt,  meist  milde  behandelt, 
vergessen  sie  die  Freiheit.  Die  Zustände  der  amerikanischen 
Neger  sind  davon  himmelweit  verschieden,  wie  jedermann 
leicht  einsehen  kann.  Fügt  man  dem  Gesagten  bei,  dass 
jeder  eingeführte  Sklave  ein  werther  Proselyt  für  den  Islam 
ist  und  dass  der  enge  Verkehr  mit  den  Schwarzen  den  Mo- 
hammedanern die  Pforte  Afrikas  au&chliesst,  so  kann  man 
nicht  leugnen,  dass  die  Abschaffung  der  Leibeigenschaft  dem 
Islam  selbst  ernstlich  an  die  Wurzel  gehen  muss. 

Niemand  hat  das  Recht,  der  öffentlichen  Meinung  Europas, 
die  den  Negerhandel  verdammt,   zu  widersprechen;  niemand 


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Einleitung.  23 

kann  bezweifeln,  dass  der  Verkehr  mit  Sklaven  in  dem  Herrn 
einen  despotischen  launigen  Charakter  entwickelt,  der  beson- 
ders einem  Republikaner  schlecht  ansteht;  dass  die  Mischung 
der  Farben  und  die  Ausbreitung  des  schwarzen  Elements  in 
Amerika,  sei  es  geknechtet  oder  frei,  diesem  Land  sehr  nach- 
theilig ist;  dass  endlich  die  Sklaverei  im  Orient,  wenn  sie  auch 
nichts  von  der  amerikanischen  Grausamkeit  hat,  dem  Princip 
der  freien  Selbstbestimmung  des  Menschen  vriiderspricht.  Man 
kann  aber  immerhin  einwerfen,  dass  selbst  eine  gute  Idee 
immer  mit  Vorsicht  in's  Leben  geführt  werden  muss,  dass 
man  in  Europa  über  viel  Uebelstände  hinaussieht,  weil  man 
das  Heilmittel  nicht  kennt  oder  fürchtet;  dass  die  Verschie- 
denheit von  Vermögen,  Geist,  Muth  und  Glück  der  Gleichheit 
radical  Hohn  spricht  und  reell  das  Machtverhältniss  ändert 
Wenn  die  Weissen  untereinander  ungleich  sind,  welche  Kluft 
muss  sich  dann  zwischen  Weiss  und  Schwarz,  Both  und 
Schwarz  aufthun? 

Stellt  man  sich  recht  den  kindischen  unzuverlässigen  Cha- 
rakter des  Schwarzen  vor,  der  fast  ohne  Anlass  von  stoischer 
Ruhe  in  wahnsinnige  Wuth  übergeht,  seinen  Starrsinn,  seine 
Verschlossenheit,  wo  Liebe  und  Hass  nie  zu  unterscheiden 
sind,  seine  seltsame  Denkungsart,  die  kaum  sich  menschlicher 
Logik  anpasst,  sein  gemeines  Herz,  das  Milde  eher  verwegen 
macht,  das  Härte  nur  einschüchtert,  so  kann  man  begreifen, 
dass  dieses  böse  Kind,  frei  erklärt,  in  Mitte  einer  entwickelten 
Nation  entweder  der  geistigen  Schlauheit  und  Energie  seiner 
früheren  Herren  unterliegen  oder  seiner  materiellen  Stärke 
bewusst,  durch  seine  Bosheit  und  grausame  Falschheit  der 
Gesellschaft  gefährlich  werden  muss.  Denn  einmal  unab- 
hängig, fehlt  dem  Sklaven  die  Leitung  des  Herrn,  anderseits 
die  Erziehung,  die  ihm  wenigstens  Furcht  abzwingt 

Ein  Araber  könnte  Folgendes  zu  seiner  Vertheidigung  an- 
fiihren:  der  Schwarze,  der  in  seinem  Vaterland  im  tiefsten 
Schmutz  der  Barbarei  liegt,  wird,  wenn  er  ausgeführt  ist,  immer 
einer  gewissen  Cultur  theilhafbig;  seine  Fetische,  seine  bösen 


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24  Eioleitung. 

Geister  tauscht  er  gegen  Einen  barmherzigen  Gott  aus,  seine 
Beschwörungen  gegen  vernünftige  Gebete.  Heisst  er  in  seiner 
Heimat  auch  frei,  so  geniesst  er  doch  seine  Unabhängigkeit 
nicht,  da  die  unvollkommene  Gesellschaft  ihm  weder  seine 
Pei'son,  noch  sein  Vermögen  sichern  kann.  Heisst  er  Sklave, 
80  geniesst  er  doch  festbestimmter  Rechte,  die  jeder  Muslim 
hat.  Aus  der  alten  hungrigen  Faulheit  aufgeschreckt,  kommt 
er  in  ein  thätiges  Leben  hinein;  weiss  er  sich  hineinzuschicken^ 
so  kann  er  sich  selbst  Vermögen  erwerben;  hat  er  Muth  und 
Geist,  so  ist  ihm  selbst  der  Weg  zu  politischen  und  mili- 
tärischen Ehren  und  Stellen  keineswegs  verschlossen.  Endlich 
begünstigt  der  Islam  die  Befreiung  als  Belohnung  langer  guter 
Dienste.  Daher  kommt  es,  dass  befreite  Sklaven,  die  sich 
unter  den  Arabern  eingewöhnt  haben,  nie  in  ihr  Vaterland 
zurückkehren  werden. 

Wir  wollten  mit  diesen  Bemerkungen  einfach  darauf  hin- 
deuten, dass  die  beste  Idee  ihre  widerwärtige  Rückseite  hat» 
Da  die  Sklaverei  im  Leben  des  Orients  eingewurzelt  ist,  kann 
sie  nicht  mit  einem  Protokoll  wegdecretirt  werden ;  sie  gehört 
ganz  und  gar  zur  Integrität  des  türkischen  Reiches;  halbe 
Massregeln  können  nur  schaden. 

Woher  stammen  aber  die  halben  Massregeln?  Daraus, 
dass  die  Grossmächte  sich  der  Türkei  gegenüber  nicht  einig 
genug  fühlen.  Man  kann  die  Türken  überreden,  den  Sklaven- 
handel zu  verbieten,  aber  die  Ausführung  dieser  Befehle  über- 
wachen, hiesse  die  Unabhängigkeit  des  Reiches  angreifen  und 
dieses  grosse  Princip  darf  wegen  kleinlicher  Interessen  nicht 
vefletzt  werden.  Deswegen  fahren  die  Sklavenschiffe  unge- 
stört im  Rothen  Meere  herum  und  kein  Engländer  oder  Fran- 
zose wagt  es  sie  auch  nur  anzuhalten. 

Wenn  man  also  das  Recht  nicht  hat,  den  Türken  zur  Aus- 
führung ihrer  Gesetze  Beistand  zu  leisten,  warum  die  Gesetze 
selbst,  von  denen  man  weiss,  dass  sie  auf  dem  Papiere  stehen 
bleiben?  Die  türkische  Regierung  verbietet  den  Sklavenhandel, 
aber  verhindert  ihn   nicht.    Die  Unterthanen,    die  jetzt  den 


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Einlei  fcnng.  25 

Handel  ausser  dem  Gesetze  treiben,  werden  gegen  die  Franken 
erbittert;  der  Handel  selbst  erhält  durch  das  Verbot  einen 
grausamen  Charakter,  den  er  fiiiher  nicht  hatte;  die  Preise 
steigen  bei  dem  scheinbaren  Risico. 

Wir  wollen  damit  sagen,  dass  halbe  Massregeln  nur  schaden 
und  ganze  bei  der  Stellung  der  Diplomatie  unmöglich  sind. 
Wir  glauben  aber  deswegen  doch,  dass  die  Gonsuln  im  Ein- 
zelnen viel  thun  könnten.  Vorerst  können  sie  ohne  Mühe  den 
Herrn  Abyssiniens  bewegen,  den  Sklavenhandel  zu  verbieten; 
Theodoros  hatte  es  auf  die  Vorstellungen'des  englischen  Consuls 
hin  schon  gethan;  doch  hatte  dieser  eine  nicht  genug  unab- 
hängige Stellung,  um  sich  consequent  dafür  bemühen  zu 
können  und  das  Verbot  blieb  ein  leeres  Wort.  Der  erste 
beste  Consul  aber,  der  dem  Kaiser  beweist,  dass  er  sich  nicht 
in  die  innere  Politik  mischt,  wird  es  leicht  haben,  das  Verbot 
wirksam  zu  machen  und  dem  Menschenhandel  wäre  damit  eine 
bedeutende  Quelle  abgeschnitten.  Femer  wird  jeder  Consul 
die  Macht  haben,  an  der  Küste  alle  Sklaven  von  christlicher 
Abkunft  frei  erklären  zu  lassen  und  das  Privilegium,  das  bis 
jetzt  nur  mohammedanischen  Freigebornen  zugute  kam,  auch 
auf  die  Christen  auszudehnen.  In  dieser  Hinsicht  hat  Hen* 
Barroni,  früherer  englischer  Consularagent  in  Massua,  grosses 
Verdienst,  eine  grosse  Anzahl  Christen  verdankt  seinen  Be- 
mühungen die  Freiheit.  Drittens  muss  immer  wiederholt 
werden,  dass  die  Consuln  vorerst  mit  aller  Strenge  gegen  die 
Europäer,  die  mit  Sklaven  handeln,  einschreiten,  dass  sie 
zuerst  im  eigenen  Hause  Ordnung  schaffen  müssen,  bevor  sie 
Fremde  belästigen:  So  viel  einstweilen  als  Beispiel,  was  unsere 
PoUtik  kann  und  was  sie  nicht  kann. 


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26  Einleitung. 


V. 

Indem  wir  nun  zu  den  Zuständen  Abyssiniens  übergehen, 
erlauben  wir  uns,  aus  unserem  Skizzenbuche  einige  allgemeine 
Betrachtungen  einzuschalten. 

*  »Wer  je  Abyssinien  gesehen  hat,  wird  immer  mit  Bewun- 
»derung  an  diese  afrikanische  Schweiz  zurückdenken,  am  süd* 
»liehen  Ende  des  Bothen  Meeres  gelegen  schroff  gegen  dessen 
»Gestade  hinabstürzend,  langsam  gegen  die  oberägyptischen 
»Wüsten  sich  abstufend.  In  breiten  Terrassen  erhebt  sich  Abys- 
»sinien  bis  über  10,000'  und  seine  Gipfel  lassen  unseren  Alpen- 
»königen  nur  den  ewigen  Schnee.  Die  weiten  Hochebenen 
»sind  durch  Klüfte  zerrissen;  die  wilden  Winterströme  von 
»tropischem  Begen  geschwollen  graben  sich  tiefer  und  tiefer 
»schauerliche  Abgründe  und  die  Zeit  erweitert  die  schmalen 
»Klüfte  zu  breiten  Tiefthälem,  die  mit  der  Pracht  ihrer  tropi- 
»schen  Vegetation  uns  verfuhren.  Aber  wehe  dem  Anwohner! 
»Da  lauert  die  geringelte  Boa  auf  dem  schmalen  Weg;  da  ist 
»das  Jagdgebiet  des  Löwen  und  der  Elefant  weidet  friedlich; 
»da  schreckt  dich  das  blasse  Fieber  aus  dem  paradiesischen 
»Traum.  Die  Natur  will  den  Menschen  hier  nicht  zum  Zeugen 
»ihrer  Pracht  haben.  Und  doch  wie  schön!  Das  hohe  schilfige 
»Gras  verschlingt  den  Heiter;  nur  mühevoll  tritt  er  sich  einen 
»Pfad,  wenn  nicht  die  Elefentenheerde  ihn  schon  geebnet  hat. 
»Die  weitästige  Sykomore  mit  ihrem  Ungeheuern,  hochragen- 
»den  Stamm  und  den  breiten  Blättern  bietet  ihre  Feigen  und 
»ladet  in  ihren  ewigen  nächtigen  Sdiatten.  Die  ast-  und 
»blätterarme  Adansonia  verwundert  dich  mit  ihrem  fetten  Leib 
»und  ihrem  mürben  kraftlosen  Holz.  Hier  ist  Urwald;  hier 
»liegen  wuchtige  Stämme  der  Verwesung  preisgegeben  und 
»versperren  den  Weg.  Frisch  sprosst  das  neue  Gras  aus  der 
»nie  abgeräumten,  nutzlos  verfaulenden  Weide.  Hab  Acht!  der 


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Einleitung.  27 

»Domenbaum  höhnt  deiner  Kleider  mit  den  krummen  Stacheln 
»und  grausame  Disteln  und  Nesseln  verletzen  den  unbedach- 
»ten  Fuss. 

dWo  aber  das  Thal  sich  verengt  und  das  Wasser  mühsam 
»über  die  Granitblöcke  von  thurmhohen  senkrechten  Schiefer- 
»felsen  sich  einen  kargen  Weg  bahnt,  da  ist  es  dunkel  fast 
»den  ganzen  Tag;  denn  nur  wenige  Mittagsstunden  dringt  die 
»Sonne  in  die  schauerliche  Tiefe.  Hier  wird  selbst  der  Vogel 
»scheu  und  stumm  und  die  am  spärlichen  Wasser  sidi  labende 
»Gazelle  lauscht  ängstlich  auf  bei  jedem  Geräusch  in  der 
»fluchtwehrenden  Enge.  Da  ist  ÜEtst  ewige  Stille,  ununter- 
»brochen  von  dem  Murmeln  des  sich  in^s  Freie  drängenden 
»Baches,  selten  gestört  von  dem  Geheul  der  an  den  jähen 
»Abgrund  sich  klammernden  Affen. 

»Weh'  dem,  der  hier  weilt  in  der  Regenzeit;  von  langer 
»Fahrt  müde  bettet  sich  der  Wanderer  in  dem  Thal.  Er  ist 
»von  der  Hitze  so  erschöpft,  selbst  diese  finstem  Gründe 
»laden  ihn  zur  Ruhe,  im  heissesten  Mittag  wi^t  er  sich  in 
»süsse  Träume;  seiner  harret  das  freundliche  Heim  —  da 
»dröhnt  es  dumpf  im  Hochgebirg;  ein  Schuss,  ein  zweiter, 
»dann  der  schreckliche  den  ganzen  Himmel  durchrasende 
»Donner. 

»Doch  furchtet  er  noch  nicht,  das  Gewitter  ist  ja  so  fern. 
»Er  weilt  und  träumt,  er  sei  schon  bei  den  Lieben.  Da  erhebt  sich 
»von  oben  ein  Rauschen,  wie  wenn  der  Wind  durch  die  Blätter 
»führe.  Es  wird  lauter,  gewaltiger,  es  zischt,  es  prasselt,  es 
»toset,  es  brüllt,  als  wenn  die  bösen  Geister  anfuhren  —  nun 
»naht  es,  mauergleich,  schäumend  und  sich  überstürzend  — 
»es  ist  der  Waldstrom.  Der  Bach  vom  Regen  angeschwollen 
»ist  ein  mächtiger  Strom  geworden,  doch  seines  kurzen  Lebens 
»gedenk,  stürzt  wild  und  feurig  er  das  Thal  hinab;  die  tief- 
»gewurzelten  Sykomoren  sinken  unter  seiner  Wucht  und  die 
»grasige  Ebene  wird  von  Schutt  überrollt;  das  Wasser  füllt 
»das  ganze  Thal  und  langt  hoch  an  die  Felsen  hinauf. 

»Weh  dir,  du  armer  Mann,  wo  solltest  du  hin  entfliehen? 


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2g  Einleitung. 

»Hast  du  die  Flügel  des  Adlers,  hast  du  die  Krallen  des  Affen, 
»der  über  dir  schwebend  deiner  Noth  höhnt?  Bist  du  im 
»Bunde  mit  den  Geistern,  dass  sie  dich  forttrügen?  Hier  ist 
»sie  nicht  dein  Knecht,  die  Natur,  sie  ist  dein  dich  vemich- 
»tender  Feind.  —  Es  sind  wenig  Jahre  her,  dass  ein  ganzes 
»Zeltenlager,  in  einem  breiten  trockenen  Strombett  gelagert, 
»die  Beduinen  mit  ihren  Heerden  und  Zelten  von  dem  unge- 
»ahnten  Waldstrom  überfallen  und  fortgerissen  wurden.  Hun- 
»dert  Menschen,  Tausende  von  Ziegen  wurden  seine  Beute. 

»So  sind  die  Tiefländer  Abyssiniens;  wie  feindlich  und 
»doch  so  schön.  Wie  manchen  Tag  habe  ich  in  dem  schat- 
»tigen  Wald  neben  der  Quelle  gelegen  und  den  bunten  lang- 
»geschweiften  Vögeln  zugeschaut  oder  im  dichten  Dombusch 
»dem  plumpen  Nashorn,  der  spiralhömigen  Antilope  aufge- 
»lauert!  Wie  manche  überschwengliche  Emdte  haben  wir  der 
»Urwildniss  abgelockt  und  wie  reichlich  belohnte  sie  die  kleine 
»Mühe,  die  grosse  Gefahr! 

»Doch  besser  ist  es  wohnen  in  dem  kalten,  vom  Wind  ge- 
»fegten,  baumlosen,  wildarmen  Hochland.  Da  sengt  keine  über- 
»mächtige  Sonne  das  immer  grüne  Gras;  aber  die  Natur  ist 
»massiger,  spärlicher:  keine  wuchernde  Vegetation,  die  oft 
»dem  Menschen  feindlich  wird.  Das  Wasser  sprudelt  unge- 
»sucht  aus  dem  Boden;  die  schwarze  Erde  gibt  viel,  aber 
»fordert  den  Schweiss;  die  kalte  Luft  ermöglicht  die  Arbeit. 
»Der  Mensch  ist  stark  und  kann  auch  fleissig  sein;  der  Acker- 
nbau .ladet  zu  Ruhe  und  Frieden  und  Dorf  und  Dorf  unzähl- 
»bar  verwirren  den  überzählenden  Blick.  Hier  zeigt  sich  die 
»Natur  vom  Menschen  besiegt;  das  ßaubthier  hat  sich  schon 
»lange  in  die  Wildniss  zurückgezogen.  Ein  erfreulicher  Blick; 
»doch  massig  schön,  wie  der  Bewohner,  den  die  rauhen 
»Winde  schwärzen  und  selbst  die  Frauen  hat  die  rauhe  Ar- 
»beit  männlich  gestaltet. 

»Das  ist  das  eigentliche  Abyssinien,  das  schönste  Land 
»von  Afrika;  seine  Bewohner  sind  ganz  verschiedenen  Ur- 
»sprunges,  doch  hat  sie  das  Klima  einander  ähnlich  gemacht 


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Einleitung.  29 

»und  das  Interesse  dem  Ausland  gegenüber  geeiniget.  In  den 
»ersten  Jahrhunderten  unserer  Aera  stand  es  auf  der  Höhe 
»der  damaligen  Cultur;  das  Christen thum,  das  ununterbrochen 
»von  Aegypten  den  Nil  hinauf  bis  hierher  reichte,  schuf  einen 
»stetigen  Verkehr  mit  dem  römischen  Reich.  In  Glauben, 
»Sitte,  Recht  und  Feinheit  des  Lebens  war  es  uns  ähnlich. 
»Doch  seit  es  von  dem  Abendland  durch  die  Fortschritte  des 
»Islams  abgeschnitten  ist,  blieb  seine  Entwickelung  stehen  und 
»wie,  wer  steht,  zurückgeht,  so  ist  auch  Abyssinien  zurück- 
»gegangen  und  ist  verwildert,  wenn  es  auch  jetzt  noch  Europa 
»viel  näher  steht,  als  dem  nachbarlichen  Afrika.  Es  ist  um- 
»ringt  von  Feinden,  wie  die  Rose  von  den  Domen;  im  Norden, 
»wo  das  Hochland  in  Stufen  abfällt,  und  endlich  in  unabseh- 
»bare  Tiefebenen  sich  endet,  da  wohnen  mohammedanische 
»Völker,  meist  rebellische  Kinder  des  Hochlandes,  die  hell- 
»farbigen  Habab,  die  Leute  von  Barka;  ihnen  folgen  noch 
»nördlicher  die  altnomadischen  fremdredenden  Hadendoa.  Im 
»Westen  begrenzt  Abyssinien  das  Nilland,  türkischer  Herr- 
»schaft  unterworfen;  im  Südeji  das  halb  mohammedanische, 
»halb  teufelanbetende  Reitervolk  der  Galla.  Wohl  brauchte 
»es  Jahrhunderte,  das  Hochland  vor  allen  diesen  Feinden  dem 
»Christenthum  zu  bewahren.  Doch  jetzt  steht  Abyssinien 
»gegen  aussen  unabhängig  da;  es  hat  nur  die  innern  Feinde 
»zu  furchten,  die  Anarchie,  den  freiwilligen  Verfall  seiner 
»Religion  und  Sitte,  den  Selbstmord. 

»Ueber  dieses  Land  darf  ich  wohl  reden;  denn  auch 
»sein  Mensch  steht  uns  kaum  so  fern.  Er  denkt,  er  träumt, 
»er  liebt  und  hasst  ja  auch;  er  fühlt,  wie  wir,  nur  roher  und 
»oft  viel  natürlicher  und  freimüthiger.  Soll  denn  das  schwarze 
»Gesicht  immer  ein  schwarzes  Herz  verbergen?  Auch  dort 
»findest  du  mitleidige  Herzen!  Wenn  der  schneidende  Abend- 
»wind  dichte  Nebel  auf  die  Hochebene  hinabregnet,  da  kann 
»der  Wegfahrer  getrost  anklopfen  und  auch  des  erfromen 
»Bettlers  harret  ein  freundlicher  Gruss,  ein  fröhlich  loderndes 
»Feuer  und  ein  warmes  in  Milch  eingebrocktes  Brod.    Auch 


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30  Einleitung. 

»dort  gibt  es  Ritter,  Beschützer  der  Frauen  und  Schwachen. 
»Der  Misshandelte  findet  seinen  Advocaten.  Auch  Freunde 
»kannst  du  erwerben,  wenn  auch  nicht  schnell,  die  am  Tag 
»der  Gefahr  dich  beschirmen.  -Treue  Liebe,  glückliche  Gatten 
Dsind  nicht  selten  und  wie  oft  folgt  die  trauernde '  Gattin 
»ihrem  Herrn  freiwillig  in  den  frühen  Tod!  Du  siehst  in 
»Hungersnötheh  die  Mutter  mit  hohlen  Wangen,  die  Kinder 
»frisch  und  munter:  denn  das  letzte  Brod  spart  sie  für  ihre 
»Lieben  auf.  Unermüdet  wacht  die  Gattin  bei  ihrem  kranken 
»Mann.  Brave  Söhne  opfern  jahrelange  Arbeit,  um  ihrem 
»alten  Vater  sorgenfreie  Tage  zu  bereiten.  Gefühl  fehlt  nicht 
»und  auch  nicht  Muth  und  Frohsinn;  sie  singen  und  tanzen 
»die  stemenheUe  Nacht  durch;  Bhapsodien  loben  den  Helden, 
»den  Löwentödter,  den  Menschenbezwinger.  Treude  und  Leid 
»wird  ausgesungen;  das  Lied  dient  auch  der  Klage;  es  be- 
ngleitet die  Arbeit;  es  bejubelt  die  Hochzeit.« 


YI. 

Schon  aus  der  bisherigen  Besprechung  ergibt  sich,  dass 
Abyssinien  im  Vergleich  zum  übrigen  Afrika  sehr  gut  und 
sehr  schlecht  bedacht  ist  Es  vereiniget  die  verschiedensten 
Klimate  der  Welt,  die  südliche  Hitze,  die  nordische  Kälte. 
Wenn  ihm  auch  die  schiffbaren  Flüsse  mangeln^  so  hat  es 
Ueberfluss  an  fiiessendem  Wasser.  Der  von  tropischen  Regen- 
güssen reichlich  getränkte  Boden  versagt  selten  eine  schöne 
Emdte.  Wenn  das  Hochland  besonders  Weizen  und  Gerste 
erzeugen  kann,  eignet  sich  das  Niederland  für  die  edleren 
Gulturpflanzen,  besonders  für  die  Baumwolle,  da  der  in  uner- 
messlichen  Ebenen  ausgestreckte  fette  Alluvialboden  unver- 
siegliche  Brunnen  in  sich  verbirgt  und  die  vom  Regen  des 
Oberlandes  reichlich  genährten  Ströme  künstlich  abgeleitet 
das   Flachland   überschwemmen.     Das   Kliina   besonders    im 


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Einleitung.  3J 

Hochland  ist  sehr  gesund  und  auch  dem  Europäer  äusserst  zu- 
träglich, im  Gegensatz  zu  dem  fieberreichen  Westafrika,  das 
uns  zu  yiel  Opfer  kostet.  Der  Volksgeist  ist  durchaus  dem 
Ackerbau  zugewandt.  Ist  die  Industrie  auch  in  ihrer  Kind- 
heit, so  muss  man  doch  gestehen,  dass  sich  der  Abyssinier 
ohne  fremde  Zufuhr  warm  und  gut  bekleiden  kann.  Nur  der 
Luxus  wendet  sich  an's  Ausland.  Die  Goldarbeiter,  Maurer, 
Schmiede  und  Drechsler  weisen  Arbeiten  vor,  deren  sich  kein 
europäischer  Handwerker  schämen  dürfte.  Die  natürlichen 
Talente  des  Volkes  liegen,  der  Concurrenz  und  des  guten  Bei- 
spiels entbehrend,  faul  und  unentwickelt  darnieder.  Wenn 
auch  der  Handel  in  Folge  der  Unsicherheit  immer  mehr  ab- 
nimmt, so  soll  doch  niemand  glauben,  es  ständen  die  Abys- 
sinier ihren  Brüdern,  den  Juden,  Phöniziern  und  Arabern,  an 
Krämergeist  nach.  Schulen  sind  selten.  Wie  in  unserem 
Mittelalter  lernen  nur  die  Geistlichen  und  die  Aerzte  lesen 
und  schreiben  und  ihre  Wissenschaft  dient  ihnen  nur,  um  die 
Psalmen  David's  zu  recitiren. 

Die  abyssinische  Schrift  ist  sehr  complicirt;  da  die  Con- 
sonanten  mit  Buchstaben  bezeichnet  werden,  die  je  nach  dem 
angehängten  Vocale  sich  umgestalten,  so  kommt  das  vollstän- 
dige Alphabet  auf  nahezu  200  Buchstaben,  die  ein  yiereckiges 
Lapidaraussehen  haben.  Die  altäthiopische  Sprache  ist  sehr 
dem  Arabischen,  mehr  noch  dem  Hebräischen  verwandt;  dem 
Lateinischen  ähnlich  lebt  sie  nur  noch  in  drei  Töchter- 
sprachen und  wird  als  ausschliessliche  Gelehrten-  und  Kir- 
chensprache fleissig  studirt.  Die  Abyssinier  haben  nur  eine 
theologisch -ascetische  aus  dem  Griechischen  übersetzte  Lite- 
ratur; doch  entbehren  sie  nicht  der  Geschichte,  die  in  Chro- 
nikstil gehalten  und  fortgesetzt  wird.  Die  abyssinischen  Theo- 
logen sind  sehr  stark  in  spitzfindiger  Dialektik  ^  ihre  Methode 
ist  das  Auswendiglernen,  sodass  man  Leute  findet,  welche  die 
ganze  Bibel  vom  Anfang  bis  zum  Ende  auswendig  hersagen 
können.  Disputationen  über  Religion  sind  sehr  beliebt  und 
es  mahnt  an  die  Byzantiner,  wenn  man  liederliche  Soldaten, 


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32  Einleitung. 

gefallsüchtige  Damen  und  hohe  stolze  Herren  in  allem  Ernst 
über  die  ztvei  Naturen  in  Christus  oder  über  die  Procession 
des  heiligen  Geistes  disputiren  hört. 

Uebrigens  sind  die  Abyssinier  sehr  wissbegierig,  sie  lesen 
gern,  wenn  ihnen  nur  Leetüre  geboten  wird;  sie  lernen  mit 
unerhörter  Leichtigkeit  und  bewunderungswürdig  ist  die  eiserne 
Beharrlichkeit,  mit  der  sie  ein  ganzes  Leben  an  Einem  Zwecke 
fortarbeiten.  Wir  Europäer  sind  ungestüm;  wir  vollenden, 
was  der  Augenblick  erlaubt;  wir  verlieren  schnell  die  Geduld. 
Die  Unverdrossenheit  der  Studenten  in  Gondar,  die  lange 
Jahre  durch  unablässig  vom  Morgen  früh  bis  in  die  Nacht 
hinein  mit  ihren  Professoren  sich  einschliessen  und  des  Abends 
in  der  Stadt  herumziehen,  um  ein  nothdürftiges  Abendbrod 
sich  zu  erbetteln,  könnte  manchen  europäischen  Schüler  be- 
schämen.  Ob  Wissbegierde  allein  zu  diesem  Fleiss  verhelfe 
oder  auch  die  heftige  Sucht  hinaufzukommen,  immerhin  ist 
sie  ehrenwerth  und  lässt  auch  Besseres  hoffen.  Geduld  ist 
eine  durchaus  abyssinische  Tugend. 

Den  grossen  Gaben  hat  die  Natur  ihren  grössten  Werth 
genommen,  da  sie  das  Land  der  Communicationsmittel  be- 
raubt hat.  Es  fehlen  die  Flüsse,  die  sich  schiffbar  in  das 
Rothe  Meer  ergiessen;  es  fehlen  die  allmählig  nach  Osten 
sinkenden  Ebenen,  die  gegen  die  Küste  auslaufend  den  KameeU 
transport  ermöglichen.  Die  Flüsse  verhindern  in  der  Regen- 
zeit allen  Verkehr,  Strassen-  und  Brückenbau  bedingt  aber 
eine  dauerhafte,  erleuchtete  Regierung.  Denn  bei  der  be- 
stehenden Unordnung  sichern  die  unzugänglichen  Felsenburgen, 
die  reissenden  Ströme,  die  schlechten  Wege  die  Aufrührer, 
die  selbst  die  alten  von  den  Portugiesen  erbauten  Brücken 
abbrechen  und  die  natürlichen  Strassen  unzugänglich  machen. 
Eine  vernünftige  Regierung  aber  vorausgesetzt,  scheint  der 
Bau  von  fahrbaren  Strassen  nicht  sehr  schwierig,  besonders 
vom  Norden  her,  wohin  das  Hochland  nur  sehr  langsam  ab- 
fällt und  der  Gewinn  wäre  ungemein  gross.  Die  Nähe  Arabiens 
würde  eine  bedeutende  Getreideausfuhr  möglich  machen.   Der 


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Einleitung.  33 

GaUakaffee  würde  schon  seiner  Billigkeit  wegen  in  Aegypten 
Torherrschend  werden.  Das  Niederland  würde  die  nöthige 
Baumwolle  erzeugen  und  selbst  exportiren  können,  während 
die  Spinner  sie  jetzt  theilweise  von  Indien  beziehen.  Der 
durch  leichtere  Communication  gesicherte  Friede  würde  die 
Soldaten  dem  Pfluge  zurückgeben  und  in  wenig  Jahren  die 
Bevölkerung  des  Landes,  das  auf  dem  Flächenraum  Frank- 
reichs nur  vier  Millionen  Einwohner  zählt,  verdoppeln,  während 
sie  jetzt  in  Folge  des  Bürgerkrieges  sichtlich  abnimmt  und 
ganze  Provinzen  öde  und  wüst  liegen. 

Man  hat  das  heutige  Abyssinien  oft  mit  dem  Mittelalter 
verglichen  und  wirklich  haben  sie  das  Faustrecht,  die  Unord- 
nung, den  kriegerischen  Geist,  die  moralischen  und  religiösen 
Begriffe  gemein.  Man  konnte  es  aber  dem  Mittelalter  wohl 
ansehen,  dass  es  die  Keime  der  Entwickelung  in  sich  trug 
und  eher  einem  rohen  Jüngling  ähnlich  sah,  der  trotz  seiner 
Fehler  viel  verspricht.  Viel  richtiger  kann  man  Abyssinien 
dem  Frankenreich  zur  Zeit  der  Merovinger  vergleichen.  Die 
alte  römische  Gultur  war  verschwunden;  die  neuentstandenen 
Reiche  hatten  keinen  Bestand,  da  sie  nur  auf  der  rohen  Ge- 
walt fussten.  Das  Königthum  war  noch  zu  jung,  um  durch 
seine  Salbung  einzuschüchtern.  Da  der  christliche  Glaube' 
noch  keine  festen  Wurzeln  geschlagen  hatte,  war  auch  die 
Kirche  noch  keine  Macht  und  ihre  Hierarchie  hatte  im  Feu- 
dalsystem noch  nicht  ihren  Platz  eingenommen.  Eine  hoff- 
nungslose Anarchie  machte  sich  breit.  Wenn  auch  Karl  der 
Grosse  alle  die  Länder  vereinigte  und  eine  Soldatenmonarchie 
gründete,  so  konnte  der  grosse  Mann  doch  nicht  verhindern, 
dass  dem  Frühsommer  ein  langer  trauriger  Winter  folgte, 
wältrend  dem  erst  die  Keime  eines  dauernden  Staatslebens 
sich  entwickelten  und  aufsprossten. 

Die  Garantien  eines  Staatslebens,  ohne  welche  es  zusammen- 
fallen oder  von  aussen  unterstützt  werden  muss,  sind  ver- 
schiedene: ein  Gleichgewicht  der  Kräfte;  Kirche,  Staat,  Adel 
und  König,  die  sich  gegenseitig  paralysiren;  auf  Gewohnheit 

Maoiinger,  OsUfrik.  Stadien.  3 


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34  Einleitung. 

beruhendes  Recht  erblicher  Herrschaft;  Obereinfluss  der  Reli- 
gion; Vaterlandsliebe;  politische  sich  als  Parteien  bekämpfende 
Meinungen.  Untersuchen  wir,  wie  Abyssinien  in  Bezug  hierauf 
constituirt  ist. 

Man  weiss,  dass  Abyssinien  bis  in  die  Mitte  des  letzten 
Jahrhunderts  von  Einer  Kaiserfamilie  regiert  wurde,  deren 
Gewalt  sich  ziemlich  regelmässig  von  Vater  auf  Sohn  fort- 
erbte. Der  Volksglaube>,  der  sie  von  Salomon  und  der  Kö- 
nigin von  Saba  abstammen  lässt,  verlieh  ihr  die  religiöse 
Sanction.  Wenn  sich  die  Kinder  dieser  Familie  auch  oft  um 
die  Erbschaft  stritten,  so  konnte  es  doch  keinem  Fremden  in 
den  Sinn  kommen,  ihr  Recht  auf  den  Thron  zu  bestreiten 
oder  sich  an  ihre  Stelle^  zu  setzen.  Ras  Mikael  war  der  erste 
Majordomus,  der  die  Autorität  der  Kaiser  auf  die  Seite  stel- 
lend sich  zum  factischen  Herrn  des  Landes  machte.  Indem 
er  Kaiser  jedes  Jahr  ein-  und  absetzte  und  sie  jeder  Autorität 
beraubte,  versetzte  er  der  Legitimität  den  empfindlichsten 
Schlag.  Seitdem  haben  die  sogenannten  Hazie  dem  Namen 
nach  fortregiert,  bis  ein  Emporkömmling  Namens  Cassa  ganz 
Abyssinien  sich  unterwarf  und  sich  endlich  auch  unter  dem 
Namen  Theodoros  die  Kaiserkrone  aufsetzte.  Dadurch  ist  die 
legitime  Linie  auch  dem  Namen  nach  abgeschafft  und  Abys- 
sinien der  Einen  Lebensgarantie,  der  Legitimität,  beraubt 
worden,  da  fortan  jeder  glückliche  Soldat  König  werden  kann. 

Femer  hat  Abyssinien  ganz  demokratisches  Aussehen.  Der 
Adel  hat  seinen  Ursprung  in  der  Unterdrückung  der  Urein- 
wohner durch  einen  neu  eingewanderten  Stamm,  der  sich 
Land  und  Leute  theilte.  Abyssinien  ist  aus  mehreren  Völker- 
schaften zusammengesetzt,  die  sich  untereinander  dulden.  Hat 
dann  und  wann  ein  Stamm  das  Principat  errungen,  so  konnte 
er  sich  doch  nie  feudal  ausbilden.  Die  Erblichkeit  der  Stellen, 
die  übrigens  nie  dauernd  anerkannt  war,  kann  für  sich  noch 
keine  Aristokratie  gründen.  Abyssinien  hat  nie  politische 
Ständeunterschiede  gekannt;  der  Bauer,  der  Kaufinann,  der 
Hirte,   der  Häuptling   wechseln  jeden   Tag   ihre  Rollen.    In 


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Einleitung.  35 

Städten,  deren  Bevölkerung  täglich  sich  ändert,  konnte  sich 
kein  Bürgerthum  entwickehi.  Die  Kirche,  so  mächtig  sie  ist, 
kann  nicht  den  Einfluss  ausüben,  den  sie  auf  unser  Mittel- 
alter gehabt  hat.  Der  Bischof  ist  ein  Ausländer,  ein  Kopte. 
Wenn  der  Kirdienbann  auch  immer  noch  seine  alten  Schrecken 
bewahrt  hat  und  die  Freundschaft  des  Bischofs  von  den 
Fürsten  eifrig  'nachgesucht  wird,  so  fände  ein  anderer  Grego- 
rius  nie  einen  Klerus,  der  an  keine  materiellen  Interessen 
gebunden,  sich  bei  jedem  Aufruf  wie  Ein  Mann  um  seine 
Fahne  schaarte.  So  kann  auch  von  dieser  Seite  dem  Lande 
die  Regeneration  nicht  kommen. 

Wenn  Abyssinien  auch  seit  den  ältesten  Zeiten  als  Ein 
Reich  existirt,  so  haben  sich  doch  seine  Bewohner  nie  als 
Ein  Volk  betrachtet.  Daher  darf  man  kaum  von  abyssinischem 
Patriotismus  reden,  wenn  auch  nicht  zu  leugnen  ist,  dass 
jeder  Mensch  die  Erde,  wo  er  geboren,  die  Sitte,  worin  er 
erzogen  ist,  liebt  und  dem  Fremden  abgeneigt  ist.  Wie  eine 
Völkermasse  durch  Zufall  zu  Einem  Reich  verbunden,  durch 
Gewöhnung  und  gemeinsame  Interessen  zu  Einem  Volke  wird, 
80  muss  ihre  Vaterlandsliebe  dem  Ganzen  Kraft  und  Zusam- 
menhang verschaffen,  wie  wir  es  an  Frankreich  erfahren  haben. 
Wenn  diese  Völkermasse  aber  trotz  ihrer  politischen  Einheit 
sich  geistig  immer  getrennt  fühlt,  so  wird  sie  ihre  provinzielle 
Vaterlandsliebe  eher  auseinanderhalten  und  selbst  an  der  po- 
Utischen  Einheit  nagen.  Diess  ist  nun  der  Fall  bei  Aethiopien, 
das  aus  mehr  als  zwanzig  Völkern  zusammengesetzt  ist,  die 
sich  trotz  zweitausend  Jahren  immer  fremd  gegenüberstehen 
und  nur  dem  Ausland  gegenüber  einig  sind.  Man  sollte  kaum 
glauben,  dass  das  Volk  der  Kamant  von  wenig  tausend  Seelen, 
inmitten  der  christlichen  Amhara  angesessen,  bis  jetzt  seine 
eigenthümliche  Sprache,  seine  Sitten,  sein  Heidenthum  Jahr- 
hunderte treu  bewahrt  hat. 

Endlich  wird  niemand  bewusste  Sittlichkeit  und  die  Selbst-* 
Verleugnung,  die  das  Sonderinteresse  dem  allgemeinen  Wohl 
aufzuopfern  weiss,  in  Abyssinien  suchen.    Wir  sehen  das  Reich 


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36  Einleitung. 

in  feindliche  Stämme,  in  Localinteressen  zersplittert.  Wo  es 
keine  politischen  Meinungen  gibt,  darf  man  auch  nicht  an 
Parteien  denken.  Die  einzige  politische  Meinung  des  Volkes, 
worin  alles  einig  ist,  ist  eine  unendliche  Sehnsucht  nach  Ord- 
nung und  Friede  im  Interesse  des  materiellen  Wohles.  Die 
einzige  Klage  ist  der  Mangel  an  einer  kiüfdgen  einheitlichen 
Begierung  mit  regelmässiger  Verwaltung.  '  Diese  Tendenz  des 
Volksgeistes  aber  stellt  einen  Militärdespotismus  in  Aussicht. 
Die  Völker,  der  Fehden  und  des  Blutes  müde,  geben  sich  mit 
dem  härtesten  Joche  zuftieden,  wenn  es  nur  den  Bürgerkrieg 
verhindert.  Da  aber  die  Natur  der  Dinge  es  mit  sich  bringt, 
dass  Soldatenreiche  keine  innere  Lebensfähigkeit  haben  und 
so  meistens  mit  dem  Gründer  fallen,  so  muss  sich  der  König 
von  Abyssinien  das  Beispiel  Mohammed  Ali's  nachahmend  einen 
Halt  von  aussen  suchen,  wenn  er  die  Ordnung,  die  er  ge- 
brächt, das  Werk  der  Reform,  das  er  begonnen,  seinen  Erben 
hinterlassen  will. 


VII. 

Jetzt  müssen  wir  deutlich  machen,  welche  Stellung  der 
jetzige  König  von  Abyssinien  zu  diesen  Verhältnissen  ein- 
nimmt. 

Als  König  Theodoros  vor  etwa  acht  Jahren  fast  ohne  Schwert- 
streich ganz  Abyssinien  sich  unterworfen  hatte  und  sich  in 
Gondar  die  Kaiserkrone  aufsetzte,  da  erschien  der  Mann,  der 
vom  einfachen  Soldaten  mit  vieler  Kühnheit,  eisernem  Cha- 
rakter und  unendlichem  Glück  auf  den  Thron  sich  geschwungen 
hatte,  dem  Volk  als  ein  von  Gott  gesandter  Erlöser.  Denn 
auch  Abyssinien  hatte  seine  prophetische  Sage  von  einem 
kommenden  Herrn,  der  dem  Lande  seine  alte  Grösse  wieder- 
geben sollte. 

An  die  Stelle  der  alten  Provinzfürsten  trat  Theodoros  mit 


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Einleitung.  37 

dem  Plan,  dem  Lande  seine  politische  und  religiöse  Einheit 
wiederzugeben;  er  will  dessen  natürliche  Grenzen  vom  Nil  bis 
zum  Rothen  Meer  herstellen.  Er  bedroht  die  türkischen  Grenz- 
provinzen. Er  sucht  die  Verwaltung  zu  centralisiren.  Er  ver- 
bietet den  Zweikampf  der  ihm  unterworfenen  sich  befeinden- 
den Stämme.  Feind  der  alterblichen  Fürstenfamilien  stellt  er 
jedem  Provinzstatthalter  überwachende  Legaten  an  die  Seite. 
Um  Rebellion  unmöglich  zu  machen,  verbietet  er  die  Waffen- 
einfuhr und  confiscirt  alle  vorhandenen  Feuergewehre.  Seine 
Lieblingsidee  ist,  die  Macht  des  Islam  zu  stürzen;  wenn  er 
ihn  auch  nicht  ausrotten  kann,  so  verhindert  er  seine  weitere 
Ausbreitung,  indem  er  ihn  seines  Ansehens  beraubt.  Er  schlägt 
seine  Schlachten  mit  einer  Kühnheit,  die  nur  ein  Fatalist 
haben  kann,  doch  ermöglicht  er  den  Sieg  durch  seine  geniale 
Anordnung,  Sein  Glück  grenzt  so  sehr  an  Wunder,  dass  ihn 
die  Abyssinier  den  bösen  Geistern  verbündet  glauben  und 
Theodoros  thut  alles,  diesen  Wahn  zu  verstärken;  er  prophezeit 
seine  Siege  voraus,  er  zieht  sich  in  die  Einsamkeit  zurück; 
er  lauscht  verkleidet  den  Anschlägen  seiner  Feinde  und  mächt 
sie  dann  mit  seiner  Allwissenheit  betroffen.  Er  ist  ein  Freund 
des  Soldaten  und  theilt  seine  Mühen  im  vollsten  Mass;  er 
setzt  sich  für  einen  Feldherm  nur  zu  sehr  der  Gefahr  aus, 
wenn  er  nicht  an  sein  Schicksal  glaubte.  Er  ist  verschwen- 
derisch, wo  es  seinen  Namen  verherrlichen  kann.  Er  ist  ein 
Freund  von  Eilmärschen  undUeberraschungen  und  verzeiht  auch 
seinen  Leuten  die  lluhe  nicht.  Er  richtet  weise,  schnell  und 
streng  ohne  Rücksicht  der  Person.  Er  hört  alle  Klagen  an 
und  selbst  der  ärmste  Bauer  kann  sich  gegen  seinen  Fürsten 
beklagen.  Aber  wehe  dem  der  schuldig  befunden  wird,  wehe 
dem  Rebellen,  dem  Meineidigen,  dem  falschen  Zeugen;  der 
Tod  folgt  der  grässlichsten  Verstümmelung.  Theodoros  will 
das  Land  durch  Schreck  und  Blut  reformiren. 

Es  gibt  keine  angesehene  Familie  in  Abyssinien,  die  nicht 
verwaist  wäre.  Wie  viel  Fürsten  starben  den  langsamen 
Tod  der  Missethäter.    Glücklich  jene,  die  auf  dem  Schlacht- 


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38  Einleitung. 

feld  als  Männer  fielen.  Die  alten  Beherrscher  des  Volkes 
liegen  auf  den  Bergfesten  gefangen.  Wie  oft  hat  Theodoros 
seinen  eigenen  Feldherren  zugeprahlt:  Meint  Ihr,  mein  Reich 
stütze  sich  auf  Euren  Arm?  Es  ist  kein  Einziger  von  Euch, 
den  ich  nicht  in  Trauer  gestürzt  hätte;  kein  Einziger,  dem 
ich  die  Blutrache  nicht  schuldig  wäre;  Ihr  möchtet  alle  auf 
mich  einstürzen  und  mich  vernichten  und  dennoch  dient  Ihr 
mir,  solange  ich  meine  Macht  von  Gott  habe  und  seine  Heer- 
schaaren  meine  Schlachten  schlagen. 

Und  doch  regiert  Theodoros  schon  fast  zehn  Jahre  und 
Abyssinien  harrt  noch  immer  des  Friedens.  Wo  der  Kaiser 
ist  mit  seinen  Hunderttausenden,  da  rührt  sich  kein  Feind 
und  niemand  wagt  ihm  in's  Gesicht  zu  schauen.  Aber  seine 
Abwesenheit  benutzen  die  Rebellen,  die  immer  reisiges,  beute- 
lustiges Volk  finden,  und  brandschatzen  die  Provinzen.  So 
hatte  im  Tigre  Fürst  Negussie  sich  festgesetzt;  eine  mächtige 
Armee  stand  ihm  zu  Gebot.  Während  Theodoros  im  fernen 
Süden  sich  abmühte,  war  er  als  König  von  Halbabyssinien 
anerkannt,  und  erst  die  plötzliche  Rückkunft  des  Kaisers 
kostete  ihm  Thron  und  Leben.  Die  Haufen  zerstoben,  um 
sich  um  den  ersten  Neuerer  wieder  zu  schaaren.  Im  Dembea 
hauste  Geret  von  edlem' Fürstengeblüt,  der  Einzige,  der  den 
Kaiser  von  Angesicht  bekämpfend  den  Heldentod  starb.  Im 
Godjam  herrscht  Tadla  Gualu,  der  rechtmässige  Herr  dieser 
Provinz,  fast  ungestört,  geschützt  durch  zahlreiche  von  der 
Natur  befestigte  mit  Wasser  und  Holz  reich  versehene,  Amba 
genannte  Felsenburgen.  Und  so  machen  sich  in  jeder  Provinz 
die  Söhne  der  alterblichen  Fürstenfamilien  geltend,  im  ge- 
meinsamen Hass  gegen  den  Usurpator  verbunden,  Repräsen- 
tanten der  Provinzeigenthümlichkeiten;  da  sie  wohl  wissen, 
dass  ihre  Herrschaft  nur  Einen  Tag  dauert,  verwüsten  sie 
das  Land,  das  sie  nicht  besitzen  können.  Der  Bauer,  der 
Erndte  beraubt,  schmiedet  den  Pflug  zur  Lanze  und  wird 
Soldat,  Wohl  thut  Theodoros  das  Mögliche;  aber  selbst  der 
Schrecken  hat  seineu  Zauber  verloren.    Die  Zerrissenheit  des 


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£iiileitimg.  39 

Landes  ermöglicht  einen  Guerrillakrieg,  dem  immer  neue 
Köpfe  nachwachsen.  Die  Freiheitsliebe  des  Volkes  selber, 
das  sein  altes  J^echt  und  Ver&ssung  ungern  aufgibt,  leistet 
der  Neuerung  passiven  Widerstand.  Die  An^ee  selber,  die 
mit  Frauen  und  Tross  auf  mehrere  Hunderttausende  sich  be- 
läuft, verödet  das  Land,  wenn  sie  auch  nur  eine  Woche  weilt 
und  Heuschrecken  ähnlich  muss  sie  weiterziehen,  hinter  sich 
die  Hungersnoth,  vor  sich  eine  allgemeine  Flucht.  Der  Krieg 
mit  den  mohammedanischen  Galla,  der  Jahre  lang  mit  seltener 
Hartnäckigkeit  gefuhrt  wurde,  hat  Südabyssinien,  wo  früher 
Milch  und  Honig  floss  und  die  Ochsenlast  Weizen  nur  1  Franc 
kostete,  zu  einer  Wüste  gemacht  und  den  Handel  ganz  unter- 
brodien.   . 

Theodoros  hat  also  eine  furchtbare  Aufgabe:  wer  mag 
zweifeln,  dass  es  ein  grosser  Mann  sein  muss,  der  sie  nur 
unternimmt?  Aber  es  ist  eine  eigenthümliche  Lehre  der  Ge- 
schichte, dass  ihre  grossen  Männer  auch  in  ihren  Fehlern  so 
entschieden  sind  und  besonders  so  wenig  Mass  halten,  dass 
sie  entweder  daran  untergehen,  wie  Cäsar  und  Napoleon,  oder 
nur  der  Gegenwart  frommen,  wie  Karl  der  Grosse.  Auch 
Theodoros,  wenn  man  den  Afrikaner  anreihen  darf,  hat  Un- 
tugenden, die  ihm  seine  Aufgabe  noch  schwieriger  machen. 

Vorerst  kann  man  nicht  verkennen,  dass  er  zu  viel  mit- 
einander anfängt,  indem  er  gegen  die  Grenzländer  seine  Kraft 
und  Zeit  vergeudet,  während  das  eigentliche  Abyssinien  der 
Anarchie  verfällt.  Theodoros  ist  launig,  misstrauisch  und 
glaubt  seinem  Feinde  gegenüber  auch  Meineid  und  Verrath 
erlaubt  Er  wechselt  Pläne  und  Neigungen  schnell;  er  träumt 
für  Abyssinien  eine  grosse  Zukunft  und  vergisst  nur  zu  oft 
die  trübe  Gegenwart  Er  gefällt  sich  nur  zu  sehr  in  einer 
Grausamkeit,  die  ihm  zur  Gewohnheit  geworden  ist.  Denn 
wenn  eine  schwere  Krankheit  auch  gewaltsame  Mittel  ver- 
langt, so  dürfen  sie  doch  nicht  unnütz  nach  Blut  riechen. 

Endlich  hat  Theodoros  Europa  gegenüber  noch  gar  nicht 
die  wahre  Politik  eingeschlagen.     Er  weiss   wohl,  dass  Eu- 


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40  Einleitung. 

ropa  ihm  in  allem,  besonders  in  der  Kriegskunst  über* 
legen  ist.  Seit  er  von  einem  Haufen  Türken  bei  Me- 
tamma  geschlagen  wurde,  denkt  er  inmier  An  die  Vorzüge 
europäischer  Disciplin  und  sein  Scharfblick  begreift,  dass  die 
Freundschaft  mit  dem  Ausland  ihm  viel  nützen  und  lehren 
kann.  Es  hinge  nur  von  ihm  ab,  uns  einen  ehrenvollen 
Tausch  anzubieten,  indem  er  unserm  Handel  Sicherheit,  un- 
seren Missionen  Toleranz,  unserer  Civilisation  Nachahmung 
verspräche  und  dagegen  unsere  Anerkennung  und  Lehrmeister 
in  Krieg  und  Gewerben  verlangte.  Das  Heer,  nach  euro- 
päischer Manier  geschult,  könnte  bedeutend  redudrt  und  dem 
•  Feldbau  die  gesparten  Hände  zurückerstattet  werden.  Unter 
europäischer  Leitung  gebaute  Strassen  und  Brücken  würden 
den  Aufruhr  an  der  Wurzel  angreifen  und  den  Handel  neu 
beleben. 

Leider  ist  es  eine  Thatsache,  dass  die  Abyssinier,  ihren 
Kaiser  nicht  ausgenommen,  uns  immer  mit  Misstrauen  an- 
sehen. Sie  bewundern  unsere  Geschicklichkeit,  aber  glauben 
selten  an  unsere  geistige  Ueberlegenheit;  sie  bedenken  nicht, 
wie  wir  zu  unsem  Erfindungen  gekommen  sind.  Sie  sind  zu 
stolz,  imi  von  uns  verständigen  Rath  zu  erwarten.  Der  Kaiser 
selber  wittert  nur  zu  oft  in  den  guten  Rathschlägen  der 
fremden  Consuln  böse  Schlingen,  die  das  Land  ihren  Händen 
überliefern  sollen. 

Wir  sehen  Abyssinien  also  unter  der  Leitung  eines  grossen 
Mannes  sich  aus  der  Anarchie  zu  einer  Despotie  heraus- 
kämpfen. Fremde  Hülfe  und  Rath  wäre  nothwendig,  sie 
dauerhaft  und  erblich  zu  machen:  doch  ist  es  ein  delicates 
Unternehmen,  einem  Volke,  das  noch  an  sich  glaubt.  Hülfe 
anzubieten  und  bei  der  Eifersucht  der  Grossmächte  zu  ver- 
hüten, dass  aus  der  wohlgemeinten  Hülfe  selbstsüchtige  Inter- 
vention wird,  die  den  Patienten  zwischen  zwei  Systemen  so 
lange  herumzerrt,  dass  ihm  die  Medicin  zum  Gift,  das  neue 
Leben  zum  Tod  wird. 


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Einleitung.  41 


vra. 

Durch  die  bisherige  Betrachtung  haben  -wir  uns  überzeugt, 
dass  Abyssinien  der  Elemente,  womit  es  sich  dauernd  neu 
constituiren  soll,  entbehrt,  sodass  ein  König,  der  für  die  Zu- 
kunft denkt,  gezwungen  ist,  sich  einen  Halt  im  Ausland  zu 
suchen  und  von  den  Franken  gegen  innen  denselben  Dienst 
tfOL  Tedangen,  den  sie  dem  Land  vor  dreihundert  Jahren  gegen 
aussen  erwiesen  haben,  Von  der  Nothwendigkeit  eines  sot 
chen  Schrittes  überzeugt  die  Lage  des  Kaisers  Theodoros,  'der 
trotz  seiner  leichten  Siege,  trotz  seiner  Charakterfestigkeit, 
die  ihm  das  Zutrauen  des  Landes  erworben  hat,  seit  mehr 
als  acht  Jahren  vergeblich  bemüht  ist,  dem  Lande  die  nöthige 
Buhe  wiederzugeben;  er  muss  also  mit  neuen  Waffen  streiten, 
die  ihm  nur  die  europäische  Allianz  geben  kann.  Wir  Euro- 
lÄer  haben  keine  Minute  nöthig,  um  uns  von  der  Nothwen- 
digkeit dieses  Schrittes. zu  überzeugen,  einmal  da  wir  die 
nöthigen  Kenntnisse  haben,  um  die  Lage  Abyssiniens  im  Welt- 
ganzen zu  begreifen;  anderseits  bewahren  wir,  von  dem  Schau- 
platz des  Interessenkampfes  weit  entfernt,  die  natürliche  Un- 
be&ngenheit,  die  allein  ein  ruhig^es  Urtheil  erlaubt  und  wir 
gleichen  dem  Arzt,  dessen  Kenntnisse  allen  zugute  kommen, 
ausser  seiner  eigenen  Person.  Für  die  Abyssinier,  die  sich 
mitten  auf  der  Bühne  befinden  und  von  der  Weltgeschichte 
nur  ungenügende  Begriffe  haben,  braucht  es  lange  Zeit  sich 
eine  richtige  Vorstellung  von  ihrer  auswärtigen  Politik  zu 
machen.  Trotz  allen  Nachrichten  aus  dem  Abendland,  die 
von  Pilgern  und  Handelsleuten  eingeführt  werden,  macht  sich 
doch  niemand  die  wahre  Vorstellung  von  der  europäischen 
Macht  und  Culturentwickelung  und  der  abenteuerliche  Plan 
des  Kaisers  Theodoros,  die  Türkei  zu  erobern  und  nach  Jeru- 
salem zu  gehen,   kommt  den  Landeskindem  ganz  natürlich 


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42  EinleituDg. 

und  ausführbar  vor.  Daher  kommt  es,  dass  bis  jetzt  die 
Herrscher  von  Abyssinien  wenig  Neigung  gezeigt  haben,  mit 
Europa  in  diplomatischen  Verkehr  zu  treten,  da  sie  sich  nicht 
vorstellen  können,  was  dabei  zu  gewinnen  sei.  Die  Gesandt- 
schaften, die  vom  Mittelalter  bis  jetzt  nach  dem  Abendland 
gingen,  hatten  alle  ihren  Ursprung  in  »den  Bemühungen  ein- 
zelner Personen,  meist  angesiedelter  Europäer,  die  sich  damit 
zu  Ehren  verhelfen  wollten,  oder  aber  der  Hofißnung,  von  den 
reichen  Franken  schöne  Geschenke  zu  erhalten. 

Freilich  kommt  dieser  Aengstlichkeit  der  Abyssinier  die 
europäische  Politik  freundlich  entgegen;  gleich  den  arabischen 
Chalifen,  die  sich  berechtigt,  ja  verpflichtet  glaubten,  den  Is- 
lam mit  dem  Schwert  allen  Völkern  au£sudringen,  zwingen 
wir  den  unwilligen  Fremden  unsere  Consuln,  Missionare,,  un- 
sere Waaren,  unsere  Tagenden  und  Laster  auf.  Daher  kommt 
es,  dass  wir  an  Abyssinien  denken,  ohne  dass  es  unserer  ge- 
denke und  mit  der  unbeschreiblichen  Geduld,  die  uns  besonders 
die  Eifersucht  verleiht,  werden  wir  trotz  der  Kälte  der  Landes- 
kinder gegen  unsere  Einmischung  dahin  kommen,  dieses  Land, 
das  von  seinen  Nachbarn  gefürchtet  ist  und  seinen  Erbfeind, 
den  Bürgerkrieg,  in  seinen  Eingeweiden  trägt,  in  das  Netz  des 
Völkerverkehrs  hineinzuziehen.  So  können  wir  versichern, 
dass,  wenn  in  neuester  Zeit  Theodoros  auf  der  einen,  sein 
Antagonist  Negussie  auf  ^^r  andern  Seite  an  Allianzen  ge- 
dacht haben,  der  erste  Schritt  zur  Annäherung  durchaus  nicht 
von  ihnen  gemacht  worden  ist.  Ist  freilich  einmal  das  Bei- 
spiel gegeben,  werden  die  Abyssinier  vom  Instinct  getrieben 
sich  freiwillig  in  Europa  Herren  suchen  und,  was  viel  schlim- 
mer ist,  jede  besiegte  Minorität,  jede  verfolgte  Sekte  wird  das 
Mitleiden  irgend  einer  Grossmacht  für  sich  zu  gewinnen 
trachten.  Bei  der  eifersüchtigen  Tagespolitik  werden  wir 
dann  anstatt  Vermittler  zu  werden  eher  eine  Partei  mehr  ab- 
geben und  die  Verwirrung  und  das  Elend  in's  Ungeheure 
steigern,  da  wir  den  Barbaren  die  mörderischen  Waffen  und 
die  selbstbewussten  Laster  der  Civilisation  schenken  werden. 


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Einleitung.  43 

Für  ein  Volk  gibt  es  nur  zwei  Wege,  sich  an's  Ausland 
um  Hülfe  zu  wenden.  Den  ersten  nimmt  eine  unterdrückte 
Partei,  ein  gestürzter  Prinz.  Da  ihre  HoflFhung  allein  auf  der 
Fremdengnade  beruht,  sind  sie  gezwungen,  sich  aller  Selbst- 
ständigkeit zu  begeben  und  sie  müssen  sich  und  das  Land 
an  die  Fremden  verkaufen,  wenn  sie  sich  ihrer  auch  nur  für 
den  Augenblick  bedienen  wollen  und  nach  gewonnenem  Siege 
alles  thun  werden,  um  sich  ihrer  zu  entledigen.  Es  ist  nun 
immer  ein  unangenehmes,  gegen  Gewissen  und  öffentliche 
Meinung  sich  auflehnendes^  Geschäft,  gegen  den  Volkswillen 
zu  interveniren,  es  widerspricht  dem  natürUdien  Patriotismus 
des  Volkes  und  macht  eine  bleibende  militärische  Occupation 
DÖthig  mit  all  ihren  Opfern,  mit  dem  vollen  Stempel  eines 
widernatürlichen  Druckes. 

Den  zweiten  Weg  verfolgt  eine  Majoritiit,  ein  König,  der 
sich  zum  Herrn  des  Landes  gemacht  hat  und  begreift,  dass 
ihm  das  Ausland  viel  nützen  kann.  Wir  haben  nicht  nÖthig, 
zu  beweisen,  wie  vortheilhaft  die  Allianz  für  beide  Seiten  sein 
muss.  Diesen  Weg  hätte  Theodoros  verfolgt,  wenn  ihn  nicht 
die  Uneinigkeit  der  Europäer  daran  verhindert  hätte;  den 
andern  Weg  versuchte  Negussie  zu  betreten.  Wir  wollen  uns 
über  des  letzteren  Stellung  zu  Europa  einige  unparteiische 
Worte  erlauben;  wenn  er  auch  längst  gefallen  ist,  so  reprä- 
sentirt  er  einen  Typus,  der  in  Abyssinien  und  überall  von 
Zeit  zu  Zeit  auftaucht. 

Als  Theodoros^  alle  Könige  von  Abyssinien  und  auch  den 
Herrn  des  Tigre,  Ubie,  besiegt  hatte,  liess  e^  in  diesem 
Lande  einen  Statthalter  und  kehrte  nach  dem  Süden  zurück, 
um  die  mohammedanischen  Galla  zu  bekämpfen.  In  seiner 
Abwesenheit  erhoben  sich  die  Unzufriedenen,  besonders  die 
ahen  Anhänger  Ubie's  und  machten  einen  Schwestersohn  des- 
selben, Namens  Negussie,  zu  ihrem  Oberhaupte,  dem  es  ge- 
lang, das  ganze  Tigre  sich  zu  unterwerfen  und  eine  sehr 
schöne  Armee  um  sich  zu  sammeln.  Es  war  ein  sehr  gut- 
müthiger,  löwenherziger  Jüngling,  dieser  Negussie,  wenn  auf 


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44  Einleitung. 

seinen  Privatcharakter  hier  etwas  ankäme;  aber  er  herrschte 
fünf  Jahre  lang,  ohne  zu  regieren,  da  ihn  die  alten  Feld- 
herren Ubi6's  zu  ihrem  Herrn  gemacht  hatten,  um  ihren 
freien  Willen  zu  haben.  Jeder  trieb  es,  wie  er  wollte,  ohne 
dass  Negussie  Recht  schaffen  konnte.  Die  Anarchie  war  so 
gross,  dass  sich  die  Soldaten  im  eigenen  Lager  schlugen.  Im 
Lande  fehlte  die  Sicherheit;  die  Steuern  waren  sehr  gross, 
ohne  dass  der  König  davon  Nutzen  gehabt  hätte;  so  z.  B. 
empfing  er  von  der  Provinz  Hamasen  nur  10,000  Thaler,  wäh-^ 
rend  der  ihm  untergebene  Statthalter  derselben  mehr  als 
100,000  Thaler  davon  erpresste.  Negussie  fehlte  es  an  einem 
festen  Willen;  seine  Entscheidungen  waren  unbestimmt;  jeden 
Tag  fanden  neue  sich  widerstrebende  Räthe  bei  ihm  Gehör. 
Fünf  Jahre  war  er  Herrscher  des  Landes,  an  der  Spitze  einer 
glänzenden  Armee,  weil  Tbeodoros  von  Ahmed  Beshir,  der 
sich  an  die  Spitze  der  Galla  gestellt  hatte ,  nicht  loskommen 
konnte.  Als  endlich  der  Kaiser  Zeit  fand,  in  das  Tigre  ein- 
zurücken, entzog  sich  Negussie  durch  einen  sehr  klug  ausge-^ 
führten  Rückzug  seiner  Verfolgung;  er  umging  ganz  Abys- 
sinien  und  kam  vom  Dembelas  den  Ikf  areb  hinunter  an  den 
Atbara  und  von  da  über  das  Wolkait  in's  Tigr6,  wo  er  noch 
ein  voUes  Jahr  ungestört  blieb.  Er  nahm  den  Rückzug,  weil 
er  wusste,  dass  seine  Soldaten  sich  nie  gegen  Theodoros 
schlagen  ¥nirden.  Im  folgenden  Jahre  (1861)  kam  Theodoros 
wieder  über  den  Takkaze  und  diessmal  erwartete  ihn  Negussie 
mit  einem  an  Tüchtigkeit  überlegenen  Heere;  er  erklärte  als 
ein  guter  Ritter  auf  seinem  Ross  siegen  oder  sterben  zu 
wollen ;  aber  sein  Heer,  das  fünf  Jahre  mit  ihm  gezecht  hatte, 
liess  ihn  im  Stich;  ein  panischer  Schreck  ging  durch  das 
Lager;  der  Kaiser  erliess  eine  Proclamation,  wo  er  jedem 
Soldaten  Pardon  anbot;  auf  diess  hin  zerstreute  sich  die  Ar- 
mee; Negussie  wurde  auf  der  Flucht  gefangen  und  starb  einen 
schmählichen  Tod  und  mit  ihm  alle  Heerführer,  die  sich  auf 
das  treulose  Versprechen  des  Kaisers  verlassen  hatten;  so  ver- 
schwand das  neue  Reich,  von  dem  die  Kunde  selbst  nach  Europa 


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Einleitnnj^.  45 

gedrungen  war,  wie  eine  Wolke,  die  ein  leichter  Wind  in  den 
blauen  Himmel  auflöst. 

Diess  ist  ein  sehr  gewöhnliches  Stück  abyssinischer  Ge- 
schichte; was  dabei  auffällt,  ist  die  Bedeutung,  die  man  Ne- 
gussie  zuschrieb,  während  diess  doch  gewiss  nicht  der  Mann 
war,  um  einen  Theodoros,  dessen  Name  allein  ein  Heer  in  die 
Flucht  jagt,  entgegengestellt  zu  werden.  Und  doch  geschah 
diess  und  in  Europa  glaubte  man  daran.  Wir  wollen  un- 
parteiisch erzählen,  wie  das  zuging  und  müssen  deswegen 
in  die  Vergangenheit  zurückgreifen,  indem  wir  uns  auf  eine 
Schrift  von  Hm.  Beke  «The  French  and  the  English  in  the 
Red  Sea»  (1862)  beziehen,  die  sehr  lehrreich,  aber  fast  zu  sehr 
englisch  gefärbt  ist.  Es  war  in  diesem  Jahrhundert,  dass 
Europa  wieder  Beziehungen  mit  Abyssinien  anzuknüpfen  suchte 
und  zwar  durch  sdne  Missionen.  Die  Franzosen  und  Eng- 
länder suchten  sich  in  diesem  Lande  den  Rang  abzulaufeil 
und  erkauften  sich  mit  grossen  Geschenken  die  flüchtige 
Gunst  der  Könige  des  Landes.  Zum  Unglück  gerade  der 
Missionen  wurden  sie  an  die  eifersüchtige  Politik  der  beiden 
Mächte  gefesselt.  Wenn  Hr.  Beke  behauptet,  Frankreich  und 
Rom  gingen  Hand  in  Hand,  so  will  ich  das  nicht  bezweifeln; 
aber  ich  meine,  England  thue  das  mit  seiner  Mission  auch; 
ich  will  aber  noch  weiter  gehen,  indem  ich  meine,  dass  ge- 
rade deswegen  die  beiden  Nationen  und  die  beiden  Missionen 
in  diesem  Lande  nocli  so  blutwenig  ausgerichtet  haben.  Wenn 
Hr.  Erapf  die  Ursache  war,  dass  eine  englische  Gesandtschaft 
nach  Shoa  kam,  so  war  diese  durch  ihr  Misstrauen  er- 
regendes Betragen  wieder  Schtdd,  dass  Hr.  Krapf  so  übel  be- 
handelt wurde  und  dass  man  seither  in  Shoa  die  Engländer 
nicht  sonderlich  liebte.  Der  Nutzen  von  dieser  Gesandtschaft 
bUeb  den  Franzosen,  wenn  man  es  als  Nutzen  betrachtet,  ein 
paar  Wochen  die  Freundschaft  eines  Königs  zu  haben,  den 
man  dann  ein  paar  Jahre  nicht  mehr  sieht.  Wenn  die  pro- 
testantische Mission  aus  Abyssinien  verjagt  -wurde,  hat  sie 
diess  gewiss  am  meisten  der  Unklugheit  zuzuschreiben,  womit 


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46  Einleitang. 

sie  ihren  Glauben  veröffentlichten  vor  einem  Volke,  das  seine 
Mutter  Gottes  mehr  verehrt  als  Gott  selbst.  Wenn  die  katho- 
lischen Missionäre  in  Abyssinien  so  viel  Unglück  hatten,  so 
liegt  die  Schuld  davon  in  ihrer  Allianz  mit  den  französischen 
Consuln,  denen  sie  ihre  Unparteilichkeit  aufopfern  mussten. 
Was  den  Einfluss  von  Rom  und  Frankreich  im  Tigre  betrifft, 
so  bestand  er  in  einer  gnädigen  Aufnahme  gegen  Geschenke; 
sobald  diese  aufhörten,  war  es  mit  der  Freundschaft  vorbei; 
die  katholischen  Missionäre  hatten  unter  der  Regierung  Ubie's 
wenigstens  ebenso  viel  zu  dulden,  als  unter  der  jetzigen ;  das 
Haus  des  französischen  Consuls  in  ^Mkullu  wurde  1849  von 
den  Soldaten  eben  desselben  Fürsten  ausgeplündert,  ohne 
dass  von  Vergütung  die  Rede  gewesen  wäre.  Wir  brauchen 
nur  Hm.  Beke's  Angaben  über  diese  Zeit  bis  1855  nachzu- 
lesen, um  uns  zu  überzeugen,  wie  viel  von  beiden  Seiten  in- 
triguirt  und  doch  nichts  erreicht  wurde;  die  protestantische 
Mission  war  vertrieben,  die  katholische  war  in  einer  so  pre- 
cären  Lage,  dass  sie  sich  nach  dem  Meere  zurückziehen 
wollte;  der  französische  Consul  in  Massua  kümmerte  sich 
nicht  um  das  Innere;  der  englische  hatte  einen  sehr  bedeu- 
tenden Handelsvertrag  mit  Ras  Ali  abgeschlossen!  Nun  aber 
änderte  sich  die  Situation.  Theodoros  besiegte  Ubie  im  Februar 
1855  und  wurde  so  Herr  von  Abyssinien.  Zu  dieser  Zeit  war 
englischer  Consul  in  Abyssinien  Hr.  Walther  Plowden,  ein 
Mann  von  vieler  Energie,  aber  wenig  Biegsamkeit,  der  so- 
gleich erkannte,  dass  für  das  Land  eine  neue  Epoche  ge- 
kommen sei.  Er  verfügte  sich  sogleich  zum  Kaiser  und  blieb 
bei  ihm  bis  zu  seinem  Tode  (Frühjahr  1860).  Er  that  das 
Mögliche,  ihn  mit  europäischen  Künsten  und  Ideen  bekannt 
zu  machen;  aber  er  bot  ihm  keine  Protection  an,  die  übrigens 
nie  verlangt  wurde.  Er  suchte  Freundschaft  und  Sicherheit 
für  seine  Schützlinge  und  dieser  Zweck  wurde  erreicht.  Mehr 
war  nicht  möglich,  da  der  Kaiser  in  seinem  Misstrauen 
Schlingen  befürchtete;  von  eigentlichem  Einfluss  war  keine 
Rede.    Da  England  einfach  den  Negus  als  legitimen  Landes- 


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-    Einleitung.  47 

könig  anerkannte  und  ihm  so  den  Schutz  seiner  Gäste  über- 
liess,  konnte  es  nie  zu  Schaden  kommen:  als  Hr.  Plowden  von 
Rebellen  in  der  Nähe  von  Gondar  ermordet  wurde,  so  fiel  die* 
Rache  einfach  dem  Kaiser  anheim ,  ohne  dass  für  England  eine 
Unehre  damit  verbunden  gewesen  wäre.  Dass  Hr.  Plowden  alles 
that,  um  den  König  für  England  zu  stimmen,  das  ist  natürlich; 
dass  er  ihn  bewog,  den  Sklavenhandel  zu  verbieten,  ist  löblich, 
wenn  der  Erfolg  davon  auch  null  war  und  bald  auch  das 
Verbot  aufgehoben  wurde;  aber  der  active  Theil,  den  er  an 
der  Vertreibung  der  katholischen  Mission  nahm,  machte  ihm 
keine  grosse  Ehre  und  nützte  ihm  nichts;  denn  aus  einer  offe- 
nen klaren  Politik  kam  er  in  das  Gebiet  der  Intrigue. 

Man  weiss,  dass  Theodoros  seinen  Thron  durch  eine  Allianz 
mit  dem  koptischen  Bischof  in  Abyssinien,  dem  sogenannten 
Abuna,  zu  befestigen  suchte;  die  Folge  davon  war,  dass  der 
Kaiser  die  katholischen  Missionäre  Landes  verwies  und  ihre 
Schüler,  die  eingebomen  Priester,  mit  Gewalt  zum  Rücktritt 
bringen  wollte.  Der  Erfolg  war  natürlich  der  entgegengesetzte, 
die  Verfolgung  stählte  die  junge  Gemeinde,  traurig  aber  war, 
dass  ein  englischer  Consul  sich  dareinmischte,  während  er  die 
günstige  Gelegenheit  hatte,  der  anerkannte  Beschützer  aller 
Europäer  zu  werden.  Durch  diese  Vorgänge  wurde  die  katho- 
lische Mission  dem  Kaiser  und  zugleich  England  feindlich;  es 
kam  ein  neuer  französischer  CJonsul  nach  Massua;  im  Tigre 
erhob  sich  Negussie,  der  sich,  solange  der  Abuna  zum  Kaiser 
hielt,  der  katholischen  Mission  günstig  zeigte,  und  es  entstand 
ein  Bund  zwischen  diesen  drei  Potenzen.  "Wir  dürfen  nicht 
vergessen,  dass  sich  im  Gefolge  des  englischen  Consuls  unter 
dem  Schutz  des  Abuna  eine  protestantische  Mission  unter  den 
Augen  des  Kaisers  festsetzte. 

Da  nun  England  beim  Kaiser  schon  vorausgekommen  war, 
wandte  sich  Frankreich  an  Negussie;  die  Verbindung  bewerk- 
stelligte ein  abyssinischer  Priester,  der  zur  katholischen  Mis- 
sion gehörte,  ein  Mann  von  sehr  vielem  Talent  und  grosser 
Energie,  der  fortan  die  Seele  dieses  Bundes  wurde.  Mit  vieler 


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48  Einleitung. 

Mühe,  fast  gegen  die  Neigung  Negussie's,  larachte  er  eine  Ge- 
sandtschaft an  Napoleon  zu  Stande,  die  im  gleichen  Jahre 
von  französischer  Seite  erwiedert  wurde.  Das  Unglück  oder 
Glück  wollte,  dass  die  französische  Gesandtschaft  eben  zur 
Zeit  ankwi,  als  Negussie  sich  vor  dem  Kaiser  flüchtete;  sie 
wurde  in  Halai  förmlich  angegriffen  und  konnte  nur  mit  Mühe 
und  Noth  das  Meer  erreichen.  Es  war  ein  Glück,  weil  man 
sich  in  Europa  eine  übertriebene  Meinung  von  Negussie  ge- 
macht hatte.  Die  Idee,  die  sich  die  öffentliche  Meinung  von 
diesem  Verkehr  machte,  war,  dass  Frankreich  den  Negussie 
gegen  den  Kaiser  unterstützen  würde;  der  Preis  sollte  die  Küste 
des  Rothen  Meeres  bei  Zul'a  sein,  die  jedenfalls  den  Abyssiniem 
ebenso  gehört,  wie  den  Türken.  Wir  wissen  nicht,  ob  die 
öffentliche  Meinung  ganz  Recht  hatte;  wir  wissen  aber,  dass 
Negussie  sich  noch  wenige  Tage  vor  seinem  Tode  über  die 
Franzosen  bitter  beklagte:  sie  hätten  ihn  mit  Hülfsversprechun- 
gen  getäuscht,  während  er  durch  die  ihnen  gemachten  Gon^ 
cessionen  das  Zutrauen  seiner  Unterthanen  verloren  habe. 
Sicher  ist,  dass  noch  in  der  letzten  Stunde  ein  paar  Hundert 
Franzosen,  ja  nur  ein  paar  gut  bediente  Kanonen  zu  Gunsten 
Negussie's  entschieden  hätten.  Aber  sie  kamen  nicht  und  es 
war  gut  so;  denn  es  ist  leicht,  Abyssinien  zu  erobern,  aber 
sehr  schwer  es  zu  behaupten.  Denn  man  kann  nicht  erwar- 
ten, dass  sich  Negussie  dankbar  gezeigt  hätte,  seine  eifrigsten 
Anhänger  waren  allen  Fremden  sehr  feind.  Wenn  also  Frank- 
reich auch  nichts  für  seinen  Schützling  that,  so  hatte  es  sich 
doch  in  eine  schwierige  Stellung  gebracht.  Anstatt  den  fekctischen 
Herrn  des  Landes  anzuerkennen,  stellte  es  sich  zur  Minorität 
und  gab  sich  damit  das  Ansehen  eines  Protectors;  man  darf 
diess  aber  nicht  ungestraft  thun. 

So  fiel  Negussie  unbeweint;  Theodoros  blieb  der  alleinige 
Herr  des  Landes,  um  dessen  Freundschaft  sich  nun  die  Con^ 
suln  beider  Mächte  bewarben.  Wir  wollen  nicht  bezweifeln, 
dass  für  beide  in  Abyssinien  Interessen  da  sind,  die  sie  wah- 
ren müssen;  aber  sie  vei^essen,    dass  dieses  Land  sich  noch 


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Einleitung.  49 

immer  in  der  Anarchie  befindet  und  dass  alle  Verträge  un- 
nütz sind,  solange  keine  dauerhafte  Regierung  etablirt  ist; 
man  sollte  bedenken,  dass  Europa  mit  Einigkeit  Abyssinien 
zur  Einheit  verhelfen  sollte,  die  erst  einen  politischen  Ver- 
kehr erlaubt;  man  hätte  den  jetzigen  abyssinischen  Kaiser, 
der  doch  der  einzige  Mann  von  Genie  ist,  den  das  Land  hat, 
in  seinem  Vorhaben  unterstützen  sollen  und  der  europäische 
Geist  hätte  vielen  Einfluss  gewinnen  können.  Statt  dessen 
führten  sich  Engländer  und  Franzosen  einen  Intriguenkrieg, 
der  beiden  schadete,  da  der  Kaiser  seine  frühere  gute  Mei- 
nung von  unserer  Ehrlichkeit  verloren  hat  und  keinem  mehr 
sein  Vertrauen  schenkt.  Diess  hat  alle  Europäer  zu  Schaden 
gebracht.  Wir  wissen  nicht  recht,  welches  Recht  wir  haben, " 
von  den  Abyssiniem  Toleranz  zu  verlangen,  wenn  wir  sie 
selbst  in  Europa  nicht  haben;  wir  sind  der  Ansicht,  dass  man 
die  Missionen  sich  selbst  überlassen  soll;  sie  werden  sich 
selbst  besser  zu  helfen  wissen;  sie  stehen  auf  einem  ethi- 
schen Boden,  der  weltlichen  Schutzes  nicht  bedarf,  wenn  er 
ein  fester  ist;  wir  hoflfen  noch  immer,  dass  die  beiden  einzigen 
Mächte,  die  Abyssinien  kennt,  sich  zu  einer  gemeinschaftli- 
chen Politik  verständigen  können,  die  ihnen  allein  Einfluss 
verschaffen  kann;  jetzt  ist  es  noch  Zeit,  da  Abyssinien  selbst 
der  Einheit  zustrebt.  Fährt  man  aber  fort,  zu  intriguiren 
und  einer  dem  andern  zu  schaden,  so  werden  die  Abyssinier 
uns  immer  nur  unserer  Geschenke  wegen  Complimente  ma- 
chen; wir  werden  uns  selbst  verächtlich  machen  oder  wenn 
wir  es  nicht  werden  wollen,  müssen  wir  einen  Krieg  anfangen, 
gefahrlicher  als  Mexico  und  hundertmal  nutzloser.  Diess  ist 
die  Meinung  eines  Unparteiischen,  der  wünscht,  dass  Abys- 
sinien ein  ordentlicher  fester  Staat  werde,  in  Friede  und 
Freundschaft  mit  dem  Ausland;  dann  werden  Handel  und  Ge- 
werbe wieder  aufblühen  und  der  Europäer  wird  bis  in's  In- 
nere ohne  Gefahr  dringen  können:  die  Vortheile  werden  dem 
Thätigsten  gehören,  ohne  Intervention,  ohne  Intrigue. 


Maoxiuger,  Osta/rik.  Studieu. 


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50  Einleitung. 


IX. 

Jetzt  wollen  wir  einen  Blick  auf  das  religiöse  Leben  Abys- 
siniens  werfen  und  zum  voraus  bekennen,  dass  es  durchaus 
nicht  gesund  ist.  Wir  finden  vorerst  eine  vollständige  Anarchie 
der  Glaubensbekenntnisse.  Die  herrschende  Bevölkerung  bil- 
den die  Christen;  doch  sind  die  Mohammedaner  in  den  Städten 
und  besonders  in  den  Grenzprovinzen  sehr  ausgebreitet  und 
mächtig.  Im  Süden  haben  sich  viele  Juden  erhalten;  das 
Heidenthum  ist  selbst  mitten  im  Lande  nicht  ausgerottet;  die 
Kordgrenzen  besetzen  die  deistischen  Bazen,  die  Südgrenzen 
die  teufelanbetenden  Galla.  Das  Christenthum  selbst  ist  für 
den  grössten  Theil  des  Volkes  ein  äusserlicher  Name  geworden 
und  mit  jüdischen  Gebräuchen  arg  vermischt. 

Man  weiss,  dass  Abyssinien  seit  1500  Jahren  seinen  Glau- 
ben bewahrt  hat,  auf  eine  Weise  aber,  dass  Wichtiges  und 
Unwichtiges,  Dogma  und  Disciplin  gleiche  Bedeutung  erhalten 
haben.  Wir  finden  die  gleichen  Missbräuche,  die  unser  Mit- 
telalter entstellt  haben:  den  Mangel  an  theologischen  Kennt- 
nissen; viel  ünsittlichkeit  und  Ueberfluss  an  Mönchen;  freche 
Simonie  und  Verkauf  der  Sakramente;  theilweise  sogar  die 
Polygamie;  strenge  Fasten  und  Busse;  viel  Festtage;  lose 
Eheverhältnisse;  übermässige  Verehrung  von  Bildern  und  Kreu- 
zen, vermengt  mit  schützenden  Talismanen;  wenig  Kirchen, 
viel  Heiligengeschichte;  Glauben  an  Weissagereien  und  Vor- 
bedeutungen; Auslegung  der  Träume;  Furcht  vor  Hexerei  und 
bösen  Künsten;  doch  jedenfalls  keinen  Unglauben  und  keine 
Gottesverachtung.  Die  judäisch-  pharisäische  Denkungsart,  die 
allen  Orientalen  und  besonders  den  Semiten  eigen  ist,  klebt 
auch  den  Abyssiniern  an;  wir  meinen  damit  den  Formengeist, 
die  Wichtigmachung  von  Gebräuchen  und  äussern  Werken, 
die  Unterscheidung  zwischen  Rein  und  Unrein,  die  Beschnei- 


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Einleitung.  51 

dung,  das  Hängen  an  dem  Buchstaben,  gegen  das  sich  Paulus 
wehrt. 

Die  Kirchengüter  befinden  sich  grösstentheils  in  den  Hän- 
den der  Fürsten,  die  darüber  zu  Gunsten  ihrer  Anhänger  dispo- 
niren.  Die  Erblichkeit  der  Pfanfstellen  von  Vater  auf  Sohn 
erzeugt  Lauheit  und  raubt  der  Kirche  die  nöthige  Unabhän- 
gigkeit. Das  sehr  verbreitete  Mönchsthum  verhindert  alle  wohl- 
thätige  Neuerung;  die  abyssinischen  Mönche  und  Nonnen  sind 
unruhige,  anmassliche,  ungebildete,  faule  Fanatiker,  die  den- 
noch vielen  Respectes  geniessen.  Eine  Beform  derselben  in 
arbeitende  Orden  wäre  wohl  wünschenswerth ,  aber  schwer 
ausführbar. 

Das  Hauptübel  Abyssiniens  aber  ist  der  Stolz,  der  von 
dem  kleinsten  Erfolge  aufgeblasen,  sich  überheilig  und  über- 
weise wähnt  und  nur  ungern  von  fremden  Missionären  sich 
Rathes  erholt.  Deshalb  müssen  wir  die  Weisheit  des  Ka- 
nons bewundern,  der  den  eingebornen  Abyssinier  von  der 
Bischofswürde  ausschliesst.  Diese  Einrichtung  bewahrt  allein 
den  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Kirche.  Wehe  dem, 
der  sie  abschafft!  Ein  Missionär,  der  sich  seine  Aufgabe  zu 
Herzen  nimmt,  muss  eine  Selbstverleugnung  ausüben,  die 
leider  nur  wenigen  ansteht;  strenge  Absonderung  in  Tisch 
und  Leben  geht  nicht.  Der  Missionär  muss  eben  leben,  wie 
er  seine  schwarzen  Brüder  leben  lassen  kann;  er  zwingt  sie 
mit  dem  guten  Beispiel  zur  Bescheidenheit.  Der  Stolz,  von 
dem  kein  Abyssinier  frei  ist  und  eigentlich  kein  Semite,  hat 
eine  andere  gefährliche  Seite;  der  Messias  ist  ihm  immer 
ebenso  gut  wie  den  Aposteln  ein  weltlicher  Herr;  die  Herrsch- 
sucht der  Eingebornen  wird  dem  fremden  Missionär  sehr  ge- 
fahrlich, da  sie  ihn,  ohne  dass  er  es  ahnt,  in  die  Landes- 
politik hineinzieht. 

Nun  darf  man  aber  doch  nicht  verkennen,  dass  das  Chri- 
stenthum  uns  Abyssinien  geistig  näher  uud  über  das  übrige 
Afrika  stellt.  Es  hat  dieses  Land  von  dem  abschetdichen 
Fetischismus,  der  abgöttischen  Tyrannei  gerettet.    Wenn  sich 

4* 


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52  Einleitung. 

die  Völker  auch  bekämpfen,  so  sind  die  Opfer  doch  nur  die 
Soldaten  und  die  Güter;  Weib  und  Kind  sind  respectirt. 
Kein  freier  Abyssinier  wird  von  seinem  Mitbürger  in  die  Skla- 
verei verkauft.  Die  Leibeigenschaft  erstreckt  sich  nur  auf 
die  von  aussen  eingeführten  Schwarzen,  die  nur  den  kleinsten 
Theil  der  Bevölkerung  ausmachen.  Der  Sklavenhandel  ist 
den  Christen  bei  Todesstrafe  verboten.  Die  Frau  ist  un- 
verletzlich und  hat  ihre  bestimmten  grossen  Rechte.  Wenn 
wir  Europäer,  solange  wir  das  Gastrecht  nicht  verletzen, 
immer  freundlich  aufgenommen  sind,  so  müssen  wir  die  Ur- 
sache sicherlich  in  den  gleichen  Religionsgefühlen  suchen. 

Den  erwähnten  innem  Gebrechen  sollten  nun  die  Missionen 
entgegenarbeiten.  Es  gibt  zwei  Gesichtspunkte,  den  Zweck 
einer  Mission  aufzufassen.  Der  eine  ist  allgemein  philanthro- 
pisch; er  wünscht  die  Erweiterung  der  Geographie;  die  Mis- 
sionäre werden  Vorläufer  der  Reisenden  und  so  der  Civilisation 
und  des  Handels;  ihre  Berichte  sind  im  Allgemeinen  glaub- 
würdig, da  sie  Zeit  haben,  sich  einzuleben  und  mit  den  Ein- 
gebomen in  freundschaftlichen  Verkehr  zu  treten.  Die  andere 
Auffassungsweise  gehört  der  Pietät,  die  allein  die  nöthigen 
Opfer  bringt  und  religiöse  Bekehrung  Afrikas  anstrebt:  eine 
so  schöne  Idee,  dass  man  kaum  wagen  darf,  zu  sagen,  wie 
schwer  sie  zu  realisiren  ist. 

Es  gibt  in  Abyssinien  eine  protestantische  und  eine  ka- 
tholischet  Mission.  Wenn  wir  uns  darüber  aussprechen,  so 
stellen  wir  uns  auf  einen  Standpunkt,  der  von  der  Richtig- 
keit der  Lehre  abstrahirt.  Man  weiss,  dass  die  Jesuiten,  die 
sich  vor  etwa  250  Jahren  im  Lande  festgesetzt  und  den  Ka- 
tholicismus  zur  Staatsreligion  erhoben  hatten,  durch  die  In- 
toleranz, mit  der  sie  alles  romainisiren  wollten,  eine  Revolution 
hervorriefen,  die  mit  ihrer  Verbannung  endigte  und  eine  blutige 
Verfolgung  veranlasste,  wo  es  an  standhaften  Bekennem,  so- 
gar unter  der  Familie  des  damaligen  Kaisers  nicht  fehlte. 
Die  jetzige  katholische  Mission  geht  mit  mehr  Sorgfalt  zu 
Werke.    Im  Unwesentlichen,  der  äthiopischen  Liturgie,   den 


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Einleitung.  53 

Fasten  und  der  Priesterehe,  lässt  sie  dem  Volke  seine  alt- 
orientalischen Gebräuche;  im  Wesentlichen,  dem  Streit  um 
die  Naturen  und  um  das  Principat  Roms,  sucht  sie  den  Abys- 
siniem  aus  den  eigenen  Büchern  zu  beweisen,  dass  die  alt- 
äthiopische Theologie  und  Kirche  bis  in^s  siebente  Jahrhundert 
mit  der  griechisch-katholischen  Kirche  übereinstimmte  und 
dann  erst  von  den  Kopten  usurpirt  wurde:  diess  geschah  in 
Folge  der  Eroberung  Aegyptens  durch  die  Araber,  wodurch 
die  Griechen  von  Ainka  abgetrennt  wurden;  der  Verkehr  mit 
Abyssinien  wurde  nur  den  Kopten  möglich  und  die  Abyssinier 
wurden  nach  und  nach  genöthigt,  sich  ihre  Bischöfe  Yon  die- 
sen letztem  zu  holen.  Die  Aenderung  ging  aber  nur  sehr 
allmählig  vor  sich;  das  Mittel  war  vorzüglich  eine  grobe  Bü- 
cherverfälschung, indem  man  unbequeme  Stellen  einüach  aus- 
radirte  oder  neue  in  den  alten  Text  hineinschrieb.  Doch 
stehen  noch  viele  Zeugnisse  des  alten  Glaubens  aufrecht;  merk- 
würdig sind  besonders  die  zwei  Stellen  im  Fetwa  Negest  (Kai- 
serrecht), die  entschieden  das  Principat  des  römischen  Bi- 
schofs anerkennen.  Die  Frage  über  die  Naturen  ist  ein 
Wortstreit,  der  Griechen  gefedlen  konnte,  aber  bei  ungebil- 
deten Völkern,  denen  es  an  scharfen  geistigen  Definitionen 
fehlt,-  schlecht  angebracht  ist.  Die  äthiopischen  Wörter  akal 
(persona)  und  bahri  (natura)  haben  keine  feste  Bedeutung  und 
werden  in  Abyssinien  crass  materiell  aufgefasst.  Der  Begriff 
vom  Gottmensch  ist  doch  überall  der  gleiche.  Warum  mit 
Hülfe  von  Sprachen  streiten,  deren  Wörter  nichts  Ethisches 
haben,  bei  Völkern,  die  alles  grob  sinnlich  auffassen?  Kann  sich 
doch  der  Mensch  nichts  ganz  geistig  denken;  der  feinste  Be- 
griff muss  einen  körperlichen  Anhalt  haben;  alle  unsere  Ideen 
sind  Vergleichungen  mit  sinnlichen  Gegenständen  und  es  ist 
unmöglich,  sich  vor  dem  Tode  von  dieser  Kette  loszureissen 
und  gerade  deswegen  hat  das  Ghristenthum  als  verständlichen 
Vermittler  den  Gottmenschen  nöthig,  den  man  wieder  mit 
Definitionen  unverständlich  macht. 

Sehr  weise  arbeiten  die  katholischen  Missionäre  seit  etwa 


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54  EinleitHiig, 

zwanzig  Jahren  daran,  sich  in  Nordahyssinien  festzusetzen  und 
eingebome  Priester  zu  erziehen.  Denn  die  Nähe  des  Meeres 
und  der  Wildniss  sichert  ihnen  in  Zeiten  der  Verfolgung  den 
Rückzug;  anderseits  können  sie  von  den  eifersüchtigen  Blik- 
ken  des  Kaisers  fem  bei  den  halbfreien  Grenzvölkern  im 
Stillen  Wurzel  fassen.  So  haben  sie  denn  mehrere  Gemein- 
den von  Okulekusai  und  das  Hirtenvolk  der  Irop  zu  eifrigen 
Anhängern;  auch  in  der  Provinz  Agame  und  den  Bogos  sind 
sie  niedergelassen  und  mehr  als  dreissig  eingebome  Priester, 
die  für  das  Land  sehr  gebildet  sind,  breiten  den  Glauben  um 
so  leichter  aus,  da  sie  als  Landeskinder  nicht  das  Misstraueii, 
das  jeden  Fremden  empfängt,  zu  bekämpfen  haben.  Die  Kir- 
chen werden  fleissig  besucht,  die  Ehen  regelmässiger  geschlos- 
sen ;  das  Volk  hat  sich  dafür  interessirt.  Der  Gründer  dieser 
Mission  war  der  Bischof  Justin  de  Jacobis  (f  31.  Juli  1860), 
dessen  tadellose  Persönlichkeit  allen  Parteien  Verehrung  ab- 
zwang und  dessen  Edelmuth  auch  die  Feinde  beschämte. 
König  Theodoros,  der  der  Fiinheit  wegen  Eine  Staatskirche 
wollte,  versuchte  in  den  ersten  Jahren  seiner  Regierung  die 
Katholiken  zur  koptischen  Kirche  zurückzuzwingen;  doch  hat 
die  Standhaffcigkeit,  die  er  erfuhr,  der  katholischen  Sache 
eher  g'enützt. 

Die  protestantische  Mission  wirkt  in  Oberabyssinien,  in 
der  Nähe  des  Kaisers,  dem  die  Idee  eines  König -Papstes 
gefällt;  da  aber  Abjrssinien  viel  katholischer  ist,  als  Rom,  be- 
sonders in  der  Verehmng  der  Heiligen  und  der  Beobachtung 
der  Fasten  und  Festtage,  hat  der  Protestantismus  schweren 
Stand  und  seine  Bekenner  dürfen  nie  mit  der  ganzen  Wahr- 
heit herausrücken.  Auch  die  Nähe  des  Kaisers  wirkt  läh- 
mend auf  ihre  Arbeit,  da  er  wohl  neue  Handwerke  einge- 
führt haben  will,  aber  keine  neue  Religion;  deswegen  wurde 
eine  angefangene  Schule  aufgehoben,  sobald  sie  sich  mit  Dog- 
men abgab.  Da  aber  glücklicherweise  mehrere  der  Missionäre 
auch  Handwerker  sind,  wird  ihre  Geschicklichkeit  den  Ge- 
werbfleiss  des  Landes  befördern.    Anderseits  ist  der  Einfluss, 


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Einleitung.  55 

den  die  Bibelverbreitung  in  grossem  Massstab  auf  das  geistige 
Leben  des  Volkes  ausüben  wird,  nicht  zu  berechnen  und  es 
ist  zu  wünschen,  dass  man  fortfahre,  gute  Bücher  von  sitt- 
licher Belehrung  in's  Volk  zu  werfen.  Wo  Bildung  ist,  da 
wird  es  schon  besser  werden.  Von  diesem  Standpunkt  aus 
bin  ich  mit  dieser  Mission  einverstanden;  aber  ihre  Bemühun- 
gen, das  Land  directerweise  protestantisch  zu  machen,  schei- 
nen mir  nicht  zweckmässig.  Wenn  es  sich  darum  handelt, 
auf  der  gegebenen  Grundlage  weiter  zu  bauen  und  nicht  nie- 
derzureissen;  wenn  man  erkennt,  dass  Abyssinien  eine 
positive  Religion  nöthig  hat;  wenn  jedermann  zugeben  muss, 
dass  die  Reformationsstürme  die  katholische  Disciplin  und 
das  katholische  Leben  gereiniget  haben;  wenn  die  Analo- 
gie der  abyssinischen  Zustände  mit  unserem  Mittelalter 
uns  klar  geworden  ist,  so  dürfen  wir  wohl  wünschen,  dass 
die  äthiopische  Kirche  der  gleichen  Regeneration  theilhaftig 
werde.  Unmöglich  ist  sie  nicht,  da  der  abyssinische  Glaube 
im  Wesentlichen  durchaus  katholisch  ist.  Es  würde  sich  bei 
der  Veränderung  lediglich  um  mehr  Wissenschaftlichkeit,  grös- 
sern Eifer  und  strengere  Sitten  handeln,  was  vorsichtig  durch- 
geführt niemanden  vor  den  Kopf  stossen  würde. 

Abyssinien  aber  protestantisch  machen  zu  wollen,  das 
wäre  ein  Beginnen,  so  radical  allem  Hergebrachten  in's  Ge- 
sicht schlagend,  dass  die  Leute,  denen  man  plötzlich  ihren 
frommen  Glauben  und  besonders  die  Verehrung  der  Mutter 
Gottes  rauben  wollte,  von  allem  Christenthum  abwendig  wür- 
den. Das  rücksichtslose  Abreissen  würde  sie  so  stutzig  und 
verwirrt  machen,  dass  sie  das  Kind  mit  dem  Bade  ausschütten 
und  den  Glauben  allen  zusammen,  sogar  an  Gott,  wegwerfen 
würden  und  mit  der  Verkündigung  einer  Religion,  die  keine 
Verwandtschaft  mit  dem  hat,  was  bis  jetzt  für  schönes  gol- 
denes Christenthum  galt,  wird  allein  ein  crasser,  gedanken- 
loser Unglaube  gepflanzt,  der  dem  Volke  den  moralischen 
Halt  nimmt,  den  ihm  sein  alter  Glaube  verliehen  hatte. 
Mit  dem  Heidenthum  kann  man  unbesorgt  tabula  rasa  machen; 


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56  Einleitang. 

bei  den  Bazen,  den  Barea,  den  GaUa  und  Schankalla  ist  ein 
schönes  ungepflügtes  Feld;  da  kann  man  ebenso  leicht  den 
Heidelberger  Katechismus  einführen,  wie  jeden  andern;  aber 
der  Geist  der  freien  Forschung  wird  auch  da  nicht  eindrin- 
gen. Wo  aber  ein  Volk  einmal  den  Glauben  der  Apostel  rein 
bewahrt  zu  haben  glaubt,  da  darf  man  des  Systemes  halber 
nicht  in  ein  Extrem  fallen;  man  muss  nur  das  Mögliche  ver- 
suchen, nur  das  Mögliche  ist  gut. 


W«nn  es  sich  nun  nur  darum  handeln  würde,  die  abys- 
sinische  Kirche  zu  reformiren ,  so  wäre  die  Aufgabe  nicht  so 
schwer:  eine  viel  grössere  Gefahr  droht  ihr  aber  von  dem 
Islam;  ein  sehr  furchtbarer  Kampf  steht  dem  Missionär  des 
Kreuzes  bevor  von  dem  Missionär  des  Halbmondes.  Als  der 
Islam  mit  den  Waffen  der  Welt  gegen  Abyssinien  anstürmte, 
konnte  er  mit  Schwert  und  Lanze  zurückgeschlagen  werden 
und  Abyssinien  blieb  politisch  genommen  in  christlichen  Hän- 
den. Aber  seit  die  äussere  Gefahr  vorbei  ist,  hat  auch  die' 
Lauheit  zugenommen,  von  den  Anhängern  Mohammed's  klug 
benutzt.  Während  der  Islam  dem  heidnischen  Afrika  gegen- 
über offene  Gewalt  braucht  und  täglich  ganze  Völker  sich 
unterwirft,'  darf  er  in  Abyssinien  nur  bescheiden  auftreten. 
Er  benützt  die  Schwächen  seines  uneinigen  Gegners;  er  er- 
ringt nur  vereinzelte  Erfolge  und  dennoch  darf  man  nicht 
verschweigen ,  dass  er  einer  stetigen  Zunahme  sich  erfreut. 
Während  er  schon  halb  Afrika  beherrscht  und  immer  südli- 
cher dringt,  hat  er  sich  wohl  den  dritten  Theil  der  Bevöl- 
kerung des  eigentlichen  Abyssiniens  schon  unterworfen  und 
die  Grenzen  gegen  alle  Weltgegenden  sind  dem  Christenthum 
jedenfalls  für  immer  verloren.  Die  Galla  werden  in  kurzer 
Zeit  alle  mohammedanisch  sein;  die  Grenzvölker  vom  Norden, 


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Einleitnng.  57 

die  Habab  und  die  Marea,  sind  erst  in  unserer  Zeit  dem  Kreuz 
abtrünnig  geworden  und  die  Bogos  selbst  sind  kaum  zu  retten. 

Wir  sebeu  also:  Christenthum  und  Islam  in  Afrika  kämpfen 
einen  ungleichen  Kampf.  Hüten  wir  uns  mit  dem  Stolz  gei- 
stiger Ueberlegenheit  zu  rufen:  Post  tenebras  lux!  Wie  sollte 
der  Halbmond  dem  Kreuze  widerstehen? 

Vor  1300  Jahren  hatte  das  Christenthum  mehr  räumliche 
Verbreitung  als  heute.  Das  römische  W'eltreich,  in  das  sich 
jetzt  so  viele,  selbst  die  Türken  theilen,  war  christlich  und 
sandte  seine  Apostel  nach  dem  heidnischen  Norden.  Was 
hier  gewonnen  wurde,  ging  im  Süden  und  Osten  verloren. 
DieBerberei,  die  einen  Cyprian,  einen  Augustin,  einen  Ter- 
tullian  erzeugt  hatte,  ging  fast  ohne  Widerstand  zu  Moham- 
med's  Neuerung  über.  Der  grosse  semitische  Stamme  dem 
allein  die  Einheit  Gottes  ein  Axiom  ist,  zu  dem  allein  Götter 
und  Propheten  reden,  eroberte  sich  von  Neuem  die  halbe 
Welt.  Als  Christus  den  Buchstaben  todt  und  den  Geist  allein 
lebendig  nannte,  sprach  er  zu  uns,  den  Abendländern,  und  er 
sprach  uns  aus  der  Seele:  der  Gehalt  der  Lehre  überwältigt 
uns  so  sehr,  dass  wir  auch  die  Wunder,  die  uns  unwesentlich 
scheinen,  gern  mit  glauben.  Den  Orientalen  überzeugten  die 
Wunder,  aber  sie  gaben  ihm  den  lebendigen  Geist  nicht:  die 
orientalische  Kirche  blieb  in  dem  Buchstaben,  der  Form  be- 
fangen und  nur  den  Namen  hatte  sie  mit  uns  gemein.  Diesen 
Widerspruch  löste  Mohammed,  indem  er  dem  alten  äusserlichen 
an  Formen  und  Fasten  hangenden  Judenthura  einen  neuen 
Namen,  Islam,  verlieh.  Mit  Recht  konnte  er  ihn  die  Fort- 
setzung des  Alten  Testamentes  nennen,  und  er  wird  so 
lange  in  der  Welt  unter  wechselndem  Namen  vorkommen, 
als  es  Anbeter  des  Buchstabens  gibt.  So  ging  Afrika  ver- 
loren, so  ganz  Vorderasien  und  Arabien.  Was  neugewonnen 
wurde,  Indien,  China  und  Japan,  wurde  ebenso  schnell  wie- 
der abtrünnig.  Die  Saat  war  auf  felsigen  Boden  gefallen  und 
die  Vögel  des  Himmels,  die  Zufälle,  frassen  sie  auf.  Wenn 
nun  nach  tausend  Jahren,   in  denen  die  ganze  Weltlage  sich 


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58  Einleitang. 

verändert  und  ihr  Schwerpunkt  sich  zum  Norden  geneigt  hat, 
wir  von  Neuem  Afrikas  Bekehrung  versuchen,  so  liegt  die 
Frage  nahe:  Welche  Befähigung  hat  der  heutige  Afrikaner  zum 
Christenthum;  neigt  sich  sein  Geist  mehr  zu  uns  oder  zum 
Islam?   Wer  wird  endlich  Sieger  sein? 

Der  Afrikaner  ist  im  Allgemeinen  leichtgläubig;  aber  er 
wird  selten  fanatisch.  Er  ist  nur  da  Heide,  wo  man  ihm 
nichts  Besseres  gelehrt  hat;  aber  er  bekehrt  sich  mit  Freuden 
zu  einer  hohem  Gottesanschauung,  wenn  sie  seiner  Natur 
nicht  Zwang  anthui  Er  untersucht  wenig;  das  Wunder  scheint 
ihm  natürlich;  die  Einheit  Gottes  hat  bei  ihm  keinen  Beweis 
nöthig.  Dann  hält  er  sehr  fest  daran ,  ohne  aber  an  die  Wei- 
terverbreitung, an  Bekehrung  seiner  Nachbarn  zu  denken. 
Denn  durch  sein  ganzes  Leben  zieht  sich  als  rothe  Ader  der 
Hang  zur  Isolirtheit,  zum  Auseinandergehen ,  eine  C^ntrifugal- 
kraft,  die  dann  wieder  durch  einen  extremen  Despotismus 
bekämpft  werden  muss.  Deswegen  gibt  es  unter  den  eigent- 
lichen Afrikanern  so  wenig  Aristokratien,  die  immer  aus  dem 
Hang  der  Familie,  zusammenzubleiben,  sich  zu  vereinigen, 
hervorgehen.  Deswegen  sehen  wir  in  dem  von  Fremden  un- 
berührten Afrika  meist  sehr  primitive  Demokratien,  friedlich 
nebeneinander  lebende  Gemeinden  ohne  staatlichen  Zusam- 
menhang, ohne- Beamten  und  König,  ohne  gegenseitige  Schutz- 
und  Hülfspflicht.  Da  aber  die  Extreme  sich  berühren,  finden 
wir  dann  wieder  crasse  Autokratien,  wo  Einem  Tyrannen  Le- 
ben und  Land ,  Weib  und  Kind  seiner  Unterthanen  von  Rechts 
wegen  angehören. 

Jedem  dieser  Zustände  kommt  der  Islam  sehr  erwünscht. 
Er  mildert  die  unbedingte  Autokratie,  indem  er  die  Gleich- 
berechtigung der  Menschen  vor  dem  göttlichen  Gesetz  aner- 
kennt. Den  isolirten  Gemeinden  aber,  denen  zur  Verbindung 
das  Gefülil  der  Familie  oder  der  organisirten  Selbstwehr  fehlt, 
bietet  er  einen  Punkt  der  Einigung,  die  Religion,  die  jeden. 
Gläubigen  zum  Freund,  jeden  Käfer  zum  Feind  stempelt  und 
nur  den  letztern  zur  Sklaverei  verdammt.    Sie  vereiniget  ihre 


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Einleitung.  59 

Proselyten  zum  Kampf  gegen  das  Heidenthum.  Nun  darf  die 
Gemeinde  nicht  mehr  müssig  dastehen ,  wenn  das  nachbailiche 
Dorf  in  Flammen  aufgeht.  Der  Glaube  gebietet  schnelle  Hülfe, 
festes  Zusammenhalten.  Es  bildet  sich  ein  Staat,  aber  keine 
Theokratie.  Denn  da  im  Islam  Staat  und  Religion  zusammen- 
fallen, muss  die  Kirche  fehlen  und  ein  eigentlicher  Priester- 
stand  ist  nicht  nöthig,  wo  der  Gottesdienst  in  Gebeten  besteht, 
die  jeder  Gläubige  für  sich  verrichten  kann.  Der  Fakih  oder 
Schriftgelehrte  ist  eher  ein  Schulmeister,  der  den  Kindern 
lesen,  den  Entwachsenen  beten  lehrt,  aber  es  fehlt  ihm  die 
Hierarchie,  die  allein  den  Stand  begründet. 

Der  Islam  geht  zum  Aeusserlichen ,  strebt  nach  Oeffent- 
lichkeit.  Da  seine  Gebete  nicht  Bitten  in  unserem  Sinne  sind, 
sondern  ein  liob  Gottes  und  seine  Verherrlichung,  so  dürfen 
sie  nicht  in  das  stille  Kämmerlein  verschlossen  werden,  son- 
dern sie  müssen  am  hellen  Tageslicht  in  die  Augen  der  Welt 
fallen,  zum  Stolz  der  Freunde,  zum  .Aerger  der  Feinde  die 
Einheit  Gottes  manifestirend.  Wir  Christen  gehen  oder  sollen 
wenigstens  nicht  in  die  Kirche  gehen,  um  unsere  Frömmig- 
keit zur  Schau  zu  tragen;  wir  suchen  sie  oft  nur  auf,  weil 
wir  zu  Hause  inmitten  der  Freuden  und  Leiden  der  Familie 
oft  der  stillen  Kammer  entbehren,  wo  wir  unsere  herzinnig- 
lichsten Anliegen  dem  allerhörenden  Vater  vorbringen  können. 
Der  Mohammedaner  denkt  nicht  daran,  mit  Beten  das  von 
Ewigkeit  vorbestimmte,  von  Gottes  Hand  geschriebene  Schick- 
sal ändern  zu  können;  sondern  es  ist  seine  Pflicht,  Gott  öf- 
fentlich Zeugniss  zu  geben  und  was  bei  uns  Heuchelei  schiene, 
ist  bei  ihm  eine  Tugend.  Dass  diese  Oeffentlichkeit  der  Eitel- 
keit des  Menschen  und  besonders  des  Afrikaners,  der  so  gerne 
glänzt,  schmeichelt,  ist  gewiss;  denn  niemand  wird  sich  ver- 
hehlen, dass  das  Bewusstsein,  fromm  zu  sein,  noch  frömmer 
macht)  dass  auch  die  armselige  Eitelkeit  den  zum  Himmel 
strebenden  Menschenstamm  parasitisch  umwuchert  und  oft 
erstickt. 

Die  Religionssprache  des  Islam,  das  Arabische,  hat  etwas 


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50  Einleitung. 

Tönendes,  Ehrfurchtgebietendes;  sie  ist  männlich,  fast  hart, 
da  wo  sie  wie  in  der  Umgangssprache  der  vollen  Vocale  ent- 
behrt; aber  nicht  so  in  dem  alten  klangreichen  Koran.  Ob 
der  Text  desselben  göttliche  Hand  verrathe,  das  ist  eine  Frage, 
die  uns  nicht  angeht,  da  die  meisten  Mohammedaner  wenig 
an  den  Sinn  der  Worte  denken  und  die  Formreligion  sich  an 
der  Form  ergötzt.  Doch  enthält  er,  seinem  Gehalte  nach 
genommen,  eine  Menge  Kraftsprüche  und  Regeln  für  jede 
Situation  des  Lebens,  womit  auch  der  ungebildetste  Mann 
den  religiösen  Gegner  sich  vom  Leibe  zu  halten  weiss.  Die 
Form  dieses  Buches  ist  ungemein  geschickt  in  der  fast  rhjrth- 
mischen  Eintheilung  der  Verse  und  der  freilich  rohen  Rei- 
mung, die  das  Auswendiglernen  und  die  halb  gesungene  Re- 
citation  fast  angenehm  macht. 

Wer  es  selbst  nicht  erfahren  hat,  der  sollte  nicht  glauben, 
dass  neben  dem  römischen  Choral,  neben  dem  protestantischen 
Kirchenlied  auch  das  islamitische  öflFentliche  Gebet  Kirchen- 
gesang genannt  werden  darf  und  dass  auch  er  auf  das  Ge- 
müth  wirken  kann.  Wir  erlauben  uns,  aus  unsem  alten  Ta- 
gebüchern eine  Stelle  mitzutheileu ,  worin  wir  den  frischen 
Eindruck,  den  er  auf  uns  machte,  wiedergaben. 

„Es  sind  zehn  Jahre  her.  Dort  oben  stand  ich  auf  der 
Citadelle  von  Cairo,  wo  Mohammed  Ali's  Grabmoschee  auf 
die  verfallende  Stadt  hinuntersieht.  Da  liegt  er  ruhig,  wo  er 
seine  Feinde  vernichtete.  Es  war  ein  Abend,  wie  sie  der 
Orient  so  wunderklar  hat.  Noch  stand  die  Sonne  am  Rand 
des  Horizontes  und  ihre  Strahlen  hingen  an  den  Hunderten 
von  Minarets  im  Scheiden.  Es  war  ein  Anblick,  eigenthüm- 
lich  schön,  herrlicher  als  was  ich  je  gesehen:  dort  im  Westen 
der  übergetretene  meergleiche  Nil,  der  alte  Befruchter  des 
Landes;  noch  weiter  gegen  Abend  die  in  den  Wüstensand 
scharfgezeichneten  Pyramiden,  die  schon  andere  Zeiten  ge- 
sehen haben  und  noch  manche  Stadt  und  Volk  vergehen  sehen 
werden,  und  hier  unter  mir  Kahira,  die  siegreiche  Stadt  der 
Chalifen.    Welch  ein  Contrast,    dort  das  Sinnbild  der  Ewig- 


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Einleitung.  61 

keit,  hier  der  Vergänglichkeit!  —  Die  Sonne  sank:  es  dunkelt 
schnell  im  Orient.  Da  erhob  sich  mit  Silberklang  die  Stimme 
des  Gebetrufers  vom  nächsten  Minaret  und  Hunderte  ahmten 
ihr  nach,  singend: 

«Allahu  ^.kbar!  Gott  ist  gross  1  0  Gläubige  betet:  Es 
gibt  nur  Einen  Gott  und  Mohammed  ist  sein  Prophet!» 
Und  Millionen  beten  zur  gleichen  Stunde  im  gleichen  Glauben 
zum  gleichen  Gott  in  feierlichem  Lobgesang.  Die  Töne  stei-, 
gen  ULud  fallen,  wie  sich  die  Betenden  beugen  und  erheben; 
bald  erhebt  sich  der  Choral  zu  den  höchsten  Brusttönen  und 
füllt  jauchzend  die  hohen  Gewölbe,  bald  sinkt  er  hinab  in 
die  melancholischen  Alttiefen  und  wird  zu  einem  geisterhaften 
Murmeln  und  scheint  zu  ersterben.  Dann  erhebt  er  sich  von 
Neuem,  Männer  und  Knaben  unisono,  und  erlöscht  wieder, 
bis  er  sich  in  die  eintönigen  Schlussformeln  auflöst.  In  dem 
von  düstem  Lampen  ungebrochenen  Dunkel  können  die  Töne 
ungestört  an's  Herz  dringen.  —  Wann  werden  die  Tage  kom- 
men, wo  diese  Stimmen  Schweigen,  Cairo  in  Schutt  liegt  und 
hn  Lande  der  Rechtgläubigen  Franken  Gesetze  geben?  Wann 
wird  dem  Abendlande  selbst  die  Stunde  der  Vernichtung  schla- 
gen? —  Ich  war  erschüttert,  ich  mochte  weinen;  denn  der 
Sprach  des  alten  blinden  Sängers  überfiel  mich,  dessen  der 
siegende  Scipio  gedachte,  als  er  in  die  Flammen  Karthago's 
niederblickend  und  seines  Volkes  gedenkend  ausrief: 

Einst  wird  kommen  der  Tag,  wo  die  heilige  Ilios  hinsinkt,' 
Priamos  selbst  and  das  Volk  des  lanzenkundigen  Königs!" 

Fahren  wir  in  unserer  Untersuchung  fort!  Die  Moham- 
medaner alten  Datums  sind  immer  die  gleichen  Strenggläu- 
bigen wie  von  Alters  her.  Sie  stimmen  alle  in  unbedingtem 
Preis  ihrer  Religion  und  in  unbedingter  Verachtung  aller  an- 
dern überein  und  es  wäre  unmöglich,  den  feigsten,  schwächsten 
Mohanmiedaner  zu  bewegen,  seinen  Glauben  in  den  kleinsten 
Punkten  zu  verleugnen.  Diese  ungeschwächte  Glaubenskraft, 
die  unserer  zweifelvollen  unentschlossenen  Civilisation  abgeht, 


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62  Einleitung. 

flösst  dem  Neubekehrten  Vertrauen  ein.  Indem  femer  der 
Islam  das  Märtyrerthum  nur  verdienstlich,  nicht  noth wendig 
macht  —  denn  Gott  kennt  das  Herz  —  erleichtert  er  jeden- 
falls den  Uebertritt.  Er  verlangt  von  dem  Afrikaner  wenig 
Lebensreformen.  Durch  Scheidung  und  Polygamie  wird  auch 
Zügellosigkeit  tolerirt.  Dem  rachsüchtigen  Schwarzen  gebietet 
der  Koran  den  Hass;  er  sagt  ihm  nicht:  Liebe  deine  Feinde, 
dulde!  Er  erlaubt  ihm  die  Rache;  er  sagt  ihm:  Kämpfe, 
siege!  Dem  stolzen,  sinnlichen  Afrikaner  bietet  er  eine  lebens- 
frohe Männerreligion,  die  es  zur  Ehre  macht,  rechtgläubig  zu 
sein.  Das  Kreuz  ermahnt  zur  Selbstverleugnung,  zur  Demuth, 
die  jedenfalls  der  Frau  besser  ansteht. 

Doch  können  wir  nicht  verhehlen,  dass,  so  sehr  der  Islam 
dem  Afrikaner  zusagt,  es  ihm  doch  schwer  wird,  alle  seine 
Vorschriften  treu  zu  beobachten.  Der  Afrikaner  hat  keine 
unnatürlichen  Laster;  aber  er  ist  lau  im  Gebet  und  nachlässig 
im  Fasten.  Er  ist  grosser  Freund  von  geistigen  Getränken;  beson- 
ders die  ackerbauenden  Stämme  leben  hauptsächlich  von  Bier 
und  man  kann  ohne  Uebertreibung  sagen ,  dass  drei  Viertel  der 
Erndte  immer  darin  aufgeht.  Femer  haben  die  Afrikaner  meist 
einen  sehr  zweideutigen  Begriff  von  der  Heiligkeit  der  Ehe; 
gewöhnlich  lebt  der  Jüngling  in  wilder  Ehe  mit  seiner  Ge- 
liebten, bis  ihr^die  Schwangerschaft  mehr  Rechte  gibt.  Ehe- 
bruch wird  selten  bestraft.  So  weit  geht  nun  allerdings  die 
Toleranz  des  Islam  nicht;  er  verdammt  den  Genuss  des 
Bieres  und  den  Umgang  mit  Mädchen,  die  Urlaster  Afrikas. 
Die  neuem  Religionslehrer  verbieten  sogar  den  Gebrauch  des 
Tabaks,  dem  die  Afrikaner  leidenschaftlich  ergeben  sind. 
Die  Ackerbauer  bauen  und  rauchen,  die  Hirten  schnupfen 
und  kauen  ihn.  Dagegen  kämpfen  die  Religionslehrer  ver- 
geblich. Jedes  Jahr  durchziehen  sogenannte  Sheich  das  Land 
und  eifern  gegen  die  eingerissenen  Missbräuche;  sie  schüren 
das  Feuer  der  Frömmigkeit  an;  sie  organisiren  fronmie  Ver- 
eine, deren  Mitglieder,  die  Foqara,  geloben,  nicht  mehr  zu 
trinken,  keinen  Tabak  mehr  zu  sich  zu  nehmen  und  im  Be- 


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Einleitung.  63 

ten  fleissiger  zu  werden.  Dann  werden  alle  Bierhafen  zer- 
brochen, der  Tabak  wird  verpönt;  aber  kaum  ist  der  Sheich 
wieder  abgereist,  so  kömmt  alles  auf  die  alten  Gebräuche 
zurück.  Wir  erinnern  uns  des  jungen  Sheich  Djafer  von  Mekka, 
der  vor  einigen  Jahren  von  Chartum  nach  Massua  ging;  er 
war  stets  von  Hunderten  von  Gläubigen  begleitet,  in  jedem 
Dorf  erhielt  er  einen  freiwilligen  Tribut,  den  er  sogleich  unter 
die  Annen  vertheilte;  er  predigte  viel  und  stiftete  überall 
fromme  Vereine.  Die  guten  Vorsätze  gingen  aber  nach  seiner 
Abreise  schnell  zu  Wasser.  So  schwer  ist  es  mit  dem  Glau- 
ben das  Leben  zu  reformiren. 

üebrigens  schadet  diess  dem  Islam  durchaus  nicht,  da  ihm 
die  Moral  immer  eine  Nebensache  bleibt.  Da  der  Glaube 
allein  selig  macht,  so  verliert  selbst  der  grösste  Sünder  den 
Muth  nicht:  der  Prophet  wird  seine  Anhänger  doch  vom 
Feuer  zu  erretten  vermögen.  Diese  Trennung  von  Theorie 
und  Praxis  beschützt  vor  Verzweiflung  und  spornt  zu  ernstem 
unbedingten  Glauben,  während  das  Christenthum,  bei  dem 
Glauben  und  Werk  unzertrennlich  sind,  den  Sünder  oft  zum 
Unglauben  hinzieht,  der  ihm  die  Furcht  benehmen  soll.  Wenn 
daher  der  Afrikaner  auch  gegen  das  Gesetz  handelt,  so  wird 
er  deswegen  gar  kein  Zweifler  oder  Atheist. 

£s  gehört  wenig  Genie  dazu,  die  mohammedanische  Ein- 
heit Gottes  zu  lehren  oder  zu  lernen;  wenig  Gedächtniss,  ein 
paar  Suren  auswendig  zu  wissen;  Bibelübersetzung,  Dogmatik, 
Liturgie  sind  überflüssig;  Priester  fehlen,  höchstens  sind 
Schulmeister  da,  die  leicht  ihren  Unterhalt  von  denen  finden, 
die  lesen  lernen  wollen.  Fehlen  sie  oder  irren  sie,  so  steht 
deswegen  die  Religion  nicht  in  Gefahr,  da  die  Glaubensfor- 
mel aus  Einem  kurzen  Axiom  besteht,  das  sich  nicht  ändern 
kann.  Das  christliche  Dogma  ist  ziemlich  verwickelt,  umständ- 
lich; man  muss  denken,  um  es  zu  begreifen  und  begreiflich  zu 
niachen;  Irrthümer  liegen  nah,  wie  grobes  materielles  Ange- 
bäng  und  Auffassung.  Deswegen  weist  der  Afrikaner  den 
Islam  nie  zurück  und  ist  stolz  auf  seine  Bekehrung;  denn  er 


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64  EinleituDg. 

erkennt  den  grossen  Fortschritt  vom  Heidenthum  weg  ohne 
Mühe,  während  das  complicirte  Christen thum  schon  analysirt 
und  studirt  werden  muss.  Deswegen  sind  die  Mohammedaner 
fast  alle  einig,  von  gleichem  Glauben  und  Wort,  während  die 
Christen  in  keiner  Frage  zusammenstehen  und  sich  unter- 
einander ärger  bekämpfen,  als  die  Heiden;  einer  stellt  den 
andern  bloss  und  macht  ihn  lächerlich.  Der  daraus  entstehende 
Skandal  flösst  natürlich  wenig  Zutrauen  ein,  da  der  arme 
Heide  am  Ende  nicht  weiss,  wem  er  zu  glauben  hat.  Die 
Stellung  des  Missionärs  wird  daher  bei  jeder  Religion  eine 
ganz  andere.  Der  Islam  verträgt  den  einfältigsten  Prediger, 
wenn  er  nur  eifrig  ist  und  das  fehlt  nie.  Für  unsere  Mis- 
sionen haben  wir  ganz  eigen thümliche,  allseitig  gebildete  Gei- 
ster von  grossem  Charakter  nöthig,  da  die  Uebersetzung  und 
Verdeutlichung  unseres  ßeligionssystemes  schwierig  ist  und 
Irrthümer  nahe  an  der  Hand  liegen;  der  hierarchische  Stolz 
führt  zu  Schismen,^  die  Errichtung  des  Klerus  in  Staat  und 
Stand  zu  CoUisionen  und  weltlichen  Umtrieben,  wovon  der 
Islam  nichts  weiss. 

Um  diese  Gegensätze  zu  vervollständigen,  müssen  wir  be- 
denken, dass  der  Mohammedaner  in  Afrika  schon  lange  zu 
Hause  ist;  selbst  der  Araber  ist  dem  Afrikaner  in  Geist  und 
Farbe  nahe  verwandt.  Wir  haben  eigentlich  nur  Abyssinien 
und  selbst  dieses  Land  nur  theilweise,  da  uns  die  Eingebor- 
nen  in  allem,  besonders  in  der  Farbe  fremd  vorkommen;  wir 
linden  es  sehr  schwer,  uns  den  Gedankengang  des  Afrikaners 
anzugewöhnen,  uns  geistig  zu  acclimatisiren.*)    Wir  bleiben 


♦)  Um  uns  deutlich  zu  machen,  wollen  wir  die  verschiedene  Den- 
kungsart  nur  mit  einem  Beispiel  darstellen.  Um  uns  zu  überzeugen, 
wie  fanatisch  wir  sind,  brauchen  wir  nur  der  ersten  Unterhaltung  zwi- 
schen Europäern  zuzuhören,  wo  ganz  anständige  Leute  über  den  Na- 
men einer  Pflanze  in  Eifer  gerathen  können.  Diese  kommt  dem  Afri- 
kaner lächerlich  vor;  freilich  ist  diese  die  Frucht  unserer  etwas  über- 
spannten Energie ;  Toleranz  ist  das  Kind  der  abgespannten  Gleichgültigkeit. 
Daherkommt  es,  dass  uns  der  Staat  so  eng  unischliesst,  dass  uns  die 
Gesellschaft   in  Ketten   gefangen   hält,   dass   unsere  Freiheit   durchaus 


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Einleitung.  65 

immer  fremd,  wir  stossen  an,  ohne  es  zu  wollen;  wir  sind 
überlegen  an  Geist,  aber  es  fehlt  uns  meist  der  gesunde  Men- 
schenverstand. Unser  Missionär  hat  lange  Zeit  nöthig,  bis  er 
nur  die  Sprache  des  Landes  gehörig  kennt.  Viel  hängt  von 
seinem  persönlichen  Charakter  und  Betragen  ab.  Diess  ist  bei 
dem  mohammedanischen  Prediger  keineswegs  der  Fall.  Wäh- 
rend dieser  nun  gleichsam  in  sein  eigenes  Haus  zu  Gleich- 
gesinnten kommt,  gehen  wir  in  die  Fremde  und  werden 
selten  afrikanisch  denken  lernen.  Wir  müssten,  kurz  gesagt, 
zu  Missionären  wahre  Heilige  haben,  die  alles  ihrem  Zweck 
aufzuopfern  im  Stande  sind ,  während  in  der  Wirklichkeit  un- 
sere Sendboten  gewöhnliche  Leute  sind,  die  sich  nie  mit  afri-* 
kanischer  Nüchternheit  zufrieden  geben  wollen  und  so  vor- 
sichtig sind,  sich  unter  den  Schutz  ihrer  Regierung  zu  stellen, 


nicht  die  Ungenirtheit  der  einzelneu  Person  bedeutet.  Die  Intoleranz 
will  sich  in  alles  mischen.  Das  Gegentheil  findet  sich  in  Afrika,  wo 
das  Gesetz  nur  den  Aufrührer  und  Verbrecher  befeindet,  sich  aber  um 
alles  andere  nicht  kümmert  Der  Staat  ist  das  Kind  der  Nothwendig- 
keit  und  oft  selbst  des  Zwanges,  da  der  Stärkste  auf  Kosten  der  an- 
dern leben  will ;  aber  über  die  natürlichen  Grenzen  geht  er  nicht  hinaus. 
Was  gehen  ihn  Handel,  Sitten,  Strassen  und  Erziehung  an?  Das  gilt 
selbst  noch  für  die  Türkei,  wo  man  sich  viel  freier  fühlt,  als  bei  uns. 
Jeder  denkt  an  sich  und  wenig  an  den  Nachbarn;  jeder  ist  Herr  in 
seinem  Haus  und  besonders  in  seiner  Familie,  die  ihm  gehört,  nicht 
wie  bei  uns,  wo  der  Staat  die  Kinder  beansprucht  Daher  ist  Kinds- 
mord in  Afrika  kein  Verbrechen;  die  Mutter  kennt  besser  ihren  Vor- 
theil.  Der  Staat  kümmert  sich  nur  um  die  öffentliche  Ordnung  und 
selbst  da  ist  er  nur  Cassationshof ,  da  die  Familie  oder  die  Gemeinde 
die  erste  und  meist  entscheidende  Instanz  hat.  Die  Hauptregierang 
betrifft  den  Tribut,  nicht  als  Budget,  sondern  als  Zoll  an  den  Mäch- 
tigsten, der  sich  und  seine  Diener  damit  bereichert  und  dafür  die  Leute 
unbel  ästigt  l&sst  Der  Staat  in  unserm  Sinn  des  Wortes  existirt  in 
Afrika  nicht  und  ebenso  wenig  die  Gesellschaft  Zweifelsohne  ist  das 
Menschengeschlecht* hier  in  seiner  Kindheit  begriffen;  aber  auch  wir 
befinden  uns  nur  in  der  Mittelstufe,  solange  der  Staat  den  Bürger 
erziehen  will.  In  Afrika  hat  der  Mensch  eine  unbewusste  Freiheit,  die 
er  missbraucht;  wir  werden  einst  eine  bewusste  Freiheit  haben,  die  wir 
gebrauchen  können.  —  Wenn  nun  der  Europäer  mit  seinem  bevormun- 
denden Geist  nach  Afrika  kommt,  so  erscheint  er  dem  Afrikaner  als 
ein  Tyrann:  Nimm   mein  Geld,  aber  lass  mir  meine  Sitte,  sagt  er  ihm. 

Hunzinger,  Oatafrik.  Stadien.  O 


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QQ  Einleitung. 

der  jedenfalls  Misstrauen  erregt.  Der  Muslim  ist  von  Natur 
Missionär;  er  macht  seine  Geschäfte  und  treibt  nebenbei  den 
Pfarrer;  er  erinnert  lebhaft  —  verzeihe  man  den  Vergleich  — 
an  die  Apostel,  die  von  ihrem  Handwerk  lebten.  Er  verlangt 
nichts  und  von  wem  sollte  er  es  verlangen;  er  treibt  Mission 
auf  eigene  Faust  und  Kosten.  Bei  den  Christen  aber  ist 
Mission  ein  Geschäft,  das  eigens  bezahlt  und  geleitet  sein  will; 
wir  sehen  es  sogar  oft  ungern,  wenn  unsere  besten  Kräfte 
in's  Ausland  gehen.  Deswegen  können  wir  unsere  Missionen 
nie  auf  den  Standpunkt  bringen,  wie  die  Muslimin. 

Der  Muslim  glaubt  alle  Mittel,  selbst  Gewalt  und  Betrug 
erlaubt,  wenn  sie  nur  zum  wahren  Glauben  führen.  Man 
muss  bedenken,  dass  der  Afrikaner  sich  in  Gottes  Hand  glaubt, 
die  ihn  blindlings  führt  und  nöthigl  In  der  Gewalt  erkennt 
er  einen  Fingerzeig  Gottes;  wir  haben  oft  Neubekehrte  über 
das  Motiv  ihres  Uebertrittes  befragt:  „Gott  hat  mir's  ange- 
than"  meinten  sie;  sie  waren  dazu  gezwungen  worden.  Da- 
her hat  die  Gewalt  in  religiösen  Sachen  nichts  Unnatürliches; 
da  sie  Gottes  Wille  scheint,  muss  die  Bekehrung  aufrichtig 
und  fest  gemeint  sein.  Die  Afrikaner  sind  nämlich  alle  Fa- 
talisten und  seien  sie  Christen,  Heiden  oder  Mohammedaner, 
schreiben  sie  Leben  und  Tod,  Glück  und  Unglück,  Tugend 
und  Verbrechen  der  unmittelbaren  Hand  Gottes  zu.  Mit  die- 
ser blinden  Nothwendigkeit  entschuldigt  sich  der  Missethäter, 
tröstet  sich  der  Unglückliche;  in  das  Unabänderliche  sich  er- 
gebend verlacht  er  selbst  den  Tod.  Auch  der  kleinste  Zufall 
wird  Gott  zugeschrieben:  dem  Schicksal,  dem  Tag,  dem  Ge- 
schriebenen, wer  kann  ihm  entrinnen?  In  der  Praxis  freilich, 
instinctmässig  nimmt  der  Kranke  Arzneien  ein  und  niemand 
stürzt  sich  der  Consequenz  wegen  von  einem  Felsen  hinunter. 
Dennoch  wird  niemand  bezweifeln,  dass  der  Glaube  an  die 
Nothwendigkeit,  der  jedem  Afrikaner  tief  einwurzelt,  ja  mit 
angeboren  ist,  der  Verbreitung  des  Islam  grossen  Vorschub 
leistet. 

Wir  haben  bis  jetzt  nur  Momente  kennen  gelernt,  die  den 


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Einleitung.  67 

Islam  begünstigen;  wir  wollen  jetzt  eine  Seite  des  Afrikaners, 
ja  eines  jeden  Menschen  erwägen,  die  ihn  eher  dem  Christen- 
thum  befreunden  sollte:  das  ist  der  Wunderglaube.  Der  Islam 
ist  eine  natürliche  Religion;  sein  einziges  Wunder  ist  die 
Offenbarung,  das  natürlich  ausse6a!It;  da  das  ganze  Alte  Testa- 
ment, das  Gemeingut  aller  Monotheisten,  auf  dem  Verkehr  der 
Propheten  mit  Gott  beruht.  Wenn  aber  Mohammed  betheuerte, 
dass  er  nicht  geschickt  sei,  um  Wunder  zu  wirken,  dass  man 
seine  Religion  eben  an  und  für  sich  glauben  müsse,  so  hat 
es  ihm  niemand  geglaubt.  Seinen  Schülern  schien  die  Re- 
ligion ohne  Wunder  doch  unbewiesen  zu  bleiben  und  Gott  zu 
ideal  dazustehen.  Sie  schrieben  also  ihrem  Propheten  trotz- 
dem mährchenhafte  Wunder  zu;  sie  schufen  ihre  Heiligen  und 
ihre  Sheich's,  die  Kranke  heilen,  die  Zukunft  voraussagen, 
selbst  vom  Tode  auferstehen  und  je  nach  Gefallen  Heil  und 
Unheil  bringen  können.  Solche  Heilige  werden  in  Person  und 
Vermögen  sehr  respectirt;  niemand  wagt  sie  anzufassen,  da 
plötzlicher  Tod,  Krankheiten,  Regenmangel  ihrem  Unwillen 
zugeschrieben  werden.  Die  Mohammedaner  haben  deshalb 
viel  mehr  Wunderglauben,  als  wir  und  einen  eigentlichen 
Heiligencultus;  der  kleinste  Zufall  wird  zum  Wunder  gestem- 
pelt; eine  erfüllte  Prophezeiung  wiegt  zehn  falsche  auf.  Der 
Mensch  und  besonders  der  afrikanische  Mensch  will  nichts 
Ton  einer  natürlichen  Religion  wissen;  der  Aberglaube  wuchert 
trotz  der  Nüchternheit  des  Korans  inmier  fort.  Denn  der 
Mensch  hat  Wunder  und  Heilige,  er  hat  Mittler  nöthig,  um 
einen  persönlichen  Gott  zu  verstehen ;  darin  liegt  etwas  Hand- 
greifliches, Verständliches.  Besonders  der  Afrikaner  glaubt 
lieber  an  das  Unnatürliche  und  Uebernatürliche  und  zieht  es 
dem  Natürlichen  weit  vor.  So  sieht  der  Islam  besonders  in 
Afrika  durchaus  nicht  mohammedanisch  aus  und  die  Reformen 
der  Wehabiten  und  Fullata  sind  nur  ohnmächtige  Protesta- 
tionen gegen  den  Wunderglauben.  Dieser  Tendenz  des  Men- 
schengeistes trägt  das  Christenthum  mehr  Eechnung.  Wenn 
wir  aber  alle  die  aufgeführten  Gegensätze  in  Erwägung  ziehen, 

5* 


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68  Einleitang. 

SO  muss  uns  der  Sieg  des  Kreuzes  in  Afrika  und  selbst  in 
Abyssinien  wenigstens  in  diesen  Zeiten  mehr  als  zweifelhaft 
erscheinen.  Wir  enthalten  uns,  den  Islam  an  und  für  sieh 
zu  beurtheilen;  er  bezeichnet  den  Standpunkt,  auf  dem  sich 
der  Orient  vor  1200  Jahren  befand  und  noch  jetzt  befindet; 
er  ist  der  systematische  Ausdruck  des  Formengeistes,  der  dem 
Orient  eigen  ist.  Er  brachte  nichts  Neues,  er  gab  den  vor- 
liegenden Zuständen  nur  einen  neuen  Namen;  die  orientali- 
schen Kirchen,  die  christlich  geblieben  sind,  sind  ihm  in 
nichts  überlegen;  denn  der  pharisäische  Geist  ist  beiden  eigen- 
thümlich.  Wir  wollen  deshalb  die  Bemühungen  der  Missionäre 
nicht  unbedingt  verurtheilen ;  sie  werden,  wenn  ehrlich  ge- 
meint und  von  Liebe  erzeugt,  immer  dankenswerth  und 
fruchtbar  sein,  wenn  wir  die  mit  Nummern  gezählten  Bekeh- 
rungen, die  nur  die  Aussenseite  verändern,  verachten;  hofiFen 
wir  viel  von  den  Bestrebungen,  den  Afiikanern  Bildung  zu 
schenken  und  ihnen  mit  Thaten  ein  gutes  Beispiel  zu  geben: 
denn  eine  gute  That  fällt  nie  auf  steinigen  Boden ,  wenn  auch 
ihre  Früchte  nicht  so  unmittelbar  an  den  Tag  treten,  wie 
glänzende  aber  zweifelhafte  Bekehrungen. 


XL 

Wir  wollen  aus  dem  Gesagten  einige  Schlussfolgerungen 
ziehen;  wir  müssen  uns  aber,  um  deutlich  zu  sein,  eines  Um- 
weges bedienen.  Wenn  es  widersinnig  wäre,  das  Principat 
unserer  modernen  Civilisation  zu  leugnen,  so  muss  doch  nicht 
vergessen  werden,  dass  wir  es  erst  in  der  Neuzeit  errungen 
haben.  Die  Indier,  die  Perser,  Chaldäer,  Araber  und  Aegypter 
sind  indirect  ebenso  gut  unsere  Lehrer  und  Meister,  wie  die 
classischen  Völker.  Wie  wir  sie  ersetzt  haben,  können  uns 
auch  andere  in  der  geistigen  Herrschaft  einmal  ersetzen. 
Der  Schwerpunkt  der  Weltcultur  lag  früher  dem  Persischen 


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Einleitung.  69 

Meerbusen  und  so  dem  Indischen  Ocean  näher;  dann  rückte 
er  an  das  Mitt^lmeer  dem  Westen  zu  und  schwebte  über  Sy- 
rien, Griechenland,  Italien,  Karthago,  Spanien  und  Portugal, 
bis  er  durch  die  Entdeckung  der  neuen  Welt  auf  Westeuropa, 
dem  Atlantischen  Ocean  zu,  ruhen  blieb. 

Wir  dürfen  uns  also  nicht  vorstellen,  als  wären  wir  par 
excellence  das  Volk  der  Cultur,  die  ja  noch  zu  frischen  Da- 
tums bei  uns  daheim  ist;  eine  Reihe  günstiger  Umstände  trieb 
uns  zur  Cultur,  deren  Fortschritt  jedenfalls  dem  Fallgesetz 
unterworfen  ist,  d.  h.  je  weiter  sie  kommt,  um  so  schneller 
wird  ihr  Gang.  Von  diesen  Triebfedern  wollen  wir  die  grössern 
bekannten  hervorheben:  die  durch  die  geographische  Lage, 
die  Flüsse  und  Meerbusen  gebotene,  vom  Dampf  mächtig  ver- 
mehrte materielle  Verkehrsleichtigkeit  —  und  die  Erfindung 
der  Buchdruckerkunst. 

Der  Zusammenhang  liegt  nicht  fern:  Flüsse,  Eisenbahnen 
vermitteln  den  materiellen,  die  Buchdruckerkunst  den  geistigen 
Verkehr  der  Völker.  Und  die  Entwickelung  der  Menschheit 
begünstigt  besonders  die  Aufhebung  der  Isolirtheit:  denn  der 
gegenseitige  Verkehr  befördert  den  Wetteifer;  man  stösst  und 
wird  gestossen.  Diesem  Krieg  im  Frieden  verdanken  wir 
unsere  jetzige  Ueberlegenheit  und  wem  es  darum  zu  thun  ist,  auch 
Ostafrika  aus  seiner  Isolirtheit  gegen  sich  und  die  Aussenwelt 
zu  reissen,  der  vermehre  seine  materiellen  Verkehrsmittel. 

Man  sieht  schon  aus  der  Karte,  welch  unzugänglicher 
Klumpen  Afrika  ist;  es  fehlen  ihm  die  Meerbusen,  zu  wenig 
Flüsse  sind  da  und  viel  zu  viel  Wüsten.  Von  Abyssinien 
haben  wir  schon  gesehen,  wie  seine  Natur  jeden  Verkehr  er- 
schwert. Also  hat  es  gute  fahrbare  Strassen  nöthig  und  um 
dazu  zu  kommen,  ist  es  gesunder  Politik  angemessen,  jede 
einheitliche  Regierung,  wie  sie  heissen  möge,  zu  unterstützen. 
Dadurch  wird  der  Ausgang  nach  dem  Rothen  Meere  hin  er- 
leichtert; da  werden  sich  DampfschiflFslinien  reichlich  lohnen 
und  diese  und  eine  nicht  so  unmögliche  Eisenbahn  von  Suakin 
zum   Nil,    sie  werden    ganz  Ostafrika  eine  neue  Gestalt  ver- 


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70  Einleitung. 

leihen,  da  der  Handel  der  Nilländer,  den  jetzt  die  Wüste  so 
sehr  hemmt  und  dem  der  selten  schiffbare  Nil  kaum  hilft, 
frisch  und  gewaltig  dem  nächsten  Hafen  zueilen  und  Inner- 
afrika öffnen  wird.  Denn  es  ist  der  Triumph  der  modernen 
Wissenschaft,  dass  sie  die  Natur  besiegt  in  ihren  Vortheilen 
und  Nachtheilen.  Europa  verdankt  seine  Grösse  seinen  Flüssen 
und  Meerbusen;  bald  werden  diese  nur  hinderlich  sein  und 
der  Dampf  sich  über  alle  hinwegsetzen;  dann  wird  Afrika 
nicht  mehr  zurückgestellt  sein. 

Wir  deuten  hier  nur  an  und  skizziren,  da  wir  uns  ein 
anderes  Mal  mit  den  ostafrikanischen  Verkehrsmitteln  be- 
schäftigen wollen.  Wenden  wir  uns  zu  dem  geistigen  Verkehr 
der  Völker;  seine  Factoren  sind  die  neue  Bahnen  brechenden 
Genies,  ihr  Träger  die  menschliche  Sprache.  Es  fehlt  keinem 
Volke  der  Erde  an  hervorragenden  Geistern  und  grossen 
Charakteren,  keinem  an  einer  ausdrucksvollen  Sprache;  aber 
die  Geister  anderswo  entbehren  der  günstigen  Gelegenheit  und 
Verkehrsleichtigkeit,  um  auf  die  Massen  einzuwirken. 

Wird  die  Sprache  nur  geredet,  so  vermittelt  sie  den  engern 
Verkehr,  aber  reicht  natürlich  wenig  weit.  Da  sie  dem  Ohr 
und  dem  Mund  nur  anvertraut  ist,  bilden  sich  die  Menschen 
je  nach  dem  Klima  und  der  Lebensweise  neue  Dialekte,  ja 
neue  Sprachen  daraus,  wodurch  die  Vereinzelung  der  Stämme 
immer  bestimmter,  ihr  freundlicher  Verkehi»  immer  schwieriger 
wird.  Ihr  Unterschied  in  Charakter  und  Sitte  drückt  sich 
besonders  frappant  in  der  Sprache  aus,  wie  der  Stempel  auf 
der  Münze  und  verewigt  den  Völkerhass. 

Wird  aber  eine  Sprache  auch  geschrieben,  so  verändert 
sie  ihren  Charakter;  sie  verliert  an  Schönheit  und  Formen- 
fülle; aber  sie  wird  bequemer,  einfacher,  grammatisch  be- 
handelt und  festgestellt.  Sie  zerstört  das  Leben  der  Dialekte, 
die  sich  der  geschriebenen  Norm  unwillkürlich  zu  nähern 
suchen.  Die  Schrift  erleichtert  den  Ideenaustausch  und  macht 
erst  Wissenschaft  möglich,  der  das  blosse  Gedächtniss  nicht 
genügen  kann. 


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Einleitung.  71 

Nun  schenkt  Gott  jedem  Volk  Genies,  die  mit  ihren  neuen 
Ideen  zum  Fortschritt  mahnen.  Steht  ihnen  nur  die  Rede 
zu  Gebote,  so  ist  ihr  Einfluss  jedenfalls  nur  local;  ihre  Lehren 
werden  schnell  vergessen.  Haben  sie  aber  als  Werkzeug  die 
Schrift,  so  bemeistern  sie  sich  der  Wissenschaft.  Das  Manu- 
script  aber  ist  so  schwer  zugänglich,  dass  die  neuen  Lehren 
und  Künste  nur  einem  sehr  kleinen  ausgewählten  Publikum 
bekannt  werden  können.  Der  Geist  wird  das  Monopol  einer 
Zunft  von  Priestern  und  Gelehrten,  die  ihn  zur  Geheimlehre 
machen. 

Plötzlich  aber  verändert  sich  die  Welt:  die  Buchdruckerkunst 
macht  jede  neue  Idee  zum  Gemeingut  des  Volkes.  Von  jetzt 
an  ist  kein  guter  Gedanke  mehr  verloren  und  die  Bildung 
verbreitet  sich  allmählig  auch  bis  in  die  untersten  Schichten 
der  Gesellschaft.  Wenn  nun  das  Grösste  gethan  ist,  so  sind 
auch  wir  nicht  weit;  noch  immer  muss  der  grösste 
Theil  des  Volkes  gleichsam  weitergeschoben  werden;  auch 
Oberflächlichkeit  ist  da  und  ihr  Kind,  der  Stolz;  der  Abstand 
zwischen  dem  Gelehrten  und  der  Volksmasse  ist  noch  so  un- 
geheuer, dass  die  Wechselwirkung  bis  jetzt  wenig  gefrommt 
hat;  noch  immer  haben  wir  uns  von  einer  blinden  Verehrung 
der  Vergangenheit,  heisse  sie  Alterthum  oder  Mittelalter,  nicht 
frei  gemacht. 

Nicht  eine  Bevorzugung  also  eines  von  Gott  auserwählten 
Volkes,  nicht  eine  verschiedene  Gehirnbildung  stellt  uns  über 
die  barbarischen  Völker,  sondern  der  leichtere  Verkehr  für 
Geist  und  Materie,  begünstigt  durch  viele  kleinere  Zufälle 
und  Umstände.  Wir  waren  einst  roh  und  trag;  wir  sind  es 
zum  Theil  nicht  mehr  seit  kurzer  Zeit.  Wer  weiss,  wie  lange 
der  Germane  in  seiner  Wildheit  verharrt  hat?  Wer  weiss, 
wozu  uns  die  Uebertreibung  der  Cultur  führen  kann?  Wer 
nun  wünscht,  es  möge  auch  in  Afrika  und  besonders  in  dem 
christlichen  Abyssinien  geistiges  Leben  und  der  Trieb  zum 
Fortschritt  erwachen,  der  habe  Bedacht,  dessen  geistige  Ver- 
kehrsmittel   zu  erweitern:   man  lehre   es   lesen!    Man  stifte 


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72  *  Einleitung. 

Schulen!  Man  beschenke  es  mit  Buchdruckereien ;  man  über- 
setze fiassliche  Bücher,  die  von  Confession  abstrahiren  und 
allgemeine  Belehrung  bieten.  Man  darf  nicht  fürchten,  das 
Buch  finde  keine  Leser.  Kein  Volk  der  Erde  verschmäht 
Unterhaltung,  keines  ist  frei  von  Neugierde  und  Wissenstrieb. 
So  verstehen  wir  die  Mission. 


XII. 

So  viel  haben  wir  von  allgemeinen  Betrachtungen  Toraus- 
geschickt,  um  das  Verständniss  alles  Folgenden  zu  erleichtern. 
Auf  den  Abhängen  Abyssiniens  gegen  Norden  finden  wir  nun 
mehrere  kleinere  Völker,  halb  Abyssinien,  halb  Aegypten  unter- 
worfen, halb  christlich,  halb  mohammedanisch,  halb  Nomaden, 
halb  Ackerbauer,  mehrere  sehr  eigenthümliche  Sprachen 
sprechend;  die  meisten  verwahrloste  Vorposten  des  Hochlan- 
des. Da  sie  seit  langer  Zeit  sich  selbst  überlassen  sind,  so 
haben  sie  ihre  alte  Sprache ,  Sitte  und  Recht  unverfälscht  auf 
die  Gegenwart  gebracht,  was  die  Aegypter  und  Abyssinier  nicht 
gethan  haben.  Es  ist  uns  also  hier  allein  die  Gelegenheit 
geboten,  ursprüngliche  Volksverhältnisse  zu  studiren. 

Wir  können  nun  alle  diese  Völker  vom  Rothen  Meer  bis 
zum  Gash  in  drei  Klassen  theilen: 

Die  erste  Klasse  bilden  die  A^azi,*)  bei  denen  das  Tigre 
vorherrscht;  dazu  gehören  die  Bewohner  des  Samhar  und 
der  Küste  bis  Aqiq;  die  Stänmie  des  Anseba  (Habab,  Bedjuk, 
Mensa,  Bogos,  Takue,  Marea),  einzelne  Ansiedlungen  im  Barka 
(Beit  Bidel),  Algeden,  Sabderat  und  die  Hallenga.  Alle  diese 
Völker  haben    einen  innern  Zusammenhang,  sie  sind  Abys- 


*)  Wir  werden  sie  auch  schlechthin  Aethiopen  heissen,  da  ja  das 
G'eez  auch  äthiopisch  genannt  wird;  wir  verwahren  uns  aber  gegen 
jede  weitere  Ausdehnung  des  Begriffes:  Aethiopen. 


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Einleitung.  73 

sinier,  alte  Christen  und  bedienen  sich  des  reinsten  äthio- 
pischen Idioms,  des  Tigre.  Freilich  findet  sich  unter  diesen 
Völkern  auch  fremde  Mischung;  so  wissen  wir,  dass  die  Adelichen 
bei  den  Bogos,  etwa  ein  Drittel  der  Bevölkerung,  Agou  sind 
und  ihre  Sprache  ihren  Unterthanen  und  auch  ihren  Nach- 
barn, den  Takue,  aufgedrungen  haben;  aber  Sitte  und  Recht 
haben  sie  von  dem  Kern  der  Bevölkerung  adoptirt.  Ferner 
müssen  wir  vermuthen,  wie  sich  im  Lauf  der  Arbeit  ergeben 
wird,  dass  der  Adel  der  Mensa  und  der  Marea  arabischen 
Ursprunges  ist;  er  hat  sich  aber  auch  der  alten  Landessitte 
bequemen  müssen  und  der  fremde  Ursprung  hat  sich  nur  in 
einzelnen  aber  scharf  geprägten  Zügen  erhalten.  Die  allein 
gültige  Ausnahme  bilden  die  Algeden  und  Sabderat;  denn 
nur  die  Sprache  haben  sie  mit  den  übrigen  gemein,  sonst 
gleichen  sie  eher  ihren  Nachbarn,  den  Bazen. 

Unter  allen  diesen  Völkern  herrscht  nun  eine  merkwür- 
dige Uebereinstimmung  in  Sitte,  Gebrauch  und  Recht.  Wir 
nennen  sie  aristokratische  Völker,  weil  der  Ständeunterschied 
sie  eigentlich  charakterisirt  und  weil  das  ganze  Recht  auf  der 
Familie  aufgebaut  ist. 

Wir  haben  vor  mehreren  Jahren  Sitten  und  Recht  der 
Bogos  beschrieben;  wir  ahnten  schon  damals,  dass  sie  nicht 
diesem  Volke  eigen thümlich  seien,  aber  wir  haben  uns  nun 
auFs  Genaueste  überzeugt,  dass,  was  wir  für  die  Bogos  an- 
gegeben haben,  für  alle  diese  Völker  im  Grossen  und  Kleinen 
gilt.  Auf  Grundlage  dieses  Rechtes  und  dieser  Sitten  also 
werden  wir  in  den  folgenden  Studien  uns  mit  diesen  Völkern 
beschäftigen. 

Nachdem  tiieser  allgemeine  Zusammenhang  erkannt  war, 
blieben  einzelne  Punkte  zu  erläutern.  Wir  mussten  ein  G'eez- 
Volk  als  Quelle  der  Bevölkerung  annehmen,  das  von  Abys- 
sinien  entsprungen  das  Tiefland  in  Besitz  nahm.  Nun  wurde 
aber  klar,  dass  diesem  Urkern  nach  und  nach  neue  Zweige 
sich  anschlössen  und  die  alte  Bevölkerung  sich  allmählig  unter- 
warfen.     Wir  mussten  die  Momente   dieser   kleinen  Völker- 


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74  Einleitung« 

Wanderung  verfolgen  und  diess  werden  wir  in  der  Monographie 
über  das  Samhar  und  über  die  Marea  thun. 

Beim  Samhar  aber  musste  auch  die  eigenthümliche  Stellung 
gegen  das  Meer  und  gegen  Abyssinien,  zwischen  denen  es 
liegt,  berücksichtigt  werden,  die  Doppelstellung,  die  es  von 
beiden  abhängig  macht  und  woraus  die  kleine  Monarchie  der 
Niab  entstand.  Hier  also  blieb  die  Sitte  der  A^azi  bestehen  und 
auch  die  Sprache,  aber  die  Berührung  mit  dem  Ausland  und 
der  Handel  löste  den  alten  Familienzusammenhang  auf  und 
es  bildete  sich  ein  islamitischer  demokratisch -monarchischer 
Staat.  Wenn  wir  also  einerseits  die  Bildung  dieses  Staates 
untersuchen,  durften  wir  anderseits  nicht  verschmähen,  die 
Zustände  der  Insel  Massua  mit  Benutzung  fiüherer  Arbeiten 
darzustellen,  da  sie  das  Festland  und  das  Hochland  mit  dem 
Meer  und  Arabien  in  Berührung  bringt. 

Eine  zweite  Monographie  forderte  das  Volk  der  Marea; 
abgesehen  vom  geographischen  Interesse,  das  besonders  der 
Anseba  in  Anspruch  nimmt,  boten  sie  uns  Gelegenheit,  das 
aristokratische  Recht  der  Ag'azi  in  seiner  höchsten  Entwicke- 
lung  zu  beobachten;  es  vervollständigte  so  das  Recht  der 
Bogos. 

Diese  Völker  nun  waren  früher  alle  christlich  und  zum  abys- 
sinischen  Reich  gehörig.  Da  aber  Abyssinien  in  Folge  der 
Bürgerkriege  und  fremder  Einfälle  sich  nach  und  nach  auf 
das  Hochland  einschränkte,  wurden  diese  Colonien  isolirt; 
ihre  Kirchen  verfielen,  der  Glaube  wurde  lau  und  nach  und 
nach  gelang  es  dem*  von  allen  Seiten  andringenden  Islam,  sie 
fast  alle  für  sich  zu  gewinnen  und  auch  politisch  neigten  sie 
sich  zu  der  mohammedanischen  Grossmacht  der  Türkei.  Wir 
werden  aber  zu  beschreiben  haben,  dass  der  Islam  bis  jetzt 
nur  äusserlich  diese  Völker  unterworfen  hat;  auf  Recht  und 
Sitte  hat  er  noch  wenig  Einfluss  geübt.  Anderseits  sind  sie 
Abyssinien  so  nahe,  dass  sie  sich  kaum  seinem  politischen 
Einfluss  entziehen  können;  wir  werden  also  darstellen,  wie 
sich  Abyssinien  wieder  gegen  Norden  auszudehnen  strebt  und 


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Einleitung.  75 

diese  Grenzvölker  den  Türken  abzuringen  droht.  Wir  werden 
ferner  beobachten,  dass  diese  Völker  als  Abyssinier  und  als 
Kinder  des  Hochlandes  Ackerbauer  waren,  dass  aber  die 
Natur  ihrer  jetzigen  Heimat  sie  allmählig  zu  halben  No- 
maden umgestaltet. 

Die  zweite  Klasse  bilden  die  von  Norden  kommende^  Bedui- 
nen mit  der  Sprache  To'bedauie,  rein  vertreten  durch  die  Ha- 
dendoa  und  die  Besharin,  zwischen  Nil  und  Meer  weidend 
bis  an  die  Grenzen  Aegyptens.  Die  Beni  Amer,  denen  wir  eine 
dritte  Monographie  vridmen,  sind  freilich  ein  Zwittervolk, 
wozu  die  Ag'iEtzi  und  die  Bedu  (oder  Bedja)  beigetragen 
haben;  wir  werden  also  die  Verschmelzung  dieser  zwei  frem- 
den Stämme  darzustellen  haben;  in  der  Sprache  streiten  sie 
sich  noch  immer,  aber  in  Sitte  und  Recht  haben  sich  die 
Beni  Amer  von  den  Bedu  bestimmen  lassen.  Wir  finden  also 
ein  rein  nomadisches  Volk,  fast  ohne  Ackerbau,  in  Zelten 
wohnend,  Kameele  ziehend,  während  die  Ag^'azi  sich  erst  in 
jüngster  Zeit  zu  diesem  für  den  Christen  unreinen  Thier 
bequemt  haben.  Auch  hier  finden  wir  eine  Aristokratie,  aber 
auf  ganz  anderer  Basis ,  als  bei  den  Tigrevölkern :  denn  wäh- 
rend sie  hier  auf  einem  Schutzverhältniss  beruht,  ist  sie  bei 
den  Beni  Amer'n  feudal,  indem  der  Herr  seinen  Unterworfenen 
mit  Eigenthum  belehnt  und  sich  davon  eine  Nutzniessung  und 
die  Rechte  des  Herrn  ausbedingt.  Hierin  und  in  dem  gan- 
zen Recht,  besonders  in  den  Eheverhältnissen,  stimmen  die 
Beni  Amer  ganz  mit  den  Hadendoa  überein;  der  Einfluss  des 
islamitischen  Rechtes  ist  natürlich  nicht  zu  verkennen.  Wir 
werden  also  eine  ganz  eigenthümliche  Rechtsauffassung  kennen 
lernen,  die  sich  besonders  durch  Bevorzugung  der  Frau  cha- 
rakterisirt. 

Die  dritte  Klasse  endlich  bilden  die  Völker  der  Bazen  (Ku- 
nama)  und  der  Barea.  Sie  steht  in  einem  so  schneidenden 
Gegensatze  zu  den  bisher  erwähnten  Zuständen,  dass  wir  es 
nie  bereuen  können,  ihnen  eine  eigene  Reise  gewidmet  zu 
haben.     Seltenes  Glück  erlaubte  uns,  diese  Völker  als  erste 


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76  Einleitung. 

Europäer  und  auch  als  erste  friedliche  Reisende  kennen  zu 
lernen.  Wir  fanden  die  Bazen  und  die  Barea  als  Nachbarn; 
man  müsste  sie  für  ein  und  dasselbe  Volk  nehmen,  wenn  die 
verschiedene  Sprache  diess  nicht  verböte;  in  Sitte  und  Recht 
sind  sie  sich  ganz  gleich.  Zu  den  aristokratischen  Völkern 
bilden  sie  einen  eigenthümlichen  Contrast;  während  dort  die 
Familie  den  Staat  bedingt,  leben  die  Barea  und  die  Bazen 
in  Gemeinden;  die  Familie  selbst  hat  keinen  politischen  Werth 
und  hat  einen  andern  Sinn,  da  sie  im  Verhältniss  zwischen 
Onkel  und  Schwestersohn  besteht.  Richter  ist  nicht  der 
Familienvater,  sondern  die  Aeltesten  der  Gemeinde;  keiner 
ist  besser  als  der  andere;  keine  Idee  von  Adel,  fast  keine 
Sklaverei.  Von  Religion  und  Cultur  ist  keine  Rede,  wenn 
auch  der  leere  Begriff  von  Gott  nicht  fehlt.  Diese  Völker 
sind  essentiell  Ackerbauer  und  sesshaft.  Die  Person  steht 
ihnen  hoch,  die  Sache  niedrig  und  diesen  Principien  gemäss 
entwickelt  sich  eine  ganz  eigenthümliche  Anschauung  von 
Sitte  und  Recht,  die  wir  insofern  chamitisch  nennen  können, 
als  die  aristokratischen  Völker  wohl  alle  semitisch  sind  und 
solche  Verhältnisse  bei  näherem  Studium  nur  noch  bei  den 
afrikanischen  Völkern  gefunden  werden  können.  Sie  sind 
wohl  der  Ueberrest  des  alten  abyssinischen  Reiches  vor  der 
Einwanderung  der  Semiten,  vor  Einführung  der  positiven 
Religionen,  während  die  Zustände  der  A^azi- Völker  uns  den 
Zustand  des  abyssinischen  Reiches  nach  Einwanderung  der 
Semiten,  nach  Einführung  jüdischer  und  christlicher  Religion 
vor  dem  Ueberhandnehmen  der  Amhara  veranschaulichen.  Wir 
haben  diesen  Völkern  eine  eigene  Monographie  gewidmet;  wir 
beschreiben  ihre  Zustände  an  und  für  sich  und  den  Kampf, 
den  sie  mit  ihren  Nachbarn  führen,  isolirt  und  eingeengt 
wie  sie  sind  zwischen  den  Christen  und  Mohammedanern.  Au 
diese  Reise  schloss  sich  natürlich  die  Frage  über  den  Lauf 
und  Stromcharakter  des  MWeb. 

Um  endlich  ein  viertes  Volkselement,  das  Arabische,  an- 
zureihen, das  mit  Hülfe  des  Islam  in  Afrika  und  besonders 


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Einleitung.  .        77 

im  Nilthal  immer  mächtiger  wird,  haben  wir  einige  Bemer- 
kungen über  die  ethnographischen  Verhältnisse  von  Kordofan 
angefügt,  wir  behalten  uns  aber  Weiteres  darüber  vor. 

Wir  wollten  mit  diesem  vorläufigen  Programm,  das  wir  in 
den  einzelnen  Monographien  ausführen,  den  Innern  Zusammen- 
hang andeuten,  in  dem  sie  zueinander  stehen.  Jetzt  müssen 
wir  eine  allgemeine  Uebersicht  über  die  Sprachen  geben,  die 
in  diesem  Gebiete  gesprochen  werden. 

Vorerst  müssen  wir  die  zwei  Hauptsprachen  hervorheben, 
die  sich  die  abyssinischen  Grenzvölker  streitig  machen,  das 
Tigre  und  das  Bedauie,  die  beide  erst  jenseits  des  Gash 
vom  Arabischen  begrenzt  werden.  Das  Tigre  oder  Chassa, 
wie  es  im  Barka  genannt  wird,  ist  die  Sprache  der  Bewohner 
von  Dahalak,  der  Beduinen  des  Samhar  und  der  Beni  Amer 
des  Söhel  bis  zur  Höhe  von  Aqiq;  es  beherrscht  femer  die 
Habab,  die  Mensa,  Bedjuk,  die  Marea  und  den  Gau  Gümme- 
gan.  Von  den  Bogos  und  den  Takue  wird  es  wenigstens  ver- 
standen. Die  Beni  Amer  theilt  es  mit  dem  Bedauie,  sodass 
die  Leute  von  Söhel  nur  Tigre  sprechen,  die  Leute  des  Barka 
sich  mehr  dem  Bedauie  zuneigen,  obgleich  das  Tigre  überall 
verstanden  wird.  Es  ist  ferner  die  Sprache  der  Algeden,  Sab- 
derat  und.  Hallenga,  obgleich  diese  drei  Stämme  sich  theil- 
weise  auch  des  Bedauie  bedienen.  Bei  den  Barea  wird  es 
immer  üblicher.  Seine  Grenze  gegen  das  Arabische  ist  bei 
dem  Stamme  Menrfa  am  Gash.  —  Man  weiss,  dass  das  Tigre 
mit  dem  G'eez  die  innigste  Verwandtschaft  hat;  es  ist  also 
grammatikalisch  und  lexikalisch  eine  durchaus  semitische,  dem 
Arabischen  und  Hebräischen  verwandte  Sprache;  es  ist  die 
Schwester  des  Tigrina,  das  das  abyssinische  Hochland  diesseits 
des  Takkaze  beherrscht.  Es  ist  von  uns  genau  studirt  worden; 
eine  ausführliche  Wörtersammlung  davon  hat  Herr  Professor 
Dillmann  seinem  Lexicon  Aethiopicum  als  Anhang  beizufügen 
erlaubt. 

Die  zweite  Hauptsprache  ist  das  To'bedauie  oder  die 
Beduinensprache,   die  Muttersprache  der  Hadendoa  und  der 


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78        •  Einleitung. 

Besharin,  zum  Theil  auch  der  Beni  Amer  im  Barka;  es  ist 
die  eigentliche  originelle  Sprache  der  Nomaden  zwischen  Nil 
und  Meer  bis  zu  den  Grenzen  Oberägyptens*).  Sie  wird  auch 
Ton  den  Nachbarvölkern  besonders  am  Nil  häufig  verstanden. 

Die  dritte  Sprache  von  Bedeutung  ist  die  Sprache  der 
Bazen  oder  der  Kunäma.  Sie  steht  ganz  einzeln  da;  selbst 
mit  der  Sprache  der  Barea  hat  sie  nur  wenige  Wörter  gemein. 
Ihre  südliche  Grenze  ist  das  abyssinische  Shire  und  Wolkait, 
östlich  scheidet  sie  der  M'areb  vom  Dembelas,  westlich  der 
Atbara  vom  Arabischen.  Das  Nere  wird  nur  von  den  Barea 
von  Higr  und  Mogoreb  gesprochen.  Endlich  finden  wir  das 
Bolen,  einen  Dialekt  des  Agou,  bei  den  Bogos  und  durch  Adop- 
tion auch  bei  den  Takue  einheimisch. 

Ueberschreitet  man  den  Gash  gegen  Westen,  so  finden 
wir  die  arabische  Sprache,  die  das  Nilland  zum  grössten  Theil 
beherrscht  und  sich  bis  Kordofan,  ja  an  die  Grenzen  von 
Darfor  erstreckt.  Nur  das  schmale  Nilthal  von  Dongola  bis 
Assuan  wird  von  zwei  Dialekten  der  Nubasprache  beherrscht. 

Wir  wollen  nun  theils  avS  das  Gesagte  gestützt,  theils  auf 
das  Folgende  uns  beziehend,  die  Völker  vom  Meer  bis  zum 
Nil  tabellarisch  zusammenstellen.  Wir  nennen  Aethiopen  die 
Völker  abyssinischen  G''eezursprunges. 

♦)Wir  veröffentlichen  unsere  Studien  über  diese  uralte  Sprache 
in  der  vierten  Abtheüung  dieses  Buches. 


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EinleitaDg.  79 


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80  Einleitung. 


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EinleituDf^. 


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Uanzinger,  OtUfrik.  Studien. 


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82  EinleiiuDg. 


XIIL 

Wenn  wir  uns  jetzt  noch  über  unsere  Methode  aus- 
sprechen, so  geschieht  diess  zum  Theil  als  Entschuldigung, 
zum  Theil  als  Selbstlob.  Unser  Buch  ist  keine  Reisebeschrei- 
bung im  strengen  Sinne  des  Wortes;  was  darin  von  der  ge- 
machten Reise  angeführt  wird,  steht  nur  da  als  Erläuterung, 
gewissermassen  als  Profil.  Es  fehlt  ihm  also  der  subjective 
Standpunkt,  wo  der  Reisende  so  zu  sagen  der  Held  des 
Schauspiels  ist,  wo  das  wirkliche  Object  nur  zu  oft  vor  der 
Gestalt  des  Er^hlenden  in  den  Hintergrund  tritt.  Wir  fühlea 
hart,  wie  theuer  uns  diese  Objectivität  zu  stehen  kommt:  der 
Leser  wird  nie  an  uns  denken;  unsere  Freuden  und  Leiden 
bleiben  ihm  unbekannt.  Wir  wollen  nun  nicht  über  den 
Werth  der  eigentlichen  Reisebeschreibung  streiten;  sie  hat 
ihren  Nutzen  und  ihren  Schaden.  Wären  wir  frischweg  von 
Europa  nach  Afrika  geworfen  worden,  so  hätte  unser  Buch 
erzählt;  da.  aber  lange  Jahre  einer  intimen  Bekanntschaft  ihm 
vorausgingen,  Jahre  des  Ein-  und  Mitlebens,  so  schwächte 
sich  die  subjective  Anschauung,  der  Dualismus  des  Sehenden 
und  des  Gesehenen,  die  eigenen  Erlebnisse  verloren  ihren 
Werth  vor  dem  logisch  vor  uns  sich  entwickelnden  Volks- 
bewusstsein. 

Der  Reisende  sieht  ohne  Zweifel  täglich  Begebnisse,  die 
ihm  auffallend,  ja  wunderbar  vorkommen  müssen;  mit  seiner 
schlichten  Erzählung  erregt  er  unser  Erstaunen  und  bringt 
uns  zu  dem  Schluss,  der  fremde  Mensch,  der  Afrikaner,  der 
Asiate  habe  eine  andere  Logik,  ja  er  sei  wirklich  ein  anderer 
Mensch.  Der  Schluss  ist  logisch,  insofern  aus  einzelnen  un- 
zusammenhängenden  Daten  Schlüsse  gezogen  werden  düifen. 


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Einleitung.  83 

Nun  müssen  wir  aber  bedenken,  dass  auch  die  einfachsten 
Alltagsbegebenheiten  des  europäischen  Lebens  demjenigen 
ebenso  wunderbar  vorkommen  müssen,  der  nicht  nach  der 
Ursache  fragt  Untersucht  man  aber  den  innern  Grund  der 
Dinge  dieser  Welt,  so  verschwindet  das  Wunderbare  und  es 
tritt  uns  die  nackte  Thatsache  entgegen,  dass  der  Mensch, 
wer  er  sein  möge,  immer  logisch  denkt,  dass  also  auch  die 
geistige  Welt  nicht  mit  Wundem  erklärt  zu  werden  braucht. 

Der  König  von  Dahome  ist  ein  Lieblingsartikel  der  euro- 
päischen Zeitungswelt;  man  erstaunt  über  diese  grässlichen 
Hekatomben,  die  dem  Aberglauben  geopfert  werden;  man 
kann  eigentlich  kaum  begreifen,  welche  Freude  der  König 
daran  haben  kann  und  warum  seine  Unterthanen  so  gut  sein 
wollen,  sich  hinrichten  zu  lassen.  Man  müsste  also  auf  den 
Gedanken  kommen,  dieses  Wunder  habe  seine  natürlichen 
Ursachen,  die  von  aller  Willkür  unabhängig  sind.  Um  diese 
Ursachen  begreiflich  zu  machen,  müsste  man  aber  die  Sitte 
und  das  Recht,  wie  es  sich  in  der  Geschichte  entwickelt, 
genau  untersuchen  und  nicht  mit  den  einzelnen  Thatsachen 
muner  wieder  unsere  Augen  blenden.  Dann  würde  man  sehen, 
dass  die  Menschenopfer  in  Dahome  ihren  logischen  Grund 
haben,  ebenso  gut  wie-  alle  Abscheulichkeiten,  die  Europa  unter 
dem  Namen  von  Hexenprocessen  und  Religionskriegen  befleckt 
haben  und  unter  andern  Namen  noch  beflecken.  Der  gleiche 
logische  Geist  nun  baute  einst  Schaffotte  und  jetzt  baut  er 
Eisenbahnen;  beide  haben  die  Tendenz,  die  Ungleichheit  der 
Menschen  untereinander  aufzuheben;  die  gleiche  Energie  ver- 
folgte, den  Andersdenkenden  mit  der  rohen  Gewalt  zu  einer 
Z^t,  wo  der  Glaube  das  höchste  Gut  schien,  die  jetzt  den 
Anderslebend^  mit  ethischer  Gewalt  verfolgt,  in  unserer  Zeit, 
wo  die  Civilisation  das  höchste  Gut  scheint. 

Wenn  wir  also  Afrika  zum  Gegenstand  unseres  philo- 
sophischen Studiums  erheben  wollen,  so  müssen  wir  noth- 
wendig  die  Anekdoten  weglassen;  sie  haben  für  Afrika  ebenso 
wenig  Werth,  wie  für  die  Welt-  und  Naturgeschichte.     Wir 


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84  Einleitung. 

müssen  den  afrikanischen  Menschen  in  den  Hauptmomenten 
seines  Lebens  zu  erfassen  suchen  und  den  Gesetzen  das  Recht, 
den  Sitten  die  Sitte  substituiren ;  dann  wird  sich  zeigen,  wie 
auf  Grundlage  von  natürlichen  Verhältnissen  mit  Hülfe  von 
Anschauungen,  die  jedem  Menschen  gemein  sind,  auf  dem 
Wege  der  gewöhnlichen  Logik  sich  sehr  eigenthümliche  Zu- 
stände entwickeln  können.  Das  Literesse  wird  geschwächt, 
insofern  das  Seltsame  wegfällt  und  der  Prediger  wieder  Recht 
behält,  der  sagt:  Nichts  Neues  unter  der  Sonne;  aber  es 
wird  dieses  gemeine  Theaterinteresse,  das  nur  an  Wundern 
Freude  hat,  reichlich  ersetzt  durch  das  philosophische  Inter- 
esse, das  den  Menschen,  wo  er  sei,  mil  logischer  Schärfe  sich 
seine  Sitte  und  sein  Recht  ausbilden  sieht,  wo  kein  Lebens - 
moment  vom  Zufall  dictirt  wird. 

Im  Bewusstsein  dieser  Aufgabe  betrachten  wir  unsere  Völker 
auf  Grundlage  der  Geographie;  denn  es  ist  keinem  Zweifel 
unterworfen,  dass  die  Natur  der  mächtigste  Factor  der  Ge- 
schichte ist  und  erst  an  ihrem  Ende  gänzlich  besiegt  sein 
wird.  Wir  fragen  ferner  den  historischen  Ursprüngen  und 
Schicksalen  des  Volkes  nach,  und  diess  ist  besonders  noth- 
wendig,  um  uns  seine  Rechtsbegriffe  erklären  zu  können ;  das 
Recht  selber,  das  wir  diann  untersuchen^  ist  bei  Völkern,  wo 
es  historisch  natürlich  entwickelt  ist,  kaum  von  der  Sitte  zu 
trennen;  um  es  zu  begreifen,  müssen  wir  seine  Basis  fest- 
stellen; wir  müssen  wissen,  wer*  sein  Object  ist,  ob  es  die 
Familie  im  Auge  hat,  die  in  der  letzten  Potenz^  zum  Volk 
wird,  oder  das  Zusammenleben  von  Einzelnen  in  der  Ge- 
meinde; wir  miissen  dann  die  Geschichte  fragen,  warum  hier 
das  gleiche  Recht  für  alle  gilt,  warum  dort  ein  Doppelrecht 
besteht,  das  Ständeunterschied  anerkennt.  Wir  müssen  endlich 
untersuchen,  was  jedes  Volk  unter  Familie  versteht,  woraus 
sich  die  wichtigsten  Rechts-  und  Sittenmomente  ergeben. 

Wir  haben  schon  in  der  Schrift  über  Recht  und  Skteu 
der  Bogos  diese  Bahn  betreten,  die  wenigstens  für  afrikanische 
Völkerkunde  neu  ist;  wenn  wir  darin  fortgehen,  so  verhehlen 


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Einleitung.  85 

wir  uns  nicht  die  Schwierigkeit;  aber  der  Versuch  ist  von 
der  üeberzeugung  geboten,  dass  nur  auf  diesem  Wege  eine 
wahrhafte  Völkerkunde^  gewonnen  werden  kann.  Der  Leser 
wird  nicht  verkennen,  dass  wir  wie  das  Volk,  so  auch  das 
Land  mit  seiner  Gestaltung  als  Erde  und  Wasser  geistig  auf- 
zufassen streben.  So  viel  über  die  Tendenz:  dass  diese  Arbeit 
nur  ein  kleiner  Schritt  in  dieser  Richtung  ist,  das  können 
wir  selbst  uns  am  wenigsten  verhehlen,  die  durch  Erfahrung 
wissen,  was  es  heisst,  dem  Volksgeist  in  fremdem  Gewände, 
mit  fremder  Zunge  in  seinen  Tiefen  nachzugehen. 


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Vom  Rothen  Meer. 


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Briefe  vom  Rothen  Meer. 


Wisht,  den  18.  August  1853. 

Den  8.  August  1853  bestiegen  wir,  begleitet  von  der  Fa- 
milie meines  Reisegefährten  und  einigen  Freunden,  in  Suez 
ein  Boot,  um  unsere  Barke,  die  —  wegen  Seichtigkeit  des 
Hafens  bei  der  Ebbe  —  auf  die  ßliede  (Gäd  el  Merakib)  vor- 
ausgegangen war,  zu  erreichen.  Erst  um  Mittemacht  lichteten 
wir  die  Anker  und  segelten,  anfangs  längs  der  afrikanischen 
Küste,  dann  der  arabischen  uns  nähernd,  mit  günstigem  Nord- 
wind (Shemmäl),  der  uns  Nachmittags  den  9.  nach  Cap  Abu 
Zelima  brachte,  einer  sandigen  Rhede,  die  vor  dem  Nord- 
winde gut  geschützt  ist.  Wir  liefen  an,  die  Matrosen  be- 
schäftigten sich  mit  Fischen,  mein  Gefährte  schrieb  sein 
nautisches  Tagebuch;  ich  nahm  meine  Flinte  auf  den  Rücken, 
um  mir  die  Berge  anzusehen,  die  der  Küste  parallel  laufen/ 
Wild  zeigte  sich  nicht;  um  so  mehr  erregte  die  eigenthümliche 
Structur  der  Berge  (Sandstein  mit  horizontalen  Schieferlagen 
durchzogen )  meine  Au&nerksamkeit.  Ausläufer  des  Sinai  mit 
heissen  Quellen  und  Schwefelminen  treten  etwas  nördlich  von 
Abu  Zelima  bis  an's  Meer  heran.  Die  Fläche  zwischen  diesem 
und  den  Vorbergen  war  früher  vom  Meere  bedeckt,  wie  der 
mit  Muscheln  vermischte  Flugsand  beweist.     Hier  hatte  ich 


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90  '^oni  Rothen  Meer. 

das  erste  Anzeichen,  dass  das  Rothe  Meer  auf  seiner  arabi- 
schen Küste  immer  seichter  wird,  was  besonders  in  Djedda 
klar  hervortritt,  wo  die  Stadt  durch  das  Zurückgehen  des 
Wassers  bald  eine  Stunde  vom  wirklichen  Hafen  entfernt  sein 
wird. 

Den  10.  August  früh  verliessen  wir  die  Rhede  und  schifften 
mit  einem  tüchtigen  Nordost,  der  unser  Schiffchen  hübsch 
herumdrehte,  Tor  zu,  das  wir  vor  dem  Assr  (Nachmittags 
3V2  Uhr)  erreichten.  Der  Hafen  ist  ziemlich  geräumig  und 
gut  geschlossen,  doch  im  Innern  seicht  Er  ist  von  der  Nord- 
seite durch  Klippen,  an  denen  schon  manches  Schiff  scheiterte, 
von  der  Südseite  durch  eine  mit  Dattelpalmen  bedeckte  Land- 
zunge geschlossen.  Tor  ist  ein  armseliges  Dorf  mit  kaum 
30  Häusern.  Die  Einwohner  sind  Christen  syrischer  Abkunft; 
ihre  geistlichen  Angelegenheiten  werden  durch  einen  armen 
alten,  etwas  bettlerischen,  griechischen  Priester  vom  Berge 
Sinai  geleitet;  im  Uebrigen  sind  sie  von  den  Beduan  kaum 
zu  unterscheiden.  Sie  scheinen  arm,  treiben  aber  mit  Pro- 
visionen von  Suez  einen  einträglichen  Tauschhandel  gegen 
Perlmutter-  und  Schildkrötenschalen,  die  von  den  Fischern 
hierher  gebracht  werden;  dann  und  wann  lässt  der  liebe  Gott 
ein  Schiff  stranden,  und  das  Strandrecht  versteht  sich  hier 
von  selbst. 

Die  mohammedanischen  Toriten  wohnten  früher  den  Christen 
zur  Seite  in  einem  Dorfe,  dessen  Ruinen,  von  einem  nahen 
Hügel  Raubnestem  gleidi  auf  das  Meer  herabsehend,  noch 
nicht  der  Zeit  Platz  gemacht  haben.  Jetzt  leben  sie  draussen 
zwischen  den  Dattel wäldem  und  in  der  Wüste;  doch  ziehen 
fast  alle  jungen  Leute  aufs  Meer,  werden  Matrosen  oder 
fischen  auf  eigene  Rechnung.  Unsere  Schiffsleute  waren  alle 
von  Tor  und  deshalb  mussten  wir  ihnen  den  11.  August  firei- 
geben,  um  ihren  Familien  Lebewohl  zu  sagen.  —  Die  Sprache 
der  Toriten  ist  arabisch;  wer  aber  von  Cairo  kommt,  versteht 
davon  kein  Wort,  die  Aussprache  ist  viel  gutturaler  und  wird 
dadurch  sehr  unverständlich.  Die  arabische  Sprache  hat  überall 


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Vom  Rothen  Meer:  Ol 

dasselbe  Fundament  von  Wörtern  und  Formen,  aber  jede 
Provinz  oder  fast  jedes  Dorf  gibt  ihr  einen  eigenthümlichei^^ 
nur  an  Ort  und  Stelle  verständlichen  Zusatz. 

Den  Tag  nicht  nutzlos  zu  verbringen,  bestieg  ich  nach 
Mittag  einen  Esel,  um  das  warme  Bad  zu  besuchen,  das  sieb 
am  Fusse  des  Berges  befindet,  der  sich  hinter  Tor  erhebt 
Die  Gegend  ist  fast  eine  Wüste,  doch  mit  niederem  Kraut 
bedeckt;  weiterhin  folgen  reizende  Palmenwäldchen,  in  denen 
das  Bad,  das  Abbas  Pascha  gehört  und  fast  heisses  Wassei* 
hat,  versteckt  liegt,  —  in  seinem  Rücken  kahle  Schieferberge, 
im  Hintergrunde  die  majestätischen  Formen  des  Sinai.  Ich 
trat  in  den  grössten  der  Palmengärten  ein,  der  dem  Kloster 
S.  Katharina  gehört;  die  Gärtner  sind  junge  Griechen,  wahr- 
hafte Gärtnerfiguren  aus  Arkadien,  die  Ruhe  ihres  Lebens 
spiegelte  sich  auf  ihnen  ab.  Der  Garten  ist  sehr  gross,  von 
rauschenden  Bächen  durchzogen;  die  Wipfel  der  schlanke^ 
Bäume  sind  voll  der  herrlichsten  gelben  und  rothen  Datteln. 
Alles  grünt  und  wuchert  und  erscheint  nach  dem  trockenen 
Aegypten  ein  wahres  Paradie».  Hier  sieht  man  das  fröhliche 
ungezwungene  Schaffen  der  Natur,  dort  merkt  man  den 
Schweiss  der  Arbeit. 

Reghts  von  dieser  Dattelpflanzung  öffnet  sich  der  Weg  zum 
Wadi  Mussa,  wo  der  Ain  (Quelle)  Mussa  ist.  Daff  Thal  ist 
ebenfalls  an  Datteln  reich.  Hier  ist  der  Weg  zum  Sinai,  dev^ 
Berge  der  heiligen  Erinnerungen.  Die  Geschichte,  die  auch 
der  Muslim  in  seinem  Buche  anerkennt,  lebt  noch  in  den 
Namen  der  Gegenden  und  Stellen  von  Suez  bis  Tor.  Eine 
jede  Quelle,  jedes  Thal  hat  hier  Moses  oder  Pharaon  zum 
Taufpathen.  Man  sagt,  dass  der  Gründer  des  Islam  von  den 
Mönchen  des  Sinai  seine  erste  Erziehung  erhalten  habe;  es 
soll  sich  noch  jetzt  in  dem  dortigen  Kloster  eine  alte  griechi- 
sche Handschrift  befinden,  die  angeblich  über  die  Anfänge 
Mohammed's  merkwürdige  Aufschlüsse  liefert. 

Erst  am  13.  August- erlaubte  uns  der  Wind,  Tor  zu  ver- 
lassen; ausserhalb  des  Hafens  hatten  wir  fast  Sturm,  der  die 


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92  Vom  Rothen  Meer. 

Fluten  über  die  Barke  hinpeitschte.  Um  Mittag  erreichten 
wir  Ras  Mohammed,  wo  wir  innerhalb  der  Klippen  Anker 
warfen.  Erst  den  14.  gewannen  wir  das  offene  Meer,  setzten 
die  Fahrt  während  der  Nacht  ununterbrochen  fort  und  kamen 
am  15.  Nachmittags  bei  Gibl  Antar  an,  einem  kleinen  runden 
schön  geschlossenen  Hafen.  Wer  den  Roman  Antar  kennt, 
wird  sehen,  dass  die  orientalischen  Erzählungen  nicht  blos 
Dichtungen  sind;  ihr  historischer  Grund  hat  sich  in  den  Orts- 
namen aufbewahrt. 

Am  Lande  befanden  sich  viele  Beduan,  die  den  vorbei- 
ziehenden Barken  Wasser,  Holz  und  Kohlen  liefern:  Schelme 
mit  scharfgeschnittenen  Gesichtern. 

Den  16.  endlich  kamen  wir  trotz  des  widrigen  Windes 
nach  Wisht,  einem  wie  die  früheren  ganz  runden,  aber 
ziemlich  geräumigen  Hafen.  Es  lagen  vier  Schiffe  mit  Sklaven 
vor  Anker.  Wisht  ist  ein  Nest  von  30  —  50  Häusern,  alle 
an  einen  Felsen  geklebt,  auf  dem  ein  Wartthurm  ohne  Ka- 
nonen steht.  Man  findet  hier  Vorrath  von  allen  Lebens- 
bedürfnissen, da  die  Barken  von  Suez  täglich  hier  einkehren 
und  das  Festland  im  Innern  dattelreich  und  von  zahlreichen 
Heerden  durchzogen  ist.  Ich  hatte  ein  Dromedar  genommen, 
um  eine  kleine  Excursion  in  die  Berge  zu  machen.  Doch 
wurde  ich  daran  durch  die  Beduan  verhindert,  die  nicht  lieben, 
wenn  ein  Fremder  ihre  Brunnen  sieht,  da  er  durch  seinen 
bösen  Blick  sie  vertrocknen  könnte.  So  fand  ich  den  Aber- 
glauben Aegyptens  hier  wieder.  Uebrigens  zeigten  sich  mir 
die  hiesigen  Beduan  von  einer  sehr  vortheilhaften  Seite,  auf- 
richtig, höflich,  gastlich,  gesprächig  und  ohne  die  Scheu  vor 
dem  Fremden,  die  in  diesen  Ländern  eine  Beobachtung  der 
Volkssitten  so  sehr  erschwert. 

Da  wir  in  dem  heissesten  Monat  reisten,  hatten  wir  auch 
auf  dem  Meere  grosse  Hitze,  gewöhnlich  schon  am  Morgen 
in  der  Cajüte  25*>  R.,  in  der  Nacht,  wenn  der  Wind  schwieg, 
bis  27«  R. 


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Vom  Rotheu  Meer.  93 

Djedda,  den  30.  August  1853. 

Am  17.  August  fuhren  wir,  Wisht  hinter  uns  lassend, 
bei  völlig  ruhiger  See  zwischen  Inseln  und  Khppen  hindurch 
und  ebenso  den  Morgen  des  18.;  Nachmittags  3  Uhr  passirten 
wir  die  Fischerinsel  Hasanieh,  deren  Nordcap  vom  25.  Grad  ge- 
schnitten wird.  Wir  waren  also  den  Tropen  nicht  mehr  fern 
und  es  schien,  dass  sie  sich  als  etwas  mehr,  denn  eine  astro- 
nomische Idee  ausweisen  wollten. 

Der  Himmel  umwölkte  sich;  es  entlud  sich  ein  Gewitter 
auf  dem  nahen  Festlande,  wo  man  heftig  regnen  sah.  Der 
Wind  drehte  sich  mehrmals  und  schien  unser  Bemühen,  den 
im  SW.  gelegenen  sicheren  Hafen  zu  erreichen,  vereiteln  zu 
wollen.  Endlich  gelang  es  uns,  einige  hundert  Schritte  unter- 
halb der  Insel  Anker  zu  werfen.  Der  Wind  wurde  nach  5  Uhr 
ein  entschiedener  Süd- Munsun;  es  donnerte,  regnete  und  von 
Süden  kam  eine  heisse  Luft,  wie  aus  einem  Feuerofen.  Das 
Thermometer  stieg  in  5  Minuten  von  -f-  25**  auf  +  31**  R. 
Nach  6  Uhr  legte  sich  der  Wind;  es  war,  als  ob  die  sich 
bekämpfenden  Nord-  und  Südwinde  einen  Stillstand  geschlos- 
sen hätten.  Die  Sonne  war  eben  im  Untergehen;  von  dem 
Festlande  auf  die  Insel  brückte  sich  ein  lange  nicht  gesehener 
Regenbogen;  auf  dem  Festlande^  sah  man  unaufhörlich  regnen, 
hinter  der  Insel  Wolken  gegen  Süden  treiben:  da  hatte  also 
der  Nordost  die  Oberhand.  Wir  stiegen  beruhigt  in  die  Kajüte 
hinab,  um  unser  Nachtmahl  zu  nehmen;  kaum  aber  hatten 
wir  uns  gesetzt,  als  sich  ein  leises  Säuseln  von  NO.  erhob 
und  nach  5  Minuten  der  Sturm  wieder  losbrauste;  der  Nordost 
hatte  gesiegt  und  wir  wai*en  ihm  ganz  ausgesetzt.  Wir  hatten 
die  drei  Anker  im  Meere  mit  8  Faden  Tiefe  und  glücklicher 
Weise  solidem  Grund;  doch  wurden  wir  trotzdem  noch  einen 
Faden  tiefer  in's  Meer  hinausgeführt,  wo  wir  uns  erst  mit 
Hülfe  aller  unserer  Ketten  festhalten  konnten.  Wären  wir 
weiter  in's  Meer  getrieben  worden,  so  hätten  wir  wenig  Hoff- 
nung gehabt,  durch  die  vielen  Klippen  zu  entkommen.  Der 
Wind  legte  sich  erst  um  8  Uhr,  erhob  sich  zwar  um  12  Uhr 


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04  Vom  Roihen  Meer. 

von  Neuem,  doch  ohne  Heftigkeit  und  wir  schliefen  ruhig  bis 
zum  Morgen. 

Am  19.  erlaubte  uns  ein  Südwest  kaum,  in  Mahar,  dem 
nächsten  Hafen,  einzulaufen;  er  ist  gut  und  sicher,  da  er 
gegen  Norden  und  Süden  von  Korallenfelsen,  an  denen  sich 
Austern  finden,  umzäunt  ist;  im  Osten  öfi'net  sich  ein  Tlial, 
worin  ein  paar  Dattelpalmen  sichtbar  werden.  Es  treibt  sich 
eine  Kabyle  hier  herum,  halb  Fischer,  halb  Hirten;  ihrer  zwei 
kamen  an  Bord,  um  unsere  Barmherzigkeit  zu  prüfen. 

Der  Himmel  war  den  ganzen  Abend  schwarz  umwölkt;  mit 
Einbruch  der  Nacht  blitzte  und  donnerte  es  unaufhörlich;  es 
fiel  ein  leichter  Regen ,  dem  ein  ziemlich  heftiger  Wind  folgte. 
Dieser  legte  sich  indess  am  Morgen  des  20.  ganz  und  erst  am 
Abend  des  22.  konnten  wir  in  Yambo,  die  erste  Stadt,  die 
wir  bis  jetzt  getroffen,  einlaufen.  Ich  hatte  mir  eine  günsti- 
gere Vorstellung  von  dieser  Stadt  gemacht  Sie  hat  aus  der 
Ferne  ein  ganz  imposantes  Ansehen,  gleicht  aber,  wenn  man 
sich  ihr  nähert,  einem  Ruinenhaufen,  —  wie  alle  hier  ge- 
legenen Ortschaften,  da  sie  flache  Dächer  haben,  —  und  kann 
kaum  mehr  als  5000  Einwohner  haben,  vielleicht  nicht  einmal 
so  viel.  Diese  stehen  nicht  im  besten  Leumunde,  sodass  ich, 
als  wir  an's  Land  stiegen,  meine  Pistolen  mitnahm.  In  der 
Stadt  findet  man  wenig  Eigenthümliches,  ausser  dass  sehr 
viele  Häuser  aus  rohen  Palmenstämmen  errichtet  sind,  be- 
sonders die  Cafes,  deren  es  in  Folge  des  Pilgerdurchzuges 
viele  gibt.  Der  Diwan  (das  Haus  des  Gouverneurs,.  Mohafis), 
der  über  dem  Hafen  gebaut  ist,  liegt  halb  in  Ruinen  und  der 
Palast  des  Sherif  sieht  nicht  viel  besser  aus.  Da  unweit  der 
Stadt  sich  wasserreiche  Thäler  und  Dattelpflanzungen  finden, 
wird  sie  jeden  Morgen  mit  Fleisch  und  Früchten  versorgt  und 
ebenso  mit  sehr  gutem  Wasser,  das  an  den  Küsten  des  Rothen 
Meeres  selten  ist.  Die  Einwohner  sind  fast  alle  mit  einem 
mannshohen  soliden  Stock  bewafihet,  der  unt^i  mit  Silber- 
faden verziert  ist.  Die  Beduan  dagegen  haben  inuner.  Säbel 
und  Lanzen  bei   sich,  und  Luntengewehre  sind  nicht  selten. 


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Vom  Rothen  Meer.  95 

Man  sieht  jetzt  viele  Pilgrime  hier,  besonders  Mogrebiner,  die 
sich  durch  den  weisswolligen  Burnus  bemerklich  machen.  Wir 
spazierten  über  den  engen  schmutzigen  Markt  und  mussten 
boren,  wie  die  Kinder  schrien:  Ist  kein  Knüttel  da,  diese 
Ungläubigen  todtzuschlagen?  Wir  thaten,  als  ob  wir  es  nicht 
verständen.  Man  muss  dergleichen  gleichmüthig  zu  ertragen 
wissen,  wenn  man  im  Orient  reisen  will. 

Yambo  ist  für  den  Handel  in  drei  Beziehungen  wichtig. 
Erstens  ist  es  der  Hafen  von  Medina,  was  besonders  im  Som- 
mer einen  grossen  Verkehr  mit  Suez  und  Kosseir  und  ein 
reges  Leben  in  der  Stadt  selbst  verursacht,  da  die  meisten 
Pilger  nach  Vollendung  der  Wallfahrt  über  Yambo  zurück- 
kehren. Sodann  ist  es  der  Stapelplatz  für  das  ägyptische 
Getreide,  das  von  Kosseir  hierher  gebracht  wird,  theils  im 
Auftrage  der  Regierung  für  die  Truppen,  theils  durch  Privat- 
speculation  für  die  Bedürfnisse  des  Landes  und  besonders 
Djedda's.  Endlich  ist  es  der  Markt  für  die  Perlmutterschalen 
und  anderen  Producte  des  Meeres  zwischen  diesem  Orte  und 
Wisht,  von  wo  die  FisTcherbarken  gewöhnlich  im  Frühling 
zurückkehren.  Doch  ist  es  für  den  Fremden  nicht  leicht, 
hier  vortheilhafbe  Einkäufe  zu  machen,  da  die  Griechen  von 
Djedda  und  die  Muslimin  von  ebenda  und  Suez  ihre  Agenten 
in  allen  diesen  kleinen  Häfen  haben,  die  auf  der  Stelle  jede 
gute  Gelegenheit  benutzen  können.  Ueberhaupt  haben  die 
Europäer  das  Privilegium  der  Thätigkeit  und  Handelsintelli- 
genz nicht;  in  Schlauheit  und  Sparsamkeit  thun  es  ihnen  die 
orientalischen  Kaufleute  zuvor.  Man  sieht  hier  die  reichsten 
Leute  im  blauen  Hemde  barfuss  herumgehen,  aller  Reichthum 
wird  sorgsam  verheimlicht,  da  man  die  gute  alte  Zeit  der 
Türkenherrsohaft  noch  nicht  vergessen  hat 

Yambo  hat  einen  türJdschen  Mohafis,  der  unter  Djedda 
steht;  das  Land  aber  steht  unter  einem  eingeborenen  Fürsten, 
jetzt  Sherif  Abdallah,  der  allein  auf  die  Beduan,  welche  sich 
um  die  Türken  wenig  kümmern,  Einfluss  besitzt.  Er  nimmt 
von  jedem  nach  Djedda  gehenden  Schiffe  2  Thaler  Hafengeld 


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9G  Vom  Rothen  Meer. 

und  bei  dessen  Rückkehr  nach  Suez  einen  dritten.  Diese 
Abgabe  wird  erst  seit  einigen  Jahren  erhoben.  Nach  dem 
Tode  Mohammed  Ali  Pascha's  athmeten  die  Beduan  wieder 
frei  auf  und  errichteten  nördlich  von  Yambo  eine  Station,  wo 
sie  jedem  ankernden  Schiffe  mehrere  Thaler  Hafengeld  abnah- 
men. Lief  eine  Barke  nicht  ein,  so  wurde  sie  in  Kähnen  ver- 
folgt und  das  Geld  auf  der  hohen  See  abgepresst.  Dieser 
Zustand  rief  Klagen  in  Cairo  hervor,  die  nichts  fruchteten, 
luid  ebenso  beim  Sherif,  der  die  Idee  sehr  willkürlich  aber 
doch  nicht  so  übel  fand  und  die  Sache  am  Ende  so  ordnete, 
dass  man  die  Abgabe  regelmässig  in  Yambo  zahlt  und  der 
Gewinn,  anstatt  den  Beduan,  nun  dem  Sherif  zukommt. 

Die  Hitze  nahm  in  den  letzten  Tagen  immer  zu  und  sank 
nie  unter  -\-  26**.  Auch  die  Nächte  waren  heiss  und  feucht 
und  am  Morgen  fiel  so  starker  Thau,  dass  ich  gewöhulicli 
gebadet  aufstand. 

Den  23.  bis  28.  August  schifften  wir  bei  wenig  Wind  und 
grosser  Hitze  bis  Rabuk,  dem  Vorhafen  von  Djedda.  Das 
Land  trägt  hier  ganze  Waldungen  von  Dattelpalmen,  worin 
zahlreiche  Dörfer  versteckt  sind,  während  an  der  Küste  nur 
wenige  Hütten  von  Baumästen  sich  befinden.  Der  Hafen  ist 
sehr  geräumig  und  selbst  für  grosse  Schiffe  leicht  zugänglich. 
Rabuk  ist  der  Ort,  wo  die  von  Suez  kommenden  Pilgrime  in's 
Meer  untertauchen  und,  nachdem  sie  so  die  letzte  Sündhaftig- 
keit abgelegt,  als  Zeichen  der  Reinheit  ein  weisses  Stück 
Zeug  um  den  Leib  schlagen,  Kopf,  Füsse  und  eine  Schulter 
bloss  lassend.  Ophthalmien,  Sonnenstiche  und  Erkältungen, 
die  sie  iu's  mörderische  Klima  von  Mekka  tragen,  sind  die 
gewöhnlichen  Folgen  dieser  gottgefälligen  Handlung. 

Den  29.  nach  Mittemacht  hoben  wir  die  Anker  und  wai'en 
um  Mittag  im  Angesicht  von  Djed^da.  Auf  einer  Reise,  die 
man  mit  gutem  Winde  in  8  Tagen  zurücklegen  kann,  hatten 
wir  20  Tage  zugebracht,  da  wir  seit  14  Tagen  mit  Gegenwind 
zu  kämpfen  hatten  oder  durch  Windstille  behindert  wurden. 
Der  Hafen    von   Djedda  ist  so  seicht,   dass  man    eine  halbe 


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Vom  Rothen  Meer.  97 

Stunde  von  der  Stadt  entfernt  ankern  muss;  das  Innere  ist 
fast  trocken. 

Ehe  wir  an's  Land  treten,'  werfen  wir  noch  einmal  den 
Blick  auf  das  Meer  zurück,  dessen  nördliche  Hälfte  wir  jetzt 
durchfcthren  haben. 

Das  Rothe  Meer  ist  von  der  Natur  in  manchen  Beziehungen 
sehr  vernachlässigt,  in  anderen  wieder  begünstigt  worden.  Es 
empfängt  keinen  einzigen  schiffbaren  Fluss,  der  den  Zugang 
in  das  innere  Land  eröffnen  könnte;  die  Küsten  sind  wüst, 
wasserarm  und  von  räuberischen  Nationen  bevölkert;  an  das 
Uferland  schliessen  sich  Hochebenen,  die  vom  Meere  aus 
sehr  schwer  zugänglich  sind.  Die  Winde  sind  regellos  und 
erlauben  keine  regelmässige  Schifffahrt.  Ausserdem  ist  das 
Meer  voller  Klippen,  die  oft  kaum  einen  Durchgang  gestatten, 
sodass  eine  Fahrt  auf  diesem  Gewässer  nicht  zu  den  sicheren 
Unternehmungen  gehört.  Dazu  kommt,  dass  selbst  die  vor- 
züglichsten Häfen  gegen  Stürme  keinen  hinlänglichen  Schutz 
gewähren  und  dass  der  Eingang,  das  Bab-el-Mandeb  (Thor 
der  Bedrängniss),  schwer  zu  passiren  und  6  Monate  im  Jahre 
durch  den  conträren  Munsun  für  Segelschiffe  fast  ganz  ver- 
schlossen ist. 

Auf  der  andern  Seite  kommt  dem  Handel  auf  dem  Rothen 
Meere  der  Reichthum  der  Nachbarländer  zu  statten:  Abys- 
sinien  und  die  Gallaländer  führen  ihm  ihre  Schätze  zu;  das 
Jemen  liefert  ihm  seinen  Kaffee;  es  steht  in  directer  Verbin- 
dung mit  dem  fruchtbaren  Aegypten  und  bildet  für  den  indi- 
schen Transithandel  den  natürlichen  Canal.  Die  Küsten,  so 
wüst  sie  liegen,  erzeugen  Gummi,  Myrrhen  und  Weihrauch, 
und  das  Meer  selbst  verbirgt  Schätze,  die  unerschöpflich 
ticheinen:  Perlen,  Perlmutter-  und  Schildkrötenschalen.  Auch 
fehlt  es  nicht  an  Händen,  diese  Schätze  zu  heben.  Die  hier 
lebenden  Hirtenstämme  sind  von  Natur  auch  rüstige  Matrosen; 
ebenso  gut  oder  noch  besser,  wie  sie  ihre  Dromedare  reiten, 
rerstehen  sie  ihre  Barken  zu  lenken  und  in  die  Tiefen  des 
Meeres  zu  tauchen,  um  ihm  seine  Perlen  zu   rauben.     Der 

Moaiinger,  OsUfrik.  Studien.  7 


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98  Vom  Rothen  Meer. 

Araber  legt  sich  nicht,  wie  der  Europäer,  sein  ganzes  Leben 
hindurch  auf  ein  Handwerk,  in  dem  er  vollkommen  zu  werden 
sucht.  Er  ist  jeder  Thätigkeit  fähig  und  wechselt  seine  Be- 
schäftigung täglich;  deswegen  finden  wir  in  diesen  Ländern 
keine  gesonderten  Berufsklassen ,  der  Hirt  ist  zugleich  Matrose 
und  Fischer;  er  liebt  das  Land,  scheut  sich  aber  keineswegs 
vor  dem  Salzwasser,  freilich  ohne  für  das  letztere  die  Leiden- 
schaft unserer  Matrosen  zu  besitzen.  Alle  schwimmen  gut 
und  ausgezeichnete  Taucher  sind  nicht  selten,  und  dennoch 
macht  niemand  aus  dem  Seeleben  sein  beständiges  Handwerk, 
ausgenommen  vielleicht  die  Bewohner  von  Dahalak,  die,  so 
zu  sagen,  auf  dem  Meer  und  für  das  Meer  geboren  sind. 

Die  Barken  sind  von  verschiedener  Form  und  Grösse  und 
danach  heissen  sie  Saya,  Sembuk,  Changia  und  Baglah,  welche 
letztere  bis  200  Tonnen  tragen,  mit  Listrumenten  und  Steuer- 
rad versehen  sind  und  meistens  zum  Verkehr  mit  Indien  ge- 
braucht werden.  Die  anderen  Arten  sind  von  5  — 100  Tonnen 
mit  einfachem  Steuerruder,  einem  oder  zwei  Masten,  von  denen 
der  hintere  immer  ganz  klein  ist;  das  Segel  ist  das  lateinische, 
das  an  eine  Segelstange  geknüpft  wird.  Die  letztere  ist  be- 
weglich am  Mastbaum  angebracht  und  erfordert  beim  Lichten 
viele  Menschenkräft;e.  Das  Segel  ist  von  verschiedener  Grösse 
und  bildet  ein  Viereck,  dessen  eine  Seite  viel  länger  und  nach 
dem  Hintertheil  gerichtet  ist.  Kehrt  sich  der  Wind  oder 
kreuzt  man,  so  muss  das  Segel  mit  seinem  Baum  umgekehrt 
werden,  was  bei  Sturm  fast  unmöglich  ist.  Die  Barken  sind 
offen,  nur  das  Hintertheil  hat  ein  kleines  erhabenes  Deck,  an 
dem  der  zweite  Mastbaum  angebracht  ist.  Dieses  bildet  eine 
niedrige  unbequeme  Kajüte,  worin  man  kaum  aufrecht  stehen 
kann.  Man  fährt  gewöhnlich  nur  des  Tages  der  Küste  ent- 
lang, da  man  ausser  dem  Gompass  und  dem  Senkblei  keine 
Listrumente  hat  und  die  Karte  fast  unbekannt  ist.  Muss  man 
bei  einer  Ueberfahrt  nach  der  entgegengesetzten  Küste  die 
Nacht  auf  offenem  Meere  zubringen,  so  heisst  dieses  «Samret» 
und  man  bereitet  sich  dazu  mit  Kaffeegenuss  und  reichlichem 


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Vom  Rothen  Meer.  99 

Speisen  vor.  Unglücksfälle  sind  nicht  selten  und  ich  habe 
während  meines  Lehrjahres  drei  oder  vier  Mal  auf  den  Klippen 
gesessen.  Das  Haupt  der  Matrosen  ist  der  Nachoda,  der  zu- 
gleich Rubban  (Steuermann  und  Pilot)  ist;  ihm  ztmächst  steht 
der  Mokaddem,  imser  SchüFsmeister.  Der  Armateur  heisst 
Nachodat  el  harr  (Kapitän  zu  Land),  der  eigentliche  Kapitän 
aber  Nachodat  el  bahr  (zu  Meer).  Der  erstere  gibt  nur  das 
Schijff  und  schiesst  alle  Unkosten  vor,  während  der  letztere 
den  ganzen  Betrieb  in  Händen  hat,  dessen  Ertrag  mit  den 
Matros6n,  je  nach  der  Abmachung,  zur  Hälfte  oder  einem 
Drittheil  getheilt  wird.  Feste  Besoldung  ohne  bestimmten 
Antheil  am  Gewinn  ist  nicht  gebräuchlich.  Die  Matrosen  sind 
sehr  religiös,  wie  ungenirt  auch  ihre  Sprache  imd  ihr  Lebens- 
wandel ist.  Kommt  die  Barke  an  einem  Sheich  vorüber,  so 
wird  ihm  zu  Ehren  eine  Litanei  gesungen,  feines  Brod  (Futir) 
gebacken  und  Kaffee  herumgereicht.  Die  Nahrung  der  Ma- 
trosen ist  Brod  und  Beis  mit  Butter,  und  Kaffee.  Vor  den 
geistigen  Getränken  bewahrt  sie  die  Religion  und  der  Geiz. 
Sie  lieben  Geschichtenerzähler,  die  ihnen  den  Abend  ausfüllen, 
und  fehlen  diese,  so  liest  einer  den  anderen  aus  Antar  oder 
Abu  Seid  vor,  wo  denn  bei  jeder  religiösen  Anspielung  die 
allgemeine  Zustimmung  in  andächtigen  Phrasen  ausgedrückt 
wird.  Bei  dem  Namen  des  Propheten  wird  das:  Gott  habe 
ihn  selig  1  nie  vergessen.  Die  Matrosenausdrücke  sind,  wie 
bei  uns,  etwas  imverständlich  und  fremdartig.  Man  muss 
wissen,  dass  unter  Ach'u  der  zweite  Anker  (der  Bruder  des 
ersten)  und  unter  Weled'u  das  kleine  Segel  (das  Kind  des 
anderen)  verstanden  wird,  um  zu  begreifen,  dass,  wenn  der 
Kapitän  Ach'u  befiehlt,  die  Position  schlecht  ist,  wenn  er 
aber  Weled'u  verlangt,  der  Wind  günstig  wird.  Alle  Manöver 
werden  singend  ausgeführt,  in  Ausdrücken,  die  des  drolligen 
Witzes  nicht  entbehren.  Die  Matrosen -Conversation  gehört 
auch  auf  dem  Rothen  Meere  nicht  in  den  Damensalon;  die 
Grobheit  scheint  dem  Meere  einzuwohnen;  doch  findet  man 
z.  B.  nicht  das  Yerhältniss  des  Vorgesetzten  gegen  seine  Unter- 

7* 


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100  Vom  Rothen  Meer. 

gebenen,  das  sich  so  schneidend  auf  den  europäischen  Schififen 
ausdrückt,  nicht  die  Lästerungen  und  Schimpfworte,  womit 
man  sich  auf  den  Fahrzeugen  der  Civilisation  am  schlechten 
Winde  zu  rächen  meint.  Man  findet  beim  Araber  im  Unglück 
eijie  Resignation,  die  sein  tiefes  Religionsgefühl  ihm  einflösst. 
Lästerungen  begegnet  das  Wort:  Chaf  Allah!  (fürchte  Gott); 
dem  Unglück  unterwirft  man  sich  mit  dem  Allah  akbar!  (Gott 
ist  allmächtig!)  xmd  selbst  der  vorzeitige  Tod  ist  nur  Nessib'na 
(unser  Geschick). 

Obgleich  das  Rothe  Meer,  wie  bemerkt,  fast  in  keinem 
seiner  Theile  productionsunfähig  ist,  zeichnet  sich  doch  im 
Norden  hauptsächlich  die  Lisel  Hasanieh  durch  ihren  Fischerei- 
betrieb aus,  während  im  Süden  die  Inseln  von  Dahalak  den 
Mittelpunkt  für  alle  Fischer  von  Jemen  und  Afirika  bilden. 
Die  Ausrüstung  zu  Fischereien  erfolgt,  wie  jede  Seeimtemeh- 
mung,  durch  einen  Accord  über  die  Vertheilung  des  Gewinnes. 

Die  Liseln  von  Dahalak  sind  die  Mittelstation  zwischen 
Massua  einerseits  und  Loheja  und  Djedda  anderseits;  sie 
bestehen  aus  zwei  grösseren  und  mehreren  kleineren  Inseln, 
die  meist  unbewohnt  sind.  Die  beiden  grösseren  sind  Dahalak 
und  Nora.  Diese  zwei  Inseln  haben  eine  sehr  ärmliche  Vege- 
tation, kleine  Domenbäume  und  einige  Dattelpalmen  von  der 
Gattung  Dum.  Man  bewahrt  das  Regenwasser  in  Cistemen 
auf.  Die  Einwohner,  deren  Sprache  den  abyssinischen  Ur- 
sprung nicht  verleugnet,  sind  reich  an  Ziegen,  Kameelen  und 
Eseln,  die  alle  meistens  halbwild  auf  der  Insel  umher- 
schweifen und  nur  eingefangen  werden,  wenn  man  ihrer  bedarf. 
Auf  der  Insel  Döhel  gibt  es  auch  Kühe.  Von  der  Ziegen- 
milch wird  im  Winter  ein  schmackhafter  Käse  in  rundlicher 
Form  bereitet.  Auf  der  grossen  Insel  Dahalak  befinden  sich 
mehrere  Ortschaften,  deren  jede  ihr  erbliches  Haupt  hat.  Sie 
sind  vom  Pascha  von  Massua  abhängig  und  zahlen  von  den 
Barken  und  Sklaven  einen  jährlichen  Tribut  von  nahe  an 
1000  Thalern,  zu  deren  Eintreibung  Soldaten  herübergeschickt 
werden.    Sonst  ist  die  Regierung  ganz  einheimisch. 


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Vom  Rothen  Meer.  101 

Die  Häupter  der  Dorfschaften  waren  früher  sehr  reich; 
aber  die  Habsucht  der  Türken  hat  sie  heruntergebracht.  Sie 
haben  immer  noch  viele  Barken,  die  sie  mit  ihren  zahkeichen 
Sklaven  und  Unterthanen  bemannt  auf  die  Fischerei  aus- 
schicken. Der  alte  Glanz  zeigt  sich  noch  in  der  echt  patri- 
archalischen Gastfreundschaft.  Naht  ein  Fremder  dem  Dorfe, 
so  geht  ihm  der  Chef  desselben  von  Weitem  entgegen,  führt 
ihn  in  ein  Haus,  das  eigens  zur  Fremdenaufrtahme  bestimmt 
ist  und  labt  ihn  mit  Speise  und  Trank. 

Die  Leute  von  Dahalak  bauen  ihr  Land  nie  an,  obgleich 
der  Boden  Pflanzungen  sehr  günstig  ist;  sie  fürchten,  die 
Habgier  ihrer  Herren  noch  mehr  zu  reizen.'  Ihre  Hauptbe- 
schäftigung besteht  in  der  Fischerei;  mit  der  Viehzucht  und 
den  Hausarbeiten  sind  die  Frauen  und  Kinder  betraut. 

Die  hauptsächlichsten  Meerproducte  sind  die  Perlen,  die 
Perlmutter-  und  die  Schildkrötenschalen.  Das  Meer  von 
Dahalak  ist  die  eigentliche  Perlenregion;  man  findet  sie  in 
den  Perlmutterschalen  oder  in  einer  kleinen,  Bülbül  benann- 
ten Muschel.  Man  betrachtet  die  gtossen  Regen  als  ein  gutes 
Zeichen  für  die  Emdte  der  Perlen,  die  man  die  im  Meere 
krystallisirten  Thränen  des  Himmels  nennt.  Es  scheint,  dass 
viel  Regen  das  Muschelthier  krank  macht,  sodass  sich  ein 
Austiuss  bildet,  der  durch  Verhärtung  zur  Perle  wird.  Der 
Perlenmarkt  ist  zu  DömöUo,  auf  der  Ostseite  der  grossen 
Insel.  Mit  dem  Handel  beschäftigen  sich  hauptsächlich  die 
Banianen;  sie  ziehen  die  weissen  Perlen  den  gelben  nicht  vor, 
während  bei  ims  die  letzteren  gar  nicht  geschätzt  werden. 
Vor  fünfzehn  Jahren  war  ein  Franzose  von  einem  Pariser  Hause 
beaufti*agt,  die  Perlen  Dahalak^s  zu  imtersuchen;  aber  das 
Resultat  seiner  Nachforschungen  und  selbstunternommenen 
Fischereien  war  ein  sehr  ungünstiges  Urtheil  über  die  Qua- 
Utät  derselben. 

Die  Schildkrötenschalen  (arab.  Döbel,  Bägeh)  finden 
sich  in  allen  Häfen  von  Dahalak  käuflich  und  ebenso  in  Aqiq, 
Massua  und  den  Plätzen  von  Jemen.    Die  Schildkrötenschale 


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102  '^om  Rothen  Meer. 

besteht  aus  dreizehn  Stücken,  von  denen  besonders  die  schweren 
mit  dunkelgelbem  Grund  und  braunschwarzen  Blumen  ge- 
schätzt und  meistens  nach  Indien  versandt  werden.  Zum 
Schildkrötenfange  wird  eine  Barke  mit  wenigstens  zwanzig  Leuten 
bemannt,  die  nach  und  nach  alle  Inseln  des  Archipels  besucht 
und  bei  jeder  derselben  beobachtet,  ob  sich  Schildkröteneier 
auf  dem  Ufersande  vorfinden.  Ist  dieses  der  Fall,  so  wird 
ein  Mann  mit  Provision  von  Lebensmitteln  und  Wasser  daselbst 
zurückgelassen,  welcher  der  Schildkröte  auflauert,  bis  sie  weit 
genug  in's  Land  ist,  um  ihr  den  Rückweg  abschneiden  und 
sie  auf  den  Rücken  legen  zu  können.  Dann  wartet  er  aiif 
die  Rückkunft  der  Barke,  die  inzwischen  die  übrigen  Inseln 
besucht  hat.  Nach  der  Heimkehr  in  den  Hafen  werden  zuerst 
die  Kosten  zu  Gunsten  des  Armateurs  abgezogen  und  dann 
gewöhnlich  zu  gleichen  Theilen  zwischen  diesem  und  den  Ma- 
trosen getheilt.  Doch  bekommt  der  Matrose,  der  eine  Schild- 
kröte gefangen,  gewöhnlich  das  sechseckige  Mittelstück  als 
besondere  Belohnung. 

Die  Perlmutterschalen  findet  man  von  Suez  bis  zu  den 
Küsten  von  Berbera;  Djedda  ist  der  grosse  Markt  für  dieselben; 
ihre  Qualität  wird  nach  der  Grösse  und  Schwere  beurtheilt 
und  ist  natürlich  sehr  verschieden.  Die  Nacres  (Sadaf)  z.  B. 
von  den  Inseln  von  Dahalak  sind  klein,  weil  man  ihnen  durch 
das  beständige  Fischen  nicht  die  Zeit  lässt,  sich  gehörig  zu 
entwickeln.  Man  betreibt  die  Fischerei  in  Barken  von  5  bis 
10  Tonnen,  mit  vieler  Bemannung  und  mehreren  Piroguen 
(Huri^s),  länglichen  schmalen  ausgehöhlten  Baumstämmen,  die 
im  Rothen  Meere  meist  die  Stelle  der  Kähne  vertreten.  An 
jedem  windstillen  Tage  gehen  die  Huri's  mit  drei  bis  fünf  Leuten 
nach  verschiedenen  Richtungen  ab,  und  sobald  sie  eine  Nacres- 
Bank  entdeckt  haben,  tauchen  sie  so  lange  unter,  bis  die 
Huri  mit  dem  Product  so  weit  beschwert  ist,  dass  sie  in  die 
Barke  ausladen  muss.  Die  letzteren  gehen  oft  von  Djedda  bis 
Berbera  imd  bringen  nach  einigen  Monaten  meist  schöne 
Ladungen  zurück,  da  sie  gewöhnlich  noch  einige  firische  Bänke 


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Vom  Rothen  Meer.  103 

entdecken,  wo  die  Nacres  zu  ihrer  ganzen  Entwickelnng  ge- 
kommen sind.  Auf  der  Rückreise  berühren  sie  meistens  den 
Hafen  Yon  Naura  im  NW.  von  Dahalak  und  suchen  da  ihre 
Ladung  zu  yerkaufen.  Die  Perhnutterschalen  gehen  ebenso- 
wohl nach  Indien,  als  nach  Europa  und  Syrien,  und  sind 
durch  diese  dreifache  Concurrenz  im  Preise  schon  sehr  ge- 
stiegen. Mit  dieser  Fischerei  ist  natürlich  die  der  Perlen  ver- 
bunden, da  diese  sich  im  Innern  der  Schalen  finden.  Doch 
Uefert  auch  die  Bülbül,  eine  kleine  schwarze  Muschel,  eine 
etwas  geringere  Qualität. 

Ausser  den  erwähnten  Producten  befindet  sich  im  Rothen 
Meere  ein  grosser  Reichthum  von  Schwämmen,  der  aber  bis 
jetzt  wenig  ausgebeutet  wurde.  Ich  habe  davon  sehr  schöne 
Muster  gesehen. 

Diese  verschiedenen  Meerproducte  geben  den  meisten  An- 
wohnern des  Rothen  Meeres  Beschäftigung  imd  Erwerb,  be- 
sonders aber  den  Leuten  von  Dahalak,  die  durch  ihre  Lage 
darauf  angewiesen  sind.  Bruce,  in  seiner  Beschreibung  der 
grossen  Insel,  kann  nicht  begreifen,  wie  Leute  in  diesem 
Lande  wohnen  bleiben,  imd  schreibt  diess  der  natürlichen  An- 
hänglichkeit der  Menschen  an  das  Heimatland  zu.  Mir 
scheint  es  aber,  dass  diese  Leute  sehr  thöricht  wären,  ihre 
Inseln  und  ihr  so  überaus  ergiebiges  Meer  gegen  die  unruhi- 
gen Küstenländer  zu  vertauschen.  Jetzt  können  sie,  ungestört 
von  Krieg  und  Wirrsal  des  Continents,  ihrem  Geschäft  nach- 
gehen, dessen  Entwickelnng  ihnen  Wohlstand  verspricht.  Der 
Boden  erlaubt  ihnen,  Heerden  zu  halten,  die  von  Wölfen 
nicht  gefährdet  werden  und  auf  den  kleinen  Eilanden  keiner 
Aufsicht  bedürfen.  Sogar  der  Ackerbau  würde  ii;i  Folge  der 
Winterregen  sehr  lohnend  sein,  das  Wasser  ist  reichlich  vor- 
handen und  süss,  das  Klima  angenehm,  im  Sommer  nie  zu 
heiss.  Auch  sind  diese  von  Bruce  bemitleideten  Inseln  keines- 
wegs isolirt;  täglich  fahren  Barken,  die  zwischen  Massua, 
Loheja  und  Djedda  einen  lebhaften  Verkehr  unterhalten,  hier 
vorüber  und  bringen  alle  möglichen  Lebensbedürfiiisse  (Butter, 


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104  Vom  Rothen  Meer. 

Durra,  Reis,  Datteln  und  andere  Früchte)  reichlich  und  wohl- 
feil hierher. 

Nach  diesem  Ueherblick  über  die  commercielle  Bedeutung 
des  Rothen  Meeres  wenden  wir  uns  zu  Djedda  zurück.  Vom 
Hafen  aus  betrachtet  bildet  diese  Stadt  ein  angenehmes  Ge- 
mälde, dem  die  Wüste  als  Rahmen  dient.  Sie  dehnt  sich 
nicht  weit  aus,  alles  scheint  über-  und  nebeneinander  gebaut, 
sodass  man  mit  einem  Blick  die  Gesammtheit  der  Stadt 
übersieht.  Unähnlich  den  meisten  Ort«n  im  Orient,  die  von 
aussen  grosse  Pracht  verheissen  und  im  Innern  das  Elend 
zeigen,  nimmt  sich  Djedda  um  so  vortheilhafter  aus,  je  naher 
man  es  betrachtet.  Es  ist  sehr  solid  gebaut,  die  Häuser  sind 
gross,  hoch  und  elegant,  wenn  auch  etwas  unregelmässig; 
alles  steht  nett  und  frisch  da  und  bekundet  die  Wohlhaben- 
heit der  Bewohner,  ganz  im  Gegensatz  zu  Cairo,  wo  Hütten 
an  Paläste  stossen  und  das  Maulthier  mit  Mühe  seinen  Weg 
durch  Schutt  und  Ruinen  findet. 

Das  Innere  der  Häuser  entspricht  dem  Aeusseren:  Dielen 
und  Wände  sind  mit  kostbaren  indischen  Matten  bedeckt;  die 
Nargileh,  die  dem  Fremden  fast  zu  freigebig  geboten  wird, 
ist  reich  mit  Silber  und*  Perlen  verziert.  Was  Indien,  Persien 
und  das  glückliche  Arabien  an , Schätzen  darbieten,  das  fehlt 
bei  den  Geldherren  Djedda's  nicht.  Man  versäumt  hier  keine 
Gelegenheit,  seine  Reichthümer  zui'  Schau  zu  tragen,  da  man 
sich  jetzt  sicher  fühlt.  Die  Habgier  der  Pascha's  ist  noch 
immer  die  alte,  aber  sie  hat  die  Zähne  verloren.  Ich  sah 
hier  einen  Kaufmann,  der  seinen  Stolz  darein  setzt,  die  meisten 
Barken  zu  besitzen;  läuft  eine  derselben  hier  ein,  so  hissen 
alle  anderen,  die  ihm  gehören,  ihre  Flagger  auf,  und  wir 
zählten  eines  Morgens  mehi'  als  zwanzig  solcher  bewimpelten 
Fahrzeuge,  obgleich  der  Eigenthümer  derselben  noch  mehrere 
in  See  hatte.  Es  mögen  etwa  zehn  Kaufleute  hier  leben,  die 
über  eine  Million  Thaler  zu  gebieten  haben;  einer  der  reich- 
sten ist  Sheich  Farek  Yussir,  ein  ältlicher  Mann  von  kleiner 
Statur,  mit  einem  äusserst  feingeschnittenen,  listigen,  immer 


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Vom  Rothen  Meer.  105 

lächelnden  Gesicht.  Er  kleidet  sich  ärmlich  und  liebt  nicht, 
Almosen  zu  geben;  doch  ist  sein  Haus  reich  ausgestattet. 
Farek  Yussir  ist,  wie  schon  sein  Name  zeigt  (Bastard),  Sohn 
einer  Sklavin,  und  hat  seinen  lleichthum  von  seinem  Herrn 
geerbt.  Sein  Hauptgeschäft  treibt  er  mit  Indien;  er  besitzt 
mehrere  Segel-  und  Dampfschiffe,  die  beständig  dorthin  fah- 
ren, und  kauft  überdiess  ganze  Schiffsladungen  auf,  um  deren 
C.'oncurrenz  mit  den  eigenen  zu  verhindern.  So  monopolisirt 
er  gewisse  Artikel  und  wird  Herr  des  Marktes. 

Die  grössten  Handelsleute  von  Djedda  sind  nicht  glänzen- 
den Ursprunges,  die  meisten  frühere  Sklaven,  Lastträger  u.  s.  f. 
Es  sind  besonders  die  Leute  vom  Hadramaut,  die  am  ersten 
ihr  Glück  machen;  an  Intelligenz  und  Thätigkeit  sind  sie  nur 
unseren  Juden  zu  vei^leichen.  Auch  einige  Griechen  bilden 
sehr  bedeutende  Häuser  und  unterhalten  Verbindungen  über 
das  ganze  Rothe  Meer.*)  In  Djedda  residirt  ein  französischer 
und  ein  englischer  Consul,  der  erstere  wohl  nur  der  Pilgrime 
wegen,  die  von  Algier  die  heiligen  Orte  besuchen.  Für  Eng- 
land dagegen  ist  wegen  des  indischen  Handels  das  Rothe 
Meer  auch  in  commercieller  Hinsicht  von  Bedeutung;  in  Djedda 
mögen  jährlich  20  —  25  englische  Schiffe  von  600  bis  1000 
Tonnen  einlaufen,  mit  Manufacturen,  Schiffsbauholz,  Tabak 
(zum  Kauen  und  Schnupfen),  Zucker,  Droguen  und  beson- 
ders Reis,  der  in  Bengalen  gegen  arabisches  Salz  einge- 
tauscht wird. 

Die  Schiffe,  die  den  Verkehr  mit  Indien  unterhalten,  fah- 
ren von  dort  mit  dem  Süd-Munsun  ab,  der  bis  zum  Mai  an- 
hält, und  bleiben  bis  zimi  August  in  Djedda,  um  dann  unter 
Benutzung  der  letzten  Nordwinde  eine  neue  Fahrt  nach  In- 
dien dui'ch  das  Bab-el-Mandeb  anzutreten.  Die  indischen 
Pilgrime  aber  waiien  gewöhnlich  bis  zum  folgenden  Jahre. 
In  jedem  Sommer  zieht  die  Wallfahrt  nach  Mekka  eine  be- 
deutende Anzahl  von  Leuten  aus  der  ganzen  mohammedani- 


*)  Man  weiss,  dass  das  jetzt  nicht  mehr  ist. 


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106  Vom  Bothen  Meer. 

sehen  Welt  hierher;  diess  wird  auch  commerciell  sehr  wichtig 
und  yeranlasst  einige  Wochen  vor  dem  Feste  in  Djedda  eine 
grossartige  Messe,  auf  welcher  alle  Productef  des  Orients  zum 
Kauf  ausgeboten  werden. 

Djedda  befindet  sich  demnach  in  einer  für  den  Handel 
sehr  günstigen  Lage.  Es  liegt  ungefähr  in  der  Mitte  des 
arabischen  Küstenstrichs  am  Rothen  Meere,  ebenso  weit  von 
Mocha,  wie  von  Suez  entfernt,  Suakin  fast  gegenüber,  und 
nicht  weit  von  Massua  und  den  Häfen  des  Jemen.  Es  ist 
ausserdem  der  Hafen  von  Mekka  imd  wird  dadurch  einer  der 
Brennpunkte  des  orientalischen  Handels.  Alle  Kaufleute,  die 
zur  Wallfahrt  kommen,  benutzen  diesen  Platz,  mit  ihren  fer- 
nen Freunden  zusammen  zu  treffen  und  sich  mit  ihnen  über 
die  Operationen  des  kommenden  Jahres  zu  verständigen,  und 
der  Zusammenfluss  so  vieler  Handelsleute  sichert  eine  schnelle 
Abwickelung  der  Geschäfte.  Obgleich  manche  Kaufleute  der 
andern  kleineren  Plätze  direct  mit  Aegypten  zu  handeln  su- 
chen, zieht  doch  die  Mehrzahl  der  kleinen  Handelsleute  aus 
dem  zuletzt  angeführten  Grunde  den  nahe  gelegenen  Markt 
von  Djedda  vor,  sodass  dieser  Platz  für  den  Grosshandel  eine 
besondere  Wichtigkeit  erlangt  hat.  Unter  den  importirten 
Artikeln  stehen  wohl  die  groben  Baumwollenzeuge  in  erster 
Linie  und  es  ist  bemerkenswerth,  dass  die  Fabrikthätigkeit 
von  Cairo  das  englische  Product  in  dieser  Beziehung  {nsi  von 
dem  Markte  verdrängt  hat.  Im  Allgemeinen  aber  steht  der 
Import  hinter  dem  Export  sehr  zurück  und  die  Ausdehnung 
des  ersteren  wird  dadurch  behindert,  dass  die  halbcivilisirten 
Bewohner  dieser  Gegenden  fest  an  ihren  alten  Gewohnheiten 
hängen  und  für  solche  Waaren,  die  mit  denselben  nicht  in 
Einklang  stehen,  kein  Interesse  besitzen. 

In  der  Handelsstellung  Djedda^s  und  der  übrigen  grossen 
Plätze  des  Rothen  Meeres  ist  übrigens  während  der  letzten 
zwanzig  Jahre  eine  bedeutende  Veränderung  eingetreten.  Früher 
theilte  Djedda  seine  Wichtigkeit  nur  mit  Mocha,  das  den 
ganzen  Handel  des  Südens  und  auch  der  afrikanischen  Plätze 


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Vom  Rothen  Meer.  107 

monopolisirte.  Die  Gründung  Aden's  bewirkte  aber,  dass 
Mocha  fiast  ganz  aufgegeben  wurde  und  sich  der  Handel,  be- 
sonders von  Afrika  ausserhalb  des  Rothen  Meeres  (Berbera), 
nach  der  neuen  Colonie  zog.  Doch  die  Position  derselben 
jenseits  des  Bab-el-Mandeb,  welches  einen  Verkehr  mit  dem 
Rothen  Meere  zur  See  selten  erlaubt,  zwang  den  Handel  des 
Meerbusens,  sich  neue  Wege  zu  suchen,  und  es  erhob  sich 
Hodeida,  das  in  Kurzem  fast  den  ganzen  Ka£feehandel  an 
sich  zog,  und  Djedda  gewann  viel,  indem  sich  nun  die  Pro- 
ducte  von  Massua  und  Suakin  zu  ihm  wandten.  Hodeida 
und  das  junge  aber  vielversprechende  Lohe  ja  sind  besonders 
hinsichtlich  des  Imports  von  Djedda  abhängig  und  für  ihren 
Export -ist  das  letztere,  wenn  nicht  der  Stapelplatz,  doch  der 
Transitpunkt,  durch  den  sich  der  Verkehr  mit  Aegypten 
durchzieht  *). 


*)  HandelBberioht  ftber  Djedda. 
(Annales  du  commerce  exterieur.  No.  1040.)    Vom  Jahre  1856. 


1855. 

1856. 

Import. 

Frc.  16,188,000. 

Frc.  17,978,000. 

Export. 

»      10,177,000. 

»       9,914,000. 

Frc.  26,865,000.        Frc.  27,892,000. 

Zum  Import  trug  bei  am  meisten 
Suez  mit  Frc.  7,000,000  in  Waaren. 

Bombay  und  Surat  mit  2,%4,000  » 

Bengalen  und  Malabar  1,459,000  •» 

Hodeida  2,739,000 

Loheja  1,700,000  « 

Suakin  1,095,000  » 

Zu  den  wichtigsten  Importartikeln  gehörten 

ISuez  Frc.  4,250,000. 

Bombay  u.Surat      2,787,000. 
Bengalen  259,000. 

I  Hodeida  2,028,000. 

Loheja  1,450,000. 

Gesan  283,000. 

Mocha  100,000. 


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108 


Vom  Rothen  Meer. 


Massua,  deu  29.  September  1853. 

Von  Djedda  hoben  wir  die  Anker  am  8.  September,  doch 

konnten  wir  erst  am  folgenden  Tage  das  hohe  Meer  gewinnen 

und  näherten  uns  am  10.  der  afrikanischen  Küste  bei  Umm- 

el-Grush  (Mutter  der  Haifische,  die  wirklich  hier  sehr  zahl- 


Weizen,  Durra,  Duchn 


Reis 


1,281,000. 


841,000. 


IKosseir 
Konfada 
Loheja 
Ilodeida 


Gewürze,  Pfeffer  etc. 


Schmalz 


558000. 


Gummi 


Weihrauch  etc. 


438,000. 
213,000. 
205,000. 
158,000. 
f  Bengalen  u.  Malabar  790,000. 
45,000. 

260,000. 
213,000. 

81,000. 
400,000. 
130,000. 
403,000. 
327,000. 

30,000. 

17,000. 
kamen  855  imd 


'\Hodeida 
[  Bengalen 
577,000. 1  Secr 

I  Singapor 
(Suakin 
'\Hodeida 
464,000.   Suakin 

ISeer 
Singapor 
Hodeida 

Es  kamen  22  Segelschiffe  von  Indien  an.     Barken 
liefen  aus  782. 

Der  importirte  Kaffee  bildet  V3  etwa  der  Erndte  im  Jemen.  —  So 
weit  der  Bericht. 

1862  kamen  50  Segelschiffe  nach  Djedda;  die  Medjidie  Vapore 
machte  15  Fahrten.  In  Djedda  sind  1000  Indier,  englische  ünterthanen, 
wovon  200  Handeltreibende. 

Wir  wollen  diesem  Bericht  einige  Notizen  über  Loheja  folgen 
lassen. 

Ein  Hafen,  der  direct  von  Djedda  abhängig  ist,  ist  Loheja  oder 
Lehja.  Ich  verweilte  da  vom  25  —  27.  December  1862.  Ich  schätzte 
die  Einwohner  auf  etwa  10,000,  von  denen  die  Hälfte  etwa  innerhalb 
eines  hohen  Mauerquadrates  leben.  Die  Douaue  ergibt  etwa  40,000 
Thaler  jährlich.  Die  Bewohner  sind  sehr  thätig;  sie  bauen  ausgezeich- 
nete Schnellsegler.  Sie  geben  sich  viel  mit  Fischerei  von  Perlmutter- 
schalen, Perlen  und  Schildkröten  ab.  Ihr  Hauptexport  ist  Kaffee  und 
Duchn,  beides  meist  auf  Commission  von  Djedda.  Sie  haben  etwa  200 
Barken,  die  über  20  Lasten  (Hammel)  tragen.  Eine  Barke  von  25 
Lasten  gilt  400  Thaler;  sie  mag  etwa  300  Centner  Kaffee  tragen.  Die 
bedeutendsten  Kaufleute  sind  Seid  Ahmed  Abker  und  Ba  Keshwin,  der 
letztere  ist  ein  Hadrami.  Die  Rhede  ist  für  grosse  Schiffe  nicht  zu- 
gänglich.   Loheja  gewinnt  immer  mehr  an  Bedeutung. 


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Vom  Rothen  Meer.  109 

reich  sind).  An  den  beiden  folgenden  Tagen  schifften  wir 
unter  schwachem  Winde  und  grosser  Hitze  hinab  bis  Dorura, 
das  einen  geräumigen  Hafen  bildet.  Die  Türken  haben  hier, 
um  die  Beduan  im  Zai\m  zu  halten,  ein  Gastell  gebaut  mit 
20  Soldaten  und  einer  Kanone.  Wir  wurden  von  mehreren 
Besharin,  einem  Stamme,  der  von  hier  bis  Kosseir  schweift, 
besucht,  sie  brachten  uns  Kameelmilch,  die  sie  gegen  unsere 
Durra  eintauschten.  Sie  sind  schwarz,  haben  aber,  wie  alle 
Beduan,  die  Physiognomie  von  Kaukasiem  und  sollen  an  Wild- 
heit keinem  Volke  der  Welt  nachstehen. 

Den  13.  Abends  nach  einer  Küstenfahrt  ohne  Abwechslung 
liefen  wir  in  den  Hafen  von  Suakin  ein  und  verweilten  da- 
selbst bis  zum  19.  Wir  hatten  von  Djedda  aus  Empfehlungs- 
briefe an  Nur-ed-Din  Pascha,  den  Statthalter^  und  wurden 
von  ihm  mit  aller  möglichen  Freimdschaft  empfangen.  Er 
gab  uns  einen  Kawassen  zur  Begleitung,  schickte  uns  Speisen 
auf  das  Schiff  und  bemühte  sich  sehr,  uns  gut  zu  unterhalten. 
Er  ist  erst  seit  \%  Jahren  hier;  man  sieht  ihm  an,  dass  er 
eben  von  Constantinopel  gekommen  ist  Während  in  Europa 
die  ernste  Frage  erörtert  wird,  in  wessen  Macht  Stambul 
nach  dem  Verscheiden  des  „kranken  Mannes*^  fallen  soll, 
setzen  sich  die  Türken  in  Afrika  fest  und  dringen  mit  ihren 
Militär -Colonien  in's  Land  hinein,  Träger  der  orientalischen 
Civilisation  und  Religion.  Beispiele  sind  Suakin,  Aqiq,Mas8ua. 

Die  Karte  lehrt,  dass  diese  drei  Plätze  auf  kleinen,  vom 
Festlande  auf  Schussweite  entfernten  Inselchen  gelegen  sind 
und  Beduanstädten  auf  dem  Continent  vorliegen.  Zuerst  setzten 
sich  auf  diesen  Inseln  Kaufleute  von  Arabien  und  Persien  fest. 


Der  französische  Handelsbericht  (von  1857)  setzt  als  Ausfuhr  10,000 
Sack  Kaffee  (mit  einem  Werth  von  1%  Mill.  Frc.)  an,  (20,000  Kantar) 
und  20,000  Sack  Duchn;  jedenfalls  übertreibt  er  nicht;  dazu  2000  Stück 
Kuhhäute. 

In  Loheja  sind  viele  Banianen  ansässig,  engliscHe  Unterthanen;  sie 
sind  Kaufleute  und  Goldschmiede.  Nach  Loheja  kommt  von  Massua 
viel  Schmalz,  dagegen  führen  sie  dahin  Duchn  aus. 


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110  Vom  Bothen  Meer. 

um  den  Handel  mit  den  Beduan  direct  zu  treiben,  wogegen 
sie  einen  Tribut  an  die  einheimischen  Behörden  entrichteten. 
Später  schickten  die  Türken  auf  diese  Eilande  Soldaten,  die 
in  ihren  Castellen  sicher  waren,  aber  auf  dem  Festlande  keine 
Gewalt  hatten.  Noch  vor  13  Jahren  zahlte  die  Douane  von 
Massua  an  die  Beduan  von  Arkeko  einen  Tribut  von  1005  Tha- 
lern;  noch  vor  12  Jahren  konnte  es  der  Statthalter  von  Sua- 
kin  nicht  verhindern,  dass  man  auf  der  Insel  vor  seinem  Di- 
wan einen  Armenier,  der  unglücklich  als  Arzt  practicirt  hatte, 
buchstäblich  in  vier  Stücke  zerhieb.  Auf  das  Festland  durfte 
in  jener  Zeit  gar  kein  Weisser.  Die  Beduan  standen  unter 
dem  Emir,  der  in  Suakin  eine  gleich  grosse  Gewalt  ausübte, 
wie  der  Kaib  in  Massua. 

Aber  in  diesem  Verhältniss  trat  ein  Umschwung  ein.  Es 
traf  sich,  dass  die  türkische  Begierung  kräftige  Leute  in  diese 
Gegenden  schickte,  die,  mit  gehörigen  Mitteln  versehen,  ihren 
Einfluss  auszudehnen  verstanden.  Nach  Suakin  sandte  man 
400  Soldaten  mit  guten  Offizieren  und  den  jetzigen  Pascha, 
der  Reformen  Uebt.  Seitdem  macht  die  Tracht  der  Beduan 
dem  Kaftan  Platz,  die  Haarfidsur  weicht  dem  Turban,  die 
Hütten  von  Stroh  den  steinernen  Häusern.  Unter  der  jetzi- 
gen Begierung  kann  man  mit  Sicherheit  bis  in's  Gash,  bis 
an  die  Grenze  Aegyptens  reisen.  Die  alten  HäupÜinge  haben 
nur  noch  nominellen  Bang.  Ich  sah  den  früheren  Emir,  der 
ehedem  über  Tausende  von  Lanzen  gebot  und  nie  ausging, 
ohne  von  einigen  Hundert  Kriegern  gefolgt  zu  sein,  einzig  im 
Tarbusch  uns  bewillkommnen. 

Die  Suakin  auf  dem  Festlande  gegenüberliegende  Stadt  ist 
nicht  klein  und  mag  wohl  10,000  Einwohner  haben,  die  alle 
in  Matten-  oder  Strohhäusem  wohnen;  jedes  derselben  ist 
von  dem  andern  durch  hohe,  aus  Gras  und  Schilf  geflochtene 
Hecken  getrennt,  und  diese  bilden  die  Strassen  und  machen 
den  Einblick  in  das  Innere  der  Häuser  immöglich.  Tiefer  im 
Lande  findet  man  nur  vereinzelte  Häuser,  die  zum  Schutz  ge- 
gen die  Hyänen  mit  Domenhecken  umgeben  sind. 


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Vom  Rothen  Meer.  111 

Die  Umgebungen  der  Stadt  sind  dürr  und  salzreich,  daher 
hat  das  Wasser  einen  salzigen  Beigeschmack.  Doch  erheben 
sich  unweit  der  Stadt  Vorgebirge,  in  denen  sich  schöne  was- 
serreiche Thäler  befinden  sollen.  Nach  allem,  was  ich  ge- 
hört, verliert  sich  ein  ziemlich  grosser  Fluss,  der  von  SW. 
kommt,  unweit  Suakin  im  Sande.  Es  war  mir  nicht  vergönnt, 
mich  selbst  von  der  Richtigkeit  dieser  Angabe  zu  überzeugen; 
aber  ich  will  doch  nicht  unterlassen,  anzuführen,  dass  man 
glaubt,  es  sei  der  M'areb,  den  sonst  die  Karten  in  den  Takkaze 
münden  lassen,  dessen  Lauf  aber  bis  jetzt  noch  niemand  voll- 
ständig erforscht  hat.'  Ich  hoffe,  dass  es  mir  vergönnt  sein 
wird,  bei  meiner  nächsten  Beise  diese  Frage  aufsuklären*). 

Die  Eingebomen  von  Suakin  sind  den  Beduan  von  Massua 
sehr  ähnlich,  doch  zeigt  ihre  Sprache  Differenzen,  die  auf 
fremde  Einflüsse  hinweisen. 

Der  Hafen  von  Suakin  ist  sehr  gut:  man  tritt  durch  einen 
natürlichen  tiefen  Canal  ein  und  ankert  dicht  am  Diwan.  Das 
Meer  ist  an  der  afrikanischen  Küste  nicht  so  seicht,  wie  an 
der  arabischen,  der  Boden  senkt  sich  vielmehr  plötzlich,  so- 
dass man  hier  mehrere  gute  Häfen  findet,  während  die  ara- 
bische Seite  arm  daran  ist.  Durch  Inseln  und  Klippen  hin- 
durch fuhrt  ein  Fahrwasser  von  10  Faden  Tiefe. 

Suakin  ist  für  den  Handel  nicht  unwichtig.  Ausser  eini- 
gen Karawanen  von  Abyssinien,  die  Kaffee,  Wachs,  Moschus  etc. 
hierher  bringen,  steigen  viele  Shellabin  vom  Gash  (Takka) 
mit  Elfenbein  und  Shankalla  hier  herab.  Das  Elfenbein 
wird  immer  von  den  Banianen  angekauft;  die  Shankalla 
gehen  meist  nach  Djedda,  wo  der  Centralpunkt  des  Sklaven- 
handels ist.  Man  findet  in  Suakin  ferner  viele  Kuh-  und 
Ziegenhäute,  Zähne  des  Hippopotamus,  Straussenfedem  und 
alle  Meerproducte.  Der  wichtigste  Handelsartikel  ist  jedoch 
das  Gummi  Suakni,  von  dem  eine  sehr  grosse  Menge  ausge- 
führt  wird;   die  Qualität  ist   freilich   nicht  besonders.     Von 


*)  Wir  wissen  jetzt,  dass  es  der  Barka  ist. 


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112  Vom  Rothen  Meer. 

Suakin  bis  Berbera  ist  die  ganze  Küste  fast  ausschliesslich 
mit  Gummibäumen  bedeckt,  deren  Product  nur  zum  kleinsten 
Theile  eingesammelt  wird.  Im  Allgemeinen  muss  man  sagen, 
dass  die  Wichtigkeit  dieses  Handelsplatzes  unter  der  weisen 
Regierung  von  Nur-ed-Din  Pascha  im  Zunehmen  begriflfen 
und  dass  er  schon  jetzt  für  Massua  ein  gefährlicher  Rival  ist .*) 
Nach  dreitägiger  einförmiger  Küstenfahrt  kamen  wir  den 
21.  Mittags  in  Aqiq  an,  der  Mittelstation  zwischen  Suakin 
und  Massua.  Es  ist  wie  Suakin  auf  einer  Insel  gelegen,  die 
eine  Viertelstunde  vom  Festlande  entfernt  ist,  ohne  alle  Ve- 
getation, doch  nicht  ohne  commercielle  Wichtigkeit,  da  viele 
Meerproducte  hierher  zum  Verkauf  gebracht  werden  und  die 
Beduan  hier  ihren  Markt  haben.  Im  August  ziehen  alle 
männlichen  Bewohner  der  Insel  fort,  um  Perlmutterschalen 
und  Perlen  zu  fischen  und  Schildkrötenschalen  einzusammeln, 
und  kehren  erst  im  Frühling  mit  ihrer  Beute  zurück.  Die 
Beduan  dagegen  bringen  im  Winter  ihre  Butter  hierher,  die 
sie  gegen  rohe  Baumwollenzeuge  von  Cairo  austauschen.  Da- 
durch bildet  sich  ein  Handelsverkehr,  der  den  Türken,  welche 
hier  eine  Zollstätte  haben  und  eine  Besatzung  von  zehn  Mann 
unterhalten,  jährlich  5 — 8000  Thaler  eintragen  soll!  Die  Insel 
selbst  aber  gewährt  in  Folge  ihrer  höchst  kärglichen  Vege- 
tation einen  armseligen' Anblick  und  die  Einwohner  müssen 
Monate  hindurch  auf  jede  andere  Nahrung  als  SchafHeisch 
und  Fische  verzichten;  an  Brod  fehlt  es  fast  immer,  wie 
auch    oft    in  Massua   und  Suakin.    Die   Communication  mit 


*)  Nach  dem  französischen  Handelsbericht  von  1859  hat  die  Doiiane 
von  Suakin  60 — 70,000  Fr.  Einnahmen ;  nach  jenem  von  1856  ging  von 
Suakin  nach  Djedda:  für  1  Million  Fr.  im  Ganzen;  darunter  waren: 

Butter  für  400,000  Fr. 
Gummi  für  403,000  Fr. 

Man  weiss,  dass  der  indische  Telegraph  über  Suakin  geht.  Es 
wurde  dann  und  wann  von  Dampfschififen  der  Me^jidie  berührt;  aber 
diess  geschah  mit  so  wenig  Ordnung,  dass  die  Kaufleute  von  Chartum 
sich  nicht  an  diesen  Weg  gewöhnen  konnten. 


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Vom  Rothen  Meer.      '  113 

Djedda  und  dem  Jemen  ist  noch  immer  sehr  unvollständig. 
Die  Einwohner  sind  wahrscheinlich  den  Leuten  von  Dahalak 
verwandt  und  beschäftigen  sich,  wie  diese,  ausschliesslich  mit 
der  Fischerei. 

Den  22.  September  verliessen  wir  Aqiq  und  kamen,  durch 
isehr  schlechten  Wind  hingehalten,  erst  den  26.  in  der  Nacht 
vor  Massua  an.  Am  Morgen  des  folgeiiden  Tages  konnten 
wir  in  den  Hafen  einlaufen  und  das  Meer  wieder  für  längere 
Zeit  nut  dem  Lande  vertauschen.  Dass  ich  an  diesem  Orte 
länger  als  ein  Jahr  verweilen  würde,  hatte  idi  nicht  voraus- 
sehen können,  als.  ich  Suez  verliess.  Was  ich  während  dieses 
längeren  Aufenthalts  von  Land  und  Leuten  kennen  lernte, 
habe  ich  auf  den  folgenden  Blättern  zu   verzeichnen  gesucht. 


Hunzinger,  Ostafrik.  Studien. 


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Mass  ua. 


Massua*)  hat  dieselbe  Lage  wie  Suakin  und  Aqiq,  und 
verdankt  wie  diese  seinen  Ursprung  den  fremden  Handelsleu- 
ten aus  allen  Weltgegenden,  die  von  diesem  sichern  Anhalts- 
punkte aus  den  Handel  mit  dem  Festlande  versuchten.  Noch 
jetzt  werden  alle  Handelsgeschäfte  auf  der  Insel  vollzogen, 
und  niemand  denkt  daran,  seine  Waaren  dem  Festlande  an- 
zuvertrauen. Die  Tradition  schreibt  die  erste  Ansiedelung 
den  Persern  zu;  doch  habe  ich  nur  ein  Anzeichen  gefunden, 
das  für  diese  Behauptung  sprechen  könnte  —  den  Familien- 
namen Fares.  Dagegen  sind  die  ältesten  Familien,  die  Haus- 
und Bodenbesitzer,  die  Azulai  (von  Azulis,  Zula),  die  Dankali 
(von  den  Darfakil),  die  Jemeni  (von  Jemen) ;  dann  gibt  es  Hindi 
(von  Indien),  Mogrebi  und  Bunga8i(von  Marokko),  Djeddani  (von 
Djedda),  Habeshi  (von  Abyssinien).  Familien,  die  sich  ihrer 
Einwanderung  nicht  erinnern,  habe  ich  nicht  gefunden.    Das 


*)  Der  Name  heisst  eigentlich  Medsaü'a,  was  die  Araber  mit  p,yj,ajo 
ausdrücken;  er  rührt  sehr  wahrscheinlich  von  dem  äthiopischen  Verb: 
„dsau  a"  „rufen"  her,  da  man  die  Entfernung  der  Insel  vom  festen 
Land  eine  medsau*a  nannte,  d.  h.  so  weit  man  einen  Ruf  hören  kann; 
diess  ist  wirklich  die  Entfernung  der  Insel  vom  Gerar.  In  der  Landes- 
sprache heisst  die  Insel  Baz'6. 


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Vom  Roihen  Meer.  Il5 

Andenken  an  die  frühere  Garnison,  die  sich  mit  den  Einge> 
bomen  vermischte,  hat  sich  in  den  Familiennamen  Turki  und 
Bosakbash  bewahrt.  Dieses  Conglomerat  erhielt  eine  eigen- 
thümliche  Färbung  durch  Vermischung  mit  Sklaven  von  den 
Galla;  doch  blieb  der  Grundton  immer  der  Bedui,  dessen 
Sprache,  durch  das  Arabische  viel  bereichert,  in  Massua 
stets  herrschend  geblieben  ist,  wie  seine  Sitten  und  sein  Cha- 
rakter in  den  Grundzügen  auf  der  Insel  immer  bewahrt  blie- 
ben, wenn  sie  auch  durch  fremden  Einfluss  und  die  Beschäf- 
tigung der  Einwohner  etwas  umgestaltet  wurden.*)  Wie 
überall,  glauben  sich  auch  hier  die  Stadtleute  von  Massua 
den  Landleuten  durch  feine  Sitten  überlegen,  und  Bedui  ist 
bei  ihnen  fast  ein  Schimpfioame.  Der  Familienstolz  ist  so 
gross,  dass  erst  die  Verarmung  der  letzten  Zeiten  ein  Mit- 
ghed  einer  alten  hiesigen  Familie  nöthigen  konnte,  um  Lohn 
zu  arbeiten,  während  sonst  immer  die  ganze  Stadt  für  die 
Schulden  eines  Einzelnen  einstand.  Der  Adel  ist  kein  Pri- 
vilegium der  Europäer;  die  Verwandten  des  Naib  und  die 
Belou  überhaupt,  so  elend  sie  geworden  sind,  glauben  sich 
doch  immer  besser,  als  andere  Menschenkinder. 

Das  Verhältniss  des  Mannes  zur  Frau  und  die  Heiraths- 
gebräuche  sind  dieselben,  die  bei  den  Beduan  herrschen;  bei 
den  Stadtleuten  sind  natürlich  die  Ausgaben  für  eine  Heirath 
viel  grösser,  der  Schmuck  der  Verlobtien  ist  viel  gewichtiger, 
sodass  manche  ihr  Leben  lang  Junggesellen  bleiben  müssen 
und  Polygamie  eine  Seltenheit  ist. 

Der  Volksstamm  hat  im  Ganzen  durch  die  vielfache  Rassen- 
veränderung an  Schönheit  gewonnen;  er  besitzt  ein  edles  Profil 
und  ist  in  der  Farbe  viel  heller,  als  die  Beduan;  die  Phy- 
siognomie ist,  wie  bei  dem  Abyssinier,  ganz  kaukasisch.    Die 


*)  Der  firemde  Einfluss  zeigt  sich  besonders  im  Häuserbau;  das 
viereckige  Strohhaus  mit  spitzem  Dach  gehört  nicht  Afrika  an,  sondern 
es  ist  den  Jemeniten  entlehnt;  die  wahren  Beduan  leben  selbst  in  den 
Dörfern  noch  immer  in  dem  Mattenzelt  (Ablu). 

8* 


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116  Vom  Rothen  Meer. 

Männer  haben  in  ihrem  Gesicht  einen  Ausdruck  von  Weich- 
lichkeit, Friedfertigkeit,  der  ihrem  Charakter  vollständig  ent- 
spricht; wirklich  haben  die  Türken  von  den  Eingebomen  der 
Stadt  nichts  zu  fürchten,  sie  sind  vielmehr  die  Wölfe  unter 
den  Schafen.  Eine  Flinte  in  die  Hand  zu  nehmen,  ist  bei 
den  Eingebomen  schon  eine  grosse  Sache;  sie  sind  Friedens- 
freunde, in  allen  ihren  Verhältnissen  massig,  ruhig,  von  einem 
feinen  Ton;  es  fehlt  ihnen  nichts,  als  Energie. 

Man  findet  hier  gute  Handwerker,  besonders  von  indischer 
Abstammung;  sie  lernen  den  Europäern  mit  Leichtigkeit  ihre 
Kirnst  ab,  denken  aber  nie  an  eigene  Erfindung.  Es  werden 
hier  sehr  schöne,  solide  Barken  gebaut,  die  Maurer  und  Zim- 
merleute arbeiten  mit  vieler  Geschicklichkeit  und  Schnellig- 
keit, man  drechselt  sehr  hübsche  Gefässe  aus  Büflfelhömern 
und  arbeitet  nicht  übel  in  Elfenbein,  die  Frauen  flechten  die 
niedlichsten  Körbe  und  Gefässe,  die  oft  wasserdicht  sind. 
An  Kunsttalent  mangelt  es  nicht,  doch  bleibt  man  beim  Her- 
gebrachten stehen. 

Die  Hauptbeschäftigung  der  Stadt  ist  der  Handel,  beson- 
ders mit  den  Karawanen,  für  welche  die  Stadtleute  als  Com- 
missionäre  fungiren.  Es  soll  hier  firüher  sehr  reiche  Kauf- 
leute gegeben  haben;  aber  durch  die  Habsucht  der  Pascha's, 
durch  eigene  Grossthuerei  und  Verschwendung  sind  sie  herab- 
gekommen. An  Habsucht  und  Schachergeist  fehlt  es  nicht, 
und  in  dieser  Beziehung  verleugnen  sie  den  semitischen  Cha- 
rakter nicht,  aber  der  Familienstolz ,  der  auch  in  der  jetzigen 
Armuth  rege  bleibt,  verhindert  die  Leute,  sich  wieder  empor- 
zuraflFen.  Der  alte  Reichthum  ist  fort,  aber  die  schönen  Sei- 
dengewänder werden  nicht  abgelegt,  und  die  Hausfirau  wird 
noch  immer  als  eine  Prinzessin  betrachtet,  fiir  welche  eine 
Sklavin  arbeiten  muss.  Urtheilt  man  nach  dem  äussern  An- 
schein, so  glaubt  man  sich  unter  grossen  Kaufleuten,  die 
Stolz  und  Verschwendung,  nicht  aber  Thätigkeit  von  ihren 
Vätern  geerbt  haben. 

Die  Gesänge  der  Stadtbewohner  sind  fast  nur  religiös  und 


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Vom  Rothen  Meer.  117 

haben  einen  eigenthümlichen  Beiz.  Ihre  Gebete  sind  die  des 
Islam,  doch  sehr  lang,  besonders  das  Gebet  der  Aesha,  das 
fast  gesungen  wird,  und  nur  zn  sehr  an  unsern  Rosenkranz 
erinnert,  dessen  Stelle  es  seit  dreihundert  Jahren  vertritt. 
Ausserdem  sind  fiir  alle  Gelegenheiten,  Feste,  Hochzeiten 
u.  8.  w.  Gesänge  üblich,  in  feierlichen  erhabenen  Tönen  von 
wohllautenden  Stimmen  vorgetragen:  ein  Chor,  der  mir  oft 
das  Herz  erschütterte. 

Die  Religion  erscheint  hier  viel  liebenswürdiger  als  im 
übrigen  Orient,  und  der  arabische  Fanatismus  ist  ÜEist  un- 
bekannt. Schimpfwörter  verbietet  der  gute  Ton,  der  hier 
herrscht,  das  tägliche  Brod  von  Aegypten  wird  hier  nicht 
gegessen,  und  die  arabische  Roheit  habe  ich  zu  meinem 
Tröste  in  Massua  nicht  gefunden.  Alles  ist  ästhetisch,  fried- 
lich, fast  weichlich,  in  allem  massig,  ohne  Excess  im  Guten 
wie  im  Bösen;  der  schlechte  Charakter  bleibt  verhüllt  und 
bricht  nur  selten  vollkommen  hervor.  Aber  auch  männliche 
Offenheit  ist  selten,  schmeichlerische  Falschheit  ein  Grundzug 
des  hiesigen  Yolkscharakters.  Hingebung  und  Aufopferung 
für  den  Nächsten,  Treue  bis  zum  Tode  muss  man  hier  nicht 
erwarten:  der  Mangel  an  energischer  Männlichkeit  lässt  eben- 
so wenig  Tugenden,  als  Laster  aufkommen  und  wird  zu  einem 
vorsichtigen  gemässigten  Egoismus. 

Die  Bewohner  leben  von  Fleisch,  Reis,  Durra,  Milch  und 
Kaffee.  Geistige  Getränke  sind  meist  nur  unter  den  Soldaten 
beliebt.  Die  Kleidung  besteht  in  einem  gefärbten  Futta  um 
die  Lenden,  einer  seidenen  Weste  und  einem  langen  weissen 
Hemde;  den  Tarbusch  tragen  nur  die  Türken;  dagegen  setzt 
man  eine  Takie  auf,  ein  festes  buntgewebtes  Käppchen,  um 
das  man  die  Musseline  wickelt. 

Die  Bewohner  der  Insel  habe  ich  auf  kaum  5000  geschätzt, 
von  denen  viele  die  Nacht  in  ihren  Häusern  auf  dem  Fest- 
lande zubringen.  Doch  wird  diese  Zahl  im  Sonmier  durch 
die  Karawanen  wohl  verdoppelt.  Da  der  Handel  die  Stadt 
ernährt,  ist  die  Zahl  der  steinernen  Magazine  gross;  sie  sind 


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118  Vom  Rothen  Meer. 

aber  meist  sehr  eng  und  klein  und  bestehen  mit  wenig  Aus- 
nahmen nur  aus  dem  Erdgeschoss.  Als  Wohnungen  dienen 
fast  nur  Strohhäuser,  die  sogenannten  M'ädeni,  wie  sie  auch  in 
Hodeida  und  Loheja  vorkommen.  Feuersbrünste  sind  auf  der 
Insel  und  am  Festland  sehr  häufig;  doch  lässt  das  Strohfeuer 
die  steinernen  Magazine  unversehrt.  Trotzdem  wird  immer 
wieder  mit  Holz  gebaut,  weil  man  nicht  Geld  genug  hat,  um 
in  Stein  zu  bauen  und  weil  man  die  Strohhütten  kühler 
findet 

Trinkwasser  wird  entweder  von  Arkeko  entnommen,  wo  es 
einen  salzigen  Beigeschmack  hat  oder  von  'MkuUu,  wo  es 
sehr  süss,  aber  halblau  ist.  Auf  der  Insel  selbst  unterhält 
man  viele  Cistemen,  die  sich  im  Winter  mit  Begenwasser 
füllen  und  für  mehrere  Monate  hinreichen. 

Massua  gegenüber  liegen  die  Dörfer  Hotumlu  und  Zaga 
und  zwischen  ihnen  'Mkullu,  eine  kleine  Absiedlung  der  Eu- 
ropäer. 

'Mkullu  ist  ein  angenehmer  Winteraufenthalt;  es  liegt 
eine  voDe  Stunde  vom  Meer  in  einem  Thal,  das  durch  Hügel 
von  der  Ebene  geschieden  ist,  die  zum  Meer  sich  hinzieht. 
Früher  wohnten  viele  Eingeborene  hier;  neben  ihnen  liess 
sich  der  frühere  französische  Oonsul  Hr.  Degautin  nieder;  er 
baute  mit  eigenen  Händen  ein  kleines  Haus,  das  1848  von 
der  Lazaristenmission  angekauft  imd  zur  Kirche  umgeschaflfen 
wurde.  Nach  und  nach  siedelten  sich  mehrere  Europäer  da- 
neben an;  aber  für  die  Verschönerung  des  Platzes  wurde 
wenig  gethan;  die  europäischen  Häuser- sind  kaum  besser  als 
die  der  Eingebomen  und  die  Gärten  sind  zwar  voll  von  Lor- 
beerrosen und  Senna,  aber  eine  eigentliche  Cultur  ist  nicht 
sichtbar.  Da  die  imiliegenden  Dörfer  wenig  Wasser  haben, 
kommen  die  Hirten  und  die  Töchter  des  Landes,  hier  Wasser 
zu  schöpfen,  was  mir  die  biblische  Geschichte  oft  lebendig 
vergegenwärtigte.  'MkuUu  gegenüber  liegt  ein  kleiner  Berg, 
nach  dem  Grabe  eines  Heiligen:  Sheich  Abdallah  genannt, 
von  dem  man  das  Meer  und   die  Insel   übersieht    Wie   oft 


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Vom  Rotheu  Meer.  119 

habe  ich  dort  umfächelt  vom  kühlen  Seewinde  gesessen  und 
geharret,  ob  nicht  ein  nahendes  Segel  mir  Kunde  von  der 
fernen  Heimat  verspreche,  bis  das  Bellen  der  Schakale  und 
das  Heulen  der  Hyänen,  die  nur  in  der  Nacht  aus  ihren 
Schlupfwinkeln  sich  hervorwagen,  mich  daran  erinnerte,  dass 
der  Sternenhimmel  mit  seiner  Tropenpracht  über  mir  aufge- 
gangen sei. 

In  neuerer  Zeit  ist  ^Mkullu  fast  ganz  verlassen;  die  La- 
zaristen  haben  sich  ganz  auf  die  Insel  zurückgezogen,  wo  sie 
eine  schöne  Kirche  und  Missionshaus  gebaut  haben.  Es  ist 
übrigens  vorauszusehen,  dass  'Mkullu  bald  verschwinden 
wird,  da  der  vorUegende  Torrent  jährlich  grosse  Stücke  ab- 
reisst  und  sein  Bett  nach  wenigen  Jahren  direct  über  die 
jetzige  Ansiedlung  gehen  muss.  Die  Leute  von  Massua  leben 
jetzt  in  Hotumlu  und  theilweise  auch  in  Zaga.  Hotumlu  ist 
em  ganz  neues  Dorf;  der  Name  kommt  wohl  von  dem  Baum 
Hotum,  der  in  dieser  Gegend  sehr  häufig  vorkommt.  Der 
Name  'Mkullu  kann  „die  Mutter  von  allem"  bedeuten,  nach 
dem  alten  Brunnen,  der  früher  das  Land  weit  und  breit  ver- 
sorgte oder  „von  allein,"  um  die  verschiedene  Herkimft  der 
Bewohner  zu  bezeichnen.  Hotumlu  reicht. von  'Mkullu  fast 
bis  an's  Meer;  es  ist  die  Villa  der  Massuiner,  die  jede  Nacht 
von  der  City  zurückkehrend  hier  verweilen,  vermehrt  durch 
die  arbeitsuchenden  Beduinen. 

Ein  Blick  auf  die  Karte  schon  zeigt,  dass  Massua  eine 
sehr  wichtige  Stellung  im  Handel  des  südlichen  Rothen  Meeres 
einnehmen  muss.  Es.  ist  der  natürliche  Nordhafen  von  Abys- 
sinien,  und  liegt  dem  Jemen,  dem  Lande  des  Kaffees,  gegen- 
über, kaum  zwei  Tagereisen  davon  entfernt  Auch  von  Djedda 
ist  der  Weg  nicht  weit;  er  führt  über  die  Inseln  von  Daha- 
lak,  die  natürlich  einen  grossen  Theil  ihrer  Meerproducte 
auf  den  Markt  von  Massua  abgeben.  Die  Ebene  zwischen 
dem  Meer  und  dem  Plateau  Abyssiniens,  die  unter  dem  Na- 
men Samhar  bekannt  ist,  hat  auch  Erzeugnisse  (Giunmi, 
Senna,  Butter,  Schmalz  und  Häute),  die  für  den  Zwischen- 


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120  Vom  Rothen  Meer. 

handel  des  Rothen  Meeres  nicht  ohne  Wichtigkeit  sind.  End- 
lich besteht  eine  sichere  und  angenehme  Karawanenstrassc 
von  Sennaar  und  Takka  nach  Massua,  sodass  es  im  Stande 
ist,  einen  grossen  Theil  der  Producte  jener  Länder,  das  El- 
fenbein, die  Hippopotamuszähne,  die  Tamarinde  zu  empfangen. 

Der  Hafen  von  Massua  ist  der  beste  des  Bothen  Meeres. 
Die  Insel  ist  regelmässig  regiert  und  bietet  dem  Handel  schon 
durch  ihre  Lage  eine  natürliche  Sicherheit;  europäische  Kauf- 
leute und  Schiffe  finden  hier  einen  (französischen)  Consul,  so- 
dass sie  für  ihre  Geschäfte  keinerlei  Schwierigkeiten  zu  be- 
fürchten haben. 

Diess  gilt  jedoch  nur  für  die  Insel.  Die  beständigen,  oben 
besprochenen  Umwälzungen,  denen  das  abyssinische  Festland 
ausgesetzt  ist,  üben  natürlich  einen  sehr  verderblichen 
Einfluss  auf  den  Binnenhandel  aus.  Bei  dem  gegenwär- 
tigen Kriegszustande  wagen  die  grossen  Karawanen  kaum 
mehr,  ziun  Meer  hinabzusteigen.  Dieselben  steigen  jähr- 
lich nur  einmal  von  ihren  Bergen  herab,  im  Juni  oder 
Juli.  Die  Waaren  sind  in  Bockhäuten  (Girbe)  verpackt 
und  gewöhnlich  auf  Maulthiere  geladen,  die  den  Weg  von 
den  Grenzen  der  Gallaländer  in  zwei  bis  drei  Monaten  zu- 
rücklegen können.  Die  Karawanen  (Gafileh)  sind  aber  oft 
gezwungen,  an  den  Ufern  des  Takkaze  zu  warten,  bis  sein 
Wasser  hinreichend  geMlen  ist,  um  den  Uebergang  zu  ge- 
statten. Da  die  Regenzeit  im  Spätfrühling  eintritt,  und  das 
Wasser  vor  October  nicht  sinkt,  so  kann  man  den  Takkaze 
nur  vom  October  bis  April  mit  Waaren  passiren.  Diess  be- 
stimmt den  Zug  der  Karawanen,  die  im  Winter  bis  in^s  60- 
djam  gehen,  im  Frühling  zurückkehrend  den  Takkaze  passi- 
ren, und  sich  in  Adua  aufhalten,  sodass  sie  im  Juni  in  Massua 
ankommen.  Man  sieht,  die  Tagemärsche  sind  nicht  gross,  — 
aus  Rücksicht  für  die  Lastthiere,  welche  starke  Tagemärsche 
auf  der  schwierigen  Gebii^sstrasse  nicht  lange  aushalten 
würden. 

Die  Waaren,   die  von   den  Abyssiniem  nach  Massua  ge- 


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Vom  Rothen  Meer.  121 

bracht  werden,  sind  meistens  Producte  der  Gallaländer,  so 
der  gute  Kaffee,  das  Gold,  das  weisse  Wachs  u.  s.  w.  Die 
Galla  bringen  ihre  Waaren  gewöhnlich  nur  bis  in's  Godjam, 
wo  der  grosse  Stapelplatz,  besonders  für  den  Kaffee  ist. 

Jeder  abyssinische  Kaufinann  (Neggade)  hat  in  Massua 
seinen  Commissionär(Nesil),  der  sein  Sicherheitsbürge  ist  (da 
Abyssinien  mit  der  Türkei  keinen  officiellen  Verkehr  unter- 
hält), ihm  ein  Haus,  Feuer  und  Wasser  liefert,  und  alle  seine 
Greschäfte  während  seines  Aufenthalts  besorgt.  Dafür  nimmt 
der  Nesil  von  allen  Käufen  und  Verkäufen  eine  mehr  oder 
minder  bedeutende  Commissionsgebühr.  Dieser  Tribut,  der 
zwischen  5  und  10  Procent  beträgt,  ist  so  fest  in  den  Lan- 
desgebräuchen gewurzelt,  dass  es  eine  Thorheit  wäre,  ihn 
umgehen  zu  wollen,  um  so  mehr,  da  es  die  Nesil  sind,  welche 
jedes  Geschäft  in  Händen  haben  und  es,  nach  ihrer  Laune, 
zu  Gunsten  ihrer  Freunde  abmachen. 

Geschäfte  mit  den  Abyssiniern  sind  einfach  und  schnell  ab- 
gethan.  Die  ersten  Tage  nach  ihrer  Ankunft  zögern  sie  sehr 
mit  dem  Verkauf  der  mitgebrachten  Waaren;  keiner  will  der 
erste  sein,  aus  Furcht,  den  Markt  zu  verderben.  Doch  so- 
bald ein  grosser  Kaufinann  das  Beispiel  gegeben  und  den 
ersten  Verkauf  gemacht  hat,  wird  der  ganze  Vorrath  von 
gleichen  Waaren  in  einem  Augenblick  ohne  weiteres  Markten 
losgeschlagen.  Tauschhandel  ist  nicht  beliebt.  Man  muss 
mit  guten  Maria- Theresia -Thalem  (Edri)  versehen  sein,  um 
vortheilhaft  kaufen  zu  können;  erst  später  erhalt  man  beim 
Verkauf  der  eigenen  Waaren  einen  Theil  seines  Geldeö  wieder 
zurück,  aber  die  Abyssinier  nehmen  doch  kaum  mehr,  als  die 
Hälfl;e  des  realisirten  Geldes  in  Waaren  zurück.  Der  Import 
ist  dem  Export  bei  weitem  nicht  propoiüonirt. 

Ehrlichkeit  und  Rechtlichkeit  sind  die  erste  Bedingung 
für  den,  der  mit  den  Abyssiniern  zu  thun  haben  will.  Sie 
sind  sehr  misstrauisch,  wittern  sofort  Betrug,  wo  sie  Schlau- 
heit bemerken,  wissen  dagegen  Offenheit  in  Geschäften  sehr 
wohl  zu  schätzea 


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122  Vom  Rothen  Meer. 

Die  grossen  Karawanen  kommen,  wie  gesagt,  nur  einmal 
des  Jahres  nach  Massua;  doch  gibt  es  viele  kleine  Kaufleute 
vom  Tigre  und  Hamasen,  die  während  des  ganzen  Jahres 
aus-  und  eingehen  und  den  Markt  stets  in  einiger  Thätigköit 
erhalten.  Die  eigentliche  Geschäftssaison  sind  die  Sommer- 
monate. 

Die  bösen  Zeiten  haben  es  mit  sich  gebracht,  dass  eine 
Karawane  einer  kleinen  Armee  nicht  unähnlich  sieht.  Die 
grossen  Neggade  bringen  nur  wenige  Diener  nach  Massua, 
da  sie  eine  Unzahl  Dienstleute  auf  der  Grenze  bei  ihren  Maul- 
thieren  zurücklassen.  Die  Tracht  des  reisenden  Abyssiniers 
besteht  in  kurzen  engen  ^^^Qkleidern  und  einer  sehr  langen 
dichten  weissen  Schärpe,  die  um  die  Hüfte  gewickelt  ist;  da- 
rüber trägt  er  die  ungenähte  viereckige  Toga  (Quari),  von 
der  er  ein  Ende  über  die  eine  Schulter  wirft.  An  seiner 
Rechten  hängt  das  lange,  krumme  Schwert  (Shotel),  und  aus- 
serdem trägt  er  einen  grossen  runden  bucklichten  Schild  aus 
Büffelhaut  und  eine  langspitzige  Lanze.  Aber  auch  Feuer- 
gewehre, mit  denen  besonders  Europäer  einen  einträglichen 
Handel  treiben,  sind  von  jeher  sehr  verbreitet  gewesen.  Eine 
solche  Ausrüstung  ist  zum  Schutz  der  Karawanen  in  dem 
unruhigen  Lande  unentbehrlich;  oft  hört  man  von  Schlachten, 
die  geschlagen  wurden,  um  den  freien  Durchgang  zu  erzwin- 
gen, sodass  diese  Karawanenzüge  mehr  an  unsere  alten  Rit- 
terfahrten erinnern,  als  an  die  Reisen  friedlicher  Kaufleute. 
In  Wahrheit  ist  jeder  Abyssinier  ein  gebomer  Krieger,  — 
eine  natürliche  Folge  der  politischen  Zustände  des  Landes, 
die  unsern  mittelalterlichen  in  allem  ähnlich  sehen,  ausge- 
nommen in  der  Stellung  der  Stände.  Wenn  es  in  Abys- 
sinien  auch  einen  Adel  gibt,  der  sich  nur  mit  Kriegen  und 
Rauben  beschäftigt,  so  ist  er  doch  von  dem  Kaufmann  nicht 
durch  eine  breite  Kluft  geschieden;  der  Uebergang  von  dem 
einen  Stande  zum  andern  ist  sehr  leicht  und  kommt  täglich 
vor.  Ein  Geburtsrecht  wird  in  Abyssinien  durchaus  nicht 
anerkannt,  ausser  für  den  Kaiser.    Der  Bauer,  der  Kaufinann, 


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Vom  Rothen  Meer.  123 

der  Soldat,  der  Grundbesit^r,  alle  sind  gleich  wohlgeaehtet, 
und  selbst  den  Geringsten  kann  das  Glück  in  eine  angesehene 
Stellung  führen.  Der  Herr  wird  arm  und  dient,  der  Diener 
wird  reich  und  spielt  den  Herrn.  Verächtliches  ist  nichts 
dabei;  deswegen  ist  hier  auch  das  Verhältniss  des  Dieners 
zum  Herrn  ganz  anders,  als  in  Europa,  es  ist  viel  vertrau- 
Ucher  und  wird  oft  zur  Freundschaft.  Die  Folge  davon  ist, 
dass  auch  der  Diener  viel  mehr  Ergebenheit  zeigt,  als  in  je- 
dem andern  Lande;  er  mag  alle  Laster  haben,  dennoch  be- 
sitzt er  die  in  einem  so  wilden  Lande  unschätzbare  Tugend, 
treu  zu  sein  bis  in  den  Tod,  dem  er  für  seinen  Herrn  mit 
Freude  entgegengeht.  Geburtsstolz  wird  man  aus  dem  ange- 
fahrten Grunde  bei  den  Abyssiniem  kaum  finden;  viel  stärker 
ist  der  Geldstolz.  Da  das  Geld  hier  zehnmal  mehr  werth 
ist,  als  in  Europa,  und  die  grössten  Handelsleute  nicht  mehr 
als  ein  paar  tausend  Thaler  besitzen,  muss  es  einem  Europäer 
lächerlich  vorkommen,  Leute  mit  einem  Vermögen  von  eini- 
gen hundert  Thalern  eine  Grandezza  annehmen  zu  sehen,  wie 
wir  sie  bei  unsem  Millionären  nicht  [finden.  Wenn  man  einen 
Neggade  antrifft,  der  seine  Quari  bis  zu  den  Augen  empor- 
zieht, was  den  Umstehenden  zeigen  soll,  dass  er  sie  als  ihm 
untei^eordnete  Personen  betrachtet,  so  kann  man  sicher  sein, 
einen  Gapitalisten  von  wen^stens  dreihundert  Edri  vor  sich  zu 
haben,  die  freilich  mit  eigenem  langjährigen  Schweisse  erworben 
sind.  Doch  gibt  solche  Anmassung,  die  dann  und  wann  auch 
gegen  den  Europäer  an  den  Tag  tritt,  eher  Stoff  zur  Erhei- 
terung, als  zum  Verdruss.  Uebrigens  finden  sich  viele  ehren- 
werthe  Ausnahmen,  besonders  unter  den  reichern  Kaufleuten, 
die  von  der  Welt  genug  gesehen  haben,  um  zu  wissen,  dass 
es  noch  grössere  Geldherren  gibt,  als  die  abyssinischen 
Neggade. 

Die  mohammedanischen  Abyssinier  sind  ohne  Zweifel  be- 
deutendere und  bessere  Handelsleute,  als  ihre  christlichen 
Landsleute;  ihr  Hauptgeschäft  ist  der  Sklavenhandel,  der  sie 
oft  nach  Djedda  führt.    Ich  habe  nie  ein  Volk  gesehen,  das 


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124  Vom  Rothen  Meer. 

sich  seine  Religion  so  wahrhaft  innig  zu  Herzen  nimmt,  wie 
diese  Mohammedaner,  die  neben  ihren  Glaubensbriidem,  den 
Arabern,  in  Zucht  und  Rechtlichkeit  wie  Engel  dastehen,  und 
wahre  Früchte  des  Glaubens  hervorbringen.  Ohne  Zweifel 
wirkt  darauf  der  Umstand  ein,  dass  sie  in  Abyssinien  die 
Minorität  bilden,  wie  es  auch  in  den  paritätischen  Ländern 
Europas  sichtbar  ist.  Die  abyssinischen  Muslimin  sind  ihrem 
Glauben  sehr  zugethan,  oft  sogar  etwas  fanatisch,  was  aber 
nie  offen  hervortritt.  Sie  dienen  in  Abyssinien  als  Zöllner, 
wie  die  Kopten  in  Aegypten;  sind  durchschnittlich  gebildeter, 
als  die  Christen,  und  bessere  Rechner  und  Diplomaten,  wes- 
wegen sie  oft  zu  Gesandtschaften  zwischen  christlichen  Fürsten 
gebraucht  werden.  Sie  sind  in  der  Welt  des  Islam  sehr  gut 
angesehen,  und  es  gehen  aus  ihrer  Mitte  oft  Sheichs  hervor, 
die  man  auch  in  Djedda  und  im  übrigen  Arabien  sehr  hoch 
verehrt,  und  eines  nähern  Umganges  mit  Gott  theilhafiig 
glaubt. 

Jede  Karawane  theilt  sich  in  verschiedene  Gruppen,  nach 
den  bedeutenderen  Kaufleuten,  aus  denen  sie  besteht,  und 
um  die  sich  die  kleinem  wie  zu  ihrem  Hause  gehörig  schaa- 
ren.  Das  Haupt  ist  der  Neggaderas,  der  frei  gewählt  wird, 
und  während  der  Reise  die  Ausgaben  für  Zölle  und  andere 
Abgaben  für  die  ganze  Gemeinschaft  bestreitet,  und  erst  spä- 
ter die  Auslagen  von  jedem  Einzelnen  einzieht.  Das  Leben 
während  der  Reise  ist  nicht  unangenehm.  Man  ipacht  ganz 
kurze  Märsche,  lagert  immer  ausserhalb  der  Städte  im  Schat- 
ten eines  grossen  Baumes,  und  erfreut  sich  mit  Trinkgelagen 
(wozu  man  sich  stets  hinlänglich  mit  Honig  versieht),  wo 
nicht  selten  die  Eifersucht  des  Chefs,  durch  die  Trunkenheit 
aufgestachelt,  tödtlichen  Streit  veranlasst,  der  zuweilen  mit 
den  Waffen  ausgefochten  wird. 

Die  Wahl  der  Waaren,  die  ein  Neggade  nach  Massua 
bringt,  ist  durch  alte  Gewohnheit  geregelt;  es  würde  einem 
kleinen  Handeismanne  sehr  übel  genommen  werden,  wenn  er 


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Vom  Rothen  Meer.  125 

Elfenbein  und  Gold  mit  sich  brächte,  was  nur  den  grossen 
Kaufleuten  gestattet  ist. 

Der  christliche  Neggade  ist  listig  und  interessirt,  aber 
nicht  sehr  intelligent  und  ein  ziemlich  schlechter  Bechner, 
daher  ihn  sein  Geschäftsfreund  in  Massua,  der  mohammeda- 
iiische  Nesil,  mit  guten  Worten  nach  seinem  Wunsche,  aber 
natürlich  nicht  immer  zum  Vortheil  des  Christen  zu  behandeln 
Tersteht  Aber  der  Krug  geht  eben  nur  so  lange  zum  Brun- 
nen, bis  er  bricht,  und  Bechtlichkeit  bewährt  sich  auch  in 
Massua  als  die  einzig  dauerbare  Grundlage  des  Verkehrs. 

Unter  den  Handelsartikeln  wird  Wachs  aus  den  Provin- 
zen Tigre,  Godjam,  Korata,  Amhara  und  von  Gallabat  fast 
ausschliesslich  nach  Massua  geführt.  Das  Tigre -Wachs  ist 
schwarz,  roh,  und  sehr  schmutzig;  Gallabat  ist  fast  weiss 
und  verlangt  keine  andere  Reinigung.  Die  andern  Sorten 
sind  hellgelb  und  schon  einmal  gereinigt.  In  Massua  nimmt 
man  eine  letzte  Reinigung  vor,  und  giesst  das  Wachs  in  Brode 
von  etwa  20  Pfand  um.  Es  gibt  hier  mehrere  Leute,  die 
sich  nur  mit  dem  Bleichen  des  Wachses  abgeben,  indem  sie 
es  in  dünnen  Schnitten  der  Sonne  aussetzen.  Dieses  weisse 
Wachs  geht  meist  nach  Djedda  für  den  Localgebrauch,  wäh- 
rend vom  gelben  viel  nach  Cairo  und  Europa  kommt.  Das 
letzte  Jahr  hat  man  ansehnliche  Quantitäten  nach  Bourbon 
und  Bombay  exportirt.  Es  mögen  jedes  Jahi*  4 — 500  Centner 
Wachs  in  Massua  ankommen ,  und  die  Zufuhr  wächst  mit  der 
Nachfrage,  da  das  Wachs  reichlich  und  zum  Theil  in  Land- 
schaften gewonnen  wird,  deren  Verkehr  mit  Massua  vom  Was- 
serstande des  Takkaze  imabhängig  ist. 

Der  Kaffee  ist  das  Hauptproduct  der  Gallaländer  (Gudru, 
Narea,  Kaffa);  die  erste  Qualität,  Gudru,  hat  kleine  gelbliche 
Bohnen  mit  einem  starken  Aroma.  Man  vermischt  sie  aber 
oft  mit  der.  untergeordneten  Soi'te  vom  Godjam,  die  grosse, 
grüne  Bohnen  hat,  und  so  dem  Mochakaffee  ähnlich  sieht. 
Der  Gallakaffee  wird  selten  rein  von  Massua  exportirt;  die 
Eingebor nen   mischen    ihn  mit  dem   Mocha,    wodurch    dieser 


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126  Vom  Rothen  Meer. 

etwas  wohlfeiler  zu  stehen  kommt.  In  Cairo  und  Syrien 
schätzt  man  nur  die  letztere  Qualität.  —  Die  Hauptkarawanen 
des  Kaffees  kommen  im  Sommer  an.  Beim  Ankauf  unter- 
scheidet man  keine  Qualitäten,  man  nimmt  ihn,  wie  er  sich 
in  den  Girbe  findet,  mit  vielem  Staub,  Hülsen  und  schwarzen 
Körnern  vermischt.  —  Es  ist  .bekannt,  dass  das  Wort  Kaffee 
aus  dem  Gallalande  Kaffa  stammt,  dem  Heimatlande  der 
Sorten  des  Jemen  und  somit  der  ganzen  Welt;  doch  während 
die  vielen  verschiedenen  Töchter  ihre  Liebhaber  gefunden  ha- 
ben, bleibt  die  Mutter  ganz  unbeachtet.  Der  Galla- Kaffee 
ist  nie  auf  den  europäischen  Markt  gekommen,  obwohl  er  des 
feinen  Geruchs  und  Geschmacks  nicht  ermangelt. 

Das  Elfenbein  kommt  von  aUen  Gebirgsländem  dieses 
Continents,  die  waldig,  nicht  zu  kalt,  und  nicht  übervölkert 
sind,  vom  Tigre  bis  zu  den  fernsten  Galla  und  von  den  Ha- 
bab  bis  ziun  Sennaar.  Den  Werth  des  alljährlich  nach  Mas- 
sua  geführten  Elfenbeins  kann  man  auf  mehr  als  20,000  Tixlr. 
veranschlagen,  und  die  ganze  Quantität  wird  gewöhnlich  in 
Bausch  und  Bogen  von  den  indischen  Kaufleuten  (Banianeu) 
angekauft.  Schon  vier  Tagereisen  von  Massua,  bei  den  Habab, 
wird  auf  Elefanten  gejagt.  Es  finden  sich  imter  den  Belou 
mehrere  gute  Schützen,  die  nach  einer  Abmachung  mit  Han- 
delsleuten, welche  ihnen  das  Material  vorstrecken,  auf  halben 
Gewinn,  mit  einem  kurzen,  sehr  schweren,  massiven  Lunten- 
gewehr von  bedeutendem  Kaliber  auf  diese  Jagd  ausziehen. 
Sie  zielen,  indem  sie  den  Lauf  auf  die  Schulter  eines  Beglei- 
tei*s  auflegen,  was  den  Rückschlag  dieser  kleinen  Kanone 
schwächt.  Man  findet  sehr  gute  Elefantenjäger  in  Dokouo 
und  unter  den  Abyssiüiern;  bei  Vorsicht  ist  die  Jagd  nicht 
sehr  gefährlich,  doch  sind  noch  wenige  der  in  Massua  be- 
kannten Jäger  eines  natürlichen  Todes  gestorben. 

Moschus  kam  früher  in  grosser  Menge  nach  Massua;  doch 
da  diesem  Artikel  in  Cairo  und  Djedda  wenig  nachgefragt 
wird,  ist  der  Handel  damit  tast  ganz  angegeben.  Dagegen 
wird  Gold  auch  jetzt  noch  reichlich  nach  Maßsua   gebracht 


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Vom  Rothen  Meer.  127 

und  von  hier  nach  Bombay  exportirt.  Beim  Ankauf  wird  es 
im  Kohlenfeuer  geprüft. 

Für  Sklaven  war  Massua  früher  ein  bedeutender  Markt; 
jetzt  hat  der  Sklavenhandel  aber  sehr  abgenommen,  und  im 
Jahre  1854  kamen  kaum  1000  Köpfe  an,  meist  Mädchen. 
Shankalla  werden  nur  in  geringer  Anzahl  als  Sklaven  nach 
Massua  geführt,  und  bleiben  meistens  hier  zum  gewöhnlichen 
Hausdienst.  Die  Galla  aber  werden  grösstentheils  nach  Djedda 
exportirt  und  theuer  bezahlt.  Sie  sind  sehr  schön,  aber  durch- 
gängig hochmüthig  und  perfid.  Sie  werden  nie  zu  niederen 
Üiensten  verwandt,  wozu  sie  sich  kaum  verstehen  würden. 
Sie  glauben  sich  bestimmt,  im  Haus  zu  regieren  und  stechen 
bei  ihrem  energischen  Charakter  die  Hausfrau  sehr  leicht  aus. 
Ihr  Vaterland  sind  die  verschiedenen  heidnischen  Gallaländer, 
wo  die  mohammedanischen  Kauf  leute  sie  wegstehlen  oder  von 
dem  König  des  Landes  oder  den  Eltern  kaufen  und  auf  den 
Markt  nach  dem  Godjam  bringen.  Es  ist  den  christlichen 
Abyssiniem  unter  Leibesstrafe  verboten,  sich  am  Sklavenhandel 
zu  betheiligen;  doch  war  es  leicht,  das  Blutgesetz  des  Ubi6 
zu  umgehen,  zumal  da  auch  die  Christen  kein  Verbrechen 
darin  sehen,  Heiden  zu  Sklaven  zu  machen.  Die  Gallaknaben 
werden  gewöhnlich  von  türkischen  Offizieren  angekauft  und 
in  die  Armee  unter  die  Lohntruppen  des  Sultans  im  Jemen 
und  Djedda  eingereiht.  Die  Mädchen  kommen  in  den  Harem 
und  gewöhnlich  hat  man  sich  über  sie  mehr  zu  beklagen,  als 
dass  sie  beklagt  zu  werden  verdienten:  denn  im  Allgemeinen 
behandeln  die  Europäer  ihre  freien  Diener  schlechter,  als  die 
Muslimin  die  Sklaven.  Der  Haupthandelsplatz  für  Sklaven 
ist  Zeila,  trotz  der  Nachbarschaft  Aden's  und  der  Landsleute 
von  Wilberforce.  Der  Handel  hat  durch  das  Verbot  wenig 
gelitten,  nur  wird  er  mit  mehr  Heimlichkeit  betrieben,  um 
ihn  vor  den  Augen  der  Europäer  zu  verbergen. 

In  frühem  Jahren  kamen  sehr  oft  Schiffe  aus  Bourbon 
und  Mauritius,  um  abyssinische  Maulthiere  und  Pferde  zu 
laden,  die  in  den  dortigen  Plantagen  verwendet  werden.  Doch 


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128  Vom  Rothen  Meer. 

hat  dieser  Handel  fast  aufgehört.  Die  Maulthiere  gelten  im 
Durchschnitt  an  der  Küste  nur  10  Thaler,  doch  muss  mau 
riskiren,  dass  ein  Theil  der  Ladung  auf  der  Ueberfahi-t  zu 
Grunde  geht;  bei  gutem  Wind  und  hinlänglichem  Wasser  und 
Heu  hat  man  indess  keinen  beträchtlichen  Verlust  zu  besor- 
gen. Das  abyssinische  Pferd  ist  schön,  ein  guter  Renner, 
doch  hat  es  nicht  den  eleganten  Bau  und  die  Intelligenz  des 
echten  Nedjd. 

Abyssiniens  Ausfuhrhandel  könnte  noch  sehr  erweitert 
werden.  Das  Land  ist  reich  und  vielgestaltig;  alle  Klimata 
sind  in  seinen  Grenzen  vertreten,  von  der  Kälte  des  Semien 
bis  zur  Fieberhitze  der  Takkaze-Ufer.  Der  Abyssinier  ist 
durch  seine  Naturanlage  Ackerbauer  und  überlässt  die  Aus- 
übung von  Künsten  und  Gewerben  meist  den  Juden  (Falasha); 
demungeachtet  sind  die  so  verachteten  Gewerbe,  die  sich  mit 
dem  Stein  und  dem  Eisen  befassen,  zu  einer  seltenen  Voll- 
kommenheit, besonders  in  Gondar  gebracht  Der  Ackerbau 
wird  sorgfältig  betrieben,  doch  lassen  die  beständigen  IQiege 
dem-  unglücklichen  Landmann  keine  Ruhe  und  seiner  Emdte 
beraubt,  zieht  er  es  vor,  selbst  Soldat  zu  werden,  um  nicht 
zu  säen,  wo  ihm  zu  erndten  nicht  vergönnt  ist.  So  liegen 
jetzt  viele  fruchtbare  Striche  wüst;  aus  dem  Pfluge  hat  mau 
ein  Schwert  geschmiedet.  Im  Friedenszustande  könnte  Abys- 
siiiien  viel  ausführen  und  mit  Leichtigkeit  den  ägyptischen 
Weizen  von  den  Seemärkten  des  rothen  Meeres  verdrängen. 
Die  Schwierigkeit  des  Transports,  aus  Mangel  an  Strassen, 
ist  ausser  dem  Kriege  das  einzige  Hindemiss  der  wahren 
Entwickelung  des  abyssinischen  Handels;  das  Land  ißt  so  ge- 
birgig, die  Pässe  so  schmal  imd  steil,  dass  selbst  das  vor- 
sichtige Maulthier  nur  mit  Mühe  und  Gefahr  seinen  Weg  findet 

Man  bringt  viel  rothen  Pfeffer  von  sehr  guter  Qualität 
für  den  Platzverbrauch  nach  Massua;  er  wird  bei  allen  abys- 
sinischen Speisen  verwendet.  Der  schwarze  gewöhnliche  Pfeffer 
wird  von  Indien  eingeführt. 

Abyssinien  erzeugt  eine  gute  Baumwolle,   die  aber  für 


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Vom  Rothen  Meer.  129 

den  Landesgebrauch  so  wenig  ausreicht,  dass  man  ihr  Massen 
von  Surati  beimischt,  die  von  den  Banianen  nach  Massua 
gebracljt  wird.  Das  Spinnen  derselben  ist  die  gewöhnliche 
Beschäftigung  der  Frauen  aller  Stände.  Alle  Kleider  werden 
im  Lande  gesponnen ;  die  rohen  Baumwollenzeuge  europäischer 
Fabrikation  taugen  für  das  meist  kalte  Abyssinien  nicht. 
Man  kennt  das  Färben  der  Stoffe  nicht  und  bedarf  deshalb 
der  Einfuhr  besonders  von  rothen  Baumwollenzeugen  (Suli) 
aus  Indien,  womit  man  die  weissen  Togen  (Quari)  säumt. 

Für  die  Europäer  ist  es  nicht  schwer,  Besitzungen  in 
Abyssinien  zu  erhalten;  fast  alle  Reisenden,  die  dorthin  ge- 
kommen sind,  haben  solche  gehabt.  Doch  bis  jetzt  besteht 
der  einzige  Nutzen  derselben  in  der  Einführung  der  Kartoffeln 
durch  Hm.  Schimper. 

An  Metallen  ist  Abyssinien  reich,  sie  sind  aber  meistens 
unbenutzt.  Das  Eisen  wird  im  Lande  bearbeitet.  Blei  ist 
fast  unbekannt;  die  Kugeln  werden  meist  aus  Eisen  und  sogar 
von  Stein  gemacht.  Das  Kupfer,  das  zu  Kesseln  verarbeitet 
wird,  kommt  von  Cairo. 

Die  Einfuhr  nach  Abyssinien  (Waffen  ausgenommen)  wird 
in  der  nächsten  Zeit  schwerlich  bedeutend  werden,  weil  die 
Bewohner  dieses  Landes,  abweichend  von  den  afrikanischen 
und  arabischen  Beduinen  eine  eigenthümliche,  in  Gewerben, 
Küche,  Getränken,  Landbau  etc.  fest  ausgebildete,  wenn  auch 
etwas  rohe  Sitte  haben.  Bis  jetzt  ist  es  noch  keinem  Euro- 
päer gelungen,  unsere  Cultur  dorthin  zu  verpflanzen,  im 
Gegentheil  haben  sich  alle  Europäer,  die  nach  Abyssinien 
gekommen  sind,  der  Landessitte  anbequemt.  Diese  aber  be- 
darf des  Auslandes  fftst  gar  nicht. 

Die  Ebene  zwischen  Dokono  und  Zula,  die  sich  wohl 
sechs  Stunden  weit  erstreckt,  ist  nur  von  dem  domigen 
Gummibaum  bedeckt.  Da  diese  Gegend  schon  als  zum 
Gebiet  der  Saho  gehörig  betrachtet  wird,  haben  diese  das 
Recht  der  Erndte,  die  in  den  heissesten  Sommermonaten  auf 
Bestellung  der  Leute   von  Dokono   vorgenommen   wird;   der 

Man  Ein  g«  r ,  OtUfrik.  Studien.  9 


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130  Vom  Rothen  Meer. 

Ertrag  "wird  nach  Massua  gebracht.  Bei  der  ungeheuren 
Menge  von  Gummibäumen  im  Samhar  kann  er  sehr  gesteigert 
werden;  jetzt  richtet  sich  der  Umfang  der  Emdte  nach  der 
Bestellung.  Der  hiesige  Gummi  ist  dem  sogenannten  Suakni^ 
der  von  Gadarif  kommt,  weit  überlegen  und  kommt  in  grossen, 
weissen  oder  hellgelben,  klaren,  elastischen  Stücken  zu  Markt, 
doch  wird  er  beim  Transport  nicht  genug  geschont. 

Das  Senna  ist  eine  Medicinalpflanze,  die  nach  den  ersten 
Begen  im  Ueberfluss  im  ganzen  Lande  emporschiesst  und  nach 
Verlangen  von  den  Beduinen  gesammelt  wird.  Ihr  officineller 
Gebrauch  ist  den  Eingebomen  gut  bekannt. 

Der  Handel  der  Insel  mit  den  Bedidnen  ist  sehr  bedeu- 
tend; da  sie  alle  Hirten  sind,  die  wenig  Ackerbau  treiben  und 
keine  Industrie  besitzen,  so  werden  hierdurch  die  Hauptgegen- 
süinde  »des  Exports  und  Imports  von  selbst  bezeichnet  Die 
Saho  bringen  Kuhhäute  in  der  Milch  bearbeitet  (ielem)  oder 
rothgegerbt  (masbuk),  dann  sehr  schöne  grosse  Ziegenhäute 
und  Butter.  Die  Beduinen  und  die  Habab  haben  dieselben 
Ausfuhrartikel,  besonders  aber  rohe  Kuhhäute,  Butter  und  Fett. 

Mit  der  Butter,  die  flüssig  in  Schläuchen  von  allen  Län- 
dern zwischen  dem  Meere  und  Kassala  nach  Massua  gebracht 
wird,  und  den  Häuten  wird  ein  bedeutender  Handel  nach  dem 
Jemen  und  Djedda  getrieben.  Diese  Artikel  werden  gegen 
Durra  vom  Jemen  und  Baumwollenzeuge  von  Cairo,  dem  ein- 
zigen Kleidungsstoffe  der  Beduinen,  ausgetauscht.  Die  rothen 
Kuhhäute  gehen  nach  Aegypten,  die  bearbeiteten  finden  in 
Arabien  bequemen  Absatz.  Die  Karawanen  der  Habab  haben 
in  Zaga  nahe  bei  Massua  ihre  Commissionäre,  unter  ähnlichen 
Verhältnissen,  wie  die  Abyssinier.  Auch  die  Leute  von  Ha- 
masen  konmien  mit  den  genannten  Waaren  nach  Massua, 
ausserdem  bringen  sie  Honig  und  viel  Getreide.  In  ihren 
Ankäufen  gleichen  sie  aber  eher  den  Abyssiniem. 

Da  die  Beduinen  sehr  beschränkte  Bedürfnisse  haben,  kann 
bei  ihnen  nur  das  importirt  werden,  was  zur  Kleidung  nöthig 
ist.     Der  Unterschied,  der  sich  in  dieser  Abhängigkeit   von 


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Vom  Hothen  Meer.  131 

den  Fremden  zwischen  den  Beduinen  und  den  Abyssiniern 
zeigt,  rührt  von  der  socialen  Stellung  der  Frau  her.  Da  die 
Frauen  der  erstem  es  für  eine  Schande  halten  zu  spinnen 
und  der  Bedui  selbst  von  dieser  Kunst  auch  nichts  versteht, 
beschränkt  sich  die  Thätigkeit  aller  dieser  Hirten  auf  die 
Bereitung  der  Butter,  die  ihnen  als  Tauschmittel  zur  Erwer- 
bung von  Kleidungsstoffen  und  Cerealien  dient» 

Die  Handelserzeugnisse,  welche  die  Jagd  liefert,  sind  die 
schon  erwähnten  Elefantenzähne  und  dann  die  Straussen- 
federn.  Auf  den  Grenzen  der  Habab  und  der  Beni  Amer 
liegen  im  weiten  Umkreise  die  Gebiete  einer  grossen  Völker- 
schaft, die  unter  dem  Namen  Hadendoa  (oder  Harendoa)  vom 
Meer  bis  zum  Gash  umherzieht.  Sie  besitzt  ausgedehnte 
Heiden  und  beschäftigt  sich  daneben  mit  Straussenjagd  auf 
besonders  dazu  abgerichteten  Pferden  und  Kameelen,  mit 
denen  man  das  edle  Wild  nach  und  nach  umzingelt.  Der 
Lieblingsaufenthalt  des  Strausses  sind  die  Wüsten,  die  sich 
zwischen  Massua  und  Suakin  ausdehnen,  wasser-  und  vege- 
tationsarme, trostlose  Salzebenen,  in  denen  sich  die  glühende 
Tropensonne  wiederspiegelt.  Dort  sah  ich  die  Strausse  oft 
in  grossen  Heerden  sich  vorwäji;s  bewegen,  wie  ein  rasch  hin- 
ziehendes Gewölk  am  fernen  Horizont. 


y* 


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Das  Samhar. 


Die  abyssinische  Gebirgskette,  die  vom  Meer  etwa  20  Stun^ 
den  entfernt  6  —  7000  Fuss  hoch  südwestlich  von  Massua 
sich  hinzieht  und  mit  der  Küste  parallel  zu  laufen  scheint, 
erhebt  sich  zwar  von  fem  gesehen  wie  plötzlich  aus  der 
Ebene;  aber  die  Steigung  ist  durch  zahlreiche  Vorgebirge 
vermittelt,  die  den  ganzen  Strich  zwischen  dem  Meere  und 
dem  Hochgebirge  ausfüllen  und  nach  und  nach  je  mehr  sie 
nach  Norden  fortschreiten,  von  der  Küste  zurücktreten  und 
nördlich  von  Massua  einer  Wüste  Platz  machen,  die  mit 
wenig  ündulationen  sich  von  Beremi  bis  an  den  Fuss  des 
Gebirges  unter  den  Namen  Sheb  und  Gedged  erstreckt.  Wir 
müssen  uns  vorstellen,  dass  das  Meer  ursprünglich  direct  an 
die  Wand  des  Hochgebirges  anschlug;  diese  wurde  aber  durch 
die  Gewalt  der  niederströmenden  Begengewässer  ausgehöhlt; 
sie  verwitterte  und  zerbröckelte  sich  und  daraus  wurden  die 
Vorgebirge,  von  den  Regenbächen  noch  jetzt  zerrissen  und 
ausgewühlt.  Was  aber  das  eigentliche  ebene  Uferland  angeht, 
so  war  es  gewiss  fiüher  vom  Meer  bedeckt,  da  noch  jetzt 
Muscheln  in  bedeutender  Höhe  über  dem  Wasserspiegel  den 
Boden  bedecken  (z.  B.  in  Sheb);  man  kann  es  deswegen 
nicht  als  Alluvium  der  Hochgebirgsströme  betrachten,  die 
übrigens  einen  viel  zu  raschen  Fall  haben,  als  dass  sie  viel 
Thon  auflösen  oder  absetzen  könnten. 


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Vom  Rothen  Meer.  133 

Im  .Hintergrande  des  Golfes  von  Massua  liegt  die  Stadt 
Arkeko,  von  den  Eingebomen  Dokono  genannt,  am  Fuss 
des  vereinzelt  aus  dem  Meer  emporsteigenden  Berges  Gedem, 
der  den  nahen  Vorgebirgen  Abyssiniens  gegenüberliegend  nur 
einen  schmalen  Pass  nach  dem  nahen  Zula  (Azulis)  offenlässt. 
Diesen  Pass  begrenzt  das  Küstenland  Samhar  von  Süden  vom 
Land  der  Danakil  und  Dokono  liegt  eigentlich  in  der  Mitte 
zwischen  zwei  Zonen  sprachlich  und  politisch;  denn  hier  be- 
rühren sich  die  Tigresprache  und  die  Sprache  der  Saho,  die 
auch  von  den  Danakil  gesprochen  wird.  Wir  wissen  nicht  die 
Bedeutung  des  Wortes  Samhar;  dagegen  wird  es  von  den 
Eingebornen  auch  Mudun  oder  in  der  Pluralform  Mädäin  ge- 
nannt, was  das  Land  der  festen  Wohnsitze  bedeutet  nach  der 
semitischen  Wurzel  adene  (^4>^  mansit,  ^Julo  mansio  im 
Gegensatz  zu  dem  Zelt  des  Nomaden).  Deswegen  heissen  hier 
auch  die  feststehenden  Häuser  Mädeni.  Mudun  nannten  also 
die  Nomaden  das  Land,  weil  sich  feste  Ansiedlungen  darin 
bildeten.  Geographisch  erstreckt  sich  das  Samhar  sehr  weit 
nördlich,  wir  können  sagen  bis  Aqiq;  doch  behauptet  es  seineu 
Namen  nur  in  der  Nachbarschaft  von  Massua,  während  seine 
nördliche  Fortsetzung  unter  dem  Namen  Söhel  (Gestade)  dem 
Land  der  Habab  anliegt. 

Der  natürliche  Hafen  und  Marktplatz  dieses  Landes  ist 
die  Insel  Massua.  Sie  vermittelt,  wie  wir  gesehen  haben,  den 
Verkehr  des  Festlandes  mit  Arabien  und  den  überseeischen 
Ländern  überhaupt  und  ist  also  von  beiden  Seiten  in- 
fluenzirt 

Das  Land  Samhar  mit  seiner  Aufdachung  gegen  das  Hoch- 
gebirge bietet  in  einer  Breite  von  kaum  drei  Tagereisen  den 
Contrast  des  Südens  und  des  Nordens,  der  tropischen  Hitze 
und  des  kühlen  Bergklimas,  der  todten  flachen  Wüste  und 
des  lebensvollen  Hochgebirgs.  Diese  Gontraste  sind  nur  in 
seinem  südlichen  Theile  durch  die  Vorgebirge  vermittelt,  wo 
sie  ununterbrochen  auiDsteigende  Terrassen  bilden,  während  sie 
sich  nordwärts  in  die  Ebenen  von  Motad,  Gedged  und  Sheb 


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134  Vom  Rothen  Meer. 

yerlaufen,  sodass  das  Hochgebirge  von  Mensa  wie  plötzlich 
und  unvermittelt  aus  dem  Flachland  emporzutauchen  scheint. 
Dadurch  erhalten  wir  in  engbegrenztem  Raum  die  mannig- 
faltigsten Bodenformen:  Wüsten  mit  spärlicher  Vegetation, 
seltenem  Wasser  und  vielem  Salz;  Heiden,  meist  mit  Mimosen 
bestanden,  in  der  Regenzeit  von  üppiger  Vegetation  bedeckt; 
Thäler  mit  fruchtbarem  Boden,  Erosionsschluchten  der  Wald- 
ströme, die  in  der  Regenzeit  vom  Hochgebirge  hinunterbrausen, 
Baumstämme  und  Felsenblöcke  in  blitzschnellem  Lauf  bis  zum 
Meer  tragen  und  natürliche  Zugänge  zu  dem  Gebirge  bilden; 
kleinere  vom  Hochgebirge  unabhängige,  trockene,  zerklüftete, 
baumlose  Vorberge,  wahrscheinlich  frühere  Inseln;  über  alle 
emporragend  endlich  das  Hochgebirge  mit  seiner  Alp  und 
europäisch  kaltem,  aber  durch  die  Tropenzone  gemildertem 
Klima  und  ewigem  Grün. 

Dieses  Land  liegt  nun  den  Provinzen  Okulekusai  und 
Hamasen  an;  wo  sich  aber  das  Hochgebirge  zum  Ansebaland 
abflächt,  da  bildet  es  einen  Sattel,  [der  vermittelnd  zum  jen- 
seitigen Barka  und  Gash  hinüberführt 

Wir  wollen  nur  insofern  vom  Klima  reden,  als  dadurch 
der  Charakter  des  Bewohners  bestimmt  wird.  Die  Sommerzeit 
dauert  vom  März  bis  October,  wird  aber  jedes  Jahr  durch 
einen  starken  Augustregen  unterbrochen.  Im  Schatten  habe 
ich  bis  40*>R.  beobachtet,  30  sind  ganz  gewöhnlich,  bei  Tag 
wie  in  der  Nacht.  Doch  wird  die  Hitze  durch  die  herrschen- 
den Seewinde  gemildert.  Die  Nächte  sind  nicht  feucht;  ich 
habe  nie  nachtheilige  Folgen  verspürt,  wenn  ich  im  Freien 
schlief. 

Die  Regenzeit  des  Samhar  fällt  in  unsern  Winter,  wah- 
rend die  tropische  Regenzeit  in  den  Sommer  fällt.  Sie  tritt 
in  Abyssinien  schon  im  April  ein  und  dauert  bis  September; 
am  Anseba  und  im  Barka  dagegen  dauert  sie  von  Juni  Ws 
September;  bei  den  Habab  beginnt  sie  erst  im  Juli.  Im  Sam- 
har währt  die  Regeneeit  von  November  bis  Januar.  Es  regnet 
gewöhnlich  in  der  Nacht  und  sehr  stark.    Was  für  uns  nicht 


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Vom  Rothen  Meer.  135 

# 
sehr  angenehm  ist,  wird  für  die  Eingel^pmen  ein  Fest;  alles 

eilt  in's  Freie,  um  die  erste  Kühle  nach  heissen  Sommertagen 

zu  gemessen  und  freut  sich  der  frischen   neuen  Luft.     Das 

Festland,  das  im  Sommer  dürr  und  wüst  liegt,  bedeckt  sich 

plötzlich  mit  reichlichem  Grün;   die  Heerden,   die  über  den 

Sommer  in  den  Bergen  bleiben,  steigen  mit  dem  ersten  Regen 

in   die  Ebene  hinab,  die  nach  kurzer  Frist   dem  Auge   das 

Bild  einer  vegetatidnsreichen,  von  Tausenden  von  Eameelen, 

Kühen  und  Ziegen  durchzogenen  belebten  Prairie  bietet. 

Wir  sehen  also,  wie  die  tropische  Regengrenze  vor  den 
Meereinflüsseh  ausbiegt,  sodass  sie  sich  dem  Gebirgsabfall 
nach  halt.  Die  ganze  Küste  des  Rothen  Meeres  stimmt  also 
hierin  mit  Aegypten  überein.  Dieser  Strich  hält  sich  so  genau 
an  den  Saum  des  Hochgebirges,  dass  seine  Grenzvölker  inner- 
halb eines  kleinen  Raumes  einen  Doppelwinter  gemessen  und 
benutzen  können;  so  brauchen  die  Bewohner  der  Hochlande 
von  Karneshim,  Gümmegan  und  Mensa  nur  wenige  hundert 
Fuss  gegen  die  Küste  sich  zu  bewegen,  um  mit  dem  Winter- 
regen zum  zweiten  Mal  cultiviren  zu  können.  Die  natürliche 
Folge  davon  ist,  dass  sie  zeitweise  auch  Bewohner  des  Sam- 
bar  sind  und  es  für  Pflug  und  Weide  ausbeuten. 

Anderseits  ergibt  sich  aus  dem  Gesagten,  dass  das  Samhar 
nur  eine  sehr  unvollständige  Regenzeit  hat;  denn  sie  dauert 
nur  drei  Monate  und  beschränkt  sich  auf  wenige  starke  Regen- 
güsse, die  um  so  weniger  das  Land  befruchten,  je  stärker  sie 
sind  und  so  von  dem  leichten  Boden  absorbirt  werden  oder 
als  Strom  nach  dem  Meer  abfliessen.  Da  nun  die  Weide 
nicht  reichlich  genug  sein  kann,  um  die  Heerden  der  Ebene 
das  ganze  Jahr  durch  zu  nähren,  so  sind  die  Bewohner  des 
Samhar  gezwungen,  die  Weiden  des  Hochlandes  zu  benutzen 
und  werden  ihrerseits  zeitweise  auch  Bewohner  Abyssiniens. 
So  hangen  Hochland  und  Tiefland  auch  politisch  zusammen 
und  es  wird  sich  zeigen,  dass  dieser  Zusammenhang  wichtiger 
ist,  als  jede  politische  Abgrenzung. 

Drittens  können  wir  aus  diesen  Angaben  schliessen,  dass 


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136  Vom  Rothen  Meer. 

das  Samhar  ein  gesundes  trockenes  Klima  hat;  Dysenterien 
und  Ophthalmien  sind  selten;  Fieber  kommen  nur  in  der 
Regenzeit  vor  und  sie  sind  meistens  leicht.  Die  grosse  Hitze 
its  nicht  ungesund,  obwohl  sie  schwächt  und  den  Appetit 
raubt.  Die  trockene,  eher  salzige  Luft  gibt  dem  Bewohner 
einen  ausserordentlich  schönen,  reinen  Teint;  sie  erhält  ihn 
sogar  gesund  bei  wenig  Nahrung.  Man  muss  sich  verwundern, 
die  Leute  des  Samhai*  bei  sehr  spärlicher  Nahrung  so  gut 
aussehend  zu  finden;  man  kann  sich  aber  gar  nicht  erklären, 
wie  die  Kühe  des  Samhar,  die  sich  nie  satt  fressen  können, 
doch  ausgezeichnete  Hautfarbe  haben  und  nie  magern.  Na- 
türlich ist  das  Samhar  nur  spärlich  bewohnt.  Man  könnte 
das  Land  besser  bebauen,  vielleicht  auch  mit  Stromstauen 
befruchten,  aber  die  vorhandenen  Bewohner  gewinnen  mehr, 
indem  sie  Massua  mit  Holz  und  Wasser  versehen. 

Wenn  ich  das  Samhar  gesund  nenne,  so  weiss  ich,  dass 
mir  Bruce  widerspricht;  weit  entfernt  aber,  seine  Aussage 
Lügen  zu  strafen,  habe  ich  selbst  Jahre  erlebt,  wo  ungewöhn- 
lich viel  Regen  fiel,  infolge  dessen  auch  ziemlich  gefährliche 
Fieber  hen-schten.  Gerade  die  letzten  Jahre  1859 — 61  war  der 
Regen  sehr  stark ;  die  Eingebomen  benutzten  ihn  zur  Cultur, 
wovon  die  meisten  ihr  Fieber  heimbrachten.  Da«  Samhar 
schien  sich  ganz  verändern  zu  wollen;  man  muss  aber  wissen, 
dass  solche  Jahre  eher  eine  Ausnahme  bilden  und  nur  in 
langem  Zeiträumen  wiederkehren.  Die  Culturplätze  sind  die 
Ebenen  von  Weddubo,  Beremi,  Arkeko  und  Motad;  man  hatte 
seit  drei  Jahren  schöne  Emdten,  aber  böse  Luft,  bewölkte  Tage 
mit  30<>R.  bedeuten  viel  mehr,  als  helle  mit  40®. 

Wir  wollen  aus  dem  Vorhergehenden  sogleich  die  Schlüsse 
entwickeln,  die  für  die  Folge  wichtig  werden.  Die  Bewohner 
des  Hochlandes  konnten  nun  die  günstige  Gelegenheit  nicht 
versäumen,  die  ihnien  die  Regenzeit  des  Tieflandes  bot:  sie 
naiven  es  also  in  frühesten  Zeiten  in  Besitz  und  benutzen 
es  seitdem  bis  auf  den  heutigen  Tag  als  Weide  und  für  den 
Pflug.    Politisch  genommen  haben  die  Abyssinier  seit  langer 


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Vom  Rothen  Meer.  137 

Zeit  wenig  im  Samhar  zu  sagen;  das- Land  gehört  im  Staats- 
recht den  Türken;  aber  deswegen  haben  die  Abyssinier  den 
Grund  und  Boden  bis  zum  Meer  keineswegs  aufgegeben.  Der 
Grundbesitz  im  Samhar  gehört  noch  heute  nicht  den  eigent- 
Hchen  Bewohnern,  sondern  den  Herren  des  anstossenden  Hoch- 
landes. Die  Ebenen  Gedged  und  Sheb  gehören  den  Mensa; 
alles  Tiefland  von  da  bis  Asus  und  Gabe  den  Gümmegan,  von 
Arkeko  bis  Zaga  den  Tsanadegle,  Motad  den  Karneshim  u.  s.  w. 
Dieser  Bodenbesitz  wird  von  niemandem  bestritten;  jedes 
Grundstück  kennt  trotz  der  Länge  der  Zeit  seinen  Herrn. 
Bodenbesitz  verjährt  nie.  Deswegen  findet  man  im  Winter 
die  Saaten  der  Abyssinier  und  ihre  Heerden  bis  in  die  Ebene 
hinab,  weil  sie  auf  eigenem  Boden  sind,  während  die  stän- 
digen Bewohner  des  Samhar,  die  Beduinen,  die  Tero'a,  recht- 
Uch  gesprochen  auf  fremder  Erde  sitzen.  Sollte  dieser  Boden 
einmal  von  dem  unbestrittenen  Eigen thümer  an  einen  Fremden 
abgetreten  werden,  der  seine  Rechte  geltend  zu  machen  weiss, 
könnte  man  juridisch  wenig  dagegen  einwenden.  Das  Samhar 
ist  also  rechtlich  und  factisch  viel  mehr  abyssinisch,  als  man 
sich  gewöhnlich  vorstellt.  Aber  auch  die  Bewohner  sind  es, 
abgesehen  von  ihrer  frühem  Verwandtschaft,  die  sich  noch 
iu  der  Sprache  kundgibt.  Denn  wir  haben  schon  gesehen, 
dass  die  Natur  sie  von  Abyssinien  abhängig  macht.  Im^pril 
wird  das  ganze  Land  wieder  öd  und  wüst  und  die  zahlreichen 
Heerden  müssen  sich  in's  Hochland  flüchten.  Mit  einem 
schweren  Tribut  erkaufen  sich  die  Besitzer  von  den  abyssini- 
sehen  Fürsten  und  Gemeinden  die  Weide  im  Hochland  und 
sie  legen  unbedenklich  all  ihre  Habe  in  deren  Hand.  Sie 
vertheilen  sich  auf  Tsanadegle,  Saher,  Asmara,  Karneshim, 
Gümmegan,  Mensa,  Bogos  und  Habab.  M^  muss  wissen, 
dass  die  Leute  vom  Samhar  sehr  reich  an  Heerden  sind;  selbst 
die  Leute  von  Massua  halten  viel  auf  Viehzucht.  Die  Abys- 
sinier haben  also  nicht  nöthig,  ein  Land  zu  erobern,  das  ihnen 
die  Natur  ohne  Weiteres  geschenkt  hat.  So  stehen  die  Be- 
wohner  des  Samhar   in   einer   doppelten  Abhängigkeit,   von 


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138  "Vom  Rothen  Meer. 

Abyssinien  wegen  der  Weide,  von  Massua  wegen  des  Marktes; 
von  beiden  wegen  der  Sicherheit.  Sie  zahlen  also  an  beide 
den  Tribut  und  wenn  man  sagt,  das  Samhar  gehöre  den 
Türken,  so  sagt  man  nur  die  halbe  Wahrheit. 

Unabhängiger  stände  Massua  durch  seine  Insellage,  wenn 
es  sich  dazu  verstehen  wollte,  ein  Fischerdorf  zu  werden;  so- 
lange es  aber  Hafenstadt  von  Abyssinien  bleiben  will,  ist  sein 
Wohl  von  dem  Abyssiniens  abhängig  und  es  muss  alles  auf- 
bieten, um  die  abyssinischen  Karawanen  an  sich  zu  fesseln. 
Hierin  hängt  es  nun  auch  von  dem  guten  Willen  der  Festlän- 
der ab,  die  den  Transit  verhindern  oder  ablenken  können. 
So  konnte  sich  das  Fürstenthum  des  Naib  entwickeln,  das 
allen  diesen  Verhältnissen  Rechnung  trug  und  eine  Doppel- 
stellimg  einnahm  zwischen  Abyssinien  und  dem  Meer.  Bevor 
wir  dies«  Verhältnisse  erläutern  wollen,  müssen  wir  uns  die 
Bewohner  des  Samhar  näher  ansehen.  Wir  finden  Angesessene 
und  Nomaden. 

Die  Hauptbevölkerung  des  Samhar  scheinen  die  Nomaden 
oder  sogenannten  Qabail  (JlSLo  von  äJoaS)»  auch  Beduan  ge- 
nannt, gebildet  zu  haben.  Sie  reden  alle  Tigre,  mit  Aus- 
nahme der  Terrfa,  die  an  den  Abhängen  von  Asmara  und 
Saher  leben  und  die  Sprache  der  Saho  angenommen  haben; 
denn,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sind  sie  den  Mensa  ver- 
wandt  imd  ursprünglich  Semiten. 

Diese  Beduinen  leben  in  bestimmten  Abtheilungen;  von 
Stämmen  kann  man  bei  ihnen  nicht  reden,  da  sich  das  Be- 
vnisstsein  der  Abstammung  schon  lange  verloren  hat;  diese 
Abtheilungen  mögen  im  Anfange  auf  Stammunterschieden 
beruht  haben,  aber  jetzt  drücken  sie  nur  das  Zusammenleben 
aus.  Denn  den  Stämmen  ging  an  der  lebendig  bewegten  Küste 
die  aristokratische  Geschlossenheit  verloren;  es  mischten  sich 
Ansiedler  von  allen  Seiten,  die  des  Gewinnes  wegen  in's  Sam- 
har kamen.  Der  Handel  einigt  und  trennt;  jeder  lebt,  wo  er 
am  meisten  Gewinn  findet,  nicht  wo  sein  Vater  lebte;  die 
Familie  verliert  ihre  Bedeutung  und  so  der  Stanmibaum,  denn 


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Vom  Rothen  Meer.  139 

Gebart  ersetzt  der  Reichthum.  So  kann  man  die  Nomaden 
der  Küste  nicht  genau  unterscheiden;  der  Grundtypus  war 
jedenfalls  äthiopisch  (Geez)  und  er  hat  sich  in  der  Sprache  und 
den  Sitten  erhalten,  dazu  kamen  Ansiedler  von  Mensa,  Saho, 
Barka,  Marea  und  auch  über  das  Meer  her.  Sicher  ist,  dass 
diese  Bevölkerung  lange  christlich  war  und  erst  zum  Islam 
übertrat,  als  die  Herrschaft  mit  dem  türkischen  Reich  in  Be- 
ziehung kam. 

In  den  Abtheilungen,  die  wir  jetzt  aufzählen,  findet  sich 
die  Doppeltheilung  des  Zeltenlagers  in  Zaga  und  Az  Aha;  die 
Kameelbesitzer  bilden  eine  Ansiedlung,  die  Kuhbesitzer  die 
andere,  da  jeder  Theil  seine  eigene  Weide  nöthig  hat.  Die  erstem 
bilden  so  das  Zaga,  das  stabiler  ist;  im  Samhar  sind  aus 
diesen  Lagern  mehrere  Dörfer  geworden.    So  haben  wir:. 

1)  Gedem  Zaga  oder  kurzweg  Zaga,  nahe  bei  'MkuUu;  es 
ist  wohl  die  älteste  Ansiedlung  der  Beduan;  es  war  die  erste 
Residenz  der  Herrscher  des  Samhar.  Zu  ihm  gehört  das 
Dorf  Asus,  als  Az  Aha  (Kuhdorf)  in  der  Ebene  Motad. 

2)  Az  Ashker;  bilden  das  Dorf 'Ailet. 

3)  Az  Atal  (Ziegenlager);  ist  nomadisch. 

4)  Az  Shuma;  ihr  Zaga  ist  das  Dorf  Gumhod;  der  übrige 
grosse  Stamm  lebt  nomadisch  an  den  Abhängen  von  Kameshim. 

5)  Mäs'hälit;  haben  keine  feste  Niederlassung;  sie  wohnen 
an  den  Abhängen  von  Mensa. 

6)  Warea;  weiden  im  Samhar  und  mit  den  Habab. 

7)  Thaura;  weiden  mit  Az  Temariam  (Habab)  zusammen 
und  besorgen  den  Waarentransport  zwischen  Keren  und 
Massua. 

8)  Grammaren;  leben  im  Samhar  und  mit  den  Habab.  Dann 
kennen  wir  folgende  kleinere  Stämme:  Az  'Ömer  Weld  'Ali; 
Az  Regbat  (die  auch  im  Söhel  vorkommen),  Az  Said,  Az  Emir 
Hussa,  Az  Hetelab,  Az  Sherenei  etc.  Die  meisten  dieser  Stämme 
gehören  ebenso  gut  zu  den  Habab,  wie  zum  Samhar;  wir 
dürfen  auch  diese  letztem  nicht  vergessen,  wenn  sie  auch  nur 
uneigentlich  zum  Samhar  gehören.    Sie  bewohnen  das  Land 


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140  Vom  Rotlien  Maar. 

Tom  Anseba  bis  zum  Meer  in  drei  grossen  Stämmen:  Az  Te- 
mariam,  Az  Tekles  und  Az  Hibdes.  Sie  scheiden  sich  in  Ade- 
liche und  ünterthanen.  Die  erstem  sollen  von  Tsanadegle 
stammen;  die  letztern  sind  ältere  Einwohner,  jedenfialls  auch 
abyssinischen  Ursprungs.  Es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dass 
das  Samhar  von  diesen  letztem  bevölkert  wurde:  auch  die 
Küste  nördlich  von  den  Habab  bis  Aqiq  ist  von  den  gleichen 
Stämmen  bewohnt,  wie  wir  später  zeigen  werden.  Die  Habab 
zahlten  früher  Tribut  an  die  Fundj  vom  Sennaar,  die  auch  das 
Barka  unterworfen  hatten.  An  ihre  Stelle  traten  später  die 
Naib  von  Dokono,  aber  der  eigentliche  Tribut  ist  ein  Ge- 
schenk der  neuesten  Zeiten.  Die  Habab  haben  einen  Stamm- 
fürsten aus  Az  Hibdes ,  mit  dem  Titel  Kintebai.  Dieser  noch 
in  Abyssinien  gebräuchliche  Titel  bezeichnet  den  Ursprung 
des  Volkes.  Seit  sich  die  Habab  dem  Naib  unterworfen  hatten, 
zahlte  ihm  der  neugewählte  Kintebai  100  Kameele,  100  Kühe, 
100  Ziegen,  100  Wolldecken  u.  s.  w.,  um  bestätigt  zu  werden. 
Dagegen  erhielt  der  Kintebai  vom  Naib  Ehrenkleider  und 
Armbänder.  Die  Habab  waren  bis  auf  die  letzte  Generation 
Christen;  man  kann  sagen,  dass  die  Natur  sie  zu  Moham- 
medanem  machte.  Als  Ackerbauer  zogen  sie  von  Abyssinien 
aus;  sie  fanden  wenig  zur  Cultur  günstigen  Boden,  sie  wurden 
Hirten;  sie  fanden  ein  Land,  besonders  dem  Kameel  günstig, 
wasserarm,  doraeureich;  da  sie  als  christliche  Abyssinier 
Abscheu  vor  dem  Kameel  haben  mussten,  wurden  sie  Moham- 
medaner. Freilich  Hessen  es  auch  die  Naib  an  Drohungen 
und  Versprechen  nicht  fehlen,  um  sie  zu  bekehren.  Man 
•findet  noch  immer  christliche  Namen.  Wir  haben  über  die 
Habab  nichts  Weiteres  zu  sagen,  da  sie  sich  einerseits  an  die 
Beduinen  des  Samhar  anlehnen,  anderseits  an  die  Völker 
des  Anseba,  die  Mensa,  Bogos  und  Marea,  mit  denen  sie 
Sitten  und  Recht  gemein  haben.  Sie  sind  Nomaden  und  trei- 
ben nur  ausnahmsweise  Ackerbau;  sie  sind  besonders  reich 
an  Kameelen  und  Schafen;  aus  der  Wolle  der  letzteren  be- 
reiten sie  Wollkleider,  die  von  Massua  bis  Kassala  besonders 


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Vom  Rotlien  Meer.  141 

von  den  Frauen  getragen  werden.  Ihre  Sprache  ist  das  Tigre, 
das  sie  wohl  am  vollkommensten  sprechen.  Wenn  wir  nun 
eine  Idee  von  den  Volksursprüngen  des  Samhar  gewinnen 
wollen,  so  müssen  wir  vorerst  die  Thatsache  benutzen,  dass 
das  Land  den  Abyssiniern  gehört.  Die  eigentlichen  alten 
Herren  des  Landes  waren  also  die  Grenzgaue  des  Tigre,  die 
das  Küstenland  bebauten  und  als  Weide  benutzten.  In  dieser  Zeit 
waren  abyssinische  Colonien  weit  nach  dem  Norden  vorge- 
schoben; das  ganze  Ansebaland  bis  zu  den  Marea  und  Habab 
war  von  ihnen  bevölkert;  die  Nachkommen  dieser  Stämme 
sind  die  Unterthanen  oder  Tigre,  die  sich  überall  noch  finden. 
Die  alten  Habab  dehnten  sich  nördlich  und  südlich  an  der 
Küste  aus;  sie  bevölkerten  das  Söhel  bis  Aqiq  und  rückten 
in  das  Samhar  ein.  Als  Nomaden  kamen  sie  mit  den  Be- 
wohnern von  Massua  zusammen,  die  sich  da  des  Handels 
wegen  an  sicherer  Stätte  niedergelassen.  Der  gegenseitige* 
Verkehr  lud  zu  festem  Ansiedlungen  ein;  es  entstand  Zaga, 
zuerst  ein  Zeltenlager,  das  Massua  mit  Lebensbedürfnissen 
versorgte  und  noch  versorgt.  Je  grösser  Massua  wurde,  je 
mehr  gewöhnten  sich  die  Beduinen  an  das  Land, 

Nun  aber  kamen  neue  Factoren,  die  die  Lage  aller  dieser 
Völker  veränderten.  Wohl  zuerst  breitete  sich  ein  neuer 
Stamm,  angeblich  von  Arabien  kommend,  vom  Meer  landein- 
wärts aus;  als  Tero'a  bemächtigte  er  sich  der  Abhänge  von  Saher, 
als  Mensa  unterwarf  er  sich  die  alten  Herren  des  gleichnamigen 
Gaues,  als  Marea  drang  er  sogar  nach  Erota.  In  jüngerer 
Zeit  schickte  Abyssinien  frische  Colonien  nach  dem  Norden; 
die  Beit  Bidel  bevölkerten  das  obere  Barka;  die  Takue  Hessen 
sich  in  Halhal  nieder  und  die  Beit  Zeru  in  Geridsa;  fast 
gleichzeitig  wanderten  die  ersten  Bogos  in  Mogarech  ein:  end- 
lich gründeten  die  Beit  Zere  Buruk  (Bedjuk)  das  Dorf  Wasentet 
und  ihre  Verwandten,  die  Söhne  Abib's,  unterwarfen  sich  das 
Land  der  Habab.  Alle  diese  neuen  Einwanderer  wurden  im 
Laufe  der  Zeit  mächtig  und  unterwarfen  sich  die  Ureinwohner, 
nahmen  aber  ihre  Sitten  und  Recht  an  und  mit  wenig  Aus- 


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142  Vom  Rothen  Meer. 

nahmen  ihre  Sprachen:  Veränderungen,  die  wir  in  den  folgen- 
den Untersuchungen  constatiren  werden. 

Auch  das  Samhar  sollte  seine  Herren  wechseln;  aber  sie 
kamen  ihm  von  Norden;  denn  als  neuer  Factor  treten  etwa 
im  15.  Jahrhundert  die  Belou  auf.  Sie  kommen  vom  Norden 
der  Küste  nach  und  werden  Herren  von  Zaga. 

Als  die  Türken  im  15.  Jahrhundert  sich  Massua's  bemäch- 
tigten, scheinen  die  Belou  sich  mit  ihnen  vereinigt  zu  haben; 
die  Türken  Hessen  eine  Garnison  zurück,  die  sich  aber  bald 
mit  den  Einwohnern  vermischte.  Die  vornehmste  Familie  der 
Belou  erhielt  den  Titel  Naib.  ^)  Seitdem  ist  der  Fürst  des 
Samhar  direct  vom  Sultan  abhängig  und  er  erhält  von  der 
Douane  von  Massua  einen  Sold,  den  er  mit  seinen  Soldaten 
theilt.  So  nahm  der  Naib  eine  dreifache  Stellung  ein;  er 
beherrschte  die  Stämme  des  Samhar,  er  musste  das  Mögliche 
thun,  um  mit  Abyssinien  in  gutem  Einverständniss  zu  leben, 
um  den  Handelsweg  nach  Massua  zu  lenken,  und  eben  des- 
wegen erhielt  er  von  Massua  eine  Entschädigung;  es  ist  übri- 
gens mehr  als  wahrscheinlich,  dass  dieser  Sold  so  alt  ist  wie 
Massua  d.  h.  die  Kauäeute  der  Insel  mussten  sich  mit  einer 
Abgabe  mit  den  Bewohnern  des  Festlandes  verständigen,  um 
mit  Abyssinien  freien  Verkehr  zu  haben.  Bevor  wir  nun  die 
Schicksale  der  Belou  weiter  verfolgen,  müssen  wir  über  die 
Beduan  noch  einige  Bemerkungen  beifugen.  Doch  müssen 
wir  zum  Voraus  andeuten,  wie  wenig  die  Sitten  des  Landes 
von  dem  abweichen,  was  wir  in  der  Schrift  über  das  Recht 
der  Bogos  angegeben  haben. 


1)  Der  frühere  Sitz  war  Zaga;  die  jetzige  Naibsfiuuilie  setzte  sich 
in  Arkeko  oder  Dokono  fest.  So  nennen  es  die  Eingebomen;  der 
Name  soll  von  Dekeni  kommen,  in  der  Sahosprache  „Elefant,"  da 
hier  ein  Wald  gestanden  habe,  von  EleÜEUiten  bevölkert. 


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Der  Bedui. 


Der  Bedui  ist  durch  seine  Farbe  Afrikaner,  durch  seine 
Physiognomie  Kaukasier,  durch  seine  Sprache  Semite.  Er  ist 
im  Ganzen  schwarz,  doch  gibt  es  viele  Nuancen  und  die  ent- 
schiedene Farbe  des  Negers  erreicht  er  nie.  Im  Lande  selbst 
unterscheidet  man  roth  (qaih),  womit  Türken,  Europäer  und 
sehr  helle  Eingebome  bezeichnet  werden,  dimkelroth  (hamel- 
mil)  und  schwarz  (dsellim).  Die  Bewohner  von  Massua  sind 
viel  heller,  als  die  Hirten.  Das  Gesicht  ist  wohlgestaltet,  die 
Nase  lang  und  gerade,  die  Stime  hoch,  das  Auge  gross;  der 
Gesammtausdruck  ruhig  und  nobel;  der  Körper  eher  lang, 
doch  nicht  selten  fett  imd  nicht  besonders  stark  gebaut;  die 
Frau  meist  delicat,  klein,  wohlgeformt  und  besonders  durch 
regelnulssige  Gesichtszüge  und  die  ganz  griechische  Nase  aus- 
gezeichnet Sie  ist  im  Ganzen  schön,  obgleich  ohne  den  sanf- 
ten Ausdruck  und  die  Lebendigkeit  der  Abyssinierin. 

Man  muss  den  wahren  Bedui  bei  den  Habab  suchen,  die 
mit  dem  reinen  Blut  auch  den  ursprünglichen  Charakter  und 
Gesichtsausdruck  bewahrt  haben,  während  die  Beduan  des 
Samhar  sich  oft  mit  Arabern  und  Shoho  vermischten.  Die 
ganze  Physiognomie  hat  etwas  Edles.  Der  würdevolle  Aus- 
druck ist  gehoben   durch  die  noble  Haltung,  den  langsam^i 


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144  Vom  Rothen  Meer. 

fast  affectirten  Gang,  die  fast  römische  Tracht,  das  unbe- 
deckte Haupt  mit  seinem  reichen  Haarwuchs  und  die  Ruhe 
im  Vortrag.  Die  Stimme  hat  etwas  Gutmüthiges,  aber  Ge- 
meines, was  den  Eindruck  stört,  und  das  Auge,  das  beim 
Kinde  Muth  und  Feuer  ist,  verliert  beim  Mann  den  Ausdruck 
und  erinnert  daran,  dass  diese  Nation  ihre  Blüthe  und  Kraft 
hinter  sich  hat.  Die  Physiognomie  bleibt,  doch  Auge  und 
Stimme  verändern  ihren  Ausdruck  mit  dem  Sinken  des  Men- 
schen oder  des  Volkes. 

Die  Sprache  des  Bedui  aber  ist  ganz  semitisch.  Sie  ist 
das  fast  rein  erhaltene  Geez.  Während  es  im  christlichen 
Abyssinien,  wie  das  Lateinische,  nur  in  den  Kirchenbüchern 
erhalten  ist,  sonst  aber  manche  Veränderung  erlitten  hat, 
lebt  es  ausser  seinem  Vaterlande  unter  den  Hirten  so  unver- 
fälscht fort,  dass  die  abyssinischen  Theologen  oft  bei  den 
Habab  die  Volkssprache  befragen,  um  den  verlorenen  Sinn 
eines  alten  Wortes  wieder  ausfindig  zu  machen.  Das  Geez 
ist  durch  den  verdienstvollen  Ludolf  in  die  europäische  Wis- 
senschaft eingeführt  worden;  doch  fehlte  diesem  Gelehrten 
vor  allem  die  Kenntniss  des  Tigre  (so  heisst  das  Geez  unter 
den  Beduan),  womit  er  die  Büchersprache  vielfach  hätte  be- 
reichem, berichtigen  und  erklären  können. 

Verfolgen  wir  jetzt  das  Leben  des  Bedui  von  der  Wiege 
bis  zum  Grabe. 

Das  neugebome  Kind  wird  zunächst  benannt.  Die  Leute 
in  der  Nähe  von  Massua  nehmen  ihre  Namen  fast  immer  aus 
den  Erinnerungen  des  Islam ,  während  .  die  neubekehrten 
Habab  die  alten  ihrem  Lande  eigenthümlichen  Namen  noch 
immer  nicht  aufgegeben  haben,  die  entweder  ganz  heidnisch 
klingen  oder  an  das  Christenthum  mahnen.  Die  Beschneidung 
ist  hier  wie  in  Abyssinien  allgemein,  hat  aber  in  dem  letztem 
nicht  mehr  eine  religiöse  Bedeutung.  Den  heidnischen  GaJla 
dagegen  ist  sie  unbekannt.  Die  Incisio  der  Frauen,  über  die 
man  sich  in  den  ßeisebeschreibungen  nach  Darfor  belehren 
mag,  ist  unter  den  Shoho,  Beduan,  Bogos  und  über's  Gash 


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Vom  Rothen  Meer.  145 

hinaus  bis  nach  Darfor  hin  allgemein  gebräuchlich,  um  die 
Jungfiräulichkeit  zu  bewahren.  Doch  erstreckt  sich  diese  bar- 
barische Sitte,  die  schwere  Kindesnöthen  und  oft  Fehlgeburten 
nach,  sich  ziehjt,   nicht  nach  Abyssinien. 

Die  Knaben  und  Mädchen  wachsen  zusammen  bei  den 
Ileerden  auf,  die  fast  ebenso  gelehrt  sind,  wie  ihre  Hüter. 
Das  Mädchen  bleibt  bis  zur  Heirath  bei  der  Mutter,  während 
der  Knabe  meistens  den  Vater  auf  den  Markt  von  Massua 
begleitet  und  früh  mit  dem  Reiten  der  Dromedare  vertraut 
wird.  Man  denkt  nie  daran,  diesen  ein  Handwerk  oder  das 
Mädchen  weibliche  Arbeit  lernen  zu  lassen,  da  die  einzige 
Bestimmung  des  Mädchens  darin  besteht  zu  heirathen  und 
nichts  zu  thun,  und  die  des  Knaben ,  ein  ebenso  guter  Butter- 
fabrikant zu  werden,  wie  sein  Vater.  In  Massua  werden  die 
Knaben  früh  in  die  Handelsgeschäfte  eingeweiht  und  lernen 
meist  lesen  und  schreiben,  was  bei  den  Beduan  selten  der 
Fall  ist.  Die  Hirtenmädchen  in  djer  Umgegend  von  Massua 
verdienen  immer  etwas  Geld,  indem  sie  in  die  Stadt  Wasser 
und  andere  Provisionen  tragen.  Die  kleinsten  Mädchen  wer- 
den sorglos  dahin  geschickt  und  oft  um  mehr  als  ihr  Geld 
betrogen,  deswegen  werden  sie  gewöhnlich  nicht  die  besten 
Frauen,  sie  werden  kokett  und  sehr  aufs  Geld  erpicht.  Die 
Delicatesse  der  Unschuld  darf  man  in  diesem  Lande  nicht 
suchen,  sie  ist  auch  bei  der  einfachen  Einrichtung  der  Häuser 
und  der  Ungenirtheit  der  Unterhaltung  nicht  möglich.  Aer- 
gemiss  ninmit  man  an  der  letztern  nicht;  auch  besteht  die 
einzige  Sorge  der  Familie  darin,  dass  das  Mädchen  den  äus- 
sern Schein  der  Jungfräulichkeit  nicht  verliere.  Ein  solcher 
Fall  ist  das  höchste  Unglück  für  eine  Familie.  Bemerkt  man, 
dass  ein  Mädchen  verführt  worden  ist,  so  wendet  man  alle 
Mittel  an,  den  Verführer  kennen  zu  lernen,  der  oft  durch 
eine  Heirath  sein  Verbrechen  sühnen  muss.  Hat  ein  Mädchen 
geboren,  so  wird  das  Kind  von  seiner  Grossmutter  unbarm- 
herzig getödtet.  Ich  habe  oft  von  solchen  Verbrechen  gehört, 
ohne  dass  die  Justiz  sich  darum  bekümmert;  die  Eltern  werden 

Msniinger,  Ostafrik.  Studien.  10 


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146  Vom  Rotlien  Meer. 

in  diesön  Ländern  als  Herren  der  Kinder  betrachtet;  der 
Staat  hat  hier  nicht  mitzusprechen.  Zuvr eilen  gelingt  es,  den 
ganzen  Vorfall  so  geheim  zu  halten,  dass  das  Mädchen  spä- 
ter heirathet;  im  andern  Falle  sucht  man  dasselbe  nach  Da- 
halak  zu  verheirathen,  da  die  Bewohner  dieser  Inseln  stets 
Mangel  an  Frauen  haben  und  deshalb  nicht  sehr  wählerisch 
sind. 

Der  Schleier  wird  vor  der  Heirath  nie  getragen  und  auch 
nacliher  ist  er  nur  vor  Fremden  und  bei  Reisen  gebräuchlich 
und  bedeckt  das  ganze  Gesicht.  Doch  richten  sich  die  Be- 
wohner Massua's  viel  mehr  nach  der  arabischen  Sitte. 

Die  Mädchen  haben  auch,  wenn  sie  erwachsen  sind,  alle 
mögliche  Freiheit;  sie  gehen  aus  und  ein,  wie  es  ihnen  be- 
liebt Ich  kann  hier  eine  eigenthümliche  Sitte  nicht  uner- 
wähnt lassen.  Am  8.  des  Monats  Ashur  ist  es  nämlich  den 
Knaben  erlaubt,  jedes  Mädchen,  das  sie  antreffen,  unbarm- 
herzig durchzupeitschen,  was  gar  nicht  sentimental  ausgeführt 
wird.  Da  sich  die  Mädchen  natürlich  an  diesem  Tage  in  den 
Häusern  verborgen  halten,  verstellen  sich  die  Knaben  ab 
Bettler  oder  wenden  irgend  eine  andere  List  an,  um  sie 
herauszulocken.  Da  in  dieses  an  sich  unschuldige  Spiel  nicht 
selten  sehr  grosse  Kinder  sich  mischen,  entsteht  oft  böser 
Streit  und  Familienhass  daraus. 

Das  freie  Verhältniss  der  beiden  Geschlechter  verändert 
sich  gänzlich  durch  die  Heirath.  Die  Verlobung  wird  mei- 
stens sehr  früh  zwischen  den  Eltern  oder  Vormündern  abge- 
macht, die  es  dabei  auf  Familien -Allianzen  absehen.  Doch 
geschieht  es  oft,  dass  der  Jüngling,  der  immer  den  ersten 
fSchritt  zu  einer  solchen  Verbindung  zu  thun  hat,  bis  in  das 
männliche  Alter  wartet  und  dann  seiner  Neigung  folgend 
wählt  Bei  der  Verlobung  wird  die  Summe  abgemacht,  die 
der  Knabe  dem  Vater  des  Mädchens  zu  geben  hat,  und  der 
auch  Geschenke  in  Kleidungsstücken  für  die  Mutter  und  die 
Verlobte  beigefügt  werden.  Doch  wird  diess  dem  Knaben  gut 
geschrieben    und  der   Werth    dieser  Geschenke    ihm    bei    der 


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Vom  Rothen  Meer.  147 

Heirath.vom  Schwiegei^ater  in  Kühen  zurückerstattet.  Die 
Summe  ist  natürlich  je  nach  den  Verhältnissen  der  Leute. 
Vom  Tage  der  Verlobung  an  ist  der  Jüngling  verpflichtet, 
seiner  Braut  und  deren  Mutter  sorgfältig  auszuweichen.  Sie 
nach  der  Verlobung  sehen  zu  wollen,  wird  für  sehr  unan- 
ständig gehalten  und  führt  oft  die  Auflösung  des  Verhältnisses 
herbei.  Begegnet  der  Jüngling  der  Braut  unerwartet,  so  ver- 
hüllt diese  ihr  Gesicht  und  ihre  Freundinnen  umringen  sie, 
um  sie  dem  Blicke  des  Bräutigams  zu  entziehen.  Man  geht 
nie  eine  eheliche  Verbindung  ein,  ohne  die  Wahrsagerin  des 
Dorfes  über  sein  künftiges  Schicksal  befiragt  zu  haben,  und 
bei  einem  schlechten  Omen  wird  das  Verhältniss  au^düsL. 
Kommt  die  Heirath  durch  irgend  einen  Zufall  nicht  zu  Stande, 
so  wird  natürlich  alles  zurückerstattet,  was  der  Vater  von 
dem  Ejiaben  empfangen  hat. 

Die  Heirath  erfolgt  gewöhnlich  ein  Jahr  nach  der  Ver- 
lobung, obgleich  diess  kein  Gesetz  ist.  In  Massua,  das  die 
alten  Gebräuche  nicht  mehr  so  rein  bewahrt  hat,  kann  man 
in  jeder  Jahreszeit  heirathen,  während  die  Beduan  nur  im 
Winter  diesen  Act  begehen,  und,  ohne  Kalender  ihres  katho- 
lischen Alterthums  eingedenk,  nie  in  der  Fastenzeit.  Der 
Sonntag  wird  als  ganz  besonders  günstig  dazu  angesehen.  In 
Massua  macht  der  Bräutigam  dem  Mufti  einen  Besuch,  der 
ihm  die  Ermahnungen  eines  Pfarrers  zu  Theil  werden  lässt. 
Die  Heirath  selber  verlangt  aber  nur  die  Zeugen,  wie  sie  der 
Islam  aufzählt.  Man  verheirathet  sich,  der  Jüngling  von  sieb- 
zehn Jahren  an,  das  Mädchen  von  zwölf,  doch  oft  viel  später, 
besonders  in  der  Stadt. 

Am  Tage  der  Heirath  versammeln  sich  die  Knaben  bei 
dem  Bräutigam  und  die  Mädchen  bei  der  Braut  und  verbrin- 
gen mit  Spielen  und  Unterhaltung  den  Tag.  Gegen  Abend 
setzen  sich  die  Freunde  in  Bewegung,  um  die  Braut  abzu- 
holen, die  nach  einigen  Unterhandlungen  vermummt  von  den 
Freundinnen  in^s  Haus  des  Bräutigams  gebracht  und  diesem 
übergeben  wird.    Die  Festlichkeit  dauert  drei  Tage,  die  der 

10* 


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148  Vom  Rothen  Meer. 

Neuverheirathete  gewöhnlich  hei  seiner  Frau  zubringt,  wäh- 
rend die  Anwesenden  mit  Ilonigwasser ,  Kaffee,  Reis  in  But- 
ter, Süssigkeiten  und  Fleisch  traetirt  werden.  Da  der  Wein 
fehlt,  bleibt  aber  alles  zieralich  nüchtern.  Tag  und  Nacht 
werden  zwei  verschieden  gestimmte  Pauken  geschlagen,  ge- 
sungen und  von  den  Knaben  Waflfentänze  improvisirt.  Eigen- 
thümlich  ist  die  Sitte,  dass  jeder  Eingeladene  dem  Bräutigam 
vor  Zuführung  der  Braut  einen  oder  mehrere  Thaler  zuwirft, 
was  bei  einer  spätem  Verheirathung  des  Gastes  auf  gleiche 
Weise  zurückerstattet  wird.  Zu  gleicher  Zeit  führt  der  Schwie- 
gervater die  stipulirten  Külie  herbei,  was  dem  Ehepaar  einen 
gewissen  Fonds  sichert.  —  Das  Hochzeitsgeschenk  des  Bräu- 
tigams an  die  Braut  sind  silberne  Ringe  um  die  Knöchel,  die 
Arme,  in  die- Nase,  die  Ohren,  und  ein  Kamm  für  die  Haai*e. 
In  der  Stadt  wird  alles  dieses  sehr  massiv  gearbeitet,  und  eine 
Frau  trägt  oft  für  zweihundert  Thaler  Schmuck.  Bei  den  Be- 
duan  ist  man  aber  viel  bescheidener,  meistens  genügen  zehn 
Thaler.  Dessenungeachtet  leben  viele  Leute  im  Concubinat, 
bis  sie  im  Stande  sind,  ihrer  Frau  einen  anständigen  Schmuck 
zu  geben.  Dieserallein  und  die  Kleidung,  die  den  ganzen 
Leib  bedeckt,  unterscheidet  die  Frau  von  der  Jungfrau. 

Die  jungen  Eheleute  bleiben  vierzig  Tage  im  Hause,  wo 
sie  von  den  intimen  Freunden  besucht  werden.  Bei  einigen 
Stämmen  muss  die  Frau  volle  drei  Jahre  im  Hause  aushalten, 
ohne  auszugehen  oder  eine  Arbeit  anzurühren.  —  Da  die 
Heirath  in  der  Stadt  grosse  Ausgaben  mit  sich  fuhrt,  ist  Po- 
lygamie und  Scheidung  sehr  selten,  während  der  Bedui  mit 
der  Heirath  seinen  Viehstand  vermehren  will  und  daher  oft 
drei  Frauen  nimmt.  Diess  ist  besonders  häufig  bei  den  christ- 
lichen Bogos,  die  aber  den  Katechismus  etwas  vergessen  zu 
haben  scheinen.  Heirathet  jemand  ein  zweites  Mal,  so  wird 
wenig  Gepränge  gemacht  und  der  Mann  bleibt  nur  etwa  vier- 
zehn Tage  im  Hause. 

In  jedem  Hause  ist  in  der  Erde  ein  Geläss  mit  enger 
Oeffnung  angebracht,  das  jeder  Zeit,  besonders  in  den  Flitter- 


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Vom  Rothen  Meer.  149 

Wochen  mit  duftendem  Rauchwerk  angefüllt  wird.  Die  junge 
Frau  setzt  sich,  vom  Kopf  his  zu  Füssen  wohL verhüllt,  da- 
rauf und  bleibt  mehrere  Stunden  diesem  Qualm,  womit  man 
den  ganzen  Körper  wohlriechend  machen  will,  ausgesetzt. 
Ausserdem  werden  Hände  und  Füsse  stark  mit  Henna  gefärbt, 
4ie  Haare,  nach  der  Art  unserer  Damen  aufgescheitelt,  mit 
Pommaden  erfüllt  und  mit  Blumen  besteckt  und  endlich  der 
ganze  Körper  mit  wohlriechendem  Oele  gesalbt,  sodass  eine 
Dame  von  Weitem  die  Atmosphäre  auf  eine  Weise  afficirt,  die 
einem  Fremden  Schwindel  verursachen  muss,  von  den  Einge- 
bomen aber  als  Vorgeschmack  des  Paradieses  betrachtet  wird. 
Da  die  Frau  nichts  zu  thun  und  kein  anderes  Bestreben  hat, 
als  dem  Mann  zu  gefallen,  so  bringt  sie  die  ganze  Zeit,  die 
nicht  mit  Schlafen  oder  Schwatzen  hingeht,  mit  ihrer  Toi- 
lette zu. 

Die  Frau  des  Bedui  betet  selten,  worin  ihr  übrigens  ihr 
Mann  das  Beispiel  gibt.  In  Massua  dagegen  sind  die  Frauen 
sehr  aufs  Beten  versessen  und  etwas  fanatisch.  Wir  können 
den  Contrast  nicht  unbemerkt  lassen,  der  sich  in^  dieser  Hin- 
sicht zwischen  dem  Christenthum  und  dem  Islam  zeigt.  Un- 
sere Religion  scheint  eine  Religion  der  Frauen  zu  sein  und 
der  Islam  eine  Religion  der  Männer.  Im  Beten  gibt  die  christ- 
liche Frau  ohne  Zweifel  das  Exempel,  während  es  bei  den 
Muslimin  gerade  der  Mann  ist,  dem  das  Bethaus  ausschliess- 
Hch  geöifnet  ist,  die  Frau  hingegen  kaum  an  Religion  und 
Gebet  gemahnt  wird.  Auch  würde  sie  bei  den  häufigen  Nie- 
derwerfungen und  Kopfdrehungen,  die  das  Gebet  fordert,  eine 
sehr  komische  Rolle  spielen.  Die  Frau  schuldet  dem  Manne 
Gehorsam  und  Unterwürfigkeit,  die  sich  in  der  Fusswaschung 
am  besten  ausdrückt.  Sie  geht  nicht  aus  ohne  des  Mannes 
Wissen.  Dagegen  wird  die  verheirathete  Frau  als  ein  Wesen 
angesehen,  das  über  der  Arbeit  steht.  Der  Mann  selbst  würde 
entrüstet  sein,  wenn  man  seiner  Ehehälfte  irgend  einen  häus- 
lichen Dienst  zumuthen  wollte.  Uebrigens  sind  die  wenigsten 
reich  genug,  sich  eine  Sklavin  oder  Dienerin  zu  halten.    Da 


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150  Vom  Rothen  Meer. 

muss  die  Frau  gezwungen  aus  ihrer  Sphäre  hinabsteigen. 
Doch  ist  die  Küche  und  das  Hauswesen  so  einfach,  dass  nicht 
viel  Mühe  erfordert  wird.  Mit  Nähen,  Stricken  und  Weben 
sind  die  Beduan- Frauen  gänzlich  unbekannt  und  würden 
solche  Beschäftigung  als  Entehrung  ansehen.  In  diesem  Punkte 
sind  sie  noch  viel  schlinuner,  als  die  Araberinnen,  die  doch  au« 
der  Faulheit  keinen  Grundsatz  machen,  während  die  abyssi- 
nischen  Frauen,  vornehm  und  gering,  nie  müssig  gehen  und 
ihren  Stolz  darein  setzen,  dass  alle  Kleider  aus  ihren  fleis- 
sigen  Händen  hervorgehen  und  dass  dem  Mann  bei  der  Heim- 
kehr von  seinen  Geschäften  die  Lieblingsgerichte  vorgesetzt 
werden,  die  ihm  die  erfahrene  Hand  der  Hausfrau  selbst  zu- 
bereitet hat  Dieser  Contrast  in  der  Stellung  der  Frau  führt 
mit  sich,  dass  der  Abyssinier  mit  selbstgewobenen  Zeugen 
gekleidet  geht  und  der  ausländischen  Fabrikate  nicht  bedarf, 
während  der  Bedui  ohne  die  Einfuhr  vom  Ausland  nackt 
gehen  müsste. 

Scheidung  kommt  nicht  sehr  häufig  vor,  da  der  Mann  Ge- 
legenheit hat,  das  Mädchen,  das  er  heirathen  will,  kennen 
zu  lernen.  Die  Kinder  bleiben  bei  der  Mutter,  die  dafür  alle 
Ilochzeitsgeschenke  behält. 

Ehebruch  von  Seiten  der  Frau  wird  selten  ruchbar  und 
meistens  durch  Scheidung  im  Stillen  gesühnt.  Der  Mann  da- 
gegen hat  alle  Freiheit,  besonders  bei  den  Habab,  und  be- 
nutzt sie  ohne  Scheu.  Deswegen  sind  in  jedem  Dorfe  öffent- 
liche Mädchen,  meist  von  dem  genannten  Volke,  und  sie 
wohnen  ungescheut  mit  den  andern  Leuten  zusammen.  Bei 
Todesfällen  dienen  sie  als  Klageweiber,  bei  Festlichkeiten 
werden  sie  angestellt,  unter  Begleitung  der  Pauken  und  Har- 
fen zu  singen.  Ausserdem  geben  sie  sich  mit  Bereitung  des 
Honigweins  und  des  Bieres  ab.  Ihre  Stellung  ist  zwar  im 
Koran  scharf  genug  bezeichnet,  doch  liegt  darin  in  diesen 
Ländern,  wo  die  Moral  viel  laxer  aufgefasst  wird,  nicht  das 
Schreckliche,  wie  z.  B.  in  Europa.  Und  ebendeswegen,  weil 
sie  sich  nicht  so  degradirt  fühlen,  wie  ihres  Gleichen  in  christ- 


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Vom  Rothen  Meer.  151 

liehen  Ländern,  verlieren  sie  nie  einen  gewissen  Anstand,  der 
sie  von  der  ärgsten  Versunkenheit  zurückhält.  Bei  den  Habab 
und  zu  Mensa  wird  die  Einweihung  eines  öffentlichen  Mäd- 
chens zu  einem  Volksfest  gemacht,  wo  immer  mehrere  Kühe 
geschlachtet  und  eine  Nacht  unter  Gesang  und  Waffentanz 
zugebracht  wird.  Der  Leser  wird  sich  eines  Entsetzens  über 
diese  Sitte  nicht  erwehren  können ;  aber  wir  dürfen  nicht  ver- 
gessen, dass  diese  Barbaren  kaum  besser  unterwiesen  werden 
—  und  das  Bewusstsein  erst  macht  die  Sünde  zum  Verbre- 
chen, —  während'  der  stolze  Europäer  von  Kindheit  auf  wohl 
weiss,  was  gut  und  schlecht  ist  und  deshalb  eine  viel  schwe- 
rere Verantwortlichkeit  trägt. 

Die  Eheleute  bauen  sich  mit  Beistand  von  Freunden  und 
Verwandten  ihr  eigenes  Haus.  Zu  diesem  Behuf  werden  die 
Kameele  ausgeschickt ,  um  eine  genügende  Menge  von  Stangen 
und  Rohrgras  heimzubringen.  In  der  Nachbarschaft  von  Mas- 
sua  werden  die  Häuser  gewöhnlich  in  der  Form  eines  läng- 
lichen Vierecks  aufgerichtet,  die  vier  Hauptbalken  mit  verti- 
calen  Stangen  verbunden  und  das  Ganze  mit  einer  aufgebun- 
denen Schicht  Gras  bedeckt,  ohne  anderes  Licht,  als  das 
durch  die  Thüre  einströmt.  Das  Dach  wird  gewöhnlich  mit 
einem  Meergras  bedeckt,  das  von  Dahalak  kommt  und  ganz 
wasserdicht  ist.  Das  Haus  ist  in  zwei  Zimmer  getheilt,  wovon 
das  eine  der  Familie  vorbehalten  ist  und  nach  hinten  einen 
ganz  besondern  niedern  Ausgang  hat.  Diese  Art  Häuser  ist 
aber  unter  den  Habab  und  bei  den  übrigen  Stämmen  des 
Innern  ungebräuchlich.  Das  eigenthümlich  beduinische  Haus 
hat  die  Form  einer  Kuppel ,  die  durch  gebogene  Aeste  und 
Stangen  gebildet  wird;  die  Wände  sind  von  Matten,  die  Decke 
von  Häuten  gebildet,  die  den  Regen  abhalten  und  dazu  bei- 
tragen ,  die  Wohnung  kiihl  zu  halten,  da  die  Matten  die  freie 
Luft  passiren  lassen.  In  dieses  runde  Haus  ist  ein  gleich- 
geformtes Häuschen  hineingestellt,  das  von  der  Frau  bewohnt 
wird  und  das  Privatzimmer  bildet.  Diese  Häuser  können  in 
zwei  Tagen  bequem  aufgerichtet  und  sehr  leicht  abgebrochen 


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152  Vom  Rothen  Meer. 

und  forttransportirt  werden.  Sie  sind  selten  geräumig;  wer 
einen  grossen  Haushalt  hat,  bringt  ihn  in  zwei  oder  drei 
solcher  Hütten  unter,  besonders  wenn  mehrere  Frauen  vor- 
handen sind. 

Diese  Architectur  verlangt  keine  Maurer  noch  Zimmerleute. 
Es  gibt  unter  den  Beduan  keine  Handwerker.  Die  Schuhe 
verfertigt  sich  jeder  selbst:  sie  bestehen  aus  einer  Sohle,  die 
mit  Riemen  am  Fusse  befestigt  wird  und  die  Oberfläche  des- 
selben sichtbar  lässt.  Viele  Leute  gehen  barfuss,  was  aber 
in  diesem  Dornenlande  nicht  angenehm  ist  Die  Leute  von 
Massua  verwenden  viel  mehr  Kunst  auf  die  Verfertigung  die- 
ser Sandalen,  die  in  der  Stadt  zu  einem  sehr  geachteten 
Handwerk  geworden  ist.  Das  Leder  dazu  wird  sehr  solid 
bearbeitet,  die  Riemen  bunt  gefärbt,  die  Sohle  sehr  dicht  ge- 
macht. Das  Ganze  erinnert  an  die  Sandalen  der  alten  Grie- 
chen, denen  diese  Tracht  wohl  entlehnt  sein  mag,  während 
die  leichten  Schuhe  der  Beduan  sehr  einfach,  aber  auf  Rei- 
sen viel  bequemer  sind. 

Die  Kleidung  besteht  nur  aus  einem  Stück  Zeug,  das 
um  die  Lenden  gewickelt  wird  und  einem  grossen  breiten 
viereckigen  Stück,  Arida,  darüber,  dessen  zwei  Enden  kreuz- 
weise über  die  beiden  Schultern  geschlagen  werden.  Die  un- 
verheiratheten  Mädchen  tragen  im  Innern  selten  mehr,  als 
einen  mit  Franzen  versehenen  Gürtel  um  den  Leib.  Die  Frauen 
tragen  das  FuttÄ  und  das  Shadir,  das  den  ganzen  Leib 
bedeckt.  Das  Futta,  das  man  in  Massua  von  den  Banianen 
kauft,  wird  oft  (wie  bei  den  Shohos)  durch  ein  ganz  weich 
und  weiss  gegerbtes  Stück  Kuhhaut  ersetzt.  Die  Männer  ver- 
achten Tarbusch  und  Turban,  die  nur  in  der  Nachbarschaft 
von  Massua  gebräuchlich  sind;  abweichend  von  den  Arabern 
lassen  sie  den  Haaren  ihr  volles  Wachsthum  und  frisiren  sie 
auf  sehr  mannichfaltige  Weise,  meistens  in  der  Art,  wie  es 
am  Hofe  Ludwig's  XIV.  gebräuchlich  war;  als  Pommade  dient 
wohlriechendes  Oel  und  Schmalz,  das  den  Haaren  einen  weiss- 
lichen  Glanz  gibt  und  ihren  Wuchs   befördern   soll.    Da  die 


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Vom  Rothen  Meer.  153 

Beduan  meist  sehr  reichliche,  lange  schwarze  Haare  haben, 
kann  man  einer  solchen  Frisur  eine  gewisse  wilde  Schönheit 
nicht  absprechen. 

Die  Beduan  sind  ihrer  BescTiäftigung  und  ihrer  natür- 
Hchen  Anlage  nach  Hirten,  treiben  aber'auch  unter  Benutzung 
der  Winterregen  Ackerbau.  Jetzt  aber  bleibt  die  Vieh- 
zucht noch  immer  die  Hauptsache.  Man  kann  nicht  sagen, 
dass  es  in  der  Umgegend  von  Massua  reiche  Viehzüchter  gibt, 
die  Tausende  von  Kühen  besitzen.  Die  Kuh  des  Samhar  ist 
klein  und  gibt  bei  dem  magern  Futter  wenig  Milch;  die  der 
Berge  ist  viel  beträchtlicher.  Ziegen  werden  besonders  in 
der  Nähe  der  Stadt  in  grossen  Heerden  unterhalten,  um  diese 
mit  Milch  und  Fleisch  zu  versorgen.  Um  die  Milch  in  der 
Hitze  zu  conserviren,  wird  sie  stark  geräuchert,  was  ihr  einen 
unangenehmen  Geschmack  verleiht.  Das  Kameel  des  Samhar  ist 
sehr  gross  und  fett,  trägt  viel,  ist  aber  schwerfällig  und  ermüdet 
den  Reiter.  Seine  fette  Weide  ist  das  Thal  von  Ailet.  Das 
der  Habab  ist  ebenso  gross,  aber  im  Bergsteigen  sehr  ge- 
wandt und  dient  zum  Reiten  und  Tragen.  Als  Reitthier  ist 
besonders  das  zarte  feine  Kameel  der  Hadendoa  berühmt,  das 
von  Jugend  auf  zur  Jagd  abgerichtet  wird.  Die  Qualität  des 
Kameeis  verbessert  sich,  je  mehr  man  sich  dem  Gash  und 
Sennaar  nähert  Die  schlechteste  Art  ist  das  Dankali,  das 
sehr  klein  und  scheu  ist.  Die  männlichen  (Geml)  dienen  zum 
Reiten  und  Lasttragen ;  die  weiblichen  (Ensa)  geben  eine  Milch, 
die  sich  lange  trinkbar  erhält  und  der  Gesundheit  äusserst 
zuträglich  ist.  Die  Beduan  lieben  das  Kameelreiten  sehr  und 
thun  es  mit  vieler  Grazie.  Den  Sattel  verfeiiigen  sie  selber 
aus  einem  sehr  starken  gelben  Holz,  auf  die  Weise,  dass  über 
den  zwei  Jochen  ein  Sitz  angebracht  ist,  worauf  man  so  be- 
quem wie  auf  einem  Stuhle  sitzt,  die  Beine  herabhängend 
oder  gekreuzt.  Ein  gutes  Dromedar  scheut  Wettrennen  mit 
dem  Pferde  nicht,  das  auf  lange  Distancen  nicht  mit  ihm  ri- 
valisiren  kann.  Für  heisse  Länder  ist  das  Kameel  das  beste 
Reitthier;   man  kann  Tage  lang  damit  reisen,   ohne  sich  er- 


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154  Vo™  Rothen  Meer. 

müdet  zu  fühlen.  Pferde  sind  unter  den  Beduan  selten  und 
werden  erst  gegen  Barka  zu  häufiger,  wo  man  die  Dongola 
findet.  Von  dort  kommen  auch  die  Esel,  die  in  allen  diesen 
Gegenden  als  Lastthiere  dienen;  Maulthiere  bringt  der  Ver- 
kehr mit  Abyssinien  hierher. 

Die  Beduan  haben  zwar  feste  Dörfer,  doch  zieht  ein  Theil 
der  Bewohner  stets  mit  den  Heerden  umher,  wie  die  Shohos, 
baut  sich  an  den  zeitweiligen  Weideplätzen  improvisirte  Lager 
und  beschreibt  im  Laufe  des  Jahres  einen  grossen  Wander- 
kreis, der  im  nächsten  Jahre  von  Neuem  zurückgelegt  wird. 
Es  ist  natürlich,  dass  über  die  nie  fest  begrenzten  Weide- 
plätze oft  Streit  entsteht.  —  Das  einzige  Fabrikat  der  Beduan 
ist  die  Butter,  die  bei  der  grossen  Hitze  ganz  flüssig  in  Bocks- 
häuten auf  den  Markt  gebracht  wu*d.  Die  Beduan  sind  grosse 
Liebhaber  davon  und  trinken  bedeutende  Quantitäten  ohne 
Widerwillen.  Käse  wird  nicht  fabrizirt.  Die  gewöhnliche 
Nahrung  des  Bedui  ist  Milch  und  Durra  mit  Butter.  Brod 
ist  im  Innern  selten;  die  Durra  wird  gemahlen  und  mit  Was- 
ser zu  einem  Brei  angemacht,  der  unter  den  Namen  Asida, 
Keled  sehr  beliebt  ist.  Fleisch  wird  selten  und  eigentlich 
nur  bei  Festlichkeiten  genossen.  Reis,  Datteln  und  Kaffee 
werden  als  Luxus  betrachtet.  Als  Getränk  hat  man  eine  Art 
Bier,  das  aus  Durra  oder  Hafer  bereitet  ist  und  sehr  sauer 
und  bitter  schmeckt;  die  Habab  und  Bogos  bereiten  ausser- 
dem den  Honigwein  der  Abyssinier  (Mes,  Tetsch).  Leute,  die 
sich  streng  an  den  Koran  halten,  trinken  Honigwasser  ohne 
Gährung,  dessen  sich  auch  die  abyssinischen  Muslimin  be- 
dienen. 

Einen  wichtigen  Tlieil  der  Bevölkerung  bilden  die  Skla- 
ven. Reine  Galla  bleiben  selten  im  Lande  und  diess  nur  in 
Massua,  während  die  Shankalla  von  den  reichen  Beduan  für 
den  Hausdienst  angekauft  werden  und  durch  ihr  gebundenes 
Verhältniss  meist  mehr  Vertrauen  sich  erwerben,  als  gewöhn- 
liche Diener.  Es  gibt  keine  Nation,  die  unter  so  rohen  Ge- 
sichtsformen so   gute   liebenswürdige  Eigenschaften   verbirgt, 


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Vom  Rothen  Meer.  155 

wie  die  Shankalla.  Sie  sind  treu,  friedlich,  demüthig  und 
äusserst  thätig.  Man  kann  alles  aus  ihnen  machen,  wenn 
schon  die  Galla  intelligenter  sind.  Das  tiefe  Gemüthsleben 
spiegelt  sich  in  den  fröhlichen  Liedern  ab,  die  bei  keiner  Ar- 
beit fehlen,  während  der  stolze  melancholische  Galla  nie  seine 
Heimat  vergisst  und  seinem  Schmerz  in  melodisch  klagenden, 
aber  eintönigen  Gesängen  Luft  macht.  Die  Sklaven  sind  ihrer 
Mehrzahl  nach  weiblich.  Der  Sklave  wird  von  den  Muslimin 
nicht  wie  in  Nordamerika  für  industrielle  Zwecke  gekauft,  ist 
nicht  Arbeiter,  sondern  wird  ein  Familienglied,  das  im  Lauf 
der  Jahre  darin  grossen  Einfluss  erlangt  und  selten  schlecht 
behandelt  wird.  Wird  eine  Sklavin  im  Hause  schwanger,  so 
wird  sie  nie  von  ihrem  Kinde,  das  natürlich  auch  Sklave 
wird,  getrennt  und  nur  bei  höchster  Nothwendigkeit  mit  ihm 
zusammen  verkauft. 

Eine  eigen thümliche  Sklaverei  existirt  bei  den  Habab,  wo 
es  sehr  viele  einheimische  Familien  gibt,  die  Leibeigene  sind. 
Diese  Hörigkeit  ist  jedoch  keineswegs  streng,  da  der  Leib- 
eigene bei  schlechter  Behandlung  sich  einen  andern  Herrn 
suchen  darf,  von  dem  man  ihn  nicht  mehr  zurücknehmen 
kann.  Ich  glaube  diese  Sklaverei  aus  den  häufigen  Kriegen 
erklären  zu  müssen,  wo  man  die  Gefangenen  wegführt.  Aus- 
serdem verkaufen  arme  Leute,  von  Elend  getrieben,  ihre  Kin- 
der, die  aber  in  ihrer  Leibeigenschaft  viel  besser  daran  sind, 
als  in  der  Freiheit. 

Oft  werden  bei  dem  ungeordneten  Zustand  des  Landes 
Beduinenkinder  geraubt  und  in  Massua  im  Geheimen  verkauft; 
so  machen  es  viele  Beduau  zu  ihrem  Geschäft,  von  den  wehr- 
losen Mensa  Mädchen  zu  stehlen.  Solche  Raubzüge  werden 
selten  bestraft  und  es  gibt  viele  Leute  in  der  Umgegend  von 
Massua,  die  dadurch  reich  geworden  sind. 

In  staatlicher  Beziehung  ist  bei  den  Beduan  die  Eintrei- 
bung der  Abgaben  die  Hauptsache.  Verbrechen  kommen  selten 
vor.  Zu  Diebstahl  fehlt  die  Anreizung,  da  alles  Eigenthum 
in  Heerden  besteht  und  deren  Raub  eher  als  Krieg  qualificirt 


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J56  ^0™  Rothen  Meer. 

und  demnach  gerächt  wird.  Ich  habe  von  einem  einzigen 
Beispiel  gehört,  dass  ein  Bedui,  der  in  Geschäften  in's  Innere 
ging,  in  der  Wildniss  beraubt  und  ermordet  wurde.  Der 
Naib  wollte  sich  der  Sache  nicht  annehmen,  doch  der  damalige 
Gouverneur  Ismael  Aga  Hess  den  Mörder,  der  gestand,  dass 
er  schon  mehr  als  zwanzig  Leute  ermordet  habe,  am  Gerar, 
vis-a-vis  Massua,  aufknüpfen.  —  Eigentliche  Criminalproce- 
duren  kommen  nie  vor,  sie  werden  in  patriarchalischer  Weise 
erledigt:  so  wurde  dann  und  wann  auf  der  Insel  gestohlen 
und  selbst  Leute  vergiftet  —  man  exilirt  die  Thäter.  Im 
letzten  Jahre  wurde  ein  angesehener  Bürger  von  Ailet  ver- 
giftet; die  Volksstimme  und  gewichtige  Indicien  warfen  die 
Schuld  seines  Todes-  auf  Soldaten ,  die  der  Frau  desselben 
nachgegangen  waren.  Doch  wagte  niemand  zu  klagen  und 
der  Pascha  hätte  es  auch  nicht  gewagt,  eine  Untersuchung 
einzuleiten.  Das  höchste  Verbrechen  in  diesem  Lande  ist 
Freimüthigkeit  gegenüber  dem  Pascha,  welches  crimen  laesae 
majestatis  ohne  Anstand  mit  Bastonnade  und  Fusseisen  be- 
straft wird.  Seitdem  der  Naib  heruntergekommen  ist,  hat 
der  Pascha  auch  die  Rechtspflege  auf  sich  genommen;  doch 
ist  die  Justiz  ziemlich  blind,  wenn  sie  auch  nicht  gleiche 
Wage  hat,  und  wird  stets  mehr  durch  Laune,  als  durch 
ein  Princip  bestimmt.  Mord  scheint  hier  als  ein  Cjvilverbre- 
chen  betrachtet  zu  werden,  das  erst  auf  Klage  hin  unter- 
sucht wird. 

Im  Ganzen  muss  man  gestehen,  dass  unter  den  Beduan 
schwere  Verbrechen  selten  sind.  Räuber  und  Mörder  von 
Profession,  wie  man  sie  in  Europa  vor  den  Assisen  erschei- 
nen sieht,  findet  man  hier  nicht.  Es  ist  klar,  dass  in  diesen 
Ländern  viel  zu  wenig  regiert  wird,  dass  der  Staat  kaum 
-mehr,  als  eine  finanzielle  Einrichtung  ist;  die  Türken  sind 
die  schlechtesten  Regenten  von  der  Welt,  und  doch  geht  in 
diesen  barbarischen  Ländern  alles  seinen  ziemlich  ordentlichen 
Gang  und  bei  aller  Ohnmacht  des  Staates  ist  es  erstaunlich, 
wie  wenig  die  öffentliche  Ordnung  und  Sicheijieit   gefährdet 


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Vom  Rothen  Meer.  157 

wird.     Der  Bedui  ist  zwar   kleinen   Diebereien  und  Betrüge- 
reien gar  nicht  abhold,  doch  fällt  er  nie  in's  Extrem. 

Den  Beduan  eigen thümlich  sind  die  Wetten  (Rähn),  die 
wegen  unbedeutender  Streitpunkte  oft  sehr  hoch  gehen.  Der 
Naib  hat  die  Entscheidung  und  den  Nutzen,  da  der  Theil, 
der  Unrecht  hat,  das  gewettete  Gut,  seien  es  Kühe,  Sklaven 
oder  Geld,  ihm  übergeben  muss. 

Die  Waffen  des  Bedui  bestehen  in  einer  kurzen  Lanze, 
einem  schwarzen,  runden,  kleinen  Schild  meist  aus  Elephanten- 
haut  und  einem  langen,  geraden,  breiten,  zweischneidigen 
Schwert,  das  er  über  d«  linke  Schulter  hängt.  Die  gewöhn- 
hehen  Klingen  sind  deutsches  Fabiikat,  doch  giebt  es  eine 
Art,  die  den  Namen  Frengi  hat  und  sehr  geschätzt  wird.  Sie 
ist  damascirt  und  hat  eine  ausserordentliche  Schärfe.  Sie 
stammt  wahrscheinlich  von  den  Sarazenen  ab,  ist  ziemlich 
selten  und  besonders  bei  den  Habah  sehr  gesucht.  Die  Be- 
duan sind  sehr  gewandt  in  der  Führung  des  Schwertes,  mit 
dem  bewaifnet  sie  selbst  den  Löwen  nicht  fürchten.  Panzer 
sind  selten  geworden  und  nur  noch  gegen  das  Sennaar  hin 
gebräuchlich.  Kriege  entstehen  oft  aus  Räubereien  oder  Dif- 
ferenzen wegen  der  Weideplätze  und  werden  gewöhnlich  durch 
den  Naib  beigelegt.  Die  llabab  sind  als  sehr  hitzig  bekannt 
und  Händel  bei  ihnen  fallen  meist  sehr  blutig  aus;  der  Sieger 
führt  die  Heerden  des  Besiegten  fort,  macht  die  Gefangenen 
zu  Sklaven  und  verbrennt  die  Dörfer.  Die  stete  Uneinigkeit 
zwischen  den  einzelnen  Stämmen  allein  hat  es  dem  Naib  mög- 
lich gemacht,  alle  zu  unterjochen. 

Die  Beduan  haben  theils  aus  Gewohnheit,  theils  zur  Sicher- 
heit die  Sitte,  bewaflSiet  auszugehen.  Vor  einem  Treflfen  er- 
muthigen  sich  die  Jünglinge  mit  Gesang  und  Waflfentanz  unter 
Begleitung  der  Pauken.  Es  giebt  im  Lande  eigentliche  Sänger 
oder  Declamatoren,  die  in  halb  melodischen  Anreden  das  Lob 
eines  Mannes  improvisiren.  Die  Beduan  lieben  Tanz  und  Ge- 
sang unter  Begleitung  der  Harfe.  Der  Tanz  besteht  mehr  in 
wunderlichen  Verbeugungen  und  Verdrehungen,  als  in   einer 


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158  Vom  RoUien  Meer. 

leichten  runden  Bewegung,  nie  zu  Paaren,  wie  bei  uns,  doch 
oft  durch  mehrere  Personen  zusammen  ausgeführt  und  von 
Gesang  und  Declamation  begleitet.  Die  Lieder  der  Beduan 
sind  sehr  einförmig,  nach  europäischem  Ohr  ohne  Takt  und 
ohne  Melodie,  doch  ermangeln  sie  eines  eigenthümlichen  Reizes 
nicht.  Sie  fehlen  bei  keiner  Gelegenheit,  am  allerwenigsten 
auf  der  Wanderschaft  in  der  Wüste,  wo  das  Lob  des  Propheten 
in  Wechselreimen  gesungen  das  Auge  munter,  die  Nacht  kurz 
und  das  Herz  furchtlos  macht. 

Die  Religion  der  Beduan  ist  mit  Ausnahme  der  Bewoh- 
ner Mensa^s  der  Islam.  Doch  ist  er  4lei  den  meisten  Stämmen 
noch  so  jungen  Datums,  dass  er  auf  die  Gesellschaft  wenig 
eingewirkt  hat.  Von  der  altchristlichen  Zeit  sind  noch  inmier 
Ueberbleibsel  da.  Der  Samstag  heisst  Sembet  nush  (kleiner 
Sabbat),  der  Sonntag  Sembet  abei  (grosser  Sabbat).  Weih- 
nachten und  Ostern  kennen  die  Beduan  so  gut  wie  wir,  ob- 
gleich sie  doch  kaum  den  Kalender  lesen.  Doch  ist  die  Er- 
innerung an  die  alten  Zustände  ganz  verloren,  und  obgleich 
man  sich  wenig  um  dogmatische  Lehrsätze  künmiert,  hängt 
man  doch  fest  an  dem  Glauben  im  Allgemeinen.  Der  Islam 
greift  sehr  schnell  um  sich,  da  er  praktisch  einfach  und  leicht 
verständlich  ist  und  dem  Hang  der  Menschen  liach  Formen 
schmeichelt.  Die  Beduan  beten  selten  und  fasten  noch  we- 
niger; den  geistigen  Getränken  haben  sie  noch  nicht  abgesagt. 
Doch  wissen  sie  und  sind  stolz  darauf,  dass  sie  Muslimin 
sind  und  Mohammed  hat  in  ihre  Lieder,  d.  h.  in  das  Volks- 
gefülil  Eingang  gefunden.  Die  Feste  des  Islam  haben  die 
altnationalen  verdrängt. 

Wo  der  Glaube  nicht  klar  ist,  da  wuchert  der  Aberglaube. 
Es  gibt  viele  wunderthätige  Sheichs,  die  mit  ein  paar  Koran- 
versen Kranke  heilen,  Teufel  bannen  und  sogar  ein  kaltes 
Mädchenherz  in  Glut  bringen  können.  Sie  lassen  sich  natür- 
lich dafür  gut  bezahlen.  Von  einigen  Frauen  glaubt  man 
sogar,  dass  sie  dann  und  wann  im  Himmel  Visiten  abstatten. 
An  bösen  Geistern  fehlt  es   besonders  in  alten  Steinhäusern 


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Vom  Bothen  Meer.  159 

nicht,  und  wo  einmal  vor  vielen  hundert  Jahren  eine  Unthat 
geschehen,  da  hat  der  Mussubian,  der  seinen  Frieden  nicht 
gefunden,  noch  immer  seinen  Sitz  und  verscheucht  die  ängst- 
lichen Menschenkinder.  Alte  Frauen  (Gatata)  prophezeien, 
und  niemand  thut  einen  wichtigen  Schritt,  ohne  ihr  Orakel 
zu  befragen.  Auch  an  Werwölfe  glaubt  man;  die  Hyänen 
sind  böse  Geister,  deren  Heulen  den  Tod  verkündet.  Schwarze 
Vögel  zur  Rechten  und  ein  altes  Weib  zur  Linken  rathen  von 
einer  Reise  ab,  die  nur  an  glücklichen  Tagen  unternommen 
wird.  Wer  am  Freitag  oder  Sonntag  in's  Meer  geht,  mag 
Meerwasser  zu  sclmiecken  bekommen.  Und  der  böse  Blick 
oder  ein  haderndes  Wort  bringt  den  Menschen  aufs  Sterbe- 
lager. 

Bei  Krankheiten  wird  gewöhnlich  sehr  unvernünftig  ver- 
fahren. In  der  Stadt  gibt  es  einige  einheimische  Doctoren, 
die  für  Geld  prakticiren  und  in  Bezug  auf  die  Land^krank- 
heiten  ziemlich  gute  Erfahrungen  besitzen.  Doch  helfen  sich 
die  meisten  Leute  ohne  sie.  Fieber  soUen  mit  eiskaltem 
Wasser  gekühlt  werden,  bei  Diarrhoe  wird  eine  Masse  saurer 
Milch  getrunken.  Hauptmedicin  ist  aber  das  Waraka  (Koran- 
verse), die  das  böse  Auge  kraftlos  machen.  Kommt  endlich 
der  Tod,  so  werden  die  Gebräuche  des  Islam  beobachtet.  Die 
Klageweiber  überschreien  den  Schmerz.  Der  Mann  trauert 
nur  wenige  Wochen  um  die  Frau,  während  diese  ein  ganzes 
Jahr  lang  jede  Nacht  mit  ihren  melodischen  Klagen  in  Wechsel- 
gesängen mit  ihren  Freundinnen  ausfüllt.  Die  Gräber  sind 
grosse  runde  Hügel,  die  von  calcinirten  Steinchen  bedeckt  und 
nie  angetastet  werden.  Auf  den  Gräbern  der  Grossen  bei  den 
Habab  werden  Hunderte  von  Kühen  geschlachtet  und  zu  ihrem 
Andenken  Steinhäuser  (Maraba)  errichtet. 

Der  Bedui  ist  ruhig,  bedacht,  intelligent,  wenn  auch  ohne 
die  geistige  Regsamkeit  des  Arabers.  Er  ist  nicht  schwung- 
haft und  idealfetisch,  besitzt  aber  viel  praktischen  Verstand. 
Er  liebt  das  Geld,  wird  aber  nie  sehr  reich,  da  er  es  durch 
kleine  Kniffe  zu  erwerben   sucht   und   nie  in  kaufmännischen 


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100  Vom  Rothen  Meer. 

Speculationen.  Er  Hebt  zu  leben  und  ist  gastfreundlich  gegen 
Landsleute,  bettlerisch  bei  dem  Europäer,  an  dem  er  nur 
eine  Eigenschaft  schätzt:  sein  Geld.  Er  ist  sinnlich  und 
kennt  kein  ideales  Glück.  Doch  fehlt  die  Excentricität,  die 
Leidenschaft.  Deswegen  wird  er  nie  sehr  unglücklich,  und 
von  Wahnsinn  habe  ich  nur  ein  Beispiel  gesehen,  einen  Men- 
schen, dem  der  Umgang  mit  freidenkenden  Europäern  seinen 
Glauben  und  damit  den  Verstand  genommen  hatte. 

Der  Bedui  ist  nicht  verschlossen  und  mürrisch,  wie  der 
Shoho:  er  ist  heiter  und  artig,  gesprächig  und  sogar  zuvor- 
kommend; er  weiss  seine  schlechten  Eigenschaften  unter 
schmeichelnden  Worten  zu  verbergen;  doch  macht  er  unwill- 
kürlich den  Eindruck  eines  verblühten  abgelebten  Volkes  und 
diess'  besonders  aus  drei  Ursachen. 

Die  erste  ist  der  Mangel  an  moralischer  Energie,  die  nur 
aus  der  Selbstachtung  entspringt.  Ich  habe  oft  Gelegenheit 
gehabt,  mich  zu  überzeugen,  dass  der  Bedui  nicht  feig  ist. 
Im  Kampf  mit  wilden  Thieren  zeigt  er  oft  eine  bewunderungs- 
würdige Kaltblütigkeit.  Ein  Mann  von  Ailet  wurde  von  einem 
Löwen  angegriffen.  Als  man  ihm  nachher  sagte,  wie  lange  er 
mit  demselben  zu  ringen  gehabt,  sagte  er,  er  hätte  ihn  schnell 
tödten  können ,  das  köstliche  Fell  habe  ihn  aber  gereut  Einem 
andern  wurde  in  der  Nacht  sein  Kameel  von  einem  Löwen 
angegriffen.  Der  Bedui  stellt  sich  zwischen  beide  und  furcht- 
los, aber  respectvoU  redet  er  den  sitzenden  Gegner  an,  wie 
er  nur  über  seine  Leiche  weg  könne.  Der  Löwe  wartet  ruhig 
bis  er  ausgeredet  und  als  er  sich  zuletzt  auf  seine  Beute  stürzt, 
trifft  ihn  das  schneidende  Schwert.  —  In  Kriegen  haben  sie 
oft  Proben  von  Muth  gegeben.  Dessenungeachtet  ist  es  ein 
paar  hundert  gar  nicht  gut  bewaffneten  Türken  möglich,  das 
ganze  Land  unterwürfig  zu  halten;  sie  haben  den  Bedoan 
gegenüber  einen  Ton  der  Ueberlegenheit,  dem  diese  sich  fügen; 
sie  verüben  alle  Unthaten  ungestraft,  drängen  Äch  in  das  Haus 
und  die  Familie  des  Bedui  frevlerisch  ein  und  finden  nie 
Widerstand.    .Der  Pascha  regiert  wie   der   leibhaftige   Satan 


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Vom  Rothen  Meer.  161 

und  wird  doch  von  den  Beduan  nur  ein  gesteenger  Herr  ge- 
nannt. Revolution  ist  nie  zu  fürchten.  Die  Beduan  haben 
sich  selber  aufgegeben,  die  guten  Männer  ohne  Eigennutz  und 
£hrliebe  fehlen.  Jeder  denkt  nur  für  sich  und  steht  daher 
allein,  d.  h.  hülflos  da.  Der  Name  Bedau  ist  ein  Schimpf- 
wort geworden.  —  Die  Folge  davon  ist  schmeichlerische  Falsch- 
heit, die  Intriguen  spinnt  und  Treue  unmöglich  macht.  Es 
fehlt  nicht  an  guten  Herzen,  wohl  aber  an  einem  lebendigen 
Gefühl  für  nationale  Ehre. 

Das  zweite  Zeichen  des  Niedergangs  ist  der  Hang  zum 
Trank,  der  im  Stillen  überhand  nimmt.  Der  Trunk  findet 
gich  bei  jungen  Nationen  wie  bei  abgelebten.  So  bei  den 
Oermanen  und  den  Altvordern  der  Beduan.  Seitdem  aber  der 
Islam  gekommen  ist,  wurde  aus  dem  leichten  XJebel  ein  ver- 
derbliches Laster.  Das  Verbot  gibt  erst  den  Reiz  der  Sünde 
und  unglücklicherweise  üben  die  geistigen  Getränke  überall 
denselben  ertödtenden  Einfluss  auf  alle  uncivilisirten  Völker, 
und  den  Beduan  sind  sie  ein  Gift,  wie  den  Indianern. 

Das  dritte  bedenkliche  Zeichen  ist  nicht  die  Unsittlichkeit, 
aber  der  Mangel  an  sittlichem  Bewusstsein.  Man  ist  hier 
nicht  lasterhafter,  als  anderswo;  aber  man  fühlt  sich  durch 
das  Laster  nicht  gedrückt.  Man  sieht  das  Sittengesetz  nur 
mit  dem  Verstände,  nicht  mit  dem  Herzen  an.  Man  weiss  es, 
dass  man  den  Koran  verletzt,  empfindet  aber  doch  keine 
Reue,  denn  diese  ist  die  Reaction  eines  reinen  Herzens  und 
Reinheit  des  Herzens  kennt  der  Koran  nicht. 


r,  Ottafrik.  Stadlea.  11 


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Die  Belou  und  der  Naib. 


Von  den  alten  Zuständen  des  Sambar  wissen  wir; fast 
nichts,  da  die  Erinnerungen  nicht  ül^er  die  FaaoiUie  Naih' 
Ainer's  hinausgehen.  Man  ^zähU  von  mehrerea  Hetracher-.: 
familien,  die  sich  folgten;  sie  sollen  ¥on  Abysainien  abhängige; 
Christen  gewesen  sein  nait  deiB^  Titel  Bahemegassi  (Füir^t 
der  Me6rregion),  der  noch  jetzt  in  den  Grenzprovil^z^> 
Abyssiniens  in  Gebrauch  ist.  Der  letzte  Herr  vor  den  jetzigen; 
Naib  war  Judsei^  seipe  Residenz  Zaga,  das  seine  Nacbkpncm^) 
noch  inun^  nomp^  zu  regieren  haben;  sein  ZoUaint  ataocl; 
ii^  Tad^ür  ^uf  di^r  Strasse  nach  Saati.  Nach  der  Tradition 
war: er  ein  Belou,  da  noch  jetzt  seine  Familie  Beloii  Bait^ 
J.tis^ef  heis$t.;  .  t 

;   Es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dass  die  jetzige  Herrschen) 
fan^lie'^)  von  den  Belou,  die  firiüber  die  jetzigen  Beni  Asaerb^n; 


*0  ^i^  Jetai^  Familie  der  Kaib.  •  -  >^ 


N.  Hömmed.        '.    K'M^  V. 
N.  Hussein.  N.  Amer. 

(Von  den  Türken  ermordet.)  | 


N.  Hassan.  N.  Otbman. 

I  I 

N.  Ahmed.  Idris. 

N.  Othman.  N.  Jahia.  Abdorrahim.    N.  Othman.       N.  Hassan. 

III  i 

N.  Mohammed.  H.  Mohammed.     N.  Idris.  H.  Idris. 

Mohammed. 
Ahmed  Arei. 
Wir  fahren  nur  die  wichtigem  Linien  an ;  das  N.  bedeutet  einen  regie- 
renden Naib.  Die  jetzigen  Prätendenten  sind  mit  fetter  Schrift  gedruckt. 


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Ittnn^cbten/ Jierstammenl   Die  Y^r^andtechaft  wird  ydn  beiden 
Seiten  anei^annf  und  ist  übrigens  wohl  kanm  zehn  Genera-^ 
titaen  alt.    Der  Name  des  Stammyaters  dieses  Geschlechter 
ist  tms  nicht  erhalten;  er  kam  wahrscheinlich  das  Söhel  (Meer* 
der)   hinauf  von   Norden.     Er  sowohl  als  sein  Sohn  Amer 
lebten  als  Gäste,  ohne  an  der  Regierung  Theil  zu  haben.   Der 
erste   r^erende  Naib  war  Hömmed,   der  seine  Jugend  im 
Dienst  von  Jussef  verbrachte.    Die  Sage,  die  alles  ausschmückt, 
erzählt,  der  Diener  habe  einmal  seines  Herrn  Pferd  bestiegen, 
worauf  Jussef  den  Sattel  w^fichen  liess.    Darauf  hin  habe  ihn 
d^  Sheich  des  Landes,  Mahmud,  gesegnet  und  Hommed  habe 
der  Segen  2um;  Sieg  yerhölfen.     Die  Wahrheit  der  Sage  ist, 
dass  Hömmed  seinen  firühem  Herrn   stürzte;   die  Geistlichen 
scheinen  ihm  beigestanden,  zu  haben,  denn  noch  jetzt  sind  die- 
NaehjLommen  des  Sheiöh  Mahmud  die  dngefoomen  Sheich  und 
Kadi  Ytn  Dokono.    So  gründete  Hömmed  eine  neue  Herrscher-^ . 
famälie,  die  seither  in  Dokono  residirte.     Es  mag  etwa  vor 
150  Jahren  gewesen  sein.    Man  schildert  ihn  als  hart  und 
grausam;  seine  Herrschaft  sdieint  nicht  sehr  fest  gewesen. zuo 
sein,  da  er  sich  einmal  zu  den  DanaMl  flüchten  musstcl..   Er^ 
soll:  da  aus  Eifersucht  seinen  Brudersohn   ermordiet  haben, 
desten  Kinder  nach  Korbarea  im  Hamasen  auswanderten  und . 
noch:  jetzt  als  Az  Samra  in  Duarba  leben.   Hömmed  hatte  son  . 
A»t  T4^n  den  Türkeitf  die  seit  der  ersten  Eroberung  hier  eine*. 
GaraifiCtn  hidten,  deren  Nachkommen  aber  mit  den  Landte^-'. 
eingebomen  sich  yerschmolzen  haben;  es  scheint,  dass  Höiämed : 
aadi»'  mit  ihnen  im  Unfrieden  lebte,  &  sie  ihm  eeinen  Sohn 
Hassan  ^mordeten. 

•  P»  Naib*)  (v^U  SteUvertreter)  betrachteten  sich  immlarf 
afe'  £recte  Vasallen  des  Sultans.    Sie  erhielten  als  Besoldung 
jMen  Moiiat  1005  Thaler  toq  der  Douane  im  Massua,  die  untere 
ihnel . Soldattufamilieii   gleicbmässig   vertbeilt    wurdea.     Diese. 


•)*Der  Namielfaife  hat  inx  Wut,  Nijab"  d^Lu,'  wir  'sagön  äW  der  ^ 
KinfsJWi^it  wegen  <idie  2inh»,  -      :  .>   ..:.'*    V    , 

11* 


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164  Vom  Rothea  Meer. 

Soldaten  bildeten  das  Dorf  Dokono  und  waren  in  Compagnien 
veriheilt;  sie  bestanden  aus  Belou,  aus  Abkömmlingen  der 
alten  Garnison  und  aus  zusammengelaufenem  reisigen  Y<dk. 
Sie  Messen  und  heissen  noch  "Ashker  ( JCm^)  des  Sultans. 
Die  Geschichte  der  Naib  besteht  in  Kämpfen  für  diese  Be* 
soldung,  genährt  von  der  Elifersucht  der  zwei  Familien  ron 
Hasstm  und  Othman,  den  Söhnen  Amer's,  die  noch  jetzt  fort- 
wirkt; sie  wechselten  beständig  im  Amte  ab,  wo  dann  der 
Amtlose  die  patriotische  Sache  verfocht;  diese  Familienfehde 
unterwarf  sie  immer  der  Regierung. 

Von  Naib  Hassan  ist  nichts  bekannt.  Naib  Othman  Amer's 
Sohn,  in  der  Absicht,  die  Herrschaft  zu  befestigen,  lässt  tür- 
kische Truppen  kommen,  die  in  Dokono  eine  Festung  bauen 
mit  vier  Thoren  und  Geschütz  mnd  die  Stadt  mit  einer  Mauer 
umgeben;  sie  unterstützen  den  Naib  auf  einem  Feldzug  gegen 
Buri.  Der  Naib  zieht  allen  Handel .  nach  Dokono;  Massua 
bleibt  verlassen;  die  Douane  selbst  wird  an's  Festland  verlegt 
Doch  dauerte  das  EinversiÄndniss  nicht  lange,  da  die  Türken 
sich  gegen  die  Eingebomen  alles  erlauben  und  dem  Naib  sogar 
den  üblichen  Sold  verweigern.  Daraufhin  erhebt  sich  das 
Land,  die  Soldaten  werden  ermordet;  die  wenigen,  die  Pardon 
erhalten,  nach  Abyssinien  deportirt.  Briefe  werden  an  den 
Sultan  geschickt,  um  sich  zu  entschuldigen;  in  einem  Frieden 
werden  die  alten  Vorrechte  des  Naib  bestätigt,  die  Douane 
und  der  Handel  aber  zur  grossem  Sicherheit  nach  Maseua 
zurückverlegt. 

Ihm  folgt  Naib  Ahmed  Hassan's  Sohn;  er  macht  einen 
Feldzug  gegen  das  Hamasen,  wird  aber  von  Bahemegassi 
Bokru  von  Tsasega  aufs  Haupt  geschlagen.  Erst  später  ge- 
lingt es  ihm,  die  Scharte  auszuwetzen,  indem  er  mit  Hülfe 
des  Kaisers  von  Abyssinien  Tsasega  verbrennt  und  alles  Land 
bis  Molasenei  verwüstet    Er  vermehrt  den  Sold  um  700  Thaler. 

Sein  Nachfolger  ist  Idris  Othman^s  Sohn;  da  in  dieser  Zrtt 
der  Sultan  sich  wenig  um  das  Bothe  Meer  kümmerte,  erkennt 
Idris  den  Sherif  von  Mekka  als   seinen  Herrn  an.     Zuletzt 


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Tom  Rotben  Meer.  165 

•« 
unterwirft  er  sich  dem  Herrn  von  Aegypten,  dessen  Truppen 

sich  in  Massua  festsetzen;  der  neue  Gouverneur  Abedin  Aga 
setzt  den  Sold  wieder  auf  1005  Thaler  herab. 

Dim  folgt  sein  Sohn  Othman,  der  mit  den  Aegyptern  ge- 
meinsame Sache  macht;  der  Kaimakan  im  Einverständniss 
mit  ihm  verweigert  den  üblichen  Sold  und  setzt  mehrere 
Bürger  von  Dokono,  die  sich  darüber  beklagen,  in's  Gefäng- 
niss.  Der  Naib,  von  seiner  Stadt  zur  Rede  gestellt,  verspricht ' 
die  Auszahlung  des  Soldes,  wenn  aUe  vornehmen  Familien 
Geiseln  stellten.  Nun  versammelt  sich  die  ganze  Bürger- 
schaft auf  dem  Bathsplatz;  die  Neggaret  wird  geschlagen;  der 
Naib,  angefordert  das  Volk  gegen  die  Fremden  zu  führen^ 
legt  sein  Amt  nieder,  das  an  Jahia  den  Sohn  Naib  Ahmed^& 
übertragen  wird.  Der  neue  Naib  schliesst  Massua  von  allem 
Verkehr  ab;  am  dritten  Tag  seiner  Begierung  beginnt  der 
Angriff;  eine  auserlesene  Schaar  erbietet  sich  freiwillig,  Massua 
,  mit  Barken  zu  erstürmen,  während  die  Hauptarmee  unt^ 
Führung  des  Naib  mit  vier  Kanonen  am  Gerar  gerade  gegen- 
über der  Insel  sich  anpflanzt.  Die  Leute,  die  den  Seeweg 
genommen,  dringen  in  die  Insel  ein  und  überfallen  einen 
Kanonierposten;  sie  machen  die  Kanoniere  nieder;  nur  drei 
werden  gefangen  und  die  Kanone  erbeutet  Zu  früh  aber  er- 
heben sie  das  Siegesgeschrei;  der  Kainmkan,  Hussein  Aga, 
verschliesst  den  Diwan  und  bombardirt  das  Lager  am  Fest- 
land, während  Bich  die  wenigen  Eingedrungenen  in  den  festen 
Häusern  der  Banianen  verschanzen  und  behaupten.  Doch  ent- 
Bchliesst  sich  der  Kaimakan,  der  nur  über  hundert  Soldaten  zu 
verfügen  hat  und  Wassermangel  fürchtet,  zum  Abzug;  er 
ladet  all  seine  Habe  und  Mannschaft  auf  drei  Barken  und 
zerlöchert  alle  andern  Barken,  um  sie  an  der  Verfolgung  zu 
hindern.  Da  der  grosse  Weg  durch  die  Batterie  versperrt 
ist,  nimmt  er  den  engen  Weg  linksab  bei  Dokono  vorbei  und 
gewinnt  die  hohe  See.  Von  seinen  GefGbngenen  nimmt  er  nur 
drei  Mann  mit,  die  ihm  bis  Dahalak  als  Lootsen  dienen  sollen 
und  lässt  sie  da  frei.    Naib  Jahia  zieht  in  Massua  ein;  die 


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166  Vom  Reiheii  Me*. 

dr^i  gefangenen  Türken  werden  niedei^macht,  *  als  Sölme'für 
.4ie  drei  Mann,  die  im  Kampfe  umkamen.  Die  Leute  (Ton 
Dokono  werden  nur  dureh  die  Vorstellungen  des  Kadi  von  ifer 
Plünderung  der  Insel  abgehalten.  Von  Neuem  gehen  Briefe 
an  den  ägyptischen  Statthalter  im  Hedjas;  es  wird  Friede  ge*- 
«chlossen;  der  alte  Sold  wird  neu  bestätigt;  nur  für  die  drei 
^etödteten  Soldaten  drei  Monate  als  Blutsühne  abgezogen;  der 
Kaib  wird  anerkannt  und  ein  neuer  Kaimakan  kommt  nach 
Massua. 

Dein  Naib  Jahia  folgt  sein  Sohn  Mohammed;  die  patribti- 
soho  Sache  vertheidigt  diessmal  Hassan,  der  Sohn  des  Näib 
Idris^  der  von  den  Patrioten  abgesetzt  worden  war.  Der  Sold 
wird  Wieder  verweigert  Mit  Mühe  verstehen  sich  die  Bürger 
von  Dokono  dazu,  den  Naib  auf  einem  Feldzug  gegen  Ae 
Teklesan  zu  begleiten,  das  verbrannt  wird.  Nach  der  Bäck- 
kehr wird  alles  aufrührisch;  der  Kaimakan,  der  niemaiKtcm 
traut,  lässt  den  Naib  Mohammed  bewachen;  s^  Nebenbuhkr 
Hassan  wird  mit  schönen  Worten  nach  Massua  verlockt  und 
■  gefangen  genommen.  Nun  schickt  der  Kaunakan  Ismail  sein 
Kanonenboot  nach  Dokono;  die  übrigen  Truppen  greiGBn  die 
Stadt  zu  Land  an;  sie  wird  bombardirt  und  eingeäsdiert; 
Widerstand  ist  nutzlos,  da  die  Partei  der  regierenden  Naib 
sich  passiv  verhält  Hassan  wird  nach  Djedda  abgeführt; 
die  Bewohner  von  Dokono  zerstreuen  sich;  der  alte  Sold  bleibt 
für  immer  abgesch^H^  Ismail  lässt  in  Dokono  aus  den  Trüminom 
der  alten  Cütadelle  eine  neue  erbauen  und  bemannt  sie  .mit  Ar- 
nauten.  So  war  Dokono  gedemüthigt;  auch  Naib  Mohanümed, 
der  sich  durch  einen  Besuch  bei  Ubi6  verdächtig  macht,  wkd 
nach  Djedda  deportirt,  wo  er  stirbt;  seine  Stelle  nimmt  sein 
Gegner  Naib  Hassan  dn.  J^ien  Streit  setzen  noch  ihre  Nach- 
kommen fort,  von  der  Familie  von  Idris  der  jetzige  Naib 
Idris,  von  der  Familie  von  Ahmed  der  jetzige  Naib  Mohaln- 
med  Weld  AbdurriAim. 

Seitdem  hätten  sich  die  Naib  wieder  aufschwingen  können, 
"da  sie  von  dem  Festlande  stets,  allein  anerkannt  wurdeä;  doch 


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isi^tB '  ihnen  die  Eini^eit;  es  ^totttfitea .  in  der  eigenen  Tieli 
verzweigten  Familie  Spaltungen  aber  die  Erbfolge,  v^l^f9| 
«ulcitzt  mmer  vor  das  türkische  Tribunal  gebracht  wurdbn^ 
das  nie  gänzlich  entschied,  eiagedeiik  des  Wortes:  Divide  et 
impera.  So  ging  die  Macht  der  FamiUe  gänzlich  veiioren^ 
iArkeko  yenurmte  und  seine  Bewohner  suchten  meist  anderie 
ZuAvehtfistätten.  . 

Als  ich  nach  Massua  kam  (Septeinber  1853),  bekleidete  in 
(Arkeko  Idris,  Sohn  des  oben  erwähnten  Naib  Hassan,  die 
.Würde  eines  Naib,  und  wurde  von  Ibrahim  Pascha  gebraucht, 
um  den  Tribut  emzutreiben.  Doch  waren  die  Völker  des 
Festlandes  schon  damals  für  den  Naib  Weld  Abdurrahim, 
(einen  Vetter  von  Idris,  eingenommen,  der  als  Schiedsrichter 
beliebt  und  wegen  sein^  Klugheit  und  Entschlossenheit  weithin 
geachtet  war;  dieser  ging  mit  seinen  nächsten  Verwandtesi 
kach  Djedda,  um  sich  gegen  den  Pascha  zu  bdclagen  und  für 
rgeine  Linie  zu  plaidiren.  Unterdessen  regierte  der  Pascha 
imii  Idris,  dem  die  Hände  gebunden  waren,  und  der  aus 
'Mangel  an  Soldaten  und  Geld  beim  besten  Willen  zu  seinen 
rOunsien  nichts  unternehmen  konnte.  > 

''  Diess  zeigte  besonders  der  Gonflict  mit  den  Shoho 
^(Sah<>),  der  dem  Pascha  sehr  wenig  Ehre  gemacht  hat.  Dieser 
Völkerstamm  sollte,  dem  alten  Gebrauche  zuwider,  zum  Tribut 
gezwungen  w^en.  Der  Pascha  schickte  Soldaten  in  ihr  Land, 
'die  sich  Unordnungen  erlaubten;  diess  führte  bei  d^n  hitzigen 
•Temperament  der  Shoho  zu  einem  Scharmützel,  das  aber 
(Ohne  weitere  Folgen  zu  bleiben  schien.  Kurze  Zeit  nachher 
•kamen  einige  Shoho  in  Geschäften  nach  Arkeko.  Der  Pascha 
Jä0st  sie  ergreifen  und  schickt  sie  mit  einer  Lügenprocedur 
^ds  Hauptverbreeher  nach  Djedda.  Die  Shoho,  durch  diesen 
tttngerediten  Act  empört,  erhoben  sich;  nahmen  alle  Kameele 
von  Arkeko,  die  sich  auf  ihrem  Weidegebiete  blanden,  weg, 
'Sperrten  die  Pässe  nach  Abyssinien  und  verhinderten  alle  Zu- 
Mir  vom  Innern  nach  Massua.  Der  Pascha  hatte  200  Iri^egu- 
lite .  .^ojkiter  -  Mustafa  *  Aga  auf  ^  dem  » Festlande  stehen ,    doch 


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168  ▼om  RotlieD  Meer. 

fürchtete  er  die  Verantwortlichkeit,  diesem  Soldatendief  eii^^i 
gescfanebenen  Befehl  zum  Angriff  zu  geben,  was  dieser  natür- 
lich für  nothwendig  erklärte.  Nach  langem  Hin-  und  Her- 
reden mit  dem  Naib  liees  man  die  gefangenen  Shoho  im 
Stillen  zurückkommen  und  lieferte  sie  an  ihr  Volk  aus.  Dodi 
da  in  diesem  Gonflict  die  geringe  Bedeutung  des  Naib  und 
die  Unentschlossenheit  des  Pascha  klar  zu  Tage  gd:ommen 
und  der  bisherige  Bespect  der  Gebirgsvölker  vor  diesen  Auto- 
ritäten verloren  war,  wurde  die  Sicdierheit  auch  nach  d^a 
Frieden  nie  mehr  ganz  hergestellt  und  es  verging  kein  Tag, 
dass  die  Shoho  nicht  einen  räuberischen  Anfall  auf  die  Heer- 
den  der  Beduan  oder  auf  die  Rdsenden  nach  Abyssinien 
machten.  Der  Naib  war  ohnmächtig  und  der  Pascha  drohte 
nur  mit  Worten,  seine  400  Soldaten  amüsirten  sich  in  ihrer 
Kaserne.    Diess  dauerte  fast  ein  Jahr,  bis  August  1864. 

Um  diese  Zeit  kam  der  jüngere  Bruder  des  Naib  Weld 
Abdurndiim,  Abdul  Kerim,  aus  Djedda  an,  mit  der  Nachricht, 
dass  sein  Bruder  zum  regierenden  Naib  erhoben  und  Idris 
entsetzt  sei.  In  Folge  dessen  flüchtete  sich  dieser  mit  seinem 
Bruder  Mohammed  zu  den  Shoho  in  die  Berge.  Gleichzeitig 
fielen  die  Völkerschaften  des  Hamasen,  durch  die  Schwäche 
des  Naib  ermuthigt,  über  das  Dorf  Ailet  her,  wo  gerade  die 
Heerden  von  Zaga  weideten.  Die  Wächter  derselben,  mehr 
als  30  Mann,  wurden  erschlagen  und  die  Heerden  weggetrie- 
ben. Glücklicherweise  stellten  sich  die  Räuber  mit  diesem 
ersten  Erfolge  zufrieden  und  kehrten  in  ihr  Hochland  zurück. 
Der  Naib  Idris,  um  sich  für  seine  Entsetzung  zu  rächen, 
wiegelte  unterdessen  die  Shoho  auf,  g^en  Massua  zu  ziehen, 
versammelte  an  800  Mann  im  Taranta  und  zog  geradewegs, 
ein  kleiner  Coriolan,  gegen  seine  Vaterstadt.  Als  die  Nach- 
richt davon,  durch  die  Furcht  vergrössert,  nach  Massua  kam, 
flüchteten  die  Leute  der  Umgegend  ihre  Habe  und  Fanulien 
auf  die  Insel  und  nur  wenige  Männer  wagten  es,  in  ihren 
Dörfern  zu  bleiben.  Der  Pascha  liess  in  Arkeko  grosse  Boote 
bereit  halten,  um  im  Nothfall  die  dort  stationirenden  Lande«- 


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Yotti  Rothen  Meeir.  169 

TerÜMidiger  in  Sicherheit  zu  bringen.  Aber  Naib  Idris  wnfiBte 
eigentlich  nicht,  was  er  wollte  oder  er  besass  nicht  den  Ein«- 
flnss,  die  Shoho  zu  entschiedenen  Schritten  zu  bew^en  und 
mochte  selbst  in  sdner  Vaterstadt  geringer  Sympathien  ge^ 
wärtig  sein.  Er  verweilte  mehrere  Tage  in  der  Nachbarschaft 
Ton  Massua,  besuchte  Zaga,  wo  ihn  seine  Freunde  von  ge- 
waltsamen Schritten  abmahnten  und  nachdem  er  sich  hinläng- 
lich an  der  Angst  des  Pascha  geweidet,  trat  er  ohne  weitere 
Schritte  den  Bückzug  in  die  Berge  an.  Indess  benutzten  die 
Shoho  die  Gel^enheit,  nach  allen  Seiten  hin  zu  plündern  und 
die  Heerden  der  Beduan  wegzutreiben;  es  bildeten  sich  förm- 
liche Bäuberbanden,  welche  die  nächste  Umgegend  Massua^s 
unsicher  machten. 

Kun  gelangte  Mohammed  zur  Begierung;  aber  er  wurde 
bald  wieder  durch  Idris  ersetzt,  der  nach  Mekka  gegangen 
war.  Für  den  Pascha  des  He^jas  bildet  nämlich  dieser  Wett- 
streit dne  gewisse  Einkunftsquelle,  da  jeder  jährlidi  abge- 
setzte Naib  seine  Stelle  mit  Geschenken  und  Versprechungen 
wieder  zu  erhalten  sucht  und  sie  nur  für  die  Zeit  erlangt,  die 
nöthig  ist,  um  seine  Schulden  bezahlen  zu  können.,  Naib 
Mohammed  lehnte  sich  mit  bewaffiieter  Hand  gegen  die  Tür- 
ken auf;  er  versammelte  eine  ziemlich  grosse  Armee  aus  den 
Beduinen  und  den  ihm  befreundeten  Abyssiniem;  er  zerstörte 
das  Dorf  Hotumlu  und  brachte  die  Türken  sehr  in  Verlegen- 
heit. In  der  letzten  Noth  sandte  der  Statthalter  in  Massua 
einen  Brief  nach  Kassala  an  den  ägyptischen  Statthalter, 
worin  er  ihn  um  Hülfe  ersuchte;  400  schwarze  Soldaten  unt^ 
Befehl  des  bewährten  Ali  Aga  kamen  auf  dem  grossen  Umweg 
über  das  Söhel  in  Eilmärschen  nach  Massua  und  schlugen 
den  Naib  mit  seinen  Tausenden  bei  Ailet  aufs  Haupt;  dann 
drangen  sie  in  die  Berge  der  Shoho,  die  gehörig  gedemüthigt 
wurden.  Nachdem  das  Land  beruhigt  war,  kehrten  sie  nach 
dem  Gash  zurück;  der  ganze  Feldzug  hatte  sie  drei  Mann  ge- 
kostet. 

Nun  musste  Mohammed  wieder  nach  Mekka  wandern,  wäh- 


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Timd  IdriB  Abb  Land  beherrschte.  Jetet  mischten' ^icb  itber 
^uidi  die  Europäer  in  diesen  Wettstreit.  Es  wurde  nkididi 
Idria  für  französisch,  Mohammed  aber  für  englisch  ^gesinnt 
ai^eseh^i  imd  proportioneil  war  der  erste  für  Negossi^,  dar 
letztere  für  Tedros.  Man  erzählt^  dass  dar  Pascha  von  Maa^ 
flua  die  beiden  Nebenbuhler  einmal  dieser  Tendenzen  beschul^ 
digte  und  fragte,  wer  denn  eigentlich  Ton  der  Partei  des 
GroBsherm  s^  Diese  Freundschaften  beechränkt^i  sich  aber 
meist  nur  auf  schöne  C!on^>limente.  Nun  wurde  es  anders. 
Der  französische  Consul  Hr.  Gilbert  nämlich,  ein  sehr  ent- 
schlossener und  fähiger  Mann,  intereesirte  sidi  so  sehr  für 
den  Naib  Idris,  dass  er  ihn  von  Eonstantinopd  aus  auf 
zehn  Jahre  bestätigen  liess.  Es  ist  natürlich,  dass  Idns  für 
diese  uneiiiörte  Gunst  nicht  undankbar  war;  Hr.  Gilbert  war 
mehrere  Jahre  fast  unumschränkter  Herr  des  Landes.  Als 
die  Mission  von  Hm.  Bussel  nach  Zula  kam,  um  nach  Abjr- 
sioien  zu  gehen,  wurde. sie  natürlich  von  dem  Bruder  des 
Naib,  Ahmed  Arei,  empfangen  und  bergauf  begleitet  Hr.  Gil*- 
bert  war  der  erste  europäische  Consul,  der  eine  wirkliche 
Mach^  ausübte;  schade,  doas  er  sie  theilweise  willkürlich 
verwandte  und  seinen  starken  Arm  sogar  dem  Europäer 
fühlen  Hess. 

Im  Herbst  1860  wurde  Hr.  Gilbert  von  seinem  Posten  ab* 
berufen:  bald  darauf  fiel  auch  Negussie.  Nun  wurde  Moham- 
med, der  sidi  seither  in  Mekka  aufgehalten  hatte,  wieder  in's 
Amt  eingesetzt;  da  aber  Idris  von  höchster  Stelle  für  zdm 
Jahre  bestätigt  war,  so  konnte  man  ihn  sdilechterdings  nicht 
absetzen;  daher  wurde  fortan  das  Amt  zwischen  beiden  ge- 
theilt.  Mohammed  erhielt  das  eigentliche  Samhar  mit  den 
Habab;  Idris  das  Land  südlich  von  Arkeko.  Was  den  Cha-^ 
rakter  dieser  zwei  Häuptlinge  betrifFt,  so  ist  Mohammed  im 
Allgemeinen  beliebter,  denn  er  hat  den  Vorzug  eines  an- 
zieh^iden  Aeuss^n,  guter  zuvorkommender  Manieren  und  viela: 
Beredsamkeit;  er  ist  sogar  ein  guter  Dichter,  aber  kein  be- 
sonderer Held.    Idris  ist  rauher,  gröber^  auch  ehrlicher.    Er 


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hkt  sich  immer  gegen  die  europäische  Freundschaft  ;  dankbar 
(^esseigt;  er  erweist  sich  gegen  alle  Europäer  sehlr  zuvorbcubh 
mend  und  will  unsere  liebe  wirklich  verdienen,  wählend  Mo>- 
faammed  nur  zum  Spiele  die  Freundschaft  der  Englämlet  in 
Anspruch  nahm.  DerNaibIdris  ilhd  seine  <Brüder  sind  ener^ 
gische  Leute,  klar/ entschieden,  reell,  gerecht.  Besonders  der 
dritte^  Bruder  Ahmed  Arei  ist  ein  sehr  bedeutender  Charakter. 
Er  hat  sich  bei  den  Shoho,  die  er  firüher  zu  regieren  hatte, 
«sehr  respectirt  ,und  beliebt  gemacht.  Seinen  Muth  beweist  der 
Löwe,  den  er,  von  seinen  Dienern  im  Stich  gelassen,  mit  dem 
Schwert  nied^hieb.  Li  der  letzten  Zeit  hat  er  den  Auftrag 
des  Pascha,  von  Massua  bis  zum  Bab-el-Mandeb  an  allen 
Küstenplätzen  die  Ottomanische  Flagge  aufzuziehen,  mit  vieler 
Oewandth^t  ausgeführt.  Der  Küstenbesitz  war  nämlich  bis 
jetzt  nur  nominell;  die  Türkei  hatten  die  ganze  Küste  ent- 
lang nichts  zu  befehlen.  In  dieser  Zeit  aber,  wo  es  schien, 
als  wollten  sich  die  Franzosen  im  Rothen  Meer  festsetzen, 
mussten  die  Türken  ihren  Besitz  manifestiren.  Ahmed  Arei 
besuchte  die  ganze  Küste  bis  Beilul;  er  pflanzte  die  türkische 
Flagge  auf  der  Lisel  Desset  auf  —  ich  weiss  nicht,  ob  es 
wahr  ist,  dass  die  französische  Flagge  aufgerichtet  war  — 
dann  auf  der  Insel  Hauakil,  in  Hamfila,  ''Edd'*')  imd  den 
andern  Küstenplätzen.  Bfit  Hü1£b  des  Sheich^s  von  ''Edd, 
Namens  Othman,  bewog  er  alle  Küstenbewohner,  die  türkische 
•Obeiikoheit  anzuerkennen;  aber  Tribut  wurde  keiner  entrichtet. 
In  Beilul  allein  Brklärten  die  Bewohner,  keine  Flagge  dulden 
zu  können,  da  sie  von  den  Abyssiniem  von  Aussa  abhängig 
und  so  dem  Kaiser  Theodoros  allein  unterthänig  seien. 

Um  noch  einmal  auf  unser  Verhaltniss  zu  den  Naib  zurück- 
zukommen, so  weiss  ich  freimüthig  gesagt  nicht,  warum  wir 
den  einen  dem  andern  vorziehen  sollen;  ich  weiss,  was  für 
grosse  Interessen  wir  zu  wahren  haben;  die  Bevorzugung  der 

*)  Man  weiss,  dass  dieser  Platz  einem  französischen  Hause  gehören 
soll,;  obgleich  die  Grültigkeit  des  Kanfes  von  den  Eingebomen  .ange- 
fochten wird  ..      ........... 


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772 


Yom  RoUien  Ifoer. 


einen  Partei  macht  am  Ende  nur  böses  Blut,  ohne  reellen 
Nntien.  Ist  es  möglich,  dass  die  Franzosen  und  Englands, 
die  in  China  nnd  Japan  für  die  inrklichen  Interessen  ein- 
müihig  kämpfen,  an  den  wüsten  Küsten  des  Reihen  Meeres 
bis  anf  die  Ertörmlichkeiten  Massna's  sich  bekämpfen  ni^ 
verächtlich  machen,  während  nichts  sie  hindert,  einig  zu  sdn 
und  auch  hier  die  Franken  geliebt  und  gefürchtet  zu  macl^n? 
Die  Herrschaft  des  Naib  erstreckte  sich  von  Buri  bis  zu 
den  Habab;  sie  umÜEisste  das  Grebiet  der  Saho,  der  Hasauerta, 
der  Tero'a,  das  ganze  Samhar  mit  Zula"^)  und  die  Habab.  Doch 
zahlten  alle  diese  Völkerschaften  wenig  eigentlichen  Tribut 
Die  Einkünfte  bestanden  also  aus  den  erwähnten  1005  Thal^m, 
die  aus  der  Douane  bezahlt  wurden,  aus  gewissen  !Auaid  (von 
84>Le)9  ebenffidls  von  dem  Zollamt  und  aus  unregelmässigen 
Abgaben  in  Form  von  Greschenken.  In  ganz  Nordostafrika 
ist  übrigens  der  eigentliche  Tribut  ein  Greschenk  der  neuesten 
Zeit,  die  desw^en  überall  hier  die  Zemen  Sultanet  (die  Zeit 
des  Kaiserthums)  sehr  bezeichnend  benannt  wird.  Weder  die 
Fundj,  noch  der  Naib  bekamen  geregelte  Abgaben;  man  muss 
sich  aber  die  Einkünftie  deswegen  nicht  geringer  yorstellen. 
Seit  die  Türken  wieder  mächtiger  geworden  sind,  zahlen  die 
Bewohner  des  Samhar  einen  regelmässigen  Tribut;  die  Dörfer 
sind  sehr  schwach  besteuert,  während  die  Beduan  sehr  viel 
zahlen  müssen.  So  entrichtet  Az  Shuma  allein  1000  Thaler. 
Die  Habab  zahlen  9700  Thaler,  wovon  Az  Hibdes  6000,  Äz 
Temariam  3000,  Az  Tekles  nur  700  Thaler.  Diese  Steuern 
werden  vom  Naib  eingezogen  und  an  den  Diwan  entrichtet; 
der  Naib  hat  davon  den  Zehnten;  aber  es  steht  ihm  frei,  für 
sich  noch  eine  besondere  Abgabe  zu  erheben.  So  hat  der 
Naib  nicht  mehr  seine  frühere  Stellung,  aber  er  ist  doch  noch 
fast  unumschränkter  Richter;  jeder  Kläger  dtirt  seinen  Gegner 


*)  Zula  wird  vom  Stamm  Hamboketo  der  Hasauerta  bewohnt,  denen 
sich  eine  Sheichfamilie  von  Dokono  beigeeeUt  hat  Yon  eigentlichem 
Tribut  war  nie  die  Rede,  so  wenig  wie  bei  den  Saho.  Die  Sheiche* 
familie  heisst  Azuli,  was  auf  das  Adulis  der  Alten  hindeutet 


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Tom  Rothen  Meer.  173 

laf  die  CSiassamet  Naib  (auf  die  Feindschaft  des  Naib),  der 
nie  mdertprochen  wird.  Die  Ghassamet  entspricht  der  abys- 
amiscl^n  Dsagga.  Er  ist  immerhin  das  nothwendige  Medium 
zwischen  den  Türken  und  dem  Festland  und  man  muss  ge- 
stehen, dass  das  Samhar  sehr  gut  regiert  ist;  die  herrschende 
Ordnung  erfreut  den  Reisenden. 

Früher  waren  die  Belou  die  Soldaten  dieses  Reiches,  das 
ihr  müiiärischer  Geist  in  Ehren  hielt.  Sie  bestanden  aus 
emer  beschränkten  Anzahl  Familien,  die  ihren  Rang  im  Heer 
und  den  damit  verbundenen  Gehalt  von  Vater  auf  Sohn  ver- 
erbten. Wessen  Urgrossvater  z.  B.  Fähnrich  war,  war  es 
auch  noch  in  neuester  Zeit.  So  hatte  jede  Familie  ihren  Sold^ 
wovon  sie  lebte,  etwa  wie  jetzt  viele  Leute  von  den  Burgan- 
gutem;  sie  waren  verpflichtet,  den  Naib  auf  seinen  Zügen  zu 
begleit^i;  andere  Gewerbe  kannten  sie  nicht  Der  Sold  wurde 
von  den  1005  Thalem  bestritten;  sobald  er  abgeschafft  wurde, 
hörte  diese  Soldateska  zu  existiren  lau£  Mit  ihrer  Hülfe 
iHrachten  es  die  Naib  dahin,  dass  sie  nach  und  nach  in  dem 
ganzen  Eüstenlande  bis  zu  den  Grenzorten  Abyssiniens  die 
Gewalt  von  Schiedsrichtern  bekamen;  sie  befestigten  ihren 
Einfluss,  indem  sie  hier  Heirathsallianzen  mit  den  entfern- 
teren Stämmen  schlössen,  dort  durch  treulose  Rathschläge 
Zwistigkeiten  hervorriefen  und  dann  leicht  der  in  ihi^er  Ver- 
einzelung schwachen  Gegner  Meister  wurden.  Ihr  Hauptbe- 
streben ging  natürlich  dahin,  die  abyssinischen  Karawanen 
iwmmtlich  nach  Massua  zu  leiten,  da  diese  ihnen  die  wichtigste 
finanzielle  Hül&quelle  sicherten.  Sie  thaten  diess,  seit  [sie  die 
Unmöglichkeit  sahen,  den  Handel  von  Massua  direct  nach 
Dokono  zu  ziehen.  Denn  diess  wollten  die  Türken  nicht  zu- 
geben, anderseits  bot  allein  die  insulare  Lage  die  nöthige 
Sicheriieit  für  den  Handel,  während  jedermann  WfcCaeht,  dass 
eine  kräftige  Regierung  nie  zu  der  getrennten  Insel  Zuflucht 
genommen  hätte.  Um  nun  dem  Handel  die  gewünschte  Rich- 
tung zu  geben,  brauchten  die  Naib  List  und  Gewalt  Ganz 
verschieden  von  den  Fürsten  von  Adel  sahen  sie  wohl  em, 


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174  yomviioihen'Meer. 

dato  68  in  ihrem  Interesse  liege  ^  mit  dem  mäditig'en'AbTS^. 
simea  in  gutem  Einverständniss  zn:  leben;  daher  sidherten  sie 
sich  dnirc]!  Verträge  die  Frenndsdiafi  der  Grenzstädte;  sie: 
li^ßSffli  sich  sogar  meist  Ton  den .  abyssinisdien  Kaisem  mit 
der  Herrsdiafib  belehnen  nnd  nahmen  an  der  Politik  des  Hodn; 
landes  eifrigen  Antheil,  wie  das  die  wiederholten  Kriegszfig^ 
in's  Hamaisäi  beweisen.  Noch  der  jetzige  Naib  Mohammed 
yerbraonte  vor  etwa  fim&ehn  Jahren  Tsasega.  Sie  wurden, 
sogar  Yon  den  abyssimschen  Kaisem  mit  Dörfern  im  Hoehr* 
lande  belehnt^  die  sie  erst  in  der  letzten  Zeit  verloren  haben«; 
Noch  vor  einem  Jahr  (1862)  ging  der  Naib  Mohammed  züm> 
Kais^  mit  vielen  kostbaren  Geschenken,  um  sich  in  der  be?; 
drohten  Herrsdiaft  sicher  zu  stellen. 

Gegen  Schwächere  wurde  um  desselben  Zweckes   willen) 
rücksichtslose  Gewalt  angewandt    Als  der  Naib  im  An&pge. 
dieses  Jahrhunderts  merkte,  dass  das  günstig  gelegene  "Edd- 
abyssinisohe   Slarawanen    anzidie,    die  über  die   Salzebenen^ 
dorthin!  gingen  und  so  den  Einkünften  Dokono's  einen  geföluv 
liehen  Ablnruch  zu  machen   drohe,    überzog  er    dieses  firiedr 
liehe  Land  plötzlich  mit  Krieg  und  Verwüstung   und  zwang 
den  Häuptling  dieses  Ortes,  auf  das  Buch  feierlichst  zu  ge- 
loben, nie  mehr  Karawanen  bei  sich  au&unehmen,  was  seith^ 
treulich  gehalten  wurde;  das  aufblühende  "Edd  wurde  dadurch 
ruinirt  und  der  Handel  von  Neuem  an  den  Hafen  von  Massoa^ 
gefesselt. 

Die  Naib  machten  wiederholte  Yersudie,  Mensa  unter  ihre. 
Botmassigkeit  zu  bringen.  D^  Kintebai  von  Beit  Ebrahe 
wurde  noch  in  unserer  Zeit  wiederholt  auffordert,  sich  zu 
unterwerfen  und  den  Islam  anzunehmen;  endlich  wurde  das 
L^d  mit  Krieg  überzogen;  ich  habe  unterhalb  Geleb  die 
Walst^t  gesehen,  wo  die  nicht  vorbereiteten  Männer  dieses. 
Dorfes  dem  Naib  an  Treffen  lieferten,  das  mit  ihrer  Nied^- 
läge  endete.  Der  Kintebai  wurde  nach  Massua  abgeführt  und 
nur  gegen  Geiseln  frei  gelassen.  Doch  brachte  es  der  Naü>.. 
ipe  zu  vollständiger  Unterwerfung,  wenn  er  auch  den  gerech«. 


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Vom  Rotheu;  MeeiV  1T5 

Uä  O^nflus»  auf  Mensa  be^tzt,  den  jede  grössere  ejnheitlichQ; 
Maobt ^^  kleine,  yon  Factionen  zersplitterte   Gemeinweeen 
auäübt.  -r-  Wir  irissen,  dass  der  Kaib  sich  die  Habab  untere 
urarfi  aber  den  Berg  (Mäs'halit),  der  die  Habab  vom  Anseba 
tawnt;^  überschritt  er  nicht,  obgleich  der  Islam  in  Be^ufc 
bedeutende  Fortschritte  gemacht  hat 
;   Dt^  Macht  des  Naib  wurde  meist  durch  firiedliche  Unter-, 
ha^ungen  aii£cecht  erbalten;  doch  musste  oft  Waffengewalt 
#Q  Diplomatie  unterstützen.    Dann  wurde  der  He^bann  auf-: 
geboten,   dessen  Kern  die  Belou   bildeten,   die  imiiier  viele: 
Feuergewehre  mit  sich  führten,  zu  Tausenden  vermehrt  durch 
die  Beduan  und  Saho.    Die  Expeditionen  waren  fast  immer 
von  Erfolg  gekrönt;  denn  gegen  den  Schwachem  wurde  prompte 
Gewalt  angewandt  und  wo  etwas  zu  riskiren  war,  Unterhand- 
lungen vorgezogen.    Der  Naib  reiste  und  reist  noch  fast  das 
ganze  Jahr  herum,  stets  in  Begleitung  einer  tüchtigen  Schaar 
—  hier  um  ein  Schiedsgericht  zu  halten,  dort  um  Differenzen 
wegen  der  Weidemarken  zu  schlichten,  oder  auch  um  Räu- 
bereien zu  züchtigen  x^d  das  Geraubte  zurückzuerlangen,  end- 
lich um  den  jährlichen  Zehnten  einzutreiben.  Sein  Reich  war 
und  ist  keine  ordentliche  Monarchie,  sondern  nur  das  Rich- 
teramt zwischen  Völkern,  die  in  beständigem  Zwischenverkehr 
leben,  doch  durchaus  keine  Conföderation  bilden,  im  Gegen- 
theil  täglich  in  Krieg  untereinander  verwickelt  sind. 

Man  weiss,  dass  die  Naib  sich  in  den  letzten  Zeiten  ihrer 
Unabhängigkeit  besonders  gegen  die  Europäer  sehr  übermüthig 
betrugen.  Man  lese  bei  Bruce,  welche  vielleicht  etwas  über- 
triebenen Schwierigkeiten  er  zu  bestehen  hatte,  um  von  Ar- 
keko  fortzukommen.  Noch  in  neuester  Zeit  waren  Missionäre 
gezwungen,  dem  Naib  tausend  Thaler  zu  bezahlen,  um  in's 
Innere  gehen  zu  können.  Ein  Belou  der  alten  Zeit  stand  an 
Stolz  einem  Givis  romanus  nicht  nach. 

Seit  Dokono^s  Macht  gefallen  ist  und  die  Belou  des  Soldes 
verlustig  gegangen  sind,  haben  sie  meist  das  Land  verlassen 
und  sich  des  Handels  zwischen  dem  Meer  und  Nil  bemächtigt; 


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176  Vom  Bothen  Meer. 

sie  sind  in  allen  Stämmen  Nordabyssiniens  zerstreut  angesie« 
delt  und  treiben  einen  lebhaften  Handd  mit  der  Küalb;  man 
findet  sie  selbst  in  Südabyssinien,  unter  den  (Jalla,  ja  unter  den 
Bazen.  Sie  yermitteln  den  Elfenbeinexport  vom  Nil  nach 
Massua;  sie  bringen  Wachs  und  Kaffee  von  Metamma;  iihre 
Strasse  ist  Keren.  Sonst  beschäftige  sie  sich  mit  der  Berei- 
tung von  Schmalz,  den  sie  nach  dem  Jemen  ausfiihren.  Sie  sind 
überall  als  Ashker  (Soldaten)  bekannt  und  meist  sehr  ange- 
sehen. Man  findet  unter  ihnen  sehr  ehrenfeste  Leute.  So 
blüht  Arkeko  in  der  Fremde. 


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Route  vom  Samhar  nach  Keren. 


Die  Routen,  die  vom  Samhar  in^s  Hochland  von  Abyssi- 
nien  fuhren,  sind  hinreichend  bekannt;  wichtiger  für  uns  sind 
diejenigen,  die  die  nördlichen  Abdachungen  als  Sattel  benutzen, 
um  in  das  jenseitige  Tiefland  Barka  und  Gash  hinüberzu- 
gehen und  so  das  Meer  mit  dem  Sudan  verbinden.  Es  gibt 
Bun  zwar  eine  Route,  die  das  Hochland  umgehend  in  sehr 
weit  nördlich  geführtem  Bogen  um  die  Marea  herum  in's 
Barka  einlenkt;  doch  ist  sie  viel  zu  weitschweifig,  als  dass 
sie  dem  Verkehr  dienlich  sein  könnte.  Allen  Anforderungen 
entspricht  allein  die  Strasse,  die  den  Lebka-Torrent  benutzend 
das  Land  der  Bogos  berührt.  So  haben  wir  den  Weg  von 
Hassua  nach  Keren  zu  erläutern. 

Von  dem  Gerar  —  so  heisst  die  Küste  direct  gegenüber 
der  Insel  —  führen  mehrere  Wege  nach  Keren;  der  directeste 
geht  über  Asus;  von  da  benutzt  er  den  Torrent  von  Kussret, 
der  zwischen  den  Abhängen  von  Gümmegan  bis  an  den  Fuss 
des  Hochgebirges  nach  Gabe  fuhrt;  der  Bergübergang  wird 
durch  die  Hochebene  Maldi  vermittelt,  wovon  ein  Sattel,  der 
den  Debre  Sina  mit  Wara  verbindet,   zum  Land  der  Bogos 

Maatinger,  Ofltafrik.  Stadien.  12 


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178  Von*  Rotten  Meer. 

hinabführt.  Diese  Strasse  ist  aber  nur  für  Lastochsen  gang- 
bar und  wird  daher  von  den  Handelsleuten  weniger  benutzt. 

Der  zweite  Weg  geht  über  Amba,  durchzieht  die  Ebene 
Gedged  und  tritt  bei  Af  Lawa  in  das  Gebirge  ein;  er  verfolgt 
den  Torrent  Lawa  aufwärts  und  verlässt  ihn  erst,  um  über 
einen  steilen  Sattel  in  die  Hochebene  von  Geleb  abzufallen. 
Der  Torrent  ist  sehr  bäum-  und  wasserreich;  aber  mehrere 
Katarakten  erschweren  den  Weg  und  vollends  der  letzte  Sat- 
tel (Mogerbebit)  ist  für  Kameele  nur  mit  grosser  Gefahr  gang- 
bar. Von  Geleb  nach  Keren  ist  der  Weg  durch  den  Sattel 
von  Belta  und  den  jähen  Abhang  von  Eibaba  sehr  erschwert 
Er  wird  deshalb  selten  benutzt.  >  : 

Der  dritte  Weg  geht  über  das  Lebka;  da  er  die  gewöhn- 
liche Karawanenstrasse  ist,  so  wollen  wir  ihn  ausfuhrlich  be- 
schreiben; er  wird  uns  auch  das  Profil  des  Samhar  in  nord- 
westlicher Richtung  deutlich  machen.  Er  theSt  sich  natür- 
licherweise in  drei  Theile. 

1)  Vom  Meer  bis'Aia  durchzieht  er  das  Sämhar  in  NNW^ 
Richtung  ohne  bemerkbare  Steigung. 

2)  Von  'Ain  verfolgt  er  den  Strom  Lebka,  mit  unausge- 
setzter Steigung  zwisdien  den  Bergen  von  Az  Temariam  sids 
durchwindend,  zuerst  in  wesüioher,  dann  in  südwestlicher 
Richtung  bis  zum  Sattel  von  Mäs^hälit,  der  vom  Meergebiet 
zum  jenseitigen  Anseba  hinüberfuhrt  und  so  tritt  er 

3)  in  fast  südlicher  Riditung  in  das  Thal  des  Anseba  über^ 
Vom  Thal  von  ^MkuUu  fuhren  steinige  Hügel  zu  der  Ebene 

Weddubo,  einem  Thal  ohne  Torrent,  das  nordw^tlich  sick 
gegen  Beremi  zum  Meer  hinzieht;  es  bestdt  aus  ganz  ebe- 
nem, schwarzen  Alluvialboden  und  vrird  jährlich  von  den  Leu^ 
ten  von  Massua  oultivirt.  Die  Strasse  durchschneidet  es  in 
einer  Viertelstunde. 

Nun  steigen  wir  etwa  hundert  Fuss  hoch  auf  eine  weite  stei-* 
aige  Fläche,  die  den  Namen  Desset  (abyssinisch  Insel)  fuhrt;/ 
sie  ist  eine  eigentliche  Insel,  da  sie  im  Süden  von  Weddubo^ 


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Tom  Bothen  M«er.  179 

im  Kordel  Ton  einem  breiten  Torrent  abgeschlossen  wird  und 
sich  in  ihrer  Erhebung  bis  zum  Meer  Hinzieht  Es  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  sie  einst  eine  Insel  war.  Sie  ist  mit 
Gräbern  besetzt,  die  in  yier  Gruppen  ein  Viereck  bilden;  jede 
Gnq>pe  besteht  aus  7  — 10  Grabhügeln,  die  etwa  fun&ehn 
Fuss  hohe  Kegel  sind,  eigentliche  Steinhaufen.  Ausserdem 
sieht  man  am  Nord -Ende  der  Fläche  einen  kuppigen  Thurm 
ohne  Thor  und  Fenster,  ohne  Cement  aui^ebaut. 

Diese  Fläche  fuhrt 'zum  tieferUegenden  Torrent  von  Desset 
hinab,  der  westlich  dem  Meer  zuläuft. 

Nachdem  wir  über  diesen  Torrent  gesetzt,  durchziehen  wir 
eine  wüste  baumarme  Ebene  im  Niveau  von  Desset,  die  vom 
Torrent  von  Shakat  qaih  unterbrochen  ist  und  kommen  durch 
eine  Hügelreihe  zum  grossen  Torrent  Amba,  den  wir  b^ 
Maqret  passiren.  Bemerkenswerth  sind  nur  die  Gypshügel  in 
der  Nähe  von  Desset. 

Von  Maqret  fuhren  Hügelzüge  zu  dem  Torrent  Käufer,  be- 
waldet von  vielen  Tamarisken  und  Mimosen;  auch  der  Hotum 
kommt  sdir  häufig  vor. 

Von  hier  fuhrt  die  Ebene  Sheb  nach  Ain  ganz  flach.  Der 
Weg  geht  parallel  mit  dem  Hochgebirge  von  Mensa;  einige 
schwarze  baumlose  Berge  unter  dem  Namen  Wurek  trennen 
Sheb  von  Gedged.  Die  ganze  Ebene  besteht  aus  sandigen, 
wellenförmigen  Dünen,  dann  und  wann  von  Humusstreifen 
unterbrodien,  selten  von  Gersabäumen  belebt.  In  diese  todte 
Fläche  sind  isolirt  Bergkegel  hineingeworfen,  unter  denen  der 
Sheb  Göneb  hervorzuheben  ist,  da  die  Strasse  links  an  ihm 
vorbeifuhrt.  Hier  überschreiten  wir  einen  Torrent,  der  von 
Haübo  kommt  und  selten  Wasser  fuhrt;  er  hat  sich  ein  wohl 
zwölf  Fuss  tiefes  Flussbett  ausgewühlt.  Die  ganze  Wüste  ist 
im  Winter  von  reichhchem  Grase  bedeckt  und  von  zahlrei- 
chen Heerden  der  Warea  und  Ganmiaren  belebt.  Von  Göneb 
bis  Ain  ist  der  Weg  steinig  und  reichlich  mit  Mimosen  be- 
wachsen. 

12* 


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180  "^^^  Rothea  Meer. 

Ain  heisst  das  Thal,  wo  sich  der  Torrent  Lebka  aas  den 
Bergen  der  Habab  in's  Freie  hinaaszwängt,  um  etwa  acht 
Stunden  davon  bei  Qabet  in's  Meer  txl-  üallen,  nachdem  er 
den  Berg  Kafr  Bläh  berührt  hat.  Hier  verlassen  wir  also  die 
offene  Ebene,  um  den  Windungen  des  Torrent  nadizu* 
gehen, 

Ain  selbst  ist  von  Hügeln  ziemlich  eingeschlossen;  der 
Torrent  hat  das  ganze  Jahr  spärliches  fliessendes  Wasser. 
Die  Vegetation  ist  spärlich,  meist  hdhes  Schilf  längs  dem 
Ufer.  Von  Bäumen  sind  ausser  Asclepiaden  (Oshar)  und  Ta- 
marisken besonders  die  Gersabäume*)  (wohl  Salvadora  per- 
sica)  zahlreich. 

Von  Ain  geht  die  Strasse  im  Torrent,  der  durch  hohe 
kahle  Berge  eingeengt  ist,  aufwärts.  Nur  hie  und  da  treten 
sie  ein  wenig  zurück  und  erlauben  die  Bildung  von  kleinen 
Uferebenen;  so  ganz  nahe  ober  Ain  Oadrai  duqqet,  eine 
Ebene,  die  wie  alle  die  Ebenen,  die  zwischen  die  steil  ab- 
gezackten, flächelosen  Berge  vereinzelt  hineingeworfen  sind, 
von  den  Az  Temariam  und  auch  den  Bedjuk  £ast  jedes  Jahr 
cultivirt  wird  und  eine  schöne  Emdte  gibt  Eine  zweite  Ufer- 
ebene   ist  Wonber  harattib,    die    wohl   hundert  Fuss   über 


*)  Die  Gersa  ist  ein  kleiner,  aber  schattenreicher,  sehr  nützlicher 
Baum ;  er  ist  im  Samhar,  im  Lande  der  Habab  und  auch  im  Barka  sehr 
häufig.  Seine  Frucht,  die  von  der  Grösse  einer  Eirsdie  ist  and  eigent- 
lich einer  vollen  Kaffeebohne  am  ähnlichsten  sieht,  wird  von  den  Be- 
duinen, die  selten  Getreide  haben,  im  Frülyahr  eingesammelt  und 
aufgespeichert.  Sie  wird  in  Wasser  gekocht  uhd  so  als  Beiila  (ge- 
schweUt)  gegessen.  Sie  ist  sehr  nährend,  aber  blähend  Mtnd  hat  wenig- 
stens für  den  Anfänger  einen  Seifengeschmack.  Der  Abguss  dieser 
Bohne  gibt  erkaltet  eine  schwarze,  pechartige,  sehr  bittere  Brühe  ab, 
die  sogenannte  Mararet,  die  den  Schmalz  vor  Banzigwerden  bewahrt. 
Die  Gersa  findet  sich  auch  im  Lande  der  Bogos  und  im  Barka,  aber 
die  Bewohner  dieser  Länder  ziehen  ihr  die  in  Baum  und  Frucht  ganz 
ähnliche  Hamta  vor;  halb  Baum,  halb  Strauch  wird  sie  selten  acht  Fuss 
hoch;  sie  bildet  die  Hauptnahrung  dieser  Länder;  auch  sie  wird  als 
Beiila  genossen  und  ist  ziemlich  schmackhaft. 


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Vom  Bothed  Meer«  181 

dem  Toserent  gelten  ist;  eiae  dritte  Azmat  Obel.  Hier  tren- 
nen sich  die  Wege;  der  eine  gewöhnliche  Earawanenweg 
Terfolgt  den  bisherigen  Torrent;  der  andere  lenkt  rechts  ab 
in  einen  kleinen  Zufluss  des  Lebka,  und  fuhrt  ihn  verlassend 
über  mnen  kuveea  Sattel  in  die  Ebenen  Aide  und  Af  Abed, 
wo  die  Az  Temariam  ihre  Hauptsitze  haben.  Diese  letztere 
Strasse  wird  in  der  Regenzeit,  wo  der  grosse  Torrent  unweg- 
sam gemacht  ist,  auch  von  den  Karawanen  benutzt,  die  von 
Af  Abed  wieder  bei  Qelamet  in  den  Lebka  einbiegen. 

Oberhalb  Azmat  Obel  bricht  sich  der  Torrent  einen  oft 
kaum  zehn  Fuss  breiten  Weg  durch  furchtbar  steil  abfallende 
Schieferfelsen  über  kleine  Katarakten,  die  schwer  zu  pas- 
sh'en  sind.  Diese  Enge  heisst  mit  Recht  Aualid  Öret  (die 
Töchter  der  Unterwelt).  Nun  wird  das  Thal  freier;  es  ver- 
einigen sich  dem  Haupttorrente  mehrere  Torrente;  die  Aus- 
sicht wird  offener,  nur  von  kleinen  Hügeln  beschränkt;  links 
fallen  die  Vorberge  von  Mensa  direct  auf  den  Lebka  ab, 
rdchts  dehnt  sich  eine  schiefe  Ebene  bis  zu  den  Bergen  von 
Az  Tekles,  die  unser  Stromgebiet  von  dem  Anseba  trennen. 
Die  Station  Qelamet,  wo  der  Strom  sehr  breit  ist  und  ober- 
flächliches Wasser  hat,  ist  ein  Scheidepunkt,  da  von  hier  der 
Weg  nach  dem  untern  Anseba  und  den  Marea  rechtsab,  die 
Bora  Az  Tekles  links  lassend,  über  einen  unbedeutenden  Sat- 
tel zum  Anseba  von  Gedlet  fuhrt,  an  den  Fuss  von  Geridsa. 
Die  Mareakarawane  benutzt  diese  Strasse. 

Oberhalb  Qelamet  wird  der  Strom  wieder  eng  und  hat 
Schnellen;  doch  finden  hie  und  da  hübsche,  grasige  Uferebe- 
nen zwischen  dem  Torrent  und  den  ihn  einschränkenden 
Ebenen  Platz.  Die  Steigung  wird  immer  stärker  und  fuhrt 
uns  endlich  an  die  eigentliche  Quelle  des  Lebka.  Ein  Sattel 
von  etwa  vierhundert  Fuss  Höhe  trennt  das  Gebirge  Aggaro 
(Mensa)  von  der  Rora  Az  Tekles  und  führt  auf  der  andern 
Seite  etwa  sechshundert  Fuss  tief  in  das  Hügelland  von  Bedjuk 
hinunter,  das  vom  Anseba  durchzogen  wird;  sein  Zufluss,  der 


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182  Yom  Bothen  Meer. 

Drnri,  bringt  uns  in  die  Ebene  Mogarech,  an  deren  imdichem 
Ende  Keren  liegt,  am  Fuss  des  Zeban**"). 


*)  Es  «oheint  uns  nidit  überflüssig, 

der  einsefaien 

Beisettationen  hier  speoiell  ansugeb^: 

Von  Massua  -  'MkuUu. 

Stunde  1.  — 

—  Desset 

1.  16. 

^  Shakat  qcdh 

1.  aa 

—  Ambä 

2.  - 

-  Mai  AuaHd 

2.  — 

—  Sheb  Göneb 

4.  30. 

—  Ain 

3.  - 

—  Asrniat  Obel 

4.  — 

—  Aualid  Öret 

1.  — 

—  Mohaber 

2.  - 

—  Qelamet 

2.  80. 

—  Qogai 

3.  20. 

—  Höhe  Mäs'hÄlit 

1.  30. 

—  (}abena  (Anseba) 

1.  - 

—  Mohaber  Dan 

2.  10. 

—  Dorf  One 

-  46. 

—    »      Tantaroa 

—  30. 

—    »      Eeren 

S« 

-  15. 

«nden 

34V4. 

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Eeise  in's  Land  der  Marea. 


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Von  Keren  nach  Halhal. 


bo  nahe  das  Land  der  Marea  den  Bogos  liegt,  so  war 
«8  doch  noch  nicht  von  Europäern  besucht  worden,  da  wir 
bis  jetzt  nicht  über  Halhal  hinausgekommen  waren.  Ein  Be- 
such dieses  Gebietes  musste  schon  als  terra  incognita  nicht 
-wenig  Interesse  bieten  und  bot  nebenbei  die  beste  Gelegenheit,, 
über  das  untere  Stromgebiet  des  Anseba  sich  in's  Klare  zu 
setzen.  Während  meines  langen  Aufenthaltes  bei  den  Bogos 
war  ich  trotz  meines  guten  Willens  nie  dazu  gekommen,  die- 
sen Wunsch  zu  erfüllen;  es  ist  eine  triviale  Wahrheit,  dass 
man  auüschiebt,  was  man  sicher  in  seinen  Händen  zu  haben 
glaubt.  Nun  mahnte  mich  aber  die  kurze  Zeit,  die  wir  noch 
unter  den  Bogos  verbringen  sollten,  an  die  Reue,  die  eine  un- 
benutzte Gelegenheit  mit.  Recht  verursacht  Schon  war  der 
Tag  der  Abreise  bestunmt,  als  den  23.  August  mein  Freund 
Pedjas  Imam  in  Keren  einrückte,  von  seinem  Vater  Heilu 
beauftragt,  den  Tribut  der  Niederlande  einzutreiben.  Natür- 
lich musste  ich  nun  die  Abrtise  hinausschieben,  da  ein  plötz- 
liches Fortgehen  gewiss  nicht  meinem  wissenschaftlichen  Eifer, 
sondern  bösem  Willen  zugeschrieben,  ja  mir  als  Flucht  aus- 


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186  'ELeiae  in's  Land  der  Marea. 

gelegt  worden  wäre.  Mehrere  Tage  vergingen  mit  Besuchen; 
die  alte  Freundschaft  wurde  neu  beschworen  und  zum  Beweis 
erhielt  ich  den  27.  August  ein  junges,  sehr  feuriges,  gut  ge- 
schultes Maulthier  zum  Geschenk,  ^u  gleicher  Zeit  fragte 
ich  um  die  Erlaubmss,  meine  Reise  machen  zu  können.  Imam 
konnte  nicht  begreifen,  was  ich  eigentlich  da  Schönes  finden 
sollte;  doch  warf  mein  Bai  dsaraba  (Vermittler)  Fitorari  Sahlu 
geschickt  ein,  es  könne  schon  im  Interesse  der  Regierung 
nicht  unnütz  sein,  wenn  ein  Freund  diese  unbekannten  Gaue 
selbst  ansehe  und  studire.  Als  mir  Imam  darauf  sagte,  dass 
er  auch  dahin  zu  gehen  beabsichtige  und  so  meine  Gesell- 
schaft zu  haben  hofie,  dankte  ich  ihm  natürlich  für  seine 
Freundschaft,  erwiodeiHie  aber,  dasa  das  Kiiegsgetümmel  mei- 
nem friedlichen  Geschäft  nur  hinderlich  sein  könne,  da  ich 
das  Vertrauen  der  Eingebomen  nöthig  habe.  Da  ich  zu  glei- 
cher Zeit  hörte,  dass  Imam  wirklich  einen  Verwüstungszug 
•beabsiehtige  und  manche  meinten,  es  scd  auf  die  Marea  ab- 
gesehen, so  musste  ich  den  Strom  yorbeilassen,  um  auch  nur 
seinen  Lauf  zu  wissen  und  es  schien,  als  ob  mir  die  Politik 
die  ganze  Reise  verderben  wollte:  denn  es  ist  immer  höchst 
gefährlich,  vor  oder  nach  einer  Armee  in  ein  Land  zu  kc»i^ 
men,  wo  man  natürlich  mit  Misstrauen  angesehm  wird. 

Doch  hob  sich  die  Ungewissheit  schneller,  als  ich  gehofft; 
d»  29«  Vormittags  zog  Imam  mit  tausend  bewafiheten  Män- 
nern von  Eeren  fort  und  noch  denselben  Tag  vernahmen  wir, 
dass  der  Heerzug,  meine  Strasse  links  lassend,  den  Weg  über 
den  Anseba  nach  dem  Lebka  genommen  habe.  So  stand  mei- 
ner Abreise  nichts  mehr  entgegen.  Es  fehlte  nicht  an  Ab- 
rathenden:  die  Marea  seien  ein  Volk,  dass  nie  Frankeii  ge- 
sehen habe,  das  von  Aegypten  und  zugleich  von  Abyssiiuen 
unabhängig  lebe.  Die  Logik  war  nicht  anzugreifsn;  aber  ich 
setzte  mein  Vertrauen  in  das  Gast-  und  Geleitsrecfat,  dessen 
sich  auch  die  Marea  rühm^;  das  übrige  sollte  meine  Sprach- 
und  Landeskenntniss  thun  imd  die  nie  unnütz  verschwendeten 
guten  Worte...  Mit  Vergnügen  nahm. ich  Hm.  Sohubert's  Aa- 


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erbieten  an,  mich  auf  dieser  Reise  zu  b^leiteQ.-  Mcöuie  Vor-t^ 
bereitungen  waren  bald  gemacht;  jeder  von  uuq  'ritt  ein  Mf^ul^ 
tiuer;  ein  drittes  war  für  unsere  Habseligkeiten  b^stimmty  die 
in  Mehl  für  eine  Woche,  Kaffee  und  einigen  zu  Geschenken 
bestimmten  Spezereien  und  Glasperlen  bestanden.  Das  Mnu^- 
thier  ist  in  Bergländem  das  nützlichste  Lastthier;  es  t^ägt 
vid;  aber  das  Au^>aoken  raubt  viel  Zeit  und  ist  der  gene^uen 
Distancenberechnung  sehr  hinderlich.  Unser  Bett  bildete  eine 
abyssinische  braungegerbte  Haut;  jeder  von  uns  war  noch  njit 
einer  Dedce  versehen,  die' auch  als  Teppich  dienen  sollte. 
Wir  y^:ein£Mhten  unserie  Habe  so  viel  wie  möglich,  da  wir 
als  Eingebome  reisen  und  leben  wollten.  Ich  hatte  meine 
Uhr,  die  dem  Zwecke  genügte  und  einen  Femrohrkompass  mit 
Stock ,  Geschenk  meines  unglücklichen  Freundes  H.  Page,  das 
er  mir  einen  Monat  vor  seinem  Tode  in  Djedda  geschenkt. 
Ausser  vier  neuangeworbenen  Dienern,  worunter  sich  auch 
Din  befand,  dw  später  die  Kun&nareise  mitmachte,  nahm 
ich  einen  Handelsmann  von  Arkeko,  Namens  Gaber  mit,  da 
er  das  Marealand  kannte.  Die  Zahl  fünf  sollte  nicht  die 
Sicherheit  vermehren,  aber  den  guten  Anstand,  der  manche 
G^Bkhr  verhütet  Mehr  mitzunehmen  schien  nicht  ^äthlich, 
da  es  bei  der  heurigen  Theure  schwer  fallen  musste,  viel 
Leute  zu  ernähren. 

So  verlieseen  wir  unser  Haus  den  30.  August  Nachmittags 
um  drei  Uhr.  Wir  wählten  den  nördlichen  Weg,  der  in  lan- 
gem Bogen  den  Lalamba  urngsht,  um  hinter  Dobak  wieder 
in  die  Sehne,  die  über  Shinare  fährt,  einzufallen.  Da  der 
letztere  Weg  gegenwärtig  über  unbewohntes  Land  führt  m^d 
wir  über  Imam's  Bewegimgen  sichere  Nachrichten  einziehen 
wollten,  nahmen  wir  den  erstem,  um  bei  dem  Stamm  Az  Gaim, 
der  hinter  dem  Lalamba  angesiedelt  ist,  zu  übernachten.  Ein 
furchtbarer  Platzr^en  zwang  uns  in  One  unter  Dach  zu  ste- 
hen. V<m  diesem  Dorfe  fuhrt  der  Weg  üba:  einen  toinsen, 
aber  steinigen  und  steilen  Sattel,  der  den  Lalamba  und  den 
Berg  von  Tshabb&b  verbindet  und  in  das  Thal  Gabdsi  mi  den 


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188  Reue  in's  Land  der  Msrea» 

Hütten  von  Az  Gaün  fuhi*t.  Wir  finden  hier  mehrere  Ton 
Imam^s  Soldaten,  die  uns  erzählen,  das  Heer  sei  schon  Ton 
seinem  Raubzuge  zurück;  es  habe  die  Habab  vergeblich  bis 
Qogai  (am  Fnss  von  Mäs'halit)  angesucht;  Imam  selbst  lagere 
in  Wasentet 

Wir  werden  von  einem  der  Häuptlinge,  Idris  Weld  Nur- 
eddin,  gut  empfangen;  da  der  Stamm  proYisorisch  in  Matten* 
zelten  lagert,  ziehen  wir  vor  im  Freien  zu  schlafen.  Die  Az 
Gaim  wohnten  nämlich  bis  jetzt  in  Hubub ;  da  aber  zwischen  dem 
Stamm  Az  Gultane  im  Barka  und  dem  Takuestamm  Az  Kelb 
Zwistigkeiten  ausgebrochen  waren,  in  Folge  derer  die  letz- 
teren einen  grossen  Raubzug  ausgeführt  hatten,  so  schien  es 
den  Az  Gaim,  die  neutral  bleiben  wollten,  nicht  räthlich,  an 
der  grossen  Strasse  zu  wohnen;  sie  verliessen  ihr  Dorf  und 
siedelten  sich  naher  bei  den  Bogos  an.  Wir  erhalten  zum 
Nachtessen  eine  Ziege,  da  Durra  nicht  zu  haben  ist 

Den  31.  August  wenden  wir  uns  g^en  das  nördliche  Ende 
des  Thaies,  wo  am  Abhang  des  Berges  Engelle  das  alte  Dorf 
Hubub  steht  und  lenken  dann^  den  Torrent  Shit^o  über- 
schreitend, in  die  Strasse  von  Dobak  eia,  wo  mir  eine  Adan- 
sonia  den  Anhaltspunkt  abgibt,  um  die  ersten  Directionen  zu 
nehmen.  Wir  lassen  zur  Linken  das  Thal  Ton  Gabei  Lugum, 
wo  über  einen  Sattel  eine  Kameeistrasse  nach  Medjlel  führt, 
die  sich  nach  einem  kurzen  aber  jähen  Abhang  mit  d^  von 
Mogareh  kommenden  Strasse  von  Afharom  vereinigt.  Wir  lenken 
in  das  Thal  Bab  Geng^en,  das  links  vom  Hochland  Aretta, 
rechts  von  den  Abhängen  von  Halhal  und  Eres  beschränkt 
wird.  So  bildet  sich  ein  grosses  vidverzweigtes  Thal,  das  bd 
Zeron  zum  Anseba  ausläuft  Der  Weg  iai  ganz  flach;  di» 
gut  cultivirte  Bab  Genger^n  wird  immer  enger,  bis  zum  Fuss 
des  Abhanges,  der  als  Gabei  Elos  sehr  steil  zum  Hochland 
hinauffuhrt.  Von  der  Höhe  nehme  ich  Directionen.  Dann  senkt 
sich  das  Land  wieder  etwas;  der  Kamm  bildet  die  Wasser- 
scheide, von  welcher  südlich  alles  dem  Anseba,  nördlich  alles 
dem  Barkä  zugeht    Vor  ims  sehen  wir  die  Ebene  HalhaV 


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Reise  in's  Land  der  Maraa.  189 

die  aUmäUig  gegen  die  Marea  hin  aufsteigt  und  rechts  von 
der  etwas  erhabenen  Terrasse  von  Eres  beschränkt  ist;  die 
Luft  ist  leicht  und  kalt;  man  glaubt  sich  im  abyssinischen 
Hochland.  Hier  begegnet  uns  der  Häuptling  von  Az  Oabdja, 
mein  alter  Bekannter  Nussur,  der  auf  die  Nachricht,  ich  sei 
seinetwegen  gekommen  und  werde  heute  sein  Gast  sein,  mit 
uns  zurückkehrt.  Wir  gelangen  zum  Wasser  Hindjune,  wo 
wir  uns  unter  derselben  Sykomore  lagern,  wo  ich  ein  Jahr 
▼orher  mit  Hm.  y.  Beurmann  einen  vergnügten  Nachmittag 
verbrachte.  Da  die  Wolken  Regen  befurchten  lassen,  brechen 
wir  schnell  auf  und  kommen,  ein  anderes  Wasser,  Tarakb6, 
überschreitend,  nach  einer  halben  Stunde  zum  Dorfe  Halhal, 
Ansiedlung  der  Az  Gabdja,  das  auf  einem  Hügel  gelegen  die 
Ebene  beherrscht.  Da  die  Ansiedlung  noch  jung  ist,  finden 
wir  nur  ganz  kleine  Hütten;  wir  werden  in  einer  derselben 
einquartirt  und  lagern  uns  auf  einem  Bett,  das  mehr  als  die 
Hälfte  derselben  einnimmt.  Nussur  bringt  uns  sogleich  eine 
Polenta.  An  Gastfreundlichkeit  haben  es  die  Az  Gabdja  nie 
fehlen  lassen;  leider  befinden  sich  die  Heerden  im  H^and, 
sodass  keine  Milch  zu  bekommen  ist  und  auch  Getreide  ist 
wenig  mehr  vorräthig;  die  grosse  Emdte  vom  letzten  Jahr 
wurde  fSast  ganz  an  die  Marea  verkauft,  die  nichts  geemdtet 
hatten.  Die  Leute  haben  mit  dem  Preis  ihre  Heerden  stark 
vermehrt,  aber  sie  sind  bis  zur  neuen  Emdte  sehr  bedrängt. 
Wir  empfangen  viele  Besuche  von  alten  Bekannten. 

Den  1.  September  bringt  mir  Nussur  eine  Ziege,  wovon 
idi  dem  Landesgebrauch  gemäss  das  Brustfleisch  und  die 
Haut  dem  Geber  zurückschicke.  Ich  gehe  auf  den  kleinen 
hinter  uns  liegenden  unfemen  Berg  One,  wo  die  eben  aus 
dem  Nebel  auftauchenden  Berge  ein  schönes  Panorama  ge- 
währen, doch  ist  die  Richtung  gegen  die  Bogos  hin  von  dem 
Kanmie  von  Elos  verdeckt.  Den  Nachmittag  haben  wir  tüch- 
tigen Regen. 

Den. 2.  September  nimmt  mein  Maulthier,  das  seine  alten 
Lagerfreunde  noch  nicht  vergessen  hat,  Reissaus  nach  Eeren 


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im;  ich  sehidke  drei  meiner  Diener,  um  es  zurüoleiiibi^em 
Idi  i^oachie  ^en  Spaziergang  nach  Sres,  von  wo  man  mit 
einen  schönen  Ueberblick  ^r  Berge  gegeai  den  Anseba  ver- 
spricht. Der  Weg  geht  an  der  Quelle  der  Hindjune  vorbei, 
wo  sie  sich  einen  vielleicht  fonfzehn  Fnss  tiefen  Graben  aus- 
gehöhlt hat,  ohne  aber  einen  eigentlichen  Sandtorrent  su 
bilden;  von  da  lassen  wir  den  Weiler  Az  Tesfei  unfern  links, 
den  von  Euphorbien  bedeckten  Hügel  Wonber,  worauf  früher 
das  Dorf  von  Az  Feda  stand,  rechts  und  durchschneiden  eine 
langsam  aufeteigende  Ebene,  bis  sie  von  einer  hohem  T^-' 
rlisse  beschränkt  ist,  als  Fortsetzung  des  Kammes  von  Elos: 
diess  ist  Eres,  aus  Ebenen  und  Hügeln  zusammengesetzt  Einem 
schmalen  Torrent  nach  steigen  wir  bis  zur  Terrasse  hinauf; 
wir  finden  viele  Steinkreise  der  frühem  Häuser  von  Az  Hesbei, 
Az  Feit  und  der  letzten  Barea,  Adjum&i,  welche  alle  jetzt  an- 
derswo angesiedelt  sind.  Wir  sehen  die  Fläche  mit  Weizen, 
Gerste  Und  wdssei'  Mashella  gut  bebaut  Der  wilde  Oliven- 
baum ist  hier  besonders  häufig,  auch  der  grosse  schattige  Ädeda 
(in  Abyssinien  Kaueh,  bei  den  Marea  Tembuk  genannt),  des- 
sen schwärzlich  und  roth  gestreiftes  Holz  in  Adua  zu  Bett- 
stellen vei^immert  wird.  Wir  finden  auf  dem  Platz  des  altes 
Dorfes  von  Az  Feit  eine  schöne  Aussicht  gegen  Süden  und 
Westen;  die  von  Keren  her  postirten  Thaler  und  Gebirge  lie- 
gen ganz  denÜich  vor  uns;  auch  der  B^g  von  Keren,  der 
Zeban,  ist'  deutlidi  zu  unterscheiden.  Abyssinien  ist  von  Wol« 
ken  verhüllt  Die  Aussicht  gegen  die  Marea  und  die  Habab 
verschliessen  die  Höhen  von  Metk^l  Ab^t  und  One,  doch  ragt 
das  Gebirge  von  Dsereh  und  Agame  heraus.  Wir  finden 
also  hier  wieder  den  Kamen  One,  der  wahrscheinlich  von  den 
Barea  herrührt.  Diese  letzten  Anhöhen  s^ien  sehr  bewaldet 
aus;  sie  wären  sehr  leicht  urbar  zu  machen,  da  ihr  Boden 
wenig  schroff  ist;  mit  der  Urbarmachung  verschwindet  die 
scheinbare  Unebenheit.  So  wäre  auf  der  Karte  angebautes  Land 
und  Wald,  zu  unterscheiden;  das  erstere  scheint  eben,   aber 


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ReiM  'u's  Land  der  Maa^  191 

ermangelt  nicht  seiner  Unebenheiten;  dem  letztem  gibt  der 
Banmwnchs  das  Aussehen  von  abgeschlossenen  Bergen,  wäh-» 
rend  es  entwaldet  kaum  von  der  Ebene  zu  trennen  wäre; 
So  bildet  Halhal  einen  wenig  .geneigten  Kessel,  dessen  Tiefe 
die  Wasser  von  Hindjune  und  Tarakbe  bilden.  Der  begin- 
nende R^en  zwingt  uns  zur  Rückkdir;  er  hält  auch  den 
ganzen  Nachmittag  an.  Die  Angelegenheit  des  Tages  ist  na-* 
türlich  der  Tribut  an  Imam.  In  der  Nacht  kommt  sogar  d|e 
Nachricht,  die  Amhara  seien  im  Anzug;  doch  reducirt  sich 
die  Armee  auf  einen  Boten  Imam's,  einen  Adelichen  von  Ke- 
ren,  der  in  Tributsachen  zu  den  Marea  geht.  Er  erzählt, 
Imam  habe  das  Dorf  Wasentet  (Bedjuk),  da  es  seiner  Armee 
den  Unterhalt  verweigert,  vollständig  ausplündern  lassen  und 
sei  dann  nach  Keren  zurückgekehrt;  er  ermahnt  die  Leute 
von  Halhal,  schleunigst  den  Tribut  zu  entrichten,  sonst  hätten 
sie  alles  zu  befürchten.  Sogleich  wird  auch  in  meiner  Hütte 
Rath  gehalten;  man  schickt  Boten  nach  GabeiAlabu,  das  im 
Tribut  mit  Halhal  zusammenhängt.  Da  sich  die  Leute  nicht 
zu  entschliessen  wissen,  kommen  sie  oft,  ohne  gerade  rebel- 
liren  zu  wollen,  in's  Unglück.  Ackerbauer  müssen  sich  frei- 
lich jedem  Mächtigen  unterwerfen ,  da  der  Boden  sie  festhält, 
während  die  Hirten  an  nichts  gebunden  sind.  Die  Berech- 
nung des  Tributs  liefert  mir  unerwartet  genaue  Notizen  zur 
Landesstatistik. 

Den  3.  September  sehe  ich  mir  die  Kirche  hinter  dem 
Dorfe  an;  sie  war  ziemlich  gross,  viereckig,  mit  flachem  Dach; 
die  Mauern  sind  noch  2 — 3  Fuss  hoch  erhalten.  Das  Thor 
befindet  sich  auf  der  westlichen  Seite;  die  Altarkapelle  ist 
noch  jetzt  an  der  Scheidemauer  erkennbar;  die  Stützbalken 
sind  kurz  abgebrannt.  Die  Schieferplatten,  die  als  Glocken 
dienten,  wie  es  in  Abyssinien  der  Brauch  ist,  sind  in  den 
letzten  Jahren  verschwunden.  Die  Kirche  ist  nach  abyssini^ 
scher  Weise  von  christlichen  Gräbern  umgeben.  Ich  konnte 
mir  nicht  ohne  Schmerz  die  schönen  grünen  Hügel  und  was- 


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192  K6uw>  in's  L>Ad  <^er  Mare». 

serreichen  Ebenen,  von  Weizen  und  Gerste  bedeckt,  ansehen^ 
diese  Miniatur  des  abyssinisclien  Hochlandes,  und  daneben  die 
zerfEdlene  Kirche  mit  den  Gräbern  so  vieler  Generationen; 
ich  dachte  an  alle  die  Stämme^  die  nach  echt  aMkanischer 
Weise  jeder  den  andern  yerdrängt,  ohne  selbst  ihren  Namen 
zu  hinterlassen;  ich  dachte  der  alten  Religion,  die  firüher 
allen  Bergvölkern  dieser  Zone  eigen  war  und  ohne  Hoffnung 
auf  Rückkehr  immer  mehr  dem  Islam  Platz  macht,  der  sie 
uns  immer  mehr  entfremdet. 

Der  Aufenthalt  zu  dieser  Zeit  kann  nicht  sehr  ange- 
nehm genannt  werden;  die  Nächte  verbittern  unzählige  Flöhe 
und  Wanzen,  den  Tag  die  kleinen  und  grossen  Fliegen.  Die 
Ratten  zerfressen  all  unser  Gepäck  und  keine  schützende 
Katze  ist  sichtbar.  Termiten  sind  hingegen  selten.  Unsere 
Maulthiere  besonders  verlieren  ob  der  peinigenden  Mücken 
die  Geduld.  Hier  lässt  sich  erst  vom  December  an  gut  woh- 
nen; die  Heerden  befinden  sich  deswegen  jetzt  im  Tiefland; 
erst  in  der  trocknen  Zeit  werden  sie  in^s  Dorf  gebracht.  Auf- 
fallend ist  die  Menge  von  Skorpionen;  man  kann  fast  keinen 
Stein  aufheben,  ohne  ein  oder  zwei  Stuck  zu  finden.  Die' 
Gräbersteine  liefern  uns  eine  schöne  Ausbeute  an  Käfern. 
Wild  ist  in  diesem  Hochland  selten;  es  finden  sich  nur  die 
zwei  Antilopenarten  Agasen  und  Sasseha,  dann  das  Wild- 
schwein. Auch  Vögel  sehen  wir  nur  selten,  schon  wegen 
des  Mangels  an  Bäumen.  Den  Eingebomen  kommt  das  Land 
freilich  sehr  waldig  vor,  da  die  bösen  Zeiten,  wo  es  brach  lag, 
der  Natur  ihr  Recht  gegeben  haben.  Wenn  die  Az  Gabdja 
so  glücklich  sind,  noch  einige  Jahre  in  Frieden  hier  leben  zu 
können,  so  wird  das  ganze  Land  wieder  ganz  kahl  und  der 
Vergleich  mit  dem  Hamasen  vollständig  werdto.  Was  hier 
besonders  erfreut,  ist  das  lebendig  hervorquellende  nie  ver- 
siegende Wasser.  Was  Pflanzen  betrifft,  so  stimmen  sie  mit 
denen  von  Az  Maman,  was  auf  gleiche  Höhe  schliessen  lässt; 
am  Wasser  finden  sich  fast  nur  Feigenbäume,  besonders  der 
liochländische  Daro.    Hyänen  fehlen  nicht,  aber  sie  scheinen 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  193 

sehr  feig  zu  sein,  da  man  unsern  Maulthieren  erlaubt,  im 
Freien  zu  übernachten.  Das  Dorf  scheint  sehr  klein,  da  die 
ganz  winzigen  provisorischen  Hütten  eng  zusammengedrängt 
sind;  man  geizt  mit  dem  theuren  Boden,  soviel  man  kann, 
selbst  für  die  Gräber,  die  eng  aneinander  liegen.  Man  sieht 
noch  Spuren  von  viereckigen  Steinhäusern,  nach  Art  des 
Hamasen,  woher  die  Takue  stanunen.  Seit  Keren  haben  wir 
wenig  Wind;  erst  im  October  kommt  der  Nord  und  vertreibt 
den  Regen  und  die  bösen  Fliegen. 

Den  4.  September  mache  ich  der  alten  Kirche  noch  einen 
Besuch.  Der  Priester  soll  noch  leben;  er  ist  ein  alter  kin- 
derloser Manu,  der  mit  den  Heerden  herumzieht;  er  ist  fast 
einzig  seiner  Religion  treu  geblieben.  Wenn  auch  fast  das 
ganze  Dorf  mohanmiedanisch  ist,  so  finden  sich  doch  noch 
viele  christliche  Erinnerungen  und  Gebräuche.  Die  alten 
Festtage  werden  noch  geheiligt;  Mariam  geniesst  immer  der 
alten  Ehrfurcht.  Dem  Ackerbauer  steht  das  Christenthum 
besser  an,  als  die  nomadische  Araber -Religion. 

Im  Laufe  des  Morgens  bringen  meine  Leute  endlich  mein 
Maulthier  zurück,  das  nur  mit  Noth  eingefangen  werden 
konnte;  es  hatte  sich  wieder  im  Lager  Imam's  zu  seinem 
alten  Kameraden,  einem  Pferde,  gesellt.  Es  ist  auffallend, 
dass  die  Maulthiere  eine  ungemeine  Zuneigung  zu  den  Pfer- 
den haben,  die  aber  von  diesen  gar  nicht  erwiedert  wird. 
Sie  haben  ein  sehr  gutes  Ortsgedächtniss  und  vergessen  einen 
einmal  betretenen  Weg  jahrelang  nicht.  Mit  meinen  Leuten 
zusammen  konmit  ein  Soldat  Imam^s,  der  zur  Zeit,  al^  Ubi4 
das  Dorf  Halhal  verwüstete,  von  dessen  Soldaten  nach  Abys- 
sinien  entführt  wurde;  seitdem  ist  er  ein  Mann  geworden 
und  bei  Imam  recht  gut  angesehen;  nach  sechzehnjähriger 
Abwesenheit  wurde  er  im  Lager  bei  Keren  von  seinen  Ver- 
wandten wiedererkannt  und  kommt  jetzt  auf  Besuch.  Er 
wird  unter  Freudengeschrei  in's  Dorf  geführt,  mit  Ziegenblut 
gewaschen  und  verhüllt  in  seiner  Mutter  Haus  gefuhrt.  Doch 
scheint  der  Civilisirte  wenig  Geschmack  zu  finden  an  seiner 

Mansinger,  Ostofrik.  Stadien.  13 


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194  Reise  in's  Land  der  Marea. 

neaierworbenen  Verwandtschaft;    et  hält  sich  zu  uns,  wo  er 
(loch  Amharisch  reden  kann. 

Da  nun  nichts  mehr  der  Weiterreise  entgegensteht,  be- 
stimme ich  sie  auf  den"  folgenden  Tag  und  fordere  Nnssur 
auf,  mir  bis  zu  den  rothen  Marea  das  Geleit  zu  geben. 


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Ueber  die  Beit  Takue. 


Da  die  Ebene  Halhal  als  Stammsitz  der  Beit  Takue  zu 
betrachten  ist,  so  scheint  es  zweckmässig,  einige  Bemerkungen 
über  dieses  Volk  hier  einzuschalten.  Da  die  Beit  Takue  ganz 
wie  die  Bogos  einer  aristokratischen  Stammverfassung  sich 
erfreuen,  so  müssen  wir  in  der  Anmerkung*)  den  Stammbauni 

*)  StammtafeL 
Takue. 


Basira  Bfioa. 


•I 


Obrahom. 


Segi.  Fetroi.  Umbarek.    Gebre  Cristos. 


I 


Hetbei    Teafai  Maman.  Amit.  Emir.   Framhak. 


Makerios. 

I 

Girgis.: 


Jakob. 
Oab^ja.        TihafEk 


Belenei. 


Feda. 


.k 


Feit    Tesfa  fiaxmes.       Oaim. 


iGir 


I 
Jakob. 

AqbaÖirgis.  Harauie. 

Itel.  Abib. 

Bei  et.  Asfedai. 

Azoz.  Monos. 


KeH). 

I  I 

Gebre  Cristos.  Hamid. 

Hassama.   Bomnet. 


iker. 


Nureddin.  Shul 

Idris.   Mohammed. 

I 


Gabash. 

I 

Gebre  Cristos. 

l 

Feit 

Hattai. 

I 
Ada. 

Tedros. 

Takrorai. 


Hassama. 

Nuflsur.' 
Die  mit  fetter  Schrifl  gedruckten  Namen  sind  alles  noch  bestehende 
Familien. 

13* 


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136  Reise  in's  Land  der  Marea. 

der  herrschenden  Geschlechter  geben,  wie  ihn  der  Familien- 
stolz im  Andenken  behalten  hat.  Natürlicherweise  erwähnen 
wir  nur  die  Hauptlinien.  Wir  finden  also  dreizehn  Genera- 
tionen bis  zum  Stammvater  des  Volkes,  dem  er  seinen  Namen 
gegeben  hat;  Belen  nennt  man  die  Takue  auch  uneigentlich 
nach  ihrer  Sprache.  Dass  die  Takue  von  den  Gümmegan  im  Ha- 
masen  abstammen,  wird  von  niemandem  bezweifelt;  noch  jetzt 
werden  sie  von  den  letztem  als  Verwandte  anerkannt  und 
man  zeigt  bei  Az  Teklesan  ihnen  gehörige  Grundstücke,  die 
bei  der  Abwesenheit  der  Eigenthümer  brach  gelassen  werden. 
Die  Takue  sind  also  ein  Zweig  der  grossen  Familie  Beit  Ato- 
shim,  die  das  Hamasen  beherrscht  und  grösstentheils  auch 
bewohnt.  Die  Ueberlieferung  nennt  als  den  ersten  Einwanderer 
von  Abyssinien  Samra  Dsion,  Takue's  Sohn.  Er  soll  (also 
etwa  vor  300  Jahren)  zusammen  mit  seinen  Verwandten  Bidel 
und  Ze/u  den  Abhang  von  Af  Gula  hinab  über  Shütel  an  den 
Fuss  des  Debre  Säle  gekommen  sein,  wo  sie  zusammen  in 
Hömmeret  Goila  ein  Dorf  gründeten ;  man  erzählt  sogar,  ihre 
Kirche  habe  bei  Af  Sabr  (unweit  Adarte)  gestanden.  Man 
weiss  nicht,  warum  sie  sich  nicht  mit  ihrer  ersten  Nieder- 
lassung begnügten:  sie  beschlossen,  sich  einen  besseren  Wohn- 
sitz zu  suchen  und  schickten  Kundschafter  in  das  benachbarte 
Hochland.  Der  eine  lernte  den  Debre  Säle  kennen,  der  zweite 
Halhal,  der  dritte  Ere.  Jeder  lobte  seinen  Fund  und  da 
keiner  nachgeben  wollte,  kam  es  zur  Trennung:  Bidel  nahm 
den  Debre  Säle  in  Besitz,  wo  noch  Spuren  seiner  Dörfer  und 
Kirchen  vorhanden  sind;  Zei^u  wandte  sich  nach  Ere,  von  wo 
seine  Nachkommen  von  den  Marea  verdrängt  worden  sind; 
Samra  Dsion  kam  nach  HalhaL  Indem  wir  später  auf  die 
beiden  Gefährten  zurückzukommen  gedenken,  wollen  wir  jetzt 
seine  und  seines  Stammes  Schicksale  weiterverfolgen. 

Die  Nachkommen  Samra  Dsion's  sind  verktunmert  imd  aus- 
gestorben; ihr  Dorf  von  Mai  Auälid  besteht  nicht  mehr,  die 
Kirche  ist  zerfallen.  Die  jetzigen  Takue  stammen  fast  alle  von 
Obrahom^s  Söhnen,  wovon  die  bedeutendsten  Gebre  Gristos  und 


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Beise  in's  Land  der  Marea.  197 

Blakerios  wurden :  die  andern  Zweige  schliessen  sich  ihnen  an 
und  leben  mit  ihnen  zusammen.  Nun  aber  kamen  bei  der 
Einwimderung  auch  Tigre  oder  Unterworfene  mit;  mit  Samra 
Dsion  kamen  die  Dsauen;  mit  Obrahom  sollen  aber  sieben 
Männer  gekommen  sein,  Namens  Dsarui,  Dengenei,  Legenei, 
Sakrenei,  Hamasenei,  Garai,  Kasenei,  deren  Nachkommen 
sich  nach  diesen  Namen  in  ebenso  viele  Stämme  scheiden; 
sie  sind  aber  wohl  alle  eher  Ursprungs-,  denn  Eigennamen, 
was  bei  Kasenei  (Mann  von  Käsen,  einem  Dorf  im  Kameshim) 
und  bei  Hamasenei  deutlich  hervortritt. 

Was  nun  die  Barea  betrifft,  so  muss  man  sie  als  die  alten 
Einwohner  des  Landes  anerkennen;  auch  die  Ortsnamen  deuten 
darauf,  wie  z.  B.  Aretta.  Wie  gesagt,  finden  sich  bei  der 
Einwanderung  nur  spärliche  Reste;  der  grösste  Theil  des 
Volkes  sei  schon  früher  freiwillig  in  ihre  jetzigen  Wohnsitze 
ausgewandert.  Das  Land  am  Anseba  theilten  damals  Beit 
Mushe  und  oberhalb  die  Qaqin.  Die  Gengeren  besassen  Bab 
Gengeren  und  Aretta;  sie  bestehen  noch  immer;  wir  werden 
auf  sie  zurückkommen.  Wer  die  jetzt  ganz  ausgestorbenen 
Beit  Mushe  seien,  ist  schwer  zu  entscheiden,  sie  hatten  ihren 
Hauptsitz  in  Saraua,  wo  jetzt  Az  Feit  wohnen.  Die  Takue 
behaupten,  sie  hätten  von  ihnen  ihre  jetzige  Sprache  ange- 
nommen; demnach  wären  die  Beit  Mushe  den  Bogos  verwandt 
und  die  Takue  müssen  lange  mit  ihnen  zusammengelebt  haben. 
Nur  so  lässt  sich  erklären,  dass  die  Takue  Bolen  reden,  wäh- 
rend ihre  Stammsprache  äthiopisch  ist;  so  wenig  absolut  darf 
man  aus  der  Sprache  auf  den  Ursprung  schliessen;  auch  hier 
würde  man  sich  irreführen  lassen,  wenn  nicht  die  Tradition 
von  der  Verwandtschaft  mit  Gümmegan  so  frisch-  und  un- 
bezweifelt  wäre. 

Wie  wir  sahen,  waren  die  ersten  Niederlassungen  Az  Samra 
Dsion  mit  eigener  Kirche  in  Mai  Aualid  imd  Az  Obrahom  in  Hal- 
hal  mit  der  heil.  Jakobskirche.  Als  der  Stamm  für  den  engen 
Baum  zu  gross  wurde,  blieben  die  Gabdja  und  Tshaffa  zusam- 
men in  Halhal;  erstere  wohnten  um  den  Nebekbaum  (Kosla), 


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198  Reise  in'a  Land  der  Mares. 

letztere  um  die  Sykomore  (Darotet),  woher  der  Doppelname 
des  Dorfes  rührt.  Die  Az  Feda  aber  gründeten  ein  Dorf  in 
Wonber  mit  einer  Marienkirche;  die  Az  Feit  setzten  sich  in  Eres, 
gehörten  aber  zur  Kirche  von  Wonber.  In  Folge  ron  Streitig- 
« keiten  verliessen  die  Az  Tshaffa  Halhal  and  liessen  sich  in  Gabei 
Alabu  nieder.  Endlich  konnten  sich  auch  die  Az  Gabdfa  nicht 
mehr  behaupten;  sie  sind  erst  seit  drei  Jahren  mit  den  Az  Hesbei 
wieder  dahin  zurückgekehrt  nach  vielen  Irrsalen,  worauf  wir 
wieder  zurückkommen  müssen. 

Nun  muss  ich  aber  sagen,  wie  die  Takue  das  Ansebathal 
occupirt  haben.  Tekla  Dsion,  der  älteste  von  Feda's  Söhnen 
(etwa  vor  140  Jahren),  verlässt  zuerst  das  Hochland  und  lässt 
sich  in  Zeron  nieder,  wo  seine  Nachkommen  noch  leben;  Ze/e 
und  Hassama  (vor  100  Jahren)  gehen  nach  Hubub;  Bomnet  geht 
nach  Waliko  und  sein  Brudersohn  nach  Maragas,  das  er  aber 
wieder  verlassen  hat ;  die  letzten  wanderten  die  Az  Feit  nach  Sa- 
raua  aus  (vor  22  Jahren):  Die  Erstgebornen  von  Gebre  Cnstos 
sind  Az  Eafii,  von  Makerios  Az  Feit;  ihre  Stammältesten  wer- 
den noch  immer  in  Eres  begraben;  eine  steinerne  Grabkammer 
ist  ihnen  gemeinschaftlich;  stirbt  der  Shum  (Häuptling)  von 
Az  Feit,  so  wird  die  Erde  entfernt,  der  steinerne  Deckel  des 
Sarges  ausgehoben,  die  alten  Knochen  zur  Seite  gelegt,  der 
Leichnam  beigesetzt  und  über  den  Deckel  Erde  geworfen;  den 
Platz  bezeichnen  zwei  über  dem  Kopf  und  Fuss  eingerammte, 
etwa  4  Fuss  hohe  Steintafeln. 

So  wurden  die  Takue,  als  es  der  zahlreichen  Familie  zu 
eng  wurde,  am  Anseba  Nachbarn  der  Bogos;  sie  scheinen 
sich  meist  nur  feindlich  mit  ihnen  berührt  zu  haben,  doch 
sind  sie  jetzt  durch  gegenseitige  Heirathen  verschwägert  wor- 
den. Was  ihre  nördlichen  Nachbarn,  die  Beit  Zer'u,  ihre  frühem 
Verwandten  betri£Ft,  so  führten  sie  mit  ihnen  einen  beständigen 
Krieg;  die  Beit  Zer*'u  sollen  einmal  sogar  ihre  Feinde  in  Hal- 
hid  selbst  aufgesucht  und  es  verwüstet  haben.  Mit  Abyssinien 
kamen  die  Takue  wenig  in  Berührung.  Man  erzählt,  ein 
gewisser  Elos  sei  mit  einem  Heer  von  Hasaga  bis  Halhal  ge- 


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Reise  iu's  Land  der  Marea.  199 

drangen;,  von  ihm  rühre  der  aWeg  des  Elos»  her;  doch 
erinnert  sich  niemand  der  Zeit  dieses  Ueber£alles.  Erst  seit 
den  letzten  zwanzig  Jahren  mussten  auch  die  Takue  die  abys- 
«nische  Uebermacht  fühlen.  Ubie's  Truppen  lagerten  nach 
Terzweifeiter  Gegenwehr  zum  ersten  Male  1844  in  Halhal;  die 
Blüthe  der  Jugend  fiel  im  Heldenkampf;  der  lange  angehäufte 
Beichthum  des  Landes  verschwand;  nur  langsam  konnte  es 
«ich  erholen.  1849  wiederholte  Ubie  seinen  Besuch  und  drang 
sogSiX  bis  Ere;  doch  rettete  sich  der  grösste  Theil  des  Volkes 
durch  Flucht.  So  machte  sich  Ubie  auch  hier  gefürchtet  und 
noch  wird  jeder  abyssinische  Heerzug,  von  wem  er  veranstaltet 
sei,  kurzweg  Ubie  getauft.  Doch  blieb  das  Land  unabhängig, 
von  Tribut  war  keine  Rede.  Als  Dedjas  Heilu  Statthalter 
des  Hamasen  wurde,  unterwarf  er  sich  den  untern  Anseba 
langsion  und  klug;  nachdem  er  sich  bei  den  Bogos  festgesetzt 
hatte,  fing  er  an  auch  Az  Gaim  und  Az  Keib  massig  zu  be- 
steuern; er  nannte  das  für  den  Anfang  freiwillige  Gabe.  Als 
Marit  an  seine  Stelle  gesetzt  wurde,  begnügte  er  sich  (August 
1859)  mit  der  seinem  Yoi^änger  entrichteten  Abgabe.  Als  er 
aber  im  November  desselben  Jahres  gegen  Bedjuk  zu  Feld 
zog,  nss  der  Strom  auch  die  Nachbarn  in's  Verderben:  Hubub, 
Zeron,  Waliko,  Saraua  wurden  von  den  beutelustigen  Amhara 
verwüstet,  viele  Heerden  weggetrieben,  die  halbe  Emdte  zer- 
stört und  besonders  viele  Leute  erschlagen.  Geschreckt  sandten 
auch  die  Bewohner  des  Hochlandes,  die  Az  Gabc^a  und  Az  Tshaffa 
um  Frieden  und  mussten  sich  dazu  verstehen,  den  ersten 
regelmässigen  Tribut  an  Abyssinien  zu  zahlen.  Im  Jalu*  1860 
zahlten  nur  die  untern  Takue  Tribut  an  Imam;  1861  endlich 
will  derselbe  Fürst  in  die  Fussstapfen  Marit's  eintreten  und 
es  ist  vorauszusehen,  dass  die  Takue  wie  die  Bogos  ganz 
regelmässige  Unterthanen  Abyssiniens  werden  müssen. 

Wie  wir  gesehen,  waren  die  Takue  Christen  mit  Kirchen 
ihre  Priesterfamilie  stammt  von  Az  Shehei  (vom  Hamasen). 
Die  Islamitisirung  hat  erst  nach  Ubie  begonnen;  die  vollstän- 
dige Bekehrung  datirt  erst  von  15  Jahren,  obgleich  es  noch 


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^00  Heise  in's  Land  der  Mareft. 

jetzt  einzelne  Christen  gibt.  Das  islamitische  Recht,  ist  noch 
nicht  durchgedrungen,  obgleich  Anklänge  nicht  fehlen.  Wenn 
also  das  Leben  noch  christlich  ist,  so  steht  der  Glaube  ab 
Mohammed  doch  sehr  fest  und  kann  kaum  rückgängig  g^ 
macht  werden.  Das  Beten  und  Fasten  wird  immer  allgemeiner. 
Wenn  wir  nun  das  Volk  der  Takue  vom  Ausland  wenig 
berührt  sahen,  finden  wir  seit  alten  Zeiten,  wie  es  alle  seine 
Energie  gegen  seine  eigenen  Eingeweide  wendet.  Die  Ge* 
schichte  besteht  aus  einer  unaufhörlichen  Reihe  von  Familien- 
fehden, wo  aller  Muth  und  Talent  dem  Brudermord  geweiht 
sind.  Die  fürchterliche  Hartnäckigkeit,  die  bei  diesem  per* 
manenten  Bürgerkriege  entwickelt  wurde,  hat  das  Volk  sehr 
klein  gemacht;  nicht  zufrieden,  mit  dem  eigenen  Schwert  zu 
mähen,  rufen  die  entzweiten  Familien  oft  auch  ausländische 
Hülfe  herbei  und,  was  besonders  auffallend«  ist,  die  dich  am 
nächsten  verwandten  Stämme  bekämpfen  sich  am  heftigsten. 
So  dauert  die  Blutfehde  zwischen  Az  Gabdja  und  Az  Täha& 
schon  vierzig  Jahre;  während  sie  noch  in  Einem  Dorf  zusam- 
menleben, rufen  die  Az  Tshaffa  die  rothen  Marea  zu  Hülfe; 
einige  Jahre  später  verwüsten  dieselben  mit  Hülfe  d^ 
Marea  und  der  Algeden  Az  Gabdja  in  Halhal,  wobei  di^ 
Kirche  niedergebrannt  und  der  Nebekbaum,  der  dem  Dorf 
den  Namen  gegeben,  niedergehauen  wird  (1836).  1837  stiften 
die  Az  TshaflEa  die  Az  Ali  Bachit  gegen  die  untern  Takue  auf; 
doch  als  die  Beni  Amer  mit  reicher  Beute  beladen  den  Rück- 
zug nach  dem  Barka  antreten,  vereinigen  sich  dieselben  Az 
Tshaffa  mit  Az  Gabdja  und  hauen  ihre  Freunde  am  Abhang 
des  Gebirges  zusammen.  Im  Jahre  1838  greifen  die  Az 
Tshaffa  im  Verein  mit  den  gleichen  Az  Ali  Bachit  die  Az  Gabdja 
in  Halhal  an,  werden  aber  zurückgeschlagen;  erst  1843  gelingt 
es  ihnen,  das  Dorf  Halhal  einzuäschern.  1847  vereinigen  sich 
sonderbarer  Weise  die  Blutfeinde  Gabdja  und  Tshaffa,  um  im 
Bund  mit  Az  Gultane  .die  Heerden  von  Az  Kelb  zu  vernichten. 
Die  Az  Gultane  wurden  erst  1861  für  diesen  Ueberfidl  bestraft; 
die  Az  Kelb  überfielen  ihr  Zeltenlager  am  Fuss  des  Delnre 


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Reise  in^s  Land  der  Marea.  201 

Säle,  nahmen  25  Heerden  weg  und  tödteten  25  Hirten.  Im 
Jahr  1850  vereinigen  sich  die  gleichen  Stämme  wieder  und 
verwüsten  Hubub.  Im  folgenden  Jahre  hat  die  Freundschaft 
schon  wieder  ein  Ende :  die  Leute  von  Az  Tshaffa  machen  den 
Häupfäing  von  Az  Gabdja,  den  weitberühmten  Helden  Azuz 
Weld  Bejet,  im  Schlafe  nieder.  Nussur,  sein  Sohn,  flüchtet  sich 
zu  den  Az  Tekles,  verwüstet,  von  ihnen  unterstützt,  Az  Tshaffis. 
und  tödtet  den  Mörder  seines  Vaters.  Dann  lässt  er  sich  in 
Dobak  nieder  unter  dem  Schutz  der  Bogos,  denen  er  mütter- 
Ucherseits  verwandt  ist.  Ich  lernte  ihn  in  dieser  Zeit  kennen 
und  hatte  oft  Gelegenhdt,  mich  auch  thatsächlich  für  ihn  zu 
interessiren.  Er  ist  kaum  25  Jahre  alt,  ziemlich  schwarz, 
mit  starkem  Bart,  fein  gebogener  Nase,  die  mit  der  hohen 
Stime  &st  zusammenläuft;  er  ist  sehr  muthig  und  zeigt  jetzt 
Auch  vielen  Verstand.  Er  hat  sich  seitdem  mit  allen  Blut- 
feinden ausgesöhnt,'  er  hat  sich  die  Marea  durch  Verschwä- 
gerung zu  Freunden  gemacht  und  thut  alles,  um  all  das  Blut, 
das  sein  Vater  vergoss,  vergessen  zu  machen.  Er  hat,  was 
hier  zu  Lande  viel  heisst,  seine  vier  Brüder  zu  Freunden  ge- 
macht, indem  er  sie  bei  der  Erbtheiluhg  sehr  grossmüthig  be- 
handelte. Er  ist  bei  seinem  Stamm  sehr  beliebt  und  alles 
sammelt  sich  jetzt  um  ihn  in  Halhal  zu  einem  grossen,  blühen- 
den Dorf.  Die  Az  Gabdja  haben  zwar  wenig  Unterworfene,  die 
Bewohner  des  Dorfes  sind  also  fast  alles  Brüder  von  gleichem 
Blut  und  Adel,  auf  die  aber  Nussur  grossen  Einfluss  hat. 

Zu  Europa  ist  Beit  Takue,  ohne  es  zu  wissen,  in  ein  ge- 
wisses Schutzverhältniss  getreten.  Die  obem  Takue,  die  auch 
im  Barka  Pflanzungen  haben,  brachten  viele  Jahre  lang  dem 
Häuptling  der  Beni  Amer  jährlich  sieben  Kameellasten  Weizen 
als  Tribut  und  erkauften  sich  damit  die  Sicherheit  für  ihre 
Heerden  und  Pflanzimgen  im  Tiefland.  Die  Häuptlinge  der 
untern  Takue  hingegen  hatten  sich  1854,  das  Schicksal  der 
Bogos  fürchtend,  förmlich  den  Türken  unterworfen.  Als  nun 
aber  die  Grossmächte  die  Bogos  vor  den  ägyptischen  Angriffen 
sicherstellten,  wurden  auch  die  Takue  in  den  Vertrag  einge- 


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202  Beise  in's  Land  der  Marea* 

schlössen  und  hatten  seitdem  nichts  mehr  von  dieser  Seite  zu 
fürchten.  Da  sie  nun  aber,  des  alten  Blutes  gedenk,  die 
Heerden  der  Az  Gultane,  .die  türkische  Unterthanen  sind,  weg- 
geraubt haben,  so  ist  zu  erwarten,  dass  sie  der  bisherigen 
Immunität  verlustig  gehen  und  dass  die  Türken  den  Begriff 
von  europäischer  Unterthanenschaft  nicht  so  weit  treiben 
werden,  um  diese  neuen  Montenegriner  immer  in  Buhe  zu  lassen. 
Ich  hatte  bei  Abtragung  des  Tributes  Gelegenheit,  mich 
über  die  statistischen  Verhältnisse  von  Beit  Takue  genau  zu 
erkundigen. 

Bevölkerung. 
Dörfer:  1)  Hubub,  provisorisch  in  Gabdsi,  bewohnt 
von  Az  Gaim,  mit  denen  viele  Gengeren  und  Az  Tokel 
zusammenleben.     Häuptlinge  sind   Hedad  Weld  Baka 
und  Idris  Weld  Nureddin.    Erwachsene  Männer  350 

2)  Waliko,  bewohnt  von  Az  Kelb  mit  ihren  zahl- 
reichen Unterthanen;  mit  ihnen  leben  viele  Az  Tekles 
(Habab)  als  Niedergelassene.  Häuptlinge  sind  Shuker 
Weld  Bomnet  und  Dafla  Weld  Temariam.  500 

3)  Zeron,  bewohnt  vonAz  TeklaDsion, Häupt- 
ling ist  Weld  Feda.  100 

4)  Saraua,  bewohnt  von  Az  Feit,  Häuptling 
Takrurai.  200 

Im  Hochland  sind 

5)  Halhal,  bewohnt  von  Az  Gabdja  mit  an- 
deren kleinen  Zweigen  der  Takue;  Häuptl.  Nussur  300 

6)  Kaseh,  bewohnt  von  Az  Tesfei  100 

7)  Gabei  Alabu,  bewohnt  von  Az  Tshaffa  mit 
vielen  Unterthanen  und  niedergelassenen  Marea;  Häupt- 
ling Asfedai  Weld  Abib  450 

Im  Ganzen  M.   2000 

Rechnet  man  an  Weibern  und  Kindern  drei  auf  jeden  Mann, 

80  käme  die  Bevölkerung  auf  8000  Seelen.   Man  darf  sie  nicht 

nach  den  Häusern  berechnen,  da  ein  grosser  Theil  derselben 

beständig  mit  den  Heerden  der  Weide  nachgeht. 


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Heise  in's  Land  der  Mareä.  203 

Ausser  dieser  Schätzung  hatte  ich  Gelegenheit,  eine  genaue 
Berechnung  der  erwachsenen  Shmagilli  (der  Vornehmen,  d.  h. 
der  eigentlichen.  Nachkommen  von  Takue)  zu  machen,  deren 
Resultat  fplgendes  ist: 

Az  Gabdja  hat    200  streitbare  Shmagilli 
Az  Tshaffa  250  »  » 

Az  Shum  Dähn     30  »  » 

Az  Hesbei  110  »  » 

Az  Tesfei  100  » 

Az  Kelb  und    i   ^oo  » 

AzTeklaDsionJ 

Az  Gaim  30  »  » 

Gengeren  100  »  » 


i  400   ^^'ixhlr.  320*)  (1859  TMr.  500) 


1020 
Ich  füge  eine   annähernde  XJebersicht  der  Heerden,  der 
pflügenden  Stierpaare  und  des  Tributs  bei. 

Heerden.    Stierpaare.    Tribut  (1861). 

Halhal  und  Kaseh     50 

Gabei  Alabu  100 

Hubub  80         100  »    150 

WalikoundZeronlTO  180  >>    250 

Den  Tribut  entrichten  Tshaflfa  und  Gabdja  zusammen, 
letzteres  übeminmit  ein  Drittel.  Die  Az  Feit  erkennen  sich  als 
dem  Naib  unterwürfig  an;  so  konnte  ich  mir  keine  Idee  von 
ihrem  Besitzthum  machen.  Ausser  Kühen  ist  besonders  Hubub 
reich  an  Ziegen,  viel  weniger  Waliko;  die  obem  Takue  be- 
sitzen deren  fast  gar  keine.  Die  Eintreibung  des  Tributs  ist 
für  die  Häuptlinge  eine  erwünschte  Einnahmequelle;  er  wird 
nach  den  Jochen  berechnet,  deren  jedes  1  Thlr.  zahlt,  üeber- 
diess  werden  die  Heerden  noch  extra  besteuert;  vom  Ueber- 
schuss  werden  die  laufenden  Gemeindeausgaben  bestritten, 
doch  kann  sich  der  Häuptling  immer  etwas   bei  Seite  legen. 

Wir  fanden  also,  dass  die  eigentlichen  Takue  etwa   die 

Hälfte  der  Bevölkerung  ausmachen;  das  Yerhältniss  ist  bedeu- 

*)  Unter  Thaler  verstehen  wir  immer  den  östreichischen  Maria- 
Th.eresia-Thaler,  etwa  öV*  Frc. 


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204  Reise  in'a  Land  der  Marea. 

tend  stärker  als  bei  den  Bogos*);  während  wir  bei  den  Bogos 
durch  den  alten  onverkümmerten  Landbesitz  die  frühem 
Herren  des  Landes  kennen  lernen,  sehen  wir  in  den  Takne 
ein  Volk,  das  entweder  in  ein  £Etst  leeres  Land  jgekomnieii 
ist  oder  die  Ureinwohner  vernichtet  hat:  denn  der  Bodenbesitz 
ist  in  Händen  des  herrschenden  Stammes. 

Die  meisten  Tigre  (Unterworfenen)  halten  ^ich  in  Waliko 
auf,  da  der  Anseba  ihren  Heerden  zusagt.    Hier  wohnen  auch 


*)Wir  erlauben  uns,  nach  neueren  Forschungen  eine  üebersicht 
der  statistischen  Verhältnisse  der  Bogos  einzuschalten. 
Az  Zemat,  Adeliche  und  Unterworfene,  wohnen  in: 

Hashala  —  Qunne  —  Konfu  —  Deraq  —  Habin  Mentel  —  Ge^jfla  — 

Ealankuilei  —  Azafa  —  Guraroch  —  Tctjarasi. 
Az  Itekel  wohnen  in 

Degi  —  Habin  Mentel  —  Mai  Goga  (Boggu). 
Az  Hadembes  in  Eeren. 
Az  Ebrahe  in  Gabei  Alabu  und  Ferh^n. 
Az  Shebot  in  One  und  Seti  (Boggu).    Einzelne  in  Keren. 
Az  Idjel  in  Tantarua  und  Keren. 
Az  Bürhano  in  Faladarib  und  Tantdrua. 
Beit  Gabru  leben  in  Keren  und  mit  den  Az  Shebot. 

Die  Bevölkerung  kann  jedenfalls  zu  10,000  Seelen  berechnet  werden, 
wovon  1%  Muslimin. 

Kuhheerden: 
One  und  seine  Tigre  50  Heerden. 


Bürhano 

5 

» 

Idjel 

15 

» 

Shebot  in  Keren 

5 

» 

Shebot  in  Boggu 

7 

» 

Kbrahe 

40 

» 

Hadembes 

35 

» 

Itekel 

30 

» 

iiSemat 

123 

» 

310  Heerden  zu  50  Stück  a  3  Thk.         46,500  Thlr. 
In  Geld,  Schmuck  etc.  kann  man  rechnen  wenigstens  10,000      » 

Die  Ziegen  bilden  das  Vermögen  der  Unbemittelten;  sie 
liefern  mehr  Milch  als  die  Kühe;  man  kann  1000  H. 

annehmen  zu  50  St.  im  Werth  von  20  Thlr.  20,000      » 

Also  mag  das  Gesammtvermögen  betragen  80,000  Thlr. 
Also  nimmt  der  höchste  Tribut  (1000  Thlr.)  kaum  mehr  als  17o-  Dabei 
sind  die  Pflugstiere  nicht  in  Betracht  gezogen,  wovon  wenigstens  1200 
Paare  da  sind,  die  besteuert  werden. 


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Beiaa  in'«  Luid  der  Marea,  205 

Tiele  Habab  vom  Stamme  Az  Tokios ;  sie  bonehmon  sich  aber 
den  Takue  gegenüber  eher  als  Herren,  denn  als  niedergelassene 
Schützlinge.  Mit  den  obern  Takue  leben  aber  viele  Marea, 
die  aber  auch  in  ihrer  Heimat  tributpflichtig  sind.  Die  er- 
widmten  Gengor6n  sind  ihres  Ur^runges  Thaura;  ihre  Ver- 
wandten loben  mit  Az  Temariam  zusammen  und  vermitteln  den 
Waarentransport  zwischen  Eeren  tmd  Massua.  Sie  sprechen 
Tigre  und  waren  bis  auf  die  Gegenwart  Christen.  Früher 
waren  sie  auf  dem  Plateau  Aretta  angesiedelt.  Dann  liessen 
sie  sich  in  Dobak  nieder,  von  wo  sie  aber  auf  nichtige  Yor- 
wände  hin  von  den  Bogos  vertrieben  wurden.  Seitdem  leben 
sie  zerstreut  in  Hubub  und  Halhal,  nur  ein  kleiner  Theil  von 
ihnen  bewohnt  in  Duarba  am  Fuss  des  Aretta  ein  eignes  Dorf. 
Sie  werden  von  den  Takue  als  ebenbürtiger  Adel  angesehen. 
Zu  erwähnen  haben  wir  noch  die  Az  Tokel,  die  in  Hubub  loben; 
der  Hexerei  beschuldigt,  wurden  sie  von  ihrer  Heimat  Bedjuk 
vertrieben  und  fanden  erst  nach  langem  Herumirren  gegen 
ein  Geschenk  von  100  Thlr.  bei .  den  Az  Gaim  Schutz  und 
Unterkommen.    (Vergl.  mein  Recht  der  Bogos,  pag.  91.) 

Die  Grenze  der  Takue  gegen  die  Bogos  hin  bildet  die  Berg- 
linie (Modakka),  die  sich  von  Afharom  zum  Sattel  von  Dobak 
zieht,  dann  der  Lalamba  und  seine  Verlängerung  bis  Tshabbab. 
Von  hier  an  bildet  der  Anseba  selbst  die  Grenze  gegen  die  Bedjuk, 
denen  das  rechte  Uferland  gehört.  Von  der  Enge  Saraua  an 
beginnt  das  Gebiet  der  Az  Tekles.  Gegen  die  Marea  hin  bildet 
die  Grenze  der  Strom  von  Kerkeriu.  Gegen  das  Barka  ist 
die  Grenze  unbestimmt,  da  die  Abfälle  von  Melbeb  und  Tshel- 
lema  auch  von  den  Marea  beansprucht  werden.  Unter  Hafiüei 
weiden  die  Heerden  der  Takue  und  der  Beni  Amor  gemein- 
schaftlich, wenn  auch  das  eigentliche  Gebiet  der  letztern  unter 
dem  Debre  Säle  beginnt. 

Die  Leute  von  Hubub  bepflanzen  Gabdsi  und  die  Hoch- 
ebene Modakka  mit  Durra  und  Bohnen;  doch  benutzen  sie  oft 
auch  die  Tiefebene  von  Mecyiel.  Die  Leute  von  Zeron,  Wa- 
liko  und  Saraua  begnügen  sich  mit  den  fruchtbaren  Uferebenen 


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206  Keisd  in's  Land  der  Marea. 

links  vom  Anseba,  die  selten  ihre  schöne  Erndte  verfehlen. 
Die  Leute  von  Halhal  bebauen  die  Hochebenen  von  Halhal 
selbst,  Mai  Aualid,  Eres  mit  Weizen,  Gerste,  Nuhuk  und  Ma* 
shella  woqar.  Sie  wechseln  mit  Weizen  und  Gerste;  besonders 
die  letztere  ist  sehr  schön.  Das  Land  wird  in  ganz  kleine 
Streifen  vertheilt,  sodass  jeder  ein  kleines  Feld  bekommt;  die 
Häuser  und  Gräber  sind  auf  den  kleinstmöglichen  Raum  zu- 
sammengedrängt. Kother  Pfeffer,  Zwiebeln,  kurz  alles  was 
Abyssinien  hat,  würde  hier  vollkommen  gedeihen.  Doch  ist 
das  Hochland  für  die  Heerden  nicht  sehr  günstig;  in  der 
Regenzeit  sind  die  Fliegen  unausstehlich,  im  Herbst  wird  die 
Kälte  äusserst  empfindlich.  Das  Hochland  genügt  übrigens 
den  Bedürfhissen  durchaus  nicht;  die  Az  Gabdja  bebauen  zu- 
sammen mit  den  Genger6n  das  Thal  Bab  Gengeren;  die  Az 
Tshaffa  dagegen  benutzen  imBarka  die  Thäler  Hafulei  und  Tshu- 
rum  bis  Hömmeret  Goila.  Die  Hochebene  Aretta  wird  von 
den  Gengeren  bebaut.  Die  Takue  sind  sehr  eifrige  Acker- 
bauer, doch  pflügen  sie  nur  einmal  über  die  Saat  hin;  gedüngt 
wird  theilweise,  indem  man  die  Heerden  auf  dem  Feld  über- 
nachten lässt.  Tabak  wird  wenig  gepflanzt,  aber  viel  ge- 
raucht; man  führt  ihn  von  den  Bogos  und  von  Massua  ein. 
Schnupfen  und  Kauen  wird  immer  aUgemeiner. 

Was  nun  Sitten  imd  Rechtsverhältnisse  der  Takue  betrifft, 
so  fand  ich  eine  bis  auf  das  Kleinste  gehende  Uebereinstim- 
mung  mit  allem,  was  ich  früher  als  Recht  und  Sitten  der 
Bogos  beschrieben  habe,  sodass  jedes  dort  gesagte  Wort  auch 
hierher  passt.  Ich  war  mir  schon  früher  dieser  Gleichheit  bewusst, 
habe  sie  aber  auf  dieser  Reise  bis  auf  jede  Einzelnheit  con- 
statirt,  ein  Resultat,  das  bei  der  Verschiedenheit  der  Stämme 
auffällt,  besonders  wenn  man  berücksichtigt,  dass  die  Habab, 
die  Marea,  die  Mensa  der  gleichen  Rechtsprincipien  theilhafög 
sind,  die  bei  den  Bogos  herrschenden  Sitten  und  Gebräuche 
aber  ausser  den  genannten  Völkern  auch  dem  Samhar  und 
zum  Theil  auch  dem  Barka  gemeinschaftlich  sind. 

So  dürfen  wir  nur  auf  das  für  die  Bogos  Gesagte   hin-* 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  207 

weisen;  selbst  der  Islam  hat  noch  wenig  Begriffe  umgestaltet. 
Wir  haben  hier  nur  ganz  wenig  Ausnahmen  zu  constatiren. 
Wenn  wir  hier  wie  bei  den  Bogos  eine  ziemlich  lose  zu- 
sammenhängende Aristokratie  finden,  so  müssen  wir  gestehen, 
dass  diese  letztere  bei  allem  bösen  Willen  sich  viel  mehr 
schont ,  während  die  energischeren  Takue  sich  durch  die 
ewigen  Familienfehden  aufreiben.  Das  Verhältniss  des  Tigre 
ist  das  gleiche;  früher  brachte  er  seinem  Herrn  Bier,  jetzt 
entrichtet  er  ihm  eine  kleine  Abgabe  in  Getreide  und  Schmalz. 
Yersäumt  er  seine  Pflicht,  so  wird  er  zum  Dade  gemacht, 
worauf  er  mit  seiner  Nachkommenschaft  an  seinen  Herrn,  für 
immer  gekettet  ist.  Diese  Art  beschränkter  Leibeigenschaft 
kommt  übrigens  auch  bei  den  Bogos  häufig  vor.  Sonst  kann 
der  Herr  seinen  Tigre  nicht  verhindern,  sich  einen  neuen 
Herrn  zu  wählen;  aber  er  hat  das  Recht,  ihm  bei  seinem 
Austritt  alle  etwaigen  Ansprüche  ohne  allen  Beweis  aufzählen 
2u  können.  Sklaven  besitzen  die  Takue  sehr  wenige;  der 
Ursprung  der  Sklaverei  ist  auch  hier  meist  Zahlungsunfähig- 
keit. —  Der  Takue  schwört,  indem  er  das  Grab  eines  Kinder- 
losen betritt.  —  Derjenige,  der  ein  fremdes  Feld  bebaut,  ent- 
richtet dem  Grundbesitzer  den  dritten  Theil  der  Emdte,  was 
sich  aus  dem  Mangel  an  genügendem  Land  erklärt.  —  Der 
gebundene  Haus-,  Feld-  oder  Kuhdieb  befreit  sich  mit  Zahlung 
von  30  Kühen,  einem  Kameel  und  einem  Teppich;  sonst  vrird 
er  leibeigen.  Ehehindemisse  finden  wir  dieselben,  wie  bei 
den  Bogos;  doch  werden  sie  seit  Einführung  des  Islam  für 
die  mütterlichen-  Verwandten  nicht  mehr  streng  eingehalten 
und  es  ist  vorauszusehen,  dass  in  Kurzem  das  mohammeda- 
nische Ehegesetz  das  Landrecht  ganz  verdrängen  wird.  — 
Der  Tochtersohn  ist  mit  seiner  mütterlichen  Familie  noch 
enger  verbunden,  als  bei  den  Bogos,  da  er  seinen  mütterlichen 
Onkel  rächen  darf;  ein  Verhältniss,  das  seine  höchste  Aus- 
bildung bei  den  Barea  und  den  Bazen  erhalten  hat.  —  Die 
Frau  ist  hier  insofern  besser  gestellt,  da  sie  vor  dem  Ge- 
meinderath  (Mohäber)  auf  Scheidung  klagen  darf.    Die  Wittwe 


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208  Reise  in'a  Land  der  Mare«. 

trauert  für  ihren  Mann,  sei  er  ein  Yomehmer  oder  ein  Ge-» 
ringer,  ein  volles  Jahr.  —  Der  Landbesitzer,  der  sein  Grund- 
stück verliehen  hat,  hat  das  Recht,  es  das  folgende  Jahr  nach 
eigenem  Gutdünken  zu  verwenden.  Land  wird  unter  alle 
Erben  gleichmässig  vertheilt.  Gefundenes  herrenloses  Gut 
muss  der  Tigre  seinem  Herrn  bringen,  der  ihn  nach  Gut- 
dünken dafür  belohnt.  —  Der  durch  Eid  überwiesene  Dieb 
ist  zu  dreifacher  Rückgabe  verbunden.  —  Der  Blutpreis  ist 
derselbe  wie  bei  den  Bogos,  er  wird  ohne  Bevorzugung  der 
nächsten  Verwandten  an  alle  Glieder  der  Familie  gleichmässig 
vertheilt.  Der  Preis  für  einen  getödteten  Tigre  beträgt  aber 
120  Kühe,  wovon  die  Hälfte  seinem  Herrn  ist  Im  Blutpreis 
werden  auch  Land  und  Ziegen  angenommen.  —  Auf  ausser- 
eheliche  Schwängerung  steht  der  volle  Blutpreis,  den  aber  der 
Gebrauch  auf  60  Kühe  reducirt  hat,  nicht  wie  bei  den  Bogos, 
wo  sich  der  Vater  oft  sogar  mit  einer  einzigen  Kuh  versöhnen 
lässt.  —  Ausgeschlagener  Zahn  oder  Auge  gilt  10  Kühe.  — 
Die  Takue  verstehen  sich  für  ihren  getödteten  Gast  oder 
Tigre  selten  zu  Annahme  des  Blutpreises,  während  sie  sich 
für  den  getödteten  Verwandten  leicht  mit  dem  Blutgeld  ver- 
söhnen lassen.  Das  Gast-  und  Geleitsrecht  ist  hier  besonders 
heilig  gehalten;  man  hat  Beispiele,  dass  der  Gast,  der  im 
Dorf  seifet  jemanden  erschlagen  hatte,  unversehrt  nach  seiner 
Heimat  entlassen  vnirde.  —  Wer  im  Streit  mit  seinen  Ver- 
wandten auswandert,  dessen  Land  wird  brach  gelassen;  des- 
wegen liegen  die  Grundstücke  der  Takue  in  ihrer  alten  Hei- 
mat bis  auf  heutige  Zeit  brach.  —  Der  Kläger  führt  den 
Zeugenbeweis,  in  dessen  Abwesenheit  der  Angeklagte  zum 
Entlastungseid  berechtigt  ist,  wie  im  mohammedanischen 
Gesetz.  —  Das  Blut  oder  die  Schuld  der  Frau  übernimmt  der 
Mann  oder  der  Vater,  je  mit  wem  sie  gerade  lebt 

Wir  haben  sehr  wenige  Ausnahmen  zu  constatiren;  im 
Uebrigen  gleicht  das  Recht  dem  der  Bogos  auf  das  Haar; 
das  Gleiche  gilt  von  den  Sitten  und  Gebräuchen,  die  für  beide 
Völker  ganz  dieselben  sind.    Wir  haben  nur  Weniges  beizu- 


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Heise  in's  Land  der  Marea.  209 

fügen.  Ein  am  Mittwoch  geborenes  Kind  wurde  früher  ge- 
tödtet,  jetzt  ist  man  tolerant  geworden.  Das  Leben  der  Frau 
ist  das  gleiche;  Scheidung  und  Vielweiberei  ist  auch  hier  nur 
eine  Ausnahme.  Die  Häuser  waren  früher  viereckige  steinerne 
Nihiss  mit  flachem  Dach,  me  sie  im  Hamasen  üblich  sind 
oder  Tuqlo  mit  steinerner  Ringmauer.  Jetzt  baut  man  sie 
wie  bei  den  Bogos  oder  lebt  in  Mattenzelten. 

Die  Takue  sind  entschlossener,  thätiger  als  die  Bogos;  es 
fehlt  ihnen  nicht  an  Muth;  doch  wenden  sie  ihn  nur  unter- 
einander an,  während  sie  mit  dem  Ausland  meist  in  Frieden 
leben.  Das  verkehrte,  falsche  Herz  haben  sie  mit  den  Bogos  * 
gemein;  ihre  Freundschaft  ist  unzuverlässig.  —  Die  Landes- 
sprache ist  das  Bolen,  das  sie  aber  sehr  eigenthümlich  aus- 
sprechen und  auch  grammatikalisch  mit  dem  Tigre  vermengen. 
Doch  wird  das  Tigre  allgemein  gesprochen  und  es  ist  voraus- 
zusehen, dass  es  bald  das  Belen  ganz  verdrängen  wird. 


Mansinger,  Ostafrik.  Stadien.  14 


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Von  Halhal  nach  Kelbetu. 


Donnerstag  den  5.  September  um  9^/4  Uhr  Morgens  ver- 
lassen wir,  begleitet  von  Nussur,  das  Dorf.  Der  Weg  geht 
nordwärts  zuerst  durch  anmuthige  Kornfelder,  dann  wird  er 
unebener  und  wir  steigen  mehrere  Hügel  auf  und  ab,  die  mit 
Oliven  bewaldet  und  zuerst  von  der  Querebene  Sultane  und 
dann  vom  Thal  Mai  Auälid  (Jungfrauenwasser)  unterbrochen 
sind.  Das  letztere  ist  lang  und  schmal,  von  Kornfeldern 
bedeckt;  das  Wasser,  wo  früher  das  Dorf  stand,  liegt  Y4  St. 
rechtsab  vom  Weg.  Von  da  konmien  wir  durch  einen  dichten 
Wald  zu  einem  Bach,  der  sich  nicht  unfern  mit  Mai  Aualid 
verbindet  und  den  Kerkeriu  bildet,  der  in  jähem  Abgrund 
das  Gebiet  der  Halhal  und  Marea  voneinander  trennt;  so 
liegt  nur  am  Abfall  von  Metkel  Abet  ein  sehr  enger  Pass 
oflfen,  der  als  Beit  Höbei  (Affenhaus)  schon  von  Weitem  durch 
eine  mächtige  Felswand  zu  unterscheiden  ist.  Jenseits  dieses 
Passes  kommen  wir  über  mehrere  kleinere  Berge  zu  der 
wasserscheidenden  Höhe  und  sehen  unter  uns  das  grosse  Thal 
Geridsa  als  Kessel,  den  diesseits  und  jenseits  schief  in  die 
Mitte  ablaufende  Ebenen,  hier  Melebso,  dort  Rehi,  durch  den 
Torrent  Eig  getrennt,  bilden.  Von  dem  Kamme  führt  der  Weg 
ganz  sanft  zur  ersten  Ebene  hinab,  deren  Kornfelder  mit  zer- 


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Reise  in's  Land  der  Mareä.  211 

streuten  Weilern  abwechselnd  ein  erfreuliches  Bild  gewähren. 
In  der  Tiefe  des  Kessels  überschreiten  wir  den  Torrent  Eig, 
dessen  Thal  mit  dichtem  Wald  die  zwei  Culturebenen  trennt, 
und  steigen  die  jenseitige  Ebene  Rehi  hinauf,  wo  wir  bei  dem 
grossen  Häuptling  der  rothen  Marea  unser  Nachtquartier 
nehmen  in  einem  Weiler  von  etwa  20  Mattenzelten.  Wir  setzen 
uns  neben  einige  dem  Dorf  anliegende  Felsblöcke;  die  ersten, 
die  zum  Willkomm  zu  uns  herauskommen,  sind  einige  hier 
angesessene  Handelsleute  von  Dokono  (Arkeko).  Nach  langem 
Warten,  das  die  Eingebomen  wohl  zur  Berathung  über  unser 
Kommen  verwenden,  schickt  uns  Beri  Weld  Dafla  seine  Grüsse; 
er  wäre  selbst  gekommen,  aber  seine  Augen  seien  sehr  ange- 
griffen; wir  möchten  hineinkommen.  Man  führt  uns  innerhalb 
der  Umzäunung  in  ein  kleines,  aber  sehr  reinlich  gehaltenes 
Ablu,  das  einer  alten  Sklavin  des  Häuptlings  gehört.  Wir 
haben  wenig  Zudrang  von  Neugierigen;  freilich  ist  das  Dorf 
sehr  klein  und  wennschon  rings  herum,  so  weit  das  Auge 
reicht,  Weiler  an  Weiler  zu  erblicken  sind,  so  sind  sie  doch 
weit  genug  voneinander  entfernt,  um  Lärm  zu  vermeiden 
und  dem  Land  einen  Anstrich  von  Einsamkeit  zu  geben.  Das 
Aassehen  der  Ebene  versetzt  uns  ganz  in  das  abyssinische 
Hochland;  sie  ist  viel  weiter  und  freier,  als  Halhal  und  ebenso 
baumlos.  Die  alte  Hausmutter,  die  scheint  es  immer  die  Ein- 
quartirung  der  Gäste  besorgt,  überlässt  uns  ihr  Bett  und 
reservirt  sich  nur  einen  Winkel  in  der  Hütte;  sie  wird  von 
allen  mit  vieler  Achtung  behandelt,  da  sie  als  alte  Haus- 
sklavin sich  mit  der  Herrenfamilie  fast  identificirt.  Gewiss 
sind  gebome  Sklaven,  die  nie  die  Freiheit  gekannt  haben, 
nicht  unglücklich;  sie  finden  ihre  Lage  natürlich  und  theilen 
Leid  und  Freud  der  Familie;  wehe  denen,  die  noch  die  Ehre 
der  Freiheit  kennen. 

Den  6.  September  Morgens  früh  verabschiedet  sich  Nussur, 
nachdem  er  uns  in  den  Schutz  Beri's  übertragen  hat;  ich 
liebe  sein  offnes  Gesicht  und  Rede,  aber  nicht  seine  Bettelei. 
Da  ich  ihm  für  seine  Gastlichkeit  und  Geleit  gegeben,  was 

14* 


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212  Reise  in's  Land  der  Marea, 

recht  ist,  erkläre  ich  ihm  oflfen,  dass  ich  aus  eigenem  Antrieb 
zu  geben  gewöhnt  sei  und  nicht  in  Folge  des  danklosen 
Betteins,  wo  die  Gabe  erzwungen  scheint.  Ich  führe  diess  an, 
um  die  Grenze  der  adelichen  Gesinnung  bei  diesen  Völkern 
anzugeben,  anderseits  um  den  Reisenden  die  gleiche  Hand- 
lungsweise zu  empfelden:  dass  der  Gast,  besonders  der  für 
steinreich  angesehene  Europäer  freigebig  sein  muss,  ist  keine 
Frage;  aber  eine  massige  freiwillige  Gabe  hat  mehr  Werth, 
als  grosse'Geschenke,  die  man  sich  so  zu  sagen  abzwingen  lässt. 
Nach  Nussur's  Abreise  ^mache  ich  dem  Häuptling  Beri  einen 
Besuch.  Ich  finde  ihn  in  einem  sehr  grossen  Mattenzelt;  wir 
setzen  uns  auf  ein  Angareb  in  der  äussern  Abtheilung,  die 
ein  Vorhang  von  dem  Frauengemach  trennt.  Ich  kenne  Beri 
schon  vom  letzten  Jahr,  wo  er  sich  in  Sachen  des  Tributs 
lange  Zeit  als  Geisel  in  Keren  aufhielt.  Er  ist  ein  Sechziger, 
obgleich  ihn  sein  Augenübel  viel  älter  scheinen  lässt.  Er  ist 
sehr  gesprächig;  er  klagt  über  das  Hungerjahr,  über  die  vielen 
Regen  Tag  und  Nacht,  die  auch  dieses  Jahr  den  Getreide- 
wuchs verhindern,  über  das  frühe  Kommen  der  abyssinischen 
Tributexpedition.  Er  meint  mit  Recht,  der  Tribut  sollte  erst 
nach  der  Emdte  genommen  werden.  Freilich  kennt  er  die 
zweifelhaften  Verhältnisse  Abyssiniens  nicht,  wo  jeder  nimmt, 
was  er  kann,  da  er  des  moi^gen  Tages  nicht  sicher  ist.  Er 
erzählt  mir  viel  über  die  Ursprünge  seines  Volkes  und  be- 
stätigt seine  Verwandtschaft  mit  den  Mensa  und  Tero'a;  er 
leugnet  bestimmt  den  abyssinischen  Ursprung.  Er  befragt 
mich  etwas  ängstlich  über  die  Beweggründe  meines  Besuchs, 
obgleich  er  mich  schon  gestern  hatte  vernehmen  lassen;  ich 
erwiedere  ihm  offen,  es  habe  mich  als  Nachbar  interessirt, 
meine  Nachbarn  Äcfnnen  zu  lernen;  er  wisse  wohl,  dass  es 
einem  Franken  nicht  einfallen  könne,  nach  ihrer  Armuth  gierig 
zu  sein;  es  sei  aber  in  Europa  geehrt,  wer  viele  fremde  Völker 
besucht  habe.  Beri  fand  mich  gewiss  sehr  thöricht;  da  er 
mir  aber  glaubte,  war  mir  an  seiner  Meinung  wenig  gelegen. 
Von   einem  seiner  Söhne,  einem  kleinen  recht  bescheidenen 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  213 

Knaben,  geleitet,  gehe  ich  dann  nach  Balkat,  einer  felsigen, 
nur  Va  St.  fernen  Anhöhe,  welche  die  Ebene  von  Geridsa 
gegen  Norden  abschliesst.  Wir  haben  eine  prächtige  Aussicht; 
gegen  S.  die  ganze  Ebene,  unter  uns  der  jähe  Abgrund  von 
Darikal  und  fest  westlich  der  von  seinem  Winterwasser  weiss 
glitzernde  Anseba,  der  scheinbar  stark  fallend  aus  einer  Enge, 
welche  die  Abhänge  von  One  und  AzTekles  bildet,  sich  hin- 
auszwängt. Uns  gegenüber  das  langgestreckte  Hochgebirge 
der  Habab,  das  mit  uns  in  gleicher  Höhe  sich  zu  halten 
scheint.  Die  Anhöhe  von  Balkat  trug  firüher  Beri's  Dorf,  das 
sich  aber  wegen  ausgebrochener  Pocken  und  der  steten  Ueber- 
fälle  von  Leoparden,  die  sich  an  Menschenfleisch  gewöhnt 
hatten,  flüchten  musste. 

In's  Dorf  zurückgekehrt,  hören  wir,  Dedjas  Imam  habe 
mit  Kommen  gedroht,  wenn  man  sich  nicht  mit  dem  Tribut 
beeile;  da  Beri  dazu  bereit  ist,  sendet  er  Boten  zu  seinen 
vornehmsten  Verwandten,  um  sich  darüber  zu  verständigen. 
Abends  besucht  mich  Dafla,  Beri's  Lieblingssohn,  ein  hübscher 
junger  Mann,  mit  dem  ich  mich  lange  über  die  Landessitten 
unterhalte;  mit  Fragen  muss  ich  immerhin  vorsichtig  sein,  da 
wir  noch  nicht  eingewöhnt  sind  oder,  wie  das  Tigre  sagt: 
«Wir  haben  noch  nicht  den  Geruch  genommen».  Von  Gast- 
freundlichkeit gibt  Beri  wenig  Proben,  um  so  besser  bewirthen 
uns  die  Leute  von  Arkeko,  die  uns  überall  bei  den  Marea  wie 
alte  Bekannte  aufnahmen. 

Den  7.  September  kommen  viele  Häuptlinge,  Beri's  Ver- 
wandte, hier  an,  um  sich  mit  ihm  über  den  an  Imam  zu  ent- 
richtenden Tribut  zu  verständigen.  Uns  ist  für  morgen  das 
Geleit  versprochen  imd  wir  sind  dessen  froh;  unsere  Maul- 
thiere  sind  von  den  Fliegen  so  gepeinigt,  dass  sie  nicht  mehr 
an's  Fressen  denken  können;  die  Flöhe  sind  zum  Glück  weniger 
lästig,  als  zu  Halhal.  Wir  sehen  weder  Hunde  noch  Katzen, 
dagegen  bevölkern  ihre  Feinde,  die  Ratten,  und  die  Hyänen 
das  Land  in  unglaublicher  Zahl;  zwanzig  Hyänen  auf  Einem 
Platz  zu  sehen,  ist  gar  nichts  Seltenes.    Das  Wild  ist  von  der 


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214  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Cultur  verjagt  worden,  da  in  der  ganzen  Ebene  kein  Fleck 
brach  da  liegt.  Der  Mangel  an  Bäumen  gibt  dem  Land  ein 
kahles  Aussehen;  es  macht  den  Eindruck,  als  ob  die  herben 
Herbstwinde  alles  weggefegt  hätten.  Die  Marea  scheinen  uns 
sehr  eifrige  Muslimin,  aber  ihr  Leben  haben  sie  noch  nicht 
dem  Glauben  angepasst.  An  Aberglauben  fehlt  es  natürlich 
auch  nicht.  Die  paar  heitern  Tage  bringen  uns  fast  in  den 
Ruf  von  Regenvertreibern;  auch  unser  vieles  Schreiben  scheint 
manchem  Hexerei,  da  in  diesem  Lande  alles  Geschriebene 
Koran  oder  Talisman  ist.  Selbst  Beri,  dem  es  an  klarem 
Verstand  nicht- fehlt,  scheint  von  Aberglauben  nicht  frei;  er 
empfiehlt  mir  sein  Maulthier,  das  heute  krank  von  den  Heer- 
den  hierher  gebracht  wurde;  ich  verstehe  den  Sinn  dieser 
Empfehlung  nur  mit  Mühe  und  als  ich  ihm  bedeute,  dass 
alles  in  Gottes  Hand  sei,  erwiedert  er  naiv,  es  gebe  auch  aus- 
ser Gott  Kräfte,  die  nützen  und  schaden  können.  Wir  sind 
im  Ganzen  sehr  wohl  angesehen;  die  Leute  können  nur  nicht 
begreifen,  dass  wir  mit  all  unserer  Gelehrsamkeit  Ungläubige 
bleiben  konnten;  es  sei  eben  unsere  Bekehrung  nicht  im  Buch 
des  Schicksals  geschrieben,  erwiedem  wir  ihnen. 

Den  8.  September  um  10  Uhr  erscheint  endlich  unser  Füh- 
rer zu  den  schwarzen  Marea,  ein  anderer  Sohn  unseres  Wir- 
thes,  Adam,  ein  magerer  langer  Junge  von  etwa  fünfzehn 
Jahren;  er  hatte  sich  bis  jetzt  am  Anseba  bei  den  Heerden 
aufgehalten,  aber  die  Milch  hatte  bei  ihm,  scheint  es,  nicht 
angeschlagen.  Er  sollte  also  fortan  unser  Schützer  sein  und 
er  konnte  es  wohl,  da  nicht  sein  Arm  für  unsere  Sicherheit 
bürgt,  sondern  der  gute  Klang  seines  Namens.  Wir  brechen 
um  V2II  U^  unter  leichtem  Regen  auf,  gehen  wohl  eine 
Stunde  lang  zwischen  kahlen  Hügeln  auf  imd  ab,  bis  gegen- 
über dem  Berg  Henik  Hamas;  von  da  kommen  wir  über  ein 
tiefes  von  einem  Bach  durchflossenes  enges  Thal  zu  der  jen- 
seitigen Fortsetzung  der  Hügelreihe,  die  zum  Gebirgsabhang 
fuhrt;  wir  finden  hier  und  da  sogenannte  Shiffr  d.  h.  alte 
Heerdenlager ,   die  überreichlich  gedüngt,  von  hohem  immer- 


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Reise  in*8  Land  der  Marea.  215 

grünen  Gras  üppig  bedeckt  sind.  Am  Rand  des  Gebirges 
sehen  wir  uns  gegenüber  den  Gebirgszug  der  schwarzen  Marea, 
durch  ein  sehr  tiefes  geräumiges  Thal  von  uns  getrennt.  Wir 
brauchen  eine  gute  halbe  Stunde,  um  den  sehr  jähen  Abhang 
hinunterzusteigen  und  kommen  in  das  Engthal  Sor,  einen 
Zweig  des  grossen  Thaies,  das  die  beiden  Rora  (Plateaux) 
voneinander  trennt.  Wiederum  finden  vrir  unsern  alten  Be- 
kannten, die  Adansonia;  überhaupt  lässt  die  Vegetation 
schliessen,  dass  \vir  uns  ziemlich  auf  gleicher  Höhe  mit  dem 
Anseba  bei  Daueloch  befinden.  Wir  gelangen  dem  Torrent 
nach,  der  jetzt  fliessend  ist,  zu  einem  Heerdenlager  von  Az 
Tesfa  Girgis,  einem  Zweig  der  rothen  Marea;  die  Umzäunung 
befindet  sich  auf  einer  kleinen  Uferebene.  Obgleich  es  noch  früh 
ist,  satteln  sdv  ab,  um  unsere  Maulthiere  mit  der  prächtigen 
Weide  für  die  Hungertage  im  Hochland  zu  entschädigen.  Wir 
werden  sogleich  von  der  ganzen  Bevölkerung  dieses  wandern- 
den Dorfes  umringt;  zum  ersten  Male  haben  sie  die  Gelegen- 
heit, sich  von  der  Existenz  weisser  Menschen  zu  überzeugen. 
Der  erste  Eindruck  ist  nicht  der  günstigste;  einerfragt  sogar 
unsere  Leute,  ob  wir  fähig  seien,  Milch  zu  trinken;  in  der 
Meinung,  er  werde  von  uns  nicht  verstanden,  bemerkt  ein 
anderer  unserem  jungen  Führer,  die  schwarzen  Marea  wür- 
den seinem  Vater  kaum  dankbar  dafür  sein,  ihnen  solche 
Gäste  zugeschickt  zu  haben.  Alle  zeigen  sie  ihr  Misstrauen 
über  unsere  möglichen  Absichten  bei  diesem  unerhörten  Be- 
such. Doch  verändert  sich  die  Scene,  als  ich  mit  ihnen  in 
gut  Tigre  zu  reden  anfange;  etwas  Freigebigkeit  öflfnet  vol- 
lends das  Thor  der  Freundschaft;  ein  paar  Prisen  Schnupf- 
tabak, die  ich  unter  sie  austheile,  machen  sie  alle  zu  sehr 
artigen  gesprächigen  Leuten,  was  mir  die  trivialste  Wahrheit, 
für  die  ganze  Welt  gültig,  wieder  beweist.  Auch  die  Neugier 
ist  bald  befriedigt  und  jeder  kehrt  zu  seinem  Geschäfte  zu- 
rück; der  eine  schnitzt  sich  mit  dem  Beil  ein  hölzernes  Kopf- 
kissen zurecht;  ein  anderer  hobelt  und  glättet  seinen  Krumm- 
stock mit  einer  Glasscherbe ;  ein  dritter  ist  sorgfältig  bemüht» 


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216  Reise  in's  Land  der  Marea. 

seinem  Freund  die  Haare  zu  Hechten  und  dieselben  dann 
vermittelst  schneeweissen  Lammfettes  einzupudern.  Das  Aus- 
sehen des  Thaies  gleicht  dem  des  obem  Anseba,  wozu  der 
hier  vorherrschende  auch  bei  den  Bogos  so  gewöhnliche  Wol- 
wal  mit  der  Papierrinde  viel  beiträgt;  auch  zeigen  sich  viele 
Rieseneuphorbien  (Qulqual),  Tserga  und  Tamarindenbäume. 
Von  Feigenbäumen  ist  die  Tghaqamte  sehr  häufig;  sie  gleicht 
der  Darosykomore  im  Holz,  hat  aber  längliche  Blätter.  Affen 
zeigen  sich  in  grossen  Schaaren.  Der  JBoden  ist  wie  in  dem 
Lande  der  Bogos  Granitschutt. 

Den  9.  September  gelangen  wir  in  fast  sechsstündigem 
Marsch  von  Sor  das  ganze  Thal  überschreitend  an  den  Fuss 
des  jenseitigen  Gebirges.  Wir  gehen  zuerst  den  Torrent  hinab 
bis  One,  wo  sich  ihm  ein  Waldbach  vereinigt;  da  das  Thal 
sehr  eng  ist,  waten  wir  beständig  im  Stromwasser.  Unter 
One  wird  das  Thal  freier,  die  Aussicht  offener ;  in  Hush  ver- 
lassen wir  endlich  den  nördlichen  Sera  zueilenden  Strom. 
Wir  haben  seit  Sor  viele  Heerdenlager  angetroffen.  Hush 
kann  als  Thaltiefe  augesehen  werden.  Nun  gehen  wir  über 
einige  Hügel,  die  eine  lokale  Wasserscheide  bilden,  zum  Was- 
sergebiet Azmat  über;  dieses  Hügelland  ist  uns  als  Kednet 
bekannt,  Sitz  von  Az  Tshankera,  die  hier  zerstreut  in  ihren 
Feldern  leben.  Der  Baimiwuchs  des  ganzen  Thaies  erinnert 
an  Boggu;  die  Sonne  brennt  wie  im  Barka,  woran  auch  die 
Frühreife  des  Durra  mahnt.  Freie  Aussicht  über  das  Thal 
haben  wir  nur  in  Kednet.  So  gelangen  wir,  einen  Zufluss 
des  Azmat,  den  Kush,  hinaufgehend,  der  ein  breites  sandiges 
Bett  hat,  an  den  Fuss  des  jenseitigen  Gebirges.  Wir  finden 
hier  auch  Beni  Amer,  die  mit  ihren  Ziegen  von  Sera  hinauf- 
gekommen sind.  Meine  Leute  sind  jetzt,  wo  wir  das  Gebiet 
der  schwarzen  Marea  betreten  haben,  etwas  beängstigt;  vor 
einem  üeberfall  schützt  uns  unser  Geleitsmann,  aber  den 
Eintritt  in's  Land  kann  man  uns  immer  verbieten.  Wir  hör- 
ten später,  dass  die  schwarzen  Marea  sich  über  unsem  Besuch 
nicht  besonders  freuten,   da  sie  ihr  Land   so  viel  wie   mög- 


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Beise  in's  Land  der  Marea.  217 

lieh  7or  jedem  Fremden  zu  verbergen  suchen;  glücklicher- 
weise kamen  wir  im  bewohnten  Lande  an,  ohne  dass  eine 
Nachricht  uns  vorausgeeilt  wäre.  Wir  brechen  nach  kurzer 
Bast  auf;  der  Vogel  Wass,  zu  unserer  Rechten  pfeifend,  ver- 
spricht meinen  Leuten  gute  Aufnahme.  Von  Kush  vdrd  der 
Weg  immer  enger  und  steiler,  bis  zum  eigentlichen  Fuss  des 
Berges,  den  wir  zu  Fuss  hinaufklimmen.  Die  Steigung  ist 
durch  viele  Krümmungen  des  Weges  erleichtert  und  mag  die 
Höhe  des  Halhalabhanges  (Elos)  haben.  Auf  dem  Kamme  an- 
gelangt, sehen  wir  noch  einmal  auf  das  jenseitige  Geridsa 
zurück  und  durchziehen  dann  drei  von  Abgründen  vonein- 
ander getrennte  Culturebenen,  Sheliwai,  Erota  und  Kelbetu. 
Der  dritten  Ebene  liegt  das  Dorf  unseres  gewählten  Gastherm 
in  Felsen  versteckt  an;  wir  haben  aber  auch  in  den  zwei 
ersten  mehrere  Weiler  passirt,  deren  Bewohner  uns  wahr- 
scheinlich für  Abkömmlinge  des  Propheten  halten;  sie  begrüs- 
sen  uns  mit  vieler  Ehrfurcht  und  wünschen  ihrem  Lande  zu 
unserer  heiligen  Gegenwart  Glück.  Wir  steigen  mitten  im 
Dorfe  ab  und  setzen  uns,  bevor  man  nur  unsem  Besuch 
ahnen  konnte;  so  sind  wir  auf  eigene  Faust  hin  des  Gast- 
rechts theilhaftig.  Der  Empfang  ist  sehr  feierlich;  der  Häupt- 
ling, Ab  Bakita  zubenannt  (Glücksvater),  eigentlich  'Ezaz  Weld 
Mussa,  kommt  mit  grossem  Geleit  aus  seinem  Haus  auf  uns 
zu;  er  ist  ziemlich  lang  und  schwarz;  mit  dem  jungen  Ge- 
sicht, dem  frischen  lebendigen  Auge  contrastirt  seltsam  der 
graue  Bart;  der  Vorderkopf  ist  etwas  kahl,  die  Hinterhaare 
schwärzlich,  die  Nase  etwas  gebogen.  Er  trägt  ein  weites 
farbiges  Kleid,  wie  sie  in  Kassala  gewoben  werden;  seine  Be- 
gleiter tragen  alle  das  Schwert  auf  der  linken  Schulter.  Er 
bittet  meinen  Begleiter  Gabir,  den  er  kennt,  mich  zu  bewill- 
kommnen. Mögt  Ihr  mit  Glück  und  Frieden  gekonmien  sein, 
ruft  er  uns  zu.  Mögt  Ihr  uns  mit  Glück  und  Frieden  er- 
wartet haben,  erwiedere  ich.  Daraufhin  gibt  er  Befehl,  unsere 
Effecten  in's  Dorf,  zu  tragen  und  fuhrt  uns  in  ein  hübsches, 
ganz  geräumiges  Haus.    Abends  habe  ich  eine  lange  Unter- 


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218  Reise  in^s  Land  der  Marea. 

haltung  mit  Ab  Bakita;  da  er  meinen  Besuch  mit  den  Be- 
wegungen Imam's  in  Verbindung  zu  bringen  sucht,  habe  ich 
ziemlich  viel  Mühe,  ihn  von  meinen  lautem  Beweggründen  zu 
überzeugen.  Wir  finden  auch  hier  Hand^eute  von  Dokono, 
die  sich  sehr  gefällig  zeigen  und  mir  als  Cicerone  dienen, 
was  mir  sehr  lieb  ist,  da  ich  mit  meinen  Fragen  die  Ein- 
gebornen  nicht  misstrauisck  machen  will. 

Sie  begleiten  mich  den  10.  September  auf  den  dem  Dorfe 
gegenüberliegenden  Debr  Kuddus  (heiliger  Berg),  auf  dessen 
Rücken  Spuren  alter  Wohnungen  sichtbar  sind.  Von  seiner 
Spitze  aus  kann  ich  mir  einen  klaren  Begriff  von  der  Form 
des  Marealandes  machen,  eines  durch  Schluchten  in  eine 
Menge  kleiner  Ebenen  zertheilten  Plateau.  Der  Wald  fehlt; 
nur  die  Abgründe  sind  bewaldet,  während  die  Ebenen  kahl 
daliegen.  Bei  Kelbetu  gibt  es  noch  viel  Euphorbien  (Qulqual), 
aber  keine  Oliven  mehr.  Die  Fliegen  und  die  Flöhe  sind  ganz 
verschwunden;  die  Luft  ist  viel  wärmer,  als  in  Geridsa.  Alle 
diese  Umstände  überzeugen  uns,  dass  wir  ziemlich  viel  tiefer 
uns  befinden.  Das  Dorf  Kelbetu  selbst  ist  von  allen  Seiten  von 
Feldern  umgeben,  die  durch  Felsen  und  Wald  malerisch  un- 
terbrochen sind.  Nach  meiner  Rückkehr  bringt  mir  Ab  Bakita 
eine  fette  Ziege ;  überdiess  versieht  er  uns  jeden  Morgen  und 
Abend  mit  Milch  und  Brod.  Der  Tag  vergeht  mit  sehr  lehr- 
reichen Gesprächen  mit  den  Eingebomen,  die  sich  sehr  ehr- 
erbietig gegen  uns  betragen ;  unter  den  Besuchenden  ist  auch 
Mohammed  Weld  'Abbi,  ein  Vornehmer  von  Az  Tekles,  dessen 
Bruder  mir  seit  längerer  Zeit  befreundet  ist.  Er  gibt  mir 
vrichtige  Aufschlüsse  über  die  Geographie  des  untern  Anseba. 

Den  11.  September  brechen  wir  um  halb  elf  Uhr  von  den 
Dokono  begleitet  auf,  um  Fat  zu  besuchen,  einen  felsigen 
Berg,  der  vom  südwestlichen  Ende  des  Plateau  auf  das  Tief- 
land des  Barka  direct  hinabschaut.  An  einem  nie  vertrock- 
nenden Teiche  vorbei  kommen  vnr  über  eine  von  Hügeln  und 
Abhängen  unterbrochene  Ebene  zu  einem  wild  über  Felsgeröll 
hinbrausenden  Strom,  der  den*  Fuss  des  Felsberges  netzend^ 


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Beise  in'a  Land-  der  Marea.  219 

die  ihm  vorliegende  Ebene  gleichen  Namens  durchzieht  und 
dann  in's  Barka  hinunterfällt.  Der  Berg  selbst  besteht  aus 
einem  ungeheuren  sehr  hohen  Felsthurm,  der  an  seiner  Basis 
von  gewaltigen  Felsblöcken  umringt  ist,  die  ordnungslos  über- 
einander gefallen  eine  Unzahl  von  HÖUen  und  Schachten  bil- 
den. Die  alten  Einwohner,  welche  die  Wichtigkeit  dieser 
Stätte  als  Zuflucht  in  bedrängten  Zeiten  einsahen,  hatten  ihr 
Dorf  am  Fuss  des  Berges  über  dem  Strom  errichtet  und  hal- 
fen der  Natur  einigermassen  nach,  um  sich  zu  befestigen. 
Den  Pass  gegen  Norden  verwehrten  sie  mit  einer  starken 
Mauer  ohne  Cement,  deren  Reste  noch  drei  Fuss  hoch  stehen. 
Das  Thor  bildeten  zwei  mit  der  Mauer  verbundene  Fekblöcke. 
Es  finden  sich  im  Innern  dieser  Befestigung  mehrere  mit  dem 
Meissel  ausgehöhlte  Felsblöcke;  darunter  ist  besonders  ein 
ziemlich  kleiner  bemerkenswerth,  da  er  im  Innern  ganz  aus- 
gehöhlt ist  und  nur  eine  ganz  enge  OeflEnung  hat;  im  Iniiem 
fanden  sich  Knochensplitter,  sodass  diese  Höhle  als  eine 
Todtenkammer  zu  betrachten  ist;  sie  gleicht  im  Aussehen  ganz 
der  auf  Debre  Sina  bei  Mensa  noch  benutzten  Todtenhöhle. 
Eine  andere  ähnliche  Höhle  konnten  wir  mit  allem  Suchen 
nicht  finden,  obgleich  die  Dokono  sie  fiiniher  gesehen  zu  ha- 
ben versicherten.  Wir  sehen  auch  ein  zwölf  Fuss  langes  und 
drei  Fuss  breites  Grab,  zwxi  Fuss  erhaben  über  dem  Boden 
von  sehr  regelmässigen  Steinen  winkelrecht  gebaut;  es  war 
wahrscheinlich  früher  viel  höher,  da  viele  ähnliche  Steine 
zwecklos  herumliegen.  Senkrecht  dazu  liegt  ganz  in  der  Nähe 
ein  ganz  regelmässig  viereckiger,  sechs  Ellen  langer,  einen  Fuss 
breiter  Stein,  der  einen  Fuss  hoch  frei  auf  der  Erde  liegt;  es 
ist  uns  aber  unmöglich,  ihn  von  der  Stelle  zu  rücken;  er 
scheint  auch  zu  einem  Grabe  zu  gehören.  Wir  finden  femer 
viele  Spuren  runder  Steinhäuser.  Die  herumliegenden  Steine 
sind  alle  so  regelmässig,  dass  sie  behauen  oder  wenigstens 
zu  dem  Zweck  sorgfältig  ausgesucht  sein  müssen.  Nachdem 
wir  so  der  Menschen  Werk  besichtigt,  besuchen  wir  die  durch 
die  Felsblöcke  gebildeten  unterirdischen  Kammern.    Wir  zün- 


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220  ILeiee  in's  Land  der  Marcs. 

den  eine  Kerze  an  und  steigen  Schachte  auf  und  ab,  die 
meist  miteinander  in  Verbindung  stehen  und  in  der  Tiefe 
oft  sehr  geräumig  sind.  Wir  finden  Ueberreste  von  Thonge- 
fässen,  die  noch  vor  Kurzem  unversehrt  gewesen  sein  sollen. 
Aus  den  Abgründen,  welche  die  Blöcke  untereinander  bilden, 
wachsen  ungeheure  Bäume  gerade  zum  Himmel  empor.  Wir 
besichtigen  eine  Menge  von  Höhlen  und  klimmen  sehr  steile 
glatte  Schachte  auf  und  ab;  doch  finden  wir  keine  Zeichen 
menschlicher  Kunst.  Der  ganze  Berg  hat  dieselbe  Beschaf- 
fenheit; vor  zwei  Jahren,  als  man  einen  Einfall  von  Marit's 
Truppen  befürchtete,  hatten  sich  die  Handelsleute  von  Dokono 
mit  ihren  Habseligkeiten  für  einen  ganzen  Monat  hierher  ge- 
flüchtet. Auf  dem  Gipfel,  behaupten  die  Eingebomen,  wohnt 
ein  böser  Geist,  dessen  Anblick  Menschen  und  Vieh  tödtet. 
Wir  bestiegen  ihn  nicht,  weil  der  bedeckte  Himmel  wenig  Aus- 
sicht versprach.  Es  ist  unzweifelhaft,  dass  es  nicht  die  Marea 
waren,  die  sich  diese  Zufluchtstätte  bereiteten;  die  freilich 
rohe  Kunst  verräth  eine  Cultur,  die  von  den  jetzigen  Be- 
wohnern nicht  erreicht  wird;  sie  denken  nie  daran,  der  Natur 
irgendwie  nachzuhelfen.  Doch  konnten  wir  darüber  nichts 
Sicheres  erfahren.  Immerhin  kamen  wir  etwas.*  enttäuscht  zu- 
rück, da  ich  gehofiFt,  Inschriften  zu  finden,  aber  durchaus 
nicht  unzufrieden;  schon  der  Anblick  des  Felsenmeeres  mit 
der  ihm  entsteigenden  Felsenburg  und  der  es  umgebenden 
Wildniss  bot  einen  erfreulichen  Contrast  zu  der  Einförmigkeit 
der  Culturebenen. 

Wir  hätten  jetzt  grosse  Lust  gehabt,  noch  einige  Tage- 
reisen weit  dem  Anseba  nachzugehen;  aber  wir  wussten  nicht, 
wie  bald  die  Expedition  von  Keren  aufisubrechen  gedenke. 
So  stellten  wir  unsere  Abreise  auf  den  folgenden  Tag  fest. 
Die  übrige  Zeit  benutzte  ich  noch,  um  meine  geographischen 
Kenntnisse  zu  vergenauem.  Ab  Bakita  brachte  mir  noch  ex- 
press  mehrere  Zeugen  über  den  Lauf  des  Anseba  und  seinen 
Zusammenfluss  mit  dem  Barka,  die  meisten  Leute  vom  Barka, 
die  oft  bis  To'ker  gekommen  waren.    Sa  konnte  ich  die  Reise^ 


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Beise  in's  Land  der  Marea.  221 

als  nicht  ungelungen  betrachten,  da  sie  zu  einem  klaren  Be- 
griff des  Fluss-  und  Bergsystems  der  Marea  mich  führte. 
Ethnographisch  erhielt  ich  nicht  unwichtige  Aufechlüsse.  Alle 
diese  Resultate  sind  in  andern  Abschnitten  dargestellt.  Kel- 
betu  selbst  hinterliess  mir  einen  sehr  freundlichen  Eindruck; 
schon  das  nähere  Zusammenwohnen  zeichnet  es  vortheilhaft 
vor  dem  einsamen  Rehi  aus.  Die  dem  Dorf  anliegende  Fel- 
sengruppe bot  auch  Jagdgelegenheit,  indem  sie  von  zahlreichen 
Wildschweinen,  Hyänen  und  Tshuanbesa  bewohnt  ist.  In  drei 
Tagen  waren  wir  wie  alte  Freunde  geworden;  der  Häuptling 
und  seine  Leute  wetteiferten  in  Gefälligkeit.  Ich  gab  zum 
Abschied  einige  kleine  mit  Dank  empfangene  Geschenke;  be- 
sondere Freude  hatte  Ab  Bakita  an  einem  Rasirmesser,  das 
für  das  Haupt  seines  jüngsten  Sohnes  bestimmt  war;  mit  vie- 
lem Nachdruck  bat  er  mich,  die  Gabe  zu  segnen,  damit  sie 
das  Haupt,  das  es  berühre,  glücklich  machen  möge.  Um 
Mittag  brachen  wir  auf,  von  allen  Vornehmen  und  Geringen 
zum  Dorf  hinausbegleitet.  Noch  einmal  empfiehlt  sich  Ab 
Bakita  meiner  Freundschaft  für  alle  Zeiten  und  bittet  mich, 
ihre  Sache  bei  den  abyssinischen  Fürsten  zu  vertreten.  Einer 
seiner  Söhne  und  ein  Bruderssohn  sollen  uns  an  die  Grenze 
der  Beit  Takue  begleiten;  den  Rückweg  wählen  wir  über  Ere. 
Mit  beiderseits  wohlgemeinten  Wünschen  trennen  vrir  uns. 


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lieber  das  Volk  der  Marea. 


Da  bei  den  aristokratischen  Völkern,  die  wir  bis  jetzt  am 
Flussgebiet  des  Anseba  kennen  gelernt,  der  Begriflf  von  (Je- 
meinde  und  Familie  zusammenfällt,  sodass  gewöhnlich  jede 
Familie  mit  ihren  Schutzbefohlenen  ihren  eigenen  Wohnsitz 
innehält  und  die  Bevölkerung  nicht  nach  Köpfen  gezählt  wird, 
sondern  nach  engem  und  weitem  Familien,  so  haben  wir  nie 
verschmäht,  die  Stammbäume  der  uns  bekannten  Völker  mit- 
zutheilen,  da  daraus  nur  der  Stammzusammenhang  begreiflich 
wird  und  auch  bei  den  Marea  folgen  wir  der  gleichen  Me- 
thode. Es  ist  keine  Frage,  dass  eine  solche  Stammverstei- 
nerung, wo  jedes  Individuum  nur  als  Glied  des  Familienrin- 
ges seine  Bedeutung  hat ,  wo  jedes  Kind  seiner  Verwandtschaft 
und  Genealogie  sich  bewusst  ist,  nur  bei  sehr  isolirten  Völ- 
kern sich  bilden  kann,  bei  Völkern,  die  von  Verkehr  und 
Handel -wenig  berührt  werden. 

Nun  reicht  aber  der  Stammbaum  selten  über  fünfzehn  Ge- 
nerationen hinaus,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  er,  je 
weiter  zurück  er  geht,  um  so  weniger  politische  Bedeutung 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  223 

hat;  denn  über  sieben  Grade  hinaus  reicht  die  eigentliche 
Blutsverwandtschaft  nicht;  die  noch  weiter  liegende  Verwandt- 
schaft begründet  zwar  ein  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit, 
entbehrt  aber  aller  politischen  oder  rechtlichen  Folgen.  Es 
wäre  also  mit  der  Geschichte  eines  Volkes  schlecht  bestellt, 
dessen  Genealogie  auf  höchstens  350  Jahre  zurückfuhrt.  An 
ihre  Stelle  tritt  eine  Tradition,  die  mit  Vorsicht  gebraucht 
nicht  ganz  werthlos  ist;  denn  es  wird  sich  bald  herausstellen, 
ob  sie  mit  der  Tradition  der  benachbarten  oder  verwandten 
Völker  übereinstimme.  Die  letzte  Instanz  w^re  freilich  die 
Sprache,  aber  sie  erlaubt  wohl  entscheidende  Schlüsse  auf 
grössere  Völker,  aber  nicht  auf  kleine  Stämme,  die  meist 
von  einer  einzigen  oder  von  ganz  wenigen  Personen  abstam- 
men. Während  ein.  ganzes  Volk  ungern  seine  Sprache  auf- 
gibt, kann  das  ein  kleiner  zwischen  fremdredende  grosse  Völ- 
ker eingedrängter  Stamm  wohl  thun  und  am  leichtesten  kön- 
nen es  seine  Stammväter,  die,  in  geringer  Zahl  eingewan- 
dert, sich  neben  den  Ureinwohnern  des  Landes  niederlassen 
und  erst  nach  und  nach  zu  einem  selbstständigen  Volke  an- 
wachsen. 

Deswegen  finden  wir  die  Takue  im  Gebrauch  des  Belen, 
trotz  ihrer  äthiopischen  Abstammung,  weil  ihre  Stammväter, 
als  sie  noch  wenige  waren,  sich  an  ein  Belen  redendes  Volk 
anlehnen  mussten;  eben  deswegen  sind  sie  jetzt  auf  dem 
Punkte,  diese  Sprache  gegen  das  Tigre  zu  vertauschen,  weil 
sie  von  Tigre  redenden  Völkern  umringt  sind.  Im  Barka 
selbst  haben  gewiss  das  Tigre  und  das  To'bedauie  seit  langer 
Zeit  nebeneinander  bestanden  und  bezeichnen  zwei  grundver- 
schiedene Völker;  aber  damit  ist  gar  nicht  gesagt,  dass  die 
jetzige  Sprachvertheilung  sich  genau  an  die  Volksursprünge 
halte;  der  Zufedl  hat  eher  hier  das  To'bedauie,  dort  das 
Chassie  überwiegen  lassen;  sonst  könnte  man  sich  nicht  er- 
klären, dass  der  herrschende  Stamm,  die  Nebtab,  im  Barka 
meist  To'  bedauie,  im  Söhel  aber  Chassie  sprechen.    Je  grös- 


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224  Reise  in*8  Land  der  Marea. 

ser  freilich   ein  Volk  wird,   um  so  schwerer  wird  sich  seine 
"Sprache  verändern. 

Nach  Sitten  und  Recht  die  Volksursprünge  zu  bestimmen, 
ist  noch  viel  schwieriger;  denn  die  Bogos,  Takue,  Mensa,  Ha- 
bab  und  die  Bewohner  des  Saml^ar  stimmen  in  den  wichtigsten 
Punkten  vollkommen  überein,  obgleich  sie  historisch  genom- 
men einander  gar  nicht  verwandt  sind.  Da  wir  nun  aber 
genau  wissen,  dass  alle  diese  Stämme  in  nicht  ferner  Zeit 
von  sehr  verschiedenen  Gegenden  in  ganz  kleiner  Zahl  einge- 
wandert sind  und  die  Ureinwohner  dieses  Landes  ersetzt  oder* 
unterjocht  haben,  so  liegt  der  Schluss  nahe,  dass  die  früheren 
Einwohner  eine  gewisse  Zusammengehörigkeit  hatten  und 
gemeinsames  Recht  und  Sitten;  dass  die  neuen  Einwanderer 
sich  dem  gebotenen  Gebrauch  der  Majorität  fügten  und  dass 
sie  dieses  adoptirte  Recht  erst,  als  sie  die  Uebermacht  er- 
langten, aristokratisch  umgestalteten.  Dass  sie  es  trotz  des 
ungleichartigen  Ursprungs  ziemlich  gleichmässig  bilden,  ist 
leicht  erklärlich  aus  dem  Zustande  einer  einzigen  fremden 
Familie,  einer  Minorität  gegenüber  der  im  Land  einheimischen 
Majorität,  die  zum  festen  aristokratischen  Zusammenhalten 
zwingt. 

Freilich  erzählen  alle  diese  Völker  ihre  Geschichte  auf  eine 
Art,  dass  man  meinen  möchte,  sie  seien  von  ewigen  Zeiten 
her  der  Adel  gewesen.  Dem  widerspricht  aber,  dass  sie  sich 
selber  von  wenigen  Einwanderern  herleiten.  Denn  klar  ist, 
dass  ein  paar  Fremde,  die  in  ein  bevölkertes  Land  kommen, 
nicht  ohne  Weiteres  sich  seiner  Herrschaft  bemächtigen  kön- 
nen; sie  müssen  lange  Zeit  mit  Duldung  zufrieden  sein,  bis 
sie  sich  endlich  genug  vermehrt  haben,  um  selbstständig  auf- 
treten zu  können.  Deswegen  sind  die  Ursprünge  dieser  Völ- 
ker sehr  in's  Dunkel  gehüllt,  weil  unbedeutende  Anfänge 
zu  wenig  Aufsehen  machen,  um  der  Erinnerung  würdig  ge- 
halten zu  werden. 

Mit  diesen  Vorbehalten  wollen  wir  den  Ursprung  der  Marea 
erzählen,  wie  ihn  die  Tradition  aufbewahrt  hat. 


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Reise  in^s  Land  der  Marea.  225 

Wie  sich  aus  der  Anmerkung*)  ergibt,  kann  man  bis 
auf  Mariu,  der  als  Stammvater  des  Volkes  gilt,  zwanzig  Ge- 
nerationen rechnen;  die  Besitznahme  des  Landes  fiele  also  in 
die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts.  Dass  dieser  Termin  nicht  zu 
weit  hinauf  verlegt  sei,  wird  durch  zwei  Umstände  bewiesen: 
1)  Erinnern  sich  die  Marea  nur  dunkel  ihrer  Einwan- 
derung und  der  ersten  Zeit  ihres  Aufenthaltes,  was  auf  alte 
Zeiten  zurückweist; 

2)  gibt  es  bei  ihnen  wenig  Spuren  von  Ureinwohnern, 
was  man  sich  nur  aus  der  langen  Dauer  der  Herrschaft  er- 
klären kann. 

Von  Mariu  schreiben  sich  nun  eine  Menge  von  Familien 
her,  von  denen  aber  nur  die  Söhne  Shum  Reti's  hervorzu- 
heben sind  und  zwar  nur  die  vier  erwähnten,  deren  Nach- 
kommen heutigen  Tages  den  wichtigsten  und  herrschenden 
Theil  des  Volkes  bilden.  Die  andern  schwächern  Zweige  leh- 
nen sich  an  diese  vier  Hauptstämme  an,    ohne  darum  des 


*)  Stammtafel  der  Harea. 

Maria.  —  Dann  zwei  Namen  vergessen.  —  Matluq.  —  Seberdem.  — 
Inkisem.  —  Jakob.  —  'Azuz.  —  Mikal.  —  Reti.  —  Tedros.  —  'Azuz.  — 
Shum  Reti. 

Shum  Reti 
hat  zehn  Söhne,  wovon  die  becfeutendsten 

von  seiner  ersten  Frau  von  seiner  zweiten  Frau 

(schwarze  Marea).  (rothe  Marea). 

8ham  TembeUö.     Tshankera.  Ato  Byrhan.  Girgis. 

I  I  I 

Bhum  ICahmad.  Idjel.  Ashhad 

I  I  I 

Mkam  HtfmuMcL  Gerenai.  Daila. 

Shum  TTknt.  Mussa.  Beri. 

Shum  Idjel.     Sham  Nor.       *Ezaz  Ab  Bakita.  Abu  Bekr. 

I  (65  Jahr  alt).  (45  Jahr  alt). 

Ibrahim. 
(40  Jahr  alt). 

Die  Ausgezeichneten  sind  die  Stammfursten  (Shum). 

Mnnzinger,  Ostafiik.  Studien.  15 


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226  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Adels  verlustig  gegangen  zu  sein;  das  Machtverhältniss  scheint 
auch  nicht  immer  das  heutige  gewesen  zu  sein,  da  gerade 
diese  schwachen  verkommenen  Zweige  viel  Grundbesitz  haben^ 
was  auf  ihre  frühere  Bedeutung  hinweist;  so  besitzen  z.  B. 
die  Aterbat,  die  fast  ausgestorben  sind,  noch  jetzt  den  Berg 
Melbeb. 

Die  Tradition  behauptet,  die  Marea  seien  von  Arabien 
eingewandert,  sie  seien  Qoreishiten,  Kinder  Abu  GaheVs,  des 
Onkels  und  Feindes  des  Propheten.  Nach  seinem  Tode,  er- 
zählt man ,  fuhren  Abu  Gahel's  Kinder  über  das  Rothe  Meer 
nach  Buri  (an  der  Bucht  von  Hanfila);  von  da  verbreiteten 
sie  sich  landein:  ein  Zweig  blieb  in  Samhar  und  bildete  den 
Stamm  Hazo,  der  noch  existirt;  ein  zweiter  setzte  sich  als 
Tero'a  an  den  Abhängen  von  Abyssinien  fest;  ein  dritter  ge- 
langte in  das  Gebiet  der  jetzigen  Mensa  und  bildete  den 
Stamm  Mensa,  von  dem  die  Marea  ein  Zweig  sind. 

Die  Abstammung  von  Abu  Gahel  lasse  ich  dahingestellt; 
die  Brüderschaft  dieser  vier  Zweige  aber  scheint  unzweifel- 
haft zu  sein,  da  alle  vier  die  gleiche  Tradition  haben  und 
sich  noch  heutigen  Tages  als  stammverwandt  betrachten.  Die 
Mensa  behaupten  wenigstens  vom  Meere  gekommen  zu  sein; 
die  Terrfa  und  Hazo  dagegen  versichern,  von  Mekka  selbst  zu 
stammen.  Eine  arabische  Abstammung  scheint  gar  nicht  un- 
wahrscheinlich. Der  Häuptling  der  rothen  Marea  versicherte 
mir  auf  die  Frage,  ob  sie  je  in  Steinhäusern  gelebt  hätten, 
sie  seien  keine  Abyssinier,  sie  seien  Zeltenbewohner;  auch 
jetzt  wohnen  die  Marea  nur  in  Zelten  und  sind  noch  immer 
halbe  Nomaden. 

Hören  wir,  wie  die  Tradition  weiter  erzählt.  In  der  Zeit, 
wo  Mariu  noch  mit  den  Mensa  zusammenlebte,  verlor  sich 
sein  Maulthier.  Der  Herr  folgt  seiner  Spur,  kommt  über 
den  Anseba  nach  Halhal,  dann  nach  Rehi,  Kednet  und  fin- 
det endlich  sein  Thier  wieder  in  der  Ebene  von  Erota.  Er 
fangt  es  und  sucht  ein  Unterkommen  für  die  Nacht;  er 
findet    ein    kleines    Dorf   in    Abligo,    vom   Stamm    M'aqebu 


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Beise  in's  Land  der  Marea.  227 

bewohnt;  der  Häuptling  desselben,  Weld  Durui,  empfängt 
ihn  als  Herrn  und  ladet  ihn  ein,  sich  bei  ihm  niederzu- 
lassen. Mariu  kehrt  nach  Mensa  zurück,  nimmt  seine  Fa- 
milie und  seine  siebzehn  Tigre  mit,  wandert  aus,  ohne  seine 
Absicht  laut  werden  zu  lassen,  und  lässt  sich  in  Erota  nieder. 
Er  vertheilt  das  Land  an  seine  Tigre,  indem  er  sich  die  noch 
bestehende  Abgabe  ausbedingt.  Er  unterwirft  sich  auch  die 
ATaqebu,  die  man  für  Äbyssinier  hält  und  von  denen  nur 
spärliche  Reste  noch  übrig  sind. 

So  weit  die  Sage.  Abgesehen  von  der  Ausschmückung  be- 
wahrt sie  das  Andenken  an  die  Verwandtschaft  mit  Mensa. 
Die  M*"  qeBu  scheinen  die  Herren  des  Landes  gewesen  zu 
sein.  Die  siebzehn  Tigre  sind  insofern  historisch,  als  noch 
jetzt  siebzehn  verschiedene  Tigrefamilien  existiren.  Ob  diese 
nun  mit  Mariu,  wenn  dieser  Name  nicht  überhaupt  coUectiv 
ist,  eingewandert  sind  oder  ob  sie  von  ihm  erst  unterjocht 
wurden,  ist  nicht  mehr  zu  entscheiden.  Die  Sage  behauptet 
das  erstere  und  auch  jetzt  unterscheidet  man  zwischen  MV 
qebu  als  Aboriginem,  zwischen  den  siebzehn  ältesten  Tigre 
und  spätem  von  allen  Seiten  hergekommenen  Unterthanen. 
Jedenfalls  sind  die  Marea  auf  sehr  kriegerische  Weise  Herren 
des  Landes  geworden;  denn  sie  nehmen  ihren  Unterthanen 
gegenüber  eine  ganz  unerhört  bevorzugte  Stellung  ein,  die  nur 
auf  Kriegsrecht  fussen  kann. 

So  war  Erota  der  erste  Sitz  der  Marea;  bis  auf  Shum  Reti 
war  ihr  Gebiet  auf  die  sogenannte  rothe  Rora  beschränkt.  Geri- 
dsa,  der  jetzige  Sitz  der  rothen  Marea,  war  lange  von  den  früher 
erwähnten  Beit  Zei\i  bewohnt  gewesen.  Man  w^ss  nicht, 
warum  sie  das  Land  verliessen;  Factum  ist,  dass  die  Marea 
dasselbe  fast  leer  fanden.  Es  gibt  noch  einige  ihres  Stam- 
mes unter  den  Bogos;  ein  grosser  Theil  ist  nach  Abyssinien  zu- 
rückgewandert und  wohnt  in  Kameshim;  bei  den  Marea  sind 
nur  noch  die  Bargalle  übrig,  ein  Zweig  der  Ze/u,  in  Rehi 
ansässig.  Shum  Reti's  Söhne  verstanden  sich,  weil  von  ver- 
schiedenen Müttern  geboren,  schlecht  zusammen.    Girgis  mit 

15* 


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228  Reise  in's  Land  der  Marea. 

seinen  drei  Brüdern  von  gleicher  Mutter  wandte  sich  zuerst 
nach  Ser'a,  wohin  ihm  auch  die  andern  Brüder  folgten.  Als 
aber  Tembelle  heimlich  nach  Erota  zurückkehrte,  zog  Girgis 
nach  Shaka  und  von  da  nach  Geridsa,  das  er  fast  unbewohnt 
fand.  Er  nahm  das  Land  also  ohne  alle  Mühe  in  Besitz; 
seinen  mitgebrachten  Tigre  überliess  er  nur  wenig  Grundbe- 
sitz. Erst  von  dieser  Zeit  (etwa  vor  180  Jahren)  datirt  die 
förmliche  Trennung  der  Marea  in  schwarze  (tsellam)  und 
rothe  (qaih). 

Den  Titel  Shum  (Stammfürst)  haben  zwar  nur  die  Nach- 
kommen Tembelle's;  die  mit  dieser  Würde  verbundene  Macht 
erstreckt  sich  aber  auch  nur  auf  die  schwarzen  iJlarea.  Da 
von  den  rothen  Marea  die  Nachkommen  von  Girgis  bei  Wei- 
tem die  Oberhand  haben,  so  stehen  sie  gewissermassen  als 
Ein  Stamm  da,  während  die  schwarzen  nach  den  drei  Söh- 
nen Reti's  in  drei  Stämme  sichtheilen:  die  Tembelle  haben  das 
Land  von  Andellet  bis  Kat  und  Sheliwai;  die  Atobyrhan  von 
da  nördlich  den  Rest  des  Hochlandes  und  jenseits  Shaka;  ihre 
Grenze  ist  der  Sattel,  der  von  One  zum  Anseba  führt.  Die 
Tshankera  besitzen  das  Thal  zwischen  den  zwei  Hochgebirgen. 

Die  Marea  sollen  ois  auf  die  jüngsten  Zeiten  Christen  ge- 
wesen sein;  auch  soll  eine  Kirche  früher  in  Erota  existirt  ha- 
ben und  ein  Abkömmling  der  alten  Priester  noch  vorhanden 
sein;  doch  war  jedenfalls  christliches  Leben  seit  langem  er- 
loschen. Die  Bekehrung  zum  Islam  fing  mit  den  Tigre  an, 
wie  in  Mensa  und  Bedjuk  auch;  die  Adelichen  folgten  erst 
später.  Die  schwarzen  Marea  haben  sich  vor  etwa  vierzig 
Jahren  bekehrt;  der  Vater  unseres  Wirthes  Ab  Bakita  gab 
das  Beispiel.  Die  rothen  Marea  sind  erst  vor  fünfundzwanzig 
Jahren  übergetreten.  Seit  das  Volk  mohammedanisch  ist, 
werden  keine  Grabhügel  nach  Art  der  Bogos  mehr  errichtet, 
sondern  man  hat  sich  dem  unter  den  Muslimin  üblichen  Ge- 
brauch genähert,  indem  man  das  Grab  mit  einer  Ringmauer 
umgibt. 

Die  alte  Geschichte  der  Marea  erzählt   von  einem  langen 


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Beise  iiv's  Land  der  Marea.  229 

Krieg  derselben  mit  den  Medjelli.  Man  erinnert  sich  nicht, 
je  von  Abyssinien  oder  vom  Barka  abhängig  gewesen  zu  sein. 
Die  Unterwerfung  war  unsern  Zeiten  vorbehalten.  Die  schwar- 
zen Marea  wurden  vor  etwa  siebzehn  Jahren  gezwungen,  den 
ersten  Tribut  an  die  Aegypter  zu  entrichten;  doch  zahlten 
sie  ihn  nicht  regelmässig  jedes  Jahr;  die  türkischen  Truppen 
lagerten  dann  in  Kednet,  vom  Barka  über  Ser'^a  das  Thal 
hinauf  kommend.  Die  rothen  Marea  wurden  nur  mit  Gewalt 
unterworfen;  das  erste  Jahr  drangen  die  Türken  bis  Geridsa, 
wurden  aber  geschlagen;  das  zweite  Jahr  mussten  sich  die 
rothen  Marea  unterwerfen  und  haben  seitdem  dreimal  Tribut 
entrichtet.  Seit  einigen  Jahren  haben  beide  Stämme  den  Tri- 
but verweigert.  Während  aber  die  schwarzen  sich  in  Folge 
ihrer  Lage  kaum  der  türkischen  Botmässigkeit  entziehen  kön- 
nen, haben  die  rothen  ihr  Auge  auf  Abyssinien  geworfen; 
den  ersten  Tribut  zahlten  sie  an  Marit,  den  zweiten  im  letz- 
ten Jahre  an  Dedjas  Heilu. 

Es  ist  schwer,  die  Kopfzahl  der  Marea  zu  schätzen,  da 
sie  in  unzählige  Weiler  zerstreut  sind,  die  oft  je  nach 
dem  Feldbau  den  Platz  ändern.  Von  vielen  gutunterrichteten 
Männern  wurden  mir  die  rothen  auf  1500  erwachsene  Män- 
ner, die  schwarzen  auf  2500  geschätzt,  was  auf  eine  Gesammt- 
bevölkerung  von  etwa  16,000  Seelen  schliessen  lässt.  Tribut 
zahlen  die  schwarzen  das  Doppelte  von  den  rothen.  Die 
Aegypter  bezogen  im  Ganzen  dreitausend  Thaler.  Das  leben- 
dige Gut  der  rothen  wird  auf  hundertfiinfzig  Heerden  ange- 
schlagen, das  der  schwarzen  auf  das  Doppelte.  An  Marit 
zahlen  die  rothen  vierhundert  Thaler.  Der  Tribut  lastet  auf 
den  Heerden,  nicht  auf  dem  Pflug;  er  wird  von  allen  ohne 
Ausnahme,  Vornehmen  und  Geringen,  bezahlt.  Der  Feldbau 
erstreckt  sich  auf  Weizen,  Gerste,  Nuhuk  und  Mashella;  doch 
werden  die  erstem  Producte  im  Grossen  nur  in  Geridsa  ge- 
pflanzt, obgleich  sie  der  Boden  von  Erota  durchaus"  nicht 
verbietet.  Die  Az  Tshankera  allein  benutzen  das  mittlere  Tief- 
land.   Tabak  wird  wenig  gebaut. 


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230  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Das  g^nze  Land  besteht  aus  Ebenen,  die  von  bewaldeten 
Schluchten  unterbrochen  und  hervorgehoben  werden.  Die 
Grenzen  sind  natürlich  bestimmt  durch  den  nördlichen  Gebirgs- 
abfall, durch  den  Anseba  und  den  Abgrund  Kerkeriu  gegen 
die  Takue.  Die  Tiefen  des  Ansebathales  werden  nicht  zur 
Cultur  benutzt,  dagegen  bringen  die  Heerden  die  Regenzeit 
dort  zu,  zur  Zeit,  wo  die  Fliegen  das  Hochland  unausstehlich 
machen.  In  der  trocknen  Zeit  erst  nähern  sie  sich  dem  be- 
wohnten Land.  So  wird  der  Anseba  der  Weidegrund  der 
rothen  Marea,  während  die  schwarzen  ihre  Kühe  unter  Kednet 
gegen  Ser'^a  hinunterschicken.  Ziegen  halten  die  rothen  keine, 
dagegen  die  schwarzen  ziemlich  viel.  Die  Kühe  sind  halb 
Begeit,  halb  Arado  (von  der  abyssinischen  Rasse).  Bei  den 
rothen  Marea  sieht  man  schwarze  Kühe  besonders  häufig, 
das  Gleiche  habe  ich  in  Abyssinien  bemerkt;  es  scheint,  die 
schwarze  Farbe  sei  gegen  die  Kälte  angemessener,  die  rothe 
gegen  die  Sonne;  wenigstens  beobachtete  ich  immer,  dass  die 
schwarzen  Kühe  gegen  die  Sonne  sehr  empfindlich  sind. 

Der  Boden  der  rothen  Marea  ist  schwarz,  der  der  schwar- 
zen roth;  daher  heisst  der  erstere  auch  schwarzes  Plateau 
(Rora  tsellam),  der  letztere  aber  Rora  qaih  (rothes  Plateau), 
im  Gegensatz  zu  dem  Namen  des  Volkes.  Dieser  letztere 
rührt  daher,  dass  die  einen  Söhne  Shum  Reti's,  Girgis  und 
seine  Brüder,  sehr  hellfarbig  waren,  Tembelle  und  seine  Brü- 
der aber  schwärzlich;  diese  Färbung  hat  sich  im  Allgemeinen 
noch  so  erhalten,  dass  der  Name  auch  heutigen  Tages  passt. 
Das  Land  der  Marea  ist  im  Ganzen  sehr  fruchtbar;  es  war 
nicht  seine  Schuld,  dass  bei  unserer  Anwesenheit  [  grosse 
Theuerung  herrschte,  da  die  Käfer,  die  Dinshere,  die  vorige 
Emdte  vernichtet  hatten.  Die  schwarze  Rora  ist  sehr  kalt, 
besonders  im  December;  viel  wärmer  ist  die  rothe  Rora,  schon 
weil  sie  niedriger  liegt.  An  Wasser  ist  Geridsa  sehr  reich, 
die  Quellen  sprudeln  frei  aus  dem  Boden  hervor;  spärlicher 
bedacht  ist  die  rothe  Rora,  wo  oft  auch  Brunnen  gegraben 
werden  müssen. 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  231 

Als  Wohnung  bedienen  sich  die  Marea  der  Ablu  oder 
Mattenzelte,  wie  sie  in  den  nomadisirencfen  Lagern  der  Ha- 
bab  und  der  Bogos  gebräuchlich  sind;  doch  werden  sie  bei 
den  Marea  solider  gebaut,  mit  viel  mehr  Stangen  und  einem 
dünnen  Stützbalken  versehen,  vor  dem  Regen  mit  Kuhhäuten 
und  oft  auch  etwas  Durraschilf  geschützt:  so  werden  sie  halb 
Zelt,  halb  Haus.  Für  die  Ziegen,  die  gegen  Regen  und  Kälte 
sehr  empfindlich  sind,  werden  grosse  Hütten  in  der  Art  der 
Shogasho  der  Bogos  erbaut.  Es  existirt  nichts,  was  man  Dorf 
nennen  könnte ;  jeder  Vornehme  errichtet  sein  Mattenzelt  ne- 
ben seinem  diessjährigen  Feld,  umgeben  von  seinen  nächsten 
Verwandten  und  Sklaven.  So  sieht  man  in  der  Ebene  von 
Rehi  allein  wohl  funfeehn  Weiler  auf  einen  Blick;  oft  besteht 
ein  solches  Gehöft  nur  aus  drei  Hütten,  doch  auch  wie  bei 
Kelbetu  aus  wohl  fünfzig.  Auch  ist  die  Lage  derselben  sehr 
veränderlich,  da  sie  sich  nach  dem  Feldbau  richtet.  In  die- 
ser Vereinzelung  gleichen  die  Marea  den  Terrfa,  den  Shoho 
und  den  Az  Shehei.  Sie  scheint  ihnen  grössere  Sicherheit  zu 
gewähren,  da  die  allfällige  Verwüstimg  immer  nur  einen  Theil 
treffen  kann.  Die  Leute  haben  also  trotz  des  Ackerbaues  und 
vielleicht  gerade  deswegen  nomadischen  Instinct,  da  jeder  sei- 
nem Felde  nahe  zu  leben  wünscht. 

Als  wir  einst  Recht  und  Sitten  der  Bogos  zum  Gegenstand . 
einer  ziemlich  eingehenden  Monographie  machten,  war  es  uns 
keineswegs  bloss  darum  zu  thun,  dieses  Völklein  besser  be- 
kannt zu  machen;  wir  wählten  die  Bogos,  weil  uns  das 
ostafrikanische  aristokratische  Recht  hier  besonders  conse- 
quent  ausgebildet  schien,  während  noch  viele  andere  Völker  ■ 
derselben  Rechtsgefühle  theilhaftig  sind  und  in  den  Sitten 
besonders  alle  miteinander  genau  übereinstimmen.  Wir  mei- 
nen hiermit  alle  aristokratischen  Völker  Nordostafrikas,  selbst 
die  doch  sonst  ziemlich  fremdartigen  Beni  Amer.  Ein  Beob- 
achter, der  nicht  gerade  mit  dem  Mikroskop  arbeitet,  würde 
im  Leben  der  Leute  des  Samhar,  der  Habab,  Mensa,  Bogos, 
Takue,  Marea  kaum  einen  bemerkbaren  Unterschied  finden. 


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232  Reise  in's  Land  der  Msreä. 

Wenn  wir  also  von  Recht  und  Sitte  der  Marea  reden  wollen, 
80  stützen  wir  uns  auf  die  für  die  Bogos  gelegte  Basis  und 
notiren  lediglich  nur  die  Ausnahmen. 

Das  Recht  der  Bogos  nun,  so  folgerichtig  es  ausgebaut 
ist,  ist  nach  zwei  Richtungen  unvollendet  geblieben.  Wir 
sehen  einen  Stamm,  der  andere  Stänmie  beherrscht;  seine 
Macht  beruht  auf  seinem  Ursprung  von  Einem  Vater,  den  je 
der  erstgeborne  Sohn  des  Erstgebornen  unter  dem  Namen 
Shnm  repräsentirt.  Nun  ist  aber  in  der  Wirklichkeit  diesem 
Shum  nur  der  Name  geblieben,  die  wirkliche  Gewalt  aber 
ist  dem  Zufall  und  der  Faust  anheimgestellt  und  so  zeigt 
sich  uns  eine  Familie  ohne  Vater  und  ohne  Haupt. 

Femer  sehen  wir  denselben  Stamm  über  andere  Stämme 
herrschen,  aber  die  Unterthänigkeit  beschränkt  sich  fast  auf 
den  Namen;  die  gegenseitigen  Ansprüche  sind  nicht  scharf 
begrenzt,  wir  fühlen,  dass  die  Unterjochung  auf  halbem  Wege 
stehen  geblieben  ist. 

Es  wird  nicht  ganz  unnütz  scheinen,  dem  Recht  der  Uarea 
einige  Betrachtungen  zu  widmen,  da^  es  gerade  in  diesem 
Doppelverhältniss  des  Adels  unter  sich  und  gegenüber  den 
Unterthanen  sich  mit  einer  eigenthümlichen  Energie  aus- 
gebildet hat  und  so  die  äusserste  Spitze  dieser  Verfassung 
.  zeigt. 

Wenn  ich  von  Adel  rede,  so  verbinde  ich  damit  nicht 
den  europäischen  Sinn  des  Wortes,  sondern  ich  meine  den 
patriarchalischen  Adel  der  Semiten,  dessen  König  der  Erst- 
geborne ist  als  nothwendige  Spitze  des  Hauses.  Deswegen  ist 
hi6r  das  Königthum  aus  dem  Adel  herausgewachsen,  während 
es  in  Europa  als  Feind  des  Adels  ein  Kind  der.  Demokratie 
ist.  Die  Marea  nun  haben  dieses  Königthum  des  Stammvaters 
aufrecht  erhalten  und  im  Gefühl  dieser  Einheit  bilden  sie 
ihre  Stellung   gegenüber  den  Unterthanen  viel  schroffer  aus. 

Wir  sehen  also  seit  undenklichen  Zeiten  den  Erstgebornen 
des  Erstgebornen  von  Mariu  her  den  Titel  Shum  tragen;  er 
bedeutet   Stammfürst,  .gerade   wie   Kintebai  in  Mensa  oder 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  233 

bei  den  Habab.  Dieser  Shum  regierte  die  Marea  bis  auf  die 
Söhne  Shum  Reti's,  die  sich  entzweiten  und  trennten.  Das 
Shumet  blieb  freilich  bei  den  schwarzen  Marea  als  Erstge- 
bornen; aber  die  rothen  Marea  machten  sich  nach  und  nach 
selbstständig  und  wenn  sich  ^uch  beide  Stämme  als  Brüder 
fühlen,  so  sind  sie  in  der  Wirklichkeit  zwei  sich  ganz 
fremde  Völker.  Die  rothen  Marea  entzogen  sich  also  der 
Gewalt  des  Shum  und  hatten  auch  nicht  das  Recht,  einen 
Shum  zu  salben,  aber  die  Rechte  desselben  übertrugen  sie 
auf  ihren  Stammältesten,  als  Haupt  der  Familie  Girgis.  In 
beiden  Stämmen  findet  sich  also  das  monarchische  Princip 
aufrecht  erhalten.  Man  kann  sogar  sagen,  dass  bei  den 
rotlien  Marea  das  Amt  ohne  den  Titel  viel  mehr  reale  Macht 
bewahrt  hat,  weil  die  Nachkommen  von  Girgis  allein  tonan- 
gebend sind,  während  die  schwarzen  Marea  aus  drei  ganz 
gleich  starken  Zweigen  bestehen,  wo  Az  Tembelle  nicht  immer 
mächtig  genug  ist,  die  nach  Unabhängigkeit  strebenden  Brü- 
der in  Schranken  zu  halten.  Das  Verhältniss  ist  das  gleiche, 
wie  bei  den  Mensa:  der  kleinere  Stamm  Beit  Shakan  ist  eini- 
ger, da  die  Familie  von  Mesmer  vorwiegend  ist,  während  in 
dem  mächtigeren  Beit  Ebrahe  die  Familie  des  Kintebai  kaimi 
die  ebenso  mächtigen  Bruderzweige  Az  Ailiei  und  Az  Hafa- 
rom  zügeln  kann. 

Der  jetzige  Shum  der  schwarzen  Marea  ist  Nur,  Bruder 
und  Nachfolger  des  1860  verstorbenen  Shum  Idjel;  Häuptling 
der  rothen  Marea  dagegen  ist  Beri  Dafla's  Sohn.  Shiun  wird 
gewöhnlich  der  erstgebome  Sohn  des  verstorbenen  Shum, 
doch  steht  die  Wahl  dem  ganzen  Stamm  zu,,  der  oft  dem 
Sohn  den  Bruder  vorzieht;  seit  das  Land  mehr  oder  weniger 
von  den  Türken  abhängig  geworden  ist,  muss  sich  der  Neu- 
erwählte auch  ihrer  Zustimmung  versichern.  Als  Shum  I^jel 
starb,  wählte  der  Stamm  seinen  Bruder;  doch  thut  dessen 
Sohn,  der  auch  seine  Partei  hat,  alles,  um  sich  mit  Hülfe 
des  Deglel  (des  Fürsten  der  Beni  Amer)  an  seine  Stelle  zu 
setzen.    Diese  Eifersucht  ist  es  vorzüglich,  die  das  Volk  vom 


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234  Beise  in's  Land  der  Marea. 

Ausland  abhängig  macht;  denn  mit  dem  fremden  Richter  ge- 
ben sich  die  Streitenden  einen  Herrn. 

Der  Shum  bei  den  schwarzen  und  so  auch  der  Häuptling 
bei  den  rothen  Marea  hat  die  Gerichtsbarkeit  in  allen  Fällen, 
die  nicht  von  d»r  Familie  entschieden  werden.  Bei  den  Bo- 
gos  und  den  Takue  fehlt  diese  letzte  Instanz;  können  die 
streitigen  Familien  sich  nicht  über  den  Richter  verständigen, 
muss  am  Ende  die  Faust  entscheiden.  Hier  kennen  die  strei- 
tenden Brüder  den  Vater,  der  über  allen  stehend  ihr  natür- 
licher Richter  wird.  Der  Verletzte  also,  der  sein  Recht  nicht 
finden  kann,  citirt  seinen  Gegner  auf- das  Leben  (Dsagga)  des 
Shimi  vor  dessen  Tribunal  und  ebenso  ist  bei  den  rothen 
Marea  der  Häuptling  oberster  Richter.  Da  das  Amt  des  Shum 
eine  patriarchalische  Heiligkeit  geniesst,  so  wird  es  als  fluch- 
würdig angesehen,  seinem  Gericht  zu  trotzen.  Da  nun  die 
rothen  Marea  viel  einiger  dastehen,  so  wird  sehr  oft  an  die 
höchste  Behörde  appellirt;  bei  den  schwarzen  Marea  aber 
richtet  gewöhnlich  jeder  der  drei  Hauptzweige  selbstständig 
für  sich  und  nur  in  den  wichtigsten  Fällen  wird  der  Shum 
angerufen.  Wir  müssen  hier  nebenbei  bemerken,  dass  das 
Recht  der  Marea  sich  von  dem  der  Bogos  in  Bezug  auf  die 
Procedur  insofern  unterscheidet,  dass  die  Frau  in  keinem  Falle 
Zeugniss  ablegen  kann,  was  freilich  die  Bogos  im  Princip 
auch  sagen;  ferner  steht  dem  Kläger  der  Zeugenbeweis,  dem 
Beklagten  der  Entlastungseid  zu,  obgleich  dieös  wohl  erst 
dem  mohammedanischen  Recht  entlehnt  ist,  während  das  alte 
Recht  dem  Kläger  auch  den  Eidbeweis  gestattet.  Die  jetzt 
gewöhnlichste  Eidform  ist  das  Berühren  des  Koran,  während 
früher  das  Grabüberschreiten  üblich  war. 

Der  Shum  hat  nun  ein  bestimmtes  Einkommen  von  dem 
Stamme  und  zwar  erhält  der  Shum  der  schwarzen  Marea  am 
Tage  seines  Amtsantrittes  von  jeder  Heerde  des  Stammes  eine 
Kuh  als  Abgabe,  zu  welcher  die  Adelichen  ebenso  gut  beitra- 
gen, wie  die  Gemeinen. 

Femer   entrichtet   bei  den  schwarzen  Marea  jede  Cultur- 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  235 

ebene  an  den  Shum  einen  jährlichen  Bodenzins  von  sieben 
Gabeta  Getreide  (was  einer  grossen  Ochsenlast  gleichkommt). 
Unter  Culturebene  verstehen  wir  jede  grössere,  von  Wald  oder 
Schlucht  abgegrenzte  bebaute  Fläche,  wie  z.  B.  Abligo,  Erota, 
Kelbetü  u.  s.  w. ;  man  zählt  deren  etwa  zwanzig. 

In  allen  Fällen,  wo  die  Gemeinen  ihren  Herrn  unterstüz- 
zen  müssen,  bei  dem  Reggaz  (Todtenfeier),  dem  Metlo  (Aus- 
steuer) und  Majbetot  (Armenunterstützung),  nimmt  der  Shimi 
bei  den  schwarzen,  der  Häuptling  bei  den  rothen  Marea  den 
vollen  Zehnten  (von  zehn  Kühen  eine)  für  sich  selbst. 

Bei  den  Marea  ist  überdiess  Gesetz,  dass  der  Tigre  oder 
Unterworfene  die  gleiche  Abgabe,  die  er  seinem  Herrn  zu  ent- 
richten hat,  zum  zweiten  Mal  auch  an  den  Shum  oder  bei 
den  rothen  an  den  Häuptling  des  Stammes  zahlt,  wer  auch 
speciell  sein  Herr  sein  möge. 

Bevor  wir  nun  die  Stellung  der  Tigre  untersuchen,  müssen 
wir  die  Zusammengehörigkeit  des  Adels  kurz  näher  bestimmen. 
Wir  haben  also  rothe  und  schwarze  Marea,  beide  selbstständig 
für  sich.  Die  rothen  Marea  stehen  nun  in  der  gesammten 
Rechtsverantwortlichkeit  (Terq)  zusammen,  sowohl  was  Blut, 
Leichenfeier,  Armenunterstützung  als  Aussteuer  betrifft;  bei 
den  schwarzen  Marea  dagegen  stehen  die  drei  Hauptstämme 
nur  in  Blutsachen,  Armenunterstützung  und  Leichenfeier  alle 
zusammen;  in  der  Aussteuer  handelt  jeder  Stamm  unabhängig 
für  sich. 

Die  Stellung  des  Tigre  oder  Hömeg  (Geringe,  Gemeine), 
-wie  man  den  Nicht -Marea  nennt,  ist  im  Gegensatz  zu  allen 
uns  bekannten  ähnlichen  Verhältnissen  auffallend  gedrückt 
und  so  zu  sagen  rechtlos.  Noch  viel  rücksichtsloser  haben 
die  Marea  sie  geordnet,  als  die  immerhin  sehr  energischen 
Beni  Amer,  da  im  Barka  die  Religion  wenigstens  vor  der 
Leibeigenschaft  schützt,  während  bei  den  Marea  der  Tigre 
seiner  Freiheit  nie  sicher  ist.  Es  ist  nicht  nur  die  Grösse 
der  Abgaben,  die  auffallt,  sondern  die  doppelte  Abhängigkeit 


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236  Reise  in's  Land  der  Marea. 

des  Tigre,  zuerst  von  seinem  eigentlichen  Hen*n  und  dann  von 
jedem  Adelichen  des  ganzen  Stammes. 

Ein  Abkömmling  von  Manu,  ein  sogenannter  Weld  Shum 
(Sohn  des  Shum),  so  nennt  sich  hier  der  Shmagilli,  so  arm  und 
schwach  und  verächtlich  er  auch  werden  möge,  verliert  doch 
nie  den  Namen  und  die  bedeutenden  Vorrechte,  die  damit 
verbunden  sind.  So  herabgekommen  er  auch  sein  mag,  er 
wird  immer  als  ein  freier  unabhängiger  Mann  behandelt;  er 
hat  nie  nöthig,  dem  Schutz  eines  reicheren  oder  mächtigeren 
Verwandten  sich  zu  empfehlen  oder  gar  sich  ihm  zu  unter- 
werfen. Wir  haben  bei  den  Bogos  gesehen,  wie  der  Tigre  in 
der  Wahrheit  besser  daran  ist,  als  der  schwache  Shmagilli, 
da  der  letztere  von  seinen  mächtigen  Verwandten  so  viel  wie 
möglich  unterdrückt  wird,  während  es  ihr  wahres  Interesse 
ist,  ihre  Schutzbefohlenen  Tigre  so  gut  wie  möglich  an  Leib 
und  Gut  zu  hüten.  Wir  haben  bei  den  Bogos  die  sogenannten 
dünnen  Adelichen  kennen  gelernt  (die  Kadsin),  die  nicht  Re- 
gimentsfähigen, die  sich  sogar  in  die  Clientel  des  grossen 
Adels  begeben  und  trotzdem  nie  aufrichtig  beschützt  werden; 
sie  verstehen  sich  sogar  dazu,  zu  melken  und  so  ihr  Adels- 
symbol aufzugeben,  während  der  elendeste  Marea  nie  sich  zu 
dieser  Handlung  bequemen  wird,  die  ihn  zum  Tigre  herab- 
würdigt. Ferner  ist  der  Weld  Shum  auf  ewige  Zeiten  frei, 
was  auch  sein  Betragen  sein  möge,  er  kann  keinem  andern 
Mann  leibeigen  werden;  sein  Adel  ist  unzerstörbar.  Ganz  im 
(iegentheil  ist  bei  den  Bogoe  der  Adeliche  ebensowohl  dem 
Verlust  der  Freiheit  ausgesetzt,  wie  der  Gemeine:  der  Adel 
hat  eben  nicht  mehr  Einheit  und  Zusammenhang  genug,  um 
auch  den  schwächeren  Gliedern  die  angebornen  Vorrechte  zu 
sichern;  die  Oligarchie  unterdrückt  die  Aristokratie.  Bei  den 
Marea  ist  ferner  das  Strafgesetz  ein  ganz  anderes,  je  nachdem 
es  einen  Vornehmen  betrifft  oder  aber  einen  Gemeinen.  Die 
Abgaben  sind  folgende: 

Der  Tigre  liefert  seinem  Herrn  jährlich  eine  Mäthäne 
Schmalz  (etwa  8  Flaschen  voll)  und  eine  Gabeta  Getreide;  er 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  237 

bringt  ihm  jede  Woche  einen  Schlauch  voll  Milch  in's  Haus. 
Jeder  von  ihm  gemachte  Fund  gehört  seinem  Herrn;  ebenso 
das  Fleisch  der  Kuh,  die  crepirt  oder  lahm  geworden  ist. 
Von  jeder  Kuh,  die  der  Tigre  schlachtet,  bringt  er  dem  Herrn 
die  Zunge  und  das  Brustfleisch.  Diesem  gehört  ferner  jede 
unfruchtbare  Kuh  seines  Tigr6;  ferner  aller  von  ihm  gefun- 
dener Honig.  Ist  der  Herr  krank,  so  bringen  ihm  seine  Tigre 
Milch  und  Fleisch  als  Arznei;  ist  der  Kranke  der  Shum,  so 
pflegen  ihn  die  Tigre  des  ganzen  Stammes  auf  dieselbe  Weise. 
Der  Tigre  und  seine  Familie  haben  nicht  das  Recht,  goldene 
oder  silberne  Armbänder  zu  tragen;  die  Tochter  eines  Vor- 
nehmen mrd  nie  einem  Tigre  zur  Frau  gegeben,  es  ist  eine 
Ausnahme,  wenn  ein  Vornehmer  die  Tochter  eines  Tigre 
heirathet. 

So  weit  die  Pflichten  des  Tigre  seinem  Herrn  gegenüber, 
nun  hat  er  aber  viel  bedeutendere  gegenüber  dem  ganzen 
Stamm  und  zwar  vorerst  bei  dem  Reggaz. 

Stirbt  ein  Adelicher,  gleichviel  von  welcher  Linie,  so  sind 
die  Tigre  des  ganzen  Stammes,  zu  dem  er  gehört,  verpflichtet, 
jeder  erwachsene  Mann  eine  Kuh  der  Familie  des  Verstor- 
benen als  Todtenopfer  zu  bringen.  Ist  der  Verstorbene  ein 
rother  Marea,  so  ist  jeder  Tigre  dieses  Stammes  zu  dieser 
Steuer  verpflichtet.  Was  nun  bei  der  Leichenfeier  die  adelichen 
Verwandten  an's  Grab  bringen,  wird  geschlachtet  und  verzehrt; 
was  aber  die  Tigre  bringen,  fällt  an  die  Erben  des  Hinge- 
schiedenen. Dieses  Recht  des  Todten  auf  den  Lebenden  hat 
jeder  Weld  Shum,  so  arm  und  verlassen  er  auch  sein  Leben 
zugebracht  hat.  Von  dieser  Abgabe  nimmt  der  Shum  oder 
der  Häuptling  zehn  Kühe  für  sich.  Oft  geschieht  es,  dass 
der  Tigre  zu  arm  ist,  eine  rechte  Kuh  zu  liefern,  dann  kauft 
er  eine  alte  Kuh  um  einen  geringen  Preis  und  lässt  sie  sich 
nicht  bis  zimi  Grabe  schleppen,  sondern  schlachtet  sie  und 
bringt  das  Fleisch  zxir  Todtenfeier.  Es  kommt  oft  vor,  dass 
ein  Vornehmer  in  Geldnoth  von  seinem  Tigre  Geld  entlehnt 
mit  der  Aussicht  auf  den  Tod  eines  Verwandten. 


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238  Reise  in^s  Land  der  Marea. 

Stirbt  aber  ein  Tigre,  so  opfern  seine  Verwandten  an  seinem 
Grabe  so  viel  Kühe  sie  wollen;  sein  Herr  ist  verpflichtet,  eine 
einzige  Kuh  am  Grabe  zu  schlachten. 

Verliert  ein  Adelicher  sein  Vermögen  durch  Krieg,  so 
wendet  er  sich  an  den  Shum  oder  bei  den  rothen  an  den 
Häuptling  und  dieser  lässt  ihm  von  jeder  Heerde  des  Stammes, 
ob  sie  einem  Vornehmen  oder  einem  Tigre  gehöre,  eine  Kuh 
entrichten;  der  Shum  oder  Häuptling  nimmt  von  dieser  Aus- 
hebung auch  zehn  Kühe  für  sich. 

Will  ein  Adelicher  seinen  Sohn  oder  seine  Tochter  aus- 
steuern, so  gibt  er  dem  Shum  oder  dem  Häuptling  Kunde 
davon  und  dieser  versammelt  an  einem  bestinunten  Tage  alle 
Tigre  des  Stammes  und  erhebt  je  nach  dem  Betrage  der  Hei- 
rathsgaben  eine  Steuer  zu  Gunsten  des  Adelichen  und  nimmt 
überdiess  noch  für  sich  selbst  wieder  zehn  Kühe.  Freilich 
halten  hierin  nur  die  rothen  Marea  zusammen,  während  bei 
den  schwarzen  Marea  die  Heirath  nicht  als  Sache  des  ganzen 
Stammes  betrachtet  wird  und  so  jeder  der  drei  Zweige  für 
sich  steht. 

So  hat  bei  den  Marea  jeder  Weld  Shum  wohl  seine  eigenen 
Tigre,  aber  wir  haben  gesehen,  dass  diese  in  den  wichtigsten 
Angelegenheiten  als  Gemeingut  des  Stammes  behandelt  und 
besteuert  werden.  Im  Uebrigen  unterstützt  der  Tigre  seinen 
Herrn  auch  in  der  Bezahlung  des  Blutgeldes;  der  Herr  nimmt 
ihn  in  jeder  Noth  in  Anspruch,  er  entlehnt  von  ihm  Geld, 
er  bestiehlt  ihn,  er  nimmt  ihm  fettes  Schlachtvieh  von  der 
Heerde  weg;  der  Tigre  darf  sich  nicht  beklagen.  Weh  ihm, 
wenn  er  die  geringste  seiner  Pflichten  versäumt;  er  wird  vor- 
erst zum  Dade  (unveräusserlich)  erklärt  und  dann  zum  Leib- 
eigenen. Das  Gesetz  ist  besonders  gegen  den  Unterschlag 
gefundenen  Gutes  streng;  doch  häiigt  natürlich  alles  vom 
Charakter  des  Herrn  ab.  Uebrigens  erleichtert  das  Gesetz 
den  Austritt  aus  dem  Dienstverband.  Ist  der  Tigre  mit  seinem 
Herrn  unzufirieden,  so  verlangt  er  von  ihm,  einem  neuen  Herrn 
überwiesen  zu  werden ;  der  Herr  hat  das  Recht,  sich  von  ihm 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  239 

alle  nicht  gelieferten  Gebühren  bezahlen  zu  lassen;  den  Aus- 
tritt darf  er  ihm  nicht  verwehren,  die  Sitte  des  Landes  will 
es  so  und  im  Nothfall  zwingt  ihn  dazu  der  Shum. 

Es  ist  keine  Frage,  dass  alle  diese  Gesetze  schon  durch 
ihre  Mannigfaltigkeit  den  Tigre  in  die  beständige  Gefahr 
bringen,  leibeigen  zu  werden.  Seine  Lage  hat  viel  Aehnlich- 
keit  mit  der  des  Tigre  von  Mensa;  doch  während  dieser  viel 
weniger  Pflichten  hat,  ist  er  auf  der  andern  Seite  in  viel 
schlimmerer  Lage;  denn  wenn  in  Mensa  ein  Vornehmer  Geld 
nöthig  hat,  so  tritt  er  seine  Unterthanen  gegen  einen  Preis 
an  einen  andern  Vornehmen  ab;  der  Tigre  wird  also  verkauft, 
ohne  gerade  leibeigen  zu  sein.  So  weit  treiben  die  Marea  den 
Begriff  von  Eigenthum  nicht.  Es  versteht  sich  von  selbst, 
dass  alles  bei  den  Bogos  über  den  Ursprung  der  Leibeigen- 
schaft Gesagte  hier  seine  volle  Anwendung  findet;  sie  gründet 
sich  meist  auf  Rechtsmissbrauch.  Auch  hier  unterscheidet 
man  zwischen  neuen  und  geerbten  Sklaven.  Der  erstere,  von 
freien  Eltern  abstammend,  hat  das  Recht,  sich  zu  befreien, 
indem  er  seine  ganze  Habe  seinem  Herrn  überlässt;  der  letztere 
aber,  der  von  Sklaven  Erzeugte,  kann  auf  keine  Weise  wieder 
frei  werden;  er  gehört  zur  Kaste. 

Noch  ist  ein  Wort  über  die  Leute  von  Dokono  zu  sagen, 
die,  seit  ihre  Vaterstadt  von  den  Türken  verbrannt  und  aller 
Vorrechte  beraubt  wurde,  als  Handelsleute  die  Länder  zwi- 
schen Nil  und  Meer  besuchen  und  sich  auch  bei  den  Marea 
in  grosser  Zahl  niedergelassen  haben.  In  dem  Marealand 
finden  sich  etwa  80  Dokono  häuslich  niedergelassen.  Sie  sind 
freilich  auch  nicht  Marea,  sie  müssen  sich  einen  Schutzherm 
wählen  und  ihm  eine  Abgabe  entrichten;  aber  sie  sind  ge- 
achtet und  beliebt  und  kein  Marea  schämt  sich,  einem  von 
ihnen  seine  Tochter  zur  Frau  zu  geben.  So  sind  alle  diese 
Dokono  mit  Töchtern  des  Adels  verheirathet,  von  denen  sie 
Kinder  haben,  die  ein  Mittelding  zwischen  Vornehm  und 
Gering  bilden.  Diese  Dokono  haben  im  Land  ihre  Heerden 
und  Felder  und  treiben  nebenbei  Handel.    Ich  werde  ihnen 


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240  Beise  in's  Land  der  Marea. 

für  ihre  freundliche  AufDahme  und  für  die  Gefälligkeit,  wo- 
mit sie  mir  über  das  Land  Au&chlüsse  gaben  ^  immer  dank- 
bar sein. 

Aus  dem  bisher  Gesagten  ergibt  sich  eine  ziemlich  beson- 
dere Entwickelung  des  Eherechtes,  wo  also  die  Stände  streng 
geschieden  sind  und  nur  ebenbürtige  Ehen  geschlossen  werden. 
Die  Heirathsbedingungen  sind  im  Ganzen  wie  bei  den  Bogos, 
nur  ist  der  Nackenpreis  viel  bedeutender;  er  besteht  aus 
einem  goldenen  Nasenring,  2  silbernen  Armringen,  einer  Eselin, 
5  Kühen,  einer  Kameellast  Durra,  4  Kühen  (als  Preis  des 
üblichen  Teppichs)  und  9  Kühen  (an  der  Stelle  von  2  Ka- 
meelen.) Wir  führen  diese  Gegenstände,  womit  der  Heirathende 
seine  Frau  erwirbt,  speciell  an,  weil  sie  nicht  zu  dem  gegen- 
wärtigen Zustande  passen.  Die  Marea  haben  keine  Kameele 
und  können  in  ihrem  Hochland  keine  haben;  dieser  Nacken- 
preis (Segad),  der  von  undenklichen  Zeiten  her 
üblich  ist,  deutet  auf  ein  nomadisches  Yolk,  das 
Kameele  besitzt  und  weist  bestimmt  auf  den  von  der 
Tradition  beanspruchten  arabischen  Ursprung  hin. 

Das  Metlo  ist  willkürlich;  hat  der  Bräutigam  bei  der  Ver- 
lobung z.  B.  1  Thaler  entrichtet,  so  bekommt  er  bei  der  Hei- 
rath  vom  Vater  der  Braut  das  Doppelte,  also  eine  Kuh.  Für 
eine  Wittwe  wird  nur  der  Nackenpreis  entrichtet.  Der  Betrag 
des  Metlo  wird  alleiniges  Eigenthum  des  Bräutigams.  Der 
Vater  der  Braut  theilt  das  erhaltene  Metlo  mit  seiner  engem 
Familie,  die  ihn  dann  bei  der  verdoppelten  Rückerstattung 
unterstützt;  der  Nackenpreis  fällt  ihm  allein  anheim.  Wir 
müssen  zum  Verständniss  dieser  Verhältnisse  wieder  erinnern, 
dass  wir  uns  auf  die  im  Recht  der  Bogos  entwickelten  Grund- 
sätze beziehen,  die  auch  hier  im  Allgemeinen  geltend  si^d. 

Der  Nackenpreis  einer  Tigrait  (Tochter  eines  Tigre)  ist 
nur  Eine  Kuh;  das  Metlo  ist  auch  hier  nach  Vermögen  und 
Lust  willkürlich. 

Die  Stellung  der  Frau  ist  von  der  bei  den  Bogos  wenig 
verschieden;  sie  kann  nicht   zeugen   und   nicht  bürgen   woA 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  241 

auch  nicht  erben;  doch  fängt  man  bei  den  schwarzen  Marea 
an,  nach  mohanunedanischem  Kecht  auch  die  Töchter  zur 
Erbschaft  zuzulassen.  Kommt  die  Frau  zum  ersten  Male 
nieder,  so  ist  ihre  Familie  verpflichtet,  ihrem  Gemahl  zehn 
Kühe  zu  schenken,  die  dessen  Privateigenthum  werden.  Bei 
allfälliger  Scheidung  nimmt  die  Frau  nur  ihr  Hausgeräth, 
ihren  Schmuck  uivl  was  bewiesenermassen  ihr  Eigenthum  ist, 
für  sich;  auf  das  sonstige  Eigenthum  hat  sie  keine  Ansprüche. 
Können  sich  Mann  und  Frau  nicht  vertragen,  so  wird  ihnen 
vom  Familienrath  ein  Probejahr  gegeben,  nach  welchem  erst 
sie  förmlich  geschieden  werden  können.  Die  unzufriedene 
Frau  darf,  wenn  sie  eine  Adeliche  ist,  nicht  eigenmächtig 
ihren  Mann  verlassen;  es  verstösst  diess  gegen  die  Sitte  des 
Landes.  Dagegen  flüchtet  sich  die  Tigrait,  die  sich  mit  ihrem 
Mann  unglücklich  fühlt,  aus  seinem  Haus,  sie  muss  aber  fortan 
im  Ausland  leben.  Die  Wittwe,  wie  die  geschiedene  Frau 
wartet  ein  volles  Jahr,  bis  sie  sich  vrieder  verheirathen  darf. 
In  allen  diesen  Beziehungen  stinmien  die  Marea  mit  den  Bogos 
und  allen  andern  Nachbarn  überein ;  die  gleiche  Arbeitsscheu, 
Kleid,  Schmuck,  Haartracht,  Rauchbad,  Vorhang  u.  s.  w. 
finden  wir  auch  hier.  Dagegen  fallen  die  altchristlichen  oder 
jüdischen  Ehehindemisse  immer  mehr  weg;  bei  den  schwarzen 
Marea  ist  sogar  die  Heirath  zwischen  Geschwisterkindern  üblich 
geworden. 

Das  Erbrecht  stimmte  bis  jetzt  ganz  mit  dem  der  Bogos 
überein;  die  Bevorzugung  der  Erstgebornen  ist  die  nothwen- 
dige  Beigabe  einer  aristokratischen  Verfassung.  Der  Islam 
aber,  dessen  Principien  demokratisch  sind,  der  bekanntlich 
alle  Kinder  gleichstellt  und  sogar  die  Töchter  nicht  ausschliesst, 
hat  schon  angefangen,  sich  bei  den  Marea  einzunisten  und 
das  alte  Volksrecht  der  neuen  Religion  anzupassen.  Den  Tigr6 
beerben  natürlich  seine  Verwandten ;  steht  er  allein,  sein  Herr. 

Was  den  Bodenbesitz  betriff't,  so  sehen  wir  bei  den  schwar- 
zen Marea  das  Land  meist  in  den  Händen  der  siebzehn  Ti- 
grefamilien,  die   mit  Mariu   gekommen    waren;   wir   glauben 

Monstnger,  OnUfrik.  Studien.  Iß 


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242  Reise  in's  Land  der  Marea. 

nur  halb  der  Versicherung,  Mariu  selbst  habe  das  Land  seinen 
Unterthanen  ausgetheilt  Im  Gegentheil  scheint  der  Boden- 
besitz auf  den  Ureinwohner  hinzudeuten.  Bei  den  rothen  Marea, 
die  evident  in  das  fast  öde  daliegende  Geridsa  als  Stamm 
einrückten,  haben  die  Vornehmen  wenigstens  nicht  den  glei- 
chen Edelmuth  bewiesen,  indem  sie  sich  das  meiste  Land  vor- 
behielten. Erwähnenswerth  ist,  dass  neben,  den  Tigre  die  ver- 
kümmerten Zweige  der  Marea,  die  jetzt  wenig  mehr  zu 
regieren  haben,  die  grössten  Landbesitzer  sind,  was  beweist, 
dass  nicht  die  herrschenden  Geschlechter  die  efstgebomen 
Söhne  Marinas  sind.  Dieser  herabgekommene  Adel  nährt  sich 
jetzt  hauptsächlich  von  den  Zinsen  seiner  Grundstücke.  —  Der 
Lohnbauer  erhält  von  seinem  Herrn  ausser  der  Nahrung  ein 
Drittel  der  Emdte.  Der  Bodenzins  regelt  sich  nach  den  je- 
weiligen Bedürfnissen.  Ueber  sonstige  Verträge  ist  nichts  zu 
bemerken,  da  das  Sachenrecht  sich  in  nichts  von  dem  der 
Bogos  unterscheidet. 

Wenn  wir  nun  endlich  von  der  Verletzung  der  Person  und 
der  Sache  reden  müssen,  so  fällt  uns  wieder  die  ungeheure 
Bevorzugung  des  Adels  gegenüber  den  Gemeinen  auf.  Fangen 
vdr  mit  dem  Blutrecht  an.  Allgemeines  Princip  ist  freilich 
Blut  für  Blut;  doch  erleidet  es  bedeutende  Ausnahmen.  Tödtet 
ein  Adelicher  einen  Ebenbürtigen,  so  wird  ihn  dessen  Familie 
nach  Zeit  und  Gelegenheit  rächen;  sonderbarerweise  mischt 
sich  der  Shum  nicht  in  die  Sache;  von  Blutgericht  ist  keine 
Rede.  Selten  verständigen  sich  die  verletzten  Familien  zu 
Annahme  des  Blutpreises,  der  nicht  weniger  als  800  Kühe 
beträgt.  So  hoch  schätzen  die  Marea  ihr  edles  Blut.  Sollte 
aber  der  Friede  wirklich  um  diesen  Preis  zu  Stande  kommen, 
so  hilft  die  ganze  Familie  bis  auf  sieben  Grade  (also  die  rothen 
für  sich  und  ebenso  die  schwarzen)  ihrem  schuldigen  Bruder 
bei  der  Entrichtung  des  Blutpreises,  der  auf  alle  Männer 
gleichmässig  berechnet  wird,  und  ebenso  vertheilt  die  Familie 
des  Todten  den  erhaltenen  Blutpreis  unter  den  ganzen  Stamm, 
natürlich  mit  Bevorzugung  der  engem  Familie.    Da  nun  die 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  243 

Parteien  meifit  alle  Blutsverwandte  sind,  so  sind  Geber  und 
Empfänger  oft  die  gleichen  und  die  Entrichtung  des  Blut- 
geldes nur  nominell. 

Der  Blutpreis  eines  Tigre  ist  150  Kühe.  Tödtet  nun  ein 
Adelicher  einen  Tigre,  so  rächt  sich  dessen  Herr  dadurch, 
dass  er  einen  beliebigen  Tigre  dieses  Adelichen  ermordet;  die 
Familie  des  Getödteten  darf  natürlich  nie  daran  denken,  sich 
an  einem  Adelichen  zu  vergreifen.  Hat  ein  Tigre  das  Unglück, 
einen  Adelichen  zu  tödten,  so  wird  er  selbst  hingerichtet  und 
seine  engere  Familie  geht  als  Dade  (d.  h.  als  unveräusserliche 
ünterthanen)  an  die  Familie  des  Getödteten  über,  die  auch 
ihr  gesammtes  Vermögen  confiscirt.  In  diesem  Fall  aber 
geschieht  es  gewöhnlich,  dass  der  Herr  dieser  Familie,  der 
sie  nicht  im  Stich  lassen  will,  sie  auf  eigene  Faust  in's  Aus- 
land, z.  B.  zu  den  Takue  geleitet  und  so  die  Blutsverant- 
wortlichkeit auf  sich  selber  nimmt. 

Eigenthümlich  ist  die  Behandlung  der  Schwängerung  als 
Blutverbrechen.  Die  Jungfrau  oder  Wittwe  oder  ledige  Frau, 
die  ausserehelich  empfängt,  wird  von  ihrem  eigenen  Vater 
oder  Bruder  durch  den  Strang  zum  Tode  gebracht  und  ebenso 
der  Schwängerer;  das  Kind  aber  wird  erstickt.  Dieses  Gesetz 
wird  bei  beiden  Klassen  gleich  streng  gehandhabt.  Eine  Aus- 
nahme wird  gemacht,  wenn  der  Schwängerer  ein  Adelicher, 
die  Frau  aber  eine  Tigrait  ist;  dann  werden  beide  begnadigt; 
der  Bastard  aber  wird  nie  geduldet.  Ist  die  Schwangere  über- 
diess  verlobt,  so  rächt  sich  ihr  Verlobter  an  ihrem  Vater. 
Das  Recht  ist  um  so  unbarmherziger,  je  edler  sich  die  be- 
fleckte Familie  wähnt;  das  Motiv  ist  nicht  Tugendstolz,  sondern 
Adelsübermuth.  Von  Ausnahmen  habe  ich  nie  gehört.  Ein 
ähnliches  Gesetz  haben  auch  die  Beni  Amer  im  Barka;  es 
erinnert  lebhaft  an  den  hohen  arabischen  Begriff  von  Jung- 
frauenehre. 

Der  Adeliche,  der  gestohlen  hat,  wird  zu  einfacher  Rück- 
erstattung angehalten,  ohne  Busse  oder  Strafe.  Bestiehlt  ein 
Tigre  den  andern,   so  wird  sein  ganzes  Vermögen  von  dem 

16* 


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244  Reisd  in's  Land  der  Marea. 

Herrn  des  letztem  confiscirt  Wagt  er  aber,  das  Eigenthum 
eines  Adeliohen  anzugreifen,  so  geht  er  als  Dade  und  oft  sogar 
als  Leibeigener  an -diesen  letztern  über,  der  auch  sein  Ver- 
mögen einziehen  kann.  Hat  er  aber  im  Dienst  und  Gefolge 
eines  Adelichen  den  Raub  begangen,  so  fällt  natürlich  alle 
Verantwortlichkeit  auf  diesen  letztem.  Verwundet  der  Tigre 
einen  Tigr^,  so  zahlt  er  ihm  eine  Entschädigung;  ich  kenne 
ein  Beispiel  von  sieben  Kühen,  die  als  Medicin  galten.  Von  Ver- 
wundung Ton  Adelichen  untereinander  kenne  ich  keinen  neuern 
Fall.  Verwundet  aber  der  Tigre  einen  Adelichen,  so  muss  er 
ihm  all  sein  Hab  und  Gut  überlassen  und  wird  sein  Sklave. 

Während  also  der  Tigre  beim  geringsten  Zufall  seine  Frei- 
heit verlieren  kann,  so  steht  der  Adeliche  ganz  über  jeder 
Strafe;  stiehlt  er,  so  kann  er  von  seinem  Ebenbürtigen  auch 
bestohlen,  tödtet  er,  so  kann  er  getödtet  werden.  Aber  er 
darf  nie  zur  Verantwortung  gezogen  oder  gefangen  genommen 
werden;  er  kann,  sei  er  stark  oder  schwach,  nie  seiner  Frei- 
heit beraubt  oder  im  Vollgenuss  seiner  Privilegien  geschmälert 
werden.  So  kann  er  sich  immer  in  Wahrheit  adelich  und 
Weld  Shum  nennen.  Gegen  diese  allmächtige  Aristokratie, 
die  Einer  Wurzel  entsprossen  ist,  wo  die  vielen  Zweige  doch 
auf  den  Einen  Stanmi  deuten  und  von  ihm  leben,  können  die 
Tigre,  die  einer  Menge  verschiedener  Stämme  angehören,  sich 
nimmer  wehren;  die  einzige  Rettung  des  Bedrückten  ist,  sich 
durch  Auswanderung,  bei  den  Takue  oder  den  Beni  Amer'n 
z.  B.,  eine  mildere  Botmässigkeit  zu  suchen.  Trotz  dieser 
Erniedrigung  aber',  der  nur  der  Name  fehlt,  um  Leibeigen- 
schaft zu  sein,  muss  man  sich  nicht  vorstellen,  die  Tigre 
fühlten  sich  gedemüthigt;  auch  sie  zählen  ihre  Vorfahren  auf 
und  ihre  Verwandtschaft  und  wähnen  sich  ein  Adel  zweiter 
Klasse  zu  sein.  Niemand  bildet  sich  ein,  dass  es  anders  sein 
könnte. 

Was  den  europäischen  Beobachter  bei  diesen  Zuständen 
empört,  ist  keineswegs  die  niedrige  Stellung  des  Tigre;  sie 
muss  auch  in  seinem  Charakter  gewissermassen  gerechtfertigt 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  245 

sein,  sondern  die  Leichtigkeit,  womit  der  freie  Mann  zum 
Dade  und  Leibeigenen  umgewandelt  wird,  eine  Strafe,  die 
nicht  nur  den  Schuldigen  triflft,  sondern  sein  ganzes  Fera, 
d.  h.  seine  Familie  auf  zwei  Grade  hinaus.  Die  verabscheuungs- 
würdige  Gewissenlosigkeit,  womit  man  den  Freien  wegen 
wahrer  oder  eingebildeter  Vergehen,  Beleidigung,  Schulden 
knechtet,  ist  nicht  den  Marea  eigenthümlich;  alle  nördlichen 
GrenzTÖlker  Abyssiniens:  die  Mensa,  Bedjuk,  Habab,  Bogos 
und  Takue,  halten  mit  demselben  Princip  ihre  Unterthanen  in 
Respect;  ihr  Strafrecht  läuft  immer  auf  Verlust  der  Freiheit 
hinaus.  Alle  ihre  Leibeigenen  stammen  von  dieser  unlautem 
Quelle;  selten  haben  diese  Herren  nöthig  gehabt,  sich  auf  den 
Sklavenmärkten  mit  Kindern  der  Galla  oder  Negern  zu  ver- 
sehen ;  mühelos  finden  sie  wohlfeile  Sklaven  im  eigenen  Land, 
von  derselben  Farbe,  oft  vom  eigenen  Blut.  Der  Schuldner 
setzt  seine  Freiheit  ein;  ja  es  braucht  sich  der  Arme  nur 
kurze  Zeit  von  dem  Reichen  ernähren  zu  lassen,  um  seiner 
Freiheit  für  ewig  verlustig  zu  gehen.  Die  Az  Tekles,  ein 
Zweig  der  Habab,  sind  besonders  durch  ihre  Gewissenlosigkeit 
in  dieser  Hinsicht  berüchtigt;  es  gibt  da  Leute,  Landeskinder, 
die  wegen  eines  Stück  Brod  ihre  Freiheit  verloren  haben. 
Freilich  wird  der  ungerechte  Ursprung  dieser  Leibeigenschaft 
dadurch  charakterisirt,  dass  bei  allen  diesen  Völkern  der 
Sklave  lebt  wie  und  wo  er  will.  Ebenso  allgemein  ist  bei 
allen  der  Verkauf  der  Kinder  durch  die  eigenen  Eltern ;  nicht 
dass  es  an  Liebe  fehlte,  wo  es  Mütter  gibt,  aber  die  Freiheit 
des  Unterthanen  scheint  so  precär,  dass  manchem  ein  Stück 
Brod  lieber  ist.  Das  mohammedanische  Recht,  das  jeden  frei- 
gebomen  Muslim  von  Gotteswegen  für  ewig  frei  erklärt,  ist 
bei  diesen  neubekehrten  Völkern  noch  nicht  zur  Anwendung 
gekommen.  Seine  Ermahnung,  dem  Sklaven  Gott  zu  lieb  die 
Freiheit  zu  schenken,  wird  hier  nicht  berücksichtigt.  Die 
wahren  alten  Mohammedaner  haben  Sklaven,  aber  gekaufte; 
der  Sklave  muss  arbeiten,  aber  er  hat  HoflFnung  auf  Befreiung ; 
der  Kinderverkauf  wird  streng  bestraft;  der  Sklave,  der  sich 


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246  Reise  in's  Land  der  Marea. 

als  freigeboren  ausweisen  kann,  wird  befreit;  wegen  Ver- 
brechen kann  niemand  die  Freiheit  verlieren.  Dieselben  Grund- 
sätze sind  auch  dem  christlichen  Abyssinien  eigen;  man  kann. 
also  nicht  sagen,  der  Islam  sei  hierin  dem  Christenthum  an 
Humanität  überlegen,  sondern  die  angestellten  Grundsätze 
beruhen  auf  einer  hohem  Selbstachtung,  die  jedem  Monotheis- 
mus eigen  ist. 

Wir  wollen  unsere  Darstellung  mit  einigen  allgemeinen 
Betrachtungen  schliessen.  Trotz  der  Autorität  des  Shum,  der 
eben  kein  Strafrecht  besitzt,  sind  die  Marea,  wie  alle 
die  genannten  rechtsverwandten  Völker,  reich  an  innerem 
Zwist  (Gedebo).  Das  adeliche  Kind  wird  zum  Stolz  erzogen; 
je  übermüthiger  es  wird,  um  so  mehr  freut  sich  der  Vater 
des  künftigen  Helden;  der  Mangel  an  religiöser  Erziehung  zieht 
die  Sucht  nach  fremdem  Gut  heran,  der  Mangel  an  einem 
wirklichen  Staat  lässt  den  Ehrgeiz  ohne  Schranken.  Die  Viel- 
weiberei bei  den  Häuptlingen  nährt  den  Bruderzwist,  da  sich 
Kinder  von  verschiedenen  Müttern  nie  vertragen  können  und 
den  Bruderhass  schon  mit  der  Muttermilch  einsaugen.  Daher 
sieht  man  das  hässliche  Schauspiel,  dass  Brüder  noch  bei 
Lebzeiten  ihres  Vaters  sich  um  die  Erstgeburt  streiten.  Die 
Bevorzugung  der  jüngsten  Frau  und  ihrer  Kinder  weckt  die 
Eifersucht  der  älteren  Kinder,  deren  Mutter  vernachlässigt 
oder  Verstössen  ist  und  oft  nehmen  sie  im  Gedanken  an  die 
Zukunft  Partei  gegen  den  eigenen  Vater.  So  sahen  wir  bei 
den  rothen  Marea  die  Autorität  des  Häuptlings  Beri,  der  bis- 
her fast  unumschränkt  regiert  hatte,  dadurch  sehr  geschwächt, 
dass  seine  älteren  Söhne,  die  ihre  jüngeren  Brüder  der  Mutter 
wegen  bevorzugt  sahen,  gegen  ihn  auftraten.  Das  ist  ganz 
biblische  Geschichte  von  Isaak  an  bis  auf  Absalom.  Die  Leute 
selbst  beklagen  sich  wohl  über  diesen  Uebelstand;  indem  sie 
aber  viele  Kinder  für  die  erste  Quelle  von  Macht  und  Ehre 
halten,  bedenken  sie  nicht,  dass  die  verschiedenen  Mütter  eine 
Quelle  von  Hass  und  Neid  sind,  welcher  die  Kraft  der  Fa- 
milie ohne  alles  äussere  Zuthun  aufreibt. 


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Beise  in's  Land  der  Marea.  247 

Der  innere  Zwist  besonders  bei  den  schwarzen  Marea,  wo 
die  drei  fast  gleich  starken  Stämme  einander  trotzen,  raubt 
dem  Stammkönig  die  nöthige  Kraft,  während  die  Marea,  einig 
zusammenhaltend,  jedem  Feinde  widerstehen  könnten.  Nach 
der  geographischen  Lage  des  Landes  sollte  man  die  Marea 
für  die  Herren  des  Barka  ansehen,  nicht  umgekehrt;  doch 
liefert  der  übertriebene  Unabhängigkeitssinn,  der  seinem 
Bruder  in  nichts  nachgeben  will,  das  Land  in  die  Hände  der 
Fremden,  besonders  seit  grössere  Monarchien,  die  türkische 
und  abyssinische,  an  den  Grenzen  der  Republik  stehen  und 
keine  Gelegenheit  versäumen,  um  interveniren  zu  können. 

Der  Unabhängigkeitssinn  zeigt  sich  auch  in  der  Zerstreut- 
heit der  Dörfer;  wenn  sie  auch  für  den  Ackerbau  bequemer 
ist,  hat  sie  doch  ihren  wahren  Grund  in  dem  übertriebenen 
Individualismus;  jeder  will  in  seinem  Haus  Herr  und  Fürst 
sein  und  bedenkt  nicht,  dass  die  Nation,  die  nichts  an  das 
Gemeinwesen  abgeben  will ,  zerfallen  muss.  Die  Marea  haben 
mit  ihren  Nachbarn  selten  Krieg  geführt,  dagegen  bekämpfen 
sie  sich  untereinander;  jeder  Tag  bringt  einen  neuen  blutigen 
Hader,  in  Folge  dessen  der  Schwächere  auswandert.  Viel- 
leicht kann  man  noch  froh  sein,  dass  sie  so  zerstreut  leben 
und  jeder  Luft  genug  hat;  das  Zusammenleben  könnte  den 
Streit  nur  heftiger  und  vernichtender  machen.  Die  Takue 
wenigstens  vertragen  sich  viel  besser,  seitdem  sie  das  enge 
Halhal  verlassend  weit  auseinandergerückt  sind.  Eine  Folge 
des  ewigen  Zwistes  ist  auch,  dass  die  Marea,  besonders  die 
rothen,  die  böse  Gewohnheit  haben,  sich  gegenseitig  und  ihre 
Nachbarn  im  Barka  zu  bestehlen;  kommt  die  Strafe,  so  fällt 
der  Schaden  natürlich  auf  die  Tigre;  den  Nutzen  vertheilen 
sich  die  Herren.  ^ 

Schon  der  Blick  auf  die  Karte  zeigt,  dass  die  Marea  vom 
Ausland  ziemlich  isolirt  dastehen:  Abgründe  begrenzen  das 
Land  von  allen  Seiten;  es  ist  daher  kein  Wunder,  dass  sie 
sich  immer  ziemlich  unabhängig  erhalten  konnten.  Der  Tribut 
bedingt  an  und  füi*  sich  noch  keine  Unterwerfung,   solange 


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248  Reise  in's  Land  der  Marea. 

sie  noch  eigenes  Gericht  haben  und  selbst  der  Tribut  ist  noch 
gar  nicht  fest  eingerichtet.  Von  der  Lage  rührt  auch  die 
Unwissenheit  der  Marea,  deren  Geographie  kaum  bis  Eeren 
reicht.  Uebrigens  scheinen  auch  bei  den  Bogos,  deren  Hori- 
zont doch  ein  weiterer  ist,  die  Marea,  Dank  den  Abgrün- 
den und  steilen  Bergen,  ein  sehr  entferntes  Volk,  von  dem 
man  um  so  seltener  Nachrichten  hat,  da  sich  nie  ein  Marea 
bis  nach  Mogareh  wagt.  Dagegen  verkehren  die  rothen  Marea 
mit  den  Habab,*  die  schwarzen  mit  den  Beni  Amer'n,  ihren 
respectiven  Nachbarn.  Die  erstem  verschwägern  sich  deshalb 
meist  mit  den  Habab,  denen  sie  sehr  ähnlich  sehen,  die 
letzteren  mit  Az  Amer  und  Gultane  von  Barka,  denen  sie 
auch  in  mancher  Hinsicht  gleichen.  Da  eine  offene  Strasse 
nach  Halhal  führt,  so  sind  die  rothen  Marea  eher  den  An- 
griffen von  Abyssinien  ausgesetzt;  die.  schwarzen  dagegen 
müssen  sich  die  Freundschaft  der  Beni  Amer  bewahren,  da 
ihre  Heerden  in  dem  Barka  die^  bfesto  Weide  finden.  Die 
Marea  gehen  in  theuren  Zeiten  mit  Eseln  und  Stieren  bis 
Kassala,  um  Getreide  zu  kaufen. 

Die  ausschliessliche  Sprache  des  Landes  ist  das  Tigre,  das 
die  Marea  so  schön  wie  die  Habab  sprechen;  niemand  er- 
innert sich  je  eine  andere  Sprache  gesprochen  zu  haben.  Bei 
den  schwarzen  Marea  ist  auch  das  To'bedauie  wenigen  geläufig; 
auch  das  Tigre  sprechen  sie  etwas  mit  dem  affectirten  Accent 
der  Beni  Amer. 

Die  Frauen  der  Marea  sind  für  diese  Länder  sehr  fi*ucht- 
bar  zu  nennen;  6 — 8  Kinder  sind*  häufig.  Die  Zeugungskraft 
der  Männer  scheint  spät  aufzuhören;  alle  diese  alten  Häupt- 
linge hatten  noch  ganz  kleine  Kinder,  fireilich  von  jungen 
Frautn.  Die  Mädchen  zeichnet  ein  sehr  reicher,  dichter  und 
langer  Haarwuchs  aus.  Vielweiberei  ist  nur  bei  den  Vor- 
nehmsten häufig,  sonst  im  Ganzen  selten.  Im  äusseren  Aus- 
sehen unterscheiden  sich  die  Marea  wenig  von  allen  ihren 
Nachbarn,  den  Habab,  Takue,  Bogos  etc.;  Nuancen  gibt  es 
für  den  Kenner  schon,  aber  sie  lassen  sich  nicht  anatomisiren. 


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Reise  in's  Land  der  Maiea.  249 

Da  wir  das  Volk  der  Marea  auf  Grundlage  und  gewisser- 
massen  in  Fortsetzung  des  über  die  Bogos  Festgestellten  be- 
trachtet haben,  so  wollen  wir  auch  aus  ihrer  geographischen 
Lage  einen  Vergleich  ziehen.  Die  Bogos  sind  durch  die  Natur 
feindlichen  und  freundlichen  Angriffen  sehr  ausgesetzt;  sanft 
aufsteigende  Thäler  verbinden  ihr  Land  mit  dem  Meer  und 
dem  Barka;  so  wird  es  Handelsstrasse  und  dem  Luftzug  des 
Lebens  mehr  ausgesetzt.  Die  Bogos  haben  alle  Gelegenheit, 
an  dem  Handelsverkehr  theilzunehmen ;  das  nachbarliche  Barka 
bietet  ihnen  herrliche  Erndten  und  fehlen  sie,  nahrhafte  wilde 
Früchte.'  Die  Abgeschlossenheit  des  Landes  erhält  die  Marea 
unabhängig,  aber  beraubt  sie  des  freien  Verkehrs.  Eine 
schlechte  Emdte  führt  Hungersnoth  mit  sich,  da  keine  Kameei- 
strasse Proviant  zuführt;  selbst  die  wilden  Früchte  fehlen. 
Die  Freiheit  will  ihre  Opfer  haben. 

Wenn  ich  die  kleine  unscheinbare  Pflanze  mit  dem  Mikro- 
skop bis  auf  ihre  einzelnsten  Theile  untersuche  —  denn  so 
eine  Pflanze  ist  das  kleine  Volk,  das  wir  uns  angesehen  — 
wenn  ich  dabei  auch  den  Leser  ermüde,  der  meinen  Details 
folgen  soll,  so  thue  ich  es  mit  der  Hoffnung,  hier  und  da 
dem  an  sich  todten  Stoff  eine  neue  Seite  des  menschlichen 
Geistes  abzugewinnen  und  wohl  auch  eine  neue  Wahrheit. 


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Rückkehr  nach  Keren. 


Krst  bei  Shell wai  lassen  wir  den  frühem  Weg  links  und 
gehen  auf  dem  sehr  schmalen  Scheitel,  der  links  nach  Kednet, 
rechts  in  ungeheurem  Abgrund  gegen  das  Barka  hinunter- 
sehen lässt,  etwa  zwei  Stunden  weit;  sehr  selten  erweitert  er 
sich  in  eine  hinaustretende  Ebene.  Nach  und  nach  dehnt  er 
sich  aus  und  wir  kommen  in  die  Ebene  Dekinet  an  einem 
Dorf  vorbei.  Vor  uns  haben  wir  einen  von  Osten  nach  Westen 
laufenden  Bergzug,  der  in  sanften  Terrassen  aufsteigt  und  dann 
wieder  sehr  unbedeutend  in  das  offene  Hügelland  von  Ire  ab- 
fällt, wo  wir  in  dem  Weiler  von  Shum  Idjel,  der  aus  einigen 
zwanzig  Hütten  besteht,  absteigen.  Das  Gebirge,  auf  dessen 
westlichem,  gegen  das  Barka  geneigtem  Abfall  Ire  liegt,  hängt 
in  seiner  östlichen  Verlängerung  mit  Rehi  zusammen.  Die 
Wasser  gehen  alle  in  das  zu  unsem  Füssen  sich  ausbreitende 
Barka.  Die  Ebenen  von  Ire  sind  ziemlich  eng  durch  Fels 
und  ^lüfte  unterbrochen,  die  Weiler  hier  und  da  in  die  Felder 
hingestreut.  Debre  Säle  dehnt  sich  im  Süden  vor  uns  aus; 
sein  östliches  Ende  ist  das  Ziel  der  morgigen  Reise.  Wir 
sehen  die  Hügel  von  Afdehob  und  am  En^e  des  Horizontes 
den  über  sein  Plateau  als  Pyramide  sich  erhebenden  Berg  von 
Algeden,  den  die  weit  gezogene  Barkafläche  von  uns  trennt. 


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Beise  in's  Land  der  Marea.  251 

Ich  glaube,  dass  die  warme  Luft  des  Barka,  dem  Ire  zuge- 
wandt ist,  auf  die  Vegetation  bedeutenden  Einfluss  hat,  wie 
die  Nachbarschaft  und  der  Verkehr  auch  die  Menschen  ein- 
ander ähnlicher  gemacht  hat,  besonders  da  Ire  Ton  dem  Ge- 
biet der  rothen  Marea  durch  den  bedeutenden  Gebirgsabfall 
klimatisch  isolirt  ist.  Denn  die  meisten  Bäume  sind  mit  denen 
Ton  Keren  identisch,  über  welchem  Ire  doch  fast  1000  Fuss 
erhaben  sein  muss.  Wir  finden  das  Durra  noch  sehr,  klein, 
da  dieses  Jahr  die  Sonne  gefehlt  hat;  Weizen  kommt  nicht 
mehr  vor.  Da  Shum  Nur  abwesend  ist,  empfängt  uns  sein 
Bruder  Omar  und  die  Söhne  des  yerstorbenen  Shum  Idjel. 
Den  13.  September  brechen  wir  früh  Morgens  auf  und  nehmen 
unmittelbar  hinter  dem  Dorfe  vom  bewohnten  Land  der  Marea 
Abschied.  Wir  gehen  eine  Stunde  lang  über  steinige  Hügel  und 
Abhänge,  dann  steigen  wir,  den  Berg  Mussa  Qerbetu  rechts 
lassend,  in  das  sehr  tiefe  enge  Thal  von  Shashagne  hinab, 
das  in  eine  Ebene  führt,  wo  der  Torrent,  dem  wir  nachge- 
gangen, mit  einem  zweiten  von  Andellet  und  einem  dritten 
von  Melbeb  herkommenden  Strom  sich  vereinigend,  durch  die 
letzten  Vorberge,  die  uns  noch  vom  Barka  trennen,  nach  der 
Ebene  Mareit  durchbricht  Wir  gehen  den  von  Melbeb  kom- 
menden Torrent  hinauf  und  steigen  so,  dem  Hochgebirge  nach 
uns  haltend,  über  den  hohen  Sattel  Asalla  in  das  Thal  von 
Angesha  hinab,  das  Ziel  unseres  Morgenmarsches.  Wir  finden 
uns  so  am  östlichen  Ende  des  Debre  Säle,  an  seiner  Nase, 
wie  das  die  Eingebomen  bezeichnen,  wo  ihn  das  Thal  von 
Angesha  von  dem  Gebiete  der  Marea  trennt.  Wir  haben  links 
die  Höhen  von  Melbeb  und  Tsellema,  rechts  die  äussere  Berg- 
wand gegen  das  Barka,  die  durch  den  Af  Marat,  der  sich 
nach  dem  Barka  durchbricht,  vom  Debre  Säle  getrennt  ist, 
der  hier  quer  in^s  Barka  hinausliegt.  Unser  heutiger  Weg 
war  sehr  beschwerlich,  da  er  von  einem  Sattel  zum  andern 
das  Hochgebirge  umgeht,  ohne  in  die  Tiefe  hinabzusteigen. 
Er  gleicht  einer  Baumverästung:  wir  treffen  ihn  beim  Zweig, 
der  zum  Ast  führt;  wir  verfolgen  ihn  abwärts  bis  wo  er  vom 


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252  Reise  iu's  Ltmd  der  Marc». 

Stamm  ausgeht;  anstatt  aber  nun  den  Stamm  hinabznklimmen, 
gehen  wir  auf  einen  entgegenliegenden  Ast  über  bis  zu  seiner 
Spitze,  um  dann  zu  einem  zweiten  Baum  überzugehen.  Die 
Aeste  smd  die  kleinen  Torrente,  der  Stamm  der  vereinigte 
Strom.  Der  Af  Marat  oder  Strom  von  Angesha  hat  eine 
starke  Strömung,  da  er  seine  Quelle  in  dem  wasserreichen 
Geridsa  hat,  während  die  Zuflüsse  vom  Sattel  von  Asalla  und 
vom  Sattel  von  Angesha  nur  momentan  fliessen,  da  sie  nur 
das  lokale  Abhangswasser  mit  sich  führen.  Wir  sehen  hier  alle 
die  grossen  Bäume  des  Ansefaa,  die  Aie,  Zellazel6  und  Tama- 
rinden; auffallend  ist  eine  kaum  2  Fuss  dicke,  aber  wohl 
40  Fuss  hohe  Adansonie  mit  Wipfel  ohne  Aeste,  da  diesen 
^  Baum  der  kurze  fette  Stamm  mit  naher  Yerästung  charak- 
terisirt. 

Wir  brechen  um  %  3  Uhr  von  hier  auf,  überschreiten  den 
Hauptstrom,  verfolgen  noch  eine  halbe  Stunde  das  Thal  von 
Angesha  aufwärts  bis  zu  einem  Sattel,  der  die  Wasser  von 
Angesha  und  Af  Sabr  trennt  und  zum  Debre  Säle  hinaufführt. 
Vor  diesem  Sattel  biegen  wir  in  das  Querthal  Angesha  Katsin 
ein,  das  zu  einem  zweiten  Sattel  führt,  der  in's  Thal  Hafulei 
hinabführt.  So  haben  wir  das  Gebiet  der  Marea  umgangen 
und  treten  wieder  in  das  Land  der  Takue  ein.  Wir  geben 
ein  anmuthiges,  grünes,  schattiges  Thal  ohne  Fels  in  sanftem 
Fall  hinab  in  der  Richtung  des  Berges  Hafulei,  und  kommen 
dann  der  südlichen  Verlängerung  des  Thaies  nach  zu  einem 
Heerdenlager  der  Az  Tesfa  Girgis,  desselben  Stammes,  den 
wir  bei  Sor  getroffen.  Das  Thal  selbst  ist  von  den  Az  Tshaflfa 
sorgfältig  angebaut.  Den  Namen  Hafulei  hat  das  Thal  vom 
gleichnamigen  Fruchtbaum,  der  hier  sehr  häufig  ist. 

Den  14.  September  gehen  wir  um  die  Ecke  des  Berges 
Hafulei  herum  und  kommen  über  einen  unbedeutende^  Sattel 
zum  Strom  Kerkeriu  hinüber,  an  dessen  Ufer  wir  ein  grosses 
Zeltenlager  der  Az  Tshaffa  finden,  die  uns  mit  Milch  bewir- 
then.  Nun  verfolgen  wir  den  Kerkeriu  aufwärts  und  biegen 
dann,   die  Berge   von  Gabei  Alabu   links  lassend,   in  seinen 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  253 

Znfluss,  den  Tshurum,  ein,  den  wir  bis  zu  seiner  Quelle  ver- 
folgen. Die  Uferebenen  sind  alle  angebaut,  sodass  wir  durch 
die  Pflanzungen  kaum  einen  Weg  finden;  der  Torrent  fliesst, 
soll  aber  im  Sommer  nur  theilweise  Wasser  haben.  Das  Thal 
mahnt  an  das  Boggu  der  Bogos  und  es  hat  dieselbe  Bedeu- 
tung für  Gabei  Alabu,  wie  Boggu  für  Keren,  als  Supplement 
zu  der  Hochebene.  Hier  reift  das  Durra  sehr  schnell  und  die 
Heerden  gedeihen  ausserordentlich.  Für  Baumwolle  besonders 
wären  diese  Thäler  sehr  günstig.  Das  Thal  Tshurum  hat 
mehr  W^asser,  als  Boggu,  weil  seine  Quellen  aus  dem  Innern 
des  Hochlandes  kommen,  während  Boggu  nur  von  Abhangs- 
wasser genährt  wird  und  so  fast  immer  trocken  liegt.  Die 
Az  Tshaffa  cultiviren  stromab  bis  Hömmeret  Goila;  dort  fängt 
das  Gebiet  der  Beni  Amer  an;  das  Thal  verschwindet,  die 
weite  Ebene  gehört  den  Hirten.  Wir  lagern  um  Mittag  auf 
einer  üferebene,  wo  uns  Schwärme  von  'Auer  empfangen,  ein 
bienenähnliches  Insekt,  dessen  Stich  unsere  Maulthiere  auf's 
Blut  peinigt 

Nach  kurzer  Rast  ersteigen  wir  die  Höhe  des  Sattels,  der 
einerseits  Tshurum  von  Bab  Genger6n  trennt,  anderseits  Halhal 
und  Aretta  verbindet.  Wir  brauchen  eine  halbe  Stunde,  um 
den  steilen,  von  dem  hohen  Gras  unwegsam  gemachten  Abhang 
hinunterzuklettern  und  zu  dem  Punkte  zu  kommen,  wo  der 
Abhang  von  Gabei  Elos  anfängt.  Es  wird  schon  Nacht  und 
in  der  Hoffnung,  ein  Heerdenlager  unserer  Freunde,  der  Az 
Gabdja,  zu  erreichen,  eilen  wir  das  Thal  hinunter;  die  Aus- 
sicht auf  ein  freundliches  Lagerfeuer  und  eine  heisse  Milch 
spornt  unsere  Schritte.  Den  Dienern  vorauseilend  komme  ich 
mit  Hm.  Schubert  und  Gabir,  dem  Mann  von  Dokono,  an 
dem  Baum  an  und  auf  dem  Hügel,  von  wo  ich  vor  zwei 
Wochen  Directionen  genommen  und  wir  erblicken  zur  Linken 
Lagerfeuer,  die  vnr  den  Az  Gabdja  zuschreiben.  Wir  gehen 
über  Stock  und  Stein  in  der  sehr  finstern  Nacht.  Das  Licht 
geht  vor  uns  her;  wir  rufen  unsere  Gefährten  mit  Flinten- 
schüssen und  haben  kaum  noch  drei  und  nicht  sehr  siciiere 


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254  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Schüsse,  als  wir  neben  dem  hohen  Lagerzaun  ankommen.  Da 
■wir  weder  Thür  noch  Thor  sehen,  rufen  wir,  aber  die  Hirten, 
durch  das  Schiessen  erschreckt,  halten  uns  für  abyssinische 
Soldaten  und  bedeuten  uns,  schnell  uns  fortzumachen.  Wir 
sehen,  dass  wir  auf  Az  Tesfei  gefallen  sind,  ein  mir  ganz 
fremder  Stamm  der  Takue,  Ein  Wort  gibt  das  andere;  Gabir, 
etwas  zu  übermüthig,  prahlt  mit  unsem  Flinten.  Die  Leute 
des  Dorfes,  die  einen  Trupp  Soldaten  vor  sich  zu  haben 
meinen,  öffnen  plötzlich  den  Zaun  und  dringen  mit  wildem 
Ejriegsgeschrei  auf  uns  ein.  Die  Lanzen  blitzen  in  der  Nacht 
Ich  sehe  die  Gefahr  und  bitte  Schubert,  sein  Gewehr  bereit 
zu  halten,  da  in  keinem  Falle  Flucht  etwas  nütze;  ich  ziehe 
meinen  Revolver  aus  dem  Halfter;  aber  da  ich  als  alter  Be- 
wohner des  Landes  wohl  weiss,  dass  viele  Hunde  des  Hasen  Tod 
sind  und  Feuerwaffen  in  der  Regenzeit  auch  den  Dienst  ver- 
sagen können;  da  ich  bedenke,  dass  es  hier  zu  Land  fast 
ebenso  misslich  ist,  zu  tödten  als  getödtet  zu  werden,  stecke 
ich  meine  Waffe  wieder  an  ihren  Platz  und  trete,  meine  Nil- 
peitsche in  der  Hand,  in  die  Mitte  der  tobenden  Hirten.  Ich 
fasse  den  ersten  besten,  der  mir  ein  bejahrter  Mann  zu  sein 
scheint  und  frage  ihn,  was  sie  zu  dieser  Handlungsweise  bringe. 
Auf  mein  Zureden  besänftigt  sich  der  Haufe;  ich  beklage  mich 
über  die  verweigerte  Gastfreundschaft.  Die  Leute  erwiedem, 
sie  hätten  uns  für  Soldaten  gehalten;  schon  gestern  seien  sie 
von  solchen  übel  zugerichtet  worden;  sie  baten,  die  Sache 
nicht  übel  zu  nehmen  und  jetzt  mit  ihnen  zu  übernachten. 
Da  aber  die  Gastft^undschaft  einmal  verletzt  und  zu  fürchten 
war,  der  Streit  möchte  zum  zweiten  Mal  ausbrechen,  lehnte 
ich  das  Anerbieten  ab.  Wir  fanden  kaum  eine  Viertelstunde 
weiter  das  Lager  der  Az  Gabdja,  wo  wir  freundlich  empfangen 
und  bewirthet  wurden. 

Den  15.  September  lenkten  wir  in  das  Thal  von  Dobak 
ein  und  nachdem  wir  den  Sattel  erstiegen,  der  es  von  Shin- 
nare  trennt,  sehen  wir  vor  uns  das  « weisse  *  Mogareh  und  an 
seinem  SW.-Ende  Keren,  wo  wir  um  Mittag  glücklich  ankommen. 


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Geographische  Skizze  über  das  Ansebaland. 


Jedes  Hochgebirge  erscheint  dem  See-  oder  Wüstenfahrer 
von  fern  gesehen  als  Ein  ununterbrochener  Zug  ohne  Lücke 
und  Thor;  die  fast  eben  fortlaufende  Höhenlinie  ist  nur  sel- 
ten durch  Spitzen  etwas  mannichfaltiger  gestaltet.  Er  gewinnt 
so  den  allgemeinen  Ueberblick,  aber  nur  die  halbe  Wahrheit. 
Denn,  wenn  er  von  der  Neugierde  gezogen  sich  den  Bergen 
nähert,  vergeht  ihm  die  Illusion  mit  jedem  Schritt  mehr.    Die 
Einheit  fällt  weg;  Thal  und  Berg  scheinen  unordentlich  unter- 
einander geworfen,  unmöglich,  darin  irgend  Einen  zusammen- 
hängenden Naturgedanken  zu  finden.  So  hat  er  die  Anschau- 
ung,   die   specielle   Wirklichkeit;    aber   auch    ihm   fehlt   die 
Wahrheit,  wenn  ihn  die  Ausnahme  verführen  sollte,  die  Regel 
zu  vergessen.    Was  hülfe  dem  Reisenden  der  Wulst  von  Ber- 
gen und  Flüssen,  wenn  daraus  nicht  ein  System  würde,  was 
ihm  den  sinnreichen,  poetischen,  fast  menschlich  verständlichen 
Gang  der  Natur  offen  legt.     So  können  auch  wir  unsere  geo- 
graphischen  Beobachtungen   nur    dadurch    deuthch   machen, 
dass  wir  ihnen  zuerst  ihre  Stelle  im   grossen  Ganzen    ange- 
wiesen haben.    Wir  sind  um  so  mehr  dazu  gezwungen,  da  nur 
das  Basrelief  ein  Land  treu  wiedergibt,  nicht  die  Karte. 


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256  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Unr  die  Gebirgsconstniction  der  Marea  zu  begreifen,  müs- 
sen wir  auf  ihr  Princip,  die  Hochebene  von  Hamasen,  zurück- 
gehen. Als  Gebirgsstock ,  als  Basis  stellt  sich  uns  das  Pla- 
teau von  Tsasega  dar,  östlich  bis  zum  Abfall  gegen  das  Sam- 
har,  westlich  gegen  die  QoUa  Dembeläs  sich  ausdehnend,  ohne 
in  seinem  Niveau  durch  ein  Thal  gestört  zu  sein  —  w^as  die 
wahre  Hochebene  charakterisiri  Ueberdiess  ist  Tsasega  als 
die  höchste  Stufe  Nordabyssiniens  zu  betrachten,  da  es  sich 
gegen  alle  Seiten  bald  wieder  absenkt;  gegen  Süden  wird  die 
Hochebene  wenige  Stunden  ober  Tsasega  vom  Mareb  zer- 
schnitten und  getheilt,  und  fast  plötzlich  gräbt  sich  dieser 
schnell  erstarkende  Fluss  ein  schauerlich  tiefes  Thal ,  wodurch 
das  Plateau  in  zwei  Arme  getheilt  wird,  östlich  die  Hochebene 
von  Aggela  und  Saher,  westlich  die  Halbinsel  Sarae.  Ohne 
in  dieser  Richtung  fortgehen  zu  wollen,  haben  wir  der  Ana- 
logie wegen  diese  Verästung  der  Basis  aufgezeichnet,  da  im 
Norden  dasselbe  Phänomen  sich  uns  darstellt,  aber  viel  lang- 
samer, consequenter  und  r^elmässiger  ausgeführt.  Die  Rolle 
des  Mareb  spielt  hier  der  Anseba,  der  in  regelmässigen  sanf- 
ten Stufen  in's  Tiefland  hinabfällt  und  so  die  nördliche  Fort- 
setzung der  Hochebene  mit  seinem  breiten  Thale  in  zwei  Ge- 
birgsreihen  theilt,  die  mit  fast  constanter  Höhe  das  Daga 
sehr  weit  fortführen.  So  haben  wir  als  Basis  unserer  Be- 
trachtung den  Gebirgsstock,  der  gegen  Norden  in  zwei  fast 
parallel  laufende  Aeste  ausläuft  und  den  Anseba,  der  aus  dem 
Stock  hervorquellend  stufenweise  ein  tiefes  Thal  sich  bildet, 
das  die  Ausläufer  des  Hauptstockes  voneinander  trennt. 

Als  Quelle  eines  Flusses  muss  man  sonst  annehmen  die 
Stelle,  wo  er  als  lebendiges  Wasser  entspringt;  diess  gilt  je- 
doch nur  für  ein  constant  fliessendes  Wasser.  Ist  der  Fluss 
nur  ein  Regenbett  (Torrcnt),  dann  muss  man  den  Arm  als 
Quelle  ansehen,  der  am  weitesten  aus  dem  Innern  der  Hoch- 
ebene herabläuft  und  keineswegs  die  vom  Grebirge  abfallenden 
Regenbäche;  streiten  sich  mehrere  Zuflüsse  darum,  muss  der 
vorgezogen  werden,   der  zum  unteren  Lauf  das   natürlichste 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  257 

Verhältniss  bewahrt,  ohne  auflFallende  Laufeveränderung.  Die- 
sen Principien  zu  Folge  muss  als  Quelle  des  Anseba  der  Mai 
Goila  von  Tsasega  angesehen  werden ;  denn  der  Anseba  kann 
nicht  als  Fluss,  sondern  nur  als  Torrent  betrachtet  werden, 
da  er  nur  in  der  Regenzeit  von  drei  Monaten  fliessendes  Was- 
ser hat.  An  Länge  steht  der  Mai  (JoiJa  keinem  Zuflüsse  nach; 
überdiess  stehen  die  andern  Gewässer,  die  sich  rechts  und 
links  dem  Hauptlauf  anfügen,  in  schiefen  Winkeln  darauf, 
während  der  Mai  Goila  senkrecht  in  ihn  übergeht. 

Hüten  wir  uns,  den  Namen  Anseba  etymologisch  erklären 
zu  wollen  oder  ihn  gar  Ain  Saba  (Quelle  von  Saba)  zu  nen- 
nen, mit  ungehöriger  Bezüglichkeit  auf  das  alte  Saba.  Denn 
seit  sechs  an  seinen  Ufern  verbrachten  Jahren  haben  wir  nur 
Anseba  ohne  gutturalen  Spiritus  aussprechen  liören.  Wir 
können  diesen  Namen  aus  unsern  Kenntnissen  nicht  erklären 
und  möglichei*weise  gehört  er  einer  Sprache  an ,  die  mit  ihrem 
Volk  verschwunden  oder  ausgewandert  ist.  Der  Name  fängt 
von  dem  Augenblick  an,  wo  der  Strom,  die  auf  seinem  Ni- 
veau liegende  Ebene  verlassend,  seinen  Fall  beginnt  und  hört 
erst  weit  unter  dem  Marea  nach  seinem  Ende  auf;  denn  da 
erhält  er  von  Stunde  zu  Stunde  verschiedene  Lokalnamen,  die 
eigentlich  eher  die  anliegenden  Uferebenen  bezeichnen  sollen, 
als  das  Strombett.  Nur  der  Abyssinier  und  auch  er  nur  zum 
Theil  fasst  den  Fluss  als  ein  Indi\iduum  auf,  dessen  Leben 
er  von  der  Quelle  bis  zum  Ende  verfolgt,  das  er  demnach 
einheitlich  tauft ,  während  der  Bewohner  der  Niederlande  den 
Fluss,  der  ihm  weder  zur  Schiffahrt,  noch  zur  Cultui'  dienlich 
ist,  der  vielmehr  den  Verkehr  hindei't  und  durch  seine  Mias- 
men und  durch  seine  Fliegenschwärme  gefährlich  wird,  nur 
nach  seinem  Ufer  beobachtet  und  dann  und  wann  auch  nach 
seinen  Wassei'plätzen ,  wo  aus  tiefen  Löchern  das  Vieh  ge- 
tränkt wird.  Der  Name  Anseba  selbst  dient  auch  zur 
Bezeichnung  des  anliegenden  Landes  und  bezeichnet  bei  den 
Eingebomen  die  QoUa  von  Gundebertina  bis  Saraua.  Wir 
theilen  seinen  Lauf  vorläufig  in  oberen,  mittleren  und  unteren 

M  uusinger,  OsUfiik.  8tudi«u.  17 


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258  Reise  in's  Land  der  Mareo. 

ein,  indem  wir  uns  vorbehalten,  jeden  besondere  zu  charak- 
terisiren.  Der  Oberlauf  geht  bis  Kuariko,  der  Mittellauf  bis 
Saraua,  der  Unterlauf  bis  zu  seiner  Vereinigung  mit  dem 
Barka. 

Der  Anseba  bildet  sich  sogleich  nördlich  von  Tsasega  ein 
Thal,  das  sich  stufenweise  immer  mehr  vertieft.  Das  Hoch- 
land zieht  sich  rechts  als  Ostrand  durch  Eameshim  und 
Dümbesan  ohne  Abfall  fort,  während  es  links  in  den  lang- 
samen, sanften  Stufen  von'  Az  Johannis,  Az  Maman  und  Gun- 
debertina  sich  abdacht.  Der  Anseba  gräbt  sich  zwischen  dem 
Ostrand  und  dem  westlichen  Terrassenland  ein  sehr  tiefes, 
enges  und  steiniges  Thal,  reich  an  Katarakten,  nimmt  die 
Wasser  von  Kameshim  und  den  Stufenländern  auf  und  kommt 
erst  in  Gundebertina  wieder  zum  Niveau  des  Westrandes.  So 
weit  geht  der  Oberlauf;  sein  Charakter  besteht  darin,  dass  er 
die  Hochebene  noch  nicht  consequent  als  tiefes  Thal  in  zwei 
gabelförmige  Ausläufer  trennt,  sondern  sich  vielmehr  in  zwei 
nach  Norden  parallel  laufende  Stufen  scheidet,  die  eine  höhere, 
den  Stock  fortsetzend,  die  andere  in  Stufen,  die  von  Ost  nach 
West  gerichtet  sind,  sich  senkend,  wozu  der  Anseba  wild  mit 
weniger  Ordnung,  aber  sich  corrigirend,  wieder  zurückkommt; 
er  ist  in  diesem  seinem  Oberlauf  noch  sehr  eng,  ohne  Ufer- 
ebene, ohne  Gebiet. 

Unter  Gundebertina  reisst  sich  der  Anseba  von  seiner  Ab- 
hängigkeit los  und  bildet  sich  ein  eigenes  Reich,  die  QoUa 
der  Bogos;  das  Hochgebirge  trennt  sich  erat  hier  entschieden; 
der  Anseba  in  der  Mitte  bildet  sich  ein  Thal,  das  breiter 
und  enger  mit  dem  Fluss  auf  gleichem  Niveau  steht,  aus 
Uferebenen  und  wenig  erhabenem  Hügelland  bestehend;  die 
einzelnen  Berge  bilden  keine  Ausnahme  von  besonderem  Cha- 
rakter. Dieses  Flussgebiet  bildet  das  Gebiet  der  Bogos,  Be- 
djuk  und  Beit  Takue  von  Kuariko  bis  Saraua,  etwa  zwölf 
Stunden  lang  und  sehr  breit;  der  Fluss  mit  langsamerem  Fall, 
nur  selten. von  Katarakten  gehemmt.  Dieses  Thal  ist  rechts 
und  links  von  den  Ausläufern  des  Hochgebirges  in  der  Mitte 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  259 

gehalten;  sein  Ausläufer  geht  als  Hochland  von  Mensa  und 
Habab  mit  fast  immer  gleicher  Höhe  (5 — 6000  Fuss)  und 
schönem,  ebenem  Land,  ohne  die  Abfälle  wohl  fünf  Stunden 
breit,  von  Südost  nach  Nordwest.  Gegen  Nordost  fallt  er  in 
Vorbergen  langgezogen  gegen  die  Küste  ab;  gegen  West  be- 
grenzt er  als  Eibaba  und  Aggaro  die  Bogoa  und  Bedjuk  von 
Mensa,  verengt  sich  dann  bei  Mäs'hälit  und  erniedrigt  sich  zu 
einem  Sattel ,.  wovon  gegen  Ost  gehend  das  Thal  von  Lebka 
ihn  durchschneidet,  und  nähert  sich  endlich  als  Zerech  und 
Agäme  und  Rora  Az  Tekles  wieder  dem  Anseba.  Der  Abfall 
dieses  Ostausläufers  fällt  gegen  das  Meer  5000  Fuss  ab,  aber 
ohne  Steilheit,  gegen  den  Anseba  dagegen  nur  1500  Fuss, 
aber  als  steile  Mauer. 

Der  Westausläufer  des  Hochgebirges   verlängert  sich  von 
Gundebertina  links  hin  gerade  fortlaufend  zur  Rora  Beit  Andu 
und  Rora  Az  Geret,  wird  dann  plötzlich  durch  das  tiefe  und 
breite  Thal   von  Boggu  schief  geschnitten  und  unterbrochen; 
setzt  sich  dann  als  Rora  Az  Gabru   und  Aretta  wieder  fort 
und  geht  durch  einen  schmalen,  wenig  gesenkten  Sattel  kaum 
unterbrochen  in  das  Hochland  der  Halhal  über,  wo  sein  Ost- 
abfall bei  Saraua,   gegenüber   der  Rora  Az  Tekles,  bis  an's 
Wasser  des  Anseba  tritt.    Dieser  Westausläufer  des  Hochlan- 
des ist   sehr  ungleich  an  Höhe;   doch  hält  er  sich  stets  im 
Niveau  des  Olivenbaums.     Sein  innerer  Abfall  ist  nicht 
so  kühn  und  klar,  wie  der  Abfall  von  Mensa  und  viel  unre- 
gelmässiger, mit  vermittelnden  Thälem  und  Vorbergen.    Der 
Ostausläufer  ist  viel  ausgedehnter,   enthält  grosse,  bevölkerte 
Ebenen  und  fällt  langsam  vermittelst  Längen-  und  Querthä- 
lem  in  das  Samhar  hinab;  der  Westausläufer  ist  schmal,  mit 
kleinen  Ebenen,   wenig  bewohnt  und  fällt  den   freilich   viel 
kürzeren  Abhang  nach  dem  Barka  viel  steiler  hinab.  Aehnlich 
sind  sich  die  beiden  Gebirgsausläufer  darin,  dass  sie  dem  Anseba 
nur  Abhangswasger  zuschicken;   das  eigentliche  Hochwasser, 
das  aus  dem  Kern  der  Hochebene  herausläuft,   schicken  sie 
gegen    aussen,    Mensa  und  Habab    dem  Lawa  und  Lebka, 

17» 


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260  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Rora  Beit  Andu  und  Bora  Az  Geret  dem  Barka  zu.  Den  An- 
Rcba  bereichern  sie  nur  zufällig.  Sie  gehen  parallel  unter- 
einander und  mit  dem  Anseba. 

Das  Tiefland,  das  der  Mittellauf  durchzieht,  ist  nicht  sehr 
breit  und  durch  die  Ausläufer  der  zwei  Gebirgsketten  bei 
Tshabbab  in  zwei  Theile  gesondert.  Den  oberen  Theil  cha- 
rakterisiren  die  grossen  Hügel,  fast  Berge,  die  den  Strom 
einengen  und  verbergen;  unter  Tshabbab  erniedrigen  sich  die 
Hügel,  die  Uferebenen  werden  grösser  und  zahlreicher,  das 
Land  offener.  Bei  Saraua  treten  die  Gebirgszüge  wieder  ganz 
nahe  an  den  Strom,  als  ob  sie  sich  vereinigen  wollt-en  und 
es  gelingt  ihm  nur  mit  Mühe,  sich  durch  die  Felsen  durch- 
zuzwängen; er  wird  eng,  schroff,  düster,  steinig,  selten  durch 
eine  Uferebene  oder  ein  Thal  erweitert.  Das  ist  sein  Unter- 
lauf. Die  Gebirge,  die  ihm  so  den  Weg  versperren,  sind  links 
die  von  Halhal  und  Marea,  äusserster  Westauslä^fer,  und  rechts 
die  Rora  Asgede  mit  ihren  Fortsetzungen,  äusserster  Ost- 
ausläufer des  Hochgebirges.  Hier  scheint  es,  als  ob  sich  diese 
Ausläufer  wieder  zum  Charakter  der  abyssinischen  Daga  em- 
porschwingen wollten;  ihre  Höhe,  die  Ausdehnung,  die  Was- 
ser und  die  Vegetation  ihres  Rückens  zeigen  uns  ein  zweites 
Hamasen.  Selbst  die  Trennung,  die  sie  seit  Gundebertina 
freiwillig  eingegangen,  scheint  sie  zu  reuen,  sie  streben  wie- 
der zusammenzuwachsen;  doch  lacht  der  schon  mächtig  ge- 
wordene Anseba  ihrer  Anstrengung,  jetzt  hat  er  Wasser  ge- 
nug, imi  Berge  zu  überschwemmen,  siegreich  durchbricht  er 
die  Engen  und  kämpft  sich  den  Weg  in's  freie  Land,  während 
seine  Gegner,  die  zwei  Brüdergebirge,  von  der  übermässigen 
Kraftentwickelung  wie  erschöpft,  fast  plötzlich  zur  Ebeiu* 
hinabfallen.  Doch  behauptet  auch  hier  der  östliche  Ausläufer 
den  Vorrang,  da  er  ungleich  breiter  Aveitentlegene,  abei* 
frische  Zweige  bis  Beit  Male  und  Hager  sendet,  wo  zum  letz- 
ten Male  die  Olivenwälder  und  die  sprudelnden  Quellen  au 
das  ferne  Mutterhochland  mahnen;  seine  Abdachung  gegen 
das  Meer  ist  allmälig,   während  der  Westausläufer  fast  ohne 


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Heise  in's  Land  der  Marea.  261 

Uebergaug  steil  iu*s  Barka  abfällt.  Gegen  Süden,  dem  An- 
seba  zu,  sinken  sie  beide  gleich  plötzlich  als  senkrechte  Mauer 
hinter.  Die  Ostkette  beherbergt  die  Habab  und  die  Beni  Amer 
vom  Söhel;  schöne,  fruchtbare  Hochebenen  werden  nur  zur 
Weide  benutzt,  wähi-end  die  Westkette,  deren  sparsame  Enge 
den  Raum  um  so  kostbarer  macht,  zum  letzten  Mal  die  Pro- 
duction  Hochabyssiniens,  den  Anbau  von  Weizen,  Gerste  und 
Xuhuk,  erfolgreich  nachahmt.  Dicss  ist  das  Land  der  Halhal 
und  Marea,  Ziel  unserer  Reise. 

Der  Enge,  seinem  Element,  entronnen  verliert  der  Anseba 
seine  Selbstständigkeit;  er  ist  nicht  mehr  Princip,  er  wird  Theil 
des  Barka -Fluss- Systems  schon  vor  seiner  Vereinigung,  er 
kommt  in's  Niveau  der  Ebene  und  anstatt  den  Namen  zu 
geben,  nimmt  er  ihn  vom  Ufer  an  und  endlich  übergibt  er 
sich  dem  stärkeren  Bruder,  dem  gewaltig  breiten  Barka,  dessen 
Anfänge  ihm  bei  Gundebertina  so  nahe  standen.  Auch  hier 
spiegelt  sich  der  Zusammenhang  der  Menschen  und  der  Natur. 
Der  abyssinische  Anseba  ist  schmal,  mager  und  nervig,  wie 
der  ihm  anwohnende  Mensch,  aber  gewaltiger  mit  grösserer 
Zugkraft  und  Wassermenge,  die  er  fast  unversehrt  dem  Ziele 
zuführt,  während  der  Barka  ungeheuer  breit,  das  Kind  der 
Ebene,  grossen  Namen  und  imponirendes  Aussehen  hat  und  der 
Vereinigung  den  Namen  gibt;  sein  Wasser  verliert  er  zum 
grossen  Theil  auf  dem  Wege;  er  kann  seinem  prahlerischen, 
fetten,  phlegmatischen  Anwohner  verglichen  werden.  Und 
dass  nicht  der  Anseba  die  Vereinigung  tauft,  ist  natürlich, 
da  der  Barka,  in  der  Ebene  geboren  und  auferzogen,  bis  zum 
Ziel  in  seinem  Elemente  bleibt,  während  sein  «Bruder .vom 
Berge»  in  der  Fremde  sich  wohl  dem  Landeskind  anschmie- 
gen muss. 

Das  Gebiet  von  HaMial  und  Marea  sendet  seine  Wasser 
spärlich  dem  Anseba,  reichlich  dem  Barka  zu.  Doch  müssen 
wir  hier  noch  die  Zuflüsse  des  mittleren  Barka  berühren,  da 
ihr  Thalgebiet  politisch  zu  Halhal  gezählt  wird. 

Der  Mittellauf  des  Anseba  empfängt  eine  halbe  Stunde  unter- 


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262  Reise  in's  Land  der  Marea. 

halb  Tshabbab  den  Feieloch,  der  von  den  Abhängen  des  Lalamba 
entspringt.  Er  ist  ein  von  grossen  Bäumen  beschatteter  breiter 
Strom ;  da  sein  Lauf  aber  sehr  kurz  und  der  Scheitel  des  La- 
lamba schmal  ist,  so  ist  er  fast  beständig  wasserlos. 

Bedeutender  ist  der  Shitamo  oder  Bijan,  mit  diesem  Na- 
men nahe  seiner  Mündung  benannt,  dessen  Gebiet  ein  läng- 
liches Thal  mit  mehreren  Ausläufern  bildet;  seine  Quellen 
sind  die  Bäche  von  Bab  Gengeren,  Dobak,  Gabei  Lokum,  die 
ebenso  viele  kleine  Thäler  bilden.  Er  lässt  den  Berg  von 
Hubub  Angelle  rechts  und  vereinigt  sich  mit  dem  Anseba  bei 
Zeron. 

Unter  Zeron  empfängt  der  Unterlauf  des  Anseba  nur  die 
Wasser  des  Bergabhanges,  da  das  Hochgebirge  selber  dem 
Barka  zugewandt  ist;  so  den  Strom  von  Darikal,  der  vom 
Abhang  von  Rehi  sich  in  den  Abgrund  ein  enges  Thal  aus- 
höhlt und  unter  Gedlet  sich  vereinigt;  ebenso  der  Waldbach, 
der,  von  der  Wasserscheide  zwischen  Shaka  und  Asunfa  ent- 
springend, sich  bei  Höbero  in  den  Anseba  stürzt.  Wir  be- 
rücksichtigen diese  Zuflüsse  nur,  weil  der  erstere  eine,  wenn 
auch  unvollkommene  Strasse  nach  Rehi  bildet;  die  Karawanen 
von  Massua  laden  ihre  Kameele  hier  ab  und  transportiren 
ihre  Waaren  das  Thal  hinauf  mit  Eseln.  Der  Bach  von  Hö- 
bero führt  zu  einem  nicht  steilen  Sattel,  der  auf  der  West- 
seite ganz  sanft  nach  One  und  so  nach  Kednet  hinabführt 
und  so  bildet  er  den  kürzesten,  Weg,  auch  für  Kameele  gang- 
bar, von  Erota  nach  dem  Anseba. 

In  Sherit,  eine  Tagereise  unterhalb  Kednet,  vereinigt 
sich  der  Strom  von  Se/a,  so  mit  dem  letzten  Ausläufer  gleich 
benannt;  ihn  bilden: 

1)  Der  Strom  von  Sor,  mit  dem  sich  der  Bach  von  One 
vereinigt-  , 

2)  Der  Strom  von  Azmat,  den  der  Bach  von  Kednet,  ein 
zweiter  von  den  Abhängen  von  Ire  und  ein  dritter  von  Kush 
bilden. 

Die  zwei  Bäche  vereinigen  sich  eine  Stunde  unterhalb  Azmat. 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  263 

Verfolgen  wir  den  Anseba  unterhalb  Sherit  bis  zu  seiner 
Vereinigung. 

Wenn  es  leider  nicht  möglich  war,  dem  Lauf  so  weit  nach- 
zugeben, hatten  wir  doch  bei  unserem  Aufenthalt  in  Kelbetu 
die  schönste  Gelegenheit,  durch  eine  Reihe  von  Augenzeugen, 
Leuten  von  Marea,  Barka,  Beit  Male,  uns  über  diese  Strecke 
vollständig  zu  vergewissern.  Von  Höbero  bis  Sherit  ist  der 
Anseba  noch  immer  eng  und  klippicht.  Gegen  Sherit  hin  er- 
weitert sich  sein  Thal,  da  das  Marea-Gebirge  plötzlich  abfällt 
und  die  Habab-Berge  mehr  zurücktreten. 

In  SeTa  vereinigt  sich  mit  dem  Anseba  von  rechts  der 
Strom  von  Adobha,  der  zwei  Quellen  hat;  die  erste  kommt  von 
den  Abfällen  der  Habab,  die  zweite  von  Hager  und  dem  Ge- 
birge von  Beit  Male.  Von  Hager  (altem  Kloster  Agere  Na- 
geran)  werden  schöne  Hochebenen  mit  Wäldern  von  Oliven 
und  Agam  gerühmt. 

Die  Vereinigung  des  Anseba  mit  dem  Barka  ge- 
schieht zwei  Tagereisen  unterhalb  Sel'a  bei  Ijob. 
Nach  den  vielen  Erkundigungen  von  allen  Seiten  kann  ich 
über  diesen  Punkt  keinem  Zweifel  mehr  Raum  geben.  Wenn 
mir  firüher  der  grosse  Sheich  der  Beni  Amer,  ohne  die  Ver- 
einigung in  Frage  zu  ziehen,  als  die  Stätte  derselben  nicht 
Ijob,  sondern  Falkat  nannte,  verändert  das  die  Hauptfrage 
nicht;  übrigens  kann  Ijob  auch  Falkat  heissen,  da  dieser 
letztere  Name  in  der  Tigre- Sprache  «Gabel»  bedeutet  und 
also  so  gut  wie  Mohäber  (Vereinigung)  eigentlich  jeder  Mün- 
dung eines  Flusses  in  den  andern  zukommt.  Der  Name  Mo- 
häber ist  daher  sehr  häufig  und.  das  Gleiche  kann  mit  Falkat 
stattfinden. 

Wir  haben  schon  bemerkt,  dass  das  Wasser  von  Halhal 
und  Marea  fast  nur  dem  Barka  zufliesst 

1)  Den  Sabr  bilden  erstens  der  Kerkeriu,  Vereinigung 
des  Wassers  von  Mai  Aualid,  von  Tshurum  und  Halhal  (Hin- 
djune).  Die  beiden  letzteren,  kaum  eine  Stunde  unter  der 
Höhe  von  Tshurum  vereinigt,  werfen  sich  zwei  Stunden  ober- 


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264  Reise  in's  Land  der  Marea. 

halb  Mohäber  in  den  Kerkeriu,  der  das  Wasser  von  Mai 
Aualid  und  Beit  Höbei  zwischen  dem  Gebirge  von  Gabei  Alabu 
und  Mosafar  nach  Mohäber  trägt,  wo  er  zweitens  den  Aig 
empfängt,  der  in  Molebso  entsprungen,  Mosafar  und  Tsellema 
trennend,  am  Berg  Hafiilei  vorbei  nach  Mohäber  geht.  Dann 
gehen  sie  vereinigt  als  Sabr  an  Hömmeret  Goila  vorbei  tind 
münden  in  den  Barka  eine  Stunde  unter  Adartie  bei  Af  Sabr 
(Miuid  des  Sabr.) 

2)  Den  Hademdeme  bilden  die  Wasser  des  Debre'Sale;  er 
mündet  in  den  Barka  eine  Stunde  unter  Dunguaz  bei  Af 
Hademdeme. 

3)  Der  Hombol  und  Marieit,  beide  von  den  Marea  kom- 
mend, vereinigen  sich  miteinander  im  Tiefland  angekommen 
und  mit  dem  Barka  bei  Karkabat. 

Den  Marieit  bilden: 

a).Der  Af  Marat,  der  als  Mädeit  von  Henik  Hamas  ent- 
springend, zwischen  Tsellema  und  Melbet  durchttiessend,  in 
Angesha  die  Lokalwasser  des  Längenthaies  von  Asalle  und 
den  Höhen  von  Angesha  aufnimmt  und  sich  am  Nordrand 
des  Debre  Säle  in  das  Tiefland  stürzt. 

b)  Der  Strom  von  Andelet,  bereichert  durch  die  Bäche 
von  Melbet  und  Mussa  Gerbetu,  nimmt  dieselbe  West-Richtung. 

c)  Der  vereinigte  Strom  von  Ire  und  Dekinet 

Diese  drei  Ströme  vereinigen  sich  in  der  gleichbenannten 
Ebene  Marieit  und  dann  mit  dem 

Hombol,  der  die  Wasser  von  ganz  Nord -Marea,  Erota, 
Kelbetu,  Fat  mitführt. 

Von  ihrer  Vereinigung  bei  Ijob  kennen  wir  den  Lauf  des 
Barka  bis  Kerr  (von  den  Hadendoa  mit  dem  Artikel  To'kerr, 
vulgo  Tokar  genannt).  Wir  führen  hier  die  übereinstimmen- 
den Angaben  der  Eingebornen  an,  da  uns  die  vielen  euro- 
päischen Reisenden  keine  bestimmte  Nachricht  über  seinen 
weiteren  Lauf  gegeben  haben.  Dass  der  Anseba  oder  der 
vereinigte  Anseba-Barka  nach  Aqiq  tiiesse,  das  habe  ich  von 
niemandem  gehört  und    auch   wissend    nie   behauptet.     Nach 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  265 

allen  Berichten  voji  Augenzeugen  strömt  der  vereinigte  Fluss 
Hach  ohne  alle  Hülfe  der  Kunst  in  die  Ebene  hinaus,  die  er 
auszuhöhlen  wohl  keine  Kraft  mehr  hat;  der  ungeheure  Lauf 
mit  sehr  breitem  Bett  bei  unbedeutendem  Fall  macht,  dass 
er  nur  wenig  Hindernisse  nöthig  hat,  um  See  oder  Sumpf  zu 
werden.  Ich  weiss  nicht,  was  ilm  in  seinem  Lauf  gegen  das 
Meer  hemmt;  aber  die  Eingebornen  behaupten  einstimmig, 
dass  er  nur  bis  To'kerr  gehe:  von  einer  Mündung  bei  Badur 
wusste  niemand  etwas,  und  wenn  da  auch  ein  Strom  mündet, 
kann  er  wohl  ein  anderer  sein,  von  den  Abfällen  des  Gebirges 
herkonmiend.  So  lange  niemand  mit  eigenen  Augen  diesen 
Punkt  vergewissert  hat,  sollte  man  sich  rein  an  die  Aussagen 
der  Eingebornen  halten  und  sollte  sich  ja  vor  müssigen  Con- 
jecturen  hüten,  die  die  Geographie  nur  zu  oft  in  Verwirrung 
bringen.  Der  Versuch,  den  Anseba  nach  Aqiq  zu  bringen, 
würde  seine  Vereinigung  mit  dem  Barka  in  Frage  setzen,  da 
der  letztere  mit  dem  Namen  von  To'kerr  identisch  ist  und 
schwerlich  wieder  nach  Aqiq  zurückkehren  kann. 

Das  Gebiet  des  Anseba  ist  das  Gebirge,  er  sinkt 
nur  allmälig  in  die  Ebene  hinunter;  der  Barka  ist  das 
Kind  der  Ebene,  seine  fernsten  Quellen  kommen  nur  vom 
Gebirgsabhange,  während  das  eigentliche  Hochgebirge  des 
Hamasen  sein  Wasser  zwischen  dem  Anseba  und  Mareb  ver- 
theilt.  Daher  hat  der  Barka,  kaum  geboren,  wenig  Fall  mehr 
nöthig,  um  in  Kerr  anzukommen;  sein  Fall  wird  noch  durch 
die  Länge  des  Laufes  vermindert,  während  der  Anseba,  der 
sonst  direct  in  gerader  Linie  seinem  Ziel  entgegengeht,  und 
vom  Innern  der  Hochländer,  6000  Fuss,  kommt,  einen  sehr 
bedeutenden  Fall  nöthig  hat.  Der  Anseba  ist  immer  von 
Bergen  und  Hügeln  eingeschränkt,  eng,  reich  an  Katarakten, 
während  der  Barka,  in  offenem  Land  geboren,  breit  und  offen 
daliegt,  ohne  Stix>mschnellen  und  Hindernisse.  Wir  möchten, 
wenn  es  erlaubt  ist,  den  Anseba  dem  Nil  oberhalb  Assuan, 
den  Barka  dem  Nil -Delta  vergleichen.  Der  Anseba  erkämpft 
sich  sein  Bett  und  höhlt  es  aus,  der  Barka  scheint  sich  sein 


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266  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Ufer  erst  gebildet  zu  haben.  Der  Anseba  beraubt  sein  Ufer- 
land; der  Barka  scliaflft  sich  erst  ein  Ufer  und  macht  es  so 
zum  fruchtbaren  Alluvialland. 

Der  Lauf  des  Anseba  ist  sehr  schnell,  der  des  Barka  be- 
dächtig langsam.  Das  Wasser  des  ersteren  wird  im  Winter 
sehr  tief,  während  der  letztere  selten  sein  Flussbett  ausfüllt 
Der  Anseba  bildet  wenig  und  sehr  kleine  Uferebenen,  wäh- 
rend der  Barka  so  reich  daran  ist.  Daher  ist  der  Anseba  für 
Cultur  wenig  geeignet  und  selbst  unter  Tshabbab,  wo  er  am 
offensten  ist,  würde  er,  künstlich  aufgehalten,  wenig  nützen, 
da  sein  Wasser  doch  nicht  die  Hügel  überschwemmen  kann. 
Im  Gegentheil  ist  der  Barka,  der  fast  auf  dem  Niveau  seines 
Ufers  steht,  zu  künstlicher  Bewässerung  sehr  geeignet,  doch 
fehlt  ihm  vielleicht  die  nöthige  Wassermenge. 

Da  der  Anseba  wenig  Ufer  hat,  ist  seine  Vegetation  für 
die  Viehzucht  von  wenig  Bedeutung,  während  der  Barka  mit 
seinen  Ebenen  in  dieser  Beziehung  sehr  wichtig  ist  Dagegen 
ist  der  Anseba  reich  an  schönen,  hoch  und  gerade  gewachsenen 
Bäumen,  mit  ewigem  Schatten,  der  ihm  einen  dunkeln  An- 
strich gibt,  während  der  Barka  von  einförmigen  Dum- Wal- 
dungen begleitet  und  so  schattenlos  ist.  Der  Anseba  ist  das 
Land  christlicher  Ackerbauer;  seine  Bewohner  waren  bis  auf 
die  neuesten  Zeiten  Christen;  Ueberreste  von  Kirchen  und 
Klöstern  finden  sich  bis  Hager,  während  das  Barka-Land,  üßt 
immer  von  heidnischen  oder  mohammedanischen  Nomaden  be- 
wohnt, ausschliesslich  für  Viehzucht  benutzt  wurde. 

Beide  Flüsse  fliessen  nur  im  Winter  auf  der  Oberfläche, 
doch  haben  sie  das  ganze  Jahr  einen  bedeutenden  unterirdi- 
schen Fluss,  beim  Anseba  von  durchschnittlich  6  Fuss,  beim 
Barka  von  15  Fuss  Tiefe.  Daher  sind  beide  reich  an  kalten, 
feuchten  Dünsten  und  bedrohen  ihre  Anwohner  mit  Fieber. 
Doch  verbietet  schon  der  Mangel  an  Raum  dem  Menschen, 
am  Anseba  seinen  Wohnsitz  aufzuschlagen;  nur  unterhalb 
Tshabbab  ist  er  auf  die  Uferebene  angewiesen,  während 
der  Barka  als  eigener  Schöpfer  seines  Landes  (als  sein  Herr) 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  267 

und  als  einzige  Wasserquelle,  ohne  Berg  und  Höhe  die  Be- 
wohner in  der  Tiefe  festhält.  Dass  aber  der  Anseba  auch 
reich  an  Fieber  ist,  beweisen  die  jährlichen  Septemberfieber 
der  Leute  von  Bedjuk  und  selbst  von  One,  und  die  Sage 
von  den  Beit  Mushe,  deren  Dorf  am  Anseba  in  Einer  Woche 
bis  auf  den  letzten  Mann  vernichtet  wurde,  sodass  Haus  und 
Heerde  ohne  Herrn  und  Hirten  gefunden  wurden,  muss  eine 
furchtbare  Wahrheit  andeuten. 

Charakteristisch  ist,  dass  die  Wasser  des  West -Hochge- 
birges fast  ohne  Ausnahme  dem  Barka  zueilen,  sodass  der 
Anseba  keinen  Zufiuss  hat;  der  Strom  von  Sei^a  macht  der 
Bodenfigur  nach  keine,  wahre  Ausnahme  von  dem  Gesetz.  Das 
Gleiche  kann  man  vom  Ost-Hochgebirge,  wenigstens  von  Maldi, 
Mensa  bis  Az  Tekles  nachweisen,  deren  grosse  Gebirgswasser 
alle  dem  Meere  zueilen.  Die  Zuflüsse  des  Anseba  kommen 
ihm  von  den  Abhängen  und  der  QoUa;  seinen  Reichthum  an 
Wasser  bringt  er  sich  schon  von  seiner  Quelle  mit.  Unter- 
halb Az  Tekles  habe  ich  persönlich  nicht  beobachtet;  wir 
haben  aber  da  nie  von  einem  bedeutenden  Zufluss  reden  gehört, 
wenn  man  nicht  den  Adobha  davon  ausnimmt,  dessen  Quell- 
gebirge aber  nicht  mehr  zum  Habab-System  zu  gehören  scheint 
Diesen  Umstand  verständlicht  nur  die  Figur  der  beiden  paral- 
lelen Hochländer,  die  sich  uns  wie  zwei  Mauern  darstellen, 
deren  schiefe  Dächer  gegen  aussen  gekehrt  gegen  West  und 
Ost  abfallen.  Die  Wasser  von  Bora  Beit  Andu,  Adürbe,  Beit 
Gabru,  Orella,  Halhal,  Marea  haben  ihre  grösste  Höhe  dem 
Anseba  zugekehrt  und  senken  sich  gegen  das  Barka  hinab; 
ebenso  zeigen  die  Gebirge  von  Maldi,  Mensa  und  Habab  dem 
Anseba  nur  den  Kücken  und  neigen  sich  zum  Meer  hinunter. 
Die  beiden  Hochgebirge  öffnen  sich  gegen  aussen  in  langen, 
vom  Kern  der  Hochebene  hervorkommenden  Thälem,  während 
sie  sich  vom  Anseba  stolz  abschliessen,  ohne  Verbindung  und 
Terrassenabfall,  und  so  ist  dieser  Fluss  unterhalb  Saraua  fast 
nur  negativ  als  Trenner  der  Hochländer  wichtig,  und  tiefer 
und  tiefer  wühlt  er  sich  sein  eigenes  Bett  und  als  Isolator  in 


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268  Reise  in^s  Land  der  Marea. 

schauerlichem  Abgrund  zwei  Hochländer  trennend,  die  früher 
vielleicht  zusammenhängend  in  Höhe,  Natur  und  Boden  ganz 
gleich  sind,  tritt  er  nirgends  mit  denselben  in  freundlichen 
Verkehr  und  Zusammenhang. 

•  Nachdem  wir  nun  so  den  allgemeinen  Wasserzusammen- 
hang  begriffen  haben,  werden  wir  die  so  gewonnene  An- 
schauung zur  Erklärung  der  üebii'gsformen  benutzen.  Um 
uns  davon  ein  klares  Bild  zu  machen,  wollen  wir  sie  nur  mit 
Hülfe  der  Wasserkraft  genetisch  entwickeln. 

Man  muss  zuerst,  die  Wasserkraft  ganz  unberücksichtigt 
gelassen,  das  Hochland  von  Halhal  imd  Marea  als  einen  eini- 
gen, gegen  NNW.  gerichteten  Gebirgsstock  fassen,  von  6  Stun- 
den Breite  und  15  Stunden  Länge,  als  schiefe  dem  Barka 
zugewandte  Ebene,  den  Scheitel  dem  Anseba  zugewandt  und 
in  dieser  Richtung  steil  abfallend,  im  Grossen  und  Ganzen 
als  Fortsetzung  der  Rora  Beit  Gabru  und  Rora  Aretta. 

Auf  diese  schräge  Ebene  hat  das  Wasser  in  zwei  Direc- 
tionen  gewirkt;  die  erste  Direction  ging  von  Ost  nach  West 
und  hat  sich  drei  Thäler  ausgewaschen,  die  den  Westrand 
des  Gebirges  in  ebenso  viele  einzelne  Gebirgszüge  zertheilen, 
deren  jeder  einzelne  vom  andern  durch  eine  schmale,  aber 
sehr  tiefe  Kluft  getrennt  ist.  Man  kann  sich  so  den  südlichen 
Theil  von  Marea  als  eine  Hand  vorstellen,  deren  Fläche,  öst- 
lich liegend,  ihre  langen  Finger  gegen  Westen  ausspreizt.  Die 
Hand  stellt  das  fast  zusammenhängende  Hochland  von  Halhal 
bis  Geridsa  vor;  die  Finger  sind  die  Ausläufer  von  Gabei  Alabu. 
Mosafar,  Tsellema  und  Melbeb.  Diese  vier  Höhenzüge  sind 
offenbar  gegen  West  in  der  gleichen  Linie  und  haben  gleiche 
Höhe.  Doch  fallen  sie  nicht  plötzlich  bis  zum  Barka  hinab, 
sondern  machen  auf  halbem  Wege  Halt,  und  die  Mittelter- 
rass(»,  die  dermassen  gebildet  wird,  zeigt  sich  als  Längenthal, 
das,  dem  obern  Gebirgsrand  parallel  laufend,  durch  die  Sättel 
von  Asalle  getrennt  von  Mussa  Gerbetu  bis  zum  Sattel  von 
Angesha  sich  hinzieht  und  so  die  getrennten  Gebirgsausläufer 
vor  ihrem  Fall  in   die  Ebene    wieder  miteinander   verbindet. 


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Reise  in's  Land  der  Maren.  269 

Nördlich  von  Geridsa  hört  die  Trennung  in  Querthäler  auf, 
aber  der  Ostrand  fällt  von  Andellet  mit  bedeutender  Senkung 
gegen  die  Ebene  von  Ire  ab.  Von  da  fängt  das  Wasser  an 
von  Süden  gegen  Norden  zu  wirken  und  gmbt  sich  das  Thal 
von  Kednet  aus,  als  Miniatur-Nachahmung  des  oberen  Anseba, 
und  zertheilt  so  das  Gelnrge  in  zwei  Ausläufer,  die  gegen 
Norden  gerichtet  sind.  So  dehnt  sich  Geridsa  rechts  bis  Asunfa 
und  Shaka  aus ,  während  Ire  und  Dekinet  linkshin  zuerst  als 
sehr  schmaler  Gebirgsrücken  fortzieht,  in  Sheliwai  breiter  wird 
und  als  Hochebene  Ser'a  erreicht. 

Debre  Säle  hängt  bei  Angesha  mit  seinem  Eckwinkel  iji- 
sofern  mit  dem  Marea  zusammen,  als  es  davon  nur  durch 
eine  Mittelterrasse  getrennt  ist  und  nicht  von  dem  Niveau  des 
Barka  an  allehi  hinaussteht.  Dieser  Berg  ist  reich  an  grossen 
culturfahigen  Ebenen,  die  aber  schon  lange  nur  als  Weiden 
benutzt  werden.  Sein  Wasser  könnte  nur  für  die  Bewohner 
genügen. 

Alle  diese  Hochländer  haben  ungefähr  das  gleiche  Niveau 
mit  etwas  höherem  Ostrand.  Wenn  wir  Keren  zu  4400  Fuss 
über  dem  Meer  annehmen,  Boggu  zu  3600  Fuss,  Anseba  und 
Tshabbab  zu  4200  Fuss  und  Mensa  zu  5000  Fuss,  können 
wü-  durch  Schätzung  und  durch  Vergleich  analoger  Vege- 
tations- Verhältnisse  folgende  Höhen  annähernd  annehmen: 
Halhal  zu  5600  Fuss,  Geridsa  zu  5900  Fuss,  das  Thal  von  Ked- 
net bei  Azmat,  wo  seine  grösste  Tiefe  (wie  Boggu)  zu  3600  F., 
Kelbetu  und  Ire  zu  5100  Fuss  (wie  Adürbe),  Hafulei  zu 
3600  Fuss  und  Debre  Säle  zu  5000—5600  Fuss.  Die  Berge 
von  Habab  sind  von  uns  nicht  geschätzt  worden,  sie  müssen 
aber  fast  so  hoch  als  Geridsa  sein,  da  ihr  Band  sowohl  von 
One  Halhal  über  Mogedde  hinaus,  als  von  Debr  Kuddus  über 
Shaka  hinaus  von  uns  erblickt  worden  ist.  Auch  das  Habab- 
Gebirge  ist  eine  Kora,  d.  h.  enthält  Hochebenen,  die  aber  den 
Heerden  überlassen  sind.  So  sind  die  abyssinischen  Habah 
zu  Nomaden  geworden  und  die  arabischen  Marea  zu  fleissigen 
Ackerbauern. 


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270  Reise  in's  Land  der  Marea. 

Wenn  man  sich  also  unter  den  Hochgebirgen  von  Halhal 
und  Marea  ein  Hufeisen  vorstellt,  dessen  ?wei  Arme  gegen 
Norden  gerichtet  sind  und  an  dessen  südlichem  Bogen  eine 
Hand  quer  darauf  geheftet  ist,  deren  Finger  gegen  Westen 
ausgestreckt  sind,  hat  man  den  wahrsten  Begriff  von  ihrer 
allgemeinen  Configuration. 

Alle  diese  Hochebenen ,  wie  Molebso  und  Rehi  (allgemein 
Geridsa  genannt),  Asunfa  und  Shaka,  Ire  und  Dekinet,  Erota, 
Sheliwai,  Fat,  Abligo  u.  s.  w.  muss  man  sich  nicht  als  regel- 
mässig fortlaufend  denken,  sondern  als  unregelmässiges  Hügel- 
land, das  durch  Wald,  Feld,  Kluft  und  Strom  wieder  in  eine 
Menge  kleiner  Flächen  streng  abgesondert  ist;  die  grösste 
dieser  Ebenen  ist  gewiss  Geridsa,  das  fast  imunterbrochen 
von  Rehi  bis  Tsellema  und  Mosafar  und  vom  Abhang  von  Mo- 
lebso bis  zum  Henik  Hamas  fortläuft. 

Die  Natur  hat  dieses  Gebiet  auch  politisch  eingetheilt: 

1)  Den  Anseba  selber  theilen  sich  von  Tshabbab  aus  die 
Bedjuk  und  die  unteren  Beit  Takue,  die  ersteren  rechts, 
die  anderen  links  des  Flusses. 

2)  Die  Az  Gabdja  und  Az  Tshaffa  trennt  links  der  Ab- 
grund von  Kerkeriu,  rechts  die  Ebene  von  Beit  Höbei  von 
den  Marea.' 

3)  Die  rothen  Marea  trennt  der  Abhang  von  Andellet  von 
Ire,  der  Abfall  von  Tshabel  von  Kednet  und  äer  Sattel  von 
One  von  Shaka,  alle  drei  Sitze  der  schwarzen  Marea. 

4)  Das  so  isolirte  Shaka  wird  von  Az  Ato  Byrhan,  einem 
Zweig  der  schwarzen  Marea,  bewohnt. 

5)  Die  durch  Andellet  abgeschnittene  Ebene  von  Ire  mit 
ihrer  Verlängerung  bis  B'at  haben  die  Az  Tembelle  inne,  ein 
anderer  Zweig  der  schwarzen  Marea. 

6)  Nördlich  von  B'at  und  Sheliwai  bis  zum  Abfall  von 
Se/a  wohnen  Az  Idjel,  ein  anderer  Zweig  von  Az  Ato  Byrhan. 

7)  Das  Thal  von  Kednet  haben  die  Az  Tshankera  inne, 
ein  dritter  Zweig  der  schwarzen  Marea.  ^ 


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Reise  in's  Land  der  Marea.  271 

8)  Den  Anseba  selbst  bewohnen  vorzüglich  die  nomadischen 
Az  Tekles. 

9)  Debre  Säle,  früher  christliches  Land,  ist  jetzt  Gemeinde- 
weide der  Beni  Amer,  Beit  Takue  und  Marea. 

10)  Das  Barka  selbst  gehört  den  Beni  Araer'n,  doch  wird 
es  auch  von  den  Hochländern  zur  Weide  benutzt  und  die 
Thäler  von  Tshurum,  Medjlel  bis  Hömmeret  Goila  und  Shelab 
sind  noch  Eigenthum  der  Beit  Takue  und  werden  von  ihnen 
zur  Cultur  benutzt. 


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lieber  die  Beni  Amer. 


Munxinger,  OsUfrik.  Studien.  28 


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Allgemeine  Bemerkungen. 

Das  Land  der  Beni  Amer  theilt  sich  in  zwei  scharf  ab- 
gegrenzte Striche,  in  das  Barka  und  das  Söhel.  Das  Söhel 
(arab.  J^^L*.,  Meergestade)  ist  die  directe  Fortsetzung  des 
Samhar  gegen  Norden.  Es  erstreckt  sich  als  Gebiet  der  Beni 
Amer  bis  Aqiq.  Es  unterscheidet  sich  insofern  vom  Samhar, 
als  es  weniger  von  einem  hoch  aufsteigenden  (iebirgsland  be- 
grenzt wird,  sondern  sehr  allmählig  steigend  zu  dem  wenig 
erhabenen  Barka  sich  erhebt.  Das  Samhar  lehnt  sich  an  das 
60()0  Fuss  hohe  Abyssinien ,  das  Söhel  geht  in  das  kaum 
2000  Fuss  hohe  Barka  über.  Wir  müssen  uns  das  Söhel  als 
eine  grosse  Ebene  vorstellen,  von  einem  zemssenen  Bergland 
begrenzt,  als  Wasserscheide  zwischen  Meer  und  Barka.  Die 
Beni  Amer  bewohnen  also  hier  die  Verlängerung  des  Landes 
der  Habab,  welche  aucli  vom  östlichen  Abhang  des  Hochlandes 
bis  zum  Meergestade  hinaus  wohnen.  Wir  haben  das  Innere 
des  Söhel  nie  besucht,  wir  lernten  nur  das  Gestade  kennen; 
es  wird  von  allen  Augenzeugen  als  sehr  dürr  geschildert  und 
ist  noch  wasserloser,  als  das  Samhar. 

Nach  dem,  was  wir  in  der  geographischen  Skizze  gesagt, 
lehnt  sich  das  Barka  an  das  nördliche  Hochland  Abyssiniens. 
Es  bildet  eine  Ebene,  die  aber  noch  oft  von  letzten  Gebirgs- 
ausläufern  unterbrochen  wird;    es  hat  also  einen  Doppelcha- 

18* 


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276  üeber  die  Beni  Amer. 

rakter,  der  sich  auch  seinen  Bewohnern  aufprägt;  die  Beni 
Amer  sind  nämlich  halb  aus  Abyssiniem  und  halb  aus  Bedou 
oder  Bedja,  den  Kindern  der  unermesslichen  Fläche,  zusam- 
mengesetzt. So  fehlt  es  dem  Barka  nicht  an  Bergen;  da  sie 
aber  keine  Hochfläche  bilden,  so  sind  sie  nur  fähig,  die  ein- 
zelnen Ebenen  voneinander  zu  trennen,  nicht  aber  dem  Lande 
einen  Gebirgscharakter  zu  verleihen. 

Wir  haben  schon  in  andern  Unte^uchungen  gezeigt,  dass 
das  abyssinische  Hochland,  das  nach  Osten  hin  schroff  gegen 
das  Meeresgestade  abfällt,  gegen  Norden  nur  allmählig  zur 
Ebene  sich  abflacht  und  zwar  in  drei  Richtungen:  das  Plateau 
von  Tsasega  als  Fortsetzung  des  Okulekusai  verlängert  sich 
gegen  Norden*  in  rechtem  Flügel  als  Land  des  Anseba  und 
zieht  sich  mit  immer  abnehmender  Erhebung  fest  bis  Suakin. 
Pas  Plateau  des  Tigre  sinkt  gegen  Norden  zimi  Shire,  Adi- 
abo,  Bazenland  als  linker  Flügel;  es  streckt  sich  noch  als 
unbedeutendes  Plateau  von  Algeden  aus,  das  sich  zwischen 
M*areb  und  Barka  legt  und  weist  noch  weit  nördlich  als  Ha- 
dendoaberge  seine  letzten  Spur€?n.  In  der  Mitte  dieser  beiden 
Flügel  endlich  sinkt  das  marebumflossene  Sarae  zur  QoUa 
Sarae  ab  und  ihm  lehnt  sich  von  Norden  das  Flachland  Barka 
an,  gleichsam  als  Hof  zwischen  einem  Flügelgebäude  rechts 
vom  Ansebaland  beschränkt,  links  vom  Plateau  von  Algeden. 
Ihm  gehört  also  auch  der  untere  Anseba  an,  wie  das  politisch 
getrennte  Land  der  Barea. 

Dieses  Tiefland  durchzieht  und  schafft  eigentlich  der  Strom 
Barka,  den  wir  geographisch  charakterisirt  haben;  seine 
durchschnittliche  Höhe  ist  2000  Fuss  bis  zum  16.  Grad.  Wir 
haben  Höhenbestimmungen  von  Serobeti  (2113),  von  Mogelo 
(2340),  von  Taura(2000  Fuss).  Seine  Höhe  geht  dem  des  Gash 
ungefähr  parallel  (Kassala  1800).  Das  Land  Barka  besteht 
aus  grossen  Alluvialebenen  mit  schwarzer  fetter  Erde,  von 
den  Strömen  gebildet  und  unterbrochen  von  einzelnen  Bergen 
und  welligem,  dürrem,  steinigem  Hügelland.    Besonders  das 


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üeber  die  Beni  Amer.  277 

obere  Barka  bis  El  Hesh  wird  von  Bergen  sehr  eingeschränkt; 
es  ist  grasreich  und  den  Heerden  besonders  günstig. 

Der  Name  Barka  bedeutet  eigentlich  Wildniss  (im  Amhar. 
Berha);  es  ist  die  «Baraka»  der  Abyssinier;  die  Ansebavölker 
nennen  es  Barka,  die  Beni  Amer  aber  Baraka.  Er  bezeichnet 
sowohl  den  Strom  selbst,  als  sein  Gebiet.  Es  ergibt  sich  aus 
de^l  früher  Gesagten,  dass  er  ein  Torrent  ist,  d.  h.  nur  aus- 
nahmsweise in  der  Regenzeit  fliesst;  sonst  hat  er  nur  unter- 
irdisches Wasser.  Auch  in  der  Regenzeit  hat  er  selten  viel 
Wasser,  da  sein  Quellgebiet  beschränkt  ist.  Dagegen  erreicht 
er  eine  bedeutende  Breite,  die  ihm  in  seinem  Unterlauf  kein 
Berg  wehrt.  Seinen  Lauf  bezeichnen  die  ihn  fast  bis  zum 
16.  Grad  begleitenden  Dumwälder.  Das  Land  Barka  hat  also 
kein  fliessendes  Wasser,  dagegen  finden  sich  unweit  Dunguaz 
bei  Bela  Genda  zwei  kleine  Seen,  wovon  der  grösste  ^twa 
eine  Quadratstunde  gross  ist  und  nie  austrocknet  In  der 
Regenzeit  findet  sich  überhaupt  viel  stagnirendes  Wasser,  das 
der  thonige  Boden  aufbewahrt.  Stunden  weit  ist  oft  der  Boden 
mit  Wasser  bedeckt.  Der  Regen  fällt  von  Ende  Juni  bis 
September,  während  das  Söhel  mit  dem  Samhar  correspondirt; 
er  fällt  meist  in  der  Nacht  mit  grosser  Heftigkeit.  Das  Klima, 
ist  der  Viehzucht  äusserst  günstig;  Ackerbau  verbietet  bis 
jetzt  nur  die  dünne  Bevölkerung  und  die  Unsicherheit  der 
Zustände;  Baumwolle  würde  ausgezeichnet  gedeihen.  Obgleich 
Fieber  wie  in  jedem  heissen  Tieflande  nicht  fehlen,  so  haben 
sie  selten  den  gefährlichen  Charakter  der  Sudanfieber.  Wir 
haben  qs  also  mit  einem  dünnbevölkerten  Lande  zu  thun,  da 
Nomaden  nicht  eng  beieinander  wohnen  können;  deswegen 
fehlt  ihm  der  Reiz  der  ungestörten  Wildheit  nicht;  zahlreich 
sind  hier  alle  Thiere  der  afrikanischen  Steppe  vertreten ,  vom 
Elefanten  und  dem  Nashorn  bis  zur  Gazelle;  die  Vegetation 
ist  fast  ohne  Ausnahme  die  des  Sudan. 


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Ethnographisches. 


In  diesen  weitläufigen  Niederungen  also,  die  Abyssinien 
von  Norden  anliegen,  auf  eine  Weise  wie  das  Meer  die  Insel 
bespült,  finden  wir  ein  nomadisches  Hirtenvolk,  das  gewöhn- 
lich unter  dem  Namen  Beni  Amer  (Amer's  Söhne)  zusammen- 
gefasst  wird.  Sie  theilen  sich,  wie  gesagt,  in  zwei  grosse 
gleich  starke  Provinzen,  in  die  Bewohner  des  Barka  und  die 
Bewohner  des  Söhel.  Wenn  wir  nun  untersuchen  wollen,  was 
unter  diesem  Volke  zu  verstehen  ist,  so  thun  wir  es  gezwun- 
gen durch  die  vielen  falschen  Vorstellungen,  die  von  Zeit  zu 
Zeit  in  den  geographischen  Werken  zu  Tage  treten.  Denn 
in  der  Frage  über  ein  äthiopisches  Urvolk  spielen  natürlich 
die  Beni  Amer  eine  ge¥d88e  Rolle. 

Um  uns  nun  vollständig  zu  orientiren,  müssen  wir  uns 
die  Stellung  der  Beni  Amer  in  Ostafirika  ansehen  und  finden 
vorerst  im  Norden  die  Hadendoa  und  Besharin,  die  den  gros- 
sen Raum  zwischen  Nil  und  Meer  von  den  Grenzen  Aegyptens 
an  ausfüllen.  Obgleich  diese  Völker  politisch  getrennt  sind, 
haben  sie  ungefähr  den  gleichen  Typus  und  gleiche  Lebens- 
art, und  sie  spre(^hen  ohne  Ausnahme  die  gleiche  Sprache, 
das  To'bedauie,  dessen  Grundzüge  wir  den  Kennern  mitthei- 
len wollen,  aber  ohne  zu  wagen,  seine  Stellung  zu  den  andeni 
Sprachen  zu  bestimmen. 


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üeber  die  Beni  Amer.  279 

Im  Süden  der  Beni  Amer  finden  wir  Semiten,  die  das 
Hochland  in  seiner  weitesten  Ausdehnung  in  Besitz  halten 
und  Dialecte  der  äthiopischen  Sprache  reden.  Der  eine  die- 
ser Dialecte  ist  das  Tigrina,  noch  immer  den  Bergbewoh- 
nern des  eigentlichen  Abyssiniens  eigenthümlich ,  der  andere 
ist  das  Tigre,  das  die  nördlichen  und  östlichen  Abfälle  des 
Hochlandes  .beherrscht. 

Zwischen  diesen  zwei  Hauptstämmen  stehen  die  Beni  Amer 
keineswegs  unabhängig  in  der  Mitte,  denn  sie  haben  keine 
eigen thümliche  Sprache,  sondern  reden  die  Sprache  ihrer 
Nachbarn  von  Süden  und  Norden;  ihr  Land  ist  der  Kampf- 
platz zwischen  dem  To'  bedauie  (vulgo  Bedja)  und  dem  Tigre 
oder,  wie  es  hier  zu  Lande  genannt  wird,  dem  Hassa. 

Die  natürlichste  Erklärung  ist  daher,  dass  das  Volk  der 
Beni  Amer  das  Erzeugniss  von  dem  Zusammenstoss  der  bei- 
den Hauptnationen  ist,  indem  sich  die  Aethiopen  gegen  Nor- 
den, die  Bedou  aber  gegen  Süden  ausdehnten.  Wir  müssen 
nun  untersuchen,  inwiefern  die  jetzigen  Verhältnisse  des  Vol- 
kes dieser  Annahme  entsprechen  und  welche  Elemente  hinzu- 
gesetzt wurden,  um  aus  dieser  Mischung  ein  neues  Volk  zu 
machen. 

Das  Volk  der  Beni  Amer  besteht  aus  Adelichen,  Unter- 
worfenen, Sheichfamilien  und  Sklaven.  Die  zwei  letzten  Ru- 
briken können  wir  einstweilen  unberücksichtigt  lassen,  da  ihre 
Anwesenheit  im  Lande  eher  zufallig  ist.  Es  bleiben  also  die 
zwei  erstem  Abtheilungeu.  Die  Adelichen  nun  theilen  sich  in 
zwei  Stämme,  die  sich  ihrer  Verschiedenheit  immer  bewusst 
sind,  die  Belou  und  Nebtab. 

Die  Belou  waren  in  frühern  Zeiten  die  einzigen  Herrscher 
des  Volkes,  sie  sind  erst  in  jüngsten  Zeiten  durch  die  Neb- 
tab ersetzt  worden.  Doch  sind  sie  immer  als  adelich  ange- 
sehen, haben  ihre  eigenen  ünterthanen  und  bewohnen  meh- 
rere Lager  zwischen  Barka  und  dem  Gash.  Der  grösste 
Theil  hat  «ich  in  den  verschiedenen  Ansiedlungen  zer- 
streut. 


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280  üeber  die  Beni  Amcr. 

Die  Nebtab  dagegen  bilden  den  eigentlichen  Adel  des 
Landes  und  sind  von  den  Türken  als  solcher  anerkannt.  Sie 
sind  alle  Kinder  eines  Mannes  von  wenig  Generationen  her, 
haben  sich  aber  sehr  vermehrt  und  leben  in  vielen  Zweigen 
über  das  ganze  Gebiet  zerstreut;  wir  wollen  ihre  Hauptzweige 
anführen. 

Zaga,  Lager  von  Az  Mussaj  Residenz  des  obersten  Häupt- 
lings des  ganzen  Volkes;  in  der  Regenzeit  ötationirt  es  in 
Afdehob,  im  Sommer  am  Barka  in  der  Gegend  von  Dunguaz. 

Az  Ali  Bakit,  lagert  im  obern  Barka  von  Tshagie  bis 
Shytel  und  Boggu. 

Wass,  lagert  an  den  Abhängen  des  Dembelas  (Mansura  etc.). 

Az  Gultane  am  Debre  Säle. 

Az  Taule,  am  Barka  (bei  El  Hesh  etc.)  in  der  Nähe  von 
Az  Ali  Bakit. 

Az  Omer  und  Az  Amer  weiden  zwischen  dem  Barka  und 
den  Barea  und  Bazen. 

Az  Nurei,  AzNaseh,  Seniab,  Senkakdena  leben  unterhalb 
Zaga  gegen  die  Hadendoa  zu. 

Az  Menn^a  wohnen  vereinzelt  am  Gash  ober  Kassala. 

Im  Söhel  wohnen  Az  Ukut,  Hasri,  Ibrahim  u.  a.  m.,  sie 
kommen  aber  in  der  Regenzeit  oft  den  Anseba  und  den  Barka 
hinauf. 

Die  Az  Wossale  gehören  auch  zum  Adel,  obgleich  sie  keine 
Nebtab  sind,  sie  lagern  wie  die  Az  Ali  Bakit  am  obern  Barka. 

Wir  müssen  nicht  vergessen,  dass  alle  diese  Stänmie  No- 
maden sind,  dass  man  also  nur  im  Allgemeinen  ihren  Weide- 
bezirk angeben  kann,  da  sie  ihn  nach  Gonvenienz  jederzeit 
ändern  können. 

Mit  dem  Adel  nun  leben  die  Unterthanen  zusammen 
oder  sie  bilden  eigene  Zeltenlager  für  sich.  Während  der 
Adel  aber  Einer  Familie  angehört,  zerfallen  die  Unterthanen 
in  viele  einzelne  Stämme,  die  sich  nur  der  Sprache  nach  wie- 
der gruppiren  lassen. 

Die  Unterthanen  scheiden  sich  selbst  in  zwei  Gruppen,  in 


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üeber  die  Beni  Amer.  281 

Hassa  und  Bedaui.  Hassa  bezeichnet  einen  Tigre  redenden 
Stamm,  Bedaui  dagegen  einen  Unterworfenen,  dessen  Sprache 
To'bedauie  ist. 

Von  den  Stämmen  wollen  wir  die  wichtigsten  anfuhren. 

Hassa  sind:  Az  AUabia,  Az  Kukui,  Az  Bidel.  Die  er- 
stem sind  sehr  zahlreich,  leben  aber  über  das  ganze  Land 
zerstreut,  während  die  beiden  letztem  eigene  unabhängige 
Dörfer  bilden. 

Femer  Regbat  (meist  im  Söhel),  Ab  Hasheia,  Adambush 
und  Karot,  alles  Slänmie,  die  mit  ihren  Herren  zusammen- 
leben. 

Die  Beit  M'ale  imd  die  Aflenda  im  Söhel  sprechen  auch 
nur  Hassa;  die  letztem  haben  wir  unter  dem  Namen  Warea 
schon  im  Samhar  gefunden;  die  erstem  gehören  zur  Hälfte 
den  Habab  an;  beide  leben  nördlich  vom  Lande  der  Habab, 
die  Beit  M^ale  in  der  Nähe  des  Hager  Nageran. 

Bedaui e  sprechen  die  Abakel,  Shijab,  Shemmer,  AUahio- 
here,  Gugumta,  Ramedj  (in  Zaga);  sie  leben  mit  den  Neb- 
tab  zusammen;  die  Qareb  leben  im  Norden  der  Marea. 

Wir  finden  ferner  Reste  von  Kelou  (Haffara)  in  Zaga  und 
dann  Heikota,  die  beide  meist  Tigre  sprechen. 

Ln  Ganzen  genommen  leben  also  die  ünterthanen  neben 
ihren  Herren;  das  Lager  benennt  sich  gewöhnlich  nach  diesen 
letztem,  besonders  da  die  Tigrefamilien  sich  meist,  je  nach 
Convenienz ,  im  Land  zerstreuen.  Während  sie  sich  aber  nach 
ihren  Sprachen  genau  scheiden,  hängen  die  Nebtab  nur  po- 
litisch zusammen;  die  Söhne  der  gleichen  Familien  sprechen 
verschiedene  Sprachen.  Die  Nebtab,  die  im  Söhel  ansässig 
sind,  sprechen  nur  Hassa,  das  sie  offenbar  ihren  ünterthanen 
entlehnt  haben.  Die  Nebtab  im  Barka  reden  die  einen  eher 
Hassa,  die  andem  Bedauie;  Zaga,  Wass,  Taule  sprechen  wie 
ihre  Unterworfenen  das  letztere,  während  Az  Gultane  und 
Az  Ali  Bakit  fast  nur  Hassa  verstehen.  Diess  beweist,  dass 
die  Nebtab  ihre  gegenwärtige  Sprache  von  ihren  Ünterthanen 
erlemt  haben. 


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282  üeber  die  Beni  Amer. 

Die  nahe  Berührung  der  Sprachen  bringt  es  mit  sich,  daßs 
von  vielen  beide  verstanden  und  gesprochen  werden ,  diess  gilt 
übrigens  fast  nur  im  Barka,  während  im  Söhel,  in  der  Nach- 
barschaft der  Habab,  ausschliesslich  Tigre  gesprochen  wird. 
Auch  die  Belou  reden  beide  Sprachen,  obgleich  ihnen  das 
To'bedauie  eigenthümlicher  anzugehören  scheint.  Da  also  die 
Unterworfenen  in  der  Sprache  den  Ton  angeben,  so  haben 
vnr  sie  eher  als  ältere  Bewohner  dos  Landes  anzusehen. 

Dieser  Dualismus  in  der  Bevölkerung  zeigt  sich  auch  in 
den  arabischen  Geographen,  wo  die  Chassa  und  die  Bedja 
unterschieden  werden.  Diese  beiden  Namen  bedeuten  natür- 
lich den  ursprünglichen  Volksunterschied,  den  die  Sprach- 
verschiedenheit andeutet;  aber  darum  sind  Chassji  und  Bedja 
nicht  Volksnamen.  Die  Araber  theilten  die  Völker  nach  ihren 
Sprachen  in  zwei  Klassen.  Der  Name  Bedja  ist  ein  alterirtes 
Bedou.  Die  Hadendoa  und  Beni  Amer  selbst  nennen  ihce 
Sprache  To'bedauie,  d.  h.  das  Beduinische,  ganz  wie  im  Ara- 
bischen Äj^tXxJI.  Da  aber  dieses  d  fast  gequetscht  lautet, 
so  kann  es  das  ungewöhnte  Ohr  wohl  für  ein  ^  nehmen 
und  dann  für  ein  g;  auch  der  Name  Bidel  klingt  oft  Bidjel 
und  dann  selbst  Bigel.  Auch  jetzt  noch  nennen  die  Türken 
und  Araber  .das  Bedauie  einfach  Bega;  das  Dorf  der  Beni 
Amer,  das  an  den  Mauern  Kassala's  angesiedelt  ist,  besteht 
aus  vielen  Unterthanen  des  Barka,  die  die  Hoffnung  auf  Gewinn 
hierher  gezogen  hat;  da  sie  fast  alle  das  Bedauie  reden,  so 
nennen  die  Bewohner  der  Stadt  ihr  Dorf  Bega,  nicht  dem 
möglichen  Ursprung  gemäss,  um  den  sich  niemand  kümmert, 
sondern  wegen  ihrer  Sprache. 

Was  den  Namen  Chassa  betrifft,  so  ist  er  verhärtet  aus 
Ilasa,  wie  noch  jetzt  die  Beni  Amer  den  Namen  aussprechen. 
Jedenfalls  folgt  aus  der  Thatsache,  dass  beide  Namen  so  früh 
vorkommen,  dass  die  beiden  Sprachen  schon  lange  sich  in 
dieser  Zone  bekämpfen ;  aber  deswegen  kann  der  Unterschied 
zwischen  Besharin  und  Hadendoa  doch  älter  sein,  als  Makrisi. 


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Ueber  die  Beni  Amer.  283 

Wenn  wir  nun  die  zwei  grossen  Hauptstämme  uns  in  das 
jetzige  Land  der  Beni  Amer  eingewandert  denken,  indem  wir 
die  Hassa  von  den  Geez  herkommen  lassen,  die  Bedou  aber 
von  den  Hiidendoa  und  den  Besharin  vom  Norden,  auf  eine 
Weise,  dass  wir  die  Wenigen  von  den  Vielen  herleiten,  so 
fragt  sich,  ob  und  wen  sie  im  Lande  vorgefunden  haben.  In 
Bezug  auf  das  Barka  können  wir  theilweise  darauf  Antwort 
geben. 

Wir  wissen  nämlich  aus  der  Tradition,  dass  in  alten  Zei- 
ten das  Volk  der  Kelou  die  abyssinischen  Nordgrenzen  in 
Besitz  hatte;  man  zeigt  ihre  Gräber  noch  im  Sarae,  Hamasen, 
und  Barka  bis  Algeden.  Vom  Land  der  jetzigen  Bogos  hatten 
sie  die  Thäler  von  Boggu  über  Haggaz  bis  Shytel  in  Besitz. 
In  Haggaz  findet  sich  noch  das  Grab  eines  ihrer  Häuptlinge, 
Thilo,  wo  die  Landbebauer  jährlich,  um  eine  gute  Erndte  zu 
haben,  Opfer  spenden.  Es  ist  noch  jetzt  das  L^nd  am  obem 
Barka  als  Eigenthum  der  Kelou  anerkannt.  In  Keren  lebt 
nur  noch  eine  Frau  ihres  Stammes,  die  aber  noch  immer 
von  den  ihr  Land  bauenden  Bogos  einen  gewissen  Bodenzins 
erhält. 


Noch  jetzt  wohnen  einige  HafiFura,  die  Kelou  sind,  in  Al- 
geden und  Zaga;  das  Dorf  Tarifiit  am  Gash,  das  von  den 
Kunäma  vernichtet  wurde,  gehörte  auch  ihnen.  Diess  sind 
ihre  lebendigen  Reste  bis  auf  die  heutige  Zeit.  Zu  welcher 
Sprache  sie  gehörten,  ist  freilich  nicht  mehr  auszumachen. 

Ausser  ihnen  sollen  das  Barka  die  Heikota  bewohnt  haben. 

Dieser  Stamm,  der  auch  Haza  genannt  wird,  war  früher 
sehr  bedeutend  und  soll  zusammen  mit  den  Kelou  das  Barka 
bewohnt  haben.  In  neueren  Zeiten  war  er  am  Gash  ober 
Kassala  angesiedelt  und  trieb  Ackerbau  und*  Viehzucht;  dann 
wurde  er  von  dem  jetzigen  Häuptling  der  Beni  Amer  nach 
Kufit  in  das  Land  der  Barea  versetzt  und   nach  Zerstörung 


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284  Ueber  die  Beni  Amer. 

dieses  Dorfes  nach  Dunguaz  übergesiedelt.  Doch  entstand 
seitdem  ein  Process  zwischen  diesem  Fürsten  und  dem  Fürsteh 
der  Hadendoa,  Sheich  Mussa,  der  die  Heikota  als  seine  Un- 
terthanen  beanspruchte  und  derselbe  wurde  endlich  zu  des 
letztem  Gunsten  entschieden. 

Wir  erwähnen  die  üeberreste  der  Kelou  und  der  Heikota, 
weil  sie  sich  von  den  übrigen  Tigre  dadurch  unterscheiden, 
dass  sie  als  Aboriginer  gelten,  während  die  gewöhnlichen 
Tigre  ebensowohl  wie  ihre  Herren  sich  eingewandert  glauben. 

Diese  zwei  Stänmie  bewohnten  also  das  Barka;  es  ist  aber 
anzunehmen,  dass  sie  sich  den  Bergen  nahe  hielten.  Zu  ihnen 
kamen  dann  drei  Stämme,  die  Beit  Bidel,  die  AUabia  und 
ihr  Zweig,  die  Az  Kukui;  alle  Christen,  die  vom  Hamasen 
über  Gerger  hinab  kamen.  Es  ist  durch  die  Genealogie  be- 
wiesen, dass  sie  zu  der  grossen  Familie  Atoshim  gehören,  die 
den  grössten  Theil  des  Hamasen  noch  jetzt  innehat.  Im  Ha- 
masen erkennt  man  sie  immer  als  Verwandte  an;  es  gibt  so- 
gar noch  Bidel  in  Hazaga.  Ueber  die  Bidel  sind  wir  besonders 
genau  unterrichtet,  da  sie  mit  den  Takue  in  Verbindung  ge- 
setzt sind.  Die  Tradition  beider  Stämme  stimmt  vollkommen 
überein.  Sie  bewohnten  lange  den  DebreSale;  ihr  Stammvater 
heisst  Mellak  vom  Stamme  Dehebde.  Erst  in  neuerer  Zeit 
scheinen  sie  den  Debre  Säle  verlassen  zu  haben.  Sie  sind  jetzt 
fast  ausgestorben;  dagegen  bekamen  sie  Zuwachs  von  Abys- 
sinien  durch  Teklei,  der  von  Az  Shehei  vor  etwa  hundertund- 
funfzig  Jahren  auswanderte;  er  gewann  die  Oberhand  im 
Stamme,  sodass  jetzt  sein  Urenkel  Ibrahim  als  Häuptling 
der  Beit  Bidel  anerkannt  ist.  Die  Ansiedlung  vermehrten 
überdiess  Einwanderer  von  allen  Seiten,  sodass  ihr  der  Name 
Bidel  nur  uneigentlich  gebührt,  da  die  wahren  Beit  Bidel 
fast  verschwunden  sind;  sie  war  und  ist  aber  immer  von 
Abyssiniern  zusammengesetzt,  treibt  Feldbau,  spricht  nur  Tigre 
und  hat  sich  ^erst  in  unserer  Zeit  zum  Islam  bekehrt. 
Sie  ist  nur  fünfundzwanzig  Jahre  alt.  Das  christliche  Gefühl 
hat  sich  noch  so  frisch  erhalten,   dass  die  Bidel  in  grosser 


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Ueber  die  Beni  Amer.  285 

Noth  anstatt  des  neuen  Allah  zum  alten  Gott  Eg^iabeher  ihre 
Zuflucht  nehmen;  in  Zeit  grosser  Dürre  fordert  der  Häupt- 
ling den  Stamm  auf,  von  Gott  Regen  zu  erflehen;  dann  gehen 
alle  Leute  in  Procession  um  das  Dorf  und  singen:  Egzio  ma- 
herenna  o  Cristos,  Gott  erbarme  dich  unser,  o  Christus! 
Wunderbarer  Klang  im  Munde  von  Mohammedanern!  Die 
Bidel  bewohnen  die  Ebenen  zwischen  dem  Barka  und  den 
Barea. 

Ueber  die  Allabia  und  Az  Kukui  haben  wir  keine  wei- 
tern Nachrichten;  dagegen  sind  sie  noch  immer  sehr  zahl- 
reich, besonders  die  letztern  bilden  noch  immer  sehr  gi'osse 
Zeltenlager. 

So  blieb  das  Barka  noch  bis  vor  etwa  hundertundfunfzig 
Jahren ;  eigenthümlich  ist  die  Beschreibung^  die  die  Tradition 
davon  macht. 

Das  Barka,  so  erzählte  mir  Ibrahim  Weld  Jaui,  der  sehr 
alte  Häuptling  von  Beit  Bidel,  der  es  von  seinem  Grossvater 
Sare,  Teklei's  Sohn,  wissen  konnte  —  war  in  jener  Zeit  öde, 
wild  und  leer,  fast  nur  von  wilden  Thieren  bewohnt.  Die 
wenigen  Bewohner  wagten  sich  kaum  in  die  Ebene;  sie  wohn- 
ten an  den  Bergen  in  sicherer  Stellung,  während  die  Tiefe 
Urwald  war.  Das  ist  der  Sinn  der  Sage  von  den  funfeig 
Jünglingen,  die,  nachdem  sie  an  Einem  Tage  die  Weihe  der 
Mannbarkeit  erhalten,  auf  einem  Raubzuge  auch  alle  zusam- 
men spurlos  verloren  gingen.  Auf  das  Gleiche  deutet  die 
Geschichte  vom  Elefanten,  den  die  Riesenschlange  auffirass, 
die  hinwiederum  von  den  schwarzen  Ameisen  aulgezehrt  wurde. 
Noch  jetzt  hat  das  Barka  des  Fürchterlichen  genug,  der  Mensch 
ist  aber  doch  Meister  geblieben.  Dagegen  scheint  sich  der 
Baumcharakter  verändert  zu  haben;  denn  die  Bidel  behaupten, 
ihre  Grosseltem  hätten  die  erste  Dumpalme  bei  Demba  ge- 
sehen, während  sie  jetzt  den  Stromufern  nach  einen  wohl 
funfeehn  Stunden  langen  fortdauernden  Wald  bildet. 

Zu  diesen  bisherigejn  Bewohnern  des  Landes  traten  nun 
von  Westen  kommend  die  Az  Säle,  von  der  Familie  der  S*adab 


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Ueber  die  Beni  kmev. 

von  Shendi,.al80  zum  Stamme  der  Djalm  gehörend.  Sie  sind 
also  den  Nebtab  einigermassen  verwandt.  Sie  Hessen  sich 
neben  den  Bidel  nieder,  mit  denen  sie  friedlich  zusammen- 
wohnten. So  viel  über  das  obere  Barka.  Das  untere  Barka 
bevölkerten  >  die  Bedou,  die  sich  gegen  Süden  immer  mehi* 
ausbreiteten. 

Was  nun  das  Söhel  betrifft,  so  ergibt  sich  aus  der  jetzigen 
Lage,  dass  es  von  Süden  her  bevölkert  wurde.  Denn  die 
jetzigen  Bewohner  sind  alle  Hassa  in  Stämmen,  die  noch  jetzt 
bei  den  Habab  und  im  Samhar  vorkommen;  die  Bevölkerung 
der  Küste  von  Massua  bis  Aqiq  ist,  die  später  gekommenen 
Nebtab  ungerechnet,  ganz  die  gleiche.  Deswegen  finden  wir 
mehrere  Stämme,  deren  HeiTschaft  zwischen  dem  Naib  von 
Arkeko  und  dem  .Deglel  streitig  ist.  Natürlich  war  diese  Be- 
völkerung christlich;  deswegen  machte  sich  der  Verkehr  zwi- 
schen Abyssinien  und  Suakin  auf  diesem  Wege,  nämUch  den^ 
Anseba  hinab;  die  Pilger  nach  Jerusalem  gingeh  bis  Hager 
Nageran  durch  christliches  Land  und  gelangten  sicher  bis 
Suakin,  wo  sie  sich  einschifften.  Dieser  freundliche  Verkehr 
hörte  mit  der  Islamitisirung  des  Landes  auf;  das  Kloster  Ha- 
ger wurde  zerstört;  die  Pilger  mussten  sich  andere  Wege 
suchen,  obgleich  die  Erinnerung  an  diesen  Weg  noch  immer 
fortlebt  und  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Pilger  mit  Mühe  und  Noth 
nach  Hager  wallfahrtet. 

Zu  den  alten  Bewohnern  des  Landes  traten  dann  —  wir 
denken  vor  etwa  fünfhundert  Jahren  —  die  Belou. 

W^er  dieser  Stamm  ist,  kann  nicht  mehr  entschieden 'wer- 
den. Sie  selbst  nennen  sich  Araber  und  sogar  Abbasiden. 
Trotzdem  sie  ihrer  Physiognomie  nach  jedenfalls  zu  den  Semiten 
gehören,  wollen  wir  darüber  nicht  entscheiden,  um  so  weniger, 
da  die  Belou  nur  noch  den  kleinsten  Theil  des  Volkes  aus- 
machen. Uebrigens  weiss  ich  nicht,  warum  man  jede  ara- 
bische Herkunft  der  Afrikaner  leugnen  sollte.  Die  Araber, 
die  Spanien  überschwemmten,  können  doch  auch  über  das 
enge  Meer  gesetzt  sein.    In  Westafrika  lässt  man  sie  gelten 


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lieber  die  Beni  Amer.  287 

und  in  Ostafirika  sollten  sie  unmöglich  sein,  da  wo  ein  be- 
ständiger leichter  Verkehr  die  Küsten  verbindet? 

Wir  wissen  ja,  dass  Mohammed  selbst  alle  seine  Hoffnung 
auf  Abyssinien  setzte,  dass  er  selbst  Apostel  dahin  schickte; 
es  gibt  noch  jetzt  Familien  in  Abyssinien,  die  sich  davon 
herschreiben.  Wir  wissen,  dass  Abyssinien  und  Arabien  sich 
naher  standen,  als  jetzt.  Wir  sehen  noch  jetzt  täglich  Ein- 
wanderungen nicht  von  Völkern,  sondern  von  Familien,  die 
aber  in  der  Länge  der  Zeit  zu  einem  Volke  werden  und  be- 
sonders wenn  es  Semiten  sind,  die  an  der  Stanamverfassung 
zäh  festhalten.  Analogien  fehlen  hier  nicht,  wie  bei  dem  Volk 
Takue^s,  der  nach  dreizehn  Generationen  nicht  weniger  als 
viertausend  Nachkonmien  hat. 

Trotzdem  wollen  wir  den  Ursprung  der  Belou  dahingestellt 
lassen;  ihre  Herrschaft  dehnte  sich  von  Norden  ausgehend 
aus;  ihre  ersten  Sitze  waren  nach  aller  üeberlieferung  in  der 
Nähe  von  Aqiq*);  sie  unterwarfen  sich  nach  und  nach  die 
Bewohner  des  Söhel  und  gingen  mehr  und  mehr  den  Anseba 
und  Barka  hinauf;  doch  scheinen  sie  das  obere  Barka  nicht 
berührt,  zu  haben.  Die  Jesuiten  setzen  auf  ihrer  Karte  das 
Königreich  Balou  in  diese  Gegenden;  es  kann  sich  das  nur 
auf  die  Belou  beziehen.  Sie  waren  so  lange  Zeit  Herren  des 
Landes,  dass  ihr  Name  (Belaui)  mit  dem  Namen  „Herr" 
gleichbedeutend  geworden  ist.  Sie  scheinen  aber  ziemlich 
strenges  Regiment  geführt  zu  haben,  denn  Belaui  nennt  man 
noch  jeden  sehr  harten,  grausamen,  böswilligen  Mann.  Je- 
denfalls scheinen  die  Belou  seit  undenklichen  Zeiten  Moham- 
medaner gewesen  zu  sein.  Wir  wissen,  dass  ein  Zweig 
dieses  Stammes  der  Küste  entlang  nach  Süden  gehend  nach 
dem  Samhar  kam  und  noch  jetzt  die  Herrschaft  demselben  in 
Besitz  hat. 


*)  Darauf  deutet  hin,  dass  die  Belou  von  Dokono  auch  von  dieser 
Seite  her  kamen  und  dass  auch  die  Kebtab,  die  zuerst  sich  den  Belou 
anschlössen,  im  Söhel  wohnten. 


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288  üeber  die  Beni  Amer. 

Die  Belou  wurden  erst  in  jüngster  Zeit  von  den  Nebtab 
ersetzt:  wir  dürfen  hierin  der  Tradition  glauben,  da  sie  die 
neue  Herrschaft  auf  kaum  sechs  Generationen  zurückführt 
Der  Stammvater  des  Geschlechtes  kam  als  Gast  zu  den  Belou 
und  wurde  ihnen  verschwägert. 

Seinie  Nachkommen  sind  also  mütterlicherseits  die  Eindes- 
kinder der  Belou.  Wie  es  das  Geschick  mit  sich  brachte, 
das  neue  Geschlecht  vermehrte  sich  stark,  währei^d  das  alte 
immer  mehr  abnahm.  So  wurden  die  Nebtab  Herren  des 
Landes.  Das  Neggaret  (die  grosse  Pauke)  und  der  Fürsten- 
hut ging  an  sie  über,  obgleich  die  gedemüthigten  Belou 
noch  immer  als  ebenbürtiger  Adel  anerkannt  sind.  Sie  schrei- 
ben sich  von  den  Djalin  her,  denen  sie  noch  ziemlich  glei- 
chen. Ihre  ersten  Wohnsitze  hatten  sie  im  Söhel;  die  Gross- 
väter der  jetzigen  Generation  sind  da  begraben:  erst  nach 
und  nach  erweiterte  sich  die  Herrschaft  den  Barka  hinauf 
und  linksab  bis  an  den  Fuss  des  Hochgebirges.  Auch  der 
Herrschersitz  hat  sich  in's  Barka  gezogen  (Zaga).  Mit  ihnen 
wanderten  auch  Bewohner  des  Söhel  mit,  daher  finden  wir 
z.  B.  die  Az  Regbat  auch  im  Barka.  Nuii  wurden  auch  die 
alten  Bewohner  des  obem  Barka  unterworfen,  die  Bidel, 
Kukui  u.  s.  w. ,  ebenso  die  Bedaui  sprechenden  Stämme,  von 
denen  man  behauptet,  sie  seien  mit  den  Nebtab  eingewan- 
dert; wir  glauben,  sie  seien  ebenHadendoa  und  so  immerhin 
von  Norden  her  an  den  Barka  gelangt,  wo  sie  von  den  Neb- 
tab unterworfen  wurden. 

So  sehen  wir  das  Land  der  heutigen  Beni  Amer  von  zwei 
Seiten  her  bevölkert.  Von  Süden  kommen  die  Geez- Völker 
in  zwei  Richtungen:  die  einen  dehnen  sich  vom  Lande  der 
Habab  nordwärts  aus  bis  Aqiq  und  füllen  so  alles  Land  zwi- 
schen Anseba  und  Meer  mit  Tigre  redenden  Stämmen;  die 
andern  steigen  vom  Hamasen  gegen  das  Barka  nieder.  Sie 
sind  alle  Christen. 

Von  Norden  her  breiten  sich  die  Bedaui,  d.  h.  die  No- 
maden immer  mehr  gegen  Süden  aus;  sie  waren  nie  Christen, 


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lieber  die  Beni  Amer.  289 

jetzt  sind  sie  Mohammedaner.  Sie  scheinen  das  Geezelement 
ziemlich  überwunden  zu  haben,  da  die  jetzigen  Beni  Amer 
in  Recht  und  Sitte  sich  eher  zu  den  Hadendoa  neigen.  Die 
Belou  und  die  Nebtab  bilden  nur  einen  kleinen  Theil  der  Be- 
völkerung ;  sie  überwanden  die  alten  Völker  politisch,  wurden 
aber  sprachlich  von  ihnen  überwunden;  auch  sie  neigten  und 
neigen  sich  aber  eher  zum  Bedauie  hin,  besonders  die  Belou, 
deren  Reich  vorzüglich  von  Bedauie  sprechenden  Völkern 
scheint  gebildet  worden  zu  sein.  So  entstand  ein  Volk,  das 
unter  dem  Namen  Beni  Amer  zusammengefasst  wird,  obgleich 
es  eigentlich  nur  den  Belou  zu  gehören  scheint.  Das  Klima 
hat  diese  verschiedenen  Stämme  einander  ähnlich  gemacht 
und  auch  dem  Volksleben  seinen  Stempel  aufgedrückt;  denn 
während  die  Agäzi  in  dem  kalten  Hochland  Ackerbauer  ge- 
worden sind,  während  die  immer  nomadischen  Hadendoa  am 
Gash  von  der  Ueberschwemmung  zur  Bodencultur  eingeladen 
werden,  haben  die  weitläufigen  Ebenen  des  Barka  und  des 
Samhar  die  Bewohner  zu  nomadischen  Hirten  gemacht;  die 
Beni  Amer  ebensowohl,  wie  die  Habab  und  die  Leute  des 
Samhar  haben  sich  fast  ganz  der  Viehzucht  gewidmet;  sogar 
die  Beit  Bidel  wenden  sich  immer  mehr  vom  Ackerbau  ab. 
Sie  haben  alle  die  Nomadenreligion  angenommen  und  sind  alle 
Kameelzüchter  geworden ,  so  viel  Abscheu  auch  die  christlichen 
Habab  zuerst  vor  dem  Kameel  haben  mussten.  So  bestimmt 
der  Boden  den  Charakter  und  die  Lebensart,  trotz  des  ver- 
schiedenen Ui-sprunges. 


Muniing«r,  OsUfrik.  Studien.  1 9 


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Politische  Verhältnisse. 


N  ach  den  bisher  gewonnenen  Resultaten  kann  man  annehmen, 
dass  die  Beni  Amer  zwischen  zwei  grossen  Nationen,  den  Abys- 
siniemim  Süden  und  den  Hadendoa  im  Norden,  gewissermasseii 
eingekeilt,  den  Angriffen  dieser  Mächte  ausgesetzt  waren.  Wir 
lesen  denn  auch  in  den  abyssinischen  Chroniken  von  Verwü- 
stungszügen, welche  die  abyssinischen  Kaiser  von  Zeit  zu  Zeit 
in's Tiefland  unternahmen;  ebenso  zeugt  der  heutige  Nationalhass 
und  der  nicht  beendetet  Kampf  gegen  die  Hadendoa  von  ui*- 
alter  Feindschaft  und  die  heutige  Stellung  beweist,  dass  die 
Beni  Amer  den  Kurzem  zogen.  Sie  mussten  sich  also  um 
jeden  Preis  einen  Halt  suchen,  um  sich  ihrer  Feinde  zu  er- 
wehren und  sie  fanden  ihn  in  den  Fundj,  die,  vom  Sennaar 
ausgehend,  Nordostafrika  unterwarfen;  sie  haben  endlich  die- 
sen Halt  nach  dem  Untergang  der  Fundj  in  den  Türken  ge- 
funden. 

Man  darf  sich  nicht  über  die  leichte  Eroberung  grosser 
Landstriche  im  Orient  wundem;  sie  ist  nur  leicht,  solange 
sie  sich  mit  dem  orientalischen  Begriff  der  Herrschaft  und 
mit  dem  Tribut  begnügt;  sobald  sie  sich  Recht  und  Gericht, 
Sitten  und  Verfassung  unterwerfen  will,  wird  sie  auf  ernste 


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Ueber  die  Beni  Amer.  291 

Schwierigkeiten  stossen  und  zwar  b'esonders  bei  Nomaden.  Diese 
wollen  sich  mit  dem  Tribut  nur  sichere  Weide  erkaufen,  be- 
droht man  aber  ihre  innere  Freiheit  und  Eigenthümlichkeit, 
so  haben  sie  Mittel  genug,  sich  dem  drohenden  Joch  zu  ent- 
ziehen. Sie  ziehen  sich  in  die  wasserlose  Steppe  zurück,  wohin 
kein  Heer  folgen  kann;  die  Kameelmilch  ersetzt  ihnen  das 
Wasser;  sie  sind  ohnediess  an  grosse  Wanderungen  gewöhnt 
und  zum  Transport  eingerichtet;  alle  ihre  Habseligkeiten  sind 
leicht  fortzuschaffen  und  ihr  Verlust  ist  kein  grosser  Schaden. 
Das  Haus  ist  ein  Zelt,  von  Matten  bedenkt,  die  schnell  er- 
setzt werden  können.  Grundbesitz  ist  keiner  da;  wo  Weide 
ist,  da  ist  des  Nomaden  Heimat.  Da  hat  die  Auswande- 
rung für  ihn  keinen  Schreck.  Nomadische  Völker  sind  also 
leicht  zu  unterwerfen,  aber  nur  bis  zu  einem  gewissen  Punkte; 
was  nicht  den  Tribut  angeht,  werden  sie  immer  unabhän- 
gig sein. 

Die  BeniAmer,  ebenso  wie  die  Habab,  standen  also  unter 
der  Botmässigkeit  der  Fundj ,  obgleich  das  obere  Barka  mehr 
von  Abyssinien  abhängig  war.  Die  Fundj  erhielten  einen 
kleinen  jährlichen  Tribut  in  der  Form  eines  Geschenkes  und 
belehnten  den  Vornehmsten  der  Belou  und  dann  der  Nebtab 
mit  dem  braunen  Sammethut  als  Abzeichen  der  Fürst^nwürde. 
Diese  Art  Dreispitz  wird  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
von  dem  Mek  von  Tegele,  dem  Sheich  der  Hallenga  und  dem 
der  Hadendoa  getragen,  wie  von  dem  Fürsten  der  Beni  Amer. 
Zweites  Abzeichen  der  Würde  war  das  Neggaret,  die  Pauke 
von  Metall,  die  noch  jetzt  im  Hause  der  Deglel  aufbewahrt 
und  bei  feierlichen  Anlässen  geschlagen  wird.  Der  Titel  eines 
solchen  Belehnten  wai*  Deglel,  eigentlich  ein  Tigrewort,  das 
alt  (senior)  bedeutet;  dieser  Titel  gebührt  noch  immer  dem 
Stammfürsten  der  Beni  Amer.  Der  Deglel  als  Haupt  des 
Stammes  erhielt  natürlich  nur  freiwillige  Gaben  von  seinen 
ebenbürtigen  Verwandten;  als  Symbol  der  Familieneinheit  war 
sein  Amt  heilig,  aber  -sonst  war  er  nur  der  Erste  von  Gleich- 
gestellten, der  lebendige  Repräsentant  des  Stammvaters.    An- 

19* 


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292  üeber  cKe  Beni  Amer. 

ders  stand  natürlich  das  Yerhältniss  zwischen  dem  herrschenden 
Stamm  und  seinen  Unterthanen,  auf  deren  Stellung  wir  zu- 
rückkommen werden. 

Das  Yerhältniss  zum  Auslande  änderte  sich  vollkommen 
mit  der  Eroberung  des  Sennaar  durch  Mohanmied  Ali,  der  sich 
viel  zu  mächtig  fühlte,  um  sich  mit  dem  Scheinregiment  der 
Fundj,  an  deren  Platz  er  im  Sudan  trat,  zu  begnügen.  Das 
Yerhältniss  wurde  strenger  und  fester,  aber  auch  die  Türken 
haben  es  nicht  zu  einer  ordentlichen  Regierung  gebracht.  Als 
die  Fundj  gefallen  waren,  näherten  sich  die  Yölker  des  Su- 
dan nur  misstrauisch  den  Türken,  deren  Farbe  schon  befrem- 
dete; die  Türken  selbst  thaten  alles,  um  diese  Abneigung  zu 
erhöhen;  auf  der  Spitze  ihrer  Bajonette  errichteten  sie  zuerst 
ihr  Regiment,  ohne  die  Yerhältnisse  des  Landes  zu  berücksich- 
tigen. Alles  fühlte  sich  bedroht  oder  verletzt;  man  sah  in 
dem  Türken  den  fremden  rohen  Barbar,  der  nach  Hab  und 
Gut,  ja  nach  Weib  und  Kind  die  Hand  ausstreckt;  es  war 
kein  einziger  Stamm,  der  sich  ganz  freiwillig  unterworfen 
hätte.  Besonders  die  Hadendoa,  die  sich  selbstständig  stark 
genug  fühlten,  leisteten  hartnäckigen  Widerstand;  ihr  Muth 
und  ihre  Ausdauer  zwangen  selbst  den  Türken  Bewunderung 
ab.  Die  Beni  Amer  dagegen  wehrten  sich  nur  in  der  ersten 
Zeit  gegen  die  Fremdlinge;  sie  sahen  bald  ein,  dass  sie  selbst 
die  Türken  nöthig  hätten,  ebenso  gut  wie  vorher  die  Fimdj, 
als  Halt  gegen  die  erfolgreichen  Angriffe  ihrer  Nachbarn, 
der  Hadendoa,  der  Barea  und  der  Abyssinier.  Sie  retteten 
durch  ihre  Unterwerfung  eigentlich  ihre  Existenz.  Dasselbe 
thaten  auch  die  Hallenga,  die,  von  alten  Zeiten  her  von  den 
Hadendoa  bedrängt,  sich  mit  den  Türken  gegen  ihre  Erb- 
feinde vereinigten.  So  wurden  die  Türken  Herren  des  Landes; 
was  sich  nicht  freiwillig  unterwarf,  das  bezwang  die  imposante 
Militärmacht. 

Sobald  aber  die  Herrschaft  gesichert  schien,  handelte  es  sich 
um  den  Nutzen  und  die  PoUtik  änderte  sich.  Die  rohe  Ge- 
walt, mit  der  bis  jetzt  regiert  wurde,  erforderte  eine  bedeu- 


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üeber  die  Beni  Amer.  293 

tende  Militärmacht,  die  einerseits  viel  kostete,  anderseits  in 
den  Händen  eines  Ehrgeizigen  gefahrlich  werden  konnte.  Der 
Tribut  war  sehr  drückend,  aber  brachte  keinen  Nutzen,  da 
die  Bevölkerung  im  Verhältniss  zum  Areal  sehr  klein  ist:  die 
Occupation  wurde  darum  um  so  schwieriger.  Das  Land  durch 
neue  Industrie  und  Hebung  des  Ackerbaus  zu .  bereichern, 
das  verstanden  die  Türken  nicht.  Das  Land  wurde  ausgesaugt, 
aber  der  Staatsschatz  musste  dessenungeachtet  den  Finanzen 
immer  aufhelfen.  Aufgeben  konnte  man  das  Sudan  nicht, 
weil  Aegypten  damit  einen  militärischen  Rückhalt  hat  und 
der  Handel  Aegyptens  diese  Besitzung  verlangt.  Eine  wohl- 
feile Regierung  konnte  nur  dadurch  hergestellt  werden,  dass 
die  Türken  die  natürlich  im  Lande  schon  vorhandenen  Macht- 
verhältnisse zweckmässig  benutzten  und  sich  mit  dem  Adel 
des  Landes  verbanden.  Die  Türken  sicherten  dem  Adel  die 
Herrschaft  über  die  Unterthanen  zu;  der  Adel  hingegen  er- 
leichtert den  Türken  die  Herrschaft.  Seitdem  ist  eine  grosse 
Militärmacht  überflüssig  geworden,  denn  der  Adel  ist  fiir  seine 
Einkünfte  von  den  Türken  abhängig.  Auch  die  Stammfürsten 
empfangen  jetzt  an  der  Stelle  der  freiwilligen  Gaben  einen 
gewissen  Tribut,  den  ihnen  die  Soldaten  eintreiben  helfen: 
so  haben  sich  die  Verhältnisse  ganz  geändert.  In  der  ersten 
Zeit  ihrer  Herrschaft  bedrückten  die  Türken  Adel  und  Ge- 
meine ohne  Unterschied  und  beide  wurden  gleich  gerecht  oder 
ungerecht  behandelt.  Die  Gemeinen  waren  aber  nicht  fähig, 
den  Vortheil  der  Gleichheit  zu  begreifen,  sie  schlössen  sich 
der  Regierung  nur  halb  an;  der  Adel  dagegen  schmollte  so 
lange,  bis  die  Türken  einsahen,  dass  von  ihm  alles  abhänge. 
Nun  wurden  Türken  und  Adel  gegen  die  Gemeinen  einig.  Die 
Türken  nehmen  also  vorerst  ihren  eigenen  Tribut  und  dann 
treiben  sie  einen  zweiten  ein  zu  Gunsten  der  herrschenden 
Klasse.  Widerstand  ist  natürlich  unmöglich  und  Klagen  blei- 
ben ungehört.  Seitdem  regiert  der  Adel  viel,  unumschränkter 
und  besonders  der  Deglel  hat  eine  nie  gekannte  Macht  be- 
kommen.    Dieses   System   hat   seinen   Abschluss   durch   den 


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294  Ueber  die  Beni  Amer. 

Besuch  Said  Pashas  bekommen,  der  die  Steuern  vom  Vieh 
auf  den  dritten  Theil  herabsetzte;  man  muss  aber  nicht  glau- 
ben, der  Ausfall  sei  den  Besteuerten  zu  gute  gekommen;  er 
wurde  nur  den  Häuptlingen  überlassen*). 

*)  Um  uns  diese  Verhältnisse   klarer   zu   machen,   wollen   wir    die 
Bevölkerung   und   den  Tribut  der  Az  Ali  Bakit  hier  aufzählen,    eines 
der  bedeutendsten  Stämme  der  Beni  Amer. 
Er  hat  ei'wachsene  waflfentragende  Männer: 

100  Nebtab  oder  Adeliche.  ■ 

105  Tigre  von  Az  Bejet.  j      ^ 

DO      »     «von  Az  Zemat.  1       n 

20      »      von  Az  Erbet.  I      ^ 

HO      »      von  Az  Arei.  f      ^  ^ 

.56      »      .von  Az  Nussur.  >       «  ^ 

100      »      von  Az  Omer.  l       c  OQ 

30      »      von  Hintitere.  1      ^ 

70      »      von  Az  Hömmed.        I      g 
'M)      »      von  Az  Daqalli.  |      5 

50      »       von  Az  Omer  Hajet.  ; 
760  erwaclisene  Männer,  wovon  Vr  Nebtab; 
Dazu  kann  man  noch  etwa  240  Mann  rechnen,  Arme  oder  Steuerfreie. 
1000  Mann  oder  4000  Seelen. 
Der  Tribut  wird  auf  den  Kopf  berechnet,    aber  je  nach  dem  Ver- 
mögen etwas  erhöht ;  auf  den  Mann  kamen  durchschnittlich  vier  Thaler. 
In  frühem  Zeiten   nahmen    die  Türken  von  diesem  Stamme  zwei- 
tausend Thaler  und  überliessen  es  den  Häuptlingen,  was  sie  von  ihren 
Uuterthanen  nehmen  wollten;  seit  Said  Pasha  ist  es  anders: 

Tribut  von  1860. 

1)  für  den  Diwan  des  Pasha,  eigentliche  Steuer  Thaler  50t). 

2)  zu  Gunsten  des  Deglel  Hamid,  Fürsten  der  Beni  Amer      »      200. 

3)  für  den  tributeintreibenden  Lieutenant  »     .100. 

4)  für  den  Statthalter  des  Stammfürsten  Mohammed 

Weld  Hömmed  »  100. 

5)  für  seinen  Bruder  Erbet,  Steuereinnehmer  »  150. 

6)  für  seinen.  Bruder  Ali  Bakit  »  70. 

7)  für  Unterhalt  der  Truppen,  einen  Monat  »  240. 

8)  für  den  Häuptling  der  Ali  Bakit,  Mohammed  »  400. 

9)  für  seinen  Statthalter  Hamid  »  200. 

10)  für  ein  dem  Häuptling  gekauftes  Pferd  von  dem 

Tribut  entschädigt  »        80. 

11)  (jreschLiik  an  den  Fürsten  des  Hamaseu,  Hcilu  m       100. 

12)  für  laufende  Jahresausgaben  »      200. 

Thaler  2340. 


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üeber  die  Beni  Amer.  295 

Es  ist  klar,  dass  die  Häuptlinge  keinen  Grund  haben,  mit 
den  Türken  unzufrieden  zu  sein;  sie  haben  viel  grössere  und 
sicherere  Einnahmen,  als  früher.  Würden  die  Türken  das 
Land  verlassen,  so  würde  dieser  Zustand  einer  Anarchie  Platz 
machen;  jeder  Tribus  würde  sich  vom  Gesammtverband  unab- 
hängig zu  machen  suchen  und  nach  langem  Kampf  der  Ge- 
wandteste Herr  bleiben. 

Um  diess  genau  zu  verstehen,  muss  man  bedenken,  dass 
die  Erbfolge  bei  diesen  SlÄmmen  nicht  gesichert  und  regel- 
mässig war,  während  die  jetzigen  Häuptlinge  die  Türken  be- 
nutzen, um  ihr  Amt  ungefährdet  ihren  Kindern  zu  hinterlassen. 
Selbst  bei  den  Beni  Amer^n  ging  das  Amt  eines  Deglel  oft  von 
einer  Familie  in  die  andere  über.  Bei  andern  Völkern  ent- 
stammen die  jetzigen  Häuptlinge  sogar  ganz  unbedeutenden 
Familien  und  unterdrücken  mit  Hülfe  der  Türken  die  alten 
Geschlechter,  so  in  Algeden,  Sabderat  und  bei  den  Hallenga, 
sodass  sie  den  Türken  alles  verdanken. 

Natürlicherweise  beschäftigen  wir  uns  hier  nicht  nur  mit 
den  Beni  Amer'n,  sondern  wir  haben  das  ganze  Sudan  im  Auge. 
Die  Politik  Said  Pasha's  vereinfietchte  sicherlich  die  Regierung, 
aber  sie  hat  ihre  ungeheuren  Schattenseiten,  die  wir  nicht 
verkennen  dürfen.  Indem  die  Regierung  einem  Theil  ihrer 
Unterthanen  die  Hand  bot  und  das  fehlende  Militär  durch 
ein  Compromiss  mit  diesem  zu  ersetzen  suchte,  büsste  sie  den 
Respect  ein,  und  mit  dem  Respect  ging  auch  die  Ordnung 
imd  Sicherheit  verloren.  Solange  die  agressive  Soldatenherr- 
schaft dauerte,  erzwang  die  Hoffnungslosigkeit  blinde  Unter- 


Von  dieser  Summe  geht  also  nur  75  an  die  Regierung,  Vj  an  die 
Familie  des  Stammfürsten  der  Beni  Amer,  %  an  die  wichtigsten  Häupt- 
linge des  Tribus  selber.  In  andern  Jahren  ist  die  V^rtheilung  etwas 
anders.  Auffallend  ist  nur  der  kleine  TheU,  den  die  Regierung  davon 
hat.  Der  Tribut  aller  Beni  Amer  schwankte  früher  von  20  —  30,000 
Thaler,  wovon  das  Söhel  die  Hälfte  zahlte.  Die  Bevölkerung  übersteigt 
{gewiss  100,000  Seelen,  sie  kann  aber  auch  das  Doppelte  betragen,  so 
schwierig  ist  es,  sich  davon  einen  Begriff  zu  machen. 


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296  üeber  die  Beni  Amer. 

würfigkeit.  Seit  aber  die  Truppen  vermindert  und  die  Häupt- 
linge wieder  halb  selbstständig  geworden  sind,  haben  sich 
die  Eingebornen  an  den  Gedanken  gewöhnt,  ihr  Land  einmal 
ganz  von  den  Türken  geräumt  zu  sehen.  Um  die  Folgen  da- 
von zu  begreifen,  braucht  man  nur  die  Provinz  Taka  seit 
Said  Pasha  sich  anzusehen.  Welcher  Contrast  zwischen  ehe- 
mals und  jetzt.  Damals  war  Kosrew  Bey  Statthalter  der 
Provinz  und  ihr  unumschränkter  Herr.  Viertausend  gut  geübte 
Soldaten  gehorchten  seinen  Befehlen;  Widerstand  war  unmög- 
lich; von  Cairo  hatte  er  keine  Kritik  zu  befurchten.  Doch 
muss  man  gestehn,  dass  er  seine  Macht  nicht  missbrauchte; 
seine  Gewissenhaftigkeit  steht  noch  jetzt  in  gutem  Andenken. 
Er  war  kein  civilisirter  Neutürke,  sondern  ein  Osmanli  vom 
alten  Schlag;  die  Peitsche  spielte  ihre  grosse  Rolle,  die  Ab- 
gaben waren  schwer,  die  Handlungsweise  willkürlich.  Aber 
er  regierte  mit  gleichmässiger  Strenge  über  Vornehme  und 
Geringe;  das  Land  war  sicher  und  blühte  auf.  Man  würde 
sich  sehr  täuschen,  wenn  man  das  europäische  Rechtssystem, 
das  eine  öflfentliche  Meinung,  Heiligkeit  der  Eide,  Wahrhaf- 
tigkeit der  Zeugen  voraussetzt,  als  für  den  Orient  passend 
ansehen  wollte:  aber  Gerechtigkeit  erzwingt  sich  dessen- 
ungeachtet überall  Achtimg.  Ein  grosser  Tribut  ruinirt  nie- 
manden, wenn  er  gerecht  vertheilt  wird.  Was  ruinirt,  ist  die 
Unsicherheit  der  Wege,  die  Straflosigkeit  der  Verbrecher,  das 
Faustrecht  der  Stämme,  die  sich  untereinander  befehden  und 
bestehlen,  die  Unbekümmertheit  und  Unschlüssigkeit  der  Re- 
gierung. Darum  müssen  wir  Kosrew,  unter  dem  die  Provinz 
Taka  einer  unbeschreiblichen  Ruhe  und  Sicherheit  genoss,  un- 
bedingt loben.  Man  weiss ,  dass  er  auf  die  Beschwerden  der 
Consuln  hin  abgesetzt  wurde,  weil  er  das  Land  der  Bogos 
verheeren  liess.  Ihm  folgte  Elias  Bey,  ein  tüchtiger  Soldat, 
dei:  sich  um  die  Eroberung  des  Sudan  sehr  verdient  gemacht. 
Er  machte  sich  sehr  gefürchtet  und  durch  seine  Energie  selbst 
beliebt,  wenn  ihm  auch  die  Gerechtigkeitsliebe  seines  Vor- 
gängers abging. 


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lieber  die  Beni  Amer.  297 

Seit  nun  die  Sheich  von  Said  Pasha  als  eine  gewisse  Macht 
anerkannt  und  den  Statthaltern  nicht  untergeordnet,  sondern  zur 
Seite  gesetzt  wurden,  haben  diese  letztern  viel  von  ihrer  Au- 
torität eingebüsst  und  begnügen  sich  fast  nur  mit  Tributein- 
treibung; ihr  Benehmen  ist  unsicher,  ängstlich,  passiv,  da 
sie  nie  freie  Hand  haben  und  die  Sheich  ihren  Weg  bis  Cairo 
linden,  um  sich  zu  beklagen.  So  verfallen  die  einzelnen  Stämme 
wieder  der  alten  Anarchie;  ein  Stamm  beraubt  den  andern 
oder  bekriegt  ihn,  ohne  dass  die  Regierung  einschreiten  kann. 
Der  Tribut  wird  durch  die  Forderungen  der  Sheich  sehr  er- 
höht, ohne  dass  dafür  den  Unterthanen  Sicherheit  geboten 
wäre;  seine  Vertheilung  geht  willkürlich,  parteiisch  vor  sich, 
da  sie  in  den  Händen  von  Coterien  liegt.  Früher  nahm  die 
Regierung  einen  Zehnten  von  allem  beweglichen  Vermögen; 
jetzt  ist  er  in  eine  Kopfeteuer  umgewandelt,  die  den  Armen 
und  den  Reichen ,  den  Heerdenbesitzer  und  den  Hirten  gleich- 
massig  trifft.  Für  industrielle  Völker,  die  von  der  Arbeit, 
Ackerbau  und  Handel  leben,  scheint  diese  Besteuerung  nicht 
immer  ganz  ungerecht.  Von  Hirten  aber,  die  sich  von  den 
Producten  ihrer  Heerden  nähren,  bei  denen  der  Lohn  gering 
ist,  ist  gewiss  die  Kopfsteuer ,  die  sich  bloss  um  die  Zahl  küm- 
mert ohne  Rücksicht  des  Vermögens,  widernatürlich  und  er- 
zeugt besonders  bei  den  unterdrückten  Armen  grosses  Miss- 
behagen. Für  die  landbauenden  Stämme  legte  Said  Pasha 
ausser  der  Kopfsteuer  eine  Abgabe  auf  den  Feddan.  Um  die 
Bedeutung  dieser  Massregel  zu  begreifen,  muss  man  wissen, 
dass  die  Anwohner  des  Gash  in  Folge  der  Ueberschwemmung 
ziemlich  regelmässige  schöne  Emdten  haben.  Die  Stämme 
aber,  die  der  Flüsse  entbehren,  wie  z.  B.  Algeden,  cultiviren 
mit  dem  Regen,  der  aber  in  diesen  Tiefländern  nicht  con- 
stant  ist,  sodass  die  Erndte  häufig  misslingt;  für  diese  letz- 
tem wird  eine  Abgabe  auf  den  Feddan,  gleichviel  wie  sein 
Ertrag  sei,  oft  sehr  bedrückend.  Dagegen  zahlen  reiche  Han- 
delsstädte, wie  z.  B.  Gos  Redjeb,  fast  gar  nichts,  weil  sie  kei- 
nen Ackerbau   treiben,   dagegen  um  so   mehr  Handel.     Die 


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298  Ueber  die  Beni  Amer. 

grüne  Erfahrung  spricht  für  uns,  da  seit  der  Einführung  des 
Feddan  der  Ackerbau  mit  Benutzung  des  Regens  ziemlich 
abgenommen  hat.  Die  Unzufriedenheit  muss  man  sich  freilich 
zum  Theil  auch  aus  dem  conservativen  Geist  des  Afrikaners 
erklären;  eine  neue  Abgabe,  wenn  sie  im  Vergleich  zur  alten 
auch  leicht  wäre,  erregt  mit  ihrem  neuen  Namen  immer  ein 
gewisses  Misstrauen. 

Die  Veränderung  hat  aber  noch  eine  andere  viel  bedenk- 
lichere Folge;  der  Mangel  an  einem  Heer  hebt  nicht  nur  die 
innere  Sicherheit  auf,  sondern  er  verhindert  eine  kräftige  aus- 
wärtige Politik.  Die  Sheich  mit  all  ihrer  Freundschaft  bürgen 
für  die  Treue  ihrer  Unterthanen;  aber  sollte  das  Land  ange- 
griffen werden,  so  kann  der  Landsturm,  über  den  sie  ver- 
fügen, nichts  retten.  Man  hat  das  Heer  reducirt,  weil  man 
keinen  Aufstand  mehr  zu  furchten  braucht;  aber  an  das  Aus- 
land dachte  man  dabei  nicht. 

Nun  zeigt  aber  Abyssinien  eine  gewisse  Tendenz,  sich 
nach  allen  Seiten  auszudehnen  und  der  jetzige  Kaiser  Theo- 
doros  ist  ihr  eifriger  Träger;  ein  allgemeiner  Angriff  hat  noch 
nicht  stattgefunden,  aber  es  sind  vereinzelte  Ereignisse  vor- 
gekommen, die  den  ünterthanen  Aegyptens  klar  bewiesen, 
dass  die  Regierung  nichts  zu  ihrem  Schutze  thun  konnte. 

Vom  Hamasen  aus  fingen  Heilu  und  auch  Marit  an,  die 
Beni  Amer  des  obem  Barka  zum  Tribut  aufzufordern;  wenn 
sie  sich  auch  mit  Geschenken  abfinden  Hessen,  so  mussten 
die  Beni  Amer  doch  einsehen ,  dass  die  Türken  sie  nie  gegen 
einen  möglichen  Angriff  beschützen  würden.  Heihi  besonders 
ist  im  Barka  sehr  respectirt  und  beliebt.  Die  Marea,  von  den 
Abyssiniem  bedroht,  entrichteten  diesen  beiden  Fürsten  Tribut 
und  verweigerten  ihn  den  Türken.  Die  Fürsten  von  Adiabo 
begnügten  sich  nicht  mit  der  Unterwerfung  der  Bazen,  son- 
dera  sie  machten  sich  auch  die  Barea  unterthan,  die  lange 
Jahre  Aegypten  unterthan  gewesen.  Die  Türken  thaten  nichts 
zu  ihrer  Unterstützung,  sind  aber  deswegen  nicht  gesonnen, 
sich   bescheiden    zurückzuziehen,   sodass   (üe  Barea  wohl  an 


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Ueber  die  Beni  Amer.  299 

beide  Mächte  Tribut  zahlen  müssen.  Auch  Algeden  muss  sich 
mit  Geschenken  von  Adiabo  den  Frieden  erkaufen.  Dsadiq 
verheerte  letztes  Jahr  Az  Ali  Bakit;  die  Türken  rührten 
sich  nicht.  Er  überfiel  ungestraft  die  Zeltenlager  der  Haden- 
doa  bei  Elit.  Der  Marktplatz  Metamma  zahlt  doppelten  Tri- 
but, an  Abyssinien  und  an  die  Türken.  Der  Mek  Omer  Weld 
Nimr,  der,  bekanntlich  mit  den  Türken  blutverfeindet,  im 
Wolkait  sich  festsetzte,  wird  von  den  Abyssiniern  stets  un- 
terstützt, um  gegen  die  ägyptischen  Unterthanen  Krieg  zu 
fuhren. 

Da  nun  die  Unterthanen  sehen ,  dass  die  Regierung  nichts 
für  sie  thut,  anderseits  die  grossen  Pläne  des  Kaiser  Theodoros 
allgemein  bekannt  sind,  so  werfen  alle  Völker  der  Grenze  ihre 
Augen  auf  das  Hochland  und  gewöhnen  sich  allmählig  an  die 
Idee  eines  Herrenwechsels.  Die  Aussicht,  dem  christlichen 
Abyssinien  anzugehören,  kann  sogar  ihren  Reiz  haben.  Denn 
die  Abyssinier,  so  speculirt  der  Sudanese,  könnten  die  Rolle 
der  Fundj  übernehmen,  aber  nicht  der  Türken;  sie  würden 
den  Sudan  tributpflichtig  machen,  aber  nie  bleibend  occupiren ; 
so  könnten  sie  nur  einen  massigen  Tribut  verlangen  und  sich 
nicht  in  die  inneren  Angelegenheiten  mischen;  denn  bleibende 
Garnisonen  würde  das  Klima  verbieten  und  schreckende  Heer- 
züge der  Wassermangel.  Fügen  wir  bei,  dass  der  Sudanese 
durch  den  national -afrikanischen  Geist  dem  Abyssinier  unge- 
mein näher  steht,  als  dem  fremdfarbigen  Türken,  mit  dem  er 
nur  die  Religion  gemein  hat. 

Die  neuesten  Zeiten  haben  einen  Kampf  zwischen  den 
Abyssiniern  und  den  Aegyptem  im  Sudan  in  Aussicht  gestellt ; 
die  Eingebornen  und  die  Türken  selbst  sind  abergläubisch 
davon  überzeugt,  dass  das  bestehende  Regiment  bald  sein 
Ende  nehmen  werde.  Daher  rührt  die  Furcht  vor  den  Abys- 
siniern, deren  militärische  Macht  man  überschätzt.  Wir  können 
den  Vortheil  discipliuirter  Truppen  über  ungeordnete  Horden 
nicht  bezweifeln.  Wir  sehen  aber,  dass  dieses  stehende  Heer 
nicht  verhindern  kann,  dass  die  Rajas  jährlich  unter  seinen 


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300  üeber  die  Beni  Amer. 

Augen  ausgeplündert  werden.  'Nicht  vergessen  darf  man, 
dass  man  bei  einem  möglichen  Zusammenstoss  in  die  Soldaten 
nicht  alles  Vertrauen  setzen  darf,  da  sie  an  den  Krieg  wenig 
gewöhnt  und  ein  Theil  von  ihnen  geborene  Hochländer  sind, 
die  sich  immer  nach  ihrem  Vaterlande  zurücksehnen.  Die 
Abyssinier  haben  mehrere  schätzenswcrthe  Eigenschaften;  sie 
sind  gut  beritten,  frugal,  kosten  wenig  und  rekrutiren  sifch 
bei  dem  kriegerischen  Geiste  des  Volkes  leicht;  sie  können 
das  ganze  Land  verheeren  und  wieder  verschwinden,  bevor 
die  Türken  es  nur  wissen.  Wenn  wir  nun  einsehen,  dass 
Abyssinien,  wenn  einig  und  fest  regiert,  den  Aegyptern  noch 
ernstlich  zu  schaffen  geben  kann,  zeigt  die  Gegenwart,  dass 
selbst  bei  den  jetzigen  elenden  Zuständen  des  Hochlandes  das 
passive  Verhalten  der  Türken  das  Terrain  Schritt  für  Schritt 
ohne  allen  feindlichen  Zusammenstoss  so  zu  sagen  freiwillig 
aufgibt. 

Freilich  scheint  die  Regierung  noch  zu  Lebzeiten  Said 
Pasha's  ihren  Fehler  eingesehen  zu  haben;  davon  zeugt  die 
Absendung  Mussa  Pasha's,  dem  es  gewiss  an  Energie  nicht 
fehlt,  und  es  ist  zu  hoffen,  dass  der  jetzige  Pasha  von  Aegyp- 
ten  die  Sache  ernsthaft  genug  nimmt,  wo  dann  an  einem  glück- 
lichen Ausgang  nicht  zu  zweifeln  ist.  Wir  sagen,  wir  hoffen 
das,  denn  erstens  ist  es  traurig  anzusehen,  wie  diese  schönen 
Nordgrenzen  nie  zur  Ruhe  kommen  können,  wie  sie  von  beiden 
Seiten  gebrandschatzt  werden,  ohne  dass  der  Eine  den  Andern 
fortzujagen  den  Muth  hat,  als  wenn  sie  zwei  Raubvögel  wären 
über  demselben  Aas;  wir  müssen  wünschen,  dass  die  Grenzen 
endlich  festgestellt  werden.  Zweitens  hoffen  wir  als  Europäer, 
dass  der  Sudan  den  Türken  bleibe ;  nicht  als  ob  wir  die  Abys- 
sinier für  schlechter  hielten  als  andere  Menschen,  sondern 
weil  Abyssinien  nicht  im  Stande  ist,  das  Sudan  zu  organi- 
siren,  solange  es  sich  selbst  nicht  zu  organisiren  vermag  und 
weil  ihm  dieser  Besitz  nichts  nützen  kann.  Wir  wissen,  dass 
die  türkische  Occupation  unserem  Handel  und  unserer  Wissen- 
schaft den  Sudan  geöffnet  hat,  den  wir  früher  nur  mit  Lebens- 


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Ueber  die  Beni  Amer.  301 

gefahr  betreten  konnten.  Dass  eine  Reise  nach  Kassala  an 
Gefahr  der  nach  Timbuktu  in  nichts  nachgab,  davon  zeugt 
die  Reise  Burckhardt's.  Europa  steht  mit  der  Türkei  in  völker- 
rechtlichem Verkehr,  während  ^dr  in  Abyssinien  doch  immer 
noch  von  der  Gastfreundschaft  und  der  natürlichen  Gerechtig- 
keitsliebe der  Eingebomen  allein  abhängen.  Femer  finden 
wir,  dass  das  türkische  Regiment  trotz  seiner  Gebrechen  doch 
hundertmal  der  alten  Zeit  vorzuziehen  ist,  wo  der  Sudan  eine 
Raub-  und  Mörderhölde  war  und  ein  ewiger  Zweikampf  die 
Völker  vernichtete;  wie  es  fiüher  ausgesehen  hat,  das  erzählt 
derselbe  Burckhardt  und  das  sehen  wir  noch  jetzt  an  den  un- 
abhängigen Völkern  Nordafrikas.  Wir  kritisiren,  weil  wir 
Freund  sind  und  wir  können  nicht  begreifen,  wie  die  Reisen- 
den, die  allein  es  den  Türken  verdanken,  dass  sie  Reisende 
sind,  das  schwarz  sehen,  was  früher  viel  schwärzer  war,  wir 
begreifen  nicht,  dass  ein  Freund  der  Civiüsation  die  Invasion 
der  Abyssinier  im  Sudan  sich  herwünschen  kann,  die  alles 
zerstören  und  nichts  aufbauen  könnte  und  eine  anarchische 
Wüste  hinter  sich  lassen  würde.  Und  so  wollen  wii*  zu  unserm 
Gegenstande  zurückkehren,  indem  wir  das  Verhältniss  der 
Beni  Amer  zu  ihren  Nachbarstämmen  uns  deutlich  machen. 
Es  ergibt  sich  aus  der  geographischen  Lage:  die  Bewohner 
des  Söhel  stossen  mit  den  Habab  zusammen;  die  Beni 
Amer  am  untern  Barka  sind  Nachbarn  der  Hadendoa;  vom 
Süden  stösst  an  das  Barka  das  Barealand;  das  obere  Barka 
hat  es  mit  dem  Hamasen,  den  Bogos  und  den  Takue  zu  thün. 
Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  alle  diese  Berührungen  mit 
fremden  Völkern  in  der  Regel  feindlich  sind.  Die  Beni  Amer 
und  die  Hadendoa  standen  sich  immer  feindlich  gegenüber  und 
selbst  jetzt,  wo  sie  unter  der  gleichen  Regiemng  stehen,  dauert 
der  alte  Hass  fort.  Dem  offenen  Kampf  haben  die  Türken 
ein  Ende  gemacht,  aber  die  Räubereien  dauern  fort;  auf  dem 
Markt  von  Kassala  wird  sehr  oft  gestohlenes  Gut  verkauft. 
Der  Hass  der  Beni  Amer  zeigt  sich  recht  deutlich  in  der  Art, 
wie  sie   den  Ursprung   der  Hadendoa  erzählen.    Ein  König 


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302  Ueber  die  Beni  Amer. 

hatte  eine  Tochter,  die  verwahrte  er  in  einer  Burg  auf  der 
Insel  Suakin;  doch  wurde  sie  da  von  einem  Teufel  (Djinn) 
hesucht  und  gebar  ihm  sieben  Söhne,  die  Stammväter  der 
Hadendoa;  daher  die  geistreiche  Etymologie  von  Suakin  aus 
Sana  el  Djinn  (der  Teufel  hat's  gebaut).  Der  Hass,  der  sich 
in  diesen  lächerlichen  Erfiudungen  Luft  macht,  musste  um  so 
grösser  sein,  weil  sie  gegen  die  streitbaren  Hadendoa  im  Nach- 
theil waren.  Diese  letztern  bedienen'  sich  ausser  dem  Pferde, 
das  nur  in  der  Schlacht  bestiegen  wird,  des  Reitkameeis,  das 
sie  sehr  gut  dressiren,  sodass  es  an  Gelenkigkeit  dem  Pferde 
nichts  nachgibt.  Auf  den  leisesten  Wink  beugt  oder  erhebt 
es  sich.  Es  wird  auch  zur  Straussenjagd  verwendet;  die  Ha- 
dendoa kommen  oft  zu  diesem  Zweck  bis  nach  Desset  in  die 
Nähe  von  'MkuUu,  wobei  sie  sich  freilich  nicht  immer  mit 
der  Jagd  begnügen ,  sondern  auch  das  Land  unsicher  machen. 
Ich  weiss,  dass  vor  einigen  Jahren  der  Naib  selbst  mit  Sol- 
daten sie  aus  dem  Samhar  vertreiben  musste.  Wenn  nun  die 
Hadendoa  einen  Raubzug  unternehmen,  so  sitzen  auf  jedem 
Kameel  zwei  Mann;  in  dieser  Art  können  sie  sehr  grosse 
Distancen  in  kurzer  Zeit  durchreiten.  Um  sich  einen  Begriff 
von  der  Schnelligkeit  des  Kameeis  zu  machen,  will  ich 
erwähnen,  dass  es  im  Tag  sehr  bequem  15  Stunden  Weg 
zurücklegt.  Ich  kenne  einen  Postreiter,  der  im  Auftrag  des 
Boy  von  Dunguaz  am  Barka  direct  nach  Kassala  reiten  sollte; 
die  Abyssinier  waren  in's  Barealand  eingefallen;  die  türkische 
Garnison  stand  in  Dunguaz  und  der  Gouverneur  der  Provinz 
befand  sich  zufällig  da.  Da  er  von  Kassala  schnell  Hülfstrup- 
pen  kommen  lassen  wollte,  wurde  das  beste  Postkameel  ge- 
sattelt; die  directe  Entfernung  beträgt  einige  dreissig  Stunden; 
die  Post  wurde  um  10  Uhr  Morgens  expedirt  und  war  um 
6  UTir  Abends  in  Kassala;  schon  2  Tage  nachher  rückten 
JiOO  Soldaten  mit  einer  Feldkanone  in  Dunguaz  ein.  Neben- 
bei bemerkt  wird  das  Kameel  in  Afrika  noch  nicht  gehörig 
benutzt;  die  Karawanen  sind  noch  immer  sehr  schwerfällig, 
weil  keine  Agenten  den  Verkehr  vermitteln  und  so  der  Herr 


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üeber  die  Beni  Amer.  303 

der  Waare  die  Weiterbeförderung  selber  besorgen  muss  und 
weil  kein  Unterschied  für  Eilgut  gemacht  wird.  Bei  wohl- 
feilen Waaren  hat  ein  wenig  Aufenthalt  nichts  zu  sagen  und 
da  wird  billigei'weise  nur  auf  die  Tragkraft  des  Kameeis  Rück- 
sicht genommen;  es  macht  kleine  Tagereisen,  aber  trägt  um 
so  mehr;  so  braucht  es  von  Kassala  bis  Suakin  oft  volle 
20  Tage  und  trägt  7  Kantar.  Bei  werthvoUen  Waaren  aber, 
die  mehr  Transportspesen  vertragen  können,  wie  Straussen- 
fedem,  Wachs  und  Elfenbein  etc.  kann  man  nicht  begreifen, 
warum  man  mit  dem  Kameel  geizt  und  Zeit  verliert;  für. 
solche  Waaren  benutze  man  Reitkameele,  die  den  gleichen 
Weg  in  8  Tagen  zurücklegen  und  man  lege  ihnen  nur  halbe 
Last  auf;  damit  wird  Zeit  gewonnen,  was  die  grösseren  Spesen 
bei  Weitem  aufwiegt.  Ein  Wink  für  diejenigen,  die  den  Han- 
del des  Sudan  organisiren  wollen. 

Auch  mit  ihren  südlichen  Nachbarn,  den  Barea,  stehen 
die  Beni  Amer  auf  schlechtem  Fusse;  über  ihre  gegenseitigen 
Thaten  reden  wir  an  einem  andern  Orte;  hier  sei  nur  bemerkt, 
dass  die  Türken  auch  hier  den  Beni  Amer'u  aufgeholfen  haben ; 
die  Barea  wurden  gewissermassen  unter  die  Herrschaft  des 
Deglel  gestellt,  eine  Garnison  in's  Barealand  (Kufit)  verlegt 
und  das  Land  beruhigt.  Doch  seit  sich  die  Türken  zurück- 
gezogen haben,  ist  die  alte  Fehde  wieder  ausgebrochen,  ob- 
gleich die  Barea  ziemlich  heruntei^ekommen  sind.*) 

Zu  den  Bogos  standen  die  Beni  Amer  in  einem  freund- 
lichen, ja  sogar  bevormundenden  Verhältniss,  wenn  auch  ein- 
zelne Feindseligkeiten  nicht  fehlten.  Die  Az  Ali  Bakit,  ihre 
nächsten  Nachbarn,  hatten  sich  durch  ihren  Sheich  Bejet 
grossen  Einfluss  bei  den  Bogos  erworben,  da  diese  letztern  Um 
als  Hüter  des  Landes  gegen  die  übrigen  Beni  Amer  ansahen; 
sie  zahlten  ihm  eigentliche  Abgaben,  wogegen  er  ihnen  er- 
laubte, im  Tiefland  zu  cultiviren  und  die  Weide  zu  benutzen. 
Er  wurde  sogar  oft  als  Vermittler  zwischen  den  streitenden 


*)  Man  vergl.  den  Abschnitt:  Reise  durch  das  Land  der  Bazen. 


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304  Ueber  die  Beni  Amer. 

Bogos  angerufen  und  war  so  einigermassen  Schutzherr  dieses 
Völkleins.  Anderseits  waren  die  Beni  Amer,  wenn  sie  sich 
gegen  die  Türken  auflehnten,  froh,  sich  in's  Gehirge  zu  Freun- 
den zurückziehen  zu  können.  Man  weiss  aber  aus  meinen 
frühem  Mittheilungen,  dass  die  Bogos  sich  täuschten;  denn 
ihre  Freunde,  die  Az  Ali  Bakit,  machten  halb  gezwungen 
gemeinschaftliche  Sache  mit  dem  ganzen  Barka  und  Gash,  das 
(1854)  unter  Mitwirkung  der  Türken  das  Land  der  Bogos 
ausplünderte.  Seitdem  ist  das  Verhältniss  der  beiden  Stämme 
.kälter  geworden. 

Viel  entschiedener  treten  die  Takue  gegen  die  Beni  Amer 
auf:  sie  stehen  ihnen  unabhängig,  oft  sogar  feindlich  gegen- 
über; schon  früher  ist  erzählt  worden,  wie  sie  die  eindringen- 
den Beni  Amer  aufs  Haupt  schlugen.  Die  Az  Ali  Bakit 
Hessen  dabei  an  100  Todte  zurück,  doch  erholten  sie  sich 
schnell.  Auch  der  neuern  Niederlage  der  Az  Gultane  haben 
wir  erwähnt  (Juni  1861).  Um  gerecht  zu  sein,  muss  man 
bedenken,  dass  die  Beni  Amer  sich  nie  in  die  Angelegenheiten 
des  Hochlandes  gemischt  hätten ,  wenn  sie  nicht  von  den  ent- 
zweiten Factionen  selbst  um  Intervention  angegangen  worden 
wären. 

Die  Marea  und  die  Beni  Amer  streiten  sich  oft  und  be- 
stehlen sich  noch  häufiger;  aber  sie  liegen  sich  zu  nah  und 
sind  für  die  Weide  zu  sehr  voneinander  abhängig,  als  dass 
sie  dauernd  Feinde  bleiben  könnten.  Was  die  Wass  betriflPt, 
so  leben  sie  auf  den  Grenzen  des  Dembelas,  mit  dem  sie  sehr 
befreundet  sind;  wenn  sie  rebelliren,  so  ziehen  sie  sich  in 
dieses  Gebiet  zurück. 

Noch  müssen  wir  des  Verkehrs  der  Az  Ali  Bakit  mit  dem 
Hamasen  gedenken.  Von  jeher  war  das  Verhältniss  zu  den 
Grenzgauen,  Molasenei,  Az  Shehei,  Az  Danshim  und  Az  Ma- 
man,  entschieden  feindlich.  Diese  vier  Gaue  benutzen  nämlich 
sßit  undenklicher  Zeit  die  Weiden  des  Barka  bis  Shytel,  die 
keinen  eigentlichen  Besitzer  mehr  haben,  seit  die  Kelou  aus- 
gestorben sind.    Den  Beni  Amer'n  lie^  natürlich  alles  daran, 


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üeber  die  Beni  Amer.  305 

sie  hier  zu  verdrängen;  daher  ein  hartnäckiger  Kampf,  der 
noch  nicht  entschieden  ist.  Noch  vor  wenigen  Jahren  (1857 
und  1858)  verheerten  die  Az  Ali  Bakit  die  Heerden  dieser 
Gaue,  die  im  Vertrauen  auf  einen  kurz  vorher  geschlossenen 
Vertrag  im  Tiefland  weideten.  Sie  wurden  dafür  nicht  ge- 
züchtigt, da  sie  dem  Fürsten  des  Hamasen  wichtige  Dienste 
leisteten.  Wir  wissen  nämlich  (Recht  der  Bogos,  pag.  22), 
dass  Dedjas  Heilu,  der  Statthalter  des  Hamasen,  durch  Marit 
verdrängt  wurde.  Er  zog  sich  mit  seinem  Anhang  nach  dem 
Barka  zurück  und  bestimmte  die  Az  Ali  Bakit,  ihm  für  die 
Wiedereroberung  seines  Landes  behülflich  zu  sein.  So  stieg 
er  im  Juni  1859,  begleitet  von  vielen  seiner  Anhänger  und 
von  300  Beni  Amer'n  unter  der  Führung  Bejet's,  in's  Hamasen 
hinauf  und  wurde  Samstag  den  4.  Juni  bei  Az  Gabru  unweit 
Tsasega  von  Marit  angegriffen.  Die  Schlacht  entschied  die 
Reiterei,  an  der  Heilu  Mangel  litt.  Heilu  wurde  gefangen 
genommen  und  an  Negussie  ausgeliefert;  der  alte  Bejet  fiel 
und  mit  ihm  über  100  seiner  Leute.  Da  seitdem  Heilu  wieder 
in  die  Regierung  eingesetzt  worden  ist,  muss  er  natürlich  den 
Beni  Amer'n  schon  für  den  Tod  Bejet's  dankbar  sein,  sodass 
die  abyssinischen  Grenzgaue  gezwungen  sich  ruhig  verhalten 
müssen. 

Das  Verhältniss  der  Beni  Amer  zu  allen  erwähnten  Grenz- 
nachbarn Abyssiniens  charakterisirt  sich  durch  ein  den  erstem 
eigenthümliches,  besonders  aus  der  Religion  hervorgehendes 
Superioritätsgefühl,  eine  Arroganz,  denen  diese  verwahrlosten 
Kinder  des  Hochlandes  keinen  Stolz  noch  Glauben  entgegen- 
stellen können.  Die  Bogos  und  die  Takue  geben  ihre  Töchter 
den  Beni  Amer'n  zu  Frauen  hin,  obgleich  sie  wissen,  dass 
diese  sogleich  zum  Islam  übergehen  müssen ;  einem  Beni  Amer 
würde  es  nie  einfallen,  seine  Tochter  einem  Bogos  zu  geben, 
selbst  wenn  dieser  Mohammedaner  wäre,  da  er  ihn  nicht  als 
ebenbürtig  ansieht.  Dieser  Stolz,  den  jedes  islamitische  Volk 
hat,  ist  das  Kind  der  Einheit,  der  Zusammengehörigkeit.  Die 
Mohammedaner  haben  einen  religiösen  Patriotismus,  der  über 

Ifunzinger,  Ostafrik.  Studien.  20 


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306  Ueber  die  Beni  Amer. 

Freund  und  Familie  geht.  Wenn  sie  einen  Kriegszug  gegen 
die  sogenannten  Kaffem  vorhaben,  so  nehmen  alle  Stämme 
bis  zum  Gash  daran  Theil.  Niemandem  fällt  es  ein,  aus 
Rücksicht  auf  seine  christlichen  Freunde  und  Verwandten  den 
Kriegsplan  zu  verrathen.  Schnell  wird  berathen  und  noch 
schneller  gehandelt;  ungeahnt  fällt  man  in  das  feindliche 
Land  ein.  Das  ist  der  Vortheil  des  Islam,  der  keine  Neben- 
rücksichten kennt.  Wie  verschieden  ist  das  Benehmen  der 
Bogos  und  aller  ähnlichen  Völker.  Das  Gemeinwohl  ist  ihnen 
ein  unverstandener  Begriff;  sie  haben  kein  leitendes  Band, 
das  die  Privatinteressen  erstickt;  sie  berathen  lange,  da  jede 
Familie  für  sich  denkt  und  können  nicht  schweigen;  wenn  sie 
auch  einig  werden,  richten  sie  nichts  aus,  da  jeder  Einzelne 
an  seinen  guten  Freund  oder  Verwandten  Botschaft  schickt, 
um  ihn  zu  warnen;  so  verräth  jeder  den  andern.  Daher  ist 
die  Arroganz  des  Mohammedaners,  so  xinangenehm  sie  auffällt, 
vollständig  gerechtfertigt;  der  Familiengeist  hat  gewiss  seine 
guten  und  edlen  Seiten,  aber  er  verhindert  alles  Zusammen- 
wirken. 


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Staat  und  Recht. 


Wir  haben  schon  gesehen,  dass  alle  Beni  Amer  unter 
emem  Stammfürsten  (Deglel)  stehen,  von  dem  Stamm  der 
Nebtab.  Der  jetzige  Deglel  heisst  Hamid,  ein  noch  junger 
Mann  mit  feinem  Gesicht  und  von  feiner  Gestalt,  schmächtig 
gebaut,  leicht  und  beweglich,  gescheidt,  sarkastisch,  wenig 
würdevoll.  Er  hat  einen  ziemlich  würdigen  Nebenbuhler  in 
seinem  Vetter  Mohammed  Weld  Höinmed,  von  seinem  Vater 
auch  Weld  el  Fil  genannt,  da  dieser  wegen  seiner  Gestalt  auch 
a Elefant»  zubenannt  wurde.  Dieser  Mohammed  ist  erster 
Statthalter  des  Deglel,  dem  er  fast  gleichsteht;  er  wird  wegen 
seiner  Prunksucht  auch  Fashat  genannt,  ist  würdevoll  und 
gesetzt,  macht  viele  Umstände  und  liebt  schöne  Kleider  und 
grosses  Gefolge.  Das  Amt  des  Deglel  beschränkt  sich  fast  auf 
das  Eintreiben  des  Tributs,  von  dem  er  mit  seinen  nächsten 
Verwandten  sein  gutes  Theil  erhält.  Ausserdem  hat  er  das 
Becht  der  Imamet,  d.  h.  auf  den  Zehnten  von  der  Beute  eines 
Raubzuges.  Wären  die  Türken  nicht  da,  so  würden  diese 
Rechte  sehr  in  Frage  gestellt  werden.  Uebrigens  führt  fast 
jeder  Stamm  der  Beni  Amer  Krieg  mit  dem  Ausland  auf  eigene 
Faust;  auch  im  Gericht  steht  jeder  gewöhnlich  für  sich  nach 
dem   herkömmlichen   Recht;   doch    entscheidet    in   streitigen 

20» 


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308  üeber  die  Beni  Amer. 

Fällen  die  Sherfe,  d.  h.  das  kanonische  Recht,  das  von  einem 
in  Zaga  residirenden  Kadi  gedeutet  wird,  der  in  den  verschie- 
denen Lagern  seine  Agenten  hat.  Erste  Instanz  ist  die  Fa- 
milie, zweite  der  Herr  für  die  Unterthanen  und  der  Häupt- 
ling des  Tribus  für  die  Herren,  dritte  ist  die  Chassamet  Allah 
oder  das  göttliche  Recht,  das  aber  bei  der  im  ganzen  Orient 
herrschenden  Bestechlichkeit  der  Kadi  meist  sehr  ungöttlich 
interpretirt  wird.  Die  Residenz  des  Deglel  und  seiner  Familie 
ist  Zaga  (par  excellence  so  genannt,  da  für  jeden  Stamm  das 
Zeltenlager  der  Kameele  diesen  Namen  führt).  Es  wird  von 
allen  bewohnt,  die  mit  der  Regierung  zu  thun  haben,  ihren 
Dienern,  Sklaven  und  Sklavinnen.  Anständige  Leute  leben 
sonst  weit  davon,  besonders  im  Herbst,  wenn  die  Türken  hier 
ihr  Hauptquartier  aufschlagen,  um  den  Tribut  einzuziehen. 
Deswegen  ist  Zaga  ein  sehr  verrufener  Ort;  Honig,  Wein  und 
Bier  genügen  nie  dem  Bedarf.  Jeder  der  grossen  Häuptlinge 
hat  eine  Schaar  Söldner,  die  ein  wildes  müssiges  Leben  führen. 
Die  Venerie  ist  sehr  häufig  und  dringt  sogar  in  die  vornehm- 
sten Familien  ein,  da  sich  die  Häuptlinge  trotz  ihrer  vielen 
rechtmässigen  Frauen  des  Umgangs  mit  den  Sklavinnen  nicht 
enthalten  können.  In  Zeiten  der  Gefahr  wird  das  Neg- 
garet  geschlagen;  die  Frauen  flüchten  sich  in  die  Wildniss, 
die  Männer  bleiben  und  erhitzen  sich  mit  kriegerischen  Tänzen; 
oft  sieht  man  bei  dieser  Gelegenheit  betrunkene  Sklaven,  die 
sich  mit  dem  Krummmesser  den  Leib  zerschneiden,  um  ihren 
Muth  zu  zeigen.  Solche  Scenen  konnte  ich  1860  mit  ansehen, 
als  Dsadiq  von  dem  Barealand  aus  das  Barka  bedrohte. 

Wir  haben  früher  bemerkt,  dass  die  Bevölkerung  aus  Skla- 
ven, Unterthanen,  Sheichfamilien  und  Adelichen  zusammen- 
gesetzt sei.  Wir  wollen  zuerst  die  Stellung  der  Sklaven  bei 
den  Beni  Amer'n  deutlich  machen. 

Die  Sklaven  bilden  einen  bedeutenden  Theil  der  Bevöl- 
kerung; sie  sind  entweder  vom  Feind  geraubt  oder  vom  Aus- 
land angekauft;  andere  Quellen  gibt  es  nicht,  da  ein  Beni 
Amer  nie  sein  Kind  verkauft  oder   seiner  Freiheit   verlustig 


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Ueber  die  Beni  Amer.  309 

gehen  kann;  vor  dieser  Schmach  hat  ihn  der  Islam  bewahrt. 
Die  Sklaven  trennen  sich  in  neuangekaufle  und  in  eingebome 
(Wulud);  ihre  Stellung  ist  so  verschieden,  dass  eigentlich  nur 
die  erste  Kategorie  den  Namen  Sklave  verdient,  während  die 
letztem  höchstens  leibeigen  genannt  werden  dürfen.  Der 
neuangekaufte  Sklave  erfährt  gleiche  Behandlung,  wie  jeder  mo- 
hammedanische Sklave;  er  kann  weiterverkauft  werden  und  ge- 
hört noch  nicht  der  Familie  an.  Der  im  Lande  gebome  Sklave 
aber  hat  eigentlich  nur  den  Namen,  aber  nicht  die  Stellung 
eines  solchen,  was  sich  besonders  dadurch  zeigt,  dass  er  sich 
mit  den  Woreza  (Unterworfenen)  verschwägern  darf.  Die  in 
einer  solchen  Ehe  erzeugten  Kinder  werden  als  frei  be- 
trachtet, da  sie  von  freier  Mutter  abstammen. 

Wir  kennen  im  Barka  die  Kishendoa,  d.  h.  Sklavenstamm, 
alles  eingeborne  Leibeigene,  die  ein  eigenes  Zeltenlager  ein- 
nehmen, sich  selbstständig  regieren  mit  eigenem  Häuptling, 
und  mit  den  Woreza  nach  Belieben  verheirathen.  Gebome 
Sklaven  können  leben  wo  sie  wollen  und  beerben  sich  wie 
Freie;  nur  wenn  keine  Verwandten  da  sind,  ist  der  Herr  der 
natürliche  Erbe.  Auch  ein  neugekaufter  Sklave  kann  seinen 
Herrn  verlassen  und  sich  einen  beliebigen  Schutzherrn  wählen; 
aber  sein  Herr  kann  ihn  ohne  Rücksicht  auf  diesen  letztem 
verkaufen. 

Auch  im  Blutrecht  ist  die  Stellimg  des  gebomen  Sklaven  eigen- 
thümlich.  Wird  ein  neugekaufter  Sklave  getödtet,  so  wird 
dem  Herrn  der  Ankaufspreis  ersetzt,  da  er  noch  als  Waare 
angesehen  wird.  Ganz  anders  steht  der  gebome  Sklave;  da 
er  zur  Familie  gehört,  so  verlangt  sein  Blut  wieder  Blut;  hat 
er  eigene  Angehörige,  so  rächen  sie. ihn;  hat  er  keine,  so 
rächt  ihn  sein  Herr ;  ist  diess  nicht  thunlich,  da  vielleicht  der 
Mörder  zu  vornehm  ist,  so  schweigt  die  Sache;  aber  von  Blut- 
geld ist  niemals  die  Rede.  Eine  Analogie  zu  dieser  Klasse 
bilden  die  gebomen  Leibeigenen  der  Fürstenfamilie  von  Tsa- 
sega;  sie  heissen  noch  immer  Sklaven,  gehören  aber  zu  den 
besten  Familien   des  Landes;   niemand  bedenkt   sich,   einem 


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310  Ueber  die  Beni  Amer. 

solchen  Sklaven  sich  zu  verschwägern;  die  ersten  Staatsämter 
befinden  sich  in  ihren  Händen;  der  Belaten  gieta  z.  B.  wird 
immer  aus  ihrer  Mitte  gewählt. 

Die  Beni  Amer  haben  den  Ehrgeiz,  viel  Sklaven  zu  be- 
sitzen; sie  suchen  sie  auf  alle  Weise  zu  vermehren;  die  häu- 
figen Raubzüge  haben  meist  nur  diesen  Beweggrund.  Glück- 
licherweise ist  im  Lande  selbst  der  Aermste  und  Schwächste 
nie  der  Gefahr  ausgesetzt,  seine  Freiheit  verlieren  zu  können. 
Selbst  ein  Bazen,  der  beweisen  kann,  dass  er  vor  seiner  Ge- 
fangennehmung Muslim  war,  wird  sogleich  freigelassen.  Die 
Sklaven  dienen  ihren  Herren  eigentlich  nur  in  der  Jugend; 
die  mannbare  Sklavin  wird  Freudenmädchen,  lebt  in  der  Nach- 
barschaft ihres  Herrn,  aber  ist  fast  allen  Dienstes  enthoben; 
der  Mann  verschmäht  meist  alle  Arbeit  und  gehört  zum  Ge- 
folge seines  Herrn.  Wirklichen  Nutzen  zieht  der  Herr  von 
seinem  Sklaven  nicht. . 

Ganz  anders  ist  der  Zustand  der  eingebomen  Sklaven.  Da 
sie  befugt  sind,  sich  untereinander  oder  mit  den  Kindern  der 
Unterthanen  zu  verheirathen,  so  benehmen  sie  sich  sehr  an- 
ständig; sie  können  auf  Erwerb  von  Vermögen  denken,  das 
sie  auf  ihre  Kinder  forterben.  Im  Barka  kommt  es  selten  vor,  dass 
jemand  seinen  Sklaven  freilässt.  Uebrigens  erleidet  die  Milde, 
womit  der  Sklave  behandelt  wird,  ihre  Ausnahmen;  ich  habe 
einzelne  Frauen  gekannt,  die  sich  ein  Vergnügen  daraus 
machten,  ihre  Sklavinnen  zu  peinigen.  Auch  muss  ich  eines 
unzweifelhaften  Factums  erwähnen,  das  sich  vor  etwa  zwanzig 
Jahren  zutrug.  Dem  Deglel  Ibrahim,  der  todkrank  war, 
sagten  die  Weissager,  er  würde  genesen,  wenn  er  sich  den 
Leib  im  Blute  einer  Jungfrau  bade.  Schrecklicherweise  wurde 
dann  wirklich  eine  junge  Sklavin  hingeschlachtet,  aber  das 
Bad  nützte  nichts,  da  der  Herr  kurz  darauf  starb.  Wir 
müssen  nebenbei  bemerken,  dass  das  Waschen  mit  Thierblut 
in  der  Heilkunst  Afrikas  eine  grosse  Rolle  spielt;  jeder  Krank- 
heit fast  glaubt  man  abzuhelfen,  indem  man  eine  Ziege  schlachtet 
und  das  warme  Blut  dem  Patienten  über  Kopf  und  Leib  giesst. 


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Ueber  die  Beni  Amer.  311 

Sklaven  werden  selten  weiter  verkauft,  gebome  gar  nicht. 
Eine  Ausnahme  bilden  solche  Sklaven,  die  Flucht  befürchten 
lassen,  so  die  Barea  und  Bazen,  die  ihrem  Vaterland  zu  nahe 
sind,  um  sich  nicht  immer  nach  den  Bergen  desselben 
zurückzusehnen.  Wir  haben  Beispiele  von  Abyssiniem,  die 
durch  Bazen -Räu'ber  aufgegriffen,  an  die  Hadendoa  verkauft, 
Mittel  gefunden  haben,  in  ihre  Heimat  zu  kommen;  ich  kenne 
mehrere  Bogosfrauen,  die  bis  an  den  untern  Gash  ausgeführt 
wurden  und  dennoch  versuchten  sie  die  Flucht:  wochenlang 
wanderten  sie  in  der  Wildniss,  von  Wurzeln  und  Früchten 
lebend,  vor  sich  die  blauen  Berge  als  Kompass,  und  erreich- 
ten glücklich  die  Heimat. 

Auch  bei  den  Beni  Amer'n  finden  wir  den  Gegensatz  von 
Adel  und  Unterworfenen.  Den  Adel  bilden  die  Nebtab  und  in 
gewisser  Beziehung  die  Belou,  "obgleich  sie  des  Regiments  ver- 
lustig gegangen  sind.  Jeder  Adeliche  oder  Herr  heisst  immer 
noch  Belaui.  Die  Unterworfenen  heissen  je  nach  ihrem  Ur- 
sprung O'Hassa  und  O'Bedaui  oder  kurzweg  Woreza  (Mann, 
Knecht).  Wir  wollen  uns  im  Gegensatz  zum  Herrn  des  Wortes 
Knecht  bedienen,  obgleich  es  nur  halb  dem  Begriff  entspricht. 
Das  Verhältniss,  das  wir  nun  zu  beschreiben  haben,  ist  dem- 
jenigen, das  wir  bei  den  Aristokraten  des  Anseba  gefunden, 
sehr  ähnlich;  aber  bei  den  Beni  Amer'n  ist  der  Knecht  nicht 
sowohl  ein  Schützling,  sondern  ein  Lehnsmann.  Indem  er 
aber  sein  Vermögen  von  seinem  Herrn  hat,  dem  er  einen 
gewissen  Zins  schuldig  ist,  wird  seine  Stellung  viel  abhängiger. 
So  finden  wir  eine  neue  eigenthümliche  Phase  der  Unterthänig- 
keit,  die  wir  kurz  charakterisiren  wollen. 

Bei  den  Beni  Amer'n  ist  also  alter  Gebrauch,  dass  der 
Herr,  der  Vermögen  hat,  es  frei  an  seine  Knechte  vertheilt; 
bekommt  er  z.  B.  als  Antheil  von  der  Kriegsbeute  100  Kühe, 
so  bewahrt  er  sie  keineswegs  in  seiner  Heerde  auf,  sondern 
er  überlässt  sie  den  Knechten  als  eigentliches  Geschenk.  Wenn 
der  Knecht  heirathet,  unterstützt  ihn  der  Herr  mit  einer  Gabe 
von  einem  Kameel.     Ueberhaupt  wendet  sich  der  Knecht  in 


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312  Ueber  die  Beni  Amer. 

jeder  Noth  an  seinen  Herrn,  der  ihn  wenn  immer  möglich 
unterstützt.  Alle  diese  Geschenke  werden  das  wahre  Eigen- 
thum  des  Empfängers;  der  Knecht  kann  damit  anfangen,  was 
er  will,  er  kann  es  veräussem  und  seihst  verschleudern;  der 
Herr  darf  ihm  einen  Vorwurf  deshalb  machen,  aber  rechtlich 
belangen  oder  strafen  kann  er  ihn  nicht.  Stirbt  der  Knecht, 
so  gehen  diese  Geschenke  an  seine  natürlichen  Erben.  Der 
Herr  hat  aber  von  diesen  Geschenken  eine  gewisse  Nutz- 
niessung:  der  Knecht  versorgt  ihn  mit  Sclünalz;  er  bringt  ihm 
täglich  ein  gewisses  Mass  Milch,  d.  h.  er  ernährt  seinen 
Herrn  und  dessen  Familie.  Daher  kommt  es,  dass  dieser  oft 
bis  Mitternacht  auf  sein  Abendessen  warten  muss,  weil  die 
Knechte  erst  zuletzt  seiner  gedenken.  Der  Knecht  schlachtet 
ferner  das  Todtenopfer  für  seinen  Herrn  und  für  jedes  Mit- 
glied seiner  Familie;  er  überlässt  dem  Herrn  jede  sterile  Kuh 
und  wenn  er  schlachtet,  bringt  er  ihm  das  Bruststück.  Auch 
er  steht  seinem  Herrn  in  jeder  Verlegenheit  bei  und  hilft  ihm 
sogar  in  der  Entrichtung  des  Tributs  nach  Kräften. 

Wir  müssen  übrigens  darauf  aufinerksam  machen,  dass  der 
Herr  gewöhnlich  sein  Vermögen  an  die  Knechte  vertheilt,  dass 
er  aber  nicht  dazu  verpflichtet  ist,  sodass  es  Herren  gibt, 
die  vorziehen,  ihr  Eigenthum  selber  zu  verwalten.  Femerist 
die  Pflicht,  Schmalz  zu  liefern,  seit  der  Türkenherrschaft  ziem- 
lich in  Vergessenheit  gerathen. 

Dem  Knecht  steht  es  frei,  zu  leben  wo  er  will  und  sich 
unter  den  Herren  einen  beliebigen  Kai  fer'a  (Platzherr)  zu 
suchen;  seine  Pflichten  gegen  den  eigentlichen  Herrn  bleiben 
aber  die  gleichen.  Der  B'al  fe/a  kann  ihn  irgend  eines  Ver- 
brechens wegen  binden,  richten  kann  ihn  aber  nur  der  Herr. 
Ist  der  Knecht  mit  seinem  bisherigen  Herrn  unzuMeden,  so 
hat  er  die  Befugniss,  sich  zum  Kiiecht  eines  andern  Vorneh- 
men zu  erklären,  indem  er  für  jedes  Glied  seiner  Familie  ein 
Ohr  von  einer  Kuh  des  neuen  Herrn  mit  der  Lanze  spaltet; 
er  muss  aber  seinem  früheren  Herrn  alles,  was  er  von  ihm 
zum  Geschenk  bekommen,  zurückgeben;  was  er  aber  davon 


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Ueber  die  Beni  Amer.  313 

verloren  oder  verkauft  hat,  wird  ihm  nicht  angerechnet.  Uebri- 
gens  ist  dieses  Recht  des  Uehertrittes  seit  der  Herrschaft  der 
Türken  nicht  mehr  unbedingt,  da  sich  die  Häuptlinge  oft 
ihres  politischen  Einflusses  und  des  Arms  der  Soldaten  be- 
dienen, imi  ihre  Knechte  zum  Bleiben  zu  zwingen.  Gesetze, 
die  lediglich  auf  dem  Herkommen  beruhen,  verlieren  natürlich 
ihre  Autorität,  sobald  ihre  Execution  von  fremden  Herren 
abhängt,  die  sich  um  das  Hergekommene  nicht  kümmern. 
Gewöhnlich  heirathet  jeder  Stand  für  sich,  doch  hat  der  Ade- 
liche das  Recht,  die  Tochter  eines  Knechtes  zur  Frau  zu  neh- 
men, nie  umgekehrt;  die  Tochter  eines  Adelichen,  sei  er 
Nebtab  oder  Belou,  vrird  nie  an  einen  Knecht  verheirathet. 
Gewöhnlich  sind  aber  jene  Ehen  nicht  sehr  glücklich,  da  die 
Standeserhöhung  die  Frau  viel  zu  übermüthig  macht.  Da- 
gegen verschwägern  sich  die  Nebtab  mit  den  Belou  und  auch 
mit  den  Sheichfamilien,  auf  die  wir  zurückkommen  müssen; 
die  Belou  werden  immer  noch  als  ebenbürtiger  Adel  behan- 
delt, doch  verlieren  sie  immer  mehr  Boden  und  schon  jetzt 
gibt  es  Nebtab,  die  ihnen  ungern  ihre  Töchter  bewilligen. 

Der  natürliche  Givilrichter  des  Knechtes  ist  seine  Familie 
und  dann  sein  Herr;  in  Criminalsachen  der  Herr  und  seit  der 
türkischen  Herrschaft  der  Dorfvorsteher  (Sheich  el  beled). 
Der  Knecht  hat  nicht  das  Recht,  jemanden  in. Fesseln  zu 
legen;  er  muss  sich  dafür  an  seinen  Herrn  wenden.  Der  An- 
theil  an  der  Kriegsbeute  und  jeder  von  ihm  gemachte  Fund 
gehört  seinem  Herrn,  der  ihm  davon  nur  einen  kleinen  Theil 
überlässt;  findet  er  z.  B.  einen  todten  Elefanten,  der  100  Thlr. 
werth  sein  kann,  so  schenkt  ihm  der  Herr  etwa  zwei  Thaler. 
Handelt  er  gegen  dieses  Gesetz,  so  wird  sein  ganzes  Vermögen 
von  seinem  Herrn  eingezogen  (gedbe)  oder  er  wird,  besonders 
wenn  kein  Vermögen  da  ist,  mit  dem  Tode  bestraft.  Des- 
wegen geht  der  kleinste  Theil  der  Kriegsbeute  an  die  Knechte. 
Den  Knecht  beerben  natürlich  seine  Kinder  oder  seine  Verwandr 
ten;  fehlen  diese,  so  erbt  der  Herr.  Derselbe  hat  endlich  das 
Recht  des  Zeraf,  d.  h.  er   nimmt   seinem  Knecht  eine  Kuh 


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314  üeber  die  Beni  Amer. 

oder  Ziege,  womit  er  Gäste  bewirthen  will;  er  verspricht  ihm 
einen  schönen  Preis  dafür,  den  er  ihm  aber  selten  bezahlt. 

Der  Nebtabei,  der  einen  Knecht  tödtet,  bleibt,  wem  dieser 
auch  angehören  möge,  straflos;  in  der  letzten  Zeit  sind  auch 
die  Belou  so  verächtlich  geworden,  dass  ihr  Blut  mit  dem 
der  Knechte  in  eine  Linie  gestellt  wird.  Freilich  sind  die 
Türken  dann  und  wann  eingeschritten,  aber  sie  thun  es  sehr 
selten,  besonders  seit  sie  mit  den  Nebtab  zusammen  regieren. 
Tödtet  ein  Knecht  einen  andern,  so  rächt  diesen  seine  Fa-' 
milie  oder  der  Mörder  wird  förmlich  zum  Tode  verurtheilt; 
freilich  lässt  sich  die  Familie  oft  zur  Annahme  der  Diet  (Blut- 
preis) bewegen,  die  selten  100  Kühe  ausmacht.  Da  so  das 
Blut  selten  taxirt  wird,  so  ist  der  Preis  kein  bestimmter,  wie 
bei  den  Bogos.  Wenn  ein  Sklave  einen  Knecht  tödtet,  so 
wird  er  von  seinem  eigenen  Herrn  mit  dem  Schwert  hinge- 
richtet. Am  strengsten  wird  der  Mord  eines  Adelichen  durch 
einen  Knecht  geahndet;  der  Mörder  wird  sogleich  hingerichtet, 
sein  Vermögen  confiscirt  und  seine  Familie  wird  zum  Dade 
der  verletzten  Familie  gemacht,  ohne  je  wieder  das  Recht  zu 
haben,  den  Herrn  zu  wechseln.  Man  kann  wohl  begreifen, 
dass  dieser  Fall  selten  vorkommt. 

Es  muss  nun  bemerkt  werden,  dass  es  Unterthanen  unter 
den  Beni  Amer'n  gibt,  die  sich  nur  politisch  den  Nebtab 
unterworfen  haben,  sonst  aber  keinen  eigentlichen  Lehnsherrn 
kennen..  Dazu  gehören  die  Beit  Bidel  und  Az  Kukui.  Diese 
Stämme  haben  ihre  eigenen  Sitze  und  ihr  eigenes  Vermögen; 
sie  sind  Unterthanen  der  Nebtab  im  Ganzen,  aber  nicht 
Knechte  dieser  oder  jener  Person.  Sie  sind  den  Nebtab  nicht 
ebenbürtig  und  vom  Blutrecht  ebenso  geringschätzig  behandelt, 
wie  andere  Knechte;  da  aber  die  Knechtschaft  ihren  eigent- 
lichen Sinn  in  der  Belehnung  hat,  so  sind  diese  unbelehnten 
Leute  immer  gewissermassen  frißi. 

Der  fremde  Handelsmann  ist  insofern  Unterworfener,  als 
er  während  seines  Aufenthaltes  einen  Schutzherrn  nöthig  hat; 
aber  sein  Verhältniss  ist   nur  vorübergehend.    Er  wird  von 


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Ueber  die  Beni  Amer.  315 

seinem  Wirth  verköstigt,  wogegen  er  ihm  eine  kleine  Abgabe 
entrichtet.  In  frühern  Zeiten  wurden  fremde  Handelsleute 
ziemlich  willkürlich  behandelt;  seit  aber  die  Beni  Amer  selbst 
Handel  treibend  an's  Meer  gehen,  wo  sie  ihrerseits  auch  Schutz 
nöthig  haben,  sind  ihre  Gäste  viel  gesicherter. 

Eine  eigenthümliche  Klasse  von  Unterworfenen  bilden  die 
Sheichfamilien.  Es  gibt  überall,  wo  Mohammedaner  leben, 
gewisse  Heilige,  denen  das  Volk,  als  von  Gott  bevorzugten 
Männern,  Wunderkraffc  zuschreibt;  sei  es,  dass  sie  sich  eines 
frommen  Lebenswandels  befleissigen,  oder  dass  zufällig  ihre 
Prophezeiung  eingetroffen,  oder  dass  ihr  Fluch  geschadet, 
jeder  Stamm  schätzt  sich  glücklich,  einen  solchen  Heiligen  bei 
sich  zu  haben,  da  er  Glück  zu  bringen  scheint.  Er  wird  der 
Prieiäter  des  Volkes;  er  wird  bei  jeder  Sache  berathen;  er 
segnet  die  Eheleute  ein;  er  macht  auch  den  Schulmeisterund 
sorgt  für  die  Aufrechthaltung  des  Glaubens;  wenn  er  vorbei- 
geht, so  küssen  ihm  alle  Leute  die  Hand.  Natürlich  hat  er 
seine  Privilegien,  die  er  wie  sein  Amt  auf  seine  Nachkommen 
forterbt  Wir  finden  bei  den  afrikanischen  Islamiten  förm- 
liche Sheichdörf  er  (Az  Sheich);  so  heisst  die  Hälfte  des  Dorfes 
Sabderat  ein  Az  Sheich;  im  Barka  finden  wir  Az  Sheich  el  Ha- 
babi, Az  Sheich  Hömmed,  Az  Sheich  Gende;  bei  den  Habab  Az 
Sheich  Mohammed,  wovon  ein  Zweig  sich  auch  im  Barka  fest- 
gesetzt hat;  diese  letztem  sind  zwischen  dem  Deglel  und  dem 
Naib  streitig.  Alle  diese  Familien  sind  gewöhnlich  gemeinen 
Ursprungs,  aber  die  Religion  heiligt  und  adelt  sie.  Sie  ge- 
hören nicht  zum  Adel,  aber  sie  heirathen  dessen  Töchter, 
denen  sie  von  Gotteswegen  ebenbürtig  scheinen.  Die  meisten 
sind  tributfrei;  sie  haben  eigene  Jurisdiction;  niemand  wagt 
es,  einen  Sheich  zu  verletzen,  da  ihr  Segen  oder  Fluch  so- 
gleich erhört  wird.  Sie  schreiben  sich  immer  Wunderkraft  zu, 
da  die  Afrikaner  lieber  Wunder  glauben,  als  natürliche  Dinge, 
80  wird  ihnen  das  Wunderwirken  nicht  schwer;  eine  erfüllte 
Wahrsagung  wiegt  hundert  unerfüllte  auf.  Auch  die  benach- 
barten Christen  haben  grossen  Respect  vor  ihnen  und  lassen 


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316  üeber  die  Beni  Amer. 

sich  von  ihnen  Talismane  schreiben.  Gewisse  oft  unsinnige 
Sprüche  werden  auf  ein  Papier  geschrieben,  das  in  Leder  ver- 
näht am  Arm  oder  Hals  getragen  wird.  Diese  sogenannten 
Hedjab  sollen  vor  allen  möglichen  Gefahren  schützen;  die 
Afrikaner  alle  halten  sehr  viel  darauf.  Man  sieht  Leute,  die 
wohl  zwanzig  solcher  Ledertäschchen  tragen;  stirbt  der 
Besitzer,  so  entsteht  unter  den  Söhnen  oft  Streit  über  die 
Vertheilung  dieser  Amulete.  Leider  gibt  es  auch  christliche 
Wunder thäter,  die  sich  mit  dieser  Wunderfabrik  abgeben. 
Dann  behaupten  die  Sheich  auch,  die  Leoparden  und  Heu- 
schrecken vertreiben  zu  können.  Uebrigens  sind  die  Sheich- 
familien  gegenseitig  sehr  eifersüchtig;  sie  lachen  oft  eine  die 
andere  aus;  es  ist  ein  niederträchtiges,  anmassliches  Volk, 
das  vom  Aberglauben  der  Menge  lebt.  Sie  bilden  einen  ziem- 
lich bedeutenden  Theil  der  Bevölkerung,  doch  muss  man  sich 
nicht  vorstellen,  dass  die  sogenannten  Az  Sheich  nur  von 
solchen  Heiligen  bewohnt  werden;  viele  Beni  Amer  ziehen  es 
vor,  der  Erbauung  wegen  mit  ihnen  das  Leben  zu  verbringen, 
ohne  deswegen  aus  ihrem  sonstigen  Dienstverband  auszutreten. 
Wenn  wir  die  Stellung  des  Unterthanen  bei  den  Beni 
Amer'n  mit  derjenigen  der  Tigre  vergleichen,  wie  wir  sie  am 
Anseba  gefunden,  so  zeigt  sich  der  radicale  Unterschied,  dass, 
was  dort  Schutzverhältniss  ist,  hier  Lehnsthum  ist.  Bei  den 
Bogos  unterwirft  sich  der  Schwache  dem  Starken,  auf  dass 
er  ihn  beschütze;  bei  den  Beni  Amer'n  ist  der  Unterworfene 
Lehnsmann;  der  Herr,  der  selbst  die  Verwaltung  seines  Ver- 
mögens scheut,  zieht  vor,  es  den  kundigeren  Händen  seines 
Hirten  zu  übergeben;  er  überlässt  es  ihm  vollständig,  bedingt 
sich  aber  eine  Leibrente  aus.  Wie  das  Vermögen  fortgeerbt 
wird,  so  diese  Leibrente  oder  die  Pflicht  des  Unterthanen, 
seinen  Herrn  zu  erhalten.  Auf  diese  Basis  stützt  sich  dieses 
Lehnsrecht;  der  Adeliche  ist  nur  insofern  Herr  seines  Unter- 
thanen, als  er  ihn  zu  seinem  Pächter  gemacht  hat.  Da  die 
Beni  Amer  Nomaden  sind,  so  war  kein  Land  zu  vertheilen, 
denn  Weide  hat  keinen  Herrn;  das  Lehn  betraf  also  nur  das 


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üeber  die  Beni  Amer.  317 

bewegliche  Eigenthum.  Bei  den  Marea  wird  ein  ähnliches 
Verhältniss  angedeutet:  der  Adel  habe  das  Land  an  die  Tigre 
yertheilt  und  sich  dabei  seine  Rechte  vorbehalten;  doch  ist 
die  Tradition  nicht  hinreichend  sicher,  dass  wir  daraus  auch  bei 
den  Marea  die  Unterthänigkeit  aus  den  Lehen  herleiten  könnten. 

Es  ist  klar,  dass  in  dem  beschriebenen  Verhältnisse  zwi 
sehen  Herrn  und  Knecht  nichts  Ungerechtes  liegt;  die  grossem 
Rechte  bedingen  grössere  Pflichten;  es  ist  nicht  das  Recht 
des  Stärkeren,  sondern  das  Recht  des  Gebers  gegenüber  dem 
Beschenkten.  Es  ist  femer  begreiflich,  dass  die  scharfen 
Strafgesetze  nur  ausnahmsweise  zur  Anwendung  kommen  und 
dass  die  Sitte  und  der  persönliche  Verkehr  das  Gesetz  selbst 
mildert.  Jedem  Herrn  ist  daran  gelegen,  einen  guten  Ruf  zu 
haben;  er  muss  seine  Unterthanen  schon  deswegen  schonen, 
weil  sie  sich  der  Botmässigkeit  entziehen  können.  So  tief 
daher  die  Unterworfenen  stehen,  so  familiär,  möchte  ich  sagen, 
stehen  sie  zu  ihren  Herren,;  da  sie  eigentlich  Pächter  auf 
ewige  Zeiten  ^ind  und  der  Reichthum  des  Landes  meist  in 
ihren  Händen  sich  befindet,  so  haben  sie  bei  jeder  öffent- 
lichen Berathung  die  wichtigste  Stimme;  es  ist  ihre  Sache, 
zu  bestimmen,  wo  die  beste  Weide  sei,  wo  der  Lagerplatz 
aufgeschlagen  werden  solle.  Man  darf  sich  also  nicht  vor- 
stellen, als  ob  die  Unterworfenen  sich  unglücklich  fühlten, 
solange  ihre  Stellung  auf  der  alten  Basis  ruht;  anders  kann 
freilich  das  Verhältniss  werden,  wenn  die  Türken  sich  mit 
dem  Adel  verbünden,  um  die  Gemeinen  mit  roher  Gewalt  zu 
unterdrücken. 

Wenn  wir  fragen,  wie  sich  ein  solcher  Feudalismus  bilden 
konnte,  so  müssen  wir  seine  Ursache  in  einer  förmlichen  Er- 
oberung suchen;  entweder  rückten  die  Belou  als  Stamm  mit 
ihren  angeworbenen  Söldnern  im  Lande  ein,  vertilgten  die  alten 
Einwohner  und  belehnten  ihre  Soldaten  mit  dem  erbeuteten 
Gut  oder  sie  unterwarfen  sich  mit  eigener  Macht  die  Einge- 
bornen,  nahmen  ihnen  ihr  Vermögen  ab  und  erstatteten  es 
ihnen  dann  als  Lehen  zurück. 


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318  üeber  die  Beni  Amer. 

Das  Sachenrecht  ist  sehr  einfach;  da  die  Beni  Amer  nur 
Hirten  sind,  so  haben  sie  nur  bewegliches  Eigenthum.  Land, 
Gras,  Baum  und  Wasser  ist  Gemeingut  der  ganzen  Nation. 
Eine  Ausnahme  machen  natürlich  die  Brunnen,  deren  erste 
Benutzung  dem  Gräber  zusteht;  ebenso  gehört  Honig  dem 
Entdecker  des  Bienenstocks.  Es  ist  also  wenig  Anlass  zu 
Verwickelung  da;  da  übrigens  die  Beni  Amer  Mohammedaner 
sind  imd  das  islamitische  Kecht  auf  die  Zustände  eines  Hirten- 
volkes berechnet  ist,  so  ist  kein  Wunder,  dass  es  bei  diesem 
Volke  Rechtskraft  erhalten  hat.  Wir  können  uns  also  auf 
wenige  Bemerkungen  beschränken. 

Wer  entliehenes  Gut  verliert,  wird  nicht  zur  Entschädi- 
gung angehalten,  es  sei  denn,  dass  Veruntreuung  bewiesen 
wäre.  Geschenke  werden  nicht  als  Schuld  angesehen.  Es 
kommt  oft  vor,  dass  sich  Freunde  und  Verwandte  gegenseitig 
unterstützen;  einerseits  sind  sie  keineswegs  dazu  verpflichtet; 
anderseits  kann  der  Empfänger  nicht  zur  Bückerstattung 
angehalten  werden.  Der  Begriff  von  Geschenk  ist  derselbe, 
wie  in  Europa.  Jedermann  hat  das  Recht,  zu  seinen  Leb- 
zeiten über  sein  Vermögen  nach  Belieben  zu  verfügen;  aber 
er  darf  nicht  ein  Testament  machen.  Gekaufte  Waare  kann 
innerhalb  drei  Tagen  zurückgegeben  werden,  wenn  der  Käufer 
einen  Fehler  daran  entdeckt,  den  ihm  der  Verkäufer  verheim- 
licht hatte.  Dienstcontracte  (mit  Hirten,  Mägden  etc.)  werden 
auf  ein  Jahr  abgeschlossen;  verlässt  der  Angestellte  den  Dienst 
vor  der  Zeit,  so  verliert  er  seinen  ganzen  Lohn;  wird  er  vor 
der  Zeit  entlassen,  so  gehört  ihm  ebenso  der  ganze  Lohn. 
Für  verlorenes  oder  entwendetes  Vieh  wird  der  Hirte  nicht 
verantwortlich  gemacht.  Erben  sind  die  männlichen  und  weib- 
lichen Nachkommen  und  zwar  so,  dass  zwei  Töchter  nur  wie 
ein  Sohn  gerechnet  werden.  Hat  der  Erblasser  keine  Söhne, 
so  werden  die  nächsten  Verwandten  den  Töchtern  zur  Seite 
gestellt,  so  aber,  dass  diese  letztem  immerhin  bevorzugt  sind. 
Bei  Lebzeiten  der  Mutter  wird  das  Vermögen  ihres  verstor- 
benen Mannes  nicht  unter  die  Kinder  vertheilt.     Die  Erben 


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lieber  die  Beni  Amer.  319 

übernehmen  natürlich  auch  die  Schulden.  Das  Zelt,  das 
immer  Eigenthum  der  Frau  ist,  die  es  bei  der  Hochzeit  von 
zu  Hause  mitbringt,  geht  bei  ihrem  Tod  an  ihre  Tochter  über. 

Die  Ehehindemisse  richten  sich  bei  uncivilisirten  Völkern 
inuner  eher  nach  der  Religion,  die  die  Stelle  des  Naturrechts 
vertritt  Die  Beni  Amer  richten  sich  nach  den  Gesetzen  des 
Islam;  schon  die  Geschwisterkinder  verbinden  sich  sehr  häufig. 
Die  Beit  Bidel  und  die  Allabja  hingegen,  ihres  christlichen 
Ursprungs  eingedenk,  achten  die  Blutsverwandtschaft  bis  auf 
sieben  Grade.  Stirbt  die  Verlobte,  so  tritt  ihre  Schwester 
nur  dann  an  ihren  Platz,  wenn  ihr  Vater  damit  zufrieden 
ist;  doch  wird  der  Nackenpreis  noch  einmal  entrichtet;  also 
bezieht  sich  der  Ehevertrag  nur  auf  die  interessirten  Perso- 
nen, nicht  auf  ihre  Familien,  wie  bei  den  Bogos.  Ebenso 
kann  der  Vater  oder  Bruder  eines  Verlobten  in  seine  Rechte 
eintreten  oder  mit  andern  Worten  seine  Braut  erben.  Fer- 
ner nimmt  der  Bruder  seine  verwittwete  Schwägerin  nur  zu 
sich,  wenn  sie  damit  einverstanden  ist.  Wir  sehen  also  schon 
jetzt,  dass  die  Frau  eine  sehr  unabhängige  Stellung  hat 

Wenn  wir  nun  über  den  Ehevertrag  sprechen,  müssen  wir 
das  von  uns  im  Recht  der  Bogos  entwickelte  Verhältniss  als 
bekannt  voraussetzen.  Auch  die  Beni  Amer  haben  eine  dop- 
pelte Ehe: 

1)  Die  Ehe  durch  Kauf.  Der  Mann  kauft  seine  Frau, 
indem  er  ihrem  Vater  den  Nackenpreis  (Segad)  entrichtet 
und  den  Dekran,  ein  kleines  Geschenk  an  die  Verwandten 
der  Frau.  Der  willkürlich  bestimmte  Segad  wird  gemeinsames 
Vermögen  der  Gatten.  Diese  einfache  Heirath  wird  immer 
häufiger;  ursprünglich  aber  galt  sie  nur  für  Wittwen  oder  ge- 
schiedene Frauen  und  ist  also  eigentlich  die  Hädei  Möbel  der 
Bogos. 

2)  Ehe  mit  Gütergemeinschaft    Diese  verlangt: 

a)  den  Dekran,  wie  bei  der  ersten  Rubrik; 

b)  den  Segad,  der  gewöhnlich  auf  ein  Kameel  oder  auf 
vier  Kühe  festgestellt  wird  und  dem  Ehepaar  zukommt 


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320  Ueber  die  Beni  Amer. 

Bei  den  Az  Ali  Bakit  bringt  der  Mann  ausserdem  das 
sogenannte  Gjmmei  mit,  das  gewöhnlich  in  vierzig  Ziegen  be- 
steht und  ebenfalls  Ehegut  wird. 

c)  Das  Metlo,  das  dem  der  Bogos  entspricht,  indem 
beide  Theile  dazu  beitragen,  das  aber  bei  den  Beni  Amer'n 
gemeinschaftliches  Vermögen  der  Eheleute  wird.  Die  Grösse 
desselben  richtet  sich  nach  dem  Vermögen  der  Contrahirenden, 
steht  aber  in  einer  bestimmten  Proportion,  sodass  wenn  der 
Mann  neunzehn  Kühe  mitbringt,  die  Frau  mit  einer  Kuh 
mehr,  also  mit  zwanzig  ausgesteuert  wird.  Dieses  Vermögen 
wird  am  Tage  der  Verlobung  vereinigt  und  vom  Mann  ver- 
waltet.   Es  ist  gemeinschaftliches  Gut  der  Gatten. 

d)  Der  Bräutigam  schlachtet  am  Tage  der  Heirath  ein 
Opfer,  ist  er  ein  ünterthan,  ein  Schaf,  ist  er  adelich,  eine  Kuh 
(Mindik).  Ausserdem  bringt  er  unter  verschiedenen  Titeln 
drei  Kühe,  die  dem  Ehevermögfen  einverleibt  werden. 

Alle  diese  Aussteuern  und  Ausgaben  lasten  allein  auf  den 
betreffenden  sich  alliirenden  Familien;  ihre  Verwandten  sind 
nicht  verbunden,  sie  dabei  zu  unterstützen. 

Die  Eheleute  treten  also  mit  einem  gemeinsamen  Vermö- 
gen zusammen.  Was  sie  als  ledige  Leute  bisher  besessen,  wird 
nicht  zusammengeworfen,  sondern  bleibt  Eigenthum  jedes 
Einzelnen.  Was  der  Mann  nun  als  Diener  oder  sonst  erwirbt, 
ist  sein  Eigen,  ohne  Betheiligung  der  Frau.  Die  von  der 
Frau  gewobenen  Matten  sind  aber  Gemeingut,  da  der  Mann 
die  Palmenäste  dafür  schneidet  und  gewöhnlich  den  Verkauf 
besorgt.  Was  ihr  der  Mann  in  der  Zeit  der  Ehe  schenkt 
(Efin),  wird  ihr  besonderes  Eigenthum. 

Der  Mann  hat  das  Recht,  sich  von  seiner  Frau  zu  schei- 
den; bei  der  Trennung  wird  zuerst  das  Privatgut  jedes  Ein- 
zelnen ausgeschieden  imd  dann  das  Gemeingut  in  zwei  Theile 
getheilt,  sowohl  Kühe  wie  Geld.  Das  Haus  mit  allem  was 
darin  ist  fällt  der  Frau  zu,  die  Waffen  aber  dem  Mann. 

Die  Frau  hat  zwei  Wege,  sich  von  ihrem  Mann  zu  schei- 
den;  entweder  verlässt  sie  ihn   einfach,   indem   sie  ihr  Zelt 


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lieber  die  Beni  Amer.  321 

abbricht  und  heimzieht,  oder  sie  klagt  auf  Scheidung  wegen 
übler  Behandlung  oder  Untreue.  In  beiden  Fällen  erhält  sie 
nur  ein  Drittel  des  Gemeingutes.  Kann  si§  aber  Impotenz 
beweisen,  so  erhält  sie  wie  sonst  die  Hälfte.  Es  ist  leicht 
begreiflich,  dass  solche  Fälle  selten  der  Oeflfentlichkeit  preis- 
gegeben werden;  doch  fehlen  Beispiele  nicht,  wo  der  Mann 
genöthigt  wurde,  vor  Zeugen  auf  freiem  Platze  die  Grundlo- 
sigkeit der  Anklage  zu  beweisen.  So  schamlos  drückt  sich 
der  Volksgeist  auch  in  seinem  Gesetz  aus. 

Die  geschiedene  Frau  wartet  drei  Monate  ab,  bevor  sie 
sich  wieder  verheirathet,  um  sich  über  allfällige  Schwanger- 
schaft zu  vergewissem.  Die  Kinder,  den  Säugling  ausgenom- 
men, bleiben  bei  dem  Vater.  "W ollen  diese,  wenn  sie  erwachsen 
sind,  mit  ihrer  Mutter  leben,  so  gibt  ihnen  der  Vater  ihr 
Erbtheil  heraus  und  sie  haben  dann  keine  gegenseitigen  An- 
sprüche mehr. 

Stirbt  der  Mann  und  haben  seine  Brüder  keine  Lust,  sein 
Haus  zu  übernehmen,  so  bringt  die  Frau  das  Trauerjahr  in 
ihrem  Orte  zu;  nach  Verfluss  desselben  wird  ihr  das  Ver- 
mögen herausgegeben  und  sie  kann  sich  frei  wieder  verhei- 
rathen.  Stirbt  aber  die  Frau,  ohne  Kinder  zu  hinterlassen, 
so  wird  ihr  Antheil  am  Gemeingut  ihren  Verwandten  heraus- 
gegeben; ha1i  sie  Kinder,  so  verwaltet  der  Mann  den  Antheil 
der  Frau  als  Erbtheil  der  Kinder;  tritt  er  aber  in  zweite 
Ehe,  so  wird  das  Vermögen  den  Kindern,  herausgegeben. 
Ebenso  bleibt  das  Gesammtvermögen  beim  Tode  des  Mannes 
so  lange  in  den  Händen  seiner  Wittwe,  als  sie  ledig  bleibt. 

Der  Mörder  einer  Frau  wird  getödtet;  die  Rache  gebührt 
ihren  Verwandten,  nicht  dem  Mann.  Beispiele,  dass  eine 
Frau  einen  Mord  begangen  hat,  gibt  es  nicht.  Die  Frau  kann 
weder  zeugen  noch  bürgen.  Wegen  Ehebruch  habe  ich  nie 
klagen  hören,  weil  die  vier  Zeugen,  die  der  Islam  verlangt, 
nie  zu  finden  sind. 

Nach  dem  schon*  oben  Gesagten  haben  wir  über  das  Blut- 
recht  wenig  mehr  zu  sagen.    Da  die  Sitte  Blut  für  Blut  will, 

Mq nxiug er,  Ostafrik.  Studien.  21 


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322  lieber  die  Beni  Amer. 

80  wird  selten  mit  Geld  Frieden  gemacht;  wer  sich  nicht  rä- 
chen kann,  schweigt  lieber  ganz,  als  dass  er  das  Blutgeld 
annähme,  das  für  einen  Adelichen  auf  zweihundert  Kühe  und 
ein  Pferd  festgesetzt  ist.  Oft  wird  auch  ohne  alle  Satisfection 
Friede  gemacht;  der  Mörder  gibt  seine  Tochter  dem  Sohne 
seines  Opfers.  Das  Blutrecht  der  Unterworfenen  ist  uns  schon 
bekannt.  Eigenthümlich  ist,  dass  auch  bei  den  Beni  Amer'n, 
wie  bei  den  Marea,  die  aussereheliche  Empfängniss  eines  Mäd- 
chens mit  Blut  gesühnt  wird,  sei  es  eine  Adeliche  oder  nicht. 
Die  beiden  Schuldigen  werden  von  den  eigenen  Brüdern  mit 
dem  Kinde  getödtet  und  zwar  ohne  alle  Ausnahme.  Noch 
vor  zwei  Jahren  kam  ein  solcher  Fall  vor.  Für  eine  Wittwe 
oder  geschiedene  Frau  dagegen  ist  das  Gesetz  nicht  so  con- 
sequent  und  der  Schwängerer  zahlt  nur  eine  Busse.  Das  Kind 
aber  wird  lebendig  begraben;  das  Volk  duldet  keinen  Bastard. 
Nur  das  Kind  einer  ledigen  Sklavin  wird  auferzogen,  sein 
Vater  muss  aber  für  seinen  Unterhalt  sofgen.  Nur  die  Marea 
kennen  dieselbe  Strenge,,  während  die  Bogos  und  die  Takue 
und  Mensa  ihr  altes  Gesetz  nur  dem  Namen  nach  in  Kraft 
erhalten. 


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Inneres  Leben. 


Wir  wollen  uns  nun  das  häusliche  Leben  der  Beni  Amer 
etwas  näher  ansehen.  Wie  bei  den  Völkern  des  Anseba,  wird 
auch  hier  die  Mutter  mit  dem  neugebomen  Spinde  vor  den 
Augen  der  Männer  verborgen.  Der  Freudenschrei  (Älal)  be- 
grüsst  nur  den  Knaben.  Jeder  Geburtstag  wird  als  glücklich 
angesehen,  besonders  aber  der  jedem  Mohammedaner  heilige 
Freitag.  Die  Namen  geben  gewöhnlich  die  Helden  des  Islam 
her:  Mohammed,  Ahmed,  Hömmed,  Ali  u.  s.  w.  Doch  sind 
besonders  bei  den  Hassa  christliche  Namen  nicht  selten.  Je- 
dermann hat  seinen  Eigennamen,  dem  der  seines  Vaters  an- 
gehängt wird.  Die  Kinder  werden  ziemlich  fiüh  an  die  Ar- 
beit gewöhnt.  Schulen  kommen  inmier  mehr  auf,  selbst  für 
die  Mädchen.  Beten  lernen  alle,  lesen  wenige,  schreiben  üast  nie- 
mand; selbst  die  Schulmeister  (Fokaha)  und  die  Sheich  schrei- 
ben sehr  primitiv ;  meist  verwendet  man  die  Leute  von  Arkeko 
zum  Briefschreiben.  Arabisch  sprechen  fast  nur  die  Häupt- 
linge. Die  Kinder  bringen  dem  Lehrer  Geschenke  oder  sie 
helfen  ihm  beim  Schulehalten;  so  eine  mohanmiedaniscbe  Ju- 
denschule gleicht  sich  überall. 

Nach  mohajnmedanischer  Sitte  werden  die  Knaben  im 
siebenten  Jahre  beschnitten,  die  Mädchen  aber  nach  ostafii- 
kanischer  Sitte  verschlossen.  Das  Fest  der  Mannbarkeit  findet 
erst  spät  statt;  man  sieht  oft  solche  sogenannte  Knaben  her- 
umlaufen, die  wohl  sechsundzwanzig  Jahr  alt  sind;  man  wartet 

21* 


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324  lieber  die  Beni  Amer. 

SO  lange,  weil  erst  der  Mann  die  Kopfsteuer  zahlen  muss. 
Bei  den  Beit  Bidel  vereinigen  sich  alle  Jünglinge,  die  zu 
Männern  geweiht  werden  sollen ;  sie  schmücken  sich  mit  Glas- 
perlen, besolden  einen  Guitarrenspieler  und  ziehen  in  den 
Wald,  wo  sie  von  den  Heerden  ihres  Stammes  Ziegen  stahlen 
und  schlachten  und  sich  mit  Gesang  und  Spiel  wohl  eine 
Woche  amüsiren. 

Die  Kinder  werden  oft  sehr  früh  verheirathet  und  noch 
früher  verlobt.  Der  Bräutigam  macht  sich  mit  seinen  Genos- 
sen auf,  um  seine  Braut  abzuholen;  doch  nachdem  er  mit 
ihren  Eltern  Rücksprache  genommen,  kehrt  er  ohne  sie  ge- 
sehen zu  haben  zurück.  Die  Braut  bleibt  dann  noch  ein 
volles  Jahr  im  väterlichen  Hause.  Nach  Verfluss  desselben 
schickt  der  Bräutigam  Frauen  und  ein  Kameel,  um  sie  heim- 
zuholen; sie  wird  mit  ihrem  Zelte  fortgeführt;  doch  werden 
die  Brautführer  vielfach  gefoppt,  indem  man  der  wahren 
Braut  ein  anderes  Mädchen  unterschiebt,  das  sich  sorg- 
fältig vermunmit  fortführen  lässt  und  erst  ausser  dem  Dorfe 
qich  lachend  zu  erkennen  gibt  und  fortläuft.  Die  Hochzeit 
der  Beni  Amer  ist  aber  nicht  besonders  fröhlich,  es  fehlt  der 
christliche  herzerfreuende  Wein.  Die  Frau  kann  ^jederzeit  in 
ihr  Mutterhaus  zurückkehren  und  verweilt  da  Monate  lang 
und  lässt  dem  Mann  sagen,  er  möge  zu  ihr  konunen,  wenn 
sie  ihm  werth  sei. 

Im  Gebrauch  hat  die  Frau  noch  viel  grössere  Vorrechte 
als  im  Gesetz.  Nach  der  Heirath  muss  ihr  der  Mann  ein 
Geschenk  (Efin)  geben.  Nach  der  ersten  Niederkunft  wird 
die  Frau  durch  Incision  wieder  verschlossen  imd  der  Mann 
kann  sich  nur  durch  ein  neues  Geschenk  das  Haus  öffnen. 
Für  jedes  böse  Wort,  das  sich  der  Mann  zu  Schulden  kom- 
men lässt,  muss  er  wieder  mit  seiner  Habe  büssen  und  viel- 
leicht eine  ganze  Regennacht  ausser  dem  Hause  zubringen, 
bis  er  sich  dazu  versteht,  seiner  schwachem  Hälfte  ein  Kameel 
oder  eine  Kuh  zu  schenken.  So  erwirbt  sich  die  Frau  ein 
eigentliches  Vermögen,  das  der  Mann  nie  antasten  kann;  es 


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Ueber  die  Beni  Amer.  325 

gibt  ihrer  viele,  die  ihren  Mann  auf  diese  Weise  minirten 
und  ihn  dann  verliessen.  Die  Frauen  haben  untereinander 
viel  Gemeinsinn;  hat  sich  eine  zu  beklagen,  so  kommen  ihr 
alle  andern  zu  HüKe;  jede  gibt  ihre  Meinung.  Natürlich  muss 
der  Mann  immer  Unrecht  haben;  das  ganze  Dorf  kommt  in 
Aufruhr.  Dieser  Corpsgeist  verlangt  von  jeder  Frau,  sie  mag 
ihren  Gatten  lieben  oder  nicht,  dass  sie  ihm  ihre  Liebe  ver- 
berge und  ihn  verächtlich  behandle.  Es  wird  ihr  für  eine 
Schande  angerechnet,  wenn  sie  ihrem  Gatten  ihre  Liebe  zeigt. 
Diese  Männerverachtung  geht  so  weit,  dass  die  Frau,  die  um 
ihren  Gatten,  der  kinderlos  gestorben  ist,  klagt,  von  ihren 
Freundinnen  verhöhnt  wird.  Man  sieht  oft,  wie  ganz  anstän- 
dige Frauen  wegen  des  kleinsten  Streites  mit  dem  Mann 
ihr  Zelt  abbrechen,  um  fortzuziehen;  oft  thun  sie  es  nur,  um 
den  Mann  einzuschüchtern,  oft  sogar,  um  der  öfifentlichen 
Meinung  ihrer  Schwestern  zu  genügen,  indem  sie  die  Trotzigen 
spielen.  Dann  versammelt  sich  das  ganze  Lager,  um  sie  zum 
Bleiben  zu  bewegen;  wenn  alles  nichts  hilft,  lässt  man  einen 
ihrer  Brautführer  kommen;  man  sagt  ihr,  er  sei  hergekom- 
men, um  sie  zum  Bleiben  zu  vermögen,  da  kann  sie  nicht 
widerstehen.  Es  existirt  nämlich  zwischen  der  Braut  und  den 
Genossen  des  Bräutigams  eine  feste  ewige  Freundschaft,  die 
nie  trügt;  sie  dürfen  sich  nie  mehr  sehen,  aber  thun  einander 
alles  zu  Liebe.  So  wenig  Liebe  die  Frau  zu  ihrem  Mann  hat 
oder  zeigt,  so  viel  hat  sie  für  ihren  Bruder ,  den  sie  über 
alles  setzt.  Oft  hört  man  die  Frauen  die  unanständigsten 
Schimpfwörter  gegen  die  eigenen  oder  fremde  Männer  aus- 
stossen,  selbst  auf  offener  Strasse,  ohne  dass  diese  es  wagen, 
die  geringste  Erwiderung  auszusprechen.  Da  fast  alles  Ver- 
mögen gemeinschaftlich  ist,  so  thut  der  Mann  nicht  den  klein- 
sten Schritt,  ohne  mit  seiner  Frau  zu  berathen  und  hängt  also 
sehr  bedenklich  von  ihrem  guten  Willen  ab. 

Die  Frau  melkt  nicht;  sie  isst  nie  in  Gegenwart  ihres 
Mannes;  sie  spricht  seinen  Namen  nur  vor  Fremden  aus;  sie 
verbirgt  sich,  wie  auch  der  Mann  vor  der  Schwiegermutter. 


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326  Ueber  die  Beni  Amer. 

Das  Rauchbad,  wie  wir  es  für  die  Bogos  beschrieben,  nimm 
sie  im  Freien;  sie  benutzt  dazu  die  Wurzel  des  Nebekbaumes. 
Sie  geht  überhaupt  aus,  wie  sie  will;  oft  bringen  die  Freun- 
dinnen den  ganzen  Tag  im  Freien  zu,  schlachten  eine  Kuh 
auf  gemeinschaftliche  Rechnung  und  machen  sich  einen  Schmaus. 
Ihre  Kleidung  besteht  aus  dem  braunen  Wollkleid  und  einem 
grossen  Stück  Calicot ;  sie  tragen  kein  Hemd;  auf  dem  Kopf 
tragen  sie  hur  einen  ganz  kleinen  Hölqet  (Silberkugel);  Ge- 
schmeide tragen  nur  die  Reichern;  alle  sind  Liebhaberinnen 
von  meist  hellfarbigen  Glasperlen,  wovon  sie  Bänder  an  Hand, 
Bein,  Knöchel,  Hals  und  imi  die  Hüfte  tragen;  sie  zeigen  so 
viel  Geschmack  in  der  Farbenzusammenstellung,  dass  sie 
wirklich  dabei  gewinnen.  Die  Mädchen  tragen  ein  Stück 
Calicot;  der  Belat  (arabisch  Rehad),  der  Fransengurt,  ist  hier 
nicht  üblich. 

Die  Frauen  der  Beni  Amer  halten  wenig  auf  Schleier;  sie 
verbergen  das  Gesicht  höchstens  vor  ganz  Fremden;  in  ihrem 
Zelt,  das  doch  ziemlich  offen  ist,  bleiben  sie  fast  unbekleidet. 
Es  ist  Sitte  im  Lande,  dass  kein  Fremder  in  das  Haus  eines 
Unterthanen  tritt,  während  jedermann  in  dem  Zelt  eines  Vor- 
nehmen aus-  und  eingeht;  deswegen  stehen  die  Frauen  der 
letztem  auch  in  schlechterm  Ru£  Man  kann  von  den  Beni 
Amer'n  sagen,  was  man  den  Griechinnen  nachsagt;  als  Mäd- 
chen sind  sie  sehr  sittsam,  als  Frauen  glauben  sie  sich  alles 
erlaubt;  von  ihrer  Leichtfertigkeit  in  dieser  Hinsicht  kann 
man  sich  keinen  Begriff  machen;  das  Motiv  ist  eine  niedrige 
Habsucht. 

Vielweiberei  ist  natürlich  erlaubt,  aber  das  Recht  wird 
nur  von  den  Vornehmsten  und  Reichsten  benutzt.  Der  grösste 
Theil  begnügt  sich  mit  nur  Einer  Frau  und  viele  leben  mit 
ihr  bis  zum  Tode.  Wir  wollen  bei  diesem  Anlass  von  Neuem 
darauf  hinweisen,  dass  die  Polygamie  selbst  in  A£rika  nur 
als  eine  Ausnahme  zu  betrachten  ist;  dass  sie  also  kein  Be- 
dürfoiss  ist,  wie  oft  behauptet  wird,  wenn  wir  auch  die  Er- 
laubniss   dazu   keineswegs   immer   tadeln   wollen.  Das  Klima 


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Ueber  die  Bfiiii  ^mmL  327 

Tiat  aabei  wenig  Schuld,  vielmehr  die  Sucht,  mäch- 
tige Verwandte  oder  viele  Kinder  zu  bekommen,  die  dem 
Manne  ein  Hort  sind  in  diesen  Ländern,  wo  Familie  gegen 
Familie  steht,  üeber  die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  ist  nichts 
Besonderes  zu  sagen;  ich  kenne  bis  zehn  Kinder  aus  Einer 
Ehe;  der  Sheich  Bejet  hatte  zwanzig  Kinder  aus  drei  Ehen. 

Da  wir  bisher  den  Frauen  viel  Nachtheiliges  nachgesagt 
haben,  so  wollen  wir  auch  ihrer  rühmlichsten  Seite  gedenken, 
ihres  ausserordentlichen  Ehrgefühls.  Wer  sich  dem  Schutz 
einer  Frau  empfiehlt,  ist  unverletzlich;  er  ist  viel  sicherer,  als 
im  Schutz  des  Mannes,  der  gewöhnlich  wenig  Ehrgefühl  hat. 
Eine  Frau  wird  ihren  Schützling  nie  im  Stich  lassen.  Es 
scheinen  überhaupt  bei  den  Beni  Amer'n  die  Rollen  gewechselt 
zu  sein;  die  Frau  zeigt  sich  auch  in  der  Arbeit  viel  männ- 
licher; sie  webt  Tag  und  Nacht  an  den  Palmenmatten,  mit 
deren  Ertrag  sie  meist  den  Tribut  bezahlt;  der  Mann  gibt 
sich  mit  den  Heerden  ab  oder  liegt  den  ganzen  Tag  unter 
dem  Schatten  der  BBgligbäume  vor  dem  Zeltenlager;  hierin 
zeichnen  sich  besonders  die  Vornehmen  aus,  die  ihre  Heerden 
nicht  selber  zu  besorgen  haben. 

Die  Beni  Amer  begraben,  indem  sie  den. Leichnam  nach 
islamitischer  Weise  in  einen  Sack  genäht  mit  Erde  verschüt- 
ten; das  Grab  wird  mit  Steinen  bedeckt  und  kenntlich  ge- 
macht. Dann  wird  der  Todte  an  einem  bestimmten  Tage 
gefeiert,  indem  jeder  Verwandte  und  Unterthan  Opfer  schlachtet. 
Als  Ukut,  Sohn  Hömmed's,  starb,  ein  Bruder  Mohammed's,  den 
vor  oben  erwähnt,  wurden  so  viele  Kameele,  Kühe  und  Schafe 
geschlachtet,  dass  es  an  Essern  fehlte  und  die  Luft  verpestet 
ward;  man  rechnete  mehrere  hundert  Kühe.  Die  Frauen  füh- 
ren bei  dieser  Feier  eine  Art  Todtentanz  auf,  den  die  Wittwe 
mit  rasirtem  Kopf  tind  alle  Verwandte  mitmachen;  eine  der 
Schwestern  des  Todten  frisirt  sich  das  Haar  nach  Mannesart, 
und  paradirt  mit  seinem  Schwert  und  Schild;  dabei  wird  na- 
türlich das  Lob  des  Geschiedenen  gesungen.  Die  Leichenfeier 
dauert  oft  mehrere  Wochen  lang. 


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328  lieber  die  Beni  Am  er. 

Um  jetzt  wieder  dem  Leben  uns  zuzuwenden,  brauchen 
wir  kaum  zu  wiederholen,  dass  die  Beni  Amer  mit  Leib  und 
Seele  wandernde  Hirten  sind.  Ihr  Haus  ist  also  das  Zelt 
mit.  Stangengerüst,  bedeckt  mit  russgeschwärzten,  wasserdich- 
ten Palmenmatten;  je  vornehmer  jemand  ist,  um  so  grösser 
und  höher  ist  sein  Haus.*)  Die  einfache  Küche  wird  vor 
dem  Zelt  errichtet.  Der  Hausgeräthe  sind  wenig,  zum  Trans- 
port eingerichtet:  ein  grosses  Ladenbett,  mit  einer  schönen 
Matte  bedeckt;  einige  kleine  Schemel.  Will  das  Lager  sich 
bewegen,  so  sind  die  Zelte  in  einem  Nu  abgebrochen  und  die 
Kameele  werden  damit  beladen;  die  Frauen  verstehen  sich 
so  gut  darauf,  dass  sie  sich  zwischen  dem  Hausgeräth  ein 
betiuemes  Lager  herrichten,  wo  für  sie  und  die  Kinder  Platz 
ist,  mit  einem  Schattendach  versehen,  das  die  Herrin  vor 
Sonne  und  Dornen  schützt.  Auf  dem  Gipfel  dieses  improvi- 
sirten  Zeltes  wird  ein  grosser  Strauss  Straussfedern  befestigt. 
So  ist  es  ein  erfreulicher  Anblick,  das  Lager,  das  eben  eine 
Stadt  schien,  im  Nu  verschwinden  zu  sehen,  sich  verwandelnd 
in  eine  unabsehbare  Reihe  von  schwerbeladenen,  aber  schnell 
laufenden  Kameelen,  begleitet  von  den  wehrhaften  Herren 
zu  Pferde.  Kommt  eine  grosse  Gefahr,  so  scheint  es  den 
Beni  Amer'n  nicht  einmal  der  Mühe  werth,  etwas  mitzuneh- 
men; sie  retten  ihre  Personen  und  ihre  Heerden  in  die  wasser- 
lose Steppe,  wohin  kein  Feind  ihnen  folgen  kann.  Das  Lager 
verlassen  sie  mit  allem  Gut;  es  wird  von  niemandem  berührt, 
da  es  der  öffentlichen  Sicherheit  anvertraut  ist;  sehr  oft  bin 
ich  in  solche  verlassene  Lager  getreten,  bevor  seine  Bewohner 
zurückgekehrt  waren;  alles  war  da,  Haus  und  Geräth;  nur 
die  Menschen  fehlten. 

Die  Zcltenlager  der  Beni  Amer,  wie  der  meisten  Nomaden, 
theilen  sich,  in  zwei  Abtheilungen:  das  Zaga  imd  das  Az  Aha. 
Zum  Zaga  gehören  die  Kameele  und  Ziegen,   mit  ähnlicher 


*)  Auch  auf  die  Hadendoa  passt   diese  ganze  Darstellung,  sie   be- 
gnügen sich  aber  meist  mit  niedrigen  Zelten. 


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•     Ueber  die  Beni  Amer.  329 

Nahrung;  es  ändert  selten  den  Platz,  während  das  Az  Aha 
(Kuhlager)  oft  frische  Weide  suchen  muss.  Deswegen  wohnen 
die  bequemeren  Vornehmen  .meist  im  Zaga.  Der  Name  ist 
alt;  Zaga  im  Samhar,  Tsade  Zaga  im  Hamasen  ist  dasselbe 
Wort;  es  bedeutet  einen  festen  Hauptsitz.  Das  grosse  Zaga 
par  excellence  ist  die  Residenz  des  Stammfiirsten;  dagegen 
hat  jeder  einzelne  Tribus  sein  Zaga  und  sein  Az  Aha. 

Die  Beni  Amer  sind  fleissige  Hirten,  die  ihr  Vieh  mit 
grosser  Liebe  pflegen;  sie  halten  Kameele,  Kühe,  Schafe  und 
wenig  Ziegen.  Die  meisten  Tribus  besitzen  Kameele  von  der 
Hadendoarasse,  die  im  Barka  sehr  gedeiht,  weniger  schlank, 
aber  sehr  tüchtig  wird.  Auch  Reitkameele  besitzen  die  Beni 
Amer,  aber  sie  sind  nicht  im  allgemeinen  Gebrauch.  Die 
Kühe  gehören  zwei  Rassen  an:  der  Arado  und  der  Begeit 
oder  Bulet.  Die  Arado  ist  die  sehr  kleine  abyssinische  Kuh 
mit  grossen  Hörnern,  meist  einfarbig.  Die  Begeit  hat  die 
Grösse  einer  grossen  Schweizerkuh  und  viel  von  ihrem  Aus- 
sehen; sie  ist  meist  buntgefleckt  und  sehr  lang.  Sie  verhält 
sich  zur  Arado,  wie  der  Dongolawi  zum  abyssinischen  Pferd; 
beide  acclimatisiren  sich  schwer  im  Auslande.  Das  Vieh  der 
Hadendoa  ist  alles  Begeit,  sie  ist  die  landesthümliche  Kuh 
der  Bedau  oder  Bedja.  Sie  hat  sehr  gutes  Fleisch  und  viel 
Milch,  die  aber  wohl  der  Nahrung  wegen  nicht  fett  ist.  Sie 
ist  an  Schnellmärsche  gewöhnt,  da  meist  nur  die  grossen 
Ströme  Wasser  genug  bieten  und  so  Weide  und  Trank  weit 
voneinander  entlegen  sind.  Die  Kühe,  wie  die  Schafe,  werden 
jeden  dritten  Tag  zur  Weide  gefuhrt.  Diess  ist  der  Gebrauch 
in  ganz  Nordostafrika,  ausgenommen  in  den  Steppen  zwischen 
Atbara  und  Nil,  wo  sie  erst  am  vierten  Tage  zum  fernen  Nil 
geführt  werden.  Die  Brunnen  werden  in  dem  Strombett  ge- 
graben und  sind  in  trockenen  Jahren  oft  über  dreissig  Fuss 
tief;  sie  werden  eng  angelegt  und  mit  Tamariskenzweigen  aus- 
geflochten, die  der  Mauer  Halt  geben,  aber  dem  Wasser  einen 
abscheulichen  Geschmack  verleihen;  dessenungeachtet  wird 
oft  der  Hirte,  der  in  der  Tiefe  des  Brunnens  die  Schläuche 


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330  Ueber  die  Beni  Amer.    • 

füllt,  die  von  seinen  Kameraden  hinaufgezogen  und  in  Lehm- 
UMgLi  aniignlnnrt  gfirdan,  lam  ^dem^mä6iamtäamWaaml\^ycr!^ 
begraben.  In  der  Regenzeit  trinken  die  Kühe  das  auf  dem 
fetten  Boden  als  Teich  sich  ansammelnde  Regenwasser,  das 
sie  neu  erfrischt  und  reinigt  und  belecken  dann  die  längs 
des  Barka  so  häufigen  Natronschichten,  die  die  Stelle  un- 
seres Salzes  vertreten. 

Die  Beni  Amer  halten  sich  wenig  Katzen;  dagegen  sind 
ihre  Lager  von  sehr  leichtfussigen,  bissigen,  immer  bellenden, 
diebischen  Hunden  bevölkert,  für  die  eigentlich  niemand  sorgt; 
deswegen  durchstreifen  sie  in  der  Nacht  die  Zelte,  besteigen 
sie  wohl  auch  und  fressen  alles  weg,  was  nicht  sehr  gut 
verwahrt  wird.  Meinem  Diener  wurde  oft  der  Schuh  vom 
Fuss  weggefressen  und  das  Fett  von  den  neupommadisirten 
Haaren.  Dagegen  sind  diese  Hunde,  die  fast  nur  Beine  haben 
und  keinen  Leib,  äusserst  gewandt  und  für  die  Jagd  sehr 
geeignet.    Die  Beni  Amer  halten  sich  auch  viele  Hühner. 

Das  Lieblingsthier  des  Beni  Amer's  ist  das  Pferd.  Es  werden 
viele  abyssinische  Pferde  gehalten,  schon  wegen  ihrer  Wohlfeil- 
heit; sie  sind  aber  für  den  prunkliebenden  prahlerischen- Geist 
des  Volkes  viel  zu  klein;  wer  es  nur  vermag,  schafiFt  sich  ein 
Dongolawi-Pferd  an.  Diese  sind  gross  und  stark  genug,  den  Rei- 
ter mit  Harnisch  und  selbst  noch  einen  baumwollenen  Pan- 
zer zu  tragen,  der  ihnen  bis  auf  die  Hufe  reicht.  Die  Beni  Amer 
haben  noch  ziemlich  viele  Panzerhemden  und  beziehen  solche 
auch  von  Arabien.  Sie  schützen  vor  Lanze  und  Schwert  vollkom- 
men, sodass  ein  geharnischter  Reiter  ohne  Furcht  in  einen  Haufen 
Fussvolk  hineinreiten  kann;  gegen  Kugeln  freilich  halten  sie 
nicht  aus.  Die  Dongolawi- Pferde  sind  äusserst  delicat;  die 
Grossen  der  Beni  Amer  vergeuden  ihr  meistes  Geld  für  solche 
Pferde,  da  sie  jährlich  wieder  wegsterben.  Die  Nahrung  der- 
selben besteht  fast  nur  aus  Milch  und  Durra.  Weitere  Nach- 
richten über  die  Pferde  theilen  wir  unter  den  Notizen  über 
Kordofan  mit.    In  Kriegszeiten  stehen  die  Pferde  den  ganzen 


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Ueber  die  Beni  Amer.  33  t 

Tag  und  die  ganze  Nacht  gesattelt  und  gepanzert  vor  dem 
Zelt.  Seuchen  werden  immer  dem  bösen  Auge  zugeschrieben; 
hat  ein  Pferd  einen  Anfall,  so  wird  jedem  Dorfbewohner,  der 
das  Pferd  erblickt  hat,  ein  Haar  ausgerissen  und  verbrannt; 
damit  soll  die  Wirkung  vereitelt  werden.  Wir  brauchen  kaum 
zu  sagen,  dass  die  Beni  Amer  gute  furchtlose  Reiter  sind. 

Die  Nahrung  der  Beni  Amer  ist  sehr  einfach  und  schlecht; 
sie  trinken  viel  Milch  und  essen  ausnahmsweise  Fleisch,  das  in 
Butter  geröstet  wird  und  viel  Polenta,  die  gesäuert  und  weich 
gekocht  ist.  Da  sie  zum  Ritus  der  Malekiten  gehören,  essen 
sie  auch  das  Fleisch  des  Wildschweins ,  das  sie  richtig  genug 
kleines  Rhinoceros  nennen;  man  sagt  ihnen  sogar  nach,  dass 
sie  auch  Hyänenfleisch  essen.  Als  Zuckerzeug  dient  ihnen 
der  Akat,  d.  h.  die  Frucht  der  Dumpalme,  deren  braune  mürbe 
Schale  sehr  gut  schmeckt,  der  Chocolade  ähnlich.  Der 
harte  Kern  wird  zu  Tabaks-  und  Antimoniumbüchsen  ver- 
wendet. Mit  dem  schwarzen  Antimonium  (Qohel)  werden  be- 
kanntlich die  Augen  schwarz  gefärbt. 

Von  der  Kleidung  ist  fast  nichts  beizufügen;  beide  Ge- 
schlechter tragen  die  Tunika  von  weissem  Calicot,  dem  soge- 
nannten Mehemmed-Ali,  oder  von  inländischem  am  Gash  fa- 
bricirten  Zeug.  Nur  reichere  oder  vornehmere  Leute  tragen 
bunte  Zeuge.  Hosen  tragen  nur  die  Reiter;  das  Hemd  ist  selten. 
Den  Kopf  tragen  die  meisten  unbedeckt,  mit  vollem  Haar- 
wuchs, wie  alle  Nordostafirikaner.  Nur  die  von  den  Türken 
eingesetzten  Häuptlinge  rasiren  sich  die  Haare  und  tragen 
den  rothen  Tarbush.  Als  Fussbekleidung  dienen  Sandalen, 
wie  sie  überall  hier  gebräuchlich  sind. 

Die  Frauen  der  Beni  Amer  flechten  sehr  viele  Palmen- 
matten, die  ihre  Männer  auf  den  eigenen  Kameelen  auf  der 
Lebkastrasse  nach  Massua  ausführen.  Im  Barka  hat  man 
zwölf  Stück  für  einen  Thaler,  an  der  Küste  nur  4 — 6  Stück. 
Der  Bedarf  wird  immer  grösser,  weil  man  an  der  Küste  in 
Folge  der  häufigen  Feuersbrünste  die  Strohdächer  durch  Mat- 
tendächer ersetzt,   die  schwer  Feuer  fangen.    Mit  dem  Erlös 


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332  üeber  die  Beni  Amer. 

der  Matten  wird  gewöhnlich  der  Tribut  bestritten.  In  Leder- 
arbeiten und  Gerben  sind  die  Hochländer  den  Beni  Amer'n 
-weit  überlegen;  sie  ersetzen  übrigens  das  im  Haushalt  nöthige 
Leder  durch  Flechtwerk  von  Djerid;  alles  was  sie  haben  wird 
in  wasserdichten  Körben  aufbewahrt,  besonders  Wasser  und 
Milch;  vorzüglich  schön  sind  ihre  Mattenteppiche.  Ackerbau 
wird  nur  ausnahmsweise  getrieben,  wie  von  den  Beit  Bidel 
und  den  Belou  bei  Dunguaz;  auch  die  Herren  von  Zaga  stellen 
oft  Ackerbauer  an,  die  ihnen  ein  Feld  bebauen.  Im  Ganzen 
finden  es  die  Beni  Amer  einträglicher,  mit  ihren  überflüssigen 
Kameelen  das  Durra  von  Kassala  und  selbst  von  Gadarif,  der 
Kornkammer  des  Ostsudan,  zu  holen  und  damit  nach  Keren 
imd  oft  nach  Massua  Handel  zu  treibön.  Die  Habab,  die 
auch  nur  Hirten  und  weit  von  der  Quelle  weg  sind,  gehen 
meist  bis  zum  Barka,  wo  sie  ihren  Bedarf  kaufen.  Da  nun 
ein  Kameel  jährlich  zwei  solche  Reisen  machen  kann,  ohne 
sich  zu  ermüden  und  es  sich  so  in  einem  Jahre  fast  bezahlt, 
so  sind  die  Preise  sehr  gestiegen;  ein  Kameel,  das  früher  zehn 
Thaler  werth  war,  kostet  jetzt  zwanzig-,^  natürlich  hat  man 
dafür  ein  gutes,  noch  junges  Thier.  Im  Verhältniss  sind  auch 
die  Frachtkosten  gestiegen;  von  Kassala  nach  Massua  kostet 
die  Last  jetzt  sechs,  anstatt  der  frühern  vier  Thaler.  Der 
Handel  mit  Häuten,  Butter  und  Elfenbein  ist  in  den  Händen 
der  sogenannten  Ashker  (der  Leute  von  Dokono),  denen  übri- 
gens jetzt  die  Djalin  bedeutende  Concurrenz  machen.  Strausse 
werden  zu  Pferde  gejagt;  die  Federn  gehen  direct  nach  Sua- 
kin.  Auch  Elefanten  werden  zu  Pferd  und  zu  Fuss  oder  mit 
dem  Gewehr  erlegt,  die  Zähne  gehen  nach  Massua.  Das  ßhi- 
noceros  wird  meist  an  der  Tränke  mit  Lanzen  erlegt  oder 
mit  Hunden   gejagt.*)    In  Zaga  ist  täglich  Markt,  wo  meist 


*)  Einige  Bemerkungen  über  die  Lebensweise  des  Nashorns,  die 
wir  ans  einem  von  uns  in  der  Zeitschrift  f.  Allg.  Erdk.  veröffentlichten 
Aufsatze  wiederholen,  werden  fiir  den  Leser  nicht  ohne  Interesse  sein: 

Das  Nashorn  (Ehinoceros)  heisst  auf  Arabisch:  Cherdid,  auf  Tigre: 
Harish,  auf  Amhara:  Oraris,   auf  Belcn:    Gedane.     Es   hat   in   seinen 


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üeber  die  Beni  Amer.  333 

Vieh  und  Pferde  verkauft  werden;   er  wird  besonders  lebhaft 
zur  Zeit   des  Tributs,   wo  die  Beni  Amer  um  Geld   verlegen 


Eigenthümlichkeiten  viel  Aehnlichkeit  mit  dem  Wildschwein.  Schlechte 
Nase,  schlechte  Augen,  aber  sehr  gute  Ohren.  Es  liebt  einsame,  von 
Menschen  and  Vieh  nie  begangene  Grasplätze  und  tränkt  sich  bei  ver- 
lassenen Wassern  nach  Sonnenuntergang  oder  vor  Sonnenaufgang.  Ist 
das  Wasser  verstopft,  gräbt  es  wohl  selbst  den  Brunnen  aus.  Wie 
das  Wildschwein  liebt  es  sich  im  Wasser  und  Koth  herumzuwälzen. 
Beim  Wasser  angelangt,  flieht  es  zweimal  und  erst  das  dritte  Mal  fasst 
es  Zutrauen  und  kniet  am  Wasser  nieder.  Diess  ist  der  Augenblick 
der  Jagd.  Der  Jäger,  der  sich  am  Tage  den  Ort  der  Tränke  gemerkt 
hat,  macht  sich,  ein  paar  Schritte  davon  entfernt,  eine  enge  sehr  starke 
Umzäunung  von  undurchdringlichen  Domen  und  erwartet  da  die  An- 
kunft des  Feindes.  Hat  sich  das  Rhinoceros  recht  voll  getränkt,  so  erhebt 
sich  der  Jäger  auf  seine  Knie;  die  linke  Hand  stützt  er  auf  einen 
Baumstumpf  und  mit  der  rechten  wirft  er  dem  Thiere  mit  voller  Gewalt 
seine  sehr  breite  scharfe  Lanze  in  den  Bauch.  Man  sagt,  dass  das 
vollgetränkte  Nashorn  schon  der  kleinsten  Wunde  erliegt.  Fällt  es  auf 
den  Streich  nieder,  so  macht  man  ihm  den  Garaus.  Hat  es  die  Kraft 
sich  zu  erheben,  so  lässt  man  es  ruhig  fliehen.  Beim  Morgengrauen 
verfolgt  man  die  Blutspur  imd  in  grösserer  oder  geringerer  Entfernung 
findet  man  das  Thier  erschöpft  auf  dem  Boden  liegen. 

Die  Jagd  bei  Tage  ist  viel  gefährlicher;  hat  man  einmal  die  Spur 
gefunden,  so  geht  man  ihr  nach;  von  Felsblöcken  und  kleinen  Hügeln 
kündet  man  das  Thier  aus,  und  bekommt  man  es  in  Sicht,  so  verfolgt 
man  es  mit  Hunden.  Das  Nashorn  wirft  sich  wüthend  auf  die  Hunde, 
die  es  nur  von  hinten  angreifen,  und  die  Jäger  haben  Zeit,  es  vielfach 
zu  verwunden.  Doch  ist  diess  in  der  Ebene  eine  gefährliche  Sache, 
da  das  verwundete  Nashorn  sich  blitzschnell  in  ganz  gerader  Richtung 
auf  seinen  Feind  wirft  und  alles,  was  ihm  in  den  Weg  kommt,  nieder- 
stösst. 

Sich  mit  einer  Büchse  dem  Nashorn  zu  nähern  ist  fast  unmöglich, 
^a  es  uns  im  Gehör  weit  überlegen  ist;  tiberdiess  ist  es  in  dieser  ür- 
heide ,  wo  der  Boden  von  verfaultem  Holze  bedeckt  ist  und  die  Domen 
den  Durchgang  versperren,  sehr  schwer,  sich  ohne  Geräusch  dem  wei- 
denden Thiere  zu  nähern.  Einmal  aufmerksam  gemacht,  flieht  das  Thier 
in  vollem  Galopp  oder  wendet  sich  gegen  den  Jäger;  die  Schnelligkeit 
seines  Laufes  und  das  Schnauben,  das  es  dabei  ausstösst,  erinnert  an 
die  Locomotive,  die  den  Dampf  auslässt. 

Doch  ist  die  Schwerfälligkeit  des  Thieres,  sich  umzuwenden,  und 
seine  Sucht,  in  ganz  gerader  Linie  vorwärts  zu  eilen,  wie  eine  Kugel, 
die  dem  Rohr  entflieht,  eine  Sicherheit  für  den  Jäger,  der  behend  im 
Zickzack  sein  Heil  findet.  Auch  diese  Eigenschaft  hat  es  mit  dem  Wild- 
schwein gemein. 


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334  üeber  die  Beni  Amer. 

sind.  Gourant  sind  nur  die  Thaler;  als  Münze  geht  der  grosse 
ägyptische  Piaster,  wovon  achtzehn  auf  einen  Thaler  gehen. 


Das  Nashorn  thut  dem  weidenden  Vieh  kein  Leid  an;  doch  Ter- 
wnndet  stösst  es  ohne  Unterschied  alles  nieder,  was  ihm  in  den  Weg 
kommt. 

Das  Nashorn  yerabschent  wie  der  Bär  alles  Todte.  Wenn  ein  von 
ihm  verfolgter  Mensch  sich  auf  den  Boden  wirft  und  den  Athem  zurück- 
hält, beschnüffelt  ihn  das  Thier  und  wendet  sich  von  ihm  ab.  Die 
gleiche  Eigenschaft  wird  dem  Löwen,  dem  Elefanten,  dem  Adler,  dem 
Affen,  kurz  allen  Thieren  zugeschrieben,  die  Gadaver  nicht  fressen; 
während  im  Gegentheil  der  Geier,  die  Hyäne  den  Menschen  nur  im 
Schlaf  überfallen  und  einem  Wachenden  sich  nicht  zu  nähern  getrauen. 

Der  Mist  des  Nashorns  gleicht  dem  der  Elefanten,  was  auf  ähnliche 
Nahrung  sohliessen  lässt;  doch  liebt  das  Nashorn  mehr  frisches  Gras, 
während  der  Elefant,  wie  das  Eameel,  die  Baumzweige  abfrisst.  Das 
Nashorn  hat  die  sonderbare  Gewohnheit,  mit  seinem  Hom  in  seinem 
frischen  Mist  herumzuwühlen. 

Das  Fleisch  des  Nashorns  —  und  ebenso  der  Elefanten,  Strausse, 
der  Giraffe  —  wird  nur  von  Mohammedanern  gegessen;  die  Christen 
verabscheuen  es.  Solches  Fleisch  zu  essen  und  den  Islam  anzunehmen 
ist  eine  identische  Sache.  Ist  ein  Nashorn  getödtet,  so  machen  sich  die 
Beduinen  mit  ihren  Kameelen  auf  und  bringen  sie  mit  Fleisch  beladen 
zurück.  Das  Fleisch  hat  Aehnlichkeit  mit  dem  der  Ziege,  schmeckt 
aber  bitter. 

Das  Hom  wird  in  Massua  und  Suakin,  je  nach  der  Grösse,  mit 
2  —  7  Thaler  verkauft.  Die  Leute  von  Massua  und  die  Abyssinier  be- 
nutzen es  zu  Säbelgriffen  und  Kaffeetassen.  Sein  Abschabsei  wird  als 
ein  gewaltiges  Gegengift  angesehen.  Würde  man  einmal  das  Hom 
chemisch  analysiren,  so  könnte  man  sehen,  welchen  Werth  dieser  Volks- 
glaube hat. 

Die  Haut  wird  zu  runden  Schilden  verarbeitet.  Der  Nashomschild 
ist  dem  von  Elefantenhaut  überlegen  und  gilt  verarbeitet  einen  Thaler. 
Er  hat  das  Aussehen  eines  Büffelschildes;  doch  ist  dieser  letztere  viel 
stärker  und  deshalb  geschätzter,  da  er  zuweilen  mit  vier  Thalem  be- 
zahlt wird.  Es  gibt  im  Barka  Leute,  die  sich  ausschliesslich  mit  Be- 
arbeitung von  Schilden  beschäftigen;  von  je  drei  rohen  Schilden  neh- 
men sie  einen  als  Lohn.  Die  Schilde  von  der  Haut  des  Elefanten,  Nas- 
horns, Büffels  sind  rund,  der  Durchmesser  2%  Spannen;  in  der  Mitte 
haben  sie  eine  kleine  kegelförmige  Erhöhung;  auf  der  innem  Seite  ist 
eine  Handhabe  angebracht. 

Es  ist  begreiflich,  dass  der  Nashon^jäger  sorgfältig  auf  die  Spur 
Acht  geben  muss.  Die  Leute  hier  zu  Lande  sind  im  Spursuchen  sehr 
geübt,  und  was  ich  oft  ungläubig  über  die  amerikanischen  Wilden  ge- 
lesen, habe  ich  völlig  in  Afrika  wiedergefunden.    Eine  gestohlene  Kuh 


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Ueber  die  Beni  Amer.  335 

Wir  müssen  noch  einmal  auf  den  Durrahandel  zurückkom- 
men. Das  Land  der  Bogos  ist  in  der  Mitte  von  Gauen 
gelegen,  die  mehr  consumiren,  als  erzeugen,  von  halben 
Hirten,  die  den  Ackerbau  ziemlich  lässig  treiben;  die  Bogos 
selbst  haben  sich  jetzt  fleissiger  dem  Ackerbau  gewidmet. 
Auch  verhindert  die  oft  vorkommende  Dürre  regelmässige 
Emdten.  Deswegen  müssen  die  Bogos,  Mensa,  Takue  und 
Bedjuk  sich  oft  von  auswärts  mit  Getreide  versehen.  Die 
Habab  vollends  pflanzen  fast  gar  nicht  und  führen  sogar  nach 
dem  Samhar  aus.  Deswegen  kamen  von  jeher  grosse  Kara- 
wanen von  Beni  Amer'n  mit  Durra,  das  sie  von  Eassala  und 
auch  von  den  Barea  brachten  und  es  machte  sich  ein  grosser 
Markt  vorzüglich  in  Eeren,  der  von  allen  Seiten  besucht  wird, 
besonders  im  Sommer  vor  der  Erndte. 

Wir  haben  keine  sichere  Angabe  über  den  Reichthum  der 
Beni  Amer;  jedenfalls  besteht  er  &st  nur  in  Heerden.  Der 
Tribut  wird  im  Herbst  erhoben;  etwa  vierhundert  Mann  lagern 
in  Zaga;  kleinere  Abtheilungen  zerstreuen  sich  in  den  kleinem 
Zeltenlagem;  sobald  er  erhoben  ist,  zieht  der  Deglel  mit 
grossem  Gefolge  und  einem  halben  Bataillon  nach  dem  Söhel, 


ist  schwer  zu  verheimlichen,  wenn  der  Weg  auch  über  Berg  und  Stein 
geht  Ist  der  suchende  Hirt  einmal  auf  der  Spur,  so  wird  er  sie  schwer- 
lich verlieren,  wenn  nicht  passirende  Reisende  oder  Heerden  sie  ver- 
wirren. Geht  die  Fussspur  verloren,  so  ist  der  Geruch,  der  an  Steinen 
und  Bäumen  hängen  bleibt,  ein  ziemlich  sicherer  Leiter.  Die  Spur  der 
Sandalen  zeigt  den  Stamm  an,  dem  die  Yiehräuber  angehören,  da  jeder 
Tribus  sie  etwas  anders  schneidet.  Ohne  diese  Fertigkeit  im  Spursuchen 
wäre  der  Diebstahl*  in  diesen  Ländern,  wo  Polizei  unbekannt  ist,  eine 
leichte  Sache.  Ist  ein  Stück  Vieh  verloren,  so  vergewissert  sich  der 
Hirt  über  die  Spur;  hat  er  sie  gefunden,  so  gibt  er  seinen  Genossen 
Nachricht:  man  verfolgt  die  Fährte;  erreicht  man  die  Räuber  auf  dem 
Weg,  so  entspinnt  sich  gewöhnlich  ein  blutiger  Kampf.  Geht  die  Fährte 
bis  zu  einem  Dorf,  so  werden  dessen  Einwohner  für  das  gestohlene 
Vieh  verantwortlich  gemacht  und  der  Process  ist  fertig.  Der  eben  an- 
gekommene Europäer,  der  nie  auf  Spuren  seine  Aufmerksamkeit  ge- 
richtet hat,  erstaunt,  Fährten  verfolgt  zu  sehen,  wo  sein  Auge  nichts 
entdeckt;  doch  gewöhnt  sich  das  aufmerksame  Auge  sehr  schnell,  die 
kleinsten  Merkmale  zu  beachten,  und  wird  gelehrig. 


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336  Ueber  die  Beni  Amer. 

von  wo  er  erst  im  Frühling  zurückkehrt.  Die  türkischen  Sol- 
daten beziehen  bei  diesen  Excursionen  ein  eigenes  mit  Domen 
verschanztes  Lager  (Zeribe),  da  die  Erfahrnng  sie  misstranisch 
gemacht  hat.  (S.  Recht  der  Bogos,  S.  12.) 

Es  ist  schwer,  die  Beni  Amer  im  Allgemeinen  zu  charak- 
terisiren,  da  sie  eigentlich  nicht  Ein  Volk  sind.  In  der  Kind- 
heit sind  die  Männer  sehr  schön;  man  sieht  unter  den  Knaben 
wirklich  ideale  Schönheiten;  mit  der  Mannbarkeit  werden  sie 
plump  und  das  Gesicht  verliert  den  Ausdruck.  Unter  den 
Frauen  sieht  man  ausgezeichnete  Schönheiten,  sehr  gerade 
Nase,  frische  Haut,  aber  ebenso  wenig  Ausdruck  und  die  scham- 
lose Zunge  verdirbt  vollends  ihren  Reiz.  Die  Milch  mit  der 
heissen  Luft  verschönert  die  Haut  und  macht  den  Körper 
leicht;  man  hat  im  Barka  Läufer,  die  es  mit  einem  Pferd 
aufnehmen.  Die  Adelichen  sind  meist  hellfarbig,  die  Unter- 
worfenen eher  schwärzlich.'  Die  Haare  sind  meist  schwarz;  doch 
findet  man  hier  und  da  auch  rothe  und  blonde  ganz  weiche 
Haare.    Die  Beni  Amer  sind  alle  zur  Corpulenz  geneigt 

Man  findet  wenig  Verrückte  und  Missgestaltete;  dagegen 
hat  der  Beni  Amer  wenig  geistige  Fähigkeiten,  besonders  tief 
stehen  die  Unterworfenen  von  altem  Schlag,  so  eigensinnig 
sie  auch  sind  und  wohl  gerade  deswegen.  Dagegen  haben 
die  Beni  Amer  viel  mehr  Charakter,  als  ihre  Nachbarn  am 
Anseba;  sie  berathen  sich  schneller  und  führen  das  Beschlos- 
sene aus.  Sie  reden  wenig  und  speculiren  nicht;  dagegen  sind 
sie  prahlerisch  und  höchst  eingebildet.  Sie  haben  wenig  Heim- 
lichkeiten, wenig  Pläne  und  Listen;  was  sie  thun,  geschieht 
oflfen;  wer  heimlich  Rath  hält  und  auf  der  Seite  redet,  scheint 
ein  Verräther.  Sie  können  verrathen  ohne  falsch  zu  sein ,  da  sie 
zu  wenig  Ehrgefühl  haben,  um  ein  Hehl  daraus  zu  machen. 
Ihre  Gefühle  sind  unbeständig;  es  braucht  wenig,  um  Liebe 
in  Hass  zu  verwandeln.  Sie  sind  besonders  beim  ersten  Em- 
pfang sehr  höflich;  jeder  reicht  dem  Gast  die  Hand  und  re- 
det mit  ihm ;  aber  sie  haben  ihn  bald  satt.  Im  Ganzen  wird 
er  gut  bewirthet;  aber  man  sieht  aus  der  ungeregelten  Gast- 


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Ueber  die  Beni  Amer.  337 

lichkrit,  das6  wenig  Herz  dabei  ist.  Oft  müssen  die  Gäste 
Ins  nach  Mittemacht  auf  ihr  Abendessen  warten.  Mit  der 
Sicherheit  des  Gastes  ist  es  nicht  sehr  gut  bestellt,  da  die 
Beni  Amer  wenig  Ehrgefühl  haben  und  das  Gastrecht  nicht 
sehr  heilig  halten.  Oft  sind  arglose  Gäste  ohne  Grund  er- 
mordet, worden.  Man  kann  sich  nie  auf  eines  Mannes  Wort 
verlassen;  es  ist  nicht  Bosheit,  die  sie  treulos  macht,  son- 
dern die  Missachtung  alles  Fremden.  Die  Beni  Amer  sind  viel 
mehr  roh,  als  unsittlich;  sie  nehmen  sich  kein  Blatt  vor  den 
Mund;  jeder  sagt,  was  er  auf  dem  Herzen  hat  und  scheut  sich 
nicht,  seinem  Zuhörer  die  grösste  Unverschämtheit  in's  Gesicht 
zu  sagen.  Wie  bei  allen  geistlosen  Völkern  wird  Tapferkeit 
ausserordentlich  geehrt  und  geliebt;  die  Beni  Amer  selbst  sind 
dafür  nicht  sehr  berühmt;  immerhin  haben  die  Unterworfenen 
weniger  Todesfurcht,  als  die  Vornehmen,  die  sich  in  ihren 
Panzer  verstecken.  Dankbarkeit  hält  wenig  an.  Schmählich 
ist  die  Lieblosigkeit  der  Eander  gegen  die  Aeltern,  besonders 
gegen  die  bejahrte  Mutter,  die  meist  nur  von  ihren  Töchtern 
ernährt  wird. 

Diess  fallt  um  so  mehr  auf,  da  ihre  Nachbarn,  die  Barea, 
sich  durch  Kindesliebe  auszeichnen.  Mit  grossem  Unrecht 
glauben  sich  die  Beni  Amer  diesen  überlegen.  Denn  die  Barea 
leben  viel  besser,  haben  gutes  Brod,  besseres  Bier,  sind  tüch- 
tige Bauern,  sind  treuer,  zuverlässiger  und  dankbarer  als 
jene,  die  nur  Milch  haben  von  ihrem  Vieh,  dem  sie  viel  Ei- 
genschaften entlehnt  haben.  Nur  in  gewissen  Beziehungen 
dürfen  sich  diese  ihren  Nachbarn  überlegen  fühlen;  sie  haben 
viel  Ausdauer  und  Kaltblütigkeit,  viel  Selbstvertrauen,  das 
die  Mängel  verdeckt,  ja  ersetzt  und  einen  gewissen  National- 
zusammenhang, der  den  Barea  abgeht;  diese  Eigenschaften 
verdanken  sie  aber  vorzüglich  ihrer  Religion ,  die  inmier  noch 
lebenskräftig  genug  ist,  um  ihre  Anhänger  im  Kampfe  gegen 
die  Ungläubigen  unter  Eine  Fahne  zu  schaaren.  Die  am  ge- 
nauesten zutreffende  Beschreibung  der  Beni  Amer  gibt  Mungo 
Park,   wo   er   seine  Gefangenschaft   unter   den  Arabern  der 

Mansinger,  OsUfrik.  Stadien.  22 


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338  Ueber  die  Beni  Amer. 

Westküste  erzahlt;  auch  das  Yerhaltniss  der  Nomaden  zu  deü 
ackerbauenden  Völkern,  wie  er  es  auseinandersetzt,  passt  toHt 
ständig  auf  die  Stellung  der  Beni  Amer  zu  iliren  Nachbarn; 
die  Sache  ist  die  gleiche,  man  muss  nur  die  Namen  ändern. 
Glücklicherweise  dulden  es  die  Türken  nicht,  dass  im  Osten 
der  Reisende  die  Erfahrungen  des  armen  Park  macht. 


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üeber  die  Sprache  To'bedauie. 


22* 


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Ueber  das  To'bedauie. 


Wenn  ich  mir  erlaube,  die  vorliegende  Arbeit  an  diesem 
Orte  mitzutheilen,  so  geschieht  es,  weil  das  To'bedanie  in 
Nordostafrika  eine  sehr  hervorragende  Stellung  einnimmt  Es 
ist  die  Originalsprache  der  alten  sogenannten  Bedja,  sovde 
die  Sprache  aller  Besharin  und  Hadendoa  und  eines  Theils 
der  Beni  Amer,  reicht  also  zwischen  Meer  und  Nil  von  Ober- 
ägypten bis  an  den  Fuss  des  abyssinischen  Hochlandes.  Es 
ist  die  Beduinensprache,  was  auch  schon  ihr  Name  andeutet. 
Ich  hatte  während  meines  frühem  Aufenthaltes  in  Afrika  be- 
sonders im  Umgang  mit  den  Beni  Amer^n  Gelegenheit,  mich 
mit  dieser  Sprache  bekannt  zu  machen;  während  meiner  Be- 
theiligung an  der  deutschen  Expedition  konnte  ich  noch  ein- 
mal die  frühem  Studien  neu  durchsehen  und  vervollsländigen, 
woraus  die  vorliegende  Arbeit  entstanden  ist,  für  deren  Ge- 
nauigkeit im  Allgemeinen  ich  bürgen  kann:  in  einzelnen  Fällen 
können  sich  schon  Fehler  eingeschlichen  haben,  da  es  fast 
unmöglich  ist,  eine  ungeschriebene  Sprache  mit  fremden  Buch- 
staben genau  wiederzugeben.  Wenn  ich  die  Aufroierksamkeit 
der  Sprachforscher  auf  diese  Sprache  zu  lenken  suche,  so 
geschieht  es,  weil  sie  in  Afrika  eine  sehr  eigenthümliche  Stel- 
lung einzunehmen  scheint.    Sie  hat  jedenÜEdls  nichts  Afrika- 


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342  Ueber  die  Sprache  To^edauie. 

nisches  an  sich;  die  Conjugation  klingt  an  das  Semitische  an, 
dagegen  fehlen  ihr  die  eigenthümlichen  semitischen  Buch- 
staben, das  arabische  ^ain,  ghain,  cha,  gim,  qaf,  the,  (ad  und 
das  äthiopische  ds  und  ts.  Der  Artikel  hat  geschlechtliche 
Ausbildung;  die  Yocalisation  ist  mannigfaltig;  das  Verb  schliesst 
den  Satz;  von  der  semitischen  Wurzelregelmässigkeit  und 
Satzbildung  ist  keine  Spur.  Es  wäre  unmöglich,  diese  Sprache 
mit  semitischen  Buchstaben  wiederzugeben,  während  sie  eher 
in  unsere  Schreibweise  passt  Ich  führe  diess  an,  um  zu 
zeigen,  dass  ihre  Stellung  erst  zu  bestimmen  ist;  aber  ich 
betrachte  mich  nur  als  Quellensammler  und  überlasse  es  den 
Sprachforschem,  diess  zu  thun,  indem  sie  dieselbe  verglei- 
chend betrachten.  Man  wird  aus  der  Wörtersammlung  er- 
sehen, dass  sich  ziemlich  viel  arabische  und  Tigre -Wurzeln 
eingeschlichen  haben;  übrigens  glaube  ich  diess  dem  Umstände 
zuschreiben  zu  müssen,  dass  ich  die  Sprache  von  den  Beni 
Amer'n  lernte,  die  mit  dem  Ausland  viel  in  Berührung  kom- 
men, was  bei  den  Hadendoa  weniger  der  Fall  ist. 

Was  zuerst  die  Aussprache  der  Buchstaben  betrifit, 
so  ist  zu  bemerken: 

a,  u,  i  lauten  wie  im  Deutschen. 

Das  0  ist  sehr  dunkel. 

e  ist  ein  breites  e,  wie  das  französische  e  in  mere.  e  lautet 
wie  das  französische  e. 

&  ist  sehr  kurz,  £ast  stumm. 

ä,  ö,  ü  lauten  wie  im  Deutschen. 

au,  ou,  ai,  oi,  ui  sind  Diphthonge. 

Das  Zeichen  ^  über  dem  Yocal  bedeutet,  dass  er  sehr  ge- 
dehnt lautet 

d,  b,  f,  g,  h,  j,  k,  1,  m,  n,  r  lauten  wie  im  Deutschen. 

d  hält  die  Mitte  zwischen  dem  arabischen  dhad  und  dem 
italienischen  g  vor  e  und  i;  deswegen  klingt  das  Wort  beda 
fast  wie  begia,  was-  die  Araber  durch  ihr  gim  (^)  aiisdrücken. 

dj  lautet  wie  das  italienische  g  vor  e  und  i,  ausser  als  d'j, 
das  nach  deutscher  Manier  auszusprechen  ist 


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Heber  die  Sprache  To'bedauie.  843 

U  lautet  wie  im  Französischen  11  in  maille. 

ng  wird  so  ausgesprochen,  dass  man  beide  Buchstaben  hört 

q,  dem  arabischen  qaf  entsprechend,  kommt  nur  in  Fremd- 
wörtern vor. 

s  ist  sehr  hart,  wie  im  Arabischen  sin,  ausser  wenn  es  am 
Ende  steht,  wo  es  unserem  deutschen  s  entspricht. 

8  klingt  wie  ein  arabisches  Doppel -sin. 

sh  ist  das  englische  sh,  das  deutsche  seh.  Wo  das  s  und  h 
getrennt  gesprochen  werden  sollen,  schreiben  wir  s'h.  Das 
aspirirte  sh  entspricht  dem  arabischen  shin. 

t  ist  das  deutsche  t;  t  ist  aspirirt,  wie  das  arab.  tha. 

w  ist  das  englische  w. 

r,  d  und  1  wechseln  oft  miteinander;  deswegen  sagt  man 
Hadendoa  und  Harendoa. 

Verdoppelung  des  Buchstabens  bedeutet  Verstärkung  desselben. 
Wir  bedienen  uns  mehrerer  Zeichen  und  Abkürzungen, 
die  erklärt  sein  wollen. 

Den  Accent  deuten  wir  durch  das  Zeichen  '  an. 

Den  Artikel  trennen  wir  von  seinem  Substantiv  durch  \ 
z.  B.  o'mek,  to'ne.  Steht  aber  das  Substantiv  in  der  unbe- 
stinmiten  Form,  d.  h.  ohne  Artikel  da,  so  bezeichnen  wir  es 
mit  dem  Buchstaben  A,  z.  B.  to'niy  das  Feuer.    A.  net,  Feuer. 

PL  bezeichnet  den  Plural. 

Ar.  (Arabisch),  Ti.  (Tigre),  setzen  wir  zu  Wörtern,  die  von 
diesen  Sprachen  zu  stammen  scheinen. 

Das  Verbum  geben  wir  in  der  3.  P.  Sing,  des  Perfects, 
übersetzen  es  aber  der  Kürze  wegen  im  Infinitiv. 

Bei  jedem  Verbum  bringen  wir  folgende  Formen:  A.  das 
Activ  oder  Neutrum,  z.  B.  eJchdnn,  lieben;  P.  das  Passiv,  z.  B, 
tukehann,  geliebt  werden;  C.  das  Causativ,  z.  B.  esekhann, 
machen,  dass  man  liebt;  Liebe  einflössen.  Mit  CG.  bezeich- 
nen wir  das  doppelte  Causativ,  mit  N.  das  Nomen  actionis, 
mit  PP.  das  Participium  Perf.  Pass.,  mit  Adj.  ein  Adjectiv, 
mit  Imp.  den  Imperativ.* 

Wir  wollen  jetzt  einen  grammatikalischen  Abriss  der 


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344  Ueber  die  Sprache  To^edauiew 

Sprache  geben,  wobei  -wir  natürlich  nur  die  gewöhnlichsten 
Formen  berücksichtigen  können. 

Das  To'bedauie  hat  Artikel  in  unserm  Sinne  des  Wortes, 
sie  sind  aber  indeclinabel.    Sie  heissen: 

Sing.  0,  der.  PL  e  und^'e,  die. 

U,  die.  te,  die. 

tOy  das.  te,  die. 

te  vor  Vocalen  wird  auch  abgekürzt  zu  f. 

üebrigens  werden  die  Geschlechter  oft  verwechselt;  ganz 
wie  man  im  Deutschen  „das  Weib"  sagt,  so  heisst  es  hier 
o'sha,  die  Kuh,  Besonders  der  Artikel  to  drückt  oft  die  weib- 
liche Person  aus.  —  Den  Geschlechtsunterschied  drückt  meist 
nur  der  veränderte  Artikel  aus,  z.  B.  6*mek^  der  Esel,  to'fnek^ 
die  Eselin  etc.  Will  man  aber  das  Substantiv  unbestimmt 
hinstellen,  so  lässt  man  den  Artikel  weg,  wie  man  im  Deut- 
schen „Esel"  sagt,  so  hier  „wci".  Oft  aber  erleidet  dabei 
die  Wurzel  einen  Zuwachs,  indem  man  ihr  ein  b  oder  ein  t 
anhängt  War  der  Artikel  o',  so  wird  b  angehängt;  war  er 
aber  te'  oder  to',  so  wird  t  angehängt,  z.  B.  o'sha,  die  Kuh, 
shaby  Kuh;  o'jo,  der  Stier,  job,  Stier;  tc'sha,  das  Fleisch, 
shat,  Fleisch. 

Auch  die  Adjective  sind  dieser  Regel  unterworfen  und 
fügen,  wenn  ihr  Substantiv  unbestimmt  ist,  für  das  männliche 
Geschlecht  b  an,  für  das  weibliche  t;  z.  B.  o'Jcam  o'era,  das 
weisse  Kameel;  Jcam  eräb^  weisses  Kameel;  Jcatn  erat,  weisse 
Kameeistute;  o'dai,  der  gute;  daib,  gut  m.;  dait,  gut  fem. 

Die  Pluralbildung  haben  wir  so  oft  wie  möglich  angegeben. 
Oft  wird  der  Plural  nur  durch  den  verschiedenen  Artikel  aus- 
gedrückt, z.  B.  o'sha,  die  Kuh,  e'sha,  die  Kühe;  oft  durch 
den  der  Wurzel  angehängten  Vocal  a,  der,  wenn  der  Artikel 
fehlt,  ab  oder  at  wird;  z.  B.  helei,  Hase,  hdejab,  Hasen  etc.; 
häufig  aber  bewirkt  er  auch  eine  innere  Wurzelverändenmg, 
z.  B.:  o'ias,  der  Hund,  PI.  e'es,  die  Hunde;  o'or,  der  Knabe, 
PI.  e'er,  die  Knaben  etc. 


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Ueber  die  Sprache  To^edanie,  345 

Pronomina. 

Persönliches  Pronomen. 
Singular. 

1.  Fers,  cme,  aneb^  ich  (ar.  ana). 

2.  »     m.  herok,  fem.  betok,  da. 

3.  »     m.  hero,  er,  fem.  betö,  sie. 

PlnraL 

1.  Fers,  hene,  henen,  wir  (ar.  nehna), 

2.  »      m.  berak,  fem.  betak,  ihr. 
8.     »      m.  6era,  fem.  5eta,  sie. 

Pronomina  suffixa. 
Singular. 
1)  Für  den  Accusativ:  1.  Fers,  o,  mich,  mein. 

2.  »      ok,  dich,  dein. 

3.  »      oh,  ihn,  sein. 
Flural. 

1.  Fers,  on,  ono,  uns,  unser. 

2.  »      oitna,  euch,  euer. 

3.  »      oJhona,  sie,  ihr. 

Sie  werden  dem  Verb  nachgestellt  und  ebenso  dem  Sub- 
stantiv, wo  sie  dann  Possesslypronomina  werden,  z.  B.  gau-o^ 
mein  Haus,  gau-on,  unser  Haus  etc. 

Singular.  FluraL 

2)  Für  den  Dativ:  1.  Fers,  heb,  für  mich,  mir.        hon,  for  uns,  uns. 

2.  »      hok,  für  dich,  dir.        AoAma,  für  euch, euch. 

3.  »      Ao5,  für  ihn,  ihm,  ihr.     Ao^a,  für  sie,  ihnen. 
Auch  diese  werden  dem  Verb  nachgestellt,  z.  B.  tidi  hos, 

sie  sagte  ihr.    Diese  Form  drückt  oft  auch  den  Accusativ  aus. 

Pronomen  reflexivum. 

Singular. 

1.  Fers,  aneb  ebije,  ich  .  .  .  mich  selbst 

2.  »     berok  ebijek,  fem.  betok  ebijek,  du  .  .  .  dich  selbst. 

3.  »     bero  ebije,  fem.  beio  ebije,  er  (sie)  .  .  .  sich  selbst 

Flural. 

1.  Fers,  henen  ebijen,  wir  .  .  .  uns  selbst. 

2.  »     berak  ebOkna,  fem.  betak  ebiekna,  ihr  .  .  .  euch  selbst 

3.  >     bera  ebüna,  fem.  beta  ebiena,  sie  .  .  .  sich  selbst 

Substantivisches  possessives  Pronomen. 
Singular. 

1.  Fers,  a/nibu,  der  Meinige,  fem.  anitu. 

2.  »      beriok,  der  Deinige,  fem.  betjok, 

3.  »     berio,  der  Seinige,  fem.  betjo. 


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346  Ueber  die  Sprache  To1i)edaiiie. 

Plnral. 

1.  Pers.  henebu,  der  unsere  >  fem.  hmetu, 

2.  »     bereok,  der  Eurige,  fem.  heteok. 
S*     »     bereoh,  der  Ihrige,  fem.  beteoh. 

Das  Pronomen  wird  mit  den  Präpositionen  verbunden,  in- 
dem man  sich  des  Pronomen  siiffixum  bedient  oder  aber  auch 
des  substantivischen  Possessivs;  z.  B.  geb-o,  mit  mir;  geb-ok^ 
mit  dir;  oder  aber  berio-geb,  mit  ihm,   bereoh-geb,  mit  euch. 

Demonstrative  Pronomina. 

Singular. 

Substantivische:  m.  onu,  Dieser,  fem.  ton^tu.  Diese. 

»  m.  benu,  bebu,    Jener,  fem.  betu,  Jene. 

Adjectivische:  m.  on,  dieser,  fem.  ton,  diese. 
»•  m.  ben,  jener,  fem.  bei,  jene. 

Plural 
m.  ena,  Diese,  fem.  tenta.  Diese, 
m.  belinay  Jene,  fem.  belita,  Jene, 
m.  enn,  diese,  fem.  tmn,  diese, 
m.  belin,  jene,  fem.  belit,  jene. 

Fragende  Pronomina. 

aOy  aue,  a'&w,  wer?     at,  von  wem?     narif  was?      na  teJck,  welcher 

Mann?  na  teket,  welche  Frau? 

Postpositionen. 

Eigentliche  Declination  scheint  zu  fehlen ;  ihre  Stelle  vertreten 

die  Postpositionen. 

1)  eb,  iby  von  (oft  für  unsern  Genitiv),  in,  seit;  z»  B.  Kerm-eb  endoa, 
die,  Leute  von  Keren;  Mohammed-ib  gau,  Mohammed's  Haus. 

2)  gebf  mit.    Dem  Pronomen  wird  es  vor-,  dem  Substantiv  nachge- 
setzt; z.  B.  geb^okj  mit  dir;  Kefiai-geb,  mit  Keflai. 

8)  itay  it,  ta,  für.    Keflai-ta,  für  Keflai. 

4)  ehe,  e,  durch,  von,  mit  Hülfe  von,  z.  B.  Mohammed-ehe,  durch 
Mohammed. 

Verschiedene  Adverbien,  Conjunctionen  etc. 
usure,  vom,  vorher.  «,  wie,  z,  B.  Mahmud-i,  wie'Mah- 

erree,  hinten,  nach.  mud. 

este,  oben,  auf.  gellet,  wegen. 

nett,  unten,  unter.  mama,  ein  gewisser,  un  tel. 

te*engi,  mitten,  die  Mitte.  kako,  wie?  warum? 

efi,  zwischen.  aflei,  von  jetzt  an. 

bakai,  ausser.  naty  ein  wenig. 

kik,  bis.  han,  auch,  selbst. 

ne,  seit,  z.  B.  ero-ne,  seit  gestern,  engat  Tuin,  auch  gar  keiner. 


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lieber  die  Sprache  To'bedaaie* 


347 


UkUlCy  untereinander. 

u,  und. 

u  —  Uy  entweder  —  oder. 

aletl^  0  wenn  doch. 

ao,  ja. 

kike,  nein. 

äbada,  (ar.)  niemals. 

ekeü,  vielleicht. 

gäOeik,  gleich,  regelmassig. 

kesso,  alle. 

haddo,  einzig. 

Icrnüy  vergebens. 


gidey  dort. 

sufy  früher. 

höku,  so,  auf  diese  Art. 

nafihim,  wo;  nanhirnkik,  bis  wo? 

nanhime,  von  wo? 

nehoh,  wann?  nehob  kiky  bis  virann? 

nador^  welche  Zeit? 

enonihim^  hier. 

hehomhimy  dort. 

da,  jetzt. 

hib^  zusammen. 

ma,  komm! 


1  engar^  engal,  fem.  engat 

2  melöj  A.  melöh, 

3  mehei. 

4  /^i^. 

5  et,  A.  ctö. 

6  esögur,  esögut 

7  eseremd,  A.  e^eretndd. 

8  esimhei. 

10  tcmcn, 

o^usurib,  der  Erste. 
o^enUme,  der  Zweite. 
o^emhejCf  der  Dritte. 
o'efedge,  der  Vierte, 
o'cte,  der  Fünfte, 
o'e^emn^,  der  Zehnte  etc. 


Zahlwörter. 
Hauptzahlen. 


11  temene  engat. 

12  temene  me7o&  etc. 

20  to^^r. 

21  to^ti^  engar,  etc. 
30  me^e«  temun, 
40  /"e^^t^  temun. 
50  et  temun,  etc. 

100  «Äeft. 
•   1000  e?/  (ar.; 

Ordnungszahlen . 

melohhe,  sie  zwei. 
meheje,  sie  drei 
temen^e,  sie  zehn. 

edereb,  ein  Zweitel. 
meheiae,  ein  Drittel. 
fedgae,  ein  Viertel. 
^*'ae,  ein  Fünftel  etc. 


Das  Zeitwort.  Man  wird  aus  dem  Wurzelverzeichnisse 
ersehen,  dass  sich  die  Verba  in  zwei  grosse  Gruppen  theilen, 
jenachdem  bei  der  (Konjugation  entweder  Suffixe  an  die  Wurzel 
treten  oder  Präfixe,  oder  diese  selbst  sich  umgestaltet.  Zur 
ersten  Gruppe  gehören  alle  auf  ja  endenden  Verba,  z.  B.  sekia^ 
oria,  gigja  etc.;  zur  zweiten  alle  übrigen.  Danach  bilden 
sie  auch  ihr  Causativ  und  Passiv  verschieden.  Denn  die 
Verba  auf  ja  bilden  das  Causativ  durch  Anfügung  eines  s  an 
das  Ende  der  Wurzel,  das  Passiv  aber  durch  ein  angefugtes  wj, 


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348 


üeber  die  Spradie  To'bedaaie. 


wobei  die  Wurzel  unberührt  bleibt,  während  die  Gausativa 
und  Passiva  der  zweiten  Gruppe  die  Wurzel  selbst  afficiren. 
Das  Bedauie  bedient  sich  mehrerer  Hülfszeitwörter. 


Positive  Form. 

Negative  Form« 

1)  S.  1.  efi,  ich  bin,  ich  existire,  j'y 

S.  1.  Mke,  ich  bin  nicht 

2.tefia. 

[suis. 

2.  UUa. 

3.  ifi. 

a  kiki. 

PL  1.  nifi. 

PL  1.  ibtnifc. 

2.  tifina. 

2.  ib'eena. 

3.  ifin. 

3.  X;tÄ;en. 

2)            S.  1.  ehe,  ich  bin. 

S.  1.  kahHy  ich  bin  nicht 

2.  t&i^e. 

2.  ib'^Ä^e. 

3.  ehe. 

3.  A;t^'. 

PL  1.  nehe. 

PL  1.  kinn&i&i. 

2.  t&Une. 

2.  ÄrtYMrtine. 

3.  eMn. 

3.  itiAoine. 

2.  Fonn.  - 

3)  S.  1.  dberi,  ich  habe.       S.  1.  kdbiri 

,  ich  habe  nicht       kdölhro. 

2.  teberie. 

2.  käberi 

kitberöa. 

3.  eheri. 

8.  Ä^&en, 

hibero. 

PL  1.  neheri.                     PL  1.  kenberi.                               kenbaro. 

2.  teberini. 

2.  A;e«i5>erina.                           hitberöna. 

3.  eberin. 

3.  JbeMn 

kiberon. 

Perfecl 

t. 

a)    S.  1.  e(icr,  ich  tödtete. 

e/ie^,  ich  verliess.        eheid,  ich  w&hlte. 

2.  «eiere. 

tefdege. 

teheida. 

3.  oeder. 

ofdeg. 

jeheid. 

PL  1.  neder. 

nefdeg. 

neheid. 

2.  Udema.    . 

tefdegna. 

teheidHO. 

3.  edema. 

efdegncu 

jeheidna. 

b)        S.  1.  am^,  ich  fand. 

PL  1.  nemru,  wir  fimden. 

2.  temro. 

2.  temröna. 

3.  ^fm^rti. 

ö.  effiruft. 

o)    S.  1.  ednifjednn,  ich  kam. 

kod^,  ich  ging  verloren. 

2.  eta,  fem.  etat. 

kodta. 

3.  ea,  fem.  eta. 

kodje. 

PL  1.  ena. 

kodna. 

2.  eiane. 

kodtane. 

3.  eait. 

kodj<m. 

S.  1.  gigen,  ich  ging. 

hijen,  ich  gab. 

2.  gigta. 

hejeta. 

3.  ^t^/a. 

Mja. 

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Ueber  die  Sprache  To'bedauie. 


849 


PI.  1.  gigna,  irir  gingen.  hiena,  wir  gaben. 

2.  gigtane.  JuUäne. 

3.  gigjan.  hijan. 

Das  Perfect  bildet  die  negative  Form  mit  dem  Particip  und  dem 
Hülfszeitwort  hake;  das  Particip,  -welches  nicht  verändert  wird, 
bildet  sich  aus  der  Wurzel  mit  der  Endung  ab.  Wir  haben  also: 

demb  hake,  ich  tödtete  nicht  (eigentlich:  ich  bin  nicht  tödtend.) 

fdegdb  hake,  ich  riss  nicht  ans. 

heidäb  Tcake,  ich  wählte  nicht 

merab  kake,  ich  fand  nicht 

Jea5  kake,  ich  kam  nicht 

kodah  kake,  ich  ging  nicht  verloren. 

gigäb  kake,  ich  ging  nicht. 

hij<ib  kake,  ich  gab  nicht. 

Aorist 
efhndig,  ich  verlasse. 
fendigci. 
efendig* 
nefedig. 
tefidigna. 
fedigna, 

ebdin,  ich  vergesse,    eföri,  ich  fliehe. 
tefori, 
ofori, 
nefori. 
tefoma, 
oforin. 


a)  S.  1.  endir,  ich  tödte. 

2.  tendira, 

3.  endir. 
PL  1.  neder. 

2.  tedema. 

3.  edema. 

S.  1 

2.  tebdin. 

3.  oehdin. 
PL  1.  nebdin. 

2.  tibdinna. 

3.  ebditm, 

b)  S.  1.  ämerri,  ich  finde. 

2.  merrie. 

3.  wem. 

c)  S.  1.  etnty  ich  komme. 

2.  e^/a. 

3.  ejini. 

1.  ^ct. 

2.  e^^na. 

3.  iena. 


PL 


Ä;atttim,  ich  lange  an. 

kantitiui, 

kintim. 

nekätim, 

iekeiemna, 

ketimna. 

enkeshi,  ich  werde  kurz. 

tenkeshi, 

inkeshu 

nenkeshi. 

terikeshin. 

enkeshin, 

PL  1.  nemSr,  wir  finden. 

2.  temema* 

3.  etnema. 

kodSnt,  ich  gehe  verloren. 

kodteja, 

kodini, 

kodnei. 

kodtena. 

kodena. 


hiSni,  ich  gebe. 

Jiaieja, 

hejeni. 

hanei. 

hatSna, 

haiena. 

Der  negative  Aorist  wird  gebildet  aus  der  Perfectform 
mit  vorgestelltem  Tca,  he,  obgleich  Unregehnässigkeiten  nicht 
fehlen;  wir  haben  also: 
a)     S.  1.  kdder,  ich  tödte  nicht  PL  1.  hmder,  wir  tödten  nicht 

2.  kidera,  2.  kitdema. 

3.  kider.  8.  kideran. 


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350 


Ueber  die  Sprache  To'bedaoie^ 


PL 


b) 


.  1.  kafoTy  ich  fliehe  nicht 

kankesh,  ich  werde  nicht  kurz. 

2.  hitfora. 

ketnekesh. 

3.  hifor. 

kenkesh. 

1.  hönfor. 

kenenkesh. 

2.  kitfoma. 

ketnekeshna. 

3.  kifortui. 

kenkeshne. 

8.  1.  kakodm,  ich  gehe  nicht 

kiseken,  ich  gehe  nicht 

2.  kakodta. 

[yerloren. 

kisekta. 

3.  Ä;aX;o(&>. 

kesekje. 

PI.  1.  kakodna. 

kiseknm. 

2.  kakodtäne. 

kesiktene. 

3.  X;aA;o(2'jan. 

kesek^an. 

c) 

S.  1. 

kdmro,  ich  finde  nicht 

2. 

Äi^mero. 

3. 

kimro. 

PL  1. 

kommero. 

2. 

kitmeröna. 

3. 

kimeron. 

Das  Präsens  mit  dem  Hülfszeitwort. 
Es  wird  positiv  und  negativ  zusammengesetzt  aus  der  po- 
sitiven  Perfectform   des   Zeitwortes  und  der  positiven   oder 
negativen  Form  des  Hülfezeitwortes  ehe,  z.  B.: 

eder  ehe,  ich  tödte.  eder  kahH,  ich  t5dte  nicht  etc. 

teder  teh^e,  du  tödtest  etc. 

Das  Plusquamperfect. 
Seine  negative  Form  ist  die  des  Perfects. 

S.  1.  ider,  ich  hatte  getodtet 

2.  tidera, 

3.  ider. 


PL  1.  nidw. 

2.  tidSma. 

3.  idema. 

S.  1.  ofur,  ich  war  geflohen. 

2.  tofura. 

3.  ofur. 
PI.  1.  nofur. 

2.  tofumci. 

3.  ofoma. 

S.  1.  heje,  ich  hatte  gegeben. 

2.  hatie. 

3.  Ä^'c. 


ehtd,  ich  hatte  gewählt 

ihid. 
nihid, 
tehidna. 
ihidna. 

ibden,  ich  hatte  vergessen. 

tibdena. 

ihden. 

nibden, 

tibderma. 

ibdenna. 

PL  1.  hani,  wir  hatten  gegeben. 

2.  Tiatina. 

3.  A^n. 


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Ueber  die  Sprache  To'bedaaie. 


351 


S.  1.  ie,  ich  war  gekommen. 

kodi,  ich  war  verloren  gegangen, 

2.  eta. 

kodüe. 

3.  ii. 

kodi. 

PL  1.  Snnü 

kodini. 

2.  etina. 

kodüna. 

3.  iSna. 

kodina. 

Optativ. 

S.  1.  idre,  o  dass  ich  getödtet  hätte ! 

!   ofure,  o  dass  ich  geflohen  wäre. 

2.  tidria. 

tefuria. 

3.  Wr«. 

efuri. 

PL  1.  nidr€. 

nefuri. 

2.  (idcme. 

tefumea. 

3.  ideme. 

efume. 

S.  1.  tie,  0  dass  ich  gekommen  wäre. 

sekU,  0  wäre  ich  gegangen. 

2.  e4;% 

sekdie. 

3.  <e. 

sekii. 

PL  1.  enie. 

seknie. 

2.  eetneo. 

sekdine. 

3.  iini* 

sekine. 

Negativer  Optativ. 

S.  1.  badire,  c 

»  hätte  ich  nicht  ge- 

bafüritt  o  wäre  ich  nicht  geflohei 

2.  hitdirea. 

[tödtet. 

betfürie. 

3.  Wim. 

bifurie. 

PL  1.  hindtre. 

benfurie. 

2.  hitdime. 

betfurinea. 

3.  W(?fni€. 

biforine. 

8.  1.  do^'e,  0 

wäre  ich  nicht  ge« 

bdsekei,  o  wäre  ich  nicht  gegangei 

2.  6t(ü«^ 

Pcommen. 

bisekie. 

3.  ötce. 

bisakei. 

PL  1.  hiniiji. 

binsakei* 

2.  5ti^'i^'ne. 

bidsiikeine. 

3.  bmne. 

büaküne. 

Der  Gonditional  bildet  sich  aus  dem  Optativ  durch  an- 
gehängtes ky  z.  B.  sekieJc^  ich  wäre  gegangen;  ofurek^  ich 
würde  geflohen  sein;  hadirek,  ich  hätte  nicht  getödtet  etc. 


Imperativ. 


Positive  Form. 
S.  2.  dera,  tödtel  fem.  deri. 

3.  bidcTy  dass  er  tödtel 
PL  2.  dema,  todtet! 

3.  bidema,  dass  sie  tödten! 


Negative  Form. 
S.  2.örfder(i,tödtenichtIfem.öa€Jert. 

S.bidir,  dass  er  nicht  tödtel 
PL  2.bddema,  tödtet  nicht  1 

3.  bidimoy  dass  sie  nicht  tödtan  1 


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352  Ueber  die  Sprache  To'bedaüie. 

2)  ma,  komm!  fem.  tnai,  hie,  dass  er  kommet 
bcnna,  komm  nicht!  fem.  hamm.  biet,  dass  er  nicht  komme! 

VLmana,  kommet!  fem.  tnanai,      biin,  dass  sie  kommen! 

bamana,  kommet  nicht!  bieini,  dass  sie  nicht  kommen! 

3)  fora,  flieh!  foma,  flieht!  bafur,  flieh  nicht!  etc. 

4)  seka,  geh!  aeki,  sekane,  geht!  bastka,  geh  nicht  etc. 

Einige  Formen  des  Nomen  actionis  zeigt  die  Wörtersamm- 
Inng;  das-  Particip  auf  oft,  z.  B.  eoft,  kommend,  kennen  wir 
schon;  eine  andere  Form  bildet  sich  durch  angebängtes  hena^ 
z.  B.  hesrhenüy  der  Beschäftigte,  eibabkena^  der  Reisende. 

Das  Gerundium  bildet  sich  aus  dem  Stamm  mittelst  der 
Endung  ee  (die  wir  als  Postposition  kennen  lernten)  mit  an- 
gefügtem fai  oder  hat,  das  „seiend''  bedeutet 

Die  Nebensätze  bilden  sich  mit  Postpositionen.    Es  wer- 
den also  ausgedrückt: 
i)  Finalsätze:  durch  den  Optativ  mit  thai,  z.  B.  ofure-thai 

dass  ich  fliehe;  bisekie-thai,  dass  du  nicht  gehest 

2)  Gausalsätze:  durch  das  Perfect  mit  angehängter  Partikel 
neg  oder  neJc,  z.  B.  erea-nek,  weil  er  liebte. 

3)  Temporalsätze:  a)  durch  den  Aorist  mit  Aüfe,  z.  B. 
eteja-Jcik  eseni,  ich  warte,  bis  du  kommst 

b)  durch  das  Perfect  mit  angehängtem  eS  (oder  ei)  und 
ii  der;  z.  B.  sek  haru  ee  dor,  als  ich  fort  wollte  (eig. 
Gang  als  ich  wollte);  ahaden  ei  dar,  als  ich  vergessen 
hatte. 

c)  durch  das  Perfect  mit  angehängter  Partikel  ek  oder  eg, 
z.  B.  jeann-ek,  als  ich  kam;  efor-ek  ea,  er  kam,  als  ich  floh. 

d)  durch  das  Perfect  mit  ke,  z.  B.  jeanneb-Jce  gigeni,  er 
geht,  so  oft  ich  komme. 

4)  Vergleichungen  durch  den  Optativ  mit  der  Partikel 
nati,  z.  B.  betfori-nati,  als  wenn  du  dich  nicht  flüchtetest 

5)  Beispiele  von  Relativsätzen  sind:  tehene  mhin-ke  jeann, 
ich  kam  in  den  Ort,  wo  Ihr  seid;  teHeket  fedat  atu^  wer 
ist  die  Frau,  die  gekommen  ist? 


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üeber  die  Sprache  To'bedauie.  353 

Beispiele. 

Heilu  ashoio  abu,  wer  ist  Feind  von  Heilu? 

naka  eJien,  wie  viel  sind  sie? 

Wedele  kimreketi,  man  findet  keinen  Tansch. 

cmag  akdte,  es  mag  übel  gehen. 

kane  auer,  ich  habe  es  wissentlich  gethan. 

<ji^de  daftei,  hast  du  das  Ranchbad  genommen? 

to^budjon  nehßf  wir  sind  im  Vaterland. 

taba  de  derago  nädha  semena,  wir  sind  am  Stromufer  gehend  vorbei- 
gezogen. 

o'mtY  mehei  ofno  hojo  J^erritca,  du  suchst  jeden  Morgen  Streit  mit  mir. 

Jßrumab  jekna,  wir  werden  am  Morgen  gehen. 

nakik  Baraka  tebeja,  wie  oft  bist  du  in's  Barka  gegangen? 

Uheit  sekidne  ehSn,  sie  werden  morgen  gehen. 

^^mbe  heremei,  wir  marschiren  fünf  Tage. 

heddadebin^di  sekna,  wir  werden  in  der  Finstemiss  fortgehen. 

gudHhtru  ee  dor  merdmen\jej  als  es  (das  Land)  am  Vermehren  war, 
wurde  es  verwüstet 

sek  haru  ee  dor  ea,  er  kam  als  ich  gehen  wollte. 

deminuek  beseki,  er  soll  nach  dem  Essen  fortgehen. 

ered-nek  ea,  er  kam  weil  er  liebte  (aus  Liebe). 

demtejek  seka,  geh  nach  dem  Essen. 

jeann-ek  gigia,  er  ging  nach  meiner  Ankunft. 

tomanek  sakia,  er  ging  rasirt  seiend. 

abaden-ei  dor  ea,  er  kam,  nachdem  ich  (ihn)  vergessen  hatte. 

forte  nauadrit  Keren-eb  Het  cüiu,  wer  ist  das  schöne  Mädchen,  das  nach 
Eeren  kam?    {He%  von  ea), 

ero  erhhieneb  o^kam  nan  sugo,  vom  gestern  gesehenen  Eameel  was  ist 
der  Preis?  (sug,  Preis). 

Jeheit  Heit  hinken,  wir  wissen  nicht,  was  morgen  kommt. 

o'mAtn  ektem^eb  kinken,  wir  wissen  nicht,  wo  er  hingekommen  ist 

o^nihin  tektSna,  wisst  Ihr  den  Ort? 

endieVka  gabelna,  was  immer  er  sagt,  nehmen  wir  an. 

ieneb  tneswäb  kinke,  wir  hörten  nicht,  was  er  sagte. 

shebo  tnehedtja,  bist  du  gut  aufgestanden? 

^hebo  amhan,  kere  amhd,  guten  Morgen! 

eagab  etmna,  guten  Tag! 

eker  merina,  findet  Glück!  (ker,  ar.). 

kak  tajemna,  wie  habt  Ihr  den  Tag  zugebracht? 

esgab  nqjan,  gute  Nacht! 

kak  teheje?  debtiwa?  afimabane?  debei  ane?  Glückwünsche  und  Grüsse. 

endir  hen  badir,  soll  ich  tödten  oder  nicht? 

sekm  hen  basekei,  soll  ich  gehen  oder  nicht? 

oHek  mukr  6*uerab  kike,  der  Mann  hört  keinen  Bath  an. 

aUte  endo^u  iddit,  eher  war*  er  in  seinem  Vaterland  geblieben. 

äüfihi  hiweto  ijek,  er  hätte  gefunden,  was  Gott  ihm  gegeben. 

Uansinger,  Ottafrik.  Stadien.  23 


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354  üeber  die  Sprache  To'bedauie. 

AUahi  amdn  geh  sekiet  ereei,  bei  Gott,  ich  möchte  mit  ihm  gehen. 

nan  eshegisddne  tehene,  warum  eilt  Ihr  so? 

o^Gaah  nekatm-ei  dor  edutni,  ich   werde   reden,   wenn   wir   zum  Gasb 

kommen. 
na  sekenasia  kahasa  eäb,  was  ist  die  von  Abyssinien  kommende  Nachricht? 
dlete  ishega  iije,  möge  er  schnell  kommen. 
o^ondir  iei,  der  Mörder  muss  sterben. 
o*iei  kidge,  der  Todte  kommt  nicht  mehr. 
e^gaui  e^tnelal  ereeni,  ich  ziehe  den  Häusern  das  Freie  vor. 
gauio  had  wunn  o^mbe  d'nc^ja  neb,   mein  Haus   war  wie   ein   grosser 

Teich,  den  Tag  da  ich  darin  war. 
fhemton  tefru    u   ane   ederr,   meine  Schwiegennutter   gebar   und   ich 

wurde  verheirathet. 
jeherune  heb  bäka  ane  herab  koke,  sie  haben  nur  von  mir  verlangt,  ich 

habe  nie  verlangt. 

Kurze  Lieder. 

(Klagelied) 
Meinen  Genossen  du  liebst,  meinen  Vorwurf  du  hassest,  von  uns  beiden 

1.  eraan         eritiniena,         heniei  tetkerire,         kessen 
Einen  du  wählst  nicht  und  das  liebe  ich  nicht,  o  Medina. 
engal       abuktiena,      ete             kiken  medinai, 

d.  h.  du  hast  meinen  Freund  gern,  du  hast  meinen  Vorwurf  nicht 
gern  und  wenn  du  von  uns  beiden  Einen  nicht  wählst,  habe  ich  es 
nicht  gem. 
Zunge    BÜSS,  der  Bauch  falsch,  schlecht  die  Laune  schadet  und  die 

2.  midäbo  nefrur^    o^fi      o^hedlul,  amago        t^nie    debamnefir, 
Leute  lässt  nicht  beisammen. 

enda  kisoreremna. 
Von   Eatmin   Leute   vom  Gol   den  Fussweg  wie   Bilol   ich   machte 

3.  Katminei    endon,    o'Golit  gerabi       BiloJ-thai       akuas 
den  Gash. 

o'Gash. 

Hömmed  Ele,  Häuptling  der  Hallenga,  sagt  seinen  Brüdern  von 
Ghatmin,  er  habe  den  Fusspfad  von  Gol  (wie  das  Gashland  bei  Eas- 
sala  auch  heisst)  wie  Bilol  gemacht.  Bilol  ist  nämlich  eine  Gegend 
am  Atbara ,  wo  die  Kühe  ohne  Hirt  weiden ,  so  sicher  ist  sie  vor 
Feinden  und  wilden  Thieren. 
In's  Sennar   mit  Kameelen   wir   gehen,   nach  Djedda   mit   Schiffen 

4.  Sennar  e^keme  hentbi,  Gidja  je^aroe, 
wenn  sie  bloss  sind  die  Frauen  die  unsem,   dafür  reisen  wir  unüier. 

rebobinek  te^ma         fheneb,        thai      ebabkenamnei. 

Der  Nebenbuhler  dass  er  nicht  lache,  der  Feind  dass  er's  nicht  wisse, 

5.  o^hogqjo  bifätb,  6*asho  bikan, 
ich  die  bösen  Handlungen  alle  gut  scheinend  ich  empfange. 
ane    amag         wora       kasso  to^shbo  sedat         dmorim. 


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Verbalwurzeln. 


efdig,  verlassen,  lassen,   scheiden;  P.  efdeg;  C.  isfedig;  N.  A.  o'fidüg^ 

das  Verlassen; -^eyerfd^r,  die  geschiedene  Frau. 
owodtj  die  religiöse  Abwaschung  verrichten  (ar.  tewode))  P.  woddn^a, 

C.  woddsja. 
6* ad,  der  Fluch;  A.  ijad,  verfluchen;  P.  etoad;  d*atoide,  der  Verfluchte. 
to^gud,  die  Menge;  A.  güdjüy   sich  vermehren,  viel  sein;   C.  gudtsja; 

Adj.  gudah,  viel;  agddk,  die  Meisten. 
ektem,  anlangen;  P.  etketam,  hingebracht  werden;  G.  eskitem;  Adj.  ketemy 

zureichend,  angelangt. 
haüija,  bellen;  C.  haüisja;  N.  o^häuti,  das  Gebell. 
nekeshjVvLTZ]  N.  menkesh,  die  Kürze;  A.  inkesh,  kurz  werden;  C.  eshhtkesh, 
t^baski,  das  Fasten;  A.  baskitja,  fasten;  o^h(Mkitij  der  Fastende. 
te^sirha,  das  freie  Geleit  (Ti.);  slssera,  das  Geleit  geben. 
lemed,  die  Gewöhnung  (Ti.);  A.  öJmid,  sich  gewöhnen;  C.  aslämed, 
nekit,  der  Hang  (Ti.  nM)]  A.  niketja,  gewöhnt  sein;  P.  neketmja,  ge- 
wöhnt werden. 
6*ghtüf,  das  Kiederknien  des  Kameeis;  A.  ignef^  niederknien;  C.  esghnef; 

Adj.  gendfy  kniend. 
te^shekd,  (ar.),  die  Anklage;  A.  eahkija,  anklagen;  C.  eshkisja;  P.  eshkinija, 
Umiwjay  fertig  sein  (ar.);  C.  temnisija,  beenden;  A^*.  temnina,  fertig. 
te^dehb,    der    Kauf  und    Verkauf;    A.  edlub,   kaufen,    verkaufen;   P. 

edleb;  C.  esdelub,  Verkauf  verursachen;  Adj.  deldb,  verkauft. 
hamer,  sauer  (ar.,  Ti.) ;  jcÄdmcr,  sauer  werden;  C.  is^hdmer,  säuern. 
oWabj   das  Abschlagen,   Abneigung;    A.    ^ib,   abschlagen;    P.   etörtib, 

ungern  gesehen  sein;  Adj.  rebd,  ungeneigt;  atörba,  gehasst,  unbeliebt. 
eshi,  alt  werden;  ahlja,  alt;  C.  eshishiy  alt  machen;  N.  shitjo,  Alter. 
wokeljd,  beauftragen  (ar.);  P.  ujökelemja,  beauftragt  werden. 
te^ttuie,  die  Hülfe,  Unterstützung;  A,  jedui,  helfen;  G.  esau,  zu  Hülfe 

schicken. 
hasib,  spitz;  es'Iias,  spitzen. 

23* 


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356  üeber  die  Sprache  To'bedauie, 

gemedy  lang,  Tl.gemeddb;  igmed,  lang  werden;  C.  esegmed,  verlangem; 
N.  megmedy  Länge. 

€i8*haUy  (Ti.),  schleifen;  C.  äsisJiaU;  P.  etesdhel;  P.P.  ateshdJa,  geschliffen. 

kano,  Liebe,  Freundschaft; *A.  ekhdnny  lieben;  C.  esekhann]  P.  tukehdnn. 

er^Qy  lieben  (geschlechtlich),  C.  erisja;  N.  er  eint,  Liebe;  erOy  erena, 
Freund. 

esfido,  vermehren,  zuf&gen;  P.  mishöei;  C.  eshishou;  N.  shaoeUy  Ver- 
mehrung, Zuschuss. 

o^gig,  der  Gang;  A.  gigja,  gehen;  C.  gigisja,  schicken;  CC.  gigsisja, 
schicken  lassen. 

o^seky  der  Gkmg;  A.  sikja,  gehen;  "P.sikemjUy  begangen  werden;  C.  se- 
kesija,  schicken;  sikena,  der  Gang,  Nachricht;  Adj.  sekini,  gehend. 

belolja,  sich  anzünden;  C.  helolisijay  anzünden;  CC.  heloMsjay  an- 
zünden lassen. 

elüy  brennen;  Imp.  lua;  Hau,  sich  verbrennen,  brennen;  o^Mue,  der 
Verbrannte. 

debely  Haufen;  A.  edbel,  anhäufen;  C.  esdibel;  P.  edbel 

hämiy  bitter;  o^hdme,  die  Bitterkeit,  Galle;  ihämiy  bitter  sein;  C.  e^t- 
8hemy  verbittern. 

mdra^  sich  erweitem;  C.  dsmara,  erweitern;  A^j.  maralöiy  weit; 
te^meröty  die  Weite. 

söijay  benachrichtigen,  anzeigen;  C.  sosisja;  P.  sömomja;  N.  sötiby  das 
Benachrichtigen. 

wuija,  herbeirufen;  C.  wüsi^ja,  herbeilassen. 

digoga,  Auftrag,  Gesandter;  digogSja,  aussenden;  P.  digogdmie;  C.  dt- 
gotesia, 

0*8^ y  PI.  e^sma,  der  Name;  A.  esem,  nennen;  P.  etösam;  C.  ^taösam, 

la,  kommen;  C.  esisja,  kommen  lassen;  N.  o^cyo,  das  Kommen. 

htJOy  bringen,  geben;  N.  o'm^iou,  die  Gabe. 

kendnl  das  Wissen,  die  Kunde;  ikdin,  wissen,  kennen;  C.  esöken,  be- 
kannt machen;  P.  etokakdn, 

o^masuy  das  Hören,  Gehör;  omasu,  hören;  C.  ostndsu,  verkünden; 
P.  etmessöu;  masua,  hörend. 

ihcy  nehmen;  Imp.  aha;  C.  esisihou;  esuk  ihcy  mit  Gewalt  nehmen. 

te^nun,  das  Fortnehmen;  nimsu,  fortnehmen,  wegreissen;  C.  nüesjä; 
P.  nünen^a. 

enget,  stehen;  C.  esenget;  N.  mhnget,  das  Stehen. 

safhörnja,  besprengt  werden. 

es^hegy  ausputzen,  auskehren. 

ihem,  waschen  (eine  Person);  P.  esihem,  sich  waschen. 

eshgüd,  waschen  (ein  Kleid);  C.  ashishegud;  N.  o^shgud,  das  Waschen. 

o^derr,  das  Tödten;  eder,  tödten;  C.  esöd^;  o^medör,  der  Tödter. 

esd,  sich  setzen;  Imp.  sa;  C.  esosa,  sitzen  machen;  o^miaa,  das  Sitzen. 

hokrer,  das  Band;  jcÄiifcur,  binden;  C.  eshakur;  P.  unihokuw,  o'amho- 
kerd,  der  Gebundene. 

esni,  warten;  C.  esisen,  warten  machen;  esenija,  wartend. 


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Ueber  die  Sprache  To1)e(laaie.  357 

akish,  geizig  sein;  C.  eshohish,   geizig  machen;  N.  te'k^hi,  der  Geiz; 

o^ki^hü,  der  Geizige. 
to^korotn,  der  Kuss;  kordn^e,  küssen;  C.  koräme^a,  küssen  lassen. 
debala,  rund,  kugelig;  edbely  kugelig  sein;  G.  esdebel 
idSr,  bauen  (ein  Haus);  P.  edärr,  gebaut  werden. 
loaua,  der  Schrei  der  Thiere;  wauija,  schreien. 
gegga,  stammeln. 

etäher,  segnen  (Ti.) ;  esetharr,  gesegnet  werden. 
gurha,  Noth,  Enge;  sunguorha,  in  Noth  bringen;  P.  umguorJiara,  in 

Noth  sein. 
shiböh,  gut,  Güte;  iaJibob,  gut,  besser  werden;  G.  eshislibob,  verbessern. 
isily  spucken. 
jihitj  sich  erbrechen. 

omoMa,    sich   streiten;   esmotita,    Händel    stiften;    amoteteha,    streit- 
suchend, zornig. 
oHej,  die  Beschuldigung;  omohi^,  beschuldigen;  G.  estnohi^;  PP.  etmo» 

hid,  beschuldigt. 
jiadiy  verwunden;   G.  escid;  P.  etadai,  verwundet  werden;  N.  a^i^y 

Wunde;  PP.  eta^a,  verwundet, 
o^gwa,   der  Trank;   güije,  trinken;    C.  guesie;  P.  gwamia;   to'gwäne, 

der  Schlauch. 
gdshia,  sieden  (das  Wasser);  G.  gashishjay  zum  Sieden  bringen. 
beshök,  gesotten,  gekocht  (Fleisch  etc.);  öbsJ^ok,  gekocht  sein;  C,  ahisli' 

bok,  kochen. 
efef,  ausschütten,  ausgiessen. 
o^busSf  das  Hinüberschütten;  ebaaSy  hinüberschütten  (aus  einem  G^fass 

in's  andere). 
to'gtcdhir,  der  Diebstahl;  ogwdher,  stehlen;  P.  etogwdher;  PP.  atog^ 

woher a,  gestohlen;  C.  esogwdher;  o'agwdheri,  der  Dieb. 
eqta  (ar.  qoi^d)^  zerbrechen,  zerschneiden;  PP.  qatay  zerbrochen;  G.  eS" 

qatd;  U*nUqte,  der  Bruch. 
telagja,  verbergen;   P.  telagSn^a;  PP.  teldgema,   verborgen;    G.   teld- 

geaia;  N.  teldgie,  Verborgenheit. 
shiie,  denken,  bedenken;  N.  to^shie,  der  Gedanke;  G.  shdshie,   in  Er- 
innerung bringen;  P.  shdmmie, 
la,  kalt,  Kälte;  G.  laste,  kalt  machen;  A.  Uije,  kalt  werden. 
2<imja,  sich  Fett  in  die  Haare   thun;   Jasia,  Einem  Fett  in  die  Haare 

thun;  N.  te^lassH,  die  Pommade. 
edamer,  einem  die  Glieder  drücken. 
selhissay  einen  streicheln. 
iddUf   einen  kneifen,  zwicken,   mit   den  Augen    winken;    G.   esoddu; 

P.  etodda, 
te^höguane,  das  Eratzen;  jehögtounn,  kratzen;  P.  etogtodnn, 
nebüy  warm,  heiss;  N.  nubui,  EUtze;  A.  M)d,  warm  werden;  G.  eanabdf 

erwärmen. 
bedeU  (Ti.),  Austausch,  Veränderung;  ebdeJ,  verändern;  P.  embeddl. 


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358  üeber  die  Sprache  To'bedauie. 

to^nin,  die  Poesie,  das  Recitativj  ninja^  besingen,  recitiren. 

te^kafa^  der  Trauergesang;  kafja,  klagen;  P.  kdfemja,  beklagt  werden; 
C.  käfesja, 

ergig,  vertreiben;  P.  etregäg;  C.  esrigeg, 

lehei,  kahlköpfig;  N.  te^melhei,  Eahlköpfigkeit;   ellehe,  kahlköpfig  sein. 

o'hadda,  der  Häuptling,  Herr;  N.  te^haddai,  das  Amt;  Je^e^c^a,  Häupt- 
ling werden;  C.  eshadda, 

o^hejed,  die  Wohl;  jehSidf  wählen;  C.  esheid;  P.  eth^ad, 

o'hassei,  der  Erzürnte;  N.  te'hassiejy  der  Zorn;  jehässe,  zornig  werden; 
C.  eshäss,  zornig  machen. 

edenn,  anfangen;  P.  etodann;  C.  esodenn;  N.  t^todann,  der  Anfang. 

j ehedem,  die  Worte,  die  Sprache;  edomja,  sprechen;  C.  edömesjct. 

to^gwija,  die  Zählung;  erf^^»,  zählen ;  T.edagwei;  te^dogweitOy  die  Zsihl. 

emlay  führen,  begleiten;  P.  Um^lla;  C.  hmela. 

ämanja  (ar.),  trauen,  glauben;  P.  amenhnja;  C.  ametießja;  erndn,  Glauben. 

mnker  (Ti.,  ar.),  rathen;  C.  Ssmiker,  berathen;  N.  rnukr,  Rath. 

Jeabekj  ergreifen,  anfassen;  C.  esahek;  P.  etahak. 

duija,  schlafen,  sich  niederlegen;  C.  döstja,  schlafen  machen. 

hererija^  schnell  marschiren. 

dabja,  eilen,  schnell  laufen;  N.  te^edeb,  der  Lauf;  C.  -ddbeshjcu 

emeisak,  kriegerische  Drohungen  ausstossen,  bedrohen;  "S.Jeskat,  Drohung. 

ekhil,  sich  verschleiern  (von  der  Frau). 

erku,  sich  fürchten;  C.  eeroky  Furcht  einjagen;  N.  merkuje,  Furcht 

monojüf  erschaffen  (TL). 

jikamCf  1)  gross  werden,  2)  sich  bedecken,  bekleiden;  C.  esheni,  gross 
ziehen,  bedecken. 

afr^,  schwach,  elend  werden;  C.  afresja,  schwächen;  afrei y  schwach, 
schlecht. 

ishHm,  zerreissen  (Ti.). 

ijay  sterben. 

engil,  aufdecken,  öffnen,  entdecken;  C.  emigel;  P.  engel;  N.  o^ngul, 
t6*mengel,  das  Oeffiien;  negdlo,  offen. 

jehebi,  abschlagen,  verweigern;  C.  eshab;  P.  ethahai. 

rada,  Frage;  rddja,  fragen;  C.  radesja. 

jeheahi,  abreissen  (da&  Zelt);  C.  eshhesh;  P.  etheshdi;  PP.  teheshdjo, 
abgerissen. 

ta'fira,  der  Tribut;  efra,  Tribut  geben;   C.  sesferay  Tribut  eintreiben. 

ddsija,  hinuntergehen;  C.  dasisija,  hinunterstellen. 

ihero,  wollen,  suchen;  C.  is^hero;  heraudhy  wollend. 

ekcj  werden,  geschehen. 

efedy  böse  Anschläge,  Gelüste  haben. 

dirtrjtty  in  den  Augen  Gelüste  zeigen. 

ediy  sagen;  C.  esiaöd;  N.  middOy  das  Gesagte,  der  Spruch. 

eiioiy  Nachricht  geben  (von  bösen  Anschlägen);  N.  te'^e^u«,  das  Nach- 
richtgeben. 

ö^eded,  die  Vertheilung,  der  TheW-,  jeeded  y  theilen. 


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Ueber  die  Sprache  To'bedauie.  359 

enfer,  schmecken,  süss  sein;  C.  esnifer, 
thamesja,  versuchen  (Ti.). 
tskidf  erwürgen;  C.  sisekid;  P.  esdehid, 
jeherit,  schlachten. 

elleb,  das  Schwert  ziehen;  PP.  6*lluhy  das  Gezogene. 
eshhok,  sich  verirren;  G.  shishhok, 
ederr,  vom  Weg  abgehen. 
rewija,  hinaufsteigen;  C.  rtwistja, 
esgij  lang  werden,  sich  entfernen. 
jehakef,  umarmen  (Ti.). 
efiak<,  fortnehmen;  C.  esfaik. 
geräria,  geschwollen  sein;  C.  geraresQcu 
ahumja,  hineingehen,  -kommen;  C.  shumeshja. 
öria,  begraben;  P.  drtnia;  C.  öresia. 
^kses,  zusammenrollen  (die  Matte);  C.  ciskctses;  P.  ikses, 
etmuk,  einwickeln;  C.  esdemok» 
jeäker,  hart,  stark,  grob  werden;  C.  esäker,  verharten,  grob  machen; 

akra,  grob. 
edügy  Spioniren;  C.  esödug;  edogwa,  Spion. 

ümma,  erschrecken;  N,  et»/«*,  Schrecken;  C.  esimma;  meha,  erschrocken. 
eta,  eng  sein;  C.  esdtUj  beengen;  eta,  ataloj,  eng. 
ehharr,  aufwachen;  C.  esebharr,  aufwecken;  hera^  wachend. 
fherguit,  der  Hunger;  hSrgoa,  hungrig;  jeherög,  hungern;   C.  asherög, 
auer,  machen;  C.  esuer, 

hnshdy  spalten;  P.  etmeshä;  C.  shishmesha;  meshdo,  gespalten. 
ofija,  schliessen;  P.  esemja;  C.  esi^a;  dsama,  geschlossen. 
ogöi,  müde  werden;  C.  esgöi,  müde  machen. 

enau,  mangeln,  fehlen;  C.  esono;  N.  menou,  Mangel,  Abwesenheit. 
ennok,  ermüden;  C.  esenok. 

eda,  schlagen;  C.  eshoda;  P.  etoda;  d'da,  der  Schlag. 
efoTy  fliehen;  C.  eafor;  fora,  Flüchtling;  ferat,  Flucht. 
o^ege,  der  Hauch;  egäte^  rauchen;  C.  egdsija, 
nasremjay  siegen  (ar.). 
teminiy  Bürge  (ar.);  thnena,  bürgen. 
madjul,  Bürge;  edjelljej  bürgen. 

kodie,  verloren  gehen;  kodishie,  verlieren;  koda,  verloren. 
ashhat,  ausgleiten. 
deha,  fett;    edha,  fett   werden;    eshodha,   fett  machen;    te*edha,    die 

Fettigkeit 
nehau,  Magerkeit;  nehaue^  mager;  A.  ennehau,  magern;  C.  esenhau, 
tega,  schwer,  fest,  sehr  (bezeichnet  auch  den  Superlativ);  tegia,  schwer 

sein;  C.  tigesja;  N.  meteg.  Schwere. 
enSfr,  geheilt  werden;  C.  esenhrr,  heilen;  N.  menSr,  Heilung,  Gesundheit. 
ökui,  sich  kleiden;  C.  esdok,  bekleiden;  PP.  akuaju,  bekleidet. 
shuk,  das  Selbst,  die  Seele,  der  Athem;  etnshukja,  athmen. 
hemJiemja,  wiehern  (Ti.). 


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360  Ueber  die  Sprache  To'bedauie. 

tgtf,  sich  stossen;  esögef,  anstossen;  N.  megefj  Anstoss;  nUgefenaf  An« 

stoss  gebend. 
hdleij  Idiot,  verrückt;  hatiOf  verrückt  werden;  hdleaja,  verrückt  machen; 

o^hdle,  Verrücktheit 
ashegia,  sich  beeilen;  Adv.  esMgd,  schnell. 

o^new,  der  Schimpf;  newja,  beschimpfen;  P.  newomja;  C.  netoisia, 
egid,  werfen;  C.  eaögid;  P.  etogad;  N.  o'gad,  der  Wurf;  PP.  ö'atogda, 

das  Geworfene. 
oksha,  die  Lanze  werfen. 

jeidem,  klein  werden;  C.  esheedem,  verkleinern;  edemie,  klein. 
ishdOf  mischen,  vermengen;  P.  emshaoei. 
bolaja,  spielen;  C.  bolasia. 
o^da,  der  Feldbau;  jeaden^    das  Feld  bauen;  o^ädena,  der  Bauer;   C. 

esady  biu3n  lassen. 
to'hin,  die  Furcht;  ebbän,  fürchten;  C,  esebbän;  banloi,  furchtsam. 
o^shinger,  die  HässlicHkeit;  shingera,  hässlich;  shingeria,  h&sslich  werden; 

C.  shingerisja,  entstellen. 
te'mUo,  die  Thräne;  melocya,  Thränen  vergiessen;  C.  melodisia. 
shof,  leicht,  leichtsinnig ;  enshof,  leicht  sein ;  C.  enshinshof;  N.  te^shäfa, 

die  Leichtigkeit. 
jo^kaesa,  die  Erbschaft;  hossamja,  beerben. 

damja,  essen;  C.  ddmsia;  te'edemte,  das  Essen;  te^memta,  das  Nähren. 
tefUreTf  fertig,  aufgezehrt  sein;  eshero^  aufzehren,  fertig  machen. 
edir,  heirathen;    P.  tedarty   verheirathet   werden;    C.  esederr,   verhei- 

rathen;  derr,  Heirath. 
erneg,  schlecht  werden;  amago,  schlecht,  bös;  N.  mdme^,  Schlechtigkeit; 

C.  asotneg,  verschlechtem. 
fabab,  die  Verachtung;  äbabja,  verachten;  P.  dbdbemja;  C.  ahöhe^a^ 

o^dbäbena,  der  Verächter;  o^<ü>abema,  der  Verachtete. 
egser,  die  Lüge;  6* güsser e,  der  Lügner;  ogwaser,  lügen;  C.  esgtoaser. 
mam,   das   Reiten;  jedmm,  reiten;    Imp.   ama,    reitet    esdmm,  reiten 

lassen. 
efnek,  beissen;  C.  esfenük;  P.  etfenäk;  N.  te^mefnek,  das  Beissen. 
hugjat  mahlen;  o'hug,  das  Mahlen;  C.  hügusja;  P.  hügemia\  fhügma^ 

die  Mahlende. 
ennok,  fein  sein  (vom  Mehl);  nok,  fein;  G.  isenok. 
o^mu,  Nässe,  Feuchtigkeit;  meija,  feucht  werden;  G.  me^a,  anfeuchten; 

N.  mesdiby  das  Anfeuchten. 
biddefja,  schwimmen;  C.  bedefi^a, 
tofro,  fem.  sie  hat  geboren;  c/re,  geboren  werden;  o^frei,  die  Geburt; 

to^mofrS,  das  Gebären;  G.  esfer,  gebären  helfen;  te^sfdrene,  die  Ge- 
burtshelferin. 
geif  neu;  egiü,  sich  erneuern;  G.  esegiei,  erneuern. 
kedje,  säugen;  G.  kedishje,  säugen  lassen. 
jedrrj  sich  nähren,  leben;  G.  esdrr,  unterhalten;  N.  marrit,  Nahrung, 

Unterhalt. 


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(Jeber  die  Sprache  To'bedauie.  361 

t^delli,  'das  Loch;    edia,  ein  Loch  machen,  durchbohren;  P.   etdela; 
C.  esdela;  dday  ausgebohrt 

demia,  stinkend;  edmije,  stinken;  G.  eshdem;  N.  te*demiet,  der  Gestank. 

ebäden,  vergessen;    C.  eshbäden;  P.  etbeddän;   N.  to'bdnet,  das  Ver- 
gessen; badene,  vergesslich. 

eftegg,  ausziehen  (einen  Pfahl);  P.  etfetdg;  N.  oytüg,  das  Ausreissen. 

o^je^,  das  Aufstehen,  Weggehen;  ^'eib'a,  aufstehen;  C.  jiki^ja. 

htssen^a,  vorübergehen;  G.  hesisia;  hasscnnana,  Vorübergehender. 

J:o8,  Zahlung;  oksi,  zahlen  (eine  Schuld);  G.  iskos;  P.  okse, 
.  emirUf  finden;  P.  etmerei;  G.  estner;  N.  o^tnrei,  der  Fund. 

elu,  hängen;  G.  esiselu,  aufhängen. 

dübby  der  Fall;  dübja,  fallen. 

shelek,  wenig;  eahleh,  wenig  werden;  C.  eshisheUk. 

efiäk,  tragen;  C.  esfäik. 

dafia,  das  Rauchbad  nehmen  (von  der  Frau). 

eribi,  laden,  belasten;  G.  ^ereb;  N.  eribe,  Last. 

ddregja,  können,  vermögen;  o^dreg,  die  Kraft;  G.  adregUfja.  ^ 

egem,  nicht  wissen,  ignoriren. 

te'inen,  das  Antimonium;  annjaf  die  Augen  schminken;  P.  onutnja. 

nelUss,  reinlich;  nehess,  rein  sein;  enhess,  reinigen;  G.  esenhdss. 

henwisjaf  beschämt,  bescheiden  sein. 

funkuy  die  Schwangere;  A.  nokuet;  unku,  fem.  tunku,  schwanger  wer- 
den; G.  asnok,  schwängern. 

keta,  rein,  hell;  ketja,  hell  werden  (vom  Wasser);  G.  keti^a, 

kebja,  inivit  mulierem;  N.  o^keb;  P.  kibemja;  fem.  kebSmte. 

neösemja,  sich  zanken. 

ekU,  bissig  sein  (in  Worten),  wollüstig  sein;  Adj.  ekiil,  bissig,  wollüstig. 

härerOj  leer;  j^errer,  leer  werden;  esherro,  leeren. 

eshhibb,  besuchen. 

em^i  rasiren;  P.  etöman;  G.  esömen;  N.  matte,  das  Rasiren;  te^nUnen, 
das  Rasirmesser. 

shibub,  das  Sehen;  eahbib,  sehen;  P.  eshdebob. 

rehjäf  sehen  (Ti.,  ar.);  N.  «rÄc,  das  Sehen;  G.  erhi^a;  P.  rthdmja. 

Mdeby  füllen;  G.  essödeb;  P.  teddeb;  N.  o*dabb,  das  Füllen. 

jeager,  zurückkehren;  jeeger,  zurückgeben;  G.  eseger,  zurückgeben  lassen. 
o^ogur,  die  Rückgabe;  o'mäger,  die  Rückkehr. 

^/cid,  lachen;  G.  esfeid;  e'fied,  das  Lachen. 

^e'Ären^^,  das  Schnarchen;  Ä;eti^na,  schnarchen. 

t&d&Ja,  reisen;  oHbdbkena,  der  Reisende. 

o'6e2)e&,  der  Rost;  asabeb,  rosten. 

oHwash,  der  Schmutz;  jetro^^ta,  sich  beschmutzen;  C.  jewashishia,  be- 
schmutzen. 

eddmeTf  sich  beschmutzen. 

belin^a,  sich  trocknen;  belema,  trocken;  G.  belimsia,  trocknen;  N.  &e- 
lemsdiby  das  Trocknen. 

icoshik,  das  Pfeifen;  woshikie,  pfeifen. 


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362  üeber  die  Sprache  To'bedauie. 

onfek,  flatum  ventris  emisit. 

eiwe,  dursten;  C.   esidu,  durstig  machen;    N.  te^jaue,   der  Durst;  juCj 

durstig. 
embelelj  Traum;  embelajja,  tr&umen;  C.  embeldlesia;  emheldlena,  Träumer. 
o^duf,  der  Schweiss;  dufja,  schwitzen;  C.  dufesja, 
mehje,  genügen;  mehtni  heb,  es  genügt  mir. 

geb,  Sattheit;  gebja,  satt  werden;  C.  gibesja,  sättigen;  geba,  satt. 
o^mormoi,  die  Begleitung,  das  Gefolge;  o^mormi,  der  Begleiter;  omörctnh 

begleiten,  folgen;   C.  esörefin,  begleiten  lassen,  Begleitung  mitgeben, 
esw o#a,  Auftrag,  Testament;  emäta,  Auftrag  geben,  ein  Testament  machen; 

C.  esisnata. 
jeelel,  krümmen. 
jeheneg,  kiümmen. 
haurikenja,  herumlaufen,  flaner. 
to^shish,  der  Husten;  eshish,  husten. 

edde,  einem  Mann  die  Haare  frisiren;  P.  emediai,  die  Haare  frisirt  haben; 
.C.  esddCj  frisiren  lassen;  emedia,  frisirt. 
o^hadguiy  die  Frauenfrisur;  jehddug,   eine  Frau  frisiren;    P.  imhddog^ 

frisirt  werden;  C.  eshadog. 
ehe,  efiy  sein,  Hülfszeitwort. 

edif,  übersetzen  (über  den  Strom);  C.  esödif;  N.  mendafi.  Fuhrt. 
onhts,  mangeln,  unvollständig  sein;  C.  sonkus;  Adj.  n^iis,  unvollständig. 
toküje,  springen;  C.  tökesja. 

ferja  (TL),  fliegen;  N.  o'ferdi,  das  Fliegen;  C.  feresja, 
börekja,  fliegen;  N.  o^börekdi,  das  Fliegen. 
idi,  machen,  wie  auer. 
hSimia,  neu  aufgehen  (vom  Mond). 
bßja  =  8akja,  gehen. 
haued,  den  Abend  zubringen;   C.  eshdued;  N.  hauda,   das  Zubringen 

(6*hauad,  die  Nacht). 
hemendja,  Abends  verreisen;  N.  hemenit,  der  Abend. 
askerremy  früh  Morgens  verreisen;  C.  asiskerrem;  N.  sekermotj  das  frühe 

Verreisen. 
mehija,  Morgen    werden;   o^mhi,  der  Morgen;   mehissia,  den  Morgen 

zubringen. 
jditn,  den  Tag  zubringen;  C.  asejem. 
meramjej  rauben,  verwüsten;  P.  merametnje. 
noddri,  schön;  noddriey  schön  werden;   C.  noadrisia,  verschönem;  N. 

noadribj  Schönheit. 
neheff,  sauber  werden;  C.  esinheff,  säubern. 
eshetn,  helfen. 

wolikj  der  Schrei;  wöHkja,  zu  Hülfe  schreien. 
hdbia,  pflastern  (das  Haus  etc.) 
egda,  hinuntergehen  (den  Berg). 
ashushy  Empfang;  jewÄcsÄ,  empfangen. 
^ftd,  auseinanderbringen,  trennen;  C.  esfetd;  lif,  fethäb,  Trennung. 


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Substantive  und  Adjective. 


AUähij  (ar.),  Gott. 
o^änkuane,  der  Herr  Gott. 

»  o*hilib,  der  Mächtige. 

»  o^edergaby  der  Starke. 

o'melek^  ar.,  der  Engel. 
o'hlis,  PI.  e'hhse,  der  Teufel    (ar. 

Iblü), 
te^serda,  die  Wahrsagerin  (Ti.  serdeit), 
te^stUl,  das  Gebet. 
o^b^e,  der  Regen. 
te^b^e,  das  Firmament. 
te^dinncy  der  Himmel  (ar.  Djtnne/). 
o*kefri,  der  Ungläubige  (ar.  hafir). 
o^mesellemi ,  der  Muslim;  A.  mesel- 

lemib. 
o^b^äm,  der  Wind. 
2>6raw  heram,  Sturm. 
ö'aulei,  der  Bergwind. 
ie'njcntZdd,  der  Regenschauer. 
kelönfet,  anhaltender  Regen. 
olessOy  PI.  Hesso,  die  Wolke;   A. 

lessob. 
o'gim  (Ti.),  der  Nebel. 
6*say  der  Thau. 
te^hudy  der  Donner. 
t^telaUy  der  Blitz, 
em&t,  Hagel. 
o'h^oky  der  Stern. 
to^ein,  die  Sonne. 
o'idrik,  der  Mond. 


Vedriky  der  Mondschein. 
te^hedaddebifiy  die  Finstemiss. 
te^edite,  der  grosse  Bär. 
aseremad,  die  Woche. 
o^huhe,  der  Tag. 
e/e^  (Ti.),  Termin. 
o'<?or,  die  Zeit;  A.  (?ore. 
o^krum;  PI.  e^krum,  der  Morgen;  A. 

PI.  ÄJorMmaft. 
nebohob,  Nachmittag. 
englHreb,  Abend  (ar.  moghreb), 
akohitak,  vor  Nachi 
o^hatidd,  PI.  je^haüed,  die  Nacht. 
leheit,  morgen,  demain. 

»      betkait,  übermorgen, 
crö,  gestern, 
ere  betkait,  vorgestern. 
am«e,  heute. 
te^hebi,  die  Regenzeit, 
se«^',    der   Frühherbst    (September 

und  October. 
emab,  der  Winter  (Novbr. — März). 
'mhagai ,  die  trockene  Zeit. 
te^ein  mofreiy  Sonnenaufgang,  Ost. 
te''ein  dübb,  Sonnenuntergang,  West. 
te^gtbh,  der  Nord  (ar.  Direction  von 

Mekka.) 
o^sid,  der  Süd. 
tonnet  das  Feuer;  A.  net, 
te'had,  die  Gluthkohle. 


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364 


üeber  die  Sprache  To'bedaoie. 


o'hash,  der  Staub. 

net  hash,  Asche. 

o'sögudi  der  Feuerbrand. 

o'jem^  PL  e'em,  das  Wasser j  A.jem. 

edjemid,  Regenwasser. 

o^dejo,  der  Teich;  A.  dejo. 

o'kuann,  PI.  e^kuenn,  der  Strom. 

taba,  PI.  tabat,  Torrent. 

taba  enferis,  Torrentmündung. 

o'di^äg,  PL  e'deregy  das  Ufer. 

loh,  Bachrinne. 

gtiedj,  PL  guedjab,  Quelle. 

o^baher,  das  Meer,  das  grosse  Wasser. 

»        o'endffer,    das  Süsswasser, 
Fluss. 

»        o^hameb,  das  Salzwasser. 
«o'^M«,  PL  te^bura,  die  Erde,  Land, 

Gebiet;  A.  bur,  PL  öwraf. 
^e'kejejy  der  Thon. 
olugg,  der  Koth. 
te^isse,  der  Stromsand;  A.  e««^. 
o^beledy  ar.,  das  Vaterland, 
o'a««,  PL  je'awe,  der  Stein;  A.  atieb. 
sikuauneb,  Quarzit. 
gagerhush,  verwitterter  Granit. 
sotauib,  Thonschiefer. 
o'berr  (ar.  harr),  Land,  Wildniss. 
o*meläl,  die  Wüste. 
te'kdnbul,  PL  te'kenbel,  der  HügeL 
o'orfta,  PL  c'grda,  der  Berg. 
o'kary  PL  e'ifccrr,  die  Schlucht,  Thal. 
o^haddy  die  Ebene. 
te'legi,  PL  te'legiäd,  der  Weg. 
*e'<7erd6t,  PL  te^gdrätja,  der  Pfad. 
sheJhoteniby  Abgrund,  Rain. 
o^kaddaiy  Bergsattel. 
te^risha,  der  Berggipfel. 
o'cio ;  PL  e'<f  0,  Wasserbecken  im  Fels. 
tore,  Brunnen. 

tö*8ura;  PL  te'sura,  die  Tränke. 
e(2e?e,  Loch. 

o'deruk,  der  Wassertrog. 
bcUak,  Dickicht 
herbob,  ABhang,  Thonwand. 
oHekk,  der  Mann. 
t^tekäy  die  Frau. 


endabf  Männer. 

ummaty  Menschen. 

admibj  Kinder  Adam's. 

te^may  die  Frauen. 

o^oTy  PL  je^-er,  der  Knabe. 

^'or,  PL  fer,  das  Mädchen. 

o'tj'aZ,  die  Familie  (ar.). 

baby  Vater. 

endet  y  Mutter. 

o^hotOy  die  Grossmutter. 

6*hobOy  der  Grossvater. 

o'dwro,  der  Onkel. 

t^deratOy  die  Tante. 

end^'e  endo<iy  Mutterland,  -stamm. 

babie  endaa,  Vaterland,  -stamm. 

•d^hamoy  der  Schwiegervater  (Ti.). 

te^hamOy  die  Schwiegermutter. 

ö^mälljOy  der  Schwager. 

te'mdlitOy  die  Schwägerin. 

kwdby  weiblich. 

rebäby  männlich. 

o^hijOy  der  Gemahl. 

te^hijOy  die  Gemahlin. 

te^däkenidf  die  Thiere. 

teHijo;  PL  eHijoty  das  wilde  Thier. 

oreo,  zahmes  Thier. 

o'fi^a,  PL  e'«Aa,  die  Kuh;  A.  ahdb, 

te'näjy  die  Ziege. 

teHeay  die  Ziegen. 

o*boky  PL  e'&eA;,  der  Ziegenbock. 

o^nüy  PL  e'na,  der  Schafbock. 

o'jOy  PL  c^o,  der  Stier;  A:job. 

Job  kotiby  verschnittener  Stier. 

aby  männliches  Zicklein  1  «.     ,■, 

übet,  weibliches       »        /      ' 

re&a&,  männl.  Junge  von  mitüerm 

Alter. 
teWengeniy  PL  eVenpcnc,  weibl.  Junge 

von  mittl.  Alter;  A.  rengenä>, 
ö*legay  das  männl.  Kalb  (TL). 
endady  weibl.  Kalb. 
to^jue,  PL  te'juey  die  junge  Kuh;  A» 

juet. 
alandojiiy  zum  ersten  Mal  trächtige 

Kuh. 
shuijaby  trächtige  Kuh, 


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üeber  die  Sprache  To'bedanie. 


365 


dehäla,  einjährige  Kuh. 
melohkreb,  2 jähr.  Kuh,  \  nach  den 
fedig  nateb,  3j&hr.  Kuh,  /  Zähnen. 
dtrm,  PI.  dirmad,  Heerde. 
shekuaf  PL  sJ^kudb,  Hirte. 
flaue,  Domenzaun. 
to*dinn,  PL  te'denn.  Dorn;  A.  dint, 
o*hcataiy  der  Hengst,  ^PL  e^hattat, 
te'hattaiy  die  Stute,      |  die  Pferde. 
o'mek,  PL  e^mek,  der  EseL 
to'mek,  PL  te'mek,  die  Eselin. 
ö'jas,  der  Hund,         1   PL  e^es,  die 
^o'jos,  die  Hündin,     /        Hunde. 
to*€^jüfflmOy  PL  te'djümmo,  die  Katze 

(Ti.). 
o'Äror,  PL  A.  korab,  Sattel  (Ti.). 
o'Ugam,  der  Zaum,  Gebiss  (Ti.). 
o'krub,  der  Elefant;  PL  A.  kurbab. 
o^woeje,  der  Rüssel, 
o'do,  PL  c'da,  Elefantenzahn;  A.  dafc. 
haris,  Nashorn  (Ti.). 
o'küire,    PL   e'küire,    der   Strauss; 

PL  A.  küirib,  küilH. 
kuhib,  Ei. 
(iiÄ:,  Hahn  (ar.). 
kaUy  Perlhuhn. 
rebekau,  Rebhuhn. 
totel,  das  Tora  (Ti.). 
koddte,  dasB'eza,  fl.dH»  äthiop. 

rahob,  Gazelle. 

seräf,  Giraffe. 

eräb,  grosse,  weisse  Gazelle. 

derkua  haUob,  Schildkröte. 

Umab  (Ti.  alma)^  Krokodil. 

abdergegdb,  Riesenschlange. 

korkuor,  PL  korkuorab,  Schlange. 

gedit,  eine  Art  schwarzer  Gift- 
schlange. 

riahy  Straussenfedem  (ar.). 

anbor,  PL  enber,  Flügel,  Feder. 

Jfcerat,  PL  kerei ,  Hyäne  (Ti.). 

d'hada,  Löwe;  PL  A.  haddb. 

lengig,  PL  lengigdb ,  Leopard. 

o'emeno,  A.  menoft,  Hyänenhund, 
Toqla. 


a^a5a  (Ti.),  Büffel. 

to^keleiy  PL  c'Äcfet,   der  Vogel;  A» 

o'do,  PL  e'do,  Wurm,  Käfer;  A.  dob. 

t^aud,  der  Honig. 

o'ujut,  PL  <e*ait,  die  Biene. 

o>/a,  PL  ^tifa,  die  Fliege;  A.  tifab. 

toHat,  die  Ijaus. 

Mre«^,  die  Kameellaus. 

to^se,  die  rothe  Kameellaus. 

beram,  Zecken. 

jaue,  Heuschrecken. 

to'gibb,  PL  te'gba,  die  Maus;  A.  gebot. 

lolis,  Tausendfuss;  lat.  julus. 

hanganöb,  hangandt,  Ameise. 

o^kam,  PL  e^kam,  Kameeh 

to'kam,  PL  te'kam,  Kameel-  \  Ankämet. 
Stute.  f 

o*ankua,  der  Höcker. 

kwikwei,  Adler. 

banob,  grosser  Geier. 

oUdlafiko,  der  Affe;  A.  lalankob. 

oUehumbo,  id.,  A.  lehumbob. 

waga,  der  Totachaffe. 

kebbhri,  Taube. 

jemgonnib,  wilde  Ente  (eig.  Wasser- 
hüter). 

teHenalo;  A.  tenalöb,  Skorpion. 

o'goi;  PL  e'goi;  A.  gojäb,  Kröte. 

o^ad,  die  süsse  Milch. 

te'mesa,  die  Buttermilch. 

^o'(2ii&&,  die  geronnene  Milch. 

ö'simil,  die  Butter. 

o^la,  der  Schmalz. 

^o'sdmwm,  das  Fett 

o'helei,  der  Hase;  A.  PL  helejdb. 

o'baha,  PL  ^baha,  das  Beni  IsraeL 

meläliknii,    eig.    wilde   Ziege,    die 


negnegöb,  Eidechse. 
harduie,  Wildschwein  (Ti.). 
te'edf,   PL  i^edfa,   die  Rinde;   A. 

edfat. 
o'demo,  die  Rinde,  der  Bast. 
o*hindi,  PL  je'hindi,  der  Baum;  A. 


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366 


Ueber  die  Sprache  To^bedauie. 


gedem,  Wurzel. 

toWat,  das  Blatt. 

teheky  Wald. 

o^homr,  die  Adansonia  (Ti.  u.  ar.). 

tauHj  die  Aqba,  Mimosenart. 

teHesho,  der  Higligbaom. 

te^gaba^  Bhamnus  Nebeka  (ambar. 

gdba). 
o^gäbüf  die  Fracht  des  Nebek. 
diüa,  die  Hafule  (Fruchtbaum). 
kitr,  eine  Art  Mimose. 
.o^arade,  die  Tamarinde;  A.  ar<ndeb 

(Ti.). 
o^ama^  die  Tamariske. 
o^ajca,  die  Dampalme. 
te^aka^  die  Dumfrucht. 
toladj  der  Palmzweig,  Djerid. 
serobj  der  Serobbaum. 
mika,    der    Gersabaum    (Salvadora 

pers.?) 
kam,  der  Hamtebaum. 
o*en({era,  der  Aahebaam. 
ö'hib,  der  Ädai,   |  alles  Baamarten 
o'o/ou,  derGemroty  Imit  ihren  Namen 
ito'*cta/,derTahtei,J       im  Tigre. 
o*hamag^  die  Frucht. 
far^  Blüthe,  Knospe. 
o^siam^  das  Gra». 
serde^  das  Serdetgras. 
tibedihy  die  wilde  Tagossa. 
aahraUa^  lange  Grasart. 
o^eldb,  trockenes  liegendes  Hea. 
halilogoi,  Heaart 
te'danay  Kalebasse;  Kürbis. 
o^herro,  das  Durra. 

»        o^urbtm^  \    grosskömiges 

»        o^umhtish,)      vom  Crash. 

»        6*bälut,  das  Durra  von  Al- 
geden. 

»        o^basenei,  das  bittere  Bazen- 
Dorra. 
o*guledy  das  Korn. 
o*b%y  das  Mehl;  A.  bib. 
o^agga,  das  Durraschilf;  A.  aggat. 
to'mii,  der  wilde  Balsambaum  (Ti. 
atnkua). 


kat^}udj,  Ricinasstaude. 

demmarab,  Gold. 

feshte^  das  Silber;  A.  eshtSb. 

arer,  Blei  (Ti.). 

to^endif  Eisen;  A.  endiL 

o^belo,  das  Kupfer;  A.  belob. 

gestir,  Zinn  (ar.). 

ö^gau,  PL  e^gauy  das  Haas;  A.  gaudb 

H&user. 
o^endooy  Ansiedlang,  Familie,  Stamm. 
o^f^ommar,  PI.  je^hhnmery  Zelt 
&eda&.  Matte. 

imbadi,  Matte  als  Bettteppich. 
te^dagina,  Feaerheerd. 
to^jait,  das  Seil. 
o^helal,   der  Kelal,  Haarnadel  von 

Holz. 
itierwed  (Ti.),  Fingerring. 
X;o2e/,  silbernes  Armband. 
bela,  der  Rehat  der  Mädchen  (Ti. 

belat). 
o^kma,  PI.  ^kma,  hörnernes  Armband. 
totale,  PL  te'aley  die  Glasperle;  A. 

a7at. 
to'gde,  Wollkleid. 

o'hdlek,  das  Kleid;  PL  A.  halakäb, 
oV  {7c^(2a,  der  Lederschorz  (Ti.  nodcT  (^ . 
to*me1kei,  das  Kopftuch,  der  Schleier. 
o^kerkeb,  Stadtsandalen. 
te^geddd,  einfache  Beduinensandalen. 
o^kwoleiy   PL  e'ktoolt^ey  der  Stock, 

A.  PL  kwolejab, 
to^sirty  der  Stab,  Stange;  A.  sirrt. 
eheUi,  gekrümmte  Zeltstange. 
mokudty  id. 
dakiUf  Zeltstütze  (Ti.). 
o^ad,  der  grosse  Kochtopf. 
ö'nkaliu^  der  kleine     » 
o^kal,  wasserdichter  Korb. 
o*amur  (Ti.),  geflochtene  Schüssel. 
te^Mddla^  hölzerne  Schüssel. 
tt^guffa^  ein  geflochtener  Sack. 
otenHy  Mattenteppich. 
o^nal,  PL  6*1101  y  das  Angar^b. 
o^oUib,  der  BreL 
o^giddf,  ein  Vorhang  von  Matte. 


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Ueber  die  Sprache  To*bedauie. 


367 


o^kerari,  ein  Vorhang  von  Ba8t(Ti.). 

emtaras,  Kopfkissen  von  Holz  (Ti.). 

o^gder,  eiserne  Brodpfanne  (ar.). 

tonbak,  Tabak. 

te'daüe  (ar.  dauie)y  Pfeife. 

oHem,  das  Brod,  Polenta. 

»      o^hemraby  das  gesäuerte  Brod. 
»      o'gasis,  das  ungesäuerte  Brod. 

te'difo  (Ti.  djifot),  gekochte  Durra- 
kömer. 

te^hogguay  Tabaksdose  (Ti.). 

o^derdr  (Ti.),  Abendessen. 

o*mah(is8ei,  das  Morgenessen. 

o*entar,  ein  geflochtener  Teller. 

torie,  der  grosse  Mahlstein. 

metongohy  der  kleine  Mahlstein. 

egesene,  Zeltpfahl. 

o^embadety'PLe'embadabyäaB  Schwert. 

te'meshmemy  die  Schwertscheide. 

to^fhid,  die  Lanze;  PI.  A.  fendt. 

to^kenddbi,  das  Stieleisen  der  Lanze. 

o*g(tbif  PL  egbe,  der  Schild;  A.  gebeb. 

o'hendjery  das  Erummesser. 

edray  Panzer  (Ti.  dere). 

to^düy  PI.  te^doy  Gegenstand;  A.  dat. 

ö^ergudby  lederner  Schöpfeimer. 

o^nautty  Schöpfseil. 

6*hareby  der  Schlauch  (Ti.). 

mesttty  Teppich. 

kankefy  Sessel. 

te^sudhy  der  Spiegel. 

mesheggy  ein  Netz,  um  etwas  darin 
aufzuhängen. 

t6*melaüy  die  kleine  Axt. 

to^mesdr  (Ti.),  die  grosse  Axt. 

tnelote  edity  Axtstiel. 

te'shinshely  die  Kette  (ar.  Ti.). 

o^odarha,  das  Hydromel. 

ö'mashhay  das  Bier. 

te^futiy  das  Biermalz. 

to^bely  der  Lederschnrz. 
hodhodiby  Rinne  um  das  Zelt,  um 
das  Wasser  abzuleiten. 

o^adty  Pl.jVcdc,  die  Haut;  A.  edeb. 

aha  ade,  Kuhhaut. 

ade  bishuky  gegerbte  Haut. 


ade  aasuy  ungegerbte  Haut. 

o^Mlbetiy  Butterschlauch. 

kabur  (Ti.),  Trommel. 

o^fidig,  die  Schuhsohle. 

o^mehely  die  Medicin. 

to*efOy  das  äussere  Haus,  die  Flur. 

to^esse,  das  Innenhaus. 

to^garay  der  Hof,  Umzäunung;  A. 
garat 

ö*July  der  Faden. 

adarahit,  Lumpen,  Fetzen. 

o'herdOy  Amulet;  PI.  A.  herddb. 

o^saggi  (Ti.),  das  Netz. 

sisity  Kehrwisch. 

o^sity  die  Fleischbrühe. 

diffay  Geschenk  (Ti.). 

ketrauy  Pech  (ar.). 

simm,  Gift  (ar.,  Ti.). 

te^konsübety  die  Nadel. 

o^dey  das  Rauchbad  der  Fi-auen. 

o^nibesh;  P^.  A.  nibeshay  das  Grab. 

te^dBbtty  das  Leichentuch. 

to^auy  die  Todtenklage. 

roguash  (Ti.),  Todtenopfer. 

emelegy  Todtentanz. 

o^agumitty  der  Kopf;  PI.  A.  gunndb. 

d'eje^  PI.  je'eiy  die  Hand,  der  Arm. 

t^regedy  PI.  A.  regeddby  das  Bein. 

sheneky  Kinn,  Bart. 

te*bitey  PI.  te^biijay  die  Stirn. 

o'jeffy  PI.  e'jafay  der  Mund. 

d*dnguily  PI.  je^anguly  das  Ohr. 

jefe  hamOy  Schnurrbart. 

to^kohy'Vl.  te'korey  der  Zahn;  A. 
koreb. 

o^g^iMfiy  das  Zahnfleisch. 

te^meshdkuoney  die  Schläfe. 

ederagy  Wange. 

o^dahay  PL  e^dahä,  Kinnlade. 

te^kökelemy  Hinterkopf. 

miahken,  Nacken. 

te^hamOy  das  Haar;  A.  hamob. 

o^dahy  der  kurze  Haarwuchs,  rund- 
geschnittenes Haar. 

shimbehdne,  Augenbrauen. 

tdUy  Hals.  • 


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368 


Ueber  die  Sprache  To'bedauie. 


o^guedj,  PI.  e^gttej,   das  Ange;  PI. 

A.  guedjäb. 
sibela,  Gurgel, 
o'wirfaft, 'die  Zunge. 
o^htrka,  die  Schulter. 
te'gana,  die  hoble  Hand. 
te^gibab,  die  Brust. 
o^gina,  das  Herz. 
te^bäba,  die  Armhöhle. 
o^nug,  PI.  e^nugy  die  Mutterbrust 
o'/,  der  Bauch;  A.  ßh» 
toHefa,  der  Nabel. 
e^dembi,  die  Waden. 
neA^Äo,  Oberarm. 
sekuka,  Unterarm. 
o^guonnehü,  die  natürliche  Elle. 
6*gtmba,  der  Ein-  oder  Eniebogen. 
eduidujo,  Schienbein. 
tö*klubj  der  Knöchel. 
te^tibelei,  die  Zehen. 
te^sökenay  der  Fuss.       « 
o^naff,  PI.    e'tic^,   der  Nagel,   die 

Klaue. 
te^engidmüat^  das  Rückgrat 
d^beiby  die  Rippe. 
to^sha,  das  Fleisch,  A.  «Äo*  (vergL 

o'do/,  das  Fleischstück. 

te*onkola,  die  Niere. 

to^se,  die  Leber. 

e'mana,  die  Eingeweide. 

reged  usurib,  Vorderbein  der  Kuh. 

»      urreb,  Hinterbein  der  Kuh. 
enniwa,  Schwanz. 

to^mitäty  PI.  te'mitet,  der  Knochen, 
o'&ot,  das  Blut. 
te'kedem,  der  Hintere. 
wod,  Pud.  mul. 
o^mid,  Pud.  masc. 
e*ula,  die  Hoden. 
o7uw,  der  Anus. 
rebob,  die  Scham. 
gidiby  Gesicht. 
elenda,  Schatten. 
o^mat;  PI.  A.  matab,  die  Spur, 
o'^t^,  der  Daumen. 


boikutf  der  Embryo. 

teydhj  der  AugapfeL 

te^mikol,  das  Mark. 

am5a,  menschliche  Excremente. 

safareb,  Mist. 

endoby  Kuhexcremente. 

o'^^A^  hadalat,  der  Urin. 

endody  Kameelexcremente. 

UPgenäde  (Ti.),  Leichnam. 

era,  weiss;  A.  m.  erdb;  fem.  ^a<. 

(idero,   roth;   A.   m.   äderob;  fem. 

dderot. 
hadel,  schwarz. 
döKf,  braun. 

o'hdbiro,  die  Farbe  (Ti.). 
olgumi,  stumm  (Ti.). 
o^ngewa,  taub. 
o^homdshei,  blind. 
6*gerrabeiy  hinkend. 
idemboy  krumm. 
hanni,  steril. 
noÄrw«/,  schwanger. 
amnatj  Kindbetterin. 
däheniy  gesund;  A.  dähenib. 
Jehd^  krank;  A.  m.  Uhab,  fem.  lehat. 
te^kankanity  das  Fieber. 
o^worreby  die  Pocken. 
fi  ttjoty  Bauchgrimmen. 
o^haleg,  die  venerische  Krankheit  (Ti.) . 
o'begely  der  Tripper  (TL  begen), 
ö^asul,  die  Wunde. 
te'adjdüj  Hiebwunde. 
berreshimia,  venerische  Beule. 
foet,  der  Eiter. 
to'kUlay  der  Schnupfen. 
farasjafy  zahnlos. 
rtfofy  aufgeblasen  (von  Körper). 
gululi  (Ti.  guluT),  Idiot,  dumm. 
delha,  linkhändig;  A.  ddhab, 
fennoMt,  die  monaÜ.  Reinigung. 
te'fenhi,  die  Frau  in  den  Regeln. 
te^nekirij  die  Wittwe. 
nedaiy  Waise. 

shekena,  volljährig,  mannbar. 
titUy  Zwilling. 
o^malai,  die  Kraft. 


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üeber  die  Sprache  To'bedanie. 


369 


ierad,  stark  (Ti.). 

heriahenöi,  arglistig. 

ginniy  gescheidt,  fröhlich. 

fadab,  mathig  (Ti.). 

hatera,  id.  (TL). 

oWiiro^  der  Freund;  A.  rerdb. 

c^asho,  der  Feind;  A.  aahob. 

oWohena^  id.;  A.  rohenah, 

eaurkena,    der  Aeltere,    der  Erste 

(von  esur). 
hesTj  Geschäft ;  hesrhena,  beschäftigt. 
c^hamädda,    PL  je^ham&dda^    der 

Räuber;  A.  hamadddb. 
/e'm'e,  die  Lust,  Geschmack;  TLme^. 
c^badhibf  der  Zeuge. 
tt'beddehay  das  Zengniss. 
te'kerame,  das  Almosen  (ar.). 
o/hc,  Streit 
te^dä?ienij  der  Friede. 
nuisig,  id.  (?) 
^«Bdft;  Ursache  (Ti.). 
o'moÄ^uere,  die  Kälte. 
te'gnübi^  die  Schuld,  Sünde. 
tesni,  die  hergebrachte  Sitte. 
<>*inetlauif  das  Heiraths-MeÜo. 
^o'moX;,  der  Nackenpreis  der  Frau. 
daiy  gut;  A.  däib;  dai  dt«,  es  ist 

gut, 
wuurm,  gross. 
dij  klein. 

iouera,  anders,  verschieden. 
nefedy  süss,  wohlschmeckend. 
€«^a,  ungesalbt,  trocken  (vom  Haar). 


äOcenaj  passgehendes  (Pferd). 

shuär,  Galopp  (TL). 

gerweliniy  schnellgehendes  (Pferd). 

fafariniy  trabendes  (Pferd). 

mei  godib,  rechts. 

tera  godib,  links. 

hädcTj  freigebig. 

o'hadariy  der  Wirth  (Ti.). 

o^anma ,  PL  je^amne ,  der  Gast. 

ahera,  das  kanonische  Recht;  ar. 
sherie. 

to^ktaby  das  Buch  (Koran). 

indjoru,  frei,  edeL 

tnogddem,  böse  Zunge. 

te^hunguni,  die  Räude. 

to'mer&a,  die  Rache  (Ti.). 

meskin,  arm  (ar.). 

sidku,  wahr  (ar.). 

ieY^a,  die  Kopffrisur  der  Männer; 
A.  /etat. 

je^eshei,  das  verlassene  Lager. 

HaasOy  der  die  Tigr^sprache  spricht» 
ar.  Chassa. 

to^hassa,  das  Tigr^. 

Mäkäde,  der  Abyssinier. 

ö*Bidaui,  1)  der  das  Bedauie  spricht; 
2)  Unterworfener. 

t6*B(tdau%e,  die  Sprache  dieses  Na- 
mens. 

o^Belaui,  \)  der  Herr,  der  Adliche, 
2)  der  Belou. 

o^kiaha,  PL  jt'kUhay  der  Sklave. 

to^kisha,  VI.  je^kisha,  die  Sklavin. 


Ifansinger,  Ottofrtk.  Studien. 


24 


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Eeise  durch  das  Land  der  Kunäma. 


24* 


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Sarae. 


Bevor  wir  die  Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma  antreten, 
wollen  wir  uns  Land  und  Volk  von  Sarae  etwas  näher  an- 
schauen. Man  darf  sich  nicht  verhehlen,  dass  die  Reisenden, 
welche  Abyssinien  erforscht  haben,  sich  meist  den*  grossen 
Strassen  nach  hielten,  sodass  sie  nur  ein  unvollständiges,  ja 
sogar  parteiisches  Bild  davon  gegeben  haben.  Diess  wird 
um  so  bedenklicher,  wenn  wir  wissen,  dass  die  Abyssinier, 
je  vertrauter  sie  mit  den  Europäern  sind,  um  so  schlechter 
und  verschmitzter  werden,  sodass  nur  eine  Reise  durch  die 
von  Fremden  unberührte  Provinz  «uns  den  Einwohner  in  seinem 
wahren  Charakter  zeigen  kann.  Die  paar  Tage,  die  wir  in 
Mai  Sheka  mit  alten  guten  Bekannten  verbrachten,  genügten 
freilich  für  ein  tieferes  Eindringen  in  did  Landesverhältnisse 
nicht;  doch  hatten  wir  seit  Jahren  mit  Leuten  von  Sarae  viel 
und  eng  verkehrt  und  so  geben  wir  die  folgenden  Notizen  als 
einen  kleinen  Beitrag  zur  Kunde  des  Landes. 

Geographisch  ist  Sarae  ziemlich  bekannt.  Es  zeigt  sich 
uns  als  Hochland  am  rechten  Ufer  des  Mareb,  von  dessen 
Bogen  es  theilweise  umflossen  wird.  Gegen  Nordwest,  wo  der 
Bogen  sich  öflnet,  flacht  es  sich  als  Qolla  allmählig  gegen 
das  Barka  ab;  von  Süden  und  Westen  wird  es  durch  das  sehr 


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374  Heise  durch  das  Land  der  Kan&ma. 

tiefe  Thal  des  Mareb  von  dem  gegenüberliegenden  Hochland 
von  Aggela  und  Okulekusei,  der  directen  Fortsetzung  des 
Hamasen,  scharf  getrennt.  Nur  im  Norden  geht  es  fast  eben 
in  die  Fläche  des  Hamasen  über,  wo  die  Höhen  von  Abba 
Matta  die  Grenzlinie  bilden.  Das  Marebthal  ist  als  QoUa 
Tedrer  und  als  QoUa  Gundet  bekannt;  beide  gehören  dem 
Sarae  nur  halb  an.  Die  eigentliche  Qolla  Sarae  aber,  ge- 
wöhnlich auch  Dembelas  genannt,  sinkt  von  5 — 3000  Fuss 
gegen  NW.  ab;  sie  harrt  noch  immer  genauerer  Untersuchung 
und  verdient  sie. 

So  ist  das  eigentliche  Hochland  von  Sarae  (die  Daga)  eine 
eigentliche  Fortsetzung  des  Plateaus  von  Tsasega  (7000  F.); 
nur  liegt  es  niedriger  (durchschnittlich  6000  F.).  Die  Fläche 
ist  hier  häufiger  durch  Hügelreihen  und  Thaleinschnitte  unter- 
brochen und  sowohl  durch  die  Unebenheit  des  Bodens,  als 
durch  die  gegenüberliegenden  Hochebenen  des  .Okulekusei  vor 
den  Ostwinden  mehr  geschützt,  weswegen  auch  das  Klima  viel 
milder  ist.  Auch  der  Boden  ist  vom  Hamasen  verschieden; 
der  Fels  tritt  häufiger  hervor;  wo  er  fehlt,  ist  der  Boden  von 
dichtgesäeten  grossen  Rollsteindii  bedeckt,  welche  die  Feuch- 
tigkeit erhalten.  In  dem  Fels  finden  steh  zahlreiche  sehr  ge- 
räumige Höhlen,  wohin  in  Kriegsnöthen  Hab  und  Gut,  ja 
Menschen  und  Vieh  gerettet  werden.  Die  Erde  der  Daga  ist 
schwarz.  Eisen  findet  sich  jmr  bei  Anäbetta  und  im  Dem- 
belas. Die  Daga  ist  reich  an  fliessendem  Wasser,  während 
die  Qolla  ganz  die  Natur  des  Bogoslandes  besitzt  und  Wasser 
nur  in  tiefen  Brunnen  gefunden  werden  kann.  Das  Klima 
der  Daga  ist  sehr  gesund;  Fieber  regieren  nur  in  der  Qolla. 
Die  Kälte  ist  weniger  empfindlich  als  im  Hamasen,  wo  kein 
vorliegender  Wall  vor  dem  vom  Meer  aufeteigenden  Nebel  und 
Wind  schützt 

Von  den  vorkommenden  Culturpflanzen  soll  weiter  unten 
die  Bede  sein.  An  Bäumen  ist  das  Sarae  reicher  als  das  Ha- 
masen, doch  sind  sie  nur  in  Thälem  und  Einschnitten  sehr 
entwickelt,  während  die  Ebenen  immerhin  baumlos  genannt 


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Reise,  durch  das  Land  der  Eimama.  375 

werden  müssen.  Die  Schuld  daran  mögen  die  Winde  tragen 
und  der  seit  ewigen  Zeiten  nrbarmachende  Mensch.  Die 
Selien-Pahne  kommt  hier  und  da  vor;  Oliven  (Woira)  sind 
selten;  allgemein  ist  die  Euphorbia  Qulqual  in  ganzen  Wäl- 
dern. Von  den  andern  Arten  wollen  wir  nur  die  verbreitet- 
aten  nennen:  die  Wonsa  (Cordia  abyssin.),  die  Sykomore  Daro, 
dann  die  Fruchtbäume  Mell^o  (Malhetta),  den  Agam  und 
,Häde.  Die  Gaba  (Bhamnus  Nebeka)  kommt  auch  noch  vor, 
aber  fast  ohne  Frucht.  Erwähnen  wir  noch  der  Aie,  Woiwo 
und  Tembuk,  alle  auch  im  Ansebalande  gewöhnliche  Bäume. 
Tamarinden  finden  sich  erst  in  der  Qolla. 

Wild  findet  sich  im  Hochland  fa/at  nur  die  Hyäne,  der 
Schakal,  das  Zesseha  und  das  Perlhuhn,  während  die  Qolla 
alle  jene  Thiere  besitzt,  die  wir  am  Anseba  kennen  gelernt 
haben. 

Das  Jahr  theilt  sich  hier  in  vier  Jahreszeiten: 

1)  die  Regenzeit,  Eeremt  (von  Juni  bis  September). 

2)  die  kalte  Zeit,  Qui  (im  Tigre  Qaim)  bis  Januar. 

3)  die  trockene  Zeit,  Hägai,  Februar  und  März,  und 

4)  die  nasse  heisse  Zeit,  Tsetja,  April  und  Mai.'*') 

In  dem  Qui  herrschen  Ostwinde;  der  Hägai  ist  iasi  wind- 
los; im  April  bringen  die  Nordwinde  plötzliche  Regengüsse 
als  eine  Art  Vorwinter.  Doch  der  anhaltende  Diqanni  genannte 
Regen  wird  vom  S.-  und  SW.-Wind  hergebracht  und  dauert 
bis  Ende  Juli,  während  das  Ende  der  Regenzeit  dem  Nord- 
wind angehört  und  sich  durch  plötzliche  kurzanhaltende  Ge- 
witter charaktensirt.  Auch  im  November  fallen  ausnahms- 
weise Regen. 

Das  Land  Sarae  ist  im  Allgemeinen  nur  von  einem  Stamme, 
der  Familie  Atkame  Mel6ggen,  bewohnt;  der  erstere  Name 
gehört  gewiss  dem  Stammvater  an;  die  Bedeutung  von  Me- 
leggen  ist  uns  unklar.  Im  Land  sollen  früher  die  Mehiou 
und  die  Belou  gewohnt  haben,  welche  letztere  wir  im  Barka 

*)  Im  Aetbiopischen  XtAjB»',  tsedei. 


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376  Reise  durch  das  Land  der  Kan&ma. 

und  Samhar  wiederfindeiL  Es  bleiben  uns  von  ihnen  gut- 
.  gemauerte  Brunnen,  Graber  und  dürftige  NachkommenschafL. 
Der  Rest  der  Bevölkerung,  insofern  sie  nicht  zum  herrschen* 
den  Stamm  gehört,  ist  heterogenen  Ursprungs.  Die  Atkame 
Meleggen  schreiben  sich  Tom  Salaua  her,  woher  sie  vor 
600  Jahren  emgewandert  sein  sollen;  sie  halten  sich  also  für 
Amhara.  Ihre  feindlichen  Nachbarn  jenseits  des  Mardbthals, 
die  Okulekusei,  rühmen  sich  desselben  Ursprungs;  sie  sind 
nur  in  drei  Stämmen  bekannt:  Okule,  Eusein,  Loggein.  Die 
beiden  ersten  bilden  die  sehr  bekannte  starke  Republik  zwi- 
schen dem  Tigre  und  dem  Meer,  wovon  die  Städte  Halai  und 
Dixa  sich  auszeichnen.  Der  dritte  Stamm  trennt  das  Sarae 
im  Norden  vom  Hamasen,  wozu  er  politisch  gehört;  er  lebt 
in  etwa  40  Dörfern  zwischen  Himberti  und  Teramni  unter  dem 
Namen  Loggon  Tshuan  und  zahlt  2500  Thaler  Tribut  an  den 
Kaiser  durch  den  Statthalter  des  Hamasen.  Auch  der  regie- 
rende Stamm  von  Adiabo  glaubt  sich  gleichen  Ursprungs. 

Die  eigentlichen  Bewohner  des  Sarae  erinnern  sich  jetzt 
kaum  dieser  Verwandtschaft;  dagegen  ist  unbestritten,  dass 
die  am  Gash  wohnenden  Hallenga  von  ihnen  herstammen; 
man  erzahlt,  dass  diese  letztem  wohl  in  Folge  von  Krieg 
den  Mareb  hinab  fortgezogen  sind. 

Betrachten  wir  also  die  Bewohner  des  Sarae,  Adiabo  und 
Okulekusei  als  Verwandte,  so  sehen  wir  einen  grossen  Stamm 
das  Land  schrägüber  vom  Meerabhang  bis  zum  Barka  be- 
wohnen und  sogar  einen  Sprössling  in's  ferne  Taka  aussenden. 
Wichtig  ist,  dass  dieser  Stamm  nicht  autochthon  ist,  sondern 
sich  der  Einwanderung  erinnert. 

Das  Volk  von  Sarae  zerfiUlt  in  folgende  Abtheilungen: 

1)  die  Familie  von  Atkame  bewohnt  Teramni  (nördlich  von 
Godofelassie  auf  der  Grenze  des  Hamasen). 

2)  die  Familie  von  Ato  Anbesa  bewohnt  in  44  Dörfern 
Godofelassie;  ihr  angehörig  ist  auch  Az  Mongunti,  nord- 
westlich von  Godofelassie,  auch  in  einigen  40  Dörfern;  femer 


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Reise  durch  das  Land  der  KTm&ma. 


377 


finden  sich  einzelne  ihrer  Ansiedlungen  in  Teramni  und 
Mai  Tsade,  so  z.  B.  unser  Mai  Sheka. 

3)  Die  Familie  von  Johannis  bewohnt  Mai  Tsade  in 
55  Dörfern.*) 

4)  Die  Familie  Ma^e  hat  Kohein  inne;  sie  ist  doppelt  so 
stark,  als  die  Ton  Johannis. 

5)  die  Familie  Tesfa  bewohnt  die  Qolla  Sarae,  uneigentlich 
Dembelas  genannt.  Sie  soll  sehr  ausgedehnt  sein,  aber  ist 
uns  nicht  näher  bekannt. 

6)  Die  Familien  von  Jakob  und  Akelom  bewohnen  Mara- 
gus,  westlich  von  Mai  Tsade,  auch  in  55  Dörfern. 
Diese  sechs  Familien  stehen  jetzt  unter  der  Oberhoheit  des 

Kaisers  Theodoros,  dem  sie  jede  1500  Thaler  Tribut  entrichten. 
Statthalter  des  Landes  ist  Heilu,  der  Fürst  des  Hamasen. 
Vom  Tribut  abgesehen  stehen  diese  Familien  sich  gegenseitig 
und  dem  Ausland  ziemlich  selbstständig  gegenüber.  Während 
das  Hamasen  eine  Art  Monarchie  bildet,  gelangt  das  Sarae 
nie   zu   politischer  Einheit.     Die   einzelnen   Stämme   hielten 


♦)  Wir  wollen  beispielsweise  die  Dörfer  von  Mai  Tsade  aufzählen; 
mit  a  bezeichnen  wir  ein  Dorf,  das  über  1000  Einwohner  bat;  mit  m 
ein  mittelgrosses,  etwa  500  E.  stark;  mit  n  die  kleinen  Weiler  von 
50 — 200  E.  Der  Name  „Az"  oder  „Adi"  ist  synonym  mit  „Beit"  und 
„Enda^  and  bedeutet  wie  im  Tigre  Ansiedlung,  Stamm,  Familie,  Haus, 
Dorf.  Das  Ganze  heisst  Enda  Azmad  Johannis,  die  Ansiedlung  der 
Sprossen  von  Johannis. 

Az  Wadsot,  a.  Beit  Gabriel,  m. 

Az  Eettejo,  n.  Az  Anker ti,  a, 

Az  Kettejo  Tahtei  n.   Az  Wottelech,  a. 

Tennabach,  a.  Mosseda,  m. 

Mametshakat,  m.        Az  Qolaqol,  n. 

End'  abba  Heishi  n.    Az  Habber,  n. 

Az  Dsoggar,  a. 

Addi  Eensenaba,  a. 

G'aben,  a. 

Az  Tshomai,  n. 

Tem'ei,  n. 

Az  Achillo,  n. 

Mai  Sheka,  n. 

Anagaben,  a. 


Mehmad,  m. 
Gadba,  n. 
Badem,  m. 
Anabetta,  a. 
Az  Auhe,  n. 
fiananit,  a. 
Az  Taffa,  a. 
Az  Nefas,  a. 
Az  Koloto,  n. 
Az  Bahro,  a. 
Az  Kosmo,  a. 


Az  Sillo,  n. 
Az  Wodderki,  n. 
Az  Engana,  a. 
Az  Jejehi,  a. 
Demba,  a. 
Adi  Haala,  a. 
Az  Keshi,  m. 
'Abi  Addi,  ra. 
Az  Arba,  a. 
Seb*a,  m. 
Adi  Beg'e,  a. 


Az  Dongollo,  n.   Daro  Konat,  a. 
Tshendik,  n.       Az  Atal,  a. 
Az  Ergeb,  a.      Adi  Hambi,  a. 


Az  Hudug,  a. 
'Abi  addi,  n.  (IL) 
Az  Eorei,  a. 
Beit  Zion,  a. 
Az  Byrh&n,  m. 
Az  Walido,  n. 
Az  Tsherger,  n. 


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378  Beise  durch  das  Land  der  EunanuL 

immer  nur  lose  zusammen,  machten  Krieg  und  Frieden  auf 
eigene  Faust  und  bekämpften  sich  oft  gegenseitig  in  blutiger 
Fehde. 

Die  Nachkommen  dieser  sechs  Familien  betrachten  sich 
als  Brüder;  wohl  haben  sich  in  jeder  derselben  besonders 
amtsfähige  vornehmere  Zweige  gebildet,  ohne  aber  aristokra- 
tisch sich  zu  versteinern.  Recht  sprechen  die  AeUesten  der 
Familie;  während  der  Schuldige  im  Hamasen  auf  das  Leben 
des  Königs  citirt  wird,  muss  er  hier  auf  das  Leben  der  Brüder- 
schaft (Dsagga  hauat)  geladen  vor  Gericht  erscheinen.  Selten 
wird  an  den  kaiserlichen  Statthalter  Heilu  appellirt,  öfters 
in  schwierigen  Fällen  an  den  Kaiser  selbst.  Das  Land  hat 
selbstständiges  Blutgericht.  In  der  Blutsverantwortlichkeit 
steht  jede  der  sechs  Familien  für  sich  da. 

Das  Sarae  ist  erst  seit  Kaiser  Theodoros'  Regierung  an 
Heilu  gekommen;  seine  Herrschaft  ^drd  selbst  jetzt  nur  un- 
gern anerkannt  und  er  kann  sich  nur  dadurch  behaupten, 
dass  er  die  strätenden  Stämme  gegeneinander  aufhetzt.  £s 
fehlt  den  Leuten  des  Sarae  an  Einigkeit,  wodurch  sich  die 
Republik  Okulekusei  so  auszeichnet  und  stärkt.  Die  einzelnen 
Stämme  lebten  bisher  in  beständiger  Blutfehde;  besonders  die 
QoUa  Sarae  ist  schon  durch  ihre  Entferntheit  dem  Gesammt- 
verbande  sehr  entfremdet.  Dem  Ausland  gegenüber  können 
sie  sich  selten  einigen;  daher  sind  ihnen  das  monarchisch 
regierte  Hamasen  und  der  fest  zusammenhaltende  geordnete 
Bund  von  ,Okulekusei  sehr  überlegen. 

Zum  Hamasen  stand  das  Sarae  fast,  immer  in  feindlichen 
Beziehungen;  doch  seit  Dedjas  Heilu  durch  des  gefürchteten 
Theodoros  Willen  mit  allem  Land  diesseits  des  Mareb.  (Mareb 
mellash)  belohnt  worden  ist,  herrscht  zwischen  den  zwei 
Provinzen  fast  ununterbrochener  Friede.  Ueberdiess  stammt 
Heilu's  Sohn  Imam,  der  vermuthliche  Amtsnachfolger,  mütt^- 
licherseits  von  Mai  Tsade,  was  die  Herrschaft  jedenfalls 
befestigt. 

Mit   Okulekusei  führt  das  Sarae   seit   undenklicher  Zeit 


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Beise  durch  das  Land  der  Eunama.  •  379 

einen  blutigen  Krieg,  den  bis  jetzt  selbst  die  Befehle  des 
Kaisers  nicht  beendigen  konnten.  Die  Leute  von  Sarae,  die 
nie  zusammenhandeln  können,  unternehmen  beständig  Raub- 
züge gegen  die  Heerden  ihrer  Feinde,  während  die  Okulekusei 
dann  und  wann  den  Heerbann  erlassen  und  im  offenen  Krieg 
das  Land  Sarae  vervrüsten.  Noch  vor  neun  Jahren  wurde  nahe 
bei  Anäbetta  eine  grosse  Schlacht  geschlagen;  die  Feinde 
waren  etwa  12,000  Mann  stark  in's  Land  gerückt;  die  Leute 
von  Mai  Tsade,  die  allein  standen,  stellten  ihnen  etwa 
8000  Mann  entgegen;  sie  waren  stark  an  Reiterei,  während 
die  Okulekusei  viel  Feuerwaffen  hatten.  Der  Kampf  wurde 
zum  Nachtheil  von  Mai  Tsade  entschieden,  einige  Weiler  ver- 
brannt, doch  verloren  sie  nur  etwa  400  Mann,  während  die 
Sieger  etwa  800  Todte  auf  dem  Schlachtfeld  zurückliessen. 
Die  Allgewalt  des  Kaisers  allein  wird  diesem  mörderischen 
Streit  ein  Ende  .machen  können. 

Man  dai'f  sich  also  nicht  verwundern,  wenn  die  Bevölke- 
rung sichtlich  abnimmt;  auch  haben  in  den  letzten  Jahren 
verschiedene  Krankheiten  ihr  sehr  zugesetzt.  Die  Leute  von 
Sarae  klagen  sehr  über  die  schlechten  Zeiten,  besonders  seit 
dem  Regierungsautritt  des  jetzigen  Kaisers,  über  die  schlech- 
ten Emdten,  den  zunehmenden  Wassermangel  und  die  Ver- 
mehrung der  schlechten  Sitten.  Ich  glaube  nicht  zu  über- 
treiben, wenn  ich  das  Volk  des  ganzen  Sarae  auf  mindestens 
300,000  Seelen  schätze.  Dazu  gehören  einige  sogenannte 
Unterthanen  verschiedenen  Ursprungs,  die  aber  durch  nichts 
von  dem  Adel  sich  unterscheiden,  indem  sie  nur  des  Her- 
kommens wegen  etwas  Bier  oder  Honig  ihren  Herren  zu  Weih- 
nachten bringen,  und  dann  die  wenigen  Leibeigenen,  die 
meistens  im  Lande  geboren  sind  und  nur  den  Namen  der 
Knechtschaft  übrig  haben,  indem  sie  sich  mit  den  Freien -ver- 
heirathen. 

Da  die  Bevölkerung  in  keinem  Verhältniss  zum  Boden 
steht,  so  liegt  viel  Land  brach,  der  Bodenpreis  ist  gering  und 
der  Pacht  besteht  meist  nur  in  einem  Geschenk  an  den  Eigen- 


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380  *  Reise  durch  das  Land  der  Eanima. 

thümer  von  der  Erndte.  Desungeacbtet  lastet  der  Tribut, 
vergaugenen  Verhältnissen  angemessen,  noch  immer  auf  dem 
Boden,  sodass  die  Eigenthümer  für  manchen  brachliegenden 
Acker  bezahlen  müssen,  während  die  wirklichen  Nutzniesser, 
die  landlosen  Bauern,  üst  unbelastet  sind.  Der  Ackerbau 
wird  ziemlich  sorgfältig  betrieben;  ich  glaube,  es  wird  nicht 
unnütz  sein,  wenn  ich  eine  kleine  Liste  der  Nutzpflanzen  gebe. 
Voraus  zu  bemerken  ist,  dass  die  Leute  von  Sarae  auch  das 
nahgelegene  Marebthal,  besonders  die  Qolla  Tedrer,  zur  Cultur 
benutzen;  anderseits  ist  Eohein  und  Qolla  Sarae  fast  ganz 
Tiefland.  Die  Hauptfrucht  der  Daga  ist  Thef ,  ^ilhrend  Wei- 
zen fast  unbekannt  ist;  die  der  Qolla  das  Durra  Mashella. 
Ich  setze  die  wissenschaftlichen  botanischen  Namen  als  be- 
kannt voraus. 

1)  Der  schwarze  Thef  (Poa  abyss.)  wird  in  der  Daga  und 
Qolla  gebaut;  der  Boden  wird  zweimal  aufeinander  gepflügt; 
die  Saat  findet  im  August  statt,  die  Erndte  im  October. 

2)  Der  weisse  Thef  gedeiht  nur  in  der  Daga;  der  Boden 
wird  im  Mai  vorgepflügt,  zum  zweiten  Mal  im  Juli  vor  der 
Saat;  Erndte  im  folgenden  Januar. 

3)  Der  Segem  (Gerste),  nur  in  der  Daga.  über  5000  Fuss. 
Die  erste  vorbereitende  Pflügung  (Dse^e)  und  die  zweite 
über  die  unterlegte  Saat  (Häre?)  folgen  schnell  aufeinan- 
der. Hatte  der  Boden  brach  gelegen,  unterbleibt  die 
Dse^e;  die  Saat  wird  dann  auf  den  frisch  geackerten 
Boden  hingestreut  und  darüber  weggepflügt  Die  Saat 
findet  im  Juni  statt,  die  Erndte  im  September. 

4)  Die  Dagussa  (Eleusine  Tokusso),  in  der  Daga  und  Qolla. 
Die  erste  Pflügung  schon  im  September,  die  zweite  Pflü- 
gung mit  der  Saat  im  nächsten  Juli,  die  Erndte  im 
•October. 

5)  Die  weisse  Mashella  (Sorghum  vulg.),  in  der  Daga  und 
Qolla.  Ohne  alle  Vorbereitung  wird  das  Korn  gesäet  und 
darauf  hingepflügt;  Saat  im  Mai;  Erndte  im  November 
oder  December. 


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Beise  durch  das  Land  der  Eundma.  381 

6)  Die  Mashella  Woqar  ebenso,  doch  in  derQoUa  seltener; 
wir  haben  sie  auch  auf  ELalhal  nnd  in  Geridsa  gefunden; 
Saat  im  Juni,  Emdte  im  Februar,  in  der  Qolla  etwas 
fiiiher. 

7)  AJer  (Erbsen).  Nur  in  der  Daga;  Saat  im  September, 
Emdte  im  November.  Ohne  Dsege.  Auch  die  folgenden 
Pflanzen  bis  mit  Nr.  14  gehören  der  Daga  an. 

8)  Sabbere;  wie  die  Erbsen,  nur  etwas  später. 

9)  Börsen  (Linsen).    Ebenso,  auch  ohne  Dsege. 

10)  En(a(e  (Lein).  Von  Juni  bis  September,  ohne  Dsege; 
er  wird  gemahlen  als  Brei  mit  Pfeffer  genossen;  der 
Flachs  bleibt  unbenutzt. 

11)  Baq61a,  ebenso. 

12)  Nuhuk  (Guizotia  oleifera),  eine  Oelpflanze.  Von  Juni  bis 
November,  ohne  Dsege. 

13)  Berberi,  rother  Pfeffer,  vom  November  bis  April,  wird 
hier  wenig  gepflanzt 

14)  Auch  Tabak  ist  selten,  da  gegen  das  Bauchen  ein  reli- 
giöses Vorurtheil  besteht  und  die  Schnupfer  indischen 
Tabak  (Surati)  von  Massua  beziehen« 

15)  Odonguare  (Bohnen),  werden  nur  in  der  Qolla  gebaut. 

16)  Baumwolle  (Tut,  Öddub),  wird  ziemlich  viel  in  der  Qolla 
Sarae  und  in  Eohein  gebaut,  sie  hat  weissen,  starken, 
langen  Faden.  Sie  wird  in  Eohein  oft  mit  Durra  ver- 
mischt ausgesäet,  wo  dann  natürlich  die  Baumwolle  das 
letztere  überlebt  und  dann  oft  Jahre  lang  stehen  bleibt 
Doch  genügt  sie  keineswegs  weder  hier  noch  in  Abyssinien 
überhaupt  dem  Bedarf;  daher  wird  sie  mit  der  viel  ge- 
ringem Qualität,  die  von  Bombai  eingeftihrt  wird,  ver- 
mischt, von  den  Frauen  zu  Garn  gesponnen  und  dann 
von  Mohammedanern,  die  Webstühle  haben,  zu  Zeugen 
verwoben. 

Getreidearten  werden  nie  auf  dem  gleichen  Feld  vermischt 
ausgesäet,  was  an  das  mosaische  Gesetz  erinnert;  eine  Aus- 
nahme macht  im  Tiefland  die  Baumwolle.    In  der  schwarzen 


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382  Beise  durch  das  Land  der  Kundma. 

Erde,  die  man  nie  ausmhen  lässt  nnd  nie  düngt,  folgen  sich 
Thef,  fibnn  Mashella,  dann  Ater,  dann  wieder  Thef  n.  s.  w. 
In  der  rothen  TieflandKrde  wechseln  Mashella  und  Dagussa. 
Beide  werden  nach  Aufgang  der  Saat  nodi  einmal  umgepflügt 
Düngung  wird  nur  in  der  QoUa  in  magerem  Granitaetett  für 
Dagussa  angewandt,  indem  man  die  Heerde  einige  Zeit  lang 
im  Felde  übernachten  lässt.  Einen  Monat  nach  der  Saat 
werden  alle  Felder  gejätet,  ausser  Erbsen,  Linsen  und  Nuhuk, 
die  das  Unkraut  nicht  aufkommen  lassen.  Der  Pflug  unter- 
scheidet sich  nicht  vom  gewöhnlichen  abyssinischen.  In  der 
Daga  wird  die  Pflugschar  mit  Eisen  beschlagen,  in  der 
Qolla  thut  ein  hartes  Holz  den  Dienst;  gepflügt  wird  nur  mit 
Stieren;  Esel  und  Pferde  werden  nie  zur  Landarbeit  benutzt 
In  Gregenden,  wo  Kühe  das  I^ima  nicht  aushalten  können, 
werden  Menschen  an  den  Pflug  gespannt,  so  in  Adi  Golbo, 
Mai  Gor§o  gegen  den  Mareb  hin.  Die  reife  Frucht  wird  mit 
dem  Halm  oder  Schilf  eingebracht,  die  Mashella  ausgenom- 
men, die  geschnitten  wird;  mit  feuchtem  Kuhmist  wird  im 
Freien  ein  Dreschboden  gepflastert  und  das  Korn  von  der 
Aehre  getrennt,  indem  man  eine  Anzahl  Stiere  unaufhörlich 
über  die  ausgebreiteten  Garben  im  Kreise  herumtreibt.  Dreschen 
vnvd  nur  bei  ganz  kleinen  Quantitäten  ausnahmsweise  ange- 
wandt Der  Miethbauer  nimmt  gewöhnlich  ein  Viertel  der 
Emdte  oder  er  wird  eigens  bezahlt  und  hat  das  Recht,  einige 
Tage  für  eigene  Rechnung  zu  arbeiten.  Ausser  dem  Soldaten 
hat  der  Ackerbau  wenig  Feinde;  Vögel  sind  beim  Baummangel 
wenig  da;  die  Heuschrecken  erscheinen  iasi  nur  jede  zwanzig 
Jahre;  der  Käfer  Dinshere,  der  so  oft  die  Bogosemdte  ver- 
nichtet, tritt  nur  in  der  Qolla  auf. 

Im  Sarae  ist  Viehzucht  nur  eine  Nebensache;  während  es 
bei  den  Bogos  und  den  andern  Hirtenvölkern  Herren  gibt,  die 
Hunderte  von  Kühen  besitzen  und  selbst  im  benachbarten 
Gundet  des  Häuptlings  Achilla  999  Kühe  weitberühmt  waren, 
haben  im  Sarae  die  Reichsten  nur  10,  20  oder  höchstens 
30  Stück,   die   nie   weit  weg  vom  Dorf  zur  Weide  geführt 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  383 

werden  tmd  jede  Nacht  in  die  Umzäunung  einkehren.  Nur 
die  Kälber  werden  in  den  Häusern  über  Nacht  gduitten*  Den 
Kühen  wird  zum  Zeichen  der  Abkunft  das  eine  Ohr  geschlitzt. 
Auch  hier,  wie  h&,  den  Bogos,  gilt  es  für  unanständig,  dass 
eine  Frau  melkt;  sonst  kennt  man  hier  wenig  von  den  Sere 
oder  verpönten  Gebräuchen,  die  dort  so  in  Schwung  sind. 
Frische  Butter  und  Ziegenmilch  wird  nicht  genossen.  Ziegen 
halten  die  Leute  von  Sarae  fast  keine,  Schafe  gar  nicht.  Da- 
gegen werden  viele  Pferde  gehalten,  doch  müssen  sie  immer 
neu  von  Oberabyssinien  rekrutirt  werden,  da  keine  eigentliche 
Zucht  besteht;  besser  ist  hierin  das  Hamasen  bestellt,  das 
viel  Pferde  und  besonders  schöne  Maulthiere  zieht.  Des- 
wegen sieht  man  im  Sarae  meist  nur  Hengste,  grösstentheils 
von  Gallarace,  da  sie  für  den  Krieg  vorgezogen  werden:  kleine, 
aber  sehr  leichtf üssige ,  ausdauernde  Thiere,  merkwürdig  ge- 
wöhnt, über  das  Geröll  sicher  zu  galoppiren.  Auch  Maul- 
thiere findet  man  viele,  die  aber  auch  nicht  im  Land  geboren 
sind.     Dagegen  besitzt  das  Sarae  gute  eingeborene  Lastesel. 

Bienenzucht  ist  allgemein;  die  Körbe  werden  aus  Mist 
geformt  und  an  die  Bäume  befestigt.  Der  Honig  wird  im 
Land  als  Tedj  getrunken,  das  Wachs  geht  nach  Massua. 

Eigentlicher  Handel  ist  wenig  da;  dagegen  ist  der  Transit 
wichtig,  da  viele  Kaufleute  den  Weg  von  Oberabyssinien  über 
18hir6,  Gundet,  Mai  Sheka,  Godofelassie,  Asmara,  Ailet  dem- 
jenigen über  Adua  und  Dixa  vorziehen,  besonders  um  den 
Plackereien  der  Saho  zu  entgehen.  In  Godofelassie  wird  ein 
recht  bedeutender  Wochenmarkt  gehalten,  ebenso  in  Maragus 
und  in  Mai  Mene.  Die  kaiserliche  Douane,  die  von  der  in 
Adua  abhängig  ist,  befindet  sich  in  Godofelassie;  sie  wird 
meist  verpachtet. 

Von  Industrie  kann  kaum  die  Rede  sein;  von  den  Baum- 
wollenzeugen brauche  ich  nichts  beizufügen,  da  sie  sich  nicht 
Ton  den  bekannten  abyssinischen  unterscheiden.  Eisen  wird 
geschmolzen  und  zu  besonders  schönen  Lanzen  und  Messern 
verarbeitet.    Von  einer  gewissen  Grasart  (Regh6)  werden  sehr 


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384  Reise  dorch  das  Land  der  Kan&ma. 

nette  Körbchen  geflochten;  gute  Goldarbeiter  finden  sich  in 
Godofelassie;  andere  Gewerbe  sind  nicht  nöthig,  da  jeder  sich 
selbst  seine  Kleider  näht  und  niemand  Schuhe  trägt  Die 
Leute   Yon  Sarae  wohnen  in  Tsuqlo,   den   sudanarabischen 

Thuql  (jjjb)  in  Namen  und  Form  ähnlich,  d.  i.  runden  Stein- 
häusern mit  konischem  Strohdach,  während  dem  Hamasen 
das  Hydmo  eigen  ist,  d.  i.  das  viereckige  Steinhaus  mit  flachem 
Dach.  Die  Gräber  befinden  sich  neben  der  Kirche  in  dem 
geweihten  Hof;  nur  Excommunicirte  werden  nicht  da  begra- 
ben. Früher  wurde  der  Todte  in  einer  steinernen  Grabkam- 
mer beigesetzt;  doch  tritt  an  ihre  Stelle  allmählig  das  ein- 
fache Verschütten  ohne  Sarg,  wie  das  auch  bei  allen  Moham- 
medanern gebräuchlich  ist. 

Die  herrschende  Religion  ist  das  Christenthum;  Kirchen 
befinden  sich  in  jedem  grossem  Dorf,  immer  an  den  sie  um- 
gebenden Bäumen  erkennbar.  Die  Ehen  werden  selten  damit 
unauflöslich  geschlossen,  dass  die  Vermählten  zusammen  com- 
municiren.  Dagegen  ist  die  Beichte  allgemein  üblich.  Der 
Islam  ist  fremd  und  nur  wenig  verbreitet;  seine  Anhänger 
sind  fast  nur  Ansassen  ohne  Grundbesitz;  sie  bilden  ein 
Drittheil  der  Bevölkerung  von  Godofelassie  und  sind  Handels- 
leute und  Baumwollenweber.  Von  Geisterglauben  sah  ich 
keine  Spur;  dagegen  viel  Glauben  an  Vorbedeutungen,  Träume, 
Wahrsagerei,  Talismane,  Zauberer  und  Werwölfe  (Buda). 

Die  Leute  von  Sarae  sind  durchschnittlich  eher  lang  ge- 
wachsen; ihre  Farbe  geht  vom  Olivengelb  in's  Braun  (hamel- 
m61);  ganz  schwarz  ist  selten.  Sie  haben  kleine,  eher  braune 
Augen;  Stumpfnasen,  wenig  aber  feine  Haare,  meist  von 
schwarzer,  selten  von  rother  Farbe  und  wenig  Bart.  Im 
Gegensatz  zum  Hamasen  und  den  andern  Nordabyssiniern 
haben  sie  Waden.  Die  Hautfarbe  ist  frischer  als  im  Hamasen, 
dessen  Bewohner  aschgrau  aussehen,  was  wohl  den  herrschen- 
den Winden  zuzuschreiben  ist  Schönheiten  sind  selten;  die 
Frauen  sind  im  Allgemeinen  schöner  als  die  Männer,  was  im 


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Reise  durch  das  Land  der  Eunama.  385 

Hamasen  gar  nicht  der  Fall  ist.  Blinde  oder  sonst  von  der 
Natur  Vernachlässigte  sind  selten.  Man  sieht  viel  recht  alte 
Leute  und  man  sähe  viel  mehr,  wenn  es  der  Krieg  erlaubte. 
Die  Bewohner  von  Sarae  sind  sehr  unerschrocken;  sie  sind 
gute  Reiter  von  Haus  aus  und  könnten  sich  ihren  Nachbarn 
furchtbar  machen,  wenn  sie  einig  wären.  Sie  zeichnen  sich 
^urch  Redlichkeit  für  verwahrtes  Gut  aus;  es  kommt  oft  vor, 
dass  ein  Fremder  in  der  Bedrängniss  sein  Gut  im  ersten 
besten  Haus  niederlegt,  ohne  alle  Zeugen,  und  nicht  darum 
betrogen  wird.  Diess  ist  um  so  lobenswerther,  da  die  Leute 
von  Sarae  sehr  habsüchtig  sind  und  dem  Reiz  des  Geldes 
kaum  etwas  widersteht.  Deswegen  sind  sie  untereinander 
gar  nicht  edelmüthig;  der  Starke  drückt  den  Schwachen,  so- 
viel er  kann.  Zwist  folgt  und  Uneinigkeit  und  sollten  sie 
sich  auch  einmal  gegen  die  drohende  Gefahr  vereinigen,  so 
ist  es  dem  firemden  Feind  leicht,  einen  der  Häuptlinge  nach 
dem  andern  vom  Bund  abwendig  zu  machen.  Deswegen  kann 
das  Sarae  sich  nicht  unabhängig  erhalten;  Heilu,  der  es  mit 
Waffengewalt  nie  hätte  unterwerfen  können,  löste  den  gegen 
ihn  geschlossenen  Bund  dadurch  auf,  dass  er  die  Vornehm- 
sten mit  Versprechen  und  Geschenken  vom  Gemeinwohl  ab- 
trünnig machte.  Trotz  der  Habgier  aber  sind  die  Leute  hier 
nicht  so  bettlerisch  wie  im  Hamasen,  wo  dem  Reisenden  und 
Fremden  das  Leben  oft  sauer  genug  gemacht  wird.  Was  den 
Volkscharakter  betrifft,  so  ist  es  inmier  schwer,  allgemein 
gültige  Sätze  aufzustellen:  doch  schienen  mir  die  Leute  im 
Allgemeinen  kalt  und  ruhig  zu  sein;  sie  brausen  selten  auf, 
aber  einmal  erzeugter  Zorn  wurzelt  ewig.  Der  Jähzorn  ist 
verachtet,  da  er  leichten,  schnell  besänftigten  Sinn  verräth. 
Freundschaft  ist  schwer  zu  erwerben,  aber  wird  um  so  dauer- 
hafter und  aufopferungsfähiger.  Dankbarkeit  ist  ihnen  nicht 
fremd.  Gesunder  klarer  prosaischer  Verstand  ist  allgemein. 
Die  Gastfreundschaft  wird  hoch  gehalten;  das  Geleitsrecht 
wird  immer  noch  geübt,  oft  indem  der  Wirth  seinem   fort- 

Mansinger,  Ostafrik.  Stadien.  25 


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386  Reise  durch  das  Land  der  Konama. 

ziehenden  Gast  nur  seinen  Stab  als  Pass  und  Kennzeichen 
des  Schutzes  mitgibt. 

Die  Leute  von  Sarae  sind  im  ÄUgemeinen  treu;  sie  werden 
gute,  wahrhafte,  redliche  Diener  und  brave  Soldaten.  Die 
Sitten  sind  noch  viel  besser,  als  im  Tigre,  wo  die  durch- 
ziehenden Eaufleute  alle  Sittlichkeit  und  Ehrlichkeit  verbannt 
haben;  doch  thun  die  als  Soldaten  im  Lande  hausenden  Am- 
hara  das  Mögliche,  die  guten  Sitten  zu  verderben.  Hausr 
diebstahl  ist  verachtet  und  selten;  dagegen  ist  Railb  eine 
Ehrensache,  solange  er  gegen  die  Stammfeinde  gerichtet  ist. 
Die  Sitten  des  Landes  können  nicht  schlecht  genannt  werden 
und  sind  es  schon  nicht  wegen  des  kalten  trügen  Temperaments 
des  Volkes,  das  geschlechtliche  Enthaltsamkeit  mit  sich  führt. 
Den  Mädchen  und  Frauen  kann  selten  etwas  vorgeworfen 
werden;  dagegen  sind  geschiedene  Frauen  und  Wittwen  scho^ 
ihrer  hülflosen  Lage  wegen  nicht  so  streng  gehütet.  Eigent- 
liche Prostitution  ist  selten,  ausser  auf  den  Marktplätzen,  wie 
Godofelassie.  Venerie  ist  von  Amharasoldaten  eingeführt  worr 
den.  Die  meisten  Leute  leben  hier  und  im  Hamasen  mit  der 
gleichen  einen  Frau  bis  zum  Tode;  doch  gibt  es  auch  Fälle 
von  Scheidung  und  Polygamie,  besonders  unter  den  Vor- 
nehmeren. 

Die  Bevölkerung  nährt  sich  fast  nur  von  Vegetabilien; 
Fleisch  wird  nur  ausnahmsweise  an  Festtagen  genossen;  selbst 
bei  der  Leichenfeier  (dem  sogenannten  Rega§,  Meshaq), 
werden  nur  wenig  Kühe  geopfert,  ganz  verschieden  von  den 
Grenzvölkem,  wie  z.  B.  den  Bogos,  die  wahre  Hekatomben 
hinschlachten  und  für  den  Todten  an  einem  Tage  mehr  aus- 
geben, als  während  seines  ganzen  Lebens. 

Die  Sprache  des  Volkes  ist'  das  Tigrina,  das  diesseits  des 
Takkaze  herrscht;  doch  wird  es  hier  viel  schöner  und  ver- 
ständlicher ausgesprochen,  als  im  Hamasen.  Das  Amharische 
ist  als  Herrschersprache  sehr  verbreitet  und  beliebt 

Schliessen  wir  mit  einigen  Bemerkungen  über  Gebrauch« 
und  Recht  des  Volkes.    Ist  ein  Kind  geboren,  so  wird  kein 


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Beise  durch  das  Land  der  Eun&ma.  3g7 

Mann  in's  Haus  gelassen,  bis  der  Pfarrer  mit  geweihtem 
Wasser  es  gereinigt  hat;  diess*  geschieht  schon  den  dritten 
Tag.  Die  Geburt  eines  Knaben  wird  mit  siebenmaligem,  eines 
Mädchens  mit  f  iinfinaligem  Freudenschrei  b^rüsst.  Beschnei- 
dang ist  für  beide  Geschlechter  üblich  und  zwar  wenige  Tage 
schon  nach  der  Geburt;  nicht  aber  die  Incision,  wie  sie  bei 
den  Grenzvölkem  Sitte  ist.  Das  Fest  der  Volljährigkeit,  das 
bei  den  Bogos  immer  noch  üblich  ist,  ist  hier  ausser  Brauch 
gekommen.  Wie  bei  den  Grenzvölkern,  geht  die  Verlobung 
oft  sehr  firüh  vor  sich,  von  welcher  Zeit  an  Braut  und  Bräuti- 
gam sich  gegenseitig  ausweichen.  Der  Heirathscontract  ist 
der  Art,  dass  der  Vater  des  Mädchens  bei  der  Hochzeit  fünf- 
mal den  Werth  geben  muss,  den  er  bpi  der  Verlobung  vom 
Vater  des  Knaben  empfangen;  der  Betrag  wird  Geraeingut 
des  Paares  und  bei  allfälliger  Scheidung  zur  Hälfte  getheilt« 
Ausserdem  sollte  der  Bräutigam  den  Nackenpreis,  der  selten 
zehn  Thaler  übersteigt,  bezahlen,  was  aber  gewöhnlich  so 
lange  hinausgeschoben  wird,  bis  eine  Scheidung  den  Anspruch 
rechtlich  erledigt.  Die  Frau  hat  ausser  dem  natürlichen  An- 
halt an  ihre  Familie  immer  einen  eigenen  Anwalt  und  Bürgen^ 
der  sie  ihrem  Manne  gegenüber  schützt.  Eigenthümlich  ist  der 
Brauch,  dass  die  Frau  in  der  ersten  Zeit  einen  grossen  Theil 
des  Jahres  im  väterlichen  Hause  zubringt,  wo  sie  der 
Mann  besuchen  muss.  Auf  Vernachlässigung  der  Frau,  Streit, 
Beschimpfung  und  Schlag  stehen  empfindliche  Geldstrafen.  Die 
Wittwe  wird  hier  zu  Lande  niemals  von  ihrem  Schwager  wieder 
geheirathet,  doch  habe  ich  den  Zöllner  von  Godofelassie,  den 
sogenannten  Neggaderas,  gekannt,  der  trotz  des  Verbots 
der  Kirche  seines  Bruders  Wittwe  zu  sich  nahm  und  ebenso 
ein  Stiefbruder  des  verstorbenen  Alula  von  Tsasega;  dieses 
Vergehen  wird  aber  mit  Excommunication  bestraft.  Die  Wittwe 
trägt  ihr  Leid  zwei  Jahre,  Die  geschiedene  Frau  darf  sich 
erst  nach  zwei  Monaten  wieder  verheirathen,  um  alle  ünge- 
wissheit  über  allfällige  Schwangerschaft  zu  vermeiden.  Der 
Schwangrer  ausser  der  Ehe  wird  meistens  zur  Ehe  gezwxmgen 

25* 


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888  Beise  durch  das  Laod  der  Kanama. 

imd  zahlt  dann  dem  Vater  einfach  den  Nackenpreis  von  zwölf 
Thalem;  sonst  wird  er  deswegen  nicht  zur  Rede  gestellt  und 
Bastarde  werden  überhaupt  nicht  verachtet.  Die  meisten 
Fürsten  von  Abyssinien  haben  natürliche  Söhne,  die  oft  ihre 
Nachfolger  werden;  so  ist  selbst  Heilu,  der  jetzige  Fürst  von 
Tsasega,  ein  Bastard. 

Die  Frau  theilt  im  vollsten  Masse  die  Haus-  und  Feldar- 
beit; auch  die  Reichste  steht  vor  Tage  auf,  mahlt  Getreide, 
bäckt  das  Brod  und  geht  auf  das  Feld,  wo  nur  der  Pflug 
dem  Mann  vorbehalten  ist.  Dagegen  hat  sie  viel  mehr  Auto- 
rität im  Hause,  als  z.  B.  die  Bogosfrau  und  steht  dem  Mann 
ebenbürtig  zur  Seite;  sie  erzieht  ihre  Kinder  sehr  streng  und 
hat  daher  in  ihrem  Alter  mehr  Dankbarkeit  zu  gewärtigen, 
als  die  nachsichtige  Bogosmutter.  Ihre  gewöhnliche  Kleidung 
ist  ein  langes  weites  Hemd  und  das  Quari  als  Ueberwurf ;  den 
Kopf  haben  sie  unbedeckt,  das  Gesicht  unverhüllt  Man 
rühmt  die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  des  Sarae  und  des  Ha- 
masen.  Das  im  Tiefland  gewöhnliche  Rauchbad  (Tannet,  Dish), 
ist  hier  auch  noch  üblich  und  theilweise  sogar  im  Tigr6  jen- 
seits des  Mareb.  Der  Weide  Ginni  (der  Teufelssohn),  eine 
Art  krampfhaften  Zustandes,  der  mit  Beschwörung,  Tanz  und 
Gesang  vertrieben  wird,  kommt  hier  viel  seltener  vor,  als  bei 
den  Bogos,  doch  ist  er  um  so  langwieriger.  Auch  hier  ver- 
birgt sich  die  Frau  vor  ihrem  Tochtermann;  dagegen  erlaubt 
ihr  die  Sitte,  den  Namen  ihres  Mannes  auszusprechen. 

Als  Beweismittel  vor  Gericht  gelten  Zeugen,  auch  für  das 
Alibi,  dann  der  Wotwojam  oder  das  geheime  Gestimdniss 
eines  Schuldigen  und  der  Qerr,  d.  h.  der  Wiederfund  des  ge- 
stohlenen Gutes,  wo  dann  der  Käufer  zur  Restitution  ange- 
halten wird.  Dem  Kläger  kommt  der  Zeugenbeweis  zu,  in 
Abwesenheit  desselben  reinigt  sich  der  Beklagte  mit  dem  Eid 
in  der  Kirche.  Der  Bürge,  hier  Methen  genannt,  wenn  zur 
Zahlung  angehalten,  hat  seinem  Schuldner  gegenüber  nur  das 
Recht  auf  einfache  Restitution. 

Will  jemand  ein  gekaufi;es  Grundstück  wieder  verkaufen^ 


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Beise  durch  das  Land  der  Eundma.  389 

80  muss  er  es  zuerst  dem  früheren  Besitzer  zum  Kauf  an- 
tragen. Holz  neben  dem  Felde  gehört  dem  Bauer,  wilder 
Honig  jeden&lls  dem  Finder.  Ausgeliehenes  Gut,  wenn  ver- 
loren, kann  nicht  reclamirt  werden.  Jedes  Geschenk  ist  eine 
wahre  Schuld,  die  zurückgefordert  werden  kann.  Das  Gut 
und  die  Schulden  des  Vaters  erben  die  Kinder,  die  vor  seinem 
Tode  noch' nicht  ausgesteuert  waren,  und  die  Frau  des  Ver- 
storbenen, jede  Person  zu  gleichen  Theilen;  der  Erstgeborne 
hat  keinen  Vorzug.  Der  Vater  hat  aber  das  Recht  zu 
testiren. 

Diebstahl  wird  im  Landesrecht  nie  peinlich  bestraft;  der 
Dieb  wird  zu  einfacher  Restitution  angehalten;  sind  der  Diebe 
aber  mehrere,  aus  verschiedenen  Dörfern,  so  muss  jeder  den 
ganzen  Betrag  des  gestohlenen  Gutes  erstatten.  Der  Acker- 
dieb wird  mit  Schlägen  gezüchtigt.  Ein  gestohlener  Pflug 
wird  mit  einem  Ochsen  erstattet.  Für  das  Blut  gilt  ein  no- 
mineller Preis  von  120  Kühen,  für  Verwimdung  von  50  Kühen; 
doch  ist  Mord  im  Lande  selten  und  dem  Ausland  gegenüber 
gehört  er  in's  Völkerrecht.  Ebenso  wird,  wenn  die  einzelnen 
Stämme  sich  bekriegen,  das  Blut  der  im  Kampfe  GeCallenen 
durchaus  nicht  berechnet;  des  Streites  müde,  machen  sie  ge- 
wöhnlich im  Bausch  und  Bogen  Frieden.  Gegen  Mörder  aber, 
die  das  Land  unsicher  machen,  wird  auch  im  Lande  Blut- 
recht  gehalten.  Ist  man  um  einen  Preis  übereingekom- 
men, so  helfen  sich  die  Verwandten  gegenseitig,  ohne  gesetz- 
lich aber  in  der  Weise  der  Bogos  eine  Verantwortiichkeit 
(Terq)  zu  haben. 


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Von  Mai  Sheka  nach  Adiabo 

(16.  bis  21.  November  1861). 


Zwei  Wege  führen  von  Mai  Tsade  nach  Adiabo;  der  eine 
überschreitet  das  Marebthal  bei  Gundet  und  steigt  südwestiich 
zur  Hochebene  von  Shire  hinauf,  die  sich  nordwärts  gegen 
Adiabo  abflacht.  Dieser  Weg  ist  lang,  bequem  und  ziemlich 
bekannt.  Der  andere  schneidet  den  Bogen  und  setzt  erst 
über  den  Strom,  um  nach  Adiabo  hinaufzusteigen;  er  ist  kurz, 
aber  sehr  zerrissen,  beschwerlich  und  nie  begangen.  Wir 
wählten  der  Neuheit  wegen  diesen  Weg,  der  ziemlich  regel- 
mässig nach  Westen  geht.  Wir  nahmen  herzlichen  Abschied 
von  unseren  Freunden  in  Mai  Sheka;  nur  Eefiai  wollte  uns 
erst  den  folgenden  Morgen  verlassen.  Wir  hatten  sechs  Leute 
von  Mai  Tsade  gemiethet,  da  wir  nur  einen  einzigen  Diener, 
einen  Bogos,  Namens  Din,  von  Keren  mitgebracht  hatten. 
Wir  hatten  Mehl  von  Thef  und  Dagussa,  ein  wenig  Reis, 
rothen  Pfeffer  und  KaflFee;  alle  unsere  Sachen  wurden  auf 
Maulthiere  gepackt;  das  Barometer  trug  ein  eigens  dafür  be- 
stellter Mann.  Mai  Sheka  liegt  gerade  am  Rande  des  Gebirgs- 
abhanges,  da  wo  das  Thal  von  Gundet  in  den  compacten 
Plateaustock  eine  schmale  Zunge  ausschneidet,  die  uns  als 
das  Thal  von  Fasion  bekannt   ist.     Der  Abfall  wird   durch 


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Reiae  durch  das  Land  der  Eanima.  391 

eine  Terrasse  vermittelt,  wozu  der  Weg  langsam  hinabführt. 
Von  dieser  Terrasse  bis  zur  Tiefe  des  Thaies  ist  ein  zweiter 
steilerer  Abhang,  den  das  Felsgeröll  sehr  beschwerlich  macht 

Das  Tiefthal,  das  sich  so  in  den  Gebirgsstock  eindrängt 
und  damit  den  Hauptstock  von  Mai  Tsade  von  dem  südlichen 
auf  den  Mareb  direct  hinabschauenden  Tafelland  durch  einen 
Abgrund  von  etwa  1000  Fuss  trennt,  heisst  an  seiner  Wurzel 
Mai  Hötem,  am  Abhang  Fasion,  dann  Sheich  Marhe  und  bei 
seinem  Ausgange  in  das  breite  oflfene  Thal  von  Gundet  Mai 
Gömm'e;  es  ist  kaum  eine  halbe  Stunde  breit  und  von  einem 
Torrent  durchzogen,  der  nur  hier  und  da  fliessendes  Wasser 
hat  und  selten  perennirendes.  Es  ist  nicht  bewohnt,  wird  aber 
von  den  Bewohnern  der  Höhe  mit  langfruchtiger  Mashella, 
Dagussa  und  QoUa-Thef  bebaut;  Gerste  und  Mashella  Woqar 
kommen  nicht  mehr  vor.  Wir  finden  in  der  Tiefe  Granit- 
blöcke und  rothe  Erde,  im  Bache  aber  das  gleiche  Geröll, 
das  die  Ebenen  von  Mai  Tsade  so  unwegsam  macht  und  wohl 
vom  Wasser  hinabgeschwemmt  worden  ist;  dagegen  ist  die 
schwarze  Dagaerde  zurückgeblieben.  Auch  die  Vegetation  hat 
sich  schon  ganz  verändert;  von  Sykomoren  sehen  wir  die 
Daro  durch  die  Shagla  ersetzt  und  Mimosen  herrschen  vor. 
Wir  bringen  die  Nacht  vom  16.  November  bei  Sheich  Marh6 
zu,  auf  einer  Uferebene.  Wir  haben  eine  klare  und  kalte 
Nacht.  Unsere  Maulthiere  füttern  wir  mit  dem  sehr  nahr- 
haften Dagussastroh  vom  nahen  Felde;  es  macht  neben  dem 
der  Gerste  in  diesen  Ländern  das  Hauptfutter  aus;  nur 
Weizenstroh  wird  für  schädlich  gehalten. 

Den  17.  Nov.  verlassen  wir  den  Torrent  bei  Mai  Gömm'e, 
einem  Tränkeplatz,  wo  wir  in  die  freie  Ebene  von  Gundet 
heraustreten ;  hier  führt  der  Weg  nach  Adua  linksab  zwischen 
Hügeln  durch  direct  zum  Mareb,  der  nur  2  Stunden  von  hier 
entfernt  und  von  der  Ebene  Gundet  theilweise  durch  den  Berg 
von  Aila  getrennt  ist  Unser  Weg  geht  westlich  ab  dem 
Höhenzug  von  Barakft  und  Eohein  zu,  von  dem  uns  eine 
4  Stunden  breite  Ebene  trennt.    Wir  nehmen  hier  von  Keflai 


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392  Reise  durch  das  Land  der  Kanima. 

herzlichen  Abschied  und  kommen  über  gut  bebaute  Ebene» 
nach  Mai  Kodo,  einem  von  NW.  kommenden,  kein  GeröU 
mehr,  sondern  feinen  Sand  führenden  breiten  Torrent.  Wir 
lassen  zahlreiche  zu  Gundet  gehörige  Dörfer  links  und  durch- 
ziehen die  freie  Ebene,  die  ganz  unmerklichen,  aber  bestän- 
digen Fall  gegen  Westen  hat  und  mit  sehr  schön  stehenden 
schwarzen  und  weissen  Qolla-Thef,  Dagussa  und  besonders 
prachtvoller  fast  reifer  Mashella  bebaut  ist.  Die  Dagussa  ist 
schon  geschnitten  und  wartet  in  Stöcken  geschichtet  des 
Dreschers. 

Als  wir  an  einem  der  Dörfer,  Az  Sejabo,  vorbeikamen,  ritt 
uns  ein  Sohn  Aito  Achilla^s,  in  der  Meinung,  wir  seien  eine 
zollpflichtige  Karawane,  ziemlich  weit  nach.  AchiUa  war  der 
weit  und  breit  berühmt«  Häuptling  von  Gundet;  er  zählte 
seine  Kühe  bis  auf  999  Stück  und  besass  Elefantengewehre  die 
Menge;  er  hatte  vierzig  Söhne,  fast  so  viel  wie  Priamos  und 
starb  als  fast  himdertjähriger  Greis.  Doch  hatte  er  noch  vor 
dem  Tode  des  Schicksals  Laune  erfahren  müssen:  der  Herr- 
scher des  Senden,  De^jas  Ubie,  brandschatzte  ihn  oft  und 
hielt  ihn  sogar  einige  Zeit  gefangen.  Jetzt  ist  der  schon 
damals  geschmälerte  Beichthum  vollends  zersplittert  worden. 
Sein  Sohn  ritt  ein  schönes  weisses  Ross;  er  selbst  sah  schön 
und  fett  aus,  gerade  wie  ein  Nebtab  im  Barka,  wie  denn  alle 
Leute  von  Gundet  durch  schöne  Hautfarbe  sich  vor  den  Be- 
wohnern des  Hochlandes  auszeichnen;  auch  in  Charakter  und 
Sitte  gleichen  sie  eh«*  den  Bewohnern  der  Nordgrenze  voa 
Abyssinien;  politisch  stehen  sie  unter  Heilu,  ohne  aber  zum 
Sarae  zu  gehören;  ihr  Ursprung  ist  ungewiss.  Achilla's  Sohn 
forderte  uns  auf,  zu  halten;  als  er  uns  aber  als  Fremde  er* 
kannte,  ersuchte  er  uns  bei  ihm  einzukehren;  als  wir  Eile 
vorschützten,  glaubte  er,  wir  könnten  ihm  auch  hier  etwas 
von  unsern  Schätzen  zur  Erinnerung  mitgeben,  was  ihm  aber 
von  unsern  Leuten  ernstlich  verwiesen  wurde.  So  ritten  wir 
bis  Mai  Sabri  weiter. 

Die  durchzogene  ganz  flache  Ebene  von  Gundet  weist  einen 


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Heise  durch  das  Land  der  Kunama.  393 

Tothen,  fruchtbaren  Boden;  das  hier  und  da  hervortretende 
Gestein  ist  mürber  Thonschiefer  und  Granit.  Eisen  kommt 
nicht  vor.  Die  Vegetation  ist  ganz  wie  im  Bogoslande;  Rham- 
nus  Nebeka  mit  vielen  Früchten  und  der  Higlig  (Qoget)  sind 
die  charakteristischen  Bäume.  Fieber  sind  häufig.  Wasser 
ist  sehr  selten,  oft  in  bis  40  Fuss  tiefen  Brunnen.  Die  Tor- 
rente haben  keine  dauernde  Strömung,  ausser  Mai  Sabri,  das 
auch  nur  an  einigen  Stellen  fliesst.  Dieser  Torrent  hat  ein 
sandiges  Bett;  er  entspringt  von  Tsade  Qelei,  dem  Einschnitt 
zwischen  der  Hochebene  Mai  Tsade  und  Maragus,  und  ver- 
einigt sich  mit  Sheich  Marhe.  Das  Gebiet  von  Gundet  reicht 
bis  Mai  Sabri;  seine  Dörfer  liegen  alle  auf  Anhöhen.  Un- 
mittelbar am  Mareb  am  Fusse  des  erwähnten  Berges  liegt  Aila, 
dessen  Bewohner  Brüder  von  Kohein  sind.  Der  Rest  der 
Ebene  westlich  von  Mai  Sabri  ist  Gült  (Pfründe)  von  Az  Mon- 
gunti,  dessen  Unterthanen  hier  mehrere  Dörfer  bewohnen. 
Am  Nordwest-Ende  der  Ebene,  die  sich  bis  an  den  Abfall 
von  Maragus  erstreckt,  liegt  Az  Bochro,  dessen  Bewohner 
Brüder  der  Sarae  sind  und  Baumwolle  pflanzen.  Die  Fort- 
setzung der  Ebene  gegen  Nordwest  wäre  die  Baraka  Kohein, 
wenn  sie  nicht  von  einem  unbedeutenden  wasserscheidenden 
Sattel  davon  unvollständig  getrennt  wäre. 

Von  Mai  Sabri*  setzen  wir  die  Reise  in  der  Ebene  noch 
eine  Stunde  fort;  sie  ist  ganz  flach  mit  langsamer  Steigung 
und  tbeil weise  mit  Quarzitstückchen  bedeckt,  bis  zum  Ab- 
hänge der  Hügelkette  Barakit.  Der  Abhang  zeigt  sich  sehr 
steil.  Der  Gau  Barakit  besteht  aus  einem  in  der  Hauptsache 
mit  Kohein  parallelgehenden  Höhenzug,  der  aber  im  Einzelnen 
sehr  zersplittert  ist.  Von  fem  betrachtet  liegt  er  dem  Lande 
Kohein  als  vermittelnde  Terrasse  vor;  doch  einerseits  mangelt 
ihm  jede  Flächenentwickelung,  das  Ganze  löst  sich  in  ein 
Chaos  vereinzelter  Höhen  auf,  die  unter  sich  nur  sehr  unvoll- 
kommen zusammenhängen;  anderseits  trennt  ein  Abgrund 
die  beiden  Gaue,  den  nur  selten  sehr  schmale,  unwegsame 
Querzüge  überbrücken.     So   besteht  Barakit   aus  lauter  An- 


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394  Beiae  durch  das  Land  der  Eoninia« 

höhen  und  Ahhängen;  die  Anhohen  tragen  natürlich  nur  kleine 
Weiler,  da  das  zerrissene  Terrain  kein  grösseres  Zusammen- 
wohnen erlaubt  Da  aber  die  Abhänge  äusserlich  aus  Erde 
bestehen  und  der  Fels  mangelt,  so  sind  sie  alle  bebaubar. 
Dieses  Hügelland  mahnt  TÖllig  an  das  Ansebaland  der  Bogos, 
mit  dem  es  die  verwirrten  aber  sanften  Formen  und  die 
Bäume,  besonders  den  Ebermet,  gemein  hat.  Die  Bewohner 
sind  Unterthanen  von  Az  Mongunti;  sie  leiden  besonders  im 
Sommer  an  Wassermangel,  da  der  abschüssige  Boden  keine 
Quelle  ernähren  kann.  Jetzt  findet  sich  noch  Wasser  in  Fels- 
trögen und  Schluchten;  im  Sommer  holen  sie  es  Ton  Mai  Sabri. 
Wir  finden  die  Höhen  mit  schönem  langkolbigem  Durra  be- 
baut und  theilweise  mit  Gerste.  Wir  übernachten  in  Mäs'häl 
und  lagern  in  dem  sehr  sauber  gekehrten  Gehöfte  des  Dorf- 
Yorstehers.  Die  Häuser  sind  bald  Hydmo,  bald  Thuqlo,  wie 
in  Mai  Tsade,  von  nettgebauten  Steinmauern  umschlossen,  in 
denen  gewöhnlich  eine  grössere  Familie  zusammenwohnt.  Die 
Leute  sehen  eher  schwarz  aus;  die  Frauen  sind  denen  der 
Bogos  ähnlich,  besonders  in  der  Frisur  der  Haare,  die  sie 
nach  beiden  Seiten  flechten.  Wir  sehen  viele  Hunde  und 
Hühner.  Wir  werden  mit  Shiro,  Thefbrod  und  Bier  gut 
bewirthet. 

Von  Mäs'häl  zur  Höhe  von  Kohein  führen  uns  (den 
18.  November),  sehr  steile  und  tiefe  Abgründe,  die  den  Weg  für 
uns  und  besonders  für  die  Packthiere  sehr  beschwerlidi 
machen.  Wir  müssen  den  ganzen  Weg  zu  Fuss  machen,  so 
uneben  ist  er.  Dte  Abhänge  zwischen  Barakit  und  Kohein 
zeigen  Glimmerschiefer,  aber  weniger  Wald,  als  der  östliche 
Abhang  von  Barakit;  Tahsee  und  Qulqual  herrschen  vor.  Der 
östliche  Abhang  von  Kohein  ist  sehr  steil,  aber  von  morschem, 
senkrecht  stehendem  Schirfer  weich  gebildet.  Auf  der  Höhe 
von  Kohein,  die  ziemlich  über  Barakit  hinausragt,  finden  wir 
vereinzelte  Granitblöcke.  Wir  gehen  an  kleinem  Dörfern 
vorbei  bis  zimi  Wasser  von  Debri,  das  in  einer  ganz  engen, 
tiefen  Schlucht  das  Land  trennt.    Diess  ist  das  einzige  Was- 


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Beise  durch  das  Land  der  Kun&ma.  395 

8er,  das  wir  seit  Mäs'häl  gefunden.  Wir  finden  hier  Daro- 
Sykomoren  und  Tsergla;  von  Wild  stossen  uns  nur  Perl- 
hühner auf. 

Die  Schlucht,  in  der  sich  das  Wasser  Ton  Debri  findet, 
liegt  etwa  300  Fuss  tiefer  als  das  gleichnamige  Dorf,  zu  dem 
wir  den  sehr  steilen  Abhang  hinaufklimmen.  Von  da  bis  zum 
Dorfe  Eesad  Gua,  unserem  Nachtlager,  ist  nur  eine  halbe 
Stunde;  das  Aussehen  des  Landes  verändert  sich  jenseits 
Debri;  die  Höhenzüge  zeigen  sich  uns  weniger  zerrissen  und 
entwickeln  einige  wenn  auch  nicht  ausgedehnte  Hochflächen, 
die  kaum  200  Fuss  unter  dem  Niveau  von  Mai  Sheka  liegen. 
Der  Weg  geht  immer  auf  und  ab,  aber  nicht  mehr  so  radical; 
das  Gestein  bleibt  das  gleiche.  Zwischen  Debri  und  Eesad  Gua 
ist  eine  Höhe,  wo  wir  gegen  West  und  Nord  eine  sehr  weite 
Aussicht  bekommen,  die  uns  das  geographische  Bild  des  Lan- 
des deutlich  macht.  Wir  befinden  uns  auf  einer  Insel,  gegen 
Süd  und  West  vom  Mareb  umschlossen;  von  Norden  klüftet 
sie  die  Baraka  von  Maragus  und  Qolla  Sarae  ab.  Uns  gegen- 
über jenseits  des  tiefen  Marebthals  die  Daga  des  Tigre,  die 
nach  Nordwest  schrägüberlaufend  zum  Shire  und  Adiabo 
sich  abdacht.  An  schönen  mit  weissem  Thef  und  Gerste  be- 
bauten Feldern  vorbei  gelangen  wir  gegen  Abend  nach  Kesad 
Gua  (Krähenhals),  so  genannt  von  einer  schwarzen  Felsmasse 
über  dem  Dorfe;  es  ist  ein  kleiner  halb  aus  Thuqlo,  halb  aus 
Hydmo  bestehender  Weiler.  Wir  klopfen  am  ersten  und 
schönsten  Hofe  an;  in  Abwesenheit  des  Hausherrn  ladet  uns 
die  Frau  ein,  einzukehren.  Der  Hof  umzäunt  mit  hohen 
gut  gebauten  Mauern  ein  grosses  Haus,  das  sich  an  die  eine 
Mauer  anlehnt.  Wir  breiten  unsere  Decken  im  Hofe  aus  und 
ich  schicke  einen  der  Leute  in's  Dorf,  um  nachzufragen,  ob 
keine  Milch  zu  kaufen  sei.  Mit  ihm  kommen  mehrere  Frauen 
mit  frisch  gemolkener  Milch.  Eine  derselben  wirft  sich  vor 
mir  nieder  und  bittet  mich  um  die  Absolution:  ich  sage  ihr, 
^sie  möge  in  Frieden  ziehen.  Das  durfte  uns  nicht  wundem; 
da  man  hier  noch  keine  Europäer  gesehen,  hielt  man  uns  für 


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396  Reise  durch  das  Land  der  Eunima. 

Kopten  vom  Stamm  des  Bischöfe  von  Abyssinien;  da  der 
Diener  nach  Milch  fragte,  fürchtete  die  Frau,  ich  würde  ihre 
Kühe  verfluchen  und  kam  deshalb,  um  sich  freizukaufen. 
Timor  dömini!  Als  es  Nacht  geworden,  kam  auch  der  Haus- 
herr von  seinen  Feldern  in  der  Baraka  zurück,  ein  alter  kur- 
zer, fast  grauer  Mann  mit  einem  pockennarbigen,  mutzen 
Gesicht,  aber  gutmüthigen  Augen;  der  brave  Mann  —  sein 
Name  darf  schon  angeschrieben  werden  —  heisst  Weide  Hau- 
ariat  (Apostelsohn).  Er  bringt  uns  einen  grossen  Topf  Bier, 
viele  weisse  Thefbrode  und  ein  schönes  Schaf  und  entschul- 
digt sich  noch,  dass  er  nicht  mehr  geben  könne.  Ich  hörte 
von  unsem  Leuten,  er  sei  früher  sehr  vermögend  gewesen, 
jetzt  aber  heruntergekommen.  Die  Milch  liessen  wir  uns 
schmecken,  das  Bier  gaben  wir  unsem  Leuten. 

Wir  benutzen  den. Frühmorgen  des  19.  November,  um 
Directionen  zu  nehmen,  wobei  uns  unser  Wirth  behülflich  ist. 
Vor  der  Abreise  lässt  er  uns  noch  Milch  und  speciell  für  die 
Herren  starkgebrautes  Bier  bringen.  Wir  nehmen  freundlichen 
Abschied  von  ihm  und  gehen  den  Morgen  bis  zum  unfemen 
Mai  Mene.  Der  Weg  geht  fast  eben  bergab;  das  Aussehen 
des  Landes,  Vegetation  und  Gestein  gleicht  ganz  der  Gegend 
um  Gundebertina  (am  Anseba).  Wir  finden  wenig  Vegetation; 
wieder  kommen  in  abenteuerlichen  Formen  Granitblöcke  vor; 
sie  drängen  sich  oft  so  zusammen,  dass  sie  den  Weg  verengen. 
Der  Boden  ist  rother  Thon,  nur  ganz  unten  am  Wasser  finden 
wir  eigentlichen  Granitschutt.  Noch  diesseits  des  Wassers 
überschreiten  wir  einen  grossen  von  Daro  beschatteten  Platz, 
wo  jeden  Samstag  Markt  gehalten  wird.  Da  der  Platz  zwi- 
schen Godofelassie  und  Adiabo  fast  in  der  Mitte  liegt,  so 
wird  er  von  beiden  Seiten  sehr  besucht.  Das  Dorf  von  Mai 
Mene  liegt  ein  paar  Minuten  jenseits  des  Wassers  auf  einer 
Anhöhe.  Wir  lagern  uns  neben  dem  Torrent,  der  zwischen 
bebauten  Hügeln  abwärts  südlich  dem  Mareb  sich  zuwendet, 
im  Schatten   einer  Daro.     Wir   finden  oberflächliches,   aber^ 


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Reise  durch  das  Land  der  Knnama.  397 

nicht  fliessendes  Wasser.    Wir  schlachten  unser  mitgebrachtes 
Schaf  und  warten  den  Nachmittag  ab. 

Von  Mai  Mene  westlich  durchziehen  wir  die  erste  Stunde 
eine  ziemlich  breite  Ebene;  die  Gegend  wird  immer  wilder, 
die  Felsblöcke  mächtiger,  ihre  Figuren  grotesker;  doch  ist 
alles  cultivirt.  Die  zweite  Stimde  läuft  der  Weg  auf  einem 
schmalen  Gebirgsrücken,  der  uns  den  doppelten  Abhang  zeigt; 
doch  sind  auch  diese  Abhänge  angebaut;  wir  passiren  Felder 
von  Mashella  mit  Dagussa  und  noch  öfter  mit  schöngewach- 
sener Baimiwolle  vermischt.  In  der  dritten  Stunde  sehen  wir 
uns  gegenüber  die  Ebene  von  Mai  Gorso,  klein  aber  in  ihrer 
ganzen  Fläche  von  eng  zusammengebauten  Weilern  und  schön- 
fruchtenden Feldern  bedeckt.  Der  Gebirgsrücken  führt  nun 
so  zur  jenseitigen  Ebene  hinüber,  dass  er  sich  als  fussbreiter 
Grat  concav  einbeugt,  zu  beiden  Seiten  mit  jähen  Abhängen, 
die  aber  sorgfältig  meist  mit  Baumwolle  bepflanzt  sind.  Mai 
Gorso  bildet  so  eine  Halbinsel.  Das  Dorf  besteht  aus  meh- 
reren aneinanderliegenden  Weilern;  die  Häuser  sind  Thuqlo, 
in  dem  Durra  halb  verborgen.  Der  Baum  ist  so  kostbar  ge- 
halten, dass  die  Felder  bis  an  die  Wohnungen  anreichen  und 
nur  ein  enger  eingezäunter  Pfad  dazuf ührt.  Wir  reiten  in's 
Dorf  hinein;  da  aber  der  Shum  zum  Kaiser  gereist  ist  und 
sich  sonst  niemand  unserer  annehmen  will,  so  ziehen  wir  uns 
unter  einen  Nebekbaum  über  dem  Dorfe  zurück  und  lagern. 
Da  wir  hören,  dass  im  Dorfe  böse  Fieber  herrschen,  die  von 
den  Bauern  vom  Mareb  hinaufgeschleppt  werden,  so  trösten 
wir  uns  über  die  unfreundliche  Aufnahme.  Unsere  Leute  sind 
80  glücklich,  an  den  Abhängen  etwas  Holz  zu  finden;  zum 
fernen  Wasser  zeigt  ihnen  ein  Eingebomer  den  Weg.  Wir 
werden  von  Mücken  sehr  geplagt;  die  Nacht  verkältet  ein  sehr 
starker  Wind.  Alles  trägt  natürlich  dazu  bei,  uns  diese  ein- 
same Ebene,  die  auch  der  Bäume  entbehrt,  in  nicht  zu  freund- 
lichem. Lichte  erscheinen  zu  lassen.  Freilich  erfreuen  den 
Blick  die  schönen  fleissigen  Pflanzungen,  wo  kein  Plätzchen 
brach  liegt  und  selbst  der  Abgrund  benutzt  wird.    Aber  die 


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398  Beise  durch  das  Land  der  Kunima. 

Freude  verbittert  der  Gedanke,  dass  es  Menschen  sind,  die 
hier  an  den  Pflug  gespannt  werden.  Der  benachbarte  Mareb 
ist  der  Viehzucht  feindlich.  Mag  es  eine  Fli^e  sein,  die 
wirklich  die  Kühe  todtsticht,  oder  aber  eine  Epidemie,  die 
man  sich  mit  dem  Vorhandensein  dieser  Fliege  erklären  will, 
der  sogenannte  Hedro  vernichtet  alles  Vieh.  Ich  konnte  die 
Fliege  nicht  sehen,  die  das  Unheil  bewirken  soll;  es  wäre 
möglich,  dass  es  die  Tsetse  ist.  Denkbar  ist  aber  auch,  dass 
der  Grund  der  Ejrankheit  im  Marebklima  liegt;  denn  in  Afrika 
wird  auch  das  Wechselfieber  auf  gleiche  Weise  nicht  dem 
Klima,  sondern  dem  Mückenstich  zugeschrieben.  Sicher  ist 
freilich,  dass  eine  Art  Bremsen  besonders  im  obem  Barka 
vorkommt;  wir  haben  eine  besonders  schlimme,  die  einer  Biene 
ähnlich  sah,  auf  der  Mareareise  kennen  gelernt;  die  Bewohner 
des  Barka  brauchen  sich  aber  nicht  sehr  davor  zu  fürchten, 
indem  der  Feind  sich  auf  die  unzähligen  Heerden  vertheilt. 
Deswegen  sieht  man  im  Herbst  die  Heerden  der  Beni  Am^ 
auf  sehr  kleinem  Raum  zusammengedrängt  und  dieser  Um- 
stand würde  die  Schuld  allerdings  auf  die  Fliegen  werfen. 
Thatsache  ist,  dass  der  Hedro  an  diesem  Mareb  kein  Vieh 
aufkommen  lässt;  die  Leute  von  Mai  Gorso  kaufen  sich  jeden 
Frühling  wieder  Pflugstiere,  um  sie  nach  der  Regenzeit  wieder 
zu  verüeren.  Diess  gilt  auch  von  Adi  Golbo,  das  südlich  von 
hier  auch  auf  den  Mareb  hinunterschaut  und  ebenso  von  Mai 
Daro  im  Lande  der  Eunama.  In  Abwesenheit  der  Viehzucht 
ist  der  Mensch  um  so  mehr  auf  den  Ackerbau  angewiesen, 
trotzdem  er  ihn  allein  besorgen  muss.  So  spannen  die  Män- 
ner sich  selbst  je  zwei  zusammen  an  den  Pflug,  indem  sie  das 
Joch  mit  den  Händen  über  dem  Nacken  halten;  der  Pflug  ist 
der  gleiche,  nur  leichter  gebaut.  Am  Ende  des  Feldes  wird 
Brod  und  Bier  aufjgestellt  und  bei  jeder  neuen  Furche  eine 
Stärkung  eingenommen.  Es  ist  möglich,  dass  dia  harte  un- 
menschliche Arbeit  den  Menschen  ungastfreundlich  gemacht 
hat;  jedenfalls  hat  sie  ihn  athletisch  entwickelt;  die  Leute 
von  Mai  Gorso  sind  gedrungene  Gestalten  mit  ungemein  breiter 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  399 

Brust;  sie  haben  darin  viel  Aehnlichkeit  mit  den  Kunama, 
denen  sie  vielleicht  verwandt  gewesen  sein  mögen,  obgleich 
der  herrschende  Thdl  des  Gaues  von  Kohein  stammt.  Das 
Leben  muss  immerhin  ein  gansi  anderes  sein,  wo  man  keine 
Milch  kennt  und  Fleisch  nur  von  den  Reicheren  an  Festtagen 
vom  Markt  von  Mai  Mene  geholt  wird.  Ziegen  und  Esel  sind 
zwar  dem  Hedro  nicht  ausgesetzt,  doch  sahen  wir  wenig  Zie- 
gen; Esel  aber  werden  hier  und  da  an  den  Pflug  gespannt. 
Der  Reiche  unterscheidet  sich  dadurch,  dass  er  mehr  Tage- 
löhner an  den  Pflug  spannen  kann.  Die  Leute  von  Mai  6or§o, 
von  Adi  Gallo  und  Adi  Golbo,  die  alle  auf  Ausläufern  von 
Kohein  über  dem  Marebthal  wohnen,  cultiviren  alle  in  seiner 
Tiefe.  Bevor  wir  zu  ihm  hinabsteigen,  wollen  wir  einige  Be- 
merkungen über  das  Land  Kohein  einschalten. 

Im  Zusammenhang  mit  Barakit  stellt  sich  uns  Kohein,  wie 
gesagt,  als  eine  Art  Insel  dar,  die  auf  der  einen  Seite  der 
Mareb  umfliesst,  auf  der  andern  ein  grosses , Tiefthal,  die  so- 
genannte Baraka,  umzingelt  Diese  Baraka,  die  ihr  Wasser 
nordwestlich  dem  Mareb  zuschickt,  gehört  den  Leuten  von 
Kohein  und  Barakit.  Der  Name  Baraka  (das  „k'^  sprechen 
die  Abyssinier  gebrochen  fast  wie  ein  „ch"  aus)  ist  synonym 
mit  dem  amharischen  Berha  und  wohl  auch  mit  dem  Tigre- 
wort  Barka  und  bedeutet  eine  tiefjgelegene  Wildniss,  wo  der 
Mensch  sich  nicht  fest  ansiedelt  Sie  ist  sehr  fruchtbar  und 
durch  ihre  Lage  heiss;  sie  wird  zum  Anbau  von  Qolla-Thefi 
Dagussa  und  Mashella  benutzt.  Sie  ist  den  Leuten  dieses 
Landes,  was  das  Barka  den  Bogos  und  Takue  ist.  Wie  diese 
ist  sie  der  Weide  und  dem  Ackerbau  günstig,  aber  den  Men- 
schen verjagen  die  kalten  Fieber.  Dies6  Baraka  nun  legt  sich 
als  Tiefbhal  wie  die  Meerenge,  die  eine  hohe  vulkanische  Insel 
vom  Festland  trennt,  zwischen  Kohein  und  die  Qolla  Sarae, 
eine  Masse. von  Gebirgsketten,  die  sich  nach  Norden  abdachen 
und  bis  jetzt  von  Europäern  meines  Wissens  nicht  besucht 
worden  sind.  Die  Baraka  läuft  auf  den  Mareb  hinaus  und 
schenkt   ihm   seine  Wasser.    Sie   wäre  eine  Fortsetzung  des 


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400  ReiBe  durch  das  Land  der  Kan&ma. 

Gundetthales,  aber  ein  Sattel,  der  Maiagus  ittü  E<4iein  ver- 
bindet, bildet  die  Wasserscheide. 

Geographisch  rechnen  wir  zu  Kohein  auch  Barakit,  dann 
die  drei  Vorspriinge  des  Gebirges  gegen  Westen,  Adi  Golbo, 
Adi  Gallo  und  Mai  Gorso,  die  den  Leuten  von  Kohein  ver- 
wandt sein  sollen.  Interessant  ist  ein  nördlicher  schmaler 
Ausläufer,  Debre  Mariam,  wo  eine  Art  Einsiedelei  angelegt 
ist.  (Debr  bedeutet  im  Tigre  jeden  Berg,  im  Abyssinischen 
aber  einen  Klosterberg.) 

Kohein  leidet  allgemein  an  Wassermangel,  weil  die  Zer- 
rissenheit des  Bodens,  der  selten  als  Fläche  sich  gestaltet, 
das  Regenwasser  schnell  abfliessen  lässt  Deswegen  trocknet 
sogar  Mai  Mene  im  Hochsommer  oft  aus  und  dann  sind  die 
Bewohner  genöthigt,  sich  ihren  Bedarf  sehr  weit  in  den  um- 
liegenden Tiefthälern  zu  holen,  die  Barakit  von  Mai  Sabri, 
die  Kohein  aus  der  Baraka,  die  Mai  Gorfo  vom  Mareb. 

Trotz  der  th^ilweisen  Erhabenheit  rechnen  die  Abyssinier 
das  Land  Kohein  zur  Qolla.  Von  Feldfrüchten  gedeiht  noch 
Gerste,  aber  kein  Weizen.  Baumwolle  findet  sich  am  west- 
lichen Ende.  Die  Leute  des  eigentlichen  Kohein  haben  wenig 
aber  schönes  Vieh;  sie  cultiviren  mit  Stieren.  Dem  Lande 
mangelt  wie  gesagt  die  weite  Fläche,  wenn  auch  das  eigent- 
liche Kohein  günstiger  entwickelt  ist,  als  das  Vorland  Barakit. 
Dennoch  werden  die  steilsten  Abhänge  zur  Cultur  fleissig  be- 
nutzt und  sie  beweisen,  wie  der  Mensch  durch  Hindemisse 
erst  Energie  bekonmit.  Man  sieht  die  Abgründe  schön  be- 
baut und  sie  erlauben  es,  da  sie  nicht  felsige  Oberfläche  vor- 
weisen. Wir  fwiden  den  westlichen  Theil  zwischen  Mai  Mene 
und  Mai  Gorso  von  Felsblöcken  übersäet,  aber  auch  hier  wohl- 
weislich jeden  Schuh  sorgfältig  umgehackt  und  mit  Baum- 
wolle bepflanzt,  da  die  Felsen  die  Feuchtigkeit  länger  bewah- 
ren. Was  die  Bewohner  betrifft,  so  kennen  wir  schon  ihre 
Abstammung  als  Kinder  des  Sarae;  sie  stehen  jetzt  unter 
Heilu,  als  Theil  der  Statthalterschaft  diesseits  des  Mareb  (Ne- 
garit  Mareb  mellash).    Da  ihr  Land  schon  etwas  tiefer  liegt, 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  401 

SO  sehen  sie  eher  den  Bogos  ähnlich  oder  den  Leuten  des 
Barka;  besonders  gleichen  sie  ihnen  in  der  Schönheit  der 
Haut,  worin  sich  alle  Niederländer  auszeichnen. 

Mai  Gorso  fällt  direct  zum  Mareb  ab;  wir  steigen  den 
20.  November  den  Berg  hinunter,  wie  er  in  angelehnten 
Pfeilern  'allmählig  sich  abdacht.  So  geht  der  Weg  auf  ver- 
ästeten Graten,  die  oft  nur  einen  Fuss  breit  über  die  Kluft 
gebaut  sind;  der  kleinste  Fehltritt  würde  den  Gehenden  un- 
wiederbringlich verderben.  Die  Abhänge  sind  mit  hohem  Gras 
bedeckt;  der  herrschende  Baum  ist  der  Wolwol  mit  der  Pa- 
pyrusrinde; der  Boden  besteht  aus  schwärzlichem  vermoderten 
Schiefer;  Fels  fehlt  und  auch  die  Cultur.  Diese  Gebirgsgrate 
führen  zum  eigentlichen  Abhang,  der  jäh  aber  schnell  uns 
bei  Aräkebu  zum  Mareb  hinunterbringt. 

Das  Marebthal  ist  hier  etwa  eine  halbe  Stunde  breit.  Der 
Strom  ist  links  vom  Wege  durch  Medebei  Tabor  beschränkt, 
das  als  ein  ungeheurer  wohl  3000  Fuss  hoher  senkrechter 
Felsstock  bis  dicht  an  das  Wasser  abfällt.  Schon  vom  Sarae 
aus  dient  er  als  Wegweiser;  er  ist  die  Grenzscheide  zwischen 
Shire  und  Adiabo,  auffallend  durch  seine  kühne,  viereckige, 
burgartige  Ambaform,  ähnlich  dem  Tsad'amba  oder  Shytel. 
Die  Uferebenen  des  Mareb  sind  theilweise  von  hohem  Schilf 
und  wucherndem  Gras  bedeckt,  theilweise  mit  Durra,  Da^ussa, 
Bohnen  und  Baumwolle  bepflanzt.  Auf  dem  rechten  Ufer 
cultiviren  die  Leute  von  Mai  Gorso,  etwas  weiter  oben  Az 
Gallo  und  Golbo,  auf  dem  linken  Ufer  die  Leute  von  Adiabo, 
alle  natürlich  nur  mit  Menschenhand.  Das  Strombett  ist 
1 50  Schritt  breit,  wovon  aber  nur  ein  Fünftel  fliessendes  untiefes 
Wasser  hat.  Das  Bett  ist  sandig,  ohne  Fels  und  Stein,  und 
zeigt  wenig  Fall;  es  macht  hier  viel  Krümmungen.  Die  Ufer- 
ebenen sind  fast  nicht  über  das  Sandniveau  erhaben  und  auf 
beiden  Seiten  flach.  Diese  Umstände  machen  das  Thal  so 
reich  an  tödlichen  Fiebern.  Es  ist  der  Lieblingsaufenthalt 
des  Löwen.  Wir  finden  hier  die  gleichen  Bäume,,  wie  am 
Anseba:  die  Tamariske  (Tarfa,  Obel),  die  Ricinusstaude,  viele 

Hunzinger,  OHtafrik.  Studien.  26 


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402  Reise  durch  das  Land  der  Kundma. 

mit  Früchten  beladene  Adansonien,  ungeheure  Mimosen  und 
sehr  häufig  die  Asclepias  Oschar  (hier  Gend*c  genannt).  Ta- 
marinden finden  sich  etwas  höher,  als  Arakebu,  aber  durch- 
aus keine  Palmen.  Die  Gräser  sind  meist  Gramineen,  so  das 
strohartige  Sar  Walid,  das  von  den  Bogos  zum  Dachdecken  be- 
"nutzt  wird,  dann  das  rankende  den  Boden  überspinnende 
Serdetgras;  die  anliegenden  Hügel  hingegen  zeigen  das  feine 
dem  Thef  so  ähnliche  röthliche  Gras,  das  im  Barka  auf  den 
Quarzithügeln  so  gemein  ist.  Das  Wasser  ist  gut  und  frisch. 
Im  Marebthal  sind  keine  festen  Ansiedlungen;  die  Leute  des 
Hochlandes  verlassen  so  schnell  als  möglich  ihre  eilig  ge- 
emdteten  Felder  aus  Furcht  vor  den  Fiebern.  Wir  werden 
leider  verhindert,  die  Höhe  des  Mareb  über  dem  Meere  zu 
bestimmen,  da  sich  das  Barometer  gerade  an  diesem  Punkte 
schadhaft  zeigt  und  erst  in  Adiabo  reparirt  werden  konnte. 
Ich  schätze  sie  im  Vergleich  zu  den  uns  bekannten  Höhen 
und  nach  der  Vegetation  auf  nahe  an  4000  Fuss,  besonders 
da  die  letztere  ganz  mit  der  von  Gabena  am  Anseba  von 
Bedjuk  übereinstimmt. 

Den  Mareb  überschreitend,  halten  wir  uns  dicht  an  dem  links 
abliegenden  Medebei  Tabor,  indem  wir  einen  breiten,  wasser- 
und  fischreichen,  von  hohen  Bäumen  besetzten  Torrent  an- 
steigen, der,  zwischen  Shire  und  Adiabo  sich  eine  Kluft  gra- 
bend, bei  Arakebu  in  den  Mareb  fällt  und  ziemlich  allmählig 
zum  Hochland  hinaufführt.  Da  er  grosse  Krümmungen  macht 
und  viele  Felsabfälle  hat,  so  verlassen  wir  ihn  eine  Zeitlang 
und  suchen  uns  über  die  ihn  begleitenden  sehr  zerklüfteten 
Hügclreihen  einen  beschwerlichen,  von  hohem  Gras,  Dornen 
und  Wald  verschlossenen  Weg,  der  uns  bei  Woddach  wieder 
zu  dem  erwähnten  Torrent  zurückführt.  Nach  fast  dreistün- 
digem beschwerlichen  Marsche  finden  wir  uns  kaum  mehr  als 
eine  Stunde  vom  Mareb  entfernt.  Auch  hier  zeigen  die  Ufer- 
ebenen schöne  Durrafelder,  die  den  Bewohnern  von  Medebei 
Tabor  gehören.  Dagegen  sind  die  anliegenden  Hügel  unbebaut. 
Der  Torrent   zeigt   reichliches,   aber  nur  als  Teich  zu  Tage 


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Reise  durch  das  Land  der  Eunäma.  403 

tretendes  Wasser.  Wir  lagern  dicht  an  ihm  unter  einer  Ta- 
marinde; die  Bauern  bringen  uns  geröstete  frische  Durra- 
kolben. Wir  sind  vom  Mareb  schon  ziemlich  gestiegen,  aber 
mit  bedeutenden  Rückschritten,  da  wir  uns  über  die  vor- 
stehenden querüberliegenden  Hügelreihen  den  Weg  suchen 
mussten.  Diese  Hügelzüge  liegen  ganz  wüst  und  brach  da; 
die  vorherrschenden  Bäimie  sind  der  Wolwol,  die  Adansonia 
(Dima),  die  ihm  ähnliche  Dürsel  und  der  im  Bogoslande  so 
häutige  Hafulestrauch  mit  brauner  Frucht.  Die  Nacht  ist  lau 
und  von  wilden  Thieren  ungestört. 

Den  21.  November  steigen  wir  zuerst  sehr  allmählig;  das 
Terrain  erhebt  sich  regelmässiger,  eher  als  schiefe  Ebene;  aber 
der  Weg  muss  durch  das  hohe  Gras  und  die  Dornensträuche 
erkämpft  werden;  das  Ganze  ist  von  hochstämmigem  Wald 
wohlbedeckt.  So  kommen  wir  zum  eigentlichen  directen  Ge- 
birgsabhang,  der  nicht  sehr  steil,  aber  fast  eine  Stunde  lang 
ist.  Wir  bemerken  am  Abhang  eine  sehr  breite  Kalkschicht 
und  über  ihr  ockerfarbigen  Thon.  Der  ganze  Abhang  ist  mit 
Bambusrohr  (Shimel,  HöU)  mit  den  langen  schmalen  Blättern 
und  dem  sehr  schlanken  ungeästeten  Stamm  dicht  bewaldet. 
Auf  der  Höhe  angelangt,  kommen  wir  Berg  auf  Berg  ab  zu 
dem  ersten  Dorf  von  Adiabo,  Gunnegunne,  mit  meist  verfal- 
lenen Häusern.  Es  ist  auch  gegen  Adiabo  sehr  vereinzelt 
gelegen;  noch  sehen  wir  nur  ein  sehr  zerrissenes  Hügelland. 
Noch  einmal  überschauen  wir  ganz  Kohein,  das  uns  in  glei- 
cher Höhe  über  dem  Mareb  entgegenschaut.  Ein  schmaler 
Grat  führt  nach  der  Hochebene  hinüber,  wo  die  Hauptan- 
siedlungen von  Adiabo  angelegt  sind  und  auch  unser  Ziel, 
Az  Nebrid.  Links  fällt  dieser  Grat  zu  einer  Kluft  ab,  die 
Adiabo  vom  Shire  scheidet  und  woraus  der  Torrent  entspringt, 
den  wir  aufwärts  gekommen.  Rechts  fällt  er  zu  einem  wellen- 
föimigen  Thal  ab,  das  sich  zur  Ebene  von  Rohabaita  wieder- 
erhebt. Die  vor  uns  liegende  Ebene  stellt  sich  als  eni  Kessel 
dar,  wovon  nur  die  Ränder  bewohnt  und  bebaut  sind,  wäh- 
rend sich  in  seiner  Tiefe  allein  reichliches  Wasser  als  Teich 

26* 


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404  Heise  durch  das  Land  der  Kun&ma. 

findet  und  ein  sehr  dorniger  Wald.  Auf  dem  Rand  des  Kes- 
sels erheben  sich  hier  und  da  wohl  100  Fuss  hohe  Tafelbei^e, 
von  Dörfern  gekrönt.  Auf  einer  solchen  Tafel  liegt  Az  Nebrid, 
das  wir  bei  Einbruch  der  Nacht  nach  mühsamem  Wege  durch 
Gebüsch  und  jungfräuliches  Gras  erreichen. 


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Von  Az  Nebrid  nach  Mai  Daro. 

(26.-29.  November). 


Az  Nebrid  ist  ein  kleiner  Weiler  mit  einer  Kirche;  es  steht 
auf  einer  der  erwähnten  tafelartigen  Erhebungen.  Wir  sat- 
telten vor  dem  alleinstehenden  Hofe  ab,  der  Aito  Tselala's 
Wohnungen  umschliesst.  Nach  langem  Warten  führte  uns 
ein  Diener  in  ein  nahestehendes  Gehöft,  wo  wir  so  gut  wie 
möglich  unter  freiem  Himmel  lagerten.  Spät  in  der  Nacht 
schickte  uns  der  Häuptling  einige  Brodkuchen  und  einen 
grossen  Krug  Bier.  Die  Aufnahme  schien  nicht  viel  zu  ver- 
sprechen, aber  wir  hatten  uns  darauf  gefasst  gemacht  und 
die  Ruhe  hatten  wir  alle  nöthig,  am  meisten  imsere  Last- 
thiere,  die  von  dem  unaufhörlichen  Bergauf-  und  Bergabsteigen 
ganz  wund  und  matt  geworden  waren.  Wir  selbst  hatten  in 
dem  zerklüfteten  Lande  unsere  Reitthiere  selten  benutzen 
können. 

Im  Laufe  des  Morgens  des  22.  Novembers  liess  uns  der 
Statthalter  sagen,  er  erwarte  uns  auf  dem  freien  Platze  zwi- 
schen unsem  Häusern;  er  wollte  so  der  Etiquette  von  keiner 
Seite  zu  nahe  treten.  Wir  gingen  ihn  zu  begrüssen  und  sein 
rundes  offenes  Gesicht  machte  uns  bald  mit  ihm  vertraut.  Er 
ist  mittlerer  Grösse,  eher  schwärzlich  und  in  seinem  Auftreten 


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406  Reise  durch  das  Land  der  Kunama. 

sehr  bescheiden,  obgleich  sein  Muth  weitbekannt  ist.  Er  ist 
etwa  30  Jahr  alt,  der  ältere  Bruder  des  regierenden  Aito 
Tsadiq,  der,  von  seinem  Besuche  beim  Kaiser  zurückgekehrt, 
sich  zur  Zeit  noch  in  Axum  aufhielt.  Tselala  war  Anhänger 
von  Dedjas  Negussie,  was  ihn  beim  Kaiser  eben  nicht  em- 
pfehlen konnte;  dazu  hindert  ihn  seine  stotternde  Zunge,  sich 
in  öflfentlichen  Versammlungen  geltend  zu  machen  und  mit 
einigen  gut  angebrachten  Worten  sich  die  Gunst  des  Herrn 
zu  erwerben.  So  wurde  der  zungenfertige  Tsadiq  Herr  von 
Adiabo,  obgleich  ihm  seine  Verwandten  fast  ebenbürtig  zur 
Seite  stehen.  Tsadiq's  Charakter  wurde  uns  nicht  sehr  ge- 
rühmt, und  seine  Thaten  stellen  ihn  in  ein  keineswegs  gün- 
stiges Licht,  während  wir  von  Tselala  durchaus  als  Freunde 
schieden.  Kaum  hatte  ich,  auf  den  Rasen  niedergesessen, 
unser  Anliegen  eröffnet,  so  theilte  mir  Tselala  mit,  er  beab- 
sichtige selber,  in  längstens  14  Tagen  einen  Kriegszug  durch 
das  Land  der  Kunama  bis  zu  den  Barea  zu  machen  und  er 
habe  nichts  dagegen,  wenn  ich  die  Armee  begleite.  Diess 
war  nun  freilich  keine  Freudenbotschaft,  und  ich  deutete  ihm 
auch  an,  dass  eine  Reise  im  Gefolge  des  Heeres  uns  wenig 
nützen  würde,  das  Land  kennen  zu  lernen.  Wir  trennten 
uns,  ohne  etwas  abgeschlossen  zu  haben;  im  Laufe  der  Unter- 
haltung mussten  wir  die  Neugierde  der  Herren  befriedigen, 
das  Fernrohr  besonders  wurde  wiederholt  probirt;  zu  Herrn 
Kinzelbach's  Erstaunen  aber  hatten  die  Adiabo  so  scharfe 
Augen,  dass  das  Femrohr  ihnen  wenig  nützen  konnte.  Die 
Abyssinier  haben  eine  so  übertriebene  Idee  von  der  Tragweite 
eines  Fernrohrs,  dass  sie  sogar  ein  Teleskop  nicht  befriedigen 
könnte.  Sie  erzählten  mir,  Theodoros  habe  den  Marsch  seines 
Gegenkönigs  Negussie  dem  Wolkait  zu  von  Adiabo  aus  mit 
dem  Fernrohr  verfolgt;  überhaupt  liebt  jeder  Fürst  ein  Fern- 
rohr zu  haben,  ich  denke  aber  kaum  aus  strategischen  Grün- 
den. Während  so  die  Adiabo  unsere  Instrumente  anstaunten, 
machten  sie  mit  unserer  Person  gar  kein  Aufsehen.  Es  ist 
mir  oft  aufgefallen,  dass  die  Afrikaner,  die  an  Europäer  ge- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunäma.  407 

wohnt  sind,  gegen  unsere  P'arbe  viel  intoleranter  sind,  als  die 
Neulinge,  wie  hier,  wo  nur  wenig  Europäer  hingekommen 
sind.  Den  Rest  des  Tages  benutzten  wir,  uns  mit  den  ange- 
sehensten Dienern  von  Tselala  bekannt  zu  machen ;  wir  sahen 
mehrere  Bazensklaven  mit  etwas  aufgeworfenen  Lippen,  aber 
mit  ziemlich  hellem  Teint,  sehr  vollen  Wimpern  und  schönen 
Augen.  Wir  wissen  bereits,  dass  die  Hauptbeschäftigung  Adi- 
abos  der  Krieg  gegen  die  Bazen  (oder  Kunäma)  und  Barea 
ist,  wobei  es  gewöhnlich  auf  Sklaven  abgesehen  ist.  In  den 
letzten  Jahren  war  der  Erfolg  so  gross,  dass  ganz  Adiabo 
mit  Bazensklaven  überfüllt  ist;  die  Barea  kaufen  ihre  Ange- 
Hörigen  wenn  immer  möglich  wieder  zurück,  während  die 
Bazen  sich  nie  um  ihre  verlorenen  Landeskinder  bekümmern. 
So  werden  die  Adiabo,  die  es  eigentlich  auf  ein  Lösegeld  ab- 
sehen, förmliche  Sklavenhändler;  denn  die  Beute  im  Lande 
zu  behalten,  ist  bei  der  Leichtigkeit  der  Flucht  nicht  räthlich. 
Die  Sklaven  wurden  so  zu  sehr  billigem  Preis  von  den  Sklaven- 
händlern aufgekauft,  meist  nur  zu  10  Thalern.  So  ist  man 
weitergegangen,  als  man  sich  wohl  verzeihen  möchte,  aber 
der  Gedanke,  die  Heiden  .zu  bekämpfen,  gegen  die  jedes  Un- 
recht erlaubt  sei,  tröstet  den  christlichen  Abyssinier. 

Da  wir  uns,  um  die  Lastthiere  nicht  zu  überladen,  in  Mai 
Sheka  nur  mit  dem  nöthigsten  Mehl  versehen  hatten,  und  hier 
durchaus  nichts  Getreideartiges  aufzutreiben  war,  so  waren 
wir  sehr  erfreut,  als  Aito  Tselala  uns  gegen  Abend  eine  Kuh, 
eine  von  jenen,  die  er  vor  Kurzem  am  Gash  den  Hadendoa- 
abgenommen,  zuschickte.  Wir  luden  dazu  einen  Mann  von 
den  Bazen  und  einige  Barea  ein,  die  als  Abgeordnete  ihrer 
Gaue  zufällig  sich  hier  befanden,  um  die  Stinunung  ihres 
neuen  Gebieters  zu  erforschen  und  über  den  Tribut  zu  ver- 
handeln. Die  Barea  sprechen  fertig  Tigre  und  kennen  meinen 
Namen  schon,  aber  essen  als  Mohammedaner  nicht  mit,  wäh- 
rend der  Bazen,  Namens  Ashku,  leider  kein  fremdes  Wort 
versteht,  aber  dem  Essen  um  so  mehr  zuspricht. 

Auch  den  folgenden  Jag  (23.  November)  konnten  wir  über 


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408  ReiBC  durch  das  Land  der  Kunama. 

unsere  Aussichten  nicht  in's  Klare  kommen.  Nicht  zu  ver- 
kennen war,  dass  Tselala  uns  misstraute,  da  wir  vorausgereist 
die  Bazen  und  Barea  von  seinem  Vorhaben  in  Kenntniss  setzen 
konnten.  Anderseits  war  er  in  seinem  Rechte,  uns  nicht 
gerade  Gunst  erweisen  zu  wollen,  da  wir  ja  noch  nicht 
Freundschaft  geschlossen  hatten.  Denn  nach  abyssinischem 
Brauche  ist  das  Geschenk  das  Thor  der  Liebe.  Wir  mussten 
uns  entschliessen,  etwas  zu  riskiren;  wir  Hessen  die  zwei  Ver- 
trauten Tselala's  kommen  und  baten  sie,  ihren  Herrn  günstig 
für  uns  zu  stimmen;  wir  versprachen  jedem  eine  kleine  Be- 
lohnung im  Falle  des  Gelingens.  Der  eine  bat  sich  einen 
Thaler  aus,  des  andern  höchster  Wunsch  war  eine  kleine 
Taschenpistole,  die  nicht  viel  mehr  werth  war,  zu  besitzen; 
andere  untergeordnete  Diener  wurden  mit  blauen  Seidenbän- 
dem  (Mateb)  hoch  erfreut;  so  hatten  wir  uns  der  Freund- 
schaft der  Diener  versichert,  die  jedenfalls  wichtiger  ist,  als 
die  des  Herrn.  Endlich  schickten  wir  durch  meine  Leute  ein 
Steinschlossgewehr  an  Tselala.  Es  war  diess  das  beste  Ge- 
schenk, was  wir  machen  konnten,  da  die  Grenzvölker  Abys- 
siniens  in  Adiabo  und  Wolkait  solche  Flinten  mit  langem 
starken  Rohr  sehr  schätzen;  das  ScUoss  ist  leichter  in  ein 
Luntenschloss  umzuwandeln.  Wir  wurden  sogleich  zu  Tselala 
geladen ;  in  einem  grossen  Saal,  wo  auch  Rosse  und  Maulthiere 
standen,  waren  alle  seine  Freunde  und  Diener  versammelt; 
einem  kleinen  Pfefiferragout  mit  schneeweissen  Thefbroden 
(Tabita)  folgte  sehr  guter  Tedj.  Tselala  dankte  uns  sehr 
herzlich  und  benachrichtigte  uns,  dass  er  heute  nach  Az  Daro 
auf  den  Marktplatz  reiten  werde;  da  werde  eine  allgemeine 
Versammlung  der  Herren  von  Adiabo  über  den  Bazenzug 
einen  endgültigen  Beschluss  fassen  und  es  werde  jedenfalls 
davon  abhängen,  was  er  für  uns  thun  könne.  So  mussten 
wir  uns  wieder  gedulden;  unsere  Reise  war  nicht  unmöglich 
geworden,  aber  der  beabsichtigte  Heerzug  konnte  uns  doch 
nur  schaden.  Leute,  die  wir  nach  dem  Markte  Az  Daro, 
etwa  2V2  Stunden   von   hier,  schickten,  kamen  Abends  leer 


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Reise  durch  das  Land  der  Kan&ma.  409 

zurück.  Getreide  und  Schmalz  war  gar  nicht  auf  dem  Markte 
zu  sehen  ^  sondern  allein  rother  Pf eflfer,  womit  wir  schon  ver- 
sehen waren.  So  mussten  wir  uns  an  unser  Fleisch  halten, 
das  wir  wie  trockene  Wäsche  in  lange  Riemen  zerschnitten 
aufgehängt  hatten.  Wir  erhielten  den  ganzen  Tag  durch  vielen 
Besuch,  doch  benahmen  sich  die  Leute  sehr  höflich,  ja  freund- 
lich gegen  uns;  wir  trieben  einen  kleinen  Tauschhandel  mit 
Pfeffer,  Antimonium  und  blauer  Seide,  womit  wir  uns  Bier 
und  etwas  Schmalz  verschaflften.  Milch  ist  in  Adiabo  gar 
nicht  zu  Hause.  Wir  fanden  die  Temperatur  sehr  warm,  so- 
gar des  Nachts. 

Endlich  Sonntags  den  24.  vernehmen  wir,  dass  Aito  Tse- 
lala  zurück  ist  und  mit  ihm  mehrere  Häuptlinge,  seine  Ver- 
wandten. Wir  finden  sie  auf  dem  neben  der  Kirche  befind- 
lichen Gottesacker,  wo  eben  einer  der  Vornehmsten  des  Stam- 
mes begraben  wird.  Hunderte  von  Männern  und  Frauen 
sitzen  in  weitem  Kreise,  in  dessen  Mitte  die  nächsten  Ver- 
wandten des  Todten  sich  die  Wangen  blutig  reissen  und  mit 
vielen  Leidgeberden  sein  Klagelied  singen,  worauf  die  ganze 
Versammlung  respondirt.  Nach  beendigter  Feier  kommt  Tse- 
lala.auf  mich  zu,  mit  ihm  die  mächtigsten  Herren  des  Landes 
und  Aschku  und  die  drei  Bazen;  wü*  setzen  uns  neben  der  Kirche 
auf  den  Boden.  Zu  unserer  grossen  Freude  kündigt  Tselala 
mir  an,  er  und  seine  Brüder  hätten  nichts  gegen  mein  Pro- 
ject;  ich  möge  die  vierzehn  Tage,  wo  noch  Friede  sei,  wie  ich 
-wolle  benutzen.  Er  bittet  mich,  vor  der  ganzen  Versammlung 
unser  Vorhaben  auseinanderzusetzen;  dann  beeidigt  mich  sein 
erster  Rath,  der  Belata  Lebassie,  und  umgekehrt  mein  Diener 
den  Tselala  und  seine  Verwandten.  Ich  verspreche  feierlich, 
auf  unserer  Reise  nie  etwas  zu  sagen  oder  zu  thun,  was  dem 
Interesse  des  Kaisers  und  des  Landes  Adiabo  schädlich  sein 
könnte.  Tselala  und  seine  Brüder  schwören,  mich  immer  als 
Freund  und  Bruder  anzusehen  und  für  mich  auf  dieser  Reise 
mit  ihrem  Blute  einzustehen.  Sie  bitten  mich,  das  Mögliche 
zu  thun,  das  gute  Einverständniss  von  Adiabo  mit  dem  Nie- 


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410  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

derlande  von  Barka  zu  befördern,  so  viel  mir  möglich.  Ver- 
wünschungen werden  gegen  den  Eidbrüchigen  ausgesprochen 
und  von  beiden  Seiten  mit  Amen  bekräftigt.  Dann  ladet 
Tselala  die  Abgeordneten  von  den  Bazen  und  Barka  vor  sich. 
Er  kündet  ihnen  meine  Heise  an,  befiehlt  ihnen,  mich  bis  in's 
Barka  zu  begleiten,  wo  ich  ihrer  Hülfe  nicht  mehr  bedürfe; 
unser  Herr  Tsadiq  und  dieser  rothe  Mann  sind  einer  und  der- 
selbe für  euch;  ist  er  todt,  so  ist  Tsadiq  todt,  droht  er  ihnen. 
Der  Abgeordnete  der  Bazen  antwortet,  man  solle  keine  Furcht 
haben,  ich  sei  auf  seinem  Kopfe,  und  so  die  Barea. 

Nach  dieser  Verhandlung  musste  das  Femrohr  auch  den 
andern  Häuptlingen  vorgezeigt  werden.  Tselala  lässt  uns 
sagen,  wir  möchten  so  wenig  als  möglich  von  unserer  Habe 
vorzeigen,  denn  er  würde  es  als  unser  Wirth  ungern  sehen, 
wenn  wir  nun  auch  all  den  Häuptlingen  den  Zoll  bezahlen 
müssten.  Wir  kommen  aber  mit  einigen  Zündkapseln  wohl- 
feil weg.  Wir  bringen  den  Tag  mit  Ashku  und  den  Barea 
zu  und  worden  schnell  mit  ihnen  vertraut;  sie  schildern  uns 
ihre  precäve  zwischen  Türken  und  Abyssiniern  eingezwängte 
Lage,  ohne  dass  der  eine  den  andern  forttriebe;  sie  klagen 
über  ihr  ungewisses  Verhältniss  zu  Tsadiq,  der  nicht  fried- 
liche Herrschaft  suche,  sondern  Vorwand  zum  Krieg;  man 
sehe  sie  hier  kaum  für  Menschen  an,  trotzdem  ihnen  die 
Abyssinier  in  Gultur  nicht  überlegen  seien.  Ich  musste  die 
Gerechtigkeit  dieser  Bemerkung  zugeben,  da  es  eben  allen 
unterdrückten  Völkern  von  Afrika  gar  nicht  an  einer  gewissen 
Bildung  fehlt,  aber  an  Einheit,  worin  ihnen  die  monotheisti- 
schen Völker  so  überlegen  sind. 

Erst  gegen  Abend  sind  wir  in  unserer  Hütte  Herren  und 
Meister;  wir  zünden  unsere  der  Astronomie  reservirten  Stearin- 
kerzen an  und  Herr  Kinzelbach  macht  sich  daran,  das  am 
Mareb  untauglich  gewordene  Barometer  zu  repariren.  Wir 
entfernen  das  Quecksilber;  die  Röhre  ist  unbeschädigt,  aber 
die  Bänder  sind  von  jahrelangem  Liegen  morsch  geworden. 
Wir  haben   glücklicherweise   blaue  Seide;    unsere  Abyssinier 


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Reise  durch  das  Land  der  Kanama.  411 

spinnen  daraus  starken  Faden;  wir  binden  alles  neu;  das 
Quecksilber  wird  gereinigt  und  die  Luft  ausgekocht.  Erst 
gegen  Moi^en  ist  das  Werk  vollbracht.  Ich  würde  Reisenden, 
die  sich  nirgends  lange  aufhalten  können  und  denen  es  nicht 
um  mathematische  Genauigkeit  zu  thun  ist,  nie  solche  Baro- 
meter anempfehlen,  da  sie  immer  einen  eigenen  Träger  er- 
fordern, auf  deren  Sorge  man  sich  selten  ganz  yerlassen  kann. 
Jedenfalls  müsste  der  Reisende  dann  das  Instrument  auch  zu 
repariren  verstehen.  Die  Spiralbarometer  scheinen  mir  nicht 
zuverlässig.  Das  einfachste  leicht  transportable  Instrument 
zur  Höhenbestimmung  ist  gewiss  das  Hypsometer;  nur  müsste 
es  für  bergige  Gegenden  in  sehr  kleinem  Massstab  angefertigt 
werden. 

Den  25.  November  rüsten  wir  uns  zur  Abreise.  Wir  finden 
drei  Soldaten  von  Adiabo,  die  uns  nur  bis  Mai  Daro  beglei- 
ten wollen,  da  das  Angebot  sie  zu  Hause  finden  muss;  sie 
sollen  unsere  Packthiere  besorgen.  Wir  benutzen  den  Tag, 
um  uns  mit  den  Verhältnissen  des  Landes  bekannter  zu  machen 
und  nehmen  mit  dem  Gompass  die  nöthigen  Directionen.  Da 
Tselala  vernommen  hat,  dass  wir  uns  gar  kein  Mehl  ver- 
schaffen konnten,  so  ladet  er  unsere  Leute  ein,  von  seinem 
Acker  soviel  Thef  zu  schneiden,  als  wir  nöthig  finden;  darauf 
vertheüen  wir  es  unter  die  Frauen  des  Dorfes  zum  Mahlen. 
Auch  erhalten  wir  von  ihm  Honig  und  einen  grossen  Topf 
braunes  Dagussabier,  das  wir  mit  unseren  Barea  zusammen 
trinken.  Die  erste  Fremdheit  überwunden,  behandeln  uns  die 
Leute  schon  mit  viel  mehr  Freundschaft;  es  fehlt  nun  an 
allem  Nöthigen  nicht  mehr;  eine  Frau  bringt  uns  Schmalz, 
die  andere  sogar  Milch. 

Dienstag  den  26.  November  brachen  wir  von  Az  Nebrid 
auf.  Die  Leute,  die  uns  von  Mai  Tsade  her  begleitet  hatten, 
kehrten  jetzt  zurück;  sie  begleiteten  uns  zum  Dorf  hinaus, 
ebenso  Tselala  mit  seinem  Gefolge.  Der  Abschied  war  herz- 
lich; jeder  wünschte  uns  aufirichtig  glückliche  Reise,  um  so 
mehr,  da  das  Land   der  Bazen   seit  Menschengedenken   nie 


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412  Reise  durch  das  Land  der  Kun4ma. 

friedlich  durchzogen  worden  war.  Auch  TselaJa's  Frau  Hess 
uns  Adieu  sagen  und  schickte  uns  noch  Pfefiferconfitüre  (Dül- 
leh)  und  einen  Vorrath  Weizenbrod.  Unsere  Gesellschaft  be- 
stand jetzt  aus  uns  zwei  Europäern,  dem  treuen  Din  und  vier 
Soldaten  von  Adiabo;  dann  begleitete  uns  der  erwähnte  Ashku 
und  die  drei  Barea,  zwei  von  ihnen  zu  Pferd.  Bis  an  die 
Grenze  des  bewohnten  Landes,  Tsade  Mudri,  gab  uns  Belata 
Lebassie  das  Geleit.  Von  der  Tafelerhöhung  von  Az  Nebrid 
hinabgestiegen,  geht  der  Weg  über  ein  wellenförmiges,  be- 
bautes Land  an  mehreren  Dörfern  ziemlich  eben  vorbei.  Tsade 
Mudri  selbst  ist  aus  mehreren  Dörfern  zusammengesetzt  und 
bildet  jetzt  die  letzte  Ansiedlung  von  Adiabo  gegen  Norden. 
Von  diesem  Punkte  hatten  wir  zum  ersten  Male  freie  Aus- 
-sicht.  gegen  W.  und  SW.  bis  zum  Berge  Dorkutan  in  Wolkait 
und  zum  Takkazethal,  das  von  Hügelreihen  begleitet  ist; 
gerade  unter  uns  sinkt  das  Hochland  in  tiefem  Abgrunde  zu 
einer  sehr  einförmigen,  regelmässigen  Tiefebene,  einer  soge- 
nannten Baraka,  ab,  die  sich  auch  gegen  Norden  fortsetzt,  wo 
wir  sie  wieder  treffen  sollen.  Während  also  Adiabo,  eine 
tiefere  Terrasse  des  Shire,  im  Osten  vom  Marebthal  abge- 
schnitten ist,  fällt  es  im  Westen  zu  der  Baraka  ab,  die  nur 
von  Höhenzügen  längs  des  Takkaze,  als  Wasserscheide  gegen 
den  Mareb  hin,  unterbrochen  bis  an  den  Fuss  der  Wolkait- 
berge  reicht.  In  die  Fortsetzung  dieser  Tiefebene  fällt  Adiabo 
auch  nordwärts  ab,  aber  allmähliger  stufenweise. 

Einmal  den  ersten  ziemlich  jähen  aber  kurzen  Abhang 
hinab  geht  der  Weg  etwa  drei  Stunden  fortwährend  abwärts. 
Diese  schiefe  Ebene  zeigt  sich  als  Hügelland  mit  Thonschiefer 
und  Quarz,  das  oft  mit  schwarzem,  ganz  steinlosem,  durch- 
löchertem Schlammboden  abwechselt.  Die  ganze  Ebene  liegt 
voUkonmien  öd  und  wüst  da,  von  ziemlich  lichtem  niederem 
Wald  bedeckt;  charakteristisch  ist  das  ungeheuer  hohe  Schilf- 
gras, das  den  Reiter  vollständig  verbirgt.  Wir  sehen  viel 
Elefantenmist  von  der  letzten  Regenzeit  her.  Wild  und  Vögel 
fehlen  ganz;  Wasser  findet  sich  nur  hier  und  da  in  unbedeu- 


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Reise  durch  das  Land  der  KuD^ma«  413 

tenden  Bachrinnen.  Wir  passiren  die  Plätze  von  mehreren 
Dörfern,  die  seit  lange  verlassen  sind,  da  die  Bewohner,  zu 
sehr  den  Ueberf allen  der  Kunama  ausgesetzt,  sich  bis  Tsade 
Mudri  zurückgezogen  haben.  Noch  zeigen  sich  die  Spuren 
früherer  Kirchen,  die  immer  an  dem  Euphorbienhain,  der  sie 
umgibt,  kenntlich  sind.  Wir  langen  gegen  Abend  bei  einem 
etwa  15  Schritt  breiten  Torrent  an,  der  kein  fliessendes  Was- 
ser hat,  aber  hier  und  da,  wie  an  unserem  Lagerplatz,  den 
unterirdischen  Strom  in  grossen  Lachen  oder  Teichen  zu  Tage 
treten  lässt.  Sein  Regenwasser  schickt  er  ostwärts  zu  dem 
unfemen  Mareb.  Wir  bringen  in  dem  sandigen  Bett  eine 
kalte  Nacht  zu.  Den  namenlosen  Ort  wollen  wir  nach  der 
naheliegenden  Dorfruine  Az  Berai  nennen. 

Der  Morgenmarsch  vom  27.  November  ging  bis  Herret 
durch  mehr  hügeliges,  oft  felsiges  Land.  Das  Terrain  erhebt 
sich  von  Az  Berai  weg,  die  Hügel  zeigen  uns  grünen  Schiefer; 
das  Land  wird  immer  zerrissener,  öder,  bamn-  und  graslos 
und  voll  von  Domen;  der  Weg  führt  auf  und  ab  zu  einer 
Anhöhe  gerade  über  dem  Wasser  von  Herret,  wo  wir  uns 
wieder  orientiren  können,  da  ein  letzter  Berg  uns  die  Aus- 
sicht auf  die  naheliegende  Tiefe  der  Baraka  nur  halb  verdeckt 
und  rückwärts  Adiabos  Felsenblöcke  noch  einmal  sichtbar 
werden.  Weit  hinter  der  Tiefebene  treten  schon  die  Berge 
der  Kunama  jenseits  Mai  Daro  hervor.  Rechts  von  uns  jen- 
seits des  Marebthals  sehen  wir  die  Berge  von  Thuql,  zu  Qolla 
Sarae  gehörig,  die  sich  dem  Mareb  parallel  bis  zum  Barka- 
land hinziehen,  gegen  den  Mareb  steil  abfallend,  gegen  Nor- 
den in's  Barka  sich  abflachend.  Wir  haben  unter  diesem 
Morgenmarsch  mehrere  Bachrinnen  passirt,  die  häufig  Teiche 
zum  Vorschein  treten  lassen.  Ihr  Bett  ist  inuner  sehr  uneben 
und  schmal.  Auch  Herret  ist  ein  schmaler,  von  Felsen  ein- 
gegrenzter Torrent  mit  einem  ziemlich   bedeutenden  Teiche. 

Der  Weg  Nachmittags  führt  direct  bergauf  auf  die  Hoch- 
fläche, von  wo  wir  endlich  eine  ganz  un verdeckte  Aussicht 
erhalten  auf  die  von  fernen  Bergen  bis  nach  Bazen  begrenzte 


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414  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

Tiefebene,  mit  welcher  der  Berg  in  zwei  Terrassen  vermittelt 
ist  Wir  bringen  "die  Nacht  auf  der  zweiten  zu,  wieder  an 
einem  wasserreichen  Torrent  mit  Teichen ,  der  Godgodo  heisst. 
Das  Aussehen  des  Landes  veründert  sich  auf  dem  diesseitigen 
Abhang;  der  Wald  wird  stark  und  dicht,  während  der  jen- 
seitige Abhang  dürr  und  kahl  ist.  Das  hohe  Schilfgras  (Sar 
Wdlid)  macht  einem  sehr  feinen  thefähnlichen  Halmgras  Platz, 
das  auch  im  Barkaland  sich  findet  und  den  Boden  gelb  färbt. 
Das  Gestein  des  Torrent  ist  horizontalliegender  Schiefer,  die 
Ebene  mit  Quarzstücken  besäet. 

Ein  letzter  Abhang  führt  uns  den  28.  November  in  die 
grosse  Baraka,  die  sich  vom  Mareb  bis  zum  Takkaze  erstreckt. 
Die  Aussicht  ist  wundervoll.  Eine  weitgedehnte  Ebene,  rechts 
von  dem  Hügelland  des  Mareb  beschränkt,  links  bis  unmittel- 
bar an  den  Fuss  von  Adiabo  sich  hinziehend;  im  Südwesten 
ragt  ganz  entblösst  Wolkait^s  Amba,  der  gewaltige  Dorkutan, 
hinter  dem  Hügelland  des  Takkaze  heraus.  Die  Ebene  ist 
gleichmässig  flach;  eine  grasreiche  Steppe,  aus  der  hier  und 
da  bewaldete  Striche  wie  Inseln  aus  dem  Meer  herausschauen. 
Unser  Weg  geht  dem  mehr  bewaldeten  Ostrand  der  Steppe 
nach;  der  Boden  zeigt  nur  wenig  Unebenheit;  das  Land  hat 
ganz  den  Charakter  des  Barka;  die  Bäume  werden  immer 
dorniger,  worunter  besonders  der  Kithri  (Kedad)  sich  aus- 
zeichnet. Wir  finden  wieder  die  Fruchtbäume  der  Bogos 
(Hafule,  Häde),  die  Adansonia  schaut  riesig  gross  aus  dem 
niedem  Wald  heraus.  Als  Gras  wechseln  das  erwähnte  feine 
Thefgras  mit  Rohr  Und  grobem  Gramineen. 

Lange  Strecken  sind  verbrannt;  auch  wir  legen  Feuer  an, 
wo  wir  können,  denn  keine  Heerde  berauben  wir  der  Weide, 
sondern  wir  bahnen  den  Nachfolgenden  den  Weg.  Nur  hier 
und  da  finden  sich  rundliche  Erhebungen  mit  Quarzsteinchen 
übersäet;  selten  ist  ein  einsamer  Felsblock  hingeworfen.  Gra- 
nit haben  wir  diesseits  des  Mareb  keinen  mehr  gesehen;  das 
Gestein  seit  Adiabo  ist  Glimmerschiefer.  Die  Regel  bildet  ein 
rother,  fetter,  steinloser  Thonboden,  der  nur  hier  und  da  mit 


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Heise  durch  das  Land  der  Kunäma.  415 

ganz  und  gar  von  jedem  Baum  entblössten  Stellen  mit  einem 
schwarzen,  löcherigen,  aufgesprungenen  Moorboden,  ganz  ähn- 
lich dem  abyssinischen  als  Misk  bekannten,  in  Vertiefungen 
sich  bildenden  Moor  abwechselt.  Die  ganze  Ebene  würde  sehr 
fruchtbar  sein;  das  auffallend  frische  Aussehen  der  Vegetation 
in  dieser  Zeit,  wo  bei  den  Bogos  z.  B.  schon  alles  trocken 
ist,  die  grünen  Blätter  und  das  Gras  zeugen  von  der  Frische 
des  Bodens.  Diese  Steppe  steht  seit  undenklichen  Zeiten  wüst 
und  leer,  das  ungestörte  Revier  der  Elephanten,  Rhinoceros, 
Büffel  und  Giraffen,  von  denen  sich  die  Spuren  reichlich 
finden.  Die  Feindseligkeit  der  Menschen  hat  das  schönste 
Land  zu  einer  unbetretenen  Wüste  gemacht,  deren  Vegetation 
dem  Feuer  geweiht  ist,  um  des  Menschen  Fuss  nicht  zu  hem- 
men. Nur  selten  wagen  sich  die  Kunama  hierher,  um  den 
sehr  reichlichen  Honig  auszunehmen,  den  die  Bienen  auf  den 
Adansonien  anlegen.  "Wieder  finden  wir  die  Termitenhügel, 
und  selbst  die  Baumstämme  sind  oft  ganz  von  ihren  Erd- 
kanälen bedeckt.    Wild  und  Vögel  sehen  wir  fast  keine. 

Die  eigentliche  Grenze  der  Kunama  oder  der  Bazen  ist 
der  Abhang  gegen  Godgodo;  in  der  Steppe  aber,  die  bis 
Tsade  Mudri  hinauf  langt,  bezeichnet  ein  mächtiger,  isolirter 
Felsberg,  der  mit  Godgodo  parallel  in  der  Tief  fläche  steht, 
Kässona  genannt,  den  Punkt,  worüber  die  Elefantenjäger 
von  Adiabo  nicht  hinausgehen  dürfen.  Wir  passiren  den  nur 
20  Schritt  breiten  Torrent  Abra,  der  aus  der  Steppe  westlich 
sein  Wasser  zum  Mareb  schickt,  und  langen  an  einem  zweiten 
Torrent,  Dekeshbo,  an,  der  die  Grenze  der  Steppe  bildet.  Wir 
sehen  wieder  die  Tamarinde  und  die  schlanke  Aie  des  Anseba. 
Dekeshbo's  Teichwasser  findet  sich  in  einer  felsigen  Schlucht, 
in  welcher  die  Hitze  sehr  fühlbar  wird. 

Von  Dekeshbo  lenken  wir  von  Neuem  in  ein  ziemlich  stei- 
niges Hügelland  ein,  das  die  Steppe  vom  nördlichen  Mareb 
scheidet.  Wir  steigen  einen  ziemlich  steilen  Grat  hinan,  der 
uns  vom  jenseitigen  Marebthal  trennt.  Die  Hügel  sind  von 
Quarzsteinen   bedeckt;    spärliches   Rohrgras   zeigt    sich;    das 


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416  Reise  durch  das  Land  der  Knnama. 

ganze  '^üste  Aussehen  dieser  Hügel  wird  durch  die  schwarz- 
verbrannten Strecken  noch  trauriger  gemacht.  Der  Wald  wird 
licht  und  niedrig,  man  kann  ihn  eher  Gestrüpp  nennen,  dessen 
Domen  den  Weg  verschliessen  und  uns  Hände  und  Gesicht 
zerreissen.  Wir  bringen  eine  windstille,  eher  warme  Nacht 
auf  einem  Masebu  genannten  Hügel  zu,  wo  kein  Wasser  zu 
finden  ist.  Das  unserm  Ashku  gehörige  Pferd,  da&  sehr  er- 
müdet ist,  zwingt  uns  zu  diesem  Nachtlager,  wo  unsere  Maul- 
thiere  kaum  einen  Halm  finden.  Merkwürdig  sind  uns  die 
ruhigen  Nächte;  wir  hören  seit  Adiabo  nie  den  Schrei  eines 
wilden  Thieres,  selbst  die  Hyäne  scheint  zu  fehlen ;  auch  Wild 
ist  uns  keins  aufgestossen. 

29.  November.  Bei  Masebu  hatten  wir  den  Rücken  des 
Hügelzuges  erstiegen;  nun  steigen  wir  auf  seiner  andern  Seite 
in  ein  Thal  hinab,  wo  zum  erstenmal  wieder  die  Durracultur 
den  menschlichen  Bewohner  venüth.  Die  Ufer  des  Torrent, 
mit  dem  wir  abwärts  gehen,  sind  mit  prächtigen  Bäumen  be- 
setzt, worunter  sich  die  Adansonia  und  die  sehr  schön  ge- 
wachsene Nebek  auszeichnen;  auch  die  Dumpalme  wird  sicht- 
bar, aber  nur  als  Strauch.  Wir  kommen  den  Strom  rechts 
lassend  durch  Gebüsch  und  hohes  Gras  gegen  den  Hügel  hin, 
worauf  das  Dorf  Mai  Daro  steht.  An  seinem  Fuss  in  einem 
Torrent  stossen  wir  auf  einen  Haufen  bewaffneter  Leute.  Wir 
kommen  so  unvorbereitet  zu  diesen  Negern  ausser  der  Mena- 
gerie, dass  es  auf  beiden  Seiten  Eindruck  macht.  Wir  greifen 
zu  den  Waffen  und  stehen  einen  Augenblick  schweigend  ein- 
ander gegenüber:.  Doch  geht  uns  unser  Führer  Ashku  voraus; 
wenige  Worte  genügen ,  uns  als  Gäste  von  Tselala  bekannt  zu 
machen;  die  versammelten  Leute  sind  der  Häuptling  von  Mai 
Daro,  Selass,  und  die  Abgeordneten  des  Stammes  Eimasa,  die 
sich  nach  Adiabo  begeben  wollten,  jetzt  aber  mit  uns  zurück- 
kehren. Selass  lässt  uns  sagen,  wir  seien  bei  ihm  willkom- 
men; wir  steigen  den  steilen  aber  nicht  sehr  hohen  Hügel 
hinauf,   auf  dem  Mai  Daro   steht,  und  sehen  vergnügt  zym 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  ^  417 

dritten  Mal  unsern  alten  Freund,  den  Mareb,  tief  zu  unseni 
Füssen. 

Wir  konnten  nur  zwei  Tage  in  Mai  Daro  bleiben ,  weil  wir 
nicht  vom  Heerzug  hier  überrascht  sein  wollten,  ohne  eigene 
Diener;  zudem  drangen  die  drei  Barea,  die  mit  uns  gekom- 
men waren  und  nun  allein  unsere  Begleiter  sein  sollten,  auf 
schleunige  Abreise;  ich  glaube,  w^ohl  um  der  Verantwortlich- 
keit doch  80  bald  als  möglich  enthoben  zu  sein.  Wir  waren 
übrigens  sehr  gut  aufgenommen;  auf  Aito  Tselala's  Befehl 
wurde  uns  von  unserm  Wirth  Selass  eine  Kuh  gegeben,  die 
von  der  ganzen  Gesellschaft  zusammen  verzehrt  wurde.  Ferner 
hatte  die  freundliche  Fürsorge  desselben  befohlen,  es  möge 
jedes  Dorf  von  Mai  Daro  uns  eine  Kürbisschale  voll  Honig 
bringen,  wovon  wir  uns  auch  ausschliesslich  nährten.  Wir 
hatten  schon  lange  keinen  Schmalz  mehr,  und  hier  war  nicht 
das  Milchland,  uns  damit  zu  versehen.  Dagegen  wurde  das 
Brod,  das  man  uns  brachte,  mit  Sesambrei  gewürzt.  Auch 
kaufte  einer  der  Barea  uns  für  einen  halben  Thaler  in  Zeug 
etwa  6  Flaschen  Honig,  der  aber  nicht  von  Wachs  und 
Schmutz  frei  war.  Wir  machten  davon  Honigwasser,  das  hier 
zu  Lande  allgemein  getrunken  wird,  fett  macht,  aber  auch 
sehr  aufbläht. 

Wir  begegneten  hier  den  Leuten  von  Eiraasa,  die  unsere 
Abreise  abwarteten,  um  nach  Mai  Daro  in  Tributangelegen- 
heiten zu  gehen.  Ihr  Haupt  war  ein  gewisser  Issa,  ein  Mann 
von  sehr  intelligentem  Aussehen  und  eher  einem  Manne  von 
Barka  oder  Algeden  gleichsehend.  Er  kannte  meinen  Namen 
und  lud  uns  ein,  wenn  wir  je  zurückkehren  sollten,  seinen 
Stamm  zu  besuchen;  wir  würden  mit  aller  Sicherheit  das  Land 
bereisen  können.  Er  hatte  eine  Idee,  dass  ihm  die  Europäer 
besonders  den  bedrohlichen  Türken  gegenüber  von  Nutzen 
sein  könnten  und  verfehlte  darum  nicht,  sich  um  unsere  Freund- 
schaft zu  bemühen.  Issa  spielte  in  dieser  Zeit  eine  eigentlich 
politische  Rolle.  Sein  Stamm,  Eimasa,  den  Barka  und  Al- 
geden  benachbart,  ist  immer  den   Angriffen   der  ägyptischen 

Ifunsiuger,  Ostafrik.  Studien.  07 


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418  .  Reise  durch  das  Land  der  Kundma. 

Herrschaft  in  Kassala  ausgesetzt;  die  Herren  von  Barka,  Al- 
geden, Sabderat  führen  mit  ihrer  Hülfe  beständigen  Krieg 
gegen  die  Kunama.  Issa,  der  alle  die  nöthigen  Sprachen  ver- 
steht, knüpfte  ein  Einverständniss  mit  Adiabo  ah,  indem  er 
diesem  Tribut  versprach,  und  dagegen  seine  Hülfe  gegen  die 
Niederlande  in  Anspruch  nahm.  Er  hatte  als  Führer  den 
Heerzug  gegen  Mogelo  begleitet;  dann  führte  er  die  Truppe 
den  Mareb  (Gash)  hinab  bis  Elit,  wo  die  dort  weidenden  Ha- 
dendoa  überfallen  wurden.  Jetzt  ging  er  nach  Adiabo,  und 
leitete  auch  den  nach  unserer  Abreise  ausgeführten  Zug  gegen 
Mogoreb.  So  suchte  er  alle  Nachbarn  seines  Stammes  ein- 
zuschüchtern und  ihnen  Frieden  abzuzwingen. 

Wir  werden  von  den  Leuten  von  Mai  Daro  sehr  freundlich 
behandelt,  was  wir  offenbar  der  guten  Empfehlung  unseres 
Führers  Ashku  zu  verdanken  hatten.  Er  Hess  uns  sogleich 
sagen,  wir  möchten  ohne  Scheu  unsere  astronomischen  Beob- 
achtungen anstellen,  und  so  erscholl  zum  ersten  Male  auch 
hier  Herrn  Kinzelbach's  „stop",  so  abergläubisch  es  auch  ge- 
deutet wurde.  Doch  war  es  nicht  leicht,  zu  arbeiten.  Die 
Leute,  die,  von  ihrer  Feldarbeit  erlöst,  nichts  anderes  zu  thun 
hatten,  Hessen  sich^s  nicht  nehmen,  herumzustehen,  wo  man 
gern  allein  wäre.  Sie  hatten  nichts  einzuwenden,  aber  sie 
begriffen  nicht,  wie  viel  Ruhe  man  dazu  nöthig  hat.  Dazu 
brannte  die  Sonne,  als  wenn  wir  in  Massua  wären,  üebri- 
gens  konnten  wir  uns  keineswegs  beklagen,  da  wir  in  dem 
halbcivilisirten  Abyssinien  immer  mehr  Argwohn  und  lästiges 
Aufsehen  erregt  hatten,  als  bei  diesen  sogenannten  Wilden. 
Wir  mussten  sie  sogar  ob  ihrer  Ruhe  bewundem,  da  nach 
allen  ihren  Fragen  kein  Zweifel  obwalten  konnte,  dass  sie 
uns  für  wahre  Astrologen  und  Hexenmeister  ansahen.  Es 
scheint,  dass  die  Wilden  in  vielen  Sachen  noch  viel  vernünf- 
tiger und  toleranter  sind,  als  die  Halbwilden,  vorzüglich  was 
die  verschiedene  Hautfarbe  angeht 

Die  Aussicht  von  Mai  Daro  ist  durch  die  Hügel  gegen  Süd 
und  West  ganz  beschränkt;  freier  ist  sie  im  Norden,  bis  zu 


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Reise  darch  das  Land  der  Kanama.  419 

der  Terrasse  von  Alemmo  und  Betkom,  zu  der  eine  Fläche  vom 
Mareb  aufsteigt.  Gerade  unter  uns  haben  wir  den  Mareb,  des- 
sen Lauf  uns  deutlich  wird.  Im  Nordwesten  begrenzen  felsige 
Berge,  die  nach  Eimasa  führen,  die  Aussicht  gerade  über 
dem  Mareb,  im  Südwesten  sehen  wir  die  Hügelzüge  von  Anal, 
zu  denen  der  Mareb  zurückkehrt.  Diess  um  uns  gegen  Süden 
sich  erstreckende  Hügelland  ist  zum  Theil  sehr  hoch  und 
spärlich  bewohnt;  die  Ebenen  werden  der  Fieber  und  Feinde 
wegen  gemieden.  Gegen  Westen  hin  geht  die  Aussicht  frei 
zunächst  zum  offenen  Marebthal,  bis  wo  es  gegen  Süden  aus- 
biegt und  jenseits  zu  den  sehr  hohen  Bergen  von  Thuql  (Dem- 
belas). 

Ein  längerer  Aufenthalt  in  Mai  Daro  wäre  w'ohl  der  sicherste 
Weg  gewesen ,  über  das  ganze  Land  der  Kunama  sich  zu  be- 
lehren und  mit  den  verschiedenen  Stämmen  in  Verbindung 
zu  treten;  es  war  uns  aber  nur  vergönnt,  anzubahnen,  nicht 
mit  Muse  zu  studiren. 


27' 


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Von  Mai  Daro  nach  Kassala. 

(Den  1.— 22.  December  1861.) 


Den  1.  December  früh  verliessen  wir  Mai  Daro;  wir  waren 
jetzt  nur  noch  von  Ashku  und  den  Barea  begleitet,  da  die 
von  Adiabo  mitgenommenen  Soldaten  schon  hier  zurückkehr- 
ten. Wir  hatten  glücklicherweise  unsem  Bogos,  Din,  der  nun, 
da  er  allein  stand,  um  so  thätiger  und  allseitiger  wurde.  Das 
Packen  der  Maulthiere,  das  nur  er  verstand,  war  bei  dem 
vielen  Auf-  und  Absteigen  keine  leichte  Arbeit  und  wir  ver- 
loren damit  immer  viel  Zeit.  Wir  leimten  die  Begleitung  von 
Selass  ab,  stiegen  den  Dorfhügel  hinunter  und  kamen  durch 
eine  schöne,  aber  schmale  mit  ungeheuren  (bis  40  Fuss  hohen) 
Mimosen  ('Aqba)  gut  bewaldete,  zum  Theil  cultivirte  Ebene 
zum  Mareb,  der  hier  180  Schritt  breit  ist,  während  sein  Bett 
etwas  weiter  unten  wohl  das  Doppelte  beträgt.  Er  hatte  schon 
kein  fliessendes  Wasser  mehr;  der  Spiegel  floss  4  —  5  Fuss 
unterirdisch.  Sein  Bett  bestand  aus  offenem  Sand  ohne  Fels 
und  soll  es  von  Medebei  Tabor  bis  hierher  ebenso  sein.  Doch 
fehlen  von  Zeit  zu  Zeit  offene  Laehen  nicht,  die  nie  versiegen. 
Die  Uferebenen  sind  hier  und  da  durch  Hügel  eingeschränkt 
Wir  sehen  einzelne  sehr  hohe  Dumpalmen. 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  421 

Wir  setzen  über  den  Mareb  und  der  Weg  geht  auf  einer 
unmerklich  aufsteigenden  schiefen  Ebene  der  nördlich  quer- 
überliegenden Berglinie  entgegen,  die  durch  die  Terrasse  von 
Alemmo  und  Betkom  gebildet  wird.  Die  Fläche  ist  oft  von 
Hügeln  unterbrochen,  auf  denen  wir  Dörfer  wahrnehmen,  die 
noch  zu  Balka  gehören.  Die  Ebene  bis  zum  Abhang  des 
Berges  ist  sehr  gut  cultivirt;  wir  finden  Durra,  Duchn,  Se- 
sam und  eine  andere  gurkenförmige  Oelfrucht,  die  hier  zu 
Lande  Shebob  genannt  wird  und  auch  in  Algeden  bekannt 
ist;  sie  wird  mit  Durra  zusammenges'aet.  Die  Emdte  war 
schon  vollendet.  Das  Land  zeigte  sich  als  sehr  reicher  schwar- 
zer Alluvialboden,  mit  Löchern  und  Rissen,  ganz  wie  bei 
Bisha.  Die  ganze  Gegend  ist  baumarm,  dagegen  sind  unbe- 
baute Stellen  mit  Domengesträuch  dicht  bewachsen.  Die  Hügel 
sind  mit  dem  nackten  blätterlosen  Wolwol  mit  der  grauen 
Papierrinde  bewaldet.  Nach  dieser  vier  Stunden  breiten  Ebene 
steigen  wir  in  dem  Bett  eines  engen  Torrent  sanft  zu  der 
Kante  empor,  die  als  Wasserscheide  die  südliche  Marebebene 
und  die  etwa  200  Fuss  höhere  Terrasse  von  Betkom  trennt, 
deren  Wasser  alle  dem  Mogoreb  und  so  dem,  Barkastrom  zu- 
laufen. Diese  Terrasse  besteht  wieder  aus  mehreren  überein- 
anderliegenden Ebenen,  deren  höchste,  der  Gau  Afla,  gerade 
auf  das  Barka  hinabschaut?.  Wir  lassen  den  Gau  von  Alemmo 
rechtsab  und  gelangen  über  mehrere  breite  Torrente  an 
vielen  Dörfern  vorbei  nach  Tender,  dem  Wohnorte  unseres  Be-. 
gleiters  Ashku,  das  auf  einem  Hügel  gelegen  ist,  gerade  über 
einem  Strome,  der  von  Afla  kommt  und  immer  oberflächliches 
Wasser  hat.  Die  auf  dieser  Terrasse  befindlichen  Dörfer  ge- 
hören zu  dem  Gau  Betkom. 

Das  Dorf  Tender  ist  gross,  die  Häuser  sind  geräumig,  aber 
von  gleicher  Bauart  wie  bei  den  Barea,  glockenförmig.  Die 
Leute  scheinen  sehr  wohlhabend  zu  sein;  wir  sehen  zahlreiche 
Heerden  von  Kühen,  Schafen  und  Ziegen.  Auffallend  sind 
die  Hunde,  die  sehr  stark  und  böse  sind,  aber  von  auffallender 
Kleinheit.     Ich   erinnere   mich   nicht,  die  gleiche  Art  früher 


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422  Reise  durch  das  Laud  der  Kuuani«. 

gesehen  zu  haben.  Ashku  räumt  uns  eine  grosse  leere  Hütte 
^in;  wir  werden  mit  gutem  Blrod  und  Polentat  versorgt,  ebenso 
.mit  Bier,  öodass  wir  uns  schon  bei  den  Barea  wähnen. 

Den  2.  December  verbrachten  wir  umringt  von  Leuten,  die 
von  allen  Dörfern  herkamen,  um  uns  zu  begrüssen.  Jeder 
Neuangekonmiene  drückt  uns  die  Hand  und  setzt  sieh.  Die 
Leute  sehen  nicht  so  wohlbeleibt  aus,  als  in  Mai  Daro,  wohl 
wegen  dos  häufigen  Genusses  des  Bieres;  auch  in  der  Farbe 
und  dem  Körper  gleichen  sie  mehr  den  benachbarten  Barea. 
Wir  werden  von  einem  Mann  von  Alemmo  besucht,  der,  in 
seiner  Jugend  geraubt,  unter  den  Türken  in  Kassala  sieben 
Jahre  lang  Soldat  gewesen  war;  er  hatte  seinen  Abschied  ge- 
kommen und  war  dann  den  sichersten  Weg  den  Gashfluss 
hinaufgißkommen,  bis  er  auf  Landsleute  traf,  die  ihn  nach 
seiner  Heimat  geleiteten.  Er  sprach  geläufig  Arabisch  und 
die  Civilisatiön  hatte  ihn  doch  etwas  angesteckt;  er  gedachte 
•mit  Sehnsucht  des  Soldatenlebens,  doch  schien  er  sich  recht 
wohl  zu  befinden  und  er  fand  seine  Laudsleute  ebenso  gut,  als 
jedes  andere  Volk;  nur  bedauerte  er  die  Abwesenheit  aller 
JReligion,  deren  er  freilich  auch  wenig  übrig  hatte.  Wir  waren 
den  ganzen  Tag  in  einem  grossen  Gedränge;  Leute  der  ganzen 
Umgegend  brachten  Bier  und  Brod,  um  unsere  Anwesenheit 
zu  feiern.  Ashku  liess  eine  Kuh  schlachten.  So  glich  unser 
Haus  einer  grossen  Bierhalle.  Unaufhörlich  wurde  Bier  an- 
gefeuchtet und  herumgereicht;  die  jungem  Leute  warteten  auf 
-und  vertheilten  das  gesottene  Fleisch,  indem  sie  sich  ihrer 
Schilde  als  Schüsseln  bedienten.  Wer  satt  war,  ging  hinaus- 
XInter  den  Anwesenden,  die  das  Haus  füllten,  sah  ich  ein 
paar  Greise  mit  recht  respectabeln  Gesichtern,  die  mit  vieler 
Ehrerbietung  behandelt  wurden.  Die  Kunäma  hatten  fredlicli 
auch  einen  politischen  Zwöck  bei  ihrem  Besuche.  Unser  Füh- 
rer Ashku  war  von  dem  Gau  abgesandt  worden,  um  sich  mit 
Adiabo  über  den  Tribut  zu  verständigen.  Leider  versteht  er 
das  Tigrina  so  schlecht,  dass  er  wenig  verhandeln  konnte. 
Glücklicherweise  waren  wir  da,  um  positive  Nachrichtien  zu 


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Beise  durch  das  Land  der  Kunama.  423 

geben.  Alle  Welt  wusste,  dass  die  Freundschaft  Tselala's 
uns  das  Bazenland  geöfihet  hatte.  Auch  wussten  sie,  dass 
das  Ansebaland ,  das  früher  noch  viel  elender  gewesen  als  die 
Bazen,  durch  Vermittelung  der  europäischen  Mächte  politische 
Sicherheit  den  Türken  gegenüber  erlangt  hatte.  Wir  sollten 
im  Lande  bleiben  und  Vermittler  werden.  Ich  konnte  sie  na- 
türlich nur  auf  eine  ferne  Zukunft  vertrösten;  heute  seien  wir 
ja  nur  Durchreisende. 

So  verbrachten  wir  einen  sehr  mühsamen  Tag;  wir  waren 
in  die  dumpfe  Hütte  eingezwängt,  aber  Leute,  die  uns  zu 
Ehren  von  weit  hergekommen  sind,  darf  man  wohl  nicht 
abweisen.  Ln  Laufe  des  Tages  bat  mich  der  Wirth,  ein  paaa: 
Flintenschüsse  im  Hofe  abzufeuern;  das  würde  uns  in  den 
Augen  der  versammelten  Leute  höher  stellen  und  das  Land 
würde  sich  dadurch  geehrt  fühlen.  Ich  habe  es  ja  auch  in 
Mai  Daro  gethan  und  er  hoflfe,  ich  werde  seine  Landsleute 
wenigstens  ebenso  bereit  finden,  uns  zu  bewirthen,  als  die 
Bazen  von  Mai  Daro.  Ich  konnte  es  ihm  nicht  abschlagen. 
Wir  konnten  mit  der  Aufnahme  nur  zufrieden  sein,  wiBnn  es 
auch  nicht  an  Leuten  fehlte,  die,  unserm  frcimden  Gesicht 
Hiisstrauend,  unsere  Barea  inständig  baten,  uns  doch  bald 
mit  fortzunehmen.  Wir  hatten  gute  Gelegenheit,  unsere  Kennt- 
niss  des  Landes  zu  erweitern;  aber  um  uns  ein  vollständiges 
Bild  davon  zu  machen,  hätten  wir  uns  viel  länger  aufhalten 
müssen.  Am  Abend  verliessen  uns  die  meisten  Leute;  dagegen 
versammelten  sich  die  Greise  des  Gaues  um  uns,  um  über  die 
Lage  des  Landes  zu  berathen.  Dolmetscher  war  ein  gewisser 
Burru,  ein  geborner  Abyssinier,  der,  in  seiner  Jugend  von 
Adiabo  weggeraubt,  hier  auferzogen  worden  ist.  Er  spricht 
noch  seine  Muttersprache,  aber  er  hat  gar  keine  Lust,  nach 
Abyssinien  zurückzukehren,  so  gut  gefiel  es  ihm  hier.  Die 
Leute  vom  Lande  hatten  ihn  immer  wie  einen  der  Ihrigen 
behandelt  und  er  kann  ihnen  jetzt  als  Dolmetscher  den  Abys- 
siniem  gegenüber  nützlich  sein.  Die  versammelten  Greise 
wollen  von   uns   über   ihre  Zukunft  belehrt   sein;   einerseits 


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424  Reise  durch  das  Land  der  Kunama. 

glauben  sie  uns  natürlicherweise  mit  den  Absichten  des  Herrn 
von  Adiabo  vertraut,  anderseits  schreiben  sie  uns  prophetische 
Gabe  zu,  denn  sie  sehen  uns  im  Besitze  der  Schrift  und  der 
Sternkunde.  Nach  allem,  was  ich  von  Erfahrung  weiss,  ant- 
worte ich,  dass  sie  sich  jetzt  vor  Adiabo  nicht  zu  fürchten 
brauchten,  solange  sie  den  Tribut  entrichteten.  Diess  hat  sich 
auch  nachher  bestätigt.  Dann  bitten  sie  mich,  in  Zu- 
kunft jedenfalls  wiederzukommen  und  dann  solle  ich  den  Ver- 
mittler Abyssinien  gegenüber  machen;  denn  sie  seien  immer 
bereit,  einen  regelmässigen  Tribut  zu  entrichten;  Friede  und 
Ruhe  gingen  ihnen  über  alles.  Ich  antworte  ihnen,  dass, 
wenn  sie  den  Raub  und  den  Mord  ihres  Gastes  aufgäben,  Gott 
auch  ihnen  bessere  Zeiten  geben  würde;  denn  der  schlechte 
Ruf  des  Landes  verhindere  den  wohlwollenden  Europäer,  sie 
zu  besuchen  und  ihnen  behülflich  zu  sein.  Wir  sind,  sagen 
sie  mir,  alle  Kinder  Adam's;  aber  wir  sind  getrennt  von  den 
andern  Menschen ;  wir  kennen  Gott  und  sind  in  seinem  Schutz, 
aber  wir  haben  keine  Formeln,  keine  Kirche  und  Fasten. 
Wir  sind  kein  schlechtes  Volk,  aber  wir  stehen  freundlos  da, 
weil  wir  weder  Christen  noch  Mohammedaner  sind.  Wir 
Europäer,  sage  ich,  lieben  alle  Völker  und  wünschen  den 
Leidenden  zu  helfen.  Mögt  Ihr,  erwiedem  die  Greise,  für 
immer  den  Frieden  gebracht  haben.  So  endete  diese  Unter- 
haltung. Ich  will  weitere  Reflexionen  aufsparen,  um  die  Er- 
zählung nicht  zu  unterbrechen. 

3.  December.  Den  folgenden  Tag  bat  uns  Ashku,  unsere 
Abreise  nicht  zu  beschleunigen ;  es  seien  noch  mehrere  Dörfer, 
die  uns  bewirthen  wollten.  Wir  konnten  nicht  lumhin,  den 
Morgen  uns  noch  aufzuhalten ,  besonders  da  unsere  Barea  mit 
dem  unaufhörlichen  Gelage  sehr  zufrieden  waren.  So  hatten 
wir  wieder  grosse  Gesellschaft,  die  sich  freilich  nicht  sehr 
genirtc;  die  Leute  setzten  sich  sogar  auf  unsere  Teppiche,  die 
zugleich  als  Bett  und  Tisch  dienten,  ja  einer  schlägt  mir  vor, 
meinen  Teppich  um  eine  Kuh  an  ihn  abzutreten.  Ich  erhielt 
einen  Besuch  von  einer  älteren  Frau,  die  mir  Hand  und  Stirn 


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Reise  dorch  das  Land  der  Kunama.  425 

küsste;  sie  war  vor  einigen  Jahren  von  den  Leuten  von  Adiabo 
nach  dem  Ilamasen  verkauft  und  von  da  zu  den  Bogos 
flüchtig  geworden,  wo  wir  sie  aufnahmen  und  nach  ihrer  Hei- 
mat zurückschickten.  Sie  brachte  uns  einen  kleinen  Schlauch 
voll  Mehl.  Während  meines  Aufenthalts  bei  den  Bogos  hatten 
wir  Europäer  oft  Gelegenheit,  Sklaven  in  ihr  Vaterland  Zu- 
rückzuschicken und  jedenfalls  ist  diess  der.  geeignetste  Weg, 
sich  ein  Volk  zu  verpflichten.  Einmal  wurden  fünf  Sklavinnen 
von  der  Küste  von  Massua  geraubt  und  über  Keren  gebracht, 
um  sie  im  Barka  zu  verkaufen.  Es  war  mir  möglich,  ihrer 
habhaft  zu  werden;  ich  Hess  ihnen  die  Wahl  frei,  ob  sie  zu 
ihren  Herren  nach  Massua  oder  in  ihre  Heimat  gehen  wollten. 
Nur  eine,  die  in  Massua  geboren  war,  kehrte  zurück,  die 
andern  wünschten  in  ihr  Vaterland  zu  gehen;  eine  war  von 
den  Barea,  die  andern  von  Samero  und  hier.  —  Wir  ver- 
Hessen  das  Dorf  um  Mittag;  ich  beschenkte  unsern  Wirth  mit 
einem  Thaler,  einem  Rasirmesser,  Gewürznelken  und  einigen 
Glasperlen ;  er  hatte  nichts  erwartet  und  drückte  sehr  einfach 
in  seinem  gebrochenen  Tigrina  seinen  Dank  aus:  du  gut,  ich 
gut;  du  Freund,  ich  Fröund.  Von  Tender  kommen  wir  über 
HügeHand  in  einer  Stunde  nach  Kerta,  das  aus  drei  Dörfern 
besteht;  dicht  liegt  ihm  Samero  an,  auf  dem  Abhänge  des 
Barealandes  sehr  luftig  frei  gelegen.  Diese  Dörfer  sind  volk- 
reich und  gut  gebaut;  sie  stehen  mit  den  Barea,  deren  un- 
mittelbare Nachbarn  sie  sind,  in  beständigem  freundlichen 
Verkehr.  Von  der  Höhe  von  Samero  liegt  das  ganze  -obere 
Barkaland  frei  vor  uns  und  auch  die  kühne  Spitze  von 
Ashera  und  die  weisse  Burg  (Tsad'amba)  ragt  in  den  Himmel 
empor. 

Von  Samero  geht  es  ziemlich  steil  bergab  bis  zu  den  zwei 
Dörfern  von  Beigetta,  wo  wir  Brunnen  finden. ,  Vom  Abhang 
an  gehört  das  Land  den  Barea.  Den  Torrent  verfolgend,  der 
das  enge  Thal  von  Beigetta  bildet,  treten  wir  in  das  breite 
Thal  von  Amida  hinaus,  in  welchem  die  Hauptansiedlungen 
der  Barea  liegen.    Wir  schneiden   es  schief  und  kommen  an 


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426  BeiBe  -darch  das  Land  der  Kanama. 

seiner  gegenüberliegenden  Seite,  wo  Dorf  an  Dorf  liegt,  zuletzt 
nach  Mogelo,  dem  Marktplatz. 

Wir  bleiben  in  Mogelo  bis  zum  8.  December.  Einer  unserer 
Bareabegleiter,  Namens  Hamid,  der  von  hier  gebürtig,  lud 
uns  freundlichst  zu  sich  ein;  er  konnte  uns  freilich  nur  ein 
aus  Matten  errichtetes  Zelt  (Ablu)  zur  Verfügung  stellen,  denn 
das  Dorf  war  im  Frühjahr  von  Tsadiq's  Soldaten  eingeäschert 
worden  und  die  Bewohner  fühlten  sich  noch  nicht  sicher 
genug,  ihre  Häuser  neu  aufeubauen.  So  bivouaquirte  alles  in 
Zelten,  die  zur  Nothdurft  mit  etwas  Durraschilf  bedeckt  wur- 
den; eine  Schattenlaube  diente  als  Atrium.  Noch  hatte  sich 
das  Dorf  gar  nicht  von  den  Folgen  dieser  Verheerung  erholt; 
die  Heerden  waren  alle  verloren,  der  Markt  hatte  das  alte 
Leben  nicht  wiedererhalten  und  noch  sehr  viele  der  wegge- 
führten Kinder  und  Frauen  des  Dorfes  harrten  in  Adiabo  des 
Lösegeldes.  So  fanden  wir  Mogelo  gar  nicht  als  das  heitere 
blühende  Dorf,  wie  es  uns  früher  beschrieben  worden;  selbst 
der  landesübliche  Beigen  (Ooila)  erschallt  nicht  mehr  in  der 
Nacht.  Wir  wurden  von  den  Barea  mit  Bier,  Brod  und 
Fleisch  reichlich  versehen;  unser  Wirth  wurde  darin  von  seinen 
Landsleuten  gehörig  unterstützt  und  half  uns  redlich  bei  der 
Consumtion.  Wir  erhielten  den  ganzen  Tag  hindurch  Be- 
suche von  den  angesehensten  Leuten  des  Landes,  die 
mir  viel  über  den  Ruin  ihres  Vaterlandes  klagten.  Ich  konnte 
ihnen  freilich  wenig  Trost  geben,  denn  mit  Abyssinien  steht 
Europa  in  keiner  völkerrechtlichen  Beziehung  und  das  Ex- 
periment, das  die  Mächte  mit  den  Bogos  gemacht,  möchten 
sie  kaum  für  die  Barea  wiederholen;  die  Aegypter  selbst  wür- 
den kaum  das  Land  aufgeben  wollen.  Unter  den  Besuchen- 
den war  auch  Ahmed  el-Negash,  ein  älterer  Mann,  Massuiner 
von  Geburt;  ^eine  Mutter  ist  Bazen  und  er  selbst  unter  den 
Barea  verheirathet  und  seit  lange  angesessen.  Er  hatte  im 
vergangenen  Jahre  für  Tsadiq  den  Tribut  der  Barea  einge- 
zogen und  war  auf  dem  gleichen  Weg,  den  wir  gekommen, 
nach  Adiabo  hinaufgegangen,  als  Abgeordneter  des  Landes. 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunäma.  427 

Er  konnte  furchtlos  diese  Strasse  gehen,  da  es  sein  Mutter- 
land ist.  Er  bereicherte  meine  Kenntniss  des  Bazenlandes 
und  urtheilte  besser  über  die  Bazen  als  über  die  Barea;  ihr 
einziger  Fehler  sei  die  Abneigung  gegen  die  Fremden.  Er 
hatte  die  Idee,  es  sollte  in  Mai  Daro  ein  allgemeiner  Markt 
für  die  Bazen  eingerichtet  werden,  um  das  Land  unter  abys- 
simscher  Oberhoheit  dem  allgemeinen  Verkehr  zu  öfiFnen.  Er 
war  nicht  gut  auf  Tsadiq  zu  sprechen ;  denn  es  sei  ihm  nur 
darum  zu  thun,  das  Land  so  viel  wie  möglich  auszurauben 
und  sich  mit  dem  Lösegeld  der  Gefangenen  zu  bereichern;  an 
eine  friedliche  Herrschaft  über  das  eroberte  Land  denke  er 
gar  nicht,  er  sei  eben  immer  eine  Art  indirecter  Sklaven- 
händler, wie  die  sudanesischen  Fürsten.  Dagegen  war  er  für 
dessen  Bruder  Tselala  sehr  eingenommen.  Ahmed  el-Negash 
hat  einen  Sohn,  der  ganz  ein  Barea  geworden  ist  und  sich 
als  Räuber  den  Leuten  von  Barka  furchtbar  gemacht  hat. 
Ahmed  el-Negash  bestätigt  meine  bisher  gesammelten  Notizen 
über  den  Lauf  des  Mareb. 

Ich  fand  hier  zwei  Barea,  die  mütterlicherseits  von  den 
Bazen  abstammen  und  diBis  Tigre  geläufig  sprechen.  Die  kurze 
Zeit  erlaubte  mir  nicht,  meiner  Arbeit  über  die  Bazensprache 
die  nöthige  Vollständigkeit  zu  geben;  sie  scheint  sehr  compli- 
jdri  gebaut  zu  sein  und  verlangt  jedenfalls  längeres  Studium. 
So  müsste  ich  mich  mit  einem  Vocabular  begnügen.  Auch 
verhinderten  die  den  ganzen  Tag  herumstehenden  Leute  jede 
anhaltende  Beschäftigung.  Wir  konnten  keinen  Augenblick 
in  unserm  engen  Raum  ungestört  sein.  Wir  besuchten  auch 
den  Markt,  der  jeden  Morgen  auf  einem  freien  Platze  unterhalb 
des  Dorfes  gehalten  wird;  Vieh,  Getreide  und  Honig  wurde 
da  feilgeboten,  aber  er  sah  ziemlich  verlassen  aus;  besonders 
haben  sich  die  Massuiner,  die  bei  der  vorhergegangenen  Ver- 
wüstung viel  eingebüsst  hatten,  fast  ganz  vom  Platzhandel 
Eurückgezogen. 

Wir  reisen  den  8.  von  Mogelo  ab;  wir  miethen  zwei  Ka- 
meele,  da  unsere  Maulthiere  den  Rücken  ganz  wund  haben 


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428  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

und  die  grosse  Hitze  sie  sehr  ermüdet  hat.  Wir  nehmen 
den  directen  Weg  über  Mogoreb,  der  sich  erst  am  östlichen 
Abhang  von  Algeden  bei  Taura  mit  der  von  uns  und  andern 
oft  begangenen  von  Bisha  herkommenden  grossen  Strasse  ver- 
einigt. Wir  bringen  die  Nacht  in  dem  nahegelegenen  Ametta 
zu ,  wollin  uns  ein  anderer  unserer  Bareabegleiter,  Abdu  Weld 
Ilasballah,  eingeladen  hat.  Der  kurze  Weg  ist  vollkommen 
eben;  v^rir  sehen  wenig  Bäume,  darunter  einige  Dumpalmen. 
Wir  werden  hier  sehr  gut  empfangen;  Abdu  bringt  uns  eine 
Ziege,  Brod  und  Bier  in  Ueberfluss.  Für  die  Weiterreise  gibt 
er  uns  noch  einen  grossen  Schlauch  voll  Mehl,  das  wir  übri- 
gens unversehrt  nach  Chartum  brachten.  Wir  erhielten  hier 
den  Besuch  eines  alten  Bekannten  von  mir,  eines  Handels- 
mannes von  Massua  gebürtig,  Namens  AliQaderi;  er  brachte 
eine  Ziege  und,  was  viel  werth voller  war,  er  beschenkte  uns 
mit  einer  neuen  irdenen  Kaffeekanne,  da  wir  unsere  eigene 
gerade  nur  bis  Mogelo  unversehrt  gebracht  hatten.  Wir  hätten 
gern  noch  einige  Tage  in  diesem  freundlichen  Dorfe,  wo  die 
Leute  bei  Weitem  nicht  so  zudringlich  waren,  zugebracht;  wir 
wussten  aber,  dass  der  Heerzug  von'Adiabo  nicht  mehr  lange 
auf  sich  warten  lassen  werde  und  es  ist  auch  für  den  Freund 
gefährlich,  sich  in  den  Strom  hineinzustellen. 

Wir  brachen  den  9.  früh  auf;  Abdu  begleitete  uns  zu  Pferd 
bis  Algeden.  Ausserdem  hatten  wir  einige  Barea  bis  Algeden 
gemiethet,  um  unsere  Thiere  und  Gepäck  zu  besorgen.  So 
wandten  wir  uns  wieder  westwärts.  Von  Ametta  führt  ein 
enges  Thal  wohl  eine  Stunde  lang  zu  einem  nicht  hohen  Sattel, 
der  die  Wasserscheide  zwischen  Amida  und  Mogoreib  bildet; 
am  Abhang  sehen  wir  weissen  Marmor  und  grosse  Kalklager 
mit  Thonschiefer  abwechselnd,  aber  keinen  Granit  Rechts 
haben  wir  einen  Berg,  der  schroff  und  hoch  sich  bis  Bisha 
hinzieht;  seine  Höhe  ist  bis  in  die  Mitte  von  sehr  grossem 
rundlichen  Geröll  bedeckt,  das  grosse  Spalten  offen  lässt  und 
wie  der  Berg  von  Bisha,  den  ich  in  frühem  Jahren  erstiegen 
habe,  kupferroth  und  nackt  aussieht,   fast  ohne  Baum   und 


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Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma.  429 

Strauch.  Von  dem  Sattel  steigen  wir  in  ein  anderes  weiteres 
Thal  hinunter  und  wir  kommen,  das  noch  zu  Hagr  geliörige 
Dorf  Sherif  links  lassend,  zu  einem  fliessenden  von  Tamarin- 
den besetzten  Wasser,  das  von  Sherif  kommend  dem  Mogoreib 
zugeht.  Diesem  Fluss  nach  führt  uns  ein  ganz  ebener,  sanft 
sich  abdachender  Weg  mit  wenig  Cultur  zwischen  Hügeln  an 
mehreren  Dörfern  (Kafidjo  links,  Haze  rechts)  vorbei  in  das 
grosse  von  Süden  nach  Norden  abfallende  Thal  von  Mogoreb, 
an  dessen  Strom  Mogoreib  wir  das  Mittagslager  nehmen.  Das 
Thal  ist  etwa  anderthalb  Stunden  breit,  ganz  eben,  ohne  Stein 
und  Hügel,  Alluvialland,  mit  schönen  Feldern  bedeckt.  Wir 
haben  uns  gegenüber  im  Westen  am  Fusse  eines  Berges  das 
Dorf  Mahou.  Im  Süden  ist  das  Thal  von  dem  Höhenzug 
acht  Stunden  weit  von  Eimasa  beschränkt;  im  Norden  öffnet 
es  sich  in  das  freie  Barka,  dem  es  sein  Wasser  zuschickt. 
Hier  wird  viel  Durra,  Duchn  und  auch  etwas  Baumwolle  ge- 
pflanzt. Die  ganze  Ebene  hat  durchaus  das  Aussehen  des 
Barka,  schön  gefärbt  von  dem  getrockneten  niederliegenden 
gelben  Heu.  Wit  lagern^  an  den  Brunnen  (Elefeno),  die  ziem- 
lich tief  in  den  Torrent  gegraben  sind,  unter  Dumpalmen ,  die 
sehr  häufig  sind  und  immer  nur  den  Strombetten  nach  vor- 
kommen. Wir  finden  zahlreiche  Heerden  von  Mogoreb,  die 
hier  getränkt  werden.  Die  Herren  derselben  laden  uns  ein, 
die  Nacht  in  dem  nahegelegenen  Dorf  mit  ihnen  zuzubringen, 
was  mr  ablehnen  müssen.  Die  Leute  benehmen  sich  sehr 
artig  gegen  uns;  es  that  uns  sehr  leid,  einige  Tage  später 
hören  zu  müssen,  der  Heerzug  von  Adiabo  habe  sich  hierher 
gewandt  und  alle  die  schönen  Dörfer  verbrannt  und  die  gast- 
lichen Heerden  weggeraubt.  Wir  brechen  von  Elefeno  der 
grossen  Hitze  wegen  erst  gegen  Abend  auf;  wir  lassen  den 
nach  Nordost  laufenden  Torrent  rechts  und  treten  zwischen 
kleinen  Bergen  durch  in  die  grosse  Ebene  Serobeti  hinaus  zu 
einem  Torrent  Boka,  der  auch  mit  dem  Mogoreib  sich  ver- 
einigt und  zeit-  und  stellenweise  Wasser  hält.  Wir  hatten 
rechts  von  uns  den  grossen  breiten  Berg,  der,  von  Bisha  über 


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430  Reite  durch  das  Land  der  Knnäma. 

Ametta  westlich  sich  ausstreckend,  das  Thal  Mogoreb  von 
Osten  einschränkt.  Links  lassen  wir  den  Berg  und  das  Thal 
von  Az  Negeb,  das  auch  zum  Mogoreb  gehört.  Der  ganze 
Weg  war  mit  Domenwald  und  hohem  Gras  bedeckt,  ohne 
Fels,  fast  ohne  Unebenheit,  der  Lehmboden  hier  und  da  mit 
Quarztrümmern  bedeckt.  Trotz  des  bedeckten  Himmels  ist 
die  Nacht  sehr  kalt. 

Den  10.  December  verlassen  wir  die  Ebene  Serobeti,  die 
sich  nordwärts  dem  Barka  zuneigt  und  steigen  schräg  über 
die  vom  Plateau  von  Algeden  sich  abdachenden  Hügelreihen 
in  den  Strom  von  Taura  hinab,  wo  sich  der  Weg  von  Bisba 
her  vereinigt.  Wir  verfolgen  ihn  aufwärts  bis  zu  einer  Schlucht, 
wo  sich  im  Fels  linksab  vom  Wege  Wasser  findet.  Das  Gestein 
dieses  engen  Thaies  ist  Thonschiefer;  es  ist  mit  Wonsa  (Auhe)y 
Tamrix  und  Nebek  dicht  besetzt.  Der  sißit  Elefeno  durch- 
zogene Strich  ist  sehr  fruchtbar,  aber  ganz  unbewohiit  und 
als  Grenze  zwischen  den  Barea  und  Beni  Amer'n  sehr  grfäfar- 
lich;  daher  wird  das  schöne  Heu  von  Serobeti  selten  abge- 
weidet. -   .. . 

Nachmittags  steigen  wir  den  langen  aber  nicht  sehr  steilen, 
felsigen  Abhang  des  Tanratorrent  entlang  zum  Plateau  von 
Algeden  hinauf  in  eine  schöne  Ebene,  die  zu  Oria  gehörig  ihr 
Wasser  dem  südlichen  Mareb  (Gash)  zuschickt  und  im  Westen 
von  dem  Berg  Dablot  begrenzt  ist.  Ein  kleiner  Sattel  führt 
uns  an  seinem  westlichen  Fuss  zum  Dorf  Algeden. 

Wir  benutzten  unsem  Aufenthalt  zur  Besteigung  des  Dablot 
und  zu  einem  südlichen  Abstecher  nach  dem  Mareb  (jetit 
Gash),  wobei  wir  auf  der  Rückkehr  Elit,  das  letzte  Dorf  der 
Bazen  am  rechten  Gashufer,  besuchten.  Wir  wurden  von 
unserem  alten  Bekannten,  Mohammed  Nur,  dem  alten  aber 
sehr  rüstigen  Sheich  des  Dorfes,  empfemgen;  wir  konnten  uns 
über  ihn  gar  nicht  beklagen,  doch  fiel  mir  auf,  dass  in  dieser 
Gegend  die  religiöse  Intoleranz  jährlich  zunimmt  Man  muss 
freilich  bedenken,  dass  Algeden  ein  Grenzort  gegen  die  heid- 
nischen Bazen  ist  und  sehr  nahe  am  christlichen  Abjssinien 


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Reise  duröh  das  Land  der  Kon&ma.  431 

liegt;  so  dürfen  sich  die  Muslim  hier  wohl  noch  als  kämpfende 
Kirche  betrachten  und  selbst  der  uns  sonst  sehr  freundschaft- 
lich behandelnde  Sheich  Mohammed  Nur  bestrebte  sich,  uns 
gegenüber  sogar  seine  Verachtung  der  Ungläubigen  an's  Licht 
zu  stellen.  Er  kam  mit  Affeetation  immer  auf  die  religiösen 
Controversen,  was  mir,  dem  es  um  geographische  Kenntnisse 
zu  thun  war,  ungelegen  kam,  wenn  ich  auch  nicht  verschmähe, 
mit  einem  Schriftgelehrten  zu  disputiren,  wo  man  wenigstens- 
Arabisch  lernen  kann.  Diese  Intoleranz,  die  man  uns  gegen- 
über entwickelt,  wird  gepflegt  durch  die  grossen  reisenden 
Sheichs,  die  zeitweise  von  Mekka  ausgehend  das  Land  predi- 
gend durchwandern  und  den  Glauben  neu  beleben.  Dieses  Jahr 
war  es  der  Gouverneur  der  Provinz  Taka,  Hassan  Bei,  selbst 
gewesen,  der  schon  im  Interesse  der  ägyptischen  Herrschaft 
im  Sudan  die  Gläubigen  zur  Einheit  ermahnte;  denn  die  Abys- 
sinier  griffen  immer  mehr  in  die  Politik  des  Niederlandes  ein 
und  sprachen  deutlich  ihre  Absicht  aus,  sich  auch  den  Sudan 
zu  erobern.  Ich  konnte  aber  wohl  bemerken,  dass  Mohammed 
Nur  den  Türken  nicht  sehr  gewogen  war  und  vielleicht  die 
Abyssinier  ihnen  vorgezogen  hätte.  Wenigstens  stand  er  mit 
Adiabo  in  freundlichem  Verkehr.  Wir  wollen  übrigens  unsern 
späteren  Betrachtungen  nicht  vorgreifen.  Hassan  Bei  war  den 
Tag  vor  unserer  Ankunft  nach  Tsaga  zu  den  Beni  Amer'n  ab- 
gegangen; hier  hatte  er  den  Tribut  von  2573  Thalem  erhoben, 
welcher  auf  die  Zahl  der  Felder  berechnet  ist. 

Mohammed  Nur  erzählte  uns  viel  von  den  Raubzügen,  die 
Algeden  und  Sabderat  gemeinschaftlich  gegen  die  Bazen  unter- 
nehmen; seit  die  letztern  aber  unter  dem  Schutz  von  Adiabo 
stehen,  dessen  Name  im  Niederland  sehr  gefürchtet  ist,  hat 
dieser  Krieg  ziemlich  aufgehört.  Auf  meine  Frage,  was  denn 
die  Bazen  verbrochen  hätten,  hatte  Mohammed  Nur  die  ge- 
nügende Antwort,  sie  wollten  ihnen  weder  Tribut  zahlen,  noch 
sich  bekehren. 

Trotz  unserer  vielen  Nachfragen  konnten  wir  nicht  genau 
erfahren,  woraus  eigentlich  die  Bevölkerung^» von  Algeden  be- 


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432  Reise  üurch  das  Land  der  Kanäuia. 

stehe.  Der  Stamm  Algeden  wohnt  in  zwei  Dörfern,  das 
grössere  heisst  Algeden  nach  dem  Stamme,  theiH  sich  aber  in 
vier  besondere  Niederlassungen: 

1)  Haramata,  von  Homran  und  Haflfara  bewohnt, 

2)  Eliti,  von  Elit-Bazen  bewohnt, 

3)  Gellabat,  von  andern  Bazen  bewohnt, 

4)  Balot,  von  Belou  bewohnt. 

Das  zweite  kleinere  Dorf  heisst  Bintana  und  liegt  auf  der 
hintern  Seite  des  Dablot.  Jedenfalls  bilden  den  Kern  der  Be- 
völkerung Bazen,  die  aber  schon  seit  lange  islamitisirt  sind; 
darauf  deutet  die  Gemeindeverfassung,  die  keine  Aristokratie 
kennt  und  keine  Unterthanen.  Auch  soll  es  noch  vor  kurzem 
Regenmacher  (Alfei)  hier  gegeben  haben.  Zu  dieser  Urbe- 
völkerung kamen  die  Niedergelassenen.  Einige  behaupten  nun, 
Algeden  sei  ein  eigener  Stammname  und  ihre  Verwandtschaft 
mit  den  Belou  komme  nur  von  mütterlicher  Seite  her.  Die 
Homran  gehören  zu  den  Shukrie,  die  wahrscheinlich  Araber 
sind;  die  Haffara  dagegen  sind  Kelou,  die  alte  Einwohner  des 
Landes  sind  und  vom  Nil  bis  zum  Meer  sich  noch  in  spär- 
lichen Resten  erhalten  haben.  So  ist  Algeden  höchst  wahr- 
scheinlich eine  Niederlassung  der  Bazen,  vermischt  mit  vielen 
Eingewanderten  und  mit  den  Nachbarn  verschwägert.  Sie 
sind  alle  eifrige  Mohammedaner  und  sprechen  Tigre.  Sie  sind 
tapfer,  gewandte  Reiter,  gastfreundlich,  haben  viel  schöne 
Heerden  und  treiben  Ackerbau;  ihre  Pflanzungen  liegen  nörd- 
lich gegen  Hauasheit,  dann  westlich  bis  Aradeb  und  südlich 
in  der  Ebene  On  bis  fast  nach  Elit;  sie  bauen  auch  viel  Sesam 
und  Baumwolle,  welche  letztere  im  Dorfe  gewoben  wird.  Die 
Häuser  sind  Thuql  und  reichen  zwischen  den  Felsblöcken  an- 
genistet bis  hoch  an  den  Berg  hinauf. 

Den  12.  December  bestieg  ich  den  dem  Dorfe  unmittelbar 
anliegenden  Berg  Dablot ,  der  wenigstens  1000  Fuss  über  der 
Ebene  sich  erhebt,  um  gegen  den  Berg  von  Kassala  hin  einen 
freien  Blick  zu  gewinnen.  Wir  kt)unten  nur  mit  Lebensgefahr 
den  Gipfel  erklimmen;  einer  dabei  geholten  Erkältung  muss 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  433 

ich  wohl  die  Fieber  zuscJhreiben,  die  mich  nachher  so  hart- 
näckig verfolgten.  Ich  fühlte  mich  denselben  Tag  schon  un- 
wohl, aber  wir  Hessen  uns  deswegen  nicht  abhalten,  einen 
längstgehegten  Wunsch  zu  erfüllen  und  den  Mareb  und  das 
Bazendorf  Elit  zu  besuchen.  Mohammed  Nur  verstand  sich 
trotz  eines  Geschenkes  nur  ungern  dazu,  uns  dahin  zu  führen ; 
er  nahm  einen  seiner  Verwandten  mit,  um  für  ihn  und  uns 
zu  sorgen.  Wir  brachen  den  13.  fiüh  Morgens  auf.  Da  dem 
Dorfe  Algeden,  wo  es  nicht  dem  Dablot  anliegt,  Hügel  vor- 
liegen, mussten  wir  über  einen  Sattel  hinübersteigen,  um  in 
die  Ebene  On  zu  kommen,  mit  der  wir  schon  von  Taura  kom- 
mend bekannt  geworden  sind;  sie  erstreckt  sich  ganz  flach 
gegen  Süden  bis  zum  Mareb ,  dem  sie  ihre  Wasser  zuschickt. 
Sie  ist  links  von  dem  Bergzuge  beschränkt,  der  als  Fortsetzung 
des  Plateaus  von  Algeden  bis  nach  Eimasa  reicht  und  das 
tiefere  Barka  vom  Marebthal  scheidet,  rechts  aber  von  dem 
isolirten  Berge  von  Elit.  Es  ist  uns  nicht  möglich,  denselben 
Tag  zum  Mareb  zu  kommen,  da  die  grosse  Hitze  uns  sehr 
zusetzt.  Wir  übernachten  nach  achtstündigem  Marsch  durch 
die  schöne  Wildniss  neben  einem  Felsen,  in  dessen  Spalten 
sich  reichliches  Wasser  erhalten  hat.  Den  Tag  über  löschen 
wir  den  Durst  mit  Wasser,  das  sich  auf  den  Adansonien  sam- 
melt; einer  von  uns  besteigt  den  Baum,  füllt  den  Schlauch 
aus  der  Höhlung,  die  sich  gewöhnlich  bildet,  wo  die  Aeste 
sich  vom  Stamme  absondern  und  reicht  ihn  an  einem  Seile  uns 
hinab;  wir  hatten  den  Trost,  auf  diese  Weise  in  der  Mittags- 
hitze auch  unsere  geplagten  Maulthiere  tränken  zu  können. 

Den  14.  Morgens  gelangten  wir  nach  etwa  zweistündigem 
Marsch  zum  Mareb,  der  nun  Gash  heisst  und  sehr  breit  und 
offen  daliegt.  Wir  finden  Wasser  etwa  2  Fuss  unter  der 
Oberfläche  und  wenden  uns  nun  zur  Rückkehr,  indem  wir  uns 
etwas  westlich  halten,  dem  Berge  Elit  zu,  den  wir  in  drei 
Stunden  erreichen.  Der  Berg  Elit  bildet  ein  grosses,  inwen- 
dig hohles  Viereck,  das  sich  gegen  Norden   und  Süden   mit 

Munziug«r,  Ostarrik.  Studien.  28 


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434  Heise  durch  das  Land  der  Kon&ma. 

engen  Thoren  öflfnet.  Im  Innern  befindet  sich  eine  ziemlich 
grosse,  von  den  Elit  bebaute  Ebene. 

Das  Dorf  Elit  selbst  liegt  auf  der  Südseite  des  Berges,  auf 
seiner  halben  Höhe;  drei  sehr  steile  Aufgänge  führen  zu  ihm 
hinauf;  für  Pferde  ist  es  unmöglich,  zum  Dorfe  zu  kommen. 
Die  Häuser,  die  sich  von  denen  der  andern  Bazen  nicht  unter- 
scheiden, liegen  zwischen  den  Felsen  zerstreut.  Wir  wurden 
schon  am  Fusse  des  Berges  von  den  Einwohnern  sehr  fireund- 
lieh  empfangen  und  mit  Bier  bewirthet.  Dann  klonmien  wir 
den  Berg  hinauf  und  brachten  die  Nacht  in  dem  sehr  freund- 
lichen Dorfe  zu.  Ich  hatte  mich  schon  auf  dem  Wege  sehr 
unwohl  gefühlt,  aber  hier  hatte  ich  meinen  ersten  Fieber- 
anfall; deswegen  finde  ich  auch  bei  dieser  Stelle  mein  Tage- 
buch viel  unvollständiger,  als  ich  es  gewünscht  hätte. 

Die  Leute  von  Elit  gleichen  durchaus  den  andern  Bazen; 
sie  reden  die  gleiche  Sprache,  viele  verstehen  aber  auch  Tigre. 
Sie  sehen  ebenso  stark  und  fett  aus;  besonders  die  Frauen 
zeichnen  sich  durch  Schönheit  aus.  Eigenthümlich  ist  aber 
die  braune  Farbe  der  Zähne,  die  gewöhnlich  dem  häufigen 
Genuss  der  sauem  Adansoniafrucht  zugeschrieben  wird.  Die 
Elit  sind  den  andern  Bazen  immer  befreundet,  obgleich  sie 
wenig  gegenseitigen  Verkehr  haben.  Dagegen  stehen  sie  in 
viel  näheren  Beziehungen  zu  dem  benachbarten  Algeden ,  dem 
sie  so  zu  sagen  unterworfen  sind.  Sie  verfertigen  aus  dem 
Adansoniabast  hübsche  Stricke  und  Netze  und  bringen  sie  auf 
den  Markt  von  Algeden  zum  Verkauf;  ihre  Felder  befinden 
sich  meistens  gegen  den  Mareb  hin.  Wasser  findet  sich  in 
einer  Höhle  gerade  über  dem  Dorfe,  das  selten  ganz  ver- 
trocknet. Wir  wurden  mit  Brod,  Bier  und  Honig  gut  be- 
wirthet; es  that  mir  leid,  dass  das  Fieber  mich  hinderte,  mit 
den  Einwohnern  in  nähern  Verkehr  zu  treten  und  ihrer  Gast- 
lichkeit mehr  Ehre  anzuthun. 

Den  15.  kehrten  wir  im  Eilmarsch  nach  Algeden  zurück; 
das  Dorf  war  aber  wie  ausgestorben;  es  war  unterdessen  die 
Nachricht  gekommen,  dass  die  Adiabo  den  Gau  Mogoreb  ver- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kundma.  435 

wüstet  hätten.  Auf  diese  Kunde  hin  hatte  sich  fast  die  ganze 
Bevölkerung  des  Dorfes  in  die  Wildniss  geflüchtet;  wir  fanden 
in  dem  Dorfe  nur  wenige  Leute,  die  hier  blieben,  um  die  Hab- 
seligkeiten zu  hüten,  die  in  der  Eile  nicht  mitgenommen  wer- 
den konnten.  Wir  mussten  nun  schon  unserer  Sicherheit  wegen 
Kassala  zu  erreichen  suchen ;  mit  grosser  Mühe  fanden  wir 
ein  Kameel  und  einige  Begleiter.  Auf  dem  Wege  nach  Sab- 
derat  wurde  auch  Herr  Kinzelbach  wahrscheinlich  in  Folge 
eines  Sonnenstichs  heftig  krank;  auch  unser  einziger  Diener 
Din  war  seit  Algeden  von  Fieber  geplagt.  In  Sabderat  muss- 
ten wir  uns  einige  Tage  aufhalten,  da  wir  kein  Kameel  be- 
kommen konnten,  denn  auch  hier  hatte  sich  alles  vor  den 
Abyssiniem  in  die  Berge  geflüchtet.  Wir  ermangelten  jeder 
Pflege,  da  jeder  von  uns  für  sich  selber  zu  sorgen  hatte  und 
die  geängstigten  Dorfbewohner  Besseres  zu  thun  hatten,  als 
Christen  zu  pflegen.  -Ich  fürchte  fast,  dass  sie  uns  mit  ihren 
Feinden,  den  abyssinischen  Christen,  zusammenwarfen.  Mit 
Mühe  und  Noth  erreichten  wir  den  22.  December  Kassala  und 
fanden  in  dem  Hause  des  Herrn  Kozzika  wie  gewohnt  freund- 
liche Aufnahme, 


28* 


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Der  Mareb- 


Wir  hoffen  durch  unsere  Reise  den  Lauf  und  Stromcha- 
rakter des  Mareb  endgültig  festgestellt  zu  haben,  lieber  beides 
waren  die  Geographen  sehr  uneinig;  besonders  die  Identität 
desselben  mit  dem  Gash  war  unbewiesen  und  konnte  es  nur 
durch  eine  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma  werden.  Wir 
passirten  den  Mareb  zum  ersten  Male  bei  seiner  Quelle  (bei 
Az  Gebrei);  dann  zwischen  Kohein  und  Adiabo  bei  Arakebu 
am  nördlichen  Fuss  von  Medebei  Tabor,  zum  dritten  Male  bei 
Mai  Daro;  wir  traten  an  seine  Ufer  zum  vierten  Male  bei  Elit 
und  zum  fünften  Male'  bei  Kassala,  um  von  seinem  Stromge- 
biete über  die  Hauede  in  dasjenige  des  Atbara  üjberzugehen 
und  sowohl  die  geographische  Configuration  des  Bodens,  als 
die  Aussagen  aller  Eingebomen  bewiesen  uns,  dass  wir  es 
immer  mit  einem  und  demselben  Flusse  zu  thun  hatten. 

Der  Mareb  ist  seinem  abyssinischen  Laufe  nach  längst  be- 
kannt. Seine  Quelle  befindet  sich  etwas  über  dem  Dorfe  Az 
Gebrei  (unweit  von  Adi  Baro)  im  Hamasen.  Nachdem  er  als 
Bach  seine  Matten  durchzogen,  fällt  er  eine  halbe  Stunde 
östlich  vom  Dorfe  in  einen  Abgrund  oder  besser  gesagt:  wäh- 
rend er  in  seinem  ersten  Anfang  die  Ebene  durchfiiesst,  ge- 
lingt es  ihm  hier  sich  ein  tieferes  Thal  zu  bilden  und  dann 


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Reise  durch  das  Land  der  Kuoäma.  437 

erst  tritt  er  charakteristisch  in  die  Geographie  des  Landes 
ein.  Die  Abyssinier  sind  ako  nicht  im  Unrecht,  wenn  sie 
diesen  Punkt,  wo  er  als  Wasserfall  in  sein  eigenes  Thal  sich 
stürzt,  'Ain  Mareb  nennen,  da  er  erst  hier  selbstständig  auf- 
tritt. Der  Name  Mareb  gebührt  ihm  von  hier,  bis  wo  er,  zwi- 
schen dem  Dembelas  und  Adiabo  sich  hinauszwängend,  Abys- 
sinien  verlässt.  Sein  Name,  der  „Sonnenuntergang"  bezeich- 
net (vom  äthiopischen  Verb:  ^araba,  occidit  sol),  deutet  auf 
seinen  endgültigen  Lauf  und  beweist,  dass  die  Abyssinier  ihn 
nicht  misskannten.  Wie  er  nun  um  sich  selber  eine  Spirale 
bildet,  die  sich  erst  bei  Oundet  aufwickelt,  brauchen  wir  nicht 
zu  beschreiben,  da  ihn  schon  die  portugiesischen  Missionäre 
bestimmt  haben.  Er  gräbt  sich  ein  sehr  tiefes  Thal  und  trennt 
60  von  seiner  Quelle  an  das  nördlichere  Hamasen  vom  Gau 
Loggon;  dann  sich  eher  südlich  wendend,  schneidet  er  das 
südliche  Hamasen  und  das  sich  ihm  anschliessende  Sarae  von 
dem  Gau  Saher  und  ihrer  Fortsetzung,  dem  Okulekusei,  ab 
und  wo  er,  sich  wieder  nach  Westen  und  Nordwesten  wendend, 
auf  sich  selbst  zurückkehrt,  trennt  er  das  Sarae  und  seinen 
Ausläufer,  die  Qolla  Sarae,  von  dem  Tigre  und  seiner  nord- 
westlichen Fortsetzung,  dem  Shire  und  Adiabo.  Man  kann 
diese  erste  Partie  seinen  Oberlauf  nennen;  seine  Grenze  ist 
zwischen  Eohein  (Mai  Gor§o)  und  Adiabo:  bis  hierher  gehört 
er  zu  Hochabyssinien  und  trennt  scharf  und  tief  sich  einwüh- 
lend seine  Ufergebiete,  er  ist  so  lange  ein  Waldstrom  und  ein 
eigentlicher  Fluss,  denn  so  lange  hat  er  beständig  fliessendes 
oberflächliches  Wasser.  Wir  fanden  ihn  bei  Arakebu  nur  den 
fünften  Theil  seines  Bettes  mit  Wasser  füllend;  nur  in  der 
Regenzeit  nimmt  er  seine  ganze  Breite  ein. 

Von  Arakebu  nordwärts  gehend,  verändert  der  Mareb 
seinen  Gebirgscharakter;  er  tritt  in  das  Land  der  Eunama 
ein  und  da  hier  das  Hochgebirge  entschieden  gegen  Norden 
abfällt,  so  nähert  sich  der  Mareb  immer  mehr  dem  Niveau 
seines  Uferlandes.  Während  er  also  im  Anfang -seines  Mit- 
tellaufes die  Abfälle  von  Adiabo  von  der  Qolla  Sarae  noch 


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438  Heise  durch  das  Land  der  Kunama. 

entschieden  trennt,  wird  er  in  seiner  untern  Fortsetzung  sei- 
nem Uferlande  assimilirt  und  da  trennt  er  nicht  mehr,  sondern 
er  begleitet  nur  und  verliert  so  sein  Thal;  er  hört  auf,  die 
Geographie  des  Landes  zu  machen.  Was  nun  seinen  Lauf 
betrifft,  so  kann  ihn  nur  die  Karte  deutlich  machen;  hervor- 
zuheben ist  nur,  dass  er,  anstatt  nun  das  Land  durchbrechend 
consequent  zum  Barka  abzufallen,  sich  gegen  Westen  und  so- 
gar Südwesten  wendet  und  sich  langsam  einen  Weg  in's  Nie- 
derland sucht.  Wir  nennen  nun  seinen  Mittellauf  die  Strecke, 
solange  er  im  Lande  der  Kunama  bleibt,  also  von  unter  Ara- 
kebu  bis  etwas  unter  Elit;  so  lange  heisst  er  Sona.  Auch 
sein  Flusscharakter  wird  im  Mittellailf  ein  ganz  anderer:  er 
ist  nicht  mehr  der  abyssinische  Waldstrom;  er  wird  aber 
deswegen  auch  nicht  Torrent  in  der  Weise  des  Anseba  oder 
des  Barka;  er  bildet  ein  Mittelding,  das  Erläuterung  verlangt. 

Wir  lernten  bisher  in  Afrika  die  Wasser  unter  zwei  For- 
men sich  weiterbewegen;  erlaubt  es  ihnen  ihre  Quantität  und 
die  Dichtigkeit  des  Bodens,  so  fliesst  das  Wasser,  auf  der 
Oberfläche  seines  Bettes  zu  Tage  tretend;  es  bildet  eine  fort- 
laufende Linie,  die  wir  gewöhnlich  Fluss  nennen.  In  Europa 
ist  diese  Form  die  häufigste,  in  Afrika  dagegen  kommt  sie 
viel  seltener  vor. 

Wo  aber  der  Boden  das  Wasser  nicht  an  der  Oberfläche 
halten  kann,  wo  das  durchsickernde  Wasser  erst  spät  auf 
einer  festen  Schicht  Widerstand  findet,  da  zeigt  sich  uns  der 
Strom  als  Torrent,  d.  h.  es  erscheint  ein  Sandbett,  das  nur 
zur  Regenzeit  überfluthet  wird  und  das  ganze  übrige  Jahr 
scheinbar  trocken  daliegt,  weil  der  Wasserstrom  unterirdisch 
sich  fortzieht.  Beweis  dafür  ist,  dass  für  je  einen  Strom 
überall  in  gleicher  Tiefe  Wasser  gefunden  wird;  könnte  man 
den  Sand  entfernen,  so  würde  sich  ein  fortlaufender  Fluss  den 
Augen  darstellen,  der  sich  sehr  tief  gehöhlt  hat.  Da  aber 
die  Strömung  nur  im  abschüssigen  Gebirge  die  Triebkraft  hat, 
den  Sand  fortzuschleppen,  so  kann  dieser  letztere  als  Bett 
erst  da  auftreten,  wo  der  Fluss   in  der  Ebene   hinläuft   und 


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Reise  durch  das  Land  der  Eunama.  439 

den  Wasserstrom  bedecken.  Hier  kann  er  nun  immerbin  den 
Thon  im  Wasser  aufgelöst  forttragen,  während  der  Quarz  und 
die  andern  krystallinischen  Bestandtheile  liegen  bleiben.  Doch 
ist  auch  der  Sand  in  Bewegung,  die  aber  mit  der  Wasser- 
strömung nicht  Schritt  hält  und  so  zurückbleiben  und  sich 
ansetzen  muss. 

Es  hängt  nun  natürlich  von  der  Bodenstructur  ab,  wie  tief 
der  Wasserspiegel  unter  dem  Sandspiegel  sich  befindet.  Wo 
das  Terrain  sehr  abschüssig  ist,  wird  wenig  Wasser  von  der 
Erde  absorbirt  werden  und  so  wird  der  unterirdische  Strom 
fast  ohne  Nahrung  ^bleiben  und  selbst  ganz  versiegen.  Diess 
haben  wir  im  Gau  Kohein  beobachten  können.  Wo  aber  der 
Boden  mehr  eben  geworden  und  von  dem  Regen-  und  Fluss- 
wasser seinen  Theil  absorbirt,  da  wird  es  von  der  Tiefe  der 
undurchdringlichen  Thonschicht  abhängen,  wo  die  Strömung 
sich  findet.  Deswegen  finden  wir  sehr  unterschiedliche  Tiefen; 
beim  Anseba  z.  B.  strömt  das  Wasser  fast  das  ganze  Jahr 
etwa  6  Fuss  tief  unter  dem  Sande,  während  der  Barka  durch- 
schnittlich erst  20  Fuss  unter  der  Oberfläche  Wasser  zeigt. 
Es  ist  natürlich,  dass  diese  unterirdische  Strömung  immer 
tiefer  sinkt,  je  weniger  Wasser  im  Strome  vorhanden  ist, 
d.  h.  je  trockener  die  Jahreszeit  ist;  den  tiefsten  Stand  er- 
reicht sie  unmittelbar  vor  der  Regenzeit.  Nun  fallen  die 
ersten  Regen  und  vermehren  nach  und  nach  die  Wassermenge 
so,  dass  sie  bis  auf  das  Niveau  des  Sandspiegels  hinaufdringt 
imd  endlich  einen  oberflächlichen  Fluss  bilden  kann;  deim 
zuerst  muss  das  Sandbett  mit  Wasser  ausgefüllt  werden,  bevor 
ein  zu  Tage  tretender  Strom  entstehen  kann.  Wir  fanden 
nicht  für  überflüssig,  uns  so  über  den  Charakter  des  Tor- 
rent  zu  verbreiten,  weil  man  sich  in  Europa  gewöhnlich 
einen  sehr  irrigen  Begriff  von  dem  afrikanischen  Stromleben 
macht;  wir  wollen  hier  nur  andeuten,  wie  zweckmässig  es 
wäre,  auch  auf  den  Karten  die  verschiedenen  Stromformen, 
durch  Farben  z.  B.,  zu  unterscheiden,  sodass  nur  der  wirk- 
liche Fluss  blau,  der  Torrent   aber   gelb   gezeichnet   würde. 


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440  Reise  durch  dae  Land  der  'Eunima. 

Erst  jetzt  können  wir  uns  den  besondern  Charakter  des  Ma- 
reb-Mittellaufes  verdeutlichen. 

Der  Mareb  in  seinem  Mittellaufe  mit  seinen  Zuflüssen  zeigt 
uns  nun  die  Wasserströmung  in  einer  dritten  Form,  einem 
Mittelding  zwischen  Fluss  und  Torrent,  und  diesen  Charakter 
verliert  er  erst  in  seinem  Unterlaufe  in  der  Landschaft  Taka. 
Abgesehen  von  der  Regenzeit,  wo  er  natürlich  regelmässiger 
Fluss  wird,  also  vom  Juli  bis  September,  zeigt  er  sich  als 
Torrent,  auf  eine  Weise  aber,  dass  das  Sandbett  hier  und  da 
von  Teichen  unterbrochen  wird,  wo  das  Wasser  für  kurze 
Zeit  an  die  Oberfläche  hinausquillt.  Daher  rührt  die  Sage, 
die  schon  auf  des  Jesuiten  Lobo  Karte  sich  findet,  der  Mareb 
verliere  sich  im  Lande  der  Shangalla  (Kunama),  um  später 
wieder  zum  Vorschein  zu  kommen.  Diese  Sage,  die  richtig 
verstanden  nicht  unwahr  ist,  blieb  falsöh,  solange  man  sich 
unter  dem  Mareb  einen  Fluss  im  europäischen  Sinn  des  Wor- 
tes vorstellte,  wo  also  der  Wasserstrom  unter  irgend  einem 
Felsen  durch  verschwinden  konnte.  Der  richtige  Sinn  der 
Sage,  wie  wir  ihn  durch  eigene  Anschauung  erkannten,  ist, 
dass  der  Mareb  in  seinem  Mittellaufe  nicht  mehr  einen  con- 
tinuirlichen  Fluss  bilden  kann:  1)  weil  ihm  seine  Uferländer, 
die  weniger  Regen  haben  als  das  abyssinische  Hochland,  nicht 
mehr  so  viel  Wasser  zuführen;  2)  weil  die  grössere  Hitze  mehr 
Wasser  verdunstet;  3)  weil  die  wasserdichte  Thonschicht  tiefer 
liegt,  als  im  eigentlichen  Abyssinien.  So  würde  er  zu  einem 
Torrent,  wie  es  der  Anseba  und  Barka  auch  sind.  Da  aber 
das  Land  der  Kunama  eine  viel  festere  Bodengestaltung  hat, 
als  die  Tiefländer  des  Anseba  und  Barka,  die  meist  aus  Granit- 
schutt bestehen,  so  kann  er  sich  kein  so  regelmässiges  Bett 
graben;  oft  treten  Felsen  hemmend  in  den  Weg  oder  schief 
entgegenliegende  Schieferlager  treiben  das  Wasser  an  die  Ober- 
fläche, ohne  ihm  das  Weiterfliessen  zu  gestatten,  ganz,  nach 
Art  artesischer  Brunnen,  und  so  finden  sich  sehr  häufig  Quell- 
teiche lebendigen  Wassers,  welche  die  Monotonie  des  trockenen 
Sandbettes  erfreulich  unterbrechen. 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunima.  441 

Diese  Eigenschaft  theilt  der  Mareb  natürlich  auch  mit 
seinen  Zuflüssen  von  der  linken  Seite,  da  sie  geologisch  ihm 
gleichgestellt  sind.  Alle  die  Zuflüsse,  die  wir  von  Adiabo  bis 
Mai  Daro  überschritten,  sind  solche  Halbtorrente,  in  denen  sich 
von  Zeit  zu  Zeit  grosse  oder  kleine  Teiche  mit  perennirendem 
Wasser  finden.  Sie  haben  alle  ein  sehr  unbedeutendes  Bett, 
da  sie  von  Westen  nach  Osten  gehen,  während  der  Boden 
von  Süden  nach  Norden  abfällt  und  da  der  Thonschiefer  ihnen 
nicht  erlaubt,  sich  nach  Belieben  auszudehnen.  Man  weiss 
oft  sogar  nicht,  nach  welcher  Seite  hin  diess  der  Fall  ist,  so 
mühsam  streiten  sie  sich  mit  dem  zäh  wderstrebenden  Boden. 
Dieser  Reichthum  an  Teichen  macht  das  Land  der  Kunäma 
sehr  wasserreich,  weil  an  solchen  Stellen  oft  ein  sehr  grosses 
Wasserquantum  an  den  Tag  tritt. 

Der  Mareb  behält  diesen  Charakter  während  seines  ganzen 
Mittellaufs;  wo  die  Thonschicht  horizontal  mit  der  Oberfläche 
fortläuft,  zeigt  er  sich  als  Torrent  und  diess  ist  die  Regel, 
während  die  Teiche  von  der  Unregelmässigkeit  des  Bodens 
herrühren. 

Von  Medebei  Tabor  bis  Mai  Daro,  wo  wir  wieder  auf  den 
Mareb  stossen,  soll  er  ein  sehr  sandiges  offenes  Bett  haben, 
ohne  von  Felsen  viel  unterbrochen  zu  sein  oder  wie  im  Ober- 
lauf viel  Geröll  zu  führen;  doch  treten  schon  hier  und  da 
Teiche  an  die  Oberfläche.  Bei  Mai  Daro,  wo  vär  den  Mareb 
überschritten,  fanden  wir  ihn  als  Torrent  mit  untiefem  Wasser- 
spiegel und  ebenso  bei  Elit.  Die  Teiche  sind  aber  auf  dieser 
Strecke  sehr  häufig  und  bedeutend  gross  und  man  bringt 
daraus  grosse  Fische  bis  nach  Kassala  auf  den  Markt. 

Es  ist  natürlich,  dass  der  Mareb  die  grossen  Beugungen 
macht,  die  auf  der  Karte  angegeben  sind,  da  er  sich  nicht 
nach  Belieben  durch  den  Schiefer  Bahn  brechen  kann,  son- 
dern ihm  nachgeben  muss;  er  ist  auch  darin  ganz  verschieden 
von  dem  Anseba,  der  lejcht  die  Granitberge  durchbricht.  Wo 
er  aber  als  Unterlauf  unter  dem  Namen  Gash  in  die  freie 
Ebene  von  Taka  hinaustritt,  wird  er  regelmässiger  und  ver- 


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442  Reise  durch  das  Land  der  Konima. 

ändert  von  Neuem  seinen  Charakter.  Bevor  wir  ihn  nun 
weiter  verfolgen  wollen,  müssen  wir  einige  Worte  über  die 
Identität  des  Mareb  mit  dem  Gash  einschalten. 

In  einer  frühem,  von  Hm.  Maltebrun  publicirten  Arbeit 
haben  wir  die  Identität  a  priori  behauptet  aus  Gründen,  die 
auch  jetzt  noch  gelten.  Wie  nämlich  aus  Hrn.  Petermann's 
Karte  ersichtlich  ist,  waren  die  Geographen  über  diesen  Punkt 
gar  nicht  einig;  die  einen  liessen  ihn  sogar  in  der  Nähe  von 
Dorkutan  in  den  Takkaze  fallen.  Ich  kann  mir  diese  Angabe 
nur  daraus  erklären,  dass  der  Mareb  unter  Mai  Daro  wirklich 
bedeutend  nach  Süden  sich  wendet  und  ihre  Gewährsleute 
Abyssinier  waren.  Die  meisten  aber  brachten  ihn  nach  Taka 
hinunter.  Ich  schloss  mich  dieser  Ansicht  aus  folgenden  Grün- 
den an. 

Die  grossen  Ströme  von  Nordabyssinien  sind  der  Anseba 
und  der  Barka,  deren  Quelle  und  Lauf  weithin  uns  bekannt 
sind  und  dann  der  Atbara,  dessen  westlicher  Zufluss  der 
Takkaze  ist.  Woher  sollte  der  Gash  kommen,  den  wir  schon 
damals,  aus  dem  Lande  der  Kunäma  tretend,  kannten,  so  räson- 
nirten  wir.  Seit  dieser  Zeit  nun  haben  wir  den  Mareb  bis 
Mai  Daro  als  einen  Fluss  constatirt  und  hier  unter  dem  Namen 
Sona  passirt.  Wir  sehen  ihn  von  da  südlich  nach  Anal  sich 
wenden;  wir  finden  den  Sona  von  Neuem  an  Eimasa  und  an 
Elit  vorüberziehend,  wo  er  zum  Gash  wird.  Die  Identität  kann 
also  kaum  angefochten  werden.  Zudem  sind  nun  die  Kunäma 
oder  Bazen  selbst  gewiss  die  besten  Kenner  ihres  Flusses 
und  alle  ohne  Ausnahme  erklärten  sie,  der  Sona  von  Mai 
Daro  und  Elit  sei  derselbe  Strom.  Auch  die  Algeden  bewiesen 
den  Zusammenhang,  indem  sie  oft  von  Elit  den  Strom  hinauf- 
gehend die  Dörfer  von  Mai  Daro  verwüstet  haben.  Ebenso 
haben  die  Soldaten  von  Adiabo  den  Mareb  hinabziehend  die 
Hadendoa  bei  Elit  überfallen. 

Wer  nun  noch  Zweifel  hegen  möchte,  den  sollten  wir 
fragen,  wo  nun  eigentlich  der  Strom  Gash,  der  von  Elit  ab* 
wärts  uns  vollständig  bekannt  ist,  herkommen  kann,  wenn  er 


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Heise  durch  das  Land  der  Kunama.  443 

nicht  die  Fortsetzung  des  Mareb-Sona  ist,  den  wir  bis  Anal 
zusammenhängend  kennen? 

Eine  andere  Frage  aber  ist,  bis  wohin  sich  der  Unterlauf 
des  Mareb  fortziehe.  Der  Mareb  heisst  nämlich  von  Elit  ab- 
wärts Gash  (so  lautet  seine  Aussprache  und  nicht  Qash,  da 
das  arabische  (Jf,  q  nichts  mit  dem  Namen  zu  thun  hat).*) 
Aus  dem  abschüssigen  Bergland  der  Kunama  tritt  er  in  die 
grosse  Ebene  Taka,  der  er  so  nothwendig  ist,  wie  der  Nil 
Aegypten.  Sein  Unterlauf  durchströmt  nun  ein  Flachland, 
das  wohl  als  Anschwemmung  von  ihm  selbst  gebildet  worden 
ist.  Denn  das  Land  Taka  zeigt  sich  als  eine  dem  Gash  flach 
anliegende  steinlose  Ebene.  Einzelne  Berge  freilich  springen 
hier  und  da  hervor  und  unterbrechen  die  Einförmigkeit,  aber 
als  blosse  Ausnahmen  bilden  sie  keine  Gebirgslandschaft  mehr. 
Der  Gash  verliert  daher  auch  seinen  frühern  Charakter,  er 
wird  nach  und  nach  förmlich  Torrent;  in  der  Ebene  strömt 
er  nur  in  der  Regenzeit  überirdisch.  Die  Teiche  verschwin- 
den; in  der  trockenen  Zeit  findet  man  untief  unter  dem  Sande 
eine  reichliche  überirdische  Strömung.  Er  tritt  schon  bei 
Kassala  sehr  nahe  an  den  Atbara  hinan  und  es  fragt  sich, 
was  bei  seiner  beständigen  Neigung  gegen  Westen  die  Ver- 
einigung so  lange  hindere  und  ob  er  sich  überhaupt  mit  ihm 
vereinige. 

Bei  meinem  ersten  Aufenthalt  in  Kassala  konnte  ich  dar- 
über nicht  klar  werden;  gewiss  konnte  ich  erfahren,  dass  er 
sich  noch  sehr  weit  nördlich  fortziehe  und  es  war  Herrn  A.  de 
Courvars  Verdienst,  zuerst  erkannt  zu  haben,  dass  er,  wie 
er  sich  ausdrückt,  in  einem  Arme  in  den  Atbara  münde;  aber 
er  hätte  genauer  genommen  sagen  können,  dass  er  wenigstens 
darein  münden  könne. 

Der  Gash  geht  nämlich  von  Kassala  an  Ehret  vorbei  in 


*)  Der  Name  Gash,  der  eher  dem  Strome  zukommt,  als  dem  Strom- 
land, hat  mit  dem  arabischen  Worte  gesh  nichts  zu  thun.  Gesh  be- 
deutet Gras  und  hat  das  harte  sh. 


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444  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

das  Gebiet  der  Hadendoa  nordwärts,  parallel  mit  dem  Atbara, 
kaum  15  Stunden  von  ihm  entfernt.  Seinen  natürlichen  Lauf 
unterbrechen  zwei  Umstände,  vorerst  die  von  der  Natur  ge- 
bildete Wüste  El  Hauede,  dann  die  Kunst  des  Menschen. 

Die  Hauede  vorerst  legt  sich  etwas  erhaben  zwischen  die 
zwei  Flüsse  und  hindert  sehr  lange  ihr  Zusammenkommen. 
Die  Kunst  femer,  die  den  Gash  zur  Bewässerung  des  Landes 
benutzt,  vertheilt  seine  Wassermasse  und  hindert  ihr  Weiter- 
kommen. Von  Kassala  nordwärts  ist  nämlich  das  rechte  Ufer 
höher,  als  das  linke;  so  ist  es  möglich,  das  linke  Ufer  durch 
Hindernisse  unter  Wasser  zu  setzen,  während  das  rechte  Ufer 
schon  zu  hoch  liegt.  Die  Folge  davon  scheint  mir  zu  sein, 
dass  der  Gash,  der  bedeutenden  Schlamm  mit  sich  führt,  das 
linke  Ufer  damit  bereichert,  es  so  erhöht  und  vom  rechten 
Ufer,  das  nicht  überfluthet  werden  kann,  aber  dem  Wasser- 
drang  ausgesetzt  ist,  Stück  für  Stück  abreisst,  die  der  Strom 
weiter  nördlich  absetzt  oder  aber  dem  linken  Ufer,  über  das 
er  wegläuft,  schenkt.  Nothwendige  Folge  dieses  vielhundert- 
jährigen Processes  ist,  dass  das  linke  Ufer  immer  höher  zu 
liegen  kommt  und  je  femer  es  vom  Flusse  ist,  um  so  schwerer 
vom  Wasser  überströmt  werden  kann; dass  ferner  das  linke  Ufer 
immer  mehr  nach  Osten  weicht  und  das  Strombett  selbst 
sich  also  immer  mehr  rechtsab  vom  Atbara  entfernt.  Das 
links  vom  Strom  angesetzte  Land,  das  endlich  so  hoch  zu 
liegen  kommt,  dass  es  für  das  Wasser  nicht  mehr  erreichbar 
wird,,  muss  nothwendig  eine  Art  Steppe  fruchtbaren  aber 
wasserlosen  Bodens  abgeben.  Und  diess  ist  die  Hauede  durch- 
aus; sie  zeigt  gutes,  aber  unbewässertes  Land;  wenn  sie  Regen 
erhält,  erzeugt  sie  üppiges  Gras. 

Aus  diesen  Zuständen  wollen  wir  uns  erklären,  warum 
der  Gash  nicht  seiner  natürlichen  Richtung  nach  sich  dem 
Atbara  zuwendet.  Wir  müssen  uns  vorstellen,  dass  der  Gash 
in  alter  Zeit  direct  dem  Atbara  zufloss,  sich  aber  nach  und 
nach  durch  Ablagerung  den  Weg  dahin  versperrte  und  vor 
dem  gegen  Westen  von  ihm  selbst  augelegten  Damm  rechts  ab- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma.  445 

m 
weichen  mnsste.  Je  weiter  die  Ablagerung  ging,  um  so  mehr 
verlängert  sich  der  Damm  zwischen  beiden  Flüssen  und  dieser 
Damm  ist  die  Hauede,  die  sich  immer  mehr  ausstrecken  muss, 
sodass  es  am  Ende  dem  Gash  unmöglich  werden  muss,  sich 
dem  Atbara  wieder  zu  nähern.  So  suchen  wir  uns  die  Gegen- 
wart der  Hauede  zu  erklären. 

Nun  tritt  aber  ein  anderes  Moment  hinzu.  Der  G^sh  wird 
eben  nicht  nur  seitwärts  ablagern,  sondern  auch  vorwärts. 
Er  wird  also  auch  nicht  mehr  nordwärts  gehen  können  und 
muss  deswegen  immer  östlicher  abzulaufen  suchen.  Da  nun 
in  Folge  der  menschlichen  Kunst  der  ohnehin  sanftere  Lauf 
des  Stromes  gehemmt  ist  und  so  die  linke  Uferebene  den  her- 
beigeführten Schlamm  zum  grössten  Theil  für  sich  behalten 
kann,  so  wird  sie  sich  sehr  schnell  erheben,  während  wenig 
Schlamm  übrig  sein  wird,  um  den  nordwärts  angesetzten 
Damm  zu  erhöhen;  auch  arbeitet  der  Wasserzug  energischer 
gerade  vor  sich  hin,  als  auf  die  Seiten.  Deswegen  wird  der 
nördliche  Damm  nur  langsam  sich  erheben  können  und  es 
wird  dem  Hochwasser  noch  lange  möglich  sein,  ihn  zu  über- 
schreiten.   Diess  ist  nun  auch  in  der  Wirklichkeit  der  Fall. 

Der  Gash  wird  nämlich  auf  seinem  linken  Ufer  durch 
künstliche  Dämme  zur  Ueberschwemmung  gebracht  (die  Breite 
der  überschwemmten  Ebene  fanden  wir  durchschnittlich  andert- 
halb Stunden).  Seine  Anwohner  sind  die  Hallenga,  die  Ser 
golab  und  die  Hadendoa,  im  Verein  mit  den  gemischten  Ein- 
wohnern von  Kassala.  Unter  Aufsicht  der  Regierung  errichten 
sie  dem  ganzen  Laufe  nach  von  oberhalb  Kassala  an  künst- 
Eche  Stromwehren  (Djisr),  die,  den  Wasserstrom  hemimend, 
ihn  auf  das  flache  Land  ableiten.  Diess  geschieht  vom  Monat 
August  an,  wo  der  Strom  regelmässig  zu  fliessen  anfängt.  Er  * 
bedeckt  das  Land  zwei  Monate  lang.  Sobald  er  zu  sinken 
anfängt,  trocknet  das  stagnirende  Wasser  aus;  wird  der  Boden 
endlich  betretbar  (November),  so  pflanzen  die  Leute  ihr  Durra 
auf  dieselbe  Art,  wie  bei  uns  Bohnen  gesetzt  werden.  Der 
üppige  Boden   und   die    heisse   Sonne    bringen    es   bald   zur 


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446  Reise  durch  das  Land  der  Kunima. 

schönsten  Eradte,  die  schon  im  Fehniar  stattfindet.  Der 
Gash  macht  also  das  Land  Taka  zu  einem  ungemein  frucht- 
hseren  Strich;  man  kann  sich  davon  einen  Begriff  maehen, 
wenn  man  weiss,  dass  in  guten  Jahren  die  Kameellast  in 
Kassala  nur  Vs  Thaler  kostet,  in  schlechten  Jahren  aber 
höchstens  V/2  ThaJer. 

D^r  Gash  wird  von  oberhalb  Kassala  (Hellet  Sherif)  bis 
Umbereb  gegenüber  Fsduk  von  den  Hadendoa  auf  diese  Manier 
zur  Cultur  benutzt;  so  weit  reicht  also  der  Winterstrom  in 
gewöhnlichen  Jahren  und  man  muss  sich  verwundem,  dass 
er  bei  der  Ableitung  so  weit  hin  gelangen  kann.  In  Jahren 
aber,  wo  in  Abyssinien  sehr  viel  Bogen  fällt,  ist  es  ihm  trotz 
allem  doch  noch  möglich,  sich  bis  zum  Atbara  Bahn  zu 
brechen;  doch  ist  diess  seit  zwanzig  Jahren  nicht  mehr  vor- 
gekommen und  wird  immer  seltener  werden.  Ueber  diesen 
Punkt  konnte  ich  mich  bei  meiner  Rückreise  von  Berber  nach 
Kassala  überzeugen,  nachdem  wir  schon  früher  von  Augen- 
zeugen berichtet  worden  waren.  Den  16.  August  1862  über- 
schritt ich  ein  kleines  Sandbett  ()y^j  Chor),  und  zwar  in  der 
Ebene  Suane  bei  Umm  Handel,  etwas  nördlich  von  dem 
Punkte,  den  Herr  v.  Courvsd  als  Mündung  bezeichnet  Diesen 
Ort  heissen  die  Hadendoa  Gash -da  (Gash -Mund)  und  bezeu- 
gen so  durch  das  lebendige  Wort  den  Ursprung.  Als  ferneres 
Zeugniss  stehen  hier  einige  Tamarisken  (Tarfa),  die  am  Gash 
von  Kassala  häufig,  sonst  nirgends  in  der  Umgegend  vorkom- 
men und  deren  Samen  nur  der  Wasserstrom  herbeiführen 
konnte.  Es  thut  nichts  zur  Sache,  dass  das  Sandbett  sehr 
klein  ist,  da  es  der  Fluss  nur  sehr  selten  erneuert  und  bei 
der  Ableitung  nie  eine  grosse  Wassermasse  hierher  gelangen 
*kann.  So  darf  der  Gash  kaum  als  ein  Zufluss  des  Atbara 
angesehen  werden,  da  er  ihm  nur  ausnahmsweise  Wasser  zu- 
führt und  jedenÜEÜls  in  sehr  geringer  Quantität.  Sein  Nutzen 
bleibt  also  ganz  der  Landschaft  Taka,  die  er  wohl  dreissig 
Stunden  lang  befruchtet.  Jedenfalls  bringt  er  dem  Lande  viel 
mehr  Gewinn,  als  der  bedeutendere  Atbara,  der  bei  den  meist 


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Reise  durch  das  Land  der  KuD&ma.  447 

hoheu   Ufern  wenig  zur  Ueberschwemmung    geeignet  ist;    an 
Fiebern  sind  sie  beide  reich  genug,  besonders  der  Gash. 

Die  Zuflüsse  des  Gash  brauchen  wir  nicht  speciell  anzu- 
geben, da  sie  aus  der  Karte  ersichtlich  sind;  sein  Wasserge- 
biet ist  jedenfalls  ungeheuer  gross;  er  empfängt  schon  vom 
Hamasen,  was  nicht  nördlich  zum  Anseba  geht;  dann  das 
östliche  Abhangswasser  des  Okulekusei;  alles  Wasser  von 
Sarae,  Kohein,  Adiabo,  QoUa  Sarae  und  der  meisten  Kunäma. 
Bemerkenswerth  ist  nur  der  Zufluss,  der  uns  oberhalb  Balka 
als  „kleiner  Mareb"  (Mareb  Nush)  vom  Dembelas  kommend 
angegeben  wurde  und  sehr  bedeutend  sein  soll.  In  Hinsicht 
auf  dieses  grosse  Quellgebiet  darf  es  nicht  Wunder  nehmen, 
wenn  er  so  ausreichend  dem  Lande  Taka  genügen  kann. 


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Land  und  Volk. 


Wir  haben  das  Land  der  Eunäma  von  Süden  nach  Norden 
gehend  kennen  gelernt;  wir  haben  die  Kenntniss  desselben  an- 
gebahnt, ohne  selbst  einstweilen  ein  klares  Bild  davon  geben 
zu  können;  man  weiss  aus  dem  Yorhergesagten,  dass  uns  die 
Umstände  nur  die  directe  Durchreise  erlaubten.  Wir  konnten 
damit  für  den  Anfang  wohl  zufrieden  sein,  aber  es  wäre  zu 
wünschen,  es  würde  die  Linie  von  Mai  Daro  über  Anal  bis 
Dika  hinüber  und  von  da  querdurch  über  Sogodas  nach  Elit 
begangen;  nur  so  könnten  wir  zu  einem  vollständigen  Bilde 
des  Landes  kommen. 

Das  Land  der  Kunäma  ist  vorzugsweise  Hügelland;  Ge- 
birge fehlen  nicht,  aber  sie  haben  auch  keinen  entscheidenden 
Einfluss  auf  Land  und  Volk;  die  grosse  Baraka  selbst,  die, 
von  Adiabo  beginnend,  sich  gegen  Norden  und- Westen  flach 
fortzieht,  steht  öde  und  verlassen  da.  Nur  das  Land  jenseits 
des  Mareb,  das  sich  gegen  die  Hochfläche  von  Betkom  auf- 
dacht, zeigt  mehr  Zusammenhang;  aber  das  ganze  Land  bietet 
eine  Einförmigkeit  und  Charakterlosigkeit,  die  sich,  vorläufig 
gesagt,  in  dem  Sinn  des  Bewohners  abspiegelt.  Suchen  wir 
uns  zu  Orientiren. 

Das  Land  ist  von  zwei  Strömen  durchflössen,  dem  Takkaze 
und  dem  Mareb,  die  ungefähr  dem   gleichen  Ziele  zulaufen. 


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Reiae  durch  das  Land  der  Kunama.  449 

Sie  bilden  beide  sehr  tiefliegende,  bedeutende  Plateaux  schnei- 
dende Thäler.  So  trennt  der  Takkaze  das  Land  Tigre  und 
das  Semien  mit  seinem  abgrundartigen  Erosionsthal,  so  der 
Mareb  das  Sarae  und  seinen  Qollagebirgszug  von  dem  Tigre 
und  seiner  Verlängerung,  Shire  und  Adiabo.  Beide  treten  nun 
im  Lande  der  Kunama  in^s  Freie  hinaus;  das  Hochgebirge  tritt 
mehr  zurück  und  das  Thal  assimilirt  sich  mehr  dem  niedrig- 
gelegenen Lande.  Eine  Hügelkette,  die  sich  längs  des  rechten 
Ufers  des  Takkaze  hinzieht,  bildet  die  Wasserscheide  zwischen 
beiden  Flüssen.  Ganz  ihm  analog  ziehen  sich  dem  linken 
Marebufer  entlang  Hügel.  Zwischen  diesen  beiden  Hügelreihen 
nun  streckt  sich  eine  Tiefebene  aus,  die  schon  am  Fuss  von 
Adiabo  beginnt  und  die  Baraka  heisst  Wir  haben  sie  schon 
charakterisirt  und  brauchen  um  so  weniger  dabei  zu  verweilen, 
da  sie  seit  undenklichen  Zeiten  wild  und  öd  dasteht.  Zu  be- 
merken ist  nur,  dass  sie  ihr  Wasser  östlich  dem  Mareb  zu- 
schickt. 

Was  nun  die  Hügelreihe  am  Takkaze  betri£ft,  so  haben 
wir  sie  nur  von  Tsade  Mudri  erblicken  können.  Wir  wissen, 
dass  diese  Hügel  von  den  Dika-Bazen  bewohnt  werden;  Dika 
ist  nämlich  der. landesübliche  Name  für  Takkaze.  Augenzeu- 
gen beschrieben  mir  ihr  Land  als  schwer  zugänglich,  von 
Dornenbäumen  dicht  bewaldet  und  felsig.  Sie  stehen  mit  den 
übrigen  Kunama  in  freundlichem  Verkehr  und  sprechen  die 
gleiche  Sprache,  wenn  auch  einen  besondem  Dialekt.  Sie 
sind  geographisch  vom  Wolkait  abhängig,  mit  dem  sie  in  be- 
ständigem Krieg  leben.  Ihr  Land  ist  reich  an  grossen  Höhlen. 
Nach  allen  Berichten  sind  die  Dika  sehr  zahlreich.  Von 
Anal  bis  zu  den  ersten  Dörfern  der  Dika  wurde  mir  die  Ent- 
fernung auf  eine  Tagereise  angegeben. 

Wir  haben  gesehen,  dass  sich  das  Hochland  von  Adiabo 
gegen  Norden  dem  Mareb  nach  langsam  abdacht,  bis  es  ein 
Niveau  erreicht  und  unsere  Strasse  ging  zum  Theil  auch  dieser 
Abdachung  nach.  Da  ihm  parallel  die  Qolla  Sarae  ebenfalls 
nordwäiis  abläuft,  so  sehen  wir  ungefähr  bis  auf  die  Höhe 

lluQxinger,  OsUfrik.  8tudien.  29 


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460  Reise  durch  das  Land  der  Kttn&ma. 

von  Mai  Daro  den  Mareb  zwischen  den  zwei  Bergreihen  nord- 
wärts ziehen.  Hier  nun  wendet  er  sich  nach  Westen  und  das 
mehr  offene  Land  ladet  zur  Ansiedlung  ein.  Wir  finden  also 
vorerst  die  Landscht^  Bazena,  die  nur  südlich  und  westlich 
von  Hügeln  beengt  ist,  im  Osteli  und  Norden  aber  wohl 
5  Stunden  weit  ziemlich  frei  daliegt. 

Bazena,  auch  Balka  genannt,  ist  wohl  der  wichtigste  Punkt 
der  Kunama,  da  hier  die  bequemste  Strafe  nach  dem  Barka 
sich  bietet.  Sein  Hauptort  ist  Mai  Daro,  nicht  der  Grosse  des 
Dorfes  wegen,  sondern  als  Mittelpunkt.  In  frühern  Zeiten 
enthielt  diese  Landschaft  mehr  als  40  Weiler,  die  seit 
dem  Durchzug  Ubie's  sehr  zusammengeschmolzen  sind,  doch 
mag  sie  immer  noch  an  15  Weiler  zählen.  Die  Ebenen  sind 
unbewohnt;  die  sehr  zerstreuten  Dörfer  finden  sich  auf  den 
Hügeln  zu  beiden  Seiten  des  Stromes  im  Walde  versteckt. 
Während  nun  das  Land  jenseits  des  Mareb  gegen  Norden  zu 
einer  schiefen  Ebene  sich  aufdacht,  treten  weiter  unten  gegen 
Westen  Gebirge  dem  Strome  nahe  und  beschrilnken  den  Blick, 
während  das  linke  Ufer  fortwährend  von  einer  Hügelkette  be- 
gleitet wird.  Hier  finden  wir  wenige  Stunden  entfernt  zwei 
Ansiedlungen,  Anagulle  und  Fodie;  dann  biegt  sich  der  Strom 
gegen  Süden  und  wir  finden  den  Gau  Anal  (oder  Ainal),  der 
sehr  bedeutend  sein  soll. 

Bevor  wir  nun  stromabwärts  gehen,  wollen  wir  das  Land 
nördlich  von  Mai  Daro  verfolgen.  Wir  finden  also  zwischen 
dem  Marebthal  und  dem  Barka  eine  Hochfläche,  die  wir  auf 
unserer  Reise  quer  überschritten  haben.  Diese  Hochebene 
besteht  aus  mehreren  gutbevölkerten  Terrassen  :Betkom,Alpmme 
und  Afla.*)    Die  höchste  Erhebung  bildet  Afla,  das,  am  wei- 


*)  Wir  haben  uns  folgende  Dorfnamen  aufgeschrieben:  Ogenna, 
Alemmo,  Kedaglo,  Gullo,  Maradama,  Koita,  Shigetta,  Ashitii,  Tsad- 
amba,  Ashigola,  Gonge  Kula,  Shigirta,  Atabeddala,  Afilo  oder  Afla, 
Ebintena,  Teititta,  Tarbotta,  Amta,  Lagaderbe,  Kedura,  Amdada, 
Tebera,  Seiletta,  Gega,  Soli,  ^agaro,  Betkom,  Tendere,  Musdaura, 
Samero,  Kerta. 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  451 

testen  gegen  Osten  sich  erhebend,  direct  auf  das  Barka  hin- 
nnterscbant  und  als  immer  grün  und  wasserreich  geschildeii; 
wird.  Seine  Wasser  sendet  es  nach  Beikom,  das  seinerseits 
sie  dem  Mogoreib  zuschickt.  Diese  Hochebene  flacht  sich 
also  schräg  gegen  Nordwest  ab,  sich  sowohl  vom  Barka,  als 
vom  Mareb  isoHrend.  Ihre  Bewohner  leben  in  der  offenen 
Ebene  und  sind  schon  deswegen  viel  zugänglicher,  gleichen 
eher  .den  Barea  und  stehen  mit  ihnen  in  stetem  Verkehr.  Als 
Grenzorte  gegen  die  Barea  müssen  wir  Samero  und  Kerta 
erwähnen  und  dann  den  mohammedanischen  Gau  Dsaude  in 
drei  Dörfern.- 

Nachdem  sich  der  Mareb  gegen  Süden  gewendet,  kehrt  er 
wieda:  nach  Nordwesten  zurück  und  jiier  finden  wir  auf  seinem 
rechten  Ufer  die  zwei  Gaue  Eimasa  und  Seiest  Logodat  (auch 
Ashka),  beide  sehr  volkreich  und  in  unmittelbarer  Nachbar- 
schaft von  Mogoreb;  auch  sie  bilden  eine  Zwischenterrasse 
zwischen  Mareb  und  Barka,  ganz  wie  die  Hodifläche  Betkom. 
Ihr  Land  legt  sich  wieder  schräg  zwischen  beide  und  zieht 
sich  immer  schmaler  werdend  als  Gebirge  bis  nach  Algeden 
fort,  indem  es  rechts  tief  in's  Barka  hinabfällt,  links 'weniger 
tief  auf  den  Mareb. 

Auf  dem  linken  Ufer  des  Mareb  finden  wir  dann,  aber 
mehr  landein,  den  Gau  Sogodas,  Nachbarn  der  Homran,  und 
ihm  gegenüber  auf  dem  rechten  Ufei*  Elit,  das  wir  besucht 
haben.  Zwischen  Sogodas  und  Dika  hat  man  uns  mehrere 
Dorfer  genannt,  ohne  uns  aber  deren  geographische  Position 
zu  verdeutlichen.  Da  Herr  Baker  sich  lange  am  Takkaze  auf- 
gehalten hat,  hat  er  wohl  über  diese  Seite  des  Kunämalandes 
Erkundigungen  einziehen  können,  wenn  er  sie  auch  nicht  be- 
sucht hat 

Wir  sind  nun  gar  nicht  in  der  Lage,  die  Zahl  der  Ku- 
nama zu  schätzen;  jeden&lls  ist  sie  der  Bareabevölkerung 
wohl  zehnfach  überlegen  und  möchte  so  immerhin  zwischen 
1  —  200,000  Einwohnern  schwanken.  Wir  finden  sie  in  viele 
Gaue  vertheilt,  die  sich  gegenseitig  nichts  angehen,  sich  aber 

29* 


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452  Reise  durch  das  Land  der  Kon&ma. 

immerhin  als  Freunde  und  Brüder  anerkennen.  Vom  Lande 
selbst  ist  i^enig  mehr  zu  sagen:  das  Klima  ist  durch  seine 
Höhe  bestimmt.  Fieber  sollen  im  Ganzen  selten  sein,  obgleich 
gerade  bei  unserem  Besuche  ausnahmsweise  darüber  geklagt 
wurde.  Das  Aussehen  der  Leute  sprach  von  grosser  Gesund- 
heit; wir  sahen  nur  starke  und  wohlbeleibte  Leute.  AufEeülend 
war  uns  die  spärliche  Vertretung  des  Thierreiches;  wir  sahen 
auf  dem  ganzen  Weg  wenig  Wild  und  Vögel.  Doch  konmien 
alle  Thiere  des  Barka  auch  hier  vor,  wohl  aber  in  geringer 
Zahl. 

Es  ist  schwer  zu  entscheiden ,  wann  die  Kunäma  ihr  jetzi- 
ges Land  in  Besitz  genommen  haben.  Sicher  ist,  dass  sie 
seit  undenklichen  Zeiten  hier  sind,  obgleich  sie  behaupten, 
von  Abyssinien  her  eingewandert  zu  sein.  Auch  die  Abys- 
sinier  halten  die  Kunäma  für  die  alten  Axumiten.  Sie  schei- 
nen nach  und  nach  von  den  Semiten  verdrängt  worden  zu 
sein.  Der  eigene  Name  des  Volkes  ist  Kunäma,  sonst  heissen 
sie  bei  ihren  Nachbarn  auch  Bazen,  Baza. 

Das  Land  der  Barea  breitet  sich  am  Fuss  des  Bazenlandes 
aus  und  tritt  eben  zum  Barka  hinaus,  zu  dem  es  geographisch 
gehört.  Es  theilt  sich  natürlicherweise  in  zwei  Gaue:  Hagr 
und  Mogoreb;  während  Hagr  einfach  dem  Kunämaland  an- 
liegt, ohne  ihm  im  Wasser  oder  sonst  verbunden  zu  sein,  ist 
das  Thal  Mogoreib  die  tiefere  Fortsetzung  von  Betkom.  Von 
dem  Gau  Hagr  (oder  Higr)  gehört  einzig  das  Dorf  Sheref 
geographisch  zu  Mogoreb,  da  es  jenseits  der  Wasserscheide 
liegt.  Der  Gau  Hagr  theilt  sich  in  mehrere  von  einzelnen 
Bergen  getrennte  Thäler,  die  alle  sich  gegen  die  Barkaebene 
öffnen.  Doch  werden  sie  im  Norden  durch  den  sehr  hohen, 
langgestreckten  Berg  Nebi  (oder  Lebi),  der  dem  ganzen  Land 
von  Bisha  bis  Mogoreb  vorliegt,  einigermassen  abgeschlossen. 
Dieser  Berg  hat  beständiges  Wasser  und  trug  früher  das  Dorf 
Asretta.  Er  zeichnet  sich  wie  der  Berg  von  Bisha  auch  durch 
das  Felsenmeer  aus,  das  seine  obere  Hälfte  krönt. 

Der  Name  Barea,  mit  dem  die  Amhara  einen  Sklaven  be- 


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Reise  darch  das  Land  der  Kundma. 


453 


zeichnen,  ist  nicht  im  Lande  einheimisch;  ich  kenne  keinen 
Collectivnamen  für  dieses  Volk.  Die  Kundma  heissen  die 
Barea  Marda  und  ihr  Land  Kolkotta.  Die  Barea  selbst  nen- 
nen die  Leute  von  Hagr  Nere,  den  zweiten  Gau  bilden  die 
Mogoreb.  Wir  wollen  die  Namen  der  einzelnen  Dörfei'  auf- 
zählen: 


L  Gau  Hagr  (Nere). 

1)  Shilko 

2)  Haberetta 

3)  Meshgul 

4)  Terbetta 

5)  Gert^ 


Moham- 
medaner. 


6)  Tumbu 

7)  Arnetta 

8)  Qishot  Qerre 

9)  Mogelo 

10)  Karkotta 

11)  Shishekor) 

12)  Ona  I  Teged( 

13)  Asrak 

14)  Lugderetta 

15)  Beigetta 

16)  Simetta 

17)  Sheref 

18)  Debr  Shille 

19)  Kebäbe 


II.  Gau  Mogoreb 

1)  Afidjo 

2)  Hadte 

3)  Kobbetago 

4)  Az  Mahas 

5)  Az  Negeb 

6)  Degeda 


Gemischter  Religion. 


meist  Mo- 
hammedaner 


Reine  Barea- Religion.    CoUectivname:  Tem- 
bider6. 


Arretta,  gemischter  Religion. 


20)  Bisha,  halb  von  Beni  Amer'n,  halb  von  Barea  bewohnt. 

Von  diesen  Dörfern  sind  von  Hagr  ausser  Nr.  3,  6,  16, 
17,  von  Mogoreb  ausser  6  alle  ziemlich  gross,  sodass  man, 
jedes  zu  1000  Einwohner  ungefähr  genommen,  die  ganze  Be- 
völkerung auf  20,000  Seelen  anschlagen  kann. 

In  Tributsachen  stehen  zusammen  2  und  3;  4  und  5;  6, 
7,  8,  10;  11  und  12;  und  13—17;  sonst  steht  jedes  für 
sich  da. 


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454  Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma. 

Was  nun  die  Nationalität  derselben  betrifft,  so  sind  Habe- 
retta  und  Shilko  nicht  eigentliche  Barea,  sondern  ^ngewan* 
derte  Haffara;  ihres  Ursprunges  also  Tigre,  haben  sie  die 
Landessprache  angenommen.  Die  übrigen  sind  wirkliche 
Barea,  aber  der  Islam  ändert  ihre  Sitten  um.  lieber  den 
Ursprung  dieses  Volkes  ist  es  schwer,  Muthmassungen  zu 
haben.  Dass  sie  früher  auch  im  jetzigen  Lande  der  Bogos 
und  Takue  angesiedelt  waren,  ist  kaum  zu  bezweifln.  Man 
behauptet,  der  Stamm  Az  Shehei  im  Hamasen  stamme  auch 
von  den  Barea  ab.  Mit  der  Bazensprache  haben  sie  nur 
wenige  Wörter  gemein.  Eigentliche.  Erinnerungen  fehlen. 
Einmal  wurde  mir  erzählt,  es  sei  in  alter  Zeit  ein  Prophet 
durch  Afrika  gezogen;  von  seinen  zurückgelassenen  Sklaven 
sollen  die  Barea  abstammen.  Doch  hat  diese  Sage  keinen 
weiteren  Anhalt,  um  irgend  die  Vergangenheit  au£suhellen. 
Die  zwei  Gaue  Hagr  und  Mogoreb  leben  in  Freundschaft 
und  gehen  oft  gegenseitig  Heirathen  ein;  aber  jeder  hat  bei 
gleichem  Recht  verschiedenes  Gericht  und  ist  im  Rath,  Poli- 
tik, Krieg  und  Frieden  von  dem  andern  unabhängig.  Sie 
reden  dieselbe  Sprache;  sonst  ist  kein  Datum  da,  das  ihren 
gemeinsamen  Ursprung  bewiese.  In  Zahl  und  Namen  ist  Hagr 
bedeutender,  aber  die  Mogoreb  haben  bessere  Lanzen  und  mehr 
Ausdauer.  Mogoreb  ist  zum  grössten  Theil  mohammedanisch. 
Die  Barea  leben  nicht  nach  Stamm  und  Familien  zusammen, 
sondern  jeder  lebt  als  Barea  in  jeder  beliebigen  Gemeinde; 
die  aristokratische  Genossenschaft  ist  hier  nicht  bekannt. 

Die  aufgezählten  Dörfer  sind  alle  an  Bergabhängen  ange- 
legt; einige  derselben  ziehen  sich  wohl  der  Sicherheit  und  der 
Gesundheit  wegen  sogar  weit  zum  Scheitel  hinauf,  besonders 
Bisha.  Das  Gleiche  sehen  wir  in  Algeden  und  Sabd^rat,  wo 
die  Hütten  über  dem  Abgrund  hängen,  und  besonders  bei 
Elit.  Die  Berge  selbst  sind  unbewohnt.  Die  D&rfer  sind  eng 
zusammengedrängt.  Das  Land  ist  audi  au  den  Abhängen 
nahe  den  Dörfern  gut  bebaut  und  ähnlich  unsem  Wdnbergen 
mit  Terrassen  gegen  das  Wasser  geschützt.    Brunnen  hat  jedes 


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Beise  durch  da»  Land  der  Kunäma.  455 

.Dorf,  oft  in  sehr  grosser  Tiefe;  wir  haben  deren  60  Fuss  tief 
in  den  festen  Boden  gegraben  gesehen.  Sie  sind  trichterförmig 
construirt,  sodass  man  bis  zur  halben  Tiefe  hinabsteigen 
kann,  müssen  jedes  Jahr  nach  der  Regenzeit  erneuert 
werden  und  sind  nicht  ausgemauert.  Fliessendes  Wasser  sah 
ich  nur  im  Strome  Kufit;  das  Bett  des  Amida  birgt  übrigens 
auch  unfemes  Wasser,  das  ausgezeichnet  ist. 

Das  Aussehen  des  Landes  ist  dem  des  Barkalandes  ganz 
ähnlich;  doch  scheint  es  gesunder  zu  sein,  wenn  auch  Fieber 
nicht  fehlen  und  Blindheit  häufig  ist.  Man  muss  sich  das 
Land  als  eine  offene  Ebene  vorstellen,  die  Berge  bilden  nur 
die  Ausnahmen.  Der  Boden  ist  schwarzer  Thon,  an  den 
Bergabhängen  bei  den  Dörfern  ist  er  rothe  harte  Erde.  Regen 
fallen  wie  im  Barka  meist  in  der  Nacht;  dass  das  Barealand 
ein  heisses  Land  ist,  versteht  sich  nach  seiner  Lage  von  selbst. 


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Verhältniss  zum  Ausland. 


Betrachten  wir  nun  die  Stellung  der  beiden  Völker  auf 
der  Karte,  so  erscheint  sie  uns  als  eine  exceptionelle.  Unter 
sich  sind  zwar  die  Kunama  und  Barea  selten  Freunde  gewesen 
und  haben  nie  viel  gegenseitigen  Verkehr  gehabt,  aber  die 
Gleichheit  der  religiösen  und  rechtlichen  Begriffe  Hess  sie 
lange,  vielleicht  undenkliche  Zeiten  nebeneinander  leben,  ohne 
dass  sie  sich,  trotz  der  Fremdheit,  aufgerieben  hätten.  Dem 
Ausland  gegenüber  befanden  sie  sich  aber  in  einem  perma- 
nenten Belagerungszustande.  Denn  sie  haben  mit  ihren  Nach- 
barn nichts  gemein;  sie  sind  nicht  Christen  und  nicht  Mo- 
hammedaner, sie  werden  von  beiden  als  Heiden  verachtet,  die 
man  ohne  Sorge  oder  Reue  verfolgen,  knechten  und  ausrot- 
ten dürfe.  Daraus  ist  ein  ewiger  Krieg  entstanden,  mit  oft 
wechselndem  Glücke.  So  tapfer  sich  nun  immer  unsere  Völker 
gewehrt  haben,  so  muss  doch  dieser  Krieg  des  Einen  gegen 
alle  zur  völligen  Vernichtung  des  Volkes  führen,  das  sich 
von  nirgends  her  regeneriren  oder  finsch  ergänzen  kann,  wie 
die  Abyssinier  oder  die  Leute  von  Barka,  die  in  ihren  grossen 
Nationen  einen  Anhalt  haben.  Da  aber  in  neuester  Zeit 
Abyssinien  einerseits  zu  einer  gewaltigen  Monarchie  sich  zu 
gestalten  scheint,  anderei'scits  die  mohammedanischen  Völker 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  457 

unter  dem  ägyptischen  Vicekönig  vereinigt  worden  sind,  so 
ist  vollends  keine  Hoffnung  mehr  vorhanden,  diEtös  sich  unsere 
Völker  selbstständig  erhalten  können;  sie  müssen  sich  ver* 
nichten  lassen  oder  aber  sich  unterwerfen  und  wir  werden 
betrachten  müssen,  welcher  Anfang  dazu  schon  gemacht  wor- 
den ist.  Es  folgt  aus  der  Geographie,  dass  die  Bazen  es  be- 
sonders mit  den  Leuten  von  Adiabo  und  Wolkait,  die  Barea 
mit  den  Leuten  von  Barka  zu  thun  hatten  und  haben. 
Uebrigens  sind  auch  die  Bazen  mit  den  Mohammedanern  oft 
feindlich  zusammengestossen  und  in  neuester  Zeit  haben  auch 
die  Barea  Abyssiniens  Uebermacht  kennen  gelernt.  Wir  wollen 
also  zuerst  das  Verhältniss  der  beiden  Völker  den  Moham- 
medanern gegenüber  in's  Auge  ÜEtssen. 

Die  Barea  sind  die  unmittelbaren  Nachbarn  der  Beni  Amer. 
Die  Berührung  konnte  nur  eine  feindliche  s^n;  die  Barea 
sind  Demokraten,  Ackerbauer;  die  Beni  Amer  Aristokraten, 
Komaden.  Die  Beni  Amer  verwüsten  ganze  Dörfer;  die  Barea 
entgegnen  mit  kühnangelegteu  Raubzügen,  die  östlich  bis  zu 
den  Bergen  der  Bogos  und  Marea,  westlich  bis  zu  den  Ha- 
dendoa  ausgedehnt  werden.  Sie  gehen  in  klmnen  Banden, 
ohne  Furcht  und  ohne  Mitleiden.  Von  Schonung  wissen  die 
sonst  sehr  friedfertigen  Barea  im  Auslande  nichts.  Die  Beni 
Aroer  sind  bei  Weitem  nicht  so  muthig,  halten  aber  besser 
zusammen  und  in  der  Ebene  haben  sie  den  Vortbeil,  gut  be- 
ritten zu  sein.  Die  Barea  haben  ein  sehr  ungünstiges  Terrain, 
sie  wohnen  in  Ebenen,  die  flach  gegen  das  Barka  auslaufen; 
im  Rücken  haben  sie  die  unfreundlichen  Bazen.  Dessenun- 
geachtet blieben  die  Beni  Amer  immer  im  offenen  Nachtheil, 
da  sie  als  reiche  Heerdenbesitzer  mehr  verlieren  konnten. 
Man  kann  nicht  sagen,  wem  die  Schuld  zuzuschieben  ist. 
Jedenfalls  sind  die  Beni  Amer  sehr  unzuverlässig  und  treulos, 
besonders  gegen  die  Ungläubigen,  denen  gegenüber  sie  sich 
alles  erlaubt  glauben.  So  wüthete  seit  undenklichen  Zeiten 
ein  erbarmungsloser  Kampf;  die  Barea  überfallen  die  Heerden 
und  morden  die  unvorsichtigen  Beni  Amer  oft   neben   ihren 


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458  Beise  durch  das  Land  der  Kuntoab 

Dörfern;  die  Beni  Amer  dagegen  suchen  die  Barea  zur  Zdt 
der  Emdte  auf  und  suchen  diese  zu  yemichten.  Seit  nun  das 
Barka  den  Aegyptem  unterworfen  ist,  stehen  sich  die  Beni 
Amer  ungleich  besser,  da  sie  deren  Mithülfe  versichert  sind. 
Ganz  anders  stehen  die  Barea  zu  ihren  westlichen  Nach- 
barn, den  Algeden,  mit  denen  sie  sich  seit  undenklichen  Zei- 
ten verschwägern;  so  sind  sie  immer  gute  Freunde  geblieben, 
umsomehr,  da  sich  beide  gegensdtig  als  Ack^auer  besser 
verstehen,  ab  mit  den  nomadischen  Beni  Amer'n,  mit  denen 
die  Algeden  dar  Weide  wegen  in  beständigem  Zwist  leben. 
Besonders  der  Gau  Mogoreb  ist  mit  Algeden  innig  befreundet. 
Dag^en  stehen  die  Algeden  und  die  Sabderat  den  Basen  9ehi 
feindlich  gegenüber.  Das  naheliegende  Dorf  Elit  musste  sich 
ihnen  sehr  bald  unterwerfen;  die  andern  Bazen  sind* zwar 
nicht  nahe  genug,  um  den  Sieg  der  einen  oder  der  andern 
definitiv  zu  beschüessen  oder  einen  Frieden  für  beide  Theile 
räthlich  zu  machen;  sie  leben  aber  nicht  weit  genug,  um  sich 
zu  ignoriren  und  da  nun  den  Algeden  wohl  bekannt  ist,  dass 
die  Bazen  keinen  politischen  Zusammenhang  haben,  so  sehen 
sie  da  eine  leichte  Beute  und  eine  bequeme  Vorrathskammer 
von  Sklaven.  So  veranstalten  sie  fast  jedes  Jahr  in  Gemein- 
schaft mit  Sabderat  und  Hallenga  Raubzüge  (Ghazwa),  die 
oft  sehr  weit  gehen;  die  beutelustigen  Schaaren  ziehen  den 
Gttsh  hinauf  bis  Mai  Daro  oder  gehen  südlich  bis  Anal  und 
dringen  sogar  bis  zum  Takkaze.  Die  Mohammedaner  sind  in 
ihrem  Hass  gegen  die  sogenannten  Heiden  so  dnig,  dass  nie 
eine  Nachricht  von  ihrem  Vorhaben  zu  den  Bazen  dringt.  Sie 
fallen  in  der  Nacht  dort  ein,  Weib  und  Kind  werden  als 
Sklaven  fortgeschleppt,  die  Männer  ohne  Erbarmen  nieder- 
gehauen. Diese  Einfälle  gelingen  um  so  eher,  da  die  Bazen 
theilweise  den  Fluss  Gash  zur  Cultivinmg  benutzen  und  sich 
so  kaum  von  seinem  Thal  zu  weit  entfernen  dürfen.  Uebri- 
gens  vertheidigen  sich  die  Bazen  oft  mit  vielem  Math,  wenn 
nicht  die  Uebermacht  allen  Widerstand  unmöglich  maefat.  Um 
sich  einen  vollkommenen  Begriff  von  diesen  Verhältnissen  zu 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  459 

machen,  bitte  ich  de»  Leeer,  über  den  Krieg  der  Bewohner 
Ton  Wadai  bei  Mohammed  el-Tursi  nachzulesen  oder  auch 
die  Zustände  der  Neger  in  Westafirika  bei  Mungo  Park 
zu  studiren.  Wir  finden  dort  die  Verlültnisse  des  östlichen 
Sudan,  den  Vernichtungskrieg  der  Araber  oder  Mohammedaner 
gegen  die  Neger  ganz  exBßt  abgespiegelt  Der  letzte  mir  be- 
kannte Zug  dieser  Art  ÜEind  im  Jahre  1660  statt  und  die  Ver- 
anlassung verdient  erwähnt  zu  werden.  Am  Gash  wohnte  ein 
Theil  des  Stammes  Hafiara,  der  auch  in  Alge<fen  und  Sab- 
derat  zahlreich  vertreten  ist,  in  dem  Dörfchen  Tarifat,  dessen 
Häuptling  sich  mit  den  benachbarten  Bazen  von  Anal  be- 
freundete und  sogar  eine  Tochter  derselben  zur  Frau  nahm. 
In  der  Folge  benahm  er  sich  gegen  seine  Schwäger  sehr  un- 
freundlich und  verkaufte  sogar  mehrere  Landeskinder,  die 
bei  ihm  dngekehrt  waren.  Sein  Schwiegervater  bat  ihn  ver- 
gebens um  Rückerstattung  derselben.  Als  die  Bazen  alle 
Bitten  erfolglos  sahen,  überfielen  sie  in  grosser  Zahl  das 
Dorf  Tarifat  in  der  Nacht;  die  ganze  Bevölkerung  desselben 
vmrde  schonungslos  vertilgt;  nur  die  Sklaven,  die  sich  von 
ihrem  Stamm  vorfanden  und  ihre  Tochter,  des  Häuptlings 
Frau,  wurde  heimgeführt,  das  Dorf  wurde  verbrannt  und  es 
fand  sich  kein  lebender  Mann,  der  die  Nachricht  hätte  weiter- 
bringen können.  Die  Algeden  hatten  das  Benehmen  des 
Sheichs  von  Tari&t  durchaus  nicht  gebilligt,  jetzt  benutzten 
sie  seinen  Untergang  zu  neuen  Raubzügen.  Bald  darauf  ver- 
einigten sie  sich  mit  den  Sabderat  und  brachten  etwa  80  Ge- 
fangene von  den  B^en  heim.  Ich  war  zufällig  in  Sabderat 
anwesend,  als  die  Kriegerschaar  beutebeladen  einzog. 

Die  Herrschaft  der  Türken  hat  bis  jetzt  wenig  in  diesen 
Verhältnissen  geändert.  In  der  ersten  Zeit  begünstigten  sie 
selber  diese  Razzias  und  nahmen  ihren  guten  Theil  von  der 
Beute.  Die  Raubzüge  wurden  dann  von  türkischen  Soldaten 
begleitet  und  von  einem  Offizier  angeführt.  Wir  wissen,  dass 
solche  auch  gegen'  die  Völker  am  Anseba  gerichtet  wurden; 
die  letzteren  wurden  aber  durch  europäische  Intervention  ge- 


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460  Reise  darch  das  Land  der  Eunama. 

rettet.  Die  Bazen  wurden  mehrere  Male  geplündert;  aber  eine 
Eroberung  verhinderte  die  Entfernung  und  der  bergige  waldige 
Boden.  Seit  Said  Pasha  an  die  Regierung  kam,  wurde  den 
Türken  alle  BetheiligUng  an  solchen  Zügen  verboten  und  die 
Gouverneure  machten  selbst  den  vergeblichen  Versuch,  ihre 
Unterthanen  davon  abzuhalten.  Was  ihnen  misslang,  haben 
dagegen  die  Abyseinier  zu  Stande  gebracht,  wie  wir  sehen 
werden. 

Das  Land  der  Barea  dagegen  konnte  sich  der  Unterwer- 
fung unter  die  Türken  nicht  entziehen;  die  Beni  Amer  thaten 
das  Mögliche,  sie  zu  unterjochen.  Auf  ihren  Rath  hin  bauten 
die  Aegypter  in  Kufit  eine  Art  Festung,  neben  welcher  die 
Beni  Amer  ein  Dorf  anlegten.  Solange  die  Festung  von  Sol- 
daten besetzt  war,  blieb  das  Land  sehr  ruhig  und  gewann 
selbst  dabei,  als  jeder  seiner  friedlichen  Arbeit  nachgehen 
könnte  und  die  Türken  die  Barea  schätzen  lernten.  Da  aber 
im  Jahre  1856  auf  hohem  Befehl  Kufit  von  der  Garnison  ver- 
lassen wurde,  verbrannten  die  Barea,  der  alten  Feindschaft 
gedenk,  das  Dorf  Kufit,  dessen  Bewohner  dann  bei  Dunguaz 
ein  neues  Dorf  gründeten.  Die  Barea  blieben  seither  den 
Türken  theilweise  unterworfen,  doch  bezahlen  sie  ihren  Tribut 
nur  unregelmässig  und  lassen  ihn  oft  jahrelang  ausstehen;  mit 
den  Beni  Amer'n  sind  sie  immer  sehr  gespannt  und  der  oft 
geschlossene  Friede  wird  ebenso  oft  gebrochen.  Wir  erhielten 
folgende  Angaben  über  den  den  Türken  bezahlten  Tribut: 

Hagr  zahlt     1500  Maria-Theresia-Thaler, 

Mogoreb         1000  » 

Eimasa  300  » 

Seiest  Logodat  300  d 

AbjBsinien  hat  erst  seit  einigen  Jahren  in  die  Politik  dieser 
Länder  eingegriffen.  In  frühem  Zeiten  befeindeten  sich  Adi- 
abo  und  die  Bazen  unablässig  und  es  scheint,  dass  die  Bazen 
sonst  den  Kurzem  zogen,  da  die  Adiabo  ihre  Ansiedlungen  ganz 
in^s  Hochland  zurückziehen  mussten.  In  dem  letzten  Jahr- 
zehnt hat  die  abyssinische  Politik  einen  eigenthümlichen  agres- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunima.  48 1 

siven  Aufschwung  genommen.  Seitdem  der  Kaiser  Tkeodoros 
die  Absicht  Terkündet  hat,  dem  Reich  seine  alten  Grenzen 
zurückzugeben,  treten  auch  die  Nordabyssinier  viel  entschie- 
dener gegen  ihre  Nachbarn  auf.  Die  frühern  Kaiser  und  auch 
Ubie  machten  oft  grosse  Heerzüge  in  die  Niederlande  und 
drangen  sogar  weit  in's  Barka  hinein;  der  Zug  Ubie's  im 
Jahre  1850,  der  auf  dem  Rückw^  von  Barka  Mai  Daro  ver- 
wüstete, ist  noch  nicht  vergessen,  aber  auch  er  öfifhete  das 
Land  dem  Verkehr  nicht.  Wir  haben  den  Fortschritt  im  Osten 
anderswo  beobachtet;  was  die  Bazen  betrifft,  so  griff  zuerst 
der  Vorgänger  des  jetzigen  Hauptes  von  Adiabo,  Marradj,  die 
Bazen  kräftig  an;  er  machte  mehrere  Heerzüge  durch  das 
Bazenland. 

Sein  Werk  setzt  der  jetzige  Statthalter  Tsadiq  mit  vieler 
Energie  fort;  er  hat  sich  schon  den  grössten  Theil  der  Bazen 
unterworfen;  den  Gau  Dika  unterwarf  sich  1859  der  Statt- 
halter von  Wolkait  von  Seiten  Dedjas  Negussie's,  Tesamma 
Sahlu.  Das  Frühjahr  1860  wurde  denkwürdig  durch  die 
Flucht  Dedjas  Negussie^s,  der  durch  das  Bazenland  durch  von 
dem  Kaiser  Theodoros  verfolgt  wurde.  Ueber  Kohein  kam  er 
nach  Mai  Daro,  verweilte  eine  Zeit  lang  am  Setit  und  stieg 
dann  zum  Wolkait  hinauf,  wo  er  überall  gut  empfangen  wurde. 
Theodoros  kam  ihm  bis  Adiabo  nach,  gelangte  querüber  zu 
den  Dika-Bazen  und  kehrte  von  da  in's  Hochland  zurück. 
Die  beiden  Heere  standen  sich  immer  sehr  nahe  gegenüber, 
aber  Negussie  konnte  unbelästigt  das  Tigre  gewinnen,  wo  ihn 
erst  in  Jahresfirist  sein  Schicksal  erreichte.  Die  Bazen  ge- 
wöhnten sich  allmählig  daran,  abyssinische  Unterthanen  zu 
werden  und  sie  benutzten  die  neue  Stellung,  um  ihren  alten 
Feinden  im  Norden  Schrecken  einzuflössen.  Sie  werden  nun 
des  abyssinischen  Völkerrechts  theilhaftig  und  können  sich  mit 
dem  Beistand  ihres  neuen  Herrn  gegen  die  Angriffe  der  Mo- 
hammedaner vertheidigen.  Im  Frühjahr  1861  zeigten  sie  den 
Herren  von  Adiabo  den  Weg  zu  den  Barea,  in  Folge  dessen 
Mogelo  gänzlich  zerstört  wurde;  Weib  und  Kind  wurden  weg- 


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462  Reise  durch  das  Land  der  Künima. 

geführt  und  noch  bei  onserm  Besuch  waren  nicht  alle  Landes- 
kinder losgekauft.  Im  Sonuner  desselben  Jahres  zogen  die 
Adiabo,  von  den  Eimasa  angeführt  und  von  allen  Bazen  be- 
gleitet, den  Gash  hinunter  bis  nahe  an  EUt,  wo  die  Haden- 
doa,  die  sich  der  Weide  wegen  hier  aufhielten,  lagerten.  Nach 
einem  sehr  blutigen  Kampfe  wurden  ungeheure  Heerden  weg- 
geführt Kurz  nach  unserer  Durchreise  verwüsteten  sie  den 
Gau  Mogoreb,  der  bisher  verschont  gd^eben  war  und  ver- 
nichteten seinen  Heerdenreichthum.  Endlich  im  Juni  1862 
verbeerten  sie,  immer  von  den  Bazen  geführt  und  im  Einver- 
ständniss  mit  einer  missmuthigen  Partei  dw  Beni  Amer,  ein 
Zeltenlager  der  Az  Ali  Bakit  am  obem  Barka.  So  unter- 
warfen sie  sich  nicht  nur  das  Land  der  Barea  und  Kunama, 
sondern  erschreckten  auch  die  Bewohner  des  Tieflandes,  so- 
dass nun  die  Algeden  und  die  Beni  Amer  ihnen  mit  Ge- 
schenken den  Frieden  abkauften.  Diess  kam  natürlich  den 
Bazen  zu  gute,  die  seither  als  abyssinische  Unterthanen  von 
ihren  Angriffen  unbelastigt  leben  können. 

So  sind  die  Bazen  wenigstens  von  einer  Seite  beschützt 
und  nicht  zu  bezweifeln  ist,  dass  ihr  Anscbluss  an  Abyssinien 
nicht  ohne  Folgen  bleiben  wird.  Jedenfalls  ist  damit  den 
Fortsehritten  des  Islam  die  Pforte  geradewegs  verschlossen, 
da  unsere  afrikanischen  Völker  gewöhnlich  der  Religion  des 
Mächtigeren  sich  anschliessen.  Ob  sie  aber  deswegen  Christen 
werden,  ist  eine  andere  Frage,  denn  die  abyssinische  Kirche 
hat  keine  Tendenz  sich  auszubreiten;  auch  sind  die  Leute  von 
Adiabo  durchaus  keine  Kreuzfahrer;  ich  habe  sie  sogar  im 
Verdacht,  die  Bazen  lieber  als  Heiden  behalten  zu  wollen, 
denn  leider  sehen  die  Adiabo  in  einer  regelmässigen  Unter- 
werfung wenig  Nutzen;  es  convenirt  ihnen  besser,  das  Land 
dann  und  wann  auszuplündern.  Der  jetzige  Statthalter  Tsa- 
diq  ist  sehr  raubsüchtig;  er  könnte  das  ganze  Land  ruhig  und 
friedlich  verwalten,  aber  er  .sucht  oft  express  den  Anlass  zum 
Krieg.  Daher  fühlen  sich  die  Bazen  noch  gar  nicht  bdiag- 
lich  unter  seiner  Regierung;  sie  zahlen  willig  den  Tribut,  ohne 


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Reise  durch  das  Land  der  KuQ&ma.  463 

deswegen  de8  Friedens  sicher  zu  sein.  Wenn  Tsadiq  in's 
Niederland  zieht,  begleiten  ihn  immer  die  tapfersten  Bazen, 
während  die  Dörfer  sich  vor  ihren  Herren  und  Freunden  in 
die  Wildniss  flüchten  und  erst  zurückkehren,  wenn  die  Abys- 
sinier  schon  lange  den  Rückzug  angetreten  haben.  Die  Leute 
von  Adiabo  sind  auch  nicht  gerade  Sklavenjäger,  aber  wo  sie 
einfidlen,  führen  sie  die  ganze  Bevölkerung  kriegsgefangen 
weg  und  ist  Friede  geschlossen,  müssen  ihre  Angehörigen,  die 
ohnehin  durch  die  Verheerung  verarmt  sind,  sie  loskaufen; 
so  haben  die  Leute  von  Mogelo  alle  ihre  Habe  als  Lösegeld 
nach  Adiabo  geliefert,  um  ihre  Kinder  und  Frauen  zurück- 
zuerhalten. Wenn  aber  die  Angehörigen  keine  Lust  zeigen, 
ihre  ge&ngenen  Kinder  loszukaufen,  sind  die  Adiabo  doch  am 
Ende  gezwungen,  sie  selber  an  die  Meistbietenden  loszuschla- 
gen und  der  Sklavenhandel,  den  sonst  die  Abyssinier  verab- 
scheuen ,  wird  de  facto  eingeführt.  In  dieser  Hinricht  müssen 
wir  den  Statthalter  von  Adiabo  entschieden  tadeln,  so  dank- 
bar wir  ihm  auch  dafür  sind,  dass  er  das  Land  den  Reisen- 
den und  wohl  einmal  auch  dem  Handelsmann  zugänglich 
macht. 

So  sind  jetzt  die  Gaue  von  Mai  Daro,  Betkom,  Alemmo, 
Afla  und  Anal  an  Adiabo  tributpflichtig.  Die  Abgaben  sind 
freilich  noch  niedrig  und  bestehen  meist  in  Honig.  Dika  ist 
noch  ziemlich  unabhängig.  £lit  hängt  von  Algeden  ab  und 
auch  Eimasa  und  alle  Barea  zahlen  nun  Steuern  an  Abys- 
sinien.  Doch  sind  die  zwei  letztem  schon  viel  z^  nahe  an  den 
mohammedanischen  Besitzungen,  als  dass  sie  nun  vor  den 
Türken  sicher  wären.  So  müssen  sie  sich  oft  dazu  verstehen, 
zwei  Herren  zugleich  unterthan  zu  sein.  Eine  Folge  dieser 
Unterwerfung  ist,  dass  die  Barea  und  Kunama  jetzt  mehr  in 
Berührung  kommen  und  friedlich  zusanunen  Idben  müssen. 
Tsadiq  schickt  gewöhnlich  eigene  Diener  in  die  verschiedenen 
Gaue,  um  den  Tribut  einzuziehen;  doöh  ist  er  noch  wenig 
geordnet  und  die  Bazen  besonders  sind  noch  nicht  an  die 
Herrschaft  göwöhnt;  sie  lehnen  sich  oft  auf  oder  tödten   die 


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464  Heise  durch  das  LHnd  der  Kuuama. 

Soldaten  Tsadiq's  auf  dem  Wege  und  sehen  nur  höchst  ungern 
die  Fremden  im  Lande.  Deswegen  fand  ich  in  Az  Nebrid 
nur  mit  Mühe  Leute,  die  mich  nach  Mai  Daro  begleiten 
wollten. 

Der  Tribut  wir^  nach  der  Zahl  der  erwachsenen  Männer 
berechnet,  da  jedermann  seinen  Acker  baut  und  so  das  Ein- 
kommen bei  allen  ungefähr  dasselbe  ist  Finden  die  Barea 
oder  die  Bazen  nöthig,  mit  dem  Fürsten  von  Adiabo  oder 
Barka  politisch  in  Tributsachen  zu  verhandeln,  so  bestimmen 
die  Aeltesten  der  Gemeinden  einige  Leute,  die  der  abyssini- 
schen  Sprache  mächtig  sind,  als  Gesandte  in's  Ausland  zu 
gehen.  Ein  solcher  Gesandter  wird  Diener  der  Gemeinde,  die 
ihn  vom  Tribut  freispricht,  ihm  ein  genügendes  Feld  bebaut 
und  einige  Einkünfte  sichert.  Dadurch  wird  er  aber  durch- 
aus nicht  vor  den  andern  bevorzugt;  er  ist  ein  bezahlter  Ge- 
meindediener. 

So  befinden  sich  diese  beiden  Völker  in  einer  Uebergangs- 
periode;  die  Zeit  der  Abgeschlossenheit  ist  vorbei;  hoffentlich 
werden  fortan  die  Sklavenjagden  aufhören.  Es  ist  keine  Frage, 
dass  die  eigenthümliche  Lage  der  Barea  und  Kunama  zwischen 
zwei  Feinden  das  Volk  allmählig  vernichten  musste;  beson- 
ders die  Barea  sind  in  den  letzten  Jahren  sehr  herunterge- 
kommen. Sehnlichst  wünschen  sie,  es  möchte  einer  ihrer 
Feinde  das  Feld  räumen,  um  dem  andern  ganz  sich  zu  unter- 
werfen und  mit  vielem  Ernst  glaubten  sie,  es  werde  den  euro- 
päischen Mächten,  deren  Einfluss  sich  auch  in  Afrika  fühlbar 
macht,  möglich  sein,  sie  von  dieser  Doppelstellung  zu  befreien. 
Auch  die  Bazen  sehnen  sich  nach  Ruhe  und  das  grosse  Un- 
glück, das  beide  Völker  bisher  verfolgt  hat,  öffnet  die  Augeu 
des  Volkes,  der  Fremdenhass  schwindet;  jetzt  kann  sich  der 
Kluge  ihre  Liebe  verdienen. 


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Aeusseres  Aussehen  der  beiden  Völker. 


Es  ist  sehr  schwer,  die  Körperbeschafifenhcit  der  Barea 
und  der  Kunama  allgemein  zu  charakterisiren,  da  sie  zwei 
verschiedene  Völker  bilden  und  die  Barea  besonders  sich 
immer  vom  Ausland  her  rekrutirt  haben.  Aehnlich  sind  sich 
die  beiden  Völker,  insofern  sie  beide  eher  schwärzliche  Haut- 
farbe haben,  wenn  auch  das  Rothe  und  Gelbbraune  durchaus 
nicht  fehlt.  Verschieden  sind  sie,  insofern  die  Kunama  zur 
Fettheit  sich  neigen,  während  die  Barea  meistens  mager  sind. 

Unter  den  Barea  selbst  zeichnen  sich  besonders  die  Mo- 
goreb  durch  ihre  helle  Gesichtsfarbe  aus,  während  die  Nero 
meist  schmutzigschwarz  sind.  Im  Gesicht  sind  sie  kaum  von 
dem  gemeinen  Mann  des  Barka  zu  unterscheiden.  Sie  haben 
meist  etwas  Markirtes,  Unregelmässiges  in  den  Zügen,  was, 
mit  der  von  den  Geez- Völkern  entlehnten  Frisur  verbunden, 
den  Ausdruck  eher  unangenehm  macht.  Sie  haben  wenig, 
meist  kurzes,  oft  weiches  Haupthaar,  das  oft  an's  Rothe  an- 
streift. Man  findet  häufig  gebogene  grosse  Nasen.  Was  die 
Statur  betrifift,  sind  die  Nere  im  Ganzen  klein  und  festgebaut, 
die  Mogoreb  lang  und  mächtig;  sie  sind  b^ide  wenig  beleibt. 

Die  Kunama  sehen  sich  untereinander  viel  ähnlicher,  als 
die  Barea,  was  bei  ihrem  isolirten  Leben  auch  begreiflich  ist. 

Hunzinger,  Ostafrik.  Studien.  3Q 


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466  Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma. 

Sie  sind  im  Ganzen  dunkler,  als  die  Barea;  das  Kohlsch\^arz 
ist  nicht  selten.  Doch  zeichnen  sich  die  unmittelbaren  Nach- 
barn der  Barea,  die  Leute  von  Eimasa  und  Betkom,  durch 
lichtere  Farbe  aus;  überhaupt  sehen  sie  ihren  Nachbarn  viel 
ähnlicher,  als  ihren  südlichen  Stammgenossen.  Diess  erklärt 
sich  au3  dem  Handels-  und  Eheverkehr  mit  den  Barea,  wäh- 
rend die  andern  Kunama  ihr  Blut  und  ihre  Sitten  von  aller 
Fremdheit  rein  erhalten  haben.  Die  Kunama  haben  einen 
grossen,  aber  keineswegs  aufgeworfenen  Mund,  eine  nie  sehr 
stumpfe,  oft  gebogene  Nase;  im  Haupthaar  und  dessen  Tracht 
unterscheiden  sie  sich  wenig  von  den  Barea  oder  den  Leuten  vom 
Barka;  man  findet  es  oft  sogar  recht  lang.  Sie  haben  wie 
die  Barea  auch  nur  schwachen  Bart  und  rasiren  wie  alle 
Völker  dieser  Zone*  den  Schnurrbart.  Die  Augenbrauen  sind 
meist  sehr  dicht  und  buschig. 

Die  Kunama  sind  alle  sehr  kräftig,  hochgebaut,  breit- 
brustig.  Ich  habe  selten  ein  so  durchaus  gesundes,  mächtig 
constituirtes  Volk  getroffen.  Man  sieht  keine  Krüppel.  Die 
Kraft  des  Volkes  ist  von  keiner  Syphilis  untei^aben;  diese 
Krankheit  ist  hier  ganz  unbekannt.  Sie  sind  meistens  fett, 
ich  möchte  fast  sagen  aufgedunsen  und  contrastiren  dadurch 
seltsam  mit  den  Barea.  Auch  die  Elit,  die  doch  ziemlieh 
weit  nordwestlich  vorgeschoben  sind,  haben  diese  Merkmale 
des  Volkes  treu  bewahrt,  während  sich  bei  den  Eimasa  und 
Betkom  viele  hagere  Figuren  zeigen.  Wir  werden  weiter  unten 
diese  Unterschiede  durch  die  verschiedene  Nahrung  zu  er- 
klären versuchen. 

Bei  den  Kunama  sind  die  vielen  Narben  auffallend,  die 
den  ganzen  Leib,  selbst  das  Gesicht  und  besonders  den  Bauch 
bedecken.  Sie  sollen  meist  der  Gesundheit  und  auch  der 
Schönheit  dienen  und  gelten  immer  als  Erkenntnisszeichen  des 
Stammes.  Die  Barea  sind  darin  viel  massiger,  indem  sie  wie 
die  Bogos  und  die  Barea  nur  die  Brust  und  die  Arme  mit 
einer  Art  Nessel  brandmarken.  Diese  glatten,  glänzenden, 
oft  runden  Brandmale  sollen  bei  dem  Weibe  die  Schönheit  be- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kundma.  467 

fördern,  beim  Mann  den  Arm  kräftigen.  Wir  bemerkten  bei 
den  Kunäma  femer  sehr  oft  ganz  ungeheure  Brustwarzen  und 
einen  auffallend  knopfartig  vorstehenden  unförmlichen  Nabel. 

Wir  fanden  die  Kunäma -Männer  im  Ganzen  viel  schöner, 
als  die  Barea,  obgleich  die  erstem  besonders  durch  die  Be- 
leibtheit und  die  schwarze  Haut  den  Innerafrikanem  ähnlicher 
sehen,  wenn  auch  der  sogenannte  Negertypus  fehlt.  Bei  den 
Barea  haben  die  Frauen  meist  regelmässige,  lebhafte,  oft  so- 
gar schöne  Züge. 

Bei  den  Barea,  die  schon  mehr  den  Miasmen  des  Barka 
ausgesetzt  sind,  sieht  man  viele  Blinde,  die  sich  aber  recht 
gut  zurechtfinden  und  oft  sogar  ihrer  Arbeit  nachgehen.  Bei 
den  Kunama  ist  Blindheit  selten. 

Bei  beiden  Völkern  ist  langes  Leben  nicht  selten  und  wenn 
es  auch  unmöglich  ist,  die  Lebensdauer  zu  bestimmen,  so 
haben  wir  doch  viele  Greise  gesehen,  die,  nach  ihren  Söhnen 
zu  schliessen,  gewiss  die  Siebzig  überschritten  haben  mussten. 
Eigentlicher  Wahnsinn  ist  fast  unerhört,  dagegen  kommen 
einzelne  Fälle  von  Blödsinn  bei  beiden  Völkern  vor. 

Jedes  dieser  Völker  hat  seine  besondere  Sprache;  die  Barea 
sprechen  die  sogenannte  Nere  bena;  die  Kunama  das  soge- 
nannte Bazena  aura.  Wir  haben  die  erstere  Sprache  ziem- 
lich eingehend  studirt,  während  wir  die  letztere  fast  nur  lexi- 
kalisch kennen  lernen  konnten.  Wir  werden  die  bezüglichen 
Arbeiten  später  mittheilen.  Diese  Sprachen  haben  keine  Ver- 
wandtschaft untereinander,  wenn  auch  in  den  Wörtern  ein- 
zelne Anklänge  nicht  fehlen. 

Die  Bareasprache  ist  beiden  Stämmen,  den  Hagr  und  Mo- 
goreb,  gemein,  doch  ist  der  Dialekt  der  letzteren  etwas  ge- 
quetschter und  so  schwerer  verständlich.  Uebrigens  ist  die 
Tigresprache  schon  sehr  verbreitet  und  gewinnt  durch  die 
öftere  Berührung  mit  dem  Norden;  nur  die  Leute  von  Tem- 
badere  sprechen  ausschliesslich  Barea.  Wenn  nun  die  Barea 
auch  sehr  leicht  Tigre  lemeu,  so  sind  sie  doch  durchaus  un- 
fähig, die  semitischen  Laute,  das  ^  (qaf )»  das  c  (ain),  und  die 

30* 


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468  Heise  durch  das  Land  der  Eunama. 

verschiedenen  Nuancen  von  t  und  s  nachzuahmen  und  so 
klingt  das  Tigre  in  ihrem  Munde  sehr  eigenthümlich;  übrigens 
folgen  sie   lexikalisch   dem   westlichen  Dialekt   von  Algeden. 

Die  Kunäma  reden  vom  Takkaze  an  bis  zum  Mareb  hinab 
die  gleiche  Sprache,  die  allen  verständlich  ist,  wenn  auch  die 
Provinz  Dika  besonders  lexikalisch  einen  etwas  verschiedenen 
Dialekt  spricht. 

Im  Aügemeinen  verstehen  die  Kunäma  nur  ihre  eigene 
Sprache.  Sie  haben  von  ihren  Herren  von  Adiabo  bis  jetzt 
nur  die  nothwendigsten  Worte  Tigrina  gelernt;  wollen  sich 
die  Abyssinier  ihnen  verständlich  machen,  so  reden  sie  mit 
ihnen  im  Infinitiv  ohne  alle  Grammatik,  ganz  wie  die  Colo- 
nisten  von  Bourbon  und  Maurice  mit  ihren  frühern  Sklaven. 
Wir  fanden  auf  unserer  Route  keinen  einzigen  Kunäma,  der 
sich  in  einer  fremden  Sprache  gehörig  ausdrücken  konnte. 
Eine  Ausnahme  machen  die  Grenzvölker  nach  Norden  hin; 
so  redeil  viele  Eimasa  ganz  geläufig  Barea  und  Tigre;  die 
Leute  von  Elit  verstehen  durchgängig  das  Tigre.  Auch  im 
Gau  Betkom  finden  sich  einzelne  Leute,  die  mit  dem  Barea 
und  dem  Tigre  vertraut  sind. 

Ohne  unserer  spätem  Mittheilung  über  die  Bazensprache 
vorgreifen  zu  wollen,  wollen  wir  hier  nur  bemerken,  dass  sie 
einen  sehr  weichen,  vocakeichen,  einförmigen  Klang  hat;  sie 
entbehrt  des  Accentes  und  aller  rauhen  Consonanten.  Sie  passt 
sehr  gut  zu  dem  stillen,  gleichförmigen,  auch  accentlosen 
Charakter  des  Volkes. 


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Religion  und  Recht. 


Lfm  das  ganze  Leben  der  Barea  und  der  Kunäma  uns  zu 
verdeutlichen,  müssen  wir  uns  vorerst  ihre  religiösen  Begriffe 
deutlich  zu  machen  suchen.  Indem  wir  nun  bemerken,  dass 
die  beiden  Völker  in  Religionssachen  durchaus  übereinstim- 
men, müssen  wir  von  vornherein  die  Ausnahmen  angeben,  in- 
sofern einzelne  Glieder  dieser  Völker  islamitisirt  sind. 

So  müssen  wir  denn  bemerken,  dass  bei  den  Barea,  wie 
schon  früher  gezeigt  wurde,  die  beiden  Dörfer  Haberetta  und 
Shilko  ihrer  Abstammung  nach  Tigre  und  Mohammedaner 
sind,  wenn  sie  in  Spräche  und  Sitte  auch  durchaus  Barea 
geworden  sind.  In  den  andern  Dörfern  hat  der  Islam  grosse 
Fortschritte  gemacht  und  es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dass  in 
kurzer  Zeit  alle  Barea  die  neue  Religion  angenommen  haben 
werden.  Tembädere  allein  hat  sich  bis  jetzt  von  der  Neuerung 
ganz  frei  gehalten.  DioMogoreb  sind  auch  zum  grossen  Theil 
Mohammedaner.  Bei  den  Kunama  ist  der  Islam  noch  viel 
weniger  verbreitet;  die  Mareb-  und  Takkazebewohner,  Mai 
Daro,  Anal,  Dika,  Betkom  und  Afla,  kennen  ihn  noch  gar 
nicht  und  haben  bis  jetzt  gar  keine  Tendenz,  sich  ihm  zu 
nähern;  in  der  gegenwärtigen  Zeit  müsste  sie  ihre  politische 
Lage  eher  dem  Christenthum  zudrängen,  wenn  die  Herren  von 


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470  Reise  durch  das  Land  der  Kundma. 

Adiabo  etwas  an's  Proselytenmaclien  dächten.  Anders  ver- 
halten sich  die  nördlichen  Grenzvölker;  so  ist  Elit,  das  durch- 
aus von  Algeden  abhängt,  fast  ganz  mohammedanisch  gewor- 
den und  auch  in  Eimasa  ist  ein  grosser  Theil  des  Volkes  zum 
Halbmond  bekehrt.  Ausserdem  finden  sich  einige  moham- 
medanische Kunäma-Dörfer  bei  Samero.  Doch  sind  im  Ganzen 
die  Kimäma  ihrer  alten  Religion  sehr  zugethan,  während  die 
Baarea  numerisch  genommen  schon  die  grosse  Hälfte  moham- 
medanisch sind  und  moralisch  der  Islam  unzweifelhaft  schon 
das  Uebergewicht  besitzt. 

Eine  andere  Frage  ist  aber  die,  inwieweit  die  bekehrten 
Barea  und  Kunäma  die  mohammedanischen  Gebräuche  ange- 
nommen haben.  Die  Bekehrung  zum  Islam  ist  nämlich  bei 
den  Meisten  eine  ganz  oberflächliche;  nur  die  Leute  von  Ila- 
beretta  und  Shilko,  die  von  Alters  her  Mohammedaner  sind, 
beten  und  fasten  regelmässig.  Die  übrigen  Mohammedaner 
bekennen  Sich  zur  Einheit  Gottes  und  der  Sendung  des  Pro- 
pheten, sind  aber  für  dessen  Vorschriften  sehr  gleichgültig. 
Ihre  Bekehrung  hält  sie  keineswegs  von  dem  häufigen  Gcnuss 
des  Bieres  ab.  In  dieser  Hinsicht  hat  überhaupt  der  Islam 
in  ganz  Afrika  wenig  durchgegriflFen,  so  leicht  er  sonst  Pro- 
selyten  macht.  Auch  im  Genuss  des  Fleisches  sind  die  Mo- 
hammedaner in  diesen  Ländern  wenig  skrupulös ;  nur  die  Be- 
wohner von  Haberetta  und  Shilko  enthalten  sich  des  Fleisches, 
das  nicht  nach  mohammedanischem  Ritus  geschlachtet  ist. 
Die  andern  Kunäma  und  Barea  verschmähen  auch  nach  clirist- 
lichem  Gebrauche  geschlachtetes  Fleisch  nicht  und  gemessen 
sogar  ohne  Bedenken  Aas.  Ich  wurde  bei  den  Barea  oft  von 
Mohammedanern  um  Fleisch  gebeten^  was  mich  befremden 
musste,  da  in  Ostafrika  sonst  die  Mohanmiedaner  grossen 
Abscheu  gegen  fremdes  Fleisch  hegen.  Warum  sollten  wir 
Sklaven  nicht  davon  essen,  wenn  es  so  vornehmen  Herren  (wie 
sie  uns  nannten)  gut  genug  ist?  sagten  sie. 

Während  so  der  Islam  eigentlich  nur  dem  Namen  nach 
vegetirt,  übt  er  einen  durchgreifenden  Einfluss  auf  das  Recht 


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Heise  durch  das  Land  der  Kundnuu  471 

des  Volkes,  besonders  bei  den  Barea.  Alle  neuen  Moham- 
medaner nehmen  ohne  Anstand  das  mohammedanische  Ehe- 
und  Erbrecht  an,  das,  wie  wir  sehen  werden,  dem  nationalen 
Recht  ganz  zuwiderläuft,  und  wir  werden  auf  diese  Revolution 
der  Rechtsideen  weitläufig  zurückkommen  müssen.  Nachdem 
wir  so  die  Ausnahmen  constatirt  haben,  wollen  wir  die  eigent- 
liche ursprüngliche  Volksreligion  der  Barea  und  der  Kunama 
untersuchen.  Wir  wollen  uns  nicht  anmassen,  darüber  voll- 
ständig klar  geworden  zu  sein;  wir  konnten  uns  verhältniss- 
mässig  viel  zu  wenig  aufhalten  und  auch  unsere  Sprachkennt- 
nisse waren  viel  zu  unvollkonmien ,  als  dass  wir  in  alle  die 
geheimen  Schachte  des  Volksbewusstseins  hätten  eindringen 
können. 

Unzweifelhaft  steht  fest,  dass  die  Barea  und  die  Kunama 
in  ihrem  religiösen  Bewusstsein  ganz  und  gar  übereinstimmen 
und  dass  sie  demnach  auch  ihr  Volksrecht  gleichmässig  ge- 
bildet haben.  Wir  werden  also  in  der  folgenden  Untersuchung 
zwischen  den  zwei  Völkern  wenig  Unterscheidungen  zu  machen 
haben.  In  früheren  Jahren,  wo  ich  das  Land  der  Barea  nur 
in  seinem  Grenzort  Bisha  zu  besuchen  Gelegenheit  hatte, 
glaubte  ich  irrthümlich,  die  Kunama  und  die  Barea  seien 
verrottete  Christen,  wie  es  z.  B.  die  Bogos  noch  sind,  ver- 
wahrloste Kolonien  der  abyssinischen  Kirche,  denen  aller 
Gottesdienst  abhanden  gekommen  sei.  Diese  Idee  bekam  ich 
von  den  Mohammedanern  des  Barka  und  von  Bisha  selbst, 
die  in  ihrer  oberflächlichen  Kenntniss  des  Christenthums  alle 
Andersgläubige  unter  dem  Namen  Kostan  oder  auch  Kofär, 
Ungläubige  (Ajf)  zusammenzuwerfen  belieben.  Eine  genauere 
Ansicht  der  Dinge  verbietet  aber  vollständig,  diese  zwei  Völker 
für  alte  Christen  anzusehen.  Denn  wenn  auch  die  Bogos, 
Mensa  und  alle  andern  Grenzvölker  von  Abyssinien  nur  spär- 
liche religiöse  Ideen  und  eigentlich  gar  keinen  Gottesdienst 
mehr  haben,  so  sind  doch  Spuren  des  Christenthums  genug 
geblieben,  um  sie  als  Kinder  der  äthiopischen  Kirche  zu  er-- 
kennen,  was  aus  unsem  frühem  Arbeiten  klar  genug  hervor- 


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472  Heise  durch  das  Land  der  Kun&ma. 

geht.  Diess  ist  aber  bei  den  Barea  und  Kunama  gar  nicht 
der  Fall,  denn  sie  haben  durchaus  keine  Reminiscenz  früheren 
Christenthums.  Die  Woche  wird  durch  keinen  Sonntag,  das 
Jahr  durch  keine  Festtage,  die  irgend  auf  die  unsem  deute- 
ten, abgetheilt.  Jeder  Tag  ist  dem  andern  gleich,  der  Pflug 
ruht  an  keinem  Tage.  Keine  Ruine  mahnt  an  alte  verfellene 
Kirchen.  Die  Barea  und  die  Kunama  selbst  leugnen  ent- 
schieden, je  Christen  gewesen  zu  sein.  Wir  sind  ein  beson- 
deres Volk,  sagen  sie,  Mohammedaner  und  Christen  sind  uns 
gleich  fremd.  Es  fehlt  ihnen  nicht  der  Begriff  von  Einem 
Gott,  dem  Herrn  der  Welt,  und  auch  bestimmte  Namen  dafür 
sind  in  beiden  Sprachen  da;  aber  sie  zollen  ihm  keine  An- 
betung. Wer  kennt  ihn  nicht,  sagten  sie  mir  auf  meine 
Frage:  aber  es  bleibt  bei  dem  leeren  Begriff,  der  nie  mit  denj. 
Leben  der  Menschen  in  Zusammenhang  tritt  oder  wohlthätig 
und  schadend  eingreift.  Ich  möchte  nicht  die  Frage  aufwer- 
fen, ob  vielleicht  auch  dieser  kahle  Begriff  von  den  nachbar- 
lichen Monotheisten  entlehnt  ist;  denn  die  Idee  Gottes  scheint 
mir  eine  für  jeden  Menschen  naheliegende,  ja  nothwendige 
zu  sein.  Jedenfalls  ist  diese  Idee  hier  nie  in  Heidenthum 
ausgeartet.  Diese  Völker  haben  keine  Götter,  noch  Götzen; 
es  fehlen  ihnen  die  Kirchen  und  der  Gottesdienst;  sie  haben 
keine  Festtage  in  unserem  Sinn  und  es  fehlen  ihnen  das  Gebet 
und  die  Offenbarung.  Selbst  der  Begriff  von  Unsterblichkeit 
findet  sich  nur  undeutlich;  während  einige  ein  unterirdisches 
Leben  nach  dem  Tode  in  der  Art  der  Bogos  anzunehmen 
scheinen,  erklärten  mir  die  andern  unumwunden,  todt  sei 
todt.  Schwer  ist  es  immerhin,  die  ursprüngliche  Idee  des 
Volkes  zu  erkennen,  da  die  umliegenden  christlichen  und  mo- 
hammedanischen Völker  nothwendig  die  religiösen  Begriffe 
influenziren.  Auf  einen  gewissen  Unsterblichkeitsglauben  deuten 
aber  gewiss  die  sehr  sorgfältig  gemachten  Gräber,  die  dem 
unbedingt  todt en  Verstorbenen  nicht  zukommen  würden.  Wir 
werden  später  darauf  zurückkommen. 


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Reise  darch  das  Land  der  Kan&ma.  473 

Dagegen  finden  sich  gewisse  abergläubische  Gebräuche  und 
ein  Fest,  dem  religiöse  Bedeutung  nicht  abgesprochen  werden 
kann. 

Die  Barea  und  soviel  mir  bekannt  auch  die  Kunäma  feiern 
jährlich  nach  der  Emdte  im  November  ein  Fest,  das  die 
Barea  Thijot  nennen.  Es  ist  ein  Fest  des  Dankes  wohl  für 
die  vollendete  Erndte,  der  Versöhnung  und  der  Erinnerung 
an  die  Todten.  Jedes  Haus  bereitet  für  diesen  Tag  viel  Bier 
vor;  auch  für  jeden  Todten  des  Hauses  wird  ein  kleiner  Topf 
voll  zwei  Tage  lang  im  Hause  hingestellt  und  dann  von  den 
Lebenden  getrunken.  An  diesem  Feste  begibt  sich  die  ganze 
Bevölkerung  eines  Gaues  an  einen  besondern  Platz,  wo  Spiel 
und  Tanz  den  Tag  verkürzen.  Wer  an  diesem  Tage  Schläge 
gut  hat,  gibt  sie  ungestraft  zurück.  Es  ist  ein  Tag  des 
Friedens,  wo  alle  Fehde  ruht.  Bei  den  Barea  ist  der  Fest- 
platz Therbo  Wodeg  bei  Aretta,  ein  Hain,  der  heilig  gehalten 
wird.  Die  Kunama  feiern  das  gleiche  Fest;  ich  konnte  aber 
nicht  erfahren,  auf  welchem  Platze.  Erst  nach  diesem  Feste 
ist  es  erlaubt,  den  wilden  Honig  einzusammeln. 

Je  weniger  Religion  unsere  Völker  haben,  um  so  mehr 
wuchert  der  Aberglaube.  Sehr  stark  ist  der  Glaube  an  Ta- 
lismane und  Amulete;  besonders  Wurzeln  werden  geheime 
Kmfte  zugeschrieben ;  am  Hals,  an  den  Armen  getragen,  sollen 
sie  Krankheiten  verhüten,  die  feindliche  Waflfe  und  Gift  un- 
schädlich machen.  Auch  die  sogenannten  Hedjab  (v-)L^),  von 
christlichen  und  mohammedanischen  Priestern  geschrieben, 
werden  in  Hautriemen  eingenäht  am'  Arme  getragen.  Bei 
unserer  Durchreise  wurden  auch  wir  oft  gebeten,  solche  Ta- 
lismane zu  schreiben.  Der  gleiche  Aberglaube  ist  überhaupt 
ganz  Ostafrika  gemein.  Von  Geister-  und  Hexenglauben,  der 
in  Abyssinien  so  stark  ausgebildet  ist,  findet  sich  keine  Spur, 
oder  besser  gesagt,  ich  sah  und  hörte  nichts,  das  daraufhin- 
deuten könnte.  Freilich  sind  grosse  steinerne  Gebäude  viel 
eher  geeignet,  die  Phantasie  zu  erregen,  als  leichte  Stroh- 
hütten. 


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474  Heise  durch  das  Land  der  Kunama. 

Merkwürdig  ist  die  Priesterschaft  des  Alfai,  wie  ihn  die 
Barea  und  Kunama  nennen,  der  die  Macht  haben  soll,  Regen 
zu  machen.  Uebrigens  bestand  dieses  Amt  früher  auch  in 
Algeden  und  scheint  noch  jetzt  den  Nuba-Negern  gemein  zu 
sein.  Der  Alfai  der  Barea,  der  auch  von  den  nördlichen  Ku- 
nama consultirt  wird,  lebt  nahe  bei  Tembadere  auf  einem 
Berge  allein  mit  seiner  Familie.  Das  Volk  bringt  ihm  Abgaben, 
Kleidungsstücke  und  Früchte  und  bebaut  ihm  ein  eigenes 
grosses  Feld.  Er  ist  eine  Art  König,  dessen  Amt  nach  dem 
Erbrecht  auf  den  Bruder  oder  Schwestersohn  übergeht.  Er 
soll  Regen  herabbeschwören  und  die  Heuschrecken  vertreiben. 
Erfüllt  sich  aber  die  Erwartung  nicht  und  entsteht  grosse 
Dürre  im  Lande,  so  wird  der  Alfai  zu  Tode  gesteinigt,  wobei 
seine  nächsten  Verwandten  gezwungen  sind,  den  ersten  Stein 
auf  ihn  zu  werfen.'  Als  wir  durchreisten,  war  das  Amt  des 
Alfai  bei  den  Barea  noch  immer  von  einem  alten  Manne  be- 
setzt; ich  hörte  aber,  das  Regenmachen  sei  ihm  zu  gefährlich 
geworden  und  so  habe  er  sich  von  seinem  Amte  losgesagt.  Das 
gleiche  Amt  findet  sich  übrigens  auch  bei  den  Kunama.  Ebenso 
wie  das  Fest  Thijot  deutet  auch  der  Alfai  auf  eine  Ai-t  von 
Cultus,  den  weiter  zu  erforschen  uns  aber  nicht  vergönnt  war. 

Die  eigentliche  Religion  der  Barea  und  der  Kunama  be- 
steht aber  in  einer  ausserordentlichen  Ehrfurcht  vor  dem 
Alter.  Was  alt,  schwach,  greis  oder  blind  ist,  gebietet  bei 
diesen  Völkern  allein  Achtung.  Niemand  redet  vor  seineu 
Eltern,  da  die  gegenseitige  Achtung  je  nach  dem  Alter  sich 
abstuft.  Jünglinge  mischen  sich  nie  in's  Gespräch  der  Aelteru 
und  selbst  bejahrte  Männer  horchen  mit  Ehrfurcht  den  Worten 
der  Grauen.  Vater  und  Mutter  sind  äusserst  hoch  gehalten. 
Nie  wagt  es  der  Sohn,  seinen  Elteni  zu  widersprechen  oder 
sich  gegen  ihren  selbst  ungerechten  Spruch  aufzulehnen.  Be- 
sonders die  Mutter  wird  sehr  geliebt  und  in  ihrem  Alter  zärt- 
lich gepflegt;  die  Söhne  bauen  ihr  ihr  eigenes  Feld  und  er- 
tragen geduldig  jede  Schmähung  von  ihr.  Es  gilt  als  ein 
unheilbringender  Fluch,  seine  Eltern  zu  misshandeln. 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunäma.  475 

Vortheilhaft  tritt  diese  Hochachtung  des  Alters  hervor 
gegenüber  dem  Betragen  der  umliegenden  Völker;  die  Bogos 
und  alle  Geez- Völker,  wie  auch  die  Beni  Amer,  achten  nur 
die  physische  I^aft.  Je  älter  der  Mann  wird  und  je  schwächer, 
um  so  mehr  verliert  er  von  seinem  Ansehen.  Bei  den  Bogos 
und  allen  uns  bisher  bekannten  Völkern  zaudert  kein  Jüng- 
ling, in  den  Rath  der  Grauen  hineinzureden  und  mit  seiner 
jungen  Kraft  zu  trotzen.  Auch  die  Eltern  werden  von  den 
erwachsenen  Kindern  oft  sehr  lieblos  behandelt  und  oft  steht 
der  Sohn  seinem  eigenen  Vater  feindlich  gegenüber  und  ver- 
nachlässigt seine  nothleidende  verwittwete  Mutter.  Glücklicher- 
weise beruht  die  Gesellschaft  da  auf  andern  Stützen,  auf  dem 
aristokratischen  Familienzusammenhang.  Bei  den  Beni  Amer'n 
tritt  diese  Missachtung  der  Eltern  noch  viel  schroffer  und  im- 
angenehmer  hervor.  Wir  kennen  viele  sehr  mächtige  Häupt- 
linge im  Barka,  deren  alte  Mütter  kaum  ein  Obdach  haben 
und  nothdürftig  ihren  Unterhalt  von  ihren  Töchtern  erbetteln. 
Denn  zu  der  Frauen  Ehre  sei  es  gesagt,  die  Töchter  verges- 
sen doch  nicht  so  ganz  die  heilige  Pflicht. 

Diese  Ehrfurcht  vor  dem  Alter  ist  nun  die  Garantie  der 
Gesellschaft  bei  unsem  Völkern.  Es  gibt  gewiss  keinen  Staat, 
keine  Gesellschaft,  die  durch  Zufall  oder  Personen  lange  sich 
halten  kann.  Es  muss  ein  gewisses  inneres  Leben,  ein  Be- 
wusstsein  da  sein,  das  die  auseinandergehenden  Kräfte  zusam- 
menhält, eine  so  zu  nennende  Religion.  Bei  den  aristokrati- 
schen Völkern,  bei  denen  eine  geoffenbarte  positive  Religion 
nur  zufällig  nebensächlich  sich  findet,  ist  es  die  Familie  und 
ihr  Trieb,  durch  enges  Zusammenhalten  sich  zu  verewigen, 
was  dem  Egoismus  des  Individuums  entgegenarbeitet.  Bei  den 
jetzt  zu  betrachtenden  Völkern  fehlt  auch  dieser  Halt,  da- 
gegen vertritt  seine  Stelle  die  unbedingte  Ehrfurcht  vor  dem 
Alter  und  die  Waffe  des  Greises,  der  Fluch.  Denn  hier  ist 
jeder  überzeugt,  dass  irgend  ein  Unternehmen,  'das  den  Segen 
der  Alten  nicht  für  sich  hat,  scheitern,  dass  jeder  von  ihnen 
ausgesprochene  Fluch  vernichten  muss.       • 


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476  Reise  durch  das  Land  der  Eundma. 

Diess  vorausgesetzt,  wollen  wir  dem  aristokratischen  Fa- 
milienstaat der  Bogos,  wie  wir  ihn  früher  als  Beispiel  der 
Geez- Völker  beleuchtet  haben,  die  demokratische  Gemeinde 
der  Barea  und  Kunäma  entgegenstellen.  Wir  müssen  ein- 
für allemal  bemerken,  dass  rechtlich  genommen  diese  beiden 
Völker  ganz  gleichmässig  entwickelt  sind,  dass  also  unsere 
Darstellung^,  wo  wir  es  nicht  besonders  bemerken,  für  beide 
gleich  gültig  ist.  Doch  müssen  wir  hervorheben,  dass  dieses 
Recht  bei  den  Kunäma,  die  in  fast  keine  Berührung  mit  dem 
Auslande  kommen,  noch  viel  reiner  erhalten  ist  und  dass  bei 
ihnen  die  Ehrfurcht  vor  dem  Alter  noch  viel  lebendiger  dem 
Volke  innewohnt. 

Was  nun  dieses  Recht  und  den  Staat  charakterisirt,  ist 
die  vollständige  Gleichheit  der  einzelnen  Personen.  Es  fehlt 
die  Monarchie;  kein  bevorzugter  Stamm  hat  je  aristokratisch 
die  Stammfremden  beherrscht;  die  Familie  selbst  ist  politisch 
ohne  alle  Bedeutung. 

Wenn  nun  auch  die  Barea  und  die  Kunäma  dieselben 
RcchtsbegriflFe  haben,  so  stehen  sie  sich  durchaus  fremd  und 
oft  feindlich  gegenüber.  Dagegen  hängen  die  Barea  für  sich 
und  die  Kunäma  für  sich  völkerrechtlich  zusammen.  Wenn 
auch  ausnahmsweise  die  einzelnen  Gaue  sich  feindlich  gegen- 
überstehen können,  so  ist  jeder  Barea  von  Hagr  auch  in  Mo- 
goreb  sicher  und  umgekehrt  und  ebenso  kann  jeder  Kunäma 
ungefährdet  alles  Land  durchziehen,  wo  seine  Sprache  ge- 
sprochen wird. 

Wir  brauchen  uns  aber  nicht  mehr  beim  staatlichen  Zu- 
sammenhang der  beiden  Völker  aufzuhalten.  Wir  haben  schon 
gesehen,  dass  jedes  wieder  in  Gaue  zerfällt,  so  die  Barea  in 
Hagr  und  Mogoreb,  und  diese  wieder  in  Gemeinden.  Um  uns 
xiie  Sache  zu  vereinfachen,  wollen  wir  bei  diesen  zwei  Gauen 
stehen  bleiben,  weil  auch  die  Kunäma-Gaue  analog  gestaltet 
sind.  Bei  den  Barea  also  steht  jeder  Gau  rechtlich  und  po- 
litisch unabhängig  da;  das  Gericht  erstreckt  sich  nie  über  den 
eigenen  Gau  hinaus. 


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Heise  durch  das  Land  der  Kunäma.  477 

Den  Gau  bilden  die  Gemeinden,  denen  gegenüber  die  Fa- 
milie ohnmächtig  ist.  Die  Gemeinde  bilden  die  Bewohner  des 
Dorfes,  was  auch  ihre  Abstammung  sein  möge;  sie  besteht 
aus  Personen,  nicht  aus  Familien.  Selbst  der  eingewanderte 
Fremde  wird,  wenn  er  einmal  der  Landessprache  mächtig  ist 
oder  sich  im  Lande  yerheirathet  hat,  mit  dem  alten  Bewohner 
ebenbürtig;  kein  exclusives  Stammgefühl  unterscheidet  zwi- 
schen Bürger-  und  Einwohnergemeinde.  Nur  der  ganz  neue 
Gast  oder  der  vorüberziehende  Reisende  oder  Kaufmann  muss 
sich  einen  Wirth  suchen  und  wird  von  ihm  geschützt.  Wird 
der  Gast  getödtet,  so  rächt  sich  der  Wirth  sonderbarerweise 
dadurch,  dass  er  des  Mörders  Gast  tödtet.  Ohne  Wirth  ist 
der  Fremde  als  Feind  betrachtet  und  so  rechtlos;  besonders 
bei  den  Kunama,  die  von  allen  Seiten  bedrängt  sind,  ist  der 
Fremde  erst  wenn  er  in's  Haus  getreten  ist  sicher;  will  er 
in's  Freie  gehen,  muss  er  sich  von  einem  Landeseingebornen 
begleiten  lassen. 

Die  Gemeinde  richten  und  beherrschen  die'  Greise  des 
Dorfes;  sie  stützen  sich  auf  die  Einmüthigkeit  der  Gemeinde, 
die  ihren  Ausspruch  unbedingt  achtet,  ihren  Fluch  fürchtet 
und  dem  einzelnen  Trotz  gegenüber  sich  wie  Ein  Mann  erhebt. 
Nur  die  engere  Familie  ist  vom  Vater  abhängig;  was  über 
ihr  hinaus  ist,  geht  unbedingt  in  der  Gemeinde  auf. 

Der  Mann,  bevor  er  sein  eigenes  Haus  baut,  d.  h.  bevor 
er  sich  ein  Weib  nimmt,  ist  in  seines  Vaters  Gewalt  und  sein 
Verdienst  gehört  dem  letztern.  Die  Stelle  des  verstorbenen 
Vaters  nimmt  der  ältere  Bruder  ein.  Weiter  geht  die  Gewalt 
des  Vaters  nicht;  des  Kindes  Leben  und  Freiheit  gehört  dem 
mütterlichen  Onkel.  Wir  werden  dadurch  einen  ganz  andern 
Familienbegriflf  sich  entwickeln  sehen. 

lieber  das  Haus  hinaus  besteht  kein  Familienzusammen- 
hang mehr;  das  Haus  ist  die  Grenze  der  Familie;  wer  seinen 
eigenen  Herd  hat  ist  Bürger;  die  einzelnen  Häuser  bilden  die 
Gemeinde.  Ueber  die  Gemeinde  richten  die  Greise,  die  sich 
unter  einem  bestimmten  Baum  versammeln  oder  unter  einer 


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478  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

eigens  als  Rathplatz  mitten  im  Dorfe  errichteten  Schattenlaube 
(Logodat).  Hier  sitzen  die  Alten  und  um  sie  herum  das  Volk. 
Wird  eine  Rechtsfrage  vor  sie  gebracht,  so  hat  jeder  An- 
wesende das  Recht,  seine  Meinung  zu  sagen;  der  Jüngste  be- 
ginnt und  so  aufwärts  und  das  letzte  entscheidende  Wort  hat 
der  Aelteste  von  allen.  Oft  verlangen  die  Parteien  nur  ein 
unmassgebliches  Urtheil  und  werden  dann  nach  gegebenem 
Rathe  an  die  Aeltesten  einer  andern  Gemeinde  gewiesen,  ganz 
wie  wir  es  bei  den  Bogos  auch  gesehen.  Oft  erscheint  der 
Gegenstand  so  wichtig,  dass  die  Greise  sich  zu  einer  gehei- 
men Berathung  zurückziehen  zu  müssen  glauben.  Die  Sprüche 
sind  meist  sehr  einfach,  die  Berathung  kurz  und  gut.  Die 
Greise  haben  gewisse  gesetzgebende  Gewalt;  aber  im  Allge- 
meinen gilt  die  Tradition  früherer  Rechtssprüche,  die  unter 
dem  Namen  Butha  mit  Gesetzeskraft  citirt  werden.  Dieses 
traditionelle  Recht  wird  sich  im  Laufe  unserer  Untersuchung 
entwickeln,  zum  Voraus  sei  nur  bemerkt,  dass  dem  einfachen 
Sinn  dieser  Völker  gemäss  das  Gesetz  auf  grösstmögliche  Ver- 
einfachung ausgeht.  Das  Gesetz  ist  hier  da,  um  Processe  zu 
vermeiden,  während  das  raffinirte  Rechtsgefühl  der  Bogos  ein 
Gesetz  gebildet  hat,  das  im  Buchstaben  gut,  in  der  Praxis 
auf  Verwickelimg  ausgeht. 

Da  nun  in  der  Gemeinde  jedes  Haus  unabhängig  vom 
andern  dasteht  und  die  Familie  in  der  Gemeinde  sich  auflöst, 
so  sehen  wir  hier  nicht  den  Zwist  und  Hass  der  Familien,  wie 
er  uns  bei  den  aristokratischen  Völkern,  den  Bogos  ft.  a.  ent- 
gegengetreten ist.  Kommt  Streit  vor  zwischen  zwei  Personen, 
so  sind  sie  vorerst  sich  allein  überlassen.  Mag  die  eine  sogar 
landesfremd  sein  und  die  andere  einer  grossen  Familie  ange- 
hören, so  ist  die  Lage  dieselbe,  denn  niemand  mischt  sich 
in  den  Handel;  die  Zuschauer  des  Kampfes  hüten  sich  wohl, 
dem  einen  oder  dem  andern  zu  helfen. 

Aus  dieser  Unparteilichkeit  der  Familie  dem  Einzelnen 
gegenüber  ergibt  sich  folgendes  Verhältniss: 

Vorerst   wird  jedes  Individuum  dem    andern  gleich;  nie- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  479 

mand  wird  gezwungen,  sich  einer  herrschenden  Aristokratie 
gegenüber  einen  Schutzherm  zu  suchen,  wie  wir  das  bei  den 
Bogos  gesehen. 

Ferner  kann  ein  Streit  der  Personen  nie  ausarten  und  sich 
verewigen,  da  sich  die  Familie  nicht  hineinmischt.  Die  Ge- 
meinde hat  kein  Interesse,  für  den  einen  oder  andern  Partei 
zu  nehmen;  jeder  Bürger  ist  ihr  gleich  lieb,  am  liebsten  ist 
ihr  der  Friede  und  so  tritt  sie  nur  versöhnend  auf.  Ganz 
anders  ist  es,  wo  die  Familie  in  Masse  für  ihr  Kind  einstehen 
und  schon  ihrer  Existenz  halber  Partei  ergreifen  muss.  Daher 
fehlen  bei  den  Barea  und  Kunama  die  langdauemden  Blut- 
fehden, die  das  Volk  zerstören. 

Hat  sich  nun  jemand  zu  beklagen,  so  trägt  er  seine  Sache 
den  Greisen  vor  und  der  Beklagte  wird  vor  Gericht  geladen. 
Niemand  wagt,  sich  der  Vorladung  zu  entziehen.  Da  hilft 
weder  Name,  noch  Reichthum,  noch  Tapferkeit,  noch  Ver- 
wandtschaft; denn  die  ganze  Gemeinde  steht  gegen  das  rebel- 
lische Kind  auf  und  zwingt  es  zum  Gehorsam.  Wer  sich  nicht 
fügen  will,  mag  durch  Auswanderung  sich  retten.  Die  Ver- 
bannung ist  die  alleinige  und  härteste  Strafe  für  einen  Barea 
oder  Kunama,  da  jeder  seiner  Heimat  zugethan  ist. 

Auch  politisch  sind  die  Grauen  die  einzige  Behörde.  Sie 
schliessen  Krieg  und  Frieden.  Wollen  sie  mit  einem  Nach- 
barstamme Frieden  haben,  so  verbieten  sie  den  Männern  alle 
Raubzüge  dagegen,  indem  sie  darüber  ihren  Fluch  aussprechen. 

Oft  werden. vom  Ausland  her  geraubte  Heerden  in  ein 
Dorf  gebracht;  gehören  sie  einem  befreundeten  Stamme  an,  so 
wird  der  Räuber  zur  Rückerstattung  aufgefordert.  Weigert 
er  sich  hartnäckig,  so  versammeln  die  Grauen  die  Gemeinde 
und  führen  sie  zum  Hofe  des  Räubers.  Dann  wii'd  ihm  all 
sein  Hab  und  Gut  weggenommen,  sein  Haus  eingeworfen  und 
seine  Person  verbannt.  Seine  eigenen  Verwandten  und  Freunde 
werden  gezwungen,  bei  dieser  Execution  mitzuhelfen;  weigern 
sie  sich,  wird  ihnen  das  Nämliche  angethan.     So   weiss   die 


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480  Reise  durch  das  Land  der  Eun&ma. 

Gemeinde  sich  dem  Einzelnen  gegenüber  Achtung  zu  ver- 
schaflfen. 

Die  Gesandten,  die  beauftragt  sind,  mit  dem  Ausland  zu 
verhandeln  oder  den  Tribut  einzuziehen,  sind  einfache  Diener 
der  Gemeinde  mit  einer  gewissen  Entschädigung;  sonst  sind 
sie  in  keiner  Weise  ihren  Mitbürgern  überlegen. 

Als  Beweismittel  kennen  unsere  Völker  das  Zeugniss  und 
den  Eid.  Der  Zeuge  wird  hier  vor  Gericht  geladen  und  ver- 
hört, während  er  bei  den  Abyssiniem  und  den  Bogos  etc.  von 
den  Parteien  aufgesucht  und  so  gleichsam  Richter  wird.  Die 
Zeugenzahl  kann  nach  Verlangen  der  Beklagten  bis  auf  drei 
gebracht  werden.  Unfähig  zum  Zeugen  ist  der  Dieb,  der  Räu- 
ber, der  notorische  Lügner,  das  Weib  und  das  Kind.  Der 
Zeuge  macht  eine  einfache  Aussage  ohne  alle  eidliche  Be- 
kräftigung. Fehlen  Zeugen,  so  kann  der  Kläger  selbst  den 
Eid  abgeben  oder  den  Beklagten  schwören  lassen.  Das  alte 
Recht  der  Bogos  statuirt  denselben  Grundsatz,  der  bei  ge- 
wissenlosen Völkern  zu  vielen  Missbräuchen  führen  muss.  — 
Es  gibt  verschiedene  Schwurarten:  der  Schwörende  schlägt 
seines  Sohnes  Hand  oder  dessen  rechten  oberen  Schenkel  oder 
er  tritt  auf  sein  Schwert  oder  auf  seines  Verwandten  Grab. 
Bei  den  Barea  ist  ausserdem  üblich,  dass  der  Schwörende  in 
dem  erwähnten  heiligen  Hain  Therbo  Wodeg  einen  Ast  bricht; 
In  welchen  Fragen  Zeugniss  und  Eid  statthaben,  wird  sich 
im  Laufe  der  Untersuchung  ergeben. 

Bevor  wir  aber  weitei^ehen  können,  wollen  wir  die  Aus- 
nahmen constatiren,  die  der  theilweise  eingeführte  Islam  bei 
den  Barea  und  Kunäma  in  die  Rechtspflege  gebracht  hat;  wenn 
wir  auch  dem  Laufe  der  Untersuchung  vorgreifen,  so  können 
wir  sie  dann  um  so  unbesorgter  ausnahmslos  fortsetzen.  Wo 
nämlich  der  Islam  eingedrungen  ist,  verändert  er  natürlicher- 
weise die  Rechtsverhältnisse;  denn  er  ist  eine  ausnehmend 
praktische  Religion. 

Die  Mohammedaner  ersetzen  die  landesübliche  Heirath 
durch  den  Seflfah  (Trauung),  wodurch  die  Ehe-  und  Erbver- 


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Beise  durch  das  Land  der  Kunama.  481 

häJtnisse  sich  total  verändern.  Bei  der  Scheidung  erhält  die 
Frau  die  Hälfte  des  Vermögens  und  den  Mann  beerben  seine 
eigenen  Söhne,  nicht  wie  im  alten  Recht  der  Bruder  und  der 
Schwestersohn.  Entsteht  darüber  Process,  so  entscheidet  na- 
türlich nicht  mehr  die  Gemeinde,  deren  Recht  ganz  andern 
Grundsätzen  huldigt,  sondern  bei  den  Barea  wenden  sich  die 
Mohammedaner  an  die  Gemeinde  Haberetta,  als  älteste  Colo- 
nie  des  Islam  und  zuverlässige  Rechtsquelle.  Dieses  Einzeln- 
gericht erstreckt  sich  aber  nur  auf  das  Ehe-  und  Erbrecht; 
in  andern  Fragen  kennen  die  Barea  und  Eunäma,  seien  sie 
Mohammedaner  oder  nicht,  keinen  Unterschied.  Wir  wollten 
zuvor  diese  Ausnahme  notiren,  um  nicht  mehr  darauf  zurück- 
kommen zu  müssen. 

Aus  dem  bisher  Gesagten  ergibt  sich,  dass  unsere  Völker 
in  einer  unbedingten  Demokratie  leben.  Niemand  ist  vornehm 
oder  gering;  niemand  wähnt  sich  besser  zu  sein  als  die  an- 
dern. Reichthum  und  Armuth  hat  politisch  genommen  keine 
Bedeutung.  Kein  Adel  ragt  über  die  Masse  hervor;  selbst 
der  Fremde  ist  schnell  eingebürgert.  Das  Alter  allein  hat 
seine  ungefährlichen  Vorrechte.  Deswegen  entbehren  die 
Barea  und  Kunäma  der  genealogischen  Geschichte;  Stamm- 
bäume, wie  wir  sie  bei  den  aristokratischen  Völkern  gefunden, 
sind  da  werthlos,  wo  die  Familie  politisch  machtlos  ist  und 
die  Verwandtschaft  sich  schnell  vei^sst. 

Da  somit  der  Gegensatz  von  Paüicier  und  Plebejer  ganz 
unbekannt  ist,  können  wir  nur  vom  Verhältnisse  des  Herrn 
zum  Lohndiener  sprechen  und  selbst  hier  wird  die  Freiheit 
der  Untergebenen  auf  die  geringstmögliche  Art  geschmälert: 
das  Recht  ist  dem  Diener  ungemein  günstig.  Vorerst  ist  zu 
bemerken,  dass  die  Barea  und  Kunama  wenig  Dienstboten 
brauchen,  da  jedermann  arbeitet.  Der  Dienstbote,  sei  er  Hirt 
oder  Bauer  oder  Magd,  heisst  Kerai  (im  Tigre  „Lohn").  Die 
Bezahlung  beträgt  etwa  4  Fr.  in  Zeug;  ausserdem  hat  er  aber 
bestimmte  Tage,  wo  er  mit  seines  Herrn  Stieren  für  eigene 
Rechnung  pflügen  und  sich  ein  kleines  Feld  anbauen  kann. 

If  an  Singer,  Ostafrik.  Studien.  31 


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482  Reise  durch  das  Land  der  Eun&ma. 

Der  Hirt  oder  Bauer  hat  gewöhnKch  das  Recht  auf  acht 
solcher  Tage,  die  Magd  auf  die  Hälfte.  Oft  lautet  der  Con- 
tract,  dass  der  Besitzer  der  Stiere  zwei  Tage  für  eigene  Rech- 
nung pflügt  und  den  dritten  zum  Nutzen  seines  sonst  unhe- 
zahlten  Gehülfen.  In  Gesellschaft  das  gleiche  Feld  zusammen 
zu  pflügen  und  sich  die  Emdte  zu  theilen,  wie  wir  es  anders- 
wo gefunden,  kommt  hier  nicht  vor  und  verhindert  manchen 
Streit;  nie  gehört  ein  Feld  zwei  Herren.  Vereinigen  zwei 
Personen  ihre  Stiere  zu  einem  Joch,  so  wii*d  an  einem  Tag 
auf  des  einen,  am  andern  Tag  auf  des  andern  Feld  gepflügt. 
Jedermann  verlässt  sich  allein  auf  sein  eigenes  Glück.  Die 
Dienstzeit  währt  eigentlich  von  der  Regenzeit  bis  nach  der 
Erndte;  ist  aber  der  Dienstbote  mit  seinem  Herrn  zufrieden, 
so  bleibt  er  das  ganze  Jahr  ohne  weitere  Entschädigung.  Das 
Recht  ist  aber  dem  Dienstboten  gegenüber  sehr  liberal.  Tödtet 
de^  Hirt  ein  Stück  von  der  eigenen  Heerde,  so  hat  der  Herr 
doch  kein  Recht,  ihn  zur  Entschädigung  anzuhalten.  Oft 
kommt  es  sogar  vor,  dass  der  Hirt  ohne  Erlaubniss  sich  von 
seiner  Heerde  entfernt  und  sich  einem  Raubzug  anschliesst 
Was  ihm  dabei  von  Beute  zu  Theil  wird,  gehört  ihm  aus- 
schliesslich und  der  Herr  darf  sich  nicht  über  Vernachlässi- 
gung seines  Gutes  beklagen.  Wir  wollen  aus  diesen  Einz^n- 
heiten  zwei  Schlüsse  ziehen: 

1)  Zeigt  sich  darin  das  Streben,  auch  dem  Reichthum 
keine  Aristokratie  einzuräumen,  indem  das  Recht  den  Armen 
bevorzugt  und  die  Einfachheit  alle  Verwickelung  vermeidet. 
Diess  wird  bedeutend,  wenn  man  weiss,  dass  bei  den  aristo- 
kratischen Völkern  die  verwickelten,  hakenreichen  Verhältnisse 
des  Herrn  zum  Untergebenen  fast  allein  die  Leibeigenschaft 
unterhalten  und  den  Freien  knechten  oder  wenigstens  unter- 
than  machen. 

2)  Zeigt  sich  darin  der  Hauptcharakter  des  hiesigen  Rechts, 
das  die  Sache  sehr  gering,  die  Person  ungemein  hoch  schätzt, 
ein  Princip,  das  sich  noch  weiter  entwickeln  soll. 

Da  wir  bisher   das  Princip   vollständiger  Gleichheit  con- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  483 

sequent  durchgeführt  sehen,  so  tritt  die  Frage  nahe:  Gibt  es 
Sklaven  bei  diesen  Völkern  und  welches  ist  ihre  Stellung  zu 
den  Freien? 

Zuerst  müssen  wir  bemerken,  dass  die  Barea  und  die 
Bazen  nur  ausnahmsweise  Sklaven  besitzen  und  zwar  auswär- 
tige und  einheimische.  Vom  Ausland  kommen  Sklaven  durch 
Beraubung  feindlicher  Stämme;  meist  werden  sie  aber  von 
ihren  Verwandten  ausgelöst  oder,  bevor  sie  sich  eingewöhnt 
haben,  als  Waare  weiterverkauft.  Die  Barea  und  die  Bazen 
kaufen  sich  nie  vom  Ausland  Sklaven  an.  Eine  andere  Quelle 
der  Sklaven  ist  der  Kinderverkauf,  der  auch  hier  üblich  ist. 
In  Hungersnöthen  verkaufen  die  Verwandten  ihr  Kind  an 
einen  reichen  Nachbar.  Was  aber  bei  den  aristokratischen 
Völkern  am  ersten  Knechte  erzeugt,  ist  ihr  scharfes  Recht, 
das  nicht  nur  die  Person,  sondern  die  ganze  Familie  für  ver- 
letztes Eigenthum,  Schulden  oder  Diebstahl  verantwortlich 
macht;  so  haben  wir  bei  den  Bogos  und  den  Marea  gesehen, 
dass  die  meisten  Leibeigenen  Kinder  freier  Eltern  sind,  die 
etwas  verbrochen  oder  Schulden  hinterlassen  hatten  oder 
dessen  beschuldigt  waren.  Wir  sahen,  bis  zu  welcher  Unge- 
rechtigkeit die  Ueberschätzung  des  Adels  von  der  einen  Seite 
und  des  Eigenthums  von  der  andern  führen  und  wie  sie  die 
Freiheit  gefährden  kann. 

Nun  entbehrt  der  Barea  und  Kunama  aller  Standesunter- 
schiede und  auch  das  Eigenthum  geniesst  wenig  Bedeutung. 
Denn  diese  Völker  leben  in  einer  ewigen  Unsicherheit,  wo  der 
Mensch  wenig  an  die  Zukunft  denken  kann.  Sie  sind  ferner 
durchaus  nicht  Nomaden  und  überhaupt  kaum  Viehzüchter 
und  es  ist  eine  Thatsache,  dass  bewegliches  Eigenthum 
den  Eigenthumsbegriff  verschärft.  Ausserdem  treiben 
sie  wenig  Handel  und  kennen  kaum  das  Geld  oder  andres 
bewegliches  Eigenthum,  ausser  der  Emdte,  die  der  Gegen- 
wart nur  dienen  soll.  Grund  und  Boden  ist  zum  Ueberfluss 
da.  Also  kann  der  Begriff  von  Eigenthum  nicht  stark  sein. 
Daraus  folgt  der  wichtige  Rechtssatz:  die  Person  darf  der 

31* 


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484  Reise  durch  das  Land  der  Knnäma. 

Sache  wegen  keinesfalls  angetastet  werden.  Sie  darf 
also  wegen  Schulden  oder  Verbrechen  gegen  das  Eigenthum 
nie  geknechtet  werden.  Eine  Ausnahme  bildet  der  Mann,  der 
Landeseingebome  verkauft  hat;  er  kann  von  dessen  Verwand- 
ten füglich  wieder  verkauft  werden.  Es  folgt  aus  dem  Gesag- 
ten, dass  die  Sklaverei  der  Hauptquellen  entbehrt,  die  sie 
häufig  machen  könnten. 

Nun  müssen  wir  die  Stellung  der  wenigen  Sklaven  unter- 
suchen, die  sich  im  Lande  finden.  Wenn  wir  nun  das  Prin- 
cip  der  persönlichen  Freiheit  und  Gleidiheit  auch  auf  die 
Leibeigenen  ausgedehnt  finden,  so  ist  diess  keine  nothwendige 
Folge  des  bisher  Gesagten;  denn  der  Sklave  ist  eine  Waare 
und  keine  Person.  Nun  muss  man  aber  wissen,  dass  die  Barea 
und  Bazen  einer  Art  Tradition  zur  Folge  sich  selbst  alle 
Sklaven  schelten.  Sie  wollen  damit  sagen,  dass  der  Mensch 
natürlich  frei  ist  und  seine  Freiheit  nie  verlieren  kann.  Des- 
wegen ist  Gesetz  bei  diesen  Völkern,  dass  der  landeseinge- 
borene Sklave  durch  blosse  Entfernung  von  seinem  Herrn 
vollständig  frei  wird.  Hat  er  Grund,  mit  diesem  unzufrieden 
zu  sein,  zieht  er  sich  in  ein  anderes  Dorf  zurück,  lebt  wo  er 
will,  heirathet  und  zeugt  mit  Freien,  ohne  alle  Belästigung 
und  Nachrede.  Verheirathet  der  Herr  seinen  Sklaven,  indem 
er  Vaterstelle  an  ihm  vertritt,  erklärt  er  ihn  dadurch  factisch 
frei.  Der  Herr  hat  auch  nicht  das  Recht,  seinen  landesein- 
gebomen  Sklaven  zu  tödten;  er  würde  sich  dadurch  der  Blut- 
rache der  Verwandten  des  Getödteten  aussetzen.  Der  Erbe 
des  Sklaven  ist  wie  bei  den  Freien  der  Bruder  oder  Schwester- 
Bohn;  bei  seinen  Lebzeiten  fallen  aber  sein  Erwerb  und  Kriegs- 
beute dem  Herrn  zu. 

Ohne  dem  Erbrecht  vorgreifen  zu  wollen,  müssen  wir  doch 
beifügen,  dass  das  Kind  der  Mutter  nachgeht;  ist  sie  Sklavin, 
so  ist  das  Kind  es  auch;  ist  sie  fi*ei,  so  ist  auch  das  Kind 
frei  trotz  des  geknechteten  Vaters. 

Fremde  Sklaven  haben   zwar   nicht   die   gleichen  Rechte, 


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Reise  durch  das  Land  der  Kan&ma.  485 

wie  Landeseingeborne;  doch  sind  sie  einmal  eingewöhnt,  ge- 
niessen  auch  sie  die  gleiche  Freiheit. 

Um  zn  resumiren,  sehen  wir,  dass  die  Sklaverei  hier  ein 
fremdes  Gewächs  ist,  das  sich  gegenüber  dem  Princip  der 
GleiQhheit  nicht  halten  kann;  sie  bleibt  immer  eine  Ausnahme; 
wenn  sie  auch  dem  Namen  nach  vorkommen  kann,  so  fehlt 
der  eigentliche  Begriff  der  Leibeigenschaft,  da  bei  den  Barea 
und  Kunäma,  wer  nicht  Herr,  auch  nicht  Sklave  werden  kann. 
Nach  dieser  Philosophie  ist  jeder  Mensch  in  gewisser  Hinsicht 
Sklave  und  in  gewisser  Hinsicht  frei;  die  Person  kann  nie 
Sache  werden  oder  ihretwegen  das  Princip  der  Persönlichkeit, 
die  Freiheit,  verlieren. 


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Familie. 


Wir  müssen  nun  die  ehelichen  Verhältnisse  betrachten. 
Eine  Verlobung,  wie  sie  uns  bei  den  Bogos  bekannt  wurde, 
kennen  unsere  Völker  nicht.  Wer  heirathen  will,  hält  bei 
dem  Vater  um  die  Hand  der  Tochter  an,  deren  Willen  nicht 
berathen  mrä.  Sehr  oft  knüpft  aber  der  Jüngling  selbst  Be- 
kanntschaft an;  wird  das  Mädchen  schwanger,  so  hält  er  um 
ihre  Hand  an  und  sie  wird  seine  Frau.  Ist  er  aber  nicht 
gesonnen,  sie  zu  heirathen  oder  ist  er  der  Familie  des  Mäd- 
chens nicht  genehm,  so  gebärt  das  Mädchen  in  ihres  Vaters 
Haus  und  das  Kind  gehört  von  Rechtswegen  der  mütterlichen 
Familie,  von  der  es  ernährt  und  auferzogen  wird.  Bei  diesen 
Völkern  gilt  Schwängerung  durchaus  nicht  für  ein  Ver- 
brechen wie  bei  den  Bogos.  Aussereheliche  Kinder  werden  für 
ebenso  gut  angesehen,  wie  die  andern;  auch  für  die  Mutter 
ist  keine  Schande  damit  verbunden.  Wir  finden  darin  einen 
grossen  Gegensatz  zu  den  aristokratischen  Völkern,  besonders 
den  Beni  Amer'n  und  den  Marea,  die  nie  ein  uneheliches 
Kind  dulden  und  sogar  die  unvorsichtige  Mutter  dem  Familien- 
stolz opfern;  denn  sittliches  Gefühl  ist  keineswegs  die  Trieb- 
feder dieser  unmenschlichen  Grausamkeit. 


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Reise  durch  das  Laud  der  Kunama.  487 

Der  Bräutigam  zahlt  unter  verschiedenen  Titeln  eine  Ab- 
gabe an  die  Familie  der  Braut  und  so  trivial  und  kleinlich 
sie  ist,  so  mag  ihre  Aufzählung  immerhin  das  Leben  des 
Volkes  deutlich  machen. 

Er  schenkt  der  Mutter  der  Braut  1  Kuh,   die   auch   zu 
4  Ziegen  berechnet  wird. 
Desgl.   der  väterlichen  Tante  1  Ziege  und  die  Haut 
der  Mindik. 
»       dem  mütterlichen  Onkel  der  Braut  1  Ziege. 
»       dem  mütterlichen  Grossvater  1  junge  Ziege. 
»       dem  Vater  der  Braut   1 — 4  Kühe,  jede   zu 
4  Ziegen  berechnet. 
Er  bringt    1  Kuh   als  Nackenpreis  (Segad),  die  gemein- 
schaftliches Gut  von  Mann  und  Frau  wird. 
Desgl.  1  Ziege  der  Mutter  der  Braut,  die  dafür  Bier 
bereitet. 
»       1  rothhaarige  Ziege,    die  von  der  väterlichen 
Vei'wandtschaft  der  Braut  geschlachtet  wird. 
))       1  einfarbiges  Schaf,  das  Eigenthum  des  Braut- 
paares wird. 
Dazu  kommt  noch  die  Kuh  Mindik,  das  Opfer,  das  die  Heirath 
besiegelt,  die  ohne  Fehler  und  Mangel,  Zeichen  und  Brand- 
mal sein  muss.     Der  Vater   der  Braut   hat   durchaus   keine 
Verpflichtung,  ihr   etwas   mitzugeben.    Doch  kommt  es  vor, 
dass  er,  um  seine  Zuneigung  zu  beweisen,  Aecker,  Kühe  und 
Hausgeräth  mitgibt,  was  dann  des  Paares  gemeinschaftliches 
Gut  wird.     Verlobung,  Entrichtung  der  Ehegebühr  und  Hei- 
rath folgen  kurz  aufeinander.    Ist  die  Braut  von  zweiter  Ehe, 
so  hat  sie  das  Recht,  frei  über  ihre  Hand  zu  verfügen  imd 
ihi-  gewählter  Mann  schenkt  ihr  ein  Kleid  und  eine  Kuh,  die 
gemeinschaftliches  Eigenthum  des  Paares  wird.    Die  Familie 
des  Bräutigams  ist  nicht  gezwungen,  ihn  bei  der  Heirath  zu 
unterstützen;  doch   erhält  er  gewöhnlich  Hochzeitsgeschenke 
von  Freunden  und  Venvandten,  die  er  bei  gleicher  Gelegen- 
heit wieder  zuiiickgeben  muss.    Der  sogenannte  Therq   oder 


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488  Reise  durch  das  Land  der  Kouima. 

die  gegenseitige  Verantwortiichkeit  der  Familie  ist  diesen 
Völkern  fremd;  nur  wenn  es  gilt,  einen  im  Ausland  geknech- 
teten Verwandten  loszukaufen,  vereinigen  sich  die  Familien, 
um  das  Lösegeld  erschwingen  zu  können. 

Die  Heirathshindermsse  gehen  nicht  so  weit  als  hei  den 
Geez- Völkern,  die  bis  zum  7.  Grade  sich  nicht  vermischen, 
sie  sind  aber  nicht  so  beschränkt,  wie  bei  den  Mohammeda- 
nern, wo  schon  Vettern  sich  untereinander  verheirathen.*) 

Stirbt  ein  Mann,  so  wird  seine  Wittwe  von  seinem  Bruder 
von  gleicher  Mutter  und  fehlt  dieser,  von  seinem  Schwester- 
sohne ohne  alle  Abgabe  erblicher  Weise  geheirathet,  ohne 
dass  der  Wille  der  Frau  dabei  in  Betracht  konunt.  Hat  aber 
dieser  sogenannte  Erbe  keine  Lust,  die  Wittwe  zu  überneh- 
men, so  wird  er  doch  als  ihr  Vater  und  Vormund  betrachtet, 
und  bei  ihrer  allfälligen  Verheirathung  zu  ßathe  gezogen.  Es 
hat  hier  der  Mann  das  Recht,  seine  Stiefinutter  oder  die  Frau 
seines  verstorbenen  Vaters  zu  sich  zu  nehmen,  wie  diess  bei 
den  Bogos  geschieht.  Die  Wittwe  bleibt  ungefähr  ein  Jahr 
in  Trauer  im  Hause  ihres  verstorbenen  Mannes.  Haben  dann 
die  Erben  keine  Lust,  sie  in  der  Familie  zu  behalten,  so  wird 
sie  in  ihres  Vaters  Haus  zurückgeschickt.  Will  man  sie  aber 
„erben",  so  verweilt  sie  noch  zwei  andere  Jahre  im  Hause  als 
Wittwe  ohne  auszugehen,  und  erst  dann  wird  sie  von  dem 
Bruder  oder  Schwestersohn  ihres  verstorbenen  Mannes  geheira- 
thet. Jedenfalls  bleibt  sie  drei  volle  Jahre  Wittwe,  bevor 
sie  sich  wieder  verheirathen  kann. 

Die  Blutrache  -  einer  getödteten  Frau  betrifft  in  erster  Linie 
ihre  Kinder,  sind  keine  da,  ihren  Bruder  von  gleicher  Mutter 


♦)  Folgendes  ist  die  Tafel  der  Blutsverwandtschaft: 

Väterlich.  Mütterlich. 


Onkel  u.  Tante.             Vater.      Mutter.  Onkel  u.  Tante. 

Kinder.    Kinder.                      Ich.    Bruder.  Sohn.    Tochter 

I                I                             I      Schwester.  |               | 

Kinder.    Kinder.                  Kinder.      |  Kinder.    Kinder. 

Kinder. 


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Reise  darch  das  Land  der  Kimama.  489 

oder  den  Sohn  ihrer  Schwester;  nie  den  eigenen  Manu,  ausser 
der  Mord  würde  in  seiner  Gegenwart  geschehen. 

Der  Mann  hat  das  Recht,  zu  heirathen  so  viel  Frauen  er 
will.  Er  kann  sich  von  seiner  Frau  ohne  weiteren  Process 
scheiden,  wenn  er  will.  In  diesem  Fall  erhält  die  Frau  die 
Hälfte  des  gemeinschaftlichen  Vermögens,  wie  es  bei  der. Hoch- 
zeit angelegt  wurde;  von  dem  bisherigen  Erwerb  erhält  sie 
nichts,  ausser  die  Hälfte  des  vorräthigen  Duchn  (Bultub), 
v^ährend  das  Durra  und  das  Haus  dem  Manne  gehört.  Bei 
den  Mohammedanern  aber  erhält  die  Frau  gewöhnlich  die 
Hälfte  des  ganzen  Vermögens.  Auch  die  Frau  hat  das  Recht, 
wenn  sie  unzufrieden  ist,  auszuziehen  und  in  ihres  Vaters 
Haus  zurückzukehren.  Sei  sie  nun  mit  des  Mannes  Willen 
oder  durch  eigene  Entfernung  geschieden,  so  wird  sie  sogleich 
frei  und  ledig  und  kann  vom  ersten  Augenblick  an  wieder 
verheiraÜiet  werden.  Die  Kinder  geschiedener  Eltern  gehen 
mit  Ausnahme  der  Säuglinge  zum  Vater. 

Gross  ist  in  dieser  Hinsicht  der  Gegensatz  zu  den  Bogos, 
Marea,  Habab,  wo  die  geschiedene  Frau  auch  in  ihres  Vaters 
Hause  noch  zu  ihres  frühem  Mannes  Disposition  steht,  bis  er 
sie  eigentlich  frei  und  ledig  erklärt.  Während  bei  diesen 
Stämmen  also  auch  die  Scheidung  verklauselt  ist  und  leicht 
Processe  verursacht,  offenbart  sich  bei  den  Barea  und  Bazen 
wieder  der  einfeK^he  Sinn  des  Volkes,  das  allen  Anlass  zu 
Streit  und  Process  von  vornherein  abschneidet. 

Schulden,  die  ohne  des  Mannes  Wissen  von  der  Frau  con- 
trahirt  werden,  fallen  ihm  nicht  zur  Last  und  sind  überhaupt 
ungültig.  Die  Frau  hat  keine  bürgerlichen  Rechte:  sie  kann 
nicht  zeugen  und  nur  wenn  sie  keinen  Bruder  hat  erben;  sie 
darf  nicht  bürgen,  noch  klagen,  noch  in  Anklagezustand  ver- 
setzt werden.  In  dieser  Hinsicht  stimmt  das  hiesige  Recht 
ganz  mit  dem  der  Geez- Völker  überein. 

In  engem  Zusammenhang  mit  dem  Eherecht  steht  das 
Erbrecht  und  hier  begegnen  wir  einer  ganz  eigenthümlichen 
Anschauung  der  Familie,  wie  wir  sie  sonst  nicht  kennen.    Es 


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490  Reise  darch  das  Land  der  Kuuama. 

sind  nämlich  von  der  Erbschaft  die   eigenen  Kinder  ausge- 
schlossen; dagegen  erbt  in 

1.  Linie  der  Bruder  von  gleicher  Mutter, 

2.  ^  der  älteste  Sohn  seiner  ältesten  Schwester, 

3.  »  der  zweite  Sohn       »  »  »        u.  s.  f. 

4.  »  der  Sohn  der  Jüngern  Schwester, 

5.  »  die  Schwester  des  Erblassers, 

6.  »  ihr  Schwesterkind. 

Die  Güter  gehen  also  nur  an  die  Geschwister  und  an  ihue 
Nachkommen  von  weiblicher  Seite;  das  gleiche  Piincip  ist 
auch  für  die  Blutrache  consequent  durchgeführt,  indem  nur 
Bruder  und  Schwesterkind  dafür  verantwortlich  sind,  während 
die  eigenen  Kinder  das  Blut  ihres  Vaters  gar  nichts  angeht. 
Wir  können  uns  nicht  erklären,  was  diese  originelle  An- 
schauung der  Familie  motivirt  hat;  bei  den  Bazen,  wo  die 
Ehe  sehr  lose  ist  und  Ehebruch  nicht  geahndet  wird,  könnte 
man  sie  daraus  begründen,  dass  bei  der  Ungewissheit  der 
Vaterschaft  die  mütterliche  Abstammung  allein  anerkannt  wird 
und  darauf  deutet,  dass  der  bevorzugte  Erbe  der  Bruder  von 
gleicher  Mutter,  nicht  von  gleichem  Vater  ist;  aber  bei  den 
Barea,  wo  die  Ehe  sehr  streng  sittlich  und  Ehebruch  höchst 
selten  ist,  kann  nichts  diese  Anschauung  erklären.  Wii*  sehen 
schon  bei  den  Bogos  und  all  den  benachbarten  Völkern  das 
Schwesterldnd  eine  sehr  bevorzugte  Rolle  spielen;  es  hängt 
innig  mit  seiner  Mutterfamilie  zusammen  und  geniesst  ihr 
gegenüber  eine  gewisse  Straflosigkeit.  Doch  geht  diese  Liebe 
zwischen  Onkel  und  Neffen  mütterlicherseits  nicht  so  weit, 
dass  sie  die  Basis  der  natürlichsten  Verwandtschaft  zwischen 
Vater  und  Sohn  zerstören  würde. 

Bei  den  Barea  und  Bazen  lernen  wir  aber  eine  ganz  neue 
Familie  kennen,  indem  sie  rechtlich  nur  von  mütterlicher  Seite 
besteht  und  den  mütterlichen  Onkel  und  sein  Schwesterkind 
in  Eigenthum  und  Blut  eng  verbindet,  während  sie  das  Ver- 
hältniss  zwischen  Vater  und  Sohn,  wie  es  unserer  occidenta- 
lischen  und  auch  der  orientalischen  Anschauung  entspricht,  ganz 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  491 

mi^sachtet.  Niemand  yvird  die  Tragweite  dieses  Familieube- 
giiffs  verkennen;  wenn  meine  eigenen  Kinder  mich  nichts  an- 
gehen, sondern  allein  ihren  mütterlichen  Verwandten  nach- 
gehen, wenn  dagegen  mein  Schwesterkind  eng  mit  mir 
zusammenhängt  und  mein  Erbe  und  Rächer  ist,  so  muss  sich 
natürlich  das  ganze  Leben  von  Grund  aus  ändern. 

Von  diesem  Erbschaftsgesetz  sind  uns  folgende  Ausnalmieu 
bekannt.  Die  Frau  nimmt  von  der  Hinterlassenschaft  ihres 
Mannes  nur  den  bei  der  Hochzeit  entrichteten  Nackenpreis 
und  den  im  Hause  befindlichen  Vorrath  von  Duchn.  Ferner 
hat  der  Sterbende  wenigstens  bei  den  Barea  das  Recht, 
gegen  die  Ansprüche  der  rechtmässigen  Erben,  der  Schwester- 
söhne, zu  Gunsten  der  eigenen  Kinder  oder  anderer  Freunde 
zu  testiren;  die  Execution  versichert  er  alsdann  durch  gewichtige 
Zeugen.  Die  eigenen  Kinder  haben  zwar  keine  Ansprüche  auf 
das  väterliche  Vermögen,  doch  hat  [der  Vater  die  Pflicht,  sie 
zur  Heirath  auszusteuern;  sind  sie  bei  dessen  Tode  noch  un- 
mündig, so  werden  sie  von  den  Vaterstelle  vertretenden  Erben, 
dem  Bruder  des  Todten  oder  dessen  Schwestersohn,  auferzogen 
und  ausgesteuert. 

Die  Erbschaft  und  auch  allfällige  Schulden  werden  aber 
erst  nach  mehreren  Monaten  angetreten;  ungetheilt,  Acker, 
Kühe,  Geld  en  bloc  geht  sie  an  den  nächsten  berechtigten 
Erben  über,  ebenso  wie  die  Wittwe  des  Verstorbenen,  wie  wir 
schon  oben  bemerkt  haben,  und  auch  darin  zeigt  sich  die  Ein- 
fachheit, die  Processe  ersparen  will. 


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Das  Eigenthum. 


Die  Barea  und  die  Bazen  erinnern  sich  nicht  der  Zeit 
ihrer  Einwanderung.  Da  sie  nicht  als  Stamm  einwanderten, 
sondern  als  Gemeinden,  die  sich  der  Sprache  nach  zusammen- 
hielten und  verstanden,  so  haben  sich  die  allfälligen  Abori- 
giner,  welche  es  auch  gewesen  sein  mögen,  schnell  mit  ihnen 
verschmolzen.  So  hat  jedes  Grundstück  seinen  Herrn,  ohne 
dass  man  daraus  die  alten  Stammsitze  erkennen  könnte,  wie 
z.  B.  bei  den  Bogos.  Grundbesitz  fehlt  keineswegs,  aber  er 
hat  wenig  Werth,  da  eine  ungeheure  Masse  Land  seit  Urzeiten 
brach  daliegt  Der  Preis  eines  Ackers  (ungefähr  2  Morgen) 
kann  auf  eine  Kuh,  also  etwa  15  Fr.  sich  belaufen.  Grund- 
stücke werden  selten  veräussert:  der  benöthigte  Besitzer  gibt 
sein  Land  dem  Käufer  meist  nur  als  Schuldpfand  hin,  das  er 
gegen  den  erlegten  Preis  jederzeit  wieder  an  sich  bringen  kann. 
Deswegen  wird  beim  Verkauf  besonders  stipulirt,  ob  der  Acker 
für  immer  verkauft  sei  oder  ob  der  Herr  sich  das  Recht  vor- 
behalte, ihn  später  wieder  an  sich  zu  bringen.  Das  Gesetz 
begünstigt  also  die  Stetigkeit  des  Grundbesitzes. 

Wer  kein  eigen  Land  hat,  wendet  sich  an  einen  Landbe- 
sitzer und  bittet  ihn  um  die  Erlaubniss,  ein  Stück  von  dessen 
Grund  bebauen  zu  können;  da  viel  zu  viel  Land  da  ist,  so 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  493 

wird  ihm  diess  nie  abgeschlagen;  der  Herr  spricht  seinen 
Segenswunsch  aus  und  erhält  bei  der  Emdte  eine  kleine  Ab- 
gabe. Niemand  würde  sich  unterstehen,  gegen  den  Willen 
des  Grundbesitzers  zu  cultiviren,  da  sein  Fluch  nach  dem 
Volksglauben  die  Emdte  vernichten  muss.  Entsteht  ein  Streit 
über  Grundbesitz,  so  steht  der  Beweis  dem  Kläger  zu,  indem 
er  seine  Aussage  durch  Zeugen  oder  Eid  bekräftigt.  Wandert 
jemand  vom  Gau  aus,  so  hinterlässt  er  einen  Bevollmächtig- 
ten, der  das  Land  bebauen  lässt  und  die  daraus  entspringende 
Abgabe  dem  Herrn  zuschickt. 

Gefundenes  herrenloses  Gut  gehört  dem  ersten  Finder;  kein 
adelicher  Herr  ist  da,  wie  bei  den  Bogos,  der  auf  den  Fund 
Ansprüche  macht.  Auch  der  wilde  Honig  gehört  dem  Finder; 
findet  er  sich  aber  in  einem  bebauten  Acker,  so  darf  ihn  nur 
der  Bauer  desselben  ausnehmen.  Kriegsbeute  wird  nach  eigenem 
Gesetz  vertheilt,  worauf  wir  zurückkommen  werden. 

In  den  Dörfern  selbst  beschränkt  kein  Grundbesitz  den 
Raum.  Jeder  baut  sein  Haus,  wo  er  geeigneten  Platz  findet; 
wandert  er  aus,  so  kann  er  sich  das  Recht  vorbehalten,  nach 
allfalliger  Rückkehr  seinen  Hausplatz  wieder  einzunehmen. 
Gras,  Holz,  Durraschilf  und  Stroh,  selbst  auf  den  Feldern, 
sind  Gemeingut  des  ganzen  Gaues.  Bei  Sodbrunnen  hat  der 
Gräber  das  Recht  der  ersten  Benutzung. 

Schulden  werden  gewöhnlich  durch  Bürgen  versichert;  ganz 
wie  bei  den  Bogos  hat  der  Bürge,  der  anstatt  des  Schuldners 
zur  Zahlung  angehalten  wird,  das  Recht,  vom  Schuldner  den 
doppelten  Betrag  zu  fordern.  Nun  haben  wir  bei  den  Bogos 
gesehen ,  wie  das  aristokratische  Recht  den  Gläubiger  äusserst 
kräftig  beschützt  und  sogar  die  Freiheit  des  Schuldners  für 
die  Schuld  haftbar  macht.  Bei  den  Barea  und  Bazen  aber 
finden  wir  als  Entwickelung  des  schon  oben  aufgestellten 
Grundsatzes,  dass  die  Person  des  Eigenthums  wegen  nie  zu 
Schaden  kommen  kann:  die  Freiheit  des  Menschen  ist  ihm 
unendlich  mehr  werth,  als  alles  mögliche  Geld  und  Gut.  Da- 
her  ist    der   Schuldner    dem   Gläubiger    gegenüber   äusserst 


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494  Roise  durch  das  Land  der  Kunama. 

günstig  gestellt.  Der  Gläubiger  hat  also  kein  Recht,  seinen 
Schuldner  mit  Gewalt  zur  Zahlung  zu  zwingen,  ihn  anzu- 
greifen, zu  verhaften  oder  auch  nur  öfientlich  darüber  zur 
Rede  zu  stellen;  kann  er  nicht  zu  seinem  Gelde  kommen, 
so  lässt  er  ihn  durch  einen  Dritten  vor  die  Gemeindeältesten 
laden  und  fordert  ihn  zur  Zahlung  auf;  kann  oder  will  der 
Schuldner  sich  nicht  verständigen ,  so  gibt  die  Gemeinde  dem 
Gläubiger  das  Faustrecht,  d.  h.  er  hat  das  Recht,  seinem 
Schuldner  den  Betrag  zu  stehlen.  Er  nimmt  ihm  z.  B.  seine 
Lanze  weg,  aber  in  keinem  Falle  darf  er  sie  ihm  aus  der 
Hand  reissen. 

Der  Erbe  übernimmt  auch  die  Schulden,  aber  bei  Zah- 
lungsunfähigkeit haftet  er  keineswegs  mit  seiner  Person  dafür; 
die  hässlichen  Gebräuche  der  Bogos,  wo  die  Kinder  für  ihres 
Vaters  Schuld  leibeigen  werden,  sind  also  hier  ganz  unbekannt. 
Wer  geliehenes  Gut  verliert,  muss  es  bezahlen.  Geschenke 
und  Gaben,  wie  wir  sie  bei  den  Geez- Völkern  als  Majcbtot 
kennen  gelernt  haben,  gehören  hier  nicht  vor  Gesetz;  Gabe 
und  Rückerstattung  ist  rein  Sache  der  persönlichen  Gut- 
willigkeit. 

Diebstahl  heisst  die  Verletzung  des  Eigenthums  inner- 
halb des  Gaues;  er  ist  kein  Verbrechen;  ist  er  bewiesen, 
wird  das  gestohlene  Gut  einfach  als  Schuld  ange- 
sehen. Hier  besonders  zeigt  es  sich,  wie  hoch  diesen  Völkern 
die  Person ,  wie  niedrig  das  Eigenthum  steht.  Der  gefangene 
Dieb  darf  nicht  verwundet  und  getödtet,  noch  zur  Busse  an- 
gehalten werden;  er  erhält  höchstens  von  seinen  Verfolgern 
ein  paar  tüchtige  Schläge;  man  nimmt  ihm  das  gestohlene 
Gut  ab  und  lässt  ihn  laufen.  Von  Gefangenschaft,  Lösegeld 
oder  gar  Knechtung  des  ertappten  Diebes  ist  keine  Rede. 
Ein  von  seinen  Landsleuten  verfolgter  Dieb  schlägt  sich  nie; 
er  sucht  zu  entfliehen,  indem  er  seine  Beute  im  Stich  lässt; 
seine  Verfolger  hüten  sich  wohl,  ihn  zu  verletzen,  da  das  ver- 
gossene Blut  des  Diebes  Blutrache  heischt. 

Vermisst  jemand  sein  Eigenthum ,  z.  B.  Vieh ,  so  gibt  er 


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Beise  doroh  das  Land  der  Kundma.  495 

sich  alle  Mühe,  den  Platz  wo  es  verborgen  ist  auszukund- 
schaften; hat  er  einmal  einen  bestimmten  Verdacht  oder  be- 
lehrt ihn  die  Fussspur,  so  tritt  er  vor  die  Alten  des  Dorfes 
und  verlangt  die  Freiheit  einer  unbedingten  Hausuntersuchung, 
die  ihm  nie  verweigert  wird.  Findet  er  sein  Stück  Vieh  noch 
lebendig  vor,  so  nimmt  er  es  einfach  zurück  und  die  Sache 
ist  abgethan.  Findet  er  aber  nur  das  Fleisch  und  Haut,  so 
bemächtigt  er  sich  derselben  sammt  allem  vorräthigen  Geräth, 
das  zum  Kochen  und  Schlachten  gedient  hatte  und  er  hat 
überdiess  das  Recht,  den  Dieb  zum  vollen  Werthersatz  anzu- 
halten. Eine  trächtige  Kuh  wird  dreifach  angeschlagen.  Die 
Gemeindeältesten  sind  also  behülflich,  die  Thatsache  des  Dieb- 
stahls festzustellen;  aber  ganz  wie  bei  einer  Schuld  massen 
sie  sich  keineswegs  die  Competenz  an,  den  Dieb  von  Gerichts- 
wegen zum  Ersatz  anzuhalten.  Der  Dieb  leistet  entweder  frei- 
willig Ersatz  oder  der  Beschädigte  entschädigt  sich  dadurch, 
dass  er  sich  bei  der  ersten  Gelegenheit  den  verlornen  Betrag 
wieder  zurückstiehlt.  Würde  er  aber  für  sein  Eigenthum,  und 
wenn  es  ein  Kameel  wäi'e,  nur  eine  Ziege  oder  eine  Lanze 
wegnehmen,  so  wird  schon  dadurch  die  ganze  Schuld  des 
Diebes  getilgt  und  er  hat  keine  weitern  Ansprüche  mehr  dar- 
auf, er  hat  es  ja  selber  genommen.  Oft  geschieht  es,  dass 
der  Dieb,  zu  Mitteln  gekommen  oder  dem  Frieden  zu  Liebe, 
mit  seinem  Gläubiger  —  so  darf  man  ihn  nennen  —  sich  zu 
verständigen  wünscht;  dann  bittet  er  die  Greise  des  Dorfes, 
ihn  zu  begleiten;  sie  treten  alle  zusammen  in  das  Haus  des 
bestohlenen  Mannes,  der  sich  von  dem  hohen  Besuch  so  ge- 
ehrt fühlt,  dass  er  mit  Freuden  an  der  Stelle  des  gestohlenen 
Gutes  von  dem  Diebe  das  kleinste  Geschenk,  selbst  eine  Ziege, 
als  volle  Entschädigung  annimmt  und  wenn  es  nur  ein  Procent 
des  Verlorenen  betrüge. 

Bei  Diebstahl  ist  der  einzige  Beweis  das  gefundene  Eigen- 
thum selber.  Zeugen  werden  nicht  angerufen  und  der  Eid 
gar  nicht.  Ist  das  gestohlene  Gut  durch  Verkauf  in  zweite 
Hand  übergegangen,  so  ist  der  Käufer  rechtmässiger  Besitzer 


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496  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

(res  non  clamat  dominum);  aber  er  übei^bt  das  Gut  dem 
frühem  Herrn,  um  damit  den  Dieb  zu  überführen.  Ist  aBer 
das  gestohlene  Vieh  weit  fort  verkauft  oder  in  Feindesland 
gebracht  worden,  so  wird  es  natürlich  unmöglich,  das  leben- 
dige Stück  den  Aeltesten  vorzuzeigen  und  es  werden  Zeugen 
angenommen. 

Raub  heisst  die  Verletzung  des  Eigenthums  ausserhalb 
des  Gaues,  dem  Fremden  und  dem  Feinde  zum  Schaden.  Die 
Räuber  bilden  eine  eigene  Klasse  des  Volkes  mit  eigenen 
Kriegsgesetzen.  Denken  wir  uns  einen  jungen,  durch  seinen 
Muth  bekannten  Mann;  er  zeichnet  sich  zuerst  durch  kleine 
Streiche  aus  und  macht  sich  einen  gewissen  Namen;  hat  er 
nun  Entschlossenheit  genug,  so  bringt  er  eine  .erbeutete  Kuh 
den  Greisen  des  Dorfes  zum  Geschenk,  verachert  sich  ihres 
Segens  und  wird  förmlicher  Räuberhauptmann,  den  die  Jüng- 
linge nach  Lust  und  Willen  auf  Raubzüge  begleiten.  Wäh- 
rend nun  die  Barea  im  friedlichen  Gemeindeleben  den  Staat 
fast  auf  nichts  reduciren,  sehen  sie  wohl  ein,  dass  der  Krieg 
monarchische  Einheit  verlangt.  Döswegen  ist  der  Räuber- 
hauptmann auf  die  Dauer  der  Expedition  unumschränkter 
Herr  und  Führer  der  Bande  und  hat  auf  blinden  Gehorsam 
zu  rechnen.  Von  der  Beute  hat  er  den  besten  Theil.  Nach 
ihm  sind  die  Alten  bevorzugt;  so  erhält  ein  Greis,  der  mit 
der  Expedition  war,  den  doppelten  Antheil  eines  Jünglings, 
auch  wenn  er  ein  Stamm&emder  wäre.  Von  der  jedesmaligen 
Beute  geht  eine  Kuh  an  die  Greise  des  Dorfes,  wovon  der 
Zug  ausging,  da  ohne  ihren  Segen  erhalten  zu  haben  keine 
Bande  sich  auf  den  Weg  macht.  Glauben  die  Greise  eine 
vorgehabte  Expedition  den  Interessen  des  Gaues  schädlich 
oder  haben  die  Räuber  vor,  einen  befreundeten  Stamm  anzu- 
greifen, so  verhindern  die  Greise  das  Vorhaben  einfach  da- 
durch, dass  sie  gegen  jeden  Theilnehmer  den  Fluch  aus- 
sprechen und  ein  fluchbelastetes  Unternehmen  macht  niemand 
mit.  Oft  verhindert  der  Vater,  der  für  seinen  Sohn  fürchtet, 
diesen,  Räuber  zu  werden,   indem   er   ihm  mit  dem  Fluche 


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Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma.  497 

droht.  Oft  bestraft  der  Vater  seinen  lieblosen  Sohn  dadurch, 
dass  er  ihn  verflucht,  worauf  er  von  seinen  Genossen  verhin- 
dert wird,  am  Zuge  theilzunehmen;  denn  die  andern  wollen 
seinetwegen  nicht  in's  Unglück  kommen. 

Nicht  selten  kommt  es  vor,  dass  der  mit  Beute  heimkeh- 
rende Zug  von  einer  Gemeinde  des  gleichen  Gaues  aufgehalten 
wird,  indem  diese  die  Bäuber  zur  Rückgabe  zwingen  wollen. 
Behauptet  diese  nämlich,  das  Vieh  gehöre  einem  dem  Gau 
verwandten  Stamme  an,  so  verstehen  sich  die  Bäuber  dazu, 
die  Beute  bei  einem  unparteiischen  Mittelmann  niederzulegen, 
der  darüber  zu  entscheiden  hat,  ob  Rückgabe  statthaft  sei. 
Gehört  das  geraubte  Vieh  aber  einem  fremden  Stamme,  dem 
zu  Liebe  die  Gemeinde  den  Räubern  den  Weg  verlegt,  so  ver- 
theidigen  die  letzteren  ihre  Beute,  indem  sie  sich  ihrer  Stöcke 
als  Wafife  bedienen;  die  Lanzen  werden  vorsätzlich  bei  Seite 
gelegt,  da  die  Streitenden  alle  Kinder  Eines  Gaues  sind,  die 
sich  nicht  fremden  Gutes  wegen  in  Blutstreit  bringen  wollen. 

Ein  vom  Ausland  her  geraubtes  Kind  vrird,  wenn  es  sich 
in  ein  anderes  Haus  des  gleichen  Dorfes  flüchtet,  wieder  dem 
Räuber  zurückerstattet;  denn  das  Haus  an  und  für  sich  hat 
nicht  das  Schutzrecht,  sondern  nur  die  Gemeinde.  Kann  sich 
aber  das  ge&ngene  Kind  in  ein  anderes  Dorf  flüchten,  so  wird 
es  in  den  Schutz  der  Gemeinde  aufgenommen  und  frei  in  sein 
altes  Vaterland  zurückgeleitet,  woher  es  auch  stammen  möge. 

Noch  müssen  wir  anführen,  dass,  wer  einen  Jagdhund 
tödtet,  dem  Herrn  eine  Ziege  als  Ersatz  gibt.  Tödtet  eine 
an  einen  Baum  hingestellte  Lanze  im  Fallen  eine  Kuh  oder 
Ziege,  so  muss  sie  von  dem  Eigenthümer  der  Lanze  erstattet 
werden,  wenn  die  Waffe  an  einen  grünen  Baum  angelehnt 
war;  aber  wenn  der  Baum  dürr  war,  so  wird  die  Lanze  als 
schuldlos  betrachtet,  da  die  Kuh  nichts  dabei  zu  suchen  hatte. 


Uunsinger,  OsUfrlk.  Studieu. 


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Blutrecbt 


Wir  haben  gesehen,  dass  das  Recht  unserer  Völker  die 
Person  dem  Eigenthum  gegenüber  äusserst  hoch  stellt  und  so- 
gar dem  Diebstahl  gegenüber  sich  passiv  verhält.  Wir  müssen 
jetzt  noch  untersuchen,  wie  das  Gesetz  die  menschliche  Sicher- 
heit schützt  und  das  geraubte  Leben  rächt.  Nun  können  wir 
aber  nicht  erwarten,  dass  lose  verbundene  Gemeinden  die 
Blutrache  über  sich  nehmen  und  die  Selbsthülfe  verbieten; 
diess  ist  nur  einer  monarchischen  Regierung  möglich.  Des- 
wegen sind  auch  die  Barea  und  die  Kunäma  auf  die  Selbst- 
hülfe der  Rache  angewiesen,  ohne  sie  aber  consequent  aus- 
zubilden. Denn  wir  haben  keine  unter  sich  verantwortliche 
Familie,  die  jeden  Privathandel  zum  Gemeingut  des  Stammes 
macht  Wir  finden  also  nicht  die  Feindschaft  und  Bluthändel 
zwischen  Familie  und  Familie,  Stamm  und  Stamm,  wie  sie 
im  übrigen  Nordabyssinien  so  häufig  sind  und  sich  zu  den 
spätesten  Generationen  forterben.  Also  werden  wir  auch  das 
Blutrecht  ganz  eigen thümlich  ausgebildet  finden,  in  einer 
Weise  vdeder,  die  den  einfachen,  friedliebenden  Sinn  unserer 
Völker  in  helles  Licht  stellt. 

Vorerst  heischt  des  Volkes  Gewissen,  dass  Blut  Blut  ver- 
langt, dass  der  Mörder  sterben  muss.    Jedermann  findet  billig 


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Heise  durch  das  Land  der  Kunama.  499 

und  recht,  dass  die  Verwandten  des  Todten  ihn  hinrichten 
und  keine  eifersüchtige  Familie  beschützt  den  Mörder  gegen 
die  Rächer.  Der  Mörder  kann  sich  nur  damit  retten,  dass 
er  sich  schleunigst  verbannt,  indem  er  bei  einem  andern  Gaue 
Schutz  und  Heimat  sucht. 

Zweitens  macht  das  Recht  für  den  Mörder  nur.  seine 
nächsten  Verwandten,  d.  h.  seinen  Bruder  von  gleicher  Mutter 
oder  seinen  Schwestersohn,  verantwortlich.  Der  Vater,  die 
Kinder  und  andere  Verwandte  stehen  nicht  für  ihn  ein. 
Umgekehrt  ist  der  einzig  berechtigte  Rächer  der  Bruder  oder 
der  Schwestersohn.  Das  Erbrecht  erstreckt  sich  also  auch 
auf  die  Blutrache.  Die  andere  Familie  sieht  unparteiiaich 
dem  Kampfe  zu  und  die  Gemeinde  mischt  sich  nur  in  die 
Sache,  wenn  es  sich  um  Versöhnung  handelt.  Dadurch  ist 
dem  Bluthandel  von  vornherein  der  Nerv  abgeschnitten,  indem 
ihn  die  Sitte  auf  den  kleinsten  Raum  beschränkt. 

Nun  müssen  wir  zwei  Fälle  unterscheiden,  ob  nämlich  der 
Mörder  offenkundig  ist  oder  aber  nur  Verdacht  da  ist.  Be- 
trachten wir  den  letzten  Fall.  ^ 

Ist  jemand  des  Mordes  angeklagt,  so  kann  er  sich  durch 
einen  feierlichen  Eid  von  dem  Verdachte  befreien,  der  seiner 
Originalität  wegen  angeführt  zu  werden  verdient.  Der  des  Mor- 
des Verdächtige  begibt  sich,  von  der  ganzen  Mannschaft  seines 
Dorfes  begleitet,  drei  Tage  aufeinander  zum  Dorfe  des  Er- 
mordeten, setzt  sich  einen  Augenblick  und  kehrt  wieder  in 
seinen  Wohnort  zurück  und  so  noch  den  vierten  Tag.  Bleiben 
bei  diesen  wiederholten  Besuchen  die  Landsleute  des  Ermor- 
deten ruhig  in  ihren  Häusern,  so  betrachtet  man  vom  vierten 
Tage  an  den  Blutverdacht  für  aufgehoben  und  die  Unschuld 
des  Beklagten  scheint  allgemein  anerkannt.  Glauben  aber 
die  Verwandten  des  Todten  an  seine  Schuld,  so  gehen  sie, 
von  der  Mannschaft  ihres  eigenen  Dorfes  begleitet,  den  andern 
entgegen.  Fliehen  nun  der  Angeklagte  und  seine  Genossen 
vor  dem  Zusammenstoss,  so  werden  sie  verfolgt,  der  Mörder 
oder  sein  nächster  Verwandter  wird  umgebracht  .und  das  Blut 

32* 


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500  Reise  durch  das  Land  der  Kundma. 

ist  gesühnt.  Denn  die  Flucht  wird  dem  bösen  Gewissen  des 
Beklagten  zugeschrieben.  Bleiben  er  und  seine  Genossen  aber 
ruhig  und  furchtlos  sitzen,  so  tritt  seine  Unschuld  klar  an 
den  Tag;  die  Greise  des  Dorfes  vermitteln  zwischen  den 
Parteien  und  die  Anklage  wird  fallen  gelassen.  Wenn  es  aber 
geschähe,  dass  bei  dem  Zusammenstoss  der  Beklagte,  trotzdem 
dass  er  seine  Unschuld  betheuert  und  ruhig  sitzen  bleibt, 
niedergestossen  wird,  so  wird  sein  Blut  nicht  als  Sühne  des 
alten,  sondern  als  frisch  angesehen  und  heischt  Bache. 

Bei  Mord  ist  von  Zeugenbeweis  keine  Rede;  der  Eid  des 
Beklagten,  wie  wir  ihn  beschrieben,  allein  reinigt  und  er  trägt 
nicht  den  Charakter  eines  Gerichts,  sondern  eines  Gottesur- 
theils,  wo  das  Gewissen  Recht  haben  muss. 

Ist  der  Mörder  offenkundig,  so  wird  er  getödtet  oder  wan- 
dert in  einen  andern  Gau  aus;*  zu  bleiben  und  dem  Gau  zu 
trotzen,  darf  auch  dem  Kühnsten  nicht  einfallen,  da  die  ganze 
Gemeinde  sich  gegen  ihn  erheben  würde.  Er  bleibt  einige 
Zeit,  ja  Jahre  lang  in  der  Fremde;  der  Mann  von  Hagr  geht 
nach  Mogoreb  und  umgekehrt,  der  von  Mai  Daro  nach  Dika, 
von  Eimasa  nach  Mai  Daro  u.  s.  f.  Glaubt  er  endlich  die 
Herzen  eher  zum  Frieden  geneigt,  so  schickt  er  an  die  Greise 
des  Dorfes,  wo  der  Ermordete  wohnte,  Botschaft  mit  der  Bitte, 
sich  für  ihn  zu  verwenden.  Die  Greise  sind  so  angesehen, 
dass  die  Familie  des  Todten  gern  oder  ungern  sich  ihren 
Bitten  um  Frieden  fügen  und  sich  zum  Empfang  eines  Sülrn- 
geldes  verstehen  muss.  Nun  wird  ein  Tag  festgesetzt,  an 
dem  Friede  geschlossen  werden  soll.  Der  Mörder  wählt  sich 
in  dem  Dorfe  einen  Schutzherm,  dem  er  Durra  zuschickt,  dass 
daraus  für  den  Versöhnungstag  Bier  bereitet  werde.  An  dem 
bestimmten  Tage  also  versammelt  sich  die  ganze  Mannschaft 
des  Dorfes,  die  Familie  des  Todten  ausgenonmien,  geht  dem 
Mörder,  der  vor  das  Dorf  gekommen  ist,  entgegen,  schliesst 
ihn  in  einen  dichten  Kreis  ein  und  führt  ihn  nun  ungefährdet 
bis  zum  Hause  seines  Opfers.  Der  Mörder  tritt  in  das  Haus 
und  schlachtet  eine  sterile  Kuh  als  Todtenopfer  für  den  Er- 


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Reise  durch  das  Land  der  Knnama.  501 

mordeten,  dessen  Bruder  bei  dieser  Handlung  den  Kopf  der 
Kuh  anfasst.  Dann  trinken  beide,  der  Mörder  und  der  Rächer, 
Bier  aus  einem  Hörn  und  essen  zusammen  Fleisch  aus  einer 
Schüssel.  Jeder  der  beiden  sticht  der  Opferkuh  ein  Auge 
aus;  auch  tauschen  sie  für  die  Zeit,  wo  sie  zusammen- 
sitzen, ihre  Kleider  aus.  Auf  diese  Art  wird  der  Friede  be- 
schworen und  besiegelt.  Nun  hat  der  Mörder  den  Blutpreis 
zu  entrichten,  der  aber  auch  für  die  Verhältnisse  des  Landes 
sehr  geringfügig  ist,  sodass  man  wohl  sieht,  dass  unsere 
Völker  sich  gern  rächen,  aber  ist  die  Sache  in  die  Länge  ge- 
zogen, nicht  des  Geldes  wegen  Frieden  schliessen,  sondern 
aus  Rücksicht  für  die  Greise,  deren  Segen  und  Fluch  jeder 
hochschätzt. 

Der  Blutpreis  beläuft  sich  nämlich  nur  auf  15  Kühe  und 
zwar  1  Kuh  mit  ihren  Jungen,  2  trächtige,  2  dreijährige 
Kälber.  Die  übrigen  10  Stück  werden  in  Ziegen  entrichtet 
oder  in  Zeug  und  zwar  so,  dass  die  Kuh  nicht  über  10  und 
nicht  unter  4  Ziegen,  oder  zu  5— 3  Zeugstücken  geschätzt 
wird;  also  zahlt  er 

für  7  Kühe  10  +  9  +  8  +  7  +  6  +  5  +  4  Ziegen  =  49  Ziegen, 
»3     »       5  +  4  +  3  For  (Zeug)  =  12  For. 

Nach  der  Versöhnung  wird  der  Mörder  von  der  Gemeinde 
zu  seinem  Schutzherm  begleitet,  wo  nun  das  vorbereitete  Bier 
zum  Besten  gegeben  wird;  die  Verwandten  des  Todten  schicken 
von  der  Opferkuh  die  Hälfte  des  Fleisches,  wo  dann  das 
ganze  Dorf  freudig  Theil  ni^imt.  Von  diesem  Tage  an  bis 
auf  ein  Jahr  bleibt  der  Mörder  in  seinem  eigenen  Wohnort, 
ohne  je  die  Verwandten  des  Todten  oder  ihr  Dorf  zu  be- 
suchen. Am  Jahrestag  macht  er  von  Neuem  einen  Besuch 
und  wird  von  ihnen  fortan  wie  der  beste  Verwandte  und 
Freund  angesehen;  haben  sie  Kinder  zu  verheirathen,  so  wird 
er  um  Rath  gefragt  und  hilft  bei  der  Aussteuer  brüderlich 
mit.  Stirbt  jemand  von  der  Familie,  so  bringt  er  eine  Opfer- 
kuh an  das  Grab  und  wenn  es  seine  einzige  Pflugkuh  wäre. 
Versäumt  er  das,  so  nehmen  sie  sie  selber  weg.    So  entsteht 


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502  Reise  durch  das  Land  der  Kun^ma. 

zwischen  den  Versöhnten  eine  Art  Verwändtschaft,  wenn  auch 
die  Wechselheirathen  zwischen  den  versöhnten  Familien,  wie 
sie  bei  den  Bogos  den  Frieden  besiegeln,  hier  ungebräuchlich 
sind. 

Wir  müssen  hier  noch  einige  Miscellen  anfügen,  die  auf 
das  Blutrecht  Bezug  haben.  Vorerst  fragen  auch  die  Barea 
und  die  Kunama  nicht  nach  der  Absicht  und  Zurechnungs- 
fähigkeit; Zufall  und  Willen  ändern  nichts  an  der  Thatsache 
des  vergossenen  Blutes  oder  an  der  Nothwendigkeit  der  Sühne; 
auch  der  Mord  wird  eben  nicht  als  Verbrechen  behandelt. 
Verwundung  fällt  nicht  in's  Blutrecht;  der  Thäter  zahlt 
dem  Verwundeten  eine  Entschädigung;  versäumt  er  selbst  diess, 
so  nehmen  ihm  die  Verwandten  des  letztem  eine  Kuh  weg. 
Vergiftung  wird  nie  rechtlich  behandelt;  doch  muss  der  Ver- 
gifter sich  darauf  gefasst  machen,  mit  gleicher  Münze  bezahlt 
zu  werden.  Man  behauptet,  die  Barea  seien  gewandt  im  Gift- 
mischen; doch  steht  diese  Eigenschaft  so  im  Widerspruch  mit 
dem  sonst  offenen  Charakter  des  Volkes,  dass  ich  in  dieser 
Sage  die  Böswilligkeit  der  Nachbarn  vermuthe.  Der  Mann, 
der  ein  Landeskind  seinen  Eltern  entwendet,  wird  von  diesen 
gebunden,  bis  er  es  zurückbringen  lässt;  ist  diess  nicht  mehr 
möglich,  indem  das  Kind  schon  verkauft  ist,  so  wird  er  von 
des  Kindes  Verwandten  verkauft  oder  selbst  getödtet.  Von 
seiner  Familie  hat  er  dabei  keine  Hülfe  zu  erwarten.  Ehe- 
bruch wird  nicht  criminell  als  Blutverbrechen  behandelt. 
Findet  jemand  einen  Fremden  b^i  seiner  Frau,  so  hat  er  blos 
das  Recht  ihn  zu  schlagen.  Was  die  Sitte  befiehlt,  werden 
wir  später  sehen.  Auch  aussereheliche  Schwängerung  wird 
daher  nicht  geahndet.  Körperhöhe  Verletzungen  können  in 
gleichem  Masse  zurückgegeben  werden,  Zahn  um  Zahn,  Auge 
um  Auge.  Die  Raffinirtheit  der  aristokratischen  Völker,  die 
sogar  für  das  Unglück,  das  eine  Lanze  oder  Schwert  zufällig 
anrichten  kann,  den  Besitzer  verantwortlich  machen,  ist  hier 
unerhört. 

Was  die  Betheiligung  der  Familie  an  dem  Blutrecht  an- 


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Reise  dnrch  das  Land  der  Kun&ma.  503 

betrifft,  so  haben  wir  schon  bemerkt,  dass  nur  die  engere 
Famih'e,  der  Bruder  und  Schwestersohn,  direct  dafür  verant- 
wortlich ist.  Uebrigens  wird  der  Mörder,  der  den  Blutpreis 
bezahlt,  von  seinen  väterlichen  und  mütterlichen  Verwandten 
freiwillig  unterstützt.  Der  Blutpreis  kommt  an  die  recht- 
mässigen Erben.  Wer  seinen  Bruder,  seiner  Mutter  Kind, 
tödtet,  hat  keine  Rache  zu  befürchten;  hat  der  Bruder  aber 
eine  andere  Mutter,  so  wird  der  Mörder  von  deren  Familie 
blutrechtlich  belangt.  Ebenso  wird  der  Vater,  der  sein  eigenes 
Kind  tödtet  oder  verkauft,  von  dessen  mütterlichem  Onkel 
zur  Rechenschaft  gezogen. 

Hat  der  Mörder,  sei  er  einheimisch  oder  fremd,  die  Zeit, 
sich  in  das  erste  beste  Haus  zu  flüchten,  so  gelangt  er  unter 
den  Schutz  der  Gemeinde,  wo  das  Haus  steht,  und  es  ist 
Ehrensache  der  Gemeinde,  ihn  sicher  und  frei  in's  Ausland 
zu  geleiten.  Es  ist  dabei  ganz  gleichgültig,  wo  sein  Opfer 
zu  Hause  sei.  Endlich  haben  die  Barea  und  Kunäma  nicht 
die  abscheuliche  Sitte  der  Bogos,  dem  gefallenen  Blutfeind 
Beine,  Fuss  und  Kopf  abzuschneiden ;  selbst  die  Wafifen,  die 
er  mit  sich  trug,  werden  neben  der  Leiche  niedergelegt. 

Da  die  Facta  für  sich  sprechen,  brauchen  wir  auf  die 
eminente  Humanität  nicht  hinzudeuten,  die  das  Blutrecht  der 
Barea  und  Bazen  charakterisirt.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln, 
dass  Bluthändel  nie  ausarten  und  sich  verlängern  können» 
wie  anderswo;  die  Gemeinde  benutzt  freudig  jede  Gelegenheit, 
Frieden  zu  stiften;  sie  steht  wie  ein  Mann  dem  Mörder  gegen- 
über; sein  Tod  wird  von  allen  als  gerechte  Sühne  angesehen» 
keine  Hand  wird  zu  seiner  Rettung  aufgehoben.  Aber  kann 
er  dem  ersten  Zorn  entfliehen,  so  scheint  er  durch  das  Exil 
schon  hart  genug  gestraft  und  die  Versöhnung  vermitteln  die 
Greise,  denen  niemand  zu  widersprechen  wagt.  So  wird  der 
allgemeine  innere  Friede  nie  auf  die  Länge  unterbrochen. 

Wir  haben  das  Recht  dieser  Gemeinden  speciell  bei  den 
Barea  studirt;  doch  konnten  wir  uns  genügend  überzeugen, 
dass  die  Bazen  vollständig  der  gleichen  Rechts-  und  Staats- 


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504  Reise  durch  das  Land  der  Knn&ma. 

principien  theilhaftig  sind.  Die  Ausnahmen  sind  zu  kleinlich, 
als  dass  sie  bei  dieser  allgemeinen  Untersuchung  der  Rede 
werth  wären  und  wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass  die  Barea 
und  Kunama  ganz  verschiedene  Völker  sind,  dass  aber  die 
letztern  numerisch  und  räumlich  den  Barea  vielmal  überlegen 
sind  und  ohne  Zweifel  viel  länger  im  Lande  sich  befinden,  so 
müssen  wir  annehmen,  dass  die  Barea  den  Kunama  ihr  voll- 
ständiges B.echt  entlehnt  haben. 


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Inneres  Leben,  Wohnung  und  Geräth. 


Nachdem  wir  uns  ein  allgemeines  Bild  der  Rechtsverhält- 
nisse der  Barea  und  Kunäma  gemacht  haben,  müssen  wir  nun 
concreter  in  das  Leben  und  die  Sitten  dieser  beiden  Völker 
eingehen;  wir  werden  hier  viel  grössere  Verschiedenheiten 
zwischen  den  beiden  Völkern  wahrnehmen,  als  uns  das  recht- 
liche Leben  hätte  versprechen  können.  Wir  wollen  mit  der 
Wohnung  anfangen. 

Die  Barea  und  die  Bazen  wohnen  als  Ackerbauer  in  festen 
Wohnsitzen;  wo  sie  zusammenbleiben  können,  leben  sie  in 
sehr  grossen  Dörfern  dicht  nebeneinander.  Wo  aber  die  Un- 
gunst der  Zeiten  und  die  Gefahr  des  Ueberfalles,  gegen  den 
man  auch  vereint  hülflos  war,  es  so  wollte,  da  zerstreuten 
sie  sich  in  kleine  Weiler,  um  doch  nicht  alles  zusammen  auf's 
Spiel  zu  setzen.  Ebenso  bestehen  die  Dörfer,  die  bisher  einer 
gewissen  Sicherheit  genossen,  aus  grossen,  dicht  zusammen- 
geworfenen Häusern,  während  da,  wo  feindliche  Mordbrenner 
durchzogen,  die  alten  geräumigen  Häuser  meist  nur  mit  ganz 
klemen,  engen,  schnell  aufgebauten  provisorischen  Hütten 
ersetzt  wurden.  Die  Barea  und  Kunama  haben  durchaus 
nicht  den  Hang  auseinander  zu  wohnen,  wie  die  aristokratischen 


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506  Reke  durch  das  Land  der  Kanama. 

Völker,  wo  jede  adeliche  Familie  ihr  eigenes  unabhängiges 
Gehöft  haben  will  und  selbst  Verwandte  oft  auseinanderziehen 
müssen,  um  sich  nicht  im  Hader  aufzureiben.  Wir  glauben 
nicht  zu  fehlen,  wenn  wir  dem  aristokratischen  Leben  das 
Gehöft,  das  Auseinanderwohnen,  dem  demokratischen  das 
Dorf,  das  Zusammenleben  zuschreiben.  Uebrigens  sind  die 
uns  bekannten  aristokratischen  Völker,  die  immer  Viehzüchter 
und  theil weise  Nomaden  sind,  schon  der  Weide  wegen  ge- 
zwungen, sich  zu  vereinzeln,  während  unsere  demokratischen 
Völker,  die  allein  Ackerbauer  sind  und  Viehzucht  nur  als 
Nebensache  treiben,  eng  zusammen  wohnen  können.  Daher 
linden  wir  hier  und  bei  den  Barea  meist  sehr  grosse  Dörfer, 
die  auf  verhältnissmässig  kleinem  Räume  aneinanderliegen. 

Die  Häuser  der  Barea  und  Bazen  sehen  sich  ganz  gleich; 
es  sind  runde  kuppeiförmige  Hütten  aus  einem  Stück,  sodass 
Wand  und  Dach  zusammenfallen  und  die  Hütten  das  Aus- 
sehen grosser  Bienenkörbe  bieten.  Sie  sind  den  Thuql  vom 
Sudan  und  den  abyssinischen  Tuqlo  sehr  ähnlich;  aber  der 
Unterschied  besteht  darin,  dass  bei  diesen  Wand  und  Dach 
getrennt  sind;  die  Wand  bildet  einen  Cylinder,  der  von  einem 
kegelförmigen  Giebel  hutartig  bedeckt  ist.  Auch  besteht  hier 
der  Cylinder  meist  aus  einer  rohen  Stein-  oder  Lehmmauer, 
während  die  Bazen  und  Barea  höchst  selten  Stein  verwenden. 
Die  Grösse  des  Hauses  ist  sehr  verschieden,  man  kann  ihm 
durchschnittlich  20  Fuss  Durchmesser  geben.  Doch  begnügt 
sich  fast  niemand  mit  einer  Hütte  wie  bei  den  Bogos,  sondern 
jeder  Mann  fast  baut  sich  mehrere,  eine  für  die  Frau,  eine 
andere  für  die  Gäste,  eine  dritte  für  das  Getreide  u.  s.  w.  Ein 
solches  Hüttenconglomerat  wird  gewöhnlich  von  einer  Um- 
zäunung abgetrennt,  die  meist  aus  einem  Stangengitter  be- 
steht, das  mit  Stroh  bekleidet  ist,  oft  aber  nur  aus  Dornen - 
ästen,  die  als  Wall  das  Gehöft  umfrieden.  Das  Haus  wird 
aus  dünnen  aber  sehr  festen  Stangen  meist  von  Nebeka  Rham- 
nus  aufgeflochten,  die  mit  Reifen  bis  an  den  Giebel  so  fest 
zusammengebunden  sind,  dass  das  Innere  keinen  Stützbalken 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunäma.  507 

nöthig  hat.  Sie  sind  mit  Stroh  von  Gramineen  oder  mit 
Durraschilf  bedeckt,  das  sehr  schön  und  fleissig  so  zu  sagen 
geflochten  ist  und  allen  Regen  abhält.  Man  sieht  in  Dörfern, 
die  an  Bergabhängen  gelegen  und  so  dem  Regenstrom  sehr 
ausgesetzt  sind,  wie  Elit,  oft  kleine  Häuschen ,  die  auf  hohen, 
stelzenartigen  Balken  ruhen,  sodass  der  allfällige  Regenbach 
unschädlich  darunter  durchlaufen  kann ;  man  baut  sie  express 
als  Getreidespeicher.  Ferner  bauen  die  Barea  und  die  Ku- 
näma  vor  den  Eingang  der  eigentlichen  geschlossenen  Hütte 
Veranda's,  sogenannte  Logodat,  wie  sie  auch  im  Sudan  gäng 
und  gebe  sind,  Schattendächer  mit  flachem  Dach,  nach  allen 
Seiten  offen.  Sie  dienen  in  der  heissen  trockenen  Zeit  als 
Aufenthaltsort  der  Familie  und  sind  kühl,  weil  dem  Wind  aus- 
gesetzt. Solche  Lauben  werden  auch  auf  Rathsplätzen  er- 
richtet und  bei  Hochzeiten  und  Todtenfeiem,  um  die  vielen 
Besucher  schattig  unterbringen  zu  können.  Das  Haus  selbst 
wird  durch  keine  Netzvorhänge  getrennt;  höchstens  wird  eine 
Matte  vor  das  Bett  gezogen.  Die  Einrichtung ,  im  Innern  des 
Hauses  ein  zweites  Haus  im  Hause  (Ablu)  zu  errichten,  das 
der  Frau  gehört,  wie  wir  bei  den  Bogos  u.  a.  gesehen,  ist  hier 
unbekannt.  Im  Hause  selbst  findet  sich  wenig  Geräthe.  Ein 
festgerammtes,  ganz  niederes,  breites  Bett  ungefähr  wie  bei 
den  Bogos  dient  der  Familie  als  Schlafstätte. 

Auch  das  Tragbett,  das  jedem  Leser  als  Angareb  im  Sudan 
bekannt  ist,  findet  sich  sehr  häufig.  Das  übrige  Geräth  bil- 
den Matten  und  verschiedene  aus  Palmenzweigen  (Djerid) 
geflochtene  Gefässe,  die  Wasser,  Milch,  Durra  u.  s.  w.  aufnehmen 
sollen.  Leder  wird  hiefür  wenig  verwandt.  Die  Bazen,  be- 
sonders die  Anal  und  Dika,  benutzen  die  im  Lande  befindlichen 
natürlichen  grossen  Höhlen,  um  in  Kriegszeiten  ihre  Habe  vor 
dem  Feinde  zu  verbergen. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  bei  einem  solchen  sehr 
einfachen  Hause  Kunst  und  Industrie  wenig  Anwendung  finden. 
Da  die  Barea  und  Kunama  wenig  Vieh  besitzen,  so  spielen 
die  Kuh-  und  Ziegenhäute  nicht  die  Rolle  im  Hausgeräthe, 


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508  Reise  durch  das  Land  der  Eoiiama. 

wie  bei  den  Viehzüchtern  und  auch  die  Gerberei  ist  sehr  roh. 
Die  Haut  ersetzt  das  Pahnen-  und  Strohgetiecht  und  der 
Kürbiss.  Zum  Aufheben  von  Wasser,  Milch  und  Bier  dienen 
schöne  im  Lande  wachsende  Kalebassen.  Das  Getreide  wird 
in  grossen  Körben  aufbewahrt  und  transportirt  Als  Teppich 
dient  die  aus  Djerid  feingeflochtene  Matte.  Man  flechtet  auch 
sehr  niedliche  buntgefärbte  Stroh-  und  Djerid-Körbchen  zum 
Aufbewahren  von  Mehl  und  Hausrath.  Wir  sahen  auch  recht 
schöne  gutgebrannte  Thongefässe.  Die  Barea  und  Kunama 
zeigen  in  ihrem  einfachen  Leben  sehr  viel  Kunstsinn  und 
mechanische  Geschicklichkeit,  die  freilich  nur  geringe  Bedürf- 
nisse zu  befriedigen  hat:  die  Hütten  selbst  sind  sehr  sauber 
aufgebaut  und  bedacht;  auch  die  Angareb  und  die  im  Hause 
befindlichen  Stühlchen  sind  hübsch  gearbeitet.  Wir  möchten 
darauf  aufinerksam  machen,  dass  die  B^isenden  in  Inner- 
afrika auch  den  «Negern  viel  mechanisches  Talent  zuschreiben. 

Zum  Bauchen  bedienen  sich  beide  Völker  einer  Wasser- 
pfeife, von  der  Form  der  arabischen  Buri.  Schnupftabak  be- 
wahren sie  in  winzigen  Kürbissen  auf,  von  der  Grösse  eines 
Eies,  die  mit  Fisclihaut  überzogen  wie  Perlmutter  aussehen 
und  mit  einer  kleinen  Oeffnung  versehen  sind,  die  mit  einem 
Zäpfchen  geschlossen  wird.  Die  Bazen  rauchen  viel  mehr,  ak 
die  Barea,  doch  konmit  bei  beiden  das  Schnupfen  und  Kauen 
immer  mehr  auf;  der  Kautabak  wird  grob  gerieben  mit  Natron 
oder  Asche  vermischt  unter  die  Zunge  gelegt.  Dieser  Ge- 
brauch, der  nur  uneigentlich  Kauen  genannt  werden  darf,  ist 
in  ganz  Nordabyssinien  von  Massua  bis  Ghartum  allgemein 
verbreitet.  Während  aber  die  Beni  Amer,  die  Bogos,  die  Mas- 
suiner  von  Surat  eingeführten  Tabak  verwenden,  begnügen 
sich  die  Barea  und  Kunama  mit  ihrem  eigenen  Landesproduct 

Eigenthümlich  ist  bei  den  Bazen  die  Manier  Lasten  zu 
tragen.  Bei  den  Barea  wie  bei  allen  Grenzvölkern  Abyssi- 
niens  belasten  sich  die  Frauen  den  Rücken,  die  Männer  hängen 
sich  die  Last  kurz  an  die  Schultern.  Die  Abyssinier  tragen 
meistens  auf  dem  Kopfe,  ganz  wie  bei  uns   das  Wasser  ge- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma.  509 

tragen  wird.  Die  Bazen  hingegen  erleichtern  sich  die  Mühe, 
indem  sie  eine  Art  Waage  einrichten:  ein  Querhok,  an  beiden 
Enden  mit  einem  herabhängenden  Schnurgeflecht  versehen,  in 
welchem  die  gleichmässig  vertheilte  Bürde  ruht.  Das  Quer- 
holz legt  sich  den  Träger  über  eine  Achsel,  sodass  die  Lasten 
vorn  und  hinten  hinabhängen.  Die  Schnüre  sind  sehr  hübsch 
aus  Mimosen  oder  Adansonienbast  geflochten;  die  Last,  sei  es 
Wasser,  Milch  oder  Honig,  liegt  in  grossen  Kalebassen.  Es 
ist  etwas  Eigenthümliches  um  den  Instinkt  der  verschiedenen 
Völker,  sich  die  Arbeit  bequem  zu  machen  und  es  muss  gewiss 
ein  tiefer  physischer  Grund  in  der  verschiedenen  Manier  liegen, 
wie  sie  es  angreifen.  So  ein  geringfügiger  Theil  der  Arbeit 
das  Tragen  ist,  so  könnte  man  doch  auch  darin  Vergleiche  an- 
stellen und  z.  B.  bemerken,  dass  nur  afrikanische  Völker  sich 
dieser  Tragwaage  bedienen,  während  sie  bei  Europäern  und 
Semiten  unbekannt  ist. 

Während  wir  nun  diesen  beiden  Völkern,  besonders  den 
Bazen,  ein  gewisses  mechanisches  aber  unentwickeltes  Talent 
nicht  absprechen  können,  so  dürfen  wir  natürlich  nicht  daran 
denken,  dass  in  Kunst  und  Wissen  diese  Völker  irgendwie 
der  Naturstufe  entrückt  sind.  Von  Schrift  ist  natürlich  keine 
Rede,  ohne  dass  wir  behaupten  möchten,  diese  Völker  seien 
immer  so  unwissend  gewesen.  Welche  Befähigung  sie  aber 
zur  höheren  Entwickelung  besitzen,  darüber  werden  wir  später 
ein  Urtheil  abgeben. 

Was  nun  Kleidung  und  Schmuck  betriff't,  so  müssen  wir 
von  jedem  Volke  besonders  reden,  da  die  Barea  durch  häufige 
Berührung  mit  dem  Auslande  und  auch  durch  eigenen  Cha- 
rakter gewissermassen  civilisirter  sind.  Zum  Voraus  müssen 
wir  bemerken,  dass  die  Barea  und  Kunäma  keine  Baumwolle 
pflanzen,  ausser  den  Mogoreb,  die  deren  Cultur  den  Algeden 
abgelernt  haben.  Da  femer  Schafe  selten  sind  und  auch  kein 
Hanf  oder  Lein  gepflanzt  wird,  so  entbehren  beide  Völker 
des  Stoffes,  um  sich  selbst  bekleiden  zu  können;  sie  helfen 
dem  Mangel  aber  auf  verschiedene  Art  ab. 


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510  Reise  durch  das  Land  der  Kunama. 

Die-Bazen  tragen  alle  Lederschiirzen ,  die  bei  Mann  und 
Frau  die  Brust  ganz  offen  lassen.  Die  Schürzen  der  Frauen 
gehen  bis  auf  die  Knöchel  herab,  während  die  Männer  auf- 
geschürzt sind.  Kleider  von  Baumwolle  oder  Wolle  sind  dem 
Volke  unbekannt;  doch  je  mehr  die  Bazen  dem  Verkehr  ge- 
öffnet werden,  um  so  mehr  wird  auch  das  Zeug  Eingang 
finden.  Schon  jetzt  gibt  es  viele  Leute,  die  solches  tragen. 
Als  wir  von  Adiabo  kommend  die  Grenze  der  Bazen  über- 
schritten, verschloss  unser  Führer  Ashku  das  Kleid,  das  er 
in  Adiabo  getragen,  in  einen  Fellsack  und  begnügte  sich  fortan 
nur  mit  dem  Lederschurz.  Wir  müssen  bemerken,  dass  die 
Leute  vom  Barka,  Bogos,  Mensa,  Habab  erst  in  neuester 
Zeit  aUgemein  sich  an  Kleider  gewöhnt  haben;  früher  trugen 
die  Männer  das  sogenannte  Belamat,  die  Frauen  das  Waliko, 
die  Lederschürze,  deren  sie  sich  besonders  für  die  Arbeit  in 
Haus  und  Feld  noch  immer  bedienen.  Das  Kleid  von  Baum- 
wollenzeug war  nur  den  Vornehmsten  vorbehalten.  Noch  jetzt 
tragen  die  ärmeren  Bogosfrauen  den  Lederschurz  und  werfen 
sich  nur  über  Kopf  und  Brust  ein  Baimiwollentuch.  Die 
Barea  hingegen  sind  alle  in  Baumwollenzeuge  gekleidet,  die 
theils  in  Algeden  und  dem  Gashlande  fabricirt,  theils 
von  Europa  her  über  Massua  und  Suakin  importirt  werden. 
Das  Kleid  besteht,  wie  bei  den  Bogos  und  den  andern  Nord- 
abyssiniem,  für  beide  Geschlechter  in  einem  grossen  vierecki- 
gen Stück  Zeug,  das  über  den  Körper  geworfen  wird.  Hosen 
und  Hemd  sind  sehr  selten.  Es  ist  schwer  zu  sagen,  ob  die 
Barea  das  Kleid  erst  in  neuerer  Zeit  von  ihren  Nachbarn  an- 
genommen haben  oder  ob  ihnen  das  Lederkleid  von  Alters  her 
unbekannt  war.  In  letzterem  Falle  müssten  wir  uns  verwun- 
dem, dass  sie  nie  an  eigene  BaumwoUencultur  gedacht  haben. 

Der  Rehät  oder  Belat,  d.  h.  der  Ledergurt  mit  Fransen, 
den  wir  bei  den  Habab,  Mensa,  Bogos,  ja  über  dem  Gash 
und  Nil  hinüber  bis  Kordofan  und  nordwäils  bis  Kosseir  als 
Kleid  der  Mädchen  finden,  ist  sowohl  den  Bazen  als  den 
Barea    gänzlich   unbekannt.     In  der  Fussbekleidung  unter- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kundma.  511 

scheiden  sich  unsere  beiden  Völker  keineswegs  von  ihren  Nach- 
barn; sie  tragen  Sandalen,  wie  sie  in  ganz  Nordafrika  und 
theilweise  auch  in  Arabien  gebräuchlich  sind,  deren  Sohle  oft 
aus  Elefantenhaut  besteht.  Hier  ist  beizufügen,  dass  die 
Barea  und  Bazen  nichts  von  Verschleierung  des  Gesichts 
wissen;  den  Abyssiniern  ähnlich  denken  die  Frauen  nie  daran, 
ilir  Gesicht  vor  dem  Fremden  zu  verbergen.  Ueberhaupt  ist 
nicht  Afrika  das  Vaterland  des  Schleiers;  selbst  bei  den  mo- 
hammedanischen Völkern  verhüllen  sich  die  Frauen  nur  vor 
ganz  Fremden,  während  sie  nach  der  ersten  Bekanntschaft 
ihr  Gesicht  nicht  vorenthalten  können. 

Was  die  Haare  betrifft,  so  ist  die  Kopffirisur  der  Männer, 
wie  wir  sie  bei  allen  Nordostafrikanern  bis  zum  Atbara  ge- 
funden und  in  den  abyssinischen  Reisewerken  als  Beduinen- 
tracht bewundern  können,  auch  auf  die  Barea  und  Kunama 
übergegangen.  Diese  Kopftracht,  die  dem  Haare  das  Aussehen 
einer  Perrücke  gibt,  heisst  Hallengai.  Die  Frauen  dagegen 
haben  eigenthümliche  Arten,  das  Kopfhaar  zu  frisiren.  Bei 
den  Barea  flechten  sie  die  Haare  von  der  Stirn  rückwärts, 
wie  es  in  Abyssinien  der  Brauch  ist.  Die  Bazenfrauen  lassen 
einen  Scheitel  offen;  das  Haar  wird  in  Flechten  dem  Vorder- 
kopf angeschnürt  und  fällt  ungebunden  auf  den  Nacken  hinab, 
sodass  das  Hinterhaar  schwulstig  hervortritt.  Eine  einzelne 
Flechte  fällt  vorwärts  über  die  Mittelstim  hinab  und  wird 
gewöhnlich  mit  Glasperlen  geschmückt.  Die  Bazenfrauen  be- 
festigen am  Scheitel  zwei  grosse  flach  dem  Kopf  anliegende 
Metallringe.  Die  Bareafrauen  dagegen  tragen  durchaus  keinen 
Kopfschmuck.  Die  sogenannte  Kufiet  oder  die  Hohlkugel,  die 
bei  den  Bogos  und  den  Geez- Völkern  gebräuchlich  ist,  ist 
den  Barea  und  Kunama  unbekannt. 

Beide  Völker  lassen  nur  den  Bart  wachsen;  alles  andere 
Haar  wird  rasirt  oder  ausgerissen.  Die  Bazen  flechten  oft 
sogai'  den  Bart  spitz  zu  und  befestigen  in  dem  Ende  eine 
Glasperle.  Ueberhaupt  haben  sie  viel  Sinn  für  alles  Bunte 
und  Phantastische,  während  die  Barea  sich  kaum  um  Schmuck 


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512  Reise  durch  das  Land  der  Kun&ma. 

bekümmern.  Die  Bareafraiien  halten  wenig  auf  Schmuck;  an 
den  Armen  tragen  sie  ein  Band  von  Glasperlen,  um  die 
Knöchel  einen  Ring  von  Haut.  In  dem  Nasenflügel  trägt  erst 
die  verheirathete  Frau  einen  Ring.  Silberne  Fingerringe  sind 
sehr  selten.  Die  Bazen  dagegen  zieren  sich,  soviel  bei  den 
beschränkten  Mitteln  nur  immer  möglich  ist  Die  Frauen 
tragen  grosse  Ohrringe  von  Silber  oder  Zinn;  rothe  Glasperlen 
werden  schön  gruppirt  überall  in  den  Haaren  angebracht. 
In  den  rechten  Nasenflügel  hängen  sie  einen  ungeheuren  Ring. 
Am  Arm  tragen  sie  kupferne  Bänder,  die  von  Massua  her 
eingeführt  werden;  um  die  Knöchel  eiserne  Ringe.  Auch  die 
Männer  sind  dem  Schmuck  nicht  abgeneigt;  sie  tragen  um 
Hals  und  Arme  so  viel  Glasperlen,  als  sie  sich  nur  verschafifen 
können;  in  die  Haare  stecken  sie  sich  gern  bunte  Yogelfedem. 
Nicht  zu  vergessen  ist,  dass  beide  Völker  sich  das  Haar 
fleissig  mit  Fett  oder  Oel  einreiben,  welches  sie  oft  mit  einem 
grünen  wohlriechenden  Kraute  vermischen,  das  dem  ganzen 
Haare  das  Aussehen  von  Gras  gibt.  Der  Kelal  oder  die  Steck- 
nadel von  Hom  oder  Holz,  wie  sie  in  ganz  Nordost -Afrika 
in  die  Haare  gesteckt  wird,  ist  auch  diesen  beiden  Völkern 
gemein.  Eigenthümlich  sind  die  Hautstreifen,  die  bei  beiden 
als  Halsband  dienen  und  wohl  einen  abergläubischen  Zweck 
haben,  ebenso  wie  die  Masse  Talismane  und  "Wurzeln,  die 
dem  ganzen  Körper  angehängt,  ja  den  Haaren  eingeflochten 
sind.  Wir  können  nicht  verhehlen,  dass  besonders  der  Bazen 
mit  seinem  gewaltigen  fetten  Leibe  in  seiner  Ledertracht  und 
mit  Glasperlen  überhängt ,  im  ersten  Augenblick  recht  an  den 
Innerafnkaner  mahnt,  ohne  dass  seine  Gesichtszüge  etwas  mit 
diesem  gemein  hätten. 

In  Verfertigung  der  Waffen  stehen  die  Barea  und  Kunäma 
viel  tiefer,  als  alle  andern  Afrikaner.  Der  Bogen,  den  die 
Nilvölker  so  ausgezeichnet  handhaben  und  vervollkommnet 
haben,  fehlt  beiden  Völkern.  Ihre  einzige  Waffe  ist  eine  sehr 
schlecht  geschmiedete  unansehnliche  Lanze  und  ein  krummes 
Messer.    Im  Lande  selbst  findet  sich  kein  Eisen;  es  wird  von 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunäma.  513 

Abyssinien  eingeführt;  die  östlichen  Bazen  kaufen  es  von 
Adiabo,  die  Dika- Bazen  von  Wolkait.  Eisenschmiede  sind 
wenige  da  und  verstehen  ihr  Handwerk  nur  sehr  unvollkom- 
men, sodass,  wer  eine  schöne  Lanze  haben  will,  sie  von  den 
Nachbarn  kauft.  Das  zweischneidige  Schwert,  das  bei  den 
andern  Völkern  dieser  Zone  so  beliebt  ist,  ist  bei  den  Barea 
und  Kunama  sehr  selten.  Dagegen  tragen  die  Barea  und  die 
Kunäma  sehr  hübsche  kleine  Beile ,  von  der  Form  der  Gudeb, 
die  zum  Holzhauen  ungemein  geschickt  und  sehr  leicht  sind. 
Das  Eisen  ruht  in  dem  Stiel,  nicht  umgekehrt  wie  bei  uns- 
Die  Bazen  pflegen  immer  ein  solches  Beil  mit  sich  zu  führen, 
als  Waffe  und  als  Instrument.  Rasirmesser  sind  noch  wenig 
bekannt;  die  Leute  rasiren  sich  meist  mit  ihren  scharfge- 
schliffenen rohen  Messern  und  selbst  mit  der  Lanze,  doch 
kann  man  mit  einem  Rasirmesser  ihnen  die  höchste  Freude 
bereiten.  Spiegel  sind  noch  selten,  doch  haben  die  kleinen 
nürnberger  schon  ihren  Weg  gefunden. 


liansing^r,  Ostafrik.  Stadien.  33 


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Viehzucht,  Ackerbau,  Handel. 


Ihrer  Beschäftigung  nacK  sind  die  Barea  und  die  Kunama 
durchaus  Ackerbauer;  Viehzucht  bleibt  ihnen  auch  da,  wo 
das  Klima  sie  erlaubt,  eine  Nebensache.  Das  wahre  Eigen- 
thum  besteht  ^Iso  in  Grundstücken  und  deren  Ertrag,  dem 
Getreide.  Da  aber  bei  den  bösen  Zeiten  die  Bevölkerung 
eher  abnehmen  muss  und  jedenfalls  sehr  viel  Land  brach 
liegt,  so  hat  der  Boden  selbst  wenig  Werth;  anderseits  ist 
das  Getreide  ein  nur  vorübergehendes  Eigenthum,  das  immer 
eher  dem  schnellen  Genuss  dient,  als  der  Speculation.  Den 
Handel  im  Lande  selbst  und  Wuchei^eschäfte  begünstigt  das 
Gesetz  nicht,  das  den  Gläubiger  vernachlässigt;  den  Handel 
mit  dem  Auslande  hindern  die  ewigen  Kriege,  die  den  Barea 
und  Kunäma  überall  vogelfrei  machen.  So  kommt  es,  dass 
der  Ertrag  der  Erndte  eher  dem  Augenblick  dienen  soll,  dass 
also  wenig  an  Sparen  und  Anhäufen  gedacht  wird  —  es  gibt 
so  zu  sagen  kein  wahres  Eigenthum  oder  es  hat  factisch 
und  gesetzlich  wenig  Werth.  Der  Ackerbau  nun  wird  sehr 
fleissig  und  lebendig  betrieben;  man  könnte  nicht  sagen,  wer 
sich  darin  mehr  auszeichne,  die  Barea  oder  die  Kunäma. 
Niemand  bleibt  dabei  müssig,  auch  die  Frau  ist  nicht  aus- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  515 

genommen.  Mann,  Frau  und  Kind,  Reich  und  Arm,  Alt  und 
Jung,  keiner  entzieht  sich  der  Feldarbeit.  Fehlt  der  Frau 
der  helfende  Mann,  so  pflügt  sie  im  Nothfall  selbst.  Es  ist 
ein  wohlthätiger  Anblick,  das  sonst  so  ruhige  Volk  hier  so 
viel  Energie  entwickeln  zu  sehen.  Das  Gäten,  das  Bewachen 
der  aufechiessenden  Saat  und  Frucht  und  der  Erndte  bilden 
gemeinschaftliche  Arbeit  beider  Geschlechter,  während  bei  den 
Bogos  die  Frau  der  Feldarbeit  enthoben  ist.  Nur  ganz  greise 
Leute  müssen  nicht  mehr  in's  Feld  gehen.  Die  Barea  und 
Kunama  pflügen  mit  Stieren  und  Kühen;  selbst  die  Milchkühe 
werden  nicht  in  Ruhe  gelassen.  Wenn  keine  Kuh  da  ist, 
wird  auch  der  Esel  an  den  Pflug  gespannt.  Wenn  alles  fehlt, 
beugt  sich  der  Mensch  selbst  unter  das  Joch.  Wer  nur  einen 
Stier  hat,  pflügt  auch  mit  diesem  allein.  Bei  den  Barea 
werden  auch  Kameele  zum  Pflügen  benutzt.  Niemand  will 
müssig,  niemand  ohne  Feld  bleiben;  wir  haben  schon  gesehen, 
auch  der  Knecht  und  die  Magd  bekommen  ihren  eigenen 
Acker;  dem  Gesandten,  der  in's  Ausland  geschickt  wird,  be- 
sorgt die  Gemeinde  sein  Feld.  Von  Sonn-  und  Festtagen  ist 
bei  den  Barea  und  Kunama  keine  Rede;  solange  es  regnet, 
ist  jeder  Tag  der  Arbeit  heilig. 

Der  Pflug  ist  kleiner,  als  der  uns  von  Abyssinien  her  be- 
kannte, hat  übrigens  die  gleiche  rohe  Einrichtung;  der  leichte, 
sehr  fette  Alluvialboden  erleichtert  den  Ackerbau  sehr.  Von 
Düngung  ist  selten  die  Rede;  von  Abwechselung  der  Getreide- 
arteu  ebenso  wenig.  Scheint  der  Acker  mager  zu  werden, 
so  ist  Land  genug  da,  um  ihn  ruhen  zu  lassen.  Doch  kann 
oft  mehrere  Jahre  lang  dasselbe  Land  immer  wieder  bebaut 
werden.  Der  Ackerbau  beginnt  nach  dem  ersten  Regen,  ge- 
wöhnlich Anfang  Juli.  Die  Saat  wird  einfach  auf  den  Boden 
gestreut  und  darüber  hingepflügt.  Von  Vorpflügen,  wie  in 
Abyssinien,  braucht  keine  Rede  zu  sein.  Auch  das  Gäten  gibt 
wenig  zu  thun,  da  die  heisse  Sonne  wenig  Unkraut  aufkom- 
men lässt.  Die  Erndte  findet  schon  Anfang  October  statt; 
oft  ist  die  Frucht  schon  im  September  reif.    Die  Barea  und 

33» 


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516  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

die  Kunama  pflügen  und  säen  etwa  vier  Wochen  lang  unaus- 
gesetzt; der  weiche  ebene  Boden  erlaubt  ihnen,  sehr  grosse 
Strecken  zu  bepflanzen.  Sie  pflanzen  besonders  Durra,  Ma- 
shella und  Duchn.  Von  ersterem  haben  sie  mehrere  Arten, 
wovon  besonders  eine  sehr  bittere  zu  erwähnen  ist,  die  bei 
den  nördlichen  Bazen  vorkommt.  Alle  diese  Arten  sind  dem 
heissen  Lande  angewöhnt;  die  Frucht  ist  trockener  als  die 
der  Bogos  und  der  Abjssinier,  aber  sie  reift  schnell  und 
leidet  weniger  vom  ßegenmangel.  Deswegen  haben  .auch 
die  Bogos  angefangen,  mit  Bareasamen  anzubauen.  Duchn 
wird  in  mehr  sandigem  Boden  angebaut  und  bildet  die  Haupt- 
nahrung des  Volkes.  Femer  kommen  zwei  Oelpflanzen  vor: 
der  Sesam,  dessen  Oel  die  fehlende  Butter  ersetzt  und  der 
Shebob,  eine  rankende  kürbissartige  Frucht,  aus  der  Oel  ge- 
wonnen wird.  Der  Sesam  kommt  auch  weiter  westlich  bei 
den  Algeden  u.  s.  w.  vor,  während  der  Shebob  fast  nur  bei  den 
Barea  und  Kunäma  zu  Hause  ist.  Der  letztere  wird  zwischen 
jias  Durra  hineingepflanzt.  Dasselbe  geschieht  mit  den  Boh- 
nen, wie  auch  in  Abyssinien  und  in  dem  Bogoslande;  doch 
sind  sie  weniger  häufig.  Tabak  wird  bei  beiden  Völkern  ge- 
baut; er  wird  grün  abgenommen,  zu  einem  Brei  zerstampft 
und  in  runde  faustgrosse  Kugeln  geknetet,  die  im  Schatten 
getrocknet  sehr  hart  werden.  Er  sieht  ganz  schwarz  aus  und 
ist  sehr  stark,  sodass  er  zum  Rauchen  und  Schnupfen  sich 
eignet  Im  Geschmack  ähnelt  er  dem  Tabak  von  Arabien, 
dem  sogenannten  Hummi,  wie  er  für  die  Wasserpfeife  ge- 
braucht wird.  Er  ist  nicht  imangenehm  und  jedenfalls  ist 
der  Boden  ihm  nicht  ungünstig. 

Endlich  ist  das  Land  reich  an  Kürbissen,  die  auch  wild 
vorkommen  und  zu  Gefässen  benutzt  werden.  An  wilden 
Früchten  ist  das  Land  der  Barea  und  Kunäma  sehr  reich; 
der  Harnte  und  Gersa  kommen  auch  hier  vor  imd  besonders 
der  Khamnus  Nebeka,  dessen  Frucht  zu  sehr  schmackhaften 
Broden  geknetet  und  theilweise  ausgeführt  wird.  Auch  die 
Tamarinde  fehlt  nicht.    Die  Landwirthschaft  hat  viele  Feinde, 


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Reise  durch  das  Land  der  Eundma.  517 

besonders  an  dem  Vogel  Bub,  der  oft  zu  Millionen  über  das 
Getreide  herfällt.  Heuschrecken  wandern  seltener  durch.  Der 
Dinsherekäfer  ist  auch  sehr  verderblich,  doch  ist  diese  Gefahr 
nicht  so  gross,  da  die  Frucht  in  der  heissen  Sonne  schnell 
reift  und  der  Käfer  nur  die  grüne  Frucht  angreift;.  Der 
grösste  Feind  des  Bauern  ist  aber,  wie  überall  in  Afrika, 
Mangel  an  Regen,  der  sehr  oft  der  Frucht  schädlich  ist.  Doch 
können  sich  im  Allgemeinen  die  Barea  und  die  Kunäma  nicht 
über  die  Emdte  beklagen,  wenn  die  vielen  Feinde  ihnen  den 
Genuss  gönnen;  das  Land  ist  jedenfalls  fruchtbar  und  mit 
wenig  Ausnahmen  ist  fast  jeder  Fleck  bebaubar. 

Der  Viehzucht  sind  die  Landesverhältnisse  weniger  günstig. 
Der  ewige  Krieg  gewährt  wenig  Aufmunterung,  da  der  Feind 
sich  am  liebsten  an  das  leicht  bewegliche  Eigenthum  hält. 
Auch  ist  der  Mareb  dem  Hornvieh  durch  den  Hedro  feindlich, 
wie  wir  schon  früher  erwähnt  haben.  Doch  kann  man  im 
Allgemeinen  nicht  sagen,  dass  Viehzucht  dem  Lande  unan- 
gemessen sei;  besonders  das  Barealand  hat  sehr  schöne  Wei- 
den und  gutes  Klima.  Man  kann  aber,  solange  man  uncivili- 
sirt  ist,  nicht  recht  Ackerbauer  und  Viehzüchter  zugleich  sein; 
so  blieb  Viehzucht  beiden  Völkern  eine  Nebensache.  Bei  den 
Bazen  sollen  übrigens  die  Leute  von  Anal,  Afla  und  Betkom 
ziemlich  reich  an  Hornvieh  sein;  man  versicherte  mir,  es  gäbe 
da  Besitzer  von  50  Kühen.  Im  Ganzen  aber  hat  der  reichste 
höchstens  10  Stück,  was  auch  bei  den  Hochabyssiniem  der 
Fall  ist.  Mai  Darö  soll  früher  auch  Heerden  besessen  haben; 
jetzt  sahen  wir  nur  wenige  Heerden,  die  in  Gemeinschaft  mit 
Adiabo  von  den  Hadendoa  erbeutet  worden  waren  und  schlecht 
genug  fortkamen.  Auch  die  Barea  besitzen  Kühe,  besonders 
die  Mogoreb,  die  schon  viel  mehr  Viehzüchter  sind.  Im  Gan- 
zen genommen  aber  sind  beide  Völker  trotz  ihrer  Heerden 
keine  Hirten;  sie  behandeln  ihr  Vieh  mit  wenig  Sorgfalt;  sie 
widmen  ihnen  nicht  die  Liebe,  die  ihnen  bei  den  Nomaden- 
völkem  gezollt  wird.  Man  muss  auch  bedenken,  dass  nie- 
mand Vieh  besitzt,  das  er  von  seinem  Vater  und  Grossvater 


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518  Reise  durch  das  Land  der  Kanama. 

her  geerbt  hätte,  wie  wir  das  bei  den  Nomadenvölkem 
sehen,  die  unglaublich  an  ihrem  alten  eingebomen  Stammyieh 
hängen  und  dessen  Stammbaum  nachrechnen.  Bei  den  unsichem 
Verhaltnissen  des  Landes  wechselt  der  Besitz  sehr  häufig; 
was  heute  erbeutet  ward,  geht  morgen  wieder  verloren;  es 
ist  wenig  rechtmässiges  Eigenthum  dabei.  Das  fühlen  die 
Leute  auch;  sie  verkaufen  sehr  gern  und  oft  kaufen  sie  lieber 
aus  dem  Erlös  ein  Pferd  oder  heirathen  eine  zweite  Frau. 
Der  Geist  des  Nomaden,  der  sein  Vieh  allem  vorzieht  und 
ebenso  über  den  Tod  einer  Kuh  oder  eines  Kameeis  Thränen 
vergiessen  kann,  yrie  über  ein  gestorbenes  Kind,  dessen  Trach- 
ten und  Schaffen  nur  dahin  geht,  seinen  Viehstand  zu  ver- 
mehren, dessen  einziger  Stolz  eine  schöne  Heerde  ist,  ist  dem 
Barea  und  dem  Bazen  ganz  fremd.  So  ist  die  Viehzucht 
nicht  eine  landeseigenthümliche  geworden;  man  sieht  an  den 
verschiedenen  Rassen  der  Kühe,  dass  sie  meist  nicht  im  Lande 
geboren  sind  und  auch  vielleicht  nicht  da  ihr  Leben  enden 
werden.  Auch  Kameele  finden  sich  bei  den  Barea,  die  von 
den  Nachbarn  erbeutet  werden;  das  Land  ist  ihnen  durch 
seinen  Reichthum  an  Mimosen  sehr  günstig.  Ziegen  und 
Schafe  sind  selten.  Alles  Vieh  kommt  jeden  dritten  Tag  zur 
Tränke  und  bringt  dann  die  folgende  Nacht  im  Dorfe  zu;  den 
folgenden  Tag  und  die  Nacht  ^nrd  es  sehr  weit  vom  bewohn- 
ten Lande  auf  die  Weide  getrieben;  nach  der  Emdte  weidet 
es  das  Durraschilf  ab,  das  viel  Milch  erzeugt.  Der  Preis  ist 
wie  im  Barka. 

Die  Barea  und  Kunäma  besitzen  sehr  viele  Esel,  die  klein, 
aber  ausdauernd  und  etwa  2 — 3  Thaler  werth  sind.  Sie 
werden  als  Lastthiere  ausschliesslich  verwandt,  da  die  Ochsen 
hier  zu  Lande  nicht  belastet  werden.  Auch  werden  sie  theil- 
weise  vor  den  Pflug  gespannt.  Den  Frauen  sind  sie  sehr 
willige  Reitthiere.  Pferde  sind  selten  und  nur  von  abyssini- 
scher  Rasse.  Die  Barea  sind  darin  als  Demokraten  wenig 
¥iihlerisch  und  sorgsam ;  sie  sind  auch  nicht  besondere  Reiter. 
Alle  können  doch  nicht  beritten  sein  und  so  darf  auch   der 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  519 

Wohlhabendste  nicht  die  Gleichheit  verletzen,  indem  er  sich 
zu  Pferde  setzt  und  thut  er  diess,  so  kann  er  nicht  umhin, 
es  seinen  Gefährten  zu  offeriren  und  es  so  zu  einer  Art  Ge- 
meingut zu  machen. 

Die  Bazen  haben  gar  keine  Pferde.  Katzen  finden  sich 
zahm  bei  beiden  Völkern;  sie  sind  nicht  von  unserer  Haus- 
katze unterschieden.  Auch  Hunde  kommen  häufig  vor  und 
werden  zur  Jagd  benutzt;  es  sind  meist  sehr  leichte  hohe 
magere  Thiere  (Windhunde),  wie  sie  im  ganzen  Barka  und 
Gash  verbreitet  sind.  Dagegen  flEinden  wir  in  Betkom  eine 
eigenthümliche  Hundeart.  Sie  ist  sehr  fest  und  derb  gebaut, 
aber  ungemein  klein,  sodass  ich  sie  im  Anfiang  für  junge 
Hunde  nahm.  Sie  sind  äusserst  tiefer  ab  Wächter  und  gegen 
die  Fremden  sehr  bissig.  Ich  gab  mir  vei^eblich  Mühe,  ein 
Exemplar  zu  bekommen;  es  schien  mir,  die  Bazen  wollten 
sich  nicht  gern  davon  trennen. 

Von  eigentlichem  Handel  kann  natürlich  (bei  unsem  Völ- 
kern kaum  die  Rede  sein.  Die  Bazen  haben  gar  keinen 
Marktplatz  und  sind  gegen  fremde  Handelsleute  sehr  abge- 
schlossen. Eigentlichen  Verkehr  haben  sie  nur  im  Norden 
mit  den  Barea,  die  bis  Betkom  gehen  und  Honig  und  Getreide 
ankaufen.  Auch  besuchen  die  nördlichen  Bazen  häufig  den 
Markt  von  Mogelo.  Dieser  Platz  vermittelt  den  Handel  dieser 
Zone;  er  wird  von  allen  Barea  und  theilweise  auch  von  den 
Bazen  besucht;  man  sieht  da  Händler  von  Algeden,  vom 
Barka,  Leute  von  Massua,  die  hier  zahlreich  angesiedelt  sind 
und  den  Handel  vermitteln  und  auch  Djalin,  die  überall  hin- 
kommen, wo  etwas  zu  gewinnen  ist.  .Da  die  Barea  und  die 
Bazen  mit  fast  allen  ihren  Nachbarn  in  Fehde  leben,  so  müs- 
sen die  Fremden  sie  in  Mogelo  aufsuchen.  Hier  ist  jeden 
Morgen  Markt;  er  ist  geographisch  sehr  günstig  gelegen,  in 
der  Mitte  des  Landes.  Ausserhalb  des  Dorfes  befindet  sich 
ein  grosser  umzäunter  Platz,  der  als  neutraler  Boden  von 
allen  geachtet  ist.  Da  die  Barea,  wie  wir  sahen,  unterneh- 
mende Räuber  sind,  so  finden  sich  hier  alle  möglichen  Gegen- 


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520  Reise  durch  das  Land  der  Konama. 

stände  zum  Verkauf  ausgestellt:  Pferde,  Esel,  Maulthiere, 
Vieh,  Waflfen,  Glasperlen  und  besonders  Durra.  Die  Leute 
von  Kassala  und  Massua  stellen  ihre  Zeuge,  Schmuck,  Wohl- 
gerüche u.  s.  w.  aus,  die  den  Barea  nothwendig  sind,  während 
die  Bazen  wenig  Einfuhr  bedürfen.  Eisen  kommt  meist  nur 
direct  von  Abyssinien,  von  den  Bazen  kommt  hierher  Durra, 
Duchn  und  Honig,  der  bei  ihnen  wild  sehr  reichlich  vor- 
kommt. Das  Wachs  wird  aber  nicht  benutzt,  noch  zum  Ver- 
kauf gebracht,  obgleich  die  Bazen  selbst  sehr  viel  Honig  ver- 
brauchen. Elfenbein  kommt  einiges  von  den  Bazen,  wo  viel 
ElefEuiten  vorkommen,  die  aber  meist  von  fremden  Jägern  zu 
Pferde  erlegt  werden.  Glasperlen  erleiden  viel  Modeänderung 
und  bringen  wenig  Gewinn.  Geld  ist  bei  den  Barea  ziemlich 
bekannt,  während  die  Bazen  noch  gar  nicht  damit  vertraut 
sind.  Sie  haben  sich  seit  einiger  Zeit  gewöhnt,  Zeuge  als 
Zahlung  anzunehmen.  Der  Markt  von  Mogelo  erfreute  sich 
früher  starken  Zulaufs;  doch  seit  es  (1861)  von  Tsadiq's  Trup- 
pen verbrannt  und  verwüstet  worden  ist,  wobei  die  fremden 
Kaufleute  vielen  Schaden  erlitten,  ist  der  Platz  sehr  herunter- 
gekommen und  das  Zutrauen  nicht  wiedergekehrt.  —  Die 
Barea  führen  Durra  auch  dann  und  wann  nach  dem  Barka 
und  sogar  bis  nach  Keren  aus;  doch  erlauben  ihnen  ihre 
Feinde,  die  Beni  Amer,  selten  friedlichen  Durchzug.  So 
sind  es  meist  die  Leute  von  Bisha,  die  halb  Beni  Amer  sind 
und  Kameele  besitzen,  die  die  Ausfuhr  vermitteln.  Auch 
nach  Kassala  hin  bringen  die  Barea  ihr  und  der  Bazen  Durra; 
ist  aber  die  Erndte  misslungen,  so  sind  sie  genöthigt,  sich 
von  daher  zu  verproviantiren  imd  dann  wandern  grosse  Züge, 
Männer  und  Frauen  mit  Eseln  und  Vieh,  der  Hauptstadt  der 
Taka  zu.  Sie  durchziehen  da  meist  feindliches  Gebiet  und 
werden  oft  auf  dem  Wege  von  den  Hadendoa  und  den  Beni 
Amer'n  angegriffen  und  in  Sklaverei  gebracht;  doch  thun  die 
Algeden,  die  den  Barea  eng  befreundet  und  verschwägert  sind, 
das  Mögliche,  diese  Karawanen  sicher  bis  Kassala  zu  geleiten. 


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Nahrung. 


Aus  dem  bisher  Gesagten  ei^ibt  sich  nothwendig,  dass 
die  Barea  und  die  Bazen  meist  Pflanzennahrung  gemessen. 
Milch  und  Fleisch  ist  eme  Seltenheit,  da  sie  zu  wenig  Haus* 
vieh  haben  und  das  Thierreich  auch  im  Walde  schwach  ver- 
treten ist.  So  wenig  nun  beide  Viehzüchter  sind,  so  schlach- 
ten sie  doch  nur  selten,  ausser  bei  Feierlichkeiten  und  von 
eingebrachter  Beute,  die  schnell  vom  Messer  decimirt  wird. 
In  der  Auswahl  des  Fleisches  sind  sie  aber  gar  nicht  wähle- 
risch. Die  altmohammedanischen  Dörfer  ausgenommen,  unter- 
scheiden sie  nie  zwischen  christlichem  und  mohammedanischem 
Fleisch;  ich  habe  oft  Mohammedaner  getroffen,  die  mich  um 
Fleisch  baten.  Auch  Aas  wird  nicht  verschmäht  und  das 
haben  sie  z.  B.  mit  den  Bogos  gemein.  Dagegen  wird  das 
Fleisch  der  Hyäne  nicht  gegessen,  während  die  Beni  Amer 
nichts  dagegen  haben.  Ob  es  wahr  ist,  dass  die  Bazen 
Schlangen  und  Mäuse  für  Leckerbissen  halten,  kann  ich  nicht 
entscheiden,  dia  ich  wenigstens  kein  Beispiel  gesehen  habe. 
Fleisch  wird  nur  in  Wasser  gekocht  oder  auf  dem  Feuer  ge- 
braten. Milch  ist  natürlich  auch  ziemlich  selten  und  ebenso 
Butter,  die  Sesamöl  ersetzt.     Wenn   also  beide  Völker  sich 


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522  Reise  durch  das  Land  der  Kunama. 

meist  an  vegetabilische  Kost  halten,  so  unterscheiden  sie  sich 
so  radikal  in  deren  Bereitung,  dass  wir  jede  Speise  und 
jeden  Trank  einzeln  betrachten  müssen. 

Die  Barea  gemessen  meist  gesäuertes  Brod  von  Durra  oder 
Duchn.  Sie  haben  zwar  auch  die  Polenta,  die  bei  den 
Bogos  u.  s.  w.  genössen  wird;  sie  ziehen  sie  aber  gesäuert 
vor;  so  heisst  sie  Deblib,  ist  sehr  schmackhaft  und  als  Pro- 
viant sehr  bequem,  da  sie  sich  wohl  eine  Woche  erhalt,  ohne 
zu  verderben.  Die  abyssinische  Tabita,  eine  Art  Brod  oder 
vielmehr  sehr  dünner  Kuchen,  ist  den  Barea  auch  bekannt 
Die  Barea  unterscheiden  sich  von  den  Beni  Amer'n,  den 
Bogos  u.  s.  w.  dadurch,  dass  sie  nie  viel  auf  einmal  verzehren 
können,  dagegen  das  Mahl  oft  wiederholen,  während  die  er- 
wähnten Völker  den  Tag  über  nur  zweimal,  oft  nur  einmal 
essen  und  lange  hungern,  dann  aber  eine  ungeheure  Quanti- 
tät auf  einmal  verschlingen  können.  Die  Barea  trinken  aber 
viel  mehr,  als  sie  essen.  Ihr  Bier,  das  sehr  gut  ist,  bildet 
eigentlioh  ihre  Hauptnahrung  und  fehlt  in  keinem  Hause. 
Alles  trinkt  es,  sogar  den  kleinen  Kindern  ersetzt  es  die  Mildi. 
Das  Bier  kann  als  trockner  Teig  lange  aufbewahrt  werden 
und  braucht  nur  mit  Wasser  angefeuchtet  zu  werden,  sobald 
man  es  nöthig  hat.  Das  Bier  der  Barea  ist  in  Ostafrika  sehr 
berühmt.  Die  Barea  nehmen  es  in  grosser  Menge  zu  sich, 
aber  sie  werden  selten  davon  berauscht  und  auch  die  Feld- 
arbeiter und  die  Hirten  haben  ihren  Schlauch  voll  Bier  mit 
sich  im  Freien«  Auch  der  Grast  wird  ungemein  freigebig  mit 
Bier  bewirthet,  während  man  ihm  selten  mit  Fleisch  aufwartet. 
Das  Bareabier  ist  sehr  nahrhaft,  sodass  es  den  Menschen  ohne 
weiteres  Zuthun  satt  macht 

Die  Bazen  hingegen  essen  ausschliesslich  die  ungesäuerte 
Polenta  und  sie  finden  sich  hierdurch  vollständig  charakteri- 
sirt,  denn  sie  sagen:  wir  sind  verschieden  von  allen  andern 
Völkern;  wir  haben  keine  Ofienbarung  und  wir  essen  un- 
gesäuertes Brod.  Bier  wird  nur  wenig  getrunken;  eine 
Ausnalime  bilden  die  Leute  von  Tender  und  Eimasa,  deren 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  523 

Lebensart  mehr  den  Barea  ähnlich  ist.  Dagegen  essen  die 
Bazen  viel  Honig  und  trinken  Honigwasser,  ohne  aber  den 
Honigwein  zu  kennen.  Sie  trinken  also  auch  ungesäuert. 
Als  Surrogat  der  Butter  wird  aus  Sesam  ein  Brei  bereitet, 
der  das  Brod  würzen  soll. 

Der  Unterschied  zwischen  den  Barea  und  Kunama  hin- 
sichtlich ihrer  Nahrung  besteht  also  darin,  dass  die  einen  das 
Brod  gesäuert,  die  andern  ungesäuert  essen;  dass  die  einen 
sich  vorzugsweise  von  Bier,  die  andern  von  Honig  nähren. 
Die  natürliche  Folge  davon  sehe  ich  in  der  körperlichen  Be- 
schaffenheit der  zwei  Völker.  Die  Biertrinker  sind  mager  und 
schmächtig;  die  Honigesser  sind  sehr  fett  und  gewaltig.  Um 
diesen  Unterschied  zu  verstehen,  muss  man  wissen,  dass  das 
Bareabier  sehr  scharf  und  säuerlich  ist  und  mit  unserem  Bier 
nur  den  Namen  gemein  hat.  Denselben  Einfluss  konnten  wir 
auch  anderswo  häufig  beobachten;  bei  den  Bogos  z.  B.  sind 
habituelle  Biertrinker  mager  und  sehen  fahl  aus,  während  die 
Trinker  süssen  Methes  sehr  fett  werden  und  schöne  Haut  be- 
kommen. 


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Häusliches  Leben. 


Nun  wollen  wir  einen  kurzen  Blick  in  das  innere  Leben 
der  Barea  und  der  Bazen  werfen.  Zuerst  bemerken  wir,  dass 
bei  beiden  Völkern  Polygamie  erlaubt  ist.  Doch  während  bei 
den  Bazen  nur  die  Reicheren  mehrere  Frauen  nehmen,  sind 
die  Barea  grosse  Freunde  von  neuen  Ehen  und  wer  kann, 
vermehrt  seinen  Haushalt.  Ich  habe  auch  nicht  gehört,  dass 
sich  die  frühere  Frau  über  den  Zuwachs  sehr  beklage.  Trotz- 
dem ist  aber  selbst  hier  Polygamie  nur  eine  Ausnahme.  Die 
sittlichen  Begriffe  bei  diesen  Völkern  sind  nun  unter  sich  sehr 
verschieden,  ebenso  wie  von  anderswo  herrschenden  Begriffen. 
Ausser  der  Ehe  wird  nämlich  sehr  wenig  auf  Zucht  und  Ehre 
,  gehalten;  die  jungen  Leute  machen  Bekanntschaften;  es  wird 
der  Jungfrau  gar  nicht  übel  genommen,  wenn  sie  sich  ihrer 
Liebe  ganz  hingibt.  Wird  sie  schwanger,  so  ist  sie  ganz 
ebenso  gut  angesehen  wie  früher;  auch  der  Schwängerer  hat 
keine  Strafe  oder  Feindschaft  zu  erwarten,  Aussereheliche 
Kinder  werden  auferzogen  und  in  nichts  schlechter  angesehen, 
als  andere.  Wir  sind  ja  nicht  adelich ,  meinen  die  guten 
Leute.  So  wird  also  das  Leben  ausser  der  Ehe  durchaus 
unbeschränkt.  Ebenso  ist  eine  geschiedene  Frau  in  ihren 
Neigungen  und  Handlungen  ganz  frei. 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  525 

Uebrigens  kommen  auch  keine  öffentlichen  Frauen  vor, 
ausser  bei  den  Barea,  wo  der  viele  Zulauf  von  Fremden 
auf  den  Markt  sie  begreiflich  macht;  es  sind  übrigens  nicht 
blos  geborene  Barea,  die  sich  dazu  hergeben,  sondern  Mäd- 
chen vom  Barka,  entflohene  Sklavinnen  oder  Frauen,  die  der 
Strafe  der  Schwangerschaft  sich  entziehen  mussten.  Unnatür- 
liche Laster  sind  ganz  unbekannt  Was  das  eheliche  Leben 
betrifft,  so  ist  ein  grosser  Unterschied  zwischen  den  Barea 
und  den  Bazen.  Man  schilderte  uns  die  Bazenfrauen  als  sehr 
frei;  man  klagte  die  Männer  sogar  an,  dass  sie  die  eigene 
Frau  dem  Gastfreund  hingäben,  und  stellte  alle  eheliche  Treue 
in  Abrede.  Uebrigens  kann  ich  nicht  entscheiden,  ob  diese 
Berichte,  die  ich  den  mir  bekannten  Barea  verdanke,  nicht 
übertrieben  sind;  wir  hielten  uns  zu  kurze  Zeit  auf,  um  end- 
gültig über  die  Moralität  des  Volkes  entscheiden  zu  können. 
Die  Frauen  der  Barea  hingegen  werden  überall  als  exempla- 
risch treu  und  sittsam  geschildert  und  dadurch  bilden  sie  in 
Ostafrika  eine  bemerkenswerthe  Ausnahme.  Sie  werden  des- 
wegen von  den  umliegenden  Völkern  sehr  gesucht,  und  man 
findet  in  den  Nachbarstämmen  viele  Barea -Töchter  ver- 
heirathet.  Die  Barea  verschwägern  sich  besonders  mit  Al- 
geden, Beit  Bidel  imd  auch  den  Beni  Amer'n.  Hagr  und 
Mogoreb  gehen  immer  gegenseitige  Ehen  ein,  während  die 
Bazen  und  Barea  nur  höchst  selten  sich  untereinander  ver- 
schwägern. Die  Bazen  verheirathen  sich  meist  nur  unter- 
einander. Die  Heirathen  gehen  immer  nach  vollendeter  Emdte  ^ 
vor  sich.  Der  Bräutigam,  von  seinen  Freunden  und  den 
Mädchen  seines  Dorfes  begleitet,  holt  die  Braut  aus  ihrer 
Heimat  ab  und  bringt  sie  in  ihr  neues  Haus;  beim  Eintritte  muss 
sie  sich  quer  auf  den  Boden  legen  und  er  schreitet  über  ihre 
Wangen.  Das  Fest  dauert  acht  Tage  und  unterscheidet  sich 
wenig  von  allen  ähnlichen  Gelegenheiten.  Freunde  und  Ver- 
wandte bringen  freiwillige  Gaben.  Eigenthünüich  ist  hier, 
dass  die  Hochzeit  nicht  eine  Sache  der  Familie,  sondern  der 
Gemeinde  ist,  die  sich  dabei  betheiligt  und  alle  Fremde  dazu 


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526  Heise  durch  das  Land  der  Kunama. 

einladet  und  bewirthet.  Der  Mann  bleibt  nun  während  der 
acht  Festtage  im  Hause  verschlossen.  Oft  wird  der  Bräutigam 
bei  dieser  Gelegenheit  von  irgend  einer  Frau  des  Dorfes  be- 
sungen; er  gibt  ihr  dafür  ein  Geschenk  und  hat  er  nichts 
anderes,  so  theilt  er  mit  ihr  sogar  sein  eigenes  Kleid. 

Das  Leben  der  Frau  im  Hause  nun  zeigt  eine  au£EEJlende 
Aehnlichkeit  mit  dem  der  Abyssinierin.  Sie  theilt  alle  Arbeit 
mit  dem  Manne,  nicht  wie  bei  den  Bogos  und  ihren  Nachbarn, 
wo  die  Frau  vom  Feldbau  ausgeschlossen  ist  und  nur  im'  Hause 
sich  beschäftigen  soll.  Schon  die  junge  Braut,  die  bei  den 
Bogos  lange  Zeit  faul  ruhen  bleibt,  beschäftigt  sich  wie  die 
andern;  sie  arbeitet  auf  dem  Felde,  sie  mahlt  das  Korn  und 
macht  Bier;  selbst  die  Reichste  ist  selten  müssig  und  wenige 
halten  sich  eine  Magd.  So  ist  es  auch  in  Abyssinien,  wo  die 
Frau  immer  zuerst  aufsteht.  Was  das  Melken  anbetarifft,  so 
kann  hier  das  Mädchen  melken,  aber  bei  der  Frau  scheint 
es  unanständig;  den  Barea  aber,  die  viel  mit  den  Beni  Amer^n 
zusammenkommen,  theilt  sich  das  Yorurtheil  gegen  das  Melken 
der  Frau  überhaupt  nach  und  nach  mit.  Die  Frauen  dieser 
Länder  sind  sehr  beschäftigt  und  haben  wenig  Zeit,  müssig 
auf  ihrem  Bette  zu  liegen  und  Toilette  zu  machen,  wie  die 
Bogos,  aber  man  sieht  selten  unzufriedene  Frauen  oder  un- 
glückliche Ehen. 

Die  Barea  haben  den  Gebrauch  des  Rauchbades,  wozu  sie 
die  Wurzel  der  Higüg  anwenden  und  vom  Barka  her  die 
»  Wolldecken  beziehen,  die  auch  bei  den  Bogos  gebräuchlich 
sind.  Die  Frau  spricht  nie  den  Namen  des  Gatten  aus  und 
isst  nie  in  seiner  Gegenwart;  sie  verbirgt  sich  vor  ihrem 
Schwiegervater,  so  will  es  die  Sitte,  die  hierin  mit  der  der 
aristokratischen  Völker  übereinstimmt.  Mann  und  Frau  theilen 
selten  dasselbe  Bett;  die  Barea  erklären,  das  geschähe  darum, 
dass  der  Athem  des  Weibes  den  Mann  nicht  schwäche.  Fremde 
Leute  hüten  sich  bei  den  Barea,  in  irgend  ein  Haus,  wo  eine 
verheirathete  Frau  wohnt,  zu  treten,  damit  ja   kein  Gerede 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  527 

über  sie  entstehe;  wie  es  damit  bei  den  Bazen  stehe,  kann 
ich  nicht  sagen. 

Die  Frauen  der  Barea  und  Kunama  sollen  ziemlich  frucht- 
bar sein.  Man  rühmt  die  Leichtigkeit  der  Entbindung,  ohne 
Schrei  und  Noth,  während  bei  den  Bogos  und  den  Barka  das 
keinesw^s  der  Fall  ist.  Die  Barea  und  die  Bazen  ziehen 
Mädchen  den  Knaben  vor,  ganz  entgegengesetzt  ihren  Nach- 
barvölkern, und  diess  ist  bei  den  Gesetzen  des  Landes  sehr 
natürlich.  Die  Frau,  die  zum  ersten  Male  empfangen  hat, 
begibt  sich  in  ihrer  Mutter  Haus,  wo  sie  niederkommt;  sie 
verweilt  da  nach  der  Entbindung  noch  drei  Monate.  Ihr 
Mann  schickt  ihr  Getreide,  Salz  und  ein  Wollkleid;  die  Ver- 
wandten und  Freunde  schlachten  2äegen.  Spätere  Male  kommt 
die  Frau  in  ihrem  eigenen  Hause  nieder.  Es  kommt  kein 
Mann  während  des  Monats  nach  der  Entbindung  in  ihr  Haus. 
Eine  Woche  nach  der  Geburt  wird  das  Kind  benannt;  die 
Barea  und  die  Kunama  haben  viel  eijgenthümliche  Namen,  die 
letztern  adoptiren  oft  auch  islamitische.  Die  dem  Lande 
eigenen  Namen  haben  nichts  Christliches  und  auch  sie  ver- 
bieten den  Gedanken  früheren  Ghristenthums.  Von  Barea- 
Namen  für  Männer  wollen  wir  anführen:  Ashush,  Aggar, 
Basen,  Auet,  Selman;  für  Frauen:  Wardet,  Shajet,  Ashei, 
Daret,  Belu.  Von  Bazen -Namen  haben  wir  uns  folgende 
notirt:  KuUu,  Adigi,  Karme,  Tofa,  Merko,  Ashgu,  Gadi, 
Kerfe,  Laku,  Gabon,  Andu,  Ishma,  Maberi,  Torta,  Sbeddin, 
Segede,  Ashora,  Auro,  Shelfo,  Moshellem,  Djaba. 

Dem  Kinde  wird  oft  der  Name  des  Grossvaters  und  des 
mütterlichen  Onkels  verliehen.  Da  die  Eltern  meist  auf  dem 
Felde  beschäftigt  sind,  habe  ich  erzählen  hören,  dass  die 
Mutter,  die  ihr  Kind  nicht  mitnehmen  und  keine  andere  ältere 
Schwester  ihm  zur  Hüterin  zurücklassen  kann,  das  Kind  mit 
einem  Strick  im  Hause  an  einen  Pfahl  bindet  und  daneben 
eine  Schüssel  voll  Milch  oder  Brod  stellt  und  dann  ruhig  das 
Haus  verschliesst.  Wenn  das  Kind  des  Weinens  satt  ist,  kostet 
es  von  der  Nahrung  und  schläft  dann  ruhig  ein.     Beschnei- 


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528  Reise  darch  das  Land  der  Kun4ina. 

düng  kommt  erst  nach  dem  sechsten  Jahre  vor  und  bei  den 
Barea  wenigstens  für  beide  Geschlechter,  während  ich  bei  den 
Bazen  nur  für  das  männliche  Geschlecht  sicher  berichtet  bin. 
Einderverkauf  ist  nicht  selten,  besonders  bei  Hungersnoth, 
aber  wie  aus  dem  früher  Gesagten  sich  ergibt,  ist  es  nicht 
der  Vater,  der  das  Kind  verkaufen  darf,  sondern  der  mütter- 
liche OnkeL  Knaben  gehen  meist  mit  rasirtem  Kopf.  Werden 
sie  mannbar,  so  lassen  sie  das  Haupthaar  wachsen,  aber  es 
findet  hier  kein  Fest  statt,  wie  das  bei  den  Bogos  u.  a.  uns 
bekannt  ist. 

Den  Barea  und  Bazen  ist  eine  grosse  Ehrfurcht  vor  dem 
Grabe  gemeinschaftlich.  Stirbt  jemand,  so  geht  der  Trauer- 
schrei in  die  umliegenden  Dörfer.  Wenn  in  der  Nacht,  wird 
das  Begräbniss  auf  den  Frühmorgen  aufgespart;  wenn  am  Tage, 
so  wird  nur  so  lange  gezögert,  bis  das  Grab  in  Ordnung  ge- 
bracht ist 

Es  ist  übrigens  allgemeine  Sitte  in  Afrika,  so  schnell  als 
möglich  zu  begraben.  Bei  den  Barea  und  den  Kunäma  ist 
es  Brauch,  dass  das  ganze  Dorf,  Alt  und  Jung  ohne  Aus- 
nahme, den  Todten  zu  Grabe  begleitet;  niemand  pflügt,  noch 
säet,  noch  mahlt,  bis  die  Leiche  bestattet  ist  Das  Grab 
der  Barea  und  Kunäma  ist  durchaus  von  dem  uns  bisher  be- 
kannten verschieden.  Jede  Familie  hat  eine  ziemlich  geräu- 
mige Höhle,  zu  der  ein  schiefer  Schacht  hinabführt  Die 
enge  Oe£fhung  desselben  wird  mit  einem  Steine  verschlossen, 
der  Platz  mit  einer  Art  niedriger  Mauer  bezeichnet.  Hier 
werden  Männer,  Frauen  und  Kinder  beigesetzt,  jede  Familie 
in  ihrer  eigenen  Gruft.  Der  Leichnam  wird  verhüllt  auf  einem 
Tragbette  hingetragen;  ein  Mann  steigt  hinunter,  schiebt  die 
alten  Knochen  bei  Seite,  und  dann  wird  der  Todte  einfEich 
auf  den  Boden  hingelegt.  Fremde  und  Mohammedaner  werden 
nach  ihrer  Landesart  an  besonderen  Plätzen  begraben,  wäh- 
rend die  Barea  und  Kunäma  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
den  Todten   beisetzen.     Nach   dem   Begräbniss   bringen   die 


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Reise  durch  das  Land  der  Kunama.  529 

jungen  ledigen  Leute  des  Dorfes  Holz  aus  dem  Walde,  aus 
dem  sie  eine  grosse  Schattenlaube  errichten,  die  zur  Auf- 
nahme der  von  allen  Seiten  herbeiströmenden  Klagenden  be- 
stimmt ist;  auch  holen  sie  Wasser  und  Holz  zum  Brennen. 
Kein  junger  Mann  darf  sich  dieses  Dienstes  entheben.  Die 
eigentliche  Trauer  dauert  eine*  Woche;  auch  die  Männer  be- 
klagen den  Todten  laut,  wie  es  die  Hochabyssinier  thun, 
während  die  aristokratischen  Völker  das  Weinen  den  Frauen 
überlassen  und  es  für  unmännlich  halten,  das  Leid  äusserlich 
zu  zeigen.  Während  dieser  Zeit  bringt  jeder  Dorfbewohner 
sein  Essen  in  die  Trauerhalle,  um  es  da  in  Gemeinschaft  zu 
verzehren.  So  bildet  sich  ein  wochenlanges  Leichenmahl,  an 
dem  die  ganze  Gemeinde  und  viele  Gäste  von  den  andern 
Dörfern  theilnehmen.  Auch  unsere  Völker  haben  den  Ge- 
brauch, die  Opferkuh  zu  schlachten;  die  Bazen  begnügen  sich 
mit  einer,  während  die  Barea  bei  dieser  Gelegenheit  bis 
10  Stück  opfern.  Die  ledigen  jungen  Leute  besorgen  die  Auf- 
wartung und  bedienen  die  Alten  mit  Fleisch  und  Bier.  Der 
Gebrauch,  den  wir  sonst  gefunden,  den  Kühen  bei  dieser  Ge- 
legenheit mit  dem  Schwert  die  Hinterbeine  abzuschlagen, 
kommt  hier  nicht  vor.  Während  dieser  acht  Tage  wird  der  Todte 
von  allen  Anwesenden  besungen  und  beweint.  Nach  Verlauf 
der  Woche  entfernen  sich  alle  Fremde  und  die  Trauer,  die 
ein  Jahr  währt,  geht  fortan  nur  die  engere  Familie  an. 

Es  zeigen  sich  hierin  zwei  Seiten  des  Lebens.  Erstlich 
offenbart  sich  eine  grosse  Ehrfurcht  vor  dem  Todten  und  eine 
Sorgfalt  für  denselben,  die  sich  sicherlich  an  einen  gewissen  Un- 
sterblichkeitsglauben anlehnt;  sodann  tritt  das  innige  Zusam- 
menleben der  Gemeinde  in  Freud  und  Leid  uns  wieder  wohl- 
thuend  entgegen.  Niemand  wagt  es,  eine  Ausnahme  zu 
machen,  denn  jeder  weiss,  dass  auch  sein  Tag  kommt.  Da 
ist  kein  Unterschied  zwischen  Mächtig  und  Gering,  jedem  wird 
das  gleiche  Beileid  gezollt.  Bei  andern  Völkern  weiss  man 
ebenso  gut,  dass  der  Tag  kommen  muss  und  desungeachtet 

Muaxiuger,  OsUfrik.  Studien.  34 


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530  Reise  durch  das  Land  der  Kan&ma. 

hat  man  oft  grosse  Noth,  den  Todten  zu  begraben,  wenn  es 
ihm  an  Familie  fehlt  und  es  ist  traurig  zu  bemerken,  dass 
bei  den  aristokratischen  Völkern,  sei  es  durch  die  Geburt  oder 
das  Geld,  der  Vornehme  noch  im  Tode  seinen  Rang  behauptet, 
während  wenige  den  Armen  zur  letzten  Ruhe  begleiten. 


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Schi  ussbetrachtungen . 


Wir  wissen  schon,  dass  die  Barea  und  die  Kunama  sich 
in  einer  Ausnahmestellung  befinden,  indem  sie  von  unbarm- 
herzigen Feinden  umringt  sind.  Deswegen  lebt  das  Volk  in 
seinem  innem  Leben  Mediich  und  freundlich,  fast  ohne  Gesetz 
und  Staat,  frei  und  gleich,  nur  vor  dem  grauen  Haare  sich 
beugend.  Ganz  anders  wird  der  Barea  und  der  Kunama, 
wenn  er  sich  gegen  das  Ausland  wendet.  Die  Nothwehr  zwingt 
ihn,  das  angethane  Leid  so  gut  wie  möglich  dem  Feinde  zurück- 
zugeben. Daher  sehen  wir  förmliche  Räuberbanden,  die 
monarchisch  organisirt  sind.  Besonders  die  Barea  sind  seit 
langen  Zeiten  weit  und  breit  als  Räuber  berühmt  und  ge- 
fürchtet; sie  sind  der 'Schrecken  des  Landes  von  den  Bogos 
bis  zum  Gash,  während  die  Bazen  bis  in's  Tigre  hinein  die 
Wege  unsicher  machen.  Die  Barea  kämpfen  fliehend,  selten 
greifen  sie  an;  sie  fliehen,  kommen  wieder  und  umringen 
den  schon  sich  sicher  wähnenden  Feind.  Sie  sind  behend 
wie  Schlangen.  Raub  scheint  ihnen  ein  ganz  ehrenhaftes 
Handwerk,  da  er  sich  gegen  den  Feind  wendet;  dagegen  ist 
Hausdiebstahl  eine  Schande  und  fast  unbekannt.  In  Zeiten 
der  Hungersnoth  stehlen  sich  die  Barea  gern  untereinander 
Ziegen  und  Esel,  oft  selbst  vom  gleichen  Dorfe  weg.     Auch 

34* 


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532  Reise  durch  das  Land  der  Kundma. 

im  Bezahlen  der  Schulden  sind  sie  wenig  gewissenhaft.  Sonst 
sind  sie  sehr  Zuverlässig  für  anvertrautes  Gut;  fast  keine 
Thür  ist  da  und  das  Durra  bleibt  auf  den  Feldern  unbewacht, 
so  auch  in  Algeden.  Bei  beiden  Völkern  hört  man  äusserst 
wenig  von  Mord  innerhalb  des  Landes;  Vater-  oder  Mutter- 
mord ist  ganz  unerhört,  Brudermord  ist  äusserst  selten. 
Selbstmord  setzt  viel  mehr  Civilisation  voraus. 

Die  Barea  und  die  Bazen  sind  sehr  wachsam  in  der  Nacht; 
die  Unsicherheit  und  das  näuberleben  gewöhnt  sie  an  einen 
leisen  Schlaf.  Sie  haben  wenig  Furcht  vor  Schlangen;  man 
sieht  oft  Leute,  die  solche  unbesorgt  im  Kleide  herumtragen 
und  ihnen  sogar  eine  schützende  Kraft  zuschreiben.  Tapfer- 
keit ist  beiden  keineswegs  abzusprechen;  in  jetziger  Zeit  aber, 
wo  sich  Norden  und  Süden  monarchisch  concentrirt  haben, 
nützt  dieser  ungeregelte  Muth  wenig  und  in  den  letzten  Jahren 
sind  bei  dem  unaufhörlichen  Kampfe  so  viele  der  besten 
Männer  umgekommen,  dass  den  übrigen  doch  am  Ende  das 
Selbstvertrauen  abhanden  kommen  muss.  Eigenthümlich  ist  bei 
den  Bazen,  dass  Frau  und  Kind  durch  eine  Thüre  fliehen, 
die  Männer  durch  eine  andere;  so  streiten  die  letztem  nur 
für  sich.  Es  sind  einige  Jahre  her,  dass  Bogoshirten  einen 
Barearäuber,  der  Kühe  wegstehlen  wollte,  gelangen  nahmen; 
sie  banden  ihn  fest  und  schickten  sich  sehr  bedächtig  an,  ihn 
zu  tödten;  er  sah  ganz  kaltblütig  zu  und  als  ihn  die  erste 
Lanze  traf,  sprach  er:  So  stirbt  ein  Mann!  und  fiel  ohne  alle 
Klage.  Leider  sind  beide  Völker  viel  zu  lose  verbunden,  um 
sich  mit  Erfolg  wehren  zu  können,  obgleich  die  Barea  sich 
gegenseitig  in  der  Gefahr  beistehen. 

Wir  haben  in  den  Barea  und  Kunäma  echt  demokratische 
Völker  kennen  gelernt,  wie  sie  vielleicht  in  der  Welt  nirgends 
sonst  vorkommen;  jeder  fühlt  sich  dem  andern  gleich  und 
frei;  keiner  will  besser  als  der  andere  werden.  Wir  sind  alle 
Sklaven,  sagen  sie  ireimüthig  und  das  ist  ein  stolzes  Wort; 
die  Gemeinde  allein  beschränkt  die  persönliche  Freiheit  durch 
den  Ausspruch  der  Greise,  denen  keiner  widerspricht.    Skla- 


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Reise  durch  das  Land  der  Kundma.  533 

verei  scheint  unnatürlich  und  selbst  der  Fremde  wird  schnell 
eingebürgert  Da  die  Familie  in  der  Gemeinde  aufgeht,  so 
fehlt  der  Geburtsstolz,  der  andere  Völker  so  hoch  und  auch 
so  niedrig  stellt.  Die  vollständige  Gleichheit  ist  vorzüglich 
in  dem  Charakter  des  Volkes  begründet,  der  der  Veränderung 
abhold  ist  und  wenig  emporstrebt.  Dieser  gleichförmige  Cha- 
rakter ist  besonders  bei  den  Bazen,  die  wenig  fremden  Ein- 
fluss  zu  erleiden  hatten,  rein  bewahrt. 

Bei  den  Bazen  ist  die  Ehrfurcht  vor  dem  Alter  bei  Weitem 
stärker  ausgebildet,  als  bei  den  Barea.  Sie  sind  ihrem  Charakter 
nach  ruhiger  und  ich  möchte  sagen  eintöniger,  wie  ihre  Sprache. 
Sie  sind  unter  sich  sehr  sanft  und  höflich;  keiner  unterbricht 
den  andern,  keiner  wird  in  der  Berathung  hitzig  oder  schlägt 
im  Zorn  der  Rede  mit  dem  Stocke  auf  den  Boden,  wie  wir 
es  bei  den  Bogos  und  den  andern  Nordostafrikanern  jeden 
Tag  gesehen;  keiner  prahlt  mit  seinem  Muthe.  Daher  gebietet 
auch  die  Raths Versammlung  Ehrfurcht;  alles  wird  ruhig  ab- 
gemacht, ohne  Lärm  und  Streit;  was  beschlossen  ist,  ist 
fertig.  Sonst  sind  die  Bazen  gern  fröhlich,  aber  auf  eine 
stille  Weise.  Man  sieht  des  Abends  Mann  und  Frau  traulich 
im  Hofe  auf  einer  Bank  sitzend  zusammen  plaudern  und  aus 
der  Pfeife  rauchen. 

Wenn  nun  die  Barea  immer  noch  die  Eigenschaft  haben, 
dass  sie  friedlich  zusammenleben  können,  so  ist  bei  ihnen  die 
Ehrfurcht  vor  dem  Alter  schon  viel  geringer,  da  sie  sich  täg- 
lich von  ihren  Nachbarn  vom  Barka  ein  böses  Beispiel  nehmen 
können.  Ihr  Geist  ist  auch  viel  lebhafter  und  unmhiger; 
daher  hört  man  bei  ihnen  schon  viel  mehr  leeres  Geschrei. 
Da  wir  nun  die  Barea  viel  genauer  kennen,  wollen  wir  sie 
noch  genauer  charakterisiren.  Die  Barea  sind  dankbar,  ein- 
fach oflfen,  ohne  Trug;  sie  haben  viel  gesunden  Menschenver- 
stand; sie  brausen  schnell  auf,  aber  kühlen  sich  leicht  wieder 
ab  imd  verzeihen  gem.  Sie  tragen  Beleidigungen  wenig  nach 
und  in  dieser  Hinsicht  glauben  wir  die  stillen  Wasser  des 
Bazenherzens  viel  tiefer  und  nachhaltiger.    Die  bei  den  aristo- 


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534  Reise  durch  das  Land  der  Kundma. 

kratischen  Völkern  uns  bekannte  Rachsucht,  die  die  kleinste 
Verletzung  Jahre  lang  nachträgt,  ist  den  Barea  fremd  und 
unnatürlich.  Es  geschieht  Qft,  dass  nach  heftigem  Streit  der, 
welcher  Unrecht  hatte,  des  andern  Hand  ergreift  und  um 
Verzeihung  bittet.  Ein  Bogos  oder  ein  Habab  könnte  das  nie 
über  sich  bringen.  Sie  haben  wenig  Schimpfwörter.  Die 
Barea  und  auch  die  Bazen  können  den  Wohlstand  yertragen, 
ganz  im  Gegensätze  zu  allen  ihren  Nachbarn,  die,  wenn  sie 
satt  sind,  böse  und  übermüthig  werden.  Je  reicher  und  satter 
ein  Barea  wird,  um  so  besser,  liberaler  und  genügsamer  wird 
er.  Der  Hunger  macht  ihn  zum  Diebe  und  Räuber.  Die  Barea 
helfen  sich  gegenseitig  gem.  Sie  sind  barmherzig,  selbst  gegen 
die  Fremden.  Nur  wenn  sie  in  Feindesland  sind,  vergessen 
sie  die  Menschlichkeit.  Die  Frauen  beklagen  selbst  das  ge- 
raubte Kind  der  feindlichen  Beni  Amer,  während  die  Beni- 
Amer- Frauen  den  geraubten  Sklaven  verhöhnen  und  hassea 
Wenn  der  Barea  in  der  Wildniss  das  verwaiste  Löwenjunge 
sieht,  gedenkt  er  der  heulenden  Mutter,  die  ihr  Kind  sucht, 
und  vergleicht  sie  mit  seiner  eigenen  weinenden  Mutter.  Die 
Barea  sind  sehr  dienstfei-tig ,  nicht  wie  die  Bogos,  die  nur 
die  Furcht  nützlich  machen  kann;  sie  sind  dankbar  selbst  für 
den  kleinsten  Dienst  und  vergessen  einen  Freund  nicht.  Der 
Fremde  hat  gleiches  Recht  und  hat  er  sich  gut  benommen, 
so  wird  er  bei  seinem  Tode  wie  ein  Bruder  beweint.  Wittwen 
und  Waisen  werden  nie  misshandelt  oder  in  ihren  Rechten 
verletzt.  Die  Barea  sind  durchaus  nicht  habsüchtig,  der  semi- 
tische Charakter,  der  Geld  über  alles  stellt,  fehlt  ihnen;  sie 
stehlen  aus  Hunger  und  weil  das  Eigenthum  wenig  Werth 
hat,  aber  sie  geizen  nicht  nach  fremder  Habe.  Sie  sind  un- 
gemein gastlich.  Ich  erinnere  mich,  dass  Moharrem  Effendi, 
ein  ägyptischer  Oberst,  der  in  Kufit  den  Tribut  einzog,  sich 
üiir  gegenüber  über  die  Barea  sehr  rühmend  aussprach  und 
ihre  Offenheit,  die  keine  lutrigue  und  keinen  Verrath  kennte 
im  Gegensatz  zu  den  „Hunden  von  Beni  Amer'n"  mit  Freuden 
hervorhob.    Sie  geben,  sagte  er  mir,  den  Tribut,  soviel  das 


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Reise  durch  das  Land  der  Eim4ma.  535 

ihre  Umstände  erlauben;  weiter  hinaus  sagen  sie  entschie- 
den: genug!  und  dann  hilft  kein  Zwang. 

Ich  habe  viele  Leute  von  Barka  und  Algedeu  und  Massua, 
die  lange  Zeit  im  Barealande  verweilt  haben,  über  die  geistige 
Fähigkeit  der  Barea  befragt  und  die  Antwort  war,  ob  nicht 
die  weisen  Gesetze,  die  express  gemacht  sind,  um  allen  Streit 
zu  verhüten,  das  beste  Zeugniss  guten  Verstandes  abgäben. 
Jedenfalls  halte  ich  besonders  die  Barea  für  sehr  bildungs- 
fähig; die  Bazen  sind  es  nicht  minder,  aber  sie  hegen  noch 
viel  mehr  Vorurtheile  gegen  alles  Fremde.  Wir  wollen  bei- 
fügen, dass  beide  Völker  sehr  liederreich  sind  und  viel  mehr 
Melodien  haben,  als  alle  ihre  Nachbarn.  Ihr  Nachtgesang 
(Goila)  ist  weit  und  breit  berühmt.  Das  Recitativ,  das  den 
Tigre  und  den  To'bedauie  eigen  ist,  passt  schon  zur  Sprache 
nicht. 

Die  Barea  und  Kunama  bekämpfen  sich  im  Innern  des 
Gaues  nur  höchst  selten.  Da  alle  Entscheidung  in  den  Händen 
der  Greise  liegt,  alles  gleich,  niemand  vornehm  ist  oder  es 
werden  will,  die  ehrgeizige  Jugend  von  der  Regierung  ausge- 
schlossen ist  und  die  Familie  in  der  Gemeinde  aufgeht,  so 
wird  Streit  und  Bürgerkrieg  unmöglich  und  es  könnte  eine 
80  eigenthümliche  Republik  noch  Jahrtausende  fortvegetiren, 
wenn  sie  von  allem  Auslande  isolirt  werden  könnte.  Diese 
Völker  fühlen  diess  auch  sehr  gut;  besonders  die  Bazen  thun 
das  Mögliche  sich  zu  isoliren;  sie  lieben  alles  Einheimische, 
sie  hassen  alles  Fremde.  Sie  haben  wenig  Neugierde;  sie 
wollen  lieber  bleiben  wie  sie  sind.  Sie  haben  bisher  nur  fort- 
vegetirt  und  ohne  Zweifel  grenzt  oft  Gleichheit  an  Gemeinheit. 
Es  ist  jetzt  aber  die  Zeit  gekommen,  wo  auch  diese  Völker 
dem  Zuge  der  Weltgeschichte  ausgesetzt  werden  sollen,  und  es 
wäre  Schade,  wenn  diess  nur  geschähe,  um  sie  um  so  schneller 
zu  verderben.  Von  zwei  Seiten  werden  die  Barea  und  Kunama 
gedrückt;  von  Süden  dringen  die  Abyssinier,  von  Norden  die 
Mohanmiedaner  vor;  religiös  machen  die  letztern  die  grössten 


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536  Reise  durch  das  Land  der  Kunäma. 

Fortschritte,  politisch  die  Christen.  Es  wäre  Schade,  wenn 
so  besonders  durch  das  Herz  zu  einem  bessern  Leben  befähigte 
Völker  zwischen  den  zwei  feindlichen  Mühlsteinen  zusammen- 
gedrückt werden  sollten.  Hat  hier  die  europäische  Politik 
und  Mission  keine  Aufgabe? 


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/ 

Einige  Bemerkungen 

über 

Ethnographie  von  Kordofan. 


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I. 

Die  80  verdienstliche  Arbeit  von  Dr.  Waitz  über  die  Psy- 
chologie der  Naturvölker  gibt  uns  das  Resultat  aller  bisheri- 
gen Forschungen  über  die  Völker  von  Kordoüan.  Um  künftige 
Forschung  zu  erleichtern,  wollen  wir  uns  seiner  Darstellung 
mit  einigen  Beobachtungen  anschliessen,  die  wir  während 
unseres  Aufenthalts  in  L'obeid  als  Mitglied  der  deutschen 
Expedition  zu  machen  die  Gelegenheit  hatten.  Jedoch  scheint 
uns  die  Scheidung  von  Aethiopen  und  Negern,  vrie  sie  auch 
Dr.  Waitz  annimmt,  sehr  zweifelhaft  und  bedenklich  wird  sie 
vollends,  wenn  sie  sich  auf  die  Sprache  stützen  soll. 

Dass  die  abyssinischen  Hauptsprachen,  das  Tigre  und  das 
Tigrina,  als  lebende  Töchter  des  Geez  semitisch  sind,  ist  un- 
bezweifelt.  Da  wir  nun  sicher  sind,  dass  sie  schon  vor  zwei 
Jahrtausenden  landesüblich  waren,  so  soll  man  die  Abyssinier 
nicht  Aethiopen  nennen,  sondern  ein&ch  Semiten.  Die  Farbe 
darf  nicht  abschrecken,  da  auch  die  edelsten  Geschlechter 
Arabiens  von  Schwärze  nicht  frei  sind,  während  die  edelsten 
Geschlechter  Abyssiniens  hellgelb  sind.  Es  finden  sich  in 
Abyssinien  dann  noch  verschiedene  Völklein  oder  eher  Völker- 
trümmer, wie  die  Agau,  zu  denen  auch  die  Bogos  gehören, 
deren  Sprache  durchaus  noch  nicht  placirt  ist.  Das  Gleiche 
gilt  von  den  Galla.  Die  Stellung  der  Amhara  aber,  des  civi- 
lisirtesten  Stammes  im  Lande,  ist  nicht  genau  festgestellt;  es 


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540  Bemerkungen  über  Kordofim. 

wird  erst  durch  spätere  Untersuchungen  klar  werden,  ob  sie 
das  Semitische  ihrer  Sprache  ursprünglich  haben  oder  ob  es 
eine  ungeheure  Gopie  ist  mit  ursprünglich  fremder  Basis. 

Jedenfalls  ist  gerade  aus  den  Sprachen  ersichtlich,  dass 
die  sogenannten  Aethiopen,  d.  h.  die  Völker  Nordostafrikas, 
mit  dem  Flussgebiet  des  Nil  ethnographisch  gar  nicht  zusam- 
mengehören, sondern,  wie  es  auch  ihre  Geschichte  lehrt,  durch 
ZuMl  zusammengeworfen  worden  sind.  Es  gibt  kein  Land 
auf  der  Welt,  wo  verhältnissmässig  auf  so  kleinem  Räume 
so  viele  Sprachen,  die  nichts  miteinander  gemein  haben,  ge- 
sprochen werden.  Die  Asiaten,  die  Europäer  stehen  in  un- 
geheuren Gruppen  zusammen,  während  hier  durchaus  kein 
Zusammenhang  gefrmden  werden  kann.  Diese  Thatsache  redet 
direct  gegen  die  Annahme,  die  sogenannten.  Aethiopen  seien 
eine  Völkerfamilie,  führt  uns  auf  die  Vermuthung,  dass  alle 
diese  Nordostafrikaner  Parcellen  sind  von  grossen  weitliegen- 
den Völkerfittnilien,  deren  Colonien  auf  dem  kleinen,  aber  von 
d^  Natur  begünstigten  Räume  zusammengetroffen  sind,  dass 
man  also  ihre  Verwandtschaft  nicht  untereinander,  sondern 
weitweg  zu  suchen  hat.  Das  gleiche  Leben,  klimatisch  und 
politisch,  hat  sie  dann  einander  ähnlicher  gemacht. 

Was  den  N^er  betrifft,  so  weiss  ich  nicht,  was  man  dar- 
unter versteht  und  am  allerwenigsten  begreife  ich  die  Bedeu- 
tung von  Negersprache.  Diese  Classification  ist  höchstens 
dazu  da,  eine  ganze  Masse  uns  unbekannter  Volks-  und 
Sprachtypen  unter  einem  Namen  zusammenzuwerfen,  ein  beque- 
mes aber  nicht  richtiges  Verfahren.  Von  Weitem  angesehen, 
dem  Europäer  absolut  entg^engehalten,  steht  der  Afrikaner 
allerdings  als  ein  ganz  besonderer  Mensch  da;  aber  bei  ge- 
nauerer Beobachtung  weiss  der  aufrichtige  Reisende  nicht 
mehr,  wo  der  Neger  eigentlich  anfängt,  und  der  Glaube  an 
die  absolute  Rassentrennung  versch¥dndet  mehr  und  mehr. 

Was  nun  die  Völker  von  Kordofan  angeht,  so  müssen  wir 
die  eigentlichen  Araber  (vr^)  zusammen  mit  den  arabisirten 
Stämmen  (  yj^r^x«)  von  den  Nichtarabern  streng  scheiden. 


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Bemerkungen  über  Kordo&n.  541 

Deswegen  dürfen  wir  aber  die  letztem  nicht  unter  dem  Namen 
Nuba  zusammenwerfen.  Dass  Nubien  früher  viel  mehr  Au3- 
dehnung  hatte,  sagen  die  alten  Autoren;  diess  beweist  aber 
nur,  dass  die  Nubier  zurückgedrängt  worden  sind.  Araber, 
Fundj,  Forianer  u.  s.  w.  haben  ihren  Platz  eingenommen. 
Der  Name  Nubier  ist  im  Sudan  durchaus  kein  geogra- 
phischer Sammelname;  er  existirt  nur  als  Stammesbezeichnung. 
„Nuba"  werden  nur  die  Sklaven  aus  den  Ländern  südwestlich 
von  Tegele  genannt;  die  Leute  von  Tegele  selbst  werden 
unter  ihrem  eigenen  Namen  unterschieden  und  blos  unwissende 
Sklavenhändler  werfen  verschiedene  Völker  unter  einem  Namen 
zusammen,  wie  z.  B.  die  Gallasklaven  in  Kairo  „Habeshi",  im 
Sudan  „Makade",  was  mit  Habeshi  gleichbedeutend  „Abys- 
sinier"  heisst,  genannt  werden,  weil  sie  eben  über  Abjssinien 
eingeführt  werden;  deswegen  heisst  auch  der  arabische  Kaffee 
Mocha,  weil  hier  früher  sein  Hauptstapelplatz  war  u.  s.  w. 

Nuba  heissen  ferner  die  Bewohner  des  Nillandes  nördlich 
von  Dongola  bis  Assuan ,  so  sage  ich  nicht  nach  eigener  Er- 
fahrung, sondern  nach  allen  Zeugnissen,  welche  die  jetzigen 
sogenannten  Barabra  Nubier  nennen.  Und  wirklich  steht  der 
Namensgemeinschaft  nichts  entgegen.  Dafür  entscheidet  die 
Sprache,  die  wir  gut  genug  kennen,  um  zu  wissen,  dass  das 
Berg -Nuba  dem  der  Nilbewohner  verwandt  ist.  Jedenfalls 
ist  zu  wünschen,  dass  die  beiden  oder  vielmehr  die  drei 
Dialekte,  das  Mahassi  inbegriffen,  besser  studirt  würden. 

Endlich  müssen  wir  constatiren,  dass  die  Barabra  oder 
Danagele,  die  in  Kordofan  ansässig  sind,  aus  ihrer  Ver- 
wandtschaft mit  den  Nuba -Sklaven  kein  Hehl  machen,  wenn 
auch  nicht  ohne  Scham,  und  dass  so  die  Tradition  davon 
fortlebt. 

Wir  finden  also  das  Volk  der  Nuba  südwestlich  von  Tegele 
und  dann  nördlich  von  Dongola,  getrennt  durch  Kordofan  und 
dia  Steppe.  Die  Bewohner  von  Tegele  sind  ganz  andeiii  Ge- 
schlechtes, die  von  Kordofan  sind  jedenfalls  sehr  gemischten 
und   zweifelhatten  Ursprunges.     Dass   die   Nuba  die  Steppe 


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542  Bemerkungen  über  Kordofan. 

zwischen  Kordofan  und  Nil  nicht  occupirt  haben,  ist  begreif- 
lich, da  sie  ihrem  ackerbauenden  Sinn  wenig  gefallen  konnte; 
sie  blieb  also  den  Arabern  vorbehalten,  deren  nomadische  Ge- 
wohnheiten nur  da  Befriedigung  fanden.  Wahrscheinlich  ist 
aber,  dass  die  Nuba  einst  auch  Kordofan  förmlich  besessen 
haben;  denn  von  ihren  Bergen  herabsteigend  wären  sie  kaum 
gleichgültig  daran  vorbeigezogen  und  für  ein  nicht  nomadi- 
sches Volk  scheint  die  Strecke  viel  zu  ausgedehnt. 

Dass  die  jetzigen  freien  Bewohner  von  Kordofen  wenig- 
stens der  Hauptfärbung  nach  Nuba  seien,  ist  keineswegs  wahr- 
scheinlich; von  Sklaven,  die  willkürlich  ihrem  Vaterland 
entrissen  sind,  darf  gar  nicht  die  Rede  sein.  Daher  darf  man 
nicht  sagen,  es  werde  in  L'obeid  Nuba  geredet  oder  gar  in 
Kob6;  das  hiesse  höchstens  nur,  dass  sich  da  Nubasklaven 
befinden,  die  ihre  Muttersprache  noch  nicht  vergessen  haben. 
Die  freien  Bewohner  Kordofan's  reden  -nur  Arabisch.  Selbst 
die  ansässigen  Danagele,  die  des  Handels  wegen  von  Norden 
wieder  bis  Kordofan  zurückgewandert  sind,  haben  meist  ihre 
Rotäne  (ihr  Nicht -Arabisch)  ganz  vergessen. 

Was  nun  die  Nuba- Sprache  betrifiFt,  so  flechte  ich  hier 
eine  kleine  Wörtersammlung  ein ,  die  ich  in  L'obeid  aufeeich- 
nete.  Meine  Professoren  waren  nicht  der  Art,  dass  ich  mich 
mit  Sicherheit  an  die  Zeitwörter  und  die  grammatischen  For- 
men wagen  konnte.  Da  ich  bei  unserm  nicht  sehr  ausgedehn- 
ten Aufenthalt  keine  besseren  Lehrer  finden  konnte,  musste 
ich  mich  mit  der  erhaltenen  Probe,  die  von  ihrer  Seite  keine 
Intelligenz  voraussetzt,  zufrieden  geben.  Viel  glücklicher  war 
ich  mit  den  Sprachen  von  Tegele  und  For,  wovon  ich  später 
berichten  werde. 


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Bemerkungen  über  Kordofan. 


543 


Sammlung  von  Nuba-Wörtern. 


Deutsch. 

Mein  Kuba. 

BuBsegger. 

BüppeU. 

Gott 

hü 

bell 

Himmel 

are 

are  . 

Wind 

ir4jo 

erso 

irscha 

Kegen 

oddo 

op 

areh? 

Thau 

odje 

Donner 

aren  dorga 

Blitz 

sal^jo 

Stern 

omdo,  pl.  omin 

odo 

ondoa 

Sonne 

idji 

eis 

es 

Mond 

nonto 

nonto 

nundo 

Feuer 

ika 

ika 

eka 

Asche 

obt6 

Erde,  Land 

tob 

weda 

Sand 

oindo 

tor 

Thon 

digda 

Wasser 

otho 

oto 

otu 

Teich 

odj 

artokas  (See) 

hadg 

Fluss 

toale 

torha 

ser 

Stein 

kurra,  pl.  kokorri 

kakar 

kager 

Wüste 

hedje 

Wald 
Berg 

kotti 
koldi 

>        kudu 
i 

kndou 

Weg 

ob,  pl.  obin 

Brunnen 

kol 

kol -de 

koll 

Jahr 

ongr 

Tag 

orgo 

top 

Nacht 

kolel 

faler 

Woche 

otorre 

kanda 

Freitag 

war 

candanian 

biseit 

Samstag 

samde 

warganian 

kuljenis 

Sonntag 

fin'gor 

wendeon 

unis- 

Montag 

fuinni 

alon 

wara 

Dienstag 

kideg6 

oganon 

sandak 

Mittwoch 

bishet 

ivillon 

kerake 

Donnerstag 

kabja 

grahenion 

endomat 

der  Morgen 

orgu 

zirin 

Gestern 

wal 

wal 

Vorgestern 

wanen  denen 

willion 

Morgen 

m\ 

zirin 

Uebermorgen 

tenan 

oganion  zirin 

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544 


Bemerkungen  über  Kordofan. 


Deutsch. 

Mein  Kuba. 

RuBtegger. 

Rüppell. 

der  Tag 

ul 

veong 

Mittag 

ulangal 

ular 

Nachmittag 

shereki 

Heute 

ogud 

eneür 

Regenzeit 

korol 

ili 

Winter 

kid 

Sommer 

hal 

sonzolon 

Kuh 

ti 

teh 

teh 

Milch 

idj 

est 

esch 

Ziege 

ogud 

ogot 

Schaaf 

ordi 

orti  -  do 

ordi 

Ochs 

terre,  pl.  kugli 

Kalb 

koten-do 

kote 

Pferd 

kudji,  pl.  kudjin 

koss 

chotg 

Stute 

idjam 

Esel 

ondo,  pl.  ondin 

odu 

undu 

Hund 

boll,  pl.  bolin 

boll 

boal 

Katze 

butur 

kodrazie 

Elefant 

ongul 

obul 

omni 

Rhinoceros 

buger 

' 

Strauss 

turum 

tidam 

tedam 

Ei 

konil 

Perlhuhn 

kebdi 

Huhn 

kokorr6 

kokor-do 

koker 

Hahn 

kuadia 

Gazelle 

kü-do 

kel 

kehl 

Büffel 

kobra 

Teitel 

budji 

Giraffe 

shob 

sap 

Saab 

Schlange 

kungi 

kobul 

Federn 

til 

Hyäne 

bu  shiri 

Geier 

kiUi 

Eidechse 

kora 

Löwe 

bugluri 

Leopard 

bugl  tedje 

Vogel 

kommel 

Honig 

tommer 

Wurm 

birgeti 

Krokodil 

kibedj 

Fliege 

ununu  ? 

wietedo 

Laus 

itu 

Floh 

ninini 

# 

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Bemerkungen  über  Kordofan. 


545 


Deutsch. 

Mein  Kuba. 

Busseg^er. 

Büppell. 

Heuschrecke 

moldo 

• 

Maus 

kumo 

kume 

komee 

Ameise 

kuarr 

Termite 

kuabor 

Kameel 

kamle 

kala 

komul 

Hase 

wudlang 

udnlando 

udelando 

Affe 

tigil 

nakono 

tingel 

Wildschwein 

ndjang 

Zahmes  Schwein 

kidjang 

kisan 

. 

Spinne 

shabako 

raar 

Taube 

titim 

titum 

tidim 

Kröte 

towar 

Igel 

kuuanan 

knnjunie 

Skorpion 

irin 

irrin 

Eisen 

sbirte 

serto 

sirtu 

Salz 

shele 

arisele 

seihe 

Mika  (Baum) 

kalto 

Heu 

mondo 

Gras 

mondo  tedje 

Kürbiss 

tuang 

Durra 

ui 

ariwie,  wie 

oidg 

Duchn 

ende 

Sesam 

bele 

Schilf 

nengd6 

Holz 

for 

ori 

ori 

Baum 

id 

koto 

Baumwolle 

okke 

aka 

acka 

*    Dattelpalme 

hendo 

ento 

Dorn 

tingere 

Domenzaun 

warta 

Gold 

tungi 

Adansonia 

idhu 

Adansoniafrucbt. 

tobl6 

» 

Sejal 

tui 

Higlig 

tUle 

Kithribaum 

urum 

£benholzbaum 

oren 

Gummibaum 

ulen 

Gummi 

ule 

Blatt 

aide 

Lotus  nebek 

kuai 

Tamarinde 

shekre 

Dumpalme 

^  abt^ 

Man t loger,  Ostafrik.  Stadien. 


35 


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546 


Bemerkungen  fiber  Kordo&n. 


Deutach. 

Mein  Nuba. 

RuMegger. 

BüppeU. 

Natron 

aUorde 

Antimonium 

didime 

(Qohl). 

Bohnen 

oke 

/ 

Mensch 

indo  (das  Selbst) 

indie 

Mann 

korto,  korin 

korto 

kordu 

Frau 

ildo,  elin 

eto 

eadou 

Knabe 

tondo 

tono 

tondu 

.    Mädchen 

temdo 

terdo 

temdu 

Vater 

ba 

apa 

Mutter 

ya 

aja 

Bruder 

aten 

onto 

Schwester 

ate  temdo 

anetan 

Väterl.  Onkel 

amaneto 

onuntu 

V&terl.  Tante 

ananja 

Mütterl.  Onkel 

andigen 

Mütterl.  Tante 

anan^to 

Schwiegervater 

anwoden 

Schwager 

an'geran 

Braut 

jemdo 

Grossvater 

ananeagan 

Grossmutter 

anaenenen 

Sklave 

dugud 

kali 

Sklavin 

dugnelli 

König 

shil 

eil 

shil 

Priester 

kudjure 

k^jur 

Rede 

he* 

Nubasprache 

kuliniri 

Dieb 

borkar 

R&uber 

kil 

Freudenmädchen 

toiien  ara 

Narr 

unori 

Fieber 

u^janga 

Klage 

oni 

Gast 

uito 

Zeuge 

bilko 

Freund 

on'gorto 

Feind 

warti 

Venerie 

ebel6 

Tripper 

irc^o 

Wunde 

bedi 

Blattern 

gedri  (ar.) 

Grab 

tel6 

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Bemerknngen  Ober  Kordofim. 


647 


Deutsch. 

Mein  Kuba. 

BüppelL 

Kälte 

kit 

Wärme 

nmme 

Haare 

kure 

Finger 

oshi 

one 

Kopf 

or^ 

or 

oar 

Arm 

oshshu 

ofliene 

oschi 

FU88 

kogot 

kot 

koddo 

Kinn 

uru 

Bart 

selmande 

Gesicht 

koinn 

Mond 

ogul 

awol 

aul 

Ohr 

usha,  p.  ushe 

Dka 

uilge 

Nase 

en'gi 

ojon 

hein 

Zahn 

gil,  p.  gilin 

kotodo 

gehl 

Backen 

aiti 

Hals 

dohl 

duhl 

Haar 

tel 

telde 

tel 

Auge 

kalt^ 

kalto 

kale 

Zunge 

djaldo 

sado 

ghiado 

Herz 

aldo 

Ol  (Brost) 

Brust 

og 

oko 

ägi 

Bauch 

to 

tob 

Nabel 

kendo 

Fleisch 

kuadje 

faje 

quaje 

Hand 

oti 

onto 

ondu  (Arm) 

Bein 

feni 

toi^ 

Gebein 

koi 

• 

Blut 

oger 

ohr 

Feit 

anjer 

Zehe 

kog6 

Nagel 

shindu 

Rücken 

moini 

Schultern 

hunger 

Leber 

higit 
kondjar 

Schwanz 

ib 

Hintere 

tarin 

Pudenda  viri 

hiUi 

Pudenda  mul. 

kiitto 

Schatten 

dnkuli 

Gehirn,  Mark 

fomdo 

Excremente 

uin 

Schweiss 

Qm6 

35" 


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548 


Bemerkungen  Aber  Kordofon. 


Deutsch. 

Mmn  Kuba. 

BuBsegger. 

BüppeU. 

Urin 

ork6 

Schlaf 
Hörn 

ger  (gel) 
nuttu 

'  Lippe 
Knie 

tolumm 
kuti 

Filbogen 
FussBohle 

oUu 
burul 

Menschl.  Haut 

id6 

Bier 

kabra 

Haut 

dor 

dor 

Ziegenfell 
Sandalen 

tnka 
kuarte 

farto 

quare 

Hafen 

ato 

Wasserhafen 

turu 

Schüssel 

koshe 

Tabak 

tabe 

Pfeife 

tabedi 

Polenta 

Beiila 

Madida 

kal 
wuj 
köre 

kall  (Ti.  akelet) 

Mahlstein 

toj 

Schwert 
Lanze 
Schüd 
Gerath 

sibit 

korang,  p.  komgi 

kori,  p.  korin 

sberi 

sibet 

komul 

kam 

schiddu 
goaran 
goulu 

Schlauch 

hinn 

Matte 
Beil 

gelti  • 
komel 

nerde 

Sattel 

ketiU 

Zaumgebiss 
Stab 

shoki 
kol 

Thür 

kalü 

Stützbalken 

fui 

Haus 

Dorf 

Zeug,  Kleid 

Oel 

koU,  p.  kuli 

shaldo 

keto 

belendi 

caU 

itaguli  (ar.) 

keto 

tess 

danka 
dar  (ar.) 

Schmalz 

Hemd 

Glasperlen 

Messer 

Feld 

Garten 

tith 
kobang 
shukeni 
kothar 

seno 

ketono 

delto 

&tar 

eje 

maasa? 

tes 

goma 

mungale 

guader 

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Bemericongen  Aber  Eordo&n. 


549 


Deulwoh. 

Mein  Kuba. 

Bussegg«r. 

BüppelL 

Seil 

orri 

Bracelet 

mingen^ 

Ohrring 

kadme 

Amulet 

shar 

Stadt 

shäl 

Trommel 

nneri 

Mei^ioin 

hör 

Sessel 

kottra 

Nadel 

igla*) 

Fesseln 

shirti 

Faden 

oke 

schwanger 

berto 

stamm 

ure 

taub 

torga 

blind 

tandu 

hinkend 

tor 

gut,  schön 

kendi 

köndj 

schlecht,  hässlich 

bUu 

belo 

heiss 

idjo 

steril 

bordu 

krank 

waiko 

alt 

tora 

jung 

bor^jell 

id. 

batendo 

gross 

ugguri 

knordo 

klein 

tonde 

watono 

dumm 

tiket 

dünn 

wolando 

lang 

dudji 

dohi 

kurz 

sherrando 

serdo 

fett,  breit 

utu 

bitter 

gar 

süss 

ingo 

arm 

bargil 

reich 

korto 

kr&ftig 

bur    (cf.   Amhar. 
bartu,  krafÜg) 

Kraft 

bnrtako 

tapfer 

kagul 

feig 

shilkar 

rechts 

oin 

wenn 

links 

ningel 

nk\ 

*)  g  entspricht  dem  italienischen  g  vor  i  and  e. 


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560 


BraMrirangeB  fiber  Kordoiui. 


DeutKh. 

Mein  HMa. 

Rusaegger. 

Bftppell. 

Bntgvch. 

weiss 

orri 

ori 

roth 

kelle 

kele 

schwarz 

urri 

uri 

braun 

tedje 

tedo  (grün) 

1 

ber 

ber 

bera 

ueru 

2 

orre 

ora 

ora 

jauü 

3 

todju 

toju 

to4Je 

tosku 

4 

kendjo,  kemenjo 

kenzo 

kenju 

kamsu 

6 

tishu 

tisu 

tessu 

diju 

6 

kor4Je 

farzo 

farscfau 

guiju 

7 

kolatt 

falat 

feilad 

kolkdu 

8 

iddu 

ebdo 

eddu 

idaa 

9 

oit 

wet 

ueddu 

iskodu 

10 

bure 

bure 

bure 

diininu 

11 

bure  berko 

bure  berkon 

bere  berku 

12 

bare  are 

»    orakon 

bure  oraku 

13 

bure  tudjn 

»    tojukon 

»  tojeku 

14 

bure  kendjo 

»    kenjukon 

»  kenjuku 

20 

tarbe 

»    edukon 

tarbu 

ari 

30 

burra  burra  toju 

»  bureeddukon 

40 

»         »^kendjo 

»   bure[tojttkoii 

Ich  vergleiche  mit  meinem  Vocabularium  das  ziemlich  weit- 
läufige von  Bussegger  und  die  paar  Wörter  von  BüppeU.  Man 
kann  daraus  erkennen,  dass  es  sich  um  verschiedene  Dialekte 
derselben  Sprache  handelt.  Viele  Wörter  sind  ganz  verschie- 
den, was  aber  niemanden,  der  das  afrikanische  T^ent  zum 
Worterfinden  kennt,  verwundern  kann.  Russegger  nennt  seine 
Sprache  das  Koldadji;  Rüppell  Sprache  von  Kulfan;  meine  Ge- 
währsleute waren  von  Djebl  Deir.  In  vielen  Fällen  schreiben 
wir  dasselbe  Wort  etwas  verschieden  und  es  wird  aus  der 
Vergleichung  mit  beiden  zusammen-  hervorgehen,  dass  meine 
Aussprache  oft  die  wahrscheinlichere  isi.  Ich  habe  bei  den 
Zahlen  auch  Brugsch's  kleine  Wörtersammlung  des  Nubischen, 
das  die  Barabra  reden,  zu  Hülfe  genommen,  um  in  Fällen, 
wo  Russegger  und  Rüppell  zusammen  gegen  mich  sind,    die 


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Bemerkangeii  über  Eordo&n.  561 

wahre  Aussprache  zu  fixiren;  so  z.  B.  sage  ich 

für  6  kordje,  Russegger  farzo,  Rüppell  fiEurschu; 
für  7  kolatt,  »         falat,        »        fellad. 

Brugsch  dagegen  hat  mir  ähnlich  gurju,  kolladu  und 
Burckhardt  ebenso,  was  mich  natürlich  zum  Festhalten  an 
meiner  Aussprache  bestimmt,  wenn  ich  auch  nicht  behaupten 
will,  dass  nicht  einige  Nuba  statt  k  f  aussprechen  können. 
Was  die  Verwandtschaft  mit  dem  berberinischen  Nuba  angeht, 
so  steht  sie  wohl  ausser  allem  Zweifel;  aber  ein  genaueres 
Studium  dieser  Sprache  wäre  für  weitere  Sprachvergleichung 
sehr  erspriesslich. 

Die  Sprache  von  Tegele  hat  mit  dem  Nuba  nichts  gemein; 
ein  genaueres  Studium  der  erstem  hat  mich,  Russegger's 
Classification  entgegen,  davon  überzeugt;  ich  werde  sie  später 
in  einer  Monographie  eingehend  behandeln. 

Warum  Russegger  das  Nuba  für  eine  Negersprache  hält 
und  was  er  darunter  versteht,  weiss  ich  nicht,  wenn  nicht 
überhaupt  alles  Nichtsemitische  so  genannt  werden  soll;  aber 
ebenso  wenig  haben  wir  darin  mit  Lepsius  Kaukasisches  ge- 
funden; wir  besitzen  überhaupt  darüber  zu  wenig  granmia- 
tische  Aufschlüsse,  um  classificiren  zu  dürfen.  Und  warum 
soll  das  Kundjara  ein  Negeridiom  sein?  Die  Masse  der  ara- 
bischen Wörter  im  berberinischen  Nuba  und  im  For,  wo  sogar 
die  Zahlwörter  von  7  hinauf  entlehnt  sind,  beweisen  sehr 
wenig;  denn  gerade  die  roheren  Bergnubier  haben  eigene  Zahl- 
wörter und  die  Kundjara  entlehnen  die  arabischen  Zahlwörter 
nicht  aus  Mangel,  da  sie  aus  5  +  16  bilden  und  so  fort- 
fahren könnten,  sondern  aus  Affeetation.  Die  Religion  füllt 
so  ihr  Herz  an,  dass  sie  nur  zu  geneigt  sind,  auch  die  Sprache 
zu  arabisiren.  So  finden  wir  die  Massauiner,  die  in  jedes 
vierte  Wort  Tigre  etwas  Arabisches  einflechten,  viele  Deutsche, 
die  sich  mit  Fremdwörtern  vergnügen,  die  Perser  und  Türken, 
deren  Schrifitsprache  zur  Hälfte  arabisch  ist  und  die  moham- 
medanischen Abyssinier,  die  Gott  nicht  Egsiabeher,  sondern 
Allah  (&JJf)  nennen. 


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552  Bemerkungen  über  Kordofon. 

Wenn  aber  jemand  behaupten  will,  die  jetzigen  Nubier  am 
Nil  seien  früher  wild  gewesen,  da  sie  die  Culturwörter  ent- 
lehnt haben,  so  gehe  ich  weiter  und  sage,  dass  sie  es  noch 
sind.  Ich  weiss  nicht,  worin  sie  ihren  Verwandten,  den  Berg- 
Nuba,  überlegen  sein  sollten.  Ihr  Ackerbau  ist  nicht  besser, 
nur  zwingt  der  Regenmangel  und  das  unvollkommene  Steigen 
des  Nils  zur  Bewässerung.  Was  die  Religion  betrifft,  so  hat 
sie  der  Islam  wenig  berührt.  Sie  sind  äusserst  gleichgültig 
und  daher  tolerant,  wie  die  andern  Nuba  auch ;  sie  beten  und 
fasten  selten  und  sind  nur  dem  Namen  nach  Mohammedaner. 
Wenn  auch  die  religiöse  Toleranz  besonders  uns  Fremden 
sehr  wohlthut,  so  müssen  wir  doch  zugestehen,  dass,  je  mehr 
Charakter  und  Herz  ein  Volk  hat,  je  inniger  und  fester  es 
eine  gebotene  Religion  erfasst  und  dass  wir  daher  nie  zu 
seinen  Gunsten  urtheilen  können,  wenn  ihm  alle  höhere  Ten- 
denz abgeht,  wie  es  bei  den  Barabra  der  Fall  ist.  Ihre  Sprache 
ist  mild,  vocalreich,  accent-  und  kraftlos;  ihre  Physiogno- 
mie ist  meistens  gefällig,  regelmässig,  braun,  aber  ohne. Aus- 
druck. Was  man  über  ihren  Charakter  weiss,  zeigt  jedenfalls 
eine  grosse  Sorg-  und  Lieblosigkeit  und  eine  nur  von  Geiz 
beschränkte  Sinnlichkeit. 

Man  darf  aber  nicht  vergessen,  dass  die  Landbewohner 
viel  besser  sind,  als  die  Stadtleute  und  die  Ausgewanderten, 
indem  man  ihnen  Sparsamkeit  und  Ehrlichkeit  nicht  ab- 
sprechen kann.  Man  weiss,  dass  die  sogenannten  Berberiner 
zu  Tausenden  in  Aegjpten  Dienst  suchen  und  sie  sind  da  den 
diebischen  Aegyptern  jedenfalls  vorzuziehen,  obgleich  sie  Fleiss 
und  Intelligenz  nicht  gerade  auszeichnet  Ebenso  bilden  sie 
fast  ausschliesslich  die  Soldateska  der  Kaufleute,  die  auf  dem 
weissen  Flusse  Handel  treiben  und  gemessen  da  freilich  nicht 
die  beste  Erziehung.  Doch  verlieren  sie  selten  die  Sehnsudit 
nach  ihrer  Heimat  und  das  Ideal  jedes  irgend  noch  anstän- 
digen Berberiners  ist,  einmal  mit  einem  kleinen  Vermögen 
sich  im  Vaterland  ein  Grundstück  zu  kaufen  und  ein  Haus 
zu  gründen. 


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Bemerkungen  über  Kordofian.  553 

Nun  bin  ich  der  Meinung,  dass  man  den  Mann  nicht  nach 
seinem  Leben  zu  Hause  beurtheilen  darf,  wo  ihn  Gesellschaft 
und  zwingende  Verhältnisse  sparsam  und  gut  machen,  son- 
dern ihn  besser  da  kennen  lernen  wird,  wo  er  in's  Leben  ge- 
worfen freie  Wahl  hat.  Und  so  ist  es  auch  mit  den  Völkern. 
Der  Trieb  der  Selbsterhaltung  zwingt  ja  schon  das  Volk  zu 
Ordnung  und  Recht. 

Was  nun  die  sogenannten  Danagele  angeht,  deren  so  viele 
in  L'obeid  und  in  Darfor  leben,  so  kommen  sie  als  Handels- 
leute von  Dongola,  das  ihnen  den  Handel  von  Cairo  vermit- 
telt. Unser  Hauswirth  Sogheirun  war  von  dieser  Klasse,  ob- 
gleich er  den  Namen  nicht  gern  hörte,  denn  sie  stehen  nicht 
in  gutem  Kufe. 

Die  Aehnlichkeit  der  Barabra  mit'  den  Abyssiniern  muss 
ich  entschieden  leugnen.  Man  konnte  daran  denken,  weil  sie 
nach  den  Abyssiniern  den  schönsten  Typus  in  Ostafrika  haben. 
Man  würde  aber  den  Abyssiniern  Unrecht  thun  mit  der  Ver- 
gleichung.  Ebenso  wenig  wird  man  einen  Berberiner  mit 
einem  Araber  verwechseln. 

Die  südlichen  Nuba  nun  haben  wir  nur  in  der  Sklaverei 
zu  beobachten  die  Gelegenheit  gehabt;  sie  sind  jedenfalls  viel 
gröber  und  unschöner,  als  ihre  etwas  spitzigen  geschniegelten 
Brüder,  aber  auch  viel  stärker  und  m\ithiger.  Der  Farbe- 
unterschied hat  nicht  viel  zu  sagen;  das  heisse  Tiefland  macht 
hell,  die  Bergluft  dunkel.  So  sind  die  Bewohner  der  Provinz 
Tigre  viel  schwärzer  und  unschöner,  als  ihre  Brüder,  die 
Habab,  oder  die  Beduinen  des  Samhar,  welche  die  übermässige 
gleichmässige  Hitze  und  die  Meerluft  ungemein  verschönt. 
Aus  eigener  Erfahrung  kann  ich  mittheilen,  dass  ich  bei  den 
Bogos  braun  geworden,  von  Abyssinien  schwürzlich,  vom  Meere 
aber  hell  zurückkam  und  so  werden  auch  die  bei  den  Bogos 
angesiedelten  Abyssinier  viel  heller,  als  sie  in  ihrer  Heimat 
waren.  Die  Hitze  verschönert,  die  Kälte  macht  stark,  daher 
sind  die  Habab  geschmeidig,  die  Abyssinier  fest  und  stark 
geworden. 


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554  Bemerkungen  übw  EordofSBm. 

Die  Nubasklaven  in  Kordofan  stehen  jedenfalls  weit  unter 
den  Tegele  und  werden  selten  zum  Hausdienst  yerwendet. 
Wenn  man  nach  dem  Grade  der  Leichtigkeit,  womit  sich  ein. 
Mensch  von  seiner  Sprache  Rechenschaft  geben  kann,  auf 
seine  Intelligenz  schliessen  darf,  so  wird  der  Schluss  den 
Nuba  sehr  ungünstig  sein,  da  ich  nach  vielem  Suchen  nicht 
Einen  finden  konnte,  der  mir  für  die  Grammatik  dienlich 
gewesen  wäre  oder  nur  die  Fähigkeit  gehabt  hätte,  die  Per- 
sonen im  Pronomen  zu  unterscheiden,  während  der  erste  T^ele, 
den  ich  fand,  nach  zwei  Tagen  sich  vollständig  in  die  Gram- 
matik eingelebt  hatte  und  mich  sogar  auf  die  feineren  Zeit- 
unterschiede aufinerksam  machte;  dieselbe  logische  Auffassung 
seiner  Sprache  besass  auch  der  Kundjara,  der  mir  das  For 
lehrte. 

Es  scheint  nicht,  dass  die  Nuba  Heiden  sind.  Man  er- 
zählte von  Priestern,  die  aber  Begenmacher  sind,  dass  sie  wie 
bei  den  Barea  und  Bazen  verlorenes  oder  gestohlenes  Gut  aus- 
findig machen;  sie  verlassen  ebenso  wenig  wie  der  Alfai  der 
Barea  ihr  Haus.  Politisch  scheinen  auch  sie  keinen  engem 
i^usammenhang  zu  haben  und  sind  daher  ihren  Nachbarn 
gegenüber  widerstandslos;  wie  die  Bazen  sind  sie  in  Berg  und 
Wald  verdrängt  und  zur  Verwilderung  genöthigt,  da  verbor- 
gene Abgeschlossenheit  ihr  einziger  Schutz  ist.  So  wenigstens 
stellen  sich  die  von  den  Mohammedanern  entfernteren  Stämme, 
während  die  in  ihrer  unmittelbaren  Nachbarschaft  lebenden 
Gemeinden  von  Djebl  Deir  die  Ruhe  und  den  offenen  Markt 
sich  mit  einigen  Abgaben  erkaufen.  Sie  nehmen  also  zu  den 
Qadejat  dieselbe  Stellung  ein,  wie  die  Elit  am  untern  Mareb 
gegenüber  der  Gemeinde  von  Algeden.  Sie  verstehen  sich 
sogar  zu  Annahme  der  Religion.  Ganz  wie  die  Elit  wohnen 
sie  auf  schwer  zugänglichen  Bergen  und  bebauen  die  Ebene. 
So  besteht  ein  immerhin  misstrauischer  Verkehr  zwischen  den 
Nuba  und  den  Leuten  von  Abu  Harras,  wo  der  Markt  ist. 
Sogar  die  Leute  von  Melbess  gehen  oft  zu  den  Nuba,   um 


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Bemerknngen  über  Kordo&n.  555 

Handel  zu  treiben,  während  die  letztern  sich  nur  als  Räuber 
80  weit  wagen. 

Ganz  verschieden  von  den  Kuba  sind  ihre  Nachbarn 
vom  Tegele.  Dieses  Land  ist  durch  den  Kampf  berühmt 
geworden,  den  es  jahrelang  gegen  die  Aegypter  geführt  hat. 
Doch  stand  dieses  lange  unüberwindliche  und  von  den  £r- 
oberem  schon  ausgegebene  Land  zur  Zeit  unserer  Abreise  auf 
dem  Punkte,  in  Folge  innerer  Zwietracht  sich  von  selbst  der 
türkischen  Regierung  zu  unterwerfen. 

Der  bekannte  Mek  Nassr  hat  eine  Tante,  Namens  ^Mchal- 
tum,  eine  Frau  von  vielem  Charakter  und  Verstand  und  im 
Lande  durch  ihre  grossen  Güter  sehr  mächtig;  sie  wurde  bei 
widitigen  Angelegenheiten  stets  zu  Rathe  gezogen  und  ver- 
wahrte die  Krönungsinsignien,  den  Stuhl,  den  Stab  und  die 
Krone.  Es  scheint,  dass  der  siegreiche  Nassr  sie  nicht  mehr 
gehörig  berücksichtigte;  sie  liess  ihren  Ne£fen,  ihres  Bruders 
Sohn  Adern,  kommen,  krönte  ihn  und  schuf  dadurch  dem  Mek 
Nassr  einen  gefährlichen  Nebenbuhler.  Die  Anfänge  des  Mek 
Adern  waren  glücklich;  er  plünderte  Nassr^s  Schatz;  sein  Gold, 
Schwerter  und  vidleicht  dreihundert  Concubinen  desselben 
fielen  in  seine  Hand.  Er  bemächtigte  sich  Tasin's,  dßc  Haupt- 
stadt, und  der  meisten  Berge  des  Landes,  die  eine  Art  von 
Amba  zu  sein  scheinen,  während  sich  Nassr  nach  Eddome 
zurückzog  und-  nur  noch  vier  Berge  im  Besitz  hat.  Aber  der 
Krieg  dauert  zwei  Jahre  ununterbrochen  fort  und  da  der 
Mek  Adem  nicht  hoffen  kann,  sich  mit  eigenen  Mitteln  dauernd 
der  Herrschaft  zu  versichern ,  so  hat  er  sich  Aegypten  zu 
unterwerfen  versprochen,  im  Falle  man  ihn  gegen  Nassr  unter- 
stütze. Ebenso  soll  der  bedrängte  Nassr  an  eine  Versöhnung 
mit  den  Türken  denken.  Vor  etwa  zwei  Jahren  (1861)  wurde 
einer  swner  Söhne  auf  der  Durchreise  nach  Cairo  in  L'ob^d 
aufgefangen;  dann  kam  aber  Befehl  vom  Diwan  des  Vice- 
königs,  ihn  seine  Reise  fortsetzen  zu  lassen.  Freunde  des 
Mek  Nassr  behaupteten  uns  gegenüber,  es  sei  kurz  vor  unserer 
Ankui^ft  in  Kordofetn  ein  von  Said  Pascha  geschickter  Kawass, 


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556  Bemerkungen  über  Kordofkn. 

ohne  einen  der  Regierangssitze  des  Sudan  zu  berühren,  nach 
Tegele  gelangt,  um  mit  Nassr  direct  zu  unterhandeln;  Nassr 
sei  zur  Unterwerfung  geneigt,  mit  der  Bedingung  aber,  nie 
das  Gesicht  eines  Türken  sehen  zu  müssen.  Sei  dem,  wie  ihm 
wolle,  wir  hörten  bei  unserer  Anwesenheit,  dass  der  Mudir 
von  Kordofan  von  Gairo  den  bestimmten  Befehl  erhielt,  den 
Mek  Adem  mit  aller  Macht  zu  unterstützen  und  man  rüstete 
eifrig  für  eine  Ghaswa,  die  aber  erst  nach  der  Regenzeit  statt- 
finden sollte.  Nach  europäischen  Begriffen  würde  ein  solcher 
Kriegszug,  wo  die  Zahl  der  regulären  Militärs  durch  die  beute- 
lustigen berittenen  Araber  verzehnfacht  wird,  die  sichere  Er- 
oberung des  Landes  zur  Folge  haben;  die  Politik  der  Türken 
aber  einerseits  und  ihrer  Bundesgenossen  in  Tegels  anderseits 
ist  so  unbestimmt  und  die  Instructionen  sind  meist  so  be- 
schränkt und  ängstlich  abgefasst,  dass  der  Erfolg  sehr  zweifel- 
haft erscheinen  musste. 

So  standen  die  Sachen  bei  unserer  Abr^e  von  L'obeid 
(Juli  1862);  seitdem  haben  wir  keine  Nachricht  erhalten;  es 
scheint  aber,  dass  der  neuemannte  Generalgouvemeur  Mussa 
Bey  in  Folge  der  von  Abyssinien  her  drohenden  Gefahr  die 
Eroberung  von  Tegele  aufschieben  musste. 

Der  Mek  Nassr  mag  ein  Sechziger  sein,  aber  er  ist  nodi 
frisch  und  jugendlich  stark,  von  Leib  lang  und  mächtig, 
schwarz  wie  ein  Neger.  Er  ist  von  Natur  grausam  und  so 
misstrauisch,  dass  er  oft  auf  nichtige  Anklagen  hin  seine 
treueeten  Diener  ohne  alle  Untersuchung  martern  und  tödteu 
lässt.  Er  begnügt  sich  oft  nicht  mit  einfeusher  Hinrichtung, 
sondern  er  lässt  die  Verurtheilten  rösten  oder  zerhacken.  Die 
Leute  des  Landes  schreiben  seine  Ueberlegenheit  hohem  Mäch- 
ten zu,  einige  den  Gebeten  der  Fokaha,  die  er  gut  behandelt» 
andere  halten  ihn  Tür  einen  Zauberer.  Er  geht  jetzt  selten 
mehr  in  Person  zu  Felde,  zahlreiche  Söhne  vertretai  seine 
Stelle. 

Man  rühmte  uns  das  Land  wegen  seiner  Fruchtbarkeit, 
die  Bewohner  wegen  ihrer  Gastlichkeit  und  des  guten  Bieres. 


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Bemerkangen  über  KordofSEua.  557 

Obgleich  gebirgig,  fehlt  es  dem  Lande  nicht  an  weitläufigen 
Ebenen;  es  ist  reich  an  Wasser,  das  von  da  wohnenden 
Aegyptem  zu  Gartenanlagen  benutzt  wird.  Man  behauptet, 
es  gebe  in  Tegele  Kupferminen,  die  aber  nicht  ausgebeutet 
werden.  £s  gehen  oft  Karawanen  von  L^obeid  nach  Tasin; 
der  Weg  ist  für  Kameele  gangbar.  Die  Leute  von  „Dogole"  — 
so  nennen  sie  selbst  ihr  Land  —  sind  eifrige  Mohammedaner; 
doch  soll  der  Verkauf  der  eigenen  Kinder  noch  im  Schwung 
sein.  Missliebige  werden  oft  vom  Mek  verkauft,  da  er  nach 
seinem  göttlichen  Recht  alle  Unterthanen  als  Sklaven  be- 
trachtet. Ln  Bürgerkrieg  werden  gewöhnlich  die  freien  Ge- 
fangenen niedergemetzelt,  Sklaven  verkauft;  doch  behält  oft 
die  Habsucht  den  Si^,  sodass  auch  Freigebome  zum  Verkauf 
ausgeführt  werden  und  da  sie  von  ihrer  Obrigkeit  geknechtet 
worden  sind,  so  können  sie  das  Recht  der  angebornen  Frei- 
heit, das  jeder  Muslim  hat,  nicht  für  sich  in  Anspruch 
nehmen.  Deswegen  sahen  wir  in  L'obeid  viele  Sklaven,  die 
in  ihrem  Vaterlande  frei  waren  und  sogar  lesen  konnten.  Die 
Sklaven  von  Tegele,  die  wir  da  sahen,  hatten  weit  intelli- 
gentere und  regelmässigere  Züge,  als  die  von  anderer  Herkunft; 
sie  hatten  durchaus  nichts  von  dem,  was  man  gewöhnlich 
Negertypus  nennt. 

Die  Leute  von  Tegele  rühmen  sich,  Brüder  der  Fundj  vom 
Sennaar  zu  sein.  Sie  behaupten,  dass  sie  sich  gegenseitig 
immer  als  Verwandte  anerkennen,  dass  sie  sich  aber  sprach- 
lich nicht  mehr  verstehen.  Da  nun  verschiedene  Reisende,  ich 
weiss  nicht  mit  welchem  Recht,  die  Fundj  von  den  Shiluk 
ableiten,  so  wären  die  Tegele  auch  diesen  letztem  verwandt, 
wovon  sie  freilich  nichts  wissen  wollen;  eine  von  den  Baggara 
selten  beweidete  Einöde  und  alte  Blutfeindschaft  trennt  sie 
von  einander.  Man  behauptet,  dass  die  Tegele  in  Sitten 
und  Recht  den  Fundj  sehr  ähnlich  seien;  wenigstens  trägt 
auch  ihr  Mek  den  rothen,  dreihörnigen  Herrscherhut,  den 
die  Deglel  oder  Fürsten  der  Hallenga,  der  Beni  Amer,  der 
Hadendoa  von   den  Fun^jkönigen   entlehnt  und    noch  jetzt 


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558  Bemerkangen  über  Kordofan. 

laragen.  Die  Frage  der  Abstammung  könnte  nur  durch  eine 
Vergleichung  der  drei  Sprachen  gelöst  werden;  ich  habe  mir 
eine  Idee  von  der  Sprache  von  Tegele  zu  machen  versudit 
und  die  Hauptzüge  ihrer  Grammatik  und  eine  genügende 
WörterziJil  gesammelt;  aber  die  Sprache  der  Fundj,  die  in 
den  Bergen  Sennaars  noch  gesprochen  werden  soll  und  die  der 
Shiluk  lagen  ausser  meinem  Bereiche  und  ich  weiss  nicht,  ob 
sie  je  gründlich  untersucht  worden  sind.  Meine  Untersuchung 
der  Tegelesprache  muss  natürlich  einem  andern  Orte  vorbe- 
halten bleiben. 

Das  Tegele  und  das  Land  der  Kuba  konnten  nur  als 
Nachbarländer  von  Kordofan  hier  in  Betradit  kommen.  Das 
eigentliche  Kordofan  hat  jedenfalls  sehr  gemischte  Bevölke- 
rung, abgesehen  von  d^i  Nomaden,  und  es  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  es  je  von  flin^n  Volke  bewohnt  wurde.  Denn 
ein  solches  hätte  eine  gewisse  nationale  Einheit  und  Herr- 
sdiaft  begründet;  Thatsache  ist  aber,  dass  Kordofan  nie  von 
einem  einzigen  Sultan  beherrscht  wurde  und  erst  durch  die 
Türken  Ein  Land  geworden  ist. 

Die  Erinnerung  an  das  Volk  der  Assiri,  die  man  uns  als 
Ureinwohner  des  Landes  bezeichnete,  ist  sehr  dunkel;  man 
behauptet,  sie  seien  Menschenfresser  gewesen  und  erst  während 
der  Herrschaft  der  Kundj^a.  vernichtet  oder  eingeschüchtert 
worden.  Nadi  allen  Berichten  scheint  die  Menschenfresserei 
früher  viel  häufiger  gewesen  zu  sein.  Die  Sultane  von  Darfor 
und  Wadai  wurden  dieser  Unsitte  beschuldigt.  In  Darfor  war 
es  Brauch,  bei  der  Thronbesteigung  des  Sultans  und  dann  an 
einem  bestimmten  Festtage  in  der  Residenz  zwei  Knaben  von 
gleichem  Vater  und  Mutter  zu  opfern;  das  Fleisch  wurde  vom 
Sultan  und  den  höchsten  Beamten  verzehrt;  wer  sidi  weigerte, 
wurde  als  Verrilth^  betrachtet.  Es  ist  bezeichnend,  dass 
dieses  aus  der  Heidenzeit  stammende  Opfer,  trotedem  Darfor 
schon  lange  islamitisch  ist,  erst  von  dem  jetzigen  Sultan  Hus- 
sein abgeschafft  wurde.  Ebenso  ist,  wie  ich  von  glaubwürdi- 
gen Männern  hörte,  die  Kapelle  auf  dem  h^gen  Berge  von 


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Bemerkungen  über  Kordofan.  559 

Wara  zu  Menschenopfern  bestimmt  nnd  niemand  redet  von 
der  Ab8cha£Fimg  derselben.  Die  Njemnjem  am  Bahr  el  Ghasal 
sollen  immer  noch  Menschenfresser  sein;  doch  verzehren  sie 
nur  ihre  Feinde,  wie  mir  Hr.  Klaincznick  erzählte,  während 
sie  ihre  eigenen  Todten  ganz  anständig  begraben  und  ihre 
Gäste  gut  empfangen.  So  civilisirt  sollen  die  mohammeda- 
nischen Mässelit  nicht  sein;  sie  soUen  ihre  G&ste  und  auch 
die  alten  Leute  schlachten  und  ihr  Fleisch  im  ganzen  Dorfe 
vertheilen.  Ohne  diese  Nachrichten  verbürgen  zu  können, 
glaube  ich  doch,  dass  sie  irgend  einen  wahren  Grund  haben. 

Von  dies^i  verschc^n^i  Assiri  abgesehen,  müssen  wir 
uns  nun  die  früheste  Bevölkerung  in  dem  wasserreichen  Tegele 
und  Nubaland  denken,  die,  nach  und  nach  gegen  Norden  vor- 
rückend, den  Kaufleuten  begegnen  musste,  die  auf  ihrer 
Strasse  von  und  zu  dem  Nil  Stapelplätze  nöthig  hatten.  So 
entstehen  die  Städte  L'obeid,'^)  Ghursi,  Bara,  die  fast  nur 
von  Fremden  und  ihren  Sklaven  bewohnt  werd^i,  welche 
letztere  als  Ackerbauer  das  zwisdienliegende  Land  mit  Dör- 
fern besetzen.  Dazu  kommt  die  politische  Einwirkung  der 
Fundj  von  Osten,  der  Kundjara  von  Westen,  die  auch  in  der 
Bevölkerung  ihre  Spuren  zurücklassen. 

Man  weiss,  dass  in  alten  Zeiteai  die  Fundj  und  die  Kun- 
djara sich  um  die  Herrschaft  von  Kordofan  stritten.  Sultan 
Tirab  starb  in  Bara  auf  einem  Kriegszuge.  Von  dieser  Ein- 
wirkung finden  sich  deutliche  Spuren  in  den  drei  Stämmen, 
die  allein  in  Kordofan  dnheitliche  Geltung  haben  und  sogar 
jetzt  noch  politisch  anerkannt  sind. 

Den  ersten  dieser  Stämme  bilden  die  Qadejat  (v;yljf4XJ), 
die  von  einem  „Sheich"  regiert  werden,  der,  ist  das  Land 
mit  ihm  unzufrieden,    gewechselt  werden   kann,    indem    sie 


♦)  üeber  die  Schreibweise  bin  ich  im  Zweifel  geblieben.  Die  Ein- 
gebomen sagen  unbedingt  Lobeid;  die  Araber  sagen  Lobeid  und  El 
obeid  abwechselnd  und  schreiben  (joajSH;  ich  suchte  mit  meinem 
L'obeid  zu  vermitteln. 


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560  Bemerkangen  über  Kordofan. 

heute  ihren  Fakih  bitten,  irgend  einem  andern  ihm  beliebigen 
Manne  den  Turban  aufzusetzen  und  ihn  so  zum  Scheich  zu 
machen.  Ihr  gegenwärtiger  Häuptling  ist  Haseballah,  der  mit 
den  Nuba  in  beständiger  Fehde  lebt.  Die  Qadejat  leben  süd- 
lich und  östlich  um  den  Berg  Kordofan  herum  in  etwa  30 
Dörfern.  Auch  in  L'obeid  haben  sie  eine  Ansiedlung.  Ihr 
Scheich  empfängt  von  seinen  Stammgenossen  einen  freiwilligen 
Tribut  und  ist  auch  von  der  Regierung  anerkannt.  Dieser 
Stamm  war  nach  eigener  Aussage  den  Fundj  unterworfeü  und 
soll  ihnen  sogar  verwandt  sein. 

Den  zweiten  Stamm  bilden  die  Musabat  (oder  Muserbat); 
sie  wohnen  noch  in  L'obeid  und  nennen  ihr  Oberhaupt  Sultan, 
was  auf  königliches  Geblüt  hindeutet  Sie  glauben  von  Darfor 
zu  stammen  und  zwar  von  der  ersten  Linie  des  islamitischen 
Herrscherhauses  der  Kundjara  (nicht  Gundjara,  wie  viele  falsch 
schreiben).  Sie  bilden  noch  jetzt  einen  Theil  der  Bevölkerung 
von  Darfor. 

Den  dritten  Stamm  bilden  die  eigentlichen  Eun^jära.  Die- 
ser Stamm  schreibt  sich  von  der  32jährigen  Herrschaft  her, 
die  sie  in  Kordofan  hatten.  Man  weiss,  dass  sie  im  Jahre 
1820  nach  der  Schlacht  von  Bara  durch  die  Türken  ersetzt 
wurden.  Doch  zogen  die  ansässigen  Kundjara  vor,  sieh  zu 
unterwerfen  und  an  ihrer  Spitze  ein  Glied  der  Königsfamilie 
von  Darfor,  der  Sultan  Teima,  der  sich  mit  seiner  schnellen 
UnterwerAing  den  Weg  nach  Darfor  verschloss,  sich  hing^en 
eine  gewisse  Anerkennung  von  Seiten  der  neuen  Begierung 
erkaufte.  Er  bekam  den  Titel  Sultan,  den  er  auf  seinen  Sohn 
vererbt  hat;  dieser  letztere,  den  wir  in  L'obeid  in  seinem 
Quartier  besuchten,  erhält  von  der  Regierung  eine  kleine  Be- 
soldung und  regiert  das  Dorf  der  Kundjara  in  L'obeid.  Nur 
diese  letzteren  sprechen  noch  ihre  Forsprache,  während  die 
Musabat  nur  Arabisch  reden,  die  Sklaven  natürlich  ausge- 
nommen. 

Die  übrigen  Bewohner  des  Landes,  deren  Ursprung  sich 
nachweisen  lässt,  sind  die  Fremden,  die  Djalin  und  besonders 


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Bemerkungen  über  Kordofan.  561 

die  Danagele,  die  das  Eintreiben  des  Tributs,  also  die  Re- 
gierung fast  ganz  in  Händen  haben.  Sie  sind  sehr  zahlreich 
und  besitzen  ungemein  viel  Sklaven,  die  sie  über  das  ganze 
Land  zerstreuen.  Aegypter  lassen  sich  wenige  nieder,  meist 
nur  da,  wo  fliessendes  Wasser  Gartenanlagen  erlaubt. 

Kordofan  ist  von  allen  Seiten  von  Nomaden  eingeschlossen 
und  sogar  bewohnt,  die  sich  Araber '  nennen.  Die  Flächen 
nördlich  bis  zum  Nil  von  Dongola  haben  die  Kababish  inne. 
Ohne  Zweifel  ist  dieser  Name  von  der  Beschäftigung  herge- 
nommen und  heisst  Ziegenhirten,  ebenso  wie  die  Baggara,  die 
den  Süden  des  Landes  inne  haben,  Kuhhirten  genannt  werden. 
Während  diese  letzteren  keine  Kameele  haben,  besitzen  die 
Kababish  reiche  Heerden  davon;  um  aber  ihren  Namen 
zu  begreifen,  muss  man  wissen,  dass  in  Afrika  Ziegen  und 
Kameele  zusammen  gehen,  da  sie  gleiche  Weide  voraussetzen. 
Deswegen  finden  wir.  die  Zeltenlager  der  nomadischen  Ost- 
aMkaner  immer  getrennt  in  das  sogenannte  Zaga,  das  die 
Kameele  und  Ziegen  au&immt  und  ziemlich  stabil  ist,  und  in 
das  Kuhdorf,  das  sehr  häufig  den  Platz  wechselt.  Es  ist  nicht 
unmöglich,  dass  die  beiden  Völker,  von  Einem  Stamme  ent- 
sprossen, sich  die  Weide  vertheilt  haben,  wodurch  die  Trennung 
stereotyp  wurde.  Die  Kuhhirten  hielten  sich  an  den  grasigen 
Süden,  die  Kababish  an  den  trockenen,  aber  von  Mimosen 
stark  bewaldeten  Norden,  der  allein  dem  Kameel  und  der 
Ziege  convenirt.  Diess  verhindert  die  letzteren  aber  keines- 
wegs, jetzt  auch  grosse  Kuhheerden  zu  haben,  wenn  sie  auch 
nicht  ihren  Hauptbesitz  ausmachen.  Ebenso  wenig  muss  man 
sich  vorstellen,  dass  sie  nur  Hirten  sind:  sie  treiben  auch 
Ackerbau,  bauen  Hütten  neben  den  Feldern,  schicken  alles 
überflüssige  Vieh  weit  fort  und  bringen  es  erst  wieder  zurück, 
um  es  nach  vollendeter  Emdte  d^  Durraschilf  abweiden  zu 
lassen  und  dann  insgesammt  den  fern  im  Norden  gelegenen 
Weidegründen  zuzuziehen.  Dasselbe  thun  die  Hassanie-Araber, 
die  längs  dem  Nil  das  überschwemmte  Land  bebauen,  die 
Hadendoa  längs  dem  Gash,   die  Besharin  und  Skukrie  längs 

lluntingerf  Ostafrik.  Studien.  36 


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562 


Bemerkungen  über  Eordoian. 


dem  Atbara  und  in  der  Steppe  zwischen  ihm  und  dem  Nil. 
Die  kameelreichen  Kababish  vermitteln  den  Handel  zwischen 
L'obeid  und  Dongola,  während  die  Hamr,  die  theils  zu  Kor- 
dofan  theils  zu  Darfor  gehören,  den  Verkehr  derselben  unter- 
halten. 

Diese  Stämme  als  ursprüngliche  Araber  anzusehen,  ver- 
bietet wenigstens  ihre  Sprache  nicht,  die  originell  oder  ange- 
lernt sein  kann.  Es  kommt  in  der  Ethnographie  nicht 
darauf  an,  was  für  eine  Sprache  ein  Volk  spreche, 
denn  wir  kennen  viele  Beispiele  von  Sprachentleh- 
nungen, sondern  wie  es  sie  spreche.  Die  arabische 
Sprache  hat  nun  gerade  vorzugsweise  viele  Laute,  die  ein 
fremdes  Volk  nicht  leicht  adoptiren  kann,  ebensowenig  als  ihre 
eigenthümliche  Syntax;  die  schwierigsten  Laute  für  Nachah- 
mung sind  viy,    -.,    -.,    ^,  y  ^,  yj&,  io,  Jfc,  ^,  ^,  ^. 

Das  Sudan -Arabische  ist  jedenfalls  sehr  eigenthümlich  und 
bedient  sich  vieler  sonst  ungebräuchlicher  Wörter,  die  aber 
fast  alle  gut  arabisch  sind;  sie  zu  sammeln,  wäre  der  Mühe 
werth,  hier  mögen  einige  Beispiele  genügen.    So  sagt  man 


statt  des  gewöhnlichen: 

im  Sudan: 

^;. 

der  Wind 

^yj^J^  hubub 

»;^. 

das  Bier 

luojwo  marii^a 

«r»^. 

das  Wasser 

•^Lc  ma 

u*y. 

die  Erde 

Lb^  wöta 

*9' 

der  Teich 

ftJ^  fule 

<M)^' 

der  Weg 

V^O  derb 

öJ),  Siio, 

das  Kind 

U^  gena 

Matten 

ij^yj  börsh 

J^<>, 

Tabak 

kAJo  taba 

»?• 

holcus 

gäüLft  'esh 

ä.^. 

die  Lanze 

Ks^^  &rcha 

>>7-. 

das  Bett 

w^>:^f>  angareb 

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Bemerkungen  über  Kordofan. 


563 


statt  des  gewöhnlichen: 

im  Sudan: 

U"M' 

das  Kleid 

l»4Xiö  hedm 

«5;W-. 

die  Sklavin 

^ö\^  chadim 

«iaä. 

die  Katze 

(j**itöy  kadis 

^. 

die  Baumwolle 

y^j^^^a^  ödeb 

er  sass 

x.^AÄÄ.  genneb 

^' 

er  liess 

v^^uum  sejeb 

& 

er  ging 

^^^  raueh 

ZT' 

er  schrie 

eJp^  korek 

Jos. 

er  tödtete 

^yo  mauet 

,axi-, 

er  redete 

c^iXÄ.  hades 

C^' 

er  ging  aus 

^  mareg 

7^' 

Grab 

iUy2  turba 

Cf;' 

er  kam  zurück 

Ju?  gebel 

7^7^' 

er  redete  nicht-arabisch 

^;  raten 

Eigenthümlich  ist  ferner,  dass  der  Ton  auf  den  Artikel  fällt; 
z.  B.  bei  el-ma,  das  Wasser,  fällt  er  auf  das  el,  u.  s.  w.  — 
Das  vollkommenste  Arabisch  im  Sudan  reden  die  DjaJin,  ihnen 
folgen  die  Shukrie  und  die  Hassanie,  dann  die  Hamr,  die 
Kababish  und  endlich  die  Baggara;  ihre  Berechtigung  zum 
Namen  von  Arabern  erleidet  gleiche  Abstufung.  Besonders 
bei  den  Djalin  und  den  Shukrie  darf  man  an  kein  Entlehnen 
denken,  da  sie  das  Arabische  mit  ebenso  viel  Gewandtheit 
und  Kraft  handhaben,  als  irgend  ein  Beduine  der  Halbinsel. 
Sie  haben  eine  sehr  reiche  Sprache  und  ihr  Accent  mahnt 
lebhaft  an  die  Araber  des  Hedjas;  noch  ist  nichts  daran  ver- 
weichlicht, der  Gaumen  gefällt  sich  am  härtesten  6  und  -^• 
Wir  dürfen  hier  um  so  eher  einiges  über  die  Djalin  sagen, 
da  sie  für  den  Handel  von  Kordofan  wichtig  sind  und  sich 
da  immer  mehr  ausbreiten.    Ihre  arabische  Abstammung  wird 

36" 


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564  Bemerkungen  über  Eordofan. 

im  Sudan  von  niemandem  in  Zvreifel  gezogen  und  wir  haben 
keinen  ernstlichen  Grund,  dieselbe  zu  bezweifeln. 

Die  Djalin  behaupten  Araber  zu  sein  und  sie  können  es 
wissen,  da  sie  ihrer  Angabe  nach  nur  seit  zehn  Generationen 
am  Nil  wohnen.  Ob  sie  aber  wirklich,  wie  sie  sehr  bestimmt 
glauben,  von  dem  hochberühmten  Geschlechte  der  Krush  und 
zwar  von  Abbas,  dem  Onkel  des  Propheten,  abstammen,  das 
ist  eine  andere  Frage,  die  wir  nur  anführen,  nicht  discutiren 
können;  denn  um  entferntere  Genealogie  steht  es  überall 
schlecht.  Auf  die  besondere  Ehre,  direct  von  dem  Abbasiden 
Harun  el-Reshid  durch  eine  Sklavin  desselben  Namens  Ababse 
(kamoLl^)  zu  stammen,  macht  der  Djalistamm  der  Ababsa 
Anspruch;  doch  bitten  wir  ihn  nicht  mit  den  Ababde,  deren 
Ursprung  jedenfalls  zweifelhaft  ist,  zu  verwechseln. 

Wenn  auch  bei  den  Mohammedanern  die  Eitelkeit  arabisches 
Geblüt  gern  erfindet,  so  kann  doch  ein  ganzes  Volk  nicht 
erfinden  und  dann  gibt  es  in  Afrika  einheimischen  Adel  genug, 
der  sich  niemanden  überlegen  glaubt.  Die  Djalin  sollen 
beim  Verfall  der  Chalifenmacht  im  12.  oder  13.  Jahrh.  ausge- 
wandert und  über  Aegypten,  nicht  über  das  Rothe  Meer  hierher- 
gekommen sein.  Ein  sehr  gebildeter  Djali,  der  Fakih  Ahmed, 
sagte  mir,  es  sei  ihre  Geschichte  bei  einem  gewissen  Samar- 
kandi  erzählt;  ebenso  bewahren  viele  Familien  Stammbäume, 
sodass  mehr  historischer  Grund  da  ist.  Jedenfalls  kamen 
sie  viel  später,  als  die  nach  meiner  Meinung  auch  arabischen 
Shukrie,  Dobeina,  Jemanie,  die  den  Atbara  hinauf  bis  Sennaar 
wohnen.  Die  Djalin  haben  sich  von  allen  afrikanischen  Ara- 
bern am  besten  erhalten;  sie  haben  viel  Freude  am  Studium, 
viel  Religionseifer  ohne  Fanatismus.  Der  Fakih  Ahmed,  mit 
dem  wir  manchen  angenehmen  Abend  verbrachten,  discutirte 
sehr  gut  und  wollte  mich  überzeugen,  nicht  schlagen,  wenn 
wir  über  Halbmond  und  Kreuz  stritten.  Der  gute  Schreiber 
meines  verstorbenen  Freundes,  Dr.  Natterer,  war  ein  sehr 
wissbegieriger,  gutdenkender,  intelligenter  junger  Mann  und 
so  habe  ich  noch  viele  gefanden,  die  nicht  so  ganz  in  den 


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Bemerkungen  über  Eordofan.  565 

aMkanischen  Materialismus  versunken  sind.  Ob  diese  wenigen 
je  noch  auf  die  Massen  wirken  werden,  ist  eine  andere  Frage. 

Die  Djalin  haben  noch  immer  die  Kassida,  ebenso  wie  die 
Shukrie,  die  ihr  Recitativ  immer  mit  einem  Triller  beschliessen; 
noch  immer  spornt  der  etwas  traurige  Hedu,  dessen  Burckhardt 
erwähnt,  das  Kameel  an  imd  seinen  Herrn  und  verkürzt  den 
nächtlichen  Steppenmarsch.  Noch  immer  freut  es  mich,  wie 
ich  den  Fakih  Ahmed  die  Schicksale  Dr.  Barth's  im  fernen 
Timbuktu  erzählen  hörte;  er  pries  den  El  Bakai  und  sang 
begeistert  seine  an  die  Ghristenfeinde  gerichtete  Eassida,  deren 
Manuscript  den  Weg  durch  ganz  Afrika  geftinden  hatte. 

Die  vorzüglichsten  Stämme  der  Djalin  heissen:  Gümmie, 
Gümeab,  Gereshab,  El  Greshab,  Nifeab,  Sädab,  Mohammedab, 
Mikringa,  Bagelab,  Uädie,  Gebalab,  Kaliab,  Djaudallahab, 
Meirefab,  Omarab,  Kitejab,  Aliab,  Seidab,  Mekaberab,  Mo- 
sellemab,  Timerab,  Giaberab,  Giubarab,  Shatinab,  Megiadib. 

Die  Sadab  wohnen  in  Shendi,  die  Meirefab  in  Berber. 
Ueber  das  „ab",  wie  z.B.  in  Ali-ab,  muss  ich  bemerken,  dass 
diese  Endung,  die  unser  „iden"  ausdrückt,  sodass  Aliab 
Aliden  bedeutet,  aus  der  Sprache  der  Hadendoa,  dem  To'bödauie, 
auch  in  das  nordöstliche  afrikanische  Arabisch  übergegangen  ist. 
Dieser  Gebrauch  erklärt  sich  daraus,  dass  ein  grosser  Theil 
der  Djalin  mit  den  benachbarten  Besharin  Heirathen  ein- 
gehen und  schon  als  wandernde  Kaufleute  oft  deren  Sprache 
mächtig  sind.  Es  gibt  sogar  Djalin,  wie  ein  Theil  der  Sädab 
und  die  Mebtab,  denen  das  To^bedauie  im  Barka  zur  Mutter- 
sprache geworden  ist. 

Die  Djalin  sind  jetzt  meist  sesshaft.  Ihre  Hauptsitze  be- 
finden sich  dem  Nil  und  dem  Atbara  entlang.  Am  Nil  haben 
sie  schon  ober  Chartum  Ansiedlungen,  da  wohnen  Gümmie 
sehr  zerstreut  (am  Gos  Neil);  noch  südlicher  die  Mehemmedie 
(oder  Mohammedab)  am  Bereme;  20  Stunden  ober  Chartum 
fängt  das  Gebiet  der  Hassanie  an.  Bei  Umdurman  selber 
wohnen  noch  Gümmie,  die  die  Karawanen  nach  Kordofan  mit 
Kameelen  versorgen.    Alle  die  genannten  Stämme  sind  eher 


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566  Bemerkangen  über  Eordofan. 

Nomaden  ak  Ackerbauer:  südlich  von  Ghartum  ist  Dar  Me- 
tamma,  auf  der  Ostseite  des  Nils  Shendi,  Damer  und  Berber 
hauptsächlich  von  DjaJin  bewohnt.  Dem  Atbara  entlang  haben 
sie  einzelne  kleine  Niederlassungen,  dann  eine  Handelscolonie 
in  Gos  Redjeb  und  ebenso  in  Kassala,  wo  sie  ein  bedeutendes 
Dorf  bilden.  Auch  in  den  Städten  Kordofans,  besonders  in 
L'obeid,  sind  sie  sehr  zahlreich  und  vermitteln  den -Handel 
bis  Darfor  und  Wadai.  Man  findet  Djalinkaufleute  im  ganzen 
Ostsudan,  im  Tegele,  Nuba,  den  weissen  Fluss  hinauf^  in  Hoffret 
el-Nehass,  am  Bahr  elGhasal,  ebenso  in  ganz  Abyssinien;  sogar 
in  Narea  und  KafiPa  sind  sie  in  grosser  Zahl  häuslich  nieder- 
gelassen; im  Handel  nach  Massua  concurriren  sie  auf  der 
Strasse  über  Keren  mit  den  Massauinem  und  berühren  wie 
sie  das  Land  der  Barea  und  der  Beni  Amer;  nach  Suakin  gehen 
sie  von  Kassala  oder  von  Berber  aus  oder  vom  Gos  direct. 
Die  grössern  Kaufleute  gehen  bis  Cairo.  Diese  weite  Aus- 
breitung ihrer  Operationen  setzt  einen  grossen  Unternehmungs- 
geist voraus.  Ihr  Typus  ist  nur  bei  den  Nomaden  sehr 
arabisch,  während  der  sesshafte  Djali  klein  und  schwächlich 
aussieht. 

Von  den  Djalin  hat  sich  die  Familie  des  Mek  Nimr  be- 
sonders berühmt  gemacht,  dessen  Streit  mit  den  Türken  wohl 
bekannt  ist.  Burckhardt  irrt  oder  widerspricht  sich  vielmehr, 
wenn  er  ihn  zu  dem  königlichen  Geschlecht  der  Fundj  zählt 
und  dann  von  weiblicher  Thronfolge  redet.  Seine  Mutter  war 
eben  eine  Fundj,  aber  seine  Würde  als  Herr  von  Shendi  hatte 
er  von  seinen  Voreltern,  den  Sädab.  Im  Streit  mit  seinen 
Herren,  den  Fundj,  musste  er  lange  Zeit  bei  den  Shukrie 
zubringen,  von  denen  er  die  Mutter  des  jetzigen  Mek  Omer 
zur  Frau  nahm.  Während  seiner  Flucht  wurde  Mek  sein 
Bruder  Säd,  dessen  Macht  ein  von  Kordofan  entflohener 
Sultan  Hashim,  wahrscheinlich  ein  rebellisches  Glied  der 
Kundjarafamilie,  verstärkte.  Trotzdem  wagte  der  Mek  Nimr 
den  Kampf,  man  sagt,  nur  mit  70  Streitern,  siegte  und  blieb 
nun  in  der  Würde,  in  der  ihn  Burckhardt  fand.   Es  ist  bekannt, 


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Bemerkungen  über  Eordofan.  567 

wie  der  tragische  Streit  mit  Mohammed  Ali  die  Familie  nach 
Abyssinien  verschlug,  wo  noch  jetzt  der  Mek  Omer  auf  den 
Grenzen  des  Wolkait  eine  Art  Fürstenthum  inne  hat. 


IL 

Wir  fanden  nicht  für  unwahrscheinlich,  dass  Kordo&n  zum 
grossen  Theil  dem  Handel  seine  Bevölkerung  verdankt.  Den 
durchziehenden  Kaufleuten  lag  es  daran,  Stationen  zu  haben, 
um  von  da  aus  den  Weg  in  die  wasserlosen  Wüsten  anzu- 
treten und  andererseits  mit  Nuba  und  Tegele  in  Verbindung 
zu  treten.  So  sehen  vnr  Städte  entstehen,  die  noch  jetzt  fast 
nur  von  fremden  Kaufleuten  bewohnt  werden.  Ihre  Sklaven 
bevölkerten  einen  grossen  Theil  des  Landes.  Selbst  die  Be- 
duinen sind  dem  Handel  sehr  verpflichtet,  da  sie  den  Transport 
mit  ihren  Kameelen  vermitteln.  Wir  müssen  uns  also  vom 
Handel  Kordofans  Rechenschaft  geben,  da  er  vorzüglich  das 
Land  bevölkert  hat.  Wir  haben  in  nicht  entfernter  Zeit  eine 
schätzbare  detaillirte  Darstellung  des  Handels  von  Palme  er- 
halten; da  sich  seit  seiner  Zeit  wenig  verändert  hat,  beschränki 
sich  unsere  Aufgabe.  Auch  Burckhardt  gibt  im  Allgemeinen 
ein  sehr  richtiges  Bild  des  materiellen  Lebens  im  Sudan; 
wenn  sich  die  Handelswege  geändert  haben  und  Ghartum  an 
die  Stelle  von  Shendi  getreten  ist,  so  ist  doch  der  Handel 
selbst  fast  der  gleiche  geblieben. 

Es  ist  natürlich,  dass  die  Mohammedaner  berufen  sind, 
die  Träger  des  afrikanischen  Handels  zu  sein;  ihre  Religion, 
die  wenigstens  in  Vorposten  durch  ganz  Afrika  verbreitet  ist, 
gilt  ihnen  an  Passes  Stelle;  die  weite  Verbreitung  ihrer 
Religion  öflnet  ihren  commerciellen  Blick.  Der  Neger,  der 
überall  vereinzelt  ist  und  seine  Nachbarn  bekriegt,  kann 
daheim  nicht  den  Handel  vermitteln,  geschweige  im  Ausland. 


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568  Bemerkongen  über  Eordofcm. 

Dann  sind  besonders  die  Semiten  zum  Handel  befähigt  und 
vereinigen  den  gröbsten  Egoismus  mit  der  strengsten  Frömmig- 
keit. Die  Chamiten  dagegen  scheinen  viel  Talent  zu  Industrie 
und  zum  Ackerbau  zu  besitzen.  Daher  sehen  wir  sie  immer 
angesiedelt,  während  die  meisten  Semiten  doch  Nomaden  sind 
und  selbst  in  festen  Wohnsitzen  die  nomadischen  Sitten  nicht 
aufgeben. 

In  Kordofan  sind  es  die  arabischen  Djalin  und  dann  die 
Danagele,  die  den  Handel  in  Händen  haben.  Obgleich  ich 
ehrenvolle  Ausnahmen  kenne,  so  entsprechen  die  Kaufleute 
dieser  zwei  Völker  keineswegs  dem  Begriffe,  den  wir  uns  von 
einem  ehrlichen  Kaufmann  machen.  Doch  sind  die  Djalin  viel 
besser  angesehen,  während  Dongolaui  fast  ein  Schimpftiame  ist 
Die  Massauiner.  und  die  Leute  von  Suakin,  die  den  Handel 
östlich  vom  Nil  in  ihren  Händen  haben,  dringen  selten  bis 
Kordofan  vor.  Syrische  Christen  fanden  wir  mehrere  in  L'obeid, 
die  besonders  Branntwein  verkauften.  Europäer  haben  sich 
selten  des  Handels  wegen  da  aufgehalten.  Türken  und  Aegypter 
sind  wenige  da  und  sind  meist  nur  Krämer.  Wir  fanden  die 
Kaufleute  im  Ganzen  mit  ihrem  Boden  sehr  zuMeden;  grosser 
Gewinn  entschädigt  für  die  mühselige  Reise  und  für  die  ge- 
fährlichen Fieber;  der  Geiz  vergisst  die  Gefahr.  Solange 
keine  Europäer  da  sind,  verdirbt  keine  Concurrenz  die 
Preise. 

Es  ist  begreiflich,  dass  der  Handel  von  L'obeid  sich  vor- 
zugsweise nach  Cairo  wendet  und  zwar  direct  über  Dongola 
und  keineswegs  über  Chartum.  Daher  sind  die  Preise  der 
Importartikel  in  Chartum  und  L'obeid  dieselben.  Vielleicht 
berechnen  aber  die  hiesigen  Kaufleute  nicht  sowohl  den  Zeit- 
gewinn, der  jedenfalls  unbeträchtlich  wäre;  sondern  der  Weg 
über  Dongola  ist  eben  die  alte  Handelsstrasse  von  einer  Zeit 
her,  wo  noch  kein  Chartum  bestand;  sie  ist  ihnen  bekannter 
und  scheint  einfacher,  wenn  auch  die  Fracht  kaum  billiger  zu 
stehen  kommt.  Zudem  ist  die  Benutzung  der  Nilstrasse  vou 
Chartum  nach  Berber  bei  niederem  Wasser  sehr  zweifelhaft 


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Bemerkangen  über  KordofiEui.  569 

und  oft  sehr  langwierig,  sodass  sie  keinen  so  grossen  Vorzug 
vor  dem  Landweg  hat. 

So  geht  besonders  der  Export  von  Darfor  diese  Strasse, 
da  der  directe  Weg  durch  die  grosse  Wüste  doch  viel  zu  be- 
schwerlich und  nur  grossen  Karawanen  zugänglich  ist.  Wir 
werden  in  einer  spätem  Arbeit  Gelegenheit  haben,  die  natür- 
lichen Handelswege  des  Sudan  darzustellen.  Jedenfalls  wird 
jedermann  einsehen,  dass  eine  Reise,  die  hin  und  zurück 
wenigstens  sechs  Monate  in  Anspruch  nimmt,  den  Handel  in 
grösserem  Massstabe  durchaus  nicht  fördert.  Wir  können 
annehmen,  dass  die  directe  Fracht  nach  Cairo  ungefähr  die 
gleiche  ist,  wie  die  von  Chartum,  also  etwa  zwei  Thaler  für 
den  Kantar,  was  nicht  zu  theuer  schiene,  wenn  nicht  der  Zeit- 
verlust so  gross  wäre. 

Wir  wollen  damit  nicht  sagen,  dass  mit  Chartum  nichts 
gemacht  werde;  aber  dieser  Handel  beschäftigt  sich  eher  mit 
Localbedürfiiissen  und  mit  Sklaven,  die  nach  Arabien  bestimmt 
sind;  deswegen  konnten  wir  in  Chartum,  das  nur  mit  Artikeln 
für  den  weissen  und  blauen  Fluss  und  theilweise  für  Abys- 
sinien  sich  versieht,  nichts  finden,  das  für  den  Westen  dienlich 
gewesen  wäre. 

Der  Haupthandel  von  Kordofan  beschäftigt  sich  ausser  den 
Luxusbedürfnissen  des  Landes  vorzüglich  mit  Darfor.  Unauf- 
hörlich gehen  Karawanen  zwischen  L^obeid  und  Kobe,  das 
ausschliesslich  nur  von  fremden  Kaufleuten  bewohnt  wird; 
doch  ist  die  Sicherheit  der  Strasse  nach  Darfor,  die  vorzüglich 
von  den  Hamr- Arabern  vermittelt  wird,  keineswegs  unbedingt. 
Als  wir  uns  noch  in  Kordofan  befanden,  wurde  eine  kleine 
von  L'obeid  abgegangene  Djalin- Karawane,  die  sich  von  dem 
gewöhnlichen  Wege  etwas  südlich  hielt,  von  den  Riseigat  ge- 
plündert. Nach  tapferem  Widerstände  erlagen  siebzehn  Männer 
der  Uebermacht  und  der  Rest,  der  nach  Verlust  der  Güter 
einen  weitem  Kampf  nutzlos  erachtete,  kam  mit  vielen  Ver- 
wundeten nach  L'obeid  zurück.  Schändlicherweise  war  es 
der  Führer,    der  die  Riseigat  zu  dieser  That  aufreizte,  in- 


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570  Bemerkungen  über  Kordofan. 

dem  er  sie  von  der  geringen  Zahl  der  Reisenden  in  Kennt- 
niss  setzte. 

Solche  Ueberfälle  kommen  häufig'  vor  und  die  Kaufleute 
können  sich  darüber  nicht  beklagen,  da  der  gesunde  Menschen- 
verstand ihnen  gebieten  sollte,  sich  entweder  zu  grossen,  gut- 
bewafifneten  Karawanen  zu  vereinigen,  oder  aber  mit  einem 
geringen  Zoll  sich  von  den  Wegelagerern  den  sichern  Durch- 
gang zu  erkaufen.  Die  Riseigat  sind  officiell  von  Darfor  ab- 
trünnig, doch  ist  es  eine  Thatsache,  dass  der  Sultan  im  Ge- 
heimen von  ihrem  Gewinn  jedesmal  seinen  bedeutenden  Theil 
erhält.  Man  erzählte  uns  in  L'obeid,  dass  ein  auf  der  Reise 
ausgeplünderter  Fakih  zum  Sultan  Hussein  kam;  als  er  sich 
von  diesem  statt  aller  Geschenke  einen  Koran  ausbat,  empfing 
er  zu  seinem  Erstaunen  das  ihm  auf  dem  Wege  geraubte 
Exemplar  aus  den  Händen  des  Sultans.  AehnHche  Fälle  er- 
zählte man  mir  täglich.  Auch  die  Hamr  greifen  oft  Kara- 
wanen an,  aber  da  sie  von  Kordofan  und  Darfor  zugleich 
abhängig  sind,  schonen  sie  einflussreiche  Personen. 

Palme  spezificirt  die  Handelsartikel  von  Kordofan  so  ge- 
nau, dass  uns  wenig  nachzutragen  übrig  bleibt.  Im  Allgemeinen 
soll  nur  bemerkt  werden,  dass  die  Preise  seitdem  im  Ganzen 
um  volle  50  Procent  gestiegen  sind. 

Straussenfedern  kommen  sehr  viel  von  Kadje,  wo  von  den 
Arabern  die  Strausse  zu  Pferde  gejagt  werden.  Dies  kann  nur 
in  den  heissesten  Sommermonaten,  die  unserem  Frühling  ent- 
sprechen, vor  sich  gehen.  In  der  Regenzeit  spottet  der  Strauss 
aller  Verfolgung.  Wenn  die  Nomaden  in  Ostafrika  so  viel 
auf  Pferde  halten,  so  ist  es  nicht  für  den  müssigen  Genuss 
des  Reitens:  Räuber  werden  zu  Pferde  verfolgt;  Nachrichten 
blitzschnell  von  allen  Seiten  eingezogen;  der  Panzermann  auf 
seinem  Streitrosse  kann  es  mit  ganzen  Schaaren  Fussvolkes 
au&'ehmen. 

Die  Hauptstapelplätze  des  Elfenbeins  sind  in  Darfor,  wohin 
es  durch  die  Eingebornen  von  den  Fertit  gebracht  wird.  Es  geht 
gewöhnlich  direct  nach  Cairo;  aber  wenn  infolge  der  Nachfrage 


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Bemerkungen  über  Eordofan.  571 

von  Seiten  der  Häfen  am  Rothen  Meere  die  Preise  auch  schon 
in  Chartum  lohnend  genug  scheinen,  wird  ein  Theil  davon 
auch  dahin  exportirt.  Der  Preis  hat  sich  seit  Palme  ver- 
doppelt.* Es  geht  jetzt,  auch  von  Chartum  aus,  fast  kein 
Elfenbein  mehr  nach  Suakin;  wenn  aber  Palme  die  Banianen, 
die  den  Handel  des  Rothen  Meeres  in  Händen  haben,  zu  Agenten 
der  Engländer  macht,  irrt  er  sich  durchaus;  Unterthanen 
derselben  sind  sie,  aber  ihr  Handel  mit  diesem  Meere  ist 
viel  älter,  als  die  englische  Herrschaft  in  Indien.  Ferner 
glaube  ich  nicht,  wie  Palme  meint,  es  gehe  das  afrikanische 
Elfenbein  über  Indien  nach  Europa;  sonst  könnte  man  sich 
nicht  erklären,  dass  die  Banianen  den  Preis  von  Cairo  in 
Massua  zahlen  können,  was  eher  voraussetzen  Hesse,  dass 
die  Qualität  als  die  edlere  für  den  Localbedarf  von  In- 
dien und  China  verbraucht  und  demgemäss  besser  bezahlt 
wird. 

Da  man  gewöhnlich  über  die  Elefantenjagd  zu  Pferde  sehr 
unrichtige  Begriffe  hat,  will  ich  darüber  einige  Worte  bei- 
fügen. Die  erste  Aufgabe  der  Jäger  ist,  den  Elefanten  durch 
Schreien  aus  dem  Walde  in  Lichtungen  oder  Strombetten 
hinauszulocken.  Dann  sucht  der  Reiter  die- Aufmerksamkeit 
des  Thieres  auf  sich  zu  lenken;  der  Elefant,  mehr  dem  Thiere, 
als  dem  Menschen  feind,  verfolgt  das  in  kurzem  Galopp  sich 
flüchtende  Pferd.  Einer  der  Jäger  verfolgt  den  Elefanten  zu 
Fuss;  in  dem  günstigen  Augenblick  haut  er  ihm  mit  seinem 
geraden  Schwert  den  Knöchel  des  einen  Hinterbeines  entzwei; 
der  Elefant  stampft  ob  des  plötzlichen  Schmerzes  und  vollendet 
so  selbst  das  Werk  seines. Verfolgers.  In  bergigen  Gegenden, 
wo  das  Pferd  unnütz  vrird,  übernimmt  seine  Rolle  ein  Fuss- 
gänger.  Diese  allerdings  nicht  anziehende  Jagd  ist  bis  jetzt 
von  den  Europäern  nicht  nachgeahmt  worden,  und  Unglücks- 
fälle kommen  sehr  häutig  vor;  so  wurde  vor  zwei  Jahren  das 
Pferd  im  Augenblick,  wo  es  voraussprengen  sollte,  scheu;  es 
bäumte  sich,  der  Reiter  hat  nicht  mehr  die  Zeit,  sich  hinab- 
zustürzen, der  Elefant  ergreift  mit  seinem  Rüssel  den  Schweif 


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572  Bemerkungen  über  Kordofon. 

des  Pferdes  und  in  einem  Augenblick  sind  Mann  und  Ross 
zu  Brei  zertreten. 

Tamarinde  kommt  besonders  von  Darfor,  in  kleinen  Bröd- 
chen;  die  Gonsumption  im  Lande  selber  ist  sehr  bedeutend. 
In  einem  sehr  heissen  Lande,  wo  der  Magen  so  leicht  in  Un- 
ordnung kommt,  ist  das  davon  bereitete  kühlende  und  etwas 
abführende  Getränk  die  köstlichste  Gabe  der  Natur. 

Ochsenhäute  werden  besonders  seit  den  letzten  Jahren  viel 
nach  Cairo  exportiri  Der  Preis  ist  jetzt  der  doppelte,  6  Thaler 
das  Stück;  die  Häute  werden  nie  gewogen.  Der  Preis  ist  in 
ganz  Ostafrika  seit  dem  Krimkriege  so  gestiegen  und  hat 
sich  seitdem  mit  wenig  Variation  auf  seiner  Höhe  erhalten. 
So  zahlt  man  in  Massua  jetzt  für  20  Stück  13  Thaler,  w«üi- 
rend  sie  früher  nur  5  Thaler  galten.  Deswegen  hat  sich  der 
Export  wohl  verdreifacht,  da  sich  bei  den  erhöhten  Preisen 
die  Fracht  aus  dem  Innern  gehörig  bezahlt.  Gegerbte  Häute 
kommen  nach  Kordofan  von  Bornu  und  Abyssinien,  Die 
erstem  sind  schön  braun,  aber  schwach;  die  letztem  sind 
genügend  bekannt.  Die  Gebirgsvölker  sind  in  der  Kunst  der 
Gerberei  den  Niederländern  weit  überlegen,  wie  sie  denn  schon 
die  Natur  mit  ausgezeichneter  Lohe  versehen  hat. 

Man  weiss,  dass  der  Gummi  von  Kordofan  von  sehr  vor- 
züglicher Qualität  ist,  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  sogenannten 
Suakni,  der  in  Gadarif  ober  Kassala  gewonnen  wird.  Er  kostete 
80  Piaster  der  Kantar  (25  Piaster  =  1  Thaler);  die  Kosten 
bis  Cairo  betragen  wenigstens  120  Piaster.  Der  meiste  Gummi 
wird  in  der  Provinz  Dejara  gewonnen.  Die  Frauen  der 
Kaufleute  brauchen  ihn  bei  der  Haartoilette.  Er  geht  aus- 
schliesslich nach  Cairo  und  wird  nicht  in  Koffern  verpackt, 
sondern  in  Säcken.  Da  der  Gummi  ein  sehr  wohlfeiler  Artikel 
ist,  so  erträgt  er  bei  der  schwierigen  Communication  nicht 
einen  massenhaften«  Export,  der  natürlich  den  Preis  drücken 
würde.  Dann  genügt  die  spärliche  Bevölkerung  nicht,  um 
die  unendlichen  Naturschätze  nur  zum  Theil  auszubeuten. 

Das  Gold  von  Nuba  wird  seiner  Farbe  wegen  dem  Sennari 


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Bemerkungen  über  Kordofan.  573 

unterschätzt.  Die  Oqie  (Gewicht  eines  Thalers)  des  letztem 
gilt  immer  25  Procent  mehr.  Die  Preise  des  erstem  schwan- 
ken zwischen  16 — 17  Thaler.  Es  ist  unmöglich,  sich  einen 
Begriff  von  seiner  Handelsverbreitung  zu  machen,  da  viel  im 
Lande  selbst  zu  Schmuck  verarbeitet  wird  und  das  zum  Ex- 
port bestimmte  wegen  seines  kleinen  Volumen  jeder  Douane 
entzogen  werden  kann.  Die  Afrikaner  legiren  das  Gold  nie, 
sodass  sie  an  unserm  europäischen  Schmuck  keinen  Gefallen 
haben. 

Kordofan  ist  sehr  reich  an  schönem  Hornvieh;  aber  grosse 
Heerden  auf  Speculation  nach  Aegypten  zu  führen,  wäre  sogar 
in  der  Regenzeit  für  einen  Privatmann  kaum  möglich  »und 
jedenfalls  sehr  langwierig.  Wir  werden  in  einer  spätem 
Arbeit  beleuchten,  wie  auch  dieser  Artikel  verwerthet  werden 
könnte. 

Kordofan  ist  durch  seinen  meist  sehr  sandigen  leichten 
Boden  fast  ausschliesslich  auf  Duchn  angewiesen.  Weizen 
kann  nie,  Durra  nur  spärlich  gebaut  werden.  Gartenanlagen 
oder  grosse  Baumwollenpflanzungen  erschwert  das  Tiefliegen 
des  Wassers,  das  Bewässerung  zu  mühsam  macht.  Einzelne 
Stellen,  wie  die  Gegend  von  Melbess,  Bara,  Wod  Saki  u.  a., 
wo  das  Wasser  sehr  nahe  tritt,  sind  doch  nur  Ausnahmen. 
Die  Duchnemdte  ist  je  nach  der  Regenmenge  ungeheuer  ver- 
schieden. Bei  unserer  Anwesenheit  war  das  Kora  sehr  theuer, 
wohl  4  Thaler  die  Last  von  2  Ardeb,  während  sie  gleich- 
zeitig in  Chartum  nur  1  %—  2  Thaler,  in  Kassala  nur  1  Thaler 
galt.  Ich  fand  die  Madida  (»4Xj4>uo)  von  Duchn,  mnde  papier- 
dünne Kuchen,  sehr  schmackhaft,  etwas  säuerlich  pikant. 
Weizen  kommt  vom  Nil  und  wird  meist  nur  von  Fremden 
genossen.  (In  Chartum  hat  man  5  Rotl  für  1  Piaster,  der 
Preis  von  L'obeid  ist  mir  unbekannt).  Reis  wird  in  ziemlich 
bedeutender  Menge  eingeführt,  ohne  aber  ein  Volksbedürfhiss 
zu  sein;  die  Oqa  =  2%  Rotl  zu  2V2  Piaster.  Er  kommt  meist 
von  Indien  über  Djedda  und  Suakin;  der  ägyptische  ist  viel 
theurer    und   wenig   besser.     Zucker   kommt   von  Indien   in 


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574  Bemerkungen  über  Kordofan. 

Staub  (2  Piaster  das  Rotl),  von  Cairo  in  Stöcken  (4  Piaster), 
aber  er  ist  nur  ein  Luxusartikel,  ebenso  wie  syrische  Seife, 
die  für  den  Volksgebrauch  zu  theuer  ist.  Da  dessenungeachtet 
das  Land  keine  natürliche  Seife  besitzt  (wie  Arabien  und  das 
Samhar  den  Eshnan  (^LLmI)  oder  Abyssinien  den  Endod), 
so  wäscht  das  gemeine  Volk  seine  Kleider  mit  Urin  und 
Eameelmist. 

Schlechter  Arak  wird  von  Syriern  halb  eingeführt,  halb 
fabrizirt,  wo  natürlich  der  Spiritus  die  Hauptrolle  spielt  Je 
nachdem  der  Gouverneur  der  Provinz  fromm  ist  oder  nichts 
nimmt  der  Verbrauch  ab  oder  zu,  da  sich  die  Diener  nach 
dem  Jlerm  richten. 

Tabak  kommt  für  die  Türken  von  Cairo,  für  die  Einge- 
bomen von  Sennaar  und  Süd-Gadarif  in  Blättern.  Der  letztere 
kostet  ly^Piaster  das  Rotl;  er  ist  nicht  übel  und  stark.  Er 
wird  in  kleinen  Pfeifen,  selten  in  Buri  (der  Wasserpfeife)  ge- 
raucht. Schnupfer  oder  Kauer  behelfen  sich  mit  dieser  Sorte 
oder  mit  einer  andern,  die  von  Darfor  kommt  und  viel 
stärker  ist.  Der  Tabak  wird  zu  diesem  Behuf  gerieben  und 
mit  V4  Natrum  vermischt.  Der  Surati -Tabak,  der  in  ganz 
Abyssinien  und  seinen  nördlichen  Grenzländem  so  ungeheuren 
Verbrauch  hat,  ist  schon  in  Kassala  wenig  gekannt  und  in 
L'obeid  gar  nicht  zu  finden. 

Salz  wird  von  Chartum  aufwärts  dem  Nil  nach  geschlemmt, 
abgekocht  und  in  einer  Art  von  Zuckerhüten  exportirt. 

Palmenmatten  sind  sehr  gesucht  und  kommen  vom  Nil. 
Während  man  im  Barka  12  Matten  für  1  Thaler  gibt,  kostet 
hier  1  Matte  %  Thaler.  Da  die  Dumpalme  in  Kordofan  £ast 
gar  nicht  vorkommt,  wird  sogar  der  Djerid  (Ju^)  eingeführt 
und  zu  Korbgeflechten  verwendet.  Die  Fäden,  die  sich 
davon  ablösen  lassen,  der  sogenannte  Lif  (  ^-äaJ),  wird  zu  Sei- 
len gedreht;  doch  sind  die  aus  Adansoniabast  gefertigten  viel 
stärker  und  dauerhafter.  Mit  imserm  Hanf  ist  aber  nur  das 
von  dem  Bastfaden  des  Oshor  (^^-älc),  einer  Asclepias,  ge- 
sponnene Seil  zii  vergleichen.     Es  ist  unvergleichlich  schön, 


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Bemerkungen  über  Kordofan.  575 

stark  und  dauerhaft.  Solche  Stricke  kommen  besonders  bei 
den  Brunnen  zum  Wasserziehen  in  Gebrauch,  wo  ein  Tau 
dünner  als  der  kleine  Finger  einen  schweren  Schlauch  voll 
Wasser  aus  einer  Tiefe  von  oft  120  Fuss  hinaufzieht.  So  wird 
auch  dieser  unschöne  Baum  mit  seiner  giftigen  Milch  dem 
Menschen  nützlich. 

Baumwolle  wird  wenig  gepflanzt,  da  sie  den  hier  so  seltenen 
Lehmboden  verlangt.    Im  Lande  wird  daraus  ein  grobes  Zeug, 

Namens  Morebbä  (/^j^),  gesponnen  und  dann  die  Fabrikate 
der  Nilländer  eingeführt.  Von  Cairo  kommt  Calicot  (soge- 
nannte &^^  und  1*^)  und  Madapolam  besonders  zu  Hem- 
den; dann  farbige  meist  blaue  Tücher,  die  in  Massua  Futta 
(&lai),  hier  Dirke  (*^)))  heissen.  Diese  letztern  sind  in 
Darfor  als  Kopf-  oder  Lendentuch  Volksbedürfniss. 

Feuerwaffen  sind  im  ganzen  Ostsudan  noch  sehr  selten. 
Die  Hauptwaffe  ist  doch  noch  immer  das  Eisen.  Wird  gefeuert, 
ist  es  mehr  auf  den  Knall  abgesehen,  als  auf  das  Blei.  Eine 
Ausnahme  machen  natürlich  die  Kaufleute,  die  nur  so  einiger- 
massen  der  üebermacht  trotzen  können,  besonders  die  gutbe- 
waffheten  Nilexpeditionen.  Die  Afrikaner  haben  viel  Talent 
zum  Gutschiessen,  aber  ihre  Flinten  sind  nie  gut  gehalten: 
Selbst  in  Abyssinien,  wo  die  Feuerwaffen  so  häufig  sind,  er- 
staunt man,  so  wenig  brauchbare  Waffen  zu  finden. 

Es  werden  sehr  viel  Beshärikameele  in  Kordofan  einge- 
führt und  Lastthiere  bis  25,  Reitthiere  bis  35  Thaler  bezahlt, 
während  sie  in  ihrem  Vaterlande  zwischen  dem  Nil  und  dem 
Rothen  Meer  fast  um  die  Hälfte  wohlfeiler  sind.  Doch  müssen 
wir  ein  Steigen  des  Preises  in  ganz  Nordostafrika  notiren  und 
erklären  es  aus  dem  zunehmenden  Verkehr.  Auch  die  Re- 
gierung lässt  zeitweise  Dromedare  aufkaufen,  um  sie  in 
Aegypten  zu  verwenden.  Die  Beshari-  und  die  Hadendoa- 
kameele  sind  sehr  graziös  gebaut,  meist  weiss  oder  gelb;  alle 
können  zxmi  Reiten  benutzt  werden.  Sie  haben  nicht  die 
Kraft    der    hoch    und    stämmig    gewachsenen    braunen    und 


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576  Bemerkungen  über  Kordofan. 

schwarzen  Shukrikameele ,  aber  sie  ersparen  an  Zeit  und 
sind  ausdauernd.  Das  Shukri  leidet  an  dem  Fehler,  nirgends 
bestehen  zu  können  ausser  in  seinem  Yaterlande  zwischen 
Nil  und  Gash,  während  das  Eameel  der  Besharin  und 
Hadendoa  mit  Vorsicht  gepflegt  überall  gewöhnt  werden  kann. 
Die  in  Kordofan  einheimischen  Kameele  sind  plump,  grob  ge- 
baut, nicht  sehr  stark  und  zum  Reiten  untauglich.  Deswegen 
sind  in  L'obeid  besonders  Reitkameele  sehr  gesucht  Ebenso 
Reitesel,  die  von  Aegypten  kommend  bis  60  Thaler  das  Stück 
bezahlt  werden. 

Die  Pferdezucht  scheint  in  Kordofan  nicht  sehr  ausgebildet 
zu  sein;  das  Land,  dem  grüne  Wiesen  und  fliessende  Wasser 
abgehen,  ist  auch  nicht  sehr  dazu  gemacht.  Man  sieht 
mehrere  Rassen  Pferde,  die  aber  selten  im  Lande  geboren  sind. 

Der  Araber  mit  seinem  etwas  verdorbenen  Sprössling,  dem 
etwas  höhergebauten  Riß  (Aegypter),  vdrd  fast  nur  von  Türken 
geritten,  denen  die  Eleganz  besser  behagt,  als  die  Gewalt  der 
Erscheinung.     Die  Landeseingebornen  lieben   den  Dongolawi 

und  seinen  edlen  Sprössling,  den  Mabbashi  (^^Ux)  von  der 
Zucht  der  Kababish.  Das  Dongolawi -Pferd  ist  hoch,  lang- 
gestreckt, gewaltig,  kräftig  und  entspricht  so  den  Anforderungen 
des  Reiters,  der  in  voller  Rüstung  daraufsitzt;  er  imponirt 
und  vermeidet  schon  dadurch  manche  Gefahr.  Der  Dongolawi 
leiht  sich  gern  zu  allen  Mamelukenkünsten,  die  im  Sudan 
geschickt  nachgeahmt  werden;  sein  Schritt  ist  ausserordentlich 
schnell,  ohne  Pass  zu  sein  und  schickt  sich  für  Leute,  die 
lange  Tagereisen  machen  müssen.  Er  wird  nie  zum  Traben 
gebracht,  da  diess  den  Schritt  verdirbt.  Seine  Carriere  ist 
prächtig  und  bei  der  wuchtigen  gigantischen  Erscheinung 
furchterregend.  Er  setzt  mit  vieler  Leichtigkeit  über  Gräben 
und  andere  Hindemisse  hinweg.  Leider  acclimatisirt  er  sich 
schwer,  am  wenigsten  im  Gebirge;  er  ist  sehr  delicat  und 
unterliegt  dem  kleinsten  Anfall,  ganz  ähnlich  dem  riesigen 
Menschen,  der  der  Eiche  gleich  nie  sich  beugt,  sondern  bricht 


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BemerkuDgen  über  Kordofan.  577 

Auch  darf  der  Dongolawi  nicht  hungern;  um  Heu  oder  Gras 
bekümmert  er  sich  wenig,  seine  Nahrung  ist  Milch  und  Durra 
oder  Duchn.  Daher  erreicht  er  ausser  seinem  Vaterlande  selten 
ein  hohes  Alter.  Ich  weiss,  dass  die  Herren  von  Barka  ihre 
Pferde  selten  zwei  Jahre  bewahren  konnten,  sodass  ein  be- 
deutender Theil  ihrer  Einnahmen  in  Pferdeankäufen  aufgeht 
Die  Heimat  dieser  Rasse  ist  das  Nilthal  nördlich  von  Chartum, 
wo  er  besonders  von  den  Shaigie  gezogen  wird.  Der  wohl- 
feilste Markt  ist  Berber,  wo  man  für  30  Thaler  einen  hübschen 
Hengst  haben  kann,  der  in  Kordofan  mit  60  Thaler  bezahlt 
würde;  doch  gibt  es  Thiere  auch  für  den  vierfachen  Preis. 
Der  Kabbashi  ist  ein  Dongolawi,  bei  den  Nomaden  gleichen 
Namens  geboren  imd  auferzogen.  Er  ist  darum  durchaus 
nicht  entartet  und  viel  ausdauernder.  Die  Dongolarasse 
anderswo  zu  ziehen,  ist  bis  jetzt  selten  gelungen. 

Das  abyssinische  Pferd  oder  eher  Galla,  der  sogenannte 
Makade,  der  wohl  vom  Araber  abstammt,  ist  selten  hochge- 
baut und  wird  deshalb  von  den  Sudanesen  etwas  verachtet. 
Wirklich  darf  man  ihn  nur  massig  belasten,  was  ihn  nur  für 
die  leichte  ungepanzerte  Kavallerie  tauglich  macht.  Er  hat 
aber  grosse  Vorzüge.  Obwohl  ein  Kind  der  Berge,  gewöhnt 
er  sich  leiqht  an  die  heisse  Tiefebene.  In  der  Leichtigkeit 
des  Bergsteigens  gibt  der  Makade  dem  Maulthier  wenig  nach. 
Er  galoppirt  über  Stock  und  Stein  ohne  Anstand.  Er  fällt 
selten.  Er  ist  lebhaft  und  gewandt;  er  begnügt  sich  mit 
Heu  und  erträgt  den  Hunger  leicht.  Er  folgt  seinem  Herrn 
wie  ein  Hund.  Er  überholt  den  stolzen  Dongolawi,  wenn 
das  erste  Feuer  vorbei  ist.  Eine  grosse  Anstrengung  wirft 
diesen  nieder;  den  Makade  macht  die  Arbeit  nur  hungrig. 
Sein  Schweif  ist  schön  gehalten  und  vollhaarig;  doch  hat  er 
diese  Eigenschaft,  wie  die  Güte  der  Hufe,  die  keinen  Beschlag 
nöthig  haben,  mit  allen  orientalischen  Pferden  gemein.  Des- 
wegen ist  der  Makade  auch  am  Nil  und  Atbara  das  Pferd 
des  gemeinen  Soldaten,  dem  er  sich  auch  durch  seine  Wohl- 
feilheit empfiehlt;    denn  in  Abyssinien  kostet  ein  recht  gutes 

ManxiDger,  Ostafrik.  Studien.  37 


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578  Bemerkungen  über  Kordofan. 

Pferd  12  Thaler,  im  Sudan  freilich  das  gleiche  oft  das  Doppelte 
und  mehr.  Offiziere  und  Häuptlinge  reiten  den  Dongolawi. 
Für  die  Straussenjagd  hat  sich  das  abyssinische  Pferd  ganz 
bewährt.  Es  kommt  nach  Ghartum  und  Kor<fefan  auf  dem 
Wege  von  Galabat  (Metamma). 

Sehr  interessant  ist  der  Mischling  (^^^**JL^),  dessen  Vater 
Dongolawi  und  dessen  Mutter  Eifi  oder  Makade  ist.  Er  ver- 
einigt die  Vorzüge  beider  Rassen  und  fühlt  sich  überall  da- 
heim. Es  ist  Schade,  dass  gewöhnlich  wenig  Sorgfalt  auf  die 
Wahl  der  Stute  gewendet  wird  und  die  Zucht  überhaupt 
nicht  systematisch  betrieben  wird.  Deswegen  ist  der  Misch- 
ling selten  und  wird  von  seinem  Eigenthümer  nur  ungern 
veräussert. 

Ein  sehr  schönes  Pferd,  das  man  nur  selten  sieht,  ist 
der  Garbaui  (^go^i);  er  ist  ein  Araber  von  Westafrika, 
aber  hochgebaut  und  gestreckt.  Doch  ist  es  selten,  dass  die 
Forianer  ein  gutes  Pferd  nach  dem  Kordofßui  vorübergehen 
lassen;  selbst  in  L^obeid  kaufen  sie  alle  guten  Pferde,  die 
vom  Nil  kommen,  schnell  zu  hohen  Preisen  weg.  Man  sollte 
daraus  schliessen,  dass  auch  in  Darfor  die  Zucht  wenig  Fort- 
schritte macht,  da  immer  Lücken  zu  ersetzen  sind. 

Da  hier  vom  Handel  und  nicht  vom  Pferde  selber  die 
Rede  ist,  so  können  wir  uns  darüber  nicht  weiter  verbreiten; 
nur  möchten  wir  zum  Schlüsse  auf  den  Shaigie- Sattel  auf- 
merksam machen,  der  in  den  Ebenen  Nordostafrikas  überall 
gebräuchlich  ist  und  man  erstaunt,  sich  gestehen  zu  müssen, 
dass  die  Afrikaner  ohne  Aufwand  auf  einfache  Weise  seit 
langer  ^it  dasselbe  erreicht  haben,  woran  wir  mit  vielem 
Aufwände  von  Geld  und  Geist  noch  immer  studiren,  d.  h. 
das  Ross  vor  Verletzung  zu  bewahren  und  dem  Reiter  einen 
angenehmen  Sitz  zu  verschaffen.  Diess  wird  dadurch  erreicht, 
dass  das  delicate  Rückgrath  von  allem  Drucke  frei  und  der 
Luft  ausgesetzt  ist.  Ihm  am  ähnlichsten,  aber  viel  kost- 
spieliger ist  der  dänische  Militärsattel;    nur  muss  man   sich 


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Bemerkuogen  über  Kordofan.  579 

den  hohen  Sattelknopf  und  eine  ebenso  hohe  Rücklehne  dazu 
denken. 

Nun  dürfen  wir  bei  den  Handelsartikeln  der  Sklaven  nicht 
vergessen.  Da  wir  uns  aber  anderswo  über  die  afrikanische 
Sklaverei  im  Grossen  verbreiten  wollen,  so  können  wir  uns 
füglich  auf  die  Darstellung  der  hiesigen  Localverhältnisse 
beschränken.  Ebenso  überflüssig  erachten  wir,  die  Stellung 
zu  erklären,  die  der  Islam  dem  Sklaven  anweist  in  einer  Ge- 
setzgebung, die  ein  Meisterwerk  menschlicher  Klugheit  ist. 

Die  Sklaven  von  Kordofan  sind  entweder  im  Lande  geboren 

( JJ^),  oder  vom  Ausland  eingeführt.  Die  meisten  kommen 
aus  For,  Tegele,  Nuba.    Galla  kommen  nur  als  Concubinen 

(kj^)  und  selten  hierher  zum  Verkauf,  ebenso  wenig  Bewohner 
vom  weissen  Fluss.  Die  Sklaven,  die  über  Darfor  hierher 
kommen,  sind  meist  Fertit  und  Benda  und  da  sie  wegen 
ihres  »diebischen  Sinnes  wenig  gesucht  sind,  werden  sie  meist 
weiter  befördert.  Die  Sklaven  von  Tegele  sind  die  geschätz- 
testen. Die  Nuba  sind,  obgleich  ihnen  die  Nähe  ihres  Vater- 
landes die  Flucht  erleichtert,  als  Arbeiter  gesucht.  Sie  werden 
entweder  von  ihrer  eigenen  Familie  verkauft  oder  von  den 
ßiseigat  und  den  Qadejat  geraubt.  Diese  letztern  machen 
regelmässige  Razzias  gegen  sie;  die  im  Jahre  1862  ausgeführte, 
brachte  dem  Anführer  allein,  dem  erwähnten  Haseballah,  300 
Köpfe  ein.  Ohne  das  als  Entschuldigung  geben  zu  wollen 
darf  nicht  vergessen  werden,  dass  die  Nuba  ihren  Verfolgern 
mit  guter  Münze  zurückbezahlen. 

Ich  könnte  nicht  sagen,  dass  die  Sklaven  in  Kordofan 
grausam  behandelt  würden;  aber  bei  der  geographisöheu  Lage 
des  Landes  und  der  grossen  Ueberzahl  der  Sklaven  muss  die 
Behandlung  jedenfalls  strenger  sein.  linder  gewöhnen  sich 
schnell,  während  die  Erwachsenen  nur  mit  Wuthknirachen  an 
ihr  Vaterland  und  ihre  verlornen  Lieben  zurückdenken  und 
immer  Befreiung  hoffen.  Deshalb  bringen  Sklaven,  die  er- 
wachsen gekauft  werden,  meist  fast  zwei  Jahre  in  Fussschellea 

37* 


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580  Bemerkongen  aber  KordofSem. 

ZU.  Ebenso  werden  jedem  Widerspänstigen  die  Fu888chellen 
angelegt.  Die  unglücklichste  Zeit  bringen  die  Armen  bei  den 
Djellab  zu,  von  denen  sie  die  gleiche  Schonung  erwarten 
können,  die  jeder  Handelsartikel  von  seinem  Besitzer  verlangt 
und  nichts  mehr.  Sie  sind  genügend  genährt,  aber  haben 
grosse  Tagemarsche  im  heissen  Sand  zu  machen.  Nachts  wer- 
den alle  gefesselt;  am  Tage  tragen  die  erwachsenen  Sklaven 
je  zwei  zusanmien  einen  langen  Balken  auf  den  Schultern, 
der  den  Hals  mit  einer  Gabel  zuschliesst.  Diese  Manier  sich 
der  Sklaven  zu  versichern  wird  in  Ostafrika  auch  für  Ver- 
brecher angewandt  und  ich  hatte  oft  Gelegenheit,,  mir  be- 
freundete Häuptlinge,  die  dem  Statthalter  missfallen  oder 
Aufruhr  gestiftet  hatten,  mit  diesem  Joch  auf  der  Schulter  zu 
begrüssen.  Am  besten  zeigt  sich  die  Gefühllosigkeit  der 
Djellab  beim  Tode  eines  Sklaven;  man  legt  seine  Leiche  fest 
entblösst  auf  den  Boden  und  bedeckt  sie  mit  etwas  Sand, 
den  der  Wind  oft  sogleich  wieder  wegweht.  Ich  musste 
oft  an  Mungo  Park  denken,  wenn  wir  solchen  Gräbern  be- 
gegneten. 

Sind  die  Sklaven  eingewöhnt,  so  verbessert  sich  ihre  Lage. 
Die  Intelligenteren  und  Schöneren  bleiben  als  Diener  im 
Herrenhaus;  der  Rest  wird  auf's  Land  geschickt,  wo  sie 
ganze  Dörfer  bilden,  die  durch  ältere  Sklaven  und  zeitweise 
durch  den  Herrn  selbst  überwacht  werden.  Der  Herr  unter- 
hält seinen  Sklaven  in  schlechten  Jahren,  daher  gehört  ihm 
auch  die  gute  Emdte  und  er  überlässt  dem  Sklaven  nur  den 
nothwendigen  Bedarf.  Doch  ist  die  Beaufsichtigung  nicht  so 
streng,  als  dass  der  Sklave  nicht  ganz  gemächlich  leben 
könnte.  Der  Herr  ermuntert  die  Sklaven,  die  er  bewi^^[i 
will,  zur  Heirath  untereinander;  es  gibt  solche,  die  sogar 
mehrere  Frauen  haben;  doch  soll  ihre  Ehe  nicht  allzu  delicat 
sein.  Nach  meinen  Untersuchungen  sind  die  einheimischen 
Sklaven  ziemlich  fruchtbar  und  wenn  auch  die  Sterblichkeit 
bei  den  Kindern  viel  grösser  ist,  als  bei  den  besser  gepflegten 
Herren,    so  soll   doch   entschieden  Vermehrung   8tat1£nden. 


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BemerkoDgen  über  KordofaiL  5g  X 

Verheirathete  oder  beim  Herrn  geborene  Sklave^  zu  verkaufen, 
bringt  grosse  Schande.  Diese  im  Lande  gebomen  Sklaven,  die 
sogenannten  Mowolled,  unterscheiden  sich  sehr  vortheilhaft  von 
den  eingeführten  und  wenn  Herrenblut  beigemischt  ist,  werden 
sie  wahre  Schönheiten. 

Die  durch  den  Islam  so  empfohlene  Befreiung  ist  im  Ost- 
sudan sehr  selten  und  es  sagte  mir  ein  sehr  gebildeter,  gut- 
müthiger  Mann  auf  meine  Frage  darüber,  wie  ich  daran  denken 
könne,  dass  ein  Mann  im  Besitz  seines  Verstandes  sein  Geld 
unnütz  wegwerfen  könne. 

Ich  habe  mir  Mühe  gegeben,  das  numerische  Verhältniss 
der  Sklaven  zu  den  Freien  kennen  zu  lernen  und  so  schwer 
es  ist  sich  darüber  zu  versichern,  glaube  ich  nicht  zu  über- 
treiben, wenn  ich  drei  Viertel  der  Bevölkerung  als  unfrei 
betrachte.  In  den  Städten,  wie  L'obeid,  Chursi,  Bara,  wird 
das  Ueberge wicht  der  Sklaven  viel  bedeutender;  auf  dem 
Lande  sind^  sie  wenig  überzählig.  In  L^obeid  gibt  es  wenig 
Leute  ohne  Sklaven  und  es  ist  gar  nicht  anders  möglich,  da 
kein  freier  Diener  zu  finden  ist.  Wir  mussten  mit  unsem 
mitgebrachten  Dienern  sehr  schonend  umgehen,  da  Ersatz 
unmöglich  gewesen  wäre.  Der  Aermate  hat  wenigstens  Einen 
Sklaven;  die  Reichen  zählen  sie  zu  Hunderten.  Unser  Gast- 
berr  Ahmed  Sogheirun  hatte  wenigstens  600  Sklaven,  ein 
Onkel  von  ihm  über  1000.  Ich  bin  einmal  von  einer  Aegyp- 
tierin,  der  Tochter  eines  abgedankten  blinden  Offiziers,  um 
Unterstützung  angegangen  worden,  die  von  zwei  Sklavinnen 
begleitet  war;  deswegen  war  sie  aber  nicht  minder  arm. 

Mit  dem  Verbot  des  Sklavenhandels  wird  es  nicht  genau 
genommen.  Da  er  die  Douane  nichts  mehr  angeht,  so  ist  er 
für  die  Beamten  eine  Einkunftsquelle  geworden;  denn  der  Statt* 
halter  kann  gegen  den  widerspänstigen  Sklavenhändler  immer* 
hin  das  Gesetz  anwenden.  Wir  begegneten  auf  dem  Wege  von 
Chartum  nach  L^obeid  täglich  Karawanen,  die  meisten  von 
Darfor.  In  L'obeid  könnte  man  in  Einem  Tage  hundert  kau- 
fen;   doch  da  der  Handel  offidell  verboten  ist,  werden  die 


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582  BemerkoDgen  über  Kordofan. 

Sklayen  nicht  mehr  auf  dem>  Markte  aasgestellt.  EinX^hamasi 
galt  6—700  Piaster,  ein  Sedasi  800,  ein'Eunuche  yon  1400 
Piaster  hinauf.  Es  gibt  in  L^obeid  einen  Mann,  d^  eigene 
Sklaven  auf  Specolation  oder  fremde  gegen  einen  Lohn  von 
100  Piaster  verschneidet.  Nach  allem,  was  ich  erfahren  konnte, 
stirbt  von  200  höchstens  Einer  an  der  Operation;  der  Patient 
heilt  in  30  Tagen.  Doch  habe  ich  nie  gehört,  wie  Palme 
versichert,  dass  der  Sultan  Teima  dieses  Gewerbe  betrie- 
ben habe. 

Eine  Art  Sklavenhandel  ist  folgende :  Nach  der  Regenzeit 
gehen  die  türkischen  Truppen  zu  den  Baggära,  von  denen  sie 
den  Tribut  in  Kühen  empfangen.  Es  bildet  sich  ein  grosser 
Markt.  Die  anwesenden  Kaufleute  kaufen  die  Kühe  den 
türkischen  Beamten  mit  Thalem  ab  und  erstatten  sie  den 
Nomaden  gegen  Sklaven  zurück.  So  ist  allen  gedient;  die 
Türken  dürfen  den  Anstand  nicht  verletzen  und  ziehen  das 
baare  Geld  vor;  die  Baggara  erhalten  ihre  lieben  Kühe,  von 
denen  sie  sich  so  ungern  trennen,  zurück  und  entledigen  sich 
ihrer  schlechten  Sklaven  vom.  Nubaland,  denen  die  Heimat 
noch  viel  zu  nahe  liegt,  um  sie  bewachen  zu  können;  die 
Kaufleute  endlich  kommen  nur  der  Sklaven  wegen  hin,  das 
Hornvieh  dient  ihnen  nur  als  Münze.  So  ist  auch  hi^  der 
Sklavenhandel  verboten,  aber  nicht  abgeschafft.  In  Ghartum 
haben  wir  gar  nicht  das  Recht,  Andersgläubigen  Vorwürfe  zu 
machen.  Für  den  Moslim  ist  der  Sklavenhandel  göttlich  und 
menschlich  betrachtet  erlaubt  und  sogar  verdienstlich;  diese 
Entschuldigung  hat  der  Europäer  nicht. 

Wir  können  es  andern  überlassen,  über  den  Menschen- 
handel auf  dem  weissen  Flusse  zu  reden;  hier  interessiren  uns 
nur  die  Thaten  eines  gewissen  Mohammed  Cheri  im  Lande 
der  Shiluk,  da  er  auch  mit  Kordofan  in  Berührung  kommt 

Dieser  Mohanmied  Gheri  ist  von  Geburt  ein  Berberiner 
und  war  früher  als  Elefantenjäger  und  Vögelausstopfer  bei 
Europäern  angestellt;  jetzt  hat  er  sich  bei  den  Shiluk  fest- 
gesetzt.  Als  wir  noch  in  L'obeid  waren,  hatten  wir  Gelegenheit 


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Bemerkungen  über  Kordofan.  583 

einen  Mann  zu  sprechen,  der  bei  ihm  gedient  und  den  er  mit 
Briefen  an  seine  Freunde  in  L'obeid  geschickt  hatte.  Es  war 
(1862)  das  dritte  Jahr,  dass  dieser  Cheri  sich  dort  befindet, 
ohne  aber  die  Shiluk  unterwerfen  zu  können;  er  wohnt  in 
Kaka  am  Ufer  des  Flusses.  Die  ersten  zwei  Jahre  zog  er 
sich  jede  Nacht  auf  seine  Schiffe  zurück,  deren  er  stationär 
drei  besitzt,  zwei  Dähebien  und  ein  Nugger  (Lastschiff).  Jetzt 
soll  er  aber  gewillt  sein,  in  seinem  festgebauten  Hause  mit 
50  Mann  zu  überwintern.  Im  Herbste  versammeln  sich  um 
ihn  etwa  4 — 500  Berberiner  und  Araber  und  man  veranstaltet 
eine  Sklavenjagd;  die  letzte  braclite  1500  Sklaven  und  7000 
Kühe.  Kommen  fremde  Kaufleute  dahin,  so  wenden  sie  sich 
an  Cheri  und  vereinigen  ihre  Soldaten  mit  den  seinen;  von 
der  Beute  wird  ein  Drittel  zu  seinen  Gunsten  abgezogen  und 
der  Rest  nach  dem  Zahlverhältniss  der  Soldaten  vertheilt. 
Beim  Anbruch  der  Regenzeit  gehen  die  meisten  Soldaten 
in  ihre  Heimat;  seine  Pferde,  deren  er  etwa  200  haben  soll 
und  seine  zahlreichen  Heerden  schickt  er  mit  denen  der 
Baggära  gegen  Kordofian  hin,  um  sie  vor  den  Fliegen  zu 
schützen.  Die  Sklaven  verkauft  er  in  Ghartum.  Einem  ge- 
wöhnlichen Soldaten  zahlt  er  50  Piaster  im  Monat,  einem 
Elefantenjäger  das  Doppelte,  also  5  Thaler.  Von  Unter- 
werfung der  Shilttks  ist  keine  Rede,  sie  halten  sich  südlicher 
und  sind  ihrem  eigenen  Könige  unterthan.  Mit  Mohammed 
Cheri  sind  sie  natürlich  in  Blutfeindschaft;  sie  haben  ihn 
schon  dreimal  angegriffen.  Sie  haben  kurze  gerade  Stöcke  mit 
einem  Knopf,  die  sie  schleudern,  lange  Lanzen,  wie  sie  in 
Kordofan  zum  Stossen  gebräuchlich  sind,  aber  keine  Bogen. 
Auch  die  Dinka  hat  dieser  Räuberhauptmann  schon  ange- 
griffen und  geplündert. 

Das  Gebiet  von  Scherq  el  Agaba  (das  Ostende  der  Steppe 
zwischen  Nil  und  Kordofan  und  so  auch  seine  südliche  Grenze) 
bis  Kaka  wird  von  den  Baggära  beweidet;  .aber  es  fehlt  jede 
feste  Ansiedlung.  In  der  Regenzeit  ziehen  sie  sich  nördlich 
gegen  Kordofan  hin,   sodass   diese   lange   Strecke ,  ganz   öde 


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584  Bemerkungen  ober  Kordofsn. 

bleibt.  Auf  der  andern  Seite  des  Flusses  weiden  die  Araber, 
die  sich  in  der  Regenzeit  nach  dem  Sennaar  zurückziehen. 
So  viel  über  die  Sklaverei;  es  wird  schwer  halten,  sie  auszu- 
rotten; aber  anstatt  der  Scheinverbote  wäre  es  ge- 
wiss erspriesslicher  und  dem  europäischen  Handel 
zuträglicher,  wenn  streng  richtende  Consuln  die 
Europäer  wenigstens  an  der  Betheiligung  amSklaven- 
handel  verhindern  würden,  so  dass  auch  die  Wilden 
zwischen  freundlichen  christlichen  Kaufleuten  und 
feindlichen  mohammedanischen  Räubern  unterschei- 
den könnten.  Nur  so  wird  der  weisse  Fluss  dem  euro- 
päischen Handel  geöffnet  werden  und  die  Entdeckung 
seiner  Quellen  für  Afrika  und  Europa  Segen  bringen. 


Druck  von  F.  A.  Brockhaas  in  Leipzig. 


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