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Af 4-07O.I2»
l^arbarli College librarg
FROM THE
SUBSCRIPTION FUND
BEGUN IN 1858
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W. Mnnzinger,
Ostafrikanische Studien.
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Ostafrikanische Studien
Werner Munzinger.
Mit einer Karte von Nord-Abyssinien nnd den Ländern am Mareb,
Barka und Anseba.
Zweite Ausgabe.
Benno Schwabe, Verlajgsbuchhandlung.
1883.
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fyPi^ifOo. n
, Subseription fui^d
nüNB, NOV 10 1910
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Herrn
J. M. ZIE'GLfeR
im Palmgarten zu Winterthur
in inniger Verehrung
der Verfasser.
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f!^-'-
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Inhalt.
Sdte
£inleitung 1
Vom Rothen Meer.
Briefe vom Rothen Meer 89
Massna 114
Das Samhar 132
Der Bedni 143
Die BeloQ und der Naib 162
Ronte vom Samhar nach Keren 177
* Reise in's Land der Marea.
Von Keren nach Halhal 185
üeber die Beit Takue 195
Von Halhal nach Kelbetu 210
Ueber das Volk der Marea 222
Bäckkehr nach Keren 250
Ueber die Beni Amer.
Allgemeine Bemerkungen 275
Ethnographisches 278
Politische Verhältnisse 290
Staat und Recht 307
Inneres Leben 323
Ueber die Spraclie To'bddauie.
Ceber das To'becjauie 341
Verbalwurzeln 355
Sobstantive und Adjective 363
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VIII
Seite
Reise durch das Land der Kunima.
Sara^ 373
Von Mai Sheka nach Adiabo 390
Von Az Nebrid nach Mai Daro* 405
Von Mai Daro nach Kassala 420
• Der Mareb 436
Land nnd Volk 448
Verhältniss znm Ausland 456
Aensseres Aussehen der beiden Völker 465
Religion und Recht 469
Blutrecht 4Ö9
Inneres Leben, Wohnung und Geräth 505
Viehzucht, Ackerbau, Handel 514
Nahrung 521
Schlussbetrachtungen 531
Einige Bemeiitungen Ober Etlinograpliie von Kordofan 539
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Einleitung.
Mauziuger, Ostafrik. Studien.
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Die Untersuchungen, die ich in diesem Buche veröffent-
lichen will, betreffen hauptsächlich die Nord^renzen Abyssi-
niens. Sie haben zur Grundlage jene Studien, die ich wäh-
rend eines mehrjährigen Aufenthalte zwischen Meer und Nil
gemacht und neben einzehien Abhandlungen in der Schrift
über Recht und Sitten der Bogos veröffentlicht habe. Meine
Betheiligung an der deutschen Expedition zur Aufsuchung
Dr. VogeFs gab mir die Gelegenheit, die früheren Studien über
diesen Strich zu vervollständigen und viele neue ihnen bei-
zufügen.
Ich vereinigte mich mit der deutschen Expedition den
1. Juli 1861 in Massua; den 13. Juli brachen wir über die
Lebkastrasse nach Keren auf, wo wir die Regenzeit verbrach-
ten. In diese Zeit fällt die Reise in das Land der Marea
(30. August bis 15. September), deren Verlauf und Resultate
in diesem Buche beschrieben sind. Ende October brach die
Gesammtexpedition nach Abyssinien auf; wir verfolgten den
Anseba stromaufwärts bis Tsasega, setzten über den M'areb
bei seiner Quelle und kamen über Godofelassie an den äussersten
Abhang des Sarae zum Dorfe Mai sheka. Während nun von
hier Herr v. Heuglin und Herr Dr. Steudner gegen Süd-
abyssinien aufbrachen, kamen Herr Th. Kinzelbach und ich
durch das Land der Bazen und der Barea über Algeden
nach Kassala (16. November bis 22. December). Die Beschrei-
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4 Einleitung.
bung dieser Reise bildet einen andern Theil dieses Buches.
Von Kassala gelangten wir über Chartum nach Kordofan,
von wo wir unter schon bekannten Umständen umkehrten.
Es ergibt sich aus diesen Daten und dem Inhalt vor-
liegender Arbeit, dass meiiie Untersuchungen sich vorzüglich
mit den Völkern beschäftigen, die von Meer zu Nil die Nord-
grenzen Abyssiniens einnehmen und schon ein Blick auf die
Karte zeigt, welche Interessen sich an diesen Strich knüpfen.
Hier berührt sich das ägyptische Reich mit Abyssinien; hier
streiten sich Christenthum und Islam in unmittelbarer Nähe.
Die Stellung der Grenzvölker wird dadurch fest bestimmt. Als
Bewohner der Tieflande sind sie den Bewohnern Abyssiniens
entfremdet; werden sie auch Aegypten unterthan, so sind sie
doch zu weit vom Mittelpunkt des Staates entfernt, um auch
der Vortheile theilhaftig zu werden, die mit der Abhängigkeit
verbunden sind. So sind sie beiden fremd: im Süden haben
sie eine Monarchie, im Norden eine andere; sie sind von
beiden abhängig und gehören doch eigentlich zu keiner; sie
werden besteuert, aber nicht regiert und so haben sie die Frei-
heit, ihr eigenthümliches Leben, Sitte und Recht treu zu be-
wahren.
Da aber die beiden Monarchien, je fester sie sich gestalten,
sich um so näher rücken, so wird den Kampfplatz die Nord-
grenze Abyssiniens abgeben; der Kampf der rohen Gewalten wii*d
diese Völker, die im Wege stehen, erdrücken und das Grenz-
land zu Einer grossen Wüste machen; so sehen wir Kordofan
von Darfor, Darfor von Wadai durch Wüsten getrennt, weil
kein Staatsvertrag die Grenzen schützt und niemand zwei
Herren zumal dienen kann. Wenn aber Abyssinien sich gleich
Aegypten zum Range einer civilisirten Macht emporschwingt,
so wird die gegenseitige Berührung eine heilbringende und
ihre Vermittler die Grenzvölker sein, die jetzt unbeachtet am
Rand des Hochgebirges sich ausdehnen.
Wir wissen, dass der Kampf zwischen den beiden Ländern
nicht mehr ferne steht und wir werden später auf seine An-
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Eioleitung. 5
zeichen zurückkommen. Um nun die Lage der Grenzvölker
bei diesem Zusammenstoss zu begreifen, müssen wir uns die
Lage der beiden Länder, an die sie stossen, klar machen.
Der Vergleich ist nicht ein willkürlicher; er liegt in der Natur,
welche im VerhäJtniss von Abyssinien zu Aegypten einen ge-
wissen freundlichen und feindlichen Dualismus, bedingt. Beide
sind Nilländer, doch liegt das eine an seiner Quelle, das andere
an der Mündung; beide liegen am Rothen Meer und beherr-
schen sein nördliches und südliches Ende. Beide sind zu
hoher Cultur geeignet, doch ist es Abyssinien durch seine
hohe Lage und seine reichlichen Regen, Aegypten durch seinen
Nu. Die zwei Länder standen immer in einem gewissen Ver-
kehr, dahin deuten die Ruinen von Aksum und die Städte
der Griechen am Rothen Meer; es waren ägyptische Griechen,
die das Christenthum nach Abyssinien brachten, sodass es
noch jetzt von der Mutterkirche, dem Stuhl des Marcus, ab-
hängig ist. Freilich stehen sich, seit Aegypten den Islam an-
genommen hat, die beiden auch religiös feindlich gegenüber.
Wir sehen femer in Aegypten seit undenklichen Zeiten den
Staat, wie er das Individuum herabwürdiget, während in
Abyssinien die zerrissene, gebirgige Natur des Bodens die Ein-
heit verhindert und den Staat auf sein Minimum reducirt.
Deswegen konnte es dem starken Mohammed Ali mit verhält-
nissmässig wenig Mühe gelingen, Aegypten zu regieren, wäh-
rend der abyssinische Theodoros noch immer mit halbem Erfolg
die Anarchie bekämpft.
IL
Wir brauchen uns nicht lange mit Aegypten zu beschäf-
tigen, da es jedem Leser fast ebenso bekannt ist, wie jedes
europäische Land, ein Land fast ohne Geschichte, das eine
Korn- und Baumwollenkammer sein kann für ganz Europa,
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6 Einleitung.
wenn es nicht gar zu schlecht regiert wird. In Aegypten ist
der Mensch ohne Erbarmen der Willkür des Mächtigsten un-
terworfen; wüste Berge und todter Sand begrenzen das frucht-
bare Thal und wehren jeder Hoffnung auf Befreiung; das
offene Land verhindert jeden Aufstand; von allen Seiten iso-
lirt sind die Aegypter auf sich selbst angewiesen und von der
Natur bestimmt, in ihrem schönen Lande Sklavenbrod zu
essen. Man muss aber Aegypten gesehen haben, um die Vater-
landsliebe zu begreifen, die den tausendjährigen wahnsinnigen
Druck ertragen Hess. Die Klagen der Israeliten in der Wüste
sind die jedes Aegypters im Ausland; ich habe nie einen Aegyp-
ter gesehen, der sich nicht nach seinen von Palmen beschat-
teten Nilufern zurückgesehnt hätte; er ist ein gebomer Gärt-
ner, davon zeugen die Gartenanlagen im Sudan ; und wenn das
ägyptische Bataillon nur wenige Monate an einem Ort statio-
nirt, so muss es seinen Gemüsegarten haben. Es ist klar,
dass, wo Auswanderung so schwer, das Ausland so weit und
fremd und das eigene Land so flach unbefestiget ist, von
Freiheit keine Rede sein kann. Dazu kommt der Umstand,
dass der Nil als Gemeingut das überflutete Land zum Ge-
meingut macht, was zum Monopole in der Hand der Mäch-
tigsten führt und dass die Bewässerung, die nur vereinigter
Kraft möglich ist, zu Gemeinwesen zwingt. Aus diesen we-
nigen Facten erklärt sich die ganze ägyptische Geschichte,
die sich trotz der wechselnden Religion, trotz des neuen Volkes
ziemlich gleich bleibt.
Es darf uns daher nicht verwundern, wenn wir die Ge-
schichte der Dynastie Psammetich's zum zweiten Mal von der
Dynastie Mohammed Ali's aufgeführt sehen. Zu Psammetich's
Zeiten bestand eine alte Civilisation ohne Fortschritt, als
Mumie wohl erhalten; die alten Aegypter hatten vor den
jetzigen nicht so viel voraus, wie man sich gern einbildet:
Hütten neben Palästen standen ehemals und stehen jetzt, ge-
heime Wissenschaft neben crasser Unwissenheit I Die Hellenen
waren ihnen durch ihre Lebendigkeit ebenso sehr überlegen,
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Einleitung. 7
als die Franken den heutigeÄ Aegyptern. Da traten zu beiden
Zeiten Regeneratoren auf, einst Psammetich, jetzt Mohammed
Ali; durch List werden sie ihrer Nebenbuhler Meister; beide
sehen ein, dass man von den Fremden lernen müsse; sie
ziehen die Franken in's Land, ob sie Griechen oder Franken
heissen, machen sie zu ihren Soldaten oder wenigstens In-
sknctoren und geben ihnen den Handel frei. Unter dem einen
setzen sie sich in Naukratis fest, unter dem andern in Alexan-
drien. Der lebhafte Verkehr mit dem Auslande macht Dol-
metscher nöthig. Die Toleranz erstreckt sich sogar auf die
Religion; mit Necho's Hülfe werden griechische Tempel ge-
baut, Said Pascha subventionirt christliche Kirchen. Die alten
Schützer des Landes oder vielmehr seine Herrscher, die
Eriegerkaste, wird vernachlässigt und wandert gegen Süden
aus; denn die Mamluken waren auch eine Kaste. Beide haben
ihr Augenmerk auf die Schaffung einer Flotte, sie erkennen
beide die Wichtigkeit des Indienhandels. Beide sind sie
Vasallen des grossen asiatischen Reiches, einst Babylon, jetzt
Stambul und entreissen ihm, wo sie können, ein Stück um
das andere. Denn beider Hauptaugenmerk ist auf Syrien ge-
richtet, um das sie sich vergeblich bemühen.
Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass es ein
Nachfolger Psammetich's war, der den Isthmus zu durch-
stechen begann und eigenthümlich klingt die Sage, dass er
das Werk aufgab, um nicht für Fremde zu bauen; sie klingt
eigenthümlich heute, wo den Aegyptern der gleiche Gedanke
zu kommen scheint. Man darf aber daraus keinen Schluss
ziehen, da die Machtstellung des Mittelmeeres durchaus eine
andere ist.
Man kann Mohammed Ali beurtheüen, wie man will, man
kann ihm seine Thaten nicht ableugnen: er war eine durchaus
praktische Natur; er sah ein, dass die innere Wohlfahrt des
Landes die äussere Machtstellung bedinge; er entdeckte die
wahren Smaragdengruben wieder, die tausend Jahre brach
gelegen hatten; was er damit schuf, sollte vielleicht nur das
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g Einleittmg.
Mittel sein zu kriegerischen Zwecken; aber das was Mittel
war, wird nicht mehr vergehen, während der Zweck mit ihm
zu Grabe ging. Die Anpflanzung der Baumwolle im Grossen
und die Erhebung Alexandriens sind Facten seines Lands-
mannes, des grossen Macedoniers, würdig. Man braucht nur
zu bedenken, dass von der Million Centner Baumwolle, die
jetzt ausgeführt wird, vor dreissig Jahren kein einziger da war.
Mohammed Ali that alles, was ein weiser Despot thun
kann, -aber er arbeitete, wie wenn er ewig leben könnte und
bedachte nicht, dass von oben decretirte Zustände mit dem
Urheber zusammenfallen. Er hinterliess seinen Nachfolgern
ein friedliches Reich, ein Heer und eine Flotte, aber nicht
den Geist der all das beseelte, und es wiederholte sich die
alte orientalische Geschichte von Zufallsreichen, Meteoren, die
ebenso schnell untergehen, wie sie aufgingen. Denn hinter
dem grossen Mann stand kein Volk, das seine Ideen lebendig
aufnahm; die Aegypter mussten zu jeder Neuerung gezwungen
werden; sobald aber der Geist von oben fehlte, war von unten
nichts mehr zu erwarten. Deswegen hat Aegypten als Staat
keine eigentliche Lebenskraft und es fristet sein Dasein, indem
es zwischen europäischem und türkischem Einfluss schwankt.
Uns scheint offen gestanden eine aufrichtige Allianz mit dem
Grossherrn das einzige Heil der jetzigen Dynastie; denn iso-
lirt könnte sie nur leben, wenn immer ein Mohammed Ali
ihr vorstände.
Man kann nur mit dem höchsten Bedauern von den Re-
gierungsacten eines Abbas und eines Said reden; man konnte
freilich nichts anderes erwarten in einer Despotie, wo alles
von Einer Person abhängt und wo die Erbfolge derart ist,
dass der Herrscher nur an seine Familie denken kann. Trau-
rig ist die Rolle, die die Europäer dabei gespielt haben. Man
kann sich keinen Begriff machen von der Verschwendung, die
diese beiden Regierungen charakterisirte, wenn man nicht in
Aegypten gewesen ist; man braucht übrigens nur die Finanzen
des Landes vor sechzehn Jahren mit den jetzigen zu vergleichen.
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Einleitung. 9
während es doch damals zu Land und zur See kriegsgerüstet
dastand. Man muss an die Pyramiden und alle andern un-
nützen Bauwerke des Alterthums denken, wenn man alle die
leer stehenden Paläste ansieht, die eine Laune aufrichten
liess und eine andere wieder öde machte. Selbst nützliche
Unternehmungen wurden immer verkehrt angegriffen; die
Eisenbahn wird so unordentlich verwaltet, dass sie dem Waaren-
verkehr wenig nützen kann; sie scheint nur für die Engländer
gebaut zu sein. Weniger bekannt ist die Geschichte der
Medjidie, der Dampfschiffiahrt auf dem Rothen Meer. Es war
ein sehr glücklicher Gedanke, regelmässige Linien nach den
Haupthäfen desselben zu errichten; sie hätten sich ausser-
ordentlich rentirt und der Handel hätte einen ganz neuen
Aufschwung genommen. Aber die Sache wurde schlecht aus-
geführt; man kaufte schlechte Schiffe, man bemannte sie noch
schlechter; man fuhr sehr unregelmässig, ^sodass der Handel
sich nicht darauf einrichten konnte. Es war sehr gefährlich,
mit einem solchen Dampfschiff zu reisen. Nach kurzer Zeit
ging alles so schlecht, dass Said Pascha die Actien alle an
sich brachte und nun mohammedanisch verwalten liess. • Nach
seinem Tode gingen die Schiffe an die jetzige Regierung über,
die, scheint es, die Sache kräftiger in die Hand nehmen will;
die alten Dampfischiffe werden jetzt alle ausgebessert und mit
neuen Maschinen versehen; es hat sich eine neue Gesellschaft
gebildet; aber trotz der Weisheit des jetzigen Vicekönigs ist
zu. furchten, dass die Unternehmung nicht auf europäischen
Fuss gesetzt wird, solange der Staat sie dirigirt. Denn wenn
in Europa der Staat nie so gut verwalten kann, wie eine
Privatgesellschaft, was ist dann von der Verwaltung der
türkischen Autokratie zu hoffen, wo das Staatsoberhaupt
trotz allen Talentes immer in den Händen seiner Höflinge ist?
Ein Hauptübel Aegyptens femer ist der Zustand der ange-
siedelten Europäer und ihrer Conauln. Die verschiedenen
Consulate sind wie ebenso viele Burgen, die jede ihre In-
sassen gegen die andere wehrt; gegen die ägyptische Regie-
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10 • Einleitung.
rung aber sind sie alle einig. Dass der Europäer nicht auf
den Fuss der Araber gestellt werde, ist recht und billig, da
bei dem Charakter der Mohammedaner und ihrer Gesetz-
gebung niemand mehr seines Lebens und Vermögens sicher
wäre. Aber der Schutz geht zu weit, wenn er die Regierung
gegenüber ihren Unterthanen blossstellt und gegenüber den
Fremden machtlos macht. Er geht zu weit, weil er das Na-
tionalgefiihl beleidigt und es könnte der Tag kommen, wo
nur eine starke Regierung den Europäer schützen könnte, den
Eingebomen und selbst den Europäern gegenüber. Wie kann
sie aber das, wenn sie von allen verachtet ist? Diesen üebel-
ständen ist abzuhelfen, wenn sich Aegypten fester an die
Türkei anschliesst und wenn die Zerstreutheit der Europäer
in eine Masse Consulate aufhörte, indem man nur die Gross-
mächte vertretungsfähig erklärte. Diese Uebelstände werden
sich sicherlich rächen und sie rächen sich schon durch die
grosse Unsicherheit, die in Alexandrien herrscht; wer wird
uns schützen, wenn ein paar Tausend Europäer diese Stadt
für ein paar Tage zu terrorisiren den Muth hätten?
Wir haben einige Uebelstände nur skizzenweise berührt,
da uns das Verhältniss Aegyptens zum Süden hier näher an-
geht. Da wir darauf später zurückkommen, so wollen wir
hier nur erwähnen, dass der Besitz des Sudans durch die
Abtretung der Küste des Rothen Meeres an die Pforte ungemein
von seinem Werthe verlor; wir können nicht verschweigen,
dass auch die Küstenländer dadurch ungemein verloren haben
und sich noch immer nach der ägyptischen Ordnung zurück-
sehnen.
Aegypten hat im Sudan eine grosse Aufgabe, die vollstän-
dig zu erfüllen der Küstenl)esitz nothwendig ist; aber bis
jetzt ist der Sudan fast nur eine Versorgungsanstalt für Offi-
ziere und Beamten geworden; die Handelsstrassen offen und
sicher zu machen, daran hat man noch nicht gedacht. Selbst
der weisse Fluss ist eine Strasse des Fluches geworden; die
Verbindung mit Abyssinien und Darfor wird immer unsicherer,
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Einleitung. \ \
während wenig Mühe sie für immer ordnen könnte iind ein
Blick auf die Karte schon beweist, dass die natürliche Mün-
dung des Handels dieser Länder der Nil ist. Weil das Rothe
Meer der Türkei gehört und noch immer einer regelmässigen
D^npfVerbindung harret, sucht sich der Sudanhandel auch
jetzt noch den mühsamen und zeitraubenden Weg durch die
Wüste, während wenig Mühe nöthig wäre, um ihn vom Nil
Dach Suakin herüberzulenken.
IIL
Jetzt wollen wir nach Süden un9 wendend einen Blick
nach Abyssinien werfen; wir kommen hier auf einen viel un-
bekannteren Boden und müssen weiter ausholen. Um aber
unsem Standpunkt zu bezeichnen, wollen wir unsere Betrach-
tung mit einigen allgemeinen Bemerkungen vorbereiten.
Wenn wir über abyssinische Politik einige Betrachtungen
anstellen wollen, so geschieht es mit dem Wunsche, aus vielen
Erfahrungen und Einzelbeobachtungen einige allgemeine prak-
tische Schlüsse zu ziehen. Wir denken, dass die zerstreuten
Daten, die der Reisende zu sammeln bemüht ist, am Ende zu
grossen Resultaten führen müssen, die für alle gleich nütz-
lich und interessant werden können. Der Wanderer findet
nach langem Irren in engen gewundenen Thälem mit Freude
eine Bergspitze, von wo er sich den gemachten Weg deutlich
machen kann; auch den Naturforscher würde all sein Sam-
meln von Geschlechtem und Arten wenig erbauen, wenn er
nicht die Hofhung hätte, sich daraus ein System errichten zu
können, das ihm den geheimen Gang, den Geist der Natur
oflFen legt. Wenn wir nun von abyssinischer Politik reden,
80 geschieht diess natürlich in Bezug auf europäische Politik;
denn nur insofern sie in Wechselwirkung treten können, hat
unsere Betrachtung ein allgemeines Interesse.
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12 Einleitung.
Die Ereignisse der letzten Jahre, die Revolutionen in
Indien, Djeddap, Syrien hatten zur Ursache den Nationalstolz,
der sich gegen die Fremdherrschaft auflehnt In Europa, wo
die Geographie sich immer nationaler zu gestalten scheint,
wollen nur wenige begreifen, dass die Orientalen auch ihr
Selbstgefühl haben, das sie dem schwachen Fremden zum
Freund, dem starken Anmasslichen aber zum Feind macht
und dass die Religionsverschiedenheit dabei am wenigsten in
Betracht kommt. Wir unterscheiden bei uns Nationen, die
sich fast instinctmässig hassen und doch sieht jedermann ein,
dass z. B. die Franzosen und Engländer in Religion, Sitte,
Sprache und Recht sehr wenig von einander abweichen. Wie
anders stellen sich die Afrikaner zu uns: ihre Farbe steht
uns näher, als ihre Sitten, ihr Recht und ihre Religion.
Die Leichtigkeit, womit die Türken und Araber den Orient
in Besitz genommen haben, darf uns nicht zu einem Trug-
schluss verführen. Der mohanmiedanische Eroberer theilt mit
seinem afrikanischen Unterthanen eine gleiche Denkungsart,
die Zufriedenheit mit dem Bestehenden; er lässt Sitten und
Gebräuche, Recht und Unrecht, Glauben und Aberglauben
ruhig fortwuchern. Er erobert, um sich zu bereichem; er
duldet alles, was diesem Zwecke nicht entgegensteht. Erst
wenn er recht eingewöhnt ist, sucht er seine Religion anzu-
empfelilen, aber immer eher in gütlicher Weise, mit Ver-
sprechungen von materiellem Gewinn. Man muss übrigens
eingestehen, dass der Islam sich sehr der orientalischen Denk-
weise anschmiegt. Der erobernde Europäer dagegen begnügt
sich keineswegs mit dem Tribut; er will alles nach seiner
Weise umgestalten. Unsere Cultur, die doch auch ihre Schat-
tenseiten hat, soll dem Fremden aufgezwungen werden; un-
sere schwerbegreifliche Religion hat Zacken, denen sich gern
Schlacken anhängen. Mit unserer Sucht nach dem Neuen,
unserm Hass gegen das Hergebrachte kommen wir dem Afri-
kaner fremd und abstossend, ja wild vor, während der phleg-
matische Türke sich schnell eingewöhnt.
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Einleitung. 13
Man kann sagen, dass die Politik Europas im Allgemeinen
für den Status quo im Orient ist. Niemand macht aus freiem
Willen neue Eroberungen in entfernten Ländern, die unnützen
Ruhm bringen und wenig materiellen Vortheil. Europa will
in allen Meeren und Zonen respectirt sein; das Ziel ist ein
sicherer freier Handel. Zu diesem Zweck schickt man Flotten
und Heere aus, schliesst man Verträge ab, unterhält man Ge-
sandte und Consuln. Wenn wir nun bei Messung unserer
Kräfte berechnen können, dass Frankreich allein im Stande
ist, alle möglichen Heere von Asien und Afrika zu besiegen,
so kommen wir zum Schlüsse, dass die Barbaren gezwungen
sind, uns ohne Weiteres zu respectiren. Dieser Schluss be-
ruht auf dem Glauben, dass die Barbaren sich der Machtent-
wickelung Europas bewusst sind. Es ist aber eine nicht zu
leugnende Thatsache, dass wenige Ausländer sich einen rich-
tigen Begrifif von Europa machen. Man sieht gewaltige Fre-
gatten und grossmäulige Kanonen, die aber selten sich un-
genirt aussprechen können und sich gewöhnlich mit guten
Worten zufrieden geben müssen. Es ist verlorene Mühe, dem
Barbaren zu erzählen, wie viele Heere und Flotten Europa
ausrüsten kann; der logisch denkende Morgenländer weiss,
dass der Mensch der etwas nehmen kann, es nehmen wird.
Wir sind im Streit mit den Barbaren — so wollen wir
kurzweg die Nichteuropäer nennen — moralisch und materiell
vielfach im Nachtheil. Erstens suchen wir sie, während sie
uns meiden. Wir sind die Angreifer, während die Barbaren
den ganzen Vortheil eines Vertheidigungskrieges haben. Unser
Interesse ist, mit den fremden Völkern in friedlichen Verkehr
zu treten ; wir wollen sie bekehren und bekleiden. Im Gegen-
theil glauben die Barbaren von unserer Annäherung nichts
gewinnen zu können; niemand sucht uns auf. Wenn wir in
die Fremde kommen, wird man uns wohl das erste Mal recht
freundlich aufnehmen. Nach den drei der Gastfreundschaft
heiligen Tagen schauen Wirth und Gast sich näher an und
dann darf man versichert sein, dass wenig Leute, die uns
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14 Einleitung.
kennen, an unserm Besuche Freude haben. Die Geschichte
Amerikas gilt fiir alle Welttheile. Eine Ausnahme macht
vielleicht ein gestürzter Prinz, eine besiegte Partei, die mit
Hülfe der mächtigen Fremden die feindliche Majorität unter-
drücken will.
Da wir uns im Verkehr mit dem Ausland bereichern
wollen, lieben wir den Krieg nicht. Wir furchten kostspielige
Eroberungen; wir erkaufen des Handels wegen den Frieden
selbst mit Unehre. Wir parlamentiren, solange wir können ;
wir sind unschlüssig bis zum Tod. Wie verechieden ist die
Handlungsweise der Barbaren: immer entschlossen, immer
zum Angriff bereit, selbst im Frieden Feind, scheuen sie
keinen Krieg, gleichviel wie; sie kennen keine ängstlichen
Rücksichten; man weicht selbst der Nothwendigkeit nur für
einen Tag, um morgen firisch wieder anzufangen. Da ist
höchstens ein Waffenstillstand möglich; der Krieg ist die Erb-
schaft der Kinder und Kindeskinder.
Wir kämpfen gewöhnlich mit Humanität; wir dürfen nicht
zu sehr erbittern, da wir am Ende doch Frieden haben müssen.
Die Fremden haben alle Vortheile der Barbarei, die kein
Mittel scheut und nichts zu schonen hat. Wir sind weit vom
Schlachtfeld entfernt, die Barbaren sind mitten darin. Für
uns wird es schwer, Truppen weit fortzuschicken; wir sind in
Feindesland, wo jeder Schritt ein Hinderniss ist; wir kennen
das Land wenig. Die Eingebomen im Gegentheil können
jeden Tag neue Heere aus dem Boden hervorrufen und sie
ohne Aufwand ersetzen. Sie fühlen sich in ihrem Vaterland,
wo jeder zu Opfern freudig bereit ist. Der Europäer streitet
für's Geld, der Barbar für sein Vaterland, für seine Freiheit.
Wir kämpfen für eine Sache, die uns von weitem interessirt,
der Barbar kämpft für seine Existenz. Wir haben Unrecht,
er hat Recht und wir fühlen es.
Endlich sieht jedermann ein, dass die Zersplitterung Eu-
ropa in mehrere Nationen, die sich eifersüchtig paralysiren
und die Unbeständigkeit der Regierungen mit immer neuen
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Einleitung. 15
Ansichten und Menschen eine consequente reife Politik dem
Ausland gegenüber fast unmöglich macht. Wir sind zwar
ganz überzeugt, dass die Zersplitterung Europas in viele un-
abhängige Reiche der mannigfaltigen Entwickelung seiner
Cultur und besonders der allmähligen Ausdehnung der indi-
viduellen Freiheit forderlich und geradezu nothwendig ist.
Dem Ausland gegenüber soUte sich Europa als Eine Macht
zu gewissen allgemein gültigen Principien vereinigen können.
Diese Gegensätze zusammengenommen führen uns zu dem
Schluss: dass die Barbaren sich nicht ohne Weiteres von un-
serer Uebermacht überzeugen lassen; dass unser Handel in
der Fremde firiedlicherweise nicht beschützt werden kann;
dass die Protection auf einen Krieg hinausläuft, der nicht
so schnell beendigt werden kann, wie man nach der euro-
päischen Militärmacht annehmen sollte und endlich immer zu
Eroberungen fuhren muss; dass daher die Aufgabe der Diplo-
matie, den Handel ohne Eroberungen zu beschützen, unaus-
führbar ist; und so möchte man sich zu dem Extremen ver-
leiten lassen, eher gar nichts zu thun, da doch die Mittel-
strasse verschlossen ist.
Ein frappantes Beispiel zu dem Gesagten bildet die Ge-
schichte der Ostindischen Gompagnie, die mit wenig Freude
die Thaten eines Clive aufnahm; gezwungen erobert sie ein
Reich, wenigstens so gross wie Europa.
Wir finden also die Lage Europas dem Ausland gegenüber
immer sehr schwierig. Ein Land nach Vernichtung der Ur-
einwohner zu besetzen, dazu braucht es eine Völkerwanderung,
die für Afrika jedenfalls noch sehr ferne liegt. Wir dürfen
also diese Aussicht nicht in Betracht ziehen.
Unterdessen will der Europäer nicht zu Hause bleiben; er
will mit dem Auslande einen einträglichen Handel treiben.
Der Verkehr zwischen Culturvölkern und Barbaren muss noth-
wendig zu Collisionen führen, die endlich in einen ewigen
Krieg ausarten. Verträge sind immer ephemerisch. Wenn
Friedensschlüsse selbst in Europa zwischen civilisirten Nationen
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16 Einleitang.
für niemand auf die Dauer bindend scheinen, was kann man
dann von Verträgen mit Wilden erwarten? Erlittene Belei-
digungen strafen und dann sich zurückziehen, das stellt den
Ansiedler bloss. Sich um nichts zu bekümmern, das ist
Schande und Tod von allen. So finden wdr uns in einem
Labyrinthe, wo es schwer ist einen Weg hinauszufinden. Wir
verlassen Europa mit einer grossen Meinung von seiner
Macht; wir sind stolz, anmasslich, wie römische .Bürger: Dann
kommen böse Tage; man jagt auf uns, wie auf wilde Thiere;
der Hülfeschrei dringt bis Europa; man schickt Flotten aus,
man untersucht; aber am Ende wird die Rache so kleinlich,
dass die Eingebornen uns verachten und wir selber einsehen
müssen, dass wir von vom herein viel bescheidener hätten
sein sollen.
Verhehlen wir uns nicht: die Ursache dieser inconsequen-
ten Stellung Europas ist das Protectionssystem, worunter wir
die durch Gesandten und Consuln kundgegebene Solidarität
der Mächte für die Sicherheit ihrer Unterthanen im Ausland
verstehen.
Stellen wir uns ein Land vor, womit Europa keinen ofii-
ciellen Verkehr hat, wie es z. B. mit Abyssinien fast bis auf
den heutigen Tag der Fall ist. Der Fremde kommt ohne alle
Ansprüche an; er weiss, dass seihe Sicherheit von dem guten
Willen der Eingebornen abhängt; er wird also alle Vorsicht,
alle Bescheidenheit aufbieten, um sich beliebt zu machen.
Die Landeseingebornen, die, so wild sie auch sein mögen,
einen ftiedlichen Charakter immer zu schätzen wissen, werden
den hülf losen Fremden als Gast edehnüthig aufnehmen; mit
einem klugen rücksichtsvollen Benehmen wird er sich immer
gut befinden. Wenn durch Zufall einmal in hundert Jahren
ein Unglück vorkommt, was einem in Europa ja auch zu-
stossen kann, so fällt es doch nur auf die einzelne Person
ohne Zusammenhang mit seiner Brüderschaft in Europa. Des-
wegen sehen wir die Armenier und Griechen, die gewöhnlich
sehr wenig Protection geniessen, allenthalben gut aufgenommen
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Einleitung. 17
und geschätzt, da sie keine falschen Ansprüche machen; sie
werden allmählig wie Landeskinder angesehen, des Land-
rechtes theilhaftig und je nach ihrem Betragen gut oder
schlecht behandelt.
Wie verschieden ist die Stellung des protegirten Euro-
päers. Er weiss, dass Consuln express für seinen Schutz
dahingestellt sind; er glaubt sich sicher, da er seine Nation
hinter sich fühlt Er vernachlässigt die Freundschaft der
Eingebomen, die ihm unnütz scheint; er wird stolz und rück-
sichtslos. Der Eingebome seinerseits wird ihn stets als Fremd-
ling misstrauisch anschauen und da er schnell den Unter-
schied zwischen Consul und ünterthan begreift, den Letztern
eher verächtlich behandeln; das Gastrecht, das er ja selbst
nicht in Anspruch genonmien , wird nie auf ihn angewendet.
Seine Sicherheit hängt einzig und allein von dem Ansehen
seines Consuls ab; stösst ihm ein Unglück zu, so fällt die
Schande solidarisch auf die ganze Colonie; in Folge der Stell-
vertretung werden alle, einer für den andern verantwortlich;
bleibt er ungerächt, so ist die ganze Colonie preisgestellt, da
ihre Sicherheit von der Macht ihres Vaterlandes abhängt.
Was diese Stellung verschlimmert, ist das Misstrauen, das
die Einrichtung von Consuln bei den Eingebomen erregt.
Franken und Barbaren machen sich jeder eine andere Defi-
nition von einem Consul. Die Franken verstehen darunter
einen Staatsdiener, der das Interesse seiner Mitbürger wahren
soll. Die Barbaren betrachten ihn als einen Spion, der das
Land studirt, als einen Vorläufer der Fremdherrschaft. Wir
erinnern uns sehr wohl, dass sich die Abyssinier immer wehr-
ten, wenn wir von Consuln in Abyssinien redeten. Es gibt
keine Consuln in unserem Land, denn wir haben unsere un-
abhängigen Könige, sagen sie. Es scheint ihnen ein Consul
dem Landesherrscher Concurrenz zu machen: begreifen kann
man schon, dass sie sich einen so gewaltigen Begriff von den-
selben machen, da sie an der Küste die Pascha's sich dem
Willen der Consuln schmiegen sehen.
HnnziDg^r, OsUfrik. Studien. 2
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18 Einleitung.
Unsere eigene Definition eines Consuls ist zweideutig: die
Interessen seiner Regierung und seiner Mitbürger wahren, ist
eine doppelte Aufgabe, die sich in gewissen Fallen wider-
sprechen kann. Die Regierung hat allgemeine Zwecke, deren
Erfüllung 'meist weit in die Zukunft reicht, sodass ihre Hand-
lungsweise oft dem Glück der einzelnen Individuen verderb-
lich sein muss. Hat die Gegenwart, das Individuum keine
Rechte?
Hat eine Regierung festbestimmte Absichten auf ein fremdes
Land, wovon es ihr nothwendig scheint, dass es in der Bahn
ihrer Politik irgendwo mitwirke, so schickt sie mit vollem
Rechte ihre Gesandten aus, um sich darin festzusetzen und
niemand darf sich über gestörte Interessen beklagen. Hat
eine Regierung den festen Willen, ohne alle ehrgeizige Ab-
sicht, rein im Interesse der Nationalwohlfahrt ihren Handel
im Ausland energisch zu schützen, so sendet sie löblicher-
weise ihre Stellvertreter dahin, da jedermann damit sein
Leben und Vermögen versichert findet. Der Consul schliesst
mit der Landesbehörde Verträge ab, deren Verletzung zu einem
unvermeidlichen Krieg führt, worüber sich niemand zu be-
klagen haben wird.
Wo man aber nichts thun kann und thun will, wo keine
überlegten Absichten uns zwingen, eine der Gegenwart schäd-
liche Politik zu treiben, wo diplomatische Rücksichten eine
entschiedene Handlungsweise verbieten, wo man Verträge ab-
schliessen, aber nicht auf ihrer Vollziehung bestehen kann, da
bethört man den Kaufinann, den Colonisten mit der falschen
Hoffnung einer Protection, die ihn um so eher in den Ruin
stürzt, je mehr er daran glaubt; da würde man viel besser
thun, gar keine Stellvertreter hinzuschicken, da in deren Ab-
wesenheit jeder Einzelne thun wird, was ihm der Instinct für
seine Sicherheit zu thun befiehlt.
Hier müssen wir mit Schmerzen der Katastrophe von
I)jedda gedenken, deren fünfter Act niemanden befriedigen
konnte, da die öffentliche Meinung im Orient den Sieg unsem
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Einleitung. 19
Feinden zugeschrieben hat und daraus den Schluss zieht, dass
man Europäer ungestraft ermorden kann, da wir unser Blut
mit Geld bezahlen machen. Die Millionen, die wir uns be-
zahlen Hessen, hätten vielleicht immerhin einigen Eindruck ,
zurückgelassen, wenn ihr Gewicht wirklich auf die Stadt
Djedda gefallen wäre; wer kann aber glauben, dass der Sul-
tan die Macht habe, sich von den Arabern entschädigen zu
lassen, wenn man weiss, dass er den eingebornen Fürsten
ungeheure Pensionen zahlt, um nur im Lande geduldet zu
ßein?l
Diese Katastrophe kann man sich kaum aus religiösem
Fanatismus erklären. Die kuhanbetenden Banianen werden
seit Jahrhunderten in Arabien tolerirt, während doch jeder
Araber weiss, dass ihm der Christ religiös genommen viel
näher steht. Der Baniane geniesst trotz seiner verächtlichen
Religion aller Sicherheit, weil er unschädlich ist, während der
eoroi^dsche Ehrgeiz die Unabhängigkeit des Landes bedroht.
Wir glauben nicht, dass sich die europäischen Consuln je
viel in die innere Politik der Halbinsel gemischt haben;
immerhin hat sie die öffentliche Meinung des Landes ange-
klagt, bei den Ereignissen im Hedjas 1857 die einen zu
Gunsten der Türken, die andern zu Gunsten des Scherif mit-
gewirkt zu haben und als Beispiel genügt die Anekdote, dass
die Araber und die Türken in der Schlacht von Mekka, wo
Abd-el-M6taleb gefangen genommen wurde, sich gegenseitig
den Schimpfiiamen: Soldaten des Consuls, Christen zuwarfen.
Der Araber liebt vor seinem Gott seine Unabhängigkeit, die
er von Jahrtausenden her rein erhalten hat und mit Recht
sucht er den Ausländer fem zu halten, dessen Eroberungs-
geist er kennt. Jedenfalls musste bei dieser Gelegenheit klar
werden, dass die Europäer weit entfernt, eine Herrscherpolitik
zu treiben, für ihre eigene Sicherheit besorgt sein müssen
und wir haben durchaus keine Sicherheit, dass sich nicht ein
ähnliches Schauspiel in wenigen Jahren wiederholt.
Wir wollen mit einem Beispiel die Schwierigkeiten, die der
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20 Einleitung.
europäischen Politik im Orient entgegenstehen, darlegen, indem
wir uns fragen, was ihre Bemühungen, den Sklavenhandel im
Rothen Meer abzuschafifen, bis jetzt gefruchtet haben.
IV.
In dem politischen Durcheinanderarbeiten, wo der eine
auflöst was der andere gesponnen hat, ist es wohlthätig zu
sehen, wenn ein und das andere Mal die Grossmächte sich
über eine Idee vereinigen und von allen Sonderinteressen ab-
sehend zusammenhandeln, wie diess bei den Bemühungen um
Abschaffung des Sklavenhandels hervortritt. Und doch hat
keine diplomatische Action weniger Erfolg gehabt, weil im
Orient, wo der Staat das Individuum sehr wenig beschränkt,
mit Verboten wenig erreicht ist. Die Pforte, den Grossmäch-
ten nachgebend, fing an den Sklavenhandel durch hohe Zölle
— ein Drittel des Werthes — zu erschweren und endlich wurde
der Verkauf durch feierliche Fermane verboten — Feuerwerke,
die mehr Licht als Wärme bringen. Die Douane ist der
grossen Einnahme, die sie von den Sklaven hatte, beraubt,
der Handel ist aber keineswegs abgeschafft; der Fortschritt
besteht darin, dass man sich jetzt verbirgt, um Skandal zu
vermeiden. Auf meiner Rückreise von Djedda nach Suez
(Januar 1863) war das DampiBschiff, das der ägyptischen Re-
gierung gehört, mit etwa 200 Sklaven befrachtet, für die nur
die Hälfte des Fahrpreises bezahlt wurde. Sie wurden in Suez
ohne alle Schwierigkeit ausgeschifft. Einige Aegypter, gegen
die ich meine Verwunderung aussprach, sagten mir, man
könne ihnen diess nicht verargen; denn seit der Isthmusdurch*
schnitt den Bauer vom Pflug wegnehme, müsse man Sklaven
einfuhren, um die verlornen Arbeitskräfte zu ersetzen. Auch
im Sudan wird es mit dem Verbot nicht streng genommen;
wir begegneten auf der Strasse von Chartum nach L'obeid
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Einleitung. 21
mehreren Sklavenkarawanen; in L'obeid selbst hätte man Hun-
derte aufkaufen können ; nur werden sie nicht mehr auf dem
Markte ausgestellt.
Weit entfernt, uns darüber zu beklagen, sehen wir ein,
dass die Wegnahme von Hunderten von Sklaven die Handel-
schafit des Rothen Meeres viel zu empfindlich berührt hätte.
Was hätte z. B. in Massua der Kaimakan im Falle eines Auf-
ruhrs thun können mit seinen paar im Lande selbst ange-
worbenen Soldaten? Europäische KriegsschiflFe besuchen wohl
dann und wann den Hafen; sie bleiben aber so kurze Zeit,
dass man daraus keine Beruhigung schöpfen kann.
Wenn auch der Sultan wohl weiss, dass er ohnmäcBtig
ist, seine Fermane im Rothen Meere in Kraft zu setzen, so
kann er sich doch den Rathschlägen seiner Alliirten nicht wider-
setzen. Wenn in Folge davon europäische Colonien nieder-
gemetzelt werden, so sollte man die Schuld wenigstens nicht
auf ihn werfen. Der Zweck wäre viel eher erreicht, wenn
ein paar Kriegsschiffe im Herbst das Meer ernstlich bewachen
würden. Mit der Wegnahme von einigen Barken würde der
Handel von selbst aufhören.
Wir müssen hier der öffentlichen Meinung des Orients ge-
denken — so seltsam sie klingen mag — die glaubt, dass die
Christen die Sklaverei mit dem Zweck ausrotten wollen, das
islamitische Reich zu Grunde zu richten. Untersuchen wir,
was Wahres darin ist. Wenn auch jeder Europäer weiss, dass
die christlichen Cabinete jetzt keine Kreuzzüge mehr machen
and ihre Bemühungen eher einen philanthropischen Zweck
haben, der im Geist der Zeit liegt, so müssen wir doch be-
kennen, dass die Abschaffung der Sklaverei dem Islam einen
schweren Schlag versetzen muss. Es ist unmöglich, das Ver-
lältniss der Leibeigenen zu den Freien in Arabien und Afrika
statistisch zu berechnen. Wer aber gut aufinerkt, wird ein-
sehen, dass es ungefähr das gleiche ist, wie früher in Athen
und Rom. Bedenkt man, dass z. B. in Arabien alle schweren
Dienste und Handwerke von Sklaven ausgeübt werden, dass
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22 Einleitung.
auf jeder Barke drei Viertel der Matrosen Schwarze sind, dass
der Ackerbau und der Hausdienst in ihren Händen ist und die
Hälfte der Frauen den gleichen Ursprung hat, so wird man
sich überzeugen, dass eine plötzliche Befreiung der Sklaven
auf den Araber den gleichen Eindruck machen würde, den es
auf den Bürger von Athen gemacht hätte, wenn er sich .eines
Morgens ohne Leibeigene gefunden. Man muss im Orient nie
von Arabern, Türken, immer nur von Muslimin reden; denn
die Gesellschaft besteht zum grossen Theil aus Farbigen, die
einmal eingewöhnt und fortgepflanzt, auf die Gesellschaft
einen grossen Einfluss ausüben müssen. Man darf nicht ver-
gessen, dass die Blutmischung die Hassen gegenseitig an-
nähert. Genössen die Sklaven den gleichen Nationalzusam-
menhang, wie ihn ihre Herren haben, so würden sie ohne
Zweifel furchtbar werden und schon ihre Auswanderung würde
Städte und Dörfer wüste lassen. Doch stehen die Sklaven
ihren Herren selbst in Farbe, Beligion und Denkungsart so
nahe, dass sie sich nie recht als getrennter Stand fühlen
können. Dann gehören sie einer Unzahl von verschiedenen
Nationen an, was eine Yereinigimg geradezu unmöglich macht;
sie fühlen sich ihren Herren näher, ab ihren Genossen: stehen
sie sich doch in ihrer Heimat Dorf gegen Dorf, Sprache
gegen Sprache, Volk gegen Volk feindlich entgegen, ohne ein
Band, das sie vereinigte. In der Kindheit ausgeführt, jeder
an seinen einzelnen Herrn gewöhnt, meist milde behandelt,
vergessen sie die Freiheit. Die Zustände der amerikanischen
Neger sind davon himmelweit verschieden, wie jedermann
leicht einsehen kann. Fügt man dem Gesagten bei, dass
jeder eingeführte Sklave ein werther Proselyt für den Islam
ist und dass der enge Verkehr mit den Schwarzen den Mo-
hammedanern die Pforte Afrikas au&chliesst, so kann man
nicht leugnen, dass die Abschaffung der Leibeigenschaft dem
Islam selbst ernstlich an die Wurzel gehen muss.
Niemand hat das Recht, der öffentlichen Meinung Europas,
die den Negerhandel verdammt, zu widersprechen; niemand
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Einleitung. 23
kann bezweifeln, dass der Verkehr mit Sklaven in dem Herrn
einen despotischen launigen Charakter entwickelt, der beson-
ders einem Republikaner schlecht ansteht; dass die Mischung
der Farben und die Ausbreitung des schwarzen Elements in
Amerika, sei es geknechtet oder frei, diesem Land sehr nach-
theilig ist; dass endlich die Sklaverei im Orient, wenn sie auch
nichts von der amerikanischen Grausamkeit hat, dem Princip
der freien Selbstbestimmung des Menschen vriiderspricht. Man
kann aber immerhin einwerfen, dass selbst eine gute Idee
immer mit Vorsicht in's Leben geführt werden muss, dass
man in Europa über viel Uebelstände hinaussieht, weil man
das Heilmittel nicht kennt oder fürchtet; dass die Verschie-
denheit von Vermögen, Geist, Muth und Glück der Gleichheit
radical Hohn spricht und reell das Machtverhältniss ändert
Wenn die Weissen untereinander ungleich sind, welche Kluft
muss sich dann zwischen Weiss und Schwarz, Both und
Schwarz aufthun?
Stellt man sich recht den kindischen unzuverlässigen Cha-
rakter des Schwarzen vor, der fast ohne Anlass von stoischer
Ruhe in wahnsinnige Wuth übergeht, seinen Starrsinn, seine
Verschlossenheit, wo Liebe und Hass nie zu unterscheiden
sind, seine seltsame Denkungsart, die kaum sich menschlicher
Logik anpasst, sein gemeines Herz, das Milde eher verwegen
macht, das Härte nur einschüchtert, so kann man begreifen,
dass dieses böse Kind, frei erklärt, in Mitte einer entwickelten
Nation entweder der geistigen Schlauheit und Energie seiner
früheren Herren unterliegen oder seiner materiellen Stärke
bewusst, durch seine Bosheit und grausame Falschheit der
Gesellschaft gefährlich werden muss. Denn einmal unab-
hängig, fehlt dem Sklaven die Leitung des Herrn, anderseits
die Erziehung, die ihm wenigstens Furcht abzwingt
Ein Araber könnte Folgendes zu seiner Vertheidigung an-
fiihren: der Schwarze, der in seinem Vaterland im tiefsten
Schmutz der Barbarei liegt, wird, wenn er ausgeführt ist, immer
einer gewissen Cultur theilhafbig; seine Fetische, seine bösen
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24 Eioleitung.
Geister tauscht er gegen Einen barmherzigen Gott aus, seine
Beschwörungen gegen vernünftige Gebete. Heisst er in seiner
Heimat auch frei, so geniesst er doch seine Unabhängigkeit
nicht, da die unvollkommene Gesellschaft ihm weder seine
Pei'son, noch sein Vermögen sichern kann. Heisst er Sklave,
80 geniesst er doch festbestimmter Rechte, die jeder Muslim
hat. Aus der alten hungrigen Faulheit aufgeschreckt, kommt
er in ein thätiges Leben hinein; weiss er sich hineinzuschicken^
so kann er sich selbst Vermögen erwerben; hat er Muth und
Geist, so ist ihm selbst der Weg zu politischen und mili-
tärischen Ehren und Stellen keineswegs verschlossen. Endlich
begünstigt der Islam die Befreiung als Belohnung langer guter
Dienste. Daher kommt es, dass befreite Sklaven, die sich
unter den Arabern eingewöhnt haben, nie in ihr Vaterland
zurückkehren werden.
Wir wollten mit diesen Bemerkungen einfach darauf hin-
deuten, dass die beste Idee ihre widerwärtige Rückseite hat»
Da die Sklaverei im Leben des Orients eingewurzelt ist, kann
sie nicht mit einem Protokoll wegdecretirt werden ; sie gehört
ganz und gar zur Integrität des türkischen Reiches; halbe
Massregeln können nur schaden.
Woher stammen aber die halben Massregeln? Daraus,
dass die Grossmächte sich der Türkei gegenüber nicht einig
genug fühlen. Man kann die Türken überreden, den Sklaven-
handel zu verbieten, aber die Ausführung dieser Befehle über-
wachen, hiesse die Unabhängigkeit des Reiches angreifen und
dieses grosse Princip darf wegen kleinlicher Interessen nicht
vefletzt werden. Deswegen fahren die Sklavenschiffe unge-
stört im Rothen Meere herum und kein Engländer oder Fran-
zose wagt es sie auch nur anzuhalten.
Wenn man also das Recht nicht hat, den Türken zur Aus-
führung ihrer Gesetze Beistand zu leisten, warum die Gesetze
selbst, von denen man weiss, dass sie auf dem Papiere stehen
bleiben? Die türkische Regierung verbietet den Sklavenhandel,
aber verhindert ihn nicht. Die Unterthanen, die jetzt den
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Einlei fcnng. 25
Handel ausser dem Gesetze treiben, werden gegen die Franken
erbittert; der Handel selbst erhält durch das Verbot einen
grausamen Charakter, den er fiiiher nicht hatte; die Preise
steigen bei dem scheinbaren Risico.
Wir wollen damit sagen, dass halbe Massregeln nur schaden
und ganze bei der Stellung der Diplomatie unmöglich sind.
Wir glauben aber deswegen doch, dass die Gonsuln im Ein-
zelnen viel thun könnten. Vorerst können sie ohne Mühe den
Herrn Abyssiniens bewegen, den Sklavenhandel zu verbieten;
Theodoros hatte es auf die Vorstellungen'des englischen Consuls
hin schon gethan; doch hatte dieser eine nicht genug unab-
hängige Stellung, um sich consequent dafür bemühen zu
können und das Verbot blieb ein leeres Wort. Der erste
beste Consul aber, der dem Kaiser beweist, dass er sich nicht
in die innere Politik mischt, wird es leicht haben, das Verbot
wirksam zu machen und dem Menschenhandel wäre damit eine
bedeutende Quelle abgeschnitten. Femer wird jeder Consul
die Macht haben, an der Küste alle Sklaven von christlicher
Abkunft frei erklären zu lassen und das Privilegium, das bis
jetzt nur mohammedanischen Freigebornen zugute kam, auch
auf die Christen auszudehnen. In dieser Hinsicht hat Hen*
Barroni, früherer englischer Consularagent in Massua, grosses
Verdienst, eine grosse Anzahl Christen verdankt seinen Be-
mühungen die Freiheit. Drittens muss immer wiederholt
werden, dass die Consuln vorerst mit aller Strenge gegen die
Europäer, die mit Sklaven handeln, einschreiten, dass sie
zuerst im eigenen Hause Ordnung schaffen müssen, bevor sie
Fremde belästigen: So viel einstweilen als Beispiel, was unsere
PoUtik kann und was sie nicht kann.
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26 Einleitung.
V.
Indem wir nun zu den Zuständen Abyssiniens übergehen,
erlauben wir uns, aus unserem Skizzenbuche einige allgemeine
Betrachtungen einzuschalten.
* »Wer je Abyssinien gesehen hat, wird immer mit Bewun-
»derung an diese afrikanische Schweiz zurückdenken, am süd*
»liehen Ende des Bothen Meeres gelegen schroff gegen dessen
»Gestade hinabstürzend, langsam gegen die oberägyptischen
»Wüsten sich abstufend. In breiten Terrassen erhebt sich Abys-
»sinien bis über 10,000' und seine Gipfel lassen unseren Alpen-
»königen nur den ewigen Schnee. Die weiten Hochebenen
»sind durch Klüfte zerrissen; die wilden Winterströme von
»tropischem Begen geschwollen graben sich tiefer und tiefer
»schauerliche Abgründe und die Zeit erweitert die schmalen
»Klüfte zu breiten Tiefthälem, die mit der Pracht ihrer tropi-
»schen Vegetation uns verfuhren. Aber wehe dem Anwohner!
»Da lauert die geringelte Boa auf dem schmalen Weg; da ist
»das Jagdgebiet des Löwen und der Elefant weidet friedlich;
»da schreckt dich das blasse Fieber aus dem paradiesischen
»Traum. Die Natur will den Menschen hier nicht zum Zeugen
»ihrer Pracht haben. Und doch wie schön! Das hohe schilfige
»Gras verschlingt den Heiter; nur mühevoll tritt er sich einen
»Pfad, wenn nicht die Elefentenheerde ihn schon geebnet hat.
»Die weitästige Sykomore mit ihrem Ungeheuern, hochragen-
»den Stamm und den breiten Blättern bietet ihre Feigen und
»ladet in ihren ewigen nächtigen Sdiatten. Die ast- und
»blätterarme Adansonia verwundert dich mit ihrem fetten Leib
»und ihrem mürben kraftlosen Holz. Hier ist Urwald; hier
»liegen wuchtige Stämme der Verwesung preisgegeben und
»versperren den Weg. Frisch sprosst das neue Gras aus der
»nie abgeräumten, nutzlos verfaulenden Weide. Hab Acht! der
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Einleitung. 27
»Domenbaum höhnt deiner Kleider mit den krummen Stacheln
»und grausame Disteln und Nesseln verletzen den unbedach-
»ten Fuss.
dWo aber das Thal sich verengt und das Wasser mühsam
»über die Granitblöcke von thurmhohen senkrechten Schiefer-
»felsen sich einen kargen Weg bahnt, da ist es dunkel fast
»den ganzen Tag; denn nur wenige Mittagsstunden dringt die
»Sonne in die schauerliche Tiefe. Hier wird selbst der Vogel
»scheu und stumm und die am spärlichen Wasser sidi labende
»Gazelle lauscht ängstlich auf bei jedem Geräusch in der
»fluchtwehrenden Enge. Da ist ÜEtst ewige Stille, ununter-
»brochen von dem Murmeln des sich in^s Freie drängenden
»Baches, selten gestört von dem Geheul der an den jähen
»Abgrund sich klammernden Affen.
»Weh' dem, der hier weilt in der Regenzeit; von langer
»Fahrt müde bettet sich der Wanderer in dem Thal. Er ist
»von der Hitze so erschöpft, selbst diese finstem Gründe
»laden ihn zur Ruhe, im heissesten Mittag wi^t er sich in
»süsse Träume; seiner harret das freundliche Heim — da
»dröhnt es dumpf im Hochgebirg; ein Schuss, ein zweiter,
»dann der schreckliche den ganzen Himmel durchrasende
»Donner.
»Doch furchtet er noch nicht, das Gewitter ist ja so fern.
»Er weilt und träumt, er sei schon bei den Lieben. Da erhebt sich
»von oben ein Rauschen, wie wenn der Wind durch die Blätter
»führe. Es wird lauter, gewaltiger, es zischt, es prasselt, es
»toset, es brüllt, als wenn die bösen Geister anfuhren — nun
»naht es, mauergleich, schäumend und sich überstürzend —
»es ist der Waldstrom. Der Bach vom Regen angeschwollen
»ist ein mächtiger Strom geworden, doch seines kurzen Lebens
»gedenk, stürzt wild und feurig er das Thal hinab; die tief-
»gewurzelten Sykomoren sinken unter seiner Wucht und die
»grasige Ebene wird von Schutt überrollt; das Wasser füllt
»das ganze Thal und langt hoch an die Felsen hinauf.
»Weh dir, du armer Mann, wo solltest du hin entfliehen?
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2g Einleitung.
»Hast du die Flügel des Adlers, hast du die Krallen des Affen,
»der über dir schwebend deiner Noth höhnt? Bist du im
»Bunde mit den Geistern, dass sie dich forttrügen? Hier ist
»sie nicht dein Knecht, die Natur, sie ist dein dich vemich-
»tender Feind. — Es sind wenig Jahre her, dass ein ganzes
»Zeltenlager, in einem breiten trockenen Strombett gelagert,
»die Beduinen mit ihren Heerden und Zelten von dem unge-
»ahnten Waldstrom überfallen und fortgerissen wurden. Hun-
»dert Menschen, Tausende von Ziegen wurden seine Beute.
»So sind die Tiefländer Abyssiniens; wie feindlich und
»doch so schön. Wie manchen Tag habe ich in dem schat-
»tigen Wald neben der Quelle gelegen und den bunten lang-
»geschweiften Vögeln zugeschaut oder im dichten Dombusch
»dem plumpen Nashorn, der spiralhömigen Antilope aufge-
»lauert! Wie manche überschwengliche Emdte haben wir der
»Urwildniss abgelockt und wie reichlich belohnte sie die kleine
»Mühe, die grosse Gefahr!
»Doch besser ist es wohnen in dem kalten, vom Wind ge-
»fegten, baumlosen, wildarmen Hochland. Da sengt keine über-
»mächtige Sonne das immer grüne Gras; aber die Natur ist
»massiger, spärlicher: keine wuchernde Vegetation, die oft
»dem Menschen feindlich wird. Das Wasser sprudelt unge-
»sucht aus dem Boden; die schwarze Erde gibt viel, aber
»fordert den Schweiss; die kalte Luft ermöglicht die Arbeit.
»Der Mensch ist stark und kann auch fleissig sein; der Acker-
nbau .ladet zu Ruhe und Frieden und Dorf und Dorf unzähl-
»bar verwirren den überzählenden Blick. Hier zeigt sich die
»Natur vom Menschen besiegt; das ßaubthier hat sich schon
»lange in die Wildniss zurückgezogen. Ein erfreulicher Blick;
»doch massig schön, wie der Bewohner, den die rauhen
»Winde schwärzen und selbst die Frauen hat die rauhe Ar-
»beit männlich gestaltet.
»Das ist das eigentliche Abyssinien, das schönste Land
»von Afrika; seine Bewohner sind ganz verschiedenen Ur-
»sprunges, doch hat sie das Klima einander ähnlich gemacht
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Einleitung. 29
»und das Interesse dem Ausland gegenüber geeiniget. In den
»ersten Jahrhunderten unserer Aera stand es auf der Höhe
»der damaligen Cultur; das Christen thum, das ununterbrochen
»von Aegypten den Nil hinauf bis hierher reichte, schuf einen
»stetigen Verkehr mit dem römischen Reich. In Glauben,
»Sitte, Recht und Feinheit des Lebens war es uns ähnlich.
»Doch seit es von dem Abendland durch die Fortschritte des
»Islams abgeschnitten ist, blieb seine Entwickelung stehen und
»wie, wer steht, zurückgeht, so ist auch Abyssinien zurück-
»gegangen und ist verwildert, wenn es auch jetzt noch Europa
»viel näher steht, als dem nachbarlichen Afrika. Es ist um-
»ringt von Feinden, wie die Rose von den Domen; im Norden,
»wo das Hochland in Stufen abfällt, und endlich in unabseh-
»bare Tiefebenen sich endet, da wohnen mohammedanische
»Völker, meist rebellische Kinder des Hochlandes, die hell-
»farbigen Habab, die Leute von Barka; ihnen folgen noch
»nördlicher die altnomadischen fremdredenden Hadendoa. Im
»Westen begrenzt Abyssinien das Nilland, türkischer Herr-
»schaft unterworfen; im Südeji das halb mohammedanische,
»halb teufelanbetende Reitervolk der Galla. Wohl brauchte
»es Jahrhunderte, das Hochland vor allen diesen Feinden dem
»Christenthum zu bewahren. Doch jetzt steht Abyssinien
»gegen aussen unabhängig da; es hat nur die innern Feinde
»zu furchten, die Anarchie, den freiwilligen Verfall seiner
»Religion und Sitte, den Selbstmord.
»Ueber dieses Land darf ich wohl reden; denn auch
»sein Mensch steht uns kaum so fern. Er denkt, er träumt,
»er liebt und hasst ja auch; er fühlt, wie wir, nur roher und
»oft viel natürlicher und freimüthiger. Soll denn das schwarze
»Gesicht immer ein schwarzes Herz verbergen? Auch dort
»findest du mitleidige Herzen! Wenn der schneidende Abend-
»wind dichte Nebel auf die Hochebene hinabregnet, da kann
»der Wegfahrer getrost anklopfen und auch des erfromen
»Bettlers harret ein freundlicher Gruss, ein fröhlich loderndes
»Feuer und ein warmes in Milch eingebrocktes Brod. Auch
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30 Einleitung.
»dort gibt es Ritter, Beschützer der Frauen und Schwachen.
»Der Misshandelte findet seinen Advocaten. Auch Freunde
»kannst du erwerben, wenn auch nicht schnell, die am Tag
»der Gefahr dich beschirmen. -Treue Liebe, glückliche Gatten
Dsind nicht selten und wie oft folgt die trauernde ' Gattin
»ihrem Herrn freiwillig in den frühen Tod! Du siehst in
»Hungersnötheh die Mutter mit hohlen Wangen, die Kinder
»frisch und munter: denn das letzte Brod spart sie für ihre
»Lieben auf. Unermüdet wacht die Gattin bei ihrem kranken
»Mann. Brave Söhne opfern jahrelange Arbeit, um ihrem
»alten Vater sorgenfreie Tage zu bereiten. Gefühl fehlt nicht
»und auch nicht Muth und Frohsinn; sie singen und tanzen
»die stemenheUe Nacht durch; Bhapsodien loben den Helden,
»den Löwentödter, den Menschenbezwinger. Treude und Leid
»wird ausgesungen; das Lied dient auch der Klage; es be-
ngleitet die Arbeit; es bejubelt die Hochzeit.«
YI.
Schon aus der bisherigen Besprechung ergibt sich, dass
Abyssinien im Vergleich zum übrigen Afrika sehr gut und
sehr schlecht bedacht ist Es vereiniget die verschiedensten
Klimate der Welt, die südliche Hitze, die nordische Kälte.
Wenn ihm auch die schiffbaren Flüsse mangeln^ so hat es
Ueberfluss an fiiessendem Wasser. Der von tropischen Regen-
güssen reichlich getränkte Boden versagt selten eine schöne
Emdte. Wenn das Hochland besonders Weizen und Gerste
erzeugen kann, eignet sich das Niederland für die edleren
Gulturpflanzen, besonders für die Baumwolle, da der in uner-
messlichen Ebenen ausgestreckte fette Alluvialboden unver-
siegliche Brunnen in sich verbirgt und die vom Regen des
Oberlandes reichlich genährten Ströme künstlich abgeleitet
das Flachland überschwemmen. Das Kliina besonders im
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Einleitung. 3J
Hochland ist sehr gesund und auch dem Europäer äusserst zu-
träglich, im Gegensatz zu dem fieberreichen Westafrika, das
uns zu yiel Opfer kostet. Der Volksgeist ist durchaus dem
Ackerbau zugewandt. Ist die Industrie auch in ihrer Kind-
heit, so muss man doch gestehen, dass sich der Abyssinier
ohne fremde Zufuhr warm und gut bekleiden kann. Nur der
Luxus wendet sich an's Ausland. Die Goldarbeiter, Maurer,
Schmiede und Drechsler weisen Arbeiten vor, deren sich kein
europäischer Handwerker schämen dürfte. Die natürlichen
Talente des Volkes liegen, der Concurrenz und des guten Bei-
spiels entbehrend, faul und unentwickelt darnieder. Wenn
auch der Handel in Folge der Unsicherheit immer mehr ab-
nimmt, so soll doch niemand glauben, es ständen die Abys-
sinier ihren Brüdern, den Juden, Phöniziern und Arabern, an
Krämergeist nach. Schulen sind selten. Wie in unserem
Mittelalter lernen nur die Geistlichen und die Aerzte lesen
und schreiben und ihre Wissenschaft dient ihnen nur, um die
Psalmen David's zu recitiren.
Die abyssinische Schrift ist sehr complicirt; da die Con-
sonanten mit Buchstaben bezeichnet werden, die je nach dem
angehängten Vocale sich umgestalten, so kommt das vollstän-
dige Alphabet auf nahezu 200 Buchstaben, die ein yiereckiges
Lapidaraussehen haben. Die altäthiopische Sprache ist sehr
dem Arabischen, mehr noch dem Hebräischen verwandt; dem
Lateinischen ähnlich lebt sie nur noch in drei Töchter-
sprachen und wird als ausschliessliche Gelehrten- und Kir-
chensprache fleissig studirt. Die Abyssinier haben nur eine
theologisch -ascetische aus dem Griechischen übersetzte Lite-
ratur; doch entbehren sie nicht der Geschichte, die in Chro-
nikstil gehalten und fortgesetzt wird. Die abyssinischen Theo-
logen sind sehr stark in spitzfindiger Dialektik ^ ihre Methode
ist das Auswendiglernen, sodass man Leute findet, welche die
ganze Bibel vom Anfang bis zum Ende auswendig hersagen
können. Disputationen über Religion sind sehr beliebt und
es mahnt an die Byzantiner, wenn man liederliche Soldaten,
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32 Einleitung.
gefallsüchtige Damen und hohe stolze Herren in allem Ernst
über die ztvei Naturen in Christus oder über die Procession
des heiligen Geistes disputiren hört.
Uebrigens sind die Abyssinier sehr wissbegierig, sie lesen
gern, wenn ihnen nur Leetüre geboten wird; sie lernen mit
unerhörter Leichtigkeit und bewunderungswürdig ist die eiserne
Beharrlichkeit, mit der sie ein ganzes Leben an Einem Zwecke
fortarbeiten. Wir Europäer sind ungestüm; wir vollenden,
was der Augenblick erlaubt; wir verlieren schnell die Geduld.
Die Unverdrossenheit der Studenten in Gondar, die lange
Jahre durch unablässig vom Morgen früh bis in die Nacht
hinein mit ihren Professoren sich einschliessen und des Abends
in der Stadt herumziehen, um ein nothdürftiges Abendbrod
sich zu erbetteln, könnte manchen europäischen Schüler be-
schämen. Ob Wissbegierde allein zu diesem Fleiss verhelfe
oder auch die heftige Sucht hinaufzukommen, immerhin ist
sie ehrenwerth und lässt auch Besseres hoffen. Geduld ist
eine durchaus abyssinische Tugend.
Den grossen Gaben hat die Natur ihren grössten Werth
genommen, da sie das Land der Communicationsmittel be-
raubt hat. Es fehlen die Flüsse, die sich schiffbar in das
Rothe Meer ergiessen; es fehlen die allmählig nach Osten
sinkenden Ebenen, die gegen die Küste auslaufend den KameeU
transport ermöglichen. Die Flüsse verhindern in der Regen-
zeit allen Verkehr, Strassen- und Brückenbau bedingt aber
eine dauerhafte, erleuchtete Regierung. Denn bei der be-
stehenden Unordnung sichern die unzugänglichen Felsenburgen,
die reissenden Ströme, die schlechten Wege die Aufrührer,
die selbst die alten von den Portugiesen erbauten Brücken
abbrechen und die natürlichen Strassen unzugänglich machen.
Eine vernünftige Regierung aber vorausgesetzt, scheint der
Bau von fahrbaren Strassen nicht sehr schwierig, besonders
vom Norden her, wohin das Hochland nur sehr langsam ab-
fällt und der Gewinn wäre ungemein gross. Die Nähe Arabiens
würde eine bedeutende Getreideausfuhr möglich machen. Der
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Einleitung. 33
GaUakaffee würde schon seiner Billigkeit wegen in Aegypten
Torherrschend werden. Das Niederland würde die nöthige
Baumwolle erzeugen und selbst exportiren können, während
die Spinner sie jetzt theilweise von Indien beziehen. Der
durch leichtere Communication gesicherte Friede würde die
Soldaten dem Pfluge zurückgeben und in wenig Jahren die
Bevölkerung des Landes, das auf dem Flächenraum Frank-
reichs nur vier Millionen Einwohner zählt, verdoppeln, während
sie jetzt in Folge des Bürgerkrieges sichtlich abnimmt und
ganze Provinzen öde und wüst liegen.
Man hat das heutige Abyssinien oft mit dem Mittelalter
verglichen und wirklich haben sie das Faustrecht, die Unord-
nung, den kriegerischen Geist, die moralischen und religiösen
Begriffe gemein. Man konnte es aber dem Mittelalter wohl
ansehen, dass es die Keime der Entwickelung in sich trug
und eher einem rohen Jüngling ähnlich sah, der trotz seiner
Fehler viel verspricht. Viel richtiger kann man Abyssinien
dem Frankenreich zur Zeit der Merovinger vergleichen. Die
alte römische Gultur war verschwunden; die neuentstandenen
Reiche hatten keinen Bestand, da sie nur auf der rohen Ge-
walt fussten. Das Königthum war noch zu jung, um durch
seine Salbung einzuschüchtern. Da der christliche Glaube'
noch keine festen Wurzeln geschlagen hatte, war auch die
Kirche noch keine Macht und ihre Hierarchie hatte im Feu-
dalsystem noch nicht ihren Platz eingenommen. Eine hoff-
nungslose Anarchie machte sich breit. Wenn auch Karl der
Grosse alle die Länder vereinigte und eine Soldatenmonarchie
gründete, so konnte der grosse Mann doch nicht verhindern,
dass dem Frühsommer ein langer trauriger Winter folgte,
wältrend dem erst die Keime eines dauernden Staatslebens
sich entwickelten und aufsprossten.
Die Garantien eines Staatslebens, ohne welche es zusammen-
fallen oder von aussen unterstützt werden muss, sind ver-
schiedene: ein Gleichgewicht der Kräfte; Kirche, Staat, Adel
und König, die sich gegenseitig paralysiren; auf Gewohnheit
Maoiinger, OsUfrik. Stadien. 3
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34 Einleitung.
beruhendes Recht erblicher Herrschaft; Obereinfluss der Reli-
gion; Vaterlandsliebe; politische sich als Parteien bekämpfende
Meinungen. Untersuchen wir, wie Abyssinien in Bezug hierauf
constituirt ist.
Man weiss, dass Abyssinien bis in die Mitte des letzten
Jahrhunderts von Einer Kaiserfamilie regiert wurde, deren
Gewalt sich ziemlich regelmässig von Vater auf Sohn fort-
erbte. Der Volksglaube>, der sie von Salomon und der Kö-
nigin von Saba abstammen lässt, verlieh ihr die religiöse
Sanction. Wenn sich die Kinder dieser Familie auch oft um
die Erbschaft stritten, so konnte es doch keinem Fremden in
den Sinn kommen, ihr Recht auf den Thron zu bestreiten
oder sich an ihre Stelle^ zu setzen. Ras Mikael war der erste
Majordomus, der die Autorität der Kaiser auf die Seite stel-
lend sich zum factischen Herrn des Landes machte. Indem
er Kaiser jedes Jahr ein- und absetzte und sie jeder Autorität
beraubte, versetzte er der Legitimität den empfindlichsten
Schlag. Seitdem haben die sogenannten Hazie dem Namen
nach fortregiert, bis ein Emporkömmling Namens Cassa ganz
Abyssinien sich unterwarf und sich endlich auch unter dem
Namen Theodoros die Kaiserkrone aufsetzte. Dadurch ist die
legitime Linie auch dem Namen nach abgeschafft und Abys-
sinien der Einen Lebensgarantie, der Legitimität, beraubt
worden, da fortan jeder glückliche Soldat König werden kann.
Femer hat Abyssinien ganz demokratisches Aussehen. Der
Adel hat seinen Ursprung in der Unterdrückung der Urein-
wohner durch einen neu eingewanderten Stamm, der sich
Land und Leute theilte. Abyssinien ist aus mehreren Völker-
schaften zusammengesetzt, die sich untereinander dulden. Hat
dann und wann ein Stamm das Principat errungen, so konnte
er sich doch nie feudal ausbilden. Die Erblichkeit der Stellen,
die übrigens nie dauernd anerkannt war, kann für sich noch
keine Aristokratie gründen. Abyssinien hat nie politische
Ständeunterschiede gekannt; der Bauer, der Kaufinann, der
Hirte, der Häuptling wechseln jeden Tag ihre Rollen. In
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Einleitung. 35
Städten, deren Bevölkerung täglich sich ändert, konnte sich
kein Bürgerthum entwickehi. Die Kirche, so mächtig sie ist,
kann nicht den Einfluss ausüben, den sie auf unser Mittel-
alter gehabt hat. Der Bischof ist ein Ausländer, ein Kopte.
Wenn der Kirdienbann auch immer noch seine alten Schrecken
bewahrt hat und die Freundschaft des Bischofs von den
Fürsten eifrig 'nachgesucht wird, so fände ein anderer Grego-
rius nie einen Klerus, der an keine materiellen Interessen
gebunden, sich bei jedem Aufruf wie Ein Mann um seine
Fahne schaarte. So kann auch von dieser Seite dem Lande
die Regeneration nicht kommen.
Wenn Abyssinien auch seit den ältesten Zeiten als Ein
Reich existirt, so haben sich doch seine Bewohner nie als
Ein Volk betrachtet. Daher darf man kaum von abyssinischem
Patriotismus reden, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass
jeder Mensch die Erde, wo er geboren, die Sitte, worin er
erzogen ist, liebt und dem Fremden abgeneigt ist. Wie eine
Völkermasse durch Zufall zu Einem Reich verbunden, durch
Gewöhnung und gemeinsame Interessen zu Einem Volke wird,
80 muss ihre Vaterlandsliebe dem Ganzen Kraft und Zusam-
menhang verschaffen, wie wir es an Frankreich erfahren haben.
Wenn diese Völkermasse aber trotz ihrer politischen Einheit
sich geistig immer getrennt fühlt, so wird sie ihre provinzielle
Vaterlandsliebe eher auseinanderhalten und selbst an der po-
Utischen Einheit nagen. Diess ist nun der Fall bei Aethiopien,
das aus mehr als zwanzig Völkern zusammengesetzt ist, die
sich trotz zweitausend Jahren immer fremd gegenüberstehen
und nur dem Ausland gegenüber einig sind. Man sollte kaum
glauben, dass das Volk der Kamant von wenig tausend Seelen,
inmitten der christlichen Amhara angesessen, bis jetzt seine
eigenthümliche Sprache, seine Sitten, sein Heidenthum Jahr-
hunderte treu bewahrt hat.
Endlich wird niemand bewusste Sittlichkeit und die Selbst-*
Verleugnung, die das Sonderinteresse dem allgemeinen Wohl
aufzuopfern weiss, in Abyssinien suchen. Wir sehen das Reich
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36 Einleitung.
in feindliche Stämme, in Localinteressen zersplittert. Wo es
keine politischen Meinungen gibt, darf man auch nicht an
Parteien denken. Die einzige politische Meinung des Volkes,
worin alles einig ist, ist eine unendliche Sehnsucht nach Ord-
nung und Friede im Interesse des materiellen Wohles. Die
einzige Klage ist der Mangel an einer kiüfdgen einheitlichen
Begierung mit regelmässiger Verwaltung. ' Diese Tendenz des
Volksgeistes aber stellt einen Militärdespotismus in Aussicht.
Die Völker, der Fehden und des Blutes müde, geben sich mit
dem härtesten Joche zuftieden, wenn es nur den Bürgerkrieg
verhindert. Da aber die Natur der Dinge es mit sich bringt,
dass Soldatenreiche keine innere Lebensfähigkeit haben und
so meistens mit dem Gründer fallen, so muss sich der König
von Abyssinien das Beispiel Mohammed Ali's nachahmend einen
Halt von aussen suchen, wenn er die Ordnung, die er ge-
brächt, das Werk der Reform, das er begonnen, seinen Erben
hinterlassen will.
VII.
Jetzt müssen wir deutlich machen, welche Stellung der
jetzige König von Abyssinien zu diesen Verhältnissen ein-
nimmt.
Als König Theodoros vor etwa acht Jahren fast ohne Schwert-
streich ganz Abyssinien sich unterworfen hatte und sich in
Gondar die Kaiserkrone aufsetzte, da erschien der Mann, der
vom einfachen Soldaten mit vieler Kühnheit, eisernem Cha-
rakter und unendlichem Glück auf den Thron sich geschwungen
hatte, dem Volk als ein von Gott gesandter Erlöser. Denn
auch Abyssinien hatte seine prophetische Sage von einem
kommenden Herrn, der dem Lande seine alte Grösse wieder-
geben sollte.
An die Stelle der alten Provinzfürsten trat Theodoros mit
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Einleitung. 37
dem Plan, dem Lande seine politische und religiöse Einheit
wiederzugeben; er will dessen natürliche Grenzen vom Nil bis
zum Rothen Meer herstellen. Er bedroht die türkischen Grenz-
provinzen. Er sucht die Verwaltung zu centralisiren. Er ver-
bietet den Zweikampf der ihm unterworfenen sich befeinden-
den Stämme. Feind der alterblichen Fürstenfamilien stellt er
jedem Provinzstatthalter überwachende Legaten an die Seite.
Um Rebellion unmöglich zu machen, verbietet er die Waffen-
einfuhr und confiscirt alle vorhandenen Feuergewehre. Seine
Lieblingsidee ist, die Macht des Islam zu stürzen; wenn er
ihn auch nicht ausrotten kann, so verhindert er seine weitere
Ausbreitung, indem er ihn seines Ansehens beraubt. Er schlägt
seine Schlachten mit einer Kühnheit, die nur ein Fatalist
haben kann, doch ermöglicht er den Sieg durch seine geniale
Anordnung, Sein Glück grenzt so sehr an Wunder, dass ihn
die Abyssinier den bösen Geistern verbündet glauben und
Theodoros thut alles, diesen Wahn zu verstärken; er prophezeit
seine Siege voraus, er zieht sich in die Einsamkeit zurück;
er lauscht verkleidet den Anschlägen seiner Feinde und mächt
sie dann mit seiner Allwissenheit betroffen. Er ist ein Freund
des Soldaten und theilt seine Mühen im vollsten Mass; er
setzt sich für einen Feldherm nur zu sehr der Gefahr aus,
wenn er nicht an sein Schicksal glaubte. Er ist verschwen-
derisch, wo es seinen Namen verherrlichen kann. Er ist ein
Freund von Eilmärschen undUeberraschungen und verzeiht auch
seinen Leuten die lluhe nicht. Er richtet weise, schnell und
streng ohne Rücksicht der Person. Er hört alle Klagen an
und selbst der ärmste Bauer kann sich gegen seinen Fürsten
beklagen. Aber wehe dem der schuldig befunden wird, wehe
dem Rebellen, dem Meineidigen, dem falschen Zeugen; der
Tod folgt der grässlichsten Verstümmelung. Theodoros will
das Land durch Schreck und Blut reformiren.
Es gibt keine angesehene Familie in Abyssinien, die nicht
verwaist wäre. Wie viel Fürsten starben den langsamen
Tod der Missethäter. Glücklich jene, die auf dem Schlacht-
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38 Einleitung.
feld als Männer fielen. Die alten Beherrscher des Volkes
liegen auf den Bergfesten gefangen. Wie oft hat Theodoros
seinen eigenen Feldherren zugeprahlt: Meint Ihr, mein Reich
stütze sich auf Euren Arm? Es ist kein Einziger von Euch,
den ich nicht in Trauer gestürzt hätte; kein Einziger, dem
ich die Blutrache nicht schuldig wäre; Ihr möchtet alle auf
mich einstürzen und mich vernichten und dennoch dient Ihr
mir, solange ich meine Macht von Gott habe und seine Heer-
schaaren meine Schlachten schlagen.
Und doch regiert Theodoros schon fast zehn Jahre und
Abyssinien harrt noch immer des Friedens. Wo der Kaiser
ist mit seinen Hunderttausenden, da rührt sich kein Feind
und niemand wagt ihm in's Gesicht zu schauen. Aber seine
Abwesenheit benutzen die Rebellen, die immer reisiges, beute-
lustiges Volk finden, und brandschatzen die Provinzen. So
hatte im Tigre Fürst Negussie sich festgesetzt; eine mächtige
Armee stand ihm zu Gebot. Während Theodoros im fernen
Süden sich abmühte, war er als König von Halbabyssinien
anerkannt, und erst die plötzliche Rückkunft des Kaisers
kostete ihm Thron und Leben. Die Haufen zerstoben, um
sich um den ersten Neuerer wieder zu schaaren. Im Dembea
hauste Geret von edlem' Fürstengeblüt, der Einzige, der den
Kaiser von Angesicht bekämpfend den Heldentod starb. Im
Godjam herrscht Tadla Gualu, der rechtmässige Herr dieser
Provinz, fast ungestört, geschützt durch zahlreiche von der
Natur befestigte mit Wasser und Holz reich versehene, Amba
genannte Felsenburgen. Und so machen sich in jeder Provinz
die Söhne der alterblichen Fürstenfamilien geltend, im ge-
meinsamen Hass gegen den Usurpator verbunden, Repräsen-
tanten der Provinzeigenthümlichkeiten; da sie wohl wissen,
dass ihre Herrschaft nur Einen Tag dauert, verwüsten sie
das Land, das sie nicht besitzen können. Der Bauer, der
Erndte beraubt, schmiedet den Pflug zur Lanze und wird
Soldat, Wohl thut Theodoros das Mögliche; aber selbst der
Schrecken hat seineu Zauber verloren. Die Zerrissenheit des
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£iiileitimg. 39
Landes ermöglicht einen Guerrillakrieg, dem immer neue
Köpfe nachwachsen. Die Freiheitsliebe des Volkes selber,
das sein altes J^echt und Ver&ssung ungern aufgibt, leistet
der Neuerung passiven Widerstand. Die An^ee selber, die
mit Frauen und Tross auf mehrere Hunderttausende sich be-
läuft, verödet das Land, wenn sie auch nur eine Woche weilt
und Heuschrecken ähnlich muss sie weiterziehen, hinter sich
die Hungersnoth, vor sich eine allgemeine Flucht. Der Krieg
mit den mohammedanischen Galla, der Jahre lang mit seltener
Hartnäckigkeit gefuhrt wurde, hat Südabyssinien, wo früher
Milch und Honig floss und die Ochsenlast Weizen nur 1 Franc
kostete, zu einer Wüste gemacht und den Handel ganz unter-
brodien. .
Theodoros hat also eine furchtbare Aufgabe: wer mag
zweifeln, dass es ein grosser Mann sein muss, der sie nur
unternimmt? Aber es ist eine eigenthümliche Lehre der Ge-
schichte, dass ihre grossen Männer auch in ihren Fehlern so
entschieden sind und besonders so wenig Mass halten, dass
sie entweder daran untergehen, wie Cäsar und Napoleon, oder
nur der Gegenwart frommen, wie Karl der Grosse. Auch
Theodoros, wenn man den Afrikaner anreihen darf, hat Un-
tugenden, die ihm seine Aufgabe noch schwieriger machen.
Vorerst kann man nicht verkennen, dass er zu viel mit-
einander anfängt, indem er gegen die Grenzländer seine Kraft
und Zeit vergeudet, während das eigentliche Abyssinien der
Anarchie verfällt. Theodoros ist launig, misstrauisch und
glaubt seinem Feinde gegenüber auch Meineid und Verrath
erlaubt Er wechselt Pläne und Neigungen schnell; er träumt
für Abyssinien eine grosse Zukunft und vergisst nur zu oft
die trübe Gegenwart Er gefällt sich nur zu sehr in einer
Grausamkeit, die ihm zur Gewohnheit geworden ist. Denn
wenn eine schwere Krankheit auch gewaltsame Mittel ver-
langt, so dürfen sie doch nicht unnütz nach Blut riechen.
Endlich hat Theodoros Europa gegenüber noch gar nicht
die wahre Politik eingeschlagen. Er weiss wohl, dass Eu-
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40 Einleitung.
ropa ihm in allem, besonders in der Kriegskunst über*
legen ist. Seit er von einem Haufen Türken bei Me-
tamma geschlagen wurde, denkt er inmier An die Vorzüge
europäischer Disciplin und sein Scharfblick begreift, dass die
Freundschaft mit dem Ausland ihm viel nützen und lehren
kann. Es hinge nur von ihm ab, uns einen ehrenvollen
Tausch anzubieten, indem er unserm Handel Sicherheit, un-
seren Missionen Toleranz, unserer Civilisation Nachahmung
verspräche und dagegen unsere Anerkennung und Lehrmeister
in Krieg und Gewerben verlangte. Das Heer, nach euro-
päischer Manier geschult, könnte bedeutend redudrt und dem
• Feldbau die gesparten Hände zurückerstattet werden. Unter
europäischer Leitung gebaute Strassen und Brücken würden
den Aufruhr an der Wurzel angreifen und den Handel neu
beleben.
Leider ist es eine Thatsache, dass die Abyssinier, ihren
Kaiser nicht ausgenommen, uns immer mit Misstrauen an-
sehen. Sie bewundern unsere Geschicklichkeit, aber glauben
selten an unsere geistige Ueberlegenheit; sie bedenken nicht,
wie wir zu unsem Erfindungen gekommen sind. Sie sind zu
stolz, imi von uns verständigen Rath zu erwarten. Der Kaiser
selber wittert nur zu oft in den guten Rathschlägen der
fremden Consuln böse Schlingen, die das Land ihren Händen
überliefern sollen.
Wir sehen Abyssinien also unter der Leitung eines grossen
Mannes sich aus der Anarchie zu einer Despotie heraus-
kämpfen. Fremde Hülfe und Rath wäre nothwendig, sie
dauerhaft und erblich zu machen: doch ist es ein delicates
Unternehmen, einem Volke, das noch an sich glaubt. Hülfe
anzubieten und bei der Eifersucht der Grossmächte zu ver-
hüten, dass aus der wohlgemeinten Hülfe selbstsüchtige Inter-
vention wird, die den Patienten zwischen zwei Systemen so
lange herumzerrt, dass ihm die Medicin zum Gift, das neue
Leben zum Tod wird.
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Einleitung. 41
vra.
Durch die bisherige Betrachtung haben -wir uns überzeugt,
dass Abyssinien der Elemente, womit es sich dauernd neu
constituiren soll, entbehrt, sodass ein König, der für die Zu-
kunft denkt, gezwungen ist, sich einen Halt im Ausland zu
suchen und von den Franken gegen innen denselben Dienst
tfOL Tedangen, den sie dem Land vor dreihundert Jahren gegen
aussen erwiesen haben, Von der Nothwendigkeit eines sot
chen Schrittes überzeugt die Lage des Kaisers Theodoros, 'der
trotz seiner leichten Siege, trotz seiner Charakterfestigkeit,
die ihm das Zutrauen des Landes erworben hat, seit mehr
als acht Jahren vergeblich bemüht ist, dem Lande die nöthige
Buhe wiederzugeben; er muss also mit neuen Waffen streiten,
die ihm nur die europäische Allianz geben kann. Wir Euro-
lÄer haben keine Minute nöthig, um uns von der Nothwen-
digkeit dieses Schrittes. zu überzeugen, einmal da wir die
nöthigen Kenntnisse haben, um die Lage Abyssiniens im Welt-
ganzen zu begreifen; anderseits bewahren wir, von dem Schau-
platz des Interessenkampfes weit entfernt, die natürliche Un-
be&ngenheit, die allein ein ruhig^es Urtheil erlaubt und wir
gleichen dem Arzt, dessen Kenntnisse allen zugute kommen,
ausser seiner eigenen Person. Für die Abyssinier, die sich
mitten auf der Bühne befinden und von der Weltgeschichte
nur ungenügende Begriffe haben, braucht es lange Zeit sich
eine richtige Vorstellung von ihrer auswärtigen Politik zu
machen. Trotz allen Nachrichten aus dem Abendland, die
von Pilgern und Handelsleuten eingeführt werden, macht sich
doch niemand die wahre Vorstellung von der europäischen
Macht und Culturentwickelung und der abenteuerliche Plan
des Kaisers Theodoros, die Türkei zu erobern und nach Jeru-
salem zu gehen, kommt den Landeskindem ganz natürlich
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42 EinleituDg.
und ausführbar vor. Daher kommt es, dass bis jetzt die
Herrscher von Abyssinien wenig Neigung gezeigt haben, mit
Europa in diplomatischen Verkehr zu treten, da sie sich nicht
vorstellen können, was dabei zu gewinnen sei. Die Gesandt-
schaften, die vom Mittelalter bis jetzt nach dem Abendland
gingen, hatten alle ihren Ursprung in »den Bemühungen ein-
zelner Personen, meist angesiedelter Europäer, die sich damit
zu Ehren verhelfen wollten, oder aber der Hofißnung, von den
reichen Franken schöne Geschenke zu erhalten.
Freilich kommt dieser Aengstlichkeit der Abyssinier die
europäische Politik freundlich entgegen; gleich den arabischen
Chalifen, die sich berechtigt, ja verpflichtet glaubten, den Is-
lam mit dem Schwert allen Völkern au£sudringen, zwingen
wir den unwilligen Fremden unsere Consuln, Missionare,, un-
sere Waaren, unsere Tagenden und Laster auf. Daher kommt
es, dass wir an Abyssinien denken, ohne dass es unserer ge-
denke und mit der unbeschreiblichen Geduld, die uns besonders
die Eifersucht verleiht, werden wir trotz der Kälte der Landes-
kinder gegen unsere Einmischung dahin kommen, dieses Land,
das von seinen Nachbarn gefürchtet ist und seinen Erbfeind,
den Bürgerkrieg, in seinen Eingeweiden trägt, in das Netz des
Völkerverkehrs hineinzuziehen. So können wir versichern,
dass, wenn in neuester Zeit Theodoros auf der einen, sein
Antagonist Negussie auf ^^r andern Seite an Allianzen ge-
dacht haben, der erste Schritt zur Annäherung durchaus nicht
von ihnen gemacht worden ist. Ist freilich einmal das Bei-
spiel gegeben, werden die Abyssinier vom Instinct getrieben
sich freiwillig in Europa Herren suchen und, was viel schlim-
mer ist, jede besiegte Minorität, jede verfolgte Sekte wird das
Mitleiden irgend einer Grossmacht für sich zu gewinnen
trachten. Bei der eifersüchtigen Tagespolitik werden wir
dann anstatt Vermittler zu werden eher eine Partei mehr ab-
geben und die Verwirrung und das Elend in's Ungeheure
steigern, da wir den Barbaren die mörderischen Waffen und
die selbstbewussten Laster der Civilisation schenken werden.
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Einleitung. 43
Für ein Volk gibt es nur zwei Wege, sich an's Ausland
um Hülfe zu wenden. Den ersten nimmt eine unterdrückte
Partei, ein gestürzter Prinz. Da ihre HoflFhung allein auf der
Fremdengnade beruht, sind sie gezwungen, sich aller Selbst-
ständigkeit zu begeben und sie müssen sich und das Land
an die Fremden verkaufen, wenn sie sich ihrer auch nur für
den Augenblick bedienen wollen und nach gewonnenem Siege
alles thun werden, um sich ihrer zu entledigen. Es ist nun
immer ein unangenehmes, gegen Gewissen und öffentliche
Meinung sich auflehnendes^ Geschäft, gegen den Volkswillen
zu interveniren, es widerspricht dem natürUdien Patriotismus
des Volkes und macht eine bleibende militärische Occupation
DÖthig mit all ihren Opfern, mit dem vollen Stempel eines
widernatürlichen Druckes.
Den zweiten Weg verfolgt eine Majoritiit, ein König, der
sich zum Herrn des Landes gemacht hat und begreift, dass
ihm das Ausland viel nützen kann. Wir haben nicht nÖthig,
zu beweisen, wie vortheilhaft die Allianz für beide Seiten sein
muss. Diesen Weg hätte Theodoros verfolgt, wenn ihn nicht
die Uneinigkeit der Europäer daran verhindert hätte; den
andern Weg versuchte Negussie zu betreten. Wir wollen uns
über des letzteren Stellung zu Europa einige unparteiische
Worte erlauben; wenn er auch längst gefallen ist, so reprä-
sentirt er einen Typus, der in Abyssinien und überall von
Zeit zu Zeit auftaucht.
Als Theodoros^ alle Könige von Abyssinien und auch den
Herrn des Tigre, Ubie, besiegt hatte, liess e^ in diesem
Lande einen Statthalter und kehrte nach dem Süden zurück,
um die mohammedanischen Galla zu bekämpfen. In seiner
Abwesenheit erhoben sich die Unzufriedenen, besonders die
ahen Anhänger Ubie's und machten einen Schwestersohn des-
selben, Namens Negussie, zu ihrem Oberhaupte, dem es ge-
lang, das ganze Tigre sich zu unterwerfen und eine sehr
schöne Armee um sich zu sammeln. Es war ein sehr gut-
müthiger, löwenherziger Jüngling, dieser Negussie, wenn auf
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44 Einleitung.
seinen Privatcharakter hier etwas ankäme; aber er herrschte
fünf Jahre lang, ohne zu regieren, da ihn die alten Feld-
herren Ubi6's zu ihrem Herrn gemacht hatten, um ihren
freien Willen zu haben. Jeder trieb es, wie er wollte, ohne
dass Negussie Recht schaffen konnte. Die Anarchie war so
gross, dass sich die Soldaten im eigenen Lager schlugen. Im
Lande fehlte die Sicherheit; die Steuern waren sehr gross,
ohne dass der König davon Nutzen gehabt hätte; so z. B.
empfing er von der Provinz Hamasen nur 10,000 Thaler, wäh-^
rend der ihm untergebene Statthalter derselben mehr als
100,000 Thaler davon erpresste. Negussie fehlte es an einem
festen Willen; seine Entscheidungen waren unbestimmt; jeden
Tag fanden neue sich widerstrebende Räthe bei ihm Gehör.
Fünf Jahre war er Herrscher des Landes, an der Spitze einer
glänzenden Armee, weil Tbeodoros von Ahmed Beshir, der
sich an die Spitze der Galla gestellt hatte , nicht loskommen
konnte. Als endlich der Kaiser Zeit fand, in das Tigre ein-
zurücken, entzog sich Negussie durch einen sehr klug ausge-^
führten Rückzug seiner Verfolgung; er umging ganz Abys-
sinien und kam vom Dembelas den Ikf areb hinunter an den
Atbara und von da über das Wolkait in's Tigr6, wo er noch
ein voUes Jahr ungestört blieb. Er nahm den Rückzug, weil
er wusste, dass seine Soldaten sich nie gegen Theodoros
schlagen ¥nirden. Im folgenden Jahre (1861) kam Theodoros
wieder über den Takkaze und diessmal erwartete ihn Negussie
mit einem an Tüchtigkeit überlegenen Heere; er erklärte als
ein guter Ritter auf seinem Ross siegen oder sterben zu
wollen ; aber sein Heer, das fünf Jahre mit ihm gezecht hatte,
liess ihn im Stich; ein panischer Schreck ging durch das
Lager; der Kaiser erliess eine Proclamation, wo er jedem
Soldaten Pardon anbot; auf diess hin zerstreute sich die Ar-
mee; Negussie wurde auf der Flucht gefangen und starb einen
schmählichen Tod und mit ihm alle Heerführer, die sich auf
das treulose Versprechen des Kaisers verlassen hatten; so ver-
schwand das neue Reich, von dem die Kunde selbst nach Europa
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Einleitnnj^. 45
gedrungen war, wie eine Wolke, die ein leichter Wind in den
blauen Himmel auflöst.
Diess ist ein sehr gewöhnliches Stück abyssinischer Ge-
schichte; was dabei auffällt, ist die Bedeutung, die man Ne-
gussie zuschrieb, während diess doch gewiss nicht der Mann
war, um einen Theodoros, dessen Name allein ein Heer in die
Flucht jagt, entgegengestellt zu werden. Und doch geschah
diess und in Europa glaubte man daran. Wir wollen un-
parteiisch erzählen, wie das zuging und müssen deswegen
in die Vergangenheit zurückgreifen, indem wir uns auf eine
Schrift von Hm. Beke «The French and the English in the
Red Sea» (1862) beziehen, die sehr lehrreich, aber fast zu sehr
englisch gefärbt ist. Es war in diesem Jahrhundert, dass
Europa wieder Beziehungen mit Abyssinien anzuknüpfen suchte
und zwar durch sdne Missionen. Die Franzosen und Eng-
länder suchten sich in diesem Lande den Rang abzulaufeil
und erkauften sich mit grossen Geschenken die flüchtige
Gunst der Könige des Landes. Zum Unglück gerade der
Missionen wurden sie an die eifersüchtige Politik der beiden
Mächte gefesselt. Wenn Hr. Beke behauptet, Frankreich und
Rom gingen Hand in Hand, so will ich das nicht bezweifeln;
aber ich meine, England thue das mit seiner Mission auch;
ich will aber noch weiter gehen, indem ich meine, dass ge-
rade deswegen die beiden Nationen und die beiden Missionen
in diesem Lande nocli so blutwenig ausgerichtet haben. Wenn
Hr. Erapf die Ursache war, dass eine englische Gesandtschaft
nach Shoa kam, so war diese durch ihr Misstrauen er-
regendes Betragen wieder Schtdd, dass Hr. Krapf so übel be-
handelt wurde und dass man seither in Shoa die Engländer
nicht sonderlich liebte. Der Nutzen von dieser Gesandtschaft
bUeb den Franzosen, wenn man es als Nutzen betrachtet, ein
paar Wochen die Freundschaft eines Königs zu haben, den
man dann ein paar Jahre nicht mehr sieht. Wenn die pro-
testantische Mission aus Abyssinien verjagt -wurde, hat sie
diess gewiss am meisten der Unklugheit zuzuschreiben, womit
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46 Einleitang.
sie ihren Glauben veröffentlichten vor einem Volke, das seine
Mutter Gottes mehr verehrt als Gott selbst. Wenn die katho-
lischen Missionäre in Abyssinien so viel Unglück hatten, so
liegt die Schuld davon in ihrer Allianz mit den französischen
Consuln, denen sie ihre Unparteilichkeit aufopfern mussten.
Was den Einfluss von Rom und Frankreich im Tigre betrifft,
so bestand er in einer gnädigen Aufnahme gegen Geschenke;
sobald diese aufhörten, war es mit der Freundschaft vorbei;
die katholischen Missionäre hatten unter der Regierung Ubie's
wenigstens ebenso viel zu dulden, als unter der jetzigen ; das
Haus des französischen Consuls in ^Mkullu wurde 1849 von
den Soldaten eben desselben Fürsten ausgeplündert, ohne
dass von Vergütung die Rede gewesen wäre. Wir brauchen
nur Hm. Beke's Angaben über diese Zeit bis 1855 nachzu-
lesen, um uns zu überzeugen, wie viel von beiden Seiten in-
triguirt und doch nichts erreicht wurde; die protestantische
Mission war vertrieben, die katholische war in einer so pre-
cären Lage, dass sie sich nach dem Meere zurückziehen
wollte; der französische Consul in Massua kümmerte sich
nicht um das Innere; der englische hatte einen sehr bedeu-
tenden Handelsvertrag mit Ras Ali abgeschlossen! Nun aber
änderte sich die Situation. Theodoros besiegte Ubie im Februar
1855 und wurde so Herr von Abyssinien. Zu dieser Zeit war
englischer Consul in Abyssinien Hr. Walther Plowden, ein
Mann von vieler Energie, aber wenig Biegsamkeit, der so-
gleich erkannte, dass für das Land eine neue Epoche ge-
kommen sei. Er verfügte sich sogleich zum Kaiser und blieb
bei ihm bis zu seinem Tode (Frühjahr 1860). Er that das
Mögliche, ihn mit europäischen Künsten und Ideen bekannt
zu machen; aber er bot ihm keine Protection an, die übrigens
nie verlangt wurde. Er suchte Freundschaft und Sicherheit
für seine Schützlinge und dieser Zweck wurde erreicht. Mehr
war nicht möglich, da der Kaiser in seinem Misstrauen
Schlingen befürchtete; von eigentlichem Einfluss war keine
Rede. Da England einfach den Negus als legitimen Landes-
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- Einleitung. 47
könig anerkannte und ihm so den Schutz seiner Gäste über-
liess, konnte es nie zu Schaden kommen: als Hr. Plowden von
Rebellen in der Nähe von Gondar ermordet wurde, so fiel die*
Rache einfach dem Kaiser anheim , ohne dass für England eine
Unehre damit verbunden gewesen wäre. Dass Hr. Plowden alles
that, um den König für England zu stimmen, das ist natürlich;
dass er ihn bewog, den Sklavenhandel zu verbieten, ist löblich,
wenn der Erfolg davon auch null war und bald auch das
Verbot aufgehoben wurde; aber der active Theil, den er an
der Vertreibung der katholischen Mission nahm, machte ihm
keine grosse Ehre und nützte ihm nichts; denn aus einer offe-
nen klaren Politik kam er in das Gebiet der Intrigue.
Man weiss, dass Theodoros seinen Thron durch eine Allianz
mit dem koptischen Bischof in Abyssinien, dem sogenannten
Abuna, zu befestigen suchte; die Folge davon war, dass der
Kaiser die katholischen Missionäre Landes verwies und ihre
Schüler, die eingebomen Priester, mit Gewalt zum Rücktritt
bringen wollte. Der Erfolg war natürlich der entgegengesetzte,
die Verfolgung stählte die junge Gemeinde, traurig aber war,
dass ein englischer Consul sich dareinmischte, während er die
günstige Gelegenheit hatte, der anerkannte Beschützer aller
Europäer zu werden. Durch diese Vorgänge wurde die katho-
lische Mission dem Kaiser und zugleich England feindlich; es
kam ein neuer französischer CJonsul nach Massua; im Tigre
erhob sich Negussie, der sich, solange der Abuna zum Kaiser
hielt, der katholischen Mission günstig zeigte, und es entstand
ein Bund zwischen diesen drei Potenzen. "Wir dürfen nicht
vergessen, dass sich im Gefolge des englischen Consuls unter
dem Schutz des Abuna eine protestantische Mission unter den
Augen des Kaisers festsetzte.
Da nun England beim Kaiser schon vorausgekommen war,
wandte sich Frankreich an Negussie; die Verbindung bewerk-
stelligte ein abyssinischer Priester, der zur katholischen Mis-
sion gehörte, ein Mann von sehr vielem Talent und grosser
Energie, der fortan die Seele dieses Bundes wurde. Mit vieler
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48 Einleitung.
Mühe, fast gegen die Neigung Negussie's, larachte er eine Ge-
sandtschaft an Napoleon zu Stande, die im gleichen Jahre
von französischer Seite erwiedert wurde. Das Unglück oder
Glück wollte, dass die französische Gesandtschaft eben zur
Zeit ankwi, als Negussie sich vor dem Kaiser flüchtete; sie
wurde in Halai förmlich angegriffen und konnte nur mit Mühe
und Noth das Meer erreichen. Es war ein Glück, weil man
sich in Europa eine übertriebene Meinung von Negussie ge-
macht hatte. Die Idee, die sich die öffentliche Meinung von
diesem Verkehr machte, war, dass Frankreich den Negussie
gegen den Kaiser unterstützen würde; der Preis sollte die Küste
des Rothen Meeres bei Zul'a sein, die jedenfalls den Abyssiniem
ebenso gehört, wie den Türken. Wir wissen nicht, ob die
öffentliche Meinung ganz Recht hatte; wir wissen aber, dass
Negussie sich noch wenige Tage vor seinem Tode über die
Franzosen bitter beklagte: sie hätten ihn mit Hülfsversprechun-
gen getäuscht, während er durch die ihnen gemachten Gon^
cessionen das Zutrauen seiner Unterthanen verloren habe.
Sicher ist, dass noch in der letzten Stunde ein paar Hundert
Franzosen, ja nur ein paar gut bediente Kanonen zu Gunsten
Negussie's entschieden hätten. Aber sie kamen nicht und es
war gut so; denn es ist leicht, Abyssinien zu erobern, aber
sehr schwer es zu behaupten. Denn man kann nicht erwar-
ten, dass sich Negussie dankbar gezeigt hätte, seine eifrigsten
Anhänger waren allen Fremden sehr feind. Wenn also Frank-
reich auch nichts für seinen Schützling that, so hatte es sich
doch in eine schwierige Stellung gebracht. Anstatt den fekctischen
Herrn des Landes anzuerkennen, stellte es sich zur Minorität
und gab sich damit das Ansehen eines Protectors; man darf
diess aber nicht ungestraft thun.
So fiel Negussie unbeweint; Theodoros blieb der alleinige
Herr des Landes, um dessen Freundschaft sich nun die Con^
suln beider Mächte bewarben. Wir wollen nicht bezweifeln,
dass für beide in Abyssinien Interessen da sind, die sie wah-
ren müssen; aber sie vei^essen, dass dieses Land sich noch
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Einleitung. 49
immer in der Anarchie befindet und dass alle Verträge un-
nütz sind, solange keine dauerhafte Regierung etablirt ist;
man sollte bedenken, dass Europa mit Einigkeit Abyssinien
zur Einheit verhelfen sollte, die erst einen politischen Ver-
kehr erlaubt; man hätte den jetzigen abyssinischen Kaiser,
der doch der einzige Mann von Genie ist, den das Land hat,
in seinem Vorhaben unterstützen sollen und der europäische
Geist hätte vielen Einfluss gewinnen können. Statt dessen
führten sich Engländer und Franzosen einen Intriguenkrieg,
der beiden schadete, da der Kaiser seine frühere gute Mei-
nung von unserer Ehrlichkeit verloren hat und keinem mehr
sein Vertrauen schenkt. Diess hat alle Europäer zu Schaden
gebracht. Wir wissen nicht recht, welches Recht wir haben, "
von den Abyssiniem Toleranz zu verlangen, wenn wir sie
selbst in Europa nicht haben; wir sind der Ansicht, dass man
die Missionen sich selbst überlassen soll; sie werden sich
selbst besser zu helfen wissen; sie stehen auf einem ethi-
schen Boden, der weltlichen Schutzes nicht bedarf, wenn er
ein fester ist; wir hoflfen noch immer, dass die beiden einzigen
Mächte, die Abyssinien kennt, sich zu einer gemeinschaftli-
chen Politik verständigen können, die ihnen allein Einfluss
verschaffen kann; jetzt ist es noch Zeit, da Abyssinien selbst
der Einheit zustrebt. Fährt man aber fort, zu intriguiren
und einer dem andern zu schaden, so werden die Abyssinier
uns immer nur unserer Geschenke wegen Complimente ma-
chen; wir werden uns selbst verächtlich machen oder wenn
wir es nicht werden wollen, müssen wir einen Krieg anfangen,
gefahrlicher als Mexico und hundertmal nutzloser. Diess ist
die Meinung eines Unparteiischen, der wünscht, dass Abys-
sinien ein ordentlicher fester Staat werde, in Friede und
Freundschaft mit dem Ausland; dann werden Handel und Ge-
werbe wieder aufblühen und der Europäer wird bis in's In-
nere ohne Gefahr dringen können: die Vortheile werden dem
Thätigsten gehören, ohne Intervention, ohne Intrigue.
Maoxiuger, Osta/rik. Studieu.
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50 Einleitung.
IX.
Jetzt wollen wir einen Blick auf das religiöse Leben Abys-
siniens werfen und zum voraus bekennen, dass es durchaus
nicht gesund ist. Wir finden vorerst eine vollständige Anarchie
der Glaubensbekenntnisse. Die herrschende Bevölkerung bil-
den die Christen; doch sind die Mohammedaner in den Städten
und besonders in den Grenzprovinzen sehr ausgebreitet und
mächtig. Im Süden haben sich viele Juden erhalten; das
Heidenthum ist selbst mitten im Lande nicht ausgerottet; die
Kordgrenzen besetzen die deistischen Bazen, die Südgrenzen
die teufelanbetenden Galla. Das Christenthum selbst ist für
den grössten Theil des Volkes ein äusserlicher Name geworden
und mit jüdischen Gebräuchen arg vermischt.
Man weiss, dass Abyssinien seit 1500 Jahren seinen Glau-
ben bewahrt hat, auf eine Weise aber, dass Wichtiges und
Unwichtiges, Dogma und Disciplin gleiche Bedeutung erhalten
haben. Wir finden die gleichen Missbräuche, die unser Mit-
telalter entstellt haben: den Mangel an theologischen Kennt-
nissen; viel ünsittlichkeit und Ueberfluss an Mönchen; freche
Simonie und Verkauf der Sakramente; theilweise sogar die
Polygamie; strenge Fasten und Busse; viel Festtage; lose
Eheverhältnisse; übermässige Verehrung von Bildern und Kreu-
zen, vermengt mit schützenden Talismanen; wenig Kirchen,
viel Heiligengeschichte; Glauben an Weissagereien und Vor-
bedeutungen; Auslegung der Träume; Furcht vor Hexerei und
bösen Künsten; doch jedenfalls keinen Unglauben und keine
Gottesverachtung. Die judäisch- pharisäische Denkungsart, die
allen Orientalen und besonders den Semiten eigen ist, klebt
auch den Abyssiniern an; wir meinen damit den Formengeist,
die Wichtigmachung von Gebräuchen und äussern Werken,
die Unterscheidung zwischen Rein und Unrein, die Beschnei-
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Einleitung. 51
dung, das Hängen an dem Buchstaben, gegen das sich Paulus
wehrt.
Die Kirchengüter befinden sich grösstentheils in den Hän-
den der Fürsten, die darüber zu Gunsten ihrer Anhänger dispo-
niren. Die Erblichkeit der Pfanfstellen von Vater auf Sohn
erzeugt Lauheit und raubt der Kirche die nöthige Unabhän-
gigkeit. Das sehr verbreitete Mönchsthum verhindert alle wohl-
thätige Neuerung; die abyssinischen Mönche und Nonnen sind
unruhige, anmassliche, ungebildete, faule Fanatiker, die den-
noch vielen Respectes geniessen. Eine Beform derselben in
arbeitende Orden wäre wohl wünschenswerth , aber schwer
ausführbar.
Das Hauptübel Abyssiniens aber ist der Stolz, der von
dem kleinsten Erfolge aufgeblasen, sich überheilig und über-
weise wähnt und nur ungern von fremden Missionären sich
Rathes erholt. Deshalb müssen wir die Weisheit des Ka-
nons bewundern, der den eingebornen Abyssinier von der
Bischofswürde ausschliesst. Diese Einrichtung bewahrt allein
den Zusammenhang mit der allgemeinen Kirche. Wehe dem,
der sie abschafft! Ein Missionär, der sich seine Aufgabe zu
Herzen nimmt, muss eine Selbstverleugnung ausüben, die
leider nur wenigen ansteht; strenge Absonderung in Tisch
und Leben geht nicht. Der Missionär muss eben leben, wie
er seine schwarzen Brüder leben lassen kann; er zwingt sie
mit dem guten Beispiel zur Bescheidenheit. Der Stolz, von
dem kein Abyssinier frei ist und eigentlich kein Semite, hat
eine andere gefährliche Seite; der Messias ist ihm immer
ebenso gut wie den Aposteln ein weltlicher Herr; die Herrsch-
sucht der Eingebornen wird dem fremden Missionär sehr ge-
fahrlich, da sie ihn, ohne dass er es ahnt, in die Landes-
politik hineinzieht.
Nun darf man aber doch nicht verkennen, dass das Chri-
stenthum uns Abyssinien geistig näher uud über das übrige
Afrika stellt. Es hat dieses Land von dem abschetdichen
Fetischismus, der abgöttischen Tyrannei gerettet. Wenn sich
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52 Einleitung.
die Völker auch bekämpfen, so sind die Opfer doch nur die
Soldaten und die Güter; Weib und Kind sind respectirt.
Kein freier Abyssinier wird von seinem Mitbürger in die Skla-
verei verkauft. Die Leibeigenschaft erstreckt sich nur auf
die von aussen eingeführten Schwarzen, die nur den kleinsten
Theil der Bevölkerung ausmachen. Der Sklavenhandel ist
den Christen bei Todesstrafe verboten. Die Frau ist un-
verletzlich und hat ihre bestimmten grossen Rechte. Wenn
wir Europäer, solange wir das Gastrecht nicht verletzen,
immer freundlich aufgenommen sind, so müssen wir die Ur-
sache sicherlich in den gleichen Religionsgefühlen suchen.
Den erwähnten innem Gebrechen sollten nun die Missionen
entgegenarbeiten. Es gibt zwei Gesichtspunkte, den Zweck
einer Mission aufzufassen. Der eine ist allgemein philanthro-
pisch; er wünscht die Erweiterung der Geographie; die Mis-
sionäre werden Vorläufer der Reisenden und so der Civilisation
und des Handels; ihre Berichte sind im Allgemeinen glaub-
würdig, da sie Zeit haben, sich einzuleben und mit den Ein-
gebomen in freundschaftlichen Verkehr zu treten. Die andere
Auffassungsweise gehört der Pietät, die allein die nöthigen
Opfer bringt und religiöse Bekehrung Afrikas anstrebt: eine
so schöne Idee, dass man kaum wagen darf, zu sagen, wie
schwer sie zu realisiren ist.
Es gibt in Abyssinien eine protestantische und eine ka-
tholischet Mission. Wenn wir uns darüber aussprechen, so
stellen wir uns auf einen Standpunkt, der von der Richtig-
keit der Lehre abstrahirt. Man weiss, dass die Jesuiten, die
sich vor etwa 250 Jahren im Lande festgesetzt und den Ka-
tholicismus zur Staatsreligion erhoben hatten, durch die In-
toleranz, mit der sie alles romainisiren wollten, eine Revolution
hervorriefen, die mit ihrer Verbannung endigte und eine blutige
Verfolgung veranlasste, wo es an standhaften Bekennem, so-
gar unter der Familie des damaligen Kaisers nicht fehlte.
Die jetzige katholische Mission geht mit mehr Sorgfalt zu
Werke. Im Unwesentlichen, der äthiopischen Liturgie, den
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Einleitung. 53
Fasten und der Priesterehe, lässt sie dem Volke seine alt-
orientalischen Gebräuche; im Wesentlichen, dem Streit um
die Naturen und um das Principat Roms, sucht sie den Abys-
siniem aus den eigenen Büchern zu beweisen, dass die alt-
äthiopische Theologie und Kirche bis in^s siebente Jahrhundert
mit der griechisch-katholischen Kirche übereinstimmte und
dann erst von den Kopten usurpirt wurde: diess geschah in
Folge der Eroberung Aegyptens durch die Araber, wodurch
die Griechen von Ainka abgetrennt wurden; der Verkehr mit
Abyssinien wurde nur den Kopten möglich und die Abyssinier
wurden nach und nach genöthigt, sich ihre Bischöfe Yon die-
sen letztem zu holen. Die Aenderung ging aber nur sehr
allmählig vor sich; das Mittel war vorzüglich eine grobe Bü-
cherverfälschung, indem man unbequeme Stellen einüach aus-
radirte oder neue in den alten Text hineinschrieb. Doch
stehen noch viele Zeugnisse des alten Glaubens aufrecht; merk-
würdig sind besonders die zwei Stellen im Fetwa Negest (Kai-
serrecht), die entschieden das Principat des römischen Bi-
schofs anerkennen. Die Frage über die Naturen ist ein
Wortstreit, der Griechen gefedlen konnte, aber bei ungebil-
deten Völkern, denen es an scharfen geistigen Definitionen
fehlt,- schlecht angebracht ist. Die äthiopischen Wörter akal
(persona) und bahri (natura) haben keine feste Bedeutung und
werden in Abyssinien crass materiell aufgefasst. Der Begriff
vom Gottmensch ist doch überall der gleiche. Warum mit
Hülfe von Sprachen streiten, deren Wörter nichts Ethisches
haben, bei Völkern, die alles grob sinnlich auffassen? Kann sich
doch der Mensch nichts ganz geistig denken; der feinste Be-
griff muss einen körperlichen Anhalt haben; alle unsere Ideen
sind Vergleichungen mit sinnlichen Gegenständen und es ist
unmöglich, sich vor dem Tode von dieser Kette loszureissen
und gerade deswegen hat das Ghristenthum als verständlichen
Vermittler den Gottmenschen nöthig, den man wieder mit
Definitionen unverständlich macht.
Sehr weise arbeiten die katholischen Missionäre seit etwa
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54 EinleitHiig,
zwanzig Jahren daran, sich in Nordahyssinien festzusetzen und
eingebome Priester zu erziehen. Denn die Nähe des Meeres
und der Wildniss sichert ihnen in Zeiten der Verfolgung den
Rückzug; anderseits können sie von den eifersüchtigen Blik-
ken des Kaisers fem bei den halbfreien Grenzvölkern im
Stillen Wurzel fassen. So haben sie denn mehrere Gemein-
den von Okulekusai und das Hirtenvolk der Irop zu eifrigen
Anhängern; auch in der Provinz Agame und den Bogos sind
sie niedergelassen und mehr als dreissig eingebome Priester,
die für das Land sehr gebildet sind, breiten den Glauben um
so leichter aus, da sie als Landeskinder nicht das Misstraueii,
das jeden Fremden empfängt, zu bekämpfen haben. Die Kir-
chen werden fleissig besucht, die Ehen regelmässiger geschlos-
sen ; das Volk hat sich dafür interessirt. Der Gründer dieser
Mission war der Bischof Justin de Jacobis (f 31. Juli 1860),
dessen tadellose Persönlichkeit allen Parteien Verehrung ab-
zwang und dessen Edelmuth auch die Feinde beschämte.
König Theodoros, der der Fiinheit wegen Eine Staatskirche
wollte, versuchte in den ersten Jahren seiner Regierung die
Katholiken zur koptischen Kirche zurückzuzwingen; doch hat
die Standhaffcigkeit, die er erfuhr, der katholischen Sache
eher g'enützt.
Die protestantische Mission wirkt in Oberabyssinien, in
der Nähe des Kaisers, dem die Idee eines König -Papstes
gefällt; da aber Abjrssinien viel katholischer ist, als Rom, be-
sonders in der Verehmng der Heiligen und der Beobachtung
der Fasten und Festtage, hat der Protestantismus schweren
Stand und seine Bekenner dürfen nie mit der ganzen Wahr-
heit herausrücken. Auch die Nähe des Kaisers wirkt läh-
mend auf ihre Arbeit, da er wohl neue Handwerke einge-
führt haben will, aber keine neue Religion; deswegen wurde
eine angefangene Schule aufgehoben, sobald sie sich mit Dog-
men abgab. Da aber glücklicherweise mehrere der Missionäre
auch Handwerker sind, wird ihre Geschicklichkeit den Ge-
werbfleiss des Landes befördern. Anderseits ist der Einfluss,
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Einleitung. 55
den die Bibelverbreitung in grossem Massstab auf das geistige
Leben des Volkes ausüben wird, nicht zu berechnen und es
ist zu wünschen, dass man fortfahre, gute Bücher von sitt-
licher Belehrung in's Volk zu werfen. Wo Bildung ist, da
wird es schon besser werden. Von diesem Standpunkt aus
bin ich mit dieser Mission einverstanden; aber ihre Bemühun-
gen, das Land directerweise protestantisch zu machen, schei-
nen mir nicht zweckmässig. Wenn es sich darum handelt,
auf der gegebenen Grundlage weiter zu bauen und nicht nie-
derzureissen; wenn man erkennt, dass Abyssinien eine
positive Religion nöthig hat; wenn jedermann zugeben muss,
dass die Reformationsstürme die katholische Disciplin und
das katholische Leben gereiniget haben; wenn die Analo-
gie der abyssinischen Zustände mit unserem Mittelalter
uns klar geworden ist, so dürfen wir wohl wünschen, dass
die äthiopische Kirche der gleichen Regeneration theilhaftig
werde. Unmöglich ist sie nicht, da der abyssinische Glaube
im Wesentlichen durchaus katholisch ist. Es würde sich bei
der Veränderung lediglich um mehr Wissenschaftlichkeit, grös-
sern Eifer und strengere Sitten handeln, was vorsichtig durch-
geführt niemanden vor den Kopf stossen würde.
Abyssinien aber protestantisch machen zu wollen, das
wäre ein Beginnen, so radical allem Hergebrachten in's Ge-
sicht schlagend, dass die Leute, denen man plötzlich ihren
frommen Glauben und besonders die Verehrung der Mutter
Gottes rauben wollte, von allem Christenthum abwendig wür-
den. Das rücksichtslose Abreissen würde sie so stutzig und
verwirrt machen, dass sie das Kind mit dem Bade ausschütten
und den Glauben allen zusammen, sogar an Gott, wegwerfen
würden und mit der Verkündigung einer Religion, die keine
Verwandtschaft mit dem hat, was bis jetzt für schönes gol-
denes Christenthum galt, wird allein ein crasser, gedanken-
loser Unglaube gepflanzt, der dem Volke den moralischen
Halt nimmt, den ihm sein alter Glaube verliehen hatte.
Mit dem Heidenthum kann man unbesorgt tabula rasa machen;
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56 Einleitang.
bei den Bazen, den Barea, den GaUa und Schankalla ist ein
schönes ungepflügtes Feld; da kann man ebenso leicht den
Heidelberger Katechismus einführen, wie jeden andern; aber
der Geist der freien Forschung wird auch da nicht eindrin-
gen. Wo aber ein Volk einmal den Glauben der Apostel rein
bewahrt zu haben glaubt, da darf man des Systemes halber
nicht in ein Extrem fallen; man muss nur das Mögliche ver-
suchen, nur das Mögliche ist gut.
W«nn es sich nun nur darum handeln würde, die abys-
sinische Kirche zu reformiren , so wäre die Aufgabe nicht so
schwer: eine viel grössere Gefahr droht ihr aber von dem
Islam; ein sehr furchtbarer Kampf steht dem Missionär des
Kreuzes bevor von dem Missionär des Halbmondes. Als der
Islam mit den Waffen der Welt gegen Abyssinien anstürmte,
konnte er mit Schwert und Lanze zurückgeschlagen werden
und Abyssinien blieb politisch genommen in christlichen Hän-
den. Aber seit die äussere Gefahr vorbei ist, hat auch die'
Lauheit zugenommen, von den Anhängern Mohammed's klug
benutzt. Während der Islam dem heidnischen Afrika gegen-
über offene Gewalt braucht und täglich ganze Völker sich
unterwirft,' darf er in Abyssinien nur bescheiden auftreten.
Er benützt die Schwächen seines uneinigen Gegners; er er-
ringt nur vereinzelte Erfolge und dennoch darf man nicht
verschweigen , dass er einer stetigen Zunahme sich erfreut.
Während er schon halb Afrika beherrscht und immer südli-
cher dringt, hat er sich wohl den dritten Theil der Bevöl-
kerung des eigentlichen Abyssiniens schon unterworfen und
die Grenzen gegen alle Weltgegenden sind dem Christenthum
jedenfalls für immer verloren. Die Galla werden in kurzer
Zeit alle mohammedanisch sein; die Grenzvölker vom Norden,
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Einleitnng. 57
die Habab und die Marea, sind erst in unserer Zeit dem Kreuz
abtrünnig geworden und die Bogos selbst sind kaum zu retten.
Wir sebeu also: Christenthum und Islam in Afrika kämpfen
einen ungleichen Kampf. Hüten wir uns mit dem Stolz gei-
stiger Ueberlegenheit zu rufen: Post tenebras lux! Wie sollte
der Halbmond dem Kreuze widerstehen?
Vor 1300 Jahren hatte das Christenthum mehr räumliche
Verbreitung als heute. Das römische W'eltreich, in das sich
jetzt so viele, selbst die Türken theilen, war christlich und
sandte seine Apostel nach dem heidnischen Norden. Was
hier gewonnen wurde, ging im Süden und Osten verloren.
DieBerberei, die einen Cyprian, einen Augustin, einen Ter-
tullian erzeugt hatte, ging fast ohne Widerstand zu Moham-
med's Neuerung über. Der grosse semitische Stamme dem
allein die Einheit Gottes ein Axiom ist, zu dem allein Götter
und Propheten reden, eroberte sich von Neuem die halbe
Welt. Als Christus den Buchstaben todt und den Geist allein
lebendig nannte, sprach er zu uns, den Abendländern, und er
sprach uns aus der Seele: der Gehalt der Lehre überwältigt
uns so sehr, dass wir auch die Wunder, die uns unwesentlich
scheinen, gern mit glauben. Den Orientalen überzeugten die
Wunder, aber sie gaben ihm den lebendigen Geist nicht: die
orientalische Kirche blieb in dem Buchstaben, der Form be-
fangen und nur den Namen hatte sie mit uns gemein. Diesen
Widerspruch löste Mohammed, indem er dem alten äusserlichen
an Formen und Fasten hangenden Judenthura einen neuen
Namen, Islam, verlieh. Mit Recht konnte er ihn die Fort-
setzung des Alten Testamentes nennen, und er wird so
lange in der Welt unter wechselndem Namen vorkommen,
als es Anbeter des Buchstabens gibt. So ging Afrika ver-
loren, so ganz Vorderasien und Arabien. Was neugewonnen
wurde, Indien, China und Japan, wurde ebenso schnell wie-
der abtrünnig. Die Saat war auf felsigen Boden gefallen und
die Vögel des Himmels, die Zufälle, frassen sie auf. Wenn
nun nach tausend Jahren, in denen die ganze Weltlage sich
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58 Einleitang.
verändert und ihr Schwerpunkt sich zum Norden geneigt hat,
wir von Neuem Afrikas Bekehrung versuchen, so liegt die
Frage nahe: Welche Befähigung hat der heutige Afrikaner zum
Christenthum; neigt sich sein Geist mehr zu uns oder zum
Islam? Wer wird endlich Sieger sein?
Der Afrikaner ist im Allgemeinen leichtgläubig; aber er
wird selten fanatisch. Er ist nur da Heide, wo man ihm
nichts Besseres gelehrt hat; aber er bekehrt sich mit Freuden
zu einer hohem Gottesanschauung, wenn sie seiner Natur
nicht Zwang anthui Er untersucht wenig; das Wunder scheint
ihm natürlich; die Einheit Gottes hat bei ihm keinen Beweis
nöthig. Dann hält er sehr fest daran , ohne aber an die Wei-
terverbreitung, an Bekehrung seiner Nachbarn zu denken.
Denn durch sein ganzes Leben zieht sich als rothe Ader der
Hang zur Isolirtheit, zum Auseinandergehen , eine C^ntrifugal-
kraft, die dann wieder durch einen extremen Despotismus
bekämpft werden muss. Deswegen gibt es unter den eigent-
lichen Afrikanern so wenig Aristokratien, die immer aus dem
Hang der Familie, zusammenzubleiben, sich zu vereinigen,
hervorgehen. Deswegen sehen wir in dem von Fremden un-
berührten Afrika meist sehr primitive Demokratien, friedlich
nebeneinander lebende Gemeinden ohne staatlichen Zusam-
menhang, ohne- Beamten und König, ohne gegenseitige Schutz-
und Hülfspflicht. Da aber die Extreme sich berühren, finden
wir dann wieder crasse Autokratien, wo Einem Tyrannen Le-
ben und Land , Weib und Kind seiner Unterthanen von Rechts
wegen angehören.
Jedem dieser Zustände kommt der Islam sehr erwünscht.
Er mildert die unbedingte Autokratie, indem er die Gleich-
berechtigung der Menschen vor dem göttlichen Gesetz aner-
kennt. Den isolirten Gemeinden aber, denen zur Verbindung
das Gefülil der Familie oder der organisirten Selbstwehr fehlt,
bietet er einen Punkt der Einigung, die Religion, die jeden.
Gläubigen zum Freund, jeden Käfer zum Feind stempelt und
nur den letztern zur Sklaverei verdammt. Sie vereiniget ihre
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Einleitung. 59
Proselyten zum Kampf gegen das Heidenthum. Nun darf die
Gemeinde nicht mehr müssig dastehen , wenn das nachbailiche
Dorf in Flammen aufgeht. Der Glaube gebietet schnelle Hülfe,
festes Zusammenhalten. Es bildet sich ein Staat, aber keine
Theokratie. Denn da im Islam Staat und Religion zusammen-
fallen, muss die Kirche fehlen und ein eigentlicher Priester-
stand ist nicht nöthig, wo der Gottesdienst in Gebeten besteht,
die jeder Gläubige für sich verrichten kann. Der Fakih oder
Schriftgelehrte ist eher ein Schulmeister, der den Kindern
lesen, den Entwachsenen beten lehrt, aber es fehlt ihm die
Hierarchie, die allein den Stand begründet.
Der Islam geht zum Aeusserlichen , strebt nach Oeffent-
lichkeit. Da seine Gebete nicht Bitten in unserem Sinne sind,
sondern ein liob Gottes und seine Verherrlichung, so dürfen
sie nicht in das stille Kämmerlein verschlossen werden, son-
dern sie müssen am hellen Tageslicht in die Augen der Welt
fallen, zum Stolz der Freunde, zum .Aerger der Feinde die
Einheit Gottes manifestirend. Wir Christen gehen oder sollen
wenigstens nicht in die Kirche gehen, um unsere Frömmig-
keit zur Schau zu tragen; wir suchen sie oft nur auf, weil
wir zu Hause inmitten der Freuden und Leiden der Familie
oft der stillen Kammer entbehren, wo wir unsere herzinnig-
lichsten Anliegen dem allerhörenden Vater vorbringen können.
Der Mohammedaner denkt nicht daran, mit Beten das von
Ewigkeit vorbestimmte, von Gottes Hand geschriebene Schick-
sal ändern zu können; sondern es ist seine Pflicht, Gott öf-
fentlich Zeugniss zu geben und was bei uns Heuchelei schiene,
ist bei ihm eine Tugend. Dass diese Oeffentlichkeit der Eitel-
keit des Menschen und besonders des Afrikaners, der so gerne
glänzt, schmeichelt, ist gewiss; denn niemand wird sich ver-
hehlen, dass das Bewusstsein, fromm zu sein, noch frömmer
macht) dass auch die armselige Eitelkeit den zum Himmel
strebenden Menschenstamm parasitisch umwuchert und oft
erstickt.
Die Religionssprache des Islam, das Arabische, hat etwas
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50 Einleitung.
Tönendes, Ehrfurchtgebietendes; sie ist männlich, fast hart,
da wo sie wie in der Umgangssprache der vollen Vocale ent-
behrt; aber nicht so in dem alten klangreichen Koran. Ob
der Text desselben göttliche Hand verrathe, das ist eine Frage,
die uns nicht angeht, da die meisten Mohammedaner wenig
an den Sinn der Worte denken und die Formreligion sich an
der Form ergötzt. Doch enthält er, seinem Gehalte nach
genommen, eine Menge Kraftsprüche und Regeln für jede
Situation des Lebens, womit auch der ungebildetste Mann
den religiösen Gegner sich vom Leibe zu halten weiss. Die
Form dieses Buches ist ungemein geschickt in der fast rhjrth-
mischen Eintheilung der Verse und der freilich rohen Rei-
mung, die das Auswendiglernen und die halb gesungene Re-
citation fast angenehm macht.
Wer es selbst nicht erfahren hat, der sollte nicht glauben,
dass neben dem römischen Choral, neben dem protestantischen
Kirchenlied auch das islamitische öflFentliche Gebet Kirchen-
gesang genannt werden darf und dass auch er auf das Ge-
müth wirken kann. Wir erlauben uns, aus unsem alten Ta-
gebüchern eine Stelle mitzutheileu , worin wir den frischen
Eindruck, den er auf uns machte, wiedergaben.
„Es sind zehn Jahre her. Dort oben stand ich auf der
Citadelle von Cairo, wo Mohammed Ali's Grabmoschee auf
die verfallende Stadt hinuntersieht. Da liegt er ruhig, wo er
seine Feinde vernichtete. Es war ein Abend, wie sie der
Orient so wunderklar hat. Noch stand die Sonne am Rand
des Horizontes und ihre Strahlen hingen an den Hunderten
von Minarets im Scheiden. Es war ein Anblick, eigenthüm-
lich schön, herrlicher als was ich je gesehen: dort im Westen
der übergetretene meergleiche Nil, der alte Befruchter des
Landes; noch weiter gegen Abend die in den Wüstensand
scharfgezeichneten Pyramiden, die schon andere Zeiten ge-
sehen haben und noch manche Stadt und Volk vergehen sehen
werden, und hier unter mir Kahira, die siegreiche Stadt der
Chalifen. Welch ein Contrast, dort das Sinnbild der Ewig-
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Einleitung. 61
keit, hier der Vergänglichkeit! — Die Sonne sank: es dunkelt
schnell im Orient. Da erhob sich mit Silberklang die Stimme
des Gebetrufers vom nächsten Minaret und Hunderte ahmten
ihr nach, singend:
«Allahu ^.kbar! Gott ist gross 1 0 Gläubige betet: Es
gibt nur Einen Gott und Mohammed ist sein Prophet!»
Und Millionen beten zur gleichen Stunde im gleichen Glauben
zum gleichen Gott in feierlichem Lobgesang. Die Töne stei-,
gen ULud fallen, wie sich die Betenden beugen und erheben;
bald erhebt sich der Choral zu den höchsten Brusttönen und
füllt jauchzend die hohen Gewölbe, bald sinkt er hinab in
die melancholischen Alttiefen und wird zu einem geisterhaften
Murmeln und scheint zu ersterben. Dann erhebt er sich von
Neuem, Männer und Knaben unisono, und erlöscht wieder,
bis er sich in die eintönigen Schlussformeln auflöst. In dem
von düstem Lampen ungebrochenen Dunkel können die Töne
ungestört an's Herz dringen. — Wann werden die Tage kom-
men, wo diese Stimmen Schweigen, Cairo in Schutt liegt und
hn Lande der Rechtgläubigen Franken Gesetze geben? Wann
wird dem Abendlande selbst die Stunde der Vernichtung schla-
gen? — Ich war erschüttert, ich mochte weinen; denn der
Sprach des alten blinden Sängers überfiel mich, dessen der
siegende Scipio gedachte, als er in die Flammen Karthago's
niederblickend und seines Volkes gedenkend ausrief:
Einst wird kommen der Tag, wo die heilige Ilios hinsinkt,'
Priamos selbst and das Volk des lanzenkundigen Königs!"
Fahren wir in unserer Untersuchung fort! Die Moham-
medaner alten Datums sind immer die gleichen Strenggläu-
bigen wie von Alters her. Sie stimmen alle in unbedingtem
Preis ihrer Religion und in unbedingter Verachtung aller an-
dern überein und es wäre unmöglich, den feigsten, schwächsten
Mohanmiedaner zu bewegen, seinen Glauben in den kleinsten
Punkten zu verleugnen. Diese ungeschwächte Glaubenskraft,
die unserer zweifelvollen unentschlossenen Civilisation abgeht,
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62 Einleitung.
flösst dem Neubekehrten Vertrauen ein. Indem femer der
Islam das Märtyrerthum nur verdienstlich, nicht noth wendig
macht — denn Gott kennt das Herz — erleichtert er jeden-
falls den Uebertritt. Er verlangt von dem Afrikaner wenig
Lebensreformen. Durch Scheidung und Polygamie wird auch
Zügellosigkeit tolerirt. Dem rachsüchtigen Schwarzen gebietet
der Koran den Hass; er sagt ihm nicht: Liebe deine Feinde,
dulde! Er erlaubt ihm die Rache; er sagt ihm: Kämpfe,
siege! Dem stolzen, sinnlichen Afrikaner bietet er eine lebens-
frohe Männerreligion, die es zur Ehre macht, rechtgläubig zu
sein. Das Kreuz ermahnt zur Selbstverleugnung, zur Demuth,
die jedenfalls der Frau besser ansteht.
Doch können wir nicht verhehlen, dass, so sehr der Islam
dem Afrikaner zusagt, es ihm doch schwer wird, alle seine
Vorschriften treu zu beobachten. Der Afrikaner hat keine
unnatürlichen Laster; aber er ist lau im Gebet und nachlässig
im Fasten. Er ist grosser Freund von geistigen Getränken; beson-
ders die ackerbauenden Stämme leben hauptsächlich von Bier
und man kann ohne Uebertreibung sagen , dass drei Viertel der
Erndte immer darin aufgeht. Femer haben die Afrikaner meist
einen sehr zweideutigen Begriff von der Heiligkeit der Ehe;
gewöhnlich lebt der Jüngling in wilder Ehe mit seiner Ge-
liebten, bis ihr^die Schwangerschaft mehr Rechte gibt. Ehe-
bruch wird selten bestraft. So weit geht nun allerdings die
Toleranz des Islam nicht; er verdammt den Genuss des
Bieres und den Umgang mit Mädchen, die Urlaster Afrikas.
Die neuem Religionslehrer verbieten sogar den Gebrauch des
Tabaks, dem die Afrikaner leidenschaftlich ergeben sind.
Die Ackerbauer bauen und rauchen, die Hirten schnupfen
und kauen ihn. Dagegen kämpfen die Religionslehrer ver-
geblich. Jedes Jahr durchziehen sogenannte Sheich das Land
und eifern gegen die eingerissenen Missbräuche; sie schüren
das Feuer der Frömmigkeit an; sie organisiren fronmie Ver-
eine, deren Mitglieder, die Foqara, geloben, nicht mehr zu
trinken, keinen Tabak mehr zu sich zu nehmen und im Be-
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Einleitung. 63
ten fleissiger zu werden. Dann werden alle Bierhafen zer-
brochen, der Tabak wird verpönt; aber kaum ist der Sheich
wieder abgereist, so kömmt alles auf die alten Gebräuche
zurück. Wir erinnern uns des jungen Sheich Djafer von Mekka,
der vor einigen Jahren von Chartum nach Massua ging; er
war stets von Hunderten von Gläubigen begleitet, in jedem
Dorf erhielt er einen freiwilligen Tribut, den er sogleich unter
die Annen vertheilte; er predigte viel und stiftete überall
fromme Vereine. Die guten Vorsätze gingen aber nach seiner
Abreise schnell zu Wasser. So schwer ist es mit dem Glau-
ben das Leben zu reformiren.
üebrigens schadet diess dem Islam durchaus nicht, da ihm
die Moral immer eine Nebensache bleibt. Da der Glaube
allein selig macht, so verliert selbst der grösste Sünder den
Muth nicht: der Prophet wird seine Anhänger doch vom
Feuer zu erretten vermögen. Diese Trennung von Theorie
und Praxis beschützt vor Verzweiflung und spornt zu ernstem
unbedingten Glauben, während das Christenthum, bei dem
Glauben und Werk unzertrennlich sind, den Sünder oft zum
Unglauben hinzieht, der ihm die Furcht benehmen soll. Wenn
daher der Afrikaner auch gegen das Gesetz handelt, so wird
er deswegen gar kein Zweifler oder Atheist.
£s gehört wenig Genie dazu, die mohammedanische Ein-
heit Gottes zu lehren oder zu lernen; wenig Gedächtniss, ein
paar Suren auswendig zu wissen; Bibelübersetzung, Dogmatik,
Liturgie sind überflüssig; Priester fehlen, höchstens sind
Schulmeister da, die leicht ihren Unterhalt von denen finden,
die lesen lernen wollen. Fehlen sie oder irren sie, so steht
deswegen die Religion nicht in Gefahr, da die Glaubensfor-
mel aus Einem kurzen Axiom besteht, das sich nicht ändern
kann. Das christliche Dogma ist ziemlich verwickelt, umständ-
lich; man muss denken, um es zu begreifen und begreiflich zu
niachen; Irrthümer liegen nah, wie grobes materielles Ange-
bäng und Auffassung. Deswegen weist der Afrikaner den
Islam nie zurück und ist stolz auf seine Bekehrung; denn er
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64 EinleituDg.
erkennt den grossen Fortschritt vom Heidenthum weg ohne
Mühe, während das complicirte Christen thum schon analysirt
und studirt werden muss. Deswegen sind die Mohammedaner
fast alle einig, von gleichem Glauben und Wort, während die
Christen in keiner Frage zusammenstehen und sich unter-
einander ärger bekämpfen, als die Heiden; einer stellt den
andern bloss und macht ihn lächerlich. Der daraus entstehende
Skandal flösst natürlich wenig Zutrauen ein, da der arme
Heide am Ende nicht weiss, wem er zu glauben hat. Die
Stellung des Missionärs wird daher bei jeder Religion eine
ganz andere. Der Islam verträgt den einfältigsten Prediger,
wenn er nur eifrig ist und das fehlt nie. Für unsere Mis-
sionen haben wir ganz eigen thümliche, allseitig gebildete Gei-
ster von grossem Charakter nöthig, da die Uebersetzung und
Verdeutlichung unseres ßeligionssystemes schwierig ist und
Irrthümer nahe an der Hand liegen; der hierarchische Stolz
führt zu Schismen,^ die Errichtung des Klerus in Staat und
Stand zu CoUisionen und weltlichen Umtrieben, wovon der
Islam nichts weiss.
Um diese Gegensätze zu vervollständigen, müssen wir be-
denken, dass der Mohammedaner in Afrika schon lange zu
Hause ist; selbst der Araber ist dem Afrikaner in Geist und
Farbe nahe verwandt. Wir haben eigentlich nur Abyssinien
und selbst dieses Land nur theilweise, da uns die Eingebor-
nen in allem, besonders in der Farbe fremd vorkommen; wir
linden es sehr schwer, uns den Gedankengang des Afrikaners
anzugewöhnen, uns geistig zu acclimatisiren.*) Wir bleiben
♦) Um uns deutlich zu machen, wollen wir die verschiedene Den-
kungsart nur mit einem Beispiel darstellen. Um uns zu überzeugen,
wie fanatisch wir sind, brauchen wir nur der ersten Unterhaltung zwi-
schen Europäern zuzuhören, wo ganz anständige Leute über den Na-
men einer Pflanze in Eifer gerathen können. Diese kommt dem Afri-
kaner lächerlich vor; freilich ist diese die Frucht unserer etwas über-
spannten Energie ; Toleranz ist das Kind der abgespannten Gleichgültigkeit.
Daherkommt es, dass uns der Staat so eng unischliesst, dass uns die
Gesellschaft in Ketten gefangen hält, dass unsere Freiheit durchaus
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Einleitung. 65
immer fremd, wir stossen an, ohne es zu wollen; wir sind
überlegen an Geist, aber es fehlt uns meist der gesunde Men-
schenverstand. Unser Missionär hat lange Zeit nöthig, bis er
nur die Sprache des Landes gehörig kennt. Viel hängt von
seinem persönlichen Charakter und Betragen ab. Diess ist bei
dem mohammedanischen Prediger keineswegs der Fall. Wäh-
rend dieser nun gleichsam in sein eigenes Haus zu Gleich-
gesinnten kommt, gehen wir in die Fremde und werden
selten afrikanisch denken lernen. Wir müssten, kurz gesagt,
zu Missionären wahre Heilige haben, die alles ihrem Zweck
aufzuopfern im Stande sind , während in der Wirklichkeit un-
sere Sendboten gewöhnliche Leute sind, die sich nie mit afri-*
kanischer Nüchternheit zufrieden geben wollen und so vor-
sichtig sind, sich unter den Schutz ihrer Regierung zu stellen,
nicht die Ungenirtheit der einzelneu Person bedeutet. Die Intoleranz
will sich in alles mischen. Das Gegentheil findet sich in Afrika, wo
das Gesetz nur den Aufrührer und Verbrecher befeindet, sich aber um
alles andere nicht kümmert Der Staat ist das Kind der Nothwendig-
keit und oft selbst des Zwanges, da der Stärkste auf Kosten der an-
dern leben will ; aber über die natürlichen Grenzen geht er nicht hinaus.
Was gehen ihn Handel, Sitten, Strassen und Erziehung an? Das gilt
selbst noch für die Türkei, wo man sich viel freier fühlt, als bei uns.
Jeder denkt an sich und wenig an den Nachbarn; jeder ist Herr in
seinem Haus und besonders in seiner Familie, die ihm gehört, nicht
wie bei uns, wo der Staat die Kinder beansprucht Daher ist Kinds-
mord in Afrika kein Verbrechen; die Mutter kennt besser ihren Vor-
theil. Der Staat kümmert sich nur um die öffentliche Ordnung und
selbst da ist er nur Cassationshof , da die Familie oder die Gemeinde
die erste und meist entscheidende Instanz hat. Die Hauptregierang
betrifft den Tribut, nicht als Budget, sondern als Zoll an den Mäch-
tigsten, der sich und seine Diener damit bereichert und dafür die Leute
unbel ästigt l&sst Der Staat in unserm Sinn des Wortes existirt in
Afrika nicht und ebenso wenig die Gesellschaft Zweifelsohne ist das
Menschengeschlecht* hier in seiner Kindheit begriffen; aber auch wir
befinden uns nur in der Mittelstufe, solange der Staat den Bürger
erziehen will. In Afrika hat der Mensch eine unbewusste Freiheit, die
er missbraucht; wir werden einst eine bewusste Freiheit haben, die wir
gebrauchen können. — Wenn nun der Europäer mit seinem bevormun-
denden Geist nach Afrika kommt, so erscheint er dem Afrikaner als
ein Tyrann: Nimm mein Geld, aber lass mir meine Sitte, sagt er ihm.
Hunzinger, Oatafrik. Stadien. O
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QQ Einleitung.
der jedenfalls Misstrauen erregt. Der Muslim ist von Natur
Missionär; er macht seine Geschäfte und treibt nebenbei den
Pfarrer; er erinnert lebhaft — verzeihe man den Vergleich —
an die Apostel, die von ihrem Handwerk lebten. Er verlangt
nichts und von wem sollte er es verlangen; er treibt Mission
auf eigene Faust und Kosten. Bei den Christen aber ist
Mission ein Geschäft, das eigens bezahlt und geleitet sein will;
wir sehen es sogar oft ungern, wenn unsere besten Kräfte
in's Ausland gehen. Deswegen können wir unsere Missionen
nie auf den Standpunkt bringen, wie die Muslimin.
Der Muslim glaubt alle Mittel, selbst Gewalt und Betrug
erlaubt, wenn sie nur zum wahren Glauben führen. Man
muss bedenken, dass der Afrikaner sich in Gottes Hand glaubt,
die ihn blindlings führt und nöthigl In der Gewalt erkennt
er einen Fingerzeig Gottes; wir haben oft Neubekehrte über
das Motiv ihres Uebertrittes befragt: „Gott hat mir's ange-
than" meinten sie; sie waren dazu gezwungen worden. Da-
her hat die Gewalt in religiösen Sachen nichts Unnatürliches;
da sie Gottes Wille scheint, muss die Bekehrung aufrichtig
und fest gemeint sein. Die Afrikaner sind nämlich alle Fa-
talisten und seien sie Christen, Heiden oder Mohammedaner,
schreiben sie Leben und Tod, Glück und Unglück, Tugend
und Verbrechen der unmittelbaren Hand Gottes zu. Mit die-
ser blinden Nothwendigkeit entschuldigt sich der Missethäter,
tröstet sich der Unglückliche; in das Unabänderliche sich er-
gebend verlacht er selbst den Tod. Auch der kleinste Zufall
wird Gott zugeschrieben: dem Schicksal, dem Tag, dem Ge-
schriebenen, wer kann ihm entrinnen? In der Praxis freilich,
instinctmässig nimmt der Kranke Arzneien ein und niemand
stürzt sich der Consequenz wegen von einem Felsen hinunter.
Dennoch wird niemand bezweifeln, dass der Glaube an die
Nothwendigkeit, der jedem Afrikaner tief einwurzelt, ja mit
angeboren ist, der Verbreitung des Islam grossen Vorschub
leistet.
Wir haben bis jetzt nur Momente kennen gelernt, die den
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Einleitung. 67
Islam begünstigen; wir wollen jetzt eine Seite des Afrikaners,
ja eines jeden Menschen erwägen, die ihn eher dem Christen-
thum befreunden sollte: das ist der Wunderglaube. Der Islam
ist eine natürliche Religion; sein einziges Wunder ist die
Offenbarung, das natürlich ausse6a!It; da das ganze Alte Testa-
ment, das Gemeingut aller Monotheisten, auf dem Verkehr der
Propheten mit Gott beruht. Wenn aber Mohammed betheuerte,
dass er nicht geschickt sei, um Wunder zu wirken, dass man
seine Religion eben an und für sich glauben müsse, so hat
es ihm niemand geglaubt. Seinen Schülern schien die Re-
ligion ohne Wunder doch unbewiesen zu bleiben und Gott zu
ideal dazustehen. Sie schrieben also ihrem Propheten trotz-
dem mährchenhafte Wunder zu; sie schufen ihre Heiligen und
ihre Sheich's, die Kranke heilen, die Zukunft voraussagen,
selbst vom Tode auferstehen und je nach Gefallen Heil und
Unheil bringen können. Solche Heilige werden in Person und
Vermögen sehr respectirt; niemand wagt sie anzufassen, da
plötzlicher Tod, Krankheiten, Regenmangel ihrem Unwillen
zugeschrieben werden. Die Mohammedaner haben deshalb
viel mehr Wunderglauben, als wir und einen eigentlichen
Heiligencultus; der kleinste Zufall wird zum Wunder gestem-
pelt; eine erfüllte Prophezeiung wiegt zehn falsche auf. Der
Mensch und besonders der afrikanische Mensch will nichts
Ton einer natürlichen Religion wissen; der Aberglaube wuchert
trotz der Nüchternheit des Korans inmier fort. Denn der
Mensch hat Wunder und Heilige, er hat Mittler nöthig, um
einen persönlichen Gott zu verstehen ; darin liegt etwas Hand-
greifliches, Verständliches. Besonders der Afrikaner glaubt
lieber an das Unnatürliche und Uebernatürliche und zieht es
dem Natürlichen weit vor. So sieht der Islam besonders in
Afrika durchaus nicht mohammedanisch aus und die Reformen
der Wehabiten und Fullata sind nur ohnmächtige Protesta-
tionen gegen den Wunderglauben. Dieser Tendenz des Men-
schengeistes trägt das Christenthum mehr Eechnung. Wenn
wir aber alle die aufgeführten Gegensätze in Erwägung ziehen,
5*
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68 Einleitang.
SO muss uns der Sieg des Kreuzes in Afrika und selbst in
Abyssinien wenigstens in diesen Zeiten mehr als zweifelhaft
erscheinen. Wir enthalten uns, den Islam an und für sieh
zu beurtheilen; er bezeichnet den Standpunkt, auf dem sich
der Orient vor 1200 Jahren befand und noch jetzt befindet;
er ist der systematische Ausdruck des Formengeistes, der dem
Orient eigen ist. Er brachte nichts Neues, er gab den vor-
liegenden Zuständen nur einen neuen Namen; die orientali-
schen Kirchen, die christlich geblieben sind, sind ihm in
nichts überlegen; denn der pharisäische Geist ist beiden eigen-
thümlich. Wir wollen deshalb die Bemühungen der Missionäre
nicht unbedingt verurtheilen ; sie werden, wenn ehrlich ge-
meint und von Liebe erzeugt, immer dankenswerth und
fruchtbar sein, wenn wir die mit Nummern gezählten Bekeh-
rungen, die nur die Aussenseite verändern, verachten; hofiFen
wir viel von den Bestrebungen, den Afiikanern Bildung zu
schenken und ihnen mit Thaten ein gutes Beispiel zu geben:
denn eine gute That fällt nie auf steinigen Boden , wenn auch
ihre Früchte nicht so unmittelbar an den Tag treten, wie
glänzende aber zweifelhafte Bekehrungen.
XL
Wir wollen aus dem Gesagten einige Schlussfolgerungen
ziehen; wir müssen uns aber, um deutlich zu sein, eines Um-
weges bedienen. Wenn es widersinnig wäre, das Principat
unserer modernen Civilisation zu leugnen, so muss doch nicht
vergessen werden, dass wir es erst in der Neuzeit errungen
haben. Die Indier, die Perser, Chaldäer, Araber und Aegypter
sind indirect ebenso gut unsere Lehrer und Meister, wie die
classischen Völker. Wie wir sie ersetzt haben, können uns
auch andere in der geistigen Herrschaft einmal ersetzen.
Der Schwerpunkt der Weltcultur lag früher dem Persischen
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Einleitung. 69
Meerbusen und so dem Indischen Ocean näher; dann rückte
er an das Mitt^lmeer dem Westen zu und schwebte über Sy-
rien, Griechenland, Italien, Karthago, Spanien und Portugal,
bis er durch die Entdeckung der neuen Welt auf Westeuropa,
dem Atlantischen Ocean zu, ruhen blieb.
Wir dürfen uns also nicht vorstellen, als wären wir par
excellence das Volk der Cultur, die ja noch zu frischen Da-
tums bei uns daheim ist; eine Reihe günstiger Umstände trieb
uns zur Cultur, deren Fortschritt jedenfalls dem Fallgesetz
unterworfen ist, d. h. je weiter sie kommt, um so schneller
wird ihr Gang. Von diesen Triebfedern wollen wir die grössern
bekannten hervorheben: die durch die geographische Lage,
die Flüsse und Meerbusen gebotene, vom Dampf mächtig ver-
mehrte materielle Verkehrsleichtigkeit — und die Erfindung
der Buchdruckerkunst.
Der Zusammenhang liegt nicht fern: Flüsse, Eisenbahnen
vermitteln den materiellen, die Buchdruckerkunst den geistigen
Verkehr der Völker. Und die Entwickelung der Menschheit
begünstigt besonders die Aufhebung der Isolirtheit: denn der
gegenseitige Verkehr befördert den Wetteifer; man stösst und
wird gestossen. Diesem Krieg im Frieden verdanken wir
unsere jetzige Ueberlegenheit und wem es darum zu thun ist, auch
Ostafrika aus seiner Isolirtheit gegen sich und die Aussenwelt
zu reissen, der vermehre seine materiellen Verkehrsmittel.
Man sieht schon aus der Karte, welch unzugänglicher
Klumpen Afrika ist; es fehlen ihm die Meerbusen, zu wenig
Flüsse sind da und viel zu viel Wüsten. Von Abyssinien
haben wir schon gesehen, wie seine Natur jeden Verkehr er-
schwert. Also hat es gute fahrbare Strassen nöthig und um
dazu zu kommen, ist es gesunder Politik angemessen, jede
einheitliche Regierung, wie sie heissen möge, zu unterstützen.
Dadurch wird der Ausgang nach dem Rothen Meere hin er-
leichtert; da werden sich DampfschiflFslinien reichlich lohnen
und diese und eine nicht so unmögliche Eisenbahn von Suakin
zum Nil, sie werden ganz Ostafrika eine neue Gestalt ver-
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70 Einleitung.
leihen, da der Handel der Nilländer, den jetzt die Wüste so
sehr hemmt und dem der selten schiffbare Nil kaum hilft,
frisch und gewaltig dem nächsten Hafen zueilen und Inner-
afrika öffnen wird. Denn es ist der Triumph der modernen
Wissenschaft, dass sie die Natur besiegt in ihren Vortheilen
und Nachtheilen. Europa verdankt seine Grösse seinen Flüssen
und Meerbusen; bald werden diese nur hinderlich sein und
der Dampf sich über alle hinwegsetzen; dann wird Afrika
nicht mehr zurückgestellt sein.
Wir deuten hier nur an und skizziren, da wir uns ein
anderes Mal mit den ostafrikanischen Verkehrsmitteln be-
schäftigen wollen. Wenden wir uns zu dem geistigen Verkehr
der Völker; seine Factoren sind die neue Bahnen brechenden
Genies, ihr Träger die menschliche Sprache. Es fehlt keinem
Volke der Erde an hervorragenden Geistern und grossen
Charakteren, keinem an einer ausdrucksvollen Sprache; aber
die Geister anderswo entbehren der günstigen Gelegenheit und
Verkehrsleichtigkeit, um auf die Massen einzuwirken.
Wird die Sprache nur geredet, so vermittelt sie den engern
Verkehr, aber reicht natürlich wenig weit. Da sie dem Ohr
und dem Mund nur anvertraut ist, bilden sich die Menschen
je nach dem Klima und der Lebensweise neue Dialekte, ja
neue Sprachen daraus, wodurch die Vereinzelung der Stämme
immer bestimmter, ihr freundlicher Verkehi» immer schwieriger
wird. Ihr Unterschied in Charakter und Sitte drückt sich
besonders frappant in der Sprache aus, wie der Stempel auf
der Münze und verewigt den Völkerhass.
Wird aber eine Sprache auch geschrieben, so verändert
sie ihren Charakter; sie verliert an Schönheit und Formen-
fülle; aber sie wird bequemer, einfacher, grammatisch be-
handelt und festgestellt. Sie zerstört das Leben der Dialekte,
die sich der geschriebenen Norm unwillkürlich zu nähern
suchen. Die Schrift erleichtert den Ideenaustausch und macht
erst Wissenschaft möglich, der das blosse Gedächtniss nicht
genügen kann.
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Einleitung. 71
Nun schenkt Gott jedem Volk Genies, die mit ihren neuen
Ideen zum Fortschritt mahnen. Steht ihnen nur die Rede
zu Gebote, so ist ihr Einfluss jedenfalls nur local; ihre Lehren
werden schnell vergessen. Haben sie aber als Werkzeug die
Schrift, so bemeistern sie sich der Wissenschaft. Das Manu-
script aber ist so schwer zugänglich, dass die neuen Lehren
und Künste nur einem sehr kleinen ausgewählten Publikum
bekannt werden können. Der Geist wird das Monopol einer
Zunft von Priestern und Gelehrten, die ihn zur Geheimlehre
machen.
Plötzlich aber verändert sich die Welt: die Buchdruckerkunst
macht jede neue Idee zum Gemeingut des Volkes. Von jetzt
an ist kein guter Gedanke mehr verloren und die Bildung
verbreitet sich allmählig auch bis in die untersten Schichten
der Gesellschaft. Wenn nun das Grösste gethan ist, so sind
auch wir nicht weit; noch immer muss der grösste
Theil des Volkes gleichsam weitergeschoben werden; auch
Oberflächlichkeit ist da und ihr Kind, der Stolz; der Abstand
zwischen dem Gelehrten und der Volksmasse ist noch so un-
geheuer, dass die Wechselwirkung bis jetzt wenig gefrommt
hat; noch immer haben wir uns von einer blinden Verehrung
der Vergangenheit, heisse sie Alterthum oder Mittelalter, nicht
frei gemacht.
Nicht eine Bevorzugung also eines von Gott auserwählten
Volkes, nicht eine verschiedene Gehirnbildung stellt uns über
die barbarischen Völker, sondern der leichtere Verkehr für
Geist und Materie, begünstigt durch viele kleinere Zufälle
und Umstände. Wir waren einst roh und trag; wir sind es
zum Theil nicht mehr seit kurzer Zeit. Wer weiss, wie lange
der Germane in seiner Wildheit verharrt hat? Wer weiss,
wozu uns die Uebertreibung der Cultur führen kann? Wer
nun wünscht, es möge auch in Afrika und besonders in dem
christlichen Abyssinien geistiges Leben und der Trieb zum
Fortschritt erwachen, der habe Bedacht, dessen geistige Ver-
kehrsmittel zu erweitern: man lehre es lesen! Man stifte
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72 * Einleitung.
Schulen! Man beschenke es mit Buchdruckereien ; man über-
setze fiassliche Bücher, die von Confession abstrahiren und
allgemeine Belehrung bieten. Man darf nicht fürchten, das
Buch finde keine Leser. Kein Volk der Erde verschmäht
Unterhaltung, keines ist frei von Neugierde und Wissenstrieb.
So verstehen wir die Mission.
XII.
So viel haben wir von allgemeinen Betrachtungen Toraus-
geschickt, um das Verständniss alles Folgenden zu erleichtern.
Auf den Abhängen Abyssiniens gegen Norden finden wir nun
mehrere kleinere Völker, halb Abyssinien, halb Aegypten unter-
worfen, halb christlich, halb mohammedanisch, halb Nomaden,
halb Ackerbauer, mehrere sehr eigenthümliche Sprachen
sprechend; die meisten verwahrloste Vorposten des Hochlan-
des. Da sie seit langer Zeit sich selbst überlassen sind, so
haben sie ihre alte Sprache , Sitte und Recht unverfälscht auf
die Gegenwart gebracht, was die Aegypter und Abyssinier nicht
gethan haben. Es ist uns also hier allein die Gelegenheit
geboten, ursprüngliche Volksverhältnisse zu studiren.
Wir können nun alle diese Völker vom Rothen Meer bis
zum Gash in drei Klassen theilen:
Die erste Klasse bilden die A^azi,*) bei denen das Tigre
vorherrscht; dazu gehören die Bewohner des Samhar und
der Küste bis Aqiq; die Stänmie des Anseba (Habab, Bedjuk,
Mensa, Bogos, Takue, Marea), einzelne Ansiedlungen im Barka
(Beit Bidel), Algeden, Sabderat und die Hallenga. Alle diese
Völker haben einen innern Zusammenhang, sie sind Abys-
*) Wir werden sie auch schlechthin Aethiopen heissen, da ja das
G'eez auch äthiopisch genannt wird; wir verwahren uns aber gegen
jede weitere Ausdehnung des Begriffes: Aethiopen.
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Einleitung. 73
sinier, alte Christen und bedienen sich des reinsten äthio-
pischen Idioms, des Tigre. Freilich findet sich unter diesen
Völkern auch fremde Mischung; so wissen wir, dass die Adelichen
bei den Bogos, etwa ein Drittel der Bevölkerung, Agou sind
und ihre Sprache ihren Unterthanen und auch ihren Nach-
barn, den Takue, aufgedrungen haben; aber Sitte und Recht
haben sie von dem Kern der Bevölkerung adoptirt. Ferner
müssen wir vermuthen, wie sich im Lauf der Arbeit ergeben
wird, dass der Adel der Mensa und der Marea arabischen
Ursprunges ist; er hat sich aber auch der alten Landessitte
bequemen müssen und der fremde Ursprung hat sich nur in
einzelnen aber scharf geprägten Zügen erhalten. Die allein
gültige Ausnahme bilden die Algeden und Sabderat; denn
nur die Sprache haben sie mit den übrigen gemein, sonst
gleichen sie eher ihren Nachbarn, den Bazen.
Unter allen diesen Völkern herrscht nun eine merkwür-
dige Uebereinstimmung in Sitte, Gebrauch und Recht. Wir
nennen sie aristokratische Völker, weil der Ständeunterschied
sie eigentlich charakterisirt und weil das ganze Recht auf der
Familie aufgebaut ist.
Wir haben vor mehreren Jahren Sitten und Recht der
Bogos beschrieben; wir ahnten schon damals, dass sie nicht
diesem Volke eigen thümlich seien, aber wir haben uns nun
auFs Genaueste überzeugt, dass, was wir für die Bogos an-
gegeben haben, für alle diese Völker im Grossen und Kleinen
gilt. Auf Grundlage dieses Rechtes und dieser Sitten also
werden wir in den folgenden Studien uns mit diesen Völkern
beschäftigen.
Nachdem tiieser allgemeine Zusammenhang erkannt war,
blieben einzelne Punkte zu erläutern. Wir mussten ein G'eez-
Volk als Quelle der Bevölkerung annehmen, das von Abys-
sinien entsprungen das Tiefland in Besitz nahm. Nun wurde
aber klar, dass diesem Urkern nach und nach neue Zweige
sich anschlössen und die alte Bevölkerung sich allmählig unter-
warfen. Wir mussten die Momente dieser kleinen Völker-
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74 Einleitung«
Wanderung verfolgen und diess werden wir in der Monographie
über das Samhar und über die Marea thun.
Beim Samhar aber musste auch die eigenthümliche Stellung
gegen das Meer und gegen Abyssinien, zwischen denen es
liegt, berücksichtigt werden, die Doppelstellung, die es von
beiden abhängig macht und woraus die kleine Monarchie der
Niab entstand. Hier also blieb die Sitte der A^azi bestehen und
auch die Sprache, aber die Berührung mit dem Ausland und
der Handel löste den alten Familienzusammenhang auf und
es bildete sich ein islamitischer demokratisch -monarchischer
Staat. Wenn wir also einerseits die Bildung dieses Staates
untersuchen, durften wir anderseits nicht verschmähen, die
Zustände der Insel Massua mit Benutzung fiüherer Arbeiten
darzustellen, da sie das Festland und das Hochland mit dem
Meer und Arabien in Berührung bringt.
Eine zweite Monographie forderte das Volk der Marea;
abgesehen vom geographischen Interesse, das besonders der
Anseba in Anspruch nimmt, boten sie uns Gelegenheit, das
aristokratische Recht der Ag'azi in seiner höchsten Entwicke-
lung zu beobachten; es vervollständigte so das Recht der
Bogos.
Diese Völker nun waren früher alle christlich und zum abys-
sinischen Reich gehörig. Da aber Abyssinien in Folge der
Bürgerkriege und fremder Einfälle sich nach und nach auf
das Hochland einschränkte, wurden diese Colonien isolirt;
ihre Kirchen verfielen, der Glaube wurde lau und nach und
nach gelang es dem* von allen Seiten andringenden Islam, sie
fast alle für sich zu gewinnen und auch politisch neigten sie
sich zu der mohammedanischen Grossmacht der Türkei. Wir
werden aber zu beschreiben haben, dass der Islam bis jetzt
nur äusserlich diese Völker unterworfen hat; auf Recht und
Sitte hat er noch wenig Einfluss geübt. Anderseits sind sie
Abyssinien so nahe, dass sie sich kaum seinem politischen
Einfluss entziehen können; wir werden also darstellen, wie
sich Abyssinien wieder gegen Norden auszudehnen strebt und
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Einleitung. 75
diese Grenzvölker den Türken abzuringen droht. Wir werden
ferner beobachten, dass diese Völker als Abyssinier und als
Kinder des Hochlandes Ackerbauer waren, dass aber die
Natur ihrer jetzigen Heimat sie allmählig zu halben No-
maden umgestaltet.
Die zweite Klasse bilden die von Norden kommende^ Bedui-
nen mit der Sprache To'bedauie, rein vertreten durch die Ha-
dendoa und die Besharin, zwischen Nil und Meer weidend
bis an die Grenzen Aegyptens. Die Beni Amer, denen wir eine
dritte Monographie vridmen, sind freilich ein Zwittervolk,
wozu die Ag'iEtzi und die Bedu (oder Bedja) beigetragen
haben; wir werden also die Verschmelzung dieser zwei frem-
den Stämme darzustellen haben; in der Sprache streiten sie
sich noch immer, aber in Sitte und Recht haben sich die
Beni Amer von den Bedu bestimmen lassen. Wir finden also
ein rein nomadisches Volk, fast ohne Ackerbau, in Zelten
wohnend, Kameele ziehend, während die Ag^'azi sich erst in
jüngster Zeit zu diesem für den Christen unreinen Thier
bequemt haben. Auch hier finden wir eine Aristokratie, aber
auf ganz anderer Basis , als bei den Tigrevölkern : denn wäh-
rend sie hier auf einem Schutzverhältniss beruht, ist sie bei
den Beni Amer'n feudal, indem der Herr seinen Unterworfenen
mit Eigenthum belehnt und sich davon eine Nutzniessung und
die Rechte des Herrn ausbedingt. Hierin und in dem gan-
zen Recht, besonders in den Eheverhältnissen, stimmen die
Beni Amer ganz mit den Hadendoa überein; der Einfluss des
islamitischen Rechtes ist natürlich nicht zu verkennen. Wir
werden also eine ganz eigenthümliche Rechtsauffassung kennen
lernen, die sich besonders durch Bevorzugung der Frau cha-
rakterisirt.
Die dritte Klasse endlich bilden die Völker der Bazen (Ku-
nama) und der Barea. Sie steht in einem so schneidenden
Gegensatze zu den bisher erwähnten Zuständen, dass wir es
nie bereuen können, ihnen eine eigene Reise gewidmet zu
haben. Seltenes Glück erlaubte uns, diese Völker als erste
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76 Einleitung.
Europäer und auch als erste friedliche Reisende kennen zu
lernen. Wir fanden die Bazen und die Barea als Nachbarn;
man müsste sie für ein und dasselbe Volk nehmen, wenn die
verschiedene Sprache diess nicht verböte; in Sitte und Recht
sind sie sich ganz gleich. Zu den aristokratischen Völkern
bilden sie einen eigenthümlichen Contrast; während dort die
Familie den Staat bedingt, leben die Barea und die Bazen
in Gemeinden; die Familie selbst hat keinen politischen Werth
und hat einen andern Sinn, da sie im Verhältniss zwischen
Onkel und Schwestersohn besteht. Richter ist nicht der
Familienvater, sondern die Aeltesten der Gemeinde; keiner
ist besser als der andere; keine Idee von Adel, fast keine
Sklaverei. Von Religion und Cultur ist keine Rede, wenn
auch der leere Begriff von Gott nicht fehlt. Diese Völker
sind essentiell Ackerbauer und sesshaft. Die Person steht
ihnen hoch, die Sache niedrig und diesen Principien gemäss
entwickelt sich eine ganz eigenthümliche Anschauung von
Sitte und Recht, die wir insofern chamitisch nennen können,
als die aristokratischen Völker wohl alle semitisch sind und
solche Verhältnisse bei näherem Studium nur noch bei den
afrikanischen Völkern gefunden werden können. Sie sind
wohl der Ueberrest des alten abyssinischen Reiches vor der
Einwanderung der Semiten, vor Einführung der positiven
Religionen, während die Zustände der A^azi- Völker uns den
Zustand des abyssinischen Reiches nach Einwanderung der
Semiten, nach Einführung jüdischer und christlicher Religion
vor dem Ueberhandnehmen der Amhara veranschaulichen. Wir
haben diesen Völkern eine eigene Monographie gewidmet; wir
beschreiben ihre Zustände an und für sich und den Kampf,
den sie mit ihren Nachbarn führen, isolirt und eingeengt
wie sie sind zwischen den Christen und Mohammedanern. Au
diese Reise schloss sich natürlich die Frage über den Lauf
und Stromcharakter des MWeb.
Um endlich ein viertes Volkselement, das Arabische, an-
zureihen, das mit Hülfe des Islam in Afrika und besonders
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Einleitung. . 77
im Nilthal immer mächtiger wird, haben wir einige Bemer-
kungen über die ethnographischen Verhältnisse von Kordofan
angefügt, wir behalten uns aber Weiteres darüber vor.
Wir wollten mit diesem vorläufigen Programm, das wir in
den einzelnen Monographien ausführen, den Innern Zusammen-
hang andeuten, in dem sie zueinander stehen. Jetzt müssen
wir eine allgemeine Uebersicht über die Sprachen geben, die
in diesem Gebiete gesprochen werden.
Vorerst müssen wir die zwei Hauptsprachen hervorheben,
die sich die abyssinischen Grenzvölker streitig machen, das
Tigre und das Bedauie, die beide erst jenseits des Gash
vom Arabischen begrenzt werden. Das Tigre oder Chassa,
wie es im Barka genannt wird, ist die Sprache der Bewohner
von Dahalak, der Beduinen des Samhar und der Beni Amer
des Söhel bis zur Höhe von Aqiq; es beherrscht femer die
Habab, die Mensa, Bedjuk, die Marea und den Gau Gümme-
gan. Von den Bogos und den Takue wird es wenigstens ver-
standen. Die Beni Amer theilt es mit dem Bedauie, sodass
die Leute von Söhel nur Tigre sprechen, die Leute des Barka
sich mehr dem Bedauie zuneigen, obgleich das Tigre überall
verstanden wird. Es ist ferner die Sprache der Algeden, Sab-
derat und. Hallenga, obgleich diese drei Stämme sich theil-
weise auch des Bedauie bedienen. Bei den Barea wird es
immer üblicher. Seine Grenze gegen das Arabische ist bei
dem Stamme Menrfa am Gash. — Man weiss, dass das Tigre
mit dem G'eez die innigste Verwandtschaft hat; es ist also
grammatikalisch und lexikalisch eine durchaus semitische, dem
Arabischen und Hebräischen verwandte Sprache; es ist die
Schwester des Tigrina, das das abyssinische Hochland diesseits
des Takkaze beherrscht. Es ist von uns genau studirt worden;
eine ausführliche Wörtersammlung davon hat Herr Professor
Dillmann seinem Lexicon Aethiopicum als Anhang beizufügen
erlaubt.
Die zweite Hauptsprache ist das To'bedauie oder die
Beduinensprache, die Muttersprache der Hadendoa und der
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78 • Einleitung.
Besharin, zum Theil auch der Beni Amer im Barka; es ist
die eigentliche originelle Sprache der Nomaden zwischen Nil
und Meer bis zu den Grenzen Oberägyptens*). Sie wird auch
Ton den Nachbarvölkern besonders am Nil häufig verstanden.
Die dritte Sprache von Bedeutung ist die Sprache der
Bazen oder der Kunäma. Sie steht ganz einzeln da; selbst
mit der Sprache der Barea hat sie nur wenige Wörter gemein.
Ihre südliche Grenze ist das abyssinische Shire und Wolkait,
östlich scheidet sie der M'areb vom Dembelas, westlich der
Atbara vom Arabischen. Das Nere wird nur von den Barea
von Higr und Mogoreb gesprochen. Endlich finden wir das
Bolen, einen Dialekt des Agou, bei den Bogos und durch Adop-
tion auch bei den Takue einheimisch.
Ueberschreitet man den Gash gegen Westen, so finden
wir die arabische Sprache, die das Nilland zum grössten Theil
beherrscht und sich bis Kordofan, ja an die Grenzen von
Darfor erstreckt. Nur das schmale Nilthal von Dongola bis
Assuan wird von zwei Dialekten der Nubasprache beherrscht.
Wir wollen nun theils avS das Gesagte gestützt, theils auf
das Folgende uns beziehend, die Völker vom Meer bis zum
Nil tabellarisch zusammenstellen. Wir nennen Aethiopen die
Völker abyssinischen G''eezursprunges.
♦)Wir veröffentlichen unsere Studien über diese uralte Sprache
in der vierten Abtheüung dieses Buches.
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EinleitaDg. 79
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80 Einleitung.
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Uanzinger, OtUfrik. Studien.
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82 EinleiiuDg.
XIIL
Wenn wir uns jetzt noch über unsere Methode aus-
sprechen, so geschieht diess zum Theil als Entschuldigung,
zum Theil als Selbstlob. Unser Buch ist keine Reisebeschrei-
bung im strengen Sinne des Wortes; was darin von der ge-
machten Reise angeführt wird, steht nur da als Erläuterung,
gewissermassen als Profil. Es fehlt ihm also der subjective
Standpunkt, wo der Reisende so zu sagen der Held des
Schauspiels ist, wo das wirkliche Object nur zu oft vor der
Gestalt des Er^hlenden in den Hintergrund tritt. Wir fühlea
hart, wie theuer uns diese Objectivität zu stehen kommt: der
Leser wird nie an uns denken; unsere Freuden und Leiden
bleiben ihm unbekannt. Wir wollen nun nicht über den
Werth der eigentlichen Reisebeschreibung streiten; sie hat
ihren Nutzen und ihren Schaden. Wären wir frischweg von
Europa nach Afrika geworfen worden, so hätte unser Buch
erzählt; da. aber lange Jahre einer intimen Bekanntschaft ihm
vorausgingen, Jahre des Ein- und Mitlebens, so schwächte
sich die subjective Anschauung, der Dualismus des Sehenden
und des Gesehenen, die eigenen Erlebnisse verloren ihren
Werth vor dem logisch vor uns sich entwickelnden Volks-
bewusstsein.
Der Reisende sieht ohne Zweifel täglich Begebnisse, die
ihm auffallend, ja wunderbar vorkommen müssen; mit seiner
schlichten Erzählung erregt er unser Erstaunen und bringt
uns zu dem Schluss, der fremde Mensch, der Afrikaner, der
Asiate habe eine andere Logik, ja er sei wirklich ein anderer
Mensch. Der Schluss ist logisch, insofern aus einzelnen un-
zusammenhängenden Daten Schlüsse gezogen werden düifen.
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Einleitung. 83
Nun müssen wir aber bedenken, dass auch die einfachsten
Alltagsbegebenheiten des europäischen Lebens demjenigen
ebenso wunderbar vorkommen müssen, der nicht nach der
Ursache fragt Untersucht man aber den innern Grund der
Dinge dieser Welt, so verschwindet das Wunderbare und es
tritt uns die nackte Thatsache entgegen, dass der Mensch,
wer er sein möge, immer logisch denkt, dass also auch die
geistige Welt nicht mit Wundem erklärt zu werden braucht.
Der König von Dahome ist ein Lieblingsartikel der euro-
päischen Zeitungswelt; man erstaunt über diese grässlichen
Hekatomben, die dem Aberglauben geopfert werden; man
kann eigentlich kaum begreifen, welche Freude der König
daran haben kann und warum seine Unterthanen so gut sein
wollen, sich hinrichten zu lassen. Man müsste also auf den
Gedanken kommen, dieses Wunder habe seine natürlichen
Ursachen, die von aller Willkür unabhängig sind. Um diese
Ursachen begreiflich zu machen, müsste man aber die Sitte
und das Recht, wie es sich in der Geschichte entwickelt,
genau untersuchen und nicht mit den einzelnen Thatsachen
muner wieder unsere Augen blenden. Dann würde man sehen,
dass die Menschenopfer in Dahome ihren logischen Grund
haben, ebenso gut wie- alle Abscheulichkeiten, die Europa unter
dem Namen von Hexenprocessen und Religionskriegen befleckt
haben und unter andern Namen noch beflecken. Der gleiche
logische Geist nun baute einst Schaffotte und jetzt baut er
Eisenbahnen; beide haben die Tendenz, die Ungleichheit der
Menschen untereinander aufzuheben; die gleiche Energie ver-
folgte, den Andersdenkenden mit der rohen Gewalt zu einer
Z^t, wo der Glaube das höchste Gut schien, die jetzt den
Anderslebend^ mit ethischer Gewalt verfolgt, in unserer Zeit,
wo die Civilisation das höchste Gut scheint.
Wenn wir also Afrika zum Gegenstand unseres philo-
sophischen Studiums erheben wollen, so müssen wir noth-
wendig die Anekdoten weglassen; sie haben für Afrika ebenso
wenig Werth, wie für die Welt- und Naturgeschichte. Wir
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84 Einleitung.
müssen den afrikanischen Menschen in den Hauptmomenten
seines Lebens zu erfassen suchen und den Gesetzen das Recht,
den Sitten die Sitte substituiren ; dann wird sich zeigen, wie
auf Grundlage von natürlichen Verhältnissen mit Hülfe von
Anschauungen, die jedem Menschen gemein sind, auf dem
Wege der gewöhnlichen Logik sich sehr eigenthümliche Zu-
stände entwickeln können. Das Literesse wird geschwächt,
insofern das Seltsame wegfällt und der Prediger wieder Recht
behält, der sagt: Nichts Neues unter der Sonne; aber es
wird dieses gemeine Theaterinteresse, das nur an Wundern
Freude hat, reichlich ersetzt durch das philosophische Inter-
esse, das den Menschen, wo er sei, mil logischer Schärfe sich
seine Sitte und sein Recht ausbilden sieht, wo kein Lebens -
moment vom Zufall dictirt wird.
Im Bewusstsein dieser Aufgabe betrachten wir unsere Völker
auf Grundlage der Geographie; denn es ist keinem Zweifel
unterworfen, dass die Natur der mächtigste Factor der Ge-
schichte ist und erst an ihrem Ende gänzlich besiegt sein
wird. Wir fragen ferner den historischen Ursprüngen und
Schicksalen des Volkes nach, und diess ist besonders noth-
wendig, um uns seine Rechtsbegriffe erklären zu können ; das
Recht selber, das wir diann untersuchen^ ist bei Völkern, wo
es historisch natürlich entwickelt ist, kaum von der Sitte zu
trennen; um es zu begreifen, müssen wir seine Basis fest-
stellen; wir müssen wissen, wer* sein Object ist, ob es die
Familie im Auge hat, die in der letzten Potenz^ zum Volk
wird, oder das Zusammenleben von Einzelnen in der Ge-
meinde; wir miissen dann die Geschichte fragen, warum hier
das gleiche Recht für alle gilt, warum dort ein Doppelrecht
besteht, das Ständeunterschied anerkennt. Wir müssen endlich
untersuchen, was jedes Volk unter Familie versteht, woraus
sich die wichtigsten Rechts- und Sittenmomente ergeben.
Wir haben schon in der Schrift über Recht und Skteu
der Bogos diese Bahn betreten, die wenigstens für afrikanische
Völkerkunde neu ist; wenn wir darin fortgehen, so verhehlen
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Einleitung. 85
wir uns nicht die Schwierigkeit; aber der Versuch ist von
der üeberzeugung geboten, dass nur auf diesem Wege eine
wahrhafte Völkerkunde^ gewonnen werden kann. Der Leser
wird nicht verkennen, dass wir wie das Volk, so auch das
Land mit seiner Gestaltung als Erde und Wasser geistig auf-
zufassen streben. So viel über die Tendenz: dass diese Arbeit
nur ein kleiner Schritt in dieser Richtung ist, das können
wir selbst uns am wenigsten verhehlen, die durch Erfahrung
wissen, was es heisst, dem Volksgeist in fremdem Gewände,
mit fremder Zunge in seinen Tiefen nachzugehen.
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Vom Rothen Meer.
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Briefe vom Rothen Meer.
Wisht, den 18. August 1853.
Den 8. August 1853 bestiegen wir, begleitet von der Fa-
milie meines Reisegefährten und einigen Freunden, in Suez
ein Boot, um unsere Barke, die — wegen Seichtigkeit des
Hafens bei der Ebbe — auf die ßliede (Gäd el Merakib) vor-
ausgegangen war, zu erreichen. Erst um Mittemacht lichteten
wir die Anker und segelten, anfangs längs der afrikanischen
Küste, dann der arabischen uns nähernd, mit günstigem Nord-
wind (Shemmäl), der uns Nachmittags den 9. nach Cap Abu
Zelima brachte, einer sandigen Rhede, die vor dem Nord-
winde gut geschützt ist. Wir liefen an, die Matrosen be-
schäftigten sich mit Fischen, mein Gefährte schrieb sein
nautisches Tagebuch; ich nahm meine Flinte auf den Rücken,
um mir die Berge anzusehen, die der Küste parallel laufen/
Wild zeigte sich nicht; um so mehr erregte die eigenthümliche
Structur der Berge (Sandstein mit horizontalen Schieferlagen
durchzogen ) meine Au&nerksamkeit. Ausläufer des Sinai mit
heissen Quellen und Schwefelminen treten etwas nördlich von
Abu Zelima bis an's Meer heran. Die Fläche zwischen diesem
und den Vorbergen war früher vom Meere bedeckt, wie der
mit Muscheln vermischte Flugsand beweist. Hier hatte ich
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90 '^oni Rothen Meer.
das erste Anzeichen, dass das Rothe Meer auf seiner arabi-
schen Küste immer seichter wird, was besonders in Djedda
klar hervortritt, wo die Stadt durch das Zurückgehen des
Wassers bald eine Stunde vom wirklichen Hafen entfernt sein
wird.
Den 10. August früh verliessen wir die Rhede und schifften
mit einem tüchtigen Nordost, der unser Schiffchen hübsch
herumdrehte, Tor zu, das wir vor dem Assr (Nachmittags
3V2 Uhr) erreichten. Der Hafen ist ziemlich geräumig und
gut geschlossen, doch im Innern seicht Er ist von der Nord-
seite durch Klippen, an denen schon manches Schiff scheiterte,
von der Südseite durch eine mit Dattelpalmen bedeckte Land-
zunge geschlossen. Tor ist ein armseliges Dorf mit kaum
30 Häusern. Die Einwohner sind Christen syrischer Abkunft;
ihre geistlichen Angelegenheiten werden durch einen armen
alten, etwas bettlerischen, griechischen Priester vom Berge
Sinai geleitet; im Uebrigen sind sie von den Beduan kaum
zu unterscheiden. Sie scheinen arm, treiben aber mit Pro-
visionen von Suez einen einträglichen Tauschhandel gegen
Perlmutter- und Schildkrötenschalen, die von den Fischern
hierher gebracht werden; dann und wann lässt der liebe Gott
ein Schiff stranden, und das Strandrecht versteht sich hier
von selbst.
Die mohammedanischen Toriten wohnten früher den Christen
zur Seite in einem Dorfe, dessen Ruinen, von einem nahen
Hügel Raubnestem gleidi auf das Meer herabsehend, noch
nicht der Zeit Platz gemacht haben. Jetzt leben sie draussen
zwischen den Dattel wäldem und in der Wüste; doch ziehen
fast alle jungen Leute aufs Meer, werden Matrosen oder
fischen auf eigene Rechnung. Unsere Schiffsleute waren alle
von Tor und deshalb mussten wir ihnen den 11. August firei-
geben, um ihren Familien Lebewohl zu sagen. — Die Sprache
der Toriten ist arabisch; wer aber von Cairo kommt, versteht
davon kein Wort, die Aussprache ist viel gutturaler und wird
dadurch sehr unverständlich. Die arabische Sprache hat überall
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Vom Rothen Meer: Ol
dasselbe Fundament von Wörtern und Formen, aber jede
Provinz oder fast jedes Dorf gibt ihr einen eigenthümlichei^^
nur an Ort und Stelle verständlichen Zusatz.
Den Tag nicht nutzlos zu verbringen, bestieg ich nach
Mittag einen Esel, um das warme Bad zu besuchen, das sieb
am Fusse des Berges befindet, der sich hinter Tor erhebt
Die Gegend ist fast eine Wüste, doch mit niederem Kraut
bedeckt; weiterhin folgen reizende Palmenwäldchen, in denen
das Bad, das Abbas Pascha gehört und fast heisses Wassei*
hat, versteckt liegt, — in seinem Rücken kahle Schieferberge,
im Hintergrunde die majestätischen Formen des Sinai. Ich
trat in den grössten der Palmengärten ein, der dem Kloster
S. Katharina gehört; die Gärtner sind junge Griechen, wahr-
hafte Gärtnerfiguren aus Arkadien, die Ruhe ihres Lebens
spiegelte sich auf ihnen ab. Der Garten ist sehr gross, von
rauschenden Bächen durchzogen; die Wipfel der schlanke^
Bäume sind voll der herrlichsten gelben und rothen Datteln.
Alles grünt und wuchert und erscheint nach dem trockenen
Aegypten ein wahres Paradie». Hier sieht man das fröhliche
ungezwungene Schaffen der Natur, dort merkt man den
Schweiss der Arbeit.
Reghts von dieser Dattelpflanzung öffnet sich der Weg zum
Wadi Mussa, wo der Ain (Quelle) Mussa ist. Daff Thal ist
ebenfalls an Datteln reich. Hier ist der Weg zum Sinai, dev^
Berge der heiligen Erinnerungen. Die Geschichte, die auch
der Muslim in seinem Buche anerkennt, lebt noch in den
Namen der Gegenden und Stellen von Suez bis Tor. Eine
jede Quelle, jedes Thal hat hier Moses oder Pharaon zum
Taufpathen. Man sagt, dass der Gründer des Islam von den
Mönchen des Sinai seine erste Erziehung erhalten habe; es
soll sich noch jetzt in dem dortigen Kloster eine alte griechi-
sche Handschrift befinden, die angeblich über die Anfänge
Mohammed's merkwürdige Aufschlüsse liefert.
Erst am 13. August- erlaubte uns der Wind, Tor zu ver-
lassen; ausserhalb des Hafens hatten wir fast Sturm, der die
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92 Vom Rothen Meer.
Fluten über die Barke hinpeitschte. Um Mittag erreichten
wir Ras Mohammed, wo wir innerhalb der Klippen Anker
warfen. Erst den 14. gewannen wir das offene Meer, setzten
die Fahrt während der Nacht ununterbrochen fort und kamen
am 15. Nachmittags bei Gibl Antar an, einem kleinen runden
schön geschlossenen Hafen. Wer den Roman Antar kennt,
wird sehen, dass die orientalischen Erzählungen nicht blos
Dichtungen sind; ihr historischer Grund hat sich in den Orts-
namen aufbewahrt.
Am Lande befanden sich viele Beduan, die den vorbei-
ziehenden Barken Wasser, Holz und Kohlen liefern: Schelme
mit scharfgeschnittenen Gesichtern.
Den 16. endlich kamen wir trotz des widrigen Windes
nach Wisht, einem wie die früheren ganz runden, aber
ziemlich geräumigen Hafen. Es lagen vier Schiffe mit Sklaven
vor Anker. Wisht ist ein Nest von 30 — 50 Häusern, alle
an einen Felsen geklebt, auf dem ein Wartthurm ohne Ka-
nonen steht. Man findet hier Vorrath von allen Lebens-
bedürfnissen, da die Barken von Suez täglich hier einkehren
und das Festland im Innern dattelreich und von zahlreichen
Heerden durchzogen ist. Ich hatte ein Dromedar genommen,
um eine kleine Excursion in die Berge zu machen. Doch
wurde ich daran durch die Beduan verhindert, die nicht lieben,
wenn ein Fremder ihre Brunnen sieht, da er durch seinen
bösen Blick sie vertrocknen könnte. So fand ich den Aber-
glauben Aegyptens hier wieder. Uebrigens zeigten sich mir
die hiesigen Beduan von einer sehr vortheilhaften Seite, auf-
richtig, höflich, gastlich, gesprächig und ohne die Scheu vor
dem Fremden, die in diesen Ländern eine Beobachtung der
Volkssitten so sehr erschwert.
Da wir in dem heissesten Monat reisten, hatten wir auch
auf dem Meere grosse Hitze, gewöhnlich schon am Morgen
in der Cajüte 25*> R., in der Nacht, wenn der Wind schwieg,
bis 27« R.
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Vom Rotheu Meer. 93
Djedda, den 30. August 1853.
Am 17. August fuhren wir, Wisht hinter uns lassend,
bei völlig ruhiger See zwischen Inseln und Khppen hindurch
und ebenso den Morgen des 18.; Nachmittags 3 Uhr passirten
wir die Fischerinsel Hasanieh, deren Nordcap vom 25. Grad ge-
schnitten wird. Wir waren also den Tropen nicht mehr fern
und es schien, dass sie sich als etwas mehr, denn eine astro-
nomische Idee ausweisen wollten.
Der Himmel umwölkte sich; es entlud sich ein Gewitter
auf dem nahen Festlande, wo man heftig regnen sah. Der
Wind drehte sich mehrmals und schien unser Bemühen, den
im SW. gelegenen sicheren Hafen zu erreichen, vereiteln zu
wollen. Endlich gelang es uns, einige hundert Schritte unter-
halb der Insel Anker zu werfen. Der Wind wurde nach 5 Uhr
ein entschiedener Süd- Munsun; es donnerte, regnete und von
Süden kam eine heisse Luft, wie aus einem Feuerofen. Das
Thermometer stieg in 5 Minuten von -f- 25** auf + 31** R.
Nach 6 Uhr legte sich der Wind; es war, als ob die sich
bekämpfenden Nord- und Südwinde einen Stillstand geschlos-
sen hätten. Die Sonne war eben im Untergehen; von dem
Festlande auf die Insel brückte sich ein lange nicht gesehener
Regenbogen; auf dem Festlande^ sah man unaufhörlich regnen,
hinter der Insel Wolken gegen Süden treiben: da hatte also
der Nordost die Oberhand. Wir stiegen beruhigt in die Kajüte
hinab, um unser Nachtmahl zu nehmen; kaum aber hatten
wir uns gesetzt, als sich ein leises Säuseln von NO. erhob
und nach 5 Minuten der Sturm wieder losbrauste; der Nordost
hatte gesiegt und wir wai*en ihm ganz ausgesetzt. Wir hatten
die drei Anker im Meere mit 8 Faden Tiefe und glücklicher
Weise solidem Grund; doch wurden wir trotzdem noch einen
Faden tiefer in's Meer hinausgeführt, wo wir uns erst mit
Hülfe aller unserer Ketten festhalten konnten. Wären wir
weiter in's Meer getrieben worden, so hätten wir wenig Hoff-
nung gehabt, durch die vielen Klippen zu entkommen. Der
Wind legte sich erst um 8 Uhr, erhob sich zwar um 12 Uhr
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04 Vom Roihen Meer.
von Neuem, doch ohne Heftigkeit und wir schliefen ruhig bis
zum Morgen.
Am 19. erlaubte uns ein Südwest kaum, in Mahar, dem
nächsten Hafen, einzulaufen; er ist gut und sicher, da er
gegen Norden und Süden von Korallenfelsen, an denen sich
Austern finden, umzäunt ist; im Osten öfi'net sich ein Tlial,
worin ein paar Dattelpalmen sichtbar werden. Es treibt sich
eine Kabyle hier herum, halb Fischer, halb Hirten; ihrer zwei
kamen an Bord, um unsere Barmherzigkeit zu prüfen.
Der Himmel war den ganzen Abend schwarz umwölkt; mit
Einbruch der Nacht blitzte und donnerte es unaufhörlich; es
fiel ein leichter Regen , dem ein ziemlich heftiger Wind folgte.
Dieser legte sich indess am Morgen des 20. ganz und erst am
Abend des 22. konnten wir in Yambo, die erste Stadt, die
wir bis jetzt getroffen, einlaufen. Ich hatte mir eine günsti-
gere Vorstellung von dieser Stadt gemacht Sie hat aus der
Ferne ein ganz imposantes Ansehen, gleicht aber, wenn man
sich ihr nähert, einem Ruinenhaufen, — wie alle hier ge-
legenen Ortschaften, da sie flache Dächer haben, — und kann
kaum mehr als 5000 Einwohner haben, vielleicht nicht einmal
so viel. Diese stehen nicht im besten Leumunde, sodass ich,
als wir an's Land stiegen, meine Pistolen mitnahm. In der
Stadt findet man wenig Eigenthümliches, ausser dass sehr
viele Häuser aus rohen Palmenstämmen errichtet sind, be-
sonders die Cafes, deren es in Folge des Pilgerdurchzuges
viele gibt. Der Diwan (das Haus des Gouverneurs,. Mohafis),
der über dem Hafen gebaut ist, liegt halb in Ruinen und der
Palast des Sherif sieht nicht viel besser aus. Da unweit der
Stadt sich wasserreiche Thäler und Dattelpflanzungen finden,
wird sie jeden Morgen mit Fleisch und Früchten versorgt und
ebenso mit sehr gutem Wasser, das an den Küsten des Rothen
Meeres selten ist. Die Einwohner sind fast alle mit einem
mannshohen soliden Stock bewafihet, der unt^i mit Silber-
faden verziert ist. Die Beduan dagegen haben inuner. Säbel
und Lanzen bei sich, und Luntengewehre sind nicht selten.
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Vom Rothen Meer. 95
Man sieht jetzt viele Pilgrime hier, besonders Mogrebiner, die
sich durch den weisswolligen Burnus bemerklich machen. Wir
spazierten über den engen schmutzigen Markt und mussten
boren, wie die Kinder schrien: Ist kein Knüttel da, diese
Ungläubigen todtzuschlagen? Wir thaten, als ob wir es nicht
verständen. Man muss dergleichen gleichmüthig zu ertragen
wissen, wenn man im Orient reisen will.
Yambo ist für den Handel in drei Beziehungen wichtig.
Erstens ist es der Hafen von Medina, was besonders im Som-
mer einen grossen Verkehr mit Suez und Kosseir und ein
reges Leben in der Stadt selbst verursacht, da die meisten
Pilger nach Vollendung der Wallfahrt über Yambo zurück-
kehren. Sodann ist es der Stapelplatz für das ägyptische
Getreide, das von Kosseir hierher gebracht wird, theils im
Auftrage der Regierung für die Truppen, theils durch Privat-
speculation für die Bedürfnisse des Landes und besonders
Djedda's. Endlich ist es der Markt für die Perlmutterschalen
und anderen Producte des Meeres zwischen diesem Orte und
Wisht, von wo die FisTcherbarken gewöhnlich im Frühling
zurückkehren. Doch ist es für den Fremden nicht leicht,
hier vortheilhafbe Einkäufe zu machen, da die Griechen von
Djedda und die Muslimin von ebenda und Suez ihre Agenten
in allen diesen kleinen Häfen haben, die auf der Stelle jede
gute Gelegenheit benutzen können. Ueberhaupt haben die
Europäer das Privilegium der Thätigkeit und Handelsintelli-
genz nicht; in Schlauheit und Sparsamkeit thun es ihnen die
orientalischen Kaufleute zuvor. Man sieht hier die reichsten
Leute im blauen Hemde barfuss herumgehen, aller Reichthum
wird sorgsam verheimlicht, da man die gute alte Zeit der
Türkenherrsohaft noch nicht vergessen hat
Yambo hat einen türJdschen Mohafis, der unter Djedda
steht; das Land aber steht unter einem eingeborenen Fürsten,
jetzt Sherif Abdallah, der allein auf die Beduan, welche sich
um die Türken wenig kümmern, Einfluss besitzt. Er nimmt
von jedem nach Djedda gehenden Schiffe 2 Thaler Hafengeld
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9G Vom Rothen Meer.
und bei dessen Rückkehr nach Suez einen dritten. Diese
Abgabe wird erst seit einigen Jahren erhoben. Nach dem
Tode Mohammed Ali Pascha's athmeten die Beduan wieder
frei auf und errichteten nördlich von Yambo eine Station, wo
sie jedem ankernden Schiffe mehrere Thaler Hafengeld abnah-
men. Lief eine Barke nicht ein, so wurde sie in Kähnen ver-
folgt und das Geld auf der hohen See abgepresst. Dieser
Zustand rief Klagen in Cairo hervor, die nichts fruchteten,
luid ebenso beim Sherif, der die Idee sehr willkürlich aber
doch nicht so übel fand und die Sache am Ende so ordnete,
dass man die Abgabe regelmässig in Yambo zahlt und der
Gewinn, anstatt den Beduan, nun dem Sherif zukommt.
Die Hitze nahm in den letzten Tagen immer zu und sank
nie unter -\- 26**. Auch die Nächte waren heiss und feucht
und am Morgen fiel so starker Thau, dass ich gewöhulicli
gebadet aufstand.
Den 23. bis 28. August schifften wir bei wenig Wind und
grosser Hitze bis Rabuk, dem Vorhafen von Djedda. Das
Land trägt hier ganze Waldungen von Dattelpalmen, worin
zahlreiche Dörfer versteckt sind, während an der Küste nur
wenige Hütten von Baumästen sich befinden. Der Hafen ist
sehr geräumig und selbst für grosse Schiffe leicht zugänglich.
Rabuk ist der Ort, wo die von Suez kommenden Pilgrime in's
Meer untertauchen und, nachdem sie so die letzte Sündhaftig-
keit abgelegt, als Zeichen der Reinheit ein weisses Stück
Zeug um den Leib schlagen, Kopf, Füsse und eine Schulter
bloss lassend. Ophthalmien, Sonnenstiche und Erkältungen,
die sie iu's mörderische Klima von Mekka tragen, sind die
gewöhnlichen Folgen dieser gottgefälligen Handlung.
Den 29. nach Mittemacht hoben wir die Anker und wai'en
um Mittag im Angesicht von Djed^da. Auf einer Reise, die
man mit gutem Winde in 8 Tagen zurücklegen kann, hatten
wir 20 Tage zugebracht, da wir seit 14 Tagen mit Gegenwind
zu kämpfen hatten oder durch Windstille behindert wurden.
Der Hafen von Djedda ist so seicht, dass man eine halbe
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Vom Rothen Meer. 97
Stunde von der Stadt entfernt ankern muss; das Innere ist
fast trocken.
Ehe wir an's Land treten,' werfen wir noch einmal den
Blick auf das Meer zurück, dessen nördliche Hälfte wir jetzt
durchfcthren haben.
Das Rothe Meer ist von der Natur in manchen Beziehungen
sehr vernachlässigt, in anderen wieder begünstigt worden. Es
empfängt keinen einzigen schiffbaren Fluss, der den Zugang
in das innere Land eröffnen könnte; die Küsten sind wüst,
wasserarm und von räuberischen Nationen bevölkert; an das
Uferland schliessen sich Hochebenen, die vom Meere aus
sehr schwer zugänglich sind. Die Winde sind regellos und
erlauben keine regelmässige Schifffahrt. Ausserdem ist das
Meer voller Klippen, die oft kaum einen Durchgang gestatten,
sodass eine Fahrt auf diesem Gewässer nicht zu den sicheren
Unternehmungen gehört. Dazu kommt, dass selbst die vor-
züglichsten Häfen gegen Stürme keinen hinlänglichen Schutz
gewähren und dass der Eingang, das Bab-el-Mandeb (Thor
der Bedrängniss), schwer zu passiren und 6 Monate im Jahre
durch den conträren Munsun für Segelschiffe fast ganz ver-
schlossen ist.
Auf der andern Seite kommt dem Handel auf dem Rothen
Meere der Reichthum der Nachbarländer zu statten: Abys-
sinien und die Gallaländer führen ihm ihre Schätze zu; das
Jemen liefert ihm seinen Kaffee; es steht in directer Verbin-
dung mit dem fruchtbaren Aegypten und bildet für den indi-
schen Transithandel den natürlichen Canal. Die Küsten, so
wüst sie liegen, erzeugen Gummi, Myrrhen und Weihrauch,
und das Meer selbst verbirgt Schätze, die unerschöpflich
ticheinen: Perlen, Perlmutter- und Schildkrötenschalen. Auch
fehlt es nicht an Händen, diese Schätze zu heben. Die hier
lebenden Hirtenstämme sind von Natur auch rüstige Matrosen;
ebenso gut oder noch besser, wie sie ihre Dromedare reiten,
rerstehen sie ihre Barken zu lenken und in die Tiefen des
Meeres zu tauchen, um ihm seine Perlen zu rauben. Der
Moaiinger, OsUfrik. Studien. 7
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98 Vom Rothen Meer.
Araber legt sich nicht, wie der Europäer, sein ganzes Leben
hindurch auf ein Handwerk, in dem er vollkommen zu werden
sucht. Er ist jeder Thätigkeit fähig und wechselt seine Be-
schäftigung täglich; deswegen finden wir in diesen Ländern
keine gesonderten Berufsklassen , der Hirt ist zugleich Matrose
und Fischer; er liebt das Land, scheut sich aber keineswegs
vor dem Salzwasser, freilich ohne für das letztere die Leiden-
schaft unserer Matrosen zu besitzen. Alle schwimmen gut
und ausgezeichnete Taucher sind nicht selten, und dennoch
macht niemand aus dem Seeleben sein beständiges Handwerk,
ausgenommen vielleicht die Bewohner von Dahalak, die, so
zu sagen, auf dem Meer und für das Meer geboren sind.
Die Barken sind von verschiedener Form und Grösse und
danach heissen sie Saya, Sembuk, Changia und Baglah, welche
letztere bis 200 Tonnen tragen, mit Listrumenten und Steuer-
rad versehen sind und meistens zum Verkehr mit Indien ge-
braucht werden. Die anderen Arten sind von 5 — 100 Tonnen
mit einfachem Steuerruder, einem oder zwei Masten, von denen
der hintere immer ganz klein ist; das Segel ist das lateinische,
das an eine Segelstange geknüpft wird. Die letztere ist be-
weglich am Mastbaum angebracht und erfordert beim Lichten
viele Menschenkräft;e. Das Segel ist von verschiedener Grösse
und bildet ein Viereck, dessen eine Seite viel länger und nach
dem Hintertheil gerichtet ist. Kehrt sich der Wind oder
kreuzt man, so muss das Segel mit seinem Baum umgekehrt
werden, was bei Sturm fast unmöglich ist. Die Barken sind
offen, nur das Hintertheil hat ein kleines erhabenes Deck, an
dem der zweite Mastbaum angebracht ist. Dieses bildet eine
niedrige unbequeme Kajüte, worin man kaum aufrecht stehen
kann. Man fährt gewöhnlich nur des Tages der Küste ent-
lang, da man ausser dem Gompass und dem Senkblei keine
Listrumente hat und die Karte fast unbekannt ist. Muss man
bei einer Ueberfahrt nach der entgegengesetzten Küste die
Nacht auf offenem Meere zubringen, so heisst dieses «Samret»
und man bereitet sich dazu mit Kaffeegenuss und reichlichem
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Vom Rothen Meer. 99
Speisen vor. Unglücksfälle sind nicht selten und ich habe
während meines Lehrjahres drei oder vier Mal auf den Klippen
gesessen. Das Haupt der Matrosen ist der Nachoda, der zu-
gleich Rubban (Steuermann und Pilot) ist; ihm ztmächst steht
der Mokaddem, imser SchüFsmeister. Der Armateur heisst
Nachodat el harr (Kapitän zu Land), der eigentliche Kapitän
aber Nachodat el bahr (zu Meer). Der erstere gibt nur das
Schijff und schiesst alle Unkosten vor, während der letztere
den ganzen Betrieb in Händen hat, dessen Ertrag mit den
Matros6n, je nach der Abmachung, zur Hälfte oder einem
Drittheil getheilt wird. Feste Besoldung ohne bestimmten
Antheil am Gewinn ist nicht gebräuchlich. Die Matrosen sind
sehr religiös, wie ungenirt auch ihre Sprache imd ihr Lebens-
wandel ist. Kommt die Barke an einem Sheich vorüber, so
wird ihm zu Ehren eine Litanei gesungen, feines Brod (Futir)
gebacken und Kaffee herumgereicht. Die Nahrung der Ma-
trosen ist Brod und Beis mit Butter, und Kaffee. Vor den
geistigen Getränken bewahrt sie die Religion und der Geiz.
Sie lieben Geschichtenerzähler, die ihnen den Abend ausfüllen,
und fehlen diese, so liest einer den anderen aus Antar oder
Abu Seid vor, wo denn bei jeder religiösen Anspielung die
allgemeine Zustimmung in andächtigen Phrasen ausgedrückt
wird. Bei dem Namen des Propheten wird das: Gott habe
ihn selig 1 nie vergessen. Die Matrosenausdrücke sind, wie
bei uns, etwas imverständlich und fremdartig. Man muss
wissen, dass unter Ach'u der zweite Anker (der Bruder des
ersten) und unter Weled'u das kleine Segel (das Kind des
anderen) verstanden wird, um zu begreifen, dass, wenn der
Kapitän Ach'u befiehlt, die Position schlecht ist, wenn er
aber Weled'u verlangt, der Wind günstig wird. Alle Manöver
werden singend ausgeführt, in Ausdrücken, die des drolligen
Witzes nicht entbehren. Die Matrosen -Conversation gehört
auch auf dem Rothen Meere nicht in den Damensalon; die
Grobheit scheint dem Meere einzuwohnen; doch findet man
z. B. nicht das Yerhältniss des Vorgesetzten gegen seine Unter-
7*
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100 Vom Rothen Meer.
gebenen, das sich so schneidend auf den europäischen Schififen
ausdrückt, nicht die Lästerungen und Schimpfworte, womit
man sich auf den Fahrzeugen der Civilisation am schlechten
Winde zu rächen meint. Man findet beim Araber im Unglück
eijie Resignation, die sein tiefes Religionsgefühl ihm einflösst.
Lästerungen begegnet das Wort: Chaf Allah! (fürchte Gott);
dem Unglück unterwirft man sich mit dem Allah akbar! (Gott
ist allmächtig!) xmd selbst der vorzeitige Tod ist nur Nessib'na
(unser Geschick).
Obgleich das Rothe Meer, wie bemerkt, fast in keinem
seiner Theile productionsunfähig ist, zeichnet sich doch im
Norden hauptsächlich die Lisel Hasanieh durch ihren Fischerei-
betrieb aus, während im Süden die Inseln von Dahalak den
Mittelpunkt für alle Fischer von Jemen und Afirika bilden.
Die Ausrüstung zu Fischereien erfolgt, wie jede Seeimtemeh-
mung, durch einen Accord über die Vertheilung des Gewinnes.
Die Liseln von Dahalak sind die Mittelstation zwischen
Massua einerseits und Loheja und Djedda anderseits; sie
bestehen aus zwei grösseren und mehreren kleineren Inseln,
die meist unbewohnt sind. Die beiden grösseren sind Dahalak
und Nora. Diese zwei Inseln haben eine sehr ärmliche Vege-
tation, kleine Domenbäume und einige Dattelpalmen von der
Gattung Dum. Man bewahrt das Regenwasser in Cistemen
auf. Die Einwohner, deren Sprache den abyssinischen Ur-
sprung nicht verleugnet, sind reich an Ziegen, Kameelen und
Eseln, die alle meistens halbwild auf der Insel umher-
schweifen und nur eingefangen werden, wenn man ihrer bedarf.
Auf der Insel Döhel gibt es auch Kühe. Von der Ziegen-
milch wird im Winter ein schmackhafter Käse in rundlicher
Form bereitet. Auf der grossen Insel Dahalak befinden sich
mehrere Ortschaften, deren jede ihr erbliches Haupt hat. Sie
sind vom Pascha von Massua abhängig und zahlen von den
Barken und Sklaven einen jährlichen Tribut von nahe an
1000 Thalern, zu deren Eintreibung Soldaten herübergeschickt
werden. Sonst ist die Regierung ganz einheimisch.
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Vom Rothen Meer. 101
Die Häupter der Dorfschaften waren früher sehr reich;
aber die Habsucht der Türken hat sie heruntergebracht. Sie
haben immer noch viele Barken, die sie mit ihren zahkeichen
Sklaven und Unterthanen bemannt auf die Fischerei aus-
schicken. Der alte Glanz zeigt sich noch in der echt patri-
archalischen Gastfreundschaft. Naht ein Fremder dem Dorfe,
so geht ihm der Chef desselben von Weitem entgegen, führt
ihn in ein Haus, das eigens zur Fremdenaufrtahme bestimmt
ist und labt ihn mit Speise und Trank.
Die Leute von Dahalak bauen ihr Land nie an, obgleich
der Boden Pflanzungen sehr günstig ist; sie fürchten, die
Habgier ihrer Herren noch mehr zu reizen.' Ihre Hauptbe-
schäftigung besteht in der Fischerei; mit der Viehzucht und
den Hausarbeiten sind die Frauen und Kinder betraut.
Die hauptsächlichsten Meerproducte sind die Perlen, die
Perlmutter- und die Schildkrötenschalen. Das Meer von
Dahalak ist die eigentliche Perlenregion; man findet sie in
den Perlmutterschalen oder in einer kleinen, Bülbül benann-
ten Muschel. Man betrachtet die gtossen Regen als ein gutes
Zeichen für die Emdte der Perlen, die man die im Meere
krystallisirten Thränen des Himmels nennt. Es scheint, dass
viel Regen das Muschelthier krank macht, sodass sich ein
Austiuss bildet, der durch Verhärtung zur Perle wird. Der
Perlenmarkt ist zu DömöUo, auf der Ostseite der grossen
Insel. Mit dem Handel beschäftigen sich hauptsächlich die
Banianen; sie ziehen die weissen Perlen den gelben nicht vor,
während bei ims die letzteren gar nicht geschätzt werden.
Vor fünfzehn Jahren war ein Franzose von einem Pariser Hause
beaufti*agt, die Perlen Dahalak^s zu imtersuchen; aber das
Resultat seiner Nachforschungen und selbstunternommenen
Fischereien war ein sehr ungünstiges Urtheil über die Qua-
Utät derselben.
Die Schildkrötenschalen (arab. Döbel, Bägeh) finden
sich in allen Häfen von Dahalak käuflich und ebenso in Aqiq,
Massua und den Plätzen von Jemen. Die Schildkrötenschale
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102 '^om Rothen Meer.
besteht aus dreizehn Stücken, von denen besonders die schweren
mit dunkelgelbem Grund und braunschwarzen Blumen ge-
schätzt und meistens nach Indien versandt werden. Zum
Schildkrötenfange wird eine Barke mit wenigstens zwanzig Leuten
bemannt, die nach und nach alle Inseln des Archipels besucht
und bei jeder derselben beobachtet, ob sich Schildkröteneier
auf dem Ufersande vorfinden. Ist dieses der Fall, so wird
ein Mann mit Provision von Lebensmitteln und Wasser daselbst
zurückgelassen, welcher der Schildkröte auflauert, bis sie weit
genug in's Land ist, um ihr den Rückweg abschneiden und
sie auf den Rücken legen zu können. Dann wartet er aiif
die Rückkunft der Barke, die inzwischen die übrigen Inseln
besucht hat. Nach der Heimkehr in den Hafen werden zuerst
die Kosten zu Gunsten des Armateurs abgezogen und dann
gewöhnlich zu gleichen Theilen zwischen diesem und den Ma-
trosen getheilt. Doch bekommt der Matrose, der eine Schild-
kröte gefangen, gewöhnlich das sechseckige Mittelstück als
besondere Belohnung.
Die Perlmutterschalen findet man von Suez bis zu den
Küsten von Berbera; Djedda ist der grosse Markt für dieselben;
ihre Qualität wird nach der Grösse und Schwere beurtheilt
und ist natürlich sehr verschieden. Die Nacres (Sadaf) z. B.
von den Inseln von Dahalak sind klein, weil man ihnen durch
das beständige Fischen nicht die Zeit lässt, sich gehörig zu
entwickeln. Man betreibt die Fischerei in Barken von 5 bis
10 Tonnen, mit vieler Bemannung und mehreren Piroguen
(Huri^s), länglichen schmalen ausgehöhlten Baumstämmen, die
im Rothen Meere meist die Stelle der Kähne vertreten. An
jedem windstillen Tage gehen die Huri's mit drei bis fünf Leuten
nach verschiedenen Richtungen ab, und sobald sie eine Nacres-
Bank entdeckt haben, tauchen sie so lange unter, bis die
Huri mit dem Product so weit beschwert ist, dass sie in die
Barke ausladen muss. Die letzteren gehen oft von Djedda bis
Berbera imd bringen nach einigen Monaten meist schöne
Ladungen zurück, da sie gewöhnlich noch einige firische Bänke
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Vom Rothen Meer. 103
entdecken, wo die Nacres zu ihrer ganzen Entwickelnng ge-
kommen sind. Auf der Rückreise berühren sie meistens den
Hafen Yon Naura im NW. von Dahalak und suchen da ihre
Ladung zu yerkaufen. Die Perhnutterschalen gehen ebenso-
wohl nach Indien, als nach Europa und Syrien, und sind
durch diese dreifache Concurrenz im Preise schon sehr ge-
stiegen. Mit dieser Fischerei ist natürlich die der Perlen ver-
bunden, da diese sich im Innern der Schalen finden. Doch
Uefert auch die Bülbül, eine kleine schwarze Muschel, eine
etwas geringere Qualität.
Ausser den erwähnten Producten befindet sich im Rothen
Meere ein grosser Reichthum von Schwämmen, der aber bis
jetzt wenig ausgebeutet wurde. Ich habe davon sehr schöne
Muster gesehen.
Diese verschiedenen Meerproducte geben den meisten An-
wohnern des Rothen Meeres Beschäftigung imd Erwerb, be-
sonders aber den Leuten von Dahalak, die durch ihre Lage
darauf angewiesen sind. Bruce, in seiner Beschreibung der
grossen Insel, kann nicht begreifen, wie Leute in diesem
Lande wohnen bleiben, imd schreibt diess der natürlichen An-
hänglichkeit der Menschen an das Heimatland zu. Mir
scheint es aber, dass diese Leute sehr thöricht wären, ihre
Inseln und ihr so überaus ergiebiges Meer gegen die unruhi-
gen Küstenländer zu vertauschen. Jetzt können sie, ungestört
von Krieg und Wirrsal des Continents, ihrem Geschäft nach-
gehen, dessen Entwickelnng ihnen Wohlstand verspricht. Der
Boden erlaubt ihnen, Heerden zu halten, die von Wölfen
nicht gefährdet werden und auf den kleinen Eilanden keiner
Aufsicht bedürfen. Sogar der Ackerbau würde ii;i Folge der
Winterregen sehr lohnend sein, das Wasser ist reichlich vor-
handen und süss, das Klima angenehm, im Sommer nie zu
heiss. Auch sind diese von Bruce bemitleideten Inseln keines-
wegs isolirt; täglich fahren Barken, die zwischen Massua,
Loheja und Djedda einen lebhaften Verkehr unterhalten, hier
vorüber und bringen alle möglichen Lebensbedürfiiisse (Butter,
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104 Vom Rothen Meer.
Durra, Reis, Datteln und andere Früchte) reichlich und wohl-
feil hierher.
Nach diesem Ueherblick über die commercielle Bedeutung
des Rothen Meeres wenden wir uns zu Djedda zurück. Vom
Hafen aus betrachtet bildet diese Stadt ein angenehmes Ge-
mälde, dem die Wüste als Rahmen dient. Sie dehnt sich
nicht weit aus, alles scheint über- und nebeneinander gebaut,
sodass man mit einem Blick die Gesammtheit der Stadt
übersieht. Unähnlich den meisten Ort«n im Orient, die von
aussen grosse Pracht verheissen und im Innern das Elend
zeigen, nimmt sich Djedda um so vortheilhafter aus, je naher
man es betrachtet. Es ist sehr solid gebaut, die Häuser sind
gross, hoch und elegant, wenn auch etwas unregelmässig;
alles steht nett und frisch da und bekundet die Wohlhaben-
heit der Bewohner, ganz im Gegensatz zu Cairo, wo Hütten
an Paläste stossen und das Maulthier mit Mühe seinen Weg
durch Schutt und Ruinen findet.
Das Innere der Häuser entspricht dem Aeusseren: Dielen
und Wände sind mit kostbaren indischen Matten bedeckt; die
Nargileh, die dem Fremden fast zu freigebig geboten wird,
ist reich mit Silber und* Perlen verziert. Was Indien, Persien
und das glückliche Arabien an , Schätzen darbieten, das fehlt
bei den Geldherren Djedda's nicht. Man versäumt hier keine
Gelegenheit, seine Reichthümer zui' Schau zu tragen, da man
sich jetzt sicher fühlt. Die Habgier der Pascha's ist noch
immer die alte, aber sie hat die Zähne verloren. Ich sah
hier einen Kaufmann, der seinen Stolz darein setzt, die meisten
Barken zu besitzen; läuft eine derselben hier ein, so hissen
alle anderen, die ihm gehören, ihre Flagger auf, und wir
zählten eines Morgens mehi' als zwanzig solcher bewimpelten
Fahrzeuge, obgleich der Eigenthümer derselben noch mehrere
in See hatte. Es mögen etwa zehn Kaufleute hier leben, die
über eine Million Thaler zu gebieten haben; einer der reich-
sten ist Sheich Farek Yussir, ein ältlicher Mann von kleiner
Statur, mit einem äusserst feingeschnittenen, listigen, immer
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Vom Rothen Meer. 105
lächelnden Gesicht. Er kleidet sich ärmlich und liebt nicht,
Almosen zu geben; doch ist sein Haus reich ausgestattet.
Farek Yussir ist, wie schon sein Name zeigt (Bastard), Sohn
einer Sklavin, und hat seinen lleichthum von seinem Herrn
geerbt. Sein Hauptgeschäft treibt er mit Indien; er besitzt
mehrere Segel- und Dampfschiffe, die beständig dorthin fah-
ren, und kauft überdiess ganze Schiffsladungen auf, um deren
C.'oncurrenz mit den eigenen zu verhindern. So monopolisirt
er gewisse Artikel und wird Herr des Marktes.
Die grössten Handelsleute von Djedda sind nicht glänzen-
den Ursprunges, die meisten frühere Sklaven, Lastträger u. s. f.
Es sind besonders die Leute vom Hadramaut, die am ersten
ihr Glück machen; an Intelligenz und Thätigkeit sind sie nur
unseren Juden zu vei^leichen. Auch einige Griechen bilden
sehr bedeutende Häuser und unterhalten Verbindungen über
das ganze Rothe Meer.*) In Djedda residirt ein französischer
und ein englischer Consul, der erstere wohl nur der Pilgrime
wegen, die von Algier die heiligen Orte besuchen. Für Eng-
land dagegen ist wegen des indischen Handels das Rothe
Meer auch in commercieller Hinsicht von Bedeutung; in Djedda
mögen jährlich 20 — 25 englische Schiffe von 600 bis 1000
Tonnen einlaufen, mit Manufacturen, Schiffsbauholz, Tabak
(zum Kauen und Schnupfen), Zucker, Droguen und beson-
ders Reis, der in Bengalen gegen arabisches Salz einge-
tauscht wird.
Die Schiffe, die den Verkehr mit Indien unterhalten, fah-
ren von dort mit dem Süd-Munsun ab, der bis zum Mai an-
hält, und bleiben bis zimi August in Djedda, um dann unter
Benutzung der letzten Nordwinde eine neue Fahrt nach In-
dien dui'ch das Bab-el-Mandeb anzutreten. Die indischen
Pilgrime aber waiien gewöhnlich bis zum folgenden Jahre.
In jedem Sommer zieht die Wallfahrt nach Mekka eine be-
deutende Anzahl von Leuten aus der ganzen mohammedani-
*) Man weiss, dass das jetzt nicht mehr ist.
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106 Vom Bothen Meer.
sehen Welt hierher; diess wird auch commerciell sehr wichtig
und yeranlasst einige Wochen vor dem Feste in Djedda eine
grossartige Messe, auf welcher alle Productef des Orients zum
Kauf ausgeboten werden.
Djedda befindet sich demnach in einer für den Handel
sehr günstigen Lage. Es liegt ungefähr in der Mitte des
arabischen Küstenstrichs am Rothen Meere, ebenso weit von
Mocha, wie von Suez entfernt, Suakin fast gegenüber, und
nicht weit von Massua und den Häfen des Jemen. Es ist
ausserdem der Hafen von Mekka imd wird dadurch einer der
Brennpunkte des orientalischen Handels. Alle Kaufleute, die
zur Wallfahrt kommen, benutzen diesen Platz, mit ihren fer-
nen Freunden zusammen zu treffen und sich mit ihnen über
die Operationen des kommenden Jahres zu verständigen, und
der Zusammenfluss so vieler Handelsleute sichert eine schnelle
Abwickelung der Geschäfte. Obgleich manche Kaufleute der
andern kleineren Plätze direct mit Aegypten zu handeln su-
chen, zieht doch die Mehrzahl der kleinen Handelsleute aus
dem zuletzt angeführten Grunde den nahe gelegenen Markt
von Djedda vor, sodass dieser Platz für den Grosshandel eine
besondere Wichtigkeit erlangt hat. Unter den importirten
Artikeln stehen wohl die groben Baumwollenzeuge in erster
Linie und es ist bemerkenswerth, dass die Fabrikthätigkeit
von Cairo das englische Product in dieser Beziehung {nsi von
dem Markte verdrängt hat. Im Allgemeinen aber steht der
Import hinter dem Export sehr zurück und die Ausdehnung
des ersteren wird dadurch behindert, dass die halbcivilisirten
Bewohner dieser Gegenden fest an ihren alten Gewohnheiten
hängen und für solche Waaren, die mit denselben nicht in
Einklang stehen, kein Interesse besitzen.
In der Handelsstellung Djedda^s und der übrigen grossen
Plätze des Rothen Meeres ist übrigens während der letzten
zwanzig Jahre eine bedeutende Veränderung eingetreten. Früher
theilte Djedda seine Wichtigkeit nur mit Mocha, das den
ganzen Handel des Südens und auch der afrikanischen Plätze
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Vom Rothen Meer. 107
monopolisirte. Die Gründung Aden's bewirkte aber, dass
Mocha fiast ganz aufgegeben wurde und sich der Handel, be-
sonders von Afrika ausserhalb des Rothen Meeres (Berbera),
nach der neuen Colonie zog. Doch die Position derselben
jenseits des Bab-el-Mandeb, welches einen Verkehr mit dem
Rothen Meere zur See selten erlaubt, zwang den Handel des
Meerbusens, sich neue Wege zu suchen, und es erhob sich
Hodeida, das in Kurzem fast den ganzen Ka£feehandel an
sich zog, und Djedda gewann viel, indem sich nun die Pro-
ducte von Massua und Suakin zu ihm wandten. Hodeida
und das junge aber vielversprechende Lohe ja sind besonders
hinsichtlich des Imports von Djedda abhängig und für ihren
Export -ist das letztere, wenn nicht der Stapelplatz, doch der
Transitpunkt, durch den sich der Verkehr mit Aegypten
durchzieht *).
*) HandelBberioht ftber Djedda.
(Annales du commerce exterieur. No. 1040.) Vom Jahre 1856.
1855.
1856.
Import.
Frc. 16,188,000.
Frc. 17,978,000.
Export.
» 10,177,000.
» 9,914,000.
Frc. 26,865,000. Frc. 27,892,000.
Zum Import trug bei am meisten
Suez mit Frc. 7,000,000 in Waaren.
Bombay und Surat mit 2,%4,000 »
Bengalen und Malabar 1,459,000 •»
Hodeida 2,739,000
Loheja 1,700,000 «
Suakin 1,095,000 »
Zu den wichtigsten Importartikeln gehörten
ISuez Frc. 4,250,000.
Bombay u.Surat 2,787,000.
Bengalen 259,000.
I Hodeida 2,028,000.
Loheja 1,450,000.
Gesan 283,000.
Mocha 100,000.
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108
Vom Rothen Meer.
Massua, deu 29. September 1853.
Von Djedda hoben wir die Anker am 8. September, doch
konnten wir erst am folgenden Tage das hohe Meer gewinnen
und näherten uns am 10. der afrikanischen Küste bei Umm-
el-Grush (Mutter der Haifische, die wirklich hier sehr zahl-
Weizen, Durra, Duchn
Reis
1,281,000.
841,000.
IKosseir
Konfada
Loheja
Ilodeida
Gewürze, Pfeffer etc.
Schmalz
558000.
Gummi
Weihrauch etc.
438,000.
213,000.
205,000.
158,000.
f Bengalen u. Malabar 790,000.
45,000.
260,000.
213,000.
81,000.
400,000.
130,000.
403,000.
327,000.
30,000.
17,000.
kamen 855 imd
'\Hodeida
[ Bengalen
577,000. 1 Secr
I Singapor
(Suakin
'\Hodeida
464,000. Suakin
ISeer
Singapor
Hodeida
Es kamen 22 Segelschiffe von Indien an. Barken
liefen aus 782.
Der importirte Kaffee bildet V3 etwa der Erndte im Jemen. — So
weit der Bericht.
1862 kamen 50 Segelschiffe nach Djedda; die Medjidie Vapore
machte 15 Fahrten. In Djedda sind 1000 Indier, englische ünterthanen,
wovon 200 Handeltreibende.
Wir wollen diesem Bericht einige Notizen über Loheja folgen
lassen.
Ein Hafen, der direct von Djedda abhängig ist, ist Loheja oder
Lehja. Ich verweilte da vom 25 — 27. December 1862. Ich schätzte
die Einwohner auf etwa 10,000, von denen die Hälfte etwa innerhalb
eines hohen Mauerquadrates leben. Die Douaue ergibt etwa 40,000
Thaler jährlich. Die Bewohner sind sehr thätig; sie bauen ausgezeich-
nete Schnellsegler. Sie geben sich viel mit Fischerei von Perlmutter-
schalen, Perlen und Schildkröten ab. Ihr Hauptexport ist Kaffee und
Duchn, beides meist auf Commission von Djedda. Sie haben etwa 200
Barken, die über 20 Lasten (Hammel) tragen. Eine Barke von 25
Lasten gilt 400 Thaler; sie mag etwa 300 Centner Kaffee tragen. Die
bedeutendsten Kaufleute sind Seid Ahmed Abker und Ba Keshwin, der
letztere ist ein Hadrami. Die Rhede ist für grosse Schiffe nicht zu-
gänglich. Loheja gewinnt immer mehr an Bedeutung.
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Vom Rothen Meer. 109
reich sind). An den beiden folgenden Tagen schifften wir
unter schwachem Winde und grosser Hitze hinab bis Dorura,
das einen geräumigen Hafen bildet. Die Türken haben hier,
um die Beduan im Zai\m zu halten, ein Gastell gebaut mit
20 Soldaten und einer Kanone. Wir wurden von mehreren
Besharin, einem Stamme, der von hier bis Kosseir schweift,
besucht, sie brachten uns Kameelmilch, die sie gegen unsere
Durra eintauschten. Sie sind schwarz, haben aber, wie alle
Beduan, die Physiognomie von Kaukasiem und sollen an Wild-
heit keinem Volke der Welt nachstehen.
Den 13. Abends nach einer Küstenfahrt ohne Abwechslung
liefen wir in den Hafen von Suakin ein und verweilten da-
selbst bis zum 19. Wir hatten von Djedda aus Empfehlungs-
briefe an Nur-ed-Din Pascha, den Statthalter^ und wurden
von ihm mit aller möglichen Freimdschaft empfangen. Er
gab uns einen Kawassen zur Begleitung, schickte uns Speisen
auf das Schiff und bemühte sich sehr, uns gut zu unterhalten.
Er ist erst seit \% Jahren hier; man sieht ihm an, dass er
eben von Constantinopel gekommen ist Während in Europa
die ernste Frage erörtert wird, in wessen Macht Stambul
nach dem Verscheiden des „kranken Mannes*^ fallen soll,
setzen sich die Türken in Afrika fest und dringen mit ihren
Militär -Colonien in's Land hinein, Träger der orientalischen
Civilisation und Religion. Beispiele sind Suakin, Aqiq,Mas8ua.
Die Karte lehrt, dass diese drei Plätze auf kleinen, vom
Festlande auf Schussweite entfernten Inselchen gelegen sind
und Beduanstädten auf dem Continent vorliegen. Zuerst setzten
sich auf diesen Inseln Kaufleute von Arabien und Persien fest.
Der französische Handelsbericht (von 1857) setzt als Ausfuhr 10,000
Sack Kaffee (mit einem Werth von 1% Mill. Frc.) an, (20,000 Kantar)
und 20,000 Sack Duchn; jedenfalls übertreibt er nicht; dazu 2000 Stück
Kuhhäute.
In Loheja sind viele Banianen ansässig, engliscHe Unterthanen; sie
sind Kaufleute und Goldschmiede. Nach Loheja kommt von Massua
viel Schmalz, dagegen führen sie dahin Duchn aus.
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110 Vom Bothen Meer.
um den Handel mit den Beduan direct zu treiben, wogegen
sie einen Tribut an die einheimischen Behörden entrichteten.
Später schickten die Türken auf diese Eilande Soldaten, die
in ihren Castellen sicher waren, aber auf dem Festlande keine
Gewalt hatten. Noch vor 13 Jahren zahlte die Douane von
Massua an die Beduan von Arkeko einen Tribut von 1005 Tha-
lern; noch vor 12 Jahren konnte es der Statthalter von Sua-
kin nicht verhindern, dass man auf der Insel vor seinem Di-
wan einen Armenier, der unglücklich als Arzt practicirt hatte,
buchstäblich in vier Stücke zerhieb. Auf das Festland durfte
in jener Zeit gar kein Weisser. Die Beduan standen unter
dem Emir, der in Suakin eine gleich grosse Gewalt ausübte,
wie der Kaib in Massua.
Aber in diesem Verhältniss trat ein Umschwung ein. Es
traf sich, dass die türkische Begierung kräftige Leute in diese
Gegenden schickte, die, mit gehörigen Mitteln versehen, ihren
Einfluss auszudehnen verstanden. Nach Suakin sandte man
400 Soldaten mit guten Offizieren und den jetzigen Pascha,
der Reformen Uebt. Seitdem macht die Tracht der Beduan
dem Kaftan Platz, die Haarfidsur weicht dem Turban, die
Hütten von Stroh den steinernen Häusern. Unter der jetzi-
gen Begierung kann man mit Sicherheit bis in's Gash, bis
an die Grenze Aegyptens reisen. Die alten HäupÜinge haben
nur noch nominellen Bang. Ich sah den früheren Emir, der
ehedem über Tausende von Lanzen gebot und nie ausging,
ohne von einigen Hundert Kriegern gefolgt zu sein, einzig im
Tarbusch uns bewillkommnen.
Die Suakin auf dem Festlande gegenüberliegende Stadt ist
nicht klein und mag wohl 10,000 Einwohner haben, die alle
in Matten- oder Strohhäusem wohnen; jedes derselben ist
von dem andern durch hohe, aus Gras und Schilf geflochtene
Hecken getrennt, und diese bilden die Strassen und machen
den Einblick in das Innere der Häuser immöglich. Tiefer im
Lande findet man nur vereinzelte Häuser, die zum Schutz ge-
gen die Hyänen mit Domenhecken umgeben sind.
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Vom Rothen Meer. 111
Die Umgebungen der Stadt sind dürr und salzreich, daher
hat das Wasser einen salzigen Beigeschmack. Doch erheben
sich unweit der Stadt Vorgebirge, in denen sich schöne was-
serreiche Thäler befinden sollen. Nach allem, was ich ge-
hört, verliert sich ein ziemlich grosser Fluss, der von SW.
kommt, unweit Suakin im Sande. Es war mir nicht vergönnt,
mich selbst von der Richtigkeit dieser Angabe zu überzeugen;
aber ich will doch nicht unterlassen, anzuführen, dass man
glaubt, es sei der M'areb, den sonst die Karten in den Takkaze
münden lassen, dessen Lauf aber bis jetzt noch niemand voll-
ständig erforscht hat.' Ich hoffe, dass es mir vergönnt sein
wird, bei meiner nächsten Beise diese Frage aufsuklären*).
Die Eingebomen von Suakin sind den Beduan von Massua
sehr ähnlich, doch zeigt ihre Sprache Differenzen, die auf
fremde Einflüsse hinweisen.
Der Hafen von Suakin ist sehr gut: man tritt durch einen
natürlichen tiefen Canal ein und ankert dicht am Diwan. Das
Meer ist an der afrikanischen Küste nicht so seicht, wie an
der arabischen, der Boden senkt sich vielmehr plötzlich, so-
dass man hier mehrere gute Häfen findet, während die ara-
bische Seite arm daran ist. Durch Inseln und Klippen hin-
durch fuhrt ein Fahrwasser von 10 Faden Tiefe.
Suakin ist für den Handel nicht unwichtig. Ausser eini-
gen Karawanen von Abyssinien, die Kaffee, Wachs, Moschus etc.
hierher bringen, steigen viele Shellabin vom Gash (Takka)
mit Elfenbein und Shankalla hier herab. Das Elfenbein
wird immer von den Banianen angekauft; die Shankalla
gehen meist nach Djedda, wo der Centralpunkt des Sklaven-
handels ist. Man findet in Suakin ferner viele Kuh- und
Ziegenhäute, Zähne des Hippopotamus, Straussenfedem und
alle Meerproducte. Der wichtigste Handelsartikel ist jedoch
das Gummi Suakni, von dem eine sehr grosse Menge ausge-
führt wird; die Qualität ist freilich nicht besonders. Von
*) Wir wissen jetzt, dass es der Barka ist.
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112 Vom Rothen Meer.
Suakin bis Berbera ist die ganze Küste fast ausschliesslich
mit Gummibäumen bedeckt, deren Product nur zum kleinsten
Theile eingesammelt wird. Im Allgemeinen muss man sagen,
dass die Wichtigkeit dieses Handelsplatzes unter der weisen
Regierung von Nur-ed-Din Pascha im Zunehmen begriflfen
und dass er schon jetzt für Massua ein gefährlicher Rival ist .*)
Nach dreitägiger einförmiger Küstenfahrt kamen wir den
21. Mittags in Aqiq an, der Mittelstation zwischen Suakin
und Massua. Es ist wie Suakin auf einer Insel gelegen, die
eine Viertelstunde vom Festlande entfernt ist, ohne alle Ve-
getation, doch nicht ohne commercielle Wichtigkeit, da viele
Meerproducte hierher zum Verkauf gebracht werden und die
Beduan hier ihren Markt haben. Im August ziehen alle
männlichen Bewohner der Insel fort, um Perlmutterschalen
und Perlen zu fischen und Schildkrötenschalen einzusammeln,
und kehren erst im Frühling mit ihrer Beute zurück. Die
Beduan dagegen bringen im Winter ihre Butter hierher, die
sie gegen rohe Baumwollenzeuge von Cairo austauschen. Da-
durch bildet sich ein Handelsverkehr, der den Türken, welche
hier eine Zollstätte haben und eine Besatzung von zehn Mann
unterhalten, jährlich 5 — 8000 Thaler eintragen soll! Die Insel
selbst aber gewährt in Folge ihrer höchst kärglichen Vege-
tation einen armseligen' Anblick und die Einwohner müssen
Monate hindurch auf jede andere Nahrung als SchafHeisch
und Fische verzichten; an Brod fehlt es fast immer, wie
auch oft in Massua und Suakin. Die Communication mit
*) Nach dem französischen Handelsbericht von 1859 hat die Doiiane
von Suakin 60 — 70,000 Fr. Einnahmen ; nach jenem von 1856 ging von
Suakin nach Djedda: für 1 Million Fr. im Ganzen; darunter waren:
Butter für 400,000 Fr.
Gummi für 403,000 Fr.
Man weiss, dass der indische Telegraph über Suakin geht. Es
wurde dann und wann von Dampfschififen der Me^jidie berührt; aber
diess geschah mit so wenig Ordnung, dass die Kaufleute von Chartum
sich nicht an diesen Weg gewöhnen konnten.
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Vom Rothen Meer. ' 113
Djedda und dem Jemen ist noch immer sehr unvollständig.
Die Einwohner sind wahrscheinlich den Leuten von Dahalak
verwandt und beschäftigen sich, wie diese, ausschliesslich mit
der Fischerei.
Den 22. September verliessen wir Aqiq und kamen, durch
isehr schlechten Wind hingehalten, erst den 26. in der Nacht
vor Massua an. Am Morgen des folgeiiden Tages konnten
wir in den Hafen einlaufen und das Meer wieder für längere
Zeit nut dem Lande vertauschen. Dass ich an diesem Orte
länger als ein Jahr verweilen würde, hatte idi nicht voraus-
sehen können, als. ich Suez verliess. Was ich während dieses
längeren Aufenthalts von Land und Leuten kennen lernte,
habe ich auf den folgenden Blättern zu verzeichnen gesucht.
Hunzinger, Ostafrik. Studien.
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Mass ua.
Massua*) hat dieselbe Lage wie Suakin und Aqiq, und
verdankt wie diese seinen Ursprung den fremden Handelsleu-
ten aus allen Weltgegenden, die von diesem sichern Anhalts-
punkte aus den Handel mit dem Festlande versuchten. Noch
jetzt werden alle Handelsgeschäfte auf der Insel vollzogen,
und niemand denkt daran, seine Waaren dem Festlande an-
zuvertrauen. Die Tradition schreibt die erste Ansiedelung
den Persern zu; doch habe ich nur ein Anzeichen gefunden,
das für diese Behauptung sprechen könnte — den Familien-
namen Fares. Dagegen sind die ältesten Familien, die Haus-
und Bodenbesitzer, die Azulai (von Azulis, Zula), die Dankali
(von den Darfakil), die Jemeni (von Jemen) ; dann gibt es Hindi
(von Indien), Mogrebi und Bunga8i(von Marokko), Djeddani (von
Djedda), Habeshi (von Abyssinien). Familien, die sich ihrer
Einwanderung nicht erinnern, habe ich nicht gefunden. Das
*) Der Name heisst eigentlich Medsaü'a, was die Araber mit p,yj,ajo
ausdrücken; er rührt sehr wahrscheinlich von dem äthiopischen Verb:
„dsau a" „rufen" her, da man die Entfernung der Insel vom festen
Land eine medsau*a nannte, d. h. so weit man einen Ruf hören kann;
diess ist wirklich die Entfernung der Insel vom Gerar. In der Landes-
sprache heisst die Insel Baz'6.
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Vom Roihen Meer. Il5
Andenken an die frühere Garnison, die sich mit den Einge>
bomen vermischte, hat sich in den Familiennamen Turki und
Bosakbash bewahrt. Dieses Conglomerat erhielt eine eigen-
thümliche Färbung durch Vermischung mit Sklaven von den
Galla; doch blieb der Grundton immer der Bedui, dessen
Sprache, durch das Arabische viel bereichert, in Massua
stets herrschend geblieben ist, wie seine Sitten und sein Cha-
rakter in den Grundzügen auf der Insel immer bewahrt blie-
ben, wenn sie auch durch fremden Einfluss und die Beschäf-
tigung der Einwohner etwas umgestaltet wurden.*) Wie
überall, glauben sich auch hier die Stadtleute von Massua
den Landleuten durch feine Sitten überlegen, und Bedui ist
bei ihnen fast ein Schimpfioame. Der Familienstolz ist so
gross, dass erst die Verarmung der letzten Zeiten ein Mit-
ghed einer alten hiesigen Familie nöthigen konnte, um Lohn
zu arbeiten, während sonst immer die ganze Stadt für die
Schulden eines Einzelnen einstand. Der Adel ist kein Pri-
vilegium der Europäer; die Verwandten des Naib und die
Belou überhaupt, so elend sie geworden sind, glauben sich
doch immer besser, als andere Menschenkinder.
Das Verhältniss des Mannes zur Frau und die Heiraths-
gebräuche sind dieselben, die bei den Beduan herrschen; bei
den Stadtleuten sind natürlich die Ausgaben für eine Heirath
viel grösser, der Schmuck der Verlobtien ist viel gewichtiger,
sodass manche ihr Leben lang Junggesellen bleiben müssen
und Polygamie eine Seltenheit ist.
Der Volksstamm hat im Ganzen durch die vielfache Rassen-
veränderung an Schönheit gewonnen; er besitzt ein edles Profil
und ist in der Farbe viel heller, als die Beduan; die Phy-
siognomie ist, wie bei dem Abyssinier, ganz kaukasisch. Die
*) Der firemde Einfluss zeigt sich besonders im Häuserbau; das
viereckige Strohhaus mit spitzem Dach gehört nicht Afrika an, sondern
es ist den Jemeniten entlehnt; die wahren Beduan leben selbst in den
Dörfern noch immer in dem Mattenzelt (Ablu).
8*
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116 Vom Rothen Meer.
Männer haben in ihrem Gesicht einen Ausdruck von Weich-
lichkeit, Friedfertigkeit, der ihrem Charakter vollständig ent-
spricht; wirklich haben die Türken von den Eingebomen der
Stadt nichts zu fürchten, sie sind vielmehr die Wölfe unter
den Schafen. Eine Flinte in die Hand zu nehmen, ist bei
den Eingebomen schon eine grosse Sache; sie sind Friedens-
freunde, in allen ihren Verhältnissen massig, ruhig, von einem
feinen Ton; es fehlt ihnen nichts, als Energie.
Man findet hier gute Handwerker, besonders von indischer
Abstammung; sie lernen den Europäern mit Leichtigkeit ihre
Kirnst ab, denken aber nie an eigene Erfindung. Es werden
hier sehr schöne, solide Barken gebaut, die Maurer und Zim-
merleute arbeiten mit vieler Geschicklichkeit und Schnellig-
keit, man drechselt sehr hübsche Gefässe aus Büflfelhömern
und arbeitet nicht übel in Elfenbein, die Frauen flechten die
niedlichsten Körbe und Gefässe, die oft wasserdicht sind.
An Kunsttalent mangelt es nicht, doch bleibt man beim Her-
gebrachten stehen.
Die Hauptbeschäftigung der Stadt ist der Handel, beson-
ders mit den Karawanen, für welche die Stadtleute als Com-
missionäre fungiren. Es soll hier firüher sehr reiche Kauf-
leute gegeben haben; aber durch die Habsucht der Pascha's,
durch eigene Grossthuerei und Verschwendung sind sie herab-
gekommen. An Habsucht und Schachergeist fehlt es nicht,
und in dieser Beziehung verleugnen sie den semitischen Cha-
rakter nicht, aber der Familienstolz , der auch in der jetzigen
Armuth rege bleibt, verhindert die Leute, sich wieder empor-
zuraflFen. Der alte Reichthum ist fort, aber die schönen Sei-
dengewänder werden nicht abgelegt, und die Hausfirau wird
noch immer als eine Prinzessin betrachtet, fiir welche eine
Sklavin arbeiten muss. Urtheilt man nach dem äussern An-
schein, so glaubt man sich unter grossen Kaufleuten, die
Stolz und Verschwendung, nicht aber Thätigkeit von ihren
Vätern geerbt haben.
Die Gesänge der Stadtbewohner sind fast nur religiös und
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Vom Rothen Meer. 117
haben einen eigenthümlichen Beiz. Ihre Gebete sind die des
Islam, doch sehr lang, besonders das Gebet der Aesha, das
fast gesungen wird, und nur zn sehr an unsern Rosenkranz
erinnert, dessen Stelle es seit dreihundert Jahren vertritt.
Ausserdem sind fiir alle Gelegenheiten, Feste, Hochzeiten
u. 8. w. Gesänge üblich, in feierlichen erhabenen Tönen von
wohllautenden Stimmen vorgetragen: ein Chor, der mir oft
das Herz erschütterte.
Die Religion erscheint hier viel liebenswürdiger als im
übrigen Orient, und der arabische Fanatismus ist ÜEist un-
bekannt. Schimpfwörter verbietet der gute Ton, der hier
herrscht, das tägliche Brod von Aegypten wird hier nicht
gegessen, und die arabische Roheit habe ich zu meinem
Tröste in Massua nicht gefunden. Alles ist ästhetisch, fried-
lich, fast weichlich, in allem massig, ohne Excess im Guten
wie im Bösen; der schlechte Charakter bleibt verhüllt und
bricht nur selten vollkommen hervor. Aber auch männliche
Offenheit ist selten, schmeichlerische Falschheit ein Grundzug
des hiesigen Yolkscharakters. Hingebung und Aufopferung
für den Nächsten, Treue bis zum Tode muss man hier nicht
erwarten: der Mangel an energischer Männlichkeit lässt eben-
so wenig Tugenden, als Laster aufkommen und wird zu einem
vorsichtigen gemässigten Egoismus.
Die Bewohner leben von Fleisch, Reis, Durra, Milch und
Kaffee. Geistige Getränke sind meist nur unter den Soldaten
beliebt. Die Kleidung besteht in einem gefärbten Futta um
die Lenden, einer seidenen Weste und einem langen weissen
Hemde; den Tarbusch tragen nur die Türken; dagegen setzt
man eine Takie auf, ein festes buntgewebtes Käppchen, um
das man die Musseline wickelt.
Die Bewohner der Insel habe ich auf kaum 5000 geschätzt,
von denen viele die Nacht in ihren Häusern auf dem Fest-
lande zubringen. Doch wird diese Zahl im Sonmier durch
die Karawanen wohl verdoppelt. Da der Handel die Stadt
ernährt, ist die Zahl der steinernen Magazine gross; sie sind
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118 Vom Rothen Meer.
aber meist sehr eng und klein und bestehen mit wenig Aus-
nahmen nur aus dem Erdgeschoss. Als Wohnungen dienen
fast nur Strohhäuser, die sogenannten M'ädeni, wie sie auch in
Hodeida und Loheja vorkommen. Feuersbrünste sind auf der
Insel und am Festland sehr häufig; doch lässt das Strohfeuer
die steinernen Magazine unversehrt. Trotzdem wird immer
wieder mit Holz gebaut, weil man nicht Geld genug hat, um
in Stein zu bauen und weil man die Strohhütten kühler
findet
Trinkwasser wird entweder von Arkeko entnommen, wo es
einen salzigen Beigeschmack hat oder von 'MkuUu, wo es
sehr süss, aber halblau ist. Auf der Insel selbst unterhält
man viele Cistemen, die sich im Winter mit Begenwasser
füllen und für mehrere Monate hinreichen.
Massua gegenüber liegen die Dörfer Hotumlu und Zaga
und zwischen ihnen 'Mkullu, eine kleine Absiedlung der Eu-
ropäer.
'Mkullu ist ein angenehmer Winteraufenthalt; es liegt
eine voDe Stunde vom Meer in einem Thal, das durch Hügel
von der Ebene geschieden ist, die zum Meer sich hinzieht.
Früher wohnten viele Eingeborene hier; neben ihnen liess
sich der frühere französische Oonsul Hr. Degautin nieder; er
baute mit eigenen Händen ein kleines Haus, das 1848 von
der Lazaristenmission angekauft imd zur Kirche umgeschaflfen
wurde. Nach und nach siedelten sich mehrere Europäer da-
neben an; aber für die Verschönerung des Platzes wurde
wenig gethan; die europäischen Häuser- sind kaum besser als
die der Eingebomen und die Gärten sind zwar voll von Lor-
beerrosen und Senna, aber eine eigentliche Cultur ist nicht
sichtbar. Da die imiliegenden Dörfer wenig Wasser haben,
kommen die Hirten und die Töchter des Landes, hier Wasser
zu schöpfen, was mir die biblische Geschichte oft lebendig
vergegenwärtigte. 'MkuUu gegenüber liegt ein kleiner Berg,
nach dem Grabe eines Heiligen: Sheich Abdallah genannt,
von dem man das Meer und die Insel übersieht Wie oft
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Vom Rotheu Meer. 119
habe ich dort umfächelt vom kühlen Seewinde gesessen und
geharret, ob nicht ein nahendes Segel mir Kunde von der
fernen Heimat verspreche, bis das Bellen der Schakale und
das Heulen der Hyänen, die nur in der Nacht aus ihren
Schlupfwinkeln sich hervorwagen, mich daran erinnerte, dass
der Sternenhimmel mit seiner Tropenpracht über mir aufge-
gangen sei.
In neuerer Zeit ist ^Mkullu fast ganz verlassen; die La-
zaristen haben sich ganz auf die Insel zurückgezogen, wo sie
eine schöne Kirche und Missionshaus gebaut haben. Es ist
übrigens vorauszusehen, dass 'Mkullu bald verschwinden
wird, da der vorUegende Torrent jährlich grosse Stücke ab-
reisst und sein Bett nach wenigen Jahren direct über die
jetzige Ansiedlung gehen muss. Die Leute von Massua leben
jetzt in Hotumlu und theilweise auch in Zaga. Hotumlu ist
em ganz neues Dorf; der Name kommt wohl von dem Baum
Hotum, der in dieser Gegend sehr häufig vorkommt. Der
Name 'Mkullu kann „die Mutter von allem" bedeuten, nach
dem alten Brunnen, der früher das Land weit und breit ver-
sorgte oder „von allein," um die verschiedene Herkimft der
Bewohner zu bezeichnen. Hotumlu reicht. von 'Mkullu fast
bis an's Meer; es ist die Villa der Massuiner, die jede Nacht
von der City zurückkehrend hier verweilen, vermehrt durch
die arbeitsuchenden Beduinen.
Ein Blick auf die Karte schon zeigt, dass Massua eine
sehr wichtige Stellung im Handel des südlichen Rothen Meeres
einnehmen muss. Es. ist der natürliche Nordhafen von Abys-
sinien, und liegt dem Jemen, dem Lande des Kaffees, gegen-
über, kaum zwei Tagereisen davon entfernt Auch von Djedda
ist der Weg nicht weit; er führt über die Inseln von Daha-
lak, die natürlich einen grossen Theil ihrer Meerproducte
auf den Markt von Massua abgeben. Die Ebene zwischen
dem Meer und dem Plateau Abyssiniens, die unter dem Na-
men Samhar bekannt ist, hat auch Erzeugnisse (Giunmi,
Senna, Butter, Schmalz und Häute), die für den Zwischen-
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120 Vom Rothen Meer.
handel des Rothen Meeres nicht ohne Wichtigkeit sind. End-
lich besteht eine sichere und angenehme Karawanenstrassc
von Sennaar und Takka nach Massua, sodass es im Stande
ist, einen grossen Theil der Producte jener Länder, das El-
fenbein, die Hippopotamuszähne, die Tamarinde zu empfangen.
Der Hafen von Massua ist der beste des Bothen Meeres.
Die Insel ist regelmässig regiert und bietet dem Handel schon
durch ihre Lage eine natürliche Sicherheit; europäische Kauf-
leute und Schiffe finden hier einen (französischen) Consul, so-
dass sie für ihre Geschäfte keinerlei Schwierigkeiten zu be-
fürchten haben.
Diess gilt jedoch nur für die Insel. Die beständigen, oben
besprochenen Umwälzungen, denen das abyssinische Festland
ausgesetzt ist, üben natürlich einen sehr verderblichen
Einfluss auf den Binnenhandel aus. Bei dem gegenwär-
tigen Kriegszustande wagen die grossen Karawanen kaum
mehr, ziun Meer hinabzusteigen. Dieselben steigen jähr-
lich nur einmal von ihren Bergen herab, im Juni oder
Juli. Die Waaren sind in Bockhäuten (Girbe) verpackt
und gewöhnlich auf Maulthiere geladen, die den Weg von
den Grenzen der Gallaländer in zwei bis drei Monaten zu-
rücklegen können. Die Karawanen (Gafileh) sind aber oft
gezwungen, an den Ufern des Takkaze zu warten, bis sein
Wasser hinreichend geMlen ist, um den Uebergang zu ge-
statten. Da die Regenzeit im Spätfrühling eintritt, und das
Wasser vor October nicht sinkt, so kann man den Takkaze
nur vom October bis April mit Waaren passiren. Diess be-
stimmt den Zug der Karawanen, die im Winter bis in^s 60-
djam gehen, im Frühling zurückkehrend den Takkaze passi-
ren, und sich in Adua aufhalten, sodass sie im Juni in Massua
ankommen. Man sieht, die Tagemärsche sind nicht gross, —
aus Rücksicht für die Lastthiere, welche starke Tagemärsche
auf der schwierigen Gebii^sstrasse nicht lange aushalten
würden.
Die Waaren, die von den Abyssiniem nach Massua ge-
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Vom Rothen Meer. 121
bracht werden, sind meistens Producte der Gallaländer, so
der gute Kaffee, das Gold, das weisse Wachs u. s. w. Die
Galla bringen ihre Waaren gewöhnlich nur bis in's Godjam,
wo der grosse Stapelplatz, besonders für den Kaffee ist.
Jeder abyssinische Kaufinann (Neggade) hat in Massua
seinen Commissionär(Nesil), der sein Sicherheitsbürge ist (da
Abyssinien mit der Türkei keinen officiellen Verkehr unter-
hält), ihm ein Haus, Feuer und Wasser liefert, und alle seine
Greschäfte während seines Aufenthalts besorgt. Dafür nimmt
der Nesil von allen Käufen und Verkäufen eine mehr oder
minder bedeutende Commissionsgebühr. Dieser Tribut, der
zwischen 5 und 10 Procent beträgt, ist so fest in den Lan-
desgebräuchen gewurzelt, dass es eine Thorheit wäre, ihn
umgehen zu wollen, um so mehr, da es die Nesil sind, welche
jedes Geschäft in Händen haben und es, nach ihrer Laune,
zu Gunsten ihrer Freunde abmachen.
Geschäfte mit den Abyssiniern sind einfach und schnell ab-
gethan. Die ersten Tage nach ihrer Ankunft zögern sie sehr
mit dem Verkauf der mitgebrachten Waaren; keiner will der
erste sein, aus Furcht, den Markt zu verderben. Doch so-
bald ein grosser Kaufinann das Beispiel gegeben und den
ersten Verkauf gemacht hat, wird der ganze Vorrath von
gleichen Waaren in einem Augenblick ohne weiteres Markten
losgeschlagen. Tauschhandel ist nicht beliebt. Man muss
mit guten Maria- Theresia -Thalem (Edri) versehen sein, um
vortheilhaft kaufen zu können; erst später erhalt man beim
Verkauf der eigenen Waaren einen Theil seines Geldeö wieder
zurück, aber die Abyssinier nehmen doch kaum mehr, als die
Hälfl;e des realisirten Geldes in Waaren zurück. Der Import
ist dem Export bei weitem nicht propoiüonirt.
Ehrlichkeit und Rechtlichkeit sind die erste Bedingung
für den, der mit den Abyssiniern zu thun haben will. Sie
sind sehr misstrauisch, wittern sofort Betrug, wo sie Schlau-
heit bemerken, wissen dagegen Offenheit in Geschäften sehr
wohl zu schätzea
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122 Vom Rothen Meer.
Die grossen Karawanen kommen, wie gesagt, nur einmal
des Jahres nach Massua; doch gibt es viele kleine Kaufleute
vom Tigre und Hamasen, die während des ganzen Jahres
aus- und eingehen und den Markt stets in einiger Thätigköit
erhalten. Die eigentliche Geschäftssaison sind die Sommer-
monate.
Die bösen Zeiten haben es mit sich gebracht, dass eine
Karawane einer kleinen Armee nicht unähnlich sieht. Die
grossen Neggade bringen nur wenige Diener nach Massua,
da sie eine Unzahl Dienstleute auf der Grenze bei ihren Maul-
thieren zurücklassen. Die Tracht des reisenden Abyssiniers
besteht in kurzen engen ^^^Qkleidern und einer sehr langen
dichten weissen Schärpe, die um die Hüfte gewickelt ist; da-
rüber trägt er die ungenähte viereckige Toga (Quari), von
der er ein Ende über die eine Schulter wirft. An seiner
Rechten hängt das lange, krumme Schwert (Shotel), und aus-
serdem trägt er einen grossen runden bucklichten Schild aus
Büffelhaut und eine langspitzige Lanze. Aber auch Feuer-
gewehre, mit denen besonders Europäer einen einträglichen
Handel treiben, sind von jeher sehr verbreitet gewesen. Eine
solche Ausrüstung ist zum Schutz der Karawanen in dem
unruhigen Lande unentbehrlich; oft hört man von Schlachten,
die geschlagen wurden, um den freien Durchgang zu erzwin-
gen, sodass diese Karawanenzüge mehr an unsere alten Rit-
terfahrten erinnern, als an die Reisen friedlicher Kaufleute.
In Wahrheit ist jeder Abyssinier ein gebomer Krieger, —
eine natürliche Folge der politischen Zustände des Landes,
die unsern mittelalterlichen in allem ähnlich sehen, ausge-
nommen in der Stellung der Stände. Wenn es in Abys-
sinien auch einen Adel gibt, der sich nur mit Kriegen und
Rauben beschäftigt, so ist er doch von dem Kaufmann nicht
durch eine breite Kluft geschieden; der Uebergang von dem
einen Stande zum andern ist sehr leicht und kommt täglich
vor. Ein Geburtsrecht wird in Abyssinien durchaus nicht
anerkannt, ausser für den Kaiser. Der Bauer, der Kaufinann,
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Vom Rothen Meer. 123
der Soldat, der Grundbesit^r, alle sind gleich wohlgeaehtet,
und selbst den Geringsten kann das Glück in eine angesehene
Stellung führen. Der Herr wird arm und dient, der Diener
wird reich und spielt den Herrn. Verächtliches ist nichts
dabei; deswegen ist hier auch das Verhältniss des Dieners
zum Herrn ganz anders, als in Europa, es ist viel vertrau-
Ucher und wird oft zur Freundschaft. Die Folge davon ist,
dass auch der Diener viel mehr Ergebenheit zeigt, als in je-
dem andern Lande; er mag alle Laster haben, dennoch be-
sitzt er die in einem so wilden Lande unschätzbare Tugend,
treu zu sein bis in den Tod, dem er für seinen Herrn mit
Freude entgegengeht. Geburtsstolz wird man aus dem ange-
fahrten Grunde bei den Abyssiniem kaum finden; viel stärker
ist der Geldstolz. Da das Geld hier zehnmal mehr werth
ist, als in Europa, und die grössten Handelsleute nicht mehr
als ein paar tausend Thaler besitzen, muss es einem Europäer
lächerlich vorkommen, Leute mit einem Vermögen von eini-
gen hundert Thalern eine Grandezza annehmen zu sehen, wie
wir sie bei unsem Millionären nicht [finden. Wenn man einen
Neggade antrifft, der seine Quari bis zu den Augen empor-
zieht, was den Umstehenden zeigen soll, dass er sie als ihm
untei^eordnete Personen betrachtet, so kann man sicher sein,
einen Gapitalisten von wen^stens dreihundert Edri vor sich zu
haben, die freilich mit eigenem langjährigen Schweisse erworben
sind. Doch gibt solche Anmassung, die dann und wann auch
gegen den Europäer an den Tag tritt, eher Stoff zur Erhei-
terung, als zum Verdruss. Uebrigens finden sich viele ehren-
werthe Ausnahmen, besonders unter den reichern Kaufleuten,
die von der Welt genug gesehen haben, um zu wissen, dass
es noch grössere Geldherren gibt, als die abyssinischen
Neggade.
Die mohammedanischen Abyssinier sind ohne Zweifel be-
deutendere und bessere Handelsleute, als ihre christlichen
Landsleute; ihr Hauptgeschäft ist der Sklavenhandel, der sie
oft nach Djedda führt. Ich habe nie ein Volk gesehen, das
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124 Vom Rothen Meer.
sich seine Religion so wahrhaft innig zu Herzen nimmt, wie
diese Mohammedaner, die neben ihren Glaubensbriidem, den
Arabern, in Zucht und Rechtlichkeit wie Engel dastehen, und
wahre Früchte des Glaubens hervorbringen. Ohne Zweifel
wirkt darauf der Umstand ein, dass sie in Abyssinien die
Minorität bilden, wie es auch in den paritätischen Ländern
Europas sichtbar ist. Die abyssinischen Muslimin sind ihrem
Glauben sehr zugethan, oft sogar etwas fanatisch, was aber
nie offen hervortritt. Sie dienen in Abyssinien als Zöllner,
wie die Kopten in Aegypten; sind durchschnittlich gebildeter,
als die Christen, und bessere Rechner und Diplomaten, wes-
wegen sie oft zu Gesandtschaften zwischen christlichen Fürsten
gebraucht werden. Sie sind in der Welt des Islam sehr gut
angesehen, und es gehen aus ihrer Mitte oft Sheichs hervor,
die man auch in Djedda und im übrigen Arabien sehr hoch
verehrt, und eines nähern Umganges mit Gott theilhafiig
glaubt.
Jede Karawane theilt sich in verschiedene Gruppen, nach
den bedeutenderen Kaufleuten, aus denen sie besteht, und
um die sich die kleinem wie zu ihrem Hause gehörig schaa-
ren. Das Haupt ist der Neggaderas, der frei gewählt wird,
und während der Reise die Ausgaben für Zölle und andere
Abgaben für die ganze Gemeinschaft bestreitet, und erst spä-
ter die Auslagen von jedem Einzelnen einzieht. Das Leben
während der Reise ist nicht unangenehm. Man ipacht ganz
kurze Märsche, lagert immer ausserhalb der Städte im Schat-
ten eines grossen Baumes, und erfreut sich mit Trinkgelagen
(wozu man sich stets hinlänglich mit Honig versieht), wo
nicht selten die Eifersucht des Chefs, durch die Trunkenheit
aufgestachelt, tödtlichen Streit veranlasst, der zuweilen mit
den Waffen ausgefochten wird.
Die Wahl der Waaren, die ein Neggade nach Massua
bringt, ist durch alte Gewohnheit geregelt; es würde einem
kleinen Handeismanne sehr übel genommen werden, wenn er
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Vom Rothen Meer. 125
Elfenbein und Gold mit sich brächte, was nur den grossen
Kaufleuten gestattet ist.
Der christliche Neggade ist listig und interessirt, aber
nicht sehr intelligent und ein ziemlich schlechter Bechner,
daher ihn sein Geschäftsfreund in Massua, der mohammeda-
iiische Nesil, mit guten Worten nach seinem Wunsche, aber
natürlich nicht immer zum Vortheil des Christen zu behandeln
Tersteht Aber der Krug geht eben nur so lange zum Brun-
nen, bis er bricht, und Bechtlichkeit bewährt sich auch in
Massua als die einzig dauerbare Grundlage des Verkehrs.
Unter den Handelsartikeln wird Wachs aus den Provin-
zen Tigre, Godjam, Korata, Amhara und von Gallabat fast
ausschliesslich nach Massua geführt. Das Tigre -Wachs ist
schwarz, roh, und sehr schmutzig; Gallabat ist fast weiss
und verlangt keine andere Reinigung. Die andern Sorten
sind hellgelb und schon einmal gereinigt. In Massua nimmt
man eine letzte Reinigung vor, und giesst das Wachs in Brode
von etwa 20 Pfand um. Es gibt hier mehrere Leute, die
sich nur mit dem Bleichen des Wachses abgeben, indem sie
es in dünnen Schnitten der Sonne aussetzen. Dieses weisse
Wachs geht meist nach Djedda für den Localgebrauch, wäh-
rend vom gelben viel nach Cairo und Europa kommt. Das
letzte Jahr hat man ansehnliche Quantitäten nach Bourbon
und Bombay exportirt. Es mögen jedes Jahi* 4 — 500 Centner
Wachs in Massua ankommen , und die Zufuhr wächst mit der
Nachfrage, da das Wachs reichlich und zum Theil in Land-
schaften gewonnen wird, deren Verkehr mit Massua vom Was-
serstande des Takkaze imabhängig ist.
Der Kaffee ist das Hauptproduct der Gallaländer (Gudru,
Narea, Kaffa); die erste Qualität, Gudru, hat kleine gelbliche
Bohnen mit einem starken Aroma. Man vermischt sie aber
oft mit der. untergeordneten Soi'te vom Godjam, die grosse,
grüne Bohnen hat, und so dem Mochakaffee ähnlich sieht.
Der Gallakaffee wird selten rein von Massua exportirt; die
Eingebor nen mischen ihn mit dem Mocha, wodurch dieser
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126 Vom Rothen Meer.
etwas wohlfeiler zu stehen kommt. In Cairo und Syrien
schätzt man nur die letztere Qualität. — Die Hauptkarawanen
des Kaffees kommen im Sommer an. Beim Ankauf unter-
scheidet man keine Qualitäten, man nimmt ihn, wie er sich
in den Girbe findet, mit vielem Staub, Hülsen und schwarzen
Körnern vermischt. — Es ist .bekannt, dass das Wort Kaffee
aus dem Gallalande Kaffa stammt, dem Heimatlande der
Sorten des Jemen und somit der ganzen Welt; doch während
die vielen verschiedenen Töchter ihre Liebhaber gefunden ha-
ben, bleibt die Mutter ganz unbeachtet. Der Galla- Kaffee
ist nie auf den europäischen Markt gekommen, obwohl er des
feinen Geruchs und Geschmacks nicht ermangelt.
Das Elfenbein kommt von aUen Gebirgsländem dieses
Continents, die waldig, nicht zu kalt, und nicht übervölkert
sind, vom Tigre bis zu den fernsten Galla und von den Ha-
bab bis ziun Sennaar. Den Werth des alljährlich nach Mas-
sua geführten Elfenbeins kann man auf mehr als 20,000 Tixlr.
veranschlagen, und die ganze Quantität wird gewöhnlich in
Bausch und Bogen von den indischen Kaufleuten (Banianeu)
angekauft. Schon vier Tagereisen von Massua, bei den Habab,
wird auf Elefanten gejagt. Es finden sich imter den Belou
mehrere gute Schützen, die nach einer Abmachung mit Han-
delsleuten, welche ihnen das Material vorstrecken, auf halben
Gewinn, mit einem kurzen, sehr schweren, massiven Lunten-
gewehr von bedeutendem Kaliber auf diese Jagd ausziehen.
Sie zielen, indem sie den Lauf auf die Schulter eines Beglei-
tei*s auflegen, was den Rückschlag dieser kleinen Kanone
schwächt. Man findet sehr gute Elefantenjäger in Dokouo
und unter den Abyssiüiern; bei Vorsicht ist die Jagd nicht
sehr gefährlich, doch sind noch wenige der in Massua be-
kannten Jäger eines natürlichen Todes gestorben.
Moschus kam früher in grosser Menge nach Massua; doch
da diesem Artikel in Cairo und Djedda wenig nachgefragt
wird, ist der Handel damit tast ganz angegeben. Dagegen
wird Gold auch jetzt noch reichlich nach Maßsua gebracht
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Vom Rothen Meer. 127
und von hier nach Bombay exportirt. Beim Ankauf wird es
im Kohlenfeuer geprüft.
Für Sklaven war Massua früher ein bedeutender Markt;
jetzt hat der Sklavenhandel aber sehr abgenommen, und im
Jahre 1854 kamen kaum 1000 Köpfe an, meist Mädchen.
Shankalla werden nur in geringer Anzahl als Sklaven nach
Massua geführt, und bleiben meistens hier zum gewöhnlichen
Hausdienst. Die Galla aber werden grösstentheils nach Djedda
exportirt und theuer bezahlt. Sie sind sehr schön, aber durch-
gängig hochmüthig und perfid. Sie werden nie zu niederen
Üiensten verwandt, wozu sie sich kaum verstehen würden.
Sie glauben sich bestimmt, im Haus zu regieren und stechen
bei ihrem energischen Charakter die Hausfrau sehr leicht aus.
Ihr Vaterland sind die verschiedenen heidnischen Gallaländer,
wo die mohammedanischen Kauf leute sie wegstehlen oder von
dem König des Landes oder den Eltern kaufen und auf den
Markt nach dem Godjam bringen. Es ist den christlichen
Abyssiniem unter Leibesstrafe verboten, sich am Sklavenhandel
zu betheiligen; doch war es leicht, das Blutgesetz des Ubi6
zu umgehen, zumal da auch die Christen kein Verbrechen
darin sehen, Heiden zu Sklaven zu machen. Die Gallaknaben
werden gewöhnlich von türkischen Offizieren angekauft und
in die Armee unter die Lohntruppen des Sultans im Jemen
und Djedda eingereiht. Die Mädchen kommen in den Harem
und gewöhnlich hat man sich über sie mehr zu beklagen, als
dass sie beklagt zu werden verdienten: denn im Allgemeinen
behandeln die Europäer ihre freien Diener schlechter, als die
Muslimin die Sklaven. Der Haupthandelsplatz für Sklaven
ist Zeila, trotz der Nachbarschaft Aden's und der Landsleute
von Wilberforce. Der Handel hat durch das Verbot wenig
gelitten, nur wird er mit mehr Heimlichkeit betrieben, um
ihn vor den Augen der Europäer zu verbergen.
In frühem Jahren kamen sehr oft Schiffe aus Bourbon
und Mauritius, um abyssinische Maulthiere und Pferde zu
laden, die in den dortigen Plantagen verwendet werden. Doch
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128 Vom Rothen Meer.
hat dieser Handel fast aufgehört. Die Maulthiere gelten im
Durchschnitt an der Küste nur 10 Thaler, doch muss mau
riskiren, dass ein Theil der Ladung auf der Ueberfahi-t zu
Grunde geht; bei gutem Wind und hinlänglichem Wasser und
Heu hat man indess keinen beträchtlichen Verlust zu besor-
gen. Das abyssinische Pferd ist schön, ein guter Renner,
doch hat es nicht den eleganten Bau und die Intelligenz des
echten Nedjd.
Abyssiniens Ausfuhrhandel könnte noch sehr erweitert
werden. Das Land ist reich und vielgestaltig; alle Klimata
sind in seinen Grenzen vertreten, von der Kälte des Semien
bis zur Fieberhitze der Takkaze-Ufer. Der Abyssinier ist
durch seine Naturanlage Ackerbauer und überlässt die Aus-
übung von Künsten und Gewerben meist den Juden (Falasha);
demungeachtet sind die so verachteten Gewerbe, die sich mit
dem Stein und dem Eisen befassen, zu einer seltenen Voll-
kommenheit, besonders in Gondar gebracht Der Ackerbau
wird sorgfältig betrieben, doch lassen die beständigen IQiege
dem- unglücklichen Landmann keine Ruhe und seiner Emdte
beraubt, zieht er es vor, selbst Soldat zu werden, um nicht
zu säen, wo ihm zu erndten nicht vergönnt ist. So liegen
jetzt viele fruchtbare Striche wüst; aus dem Pfluge hat mau
ein Schwert geschmiedet. Im Friedenszustande könnte Abys-
siiiien viel ausführen und mit Leichtigkeit den ägyptischen
Weizen von den Seemärkten des rothen Meeres verdrängen.
Die Schwierigkeit des Transports, aus Mangel an Strassen,
ist ausser dem Kriege das einzige Hindemiss der wahren
Entwickelung des abyssinischen Handels; das Land ißt so ge-
birgig, die Pässe so schmal imd steil, dass selbst das vor-
sichtige Maulthier nur mit Mühe und Gefahr seinen Weg findet
Man bringt viel rothen Pfeffer von sehr guter Qualität
für den Platzverbrauch nach Massua; er wird bei allen abys-
sinischen Speisen verwendet. Der schwarze gewöhnliche Pfeffer
wird von Indien eingeführt.
Abyssinien erzeugt eine gute Baumwolle, die aber für
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Vom Rothen Meer. 129
den Landesgebrauch so wenig ausreicht, dass man ihr Massen
von Surati beimischt, die von den Banianen nach Massua
gebracljt wird. Das Spinnen derselben ist die gewöhnliche
Beschäftigung der Frauen aller Stände. Alle Kleider werden
im Lande gesponnen ; die rohen Baumwollenzeuge europäischer
Fabrikation taugen für das meist kalte Abyssinien nicht.
Man kennt das Färben der Stoffe nicht und bedarf deshalb
der Einfuhr besonders von rothen Baumwollenzeugen (Suli)
aus Indien, womit man die weissen Togen (Quari) säumt.
Für die Europäer ist es nicht schwer, Besitzungen in
Abyssinien zu erhalten; fast alle Reisenden, die dorthin ge-
kommen sind, haben solche gehabt. Doch bis jetzt besteht
der einzige Nutzen derselben in der Einführung der Kartoffeln
durch Hm. Schimper.
An Metallen ist Abyssinien reich, sie sind aber meistens
unbenutzt. Das Eisen wird im Lande bearbeitet. Blei ist
fast unbekannt; die Kugeln werden meist aus Eisen und sogar
von Stein gemacht. Das Kupfer, das zu Kesseln verarbeitet
wird, kommt von Cairo.
Die Einfuhr nach Abyssinien (Waffen ausgenommen) wird
in der nächsten Zeit schwerlich bedeutend werden, weil die
Bewohner dieses Landes, abweichend von den afrikanischen
und arabischen Beduinen eine eigenthümliche, in Gewerben,
Küche, Getränken, Landbau etc. fest ausgebildete, wenn auch
etwas rohe Sitte haben. Bis jetzt ist es noch keinem Euro-
päer gelungen, unsere Cultur dorthin zu verpflanzen, im
Gegentheil haben sich alle Europäer, die nach Abyssinien
gekommen sind, der Landessitte anbequemt. Diese aber be-
darf des Auslandes fftst gar nicht.
Die Ebene zwischen Dokono und Zula, die sich wohl
sechs Stunden weit erstreckt, ist nur von dem domigen
Gummibaum bedeckt. Da diese Gegend schon als zum
Gebiet der Saho gehörig betrachtet wird, haben diese das
Recht der Erndte, die in den heissesten Sommermonaten auf
Bestellung der Leute von Dokono vorgenommen wird; der
Man Ein g« r , OtUfrik. Studien. 9
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130 Vom Rothen Meer.
Ertrag "wird nach Massua gebracht. Bei der ungeheuren
Menge von Gummibäumen im Samhar kann er sehr gesteigert
werden; jetzt richtet sich der Umfang der Emdte nach der
Bestellung. Der hiesige Gummi ist dem sogenannten Suakni^
der von Gadarif kommt, weit überlegen und kommt in grossen,
weissen oder hellgelben, klaren, elastischen Stücken zu Markt,
doch wird er beim Transport nicht genug geschont.
Das Senna ist eine Medicinalpflanze, die nach den ersten
Begen im Ueberfluss im ganzen Lande emporschiesst und nach
Verlangen von den Beduinen gesammelt wird. Ihr officineller
Gebrauch ist den Eingebomen gut bekannt.
Der Handel der Insel mit den Bedidnen ist sehr bedeu-
tend; da sie alle Hirten sind, die wenig Ackerbau treiben und
keine Industrie besitzen, so werden hierdurch die Hauptgegen-
süinde »des Exports und Imports von selbst bezeichnet Die
Saho bringen Kuhhäute in der Milch bearbeitet (ielem) oder
rothgegerbt (masbuk), dann sehr schöne grosse Ziegenhäute
und Butter. Die Beduinen und die Habab haben dieselben
Ausfuhrartikel, besonders aber rohe Kuhhäute, Butter und Fett.
Mit der Butter, die flüssig in Schläuchen von allen Län-
dern zwischen dem Meere und Kassala nach Massua gebracht
wird, und den Häuten wird ein bedeutender Handel nach dem
Jemen und Djedda getrieben. Diese Artikel werden gegen
Durra vom Jemen und Baumwollenzeuge von Cairo, dem ein-
zigen Kleidungsstoffe der Beduinen, ausgetauscht. Die rothen
Kuhhäute gehen nach Aegypten, die bearbeiteten finden in
Arabien bequemen Absatz. Die Karawanen der Habab haben
in Zaga nahe bei Massua ihre Commissionäre, unter ähnlichen
Verhältnissen, wie die Abyssinier. Auch die Leute von Ha-
masen konmien mit den genannten Waaren nach Massua,
ausserdem bringen sie Honig und viel Getreide. In ihren
Ankäufen gleichen sie aber eher den Abyssiniem.
Da die Beduinen sehr beschränkte Bedürfnisse haben, kann
bei ihnen nur das importirt werden, was zur Kleidung nöthig
ist. Der Unterschied, der sich in dieser Abhängigkeit von
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Vom Hothen Meer. 131
den Fremden zwischen den Beduinen und den Abyssiniern
zeigt, rührt von der socialen Stellung der Frau her. Da die
Frauen der erstem es für eine Schande halten zu spinnen
und der Bedui selbst von dieser Kunst auch nichts versteht,
beschränkt sich die Thätigkeit aller dieser Hirten auf die
Bereitung der Butter, die ihnen als Tauschmittel zur Erwer-
bung von Kleidungsstoffen und Cerealien dient»
Die Handelserzeugnisse, welche die Jagd liefert, sind die
schon erwähnten Elefantenzähne und dann die Straussen-
federn. Auf den Grenzen der Habab und der Beni Amer
liegen im weiten Umkreise die Gebiete einer grossen Völker-
schaft, die unter dem Namen Hadendoa (oder Harendoa) vom
Meer bis zum Gash umherzieht. Sie besitzt ausgedehnte
Heiden und beschäftigt sich daneben mit Straussenjagd auf
besonders dazu abgerichteten Pferden und Kameelen, mit
denen man das edle Wild nach und nach umzingelt. Der
Lieblingsaufenthalt des Strausses sind die Wüsten, die sich
zwischen Massua und Suakin ausdehnen, wasser- und vege-
tationsarme, trostlose Salzebenen, in denen sich die glühende
Tropensonne wiederspiegelt. Dort sah ich die Strausse oft
in grossen Heerden sich vorwäji;s bewegen, wie ein rasch hin-
ziehendes Gewölk am fernen Horizont.
y*
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Das Samhar.
Die abyssinische Gebirgskette, die vom Meer etwa 20 Stun^
den entfernt 6 — 7000 Fuss hoch südwestlich von Massua
sich hinzieht und mit der Küste parallel zu laufen scheint,
erhebt sich zwar von fem gesehen wie plötzlich aus der
Ebene; aber die Steigung ist durch zahlreiche Vorgebirge
vermittelt, die den ganzen Strich zwischen dem Meere und
dem Hochgebirge ausfüllen und nach und nach je mehr sie
nach Norden fortschreiten, von der Küste zurücktreten und
nördlich von Massua einer Wüste Platz machen, die mit
wenig ündulationen sich von Beremi bis an den Fuss des
Gebirges unter den Namen Sheb und Gedged erstreckt. Wir
müssen uns vorstellen, dass das Meer ursprünglich direct an
die Wand des Hochgebirges anschlug; diese wurde aber durch
die Gewalt der niederströmenden Begengewässer ausgehöhlt;
sie verwitterte und zerbröckelte sich und daraus wurden die
Vorgebirge, von den Regenbächen noch jetzt zerrissen und
ausgewühlt. Was aber das eigentliche ebene Uferland angeht,
so war es gewiss fiüher vom Meer bedeckt, da noch jetzt
Muscheln in bedeutender Höhe über dem Wasserspiegel den
Boden bedecken (z. B. in Sheb); man kann es deswegen
nicht als Alluvium der Hochgebirgsströme betrachten, die
übrigens einen viel zu raschen Fall haben, als dass sie viel
Thon auflösen oder absetzen könnten.
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Vom Rothen Meer. 133
Im .Hintergrande des Golfes von Massua liegt die Stadt
Arkeko, von den Eingebomen Dokono genannt, am Fuss
des vereinzelt aus dem Meer emporsteigenden Berges Gedem,
der den nahen Vorgebirgen Abyssiniens gegenüberliegend nur
einen schmalen Pass nach dem nahen Zula (Azulis) offenlässt.
Diesen Pass begrenzt das Küstenland Samhar von Süden vom
Land der Danakil und Dokono liegt eigentlich in der Mitte
zwischen zwei Zonen sprachlich und politisch; denn hier be-
rühren sich die Tigresprache und die Sprache der Saho, die
auch von den Danakil gesprochen wird. Wir wissen nicht die
Bedeutung des Wortes Samhar; dagegen wird es von den
Eingebornen auch Mudun oder in der Pluralform Mädäin ge-
nannt, was das Land der festen Wohnsitze bedeutet nach der
semitischen Wurzel adene (^4>^ mansit, ^Julo mansio im
Gegensatz zu dem Zelt des Nomaden). Deswegen heissen hier
auch die feststehenden Häuser Mädeni. Mudun nannten also
die Nomaden das Land, weil sich feste Ansiedlungen darin
bildeten. Geographisch erstreckt sich das Samhar sehr weit
nördlich, wir können sagen bis Aqiq; doch behauptet es seineu
Namen nur in der Nachbarschaft von Massua, während seine
nördliche Fortsetzung unter dem Namen Söhel (Gestade) dem
Land der Habab anliegt.
Der natürliche Hafen und Marktplatz dieses Landes ist
die Insel Massua. Sie vermittelt, wie wir gesehen haben, den
Verkehr des Festlandes mit Arabien und den überseeischen
Ländern überhaupt und ist also von beiden Seiten in-
fluenzirt
Das Land Samhar mit seiner Aufdachung gegen das Hoch-
gebirge bietet in einer Breite von kaum drei Tagereisen den
Contrast des Südens und des Nordens, der tropischen Hitze
und des kühlen Bergklimas, der todten flachen Wüste und
des lebensvollen Hochgebirgs. Diese Gontraste sind nur in
seinem südlichen Theile durch die Vorgebirge vermittelt, wo
sie ununterbrochen auiDsteigende Terrassen bilden, während sie
sich nordwärts in die Ebenen von Motad, Gedged und Sheb
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134 Vom Rothen Meer.
yerlaufen, sodass das Hochgebirge von Mensa wie plötzlich
und unvermittelt aus dem Flachland emporzutauchen scheint.
Dadurch erhalten wir in engbegrenztem Raum die mannig-
faltigsten Bodenformen: Wüsten mit spärlicher Vegetation,
seltenem Wasser und vielem Salz; Heiden, meist mit Mimosen
bestanden, in der Regenzeit von üppiger Vegetation bedeckt;
Thäler mit fruchtbarem Boden, Erosionsschluchten der Wald-
ströme, die in der Regenzeit vom Hochgebirge hinunterbrausen,
Baumstämme und Felsenblöcke in blitzschnellem Lauf bis zum
Meer tragen und natürliche Zugänge zu dem Gebirge bilden;
kleinere vom Hochgebirge unabhängige, trockene, zerklüftete,
baumlose Vorberge, wahrscheinlich frühere Inseln; über alle
emporragend endlich das Hochgebirge mit seiner Alp und
europäisch kaltem, aber durch die Tropenzone gemildertem
Klima und ewigem Grün.
Dieses Land liegt nun den Provinzen Okulekusai und
Hamasen an; wo sich aber das Hochgebirge zum Ansebaland
abflächt, da bildet es einen Sattel, [der vermittelnd zum jen-
seitigen Barka und Gash hinüberführt
Wir wollen nur insofern vom Klima reden, als dadurch
der Charakter des Bewohners bestimmt wird. Die Sommerzeit
dauert vom März bis October, wird aber jedes Jahr durch
einen starken Augustregen unterbrochen. Im Schatten habe
ich bis 40*>R. beobachtet, 30 sind ganz gewöhnlich, bei Tag
wie in der Nacht. Doch wird die Hitze durch die herrschen-
den Seewinde gemildert. Die Nächte sind nicht feucht; ich
habe nie nachtheilige Folgen verspürt, wenn ich im Freien
schlief.
Die Regenzeit des Samhar fällt in unsern Winter, wah-
rend die tropische Regenzeit in den Sommer fällt. Sie tritt
in Abyssinien schon im April ein und dauert bis September;
am Anseba und im Barka dagegen dauert sie von Juni Ws
September; bei den Habab beginnt sie erst im Juli. Im Sam-
har währt die Regeneeit von November bis Januar. Es regnet
gewöhnlich in der Nacht und sehr stark. Was für uns nicht
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Vom Rothen Meer. 135
#
sehr angenehm ist, wird für die Eingel^pmen ein Fest; alles
eilt in's Freie, um die erste Kühle nach heissen Sommertagen
zu gemessen und freut sich der frischen neuen Luft. Das
Festland, das im Sommer dürr und wüst liegt, bedeckt sich
plötzlich mit reichlichem Grün; die Heerden, die über den
Sommer in den Bergen bleiben, steigen mit dem ersten Regen
in die Ebene hinab, die nach kurzer Frist dem Auge das
Bild einer vegetatidnsreichen, von Tausenden von Eameelen,
Kühen und Ziegen durchzogenen belebten Prairie bietet.
Wir sehen also, wie die tropische Regengrenze vor den
Meereinflüsseh ausbiegt, sodass sie sich dem Gebirgsabfall
nach halt. Die ganze Küste des Rothen Meeres stimmt also
hierin mit Aegypten überein. Dieser Strich hält sich so genau
an den Saum des Hochgebirges, dass seine Grenzvölker inner-
halb eines kleinen Raumes einen Doppelwinter gemessen und
benutzen können; so brauchen die Bewohner der Hochlande
von Karneshim, Gümmegan und Mensa nur wenige hundert
Fuss gegen die Küste sich zu bewegen, um mit dem Winter-
regen zum zweiten Mal cultiviren zu können. Die natürliche
Folge davon ist, dass sie zeitweise auch Bewohner des Sam-
bar sind und es für Pflug und Weide ausbeuten.
Anderseits ergibt sich aus dem Gesagten, dass das Samhar
nur eine sehr unvollständige Regenzeit hat; denn sie dauert
nur drei Monate und beschränkt sich auf wenige starke Regen-
güsse, die um so weniger das Land befruchten, je stärker sie
sind und so von dem leichten Boden absorbirt werden oder
als Strom nach dem Meer abfliessen. Da nun die Weide
nicht reichlich genug sein kann, um die Heerden der Ebene
das ganze Jahr durch zu nähren, so sind die Bewohner des
Samhar gezwungen, die Weiden des Hochlandes zu benutzen
und werden ihrerseits zeitweise auch Bewohner Abyssiniens.
So hangen Hochland und Tiefland auch politisch zusammen
und es wird sich zeigen, dass dieser Zusammenhang wichtiger
ist, als jede politische Abgrenzung.
Drittens können wir aus diesen Angaben schliessen, dass
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136 Vom Rothen Meer.
das Samhar ein gesundes trockenes Klima hat; Dysenterien
und Ophthalmien sind selten; Fieber kommen nur in der
Regenzeit vor und sie sind meistens leicht. Die grosse Hitze
its nicht ungesund, obwohl sie schwächt und den Appetit
raubt. Die trockene, eher salzige Luft gibt dem Bewohner
einen ausserordentlich schönen, reinen Teint; sie erhält ihn
sogar gesund bei wenig Nahrung. Man muss sich verwundern,
die Leute des Samhai* bei sehr spärlicher Nahrung so gut
aussehend zu finden; man kann sich aber gar nicht erklären,
wie die Kühe des Samhar, die sich nie satt fressen können,
doch ausgezeichnete Hautfarbe haben und nie magern. Na-
türlich ist das Samhar nur spärlich bewohnt. Man könnte
das Land besser bebauen, vielleicht auch mit Stromstauen
befruchten, aber die vorhandenen Bewohner gewinnen mehr,
indem sie Massua mit Holz und Wasser versehen.
Wenn ich das Samhar gesund nenne, so weiss ich, dass
mir Bruce widerspricht; weit entfernt aber, seine Aussage
Lügen zu strafen, habe ich selbst Jahre erlebt, wo ungewöhn-
lich viel Regen fiel, infolge dessen auch ziemlich gefährliche
Fieber hen-schten. Gerade die letzten Jahre 1859 — 61 war der
Regen sehr stark ; die Eingebomen benutzten ihn zur Cultur,
wovon die meisten ihr Fieber heimbrachten. Da« Samhar
schien sich ganz verändern zu wollen; man muss aber wissen,
dass solche Jahre eher eine Ausnahme bilden und nur in
langem Zeiträumen wiederkehren. Die Culturplätze sind die
Ebenen von Weddubo, Beremi, Arkeko und Motad; man hatte
seit drei Jahren schöne Emdten, aber böse Luft, bewölkte Tage
mit 30<>R. bedeuten viel mehr, als helle mit 40®.
Wir wollen aus dem Vorhergehenden sogleich die Schlüsse
entwickeln, die für die Folge wichtig werden. Die Bewohner
des Hochlandes konnten nun die günstige Gelegenheit nicht
versäumen, die ihnien die Regenzeit des Tieflandes bot: sie
naiven es also in frühesten Zeiten in Besitz und benutzen
es seitdem bis auf den heutigen Tag als Weide und für den
Pflug. Politisch genommen haben die Abyssinier seit langer
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Vom Rothen Meer. 137
Zeit wenig im Samhar zu sagen; das- Land gehört im Staats-
recht den Türken; aber deswegen haben die Abyssinier den
Grund und Boden bis zum Meer keineswegs aufgegeben. Der
Grundbesitz im Samhar gehört noch heute nicht den eigent-
Hchen Bewohnern, sondern den Herren des anstossenden Hoch-
landes. Die Ebenen Gedged und Sheb gehören den Mensa;
alles Tiefland von da bis Asus und Gabe den Gümmegan, von
Arkeko bis Zaga den Tsanadegle, Motad den Karneshim u. s. w.
Dieser Bodenbesitz wird von niemandem bestritten; jedes
Grundstück kennt trotz der Länge der Zeit seinen Herrn.
Bodenbesitz verjährt nie. Deswegen findet man im Winter
die Saaten der Abyssinier und ihre Heerden bis in die Ebene
hinab, weil sie auf eigenem Boden sind, während die stän-
digen Bewohner des Samhar, die Beduinen, die Tero'a, recht-
Uch gesprochen auf fremder Erde sitzen. Sollte dieser Boden
einmal von dem unbestrittenen Eigen thümer an einen Fremden
abgetreten werden, der seine Rechte geltend zu machen weiss,
könnte man juridisch wenig dagegen einwenden. Das Samhar
ist also rechtlich und factisch viel mehr abyssinisch, als man
sich gewöhnlich vorstellt. Aber auch die Bewohner sind es,
abgesehen von ihrer frühem Verwandtschaft, die sich noch
iu der Sprache kundgibt. Denn wir haben schon gesehen,
dass die Natur sie von Abyssinien abhängig macht. Im^pril
wird das ganze Land wieder öd und wüst und die zahlreichen
Heerden müssen sich in's Hochland flüchten. Mit einem
schweren Tribut erkaufen sich die Besitzer von den abyssini-
sehen Fürsten und Gemeinden die Weide im Hochland und
sie legen unbedenklich all ihre Habe in deren Hand. Sie
vertheilen sich auf Tsanadegle, Saher, Asmara, Karneshim,
Gümmegan, Mensa, Bogos und Habab. M^ muss wissen,
dass die Leute vom Samhar sehr reich an Heerden sind; selbst
die Leute von Massua halten viel auf Viehzucht. Die Abys-
sinier haben also nicht nöthig, ein Land zu erobern, das ihnen
die Natur ohne Weiteres geschenkt hat. So stehen die Be-
wohner des Samhar in einer doppelten Abhängigkeit, von
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138 "Vom Rothen Meer.
Abyssinien wegen der Weide, von Massua wegen des Marktes;
von beiden wegen der Sicherheit. Sie zahlen also an beide
den Tribut und wenn man sagt, das Samhar gehöre den
Türken, so sagt man nur die halbe Wahrheit.
Unabhängiger stände Massua durch seine Insellage, wenn
es sich dazu verstehen wollte, ein Fischerdorf zu werden; so-
lange es aber Hafenstadt von Abyssinien bleiben will, ist sein
Wohl von dem Abyssiniens abhängig und es muss alles auf-
bieten, um die abyssinischen Karawanen an sich zu fesseln.
Hierin hängt es nun auch von dem guten Willen der Festlän-
der ab, die den Transit verhindern oder ablenken können.
So konnte sich das Fürstenthum des Naib entwickeln, das
allen diesen Verhältnissen Rechnung trug und eine Doppel-
stellimg einnahm zwischen Abyssinien und dem Meer. Bevor
wir dies« Verhältnisse erläutern wollen, müssen wir uns die
Bewohner des Samhar näher ansehen. Wir finden Angesessene
und Nomaden.
Die Hauptbevölkerung des Samhar scheinen die Nomaden
oder sogenannten Qabail (JlSLo von äJoaS)» auch Beduan ge-
nannt, gebildet zu haben. Sie reden alle Tigre, mit Aus-
nahme der Terrfa, die an den Abhängen von Asmara und
Saher leben und die Sprache der Saho angenommen haben;
denn, aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie den Mensa ver-
wandt imd ursprünglich Semiten.
Diese Beduinen leben in bestimmten Abtheilungen; von
Stämmen kann man bei ihnen nicht reden, da sich das Be-
vnisstsein der Abstammung schon lange verloren hat; diese
Abtheilungen mögen im Anfange auf Stammunterschieden
beruht haben, aber jetzt drücken sie nur das Zusammenleben
aus. Denn den Stämmen ging an der lebendig bewegten Küste
die aristokratische Geschlossenheit verloren; es mischten sich
Ansiedler von allen Seiten, die des Gewinnes wegen in's Sam-
har kamen. Der Handel einigt und trennt; jeder lebt, wo er
am meisten Gewinn findet, nicht wo sein Vater lebte; die
Familie verliert ihre Bedeutung und so der Stanmibaum, denn
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Vom Rothen Meer. 139
Gebart ersetzt der Reichthum. So kann man die Nomaden
der Küste nicht genau unterscheiden; der Grundtypus war
jedenfalls äthiopisch (Geez) und er hat sich in der Sprache und
den Sitten erhalten, dazu kamen Ansiedler von Mensa, Saho,
Barka, Marea und auch über das Meer her. Sicher ist, dass
diese Bevölkerung lange christlich war und erst zum Islam
übertrat, als die Herrschaft mit dem türkischen Reich in Be-
ziehung kam.
In den Abtheilungen, die wir jetzt aufzählen, findet sich
die Doppeltheilung des Zeltenlagers in Zaga und Az Aha; die
Kameelbesitzer bilden eine Ansiedlung, die Kuhbesitzer die
andere, da jeder Theil seine eigene Weide nöthig hat. Die erstem
bilden so das Zaga, das stabiler ist; im Samhar sind aus
diesen Lagern mehrere Dörfer geworden. So haben wir:.
1) Gedem Zaga oder kurzweg Zaga, nahe bei 'MkuUu; es
ist wohl die älteste Ansiedlung der Beduan; es war die erste
Residenz der Herrscher des Samhar. Zu ihm gehört das
Dorf Asus, als Az Aha (Kuhdorf) in der Ebene Motad.
2) Az Ashker; bilden das Dorf 'Ailet.
3) Az Atal (Ziegenlager); ist nomadisch.
4) Az Shuma; ihr Zaga ist das Dorf Gumhod; der übrige
grosse Stamm lebt nomadisch an den Abhängen von Kameshim.
5) Mäs'hälit; haben keine feste Niederlassung; sie wohnen
an den Abhängen von Mensa.
6) Warea; weiden im Samhar und mit den Habab.
7) Thaura; weiden mit Az Temariam (Habab) zusammen
und besorgen den Waarentransport zwischen Keren und
Massua.
8) Grammaren; leben im Samhar und mit den Habab. Dann
kennen wir folgende kleinere Stämme: Az 'Ömer Weld 'Ali;
Az Regbat (die auch im Söhel vorkommen), Az Said, Az Emir
Hussa, Az Hetelab, Az Sherenei etc. Die meisten dieser Stämme
gehören ebenso gut zu den Habab, wie zum Samhar; wir
dürfen auch diese letztem nicht vergessen, wenn sie auch nur
uneigentlich zum Samhar gehören. Sie bewohnen das Land
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140 Vom Rotlien Maar.
Tom Anseba bis zum Meer in drei grossen Stämmen: Az Te-
mariam, Az Tekles und Az Hibdes. Sie scheiden sich in Ade-
liche und ünterthanen. Die erstem sollen von Tsanadegle
stammen; die letztern sind ältere Einwohner, jedenfialls auch
abyssinischen Ursprungs. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass
das Samhar von diesen letztem bevölkert wurde: auch die
Küste nördlich von den Habab bis Aqiq ist von den gleichen
Stämmen bewohnt, wie wir später zeigen werden. Die Habab
zahlten früher Tribut an die Fundj vom Sennaar, die auch das
Barka unterworfen hatten. An ihre Stelle traten später die
Naib von Dokono, aber der eigentliche Tribut ist ein Ge-
schenk der neuesten Zeiten. Die Habab haben einen Stamm-
fürsten aus Az Hibdes , mit dem Titel Kintebai. Dieser noch
in Abyssinien gebräuchliche Titel bezeichnet den Ursprung
des Volkes. Seit sich die Habab dem Naib unterworfen hatten,
zahlte ihm der neugewählte Kintebai 100 Kameele, 100 Kühe,
100 Ziegen, 100 Wolldecken u. s. w., um bestätigt zu werden.
Dagegen erhielt der Kintebai vom Naib Ehrenkleider und
Armbänder. Die Habab waren bis auf die letzte Generation
Christen; man kann sagen, dass die Natur sie zu Moham-
medanem machte. Als Ackerbauer zogen sie von Abyssinien
aus; sie fanden wenig zur Cultur günstigen Boden, sie wurden
Hirten; sie fanden ein Land, besonders dem Kameel günstig,
wasserarm, doraeureich; da sie als christliche Abyssinier
Abscheu vor dem Kameel haben mussten, wurden sie Moham-
medaner. Freilich Hessen es auch die Naib an Drohungen
und Versprechen nicht fehlen, um sie zu bekehren. Man
•findet noch immer christliche Namen. Wir haben über die
Habab nichts Weiteres zu sagen, da sie sich einerseits an die
Beduinen des Samhar anlehnen, anderseits an die Völker
des Anseba, die Mensa, Bogos und Marea, mit denen sie
Sitten und Recht gemein haben. Sie sind Nomaden und trei-
ben nur ausnahmsweise Ackerbau; sie sind besonders reich
an Kameelen und Schafen; aus der Wolle der letzteren be-
reiten sie Wollkleider, die von Massua bis Kassala besonders
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Vom Rotlien Meer. 141
von den Frauen getragen werden. Ihre Sprache ist das Tigre,
das sie wohl am vollkommensten sprechen. Wenn wir nun
eine Idee von den Volksursprüngen des Samhar gewinnen
wollen, so müssen wir vorerst die Thatsache benutzen, dass
das Land den Abyssiniern gehört. Die eigentlichen alten
Herren des Landes waren also die Grenzgaue des Tigre, die
das Küstenland bebauten und als Weide benutzten. In dieser Zeit
waren abyssinische Colonien weit nach dem Norden vorge-
schoben; das ganze Ansebaland bis zu den Marea und Habab
war von ihnen bevölkert; die Nachkommen dieser Stämme
sind die Unterthanen oder Tigre, die sich überall noch finden.
Die alten Habab dehnten sich nördlich und südlich an der
Küste aus; sie bevölkerten das Söhel bis Aqiq und rückten
in das Samhar ein. Als Nomaden kamen sie mit den Be-
wohnern von Massua zusammen, die sich da des Handels
wegen an sicherer Stätte niedergelassen. Der gegenseitige*
Verkehr lud zu festem Ansiedlungen ein; es entstand Zaga,
zuerst ein Zeltenlager, das Massua mit Lebensbedürfnissen
versorgte und noch versorgt. Je grösser Massua wurde, je
mehr gewöhnten sich die Beduinen an das Land,
Nun aber kamen neue Factoren, die die Lage aller dieser
Völker veränderten. Wohl zuerst breitete sich ein neuer
Stamm, angeblich von Arabien kommend, vom Meer landein-
wärts aus; als Tero'a bemächtigte er sich der Abhänge von Saher,
als Mensa unterwarf er sich die alten Herren des gleichnamigen
Gaues, als Marea drang er sogar nach Erota. In jüngerer
Zeit schickte Abyssinien frische Colonien nach dem Norden;
die Beit Bidel bevölkerten das obere Barka; die Takue Hessen
sich in Halhal nieder und die Beit Zeru in Geridsa; fast
gleichzeitig wanderten die ersten Bogos in Mogarech ein: end-
lich gründeten die Beit Zere Buruk (Bedjuk) das Dorf Wasentet
und ihre Verwandten, die Söhne Abib's, unterwarfen sich das
Land der Habab. Alle diese neuen Einwanderer wurden im
Laufe der Zeit mächtig und unterwarfen sich die Ureinwohner,
nahmen aber ihre Sitten und Recht an und mit wenig Aus-
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142 Vom Rothen Meer.
nahmen ihre Sprachen: Veränderungen, die wir in den folgen-
den Untersuchungen constatiren werden.
Auch das Samhar sollte seine Herren wechseln; aber sie
kamen ihm von Norden; denn als neuer Factor treten etwa
im 15. Jahrhundert die Belou auf. Sie kommen vom Norden
der Küste nach und werden Herren von Zaga.
Als die Türken im 15. Jahrhundert sich Massua's bemäch-
tigten, scheinen die Belou sich mit ihnen vereinigt zu haben;
die Türken Hessen eine Garnison zurück, die sich aber bald
mit den Einwohnern vermischte. Die vornehmste Familie der
Belou erhielt den Titel Naib. ^) Seitdem ist der Fürst des
Samhar direct vom Sultan abhängig und er erhält von der
Douane von Massua einen Sold, den er mit seinen Soldaten
theilt. So nahm der Naib eine dreifache Stellung ein; er
beherrschte die Stämme des Samhar, er musste das Mögliche
thun, um mit Abyssinien in gutem Einverständniss zu leben,
um den Handelsweg nach Massua zu lenken, und eben des-
wegen erhielt er von Massua eine Entschädigung; es ist übri-
gens mehr als wahrscheinlich, dass dieser Sold so alt ist wie
Massua d. h. die Kauäeute der Insel mussten sich mit einer
Abgabe mit den Bewohnern des Festlandes verständigen, um
mit Abyssinien freien Verkehr zu haben. Bevor wir nun die
Schicksale der Belou weiter verfolgen, müssen wir über die
Beduan noch einige Bemerkungen beifugen. Doch müssen
wir zum Voraus andeuten, wie wenig die Sitten des Landes
von dem abweichen, was wir in der Schrift über das Recht
der Bogos angegeben haben.
1) Der frühere Sitz war Zaga; die jetzige Naibsfiuuilie setzte sich
in Arkeko oder Dokono fest. So nennen es die Eingebomen; der
Name soll von Dekeni kommen, in der Sahosprache „Elefant," da
hier ein Wald gestanden habe, von EleÜEUiten bevölkert.
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Der Bedui.
Der Bedui ist durch seine Farbe Afrikaner, durch seine
Physiognomie Kaukasier, durch seine Sprache Semite. Er ist
im Ganzen schwarz, doch gibt es viele Nuancen und die ent-
schiedene Farbe des Negers erreicht er nie. Im Lande selbst
unterscheidet man roth (qaih), womit Türken, Europäer und
sehr helle Eingebome bezeichnet werden, dimkelroth (hamel-
mil) und schwarz (dsellim). Die Bewohner von Massua sind
viel heller, als die Hirten. Das Gesicht ist wohlgestaltet, die
Nase lang und gerade, die Stime hoch, das Auge gross; der
Gesammtausdruck ruhig und nobel; der Körper eher lang,
doch nicht selten fett imd nicht besonders stark gebaut; die
Frau meist delicat, klein, wohlgeformt und besonders durch
regelnulssige Gesichtszüge und die ganz griechische Nase aus-
gezeichnet Sie ist im Ganzen schön, obgleich ohne den sanf-
ten Ausdruck und die Lebendigkeit der Abyssinierin.
Man muss den wahren Bedui bei den Habab suchen, die
mit dem reinen Blut auch den ursprünglichen Charakter und
Gesichtsausdruck bewahrt haben, während die Beduan des
Samhar sich oft mit Arabern und Shoho vermischten. Die
ganze Physiognomie hat etwas Edles. Der würdevolle Aus-
druck ist gehoben durch die noble Haltung, den langsam^i
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144 Vom Rothen Meer.
fast affectirten Gang, die fast römische Tracht, das unbe-
deckte Haupt mit seinem reichen Haarwuchs und die Ruhe
im Vortrag. Die Stimme hat etwas Gutmüthiges, aber Ge-
meines, was den Eindruck stört, und das Auge, das beim
Kinde Muth und Feuer ist, verliert beim Mann den Ausdruck
und erinnert daran, dass diese Nation ihre Blüthe und Kraft
hinter sich hat. Die Physiognomie bleibt, doch Auge und
Stimme verändern ihren Ausdruck mit dem Sinken des Men-
schen oder des Volkes.
Die Sprache des Bedui aber ist ganz semitisch. Sie ist
das fast rein erhaltene Geez. Während es im christlichen
Abyssinien, wie das Lateinische, nur in den Kirchenbüchern
erhalten ist, sonst aber manche Veränderung erlitten hat,
lebt es ausser seinem Vaterlande unter den Hirten so unver-
fälscht fort, dass die abyssinischen Theologen oft bei den
Habab die Volkssprache befragen, um den verlorenen Sinn
eines alten Wortes wieder ausfindig zu machen. Das Geez
ist durch den verdienstvollen Ludolf in die europäische Wis-
senschaft eingeführt worden; doch fehlte diesem Gelehrten
vor allem die Kenntniss des Tigre (so heisst das Geez unter
den Beduan), womit er die Büchersprache vielfach hätte be-
reichem, berichtigen und erklären können.
Verfolgen wir jetzt das Leben des Bedui von der Wiege
bis zum Grabe.
Das neugebome Kind wird zunächst benannt. Die Leute
in der Nähe von Massua nehmen ihre Namen fast immer aus
den Erinnerungen des Islam , während . die neubekehrten
Habab die alten ihrem Lande eigenthümlichen Namen noch
immer nicht aufgegeben haben, die entweder ganz heidnisch
klingen oder an das Christenthum mahnen. Die Beschneidung
ist hier wie in Abyssinien allgemein, hat aber in dem letztem
nicht mehr eine religiöse Bedeutung. Den heidnischen GaJla
dagegen ist sie unbekannt. Die Incisio der Frauen, über die
man sich in den ßeisebeschreibungen nach Darfor belehren
mag, ist unter den Shoho, Beduan, Bogos und über's Gash
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Vom Rothen Meer. 145
hinaus bis nach Darfor hin allgemein gebräuchlich, um die
Jungfiräulichkeit zu bewahren. Doch erstreckt sich diese bar-
barische Sitte, die schwere Kindesnöthen und oft Fehlgeburten
nach, sich ziehjt, nicht nach Abyssinien.
Die Knaben und Mädchen wachsen zusammen bei den
Ileerden auf, die fast ebenso gelehrt sind, wie ihre Hüter.
Das Mädchen bleibt bis zur Heirath bei der Mutter, während
der Knabe meistens den Vater auf den Markt von Massua
begleitet und früh mit dem Reiten der Dromedare vertraut
wird. Man denkt nie daran, diesen ein Handwerk oder das
Mädchen weibliche Arbeit lernen zu lassen, da die einzige
Bestimmung des Mädchens darin besteht zu heirathen und
nichts zu thun, und die des Knaben , ein ebenso guter Butter-
fabrikant zu werden, wie sein Vater. In Massua werden die
Knaben früh in die Handelsgeschäfte eingeweiht und lernen
meist lesen und schreiben, was bei den Beduan selten der
Fall ist. Die Hirtenmädchen in djer Umgegend von Massua
verdienen immer etwas Geld, indem sie in die Stadt Wasser
und andere Provisionen tragen. Die kleinsten Mädchen wer-
den sorglos dahin geschickt und oft um mehr als ihr Geld
betrogen, deswegen werden sie gewöhnlich nicht die besten
Frauen, sie werden kokett und sehr aufs Geld erpicht. Die
Delicatesse der Unschuld darf man in diesem Lande nicht
suchen, sie ist auch bei der einfachen Einrichtung der Häuser
und der Ungenirtheit der Unterhaltung nicht möglich. Aer-
gemiss ninmit man an der letztern nicht; auch besteht die
einzige Sorge der Familie darin, dass das Mädchen den äus-
sern Schein der Jungfräulichkeit nicht verliere. Ein solcher
Fall ist das höchste Unglück für eine Familie. Bemerkt man,
dass ein Mädchen verführt worden ist, so wendet man alle
Mittel an, den Verführer kennen zu lernen, der oft durch
eine Heirath sein Verbrechen sühnen muss. Hat ein Mädchen
geboren, so wird das Kind von seiner Grossmutter unbarm-
herzig getödtet. Ich habe oft von solchen Verbrechen gehört,
ohne dass die Justiz sich darum bekümmert; die Eltern werden
Msniinger, Ostafrik. Studien. 10
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146 Vom Rotlien Meer.
in diesön Ländern als Herren der Kinder betrachtet; der
Staat hat hier nicht mitzusprechen. Zuvr eilen gelingt es, den
ganzen Vorfall so geheim zu halten, dass das Mädchen spä-
ter heirathet; im andern Falle sucht man dasselbe nach Da-
halak zu verheirathen, da die Bewohner dieser Inseln stets
Mangel an Frauen haben und deshalb nicht sehr wählerisch
sind.
Der Schleier wird vor der Heirath nie getragen und auch
nacliher ist er nur vor Fremden und bei Reisen gebräuchlich
und bedeckt das ganze Gesicht. Doch richten sich die Be-
wohner Massua's viel mehr nach der arabischen Sitte.
Die Mädchen haben auch, wenn sie erwachsen sind, alle
mögliche Freiheit; sie gehen aus und ein, wie es ihnen be-
liebt Ich kann hier eine eigenthümliche Sitte nicht uner-
wähnt lassen. Am 8. des Monats Ashur ist es nämlich den
Knaben erlaubt, jedes Mädchen, das sie antreffen, unbarm-
herzig durchzupeitschen, was gar nicht sentimental ausgeführt
wird. Da sich die Mädchen natürlich an diesem Tage in den
Häusern verborgen halten, verstellen sich die Knaben ab
Bettler oder wenden irgend eine andere List an, um sie
herauszulocken. Da in dieses an sich unschuldige Spiel nicht
selten sehr grosse Kinder sich mischen, entsteht oft böser
Streit und Familienhass daraus.
Das freie Verhältniss der beiden Geschlechter verändert
sich gänzlich durch die Heirath. Die Verlobung wird mei-
stens sehr früh zwischen den Eltern oder Vormündern abge-
macht, die es dabei auf Familien -Allianzen absehen. Doch
geschieht es oft, dass der Jüngling, der immer den ersten
fSchritt zu einer solchen Verbindung zu thun hat, bis in das
männliche Alter wartet und dann seiner Neigung folgend
wählt Bei der Verlobung wird die Summe abgemacht, die
der Knabe dem Vater des Mädchens zu geben hat, und der
auch Geschenke in Kleidungsstücken für die Mutter und die
Verlobte beigefügt werden. Doch wird diess dem Knaben gut
geschrieben und der Werth dieser Geschenke ihm bei der
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Vom Rothen Meer. 147
Heirath.vom Schwiegei^ater in Kühen zurückerstattet. Die
Summe ist natürlich je nach den Verhältnissen der Leute.
Vom Tage der Verlobung an ist der Jüngling verpflichtet,
seiner Braut und deren Mutter sorgfältig auszuweichen. Sie
nach der Verlobung sehen zu wollen, wird für sehr unan-
ständig gehalten und führt oft die Auflösung des Verhältnisses
herbei. Begegnet der Jüngling der Braut unerwartet, so ver-
hüllt diese ihr Gesicht und ihre Freundinnen umringen sie,
um sie dem Blicke des Bräutigams zu entziehen. Man geht
nie eine eheliche Verbindung ein, ohne die Wahrsagerin des
Dorfes über sein künftiges Schicksal befiragt zu haben, und
bei einem schlechten Omen wird das Verhältniss au^düsL.
Kommt die Heirath durch irgend einen Zufall nicht zu Stande,
so wird natürlich alles zurückerstattet, was der Vater von
dem Ejiaben empfangen hat.
Die Heirath erfolgt gewöhnlich ein Jahr nach der Ver-
lobung, obgleich diess kein Gesetz ist. In Massua, das die
alten Gebräuche nicht mehr so rein bewahrt hat, kann man
in jeder Jahreszeit heirathen, während die Beduan nur im
Winter diesen Act begehen, und, ohne Kalender ihres katho-
lischen Alterthums eingedenk, nie in der Fastenzeit. Der
Sonntag wird als ganz besonders günstig dazu angesehen. In
Massua macht der Bräutigam dem Mufti einen Besuch, der
ihm die Ermahnungen eines Pfarrers zu Theil werden lässt.
Die Heirath selber verlangt aber nur die Zeugen, wie sie der
Islam aufzählt. Man verheirathet sich, der Jüngling von sieb-
zehn Jahren an, das Mädchen von zwölf, doch oft viel später,
besonders in der Stadt.
Am Tage der Heirath versammeln sich die Knaben bei
dem Bräutigam und die Mädchen bei der Braut und verbrin-
gen mit Spielen und Unterhaltung den Tag. Gegen Abend
setzen sich die Freunde in Bewegung, um die Braut abzu-
holen, die nach einigen Unterhandlungen vermummt von den
Freundinnen in^s Haus des Bräutigams gebracht und diesem
übergeben wird. Die Festlichkeit dauert drei Tage, die der
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148 Vom Rothen Meer.
Neuverheirathete gewöhnlich hei seiner Frau zubringt, wäh-
rend die Anwesenden mit Ilonigwasser , Kaffee, Reis in But-
ter, Süssigkeiten und Fleisch traetirt werden. Da der Wein
fehlt, bleibt aber alles zieralich nüchtern. Tag und Nacht
werden zwei verschieden gestimmte Pauken geschlagen, ge-
sungen und von den Knaben Waflfentänze improvisirt. Eigen-
thümlich ist die Sitte, dass jeder Eingeladene dem Bräutigam
vor Zuführung der Braut einen oder mehrere Thaler zuwirft,
was bei einer spätem Verheirathung des Gastes auf gleiche
Weise zurückerstattet wird. Zu gleicher Zeit führt der Schwie-
gervater die stipulirten Külie herbei, was dem Ehepaar einen
gewissen Fonds sichert. — Das Hochzeitsgeschenk des Bräu-
tigams an die Braut sind silberne Ringe um die Knöchel, die
Arme, in die- Nase, die Ohren, und ein Kamm für die Haai*e.
In der Stadt wird alles dieses sehr massiv gearbeitet, und eine
Frau trägt oft für zweihundert Thaler Schmuck. Bei den Be-
duan ist man aber viel bescheidener, meistens genügen zehn
Thaler. Dessenungeachtet leben viele Leute im Concubinat,
bis sie im Stande sind, ihrer Frau einen anständigen Schmuck
zu geben. Dieserallein und die Kleidung, die den ganzen
Leib bedeckt, unterscheidet die Frau von der Jungfrau.
Die jungen Eheleute bleiben vierzig Tage im Hause, wo
sie von den intimen Freunden besucht werden. Bei einigen
Stämmen muss die Frau volle drei Jahre im Hause aushalten,
ohne auszugehen oder eine Arbeit anzurühren. — Da die
Heirath in der Stadt grosse Ausgaben mit sich fuhrt, ist Po-
lygamie und Scheidung sehr selten, während der Bedui mit
der Heirath seinen Viehstand vermehren will und daher oft
drei Frauen nimmt. Diess ist besonders häufig bei den christ-
lichen Bogos, die aber den Katechismus etwas vergessen zu
haben scheinen. Heirathet jemand ein zweites Mal, so wird
wenig Gepränge gemacht und der Mann bleibt nur etwa vier-
zehn Tage im Hause.
In jedem Hause ist in der Erde ein Geläss mit enger
Oeffnung angebracht, das jeder Zeit, besonders in den Flitter-
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Vom Rothen Meer. 149
Wochen mit duftendem Rauchwerk angefüllt wird. Die junge
Frau setzt sich, vom Kopf his zu Füssen wohL verhüllt, da-
rauf und bleibt mehrere Stunden diesem Qualm, womit man
den ganzen Körper wohlriechend machen will, ausgesetzt.
Ausserdem werden Hände und Füsse stark mit Henna gefärbt,
4ie Haare, nach der Art unserer Damen aufgescheitelt, mit
Pommaden erfüllt und mit Blumen besteckt und endlich der
ganze Körper mit wohlriechendem Oele gesalbt, sodass eine
Dame von Weitem die Atmosphäre auf eine Weise afficirt, die
einem Fremden Schwindel verursachen muss, von den Einge-
bomen aber als Vorgeschmack des Paradieses betrachtet wird.
Da die Frau nichts zu thun und kein anderes Bestreben hat,
als dem Mann zu gefallen, so bringt sie die ganze Zeit, die
nicht mit Schlafen oder Schwatzen hingeht, mit ihrer Toi-
lette zu.
Die Frau des Bedui betet selten, worin ihr übrigens ihr
Mann das Beispiel gibt. In Massua dagegen sind die Frauen
sehr aufs Beten versessen und etwas fanatisch. Wir können
den Contrast nicht unbemerkt lassen, der sich in^ dieser Hin-
sicht zwischen dem Christenthum und dem Islam zeigt. Un-
sere Religion scheint eine Religion der Frauen zu sein und
der Islam eine Religion der Männer. Im Beten gibt die christ-
liche Frau ohne Zweifel das Exempel, während es bei den
Muslimin gerade der Mann ist, dem das Bethaus ausschliess-
Hch geöifnet ist, die Frau hingegen kaum an Religion und
Gebet gemahnt wird. Auch würde sie bei den häufigen Nie-
derwerfungen und Kopfdrehungen, die das Gebet fordert, eine
sehr komische Rolle spielen. Die Frau schuldet dem Manne
Gehorsam und Unterwürfigkeit, die sich in der Fusswaschung
am besten ausdrückt. Sie geht nicht aus ohne des Mannes
Wissen. Dagegen wird die verheirathete Frau als ein Wesen
angesehen, das über der Arbeit steht. Der Mann selbst würde
entrüstet sein, wenn man seiner Ehehälfte irgend einen häus-
lichen Dienst zumuthen wollte. Uebrigens sind die wenigsten
reich genug, sich eine Sklavin oder Dienerin zu halten. Da
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150 Vom Rothen Meer.
muss die Frau gezwungen aus ihrer Sphäre hinabsteigen.
Doch ist die Küche und das Hauswesen so einfach, dass nicht
viel Mühe erfordert wird. Mit Nähen, Stricken und Weben
sind die Beduan- Frauen gänzlich unbekannt und würden
solche Beschäftigung als Entehrung ansehen. In diesem Punkte
sind sie noch viel schlinuner, als die Araberinnen, die doch au«
der Faulheit keinen Grundsatz machen, während die abyssi-
nischen Frauen, vornehm und gering, nie müssig gehen und
ihren Stolz darein setzen, dass alle Kleider aus ihren fleis-
sigen Händen hervorgehen und dass dem Mann bei der Heim-
kehr von seinen Geschäften die Lieblingsgerichte vorgesetzt
werden, die ihm die erfahrene Hand der Hausfrau selbst zu-
bereitet hat Dieser Contrast in der Stellung der Frau führt
mit sich, dass der Abyssinier mit selbstgewobenen Zeugen
gekleidet geht und der ausländischen Fabrikate nicht bedarf,
während der Bedui ohne die Einfuhr vom Ausland nackt
gehen müsste.
Scheidung kommt nicht sehr häufig vor, da der Mann Ge-
legenheit hat, das Mädchen, das er heirathen will, kennen
zu lernen. Die Kinder bleiben bei der Mutter, die dafür alle
Ilochzeitsgeschenke behält.
Ehebruch von Seiten der Frau wird selten ruchbar und
meistens durch Scheidung im Stillen gesühnt. Der Mann da-
gegen hat alle Freiheit, besonders bei den Habab, und be-
nutzt sie ohne Scheu. Deswegen sind in jedem Dorfe öffent-
liche Mädchen, meist von dem genannten Volke, und sie
wohnen ungescheut mit den andern Leuten zusammen. Bei
Todesfällen dienen sie als Klageweiber, bei Festlichkeiten
werden sie angestellt, unter Begleitung der Pauken und Har-
fen zu singen. Ausserdem geben sie sich mit Bereitung des
Honigweins und des Bieres ab. Ihre Stellung ist zwar im
Koran scharf genug bezeichnet, doch liegt darin in diesen
Ländern, wo die Moral viel laxer aufgefasst wird, nicht das
Schreckliche, wie z. B. in Europa. Und ebendeswegen, weil
sie sich nicht so degradirt fühlen, wie ihres Gleichen in christ-
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Vom Rothen Meer. 151
liehen Ländern, verlieren sie nie einen gewissen Anstand, der
sie von der ärgsten Versunkenheit zurückhält. Bei den Habab
und zu Mensa wird die Einweihung eines öffentlichen Mäd-
chens zu einem Volksfest gemacht, wo immer mehrere Kühe
geschlachtet und eine Nacht unter Gesang und Waffentanz
zugebracht wird. Der Leser wird sich eines Entsetzens über
diese Sitte nicht erwehren können ; aber wir dürfen nicht ver-
gessen, dass diese Barbaren kaum besser unterwiesen werden
— und das Bewusstsein erst macht die Sünde zum Verbre-
chen, — während' der stolze Europäer von Kindheit auf wohl
weiss, was gut und schlecht ist und deshalb eine viel schwe-
rere Verantwortlichkeit trägt.
Die Eheleute bauen sich mit Beistand von Freunden und
Verwandten ihr eigenes Haus. Zu diesem Behuf werden die
Kameele ausgeschickt , um eine genügende Menge von Stangen
und Rohrgras heimzubringen. In der Nachbarschaft von Mas-
sua werden die Häuser gewöhnlich in der Form eines läng-
lichen Vierecks aufgerichtet, die vier Hauptbalken mit verti-
calen Stangen verbunden und das Ganze mit einer aufgebun-
denen Schicht Gras bedeckt, ohne anderes Licht, als das
durch die Thüre einströmt. Das Dach wird gewöhnlich mit
einem Meergras bedeckt, das von Dahalak kommt und ganz
wasserdicht ist. Das Haus ist in zwei Zimmer getheilt, wovon
das eine der Familie vorbehalten ist und nach hinten einen
ganz besondern niedern Ausgang hat. Diese Art Häuser ist
aber unter den Habab und bei den übrigen Stämmen des
Innern ungebräuchlich. Das eigenthümlich beduinische Haus
hat die Form einer Kuppel , die durch gebogene Aeste und
Stangen gebildet wird; die Wände sind von Matten, die Decke
von Häuten gebildet, die den Regen abhalten und dazu bei-
tragen , die Wohnung kiihl zu halten, da die Matten die freie
Luft passiren lassen. In dieses runde Haus ist ein gleich-
geformtes Häuschen hineingestellt, das von der Frau bewohnt
wird und das Privatzimmer bildet. Diese Häuser können in
zwei Tagen bequem aufgerichtet und sehr leicht abgebrochen
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152 Vom Rothen Meer.
und forttransportirt werden. Sie sind selten geräumig; wer
einen grossen Haushalt hat, bringt ihn in zwei oder drei
solcher Hütten unter, besonders wenn mehrere Frauen vor-
handen sind.
Diese Architectur verlangt keine Maurer noch Zimmerleute.
Es gibt unter den Beduan keine Handwerker. Die Schuhe
verfertigt sich jeder selbst: sie bestehen aus einer Sohle, die
mit Riemen am Fusse befestigt wird und die Oberfläche des-
selben sichtbar lässt. Viele Leute gehen barfuss, was aber
in diesem Dornenlande nicht angenehm ist Die Leute von
Massua verwenden viel mehr Kunst auf die Verfertigung die-
ser Sandalen, die in der Stadt zu einem sehr geachteten
Handwerk geworden ist. Das Leder dazu wird sehr solid
bearbeitet, die Riemen bunt gefärbt, die Sohle sehr dicht ge-
macht. Das Ganze erinnert an die Sandalen der alten Grie-
chen, denen diese Tracht wohl entlehnt sein mag, während
die leichten Schuhe der Beduan sehr einfach, aber auf Rei-
sen viel bequemer sind.
Die Kleidung besteht nur aus einem Stück Zeug, das
um die Lenden gewickelt wird und einem grossen breiten
viereckigen Stück, Arida, darüber, dessen zwei Enden kreuz-
weise über die beiden Schultern geschlagen werden. Die un-
verheiratheten Mädchen tragen im Innern selten mehr, als
einen mit Franzen versehenen Gürtel um den Leib. Die Frauen
tragen das FuttÄ und das Shadir, das den ganzen Leib
bedeckt. Das Futta, das man in Massua von den Banianen
kauft, wird oft (wie bei den Shohos) durch ein ganz weich
und weiss gegerbtes Stück Kuhhaut ersetzt. Die Männer ver-
achten Tarbusch und Turban, die nur in der Nachbarschaft
von Massua gebräuchlich sind; abweichend von den Arabern
lassen sie den Haaren ihr volles Wachsthum und frisiren sie
auf sehr mannichfaltige Weise, meistens in der Art, wie es
am Hofe Ludwig's XIV. gebräuchlich war; als Pommade dient
wohlriechendes Oel und Schmalz, das den Haaren einen weiss-
lichen Glanz gibt und ihren Wuchs befördern soll. Da die
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Vom Rothen Meer. 153
Beduan meist sehr reichliche, lange schwarze Haare haben,
kann man einer solchen Frisur eine gewisse wilde Schönheit
nicht absprechen.
Die Beduan sind ihrer BescTiäftigung und ihrer natür-
Hchen Anlage nach Hirten, treiben aber'auch unter Benutzung
der Winterregen Ackerbau. Jetzt aber bleibt die Vieh-
zucht noch immer die Hauptsache. Man kann nicht sagen,
dass es in der Umgegend von Massua reiche Viehzüchter gibt,
die Tausende von Kühen besitzen. Die Kuh des Samhar ist
klein und gibt bei dem magern Futter wenig Milch; die der
Berge ist viel beträchtlicher. Ziegen werden besonders in
der Nähe der Stadt in grossen Heerden unterhalten, um diese
mit Milch und Fleisch zu versorgen. Um die Milch in der
Hitze zu conserviren, wird sie stark geräuchert, was ihr einen
unangenehmen Geschmack verleiht. Das Kameel des Samhar ist
sehr gross und fett, trägt viel, ist aber schwerfällig und ermüdet
den Reiter. Seine fette Weide ist das Thal von Ailet. Das
der Habab ist ebenso gross, aber im Bergsteigen sehr ge-
wandt und dient zum Reiten und Tragen. Als Reitthier ist
besonders das zarte feine Kameel der Hadendoa berühmt, das
von Jugend auf zur Jagd abgerichtet wird. Die Qualität des
Kameeis verbessert sich, je mehr man sich dem Gash und
Sennaar nähert Die schlechteste Art ist das Dankali, das
sehr klein und scheu ist. Die männlichen (Geml) dienen zum
Reiten und Lasttragen ; die weiblichen (Ensa) geben eine Milch,
die sich lange trinkbar erhält und der Gesundheit äusserst
zuträglich ist. Die Beduan lieben das Kameelreiten sehr und
thun es mit vieler Grazie. Den Sattel verfeiiigen sie selber
aus einem sehr starken gelben Holz, auf die Weise, dass über
den zwei Jochen ein Sitz angebracht ist, worauf man so be-
quem wie auf einem Stuhle sitzt, die Beine herabhängend
oder gekreuzt. Ein gutes Dromedar scheut Wettrennen mit
dem Pferde nicht, das auf lange Distancen nicht mit ihm ri-
valisiren kann. Für heisse Länder ist das Kameel das beste
Reitthier; man kann Tage lang damit reisen, ohne sich er-
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154 Vo™ Rothen Meer.
müdet zu fühlen. Pferde sind unter den Beduan selten und
werden erst gegen Barka zu häufiger, wo man die Dongola
findet. Von dort kommen auch die Esel, die in allen diesen
Gegenden als Lastthiere dienen; Maulthiere bringt der Ver-
kehr mit Abyssinien hierher.
Die Beduan haben zwar feste Dörfer, doch zieht ein Theil
der Bewohner stets mit den Heerden umher, wie die Shohos,
baut sich an den zeitweiligen Weideplätzen improvisirte Lager
und beschreibt im Laufe des Jahres einen grossen Wander-
kreis, der im nächsten Jahre von Neuem zurückgelegt wird.
Es ist natürlich, dass über die nie fest begrenzten Weide-
plätze oft Streit entsteht. — Das einzige Fabrikat der Beduan
ist die Butter, die bei der grossen Hitze ganz flüssig in Bocks-
häuten auf den Markt gebracht wu*d. Die Beduan sind grosse
Liebhaber davon und trinken bedeutende Quantitäten ohne
Widerwillen. Käse wird nicht fabrizirt. Die gewöhnliche
Nahrung des Bedui ist Milch und Durra mit Butter. Brod
ist im Innern selten; die Durra wird gemahlen und mit Was-
ser zu einem Brei angemacht, der unter den Namen Asida,
Keled sehr beliebt ist. Fleisch wird selten und eigentlich
nur bei Festlichkeiten genossen. Reis, Datteln und Kaffee
werden als Luxus betrachtet. Als Getränk hat man eine Art
Bier, das aus Durra oder Hafer bereitet ist und sehr sauer
und bitter schmeckt; die Habab und Bogos bereiten ausser-
dem den Honigwein der Abyssinier (Mes, Tetsch). Leute, die
sich streng an den Koran halten, trinken Honigwasser ohne
Gährung, dessen sich auch die abyssinischen Muslimin be-
dienen.
Einen wichtigen Tlieil der Bevölkerung bilden die Skla-
ven. Reine Galla bleiben selten im Lande und diess nur in
Massua, während die Shankalla von den reichen Beduan für
den Hausdienst angekauft werden und durch ihr gebundenes
Verhältniss meist mehr Vertrauen sich erwerben, als gewöhn-
liche Diener. Es gibt keine Nation, die unter so rohen Ge-
sichtsformen so gute liebenswürdige Eigenschaften verbirgt,
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Vom Rothen Meer. 155
wie die Shankalla. Sie sind treu, friedlich, demüthig und
äusserst thätig. Man kann alles aus ihnen machen, wenn
schon die Galla intelligenter sind. Das tiefe Gemüthsleben
spiegelt sich in den fröhlichen Liedern ab, die bei keiner Ar-
beit fehlen, während der stolze melancholische Galla nie seine
Heimat vergisst und seinem Schmerz in melodisch klagenden,
aber eintönigen Gesängen Luft macht. Die Sklaven sind ihrer
Mehrzahl nach weiblich. Der Sklave wird von den Muslimin
nicht wie in Nordamerika für industrielle Zwecke gekauft, ist
nicht Arbeiter, sondern wird ein Familienglied, das im Lauf
der Jahre darin grossen Einfluss erlangt und selten schlecht
behandelt wird. Wird eine Sklavin im Hause schwanger, so
wird sie nie von ihrem Kinde, das natürlich auch Sklave
wird, getrennt und nur bei höchster Nothwendigkeit mit ihm
zusammen verkauft.
Eine eigen thümliche Sklaverei existirt bei den Habab, wo
es sehr viele einheimische Familien gibt, die Leibeigene sind.
Diese Hörigkeit ist jedoch keineswegs streng, da der Leib-
eigene bei schlechter Behandlung sich einen andern Herrn
suchen darf, von dem man ihn nicht mehr zurücknehmen
kann. Ich glaube diese Sklaverei aus den häufigen Kriegen
erklären zu müssen, wo man die Gefangenen wegführt. Aus-
serdem verkaufen arme Leute, von Elend getrieben, ihre Kin-
der, die aber in ihrer Leibeigenschaft viel besser daran sind,
als in der Freiheit.
Oft werden bei dem ungeordneten Zustand des Landes
Beduinenkinder geraubt und in Massua im Geheimen verkauft;
so machen es viele Beduau zu ihrem Geschäft, von den wehr-
losen Mensa Mädchen zu stehlen. Solche Raubzüge werden
selten bestraft und es gibt viele Leute in der Umgegend von
Massua, die dadurch reich geworden sind.
In staatlicher Beziehung ist bei den Beduan die Eintrei-
bung der Abgaben die Hauptsache. Verbrechen kommen selten
vor. Zu Diebstahl fehlt die Anreizung, da alles Eigenthum
in Heerden besteht und deren Raub eher als Krieg qualificirt
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J56 ^0™ Rothen Meer.
und demnach gerächt wird. Ich habe von einem einzigen
Beispiel gehört, dass ein Bedui, der in Geschäften in's Innere
ging, in der Wildniss beraubt und ermordet wurde. Der
Naib wollte sich der Sache nicht annehmen, doch der damalige
Gouverneur Ismael Aga Hess den Mörder, der gestand, dass
er schon mehr als zwanzig Leute ermordet habe, am Gerar,
vis-a-vis Massua, aufknüpfen. — Eigentliche Criminalproce-
duren kommen nie vor, sie werden in patriarchalischer Weise
erledigt: so wurde dann und wann auf der Insel gestohlen
und selbst Leute vergiftet — man exilirt die Thäter. Im
letzten Jahre wurde ein angesehener Bürger von Ailet ver-
giftet; die Volksstimme und gewichtige Indicien warfen die
Schuld seines Todes- auf Soldaten , die der Frau desselben
nachgegangen waren. Doch wagte niemand zu klagen und
der Pascha hätte es auch nicht gewagt, eine Untersuchung
einzuleiten. Das höchste Verbrechen in diesem Lande ist
Freimüthigkeit gegenüber dem Pascha, welches crimen laesae
majestatis ohne Anstand mit Bastonnade und Fusseisen be-
straft wird. Seitdem der Naib heruntergekommen ist, hat
der Pascha auch die Rechtspflege auf sich genommen; doch
ist die Justiz ziemlich blind, wenn sie auch nicht gleiche
Wage hat, und wird stets mehr durch Laune, als durch
ein Princip bestimmt. Mord scheint hier als ein Cjvilverbre-
chen betrachtet zu werden, das erst auf Klage hin unter-
sucht wird.
Im Ganzen muss man gestehen, dass unter den Beduan
schwere Verbrechen selten sind. Räuber und Mörder von
Profession, wie man sie in Europa vor den Assisen erschei-
nen sieht, findet man hier nicht. Es ist klar, dass in diesen
Ländern viel zu wenig regiert wird, dass der Staat kaum
-mehr, als eine finanzielle Einrichtung ist; die Türken sind
die schlechtesten Regenten von der Welt, und doch geht in
diesen barbarischen Ländern alles seinen ziemlich ordentlichen
Gang und bei aller Ohnmacht des Staates ist es erstaunlich,
wie wenig die öffentliche Ordnung und Sicheijieit gefährdet
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Vom Rothen Meer. 157
wird. Der Bedui ist zwar kleinen Diebereien und Betrüge-
reien gar nicht abhold, doch fällt er nie in's Extrem.
Den Beduan eigen thümlich sind die Wetten (Rähn), die
wegen unbedeutender Streitpunkte oft sehr hoch gehen. Der
Naib hat die Entscheidung und den Nutzen, da der Theil,
der Unrecht hat, das gewettete Gut, seien es Kühe, Sklaven
oder Geld, ihm übergeben muss.
Die Waffen des Bedui bestehen in einer kurzen Lanze,
einem schwarzen, runden, kleinen Schild meist aus Elephanten-
haut und einem langen, geraden, breiten, zweischneidigen
Schwert, das er über d« linke Schulter hängt. Die gewöhn-
hehen Klingen sind deutsches Fabiikat, doch giebt es eine
Art, die den Namen Frengi hat und sehr geschätzt wird. Sie
ist damascirt und hat eine ausserordentliche Schärfe. Sie
stammt wahrscheinlich von den Sarazenen ab, ist ziemlich
selten und besonders bei den Habah sehr gesucht. Die Be-
duan sind sehr gewandt in der Führung des Schwertes, mit
dem bewaifnet sie selbst den Löwen nicht fürchten. Panzer
sind selten geworden und nur noch gegen das Sennaar hin
gebräuchlich. Kriege entstehen oft aus Räubereien oder Dif-
ferenzen wegen der Weideplätze und werden gewöhnlich durch
den Naib beigelegt. Die llabab sind als sehr hitzig bekannt
und Händel bei ihnen fallen meist sehr blutig aus; der Sieger
führt die Heerden des Besiegten fort, macht die Gefangenen
zu Sklaven und verbrennt die Dörfer. Die stete Uneinigkeit
zwischen den einzelnen Stämmen allein hat es dem Naib mög-
lich gemacht, alle zu unterjochen.
Die Beduan haben theils aus Gewohnheit, theils zur Sicher-
heit die Sitte, bewaflSiet auszugehen. Vor einem Treflfen er-
muthigen sich die Jünglinge mit Gesang und Waflfentanz unter
Begleitung der Pauken. Es giebt im Lande eigentliche Sänger
oder Declamatoren, die in halb melodischen Anreden das Lob
eines Mannes improvisiren. Die Beduan lieben Tanz und Ge-
sang unter Begleitung der Harfe. Der Tanz besteht mehr in
wunderlichen Verbeugungen und Verdrehungen, als in einer
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158 Vom RoUien Meer.
leichten runden Bewegung, nie zu Paaren, wie bei uns, doch
oft durch mehrere Personen zusammen ausgeführt und von
Gesang und Declamation begleitet. Die Lieder der Beduan
sind sehr einförmig, nach europäischem Ohr ohne Takt und
ohne Melodie, doch ermangeln sie eines eigenthümlichen Reizes
nicht. Sie fehlen bei keiner Gelegenheit, am allerwenigsten
auf der Wanderschaft in der Wüste, wo das Lob des Propheten
in Wechselreimen gesungen das Auge munter, die Nacht kurz
und das Herz furchtlos macht.
Die Religion der Beduan ist mit Ausnahme der Bewoh-
ner Mensa^s der Islam. Doch ist er 4lei den meisten Stämmen
noch so jungen Datums, dass er auf die Gesellschaft wenig
eingewirkt hat. Von der altchristlichen Zeit sind noch inmier
Ueberbleibsel da. Der Samstag heisst Sembet nush (kleiner
Sabbat), der Sonntag Sembet abei (grosser Sabbat). Weih-
nachten und Ostern kennen die Beduan so gut wie wir, ob-
gleich sie doch kaum den Kalender lesen. Doch ist die Er-
innerung an die alten Zustände ganz verloren, und obgleich
man sich wenig um dogmatische Lehrsätze künmiert, hängt
man doch fest an dem Glauben im Allgemeinen. Der Islam
greift sehr schnell um sich, da er praktisch einfach und leicht
verständlich ist und dem Hang der Menschen liach Formen
schmeichelt. Die Beduan beten selten und fasten noch we-
niger; den geistigen Getränken haben sie noch nicht abgesagt.
Doch wissen sie und sind stolz darauf, dass sie Muslimin
sind und Mohammed hat in ihre Lieder, d. h. in das Volks-
gefülil Eingang gefunden. Die Feste des Islam haben die
altnationalen verdrängt.
Wo der Glaube nicht klar ist, da wuchert der Aberglaube.
Es gibt viele wunderthätige Sheichs, die mit ein paar Koran-
versen Kranke heilen, Teufel bannen und sogar ein kaltes
Mädchenherz in Glut bringen können. Sie lassen sich natür-
lich dafür gut bezahlen. Von einigen Frauen glaubt man
sogar, dass sie dann und wann im Himmel Visiten abstatten.
An bösen Geistern fehlt es besonders in alten Steinhäusern
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Vom Bothen Meer. 159
nicht, und wo einmal vor vielen hundert Jahren eine Unthat
geschehen, da hat der Mussubian, der seinen Frieden nicht
gefunden, noch immer seinen Sitz und verscheucht die ängst-
lichen Menschenkinder. Alte Frauen (Gatata) prophezeien,
und niemand thut einen wichtigen Schritt, ohne ihr Orakel
zu befragen. Auch an Werwölfe glaubt man; die Hyänen
sind böse Geister, deren Heulen den Tod verkündet. Schwarze
Vögel zur Rechten und ein altes Weib zur Linken rathen von
einer Reise ab, die nur an glücklichen Tagen unternommen
wird. Wer am Freitag oder Sonntag in's Meer geht, mag
Meerwasser zu sclmiecken bekommen. Und der böse Blick
oder ein haderndes Wort bringt den Menschen aufs Sterbe-
lager.
Bei Krankheiten wird gewöhnlich sehr unvernünftig ver-
fahren. In der Stadt gibt es einige einheimische Doctoren,
die für Geld prakticiren und in Bezug auf die Land^krank-
heiten ziemlich gute Erfahrungen besitzen. Doch helfen sich
die meisten Leute ohne sie. Fieber soUen mit eiskaltem
Wasser gekühlt werden, bei Diarrhoe wird eine Masse saurer
Milch getrunken. Hauptmedicin ist aber das Waraka (Koran-
verse), die das böse Auge kraftlos machen. Kommt endlich
der Tod, so werden die Gebräuche des Islam beobachtet. Die
Klageweiber überschreien den Schmerz. Der Mann trauert
nur wenige Wochen um die Frau, während diese ein ganzes
Jahr lang jede Nacht mit ihren melodischen Klagen in Wechsel-
gesängen mit ihren Freundinnen ausfüllt. Die Gräber sind
grosse runde Hügel, die von calcinirten Steinchen bedeckt und
nie angetastet werden. Auf den Gräbern der Grossen bei den
Habab werden Hunderte von Kühen geschlachtet und zu ihrem
Andenken Steinhäuser (Maraba) errichtet.
Der Bedui ist ruhig, bedacht, intelligent, wenn auch ohne
die geistige Regsamkeit des Arabers. Er ist nicht schwung-
haft und idealfetisch, besitzt aber viel praktischen Verstand.
Er liebt das Geld, wird aber nie sehr reich, da er es durch
kleine Kniffe zu erwerben sucht und nie in kaufmännischen
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100 Vom Rothen Meer.
Speculationen. Er Hebt zu leben und ist gastfreundlich gegen
Landsleute, bettlerisch bei dem Europäer, an dem er nur
eine Eigenschaft schätzt: sein Geld. Er ist sinnlich und
kennt kein ideales Glück. Doch fehlt die Excentricität, die
Leidenschaft. Deswegen wird er nie sehr unglücklich, und
von Wahnsinn habe ich nur ein Beispiel gesehen, einen Men-
schen, dem der Umgang mit freidenkenden Europäern seinen
Glauben und damit den Verstand genommen hatte.
Der Bedui ist nicht verschlossen und mürrisch, wie der
Shoho: er ist heiter und artig, gesprächig und sogar zuvor-
kommend; er weiss seine schlechten Eigenschaften unter
schmeichelnden Worten zu verbergen; doch macht er unwill-
kürlich den Eindruck eines verblühten abgelebten Volkes und
diess' besonders aus drei Ursachen.
Die erste ist der Mangel an moralischer Energie, die nur
aus der Selbstachtung entspringt. Ich habe oft Gelegenheit
gehabt, mich zu überzeugen, dass der Bedui nicht feig ist.
Im Kampf mit wilden Thieren zeigt er oft eine bewunderungs-
würdige Kaltblütigkeit. Ein Mann von Ailet wurde von einem
Löwen angegriffen. Als man ihm nachher sagte, wie lange er
mit demselben zu ringen gehabt, sagte er, er hätte ihn schnell
tödten können , das köstliche Fell habe ihn aber gereut Einem
andern wurde in der Nacht sein Kameel von einem Löwen
angegriffen. Der Bedui stellt sich zwischen beide und furcht-
los, aber respectvoU redet er den sitzenden Gegner an, wie
er nur über seine Leiche weg könne. Der Löwe wartet ruhig
bis er ausgeredet und als er sich zuletzt auf seine Beute stürzt,
trifft ihn das schneidende Schwert. — In Kriegen haben sie
oft Proben von Muth gegeben. Dessenungeachtet ist es ein
paar hundert gar nicht gut bewaffneten Türken möglich, das
ganze Land unterwürfig zu halten; sie haben den Bedoan
gegenüber einen Ton der Ueberlegenheit, dem diese sich fügen;
sie verüben alle Unthaten ungestraft, drängen Äch in das Haus
und die Familie des Bedui frevlerisch ein und finden nie
Widerstand. .Der Pascha regiert wie der leibhaftige Satan
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Vom Rothen Meer. 161
und wird doch von den Beduan nur ein gesteenger Herr ge-
nannt. Revolution ist nie zu fürchten. Die Beduan haben
sich selber aufgegeben, die guten Männer ohne Eigennutz und
£hrliebe fehlen. Jeder denkt nur für sich und steht daher
allein, d. h. hülflos da. Der Name Bedau ist ein Schimpf-
wort geworden. — Die Folge davon ist schmeichlerische Falsch-
heit, die Intriguen spinnt und Treue unmöglich macht. Es
fehlt nicht an guten Herzen, wohl aber an einem lebendigen
Gefühl für nationale Ehre.
Das zweite Zeichen des Niedergangs ist der Hang zum
Trank, der im Stillen überhand nimmt. Der Trunk findet
gich bei jungen Nationen wie bei abgelebten. So bei den
Oermanen und den Altvordern der Beduan. Seitdem aber der
Islam gekommen ist, wurde aus dem leichten XJebel ein ver-
derbliches Laster. Das Verbot gibt erst den Reiz der Sünde
und unglücklicherweise üben die geistigen Getränke überall
denselben ertödtenden Einfluss auf alle uncivilisirten Völker,
und den Beduan sind sie ein Gift, wie den Indianern.
Das dritte bedenkliche Zeichen ist nicht die Unsittlichkeit,
aber der Mangel an sittlichem Bewusstsein. Man ist hier
nicht lasterhafter, als anderswo; aber man fühlt sich durch
das Laster nicht gedrückt. Man sieht das Sittengesetz nur
mit dem Verstände, nicht mit dem Herzen an. Man weiss es,
dass man den Koran verletzt, empfindet aber doch keine
Reue, denn diese ist die Reaction eines reinen Herzens und
Reinheit des Herzens kennt der Koran nicht.
r, Ottafrik. Stadlea. 11
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Die Belou und der Naib.
Von den alten Zuständen des Sambar wissen wir; fast
nichts, da die Erinnerungen nicht ül^er die FaaoiUie Naih'
Ainer's hinausgehen. Man ^zähU von mehrerea Hetracher-.:
familien, die sich folgten; sie sollen ¥on Abysainien abhängige;
Christen gewesen sein nait deiB^ Titel Bahemegassi (Füir^t
der Me6rregion), der noch jetzt in den Grenzprovil^z^>
Abyssiniens in Gebrauch ist. Der letzte Herr vor den jetzigen;
Naib war Judsei^ seipe Residenz Zaga, das seine Nacbkpncm^)
noch inun^ nomp^ zu regieren haben; sein ZoUaint ataocl;
ii^ Tad^ür ^uf di^r Strasse nach Saati. Nach der Tradition
war: er ein Belou, da noch jetzt seine Familie Beloii Bait^
J.tis^ef heis$t.; . t
; Es ist kaum zu bezweifeln, dass die jetzige Herrschen)
fan^lie'^) von den Belou, die firiüber die jetzigen Beni Asaerb^n;
*0 ^i^ Jetai^ Familie der Kaib. • - >^
N. Hömmed. '. K'M^ V.
N. Hussein. N. Amer.
(Von den Türken ermordet.) |
N. Hassan. N. Otbman.
I I
N. Ahmed. Idris.
N. Othman. N. Jahia. Abdorrahim. N. Othman. N. Hassan.
III i
N. Mohammed. H. Mohammed. N. Idris. H. Idris.
Mohammed.
Ahmed Arei.
Wir fahren nur die wichtigem Linien an ; das N. bedeutet einen regie-
renden Naib. Die jetzigen Prätendenten sind mit fetter Schrift gedruckt.
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Ittnn^cbten/ Jierstammenl Die Y^r^andtechaft wird ydn beiden
Seiten anei^annf und ist übrigens wohl kanm zehn Genera-^
titaen alt. Der Name des Stammyaters dieses Geschlechter
ist tms nicht erhalten; er kam wahrscheinlich das Söhel (Meer*
der) hinauf von Norden. Er sowohl als sein Sohn Amer
lebten als Gäste, ohne an der Regierung Theil zu haben. Der
erste r^erende Naib war Hömmed, der seine Jugend im
Dienst von Jussef verbrachte. Die Sage, die alles ausschmückt,
erzählt, der Diener habe einmal seines Herrn Pferd bestiegen,
worauf Jussef den Sattel w^fichen liess. Darauf hin habe ihn
d^ Sheich des Landes, Mahmud, gesegnet und Hommed habe
der Segen 2um; Sieg yerhölfen. Die Wahrheit der Sage ist,
dass Hömmed seinen firühem Herrn stürzte; die Geistlichen
scheinen ihm beigestanden, zu haben, denn noch jetzt sind die-
NaehjLommen des Sheiöh Mahmud die dngefoomen Sheich und
Kadi Ytn Dokono. So gründete Hömmed eine neue Herrscher-^ .
famälie, die seither in Dokono residirte. Es mag etwa vor
150 Jahren gewesen sein. Man schildert ihn als hart und
grausam; seine Herrschaft sdieint nicht sehr fest gewesen. zuo
sein, da er sich einmal zu den DanaMl flüchten musstcl.. Er^
soll: da aus Eifersucht seinen Brudersohn ermordiet haben,
desten Kinder nach Korbarea im Hamasen auswanderten und .
noch: jetzt als Az Samra in Duarba leben. Hömmed hatte son .
A»t T4^n den Türkeitf die seit der ersten Eroberung hier eine*.
GaraifiCtn hidten, deren Nachkommen aber mit den Landte^-'.
eingebomen sich yerschmolzen haben; es scheint, dass Höiämed :
aadi»' mit ihnen im Unfrieden lebte, & sie ihm eeinen Sohn
Hassan ^mordeten.
• P» Naib*) (v^U SteUvertreter) betrachteten sich immlarf
afe' £recte Vasallen des Sultans. Sie erhielten als Besoldung
jMen Moiiat 1005 Thaler toq der Douane im Massua, die untere
ihnel . Soldattufamilieii gleicbmässig vertbeilt wurdea. Diese.
•)*Der Namielfaife hat inx Wut, Nijab" d^Lu,' wir 'sagön äW der ^
KinfsJWi^it wegen <idie 2inh», - : .> ..:.'* V ,
11*
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164 Vom Rothea Meer.
Soldaten bildeten das Dorf Dokono und waren in Compagnien
veriheilt; sie bestanden aus Belou, aus Abkömmlingen der
alten Garnison und aus zusammengelaufenem reisigen Y<dk.
Sie Messen und heissen noch "Ashker ( JCm^) des Sultans.
Die Geschichte der Naib besteht in Kämpfen für diese Be*
soldung, genährt von der Elifersucht der zwei Familien ron
Hasstm und Othman, den Söhnen Amer's, die noch jetzt fort-
wirkt; sie wechselten beständig im Amte ab, wo dann der
Amtlose die patriotische Sache verfocht; diese Familienfehde
unterwarf sie immer der Regierung.
Von Naib Hassan ist nichts bekannt. Naib Othman Amer's
Sohn, in der Absicht, die Herrschaft zu befestigen, lässt tür-
kische Truppen kommen, die in Dokono eine Festung bauen
mit vier Thoren und Geschütz mnd die Stadt mit einer Mauer
umgeben; sie unterstützen den Naib auf einem Feldzug gegen
Buri. Der Naib zieht allen Handel . nach Dokono; Massua
bleibt verlassen; die Douane selbst wird an's Festland verlegt
Doch dauerte das EinversiÄndniss nicht lange, da die Türken
sich gegen die Eingebomen alles erlauben und dem Naib sogar
den üblichen Sold verweigern. Daraufhin erhebt sich das
Land, die Soldaten werden ermordet; die wenigen, die Pardon
erhalten, nach Abyssinien deportirt. Briefe werden an den
Sultan geschickt, um sich zu entschuldigen; in einem Frieden
werden die alten Vorrechte des Naib bestätigt, die Douane
und der Handel aber zur grossem Sicherheit nach Maseua
zurückverlegt.
Ihm folgt Naib Ahmed Hassan's Sohn; er macht einen
Feldzug gegen das Hamasen, wird aber von Bahemegassi
Bokru von Tsasega aufs Haupt geschlagen. Erst später ge-
lingt es ihm, die Scharte auszuwetzen, indem er mit Hülfe
des Kaisers von Abyssinien Tsasega verbrennt und alles Land
bis Molasenei verwüstet Er vermehrt den Sold um 700 Thaler.
Sein Nachfolger ist Idris Othman^s Sohn; da in dieser Zrtt
der Sultan sich wenig um das Bothe Meer kümmerte, erkennt
Idris den Sherif von Mekka als seinen Herrn an. Zuletzt
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Tom Rotben Meer. 165
•«
unterwirft er sich dem Herrn von Aegypten, dessen Truppen
sich in Massua festsetzen; der neue Gouverneur Abedin Aga
setzt den Sold wieder auf 1005 Thaler herab.
Dim folgt sein Sohn Othman, der mit den Aegyptern ge-
meinsame Sache macht; der Kaimakan im Einverständniss
mit ihm verweigert den üblichen Sold und setzt mehrere
Bürger von Dokono, die sich darüber beklagen, in's Gefäng-
niss. Der Naib, von seiner Stadt zur Rede gestellt, verspricht '
die Auszahlung des Soldes, wenn aUe vornehmen Familien
Geiseln stellten. Nun versammelt sich die ganze Bürger-
schaft auf dem Bathsplatz; die Neggaret wird geschlagen; der
Naib, angefordert das Volk gegen die Fremden zu führen^
legt sein Amt nieder, das an Jahia den Sohn Naib Ahmed^&
übertragen wird. Der neue Naib schliesst Massua von allem
Verkehr ab; am dritten Tag seiner Begierung beginnt der
Angriff; eine auserlesene Schaar erbietet sich freiwillig, Massua
, mit Barken zu erstürmen, während die Hauptarmee unt^
Führung des Naib mit vier Kanonen am Gerar gerade gegen-
über der Insel sich anpflanzt. Die Leute, die den Seeweg
genommen, dringen in die Insel ein und überfallen einen
Kanonierposten; sie machen die Kanoniere nieder; nur drei
werden gefangen und die Kanone erbeutet Zu früh aber er-
heben sie das Siegesgeschrei; der Kainmkan, Hussein Aga,
verschliesst den Diwan und bombardirt das Lager am Fest-
land, während Bich die wenigen Eingedrungenen in den festen
Häusern der Banianen verschanzen und behaupten. Doch ent-
Bchliesst sich der Kaimakan, der nur über hundert Soldaten zu
verfügen hat und Wassermangel fürchtet, zum Abzug; er
ladet all seine Habe und Mannschaft auf drei Barken und
zerlöchert alle andern Barken, um sie an der Verfolgung zu
hindern. Da der grosse Weg durch die Batterie versperrt
ist, nimmt er den engen Weg linksab bei Dokono vorbei und
gewinnt die hohe See. Von seinen GefGbngenen nimmt er nur
drei Mann mit, die ihm bis Dahalak als Lootsen dienen sollen
und lässt sie da frei. Naib Jahia zieht in Massua ein; die
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166 Vom Reiheii Me*.
dr^i gefangenen Türken werden niedei^macht, * als Sölme'für
.4ie drei Mann, die im Kampfe umkamen. Die Leute (Ton
Dokono werden nur dureh die Vorstellungen des Kadi von ifer
Plünderung der Insel abgehalten. Von Neuem gehen Briefe
an den ägyptischen Statthalter im Hedjas; es wird Friede ge*-
«chlossen; der alte Sold wird neu bestätigt; nur für die drei
^etödteten Soldaten drei Monate als Blutsühne abgezogen; der
Kaib wird anerkannt und ein neuer Kaimakan kommt nach
Massua.
Dein Naib Jahia folgt sein Sohn Mohammed; die patribti-
soho Sache vertheidigt diessmal Hassan, der Sohn des Näib
Idris^ der von den Patrioten abgesetzt worden war. Der Sold
wird Wieder verweigert Mit Mühe verstehen sich die Bürger
von Dokono dazu, den Naib auf einem Feldzug gegen Ae
Teklesan zu begleiten, das verbrannt wird. Nach der Bäck-
kehr wird alles aufrührisch; der Kaimakan, der niemaiKtcm
traut, lässt den Naib Mohammed bewachen; s^ Nebenbuhkr
Hassan wird mit schönen Worten nach Massua verlockt und
■ gefangen genommen. Nun schickt der Kaunakan Ismail sein
Kanonenboot nach Dokono; die übrigen Truppen greiGBn die
Stadt zu Land an; sie wird bombardirt und eingeäsdiert;
Widerstand ist nutzlos, da die Partei der regierenden Naib
sich passiv verhält Hassan wird nach Djedda abgeführt;
die Bewohner von Dokono zerstreuen sich; der alte Sold bleibt
für immer abgesch^H^ Ismail lässt in Dokono aus den Trüminom
der alten Cütadelle eine neue erbauen und bemannt sie .mit Ar-
nauten. So war Dokono gedemüthigt; auch Naib Mohanümed,
der sich durch einen Besuch bei Ubi6 verdächtig macht, wkd
nach Djedda deportirt, wo er stirbt; seine Stelle nimmt sein
Gegner Naib Hassan dn. J^ien Streit setzen noch ihre Nach-
kommen fort, von der Familie von Idris der jetzige Naib
Idris, von der Familie von Ahmed der jetzige Naib Mohaln-
med Weld AbdurriAim.
Seitdem hätten sich die Naib wieder aufschwingen können,
"da sie von dem Festlande stets, allein anerkannt wurdeä; doch
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isi^tB ' ihnen die Eini^eit; es ^totttfitea . in der eigenen Tieli
verzweigten Familie Spaltungen aber die Erbfolge, v^l^f9|
«ulcitzt mmer vor das türkische Tribunal gebracht wurdbn^
das nie gänzlich entschied, eiagedeiik des Wortes: Divide et
impera. So ging die Macht der FamiUe gänzlich veiioren^
iArkeko yenurmte und seine Bewohner suchten meist anderie
ZuAvehtfistätten. .
Als ich nach Massua kam (Septeinber 1853), bekleidete in
(Arkeko Idris, Sohn des oben erwähnten Naib Hassan, die
.Würde eines Naib, und wurde von Ibrahim Pascha gebraucht,
um den Tribut emzutreiben. Doch waren die Völker des
Festlandes schon damals für den Naib Weld Abdurrahim,
(einen Vetter von Idris, eingenommen, der als Schiedsrichter
beliebt und wegen sein^ Klugheit und Entschlossenheit weithin
geachtet war; dieser ging mit seinen nächsten Verwandtesi
kach Djedda, um sich gegen den Pascha zu bdclagen und für
rgeine Linie zu plaidiren. Unterdessen regierte der Pascha
imii Idris, dem die Hände gebunden waren, und der aus
'Mangel an Soldaten und Geld beim besten Willen zu seinen
rOunsien nichts unternehmen konnte. >
'' Diess zeigte besonders der Gonflict mit den Shoho
^(Sah<>), der dem Pascha sehr wenig Ehre gemacht hat. Dieser
Völkerstamm sollte, dem alten Gebrauche zuwider, zum Tribut
gezwungen w^en. Der Pascha schickte Soldaten in ihr Land,
'die sich Unordnungen erlaubten; diess führte bei d^n hitzigen
•Temperament der Shoho zu einem Scharmützel, das aber
(Ohne weitere Folgen zu bleiben schien. Kurze Zeit nachher
•kamen einige Shoho in Geschäften nach Arkeko. Der Pascha
Jä0st sie ergreifen und schickt sie mit einer Lügenprocedur
^ds Hauptverbreeher nach Djedda. Die Shoho, durch diesen
tttngerediten Act empört, erhoben sich; nahmen alle Kameele
von Arkeko, die sich auf ihrem Weidegebiete blanden, weg,
'Sperrten die Pässe nach Abyssinien und verhinderten alle Zu-
Mir vom Innern nach Massua. Der Pascha hatte 200 Iri^egu-
lite . .^ojkiter - Mustafa * Aga auf ^ dem » Festlande stehen , doch
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168 ▼om RotlieD Meer.
fürchtete er die Verantwortlichkeit, diesem Soldatendief eii^^i
gescfanebenen Befehl zum Angriff zu geben, was dieser natür-
lich für nothwendig erklärte. Nach langem Hin- und Her-
reden mit dem Naib liees man die gefangenen Shoho im
Stillen zurückkommen und lieferte sie an ihr Volk aus. Dodi
da in diesem Gonflict die geringe Bedeutung des Naib und
die Unentschlossenheit des Pascha klar zu Tage gd:ommen
und der bisherige Bespect der Gebirgsvölker vor diesen Auto-
ritäten verloren war, wurde die Sicdierheit auch nach d^a
Frieden nie mehr ganz hergestellt und es verging kein Tag,
dass die Shoho nicht einen räuberischen Anfall auf die Heer-
den der Beduan oder auf die Rdsenden nach Abyssinien
machten. Der Naib war ohnmächtig und der Pascha drohte
nur mit Worten, seine 400 Soldaten amüsirten sich in ihrer
Kaserne. Diess dauerte fast ein Jahr, bis August 1864.
Um diese Zeit kam der jüngere Bruder des Naib Weld
Abdurndiim, Abdul Kerim, aus Djedda an, mit der Nachricht,
dass sein Bruder zum regierenden Naib erhoben und Idris
entsetzt sei. In Folge dessen flüchtete sich dieser mit seinem
Bruder Mohammed zu den Shoho in die Berge. Gleichzeitig
fielen die Völkerschaften des Hamasen, durch die Schwäche
des Naib ermuthigt, über das Dorf Ailet her, wo gerade die
Heerden von Zaga weideten. Die Wächter derselben, mehr
als 30 Mann, wurden erschlagen und die Heerden weggetrie-
ben. Glücklicherweise stellten sich die Räuber mit diesem
ersten Erfolge zufrieden und kehrten in ihr Hochland zurück.
Der Naib Idris, um sich für seine Entsetzung zu rächen,
wiegelte unterdessen die Shoho auf, g^en Massua zu ziehen,
versammelte an 800 Mann im Taranta und zog geradewegs,
ein kleiner Coriolan, gegen seine Vaterstadt. Als die Nach-
richt davon, durch die Furcht vergrössert, nach Massua kam,
flüchteten die Leute der Umgegend ihre Habe und Fanulien
auf die Insel und nur wenige Männer wagten es, in ihren
Dörfern zu bleiben. Der Pascha liess in Arkeko grosse Boote
bereit halten, um im Nothfall die dort stationirenden Lande«-
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Yotti Rothen Meeir. 169
TerÜMidiger in Sicherheit zu bringen. Aber Naib Idris wnfiBte
eigentlich nicht, was er wollte oder er besass nicht den Ein«-
flnss, die Shoho zu entschiedenen Schritten zu bew^en und
mochte selbst in sdner Vaterstadt geringer Sympathien ge^
wärtig sein. Er verweilte mehrere Tage in der Nachbarschaft
Ton Massua, besuchte Zaga, wo ihn seine Freunde von ge-
waltsamen Schritten abmahnten und nachdem er sich hinläng-
lich an der Angst des Pascha geweidet, trat er ohne weitere
Schritte den Bückzug in die Berge an. Indess benutzten die
Shoho die Gel^enheit, nach allen Seiten hin zu plündern und
die Heerden der Beduan wegzutreiben; es bildeten sich förm-
liche Bäuberbanden, welche die nächste Umgegend Massua^s
unsicher machten.
Kun gelangte Mohammed zur Begierung; aber er wurde
bald wieder durch Idris ersetzt, der nach Mekka gegangen
war. Für den Pascha des He^jas bildet nämlich dieser Wett-
streit dne gewisse Einkunftsquelle, da jeder jährlidi abge-
setzte Naib seine Stelle mit Geschenken und Versprechungen
wieder zu erhalten sucht und sie nur für die Zeit erlangt, die
nöthig ist, um seine Schulden bezahlen zu können., Naib
Mohammed lehnte sich mit bewaffiieter Hand gegen die Tür-
ken auf; er versammelte eine ziemlich grosse Armee aus den
Beduinen und den ihm befreundeten Abyssiniem; er zerstörte
das Dorf Hotumlu und brachte die Türken sehr in Verlegen-
heit. In der letzten Noth sandte der Statthalter in Massua
einen Brief nach Kassala an den ägyptischen Statthalter,
worin er ihn um Hülfe ersuchte; 400 schwarze Soldaten unt^
Befehl des bewährten Ali Aga kamen auf dem grossen Umweg
über das Söhel in Eilmärschen nach Massua und schlugen
den Naib mit seinen Tausenden bei Ailet aufs Haupt; dann
drangen sie in die Berge der Shoho, die gehörig gedemüthigt
wurden. Nachdem das Land beruhigt war, kehrten sie nach
dem Gash zurück; der ganze Feldzug hatte sie drei Mann ge-
kostet.
Nun musste Mohammed wieder nach Mekka wandern, wäh-
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Timd IdriB Abb Land beherrschte. Jetet mischten' ^icb itber
^uidi die Europäer in diesen Wettstreit. Es wurde nkididi
Idria für französisch, Mohammed aber für englisch ^gesinnt
ai^eseh^i imd proportioneil war der erste für Negossi^, dar
letztere für Tedros. Man erzählt^ dass dar Pascha von Maa^
flua die beiden Nebenbuhler einmal dieser Tendenzen beschul^
digte und fragte, wer denn eigentlich Ton der Partei des
GroBsherm s^ Diese Freundschaften beechränkt^i sich aber
meist nur auf schöne C!on^>limente. Nun wurde es anders.
Der französische Consul Hr. Gilbert nämlich, ein sehr ent-
schlossener und fähiger Mann, intereesirte sidi so sehr für
den Naib Idris, dass er ihn von Eonstantinopd aus auf
zehn Jahre bestätigen liess. Es ist natürlich, dass Idns für
diese uneiiiörte Gunst nicht undankbar war; Hr. Gilbert war
mehrere Jahre fast unumschränkter Herr des Landes. Als
die Mission von Hm. Bussel nach Zula kam, um nach Abjr-
sioien zu gehen, wurde. sie natürlich von dem Bruder des
Naib, Ahmed Arei, empfangen und bergauf begleitet Hr. Gil*-
bert war der erste europäische Consul, der eine wirkliche
Mach^ ausübte; schade, doas er sie theilweise willkürlich
verwandte und seinen starken Arm sogar dem Europäer
fühlen Hess.
Im Herbst 1860 wurde Hr. Gilbert von seinem Posten ab*
berufen: bald darauf fiel auch Negussie. Nun wurde Moham-
med, der sidi seither in Mekka aufgehalten hatte, wieder in's
Amt eingesetzt; da aber Idris von höchster Stelle für zdm
Jahre bestätigt war, so konnte man ihn sdilechterdings nicht
absetzen; daher wurde fortan das Amt zwischen beiden ge-
theilt. Mohammed erhielt das eigentliche Samhar mit den
Habab; Idris das Land südlich von Arkeko. Was den Cha-^
rakter dieser zwei Häuptlinge betrifFt, so ist Mohammed im
Allgemeinen beliebter, denn er hat den Vorzug eines an-
zieh^iden Aeuss^n, guter zuvorkommender Manieren und viela:
Beredsamkeit; er ist sogar ein guter Dichter, aber kein be-
sonderer Held. Idris ist rauher, gröber^ auch ehrlicher. Er
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hkt sich immer gegen die europäische Freundschaft ; dankbar
(^esseigt; er erweist sich gegen alle Europäer sehlr zuvorbcubh
mend und will unsere liebe wirklich verdienen, wählend Mo>-
faammed nur zum Spiele die Freundschaft der Englämlet in
Anspruch nahm. DerNaibIdris ilhd seine <Brüder sind ener^
gische Leute, klar/ entschieden, reell, gerecht. Besonders der
dritte^ Bruder Ahmed Arei ist ein sehr bedeutender Charakter.
Er hat sich bei den Shoho, die er firüher zu regieren hatte,
«sehr respectirt ,und beliebt gemacht. Seinen Muth beweist der
Löwe, den er, von seinen Dienern im Stich gelassen, mit dem
Schwert nied^hieb. Li der letzten Zeit hat er den Auftrag
des Pascha, von Massua bis zum Bab-el-Mandeb an allen
Küstenplätzen die Ottomanische Flagge aufzuziehen, mit vieler
Oewandth^t ausgeführt. Der Küstenbesitz war nämlich bis
jetzt nur nominell; die Türkei hatten die ganze Küste ent-
lang nichts zu befehlen. In dieser Zeit aber, wo es schien,
als wollten sich die Franzosen im Rothen Meer festsetzen,
mussten die Türken ihren Besitz manifestiren. Ahmed Arei
besuchte die ganze Küste bis Beilul; er pflanzte die türkische
Flagge auf der Lisel Desset auf — ich weiss nicht, ob es
wahr ist, dass die französische Flagge aufgerichtet war —
dann auf der Insel Hauakil, in Hamfila, ''Edd'*') imd den
andern Küstenplätzen. Bfit Hü1£b des Sheich^s von ''Edd,
Namens Othman, bewog er alle Küstenbewohner, die türkische
•Obeiikoheit anzuerkennen; aber Tribut wurde keiner entrichtet.
In Beilul allein Brklärten die Bewohner, keine Flagge dulden
zu können, da sie von den Abyssiniem von Aussa abhängig
und so dem Kaiser Theodoros allein unterthänig seien.
Um noch einmal auf unser Verhaltniss zu den Naib zurück-
zukommen, so weiss ich freimüthig gesagt nicht, warum wir
den einen dem andern vorziehen sollen; ich weiss, was für
grosse Interessen wir zu wahren haben; die Bevorzugung der
*) Man weiss, dass dieser Platz einem französischen Hause gehören
soll,; obgleich die Grültigkeit des Kanfes von den Eingebomen .ange-
fochten wird .. ...........
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772
Yom RoUien Ifoer.
einen Partei macht am Ende nur böses Blut, ohne reellen
Nntien. Ist es möglich, dass die Franzosen und Englands,
die in China nnd Japan für die inrklichen Interessen ein-
müihig kämpfen, an den wüsten Küsten des Reihen Meeres
bis anf die Ertörmlichkeiten Massna's sich bekämpfen ni^
verächtlich machen, während nichts sie hindert, einig zu sdn
und auch hier die Franken geliebt und gefürchtet zu macl^n?
Die Herrschaft des Naib erstreckte sich von Buri bis zu
den Habab; sie umÜEisste das Grebiet der Saho, der Hasauerta,
der Tero'a, das ganze Samhar mit Zula"^) und die Habab. Doch
zahlten alle diese Völkerschaften wenig eigentlichen Tribut
Die Einkünfte bestanden also aus den erwähnten 1005 Thal^m,
die aus der Douane bezahlt wurden, aus gewissen !Auaid (von
84>Le)9 ebenffidls von dem Zollamt und aus unregelmässigen
Abgaben in Form von Greschenken. In ganz Nordostafrika
ist übrigens der eigentliche Tribut ein Greschenk der neuesten
Zeit, die desw^en überall hier die Zemen Sultanet (die Zeit
des Kaiserthums) sehr bezeichnend benannt wird. Weder die
Fundj, noch der Naib bekamen geregelte Abgaben; man muss
sich aber die Einkünftie deswegen nicht geringer yorstellen.
Seit die Türken wieder mächtiger geworden sind, zahlen die
Bewohner des Samhar einen regelmässigen Tribut; die Dörfer
sind sehr schwach besteuert, während die Beduan sehr viel
zahlen müssen. So entrichtet Az Shuma allein 1000 Thaler.
Die Habab zahlen 9700 Thaler, wovon Az Hibdes 6000, Äz
Temariam 3000, Az Tekles nur 700 Thaler. Diese Steuern
werden vom Naib eingezogen und an den Diwan entrichtet;
der Naib hat davon den Zehnten; aber es steht ihm frei, für
sich noch eine besondere Abgabe zu erheben. So hat der
Naib nicht mehr seine frühere Stellung, aber er ist doch noch
fast unumschränkter Richter; jeder Kläger dtirt seinen Gegner
*) Zula wird vom Stamm Hamboketo der Hasauerta bewohnt, denen
sich eine Sheichfamilie von Dokono beigeeeUt hat Yon eigentlichem
Tribut war nie die Rede, so wenig wie bei den Saho. Die Sheiche*
familie heisst Azuli, was auf das Adulis der Alten hindeutet
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Tom Rothen Meer. 173
laf die CSiassamet Naib (auf die Feindschaft des Naib), der
nie mdertprochen wird. Die Ghassamet entspricht der abys-
amiscl^n Dsagga. Er ist immerhin das nothwendige Medium
zwischen den Türken und dem Festland und man muss ge-
stehen, dass das Samhar sehr gut regiert ist; die herrschende
Ordnung erfreut den Reisenden.
Früher waren die Belou die Soldaten dieses Reiches, das
ihr müiiärischer Geist in Ehren hielt. Sie bestanden aus
emer beschränkten Anzahl Familien, die ihren Rang im Heer
und den damit verbundenen Gehalt von Vater auf Sohn ver-
erbten. Wessen Urgrossvater z. B. Fähnrich war, war es
auch noch in neuester Zeit. So hatte jede Familie ihren Sold^
wovon sie lebte, etwa wie jetzt viele Leute von den Burgan-
gutem; sie waren verpflichtet, den Naib auf seinen Zügen zu
begleit^i; andere Gewerbe kannten sie nicht Der Sold wurde
von den 1005 Thalem bestritten; sobald er abgeschafft wurde,
hörte diese Soldateska zu existiren lau£ Mit ihrer Hülfe
iHrachten es die Naib dahin, dass sie nach und nach in dem
ganzen Eüstenlande bis zu den Grenzorten Abyssiniens die
Gewalt von Schiedsrichtern bekamen; sie befestigten ihren
Einfluss, indem sie hier Heirathsallianzen mit den entfern-
teren Stämmen schlössen, dort durch treulose Rathschläge
Zwistigkeiten hervorriefen und dann leicht der in ihi^er Ver-
einzelung schwachen Gegner Meister wurden. Ihr Hauptbe-
streben ging natürlich dahin, die abyssinischen Karawanen
iwmmtlich nach Massua zu leiten, da diese ihnen die wichtigste
finanzielle Hül&quelle sicherten. Sie thaten diess, seit [sie die
Unmöglichkeit sahen, den Handel von Massua direct nach
Dokono zu ziehen. Denn diess wollten die Türken nicht zu-
geben, anderseits bot allein die insulare Lage die nöthige
Sicheriieit für den Handel, während jedermann WfcCaeht, dass
eine kräftige Regierung nie zu der getrennten Insel Zuflucht
genommen hätte. Um nun dem Handel die gewünschte Rich-
tung zu geben, brauchten die Naib List und Gewalt Ganz
verschieden von den Fürsten von Adel sahen sie wohl em,
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174 yomviioihen'Meer.
dato 68 in ihrem Interesse liege ^ mit dem mäditig'en'AbTS^.
simea in gutem Einverständniss zn: leben; daher sidherten sie
sich dnirc]! Verträge die Frenndsdiafi der Grenzstädte; sie:
li^ßSffli sich sogar meist Ton den . abyssinisdien Kaisem mit
der Herrsdiafib belehnen nnd nahmen an der Politik des Hodn;
landes eifrigen Antheil, wie das die wiederholten Kriegszfig^
in's Hamaisäi beweisen. Noch der jetzige Naib Mohammed
yerbraonte vor etwa fim&ehn Jahren Tsasega. Sie wurden,
sogar Yon den abyssimschen Kaisem mit Dörfern im Hoehr*
lande belehnt^ die sie erst in der letzten Zeit verloren haben«;
Noch vor einem Jahr (1862) ging der Naib Mohammed züm>
Kais^ mit vielen kostbaren Geschenken, um sich in der be?;
drohten Herrsdiaft sicher zu stellen.
Gegen Schwächere wurde um desselben Zweckes willen)
rücksichtslose Gewalt angewandt Als der Naib im An&pge.
dieses Jahrhunderts merkte, dass das günstig gelegene "Edd-
abyssinisohe Slarawanen anzidie, die über die Salzebenen^
dorthin! gingen und so den Einkünften Dokono's einen geföluv
liehen Ablnruch zu machen drohe, überzog er dieses firiedr
liehe Land plötzlich mit Krieg und Verwüstung und zwang
den Häuptling dieses Ortes, auf das Buch feierlichst zu ge-
loben, nie mehr Karawanen bei sich au&unehmen, was seith^
treulich gehalten wurde; das aufblühende "Edd wurde dadurch
ruinirt und der Handel von Neuem an den Hafen von Massoa^
gefesselt.
Die Naib machten wiederholte Yersudie, Mensa unter ihre.
Botmassigkeit zu bringen. D^ Kintebai von Beit Ebrahe
wurde noch in unserer Zeit wiederholt auffordert, sich zu
unterwerfen und den Islam anzunehmen; endlich wurde das
L^d mit Krieg überzogen; ich habe unterhalb Geleb die
Walst^t gesehen, wo die nicht vorbereiteten Männer dieses.
Dorfes dem Naib an Treffen lieferten, das mit ihrer Nied^-
läge endete. Der Kintebai wurde nach Massua abgeführt und
nur gegen Geiseln frei gelassen. Doch brachte es der Naü>..
ipe zu vollständiger Unterwerfung, wenn er auch den gerech«.
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Vom Rotheu; MeeiV 1T5
Uä O^nflus» auf Mensa be^tzt, den jede grössere ejnheitlichQ;
Maobt ^^ kleine, yon Factionen zersplitterte Gemeinweeen
auäübt. -r- Wir irissen, dass der Kaib sich die Habab untere
urarfi aber den Berg (Mäs'halit), der die Habab vom Anseba
tawnt;^ überschritt er nicht, obgleich der Islam in Be^ufc
bedeutende Fortschritte gemacht hat
; Dt^ Macht des Naib wurde meist durch firiedliche Unter-,
ha^ungen aii£cecht erbalten; doch musste oft Waffengewalt
#Q Diplomatie unterstützen. Dann wurde der He^bann auf-:
geboten, dessen Kern die Belou bildeten, die imiiier viele:
Feuergewehre mit sich führten, zu Tausenden vermehrt durch
die Beduan und Saho. Die Expeditionen waren fast immer
von Erfolg gekrönt; denn gegen den Schwachem wurde prompte
Gewalt angewandt und wo etwas zu riskiren war, Unterhand-
lungen vorgezogen. Der Naib reiste und reist noch fast das
ganze Jahr herum, stets in Begleitung einer tüchtigen Schaar
— hier um ein Schiedsgericht zu halten, dort um Differenzen
wegen der Weidemarken zu schlichten, oder auch um Räu-
bereien zu züchtigen x^d das Geraubte zurückzuerlangen, end-
lich um den jährlichen Zehnten einzutreiben. Sein Reich war
und ist keine ordentliche Monarchie, sondern nur das Rich-
teramt zwischen Völkern, die in beständigem Zwischenverkehr
leben, doch durchaus keine Conföderation bilden, im Gegen-
theil täglich in Krieg untereinander verwickelt sind.
Man weiss, dass die Naib sich in den letzten Zeiten ihrer
Unabhängigkeit besonders gegen die Europäer sehr übermüthig
betrugen. Man lese bei Bruce, welche vielleicht etwas über-
triebenen Schwierigkeiten er zu bestehen hatte, um von Ar-
keko fortzukommen. Noch in neuester Zeit waren Missionäre
gezwungen, dem Naib tausend Thaler zu bezahlen, um in's
Innere gehen zu können. Ein Belou der alten Zeit stand an
Stolz einem Givis romanus nicht nach.
Seit Dokono^s Macht gefallen ist und die Belou des Soldes
verlustig gegangen sind, haben sie meist das Land verlassen
und sich des Handels zwischen dem Meer und Nil bemächtigt;
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176 Vom Bothen Meer.
sie sind in allen Stämmen Nordabyssiniens zerstreut angesie«
delt und treiben einen lebhaften Handd mit der Küalb; man
findet sie selbst in Südabyssinien, unter den (Jalla, ja unter den
Bazen. Sie yermitteln den Elfenbeinexport vom Nil nach
Massua; sie bringen Wachs und Kaffee von Metamma; iihre
Strasse ist Keren. Sonst beschäftige sie sich mit der Berei-
tung von Schmalz, den sie nach dem Jemen ausfiihren. Sie sind
überall als Ashker (Soldaten) bekannt und meist sehr ange-
sehen. Man findet unter ihnen sehr ehrenfeste Leute. So
blüht Arkeko in der Fremde.
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Route vom Samhar nach Keren.
Die Routen, die vom Samhar in^s Hochland von Abyssi-
nien fuhren, sind hinreichend bekannt; wichtiger für uns sind
diejenigen, die die nördlichen Abdachungen als Sattel benutzen,
um in das jenseitige Tiefland Barka und Gash hinüberzu-
gehen und so das Meer mit dem Sudan verbinden. Es gibt
Bun zwar eine Route, die das Hochland umgehend in sehr
weit nördlich geführtem Bogen um die Marea herum in's
Barka einlenkt; doch ist sie viel zu weitschweifig, als dass
sie dem Verkehr dienlich sein könnte. Allen Anforderungen
entspricht allein die Strasse, die den Lebka-Torrent benutzend
das Land der Bogos berührt. So haben wir den Weg von
Hassua nach Keren zu erläutern.
Von dem Gerar — so heisst die Küste direct gegenüber
der Insel — führen mehrere Wege nach Keren; der directeste
geht über Asus; von da benutzt er den Torrent von Kussret,
der zwischen den Abhängen von Gümmegan bis an den Fuss
des Hochgebirges nach Gabe fuhrt; der Bergübergang wird
durch die Hochebene Maldi vermittelt, wovon ein Sattel, der
den Debre Sina mit Wara verbindet, zum Land der Bogos
Maatinger, Ofltafrik. Stadien. 12
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178 Von* Rotten Meer.
hinabführt. Diese Strasse ist aber nur für Lastochsen gang-
bar und wird daher von den Handelsleuten weniger benutzt.
Der zweite Weg geht über Amba, durchzieht die Ebene
Gedged und tritt bei Af Lawa in das Gebirge ein; er verfolgt
den Torrent Lawa aufwärts und verlässt ihn erst, um über
einen steilen Sattel in die Hochebene von Geleb abzufallen.
Der Torrent ist sehr bäum- und wasserreich; aber mehrere
Katarakten erschweren den Weg und vollends der letzte Sat-
tel (Mogerbebit) ist für Kameele nur mit grosser Gefahr gang-
bar. Von Geleb nach Keren ist der Weg durch den Sattel
von Belta und den jähen Abhang von Eibaba sehr erschwert
Er wird deshalb selten benutzt. > :
Der dritte Weg geht über das Lebka; da er die gewöhn-
liche Karawanenstrasse ist, so wollen wir ihn ausfuhrlich be-
schreiben; er wird uns auch das Profil des Samhar in nord-
westlicher Richtung deutlich machen. Er theSt sich natür-
licherweise in drei Theile.
1) Vom Meer bis'Aia durchzieht er das Sämhar in NNW^
Richtung ohne bemerkbare Steigung.
2) Von 'Ain verfolgt er den Strom Lebka, mit unausge-
setzter Steigung zwisdien den Bergen von Az Temariam sids
durchwindend, zuerst in wesüioher, dann in südwestlicher
Richtung bis zum Sattel von Mäs^hälit, der vom Meergebiet
zum jenseitigen Anseba hinüberfuhrt und so tritt er
3) in fast südlicher Riditung in das Thal des Anseba über^
Vom Thal von ^MkuUu fuhren steinige Hügel zu der Ebene
Weddubo, einem Thal ohne Torrent, das nordw^tlich sick
gegen Beremi zum Meer hinzieht; es bestdt aus ganz ebe-
nem, schwarzen Alluvialboden und vrird jährlich von den Leu^
ten von Massua oultivirt. Die Strasse durchschneidet es in
einer Viertelstunde.
Nun steigen wir etwa hundert Fuss hoch auf eine weite stei-*
aige Fläche, die den Namen Desset (abyssinisch Insel) fuhrt;/
sie ist eine eigentliche Insel, da sie im Süden von Weddubo^
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Tom Bothen M«er. 179
im Kordel Ton einem breiten Torrent abgeschlossen wird und
sich in ihrer Erhebung bis zum Meer Hinzieht Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass sie einst eine Insel war. Sie ist mit
Gräbern besetzt, die in yier Gruppen ein Viereck bilden; jede
Gnq>pe besteht aus 7 — 10 Grabhügeln, die etwa fun&ehn
Fuss hohe Kegel sind, eigentliche Steinhaufen. Ausserdem
sieht man am Nord -Ende der Fläche einen kuppigen Thurm
ohne Thor und Fenster, ohne Cement aui^ebaut.
Diese Fläche fuhrt 'zum tieferUegenden Torrent von Desset
hinab, der westlich dem Meer zuläuft.
Nachdem wir über diesen Torrent gesetzt, durchziehen wir
eine wüste baumarme Ebene im Niveau von Desset, die vom
Torrent von Shakat qaih unterbrochen ist und kommen durch
eine Hügelreihe zum grossen Torrent Amba, den wir b^
Maqret passiren. Bemerkenswerth sind nur die Gypshügel in
der Nähe von Desset.
Von Maqret fuhren Hügelzüge zu dem Torrent Käufer, be-
waldet von vielen Tamarisken und Mimosen; auch der Hotum
kommt sdir häufig vor.
Von hier fuhrt die Ebene Sheb nach Ain ganz flach. Der
Weg geht parallel mit dem Hochgebirge von Mensa; einige
schwarze baumlose Berge unter dem Namen Wurek trennen
Sheb von Gedged. Die ganze Ebene besteht aus sandigen,
wellenförmigen Dünen, dann und wann von Humusstreifen
unterbrodien, selten von Gersabäumen belebt. In diese todte
Fläche sind isolirt Bergkegel hineingeworfen, unter denen der
Sheb Göneb hervorzuheben ist, da die Strasse links an ihm
vorbeifuhrt. Hier überschreiten wir einen Torrent, der von
Haübo kommt und selten Wasser fuhrt; er hat sich ein wohl
zwölf Fuss tiefes Flussbett ausgewühlt. Die ganze Wüste ist
im Winter von reichhchem Grase bedeckt und von zahlrei-
chen Heerden der Warea und Ganmiaren belebt. Von Göneb
bis Ain ist der Weg steinig und reichlich mit Mimosen be-
wachsen.
12*
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180 "^^^ Rothea Meer.
Ain heisst das Thal, wo sich der Torrent Lebka aas den
Bergen der Habab in's Freie hinaaszwängt, um etwa acht
Stunden davon bei Qabet in's Meer txl- üallen, nachdem er
den Berg Kafr Bläh berührt hat. Hier verlassen wir also die
offene Ebene, um den Windungen des Torrent nadizu*
gehen,
Ain selbst ist von Hügeln ziemlich eingeschlossen; der
Torrent hat das ganze Jahr spärliches fliessendes Wasser.
Die Vegetation ist spärlich, meist hdhes Schilf längs dem
Ufer. Von Bäumen sind ausser Asclepiaden (Oshar) und Ta-
marisken besonders die Gersabäume*) (wohl Salvadora per-
sica) zahlreich.
Von Ain geht die Strasse im Torrent, der durch hohe
kahle Berge eingeengt ist, aufwärts. Nur hie und da treten
sie ein wenig zurück und erlauben die Bildung von kleinen
Uferebenen; so ganz nahe ober Ain Oadrai duqqet, eine
Ebene, die wie alle die Ebenen, die zwischen die steil ab-
gezackten, flächelosen Berge vereinzelt hineingeworfen sind,
von den Az Temariam und auch den Bedjuk £ast jedes Jahr
cultivirt wird und eine schöne Emdte gibt Eine zweite Ufer-
ebene ist Wonber harattib, die wohl hundert Fuss über
*) Die Gersa ist ein kleiner, aber schattenreicher, sehr nützlicher
Baum ; er ist im Samhar, im Lande der Habab und auch im Barka sehr
häufig. Seine Frucht, die von der Grösse einer Eirsdie ist and eigent-
lich einer vollen Kaffeebohne am ähnlichsten sieht, wird von den Be-
duinen, die selten Getreide haben, im Frülyahr eingesammelt und
aufgespeichert. Sie wird in Wasser gekocht uhd so als Beiila (ge-
schweUt) gegessen. Sie ist sehr nährend, aber blähend Mtnd hat wenig-
stens für den Anfänger einen Seifengeschmack. Der Abguss dieser
Bohne gibt erkaltet eine schwarze, pechartige, sehr bittere Brühe ab,
die sogenannte Mararet, die den Schmalz vor Banzigwerden bewahrt.
Die Gersa findet sich auch im Lande der Bogos und im Barka, aber
die Bewohner dieser Länder ziehen ihr die in Baum und Frucht ganz
ähnliche Hamta vor; halb Baum, halb Strauch wird sie selten acht Fuss
hoch; sie bildet die Hauptnahrung dieser Länder; auch sie wird als
Beiila genossen und ist ziemlich schmackhaft.
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Vom Bothed Meer« 181
dem Toserent gelten ist; eiae dritte Azmat Obel. Hier tren-
nen sich die Wege; der eine gewöhnliche Earawanenweg
Terfolgt den bisherigen Torrent; der andere lenkt rechts ab
in einen kleinen Zufluss des Lebka, und fuhrt ihn verlassend
über mnen kuveea Sattel in die Ebenen Aide und Af Abed,
wo die Az Temariam ihre Hauptsitze haben. Diese letztere
Strasse wird in der Regenzeit, wo der grosse Torrent unweg-
sam gemacht ist, auch von den Karawanen benutzt, die von
Af Abed wieder bei Qelamet in den Lebka einbiegen.
Oberhalb Azmat Obel bricht sich der Torrent einen oft
kaum zehn Fuss breiten Weg durch furchtbar steil abfallende
Schieferfelsen über kleine Katarakten, die schwer zu pas-
sh'en sind. Diese Enge heisst mit Recht Aualid Öret (die
Töchter der Unterwelt). Nun wird das Thal freier; es ver-
einigen sich dem Haupttorrente mehrere Torrente; die Aus-
sicht wird offener, nur von kleinen Hügeln beschränkt; links
fallen die Vorberge von Mensa direct auf den Lebka ab,
rdchts dehnt sich eine schiefe Ebene bis zu den Bergen von
Az Tekles, die unser Stromgebiet von dem Anseba trennen.
Die Station Qelamet, wo der Strom sehr breit ist und ober-
flächliches Wasser hat, ist ein Scheidepunkt, da von hier der
Weg nach dem untern Anseba und den Marea rechtsab, die
Bora Az Tekles links lassend, über einen unbedeutenden Sat-
tel zum Anseba von Gedlet fuhrt, an den Fuss von Geridsa.
Die Mareakarawane benutzt diese Strasse.
Oberhalb Qelamet wird der Strom wieder eng und hat
Schnellen; doch finden hie und da hübsche, grasige Uferebe-
nen zwischen dem Torrent und den ihn einschränkenden
Ebenen Platz. Die Steigung wird immer stärker und fuhrt
uns endlich an die eigentliche Quelle des Lebka. Ein Sattel
von etwa vierhundert Fuss Höhe trennt das Gebirge Aggaro
(Mensa) von der Rora Az Tekles und führt auf der andern
Seite etwa sechshundert Fuss tief in das Hügelland von Bedjuk
hinunter, das vom Anseba durchzogen wird; sein Zufluss, der
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182 Yom Bothen Meer.
Drnri, bringt uns in die Ebene Mogarech, an deren imdichem
Ende Keren liegt, am Fuss des Zeban**").
*) Es «oheint uns nidit überflüssig,
der einsefaien
Beisettationen hier speoiell ansugeb^:
Von Massua - 'MkuUu.
Stunde 1. —
— Desset
1. 16.
^ Shakat qcdh
1. aa
— Ambä
2. -
- Mai AuaHd
2. —
— Sheb Göneb
4. 30.
— Ain
3. -
— Asrniat Obel
4. —
— Aualid Öret
1. —
— Mohaber
2. -
— Qelamet
2. 80.
— Qogai
3. 20.
— Höhe Mäs'hÄlit
1. 30.
— (}abena (Anseba)
1. -
— Mohaber Dan
2. 10.
— Dorf One
- 46.
— » Tantaroa
— 30.
— » Eeren
S«
- 15.
«nden
34V4.
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Eeise in's Land der Marea.
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Von Keren nach Halhal.
bo nahe das Land der Marea den Bogos liegt, so war
«8 doch noch nicht von Europäern besucht worden, da wir
bis jetzt nicht über Halhal hinausgekommen waren. Ein Be-
such dieses Gebietes musste schon als terra incognita nicht
-wenig Interesse bieten und bot nebenbei die beste Gelegenheit,,
über das untere Stromgebiet des Anseba sich in's Klare zu
setzen. Während meines langen Aufenthaltes bei den Bogos
war ich trotz meines guten Willens nie dazu gekommen, die-
sen Wunsch zu erfüllen; es ist eine triviale Wahrheit, dass
man auüschiebt, was man sicher in seinen Händen zu haben
glaubt. Nun mahnte mich aber die kurze Zeit, die wir noch
unter den Bogos verbringen sollten, an die Reue, die eine un-
benutzte Gelegenheit mit. Recht verursacht Schon war der
Tag der Abreise bestunmt, als den 23. August mein Freund
Pedjas Imam in Keren einrückte, von seinem Vater Heilu
beauftragt, den Tribut der Niederlande einzutreiben. Natür-
lich musste ich nun die Abrtise hinausschieben, da ein plötz-
liches Fortgehen gewiss nicht meinem wissenschaftlichen Eifer,
sondern bösem Willen zugeschrieben, ja mir als Flucht aus-
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186 'ELeiae in's Land der Marea.
gelegt worden wäre. Mehrere Tage vergingen mit Besuchen;
die alte Freundschaft wurde neu beschworen und zum Beweis
erhielt ich den 27. August ein junges, sehr feuriges, gut ge-
schultes Maulthier zum Geschenk, ^u gleicher Zeit fragte
ich um die Erlaubmss, meine Reise machen zu können. Imam
konnte nicht begreifen, was ich eigentlich da Schönes finden
sollte; doch warf mein Bai dsaraba (Vermittler) Fitorari Sahlu
geschickt ein, es könne schon im Interesse der Regierung
nicht unnütz sein, wenn ein Freund diese unbekannten Gaue
selbst ansehe und studire. Als mir Imam darauf sagte, dass
er auch dahin zu gehen beabsichtige und so meine Gesell-
schaft zu haben hofie, dankte ich ihm natürlich für seine
Freundschaft, erwiodeiHie aber, dasa das Kiiegsgetümmel mei-
nem friedlichen Geschäft nur hinderlich sein könne, da ich
das Vertrauen der Eingebomen nöthig habe. Da ich zu glei-
cher Zeit hörte, dass Imam wirklich einen Verwüstungszug
•beabsiehtige und manche meinten, es scd auf die Marea ab-
gesehen, so musste ich den Strom yorbeilassen, um auch nur
seinen Lauf zu wissen und es schien, als ob mir die Politik
die ganze Reise verderben wollte: denn es ist immer höchst
gefährlich, vor oder nach einer Armee in ein Land zu kc»i^
men, wo man natürlich mit Misstrauen angesehm wird.
Doch hob sich die Ungewissheit schneller, als ich gehofft;
d» 29« Vormittags zog Imam mit tausend bewafiheten Män-
nern von Eeren fort und noch denselben Tag vernahmen wir,
dass der Heerzug, meine Strasse links lassend, den Weg über
den Anseba nach dem Lebka genommen habe. So stand mei-
ner Abreise nichts mehr entgegen. Es fehlte nicht an Ab-
rathenden: die Marea seien ein Volk, dass nie Frankeii ge-
sehen habe, das von Aegypten und zugleich von Abyssiiuen
unabhängig lebe. Die Logik war nicht anzugreifsn; aber ich
setzte mein Vertrauen in das Gast- und Geleitsrecfat, dessen
sich auch die Marea rühm^; das übrige sollte meine Sprach-
und Landeskenntniss thun imd die nie unnütz verschwendeten
guten Worte... Mit Vergnügen nahm. ich Hm. Sohubert's Aa-
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erbieten an, mich auf dieser Reise zu b^leiteQ.- Mcöuie Vor-t^
bereitungen waren bald gemacht; jeder von uuq 'ritt ein Mf^ul^
tiuer; ein drittes war für unsere Habseligkeiten b^stimmty die
in Mehl für eine Woche, Kaffee und einigen zu Geschenken
bestimmten Spezereien und Glasperlen bestanden. Das Mnu^-
thier ist in Bergländem das nützlichste Lastthier; es t^ägt
vid; aber das Au^>aoken raubt viel Zeit und ist der gene^uen
Distancenberechnung sehr hinderlich. Unser Bett bildete eine
abyssinische braungegerbte Haut; jeder von uns war noch njit
einer Dedce versehen, die' auch als Teppich dienen sollte.
Wir y^:ein£Mhten unserie Habe so viel wie möglich, da wir
als Eingebome reisen und leben wollten. Ich hatte meine
Uhr, die dem Zwecke genügte und einen Femrohrkompass mit
Stock , Geschenk meines unglücklichen Freundes H. Page, das
er mir einen Monat vor seinem Tode in Djedda geschenkt.
Ausser vier neuangeworbenen Dienern, worunter sich auch
Din befand, dw später die Kun&nareise mitmachte, nahm
ich einen Handelsmann von Arkeko, Namens Gaber mit, da
er das Marealand kannte. Die Zahl fünf sollte nicht die
Sicherheit vermehren, aber den guten Anstand, der manche
G^Bkhr verhütet Mehr mitzunehmen schien nicht ^äthlich,
da es bei der heurigen Theure schwer fallen musste, viel
Leute zu ernähren.
So verlieseen wir unser Haus den 30. August Nachmittags
um drei Uhr. Wir wählten den nördlichen Weg, der in lan-
gem Bogen den Lalamba urngsht, um hinter Dobak wieder
in die Sehne, die über Shinare fährt, einzufallen. Da der
letztere Weg gegenwärtig über unbewohntes Land führt m^d
wir über Imam's Bewegimgen sichere Nachrichten einziehen
wollten, nahmen wir den erstem, um bei dem Stamm Az Gaim,
der hinter dem Lalamba angesiedelt ist, zu übernachten. Ein
furchtbarer Platzr^en zwang uns in One unter Dach zu ste-
hen. V<m diesem Dorfe fuhrt der Weg üba: einen toinsen,
aber steinigen und steilen Sattel, der den Lalamba und den
Berg von Tshabb&b verbindet und in das Thal Gabdsi mi den
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188 Reue in's Land der Msrea»
Hütten von Az Gaün fuhi*t. Wir finden hier mehrere Ton
Imam^s Soldaten, die uns erzählen, das Heer sei schon Ton
seinem Raubzuge zurück; es habe die Habab vergeblich bis
Qogai (am Fnss von Mäs'halit) angesucht; Imam selbst lagere
in Wasentet
Wir werden von einem der Häuptlinge, Idris Weld Nur-
eddin, gut empfangen; da der Stamm proYisorisch in Matten*
zelten lagert, ziehen wir vor im Freien zu schlafen. Die Az
Gaim wohnten nämlich bis jetzt in Hubub ; da aber zwischen dem
Stamm Az Gultane im Barka und dem Takuestamm Az Kelb
Zwistigkeiten ausgebrochen waren, in Folge derer die letz-
teren einen grossen Raubzug ausgeführt hatten, so schien es
den Az Gaim, die neutral bleiben wollten, nicht räthlich, an
der grossen Strasse zu wohnen; sie verliessen ihr Dorf und
siedelten sich naher bei den Bogos an. Wir erhalten zum
Nachtessen eine Ziege, da Durra nicht zu haben ist
Den 31. August wenden wir uns g^en das nördliche Ende
des Thaies, wo am Abhang des Berges Engelle das alte Dorf
Hubub steht und lenken dann^ den Torrent Shit^o über-
schreitend, in die Strasse von Dobak eia, wo mir eine Adan-
sonia den Anhaltspunkt abgibt, um die ersten Directionen zu
nehmen. Wir lassen zur Linken das Thal Ton Gabei Lugum,
wo über einen Sattel eine Kameeistrasse nach Medjlel führt,
die sich nach einem kurzen aber jähen Abhang mit d^ von
Mogareh kommenden Strasse von Afharom vereinigt. Wir lenken
in das Thal Bab Geng^en, das links vom Hochland Aretta,
rechts von den Abhängen von Halhal und Eres beschränkt
wird. So bildet sich ein grosses vidverzweigtes Thal, das bd
Zeron zum Anseba ausläuft Der Weg iai ganz flach; di»
gut cultivirte Bab Genger^n wird immer enger, bis zum Fuss
des Abhanges, der als Gabei Elos sehr steil zum Hochland
hinauffuhrt. Von der Höhe nehme ich Directionen. Dann senkt
sich das Land wieder etwas; der Kamm bildet die Wasser-
scheide, von welcher südlich alles dem Anseba, nördlich alles
dem Barkä zugeht Vor ims sehen wir die Ebene HalhaV
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Reise in's Land der Maraa. 189
die aUmäUig gegen die Marea hin aufsteigt und rechts von
der etwas erhabenen Terrasse von Eres beschränkt ist; die
Luft ist leicht und kalt; man glaubt sich im abyssinischen
Hochland. Hier begegnet uns der Häuptling von Az Oabdja,
mein alter Bekannter Nussur, der auf die Nachricht, ich sei
seinetwegen gekommen und werde heute sein Gast sein, mit
uns zurückkehrt. Wir gelangen zum Wasser Hindjune, wo
wir uns unter derselben Sykomore lagern, wo ich ein Jahr
▼orher mit Hm. y. Beurmann einen vergnügten Nachmittag
verbrachte. Da die Wolken Regen befurchten lassen, brechen
wir schnell auf und kommen, ein anderes Wasser, Tarakb6,
überschreitend, nach einer halben Stunde zum Dorfe Halhal,
Ansiedlung der Az Gabdja, das auf einem Hügel gelegen die
Ebene beherrscht. Da die Ansiedlung noch jung ist, finden
wir nur ganz kleine Hütten; wir werden in einer derselben
einquartirt und lagern uns auf einem Bett, das mehr als die
Hälfte derselben einnimmt. Nussur bringt uns sogleich eine
Polenta. An Gastfreundlichkeit haben es die Az Gabdja nie
fehlen lassen; leider befinden sich die Heerden im H^and,
sodass keine Milch zu bekommen ist und auch Getreide ist
wenig mehr vorräthig; die grosse Emdte vom letzten Jahr
wurde fSast ganz an die Marea verkauft, die nichts geemdtet
hatten. Die Leute haben mit dem Preis ihre Heerden stark
vermehrt, aber sie sind bis zur neuen Emdte sehr bedrängt.
Wir empfangen viele Besuche von alten Bekannten.
Den 1. September bringt mir Nussur eine Ziege, wovon
idi dem Landesgebrauch gemäss das Brustfleisch und die
Haut dem Geber zurückschicke. Ich gehe auf den kleinen
hinter uns liegenden unfemen Berg One, wo die eben aus
dem Nebel auftauchenden Berge ein schönes Panorama ge-
währen, doch ist die Richtung gegen die Bogos hin von dem
Kanmie von Elos verdeckt. Den Nachmittag haben wir tüch-
tigen Regen.
Den. 2. September nimmt mein Maulthier, das seine alten
Lagerfreunde noch nicht vergessen hat, Reissaus nach Eeren
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im; ich sehidke drei meiner Diener, um es zurüoleiiibi^em
Idi i^oachie ^en Spaziergang nach Sres, von wo man mit
einen schönen Ueberblick ^r Berge gegeai den Anseba ver-
spricht. Der Weg geht an der Quelle der Hindjune vorbei,
wo sie sich einen vielleicht fonfzehn Fnss tiefen Graben aus-
gehöhlt hat, ohne aber einen eigentlichen Sandtorrent su
bilden; von da lassen wir den Weiler Az Tesfei unfern links,
den von Euphorbien bedeckten Hügel Wonber, worauf früher
das Dorf von Az Feda stand, rechts und durchschneiden eine
langsam aufeteigende Ebene, bis sie von einer hohem T^-'
rlisse beschränkt ist, als Fortsetzung des Kammes von Elos:
diess ist Eres, aus Ebenen und Hügeln zusammengesetzt Einem
schmalen Torrent nach steigen wir bis zur Terrasse hinauf;
wir finden viele Steinkreise der frühem Häuser von Az Hesbei,
Az Feit und der letzten Barea, Adjum&i, welche alle jetzt an-
derswo angesiedelt sind. Wir sehen die Fläche mit Weizen,
Gerste Und wdssei' Mashella gut bebaut Der wilde Oliven-
baum ist hier besonders häufig, auch der grosse schattige Ädeda
(in Abyssinien Kaueh, bei den Marea Tembuk genannt), des-
sen schwärzlich und roth gestreiftes Holz in Adua zu Bett-
stellen vei^immert wird. Wir finden auf dem Platz des altes
Dorfes von Az Feit eine schöne Aussicht gegen Süden und
Westen; die von Keren her postirten Thaler und Gebirge lie-
gen ganz denÜich vor uns; auch der B^g von Keren, der
Zeban, ist' deutlidi zu unterscheiden. Abyssinien ist von Wol«
ken verhüllt Die Aussicht gegen die Marea und die Habab
verschliessen die Höhen von Metk^l Ab^t und One, doch ragt
das Gebirge von Dsereh und Agame heraus. Wir finden
also hier wieder den Kamen One, der wahrscheinlich von den
Barea herrührt. Diese letzten Anhöhen s^ien sehr bewaldet
aus; sie wären sehr leicht urbar zu machen, da ihr Boden
wenig schroff ist; mit der Urbarmachung verschwindet die
scheinbare Unebenheit. So wäre auf der Karte angebautes Land
und Wald, zu unterscheiden; das erstere scheint eben, aber
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ReiM 'u's Land der Maa^ 191
ermangelt nicht seiner Unebenheiten; dem letztem gibt der
Banmwnchs das Aussehen von abgeschlossenen Bergen, wäh-»
rend es entwaldet kaum von der Ebene zu trennen wäre;
So bildet Halhal einen wenig .geneigten Kessel, dessen Tiefe
die Wasser von Hindjune und Tarakbe bilden. Der begin-
nende R^en zwingt uns zur Rückkdir; er hält auch den
ganzen Nachmittag an. Die Angelegenheit des Tages ist na-*
türlich der Tribut an Imam. In der Nacht kommt sogar d|e
Nachricht, die Amhara seien im Anzug; doch reducirt sich
die Armee auf einen Boten Imam's, einen Adelichen von Ke-
ren, der in Tributsachen zu den Marea geht. Er erzählt,
Imam habe das Dorf Wasentet (Bedjuk), da es seiner Armee
den Unterhalt verweigert, vollständig ausplündern lassen und
sei dann nach Keren zurückgekehrt; er ermahnt die Leute
von Halhal, schleunigst den Tribut zu entrichten, sonst hätten
sie alles zu befürchten. Sogleich wird auch in meiner Hütte
Rath gehalten; man schickt Boten nach GabeiAlabu, das im
Tribut mit Halhal zusammenhängt. Da sich die Leute nicht
zu entschliessen wissen, kommen sie oft, ohne gerade rebel-
liren zu wollen, in's Unglück. Ackerbauer müssen sich frei-
lich jedem Mächtigen unterwerfen , da der Boden sie festhält,
während die Hirten an nichts gebunden sind. Die Berech-
nung des Tributs liefert mir unerwartet genaue Notizen zur
Landesstatistik.
Den 3. September sehe ich mir die Kirche hinter dem
Dorfe an; sie war ziemlich gross, viereckig, mit flachem Dach;
die Mauern sind noch 2 — 3 Fuss hoch erhalten. Das Thor
befindet sich auf der westlichen Seite; die Altarkapelle ist
noch jetzt an der Scheidemauer erkennbar; die Stützbalken
sind kurz abgebrannt. Die Schieferplatten, die als Glocken
dienten, wie es in Abyssinien der Brauch ist, sind in den
letzten Jahren verschwunden. Die Kirche ist nach abyssini^
scher Weise von christlichen Gräbern umgeben. Ich konnte
mir nicht ohne Schmerz die schönen grünen Hügel und was-
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192 K6uw> in's L>Ad <^er Mare».
serreichen Ebenen, von Weizen und Gerste bedeckt, ansehen^
diese Miniatur des abyssinisclien Hochlandes, und daneben die
zerfEdlene Kirche mit den Gräbern so vieler Generationen;
ich dachte an alle die Stämme^ die nach echt aMkanischer
Weise jeder den andern yerdrängt, ohne selbst ihren Namen
zu hinterlassen; ich dachte der alten Religion, die firüher
allen Bergvölkern dieser Zone eigen war und ohne Hoffnung
auf Rückkehr immer mehr dem Islam Platz macht, der sie
uns immer mehr entfremdet.
Der Aufenthalt zu dieser Zeit kann nicht sehr ange-
nehm genannt werden; die Nächte verbittern unzählige Flöhe
und Wanzen, den Tag die kleinen und grossen Fliegen. Die
Ratten zerfressen all unser Gepäck und keine schützende
Katze ist sichtbar. Termiten sind hingegen selten. Unsere
Maulthiere besonders verlieren ob der peinigenden Mücken
die Geduld. Hier lässt sich erst vom December an gut woh-
nen; die Heerden befinden sich deswegen jetzt im Tiefland;
erst in der trocknen Zeit werden sie in^s Dorf gebracht. Auf-
fallend ist die Menge von Skorpionen; man kann fast keinen
Stein aufheben, ohne ein oder zwei Stuck zu finden. Die'
Gräbersteine liefern uns eine schöne Ausbeute an Käfern.
Wild ist in diesem Hochland selten; es finden sich nur die
zwei Antilopenarten Agasen und Sasseha, dann das Wild-
schwein. Auch Vögel sehen wir nur selten, schon wegen
des Mangels an Bäumen. Den Eingebomen kommt das Land
freilich sehr waldig vor, da die bösen Zeiten, wo es brach lag,
der Natur ihr Recht gegeben haben. Wenn die Az Gabdja
so glücklich sind, noch einige Jahre in Frieden hier leben zu
können, so wird das ganze Land wieder ganz kahl und der
Vergleich mit dem Hamasen vollständig werdto. Was hier
besonders erfreut, ist das lebendig hervorquellende nie ver-
siegende Wasser. Was Pflanzen betrifft, so stimmen sie mit
denen von Az Maman, was auf gleiche Höhe schliessen lässt;
am Wasser finden sich fast nur Feigenbäume, besonders der
liochländische Daro. Hyänen fehlen nicht, aber sie scheinen
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Reise in's Land der Marea. 193
sehr feig zu sein, da man unsern Maulthieren erlaubt, im
Freien zu übernachten. Das Dorf scheint sehr klein, da die
ganz winzigen provisorischen Hütten eng zusammengedrängt
sind; man geizt mit dem theuren Boden, soviel man kann,
selbst für die Gräber, die eng aneinander liegen. Man sieht
noch Spuren von viereckigen Steinhäusern, nach Art des
Hamasen, woher die Takue stanunen. Seit Keren haben wir
wenig Wind; erst im October kommt der Nord und vertreibt
den Regen und die bösen Fliegen.
Den 4. September mache ich der alten Kirche noch einen
Besuch. Der Priester soll noch leben; er ist ein alter kin-
derloser Manu, der mit den Heerden herumzieht; er ist fast
einzig seiner Religion treu geblieben. Wenn auch fast das
ganze Dorf mohanmiedanisch ist, so finden sich doch noch
viele christliche Erinnerungen und Gebräuche. Die alten
Festtage werden noch geheiligt; Mariam geniesst immer der
alten Ehrfurcht. Dem Ackerbauer steht das Christenthum
besser an, als die nomadische Araber -Religion.
Im Laufe des Morgens bringen meine Leute endlich mein
Maulthier zurück, das nur mit Noth eingefangen werden
konnte; es hatte sich wieder im Lager Imam's zu seinem
alten Kameraden, einem Pferde, gesellt. Es ist auffallend,
dass die Maulthiere eine ungemeine Zuneigung zu den Pfer-
den haben, die aber von diesen gar nicht erwiedert wird.
Sie haben ein sehr gutes Ortsgedächtniss und vergessen einen
einmal betretenen Weg jahrelang nicht. Mit meinen Leuten
zusammen konmit ein Soldat Imam^s, der zur Zeit, al^ Ubi4
das Dorf Halhal verwüstete, von dessen Soldaten nach Abys-
sinien entführt wurde; seitdem ist er ein Mann geworden
und bei Imam recht gut angesehen; nach sechzehnjähriger
Abwesenheit wurde er im Lager bei Keren von seinen Ver-
wandten wiedererkannt und kommt jetzt auf Besuch. Er
wird unter Freudengeschrei in's Dorf geführt, mit Ziegenblut
gewaschen und verhüllt in seiner Mutter Haus gefuhrt. Doch
scheint der Civilisirte wenig Geschmack zu finden an seiner
Mansinger, Ostofrik. Stadien. 13
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194 Reise in's Land der Marea.
neaierworbenen Verwandtschaft; et hält sich zu uns, wo er
(loch Amharisch reden kann.
Da nun nichts mehr der Weiterreise entgegensteht, be-
stimme ich sie auf den" folgenden Tag und fordere Nnssur
auf, mir bis zu den rothen Marea das Geleit zu geben.
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Ueber die Beit Takue.
Da die Ebene Halhal als Stammsitz der Beit Takue zu
betrachten ist, so scheint es zweckmässig, einige Bemerkungen
über dieses Volk hier einzuschalten. Da die Beit Takue ganz
wie die Bogos einer aristokratischen Stammverfassung sich
erfreuen, so müssen wir in der Anmerkung*) den Stammbauni
*) StammtafeL
Takue.
Basira Bfioa.
•I
Obrahom.
Segi. Fetroi. Umbarek. Gebre Cristos.
I
Hetbei Teafai Maman. Amit. Emir. Framhak.
Makerios.
I
Girgis.:
Jakob.
Oab^ja. TihafEk
Belenei.
Feda.
.k
Feit Tesfa fiaxmes. Oaim.
iGir
I
Jakob.
AqbaÖirgis. Harauie.
Itel. Abib.
Bei et. Asfedai.
Azoz. Monos.
KeH).
I I
Gebre Cristos. Hamid.
Hassama. Bomnet.
iker.
Nureddin. Shul
Idris. Mohammed.
I
Gabash.
I
Gebre Cristos.
l
Feit
Hattai.
I
Ada.
Tedros.
Takrorai.
Hassama.
Nuflsur.'
Die mit fetter Schrifl gedruckten Namen sind alles noch bestehende
Familien.
13*
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136 Reise in's Land der Marea.
der herrschenden Geschlechter geben, wie ihn der Familien-
stolz im Andenken behalten hat. Natürlicherweise erwähnen
wir nur die Hauptlinien. Wir finden also dreizehn Genera-
tionen bis zum Stammvater des Volkes, dem er seinen Namen
gegeben hat; Belen nennt man die Takue auch uneigentlich
nach ihrer Sprache. Dass die Takue von den Gümmegan im Ha-
masen abstammen, wird von niemandem bezweifelt; noch jetzt
werden sie von den letztem als Verwandte anerkannt und
man zeigt bei Az Teklesan ihnen gehörige Grundstücke, die
bei der Abwesenheit der Eigenthümer brach gelassen werden.
Die Takue sind also ein Zweig der grossen Familie Beit Ato-
shim, die das Hamasen beherrscht und grösstentheils auch
bewohnt. Die Ueberlieferung nennt als den ersten Einwanderer
von Abyssinien Samra Dsion, Takue's Sohn. Er soll (also
etwa vor 300 Jahren) zusammen mit seinen Verwandten Bidel
und Ze/u den Abhang von Af Gula hinab über Shütel an den
Fuss des Debre Säle gekommen sein, wo sie zusammen in
Hömmeret Goila ein Dorf gründeten ; man erzählt sogar, ihre
Kirche habe bei Af Sabr (unweit Adarte) gestanden. Man
weiss nicht, warum sie sich nicht mit ihrer ersten Nieder-
lassung begnügten: sie beschlossen, sich einen besseren Wohn-
sitz zu suchen und schickten Kundschafter in das benachbarte
Hochland. Der eine lernte den Debre Säle kennen, der zweite
Halhal, der dritte Ere. Jeder lobte seinen Fund und da
keiner nachgeben wollte, kam es zur Trennung: Bidel nahm
den Debre Säle in Besitz, wo noch Spuren seiner Dörfer und
Kirchen vorhanden sind; Zei^u wandte sich nach Ere, von wo
seine Nachkommen von den Marea verdrängt worden sind;
Samra Dsion kam nach HalhaL Indem wir später auf die
beiden Gefährten zurückzukommen gedenken, wollen wir jetzt
seine und seines Stammes Schicksale weiterverfolgen.
Die Nachkommen Samra Dsion's sind verktunmert imd aus-
gestorben; ihr Dorf von Mai Auälid besteht nicht mehr, die
Kirche ist zerfallen. Die jetzigen Takue stammen fast alle von
Obrahom^s Söhnen, wovon die bedeutendsten Gebre Gristos und
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Beise in's Land der Marea. 197
Blakerios wurden : die andern Zweige schliessen sich ihnen an
und leben mit ihnen zusammen. Nun aber kamen bei der
Einwimderung auch Tigre oder Unterworfene mit; mit Samra
Dsion kamen die Dsauen; mit Obrahom sollen aber sieben
Männer gekommen sein, Namens Dsarui, Dengenei, Legenei,
Sakrenei, Hamasenei, Garai, Kasenei, deren Nachkommen
sich nach diesen Namen in ebenso viele Stämme scheiden;
sie sind aber wohl alle eher Ursprungs-, denn Eigennamen,
was bei Kasenei (Mann von Käsen, einem Dorf im Kameshim)
und bei Hamasenei deutlich hervortritt.
Was nun die Barea betrifft, so muss man sie als die alten
Einwohner des Landes anerkennen; auch die Ortsnamen deuten
darauf, wie z. B. Aretta. Wie gesagt, finden sich bei der
Einwanderung nur spärliche Reste; der grösste Theil des
Volkes sei schon früher freiwillig in ihre jetzigen Wohnsitze
ausgewandert. Das Land am Anseba theilten damals Beit
Mushe und oberhalb die Qaqin. Die Gengeren besassen Bab
Gengeren und Aretta; sie bestehen noch immer; wir werden
auf sie zurückkommen. Wer die jetzt ganz ausgestorbenen
Beit Mushe seien, ist schwer zu entscheiden, sie hatten ihren
Hauptsitz in Saraua, wo jetzt Az Feit wohnen. Die Takue
behaupten, sie hätten von ihnen ihre jetzige Sprache ange-
nommen; demnach wären die Beit Mushe den Bogos verwandt
und die Takue müssen lange mit ihnen zusammengelebt haben.
Nur so lässt sich erklären, dass die Takue Bolen reden, wäh-
rend ihre Stammsprache äthiopisch ist; so wenig absolut darf
man aus der Sprache auf den Ursprung schliessen; auch hier
würde man sich irreführen lassen, wenn nicht die Tradition
von der Verwandtschaft mit Gümmegan so frisch- und un-
bezweifelt wäre.
Wie wir sahen, waren die ersten Niederlassungen Az Samra
Dsion mit eigener Kirche in Mai Aualid imd Az Obrahom in Hal-
hal mit der heil. Jakobskirche. Als der Stamm für den engen
Baum zu gross wurde, blieben die Gabdja und Tshaffa zusam-
men in Halhal; erstere wohnten um den Nebekbaum (Kosla),
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198 Reise in'a Land der Mares.
letztere um die Sykomore (Darotet), woher der Doppelname
des Dorfes rührt. Die Az Feda aber gründeten ein Dorf in
Wonber mit einer Marienkirche; die Az Feit setzten sich in Eres,
gehörten aber zur Kirche von Wonber. In Folge ron Streitig-
« keiten verliessen die Az Tshaffa Halhal and liessen sich in Gabei
Alabu nieder. Endlich konnten sich auch die Az Gabdfa nicht
mehr behaupten; sie sind erst seit drei Jahren mit den Az Hesbei
wieder dahin zurückgekehrt nach vielen Irrsalen, worauf wir
wieder zurückkommen müssen.
Nun muss ich aber sagen, wie die Takue das Ansebathal
occupirt haben. Tekla Dsion, der älteste von Feda's Söhnen
(etwa vor 140 Jahren), verlässt zuerst das Hochland und lässt
sich in Zeron nieder, wo seine Nachkommen noch leben; Ze/e
und Hassama (vor 100 Jahren) gehen nach Hubub; Bomnet geht
nach Waliko und sein Brudersohn nach Maragas, das er aber
wieder verlassen hat ; die letzten wanderten die Az Feit nach Sa-
raua aus (vor 22 Jahren): Die Erstgebornen von Gebre Cnstos
sind Az Eafii, von Makerios Az Feit; ihre Stammältesten wer-
den noch immer in Eres begraben; eine steinerne Grabkammer
ist ihnen gemeinschaftlich; stirbt der Shum (Häuptling) von
Az Feit, so wird die Erde entfernt, der steinerne Deckel des
Sarges ausgehoben, die alten Knochen zur Seite gelegt, der
Leichnam beigesetzt und über den Deckel Erde geworfen; den
Platz bezeichnen zwei über dem Kopf und Fuss eingerammte,
etwa 4 Fuss hohe Steintafeln.
So wurden die Takue, als es der zahlreichen Familie zu
eng wurde, am Anseba Nachbarn der Bogos; sie scheinen
sich meist nur feindlich mit ihnen berührt zu haben, doch
sind sie jetzt durch gegenseitige Heirathen verschwägert wor-
den. Was ihre nördlichen Nachbarn, die Beit Zer'u, ihre frühem
Verwandten betri£Ft, so führten sie mit ihnen einen beständigen
Krieg; die Beit Zer*'u sollen einmal sogar ihre Feinde in Hal-
hid selbst aufgesucht und es verwüstet haben. Mit Abyssinien
kamen die Takue wenig in Berührung. Man erzählt, ein
gewisser Elos sei mit einem Heer von Hasaga bis Halhal ge-
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Reise iu's Land der Marea. 199
drangen;, von ihm rühre der aWeg des Elos» her; doch
erinnert sich niemand der Zeit dieses Ueber£alles. Erst seit
den letzten zwanzig Jahren mussten auch die Takue die abys-
«nische Uebermacht fühlen. Ubie's Truppen lagerten nach
Terzweifeiter Gegenwehr zum ersten Male 1844 in Halhal; die
Blüthe der Jugend fiel im Heldenkampf; der lange angehäufte
Beichthum des Landes verschwand; nur langsam konnte es
«ich erholen. 1849 wiederholte Ubie seinen Besuch und drang
sogSiX bis Ere; doch rettete sich der grösste Theil des Volkes
durch Flucht. So machte sich Ubie auch hier gefürchtet und
noch wird jeder abyssinische Heerzug, von wem er veranstaltet
sei, kurzweg Ubie getauft. Doch blieb das Land unabhängig,
von Tribut war keine Rede. Als Dedjas Heilu Statthalter
des Hamasen wurde, unterwarf er sich den untern Anseba
langsion und klug; nachdem er sich bei den Bogos festgesetzt
hatte, fing er an auch Az Gaim und Az Keib massig zu be-
steuern; er nannte das für den Anfang freiwillige Gabe. Als
Marit an seine Stelle gesetzt wurde, begnügte er sich (August
1859) mit der seinem Yoi^änger entrichteten Abgabe. Als er
aber im November desselben Jahres gegen Bedjuk zu Feld
zog, nss der Strom auch die Nachbarn in's Verderben: Hubub,
Zeron, Waliko, Saraua wurden von den beutelustigen Amhara
verwüstet, viele Heerden weggetrieben, die halbe Emdte zer-
stört und besonders viele Leute erschlagen. Geschreckt sandten
auch die Bewohner des Hochlandes, die Az Gabc^a und Az Tshaffa
um Frieden und mussten sich dazu verstehen, den ersten
regelmässigen Tribut an Abyssinien zu zahlen. Im Jalu* 1860
zahlten nur die untern Takue Tribut an Imam; 1861 endlich
will derselbe Fürst in die Fussstapfen Marit's eintreten und
es ist vorauszusehen, dass die Takue wie die Bogos ganz
regelmässige Unterthanen Abyssiniens werden müssen.
Wie wir gesehen, waren die Takue Christen mit Kirchen
ihre Priesterfamilie stammt von Az Shehei (vom Hamasen).
Die Islamitisirung hat erst nach Ubie begonnen; die vollstän-
dige Bekehrung datirt erst von 15 Jahren, obgleich es noch
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^00 Heise in's Land der Mareft.
jetzt einzelne Christen gibt. Das islamitische Recht, ist noch
nicht durchgedrungen, obgleich Anklänge nicht fehlen. Wenn
also das Leben noch christlich ist, so steht der Glaube ab
Mohammed doch sehr fest und kann kaum rückgängig g^
macht werden. Das Beten und Fasten wird immer allgemeiner.
Wenn wir nun das Volk der Takue vom Ausland wenig
berührt sahen, finden wir seit alten Zeiten, wie es alle seine
Energie gegen seine eigenen Eingeweide wendet. Die Ge*
schichte besteht aus einer unaufhörlichen Reihe von Familien-
fehden, wo aller Muth und Talent dem Brudermord geweiht
sind. Die fürchterliche Hartnäckigkeit, die bei diesem per*
manenten Bürgerkriege entwickelt wurde, hat das Volk sehr
klein gemacht; nicht zufrieden, mit dem eigenen Schwert zu
mähen, rufen die entzweiten Familien oft auch ausländische
Hülfe herbei und, was besonders auffallend« ist, die dich am
nächsten verwandten Stämme bekämpfen sich am heftigsten.
So dauert die Blutfehde zwischen Az Gabdja und Az Täha&
schon vierzig Jahre; während sie noch in Einem Dorf zusam-
menleben, rufen die Az Tshaffa die rothen Marea zu Hülfe;
einige Jahre später verwüsten dieselben mit Hülfe d^
Marea und der Algeden Az Gabdja in Halhal, wobei di^
Kirche niedergebrannt und der Nebekbaum, der dem Dorf
den Namen gegeben, niedergehauen wird (1836). 1837 stiften
die Az TshaflEa die Az Ali Bachit gegen die untern Takue auf;
doch als die Beni Amer mit reicher Beute beladen den Rück-
zug nach dem Barka antreten, vereinigen sich dieselben Az
Tshaffa mit Az Gabdja und hauen ihre Freunde am Abhang
des Gebirges zusammen. Im Jahre 1838 greifen die Az
Tshaffa im Verein mit den gleichen Az Ali Bachit die Az Gabdja
in Halhal an, werden aber zurückgeschlagen; erst 1843 gelingt
es ihnen, das Dorf Halhal einzuäschern. 1847 vereinigen sich
sonderbarer Weise die Blutfeinde Gabdja und Tshaffa, um im
Bund mit Az Gultane .die Heerden von Az Kelb zu vernichten.
Die Az Gultane wurden erst 1861 für diesen Ueberfidl bestraft;
die Az Kelb überfielen ihr Zeltenlager am Fuss des Delnre
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Reise in^s Land der Marea. 201
Säle, nahmen 25 Heerden weg und tödteten 25 Hirten. Im
Jahr 1850 vereinigen sich die gleichen Stämme wieder und
verwüsten Hubub. Im folgenden Jahre hat die Freundschaft
schon wieder ein Ende : die Leute von Az Tshaffa machen den
Häupfäing von Az Gabdja, den weitberühmten Helden Azuz
Weld Bejet, im Schlafe nieder. Nussur, sein Sohn, flüchtet sich
zu den Az Tekles, verwüstet, von ihnen unterstützt, Az Tshaffis.
und tödtet den Mörder seines Vaters. Dann lässt er sich in
Dobak nieder unter dem Schutz der Bogos, denen er mütter-
Ucherseits verwandt ist. Ich lernte ihn in dieser Zeit kennen
und hatte oft Gelegenhdt, mich auch thatsächlich für ihn zu
interessiren. Er ist kaum 25 Jahre alt, ziemlich schwarz,
mit starkem Bart, fein gebogener Nase, die mit der hohen
Stime &st zusammenläuft; er ist sehr muthig und zeigt jetzt
Auch vielen Verstand. Er hat sich seitdem mit allen Blut-
feinden ausgesöhnt,' er hat sich die Marea durch Verschwä-
gerung zu Freunden gemacht und thut alles, um all das Blut,
das sein Vater vergoss, vergessen zu machen. Er hat, was
hier zu Lande viel heisst, seine vier Brüder zu Freunden ge-
macht, indem er sie bei der Erbtheiluhg sehr grossmüthig be-
handelte. Er ist bei seinem Stamm sehr beliebt und alles
sammelt sich jetzt um ihn in Halhal zu einem grossen, blühen-
den Dorf. Die Az Gabdja haben zwar wenig Unterworfene, die
Bewohner des Dorfes sind also fast alles Brüder von gleichem
Blut und Adel, auf die aber Nussur grossen Einfluss hat.
Zu Europa ist Beit Takue, ohne es zu wissen, in ein ge-
wisses Schutzverhältniss getreten. Die obem Takue, die auch
im Barka Pflanzungen haben, brachten viele Jahre lang dem
Häuptling der Beni Amer jährlich sieben Kameellasten Weizen
als Tribut und erkauften sich damit die Sicherheit für ihre
Heerden und Pflanzimgen im Tiefland. Die Häuptlinge der
untern Takue hingegen hatten sich 1854, das Schicksal der
Bogos fürchtend, förmlich den Türken unterworfen. Als nun
aber die Grossmächte die Bogos vor den ägyptischen Angriffen
sicherstellten, wurden auch die Takue in den Vertrag einge-
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202 Beise in's Land der Marea*
schlössen und hatten seitdem nichts mehr von dieser Seite zu
fürchten. Da sie nun aber, des alten Blutes gedenk, die
Heerden der Az Gultane, .die türkische Unterthanen sind, weg-
geraubt haben, so ist zu erwarten, dass sie der bisherigen
Immunität verlustig gehen und dass die Türken den Begriff
von europäischer Unterthanenschaft nicht so weit treiben
werden, um diese neuen Montenegriner immer in Buhe zu lassen.
Ich hatte bei Abtragung des Tributes Gelegenheit, mich
über die statistischen Verhältnisse von Beit Takue genau zu
erkundigen.
Bevölkerung.
Dörfer: 1) Hubub, provisorisch in Gabdsi, bewohnt
von Az Gaim, mit denen viele Gengeren und Az Tokel
zusammenleben. Häuptlinge sind Hedad Weld Baka
und Idris Weld Nureddin. Erwachsene Männer 350
2) Waliko, bewohnt von Az Kelb mit ihren zahl-
reichen Unterthanen; mit ihnen leben viele Az Tekles
(Habab) als Niedergelassene. Häuptlinge sind Shuker
Weld Bomnet und Dafla Weld Temariam. 500
3) Zeron, bewohnt vonAz TeklaDsion, Häupt-
ling ist Weld Feda. 100
4) Saraua, bewohnt von Az Feit, Häuptling
Takrurai. 200
Im Hochland sind
5) Halhal, bewohnt von Az Gabdja mit an-
deren kleinen Zweigen der Takue; Häuptl. Nussur 300
6) Kaseh, bewohnt von Az Tesfei 100
7) Gabei Alabu, bewohnt von Az Tshaffa mit
vielen Unterthanen und niedergelassenen Marea; Häupt-
ling Asfedai Weld Abib 450
Im Ganzen M. 2000
Rechnet man an Weibern und Kindern drei auf jeden Mann,
80 käme die Bevölkerung auf 8000 Seelen. Man darf sie nicht
nach den Häusern berechnen, da ein grosser Theil derselben
beständig mit den Heerden der Weide nachgeht.
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Heise in's Land der Mareä. 203
Ausser dieser Schätzung hatte ich Gelegenheit, eine genaue
Berechnung der erwachsenen Shmagilli (der Vornehmen, d. h.
der eigentlichen. Nachkommen von Takue) zu machen, deren
Resultat fplgendes ist:
Az Gabdja hat 200 streitbare Shmagilli
Az Tshaffa 250 » »
Az Shum Dähn 30 » »
Az Hesbei 110 » »
Az Tesfei 100 »
Az Kelb und i ^oo »
AzTeklaDsionJ
Az Gaim 30 » »
Gengeren 100 » »
i 400 ^^'ixhlr. 320*) (1859 TMr. 500)
1020
Ich füge eine annähernde XJebersicht der Heerden, der
pflügenden Stierpaare und des Tributs bei.
Heerden. Stierpaare. Tribut (1861).
Halhal und Kaseh 50
Gabei Alabu 100
Hubub 80 100 » 150
WalikoundZeronlTO 180 >> 250
Den Tribut entrichten Tshaflfa und Gabdja zusammen,
letzteres übeminmit ein Drittel. Die Az Feit erkennen sich als
dem Naib unterwürfig an; so konnte ich mir keine Idee von
ihrem Besitzthum machen. Ausser Kühen ist besonders Hubub
reich an Ziegen, viel weniger Waliko; die obem Takue be-
sitzen deren fast gar keine. Die Eintreibung des Tributs ist
für die Häuptlinge eine erwünschte Einnahmequelle; er wird
nach den Jochen berechnet, deren jedes 1 Thlr. zahlt, üeber-
diess werden die Heerden noch extra besteuert; vom Ueber-
schuss werden die laufenden Gemeindeausgaben bestritten,
doch kann sich der Häuptling immer etwas bei Seite legen.
Wir fanden also, dass die eigentlichen Takue etwa die
Hälfte der Bevölkerung ausmachen; das Yerhältniss ist bedeu-
*) Unter Thaler verstehen wir immer den östreichischen Maria-
Th.eresia-Thaler, etwa öV* Frc.
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204 Reise in'a Land der Marea.
tend stärker als bei den Bogos*); während wir bei den Bogos
durch den alten onverkümmerten Landbesitz die frühem
Herren des Landes kennen lernen, sehen wir in den Takne
ein Volk, das entweder in ein £Etst leeres Land jgekomnieii
ist oder die Ureinwohner vernichtet hat: denn der Bodenbesitz
ist in Händen des herrschenden Stammes.
Die meisten Tigre (Unterworfenen) halten ^ich in Waliko
auf, da der Anseba ihren Heerden zusagt. Hier wohnen auch
*)Wir erlauben uns, nach neueren Forschungen eine üebersicht
der statistischen Verhältnisse der Bogos einzuschalten.
Az Zemat, Adeliche und Unterworfene, wohnen in:
Hashala — Qunne — Konfu — Deraq — Habin Mentel — Ge^jfla —
Ealankuilei — Azafa — Guraroch — Tctjarasi.
Az Itekel wohnen in
Degi — Habin Mentel — Mai Goga (Boggu).
Az Hadembes in Eeren.
Az Ebrahe in Gabei Alabu und Ferh^n.
Az Shebot in One und Seti (Boggu). Einzelne in Keren.
Az Idjel in Tantarua und Keren.
Az Bürhano in Faladarib und Tantdrua.
Beit Gabru leben in Keren und mit den Az Shebot.
Die Bevölkerung kann jedenfalls zu 10,000 Seelen berechnet werden,
wovon 1% Muslimin.
Kuhheerden:
One und seine Tigre 50 Heerden.
Bürhano
5
»
Idjel
15
»
Shebot in Keren
5
»
Shebot in Boggu
7
»
Kbrahe
40
»
Hadembes
35
»
Itekel
30
»
iiSemat
123
»
310 Heerden zu 50 Stück a 3 Thk. 46,500 Thlr.
In Geld, Schmuck etc. kann man rechnen wenigstens 10,000 »
Die Ziegen bilden das Vermögen der Unbemittelten; sie
liefern mehr Milch als die Kühe; man kann 1000 H.
annehmen zu 50 St. im Werth von 20 Thlr. 20,000 »
Also mag das Gesammtvermögen betragen 80,000 Thlr.
Also nimmt der höchste Tribut (1000 Thlr.) kaum mehr als 17o- Dabei
sind die Pflugstiere nicht in Betracht gezogen, wovon wenigstens 1200
Paare da sind, die besteuert werden.
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Beiaa in'« Luid der Marea, 205
Tiele Habab vom Stamme Az Tokios ; sie bonehmon sich aber
den Takue gegenüber eher als Herren, denn als niedergelassene
Schützlinge. Mit den obern Takue leben aber viele Marea,
die aber auch in ihrer Heimat tributpflichtig sind. Die er-
widmten Gengor6n sind ihres Ur^runges Thaura; ihre Ver-
wandten loben mit Az Temariam zusammen und vermitteln den
Waarentransport zwischen Eeren tmd Massua. Sie sprechen
Tigre und waren bis auf die Gegenwart Christen. Früher
waren sie auf dem Plateau Aretta angesiedelt. Dann liessen
sie sich in Dobak nieder, von wo sie aber auf nichtige Yor-
wände hin von den Bogos vertrieben wurden. Seitdem leben
sie zerstreut in Hubub und Halhal, nur ein kleiner Theil von
ihnen bewohnt in Duarba am Fuss des Aretta ein eignes Dorf.
Sie werden von den Takue als ebenbürtiger Adel angesehen.
Zu erwähnen haben wir noch die Az Tokel, die in Hubub loben;
der Hexerei beschuldigt, wurden sie von ihrer Heimat Bedjuk
vertrieben und fanden erst nach langem Herumirren gegen
ein Geschenk von 100 Thlr. bei . den Az Gaim Schutz und
Unterkommen. (Vergl. mein Recht der Bogos, pag. 91.)
Die Grenze der Takue gegen die Bogos hin bildet die Berg-
linie (Modakka), die sich von Afharom zum Sattel von Dobak
zieht, dann der Lalamba und seine Verlängerung bis Tshabbab.
Von hier an bildet der Anseba selbst die Grenze gegen die Bedjuk,
denen das rechte Uferland gehört. Von der Enge Saraua an
beginnt das Gebiet der Az Tekles. Gegen die Marea hin bildet
die Grenze der Strom von Kerkeriu. Gegen das Barka ist
die Grenze unbestimmt, da die Abfälle von Melbeb und Tshel-
lema auch von den Marea beansprucht werden. Unter Hafiüei
weiden die Heerden der Takue und der Beni Amor gemein-
schaftlich, wenn auch das eigentliche Gebiet der letztern unter
dem Debre Säle beginnt.
Die Leute von Hubub bepflanzen Gabdsi und die Hoch-
ebene Modakka mit Durra und Bohnen; doch benutzen sie oft
auch die Tiefebene von Mecyiel. Die Leute von Zeron, Wa-
liko und Saraua begnügen sich mit den fruchtbaren Uferebenen
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206 Keisd in's Land der Marea.
links vom Anseba, die selten ihre schöne Erndte verfehlen.
Die Leute von Halhal bebauen die Hochebenen von Halhal
selbst, Mai Aualid, Eres mit Weizen, Gerste, Nuhuk und Ma*
shella woqar. Sie wechseln mit Weizen und Gerste; besonders
die letztere ist sehr schön. Das Land wird in ganz kleine
Streifen vertheilt, sodass jeder ein kleines Feld bekommt; die
Häuser und Gräber sind auf den kleinstmöglichen Raum zu-
sammengedrängt. Kother Pfeffer, Zwiebeln, kurz alles was
Abyssinien hat, würde hier vollkommen gedeihen. Doch ist
das Hochland für die Heerden nicht sehr günstig; in der
Regenzeit sind die Fliegen unausstehlich, im Herbst wird die
Kälte äusserst empfindlich. Das Hochland genügt übrigens
den Bedürfhissen durchaus nicht; die Az Gabdja bebauen zu-
sammen mit den Genger6n das Thal Bab Gengeren; die Az
Tshaffa dagegen benutzen imBarka die Thäler Hafulei und Tshu-
rum bis Hömmeret Goila. Die Hochebene Aretta wird von
den Gengeren bebaut. Die Takue sind sehr eifrige Acker-
bauer, doch pflügen sie nur einmal über die Saat hin; gedüngt
wird theilweise, indem man die Heerden auf dem Feld über-
nachten lässt. Tabak wird wenig gepflanzt, aber viel ge-
raucht; man führt ihn von den Bogos und von Massua ein.
Schnupfen und Kauen wird immer aUgemeiner.
Was nun Sitten imd Rechtsverhältnisse der Takue betrifft,
so fand ich eine bis auf das Kleinste gehende Uebereinstim-
mung mit allem, was ich früher als Recht und Sitten der
Bogos beschrieben habe, sodass jedes dort gesagte Wort auch
hierher passt. Ich war mir schon früher dieser Gleichheit bewusst,
habe sie aber auf dieser Reise bis auf jede Einzelnheit con-
statirt, ein Resultat, das bei der Verschiedenheit der Stämme
auffällt, besonders wenn man berücksichtigt, dass die Habab,
die Marea, die Mensa der gleichen Rechtsprincipien theilhafög
sind, die bei den Bogos herrschenden Sitten und Gebräuche
aber ausser den genannten Völkern auch dem Samhar und
zum Theil auch dem Barka gemeinschaftlich sind.
So dürfen wir nur auf das für die Bogos Gesagte hin-*
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Reise in's Land der Marea. 207
weisen; selbst der Islam hat noch wenig Begriffe umgestaltet.
Wir haben hier nur ganz wenig Ausnahmen zu constatiren.
Wenn wir hier wie bei den Bogos eine ziemlich lose zu-
sammenhängende Aristokratie finden, so müssen wir gestehen,
dass diese letztere bei allem bösen Willen sich viel mehr
schont , während die energischeren Takue sich durch die
ewigen Familienfehden aufreiben. Das Verhältniss des Tigre
ist das gleiche; früher brachte er seinem Herrn Bier, jetzt
entrichtet er ihm eine kleine Abgabe in Getreide und Schmalz.
Yersäumt er seine Pflicht, so wird er zum Dade gemacht,
worauf er mit seiner Nachkommenschaft an seinen Herrn, für
immer gekettet ist. Diese Art beschränkter Leibeigenschaft
kommt übrigens auch bei den Bogos häufig vor. Sonst kann
der Herr seinen Tigre nicht verhindern, sich einen neuen
Herrn zu wählen; aber er hat das Recht, ihm bei seinem
Austritt alle etwaigen Ansprüche ohne allen Beweis aufzählen
2u können. Sklaven besitzen die Takue sehr wenige; der
Ursprung der Sklaverei ist auch hier meist Zahlungsunfähig-
keit. — Der Takue schwört, indem er das Grab eines Kinder-
losen betritt. — Derjenige, der ein fremdes Feld bebaut, ent-
richtet dem Grundbesitzer den dritten Theil der Emdte, was
sich aus dem Mangel an genügendem Land erklärt. — Der
gebundene Haus-, Feld- oder Kuhdieb befreit sich mit Zahlung
von 30 Kühen, einem Kameel und einem Teppich; sonst vrird
er leibeigen. Ehehindemisse finden wir dieselben, wie bei
den Bogos; doch werden sie seit Einführung des Islam für
die mütterlichen- Verwandten nicht mehr streng eingehalten
und es ist vorauszusehen, dass in Kurzem das mohammeda-
nische Ehegesetz das Landrecht ganz verdrängen wird. —
Der Tochtersohn ist mit seiner mütterlichen Familie noch
enger verbunden, als bei den Bogos, da er seinen mütterlichen
Onkel rächen darf; ein Verhältniss, das seine höchste Aus-
bildung bei den Barea und den Bazen erhalten hat. — Die
Frau ist hier insofern besser gestellt, da sie vor dem Ge-
meinderath (Mohäber) auf Scheidung klagen darf. Die Wittwe
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208 Reise in'a Land der Mare«.
trauert für ihren Mann, sei er ein Yomehmer oder ein Ge-»
ringer, ein volles Jahr. — Der Landbesitzer, der sein Grund-
stück verliehen hat, hat das Recht, es das folgende Jahr nach
eigenem Gutdünken zu verwenden. Land wird unter alle
Erben gleichmässig vertheilt. Gefundenes herrenloses Gut
muss der Tigre seinem Herrn bringen, der ihn nach Gut-
dünken dafür belohnt. — Der durch Eid überwiesene Dieb
ist zu dreifacher Rückgabe verbunden. — Der Blutpreis ist
derselbe wie bei den Bogos, er wird ohne Bevorzugung der
nächsten Verwandten an alle Glieder der Familie gleichmässig
vertheilt. Der Preis für einen getödteten Tigre beträgt aber
120 Kühe, wovon die Hälfte seinem Herrn ist Im Blutpreis
werden auch Land und Ziegen angenommen. — Auf ausser-
eheliche Schwängerung steht der volle Blutpreis, den aber der
Gebrauch auf 60 Kühe reducirt hat, nicht wie bei den Bogos,
wo sich der Vater oft sogar mit einer einzigen Kuh versöhnen
lässt. — Ausgeschlagener Zahn oder Auge gilt 10 Kühe. —
Die Takue verstehen sich für ihren getödteten Gast oder
Tigre selten zu Annahme des Blutpreises, während sie sich
für den getödteten Verwandten leicht mit dem Blutgeld ver-
söhnen lassen. Das Gast- und Geleitsrecht ist hier besonders
heilig gehalten; man hat Beispiele, dass der Gast, der im
Dorf seifet jemanden erschlagen hatte, unversehrt nach seiner
Heimat entlassen vnirde. — Wer im Streit mit seinen Ver-
wandten auswandert, dessen Land wird brach gelassen; des-
wegen liegen die Grundstücke der Takue in ihrer alten Hei-
mat bis auf heutige Zeit brach. — Der Kläger führt den
Zeugenbeweis, in dessen Abwesenheit der Angeklagte zum
Entlastungseid berechtigt ist, wie im mohammedanischen
Gesetz. — Das Blut oder die Schuld der Frau übernimmt der
Mann oder der Vater, je mit wem sie gerade lebt
Wir haben sehr wenige Ausnahmen zu constatiren; im
Uebrigen gleicht das Recht dem der Bogos auf das Haar;
das Gleiche gilt von den Sitten und Gebräuchen, die für beide
Völker ganz dieselben sind. Wir haben nur Weniges beizu-
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Heise in's Land der Marea. 209
fügen. Ein am Mittwoch geborenes Kind wurde früher ge-
tödtet, jetzt ist man tolerant geworden. Das Leben der Frau
ist das gleiche; Scheidung und Vielweiberei ist auch hier nur
eine Ausnahme. Die Häuser waren früher viereckige steinerne
Nihiss mit flachem Dach, me sie im Hamasen üblich sind
oder Tuqlo mit steinerner Ringmauer. Jetzt baut man sie
wie bei den Bogos oder lebt in Mattenzelten.
Die Takue sind entschlossener, thätiger als die Bogos; es
fehlt ihnen nicht an Muth; doch wenden sie ihn nur unter-
einander an, während sie mit dem Ausland meist in Frieden
leben. Das verkehrte, falsche Herz haben sie mit den Bogos *
gemein; ihre Freundschaft ist unzuverlässig. — Die Landes-
sprache ist das Bolen, das sie aber sehr eigenthümlich aus-
sprechen und auch grammatikalisch mit dem Tigre vermengen.
Doch wird das Tigre allgemein gesprochen und es ist voraus-
zusehen, dass es bald das Belen ganz verdrängen wird.
Mansinger, Ostafrik. Stadien. 14
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Von Halhal nach Kelbetu.
Donnerstag den 5. September um 9^/4 Uhr Morgens ver-
lassen wir, begleitet von Nussur, das Dorf. Der Weg geht
nordwärts zuerst durch anmuthige Kornfelder, dann wird er
unebener und wir steigen mehrere Hügel auf und ab, die mit
Oliven bewaldet und zuerst von der Querebene Sultane und
dann vom Thal Mai Auälid (Jungfrauenwasser) unterbrochen
sind. Das letztere ist lang und schmal, von Kornfeldern
bedeckt; das Wasser, wo früher das Dorf stand, liegt Y4 St.
rechtsab vom Weg. Von da konmien wir durch einen dichten
Wald zu einem Bach, der sich nicht unfern mit Mai Aualid
verbindet und den Kerkeriu bildet, der in jähem Abgrund
das Gebiet der Halhal und Marea voneinander trennt; so
liegt nur am Abfall von Metkel Abet ein sehr enger Pass
oflfen, der als Beit Höbei (Affenhaus) schon von Weitem durch
eine mächtige Felswand zu unterscheiden ist. Jenseits dieses
Passes kommen wir über mehrere kleinere Berge zu der
wasserscheidenden Höhe und sehen unter uns das grosse Thal
Geridsa als Kessel, den diesseits und jenseits schief in die
Mitte ablaufende Ebenen, hier Melebso, dort Rehi, durch den
Torrent Eig getrennt, bilden. Von dem Kamme führt der Weg
ganz sanft zur ersten Ebene hinab, deren Kornfelder mit zer-
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Reise in's Land der Mareä. 211
streuten Weilern abwechselnd ein erfreuliches Bild gewähren.
In der Tiefe des Kessels überschreiten wir den Torrent Eig,
dessen Thal mit dichtem Wald die zwei Culturebenen trennt,
und steigen die jenseitige Ebene Rehi hinauf, wo wir bei dem
grossen Häuptling der rothen Marea unser Nachtquartier
nehmen in einem Weiler von etwa 20 Mattenzelten. Wir setzen
uns neben einige dem Dorf anliegende Felsblöcke; die ersten,
die zum Willkomm zu uns herauskommen, sind einige hier
angesessene Handelsleute von Dokono (Arkeko). Nach langem
Warten, das die Eingebomen wohl zur Berathung über unser
Kommen verwenden, schickt uns Beri Weld Dafla seine Grüsse;
er wäre selbst gekommen, aber seine Augen seien sehr ange-
griffen; wir möchten hineinkommen. Man führt uns innerhalb
der Umzäunung in ein kleines, aber sehr reinlich gehaltenes
Ablu, das einer alten Sklavin des Häuptlings gehört. Wir
haben wenig Zudrang von Neugierigen; freilich ist das Dorf
sehr klein und wennschon rings herum, so weit das Auge
reicht, Weiler an Weiler zu erblicken sind, so sind sie doch
weit genug voneinander entfernt, um Lärm zu vermeiden
und dem Land einen Anstrich von Einsamkeit zu geben. Das
Aassehen der Ebene versetzt uns ganz in das abyssinische
Hochland; sie ist viel weiter und freier, als Halhal und ebenso
baumlos. Die alte Hausmutter, die scheint es immer die Ein-
quartirung der Gäste besorgt, überlässt uns ihr Bett und
reservirt sich nur einen Winkel in der Hütte; sie wird von
allen mit vieler Achtung behandelt, da sie als alte Haus-
sklavin sich mit der Herrenfamilie fast identificirt. Gewiss
sind gebome Sklaven, die nie die Freiheit gekannt haben,
nicht unglücklich; sie finden ihre Lage natürlich und theilen
Leid und Freud der Familie; wehe denen, die noch die Ehre
der Freiheit kennen.
Den 6. September Morgens früh verabschiedet sich Nussur,
nachdem er uns in den Schutz Beri's übertragen hat; ich
liebe sein offnes Gesicht und Rede, aber nicht seine Bettelei.
Da ich ihm für seine Gastlichkeit und Geleit gegeben, was
14*
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212 Reise in's Land der Marea,
recht ist, erkläre ich ihm oflfen, dass ich aus eigenem Antrieb
zu geben gewöhnt sei und nicht in Folge des danklosen
Betteins, wo die Gabe erzwungen scheint. Ich führe diess an,
um die Grenze der adelichen Gesinnung bei diesen Völkern
anzugeben, anderseits um den Reisenden die gleiche Hand-
lungsweise zu empfelden: dass der Gast, besonders der für
steinreich angesehene Europäer freigebig sein muss, ist keine
Frage; aber eine massige freiwillige Gabe hat mehr Werth,
als grosse'Geschenke, die man sich so zu sagen abzwingen lässt.
Nach Nussur's Abreise ^mache ich dem Häuptling Beri einen
Besuch. Ich finde ihn in einem sehr grossen Mattenzelt; wir
setzen uns auf ein Angareb in der äussern Abtheilung, die
ein Vorhang von dem Frauengemach trennt. Ich kenne Beri
schon vom letzten Jahr, wo er sich in Sachen des Tributs
lange Zeit als Geisel in Keren aufhielt. Er ist ein Sechziger,
obgleich ihn sein Augenübel viel älter scheinen lässt. Er ist
sehr gesprächig; er klagt über das Hungerjahr, über die vielen
Regen Tag und Nacht, die auch dieses Jahr den Getreide-
wuchs verhindern, über das frühe Kommen der abyssinischen
Tributexpedition. Er meint mit Recht, der Tribut sollte erst
nach der Emdte genommen werden. Freilich kennt er die
zweifelhaften Verhältnisse Abyssiniens nicht, wo jeder nimmt,
was er kann, da er des moi^gen Tages nicht sicher ist. Er
erzählt mir viel über die Ursprünge seines Volkes und be-
stätigt seine Verwandtschaft mit den Mensa und Tero'a; er
leugnet bestimmt den abyssinischen Ursprung. Er befragt
mich etwas ängstlich über die Beweggründe meines Besuchs,
obgleich er mich schon gestern hatte vernehmen lassen; ich
erwiedere ihm offen, es habe mich als Nachbar interessirt,
meine Nachbarn Äcfnnen zu lernen; er wisse wohl, dass es
einem Franken nicht einfallen könne, nach ihrer Armuth gierig
zu sein; es sei aber in Europa geehrt, wer viele fremde Völker
besucht habe. Beri fand mich gewiss sehr thöricht; da er
mir aber glaubte, war mir an seiner Meinung wenig gelegen.
Von einem seiner Söhne, einem kleinen recht bescheidenen
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Reise in's Land der Marea. 213
Knaben, geleitet, gehe ich dann nach Balkat, einer felsigen,
nur Va St. fernen Anhöhe, welche die Ebene von Geridsa
gegen Norden abschliesst. Wir haben eine prächtige Aussicht;
gegen S. die ganze Ebene, unter uns der jähe Abgrund von
Darikal und fest westlich der von seinem Winterwasser weiss
glitzernde Anseba, der scheinbar stark fallend aus einer Enge,
welche die Abhänge von One und AzTekles bildet, sich hin-
auszwängt. Uns gegenüber das langgestreckte Hochgebirge
der Habab, das mit uns in gleicher Höhe sich zu halten
scheint. Die Anhöhe von Balkat trug firüher Beri's Dorf, das
sich aber wegen ausgebrochener Pocken und der steten Ueber-
fälle von Leoparden, die sich an Menschenfleisch gewöhnt
hatten, flüchten musste.
In's Dorf zurückgekehrt, hören wir, Dedjas Imam habe
mit Kommen gedroht, wenn man sich nicht mit dem Tribut
beeile; da Beri dazu bereit ist, sendet er Boten zu seinen
vornehmsten Verwandten, um sich darüber zu verständigen.
Abends besucht mich Dafla, Beri's Lieblingssohn, ein hübscher
junger Mann, mit dem ich mich lange über die Landessitten
unterhalte; mit Fragen muss ich immerhin vorsichtig sein, da
wir noch nicht eingewöhnt sind oder, wie das Tigre sagt:
«Wir haben noch nicht den Geruch genommen». Von Gast-
freundlichkeit gibt Beri wenig Proben, um so besser bewirthen
uns die Leute von Arkeko, die uns überall bei den Marea wie
alte Bekannte aufnahmen.
Den 7. September kommen viele Häuptlinge, Beri's Ver-
wandte, hier an, um sich mit ihm über den an Imam zu ent-
richtenden Tribut zu verständigen. Uns ist für morgen das
Geleit versprochen imd wir sind dessen froh; unsere Maul-
thiere sind von den Fliegen so gepeinigt, dass sie nicht mehr
an's Fressen denken können; die Flöhe sind zum Glück weniger
lästig, als zu Halhal. Wir sehen weder Hunde noch Katzen,
dagegen bevölkern ihre Feinde, die Ratten, und die Hyänen
das Land in unglaublicher Zahl; zwanzig Hyänen auf Einem
Platz zu sehen, ist gar nichts Seltenes. Das Wild ist von der
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214 Reise in's Land der Marea.
Cultur verjagt worden, da in der ganzen Ebene kein Fleck
brach da liegt. Der Mangel an Bäumen gibt dem Land ein
kahles Aussehen; es macht den Eindruck, als ob die herben
Herbstwinde alles weggefegt hätten. Die Marea scheinen uns
sehr eifrige Muslimin, aber ihr Leben haben sie noch nicht
dem Glauben angepasst. An Aberglauben fehlt es natürlich
auch nicht. Die paar heitern Tage bringen uns fast in den
Ruf von Regenvertreibern; auch unser vieles Schreiben scheint
manchem Hexerei, da in diesem Lande alles Geschriebene
Koran oder Talisman ist. Selbst Beri, dem es an klarem
Verstand nicht- fehlt, scheint von Aberglauben nicht frei; er
empfiehlt mir sein Maulthier, das heute krank von den Heer-
den hierher gebracht wurde; ich verstehe den Sinn dieser
Empfehlung nur mit Mühe und als ich ihm bedeute, dass
alles in Gottes Hand sei, erwiedert er naiv, es gebe auch aus-
ser Gott Kräfte, die nützen und schaden können. Wir sind
im Ganzen sehr wohl angesehen; die Leute können nur nicht
begreifen, dass wir mit all unserer Gelehrsamkeit Ungläubige
bleiben konnten; es sei eben unsere Bekehrung nicht im Buch
des Schicksals geschrieben, erwiedem wir ihnen.
Den 8. September um 10 Uhr erscheint endlich unser Füh-
rer zu den schwarzen Marea, ein anderer Sohn unseres Wir-
thes, Adam, ein magerer langer Junge von etwa fünfzehn
Jahren; er hatte sich bis jetzt am Anseba bei den Heerden
aufgehalten, aber die Milch hatte bei ihm, scheint es, nicht
angeschlagen. Er sollte also fortan unser Schützer sein und
er konnte es wohl, da nicht sein Arm für unsere Sicherheit
bürgt, sondern der gute Klang seines Namens. Wir brechen
um V2II U^ unter leichtem Regen auf, gehen wohl eine
Stunde lang zwischen kahlen Hügeln auf imd ab, bis gegen-
über dem Berg Henik Hamas; von da kommen wir über ein
tiefes von einem Bach durchflossenes enges Thal zu der jen-
seitigen Fortsetzung der Hügelreihe, die zum Gebirgsabhang
fuhrt; wir finden hier und da sogenannte Shiffr d. h. alte
Heerdenlager , die überreichlich gedüngt, von hohem immer-
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Reise in*8 Land der Marea. 215
grünen Gras üppig bedeckt sind. Am Rand des Gebirges
sehen wir uns gegenüber den Gebirgszug der schwarzen Marea,
durch ein sehr tiefes geräumiges Thal von uns getrennt. Wir
brauchen eine gute halbe Stunde, um den sehr jähen Abhang
hinunterzusteigen und kommen in das Engthal Sor, einen
Zweig des grossen Thaies, das die beiden Rora (Plateaux)
voneinander trennt. Wiederum finden vrir unsern alten Be-
kannten, die Adansonia; überhaupt lässt die Vegetation
schliessen, dass \vir uns ziemlich auf gleicher Höhe mit dem
Anseba bei Daueloch befinden. Wir gelangen dem Torrent
nach, der jetzt fliessend ist, zu einem Heerdenlager von Az
Tesfa Girgis, einem Zweig der rothen Marea; die Umzäunung
befindet sich auf einer kleinen Uferebene. Obgleich es noch früh
ist, satteln sdv ab, um unsere Maulthiere mit der prächtigen
Weide für die Hungertage im Hochland zu entschädigen. Wir
werden sogleich von der ganzen Bevölkerung dieses wandern-
den Dorfes umringt; zum ersten Male haben sie die Gelegen-
heit, sich von der Existenz weisser Menschen zu überzeugen.
Der erste Eindruck ist nicht der günstigste; einerfragt sogar
unsere Leute, ob wir fähig seien, Milch zu trinken; in der
Meinung, er werde von uns nicht verstanden, bemerkt ein
anderer unserem jungen Führer, die schwarzen Marea wür-
den seinem Vater kaum dankbar dafür sein, ihnen solche
Gäste zugeschickt zu haben. Alle zeigen sie ihr Misstrauen
über unsere möglichen Absichten bei diesem unerhörten Be-
such. Doch verändert sich die Scene, als ich mit ihnen in
gut Tigre zu reden anfange; etwas Freigebigkeit öflfnet vol-
lends das Thor der Freundschaft; ein paar Prisen Schnupf-
tabak, die ich unter sie austheile, machen sie alle zu sehr
artigen gesprächigen Leuten, was mir die trivialste Wahrheit,
für die ganze Welt gültig, wieder beweist. Auch die Neugier
ist bald befriedigt und jeder kehrt zu seinem Geschäfte zu-
rück; der eine schnitzt sich mit dem Beil ein hölzernes Kopf-
kissen zurecht; ein anderer hobelt und glättet seinen Krumm-
stock mit einer Glasscherbe ; ein dritter ist sorgfältig bemüht»
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216 Reise in's Land der Marea.
seinem Freund die Haare zu Hechten und dieselben dann
vermittelst schneeweissen Lammfettes einzupudern. Das Aus-
sehen des Thaies gleicht dem des obem Anseba, wozu der
hier vorherrschende auch bei den Bogos so gewöhnliche Wol-
wal mit der Papierrinde viel beiträgt; auch zeigen sich viele
Rieseneuphorbien (Qulqual), Tserga und Tamarindenbäume.
Von Feigenbäumen ist die Tghaqamte sehr häufig; sie gleicht
der Darosykomore im Holz, hat aber längliche Blätter. Affen
zeigen sich in grossen Schaaren. Der JBoden ist wie in dem
Lande der Bogos Granitschutt.
Den 9. September gelangen wir in fast sechsstündigem
Marsch von Sor das ganze Thal überschreitend an den Fuss
des jenseitigen Gebirges. Wir gehen zuerst den Torrent hinab
bis One, wo sich ihm ein Waldbach vereinigt; da das Thal
sehr eng ist, waten wir beständig im Stromwasser. Unter
One wird das Thal freier, die Aussicht offener ; in Hush ver-
lassen wir endlich den nördlichen Sera zueilenden Strom.
Wir haben seit Sor viele Heerdenlager angetroffen. Hush
kann als Thaltiefe augesehen werden. Nun gehen wir über
einige Hügel, die eine lokale Wasserscheide bilden, zum Was-
sergebiet Azmat über; dieses Hügelland ist uns als Kednet
bekannt, Sitz von Az Tshankera, die hier zerstreut in ihren
Feldern leben. Der Baimiwuchs des ganzen Thaies erinnert
an Boggu; die Sonne brennt wie im Barka, woran auch die
Frühreife des Durra mahnt. Freie Aussicht über das Thal
haben wir nur in Kednet. So gelangen wir, einen Zufluss
des Azmat, den Kush, hinaufgehend, der ein breites sandiges
Bett hat, an den Fuss des jenseitigen Gebirges. Wir finden
hier auch Beni Amer, die mit ihren Ziegen von Sera hinauf-
gekommen sind. Meine Leute sind jetzt, wo wir das Gebiet
der schwarzen Marea betreten haben, etwas beängstigt; vor
einem üeberfall schützt uns unser Geleitsmann, aber den
Eintritt in's Land kann man uns immer verbieten. Wir hör-
ten später, dass die schwarzen Marea sich über unsem Besuch
nicht besonders freuten, da sie ihr Land so viel wie mög-
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Beise in's Land der Marea. 217
lieh 7or jedem Fremden zu verbergen suchen; glücklicher-
weise kamen wir im bewohnten Lande an, ohne dass eine
Nachricht uns vorausgeeilt wäre. Wir brechen nach kurzer
Bast auf; der Vogel Wass, zu unserer Rechten pfeifend, ver-
spricht meinen Leuten gute Aufnahme. Von Kush vdrd der
Weg immer enger und steiler, bis zum eigentlichen Fuss des
Berges, den wir zu Fuss hinaufklimmen. Die Steigung ist
durch viele Krümmungen des Weges erleichtert und mag die
Höhe des Halhalabhanges (Elos) haben. Auf dem Kamme an-
gelangt, sehen wir noch einmal auf das jenseitige Geridsa
zurück und durchziehen dann drei von Abgründen vonein-
ander getrennte Culturebenen, Sheliwai, Erota und Kelbetu.
Der dritten Ebene liegt das Dorf unseres gewählten Gastherm
in Felsen versteckt an; wir haben aber auch in den zwei
ersten mehrere Weiler passirt, deren Bewohner uns wahr-
scheinlich für Abkömmlinge des Propheten halten; sie begrüs-
sen uns mit vieler Ehrfurcht und wünschen ihrem Lande zu
unserer heiligen Gegenwart Glück. Wir steigen mitten im
Dorfe ab und setzen uns, bevor man nur unsem Besuch
ahnen konnte; so sind wir auf eigene Faust hin des Gast-
rechts theilhaftig. Der Empfang ist sehr feierlich; der Häupt-
ling, Ab Bakita zubenannt (Glücksvater), eigentlich 'Ezaz Weld
Mussa, kommt mit grossem Geleit aus seinem Haus auf uns
zu; er ist ziemlich lang und schwarz; mit dem jungen Ge-
sicht, dem frischen lebendigen Auge contrastirt seltsam der
graue Bart; der Vorderkopf ist etwas kahl, die Hinterhaare
schwärzlich, die Nase etwas gebogen. Er trägt ein weites
farbiges Kleid, wie sie in Kassala gewoben werden; seine Be-
gleiter tragen alle das Schwert auf der linken Schulter. Er
bittet meinen Begleiter Gabir, den er kennt, mich zu bewill-
kommnen. Mögt Ihr mit Glück und Frieden gekonmien sein,
ruft er uns zu. Mögt Ihr uns mit Glück und Frieden er-
wartet haben, erwiedere ich. Daraufhin gibt er Befehl, unsere
Effecten in's Dorf, zu tragen und fuhrt uns in ein hübsches,
ganz geräumiges Haus. Abends habe ich eine lange Unter-
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218 Reise in^s Land der Marea.
haltung mit Ab Bakita; da er meinen Besuch mit den Be-
wegungen Imam's in Verbindung zu bringen sucht, habe ich
ziemlich viel Mühe, ihn von meinen lautem Beweggründen zu
überzeugen. Wir finden auch hier Hand^eute von Dokono,
die sich sehr gefällig zeigen und mir als Cicerone dienen,
was mir sehr lieb ist, da ich mit meinen Fragen die Ein-
gebornen nicht misstrauisck machen will.
Sie begleiten mich den 10. September auf den dem Dorfe
gegenüberliegenden Debr Kuddus (heiliger Berg), auf dessen
Rücken Spuren alter Wohnungen sichtbar sind. Von seiner
Spitze aus kann ich mir einen klaren Begriff von der Form
des Marealandes machen, eines durch Schluchten in eine
Menge kleiner Ebenen zertheilten Plateau. Der Wald fehlt;
nur die Abgründe sind bewaldet, während die Ebenen kahl
daliegen. Bei Kelbetu gibt es noch viel Euphorbien (Qulqual),
aber keine Oliven mehr. Die Fliegen und die Flöhe sind ganz
verschwunden; die Luft ist viel wärmer, als in Geridsa. Alle
diese Umstände überzeugen uns, dass wir ziemlich viel tiefer
uns befinden. Das Dorf Kelbetu selbst ist von allen Seiten von
Feldern umgeben, die durch Felsen und Wald malerisch un-
terbrochen sind. Nach meiner Rückkehr bringt mir Ab Bakita
eine fette Ziege ; überdiess versieht er uns jeden Morgen und
Abend mit Milch und Brod. Der Tag vergeht mit sehr lehr-
reichen Gesprächen mit den Eingebomen, die sich sehr ehr-
erbietig gegen uns betragen ; unter den Besuchenden ist auch
Mohammed Weld 'Abbi, ein Vornehmer von Az Tekles, dessen
Bruder mir seit längerer Zeit befreundet ist. Er gibt mir
vrichtige Aufschlüsse über die Geographie des untern Anseba.
Den 11. September brechen wir um halb elf Uhr von den
Dokono begleitet auf, um Fat zu besuchen, einen felsigen
Berg, der vom südwestlichen Ende des Plateau auf das Tief-
land des Barka direct hinabschaut. An einem nie vertrock-
nenden Teiche vorbei kommen vnr über eine von Hügeln und
Abhängen unterbrochene Ebene zu einem wild über Felsgeröll
hinbrausenden Strom, der den* Fuss des Felsberges netzend^
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Beise in'a Land- der Marea. 219
die ihm vorliegende Ebene gleichen Namens durchzieht und
dann in's Barka hinunterfällt. Der Berg selbst besteht aus
einem ungeheuren sehr hohen Felsthurm, der an seiner Basis
von gewaltigen Felsblöcken umringt ist, die ordnungslos über-
einander gefallen eine Unzahl von HÖUen und Schachten bil-
den. Die alten Einwohner, welche die Wichtigkeit dieser
Stätte als Zuflucht in bedrängten Zeiten einsahen, hatten ihr
Dorf am Fuss des Berges über dem Strom errichtet und hal-
fen der Natur einigermassen nach, um sich zu befestigen.
Den Pass gegen Norden verwehrten sie mit einer starken
Mauer ohne Cement, deren Reste noch drei Fuss hoch stehen.
Das Thor bildeten zwei mit der Mauer verbundene Fekblöcke.
Es finden sich im Innern dieser Befestigung mehrere mit dem
Meissel ausgehöhlte Felsblöcke; darunter ist besonders ein
ziemlich kleiner bemerkenswerth, da er im Innern ganz aus-
gehöhlt ist und nur eine ganz enge OeflEnung hat; im Iniiem
fanden sich Knochensplitter, sodass diese Höhle als eine
Todtenkammer zu betrachten ist; sie gleicht im Aussehen ganz
der auf Debre Sina bei Mensa noch benutzten Todtenhöhle.
Eine andere ähnliche Höhle konnten wir mit allem Suchen
nicht finden, obgleich die Dokono sie fiiniher gesehen zu ha-
ben versicherten. Wir sehen auch ein zwölf Fuss langes und
drei Fuss breites Grab, zwxi Fuss erhaben über dem Boden
von sehr regelmässigen Steinen winkelrecht gebaut; es war
wahrscheinlich früher viel höher, da viele ähnliche Steine
zwecklos herumliegen. Senkrecht dazu liegt ganz in der Nähe
ein ganz regelmässig viereckiger, sechs Ellen langer, einen Fuss
breiter Stein, der einen Fuss hoch frei auf der Erde liegt; es
ist uns aber unmöglich, ihn von der Stelle zu rücken; er
scheint auch zu einem Grabe zu gehören. Wir finden femer
viele Spuren runder Steinhäuser. Die herumliegenden Steine
sind alle so regelmässig, dass sie behauen oder wenigstens
zu dem Zweck sorgfältig ausgesucht sein müssen. Nachdem
wir so der Menschen Werk besichtigt, besuchen wir die durch
die Felsblöcke gebildeten unterirdischen Kammern. Wir zün-
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220 ILeiee in's Land der Marcs.
den eine Kerze an und steigen Schachte auf und ab, die
meist miteinander in Verbindung stehen und in der Tiefe
oft sehr geräumig sind. Wir finden Ueberreste von Thonge-
fässen, die noch vor Kurzem unversehrt gewesen sein sollen.
Aus den Abgründen, welche die Blöcke untereinander bilden,
wachsen ungeheure Bäume gerade zum Himmel empor. Wir
besichtigen eine Menge von Höhlen und klimmen sehr steile
glatte Schachte auf und ab; doch finden wir keine Zeichen
menschlicher Kunst. Der ganze Berg hat dieselbe Beschaf-
fenheit; vor zwei Jahren, als man einen Einfall von Marit's
Truppen befürchtete, hatten sich die Handelsleute von Dokono
mit ihren Habseligkeiten für einen ganzen Monat hierher ge-
flüchtet. Auf dem Gipfel, behaupten die Eingebomen, wohnt
ein böser Geist, dessen Anblick Menschen und Vieh tödtet.
Wir bestiegen ihn nicht, weil der bedeckte Himmel wenig Aus-
sicht versprach. Es ist unzweifelhaft, dass es nicht die Marea
waren, die sich diese Zufluchtstätte bereiteten; die freilich
rohe Kunst verräth eine Cultur, die von den jetzigen Be-
wohnern nicht erreicht wird; sie denken nie daran, der Natur
irgendwie nachzuhelfen. Doch konnten wir darüber nichts
Sicheres erfahren. Immerhin kamen wir etwas.* enttäuscht zu-
rück, da ich gehofiFt, Inschriften zu finden, aber durchaus
nicht unzufrieden; schon der Anblick des Felsenmeeres mit
der ihm entsteigenden Felsenburg und der es umgebenden
Wildniss bot einen erfreulichen Contrast zu der Einförmigkeit
der Culturebenen.
Wir hätten jetzt grosse Lust gehabt, noch einige Tage-
reisen weit dem Anseba nachzugehen; aber wir wussten nicht,
wie bald die Expedition von Keren aufisubrechen gedenke.
So stellten wir unsere Abreise auf den folgenden Tag fest.
Die übrige Zeit benutzte ich noch, um meine geographischen
Kenntnisse zu vergenauem. Ab Bakita brachte mir noch ex-
press mehrere Zeugen über den Lauf des Anseba und seinen
Zusammenfluss mit dem Barka, die meisten Leute vom Barka,
die oft bis To'ker gekommen waren. Sa konnte ich die Reise^
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Beise in's Land der Marea. 221
als nicht ungelungen betrachten, da sie zu einem klaren Be-
griff des Fluss- und Bergsystems der Marea mich führte.
Ethnographisch erhielt ich nicht unwichtige Aufechlüsse. Alle
diese Resultate sind in andern Abschnitten dargestellt. Kel-
betu selbst hinterliess mir einen sehr freundlichen Eindruck;
schon das nähere Zusammenwohnen zeichnet es vortheilhaft
vor dem einsamen Rehi aus. Die dem Dorf anliegende Fel-
sengruppe bot auch Jagdgelegenheit, indem sie von zahlreichen
Wildschweinen, Hyänen und Tshuanbesa bewohnt ist. In drei
Tagen waren wir wie alte Freunde geworden; der Häuptling
und seine Leute wetteiferten in Gefälligkeit. Ich gab zum
Abschied einige kleine mit Dank empfangene Geschenke; be-
sondere Freude hatte Ab Bakita an einem Rasirmesser, das
für das Haupt seines jüngsten Sohnes bestimmt war; mit vie-
lem Nachdruck bat er mich, die Gabe zu segnen, damit sie
das Haupt, das es berühre, glücklich machen möge. Um
Mittag brachen wir auf, von allen Vornehmen und Geringen
zum Dorf hinausbegleitet. Noch einmal empfiehlt sich Ab
Bakita meiner Freundschaft für alle Zeiten und bittet mich,
ihre Sache bei den abyssinischen Fürsten zu vertreten. Einer
seiner Söhne und ein Bruderssohn sollen uns an die Grenze
der Beit Takue begleiten; den Rückweg wählen wir über Ere.
Mit beiderseits wohlgemeinten Wünschen trennen vrir uns.
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lieber das Volk der Marea.
Da bei den aristokratischen Völkern, die wir bis jetzt am
Flussgebiet des Anseba kennen gelernt, der Begriflf von (Je-
meinde und Familie zusammenfällt, sodass gewöhnlich jede
Familie mit ihren Schutzbefohlenen ihren eigenen Wohnsitz
innehält und die Bevölkerung nicht nach Köpfen gezählt wird,
sondern nach engem und weitem Familien, so haben wir nie
verschmäht, die Stammbäume der uns bekannten Völker mit-
zutheilen, da daraus nur der Stammzusammenhang begreiflich
wird und auch bei den Marea folgen wir der gleichen Me-
thode. Es ist keine Frage, dass eine solche Stammverstei-
nerung, wo jedes Individuum nur als Glied des Familienrin-
ges seine Bedeutung hat , wo jedes Kind seiner Verwandtschaft
und Genealogie sich bewusst ist, nur bei sehr isolirten Völ-
kern sich bilden kann, bei Völkern, die von Verkehr und
Handel -wenig berührt werden.
Nun reicht aber der Stammbaum selten über fünfzehn Ge-
nerationen hinaus, aus dem einfachen Grunde, weil er, je
weiter zurück er geht, um so weniger politische Bedeutung
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Reise in's Land der Marea. 223
hat; denn über sieben Grade hinaus reicht die eigentliche
Blutsverwandtschaft nicht; die noch weiter liegende Verwandt-
schaft begründet zwar ein Gefühl der Zusammengehörigkeit,
entbehrt aber aller politischen oder rechtlichen Folgen. Es
wäre also mit der Geschichte eines Volkes schlecht bestellt,
dessen Genealogie auf höchstens 350 Jahre zurückfuhrt. An
ihre Stelle tritt eine Tradition, die mit Vorsicht gebraucht
nicht ganz werthlos ist; denn es wird sich bald herausstellen,
ob sie mit der Tradition der benachbarten oder verwandten
Völker übereinstimme. Die letzte Instanz w^re freilich die
Sprache, aber sie erlaubt wohl entscheidende Schlüsse auf
grössere Völker, aber nicht auf kleine Stämme, die meist
von einer einzigen oder von ganz wenigen Personen abstam-
men. Während ein. ganzes Volk ungern seine Sprache auf-
gibt, kann das ein kleiner zwischen fremdredende grosse Völ-
ker eingedrängter Stamm wohl thun und am leichtesten kön-
nen es seine Stammväter, die, in geringer Zahl eingewan-
dert, sich neben den Ureinwohnern des Landes niederlassen
und erst nach und nach zu einem selbstständigen Volke an-
wachsen.
Deswegen finden wir die Takue im Gebrauch des Belen,
trotz ihrer äthiopischen Abstammung, weil ihre Stammväter,
als sie noch wenige waren, sich an ein Belen redendes Volk
anlehnen mussten; eben deswegen sind sie jetzt auf dem
Punkte, diese Sprache gegen das Tigre zu vertauschen, weil
sie von Tigre redenden Völkern umringt sind. Im Barka
selbst haben gewiss das Tigre und das To'bedauie seit langer
Zeit nebeneinander bestanden und bezeichnen zwei grundver-
schiedene Völker; aber damit ist gar nicht gesagt, dass die
jetzige Sprachvertheilung sich genau an die Volksursprünge
halte; der Zufedl hat eher hier das To'bedauie, dort das
Chassie überwiegen lassen; sonst könnte man sich nicht er-
klären, dass der herrschende Stamm, die Nebtab, im Barka
meist To' bedauie, im Söhel aber Chassie sprechen. Je grös-
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224 Reise in*8 Land der Marea.
ser freilich ein Volk wird, um so schwerer wird sich seine
"Sprache verändern.
Nach Sitten und Recht die Volksursprünge zu bestimmen,
ist noch viel schwieriger; denn die Bogos, Takue, Mensa, Ha-
bab und die Bewohner des Saml^ar stimmen in den wichtigsten
Punkten vollkommen überein, obgleich sie historisch genom-
men einander gar nicht verwandt sind. Da wir nun aber
genau wissen, dass alle diese Stämme in nicht ferner Zeit
von sehr verschiedenen Gegenden in ganz kleiner Zahl einge-
wandert sind und die Ureinwohner dieses Landes ersetzt oder*
unterjocht haben, so liegt der Schluss nahe, dass die früheren
Einwohner eine gewisse Zusammengehörigkeit hatten und
gemeinsames Recht und Sitten; dass die neuen Einwanderer
sich dem gebotenen Gebrauch der Majorität fügten und dass
sie dieses adoptirte Recht erst, als sie die Uebermacht er-
langten, aristokratisch umgestalteten. Dass sie es trotz des
ungleichartigen Ursprungs ziemlich gleichmässig bilden, ist
leicht erklärlich aus dem Zustande einer einzigen fremden
Familie, einer Minorität gegenüber der im Land einheimischen
Majorität, die zum festen aristokratischen Zusammenhalten
zwingt.
Freilich erzählen alle diese Völker ihre Geschichte auf eine
Art, dass man meinen möchte, sie seien von ewigen Zeiten
her der Adel gewesen. Dem widerspricht aber, dass sie sich
selber von wenigen Einwanderern herleiten. Denn klar ist,
dass ein paar Fremde, die in ein bevölkertes Land kommen,
nicht ohne Weiteres sich seiner Herrschaft bemächtigen kön-
nen; sie müssen lange Zeit mit Duldung zufrieden sein, bis
sie sich endlich genug vermehrt haben, um selbstständig auf-
treten zu können. Deswegen sind die Ursprünge dieser Völ-
ker sehr in's Dunkel gehüllt, weil unbedeutende Anfänge
zu wenig Aufsehen machen, um der Erinnerung würdig ge-
halten zu werden.
Mit diesen Vorbehalten wollen wir den Ursprung der Marea
erzählen, wie ihn die Tradition aufbewahrt hat.
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Reise in^s Land der Marea. 225
Wie sich aus der Anmerkung*) ergibt, kann man bis
auf Mariu, der als Stammvater des Volkes gilt, zwanzig Ge-
nerationen rechnen; die Besitznahme des Landes fiele also in
die Mitte des 14. Jahrhunderts. Dass dieser Termin nicht zu
weit hinauf verlegt sei, wird durch zwei Umstände bewiesen:
1) Erinnern sich die Marea nur dunkel ihrer Einwan-
derung und der ersten Zeit ihres Aufenthaltes, was auf alte
Zeiten zurückweist;
2) gibt es bei ihnen wenig Spuren von Ureinwohnern,
was man sich nur aus der langen Dauer der Herrschaft er-
klären kann.
Von Mariu schreiben sich nun eine Menge von Familien
her, von denen aber nur die Söhne Shum Reti's hervorzu-
heben sind und zwar nur die vier erwähnten, deren Nach-
kommen heutigen Tages den wichtigsten und herrschenden
Theil des Volkes bilden. Die andern schwächern Zweige leh-
nen sich an diese vier Hauptstämme an, ohne darum des
*) Stammtafel der Harea.
Maria. — Dann zwei Namen vergessen. — Matluq. — Seberdem. —
Inkisem. — Jakob. — 'Azuz. — Mikal. — Reti. — Tedros. — 'Azuz. —
Shum Reti.
Shum Reti
hat zehn Söhne, wovon die becfeutendsten
von seiner ersten Frau von seiner zweiten Frau
(schwarze Marea). (rothe Marea).
8ham TembeUö. Tshankera. Ato Byrhan. Girgis.
I I I
Bhum ICahmad. Idjel. Ashhad
I I I
Mkam HtfmuMcL Gerenai. Daila.
Shum TTknt. Mussa. Beri.
Shum Idjel. Sham Nor. *Ezaz Ab Bakita. Abu Bekr.
I (65 Jahr alt). (45 Jahr alt).
Ibrahim.
(40 Jahr alt).
Die Ausgezeichneten sind die Stammfursten (Shum).
Mnnzinger, Ostafiik. Studien. 15
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226 Reise in's Land der Marea.
Adels verlustig gegangen zu sein; das Machtverhältniss scheint
auch nicht immer das heutige gewesen zu sein, da gerade
diese schwachen verkommenen Zweige viel Grundbesitz haben^
was auf ihre frühere Bedeutung hinweist; so besitzen z. B.
die Aterbat, die fast ausgestorben sind, noch jetzt den Berg
Melbeb.
Die Tradition behauptet, die Marea seien von Arabien
eingewandert, sie seien Qoreishiten, Kinder Abu GaheVs, des
Onkels und Feindes des Propheten. Nach seinem Tode, er-
zählt man , fuhren Abu Gahel's Kinder über das Rothe Meer
nach Buri (an der Bucht von Hanfila); von da verbreiteten
sie sich landein: ein Zweig blieb in Samhar und bildete den
Stamm Hazo, der noch existirt; ein zweiter setzte sich als
Tero'a an den Abhängen von Abyssinien fest; ein dritter ge-
langte in das Gebiet der jetzigen Mensa und bildete den
Stamm Mensa, von dem die Marea ein Zweig sind.
Die Abstammung von Abu Gahel lasse ich dahingestellt;
die Brüderschaft dieser vier Zweige aber scheint unzweifel-
haft zu sein, da alle vier die gleiche Tradition haben und
sich noch heutigen Tages als stammverwandt betrachten. Die
Mensa behaupten wenigstens vom Meere gekommen zu sein;
die Terrfa und Hazo dagegen versichern, von Mekka selbst zu
stammen. Eine arabische Abstammung scheint gar nicht un-
wahrscheinlich. Der Häuptling der rothen Marea versicherte
mir auf die Frage, ob sie je in Steinhäusern gelebt hätten,
sie seien keine Abyssinier, sie seien Zeltenbewohner; auch
jetzt wohnen die Marea nur in Zelten und sind noch immer
halbe Nomaden.
Hören wir, wie die Tradition weiter erzählt. In der Zeit,
wo Mariu noch mit den Mensa zusammenlebte, verlor sich
sein Maulthier. Der Herr folgt seiner Spur, kommt über
den Anseba nach Halhal, dann nach Rehi, Kednet und fin-
det endlich sein Thier wieder in der Ebene von Erota. Er
fangt es und sucht ein Unterkommen für die Nacht; er
findet ein kleines Dorf in Abligo, vom Stamm M'aqebu
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Beise in's Land der Marea. 227
bewohnt; der Häuptling desselben, Weld Durui, empfängt
ihn als Herrn und ladet ihn ein, sich bei ihm niederzu-
lassen. Mariu kehrt nach Mensa zurück, nimmt seine Fa-
milie und seine siebzehn Tigre mit, wandert aus, ohne seine
Absicht laut werden zu lassen, und lässt sich in Erota nieder.
Er vertheilt das Land an seine Tigre, indem er sich die noch
bestehende Abgabe ausbedingt. Er unterwirft sich auch die
ATaqebu, die man für Äbyssinier hält und von denen nur
spärliche Reste noch übrig sind.
So weit die Sage. Abgesehen von der Ausschmückung be-
wahrt sie das Andenken an die Verwandtschaft mit Mensa.
Die M*" qeBu scheinen die Herren des Landes gewesen zu
sein. Die siebzehn Tigre sind insofern historisch, als noch
jetzt siebzehn verschiedene Tigrefamilien existiren. Ob diese
nun mit Mariu, wenn dieser Name nicht überhaupt coUectiv
ist, eingewandert sind oder ob sie von ihm erst unterjocht
wurden, ist nicht mehr zu entscheiden. Die Sage behauptet
das erstere und auch jetzt unterscheidet man zwischen MV
qebu als Aboriginem, zwischen den siebzehn ältesten Tigre
und spätem von allen Seiten hergekommenen Unterthanen.
Jedenfalls sind die Marea auf sehr kriegerische Weise Herren
des Landes geworden; denn sie nehmen ihren Unterthanen
gegenüber eine ganz unerhört bevorzugte Stellung ein, die nur
auf Kriegsrecht fussen kann.
So war Erota der erste Sitz der Marea; bis auf Shum Reti
war ihr Gebiet auf die sogenannte rothe Rora beschränkt. Geri-
dsa, der jetzige Sitz der rothen Marea, war lange von den früher
erwähnten Beit Zei\i bewohnt gewesen. Man w^ss nicht,
warum sie das Land verliessen; Factum ist, dass die Marea
dasselbe fast leer fanden. Es gibt noch einige ihres Stam-
mes unter den Bogos; ein grosser Theil ist nach Abyssinien zu-
rückgewandert und wohnt in Kameshim; bei den Marea sind
nur noch die Bargalle übrig, ein Zweig der Ze/u, in Rehi
ansässig. Shum Reti's Söhne verstanden sich, weil von ver-
schiedenen Müttern geboren, schlecht zusammen. Girgis mit
15*
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228 Reise in's Land der Marea.
seinen drei Brüdern von gleicher Mutter wandte sich zuerst
nach Ser'a, wohin ihm auch die andern Brüder folgten. Als
aber Tembelle heimlich nach Erota zurückkehrte, zog Girgis
nach Shaka und von da nach Geridsa, das er fast unbewohnt
fand. Er nahm das Land also ohne alle Mühe in Besitz;
seinen mitgebrachten Tigre überliess er nur wenig Grundbe-
sitz. Erst von dieser Zeit (etwa vor 180 Jahren) datirt die
förmliche Trennung der Marea in schwarze (tsellam) und
rothe (qaih).
Den Titel Shum (Stammfürst) haben zwar nur die Nach-
kommen Tembelle's; die mit dieser Würde verbundene Macht
erstreckt sich aber auch nur auf die schwarzen iJlarea. Da
von den rothen Marea die Nachkommen von Girgis bei Wei-
tem die Oberhand haben, so stehen sie gewissermassen als
Ein Stamm da, während die schwarzen nach den drei Söh-
nen Reti's in drei Stämme sichtheilen: die Tembelle haben das
Land von Andellet bis Kat und Sheliwai; die Atobyrhan von
da nördlich den Rest des Hochlandes und jenseits Shaka; ihre
Grenze ist der Sattel, der von One zum Anseba führt. Die
Tshankera besitzen das Thal zwischen den zwei Hochgebirgen.
Die Marea sollen ois auf die jüngsten Zeiten Christen ge-
wesen sein; auch soll eine Kirche früher in Erota existirt ha-
ben und ein Abkömmling der alten Priester noch vorhanden
sein; doch war jedenfalls christliches Leben seit langem er-
loschen. Die Bekehrung zum Islam fing mit den Tigre an,
wie in Mensa und Bedjuk auch; die Adelichen folgten erst
später. Die schwarzen Marea haben sich vor etwa vierzig
Jahren bekehrt; der Vater unseres Wirthes Ab Bakita gab
das Beispiel. Die rothen Marea sind erst vor fünfundzwanzig
Jahren übergetreten. Seit das Volk mohammedanisch ist,
werden keine Grabhügel nach Art der Bogos mehr errichtet,
sondern man hat sich dem unter den Muslimin üblichen Ge-
brauch genähert, indem man das Grab mit einer Ringmauer
umgibt.
Die alte Geschichte der Marea erzählt von einem langen
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Beise iiv's Land der Marea. 229
Krieg derselben mit den Medjelli. Man erinnert sich nicht,
je von Abyssinien oder vom Barka abhängig gewesen zu sein.
Die Unterwerfung war unsern Zeiten vorbehalten. Die schwar-
zen Marea wurden vor etwa siebzehn Jahren gezwungen, den
ersten Tribut an die Aegypter zu entrichten; doch zahlten
sie ihn nicht regelmässig jedes Jahr; die türkischen Truppen
lagerten dann in Kednet, vom Barka über Ser'^a das Thal
hinauf kommend. Die rothen Marea wurden nur mit Gewalt
unterworfen; das erste Jahr drangen die Türken bis Geridsa,
wurden aber geschlagen; das zweite Jahr mussten sich die
rothen Marea unterwerfen und haben seitdem dreimal Tribut
entrichtet. Seit einigen Jahren haben beide Stämme den Tri-
but verweigert. Während aber die schwarzen sich in Folge
ihrer Lage kaum der türkischen Botmässigkeit entziehen kön-
nen, haben die rothen ihr Auge auf Abyssinien geworfen;
den ersten Tribut zahlten sie an Marit, den zweiten im letz-
ten Jahre an Dedjas Heilu.
Es ist schwer, die Kopfzahl der Marea zu schätzen, da
sie in unzählige Weiler zerstreut sind, die oft je nach
dem Feldbau den Platz ändern. Von vielen gutunterrichteten
Männern wurden mir die rothen auf 1500 erwachsene Män-
ner, die schwarzen auf 2500 geschätzt, was auf eine Gesammt-
bevölkerung von etwa 16,000 Seelen schliessen lässt. Tribut
zahlen die schwarzen das Doppelte von den rothen. Die
Aegypter bezogen im Ganzen dreitausend Thaler. Das leben-
dige Gut der rothen wird auf hundertfiinfzig Heerden ange-
schlagen, das der schwarzen auf das Doppelte. An Marit
zahlen die rothen vierhundert Thaler. Der Tribut lastet auf
den Heerden, nicht auf dem Pflug; er wird von allen ohne
Ausnahme, Vornehmen und Geringen, bezahlt. Der Feldbau
erstreckt sich auf Weizen, Gerste, Nuhuk und Mashella; doch
werden die erstem Producte im Grossen nur in Geridsa ge-
pflanzt, obgleich sie der Boden von Erota durchaus" nicht
verbietet. Die Az Tshankera allein benutzen das mittlere Tief-
land. Tabak wird wenig gebaut.
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230 Reise in's Land der Marea.
Das g^nze Land besteht aus Ebenen, die von bewaldeten
Schluchten unterbrochen und hervorgehoben werden. Die
Grenzen sind natürlich bestimmt durch den nördlichen Gebirgs-
abfall, durch den Anseba und den Abgrund Kerkeriu gegen
die Takue. Die Tiefen des Ansebathales werden nicht zur
Cultur benutzt, dagegen bringen die Heerden die Regenzeit
dort zu, zur Zeit, wo die Fliegen das Hochland unausstehlich
machen. In der trocknen Zeit erst nähern sie sich dem be-
wohnten Land. So wird der Anseba der Weidegrund der
rothen Marea, während die schwarzen ihre Kühe unter Kednet
gegen Ser'^a hinunterschicken. Ziegen halten die rothen keine,
dagegen die schwarzen ziemlich viel. Die Kühe sind halb
Begeit, halb Arado (von der abyssinischen Rasse). Bei den
rothen Marea sieht man schwarze Kühe besonders häufig,
das Gleiche habe ich in Abyssinien bemerkt; es scheint, die
schwarze Farbe sei gegen die Kälte angemessener, die rothe
gegen die Sonne; wenigstens beobachtete ich immer, dass die
schwarzen Kühe gegen die Sonne sehr empfindlich sind.
Der Boden der rothen Marea ist schwarz, der der schwar-
zen roth; daher heisst der erstere auch schwarzes Plateau
(Rora tsellam), der letztere aber Rora qaih (rothes Plateau),
im Gegensatz zu dem Namen des Volkes. Dieser letztere
rührt daher, dass die einen Söhne Shum Reti's, Girgis und
seine Brüder, sehr hellfarbig waren, Tembelle und seine Brü-
der aber schwärzlich; diese Färbung hat sich im Allgemeinen
noch so erhalten, dass der Name auch heutigen Tages passt.
Das Land der Marea ist im Ganzen sehr fruchtbar; es war
nicht seine Schuld, dass bei unserer Anwesenheit [ grosse
Theuerung herrschte, da die Käfer, die Dinshere, die vorige
Emdte vernichtet hatten. Die schwarze Rora ist sehr kalt,
besonders im December; viel wärmer ist die rothe Rora, schon
weil sie niedriger liegt. An Wasser ist Geridsa sehr reich,
die Quellen sprudeln frei aus dem Boden hervor; spärlicher
bedacht ist die rothe Rora, wo oft auch Brunnen gegraben
werden müssen.
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Reise in's Land der Marea. 231
Als Wohnung bedienen sich die Marea der Ablu oder
Mattenzelte, wie sie in den nomadisirencfen Lagern der Ha-
bab und der Bogos gebräuchlich sind; doch werden sie bei
den Marea solider gebaut, mit viel mehr Stangen und einem
dünnen Stützbalken versehen, vor dem Regen mit Kuhhäuten
und oft auch etwas Durraschilf geschützt: so werden sie halb
Zelt, halb Haus. Für die Ziegen, die gegen Regen und Kälte
sehr empfindlich sind, werden grosse Hütten in der Art der
Shogasho der Bogos erbaut. Es existirt nichts, was man Dorf
nennen könnte ; jeder Vornehme errichtet sein Mattenzelt ne-
ben seinem diessjährigen Feld, umgeben von seinen nächsten
Verwandten und Sklaven. So sieht man in der Ebene von
Rehi allein wohl funfeehn Weiler auf einen Blick; oft besteht
ein solches Gehöft nur aus drei Hütten, doch auch wie bei
Kelbetu aus wohl fünfzig. Auch ist die Lage derselben sehr
veränderlich, da sie sich nach dem Feldbau richtet. In die-
ser Vereinzelung gleichen die Marea den Terrfa, den Shoho
und den Az Shehei. Sie scheint ihnen grössere Sicherheit zu
gewähren, da die allfällige Verwüstimg immer nur einen Theil
treffen kann. Die Leute haben also trotz des Ackerbaues und
vielleicht gerade deswegen nomadischen Instinct, da jeder sei-
nem Felde nahe zu leben wünscht.
Als wir einst Recht und Sitten der Bogos zum Gegenstand .
einer ziemlich eingehenden Monographie machten, war es uns
keineswegs bloss darum zu thun, dieses Völklein besser be-
kannt zu machen; wir wählten die Bogos, weil uns das
ostafrikanische aristokratische Recht hier besonders conse-
quent ausgebildet schien, während noch viele andere Völker ■
derselben Rechtsgefühle theilhaftig sind und in den Sitten
besonders alle miteinander genau übereinstimmen. Wir mei-
nen hiermit alle aristokratischen Völker Nordostafrikas, selbst
die doch sonst ziemlich fremdartigen Beni Amer. Ein Beob-
achter, der nicht gerade mit dem Mikroskop arbeitet, würde
im Leben der Leute des Samhar, der Habab, Mensa, Bogos,
Takue, Marea kaum einen bemerkbaren Unterschied finden.
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232 Reise in's Land der Msreä.
Wenn wir also von Recht und Sitte der Marea reden wollen,
80 stützen wir uns auf die für die Bogos gelegte Basis und
notiren lediglich nur die Ausnahmen.
Das Recht der Bogos nun, so folgerichtig es ausgebaut
ist, ist nach zwei Richtungen unvollendet geblieben. Wir
sehen einen Stamm, der andere Stänmie beherrscht; seine
Macht beruht auf seinem Ursprung von Einem Vater, den je
der erstgeborne Sohn des Erstgebornen unter dem Namen
Shnm repräsentirt. Nun ist aber in der Wirklichkeit diesem
Shum nur der Name geblieben, die wirkliche Gewalt aber
ist dem Zufall und der Faust anheimgestellt und so zeigt
sich uns eine Familie ohne Vater und ohne Haupt.
Femer sehen wir denselben Stamm über andere Stämme
herrschen, aber die Unterthänigkeit beschränkt sich fast auf
den Namen; die gegenseitigen Ansprüche sind nicht scharf
begrenzt, wir fühlen, dass die Unterjochung auf halbem Wege
stehen geblieben ist.
Es wird nicht ganz unnütz scheinen, dem Recht der Uarea
einige Betrachtungen zu widmen, da^ es gerade in diesem
Doppelverhältniss des Adels unter sich und gegenüber den
Unterthanen sich mit einer eigenthümlichen Energie aus-
gebildet hat und so die äusserste Spitze dieser Verfassung
. zeigt.
Wenn ich von Adel rede, so verbinde ich damit nicht
den europäischen Sinn des Wortes, sondern ich meine den
patriarchalischen Adel der Semiten, dessen König der Erst-
geborne ist als nothwendige Spitze des Hauses. Deswegen ist
hi6r das Königthum aus dem Adel herausgewachsen, während
es in Europa als Feind des Adels ein Kind der. Demokratie
ist. Die Marea nun haben dieses Königthum des Stammvaters
aufrecht erhalten und im Gefühl dieser Einheit bilden sie
ihre Stellung gegenüber den Unterthanen viel schroffer aus.
Wir sehen also seit undenklichen Zeiten den Erstgebornen
des Erstgebornen von Mariu her den Titel Shum tragen; er
bedeutet Stammfürst, .gerade wie Kintebai in Mensa oder
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Reise in's Land der Marea. 233
bei den Habab. Dieser Shum regierte die Marea bis auf die
Söhne Shum Reti's, die sich entzweiten und trennten. Das
Shumet blieb freilich bei den schwarzen Marea als Erstge-
bornen; aber die rothen Marea machten sich nach und nach
selbstständig und wenn sich ^uch beide Stämme als Brüder
fühlen, so sind sie in der Wirklichkeit zwei sich ganz
fremde Völker. Die rothen Marea entzogen sich also der
Gewalt des Shum und hatten auch nicht das Recht, einen
Shum zu salben, aber die Rechte desselben übertrugen sie
auf ihren Stammältesten, als Haupt der Familie Girgis. In
beiden Stämmen findet sich also das monarchische Princip
aufrecht erhalten. Man kann sogar sagen, dass bei den
rotlien Marea das Amt ohne den Titel viel mehr reale Macht
bewahrt hat, weil die Nachkommen von Girgis allein tonan-
gebend sind, während die schwarzen Marea aus drei ganz
gleich starken Zweigen bestehen, wo Az Tembelle nicht immer
mächtig genug ist, die nach Unabhängigkeit strebenden Brü-
der in Schranken zu halten. Das Verhältniss ist das gleiche,
wie bei den Mensa: der kleinere Stamm Beit Shakan ist eini-
ger, da die Familie von Mesmer vorwiegend ist, während in
dem mächtigeren Beit Ebrahe die Familie des Kintebai kaimi
die ebenso mächtigen Bruderzweige Az Ailiei und Az Hafa-
rom zügeln kann.
Der jetzige Shum der schwarzen Marea ist Nur, Bruder
und Nachfolger des 1860 verstorbenen Shum Idjel; Häuptling
der rothen Marea dagegen ist Beri Dafla's Sohn. Shiun wird
gewöhnlich der erstgebome Sohn des verstorbenen Shum,
doch steht die Wahl dem ganzen Stamm zu,, der oft dem
Sohn den Bruder vorzieht; seit das Land mehr oder weniger
von den Türken abhängig geworden ist, muss sich der Neu-
erwählte auch ihrer Zustimmung versichern. Als Shum I^jel
starb, wählte der Stamm seinen Bruder; doch thut dessen
Sohn, der auch seine Partei hat, alles, um sich mit Hülfe
des Deglel (des Fürsten der Beni Amer) an seine Stelle zu
setzen. Diese Eifersucht ist es vorzüglich, die das Volk vom
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234 Beise in's Land der Marea.
Ausland abhängig macht; denn mit dem fremden Richter ge-
ben sich die Streitenden einen Herrn.
Der Shum bei den schwarzen und so auch der Häuptling
bei den rothen Marea hat die Gerichtsbarkeit in allen Fällen,
die nicht von d»r Familie entschieden werden. Bei den Bo-
gos und den Takue fehlt diese letzte Instanz; können die
streitigen Familien sich nicht über den Richter verständigen,
muss am Ende die Faust entscheiden. Hier kennen die strei-
tenden Brüder den Vater, der über allen stehend ihr natür-
licher Richter wird. Der Verletzte also, der sein Recht nicht
finden kann, citirt seinen Gegner auf- das Leben (Dsagga) des
Shimi vor dessen Tribunal und ebenso ist bei den rothen
Marea der Häuptling oberster Richter. Da das Amt des Shum
eine patriarchalische Heiligkeit geniesst, so wird es als fluch-
würdig angesehen, seinem Gericht zu trotzen. Da nun die
rothen Marea viel einiger dastehen, so wird sehr oft an die
höchste Behörde appellirt; bei den schwarzen Marea aber
richtet gewöhnlich jeder der drei Hauptzweige selbstständig
für sich und nur in den wichtigsten Fällen wird der Shum
angerufen. Wir müssen hier nebenbei bemerken, dass das
Recht der Marea sich von dem der Bogos in Bezug auf die
Procedur insofern unterscheidet, dass die Frau in keinem Falle
Zeugniss ablegen kann, was freilich die Bogos im Princip
auch sagen; ferner steht dem Kläger der Zeugenbeweis, dem
Beklagten der Entlastungseid zu, obgleich dieös wohl erst
dem mohammedanischen Recht entlehnt ist, während das alte
Recht dem Kläger auch den Eidbeweis gestattet. Die jetzt
gewöhnlichste Eidform ist das Berühren des Koran, während
früher das Grabüberschreiten üblich war.
Der Shum hat nun ein bestimmtes Einkommen von dem
Stamme und zwar erhält der Shum der schwarzen Marea am
Tage seines Amtsantrittes von jeder Heerde des Stammes eine
Kuh als Abgabe, zu welcher die Adelichen ebenso gut beitra-
gen, wie die Gemeinen.
Femer entrichtet bei den schwarzen Marea jede Cultur-
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Reise in's Land der Marea. 235
ebene an den Shum einen jährlichen Bodenzins von sieben
Gabeta Getreide (was einer grossen Ochsenlast gleichkommt).
Unter Culturebene verstehen wir jede grössere, von Wald oder
Schlucht abgegrenzte bebaute Fläche, wie z. B. Abligo, Erota,
Kelbetü u. s. w. ; man zählt deren etwa zwanzig.
In allen Fällen, wo die Gemeinen ihren Herrn unterstüz-
zen müssen, bei dem Reggaz (Todtenfeier), dem Metlo (Aus-
steuer) und Majbetot (Armenunterstützung), nimmt der Shimi
bei den schwarzen, der Häuptling bei den rothen Marea den
vollen Zehnten (von zehn Kühen eine) für sich selbst.
Bei den Marea ist überdiess Gesetz, dass der Tigre oder
Unterworfene die gleiche Abgabe, die er seinem Herrn zu ent-
richten hat, zum zweiten Mal auch an den Shum oder bei
den rothen an den Häuptling des Stammes zahlt, wer auch
speciell sein Herr sein möge.
Bevor wir nun die Stellung der Tigre untersuchen, müssen
wir die Zusammengehörigkeit des Adels kurz näher bestimmen.
Wir haben also rothe und schwarze Marea, beide selbstständig
für sich. Die rothen Marea stehen nun in der gesammten
Rechtsverantwortlichkeit (Terq) zusammen, sowohl was Blut,
Leichenfeier, Armenunterstützung als Aussteuer betrifft; bei
den schwarzen Marea dagegen stehen die drei Hauptstämme
nur in Blutsachen, Armenunterstützung und Leichenfeier alle
zusammen; in der Aussteuer handelt jeder Stamm unabhängig
für sich.
Die Stellung des Tigre oder Hömeg (Geringe, Gemeine),
-wie man den Nicht -Marea nennt, ist im Gegensatz zu allen
uns bekannten ähnlichen Verhältnissen auffallend gedrückt
und so zu sagen rechtlos. Noch viel rücksichtsloser haben
die Marea sie geordnet, als die immerhin sehr energischen
Beni Amer, da im Barka die Religion wenigstens vor der
Leibeigenschaft schützt, während bei den Marea der Tigre
seiner Freiheit nie sicher ist. Es ist nicht nur die Grösse
der Abgaben, die auffallt, sondern die doppelte Abhängigkeit
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236 Reise in's Land der Marea.
des Tigre, zuerst von seinem eigentlichen Hen*n und dann von
jedem Adelichen des ganzen Stammes.
Ein Abkömmling von Manu, ein sogenannter Weld Shum
(Sohn des Shum), so nennt sich hier der Shmagilli, so arm und
schwach und verächtlich er auch werden möge, verliert doch
nie den Namen und die bedeutenden Vorrechte, die damit
verbunden sind. So herabgekommen er auch sein mag, er
wird immer als ein freier unabhängiger Mann behandelt; er
hat nie nöthig, dem Schutz eines reicheren oder mächtigeren
Verwandten sich zu empfehlen oder gar sich ihm zu unter-
werfen. Wir haben bei den Bogos gesehen, wie der Tigre in
der Wahrheit besser daran ist, als der schwache Shmagilli,
da der letztere von seinen mächtigen Verwandten so viel wie
möglich unterdrückt wird, während es ihr wahres Interesse
ist, ihre Schutzbefohlenen Tigre so gut wie möglich an Leib
und Gut zu hüten. Wir haben bei den Bogos die sogenannten
dünnen Adelichen kennen gelernt (die Kadsin), die nicht Re-
gimentsfähigen, die sich sogar in die Clientel des grossen
Adels begeben und trotzdem nie aufrichtig beschützt werden;
sie verstehen sich sogar dazu, zu melken und so ihr Adels-
symbol aufzugeben, während der elendeste Marea nie sich zu
dieser Handlung bequemen wird, die ihn zum Tigre herab-
würdigt. Ferner ist der Weld Shum auf ewige Zeiten frei,
was auch sein Betragen sein möge, er kann keinem andern
Mann leibeigen werden; sein Adel ist unzerstörbar. Ganz im
(iegentheil ist bei den Bogoe der Adeliche ebensowohl dem
Verlust der Freiheit ausgesetzt, wie der Gemeine: der Adel
hat eben nicht mehr Einheit und Zusammenhang genug, um
auch den schwächeren Gliedern die angebornen Vorrechte zu
sichern; die Oligarchie unterdrückt die Aristokratie. Bei den
Marea ist ferner das Strafgesetz ein ganz anderes, je nachdem
es einen Vornehmen betrifft oder aber einen Gemeinen. Die
Abgaben sind folgende:
Der Tigre liefert seinem Herrn jährlich eine Mäthäne
Schmalz (etwa 8 Flaschen voll) und eine Gabeta Getreide; er
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Reise in's Land der Marea. 237
bringt ihm jede Woche einen Schlauch voll Milch in's Haus.
Jeder von ihm gemachte Fund gehört seinem Herrn; ebenso
das Fleisch der Kuh, die crepirt oder lahm geworden ist.
Von jeder Kuh, die der Tigre schlachtet, bringt er dem Herrn
die Zunge und das Brustfleisch. Diesem gehört ferner jede
unfruchtbare Kuh seines Tigr6; ferner aller von ihm gefun-
dener Honig. Ist der Herr krank, so bringen ihm seine Tigre
Milch und Fleisch als Arznei; ist der Kranke der Shum, so
pflegen ihn die Tigre des ganzen Stammes auf dieselbe Weise.
Der Tigre und seine Familie haben nicht das Recht, goldene
oder silberne Armbänder zu tragen; die Tochter eines Vor-
nehmen mrd nie einem Tigre zur Frau gegeben, es ist eine
Ausnahme, wenn ein Vornehmer die Tochter eines Tigre
heirathet.
So weit die Pflichten des Tigre seinem Herrn gegenüber,
nun hat er aber viel bedeutendere gegenüber dem ganzen
Stamm und zwar vorerst bei dem Reggaz.
Stirbt ein Adelicher, gleichviel von welcher Linie, so sind
die Tigre des ganzen Stammes, zu dem er gehört, verpflichtet,
jeder erwachsene Mann eine Kuh der Familie des Verstor-
benen als Todtenopfer zu bringen. Ist der Verstorbene ein
rother Marea, so ist jeder Tigre dieses Stammes zu dieser
Steuer verpflichtet. Was nun bei der Leichenfeier die adelichen
Verwandten an's Grab bringen, wird geschlachtet und verzehrt;
was aber die Tigre bringen, fällt an die Erben des Hinge-
schiedenen. Dieses Recht des Todten auf den Lebenden hat
jeder Weld Shum, so arm und verlassen er auch sein Leben
zugebracht hat. Von dieser Abgabe nimmt der Shum oder
der Häuptling zehn Kühe für sich. Oft geschieht es, dass
der Tigre zu arm ist, eine rechte Kuh zu liefern, dann kauft
er eine alte Kuh um einen geringen Preis und lässt sie sich
nicht bis zimi Grabe schleppen, sondern schlachtet sie und
bringt das Fleisch zxir Todtenfeier. Es kommt oft vor, dass
ein Vornehmer in Geldnoth von seinem Tigre Geld entlehnt
mit der Aussicht auf den Tod eines Verwandten.
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238 Reise in^s Land der Marea.
Stirbt aber ein Tigre, so opfern seine Verwandten an seinem
Grabe so viel Kühe sie wollen; sein Herr ist verpflichtet, eine
einzige Kuh am Grabe zu schlachten.
Verliert ein Adelicher sein Vermögen durch Krieg, so
wendet er sich an den Shum oder bei den rothen an den
Häuptling und dieser lässt ihm von jeder Heerde des Stammes,
ob sie einem Vornehmen oder einem Tigre gehöre, eine Kuh
entrichten; der Shum oder Häuptling nimmt von dieser Aus-
hebung auch zehn Kühe für sich.
Will ein Adelicher seinen Sohn oder seine Tochter aus-
steuern, so gibt er dem Shum oder dem Häuptling Kunde
davon und dieser versammelt an einem bestinunten Tage alle
Tigre des Stammes und erhebt je nach dem Betrage der Hei-
rathsgaben eine Steuer zu Gunsten des Adelichen und nimmt
überdiess noch für sich selbst wieder zehn Kühe. Freilich
halten hierin nur die rothen Marea zusammen, während bei
den schwarzen Marea die Heirath nicht als Sache des ganzen
Stammes betrachtet wird und so jeder der drei Zweige für
sich steht.
So hat bei den Marea jeder Weld Shum wohl seine eigenen
Tigre, aber wir haben gesehen, dass diese in den wichtigsten
Angelegenheiten als Gemeingut des Stammes behandelt und
besteuert werden. Im Uebrigen unterstützt der Tigre seinen
Herrn auch in der Bezahlung des Blutgeldes; der Herr nimmt
ihn in jeder Noth in Anspruch, er entlehnt von ihm Geld,
er bestiehlt ihn, er nimmt ihm fettes Schlachtvieh von der
Heerde weg; der Tigre darf sich nicht beklagen. Weh ihm,
wenn er die geringste seiner Pflichten versäumt; er wird vor-
erst zum Dade (unveräusserlich) erklärt und dann zum Leib-
eigenen. Das Gesetz ist besonders gegen den Unterschlag
gefundenen Gutes streng; doch häiigt natürlich alles vom
Charakter des Herrn ab. Uebrigens erleichtert das Gesetz
den Austritt aus dem Dienstverband. Ist der Tigre mit seinem
Herrn unzufirieden, so verlangt er von ihm, einem neuen Herrn
überwiesen zu werden ; der Herr hat das Recht, sich von ihm
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Reise in's Land der Marea. 239
alle nicht gelieferten Gebühren bezahlen zu lassen; den Aus-
tritt darf er ihm nicht verwehren, die Sitte des Landes will
es so und im Nothfall zwingt ihn dazu der Shum.
Es ist keine Frage, dass alle diese Gesetze schon durch
ihre Mannigfaltigkeit den Tigre in die beständige Gefahr
bringen, leibeigen zu werden. Seine Lage hat viel Aehnlich-
keit mit der des Tigre von Mensa; doch während dieser viel
weniger Pflichten hat, ist er auf der andern Seite in viel
schlimmerer Lage; denn wenn in Mensa ein Vornehmer Geld
nöthig hat, so tritt er seine Unterthanen gegen einen Preis
an einen andern Vornehmen ab; der Tigre wird also verkauft,
ohne gerade leibeigen zu sein. So weit treiben die Marea den
Begriff von Eigenthum nicht. Es versteht sich von selbst,
dass alles bei den Bogos über den Ursprung der Leibeigen-
schaft Gesagte hier seine volle Anwendung findet; sie gründet
sich meist auf Rechtsmissbrauch. Auch hier unterscheidet
man zwischen neuen und geerbten Sklaven. Der erstere, von
freien Eltern abstammend, hat das Recht, sich zu befreien,
indem er seine ganze Habe seinem Herrn überlässt; der letztere
aber, der von Sklaven Erzeugte, kann auf keine Weise wieder
frei werden; er gehört zur Kaste.
Noch ist ein Wort über die Leute von Dokono zu sagen,
die, seit ihre Vaterstadt von den Türken verbrannt und aller
Vorrechte beraubt wurde, als Handelsleute die Länder zwi-
schen Nil und Meer besuchen und sich auch bei den Marea
in grosser Zahl niedergelassen haben. In dem Marealand
finden sich etwa 80 Dokono häuslich niedergelassen. Sie sind
freilich auch nicht Marea, sie müssen sich einen Schutzherm
wählen und ihm eine Abgabe entrichten; aber sie sind ge-
achtet und beliebt und kein Marea schämt sich, einem von
ihnen seine Tochter zur Frau zu geben. So sind alle diese
Dokono mit Töchtern des Adels verheirathet, von denen sie
Kinder haben, die ein Mittelding zwischen Vornehm und
Gering bilden. Diese Dokono haben im Land ihre Heerden
und Felder und treiben nebenbei Handel. Ich werde ihnen
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240 Beise in's Land der Marea.
für ihre freundliche AufDahme und für die Gefälligkeit, wo-
mit sie mir über das Land Au&chlüsse gaben ^ immer dank-
bar sein.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich eine ziemlich beson-
dere Entwickelung des Eherechtes, wo also die Stände streng
geschieden sind und nur ebenbürtige Ehen geschlossen werden.
Die Heirathsbedingungen sind im Ganzen wie bei den Bogos,
nur ist der Nackenpreis viel bedeutender; er besteht aus
einem goldenen Nasenring, 2 silbernen Armringen, einer Eselin,
5 Kühen, einer Kameellast Durra, 4 Kühen (als Preis des
üblichen Teppichs) und 9 Kühen (an der Stelle von 2 Ka-
meelen.) Wir führen diese Gegenstände, womit der Heirathende
seine Frau erwirbt, speciell an, weil sie nicht zu dem gegen-
wärtigen Zustande passen. Die Marea haben keine Kameele
und können in ihrem Hochland keine haben; dieser Nacken-
preis (Segad), der von undenklichen Zeiten her
üblich ist, deutet auf ein nomadisches Yolk, das
Kameele besitzt und weist bestimmt auf den von der
Tradition beanspruchten arabischen Ursprung hin.
Das Metlo ist willkürlich; hat der Bräutigam bei der Ver-
lobung z. B. 1 Thaler entrichtet, so bekommt er bei der Hei-
rath vom Vater der Braut das Doppelte, also eine Kuh. Für
eine Wittwe wird nur der Nackenpreis entrichtet. Der Betrag
des Metlo wird alleiniges Eigenthum des Bräutigams. Der
Vater der Braut theilt das erhaltene Metlo mit seiner engem
Familie, die ihn dann bei der verdoppelten Rückerstattung
unterstützt; der Nackenpreis fällt ihm allein anheim. Wir
müssen zum Verständniss dieser Verhältnisse wieder erinnern,
dass wir uns auf die im Recht der Bogos entwickelten Grund-
sätze beziehen, die auch hier im Allgemeinen geltend si^d.
Der Nackenpreis einer Tigrait (Tochter eines Tigre) ist
nur Eine Kuh; das Metlo ist auch hier nach Vermögen und
Lust willkürlich.
Die Stellung der Frau ist von der bei den Bogos wenig
verschieden; sie kann nicht zeugen und nicht bürgen woA
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Reise in's Land der Marea. 241
auch nicht erben; doch fängt man bei den schwarzen Marea
an, nach mohanunedanischem Kecht auch die Töchter zur
Erbschaft zuzulassen. Kommt die Frau zum ersten Male
nieder, so ist ihre Familie verpflichtet, ihrem Gemahl zehn
Kühe zu schenken, die dessen Privateigenthum werden. Bei
allfälliger Scheidung nimmt die Frau nur ihr Hausgeräth,
ihren Schmuck uivl was bewiesenermassen ihr Eigenthum ist,
für sich; auf das sonstige Eigenthum hat sie keine Ansprüche.
Können sich Mann und Frau nicht vertragen, so wird ihnen
vom Familienrath ein Probejahr gegeben, nach welchem erst
sie förmlich geschieden werden können. Die unzufriedene
Frau darf, wenn sie eine Adeliche ist, nicht eigenmächtig
ihren Mann verlassen; es verstösst diess gegen die Sitte des
Landes. Dagegen flüchtet sich die Tigrait, die sich mit ihrem
Mann unglücklich fühlt, aus seinem Haus, sie muss aber fortan
im Ausland leben. Die Wittwe, wie die geschiedene Frau
wartet ein volles Jahr, bis sie sich vrieder verheirathen darf.
In allen diesen Beziehungen stinmien die Marea mit den Bogos
und allen andern Nachbarn überein ; die gleiche Arbeitsscheu,
Kleid, Schmuck, Haartracht, Rauchbad, Vorhang u. s. w.
finden wir auch hier. Dagegen fallen die altchristlichen oder
jüdischen Ehehindemisse immer mehr weg; bei den schwarzen
Marea ist sogar die Heirath zwischen Geschwisterkindern üblich
geworden.
Das Erbrecht stimmte bis jetzt ganz mit dem der Bogos
überein; die Bevorzugung der Erstgebornen ist die nothwen-
dige Beigabe einer aristokratischen Verfassung. Der Islam
aber, dessen Principien demokratisch sind, der bekanntlich
alle Kinder gleichstellt und sogar die Töchter nicht ausschliesst,
hat schon angefangen, sich bei den Marea einzunisten und
das alte Volksrecht der neuen Religion anzupassen. Den Tigr6
beerben natürlich seine Verwandten ; steht er allein, sein Herr.
Was den Bodenbesitz betriff't, so sehen wir bei den schwar-
zen Marea das Land meist in den Händen der siebzehn Ti-
grefamilien, die mit Mariu gekommen waren; wir glauben
Monstnger, OnUfrik. Studien. Iß
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242 Reise in's Land der Marea.
nur halb der Versicherung, Mariu selbst habe das Land seinen
Unterthanen ausgetheilt Im Gegentheil scheint der Boden-
besitz auf den Ureinwohner hinzudeuten. Bei den rothen Marea,
die evident in das fast öde daliegende Geridsa als Stamm
einrückten, haben die Vornehmen wenigstens nicht den glei-
chen Edelmuth bewiesen, indem sie sich das meiste Land vor-
behielten. Erwähnenswerth ist, dass neben, den Tigre die ver-
kümmerten Zweige der Marea, die jetzt wenig mehr zu
regieren haben, die grössten Landbesitzer sind, was beweist,
dass nicht die herrschenden Geschlechter die efstgebomen
Söhne Marinas sind. Dieser herabgekommene Adel nährt sich
jetzt hauptsächlich von den Zinsen seiner Grundstücke. — Der
Lohnbauer erhält von seinem Herrn ausser der Nahrung ein
Drittel der Emdte. Der Bodenzins regelt sich nach den je-
weiligen Bedürfnissen. Ueber sonstige Verträge ist nichts zu
bemerken, da das Sachenrecht sich in nichts von dem der
Bogos unterscheidet.
Wenn wir nun endlich von der Verletzung der Person und
der Sache reden müssen, so fällt uns wieder die ungeheure
Bevorzugung des Adels gegenüber den Gemeinen auf. Fangen
vdr mit dem Blutrecht an. Allgemeines Princip ist freilich
Blut für Blut; doch erleidet es bedeutende Ausnahmen. Tödtet
ein Adelicher einen Ebenbürtigen, so wird ihn dessen Familie
nach Zeit und Gelegenheit rächen; sonderbarerweise mischt
sich der Shum nicht in die Sache; von Blutgericht ist keine
Rede. Selten verständigen sich die verletzten Familien zu
Annahme des Blutpreises, der nicht weniger als 800 Kühe
beträgt. So hoch schätzen die Marea ihr edles Blut. Sollte
aber der Friede wirklich um diesen Preis zu Stande kommen,
so hilft die ganze Familie bis auf sieben Grade (also die rothen
für sich und ebenso die schwarzen) ihrem schuldigen Bruder
bei der Entrichtung des Blutpreises, der auf alle Männer
gleichmässig berechnet wird, und ebenso vertheilt die Familie
des Todten den erhaltenen Blutpreis unter den ganzen Stamm,
natürlich mit Bevorzugung der engem Familie. Da nun die
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Reise in's Land der Marea. 243
Parteien meifit alle Blutsverwandte sind, so sind Geber und
Empfänger oft die gleichen und die Entrichtung des Blut-
geldes nur nominell.
Der Blutpreis eines Tigre ist 150 Kühe. Tödtet nun ein
Adelicher einen Tigre, so rächt sich dessen Herr dadurch,
dass er einen beliebigen Tigre dieses Adelichen ermordet; die
Familie des Getödteten darf natürlich nie daran denken, sich
an einem Adelichen zu vergreifen. Hat ein Tigre das Unglück,
einen Adelichen zu tödten, so wird er selbst hingerichtet und
seine engere Familie geht als Dade (d. h. als unveräusserliche
ünterthanen) an die Familie des Getödteten über, die auch
ihr gesammtes Vermögen confiscirt. In diesem Fall aber
geschieht es gewöhnlich, dass der Herr dieser Familie, der
sie nicht im Stich lassen will, sie auf eigene Faust in's Aus-
land, z. B. zu den Takue geleitet und so die Blutsverant-
wortlichkeit auf sich selber nimmt.
Eigenthümlich ist die Behandlung der Schwängerung als
Blutverbrechen. Die Jungfrau oder Wittwe oder ledige Frau,
die ausserehelich empfängt, wird von ihrem eigenen Vater
oder Bruder durch den Strang zum Tode gebracht und ebenso
der Schwängerer; das Kind aber wird erstickt. Dieses Gesetz
wird bei beiden Klassen gleich streng gehandhabt. Eine Aus-
nahme wird gemacht, wenn der Schwängerer ein Adelicher,
die Frau aber eine Tigrait ist; dann werden beide begnadigt;
der Bastard aber wird nie geduldet. Ist die Schwangere über-
diess verlobt, so rächt sich ihr Verlobter an ihrem Vater.
Das Recht ist um so unbarmherziger, je edler sich die be-
fleckte Familie wähnt; das Motiv ist nicht Tugendstolz, sondern
Adelsübermuth. Von Ausnahmen habe ich nie gehört. Ein
ähnliches Gesetz haben auch die Beni Amer im Barka; es
erinnert lebhaft an den hohen arabischen Begriff von Jung-
frauenehre.
Der Adeliche, der gestohlen hat, wird zu einfacher Rück-
erstattung angehalten, ohne Busse oder Strafe. Bestiehlt ein
Tigre den andern, so wird sein ganzes Vermögen von dem
16*
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244 Reisd in's Land der Marea.
Herrn des letztem confiscirt Wagt er aber, das Eigenthum
eines Adeliohen anzugreifen, so geht er als Dade und oft sogar
als Leibeigener an -diesen letztern über, der auch sein Ver-
mögen einziehen kann. Hat er aber im Dienst und Gefolge
eines Adelichen den Raub begangen, so fällt natürlich alle
Verantwortlichkeit auf diesen letztem. Verwundet der Tigre
einen Tigr^, so zahlt er ihm eine Entschädigung; ich kenne
ein Beispiel von sieben Kühen, die als Medicin galten. Von Ver-
wundung Ton Adelichen untereinander kenne ich keinen neuern
Fall. Verwundet aber der Tigre einen Adelichen, so muss er
ihm all sein Hab und Gut überlassen und wird sein Sklave.
Während also der Tigre beim geringsten Zufall seine Frei-
heit verlieren kann, so steht der Adeliche ganz über jeder
Strafe; stiehlt er, so kann er von seinem Ebenbürtigen auch
bestohlen, tödtet er, so kann er getödtet werden. Aber er
darf nie zur Verantwortung gezogen oder gefangen genommen
werden; er kann, sei er stark oder schwach, nie seiner Frei-
heit beraubt oder im Vollgenuss seiner Privilegien geschmälert
werden. So kann er sich immer in Wahrheit adelich und
Weld Shum nennen. Gegen diese allmächtige Aristokratie,
die Einer Wurzel entsprossen ist, wo die vielen Zweige doch
auf den Einen Stanmi deuten und von ihm leben, können die
Tigre, die einer Menge verschiedener Stämme angehören, sich
nimmer wehren; die einzige Rettung des Bedrückten ist, sich
durch Auswanderung, bei den Takue oder den Beni Amer'n
z. B., eine mildere Botmässigkeit zu suchen. Trotz dieser
Erniedrigung aber', der nur der Name fehlt, um Leibeigen-
schaft zu sein, muss man sich nicht vorstellen, die Tigre
fühlten sich gedemüthigt; auch sie zählen ihre Vorfahren auf
und ihre Verwandtschaft und wähnen sich ein Adel zweiter
Klasse zu sein. Niemand bildet sich ein, dass es anders sein
könnte.
Was den europäischen Beobachter bei diesen Zuständen
empört, ist keineswegs die niedrige Stellung des Tigre; sie
muss auch in seinem Charakter gewissermassen gerechtfertigt
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Reise in's Land der Marea. 245
sein, sondern die Leichtigkeit, womit der freie Mann zum
Dade und Leibeigenen umgewandelt wird, eine Strafe, die
nicht nur den Schuldigen triflft, sondern sein ganzes Fera,
d. h. seine Familie auf zwei Grade hinaus. Die verabscheuungs-
würdige Gewissenlosigkeit, womit man den Freien wegen
wahrer oder eingebildeter Vergehen, Beleidigung, Schulden
knechtet, ist nicht den Marea eigenthümlich; alle nördlichen
GrenzTÖlker Abyssiniens: die Mensa, Bedjuk, Habab, Bogos
und Takue, halten mit demselben Princip ihre Unterthanen in
Respect; ihr Strafrecht läuft immer auf Verlust der Freiheit
hinaus. Alle ihre Leibeigenen stammen von dieser unlautem
Quelle; selten haben diese Herren nöthig gehabt, sich auf den
Sklavenmärkten mit Kindern der Galla oder Negern zu ver-
sehen ; mühelos finden sie wohlfeile Sklaven im eigenen Land,
von derselben Farbe, oft vom eigenen Blut. Der Schuldner
setzt seine Freiheit ein; ja es braucht sich der Arme nur
kurze Zeit von dem Reichen ernähren zu lassen, um seiner
Freiheit für ewig verlustig zu gehen. Die Az Tekles, ein
Zweig der Habab, sind besonders durch ihre Gewissenlosigkeit
in dieser Hinsicht berüchtigt; es gibt da Leute, Landeskinder,
die wegen eines Stück Brod ihre Freiheit verloren haben.
Freilich wird der ungerechte Ursprung dieser Leibeigenschaft
dadurch charakterisirt, dass bei allen diesen Völkern der
Sklave lebt wie und wo er will. Ebenso allgemein ist bei
allen der Verkauf der Kinder durch die eigenen Eltern ; nicht
dass es an Liebe fehlte, wo es Mütter gibt, aber die Freiheit
des Unterthanen scheint so precär, dass manchem ein Stück
Brod lieber ist. Das mohammedanische Recht, das jeden frei-
gebomen Muslim von Gotteswegen für ewig frei erklärt, ist
bei diesen neubekehrten Völkern noch nicht zur Anwendung
gekommen. Seine Ermahnung, dem Sklaven Gott zu lieb die
Freiheit zu schenken, wird hier nicht berücksichtigt. Die
wahren alten Mohammedaner haben Sklaven, aber gekaufte;
der Sklave muss arbeiten, aber er hat HoflFnung auf Befreiung ;
der Kinderverkauf wird streng bestraft; der Sklave, der sich
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246 Reise in's Land der Marea.
als freigeboren ausweisen kann, wird befreit; wegen Ver-
brechen kann niemand die Freiheit verlieren. Dieselben Grund-
sätze sind auch dem christlichen Abyssinien eigen; man kann.
also nicht sagen, der Islam sei hierin dem Christenthum an
Humanität überlegen, sondern die angestellten Grundsätze
beruhen auf einer hohem Selbstachtung, die jedem Monotheis-
mus eigen ist.
Wir wollen unsere Darstellung mit einigen allgemeinen
Betrachtungen schliessen. Trotz der Autorität des Shum, der
eben kein Strafrecht besitzt, sind die Marea, wie alle
die genannten rechtsverwandten Völker, reich an innerem
Zwist (Gedebo). Das adeliche Kind wird zum Stolz erzogen;
je übermüthiger es wird, um so mehr freut sich der Vater
des künftigen Helden; der Mangel an religiöser Erziehung zieht
die Sucht nach fremdem Gut heran, der Mangel an einem
wirklichen Staat lässt den Ehrgeiz ohne Schranken. Die Viel-
weiberei bei den Häuptlingen nährt den Bruderzwist, da sich
Kinder von verschiedenen Müttern nie vertragen können und
den Bruderhass schon mit der Muttermilch einsaugen. Daher
sieht man das hässliche Schauspiel, dass Brüder noch bei
Lebzeiten ihres Vaters sich um die Erstgeburt streiten. Die
Bevorzugung der jüngsten Frau und ihrer Kinder weckt die
Eifersucht der älteren Kinder, deren Mutter vernachlässigt
oder Verstössen ist und oft nehmen sie im Gedanken an die
Zukunft Partei gegen den eigenen Vater. So sahen wir bei
den rothen Marea die Autorität des Häuptlings Beri, der bis-
her fast unumschränkt regiert hatte, dadurch sehr geschwächt,
dass seine älteren Söhne, die ihre jüngeren Brüder der Mutter
wegen bevorzugt sahen, gegen ihn auftraten. Das ist ganz
biblische Geschichte von Isaak an bis auf Absalom. Die Leute
selbst beklagen sich wohl über diesen Uebelstand; indem sie
aber viele Kinder für die erste Quelle von Macht und Ehre
halten, bedenken sie nicht, dass die verschiedenen Mütter eine
Quelle von Hass und Neid sind, welcher die Kraft der Fa-
milie ohne alles äussere Zuthun aufreibt.
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Beise in's Land der Marea. 247
Der innere Zwist besonders bei den schwarzen Marea, wo
die drei fast gleich starken Stämme einander trotzen, raubt
dem Stammkönig die nöthige Kraft, während die Marea, einig
zusammenhaltend, jedem Feinde widerstehen könnten. Nach
der geographischen Lage des Landes sollte man die Marea
für die Herren des Barka ansehen, nicht umgekehrt; doch
liefert der übertriebene Unabhängigkeitssinn, der seinem
Bruder in nichts nachgeben will, das Land in die Hände der
Fremden, besonders seit grössere Monarchien, die türkische
und abyssinische, an den Grenzen der Republik stehen und
keine Gelegenheit versäumen, um interveniren zu können.
Der Unabhängigkeitssinn zeigt sich auch in der Zerstreut-
heit der Dörfer; wenn sie auch für den Ackerbau bequemer
ist, hat sie doch ihren wahren Grund in dem übertriebenen
Individualismus; jeder will in seinem Haus Herr und Fürst
sein und bedenkt nicht, dass die Nation, die nichts an das
Gemeinwesen abgeben will , zerfallen muss. Die Marea haben
mit ihren Nachbarn selten Krieg geführt, dagegen bekämpfen
sie sich untereinander; jeder Tag bringt einen neuen blutigen
Hader, in Folge dessen der Schwächere auswandert. Viel-
leicht kann man noch froh sein, dass sie so zerstreut leben
und jeder Luft genug hat; das Zusammenleben könnte den
Streit nur heftiger und vernichtender machen. Die Takue
wenigstens vertragen sich viel besser, seitdem sie das enge
Halhal verlassend weit auseinandergerückt sind. Eine Folge
des ewigen Zwistes ist auch, dass die Marea, besonders die
rothen, die böse Gewohnheit haben, sich gegenseitig und ihre
Nachbarn im Barka zu bestehlen; kommt die Strafe, so fällt
der Schaden natürlich auf die Tigre; den Nutzen vertheilen
sich die Herren. ^
Schon der Blick auf die Karte zeigt, dass die Marea vom
Ausland ziemlich isolirt dastehen: Abgründe begrenzen das
Land von allen Seiten; es ist daher kein Wunder, dass sie
sich immer ziemlich unabhängig erhalten konnten. Der Tribut
bedingt an und füi* sich noch keine Unterwerfung, solange
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248 Reise in's Land der Marea.
sie noch eigenes Gericht haben und selbst der Tribut ist noch
gar nicht fest eingerichtet. Von der Lage rührt auch die
Unwissenheit der Marea, deren Geographie kaum bis Eeren
reicht. Uebrigens scheinen auch bei den Bogos, deren Hori-
zont doch ein weiterer ist, die Marea, Dank den Abgrün-
den und steilen Bergen, ein sehr entferntes Volk, von dem
man um so seltener Nachrichten hat, da sich nie ein Marea
bis nach Mogareh wagt. Dagegen verkehren die rothen Marea
mit den Habab,* die schwarzen mit den Beni Amer'n, ihren
respectiven Nachbarn. Die erstem verschwägern sich deshalb
meist mit den Habab, denen sie sehr ähnlich sehen, die
letzteren mit Az Amer und Gultane von Barka, denen sie
auch in mancher Hinsicht gleichen. Da eine offene Strasse
nach Halhal führt, so sind die rothen Marea eher den An-
griffen von Abyssinien ausgesetzt; die. schwarzen dagegen
müssen sich die Freundschaft der Beni Amer bewahren, da
ihre Heerden in dem Barka die^ bfesto Weide finden. Die
Marea gehen in theuren Zeiten mit Eseln und Stieren bis
Kassala, um Getreide zu kaufen.
Die ausschliessliche Sprache des Landes ist das Tigre, das
die Marea so schön wie die Habab sprechen; niemand er-
innert sich je eine andere Sprache gesprochen zu haben. Bei
den schwarzen Marea ist auch das To'bedauie wenigen geläufig;
auch das Tigre sprechen sie etwas mit dem affectirten Accent
der Beni Amer.
Die Frauen der Marea sind für diese Länder sehr fi*ucht-
bar zu nennen; 6 — 8 Kinder sind* häufig. Die Zeugungskraft
der Männer scheint spät aufzuhören; alle diese alten Häupt-
linge hatten noch ganz kleine Kinder, fireilich von jungen
Frautn. Die Mädchen zeichnet ein sehr reicher, dichter und
langer Haarwuchs aus. Vielweiberei ist nur bei den Vor-
nehmsten häufig, sonst im Ganzen selten. Im äusseren Aus-
sehen unterscheiden sich die Marea wenig von allen ihren
Nachbarn, den Habab, Takue, Bogos etc.; Nuancen gibt es
für den Kenner schon, aber sie lassen sich nicht anatomisiren.
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Reise in's Land der Maiea. 249
Da wir das Volk der Marea auf Grundlage und gewisser-
massen in Fortsetzung des über die Bogos Festgestellten be-
trachtet haben, so wollen wir auch aus ihrer geographischen
Lage einen Vergleich ziehen. Die Bogos sind durch die Natur
feindlichen und freundlichen Angriffen sehr ausgesetzt; sanft
aufsteigende Thäler verbinden ihr Land mit dem Meer und
dem Barka; so wird es Handelsstrasse und dem Luftzug des
Lebens mehr ausgesetzt. Die Bogos haben alle Gelegenheit,
an dem Handelsverkehr theilzunehmen ; das nachbarliche Barka
bietet ihnen herrliche Erndten und fehlen sie, nahrhafte wilde
Früchte.' Die Abgeschlossenheit des Landes erhält die Marea
unabhängig, aber beraubt sie des freien Verkehrs. Eine
schlechte Emdte führt Hungersnoth mit sich, da keine Kameei-
strasse Proviant zuführt; selbst die wilden Früchte fehlen.
Die Freiheit will ihre Opfer haben.
Wenn ich die kleine unscheinbare Pflanze mit dem Mikro-
skop bis auf ihre einzelnsten Theile untersuche — denn so
eine Pflanze ist das kleine Volk, das wir uns angesehen —
wenn ich dabei auch den Leser ermüde, der meinen Details
folgen soll, so thue ich es mit der Hoffnung, hier und da
dem an sich todten Stoff eine neue Seite des menschlichen
Geistes abzugewinnen und wohl auch eine neue Wahrheit.
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Rückkehr nach Keren.
Krst bei Shell wai lassen wir den frühem Weg links und
gehen auf dem sehr schmalen Scheitel, der links nach Kednet,
rechts in ungeheurem Abgrund gegen das Barka hinunter-
sehen lässt, etwa zwei Stunden weit; sehr selten erweitert er
sich in eine hinaustretende Ebene. Nach und nach dehnt er
sich aus und wir kommen in die Ebene Dekinet an einem
Dorf vorbei. Vor uns haben wir einen von Osten nach Westen
laufenden Bergzug, der in sanften Terrassen aufsteigt und dann
wieder sehr unbedeutend in das offene Hügelland von Ire ab-
fällt, wo wir in dem Weiler von Shum Idjel, der aus einigen
zwanzig Hütten besteht, absteigen. Das Gebirge, auf dessen
westlichem, gegen das Barka geneigtem Abfall Ire liegt, hängt
in seiner östlichen Verlängerung mit Rehi zusammen. Die
Wasser gehen alle in das zu unsem Füssen sich ausbreitende
Barka. Die Ebenen von Ire sind ziemlich eng durch Fels
und ^lüfte unterbrochen, die Weiler hier und da in die Felder
hingestreut. Debre Säle dehnt sich im Süden vor uns aus;
sein östliches Ende ist das Ziel der morgigen Reise. Wir
sehen die Hügel von Afdehob und am En^e des Horizontes
den über sein Plateau als Pyramide sich erhebenden Berg von
Algeden, den die weit gezogene Barkafläche von uns trennt.
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Beise in's Land der Marea. 251
Ich glaube, dass die warme Luft des Barka, dem Ire zuge-
wandt ist, auf die Vegetation bedeutenden Einfluss hat, wie
die Nachbarschaft und der Verkehr auch die Menschen ein-
ander ähnlicher gemacht hat, besonders da Ire Ton dem Ge-
biet der rothen Marea durch den bedeutenden Gebirgsabfall
klimatisch isolirt ist. Denn die meisten Bäume sind mit denen
Ton Keren identisch, über welchem Ire doch fast 1000 Fuss
erhaben sein muss. Wir finden das Durra noch sehr, klein,
da dieses Jahr die Sonne gefehlt hat; Weizen kommt nicht
mehr vor. Da Shum Nur abwesend ist, empfängt uns sein
Bruder Omar und die Söhne des yerstorbenen Shum Idjel.
Den 13. September brechen wir früh Morgens auf und nehmen
unmittelbar hinter dem Dorfe vom bewohnten Land der Marea
Abschied. Wir gehen eine Stunde lang über steinige Hügel und
Abhänge, dann steigen wir, den Berg Mussa Qerbetu rechts
lassend, in das sehr tiefe enge Thal von Shashagne hinab,
das in eine Ebene führt, wo der Torrent, dem wir nachge-
gangen, mit einem zweiten von Andellet und einem dritten
von Melbeb herkommenden Strom sich vereinigend, durch die
letzten Vorberge, die uns noch vom Barka trennen, nach der
Ebene Mareit durchbricht Wir gehen den von Melbeb kom-
menden Torrent hinauf und steigen so, dem Hochgebirge nach
uns haltend, über den hohen Sattel Asalla in das Thal von
Angesha hinab, das Ziel unseres Morgenmarsches. Wir finden
uns so am östlichen Ende des Debre Säle, an seiner Nase,
wie das die Eingebomen bezeichnen, wo ihn das Thal von
Angesha von dem Gebiete der Marea trennt. Wir haben links
die Höhen von Melbeb und Tsellema, rechts die äussere Berg-
wand gegen das Barka, die durch den Af Marat, der sich
nach dem Barka durchbricht, vom Debre Säle getrennt ist,
der hier quer in^s Barka hinausliegt. Unser heutiger Weg
war sehr beschwerlich, da er von einem Sattel zum andern
das Hochgebirge umgeht, ohne in die Tiefe hinabzusteigen.
Er gleicht einer Baumverästung: wir treffen ihn beim Zweig,
der zum Ast führt; wir verfolgen ihn abwärts bis wo er vom
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252 Reise iu's Ltmd der Marc».
Stamm ausgeht; anstatt aber nun den Stamm hinabznklimmen,
gehen wir auf einen entgegenliegenden Ast über bis zu seiner
Spitze, um dann zu einem zweiten Baum überzugehen. Die
Aeste smd die kleinen Torrente, der Stamm der vereinigte
Strom. Der Af Marat oder Strom von Angesha hat eine
starke Strömung, da er seine Quelle in dem wasserreichen
Geridsa hat, während die Zuflüsse vom Sattel von Asalla und
vom Sattel von Angesha nur momentan fliessen, da sie nur
das lokale Abhangswasser mit sich führen. Wir sehen hier alle
die grossen Bäume des Ansefaa, die Aie, Zellazel6 und Tama-
rinden; auffallend ist eine kaum 2 Fuss dicke, aber wohl
40 Fuss hohe Adansonie mit Wipfel ohne Aeste, da diesen
^ Baum der kurze fette Stamm mit naher Yerästung charak-
terisirt.
Wir brechen um % 3 Uhr von hier auf, überschreiten den
Hauptstrom, verfolgen noch eine halbe Stunde das Thal von
Angesha aufwärts bis zu einem Sattel, der die Wasser von
Angesha und Af Sabr trennt und zum Debre Säle hinaufführt.
Vor diesem Sattel biegen wir in das Querthal Angesha Katsin
ein, das zu einem zweiten Sattel führt, der in's Thal Hafulei
hinabführt. So haben wir das Gebiet der Marea umgangen
und treten wieder in das Land der Takue ein. Wir geben
ein anmuthiges, grünes, schattiges Thal ohne Fels in sanftem
Fall hinab in der Richtung des Berges Hafulei, und kommen
dann der südlichen Verlängerung des Thaies nach zu einem
Heerdenlager der Az Tesfa Girgis, desselben Stammes, den
wir bei Sor getroffen. Das Thal selbst ist von den Az Tshaflfa
sorgfältig angebaut. Den Namen Hafulei hat das Thal vom
gleichnamigen Fruchtbaum, der hier sehr häufig ist.
Den 14. September gehen wir um die Ecke des Berges
Hafulei herum und kommen über einen unbedeutende^ Sattel
zum Strom Kerkeriu hinüber, an dessen Ufer wir ein grosses
Zeltenlager der Az Tshaffa finden, die uns mit Milch bewir-
then. Nun verfolgen wir den Kerkeriu aufwärts und biegen
dann, die Berge von Gabei Alabu links lassend, in seinen
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Reise in's Land der Marea. 253
Znfluss, den Tshurum, ein, den wir bis zu seiner Quelle ver-
folgen. Die Uferebenen sind alle angebaut, sodass wir durch
die Pflanzungen kaum einen Weg finden; der Torrent fliesst,
soll aber im Sommer nur theilweise Wasser haben. Das Thal
mahnt an das Boggu der Bogos und es hat dieselbe Bedeu-
tung für Gabei Alabu, wie Boggu für Keren, als Supplement
zu der Hochebene. Hier reift das Durra sehr schnell und die
Heerden gedeihen ausserordentlich. Für Baumwolle besonders
wären diese Thäler sehr günstig. Das Thal Tshurum hat
mehr W^asser, als Boggu, weil seine Quellen aus dem Innern
des Hochlandes kommen, während Boggu nur von Abhangs-
wasser genährt wird und so fast immer trocken liegt. Die
Az Tshaffa cultiviren stromab bis Hömmeret Goila; dort fängt
das Gebiet der Beni Amer an; das Thal verschwindet, die
weite Ebene gehört den Hirten. Wir lagern um Mittag auf
einer üferebene, wo uns Schwärme von 'Auer empfangen, ein
bienenähnliches Insekt, dessen Stich unsere Maulthiere auf's
Blut peinigt
Nach kurzer Rast ersteigen wir die Höhe des Sattels, der
einerseits Tshurum von Bab Genger6n trennt, anderseits Halhal
und Aretta verbindet. Wir brauchen eine halbe Stunde, um
den steilen, von dem hohen Gras unwegsam gemachten Abhang
hinunterzuklettern und zu dem Punkte zu kommen, wo der
Abhang von Gabei Elos anfängt. Es wird schon Nacht und
in der Hoffnung, ein Heerdenlager unserer Freunde, der Az
Gabdja, zu erreichen, eilen wir das Thal hinunter; die Aus-
sicht auf ein freundliches Lagerfeuer und eine heisse Milch
spornt unsere Schritte. Den Dienern vorauseilend komme ich
mit Hm. Schubert und Gabir, dem Mann von Dokono, an
dem Baum an und auf dem Hügel, von wo ich vor zwei
Wochen Directionen genommen und wir erblicken zur Linken
Lagerfeuer, die vnr den Az Gabdja zuschreiben. Wir gehen
über Stock und Stein in der sehr finstern Nacht. Das Licht
geht vor uns her; wir rufen unsere Gefährten mit Flinten-
schüssen und haben kaum noch drei und nicht sehr siciiere
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254 Reise in's Land der Marea.
Schüsse, als wir neben dem hohen Lagerzaun ankommen. Da
■wir weder Thür noch Thor sehen, rufen wir, aber die Hirten,
durch das Schiessen erschreckt, halten uns für abyssinische
Soldaten und bedeuten uns, schnell uns fortzumachen. Wir
sehen, dass wir auf Az Tesfei gefallen sind, ein mir ganz
fremder Stamm der Takue, Ein Wort gibt das andere; Gabir,
etwas zu übermüthig, prahlt mit unsem Flinten. Die Leute
des Dorfes, die einen Trupp Soldaten vor sich zu haben
meinen, öffnen plötzlich den Zaun und dringen mit wildem
Ejriegsgeschrei auf uns ein. Die Lanzen blitzen in der Nacht
Ich sehe die Gefahr und bitte Schubert, sein Gewehr bereit
zu halten, da in keinem Falle Flucht etwas nütze; ich ziehe
meinen Revolver aus dem Halfter; aber da ich als alter Be-
wohner des Landes wohl weiss, dass viele Hunde des Hasen Tod
sind und Feuerwaffen in der Regenzeit auch den Dienst ver-
sagen können; da ich bedenke, dass es hier zu Land fast
ebenso misslich ist, zu tödten als getödtet zu werden, stecke
ich meine Waffe wieder an ihren Platz und trete, meine Nil-
peitsche in der Hand, in die Mitte der tobenden Hirten. Ich
fasse den ersten besten, der mir ein bejahrter Mann zu sein
scheint und frage ihn, was sie zu dieser Handlungsweise bringe.
Auf mein Zureden besänftigt sich der Haufe; ich beklage mich
über die verweigerte Gastfreundschaft. Die Leute erwiedem,
sie hätten uns für Soldaten gehalten; schon gestern seien sie
von solchen übel zugerichtet worden; sie baten, die Sache
nicht übel zu nehmen und jetzt mit ihnen zu übernachten.
Da aber die Gastft^undschaft einmal verletzt und zu fürchten
war, der Streit möchte zum zweiten Mal ausbrechen, lehnte
ich das Anerbieten ab. Wir fanden kaum eine Viertelstunde
weiter das Lager der Az Gabdja, wo wir freundlich empfangen
und bewirthet wurden.
Den 15. September lenkten wir in das Thal von Dobak
ein und nachdem wir den Sattel erstiegen, der es von Shin-
nare trennt, sehen wir vor uns das « weisse * Mogareh und an
seinem SW.-Ende Keren, wo wir um Mittag glücklich ankommen.
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Geographische Skizze über das Ansebaland.
Jedes Hochgebirge erscheint dem See- oder Wüstenfahrer
von fern gesehen als Ein ununterbrochener Zug ohne Lücke
und Thor; die fast eben fortlaufende Höhenlinie ist nur sel-
ten durch Spitzen etwas mannichfaltiger gestaltet. Er gewinnt
so den allgemeinen Ueberblick, aber nur die halbe Wahrheit.
Denn, wenn er von der Neugierde gezogen sich den Bergen
nähert, vergeht ihm die Illusion mit jedem Schritt mehr. Die
Einheit fällt weg; Thal und Berg scheinen unordentlich unter-
einander geworfen, unmöglich, darin irgend Einen zusammen-
hängenden Naturgedanken zu finden. So hat er die Anschau-
ung, die specielle Wirklichkeit; aber auch ihm fehlt die
Wahrheit, wenn ihn die Ausnahme verführen sollte, die Regel
zu vergessen. Was hülfe dem Reisenden der Wulst von Ber-
gen und Flüssen, wenn daraus nicht ein System würde, was
ihm den sinnreichen, poetischen, fast menschlich verständlichen
Gang der Natur offen legt. So können auch wir unsere geo-
graphischen Beobachtungen nur dadurch deuthch machen,
dass wir ihnen zuerst ihre Stelle im grossen Ganzen ange-
wiesen haben. Wir sind um so mehr dazu gezwungen, da nur
das Basrelief ein Land treu wiedergibt, nicht die Karte.
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256 Reise in's Land der Marea.
Unr die Gebirgsconstniction der Marea zu begreifen, müs-
sen wir auf ihr Princip, die Hochebene von Hamasen, zurück-
gehen. Als Gebirgsstock , als Basis stellt sich uns das Pla-
teau von Tsasega dar, östlich bis zum Abfall gegen das Sam-
har, westlich gegen die QoUa Dembeläs sich ausdehnend, ohne
in seinem Niveau durch ein Thal gestört zu sein — w^as die
wahre Hochebene charakterisiri Ueberdiess ist Tsasega als
die höchste Stufe Nordabyssiniens zu betrachten, da es sich
gegen alle Seiten bald wieder absenkt; gegen Süden wird die
Hochebene wenige Stunden ober Tsasega vom Mareb zer-
schnitten und getheilt, und fast plötzlich gräbt sich dieser
schnell erstarkende Fluss ein schauerlich tiefes Thal , wodurch
das Plateau in zwei Arme getheilt wird, östlich die Hochebene
von Aggela und Saher, westlich die Halbinsel Sarae. Ohne
in dieser Richtung fortgehen zu wollen, haben wir der Ana-
logie wegen diese Verästung der Basis aufgezeichnet, da im
Norden dasselbe Phänomen sich uns darstellt, aber viel lang-
samer, consequenter und r^elmässiger ausgeführt. Die Rolle
des Mareb spielt hier der Anseba, der in regelmässigen sanf-
ten Stufen in's Tiefland hinabfällt und so die nördliche Fort-
setzung der Hochebene mit seinem breiten Thale in zwei Ge-
birgsreihen theilt, die mit fast constanter Höhe das Daga
sehr weit fortführen. So haben wir als Basis unserer Be-
trachtung den Gebirgsstock, der gegen Norden in zwei fast
parallel laufende Aeste ausläuft und den Anseba, der aus dem
Stock hervorquellend stufenweise ein tiefes Thal sich bildet,
das die Ausläufer des Hauptstockes voneinander trennt.
Als Quelle eines Flusses muss man sonst annehmen die
Stelle, wo er als lebendiges Wasser entspringt; diess gilt je-
doch nur für ein constant fliessendes Wasser. Ist der Fluss
nur ein Regenbett (Torrcnt), dann muss man den Arm als
Quelle ansehen, der am weitesten aus dem Innern der Hoch-
ebene herabläuft und keineswegs die vom Grebirge abfallenden
Regenbäche; streiten sich mehrere Zuflüsse darum, muss der
vorgezogen werden, der zum unteren Lauf das natürlichste
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Reise in's Land der Marea. 257
Verhältniss bewahrt, ohne auflFallende Laufeveränderung. Die-
sen Principien zu Folge muss als Quelle des Anseba der Mai
Goila von Tsasega angesehen werden ; denn der Anseba kann
nicht als Fluss, sondern nur als Torrent betrachtet werden,
da er nur in der Regenzeit von drei Monaten fliessendes Was-
ser hat. An Länge steht der Mai (JoiJa keinem Zuflüsse nach;
überdiess stehen die andern Gewässer, die sich rechts und
links dem Hauptlauf anfügen, in schiefen Winkeln darauf,
während der Mai Goila senkrecht in ihn übergeht.
Hüten wir uns, den Namen Anseba etymologisch erklären
zu wollen oder ihn gar Ain Saba (Quelle von Saba) zu nen-
nen, mit ungehöriger Bezüglichkeit auf das alte Saba. Denn
seit sechs an seinen Ufern verbrachten Jahren haben wir nur
Anseba ohne gutturalen Spiritus aussprechen liören. Wir
können diesen Namen aus unsern Kenntnissen nicht erklären
und möglichei*weise gehört er einer Sprache an , die mit ihrem
Volk verschwunden oder ausgewandert ist. Der Name fängt
von dem Augenblick an, wo der Strom, die auf seinem Ni-
veau liegende Ebene verlassend, seinen Fall beginnt und hört
erst weit unter dem Marea nach seinem Ende auf; denn da
erhält er von Stunde zu Stunde verschiedene Lokalnamen, die
eigentlich eher die anliegenden Uferebenen bezeichnen sollen,
als das Strombett. Nur der Abyssinier und auch er nur zum
Theil fasst den Fluss als ein Indi\iduum auf, dessen Leben
er von der Quelle bis zum Ende verfolgt, das er demnach
einheitlich tauft , während der Bewohner der Niederlande den
Fluss, der ihm weder zur Schiffahrt, noch zur Cultui' dienlich
ist, der vielmehr den Verkehr hindei't und durch seine Mias-
men und durch seine Fliegenschwärme gefährlich wird, nur
nach seinem Ufer beobachtet und dann und wann auch nach
seinen Wassei'plätzen , wo aus tiefen Löchern das Vieh ge-
tränkt wird. Der Name Anseba selbst dient auch zur
Bezeichnung des anliegenden Landes und bezeichnet bei den
Eingebomen die QoUa von Gundebertina bis Saraua. Wir
theilen seinen Lauf vorläufig in oberen, mittleren und unteren
M uusinger, OsUfiik. 8tudi«u. 17
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258 Reise in's Land der Mareo.
ein, indem wir uns vorbehalten, jeden besondere zu charak-
terisiren. Der Oberlauf geht bis Kuariko, der Mittellauf bis
Saraua, der Unterlauf bis zu seiner Vereinigung mit dem
Barka.
Der Anseba bildet sich sogleich nördlich von Tsasega ein
Thal, das sich stufenweise immer mehr vertieft. Das Hoch-
land zieht sich rechts als Ostrand durch Eameshim und
Dümbesan ohne Abfall fort, während es links in den lang-
samen, sanften Stufen von' Az Johannis, Az Maman und Gun-
debertina sich abdacht. Der Anseba gräbt sich zwischen dem
Ostrand und dem westlichen Terrassenland ein sehr tiefes,
enges und steiniges Thal, reich an Katarakten, nimmt die
Wasser von Kameshim und den Stufenländern auf und kommt
erst in Gundebertina wieder zum Niveau des Westrandes. So
weit geht der Oberlauf; sein Charakter besteht darin, dass er
die Hochebene noch nicht consequent als tiefes Thal in zwei
gabelförmige Ausläufer trennt, sondern sich vielmehr in zwei
nach Norden parallel laufende Stufen scheidet, die eine höhere,
den Stock fortsetzend, die andere in Stufen, die von Ost nach
West gerichtet sind, sich senkend, wozu der Anseba wild mit
weniger Ordnung, aber sich corrigirend, wieder zurückkommt;
er ist in diesem seinem Oberlauf noch sehr eng, ohne Ufer-
ebene, ohne Gebiet.
Unter Gundebertina reisst sich der Anseba von seiner Ab-
hängigkeit los und bildet sich ein eigenes Reich, die QoUa
der Bogos; das Hochgebirge trennt sich erat hier entschieden;
der Anseba in der Mitte bildet sich ein Thal, das breiter
und enger mit dem Fluss auf gleichem Niveau steht, aus
Uferebenen und wenig erhabenem Hügelland bestehend; die
einzelnen Berge bilden keine Ausnahme von besonderem Cha-
rakter. Dieses Flussgebiet bildet das Gebiet der Bogos, Be-
djuk und Beit Takue von Kuariko bis Saraua, etwa zwölf
Stunden lang und sehr breit; der Fluss mit langsamerem Fall,
nur selten. von Katarakten gehemmt. Dieses Thal ist rechts
und links von den Ausläufern des Hochgebirges in der Mitte
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Reise in's Land der Marea. 259
gehalten; sein Ausläufer geht als Hochland von Mensa und
Habab mit fast immer gleicher Höhe (5 — 6000 Fuss) und
schönem, ebenem Land, ohne die Abfälle wohl fünf Stunden
breit, von Südost nach Nordwest. Gegen Nordost fallt er in
Vorbergen langgezogen gegen die Küste ab; gegen West be-
grenzt er als Eibaba und Aggaro die Bogoa und Bedjuk von
Mensa, verengt sich dann bei Mäs'hälit und erniedrigt sich zu
einem Sattel ,. wovon gegen Ost gehend das Thal von Lebka
ihn durchschneidet, und nähert sich endlich als Zerech und
Agäme und Rora Az Tekles wieder dem Anseba. Der Abfall
dieses Ostausläufers fällt gegen das Meer 5000 Fuss ab, aber
ohne Steilheit, gegen den Anseba dagegen nur 1500 Fuss,
aber als steile Mauer.
Der Westausläufer des Hochgebirges verlängert sich von
Gundebertina links hin gerade fortlaufend zur Rora Beit Andu
und Rora Az Geret, wird dann plötzlich durch das tiefe und
breite Thal von Boggu schief geschnitten und unterbrochen;
setzt sich dann als Rora Az Gabru und Aretta wieder fort
und geht durch einen schmalen, wenig gesenkten Sattel kaum
unterbrochen in das Hochland der Halhal über, wo sein Ost-
abfall bei Saraua, gegenüber der Rora Az Tekles, bis an's
Wasser des Anseba tritt. Dieser Westausläufer des Hochlan-
des ist sehr ungleich an Höhe; doch hält er sich stets im
Niveau des Olivenbaums. Sein innerer Abfall ist nicht
so kühn und klar, wie der Abfall von Mensa und viel unre-
gelmässiger, mit vermittelnden Thälem und Vorbergen. Der
Ostausläufer ist viel ausgedehnter, enthält grosse, bevölkerte
Ebenen und fällt langsam vermittelst Längen- und Querthä-
lem in das Samhar hinab; der Westausläufer ist schmal, mit
kleinen Ebenen, wenig bewohnt und fällt den freilich viel
kürzeren Abhang nach dem Barka viel steiler hinab. Aehnlich
sind sich die beiden Gebirgsausläufer darin, dass sie dem Anseba
nur Abhangswasger zuschicken; das eigentliche Hochwasser,
das aus dem Kern der Hochebene herausläuft, schicken sie
gegen aussen, Mensa und Habab dem Lawa und Lebka,
17»
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260 Reise in's Land der Marea.
Rora Beit Andu und Bora Az Geret dem Barka zu. Den An-
Rcba bereichern sie nur zufällig. Sie gehen parallel unter-
einander und mit dem Anseba.
Das Tiefland, das der Mittellauf durchzieht, ist nicht sehr
breit und durch die Ausläufer der zwei Gebirgsketten bei
Tshabbab in zwei Theile gesondert. Den oberen Theil cha-
rakterisiren die grossen Hügel, fast Berge, die den Strom
einengen und verbergen; unter Tshabbab erniedrigen sich die
Hügel, die Uferebenen werden grösser und zahlreicher, das
Land offener. Bei Saraua treten die Gebirgszüge wieder ganz
nahe an den Strom, als ob sie sich vereinigen wollt-en und
es gelingt ihm nur mit Mühe, sich durch die Felsen durch-
zuzwängen; er wird eng, schroff, düster, steinig, selten durch
eine Uferebene oder ein Thal erweitert. Das ist sein Unter-
lauf. Die Gebirge, die ihm so den Weg versperren, sind links
die von Halhal und Marea, äusserster Westauslä^fer, und rechts
die Rora Asgede mit ihren Fortsetzungen, äusserster Ost-
ausläufer des Hochgebirges. Hier scheint es, als ob sich diese
Ausläufer wieder zum Charakter der abyssinischen Daga em-
porschwingen wollten; ihre Höhe, die Ausdehnung, die Was-
ser und die Vegetation ihres Rückens zeigen uns ein zweites
Hamasen. Selbst die Trennung, die sie seit Gundebertina
freiwillig eingegangen, scheint sie zu reuen, sie streben wie-
der zusammenzuwachsen; doch lacht der schon mächtig ge-
wordene Anseba ihrer Anstrengung, jetzt hat er Wasser ge-
nug, imi Berge zu überschwemmen, siegreich durchbricht er
die Engen und kämpft sich den Weg in's freie Land, während
seine Gegner, die zwei Brüdergebirge, von der übermässigen
Kraftentwickelung wie erschöpft, fast plötzlich zur Ebeiu*
hinabfallen. Doch behauptet auch hier der östliche Ausläufer
den Vorrang, da er ungleich breiter Aveitentlegene, abei*
frische Zweige bis Beit Male und Hager sendet, wo zum letz-
ten Male die Olivenwälder und die sprudelnden Quellen au
das ferne Mutterhochland mahnen; seine Abdachung gegen
das Meer ist allmälig, während der Westausläufer fast ohne
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Heise in's Land der Marea. 261
Uebergaug steil iu*s Barka abfällt. Gegen Süden, dem An-
seba zu, sinken sie beide gleich plötzlich als senkrechte Mauer
hinter. Die Ostkette beherbergt die Habab und die Beni Amer
vom Söhel; schöne, fruchtbare Hochebenen werden nur zur
Weide benutzt, wähi-end die Westkette, deren sparsame Enge
den Raum um so kostbarer macht, zum letzten Mal die Pro-
duction Hochabyssiniens, den Anbau von Weizen, Gerste und
Xuhuk, erfolgreich nachahmt. Dicss ist das Land der Halhal
und Marea, Ziel unserer Reise.
Der Enge, seinem Element, entronnen verliert der Anseba
seine Selbstständigkeit; er ist nicht mehr Princip, er wird Theil
des Barka -Fluss- Systems schon vor seiner Vereinigung, er
kommt in's Niveau der Ebene und anstatt den Namen zu
geben, nimmt er ihn vom Ufer an und endlich übergibt er
sich dem stärkeren Bruder, dem gewaltig breiten Barka, dessen
Anfänge ihm bei Gundebertina so nahe standen. Auch hier
spiegelt sich der Zusammenhang der Menschen und der Natur.
Der abyssinische Anseba ist schmal, mager und nervig, wie
der ihm anwohnende Mensch, aber gewaltiger mit grösserer
Zugkraft und Wassermenge, die er fast unversehrt dem Ziele
zuführt, während der Barka ungeheuer breit, das Kind der
Ebene, grossen Namen und imponirendes Aussehen hat und der
Vereinigung den Namen gibt; sein Wasser verliert er zum
grossen Theil auf dem Wege; er kann seinem prahlerischen,
fetten, phlegmatischen Anwohner verglichen werden. Und
dass nicht der Anseba die Vereinigung tauft, ist natürlich,
da der Barka, in der Ebene geboren und auferzogen, bis zum
Ziel in seinem Elemente bleibt, während sein «Bruder .vom
Berge» in der Fremde sich wohl dem Landeskind anschmie-
gen muss.
Das Gebiet von HaMial und Marea sendet seine Wasser
spärlich dem Anseba, reichlich dem Barka zu. Doch müssen
wir hier noch die Zuflüsse des mittleren Barka berühren, da
ihr Thalgebiet politisch zu Halhal gezählt wird.
Der Mittellauf des Anseba empfängt eine halbe Stunde unter-
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262 Reise in's Land der Marea.
halb Tshabbab den Feieloch, der von den Abhängen des Lalamba
entspringt. Er ist ein von grossen Bäumen beschatteter breiter
Strom ; da sein Lauf aber sehr kurz und der Scheitel des La-
lamba schmal ist, so ist er fast beständig wasserlos.
Bedeutender ist der Shitamo oder Bijan, mit diesem Na-
men nahe seiner Mündung benannt, dessen Gebiet ein läng-
liches Thal mit mehreren Ausläufern bildet; seine Quellen
sind die Bäche von Bab Gengeren, Dobak, Gabei Lokum, die
ebenso viele kleine Thäler bilden. Er lässt den Berg von
Hubub Angelle rechts und vereinigt sich mit dem Anseba bei
Zeron.
Unter Zeron empfängt der Unterlauf des Anseba nur die
Wasser des Bergabhanges, da das Hochgebirge selber dem
Barka zugewandt ist; so den Strom von Darikal, der vom
Abhang von Rehi sich in den Abgrund ein enges Thal aus-
höhlt und unter Gedlet sich vereinigt; ebenso der Waldbach,
der, von der Wasserscheide zwischen Shaka und Asunfa ent-
springend, sich bei Höbero in den Anseba stürzt. Wir be-
rücksichtigen diese Zuflüsse nur, weil der erstere eine, wenn
auch unvollkommene Strasse nach Rehi bildet; die Karawanen
von Massua laden ihre Kameele hier ab und transportiren
ihre Waaren das Thal hinauf mit Eseln. Der Bach von Hö-
bero führt zu einem nicht steilen Sattel, der auf der West-
seite ganz sanft nach One und so nach Kednet hinabführt
und so bildet er den kürzesten, Weg, auch für Kameele gang-
bar, von Erota nach dem Anseba.
In Sherit, eine Tagereise unterhalb Kednet, vereinigt
sich der Strom von Se/a, so mit dem letzten Ausläufer gleich
benannt; ihn bilden:
1) Der Strom von Sor, mit dem sich der Bach von One
vereinigt- ,
2) Der Strom von Azmat, den der Bach von Kednet, ein
zweiter von den Abhängen von Ire und ein dritter von Kush
bilden.
Die zwei Bäche vereinigen sich eine Stunde unterhalb Azmat.
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Reise in's Land der Marea. 263
Verfolgen wir den Anseba unterhalb Sherit bis zu seiner
Vereinigung.
Wenn es leider nicht möglich war, dem Lauf so weit nach-
zugeben, hatten wir doch bei unserem Aufenthalt in Kelbetu
die schönste Gelegenheit, durch eine Reihe von Augenzeugen,
Leuten von Marea, Barka, Beit Male, uns über diese Strecke
vollständig zu vergewissern. Von Höbero bis Sherit ist der
Anseba noch immer eng und klippicht. Gegen Sherit hin er-
weitert sich sein Thal, da das Marea-Gebirge plötzlich abfällt
und die Habab-Berge mehr zurücktreten.
In SeTa vereinigt sich mit dem Anseba von rechts der
Strom von Adobha, der zwei Quellen hat; die erste kommt von
den Abfällen der Habab, die zweite von Hager und dem Ge-
birge von Beit Male. Von Hager (altem Kloster Agere Na-
geran) werden schöne Hochebenen mit Wäldern von Oliven
und Agam gerühmt.
Die Vereinigung des Anseba mit dem Barka ge-
schieht zwei Tagereisen unterhalb Sel'a bei Ijob.
Nach den vielen Erkundigungen von allen Seiten kann ich
über diesen Punkt keinem Zweifel mehr Raum geben. Wenn
mir firüher der grosse Sheich der Beni Amer, ohne die Ver-
einigung in Frage zu ziehen, als die Stätte derselben nicht
Ijob, sondern Falkat nannte, verändert das die Hauptfrage
nicht; übrigens kann Ijob auch Falkat heissen, da dieser
letztere Name in der Tigre- Sprache «Gabel» bedeutet und
also so gut wie Mohäber (Vereinigung) eigentlich jeder Mün-
dung eines Flusses in den andern zukommt. Der Name Mo-
häber ist daher sehr häufig und. das Gleiche kann mit Falkat
stattfinden.
Wir haben schon bemerkt, dass das Wasser von Halhal
und Marea fast nur dem Barka zufliesst
1) Den Sabr bilden erstens der Kerkeriu, Vereinigung
des Wassers von Mai Aualid, von Tshurum und Halhal (Hin-
djune). Die beiden letzteren, kaum eine Stunde unter der
Höhe von Tshurum vereinigt, werfen sich zwei Stunden ober-
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264 Reise in's Land der Marea.
halb Mohäber in den Kerkeriu, der das Wasser von Mai
Aualid und Beit Höbei zwischen dem Gebirge von Gabei Alabu
und Mosafar nach Mohäber trägt, wo er zweitens den Aig
empfängt, der in Molebso entsprungen, Mosafar und Tsellema
trennend, am Berg Hafiilei vorbei nach Mohäber geht. Dann
gehen sie vereinigt als Sabr an Hömmeret Goila vorbei tind
münden in den Barka eine Stunde unter Adartie bei Af Sabr
(Miuid des Sabr.)
2) Den Hademdeme bilden die Wasser des Debre'Sale; er
mündet in den Barka eine Stunde unter Dunguaz bei Af
Hademdeme.
3) Der Hombol und Marieit, beide von den Marea kom-
mend, vereinigen sich miteinander im Tiefland angekommen
und mit dem Barka bei Karkabat.
Den Marieit bilden:
a).Der Af Marat, der als Mädeit von Henik Hamas ent-
springend, zwischen Tsellema und Melbet durchttiessend, in
Angesha die Lokalwasser des Längenthaies von Asalle und
den Höhen von Angesha aufnimmt und sich am Nordrand
des Debre Säle in das Tiefland stürzt.
b) Der Strom von Andelet, bereichert durch die Bäche
von Melbet und Mussa Gerbetu, nimmt dieselbe West-Richtung.
c) Der vereinigte Strom von Ire und Dekinet
Diese drei Ströme vereinigen sich in der gleichbenannten
Ebene Marieit und dann mit dem
Hombol, der die Wasser von ganz Nord -Marea, Erota,
Kelbetu, Fat mitführt.
Von ihrer Vereinigung bei Ijob kennen wir den Lauf des
Barka bis Kerr (von den Hadendoa mit dem Artikel To'kerr,
vulgo Tokar genannt). Wir führen hier die übereinstimmen-
den Angaben der Eingebornen an, da uns die vielen euro-
päischen Reisenden keine bestimmte Nachricht über seinen
weiteren Lauf gegeben haben. Dass der Anseba oder der
vereinigte Anseba-Barka nach Aqiq tiiesse, das habe ich von
niemandem gehört und auch wissend nie behauptet. Nach
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Reise in's Land der Marea. 265
allen Berichten voji Augenzeugen strömt der vereinigte Fluss
Hach ohne alle Hülfe der Kunst in die Ebene hinaus, die er
auszuhöhlen wohl keine Kraft mehr hat; der ungeheure Lauf
mit sehr breitem Bett bei unbedeutendem Fall macht, dass
er nur wenig Hindernisse nöthig hat, um See oder Sumpf zu
werden. Ich weiss nicht, was ilm in seinem Lauf gegen das
Meer hemmt; aber die Eingebornen behaupten einstimmig,
dass er nur bis To'kerr gehe: von einer Mündung bei Badur
wusste niemand etwas, und wenn da auch ein Strom mündet,
kann er wohl ein anderer sein, von den Abfällen des Gebirges
herkonmiend. So lange niemand mit eigenen Augen diesen
Punkt vergewissert hat, sollte man sich rein an die Aussagen
der Eingebornen halten und sollte sich ja vor müssigen Con-
jecturen hüten, die die Geographie nur zu oft in Verwirrung
bringen. Der Versuch, den Anseba nach Aqiq zu bringen,
würde seine Vereinigung mit dem Barka in Frage setzen, da
der letztere mit dem Namen von To'kerr identisch ist und
schwerlich wieder nach Aqiq zurückkehren kann.
Das Gebiet des Anseba ist das Gebirge, er sinkt
nur allmälig in die Ebene hinunter; der Barka ist das
Kind der Ebene, seine fernsten Quellen kommen nur vom
Gebirgsabhange, während das eigentliche Hochgebirge des
Hamasen sein Wasser zwischen dem Anseba und Mareb ver-
theilt. Daher hat der Barka, kaum geboren, wenig Fall mehr
nöthig, um in Kerr anzukommen; sein Fall wird noch durch
die Länge des Laufes vermindert, während der Anseba, der
sonst direct in gerader Linie seinem Ziel entgegengeht, und
vom Innern der Hochländer, 6000 Fuss, kommt, einen sehr
bedeutenden Fall nöthig hat. Der Anseba ist immer von
Bergen und Hügeln eingeschränkt, eng, reich an Katarakten,
während der Barka, in offenem Land geboren, breit und offen
daliegt, ohne Stix>mschnellen und Hindernisse. Wir möchten,
wenn es erlaubt ist, den Anseba dem Nil oberhalb Assuan,
den Barka dem Nil -Delta vergleichen. Der Anseba erkämpft
sich sein Bett und höhlt es aus, der Barka scheint sich sein
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266 Reise in's Land der Marea.
Ufer erst gebildet zu haben. Der Anseba beraubt sein Ufer-
land; der Barka scliaflft sich erst ein Ufer und macht es so
zum fruchtbaren Alluvialland.
Der Lauf des Anseba ist sehr schnell, der des Barka be-
dächtig langsam. Das Wasser des ersteren wird im Winter
sehr tief, während der letztere selten sein Flussbett ausfüllt
Der Anseba bildet wenig und sehr kleine Uferebenen, wäh-
rend der Barka so reich daran ist. Daher ist der Anseba für
Cultur wenig geeignet und selbst unter Tshabbab, wo er am
offensten ist, würde er, künstlich aufgehalten, wenig nützen,
da sein Wasser doch nicht die Hügel überschwemmen kann.
Im Gegentheil ist der Barka, der fast auf dem Niveau seines
Ufers steht, zu künstlicher Bewässerung sehr geeignet, doch
fehlt ihm vielleicht die nöthige Wassermenge.
Da der Anseba wenig Ufer hat, ist seine Vegetation für
die Viehzucht von wenig Bedeutung, während der Barka mit
seinen Ebenen in dieser Beziehung sehr wichtig ist Dagegen
ist der Anseba reich an schönen, hoch und gerade gewachsenen
Bäumen, mit ewigem Schatten, der ihm einen dunkeln An-
strich gibt, während der Barka von einförmigen Dum- Wal-
dungen begleitet und so schattenlos ist. Der Anseba ist das
Land christlicher Ackerbauer; seine Bewohner waren bis auf
die neuesten Zeiten Christen; Ueberreste von Kirchen und
Klöstern finden sich bis Hager, während das Barka-Land, üßt
immer von heidnischen oder mohammedanischen Nomaden be-
wohnt, ausschliesslich für Viehzucht benutzt wurde.
Beide Flüsse fliessen nur im Winter auf der Oberfläche,
doch haben sie das ganze Jahr einen bedeutenden unterirdi-
schen Fluss, beim Anseba von durchschnittlich 6 Fuss, beim
Barka von 15 Fuss Tiefe. Daher sind beide reich an kalten,
feuchten Dünsten und bedrohen ihre Anwohner mit Fieber.
Doch verbietet schon der Mangel an Raum dem Menschen,
am Anseba seinen Wohnsitz aufzuschlagen; nur unterhalb
Tshabbab ist er auf die Uferebene angewiesen, während
der Barka als eigener Schöpfer seines Landes (als sein Herr)
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Reise in's Land der Marea. 267
und als einzige Wasserquelle, ohne Berg und Höhe die Be-
wohner in der Tiefe festhält. Dass aber der Anseba auch
reich an Fieber ist, beweisen die jährlichen Septemberfieber
der Leute von Bedjuk und selbst von One, und die Sage
von den Beit Mushe, deren Dorf am Anseba in Einer Woche
bis auf den letzten Mann vernichtet wurde, sodass Haus und
Heerde ohne Herrn und Hirten gefunden wurden, muss eine
furchtbare Wahrheit andeuten.
Charakteristisch ist, dass die Wasser des West -Hochge-
birges fast ohne Ausnahme dem Barka zueilen, sodass der
Anseba keinen Zufiuss hat; der Strom von Sei^a macht der
Bodenfigur nach keine, wahre Ausnahme von dem Gesetz. Das
Gleiche kann man vom Ost-Hochgebirge, wenigstens von Maldi,
Mensa bis Az Tekles nachweisen, deren grosse Gebirgswasser
alle dem Meere zueilen. Die Zuflüsse des Anseba kommen
ihm von den Abhängen und der QoUa; seinen Reichthum an
Wasser bringt er sich schon von seiner Quelle mit. Unter-
halb Az Tekles habe ich persönlich nicht beobachtet; wir
haben aber da nie von einem bedeutenden Zufluss reden gehört,
wenn man nicht den Adobha davon ausnimmt, dessen Quell-
gebirge aber nicht mehr zum Habab-System zu gehören scheint
Diesen Umstand verständlicht nur die Figur der beiden paral-
lelen Hochländer, die sich uns wie zwei Mauern darstellen,
deren schiefe Dächer gegen aussen gekehrt gegen West und
Ost abfallen. Die Wasser von Bora Beit Andu, Adürbe, Beit
Gabru, Orella, Halhal, Marea haben ihre grösste Höhe dem
Anseba zugekehrt und senken sich gegen das Barka hinab;
ebenso zeigen die Gebirge von Maldi, Mensa und Habab dem
Anseba nur den Kücken und neigen sich zum Meer hinunter.
Die beiden Hochgebirge öffnen sich gegen aussen in langen,
vom Kern der Hochebene hervorkommenden Thälem, während
sie sich vom Anseba stolz abschliessen, ohne Verbindung und
Terrassenabfall, und so ist dieser Fluss unterhalb Saraua fast
nur negativ als Trenner der Hochländer wichtig, und tiefer
und tiefer wühlt er sich sein eigenes Bett und als Isolator in
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268 Reise in^s Land der Marea.
schauerlichem Abgrund zwei Hochländer trennend, die früher
vielleicht zusammenhängend in Höhe, Natur und Boden ganz
gleich sind, tritt er nirgends mit denselben in freundlichen
Verkehr und Zusammenhang.
• Nachdem wir nun so den allgemeinen Wasserzusammen-
hang begriffen haben, werden wir die so gewonnene An-
schauung zur Erklärung der üebii'gsformen benutzen. Um
uns davon ein klares Bild zu machen, wollen wir sie nur mit
Hülfe der Wasserkraft genetisch entwickeln.
Man muss zuerst, die Wasserkraft ganz unberücksichtigt
gelassen, das Hochland von Halhal imd Marea als einen eini-
gen, gegen NNW. gerichteten Gebirgsstock fassen, von 6 Stun-
den Breite und 15 Stunden Länge, als schiefe dem Barka
zugewandte Ebene, den Scheitel dem Anseba zugewandt und
in dieser Richtung steil abfallend, im Grossen und Ganzen
als Fortsetzung der Rora Beit Gabru und Rora Aretta.
Auf diese schräge Ebene hat das Wasser in zwei Direc-
tionen gewirkt; die erste Direction ging von Ost nach West
und hat sich drei Thäler ausgewaschen, die den Westrand
des Gebirges in ebenso viele einzelne Gebirgszüge zertheilen,
deren jeder einzelne vom andern durch eine schmale, aber
sehr tiefe Kluft getrennt ist. Man kann sich so den südlichen
Theil von Marea als eine Hand vorstellen, deren Fläche, öst-
lich liegend, ihre langen Finger gegen Westen ausspreizt. Die
Hand stellt das fast zusammenhängende Hochland von Halhal
bis Geridsa vor; die Finger sind die Ausläufer von Gabei Alabu.
Mosafar, Tsellema und Melbeb. Diese vier Höhenzüge sind
offenbar gegen West in der gleichen Linie und haben gleiche
Höhe. Doch fallen sie nicht plötzlich bis zum Barka hinab,
sondern machen auf halbem Wege Halt, und die Mittelter-
rass(», die dermassen gebildet wird, zeigt sich als Längenthal,
das, dem obern Gebirgsrand parallel laufend, durch die Sättel
von Asalle getrennt von Mussa Gerbetu bis zum Sattel von
Angesha sich hinzieht und so die getrennten Gebirgsausläufer
vor ihrem Fall in die Ebene wieder miteinander verbindet.
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Reise in's Land der Maren. 269
Nördlich von Geridsa hört die Trennung in Querthäler auf,
aber der Ostrand fällt von Andellet mit bedeutender Senkung
gegen die Ebene von Ire ab. Von da fängt das Wasser an
von Süden gegen Norden zu wirken und gmbt sich das Thal
von Kednet aus, als Miniatur-Nachahmung des oberen Anseba,
und zertheilt so das Gelnrge in zwei Ausläufer, die gegen
Norden gerichtet sind. So dehnt sich Geridsa rechts bis Asunfa
und Shaka aus , während Ire und Dekinet linkshin zuerst als
sehr schmaler Gebirgsrücken fortzieht, in Sheliwai breiter wird
und als Hochebene Ser'a erreicht.
Debre Säle hängt bei Angesha mit seinem Eckwinkel iji-
sofern mit dem Marea zusammen, als es davon nur durch
eine Mittelterrasse getrennt ist und nicht von dem Niveau des
Barka an allehi hinaussteht. Dieser Berg ist reich an grossen
culturfahigen Ebenen, die aber schon lange nur als Weiden
benutzt werden. Sein Wasser könnte nur für die Bewohner
genügen.
Alle diese Hochländer haben ungefähr das gleiche Niveau
mit etwas höherem Ostrand. Wenn wir Keren zu 4400 Fuss
über dem Meer annehmen, Boggu zu 3600 Fuss, Anseba und
Tshabbab zu 4200 Fuss und Mensa zu 5000 Fuss, können
wü- durch Schätzung und durch Vergleich analoger Vege-
tations- Verhältnisse folgende Höhen annähernd annehmen:
Halhal zu 5600 Fuss, Geridsa zu 5900 Fuss, das Thal von Ked-
net bei Azmat, wo seine grösste Tiefe (wie Boggu) zu 3600 F.,
Kelbetu und Ire zu 5100 Fuss (wie Adürbe), Hafulei zu
3600 Fuss und Debre Säle zu 5000—5600 Fuss. Die Berge
von Habab sind von uns nicht geschätzt worden, sie müssen
aber fast so hoch als Geridsa sein, da ihr Band sowohl von
One Halhal über Mogedde hinaus, als von Debr Kuddus über
Shaka hinaus von uns erblickt worden ist. Auch das Habab-
Gebirge ist eine Kora, d. h. enthält Hochebenen, die aber den
Heerden überlassen sind. So sind die abyssinischen Habah
zu Nomaden geworden und die arabischen Marea zu fleissigen
Ackerbauern.
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270 Reise in's Land der Marea.
Wenn man sich also unter den Hochgebirgen von Halhal
und Marea ein Hufeisen vorstellt, dessen ?wei Arme gegen
Norden gerichtet sind und an dessen südlichem Bogen eine
Hand quer darauf geheftet ist, deren Finger gegen Westen
ausgestreckt sind, hat man den wahrsten Begriff von ihrer
allgemeinen Configuration.
Alle diese Hochebenen , wie Molebso und Rehi (allgemein
Geridsa genannt), Asunfa und Shaka, Ire und Dekinet, Erota,
Sheliwai, Fat, Abligo u. s. w. muss man sich nicht als regel-
mässig fortlaufend denken, sondern als unregelmässiges Hügel-
land, das durch Wald, Feld, Kluft und Strom wieder in eine
Menge kleiner Flächen streng abgesondert ist; die grösste
dieser Ebenen ist gewiss Geridsa, das fast imunterbrochen
von Rehi bis Tsellema und Mosafar und vom Abhang von Mo-
lebso bis zum Henik Hamas fortläuft.
Die Natur hat dieses Gebiet auch politisch eingetheilt:
1) Den Anseba selber theilen sich von Tshabbab aus die
Bedjuk und die unteren Beit Takue, die ersteren rechts,
die anderen links des Flusses.
2) Die Az Gabdja und Az Tshaffa trennt links der Ab-
grund von Kerkeriu, rechts die Ebene von Beit Höbei von
den Marea.'
3) Die rothen Marea trennt der Abhang von Andellet von
Ire, der Abfall von Tshabel von Kednet und äer Sattel von
One von Shaka, alle drei Sitze der schwarzen Marea.
4) Das so isolirte Shaka wird von Az Ato Byrhan, einem
Zweig der schwarzen Marea, bewohnt.
5) Die durch Andellet abgeschnittene Ebene von Ire mit
ihrer Verlängerung bis B'at haben die Az Tembelle inne, ein
anderer Zweig der schwarzen Marea.
6) Nördlich von B'at und Sheliwai bis zum Abfall von
Se/a wohnen Az Idjel, ein anderer Zweig von Az Ato Byrhan.
7) Das Thal von Kednet haben die Az Tshankera inne,
ein dritter Zweig der schwarzen Marea. ^
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Reise in's Land der Marea. 271
8) Den Anseba selbst bewohnen vorzüglich die nomadischen
Az Tekles.
9) Debre Säle, früher christliches Land, ist jetzt Gemeinde-
weide der Beni Amer, Beit Takue und Marea.
10) Das Barka selbst gehört den Beni Araer'n, doch wird
es auch von den Hochländern zur Weide benutzt und die
Thäler von Tshurum, Medjlel bis Hömmeret Goila und Shelab
sind noch Eigenthum der Beit Takue und werden von ihnen
zur Cultur benutzt.
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lieber die Beni Amer.
Munxinger, OsUfrik. Studien. 28
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Allgemeine Bemerkungen.
Das Land der Beni Amer theilt sich in zwei scharf ab-
gegrenzte Striche, in das Barka und das Söhel. Das Söhel
(arab. J^^L*., Meergestade) ist die directe Fortsetzung des
Samhar gegen Norden. Es erstreckt sich als Gebiet der Beni
Amer bis Aqiq. Es unterscheidet sich insofern vom Samhar,
als es weniger von einem hoch aufsteigenden (iebirgsland be-
grenzt wird, sondern sehr allmählig steigend zu dem wenig
erhabenen Barka sich erhebt. Das Samhar lehnt sich an das
60()0 Fuss hohe Abyssinien , das Söhel geht in das kaum
2000 Fuss hohe Barka über. Wir müssen uns das Söhel als
eine grosse Ebene vorstellen, von einem zemssenen Bergland
begrenzt, als Wasserscheide zwischen Meer und Barka. Die
Beni Amer bewohnen also hier die Verlängerung des Landes
der Habab, welche aucli vom östlichen Abhang des Hochlandes
bis zum Meergestade hinaus wohnen. Wir haben das Innere
des Söhel nie besucht, wir lernten nur das Gestade kennen;
es wird von allen Augenzeugen als sehr dürr geschildert und
ist noch wasserloser, als das Samhar.
Nach dem, was wir in der geographischen Skizze gesagt,
lehnt sich das Barka an das nördliche Hochland Abyssiniens.
Es bildet eine Ebene, die aber noch oft von letzten Gebirgs-
ausläufern unterbrochen wird; es hat also einen Doppelcha-
18*
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276 üeber die Beni Amer.
rakter, der sich auch seinen Bewohnern aufprägt; die Beni
Amer sind nämlich halb aus Abyssiniem und halb aus Bedou
oder Bedja, den Kindern der unermesslichen Fläche, zusam-
mengesetzt. So fehlt es dem Barka nicht an Bergen; da sie
aber keine Hochfläche bilden, so sind sie nur fähig, die ein-
zelnen Ebenen voneinander zu trennen, nicht aber dem Lande
einen Gebirgscharakter zu verleihen.
Wir haben schon in andern Unte^uchungen gezeigt, dass
das abyssinische Hochland, das nach Osten hin schroff gegen
das Meeresgestade abfällt, gegen Norden nur allmählig zur
Ebene sich abflacht und zwar in drei Richtungen: das Plateau
von Tsasega als Fortsetzung des Okulekusai verlängert sich
gegen Norden* in rechtem Flügel als Land des Anseba und
zieht sich mit immer abnehmender Erhebung fest bis Suakin.
Pas Plateau des Tigre sinkt gegen Norden zimi Shire, Adi-
abo, Bazenland als linker Flügel; es streckt sich noch als
unbedeutendes Plateau von Algeden aus, das sich zwischen
M*areb und Barka legt und weist noch weit nördlich als Ha-
dendoaberge seine letzten Spur€?n. In der Mitte dieser beiden
Flügel endlich sinkt das marebumflossene Sarae zur QoUa
Sarae ab und ihm lehnt sich von Norden das Flachland Barka
an, gleichsam als Hof zwischen einem Flügelgebäude rechts
vom Ansebaland beschränkt, links vom Plateau von Algeden.
Ihm gehört also auch der untere Anseba an, wie das politisch
getrennte Land der Barea.
Dieses Tiefland durchzieht und schafft eigentlich der Strom
Barka, den wir geographisch charakterisirt haben; seine
durchschnittliche Höhe ist 2000 Fuss bis zum 16. Grad. Wir
haben Höhenbestimmungen von Serobeti (2113), von Mogelo
(2340), von Taura(2000 Fuss). Seine Höhe geht dem des Gash
ungefähr parallel (Kassala 1800). Das Land Barka besteht
aus grossen Alluvialebenen mit schwarzer fetter Erde, von
den Strömen gebildet und unterbrochen von einzelnen Bergen
und welligem, dürrem, steinigem Hügelland. Besonders das
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üeber die Beni Amer. 277
obere Barka bis El Hesh wird von Bergen sehr eingeschränkt;
es ist grasreich und den Heerden besonders günstig.
Der Name Barka bedeutet eigentlich Wildniss (im Amhar.
Berha); es ist die «Baraka» der Abyssinier; die Ansebavölker
nennen es Barka, die Beni Amer aber Baraka. Er bezeichnet
sowohl den Strom selbst, als sein Gebiet. Es ergibt sich aus
de^l früher Gesagten, dass er ein Torrent ist, d. h. nur aus-
nahmsweise in der Regenzeit fliesst; sonst hat er nur unter-
irdisches Wasser. Auch in der Regenzeit hat er selten viel
Wasser, da sein Quellgebiet beschränkt ist. Dagegen erreicht
er eine bedeutende Breite, die ihm in seinem Unterlauf kein
Berg wehrt. Seinen Lauf bezeichnen die ihn fast bis zum
16. Grad begleitenden Dumwälder. Das Land Barka hat also
kein fliessendes Wasser, dagegen finden sich unweit Dunguaz
bei Bela Genda zwei kleine Seen, wovon der grösste ^twa
eine Quadratstunde gross ist und nie austrocknet In der
Regenzeit findet sich überhaupt viel stagnirendes Wasser, das
der thonige Boden aufbewahrt. Stunden weit ist oft der Boden
mit Wasser bedeckt. Der Regen fällt von Ende Juni bis
September, während das Söhel mit dem Samhar correspondirt;
er fällt meist in der Nacht mit grosser Heftigkeit. Das Klima,
ist der Viehzucht äusserst günstig; Ackerbau verbietet bis
jetzt nur die dünne Bevölkerung und die Unsicherheit der
Zustände; Baumwolle würde ausgezeichnet gedeihen. Obgleich
Fieber wie in jedem heissen Tieflande nicht fehlen, so haben
sie selten den gefährlichen Charakter der Sudanfieber. Wir
haben qs also mit einem dünnbevölkerten Lande zu thun, da
Nomaden nicht eng beieinander wohnen können; deswegen
fehlt ihm der Reiz der ungestörten Wildheit nicht; zahlreich
sind hier alle Thiere der afrikanischen Steppe vertreten , vom
Elefanten und dem Nashorn bis zur Gazelle; die Vegetation
ist fast ohne Ausnahme die des Sudan.
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Ethnographisches.
In diesen weitläufigen Niederungen also, die Abyssinien
von Norden anliegen, auf eine Weise wie das Meer die Insel
bespült, finden wir ein nomadisches Hirtenvolk, das gewöhn-
lich unter dem Namen Beni Amer (Amer's Söhne) zusammen-
gefasst wird. Sie theilen sich, wie gesagt, in zwei grosse
gleich starke Provinzen, in die Bewohner des Barka und die
Bewohner des Söhel. Wenn wir nun untersuchen wollen, was
unter diesem Volke zu verstehen ist, so thun wir es gezwun-
gen durch die vielen falschen Vorstellungen, die von Zeit zu
Zeit in den geographischen Werken zu Tage treten. Denn
in der Frage über ein äthiopisches Urvolk spielen natürlich
die Beni Amer eine ge¥d88e Rolle.
Um uns nun vollständig zu orientiren, müssen wir uns
die Stellung der Beni Amer in Ostafirika ansehen und finden
vorerst im Norden die Hadendoa und Besharin, die den gros-
sen Raum zwischen Nil und Meer von den Grenzen Aegyptens
an ausfüllen. Obgleich diese Völker politisch getrennt sind,
haben sie ungefähr den gleichen Typus und gleiche Lebens-
art, und sie spre(^hen ohne Ausnahme die gleiche Sprache,
das To'bedauie, dessen Grundzüge wir den Kennern mitthei-
len wollen, aber ohne zu wagen, seine Stellung zu den andeni
Sprachen zu bestimmen.
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üeber die Beni Amer. 279
Im Süden der Beni Amer finden wir Semiten, die das
Hochland in seiner weitesten Ausdehnung in Besitz halten
und Dialecte der äthiopischen Sprache reden. Der eine die-
ser Dialecte ist das Tigrina, noch immer den Bergbewoh-
nern des eigentlichen Abyssiniens eigenthümlich , der andere
ist das Tigre, das die nördlichen und östlichen Abfälle des
Hochlandes .beherrscht.
Zwischen diesen zwei Hauptstämmen stehen die Beni Amer
keineswegs unabhängig in der Mitte, denn sie haben keine
eigen thümliche Sprache, sondern reden die Sprache ihrer
Nachbarn von Süden und Norden; ihr Land ist der Kampf-
platz zwischen dem To' bedauie (vulgo Bedja) und dem Tigre
oder, wie es hier zu Lande genannt wird, dem Hassa.
Die natürlichste Erklärung ist daher, dass das Volk der
Beni Amer das Erzeugniss von dem Zusammenstoss der bei-
den Hauptnationen ist, indem sich die Aethiopen gegen Nor-
den, die Bedou aber gegen Süden ausdehnten. Wir müssen
nun untersuchen, inwiefern die jetzigen Verhältnisse des Vol-
kes dieser Annahme entsprechen und welche Elemente hinzu-
gesetzt wurden, um aus dieser Mischung ein neues Volk zu
machen.
Das Volk der Beni Amer besteht aus Adelichen, Unter-
worfenen, Sheichfamilien und Sklaven. Die zwei letzten Ru-
briken können wir einstweilen unberücksichtigt lassen, da ihre
Anwesenheit im Lande eher zufallig ist. Es bleiben also die
zwei erstem Abtheilungeu. Die Adelichen nun theilen sich in
zwei Stämme, die sich ihrer Verschiedenheit immer bewusst
sind, die Belou und Nebtab.
Die Belou waren in frühern Zeiten die einzigen Herrscher
des Volkes, sie sind erst in jüngsten Zeiten durch die Neb-
tab ersetzt worden. Doch sind sie immer als adelich ange-
sehen, haben ihre eigenen ünterthanen und bewohnen meh-
rere Lager zwischen Barka und dem Gash. Der grösste
Theil hat «ich in den verschiedenen Ansiedlungen zer-
streut.
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280 üeber die Beni Amcr.
Die Nebtab dagegen bilden den eigentlichen Adel des
Landes und sind von den Türken als solcher anerkannt. Sie
sind alle Kinder eines Mannes von wenig Generationen her,
haben sich aber sehr vermehrt und leben in vielen Zweigen
über das ganze Gebiet zerstreut; wir wollen ihre Hauptzweige
anführen.
Zaga, Lager von Az Mussaj Residenz des obersten Häupt-
lings des ganzen Volkes; in der Regenzeit ötationirt es in
Afdehob, im Sommer am Barka in der Gegend von Dunguaz.
Az Ali Bakit, lagert im obern Barka von Tshagie bis
Shytel und Boggu.
Wass, lagert an den Abhängen des Dembelas (Mansura etc.).
Az Gultane am Debre Säle.
Az Taule, am Barka (bei El Hesh etc.) in der Nähe von
Az Ali Bakit.
Az Omer und Az Amer weiden zwischen dem Barka und
den Barea und Bazen.
Az Nurei, AzNaseh, Seniab, Senkakdena leben unterhalb
Zaga gegen die Hadendoa zu.
Az Menn^a wohnen vereinzelt am Gash ober Kassala.
Im Söhel wohnen Az Ukut, Hasri, Ibrahim u. a. m., sie
kommen aber in der Regenzeit oft den Anseba und den Barka
hinauf.
Die Az Wossale gehören auch zum Adel, obgleich sie keine
Nebtab sind, sie lagern wie die Az Ali Bakit am obern Barka.
Wir müssen nicht vergessen, dass alle diese Stänmie No-
maden sind, dass man also nur im Allgemeinen ihren Weide-
bezirk angeben kann, da sie ihn nach Gonvenienz jederzeit
ändern können.
Mit dem Adel nun leben die Unterthanen zusammen
oder sie bilden eigene Zeltenlager für sich. Während der
Adel aber Einer Familie angehört, zerfallen die Unterthanen
in viele einzelne Stämme, die sich nur der Sprache nach wie-
der gruppiren lassen.
Die Unterthanen scheiden sich selbst in zwei Gruppen, in
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üeber die Beni Amer. 281
Hassa und Bedaui. Hassa bezeichnet einen Tigre redenden
Stamm, Bedaui dagegen einen Unterworfenen, dessen Sprache
To'bedauie ist.
Von den Stämmen wollen wir die wichtigsten anfuhren.
Hassa sind: Az AUabia, Az Kukui, Az Bidel. Die er-
stem sind sehr zahlreich, leben aber über das ganze Land
zerstreut, während die beiden letztem eigene unabhängige
Dörfer bilden.
Femer Regbat (meist im Söhel), Ab Hasheia, Adambush
und Karot, alles Slänmie, die mit ihren Herren zusammen-
leben.
Die Beit M'ale imd die Aflenda im Söhel sprechen auch
nur Hassa; die letztem haben wir unter dem Namen Warea
schon im Samhar gefunden; die erstem gehören zur Hälfte
den Habab an; beide leben nördlich vom Lande der Habab,
die Beit M^ale in der Nähe des Hager Nageran.
Bedaui e sprechen die Abakel, Shijab, Shemmer, AUahio-
here, Gugumta, Ramedj (in Zaga); sie leben mit den Neb-
tab zusammen; die Qareb leben im Norden der Marea.
Wir finden ferner Reste von Kelou (Haffara) in Zaga und
dann Heikota, die beide meist Tigre sprechen.
Ln Ganzen genommen leben also die ünterthanen neben
ihren Herren; das Lager benennt sich gewöhnlich nach diesen
letztem, besonders da die Tigrefamilien sich meist, je nach
Convenienz , im Land zerstreuen. Während sie sich aber nach
ihren Sprachen genau scheiden, hängen die Nebtab nur po-
litisch zusammen; die Söhne der gleichen Familien sprechen
verschiedene Sprachen. Die Nebtab, die im Söhel ansässig
sind, sprechen nur Hassa, das sie offenbar ihren ünterthanen
entlehnt haben. Die Nebtab im Barka reden die einen eher
Hassa, die andem Bedauie; Zaga, Wass, Taule sprechen wie
ihre Unterworfenen das letztere, während Az Gultane und
Az Ali Bakit fast nur Hassa verstehen. Diess beweist, dass
die Nebtab ihre gegenwärtige Sprache von ihren Ünterthanen
erlemt haben.
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282 üeber die Beni Amer.
Die nahe Berührung der Sprachen bringt es mit sich, daßs
von vielen beide verstanden und gesprochen werden , diess gilt
übrigens fast nur im Barka, während im Söhel, in der Nach-
barschaft der Habab, ausschliesslich Tigre gesprochen wird.
Auch die Belou reden beide Sprachen, obgleich ihnen das
To'bedauie eigenthümlicher anzugehören scheint. Da also die
Unterworfenen in der Sprache den Ton angeben, so haben
vnr sie eher als ältere Bewohner dos Landes anzusehen.
Dieser Dualismus in der Bevölkerung zeigt sich auch in
den arabischen Geographen, wo die Chassa und die Bedja
unterschieden werden. Diese beiden Namen bedeuten natür-
lich den ursprünglichen Volksunterschied, den die Sprach-
verschiedenheit andeutet; aber darum sind Chassji und Bedja
nicht Volksnamen. Die Araber theilten die Völker nach ihren
Sprachen in zwei Klassen. Der Name Bedja ist ein alterirtes
Bedou. Die Hadendoa und Beni Amer selbst nennen ihce
Sprache To'bedauie, d. h. das Beduinische, ganz wie im Ara-
bischen Äj^tXxJI. Da aber dieses d fast gequetscht lautet,
so kann es das ungewöhnte Ohr wohl für ein ^ nehmen
und dann für ein g; auch der Name Bidel klingt oft Bidjel
und dann selbst Bigel. Auch jetzt noch nennen die Türken
und Araber .das Bedauie einfach Bega; das Dorf der Beni
Amer, das an den Mauern Kassala's angesiedelt ist, besteht
aus vielen Unterthanen des Barka, die die Hoffnung auf Gewinn
hierher gezogen hat; da sie fast alle das Bedauie reden, so
nennen die Bewohner der Stadt ihr Dorf Bega, nicht dem
möglichen Ursprung gemäss, um den sich niemand kümmert,
sondern wegen ihrer Sprache.
Was den Namen Chassa betrifft, so ist er verhärtet aus
Ilasa, wie noch jetzt die Beni Amer den Namen aussprechen.
Jedenfalls folgt aus der Thatsache, dass beide Namen so früh
vorkommen, dass die beiden Sprachen schon lange sich in
dieser Zone bekämpfen ; aber deswegen kann der Unterschied
zwischen Besharin und Hadendoa doch älter sein, als Makrisi.
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Ueber die Beni Amer. 283
Wenn wir nun die zwei grossen Hauptstämme uns in das
jetzige Land der Beni Amer eingewandert denken, indem wir
die Hassa von den Geez herkommen lassen, die Bedou aber
von den Hiidendoa und den Besharin vom Norden, auf eine
Weise, dass wir die Wenigen von den Vielen herleiten, so
fragt sich, ob und wen sie im Lande vorgefunden haben. In
Bezug auf das Barka können wir theilweise darauf Antwort
geben.
Wir wissen nämlich aus der Tradition, dass in alten Zei-
ten das Volk der Kelou die abyssinischen Nordgrenzen in
Besitz hatte; man zeigt ihre Gräber noch im Sarae, Hamasen,
und Barka bis Algeden. Vom Land der jetzigen Bogos hatten
sie die Thäler von Boggu über Haggaz bis Shytel in Besitz.
In Haggaz findet sich noch das Grab eines ihrer Häuptlinge,
Thilo, wo die Landbebauer jährlich, um eine gute Erndte zu
haben, Opfer spenden. Es ist noch jetzt das L^nd am obem
Barka als Eigenthum der Kelou anerkannt. In Keren lebt
nur noch eine Frau ihres Stammes, die aber noch immer
von den ihr Land bauenden Bogos einen gewissen Bodenzins
erhält.
Noch jetzt wohnen einige HafiFura, die Kelou sind, in Al-
geden und Zaga; das Dorf Tarifiit am Gash, das von den
Kunäma vernichtet wurde, gehörte auch ihnen. Diess sind
ihre lebendigen Reste bis auf die heutige Zeit. Zu welcher
Sprache sie gehörten, ist freilich nicht mehr auszumachen.
Ausser ihnen sollen das Barka die Heikota bewohnt haben.
Dieser Stamm, der auch Haza genannt wird, war früher
sehr bedeutend und soll zusammen mit den Kelou das Barka
bewohnt haben. In neueren Zeiten war er am Gash ober
Kassala angesiedelt und trieb Ackerbau und* Viehzucht; dann
wurde er von dem jetzigen Häuptling der Beni Amer nach
Kufit in das Land der Barea versetzt und nach Zerstörung
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284 Ueber die Beni Amer.
dieses Dorfes nach Dunguaz übergesiedelt. Doch entstand
seitdem ein Process zwischen diesem Fürsten und dem Fürsteh
der Hadendoa, Sheich Mussa, der die Heikota als seine Un-
terthanen beanspruchte und derselbe wurde endlich zu des
letztem Gunsten entschieden.
Wir erwähnen die üeberreste der Kelou und der Heikota,
weil sie sich von den übrigen Tigre dadurch unterscheiden,
dass sie als Aboriginer gelten, während die gewöhnlichen
Tigre ebensowohl wie ihre Herren sich eingewandert glauben.
Diese zwei Stänmie bewohnten also das Barka; es ist aber
anzunehmen, dass sie sich den Bergen nahe hielten. Zu ihnen
kamen dann drei Stämme, die Beit Bidel, die AUabia und
ihr Zweig, die Az Kukui; alle Christen, die vom Hamasen
über Gerger hinab kamen. Es ist durch die Genealogie be-
wiesen, dass sie zu der grossen Familie Atoshim gehören, die
den grössten Theil des Hamasen noch jetzt innehat. Im Ha-
masen erkennt man sie immer als Verwandte an; es gibt so-
gar noch Bidel in Hazaga. Ueber die Bidel sind wir besonders
genau unterrichtet, da sie mit den Takue in Verbindung ge-
setzt sind. Die Tradition beider Stämme stimmt vollkommen
überein. Sie bewohnten lange den DebreSale; ihr Stammvater
heisst Mellak vom Stamme Dehebde. Erst in neuerer Zeit
scheinen sie den Debre Säle verlassen zu haben. Sie sind jetzt
fast ausgestorben; dagegen bekamen sie Zuwachs von Abys-
sinien durch Teklei, der von Az Shehei vor etwa hundertund-
funfzig Jahren auswanderte; er gewann die Oberhand im
Stamme, sodass jetzt sein Urenkel Ibrahim als Häuptling
der Beit Bidel anerkannt ist. Die Ansiedlung vermehrten
überdiess Einwanderer von allen Seiten, sodass ihr der Name
Bidel nur uneigentlich gebührt, da die wahren Beit Bidel
fast verschwunden sind; sie war und ist aber immer von
Abyssiniern zusammengesetzt, treibt Feldbau, spricht nur Tigre
und hat sich ^erst in unserer Zeit zum Islam bekehrt.
Sie ist nur fünfundzwanzig Jahre alt. Das christliche Gefühl
hat sich noch so frisch erhalten, dass die Bidel in grosser
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Ueber die Beni Amer. 285
Noth anstatt des neuen Allah zum alten Gott Eg^iabeher ihre
Zuflucht nehmen; in Zeit grosser Dürre fordert der Häupt-
ling den Stamm auf, von Gott Regen zu erflehen; dann gehen
alle Leute in Procession um das Dorf und singen: Egzio ma-
herenna o Cristos, Gott erbarme dich unser, o Christus!
Wunderbarer Klang im Munde von Mohammedanern! Die
Bidel bewohnen die Ebenen zwischen dem Barka und den
Barea.
Ueber die Allabia und Az Kukui haben wir keine wei-
tern Nachrichten; dagegen sind sie noch immer sehr zahl-
reich, besonders die letztern bilden noch immer sehr gi'osse
Zeltenlager.
So blieb das Barka noch bis vor etwa hundertundfunfzig
Jahren ; eigenthümlich ist die Beschreibung^ die die Tradition
davon macht.
Das Barka, so erzählte mir Ibrahim Weld Jaui, der sehr
alte Häuptling von Beit Bidel, der es von seinem Grossvater
Sare, Teklei's Sohn, wissen konnte — war in jener Zeit öde,
wild und leer, fast nur von wilden Thieren bewohnt. Die
wenigen Bewohner wagten sich kaum in die Ebene; sie wohn-
ten an den Bergen in sicherer Stellung, während die Tiefe
Urwald war. Das ist der Sinn der Sage von den funfeig
Jünglingen, die, nachdem sie an Einem Tage die Weihe der
Mannbarkeit erhalten, auf einem Raubzuge auch alle zusam-
men spurlos verloren gingen. Auf das Gleiche deutet die
Geschichte vom Elefanten, den die Riesenschlange auffirass,
die hinwiederum von den schwarzen Ameisen aulgezehrt wurde.
Noch jetzt hat das Barka des Fürchterlichen genug, der Mensch
ist aber doch Meister geblieben. Dagegen scheint sich der
Baumcharakter verändert zu haben; denn die Bidel behaupten,
ihre Grosseltem hätten die erste Dumpalme bei Demba ge-
sehen, während sie jetzt den Stromufern nach einen wohl
funfeehn Stunden langen fortdauernden Wald bildet.
Zu diesen bisherigejn Bewohnern des Landes traten nun
von Westen kommend die Az Säle, von der Familie der S*adab
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Ueber die Beni kmev.
von Shendi,.al80 zum Stamme der Djalm gehörend. Sie sind
also den Nebtab einigermassen verwandt. Sie Hessen sich
neben den Bidel nieder, mit denen sie friedlich zusammen-
wohnten. So viel über das obere Barka. Das untere Barka
bevölkerten > die Bedou, die sich gegen Süden immer mehi*
ausbreiteten.
Was nun das Söhel betrifft, so ergibt sich aus der jetzigen
Lage, dass es von Süden her bevölkert wurde. Denn die
jetzigen Bewohner sind alle Hassa in Stämmen, die noch jetzt
bei den Habab und im Samhar vorkommen; die Bevölkerung
der Küste von Massua bis Aqiq ist, die später gekommenen
Nebtab ungerechnet, ganz die gleiche. Deswegen finden wir
mehrere Stämme, deren HeiTschaft zwischen dem Naib von
Arkeko und dem .Deglel streitig ist. Natürlich war diese Be-
völkerung christlich; deswegen machte sich der Verkehr zwi-
schen Abyssinien und Suakin auf diesem Wege, nämUch den^
Anseba hinab; die Pilger nach Jerusalem gingeh bis Hager
Nageran durch christliches Land und gelangten sicher bis
Suakin, wo sie sich einschifften. Dieser freundliche Verkehr
hörte mit der Islamitisirung des Landes auf; das Kloster Ha-
ger wurde zerstört; die Pilger mussten sich andere Wege
suchen, obgleich die Erinnerung an diesen Weg noch immer
fortlebt und von Zeit zu Zeit ein Pilger mit Mühe und Noth
nach Hager wallfahrtet.
Zu den alten Bewohnern des Landes traten dann — wir
denken vor etwa fünfhundert Jahren — die Belou.
W^er dieser Stamm ist, kann nicht mehr entschieden 'wer-
den. Sie selbst nennen sich Araber und sogar Abbasiden.
Trotzdem sie ihrer Physiognomie nach jedenfalls zu den Semiten
gehören, wollen wir darüber nicht entscheiden, um so weniger,
da die Belou nur noch den kleinsten Theil des Volkes aus-
machen. Uebrigens weiss ich nicht, warum man jede ara-
bische Herkunft der Afrikaner leugnen sollte. Die Araber,
die Spanien überschwemmten, können doch auch über das
enge Meer gesetzt sein. In Westafrika lässt man sie gelten
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lieber die Beni Amer. 287
und in Ostafirika sollten sie unmöglich sein, da wo ein be-
ständiger leichter Verkehr die Küsten verbindet?
Wir wissen ja, dass Mohammed selbst alle seine Hoffnung
auf Abyssinien setzte, dass er selbst Apostel dahin schickte;
es gibt noch jetzt Familien in Abyssinien, die sich davon
herschreiben. Wir wissen, dass Abyssinien und Arabien sich
naher standen, als jetzt. Wir sehen noch jetzt täglich Ein-
wanderungen nicht von Völkern, sondern von Familien, die
aber in der Länge der Zeit zu einem Volke werden und be-
sonders wenn es Semiten sind, die an der Stanamverfassung
zäh festhalten. Analogien fehlen hier nicht, wie bei dem Volk
Takue^s, der nach dreizehn Generationen nicht weniger als
viertausend Nachkonmien hat.
Trotzdem wollen wir den Ursprung der Belou dahingestellt
lassen; ihre Herrschaft dehnte sich von Norden ausgehend
aus; ihre ersten Sitze waren nach aller üeberlieferung in der
Nähe von Aqiq*); sie unterwarfen sich nach und nach die
Bewohner des Söhel und gingen mehr und mehr den Anseba
und Barka hinauf; doch scheinen sie das obere Barka nicht
berührt, zu haben. Die Jesuiten setzen auf ihrer Karte das
Königreich Balou in diese Gegenden; es kann sich das nur
auf die Belou beziehen. Sie waren so lange Zeit Herren des
Landes, dass ihr Name (Belaui) mit dem Namen „Herr"
gleichbedeutend geworden ist. Sie scheinen aber ziemlich
strenges Regiment geführt zu haben, denn Belaui nennt man
noch jeden sehr harten, grausamen, böswilligen Mann. Je-
denfalls scheinen die Belou seit undenklichen Zeiten Moham-
medaner gewesen zu sein. Wir wissen, dass ein Zweig
dieses Stammes der Küste entlang nach Süden gehend nach
dem Samhar kam und noch jetzt die Herrschaft demselben in
Besitz hat.
*) Darauf deutet hin, dass die Belou von Dokono auch von dieser
Seite her kamen und dass auch die Kebtab, die zuerst sich den Belou
anschlössen, im Söhel wohnten.
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288 üeber die Beni Amer.
Die Belou wurden erst in jüngster Zeit von den Nebtab
ersetzt: wir dürfen hierin der Tradition glauben, da sie die
neue Herrschaft auf kaum sechs Generationen zurückführt
Der Stammvater des Geschlechtes kam als Gast zu den Belou
und wurde ihnen verschwägert.
Seinie Nachkommen sind also mütterlicherseits die Eindes-
kinder der Belou. Wie es das Geschick mit sich brachte,
das neue Geschlecht vermehrte sich stark, währei^d das alte
immer mehr abnahm. So wurden die Nebtab Herren des
Landes. Das Neggaret (die grosse Pauke) und der Fürsten-
hut ging an sie über, obgleich die gedemüthigten Belou
noch immer als ebenbürtiger Adel anerkannt sind. Sie schrei-
ben sich von den Djalin her, denen sie noch ziemlich glei-
chen. Ihre ersten Wohnsitze hatten sie im Söhel; die Gross-
väter der jetzigen Generation sind da begraben: erst nach
und nach erweiterte sich die Herrschaft den Barka hinauf
und linksab bis an den Fuss des Hochgebirges. Auch der
Herrschersitz hat sich in's Barka gezogen (Zaga). Mit ihnen
wanderten auch Bewohner des Söhel mit, daher finden wir
z. B. die Az Regbat auch im Barka. Nuii wurden auch die
alten Bewohner des obem Barka unterworfen, die Bidel,
Kukui u. s. w. , ebenso die Bedaui sprechenden Stämme, von
denen man behauptet, sie seien mit den Nebtab eingewan-
dert; wir glauben, sie seien ebenHadendoa und so immerhin
von Norden her an den Barka gelangt, wo sie von den Neb-
tab unterworfen wurden.
So sehen wir das Land der heutigen Beni Amer von zwei
Seiten her bevölkert. Von Süden kommen die Geez- Völker
in zwei Richtungen: die einen dehnen sich vom Lande der
Habab nordwärts aus bis Aqiq und füllen so alles Land zwi-
schen Anseba und Meer mit Tigre redenden Stämmen; die
andern steigen vom Hamasen gegen das Barka nieder. Sie
sind alle Christen.
Von Norden her breiten sich die Bedaui, d. h. die No-
maden immer mehr gegen Süden aus; sie waren nie Christen,
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lieber die Beni Amer. 289
jetzt sind sie Mohammedaner. Sie scheinen das Geezelement
ziemlich überwunden zu haben, da die jetzigen Beni Amer
in Recht und Sitte sich eher zu den Hadendoa neigen. Die
Belou und die Nebtab bilden nur einen kleinen Theil der Be-
völkerung ; sie überwanden die alten Völker politisch, wurden
aber sprachlich von ihnen überwunden; auch sie neigten und
neigen sich aber eher zum Bedauie hin, besonders die Belou,
deren Reich vorzüglich von Bedauie sprechenden Völkern
scheint gebildet worden zu sein. So entstand ein Volk, das
unter dem Namen Beni Amer zusammengefasst wird, obgleich
es eigentlich nur den Belou zu gehören scheint. Das Klima
hat diese verschiedenen Stämme einander ähnlich gemacht
und auch dem Volksleben seinen Stempel aufgedrückt; denn
während die Agäzi in dem kalten Hochland Ackerbauer ge-
worden sind, während die immer nomadischen Hadendoa am
Gash von der Ueberschwemmung zur Bodencultur eingeladen
werden, haben die weitläufigen Ebenen des Barka und des
Samhar die Bewohner zu nomadischen Hirten gemacht; die
Beni Amer ebensowohl, wie die Habab und die Leute des
Samhar haben sich fast ganz der Viehzucht gewidmet; sogar
die Beit Bidel wenden sich immer mehr vom Ackerbau ab.
Sie haben alle die Nomadenreligion angenommen und sind alle
Kameelzüchter geworden , so viel Abscheu auch die christlichen
Habab zuerst vor dem Kameel haben mussten. So bestimmt
der Boden den Charakter und die Lebensart, trotz des ver-
schiedenen Ui-sprunges.
Muniing«r, OsUfrik. Studien. 1 9
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Politische Verhältnisse.
N ach den bisher gewonnenen Resultaten kann man annehmen,
dass die Beni Amer zwischen zwei grossen Nationen, den Abys-
siniemim Süden und den Hadendoa im Norden, gewissermasseii
eingekeilt, den Angriffen dieser Mächte ausgesetzt waren. Wir
lesen denn auch in den abyssinischen Chroniken von Verwü-
stungszügen, welche die abyssinischen Kaiser von Zeit zu Zeit
in's Tiefland unternahmen; ebenso zeugt der heutige Nationalhass
und der nicht beendetet Kampf gegen die Hadendoa von ui*-
alter Feindschaft und die heutige Stellung beweist, dass die
Beni Amer den Kurzem zogen. Sie mussten sich also um
jeden Preis einen Halt suchen, um sich ihrer Feinde zu er-
wehren und sie fanden ihn in den Fundj, die, vom Sennaar
ausgehend, Nordostafrika unterwarfen; sie haben endlich die-
sen Halt nach dem Untergang der Fundj in den Türken ge-
funden.
Man darf sich nicht über die leichte Eroberung grosser
Landstriche im Orient wundem; sie ist nur leicht, solange
sie sich mit dem orientalischen Begriff der Herrschaft und
mit dem Tribut begnügt; sobald sie sich Recht und Gericht,
Sitten und Verfassung unterwerfen will, wird sie auf ernste
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Ueber die Beni Amer. 291
Schwierigkeiten stossen und zwar b'esonders bei Nomaden. Diese
wollen sich mit dem Tribut nur sichere Weide erkaufen, be-
droht man aber ihre innere Freiheit und Eigenthümlichkeit,
so haben sie Mittel genug, sich dem drohenden Joch zu ent-
ziehen. Sie ziehen sich in die wasserlose Steppe zurück, wohin
kein Heer folgen kann; die Kameelmilch ersetzt ihnen das
Wasser; sie sind ohnediess an grosse Wanderungen gewöhnt
und zum Transport eingerichtet; alle ihre Habseligkeiten sind
leicht fortzuschaffen und ihr Verlust ist kein grosser Schaden.
Das Haus ist ein Zelt, von Matten bedenkt, die schnell er-
setzt werden können. Grundbesitz ist keiner da; wo Weide
ist, da ist des Nomaden Heimat. Da hat die Auswande-
rung für ihn keinen Schreck. Nomadische Völker sind also
leicht zu unterwerfen, aber nur bis zu einem gewissen Punkte;
was nicht den Tribut angeht, werden sie immer unabhän-
gig sein.
Die BeniAmer, ebenso wie die Habab, standen also unter
der Botmässigkeit der Fundj , obgleich das obere Barka mehr
von Abyssinien abhängig war. Die Fundj erhielten einen
kleinen jährlichen Tribut in der Form eines Geschenkes und
belehnten den Vornehmsten der Belou und dann der Nebtab
mit dem braunen Sammethut als Abzeichen der Fürst^nwürde.
Diese Art Dreispitz wird noch bis auf den heutigen Tag
von dem Mek von Tegele, dem Sheich der Hallenga und dem
der Hadendoa getragen, wie von dem Fürsten der Beni Amer.
Zweites Abzeichen der Würde war das Neggaret, die Pauke
von Metall, die noch jetzt im Hause der Deglel aufbewahrt
und bei feierlichen Anlässen geschlagen wird. Der Titel eines
solchen Belehnten wai* Deglel, eigentlich ein Tigrewort, das
alt (senior) bedeutet; dieser Titel gebührt noch immer dem
Stammfürsten der Beni Amer. Der Deglel als Haupt des
Stammes erhielt natürlich nur freiwillige Gaben von seinen
ebenbürtigen Verwandten; als Symbol der Familieneinheit war
sein Amt heilig, aber -sonst war er nur der Erste von Gleich-
gestellten, der lebendige Repräsentant des Stammvaters. An-
19*
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292 üeber cKe Beni Amer.
ders stand natürlich das Yerhältniss zwischen dem herrschenden
Stamm und seinen Unterthanen, auf deren Stellung wir zu-
rückkommen werden.
Das Yerhältniss zum Auslande änderte sich vollkommen
mit der Eroberung des Sennaar durch Mohanmied Ali, der sich
viel zu mächtig fühlte, um sich mit dem Scheinregiment der
Fundj, an deren Platz er im Sudan trat, zu begnügen. Das
Yerhältniss wurde strenger und fester, aber auch die Türken
haben es nicht zu einer ordentlichen Regierung gebracht. Als
die Fundj gefallen waren, näherten sich die Yölker des Su-
dan nur misstrauisch den Türken, deren Farbe schon befrem-
dete; die Türken selbst thaten alles, um diese Abneigung zu
erhöhen; auf der Spitze ihrer Bajonette errichteten sie zuerst
ihr Regiment, ohne die Yerhältnisse des Landes zu berücksich-
tigen. Alles fühlte sich bedroht oder verletzt; man sah in
dem Türken den fremden rohen Barbar, der nach Hab und
Gut, ja nach Weib und Kind die Hand ausstreckt; es war
kein einziger Stamm, der sich ganz freiwillig unterworfen
hätte. Besonders die Hadendoa, die sich selbstständig stark
genug fühlten, leisteten hartnäckigen Widerstand; ihr Muth
und ihre Ausdauer zwangen selbst den Türken Bewunderung
ab. Die Beni Amer dagegen wehrten sich nur in der ersten
Zeit gegen die Fremdlinge; sie sahen bald ein, dass sie selbst
die Türken nöthig hätten, ebenso gut wie vorher die Fimdj,
als Halt gegen die erfolgreichen Angriffe ihrer Nachbarn,
der Hadendoa, der Barea und der Abyssinier. Sie retteten
durch ihre Unterwerfung eigentlich ihre Existenz. Dasselbe
thaten auch die Hallenga, die, von alten Zeiten her von den
Hadendoa bedrängt, sich mit den Türken gegen ihre Erb-
feinde vereinigten. So wurden die Türken Herren des Landes;
was sich nicht freiwillig unterwarf, das bezwang die imposante
Militärmacht.
Sobald aber die Herrschaft gesichert schien, handelte es sich
um den Nutzen und die PoUtik änderte sich. Die rohe Ge-
walt, mit der bis jetzt regiert wurde, erforderte eine bedeu-
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üeber die Beni Amer. 293
tende Militärmacht, die einerseits viel kostete, anderseits in
den Händen eines Ehrgeizigen gefahrlich werden konnte. Der
Tribut war sehr drückend, aber brachte keinen Nutzen, da
die Bevölkerung im Verhältniss zum Areal sehr klein ist: die
Occupation wurde darum um so schwieriger. Das Land durch
neue Industrie und Hebung des Ackerbaus zu . bereichern,
das verstanden die Türken nicht. Das Land wurde ausgesaugt,
aber der Staatsschatz musste dessenungeachtet den Finanzen
immer aufhelfen. Aufgeben konnte man das Sudan nicht,
weil Aegypten damit einen militärischen Rückhalt hat und
der Handel Aegyptens diese Besitzung verlangt. Eine wohl-
feile Regierung konnte nur dadurch hergestellt werden, dass
die Türken die natürlich im Lande schon vorhandenen Macht-
verhältnisse zweckmässig benutzten und sich mit dem Adel
des Landes verbanden. Die Türken sicherten dem Adel die
Herrschaft über die Unterthanen zu; der Adel hingegen er-
leichtert den Türken die Herrschaft. Seitdem ist eine grosse
Militärmacht überflüssig geworden, denn der Adel ist fiir seine
Einkünfte von den Türken abhängig. Auch die Stammfürsten
empfangen jetzt an der Stelle der freiwilligen Gaben einen
gewissen Tribut, den ihnen die Soldaten eintreiben helfen:
so haben sich die Verhältnisse ganz geändert. In der ersten
Zeit ihrer Herrschaft bedrückten die Türken Adel und Ge-
meine ohne Unterschied und beide wurden gleich gerecht oder
ungerecht behandelt. Die Gemeinen waren aber nicht fähig,
den Vortheil der Gleichheit zu begreifen, sie schlössen sich
der Regierung nur halb an; der Adel dagegen schmollte so
lange, bis die Türken einsahen, dass von ihm alles abhänge.
Nun wurden Türken und Adel gegen die Gemeinen einig. Die
Türken nehmen also vorerst ihren eigenen Tribut und dann
treiben sie einen zweiten ein zu Gunsten der herrschenden
Klasse. Widerstand ist natürlich unmöglich und Klagen blei-
ben ungehört. Seitdem regiert der Adel viel, unumschränkter
und besonders der Deglel hat eine nie gekannte Macht be-
kommen. Dieses System hat seinen Abschluss durch den
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294 Ueber die Beni Amer.
Besuch Said Pashas bekommen, der die Steuern vom Vieh
auf den dritten Theil herabsetzte; man muss aber nicht glau-
ben, der Ausfall sei den Besteuerten zu gute gekommen; er
wurde nur den Häuptlingen überlassen*).
*) Um uns diese Verhältnisse klarer zu machen, wollen wir die
Bevölkerung und den Tribut der Az Ali Bakit hier aufzählen, eines
der bedeutendsten Stämme der Beni Amer.
Er hat ei'wachsene waflfentragende Männer:
100 Nebtab oder Adeliche. ■
105 Tigre von Az Bejet. j ^
DO » «von Az Zemat. 1 n
20 » von Az Erbet. I ^
HO » von Az Arei. f ^ ^
.56 » .von Az Nussur. > « ^
100 » von Az Omer. l c OQ
30 » von Hintitere. 1 ^
70 » von Az Hömmed. I g
'M) » von Az Daqalli. | 5
50 » von Az Omer Hajet. ;
760 erwaclisene Männer, wovon Vr Nebtab;
Dazu kann man noch etwa 240 Mann rechnen, Arme oder Steuerfreie.
1000 Mann oder 4000 Seelen.
Der Tribut wird auf den Kopf berechnet, aber je nach dem Ver-
mögen etwas erhöht ; auf den Mann kamen durchschnittlich vier Thaler.
In frühem Zeiten nahmen die Türken von diesem Stamme zwei-
tausend Thaler und überliessen es den Häuptlingen, was sie von ihren
Uuterthanen nehmen wollten; seit Said Pasha ist es anders:
Tribut von 1860.
1) für den Diwan des Pasha, eigentliche Steuer Thaler 50t).
2) zu Gunsten des Deglel Hamid, Fürsten der Beni Amer » 200.
3) für den tributeintreibenden Lieutenant » .100.
4) für den Statthalter des Stammfürsten Mohammed
Weld Hömmed » 100.
5) für seinen Bruder Erbet, Steuereinnehmer » 150.
6) für seinen. Bruder Ali Bakit » 70.
7) für Unterhalt der Truppen, einen Monat » 240.
8) für den Häuptling der Ali Bakit, Mohammed » 400.
9) für seinen Statthalter Hamid » 200.
10) für ein dem Häuptling gekauftes Pferd von dem
Tribut entschädigt » 80.
11) (jreschLiik an den Fürsten des Hamaseu, Hcilu m 100.
12) für laufende Jahresausgaben » 200.
Thaler 2340.
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üeber die Beni Amer. 295
Es ist klar, dass die Häuptlinge keinen Grund haben, mit
den Türken unzufrieden zu sein; sie haben viel grössere und
sicherere Einnahmen, als früher. Würden die Türken das
Land verlassen, so würde dieser Zustand einer Anarchie Platz
machen; jeder Tribus würde sich vom Gesammtverband unab-
hängig zu machen suchen und nach langem Kampf der Ge-
wandteste Herr bleiben.
Um diess genau zu verstehen, muss man bedenken, dass
die Erbfolge bei diesen SlÄmmen nicht gesichert und regel-
mässig war, während die jetzigen Häuptlinge die Türken be-
nutzen, um ihr Amt ungefährdet ihren Kindern zu hinterlassen.
Selbst bei den Beni Amer^n ging das Amt eines Deglel oft von
einer Familie in die andere über. Bei andern Völkern ent-
stammen die jetzigen Häuptlinge sogar ganz unbedeutenden
Familien und unterdrücken mit Hülfe der Türken die alten
Geschlechter, so in Algeden, Sabderat und bei den Hallenga,
sodass sie den Türken alles verdanken.
Natürlicherweise beschäftigen wir uns hier nicht nur mit
den Beni Amer'n, sondern wir haben das ganze Sudan im Auge.
Die Politik Said Pasha's vereinfietchte sicherlich die Regierung,
aber sie hat ihre ungeheuren Schattenseiten, die wir nicht
verkennen dürfen. Indem die Regierung einem Theil ihrer
Unterthanen die Hand bot und das fehlende Militär durch
ein Compromiss mit diesem zu ersetzen suchte, büsste sie den
Respect ein, und mit dem Respect ging auch die Ordnung
imd Sicherheit verloren. Solange die agressive Soldatenherr-
schaft dauerte, erzwang die Hoffnungslosigkeit blinde Unter-
Von dieser Summe geht also nur 75 an die Regierung, Vj an die
Familie des Stammfürsten der Beni Amer, % an die wichtigsten Häupt-
linge des Tribus selber. In andern Jahren ist die V^rtheilung etwas
anders. Auffallend ist nur der kleine TheU, den die Regierung davon
hat. Der Tribut aller Beni Amer schwankte früher von 20 — 30,000
Thaler, wovon das Söhel die Hälfte zahlte. Die Bevölkerung übersteigt
{gewiss 100,000 Seelen, sie kann aber auch das Doppelte betragen, so
schwierig ist es, sich davon einen Begriff zu machen.
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296 üeber die Beni Amer.
würfigkeit. Seit aber die Truppen vermindert und die Häupt-
linge wieder halb selbstständig geworden sind, haben sich
die Eingebornen an den Gedanken gewöhnt, ihr Land einmal
ganz von den Türken geräumt zu sehen. Um die Folgen da-
von zu begreifen, braucht man nur die Provinz Taka seit
Said Pasha sich anzusehen. Welcher Contrast zwischen ehe-
mals und jetzt. Damals war Kosrew Bey Statthalter der
Provinz und ihr unumschränkter Herr. Viertausend gut geübte
Soldaten gehorchten seinen Befehlen; Widerstand war unmög-
lich; von Cairo hatte er keine Kritik zu befurchten. Doch
muss man gestehn, dass er seine Macht nicht missbrauchte;
seine Gewissenhaftigkeit steht noch jetzt in gutem Andenken.
Er war kein civilisirter Neutürke, sondern ein Osmanli vom
alten Schlag; die Peitsche spielte ihre grosse Rolle, die Ab-
gaben waren schwer, die Handlungsweise willkürlich. Aber
er regierte mit gleichmässiger Strenge über Vornehme und
Geringe; das Land war sicher und blühte auf. Man würde
sich sehr täuschen, wenn man das europäische Rechtssystem,
das eine öflfentliche Meinung, Heiligkeit der Eide, Wahrhaf-
tigkeit der Zeugen voraussetzt, als für den Orient passend
ansehen wollte: aber Gerechtigkeit erzwingt sich dessen-
ungeachtet überall Achtimg. Ein grosser Tribut ruinirt nie-
manden, wenn er gerecht vertheilt wird. Was ruinirt, ist die
Unsicherheit der Wege, die Straflosigkeit der Verbrecher, das
Faustrecht der Stämme, die sich untereinander befehden und
bestehlen, die Unbekümmertheit und Unschlüssigkeit der Re-
gierung. Darum müssen wir Kosrew, unter dem die Provinz
Taka einer unbeschreiblichen Ruhe und Sicherheit genoss, un-
bedingt loben. Man weiss , dass er auf die Beschwerden der
Consuln hin abgesetzt wurde, weil er das Land der Bogos
verheeren liess. Ihm folgte Elias Bey, ein tüchtiger Soldat,
dei: sich um die Eroberung des Sudan sehr verdient gemacht.
Er machte sich sehr gefürchtet und durch seine Energie selbst
beliebt, wenn ihm auch die Gerechtigkeitsliebe seines Vor-
gängers abging.
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lieber die Beni Amer. 297
Seit nun die Sheich von Said Pasha als eine gewisse Macht
anerkannt und den Statthaltern nicht untergeordnet, sondern zur
Seite gesetzt wurden, haben diese letztern viel von ihrer Au-
torität eingebüsst und begnügen sich fast nur mit Tributein-
treibung; ihr Benehmen ist unsicher, ängstlich, passiv, da
sie nie freie Hand haben und die Sheich ihren Weg bis Cairo
linden, um sich zu beklagen. So verfallen die einzelnen Stämme
wieder der alten Anarchie; ein Stamm beraubt den andern
oder bekriegt ihn, ohne dass die Regierung einschreiten kann.
Der Tribut wird durch die Forderungen der Sheich sehr er-
höht, ohne dass dafür den Unterthanen Sicherheit geboten
wäre; seine Vertheilung geht willkürlich, parteiisch vor sich,
da sie in den Händen von Coterien liegt. Früher nahm die
Regierung einen Zehnten von allem beweglichen Vermögen;
jetzt ist er in eine Kopfeteuer umgewandelt, die den Armen
und den Reichen , den Heerdenbesitzer und den Hirten gleich-
massig trifft. Für industrielle Völker, die von der Arbeit,
Ackerbau und Handel leben, scheint diese Besteuerung nicht
immer ganz ungerecht. Von Hirten aber, die sich von den
Producten ihrer Heerden nähren, bei denen der Lohn gering
ist, ist gewiss die Kopfsteuer , die sich bloss um die Zahl küm-
mert ohne Rücksicht des Vermögens, widernatürlich und er-
zeugt besonders bei den unterdrückten Armen grosses Miss-
behagen. Für die landbauenden Stämme legte Said Pasha
ausser der Kopfsteuer eine Abgabe auf den Feddan. Um die
Bedeutung dieser Massregel zu begreifen, muss man wissen,
dass die Anwohner des Gash in Folge der Ueberschwemmung
ziemlich regelmässige schöne Emdten haben. Die Stämme
aber, die der Flüsse entbehren, wie z. B. Algeden, cultiviren
mit dem Regen, der aber in diesen Tiefländern nicht con-
stant ist, sodass die Erndte häufig misslingt; für diese letz-
tem wird eine Abgabe auf den Feddan, gleichviel wie sein
Ertrag sei, oft sehr bedrückend. Dagegen zahlen reiche Han-
delsstädte, wie z. B. Gos Redjeb, fast gar nichts, weil sie kei-
nen Ackerbau treiben, dagegen um so mehr Handel. Die
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298 Ueber die Beni Amer.
grüne Erfahrung spricht für uns, da seit der Einführung des
Feddan der Ackerbau mit Benutzung des Regens ziemlich
abgenommen hat. Die Unzufriedenheit muss man sich freilich
zum Theil auch aus dem conservativen Geist des Afrikaners
erklären; eine neue Abgabe, wenn sie im Vergleich zur alten
auch leicht wäre, erregt mit ihrem neuen Namen immer ein
gewisses Misstrauen.
Die Veränderung hat aber noch eine andere viel bedenk-
lichere Folge; der Mangel an einem Heer hebt nicht nur die
innere Sicherheit auf, sondern er verhindert eine kräftige aus-
wärtige Politik. Die Sheich mit all ihrer Freundschaft bürgen
für die Treue ihrer Unterthanen; aber sollte das Land ange-
griffen werden, so kann der Landsturm, über den sie ver-
fügen, nichts retten. Man hat das Heer reducirt, weil man
keinen Aufstand mehr zu furchten braucht; aber an das Aus-
land dachte man dabei nicht.
Nun zeigt aber Abyssinien eine gewisse Tendenz, sich
nach allen Seiten auszudehnen und der jetzige Kaiser Theo-
doros ist ihr eifriger Träger; ein allgemeiner Angriff hat noch
nicht stattgefunden, aber es sind vereinzelte Ereignisse vor-
gekommen, die den ünterthanen Aegyptens klar bewiesen,
dass die Regierung nichts zu ihrem Schutze thun konnte.
Vom Hamasen aus fingen Heilu und auch Marit an, die
Beni Amer des obem Barka zum Tribut aufzufordern; wenn
sie sich auch mit Geschenken abfinden Hessen, so mussten
die Beni Amer doch einsehen , dass die Türken sie nie gegen
einen möglichen Angriff beschützen würden. Heihi besonders
ist im Barka sehr respectirt und beliebt. Die Marea, von den
Abyssiniem bedroht, entrichteten diesen beiden Fürsten Tribut
und verweigerten ihn den Türken. Die Fürsten von Adiabo
begnügten sich nicht mit der Unterwerfung der Bazen, son-
dera sie machten sich auch die Barea unterthan, die lange
Jahre Aegypten unterthan gewesen. Die Türken thaten nichts
zu ihrer Unterstützung, sind aber deswegen nicht gesonnen,
sich bescheiden zurückzuziehen, sodass (üe Barea wohl an
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Ueber die Beni Amer. 299
beide Mächte Tribut zahlen müssen. Auch Algeden muss sich
mit Geschenken von Adiabo den Frieden erkaufen. Dsadiq
verheerte letztes Jahr Az Ali Bakit; die Türken rührten
sich nicht. Er überfiel ungestraft die Zeltenlager der Haden-
doa bei Elit. Der Marktplatz Metamma zahlt doppelten Tri-
but, an Abyssinien und an die Türken. Der Mek Omer Weld
Nimr, der, bekanntlich mit den Türken blutverfeindet, im
Wolkait sich festsetzte, wird von den Abyssiniern stets un-
terstützt, um gegen die ägyptischen Unterthanen Krieg zu
fuhren.
Da nun die Unterthanen sehen , dass die Regierung nichts
für sie thut, anderseits die grossen Pläne des Kaiser Theodoros
allgemein bekannt sind, so werfen alle Völker der Grenze ihre
Augen auf das Hochland und gewöhnen sich allmählig an die
Idee eines Herrenwechsels. Die Aussicht, dem christlichen
Abyssinien anzugehören, kann sogar ihren Reiz haben. Denn
die Abyssinier, so speculirt der Sudanese, könnten die Rolle
der Fundj übernehmen, aber nicht der Türken; sie würden
den Sudan tributpflichtig machen, aber nie bleibend occupiren ;
so könnten sie nur einen massigen Tribut verlangen und sich
nicht in die inneren Angelegenheiten mischen; denn bleibende
Garnisonen würde das Klima verbieten und schreckende Heer-
züge der Wassermangel. Fügen wir bei, dass der Sudanese
durch den national -afrikanischen Geist dem Abyssinier unge-
mein näher steht, als dem fremdfarbigen Türken, mit dem er
nur die Religion gemein hat.
Die neuesten Zeiten haben einen Kampf zwischen den
Abyssiniern und den Aegyptem im Sudan in Aussicht gestellt ;
die Eingebornen und die Türken selbst sind abergläubisch
davon überzeugt, dass das bestehende Regiment bald sein
Ende nehmen werde. Daher rührt die Furcht vor den Abys-
siniern, deren militärische Macht man überschätzt. Wir können
den Vortheil discipliuirter Truppen über ungeordnete Horden
nicht bezweifeln. Wir sehen aber, dass dieses stehende Heer
nicht verhindern kann, dass die Rajas jährlich unter seinen
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300 üeber die Beni Amer.
Augen ausgeplündert werden. 'Nicht vergessen darf man,
dass man bei einem möglichen Zusammenstoss in die Soldaten
nicht alles Vertrauen setzen darf, da sie an den Krieg wenig
gewöhnt und ein Theil von ihnen geborene Hochländer sind,
die sich immer nach ihrem Vaterlande zurücksehnen. Die
Abyssinier haben mehrere schätzenswcrthe Eigenschaften; sie
sind gut beritten, frugal, kosten wenig und rekrutiren sifch
bei dem kriegerischen Geiste des Volkes leicht; sie können
das ganze Land verheeren und wieder verschwinden, bevor
die Türken es nur wissen. Wenn wir nun einsehen, dass
Abyssinien, wenn einig und fest regiert, den Aegyptern noch
ernstlich zu schaffen geben kann, zeigt die Gegenwart, dass
selbst bei den jetzigen elenden Zuständen des Hochlandes das
passive Verhalten der Türken das Terrain Schritt für Schritt
ohne allen feindlichen Zusammenstoss so zu sagen freiwillig
aufgibt.
Freilich scheint die Regierung noch zu Lebzeiten Said
Pasha's ihren Fehler eingesehen zu haben; davon zeugt die
Absendung Mussa Pasha's, dem es gewiss an Energie nicht
fehlt, und es ist zu hoffen, dass der jetzige Pasha von Aegyp-
ten die Sache ernsthaft genug nimmt, wo dann an einem glück-
lichen Ausgang nicht zu zweifeln ist. Wir sagen, wir hoffen
das, denn erstens ist es traurig anzusehen, wie diese schönen
Nordgrenzen nie zur Ruhe kommen können, wie sie von beiden
Seiten gebrandschatzt werden, ohne dass der Eine den Andern
fortzujagen den Muth hat, als wenn sie zwei Raubvögel wären
über demselben Aas; wir müssen wünschen, dass die Grenzen
endlich festgestellt werden. Zweitens hoffen wir als Europäer,
dass der Sudan den Türken bleibe ; nicht als ob wir die Abys-
sinier für schlechter hielten als andere Menschen, sondern
weil Abyssinien nicht im Stande ist, das Sudan zu organi-
siren, solange es sich selbst nicht zu organisiren vermag und
weil ihm dieser Besitz nichts nützen kann. Wir wissen, dass
die türkische Occupation unserem Handel und unserer Wissen-
schaft den Sudan geöffnet hat, den wir früher nur mit Lebens-
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Ueber die Beni Amer. 301
gefahr betreten konnten. Dass eine Reise nach Kassala an
Gefahr der nach Timbuktu in nichts nachgab, davon zeugt
die Reise Burckhardt's. Europa steht mit der Türkei in völker-
rechtlichem Verkehr, während ^dr in Abyssinien doch immer
noch von der Gastfreundschaft und der natürlichen Gerechtig-
keitsliebe der Eingebomen allein abhängen. Femer finden
wir, dass das türkische Regiment trotz seiner Gebrechen doch
hundertmal der alten Zeit vorzuziehen ist, wo der Sudan eine
Raub- und Mörderhölde war und ein ewiger Zweikampf die
Völker vernichtete; wie es fiüher ausgesehen hat, das erzählt
derselbe Burckhardt und das sehen wir noch jetzt an den un-
abhängigen Völkern Nordafrikas. Wir kritisiren, weil wir
Freund sind und wir können nicht begreifen, wie die Reisen-
den, die allein es den Türken verdanken, dass sie Reisende
sind, das schwarz sehen, was früher viel schwärzer war, wir
begreifen nicht, dass ein Freund der Civiüsation die Invasion
der Abyssinier im Sudan sich herwünschen kann, die alles
zerstören und nichts aufbauen könnte und eine anarchische
Wüste hinter sich lassen würde. Und so wollen wii* zu unserm
Gegenstande zurückkehren, indem wir das Verhältniss der
Beni Amer zu ihren Nachbarstämmen uns deutlich machen.
Es ergibt sich aus der geographischen Lage: die Bewohner
des Söhel stossen mit den Habab zusammen; die Beni
Amer am untern Barka sind Nachbarn der Hadendoa; vom
Süden stösst an das Barka das Barealand; das obere Barka
hat es mit dem Hamasen, den Bogos und den Takue zu thün.
Es versteht sich von selbst, dass alle diese Berührungen mit
fremden Völkern in der Regel feindlich sind. Die Beni Amer
und die Hadendoa standen sich immer feindlich gegenüber und
selbst jetzt, wo sie unter der gleichen Regiemng stehen, dauert
der alte Hass fort. Dem offenen Kampf haben die Türken
ein Ende gemacht, aber die Räubereien dauern fort; auf dem
Markt von Kassala wird sehr oft gestohlenes Gut verkauft.
Der Hass der Beni Amer zeigt sich recht deutlich in der Art,
wie sie den Ursprung der Hadendoa erzählen. Ein König
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302 Ueber die Beni Amer.
hatte eine Tochter, die verwahrte er in einer Burg auf der
Insel Suakin; doch wurde sie da von einem Teufel (Djinn)
hesucht und gebar ihm sieben Söhne, die Stammväter der
Hadendoa; daher die geistreiche Etymologie von Suakin aus
Sana el Djinn (der Teufel hat's gebaut). Der Hass, der sich
in diesen lächerlichen Erfiudungen Luft macht, musste um so
grösser sein, weil sie gegen die streitbaren Hadendoa im Nach-
theil waren. Diese letztern bedienen' sich ausser dem Pferde,
das nur in der Schlacht bestiegen wird, des Reitkameeis, das
sie sehr gut dressiren, sodass es an Gelenkigkeit dem Pferde
nichts nachgibt. Auf den leisesten Wink beugt oder erhebt
es sich. Es wird auch zur Straussenjagd verwendet; die Ha-
dendoa kommen oft zu diesem Zweck bis nach Desset in die
Nähe von 'MkuUu, wobei sie sich freilich nicht immer mit
der Jagd begnügen , sondern auch das Land unsicher machen.
Ich weiss, dass vor einigen Jahren der Naib selbst mit Sol-
daten sie aus dem Samhar vertreiben musste. Wenn nun die
Hadendoa einen Raubzug unternehmen, so sitzen auf jedem
Kameel zwei Mann; in dieser Art können sie sehr grosse
Distancen in kurzer Zeit durchreiten. Um sich einen Begriff
von der Schnelligkeit des Kameeis zu machen, will ich
erwähnen, dass es im Tag sehr bequem 15 Stunden Weg
zurücklegt. Ich kenne einen Postreiter, der im Auftrag des
Boy von Dunguaz am Barka direct nach Kassala reiten sollte;
die Abyssinier waren in's Barealand eingefallen; die türkische
Garnison stand in Dunguaz und der Gouverneur der Provinz
befand sich zufällig da. Da er von Kassala schnell Hülfstrup-
pen kommen lassen wollte, wurde das beste Postkameel ge-
sattelt; die directe Entfernung beträgt einige dreissig Stunden;
die Post wurde um 10 Uhr Morgens expedirt und war um
6 UTir Abends in Kassala; schon 2 Tage nachher rückten
JiOO Soldaten mit einer Feldkanone in Dunguaz ein. Neben-
bei bemerkt wird das Kameel in Afrika noch nicht gehörig
benutzt; die Karawanen sind noch immer sehr schwerfällig,
weil keine Agenten den Verkehr vermitteln und so der Herr
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üeber die Beni Amer. 303
der Waare die Weiterbeförderung selber besorgen muss und
weil kein Unterschied für Eilgut gemacht wird. Bei wohl-
feilen Waaren hat ein wenig Aufenthalt nichts zu sagen und
da wird billigei'weise nur auf die Tragkraft des Kameeis Rück-
sicht genommen; es macht kleine Tagereisen, aber trägt um
so mehr; so braucht es von Kassala bis Suakin oft volle
20 Tage und trägt 7 Kantar. Bei werthvoUen Waaren aber,
die mehr Transportspesen vertragen können, wie Straussen-
fedem, Wachs und Elfenbein etc. kann man nicht begreifen,
warum man mit dem Kameel geizt und Zeit verliert; für.
solche Waaren benutze man Reitkameele, die den gleichen
Weg in 8 Tagen zurücklegen und man lege ihnen nur halbe
Last auf; damit wird Zeit gewonnen, was die grösseren Spesen
bei Weitem aufwiegt. Ein Wink für diejenigen, die den Han-
del des Sudan organisiren wollen.
Auch mit ihren südlichen Nachbarn, den Barea, stehen
die Beni Amer auf schlechtem Fusse; über ihre gegenseitigen
Thaten reden wir an einem andern Orte; hier sei nur bemerkt,
dass die Türken auch hier den Beni Amer'u aufgeholfen haben ;
die Barea wurden gewissermassen unter die Herrschaft des
Deglel gestellt, eine Garnison in's Barealand (Kufit) verlegt
und das Land beruhigt. Doch seit sich die Türken zurück-
gezogen haben, ist die alte Fehde wieder ausgebrochen, ob-
gleich die Barea ziemlich heruntei^ekommen sind.*)
Zu den Bogos standen die Beni Amer in einem freund-
lichen, ja sogar bevormundenden Verhältniss, wenn auch ein-
zelne Feindseligkeiten nicht fehlten. Die Az Ali Bakit, ihre
nächsten Nachbarn, hatten sich durch ihren Sheich Bejet
grossen Einfluss bei den Bogos erworben, da diese letztern Um
als Hüter des Landes gegen die übrigen Beni Amer ansahen;
sie zahlten ihm eigentliche Abgaben, wogegen er ihnen er-
laubte, im Tiefland zu cultiviren und die Weide zu benutzen.
Er wurde sogar oft als Vermittler zwischen den streitenden
*) Man vergl. den Abschnitt: Reise durch das Land der Bazen.
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304 Ueber die Beni Amer.
Bogos angerufen und war so einigermassen Schutzherr dieses
Völkleins. Anderseits waren die Beni Amer, wenn sie sich
gegen die Türken auflehnten, froh, sich in's Gehirge zu Freun-
den zurückziehen zu können. Man weiss aber aus meinen
frühem Mittheilungen, dass die Bogos sich täuschten; denn
ihre Freunde, die Az Ali Bakit, machten halb gezwungen
gemeinschaftliche Sache mit dem ganzen Barka und Gash, das
(1854) unter Mitwirkung der Türken das Land der Bogos
ausplünderte. Seitdem ist das Verhältniss der beiden Stämme
.kälter geworden.
Viel entschiedener treten die Takue gegen die Beni Amer
auf: sie stehen ihnen unabhängig, oft sogar feindlich gegen-
über; schon früher ist erzählt worden, wie sie die eindringen-
den Beni Amer aufs Haupt schlugen. Die Az Ali Bakit
Hessen dabei an 100 Todte zurück, doch erholten sie sich
schnell. Auch der neuern Niederlage der Az Gultane haben
wir erwähnt (Juni 1861). Um gerecht zu sein, muss man
bedenken, dass die Beni Amer sich nie in die Angelegenheiten
des Hochlandes gemischt hätten , wenn sie nicht von den ent-
zweiten Factionen selbst um Intervention angegangen worden
wären.
Die Marea und die Beni Amer streiten sich oft und be-
stehlen sich noch häufiger; aber sie liegen sich zu nah und
sind für die Weide zu sehr voneinander abhängig, als dass
sie dauernd Feinde bleiben könnten. Was die Wass betriflPt,
so leben sie auf den Grenzen des Dembelas, mit dem sie sehr
befreundet sind; wenn sie rebelliren, so ziehen sie sich in
dieses Gebiet zurück.
Noch müssen wir des Verkehrs der Az Ali Bakit mit dem
Hamasen gedenken. Von jeher war das Verhältniss zu den
Grenzgauen, Molasenei, Az Shehei, Az Danshim und Az Ma-
man, entschieden feindlich. Diese vier Gaue benutzen nämlich
sßit undenklicher Zeit die Weiden des Barka bis Shytel, die
keinen eigentlichen Besitzer mehr haben, seit die Kelou aus-
gestorben sind. Den Beni Amer'n lie^ natürlich alles daran,
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üeber die Beni Amer. 305
sie hier zu verdrängen; daher ein hartnäckiger Kampf, der
noch nicht entschieden ist. Noch vor wenigen Jahren (1857
und 1858) verheerten die Az Ali Bakit die Heerden dieser
Gaue, die im Vertrauen auf einen kurz vorher geschlossenen
Vertrag im Tiefland weideten. Sie wurden dafür nicht ge-
züchtigt, da sie dem Fürsten des Hamasen wichtige Dienste
leisteten. Wir wissen nämlich (Recht der Bogos, pag. 22),
dass Dedjas Heilu, der Statthalter des Hamasen, durch Marit
verdrängt wurde. Er zog sich mit seinem Anhang nach dem
Barka zurück und bestimmte die Az Ali Bakit, ihm für die
Wiedereroberung seines Landes behülflich zu sein. So stieg
er im Juni 1859, begleitet von vielen seiner Anhänger und
von 300 Beni Amer'n unter der Führung Bejet's, in's Hamasen
hinauf und wurde Samstag den 4. Juni bei Az Gabru unweit
Tsasega von Marit angegriffen. Die Schlacht entschied die
Reiterei, an der Heilu Mangel litt. Heilu wurde gefangen
genommen und an Negussie ausgeliefert; der alte Bejet fiel
und mit ihm über 100 seiner Leute. Da seitdem Heilu wieder
in die Regierung eingesetzt worden ist, muss er natürlich den
Beni Amer'n schon für den Tod Bejet's dankbar sein, sodass
die abyssinischen Grenzgaue gezwungen sich ruhig verhalten
müssen.
Das Verhältniss der Beni Amer zu allen erwähnten Grenz-
nachbarn Abyssiniens charakterisirt sich durch ein den erstem
eigenthümliches, besonders aus der Religion hervorgehendes
Superioritätsgefühl, eine Arroganz, denen diese verwahrlosten
Kinder des Hochlandes keinen Stolz noch Glauben entgegen-
stellen können. Die Bogos und die Takue geben ihre Töchter
den Beni Amer'n zu Frauen hin, obgleich sie wissen, dass
diese sogleich zum Islam übergehen müssen ; einem Beni Amer
würde es nie einfallen, seine Tochter einem Bogos zu geben,
selbst wenn dieser Mohammedaner wäre, da er ihn nicht als
ebenbürtig ansieht. Dieser Stolz, den jedes islamitische Volk
hat, ist das Kind der Einheit, der Zusammengehörigkeit. Die
Mohammedaner haben einen religiösen Patriotismus, der über
Ifunzinger, Ostafrik. Studien. 20
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306 Ueber die Beni Amer.
Freund und Familie geht. Wenn sie einen Kriegszug gegen
die sogenannten Kaffem vorhaben, so nehmen alle Stämme
bis zum Gash daran Theil. Niemandem fällt es ein, aus
Rücksicht auf seine christlichen Freunde und Verwandten den
Kriegsplan zu verrathen. Schnell wird berathen und noch
schneller gehandelt; ungeahnt fällt man in das feindliche
Land ein. Das ist der Vortheil des Islam, der keine Neben-
rücksichten kennt. Wie verschieden ist das Benehmen der
Bogos und aller ähnlichen Völker. Das Gemeinwohl ist ihnen
ein unverstandener Begriff; sie haben kein leitendes Band,
das die Privatinteressen erstickt; sie berathen lange, da jede
Familie für sich denkt und können nicht schweigen; wenn sie
auch einig werden, richten sie nichts aus, da jeder Einzelne
an seinen guten Freund oder Verwandten Botschaft schickt,
um ihn zu warnen; so verräth jeder den andern. Daher ist
die Arroganz des Mohammedaners, so xinangenehm sie auffällt,
vollständig gerechtfertigt; der Familiengeist hat gewiss seine
guten und edlen Seiten, aber er verhindert alles Zusammen-
wirken.
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Staat und Recht.
Wir haben schon gesehen, dass alle Beni Amer unter
emem Stammfürsten (Deglel) stehen, von dem Stamm der
Nebtab. Der jetzige Deglel heisst Hamid, ein noch junger
Mann mit feinem Gesicht und von feiner Gestalt, schmächtig
gebaut, leicht und beweglich, gescheidt, sarkastisch, wenig
würdevoll. Er hat einen ziemlich würdigen Nebenbuhler in
seinem Vetter Mohammed Weld Höinmed, von seinem Vater
auch Weld el Fil genannt, da dieser wegen seiner Gestalt auch
a Elefant» zubenannt wurde. Dieser Mohammed ist erster
Statthalter des Deglel, dem er fast gleichsteht; er wird wegen
seiner Prunksucht auch Fashat genannt, ist würdevoll und
gesetzt, macht viele Umstände und liebt schöne Kleider und
grosses Gefolge. Das Amt des Deglel beschränkt sich fast auf
das Eintreiben des Tributs, von dem er mit seinen nächsten
Verwandten sein gutes Theil erhält. Ausserdem hat er das
Becht der Imamet, d. h. auf den Zehnten von der Beute eines
Raubzuges. Wären die Türken nicht da, so würden diese
Rechte sehr in Frage gestellt werden. Uebrigens führt fast
jeder Stamm der Beni Amer Krieg mit dem Ausland auf eigene
Faust; auch im Gericht steht jeder gewöhnlich für sich nach
dem herkömmlichen Recht; doch entscheidet in streitigen
20»
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308 üeber die Beni Amer.
Fällen die Sherfe, d. h. das kanonische Recht, das von einem
in Zaga residirenden Kadi gedeutet wird, der in den verschie-
denen Lagern seine Agenten hat. Erste Instanz ist die Fa-
milie, zweite der Herr für die Unterthanen und der Häupt-
ling des Tribus für die Herren, dritte ist die Chassamet Allah
oder das göttliche Recht, das aber bei der im ganzen Orient
herrschenden Bestechlichkeit der Kadi meist sehr ungöttlich
interpretirt wird. Die Residenz des Deglel und seiner Familie
ist Zaga (par excellence so genannt, da für jeden Stamm das
Zeltenlager der Kameele diesen Namen führt). Es wird von
allen bewohnt, die mit der Regierung zu thun haben, ihren
Dienern, Sklaven und Sklavinnen. Anständige Leute leben
sonst weit davon, besonders im Herbst, wenn die Türken hier
ihr Hauptquartier aufschlagen, um den Tribut einzuziehen.
Deswegen ist Zaga ein sehr verrufener Ort; Honig, Wein und
Bier genügen nie dem Bedarf. Jeder der grossen Häuptlinge
hat eine Schaar Söldner, die ein wildes müssiges Leben führen.
Die Venerie ist sehr häufig und dringt sogar in die vornehm-
sten Familien ein, da sich die Häuptlinge trotz ihrer vielen
rechtmässigen Frauen des Umgangs mit den Sklavinnen nicht
enthalten können. In Zeiten der Gefahr wird das Neg-
garet geschlagen; die Frauen flüchten sich in die Wildniss,
die Männer bleiben und erhitzen sich mit kriegerischen Tänzen;
oft sieht man bei dieser Gelegenheit betrunkene Sklaven, die
sich mit dem Krummmesser den Leib zerschneiden, um ihren
Muth zu zeigen. Solche Scenen konnte ich 1860 mit ansehen,
als Dsadiq von dem Barealand aus das Barka bedrohte.
Wir haben früher bemerkt, dass die Bevölkerung aus Skla-
ven, Unterthanen, Sheichfamilien und Adelichen zusammen-
gesetzt sei. Wir wollen zuerst die Stellung der Sklaven bei
den Beni Amer'n deutlich machen.
Die Sklaven bilden einen bedeutenden Theil der Bevöl-
kerung; sie sind entweder vom Feind geraubt oder vom Aus-
land angekauft; andere Quellen gibt es nicht, da ein Beni
Amer nie sein Kind verkauft oder seiner Freiheit verlustig
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Ueber die Beni Amer. 309
gehen kann; vor dieser Schmach hat ihn der Islam bewahrt.
Die Sklaven trennen sich in neuangekaufle und in eingebome
(Wulud); ihre Stellung ist so verschieden, dass eigentlich nur
die erste Kategorie den Namen Sklave verdient, während die
letztem höchstens leibeigen genannt werden dürfen. Der
neuangekaufte Sklave erfährt gleiche Behandlung, wie jeder mo-
hammedanische Sklave; er kann weiterverkauft werden und ge-
hört noch nicht der Familie an. Der im Lande gebome Sklave
aber hat eigentlich nur den Namen, aber nicht die Stellung
eines solchen, was sich besonders dadurch zeigt, dass er sich
mit den Woreza (Unterworfenen) verschwägern darf. Die in
einer solchen Ehe erzeugten Kinder werden als frei be-
trachtet, da sie von freier Mutter abstammen.
Wir kennen im Barka die Kishendoa, d. h. Sklavenstamm,
alles eingeborne Leibeigene, die ein eigenes Zeltenlager ein-
nehmen, sich selbstständig regieren mit eigenem Häuptling,
und mit den Woreza nach Belieben verheirathen. Gebome
Sklaven können leben wo sie wollen und beerben sich wie
Freie; nur wenn keine Verwandten da sind, ist der Herr der
natürliche Erbe. Auch ein neugekaufter Sklave kann seinen
Herrn verlassen und sich einen beliebigen Schutzherrn wählen;
aber sein Herr kann ihn ohne Rücksicht auf diesen letztem
verkaufen.
Auch im Blutrecht ist die Stellimg des gebomen Sklaven eigen-
thümlich. Wird ein neugekaufter Sklave getödtet, so wird
dem Herrn der Ankaufspreis ersetzt, da er noch als Waare
angesehen wird. Ganz anders steht der gebome Sklave; da
er zur Familie gehört, so verlangt sein Blut wieder Blut; hat
er eigene Angehörige, so rächen sie. ihn; hat er keine, so
rächt ihn sein Herr ; ist diess nicht thunlich, da vielleicht der
Mörder zu vornehm ist, so schweigt die Sache; aber von Blut-
geld ist niemals die Rede. Eine Analogie zu dieser Klasse
bilden die gebomen Leibeigenen der Fürstenfamilie von Tsa-
sega; sie heissen noch immer Sklaven, gehören aber zu den
besten Familien des Landes; niemand bedenkt sich, einem
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310 Ueber die Beni Amer.
solchen Sklaven sich zu verschwägern; die ersten Staatsämter
befinden sich in ihren Händen; der Belaten gieta z. B. wird
immer aus ihrer Mitte gewählt.
Die Beni Amer haben den Ehrgeiz, viel Sklaven zu be-
sitzen; sie suchen sie auf alle Weise zu vermehren; die häu-
figen Raubzüge haben meist nur diesen Beweggrund. Glück-
licherweise ist im Lande selbst der Aermste und Schwächste
nie der Gefahr ausgesetzt, seine Freiheit verlieren zu können.
Selbst ein Bazen, der beweisen kann, dass er vor seiner Ge-
fangennehmung Muslim war, wird sogleich freigelassen. Die
Sklaven dienen ihren Herren eigentlich nur in der Jugend;
die mannbare Sklavin wird Freudenmädchen, lebt in der Nach-
barschaft ihres Herrn, aber ist fast allen Dienstes enthoben;
der Mann verschmäht meist alle Arbeit und gehört zum Ge-
folge seines Herrn. Wirklichen Nutzen zieht der Herr von
seinem Sklaven nicht. .
Ganz anders ist der Zustand der eingebomen Sklaven. Da
sie befugt sind, sich untereinander oder mit den Kindern der
Unterthanen zu verheirathen, so benehmen sie sich sehr an-
ständig; sie können auf Erwerb von Vermögen denken, das
sie auf ihre Kinder forterben. Im Barka kommt es selten vor, dass
jemand seinen Sklaven freilässt. Uebrigens erleidet die Milde,
womit der Sklave behandelt wird, ihre Ausnahmen; ich habe
einzelne Frauen gekannt, die sich ein Vergnügen daraus
machten, ihre Sklavinnen zu peinigen. Auch muss ich eines
unzweifelhaften Factums erwähnen, das sich vor etwa zwanzig
Jahren zutrug. Dem Deglel Ibrahim, der todkrank war,
sagten die Weissager, er würde genesen, wenn er sich den
Leib im Blute einer Jungfrau bade. Schrecklicherweise wurde
dann wirklich eine junge Sklavin hingeschlachtet, aber das
Bad nützte nichts, da der Herr kurz darauf starb. Wir
müssen nebenbei bemerken, dass das Waschen mit Thierblut
in der Heilkunst Afrikas eine grosse Rolle spielt; jeder Krank-
heit fast glaubt man abzuhelfen, indem man eine Ziege schlachtet
und das warme Blut dem Patienten über Kopf und Leib giesst.
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Ueber die Beni Amer. 311
Sklaven werden selten weiter verkauft, gebome gar nicht.
Eine Ausnahme bilden solche Sklaven, die Flucht befürchten
lassen, so die Barea und Bazen, die ihrem Vaterland zu nahe
sind, um sich nicht immer nach den Bergen desselben
zurückzusehnen. Wir haben Beispiele von Abyssiniem, die
durch Bazen -Räu'ber aufgegriffen, an die Hadendoa verkauft,
Mittel gefunden haben, in ihre Heimat zu kommen; ich kenne
mehrere Bogosfrauen, die bis an den untern Gash ausgeführt
wurden und dennoch versuchten sie die Flucht: wochenlang
wanderten sie in der Wildniss, von Wurzeln und Früchten
lebend, vor sich die blauen Berge als Kompass, und erreich-
ten glücklich die Heimat.
Auch bei den Beni Amer'n finden wir den Gegensatz von
Adel und Unterworfenen. Den Adel bilden die Nebtab und in
gewisser Beziehung die Belou, "obgleich sie des Regiments ver-
lustig gegangen sind. Jeder Adeliche oder Herr heisst immer
noch Belaui. Die Unterworfenen heissen je nach ihrem Ur-
sprung O'Hassa und O'Bedaui oder kurzweg Woreza (Mann,
Knecht). Wir wollen uns im Gegensatz zum Herrn des Wortes
Knecht bedienen, obgleich es nur halb dem Begriff entspricht.
Das Verhältniss, das wir nun zu beschreiben haben, ist dem-
jenigen, das wir bei den Aristokraten des Anseba gefunden,
sehr ähnlich; aber bei den Beni Amer'n ist der Knecht nicht
sowohl ein Schützling, sondern ein Lehnsmann. Indem er
aber sein Vermögen von seinem Herrn hat, dem er einen
gewissen Zins schuldig ist, wird seine Stellung viel abhängiger.
So finden wir eine neue eigenthümliche Phase der Unterthänig-
keit, die wir kurz charakterisiren wollen.
Bei den Beni Amer'n ist also alter Gebrauch, dass der
Herr, der Vermögen hat, es frei an seine Knechte vertheilt;
bekommt er z. B. als Antheil von der Kriegsbeute 100 Kühe,
so bewahrt er sie keineswegs in seiner Heerde auf, sondern
er überlässt sie den Knechten als eigentliches Geschenk. Wenn
der Knecht heirathet, unterstützt ihn der Herr mit einer Gabe
von einem Kameel. Ueberhaupt wendet sich der Knecht in
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312 Ueber die Beni Amer.
jeder Noth an seinen Herrn, der ihn wenn immer möglich
unterstützt. Alle diese Geschenke werden das wahre Eigen-
thum des Empfängers; der Knecht kann damit anfangen, was
er will, er kann es veräussem und seihst verschleudern; der
Herr darf ihm einen Vorwurf deshalb machen, aber rechtlich
belangen oder strafen kann er ihn nicht. Stirbt der Knecht,
so gehen diese Geschenke an seine natürlichen Erben. Der
Herr hat aber von diesen Geschenken eine gewisse Nutz-
niessung: der Knecht versorgt ihn mit Sclünalz; er bringt ihm
täglich ein gewisses Mass Milch, d. h. er ernährt seinen
Herrn und dessen Familie. Daher kommt es, dass dieser oft
bis Mitternacht auf sein Abendessen warten muss, weil die
Knechte erst zuletzt seiner gedenken. Der Knecht schlachtet
ferner das Todtenopfer für seinen Herrn und für jedes Mit-
glied seiner Familie; er überlässt dem Herrn jede sterile Kuh
und wenn er schlachtet, bringt er ihm das Bruststück. Auch
er steht seinem Herrn in jeder Verlegenheit bei und hilft ihm
sogar in der Entrichtung des Tributs nach Kräften.
Wir müssen übrigens darauf aufinerksam machen, dass der
Herr gewöhnlich sein Vermögen an die Knechte vertheilt, dass
er aber nicht dazu verpflichtet ist, sodass es Herren gibt,
die vorziehen, ihr Eigenthum selber zu verwalten. Femerist
die Pflicht, Schmalz zu liefern, seit der Türkenherrschaft ziem-
lich in Vergessenheit gerathen.
Dem Knecht steht es frei, zu leben wo er will und sich
unter den Herren einen beliebigen Kai fer'a (Platzherr) zu
suchen; seine Pflichten gegen den eigentlichen Herrn bleiben
aber die gleichen. Der B'al fe/a kann ihn irgend eines Ver-
brechens wegen binden, richten kann ihn aber nur der Herr.
Ist der Knecht mit seinem bisherigen Herrn unzuMeden, so
hat er die Befugniss, sich zum Kiiecht eines andern Vorneh-
men zu erklären, indem er für jedes Glied seiner Familie ein
Ohr von einer Kuh des neuen Herrn mit der Lanze spaltet;
er muss aber seinem früheren Herrn alles, was er von ihm
zum Geschenk bekommen, zurückgeben; was er aber davon
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Ueber die Beni Amer. 313
verloren oder verkauft hat, wird ihm nicht angerechnet. Uebri-
gens ist dieses Recht des Uehertrittes seit der Herrschaft der
Türken nicht mehr unbedingt, da sich die Häuptlinge oft
ihres politischen Einflusses und des Arms der Soldaten be-
dienen, imi ihre Knechte zum Bleiben zu zwingen. Gesetze,
die lediglich auf dem Herkommen beruhen, verlieren natürlich
ihre Autorität, sobald ihre Execution von fremden Herren
abhängt, die sich um das Hergekommene nicht kümmern.
Gewöhnlich heirathet jeder Stand für sich, doch hat der Ade-
liche das Recht, die Tochter eines Knechtes zur Frau zu neh-
men, nie umgekehrt; die Tochter eines Adelichen, sei er
Nebtab oder Belou, vrird nie an einen Knecht verheirathet.
Gewöhnlich sind aber jene Ehen nicht sehr glücklich, da die
Standeserhöhung die Frau viel zu übermüthig macht. Da-
gegen verschwägern sich die Nebtab mit den Belou und auch
mit den Sheichfamilien, auf die wir zurückkommen müssen;
die Belou werden immer noch als ebenbürtiger Adel behan-
delt, doch verlieren sie immer mehr Boden und schon jetzt
gibt es Nebtab, die ihnen ungern ihre Töchter bewilligen.
Der natürliche Givilrichter des Knechtes ist seine Familie
und dann sein Herr; in Criminalsachen der Herr und seit der
türkischen Herrschaft der Dorfvorsteher (Sheich el beled).
Der Knecht hat nicht das Recht, jemanden in. Fesseln zu
legen; er muss sich dafür an seinen Herrn wenden. Der An-
theil an der Kriegsbeute und jeder von ihm gemachte Fund
gehört seinem Herrn, der ihm davon nur einen kleinen Theil
überlässt; findet er z. B. einen todten Elefanten, der 100 Thlr.
werth sein kann, so schenkt ihm der Herr etwa zwei Thaler.
Handelt er gegen dieses Gesetz, so wird sein ganzes Vermögen
von seinem Herrn eingezogen (gedbe) oder er wird, besonders
wenn kein Vermögen da ist, mit dem Tode bestraft. Des-
wegen geht der kleinste Theil der Kriegsbeute an die Knechte.
Den Knecht beerben natürlich seine Kinder oder seine Verwandr
ten; fehlen diese, so erbt der Herr. Derselbe hat endlich das
Recht des Zeraf, d. h. er nimmt seinem Knecht eine Kuh
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314 üeber die Beni Amer.
oder Ziege, womit er Gäste bewirthen will; er verspricht ihm
einen schönen Preis dafür, den er ihm aber selten bezahlt.
Der Nebtabei, der einen Knecht tödtet, bleibt, wem dieser
auch angehören möge, straflos; in der letzten Zeit sind auch
die Belou so verächtlich geworden, dass ihr Blut mit dem
der Knechte in eine Linie gestellt wird. Freilich sind die
Türken dann und wann eingeschritten, aber sie thun es sehr
selten, besonders seit sie mit den Nebtab zusammen regieren.
Tödtet ein Knecht einen andern, so rächt diesen seine Fa-'
milie oder der Mörder wird förmlich zum Tode verurtheilt;
freilich lässt sich die Familie oft zur Annahme der Diet (Blut-
preis) bewegen, die selten 100 Kühe ausmacht. Da so das
Blut selten taxirt wird, so ist der Preis kein bestimmter, wie
bei den Bogos. Wenn ein Sklave einen Knecht tödtet, so
wird er von seinem eigenen Herrn mit dem Schwert hinge-
richtet. Am strengsten wird der Mord eines Adelichen durch
einen Knecht geahndet; der Mörder wird sogleich hingerichtet,
sein Vermögen confiscirt und seine Familie wird zum Dade
der verletzten Familie gemacht, ohne je wieder das Recht zu
haben, den Herrn zu wechseln. Man kann wohl begreifen,
dass dieser Fall selten vorkommt.
Es muss nun bemerkt werden, dass es Unterthanen unter
den Beni Amer'n gibt, die sich nur politisch den Nebtab
unterworfen haben, sonst aber keinen eigentlichen Lehnsherrn
kennen.. Dazu gehören die Beit Bidel und Az Kukui. Diese
Stämme haben ihre eigenen Sitze und ihr eigenes Vermögen;
sie sind Unterthanen der Nebtab im Ganzen, aber nicht
Knechte dieser oder jener Person. Sie sind den Nebtab nicht
ebenbürtig und vom Blutrecht ebenso geringschätzig behandelt,
wie andere Knechte; da aber die Knechtschaft ihren eigent-
lichen Sinn in der Belehnung hat, so sind diese unbelehnten
Leute immer gewissermassen frißi.
Der fremde Handelsmann ist insofern Unterworfener, als
er während seines Aufenthaltes einen Schutzherrn nöthig hat;
aber sein Verhältniss ist nur vorübergehend. Er wird von
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Ueber die Beni Amer. 315
seinem Wirth verköstigt, wogegen er ihm eine kleine Abgabe
entrichtet. In frühern Zeiten wurden fremde Handelsleute
ziemlich willkürlich behandelt; seit aber die Beni Amer selbst
Handel treibend an's Meer gehen, wo sie ihrerseits auch Schutz
nöthig haben, sind ihre Gäste viel gesicherter.
Eine eigenthümliche Klasse von Unterworfenen bilden die
Sheichfamilien. Es gibt überall, wo Mohammedaner leben,
gewisse Heilige, denen das Volk, als von Gott bevorzugten
Männern, Wunderkraffc zuschreibt; sei es, dass sie sich eines
frommen Lebenswandels befleissigen, oder dass zufällig ihre
Prophezeiung eingetroffen, oder dass ihr Fluch geschadet,
jeder Stamm schätzt sich glücklich, einen solchen Heiligen bei
sich zu haben, da er Glück zu bringen scheint. Er wird der
Prieiäter des Volkes; er wird bei jeder Sache berathen; er
segnet die Eheleute ein; er macht auch den Schulmeisterund
sorgt für die Aufrechthaltung des Glaubens; wenn er vorbei-
geht, so küssen ihm alle Leute die Hand. Natürlich hat er
seine Privilegien, die er wie sein Amt auf seine Nachkommen
forterbt Wir finden bei den afrikanischen Islamiten förm-
liche Sheichdörf er (Az Sheich); so heisst die Hälfte des Dorfes
Sabderat ein Az Sheich; im Barka finden wir Az Sheich el Ha-
babi, Az Sheich Hömmed, Az Sheich Gende; bei den Habab Az
Sheich Mohammed, wovon ein Zweig sich auch im Barka fest-
gesetzt hat; diese letztem sind zwischen dem Deglel und dem
Naib streitig. Alle diese Familien sind gewöhnlich gemeinen
Ursprungs, aber die Religion heiligt und adelt sie. Sie ge-
hören nicht zum Adel, aber sie heirathen dessen Töchter,
denen sie von Gotteswegen ebenbürtig scheinen. Die meisten
sind tributfrei; sie haben eigene Jurisdiction; niemand wagt
es, einen Sheich zu verletzen, da ihr Segen oder Fluch so-
gleich erhört wird. Sie schreiben sich immer Wunderkraft zu,
da die Afrikaner lieber Wunder glauben, als natürliche Dinge,
80 wird ihnen das Wunderwirken nicht schwer; eine erfüllte
Wahrsagung wiegt hundert unerfüllte auf. Auch die benach-
barten Christen haben grossen Respect vor ihnen und lassen
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316 üeber die Beni Amer.
sich von ihnen Talismane schreiben. Gewisse oft unsinnige
Sprüche werden auf ein Papier geschrieben, das in Leder ver-
näht am Arm oder Hals getragen wird. Diese sogenannten
Hedjab sollen vor allen möglichen Gefahren schützen; die
Afrikaner alle halten sehr viel darauf. Man sieht Leute, die
wohl zwanzig solcher Ledertäschchen tragen; stirbt der
Besitzer, so entsteht unter den Söhnen oft Streit über die
Vertheilung dieser Amulete. Leider gibt es auch christliche
Wunder thäter, die sich mit dieser Wunderfabrik abgeben.
Dann behaupten die Sheich auch, die Leoparden und Heu-
schrecken vertreiben zu können. Uebrigens sind die Sheich-
familien gegenseitig sehr eifersüchtig; sie lachen oft eine die
andere aus; es ist ein niederträchtiges, anmassliches Volk,
das vom Aberglauben der Menge lebt. Sie bilden einen ziem-
lich bedeutenden Theil der Bevölkerung, doch muss man sich
nicht vorstellen, dass die sogenannten Az Sheich nur von
solchen Heiligen bewohnt werden; viele Beni Amer ziehen es
vor, der Erbauung wegen mit ihnen das Leben zu verbringen,
ohne deswegen aus ihrem sonstigen Dienstverband auszutreten.
Wenn wir die Stellung des Unterthanen bei den Beni
Amer'n mit derjenigen der Tigre vergleichen, wie wir sie am
Anseba gefunden, so zeigt sich der radicale Unterschied, dass,
was dort Schutzverhältniss ist, hier Lehnsthum ist. Bei den
Bogos unterwirft sich der Schwache dem Starken, auf dass
er ihn beschütze; bei den Beni Amer'n ist der Unterworfene
Lehnsmann; der Herr, der selbst die Verwaltung seines Ver-
mögens scheut, zieht vor, es den kundigeren Händen seines
Hirten zu übergeben; er überlässt es ihm vollständig, bedingt
sich aber eine Leibrente aus. Wie das Vermögen fortgeerbt
wird, so diese Leibrente oder die Pflicht des Unterthanen,
seinen Herrn zu erhalten. Auf diese Basis stützt sich dieses
Lehnsrecht; der Adeliche ist nur insofern Herr seines Unter-
thanen, als er ihn zu seinem Pächter gemacht hat. Da die
Beni Amer Nomaden sind, so war kein Land zu vertheilen,
denn Weide hat keinen Herrn; das Lehn betraf also nur das
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üeber die Beni Amer. 317
bewegliche Eigenthum. Bei den Marea wird ein ähnliches
Verhältniss angedeutet: der Adel habe das Land an die Tigre
yertheilt und sich dabei seine Rechte vorbehalten; doch ist
die Tradition nicht hinreichend sicher, dass wir daraus auch bei
den Marea die Unterthänigkeit aus den Lehen herleiten könnten.
Es ist klar, dass in dem beschriebenen Verhältnisse zwi
sehen Herrn und Knecht nichts Ungerechtes liegt; die grossem
Rechte bedingen grössere Pflichten; es ist nicht das Recht
des Stärkeren, sondern das Recht des Gebers gegenüber dem
Beschenkten. Es ist femer begreiflich, dass die scharfen
Strafgesetze nur ausnahmsweise zur Anwendung kommen und
dass die Sitte und der persönliche Verkehr das Gesetz selbst
mildert. Jedem Herrn ist daran gelegen, einen guten Ruf zu
haben; er muss seine Unterthanen schon deswegen schonen,
weil sie sich der Botmässigkeit entziehen können. So tief
daher die Unterworfenen stehen, so familiär, möchte ich sagen,
stehen sie zu ihren Herren,; da sie eigentlich Pächter auf
ewige Zeiten ^ind und der Reichthum des Landes meist in
ihren Händen sich befindet, so haben sie bei jeder öffent-
lichen Berathung die wichtigste Stimme; es ist ihre Sache,
zu bestimmen, wo die beste Weide sei, wo der Lagerplatz
aufgeschlagen werden solle. Man darf sich also nicht vor-
stellen, als ob die Unterworfenen sich unglücklich fühlten,
solange ihre Stellung auf der alten Basis ruht; anders kann
freilich das Verhältniss werden, wenn die Türken sich mit
dem Adel verbünden, um die Gemeinen mit roher Gewalt zu
unterdrücken.
Wenn wir fragen, wie sich ein solcher Feudalismus bilden
konnte, so müssen wir seine Ursache in einer förmlichen Er-
oberung suchen; entweder rückten die Belou als Stamm mit
ihren angeworbenen Söldnern im Lande ein, vertilgten die alten
Einwohner und belehnten ihre Soldaten mit dem erbeuteten
Gut oder sie unterwarfen sich mit eigener Macht die Einge-
bornen, nahmen ihnen ihr Vermögen ab und erstatteten es
ihnen dann als Lehen zurück.
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318 üeber die Beni Amer.
Das Sachenrecht ist sehr einfach; da die Beni Amer nur
Hirten sind, so haben sie nur bewegliches Eigenthum. Land,
Gras, Baum und Wasser ist Gemeingut der ganzen Nation.
Eine Ausnahme machen natürlich die Brunnen, deren erste
Benutzung dem Gräber zusteht; ebenso gehört Honig dem
Entdecker des Bienenstocks. Es ist also wenig Anlass zu
Verwickelung da; da übrigens die Beni Amer Mohammedaner
sind imd das islamitische Kecht auf die Zustände eines Hirten-
volkes berechnet ist, so ist kein Wunder, dass es bei diesem
Volke Rechtskraft erhalten hat. Wir können uns also auf
wenige Bemerkungen beschränken.
Wer entliehenes Gut verliert, wird nicht zur Entschädi-
gung angehalten, es sei denn, dass Veruntreuung bewiesen
wäre. Geschenke werden nicht als Schuld angesehen. Es
kommt oft vor, dass sich Freunde und Verwandte gegenseitig
unterstützen; einerseits sind sie keineswegs dazu verpflichtet;
anderseits kann der Empfänger nicht zur Bückerstattung
angehalten werden. Der Begriff von Geschenk ist derselbe,
wie in Europa. Jedermann hat das Recht, zu seinen Leb-
zeiten über sein Vermögen nach Belieben zu verfügen; aber
er darf nicht ein Testament machen. Gekaufte Waare kann
innerhalb drei Tagen zurückgegeben werden, wenn der Käufer
einen Fehler daran entdeckt, den ihm der Verkäufer verheim-
licht hatte. Dienstcontracte (mit Hirten, Mägden etc.) werden
auf ein Jahr abgeschlossen; verlässt der Angestellte den Dienst
vor der Zeit, so verliert er seinen ganzen Lohn; wird er vor
der Zeit entlassen, so gehört ihm ebenso der ganze Lohn.
Für verlorenes oder entwendetes Vieh wird der Hirte nicht
verantwortlich gemacht. Erben sind die männlichen und weib-
lichen Nachkommen und zwar so, dass zwei Töchter nur wie
ein Sohn gerechnet werden. Hat der Erblasser keine Söhne,
so werden die nächsten Verwandten den Töchtern zur Seite
gestellt, so aber, dass diese letztem immerhin bevorzugt sind.
Bei Lebzeiten der Mutter wird das Vermögen ihres verstor-
benen Mannes nicht unter die Kinder vertheilt. Die Erben
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lieber die Beni Amer. 319
übernehmen natürlich auch die Schulden. Das Zelt, das
immer Eigenthum der Frau ist, die es bei der Hochzeit von
zu Hause mitbringt, geht bei ihrem Tod an ihre Tochter über.
Die Ehehindemisse richten sich bei uncivilisirten Völkern
inuner eher nach der Religion, die die Stelle des Naturrechts
vertritt Die Beni Amer richten sich nach den Gesetzen des
Islam; schon die Geschwisterkinder verbinden sich sehr häufig.
Die Beit Bidel und die Allabja hingegen, ihres christlichen
Ursprungs eingedenk, achten die Blutsverwandtschaft bis auf
sieben Grade. Stirbt die Verlobte, so tritt ihre Schwester
nur dann an ihren Platz, wenn ihr Vater damit zufrieden
ist; doch wird der Nackenpreis noch einmal entrichtet; also
bezieht sich der Ehevertrag nur auf die interessirten Perso-
nen, nicht auf ihre Familien, wie bei den Bogos. Ebenso
kann der Vater oder Bruder eines Verlobten in seine Rechte
eintreten oder mit andern Worten seine Braut erben. Fer-
ner nimmt der Bruder seine verwittwete Schwägerin nur zu
sich, wenn sie damit einverstanden ist. Wir sehen also schon
jetzt, dass die Frau eine sehr unabhängige Stellung hat
Wenn wir nun über den Ehevertrag sprechen, müssen wir
das von uns im Recht der Bogos entwickelte Verhältniss als
bekannt voraussetzen. Auch die Beni Amer haben eine dop-
pelte Ehe:
1) Die Ehe durch Kauf. Der Mann kauft seine Frau,
indem er ihrem Vater den Nackenpreis (Segad) entrichtet
und den Dekran, ein kleines Geschenk an die Verwandten
der Frau. Der willkürlich bestimmte Segad wird gemeinsames
Vermögen der Gatten. Diese einfache Heirath wird immer
häufiger; ursprünglich aber galt sie nur für Wittwen oder ge-
schiedene Frauen und ist also eigentlich die Hädei Möbel der
Bogos.
2) Ehe mit Gütergemeinschaft Diese verlangt:
a) den Dekran, wie bei der ersten Rubrik;
b) den Segad, der gewöhnlich auf ein Kameel oder auf
vier Kühe festgestellt wird und dem Ehepaar zukommt
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320 Ueber die Beni Amer.
Bei den Az Ali Bakit bringt der Mann ausserdem das
sogenannte Gjmmei mit, das gewöhnlich in vierzig Ziegen be-
steht und ebenfalls Ehegut wird.
c) Das Metlo, das dem der Bogos entspricht, indem
beide Theile dazu beitragen, das aber bei den Beni Amer'n
gemeinschaftliches Vermögen der Eheleute wird. Die Grösse
desselben richtet sich nach dem Vermögen der Contrahirenden,
steht aber in einer bestimmten Proportion, sodass wenn der
Mann neunzehn Kühe mitbringt, die Frau mit einer Kuh
mehr, also mit zwanzig ausgesteuert wird. Dieses Vermögen
wird am Tage der Verlobung vereinigt und vom Mann ver-
waltet. Es ist gemeinschaftliches Gut der Gatten.
d) Der Bräutigam schlachtet am Tage der Heirath ein
Opfer, ist er ein ünterthan, ein Schaf, ist er adelich, eine Kuh
(Mindik). Ausserdem bringt er unter verschiedenen Titeln
drei Kühe, die dem Ehevermögfen einverleibt werden.
Alle diese Aussteuern und Ausgaben lasten allein auf den
betreffenden sich alliirenden Familien; ihre Verwandten sind
nicht verbunden, sie dabei zu unterstützen.
Die Eheleute treten also mit einem gemeinsamen Vermö-
gen zusammen. Was sie als ledige Leute bisher besessen, wird
nicht zusammengeworfen, sondern bleibt Eigenthum jedes
Einzelnen. Was der Mann nun als Diener oder sonst erwirbt,
ist sein Eigen, ohne Betheiligung der Frau. Die von der
Frau gewobenen Matten sind aber Gemeingut, da der Mann
die Palmenäste dafür schneidet und gewöhnlich den Verkauf
besorgt. Was ihr der Mann in der Zeit der Ehe schenkt
(Efin), wird ihr besonderes Eigenthum.
Der Mann hat das Recht, sich von seiner Frau zu schei-
den; bei der Trennung wird zuerst das Privatgut jedes Ein-
zelnen ausgeschieden imd dann das Gemeingut in zwei Theile
getheilt, sowohl Kühe wie Geld. Das Haus mit allem was
darin ist fällt der Frau zu, die Waffen aber dem Mann.
Die Frau hat zwei Wege, sich von ihrem Mann zu schei-
den; entweder verlässt sie ihn einfach, indem sie ihr Zelt
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lieber die Beni Amer. 321
abbricht und heimzieht, oder sie klagt auf Scheidung wegen
übler Behandlung oder Untreue. In beiden Fällen erhält sie
nur ein Drittel des Gemeingutes. Kann si§ aber Impotenz
beweisen, so erhält sie wie sonst die Hälfte. Es ist leicht
begreiflich, dass solche Fälle selten der Oeflfentlichkeit preis-
gegeben werden; doch fehlen Beispiele nicht, wo der Mann
genöthigt wurde, vor Zeugen auf freiem Platze die Grundlo-
sigkeit der Anklage zu beweisen. So schamlos drückt sich
der Volksgeist auch in seinem Gesetz aus.
Die geschiedene Frau wartet drei Monate ab, bevor sie
sich wieder verheirathet, um sich über allfällige Schwanger-
schaft zu vergewissem. Die Kinder, den Säugling ausgenom-
men, bleiben bei dem Vater. "W ollen diese, wenn sie erwachsen
sind, mit ihrer Mutter leben, so gibt ihnen der Vater ihr
Erbtheil heraus und sie haben dann keine gegenseitigen An-
sprüche mehr.
Stirbt der Mann und haben seine Brüder keine Lust, sein
Haus zu übernehmen, so bringt die Frau das Trauerjahr in
ihrem Orte zu; nach Verfluss desselben wird ihr das Ver-
mögen herausgegeben und sie kann sich frei wieder verhei-
rathen. Stirbt aber die Frau, ohne Kinder zu hinterlassen,
so wird ihr Antheil am Gemeingut ihren Verwandten heraus-
gegeben; ha1i sie Kinder, so verwaltet der Mann den Antheil
der Frau als Erbtheil der Kinder; tritt er aber in zweite
Ehe, so wird das Vermögen den Kindern, herausgegeben.
Ebenso bleibt das Gesammtvermögen beim Tode des Mannes
so lange in den Händen seiner Wittwe, als sie ledig bleibt.
Der Mörder einer Frau wird getödtet; die Rache gebührt
ihren Verwandten, nicht dem Mann. Beispiele, dass eine
Frau einen Mord begangen hat, gibt es nicht. Die Frau kann
weder zeugen noch bürgen. Wegen Ehebruch habe ich nie
klagen hören, weil die vier Zeugen, die der Islam verlangt,
nie zu finden sind.
Nach dem schon* oben Gesagten haben wir über das Blut-
recht wenig mehr zu sagen. Da die Sitte Blut für Blut will,
Mq nxiug er, Ostafrik. Studien. 21
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322 lieber die Beni Amer.
80 wird selten mit Geld Frieden gemacht; wer sich nicht rä-
chen kann, schweigt lieber ganz, als dass er das Blutgeld
annähme, das für einen Adelichen auf zweihundert Kühe und
ein Pferd festgesetzt ist. Oft wird auch ohne alle Satisfection
Friede gemacht; der Mörder gibt seine Tochter dem Sohne
seines Opfers. Das Blutrecht der Unterworfenen ist uns schon
bekannt. Eigenthümlich ist, dass auch bei den Beni Amer'n,
wie bei den Marea, die aussereheliche Empfängniss eines Mäd-
chens mit Blut gesühnt wird, sei es eine Adeliche oder nicht.
Die beiden Schuldigen werden von den eigenen Brüdern mit
dem Kinde getödtet und zwar ohne alle Ausnahme. Noch
vor zwei Jahren kam ein solcher Fall vor. Für eine Wittwe
oder geschiedene Frau dagegen ist das Gesetz nicht so con-
sequent und der Schwängerer zahlt nur eine Busse. Das Kind
aber wird lebendig begraben; das Volk duldet keinen Bastard.
Nur das Kind einer ledigen Sklavin wird auferzogen, sein
Vater muss aber für seinen Unterhalt sofgen. Nur die Marea
kennen dieselbe Strenge,, während die Bogos und die Takue
und Mensa ihr altes Gesetz nur dem Namen nach in Kraft
erhalten.
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Inneres Leben.
Wir wollen uns nun das häusliche Leben der Beni Amer
etwas näher ansehen. Wie bei den Völkern des Anseba, wird
auch hier die Mutter mit dem neugebomen Spinde vor den
Augen der Männer verborgen. Der Freudenschrei (Älal) be-
grüsst nur den Knaben. Jeder Geburtstag wird als glücklich
angesehen, besonders aber der jedem Mohammedaner heilige
Freitag. Die Namen geben gewöhnlich die Helden des Islam
her: Mohammed, Ahmed, Hömmed, Ali u. s. w. Doch sind
besonders bei den Hassa christliche Namen nicht selten. Je-
dermann hat seinen Eigennamen, dem der seines Vaters an-
gehängt wird. Die Kinder werden ziemlich fiüh an die Ar-
beit gewöhnt. Schulen kommen inmier mehr auf, selbst für
die Mädchen. Beten lernen alle, lesen wenige, schreiben üast nie-
mand; selbst die Schulmeister (Fokaha) und die Sheich schrei-
ben sehr primitiv ; meist verwendet man die Leute von Arkeko
zum Briefschreiben. Arabisch sprechen fast nur die Häupt-
linge. Die Kinder bringen dem Lehrer Geschenke oder sie
helfen ihm beim Schulehalten; so eine mohanmiedaniscbe Ju-
denschule gleicht sich überall.
Nach mohajnmedanischer Sitte werden die Knaben im
siebenten Jahre beschnitten, die Mädchen aber nach ostafii-
kanischer Sitte verschlossen. Das Fest der Mannbarkeit findet
erst spät statt; man sieht oft solche sogenannte Knaben her-
umlaufen, die wohl sechsundzwanzig Jahr alt sind; man wartet
21*
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324 lieber die Beni Amer.
SO lange, weil erst der Mann die Kopfsteuer zahlen muss.
Bei den Beit Bidel vereinigen sich alle Jünglinge, die zu
Männern geweiht werden sollen ; sie schmücken sich mit Glas-
perlen, besolden einen Guitarrenspieler und ziehen in den
Wald, wo sie von den Heerden ihres Stammes Ziegen stahlen
und schlachten und sich mit Gesang und Spiel wohl eine
Woche amüsiren.
Die Kinder werden oft sehr früh verheirathet und noch
früher verlobt. Der Bräutigam macht sich mit seinen Genos-
sen auf, um seine Braut abzuholen; doch nachdem er mit
ihren Eltern Rücksprache genommen, kehrt er ohne sie ge-
sehen zu haben zurück. Die Braut bleibt dann noch ein
volles Jahr im väterlichen Hause. Nach Verfluss desselben
schickt der Bräutigam Frauen und ein Kameel, um sie heim-
zuholen; sie wird mit ihrem Zelte fortgeführt; doch werden
die Brautführer vielfach gefoppt, indem man der wahren
Braut ein anderes Mädchen unterschiebt, das sich sorg-
fältig vermunmit fortführen lässt und erst ausser dem Dorfe
qich lachend zu erkennen gibt und fortläuft. Die Hochzeit
der Beni Amer ist aber nicht besonders fröhlich, es fehlt der
christliche herzerfreuende Wein. Die Frau kann ^jederzeit in
ihr Mutterhaus zurückkehren und verweilt da Monate lang
und lässt dem Mann sagen, er möge zu ihr konunen, wenn
sie ihm werth sei.
Im Gebrauch hat die Frau noch viel grössere Vorrechte
als im Gesetz. Nach der Heirath muss ihr der Mann ein
Geschenk (Efin) geben. Nach der ersten Niederkunft wird
die Frau durch Incision wieder verschlossen imd der Mann
kann sich nur durch ein neues Geschenk das Haus öffnen.
Für jedes böse Wort, das sich der Mann zu Schulden kom-
men lässt, muss er wieder mit seiner Habe büssen und viel-
leicht eine ganze Regennacht ausser dem Hause zubringen,
bis er sich dazu versteht, seiner schwachem Hälfte ein Kameel
oder eine Kuh zu schenken. So erwirbt sich die Frau ein
eigentliches Vermögen, das der Mann nie antasten kann; es
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Ueber die Beni Amer. 325
gibt ihrer viele, die ihren Mann auf diese Weise minirten
und ihn dann verliessen. Die Frauen haben untereinander
viel Gemeinsinn; hat sich eine zu beklagen, so kommen ihr
alle andern zu HüKe; jede gibt ihre Meinung. Natürlich muss
der Mann immer Unrecht haben; das ganze Dorf kommt in
Aufruhr. Dieser Corpsgeist verlangt von jeder Frau, sie mag
ihren Gatten lieben oder nicht, dass sie ihm ihre Liebe ver-
berge und ihn verächtlich behandle. Es wird ihr für eine
Schande angerechnet, wenn sie ihrem Gatten ihre Liebe zeigt.
Diese Männerverachtung geht so weit, dass die Frau, die um
ihren Gatten, der kinderlos gestorben ist, klagt, von ihren
Freundinnen verhöhnt wird. Man sieht oft, wie ganz anstän-
dige Frauen wegen des kleinsten Streites mit dem Mann
ihr Zelt abbrechen, um fortzuziehen; oft thun sie es nur, um
den Mann einzuschüchtern, oft sogar, um der öfifentlichen
Meinung ihrer Schwestern zu genügen, indem sie die Trotzigen
spielen. Dann versammelt sich das ganze Lager, um sie zum
Bleiben zu bewegen; wenn alles nichts hilft, lässt man einen
ihrer Brautführer kommen; man sagt ihr, er sei hergekom-
men, um sie zum Bleiben zu vermögen, da kann sie nicht
widerstehen. Es existirt nämlich zwischen der Braut und den
Genossen des Bräutigams eine feste ewige Freundschaft, die
nie trügt; sie dürfen sich nie mehr sehen, aber thun einander
alles zu Liebe. So wenig Liebe die Frau zu ihrem Mann hat
oder zeigt, so viel hat sie für ihren Bruder , den sie über
alles setzt. Oft hört man die Frauen die unanständigsten
Schimpfwörter gegen die eigenen oder fremde Männer aus-
stossen, selbst auf offener Strasse, ohne dass diese es wagen,
die geringste Erwiderung auszusprechen. Da fast alles Ver-
mögen gemeinschaftlich ist, so thut der Mann nicht den klein-
sten Schritt, ohne mit seiner Frau zu berathen und hängt also
sehr bedenklich von ihrem guten Willen ab.
Die Frau melkt nicht; sie isst nie in Gegenwart ihres
Mannes; sie spricht seinen Namen nur vor Fremden aus; sie
verbirgt sich, wie auch der Mann vor der Schwiegermutter.
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326 Ueber die Beni Amer.
Das Rauchbad, wie wir es für die Bogos beschrieben, nimm
sie im Freien; sie benutzt dazu die Wurzel des Nebekbaumes.
Sie geht überhaupt aus, wie sie will; oft bringen die Freun-
dinnen den ganzen Tag im Freien zu, schlachten eine Kuh
auf gemeinschaftliche Rechnung und machen sich einen Schmaus.
Ihre Kleidung besteht aus dem braunen Wollkleid und einem
grossen Stück Calicot ; sie tragen kein Hemd; auf dem Kopf
tragen sie hur einen ganz kleinen Hölqet (Silberkugel); Ge-
schmeide tragen nur die Reichern; alle sind Liebhaberinnen
von meist hellfarbigen Glasperlen, wovon sie Bänder an Hand,
Bein, Knöchel, Hals und imi die Hüfte tragen; sie zeigen so
viel Geschmack in der Farbenzusammenstellung, dass sie
wirklich dabei gewinnen. Die Mädchen tragen ein Stück
Calicot; der Belat (arabisch Rehad), der Fransengurt, ist hier
nicht üblich.
Die Frauen der Beni Amer halten wenig auf Schleier; sie
verbergen das Gesicht höchstens vor ganz Fremden; in ihrem
Zelt, das doch ziemlich offen ist, bleiben sie fast unbekleidet.
Es ist Sitte im Lande, dass kein Fremder in das Haus eines
Unterthanen tritt, während jedermann in dem Zelt eines Vor-
nehmen aus- und eingeht; deswegen stehen die Frauen der
letztem auch in schlechterm Ru£ Man kann von den Beni
Amer'n sagen, was man den Griechinnen nachsagt; als Mäd-
chen sind sie sehr sittsam, als Frauen glauben sie sich alles
erlaubt; von ihrer Leichtfertigkeit in dieser Hinsicht kann
man sich keinen Begriff machen; das Motiv ist eine niedrige
Habsucht.
Vielweiberei ist natürlich erlaubt, aber das Recht wird
nur von den Vornehmsten und Reichsten benutzt. Der grösste
Theil begnügt sich mit nur Einer Frau und viele leben mit
ihr bis zum Tode. Wir wollen bei diesem Anlass von Neuem
darauf hinweisen, dass die Polygamie selbst in A£rika nur
als eine Ausnahme zu betrachten ist; dass sie also kein Be-
dürfoiss ist, wie oft behauptet wird, wenn wir auch die Er-
laubniss dazu keineswegs immer tadeln wollen. Das Klima
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Ueber die Bfiiii ^mmL 327
Tiat aabei wenig Schuld, vielmehr die Sucht, mäch-
tige Verwandte oder viele Kinder zu bekommen, die dem
Manne ein Hort sind in diesen Ländern, wo Familie gegen
Familie steht, üeber die Fruchtbarkeit der Frauen ist nichts
Besonderes zu sagen; ich kenne bis zehn Kinder aus Einer
Ehe; der Sheich Bejet hatte zwanzig Kinder aus drei Ehen.
Da wir bisher den Frauen viel Nachtheiliges nachgesagt
haben, so wollen wir auch ihrer rühmlichsten Seite gedenken,
ihres ausserordentlichen Ehrgefühls. Wer sich dem Schutz
einer Frau empfiehlt, ist unverletzlich; er ist viel sicherer, als
im Schutz des Mannes, der gewöhnlich wenig Ehrgefühl hat.
Eine Frau wird ihren Schützling nie im Stich lassen. Es
scheinen überhaupt bei den Beni Amer'n die Rollen gewechselt
zu sein; die Frau zeigt sich auch in der Arbeit viel männ-
licher; sie webt Tag und Nacht an den Palmenmatten, mit
deren Ertrag sie meist den Tribut bezahlt; der Mann gibt
sich mit den Heerden ab oder liegt den ganzen Tag unter
dem Schatten der BBgligbäume vor dem Zeltenlager; hierin
zeichnen sich besonders die Vornehmen aus, die ihre Heerden
nicht selber zu besorgen haben.
Die Beni Amer begraben, indem sie den. Leichnam nach
islamitischer Weise in einen Sack genäht mit Erde verschüt-
ten; das Grab wird mit Steinen bedeckt und kenntlich ge-
macht. Dann wird der Todte an einem bestimmten Tage
gefeiert, indem jeder Verwandte und Unterthan Opfer schlachtet.
Als Ukut, Sohn Hömmed's, starb, ein Bruder Mohammed's, den
vor oben erwähnt, wurden so viele Kameele, Kühe und Schafe
geschlachtet, dass es an Essern fehlte und die Luft verpestet
ward; man rechnete mehrere hundert Kühe. Die Frauen füh-
ren bei dieser Feier eine Art Todtentanz auf, den die Wittwe
mit rasirtem Kopf tind alle Verwandte mitmachen; eine der
Schwestern des Todten frisirt sich das Haar nach Mannesart,
und paradirt mit seinem Schwert und Schild; dabei wird na-
türlich das Lob des Geschiedenen gesungen. Die Leichenfeier
dauert oft mehrere Wochen lang.
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328 lieber die Beni Am er.
Um jetzt wieder dem Leben uns zuzuwenden, brauchen
wir kaum zu wiederholen, dass die Beni Amer mit Leib und
Seele wandernde Hirten sind. Ihr Haus ist also das Zelt
mit. Stangengerüst, bedeckt mit russgeschwärzten, wasserdich-
ten Palmenmatten; je vornehmer jemand ist, um so grösser
und höher ist sein Haus.*) Die einfache Küche wird vor
dem Zelt errichtet. Der Hausgeräthe sind wenig, zum Trans-
port eingerichtet: ein grosses Ladenbett, mit einer schönen
Matte bedeckt; einige kleine Schemel. Will das Lager sich
bewegen, so sind die Zelte in einem Nu abgebrochen und die
Kameele werden damit beladen; die Frauen verstehen sich
so gut darauf, dass sie sich zwischen dem Hausgeräth ein
betiuemes Lager herrichten, wo für sie und die Kinder Platz
ist, mit einem Schattendach versehen, das die Herrin vor
Sonne und Dornen schützt. Auf dem Gipfel dieses improvi-
sirten Zeltes wird ein grosser Strauss Straussfedern befestigt.
So ist es ein erfreulicher Anblick, das Lager, das eben eine
Stadt schien, im Nu verschwinden zu sehen, sich verwandelnd
in eine unabsehbare Reihe von schwerbeladenen, aber schnell
laufenden Kameelen, begleitet von den wehrhaften Herren
zu Pferde. Kommt eine grosse Gefahr, so scheint es den
Beni Amer'n nicht einmal der Mühe werth, etwas mitzuneh-
men; sie retten ihre Personen und ihre Heerden in die wasser-
lose Steppe, wohin kein Feind ihnen folgen kann. Das Lager
verlassen sie mit allem Gut; es wird von niemandem berührt,
da es der öffentlichen Sicherheit anvertraut ist; sehr oft bin
ich in solche verlassene Lager getreten, bevor seine Bewohner
zurückgekehrt waren; alles war da, Haus und Geräth; nur
die Menschen fehlten.
Die Zcltenlager der Beni Amer, wie der meisten Nomaden,
theilen sich, in zwei Abtheilungen: das Zaga imd das Az Aha.
Zum Zaga gehören die Kameele und Ziegen, mit ähnlicher
*) Auch auf die Hadendoa passt diese ganze Darstellung, sie be-
gnügen sich aber meist mit niedrigen Zelten.
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• Ueber die Beni Amer. 329
Nahrung; es ändert selten den Platz, während das Az Aha
(Kuhlager) oft frische Weide suchen muss. Deswegen wohnen
die bequemeren Vornehmen .meist im Zaga. Der Name ist
alt; Zaga im Samhar, Tsade Zaga im Hamasen ist dasselbe
Wort; es bedeutet einen festen Hauptsitz. Das grosse Zaga
par excellence ist die Residenz des Stammfiirsten; dagegen
hat jeder einzelne Tribus sein Zaga und sein Az Aha.
Die Beni Amer sind fleissige Hirten, die ihr Vieh mit
grosser Liebe pflegen; sie halten Kameele, Kühe, Schafe und
wenig Ziegen. Die meisten Tribus besitzen Kameele von der
Hadendoarasse, die im Barka sehr gedeiht, weniger schlank,
aber sehr tüchtig wird. Auch Reitkameele besitzen die Beni
Amer, aber sie sind nicht im allgemeinen Gebrauch. Die
Kühe gehören zwei Rassen an: der Arado und der Begeit
oder Bulet. Die Arado ist die sehr kleine abyssinische Kuh
mit grossen Hörnern, meist einfarbig. Die Begeit hat die
Grösse einer grossen Schweizerkuh und viel von ihrem Aus-
sehen; sie ist meist buntgefleckt und sehr lang. Sie verhält
sich zur Arado, wie der Dongolawi zum abyssinischen Pferd;
beide acclimatisiren sich schwer im Auslande. Das Vieh der
Hadendoa ist alles Begeit, sie ist die landesthümliche Kuh
der Bedau oder Bedja. Sie hat sehr gutes Fleisch und viel
Milch, die aber wohl der Nahrung wegen nicht fett ist. Sie
ist an Schnellmärsche gewöhnt, da meist nur die grossen
Ströme Wasser genug bieten und so Weide und Trank weit
voneinander entlegen sind. Die Kühe, wie die Schafe, werden
jeden dritten Tag zur Weide gefuhrt. Diess ist der Gebrauch
in ganz Nordostafrika, ausgenommen in den Steppen zwischen
Atbara und Nil, wo sie erst am vierten Tage zum fernen Nil
geführt werden. Die Brunnen werden in dem Strombett ge-
graben und sind in trockenen Jahren oft über dreissig Fuss
tief; sie werden eng angelegt und mit Tamariskenzweigen aus-
geflochten, die der Mauer Halt geben, aber dem Wasser einen
abscheulichen Geschmack verleihen; dessenungeachtet wird
oft der Hirte, der in der Tiefe des Brunnens die Schläuche
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330 Ueber die Beni Amer. •
füllt, die von seinen Kameraden hinaufgezogen und in Lehm-
UMgLi aniignlnnrt gfirdan, lam ^dem^mä6iamtäamWaaml\^ycr!^
begraben. In der Regenzeit trinken die Kühe das auf dem
fetten Boden als Teich sich ansammelnde Regenwasser, das
sie neu erfrischt und reinigt und belecken dann die längs
des Barka so häufigen Natronschichten, die die Stelle un-
seres Salzes vertreten.
Die Beni Amer halten sich wenig Katzen; dagegen sind
ihre Lager von sehr leichtfussigen, bissigen, immer bellenden,
diebischen Hunden bevölkert, für die eigentlich niemand sorgt;
deswegen durchstreifen sie in der Nacht die Zelte, besteigen
sie wohl auch und fressen alles weg, was nicht sehr gut
verwahrt wird. Meinem Diener wurde oft der Schuh vom
Fuss weggefressen und das Fett von den neupommadisirten
Haaren. Dagegen sind diese Hunde, die fast nur Beine haben
und keinen Leib, äusserst gewandt und für die Jagd sehr
geeignet. Die Beni Amer halten sich auch viele Hühner.
Das Lieblingsthier des Beni Amer's ist das Pferd. Es werden
viele abyssinische Pferde gehalten, schon wegen ihrer Wohlfeil-
heit; sie sind aber für den prunkliebenden prahlerischen- Geist
des Volkes viel zu klein; wer es nur vermag, schafiFt sich ein
Dongolawi-Pferd an. Diese sind gross und stark genug, den Rei-
ter mit Harnisch und selbst noch einen baumwollenen Pan-
zer zu tragen, der ihnen bis auf die Hufe reicht. Die Beni Amer
haben noch ziemlich viele Panzerhemden und beziehen solche
auch von Arabien. Sie schützen vor Lanze und Schwert vollkom-
men, sodass ein geharnischter Reiter ohne Furcht in einen Haufen
Fussvolk hineinreiten kann; gegen Kugeln freilich halten sie
nicht aus. Die Dongolawi- Pferde sind äusserst delicat; die
Grossen der Beni Amer vergeuden ihr meistes Geld für solche
Pferde, da sie jährlich wieder wegsterben. Die Nahrung der-
selben besteht fast nur aus Milch und Durra. Weitere Nach-
richten über die Pferde theilen wir unter den Notizen über
Kordofan mit. In Kriegszeiten stehen die Pferde den ganzen
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Ueber die Beni Amer. 33 t
Tag und die ganze Nacht gesattelt und gepanzert vor dem
Zelt. Seuchen werden immer dem bösen Auge zugeschrieben;
hat ein Pferd einen Anfall, so wird jedem Dorfbewohner, der
das Pferd erblickt hat, ein Haar ausgerissen und verbrannt;
damit soll die Wirkung vereitelt werden. Wir brauchen kaum
zu sagen, dass die Beni Amer gute furchtlose Reiter sind.
Die Nahrung der Beni Amer ist sehr einfach und schlecht;
sie trinken viel Milch und essen ausnahmsweise Fleisch, das in
Butter geröstet wird und viel Polenta, die gesäuert und weich
gekocht ist. Da sie zum Ritus der Malekiten gehören, essen
sie auch das Fleisch des Wildschweins , das sie richtig genug
kleines Rhinoceros nennen; man sagt ihnen sogar nach, dass
sie auch Hyänenfleisch essen. Als Zuckerzeug dient ihnen
der Akat, d. h. die Frucht der Dumpalme, deren braune mürbe
Schale sehr gut schmeckt, der Chocolade ähnlich. Der
harte Kern wird zu Tabaks- und Antimoniumbüchsen ver-
wendet. Mit dem schwarzen Antimonium (Qohel) werden be-
kanntlich die Augen schwarz gefärbt.
Von der Kleidung ist fast nichts beizufügen; beide Ge-
schlechter tragen die Tunika von weissem Calicot, dem soge-
nannten Mehemmed-Ali, oder von inländischem am Gash fa-
bricirten Zeug. Nur reichere oder vornehmere Leute tragen
bunte Zeuge. Hosen tragen nur die Reiter; das Hemd ist selten.
Den Kopf tragen die meisten unbedeckt, mit vollem Haar-
wuchs, wie alle Nordostafirikaner. Nur die von den Türken
eingesetzten Häuptlinge rasiren sich die Haare und tragen
den rothen Tarbush. Als Fussbekleidung dienen Sandalen,
wie sie überall hier gebräuchlich sind.
Die Frauen der Beni Amer flechten sehr viele Palmen-
matten, die ihre Männer auf den eigenen Kameelen auf der
Lebkastrasse nach Massua ausführen. Im Barka hat man
zwölf Stück für einen Thaler, an der Küste nur 4 — 6 Stück.
Der Bedarf wird immer grösser, weil man an der Küste in
Folge der häufigen Feuersbrünste die Strohdächer durch Mat-
tendächer ersetzt, die schwer Feuer fangen. Mit dem Erlös
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332 üeber die Beni Amer.
der Matten wird gewöhnlich der Tribut bestritten. In Leder-
arbeiten und Gerben sind die Hochländer den Beni Amer'n
-weit überlegen; sie ersetzen übrigens das im Haushalt nöthige
Leder durch Flechtwerk von Djerid; alles was sie haben wird
in wasserdichten Körben aufbewahrt, besonders Wasser und
Milch; vorzüglich schön sind ihre Mattenteppiche. Ackerbau
wird nur ausnahmsweise getrieben, wie von den Beit Bidel
und den Belou bei Dunguaz; auch die Herren von Zaga stellen
oft Ackerbauer an, die ihnen ein Feld bebauen. Im Ganzen
finden es die Beni Amer einträglicher, mit ihren überflüssigen
Kameelen das Durra von Kassala und selbst von Gadarif, der
Kornkammer des Ostsudan, zu holen und damit nach Keren
imd oft nach Massua Handel zu treibön. Die Habab, die
auch nur Hirten und weit von der Quelle weg sind, gehen
meist bis zum Barka, wo sie ihren Bedarf kaufen. Da nun
ein Kameel jährlich zwei solche Reisen machen kann, ohne
sich zu ermüden und es sich so in einem Jahre fast bezahlt,
so sind die Preise sehr gestiegen; ein Kameel, das früher zehn
Thaler werth war, kostet jetzt zwanzig-,^ natürlich hat man
dafür ein gutes, noch junges Thier. Im Verhältniss sind auch
die Frachtkosten gestiegen; von Kassala nach Massua kostet
die Last jetzt sechs, anstatt der frühern vier Thaler. Der
Handel mit Häuten, Butter und Elfenbein ist in den Händen
der sogenannten Ashker (der Leute von Dokono), denen übri-
gens jetzt die Djalin bedeutende Concurrenz machen. Strausse
werden zu Pferde gejagt; die Federn gehen direct nach Sua-
kin. Auch Elefanten werden zu Pferd und zu Fuss oder mit
dem Gewehr erlegt, die Zähne gehen nach Massua. Das ßhi-
noceros wird meist an der Tränke mit Lanzen erlegt oder
mit Hunden gejagt.*) In Zaga ist täglich Markt, wo meist
*) Einige Bemerkungen über die Lebensweise des Nashorns, die
wir ans einem von uns in der Zeitschrift f. Allg. Erdk. veröffentlichten
Aufsatze wiederholen, werden fiir den Leser nicht ohne Interesse sein:
Das Nashorn (Ehinoceros) heisst auf Arabisch: Cherdid, auf Tigre:
Harish, auf Amhara: Oraris, auf Belcn: Gedane. Es hat in seinen
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üeber die Beni Amer. 333
Vieh und Pferde verkauft werden; er wird besonders lebhaft
zur Zeit des Tributs, wo die Beni Amer um Geld verlegen
Eigenthümlichkeiten viel Aehnlichkeit mit dem Wildschwein. Schlechte
Nase, schlechte Augen, aber sehr gute Ohren. Es liebt einsame, von
Menschen and Vieh nie begangene Grasplätze und tränkt sich bei ver-
lassenen Wassern nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang. Ist
das Wasser verstopft, gräbt es wohl selbst den Brunnen aus. Wie
das Wildschwein liebt es sich im Wasser und Koth herumzuwälzen.
Beim Wasser angelangt, flieht es zweimal und erst das dritte Mal fasst
es Zutrauen und kniet am Wasser nieder. Diess ist der Augenblick
der Jagd. Der Jäger, der sich am Tage den Ort der Tränke gemerkt
hat, macht sich, ein paar Schritte davon entfernt, eine enge sehr starke
Umzäunung von undurchdringlichen Domen und erwartet da die An-
kunft des Feindes. Hat sich das Rhinoceros recht voll getränkt, so erhebt
sich der Jäger auf seine Knie; die linke Hand stützt er auf einen
Baumstumpf und mit der rechten wirft er dem Thiere mit voller Gewalt
seine sehr breite scharfe Lanze in den Bauch. Man sagt, dass das
vollgetränkte Nashorn schon der kleinsten Wunde erliegt. Fällt es auf
den Streich nieder, so macht man ihm den Garaus. Hat es die Kraft
sich zu erheben, so lässt man es ruhig fliehen. Beim Morgengrauen
verfolgt man die Blutspur imd in grösserer oder geringerer Entfernung
findet man das Thier erschöpft auf dem Boden liegen.
Die Jagd bei Tage ist viel gefährlicher; hat man einmal die Spur
gefunden, so geht man ihr nach; von Felsblöcken und kleinen Hügeln
kündet man das Thier aus, und bekommt man es in Sicht, so verfolgt
man es mit Hunden. Das Nashorn wirft sich wüthend auf die Hunde,
die es nur von hinten angreifen, und die Jäger haben Zeit, es vielfach
zu verwunden. Doch ist diess in der Ebene eine gefährliche Sache,
da das verwundete Nashorn sich blitzschnell in ganz gerader Richtung
auf seinen Feind wirft und alles, was ihm in den Weg kommt, nieder-
stösst.
Sich mit einer Büchse dem Nashorn zu nähern ist fast unmöglich,
^a es uns im Gehör weit überlegen ist; tiberdiess ist es in dieser ür-
heide , wo der Boden von verfaultem Holze bedeckt ist und die Domen
den Durchgang versperren, sehr schwer, sich ohne Geräusch dem wei-
denden Thiere zu nähern. Einmal aufmerksam gemacht, flieht das Thier
in vollem Galopp oder wendet sich gegen den Jäger; die Schnelligkeit
seines Laufes und das Schnauben, das es dabei ausstösst, erinnert an
die Locomotive, die den Dampf auslässt.
Doch ist die Schwerfälligkeit des Thieres, sich umzuwenden, und
seine Sucht, in ganz gerader Linie vorwärts zu eilen, wie eine Kugel,
die dem Rohr entflieht, eine Sicherheit für den Jäger, der behend im
Zickzack sein Heil findet. Auch diese Eigenschaft hat es mit dem Wild-
schwein gemein.
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334 üeber die Beni Amer.
sind. Gourant sind nur die Thaler; als Münze geht der grosse
ägyptische Piaster, wovon achtzehn auf einen Thaler gehen.
Das Nashorn thut dem weidenden Vieh kein Leid an; doch Ter-
wnndet stösst es ohne Unterschied alles nieder, was ihm in den Weg
kommt.
Das Nashorn yerabschent wie der Bär alles Todte. Wenn ein von
ihm verfolgter Mensch sich auf den Boden wirft und den Athem zurück-
hält, beschnüffelt ihn das Thier und wendet sich von ihm ab. Die
gleiche Eigenschaft wird dem Löwen, dem Elefanten, dem Adler, dem
Affen, kurz allen Thieren zugeschrieben, die Gadaver nicht fressen;
während im Gegentheil der Geier, die Hyäne den Menschen nur im
Schlaf überfallen und einem Wachenden sich nicht zu nähern getrauen.
Der Mist des Nashorns gleicht dem der Elefanten, was auf ähnliche
Nahrung sohliessen lässt; doch liebt das Nashorn mehr frisches Gras,
während der Elefant, wie das Eameel, die Baumzweige abfrisst. Das
Nashorn hat die sonderbare Gewohnheit, mit seinem Hom in seinem
frischen Mist herumzuwühlen.
Das Fleisch des Nashorns — und ebenso der Elefanten, Strausse,
der Giraffe — wird nur von Mohammedanern gegessen; die Christen
verabscheuen es. Solches Fleisch zu essen und den Islam anzunehmen
ist eine identische Sache. Ist ein Nashorn getödtet, so machen sich die
Beduinen mit ihren Kameelen auf und bringen sie mit Fleisch beladen
zurück. Das Fleisch hat Aehnlichkeit mit dem der Ziege, schmeckt
aber bitter.
Das Hom wird in Massua und Suakin, je nach der Grösse, mit
2 — 7 Thaler verkauft. Die Leute von Massua und die Abyssinier be-
nutzen es zu Säbelgriffen und Kaffeetassen. Sein Abschabsei wird als
ein gewaltiges Gegengift angesehen. Würde man einmal das Hom
chemisch analysiren, so könnte man sehen, welchen Werth dieser Volks-
glaube hat.
Die Haut wird zu runden Schilden verarbeitet. Der Nashomschild
ist dem von Elefantenhaut überlegen und gilt verarbeitet einen Thaler.
Er hat das Aussehen eines Büffelschildes; doch ist dieser letztere viel
stärker und deshalb geschätzter, da er zuweilen mit vier Thalem be-
zahlt wird. Es gibt im Barka Leute, die sich ausschliesslich mit Be-
arbeitung von Schilden beschäftigen; von je drei rohen Schilden neh-
men sie einen als Lohn. Die Schilde von der Haut des Elefanten, Nas-
horns, Büffels sind rund, der Durchmesser 2% Spannen; in der Mitte
haben sie eine kleine kegelförmige Erhöhung; auf der innem Seite ist
eine Handhabe angebracht.
Es ist begreiflich, dass der Nashon^jäger sorgfältig auf die Spur
Acht geben muss. Die Leute hier zu Lande sind im Spursuchen sehr
geübt, und was ich oft ungläubig über die amerikanischen Wilden ge-
lesen, habe ich völlig in Afrika wiedergefunden. Eine gestohlene Kuh
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Ueber die Beni Amer. 335
Wir müssen noch einmal auf den Durrahandel zurückkom-
men. Das Land der Bogos ist in der Mitte von Gauen
gelegen, die mehr consumiren, als erzeugen, von halben
Hirten, die den Ackerbau ziemlich lässig treiben; die Bogos
selbst haben sich jetzt fleissiger dem Ackerbau gewidmet.
Auch verhindert die oft vorkommende Dürre regelmässige
Emdten. Deswegen müssen die Bogos, Mensa, Takue und
Bedjuk sich oft von auswärts mit Getreide versehen. Die
Habab vollends pflanzen fast gar nicht und führen sogar nach
dem Samhar aus. Deswegen kamen von jeher grosse Kara-
wanen von Beni Amer'n mit Durra, das sie von Eassala und
auch von den Barea brachten und es machte sich ein grosser
Markt vorzüglich in Eeren, der von allen Seiten besucht wird,
besonders im Sommer vor der Erndte.
Wir haben keine sichere Angabe über den Reichthum der
Beni Amer; jedenfalls besteht er &st nur in Heerden. Der
Tribut wird im Herbst erhoben; etwa vierhundert Mann lagern
in Zaga; kleinere Abtheilungen zerstreuen sich in den kleinem
Zeltenlagem; sobald er erhoben ist, zieht der Deglel mit
grossem Gefolge und einem halben Bataillon nach dem Söhel,
ist schwer zu verheimlichen, wenn der Weg auch über Berg und Stein
geht Ist der suchende Hirt einmal auf der Spur, so wird er sie schwer-
lich verlieren, wenn nicht passirende Reisende oder Heerden sie ver-
wirren. Geht die Fussspur verloren, so ist der Geruch, der an Steinen
und Bäumen hängen bleibt, ein ziemlich sicherer Leiter. Die Spur der
Sandalen zeigt den Stamm an, dem die Yiehräuber angehören, da jeder
Tribus sie etwas anders schneidet. Ohne diese Fertigkeit im Spursuchen
wäre der Diebstahl* in diesen Ländern, wo Polizei unbekannt ist, eine
leichte Sache. Ist ein Stück Vieh verloren, so vergewissert sich der
Hirt über die Spur; hat er sie gefunden, so gibt er seinen Genossen
Nachricht: man verfolgt die Fährte; erreicht man die Räuber auf dem
Weg, so entspinnt sich gewöhnlich ein blutiger Kampf. Geht die Fährte
bis zu einem Dorf, so werden dessen Einwohner für das gestohlene
Vieh verantwortlich gemacht und der Process ist fertig. Der eben an-
gekommene Europäer, der nie auf Spuren seine Aufmerksamkeit ge-
richtet hat, erstaunt, Fährten verfolgt zu sehen, wo sein Auge nichts
entdeckt; doch gewöhnt sich das aufmerksame Auge sehr schnell, die
kleinsten Merkmale zu beachten, und wird gelehrig.
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336 Ueber die Beni Amer.
von wo er erst im Frühling zurückkehrt. Die türkischen Sol-
daten beziehen bei diesen Excursionen ein eigenes mit Domen
verschanztes Lager (Zeribe), da die Erfahrnng sie misstranisch
gemacht hat. (S. Recht der Bogos, S. 12.)
Es ist schwer, die Beni Amer im Allgemeinen zu charak-
terisiren, da sie eigentlich nicht Ein Volk sind. In der Kind-
heit sind die Männer sehr schön; man sieht unter den Knaben
wirklich ideale Schönheiten; mit der Mannbarkeit werden sie
plump und das Gesicht verliert den Ausdruck. Unter den
Frauen sieht man ausgezeichnete Schönheiten, sehr gerade
Nase, frische Haut, aber ebenso wenig Ausdruck und die scham-
lose Zunge verdirbt vollends ihren Reiz. Die Milch mit der
heissen Luft verschönert die Haut und macht den Körper
leicht; man hat im Barka Läufer, die es mit einem Pferd
aufnehmen. Die Adelichen sind meist hellfarbig, die Unter-
worfenen eher schwärzlich.' Die Haare sind meist schwarz; doch
findet man hier und da auch rothe und blonde ganz weiche
Haare. Die Beni Amer sind alle zur Corpulenz geneigt
Man findet wenig Verrückte und Missgestaltete; dagegen
hat der Beni Amer wenig geistige Fähigkeiten, besonders tief
stehen die Unterworfenen von altem Schlag, so eigensinnig
sie auch sind und wohl gerade deswegen. Dagegen haben
die Beni Amer viel mehr Charakter, als ihre Nachbarn am
Anseba; sie berathen sich schneller und führen das Beschlos-
sene aus. Sie reden wenig und speculiren nicht; dagegen sind
sie prahlerisch und höchst eingebildet. Sie haben wenig Heim-
lichkeiten, wenig Pläne und Listen; was sie thun, geschieht
oflfen; wer heimlich Rath hält und auf der Seite redet, scheint
ein Verräther. Sie können verrathen ohne falsch zu sein , da sie
zu wenig Ehrgefühl haben, um ein Hehl daraus zu machen.
Ihre Gefühle sind unbeständig; es braucht wenig, um Liebe
in Hass zu verwandeln. Sie sind besonders beim ersten Em-
pfang sehr höflich; jeder reicht dem Gast die Hand und re-
det mit ihm ; aber sie haben ihn bald satt. Im Ganzen wird
er gut bewirthet; aber man sieht aus der ungeregelten Gast-
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Ueber die Beni Amer. 337
lichkrit, das6 wenig Herz dabei ist. Oft müssen die Gäste
Ins nach Mittemacht auf ihr Abendessen warten. Mit der
Sicherheit des Gastes ist es nicht sehr gut bestellt, da die
Beni Amer wenig Ehrgefühl haben und das Gastrecht nicht
sehr heilig halten. Oft sind arglose Gäste ohne Grund er-
mordet, worden. Man kann sich nie auf eines Mannes Wort
verlassen; es ist nicht Bosheit, die sie treulos macht, son-
dern die Missachtung alles Fremden. Die Beni Amer sind viel
mehr roh, als unsittlich; sie nehmen sich kein Blatt vor den
Mund; jeder sagt, was er auf dem Herzen hat und scheut sich
nicht, seinem Zuhörer die grösste Unverschämtheit in's Gesicht
zu sagen. Wie bei allen geistlosen Völkern wird Tapferkeit
ausserordentlich geehrt und geliebt; die Beni Amer selbst sind
dafür nicht sehr berühmt; immerhin haben die Unterworfenen
weniger Todesfurcht, als die Vornehmen, die sich in ihren
Panzer verstecken. Dankbarkeit hält wenig an. Schmählich
ist die Lieblosigkeit der Eander gegen die Aeltern, besonders
gegen die bejahrte Mutter, die meist nur von ihren Töchtern
ernährt wird.
Diess fallt um so mehr auf, da ihre Nachbarn, die Barea,
sich durch Kindesliebe auszeichnen. Mit grossem Unrecht
glauben sich die Beni Amer diesen überlegen. Denn die Barea
leben viel besser, haben gutes Brod, besseres Bier, sind tüch-
tige Bauern, sind treuer, zuverlässiger und dankbarer als
jene, die nur Milch haben von ihrem Vieh, dem sie viel Ei-
genschaften entlehnt haben. Nur in gewissen Beziehungen
dürfen sich diese ihren Nachbarn überlegen fühlen; sie haben
viel Ausdauer und Kaltblütigkeit, viel Selbstvertrauen, das
die Mängel verdeckt, ja ersetzt und einen gewissen National-
zusammenhang, der den Barea abgeht; diese Eigenschaften
verdanken sie aber vorzüglich ihrer Religion , die inmier noch
lebenskräftig genug ist, um ihre Anhänger im Kampfe gegen
die Ungläubigen unter Eine Fahne zu schaaren. Die am ge-
nauesten zutreffende Beschreibung der Beni Amer gibt Mungo
Park, wo er seine Gefangenschaft unter den Arabern der
Mansinger, OsUfrik. Stadien. 22
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338 Ueber die Beni Amer.
Westküste erzahlt; auch das Yerhaltniss der Nomaden zu deü
ackerbauenden Völkern, wie er es auseinandersetzt, passt toHt
ständig auf die Stellung der Beni Amer zu iliren Nachbarn;
die Sache ist die gleiche, man muss nur die Namen ändern.
Glücklicherweise dulden es die Türken nicht, dass im Osten
der Reisende die Erfahrungen des armen Park macht.
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üeber die Sprache To'bedauie.
22*
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Ueber das To'bedauie.
Wenn ich mir erlaube, die vorliegende Arbeit an diesem
Orte mitzutheilen, so geschieht es, weil das To'bedanie in
Nordostafrika eine sehr hervorragende Stellung einnimmt Es
ist die Originalsprache der alten sogenannten Bedja, sovde
die Sprache aller Besharin und Hadendoa und eines Theils
der Beni Amer, reicht also zwischen Meer und Nil von Ober-
ägypten bis an den Fuss des abyssinischen Hochlandes. Es
ist die Beduinensprache, was auch schon ihr Name andeutet.
Ich hatte während meines frühem Aufenthaltes in Afrika be-
sonders im Umgang mit den Beni Amer^n Gelegenheit, mich
mit dieser Sprache bekannt zu machen; während meiner Be-
theiligung an der deutschen Expedition konnte ich noch ein-
mal die frühem Studien neu durchsehen und vervollsländigen,
woraus die vorliegende Arbeit entstanden ist, für deren Ge-
nauigkeit im Allgemeinen ich bürgen kann: in einzelnen Fällen
können sich schon Fehler eingeschlichen haben, da es fast
unmöglich ist, eine ungeschriebene Sprache mit fremden Buch-
staben genau wiederzugeben. Wenn ich die Aufroierksamkeit
der Sprachforscher auf diese Sprache zu lenken suche, so
geschieht es, weil sie in Afrika eine sehr eigenthümliche Stel-
lung einzunehmen scheint. Sie hat jedenÜEdls nichts Afrika-
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342 Ueber die Sprache To^edauie.
nisches an sich; die Conjugation klingt an das Semitische an,
dagegen fehlen ihr die eigenthümlichen semitischen Buch-
staben, das arabische ^ain, ghain, cha, gim, qaf, the, (ad und
das äthiopische ds und ts. Der Artikel hat geschlechtliche
Ausbildung; die Yocalisation ist mannigfaltig; das Verb schliesst
den Satz; von der semitischen Wurzelregelmässigkeit und
Satzbildung ist keine Spur. Es wäre unmöglich, diese Sprache
mit semitischen Buchstaben wiederzugeben, während sie eher
in unsere Schreibweise passt Ich führe diess an, um zu
zeigen, dass ihre Stellung erst zu bestimmen ist; aber ich
betrachte mich nur als Quellensammler und überlasse es den
Sprachforschem, diess zu thun, indem sie dieselbe verglei-
chend betrachten. Man wird aus der Wörtersammlung er-
sehen, dass sich ziemlich viel arabische und Tigre -Wurzeln
eingeschlichen haben; übrigens glaube ich diess dem Umstände
zuschreiben zu müssen, dass ich die Sprache von den Beni
Amer'n lernte, die mit dem Ausland viel in Berührung kom-
men, was bei den Hadendoa weniger der Fall ist.
Was zuerst die Aussprache der Buchstaben betrifit,
so ist zu bemerken:
a, u, i lauten wie im Deutschen.
Das 0 ist sehr dunkel.
e ist ein breites e, wie das französische e in mere. e lautet
wie das französische e.
& ist sehr kurz, £ast stumm.
ä, ö, ü lauten wie im Deutschen.
au, ou, ai, oi, ui sind Diphthonge.
Das Zeichen ^ über dem Yocal bedeutet, dass er sehr ge-
dehnt lautet
d, b, f, g, h, j, k, 1, m, n, r lauten wie im Deutschen.
d hält die Mitte zwischen dem arabischen dhad und dem
italienischen g vor e und i; deswegen klingt das Wort beda
fast wie begia, was- die Araber durch ihr gim (^) aiisdrücken.
dj lautet wie das italienische g vor e und i, ausser als d'j,
das nach deutscher Manier auszusprechen ist
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Heber die Sprache To'bedauie. 843
U lautet wie im Französischen 11 in maille.
ng wird so ausgesprochen, dass man beide Buchstaben hört
q, dem arabischen qaf entsprechend, kommt nur in Fremd-
wörtern vor.
s ist sehr hart, wie im Arabischen sin, ausser wenn es am
Ende steht, wo es unserem deutschen s entspricht.
8 klingt wie ein arabisches Doppel -sin.
sh ist das englische sh, das deutsche seh. Wo das s und h
getrennt gesprochen werden sollen, schreiben wir s'h. Das
aspirirte sh entspricht dem arabischen shin.
t ist das deutsche t; t ist aspirirt, wie das arab. tha.
w ist das englische w.
r, d und 1 wechseln oft miteinander; deswegen sagt man
Hadendoa und Harendoa.
Verdoppelung des Buchstabens bedeutet Verstärkung desselben.
Wir bedienen uns mehrerer Zeichen und Abkürzungen,
die erklärt sein wollen.
Den Accent deuten wir durch das Zeichen ' an.
Den Artikel trennen wir von seinem Substantiv durch \
z. B. o'mek, to'ne. Steht aber das Substantiv in der unbe-
stinmiten Form, d. h. ohne Artikel da, so bezeichnen wir es
mit dem Buchstaben A, z. B. to'niy das Feuer. A. net, Feuer.
PL bezeichnet den Plural.
Ar. (Arabisch), Ti. (Tigre), setzen wir zu Wörtern, die von
diesen Sprachen zu stammen scheinen.
Das Verbum geben wir in der 3. P. Sing, des Perfects,
übersetzen es aber der Kürze wegen im Infinitiv.
Bei jedem Verbum bringen wir folgende Formen: A. das
Activ oder Neutrum, z. B. eJchdnn, lieben; P. das Passiv, z. B,
tukehann, geliebt werden; C. das Causativ, z. B. esekhann,
machen, dass man liebt; Liebe einflössen. Mit CG. bezeich-
nen wir das doppelte Causativ, mit N. das Nomen actionis,
mit PP. das Participium Perf. Pass., mit Adj. ein Adjectiv,
mit Imp. den Imperativ.*
Wir wollen jetzt einen grammatikalischen Abriss der
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344 Ueber die Sprache To^edauiew
Sprache geben, wobei -wir natürlich nur die gewöhnlichsten
Formen berücksichtigen können.
Das To'bedauie hat Artikel in unserm Sinne des Wortes,
sie sind aber indeclinabel. Sie heissen:
Sing. 0, der. PL e und^'e, die.
U, die. te, die.
tOy das. te, die.
te vor Vocalen wird auch abgekürzt zu f.
üebrigens werden die Geschlechter oft verwechselt; ganz
wie man im Deutschen „das Weib" sagt, so heisst es hier
o'sha, die Kuh, Besonders der Artikel to drückt oft die weib-
liche Person aus. — Den Geschlechtsunterschied drückt meist
nur der veränderte Artikel aus, z. B. 6*mek^ der Esel, to'fnek^
die Eselin etc. Will man aber das Substantiv unbestimmt
hinstellen, so lässt man den Artikel weg, wie man im Deut-
schen „Esel" sagt, so hier „wci". Oft aber erleidet dabei
die Wurzel einen Zuwachs, indem man ihr ein b oder ein t
anhängt War der Artikel o', so wird b angehängt; war er
aber te' oder to', so wird t angehängt, z. B. o'sha, die Kuh,
shaby Kuh; o'jo, der Stier, job, Stier; tc'sha, das Fleisch,
shat, Fleisch.
Auch die Adjective sind dieser Regel unterworfen und
fügen, wenn ihr Substantiv unbestimmt ist, für das männliche
Geschlecht b an, für das weibliche t; z. B. o'Jcam o'era, das
weisse Kameel; Jcam eräb^ weisses Kameel; Jcatn erat, weisse
Kameeistute; o'dai, der gute; daib, gut m.; dait, gut fem.
Die Pluralbildung haben wir so oft wie möglich angegeben.
Oft wird der Plural nur durch den verschiedenen Artikel aus-
gedrückt, z. B. o'sha, die Kuh, e'sha, die Kühe; oft durch
den der Wurzel angehängten Vocal a, der, wenn der Artikel
fehlt, ab oder at wird; z. B. helei, Hase, hdejab, Hasen etc.;
häufig aber bewirkt er auch eine innere Wurzelverändenmg,
z. B.: o'ias, der Hund, PI. e'es, die Hunde; o'or, der Knabe,
PI. e'er, die Knaben etc.
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Ueber die Sprache To^edanie, 345
Pronomina.
Persönliches Pronomen.
Singular.
1. Fers, cme, aneb^ ich (ar. ana).
2. » m. herok, fem. betok, da.
3. » m. hero, er, fem. betö, sie.
PlnraL
1. Fers, hene, henen, wir (ar. nehna),
2. » m. berak, fem. betak, ihr.
8. » m. 6era, fem. 5eta, sie.
Pronomina suffixa.
Singular.
1) Für den Accusativ: 1. Fers, o, mich, mein.
2. » ok, dich, dein.
3. » oh, ihn, sein.
Flural.
1. Fers, on, ono, uns, unser.
2. » oitna, euch, euer.
3. » oJhona, sie, ihr.
Sie werden dem Verb nachgestellt und ebenso dem Sub-
stantiv, wo sie dann Possesslypronomina werden, z. B. gau-o^
mein Haus, gau-on, unser Haus etc.
Singular. FluraL
2) Für den Dativ: 1. Fers, heb, für mich, mir. hon, for uns, uns.
2. » hok, für dich, dir. AoAma, für euch, euch.
3. » Ao5, für ihn, ihm, ihr. Ao^a, für sie, ihnen.
Auch diese werden dem Verb nachgestellt, z. B. tidi hos,
sie sagte ihr. Diese Form drückt oft auch den Accusativ aus.
Pronomen reflexivum.
Singular.
1. Fers, aneb ebije, ich . . . mich selbst
2. » berok ebijek, fem. betok ebijek, du . . . dich selbst.
3. » bero ebije, fem. beio ebije, er (sie) . . . sich selbst
Flural.
1. Fers, henen ebijen, wir . . . uns selbst.
2. » berak ebOkna, fem. betak ebiekna, ihr . . . euch selbst
3. > bera ebüna, fem. beta ebiena, sie . . . sich selbst
Substantivisches possessives Pronomen.
Singular.
1. Fers, a/nibu, der Meinige, fem. anitu.
2. » beriok, der Deinige, fem. betjok,
3. » berio, der Seinige, fem. betjo.
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346 Ueber die Sprache To1i)edaiiie.
Plnral.
1. Pers. henebu, der unsere > fem. hmetu,
2. » bereok, der Eurige, fem. heteok.
S* » bereoh, der Ihrige, fem. beteoh.
Das Pronomen wird mit den Präpositionen verbunden, in-
dem man sich des Pronomen siiffixum bedient oder aber auch
des substantivischen Possessivs; z. B. geb-o, mit mir; geb-ok^
mit dir; oder aber berio-geb, mit ihm, bereoh-geb, mit euch.
Demonstrative Pronomina.
Singular.
Substantivische: m. onu, Dieser, fem. ton^tu. Diese.
» m. benu, bebu, Jener, fem. betu, Jene.
Adjectivische: m. on, dieser, fem. ton, diese.
»• m. ben, jener, fem. bei, jene.
Plural
m. ena, Diese, fem. tenta. Diese,
m. belinay Jene, fem. belita, Jene,
m. enn, diese, fem. tmn, diese,
m. belin, jene, fem. belit, jene.
Fragende Pronomina.
aOy aue, a'&w, wer? at, von wem? narif was? na teJck, welcher
Mann? na teket, welche Frau?
Postpositionen.
Eigentliche Declination scheint zu fehlen ; ihre Stelle vertreten
die Postpositionen.
1) eb, iby von (oft für unsern Genitiv), in, seit; z» B. Kerm-eb endoa,
die, Leute von Keren; Mohammed-ib gau, Mohammed's Haus.
2) gebf mit. Dem Pronomen wird es vor-, dem Substantiv nachge-
setzt; z. B. geb^okj mit dir; Kefiai-geb, mit Keflai.
8) itay it, ta, für. Keflai-ta, für Keflai.
4) ehe, e, durch, von, mit Hülfe von, z. B. Mohammed-ehe, durch
Mohammed.
Verschiedene Adverbien, Conjunctionen etc.
usure, vom, vorher. «, wie, z, B. Mahmud-i, wie'Mah-
erree, hinten, nach. mud.
este, oben, auf. gellet, wegen.
nett, unten, unter. mama, ein gewisser, un tel.
te*engi, mitten, die Mitte. kako, wie? warum?
efi, zwischen. aflei, von jetzt an.
bakai, ausser. naty ein wenig.
kik, bis. han, auch, selbst.
ne, seit, z. B. ero-ne, seit gestern, engat Tuin, auch gar keiner.
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lieber die Sprache To'bedaaie*
347
UkUlCy untereinander.
u, und.
u — Uy entweder — oder.
aletl^ 0 wenn doch.
ao, ja.
kike, nein.
äbada, (ar.) niemals.
ekeü, vielleicht.
gäOeik, gleich, regelmassig.
kesso, alle.
haddo, einzig.
Icrnüy vergebens.
gidey dort.
sufy früher.
höku, so, auf diese Art.
nafihim, wo; nanhirnkik, bis wo?
nanhime, von wo?
nehoh, wann? nehob kiky bis virann?
nador^ welche Zeit?
enonihim^ hier.
hehomhimy dort.
da, jetzt.
hib^ zusammen.
ma, komm!
1 engar^ engal, fem. engat
2 melöj A. melöh,
3 mehei.
4 /^i^.
5 et, A. ctö.
6 esögur, esögut
7 eseremd, A. e^eretndd.
8 esimhei.
10 tcmcn,
o^usurib, der Erste.
o^enUme, der Zweite.
o^emhejCf der Dritte.
o'efedge, der Vierte,
o'cte, der Fünfte,
o'e^emn^, der Zehnte etc.
Zahlwörter.
Hauptzahlen.
11 temene engat.
12 temene me7o& etc.
20 to^^r.
21 to^ti^ engar, etc.
30 me^e« temun,
40 /"e^^t^ temun.
50 et temun, etc.
100 «Äeft.
• 1000 e?/ (ar.;
Ordnungszahlen .
melohhe, sie zwei.
meheje, sie drei
temen^e, sie zehn.
edereb, ein Zweitel.
meheiae, ein Drittel.
fedgae, ein Viertel.
^*'ae, ein Fünftel etc.
Das Zeitwort. Man wird aus dem Wurzelverzeichnisse
ersehen, dass sich die Verba in zwei grosse Gruppen theilen,
jenachdem bei der (Konjugation entweder Suffixe an die Wurzel
treten oder Präfixe, oder diese selbst sich umgestaltet. Zur
ersten Gruppe gehören alle auf ja endenden Verba, z. B. sekia^
oria, gigja etc.; zur zweiten alle übrigen. Danach bilden
sie auch ihr Causativ und Passiv verschieden. Denn die
Verba auf ja bilden das Causativ durch Anfügung eines s an
das Ende der Wurzel, das Passiv aber durch ein angefugtes wj,
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348
üeber die Spradie To'bedaaie.
wobei die Wurzel unberührt bleibt, während die Gausativa
und Passiva der zweiten Gruppe die Wurzel selbst afficiren.
Das Bedauie bedient sich mehrerer Hülfszeitwörter.
Positive Form.
Negative Form«
1) S. 1. efi, ich bin, ich existire, j'y
S. 1. Mke, ich bin nicht
2.tefia.
[suis.
2. UUa.
3. ifi.
a kiki.
PL 1. nifi.
PL 1. ibtnifc.
2. tifina.
2. ib'eena.
3. ifin.
3. X;tÄ;en.
2) S. 1. ehe, ich bin.
S. 1. kahHy ich bin nicht
2. t&i^e.
2. ib'^Ä^e.
3. ehe.
3. A;t^'.
PL 1. nehe.
PL 1. kinn&i&i.
2. t&Une.
2. ÄrtYMrtine.
3. eMn.
3. itiAoine.
2. Fonn. -
3) S. 1. dberi, ich habe. S. 1. kdbiri
, ich habe nicht kdölhro.
2. teberie.
2. käberi
kitberöa.
3. eheri.
8. Ä^&en,
hibero.
PL 1. neheri. PL 1. kenberi. kenbaro.
2. teberini.
2. A;e«i5>erina. hitberöna.
3. eberin.
3. JbeMn
kiberon.
Perfecl
t.
a) S. 1. e(icr, ich tödtete.
e/ie^, ich verliess. eheid, ich w&hlte.
2. «eiere.
tefdege.
teheida.
3. oeder.
ofdeg.
jeheid.
PL 1. neder.
nefdeg.
neheid.
2. Udema. .
tefdegna.
teheidHO.
3. edema.
efdegncu
jeheidna.
b) S. 1. am^, ich fand.
PL 1. nemru, wir fimden.
2. temro.
2. temröna.
3. ^fm^rti.
ö. effiruft.
o) S. 1. ednifjednn, ich kam.
kod^, ich ging verloren.
2. eta, fem. etat.
kodta.
3. ea, fem. eta.
kodje.
PL 1. ena.
kodna.
2. eiane.
kodtane.
3. eait.
kodj<m.
S. 1. gigen, ich ging.
hijen, ich gab.
2. gigta.
hejeta.
3. ^t^/a.
Mja.
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Ueber die Sprache To'bedauie.
849
PI. 1. gigna, irir gingen. hiena, wir gaben.
2. gigtane. JuUäne.
3. gigjan. hijan.
Das Perfect bildet die negative Form mit dem Particip und dem
Hülfszeitwort hake; das Particip, -welches nicht verändert wird,
bildet sich aus der Wurzel mit der Endung ab. Wir haben also:
demb hake, ich tödtete nicht (eigentlich: ich bin nicht tödtend.)
fdegdb hake, ich riss nicht ans.
heidäb Tcake, ich wählte nicht
merab kake, ich fand nicht
Jea5 kake, ich kam nicht
kodah kake, ich ging nicht verloren.
gigäb kake, ich ging nicht.
hij<ib kake, ich gab nicht.
Aorist
efhndig, ich verlasse.
fendigci.
efendig*
nefedig.
tefidigna.
fedigna,
ebdin, ich vergesse, eföri, ich fliehe.
tefori,
ofori,
nefori.
tefoma,
oforin.
a) S. 1. endir, ich tödte.
2. tendira,
3. endir.
PL 1. neder.
2. tedema.
3. edema.
S. 1
2. tebdin.
3. oehdin.
PL 1. nebdin.
2. tibdinna.
3. ebditm,
b) S. 1. ämerri, ich finde.
2. merrie.
3. wem.
c) S. 1. etnty ich komme.
2. e^/a.
3. ejini.
1. ^ct.
2. e^^na.
3. iena.
PL
Ä;atttim, ich lange an.
kantitiui,
kintim.
nekätim,
iekeiemna,
ketimna.
enkeshi, ich werde kurz.
tenkeshi,
inkeshu
nenkeshi.
terikeshin.
enkeshin,
PL 1. nemSr, wir finden.
2. temema*
3. etnema.
kodSnt, ich gehe verloren.
kodteja,
kodini,
kodnei.
kodtena.
kodena.
hiSni, ich gebe.
Jiaieja,
hejeni.
hanei.
hatSna,
haiena.
Der negative Aorist wird gebildet aus der Perfectform
mit vorgestelltem Tca, he, obgleich Unregehnässigkeiten nicht
fehlen; wir haben also:
a) S. 1. kdder, ich tödte nicht PL 1. hmder, wir tödten nicht
2. kidera, 2. kitdema.
3. kider. 8. kideran.
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350
Ueber die Sprache To'bedaoie^
PL
b)
. 1. kafoTy ich fliehe nicht
kankesh, ich werde nicht kurz.
2. hitfora.
ketnekesh.
3. hifor.
kenkesh.
1. hönfor.
kenenkesh.
2. kitfoma.
ketnekeshna.
3. kifortui.
kenkeshne.
8. 1. kakodm, ich gehe nicht
kiseken, ich gehe nicht
2. kakodta.
[yerloren.
kisekta.
3. Ä;aX;o(&>.
kesekje.
PI. 1. kakodna.
kiseknm.
2. kakodtäne.
kesiktene.
3. X;aA;o(2'jan.
kesek^an.
c)
S. 1.
kdmro, ich finde nicht
2.
Äi^mero.
3.
kimro.
PL 1.
kommero.
2.
kitmeröna.
3.
kimeron.
Das Präsens mit dem Hülfszeitwort.
Es wird positiv und negativ zusammengesetzt aus der po-
sitiven Perfectform des Zeitwortes und der positiven oder
negativen Form des Hülfezeitwortes ehe, z. B.:
eder ehe, ich tödte. eder kahH, ich t5dte nicht etc.
teder teh^e, du tödtest etc.
Das Plusquamperfect.
Seine negative Form ist die des Perfects.
S. 1. ider, ich hatte getodtet
2. tidera,
3. ider.
PL 1. nidw.
2. tidSma.
3. idema.
S. 1. ofur, ich war geflohen.
2. tofura.
3. ofur.
PI. 1. nofur.
2. tofumci.
3. ofoma.
S. 1. heje, ich hatte gegeben.
2. hatie.
3. Ä^'c.
ehtd, ich hatte gewählt
ihid.
nihid,
tehidna.
ihidna.
ibden, ich hatte vergessen.
tibdena.
ihden.
nibden,
tibderma.
ibdenna.
PL 1. hani, wir hatten gegeben.
2. Tiatina.
3. A^n.
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Ueber die Sprache To'bedaaie.
351
S. 1. ie, ich war gekommen.
kodi, ich war verloren gegangen,
2. eta.
kodüe.
3. ii.
kodi.
PL 1. Snnü
kodini.
2. etina.
kodüna.
3. iSna.
kodina.
Optativ.
S. 1. idre, o dass ich getödtet hätte !
! ofure, o dass ich geflohen wäre.
2. tidria.
tefuria.
3. Wr«.
efuri.
PL 1. nidr€.
nefuri.
2. (idcme.
tefumea.
3. ideme.
efume.
S. 1. tie, 0 dass ich gekommen wäre.
sekU, 0 wäre ich gegangen.
2. e4;%
sekdie.
3. <e.
sekii.
PL 1. enie.
seknie.
2. eetneo.
sekdine.
3. iini*
sekine.
Negativer Optativ.
S. 1. badire, c
» hätte ich nicht ge-
bafüritt o wäre ich nicht geflohei
2. hitdirea.
[tödtet.
betfürie.
3. Wim.
bifurie.
PL 1. hindtre.
benfurie.
2. hitdime.
betfurinea.
3. W(?fni€.
biforine.
8. 1. do^'e, 0
wäre ich nicht ge«
bdsekei, o wäre ich nicht gegangei
2. 6t(ü«^
Pcommen.
bisekie.
3. ötce.
bisakei.
PL 1. hiniiji.
binsakei*
2. 5ti^'i^'ne.
bidsiikeine.
3. bmne.
büaküne.
Der Gonditional bildet sich aus dem Optativ durch an-
gehängtes ky z. B. sekieJc^ ich wäre gegangen; ofurek^ ich
würde geflohen sein; hadirek, ich hätte nicht getödtet etc.
Imperativ.
Positive Form.
S. 2. dera, tödtel fem. deri.
3. bidcTy dass er tödtel
PL 2. dema, todtet!
3. bidema, dass sie tödten!
Negative Form.
S. 2.örfder(i,tödtenichtIfem.öa€Jert.
S.bidir, dass er nicht tödtel
PL 2.bddema, tödtet nicht 1
3. bidimoy dass sie nicht tödtan 1
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352 Ueber die Sprache To'bedaüie.
2) ma, komm! fem. tnai, hie, dass er kommet
bcnna, komm nicht! fem. hamm. biet, dass er nicht komme!
VLmana, kommet! fem. tnanai, biin, dass sie kommen!
bamana, kommet nicht! bieini, dass sie nicht kommen!
3) fora, flieh! foma, flieht! bafur, flieh nicht! etc.
4) seka, geh! aeki, sekane, geht! bastka, geh nicht etc.
Einige Formen des Nomen actionis zeigt die Wörtersamm-
Inng; das- Particip auf oft, z. B. eoft, kommend, kennen wir
schon; eine andere Form bildet sich durch angebängtes hena^
z. B. hesrhenüy der Beschäftigte, eibabkena^ der Reisende.
Das Gerundium bildet sich aus dem Stamm mittelst der
Endung ee (die wir als Postposition kennen lernten) mit an-
gefügtem fai oder hat, das „seiend'' bedeutet
Die Nebensätze bilden sich mit Postpositionen. Es wer-
den also ausgedrückt:
i) Finalsätze: durch den Optativ mit thai, z. B. ofure-thai
dass ich fliehe; bisekie-thai, dass du nicht gehest
2) Gausalsätze: durch das Perfect mit angehängter Partikel
neg oder neJc, z. B. erea-nek, weil er liebte.
3) Temporalsätze: a) durch den Aorist mit Aüfe, z. B.
eteja-Jcik eseni, ich warte, bis du kommst
b) durch das Perfect mit angehängtem eS (oder ei) und
ii der; z. B. sek haru ee dor, als ich fort wollte (eig.
Gang als ich wollte); ahaden ei dar, als ich vergessen
hatte.
c) durch das Perfect mit angehängter Partikel ek oder eg,
z. B. jeann-ek, als ich kam; efor-ek ea, er kam, als ich floh.
d) durch das Perfect mit ke, z. B. jeanneb-Jce gigeni, er
geht, so oft ich komme.
4) Vergleichungen durch den Optativ mit der Partikel
nati, z. B. betfori-nati, als wenn du dich nicht flüchtetest
5) Beispiele von Relativsätzen sind: tehene mhin-ke jeann,
ich kam in den Ort, wo Ihr seid; teHeket fedat atu^ wer
ist die Frau, die gekommen ist?
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üeber die Sprache To'bedauie. 353
Beispiele.
Heilu ashoio abu, wer ist Feind von Heilu?
naka eJien, wie viel sind sie?
Wedele kimreketi, man findet keinen Tansch.
cmag akdte, es mag übel gehen.
kane auer, ich habe es wissentlich gethan.
<ji^de daftei, hast du das Ranchbad genommen?
to^budjon nehßf wir sind im Vaterland.
taba de derago nädha semena, wir sind am Stromufer gehend vorbei-
gezogen.
o'mtY mehei ofno hojo J^erritca, du suchst jeden Morgen Streit mit mir.
Jßrumab jekna, wir werden am Morgen gehen.
nakik Baraka tebeja, wie oft bist du in's Barka gegangen?
Uheit sekidne ehSn, sie werden morgen gehen.
^^mbe heremei, wir marschiren fünf Tage.
heddadebin^di sekna, wir werden in der Finstemiss fortgehen.
gudHhtru ee dor merdmen\jej als es (das Land) am Vermehren war,
wurde es verwüstet
sek haru ee dor ea, er kam als ich gehen wollte.
deminuek beseki, er soll nach dem Essen fortgehen.
ered-nek ea, er kam weil er liebte (aus Liebe).
demtejek seka, geh nach dem Essen.
jeann-ek gigia, er ging nach meiner Ankunft.
tomanek sakia, er ging rasirt seiend.
abaden-ei dor ea, er kam, nachdem ich (ihn) vergessen hatte.
forte nauadrit Keren-eb Het cüiu, wer ist das schöne Mädchen, das nach
Eeren kam? {He% von ea),
ero erhhieneb o^kam nan sugo, vom gestern gesehenen Eameel was ist
der Preis? (sug, Preis).
Jeheit Heit hinken, wir wissen nicht, was morgen kommt.
o'mAtn ektem^eb kinken, wir wissen nicht, wo er hingekommen ist
o^nihin tektSna, wisst Ihr den Ort?
endieVka gabelna, was immer er sagt, nehmen wir an.
ieneb tneswäb kinke, wir hörten nicht, was er sagte.
shebo tnehedtja, bist du gut aufgestanden?
^hebo amhan, kere amhd, guten Morgen!
eagab etmna, guten Tag!
eker merina, findet Glück! (ker, ar.).
kak tajemna, wie habt Ihr den Tag zugebracht?
esgab nqjan, gute Nacht!
kak teheje? debtiwa? afimabane? debei ane? Glückwünsche und Grüsse.
endir hen badir, soll ich tödten oder nicht?
sekm hen basekei, soll ich gehen oder nicht?
oHek mukr 6*uerab kike, der Mann hört keinen Bath an.
aUte endo^u iddit, eher war* er in seinem Vaterland geblieben.
äüfihi hiweto ijek, er hätte gefunden, was Gott ihm gegeben.
Uansinger, Ottafrik. Stadien. 23
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354 üeber die Sprache To'bedauie.
AUahi amdn geh sekiet ereei, bei Gott, ich möchte mit ihm gehen.
nan eshegisddne tehene, warum eilt Ihr so?
o^Gaah nekatm-ei dor edutni, ich werde reden, wenn wir zum Gasb
kommen.
na sekenasia kahasa eäb, was ist die von Abyssinien kommende Nachricht?
dlete ishega iije, möge er schnell kommen.
o^ondir iei, der Mörder muss sterben.
o*iei kidge, der Todte kommt nicht mehr.
e^gaui e^tnelal ereeni, ich ziehe den Häusern das Freie vor.
gauio had wunn o^mbe d'nc^ja neb, mein Haus war wie ein grosser
Teich, den Tag da ich darin war.
fhemton tefru u ane ederr, meine Schwiegennutter gebar und ich
wurde verheirathet.
jeherune heb bäka ane herab koke, sie haben nur von mir verlangt, ich
habe nie verlangt.
Kurze Lieder.
(Klagelied)
Meinen Genossen du liebst, meinen Vorwurf du hassest, von uns beiden
1. eraan eritiniena, heniei tetkerire, kessen
Einen du wählst nicht und das liebe ich nicht, o Medina.
engal abuktiena, ete kiken medinai,
d. h. du hast meinen Freund gern, du hast meinen Vorwurf nicht
gern und wenn du von uns beiden Einen nicht wählst, habe ich es
nicht gem.
Zunge BÜSS, der Bauch falsch, schlecht die Laune schadet und die
2. midäbo nefrur^ o^fi o^hedlul, amago t^nie debamnefir,
Leute lässt nicht beisammen.
enda kisoreremna.
Von Eatmin Leute vom Gol den Fussweg wie Bilol ich machte
3. Katminei endon, o'Golit gerabi BiloJ-thai akuas
den Gash.
o'Gash.
Hömmed Ele, Häuptling der Hallenga, sagt seinen Brüdern von
Ghatmin, er habe den Fusspfad von Gol (wie das Gashland bei Eas-
sala auch heisst) wie Bilol gemacht. Bilol ist nämlich eine Gegend
am Atbara , wo die Kühe ohne Hirt weiden , so sicher ist sie vor
Feinden und wilden Thieren.
In's Sennar mit Kameelen wir gehen, nach Djedda mit Schiffen
4. Sennar e^keme hentbi, Gidja je^aroe,
wenn sie bloss sind die Frauen die unsem, dafür reisen wir unüier.
rebobinek te^ma fheneb, thai ebabkenamnei.
Der Nebenbuhler dass er nicht lache, der Feind dass er's nicht wisse,
5. o^hogqjo bifätb, 6*asho bikan,
ich die bösen Handlungen alle gut scheinend ich empfange.
ane amag wora kasso to^shbo sedat dmorim.
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Verbalwurzeln.
efdig, verlassen, lassen, scheiden; P. efdeg; C. isfedig; N. A. o'fidüg^
das Verlassen; -^eyerfd^r, die geschiedene Frau.
owodtj die religiöse Abwaschung verrichten (ar. tewode)) P. woddn^a,
C. woddsja.
6* ad, der Fluch; A. ijad, verfluchen; P. etoad; d*atoide, der Verfluchte.
to^gud, die Menge; A. güdjüy sich vermehren, viel sein; C. gudtsja;
Adj. gudah, viel; agddk, die Meisten.
ektem, anlangen; P. etketam, hingebracht werden; G. eskitem; Adj. ketemy
zureichend, angelangt.
haüija, bellen; C. haüisja; N. o^häuti, das Gebell.
nekeshjVvLTZ] N. menkesh, die Kürze; A. inkesh, kurz werden; C. eshhtkesh,
t^baski, das Fasten; A. baskitja, fasten; o^h(Mkitij der Fastende.
te^sirha, das freie Geleit (Ti.); slssera, das Geleit geben.
lemed, die Gewöhnung (Ti.); A. öJmid, sich gewöhnen; C. aslämed,
nekit, der Hang (Ti. nM)] A. niketja, gewöhnt sein; P. neketmja, ge-
wöhnt werden.
6*ghtüf, das Kiederknien des Kameeis; A. ignef^ niederknien; C. esghnef;
Adj. gendfy kniend.
te^shekd, (ar.), die Anklage; A. eahkija, anklagen; C. eshkisja; P. eshkinija,
Umiwjay fertig sein (ar.); C. temnisija, beenden; A^*. temnina, fertig.
te^dehb, der Kauf und Verkauf; A. edlub, kaufen, verkaufen; P.
edleb; C. esdelub, Verkauf verursachen; Adj. deldb, verkauft.
hamer, sauer (ar., Ti.) ; jcÄdmcr, sauer werden; C. is^hdmer, säuern.
oWabj das Abschlagen, Abneigung; A. ^ib, abschlagen; P. etörtib,
ungern gesehen sein; Adj. rebd, ungeneigt; atörba, gehasst, unbeliebt.
eshi, alt werden; ahlja, alt; C. eshishiy alt machen; N. shitjo, Alter.
wokeljd, beauftragen (ar.); P. ujökelemja, beauftragt werden.
te^ttuie, die Hülfe, Unterstützung; A, jedui, helfen; G. esau, zu Hülfe
schicken.
hasib, spitz; es'Iias, spitzen.
23*
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356 üeber die Sprache To'bedauie,
gemedy lang, Tl.gemeddb; igmed, lang werden; C. esegmed, verlangem;
N. megmedy Länge.
€i8*haUy (Ti.), schleifen; C. äsisJiaU; P. etesdhel; P.P. ateshdJa, geschliffen.
kano, Liebe, Freundschaft; *A. ekhdnny lieben; C. esekhann] P. tukehdnn.
er^Qy lieben (geschlechtlich), C. erisja; N. er eint, Liebe; erOy erena,
Freund.
esfido, vermehren, zuf&gen; P. mishöei; C. eshishou; N. shaoeUy Ver-
mehrung, Zuschuss.
o^gig, der Gang; A. gigja, gehen; C. gigisja, schicken; CC. gigsisja,
schicken lassen.
o^seky der Gkmg; A. sikja, gehen; "P.sikemjUy begangen werden; C. se-
kesija, schicken; sikena, der Gang, Nachricht; Adj. sekini, gehend.
belolja, sich anzünden; C. helolisijay anzünden; CC. heloMsjay an-
zünden lassen.
elüy brennen; Imp. lua; Hau, sich verbrennen, brennen; o^Mue, der
Verbrannte.
debely Haufen; A. edbel, anhäufen; C. esdibel; P. edbel
hämiy bitter; o^hdme, die Bitterkeit, Galle; ihämiy bitter sein; C. e^t-
8hemy verbittern.
mdra^ sich erweitem; C. dsmara, erweitern; A^j. maralöiy weit;
te^meröty die Weite.
söijay benachrichtigen, anzeigen; C. sosisja; P. sömomja; N. sötiby das
Benachrichtigen.
wuija, herbeirufen; C. wüsi^ja, herbeilassen.
digoga, Auftrag, Gesandter; digogSja, aussenden; P. digogdmie; C. dt-
gotesia,
0*8^ y PI. e^sma, der Name; A. esem, nennen; P. etösam; C. ^taösam,
la, kommen; C. esisja, kommen lassen; N. o^cyo, das Kommen.
htJOy bringen, geben; N. o'm^iou, die Gabe.
kendnl das Wissen, die Kunde; ikdin, wissen, kennen; C. esöken, be-
kannt machen; P. etokakdn,
o^masuy das Hören, Gehör; omasu, hören; C. ostndsu, verkünden;
P. etmessöu; masua, hörend.
ihcy nehmen; Imp. aha; C. esisihou; esuk ihcy mit Gewalt nehmen.
te^nun, das Fortnehmen; nimsu, fortnehmen, wegreissen; C. nüesjä;
P. nünen^a.
enget, stehen; C. esenget; N. mhnget, das Stehen.
safhörnja, besprengt werden.
es^hegy ausputzen, auskehren.
ihem, waschen (eine Person); P. esihem, sich waschen.
eshgüd, waschen (ein Kleid); C. ashishegud; N. o^shgud, das Waschen.
o^derr, das Tödten; eder, tödten; C. esöd^; o^medör, der Tödter.
esd, sich setzen; Imp. sa; C. esosa, sitzen machen; o^miaa, das Sitzen.
hokrer, das Band; jcÄiifcur, binden; C. eshakur; P. unihokuw, o'amho-
kerd, der Gebundene.
esni, warten; C. esisen, warten machen; esenija, wartend.
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Ueber die Sprache To1)e(laaie. 357
akish, geizig sein; C. eshohish, geizig machen; N. te'k^hi, der Geiz;
o^ki^hü, der Geizige.
to^korotn, der Kuss; kordn^e, küssen; C. koräme^a, küssen lassen.
debala, rund, kugelig; edbely kugelig sein; G. esdebel
idSr, bauen (ein Haus); P. edärr, gebaut werden.
loaua, der Schrei der Thiere; wauija, schreien.
gegga, stammeln.
etäher, segnen (Ti.) ; esetharr, gesegnet werden.
gurha, Noth, Enge; sunguorha, in Noth bringen; P. umguorJiara, in
Noth sein.
shiböh, gut, Güte; iaJibob, gut, besser werden; G. eshislibob, verbessern.
isily spucken.
jihitj sich erbrechen.
omoMa, sich streiten; esmotita, Händel stiften; amoteteha, streit-
suchend, zornig.
oHej, die Beschuldigung; omohi^, beschuldigen; G. estnohi^; PP. etmo»
hid, beschuldigt.
jiadiy verwunden; G. escid; P. etadai, verwundet werden; N. a^i^y
Wunde; PP. eta^a, verwundet,
o^gwa, der Trank; güije, trinken; C. guesie; P. gwamia; to'gwäne,
der Schlauch.
gdshia, sieden (das Wasser); G. gashishjay zum Sieden bringen.
beshök, gesotten, gekocht (Fleisch etc.); öbsJ^ok, gekocht sein; C, ahisli'
bok, kochen.
efef, ausschütten, ausgiessen.
o^busSf das Hinüberschütten; ebaaSy hinüberschütten (aus einem G^fass
in's andere).
to'gtcdhir, der Diebstahl; ogwdher, stehlen; P. etogwdher; PP. atog^
woher a, gestohlen; C. esogwdher; o'agwdheri, der Dieb.
eqta (ar. qoi^d)^ zerbrechen, zerschneiden; PP. qatay zerbrochen; G. eS"
qatd; U*nUqte, der Bruch.
telagja, verbergen; P. telagSn^a; PP. teldgema, verborgen; G. teld-
geaia; N. teldgie, Verborgenheit.
shiie, denken, bedenken; N. to^shie, der Gedanke; G. shdshie, in Er-
innerung bringen; P. shdmmie,
la, kalt, Kälte; G. laste, kalt machen; A. Uije, kalt werden.
2<imja, sich Fett in die Haare thun; Jasia, Einem Fett in die Haare
thun; N. te^lassH, die Pommade.
edamer, einem die Glieder drücken.
selhissay einen streicheln.
iddUf einen kneifen, zwicken, mit den Augen winken; G. esoddu;
P. etodda,
te^höguane, das Eratzen; jehögtounn, kratzen; P. etogtodnn,
nebüy warm, heiss; N. nubui, EUtze; A. M)d, warm werden; G. eanabdf
erwärmen.
bedeU (Ti.), Austausch, Veränderung; ebdeJ, verändern; P. embeddl.
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358 üeber die Sprache To'bedauie.
to^nin, die Poesie, das Recitativj ninja^ besingen, recitiren.
te^kafa^ der Trauergesang; kafja, klagen; P. kdfemja, beklagt werden;
C. käfesja,
ergig, vertreiben; P. etregäg; C. esrigeg,
lehei, kahlköpfig; N. te^melhei, Eahlköpfigkeit; ellehe, kahlköpfig sein.
o'hadda, der Häuptling, Herr; N. te^haddai, das Amt; Je^e^c^a, Häupt-
ling werden; C. eshadda,
o^hejed, die Wohl; jehSidf wählen; C. esheid; P. eth^ad,
o'hassei, der Erzürnte; N. te'hassiejy der Zorn; jehässe, zornig werden;
C. eshäss, zornig machen.
edenn, anfangen; P. etodann; C. esodenn; N. t^todann, der Anfang.
j ehedem, die Worte, die Sprache; edomja, sprechen; C. edömesjct.
to^gwija, die Zählung; erf^^», zählen ; T.edagwei; te^dogweitOy die Zsihl.
emlay führen, begleiten; P. Um^lla; C. hmela.
ämanja (ar.), trauen, glauben; P. amenhnja; C. ametießja; erndn, Glauben.
mnker (Ti., ar.), rathen; C. Ssmiker, berathen; N. rnukr, Rath.
Jeabekj ergreifen, anfassen; C. esahek; P. etahak.
duija, schlafen, sich niederlegen; C. döstja, schlafen machen.
hererija^ schnell marschiren.
dabja, eilen, schnell laufen; N. te^edeb, der Lauf; C. -ddbeshjcu
emeisak, kriegerische Drohungen ausstossen, bedrohen; "S.Jeskat, Drohung.
ekhil, sich verschleiern (von der Frau).
erku, sich fürchten; C. eeroky Furcht einjagen; N. merkuje, Furcht
monojüf erschaffen (TL).
jikamCf 1) gross werden, 2) sich bedecken, bekleiden; C. esheni, gross
ziehen, bedecken.
afr^, schwach, elend werden; C. afresja, schwächen; afrei y schwach,
schlecht.
ishHm, zerreissen (Ti.).
ijay sterben.
engil, aufdecken, öffnen, entdecken; C. emigel; P. engel; N. o^ngul,
t6*mengel, das Oeffiien; negdlo, offen.
jehebi, abschlagen, verweigern; C. eshab; P. ethahai.
rada, Frage; rddja, fragen; C. radesja.
jeheahi, abreissen (da& Zelt); C. eshhesh; P. etheshdi; PP. teheshdjo,
abgerissen.
ta'fira, der Tribut; efra, Tribut geben; C. sesferay Tribut eintreiben.
ddsija, hinuntergehen; C. dasisija, hinunterstellen.
ihero, wollen, suchen; C. is^hero; heraudhy wollend.
ekcj werden, geschehen.
efedy böse Anschläge, Gelüste haben.
dirtrjtty in den Augen Gelüste zeigen.
ediy sagen; C. esiaöd; N. middOy das Gesagte, der Spruch.
eiioiy Nachricht geben (von bösen Anschlägen); N. te'^e^u«, das Nach-
richtgeben.
ö^eded, die Vertheilung, der TheW-, jeeded y theilen.
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Ueber die Sprache To'bedauie. 359
enfer, schmecken, süss sein; C. esnifer,
thamesja, versuchen (Ti.).
tskidf erwürgen; C. sisekid; P. esdehid,
jeherit, schlachten.
elleb, das Schwert ziehen; PP. 6*lluhy das Gezogene.
eshhok, sich verirren; G. shishhok,
ederr, vom Weg abgehen.
rewija, hinaufsteigen; C. rtwistja,
esgij lang werden, sich entfernen.
jehakef, umarmen (Ti.).
efiak<, fortnehmen; C. esfaik.
geräria, geschwollen sein; C. geraresQcu
ahumja, hineingehen, -kommen; C. shumeshja.
öria, begraben; P. drtnia; C. öresia.
^kses, zusammenrollen (die Matte); C. ciskctses; P. ikses,
etmuk, einwickeln; C. esdemok»
jeäker, hart, stark, grob werden; C. esäker, verharten, grob machen;
akra, grob.
edügy Spioniren; C. esödug; edogwa, Spion.
ümma, erschrecken; N, et»/«*, Schrecken; C. esimma; meha, erschrocken.
eta, eng sein; C. esdtUj beengen; eta, ataloj, eng.
ehharr, aufwachen; C. esebharr, aufwecken; hera^ wachend.
fherguit, der Hunger; hSrgoa, hungrig; jeherög, hungern; C. asherög,
auer, machen; C. esuer,
hnshdy spalten; P. etmeshä; C. shishmesha; meshdo, gespalten.
ofija, schliessen; P. esemja; C. esi^a; dsama, geschlossen.
ogöi, müde werden; C. esgöi, müde machen.
enau, mangeln, fehlen; C. esono; N. menou, Mangel, Abwesenheit.
ennok, ermüden; C. esenok.
eda, schlagen; C. eshoda; P. etoda; d'da, der Schlag.
efoTy fliehen; C. eafor; fora, Flüchtling; ferat, Flucht.
o^ege, der Hauch; egäte^ rauchen; C. egdsija,
nasremjay siegen (ar.).
teminiy Bürge (ar.); thnena, bürgen.
madjul, Bürge; edjelljej bürgen.
kodie, verloren gehen; kodishie, verlieren; koda, verloren.
ashhat, ausgleiten.
deha, fett; edha, fett werden; eshodha, fett machen; te*edha, die
Fettigkeit
nehau, Magerkeit; nehaue^ mager; A. ennehau, magern; C. esenhau,
tega, schwer, fest, sehr (bezeichnet auch den Superlativ); tegia, schwer
sein; C. tigesja; N. meteg. Schwere.
enSfr, geheilt werden; C. esenhrr, heilen; N. menSr, Heilung, Gesundheit.
ökui, sich kleiden; C. esdok, bekleiden; PP. akuaju, bekleidet.
shuk, das Selbst, die Seele, der Athem; etnshukja, athmen.
hemJiemja, wiehern (Ti.).
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360 Ueber die Sprache To'bedauie.
tgtf, sich stossen; esögef, anstossen; N. megefj Anstoss; nUgefenaf An«
stoss gebend.
hdleij Idiot, verrückt; hatiOf verrückt werden; hdleaja, verrückt machen;
o^hdle, Verrücktheit
ashegia, sich beeilen; Adv. esMgd, schnell.
o^new, der Schimpf; newja, beschimpfen; P. newomja; C. netoisia,
egid, werfen; C. eaögid; P. etogad; N. o'gad, der Wurf; PP. ö'atogda,
das Geworfene.
oksha, die Lanze werfen.
jeidem, klein werden; C. esheedem, verkleinern; edemie, klein.
ishdOf mischen, vermengen; P. emshaoei.
bolaja, spielen; C. bolasia.
o^da, der Feldbau; jeaden^ das Feld bauen; o^ädena, der Bauer; C.
esady biu3n lassen.
to'hin, die Furcht; ebbän, fürchten; C, esebbän; banloi, furchtsam.
o^shinger, die HässlicHkeit; shingera, hässlich; shingeria, h&sslich werden;
C. shingerisja, entstellen.
te'mUo, die Thräne; melocya, Thränen vergiessen; C. melodisia.
shof, leicht, leichtsinnig ; enshof, leicht sein ; C. enshinshof; N. te^shäfa,
die Leichtigkeit.
jo^kaesa, die Erbschaft; hossamja, beerben.
damja, essen; C. ddmsia; te'edemte, das Essen; te^memta, das Nähren.
tefUreTf fertig, aufgezehrt sein; eshero^ aufzehren, fertig machen.
edir, heirathen; P. tedarty verheirathet werden; C. esederr, verhei-
rathen; derr, Heirath.
erneg, schlecht werden; amago, schlecht, bös; N. mdme^, Schlechtigkeit;
C. asotneg, verschlechtem.
fabab, die Verachtung; äbabja, verachten; P. dbdbemja; C. ahöhe^a^
o^dbäbena, der Verächter; o^<ü>abema, der Verachtete.
egser, die Lüge; 6* güsser e, der Lügner; ogwaser, lügen; C. esgtoaser.
mam, das Reiten; jedmm, reiten; Imp. ama, reitet esdmm, reiten
lassen.
efnek, beissen; C. esfenük; P. etfenäk; N. te^mefnek, das Beissen.
hugjat mahlen; o'hug, das Mahlen; C. hügusja; P. hügemia\ fhügma^
die Mahlende.
ennok, fein sein (vom Mehl); nok, fein; G. isenok.
o^mu, Nässe, Feuchtigkeit; meija, feucht werden; G. me^a, anfeuchten;
N. mesdiby das Anfeuchten.
biddefja, schwimmen; C. bedefi^a,
tofro, fem. sie hat geboren; c/re, geboren werden; o^frei, die Geburt;
to^mofrS, das Gebären; G. esfer, gebären helfen; te^sfdrene, die Ge-
burtshelferin.
geif neu; egiü, sich erneuern; G. esegiei, erneuern.
kedje, säugen; G. kedishje, säugen lassen.
jedrrj sich nähren, leben; G. esdrr, unterhalten; N. marrit, Nahrung,
Unterhalt.
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(Jeber die Sprache To'bedauie. 361
t^delli, 'das Loch; edia, ein Loch machen, durchbohren; P. etdela;
C. esdela; dday ausgebohrt
demia, stinkend; edmije, stinken; G. eshdem; N. te*demiet, der Gestank.
ebäden, vergessen; C. eshbäden; P. etbeddän; N. to'bdnet, das Ver-
gessen; badene, vergesslich.
eftegg, ausziehen (einen Pfahl); P. etfetdg; N. oytüg, das Ausreissen.
o^je^, das Aufstehen, Weggehen; ^'eib'a, aufstehen; C. jiki^ja.
htssen^a, vorübergehen; G. hesisia; hasscnnana, Vorübergehender.
J:o8, Zahlung; oksi, zahlen (eine Schuld); G. iskos; P. okse,
. emirUf finden; P. etmerei; G. estner; N. o^tnrei, der Fund.
elu, hängen; G. esiselu, aufhängen.
dübby der Fall; dübja, fallen.
shelek, wenig; eahleh, wenig werden; C. eshisheUk.
efiäk, tragen; C. esfäik.
dafia, das Rauchbad nehmen (von der Frau).
eribi, laden, belasten; G. ^ereb; N. eribe, Last.
ddregja, können, vermögen; o^dreg, die Kraft; G. adregUfja. ^
egem, nicht wissen, ignoriren.
te'inen, das Antimonium; annjaf die Augen schminken; P. onutnja.
nelUss, reinlich; nehess, rein sein; enhess, reinigen; G. esenhdss.
henwisjaf beschämt, bescheiden sein.
funkuy die Schwangere; A. nokuet; unku, fem. tunku, schwanger wer-
den; G. asnok, schwängern.
keta, rein, hell; ketja, hell werden (vom Wasser); G. keti^a,
kebja, inivit mulierem; N. o^keb; P. kibemja; fem. kebSmte.
neösemja, sich zanken.
ekU, bissig sein (in Worten), wollüstig sein; Adj. ekiil, bissig, wollüstig.
härerOj leer; j^errer, leer werden; esherro, leeren.
eshhibb, besuchen.
em^i rasiren; P. etöman; G. esömen; N. matte, das Rasiren; te^nUnen,
das Rasirmesser.
shibub, das Sehen; eahbib, sehen; P. eshdebob.
rehjäf sehen (Ti., ar.); N. «rÄc, das Sehen; G. erhi^a; P. rthdmja.
Mdeby füllen; G. essödeb; P. teddeb; N. o*dabb, das Füllen.
jeager, zurückkehren; jeeger, zurückgeben; G. eseger, zurückgeben lassen.
o^ogur, die Rückgabe; o'mäger, die Rückkehr.
^/cid, lachen; G. esfeid; e'fied, das Lachen.
^e'Ären^^, das Schnarchen; Ä;eti^na, schnarchen.
t&d&Ja, reisen; oHbdbkena, der Reisende.
o'6e2)e&, der Rost; asabeb, rosten.
oHwash, der Schmutz; jetro^^ta, sich beschmutzen; C. jewashishia, be-
schmutzen.
eddmeTf sich beschmutzen.
belin^a, sich trocknen; belema, trocken; G. belimsia, trocknen; N. &e-
lemsdiby das Trocknen.
icoshik, das Pfeifen; woshikie, pfeifen.
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362 üeber die Sprache To'bedauie.
onfek, flatum ventris emisit.
eiwe, dursten; C. esidu, durstig machen; N. te^jaue, der Durst; juCj
durstig.
embelelj Traum; embelajja, tr&umen; C. embeldlesia; emheldlena, Träumer.
o^duf, der Schweiss; dufja, schwitzen; C. dufesja,
mehje, genügen; mehtni heb, es genügt mir.
geb, Sattheit; gebja, satt werden; C. gibesja, sättigen; geba, satt.
o^mormoi, die Begleitung, das Gefolge; o^mormi, der Begleiter; omörctnh
begleiten, folgen; C. esörefin, begleiten lassen, Begleitung mitgeben,
esw o#a, Auftrag, Testament; emäta, Auftrag geben, ein Testament machen;
C. esisnata.
jeelel, krümmen.
jeheneg, kiümmen.
haurikenja, herumlaufen, flaner.
to^shish, der Husten; eshish, husten.
edde, einem Mann die Haare frisiren; P. emediai, die Haare frisirt haben;
.C. esddCj frisiren lassen; emedia, frisirt.
o^hadguiy die Frauenfrisur; jehddug, eine Frau frisiren; P. imhddog^
frisirt werden; C. eshadog.
ehe, efiy sein, Hülfszeitwort.
edif, übersetzen (über den Strom); C. esödif; N. mendafi. Fuhrt.
onhts, mangeln, unvollständig sein; C. sonkus; Adj. n^iis, unvollständig.
toküje, springen; C. tökesja.
ferja (TL), fliegen; N. o'ferdi, das Fliegen; C. feresja,
börekja, fliegen; N. o^börekdi, das Fliegen.
idi, machen, wie auer.
hSimia, neu aufgehen (vom Mond).
bßja = 8akja, gehen.
haued, den Abend zubringen; C. eshdued; N. hauda, das Zubringen
(6*hauad, die Nacht).
hemendja, Abends verreisen; N. hemenit, der Abend.
askerremy früh Morgens verreisen; C. asiskerrem; N. sekermotj das frühe
Verreisen.
mehija, Morgen werden; o^mhi, der Morgen; mehissia, den Morgen
zubringen.
jditn, den Tag zubringen; C. asejem.
meramjej rauben, verwüsten; P. merametnje.
noddri, schön; noddriey schön werden; C. noadrisia, verschönem; N.
noadribj Schönheit.
neheff, sauber werden; C. esinheff, säubern.
eshetn, helfen.
wolikj der Schrei; wöHkja, zu Hülfe schreien.
hdbia, pflastern (das Haus etc.)
egda, hinuntergehen (den Berg).
ashushy Empfang; jewÄcsÄ, empfangen.
^ftd, auseinanderbringen, trennen; C. esfetd; lif, fethäb, Trennung.
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Substantive und Adjective.
AUähij (ar.), Gott.
o^änkuane, der Herr Gott.
» o*hilib, der Mächtige.
» o^edergaby der Starke.
o'melek^ ar., der Engel.
o'hlis, PI. e'hhse, der Teufel (ar.
Iblü),
te^serda, die Wahrsagerin (Ti. serdeit),
te^stUl, das Gebet.
o^b^e, der Regen.
te^b^e, das Firmament.
te^dinncy der Himmel (ar. Djtnne/).
o*kefri, der Ungläubige (ar. hafir).
o^mesellemi , der Muslim; A. mesel-
lemib.
o^b^äm, der Wind.
2>6raw heram, Sturm.
ö'aulei, der Bergwind.
ie'njcntZdd, der Regenschauer.
kelönfet, anhaltender Regen.
olessOy PI. Hesso, die Wolke; A.
lessob.
o'gim (Ti.), der Nebel.
6*say der Thau.
te^hudy der Donner.
t^telaUy der Blitz,
em&t, Hagel.
o'h^oky der Stern.
to^ein, die Sonne.
o'idrik, der Mond.
Vedriky der Mondschein.
te^hedaddebifiy die Finstemiss.
te^edite, der grosse Bär.
aseremad, die Woche.
o^huhe, der Tag.
e/e^ (Ti.), Termin.
o'<?or, die Zeit; A. (?ore.
o^krum; PI. e^krum, der Morgen; A.
PI. ÄJorMmaft.
nebohob, Nachmittag.
englHreb, Abend (ar. moghreb),
akohitak, vor Nachi
o^hatidd, PI. je^haüed, die Nacht.
leheit, morgen, demain.
» betkait, übermorgen,
crö, gestern,
ere betkait, vorgestern.
am«e, heute.
te^hebi, die Regenzeit,
se«^', der Frühherbst (September
und October.
emab, der Winter (Novbr. — März).
'mhagai , die trockene Zeit.
te^ein mofreiy Sonnenaufgang, Ost.
te''ein dübb, Sonnenuntergang, West.
te^gtbh, der Nord (ar. Direction von
Mekka.)
o^sid, der Süd.
tonnet das Feuer; A. net,
te'had, die Gluthkohle.
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364
üeber die Sprache To'bedaoie.
o'hash, der Staub.
net hash, Asche.
o'sögudi der Feuerbrand.
o'jem^ PL e'em, das Wasser j A.jem.
edjemid, Regenwasser.
o^dejo, der Teich; A. dejo.
o'kuann, PI. e^kuenn, der Strom.
taba, PI. tabat, Torrent.
taba enferis, Torrentmündung.
o'di^äg, PL e'deregy das Ufer.
loh, Bachrinne.
gtiedj, PL guedjab, Quelle.
o^baher, das Meer, das grosse Wasser.
» o'endffer, das Süsswasser,
Fluss.
» o^hameb, das Salzwasser.
«o'^M«, PL te^bura, die Erde, Land,
Gebiet; A. bur, PL öwraf.
^e'kejejy der Thon.
olugg, der Koth.
te^isse, der Stromsand; A. e««^.
o^beledy ar., das Vaterland,
o'a««, PL je'awe, der Stein; A. atieb.
sikuauneb, Quarzit.
gagerhush, verwitterter Granit.
sotauib, Thonschiefer.
o'berr (ar. harr), Land, Wildniss.
o*meläl, die Wüste.
te'kdnbul, PL te'kenbel, der HügeL
o'orfta, PL c'grda, der Berg.
o'kary PL e'ifccrr, die Schlucht, Thal.
o^haddy die Ebene.
te'legi, PL te'legiäd, der Weg.
*e'<7erd6t, PL te^gdrätja, der Pfad.
sheJhoteniby Abgrund, Rain.
o^kaddaiy Bergsattel.
te^risha, der Berggipfel.
o'cio ; PL e'<f 0, Wasserbecken im Fels.
tore, Brunnen.
tö*8ura; PL te'sura, die Tränke.
e(2e?e, Loch.
o'deruk, der Wassertrog.
bcUak, Dickicht
herbob, ABhang, Thonwand.
oHekk, der Mann.
t^tekäy die Frau.
endabf Männer.
ummaty Menschen.
admibj Kinder Adam's.
te^may die Frauen.
o^oTy PL je^-er, der Knabe.
^'or, PL fer, das Mädchen.
o'tj'aZ, die Familie (ar.).
baby Vater.
endet y Mutter.
o^hotOy die Grossmutter.
6*hobOy der Grossvater.
o'dwro, der Onkel.
t^deratOy die Tante.
end^'e endo<iy Mutterland, -stamm.
babie endaa, Vaterland, -stamm.
•d^hamoy der Schwiegervater (Ti.).
te^hamOy die Schwiegermutter.
ö^mälljOy der Schwager.
te'mdlitOy die Schwägerin.
kwdby weiblich.
rebäby männlich.
o^hijOy der Gemahl.
te^hijOy die Gemahlin.
te^däkenidf die Thiere.
teHijo; PL eHijoty das wilde Thier.
oreo, zahmes Thier.
o'fi^a, PL e'«Aa, die Kuh; A. ahdb,
te'näjy die Ziege.
teHeay die Ziegen.
o*boky PL e'&eA;, der Ziegenbock.
o^nüy PL e'na, der Schafbock.
o'jOy PL c^o, der Stier; A:job.
Job kotiby verschnittener Stier.
aby männliches Zicklein 1 «. ,■,
übet, weibliches » / '
re&a&, männl. Junge von mitüerm
Alter.
teWengeniy PL eVenpcnc, weibl. Junge
von mittl. Alter; A. rengenä>,
ö*legay das männl. Kalb (TL).
endady weibl. Kalb.
to^jue, PL te'juey die junge Kuh; A»
juet.
alandojiiy zum ersten Mal trächtige
Kuh.
shuijaby trächtige Kuh,
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üeber die Sprache To'bedanie.
365
dehäla, einjährige Kuh.
melohkreb, 2 jähr. Kuh, \ nach den
fedig nateb, 3j&hr. Kuh, / Zähnen.
dtrm, PI. dirmad, Heerde.
shekuaf PL sJ^kudb, Hirte.
flaue, Domenzaun.
to*dinn, PL te'denn. Dorn; A. dint,
o*hcataiy der Hengst, ^PL e^hattat,
te'hattaiy die Stute, | die Pferde.
o'mek, PL e^mek, der EseL
to'mek, PL te'mek, die Eselin.
ö'jas, der Hund, 1 PL e^es, die
^o'jos, die Hündin, / Hunde.
to*€^jüfflmOy PL te'djümmo, die Katze
(Ti.).
o'Äror, PL A. korab, Sattel (Ti.).
o'Ugam, der Zaum, Gebiss (Ti.).
o'krub, der Elefant; PL A. kurbab.
o^woeje, der Rüssel,
o'do, PL c'da, Elefantenzahn; A. dafc.
haris, Nashorn (Ti.).
o'küire, PL e'küire, der Strauss;
PL A. küirib, küilH.
kuhib, Ei.
(iiÄ:, Hahn (ar.).
kaUy Perlhuhn.
rebekau, Rebhuhn.
totel, das Tora (Ti.).
koddte, dasB'eza, fl.dH» äthiop.
rahob, Gazelle.
seräf, Giraffe.
eräb, grosse, weisse Gazelle.
derkua haUob, Schildkröte.
Umab (Ti. alma)^ Krokodil.
abdergegdb, Riesenschlange.
korkuor, PL korkuorab, Schlange.
gedit, eine Art schwarzer Gift-
schlange.
riahy Straussenfedem (ar.).
anbor, PL enber, Flügel, Feder.
Jfcerat, PL kerei , Hyäne (Ti.).
d'hada, Löwe; PL A. haddb.
lengig, PL lengigdb , Leopard.
o'emeno, A. menoft, Hyänenhund,
Toqla.
a^a5a (Ti.), Büffel.
to^keleiy PL c'Äcfet, der Vogel; A»
o'do, PL e'do, Wurm, Käfer; A. dob.
t^aud, der Honig.
o'ujut, PL <e*ait, die Biene.
o>/a, PL ^tifa, die Fliege; A. tifab.
toHat, die Ijaus.
Mre«^, die Kameellaus.
to^se, die rothe Kameellaus.
beram, Zecken.
jaue, Heuschrecken.
to'gibb, PL te'gba, die Maus; A. gebot.
lolis, Tausendfuss; lat. julus.
hanganöb, hangandt, Ameise.
o^kam, PL e^kam, Kameeh
to'kam, PL te'kam, Kameel- \ Ankämet.
Stute. f
o*ankua, der Höcker.
kwikwei, Adler.
banob, grosser Geier.
oUdlafiko, der Affe; A. lalankob.
oUehumbo, id., A. lehumbob.
waga, der Totachaffe.
kebbhri, Taube.
jemgonnib, wilde Ente (eig. Wasser-
hüter).
teHenalo; A. tenalöb, Skorpion.
o'goi; PL e'goi; A. gojäb, Kröte.
o^ad, die süsse Milch.
te'mesa, die Buttermilch.
^o'(2ii&&, die geronnene Milch.
ö'simil, die Butter.
o^la, der Schmalz.
^o'sdmwm, das Fett
o'helei, der Hase; A. PL helejdb.
o'baha, PL ^baha, das Beni IsraeL
meläliknii, eig. wilde Ziege, die
negnegöb, Eidechse.
harduie, Wildschwein (Ti.).
te'edf, PL i^edfa, die Rinde; A.
edfat.
o'demo, die Rinde, der Bast.
o*hindi, PL je'hindi, der Baum; A.
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366
Ueber die Sprache To^bedauie.
gedem, Wurzel.
toWat, das Blatt.
teheky Wald.
o^homr, die Adansonia (Ti. u. ar.).
tauHj die Aqba, Mimosenart.
teHesho, der Higligbaom.
te^gaba^ Bhamnus Nebeka (ambar.
gdba).
o^gäbüf die Fracht des Nebek.
diüa, die Hafule (Fruchtbaum).
kitr, eine Art Mimose.
.o^arade, die Tamarinde; A. ar<ndeb
(Ti.).
o^ama^ die Tamariske.
o^ajca, die Dampalme.
te^aka^ die Dumfrucht.
toladj der Palmzweig, Djerid.
serobj der Serobbaum.
mika, der Gersabaum (Salvadora
pers.?)
kam, der Hamtebaum.
o*en({era, der Aahebaam.
ö'hib, der Ädai, | alles Baamarten
o'o/ou, derGemroty Imit ihren Namen
ito'*cta/,derTahtei,J im Tigre.
o*hamag^ die Frucht.
far^ Blüthe, Knospe.
o^siam^ das Gra».
serde^ das Serdetgras.
tibedihy die wilde Tagossa.
aahraUa^ lange Grasart.
o^eldb, trockenes liegendes Hea.
halilogoi, Heaart
te'danay Kalebasse; Kürbis.
o^herro, das Durra.
» o^urbtm^ \ grosskömiges
» o^umhtish,) vom Crash.
» 6*bälut, das Durra von Al-
geden.
» o^basenei, das bittere Bazen-
Dorra.
o*guledy das Korn.
o*b%y das Mehl; A. bib.
o^agga, das Durraschilf; A. aggat.
to'mii, der wilde Balsambaum (Ti.
atnkua).
kat^}udj, Ricinasstaude.
demmarab, Gold.
feshte^ das Silber; A. eshtSb.
arer, Blei (Ti.).
to^endif Eisen; A. endiL
o^belo, das Kupfer; A. belob.
gestir, Zinn (ar.).
ö^gau, PL e^gauy das Haas; A. gaudb
H&user.
o^endooy Ansiedlang, Familie, Stamm.
o^f^ommar, PI. je^hhnmery Zelt
&eda&. Matte.
imbadi, Matte als Bettteppich.
te^dagina, Feaerheerd.
to^jait, das Seil.
o^helal, der Kelal, Haarnadel von
Holz.
itierwed (Ti.), Fingerring.
X;o2e/, silbernes Armband.
bela, der Rehat der Mädchen (Ti.
belat).
o^kma, PI. ^kma, hörnernes Armband.
totale, PL te'aley die Glasperle; A.
a7at.
to'gde, Wollkleid.
o'hdlek, das Kleid; PL A. halakäb,
oV {7c^(2a, der Lederschorz (Ti. nodcT (^ .
to*me1kei, das Kopftuch, der Schleier.
o^kerkeb, Stadtsandalen.
te^geddd, einfache Beduinensandalen.
o^kwoleiy PL e'ktoolt^ey der Stock,
A. PL kwolejab,
to^sirty der Stab, Stange; A. sirrt.
eheUi, gekrümmte Zeltstange.
mokudty id.
dakiUf Zeltstütze (Ti.).
o^ad, der grosse Kochtopf.
ö'nkaliu^ der kleine »
o^kal, wasserdichter Korb.
o*amur (Ti.), geflochtene Schüssel.
te^Mddla^ hölzerne Schüssel.
tt^guffa^ ein geflochtener Sack.
otenHy Mattenteppich.
o^nal, PL 6*1101 y das Angar^b.
o^oUib, der BreL
o^giddf, ein Vorhang von Matte.
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Ueber die Sprache To*bedauie.
367
o^kerari, ein Vorhang von Ba8t(Ti.).
emtaras, Kopfkissen von Holz (Ti.).
o^gder, eiserne Brodpfanne (ar.).
tonbak, Tabak.
te'daüe (ar. dauie)y Pfeife.
oHem, das Brod, Polenta.
» o^hemraby das gesäuerte Brod.
» o'gasis, das ungesäuerte Brod.
te'difo (Ti. djifot), gekochte Durra-
kömer.
te^hogguay Tabaksdose (Ti.).
o^derdr (Ti.), Abendessen.
o*mah(is8ei, das Morgenessen.
o*entar, ein geflochtener Teller.
torie, der grosse Mahlstein.
metongohy der kleine Mahlstein.
egesene, Zeltpfahl.
o^embadety'PLe'embadabyäaB Schwert.
te'meshmemy die Schwertscheide.
to^fhid, die Lanze; PI. A. fendt.
to^kenddbi, das Stieleisen der Lanze.
o*g(tbif PL egbe, der Schild; A. gebeb.
o'hendjery das Erummesser.
edray Panzer (Ti. dere).
to^düy PI. te^doy Gegenstand; A. dat.
ö^ergudby lederner Schöpfeimer.
o^nautty Schöpfseil.
6*hareby der Schlauch (Ti.).
mesttty Teppich.
kankefy Sessel.
te^sudhy der Spiegel.
mesheggy ein Netz, um etwas darin
aufzuhängen.
t6*melaüy die kleine Axt.
to^mesdr (Ti.), die grosse Axt.
tnelote edity Axtstiel.
te'shinshely die Kette (ar. Ti.).
o^odarha, das Hydromel.
ö'mashhay das Bier.
te^futiy das Biermalz.
to^bely der Lederschnrz.
hodhodiby Rinne um das Zelt, um
das Wasser abzuleiten.
o^adty Pl.jVcdc, die Haut; A. edeb.
aha ade, Kuhhaut.
ade bishuky gegerbte Haut.
ade aasuy ungegerbte Haut.
o^Mlbetiy Butterschlauch.
kabur (Ti.), Trommel.
o^fidig, die Schuhsohle.
o^mehely die Medicin.
to*efOy das äussere Haus, die Flur.
to^esse, das Innenhaus.
to^garay der Hof, Umzäunung; A.
garat
ö*July der Faden.
adarahit, Lumpen, Fetzen.
o'herdOy Amulet; PI. A. herddb.
o^saggi (Ti.), das Netz.
sisity Kehrwisch.
o^sity die Fleischbrühe.
diffay Geschenk (Ti.).
ketrauy Pech (ar.).
simm, Gift (ar., Ti.).
te^konsübety die Nadel.
o^dey das Rauchbad der Fi-auen.
o^nibesh; P^. A. nibeshay das Grab.
te^dBbtty das Leichentuch.
to^auy die Todtenklage.
roguash (Ti.), Todtenopfer.
emelegy Todtentanz.
o^agumitty der Kopf; PI. A. gunndb.
d'eje^ PI. je'eiy die Hand, der Arm.
t^regedy PI. A. regeddby das Bein.
sheneky Kinn, Bart.
te*bitey PI. te^biijay die Stirn.
o'jeffy PI. e'jafay der Mund.
d*dnguily PI. je^anguly das Ohr.
jefe hamOy Schnurrbart.
to^kohy'Vl. te'korey der Zahn; A.
koreb.
o^g^iMfiy das Zahnfleisch.
te^meshdkuoney die Schläfe.
ederagy Wange.
o^dahay PL e^dahä, Kinnlade.
te^kökelemy Hinterkopf.
miahken, Nacken.
te^hamOy das Haar; A. hamob.
o^dahy der kurze Haarwuchs, rund-
geschnittenes Haar.
shimbehdne, Augenbrauen.
tdUy Hals. •
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368
Ueber die Sprache To'bedauie.
o^guedj, PI. e^gttej, das Ange; PI.
A. guedjäb.
sibela, Gurgel,
o'wirfaft, 'die Zunge.
o^htrka, die Schulter.
te'gana, die hoble Hand.
te^gibab, die Brust.
o^gina, das Herz.
te^bäba, die Armhöhle.
o^nug, PI. e^nugy die Mutterbrust
o'/, der Bauch; A. ßh»
toHefa, der Nabel.
e^dembi, die Waden.
neA^Äo, Oberarm.
sekuka, Unterarm.
o^guonnehü, die natürliche Elle.
6*gtmba, der Ein- oder Eniebogen.
eduidujo, Schienbein.
tö*klubj der Knöchel.
te^tibelei, die Zehen.
te^sökenay der Fuss. «
o^naff, PI. e'tic^, der Nagel, die
Klaue.
te^engidmüat^ das Rückgrat
d^beiby die Rippe.
to^sha, das Fleisch, A. «Äo* (vergL
o'do/, das Fleischstück.
te*onkola, die Niere.
to^se, die Leber.
e'mana, die Eingeweide.
reged usurib, Vorderbein der Kuh.
» urreb, Hinterbein der Kuh.
enniwa, Schwanz.
to^mitäty PI. te'mitet, der Knochen,
o'&ot, das Blut.
te'kedem, der Hintere.
wod, Pud. mul.
o^mid, Pud. masc.
e*ula, die Hoden.
o7uw, der Anus.
rebob, die Scham.
gidiby Gesicht.
elenda, Schatten.
o^mat; PI. A. matab, die Spur,
o'^t^, der Daumen.
boikutf der Embryo.
teydhj der AugapfeL
te^mikol, das Mark.
am5a, menschliche Excremente.
safareb, Mist.
endoby Kuhexcremente.
o'^^A^ hadalat, der Urin.
endody Kameelexcremente.
UPgenäde (Ti.), Leichnam.
era, weiss; A. m. erdb; fem. ^a<.
(idero, roth; A. m. äderob; fem.
dderot.
hadel, schwarz.
döKf, braun.
o'hdbiro, die Farbe (Ti.).
olgumi, stumm (Ti.).
o^ngewa, taub.
o^homdshei, blind.
6*gerrabeiy hinkend.
idemboy krumm.
hanni, steril.
noÄrw«/, schwanger.
amnatj Kindbetterin.
däheniy gesund; A. dähenib.
Jehd^ krank; A. m. Uhab, fem. lehat.
te^kankanity das Fieber.
o^worreby die Pocken.
fi ttjoty Bauchgrimmen.
o^haleg, die venerische Krankheit (Ti.) .
o'begely der Tripper (TL begen),
ö^asul, die Wunde.
te'adjdüj Hiebwunde.
berreshimia, venerische Beule.
foet, der Eiter.
to'kUlay der Schnupfen.
farasjafy zahnlos.
rtfofy aufgeblasen (von Körper).
gululi (Ti. guluT), Idiot, dumm.
delha, linkhändig; A. ddhab,
fennoMt, die monaÜ. Reinigung.
te'fenhi, die Frau in den Regeln.
te^nekirij die Wittwe.
nedaiy Waise.
shekena, volljährig, mannbar.
titUy Zwilling.
o^malai, die Kraft.
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369
ierad, stark (Ti.).
heriahenöi, arglistig.
ginniy gescheidt, fröhlich.
fadab, mathig (Ti.).
hatera, id. (TL).
oWiiro^ der Freund; A. rerdb.
c^asho, der Feind; A. aahob.
oWohena^ id.; A. rohenah,
eaurkena, der Aeltere, der Erste
(von esur).
hesTj Geschäft ; hesrhena, beschäftigt.
c^hamädda, PL je^ham&dda^ der
Räuber; A. hamadddb.
/e'm'e, die Lust, Geschmack; TLme^.
c^badhibf der Zeuge.
tt'beddehay das Zengniss.
te'kerame, das Almosen (ar.).
o/hc, Streit
te^dä?ienij der Friede.
nuisig, id. (?)
^«Bdft; Ursache (Ti.).
o'moÄ^uere, die Kälte.
te'gnübi^ die Schuld, Sünde.
tesni, die hergebrachte Sitte.
<>*inetlauif das Heiraths-MeÜo.
^o'moX;, der Nackenpreis der Frau.
daiy gut; A. däib; dai dt«, es ist
gut,
wuurm, gross.
dij klein.
iouera, anders, verschieden.
nefedy süss, wohlschmeckend.
€«^a, ungesalbt, trocken (vom Haar).
äOcenaj passgehendes (Pferd).
shuär, Galopp (TL).
gerweliniy schnellgehendes (Pferd).
fafariniy trabendes (Pferd).
mei godib, rechts.
tera godib, links.
hädcTj freigebig.
o'hadariy der Wirth (Ti.).
o^anma , PL je^amne , der Gast.
ahera, das kanonische Recht; ar.
sherie.
to^ktaby das Buch (Koran).
indjoru, frei, edeL
tnogddem, böse Zunge.
te^hunguni, die Räude.
to'mer&a, die Rache (Ti.).
meskin, arm (ar.).
sidku, wahr (ar.).
ieY^a, die Kopffrisur der Männer;
A. /etat.
je^eshei, das verlassene Lager.
HaasOy der die Tigr^sprache spricht»
ar. Chassa.
to^hassa, das Tigr^.
Mäkäde, der Abyssinier.
ö*Bidaui, 1) der das Bedauie spricht;
2) Unterworfener.
t6*B(tdau%e, die Sprache dieses Na-
mens.
o^Belaui, \) der Herr, der Adliche,
2) der Belou.
o^kiaha, PL jt'kUhay der Sklave.
to^kisha, VI. je^kisha, die Sklavin.
Ifansinger, Ottofrtk. Studien.
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Eeise durch das Land der Kunäma.
24*
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Sarae.
Bevor wir die Reise durch das Land der Kun&ma antreten,
wollen wir uns Land und Volk von Sarae etwas näher an-
schauen. Man darf sich nicht verhehlen, dass die Reisenden,
welche Abyssinien erforscht haben, sich meist den* grossen
Strassen nach hielten, sodass sie nur ein unvollständiges, ja
sogar parteiisches Bild davon gegeben haben. Diess wird
um so bedenklicher, wenn wir wissen, dass die Abyssinier,
je vertrauter sie mit den Europäern sind, um so schlechter
und verschmitzter werden, sodass nur eine Reise durch die
von Fremden unberührte Provinz «uns den Einwohner in seinem
wahren Charakter zeigen kann. Die paar Tage, die wir in
Mai Sheka mit alten guten Bekannten verbrachten, genügten
freilich für ein tieferes Eindringen in did Landesverhältnisse
nicht; doch hatten wir seit Jahren mit Leuten von Sarae viel
und eng verkehrt und so geben wir die folgenden Notizen als
einen kleinen Beitrag zur Kunde des Landes.
Geographisch ist Sarae ziemlich bekannt. Es zeigt sich
uns als Hochland am rechten Ufer des Mareb, von dessen
Bogen es theilweise umflossen wird. Gegen Nordwest, wo der
Bogen sich öflnet, flacht es sich als Qolla allmählig gegen
das Barka ab; von Süden und Westen wird es durch das sehr
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374 Heise durch das Land der Kan&ma.
tiefe Thal des Mareb von dem gegenüberliegenden Hochland
von Aggela und Okulekusei, der directen Fortsetzung des
Hamasen, scharf getrennt. Nur im Norden geht es fast eben
in die Fläche des Hamasen über, wo die Höhen von Abba
Matta die Grenzlinie bilden. Das Marebthal ist als QoUa
Tedrer und als QoUa Gundet bekannt; beide gehören dem
Sarae nur halb an. Die eigentliche Qolla Sarae aber, ge-
wöhnlich auch Dembelas genannt, sinkt von 5 — 3000 Fuss
gegen NW. ab; sie harrt noch immer genauerer Untersuchung
und verdient sie.
So ist das eigentliche Hochland von Sarae (die Daga) eine
eigentliche Fortsetzung des Plateaus von Tsasega (7000 F.);
nur liegt es niedriger (durchschnittlich 6000 F.). Die Fläche
ist hier häufiger durch Hügelreihen und Thaleinschnitte unter-
brochen und sowohl durch die Unebenheit des Bodens, als
durch die gegenüberliegenden Hochebenen des .Okulekusei vor
den Ostwinden mehr geschützt, weswegen auch das Klima viel
milder ist. Auch der Boden ist vom Hamasen verschieden;
der Fels tritt häufiger hervor; wo er fehlt, ist der Boden von
dichtgesäeten grossen Rollsteindii bedeckt, welche die Feuch-
tigkeit erhalten. In dem Fels finden steh zahlreiche sehr ge-
räumige Höhlen, wohin in Kriegsnöthen Hab und Gut, ja
Menschen und Vieh gerettet werden. Die Erde der Daga ist
schwarz. Eisen findet sich jmr bei Anäbetta und im Dem-
belas. Die Daga ist reich an fliessendem Wasser, während
die Qolla ganz die Natur des Bogoslandes besitzt und Wasser
nur in tiefen Brunnen gefunden werden kann. Das Klima
der Daga ist sehr gesund; Fieber regieren nur in der Qolla.
Die Kälte ist weniger empfindlich als im Hamasen, wo kein
vorliegender Wall vor dem vom Meer aufeteigenden Nebel und
Wind schützt
Von den vorkommenden Culturpflanzen soll weiter unten
die Bede sein. An Bäumen ist das Sarae reicher als das Ha-
masen, doch sind sie nur in Thälem und Einschnitten sehr
entwickelt, während die Ebenen immerhin baumlos genannt
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Reise, durch das Land der Eimama. 375
werden müssen. Die Schuld daran mögen die Winde tragen
und der seit ewigen Zeiten nrbarmachende Mensch. Die
Selien-Pahne kommt hier und da vor; Oliven (Woira) sind
selten; allgemein ist die Euphorbia Qulqual in ganzen Wäl-
dern. Von den andern Arten wollen wir nur die verbreitet-
aten nennen: die Wonsa (Cordia abyssin.), die Sykomore Daro,
dann die Fruchtbäume Mell^o (Malhetta), den Agam und
,Häde. Die Gaba (Bhamnus Nebeka) kommt auch noch vor,
aber fast ohne Frucht. Erwähnen wir noch der Aie, Woiwo
und Tembuk, alle auch im Ansebalande gewöhnliche Bäume.
Tamarinden finden sich erst in der Qolla.
Wild findet sich im Hochland fa/at nur die Hyäne, der
Schakal, das Zesseha und das Perlhuhn, während die Qolla
alle jene Thiere besitzt, die wir am Anseba kennen gelernt
haben.
Das Jahr theilt sich hier in vier Jahreszeiten:
1) die Regenzeit, Eeremt (von Juni bis September).
2) die kalte Zeit, Qui (im Tigre Qaim) bis Januar.
3) die trockene Zeit, Hägai, Februar und März, und
4) die nasse heisse Zeit, Tsetja, April und Mai.'*')
In dem Qui herrschen Ostwinde; der Hägai ist iasi wind-
los; im April bringen die Nordwinde plötzliche Regengüsse
als eine Art Vorwinter. Doch der anhaltende Diqanni genannte
Regen wird vom S.- und SW.-Wind hergebracht und dauert
bis Ende Juli, während das Ende der Regenzeit dem Nord-
wind angehört und sich durch plötzliche kurzanhaltende Ge-
witter charaktensirt. Auch im November fallen ausnahms-
weise Regen.
Das Land Sarae ist im Allgemeinen nur von einem Stamme,
der Familie Atkame Mel6ggen, bewohnt; der erstere Name
gehört gewiss dem Stammvater an; die Bedeutung von Me-
leggen ist uns unklar. Im Land sollen früher die Mehiou
und die Belou gewohnt haben, welche letztere wir im Barka
*) Im Aetbiopischen XtAjB»', tsedei.
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376 Reise durch das Land der Kan&ma.
und Samhar wiederfindeiL Es bleiben uns von ihnen gut-
. gemauerte Brunnen, Graber und dürftige NachkommenschafL.
Der Rest der Bevölkerung, insofern sie nicht zum herrschen*
den Stamm gehört, ist heterogenen Ursprungs. Die Atkame
Meleggen schreiben sich Tom Salaua her, woher sie vor
600 Jahren emgewandert sein sollen; sie halten sich also für
Amhara. Ihre feindlichen Nachbarn jenseits des Mardbthals,
die Okulekusei, rühmen sich desselben Ursprungs; sie sind
nur in drei Stämmen bekannt: Okule, Eusein, Loggein. Die
beiden ersten bilden die sehr bekannte starke Republik zwi-
schen dem Tigre und dem Meer, wovon die Städte Halai und
Dixa sich auszeichnen. Der dritte Stamm trennt das Sarae
im Norden vom Hamasen, wozu er politisch gehört; er lebt
in etwa 40 Dörfern zwischen Himberti und Teramni unter dem
Namen Loggon Tshuan und zahlt 2500 Thaler Tribut an den
Kaiser durch den Statthalter des Hamasen. Auch der regie-
rende Stamm von Adiabo glaubt sich gleichen Ursprungs.
Die eigentlichen Bewohner des Sarae erinnern sich jetzt
kaum dieser Verwandtschaft; dagegen ist unbestritten, dass
die am Gash wohnenden Hallenga von ihnen herstammen;
man erzahlt, dass diese letztem wohl in Folge von Krieg
den Mareb hinab fortgezogen sind.
Betrachten wir also die Bewohner des Sarae, Adiabo und
Okulekusei als Verwandte, so sehen wir einen grossen Stamm
das Land schrägüber vom Meerabhang bis zum Barka be-
wohnen und sogar einen Sprössling in's ferne Taka aussenden.
Wichtig ist, dass dieser Stamm nicht autochthon ist, sondern
sich der Einwanderung erinnert.
Das Volk von Sarae zerfiUlt in folgende Abtheilungen:
1) die Familie von Atkame bewohnt Teramni (nördlich von
Godofelassie auf der Grenze des Hamasen).
2) die Familie von Ato Anbesa bewohnt in 44 Dörfern
Godofelassie; ihr angehörig ist auch Az Mongunti, nord-
westlich von Godofelassie, auch in einigen 40 Dörfern; femer
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Reise durch das Land der KTm&ma.
377
finden sich einzelne ihrer Ansiedlungen in Teramni und
Mai Tsade, so z. B. unser Mai Sheka.
3) Die Familie von Johannis bewohnt Mai Tsade in
55 Dörfern.*)
4) Die Familie Ma^e hat Kohein inne; sie ist doppelt so
stark, als die Ton Johannis.
5) die Familie Tesfa bewohnt die Qolla Sarae, uneigentlich
Dembelas genannt. Sie soll sehr ausgedehnt sein, aber ist
uns nicht näher bekannt.
6) Die Familien von Jakob und Akelom bewohnen Mara-
gus, westlich von Mai Tsade, auch in 55 Dörfern.
Diese sechs Familien stehen jetzt unter der Oberhoheit des
Kaisers Theodoros, dem sie jede 1500 Thaler Tribut entrichten.
Statthalter des Landes ist Heilu, der Fürst des Hamasen.
Vom Tribut abgesehen stehen diese Familien sich gegenseitig
und dem Ausland ziemlich selbstständig gegenüber. Während
das Hamasen eine Art Monarchie bildet, gelangt das Sarae
nie zu politischer Einheit. Die einzelnen Stämme hielten
♦) Wir wollen beispielsweise die Dörfer von Mai Tsade aufzählen;
mit a bezeichnen wir ein Dorf, das über 1000 Einwohner bat; mit m
ein mittelgrosses, etwa 500 E. stark; mit n die kleinen Weiler von
50 — 200 E. Der Name „Az" oder „Adi" ist synonym mit „Beit" und
„Enda^ and bedeutet wie im Tigre Ansiedlung, Stamm, Familie, Haus,
Dorf. Das Ganze heisst Enda Azmad Johannis, die Ansiedlung der
Sprossen von Johannis.
Az Wadsot, a. Beit Gabriel, m.
Az Eettejo, n. Az Anker ti, a,
Az Kettejo Tahtei n. Az Wottelech, a.
Tennabach, a. Mosseda, m.
Mametshakat, m. Az Qolaqol, n.
End' abba Heishi n. Az Habber, n.
Az Dsoggar, a.
Addi Eensenaba, a.
G'aben, a.
Az Tshomai, n.
Tem'ei, n.
Az Achillo, n.
Mai Sheka, n.
Anagaben, a.
Mehmad, m.
Gadba, n.
Badem, m.
Anabetta, a.
Az Auhe, n.
fiananit, a.
Az Taffa, a.
Az Nefas, a.
Az Koloto, n.
Az Bahro, a.
Az Kosmo, a.
Az Sillo, n.
Az Wodderki, n.
Az Engana, a.
Az Jejehi, a.
Demba, a.
Adi Haala, a.
Az Keshi, m.
'Abi Addi, ra.
Az Arba, a.
Seb*a, m.
Adi Beg'e, a.
Az Dongollo, n. Daro Konat, a.
Tshendik, n. Az Atal, a.
Az Ergeb, a. Adi Hambi, a.
Az Hudug, a.
'Abi addi, n. (IL)
Az Eorei, a.
Beit Zion, a.
Az Byrh&n, m.
Az Walido, n.
Az Tsherger, n.
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378 Beise durch das Land der EunanuL
immer nur lose zusammen, machten Krieg und Frieden auf
eigene Faust und bekämpften sich oft gegenseitig in blutiger
Fehde.
Die Nachkommen dieser sechs Familien betrachten sich
als Brüder; wohl haben sich in jeder derselben besonders
amtsfähige vornehmere Zweige gebildet, ohne aber aristokra-
tisch sich zu versteinern. Recht sprechen die AeUesten der
Familie; während der Schuldige im Hamasen auf das Leben
des Königs citirt wird, muss er hier auf das Leben der Brüder-
schaft (Dsagga hauat) geladen vor Gericht erscheinen. Selten
wird an den kaiserlichen Statthalter Heilu appellirt, öfters
in schwierigen Fällen an den Kaiser selbst. Das Land hat
selbstständiges Blutgericht. In der Blutsverantwortlichkeit
steht jede der sechs Familien für sich da.
Das Sarae ist erst seit Kaiser Theodoros' Regierung an
Heilu gekommen; seine Herrschaft ^drd selbst jetzt nur un-
gern anerkannt und er kann sich nur dadurch behaupten,
dass er die strätenden Stämme gegeneinander aufhetzt. £s
fehlt den Leuten des Sarae an Einigkeit, wodurch sich die
Republik Okulekusei so auszeichnet und stärkt. Die einzelnen
Stämme lebten bisher in beständiger Blutfehde; besonders die
QoUa Sarae ist schon durch ihre Entferntheit dem Gesammt-
verbande sehr entfremdet. Dem Ausland gegenüber können
sie sich selten einigen; daher sind ihnen das monarchisch
regierte Hamasen und der fest zusammenhaltende geordnete
Bund von ,Okulekusei sehr überlegen.
Zum Hamasen stand das Sarae fast, immer in feindlichen
Beziehungen; doch seit Dedjas Heilu durch des gefürchteten
Theodoros Willen mit allem Land diesseits des Mareb. (Mareb
mellash) belohnt worden ist, herrscht zwischen den zwei
Provinzen fast ununterbrochener Friede. Ueberdiess stammt
Heilu's Sohn Imam, der vermuthliche Amtsnachfolger, mütt^-
licherseits von Mai Tsade, was die Herrschaft jedenfalls
befestigt.
Mit Okulekusei führt das Sarae seit undenklicher Zeit
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Beise durch das Land der Eunama. • 379
einen blutigen Krieg, den bis jetzt selbst die Befehle des
Kaisers nicht beendigen konnten. Die Leute von Sarae, die
nie zusammenhandeln können, unternehmen beständig Raub-
züge gegen die Heerden ihrer Feinde, während die Okulekusei
dann und wann den Heerbann erlassen und im offenen Krieg
das Land Sarae vervrüsten. Noch vor neun Jahren wurde nahe
bei Anäbetta eine grosse Schlacht geschlagen; die Feinde
waren etwa 12,000 Mann stark in's Land gerückt; die Leute
von Mai Tsade, die allein standen, stellten ihnen etwa
8000 Mann entgegen; sie waren stark an Reiterei, während
die Okulekusei viel Feuerwaffen hatten. Der Kampf wurde
zum Nachtheil von Mai Tsade entschieden, einige Weiler ver-
brannt, doch verloren sie nur etwa 400 Mann, während die
Sieger etwa 800 Todte auf dem Schlachtfeld zurückliessen.
Die Allgewalt des Kaisers allein wird diesem mörderischen
Streit ein Ende .machen können.
Man dai'f sich also nicht verwundern, wenn die Bevölke-
rung sichtlich abnimmt; auch haben in den letzten Jahren
verschiedene Krankheiten ihr sehr zugesetzt. Die Leute von
Sarae klagen sehr über die schlechten Zeiten, besonders seit
dem Regierungsautritt des jetzigen Kaisers, über die schlech-
ten Emdten, den zunehmenden Wassermangel und die Ver-
mehrung der schlechten Sitten. Ich glaube nicht zu über-
treiben, wenn ich das Volk des ganzen Sarae auf mindestens
300,000 Seelen schätze. Dazu gehören einige sogenannte
Unterthanen verschiedenen Ursprungs, die aber durch nichts
von dem Adel sich unterscheiden, indem sie nur des Her-
kommens wegen etwas Bier oder Honig ihren Herren zu Weih-
nachten bringen, und dann die wenigen Leibeigenen, die
meistens im Lande geboren sind und nur den Namen der
Knechtschaft übrig haben, indem sie sich mit den Freien -ver-
heirathen.
Da die Bevölkerung in keinem Verhältniss zum Boden
steht, so liegt viel Land brach, der Bodenpreis ist gering und
der Pacht besteht meist nur in einem Geschenk an den Eigen-
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380 * Reise durch das Land der Eanima.
thümer von der Erndte. Desungeacbtet lastet der Tribut,
vergaugenen Verhältnissen angemessen, noch immer auf dem
Boden, sodass die Eigenthümer für manchen brachliegenden
Acker bezahlen müssen, während die wirklichen Nutzniesser,
die landlosen Bauern, üst unbelastet sind. Der Ackerbau
wird ziemlich sorgfältig betrieben; ich glaube, es wird nicht
unnütz sein, wenn ich eine kleine Liste der Nutzpflanzen gebe.
Voraus zu bemerken ist, dass die Leute von Sarae auch das
nahgelegene Marebthal, besonders die Qolla Tedrer, zur Cultur
benutzen; anderseits ist Eohein und Qolla Sarae fast ganz
Tiefland. Die Hauptfrucht der Daga ist Thef , ^ilhrend Wei-
zen fast unbekannt ist; die der Qolla das Durra Mashella.
Ich setze die wissenschaftlichen botanischen Namen als be-
kannt voraus.
1) Der schwarze Thef (Poa abyss.) wird in der Daga und
Qolla gebaut; der Boden wird zweimal aufeinander gepflügt;
die Saat findet im August statt, die Erndte im October.
2) Der weisse Thef gedeiht nur in der Daga; der Boden
wird im Mai vorgepflügt, zum zweiten Mal im Juli vor der
Saat; Erndte im folgenden Januar.
3) Der Segem (Gerste), nur in der Daga. über 5000 Fuss.
Die erste vorbereitende Pflügung (Dse^e) und die zweite
über die unterlegte Saat (Häre?) folgen schnell aufeinan-
der. Hatte der Boden brach gelegen, unterbleibt die
Dse^e; die Saat wird dann auf den frisch geackerten
Boden hingestreut und darüber weggepflügt Die Saat
findet im Juni statt, die Erndte im September.
4) Die Dagussa (Eleusine Tokusso), in der Daga und Qolla.
Die erste Pflügung schon im September, die zweite Pflü-
gung mit der Saat im nächsten Juli, die Erndte im
•October.
5) Die weisse Mashella (Sorghum vulg.), in der Daga und
Qolla. Ohne alle Vorbereitung wird das Korn gesäet und
darauf hingepflügt; Saat im Mai; Erndte im November
oder December.
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Beise durch das Land der Eundma. 381
6) Die Mashella Woqar ebenso, doch in derQoUa seltener;
wir haben sie auch auf ELalhal nnd in Geridsa gefunden;
Saat im Juni, Emdte im Februar, in der Qolla etwas
fiiiher.
7) AJer (Erbsen). Nur in der Daga; Saat im September,
Emdte im November. Ohne Dsege. Auch die folgenden
Pflanzen bis mit Nr. 14 gehören der Daga an.
8) Sabbere; wie die Erbsen, nur etwas später.
9) Börsen (Linsen). Ebenso, auch ohne Dsege.
10) En(a(e (Lein). Von Juni bis September, ohne Dsege;
er wird gemahlen als Brei mit Pfeffer genossen; der
Flachs bleibt unbenutzt.
11) Baq61a, ebenso.
12) Nuhuk (Guizotia oleifera), eine Oelpflanze. Von Juni bis
November, ohne Dsege.
13) Berberi, rother Pfeffer, vom November bis April, wird
hier wenig gepflanzt
14) Auch Tabak ist selten, da gegen das Bauchen ein reli-
giöses Vorurtheil besteht und die Schnupfer indischen
Tabak (Surati) von Massua beziehen«
15) Odonguare (Bohnen), werden nur in der Qolla gebaut.
16) Baumwolle (Tut, Öddub), wird ziemlich viel in der Qolla
Sarae und in Eohein gebaut, sie hat weissen, starken,
langen Faden. Sie wird in Eohein oft mit Durra ver-
mischt ausgesäet, wo dann natürlich die Baumwolle das
letztere überlebt und dann oft Jahre lang stehen bleibt
Doch genügt sie keineswegs weder hier noch in Abyssinien
überhaupt dem Bedarf; daher wird sie mit der viel ge-
ringem Qualität, die von Bombai eingeftihrt wird, ver-
mischt, von den Frauen zu Garn gesponnen und dann
von Mohammedanern, die Webstühle haben, zu Zeugen
verwoben.
Getreidearten werden nie auf dem gleichen Feld vermischt
ausgesäet, was an das mosaische Gesetz erinnert; eine Aus-
nahme macht im Tiefland die Baumwolle. In der schwarzen
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382 Beise durch das Land der Kundma.
Erde, die man nie ausmhen lässt nnd nie düngt, folgen sich
Thef, fibnn Mashella, dann Ater, dann wieder Thef n. s. w.
In der rothen TieflandKrde wechseln Mashella und Dagussa.
Beide werden nach Aufgang der Saat nodi einmal umgepflügt
Düngung wird nur in der QoUa in magerem Granitaetett für
Dagussa angewandt, indem man die Heerde einige Zeit lang
im Felde übernachten lässt. Einen Monat nach der Saat
werden alle Felder gejätet, ausser Erbsen, Linsen und Nuhuk,
die das Unkraut nicht aufkommen lassen. Der Pflug unter-
scheidet sich nicht vom gewöhnlichen abyssinischen. In der
Daga wird die Pflugschar mit Eisen beschlagen, in der
Qolla thut ein hartes Holz den Dienst; gepflügt wird nur mit
Stieren; Esel und Pferde werden nie zur Landarbeit benutzt
In Gregenden, wo Kühe das I^ima nicht aushalten können,
werden Menschen an den Pflug gespannt, so in Adi Golbo,
Mai Gor§o gegen den Mareb hin. Die reife Frucht wird mit
dem Halm oder Schilf eingebracht, die Mashella ausgenom-
men, die geschnitten wird; mit feuchtem Kuhmist wird im
Freien ein Dreschboden gepflastert und das Korn von der
Aehre getrennt, indem man eine Anzahl Stiere unaufhörlich
über die ausgebreiteten Garben im Kreise herumtreibt. Dreschen
vnvd nur bei ganz kleinen Quantitäten ausnahmsweise ange-
wandt Der Miethbauer nimmt gewöhnlich ein Viertel der
Emdte oder er wird eigens bezahlt und hat das Recht, einige
Tage für eigene Rechnung zu arbeiten. Ausser dem Soldaten
hat der Ackerbau wenig Feinde; Vögel sind beim Baummangel
wenig da; die Heuschrecken erscheinen iasi nur jede zwanzig
Jahre; der Käfer Dinshere, der so oft die Bogosemdte ver-
nichtet, tritt nur in der Qolla auf.
Im Sarae ist Viehzucht nur eine Nebensache; während es
bei den Bogos und den andern Hirtenvölkern Herren gibt, die
Hunderte von Kühen besitzen und selbst im benachbarten
Gundet des Häuptlings Achilla 999 Kühe weitberühmt waren,
haben im Sarae die Reichsten nur 10, 20 oder höchstens
30 Stück, die nie weit weg vom Dorf zur Weide geführt
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Reise durch das Land der Kunama. 383
werden tmd jede Nacht in die Umzäunung einkehren. Nur
die Kälber werden in den Häusern über Nacht gduitten* Den
Kühen wird zum Zeichen der Abkunft das eine Ohr geschlitzt.
Auch hier, wie h&, den Bogos, gilt es für unanständig, dass
eine Frau melkt; sonst kennt man hier wenig von den Sere
oder verpönten Gebräuchen, die dort so in Schwung sind.
Frische Butter und Ziegenmilch wird nicht genossen. Ziegen
halten die Leute von Sarae fast keine, Schafe gar nicht. Da-
gegen werden viele Pferde gehalten, doch müssen sie immer
neu von Oberabyssinien rekrutirt werden, da keine eigentliche
Zucht besteht; besser ist hierin das Hamasen bestellt, das
viel Pferde und besonders schöne Maulthiere zieht. Des-
wegen sieht man im Sarae meist nur Hengste, grösstentheils
von Gallarace, da sie für den Krieg vorgezogen werden: kleine,
aber sehr leichtf üssige , ausdauernde Thiere, merkwürdig ge-
wöhnt, über das Geröll sicher zu galoppiren. Auch Maul-
thiere findet man viele, die aber auch nicht im Land geboren
sind. Dagegen besitzt das Sarae gute eingeborene Lastesel.
Bienenzucht ist allgemein; die Körbe werden aus Mist
geformt und an die Bäume befestigt. Der Honig wird im
Land als Tedj getrunken, das Wachs geht nach Massua.
Eigentlicher Handel ist wenig da; dagegen ist der Transit
wichtig, da viele Kaufleute den Weg von Oberabyssinien über
18hir6, Gundet, Mai Sheka, Godofelassie, Asmara, Ailet dem-
jenigen über Adua und Dixa vorziehen, besonders um den
Plackereien der Saho zu entgehen. In Godofelassie wird ein
recht bedeutender Wochenmarkt gehalten, ebenso in Maragus
und in Mai Mene. Die kaiserliche Douane, die von der in
Adua abhängig ist, befindet sich in Godofelassie; sie wird
meist verpachtet.
Von Industrie kann kaum die Rede sein; von den Baum-
wollenzeugen brauche ich nichts beizufügen, da sie sich nicht
Ton den bekannten abyssinischen unterscheiden. Eisen wird
geschmolzen und zu besonders schönen Lanzen und Messern
verarbeitet. Von einer gewissen Grasart (Regh6) werden sehr
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384 Reise dorch das Land der Kan&ma.
nette Körbchen geflochten; gute Goldarbeiter finden sich in
Godofelassie; andere Gewerbe sind nicht nöthig, da jeder sich
selbst seine Kleider näht und niemand Schuhe trägt Die
Leute Yon Sarae wohnen in Tsuqlo, den sudanarabischen
Thuql (jjjb) in Namen und Form ähnlich, d. i. runden Stein-
häusern mit konischem Strohdach, während dem Hamasen
das Hydmo eigen ist, d. i. das viereckige Steinhaus mit flachem
Dach. Die Gräber befinden sich neben der Kirche in dem
geweihten Hof; nur Excommunicirte werden nicht da begra-
ben. Früher wurde der Todte in einer steinernen Grabkam-
mer beigesetzt; doch tritt an ihre Stelle allmählig das ein-
fache Verschütten ohne Sarg, wie das auch bei allen Moham-
medanern gebräuchlich ist.
Die herrschende Religion ist das Christenthum; Kirchen
befinden sich in jedem grossem Dorf, immer an den sie um-
gebenden Bäumen erkennbar. Die Ehen werden selten damit
unauflöslich geschlossen, dass die Vermählten zusammen com-
municiren. Dagegen ist die Beichte allgemein üblich. Der
Islam ist fremd und nur wenig verbreitet; seine Anhänger
sind fast nur Ansassen ohne Grundbesitz; sie bilden ein
Drittheil der Bevölkerung von Godofelassie und sind Handels-
leute und Baumwollenweber. Von Geisterglauben sah ich
keine Spur; dagegen viel Glauben an Vorbedeutungen, Träume,
Wahrsagerei, Talismane, Zauberer und Werwölfe (Buda).
Die Leute von Sarae sind durchschnittlich eher lang ge-
wachsen; ihre Farbe geht vom Olivengelb in's Braun (hamel-
m61); ganz schwarz ist selten. Sie haben kleine, eher braune
Augen; Stumpfnasen, wenig aber feine Haare, meist von
schwarzer, selten von rother Farbe und wenig Bart. Im
Gegensatz zum Hamasen und den andern Nordabyssiniern
haben sie Waden. Die Hautfarbe ist frischer als im Hamasen,
dessen Bewohner aschgrau aussehen, was wohl den herrschen-
den Winden zuzuschreiben ist Schönheiten sind selten; die
Frauen sind im Allgemeinen schöner als die Männer, was im
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Reise durch das Land der Eunama. 385
Hamasen gar nicht der Fall ist. Blinde oder sonst von der
Natur Vernachlässigte sind selten. Man sieht viel recht alte
Leute und man sähe viel mehr, wenn es der Krieg erlaubte.
Die Bewohner von Sarae sind sehr unerschrocken; sie sind
gute Reiter von Haus aus und könnten sich ihren Nachbarn
furchtbar machen, wenn sie einig wären. Sie zeichnen sich
^urch Redlichkeit für verwahrtes Gut aus; es kommt oft vor,
dass ein Fremder in der Bedrängniss sein Gut im ersten
besten Haus niederlegt, ohne alle Zeugen, und nicht darum
betrogen wird. Diess ist um so lobenswerther, da die Leute
von Sarae sehr habsüchtig sind und dem Reiz des Geldes
kaum etwas widersteht. Deswegen sind sie untereinander
gar nicht edelmüthig; der Starke drückt den Schwachen, so-
viel er kann. Zwist folgt und Uneinigkeit und sollten sie
sich auch einmal gegen die drohende Gefahr vereinigen, so
ist es dem firemden Feind leicht, einen der Häuptlinge nach
dem andern vom Bund abwendig zu machen. Deswegen kann
das Sarae sich nicht unabhängig erhalten; Heilu, der es mit
Waffengewalt nie hätte unterwerfen können, löste den gegen
ihn geschlossenen Bund dadurch auf, dass er die Vornehm-
sten mit Versprechen und Geschenken vom Gemeinwohl ab-
trünnig machte. Trotz der Habgier aber sind die Leute hier
nicht so bettlerisch wie im Hamasen, wo dem Reisenden und
Fremden das Leben oft sauer genug gemacht wird. Was den
Volkscharakter betrifft, so ist es inmier schwer, allgemein
gültige Sätze aufzustellen: doch schienen mir die Leute im
Allgemeinen kalt und ruhig zu sein; sie brausen selten auf,
aber einmal erzeugter Zorn wurzelt ewig. Der Jähzorn ist
verachtet, da er leichten, schnell besänftigten Sinn verräth.
Freundschaft ist schwer zu erwerben, aber wird um so dauer-
hafter und aufopferungsfähiger. Dankbarkeit ist ihnen nicht
fremd. Gesunder klarer prosaischer Verstand ist allgemein.
Die Gastfreundschaft wird hoch gehalten; das Geleitsrecht
wird immer noch geübt, oft indem der Wirth seinem fort-
Mansinger, Ostafrik. Stadien. 25
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386 Reise durch das Land der Konama.
ziehenden Gast nur seinen Stab als Pass und Kennzeichen
des Schutzes mitgibt.
Die Leute von Sarae sind im ÄUgemeinen treu; sie werden
gute, wahrhafte, redliche Diener und brave Soldaten. Die
Sitten sind noch viel besser, als im Tigre, wo die durch-
ziehenden Eaufleute alle Sittlichkeit und Ehrlichkeit verbannt
haben; doch thun die als Soldaten im Lande hausenden Am-
hara das Mögliche, die guten Sitten zu verderben. Hausr
diebstahl ist verachtet und selten; dagegen ist Railb eine
Ehrensache, solange er gegen die Stammfeinde gerichtet ist.
Die Sitten des Landes können nicht schlecht genannt werden
und sind es schon nicht wegen des kalten trügen Temperaments
des Volkes, das geschlechtliche Enthaltsamkeit mit sich führt.
Den Mädchen und Frauen kann selten etwas vorgeworfen
werden; dagegen sind geschiedene Frauen und Wittwen scho^
ihrer hülflosen Lage wegen nicht so streng gehütet. Eigent-
liche Prostitution ist selten, ausser auf den Marktplätzen, wie
Godofelassie. Venerie ist von Amharasoldaten eingeführt worr
den. Die meisten Leute leben hier und im Hamasen mit der
gleichen einen Frau bis zum Tode; doch gibt es auch Fälle
von Scheidung und Polygamie, besonders unter den Vor-
nehmeren.
Die Bevölkerung nährt sich fast nur von Vegetabilien;
Fleisch wird nur ausnahmsweise an Festtagen genossen; selbst
bei der Leichenfeier (dem sogenannten Rega§, Meshaq),
werden nur wenig Kühe geopfert, ganz verschieden von den
Grenzvölkem, wie z. B. den Bogos, die wahre Hekatomben
hinschlachten und für den Todten an einem Tage mehr aus-
geben, als während seines ganzen Lebens.
Die Sprache des Volkes ist' das Tigrina, das diesseits des
Takkaze herrscht; doch wird es hier viel schöner und ver-
ständlicher ausgesprochen, als im Hamasen. Das Amharische
ist als Herrschersprache sehr verbreitet und beliebt
Schliessen wir mit einigen Bemerkungen über Gebrauch«
und Recht des Volkes. Ist ein Kind geboren, so wird kein
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Beise durch das Land der Eun&ma. 3g7
Mann in's Haus gelassen, bis der Pfarrer mit geweihtem
Wasser es gereinigt hat; diess* geschieht schon den dritten
Tag. Die Geburt eines Knaben wird mit siebenmaligem, eines
Mädchens mit f iinfinaligem Freudenschrei b^rüsst. Beschnei-
dang ist für beide Geschlechter üblich und zwar wenige Tage
schon nach der Geburt; nicht aber die Incision, wie sie bei
den Grenzvölkem Sitte ist. Das Fest der Volljährigkeit, das
bei den Bogos immer noch üblich ist, ist hier ausser Brauch
gekommen. Wie bei den Grenzvölkern, geht die Verlobung
oft sehr firüh vor sich, von welcher Zeit an Braut und Bräuti-
gam sich gegenseitig ausweichen. Der Heirathscontract ist
der Art, dass der Vater des Mädchens bei der Hochzeit fünf-
mal den Werth geben muss, den er bpi der Verlobung vom
Vater des Knaben empfangen; der Betrag wird Geraeingut
des Paares und bei allfälliger Scheidung zur Hälfte getheilt«
Ausserdem sollte der Bräutigam den Nackenpreis, der selten
zehn Thaler übersteigt, bezahlen, was aber gewöhnlich so
lange hinausgeschoben wird, bis eine Scheidung den Anspruch
rechtlich erledigt. Die Frau hat ausser dem natürlichen An-
halt an ihre Familie immer einen eigenen Anwalt und Bürgen^
der sie ihrem Manne gegenüber schützt. Eigenthümlich ist der
Brauch, dass die Frau in der ersten Zeit einen grossen Theil
des Jahres im väterlichen Hause zubringt, wo sie der
Mann besuchen muss. Auf Vernachlässigung der Frau, Streit,
Beschimpfung und Schlag stehen empfindliche Geldstrafen. Die
Wittwe wird hier zu Lande niemals von ihrem Schwager wieder
geheirathet, doch habe ich den Zöllner von Godofelassie, den
sogenannten Neggaderas, gekannt, der trotz des Verbots
der Kirche seines Bruders Wittwe zu sich nahm und ebenso
ein Stiefbruder des verstorbenen Alula von Tsasega; dieses
Vergehen wird aber mit Excommunication bestraft. Die Wittwe
trägt ihr Leid zwei Jahre, Die geschiedene Frau darf sich
erst nach zwei Monaten wieder verheirathen, um alle ünge-
wissheit über allfällige Schwangerschaft zu vermeiden. Der
Schwangrer ausser der Ehe wird meistens zur Ehe gezwxmgen
25*
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888 Beise durch das Laod der Kanama.
imd zahlt dann dem Vater einfach den Nackenpreis von zwölf
Thalem; sonst wird er deswegen nicht zur Rede gestellt und
Bastarde werden überhaupt nicht verachtet. Die meisten
Fürsten von Abyssinien haben natürliche Söhne, die oft ihre
Nachfolger werden; so ist selbst Heilu, der jetzige Fürst von
Tsasega, ein Bastard.
Die Frau theilt im vollsten Masse die Haus- und Feldar-
beit; auch die Reichste steht vor Tage auf, mahlt Getreide,
bäckt das Brod und geht auf das Feld, wo nur der Pflug
dem Mann vorbehalten ist. Dagegen hat sie viel mehr Auto-
rität im Hause, als z. B. die Bogosfrau und steht dem Mann
ebenbürtig zur Seite; sie erzieht ihre Kinder sehr streng und
hat daher in ihrem Alter mehr Dankbarkeit zu gewärtigen,
als die nachsichtige Bogosmutter. Ihre gewöhnliche Kleidung
ist ein langes weites Hemd und das Quari als Ueberwurf ; den
Kopf haben sie unbedeckt, das Gesicht unverhüllt Man
rühmt die Fruchtbarkeit der Frauen des Sarae und des Ha-
masen. Das im Tiefland gewöhnliche Rauchbad (Tannet, Dish),
ist hier auch noch üblich und theilweise sogar im Tigr6 jen-
seits des Mareb. Der Weide Ginni (der Teufelssohn), eine
Art krampfhaften Zustandes, der mit Beschwörung, Tanz und
Gesang vertrieben wird, kommt hier viel seltener vor, als bei
den Bogos, doch ist er um so langwieriger. Auch hier ver-
birgt sich die Frau vor ihrem Tochtermann; dagegen erlaubt
ihr die Sitte, den Namen ihres Mannes auszusprechen.
Als Beweismittel vor Gericht gelten Zeugen, auch für das
Alibi, dann der Wotwojam oder das geheime Gestimdniss
eines Schuldigen und der Qerr, d. h. der Wiederfund des ge-
stohlenen Gutes, wo dann der Käufer zur Restitution ange-
halten wird. Dem Kläger kommt der Zeugenbeweis zu, in
Abwesenheit desselben reinigt sich der Beklagte mit dem Eid
in der Kirche. Der Bürge, hier Methen genannt, wenn zur
Zahlung angehalten, hat seinem Schuldner gegenüber nur das
Recht auf einfache Restitution.
Will jemand ein gekaufi;es Grundstück wieder verkaufen^
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Beise durch das Land der Eundma. 389
80 muss er es zuerst dem früheren Besitzer zum Kauf an-
tragen. Holz neben dem Felde gehört dem Bauer, wilder
Honig jeden&lls dem Finder. Ausgeliehenes Gut, wenn ver-
loren, kann nicht reclamirt werden. Jedes Geschenk ist eine
wahre Schuld, die zurückgefordert werden kann. Das Gut
und die Schulden des Vaters erben die Kinder, die vor seinem
Tode noch' nicht ausgesteuert waren, und die Frau des Ver-
storbenen, jede Person zu gleichen Theilen; der Erstgeborne
hat keinen Vorzug. Der Vater hat aber das Recht zu
testiren.
Diebstahl wird im Landesrecht nie peinlich bestraft; der
Dieb wird zu einfacher Restitution angehalten; sind der Diebe
aber mehrere, aus verschiedenen Dörfern, so muss jeder den
ganzen Betrag des gestohlenen Gutes erstatten. Der Acker-
dieb wird mit Schlägen gezüchtigt. Ein gestohlener Pflug
wird mit einem Ochsen erstattet. Für das Blut gilt ein no-
mineller Preis von 120 Kühen, für Verwimdung von 50 Kühen;
doch ist Mord im Lande selten und dem Ausland gegenüber
gehört er in's Völkerrecht. Ebenso wird, wenn die einzelnen
Stämme sich bekriegen, das Blut der im Kampfe GeCallenen
durchaus nicht berechnet; des Streites müde, machen sie ge-
wöhnlich im Bausch und Bogen Frieden. Gegen Mörder aber,
die das Land unsicher machen, wird auch im Lande Blut-
recht gehalten. Ist man um einen Preis übereingekom-
men, so helfen sich die Verwandten gegenseitig, ohne gesetz-
lich aber in der Weise der Bogos eine Verantwortiichkeit
(Terq) zu haben.
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Von Mai Sheka nach Adiabo
(16. bis 21. November 1861).
Zwei Wege führen von Mai Tsade nach Adiabo; der eine
überschreitet das Marebthal bei Gundet und steigt südwestiich
zur Hochebene von Shire hinauf, die sich nordwärts gegen
Adiabo abflacht. Dieser Weg ist lang, bequem und ziemlich
bekannt. Der andere schneidet den Bogen und setzt erst
über den Strom, um nach Adiabo hinaufzusteigen; er ist kurz,
aber sehr zerrissen, beschwerlich und nie begangen. Wir
wählten der Neuheit wegen diesen Weg, der ziemlich regel-
mässig nach Westen geht. Wir nahmen herzlichen Abschied
von unseren Freunden in Mai Sheka; nur Eefiai wollte uns
erst den folgenden Morgen verlassen. Wir hatten sechs Leute
von Mai Tsade gemiethet, da wir nur einen einzigen Diener,
einen Bogos, Namens Din, von Keren mitgebracht hatten.
Wir hatten Mehl von Thef und Dagussa, ein wenig Reis,
rothen Pfeffer und KaflFee; alle unsere Sachen wurden auf
Maulthiere gepackt; das Barometer trug ein eigens dafür be-
stellter Mann. Mai Sheka liegt gerade am Rande des Gebirgs-
abhanges, da wo das Thal von Gundet in den compacten
Plateaustock eine schmale Zunge ausschneidet, die uns als
das Thal von Fasion bekannt ist. Der Abfall wird durch
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Reiae durch das Land der Eanima. 391
eine Terrasse vermittelt, wozu der Weg langsam hinabführt.
Von dieser Terrasse bis zur Tiefe des Thaies ist ein zweiter
steilerer Abhang, den das Felsgeröll sehr beschwerlich macht
Das Tiefthal, das sich so in den Gebirgsstock eindrängt
und damit den Hauptstock von Mai Tsade von dem südlichen
auf den Mareb direct hinabschauenden Tafelland durch einen
Abgrund von etwa 1000 Fuss trennt, heisst an seiner Wurzel
Mai Hötem, am Abhang Fasion, dann Sheich Marhe und bei
seinem Ausgange in das breite oflfene Thal von Gundet Mai
Gömm'e; es ist kaum eine halbe Stunde breit und von einem
Torrent durchzogen, der nur hier und da fliessendes Wasser
hat und selten perennirendes. Es ist nicht bewohnt, wird aber
von den Bewohnern der Höhe mit langfruchtiger Mashella,
Dagussa und QoUa-Thef bebaut; Gerste und Mashella Woqar
kommen nicht mehr vor. Wir finden in der Tiefe Granit-
blöcke und rothe Erde, im Bache aber das gleiche Geröll,
das die Ebenen von Mai Tsade so unwegsam macht und wohl
vom Wasser hinabgeschwemmt worden ist; dagegen ist die
schwarze Dagaerde zurückgeblieben. Auch die Vegetation hat
sich schon ganz verändert; von Sykomoren sehen wir die
Daro durch die Shagla ersetzt und Mimosen herrschen vor.
Wir bringen die Nacht vom 16. November bei Sheich Marh6
zu, auf einer Uferebene. Wir haben eine klare und kalte
Nacht. Unsere Maulthiere füttern wir mit dem sehr nahr-
haften Dagussastroh vom nahen Felde; es macht neben dem
der Gerste in diesen Ländern das Hauptfutter aus; nur
Weizenstroh wird für schädlich gehalten.
Den 17. Nov. verlassen wir den Torrent bei Mai Gömm'e,
einem Tränkeplatz, wo wir in die freie Ebene von Gundet
heraustreten ; hier führt der Weg nach Adua linksab zwischen
Hügeln durch direct zum Mareb, der nur 2 Stunden von hier
entfernt und von der Ebene Gundet theilweise durch den Berg
von Aila getrennt ist Unser Weg geht westlich ab dem
Höhenzug von Barakft und Eohein zu, von dem uns eine
4 Stunden breite Ebene trennt. Wir nehmen hier von Keflai
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Qoogle
392 Reise durch das Land der Kanima.
herzlichen Abschied und kommen über gut bebaute Ebene»
nach Mai Kodo, einem von NW. kommenden, kein GeröU
mehr, sondern feinen Sand führenden breiten Torrent. Wir
lassen zahlreiche zu Gundet gehörige Dörfer links und durch-
ziehen die freie Ebene, die ganz unmerklichen, aber bestän-
digen Fall gegen Westen hat und mit sehr schön stehenden
schwarzen und weissen Qolla-Thef, Dagussa und besonders
prachtvoller fast reifer Mashella bebaut ist. Die Dagussa ist
schon geschnitten und wartet in Stöcken geschichtet des
Dreschers.
Als wir an einem der Dörfer, Az Sejabo, vorbeikamen, ritt
uns ein Sohn Aito Achilla^s, in der Meinung, wir seien eine
zollpflichtige Karawane, ziemlich weit nach. AchiUa war der
weit und breit berühmt« Häuptling von Gundet; er zählte
seine Kühe bis auf 999 Stück und besass Elefantengewehre die
Menge; er hatte vierzig Söhne, fast so viel wie Priamos und
starb als fast himdertjähriger Greis. Doch hatte er noch vor
dem Tode des Schicksals Laune erfahren müssen: der Herr-
scher des Senden, De^jas Ubie, brandschatzte ihn oft und
hielt ihn sogar einige Zeit gefangen. Jetzt ist der schon
damals geschmälerte Beichthum vollends zersplittert worden.
Sein Sohn ritt ein schönes weisses Ross; er selbst sah schön
und fett aus, gerade wie ein Nebtab im Barka, wie denn alle
Leute von Gundet durch schöne Hautfarbe sich vor den Be-
wohnern des Hochlandes auszeichnen; auch in Charakter und
Sitte gleichen sie eh«* den Bewohnern der Nordgrenze voa
Abyssinien; politisch stehen sie unter Heilu, ohne aber zum
Sarae zu gehören; ihr Ursprung ist ungewiss. Achilla's Sohn
forderte uns auf, zu halten; als er uns aber als Fremde er*
kannte, ersuchte er uns bei ihm einzukehren; als wir Eile
vorschützten, glaubte er, wir könnten ihm auch hier etwas
von unsern Schätzen zur Erinnerung mitgeben, was ihm aber
von unsern Leuten ernstlich verwiesen wurde. So ritten wir
bis Mai Sabri weiter.
Die durchzogene ganz flache Ebene von Gundet weist einen
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Heise durch das Land der Kunama. 393
Tothen, fruchtbaren Boden; das hier und da hervortretende
Gestein ist mürber Thonschiefer und Granit. Eisen kommt
nicht vor. Die Vegetation ist ganz wie im Bogoslande; Rham-
nus Nebeka mit vielen Früchten und der Higlig (Qoget) sind
die charakteristischen Bäume. Fieber sind häufig. Wasser
ist sehr selten, oft in bis 40 Fuss tiefen Brunnen. Die Tor-
rente haben keine dauernde Strömung, ausser Mai Sabri, das
auch nur an einigen Stellen fliesst. Dieser Torrent hat ein
sandiges Bett; er entspringt von Tsade Qelei, dem Einschnitt
zwischen der Hochebene Mai Tsade und Maragus, und ver-
einigt sich mit Sheich Marhe. Das Gebiet von Gundet reicht
bis Mai Sabri; seine Dörfer liegen alle auf Anhöhen. Un-
mittelbar am Mareb am Fusse des erwähnten Berges liegt Aila,
dessen Bewohner Brüder von Kohein sind. Der Rest der
Ebene westlich von Mai Sabri ist Gült (Pfründe) von Az Mon-
gunti, dessen Unterthanen hier mehrere Dörfer bewohnen.
Am Nordwest-Ende der Ebene, die sich bis an den Abfall
von Maragus erstreckt, liegt Az Bochro, dessen Bewohner
Brüder der Sarae sind und Baumwolle pflanzen. Die Fort-
setzung der Ebene gegen Nordwest wäre die Baraka Kohein,
wenn sie nicht von einem unbedeutenden wasserscheidenden
Sattel davon unvollständig getrennt wäre.
Von Mai Sabri* setzen wir die Reise in der Ebene noch
eine Stunde fort; sie ist ganz flach mit langsamer Steigung
und tbeil weise mit Quarzitstückchen bedeckt, bis zum Ab-
hänge der Hügelkette Barakit. Der Abhang zeigt sich sehr
steil. Der Gau Barakit besteht aus einem in der Hauptsache
mit Kohein parallelgehenden Höhenzug, der aber im Einzelnen
sehr zersplittert ist. Von fem betrachtet liegt er dem Lande
Kohein als vermittelnde Terrasse vor; doch einerseits mangelt
ihm jede Flächenentwickelung, das Ganze löst sich in ein
Chaos vereinzelter Höhen auf, die unter sich nur sehr unvoll-
kommen zusammenhängen; anderseits trennt ein Abgrund
die beiden Gaue, den nur selten sehr schmale, unwegsame
Querzüge überbrücken. So besteht Barakit aus lauter An-
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394 Beiae durch das Land der Eoninia«
höhen und Ahhängen; die Anhohen tragen natürlich nur kleine
Weiler, da das zerrissene Terrain kein grösseres Zusammen-
wohnen erlaubt Da aber die Abhänge äusserlich aus Erde
bestehen und der Fels mangelt, so sind sie alle bebaubar.
Dieses Hügelland mahnt TÖllig an das Ansebaland der Bogos,
mit dem es die verwirrten aber sanften Formen und die
Bäume, besonders den Ebermet, gemein hat. Die Bewohner
sind Unterthanen von Az Mongunti; sie leiden besonders im
Sommer an Wassermangel, da der abschüssige Boden keine
Quelle ernähren kann. Jetzt findet sich noch Wasser in Fels-
trögen und Schluchten; im Sommer holen sie es Ton Mai Sabri.
Wir finden die Höhen mit schönem langkolbigem Durra be-
baut und theilweise mit Gerste. Wir übernachten in Mäs'häl
und lagern in dem sehr sauber gekehrten Gehöfte des Dorf-
Yorstehers. Die Häuser sind bald Hydmo, bald Thuqlo, wie
in Mai Tsade, von nettgebauten Steinmauern umschlossen, in
denen gewöhnlich eine grössere Familie zusammenwohnt. Die
Leute sehen eher schwarz aus; die Frauen sind denen der
Bogos ähnlich, besonders in der Frisur der Haare, die sie
nach beiden Seiten flechten. Wir sehen viele Hunde und
Hühner. Wir werden mit Shiro, Thefbrod und Bier gut
bewirthet.
Von Mäs'häl zur Höhe von Kohein führen uns (den
18. November), sehr steile und tiefe Abgründe, die den Weg für
uns und besonders für die Packthiere sehr beschwerlidi
machen. Wir müssen den ganzen Weg zu Fuss machen, so
uneben ist er. Dte Abhänge zwischen Barakit und Kohein
zeigen Glimmerschiefer, aber weniger Wald, als der östliche
Abhang von Barakit; Tahsee und Qulqual herrschen vor. Der
östliche Abhang von Kohein ist sehr steil, aber von morschem,
senkrecht stehendem Schirfer weich gebildet. Auf der Höhe
von Kohein, die ziemlich über Barakit hinausragt, finden wir
vereinzelte Granitblöcke. Wir gehen an kleinem Dörfern
vorbei bis zimi Wasser von Debri, das in einer ganz engen,
tiefen Schlucht das Land trennt. Diess ist das einzige Was-
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Beise durch das Land der Kun&ma. 395
8er, das wir seit Mäs'häl gefunden. Wir finden hier Daro-
Sykomoren und Tsergla; von Wild stossen uns nur Perl-
hühner auf.
Die Schlucht, in der sich das Wasser Ton Debri findet,
liegt etwa 300 Fuss tiefer als das gleichnamige Dorf, zu dem
wir den sehr steilen Abhang hinaufklimmen. Von da bis zum
Dorfe Eesad Gua, unserem Nachtlager, ist nur eine halbe
Stunde; das Aussehen des Landes verändert sich jenseits
Debri; die Höhenzüge zeigen sich uns weniger zerrissen und
entwickeln einige wenn auch nicht ausgedehnte Hochflächen,
die kaum 200 Fuss unter dem Niveau von Mai Sheka liegen.
Der Weg geht immer auf und ab, aber nicht mehr so radical;
das Gestein bleibt das gleiche. Zwischen Debri und Eesad Gua
ist eine Höhe, wo wir gegen West und Nord eine sehr weite
Aussicht bekommen, die uns das geographische Bild des Lan-
des deutlich macht. Wir befinden uns auf einer Insel, gegen
Süd und West vom Mareb umschlossen; von Norden klüftet
sie die Baraka von Maragus und Qolla Sarae ab. Uns gegen-
über jenseits des tiefen Marebthals die Daga des Tigre, die
nach Nordwest schrägüberlaufend zum Shire und Adiabo
sich abdacht. An schönen mit weissem Thef und Gerste be-
bauten Feldern vorbei gelangen wir gegen Abend nach Kesad
Gua (Krähenhals), so genannt von einer schwarzen Felsmasse
über dem Dorfe; es ist ein kleiner halb aus Thuqlo, halb aus
Hydmo bestehender Weiler. Wir klopfen am ersten und
schönsten Hofe an; in Abwesenheit des Hausherrn ladet uns
die Frau ein, einzukehren. Der Hof umzäunt mit hohen
gut gebauten Mauern ein grosses Haus, das sich an die eine
Mauer anlehnt. Wir breiten unsere Decken im Hofe aus und
ich schicke einen der Leute in's Dorf, um nachzufragen, ob
keine Milch zu kaufen sei. Mit ihm kommen mehrere Frauen
mit frisch gemolkener Milch. Eine derselben wirft sich vor
mir nieder und bittet mich um die Absolution: ich sage ihr,
^sie möge in Frieden ziehen. Das durfte uns nicht wundem;
da man hier noch keine Europäer gesehen, hielt man uns für
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396 Reise durch das Land der Eunima.
Kopten vom Stamm des Bischöfe von Abyssinien; da der
Diener nach Milch fragte, fürchtete die Frau, ich würde ihre
Kühe verfluchen und kam deshalb, um sich freizukaufen.
Timor dömini! Als es Nacht geworden, kam auch der Haus-
herr von seinen Feldern in der Baraka zurück, ein alter kur-
zer, fast grauer Mann mit einem pockennarbigen, mutzen
Gesicht, aber gutmüthigen Augen; der brave Mann — sein
Name darf schon angeschrieben werden — heisst Weide Hau-
ariat (Apostelsohn). Er bringt uns einen grossen Topf Bier,
viele weisse Thefbrode und ein schönes Schaf und entschul-
digt sich noch, dass er nicht mehr geben könne. Ich hörte
von unsem Leuten, er sei früher sehr vermögend gewesen,
jetzt aber heruntergekommen. Die Milch liessen wir uns
schmecken, das Bier gaben wir unsem Leuten.
Wir benutzen den. Frühmorgen des 19. November, um
Directionen zu nehmen, wobei uns unser Wirth behülflich ist.
Vor der Abreise lässt er uns noch Milch und speciell für die
Herren starkgebrautes Bier bringen. Wir nehmen freundlichen
Abschied von ihm und gehen den Morgen bis zum unfemen
Mai Mene. Der Weg geht fast eben bergab; das Aussehen
des Landes, Vegetation und Gestein gleicht ganz der Gegend
um Gundebertina (am Anseba). Wir finden wenig Vegetation;
wieder kommen in abenteuerlichen Formen Granitblöcke vor;
sie drängen sich oft so zusammen, dass sie den Weg verengen.
Der Boden ist rother Thon, nur ganz unten am Wasser finden
wir eigentlichen Granitschutt. Noch diesseits des Wassers
überschreiten wir einen grossen von Daro beschatteten Platz,
wo jeden Samstag Markt gehalten wird. Da der Platz zwi-
schen Godofelassie und Adiabo fast in der Mitte liegt, so
wird er von beiden Seiten sehr besucht. Das Dorf von Mai
Mene liegt ein paar Minuten jenseits des Wassers auf einer
Anhöhe. Wir lagern uns neben dem Torrent, der zwischen
bebauten Hügeln abwärts südlich dem Mareb sich zuwendet,
im Schatten einer Daro. Wir finden oberflächliches, aber^
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Reise durch das Land der Knnama. 397
nicht fliessendes Wasser. Wir schlachten unser mitgebrachtes
Schaf und warten den Nachmittag ab.
Von Mai Mene westlich durchziehen wir die erste Stunde
eine ziemlich breite Ebene; die Gegend wird immer wilder,
die Felsblöcke mächtiger, ihre Figuren grotesker; doch ist
alles cultivirt. Die zweite Stimde läuft der Weg auf einem
schmalen Gebirgsrücken, der uns den doppelten Abhang zeigt;
doch sind auch diese Abhänge angebaut; wir passiren Felder
von Mashella mit Dagussa und noch öfter mit schöngewach-
sener Baimiwolle vermischt. In der dritten Stunde sehen wir
uns gegenüber die Ebene von Mai Gorso, klein aber in ihrer
ganzen Fläche von eng zusammengebauten Weilern und schön-
fruchtenden Feldern bedeckt. Der Gebirgsrücken führt nun
so zur jenseitigen Ebene hinüber, dass er sich als fussbreiter
Grat concav einbeugt, zu beiden Seiten mit jähen Abhängen,
die aber sorgfältig meist mit Baumwolle bepflanzt sind. Mai
Gorso bildet so eine Halbinsel. Das Dorf besteht aus meh-
reren aneinanderliegenden Weilern; die Häuser sind Thuqlo,
in dem Durra halb verborgen. Der Baum ist so kostbar ge-
halten, dass die Felder bis an die Wohnungen anreichen und
nur ein enger eingezäunter Pfad dazuf ührt. Wir reiten in's
Dorf hinein; da aber der Shum zum Kaiser gereist ist und
sich sonst niemand unserer annehmen will, so ziehen wir uns
unter einen Nebekbaum über dem Dorfe zurück und lagern.
Da wir hören, dass im Dorfe böse Fieber herrschen, die von
den Bauern vom Mareb hinaufgeschleppt werden, so trösten
wir uns über die unfreundliche Aufnahme. Unsere Leute sind
80 glücklich, an den Abhängen etwas Holz zu finden; zum
fernen Wasser zeigt ihnen ein Eingebomer den Weg. Wir
werden von Mücken sehr geplagt; die Nacht verkältet ein sehr
starker Wind. Alles trägt natürlich dazu bei, uns diese ein-
same Ebene, die auch der Bäume entbehrt, in nicht zu freund-
lichem. Lichte erscheinen zu lassen. Freilich erfreuen den
Blick die schönen fleissigen Pflanzungen, wo kein Plätzchen
brach liegt und selbst der Abgrund benutzt wird. Aber die
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398 Beise durch das Land der Kunima.
Freude verbittert der Gedanke, dass es Menschen sind, die
hier an den Pflug gespannt werden. Der benachbarte Mareb
ist der Viehzucht feindlich. Mag es eine Fli^e sein, die
wirklich die Kühe todtsticht, oder aber eine Epidemie, die
man sich mit dem Vorhandensein dieser Fliege erklären will,
der sogenannte Hedro vernichtet alles Vieh. Ich konnte die
Fliege nicht sehen, die das Unheil bewirken soll; es wäre
möglich, dass es die Tsetse ist. Denkbar ist aber auch, dass
der Grund der Ejrankheit im Marebklima liegt; denn in Afrika
wird auch das Wechselfieber auf gleiche Weise nicht dem
Klima, sondern dem Mückenstich zugeschrieben. Sicher ist
freilich, dass eine Art Bremsen besonders im obem Barka
vorkommt; wir haben eine besonders schlimme, die einer Biene
ähnlich sah, auf der Mareareise kennen gelernt; die Bewohner
des Barka brauchen sich aber nicht sehr davor zu fürchten,
indem der Feind sich auf die unzähligen Heerden vertheilt.
Deswegen sieht man im Herbst die Heerden der Beni Am^
auf sehr kleinem Raum zusammengedrängt und dieser Um-
stand würde die Schuld allerdings auf die Fliegen werfen.
Thatsache ist, dass der Hedro an diesem Mareb kein Vieh
aufkommen lässt; die Leute von Mai Gorso kaufen sich jeden
Frühling wieder Pflugstiere, um sie nach der Regenzeit wieder
zu verüeren. Diess gilt auch von Adi Golbo, das südlich von
hier auch auf den Mareb hinunterschaut und ebenso von Mai
Daro im Lande der Eunama. In Abwesenheit der Viehzucht
ist der Mensch um so mehr auf den Ackerbau angewiesen,
trotzdem er ihn allein besorgen muss. So spannen die Män-
ner sich selbst je zwei zusammen an den Pflug, indem sie das
Joch mit den Händen über dem Nacken halten; der Pflug ist
der gleiche, nur leichter gebaut. Am Ende des Feldes wird
Brod und Bier aufjgestellt und bei jeder neuen Furche eine
Stärkung eingenommen. Es ist möglich, dass dia harte un-
menschliche Arbeit den Menschen ungastfreundlich gemacht
hat; jedenfalls hat sie ihn athletisch entwickelt; die Leute
von Mai Gorso sind gedrungene Gestalten mit ungemein breiter
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Reise durch das Land der Kunama. 399
Brust; sie haben darin viel Aehnlichkeit mit den Kunama,
denen sie vielleicht verwandt gewesen sein mögen, obgleich
der herrschende Thdl des Gaues von Kohein stammt. Das
Leben muss immerhin ein gansi anderes sein, wo man keine
Milch kennt und Fleisch nur von den Reicheren an Festtagen
vom Markt von Mai Mene geholt wird. Ziegen und Esel sind
zwar dem Hedro nicht ausgesetzt, doch sahen wir wenig Zie-
gen; Esel aber werden hier und da an den Pflug gespannt.
Der Reiche unterscheidet sich dadurch, dass er mehr Tage-
löhner an den Pflug spannen kann. Die Leute von Mai 6or§o,
von Adi Gallo und Adi Golbo, die alle auf Ausläufern von
Kohein über dem Marebthal wohnen, cultiviren alle in seiner
Tiefe. Bevor wir zu ihm hinabsteigen, wollen wir einige Be-
merkungen über das Land Kohein einschalten.
Im Zusammenhang mit Barakit stellt sich uns Kohein, wie
gesagt, als eine Art Insel dar, die auf der einen Seite der
Mareb umfliesst, auf der andern ein grosses , Tiefthal, die so-
genannte Baraka, umzingelt Diese Baraka, die ihr Wasser
nordwestlich dem Mareb zuschickt, gehört den Leuten von
Kohein und Barakit. Der Name Baraka (das „k'^ sprechen
die Abyssinier gebrochen fast wie ein „ch" aus) ist synonym
mit dem amharischen Berha und wohl auch mit dem Tigre-
wort Barka und bedeutet eine tiefjgelegene Wildniss, wo der
Mensch sich nicht fest ansiedelt Sie ist sehr fruchtbar und
durch ihre Lage heiss; sie wird zum Anbau von Qolla-Thefi
Dagussa und Mashella benutzt. Sie ist den Leuten dieses
Landes, was das Barka den Bogos und Takue ist. Wie diese
ist sie der Weide und dem Ackerbau günstig, aber den Men-
schen verjagen die kalten Fieber. Dies6 Baraka nun legt sich
als Tiefbhal wie die Meerenge, die eine hohe vulkanische Insel
vom Festland trennt, zwischen Kohein und die Qolla Sarae,
eine Masse. von Gebirgsketten, die sich nach Norden abdachen
und bis jetzt von Europäern meines Wissens nicht besucht
worden sind. Die Baraka läuft auf den Mareb hinaus und
schenkt ihm seine Wasser. Sie wäre eine Fortsetzung des
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400 ReiBe durch das Land der Kan&ma.
Gundetthales, aber ein Sattel, der Maiagus ittü E<4iein ver-
bindet, bildet die Wasserscheide.
Geographisch rechnen wir zu Kohein auch Barakit, dann
die drei Vorspriinge des Gebirges gegen Westen, Adi Golbo,
Adi Gallo und Mai Gorso, die den Leuten von Kohein ver-
wandt sein sollen. Interessant ist ein nördlicher schmaler
Ausläufer, Debre Mariam, wo eine Art Einsiedelei angelegt
ist. (Debr bedeutet im Tigre jeden Berg, im Abyssinischen
aber einen Klosterberg.)
Kohein leidet allgemein an Wassermangel, weil die Zer-
rissenheit des Bodens, der selten als Fläche sich gestaltet,
das Regenwasser schnell abfliessen lässt Deswegen trocknet
sogar Mai Mene im Hochsommer oft aus und dann sind die
Bewohner genöthigt, sich ihren Bedarf sehr weit in den um-
liegenden Tiefthälern zu holen, die Barakit von Mai Sabri,
die Kohein aus der Baraka, die Mai Gorfo vom Mareb.
Trotz der th^ilweisen Erhabenheit rechnen die Abyssinier
das Land Kohein zur Qolla. Von Feldfrüchten gedeiht noch
Gerste, aber kein Weizen. Baumwolle findet sich am west-
lichen Ende. Die Leute des eigentlichen Kohein haben wenig
aber schönes Vieh; sie cultiviren mit Stieren. Dem Lande
mangelt wie gesagt die weite Fläche, wenn auch das eigent-
liche Kohein günstiger entwickelt ist, als das Vorland Barakit.
Dennoch werden die steilsten Abhänge zur Cultur fleissig be-
nutzt und sie beweisen, wie der Mensch durch Hindemisse
erst Energie bekonmit. Man sieht die Abgründe schön be-
baut und sie erlauben es, da sie nicht felsige Oberfläche vor-
weisen. Wir fwiden den westlichen Theil zwischen Mai Mene
und Mai Gorso von Felsblöcken übersäet, aber auch hier wohl-
weislich jeden Schuh sorgfältig umgehackt und mit Baum-
wolle bepflanzt, da die Felsen die Feuchtigkeit länger bewah-
ren. Was die Bewohner betrifft, so kennen wir schon ihre
Abstammung als Kinder des Sarae; sie stehen jetzt unter
Heilu, als Theil der Statthalterschaft diesseits des Mareb (Ne-
garit Mareb mellash). Da ihr Land schon etwas tiefer liegt,
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Reise durch das Land der Kunama. 401
SO sehen sie eher den Bogos ähnlich oder den Leuten des
Barka; besonders gleichen sie ihnen in der Schönheit der
Haut, worin sich alle Niederländer auszeichnen.
Mai Gorso fällt direct zum Mareb ab; wir steigen den
20. November den Berg hinunter, wie er in angelehnten
Pfeilern 'allmählig sich abdacht. So geht der Weg auf ver-
ästeten Graten, die oft nur einen Fuss breit über die Kluft
gebaut sind; der kleinste Fehltritt würde den Gehenden un-
wiederbringlich verderben. Die Abhänge sind mit hohem Gras
bedeckt; der herrschende Baum ist der Wolwol mit der Pa-
pyrusrinde; der Boden besteht aus schwärzlichem vermoderten
Schiefer; Fels fehlt und auch die Cultur. Diese Gebirgsgrate
führen zum eigentlichen Abhang, der jäh aber schnell uns
bei Aräkebu zum Mareb hinunterbringt.
Das Marebthal ist hier etwa eine halbe Stunde breit. Der
Strom ist links vom Wege durch Medebei Tabor beschränkt,
das als ein ungeheurer wohl 3000 Fuss hoher senkrechter
Felsstock bis dicht an das Wasser abfällt. Schon vom Sarae
aus dient er als Wegweiser; er ist die Grenzscheide zwischen
Shire und Adiabo, auffallend durch seine kühne, viereckige,
burgartige Ambaform, ähnlich dem Tsad'amba oder Shytel.
Die Uferebenen des Mareb sind theilweise von hohem Schilf
und wucherndem Gras bedeckt, theilweise mit Durra, Da^ussa,
Bohnen und Baumwolle bepflanzt. Auf dem rechten Ufer
cultiviren die Leute von Mai Gorso, etwas weiter oben Az
Gallo und Golbo, auf dem linken Ufer die Leute von Adiabo,
alle natürlich nur mit Menschenhand. Das Strombett ist
1 50 Schritt breit, wovon aber nur ein Fünftel fliessendes untiefes
Wasser hat. Das Bett ist sandig, ohne Fels und Stein, und
zeigt wenig Fall; es macht hier viel Krümmungen. Die Ufer-
ebenen sind fast nicht über das Sandniveau erhaben und auf
beiden Seiten flach. Diese Umstände machen das Thal so
reich an tödlichen Fiebern. Es ist der Lieblingsaufenthalt
des Löwen. Wir finden hier die gleichen Bäume,, wie am
Anseba: die Tamariske (Tarfa, Obel), die Ricinusstaude, viele
Hunzinger, OHtafrik. Studien. 26
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402 Reise durch das Land der Kundma.
mit Früchten beladene Adansonien, ungeheure Mimosen und
sehr häufig die Asclepias Oschar (hier Gend*c genannt). Ta-
marinden finden sich etwas höher, als Arakebu, aber durch-
aus keine Palmen. Die Gräser sind meist Gramineen, so das
strohartige Sar Walid, das von den Bogos zum Dachdecken be-
"nutzt wird, dann das rankende den Boden überspinnende
Serdetgras; die anliegenden Hügel hingegen zeigen das feine
dem Thef so ähnliche röthliche Gras, das im Barka auf den
Quarzithügeln so gemein ist. Das Wasser ist gut und frisch.
Im Marebthal sind keine festen Ansiedlungen; die Leute des
Hochlandes verlassen so schnell als möglich ihre eilig ge-
emdteten Felder aus Furcht vor den Fiebern. Wir werden
leider verhindert, die Höhe des Mareb über dem Meere zu
bestimmen, da sich das Barometer gerade an diesem Punkte
schadhaft zeigt und erst in Adiabo reparirt werden konnte.
Ich schätze sie im Vergleich zu den uns bekannten Höhen
und nach der Vegetation auf nahe an 4000 Fuss, besonders
da die letztere ganz mit der von Gabena am Anseba von
Bedjuk übereinstimmt.
Den Mareb überschreitend, halten wir uns dicht an dem links
abliegenden Medebei Tabor, indem wir einen breiten, wasser-
und fischreichen, von hohen Bäumen besetzten Torrent an-
steigen, der, zwischen Shire und Adiabo sich eine Kluft gra-
bend, bei Arakebu in den Mareb fällt und ziemlich allmählig
zum Hochland hinaufführt. Da er grosse Krümmungen macht
und viele Felsabfälle hat, so verlassen wir ihn eine Zeitlang
und suchen uns über die ihn begleitenden sehr zerklüfteten
Hügclreihen einen beschwerlichen, von hohem Gras, Dornen
und Wald verschlossenen Weg, der uns bei Woddach wieder
zu dem erwähnten Torrent zurückführt. Nach fast dreistün-
digem beschwerlichen Marsche finden wir uns kaum mehr als
eine Stunde vom Mareb entfernt. Auch hier zeigen die Ufer-
ebenen schöne Durrafelder, die den Bewohnern von Medebei
Tabor gehören. Dagegen sind die anliegenden Hügel unbebaut.
Der Torrent zeigt reichliches, aber nur als Teich zu Tage
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Reise durch das Land der Eunäma. 403
tretendes Wasser. Wir lagern dicht an ihm unter einer Ta-
marinde; die Bauern bringen uns geröstete frische Durra-
kolben. Wir sind vom Mareb schon ziemlich gestiegen, aber
mit bedeutenden Rückschritten, da wir uns über die vor-
stehenden querüberliegenden Hügelreihen den Weg suchen
mussten. Diese Hügelzüge liegen ganz wüst und brach da;
die vorherrschenden Bäimie sind der Wolwol, die Adansonia
(Dima), die ihm ähnliche Dürsel und der im Bogoslande so
häutige Hafulestrauch mit brauner Frucht. Die Nacht ist lau
und von wilden Thieren ungestört.
Den 21. November steigen wir zuerst sehr allmählig; das
Terrain erhebt sich regelmässiger, eher als schiefe Ebene; aber
der Weg muss durch das hohe Gras und die Dornensträuche
erkämpft werden; das Ganze ist von hochstämmigem Wald
wohlbedeckt. So kommen wir zum eigentlichen directen Ge-
birgsabhang, der nicht sehr steil, aber fast eine Stunde lang
ist. Wir bemerken am Abhang eine sehr breite Kalkschicht
und über ihr ockerfarbigen Thon. Der ganze Abhang ist mit
Bambusrohr (Shimel, HöU) mit den langen schmalen Blättern
und dem sehr schlanken ungeästeten Stamm dicht bewaldet.
Auf der Höhe angelangt, kommen wir Berg auf Berg ab zu
dem ersten Dorf von Adiabo, Gunnegunne, mit meist verfal-
lenen Häusern. Es ist auch gegen Adiabo sehr vereinzelt
gelegen; noch sehen wir nur ein sehr zerrissenes Hügelland.
Noch einmal überschauen wir ganz Kohein, das uns in glei-
cher Höhe über dem Mareb entgegenschaut. Ein schmaler
Grat führt nach der Hochebene hinüber, wo die Hauptan-
siedlungen von Adiabo angelegt sind und auch unser Ziel,
Az Nebrid. Links fällt dieser Grat zu einer Kluft ab, die
Adiabo vom Shire scheidet und woraus der Torrent entspringt,
den wir aufwärts gekommen. Rechts fällt er zu einem wellen-
föimigen Thal ab, das sich zur Ebene von Rohabaita wieder-
erhebt. Die vor uns liegende Ebene stellt sich als eni Kessel
dar, wovon nur die Ränder bewohnt und bebaut sind, wäh-
rend sich in seiner Tiefe allein reichliches Wasser als Teich
26*
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404 Heise durch das Land der Kun&ma.
findet und ein sehr dorniger Wald. Auf dem Rand des Kes-
sels erheben sich hier und da wohl 100 Fuss hohe Tafelbei^e,
von Dörfern gekrönt. Auf einer solchen Tafel liegt Az Nebrid,
das wir bei Einbruch der Nacht nach mühsamem Wege durch
Gebüsch und jungfräuliches Gras erreichen.
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Von Az Nebrid nach Mai Daro.
(26.-29. November).
Az Nebrid ist ein kleiner Weiler mit einer Kirche; es steht
auf einer der erwähnten tafelartigen Erhebungen. Wir sat-
telten vor dem alleinstehenden Hofe ab, der Aito Tselala's
Wohnungen umschliesst. Nach langem Warten führte uns
ein Diener in ein nahestehendes Gehöft, wo wir so gut wie
möglich unter freiem Himmel lagerten. Spät in der Nacht
schickte uns der Häuptling einige Brodkuchen und einen
grossen Krug Bier. Die Aufnahme schien nicht viel zu ver-
sprechen, aber wir hatten uns darauf gefasst gemacht und
die Ruhe hatten wir alle nöthig, am meisten imsere Last-
thiere, die von dem unaufhörlichen Bergauf- und Bergabsteigen
ganz wund und matt geworden waren. Wir selbst hatten in
dem zerklüfteten Lande unsere Reitthiere selten benutzen
können.
Im Laufe des Morgens des 22. Novembers liess uns der
Statthalter sagen, er erwarte uns auf dem freien Platze zwi-
schen unsem Häusern; er wollte so der Etiquette von keiner
Seite zu nahe treten. Wir gingen ihn zu begrüssen und sein
rundes offenes Gesicht machte uns bald mit ihm vertraut. Er
ist mittlerer Grösse, eher schwärzlich und in seinem Auftreten
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406 Reise durch das Land der Kunama.
sehr bescheiden, obgleich sein Muth weitbekannt ist. Er ist
etwa 30 Jahr alt, der ältere Bruder des regierenden Aito
Tsadiq, der, von seinem Besuche beim Kaiser zurückgekehrt,
sich zur Zeit noch in Axum aufhielt. Tselala war Anhänger
von Dedjas Negussie, was ihn beim Kaiser eben nicht em-
pfehlen konnte; dazu hindert ihn seine stotternde Zunge, sich
in öflfentlichen Versammlungen geltend zu machen und mit
einigen gut angebrachten Worten sich die Gunst des Herrn
zu erwerben. So wurde der zungenfertige Tsadiq Herr von
Adiabo, obgleich ihm seine Verwandten fast ebenbürtig zur
Seite stehen. Tsadiq's Charakter wurde uns nicht sehr ge-
rühmt, und seine Thaten stellen ihn in ein keineswegs gün-
stiges Licht, während wir von Tselala durchaus als Freunde
schieden. Kaum hatte ich, auf den Rasen niedergesessen,
unser Anliegen eröffnet, so theilte mir Tselala mit, er beab-
sichtige selber, in längstens 14 Tagen einen Kriegszug durch
das Land der Kunama bis zu den Barea zu machen und er
habe nichts dagegen, wenn ich die Armee begleite. Diess
war nun freilich keine Freudenbotschaft, und ich deutete ihm
auch an, dass eine Reise im Gefolge des Heeres uns wenig
nützen würde, das Land kennen zu lernen. Wir trennten
uns, ohne etwas abgeschlossen zu haben; im Laufe der Unter-
haltung mussten wir die Neugierde der Herren befriedigen,
das Fernrohr besonders wurde wiederholt probirt; zu Herrn
Kinzelbach's Erstaunen aber hatten die Adiabo so scharfe
Augen, dass das Femrohr ihnen wenig nützen konnte. Die
Abyssinier haben eine so übertriebene Idee von der Tragweite
eines Fernrohrs, dass sie sogar ein Teleskop nicht befriedigen
könnte. Sie erzählten mir, Theodoros habe den Marsch seines
Gegenkönigs Negussie dem Wolkait zu von Adiabo aus mit
dem Fernrohr verfolgt; überhaupt liebt jeder Fürst ein Fern-
rohr zu haben, ich denke aber kaum aus strategischen Grün-
den. Während so die Adiabo unsere Instrumente anstaunten,
machten sie mit unserer Person gar kein Aufsehen. Es ist
mir oft aufgefallen, dass die Afrikaner, die an Europäer ge-
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Reise durch das Land der Kunäma. 407
wohnt sind, gegen unsere P'arbe viel intoleranter sind, als die
Neulinge, wie hier, wo nur wenig Europäer hingekommen
sind. Den Rest des Tages benutzten wir, uns mit den ange-
sehensten Dienern von Tselala bekannt zu machen ; wir sahen
mehrere Bazensklaven mit etwas aufgeworfenen Lippen, aber
mit ziemlich hellem Teint, sehr vollen Wimpern und schönen
Augen. Wir wissen bereits, dass die Hauptbeschäftigung Adi-
abos der Krieg gegen die Bazen (oder Kunäma) und Barea
ist, wobei es gewöhnlich auf Sklaven abgesehen ist. In den
letzten Jahren war der Erfolg so gross, dass ganz Adiabo
mit Bazensklaven überfüllt ist; die Barea kaufen ihre Ange-
Hörigen wenn immer möglich wieder zurück, während die
Bazen sich nie um ihre verlorenen Landeskinder bekümmern.
So werden die Adiabo, die es eigentlich auf ein Lösegeld ab-
sehen, förmliche Sklavenhändler; denn die Beute im Lande
zu behalten, ist bei der Leichtigkeit der Flucht nicht räthlich.
Die Sklaven wurden so zu sehr billigem Preis von den Sklaven-
händlern aufgekauft, meist nur zu 10 Thalern. So ist man
weitergegangen, als man sich wohl verzeihen möchte, aber
der Gedanke, die Heiden .zu bekämpfen, gegen die jedes Un-
recht erlaubt sei, tröstet den christlichen Abyssinier.
Da wir uns, um die Lastthiere nicht zu überladen, in Mai
Sheka nur mit dem nöthigsten Mehl versehen hatten, und hier
durchaus nichts Getreideartiges aufzutreiben war, so waren
wir sehr erfreut, als Aito Tselala uns gegen Abend eine Kuh,
eine von jenen, die er vor Kurzem am Gash den Hadendoa-
abgenommen, zuschickte. Wir luden dazu einen Mann von
den Bazen und einige Barea ein, die als Abgeordnete ihrer
Gaue zufällig sich hier befanden, um die Stinunung ihres
neuen Gebieters zu erforschen und über den Tribut zu ver-
handeln. Die Barea sprechen fertig Tigre und kennen meinen
Namen schon, aber essen als Mohammedaner nicht mit, wäh-
rend der Bazen, Namens Ashku, leider kein fremdes Wort
versteht, aber dem Essen um so mehr zuspricht.
Auch den folgenden Jag (23. November) konnten wir über
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408 ReiBC durch das Land der Kunama.
unsere Aussichten nicht in's Klare kommen. Nicht zu ver-
kennen war, dass Tselala uns misstraute, da wir vorausgereist
die Bazen und Barea von seinem Vorhaben in Kenntniss setzen
konnten. Anderseits war er in seinem Rechte, uns nicht
gerade Gunst erweisen zu wollen, da wir ja noch nicht
Freundschaft geschlossen hatten. Denn nach abyssinischem
Brauche ist das Geschenk das Thor der Liebe. Wir mussten
uns entschliessen, etwas zu riskiren; wir Hessen die zwei Ver-
trauten Tselala's kommen und baten sie, ihren Herrn günstig
für uns zu stimmen; wir versprachen jedem eine kleine Be-
lohnung im Falle des Gelingens. Der eine bat sich einen
Thaler aus, des andern höchster Wunsch war eine kleine
Taschenpistole, die nicht viel mehr werth war, zu besitzen;
andere untergeordnete Diener wurden mit blauen Seidenbän-
dem (Mateb) hoch erfreut; so hatten wir uns der Freund-
schaft der Diener versichert, die jedenfalls wichtiger ist, als
die des Herrn. Endlich schickten wir durch meine Leute ein
Steinschlossgewehr an Tselala. Es war diess das beste Ge-
schenk, was wir machen konnten, da die Grenzvölker Abys-
siniens in Adiabo und Wolkait solche Flinten mit langem
starken Rohr sehr schätzen; das ScUoss ist leichter in ein
Luntenschloss umzuwandeln. Wir wurden sogleich zu Tselala
geladen ; in einem grossen Saal, wo auch Rosse und Maulthiere
standen, waren alle seine Freunde und Diener versammelt;
einem kleinen Pfefiferragout mit schneeweissen Thefbroden
(Tabita) folgte sehr guter Tedj. Tselala dankte uns sehr
herzlich und benachrichtigte uns, dass er heute nach Az Daro
auf den Marktplatz reiten werde; da werde eine allgemeine
Versammlung der Herren von Adiabo über den Bazenzug
einen endgültigen Beschluss fassen und es werde jedenfalls
davon abhängen, was er für uns thun könne. So mussten
wir uns wieder gedulden; unsere Reise war nicht unmöglich
geworden, aber der beabsichtigte Heerzug konnte uns doch
nur schaden. Leute, die wir nach dem Markte Az Daro,
etwa 2V2 Stunden von hier, schickten, kamen Abends leer
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Reise durch das Land der Kan&ma. 409
zurück. Getreide und Schmalz war gar nicht auf dem Markte
zu sehen ^ sondern allein rother Pf eflfer, womit wir schon ver-
sehen waren. So mussten wir uns an unser Fleisch halten,
das wir wie trockene Wäsche in lange Riemen zerschnitten
aufgehängt hatten. Wir erhielten den ganzen Tag durch vielen
Besuch, doch benahmen sich die Leute sehr höflich, ja freund-
lich gegen uns; wir trieben einen kleinen Tauschhandel mit
Pfeffer, Antimonium und blauer Seide, womit wir uns Bier
und etwas Schmalz verschaflften. Milch ist in Adiabo gar
nicht zu Hause. Wir fanden die Temperatur sehr warm, so-
gar des Nachts.
Endlich Sonntags den 24. vernehmen wir, dass Aito Tse-
lala zurück ist und mit ihm mehrere Häuptlinge, seine Ver-
wandten. Wir finden sie auf dem neben der Kirche befind-
lichen Gottesacker, wo eben einer der Vornehmsten des Stam-
mes begraben wird. Hunderte von Männern und Frauen
sitzen in weitem Kreise, in dessen Mitte die nächsten Ver-
wandten des Todten sich die Wangen blutig reissen und mit
vielen Leidgeberden sein Klagelied singen, worauf die ganze
Versammlung respondirt. Nach beendigter Feier kommt Tse-
lala.auf mich zu, mit ihm die mächtigsten Herren des Landes
und Aschku und die drei Bazen; wü* setzen uns neben der Kirche
auf den Boden. Zu unserer grossen Freude kündigt Tselala
mir an, er und seine Brüder hätten nichts gegen mein Pro-
ject; ich möge die vierzehn Tage, wo noch Friede sei, wie ich
-wolle benutzen. Er bittet mich, vor der ganzen Versammlung
unser Vorhaben auseinanderzusetzen; dann beeidigt mich sein
erster Rath, der Belata Lebassie, und umgekehrt mein Diener
den Tselala und seine Verwandten. Ich verspreche feierlich,
auf unserer Reise nie etwas zu sagen oder zu thun, was dem
Interesse des Kaisers und des Landes Adiabo schädlich sein
könnte. Tselala und seine Brüder schwören, mich immer als
Freund und Bruder anzusehen und für mich auf dieser Reise
mit ihrem Blute einzustehen. Sie bitten mich, das Mögliche
zu thun, das gute Einverständniss von Adiabo mit dem Nie-
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410 Reise durch das Land der Kunäma.
derlande von Barka zu befördern, so viel mir möglich. Ver-
wünschungen werden gegen den Eidbrüchigen ausgesprochen
und von beiden Seiten mit Amen bekräftigt. Dann ladet
Tselala die Abgeordneten von den Bazen und Barka vor sich.
Er kündet ihnen meine Heise an, befiehlt ihnen, mich bis in's
Barka zu begleiten, wo ich ihrer Hülfe nicht mehr bedürfe;
unser Herr Tsadiq und dieser rothe Mann sind einer und der-
selbe für euch; ist er todt, so ist Tsadiq todt, droht er ihnen.
Der Abgeordnete der Bazen antwortet, man solle keine Furcht
haben, ich sei auf seinem Kopfe, und so die Barea.
Nach dieser Verhandlung musste das Femrohr auch den
andern Häuptlingen vorgezeigt werden. Tselala lässt uns
sagen, wir möchten so wenig als möglich von unserer Habe
vorzeigen, denn er würde es als unser Wirth ungern sehen,
wenn wir nun auch all den Häuptlingen den Zoll bezahlen
müssten. Wir kommen aber mit einigen Zündkapseln wohl-
feil weg. Wir bringen den Tag mit Ashku und den Barea
zu und worden schnell mit ihnen vertraut; sie schildern uns
ihre precäve zwischen Türken und Abyssiniern eingezwängte
Lage, ohne dass der eine den andern forttriebe; sie klagen
über ihr ungewisses Verhältniss zu Tsadiq, der nicht fried-
liche Herrschaft suche, sondern Vorwand zum Krieg; man
sehe sie hier kaum für Menschen an, trotzdem ihnen die
Abyssinier in Gultur nicht überlegen seien. Ich musste die
Gerechtigkeit dieser Bemerkung zugeben, da es eben allen
unterdrückten Völkern von Afrika gar nicht an einer gewissen
Bildung fehlt, aber an Einheit, worin ihnen die monotheisti-
schen Völker so überlegen sind.
Erst gegen Abend sind wir in unserer Hütte Herren und
Meister; wir zünden unsere der Astronomie reservirten Stearin-
kerzen an und Herr Kinzelbach macht sich daran, das am
Mareb untauglich gewordene Barometer zu repariren. Wir
entfernen das Quecksilber; die Röhre ist unbeschädigt, aber
die Bänder sind von jahrelangem Liegen morsch geworden.
Wir haben glücklicherweise blaue Seide; unsere Abyssinier
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Reise durch das Land der Kanama. 411
spinnen daraus starken Faden; wir binden alles neu; das
Quecksilber wird gereinigt und die Luft ausgekocht. Erst
gegen Moi^en ist das Werk vollbracht. Ich würde Reisenden,
die sich nirgends lange aufhalten können und denen es nicht
um mathematische Genauigkeit zu thun ist, nie solche Baro-
meter anempfehlen, da sie immer einen eigenen Träger er-
fordern, auf deren Sorge man sich selten ganz yerlassen kann.
Jedenfalls müsste der Reisende dann das Instrument auch zu
repariren verstehen. Die Spiralbarometer scheinen mir nicht
zuverlässig. Das einfachste leicht transportable Instrument
zur Höhenbestimmung ist gewiss das Hypsometer; nur müsste
es für bergige Gegenden in sehr kleinem Massstab angefertigt
werden.
Den 25. November rüsten wir uns zur Abreise. Wir finden
drei Soldaten von Adiabo, die uns nur bis Mai Daro beglei-
ten wollen, da das Angebot sie zu Hause finden muss; sie
sollen unsere Packthiere besorgen. Wir benutzen den Tag,
um uns mit den Verhältnissen des Landes bekannter zu machen
und nehmen mit dem Gompass die nöthigen Directionen. Da
Tselala vernommen hat, dass wir uns gar kein Mehl ver-
schaffen konnten, so ladet er unsere Leute ein, von seinem
Acker soviel Thef zu schneiden, als wir nöthig finden; darauf
vertheüen wir es unter die Frauen des Dorfes zum Mahlen.
Auch erhalten wir von ihm Honig und einen grossen Topf
braunes Dagussabier, das wir mit unseren Barea zusammen
trinken. Die erste Fremdheit überwunden, behandeln uns die
Leute schon mit viel mehr Freundschaft; es fehlt nun an
allem Nöthigen nicht mehr; eine Frau bringt uns Schmalz,
die andere sogar Milch.
Dienstag den 26. November brachen wir von Az Nebrid
auf. Die Leute, die uns von Mai Tsade her begleitet hatten,
kehrten jetzt zurück; sie begleiteten uns zum Dorf hinaus,
ebenso Tselala mit seinem Gefolge. Der Abschied war herz-
lich; jeder wünschte uns aufirichtig glückliche Reise, um so
mehr, da das Land der Bazen seit Menschengedenken nie
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412 Reise durch das Land der Kun4ma.
friedlich durchzogen worden war. Auch TselaJa's Frau Hess
uns Adieu sagen und schickte uns noch Pfefiferconfitüre (Dül-
leh) und einen Vorrath Weizenbrod. Unsere Gesellschaft be-
stand jetzt aus uns zwei Europäern, dem treuen Din und vier
Soldaten von Adiabo; dann begleitete uns der erwähnte Ashku
und die drei Barea, zwei von ihnen zu Pferd. Bis an die
Grenze des bewohnten Landes, Tsade Mudri, gab uns Belata
Lebassie das Geleit. Von der Tafelerhöhung von Az Nebrid
hinabgestiegen, geht der Weg über ein wellenförmiges, be-
bautes Land an mehreren Dörfern ziemlich eben vorbei. Tsade
Mudri selbst ist aus mehreren Dörfern zusammengesetzt und
bildet jetzt die letzte Ansiedlung von Adiabo gegen Norden.
Von diesem Punkte hatten wir zum ersten Male freie Aus-
-sicht. gegen W. und SW. bis zum Berge Dorkutan in Wolkait
und zum Takkazethal, das von Hügelreihen begleitet ist;
gerade unter uns sinkt das Hochland in tiefem Abgrunde zu
einer sehr einförmigen, regelmässigen Tiefebene, einer soge-
nannten Baraka, ab, die sich auch gegen Norden fortsetzt, wo
wir sie wieder treffen sollen. Während also Adiabo, eine
tiefere Terrasse des Shire, im Osten vom Marebthal abge-
schnitten ist, fällt es im Westen zu der Baraka ab, die nur
von Höhenzügen längs des Takkaze, als Wasserscheide gegen
den Mareb hin, unterbrochen bis an den Fuss der Wolkait-
berge reicht. In die Fortsetzung dieser Tiefebene fällt Adiabo
auch nordwärts ab, aber allmähliger stufenweise.
Einmal den ersten ziemlich jähen aber kurzen Abhang
hinab geht der Weg etwa drei Stunden fortwährend abwärts.
Diese schiefe Ebene zeigt sich als Hügelland mit Thonschiefer
und Quarz, das oft mit schwarzem, ganz steinlosem, durch-
löchertem Schlammboden abwechselt. Die ganze Ebene liegt
voUkonmien öd und wüst da, von ziemlich lichtem niederem
Wald bedeckt; charakteristisch ist das ungeheuer hohe Schilf-
gras, das den Reiter vollständig verbirgt. Wir sehen viel
Elefantenmist von der letzten Regenzeit her. Wild und Vögel
fehlen ganz; Wasser findet sich nur hier und da in unbedeu-
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Reise durch das Land der KuD^ma« 413
tenden Bachrinnen. Wir passiren die Plätze von mehreren
Dörfern, die seit lange verlassen sind, da die Bewohner, zu
sehr den Ueberf allen der Kunama ausgesetzt, sich bis Tsade
Mudri zurückgezogen haben. Noch zeigen sich die Spuren
früherer Kirchen, die immer an dem Euphorbienhain, der sie
umgibt, kenntlich sind. Wir langen gegen Abend bei einem
etwa 15 Schritt breiten Torrent an, der kein fliessendes Was-
ser hat, aber hier und da, wie an unserem Lagerplatz, den
unterirdischen Strom in grossen Lachen oder Teichen zu Tage
treten lässt. Sein Regenwasser schickt er ostwärts zu dem
unfemen Mareb. Wir bringen in dem sandigen Bett eine
kalte Nacht zu. Den namenlosen Ort wollen wir nach der
naheliegenden Dorfruine Az Berai nennen.
Der Morgenmarsch vom 27. November ging bis Herret
durch mehr hügeliges, oft felsiges Land. Das Terrain erhebt
sich von Az Berai weg, die Hügel zeigen uns grünen Schiefer;
das Land wird immer zerrissener, öder, bamn- und graslos
und voll von Domen; der Weg führt auf und ab zu einer
Anhöhe gerade über dem Wasser von Herret, wo wir uns
wieder orientiren können, da ein letzter Berg uns die Aus-
sicht auf die naheliegende Tiefe der Baraka nur halb verdeckt
und rückwärts Adiabos Felsenblöcke noch einmal sichtbar
werden. Weit hinter der Tiefebene treten schon die Berge
der Kunama jenseits Mai Daro hervor. Rechts von uns jen-
seits des Marebthals sehen wir die Berge von Thuql, zu Qolla
Sarae gehörig, die sich dem Mareb parallel bis zum Barka-
land hinziehen, gegen den Mareb steil abfallend, gegen Nor-
den in's Barka sich abflachend. Wir haben unter diesem
Morgenmarsch mehrere Bachrinnen passirt, die häufig Teiche
zum Vorschein treten lassen. Ihr Bett ist inuner sehr uneben
und schmal. Auch Herret ist ein schmaler, von Felsen ein-
gegrenzter Torrent mit einem ziemlich bedeutenden Teiche.
Der Weg Nachmittags führt direct bergauf auf die Hoch-
fläche, von wo wir endlich eine ganz un verdeckte Aussicht
erhalten auf die von fernen Bergen bis nach Bazen begrenzte
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414 Reise durch das Land der Kunäma.
Tiefebene, mit welcher der Berg in zwei Terrassen vermittelt
ist Wir bringen "die Nacht auf der zweiten zu, wieder an
einem wasserreichen Torrent mit Teichen , der Godgodo heisst.
Das Aussehen des Landes veründert sich auf dem diesseitigen
Abhang; der Wald wird stark und dicht, während der jen-
seitige Abhang dürr und kahl ist. Das hohe Schilfgras (Sar
Wdlid) macht einem sehr feinen thefähnlichen Halmgras Platz,
das auch im Barkaland sich findet und den Boden gelb färbt.
Das Gestein des Torrent ist horizontalliegender Schiefer, die
Ebene mit Quarzstücken besäet.
Ein letzter Abhang führt uns den 28. November in die
grosse Baraka, die sich vom Mareb bis zum Takkaze erstreckt.
Die Aussicht ist wundervoll. Eine weitgedehnte Ebene, rechts
von dem Hügelland des Mareb beschränkt, links bis unmittel-
bar an den Fuss von Adiabo sich hinziehend; im Südwesten
ragt ganz entblösst Wolkait^s Amba, der gewaltige Dorkutan,
hinter dem Hügelland des Takkaze heraus. Die Ebene ist
gleichmässig flach; eine grasreiche Steppe, aus der hier und
da bewaldete Striche wie Inseln aus dem Meer herausschauen.
Unser Weg geht dem mehr bewaldeten Ostrand der Steppe
nach; der Boden zeigt nur wenig Unebenheit; das Land hat
ganz den Charakter des Barka; die Bäume werden immer
dorniger, worunter besonders der Kithri (Kedad) sich aus-
zeichnet. Wir finden wieder die Fruchtbäume der Bogos
(Hafule, Häde), die Adansonia schaut riesig gross aus dem
niedem Wald heraus. Als Gras wechseln das erwähnte feine
Thefgras mit Rohr Und grobem Gramineen.
Lange Strecken sind verbrannt; auch wir legen Feuer an,
wo wir können, denn keine Heerde berauben wir der Weide,
sondern wir bahnen den Nachfolgenden den Weg. Nur hier
und da finden sich rundliche Erhebungen mit Quarzsteinchen
übersäet; selten ist ein einsamer Felsblock hingeworfen. Gra-
nit haben wir diesseits des Mareb keinen mehr gesehen; das
Gestein seit Adiabo ist Glimmerschiefer. Die Regel bildet ein
rother, fetter, steinloser Thonboden, der nur hier und da mit
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Heise durch das Land der Kunäma. 415
ganz und gar von jedem Baum entblössten Stellen mit einem
schwarzen, löcherigen, aufgesprungenen Moorboden, ganz ähn-
lich dem abyssinischen als Misk bekannten, in Vertiefungen
sich bildenden Moor abwechselt. Die ganze Ebene würde sehr
fruchtbar sein; das auffallend frische Aussehen der Vegetation
in dieser Zeit, wo bei den Bogos z. B. schon alles trocken
ist, die grünen Blätter und das Gras zeugen von der Frische
des Bodens. Diese Steppe steht seit undenklichen Zeiten wüst
und leer, das ungestörte Revier der Elephanten, Rhinoceros,
Büffel und Giraffen, von denen sich die Spuren reichlich
finden. Die Feindseligkeit der Menschen hat das schönste
Land zu einer unbetretenen Wüste gemacht, deren Vegetation
dem Feuer geweiht ist, um des Menschen Fuss nicht zu hem-
men. Nur selten wagen sich die Kunama hierher, um den
sehr reichlichen Honig auszunehmen, den die Bienen auf den
Adansonien anlegen. "Wieder finden wir die Termitenhügel,
und selbst die Baumstämme sind oft ganz von ihren Erd-
kanälen bedeckt. Wild und Vögel sehen wir fast keine.
Die eigentliche Grenze der Kunama oder der Bazen ist
der Abhang gegen Godgodo; in der Steppe aber, die bis
Tsade Mudri hinauf langt, bezeichnet ein mächtiger, isolirter
Felsberg, der mit Godgodo parallel in der Tief fläche steht,
Kässona genannt, den Punkt, worüber die Elefantenjäger
von Adiabo nicht hinausgehen dürfen. Wir passiren den nur
20 Schritt breiten Torrent Abra, der aus der Steppe westlich
sein Wasser zum Mareb schickt, und langen an einem zweiten
Torrent, Dekeshbo, an, der die Grenze der Steppe bildet. Wir
sehen wieder die Tamarinde und die schlanke Aie des Anseba.
Dekeshbo's Teichwasser findet sich in einer felsigen Schlucht,
in welcher die Hitze sehr fühlbar wird.
Von Dekeshbo lenken wir von Neuem in ein ziemlich stei-
niges Hügelland ein, das die Steppe vom nördlichen Mareb
scheidet. Wir steigen einen ziemlich steilen Grat hinan, der
uns vom jenseitigen Marebthal trennt. Die Hügel sind von
Quarzsteinen bedeckt; spärliches Rohrgras zeigt sich; das
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416 Reise durch das Land der Knnama.
ganze '^üste Aussehen dieser Hügel wird durch die schwarz-
verbrannten Strecken noch trauriger gemacht. Der Wald wird
licht und niedrig, man kann ihn eher Gestrüpp nennen, dessen
Domen den Weg verschliessen und uns Hände und Gesicht
zerreissen. Wir bringen eine windstille, eher warme Nacht
auf einem Masebu genannten Hügel zu, wo kein Wasser zu
finden ist. Das unserm Ashku gehörige Pferd, da& sehr er-
müdet ist, zwingt uns zu diesem Nachtlager, wo unsere Maul-
thiere kaum einen Halm finden. Merkwürdig sind uns die
ruhigen Nächte; wir hören seit Adiabo nie den Schrei eines
wilden Thieres, selbst die Hyäne scheint zu fehlen ; auch Wild
ist uns keins aufgestossen.
29. November. Bei Masebu hatten wir den Rücken des
Hügelzuges erstiegen; nun steigen wir auf seiner andern Seite
in ein Thal hinab, wo zum erstenmal wieder die Durracultur
den menschlichen Bewohner venüth. Die Ufer des Torrent,
mit dem wir abwärts gehen, sind mit prächtigen Bäumen be-
setzt, worunter sich die Adansonia und die sehr schön ge-
wachsene Nebek auszeichnen; auch die Dumpalme wird sicht-
bar, aber nur als Strauch. Wir kommen den Strom rechts
lassend durch Gebüsch und hohes Gras gegen den Hügel hin,
worauf das Dorf Mai Daro steht. An seinem Fuss in einem
Torrent stossen wir auf einen Haufen bewaffneter Leute. Wir
kommen so unvorbereitet zu diesen Negern ausser der Mena-
gerie, dass es auf beiden Seiten Eindruck macht. Wir greifen
zu den Waffen und stehen einen Augenblick schweigend ein-
ander gegenüber:. Doch geht uns unser Führer Ashku voraus;
wenige Worte genügen , uns als Gäste von Tselala bekannt zu
machen; die versammelten Leute sind der Häuptling von Mai
Daro, Selass, und die Abgeordneten des Stammes Eimasa, die
sich nach Adiabo begeben wollten, jetzt aber mit uns zurück-
kehren. Selass lässt uns sagen, wir seien bei ihm willkom-
men; wir steigen den steilen aber nicht sehr hohen Hügel
hinauf, auf dem Mai Daro steht, und sehen vergnügt zym
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Reise durch das Land der Kunama. ^ 417
dritten Mal unsern alten Freund, den Mareb, tief zu unseni
Füssen.
Wir konnten nur zwei Tage in Mai Daro bleiben , weil wir
nicht vom Heerzug hier überrascht sein wollten, ohne eigene
Diener; zudem drangen die drei Barea, die mit uns gekom-
men waren und nun allein unsere Begleiter sein sollten, auf
schleunige Abreise; ich glaube, w^ohl um der Verantwortlich-
keit doch 80 bald als möglich enthoben zu sein. Wir waren
übrigens sehr gut aufgenommen; auf Aito Tselala's Befehl
wurde uns von unserm Wirth Selass eine Kuh gegeben, die
von der ganzen Gesellschaft zusammen verzehrt wurde. Ferner
hatte die freundliche Fürsorge desselben befohlen, es möge
jedes Dorf von Mai Daro uns eine Kürbisschale voll Honig
bringen, wovon wir uns auch ausschliesslich nährten. Wir
hatten schon lange keinen Schmalz mehr, und hier war nicht
das Milchland, uns damit zu versehen. Dagegen wurde das
Brod, das man uns brachte, mit Sesambrei gewürzt. Auch
kaufte einer der Barea uns für einen halben Thaler in Zeug
etwa 6 Flaschen Honig, der aber nicht von Wachs und
Schmutz frei war. Wir machten davon Honigwasser, das hier
zu Lande allgemein getrunken wird, fett macht, aber auch
sehr aufbläht.
Wir begegneten hier den Leuten von Eiraasa, die unsere
Abreise abwarteten, um nach Mai Daro in Tributangelegen-
heiten zu gehen. Ihr Haupt war ein gewisser Issa, ein Mann
von sehr intelligentem Aussehen und eher einem Manne von
Barka oder Algeden gleichsehend. Er kannte meinen Namen
und lud uns ein, wenn wir je zurückkehren sollten, seinen
Stamm zu besuchen; wir würden mit aller Sicherheit das Land
bereisen können. Er hatte eine Idee, dass ihm die Europäer
besonders den bedrohlichen Türken gegenüber von Nutzen
sein könnten und verfehlte darum nicht, sich um unsere Freund-
schaft zu bemühen. Issa spielte in dieser Zeit eine eigentlich
politische Rolle. Sein Stamm, Eimasa, den Barka und Al-
geden benachbart, ist immer den Angriffen der ägyptischen
Ifunsiuger, Ostafrik. Studien. 07
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418 . Reise durch das Land der Kundma.
Herrschaft in Kassala ausgesetzt; die Herren von Barka, Al-
geden, Sabderat führen mit ihrer Hülfe beständigen Krieg
gegen die Kunama. Issa, der alle die nöthigen Sprachen ver-
steht, knüpfte ein Einverständniss mit Adiabo ah, indem er
diesem Tribut versprach, und dagegen seine Hülfe gegen die
Niederlande in Anspruch nahm. Er hatte als Führer den
Heerzug gegen Mogelo begleitet; dann führte er die Truppe
den Mareb (Gash) hinab bis Elit, wo die dort weidenden Ha-
dendoa überfallen wurden. Jetzt ging er nach Adiabo, und
leitete auch den nach unserer Abreise ausgeführten Zug gegen
Mogoreb. So suchte er alle Nachbarn seines Stammes ein-
zuschüchtern und ihnen Frieden abzuzwingen.
Wir werden von den Leuten von Mai Daro sehr freundlich
behandelt, was wir offenbar der guten Empfehlung unseres
Führers Ashku zu verdanken hatten. Er Hess uns sogleich
sagen, wir möchten ohne Scheu unsere astronomischen Beob-
achtungen anstellen, und so erscholl zum ersten Male auch
hier Herrn Kinzelbach's „stop", so abergläubisch es auch ge-
deutet wurde. Doch war es nicht leicht, zu arbeiten. Die
Leute, die, von ihrer Feldarbeit erlöst, nichts anderes zu thun
hatten, Hessen sich^s nicht nehmen, herumzustehen, wo man
gern allein wäre. Sie hatten nichts einzuwenden, aber sie
begriffen nicht, wie viel Ruhe man dazu nöthig hat. Dazu
brannte die Sonne, als wenn wir in Massua wären, üebri-
gens konnten wir uns keineswegs beklagen, da wir in dem
halbcivilisirten Abyssinien immer mehr Argwohn und lästiges
Aufsehen erregt hatten, als bei diesen sogenannten Wilden.
Wir mussten sie sogar ob ihrer Ruhe bewundem, da nach
allen ihren Fragen kein Zweifel obwalten konnte, dass sie
uns für wahre Astrologen und Hexenmeister ansahen. Es
scheint, dass die Wilden in vielen Sachen noch viel vernünf-
tiger und toleranter sind, als die Halbwilden, vorzüglich was
die verschiedene Hautfarbe angeht
Die Aussicht von Mai Daro ist durch die Hügel gegen Süd
und West ganz beschränkt; freier ist sie im Norden, bis zu
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Reise darch das Land der Kanama. 419
der Terrasse von Alemmo und Betkom, zu der eine Fläche vom
Mareb aufsteigt. Gerade unter uns haben wir den Mareb, des-
sen Lauf uns deutlich wird. Im Nordwesten begrenzen felsige
Berge, die nach Eimasa führen, die Aussicht gerade über
dem Mareb, im Südwesten sehen wir die Hügelzüge von Anal,
zu denen der Mareb zurückkehrt. Diess um uns gegen Süden
sich erstreckende Hügelland ist zum Theil sehr hoch und
spärlich bewohnt; die Ebenen werden der Fieber und Feinde
wegen gemieden. Gegen Westen hin geht die Aussicht frei
zunächst zum offenen Marebthal, bis wo es gegen Süden aus-
biegt und jenseits zu den sehr hohen Bergen von Thuql (Dem-
belas).
Ein längerer Aufenthalt in Mai Daro wäre w'ohl der sicherste
Weg gewesen , über das ganze Land der Kunama sich zu be-
lehren und mit den verschiedenen Stämmen in Verbindung
zu treten; es war uns aber nur vergönnt, anzubahnen, nicht
mit Muse zu studiren.
27'
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Von Mai Daro nach Kassala.
(Den 1.— 22. December 1861.)
Den 1. December früh verliessen wir Mai Daro; wir waren
jetzt nur noch von Ashku und den Barea begleitet, da die
von Adiabo mitgenommenen Soldaten schon hier zurückkehr-
ten. Wir hatten glücklicherweise unsem Bogos, Din, der nun,
da er allein stand, um so thätiger und allseitiger wurde. Das
Packen der Maulthiere, das nur er verstand, war bei dem
vielen Auf- und Absteigen keine leichte Arbeit und wir ver-
loren damit immer viel Zeit. Wir leimten die Begleitung von
Selass ab, stiegen den Dorfhügel hinunter und kamen durch
eine schöne, aber schmale mit ungeheuren (bis 40 Fuss hohen)
Mimosen ('Aqba) gut bewaldete, zum Theil cultivirte Ebene
zum Mareb, der hier 180 Schritt breit ist, während sein Bett
etwas weiter unten wohl das Doppelte beträgt. Er hatte schon
kein fliessendes Wasser mehr; der Spiegel floss 4 — 5 Fuss
unterirdisch. Sein Bett bestand aus offenem Sand ohne Fels
und soll es von Medebei Tabor bis hierher ebenso sein. Doch
fehlen von Zeit zu Zeit offene Laehen nicht, die nie versiegen.
Die Uferebenen sind hier und da durch Hügel eingeschränkt
Wir sehen einzelne sehr hohe Dumpalmen.
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Reise durch das Land der Kunama. 421
Wir setzen über den Mareb und der Weg geht auf einer
unmerklich aufsteigenden schiefen Ebene der nördlich quer-
überliegenden Berglinie entgegen, die durch die Terrasse von
Alemmo und Betkom gebildet wird. Die Fläche ist oft von
Hügeln unterbrochen, auf denen wir Dörfer wahrnehmen, die
noch zu Balka gehören. Die Ebene bis zum Abhang des
Berges ist sehr gut cultivirt; wir finden Durra, Duchn, Se-
sam und eine andere gurkenförmige Oelfrucht, die hier zu
Lande Shebob genannt wird und auch in Algeden bekannt
ist; sie wird mit Durra zusammenges'aet. Die Emdte war
schon vollendet. Das Land zeigte sich als sehr reicher schwar-
zer Alluvialboden, mit Löchern und Rissen, ganz wie bei
Bisha. Die ganze Gegend ist baumarm, dagegen sind unbe-
baute Stellen mit Domengesträuch dicht bewachsen. Die Hügel
sind mit dem nackten blätterlosen Wolwol mit der grauen
Papierrinde bewaldet. Nach dieser vier Stunden breiten Ebene
steigen wir in dem Bett eines engen Torrent sanft zu der
Kante empor, die als Wasserscheide die südliche Marebebene
und die etwa 200 Fuss höhere Terrasse von Betkom trennt,
deren Wasser alle dem Mogoreb und so dem, Barkastrom zu-
laufen. Diese Terrasse besteht wieder aus mehreren überein-
anderliegenden Ebenen, deren höchste, der Gau Afla, gerade
auf das Barka hinabschaut?. Wir lassen den Gau von Alemmo
rechtsab und gelangen über mehrere breite Torrente an
vielen Dörfern vorbei nach Tender, dem Wohnorte unseres Be-.
gleiters Ashku, das auf einem Hügel gelegen ist, gerade über
einem Strome, der von Afla kommt und immer oberflächliches
Wasser hat. Die auf dieser Terrasse befindlichen Dörfer ge-
hören zu dem Gau Betkom.
Das Dorf Tender ist gross, die Häuser sind geräumig, aber
von gleicher Bauart wie bei den Barea, glockenförmig. Die
Leute scheinen sehr wohlhabend zu sein; wir sehen zahlreiche
Heerden von Kühen, Schafen und Ziegen. Auffallend sind
die Hunde, die sehr stark und böse sind, aber von auffallender
Kleinheit. Ich erinnere mich nicht, die gleiche Art früher
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422 Reise durch das Laud der Kuuani«.
gesehen zu haben. Ashku räumt uns eine grosse leere Hütte
^in; wir werden mit gutem Blrod und Polentat versorgt, ebenso
.mit Bier, öodass wir uns schon bei den Barea wähnen.
Den 2. December verbrachten wir umringt von Leuten, die
von allen Dörfern herkamen, um uns zu begrüssen. Jeder
Neuangekonmiene drückt uns die Hand und setzt sieh. Die
Leute sehen nicht so wohlbeleibt aus, als in Mai Daro, wohl
wegen dos häufigen Genusses des Bieres; auch in der Farbe
und dem Körper gleichen sie mehr den benachbarten Barea.
Wir werden von einem Mann von Alemmo besucht, der, in
seiner Jugend geraubt, unter den Türken in Kassala sieben
Jahre lang Soldat gewesen war; er hatte seinen Abschied ge-
kommen und war dann den sichersten Weg den Gashfluss
hinaufgißkommen, bis er auf Landsleute traf, die ihn nach
seiner Heimat geleiteten. Er sprach geläufig Arabisch und
die Civilisatiön hatte ihn doch etwas angesteckt; er gedachte
•mit Sehnsucht des Soldatenlebens, doch schien er sich recht
wohl zu befinden und er fand seine Laudsleute ebenso gut, als
jedes andere Volk; nur bedauerte er die Abwesenheit aller
JReligion, deren er freilich auch wenig übrig hatte. Wir waren
den ganzen Tag in einem grossen Gedränge; Leute der ganzen
Umgegend brachten Bier und Brod, um unsere Anwesenheit
zu feiern. Ashku liess eine Kuh schlachten. So glich unser
Haus einer grossen Bierhalle. Unaufhörlich wurde Bier an-
gefeuchtet und herumgereicht; die jungem Leute warteten auf
-und vertheilten das gesottene Fleisch, indem sie sich ihrer
Schilde als Schüsseln bedienten. Wer satt war, ging hinaus-
XInter den Anwesenden, die das Haus füllten, sah ich ein
paar Greise mit recht respectabeln Gesichtern, die mit vieler
Ehrerbietung behandelt wurden. Die Kunäma hatten fredlicli
auch einen politischen Zwöck bei ihrem Besuche. Unser Füh-
rer Ashku war von dem Gau abgesandt worden, um sich mit
Adiabo über den Tribut zu verständigen. Leider versteht er
das Tigrina so schlecht, dass er wenig verhandeln konnte.
Glücklicherweise waren wir da, um positive Nachrichtien zu
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Beise durch das Land der Kunama. 423
geben. Alle Welt wusste, dass die Freundschaft Tselala's
uns das Bazenland geöfihet hatte. Auch wussten sie, dass
das Ansebaland , das früher noch viel elender gewesen als die
Bazen, durch Vermittelung der europäischen Mächte politische
Sicherheit den Türken gegenüber erlangt hatte. Wir sollten
im Lande bleiben und Vermittler werden. Ich konnte sie na-
türlich nur auf eine ferne Zukunft vertrösten; heute seien wir
ja nur Durchreisende.
So verbrachten wir einen sehr mühsamen Tag; wir waren
in die dumpfe Hütte eingezwängt, aber Leute, die uns zu
Ehren von weit hergekommen sind, darf man wohl nicht
abweisen. Ln Laufe des Tages bat mich der Wirth, ein paaa:
Flintenschüsse im Hofe abzufeuern; das würde uns in den
Augen der versammelten Leute höher stellen und das Land
würde sich dadurch geehrt fühlen. Ich habe es ja auch in
Mai Daro gethan und er hoflfe, ich werde seine Landsleute
wenigstens ebenso bereit finden, uns zu bewirthen, als die
Bazen von Mai Daro. Ich konnte es ihm nicht abschlagen.
Wir konnten mit der Aufnahme nur zufrieden sein, wiBnn es
auch nicht an Leuten fehlte, die, unserm frcimden Gesicht
Hiisstrauend, unsere Barea inständig baten, uns doch bald
mit fortzunehmen. Wir hatten gute Gelegenheit, unsere Kennt-
niss des Landes zu erweitern; aber um uns ein vollständiges
Bild davon zu machen, hätten wir uns viel länger aufhalten
müssen. Am Abend verliessen uns die meisten Leute; dagegen
versammelten sich die Greise des Gaues um uns, um über die
Lage des Landes zu berathen. Dolmetscher war ein gewisser
Burru, ein geborner Abyssinier, der, in seiner Jugend von
Adiabo weggeraubt, hier auferzogen worden ist. Er spricht
noch seine Muttersprache, aber er hat gar keine Lust, nach
Abyssinien zurückzukehren, so gut gefiel es ihm hier. Die
Leute vom Lande hatten ihn immer wie einen der Ihrigen
behandelt und er kann ihnen jetzt als Dolmetscher den Abys-
siniem gegenüber nützlich sein. Die versammelten Greise
wollen von uns über ihre Zukunft belehrt sein; einerseits
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424 Reise durch das Land der Kunama.
glauben sie uns natürlicherweise mit den Absichten des Herrn
von Adiabo vertraut, anderseits schreiben sie uns prophetische
Gabe zu, denn sie sehen uns im Besitze der Schrift und der
Sternkunde. Nach allem, was ich von Erfahrung weiss, ant-
worte ich, dass sie sich jetzt vor Adiabo nicht zu fürchten
brauchten, solange sie den Tribut entrichteten. Diess hat sich
auch nachher bestätigt. Dann bitten sie mich, in Zu-
kunft jedenfalls wiederzukommen und dann solle ich den Ver-
mittler Abyssinien gegenüber machen; denn sie seien immer
bereit, einen regelmässigen Tribut zu entrichten; Friede und
Ruhe gingen ihnen über alles. Ich antworte ihnen, dass,
wenn sie den Raub und den Mord ihres Gastes aufgäben, Gott
auch ihnen bessere Zeiten geben würde; denn der schlechte
Ruf des Landes verhindere den wohlwollenden Europäer, sie
zu besuchen und ihnen behülflich zu sein. Wir sind, sagen
sie mir, alle Kinder Adam's; aber wir sind getrennt von den
andern Menschen ; wir kennen Gott und sind in seinem Schutz,
aber wir haben keine Formeln, keine Kirche und Fasten.
Wir sind kein schlechtes Volk, aber wir stehen freundlos da,
weil wir weder Christen noch Mohammedaner sind. Wir
Europäer, sage ich, lieben alle Völker und wünschen den
Leidenden zu helfen. Mögt Ihr, erwiedem die Greise, für
immer den Frieden gebracht haben. So endete diese Unter-
haltung. Ich will weitere Reflexionen aufsparen, um die Er-
zählung nicht zu unterbrechen.
3. December. Den folgenden Tag bat uns Ashku, unsere
Abreise nicht zu beschleunigen ; es seien noch mehrere Dörfer,
die uns bewirthen wollten. Wir konnten nicht lumhin, den
Morgen uns noch aufzuhalten , besonders da unsere Barea mit
dem unaufhörlichen Gelage sehr zufrieden waren. So hatten
wir wieder grosse Gesellschaft, die sich freilich nicht sehr
genirtc; die Leute setzten sich sogar auf unsere Teppiche, die
zugleich als Bett und Tisch dienten, ja einer schlägt mir vor,
meinen Teppich um eine Kuh an ihn abzutreten. Ich erhielt
einen Besuch von einer älteren Frau, die mir Hand und Stirn
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Reise dorch das Land der Kunama. 425
küsste; sie war vor einigen Jahren von den Leuten von Adiabo
nach dem Ilamasen verkauft und von da zu den Bogos
flüchtig geworden, wo wir sie aufnahmen und nach ihrer Hei-
mat zurückschickten. Sie brachte uns einen kleinen Schlauch
voll Mehl. Während meines Aufenthalts bei den Bogos hatten
wir Europäer oft Gelegenheit, Sklaven in ihr Vaterland Zu-
rückzuschicken und jedenfalls ist diess der. geeignetste Weg,
sich ein Volk zu verpflichten. Einmal wurden fünf Sklavinnen
von der Küste von Massua geraubt und über Keren gebracht,
um sie im Barka zu verkaufen. Es war mir möglich, ihrer
habhaft zu werden; ich Hess ihnen die Wahl frei, ob sie zu
ihren Herren nach Massua oder in ihre Heimat gehen wollten.
Nur eine, die in Massua geboren war, kehrte zurück, die
andern wünschten in ihr Vaterland zu gehen; eine war von
den Barea, die andern von Samero und hier. — Wir ver-
Hessen das Dorf um Mittag; ich beschenkte unsern Wirth mit
einem Thaler, einem Rasirmesser, Gewürznelken und einigen
Glasperlen ; er hatte nichts erwartet und drückte sehr einfach
in seinem gebrochenen Tigrina seinen Dank aus: du gut, ich
gut; du Freund, ich Fröund. Von Tender kommen wir über
HügeHand in einer Stunde nach Kerta, das aus drei Dörfern
besteht; dicht liegt ihm Samero an, auf dem Abhänge des
Barealandes sehr luftig frei gelegen. Diese Dörfer sind volk-
reich und gut gebaut; sie stehen mit den Barea, deren un-
mittelbare Nachbarn sie sind, in beständigem freundlichen
Verkehr. Von der Höhe von Samero liegt das ganze -obere
Barkaland frei vor uns und auch die kühne Spitze von
Ashera und die weisse Burg (Tsad'amba) ragt in den Himmel
empor.
Von Samero geht es ziemlich steil bergab bis zu den zwei
Dörfern von Beigetta, wo wir Brunnen finden. , Vom Abhang
an gehört das Land den Barea. Den Torrent verfolgend, der
das enge Thal von Beigetta bildet, treten wir in das breite
Thal von Amida hinaus, in welchem die Hauptansiedlungen
der Barea liegen. Wir schneiden es schief und kommen an
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426 BeiBe -darch das Land der Kanama.
seiner gegenüberliegenden Seite, wo Dorf an Dorf liegt, zuletzt
nach Mogelo, dem Marktplatz.
Wir bleiben in Mogelo bis zum 8. December. Einer unserer
Bareabegleiter, Namens Hamid, der von hier gebürtig, lud
uns freundlichst zu sich ein; er konnte uns freilich nur ein
aus Matten errichtetes Zelt (Ablu) zur Verfügung stellen, denn
das Dorf war im Frühjahr von Tsadiq's Soldaten eingeäschert
worden und die Bewohner fühlten sich noch nicht sicher
genug, ihre Häuser neu aufeubauen. So bivouaquirte alles in
Zelten, die zur Nothdurft mit etwas Durraschilf bedeckt wur-
den; eine Schattenlaube diente als Atrium. Noch hatte sich
das Dorf gar nicht von den Folgen dieser Verheerung erholt;
die Heerden waren alle verloren, der Markt hatte das alte
Leben nicht wiedererhalten und noch sehr viele der wegge-
führten Kinder und Frauen des Dorfes harrten in Adiabo des
Lösegeldes. So fanden wir Mogelo gar nicht als das heitere
blühende Dorf, wie es uns früher beschrieben worden; selbst
der landesübliche Beigen (Ooila) erschallt nicht mehr in der
Nacht. Wir wurden von den Barea mit Bier, Brod und
Fleisch reichlich versehen; unser Wirth wurde darin von seinen
Landsleuten gehörig unterstützt und half uns redlich bei der
Consumtion. Wir erhielten den ganzen Tag hindurch Be-
suche von den angesehensten Leuten des Landes, die
mir viel über den Ruin ihres Vaterlandes klagten. Ich konnte
ihnen freilich wenig Trost geben, denn mit Abyssinien steht
Europa in keiner völkerrechtlichen Beziehung und das Ex-
periment, das die Mächte mit den Bogos gemacht, möchten
sie kaum für die Barea wiederholen; die Aegypter selbst wür-
den kaum das Land aufgeben wollen. Unter den Besuchen-
den war auch Ahmed el-Negash, ein älterer Mann, Massuiner
von Geburt; ^eine Mutter ist Bazen und er selbst unter den
Barea verheirathet und seit lange angesessen. Er hatte im
vergangenen Jahre für Tsadiq den Tribut der Barea einge-
zogen und war auf dem gleichen Weg, den wir gekommen,
nach Adiabo hinaufgegangen, als Abgeordneter des Landes.
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Reise durch das Land der Kunäma. 427
Er konnte furchtlos diese Strasse gehen, da es sein Mutter-
land ist. Er bereicherte meine Kenntniss des Bazenlandes
und urtheilte besser über die Bazen als über die Barea; ihr
einziger Fehler sei die Abneigung gegen die Fremden. Er
hatte die Idee, es sollte in Mai Daro ein allgemeiner Markt
für die Bazen eingerichtet werden, um das Land unter abys-
simscher Oberhoheit dem allgemeinen Verkehr zu öfiFnen. Er
war nicht gut auf Tsadiq zu sprechen ; denn es sei ihm nur
darum zu thun, das Land so viel wie möglich auszurauben
und sich mit dem Lösegeld der Gefangenen zu bereichern; an
eine friedliche Herrschaft über das eroberte Land denke er
gar nicht, er sei eben immer eine Art indirecter Sklaven-
händler, wie die sudanesischen Fürsten. Dagegen war er für
dessen Bruder Tselala sehr eingenommen. Ahmed el-Negash
hat einen Sohn, der ganz ein Barea geworden ist und sich
als Räuber den Leuten von Barka furchtbar gemacht hat.
Ahmed el-Negash bestätigt meine bisher gesammelten Notizen
über den Lauf des Mareb.
Ich fand hier zwei Barea, die mütterlicherseits von den
Bazen abstammen und diBis Tigre geläufig sprechen. Die kurze
Zeit erlaubte mir nicht, meiner Arbeit über die Bazensprache
die nöthige Vollständigkeit zu geben; sie scheint sehr compli-
jdri gebaut zu sein und verlangt jedenfalls längeres Studium.
So müsste ich mich mit einem Vocabular begnügen. Auch
verhinderten die den ganzen Tag herumstehenden Leute jede
anhaltende Beschäftigung. Wir konnten keinen Augenblick
in unserm engen Raum ungestört sein. Wir besuchten auch
den Markt, der jeden Morgen auf einem freien Platze unterhalb
des Dorfes gehalten wird; Vieh, Getreide und Honig wurde
da feilgeboten, aber er sah ziemlich verlassen aus; besonders
haben sich die Massuiner, die bei der vorhergegangenen Ver-
wüstung viel eingebüsst hatten, fast ganz vom Platzhandel
Eurückgezogen.
Wir reisen den 8. von Mogelo ab; wir miethen zwei Ka-
meele, da unsere Maulthiere den Rücken ganz wund haben
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428 Reise durch das Land der Kunäma.
und die grosse Hitze sie sehr ermüdet hat. Wir nehmen
den directen Weg über Mogoreb, der sich erst am östlichen
Abhang von Algeden bei Taura mit der von uns und andern
oft begangenen von Bisha herkommenden grossen Strasse ver-
einigt. Wir bringen die Nacht in dem nahegelegenen Ametta
zu , wollin uns ein anderer unserer Bareabegleiter, Abdu Weld
Ilasballah, eingeladen hat. Der kurze Weg ist vollkommen
eben; v^rir sehen wenig Bäume, darunter einige Dumpalmen.
Wir werden hier sehr gut empfangen; Abdu bringt uns eine
Ziege, Brod und Bier in Ueberfluss. Für die Weiterreise gibt
er uns noch einen grossen Schlauch voll Mehl, das wir übri-
gens unversehrt nach Chartum brachten. Wir erhielten hier
den Besuch eines alten Bekannten von mir, eines Handels-
mannes von Massua gebürtig, Namens AliQaderi; er brachte
eine Ziege und, was viel werth voller war, er beschenkte uns
mit einer neuen irdenen Kaffeekanne, da wir unsere eigene
gerade nur bis Mogelo unversehrt gebracht hatten. Wir hätten
gern noch einige Tage in diesem freundlichen Dorfe, wo die
Leute bei Weitem nicht so zudringlich waren, zugebracht; wir
wussten aber, dass der Heerzug von'Adiabo nicht mehr lange
auf sich warten lassen werde und es ist auch für den Freund
gefährlich, sich in den Strom hineinzustellen.
Wir brachen den 9. früh auf; Abdu begleitete uns zu Pferd
bis Algeden. Ausserdem hatten wir einige Barea bis Algeden
gemiethet, um unsere Thiere und Gepäck zu besorgen. So
wandten wir uns wieder westwärts. Von Ametta führt ein
enges Thal wohl eine Stunde lang zu einem nicht hohen Sattel,
der die Wasserscheide zwischen Amida und Mogoreib bildet;
am Abhang sehen wir weissen Marmor und grosse Kalklager
mit Thonschiefer abwechselnd, aber keinen Granit Rechts
haben wir einen Berg, der schroff und hoch sich bis Bisha
hinzieht; seine Höhe ist bis in die Mitte von sehr grossem
rundlichen Geröll bedeckt, das grosse Spalten offen lässt und
wie der Berg von Bisha, den ich in frühem Jahren erstiegen
habe, kupferroth und nackt aussieht, fast ohne Baum und
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Reise durch das Land der Kun&ma. 429
Strauch. Von dem Sattel steigen wir in ein anderes weiteres
Thal hinunter und wir kommen, das noch zu Hagr geliörige
Dorf Sherif links lassend, zu einem fliessenden von Tamarin-
den besetzten Wasser, das von Sherif kommend dem Mogoreib
zugeht. Diesem Fluss nach führt uns ein ganz ebener, sanft
sich abdachender Weg mit wenig Cultur zwischen Hügeln an
mehreren Dörfern (Kafidjo links, Haze rechts) vorbei in das
grosse von Süden nach Norden abfallende Thal von Mogoreb,
an dessen Strom Mogoreib wir das Mittagslager nehmen. Das
Thal ist etwa anderthalb Stunden breit, ganz eben, ohne Stein
und Hügel, Alluvialland, mit schönen Feldern bedeckt. Wir
haben uns gegenüber im Westen am Fusse eines Berges das
Dorf Mahou. Im Süden ist das Thal von dem Höhenzug
acht Stunden weit von Eimasa beschränkt; im Norden öffnet
es sich in das freie Barka, dem es sein Wasser zuschickt.
Hier wird viel Durra, Duchn und auch etwas Baumwolle ge-
pflanzt. Die ganze Ebene hat durchaus das Aussehen des
Barka, schön gefärbt von dem getrockneten niederliegenden
gelben Heu. Wit lagern^ an den Brunnen (Elefeno), die ziem-
lich tief in den Torrent gegraben sind, unter Dumpalmen , die
sehr häufig sind und immer nur den Strombetten nach vor-
kommen. Wir finden zahlreiche Heerden von Mogoreb, die
hier getränkt werden. Die Herren derselben laden uns ein,
die Nacht in dem nahegelegenen Dorf mit ihnen zuzubringen,
was mr ablehnen müssen. Die Leute benehmen sich sehr
artig gegen uns; es that uns sehr leid, einige Tage später
hören zu müssen, der Heerzug von Adiabo habe sich hierher
gewandt und alle die schönen Dörfer verbrannt und die gast-
lichen Heerden weggeraubt. Wir brechen von Elefeno der
grossen Hitze wegen erst gegen Abend auf; wir lassen den
nach Nordost laufenden Torrent rechts und treten zwischen
kleinen Bergen durch in die grosse Ebene Serobeti hinaus zu
einem Torrent Boka, der auch mit dem Mogoreib sich ver-
einigt und zeit- und stellenweise Wasser hält. Wir hatten
rechts von uns den grossen breiten Berg, der, von Bisha über
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430 Reite durch das Land der Knnäma.
Ametta westlich sich ausstreckend, das Thal Mogoreb von
Osten einschränkt. Links lassen wir den Berg und das Thal
von Az Negeb, das auch zum Mogoreb gehört. Der ganze
Weg war mit Domenwald und hohem Gras bedeckt, ohne
Fels, fast ohne Unebenheit, der Lehmboden hier und da mit
Quarztrümmern bedeckt. Trotz des bedeckten Himmels ist
die Nacht sehr kalt.
Den 10. December verlassen wir die Ebene Serobeti, die
sich nordwärts dem Barka zuneigt und steigen schräg über
die vom Plateau von Algeden sich abdachenden Hügelreihen
in den Strom von Taura hinab, wo sich der Weg von Bisba
her vereinigt. Wir verfolgen ihn aufwärts bis zu einer Schlucht,
wo sich im Fels linksab vom Wege Wasser findet. Das Gestein
dieses engen Thaies ist Thonschiefer; es ist mit Wonsa (Auhe)y
Tamrix und Nebek dicht besetzt. Der sißit Elefeno durch-
zogene Strich ist sehr fruchtbar, aber ganz unbewohiit und
als Grenze zwischen den Barea und Beni Amer'n sehr grfäfar-
lich; daher wird das schöne Heu von Serobeti selten abge-
weidet. - .. .
Nachmittags steigen wir den langen aber nicht sehr steilen,
felsigen Abhang des Tanratorrent entlang zum Plateau von
Algeden hinauf in eine schöne Ebene, die zu Oria gehörig ihr
Wasser dem südlichen Mareb (Gash) zuschickt und im Westen
von dem Berg Dablot begrenzt ist. Ein kleiner Sattel führt
uns an seinem westlichen Fuss zum Dorf Algeden.
Wir benutzten unsem Aufenthalt zur Besteigung des Dablot
und zu einem südlichen Abstecher nach dem Mareb (jetit
Gash), wobei wir auf der Rückkehr Elit, das letzte Dorf der
Bazen am rechten Gashufer, besuchten. Wir wurden von
unserem alten Bekannten, Mohammed Nur, dem alten aber
sehr rüstigen Sheich des Dorfes, empfemgen; wir konnten uns
über ihn gar nicht beklagen, doch fiel mir auf, dass in dieser
Gegend die religiöse Intoleranz jährlich zunimmt Man muss
freilich bedenken, dass Algeden ein Grenzort gegen die heid-
nischen Bazen ist und sehr nahe am christlichen Abjssinien
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Reise duröh das Land der Kon&ma. 431
liegt; so dürfen sich die Muslim hier wohl noch als kämpfende
Kirche betrachten und selbst der uns sonst sehr freundschaft-
lich behandelnde Sheich Mohammed Nur bestrebte sich, uns
gegenüber sogar seine Verachtung der Ungläubigen an's Licht
zu stellen. Er kam mit Affeetation immer auf die religiösen
Controversen, was mir, dem es um geographische Kenntnisse
zu thun war, ungelegen kam, wenn ich auch nicht verschmähe,
mit einem Schriftgelehrten zu disputiren, wo man wenigstens-
Arabisch lernen kann. Diese Intoleranz, die man uns gegen-
über entwickelt, wird gepflegt durch die grossen reisenden
Sheichs, die zeitweise von Mekka ausgehend das Land predi-
gend durchwandern und den Glauben neu beleben. Dieses Jahr
war es der Gouverneur der Provinz Taka, Hassan Bei, selbst
gewesen, der schon im Interesse der ägyptischen Herrschaft
im Sudan die Gläubigen zur Einheit ermahnte; denn die Abys-
sinier griffen immer mehr in die Politik des Niederlandes ein
und sprachen deutlich ihre Absicht aus, sich auch den Sudan
zu erobern. Ich konnte aber wohl bemerken, dass Mohammed
Nur den Türken nicht sehr gewogen war und vielleicht die
Abyssinier ihnen vorgezogen hätte. Wenigstens stand er mit
Adiabo in freundlichem Verkehr. Wir wollen übrigens unsern
späteren Betrachtungen nicht vorgreifen. Hassan Bei war den
Tag vor unserer Ankunft nach Tsaga zu den Beni Amer'n ab-
gegangen; hier hatte er den Tribut von 2573 Thalem erhoben,
welcher auf die Zahl der Felder berechnet ist.
Mohammed Nur erzählte uns viel von den Raubzügen, die
Algeden und Sabderat gemeinschaftlich gegen die Bazen unter-
nehmen; seit die letztern aber unter dem Schutz von Adiabo
stehen, dessen Name im Niederland sehr gefürchtet ist, hat
dieser Krieg ziemlich aufgehört. Auf meine Frage, was denn
die Bazen verbrochen hätten, hatte Mohammed Nur die ge-
nügende Antwort, sie wollten ihnen weder Tribut zahlen, noch
sich bekehren.
Trotz unserer vielen Nachfragen konnten wir nicht genau
erfahren, woraus eigentlich die Bevölkerung^» von Algeden be-
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432 Reise üurch das Land der Kanäuia.
stehe. Der Stamm Algeden wohnt in zwei Dörfern, das
grössere heisst Algeden nach dem Stamme, theiH sich aber in
vier besondere Niederlassungen:
1) Haramata, von Homran und Haflfara bewohnt,
2) Eliti, von Elit-Bazen bewohnt,
3) Gellabat, von andern Bazen bewohnt,
4) Balot, von Belou bewohnt.
Das zweite kleinere Dorf heisst Bintana und liegt auf der
hintern Seite des Dablot. Jedenfalls bilden den Kern der Be-
völkerung Bazen, die aber schon seit lange islamitisirt sind;
darauf deutet die Gemeindeverfassung, die keine Aristokratie
kennt und keine Unterthanen. Auch soll es noch vor kurzem
Regenmacher (Alfei) hier gegeben haben. Zu dieser Urbe-
völkerung kamen die Niedergelassenen. Einige behaupten nun,
Algeden sei ein eigener Stammname und ihre Verwandtschaft
mit den Belou komme nur von mütterlicher Seite her. Die
Homran gehören zu den Shukrie, die wahrscheinlich Araber
sind; die Haffara dagegen sind Kelou, die alte Einwohner des
Landes sind und vom Nil bis zum Meer sich noch in spär-
lichen Resten erhalten haben. So ist Algeden höchst wahr-
scheinlich eine Niederlassung der Bazen, vermischt mit vielen
Eingewanderten und mit den Nachbarn verschwägert. Sie
sind alle eifrige Mohammedaner und sprechen Tigre. Sie sind
tapfer, gewandte Reiter, gastfreundlich, haben viel schöne
Heerden und treiben Ackerbau; ihre Pflanzungen liegen nörd-
lich gegen Hauasheit, dann westlich bis Aradeb und südlich
in der Ebene On bis fast nach Elit; sie bauen auch viel Sesam
und Baumwolle, welche letztere im Dorfe gewoben wird. Die
Häuser sind Thuql und reichen zwischen den Felsblöcken an-
genistet bis hoch an den Berg hinauf.
Den 12. December bestieg ich den dem Dorfe unmittelbar
anliegenden Berg Dablot , der wenigstens 1000 Fuss über der
Ebene sich erhebt, um gegen den Berg von Kassala hin einen
freien Blick zu gewinnen. Wir kt)unten nur mit Lebensgefahr
den Gipfel erklimmen; einer dabei geholten Erkältung muss
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Reise durch das Land der Kunama. 433
ich wohl die Fieber zuscJhreiben, die mich nachher so hart-
näckig verfolgten. Ich fühlte mich denselben Tag schon un-
wohl, aber wir Hessen uns deswegen nicht abhalten, einen
längstgehegten Wunsch zu erfüllen und den Mareb und das
Bazendorf Elit zu besuchen. Mohammed Nur verstand sich
trotz eines Geschenkes nur ungern dazu, uns dahin zu führen ;
er nahm einen seiner Verwandten mit, um für ihn und uns
zu sorgen. Wir brachen den 13. fiüh Morgens auf. Da dem
Dorfe Algeden, wo es nicht dem Dablot anliegt, Hügel vor-
liegen, mussten wir über einen Sattel hinübersteigen, um in
die Ebene On zu kommen, mit der wir schon von Taura kom-
mend bekannt geworden sind; sie erstreckt sich ganz flach
gegen Süden bis zum Mareb , dem sie ihre Wasser zuschickt.
Sie ist links von dem Bergzuge beschränkt, der als Fortsetzung
des Plateaus von Algeden bis nach Eimasa reicht und das
tiefere Barka vom Marebthal scheidet, rechts aber von dem
isolirten Berge von Elit. Es ist uns nicht möglich, denselben
Tag zum Mareb zu kommen, da die grosse Hitze uns sehr
zusetzt. Wir übernachten nach achtstündigem Marsch durch
die schöne Wildniss neben einem Felsen, in dessen Spalten
sich reichliches Wasser erhalten hat. Den Tag über löschen
wir den Durst mit Wasser, das sich auf den Adansonien sam-
melt; einer von uns besteigt den Baum, füllt den Schlauch
aus der Höhlung, die sich gewöhnlich bildet, wo die Aeste
sich vom Stamme absondern und reicht ihn an einem Seile uns
hinab; wir hatten den Trost, auf diese Weise in der Mittags-
hitze auch unsere geplagten Maulthiere tränken zu können.
Den 14. Morgens gelangten wir nach etwa zweistündigem
Marsch zum Mareb, der nun Gash heisst und sehr breit und
offen daliegt. Wir finden Wasser etwa 2 Fuss unter der
Oberfläche und wenden uns nun zur Rückkehr, indem wir uns
etwas westlich halten, dem Berge Elit zu, den wir in drei
Stunden erreichen. Der Berg Elit bildet ein grosses, inwen-
dig hohles Viereck, das sich gegen Norden und Süden mit
Munziug«r, Ostarrik. Studien. 28
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434 Heise durch das Land der Kon&ma.
engen Thoren öflfnet. Im Innern befindet sich eine ziemlich
grosse, von den Elit bebaute Ebene.
Das Dorf Elit selbst liegt auf der Südseite des Berges, auf
seiner halben Höhe; drei sehr steile Aufgänge führen zu ihm
hinauf; für Pferde ist es unmöglich, zum Dorfe zu kommen.
Die Häuser, die sich von denen der andern Bazen nicht unter-
scheiden, liegen zwischen den Felsen zerstreut. Wir wurden
schon am Fusse des Berges von den Einwohnern sehr fireund-
lieh empfangen und mit Bier bewirthet. Dann klonmien wir
den Berg hinauf und brachten die Nacht in dem sehr freund-
lichen Dorfe zu. Ich hatte mich schon auf dem Wege sehr
unwohl gefühlt, aber hier hatte ich meinen ersten Fieber-
anfall; deswegen finde ich auch bei dieser Stelle mein Tage-
buch viel unvollständiger, als ich es gewünscht hätte.
Die Leute von Elit gleichen durchaus den andern Bazen;
sie reden die gleiche Sprache, viele verstehen aber auch Tigre.
Sie sehen ebenso stark und fett aus; besonders die Frauen
zeichnen sich durch Schönheit aus. Eigenthümlich ist aber
die braune Farbe der Zähne, die gewöhnlich dem häufigen
Genuss der sauem Adansoniafrucht zugeschrieben wird. Die
Elit sind den andern Bazen immer befreundet, obgleich sie
wenig gegenseitigen Verkehr haben. Dagegen stehen sie in
viel näheren Beziehungen zu dem benachbarten Algeden , dem
sie so zu sagen unterworfen sind. Sie verfertigen aus dem
Adansoniabast hübsche Stricke und Netze und bringen sie auf
den Markt von Algeden zum Verkauf; ihre Felder befinden
sich meistens gegen den Mareb hin. Wasser findet sich in
einer Höhle gerade über dem Dorfe, das selten ganz ver-
trocknet. Wir wurden mit Brod, Bier und Honig gut be-
wirthet; es that mir leid, dass das Fieber mich hinderte, mit
den Einwohnern in nähern Verkehr zu treten und ihrer Gast-
lichkeit mehr Ehre anzuthun.
Den 15. kehrten wir im Eilmarsch nach Algeden zurück;
das Dorf war aber wie ausgestorben; es war unterdessen die
Nachricht gekommen, dass die Adiabo den Gau Mogoreb ver-
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Reise durch das Land der Kundma. 435
wüstet hätten. Auf diese Kunde hin hatte sich fast die ganze
Bevölkerung des Dorfes in die Wildniss geflüchtet; wir fanden
in dem Dorfe nur wenige Leute, die hier blieben, um die Hab-
seligkeiten zu hüten, die in der Eile nicht mitgenommen wer-
den konnten. Wir mussten nun schon unserer Sicherheit wegen
Kassala zu erreichen suchen ; mit grosser Mühe fanden wir
ein Kameel und einige Begleiter. Auf dem Wege nach Sab-
derat wurde auch Herr Kinzelbach wahrscheinlich in Folge
eines Sonnenstichs heftig krank; auch unser einziger Diener
Din war seit Algeden von Fieber geplagt. In Sabderat muss-
ten wir uns einige Tage aufhalten, da wir kein Kameel be-
kommen konnten, denn auch hier hatte sich alles vor den
Abyssiniem in die Berge geflüchtet. Wir ermangelten jeder
Pflege, da jeder von uns für sich selber zu sorgen hatte und
die geängstigten Dorfbewohner Besseres zu thun hatten, als
Christen zu pflegen. -Ich fürchte fast, dass sie uns mit ihren
Feinden, den abyssinischen Christen, zusammenwarfen. Mit
Mühe und Noth erreichten wir den 22. December Kassala und
fanden in dem Hause des Herrn Kozzika wie gewohnt freund-
liche Aufnahme,
28*
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Der Mareb-
Wir hoffen durch unsere Reise den Lauf und Stromcha-
rakter des Mareb endgültig festgestellt zu haben, lieber beides
waren die Geographen sehr uneinig; besonders die Identität
desselben mit dem Gash war unbewiesen und konnte es nur
durch eine Reise durch das Land der Kunäma werden. Wir
passirten den Mareb zum ersten Male bei seiner Quelle (bei
Az Gebrei); dann zwischen Kohein und Adiabo bei Arakebu
am nördlichen Fuss von Medebei Tabor, zum dritten Male bei
Mai Daro; wir traten an seine Ufer zum vierten Male bei Elit
und zum fünften Male' bei Kassala, um von seinem Stromge-
biete über die Hauede in dasjenige des Atbara üjberzugehen
und sowohl die geographische Configuration des Bodens, als
die Aussagen aller Eingebomen bewiesen uns, dass wir es
immer mit einem und demselben Flusse zu thun hatten.
Der Mareb ist seinem abyssinischen Laufe nach längst be-
kannt. Seine Quelle befindet sich etwas über dem Dorfe Az
Gebrei (unweit von Adi Baro) im Hamasen. Nachdem er als
Bach seine Matten durchzogen, fällt er eine halbe Stunde
östlich vom Dorfe in einen Abgrund oder besser gesagt: wäh-
rend er in seinem ersten Anfang die Ebene durchfiiesst, ge-
lingt es ihm hier sich ein tieferes Thal zu bilden und dann
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Reise durch das Land der Kuoäma. 437
erst tritt er charakteristisch in die Geographie des Landes
ein. Die Abyssinier sind ako nicht im Unrecht, wenn sie
diesen Punkt, wo er als Wasserfall in sein eigenes Thal sich
stürzt, 'Ain Mareb nennen, da er erst hier selbstständig auf-
tritt. Der Name Mareb gebührt ihm von hier, bis wo er, zwi-
schen dem Dembelas und Adiabo sich hinauszwängend, Abys-
sinien verlässt. Sein Name, der „Sonnenuntergang" bezeich-
net (vom äthiopischen Verb: ^araba, occidit sol), deutet auf
seinen endgültigen Lauf und beweist, dass die Abyssinier ihn
nicht misskannten. Wie er nun um sich selber eine Spirale
bildet, die sich erst bei Oundet aufwickelt, brauchen wir nicht
zu beschreiben, da ihn schon die portugiesischen Missionäre
bestimmt haben. Er gräbt sich ein sehr tiefes Thal und trennt
60 von seiner Quelle an das nördlichere Hamasen vom Gau
Loggon; dann sich eher südlich wendend, schneidet er das
südliche Hamasen und das sich ihm anschliessende Sarae von
dem Gau Saher und ihrer Fortsetzung, dem Okulekusei, ab
und wo er, sich wieder nach Westen und Nordwesten wendend,
auf sich selbst zurückkehrt, trennt er das Sarae und seinen
Ausläufer, die Qolla Sarae, von dem Tigre und seiner nord-
westlichen Fortsetzung, dem Shire und Adiabo. Man kann
diese erste Partie seinen Oberlauf nennen; seine Grenze ist
zwischen Eohein (Mai Gor§o) und Adiabo: bis hierher gehört
er zu Hochabyssinien und trennt scharf und tief sich einwüh-
lend seine Ufergebiete, er ist so lange ein Waldstrom und ein
eigentlicher Fluss, denn so lange hat er beständig fliessendes
oberflächliches Wasser. Wir fanden ihn bei Arakebu nur den
fünften Theil seines Bettes mit Wasser füllend; nur in der
Regenzeit nimmt er seine ganze Breite ein.
Von Arakebu nordwärts gehend, verändert der Mareb
seinen Gebirgscharakter; er tritt in das Land der Eunama
ein und da hier das Hochgebirge entschieden gegen Norden
abfällt, so nähert sich der Mareb immer mehr dem Niveau
seines Uferlandes. Während er also im Anfang -seines Mit-
tellaufes die Abfälle von Adiabo von der Qolla Sarae noch
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438 Heise durch das Land der Kunama.
entschieden trennt, wird er in seiner untern Fortsetzung sei-
nem Uferlande assimilirt und da trennt er nicht mehr, sondern
er begleitet nur und verliert so sein Thal; er hört auf, die
Geographie des Landes zu machen. Was nun seinen Lauf
betrifft, so kann ihn nur die Karte deutlich machen; hervor-
zuheben ist nur, dass er, anstatt nun das Land durchbrechend
consequent zum Barka abzufallen, sich gegen Westen und so-
gar Südwesten wendet und sich langsam einen Weg in's Nie-
derland sucht. Wir nennen nun seinen Mittellauf die Strecke,
solange er im Lande der Kunama bleibt, also von unter Ara-
kebu bis etwas unter Elit; so lange heisst er Sona. Auch
sein Flusscharakter wird im Mittellailf ein ganz anderer: er
ist nicht mehr der abyssinische Waldstrom; er wird aber
deswegen auch nicht Torrent in der Weise des Anseba oder
des Barka; er bildet ein Mittelding, das Erläuterung verlangt.
Wir lernten bisher in Afrika die Wasser unter zwei For-
men sich weiterbewegen; erlaubt es ihnen ihre Quantität und
die Dichtigkeit des Bodens, so fliesst das Wasser, auf der
Oberfläche seines Bettes zu Tage tretend; es bildet eine fort-
laufende Linie, die wir gewöhnlich Fluss nennen. In Europa
ist diese Form die häufigste, in Afrika dagegen kommt sie
viel seltener vor.
Wo aber der Boden das Wasser nicht an der Oberfläche
halten kann, wo das durchsickernde Wasser erst spät auf
einer festen Schicht Widerstand findet, da zeigt sich uns der
Strom als Torrent, d. h. es erscheint ein Sandbett, das nur
zur Regenzeit überfluthet wird und das ganze übrige Jahr
scheinbar trocken daliegt, weil der Wasserstrom unterirdisch
sich fortzieht. Beweis dafür ist, dass für je einen Strom
überall in gleicher Tiefe Wasser gefunden wird; könnte man
den Sand entfernen, so würde sich ein fortlaufender Fluss den
Augen darstellen, der sich sehr tief gehöhlt hat. Da aber
die Strömung nur im abschüssigen Gebirge die Triebkraft hat,
den Sand fortzuschleppen, so kann dieser letztere als Bett
erst da auftreten, wo der Fluss in der Ebene hinläuft und
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Reise durch das Land der Eunama. 439
den Wasserstrom bedecken. Hier kann er nun immerbin den
Thon im Wasser aufgelöst forttragen, während der Quarz und
die andern krystallinischen Bestandtheile liegen bleiben. Doch
ist auch der Sand in Bewegung, die aber mit der Wasser-
strömung nicht Schritt hält und so zurückbleiben und sich
ansetzen muss.
Es hängt nun natürlich von der Bodenstructur ab, wie tief
der Wasserspiegel unter dem Sandspiegel sich befindet. Wo
das Terrain sehr abschüssig ist, wird wenig Wasser von der
Erde absorbirt werden und so wird der unterirdische Strom
fast ohne Nahrung ^bleiben und selbst ganz versiegen. Diess
haben wir im Gau Kohein beobachten können. Wo aber der
Boden mehr eben geworden und von dem Regen- und Fluss-
wasser seinen Theil absorbirt, da wird es von der Tiefe der
undurchdringlichen Thonschicht abhängen, wo die Strömung
sich findet. Deswegen finden wir sehr unterschiedliche Tiefen;
beim Anseba z. B. strömt das Wasser fast das ganze Jahr
etwa 6 Fuss tief unter dem Sande, während der Barka durch-
schnittlich erst 20 Fuss unter der Oberfläche Wasser zeigt.
Es ist natürlich, dass diese unterirdische Strömung immer
tiefer sinkt, je weniger Wasser im Strome vorhanden ist,
d. h. je trockener die Jahreszeit ist; den tiefsten Stand er-
reicht sie unmittelbar vor der Regenzeit. Nun fallen die
ersten Regen und vermehren nach und nach die Wassermenge
so, dass sie bis auf das Niveau des Sandspiegels hinaufdringt
imd endlich einen oberflächlichen Fluss bilden kann; deim
zuerst muss das Sandbett mit Wasser ausgefüllt werden, bevor
ein zu Tage tretender Strom entstehen kann. Wir fanden
nicht für überflüssig, uns so über den Charakter des Tor-
rent zu verbreiten, weil man sich in Europa gewöhnlich
einen sehr irrigen Begriff von dem afrikanischen Stromleben
macht; wir wollen hier nur andeuten, wie zweckmässig es
wäre, auch auf den Karten die verschiedenen Stromformen,
durch Farben z. B., zu unterscheiden, sodass nur der wirk-
liche Fluss blau, der Torrent aber gelb gezeichnet würde.
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440 Reise durch dae Land der 'Eunima.
Erst jetzt können wir uns den besondern Charakter des Ma-
reb-Mittellaufes verdeutlichen.
Der Mareb in seinem Mittellaufe mit seinen Zuflüssen zeigt
uns nun die Wasserströmung in einer dritten Form, einem
Mittelding zwischen Fluss und Torrent, und diesen Charakter
verliert er erst in seinem Unterlaufe in der Landschaft Taka.
Abgesehen von der Regenzeit, wo er natürlich regelmässiger
Fluss wird, also vom Juli bis September, zeigt er sich als
Torrent, auf eine Weise aber, dass das Sandbett hier und da
von Teichen unterbrochen wird, wo das Wasser für kurze
Zeit an die Oberfläche hinausquillt. Daher rührt die Sage,
die schon auf des Jesuiten Lobo Karte sich findet, der Mareb
verliere sich im Lande der Shangalla (Kunama), um später
wieder zum Vorschein zu kommen. Diese Sage, die richtig
verstanden nicht unwahr ist, blieb falsöh, solange man sich
unter dem Mareb einen Fluss im europäischen Sinn des Wor-
tes vorstellte, wo also der Wasserstrom unter irgend einem
Felsen durch verschwinden konnte. Der richtige Sinn der
Sage, wie wir ihn durch eigene Anschauung erkannten, ist,
dass der Mareb in seinem Mittellaufe nicht mehr einen con-
tinuirlichen Fluss bilden kann: 1) weil ihm seine Uferländer,
die weniger Regen haben als das abyssinische Hochland, nicht
mehr so viel Wasser zuführen; 2) weil die grössere Hitze mehr
Wasser verdunstet; 3) weil die wasserdichte Thonschicht tiefer
liegt, als im eigentlichen Abyssinien. So würde er zu einem
Torrent, wie es der Anseba und Barka auch sind. Da aber
das Land der Kunama eine viel festere Bodengestaltung hat,
als die Tiefländer des Anseba und Barka, die meist aus Granit-
schutt bestehen, so kann er sich kein so regelmässiges Bett
graben; oft treten Felsen hemmend in den Weg oder schief
entgegenliegende Schieferlager treiben das Wasser an die Ober-
fläche, ohne ihm das Weiterfliessen zu gestatten, ganz, nach
Art artesischer Brunnen, und so finden sich sehr häufig Quell-
teiche lebendigen Wassers, welche die Monotonie des trockenen
Sandbettes erfreulich unterbrechen.
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Reise durch das Land der Kunima. 441
Diese Eigenschaft theilt der Mareb natürlich auch mit
seinen Zuflüssen von der linken Seite, da sie geologisch ihm
gleichgestellt sind. Alle die Zuflüsse, die wir von Adiabo bis
Mai Daro überschritten, sind solche Halbtorrente, in denen sich
von Zeit zu Zeit grosse oder kleine Teiche mit perennirendem
Wasser finden. Sie haben alle ein sehr unbedeutendes Bett,
da sie von Westen nach Osten gehen, während der Boden
von Süden nach Norden abfällt und da der Thonschiefer ihnen
nicht erlaubt, sich nach Belieben auszudehnen. Man weiss
oft sogar nicht, nach welcher Seite hin diess der Fall ist, so
mühsam streiten sie sich mit dem zäh wderstrebenden Boden.
Dieser Reichthum an Teichen macht das Land der Kunäma
sehr wasserreich, weil an solchen Stellen oft ein sehr grosses
Wasserquantum an den Tag tritt.
Der Mareb behält diesen Charakter während seines ganzen
Mittellaufs; wo die Thonschicht horizontal mit der Oberfläche
fortläuft, zeigt er sich als Torrent und diess ist die Regel,
während die Teiche von der Unregelmässigkeit des Bodens
herrühren.
Von Medebei Tabor bis Mai Daro, wo wir wieder auf den
Mareb stossen, soll er ein sehr sandiges offenes Bett haben,
ohne von Felsen viel unterbrochen zu sein oder wie im Ober-
lauf viel Geröll zu führen; doch treten schon hier und da
Teiche an die Oberfläche. Bei Mai Daro, wo vär den Mareb
überschritten, fanden wir ihn als Torrent mit untiefem Wasser-
spiegel und ebenso bei Elit. Die Teiche sind aber auf dieser
Strecke sehr häufig und bedeutend gross und man bringt
daraus grosse Fische bis nach Kassala auf den Markt.
Es ist natürlich, dass der Mareb die grossen Beugungen
macht, die auf der Karte angegeben sind, da er sich nicht
nach Belieben durch den Schiefer Bahn brechen kann, son-
dern ihm nachgeben muss; er ist auch darin ganz verschieden
von dem Anseba, der lejcht die Granitberge durchbricht. Wo
er aber als Unterlauf unter dem Namen Gash in die freie
Ebene von Taka hinaustritt, wird er regelmässiger und ver-
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442 Reise durch das Land der Konima.
ändert von Neuem seinen Charakter. Bevor wir ihn nun
weiter verfolgen wollen, müssen wir einige Worte über die
Identität des Mareb mit dem Gash einschalten.
In einer frühem, von Hm. Maltebrun publicirten Arbeit
haben wir die Identität a priori behauptet aus Gründen, die
auch jetzt noch gelten. Wie nämlich aus Hrn. Petermann's
Karte ersichtlich ist, waren die Geographen über diesen Punkt
gar nicht einig; die einen liessen ihn sogar in der Nähe von
Dorkutan in den Takkaze fallen. Ich kann mir diese Angabe
nur daraus erklären, dass der Mareb unter Mai Daro wirklich
bedeutend nach Süden sich wendet und ihre Gewährsleute
Abyssinier waren. Die meisten aber brachten ihn nach Taka
hinunter. Ich schloss mich dieser Ansicht aus folgenden Grün-
den an.
Die grossen Ströme von Nordabyssinien sind der Anseba
und der Barka, deren Quelle und Lauf weithin uns bekannt
sind und dann der Atbara, dessen westlicher Zufluss der
Takkaze ist. Woher sollte der Gash kommen, den wir schon
damals, aus dem Lande der Kunäma tretend, kannten, so räson-
nirten wir. Seit dieser Zeit nun haben wir den Mareb bis
Mai Daro als einen Fluss constatirt und hier unter dem Namen
Sona passirt. Wir sehen ihn von da südlich nach Anal sich
wenden; wir finden den Sona von Neuem an Eimasa und an
Elit vorüberziehend, wo er zum Gash wird. Die Identität kann
also kaum angefochten werden. Zudem sind nun die Kunäma
oder Bazen selbst gewiss die besten Kenner ihres Flusses
und alle ohne Ausnahme erklärten sie, der Sona von Mai
Daro und Elit sei derselbe Strom. Auch die Algeden bewiesen
den Zusammenhang, indem sie oft von Elit den Strom hinauf-
gehend die Dörfer von Mai Daro verwüstet haben. Ebenso
haben die Soldaten von Adiabo den Mareb hinabziehend die
Hadendoa bei Elit überfallen.
Wer nun noch Zweifel hegen möchte, den sollten wir
fragen, wo nun eigentlich der Strom Gash, der von Elit ab*
wärts uns vollständig bekannt ist, herkommen kann, wenn er
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Heise durch das Land der Kunama. 443
nicht die Fortsetzung des Mareb-Sona ist, den wir bis Anal
zusammenhängend kennen?
Eine andere Frage aber ist, bis wohin sich der Unterlauf
des Mareb fortziehe. Der Mareb heisst nämlich von Elit ab-
wärts Gash (so lautet seine Aussprache und nicht Qash, da
das arabische (Jf, q nichts mit dem Namen zu thun hat).*)
Aus dem abschüssigen Bergland der Kunama tritt er in die
grosse Ebene Taka, der er so nothwendig ist, wie der Nil
Aegypten. Sein Unterlauf durchströmt nun ein Flachland,
das wohl als Anschwemmung von ihm selbst gebildet worden
ist. Denn das Land Taka zeigt sich als eine dem Gash flach
anliegende steinlose Ebene. Einzelne Berge freilich springen
hier und da hervor und unterbrechen die Einförmigkeit, aber
als blosse Ausnahmen bilden sie keine Gebirgslandschaft mehr.
Der Gash verliert daher auch seinen frühern Charakter, er
wird nach und nach förmlich Torrent; in der Ebene strömt
er nur in der Regenzeit überirdisch. Die Teiche verschwin-
den; in der trockenen Zeit findet man untief unter dem Sande
eine reichliche überirdische Strömung. Er tritt schon bei
Kassala sehr nahe an den Atbara hinan und es fragt sich,
was bei seiner beständigen Neigung gegen Westen die Ver-
einigung so lange hindere und ob er sich überhaupt mit ihm
vereinige.
Bei meinem ersten Aufenthalt in Kassala konnte ich dar-
über nicht klar werden; gewiss konnte ich erfahren, dass er
sich noch sehr weit nördlich fortziehe und es war Herrn A. de
Courvars Verdienst, zuerst erkannt zu haben, dass er, wie
er sich ausdrückt, in einem Arme in den Atbara münde; aber
er hätte genauer genommen sagen können, dass er wenigstens
darein münden könne.
Der Gash geht nämlich von Kassala an Ehret vorbei in
*) Der Name Gash, der eher dem Strome zukommt, als dem Strom-
land, hat mit dem arabischen Worte gesh nichts zu thun. Gesh be-
deutet Gras und hat das harte sh.
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444 Reise durch das Land der Kunäma.
das Gebiet der Hadendoa nordwärts, parallel mit dem Atbara,
kaum 15 Stunden von ihm entfernt. Seinen natürlichen Lauf
unterbrechen zwei Umstände, vorerst die von der Natur ge-
bildete Wüste El Hauede, dann die Kunst des Menschen.
Die Hauede vorerst legt sich etwas erhaben zwischen die
zwei Flüsse und hindert sehr lange ihr Zusammenkommen.
Die Kunst femer, die den Gash zur Bewässerung des Landes
benutzt, vertheilt seine Wassermasse und hindert ihr Weiter-
kommen. Von Kassala nordwärts ist nämlich das rechte Ufer
höher, als das linke; so ist es möglich, das linke Ufer durch
Hindernisse unter Wasser zu setzen, während das rechte Ufer
schon zu hoch liegt. Die Folge davon scheint mir zu sein,
dass der Gash, der bedeutenden Schlamm mit sich führt, das
linke Ufer damit bereichert, es so erhöht und vom rechten
Ufer, das nicht überfluthet werden kann, aber dem Wasser-
drang ausgesetzt ist, Stück für Stück abreisst, die der Strom
weiter nördlich absetzt oder aber dem linken Ufer, über das
er wegläuft, schenkt. Nothwendige Folge dieses vielhundert-
jährigen Processes ist, dass das linke Ufer immer höher zu
liegen kommt und je femer es vom Flusse ist, um so schwerer
vom Wasser überströmt werden kann; dass ferner das linke Ufer
immer mehr nach Osten weicht und das Strombett selbst
sich also immer mehr rechtsab vom Atbara entfernt. Das
links vom Strom angesetzte Land, das endlich so hoch zu
liegen kommt, dass es für das Wasser nicht mehr erreichbar
wird,, muss nothwendig eine Art Steppe fruchtbaren aber
wasserlosen Bodens abgeben. Und diess ist die Hauede durch-
aus; sie zeigt gutes, aber unbewässertes Land; wenn sie Regen
erhält, erzeugt sie üppiges Gras.
Aus diesen Zuständen wollen wir uns erklären, warum
der Gash nicht seiner natürlichen Richtung nach sich dem
Atbara zuwendet. Wir müssen uns vorstellen, dass der Gash
in alter Zeit direct dem Atbara zufloss, sich aber nach und
nach durch Ablagerung den Weg dahin versperrte und vor
dem gegen Westen von ihm selbst augelegten Damm rechts ab-
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Reise durch das Land der Kun&ma. 445
m
weichen mnsste. Je weiter die Ablagerung ging, um so mehr
verlängert sich der Damm zwischen beiden Flüssen und dieser
Damm ist die Hauede, die sich immer mehr ausstrecken muss,
sodass es am Ende dem Gash unmöglich werden muss, sich
dem Atbara wieder zu nähern. So suchen wir uns die Gegen-
wart der Hauede zu erklären.
Nun tritt aber ein anderes Moment hinzu. Der G^sh wird
eben nicht nur seitwärts ablagern, sondern auch vorwärts.
Er wird also auch nicht mehr nordwärts gehen können und
muss deswegen immer östlicher abzulaufen suchen. Da nun
in Folge der menschlichen Kunst der ohnehin sanftere Lauf
des Stromes gehemmt ist und so die linke Uferebene den her-
beigeführten Schlamm zum grössten Theil für sich behalten
kann, so wird sie sich sehr schnell erheben, während wenig
Schlamm übrig sein wird, um den nordwärts angesetzten
Damm zu erhöhen; auch arbeitet der Wasserzug energischer
gerade vor sich hin, als auf die Seiten. Deswegen wird der
nördliche Damm nur langsam sich erheben können und es
wird dem Hochwasser noch lange möglich sein, ihn zu über-
schreiten. Diess ist nun auch in der Wirklichkeit der Fall.
Der Gash wird nämlich auf seinem linken Ufer durch
künstliche Dämme zur Ueberschwemmung gebracht (die Breite
der überschwemmten Ebene fanden wir durchschnittlich andert-
halb Stunden). Seine Anwohner sind die Hallenga, die Ser
golab und die Hadendoa, im Verein mit den gemischten Ein-
wohnern von Kassala. Unter Aufsicht der Regierung errichten
sie dem ganzen Laufe nach von oberhalb Kassala an künst-
Eche Stromwehren (Djisr), die, den Wasserstrom hemimend,
ihn auf das flache Land ableiten. Diess geschieht vom Monat
August an, wo der Strom regelmässig zu fliessen anfängt. Er *
bedeckt das Land zwei Monate lang. Sobald er zu sinken
anfängt, trocknet das stagnirende Wasser aus; wird der Boden
endlich betretbar (November), so pflanzen die Leute ihr Durra
auf dieselbe Art, wie bei uns Bohnen gesetzt werden. Der
üppige Boden und die heisse Sonne bringen es bald zur
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446 Reise durch das Land der Kunima.
schönsten Eradte, die schon im Fehniar stattfindet. Der
Gash macht also das Land Taka zu einem ungemein frucht-
hseren Strich; man kann sich davon einen Begriff maehen,
wenn man weiss, dass in guten Jahren die Kameellast in
Kassala nur Vs Thaler kostet, in schlechten Jahren aber
höchstens V/2 ThaJer.
D^r Gash wird von oberhalb Kassala (Hellet Sherif) bis
Umbereb gegenüber Fsduk von den Hadendoa auf diese Manier
zur Cultur benutzt; so weit reicht also der Winterstrom in
gewöhnlichen Jahren und man muss sich verwundem, dass
er bei der Ableitung so weit hin gelangen kann. In Jahren
aber, wo in Abyssinien sehr viel Bogen fällt, ist es ihm trotz
allem doch noch möglich, sich bis zum Atbara Bahn zu
brechen; doch ist diess seit zwanzig Jahren nicht mehr vor-
gekommen und wird immer seltener werden. Ueber diesen
Punkt konnte ich mich bei meiner Rückreise von Berber nach
Kassala überzeugen, nachdem wir schon früher von Augen-
zeugen berichtet worden waren. Den 16. August 1862 über-
schritt ich ein kleines Sandbett ()y^j Chor), und zwar in der
Ebene Suane bei Umm Handel, etwas nördlich von dem
Punkte, den Herr v. Courvsd als Mündung bezeichnet Diesen
Ort heissen die Hadendoa Gash -da (Gash -Mund) und bezeu-
gen so durch das lebendige Wort den Ursprung. Als ferneres
Zeugniss stehen hier einige Tamarisken (Tarfa), die am Gash
von Kassala häufig, sonst nirgends in der Umgegend vorkom-
men und deren Samen nur der Wasserstrom herbeiführen
konnte. Es thut nichts zur Sache, dass das Sandbett sehr
klein ist, da es der Fluss nur sehr selten erneuert und bei
der Ableitung nie eine grosse Wassermasse hierher gelangen
*kann. So darf der Gash kaum als ein Zufluss des Atbara
angesehen werden, da er ihm nur ausnahmsweise Wasser zu-
führt und jedenÜEÜls in sehr geringer Quantität. Sein Nutzen
bleibt also ganz der Landschaft Taka, die er wohl dreissig
Stunden lang befruchtet. Jedenfalls bringt er dem Lande viel
mehr Gewinn, als der bedeutendere Atbara, der bei den meist
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Reise durch das Land der KuD&ma. 447
hoheu Ufern wenig zur Ueberschwemmung geeignet ist; an
Fiebern sind sie beide reich genug, besonders der Gash.
Die Zuflüsse des Gash brauchen wir nicht speciell anzu-
geben, da sie aus der Karte ersichtlich sind; sein Wasserge-
biet ist jedenfalls ungeheuer gross; er empfängt schon vom
Hamasen, was nicht nördlich zum Anseba geht; dann das
östliche Abhangswasser des Okulekusei; alles Wasser von
Sarae, Kohein, Adiabo, QoUa Sarae und der meisten Kunäma.
Bemerkenswerth ist nur der Zufluss, der uns oberhalb Balka
als „kleiner Mareb" (Mareb Nush) vom Dembelas kommend
angegeben wurde und sehr bedeutend sein soll. In Hinsicht
auf dieses grosse Quellgebiet darf es nicht Wunder nehmen,
wenn er so ausreichend dem Lande Taka genügen kann.
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Land und Volk.
Wir haben das Land der Eunäma von Süden nach Norden
gehend kennen gelernt; wir haben die Kenntniss desselben an-
gebahnt, ohne selbst einstweilen ein klares Bild davon geben
zu können; man weiss aus dem Yorhergesagten, dass uns die
Umstände nur die directe Durchreise erlaubten. Wir konnten
damit für den Anfang wohl zufrieden sein, aber es wäre zu
wünschen, es würde die Linie von Mai Daro über Anal bis
Dika hinüber und von da querdurch über Sogodas nach Elit
begangen; nur so könnten wir zu einem vollständigen Bilde
des Landes kommen.
Das Land der Kunäma ist vorzugsweise Hügelland; Ge-
birge fehlen nicht, aber sie haben auch keinen entscheidenden
Einfluss auf Land und Volk; die grosse Baraka selbst, die,
von Adiabo beginnend, sich gegen Norden und- Westen flach
fortzieht, steht öde und verlassen da. Nur das Land jenseits
des Mareb, das sich gegen die Hochfläche von Betkom auf-
dacht, zeigt mehr Zusammenhang; aber das ganze Land bietet
eine Einförmigkeit und Charakterlosigkeit, die sich, vorläufig
gesagt, in dem Sinn des Bewohners abspiegelt. Suchen wir
uns zu Orientiren.
Das Land ist von zwei Strömen durchflössen, dem Takkaze
und dem Mareb, die ungefähr dem gleichen Ziele zulaufen.
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Reiae durch das Land der Kunama. 449
Sie bilden beide sehr tiefliegende, bedeutende Plateaux schnei-
dende Thäler. So trennt der Takkaze das Land Tigre und
das Semien mit seinem abgrundartigen Erosionsthal, so der
Mareb das Sarae und seinen Qollagebirgszug von dem Tigre
und seiner Verlängerung, Shire und Adiabo. Beide treten nun
im Lande der Kunama in^s Freie hinaus; das Hochgebirge tritt
mehr zurück und das Thal assimilirt sich mehr dem niedrig-
gelegenen Lande. Eine Hügelkette, die sich längs des rechten
Ufers des Takkaze hinzieht, bildet die Wasserscheide zwischen
beiden Flüssen. Ganz ihm analog ziehen sich dem linken
Marebufer entlang Hügel. Zwischen diesen beiden Hügelreihen
nun streckt sich eine Tiefebene aus, die schon am Fuss von
Adiabo beginnt und die Baraka heisst Wir haben sie schon
charakterisirt und brauchen um so weniger dabei zu verweilen,
da sie seit undenklichen Zeiten wild und öd dasteht. Zu be-
merken ist nur, dass sie ihr Wasser östlich dem Mareb zu-
schickt.
Was nun die Hügelreihe am Takkaze betri£ft, so haben
wir sie nur von Tsade Mudri erblicken können. Wir wissen,
dass diese Hügel von den Dika-Bazen bewohnt werden; Dika
ist nämlich der. landesübliche Name für Takkaze. Augenzeu-
gen beschrieben mir ihr Land als schwer zugänglich, von
Dornenbäumen dicht bewaldet und felsig. Sie stehen mit den
übrigen Kunama in freundlichem Verkehr und sprechen die
gleiche Sprache, wenn auch einen besondem Dialekt. Sie
sind geographisch vom Wolkait abhängig, mit dem sie in be-
ständigem Krieg leben. Ihr Land ist reich an grossen Höhlen.
Nach allen Berichten sind die Dika sehr zahlreich. Von
Anal bis zu den ersten Dörfern der Dika wurde mir die Ent-
fernung auf eine Tagereise angegeben.
Wir haben gesehen, dass sich das Hochland von Adiabo
gegen Norden dem Mareb nach langsam abdacht, bis es ein
Niveau erreicht und unsere Strasse ging zum Theil auch dieser
Abdachung nach. Da ihm parallel die Qolla Sarae ebenfalls
nordwäiis abläuft, so sehen wir ungefähr bis auf die Höhe
lluQxinger, OsUfrik. 8tudien. 29
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460 Reise durch das Land der Kttn&ma.
von Mai Daro den Mareb zwischen den zwei Bergreihen nord-
wärts ziehen. Hier nun wendet er sich nach Westen und das
mehr offene Land ladet zur Ansiedlung ein. Wir finden also
vorerst die Landscht^ Bazena, die nur südlich und westlich
von Hügeln beengt ist, im Osteli und Norden aber wohl
5 Stunden weit ziemlich frei daliegt.
Bazena, auch Balka genannt, ist wohl der wichtigste Punkt
der Kunama, da hier die bequemste Strafe nach dem Barka
sich bietet. Sein Hauptort ist Mai Daro, nicht der Grosse des
Dorfes wegen, sondern als Mittelpunkt. In frühern Zeiten
enthielt diese Landschaft mehr als 40 Weiler, die seit
dem Durchzug Ubie's sehr zusammengeschmolzen sind, doch
mag sie immer noch an 15 Weiler zählen. Die Ebenen sind
unbewohnt; die sehr zerstreuten Dörfer finden sich auf den
Hügeln zu beiden Seiten des Stromes im Walde versteckt.
Während nun das Land jenseits des Mareb gegen Norden zu
einer schiefen Ebene sich aufdacht, treten weiter unten gegen
Westen Gebirge dem Strome nahe und beschrilnken den Blick,
während das linke Ufer fortwährend von einer Hügelkette be-
gleitet wird. Hier finden wir wenige Stunden entfernt zwei
Ansiedlungen, Anagulle und Fodie; dann biegt sich der Strom
gegen Süden und wir finden den Gau Anal (oder Ainal), der
sehr bedeutend sein soll.
Bevor wir nun stromabwärts gehen, wollen wir das Land
nördlich von Mai Daro verfolgen. Wir finden also zwischen
dem Marebthal und dem Barka eine Hochfläche, die wir auf
unserer Reise quer überschritten haben. Diese Hochebene
besteht aus mehreren gutbevölkerten Terrassen :Betkom,Alpmme
und Afla.*) Die höchste Erhebung bildet Afla, das, am wei-
*) Wir haben uns folgende Dorfnamen aufgeschrieben: Ogenna,
Alemmo, Kedaglo, Gullo, Maradama, Koita, Shigetta, Ashitii, Tsad-
amba, Ashigola, Gonge Kula, Shigirta, Atabeddala, Afilo oder Afla,
Ebintena, Teititta, Tarbotta, Amta, Lagaderbe, Kedura, Amdada,
Tebera, Seiletta, Gega, Soli, ^agaro, Betkom, Tendere, Musdaura,
Samero, Kerta.
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Reise durch das Land der Kunama. 451
testen gegen Osten sich erhebend, direct auf das Barka hin-
nnterscbant und als immer grün und wasserreich geschildeii;
wird. Seine Wasser sendet es nach Beikom, das seinerseits
sie dem Mogoreib zuschickt. Diese Hochebene flacht sich
also schräg gegen Nordwest ab, sich sowohl vom Barka, als
vom Mareb isoHrend. Ihre Bewohner leben in der offenen
Ebene und sind schon deswegen viel zugänglicher, gleichen
eher .den Barea und stehen mit ihnen in stetem Verkehr. Als
Grenzorte gegen die Barea müssen wir Samero und Kerta
erwähnen und dann den mohammedanischen Gau Dsaude in
drei Dörfern.-
Nachdem sich der Mareb gegen Süden gewendet, kehrt er
wieda: nach Nordwesten zurück und jiier finden wir auf seinem
rechten Ufer die zwei Gaue Eimasa und Seiest Logodat (auch
Ashka), beide sehr volkreich und in unmittelbarer Nachbar-
schaft von Mogoreb; auch sie bilden eine Zwischenterrasse
zwischen Mareb und Barka, ganz wie die Hodifläche Betkom.
Ihr Land legt sich wieder schräg zwischen beide und zieht
sich immer schmaler werdend als Gebirge bis nach Algeden
fort, indem es rechts tief in's Barka hinabfällt, links 'weniger
tief auf den Mareb.
Auf dem linken Ufer des Mareb finden wir dann, aber
mehr landein, den Gau Sogodas, Nachbarn der Homran, und
ihm gegenüber auf dem rechten Ufei* Elit, das wir besucht
haben. Zwischen Sogodas und Dika hat man uns mehrere
Dorfer genannt, ohne uns aber deren geographische Position
zu verdeutlichen. Da Herr Baker sich lange am Takkaze auf-
gehalten hat, hat er wohl über diese Seite des Kunämalandes
Erkundigungen einziehen können, wenn er sie auch nicht be-
sucht hat
Wir sind nun gar nicht in der Lage, die Zahl der Ku-
nama zu schätzen; jeden&lls ist sie der Bareabevölkerung
wohl zehnfach überlegen und möchte so immerhin zwischen
1 — 200,000 Einwohnern schwanken. Wir finden sie in viele
Gaue vertheilt, die sich gegenseitig nichts angehen, sich aber
29*
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452 Reise durch das Land der Kon&ma.
immerhin als Freunde und Brüder anerkennen. Vom Lande
selbst ist i^enig mehr zu sagen: das Klima ist durch seine
Höhe bestimmt. Fieber sollen im Ganzen selten sein, obgleich
gerade bei unserem Besuche ausnahmsweise darüber geklagt
wurde. Das Aussehen der Leute sprach von grosser Gesund-
heit; wir sahen nur starke und wohlbeleibte Leute. AufEeülend
war uns die spärliche Vertretung des Thierreiches; wir sahen
auf dem ganzen Weg wenig Wild und Vögel. Doch konmien
alle Thiere des Barka auch hier vor, wohl aber in geringer
Zahl.
Es ist schwer zu entscheiden , wann die Kunäma ihr jetzi-
ges Land in Besitz genommen haben. Sicher ist, dass sie
seit undenklichen Zeiten hier sind, obgleich sie behaupten,
von Abyssinien her eingewandert zu sein. Auch die Abys-
sinier halten die Kunäma für die alten Axumiten. Sie schei-
nen nach und nach von den Semiten verdrängt worden zu
sein. Der eigene Name des Volkes ist Kunäma, sonst heissen
sie bei ihren Nachbarn auch Bazen, Baza.
Das Land der Barea breitet sich am Fuss des Bazenlandes
aus und tritt eben zum Barka hinaus, zu dem es geographisch
gehört. Es theilt sich natürlicherweise in zwei Gaue: Hagr
und Mogoreb; während Hagr einfach dem Kunämaland an-
liegt, ohne ihm im Wasser oder sonst verbunden zu sein, ist
das Thal Mogoreib die tiefere Fortsetzung von Betkom. Von
dem Gau Hagr (oder Higr) gehört einzig das Dorf Sheref
geographisch zu Mogoreb, da es jenseits der Wasserscheide
liegt. Der Gau Hagr theilt sich in mehrere von einzelnen
Bergen getrennte Thäler, die alle sich gegen die Barkaebene
öffnen. Doch werden sie im Norden durch den sehr hohen,
langgestreckten Berg Nebi (oder Lebi), der dem ganzen Land
von Bisha bis Mogoreb vorliegt, einigermassen abgeschlossen.
Dieser Berg hat beständiges Wasser und trug früher das Dorf
Asretta. Er zeichnet sich wie der Berg von Bisha auch durch
das Felsenmeer aus, das seine obere Hälfte krönt.
Der Name Barea, mit dem die Amhara einen Sklaven be-
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Reise darch das Land der Kundma.
453
zeichnen, ist nicht im Lande einheimisch; ich kenne keinen
Collectivnamen für dieses Volk. Die Kundma heissen die
Barea Marda und ihr Land Kolkotta. Die Barea selbst nen-
nen die Leute von Hagr Nere, den zweiten Gau bilden die
Mogoreb. Wir wollen die Namen der einzelnen Dörfei' auf-
zählen:
L Gau Hagr (Nere).
1) Shilko
2) Haberetta
3) Meshgul
4) Terbetta
5) Gert^
Moham-
medaner.
6) Tumbu
7) Arnetta
8) Qishot Qerre
9) Mogelo
10) Karkotta
11) Shishekor)
12) Ona I Teged(
13) Asrak
14) Lugderetta
15) Beigetta
16) Simetta
17) Sheref
18) Debr Shille
19) Kebäbe
II. Gau Mogoreb
1) Afidjo
2) Hadte
3) Kobbetago
4) Az Mahas
5) Az Negeb
6) Degeda
Gemischter Religion.
meist Mo-
hammedaner
Reine Barea- Religion. CoUectivname: Tem-
bider6.
Arretta, gemischter Religion.
20) Bisha, halb von Beni Amer'n, halb von Barea bewohnt.
Von diesen Dörfern sind von Hagr ausser Nr. 3, 6, 16,
17, von Mogoreb ausser 6 alle ziemlich gross, sodass man,
jedes zu 1000 Einwohner ungefähr genommen, die ganze Be-
völkerung auf 20,000 Seelen anschlagen kann.
In Tributsachen stehen zusammen 2 und 3; 4 und 5; 6,
7, 8, 10; 11 und 12; und 13—17; sonst steht jedes für
sich da.
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454 Reise durch das Land der Kun&ma.
Was nun die Nationalität derselben betrifft, so sind Habe-
retta und Shilko nicht eigentliche Barea, sondern ^ngewan*
derte Haffara; ihres Ursprunges also Tigre, haben sie die
Landessprache angenommen. Die übrigen sind wirkliche
Barea, aber der Islam ändert ihre Sitten um. lieber den
Ursprung dieses Volkes ist es schwer, Muthmassungen zu
haben. Dass sie früher auch im jetzigen Lande der Bogos
und Takue angesiedelt waren, ist kaum zu bezweifln. Man
behauptet, der Stamm Az Shehei im Hamasen stamme auch
von den Barea ab. Mit der Bazensprache haben sie nur
wenige Wörter gemein. Eigentliche. Erinnerungen fehlen.
Einmal wurde mir erzählt, es sei in alter Zeit ein Prophet
durch Afrika gezogen; von seinen zurückgelassenen Sklaven
sollen die Barea abstammen. Doch hat diese Sage keinen
weiteren Anhalt, um irgend die Vergangenheit au£suhellen.
Die zwei Gaue Hagr und Mogoreb leben in Freundschaft
und gehen oft gegenseitig Heirathen ein; aber jeder hat bei
gleichem Recht verschiedenes Gericht und ist im Rath, Poli-
tik, Krieg und Frieden von dem andern unabhängig. Sie
reden dieselbe Sprache; sonst ist kein Datum da, das ihren
gemeinsamen Ursprung bewiese. In Zahl und Namen ist Hagr
bedeutender, aber die Mogoreb haben bessere Lanzen und mehr
Ausdauer. Mogoreb ist zum grössten Theil mohammedanisch.
Die Barea leben nicht nach Stamm und Familien zusammen,
sondern jeder lebt als Barea in jeder beliebigen Gemeinde;
die aristokratische Genossenschaft ist hier nicht bekannt.
Die aufgezählten Dörfer sind alle an Bergabhängen ange-
legt; einige derselben ziehen sich wohl der Sicherheit und der
Gesundheit wegen sogar weit zum Scheitel hinauf, besonders
Bisha. Das Gleiche sehen wir in Algeden und Sabd^rat, wo
die Hütten über dem Abgrund hängen, und besonders bei
Elit. Die Berge selbst sind unbewohnt. Die D&rfer sind eng
zusammengedrängt. Das Land ist audi au den Abhängen
nahe den Dörfern gut bebaut und ähnlich unsem Wdnbergen
mit Terrassen gegen das Wasser geschützt. Brunnen hat jedes
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Beise durch da» Land der Kunäma. 455
.Dorf, oft in sehr grosser Tiefe; wir haben deren 60 Fuss tief
in den festen Boden gegraben gesehen. Sie sind trichterförmig
construirt, sodass man bis zur halben Tiefe hinabsteigen
kann, müssen jedes Jahr nach der Regenzeit erneuert
werden und sind nicht ausgemauert. Fliessendes Wasser sah
ich nur im Strome Kufit; das Bett des Amida birgt übrigens
auch unfemes Wasser, das ausgezeichnet ist.
Das Aussehen des Landes ist dem des Barkalandes ganz
ähnlich; doch scheint es gesunder zu sein, wenn auch Fieber
nicht fehlen und Blindheit häufig ist. Man muss sich das
Land als eine offene Ebene vorstellen, die Berge bilden nur
die Ausnahmen. Der Boden ist schwarzer Thon, an den
Bergabhängen bei den Dörfern ist er rothe harte Erde. Regen
fallen wie im Barka meist in der Nacht; dass das Barealand
ein heisses Land ist, versteht sich nach seiner Lage von selbst.
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Verhältniss zum Ausland.
Betrachten wir nun die Stellung der beiden Völker auf
der Karte, so erscheint sie uns als eine exceptionelle. Unter
sich sind zwar die Kunama und Barea selten Freunde gewesen
und haben nie viel gegenseitigen Verkehr gehabt, aber die
Gleichheit der religiösen und rechtlichen Begriffe Hess sie
lange, vielleicht undenkliche Zeiten nebeneinander leben, ohne
dass sie sich, trotz der Fremdheit, aufgerieben hätten. Dem
Ausland gegenüber befanden sie sich aber in einem perma-
nenten Belagerungszustande. Denn sie haben mit ihren Nach-
barn nichts gemein; sie sind nicht Christen und nicht Mo-
hammedaner, sie werden von beiden als Heiden verachtet, die
man ohne Sorge oder Reue verfolgen, knechten und ausrot-
ten dürfe. Daraus ist ein ewiger Krieg entstanden, mit oft
wechselndem Glücke. So tapfer sich nun immer unsere Völker
gewehrt haben, so muss doch dieser Krieg des Einen gegen
alle zur völligen Vernichtung des Volkes führen, das sich
von nirgends her regeneriren oder finsch ergänzen kann, wie
die Abyssinier oder die Leute von Barka, die in ihren grossen
Nationen einen Anhalt haben. Da aber in neuester Zeit
Abyssinien einerseits zu einer gewaltigen Monarchie sich zu
gestalten scheint, anderei'scits die mohammedanischen Völker
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Reise durch das Land der Kunama. 457
unter dem ägyptischen Vicekönig vereinigt worden sind, so
ist vollends keine Hoffnung mehr vorhanden, diEtös sich unsere
Völker selbstständig erhalten können; sie müssen sich ver*
nichten lassen oder aber sich unterwerfen und wir werden
betrachten müssen, welcher Anfang dazu schon gemacht wor-
den ist. Es folgt aus der Geographie, dass die Bazen es be-
sonders mit den Leuten von Adiabo und Wolkait, die Barea
mit den Leuten von Barka zu thun hatten und haben.
Uebrigens sind auch die Bazen mit den Mohammedanern oft
feindlich zusammengestossen und in neuester Zeit haben auch
die Barea Abyssiniens Uebermacht kennen gelernt. Wir wollen
also zuerst das Verhältniss der beiden Völker den Moham-
medanern gegenüber in's Auge ÜEtssen.
Die Barea sind die unmittelbaren Nachbarn der Beni Amer.
Die Berührung konnte nur eine feindliche s^n; die Barea
sind Demokraten, Ackerbauer; die Beni Amer Aristokraten,
Komaden. Die Beni Amer verwüsten ganze Dörfer; die Barea
entgegnen mit kühnangelegteu Raubzügen, die östlich bis zu
den Bergen der Bogos und Marea, westlich bis zu den Ha-
dendoa ausgedehnt werden. Sie gehen in klmnen Banden,
ohne Furcht und ohne Mitleiden. Von Schonung wissen die
sonst sehr friedfertigen Barea im Auslande nichts. Die Beni
Aroer sind bei Weitem nicht so muthig, halten aber besser
zusammen und in der Ebene haben sie den Vortbeil, gut be-
ritten zu sein. Die Barea haben ein sehr ungünstiges Terrain,
sie wohnen in Ebenen, die flach gegen das Barka auslaufen;
im Rücken haben sie die unfreundlichen Bazen. Dessenun-
geachtet blieben die Beni Amer immer im offenen Nachtheil,
da sie als reiche Heerdenbesitzer mehr verlieren konnten.
Man kann nicht sagen, wem die Schuld zuzuschieben ist.
Jedenfalls sind die Beni Amer sehr unzuverlässig und treulos,
besonders gegen die Ungläubigen, denen gegenüber sie sich
alles erlaubt glauben. So wüthete seit undenklichen Zeiten
ein erbarmungsloser Kampf; die Barea überfallen die Heerden
und morden die unvorsichtigen Beni Amer oft neben ihren
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458 Beise durch das Land der Kuntoab
Dörfern; die Beni Amer dagegen suchen die Barea zur Zdt
der Emdte auf und suchen diese zu yemichten. Seit nun das
Barka den Aegyptem unterworfen ist, stehen sich die Beni
Amer ungleich besser, da sie deren Mithülfe versichert sind.
Ganz anders stehen die Barea zu ihren westlichen Nach-
barn, den Algeden, mit denen sie sich seit undenklichen Zei-
ten verschwägern; so sind sie immer gute Freunde geblieben,
umsomehr, da sich beide gegensdtig als Ack^auer besser
verstehen, ab mit den nomadischen Beni Amer'n, mit denen
die Algeden dar Weide wegen in beständigem Zwist leben.
Besonders der Gau Mogoreb ist mit Algeden innig befreundet.
Dag^en stehen die Algeden und die Sabderat den Basen 9ehi
feindlich gegenüber. Das naheliegende Dorf Elit musste sich
ihnen sehr bald unterwerfen; die andern Bazen sind* zwar
nicht nahe genug, um den Sieg der einen oder der andern
definitiv zu beschüessen oder einen Frieden für beide Theile
räthlich zu machen; sie leben aber nicht weit genug, um sich
zu ignoriren und da nun den Algeden wohl bekannt ist, dass
die Bazen keinen politischen Zusammenhang haben, so sehen
sie da eine leichte Beute und eine bequeme Vorrathskammer
von Sklaven. So veranstalten sie fast jedes Jahr in Gemein-
schaft mit Sabderat und Hallenga Raubzüge (Ghazwa), die
oft sehr weit gehen; die beutelustigen Schaaren ziehen den
Gttsh hinauf bis Mai Daro oder gehen südlich bis Anal und
dringen sogar bis zum Takkaze. Die Mohammedaner sind in
ihrem Hass gegen die sogenannten Heiden so dnig, dass nie
eine Nachricht von ihrem Vorhaben zu den Bazen dringt. Sie
fallen in der Nacht dort ein, Weib und Kind werden als
Sklaven fortgeschleppt, die Männer ohne Erbarmen nieder-
gehauen. Diese Einfälle gelingen um so eher, da die Bazen
theilweise den Fluss Gash zur Cultivinmg benutzen und sich
so kaum von seinem Thal zu weit entfernen dürfen. Uebri-
gens vertheidigen sich die Bazen oft mit vielem Math, wenn
nicht die Uebermacht allen Widerstand unmöglich maefat. Um
sich einen vollkommenen Begriff von diesen Verhältnissen zu
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Reise durch das Land der Kunama. 459
machen, bitte ich de» Leeer, über den Krieg der Bewohner
Ton Wadai bei Mohammed el-Tursi nachzulesen oder auch
die Zustände der Neger in Westafirika bei Mungo Park
zu studiren. Wir finden dort die Verlültnisse des östlichen
Sudan, den Vernichtungskrieg der Araber oder Mohammedaner
gegen die Neger ganz exBßt abgespiegelt Der letzte mir be-
kannte Zug dieser Art ÜEind im Jahre 1660 statt und die Ver-
anlassung verdient erwähnt zu werden. Am Gash wohnte ein
Theil des Stammes Hafiara, der auch in Alge<fen und Sab-
derat zahlreich vertreten ist, in dem Dörfchen Tarifat, dessen
Häuptling sich mit den benachbarten Bazen von Anal be-
freundete und sogar eine Tochter derselben zur Frau nahm.
In der Folge benahm er sich gegen seine Schwäger sehr un-
freundlich und verkaufte sogar mehrere Landeskinder, die
bei ihm dngekehrt waren. Sein Schwiegervater bat ihn ver-
gebens um Rückerstattung derselben. Als die Bazen alle
Bitten erfolglos sahen, überfielen sie in grosser Zahl das
Dorf Tarifat in der Nacht; die ganze Bevölkerung desselben
vmrde schonungslos vertilgt; nur die Sklaven, die sich von
ihrem Stamm vorfanden und ihre Tochter, des Häuptlings
Frau, wurde heimgeführt, das Dorf wurde verbrannt und es
fand sich kein lebender Mann, der die Nachricht hätte weiter-
bringen können. Die Algeden hatten das Benehmen des
Sheichs von Tari&t durchaus nicht gebilligt, jetzt benutzten
sie seinen Untergang zu neuen Raubzügen. Bald darauf ver-
einigten sie sich mit den Sabderat und brachten etwa 80 Ge-
fangene von den B^en heim. Ich war zufällig in Sabderat
anwesend, als die Kriegerschaar beutebeladen einzog.
Die Herrschaft der Türken hat bis jetzt wenig in diesen
Verhältnissen geändert. In der ersten Zeit begünstigten sie
selber diese Razzias und nahmen ihren guten Theil von der
Beute. Die Raubzüge wurden dann von türkischen Soldaten
begleitet und von einem Offizier angeführt. Wir wissen, dass
solche auch gegen' die Völker am Anseba gerichtet wurden;
die letzteren wurden aber durch europäische Intervention ge-
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460 Reise darch das Land der Eunama.
rettet. Die Bazen wurden mehrere Male geplündert; aber eine
Eroberung verhinderte die Entfernung und der bergige waldige
Boden. Seit Said Pasha an die Regierung kam, wurde den
Türken alle BetheiligUng an solchen Zügen verboten und die
Gouverneure machten selbst den vergeblichen Versuch, ihre
Unterthanen davon abzuhalten. Was ihnen misslang, haben
dagegen die Abyseinier zu Stande gebracht, wie wir sehen
werden.
Das Land der Barea dagegen konnte sich der Unterwer-
fung unter die Türken nicht entziehen; die Beni Amer thaten
das Mögliche, sie zu unterjochen. Auf ihren Rath hin bauten
die Aegypter in Kufit eine Art Festung, neben welcher die
Beni Amer ein Dorf anlegten. Solange die Festung von Sol-
daten besetzt war, blieb das Land sehr ruhig und gewann
selbst dabei, als jeder seiner friedlichen Arbeit nachgehen
könnte und die Türken die Barea schätzen lernten. Da aber
im Jahre 1856 auf hohem Befehl Kufit von der Garnison ver-
lassen wurde, verbrannten die Barea, der alten Feindschaft
gedenk, das Dorf Kufit, dessen Bewohner dann bei Dunguaz
ein neues Dorf gründeten. Die Barea blieben seither den
Türken theilweise unterworfen, doch bezahlen sie ihren Tribut
nur unregelmässig und lassen ihn oft jahrelang ausstehen; mit
den Beni Amer'n sind sie immer sehr gespannt und der oft
geschlossene Friede wird ebenso oft gebrochen. Wir erhielten
folgende Angaben über den den Türken bezahlten Tribut:
Hagr zahlt 1500 Maria-Theresia-Thaler,
Mogoreb 1000 »
Eimasa 300 »
Seiest Logodat 300 d
AbjBsinien hat erst seit einigen Jahren in die Politik dieser
Länder eingegriffen. In frühem Zeiten befeindeten sich Adi-
abo und die Bazen unablässig und es scheint, dass die Bazen
sonst den Kurzem zogen, da die Adiabo ihre Ansiedlungen ganz
in^s Hochland zurückziehen mussten. In dem letzten Jahr-
zehnt hat die abyssinische Politik einen eigenthümlichen agres-
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Reise durch das Land der Kunima. 48 1
siven Aufschwung genommen. Seitdem der Kaiser Tkeodoros
die Absicht Terkündet hat, dem Reich seine alten Grenzen
zurückzugeben, treten auch die Nordabyssinier viel entschie-
dener gegen ihre Nachbarn auf. Die frühern Kaiser und auch
Ubie machten oft grosse Heerzüge in die Niederlande und
drangen sogar weit in's Barka hinein; der Zug Ubie's im
Jahre 1850, der auf dem Rückw^ von Barka Mai Daro ver-
wüstete, ist noch nicht vergessen, aber auch er öfifhete das
Land dem Verkehr nicht. Wir haben den Fortschritt im Osten
anderswo beobachtet; was die Bazen betrifft, so griff zuerst
der Vorgänger des jetzigen Hauptes von Adiabo, Marradj, die
Bazen kräftig an; er machte mehrere Heerzüge durch das
Bazenland.
Sein Werk setzt der jetzige Statthalter Tsadiq mit vieler
Energie fort; er hat sich schon den grössten Theil der Bazen
unterworfen; den Gau Dika unterwarf sich 1859 der Statt-
halter von Wolkait von Seiten Dedjas Negussie's, Tesamma
Sahlu. Das Frühjahr 1860 wurde denkwürdig durch die
Flucht Dedjas Negussie^s, der durch das Bazenland durch von
dem Kaiser Theodoros verfolgt wurde. Ueber Kohein kam er
nach Mai Daro, verweilte eine Zeit lang am Setit und stieg
dann zum Wolkait hinauf, wo er überall gut empfangen wurde.
Theodoros kam ihm bis Adiabo nach, gelangte querüber zu
den Dika-Bazen und kehrte von da in's Hochland zurück.
Die beiden Heere standen sich immer sehr nahe gegenüber,
aber Negussie konnte unbelästigt das Tigre gewinnen, wo ihn
erst in Jahresfirist sein Schicksal erreichte. Die Bazen ge-
wöhnten sich allmählig daran, abyssinische Unterthanen zu
werden und sie benutzten die neue Stellung, um ihren alten
Feinden im Norden Schrecken einzuflössen. Sie werden nun
des abyssinischen Völkerrechts theilhaftig und können sich mit
dem Beistand ihres neuen Herrn gegen die Angriffe der Mo-
hammedaner vertheidigen. Im Frühjahr 1861 zeigten sie den
Herren von Adiabo den Weg zu den Barea, in Folge dessen
Mogelo gänzlich zerstört wurde; Weib und Kind wurden weg-
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462 Reise durch das Land der Künima.
geführt und noch bei onserm Besuch waren nicht alle Landes-
kinder losgekauft. Im Sonuner desselben Jahres zogen die
Adiabo, von den Eimasa angeführt und von allen Bazen be-
gleitet, den Gash hinunter bis nahe an EUt, wo die Haden-
doa, die sich der Weide wegen hier aufhielten, lagerten. Nach
einem sehr blutigen Kampfe wurden ungeheure Heerden weg-
geführt Kurz nach unserer Durchreise verwüsteten sie den
Gau Mogoreb, der bisher verschont gd^eben war und ver-
nichteten seinen Heerdenreichthum. Endlich im Juni 1862
verbeerten sie, immer von den Bazen geführt und im Einver-
ständniss mit einer missmuthigen Partei dw Beni Amer, ein
Zeltenlager der Az Ali Bakit am obem Barka. So unter-
warfen sie sich nicht nur das Land der Barea und Kunama,
sondern erschreckten auch die Bewohner des Tieflandes, so-
dass nun die Algeden und die Beni Amer ihnen mit Ge-
schenken den Frieden abkauften. Diess kam natürlich den
Bazen zu gute, die seither als abyssinische Unterthanen von
ihren Angriffen unbelastigt leben können.
So sind die Bazen wenigstens von einer Seite beschützt
und nicht zu bezweifeln ist, dass ihr Anscbluss an Abyssinien
nicht ohne Folgen bleiben wird. Jedenfalls ist damit den
Fortsehritten des Islam die Pforte geradewegs verschlossen,
da unsere afrikanischen Völker gewöhnlich der Religion des
Mächtigeren sich anschliessen. Ob sie aber deswegen Christen
werden, ist eine andere Frage, denn die abyssinische Kirche
hat keine Tendenz sich auszubreiten; auch sind die Leute von
Adiabo durchaus keine Kreuzfahrer; ich habe sie sogar im
Verdacht, die Bazen lieber als Heiden behalten zu wollen,
denn leider sehen die Adiabo in einer regelmässigen Unter-
werfung wenig Nutzen; es convenirt ihnen besser, das Land
dann und wann auszuplündern. Der jetzige Statthalter Tsa-
diq ist sehr raubsüchtig; er könnte das ganze Land ruhig und
friedlich verwalten, aber er .sucht oft express den Anlass zum
Krieg. Daher fühlen sich die Bazen noch gar nicht bdiag-
lich unter seiner Regierung; sie zahlen willig den Tribut, ohne
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Reise durch das Land der KuQ&ma. 463
deswegen de8 Friedens sicher zu sein. Wenn Tsadiq in's
Niederland zieht, begleiten ihn immer die tapfersten Bazen,
während die Dörfer sich vor ihren Herren und Freunden in
die Wildniss flüchten und erst zurückkehren, wenn die Abys-
sinier schon lange den Rückzug angetreten haben. Die Leute
von Adiabo sind auch nicht gerade Sklavenjäger, aber wo sie
einfidlen, führen sie die ganze Bevölkerung kriegsgefangen
weg und ist Friede geschlossen, müssen ihre Angehörigen, die
ohnehin durch die Verheerung verarmt sind, sie loskaufen;
so haben die Leute von Mogelo alle ihre Habe als Lösegeld
nach Adiabo geliefert, um ihre Kinder und Frauen zurück-
zuerhalten. Wenn aber die Angehörigen keine Lust zeigen,
ihre ge&ngenen Kinder loszukaufen, sind die Adiabo doch am
Ende gezwungen, sie selber an die Meistbietenden loszuschla-
gen und der Sklavenhandel, den sonst die Abyssinier verab-
scheuen , wird de facto eingeführt. In dieser Hinricht müssen
wir den Statthalter von Adiabo entschieden tadeln, so dank-
bar wir ihm auch dafür sind, dass er das Land den Reisen-
den und wohl einmal auch dem Handelsmann zugänglich
macht.
So sind jetzt die Gaue von Mai Daro, Betkom, Alemmo,
Afla und Anal an Adiabo tributpflichtig. Die Abgaben sind
freilich noch niedrig und bestehen meist in Honig. Dika ist
noch ziemlich unabhängig. £lit hängt von Algeden ab und
auch Eimasa und alle Barea zahlen nun Steuern an Abys-
sinien. Doch sind die zwei letztem schon viel z^ nahe an den
mohammedanischen Besitzungen, als dass sie nun vor den
Türken sicher wären. So müssen sie sich oft dazu verstehen,
zwei Herren zugleich unterthan zu sein. Eine Folge dieser
Unterwerfung ist, dass die Barea und Kunama jetzt mehr in
Berührung kommen und friedlich zusanunen Idben müssen.
Tsadiq schickt gewöhnlich eigene Diener in die verschiedenen
Gaue, um den Tribut einzuziehen; doöh ist er noch wenig
geordnet und die Bazen besonders sind noch nicht an die
Herrschaft göwöhnt; sie lehnen sich oft auf oder tödten die
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464 Heise durch das LHnd der Kuuama.
Soldaten Tsadiq's auf dem Wege und sehen nur höchst ungern
die Fremden im Lande. Deswegen fand ich in Az Nebrid
nur mit Mühe Leute, die mich nach Mai Daro begleiten
wollten.
Der Tribut wir^ nach der Zahl der erwachsenen Männer
berechnet, da jedermann seinen Acker baut und so das Ein-
kommen bei allen ungefähr dasselbe ist Finden die Barea
oder die Bazen nöthig, mit dem Fürsten von Adiabo oder
Barka politisch in Tributsachen zu verhandeln, so bestimmen
die Aeltesten der Gemeinden einige Leute, die der abyssini-
schen Sprache mächtig sind, als Gesandte in's Ausland zu
gehen. Ein solcher Gesandter wird Diener der Gemeinde, die
ihn vom Tribut freispricht, ihm ein genügendes Feld bebaut
und einige Einkünfte sichert. Dadurch wird er aber durch-
aus nicht vor den andern bevorzugt; er ist ein bezahlter Ge-
meindediener.
So befinden sich diese beiden Völker in einer Uebergangs-
periode; die Zeit der Abgeschlossenheit ist vorbei; hoffentlich
werden fortan die Sklavenjagden aufhören. Es ist keine Frage,
dass die eigenthümliche Lage der Barea und Kunama zwischen
zwei Feinden das Volk allmählig vernichten musste; beson-
ders die Barea sind in den letzten Jahren sehr herunterge-
kommen. Sehnlichst wünschen sie, es möchte einer ihrer
Feinde das Feld räumen, um dem andern ganz sich zu unter-
werfen und mit vielem Ernst glaubten sie, es werde den euro-
päischen Mächten, deren Einfluss sich auch in Afrika fühlbar
macht, möglich sein, sie von dieser Doppelstellung zu befreien.
Auch die Bazen sehnen sich nach Ruhe und das grosse Un-
glück, das beide Völker bisher verfolgt hat, öffnet die Augeu
des Volkes, der Fremdenhass schwindet; jetzt kann sich der
Kluge ihre Liebe verdienen.
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Aeusseres Aussehen der beiden Völker.
Es ist sehr schwer, die Körperbeschafifenhcit der Barea
und der Kunama allgemein zu charakterisiren, da sie zwei
verschiedene Völker bilden und die Barea besonders sich
immer vom Ausland her rekrutirt haben. Aehnlich sind sich
die beiden Völker, insofern sie beide eher schwärzliche Haut-
farbe haben, wenn auch das Rothe und Gelbbraune durchaus
nicht fehlt. Verschieden sind sie, insofern die Kunama zur
Fettheit sich neigen, während die Barea meistens mager sind.
Unter den Barea selbst zeichnen sich besonders die Mo-
goreb durch ihre helle Gesichtsfarbe aus, während die Nero
meist schmutzigschwarz sind. Im Gesicht sind sie kaum von
dem gemeinen Mann des Barka zu unterscheiden. Sie haben
meist etwas Markirtes, Unregelmässiges in den Zügen, was,
mit der von den Geez- Völkern entlehnten Frisur verbunden,
den Ausdruck eher unangenehm macht. Sie haben wenig,
meist kurzes, oft weiches Haupthaar, das oft an's Rothe an-
streift. Man findet häufig gebogene grosse Nasen. Was die
Statur betrifift, sind die Nere im Ganzen klein und festgebaut,
die Mogoreb lang und mächtig; sie sind b^ide wenig beleibt.
Die Kunama sehen sich untereinander viel ähnlicher, als
die Barea, was bei ihrem isolirten Leben auch begreiflich ist.
Hunzinger, Ostafrik. Studien. 3Q
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466 Reise durch das Land der Kun&ma.
Sie sind im Ganzen dunkler, als die Barea; das Kohlsch\^arz
ist nicht selten. Doch zeichnen sich die unmittelbaren Nach-
barn der Barea, die Leute von Eimasa und Betkom, durch
lichtere Farbe aus; überhaupt sehen sie ihren Nachbarn viel
ähnlicher, als ihren südlichen Stammgenossen. Diess erklärt
sich au3 dem Handels- und Eheverkehr mit den Barea, wäh-
rend die andern Kunama ihr Blut und ihre Sitten von aller
Fremdheit rein erhalten haben. Die Kunama haben einen
grossen, aber keineswegs aufgeworfenen Mund, eine nie sehr
stumpfe, oft gebogene Nase; im Haupthaar und dessen Tracht
unterscheiden sie sich wenig von den Barea oder den Leuten vom
Barka; man findet es oft sogar recht lang. Sie haben wie
die Barea auch nur schwachen Bart und rasiren wie alle
Völker dieser Zone* den Schnurrbart. Die Augenbrauen sind
meist sehr dicht und buschig.
Die Kunama sind alle sehr kräftig, hochgebaut, breit-
brustig. Ich habe selten ein so durchaus gesundes, mächtig
constituirtes Volk getroffen. Man sieht keine Krüppel. Die
Kraft des Volkes ist von keiner Syphilis untei^aben; diese
Krankheit ist hier ganz unbekannt. Sie sind meistens fett,
ich möchte fast sagen aufgedunsen und contrastiren dadurch
seltsam mit den Barea. Auch die Elit, die doch ziemlieh
weit nordwestlich vorgeschoben sind, haben diese Merkmale
des Volkes treu bewahrt, während sich bei den Eimasa und
Betkom viele hagere Figuren zeigen. Wir werden weiter unten
diese Unterschiede durch die verschiedene Nahrung zu er-
klären versuchen.
Bei den Kunama sind die vielen Narben auffallend, die
den ganzen Leib, selbst das Gesicht und besonders den Bauch
bedecken. Sie sollen meist der Gesundheit und auch der
Schönheit dienen und gelten immer als Erkenntnisszeichen des
Stammes. Die Barea sind darin viel massiger, indem sie wie
die Bogos und die Barea nur die Brust und die Arme mit
einer Art Nessel brandmarken. Diese glatten, glänzenden,
oft runden Brandmale sollen bei dem Weibe die Schönheit be-
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Reise durch das Land der Kundma. 467
fördern, beim Mann den Arm kräftigen. Wir bemerkten bei
den Kunäma femer sehr oft ganz ungeheure Brustwarzen und
einen auffallend knopfartig vorstehenden unförmlichen Nabel.
Wir fanden die Kunäma -Männer im Ganzen viel schöner,
als die Barea, obgleich die erstem besonders durch die Be-
leibtheit und die schwarze Haut den Innerafrikanem ähnlicher
sehen, wenn auch der sogenannte Negertypus fehlt. Bei den
Barea haben die Frauen meist regelmässige, lebhafte, oft so-
gar schöne Züge.
Bei den Barea, die schon mehr den Miasmen des Barka
ausgesetzt sind, sieht man viele Blinde, die sich aber recht
gut zurechtfinden und oft sogar ihrer Arbeit nachgehen. Bei
den Kunama ist Blindheit selten.
Bei beiden Völkern ist langes Leben nicht selten und wenn
es auch unmöglich ist, die Lebensdauer zu bestimmen, so
haben wir doch viele Greise gesehen, die, nach ihren Söhnen
zu schliessen, gewiss die Siebzig überschritten haben mussten.
Eigentlicher Wahnsinn ist fast unerhört, dagegen kommen
einzelne Fälle von Blödsinn bei beiden Völkern vor.
Jedes dieser Völker hat seine besondere Sprache; die Barea
sprechen die sogenannte Nere bena; die Kunama das soge-
nannte Bazena aura. Wir haben die erstere Sprache ziem-
lich eingehend studirt, während wir die letztere fast nur lexi-
kalisch kennen lernen konnten. Wir werden die bezüglichen
Arbeiten später mittheilen. Diese Sprachen haben keine Ver-
wandtschaft untereinander, wenn auch in den Wörtern ein-
zelne Anklänge nicht fehlen.
Die Bareasprache ist beiden Stämmen, den Hagr und Mo-
goreb, gemein, doch ist der Dialekt der letzteren etwas ge-
quetschter und so schwerer verständlich. Uebrigens ist die
Tigresprache schon sehr verbreitet und gewinnt durch die
öftere Berührung mit dem Norden; nur die Leute von Tem-
badere sprechen ausschliesslich Barea. Wenn nun die Barea
auch sehr leicht Tigre lemeu, so sind sie doch durchaus un-
fähig, die semitischen Laute, das ^ (qaf )» das c (ain), und die
30*
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468 Heise durch das Land der Eunama.
verschiedenen Nuancen von t und s nachzuahmen und so
klingt das Tigre in ihrem Munde sehr eigenthümlich; übrigens
folgen sie lexikalisch dem westlichen Dialekt von Algeden.
Die Kunäma reden vom Takkaze an bis zum Mareb hinab
die gleiche Sprache, die allen verständlich ist, wenn auch die
Provinz Dika besonders lexikalisch einen etwas verschiedenen
Dialekt spricht.
Im Aügemeinen verstehen die Kunäma nur ihre eigene
Sprache. Sie haben von ihren Herren von Adiabo bis jetzt
nur die nothwendigsten Worte Tigrina gelernt; wollen sich
die Abyssinier ihnen verständlich machen, so reden sie mit
ihnen im Infinitiv ohne alle Grammatik, ganz wie die Colo-
nisten von Bourbon und Maurice mit ihren frühern Sklaven.
Wir fanden auf unserer Route keinen einzigen Kunäma, der
sich in einer fremden Sprache gehörig ausdrücken konnte.
Eine Ausnahme machen die Grenzvölker nach Norden hin;
so redeil viele Eimasa ganz geläufig Barea und Tigre; die
Leute von Elit verstehen durchgängig das Tigre. Auch im
Gau Betkom finden sich einzelne Leute, die mit dem Barea
und dem Tigre vertraut sind.
Ohne unserer spätem Mittheilung über die Bazensprache
vorgreifen zu wollen, wollen wir hier nur bemerken, dass sie
einen sehr weichen, vocakeichen, einförmigen Klang hat; sie
entbehrt des Accentes und aller rauhen Consonanten. Sie passt
sehr gut zu dem stillen, gleichförmigen, auch accentlosen
Charakter des Volkes.
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Religion und Recht.
Lfm das ganze Leben der Barea und der Kunäma uns zu
verdeutlichen, müssen wir uns vorerst ihre religiösen Begriffe
deutlich zu machen suchen. Indem wir nun bemerken, dass
die beiden Völker in Religionssachen durchaus übereinstim-
men, müssen wir von vornherein die Ausnahmen angeben, in-
sofern einzelne Glieder dieser Völker islamitisirt sind.
So müssen wir denn bemerken, dass bei den Barea, wie
schon früher gezeigt wurde, die beiden Dörfer Haberetta und
Shilko ihrer Abstammung nach Tigre und Mohammedaner
sind, wenn sie in Spräche und Sitte auch durchaus Barea
geworden sind. In den andern Dörfern hat der Islam grosse
Fortschritte gemacht und es ist kaum zu bezweifeln, dass in
kurzer Zeit alle Barea die neue Religion angenommen haben
werden. Tembädere allein hat sich bis jetzt von der Neuerung
ganz frei gehalten. DioMogoreb sind auch zum grossen Theil
Mohammedaner. Bei den Kunama ist der Islam noch viel
weniger verbreitet; die Mareb- und Takkazebewohner, Mai
Daro, Anal, Dika, Betkom und Afla, kennen ihn noch gar
nicht und haben bis jetzt gar keine Tendenz, sich ihm zu
nähern; in der gegenwärtigen Zeit müsste sie ihre politische
Lage eher dem Christenthum zudrängen, wenn die Herren von
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470 Reise durch das Land der Kundma.
Adiabo etwas an's Proselytenmaclien dächten. Anders ver-
halten sich die nördlichen Grenzvölker; so ist Elit, das durch-
aus von Algeden abhängt, fast ganz mohammedanisch gewor-
den und auch in Eimasa ist ein grosser Theil des Volkes zum
Halbmond bekehrt. Ausserdem finden sich einige moham-
medanische Kunäma-Dörfer bei Samero. Doch sind im Ganzen
die Kimäma ihrer alten Religion sehr zugethan, während die
Baarea numerisch genommen schon die grosse Hälfte moham-
medanisch sind und moralisch der Islam unzweifelhaft schon
das Uebergewicht besitzt.
Eine andere Frage ist aber die, inwieweit die bekehrten
Barea und Kunäma die mohammedanischen Gebräuche ange-
nommen haben. Die Bekehrung zum Islam ist nämlich bei
den Meisten eine ganz oberflächliche; nur die Leute von Ila-
beretta und Shilko, die von Alters her Mohammedaner sind,
beten und fasten regelmässig. Die übrigen Mohammedaner
bekennen Sich zur Einheit Gottes und der Sendung des Pro-
pheten, sind aber für dessen Vorschriften sehr gleichgültig.
Ihre Bekehrung hält sie keineswegs von dem häufigen Gcnuss
des Bieres ab. In dieser Hinsicht hat überhaupt der Islam
in ganz Afrika wenig durchgegriflFen, so leicht er sonst Pro-
selyten macht. Auch im Genuss des Fleisches sind die Mo-
hammedaner in diesen Ländern wenig skrupulös ; nur die Be-
wohner von Haberetta und Shilko enthalten sich des Fleisches,
das nicht nach mohammedanischem Ritus geschlachtet ist.
Die andern Kunäma und Barea verschmähen auch nach clirist-
lichem Gebrauche geschlachtetes Fleisch nicht und gemessen
sogar ohne Bedenken Aas. Ich wurde bei den Barea oft von
Mohammedanern um Fleisch gebeten^ was mich befremden
musste, da in Ostafrika sonst die Mohanmiedaner grossen
Abscheu gegen fremdes Fleisch hegen. Warum sollten wir
Sklaven nicht davon essen, wenn es so vornehmen Herren (wie
sie uns nannten) gut genug ist? sagten sie.
Während so der Islam eigentlich nur dem Namen nach
vegetirt, übt er einen durchgreifenden Einfluss auf das Recht
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Heise durch das Land der Kundnuu 471
des Volkes, besonders bei den Barea. Alle neuen Moham-
medaner nehmen ohne Anstand das mohammedanische Ehe-
und Erbrecht an, das, wie wir sehen werden, dem nationalen
Recht ganz zuwiderläuft, und wir werden auf diese Revolution
der Rechtsideen weitläufig zurückkommen müssen. Nachdem
wir so die Ausnahmen constatirt haben, wollen wir die eigent-
liche ursprüngliche Volksreligion der Barea und der Kunama
untersuchen. Wir wollen uns nicht anmassen, darüber voll-
ständig klar geworden zu sein; wir konnten uns verhältniss-
mässig viel zu wenig aufhalten und auch unsere Sprachkennt-
nisse waren viel zu unvollkonmien , als dass wir in alle die
geheimen Schachte des Volksbewusstseins hätten eindringen
können.
Unzweifelhaft steht fest, dass die Barea und die Kunama
in ihrem religiösen Bewusstsein ganz und gar übereinstimmen
und dass sie demnach auch ihr Volksrecht gleichmässig ge-
bildet haben. Wir werden also in der folgenden Untersuchung
zwischen den zwei Völkern wenig Unterscheidungen zu machen
haben. In früheren Jahren, wo ich das Land der Barea nur
in seinem Grenzort Bisha zu besuchen Gelegenheit hatte,
glaubte ich irrthümlich, die Kunama und die Barea seien
verrottete Christen, wie es z. B. die Bogos noch sind, ver-
wahrloste Kolonien der abyssinischen Kirche, denen aller
Gottesdienst abhanden gekommen sei. Diese Idee bekam ich
von den Mohammedanern des Barka und von Bisha selbst,
die in ihrer oberflächlichen Kenntniss des Christenthums alle
Andersgläubige unter dem Namen Kostan oder auch Kofär,
Ungläubige (Ajf) zusammenzuwerfen belieben. Eine genauere
Ansicht der Dinge verbietet aber vollständig, diese zwei Völker
für alte Christen anzusehen. Denn wenn auch die Bogos,
Mensa und alle andern Grenzvölker von Abyssinien nur spär-
liche religiöse Ideen und eigentlich gar keinen Gottesdienst
mehr haben, so sind doch Spuren des Christenthums genug
geblieben, um sie als Kinder der äthiopischen Kirche zu er--
kennen, was aus unsem frühem Arbeiten klar genug hervor-
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472 Heise durch das Land der Kun&ma.
geht. Diess ist aber bei den Barea und Kunama gar nicht
der Fall, denn sie haben durchaus keine Reminiscenz früheren
Christenthums. Die Woche wird durch keinen Sonntag, das
Jahr durch keine Festtage, die irgend auf die unsem deute-
ten, abgetheilt. Jeder Tag ist dem andern gleich, der Pflug
ruht an keinem Tage. Keine Ruine mahnt an alte verfellene
Kirchen. Die Barea und die Kunama selbst leugnen ent-
schieden, je Christen gewesen zu sein. Wir sind ein beson-
deres Volk, sagen sie, Mohammedaner und Christen sind uns
gleich fremd. Es fehlt ihnen nicht der Begriff von Einem
Gott, dem Herrn der Welt, und auch bestimmte Namen dafür
sind in beiden Sprachen da; aber sie zollen ihm keine An-
betung. Wer kennt ihn nicht, sagten sie mir auf meine
Frage: aber es bleibt bei dem leeren Begriff, der nie mit denj.
Leben der Menschen in Zusammenhang tritt oder wohlthätig
und schadend eingreift. Ich möchte nicht die Frage aufwer-
fen, ob vielleicht auch dieser kahle Begriff von den nachbar-
lichen Monotheisten entlehnt ist; denn die Idee Gottes scheint
mir eine für jeden Menschen naheliegende, ja nothwendige
zu sein. Jedenfalls ist diese Idee hier nie in Heidenthum
ausgeartet. Diese Völker haben keine Götter, noch Götzen;
es fehlen ihnen die Kirchen und der Gottesdienst; sie haben
keine Festtage in unserem Sinn und es fehlen ihnen das Gebet
und die Offenbarung. Selbst der Begriff von Unsterblichkeit
findet sich nur undeutlich; während einige ein unterirdisches
Leben nach dem Tode in der Art der Bogos anzunehmen
scheinen, erklärten mir die andern unumwunden, todt sei
todt. Schwer ist es immerhin, die ursprüngliche Idee des
Volkes zu erkennen, da die umliegenden christlichen und mo-
hammedanischen Völker nothwendig die religiösen Begriffe
influenziren. Auf einen gewissen Unsterblichkeitsglauben deuten
aber gewiss die sehr sorgfältig gemachten Gräber, die dem
unbedingt todt en Verstorbenen nicht zukommen würden. Wir
werden später darauf zurückkommen.
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Reise darch das Land der Kan&ma. 473
Dagegen finden sich gewisse abergläubische Gebräuche und
ein Fest, dem religiöse Bedeutung nicht abgesprochen werden
kann.
Die Barea und soviel mir bekannt auch die Kunäma feiern
jährlich nach der Emdte im November ein Fest, das die
Barea Thijot nennen. Es ist ein Fest des Dankes wohl für
die vollendete Erndte, der Versöhnung und der Erinnerung
an die Todten. Jedes Haus bereitet für diesen Tag viel Bier
vor; auch für jeden Todten des Hauses wird ein kleiner Topf
voll zwei Tage lang im Hause hingestellt und dann von den
Lebenden getrunken. An diesem Feste begibt sich die ganze
Bevölkerung eines Gaues an einen besondern Platz, wo Spiel
und Tanz den Tag verkürzen. Wer an diesem Tage Schläge
gut hat, gibt sie ungestraft zurück. Es ist ein Tag des
Friedens, wo alle Fehde ruht. Bei den Barea ist der Fest-
platz Therbo Wodeg bei Aretta, ein Hain, der heilig gehalten
wird. Die Kunama feiern das gleiche Fest; ich konnte aber
nicht erfahren, auf welchem Platze. Erst nach diesem Feste
ist es erlaubt, den wilden Honig einzusammeln.
Je weniger Religion unsere Völker haben, um so mehr
wuchert der Aberglaube. Sehr stark ist der Glaube an Ta-
lismane und Amulete; besonders Wurzeln werden geheime
Kmfte zugeschrieben ; am Hals, an den Armen getragen, sollen
sie Krankheiten verhüten, die feindliche Waflfe und Gift un-
schädlich machen. Auch die sogenannten Hedjab (v-)L^), von
christlichen und mohammedanischen Priestern geschrieben,
werden in Hautriemen eingenäht am' Arme getragen. Bei
unserer Durchreise wurden auch wir oft gebeten, solche Ta-
lismane zu schreiben. Der gleiche Aberglaube ist überhaupt
ganz Ostafrika gemein. Von Geister- und Hexenglauben, der
in Abyssinien so stark ausgebildet ist, findet sich keine Spur,
oder besser gesagt, ich sah und hörte nichts, das daraufhin-
deuten könnte. Freilich sind grosse steinerne Gebäude viel
eher geeignet, die Phantasie zu erregen, als leichte Stroh-
hütten.
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474 Heise durch das Land der Kunama.
Merkwürdig ist die Priesterschaft des Alfai, wie ihn die
Barea und Kunama nennen, der die Macht haben soll, Regen
zu machen. Uebrigens bestand dieses Amt früher auch in
Algeden und scheint noch jetzt den Nuba-Negern gemein zu
sein. Der Alfai der Barea, der auch von den nördlichen Ku-
nama consultirt wird, lebt nahe bei Tembadere auf einem
Berge allein mit seiner Familie. Das Volk bringt ihm Abgaben,
Kleidungsstücke und Früchte und bebaut ihm ein eigenes
grosses Feld. Er ist eine Art König, dessen Amt nach dem
Erbrecht auf den Bruder oder Schwestersohn übergeht. Er
soll Regen herabbeschwören und die Heuschrecken vertreiben.
Erfüllt sich aber die Erwartung nicht und entsteht grosse
Dürre im Lande, so wird der Alfai zu Tode gesteinigt, wobei
seine nächsten Verwandten gezwungen sind, den ersten Stein
auf ihn zu werfen.' Als wir durchreisten, war das Amt des
Alfai bei den Barea noch immer von einem alten Manne be-
setzt; ich hörte aber, das Regenmachen sei ihm zu gefährlich
geworden und so habe er sich von seinem Amte losgesagt. Das
gleiche Amt findet sich übrigens auch bei den Kunama. Ebenso
wie das Fest Thijot deutet auch der Alfai auf eine Ai-t von
Cultus, den weiter zu erforschen uns aber nicht vergönnt war.
Die eigentliche Religion der Barea und der Kunama be-
steht aber in einer ausserordentlichen Ehrfurcht vor dem
Alter. Was alt, schwach, greis oder blind ist, gebietet bei
diesen Völkern allein Achtung. Niemand redet vor seineu
Eltern, da die gegenseitige Achtung je nach dem Alter sich
abstuft. Jünglinge mischen sich nie in's Gespräch der Aelteru
und selbst bejahrte Männer horchen mit Ehrfurcht den Worten
der Grauen. Vater und Mutter sind äusserst hoch gehalten.
Nie wagt es der Sohn, seinen Elteni zu widersprechen oder
sich gegen ihren selbst ungerechten Spruch aufzulehnen. Be-
sonders die Mutter wird sehr geliebt und in ihrem Alter zärt-
lich gepflegt; die Söhne bauen ihr ihr eigenes Feld und er-
tragen geduldig jede Schmähung von ihr. Es gilt als ein
unheilbringender Fluch, seine Eltern zu misshandeln.
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Reise durch das Land der Kunäma. 475
Vortheilhaft tritt diese Hochachtung des Alters hervor
gegenüber dem Betragen der umliegenden Völker; die Bogos
und alle Geez- Völker, wie auch die Beni Amer, achten nur
die physische I^aft. Je älter der Mann wird und je schwächer,
um so mehr verliert er von seinem Ansehen. Bei den Bogos
und allen uns bisher bekannten Völkern zaudert kein Jüng-
ling, in den Rath der Grauen hineinzureden und mit seiner
jungen Kraft zu trotzen. Auch die Eltern werden von den
erwachsenen Kindern oft sehr lieblos behandelt und oft steht
der Sohn seinem eigenen Vater feindlich gegenüber und ver-
nachlässigt seine nothleidende verwittwete Mutter. Glücklicher-
weise beruht die Gesellschaft da auf andern Stützen, auf dem
aristokratischen Familienzusammenhang. Bei den Beni Amer'n
tritt diese Missachtung der Eltern noch viel schroffer und im-
angenehmer hervor. Wir kennen viele sehr mächtige Häupt-
linge im Barka, deren alte Mütter kaum ein Obdach haben
und nothdürftig ihren Unterhalt von ihren Töchtern erbetteln.
Denn zu der Frauen Ehre sei es gesagt, die Töchter verges-
sen doch nicht so ganz die heilige Pflicht.
Diese Ehrfurcht vor dem Alter ist nun die Garantie der
Gesellschaft bei unsem Völkern. Es gibt gewiss keinen Staat,
keine Gesellschaft, die durch Zufall oder Personen lange sich
halten kann. Es muss ein gewisses inneres Leben, ein Be-
wusstsein da sein, das die auseinandergehenden Kräfte zusam-
menhält, eine so zu nennende Religion. Bei den aristokrati-
schen Völkern, bei denen eine geoffenbarte positive Religion
nur zufällig nebensächlich sich findet, ist es die Familie und
ihr Trieb, durch enges Zusammenhalten sich zu verewigen,
was dem Egoismus des Individuums entgegenarbeitet. Bei den
jetzt zu betrachtenden Völkern fehlt auch dieser Halt, da-
gegen vertritt seine Stelle die unbedingte Ehrfurcht vor dem
Alter und die Waffe des Greises, der Fluch. Denn hier ist
jeder überzeugt, dass irgend ein Unternehmen, 'das den Segen
der Alten nicht für sich hat, scheitern, dass jeder von ihnen
ausgesprochene Fluch vernichten muss. •
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476 Reise durch das Land der Eundma.
Diess vorausgesetzt, wollen wir dem aristokratischen Fa-
milienstaat der Bogos, wie wir ihn früher als Beispiel der
Geez- Völker beleuchtet haben, die demokratische Gemeinde
der Barea und Kunäma entgegenstellen. Wir müssen ein-
für allemal bemerken, dass rechtlich genommen diese beiden
Völker ganz gleichmässig entwickelt sind, dass also unsere
Darstellung^, wo wir es nicht besonders bemerken, für beide
gleich gültig ist. Doch müssen wir hervorheben, dass dieses
Recht bei den Kunäma, die in fast keine Berührung mit dem
Auslande kommen, noch viel reiner erhalten ist und dass bei
ihnen die Ehrfurcht vor dem Alter noch viel lebendiger dem
Volke innewohnt.
Was nun dieses Recht und den Staat charakterisirt, ist
die vollständige Gleichheit der einzelnen Personen. Es fehlt
die Monarchie; kein bevorzugter Stamm hat je aristokratisch
die Stammfremden beherrscht; die Familie selbst ist politisch
ohne alle Bedeutung.
Wenn nun auch die Barea und die Kunäma dieselben
RcchtsbegriflFe haben, so stehen sie sich durchaus fremd und
oft feindlich gegenüber. Dagegen hängen die Barea für sich
und die Kunäma für sich völkerrechtlich zusammen. Wenn
auch ausnahmsweise die einzelnen Gaue sich feindlich gegen-
überstehen können, so ist jeder Barea von Hagr auch in Mo-
goreb sicher und umgekehrt und ebenso kann jeder Kunäma
ungefährdet alles Land durchziehen, wo seine Sprache ge-
sprochen wird.
Wir brauchen uns aber nicht mehr beim staatlichen Zu-
sammenhang der beiden Völker aufzuhalten. Wir haben schon
gesehen, dass jedes wieder in Gaue zerfällt, so die Barea in
Hagr und Mogoreb, und diese wieder in Gemeinden. Um uns
xiie Sache zu vereinfachen, wollen wir bei diesen zwei Gauen
stehen bleiben, weil auch die Kunäma-Gaue analog gestaltet
sind. Bei den Barea also steht jeder Gau rechtlich und po-
litisch unabhängig da; das Gericht erstreckt sich nie über den
eigenen Gau hinaus.
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Heise durch das Land der Kunäma. 477
Den Gau bilden die Gemeinden, denen gegenüber die Fa-
milie ohnmächtig ist. Die Gemeinde bilden die Bewohner des
Dorfes, was auch ihre Abstammung sein möge; sie besteht
aus Personen, nicht aus Familien. Selbst der eingewanderte
Fremde wird, wenn er einmal der Landessprache mächtig ist
oder sich im Lande yerheirathet hat, mit dem alten Bewohner
ebenbürtig; kein exclusives Stammgefühl unterscheidet zwi-
schen Bürger- und Einwohnergemeinde. Nur der ganz neue
Gast oder der vorüberziehende Reisende oder Kaufmann muss
sich einen Wirth suchen und wird von ihm geschützt. Wird
der Gast getödtet, so rächt sich der Wirth sonderbarerweise
dadurch, dass er des Mörders Gast tödtet. Ohne Wirth ist
der Fremde als Feind betrachtet und so rechtlos; besonders
bei den Kunama, die von allen Seiten bedrängt sind, ist der
Fremde erst wenn er in's Haus getreten ist sicher; will er
in's Freie gehen, muss er sich von einem Landeseingebornen
begleiten lassen.
Die Gemeinde richten und beherrschen die' Greise des
Dorfes; sie stützen sich auf die Einmüthigkeit der Gemeinde,
die ihren Ausspruch unbedingt achtet, ihren Fluch fürchtet
und dem einzelnen Trotz gegenüber sich wie Ein Mann erhebt.
Nur die engere Familie ist vom Vater abhängig; was über
ihr hinaus ist, geht unbedingt in der Gemeinde auf.
Der Mann, bevor er sein eigenes Haus baut, d. h. bevor
er sich ein Weib nimmt, ist in seines Vaters Gewalt und sein
Verdienst gehört dem letztern. Die Stelle des verstorbenen
Vaters nimmt der ältere Bruder ein. Weiter geht die Gewalt
des Vaters nicht; des Kindes Leben und Freiheit gehört dem
mütterlichen Onkel. Wir werden dadurch einen ganz andern
Familienbegriflf sich entwickeln sehen.
lieber das Haus hinaus besteht kein Familienzusammen-
hang mehr; das Haus ist die Grenze der Familie; wer seinen
eigenen Herd hat ist Bürger; die einzelnen Häuser bilden die
Gemeinde. Ueber die Gemeinde richten die Greise, die sich
unter einem bestimmten Baum versammeln oder unter einer
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478 Reise durch das Land der Kunäma.
eigens als Rathplatz mitten im Dorfe errichteten Schattenlaube
(Logodat). Hier sitzen die Alten und um sie herum das Volk.
Wird eine Rechtsfrage vor sie gebracht, so hat jeder An-
wesende das Recht, seine Meinung zu sagen; der Jüngste be-
ginnt und so aufwärts und das letzte entscheidende Wort hat
der Aelteste von allen. Oft verlangen die Parteien nur ein
unmassgebliches Urtheil und werden dann nach gegebenem
Rathe an die Aeltesten einer andern Gemeinde gewiesen, ganz
wie wir es bei den Bogos auch gesehen. Oft erscheint der
Gegenstand so wichtig, dass die Greise sich zu einer gehei-
men Berathung zurückziehen zu müssen glauben. Die Sprüche
sind meist sehr einfach, die Berathung kurz und gut. Die
Greise haben gewisse gesetzgebende Gewalt; aber im Allge-
meinen gilt die Tradition früherer Rechtssprüche, die unter
dem Namen Butha mit Gesetzeskraft citirt werden. Dieses
traditionelle Recht wird sich im Laufe unserer Untersuchung
entwickeln, zum Voraus sei nur bemerkt, dass dem einfachen
Sinn dieser Völker gemäss das Gesetz auf grösstmögliche Ver-
einfachung ausgeht. Das Gesetz ist hier da, um Processe zu
vermeiden, während das raffinirte Rechtsgefühl der Bogos ein
Gesetz gebildet hat, das im Buchstaben gut, in der Praxis
auf Verwickelimg ausgeht.
Da nun in der Gemeinde jedes Haus unabhängig vom
andern dasteht und die Familie in der Gemeinde sich auflöst,
so sehen wir hier nicht den Zwist und Hass der Familien, wie
er uns bei den aristokratischen Völkern, den Bogos ft. a. ent-
gegengetreten ist. Kommt Streit vor zwischen zwei Personen,
so sind sie vorerst sich allein überlassen. Mag die eine sogar
landesfremd sein und die andere einer grossen Familie ange-
hören, so ist die Lage dieselbe, denn niemand mischt sich
in den Handel; die Zuschauer des Kampfes hüten sich wohl,
dem einen oder dem andern zu helfen.
Aus dieser Unparteilichkeit der Familie dem Einzelnen
gegenüber ergibt sich folgendes Verhältniss:
Vorerst wird jedes Individuum dem andern gleich; nie-
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Reise durch das Land der Kunama. 479
mand wird gezwungen, sich einer herrschenden Aristokratie
gegenüber einen Schutzherm zu suchen, wie wir das bei den
Bogos gesehen.
Ferner kann ein Streit der Personen nie ausarten und sich
verewigen, da sich die Familie nicht hineinmischt. Die Ge-
meinde hat kein Interesse, für den einen oder andern Partei
zu nehmen; jeder Bürger ist ihr gleich lieb, am liebsten ist
ihr der Friede und so tritt sie nur versöhnend auf. Ganz
anders ist es, wo die Familie in Masse für ihr Kind einstehen
und schon ihrer Existenz halber Partei ergreifen muss. Daher
fehlen bei den Barea und Kunama die langdauemden Blut-
fehden, die das Volk zerstören.
Hat sich nun jemand zu beklagen, so trägt er seine Sache
den Greisen vor und der Beklagte wird vor Gericht geladen.
Niemand wagt, sich der Vorladung zu entziehen. Da hilft
weder Name, noch Reichthum, noch Tapferkeit, noch Ver-
wandtschaft; denn die ganze Gemeinde steht gegen das rebel-
lische Kind auf und zwingt es zum Gehorsam. Wer sich nicht
fügen will, mag durch Auswanderung sich retten. Die Ver-
bannung ist die alleinige und härteste Strafe für einen Barea
oder Kunama, da jeder seiner Heimat zugethan ist.
Auch politisch sind die Grauen die einzige Behörde. Sie
schliessen Krieg und Frieden. Wollen sie mit einem Nach-
barstamme Frieden haben, so verbieten sie den Männern alle
Raubzüge dagegen, indem sie darüber ihren Fluch aussprechen.
Oft werden. vom Ausland her geraubte Heerden in ein
Dorf gebracht; gehören sie einem befreundeten Stamme an, so
wird der Räuber zur Rückerstattung aufgefordert. Weigert
er sich hartnäckig, so versammeln die Grauen die Gemeinde
und führen sie zum Hofe des Räubers. Dann wii'd ihm all
sein Hab und Gut weggenommen, sein Haus eingeworfen und
seine Person verbannt. Seine eigenen Verwandten und Freunde
werden gezwungen, bei dieser Execution mitzuhelfen; weigern
sie sich, wird ihnen das Nämliche angethan. So weiss die
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480 Reise durch das Land der Eun&ma.
Gemeinde sich dem Einzelnen gegenüber Achtung zu ver-
schaflfen.
Die Gesandten, die beauftragt sind, mit dem Ausland zu
verhandeln oder den Tribut einzuziehen, sind einfache Diener
der Gemeinde mit einer gewissen Entschädigung; sonst sind
sie in keiner Weise ihren Mitbürgern überlegen.
Als Beweismittel kennen unsere Völker das Zeugniss und
den Eid. Der Zeuge wird hier vor Gericht geladen und ver-
hört, während er bei den Abyssiniem und den Bogos etc. von
den Parteien aufgesucht und so gleichsam Richter wird. Die
Zeugenzahl kann nach Verlangen der Beklagten bis auf drei
gebracht werden. Unfähig zum Zeugen ist der Dieb, der Räu-
ber, der notorische Lügner, das Weib und das Kind. Der
Zeuge macht eine einfache Aussage ohne alle eidliche Be-
kräftigung. Fehlen Zeugen, so kann der Kläger selbst den
Eid abgeben oder den Beklagten schwören lassen. Das alte
Recht der Bogos statuirt denselben Grundsatz, der bei ge-
wissenlosen Völkern zu vielen Missbräuchen führen muss. —
Es gibt verschiedene Schwurarten: der Schwörende schlägt
seines Sohnes Hand oder dessen rechten oberen Schenkel oder
er tritt auf sein Schwert oder auf seines Verwandten Grab.
Bei den Barea ist ausserdem üblich, dass der Schwörende in
dem erwähnten heiligen Hain Therbo Wodeg einen Ast bricht;
In welchen Fragen Zeugniss und Eid statthaben, wird sich
im Laufe der Untersuchung ergeben.
Bevor wir aber weitei^ehen können, wollen wir die Aus-
nahmen constatiren, die der theilweise eingeführte Islam bei
den Barea und Kunäma in die Rechtspflege gebracht hat; wenn
wir auch dem Laufe der Untersuchung vorgreifen, so können
wir sie dann um so unbesorgter ausnahmslos fortsetzen. Wo
nämlich der Islam eingedrungen ist, verändert er natürlicher-
weise die Rechtsverhältnisse; denn er ist eine ausnehmend
praktische Religion.
Die Mohammedaner ersetzen die landesübliche Heirath
durch den Seflfah (Trauung), wodurch die Ehe- und Erbver-
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Beise durch das Land der Kunama. 481
häJtnisse sich total verändern. Bei der Scheidung erhält die
Frau die Hälfte des Vermögens und den Mann beerben seine
eigenen Söhne, nicht wie im alten Recht der Bruder und der
Schwestersohn. Entsteht darüber Process, so entscheidet na-
türlich nicht mehr die Gemeinde, deren Recht ganz andern
Grundsätzen huldigt, sondern bei den Barea wenden sich die
Mohammedaner an die Gemeinde Haberetta, als älteste Colo-
nie des Islam und zuverlässige Rechtsquelle. Dieses Einzeln-
gericht erstreckt sich aber nur auf das Ehe- und Erbrecht;
in andern Fragen kennen die Barea und Eunäma, seien sie
Mohammedaner oder nicht, keinen Unterschied. Wir wollten
zuvor diese Ausnahme notiren, um nicht mehr darauf zurück-
kommen zu müssen.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass unsere Völker
in einer unbedingten Demokratie leben. Niemand ist vornehm
oder gering; niemand wähnt sich besser zu sein als die an-
dern. Reichthum und Armuth hat politisch genommen keine
Bedeutung. Kein Adel ragt über die Masse hervor; selbst
der Fremde ist schnell eingebürgert. Das Alter allein hat
seine ungefährlichen Vorrechte. Deswegen entbehren die
Barea und Kunäma der genealogischen Geschichte; Stamm-
bäume, wie wir sie bei den aristokratischen Völkern gefunden,
sind da werthlos, wo die Familie politisch machtlos ist und
die Verwandtschaft sich schnell vei^sst.
Da somit der Gegensatz von Paüicier und Plebejer ganz
unbekannt ist, können wir nur vom Verhältnisse des Herrn
zum Lohndiener sprechen und selbst hier wird die Freiheit
der Untergebenen auf die geringstmögliche Art geschmälert:
das Recht ist dem Diener ungemein günstig. Vorerst ist zu
bemerken, dass die Barea und Kunama wenig Dienstboten
brauchen, da jedermann arbeitet. Der Dienstbote, sei er Hirt
oder Bauer oder Magd, heisst Kerai (im Tigre „Lohn"). Die
Bezahlung beträgt etwa 4 Fr. in Zeug; ausserdem hat er aber
bestimmte Tage, wo er mit seines Herrn Stieren für eigene
Rechnung pflügen und sich ein kleines Feld anbauen kann.
If an Singer, Ostafrik. Studien. 31
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482 Reise durch das Land der Eun&ma.
Der Hirt oder Bauer hat gewöhnKch das Recht auf acht
solcher Tage, die Magd auf die Hälfte. Oft lautet der Con-
tract, dass der Besitzer der Stiere zwei Tage für eigene Rech-
nung pflügt und den dritten zum Nutzen seines sonst unhe-
zahlten Gehülfen. In Gesellschaft das gleiche Feld zusammen
zu pflügen und sich die Emdte zu theilen, wie wir es anders-
wo gefunden, kommt hier nicht vor und verhindert manchen
Streit; nie gehört ein Feld zwei Herren. Vereinigen zwei
Personen ihre Stiere zu einem Joch, so wii*d an einem Tag
auf des einen, am andern Tag auf des andern Feld gepflügt.
Jedermann verlässt sich allein auf sein eigenes Glück. Die
Dienstzeit währt eigentlich von der Regenzeit bis nach der
Erndte; ist aber der Dienstbote mit seinem Herrn zufrieden,
so bleibt er das ganze Jahr ohne weitere Entschädigung. Das
Recht ist aber dem Dienstboten gegenüber sehr liberal. Tödtet
de^ Hirt ein Stück von der eigenen Heerde, so hat der Herr
doch kein Recht, ihn zur Entschädigung anzuhalten. Oft
kommt es sogar vor, dass der Hirt ohne Erlaubniss sich von
seiner Heerde entfernt und sich einem Raubzug anschliesst
Was ihm dabei von Beute zu Theil wird, gehört ihm aus-
schliesslich und der Herr darf sich nicht über Vernachlässi-
gung seines Gutes beklagen. Wir wollen aus diesen Einz^n-
heiten zwei Schlüsse ziehen:
1) Zeigt sich darin das Streben, auch dem Reichthum
keine Aristokratie einzuräumen, indem das Recht den Armen
bevorzugt und die Einfachheit alle Verwickelung vermeidet.
Diess wird bedeutend, wenn man weiss, dass bei den aristo-
kratischen Völkern die verwickelten, hakenreichen Verhältnisse
des Herrn zum Untergebenen fast allein die Leibeigenschaft
unterhalten und den Freien knechten oder wenigstens unter-
than machen.
2) Zeigt sich darin der Hauptcharakter des hiesigen Rechts,
das die Sache sehr gering, die Person ungemein hoch schätzt,
ein Princip, das sich noch weiter entwickeln soll.
Da wir bisher das Princip vollständiger Gleichheit con-
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Reise durch das Land der Kunama. 483
sequent durchgeführt sehen, so tritt die Frage nahe: Gibt es
Sklaven bei diesen Völkern und welches ist ihre Stellung zu
den Freien?
Zuerst müssen wir bemerken, dass die Barea und die
Bazen nur ausnahmsweise Sklaven besitzen und zwar auswär-
tige und einheimische. Vom Ausland kommen Sklaven durch
Beraubung feindlicher Stämme; meist werden sie aber von
ihren Verwandten ausgelöst oder, bevor sie sich eingewöhnt
haben, als Waare weiterverkauft. Die Barea und die Bazen
kaufen sich nie vom Ausland Sklaven an. Eine andere Quelle
der Sklaven ist der Kinderverkauf, der auch hier üblich ist.
In Hungersnöthen verkaufen die Verwandten ihr Kind an
einen reichen Nachbar. Was aber bei den aristokratischen
Völkern am ersten Knechte erzeugt, ist ihr scharfes Recht,
das nicht nur die Person, sondern die ganze Familie für ver-
letztes Eigenthum, Schulden oder Diebstahl verantwortlich
macht; so haben wir bei den Bogos und den Marea gesehen,
dass die meisten Leibeigenen Kinder freier Eltern sind, die
etwas verbrochen oder Schulden hinterlassen hatten oder
dessen beschuldigt waren. Wir sahen, bis zu welcher Unge-
rechtigkeit die Ueberschätzung des Adels von der einen Seite
und des Eigenthums von der andern führen und wie sie die
Freiheit gefährden kann.
Nun entbehrt der Barea und Kunama aller Standesunter-
schiede und auch das Eigenthum geniesst wenig Bedeutung.
Denn diese Völker leben in einer ewigen Unsicherheit, wo der
Mensch wenig an die Zukunft denken kann. Sie sind ferner
durchaus nicht Nomaden und überhaupt kaum Viehzüchter
und es ist eine Thatsache, dass bewegliches Eigenthum
den Eigenthumsbegriff verschärft. Ausserdem treiben
sie wenig Handel und kennen kaum das Geld oder andres
bewegliches Eigenthum, ausser der Emdte, die der Gegen-
wart nur dienen soll. Grund und Boden ist zum Ueberfluss
da. Also kann der Begriff von Eigenthum nicht stark sein.
Daraus folgt der wichtige Rechtssatz: die Person darf der
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484 Reise durch das Land der Knnäma.
Sache wegen keinesfalls angetastet werden. Sie darf
also wegen Schulden oder Verbrechen gegen das Eigenthum
nie geknechtet werden. Eine Ausnahme bildet der Mann, der
Landeseingebome verkauft hat; er kann von dessen Verwand-
ten füglich wieder verkauft werden. Es folgt aus dem Gesag-
ten, dass die Sklaverei der Hauptquellen entbehrt, die sie
häufig machen könnten.
Nun müssen wir die Stellung der wenigen Sklaven unter-
suchen, die sich im Lande finden. Wenn wir nun das Prin-
cip der persönlichen Freiheit und Gleidiheit auch auf die
Leibeigenen ausgedehnt finden, so ist diess keine nothwendige
Folge des bisher Gesagten; denn der Sklave ist eine Waare
und keine Person. Nun muss man aber wissen, dass die Barea
und Bazen einer Art Tradition zur Folge sich selbst alle
Sklaven schelten. Sie wollen damit sagen, dass der Mensch
natürlich frei ist und seine Freiheit nie verlieren kann. Des-
wegen ist Gesetz bei diesen Völkern, dass der landeseinge-
borene Sklave durch blosse Entfernung von seinem Herrn
vollständig frei wird. Hat er Grund, mit diesem unzufrieden
zu sein, zieht er sich in ein anderes Dorf zurück, lebt wo er
will, heirathet und zeugt mit Freien, ohne alle Belästigung
und Nachrede. Verheirathet der Herr seinen Sklaven, indem
er Vaterstelle an ihm vertritt, erklärt er ihn dadurch factisch
frei. Der Herr hat auch nicht das Recht, seinen landesein-
gebomen Sklaven zu tödten; er würde sich dadurch der Blut-
rache der Verwandten des Getödteten aussetzen. Der Erbe
des Sklaven ist wie bei den Freien der Bruder oder Schwester-
Bohn; bei seinen Lebzeiten fallen aber sein Erwerb und Kriegs-
beute dem Herrn zu.
Ohne dem Erbrecht vorgreifen zu wollen, müssen wir doch
beifügen, dass das Kind der Mutter nachgeht; ist sie Sklavin,
so ist das Kind es auch; ist sie fi*ei, so ist auch das Kind
frei trotz des geknechteten Vaters.
Fremde Sklaven haben zwar nicht die gleichen Rechte,
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Reise durch das Land der Kan&ma. 485
wie Landeseingeborne; doch sind sie einmal eingewöhnt, ge-
niessen auch sie die gleiche Freiheit.
Um zn resumiren, sehen wir, dass die Sklaverei hier ein
fremdes Gewächs ist, das sich gegenüber dem Princip der
GleiQhheit nicht halten kann; sie bleibt immer eine Ausnahme;
wenn sie auch dem Namen nach vorkommen kann, so fehlt
der eigentliche Begriff der Leibeigenschaft, da bei den Barea
und Kunäma, wer nicht Herr, auch nicht Sklave werden kann.
Nach dieser Philosophie ist jeder Mensch in gewisser Hinsicht
Sklave und in gewisser Hinsicht frei; die Person kann nie
Sache werden oder ihretwegen das Princip der Persönlichkeit,
die Freiheit, verlieren.
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Familie.
Wir müssen nun die ehelichen Verhältnisse betrachten.
Eine Verlobung, wie sie uns bei den Bogos bekannt wurde,
kennen unsere Völker nicht. Wer heirathen will, hält bei
dem Vater um die Hand der Tochter an, deren Willen nicht
berathen mrä. Sehr oft knüpft aber der Jüngling selbst Be-
kanntschaft an; wird das Mädchen schwanger, so hält er um
ihre Hand an und sie wird seine Frau. Ist er aber nicht
gesonnen, sie zu heirathen oder ist er der Familie des Mäd-
chens nicht genehm, so gebärt das Mädchen in ihres Vaters
Haus und das Kind gehört von Rechtswegen der mütterlichen
Familie, von der es ernährt und auferzogen wird. Bei diesen
Völkern gilt Schwängerung durchaus nicht für ein Ver-
brechen wie bei den Bogos. Aussereheliche Kinder werden für
ebenso gut angesehen, wie die andern; auch für die Mutter
ist keine Schande damit verbunden. Wir finden darin einen
grossen Gegensatz zu den aristokratischen Völkern, besonders
den Beni Amer'n und den Marea, die nie ein uneheliches
Kind dulden und sogar die unvorsichtige Mutter dem Familien-
stolz opfern; denn sittliches Gefühl ist keineswegs die Trieb-
feder dieser unmenschlichen Grausamkeit.
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Reise durch das Laud der Kunama. 487
Der Bräutigam zahlt unter verschiedenen Titeln eine Ab-
gabe an die Familie der Braut und so trivial und kleinlich
sie ist, so mag ihre Aufzählung immerhin das Leben des
Volkes deutlich machen.
Er schenkt der Mutter der Braut 1 Kuh, die auch zu
4 Ziegen berechnet wird.
Desgl. der väterlichen Tante 1 Ziege und die Haut
der Mindik.
» dem mütterlichen Onkel der Braut 1 Ziege.
» dem mütterlichen Grossvater 1 junge Ziege.
» dem Vater der Braut 1 — 4 Kühe, jede zu
4 Ziegen berechnet.
Er bringt 1 Kuh als Nackenpreis (Segad), die gemein-
schaftliches Gut von Mann und Frau wird.
Desgl. 1 Ziege der Mutter der Braut, die dafür Bier
bereitet.
» 1 rothhaarige Ziege, die von der väterlichen
Vei'wandtschaft der Braut geschlachtet wird.
)) 1 einfarbiges Schaf, das Eigenthum des Braut-
paares wird.
Dazu kommt noch die Kuh Mindik, das Opfer, das die Heirath
besiegelt, die ohne Fehler und Mangel, Zeichen und Brand-
mal sein muss. Der Vater der Braut hat durchaus keine
Verpflichtung, ihr etwas mitzugeben. Doch kommt es vor,
dass er, um seine Zuneigung zu beweisen, Aecker, Kühe und
Hausgeräth mitgibt, was dann des Paares gemeinschaftliches
Gut wird. Verlobung, Entrichtung der Ehegebühr und Hei-
rath folgen kurz aufeinander. Ist die Braut von zweiter Ehe,
so hat sie das Recht, frei über ihre Hand zu verfügen imd
ihi- gewählter Mann schenkt ihr ein Kleid und eine Kuh, die
gemeinschaftliches Eigenthum des Paares wird. Die Familie
des Bräutigams ist nicht gezwungen, ihn bei der Heirath zu
unterstützen; doch erhält er gewöhnlich Hochzeitsgeschenke
von Freunden und Venvandten, die er bei gleicher Gelegen-
heit wieder zuiiickgeben muss. Der sogenannte Therq oder
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488 Reise durch das Land der Kouima.
die gegenseitige Verantwortiichkeit der Familie ist diesen
Völkern fremd; nur wenn es gilt, einen im Ausland geknech-
teten Verwandten loszukaufen, vereinigen sich die Familien,
um das Lösegeld erschwingen zu können.
Die Heirathshindermsse gehen nicht so weit als hei den
Geez- Völkern, die bis zum 7. Grade sich nicht vermischen,
sie sind aber nicht so beschränkt, wie bei den Mohammeda-
nern, wo schon Vettern sich untereinander verheirathen.*)
Stirbt ein Mann, so wird seine Wittwe von seinem Bruder
von gleicher Mutter und fehlt dieser, von seinem Schwester-
sohne ohne alle Abgabe erblicher Weise geheirathet, ohne
dass der Wille der Frau dabei in Betracht konunt. Hat aber
dieser sogenannte Erbe keine Lust, die Wittwe zu überneh-
men, so wird er doch als ihr Vater und Vormund betrachtet,
und bei ihrer allfälligen Verheirathung zu ßathe gezogen. Es
hat hier der Mann das Recht, seine Stiefinutter oder die Frau
seines verstorbenen Vaters zu sich zu nehmen, wie diess bei
den Bogos geschieht. Die Wittwe bleibt ungefähr ein Jahr
in Trauer im Hause ihres verstorbenen Mannes. Haben dann
die Erben keine Lust, sie in der Familie zu behalten, so wird
sie in ihres Vaters Haus zurückgeschickt. Will man sie aber
„erben", so verweilt sie noch zwei andere Jahre im Hause als
Wittwe ohne auszugehen, und erst dann wird sie von dem
Bruder oder Schwestersohn ihres verstorbenen Mannes geheira-
thet. Jedenfalls bleibt sie drei volle Jahre Wittwe, bevor
sie sich wieder verheirathen kann.
Die Blutrache - einer getödteten Frau betrifft in erster Linie
ihre Kinder, sind keine da, ihren Bruder von gleicher Mutter
♦) Folgendes ist die Tafel der Blutsverwandtschaft:
Väterlich. Mütterlich.
Onkel u. Tante. Vater. Mutter. Onkel u. Tante.
Kinder. Kinder. Ich. Bruder. Sohn. Tochter
I I I Schwester. | |
Kinder. Kinder. Kinder. | Kinder. Kinder.
Kinder.
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Reise darch das Land der Kimama. 489
oder den Sohn ihrer Schwester; nie den eigenen Manu, ausser
der Mord würde in seiner Gegenwart geschehen.
Der Mann hat das Recht, zu heirathen so viel Frauen er
will. Er kann sich von seiner Frau ohne weiteren Process
scheiden, wenn er will. In diesem Fall erhält die Frau die
Hälfte des gemeinschaftlichen Vermögens, wie es bei der. Hoch-
zeit angelegt wurde; von dem bisherigen Erwerb erhält sie
nichts, ausser die Hälfte des vorräthigen Duchn (Bultub),
v^ährend das Durra und das Haus dem Manne gehört. Bei
den Mohammedanern aber erhält die Frau gewöhnlich die
Hälfte des ganzen Vermögens. Auch die Frau hat das Recht,
wenn sie unzufrieden ist, auszuziehen und in ihres Vaters
Haus zurückzukehren. Sei sie nun mit des Mannes Willen
oder durch eigene Entfernung geschieden, so wird sie sogleich
frei und ledig und kann vom ersten Augenblick an wieder
verheiraÜiet werden. Die Kinder geschiedener Eltern gehen
mit Ausnahme der Säuglinge zum Vater.
Gross ist in dieser Hinsicht der Gegensatz zu den Bogos,
Marea, Habab, wo die geschiedene Frau auch in ihres Vaters
Hause noch zu ihres frühem Mannes Disposition steht, bis er
sie eigentlich frei und ledig erklärt. Während bei diesen
Stämmen also auch die Scheidung verklauselt ist und leicht
Processe verursacht, offenbart sich bei den Barea und Bazen
wieder der einfeK^he Sinn des Volkes, das allen Anlass zu
Streit und Process von vornherein abschneidet.
Schulden, die ohne des Mannes Wissen von der Frau con-
trahirt werden, fallen ihm nicht zur Last und sind überhaupt
ungültig. Die Frau hat keine bürgerlichen Rechte: sie kann
nicht zeugen und nur wenn sie keinen Bruder hat erben; sie
darf nicht bürgen, noch klagen, noch in Anklagezustand ver-
setzt werden. In dieser Hinsicht stimmt das hiesige Recht
ganz mit dem der Geez- Völker überein.
In engem Zusammenhang mit dem Eherecht steht das
Erbrecht und hier begegnen wir einer ganz eigenthümlichen
Anschauung der Familie, wie wir sie sonst nicht kennen. Es
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490 Reise darch das Land der Kuuama.
sind nämlich von der Erbschaft die eigenen Kinder ausge-
schlossen; dagegen erbt in
1. Linie der Bruder von gleicher Mutter,
2. ^ der älteste Sohn seiner ältesten Schwester,
3. » der zweite Sohn » » » u. s. f.
4. » der Sohn der Jüngern Schwester,
5. » die Schwester des Erblassers,
6. » ihr Schwesterkind.
Die Güter gehen also nur an die Geschwister und an ihue
Nachkommen von weiblicher Seite; das gleiche Piincip ist
auch für die Blutrache consequent durchgeführt, indem nur
Bruder und Schwesterkind dafür verantwortlich sind, während
die eigenen Kinder das Blut ihres Vaters gar nichts angeht.
Wir können uns nicht erklären, was diese originelle An-
schauung der Familie motivirt hat; bei den Bazen, wo die
Ehe sehr lose ist und Ehebruch nicht geahndet wird, könnte
man sie daraus begründen, dass bei der Ungewissheit der
Vaterschaft die mütterliche Abstammung allein anerkannt wird
und darauf deutet, dass der bevorzugte Erbe der Bruder von
gleicher Mutter, nicht von gleichem Vater ist; aber bei den
Barea, wo die Ehe sehr streng sittlich und Ehebruch höchst
selten ist, kann nichts diese Anschauung erklären. Wii* sehen
schon bei den Bogos und all den benachbarten Völkern das
Schwesterldnd eine sehr bevorzugte Rolle spielen; es hängt
innig mit seiner Mutterfamilie zusammen und geniesst ihr
gegenüber eine gewisse Straflosigkeit. Doch geht diese Liebe
zwischen Onkel und Neffen mütterlicherseits nicht so weit,
dass sie die Basis der natürlichsten Verwandtschaft zwischen
Vater und Sohn zerstören würde.
Bei den Barea und Bazen lernen wir aber eine ganz neue
Familie kennen, indem sie rechtlich nur von mütterlicher Seite
besteht und den mütterlichen Onkel und sein Schwesterkind
in Eigenthum und Blut eng verbindet, während sie das Ver-
hältniss zwischen Vater und Sohn, wie es unserer occidenta-
lischen und auch der orientalischen Anschauung entspricht, ganz
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Reise durch das Land der Kunama. 491
mi^sachtet. Niemand yvird die Tragweite dieses Familieube-
giiffs verkennen; wenn meine eigenen Kinder mich nichts an-
gehen, sondern allein ihren mütterlichen Verwandten nach-
gehen, wenn dagegen mein Schwesterkind eng mit mir
zusammenhängt und mein Erbe und Rächer ist, so muss sich
natürlich das ganze Leben von Grund aus ändern.
Von diesem Erbschaftsgesetz sind uns folgende Ausnalmieu
bekannt. Die Frau nimmt von der Hinterlassenschaft ihres
Mannes nur den bei der Hochzeit entrichteten Nackenpreis
und den im Hause befindlichen Vorrath von Duchn. Ferner
hat der Sterbende wenigstens bei den Barea das Recht,
gegen die Ansprüche der rechtmässigen Erben, der Schwester-
söhne, zu Gunsten der eigenen Kinder oder anderer Freunde
zu testiren; die Execution versichert er alsdann durch gewichtige
Zeugen. Die eigenen Kinder haben zwar keine Ansprüche auf
das väterliche Vermögen, doch hat [der Vater die Pflicht, sie
zur Heirath auszusteuern; sind sie bei dessen Tode noch un-
mündig, so werden sie von den Vaterstelle vertretenden Erben,
dem Bruder des Todten oder dessen Schwestersohn, auferzogen
und ausgesteuert.
Die Erbschaft und auch allfällige Schulden werden aber
erst nach mehreren Monaten angetreten; ungetheilt, Acker,
Kühe, Geld en bloc geht sie an den nächsten berechtigten
Erben über, ebenso wie die Wittwe des Verstorbenen, wie wir
schon oben bemerkt haben, und auch darin zeigt sich die Ein-
fachheit, die Processe ersparen will.
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Das Eigenthum.
Die Barea und die Bazen erinnern sich nicht der Zeit
ihrer Einwanderung. Da sie nicht als Stamm einwanderten,
sondern als Gemeinden, die sich der Sprache nach zusammen-
hielten und verstanden, so haben sich die allfälligen Abori-
giner, welche es auch gewesen sein mögen, schnell mit ihnen
verschmolzen. So hat jedes Grundstück seinen Herrn, ohne
dass man daraus die alten Stammsitze erkennen könnte, wie
z. B. bei den Bogos. Grundbesitz fehlt keineswegs, aber er
hat wenig Werth, da eine ungeheure Masse Land seit Urzeiten
brach daliegt Der Preis eines Ackers (ungefähr 2 Morgen)
kann auf eine Kuh, also etwa 15 Fr. sich belaufen. Grund-
stücke werden selten veräussert: der benöthigte Besitzer gibt
sein Land dem Käufer meist nur als Schuldpfand hin, das er
gegen den erlegten Preis jederzeit wieder an sich bringen kann.
Deswegen wird beim Verkauf besonders stipulirt, ob der Acker
für immer verkauft sei oder ob der Herr sich das Recht vor-
behalte, ihn später wieder an sich zu bringen. Das Gesetz
begünstigt also die Stetigkeit des Grundbesitzes.
Wer kein eigen Land hat, wendet sich an einen Landbe-
sitzer und bittet ihn um die Erlaubniss, ein Stück von dessen
Grund bebauen zu können; da viel zu viel Land da ist, so
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Reise durch das Land der Kunama. 493
wird ihm diess nie abgeschlagen; der Herr spricht seinen
Segenswunsch aus und erhält bei der Emdte eine kleine Ab-
gabe. Niemand würde sich unterstehen, gegen den Willen
des Grundbesitzers zu cultiviren, da sein Fluch nach dem
Volksglauben die Emdte vernichten muss. Entsteht ein Streit
über Grundbesitz, so steht der Beweis dem Kläger zu, indem
er seine Aussage durch Zeugen oder Eid bekräftigt. Wandert
jemand vom Gau aus, so hinterlässt er einen Bevollmächtig-
ten, der das Land bebauen lässt und die daraus entspringende
Abgabe dem Herrn zuschickt.
Gefundenes herrenloses Gut gehört dem ersten Finder; kein
adelicher Herr ist da, wie bei den Bogos, der auf den Fund
Ansprüche macht. Auch der wilde Honig gehört dem Finder;
findet er sich aber in einem bebauten Acker, so darf ihn nur
der Bauer desselben ausnehmen. Kriegsbeute wird nach eigenem
Gesetz vertheilt, worauf wir zurückkommen werden.
In den Dörfern selbst beschränkt kein Grundbesitz den
Raum. Jeder baut sein Haus, wo er geeigneten Platz findet;
wandert er aus, so kann er sich das Recht vorbehalten, nach
allfalliger Rückkehr seinen Hausplatz wieder einzunehmen.
Gras, Holz, Durraschilf und Stroh, selbst auf den Feldern,
sind Gemeingut des ganzen Gaues. Bei Sodbrunnen hat der
Gräber das Recht der ersten Benutzung.
Schulden werden gewöhnlich durch Bürgen versichert; ganz
wie bei den Bogos hat der Bürge, der anstatt des Schuldners
zur Zahlung angehalten wird, das Recht, vom Schuldner den
doppelten Betrag zu fordern. Nun haben wir bei den Bogos
gesehen , wie das aristokratische Recht den Gläubiger äusserst
kräftig beschützt und sogar die Freiheit des Schuldners für
die Schuld haftbar macht. Bei den Barea und Bazen aber
finden wir als Entwickelung des schon oben aufgestellten
Grundsatzes, dass die Person des Eigenthums wegen nie zu
Schaden kommen kann: die Freiheit des Menschen ist ihm
unendlich mehr werth, als alles mögliche Geld und Gut. Da-
her ist der Schuldner dem Gläubiger gegenüber äusserst
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494 Roise durch das Land der Kunama.
günstig gestellt. Der Gläubiger hat also kein Recht, seinen
Schuldner mit Gewalt zur Zahlung zu zwingen, ihn anzu-
greifen, zu verhaften oder auch nur öfientlich darüber zur
Rede zu stellen; kann er nicht zu seinem Gelde kommen,
so lässt er ihn durch einen Dritten vor die Gemeindeältesten
laden und fordert ihn zur Zahlung auf; kann oder will der
Schuldner sich nicht verständigen , so gibt die Gemeinde dem
Gläubiger das Faustrecht, d. h. er hat das Recht, seinem
Schuldner den Betrag zu stehlen. Er nimmt ihm z. B. seine
Lanze weg, aber in keinem Falle darf er sie ihm aus der
Hand reissen.
Der Erbe übernimmt auch die Schulden, aber bei Zah-
lungsunfähigkeit haftet er keineswegs mit seiner Person dafür;
die hässlichen Gebräuche der Bogos, wo die Kinder für ihres
Vaters Schuld leibeigen werden, sind also hier ganz unbekannt.
Wer geliehenes Gut verliert, muss es bezahlen. Geschenke
und Gaben, wie wir sie bei den Geez- Völkern als Majcbtot
kennen gelernt haben, gehören hier nicht vor Gesetz; Gabe
und Rückerstattung ist rein Sache der persönlichen Gut-
willigkeit.
Diebstahl heisst die Verletzung des Eigenthums inner-
halb des Gaues; er ist kein Verbrechen; ist er bewiesen,
wird das gestohlene Gut einfach als Schuld ange-
sehen. Hier besonders zeigt es sich, wie hoch diesen Völkern
die Person , wie niedrig das Eigenthum steht. Der gefangene
Dieb darf nicht verwundet und getödtet, noch zur Busse an-
gehalten werden; er erhält höchstens von seinen Verfolgern
ein paar tüchtige Schläge; man nimmt ihm das gestohlene
Gut ab und lässt ihn laufen. Von Gefangenschaft, Lösegeld
oder gar Knechtung des ertappten Diebes ist keine Rede.
Ein von seinen Landsleuten verfolgter Dieb schlägt sich nie;
er sucht zu entfliehen, indem er seine Beute im Stich lässt;
seine Verfolger hüten sich wohl, ihn zu verletzen, da das ver-
gossene Blut des Diebes Blutrache heischt.
Vermisst jemand sein Eigenthum , z. B. Vieh , so gibt er
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Beise doroh das Land der Kundma. 495
sich alle Mühe, den Platz wo es verborgen ist auszukund-
schaften; hat er einmal einen bestimmten Verdacht oder be-
lehrt ihn die Fussspur, so tritt er vor die Alten des Dorfes
und verlangt die Freiheit einer unbedingten Hausuntersuchung,
die ihm nie verweigert wird. Findet er sein Stück Vieh noch
lebendig vor, so nimmt er es einfach zurück und die Sache
ist abgethan. Findet er aber nur das Fleisch und Haut, so
bemächtigt er sich derselben sammt allem vorräthigen Geräth,
das zum Kochen und Schlachten gedient hatte und er hat
überdiess das Recht, den Dieb zum vollen Werthersatz anzu-
halten. Eine trächtige Kuh wird dreifach angeschlagen. Die
Gemeindeältesten sind also behülflich, die Thatsache des Dieb-
stahls festzustellen; aber ganz wie bei einer Schuld massen
sie sich keineswegs die Competenz an, den Dieb von Gerichts-
wegen zum Ersatz anzuhalten. Der Dieb leistet entweder frei-
willig Ersatz oder der Beschädigte entschädigt sich dadurch,
dass er sich bei der ersten Gelegenheit den verlornen Betrag
wieder zurückstiehlt. Würde er aber für sein Eigenthum, und
wenn es ein Kameel wäi'e, nur eine Ziege oder eine Lanze
wegnehmen, so wird schon dadurch die ganze Schuld des
Diebes getilgt und er hat keine weitern Ansprüche mehr dar-
auf, er hat es ja selber genommen. Oft geschieht es, dass
der Dieb, zu Mitteln gekommen oder dem Frieden zu Liebe,
mit seinem Gläubiger — so darf man ihn nennen — sich zu
verständigen wünscht; dann bittet er die Greise des Dorfes,
ihn zu begleiten; sie treten alle zusammen in das Haus des
bestohlenen Mannes, der sich von dem hohen Besuch so ge-
ehrt fühlt, dass er mit Freuden an der Stelle des gestohlenen
Gutes von dem Diebe das kleinste Geschenk, selbst eine Ziege,
als volle Entschädigung annimmt und wenn es nur ein Procent
des Verlorenen betrüge.
Bei Diebstahl ist der einzige Beweis das gefundene Eigen-
thum selber. Zeugen werden nicht angerufen und der Eid
gar nicht. Ist das gestohlene Gut durch Verkauf in zweite
Hand übergegangen, so ist der Käufer rechtmässiger Besitzer
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496 Reise durch das Land der Kunäma.
(res non clamat dominum); aber er übei^bt das Gut dem
frühem Herrn, um damit den Dieb zu überführen. Ist aBer
das gestohlene Vieh weit fort verkauft oder in Feindesland
gebracht worden, so wird es natürlich unmöglich, das leben-
dige Stück den Aeltesten vorzuzeigen und es werden Zeugen
angenommen.
Raub heisst die Verletzung des Eigenthums ausserhalb
des Gaues, dem Fremden und dem Feinde zum Schaden. Die
Räuber bilden eine eigene Klasse des Volkes mit eigenen
Kriegsgesetzen. Denken wir uns einen jungen, durch seinen
Muth bekannten Mann; er zeichnet sich zuerst durch kleine
Streiche aus und macht sich einen gewissen Namen; hat er
nun Entschlossenheit genug, so bringt er eine .erbeutete Kuh
den Greisen des Dorfes zum Geschenk, verachert sich ihres
Segens und wird förmlicher Räuberhauptmann, den die Jüng-
linge nach Lust und Willen auf Raubzüge begleiten. Wäh-
rend nun die Barea im friedlichen Gemeindeleben den Staat
fast auf nichts reduciren, sehen sie wohl ein, dass der Krieg
monarchische Einheit verlangt. Döswegen ist der Räuber-
hauptmann auf die Dauer der Expedition unumschränkter
Herr und Führer der Bande und hat auf blinden Gehorsam
zu rechnen. Von der Beute hat er den besten Theil. Nach
ihm sind die Alten bevorzugt; so erhält ein Greis, der mit
der Expedition war, den doppelten Antheil eines Jünglings,
auch wenn er ein Stamm&emder wäre. Von der jedesmaligen
Beute geht eine Kuh an die Greise des Dorfes, wovon der
Zug ausging, da ohne ihren Segen erhalten zu haben keine
Bande sich auf den Weg macht. Glauben die Greise eine
vorgehabte Expedition den Interessen des Gaues schädlich
oder haben die Räuber vor, einen befreundeten Stamm anzu-
greifen, so verhindern die Greise das Vorhaben einfach da-
durch, dass sie gegen jeden Theilnehmer den Fluch aus-
sprechen und ein fluchbelastetes Unternehmen macht niemand
mit. Oft verhindert der Vater, der für seinen Sohn fürchtet,
diesen, Räuber zu werden, indem er ihm mit dem Fluche
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Reise durch das Land der Kun&ma. 497
droht. Oft bestraft der Vater seinen lieblosen Sohn dadurch,
dass er ihn verflucht, worauf er von seinen Genossen verhin-
dert wird, am Zuge theilzunehmen; denn die andern wollen
seinetwegen nicht in's Unglück kommen.
Nicht selten kommt es vor, dass der mit Beute heimkeh-
rende Zug von einer Gemeinde des gleichen Gaues aufgehalten
wird, indem diese die Bäuber zur Rückgabe zwingen wollen.
Behauptet diese nämlich, das Vieh gehöre einem dem Gau
verwandten Stamme an, so verstehen sich die Bäuber dazu,
die Beute bei einem unparteiischen Mittelmann niederzulegen,
der darüber zu entscheiden hat, ob Rückgabe statthaft sei.
Gehört das geraubte Vieh aber einem fremden Stamme, dem
zu Liebe die Gemeinde den Räubern den Weg verlegt, so ver-
theidigen die letzteren ihre Beute, indem sie sich ihrer Stöcke
als Wafife bedienen; die Lanzen werden vorsätzlich bei Seite
gelegt, da die Streitenden alle Kinder Eines Gaues sind, die
sich nicht fremden Gutes wegen in Blutstreit bringen wollen.
Ein vom Ausland her geraubtes Kind vrird, wenn es sich
in ein anderes Haus des gleichen Dorfes flüchtet, wieder dem
Räuber zurückerstattet; denn das Haus an und für sich hat
nicht das Schutzrecht, sondern nur die Gemeinde. Kann sich
aber das ge&ngene Kind in ein anderes Dorf flüchten, so wird
es in den Schutz der Gemeinde aufgenommen und frei in sein
altes Vaterland zurückgeleitet, woher es auch stammen möge.
Noch müssen wir anführen, dass, wer einen Jagdhund
tödtet, dem Herrn eine Ziege als Ersatz gibt. Tödtet eine
an einen Baum hingestellte Lanze im Fallen eine Kuh oder
Ziege, so muss sie von dem Eigenthümer der Lanze erstattet
werden, wenn die Waffe an einen grünen Baum angelehnt
war; aber wenn der Baum dürr war, so wird die Lanze als
schuldlos betrachtet, da die Kuh nichts dabei zu suchen hatte.
Uunsinger, OsUfrlk. Studieu.
32
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Blutrecbt
Wir haben gesehen, dass das Recht unserer Völker die
Person dem Eigenthum gegenüber äusserst hoch stellt und so-
gar dem Diebstahl gegenüber sich passiv verhält. Wir müssen
jetzt noch untersuchen, wie das Gesetz die menschliche Sicher-
heit schützt und das geraubte Leben rächt. Nun können wir
aber nicht erwarten, dass lose verbundene Gemeinden die
Blutrache über sich nehmen und die Selbsthülfe verbieten;
diess ist nur einer monarchischen Regierung möglich. Des-
wegen sind auch die Barea und die Kunäma auf die Selbst-
hülfe der Rache angewiesen, ohne sie aber consequent aus-
zubilden. Denn wir haben keine unter sich verantwortliche
Familie, die jeden Privathandel zum Gemeingut des Stammes
macht Wir finden also nicht die Feindschaft und Bluthändel
zwischen Familie und Familie, Stamm und Stamm, wie sie
im übrigen Nordabyssinien so häufig sind und sich zu den
spätesten Generationen forterben. Also werden wir auch das
Blutrecht ganz eigen thümlich ausgebildet finden, in einer
Weise vdeder, die den einfachen, friedliebenden Sinn unserer
Völker in helles Licht stellt.
Vorerst heischt des Volkes Gewissen, dass Blut Blut ver-
langt, dass der Mörder sterben muss. Jedermann findet billig
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Heise durch das Land der Kunama. 499
und recht, dass die Verwandten des Todten ihn hinrichten
und keine eifersüchtige Familie beschützt den Mörder gegen
die Rächer. Der Mörder kann sich nur damit retten, dass
er sich schleunigst verbannt, indem er bei einem andern Gaue
Schutz und Heimat sucht.
Zweitens macht das Recht für den Mörder nur. seine
nächsten Verwandten, d. h. seinen Bruder von gleicher Mutter
oder seinen Schwestersohn, verantwortlich. Der Vater, die
Kinder und andere Verwandte stehen nicht für ihn ein.
Umgekehrt ist der einzig berechtigte Rächer der Bruder oder
der Schwestersohn. Das Erbrecht erstreckt sich also auch
auf die Blutrache. Die andere Familie sieht unparteiiaich
dem Kampfe zu und die Gemeinde mischt sich nur in die
Sache, wenn es sich um Versöhnung handelt. Dadurch ist
dem Bluthandel von vornherein der Nerv abgeschnitten, indem
ihn die Sitte auf den kleinsten Raum beschränkt.
Nun müssen wir zwei Fälle unterscheiden, ob nämlich der
Mörder offenkundig ist oder aber nur Verdacht da ist. Be-
trachten wir den letzten Fall. ^
Ist jemand des Mordes angeklagt, so kann er sich durch
einen feierlichen Eid von dem Verdachte befreien, der seiner
Originalität wegen angeführt zu werden verdient. Der des Mor-
des Verdächtige begibt sich, von der ganzen Mannschaft seines
Dorfes begleitet, drei Tage aufeinander zum Dorfe des Er-
mordeten, setzt sich einen Augenblick und kehrt wieder in
seinen Wohnort zurück und so noch den vierten Tag. Bleiben
bei diesen wiederholten Besuchen die Landsleute des Ermor-
deten ruhig in ihren Häusern, so betrachtet man vom vierten
Tage an den Blutverdacht für aufgehoben und die Unschuld
des Beklagten scheint allgemein anerkannt. Glauben aber
die Verwandten des Todten an seine Schuld, so gehen sie,
von der Mannschaft ihres eigenen Dorfes begleitet, den andern
entgegen. Fliehen nun der Angeklagte und seine Genossen
vor dem Zusammenstoss, so werden sie verfolgt, der Mörder
oder sein nächster Verwandter wird umgebracht .und das Blut
32*
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500 Reise durch das Land der Kundma.
ist gesühnt. Denn die Flucht wird dem bösen Gewissen des
Beklagten zugeschrieben. Bleiben er und seine Genossen aber
ruhig und furchtlos sitzen, so tritt seine Unschuld klar an
den Tag; die Greise des Dorfes vermitteln zwischen den
Parteien und die Anklage wird fallen gelassen. Wenn es aber
geschähe, dass bei dem Zusammenstoss der Beklagte, trotzdem
dass er seine Unschuld betheuert und ruhig sitzen bleibt,
niedergestossen wird, so wird sein Blut nicht als Sühne des
alten, sondern als frisch angesehen und heischt Bache.
Bei Mord ist von Zeugenbeweis keine Rede; der Eid des
Beklagten, wie wir ihn beschrieben, allein reinigt und er trägt
nicht den Charakter eines Gerichts, sondern eines Gottesur-
theils, wo das Gewissen Recht haben muss.
Ist der Mörder offenkundig, so wird er getödtet oder wan-
dert in einen andern Gau aus;* zu bleiben und dem Gau zu
trotzen, darf auch dem Kühnsten nicht einfallen, da die ganze
Gemeinde sich gegen ihn erheben würde. Er bleibt einige
Zeit, ja Jahre lang in der Fremde; der Mann von Hagr geht
nach Mogoreb und umgekehrt, der von Mai Daro nach Dika,
von Eimasa nach Mai Daro u. s. f. Glaubt er endlich die
Herzen eher zum Frieden geneigt, so schickt er an die Greise
des Dorfes, wo der Ermordete wohnte, Botschaft mit der Bitte,
sich für ihn zu verwenden. Die Greise sind so angesehen,
dass die Familie des Todten gern oder ungern sich ihren
Bitten um Frieden fügen und sich zum Empfang eines Sülrn-
geldes verstehen muss. Nun wird ein Tag festgesetzt, an
dem Friede geschlossen werden soll. Der Mörder wählt sich
in dem Dorfe einen Schutzherm, dem er Durra zuschickt, dass
daraus für den Versöhnungstag Bier bereitet werde. An dem
bestimmten Tage also versammelt sich die ganze Mannschaft
des Dorfes, die Familie des Todten ausgenonmien, geht dem
Mörder, der vor das Dorf gekommen ist, entgegen, schliesst
ihn in einen dichten Kreis ein und führt ihn nun ungefährdet
bis zum Hause seines Opfers. Der Mörder tritt in das Haus
und schlachtet eine sterile Kuh als Todtenopfer für den Er-
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Reise durch das Land der Knnama. 501
mordeten, dessen Bruder bei dieser Handlung den Kopf der
Kuh anfasst. Dann trinken beide, der Mörder und der Rächer,
Bier aus einem Hörn und essen zusammen Fleisch aus einer
Schüssel. Jeder der beiden sticht der Opferkuh ein Auge
aus; auch tauschen sie für die Zeit, wo sie zusammen-
sitzen, ihre Kleider aus. Auf diese Art wird der Friede be-
schworen und besiegelt. Nun hat der Mörder den Blutpreis
zu entrichten, der aber auch für die Verhältnisse des Landes
sehr geringfügig ist, sodass man wohl sieht, dass unsere
Völker sich gern rächen, aber ist die Sache in die Länge ge-
zogen, nicht des Geldes wegen Frieden schliessen, sondern
aus Rücksicht für die Greise, deren Segen und Fluch jeder
hochschätzt.
Der Blutpreis beläuft sich nämlich nur auf 15 Kühe und
zwar 1 Kuh mit ihren Jungen, 2 trächtige, 2 dreijährige
Kälber. Die übrigen 10 Stück werden in Ziegen entrichtet
oder in Zeug und zwar so, dass die Kuh nicht über 10 und
nicht unter 4 Ziegen, oder zu 5— 3 Zeugstücken geschätzt
wird; also zahlt er
für 7 Kühe 10 + 9 + 8 + 7 + 6 + 5 + 4 Ziegen = 49 Ziegen,
»3 » 5 + 4 + 3 For (Zeug) = 12 For.
Nach der Versöhnung wird der Mörder von der Gemeinde
zu seinem Schutzherm begleitet, wo nun das vorbereitete Bier
zum Besten gegeben wird; die Verwandten des Todten schicken
von der Opferkuh die Hälfte des Fleisches, wo dann das
ganze Dorf freudig Theil ni^imt. Von diesem Tage an bis
auf ein Jahr bleibt der Mörder in seinem eigenen Wohnort,
ohne je die Verwandten des Todten oder ihr Dorf zu be-
suchen. Am Jahrestag macht er von Neuem einen Besuch
und wird von ihnen fortan wie der beste Verwandte und
Freund angesehen; haben sie Kinder zu verheirathen, so wird
er um Rath gefragt und hilft bei der Aussteuer brüderlich
mit. Stirbt jemand von der Familie, so bringt er eine Opfer-
kuh an das Grab und wenn es seine einzige Pflugkuh wäre.
Versäumt er das, so nehmen sie sie selber weg. So entsteht
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502 Reise durch das Land der Kun^ma.
zwischen den Versöhnten eine Art Verwändtschaft, wenn auch
die Wechselheirathen zwischen den versöhnten Familien, wie
sie bei den Bogos den Frieden besiegeln, hier ungebräuchlich
sind.
Wir müssen hier noch einige Miscellen anfügen, die auf
das Blutrecht Bezug haben. Vorerst fragen auch die Barea
und die Kunama nicht nach der Absicht und Zurechnungs-
fähigkeit; Zufall und Willen ändern nichts an der Thatsache
des vergossenen Blutes oder an der Nothwendigkeit der Sühne;
auch der Mord wird eben nicht als Verbrechen behandelt.
Verwundung fällt nicht in's Blutrecht; der Thäter zahlt
dem Verwundeten eine Entschädigung; versäumt er selbst diess,
so nehmen ihm die Verwandten des letztem eine Kuh weg.
Vergiftung wird nie rechtlich behandelt; doch muss der Ver-
gifter sich darauf gefasst machen, mit gleicher Münze bezahlt
zu werden. Man behauptet, die Barea seien gewandt im Gift-
mischen; doch steht diese Eigenschaft so im Widerspruch mit
dem sonst offenen Charakter des Volkes, dass ich in dieser
Sage die Böswilligkeit der Nachbarn vermuthe. Der Mann,
der ein Landeskind seinen Eltern entwendet, wird von diesen
gebunden, bis er es zurückbringen lässt; ist diess nicht mehr
möglich, indem das Kind schon verkauft ist, so wird er von
des Kindes Verwandten verkauft oder selbst getödtet. Von
seiner Familie hat er dabei keine Hülfe zu erwarten. Ehe-
bruch wird nicht criminell als Blutverbrechen behandelt.
Findet jemand einen Fremden b^i seiner Frau, so hat er blos
das Recht ihn zu schlagen. Was die Sitte befiehlt, werden
wir später sehen. Auch aussereheliche Schwängerung wird
daher nicht geahndet. Körperhöhe Verletzungen können in
gleichem Masse zurückgegeben werden, Zahn um Zahn, Auge
um Auge. Die Raffinirtheit der aristokratischen Völker, die
sogar für das Unglück, das eine Lanze oder Schwert zufällig
anrichten kann, den Besitzer verantwortlich machen, ist hier
unerhört.
Was die Betheiligung der Familie an dem Blutrecht an-
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Reise dnrch das Land der Kun&ma. 503
betrifft, so haben wir schon bemerkt, dass nur die engere
Famih'e, der Bruder und Schwestersohn, direct dafür verant-
wortlich ist. Uebrigens wird der Mörder, der den Blutpreis
bezahlt, von seinen väterlichen und mütterlichen Verwandten
freiwillig unterstützt. Der Blutpreis kommt an die recht-
mässigen Erben. Wer seinen Bruder, seiner Mutter Kind,
tödtet, hat keine Rache zu befürchten; hat der Bruder aber
eine andere Mutter, so wird der Mörder von deren Familie
blutrechtlich belangt. Ebenso wird der Vater, der sein eigenes
Kind tödtet oder verkauft, von dessen mütterlichem Onkel
zur Rechenschaft gezogen.
Hat der Mörder, sei er einheimisch oder fremd, die Zeit,
sich in das erste beste Haus zu flüchten, so gelangt er unter
den Schutz der Gemeinde, wo das Haus steht, und es ist
Ehrensache der Gemeinde, ihn sicher und frei in's Ausland
zu geleiten. Es ist dabei ganz gleichgültig, wo sein Opfer
zu Hause sei. Endlich haben die Barea und Kunäma nicht
die abscheuliche Sitte der Bogos, dem gefallenen Blutfeind
Beine, Fuss und Kopf abzuschneiden ; selbst die Wafifen, die
er mit sich trug, werden neben der Leiche niedergelegt.
Da die Facta für sich sprechen, brauchen wir auf die
eminente Humanität nicht hinzudeuten, die das Blutrecht der
Barea und Bazen charakterisirt. Es ist nicht zu bezweifeln,
dass Bluthändel nie ausarten und sich verlängern können»
wie anderswo; die Gemeinde benutzt freudig jede Gelegenheit,
Frieden zu stiften; sie steht wie ein Mann dem Mörder gegen-
über; sein Tod wird von allen als gerechte Sühne angesehen»
keine Hand wird zu seiner Rettung aufgehoben. Aber kann
er dem ersten Zorn entfliehen, so scheint er durch das Exil
schon hart genug gestraft und die Versöhnung vermitteln die
Greise, denen niemand zu widersprechen wagt. So wird der
allgemeine innere Friede nie auf die Länge unterbrochen.
Wir haben das Recht dieser Gemeinden speciell bei den
Barea studirt; doch konnten wir uns genügend überzeugen,
dass die Bazen vollständig der gleichen Rechts- und Staats-
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504 Reise durch das Land der Knn&ma.
principien theilhaftig sind. Die Ausnahmen sind zu kleinlich,
als dass sie bei dieser allgemeinen Untersuchung der Rede
werth wären und wenn man in Betracht zieht, dass die Barea
und Kunama ganz verschiedene Völker sind, dass aber die
letztern numerisch und räumlich den Barea vielmal überlegen
sind und ohne Zweifel viel länger im Lande sich befinden, so
müssen wir annehmen, dass die Barea den Kunama ihr voll-
ständiges B.echt entlehnt haben.
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Inneres Leben, Wohnung und Geräth.
Nachdem wir uns ein allgemeines Bild der Rechtsverhält-
nisse der Barea und Kunäma gemacht haben, müssen wir nun
concreter in das Leben und die Sitten dieser beiden Völker
eingehen; wir werden hier viel grössere Verschiedenheiten
zwischen den beiden Völkern wahrnehmen, als uns das recht-
liche Leben hätte versprechen können. Wir wollen mit der
Wohnung anfangen.
Die Barea und die Bazen wohnen als Ackerbauer in festen
Wohnsitzen; wo sie zusammenbleiben können, leben sie in
sehr grossen Dörfern dicht nebeneinander. Wo aber die Un-
gunst der Zeiten und die Gefahr des Ueberfalles, gegen den
man auch vereint hülflos war, es so wollte, da zerstreuten
sie sich in kleine Weiler, um doch nicht alles zusammen auf's
Spiel zu setzen. Ebenso bestehen die Dörfer, die bisher einer
gewissen Sicherheit genossen, aus grossen, dicht zusammen-
geworfenen Häusern, während da, wo feindliche Mordbrenner
durchzogen, die alten geräumigen Häuser meist nur mit ganz
klemen, engen, schnell aufgebauten provisorischen Hütten
ersetzt wurden. Die Barea und Kunama haben durchaus
nicht den Hang auseinander zu wohnen, wie die aristokratischen
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506 Reke durch das Land der Kanama.
Völker, wo jede adeliche Familie ihr eigenes unabhängiges
Gehöft haben will und selbst Verwandte oft auseinanderziehen
müssen, um sich nicht im Hader aufzureiben. Wir glauben
nicht zu fehlen, wenn wir dem aristokratischen Leben das
Gehöft, das Auseinanderwohnen, dem demokratischen das
Dorf, das Zusammenleben zuschreiben. Uebrigens sind die
uns bekannten aristokratischen Völker, die immer Viehzüchter
und theil weise Nomaden sind, schon der Weide wegen ge-
zwungen, sich zu vereinzeln, während unsere demokratischen
Völker, die allein Ackerbauer sind und Viehzucht nur als
Nebensache treiben, eng zusammen wohnen können. Daher
linden wir hier und bei den Barea meist sehr grosse Dörfer,
die auf verhältnissmässig kleinem Räume aneinanderliegen.
Die Häuser der Barea und Bazen sehen sich ganz gleich;
es sind runde kuppeiförmige Hütten aus einem Stück, sodass
Wand und Dach zusammenfallen und die Hütten das Aus-
sehen grosser Bienenkörbe bieten. Sie sind den Thuql vom
Sudan und den abyssinischen Tuqlo sehr ähnlich; aber der
Unterschied besteht darin, dass bei diesen Wand und Dach
getrennt sind; die Wand bildet einen Cylinder, der von einem
kegelförmigen Giebel hutartig bedeckt ist. Auch besteht hier
der Cylinder meist aus einer rohen Stein- oder Lehmmauer,
während die Bazen und Barea höchst selten Stein verwenden.
Die Grösse des Hauses ist sehr verschieden, man kann ihm
durchschnittlich 20 Fuss Durchmesser geben. Doch begnügt
sich fast niemand mit einer Hütte wie bei den Bogos, sondern
jeder Mann fast baut sich mehrere, eine für die Frau, eine
andere für die Gäste, eine dritte für das Getreide u. s. w. Ein
solches Hüttenconglomerat wird gewöhnlich von einer Um-
zäunung abgetrennt, die meist aus einem Stangengitter be-
steht, das mit Stroh bekleidet ist, oft aber nur aus Dornen -
ästen, die als Wall das Gehöft umfrieden. Das Haus wird
aus dünnen aber sehr festen Stangen meist von Nebeka Rham-
nus aufgeflochten, die mit Reifen bis an den Giebel so fest
zusammengebunden sind, dass das Innere keinen Stützbalken
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Reise durch das Land der Kunäma. 507
nöthig hat. Sie sind mit Stroh von Gramineen oder mit
Durraschilf bedeckt, das sehr schön und fleissig so zu sagen
geflochten ist und allen Regen abhält. Man sieht in Dörfern,
die an Bergabhängen gelegen und so dem Regenstrom sehr
ausgesetzt sind, wie Elit, oft kleine Häuschen , die auf hohen,
stelzenartigen Balken ruhen, sodass der allfällige Regenbach
unschädlich darunter durchlaufen kann ; man baut sie express
als Getreidespeicher. Ferner bauen die Barea und die Ku-
näma vor den Eingang der eigentlichen geschlossenen Hütte
Veranda's, sogenannte Logodat, wie sie auch im Sudan gäng
und gebe sind, Schattendächer mit flachem Dach, nach allen
Seiten offen. Sie dienen in der heissen trockenen Zeit als
Aufenthaltsort der Familie und sind kühl, weil dem Wind aus-
gesetzt. Solche Lauben werden auch auf Rathsplätzen er-
richtet und bei Hochzeiten und Todtenfeiem, um die vielen
Besucher schattig unterbringen zu können. Das Haus selbst
wird durch keine Netzvorhänge getrennt; höchstens wird eine
Matte vor das Bett gezogen. Die Einrichtung , im Innern des
Hauses ein zweites Haus im Hause (Ablu) zu errichten, das
der Frau gehört, wie wir bei den Bogos u. a. gesehen, ist hier
unbekannt. Im Hause selbst findet sich wenig Geräthe. Ein
festgerammtes, ganz niederes, breites Bett ungefähr wie bei
den Bogos dient der Familie als Schlafstätte.
Auch das Tragbett, das jedem Leser als Angareb im Sudan
bekannt ist, findet sich sehr häufig. Das übrige Geräth bil-
den Matten und verschiedene aus Palmenzweigen (Djerid)
geflochtene Gefässe, die Wasser, Milch, Durra u. s. w. aufnehmen
sollen. Leder wird hiefür wenig verwandt. Die Bazen, be-
sonders die Anal und Dika, benutzen die im Lande befindlichen
natürlichen grossen Höhlen, um in Kriegszeiten ihre Habe vor
dem Feinde zu verbergen.
Es versteht sich von selbst, dass bei einem solchen sehr
einfachen Hause Kunst und Industrie wenig Anwendung finden.
Da die Barea und Kunama wenig Vieh besitzen, so spielen
die Kuh- und Ziegenhäute nicht die Rolle im Hausgeräthe,
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508 Reise durch das Land der Eoiiama.
wie bei den Viehzüchtern und auch die Gerberei ist sehr roh.
Die Haut ersetzt das Pahnen- und Strohgetiecht und der
Kürbiss. Zum Aufheben von Wasser, Milch und Bier dienen
schöne im Lande wachsende Kalebassen. Das Getreide wird
in grossen Körben aufbewahrt und transportirt Als Teppich
dient die aus Djerid feingeflochtene Matte. Man flechtet auch
sehr niedliche buntgefärbte Stroh- und Djerid-Körbchen zum
Aufbewahren von Mehl und Hausrath. Wir sahen auch recht
schöne gutgebrannte Thongefässe. Die Barea und Kunama
zeigen in ihrem einfachen Leben sehr viel Kunstsinn und
mechanische Geschicklichkeit, die freilich nur geringe Bedürf-
nisse zu befriedigen hat: die Hütten selbst sind sehr sauber
aufgebaut und bedacht; auch die Angareb und die im Hause
befindlichen Stühlchen sind hübsch gearbeitet. Wir möchten
darauf aufinerksam machen, dass die B^isenden in Inner-
afrika auch den «Negern viel mechanisches Talent zuschreiben.
Zum Bauchen bedienen sich beide Völker einer Wasser-
pfeife, von der Form der arabischen Buri. Schnupftabak be-
wahren sie in winzigen Kürbissen auf, von der Grösse eines
Eies, die mit Fisclihaut überzogen wie Perlmutter aussehen
und mit einer kleinen Oeffnung versehen sind, die mit einem
Zäpfchen geschlossen wird. Die Bazen rauchen viel mehr, ak
die Barea, doch konmit bei beiden das Schnupfen und Kauen
immer mehr auf; der Kautabak wird grob gerieben mit Natron
oder Asche vermischt unter die Zunge gelegt. Dieser Ge-
brauch, der nur uneigentlich Kauen genannt werden darf, ist
in ganz Nordabyssinien von Massua bis Ghartum allgemein
verbreitet. Während aber die Beni Amer, die Bogos, die Mas-
suiner von Surat eingeführten Tabak verwenden, begnügen
sich die Barea und Kunama mit ihrem eigenen Landesproduct
Eigenthümlich ist bei den Bazen die Manier Lasten zu
tragen. Bei den Barea wie bei allen Grenzvölkern Abyssi-
niens belasten sich die Frauen den Rücken, die Männer hängen
sich die Last kurz an die Schultern. Die Abyssinier tragen
meistens auf dem Kopfe, ganz wie bei uns das Wasser ge-
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Reise durch das Land der Kun&ma. 509
tragen wird. Die Bazen hingegen erleichtern sich die Mühe,
indem sie eine Art Waage einrichten: ein Querhok, an beiden
Enden mit einem herabhängenden Schnurgeflecht versehen, in
welchem die gleichmässig vertheilte Bürde ruht. Das Quer-
holz legt sich den Träger über eine Achsel, sodass die Lasten
vorn und hinten hinabhängen. Die Schnüre sind sehr hübsch
aus Mimosen oder Adansonienbast geflochten; die Last, sei es
Wasser, Milch oder Honig, liegt in grossen Kalebassen. Es
ist etwas Eigenthümliches um den Instinkt der verschiedenen
Völker, sich die Arbeit bequem zu machen und es muss gewiss
ein tiefer physischer Grund in der verschiedenen Manier liegen,
wie sie es angreifen. So ein geringfügiger Theil der Arbeit
das Tragen ist, so könnte man doch auch darin Vergleiche an-
stellen und z. B. bemerken, dass nur afrikanische Völker sich
dieser Tragwaage bedienen, während sie bei Europäern und
Semiten unbekannt ist.
Während wir nun diesen beiden Völkern, besonders den
Bazen, ein gewisses mechanisches aber unentwickeltes Talent
nicht absprechen können, so dürfen wir natürlich nicht daran
denken, dass in Kunst und Wissen diese Völker irgendwie
der Naturstufe entrückt sind. Von Schrift ist natürlich keine
Rede, ohne dass wir behaupten möchten, diese Völker seien
immer so unwissend gewesen. Welche Befähigung sie aber
zur höheren Entwickelung besitzen, darüber werden wir später
ein Urtheil abgeben.
Was nun Kleidung und Schmuck betriff't, so müssen wir
von jedem Volke besonders reden, da die Barea durch häufige
Berührung mit dem Auslande und auch durch eigenen Cha-
rakter gewissermassen civilisirter sind. Zum Voraus müssen
wir bemerken, dass die Barea und Kunäma keine Baumwolle
pflanzen, ausser den Mogoreb, die deren Cultur den Algeden
abgelernt haben. Da femer Schafe selten sind und auch kein
Hanf oder Lein gepflanzt wird, so entbehren beide Völker
des Stoffes, um sich selbst bekleiden zu können; sie helfen
dem Mangel aber auf verschiedene Art ab.
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510 Reise durch das Land der Kunama.
Die-Bazen tragen alle Lederschiirzen , die bei Mann und
Frau die Brust ganz offen lassen. Die Schürzen der Frauen
gehen bis auf die Knöchel herab, während die Männer auf-
geschürzt sind. Kleider von Baumwolle oder Wolle sind dem
Volke unbekannt; doch je mehr die Bazen dem Verkehr ge-
öffnet werden, um so mehr wird auch das Zeug Eingang
finden. Schon jetzt gibt es viele Leute, die solches tragen.
Als wir von Adiabo kommend die Grenze der Bazen über-
schritten, verschloss unser Führer Ashku das Kleid, das er
in Adiabo getragen, in einen Fellsack und begnügte sich fortan
nur mit dem Lederschurz. Wir müssen bemerken, dass die
Leute vom Barka, Bogos, Mensa, Habab erst in neuester
Zeit aUgemein sich an Kleider gewöhnt haben; früher trugen
die Männer das sogenannte Belamat, die Frauen das Waliko,
die Lederschürze, deren sie sich besonders für die Arbeit in
Haus und Feld noch immer bedienen. Das Kleid von Baum-
wollenzeug war nur den Vornehmsten vorbehalten. Noch jetzt
tragen die ärmeren Bogosfrauen den Lederschurz und werfen
sich nur über Kopf und Brust ein Baimiwollentuch. Die
Barea hingegen sind alle in Baumwollenzeuge gekleidet, die
theils in Algeden und dem Gashlande fabricirt, theils
von Europa her über Massua und Suakin importirt werden.
Das Kleid besteht, wie bei den Bogos und den andern Nord-
abyssiniem, für beide Geschlechter in einem grossen vierecki-
gen Stück Zeug, das über den Körper geworfen wird. Hosen
und Hemd sind sehr selten. Es ist schwer zu sagen, ob die
Barea das Kleid erst in neuerer Zeit von ihren Nachbarn an-
genommen haben oder ob ihnen das Lederkleid von Alters her
unbekannt war. In letzterem Falle müssten wir uns verwun-
dem, dass sie nie an eigene BaumwoUencultur gedacht haben.
Der Rehät oder Belat, d. h. der Ledergurt mit Fransen,
den wir bei den Habab, Mensa, Bogos, ja über dem Gash
und Nil hinüber bis Kordofan und nordwäils bis Kosseir als
Kleid der Mädchen finden, ist sowohl den Bazen als den
Barea gänzlich unbekannt. In der Fussbekleidung unter-
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Reise durch das Land der Kundma. 511
scheiden sich unsere beiden Völker keineswegs von ihren Nach-
barn; sie tragen Sandalen, wie sie in ganz Nordafrika und
theilweise auch in Arabien gebräuchlich sind, deren Sohle oft
aus Elefantenhaut besteht. Hier ist beizufügen, dass die
Barea und Bazen nichts von Verschleierung des Gesichts
wissen; den Abyssiniern ähnlich denken die Frauen nie daran,
ilir Gesicht vor dem Fremden zu verbergen. Ueberhaupt ist
nicht Afrika das Vaterland des Schleiers; selbst bei den mo-
hammedanischen Völkern verhüllen sich die Frauen nur vor
ganz Fremden, während sie nach der ersten Bekanntschaft
ihr Gesicht nicht vorenthalten können.
Was die Haare betrifft, so ist die Kopffirisur der Männer,
wie wir sie bei allen Nordostafrikanern bis zum Atbara ge-
funden und in den abyssinischen Reisewerken als Beduinen-
tracht bewundern können, auch auf die Barea und Kunama
übergegangen. Diese Kopftracht, die dem Haare das Aussehen
einer Perrücke gibt, heisst Hallengai. Die Frauen dagegen
haben eigenthümliche Arten, das Kopfhaar zu frisiren. Bei
den Barea flechten sie die Haare von der Stirn rückwärts,
wie es in Abyssinien der Brauch ist. Die Bazenfrauen lassen
einen Scheitel offen; das Haar wird in Flechten dem Vorder-
kopf angeschnürt und fällt ungebunden auf den Nacken hinab,
sodass das Hinterhaar schwulstig hervortritt. Eine einzelne
Flechte fällt vorwärts über die Mittelstim hinab und wird
gewöhnlich mit Glasperlen geschmückt. Die Bazenfrauen be-
festigen am Scheitel zwei grosse flach dem Kopf anliegende
Metallringe. Die Bareafrauen dagegen tragen durchaus keinen
Kopfschmuck. Die sogenannte Kufiet oder die Hohlkugel, die
bei den Bogos und den Geez- Völkern gebräuchlich ist, ist
den Barea und Kunama unbekannt.
Beide Völker lassen nur den Bart wachsen; alles andere
Haar wird rasirt oder ausgerissen. Die Bazen flechten oft
sogai' den Bart spitz zu und befestigen in dem Ende eine
Glasperle. Ueberhaupt haben sie viel Sinn für alles Bunte
und Phantastische, während die Barea sich kaum um Schmuck
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512 Reise durch das Land der Kun&ma.
bekümmern. Die Bareafraiien halten wenig auf Schmuck; an
den Armen tragen sie ein Band von Glasperlen, um die
Knöchel einen Ring von Haut. In dem Nasenflügel trägt erst
die verheirathete Frau einen Ring. Silberne Fingerringe sind
sehr selten. Die Bazen dagegen zieren sich, soviel bei den
beschränkten Mitteln nur immer möglich ist Die Frauen
tragen grosse Ohrringe von Silber oder Zinn; rothe Glasperlen
werden schön gruppirt überall in den Haaren angebracht.
In den rechten Nasenflügel hängen sie einen ungeheuren Ring.
Am Arm tragen sie kupferne Bänder, die von Massua her
eingeführt werden; um die Knöchel eiserne Ringe. Auch die
Männer sind dem Schmuck nicht abgeneigt; sie tragen um
Hals und Arme so viel Glasperlen, als sie sich nur verschafifen
können; in die Haare stecken sie sich gern bunte Yogelfedem.
Nicht zu vergessen ist, dass beide Völker sich das Haar
fleissig mit Fett oder Oel einreiben, welches sie oft mit einem
grünen wohlriechenden Kraute vermischen, das dem ganzen
Haare das Aussehen von Gras gibt. Der Kelal oder die Steck-
nadel von Hom oder Holz, wie sie in ganz Nordost -Afrika
in die Haare gesteckt wird, ist auch diesen beiden Völkern
gemein. Eigenthümlich sind die Hautstreifen, die bei beiden
als Halsband dienen und wohl einen abergläubischen Zweck
haben, ebenso wie die Masse Talismane und "Wurzeln, die
dem ganzen Körper angehängt, ja den Haaren eingeflochten
sind. Wir können nicht verhehlen, dass besonders der Bazen
mit seinem gewaltigen fetten Leibe in seiner Ledertracht und
mit Glasperlen überhängt , im ersten Augenblick recht an den
Innerafnkaner mahnt, ohne dass seine Gesichtszüge etwas mit
diesem gemein hätten.
In Verfertigung der Waffen stehen die Barea und Kunäma
viel tiefer, als alle andern Afrikaner. Der Bogen, den die
Nilvölker so ausgezeichnet handhaben und vervollkommnet
haben, fehlt beiden Völkern. Ihre einzige Waffe ist eine sehr
schlecht geschmiedete unansehnliche Lanze und ein krummes
Messer. Im Lande selbst findet sich kein Eisen; es wird von
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Reise durch das Land der Kunäma. 513
Abyssinien eingeführt; die östlichen Bazen kaufen es von
Adiabo, die Dika- Bazen von Wolkait. Eisenschmiede sind
wenige da und verstehen ihr Handwerk nur sehr unvollkom-
men, sodass, wer eine schöne Lanze haben will, sie von den
Nachbarn kauft. Das zweischneidige Schwert, das bei den
andern Völkern dieser Zone so beliebt ist, ist bei den Barea
und Kunama sehr selten. Dagegen tragen die Barea und die
Kunäma sehr hübsche kleine Beile , von der Form der Gudeb,
die zum Holzhauen ungemein geschickt und sehr leicht sind.
Das Eisen ruht in dem Stiel, nicht umgekehrt wie bei uns-
Die Bazen pflegen immer ein solches Beil mit sich zu führen,
als Waffe und als Instrument. Rasirmesser sind noch wenig
bekannt; die Leute rasiren sich meist mit ihren scharfge-
schliffenen rohen Messern und selbst mit der Lanze, doch
kann man mit einem Rasirmesser ihnen die höchste Freude
bereiten. Spiegel sind noch selten, doch haben die kleinen
nürnberger schon ihren Weg gefunden.
liansing^r, Ostafrik. Stadien. 33
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Viehzucht, Ackerbau, Handel.
Ihrer Beschäftigung nacK sind die Barea und die Kunama
durchaus Ackerbauer; Viehzucht bleibt ihnen auch da, wo
das Klima sie erlaubt, eine Nebensache. Das wahre Eigen-
thum besteht ^Iso in Grundstücken und deren Ertrag, dem
Getreide. Da aber bei den bösen Zeiten die Bevölkerung
eher abnehmen muss und jedenfalls sehr viel Land brach
liegt, so hat der Boden selbst wenig Werth; anderseits ist
das Getreide ein nur vorübergehendes Eigenthum, das immer
eher dem schnellen Genuss dient, als der Speculation. Den
Handel im Lande selbst und Wuchei^eschäfte begünstigt das
Gesetz nicht, das den Gläubiger vernachlässigt; den Handel
mit dem Auslande hindern die ewigen Kriege, die den Barea
und Kunäma überall vogelfrei machen. So kommt es, dass
der Ertrag der Erndte eher dem Augenblick dienen soll, dass
also wenig an Sparen und Anhäufen gedacht wird — es gibt
so zu sagen kein wahres Eigenthum oder es hat factisch
und gesetzlich wenig Werth. Der Ackerbau nun wird sehr
fleissig und lebendig betrieben; man könnte nicht sagen, wer
sich darin mehr auszeichne, die Barea oder die Kunäma.
Niemand bleibt dabei müssig, auch die Frau ist nicht aus-
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Reise durch das Land der Kunama. 515
genommen. Mann, Frau und Kind, Reich und Arm, Alt und
Jung, keiner entzieht sich der Feldarbeit. Fehlt der Frau
der helfende Mann, so pflügt sie im Nothfall selbst. Es ist
ein wohlthätiger Anblick, das sonst so ruhige Volk hier so
viel Energie entwickeln zu sehen. Das Gäten, das Bewachen
der aufechiessenden Saat und Frucht und der Erndte bilden
gemeinschaftliche Arbeit beider Geschlechter, während bei den
Bogos die Frau der Feldarbeit enthoben ist. Nur ganz greise
Leute müssen nicht mehr in's Feld gehen. Die Barea und
Kunama pflügen mit Stieren und Kühen; selbst die Milchkühe
werden nicht in Ruhe gelassen. Wenn keine Kuh da ist,
wird auch der Esel an den Pflug gespannt. Wenn alles fehlt,
beugt sich der Mensch selbst unter das Joch. Wer nur einen
Stier hat, pflügt auch mit diesem allein. Bei den Barea
werden auch Kameele zum Pflügen benutzt. Niemand will
müssig, niemand ohne Feld bleiben; wir haben schon gesehen,
auch der Knecht und die Magd bekommen ihren eigenen
Acker; dem Gesandten, der in's Ausland geschickt wird, be-
sorgt die Gemeinde sein Feld. Von Sonn- und Festtagen ist
bei den Barea und Kunama keine Rede; solange es regnet,
ist jeder Tag der Arbeit heilig.
Der Pflug ist kleiner, als der uns von Abyssinien her be-
kannte, hat übrigens die gleiche rohe Einrichtung; der leichte,
sehr fette Alluvialboden erleichtert den Ackerbau sehr. Von
Düngung ist selten die Rede; von Abwechselung der Getreide-
arteu ebenso wenig. Scheint der Acker mager zu werden,
so ist Land genug da, um ihn ruhen zu lassen. Doch kann
oft mehrere Jahre lang dasselbe Land immer wieder bebaut
werden. Der Ackerbau beginnt nach dem ersten Regen, ge-
wöhnlich Anfang Juli. Die Saat wird einfach auf den Boden
gestreut und darüber hingepflügt. Von Vorpflügen, wie in
Abyssinien, braucht keine Rede zu sein. Auch das Gäten gibt
wenig zu thun, da die heisse Sonne wenig Unkraut aufkom-
men lässt. Die Erndte findet schon Anfang October statt;
oft ist die Frucht schon im September reif. Die Barea und
33»
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516 Reise durch das Land der Kunäma.
die Kunama pflügen und säen etwa vier Wochen lang unaus-
gesetzt; der weiche ebene Boden erlaubt ihnen, sehr grosse
Strecken zu bepflanzen. Sie pflanzen besonders Durra, Ma-
shella und Duchn. Von ersterem haben sie mehrere Arten,
wovon besonders eine sehr bittere zu erwähnen ist, die bei
den nördlichen Bazen vorkommt. Alle diese Arten sind dem
heissen Lande angewöhnt; die Frucht ist trockener als die
der Bogos und der Abjssinier, aber sie reift schnell und
leidet weniger vom ßegenmangel. Deswegen haben .auch
die Bogos angefangen, mit Bareasamen anzubauen. Duchn
wird in mehr sandigem Boden angebaut und bildet die Haupt-
nahrung des Volkes. Femer kommen zwei Oelpflanzen vor:
der Sesam, dessen Oel die fehlende Butter ersetzt und der
Shebob, eine rankende kürbissartige Frucht, aus der Oel ge-
wonnen wird. Der Sesam kommt auch weiter westlich bei
den Algeden u. s. w. vor, während der Shebob fast nur bei den
Barea und Kunäma zu Hause ist. Der letztere wird zwischen
jias Durra hineingepflanzt. Dasselbe geschieht mit den Boh-
nen, wie auch in Abyssinien und in dem Bogoslande; doch
sind sie weniger häufig. Tabak wird bei beiden Völkern ge-
baut; er wird grün abgenommen, zu einem Brei zerstampft
und in runde faustgrosse Kugeln geknetet, die im Schatten
getrocknet sehr hart werden. Er sieht ganz schwarz aus und
ist sehr stark, sodass er zum Rauchen und Schnupfen sich
eignet Im Geschmack ähnelt er dem Tabak von Arabien,
dem sogenannten Hummi, wie er für die Wasserpfeife ge-
braucht wird. Er ist nicht imangenehm und jedenfalls ist
der Boden ihm nicht ungünstig.
Endlich ist das Land reich an Kürbissen, die auch wild
vorkommen und zu Gefässen benutzt werden. An wilden
Früchten ist das Land der Barea und Kunäma sehr reich;
der Harnte und Gersa kommen auch hier vor imd besonders
der Khamnus Nebeka, dessen Frucht zu sehr schmackhaften
Broden geknetet und theilweise ausgeführt wird. Auch die
Tamarinde fehlt nicht. Die Landwirthschaft hat viele Feinde,
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Reise durch das Land der Eundma. 517
besonders an dem Vogel Bub, der oft zu Millionen über das
Getreide herfällt. Heuschrecken wandern seltener durch. Der
Dinsherekäfer ist auch sehr verderblich, doch ist diese Gefahr
nicht so gross, da die Frucht in der heissen Sonne schnell
reift und der Käfer nur die grüne Frucht angreift;. Der
grösste Feind des Bauern ist aber, wie überall in Afrika,
Mangel an Regen, der sehr oft der Frucht schädlich ist. Doch
können sich im Allgemeinen die Barea und die Kunäma nicht
über die Emdte beklagen, wenn die vielen Feinde ihnen den
Genuss gönnen; das Land ist jedenfalls fruchtbar und mit
wenig Ausnahmen ist fast jeder Fleck bebaubar.
Der Viehzucht sind die Landesverhältnisse weniger günstig.
Der ewige Krieg gewährt wenig Aufmunterung, da der Feind
sich am liebsten an das leicht bewegliche Eigenthum hält.
Auch ist der Mareb dem Hornvieh durch den Hedro feindlich,
wie wir schon früher erwähnt haben. Doch kann man im
Allgemeinen nicht sagen, dass Viehzucht dem Lande unan-
gemessen sei; besonders das Barealand hat sehr schöne Wei-
den und gutes Klima. Man kann aber, solange man uncivili-
sirt ist, nicht recht Ackerbauer und Viehzüchter zugleich sein;
so blieb Viehzucht beiden Völkern eine Nebensache. Bei den
Bazen sollen übrigens die Leute von Anal, Afla und Betkom
ziemlich reich an Hornvieh sein; man versicherte mir, es gäbe
da Besitzer von 50 Kühen. Im Ganzen aber hat der reichste
höchstens 10 Stück, was auch bei den Hochabyssiniem der
Fall ist. Mai Darö soll früher auch Heerden besessen haben;
jetzt sahen wir nur wenige Heerden, die in Gemeinschaft mit
Adiabo von den Hadendoa erbeutet worden waren und schlecht
genug fortkamen. Auch die Barea besitzen Kühe, besonders
die Mogoreb, die schon viel mehr Viehzüchter sind. Im Gan-
zen genommen aber sind beide Völker trotz ihrer Heerden
keine Hirten; sie behandeln ihr Vieh mit wenig Sorgfalt; sie
widmen ihnen nicht die Liebe, die ihnen bei den Nomaden-
völkem gezollt wird. Man muss auch bedenken, dass nie-
mand Vieh besitzt, das er von seinem Vater und Grossvater
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518 Reise durch das Land der Kanama.
her geerbt hätte, wie wir das bei den Nomadenvölkem
sehen, die unglaublich an ihrem alten eingebomen Stammyieh
hängen und dessen Stammbaum nachrechnen. Bei den unsichem
Verhaltnissen des Landes wechselt der Besitz sehr häufig;
was heute erbeutet ward, geht morgen wieder verloren; es
ist wenig rechtmässiges Eigenthum dabei. Das fühlen die
Leute auch; sie verkaufen sehr gern und oft kaufen sie lieber
aus dem Erlös ein Pferd oder heirathen eine zweite Frau.
Der Geist des Nomaden, der sein Vieh allem vorzieht und
ebenso über den Tod einer Kuh oder eines Kameeis Thränen
vergiessen kann, yrie über ein gestorbenes Kind, dessen Trach-
ten und Schaffen nur dahin geht, seinen Viehstand zu ver-
mehren, dessen einziger Stolz eine schöne Heerde ist, ist dem
Barea und dem Bazen ganz fremd. So ist die Viehzucht
nicht eine landeseigenthümliche geworden; man sieht an den
verschiedenen Rassen der Kühe, dass sie meist nicht im Lande
geboren sind und auch vielleicht nicht da ihr Leben enden
werden. Auch Kameele finden sich bei den Barea, die von
den Nachbarn erbeutet werden; das Land ist ihnen durch
seinen Reichthum an Mimosen sehr günstig. Ziegen und
Schafe sind selten. Alles Vieh kommt jeden dritten Tag zur
Tränke und bringt dann die folgende Nacht im Dorfe zu; den
folgenden Tag und die Nacht ^nrd es sehr weit vom bewohn-
ten Lande auf die Weide getrieben; nach der Emdte weidet
es das Durraschilf ab, das viel Milch erzeugt. Der Preis ist
wie im Barka.
Die Barea und Kunäma besitzen sehr viele Esel, die klein,
aber ausdauernd und etwa 2 — 3 Thaler werth sind. Sie
werden als Lastthiere ausschliesslich verwandt, da die Ochsen
hier zu Lande nicht belastet werden. Auch werden sie theil-
weise vor den Pflug gespannt. Den Frauen sind sie sehr
willige Reitthiere. Pferde sind selten und nur von abyssini-
scher Rasse. Die Barea sind darin als Demokraten wenig
¥iihlerisch und sorgsam ; sie sind auch nicht besondere Reiter.
Alle können doch nicht beritten sein und so darf auch der
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Reise durch das Land der Kunama. 519
Wohlhabendste nicht die Gleichheit verletzen, indem er sich
zu Pferde setzt und thut er diess, so kann er nicht umhin,
es seinen Gefährten zu offeriren und es so zu einer Art Ge-
meingut zu machen.
Die Bazen haben gar keine Pferde. Katzen finden sich
zahm bei beiden Völkern; sie sind nicht von unserer Haus-
katze unterschieden. Auch Hunde kommen häufig vor und
werden zur Jagd benutzt; es sind meist sehr leichte hohe
magere Thiere (Windhunde), wie sie im ganzen Barka und
Gash verbreitet sind. Dagegen flEinden wir in Betkom eine
eigenthümliche Hundeart. Sie ist sehr fest und derb gebaut,
aber ungemein klein, sodass ich sie im Anfiang für junge
Hunde nahm. Sie sind äusserst tiefer ab Wächter und gegen
die Fremden sehr bissig. Ich gab mir vei^eblich Mühe, ein
Exemplar zu bekommen; es schien mir, die Bazen wollten
sich nicht gern davon trennen.
Von eigentlichem Handel kann natürlich (bei unsem Völ-
kern kaum die Rede sein. Die Bazen haben gar keinen
Marktplatz und sind gegen fremde Handelsleute sehr abge-
schlossen. Eigentlichen Verkehr haben sie nur im Norden
mit den Barea, die bis Betkom gehen und Honig und Getreide
ankaufen. Auch besuchen die nördlichen Bazen häufig den
Markt von Mogelo. Dieser Platz vermittelt den Handel dieser
Zone; er wird von allen Barea und theilweise auch von den
Bazen besucht; man sieht da Händler von Algeden, vom
Barka, Leute von Massua, die hier zahlreich angesiedelt sind
und den Handel vermitteln und auch Djalin, die überall hin-
kommen, wo etwas zu gewinnen ist. .Da die Barea und die
Bazen mit fast allen ihren Nachbarn in Fehde leben, so müs-
sen die Fremden sie in Mogelo aufsuchen. Hier ist jeden
Morgen Markt; er ist geographisch sehr günstig gelegen, in
der Mitte des Landes. Ausserhalb des Dorfes befindet sich
ein grosser umzäunter Platz, der als neutraler Boden von
allen geachtet ist. Da die Barea, wie wir sahen, unterneh-
mende Räuber sind, so finden sich hier alle möglichen Gegen-
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520 Reise durch das Land der Konama.
stände zum Verkauf ausgestellt: Pferde, Esel, Maulthiere,
Vieh, Waflfen, Glasperlen und besonders Durra. Die Leute
von Kassala und Massua stellen ihre Zeuge, Schmuck, Wohl-
gerüche u. s. w. aus, die den Barea nothwendig sind, während
die Bazen wenig Einfuhr bedürfen. Eisen kommt meist nur
direct von Abyssinien, von den Bazen kommt hierher Durra,
Duchn und Honig, der bei ihnen wild sehr reichlich vor-
kommt. Das Wachs wird aber nicht benutzt, noch zum Ver-
kauf gebracht, obgleich die Bazen selbst sehr viel Honig ver-
brauchen. Elfenbein kommt einiges von den Bazen, wo viel
ElefEuiten vorkommen, die aber meist von fremden Jägern zu
Pferde erlegt werden. Glasperlen erleiden viel Modeänderung
und bringen wenig Gewinn. Geld ist bei den Barea ziemlich
bekannt, während die Bazen noch gar nicht damit vertraut
sind. Sie haben sich seit einiger Zeit gewöhnt, Zeuge als
Zahlung anzunehmen. Der Markt von Mogelo erfreute sich
früher starken Zulaufs; doch seit es (1861) von Tsadiq's Trup-
pen verbrannt und verwüstet worden ist, wobei die fremden
Kaufleute vielen Schaden erlitten, ist der Platz sehr herunter-
gekommen und das Zutrauen nicht wiedergekehrt. — Die
Barea führen Durra auch dann und wann nach dem Barka
und sogar bis nach Keren aus; doch erlauben ihnen ihre
Feinde, die Beni Amer, selten friedlichen Durchzug. So
sind es meist die Leute von Bisha, die halb Beni Amer sind
und Kameele besitzen, die die Ausfuhr vermitteln. Auch
nach Kassala hin bringen die Barea ihr und der Bazen Durra;
ist aber die Erndte misslungen, so sind sie genöthigt, sich
von daher zu verproviantiren imd dann wandern grosse Züge,
Männer und Frauen mit Eseln und Vieh, der Hauptstadt der
Taka zu. Sie durchziehen da meist feindliches Gebiet und
werden oft auf dem Wege von den Hadendoa und den Beni
Amer'n angegriffen und in Sklaverei gebracht; doch thun die
Algeden, die den Barea eng befreundet und verschwägert sind,
das Mögliche, diese Karawanen sicher bis Kassala zu geleiten.
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Nahrung.
Aus dem bisher Gesagten ei^ibt sich nothwendig, dass
die Barea und die Bazen meist Pflanzennahrung gemessen.
Milch und Fleisch ist eme Seltenheit, da sie zu wenig Haus*
vieh haben und das Thierreich auch im Walde schwach ver-
treten ist. So wenig nun beide Viehzüchter sind, so schlach-
ten sie doch nur selten, ausser bei Feierlichkeiten und von
eingebrachter Beute, die schnell vom Messer decimirt wird.
In der Auswahl des Fleisches sind sie aber gar nicht wähle-
risch. Die altmohammedanischen Dörfer ausgenommen, unter-
scheiden sie nie zwischen christlichem und mohammedanischem
Fleisch; ich habe oft Mohammedaner getroffen, die mich um
Fleisch baten. Auch Aas wird nicht verschmäht und das
haben sie z. B. mit den Bogos gemein. Dagegen wird das
Fleisch der Hyäne nicht gegessen, während die Beni Amer
nichts dagegen haben. Ob es wahr ist, dass die Bazen
Schlangen und Mäuse für Leckerbissen halten, kann ich nicht
entscheiden, dia ich wenigstens kein Beispiel gesehen habe.
Fleisch wird nur in Wasser gekocht oder auf dem Feuer ge-
braten. Milch ist natürlich auch ziemlich selten und ebenso
Butter, die Sesamöl ersetzt. Wenn also beide Völker sich
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522 Reise durch das Land der Kunama.
meist an vegetabilische Kost halten, so unterscheiden sie sich
so radikal in deren Bereitung, dass wir jede Speise und
jeden Trank einzeln betrachten müssen.
Die Barea gemessen meist gesäuertes Brod von Durra oder
Duchn. Sie haben zwar auch die Polenta, die bei den
Bogos u. s. w. genössen wird; sie ziehen sie aber gesäuert
vor; so heisst sie Deblib, ist sehr schmackhaft und als Pro-
viant sehr bequem, da sie sich wohl eine Woche erhalt, ohne
zu verderben. Die abyssinische Tabita, eine Art Brod oder
vielmehr sehr dünner Kuchen, ist den Barea auch bekannt
Die Barea unterscheiden sich von den Beni Amer'n, den
Bogos u. s. w. dadurch, dass sie nie viel auf einmal verzehren
können, dagegen das Mahl oft wiederholen, während die er-
wähnten Völker den Tag über nur zweimal, oft nur einmal
essen und lange hungern, dann aber eine ungeheure Quanti-
tät auf einmal verschlingen können. Die Barea trinken aber
viel mehr, als sie essen. Ihr Bier, das sehr gut ist, bildet
eigentlioh ihre Hauptnahrung und fehlt in keinem Hause.
Alles trinkt es, sogar den kleinen Kindern ersetzt es die Mildi.
Das Bier kann als trockner Teig lange aufbewahrt werden
und braucht nur mit Wasser angefeuchtet zu werden, sobald
man es nöthig hat. Das Bier der Barea ist in Ostafrika sehr
berühmt. Die Barea nehmen es in grosser Menge zu sich,
aber sie werden selten davon berauscht und auch die Feld-
arbeiter und die Hirten haben ihren Schlauch voll Bier mit
sich im Freien« Auch der Grast wird ungemein freigebig mit
Bier bewirthet, während man ihm selten mit Fleisch aufwartet.
Das Bareabier ist sehr nahrhaft, sodass es den Menschen ohne
weiteres Zuthun satt macht
Die Bazen hingegen essen ausschliesslich die ungesäuerte
Polenta und sie finden sich hierdurch vollständig charakteri-
sirt, denn sie sagen: wir sind verschieden von allen andern
Völkern; wir haben keine Ofienbarung und wir essen un-
gesäuertes Brod. Bier wird nur wenig getrunken; eine
Ausnalime bilden die Leute von Tender und Eimasa, deren
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Reise durch das Land der Kunama. 523
Lebensart mehr den Barea ähnlich ist. Dagegen essen die
Bazen viel Honig und trinken Honigwasser, ohne aber den
Honigwein zu kennen. Sie trinken also auch ungesäuert.
Als Surrogat der Butter wird aus Sesam ein Brei bereitet,
der das Brod würzen soll.
Der Unterschied zwischen den Barea und Kunama hin-
sichtlich ihrer Nahrung besteht also darin, dass die einen das
Brod gesäuert, die andern ungesäuert essen; dass die einen
sich vorzugsweise von Bier, die andern von Honig nähren.
Die natürliche Folge davon sehe ich in der körperlichen Be-
schaffenheit der zwei Völker. Die Biertrinker sind mager und
schmächtig; die Honigesser sind sehr fett und gewaltig. Um
diesen Unterschied zu verstehen, muss man wissen, dass das
Bareabier sehr scharf und säuerlich ist und mit unserem Bier
nur den Namen gemein hat. Denselben Einfluss konnten wir
auch anderswo häufig beobachten; bei den Bogos z. B. sind
habituelle Biertrinker mager und sehen fahl aus, während die
Trinker süssen Methes sehr fett werden und schöne Haut be-
kommen.
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Häusliches Leben.
Nun wollen wir einen kurzen Blick in das innere Leben
der Barea und der Bazen werfen. Zuerst bemerken wir, dass
bei beiden Völkern Polygamie erlaubt ist. Doch während bei
den Bazen nur die Reicheren mehrere Frauen nehmen, sind
die Barea grosse Freunde von neuen Ehen und wer kann,
vermehrt seinen Haushalt. Ich habe auch nicht gehört, dass
sich die frühere Frau über den Zuwachs sehr beklage. Trotz-
dem ist aber selbst hier Polygamie nur eine Ausnahme. Die
sittlichen Begriffe bei diesen Völkern sind nun unter sich sehr
verschieden, ebenso wie von anderswo herrschenden Begriffen.
Ausser der Ehe wird nämlich sehr wenig auf Zucht und Ehre
, gehalten; die jungen Leute machen Bekanntschaften; es wird
der Jungfrau gar nicht übel genommen, wenn sie sich ihrer
Liebe ganz hingibt. Wird sie schwanger, so ist sie ganz
ebenso gut angesehen wie früher; auch der Schwängerer hat
keine Strafe oder Feindschaft zu erwarten, Aussereheliche
Kinder werden auferzogen und in nichts schlechter angesehen,
als andere. Wir sind ja nicht adelich , meinen die guten
Leute. So wird also das Leben ausser der Ehe durchaus
unbeschränkt. Ebenso ist eine geschiedene Frau in ihren
Neigungen und Handlungen ganz frei.
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Reise durch das Land der Kunama. 525
Uebrigens kommen auch keine öffentlichen Frauen vor,
ausser bei den Barea, wo der viele Zulauf von Fremden
auf den Markt sie begreiflich macht; es sind übrigens nicht
blos geborene Barea, die sich dazu hergeben, sondern Mäd-
chen vom Barka, entflohene Sklavinnen oder Frauen, die der
Strafe der Schwangerschaft sich entziehen mussten. Unnatür-
liche Laster sind ganz unbekannt Was das eheliche Leben
betrifft, so ist ein grosser Unterschied zwischen den Barea
und den Bazen. Man schilderte uns die Bazenfrauen als sehr
frei; man klagte die Männer sogar an, dass sie die eigene
Frau dem Gastfreund hingäben, und stellte alle eheliche Treue
in Abrede. Uebrigens kann ich nicht entscheiden, ob diese
Berichte, die ich den mir bekannten Barea verdanke, nicht
übertrieben sind; wir hielten uns zu kurze Zeit auf, um end-
gültig über die Moralität des Volkes entscheiden zu können.
Die Frauen der Barea hingegen werden überall als exempla-
risch treu und sittsam geschildert und dadurch bilden sie in
Ostafrika eine bemerkenswerthe Ausnahme. Sie werden des-
wegen von den umliegenden Völkern sehr gesucht, und man
findet in den Nachbarstämmen viele Barea -Töchter ver-
heirathet. Die Barea verschwägern sich besonders mit Al-
geden, Beit Bidel imd auch den Beni Amer'n. Hagr und
Mogoreb gehen immer gegenseitige Ehen ein, während die
Bazen und Barea nur höchst selten sich untereinander ver-
schwägern. Die Bazen verheirathen sich meist nur unter-
einander. Die Heirathen gehen immer nach vollendeter Emdte ^
vor sich. Der Bräutigam, von seinen Freunden und den
Mädchen seines Dorfes begleitet, holt die Braut aus ihrer
Heimat ab und bringt sie in ihr neues Haus; beim Eintritte muss
sie sich quer auf den Boden legen und er schreitet über ihre
Wangen. Das Fest dauert acht Tage und unterscheidet sich
wenig von allen ähnlichen Gelegenheiten. Freunde und Ver-
wandte bringen freiwillige Gaben. Eigenthünüich ist hier,
dass die Hochzeit nicht eine Sache der Familie, sondern der
Gemeinde ist, die sich dabei betheiligt und alle Fremde dazu
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526 Heise durch das Land der Kunama.
einladet und bewirthet. Der Mann bleibt nun während der
acht Festtage im Hause verschlossen. Oft wird der Bräutigam
bei dieser Gelegenheit von irgend einer Frau des Dorfes be-
sungen; er gibt ihr dafür ein Geschenk und hat er nichts
anderes, so theilt er mit ihr sogar sein eigenes Kleid.
Das Leben der Frau im Hause nun zeigt eine au£EEJlende
Aehnlichkeit mit dem der Abyssinierin. Sie theilt alle Arbeit
mit dem Manne, nicht wie bei den Bogos und ihren Nachbarn,
wo die Frau vom Feldbau ausgeschlossen ist und nur im' Hause
sich beschäftigen soll. Schon die junge Braut, die bei den
Bogos lange Zeit faul ruhen bleibt, beschäftigt sich wie die
andern; sie arbeitet auf dem Felde, sie mahlt das Korn und
macht Bier; selbst die Reichste ist selten müssig und wenige
halten sich eine Magd. So ist es auch in Abyssinien, wo die
Frau immer zuerst aufsteht. Was das Melken anbetarifft, so
kann hier das Mädchen melken, aber bei der Frau scheint
es unanständig; den Barea aber, die viel mit den Beni Amer^n
zusammenkommen, theilt sich das Yorurtheil gegen das Melken
der Frau überhaupt nach und nach mit. Die Frauen dieser
Länder sind sehr beschäftigt und haben wenig Zeit, müssig
auf ihrem Bette zu liegen und Toilette zu machen, wie die
Bogos, aber man sieht selten unzufriedene Frauen oder un-
glückliche Ehen.
Die Barea haben den Gebrauch des Rauchbades, wozu sie
die Wurzel der Higüg anwenden und vom Barka her die
» Wolldecken beziehen, die auch bei den Bogos gebräuchlich
sind. Die Frau spricht nie den Namen des Gatten aus und
isst nie in seiner Gegenwart; sie verbirgt sich vor ihrem
Schwiegervater, so will es die Sitte, die hierin mit der der
aristokratischen Völker übereinstimmt. Mann und Frau theilen
selten dasselbe Bett; die Barea erklären, das geschähe darum,
dass der Athem des Weibes den Mann nicht schwäche. Fremde
Leute hüten sich bei den Barea, in irgend ein Haus, wo eine
verheirathete Frau wohnt, zu treten, damit ja kein Gerede
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Reise durch das Land der Kunama. 527
über sie entstehe; wie es damit bei den Bazen stehe, kann
ich nicht sagen.
Die Frauen der Barea und Kunama sollen ziemlich frucht-
bar sein. Man rühmt die Leichtigkeit der Entbindung, ohne
Schrei und Noth, während bei den Bogos und den Barka das
keinesw^s der Fall ist. Die Barea und die Bazen ziehen
Mädchen den Knaben vor, ganz entgegengesetzt ihren Nach-
barvölkern, und diess ist bei den Gesetzen des Landes sehr
natürlich. Die Frau, die zum ersten Male empfangen hat,
begibt sich in ihrer Mutter Haus, wo sie niederkommt; sie
verweilt da nach der Entbindung noch drei Monate. Ihr
Mann schickt ihr Getreide, Salz und ein Wollkleid; die Ver-
wandten und Freunde schlachten 2äegen. Spätere Male kommt
die Frau in ihrem eigenen Hause nieder. Es kommt kein
Mann während des Monats nach der Entbindung in ihr Haus.
Eine Woche nach der Geburt wird das Kind benannt; die
Barea und die Kunama haben viel eijgenthümliche Namen, die
letztern adoptiren oft auch islamitische. Die dem Lande
eigenen Namen haben nichts Christliches und auch sie ver-
bieten den Gedanken früheren Ghristenthums. Von Barea-
Namen für Männer wollen wir anführen: Ashush, Aggar,
Basen, Auet, Selman; für Frauen: Wardet, Shajet, Ashei,
Daret, Belu. Von Bazen -Namen haben wir uns folgende
notirt: KuUu, Adigi, Karme, Tofa, Merko, Ashgu, Gadi,
Kerfe, Laku, Gabon, Andu, Ishma, Maberi, Torta, Sbeddin,
Segede, Ashora, Auro, Shelfo, Moshellem, Djaba.
Dem Kinde wird oft der Name des Grossvaters und des
mütterlichen Onkels verliehen. Da die Eltern meist auf dem
Felde beschäftigt sind, habe ich erzählen hören, dass die
Mutter, die ihr Kind nicht mitnehmen und keine andere ältere
Schwester ihm zur Hüterin zurücklassen kann, das Kind mit
einem Strick im Hause an einen Pfahl bindet und daneben
eine Schüssel voll Milch oder Brod stellt und dann ruhig das
Haus verschliesst. Wenn das Kind des Weinens satt ist, kostet
es von der Nahrung und schläft dann ruhig ein. Beschnei-
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528 Reise darch das Land der Kun4ina.
düng kommt erst nach dem sechsten Jahre vor und bei den
Barea wenigstens für beide Geschlechter, während ich bei den
Bazen nur für das männliche Geschlecht sicher berichtet bin.
Einderverkauf ist nicht selten, besonders bei Hungersnoth,
aber wie aus dem früher Gesagten sich ergibt, ist es nicht
der Vater, der das Kind verkaufen darf, sondern der mütter-
liche OnkeL Knaben gehen meist mit rasirtem Kopf. Werden
sie mannbar, so lassen sie das Haupthaar wachsen, aber es
findet hier kein Fest statt, wie das bei den Bogos u. a. uns
bekannt ist.
Den Barea und Bazen ist eine grosse Ehrfurcht vor dem
Grabe gemeinschaftlich. Stirbt jemand, so geht der Trauer-
schrei in die umliegenden Dörfer. Wenn in der Nacht, wird
das Begräbniss auf den Frühmorgen aufgespart; wenn am Tage,
so wird nur so lange gezögert, bis das Grab in Ordnung ge-
bracht ist
Es ist übrigens allgemeine Sitte in Afrika, so schnell als
möglich zu begraben. Bei den Barea und den Kunäma ist
es Brauch, dass das ganze Dorf, Alt und Jung ohne Aus-
nahme, den Todten zu Grabe begleitet; niemand pflügt, noch
säet, noch mahlt, bis die Leiche bestattet ist Das Grab
der Barea und Kunäma ist durchaus von dem uns bisher be-
kannten verschieden. Jede Familie hat eine ziemlich geräu-
mige Höhle, zu der ein schiefer Schacht hinabführt Die
enge Oe£fhung desselben wird mit einem Steine verschlossen,
der Platz mit einer Art niedriger Mauer bezeichnet. Hier
werden Männer, Frauen und Kinder beigesetzt, jede Familie
in ihrer eigenen Gruft. Der Leichnam wird verhüllt auf einem
Tragbette hingetragen; ein Mann steigt hinunter, schiebt die
alten Knochen bei Seite, und dann wird der Todte einfEich
auf den Boden hingelegt. Fremde und Mohammedaner werden
nach ihrer Landesart an besonderen Plätzen begraben, wäh-
rend die Barea und Kunäma im wahren Sinne des Wortes
den Todten beisetzen. Nach dem Begräbniss bringen die
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Reise durch das Land der Kunama. 529
jungen ledigen Leute des Dorfes Holz aus dem Walde, aus
dem sie eine grosse Schattenlaube errichten, die zur Auf-
nahme der von allen Seiten herbeiströmenden Klagenden be-
stimmt ist; auch holen sie Wasser und Holz zum Brennen.
Kein junger Mann darf sich dieses Dienstes entheben. Die
eigentliche Trauer dauert eine* Woche; auch die Männer be-
klagen den Todten laut, wie es die Hochabyssinier thun,
während die aristokratischen Völker das Weinen den Frauen
überlassen und es für unmännlich halten, das Leid äusserlich
zu zeigen. Während dieser Zeit bringt jeder Dorfbewohner
sein Essen in die Trauerhalle, um es da in Gemeinschaft zu
verzehren. So bildet sich ein wochenlanges Leichenmahl, an
dem die ganze Gemeinde und viele Gäste von den andern
Dörfern theilnehmen. Auch unsere Völker haben den Ge-
brauch, die Opferkuh zu schlachten; die Bazen begnügen sich
mit einer, während die Barea bei dieser Gelegenheit bis
10 Stück opfern. Die ledigen jungen Leute besorgen die Auf-
wartung und bedienen die Alten mit Fleisch und Bier. Der
Gebrauch, den wir sonst gefunden, den Kühen bei dieser Ge-
legenheit mit dem Schwert die Hinterbeine abzuschlagen,
kommt hier nicht vor. Während dieser acht Tage wird der Todte
von allen Anwesenden besungen und beweint. Nach Verlauf
der Woche entfernen sich alle Fremde und die Trauer, die
ein Jahr währt, geht fortan nur die engere Familie an.
Es zeigen sich hierin zwei Seiten des Lebens. Erstlich
offenbart sich eine grosse Ehrfurcht vor dem Todten und eine
Sorgfalt für denselben, die sich sicherlich an einen gewissen Un-
sterblichkeitsglauben anlehnt; sodann tritt das innige Zusam-
menleben der Gemeinde in Freud und Leid uns wieder wohl-
thuend entgegen. Niemand wagt es, eine Ausnahme zu
machen, denn jeder weiss, dass auch sein Tag kommt. Da
ist kein Unterschied zwischen Mächtig und Gering, jedem wird
das gleiche Beileid gezollt. Bei andern Völkern weiss man
ebenso gut, dass der Tag kommen muss und desungeachtet
Muaxiuger, OsUfrik. Studien. 34
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530 Reise durch das Land der Kan&ma.
hat man oft grosse Noth, den Todten zu begraben, wenn es
ihm an Familie fehlt und es ist traurig zu bemerken, dass
bei den aristokratischen Völkern, sei es durch die Geburt oder
das Geld, der Vornehme noch im Tode seinen Rang behauptet,
während wenige den Armen zur letzten Ruhe begleiten.
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Schi ussbetrachtungen .
Wir wissen schon, dass die Barea und die Kunama sich
in einer Ausnahmestellung befinden, indem sie von unbarm-
herzigen Feinden umringt sind. Deswegen lebt das Volk in
seinem innem Leben Mediich und freundlich, fast ohne Gesetz
und Staat, frei und gleich, nur vor dem grauen Haare sich
beugend. Ganz anders wird der Barea und der Kunama,
wenn er sich gegen das Ausland wendet. Die Nothwehr zwingt
ihn, das angethane Leid so gut wie möglich dem Feinde zurück-
zugeben. Daher sehen wir förmliche Räuberbanden, die
monarchisch organisirt sind. Besonders die Barea sind seit
langen Zeiten weit und breit als Räuber berühmt und ge-
fürchtet; sie sind der 'Schrecken des Landes von den Bogos
bis zum Gash, während die Bazen bis in's Tigre hinein die
Wege unsicher machen. Die Barea kämpfen fliehend, selten
greifen sie an; sie fliehen, kommen wieder und umringen
den schon sich sicher wähnenden Feind. Sie sind behend
wie Schlangen. Raub scheint ihnen ein ganz ehrenhaftes
Handwerk, da er sich gegen den Feind wendet; dagegen ist
Hausdiebstahl eine Schande und fast unbekannt. In Zeiten
der Hungersnoth stehlen sich die Barea gern untereinander
Ziegen und Esel, oft selbst vom gleichen Dorfe weg. Auch
34*
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532 Reise durch das Land der Kundma.
im Bezahlen der Schulden sind sie wenig gewissenhaft. Sonst
sind sie sehr Zuverlässig für anvertrautes Gut; fast keine
Thür ist da und das Durra bleibt auf den Feldern unbewacht,
so auch in Algeden. Bei beiden Völkern hört man äusserst
wenig von Mord innerhalb des Landes; Vater- oder Mutter-
mord ist ganz unerhört, Brudermord ist äusserst selten.
Selbstmord setzt viel mehr Civilisation voraus.
Die Barea und die Bazen sind sehr wachsam in der Nacht;
die Unsicherheit und das näuberleben gewöhnt sie an einen
leisen Schlaf. Sie haben wenig Furcht vor Schlangen; man
sieht oft Leute, die solche unbesorgt im Kleide herumtragen
und ihnen sogar eine schützende Kraft zuschreiben. Tapfer-
keit ist beiden keineswegs abzusprechen; in jetziger Zeit aber,
wo sich Norden und Süden monarchisch concentrirt haben,
nützt dieser ungeregelte Muth wenig und in den letzten Jahren
sind bei dem unaufhörlichen Kampfe so viele der besten
Männer umgekommen, dass den übrigen doch am Ende das
Selbstvertrauen abhanden kommen muss. Eigenthümlich ist bei
den Bazen, dass Frau und Kind durch eine Thüre fliehen,
die Männer durch eine andere; so streiten die letztem nur
für sich. Es sind einige Jahre her, dass Bogoshirten einen
Barearäuber, der Kühe wegstehlen wollte, gelangen nahmen;
sie banden ihn fest und schickten sich sehr bedächtig an, ihn
zu tödten; er sah ganz kaltblütig zu und als ihn die erste
Lanze traf, sprach er: So stirbt ein Mann! und fiel ohne alle
Klage. Leider sind beide Völker viel zu lose verbunden, um
sich mit Erfolg wehren zu können, obgleich die Barea sich
gegenseitig in der Gefahr beistehen.
Wir haben in den Barea und Kunäma echt demokratische
Völker kennen gelernt, wie sie vielleicht in der Welt nirgends
sonst vorkommen; jeder fühlt sich dem andern gleich und
frei; keiner will besser als der andere werden. Wir sind alle
Sklaven, sagen sie ireimüthig und das ist ein stolzes Wort;
die Gemeinde allein beschränkt die persönliche Freiheit durch
den Ausspruch der Greise, denen keiner widerspricht. Skla-
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Reise durch das Land der Kundma. 533
verei scheint unnatürlich und selbst der Fremde wird schnell
eingebürgert Da die Familie in der Gemeinde aufgeht, so
fehlt der Geburtsstolz, der andere Völker so hoch und auch
so niedrig stellt. Die vollständige Gleichheit ist vorzüglich
in dem Charakter des Volkes begründet, der der Veränderung
abhold ist und wenig emporstrebt. Dieser gleichförmige Cha-
rakter ist besonders bei den Bazen, die wenig fremden Ein-
fluss zu erleiden hatten, rein bewahrt.
Bei den Bazen ist die Ehrfurcht vor dem Alter bei Weitem
stärker ausgebildet, als bei den Barea. Sie sind ihrem Charakter
nach ruhiger und ich möchte sagen eintöniger, wie ihre Sprache.
Sie sind unter sich sehr sanft und höflich; keiner unterbricht
den andern, keiner wird in der Berathung hitzig oder schlägt
im Zorn der Rede mit dem Stocke auf den Boden, wie wir
es bei den Bogos und den andern Nordostafrikanern jeden
Tag gesehen; keiner prahlt mit seinem Muthe. Daher gebietet
auch die Raths Versammlung Ehrfurcht; alles wird ruhig ab-
gemacht, ohne Lärm und Streit; was beschlossen ist, ist
fertig. Sonst sind die Bazen gern fröhlich, aber auf eine
stille Weise. Man sieht des Abends Mann und Frau traulich
im Hofe auf einer Bank sitzend zusammen plaudern und aus
der Pfeife rauchen.
Wenn nun die Barea immer noch die Eigenschaft haben,
dass sie friedlich zusammenleben können, so ist bei ihnen die
Ehrfurcht vor dem Alter schon viel geringer, da sie sich täg-
lich von ihren Nachbarn vom Barka ein böses Beispiel nehmen
können. Ihr Geist ist auch viel lebhafter und unmhiger;
daher hört man bei ihnen schon viel mehr leeres Geschrei.
Da wir nun die Barea viel genauer kennen, wollen wir sie
noch genauer charakterisiren. Die Barea sind dankbar, ein-
fach oflfen, ohne Trug; sie haben viel gesunden Menschenver-
stand; sie brausen schnell auf, aber kühlen sich leicht wieder
ab imd verzeihen gem. Sie tragen Beleidigungen wenig nach
und in dieser Hinsicht glauben wir die stillen Wasser des
Bazenherzens viel tiefer und nachhaltiger. Die bei den aristo-
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534 Reise durch das Land der Kundma.
kratischen Völkern uns bekannte Rachsucht, die die kleinste
Verletzung Jahre lang nachträgt, ist den Barea fremd und
unnatürlich. Es geschieht Qft, dass nach heftigem Streit der,
welcher Unrecht hatte, des andern Hand ergreift und um
Verzeihung bittet. Ein Bogos oder ein Habab könnte das nie
über sich bringen. Sie haben wenig Schimpfwörter. Die
Barea und auch die Bazen können den Wohlstand yertragen,
ganz im Gegensätze zu allen ihren Nachbarn, die, wenn sie
satt sind, böse und übermüthig werden. Je reicher und satter
ein Barea wird, um so besser, liberaler und genügsamer wird
er. Der Hunger macht ihn zum Diebe und Räuber. Die Barea
helfen sich gegenseitig gem. Sie sind barmherzig, selbst gegen
die Fremden. Nur wenn sie in Feindesland sind, vergessen
sie die Menschlichkeit. Die Frauen beklagen selbst das ge-
raubte Kind der feindlichen Beni Amer, während die Beni-
Amer- Frauen den geraubten Sklaven verhöhnen und hassea
Wenn der Barea in der Wildniss das verwaiste Löwenjunge
sieht, gedenkt er der heulenden Mutter, die ihr Kind sucht,
und vergleicht sie mit seiner eigenen weinenden Mutter. Die
Barea sind sehr dienstfei-tig , nicht wie die Bogos, die nur
die Furcht nützlich machen kann; sie sind dankbar selbst für
den kleinsten Dienst und vergessen einen Freund nicht. Der
Fremde hat gleiches Recht und hat er sich gut benommen,
so wird er bei seinem Tode wie ein Bruder beweint. Wittwen
und Waisen werden nie misshandelt oder in ihren Rechten
verletzt. Die Barea sind durchaus nicht habsüchtig, der semi-
tische Charakter, der Geld über alles stellt, fehlt ihnen; sie
stehlen aus Hunger und weil das Eigenthum wenig Werth
hat, aber sie geizen nicht nach fremder Habe. Sie sind un-
gemein gastlich. Ich erinnere mich, dass Moharrem Effendi,
ein ägyptischer Oberst, der in Kufit den Tribut einzog, sich
üiir gegenüber über die Barea sehr rühmend aussprach und
ihre Offenheit, die keine lutrigue und keinen Verrath kennte
im Gegensatz zu den „Hunden von Beni Amer'n" mit Freuden
hervorhob. Sie geben, sagte er mir, den Tribut, soviel das
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Reise durch das Land der Eim4ma. 535
ihre Umstände erlauben; weiter hinaus sagen sie entschie-
den: genug! und dann hilft kein Zwang.
Ich habe viele Leute von Barka und Algedeu und Massua,
die lange Zeit im Barealande verweilt haben, über die geistige
Fähigkeit der Barea befragt und die Antwort war, ob nicht
die weisen Gesetze, die express gemacht sind, um allen Streit
zu verhüten, das beste Zeugniss guten Verstandes abgäben.
Jedenfalls halte ich besonders die Barea für sehr bildungs-
fähig; die Bazen sind es nicht minder, aber sie hegen noch
viel mehr Vorurtheile gegen alles Fremde. Wir wollen bei-
fügen, dass beide Völker sehr liederreich sind und viel mehr
Melodien haben, als alle ihre Nachbarn. Ihr Nachtgesang
(Goila) ist weit und breit berühmt. Das Recitativ, das den
Tigre und den To'bedauie eigen ist, passt schon zur Sprache
nicht.
Die Barea und Kunama bekämpfen sich im Innern des
Gaues nur höchst selten. Da alle Entscheidung in den Händen
der Greise liegt, alles gleich, niemand vornehm ist oder es
werden will, die ehrgeizige Jugend von der Regierung ausge-
schlossen ist und die Familie in der Gemeinde aufgeht, so
wird Streit und Bürgerkrieg unmöglich und es könnte eine
80 eigenthümliche Republik noch Jahrtausende fortvegetiren,
wenn sie von allem Auslande isolirt werden könnte. Diese
Völker fühlen diess auch sehr gut; besonders die Bazen thun
das Mögliche sich zu isoliren; sie lieben alles Einheimische,
sie hassen alles Fremde. Sie haben wenig Neugierde; sie
wollen lieber bleiben wie sie sind. Sie haben bisher nur fort-
vegetirt und ohne Zweifel grenzt oft Gleichheit an Gemeinheit.
Es ist jetzt aber die Zeit gekommen, wo auch diese Völker
dem Zuge der Weltgeschichte ausgesetzt werden sollen, und es
wäre Schade, wenn diess nur geschähe, um sie um so schneller
zu verderben. Von zwei Seiten werden die Barea und Kunama
gedrückt; von Süden dringen die Abyssinier, von Norden die
Mohanmiedaner vor; religiös machen die letztern die grössten
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536 Reise durch das Land der Kunäma.
Fortschritte, politisch die Christen. Es wäre Schade, wenn
so besonders durch das Herz zu einem bessern Leben befähigte
Völker zwischen den zwei feindlichen Mühlsteinen zusammen-
gedrückt werden sollten. Hat hier die europäische Politik
und Mission keine Aufgabe?
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/
/
Einige Bemerkungen
über
Ethnographie von Kordofan.
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I.
Die 80 verdienstliche Arbeit von Dr. Waitz über die Psy-
chologie der Naturvölker gibt uns das Resultat aller bisheri-
gen Forschungen über die Völker von Kordoüan. Um künftige
Forschung zu erleichtern, wollen wir uns seiner Darstellung
mit einigen Beobachtungen anschliessen, die wir während
unseres Aufenthalts in L'obeid als Mitglied der deutschen
Expedition zu machen die Gelegenheit hatten. Jedoch scheint
uns die Scheidung von Aethiopen und Negern, vrie sie auch
Dr. Waitz annimmt, sehr zweifelhaft und bedenklich wird sie
vollends, wenn sie sich auf die Sprache stützen soll.
Dass die abyssinischen Hauptsprachen, das Tigre und das
Tigrina, als lebende Töchter des Geez semitisch sind, ist un-
bezweifelt. Da wir nun sicher sind, dass sie schon vor zwei
Jahrtausenden landesüblich waren, so soll man die Abyssinier
nicht Aethiopen nennen, sondern ein&ch Semiten. Die Farbe
darf nicht abschrecken, da auch die edelsten Geschlechter
Arabiens von Schwärze nicht frei sind, während die edelsten
Geschlechter Abyssiniens hellgelb sind. Es finden sich in
Abyssinien dann noch verschiedene Völklein oder eher Völker-
trümmer, wie die Agau, zu denen auch die Bogos gehören,
deren Sprache durchaus noch nicht placirt ist. Das Gleiche
gilt von den Galla. Die Stellung der Amhara aber, des civi-
lisirtesten Stammes im Lande, ist nicht genau festgestellt; es
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540 Bemerkungen über Kordofim.
wird erst durch spätere Untersuchungen klar werden, ob sie
das Semitische ihrer Sprache ursprünglich haben oder ob es
eine ungeheure Gopie ist mit ursprünglich fremder Basis.
Jedenfalls ist gerade aus den Sprachen ersichtlich, dass
die sogenannten Aethiopen, d. h. die Völker Nordostafrikas,
mit dem Flussgebiet des Nil ethnographisch gar nicht zusam-
mengehören, sondern, wie es auch ihre Geschichte lehrt, durch
ZuMl zusammengeworfen worden sind. Es gibt kein Land
auf der Welt, wo verhältnissmässig auf so kleinem Räume
so viele Sprachen, die nichts miteinander gemein haben, ge-
sprochen werden. Die Asiaten, die Europäer stehen in un-
geheuren Gruppen zusammen, während hier durchaus kein
Zusammenhang gefrmden werden kann. Diese Thatsache redet
direct gegen die Annahme, die sogenannten. Aethiopen seien
eine Völkerfamilie, führt uns auf die Vermuthung, dass alle
diese Nordostafrikaner Parcellen sind von grossen weitliegen-
den Völkerfittnilien, deren Colonien auf dem kleinen, aber von
d^ Natur begünstigten Räume zusammengetroffen sind, dass
man also ihre Verwandtschaft nicht untereinander, sondern
weitweg zu suchen hat. Das gleiche Leben, klimatisch und
politisch, hat sie dann einander ähnlicher gemacht.
Was den N^er betrifft, so weiss ich nicht, was man dar-
unter versteht und am allerwenigsten begreife ich die Bedeu-
tung von Negersprache. Diese Classification ist höchstens
dazu da, eine ganze Masse uns unbekannter Volks- und
Sprachtypen unter einem Namen zusammenzuwerfen, ein beque-
mes aber nicht richtiges Verfahren. Von Weitem angesehen,
dem Europäer absolut entg^engehalten, steht der Afrikaner
allerdings als ein ganz besonderer Mensch da; aber bei ge-
nauerer Beobachtung weiss der aufrichtige Reisende nicht
mehr, wo der Neger eigentlich anfängt, und der Glaube an
die absolute Rassentrennung versch¥dndet mehr und mehr.
Was nun die Völker von Kordofan angeht, so müssen wir
die eigentlichen Araber (vr^) zusammen mit den arabisirten
Stämmen ( yj^r^x«) von den Nichtarabern streng scheiden.
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Bemerkungen über Kordo&n. 541
Deswegen dürfen wir aber die letztem nicht unter dem Namen
Nuba zusammenwerfen. Dass Nubien früher viel mehr Au3-
dehnung hatte, sagen die alten Autoren; diess beweist aber
nur, dass die Nubier zurückgedrängt worden sind. Araber,
Fundj, Forianer u. s. w. haben ihren Platz eingenommen.
Der Name Nubier ist im Sudan durchaus kein geogra-
phischer Sammelname; er existirt nur als Stammesbezeichnung.
„Nuba" werden nur die Sklaven aus den Ländern südwestlich
von Tegele genannt; die Leute von Tegele selbst werden
unter ihrem eigenen Namen unterschieden und blos unwissende
Sklavenhändler werfen verschiedene Völker unter einem Namen
zusammen, wie z. B. die Gallasklaven in Kairo „Habeshi", im
Sudan „Makade", was mit Habeshi gleichbedeutend „Abys-
sinier" heisst, genannt werden, weil sie eben über Abjssinien
eingeführt werden; deswegen heisst auch der arabische Kaffee
Mocha, weil hier früher sein Hauptstapelplatz war u. s. w.
Nuba heissen ferner die Bewohner des Nillandes nördlich
von Dongola bis Assuan , so sage ich nicht nach eigener Er-
fahrung, sondern nach allen Zeugnissen, welche die jetzigen
sogenannten Barabra Nubier nennen. Und wirklich steht der
Namensgemeinschaft nichts entgegen. Dafür entscheidet die
Sprache, die wir gut genug kennen, um zu wissen, dass das
Berg -Nuba dem der Nilbewohner verwandt ist. Jedenfalls
ist zu wünschen, dass die beiden oder vielmehr die drei
Dialekte, das Mahassi inbegriffen, besser studirt würden.
Endlich müssen wir constatiren, dass die Barabra oder
Danagele, die in Kordofan ansässig sind, aus ihrer Ver-
wandtschaft mit den Nuba -Sklaven kein Hehl machen, wenn
auch nicht ohne Scham, und dass so die Tradition davon
fortlebt.
Wir finden also das Volk der Nuba südwestlich von Tegele
und dann nördlich von Dongola, getrennt durch Kordofan und
dia Steppe. Die Bewohner von Tegele sind ganz andeiii Ge-
schlechtes, die von Kordofan sind jedenfalls sehr gemischten
und zweifelhatten Ursprunges. Dass die Nuba die Steppe
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542 Bemerkungen über Kordofan.
zwischen Kordofan und Nil nicht occupirt haben, ist begreif-
lich, da sie ihrem ackerbauenden Sinn wenig gefallen konnte;
sie blieb also den Arabern vorbehalten, deren nomadische Ge-
wohnheiten nur da Befriedigung fanden. Wahrscheinlich ist
aber, dass die Nuba einst auch Kordofan förmlich besessen
haben; denn von ihren Bergen herabsteigend wären sie kaum
gleichgültig daran vorbeigezogen und für ein nicht nomadi-
sches Volk scheint die Strecke viel zu ausgedehnt.
Dass die jetzigen freien Bewohner von Kordofen wenig-
stens der Hauptfärbung nach Nuba seien, ist keineswegs wahr-
scheinlich; von Sklaven, die willkürlich ihrem Vaterland
entrissen sind, darf gar nicht die Rede sein. Daher darf man
nicht sagen, es werde in L'obeid Nuba geredet oder gar in
Kob6; das hiesse höchstens nur, dass sich da Nubasklaven
befinden, die ihre Muttersprache noch nicht vergessen haben.
Die freien Bewohner Kordofan's reden -nur Arabisch. Selbst
die ansässigen Danagele, die des Handels wegen von Norden
wieder bis Kordofan zurückgewandert sind, haben meist ihre
Rotäne (ihr Nicht -Arabisch) ganz vergessen.
Was nun die Nuba- Sprache betrifiFt, so flechte ich hier
eine kleine Wörtersammlung ein , die ich in L'obeid aufeeich-
nete. Meine Professoren waren nicht der Art, dass ich mich
mit Sicherheit an die Zeitwörter und die grammatischen For-
men wagen konnte. Da ich bei unserm nicht sehr ausgedehn-
ten Aufenthalt keine besseren Lehrer finden konnte, musste
ich mich mit der erhaltenen Probe, die von ihrer Seite keine
Intelligenz voraussetzt, zufrieden geben. Viel glücklicher war
ich mit den Sprachen von Tegele und For, wovon ich später
berichten werde.
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Bemerkungen über Kordofan.
543
Sammlung von Nuba-Wörtern.
Deutsch.
Mein Kuba.
BuBsegger.
BüppeU.
Gott
hü
bell
Himmel
are
are .
Wind
ir4jo
erso
irscha
Kegen
oddo
op
areh?
Thau
odje
Donner
aren dorga
Blitz
sal^jo
Stern
omdo, pl. omin
odo
ondoa
Sonne
idji
eis
es
Mond
nonto
nonto
nundo
Feuer
ika
ika
eka
Asche
obt6
Erde, Land
tob
weda
Sand
oindo
tor
Thon
digda
Wasser
otho
oto
otu
Teich
odj
artokas (See)
hadg
Fluss
toale
torha
ser
Stein
kurra, pl. kokorri
kakar
kager
Wüste
hedje
Wald
Berg
kotti
koldi
> kudu
i
kndou
Weg
ob, pl. obin
Brunnen
kol
kol -de
koll
Jahr
ongr
Tag
orgo
top
Nacht
kolel
faler
Woche
otorre
kanda
Freitag
war
candanian
biseit
Samstag
samde
warganian
kuljenis
Sonntag
fin'gor
wendeon
unis-
Montag
fuinni
alon
wara
Dienstag
kideg6
oganon
sandak
Mittwoch
bishet
ivillon
kerake
Donnerstag
kabja
grahenion
endomat
der Morgen
orgu
zirin
Gestern
wal
wal
Vorgestern
wanen denen
willion
Morgen
m\
zirin
Uebermorgen
tenan
oganion zirin
Digitized by
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544
Bemerkungen über Kordofan.
Deutsch.
Mein Kuba.
RuBtegger.
Rüppell.
der Tag
ul
veong
Mittag
ulangal
ular
Nachmittag
shereki
Heute
ogud
eneür
Regenzeit
korol
ili
Winter
kid
Sommer
hal
sonzolon
Kuh
ti
teh
teh
Milch
idj
est
esch
Ziege
ogud
ogot
Schaaf
ordi
orti - do
ordi
Ochs
terre, pl. kugli
Kalb
koten-do
kote
Pferd
kudji, pl. kudjin
koss
chotg
Stute
idjam
Esel
ondo, pl. ondin
odu
undu
Hund
boll, pl. bolin
boll
boal
Katze
butur
kodrazie
Elefant
ongul
obul
omni
Rhinoceros
buger
'
Strauss
turum
tidam
tedam
Ei
konil
Perlhuhn
kebdi
Huhn
kokorr6
kokor-do
koker
Hahn
kuadia
Gazelle
kü-do
kel
kehl
Büffel
kobra
Teitel
budji
Giraffe
shob
sap
Saab
Schlange
kungi
kobul
Federn
til
Hyäne
bu shiri
Geier
kiUi
Eidechse
kora
Löwe
bugluri
Leopard
bugl tedje
Vogel
kommel
Honig
tommer
Wurm
birgeti
Krokodil
kibedj
Fliege
ununu ?
wietedo
Laus
itu
Floh
ninini
#
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Bemerkungen über Kordofan.
545
Deutsch.
Mein Kuba.
Busseg^er.
Büppell.
Heuschrecke
moldo
•
Maus
kumo
kume
komee
Ameise
kuarr
Termite
kuabor
Kameel
kamle
kala
komul
Hase
wudlang
udnlando
udelando
Affe
tigil
nakono
tingel
Wildschwein
ndjang
Zahmes Schwein
kidjang
kisan
.
Spinne
shabako
raar
Taube
titim
titum
tidim
Kröte
towar
Igel
kuuanan
knnjunie
Skorpion
irin
irrin
Eisen
sbirte
serto
sirtu
Salz
shele
arisele
seihe
Mika (Baum)
kalto
Heu
mondo
Gras
mondo tedje
Kürbiss
tuang
Durra
ui
ariwie, wie
oidg
Duchn
ende
Sesam
bele
Schilf
nengd6
Holz
for
ori
ori
Baum
id
koto
Baumwolle
okke
aka
acka
* Dattelpalme
hendo
ento
Dorn
tingere
Domenzaun
warta
Gold
tungi
Adansonia
idhu
Adansoniafrucbt.
tobl6
»
Sejal
tui
Higlig
tUle
Kithribaum
urum
£benholzbaum
oren
Gummibaum
ulen
Gummi
ule
Blatt
aide
Lotus nebek
kuai
Tamarinde
shekre
Dumpalme
^ abt^
Man t loger, Ostafrik. Stadien.
35
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546
Bemerkungen fiber Kordo&n.
Deutach.
Mein Nuba.
RuMegger.
BüppeU.
Natron
aUorde
Antimonium
didime
(Qohl).
Bohnen
oke
/
Mensch
indo (das Selbst)
indie
Mann
korto, korin
korto
kordu
Frau
ildo, elin
eto
eadou
Knabe
tondo
tono
tondu
. Mädchen
temdo
terdo
temdu
Vater
ba
apa
Mutter
ya
aja
Bruder
aten
onto
Schwester
ate temdo
anetan
Väterl. Onkel
amaneto
onuntu
V&terl. Tante
ananja
Mütterl. Onkel
andigen
Mütterl. Tante
anan^to
Schwiegervater
anwoden
Schwager
an'geran
Braut
jemdo
Grossvater
ananeagan
Grossmutter
anaenenen
Sklave
dugud
kali
Sklavin
dugnelli
König
shil
eil
shil
Priester
kudjure
k^jur
Rede
he*
Nubasprache
kuliniri
Dieb
borkar
R&uber
kil
Freudenmädchen
toiien ara
Narr
unori
Fieber
u^janga
Klage
oni
Gast
uito
Zeuge
bilko
Freund
on'gorto
Feind
warti
Venerie
ebel6
Tripper
irc^o
Wunde
bedi
Blattern
gedri (ar.)
Grab
tel6
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Google
Bemerknngen Ober Kordofim.
647
Deutsch.
Mein Kuba.
BüppelL
Kälte
kit
Wärme
nmme
Haare
kure
Finger
oshi
one
Kopf
or^
or
oar
Arm
oshshu
ofliene
oschi
FU88
kogot
kot
koddo
Kinn
uru
Bart
selmande
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koinn
Mond
ogul
awol
aul
Ohr
usha, p. ushe
Dka
uilge
Nase
en'gi
ojon
hein
Zahn
gil, p. gilin
kotodo
gehl
Backen
aiti
Hals
dohl
duhl
Haar
tel
telde
tel
Auge
kalt^
kalto
kale
Zunge
djaldo
sado
ghiado
Herz
aldo
Ol (Brost)
Brust
og
oko
ägi
Bauch
to
tob
Nabel
kendo
Fleisch
kuadje
faje
quaje
Hand
oti
onto
ondu (Arm)
Bein
feni
toi^
Gebein
koi
•
Blut
oger
ohr
Feit
anjer
Zehe
kog6
Nagel
shindu
Rücken
moini
Schultern
hunger
Leber
higit
kondjar
Schwanz
ib
Hintere
tarin
Pudenda viri
hiUi
Pudenda mul.
kiitto
Schatten
dnkuli
Gehirn, Mark
fomdo
Excremente
uin
Schweiss
Qm6
35"
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548
Bemerkungen Aber Kordofon.
Deutsch.
Mmn Kuba.
BuBsegger.
BüppeU.
Urin
ork6
Schlaf
Hörn
ger (gel)
nuttu
' Lippe
Knie
tolumm
kuti
Filbogen
FussBohle
oUu
burul
Menschl. Haut
id6
Bier
kabra
Haut
dor
dor
Ziegenfell
Sandalen
tnka
kuarte
farto
quare
Hafen
ato
Wasserhafen
turu
Schüssel
koshe
Tabak
tabe
Pfeife
tabedi
Polenta
Beiila
Madida
kal
wuj
köre
kall (Ti. akelet)
Mahlstein
toj
Schwert
Lanze
Schüd
Gerath
sibit
korang, p. komgi
kori, p. korin
sberi
sibet
komul
kam
schiddu
goaran
goulu
Schlauch
hinn
Matte
Beil
gelti •
komel
nerde
Sattel
ketiU
Zaumgebiss
Stab
shoki
kol
Thür
kalü
Stützbalken
fui
Haus
Dorf
Zeug, Kleid
Oel
koU, p. kuli
shaldo
keto
belendi
caU
itaguli (ar.)
keto
tess
danka
dar (ar.)
Schmalz
Hemd
Glasperlen
Messer
Feld
Garten
tith
kobang
shukeni
kothar
seno
ketono
delto
&tar
eje
maasa?
tes
goma
mungale
guader
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Bemericongen Aber Eordo&n.
549
Deulwoh.
Mein Kuba.
Bussegg«r.
BüppelL
Seil
orri
Bracelet
mingen^
Ohrring
kadme
Amulet
shar
Stadt
shäl
Trommel
nneri
Mei^ioin
hör
Sessel
kottra
Nadel
igla*)
Fesseln
shirti
Faden
oke
schwanger
berto
stamm
ure
taub
torga
blind
tandu
hinkend
tor
gut, schön
kendi
köndj
schlecht, hässlich
bUu
belo
heiss
idjo
steril
bordu
krank
waiko
alt
tora
jung
bor^jell
id.
batendo
gross
ugguri
knordo
klein
tonde
watono
dumm
tiket
dünn
wolando
lang
dudji
dohi
kurz
sherrando
serdo
fett, breit
utu
bitter
gar
süss
ingo
arm
bargil
reich
korto
kr&ftig
bur (cf. Amhar.
bartu, krafÜg)
Kraft
bnrtako
tapfer
kagul
feig
shilkar
rechts
oin
wenn
links
ningel
nk\
*) g entspricht dem italienischen g vor i and e.
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560
BraMrirangeB fiber Kordoiui.
DeutKh.
Mein HMa.
Rusaegger.
Bftppell.
Bntgvch.
weiss
orri
ori
roth
kelle
kele
schwarz
urri
uri
braun
tedje
tedo (grün)
1
ber
ber
bera
ueru
2
orre
ora
ora
jauü
3
todju
toju
to4Je
tosku
4
kendjo, kemenjo
kenzo
kenju
kamsu
6
tishu
tisu
tessu
diju
6
kor4Je
farzo
farscfau
guiju
7
kolatt
falat
feilad
kolkdu
8
iddu
ebdo
eddu
idaa
9
oit
wet
ueddu
iskodu
10
bure
bure
bure
diininu
11
bure berko
bure berkon
bere berku
12
bare are
» orakon
bure oraku
13
bure tudjn
» tojukon
» tojeku
14
bure kendjo
» kenjukon
» kenjuku
20
tarbe
» edukon
tarbu
ari
30
burra burra toju
» bureeddukon
40
» »^kendjo
» bure[tojttkoii
Ich vergleiche mit meinem Vocabularium das ziemlich weit-
läufige von Bussegger und die paar Wörter von BüppeU. Man
kann daraus erkennen, dass es sich um verschiedene Dialekte
derselben Sprache handelt. Viele Wörter sind ganz verschie-
den, was aber niemanden, der das afrikanische T^ent zum
Worterfinden kennt, verwundern kann. Russegger nennt seine
Sprache das Koldadji; Rüppell Sprache von Kulfan; meine Ge-
währsleute waren von Djebl Deir. In vielen Fällen schreiben
wir dasselbe Wort etwas verschieden und es wird aus der
Vergleichung mit beiden zusammen- hervorgehen, dass meine
Aussprache oft die wahrscheinlichere isi. Ich habe bei den
Zahlen auch Brugsch's kleine Wörtersammlung des Nubischen,
das die Barabra reden, zu Hülfe genommen, um in Fällen,
wo Russegger und Rüppell zusammen gegen mich sind, die
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Bemerkangeii über Eordo&n. 561
wahre Aussprache zu fixiren; so z. B. sage ich
für 6 kordje, Russegger farzo, Rüppell fiEurschu;
für 7 kolatt, » falat, » fellad.
Brugsch dagegen hat mir ähnlich gurju, kolladu und
Burckhardt ebenso, was mich natürlich zum Festhalten an
meiner Aussprache bestimmt, wenn ich auch nicht behaupten
will, dass nicht einige Nuba statt k f aussprechen können.
Was die Verwandtschaft mit dem berberinischen Nuba angeht,
so steht sie wohl ausser allem Zweifel; aber ein genaueres
Studium dieser Sprache wäre für weitere Sprachvergleichung
sehr erspriesslich.
Die Sprache von Tegele hat mit dem Nuba nichts gemein;
ein genaueres Studium der erstem hat mich, Russegger's
Classification entgegen, davon überzeugt; ich werde sie später
in einer Monographie eingehend behandeln.
Warum Russegger das Nuba für eine Negersprache hält
und was er darunter versteht, weiss ich nicht, wenn nicht
überhaupt alles Nichtsemitische so genannt werden soll; aber
ebenso wenig haben wir darin mit Lepsius Kaukasisches ge-
funden; wir besitzen überhaupt darüber zu wenig granmia-
tische Aufschlüsse, um classificiren zu dürfen. Und warum
soll das Kundjara ein Negeridiom sein? Die Masse der ara-
bischen Wörter im berberinischen Nuba und im For, wo sogar
die Zahlwörter von 7 hinauf entlehnt sind, beweisen sehr
wenig; denn gerade die roheren Bergnubier haben eigene Zahl-
wörter und die Kundjara entlehnen die arabischen Zahlwörter
nicht aus Mangel, da sie aus 5 + 16 bilden und so fort-
fahren könnten, sondern aus Affeetation. Die Religion füllt
so ihr Herz an, dass sie nur zu geneigt sind, auch die Sprache
zu arabisiren. So finden wir die Massauiner, die in jedes
vierte Wort Tigre etwas Arabisches einflechten, viele Deutsche,
die sich mit Fremdwörtern vergnügen, die Perser und Türken,
deren Schrifitsprache zur Hälfte arabisch ist und die moham-
medanischen Abyssinier, die Gott nicht Egsiabeher, sondern
Allah (&JJf) nennen.
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552 Bemerkungen über Kordofon.
Wenn aber jemand behaupten will, die jetzigen Nubier am
Nil seien früher wild gewesen, da sie die Culturwörter ent-
lehnt haben, so gehe ich weiter und sage, dass sie es noch
sind. Ich weiss nicht, worin sie ihren Verwandten, den Berg-
Nuba, überlegen sein sollten. Ihr Ackerbau ist nicht besser,
nur zwingt der Regenmangel und das unvollkommene Steigen
des Nils zur Bewässerung. Was die Religion betrifft, so hat
sie der Islam wenig berührt. Sie sind äusserst gleichgültig
und daher tolerant, wie die andern Nuba auch ; sie beten und
fasten selten und sind nur dem Namen nach Mohammedaner.
Wenn auch die religiöse Toleranz besonders uns Fremden
sehr wohlthut, so müssen wir doch zugestehen, dass, je mehr
Charakter und Herz ein Volk hat, je inniger und fester es
eine gebotene Religion erfasst und dass wir daher nie zu
seinen Gunsten urtheilen können, wenn ihm alle höhere Ten-
denz abgeht, wie es bei den Barabra der Fall ist. Ihre Sprache
ist mild, vocalreich, accent- und kraftlos; ihre Physiogno-
mie ist meistens gefällig, regelmässig, braun, aber ohne. Aus-
druck. Was man über ihren Charakter weiss, zeigt jedenfalls
eine grosse Sorg- und Lieblosigkeit und eine nur von Geiz
beschränkte Sinnlichkeit.
Man darf aber nicht vergessen, dass die Landbewohner
viel besser sind, als die Stadtleute und die Ausgewanderten,
indem man ihnen Sparsamkeit und Ehrlichkeit nicht ab-
sprechen kann. Man weiss, dass die sogenannten Berberiner
zu Tausenden in Aegjpten Dienst suchen und sie sind da den
diebischen Aegyptern jedenfalls vorzuziehen, obgleich sie Fleiss
und Intelligenz nicht gerade auszeichnet Ebenso bilden sie
fast ausschliesslich die Soldateska der Kaufleute, die auf dem
weissen Flusse Handel treiben und gemessen da freilich nicht
die beste Erziehung. Doch verlieren sie selten die Sehnsudit
nach ihrer Heimat und das Ideal jedes irgend noch anstän-
digen Berberiners ist, einmal mit einem kleinen Vermögen
sich im Vaterland ein Grundstück zu kaufen und ein Haus
zu gründen.
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Bemerkungen über Kordofian. 553
Nun bin ich der Meinung, dass man den Mann nicht nach
seinem Leben zu Hause beurtheilen darf, wo ihn Gesellschaft
und zwingende Verhältnisse sparsam und gut machen, son-
dern ihn besser da kennen lernen wird, wo er in's Leben ge-
worfen freie Wahl hat. Und so ist es auch mit den Völkern.
Der Trieb der Selbsterhaltung zwingt ja schon das Volk zu
Ordnung und Recht.
Was nun die sogenannten Danagele angeht, deren so viele
in L'obeid und in Darfor leben, so kommen sie als Handels-
leute von Dongola, das ihnen den Handel von Cairo vermit-
telt. Unser Hauswirth Sogheirun war von dieser Klasse, ob-
gleich er den Namen nicht gern hörte, denn sie stehen nicht
in gutem Kufe.
Die Aehnlichkeit der Barabra mit' den Abyssiniern muss
ich entschieden leugnen. Man konnte daran denken, weil sie
nach den Abyssiniern den schönsten Typus in Ostafrika haben.
Man würde aber den Abyssiniern Unrecht thun mit der Ver-
gleichung. Ebenso wenig wird man einen Berberiner mit
einem Araber verwechseln.
Die südlichen Nuba nun haben wir nur in der Sklaverei
zu beobachten die Gelegenheit gehabt; sie sind jedenfalls viel
gröber und unschöner, als ihre etwas spitzigen geschniegelten
Brüder, aber auch viel stärker und m\ithiger. Der Farbe-
unterschied hat nicht viel zu sagen; das heisse Tiefland macht
hell, die Bergluft dunkel. So sind die Bewohner der Provinz
Tigre viel schwärzer und unschöner, als ihre Brüder, die
Habab, oder die Beduinen des Samhar, welche die übermässige
gleichmässige Hitze und die Meerluft ungemein verschönt.
Aus eigener Erfahrung kann ich mittheilen, dass ich bei den
Bogos braun geworden, von Abyssinien schwürzlich, vom Meere
aber hell zurückkam und so werden auch die bei den Bogos
angesiedelten Abyssinier viel heller, als sie in ihrer Heimat
waren. Die Hitze verschönert, die Kälte macht stark, daher
sind die Habab geschmeidig, die Abyssinier fest und stark
geworden.
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554 Bemerkungen übw EordofSBm.
Die Nubasklaven in Kordofan stehen jedenfalls weit unter
den Tegele und werden selten zum Hausdienst yerwendet.
Wenn man nach dem Grade der Leichtigkeit, womit sich ein.
Mensch von seiner Sprache Rechenschaft geben kann, auf
seine Intelligenz schliessen darf, so wird der Schluss den
Nuba sehr ungünstig sein, da ich nach vielem Suchen nicht
Einen finden konnte, der mir für die Grammatik dienlich
gewesen wäre oder nur die Fähigkeit gehabt hätte, die Per-
sonen im Pronomen zu unterscheiden, während der erste T^ele,
den ich fand, nach zwei Tagen sich vollständig in die Gram-
matik eingelebt hatte und mich sogar auf die feineren Zeit-
unterschiede aufinerksam machte; dieselbe logische Auffassung
seiner Sprache besass auch der Kundjara, der mir das For
lehrte.
Es scheint nicht, dass die Nuba Heiden sind. Man er-
zählte von Priestern, die aber Begenmacher sind, dass sie wie
bei den Barea und Bazen verlorenes oder gestohlenes Gut aus-
findig machen; sie verlassen ebenso wenig wie der Alfai der
Barea ihr Haus. Politisch scheinen auch sie keinen engem
i^usammenhang zu haben und sind daher ihren Nachbarn
gegenüber widerstandslos; wie die Bazen sind sie in Berg und
Wald verdrängt und zur Verwilderung genöthigt, da verbor-
gene Abgeschlossenheit ihr einziger Schutz ist. So wenigstens
stellen sich die von den Mohammedanern entfernteren Stämme,
während die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft lebenden
Gemeinden von Djebl Deir die Ruhe und den offenen Markt
sich mit einigen Abgaben erkaufen. Sie nehmen also zu den
Qadejat dieselbe Stellung ein, wie die Elit am untern Mareb
gegenüber der Gemeinde von Algeden. Sie verstehen sich
sogar zu Annahme der Religion. Ganz wie die Elit wohnen
sie auf schwer zugänglichen Bergen und bebauen die Ebene.
So besteht ein immerhin misstrauischer Verkehr zwischen den
Nuba und den Leuten von Abu Harras, wo der Markt ist.
Sogar die Leute von Melbess gehen oft zu den Nuba, um
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Bemerknngen über Kordo&n. 555
Handel zu treiben, während die letztern sich nur als Räuber
80 weit wagen.
Ganz verschieden von den Kuba sind ihre Nachbarn
vom Tegele. Dieses Land ist durch den Kampf berühmt
geworden, den es jahrelang gegen die Aegypter geführt hat.
Doch stand dieses lange unüberwindliche und von den £r-
oberem schon ausgegebene Land zur Zeit unserer Abreise auf
dem Punkte, in Folge innerer Zwietracht sich von selbst der
türkischen Regierung zu unterwerfen.
Der bekannte Mek Nassr hat eine Tante, Namens ^Mchal-
tum, eine Frau von vielem Charakter und Verstand und im
Lande durch ihre grossen Güter sehr mächtig; sie wurde bei
widitigen Angelegenheiten stets zu Rathe gezogen und ver-
wahrte die Krönungsinsignien, den Stuhl, den Stab und die
Krone. Es scheint, dass der siegreiche Nassr sie nicht mehr
gehörig berücksichtigte; sie liess ihren Ne£fen, ihres Bruders
Sohn Adern, kommen, krönte ihn und schuf dadurch dem Mek
Nassr einen gefährlichen Nebenbuhler. Die Anfänge des Mek
Adern waren glücklich; er plünderte Nassr^s Schatz; sein Gold,
Schwerter und vidleicht dreihundert Concubinen desselben
fielen in seine Hand. Er bemächtigte sich Tasin's, dßc Haupt-
stadt, und der meisten Berge des Landes, die eine Art von
Amba zu sein scheinen, während sich Nassr nach Eddome
zurückzog und- nur noch vier Berge im Besitz hat. Aber der
Krieg dauert zwei Jahre ununterbrochen fort und da der
Mek Adem nicht hoffen kann, sich mit eigenen Mitteln dauernd
der Herrschaft zu versichern , so hat er sich Aegypten zu
unterwerfen versprochen, im Falle man ihn gegen Nassr unter-
stütze. Ebenso soll der bedrängte Nassr an eine Versöhnung
mit den Türken denken. Vor etwa zwei Jahren (1861) wurde
einer swner Söhne auf der Durchreise nach Cairo in L'ob^d
aufgefangen; dann kam aber Befehl vom Diwan des Vice-
königs, ihn seine Reise fortsetzen zu lassen. Freunde des
Mek Nassr behaupteten uns gegenüber, es sei kurz vor unserer
Ankui^ft in Kordofetn ein von Said Pascha geschickter Kawass,
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556 Bemerkungen über Kordofkn.
ohne einen der Regierangssitze des Sudan zu berühren, nach
Tegele gelangt, um mit Nassr direct zu unterhandeln; Nassr
sei zur Unterwerfung geneigt, mit der Bedingung aber, nie
das Gesicht eines Türken sehen zu müssen. Sei dem, wie ihm
wolle, wir hörten bei unserer Anwesenheit, dass der Mudir
von Kordofan von Gairo den bestimmten Befehl erhielt, den
Mek Adem mit aller Macht zu unterstützen und man rüstete
eifrig für eine Ghaswa, die aber erst nach der Regenzeit statt-
finden sollte. Nach europäischen Begriffen würde ein solcher
Kriegszug, wo die Zahl der regulären Militärs durch die beute-
lustigen berittenen Araber verzehnfacht wird, die sichere Er-
oberung des Landes zur Folge haben; die Politik der Türken
aber einerseits und ihrer Bundesgenossen in Tegels anderseits
ist so unbestimmt und die Instructionen sind meist so be-
schränkt und ängstlich abgefasst, dass der Erfolg sehr zweifel-
haft erscheinen musste.
So standen die Sachen bei unserer Abr^e von L'obeid
(Juli 1862); seitdem haben wir keine Nachricht erhalten; es
scheint aber, dass der neuemannte Generalgouvemeur Mussa
Bey in Folge der von Abyssinien her drohenden Gefahr die
Eroberung von Tegele aufschieben musste.
Der Mek Nassr mag ein Sechziger sein, aber er ist nodi
frisch und jugendlich stark, von Leib lang und mächtig,
schwarz wie ein Neger. Er ist von Natur grausam und so
misstrauisch, dass er oft auf nichtige Anklagen hin seine
treueeten Diener ohne alle Untersuchung martern und tödteu
lässt. Er begnügt sich oft nicht mit einfeusher Hinrichtung,
sondern er lässt die Verurtheilten rösten oder zerhacken. Die
Leute des Landes schreiben seine Ueberlegenheit hohem Mäch-
ten zu, einige den Gebeten der Fokaha, die er gut behandelt»
andere halten ihn Tür einen Zauberer. Er geht jetzt selten
mehr in Person zu Felde, zahlreiche Söhne vertretai seine
Stelle.
Man rühmte uns das Land wegen seiner Fruchtbarkeit,
die Bewohner wegen ihrer Gastlichkeit und des guten Bieres.
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Bemerkangen über KordofSEua. 557
Obgleich gebirgig, fehlt es dem Lande nicht an weitläufigen
Ebenen; es ist reich an Wasser, das von da wohnenden
Aegyptem zu Gartenanlagen benutzt wird. Man behauptet,
es gebe in Tegele Kupferminen, die aber nicht ausgebeutet
werden. £s gehen oft Karawanen von L^obeid nach Tasin;
der Weg ist für Kameele gangbar. Die Leute von „Dogole" —
so nennen sie selbst ihr Land — sind eifrige Mohammedaner;
doch soll der Verkauf der eigenen Kinder noch im Schwung
sein. Missliebige werden oft vom Mek verkauft, da er nach
seinem göttlichen Recht alle Unterthanen als Sklaven be-
trachtet. Ln Bürgerkrieg werden gewöhnlich die freien Ge-
fangenen niedergemetzelt, Sklaven verkauft; doch behält oft
die Habsucht den Si^, sodass auch Freigebome zum Verkauf
ausgeführt werden und da sie von ihrer Obrigkeit geknechtet
worden sind, so können sie das Recht der angebornen Frei-
heit, das jeder Muslim hat, nicht für sich in Anspruch
nehmen. Deswegen sahen wir in L'obeid viele Sklaven, die
in ihrem Vaterlande frei waren und sogar lesen konnten. Die
Sklaven von Tegele, die wir da sahen, hatten weit intelli-
gentere und regelmässigere Züge, als die von anderer Herkunft;
sie hatten durchaus nichts von dem, was man gewöhnlich
Negertypus nennt.
Die Leute von Tegele rühmen sich, Brüder der Fundj vom
Sennaar zu sein. Sie behaupten, dass sie sich gegenseitig
immer als Verwandte anerkennen, dass sie sich aber sprach-
lich nicht mehr verstehen. Da nun verschiedene Reisende, ich
weiss nicht mit welchem Recht, die Fundj von den Shiluk
ableiten, so wären die Tegele auch diesen letztem verwandt,
wovon sie freilich nichts wissen wollen; eine von den Baggara
selten beweidete Einöde und alte Blutfeindschaft trennt sie
von einander. Man behauptet, dass die Tegele in Sitten
und Recht den Fundj sehr ähnlich seien; wenigstens trägt
auch ihr Mek den rothen, dreihörnigen Herrscherhut, den
die Deglel oder Fürsten der Hallenga, der Beni Amer, der
Hadendoa von den Fun^jkönigen entlehnt und noch jetzt
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558 Bemerkangen über Kordofan.
laragen. Die Frage der Abstammung könnte nur durch eine
Vergleichung der drei Sprachen gelöst werden; ich habe mir
eine Idee von der Sprache von Tegele zu machen versudit
und die Hauptzüge ihrer Grammatik und eine genügende
WörterziJil gesammelt; aber die Sprache der Fundj, die in
den Bergen Sennaars noch gesprochen werden soll und die der
Shiluk lagen ausser meinem Bereiche und ich weiss nicht, ob
sie je gründlich untersucht worden sind. Meine Untersuchung
der Tegelesprache muss natürlich einem andern Orte vorbe-
halten bleiben.
Das Tegele und das Land der Kuba konnten nur als
Nachbarländer von Kordofan hier in Betradit kommen. Das
eigentliche Kordofan hat jedenfalls sehr gemischte Bevölke-
rung, abgesehen von d^i Nomaden, und es ist nicht wahr-
scheinlich, dass es je von flin^n Volke bewohnt wurde. Denn
ein solches hätte eine gewisse nationale Einheit und Herr-
sdiaft begründet; Thatsache ist aber, dass Kordofan nie von
einem einzigen Sultan beherrscht wurde und erst durch die
Türken Ein Land geworden ist.
Die Erinnerung an das Volk der Assiri, die man uns als
Ureinwohner des Landes bezeichnete, ist sehr dunkel; man
behauptet, sie seien Menschenfresser gewesen und erst während
der Herrschaft der Kundj^a. vernichtet oder eingeschüchtert
worden. Nadi allen Berichten scheint die Menschenfresserei
früher viel häufiger gewesen zu sein. Die Sultane von Darfor
und Wadai wurden dieser Unsitte beschuldigt. In Darfor war
es Brauch, bei der Thronbesteigung des Sultans und dann an
einem bestimmten Festtage in der Residenz zwei Knaben von
gleichem Vater und Mutter zu opfern; das Fleisch wurde vom
Sultan und den höchsten Beamten verzehrt; wer sidi weigerte,
wurde als Verrilth^ betrachtet. Es ist bezeichnend, dass
dieses aus der Heidenzeit stammende Opfer, trotedem Darfor
schon lange islamitisch ist, erst von dem jetzigen Sultan Hus-
sein abgeschafft wurde. Ebenso ist, wie ich von glaubwürdi-
gen Männern hörte, die Kapelle auf dem h^gen Berge von
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Bemerkungen über Kordofan. 559
Wara zu Menschenopfern bestimmt nnd niemand redet von
der Ab8cha£Fimg derselben. Die Njemnjem am Bahr el Ghasal
sollen immer noch Menschenfresser sein; doch verzehren sie
nur ihre Feinde, wie mir Hr. Klaincznick erzählte, während
sie ihre eigenen Todten ganz anständig begraben und ihre
Gäste gut empfangen. So civilisirt sollen die mohammeda-
nischen Mässelit nicht sein; sie soUen ihre G&ste und auch
die alten Leute schlachten und ihr Fleisch im ganzen Dorfe
vertheilen. Ohne diese Nachrichten verbürgen zu können,
glaube ich doch, dass sie irgend einen wahren Grund haben.
Von dies^i verschc^n^i Assiri abgesehen, müssen wir
uns nun die früheste Bevölkerung in dem wasserreichen Tegele
und Nubaland denken, die, nach und nach gegen Norden vor-
rückend, den Kaufleuten begegnen musste, die auf ihrer
Strasse von und zu dem Nil Stapelplätze nöthig hatten. So
entstehen die Städte L'obeid,'^) Ghursi, Bara, die fast nur
von Fremden und ihren Sklaven bewohnt werd^i, welche
letztere als Ackerbauer das zwisdienliegende Land mit Dör-
fern besetzen. Dazu kommt die politische Einwirkung der
Fundj von Osten, der Kundjara von Westen, die auch in der
Bevölkerung ihre Spuren zurücklassen.
Man weiss, dass in alten Zeiteai die Fundj und die Kun-
djara sich um die Herrschaft von Kordofan stritten. Sultan
Tirab starb in Bara auf einem Kriegszuge. Von dieser Ein-
wirkung finden sich deutliche Spuren in den drei Stämmen,
die allein in Kordofan dnheitliche Geltung haben und sogar
jetzt noch politisch anerkannt sind.
Den ersten dieser Stämme bilden die Qadejat (v;yljf4XJ),
die von einem „Sheich" regiert werden, der, ist das Land
mit ihm unzufrieden, gewechselt werden kann, indem sie
♦) üeber die Schreibweise bin ich im Zweifel geblieben. Die Ein-
gebomen sagen unbedingt Lobeid; die Araber sagen Lobeid und El
obeid abwechselnd und schreiben (joajSH; ich suchte mit meinem
L'obeid zu vermitteln.
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560 Bemerkangen über Kordofan.
heute ihren Fakih bitten, irgend einem andern ihm beliebigen
Manne den Turban aufzusetzen und ihn so zum Scheich zu
machen. Ihr gegenwärtiger Häuptling ist Haseballah, der mit
den Nuba in beständiger Fehde lebt. Die Qadejat leben süd-
lich und östlich um den Berg Kordofan herum in etwa 30
Dörfern. Auch in L'obeid haben sie eine Ansiedlung. Ihr
Scheich empfängt von seinen Stammgenossen einen freiwilligen
Tribut und ist auch von der Regierung anerkannt. Dieser
Stamm war nach eigener Aussage den Fundj unterworfeü und
soll ihnen sogar verwandt sein.
Den zweiten Stamm bilden die Musabat (oder Muserbat);
sie wohnen noch in L'obeid und nennen ihr Oberhaupt Sultan,
was auf königliches Geblüt hindeutet Sie glauben von Darfor
zu stammen und zwar von der ersten Linie des islamitischen
Herrscherhauses der Kundjara (nicht Gundjara, wie viele falsch
schreiben). Sie bilden noch jetzt einen Theil der Bevölkerung
von Darfor.
Den dritten Stamm bilden die eigentlichen Eun^jära. Die-
ser Stamm schreibt sich von der 32jährigen Herrschaft her,
die sie in Kordofan hatten. Man weiss, dass sie im Jahre
1820 nach der Schlacht von Bara durch die Türken ersetzt
wurden. Doch zogen die ansässigen Kundjara vor, sieh zu
unterwerfen und an ihrer Spitze ein Glied der Königsfamilie
von Darfor, der Sultan Teima, der sich mit seiner schnellen
UnterwerAing den Weg nach Darfor verschloss, sich hing^en
eine gewisse Anerkennung von Seiten der neuen Begierung
erkaufte. Er bekam den Titel Sultan, den er auf seinen Sohn
vererbt hat; dieser letztere, den wir in L'obeid in seinem
Quartier besuchten, erhält von der Regierung eine kleine Be-
soldung und regiert das Dorf der Kundjara in L'obeid. Nur
diese letzteren sprechen noch ihre Forsprache, während die
Musabat nur Arabisch reden, die Sklaven natürlich ausge-
nommen.
Die übrigen Bewohner des Landes, deren Ursprung sich
nachweisen lässt, sind die Fremden, die Djalin und besonders
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Bemerkungen über Kordofan. 561
die Danagele, die das Eintreiben des Tributs, also die Re-
gierung fast ganz in Händen haben. Sie sind sehr zahlreich
und besitzen ungemein viel Sklaven, die sie über das ganze
Land zerstreuen. Aegypter lassen sich wenige nieder, meist
nur da, wo fliessendes Wasser Gartenanlagen erlaubt.
Kordofan ist von allen Seiten von Nomaden eingeschlossen
und sogar bewohnt, die sich Araber ' nennen. Die Flächen
nördlich bis zum Nil von Dongola haben die Kababish inne.
Ohne Zweifel ist dieser Name von der Beschäftigung herge-
nommen und heisst Ziegenhirten, ebenso wie die Baggara, die
den Süden des Landes inne haben, Kuhhirten genannt werden.
Während diese letzteren keine Kameele haben, besitzen die
Kababish reiche Heerden davon; um aber ihren Namen
zu begreifen, muss man wissen, dass in Afrika Ziegen und
Kameele zusammen gehen, da sie gleiche Weide voraussetzen.
Deswegen finden wir. die Zeltenlager der nomadischen Ost-
aMkaner immer getrennt in das sogenannte Zaga, das die
Kameele und Ziegen au&immt und ziemlich stabil ist, und in
das Kuhdorf, das sehr häufig den Platz wechselt. Es ist nicht
unmöglich, dass die beiden Völker, von Einem Stamme ent-
sprossen, sich die Weide vertheilt haben, wodurch die Trennung
stereotyp wurde. Die Kuhhirten hielten sich an den grasigen
Süden, die Kababish an den trockenen, aber von Mimosen
stark bewaldeten Norden, der allein dem Kameel und der
Ziege convenirt. Diess verhindert die letzteren aber keines-
wegs, jetzt auch grosse Kuhheerden zu haben, wenn sie auch
nicht ihren Hauptbesitz ausmachen. Ebenso wenig muss man
sich vorstellen, dass sie nur Hirten sind: sie treiben auch
Ackerbau, bauen Hütten neben den Feldern, schicken alles
überflüssige Vieh weit fort und bringen es erst wieder zurück,
um es nach vollendeter Emdte d^ Durraschilf abweiden zu
lassen und dann insgesammt den fern im Norden gelegenen
Weidegründen zuzuziehen. Dasselbe thun die Hassanie-Araber,
die längs dem Nil das überschwemmte Land bebauen, die
Hadendoa längs dem Gash, die Besharin und Skukrie längs
lluntingerf Ostafrik. Studien. 36
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562
Bemerkungen über Eordoian.
dem Atbara und in der Steppe zwischen ihm und dem Nil.
Die kameelreichen Kababish vermitteln den Handel zwischen
L'obeid und Dongola, während die Hamr, die theils zu Kor-
dofan theils zu Darfor gehören, den Verkehr derselben unter-
halten.
Diese Stämme als ursprüngliche Araber anzusehen, ver-
bietet wenigstens ihre Sprache nicht, die originell oder ange-
lernt sein kann. Es kommt in der Ethnographie nicht
darauf an, was für eine Sprache ein Volk spreche,
denn wir kennen viele Beispiele von Sprachentleh-
nungen, sondern wie es sie spreche. Die arabische
Sprache hat nun gerade vorzugsweise viele Laute, die ein
fremdes Volk nicht leicht adoptiren kann, ebensowenig als ihre
eigenthümliche Syntax; die schwierigsten Laute für Nachah-
mung sind viy, -., -., ^, y ^, yj&, io, Jfc, ^, ^, ^.
Das Sudan -Arabische ist jedenfalls sehr eigenthümlich und
bedient sich vieler sonst ungebräuchlicher Wörter, die aber
fast alle gut arabisch sind; sie zu sammeln, wäre der Mühe
werth, hier mögen einige Beispiele genügen. So sagt man
statt des gewöhnlichen:
im Sudan:
^;.
der Wind
^yj^J^ hubub
»;^.
das Bier
luojwo marii^a
«r»^.
das Wasser
•^Lc ma
u*y.
die Erde
Lb^ wöta
*9'
der Teich
ftJ^ fule
<M)^'
der Weg
V^O derb
öJ), Siio,
das Kind
U^ gena
Matten
ij^yj börsh
J^<>,
Tabak
kAJo taba
»?•
holcus
gäüLft 'esh
ä.^.
die Lanze
Ks^^ &rcha
>>7-.
das Bett
w^>:^f> angareb
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Bemerkungen über Kordofan.
563
statt des gewöhnlichen:
im Sudan:
U"M'
das Kleid
l»4Xiö hedm
«5;W-.
die Sklavin
^ö\^ chadim
«iaä.
die Katze
(j**itöy kadis
^.
die Baumwolle
y^j^^^a^ ödeb
er sass
x.^AÄÄ. genneb
^'
er liess
v^^uum sejeb
&
er ging
^^^ raueh
ZT'
er schrie
eJp^ korek
Jos.
er tödtete
^yo mauet
,axi-,
er redete
c^iXÄ. hades
C^'
er ging aus
^ mareg
7^'
Grab
iUy2 turba
Cf;'
er kam zurück
Ju? gebel
7^7^'
er redete nicht-arabisch
^; raten
Eigenthümlich ist ferner, dass der Ton auf den Artikel fällt;
z. B. bei el-ma, das Wasser, fällt er auf das el, u. s. w. —
Das vollkommenste Arabisch im Sudan reden die DjaJin, ihnen
folgen die Shukrie und die Hassanie, dann die Hamr, die
Kababish und endlich die Baggara; ihre Berechtigung zum
Namen von Arabern erleidet gleiche Abstufung. Besonders
bei den Djalin und den Shukrie darf man an kein Entlehnen
denken, da sie das Arabische mit ebenso viel Gewandtheit
und Kraft handhaben, als irgend ein Beduine der Halbinsel.
Sie haben eine sehr reiche Sprache und ihr Accent mahnt
lebhaft an die Araber des Hedjas; noch ist nichts daran ver-
weichlicht, der Gaumen gefällt sich am härtesten 6 und -^•
Wir dürfen hier um so eher einiges über die Djalin sagen,
da sie für den Handel von Kordofan wichtig sind und sich
da immer mehr ausbreiten. Ihre arabische Abstammung wird
36"
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564 Bemerkungen über Eordofan.
im Sudan von niemandem in Zvreifel gezogen und wir haben
keinen ernstlichen Grund, dieselbe zu bezweifeln.
Die Djalin behaupten Araber zu sein und sie können es
wissen, da sie ihrer Angabe nach nur seit zehn Generationen
am Nil wohnen. Ob sie aber wirklich, wie sie sehr bestimmt
glauben, von dem hochberühmten Geschlechte der Krush und
zwar von Abbas, dem Onkel des Propheten, abstammen, das
ist eine andere Frage, die wir nur anführen, nicht discutiren
können; denn um entferntere Genealogie steht es überall
schlecht. Auf die besondere Ehre, direct von dem Abbasiden
Harun el-Reshid durch eine Sklavin desselben Namens Ababse
(kamoLl^) zu stammen, macht der Djalistamm der Ababsa
Anspruch; doch bitten wir ihn nicht mit den Ababde, deren
Ursprung jedenfalls zweifelhaft ist, zu verwechseln.
Wenn auch bei den Mohammedanern die Eitelkeit arabisches
Geblüt gern erfindet, so kann doch ein ganzes Volk nicht
erfinden und dann gibt es in Afrika einheimischen Adel genug,
der sich niemanden überlegen glaubt. Die Djalin sollen
beim Verfall der Chalifenmacht im 12. oder 13. Jahrh. ausge-
wandert und über Aegypten, nicht über das Rothe Meer hierher-
gekommen sein. Ein sehr gebildeter Djali, der Fakih Ahmed,
sagte mir, es sei ihre Geschichte bei einem gewissen Samar-
kandi erzählt; ebenso bewahren viele Familien Stammbäume,
sodass mehr historischer Grund da ist. Jedenfalls kamen
sie viel später, als die nach meiner Meinung auch arabischen
Shukrie, Dobeina, Jemanie, die den Atbara hinauf bis Sennaar
wohnen. Die Djalin haben sich von allen afrikanischen Ara-
bern am besten erhalten; sie haben viel Freude am Studium,
viel Religionseifer ohne Fanatismus. Der Fakih Ahmed, mit
dem wir manchen angenehmen Abend verbrachten, discutirte
sehr gut und wollte mich überzeugen, nicht schlagen, wenn
wir über Halbmond und Kreuz stritten. Der gute Schreiber
meines verstorbenen Freundes, Dr. Natterer, war ein sehr
wissbegieriger, gutdenkender, intelligenter junger Mann und
so habe ich noch viele gefanden, die nicht so ganz in den
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Bemerkungen über Eordofan. 565
aMkanischen Materialismus versunken sind. Ob diese wenigen
je noch auf die Massen wirken werden, ist eine andere Frage.
Die Djalin haben noch immer die Kassida, ebenso wie die
Shukrie, die ihr Recitativ immer mit einem Triller beschliessen;
noch immer spornt der etwas traurige Hedu, dessen Burckhardt
erwähnt, das Kameel an imd seinen Herrn und verkürzt den
nächtlichen Steppenmarsch. Noch immer freut es mich, wie
ich den Fakih Ahmed die Schicksale Dr. Barth's im fernen
Timbuktu erzählen hörte; er pries den El Bakai und sang
begeistert seine an die Ghristenfeinde gerichtete Eassida, deren
Manuscript den Weg durch ganz Afrika geftinden hatte.
Die vorzüglichsten Stämme der Djalin heissen: Gümmie,
Gümeab, Gereshab, El Greshab, Nifeab, Sädab, Mohammedab,
Mikringa, Bagelab, Uädie, Gebalab, Kaliab, Djaudallahab,
Meirefab, Omarab, Kitejab, Aliab, Seidab, Mekaberab, Mo-
sellemab, Timerab, Giaberab, Giubarab, Shatinab, Megiadib.
Die Sadab wohnen in Shendi, die Meirefab in Berber.
Ueber das „ab", wie z.B. in Ali-ab, muss ich bemerken, dass
diese Endung, die unser „iden" ausdrückt, sodass Aliab
Aliden bedeutet, aus der Sprache der Hadendoa, dem To'bödauie,
auch in das nordöstliche afrikanische Arabisch übergegangen ist.
Dieser Gebrauch erklärt sich daraus, dass ein grosser Theil
der Djalin mit den benachbarten Besharin Heirathen ein-
gehen und schon als wandernde Kaufleute oft deren Sprache
mächtig sind. Es gibt sogar Djalin, wie ein Theil der Sädab
und die Mebtab, denen das To^bedauie im Barka zur Mutter-
sprache geworden ist.
Die Djalin sind jetzt meist sesshaft. Ihre Hauptsitze be-
finden sich dem Nil und dem Atbara entlang. Am Nil haben
sie schon ober Chartum Ansiedlungen, da wohnen Gümmie
sehr zerstreut (am Gos Neil); noch südlicher die Mehemmedie
(oder Mohammedab) am Bereme; 20 Stunden ober Chartum
fängt das Gebiet der Hassanie an. Bei Umdurman selber
wohnen noch Gümmie, die die Karawanen nach Kordofan mit
Kameelen versorgen. Alle die genannten Stämme sind eher
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566 Bemerkangen über Eordofan.
Nomaden ak Ackerbauer: südlich von Ghartum ist Dar Me-
tamma, auf der Ostseite des Nils Shendi, Damer und Berber
hauptsächlich von DjaJin bewohnt. Dem Atbara entlang haben
sie einzelne kleine Niederlassungen, dann eine Handelscolonie
in Gos Redjeb und ebenso in Kassala, wo sie ein bedeutendes
Dorf bilden. Auch in den Städten Kordofans, besonders in
L'obeid, sind sie sehr zahlreich und vermitteln den -Handel
bis Darfor und Wadai. Man findet Djalinkaufleute im ganzen
Ostsudan, im Tegele, Nuba, den weissen Fluss hinauf^ in Hoffret
el-Nehass, am Bahr elGhasal, ebenso in ganz Abyssinien; sogar
in Narea und KafiPa sind sie in grosser Zahl häuslich nieder-
gelassen; im Handel nach Massua concurriren sie auf der
Strasse über Keren mit den Massauinem und berühren wie
sie das Land der Barea und der Beni Amer; nach Suakin gehen
sie von Kassala oder von Berber aus oder vom Gos direct.
Die grössern Kaufleute gehen bis Cairo. Diese weite Aus-
breitung ihrer Operationen setzt einen grossen Unternehmungs-
geist voraus. Ihr Typus ist nur bei den Nomaden sehr
arabisch, während der sesshafte Djali klein und schwächlich
aussieht.
Von den Djalin hat sich die Familie des Mek Nimr be-
sonders berühmt gemacht, dessen Streit mit den Türken wohl
bekannt ist. Burckhardt irrt oder widerspricht sich vielmehr,
wenn er ihn zu dem königlichen Geschlecht der Fundj zählt
und dann von weiblicher Thronfolge redet. Seine Mutter war
eben eine Fundj, aber seine Würde als Herr von Shendi hatte
er von seinen Voreltern, den Sädab. Im Streit mit seinen
Herren, den Fundj, musste er lange Zeit bei den Shukrie
zubringen, von denen er die Mutter des jetzigen Mek Omer
zur Frau nahm. Während seiner Flucht wurde Mek sein
Bruder Säd, dessen Macht ein von Kordofan entflohener
Sultan Hashim, wahrscheinlich ein rebellisches Glied der
Kundjarafamilie, verstärkte. Trotzdem wagte der Mek Nimr
den Kampf, man sagt, nur mit 70 Streitern, siegte und blieb
nun in der Würde, in der ihn Burckhardt fand. Es ist bekannt,
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Bemerkungen über Eordofan. 567
wie der tragische Streit mit Mohammed Ali die Familie nach
Abyssinien verschlug, wo noch jetzt der Mek Omer auf den
Grenzen des Wolkait eine Art Fürstenthum inne hat.
IL
Wir fanden nicht für unwahrscheinlich, dass Kordo&n zum
grossen Theil dem Handel seine Bevölkerung verdankt. Den
durchziehenden Kaufleuten lag es daran, Stationen zu haben,
um von da aus den Weg in die wasserlosen Wüsten anzu-
treten und andererseits mit Nuba und Tegele in Verbindung
zu treten. So sehen vnr Städte entstehen, die noch jetzt fast
nur von fremden Kaufleuten bewohnt werden. Ihre Sklaven
bevölkerten einen grossen Theil des Landes. Selbst die Be-
duinen sind dem Handel sehr verpflichtet, da sie den Transport
mit ihren Kameelen vermitteln. Wir müssen uns also vom
Handel Kordofans Rechenschaft geben, da er vorzüglich das
Land bevölkert hat. Wir haben in nicht entfernter Zeit eine
schätzbare detaillirte Darstellung des Handels von Palme er-
halten; da sich seit seiner Zeit wenig verändert hat, beschränki
sich unsere Aufgabe. Auch Burckhardt gibt im Allgemeinen
ein sehr richtiges Bild des materiellen Lebens im Sudan;
wenn sich die Handelswege geändert haben und Ghartum an
die Stelle von Shendi getreten ist, so ist doch der Handel
selbst fast der gleiche geblieben.
Es ist natürlich, dass die Mohammedaner berufen sind,
die Träger des afrikanischen Handels zu sein; ihre Religion,
die wenigstens in Vorposten durch ganz Afrika verbreitet ist,
gilt ihnen an Passes Stelle; die weite Verbreitung ihrer
Religion öflnet ihren commerciellen Blick. Der Neger, der
überall vereinzelt ist und seine Nachbarn bekriegt, kann
daheim nicht den Handel vermitteln, geschweige im Ausland.
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568 Bemerkongen über Eordofcm.
Dann sind besonders die Semiten zum Handel befähigt und
vereinigen den gröbsten Egoismus mit der strengsten Frömmig-
keit. Die Chamiten dagegen scheinen viel Talent zu Industrie
und zum Ackerbau zu besitzen. Daher sehen wir sie immer
angesiedelt, während die meisten Semiten doch Nomaden sind
und selbst in festen Wohnsitzen die nomadischen Sitten nicht
aufgeben.
In Kordofan sind es die arabischen Djalin und dann die
Danagele, die den Handel in Händen haben. Obgleich ich
ehrenvolle Ausnahmen kenne, so entsprechen die Kaufleute
dieser zwei Völker keineswegs dem Begriffe, den wir uns von
einem ehrlichen Kaufmann machen. Doch sind die Djalin viel
besser angesehen, während Dongolaui fast ein Schimpftiame ist
Die Massauiner. und die Leute von Suakin, die den Handel
östlich vom Nil in ihren Händen haben, dringen selten bis
Kordofan vor. Syrische Christen fanden wir mehrere in L'obeid,
die besonders Branntwein verkauften. Europäer haben sich
selten des Handels wegen da aufgehalten. Türken und Aegypter
sind wenige da und sind meist nur Krämer. Wir fanden die
Kaufleute im Ganzen mit ihrem Boden sehr zuMeden; grosser
Gewinn entschädigt für die mühselige Reise und für die ge-
fährlichen Fieber; der Geiz vergisst die Gefahr. Solange
keine Europäer da sind, verdirbt keine Concurrenz die
Preise.
Es ist begreiflich, dass der Handel von L'obeid sich vor-
zugsweise nach Cairo wendet und zwar direct über Dongola
und keineswegs über Chartum. Daher sind die Preise der
Importartikel in Chartum und L'obeid dieselben. Vielleicht
berechnen aber die hiesigen Kaufleute nicht sowohl den Zeit-
gewinn, der jedenfalls unbeträchtlich wäre; sondern der Weg
über Dongola ist eben die alte Handelsstrasse von einer Zeit
her, wo noch kein Chartum bestand; sie ist ihnen bekannter
und scheint einfacher, wenn auch die Fracht kaum billiger zu
stehen kommt. Zudem ist die Benutzung der Nilstrasse vou
Chartum nach Berber bei niederem Wasser sehr zweifelhaft
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Bemerkangen über KordofiEui. 569
und oft sehr langwierig, sodass sie keinen so grossen Vorzug
vor dem Landweg hat.
So geht besonders der Export von Darfor diese Strasse,
da der directe Weg durch die grosse Wüste doch viel zu be-
schwerlich und nur grossen Karawanen zugänglich ist. Wir
werden in einer spätem Arbeit Gelegenheit haben, die natür-
lichen Handelswege des Sudan darzustellen. Jedenfalls wird
jedermann einsehen, dass eine Reise, die hin und zurück
wenigstens sechs Monate in Anspruch nimmt, den Handel in
grösserem Massstabe durchaus nicht fördert. Wir können
annehmen, dass die directe Fracht nach Cairo ungefähr die
gleiche ist, wie die von Chartum, also etwa zwei Thaler für
den Kantar, was nicht zu theuer schiene, wenn nicht der Zeit-
verlust so gross wäre.
Wir wollen damit nicht sagen, dass mit Chartum nichts
gemacht werde; aber dieser Handel beschäftigt sich eher mit
Localbedürfiiissen und mit Sklaven, die nach Arabien bestimmt
sind; deswegen konnten wir in Chartum, das nur mit Artikeln
für den weissen und blauen Fluss und theilweise für Abys-
sinien sich versieht, nichts finden, das für den Westen dienlich
gewesen wäre.
Der Haupthandel von Kordofan beschäftigt sich ausser den
Luxusbedürfnissen des Landes vorzüglich mit Darfor. Unauf-
hörlich gehen Karawanen zwischen L^obeid und Kobe, das
ausschliesslich nur von fremden Kaufleuten bewohnt wird;
doch ist die Sicherheit der Strasse nach Darfor, die vorzüglich
von den Hamr- Arabern vermittelt wird, keineswegs unbedingt.
Als wir uns noch in Kordofan befanden, wurde eine kleine
von L'obeid abgegangene Djalin- Karawane, die sich von dem
gewöhnlichen Wege etwas südlich hielt, von den Riseigat ge-
plündert. Nach tapferem Widerstände erlagen siebzehn Männer
der Uebermacht und der Rest, der nach Verlust der Güter
einen weitem Kampf nutzlos erachtete, kam mit vielen Ver-
wundeten nach L'obeid zurück. Schändlicherweise war es
der Führer, der die Riseigat zu dieser That aufreizte, in-
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570 Bemerkungen über Kordofan.
dem er sie von der geringen Zahl der Reisenden in Kennt-
niss setzte.
Solche Ueberfälle kommen häufig' vor und die Kaufleute
können sich darüber nicht beklagen, da der gesunde Menschen-
verstand ihnen gebieten sollte, sich entweder zu grossen, gut-
bewafifneten Karawanen zu vereinigen, oder aber mit einem
geringen Zoll sich von den Wegelagerern den sichern Durch-
gang zu erkaufen. Die Riseigat sind officiell von Darfor ab-
trünnig, doch ist es eine Thatsache, dass der Sultan im Ge-
heimen von ihrem Gewinn jedesmal seinen bedeutenden Theil
erhält. Man erzählte uns in L'obeid, dass ein auf der Reise
ausgeplünderter Fakih zum Sultan Hussein kam; als er sich
von diesem statt aller Geschenke einen Koran ausbat, empfing
er zu seinem Erstaunen das ihm auf dem Wege geraubte
Exemplar aus den Händen des Sultans. AehnHche Fälle er-
zählte man mir täglich. Auch die Hamr greifen oft Kara-
wanen an, aber da sie von Kordofan und Darfor zugleich
abhängig sind, schonen sie einflussreiche Personen.
Palme spezificirt die Handelsartikel von Kordofan so ge-
nau, dass uns wenig nachzutragen übrig bleibt. Im Allgemeinen
soll nur bemerkt werden, dass die Preise seitdem im Ganzen
um volle 50 Procent gestiegen sind.
Straussenfedern kommen sehr viel von Kadje, wo von den
Arabern die Strausse zu Pferde gejagt werden. Dies kann nur
in den heissesten Sommermonaten, die unserem Frühling ent-
sprechen, vor sich gehen. In der Regenzeit spottet der Strauss
aller Verfolgung. Wenn die Nomaden in Ostafrika so viel
auf Pferde halten, so ist es nicht für den müssigen Genuss
des Reitens: Räuber werden zu Pferde verfolgt; Nachrichten
blitzschnell von allen Seiten eingezogen; der Panzermann auf
seinem Streitrosse kann es mit ganzen Schaaren Fussvolkes
au&'ehmen.
Die Hauptstapelplätze des Elfenbeins sind in Darfor, wohin
es durch die Eingebornen von den Fertit gebracht wird. Es geht
gewöhnlich direct nach Cairo; aber wenn infolge der Nachfrage
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Bemerkungen über Eordofan. 571
von Seiten der Häfen am Rothen Meere die Preise auch schon
in Chartum lohnend genug scheinen, wird ein Theil davon
auch dahin exportirt. Der Preis hat sich seit Palme ver-
doppelt.* Es geht jetzt, auch von Chartum aus, fast kein
Elfenbein mehr nach Suakin; wenn aber Palme die Banianen,
die den Handel des Rothen Meeres in Händen haben, zu Agenten
der Engländer macht, irrt er sich durchaus; Unterthanen
derselben sind sie, aber ihr Handel mit diesem Meere ist
viel älter, als die englische Herrschaft in Indien. Ferner
glaube ich nicht, wie Palme meint, es gehe das afrikanische
Elfenbein über Indien nach Europa; sonst könnte man sich
nicht erklären, dass die Banianen den Preis von Cairo in
Massua zahlen können, was eher voraussetzen Hesse, dass
die Qualität als die edlere für den Localbedarf von In-
dien und China verbraucht und demgemäss besser bezahlt
wird.
Da man gewöhnlich über die Elefantenjagd zu Pferde sehr
unrichtige Begriffe hat, will ich darüber einige Worte bei-
fügen. Die erste Aufgabe der Jäger ist, den Elefanten durch
Schreien aus dem Walde in Lichtungen oder Strombetten
hinauszulocken. Dann sucht der Reiter die- Aufmerksamkeit
des Thieres auf sich zu lenken; der Elefant, mehr dem Thiere,
als dem Menschen feind, verfolgt das in kurzem Galopp sich
flüchtende Pferd. Einer der Jäger verfolgt den Elefanten zu
Fuss; in dem günstigen Augenblick haut er ihm mit seinem
geraden Schwert den Knöchel des einen Hinterbeines entzwei;
der Elefant stampft ob des plötzlichen Schmerzes und vollendet
so selbst das Werk seines. Verfolgers. In bergigen Gegenden,
wo das Pferd unnütz vrird, übernimmt seine Rolle ein Fuss-
gänger. Diese allerdings nicht anziehende Jagd ist bis jetzt
von den Europäern nicht nachgeahmt worden, und Unglücks-
fälle kommen sehr häutig vor; so wurde vor zwei Jahren das
Pferd im Augenblick, wo es voraussprengen sollte, scheu; es
bäumte sich, der Reiter hat nicht mehr die Zeit, sich hinab-
zustürzen, der Elefant ergreift mit seinem Rüssel den Schweif
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572 Bemerkungen über Kordofon.
des Pferdes und in einem Augenblick sind Mann und Ross
zu Brei zertreten.
Tamarinde kommt besonders von Darfor, in kleinen Bröd-
chen; die Gonsumption im Lande selber ist sehr bedeutend.
In einem sehr heissen Lande, wo der Magen so leicht in Un-
ordnung kommt, ist das davon bereitete kühlende und etwas
abführende Getränk die köstlichste Gabe der Natur.
Ochsenhäute werden besonders seit den letzten Jahren viel
nach Cairo exportiri Der Preis ist jetzt der doppelte, 6 Thaler
das Stück; die Häute werden nie gewogen. Der Preis ist in
ganz Ostafrika seit dem Krimkriege so gestiegen und hat
sich seitdem mit wenig Variation auf seiner Höhe erhalten.
So zahlt man in Massua jetzt für 20 Stück 13 Thaler, w«üi-
rend sie früher nur 5 Thaler galten. Deswegen hat sich der
Export wohl verdreifacht, da sich bei den erhöhten Preisen
die Fracht aus dem Innern gehörig bezahlt. Gegerbte Häute
kommen nach Kordofan von Bornu und Abyssinien, Die
erstem sind schön braun, aber schwach; die letztem sind
genügend bekannt. Die Gebirgsvölker sind in der Kunst der
Gerberei den Niederländern weit überlegen, wie sie denn schon
die Natur mit ausgezeichneter Lohe versehen hat.
Man weiss, dass der Gummi von Kordofan von sehr vor-
züglicher Qualität ist, nicht zu verwechseln mit dem sogenannten
Suakni, der in Gadarif ober Kassala gewonnen wird. Er kostete
80 Piaster der Kantar (25 Piaster = 1 Thaler); die Kosten
bis Cairo betragen wenigstens 120 Piaster. Der meiste Gummi
wird in der Provinz Dejara gewonnen. Die Frauen der
Kaufleute brauchen ihn bei der Haartoilette. Er geht aus-
schliesslich nach Cairo und wird nicht in Koffern verpackt,
sondern in Säcken. Da der Gummi ein sehr wohlfeiler Artikel
ist, so erträgt er bei der schwierigen Communication nicht
einen massenhaften« Export, der natürlich den Preis drücken
würde. Dann genügt die spärliche Bevölkerung nicht, um
die unendlichen Naturschätze nur zum Theil auszubeuten.
Das Gold von Nuba wird seiner Farbe wegen dem Sennari
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Bemerkungen über Kordofan. 573
unterschätzt. Die Oqie (Gewicht eines Thalers) des letztem
gilt immer 25 Procent mehr. Die Preise des erstem schwan-
ken zwischen 16 — 17 Thaler. Es ist unmöglich, sich einen
Begriff von seiner Handelsverbreitung zu machen, da viel im
Lande selbst zu Schmuck verarbeitet wird und das zum Ex-
port bestimmte wegen seines kleinen Volumen jeder Douane
entzogen werden kann. Die Afrikaner legiren das Gold nie,
sodass sie an unserm europäischen Schmuck keinen Gefallen
haben.
Kordofan ist sehr reich an schönem Hornvieh; aber grosse
Heerden auf Speculation nach Aegypten zu führen, wäre sogar
in der Regenzeit für einen Privatmann kaum möglich »und
jedenfalls sehr langwierig. Wir werden in einer spätem
Arbeit beleuchten, wie auch dieser Artikel verwerthet werden
könnte.
Kordofan ist durch seinen meist sehr sandigen leichten
Boden fast ausschliesslich auf Duchn angewiesen. Weizen
kann nie, Durra nur spärlich gebaut werden. Gartenanlagen
oder grosse Baumwollenpflanzungen erschwert das Tiefliegen
des Wassers, das Bewässerung zu mühsam macht. Einzelne
Stellen, wie die Gegend von Melbess, Bara, Wod Saki u. a.,
wo das Wasser sehr nahe tritt, sind doch nur Ausnahmen.
Die Duchnemdte ist je nach der Regenmenge ungeheuer ver-
schieden. Bei unserer Anwesenheit war das Kora sehr theuer,
wohl 4 Thaler die Last von 2 Ardeb, während sie gleich-
zeitig in Chartum nur 1 %— 2 Thaler, in Kassala nur 1 Thaler
galt. Ich fand die Madida (»4Xj4>uo) von Duchn, mnde papier-
dünne Kuchen, sehr schmackhaft, etwas säuerlich pikant.
Weizen kommt vom Nil und wird meist nur von Fremden
genossen. (In Chartum hat man 5 Rotl für 1 Piaster, der
Preis von L'obeid ist mir unbekannt). Reis wird in ziemlich
bedeutender Menge eingeführt, ohne aber ein Volksbedürfhiss
zu sein; die Oqa = 2% Rotl zu 2V2 Piaster. Er kommt meist
von Indien über Djedda und Suakin; der ägyptische ist viel
theurer und wenig besser. Zucker kommt von Indien in
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574 Bemerkungen über Kordofan.
Staub (2 Piaster das Rotl), von Cairo in Stöcken (4 Piaster),
aber er ist nur ein Luxusartikel, ebenso wie syrische Seife,
die für den Volksgebrauch zu theuer ist. Da dessenungeachtet
das Land keine natürliche Seife besitzt (wie Arabien und das
Samhar den Eshnan (^LLmI) oder Abyssinien den Endod),
so wäscht das gemeine Volk seine Kleider mit Urin und
Eameelmist.
Schlechter Arak wird von Syriern halb eingeführt, halb
fabrizirt, wo natürlich der Spiritus die Hauptrolle spielt Je
nachdem der Gouverneur der Provinz fromm ist oder nichts
nimmt der Verbrauch ab oder zu, da sich die Diener nach
dem Jlerm richten.
Tabak kommt für die Türken von Cairo, für die Einge-
bomen von Sennaar und Süd-Gadarif in Blättern. Der letztere
kostet ly^Piaster das Rotl; er ist nicht übel und stark. Er
wird in kleinen Pfeifen, selten in Buri (der Wasserpfeife) ge-
raucht. Schnupfer oder Kauer behelfen sich mit dieser Sorte
oder mit einer andern, die von Darfor kommt und viel
stärker ist. Der Tabak wird zu diesem Behuf gerieben und
mit V4 Natrum vermischt. Der Surati -Tabak, der in ganz
Abyssinien und seinen nördlichen Grenzländem so ungeheuren
Verbrauch hat, ist schon in Kassala wenig gekannt und in
L'obeid gar nicht zu finden.
Salz wird von Chartum aufwärts dem Nil nach geschlemmt,
abgekocht und in einer Art von Zuckerhüten exportirt.
Palmenmatten sind sehr gesucht und kommen vom Nil.
Während man im Barka 12 Matten für 1 Thaler gibt, kostet
hier 1 Matte % Thaler. Da die Dumpalme in Kordofan £ast
gar nicht vorkommt, wird sogar der Djerid (Ju^) eingeführt
und zu Korbgeflechten verwendet. Die Fäden, die sich
davon ablösen lassen, der sogenannte Lif ( ^-äaJ), wird zu Sei-
len gedreht; doch sind die aus Adansoniabast gefertigten viel
stärker und dauerhafter. Mit imserm Hanf ist aber nur das
von dem Bastfaden des Oshor (^^-älc), einer Asclepias, ge-
sponnene Seil zii vergleichen. Es ist unvergleichlich schön,
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Bemerkungen über Kordofan. 575
stark und dauerhaft. Solche Stricke kommen besonders bei
den Brunnen zum Wasserziehen in Gebrauch, wo ein Tau
dünner als der kleine Finger einen schweren Schlauch voll
Wasser aus einer Tiefe von oft 120 Fuss hinaufzieht. So wird
auch dieser unschöne Baum mit seiner giftigen Milch dem
Menschen nützlich.
Baumwolle wird wenig gepflanzt, da sie den hier so seltenen
Lehmboden verlangt. Im Lande wird daraus ein grobes Zeug,
Namens Morebbä (/^j^), gesponnen und dann die Fabrikate
der Nilländer eingeführt. Von Cairo kommt Calicot (soge-
nannte &^^ und 1*^) und Madapolam besonders zu Hem-
den; dann farbige meist blaue Tücher, die in Massua Futta
(&lai), hier Dirke (*^))) heissen. Diese letztern sind in
Darfor als Kopf- oder Lendentuch Volksbedürfniss.
Feuerwaffen sind im ganzen Ostsudan noch sehr selten.
Die Hauptwaffe ist doch noch immer das Eisen. Wird gefeuert,
ist es mehr auf den Knall abgesehen, als auf das Blei. Eine
Ausnahme machen natürlich die Kaufleute, die nur so einiger-
massen der üebermacht trotzen können, besonders die gutbe-
waffheten Nilexpeditionen. Die Afrikaner haben viel Talent
zum Gutschiessen, aber ihre Flinten sind nie gut gehalten:
Selbst in Abyssinien, wo die Feuerwaffen so häufig sind, er-
staunt man, so wenig brauchbare Waffen zu finden.
Es werden sehr viel Beshärikameele in Kordofan einge-
führt und Lastthiere bis 25, Reitthiere bis 35 Thaler bezahlt,
während sie in ihrem Vaterlande zwischen dem Nil und dem
Rothen Meer fast um die Hälfte wohlfeiler sind. Doch müssen
wir ein Steigen des Preises in ganz Nordostafrika notiren und
erklären es aus dem zunehmenden Verkehr. Auch die Re-
gierung lässt zeitweise Dromedare aufkaufen, um sie in
Aegypten zu verwenden. Die Beshari- und die Hadendoa-
kameele sind sehr graziös gebaut, meist weiss oder gelb; alle
können zxmi Reiten benutzt werden. Sie haben nicht die
Kraft der hoch und stämmig gewachsenen braunen und
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576 Bemerkungen über Kordofan.
schwarzen Shukrikameele , aber sie ersparen an Zeit und
sind ausdauernd. Das Shukri leidet an dem Fehler, nirgends
bestehen zu können ausser in seinem Yaterlande zwischen
Nil und Gash, während das Eameel der Besharin und
Hadendoa mit Vorsicht gepflegt überall gewöhnt werden kann.
Die in Kordofan einheimischen Kameele sind plump, grob ge-
baut, nicht sehr stark und zum Reiten untauglich. Deswegen
sind in L'obeid besonders Reitkameele sehr gesucht Ebenso
Reitesel, die von Aegypten kommend bis 60 Thaler das Stück
bezahlt werden.
Die Pferdezucht scheint in Kordofan nicht sehr ausgebildet
zu sein; das Land, dem grüne Wiesen und fliessende Wasser
abgehen, ist auch nicht sehr dazu gemacht. Man sieht
mehrere Rassen Pferde, die aber selten im Lande geboren sind.
Der Araber mit seinem etwas verdorbenen Sprössling, dem
etwas höhergebauten Riß (Aegypter), vdrd fast nur von Türken
geritten, denen die Eleganz besser behagt, als die Gewalt der
Erscheinung. Die Landeseingebornen lieben den Dongolawi
und seinen edlen Sprössling, den Mabbashi (^^Ux) von der
Zucht der Kababish. Das Dongolawi -Pferd ist hoch, lang-
gestreckt, gewaltig, kräftig und entspricht so den Anforderungen
des Reiters, der in voller Rüstung daraufsitzt; er imponirt
und vermeidet schon dadurch manche Gefahr. Der Dongolawi
leiht sich gern zu allen Mamelukenkünsten, die im Sudan
geschickt nachgeahmt werden; sein Schritt ist ausserordentlich
schnell, ohne Pass zu sein und schickt sich für Leute, die
lange Tagereisen machen müssen. Er wird nie zum Traben
gebracht, da diess den Schritt verdirbt. Seine Carriere ist
prächtig und bei der wuchtigen gigantischen Erscheinung
furchterregend. Er setzt mit vieler Leichtigkeit über Gräben
und andere Hindemisse hinweg. Leider acclimatisirt er sich
schwer, am wenigsten im Gebirge; er ist sehr delicat und
unterliegt dem kleinsten Anfall, ganz ähnlich dem riesigen
Menschen, der der Eiche gleich nie sich beugt, sondern bricht
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BemerkuDgen über Kordofan. 577
Auch darf der Dongolawi nicht hungern; um Heu oder Gras
bekümmert er sich wenig, seine Nahrung ist Milch und Durra
oder Duchn. Daher erreicht er ausser seinem Vaterlande selten
ein hohes Alter. Ich weiss, dass die Herren von Barka ihre
Pferde selten zwei Jahre bewahren konnten, sodass ein be-
deutender Theil ihrer Einnahmen in Pferdeankäufen aufgeht
Die Heimat dieser Rasse ist das Nilthal nördlich von Chartum,
wo er besonders von den Shaigie gezogen wird. Der wohl-
feilste Markt ist Berber, wo man für 30 Thaler einen hübschen
Hengst haben kann, der in Kordofan mit 60 Thaler bezahlt
würde; doch gibt es Thiere auch für den vierfachen Preis.
Der Kabbashi ist ein Dongolawi, bei den Nomaden gleichen
Namens geboren imd auferzogen. Er ist darum durchaus
nicht entartet und viel ausdauernder. Die Dongolarasse
anderswo zu ziehen, ist bis jetzt selten gelungen.
Das abyssinische Pferd oder eher Galla, der sogenannte
Makade, der wohl vom Araber abstammt, ist selten hochge-
baut und wird deshalb von den Sudanesen etwas verachtet.
Wirklich darf man ihn nur massig belasten, was ihn nur für
die leichte ungepanzerte Kavallerie tauglich macht. Er hat
aber grosse Vorzüge. Obwohl ein Kind der Berge, gewöhnt
er sich leiqht an die heisse Tiefebene. In der Leichtigkeit
des Bergsteigens gibt der Makade dem Maulthier wenig nach.
Er galoppirt über Stock und Stein ohne Anstand. Er fällt
selten. Er ist lebhaft und gewandt; er begnügt sich mit
Heu und erträgt den Hunger leicht. Er folgt seinem Herrn
wie ein Hund. Er überholt den stolzen Dongolawi, wenn
das erste Feuer vorbei ist. Eine grosse Anstrengung wirft
diesen nieder; den Makade macht die Arbeit nur hungrig.
Sein Schweif ist schön gehalten und vollhaarig; doch hat er
diese Eigenschaft, wie die Güte der Hufe, die keinen Beschlag
nöthig haben, mit allen orientalischen Pferden gemein. Des-
wegen ist der Makade auch am Nil und Atbara das Pferd
des gemeinen Soldaten, dem er sich auch durch seine Wohl-
feilheit empfiehlt; denn in Abyssinien kostet ein recht gutes
ManxiDger, Ostafrik. Studien. 37
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578 Bemerkungen über Kordofan.
Pferd 12 Thaler, im Sudan freilich das gleiche oft das Doppelte
und mehr. Offiziere und Häuptlinge reiten den Dongolawi.
Für die Straussenjagd hat sich das abyssinische Pferd ganz
bewährt. Es kommt nach Ghartum und Kor<fefan auf dem
Wege von Galabat (Metamma).
Sehr interessant ist der Mischling (^^^**JL^), dessen Vater
Dongolawi und dessen Mutter Eifi oder Makade ist. Er ver-
einigt die Vorzüge beider Rassen und fühlt sich überall da-
heim. Es ist Schade, dass gewöhnlich wenig Sorgfalt auf die
Wahl der Stute gewendet wird und die Zucht überhaupt
nicht systematisch betrieben wird. Deswegen ist der Misch-
ling selten und wird von seinem Eigenthümer nur ungern
veräussert.
Ein sehr schönes Pferd, das man nur selten sieht, ist
der Garbaui (^go^i); er ist ein Araber von Westafrika,
aber hochgebaut und gestreckt. Doch ist es selten, dass die
Forianer ein gutes Pferd nach dem Kordofßui vorübergehen
lassen; selbst in L^obeid kaufen sie alle guten Pferde, die
vom Nil kommen, schnell zu hohen Preisen weg. Man sollte
daraus schliessen, dass auch in Darfor die Zucht wenig Fort-
schritte macht, da immer Lücken zu ersetzen sind.
Da hier vom Handel und nicht vom Pferde selber die
Rede ist, so können wir uns darüber nicht weiter verbreiten;
nur möchten wir zum Schlüsse auf den Shaigie- Sattel auf-
merksam machen, der in den Ebenen Nordostafrikas überall
gebräuchlich ist und man erstaunt, sich gestehen zu müssen,
dass die Afrikaner ohne Aufwand auf einfache Weise seit
langer ^it dasselbe erreicht haben, woran wir mit vielem
Aufwände von Geld und Geist noch immer studiren, d. h.
das Ross vor Verletzung zu bewahren und dem Reiter einen
angenehmen Sitz zu verschaffen. Diess wird dadurch erreicht,
dass das delicate Rückgrath von allem Drucke frei und der
Luft ausgesetzt ist. Ihm am ähnlichsten, aber viel kost-
spieliger ist der dänische Militärsattel; nur muss man sich
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Bemerkuogen über Kordofan. 579
den hohen Sattelknopf und eine ebenso hohe Rücklehne dazu
denken.
Nun dürfen wir bei den Handelsartikeln der Sklaven nicht
vergessen. Da wir uns aber anderswo über die afrikanische
Sklaverei im Grossen verbreiten wollen, so können wir uns
füglich auf die Darstellung der hiesigen Localverhältnisse
beschränken. Ebenso überflüssig erachten wir, die Stellung
zu erklären, die der Islam dem Sklaven anweist in einer Ge-
setzgebung, die ein Meisterwerk menschlicher Klugheit ist.
Die Sklaven von Kordofan sind entweder im Lande geboren
( JJ^), oder vom Ausland eingeführt. Die meisten kommen
aus For, Tegele, Nuba. Galla kommen nur als Concubinen
(kj^) und selten hierher zum Verkauf, ebenso wenig Bewohner
vom weissen Fluss. Die Sklaven, die über Darfor hierher
kommen, sind meist Fertit und Benda und da sie wegen
ihres »diebischen Sinnes wenig gesucht sind, werden sie meist
weiter befördert. Die Sklaven von Tegele sind die geschätz-
testen. Die Nuba sind, obgleich ihnen die Nähe ihres Vater-
landes die Flucht erleichtert, als Arbeiter gesucht. Sie werden
entweder von ihrer eigenen Familie verkauft oder von den
ßiseigat und den Qadejat geraubt. Diese letztern machen
regelmässige Razzias gegen sie; die im Jahre 1862 ausgeführte,
brachte dem Anführer allein, dem erwähnten Haseballah, 300
Köpfe ein. Ohne das als Entschuldigung geben zu wollen
darf nicht vergessen werden, dass die Nuba ihren Verfolgern
mit guter Münze zurückbezahlen.
Ich könnte nicht sagen, dass die Sklaven in Kordofan
grausam behandelt würden; aber bei der geographisöheu Lage
des Landes und der grossen Ueberzahl der Sklaven muss die
Behandlung jedenfalls strenger sein. linder gewöhnen sich
schnell, während die Erwachsenen nur mit Wuthknirachen an
ihr Vaterland und ihre verlornen Lieben zurückdenken und
immer Befreiung hoffen. Deshalb bringen Sklaven, die er-
wachsen gekauft werden, meist fast zwei Jahre in Fussschellea
37*
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580 Bemerkongen aber KordofSem.
ZU. Ebenso werden jedem Widerspänstigen die Fu888chellen
angelegt. Die unglücklichste Zeit bringen die Armen bei den
Djellab zu, von denen sie die gleiche Schonung erwarten
können, die jeder Handelsartikel von seinem Besitzer verlangt
und nichts mehr. Sie sind genügend genährt, aber haben
grosse Tagemarsche im heissen Sand zu machen. Nachts wer-
den alle gefesselt; am Tage tragen die erwachsenen Sklaven
je zwei zusanmien einen langen Balken auf den Schultern,
der den Hals mit einer Gabel zuschliesst. Diese Manier sich
der Sklaven zu versichern wird in Ostafrika auch für Ver-
brecher angewandt und ich hatte oft Gelegenheit,, mir be-
freundete Häuptlinge, die dem Statthalter missfallen oder
Aufruhr gestiftet hatten, mit diesem Joch auf der Schulter zu
begrüssen. Am besten zeigt sich die Gefühllosigkeit der
Djellab beim Tode eines Sklaven; man legt seine Leiche fest
entblösst auf den Boden und bedeckt sie mit etwas Sand,
den der Wind oft sogleich wieder wegweht. Ich musste
oft an Mungo Park denken, wenn wir solchen Gräbern be-
gegneten.
Sind die Sklaven eingewöhnt, so verbessert sich ihre Lage.
Die Intelligenteren und Schöneren bleiben als Diener im
Herrenhaus; der Rest wird auf's Land geschickt, wo sie
ganze Dörfer bilden, die durch ältere Sklaven und zeitweise
durch den Herrn selbst überwacht werden. Der Herr unter-
hält seinen Sklaven in schlechten Jahren, daher gehört ihm
auch die gute Emdte und er überlässt dem Sklaven nur den
nothwendigen Bedarf. Doch ist die Beaufsichtigung nicht so
streng, als dass der Sklave nicht ganz gemächlich leben
könnte. Der Herr ermuntert die Sklaven, die er bewi^^[i
will, zur Heirath untereinander; es gibt solche, die sogar
mehrere Frauen haben; doch soll ihre Ehe nicht allzu delicat
sein. Nach meinen Untersuchungen sind die einheimischen
Sklaven ziemlich fruchtbar und wenn auch die Sterblichkeit
bei den Kindern viel grösser ist, als bei den besser gepflegten
Herren, so soll doch entschieden Vermehrung 8tat1£nden.
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BemerkoDgen über KordofaiL 5g X
Verheirathete oder beim Herrn geborene Sklave^ zu verkaufen,
bringt grosse Schande. Diese im Lande gebomen Sklaven, die
sogenannten Mowolled, unterscheiden sich sehr vortheilhaft von
den eingeführten und wenn Herrenblut beigemischt ist, werden
sie wahre Schönheiten.
Die durch den Islam so empfohlene Befreiung ist im Ost-
sudan sehr selten und es sagte mir ein sehr gebildeter, gut-
müthiger Mann auf meine Frage darüber, wie ich daran denken
könne, dass ein Mann im Besitz seines Verstandes sein Geld
unnütz wegwerfen könne.
Ich habe mir Mühe gegeben, das numerische Verhältniss
der Sklaven zu den Freien kennen zu lernen und so schwer
es ist sich darüber zu versichern, glaube ich nicht zu über-
treiben, wenn ich drei Viertel der Bevölkerung als unfrei
betrachte. In den Städten, wie L'obeid, Chursi, Bara, wird
das Ueberge wicht der Sklaven viel bedeutender; auf dem
Lande sind^ sie wenig überzählig. In L^obeid gibt es wenig
Leute ohne Sklaven und es ist gar nicht anders möglich, da
kein freier Diener zu finden ist. Wir mussten mit unsem
mitgebrachten Dienern sehr schonend umgehen, da Ersatz
unmöglich gewesen wäre. Der Aermate hat wenigstens Einen
Sklaven; die Reichen zählen sie zu Hunderten. Unser Gast-
berr Ahmed Sogheirun hatte wenigstens 600 Sklaven, ein
Onkel von ihm über 1000. Ich bin einmal von einer Aegyp-
tierin, der Tochter eines abgedankten blinden Offiziers, um
Unterstützung angegangen worden, die von zwei Sklavinnen
begleitet war; deswegen war sie aber nicht minder arm.
Mit dem Verbot des Sklavenhandels wird es nicht genau
genommen. Da er die Douane nichts mehr angeht, so ist er
für die Beamten eine Einkunftsquelle geworden; denn der Statt*
halter kann gegen den widerspänstigen Sklavenhändler immer*
hin das Gesetz anwenden. Wir begegneten auf dem Wege von
Chartum nach L^obeid täglich Karawanen, die meisten von
Darfor. In L'obeid könnte man in Einem Tage hundert kau-
fen; doch da der Handel offidell verboten ist, werden die
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582 BemerkoDgen über Kordofan.
Sklayen nicht mehr auf dem> Markte aasgestellt. EinX^hamasi
galt 6—700 Piaster, ein Sedasi 800, ein'Eunuche yon 1400
Piaster hinauf. Es gibt in L^obeid einen Mann, d^ eigene
Sklaven auf Specolation oder fremde gegen einen Lohn von
100 Piaster verschneidet. Nach allem, was ich erfahren konnte,
stirbt von 200 höchstens Einer an der Operation; der Patient
heilt in 30 Tagen. Doch habe ich nie gehört, wie Palme
versichert, dass der Sultan Teima dieses Gewerbe betrie-
ben habe.
Eine Art Sklavenhandel ist folgende : Nach der Regenzeit
gehen die türkischen Truppen zu den Baggära, von denen sie
den Tribut in Kühen empfangen. Es bildet sich ein grosser
Markt. Die anwesenden Kaufleute kaufen die Kühe den
türkischen Beamten mit Thalem ab und erstatten sie den
Nomaden gegen Sklaven zurück. So ist allen gedient; die
Türken dürfen den Anstand nicht verletzen und ziehen das
baare Geld vor; die Baggara erhalten ihre lieben Kühe, von
denen sie sich so ungern trennen, zurück und entledigen sich
ihrer schlechten Sklaven vom. Nubaland, denen die Heimat
noch viel zu nahe liegt, um sie bewachen zu können; die
Kaufleute endlich kommen nur der Sklaven wegen hin, das
Hornvieh dient ihnen nur als Münze. So ist auch hi^ der
Sklavenhandel verboten, aber nicht abgeschafft. In Ghartum
haben wir gar nicht das Recht, Andersgläubigen Vorwürfe zu
machen. Für den Moslim ist der Sklavenhandel göttlich und
menschlich betrachtet erlaubt und sogar verdienstlich; diese
Entschuldigung hat der Europäer nicht.
Wir können es andern überlassen, über den Menschen-
handel auf dem weissen Flusse zu reden; hier interessiren uns
nur die Thaten eines gewissen Mohammed Cheri im Lande
der Shiluk, da er auch mit Kordofan in Berührung kommt
Dieser Mohanmied Gheri ist von Geburt ein Berberiner
und war früher als Elefantenjäger und Vögelausstopfer bei
Europäern angestellt; jetzt hat er sich bei den Shiluk fest-
gesetzt. Als wir noch in L'obeid waren, hatten wir Gelegenheit
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Bemerkungen über Kordofan. 583
einen Mann zu sprechen, der bei ihm gedient und den er mit
Briefen an seine Freunde in L'obeid geschickt hatte. Es war
(1862) das dritte Jahr, dass dieser Cheri sich dort befindet,
ohne aber die Shiluk unterwerfen zu können; er wohnt in
Kaka am Ufer des Flusses. Die ersten zwei Jahre zog er
sich jede Nacht auf seine Schiffe zurück, deren er stationär
drei besitzt, zwei Dähebien und ein Nugger (Lastschiff). Jetzt
soll er aber gewillt sein, in seinem festgebauten Hause mit
50 Mann zu überwintern. Im Herbste versammeln sich um
ihn etwa 4 — 500 Berberiner und Araber und man veranstaltet
eine Sklavenjagd; die letzte braclite 1500 Sklaven und 7000
Kühe. Kommen fremde Kaufleute dahin, so wenden sie sich
an Cheri und vereinigen ihre Soldaten mit den seinen; von
der Beute wird ein Drittel zu seinen Gunsten abgezogen und
der Rest nach dem Zahlverhältniss der Soldaten vertheilt.
Beim Anbruch der Regenzeit gehen die meisten Soldaten
in ihre Heimat; seine Pferde, deren er etwa 200 haben soll
und seine zahlreichen Heerden schickt er mit denen der
Baggära gegen Kordofian hin, um sie vor den Fliegen zu
schützen. Die Sklaven verkauft er in Ghartum. Einem ge-
wöhnlichen Soldaten zahlt er 50 Piaster im Monat, einem
Elefantenjäger das Doppelte, also 5 Thaler. Von Unter-
werfung der Shilttks ist keine Rede, sie halten sich südlicher
und sind ihrem eigenen Könige unterthan. Mit Mohammed
Cheri sind sie natürlich in Blutfeindschaft; sie haben ihn
schon dreimal angegriffen. Sie haben kurze gerade Stöcke mit
einem Knopf, die sie schleudern, lange Lanzen, wie sie in
Kordofan zum Stossen gebräuchlich sind, aber keine Bogen.
Auch die Dinka hat dieser Räuberhauptmann schon ange-
griffen und geplündert.
Das Gebiet von Scherq el Agaba (das Ostende der Steppe
zwischen Nil und Kordofan und so auch seine südliche Grenze)
bis Kaka wird von den Baggära beweidet; .aber es fehlt jede
feste Ansiedlung. In der Regenzeit ziehen sie sich nördlich
gegen Kordofan hin, sodass diese lange Strecke , ganz öde
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584 Bemerkungen ober Kordofsn.
bleibt. Auf der andern Seite des Flusses weiden die Araber,
die sich in der Regenzeit nach dem Sennaar zurückziehen.
So viel über die Sklaverei; es wird schwer halten, sie auszu-
rotten; aber anstatt der Scheinverbote wäre es ge-
wiss erspriesslicher und dem europäischen Handel
zuträglicher, wenn streng richtende Consuln die
Europäer wenigstens an der Betheiligung amSklaven-
handel verhindern würden, so dass auch die Wilden
zwischen freundlichen christlichen Kaufleuten und
feindlichen mohammedanischen Räubern unterschei-
den könnten. Nur so wird der weisse Fluss dem euro-
päischen Handel geöffnet werden und die Entdeckung
seiner Quellen für Afrika und Europa Segen bringen.
Druck von F. A. Brockhaas in Leipzig.
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