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Full text of "Pabst Gregorius VII und sein Zeitalter"

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.. 


Pabſt Gregorius VI. 


und 


ſein Zeitalter. 


Pabſt Gregorius VIL. 


und 


ſein Zeitalter. 


Durch 


A. Ft. Gfrürer, 


ord. Profeſſor der Gefchichte an der Univerfität Freiburg. 
Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat. 


Erfter Band. 


Schaffhaufen. 
Verlag der Sr. Hurter'ſchen Buchhandlung. 
‚1859. 


3677 


Drud von J. Kreuzer in Gtuttgart. 


Das Uecht der Meberfebung in fremde Sprachen wird gemäß der 


internationalen Geſetzgebung vorbehalten. 


Der Drecident. 


Borrede. 


- Ünterzeichneter hat fi die Aufgabe geftellt, das Zeitalter 
Gregord VII. in jeder mwichtigeren Richtung und mit Benützung 
jammtlicher auf und gefommenen Quellen in ver Art zu fehilvern, 
daß der große Pabft den Mittelpunkt des Ganzen bilden, d. 9. bie 
Stellung einnehmen foll, die er wirklich vor 8OO Jahren einnahm. 
Die Maſſe ver Hülfsmittel ift groß und nicht etwa blos eine 
Parthei, jondern faft alle, Die damals überhaupt beftanven, Taffen 
ihre Stimme vernehmen: zufammen Tiefern fie ausgiebigen Stoff, 
um dad Dunkel des eilften Jahrhunderts aufzuhellen. 

Man Hat tem Berfafler vorliegenden Werks bezüglich feiner 
früheren Arbeiten häufig ven Vorwurf gemacht, daß er Fühne 
Hppothefen liebe, oder — um einen beflimmteren Ausdruck anzu- 
wenden, daß er zu viel — combinire. Wo ed an ausreichenven 
Zeugniffen fehlt, muß ver Hiftorifer je nach Umſtaͤnden nothge= 
drungen combiniren. Nun gibt e3 freilih in Deutfchland Viele, 
welche weder in eigener Perfon dieſe Art des gefchichtlichen Gal« 
ful anwenden, noch es billigen, wenn Andere Solches thun. 
Das ift cben Geſchmackſache. Im Uebrigen möge die Verficherung 
genügen: jo reich fließen die Quellen über das Zeitalter des fiebten 
Gregorius, daß Feinde oder auch angebliche Freunde Feinen ge= 
gründeten Anlaß finden werben, gegen vorliegendes Werf den 
Tadel unndthigen Combinirend auszuſprechen. Die Mittel find 


x Vorrede. 


reichlich vorhanden, um irgend bedeutende Punkte mit Ausſagen 
tüchiger Gewährsmänner zu belegen. 

Jeder größere geſchichtliche Stoff will in der, ſeiner Gigen- 
thümlichfeit angemefjenen, Weife behandelt fein: eine allgemeine 
für jeden Ball gültige Methode gibt es nicht. Bezüglich Des 
Plans, ven ver Verfaſſer einhalten zu müßen glaubte, kann er 
fih erft am Schluffe ausfprechen, wenn die Lefer durch Vorlegung 
des Einzelnen in Stand geſetzt find, ein Urtheil über das Ganze 
und zugleich über die Frage zu fällen, ob ver rechte Weg einge— 
ſchlagen worden ift, oder nicht. Der Berfaßer wird nicht er- 
mangeln, feiner Zeit am gehörigen Orte das Nöthige vorzubringen. 

Auf die im eilften Jahrhundert befannten Grotheile, auf 
Europa, Afrifa, Wien, auf ven eifigen Norden, Rußland, 
Schweren, Norwegen, auf das einige Menfchenalter früher ent- 
deckte Island, auf fammtliche größere Nationen hat Gregorius VL. 
- von 1046 — 1073 als Rathgeber ver Statthalter Petri, von 
1073— 1085, over bis zu feinem Tote, ald Pabſt mächtig einge= 
wirft. Der eigentliche Angelpunkt feiner Ihätigfeit aber war das 
deutfche Reich. Diefer Sachverhalt Iegte dem Verfaſſer die Ver— 
pflihtung auf, der Gefchichte des eben genannten Reichs beſondere 
Sorgfalt zuzuwenden. Don den nem Büchern, in welche feine 
Arbeit eingetheilt ift, befchäftigt fich Das erfte mit Deutſchland, 
ebenſo das zweite, ein Theil des achten und das ganze neunte. 

Nun war anerkannter Maßen für Entwicklung der deutſchen 
Zuſtaͤnde des eilften Jahrhunderts die unter Heinrich IV. zur 
Vollendung gediehene Erblichkeit aller großen Lehen maßgebend; 
namentlich übte ebendieſelbe bei den Streitigkeiten zwiſchen Krone 
und Tiara, zuweilen verdeckt, meiſt aber unverhüllt, entſcheidenden 
Einfluß. Ein Hebel von ſo gewichtiger Art durfte von dem 
Verfaſſer der Geſchichte Gregors VII. nicht etwa bloß obenhin 


Vorrede. XI 


berührt, ſondern er mußte im Gegentheil beſonderer Umftände 
wegen nachdrücklich hervorgehoben werden. Hätte irgend ein 
früherer Schriftfteller ven fraglichen Gegenftaub in befriedigenver 
Weiſe behantelt, fo würde vie einfache Verweiſung auf eine folche 
Vorarbeit genügt haben. Allein es gibt nichts ver Art in ver 
deutſchen Gefchichtlitteratur. Alfo blieb dem Verfaſſer nichts übrig, 
ald Bahn zu brechen in einer Sache, welche ven Schlüßel zum 
richtigen DVerftänpniß der meiften Maasregeln des falifchen Hofes 
bietet. 

Das Heißt nun: er mußte erftlich nachweifen, wie und wann 
die Großlehen allmählich erbli wurden, er mußte weiter dar—⸗ 
thun, welche Gefchlechter auf dem angegebenen Wege zu dauern- 
der Macht gelangt find, er mußte Drittens die innere Organi⸗ 
fation des deutſchen Kaiſerreichs, politifhe Eintheilungen nad 
Metropolitan Bezirken, Herzogthümern, Marken enthüllen, er 
mußte endlich einen Elaren Begriff ver Verwaltung, des Finanz⸗, 
des Heer-Wefend geben. Solche Unterfuchungen find — man 
wird ed Faum leugnen fönnen, nüglih, meil fie Belehrung ge- 
währen, aber eine andere Klippe droht — fie erfcheinen je nad) 
Umftänden Täftig, langweilig, fo fern fie an GStatiflif — ein 
wenig beliebtes Gebiet — anftreifen. 

Zwei Hauptflafien von Lefern find es, welche ihre Aufmerf- 
janıfeit Hiftorifchen Büchern zuwenden. Die Einen wünfchen 
gründliche Einfiht in das Weſen der Vergangenheit: fie werven 
— hofft der Verfaffer — nicht ohne Befriedigung gewahren, wie 
in vorliegendem Werke neben vem falifchen Throne die Wiege 
und Entwidlung vieler großen Häufer, die jegt zum Theil unter- 
gegangen find, meift noch herrſchen, wie der Habsburger, ver 
Zollern, der Welfen, ver Wittelsbach-Schiren, ver Wettine, ver 
Wirtemberg, der Zähringer, der Naßau und Anderer zum 2or- 


XII Vorrede. 


ſchein kommt, wie weiter ein lebendiges Bild altdeutſcher Staats- 
einrichtungen aufgerollt wird, und zwar beides dergeſtalt, daß der 
Spruch des Dichters ſich verwirklicht: in dem Ehedem wandelt 
ſchon das Heute. Die andere Klaſſe will nur Unterhaltung und 
etwa Spannung der Einbildungskraft. Auch ſie ſollen ihre Rech- 
nung finden. An erjehütternden Scenen mangelt es nicht, Die 
Gefchichte des größten ver Päbſte enthält in ihrer einfachen Wahr- 
heit mehr vramatifchen Reiz, als irgend ein Gebilde dichteriſcher 
Phantafie. 

Indeß dürfte für Xefer der leßteren Art ein Rath geeignet 
fein: fie mögen vom erſten Kapitel zum ſechszehnten überfpringen, 
was zwifchen viefen Endpunkten Liegt, als nicht für fie gefchrieben 
betrachten. 

Schließlich bemerkt Unterzeichneter, daß fein Wert — Die 
Arbeit einer Reihe von Jahren — fertig valiegt, und daß mit 
dem Drud unausgeſetzt fortgefahren werben foll. 


Freiburg, Mitte September 1858. 


Profeſſor A. Sr. Gfrörer. 


Inhaltsverzeichniß. 


Erſtes Bud). 


Deutſchland vom Tode Heinrichs IIL bis zur gewaltſamen Entfer⸗ 


nung der Kaiſerin Mutter Agnes. 
October 1056 bis zum Frühling 1062. 


— —— — 


Erſtes Capitel. 


Kurzer Ueberblick der Zuftände des Reichs nach dem Tode Heinrichs III. Hanno, 
Erzbiſchof von Coͤln, wird dem legten Willen des verftorbenen Kaiſers gemäß 
Reihöverwefer und mit der Kailerins Mutter Agnes Vormünder des jungen 
Königs. Berhandlungen zu Cöln im Dez. 1056 und Bertrag mit Godfried 
von LothringensGanofla. Agnes bricht denfelben und verdrängt Hanno aus 
dem Reicheregiment. Unruhen in Deutfchland. Folgen der Erblichkeit der 
£eben. Mebergang zur Gefchichte der deutſchen Dynaftengefchlechter . 


Zweites Gapitel. 


Gegenfag zwifchen Aufter und Neufter. Lotharingien. Grängen, Firchliche und polis 
tiſche Gintheilung , gefellfchaftliche Zuftände diefed Landes. Dynaftengefchlechter: 
die Grafenhäufer von Holland und Flandern. Die derzogthumer Brabant 
und Oberlotharingien. Das Palatinat von Aachen.. 


Drittes Capitel. 


1. Graͤfliche Haͤuſer und aufſtrebende Dynaſten im Herzogthum Ribuarien-Brabant 
II. Grafen und aufſtrebende Dynaſten in Oberlothringen . . 


Vierte Gapitel. 


Das arolingiſche Sachſen. Graͤnzen deſſelben. Kirchliche und politiſche Einthei⸗ 
lung ie drei Metropolen, welche dort Hoheitsrechte übten: Mainz, Coͤln, 
Hamburg. Das Markherzogtfum Neus oder Oſt⸗Sachſen, von Otto 1. ges 
gründet. Daflelbe erlifcht nah kurzem Beftand, im Jahre 983. Nur drei 
Marten bleiben übrig, welche nicht unter dem Banner des herzoglichen Sach⸗ 
ſens ſtehen. Neufächfiiche Metropole Magdeburg. Gigentpümlie Verhaltniſſe 
der ihr zugewieſenen Slaven⸗Bezirke . . . 


Fünftes Capitel. 


Unruhen in Altfachien. Das dortige Herzogtfum. Die Billungen von Lüneburg. 
Die drei Marken in Neus oder Oftfachfen mit ihren Häufern. Zwei Balati- 
nate. Aufſtrebende Geſchlechter: Buzizi, Weimar, Stade, Walbek, Braun 
ſchweig, Nordheim, Orlamünde, Ballenfläbt, Supplinburg 


Seite 


21 


105 
117 


127 


163 


XIV Inhaltsverzeichniß. 


Sechstes Capitel. 


Francien. Verſchiedene Bedeutungen des Worts. Im Kanzleiſtyl der Karolinger, wie 
der Ottonen und der Salier, bezeichnet der Ausdruck das Land zwiſchen der 
Sachſengraͤnze und der Donau, zwifchen Saale und ben Weltgrängen der 
Sprengel Speier, Worms, Mainz. Nachweifung der Branfenlinie. Ingolitadt 
ein fränfifches Bisthum, das aber politifch zuweilen unter bairifcher Herrfchaft 
fland. Der Regensburger Sprengel bairifch. Die zwei ſüdlichen Marfen gegen 
die Böhmen mit dem Hauptort Regensburg, und gegen die Sorben mit den 
Einlapftätten Hallftadt und Erfurt. Diefelben find von Karl den Großen er: 
richtet worden, und dauerten ganz oder theilweife unter den Dttonen fort. Ihre 
Bedeutung für das richtige DVerftändnig der Gefchichte Branciend und Baierns 


Siebtes Capitel. 


Srancien. Die Nachkommen ded Könige Conrad I. Die vier falifchen Häufer: das 
von Worms mit feinen Nebenlinien; dad von Luxemburg; das von Aachen 
Tomberg; das elfäßifche von Egisheim. Entwicklung des Begriffs, den dad 
Wort „Salier, falifhe Abſtammung“ im 11. und 12. Jahrhundert hatte. . 


Achtes Capitel. 


Francien. Der Gleiberg'ſche Zweig des Luxemburger Stammes. Die Haͤuſer Arn⸗ 
ſtein, Lurenburg-Naſſau. Die Giſonen und Werner in Heflen. Die lanbgräflicge 
Dynaſtie von Thüringen. Die Grafen von Komburg . 


Neuntes Eapitel. 


Schwaben. Kirchliche und politifche Gränzen des Landes. Elſaß und Churwalen 
mit Alamannien verbunden. Die Stühle Straßburg, Chur, Conſtanz, Auge: 
burg. Der nörblie Theil des burgundiſchen Hochſtifts Bafel fleht unter 
deutſcher Hoheit. Bormio und Cläven ſchwaͤbiſch. Der Augsburger Krumm: 
ftab reicht in bairifches Gebiet hinüber. Metropolitangewalt von Rain ſammt 
Nachweis ihrer vollen Bedeutung. Die Großlehen Schwabens. Das Herzog: 
thum und ein Palatinat. Herrengeſchlechter: die Welfen von Ravensburg, die 
Zähringer, die Rheinfelder . 


Zehntes Capitel. 


Schwaben. Das Haus Habsburg. Biſchof Werner von Straßburg und feine Neffen. 
Ita von Lothringen , vermählt mit Rapoto. Der Burgunterfrieg. Erbauung 
der Habsburg und bed Stifted Muri. Hausgeſetz, das die Vogtei über Muri 
ſtets dem älteften Habsburger vorbehält. Vertrag von Othmwigen 


Eilftes Capitel. 


Schwaben. Die übrigen Herrengeſchlechter. Die Sollern, die Württemberg. Die 
Nellenburg, die Grafen von BeringensAltöhaufen,, die BregenzKyburger , bie 
von Urach⸗Achalm. Die Grafen von Berg und von Kirchberg. Die Grafen 
von Calw und von Tübingen. Das falifhe Haus von Egisheim im Elſaß. 
Papft Leo IX. Gründung des Klofters Woffenheim mit ver Vorſchrift, daß 
bie Vogtei ſtets dem Aelteſten des Geſchlechts zuſtehen folle . 


Zwölftes Capitel. 


Baiern. Allgemeine Züge. Wechſelnde Größe des Landes. Marken werben hinzugefügt 
und wieder weggenonmen. Bairifche Herzoge: Arnulfiden, das halbfächfiiche Haus, 
welches Heinrich I., Dtto’8 I. Bruder gründete; die Aenderungen, welche das 
entfcheidende Jahr 976 brachte. Bairifche Pfalzen. Zum minbeften gab es drei 
verſchiedene Balatinate, welche aber zugleich dad Krongut in den Nebenlanden 
verwalteten, und außerdem eine oberfte Pfalzbehörde oder ein Reichsſchatzamt 


Dreizehntes Capitel. 


Bairifhe Marken, die vereinigte Nabburger und Bamberger Marke, Stamm; 
mutter der Marfen Vohburg-Kambe, Giengen, Banz. Das Haus Henneberg. 
Die Marten Oſtrich, Steier, Oftlärnthen. Das Haus FormbachsPütten . 


Seite 


201 


239 


276 


295 


323 


340 


358 


389 


Inhaltsverzeichniß. 


Vierzehntes Capitel. 


Auſſtrebende Dynaſten in Baiern. Die Burggrafen von Regensburg. Die Häufer 
Schiren-Wittelsbach und Diffen- Andechs. Zuftänne des Tiroler Gränzgebiets 


Fünfzehntes Capitel. 


Kärntben. Gränzen. Herzoge des Landed. Die von dem Baier Markwart und dem 
Salier Otto gegründeten Häufer. Der Ezzonide Kuno. Germaniend ftändifche 
Rechte treten bei Abſetzung des Herzugd Adalbero hervor. Wilhelm von Sounc. 
Tie zu Kärntben gehörigen Marken Ayuileja, Iſtrien, Krain. Bairifche Balatine 
verwalten die in Kärnthen gelegenen Krongüter. Das Amt der Waltpodone 


Sechszehutes Eapitel. 


Schluß. Es gab ein doppeltes Baiern; ein marfgräfliches und ein herzogliches, die 
wohl unterfhieden werten müflen. Gränzen beider. Grundzüge des Syſtems 
deutſcher Coloniſation auf fühflamifhem Boren. Das Elawengefep von 955 


Siebzehutes Eapitel. 


Die Kammerländer der Kaiferfrone: Böhmen, Polen, Ungarn, die Gebiete der Elbe: 
tlaven, Italien. Der ungarifche Krieg im Eommer 1061 . . 2... 


Achtzehntes Eapitel. 


Urfacben und Folgen der Erblichwerdung aller großen Lehen: Gütereriverb der Dy: 
naſtengeſchlechter, greuliche Heurathben, Burgen, Wappen, Ritterfpiele (Tours 
niere). Berfuche der Regierung, den veränderten Umftänden gemäß neue Stügen 
Raatliher Ordnung zu fchaffen. Geheime Mittel des Schredend. Pinanzen 
der Krone. Dienſthandel. Plane einer allgemeinen Reichsſteuer und der Er: 
rihtung eines Soldbeerrd . . . . en 


Neunzehntes Capitel. 


Geſchichte des Pabſtes Stephan X. Gegner, die fih wider ihn erheben. Freunde, 
die für ihm einflehen. Anfänge der PBataria zu Mailand. Ariald, Landulf, 
Anielm, Biſchof von Lucca. Erfted Auftreten Hildebrande. Seine Gefandt: 
ichaft an den beutfchen Sof. Stephan X. entfchließt fich zun Kampfe wider 
vie Normannen und flirbt fehnell weg den 29. März 1058... 2... 


Zwanzigftes Eapitel. 
Ti 


[a } 


aus dem Haufe Tusculum zum Adelspabſte auf. Doch wird berfelbe in Kurzem 
genöthigt zu weichen. Erhebung des Kirchenpabfts Nikolaus II., nachdem eine 
deutfche Rathsverfammlung , deren Ort wir nicht kennen, entichieden hatte, daß 
hinfort die Römer und der ſaliſche Hof gemeinfchaftlih das Recht üben follten, 
Petri Etuhl zu befegen. Die Kaiferin Mutter Agnes mußte biefe Beichlüfle 
genehmigen. Synode von Sutri. Großes Concil im Lateran, gehnlten an 
Oſtern 1059. Damiani's Sendung nad) Mailand, durch welche die Bifchöfe 
Lombardiend gezwungen werden, bei dem vömifchen Goncile ſich einzufinden. 
Anfänge der Laufbahn des Hauptmanns Grlembald. Wahldekret des Pabſtes 
Nifelaus D. Sinn deſſelben. Berngar von Tours widerruft feine Keperei. 
Weil die Raiferin Mutter fi weigert, das römifche Kirchengut herauszugeben, 
unterhundelt Nifolaus II. mit den Normannen Apuliens. Kurze Geichichte 
verfelben. Eid der Treue, den Robert Witzkard als künftiger Schußvogt des 
römifhen Stuhles dem Babfte leiftet. Derfelbe zieht mit Heeresmacht nach 
Rom und züchtigt die widerfpänftigen Gapitane. Vorzeichen nahenden Bruches 
zwifchen dem falifchen Hofe und dem Pabſte. Ueberſicht der großen Erfolge, 
weiche Nikolaus in den übrigen katholiſchen Reichen des Abendlandes erringt. 
Gerhard, Graf von Galeria, plündert angelfächfifche Gefandte aus, welche nach 
Rom gekommen find. Diefe That gibt den legten Ausichlag, dag Nifolaus II. 
die der deuifchen Krone im Wahldekret von 1059 bewilligten Rechte widerruft 


XV 


Seite 
435 


467 


491 


500 


560 


Gapitane Roms werfen, nicht ohne Zuthun der Kaiferin Agnes, Benebift X. . 


576 


XVI Inhaltsverzeichniß. 


Einundzwanzigſtes Capitel. 


Agnes hatte die Burggrafenwürde Roms dem Herzoge Godfried entzogen, hatte bie 
Crescentier zu Stadtpraͤfekten, einen derſelben ſogar zum König⸗Statthalter 
ernannt, und hiedurch den Grafen Gerhard in Stand geſetzt, Petri Stuhl durch 
Beraubung der angelfächfiichen Geſandten toͤdtlich zu beſchimpfen. Lateran⸗ 
Concil vom Frühling 1061, auf welchem Nicolaus II. das dem deutſchen 
Könige ertheilte, Necht der Erelufive widerruft. Beurtheilung tiefer Maßregel. 
Shre Folgen: im Namen der bdeutfchen Kirche füntigt Hanno von Cöln dem 
Pabſte Nikolaus II. die Gemeinſchaft auf. Kurzes Schisma. Nikolaus I. 
ftirbt im Sommer 1061 . . ER 


Zweiundzwanzigftes Eapitel. 


Nach dem Tode des zweiten Nifolaus unterhandeln die Gregorianer mit dem beutfchen 
Hofe. Anſchläge der „Lombarbifchen Stiere” und der römifchen Gapitane. 
Die Vertheidiger der Kirchenfreiheit fommen ihnen zuvor und erwählen Ale: 
xander II. zum Statthalter Petri. Synode zu Bafel im derbſte 1061, welche 
den Parmeſanen Cadoloh zum Gegenpabſte aufwirft .. 


Dreiundzwanzigſtes Capitel. 


Benzo's Sendung nah Rom. Charakter dieſes Mannes. Sein Buch, dad ben 
Titel „Robrede auf Heinrih IV.” trägt, gibt merkwürdige Auffchlüfle. Die 
Theorie der Gibellinen. Göttlichfeit des Kaiſerthums, Sefulariiation des 
Kirchenguts, rung aller Lehen, Reichoſtener, Soldheer. Gelehrte ſollen 
an die Stelle der Cleriker treten. . ren 


Vierundzwanzigſtes Gapitel. 


Seite 


629 


636 


642 


| Bedeutung des Moͤnchthums und der reichsfürſtlichen Kloſterſtiftungen. Die Er- 


ziehung des jungen Adels in den Händen der Moͤnche. Rechtsſtudien zu 
S. Ballen. Sie hören auf mit dem Erblichwerden der größeren teen. Erſte 
Anfänge des Syſtems der Sechzehn⸗Ahnen-⸗Kinder . . .. 


Fünfundzwanzigſtes Capitel. 


Alexander II. und Cadaloh im Frühling 1062 zu Rom. Kämpfe daſelbſt zwiſchen 
beiben Partheien. Gin am ‚Rheine geführter Staatoftreig maqht dem n Getriebe 
ein Ende . . . 


661 


669 


Erites Bud. 


Bentlchland vom Code Heinrichs III. bis zur gelvalilamen 
Entfernung der Kailerin Mutter Agnes. 


October 1056 bis zum Frühling 1062. 


Blrörer, Babfk Gregorius vu. Br. 1. 1 


Erfles Eapitel. 


Kurzer Ueberbli der Zuflände des Reihe nach dem Tode Heinrichs III. Hanno, Erz⸗ 
bifchof von Eöln, wird den letzten Willen des verflorbenen Kaiſers gemäß Reichsver⸗ 
wefer und mit ber Kaiferin Mutter Agnes Dormünder des jungen Königs. Ber: 
bandlungen zu Göln im Dez. 1056 und Bertrag mit Godfrid von Lothringen:Gas 
noſſa. Agnes bricht denfelben und verdrängt Hanno aus dem Neichöregiment. Uns 
ruben in Deutichland. Folgen der Grblichkeit der Lehen. Webergang zur Gefchichte 
der deutfchen Dynaſtengeſchlechter. 


Es gibt Feine allgemeine, d. h. für alle Bälle paflende Methode der 
Geichichtichreibung, jondern jeder Stoff muß in der feiner Natur angemej- 
jenen Weiſe behandelt werden. Das Jahrhundert Gregors VII. zu ſchildern 
ift eine dornige Aufgabe, wie jchon daraus erhellt, daß troß dem heutigen 
Ueberfluß an Echriftftellern, welde das Leben einzelner hervorragender 
Männer des Mittelalters fchildern, nur wenige ©regor VII. zum Ge⸗ 
genftand wählten. 

Theild die Echwierigfeit an fich, mittelalterlibe Quellen recht zu be- 
nügen, welche nur durch fange Uebung überwunden werben fann, theils 
die Widerjprüche der einzelnen Berichterftatter, von denen viele nur halb, 
zuweilen gar nicht unterrichtet find, manche, was noch jchlimmer, abfidhtlich 
färben und nur wenige und durchaus nicht in allen Dingen die Wahrheit 
wien — denn diefelbe ift im Mittelalter häufiger als heut zu Tage in 
Geheimniß eingehülft worden; — weiter die Unfähigfeit gewifler neuerer Hi⸗ 
ftorifer, welche die allgemeine Kaiſer- oder Klirchengefchichte der mittleren 
Zeiten bearbeitet haben, endlich vor Allem der Parteigeift, der an jede 
Safer der Perfönlichfeit Gregor VII. fi andrängt, haben eine Maffe 
von Vorurtheilen verbreitet, ein Meer von Zweifeln aufgeregt. Noch ein 
bejondrer Stein des Anftoßes kommt hinzu. Kaum tritt und in der Ge- 
ihichte des 11. Jahrhunderts eine irgend wichtige Frage, eine Thatlache 
von Bedeutung entgegen, die nicht, um dem jetzigen Gelchlecht, das unter 
ganz andern Verhältniſſen lebt, verftänplich zu werden, forgfältiger Erläu- 
terung aus früheren Zuftänden bedarf. 

Alle diefe Knoten machen fich mit verboppelter Kraft in dem Augen⸗ 

| x 


4 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


blide fühlbar, da der Gruntftein des Gebäudes, an dem der Verfaſſer 
vorliegenden Werks ſeit Jahren arbeitet, gelegt werden fol. Um nichts 
zu übergehen, was nöthig feheint, möchte man da und dort anfnüpfen, am 
liebften vom Gi anfangen. Letzteres haben Die meiften mittelalterlichen 
Ehroniften gethan, indem fie mit Erſchaffung der Welt, oder doch mit der 
Menſchwerdung Jeſu Ehrifti anheben. Es war feincswegs bloße Einfalt, 
was fie zu dieſem Mißgriff verleitete, fondern ein in dem Stoffe begrün- 
deter Reiz. Allein eine ſolche Methode gebiert, heute angewendet, jene 
endlojen Einleitungen, weldhe das Grab guter Geichichtichreibung find. 

Die goldne Regel des alten Dichterd muß eingehalten werben: in 
medias rapit res. Und damit gleichwohl aud) ten andern, oben angedeuteten 
Berürfniffen Genüge geichehe, tft nöthig, die Erzählung alfo abzumeffen 
und einzutheilen, daß der Leſer felbit Belchrung aus früheren Zuftänven 
fordern, und aljo thatſächlich den Weg, den man ihn führt, billigen muß. 

Zum Ausgangspunkt wähle ih den Tod des Kaiſers Heinrich III., 
der den 3. October 1056 zu Botfeld im Harz, umgeben von Pabſt Vic 
tor II. und ſehr vielen Großen des Reiches, verfhied. Mit diefem Ereig- 
niffe tritt die Wirkjamfeit des Cardinals Hildebrand marfiger, als früher, 
hervor, obgleih er ſchon feit 1045 große Dinge verrichtet hatte — mit 
demfelben Ereigniſſe beginnt die Regierung Heinrichs IV., die Vormund⸗ 
Schaft feiner Mutter, der Kaijerin Agnes von Poitou, endlich die politifche 
Molle des Cölner Erzbiſchofs Hanno, cined Kirchenfürften, der neben dem 
größten der Päbſte eine eigenthümlihe und mit Nichten untergeorbnete 
Stellung einnahm. 

Cterbend hinterließ der zweite Salier dad Reich in einem halben 
Schiffbruch. Ich bemerfe auf Treu und Glauben, werde aber jpäter aus 
führlihe Beweife beibringen, daß Heinrid II. in den legten Jahren mit 
der römifchen Kirche, mit allen ihr ergebenen Mitgliedern des hohen deut: 
chen Clerus, mit den beiden Kronen Frankreich und Ungarn, endlich 
mit 10 der angejehenjten Reichsfürften förmlich gebrochen hatte. Letztere 
schn find: erſtlich des Kaiferd Ohm, Biſchof Gebehard von Regensburg, 
welder vom Dez 1055 bis zum Frühling 1056 als Etaatögefangener 
auf ten Schlöfern Wilflingen und Hohenſtoffeln ſaß; zweitens Herzog 
Godfried von Lothringen-Brabant, der bis zum Sommer 1056 geädtet 
war, der weiter Rechenſchaft für Verhaftung feiner zweiten Gemahlin Bea 
trir von Canoſſa und für den Tod zweier ihrer Kinder, der endlid Erfah 
für die entzogenen Fahnen von Brabant und Lothringen forderte; drittend 
das Welfenhaus von Ravensburg, deſſen letztes männlihes Haupt neulich 
auf jehr verbächtige Weile wegftarb; viertens die Ezzoniden von Aachen, 
benen der im Dez. 1055 vergiftete Cuno, ehemald Herzog von Baier, 
aber ſeit mehreren Jahren abgefet, angehörte; fünftene da Haus von 


Erſtes Buch. Cap. 1. Ueberſicht der Zuſtaͤnde des Reiche. 5 


Dennegau, deſſen Erbin Richildis durch ein Geſetz des Kaiſers vom Früh—⸗ 
ing 1054 zur Hochverrätherin geſtempelt war; ſechstens das Haus von 
Bar: Mümpelgard, an deſſen Spike die Schwefter der Canofjanerin Bea⸗ 
rir, Sophia, ftand; ſiebtens das elfäßiiche Haus von Egidheim, deſſen ers 
auchteften Eohn, den Pabft Leo IX., der Salier langfam zwiſchen den 
jahren 1049 und 1054 zu Tode gemaßregelt hatte; achtens der über- 
nächtige Markgraf Balduin von Flandern, der eine langjährige Fehde wi⸗ 
ver den Kaiſer bis zu deſſen Tode fortfegte; neuntens die fächfiihen Bil- 
ungen, zwiſchen weldhen und dem Faiferlihen Hofe bittere Feindſchaft 
verrichte; zehntens ein fonft nicht näher befannter auf der bairiichen Gränze 
mjäßiger Markgraf Dtto, (wahrſcheinlich von Steier), deſſen Güter durch 
Srlaß vom 30. Dec. 1055 eingezogen wurden. 

Zwar that Heinrid) III., geängftigt durch die Zeichen nahenden Stur⸗ 
ned, im Sommer 1056, dem legten ſeines Lebens, verjühnende Schritte: er 
etzte den Oheim in Freiheit, er bot der Gemahlin Godfrieds Wiederher⸗ 
teilung in alle ihre italienijchen Güter an, er befchwichtigte das Welfen- 
aus wie die Ezzoniden durch gewiffe Zugeftänpniffe, von denen fpäter die 
Rede fein wigg. Aber weil Niemand dem Charakter des Kaiſers traute, 
rzeugte jeine Nacgiebigfeit faum einen Schein von Frieden: die allge: 
eine Gährung dauerte fort. Heinrich II. erkannte dieß felbft durch Die 
Ehat an, denn er griff zu einem außerordentlihen Mittel, indem er ben 
on ihm neulidy eingejegten Pabſt Victor II., ehemaligen Biſchof von Eich- 
tt, über die Alpen herüberrief, um wo möglich eine allgemeine Empörung 
baumwenten. Aus dieſem Anlafje geſchah es auch, daß Victor II. ven 
etzten Stunden des Saliers anwohnte. ') 

Dieß war die Lage der Angelegenheiten des Reichs, als die Regie: 
ung durch Heinrichs III. Tod in die Hände eined unmündigen, gleidhna= 
gen Sohnes — Heinrichs IV. — übergieng, der, obgleich ſchon 1054 zum 
tönige gelalbt °), Doch damals nit volle 6 Jahre zählte. Denn Heinrich 
V. ift ten 11. Nov. 1050 geboren worden, das Jahr bezeugt) Herr: 
ann der Lahme von Reichenau, den Tag’) Lambert von Hersfeld. Ein 
uter Theil der Llebel, mit denen der junge König ſpäter zu kämpfen hatte, 
me auf Rechnung der vom Vater begangenen Fehler geichrieben werben. 

Wer hat nun die Vormundichaft des Knaben übernommen? Bel 
Den gejitteten Nationen, namentlih auch bei den Deutfchen, war es alter 
raub, daß wenn minderjährige Fürften zur Herrichaft gelangten, bie 
berlebende Mutter den nächften Antheil an der Regierung empfieng. Aber 
t dieß nicht etwa ausdrücklich durch den legten Willen des fterbenven Kai⸗ 


1) Die Belege für das Bishergefagte findet man im vorleßten Gapitel des achten 
uchs. 3) Berg V, 156. 3) Ibid. 129. ) Ibid. 155. 


6 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


ſers beftimmt worden? Kein Zeugniß liegt vor, welches fo etwas Har aus⸗ 
fagte. Doch fpreden die beften Quellen in der Art, daß man nicht zwei- 
feln fann, es ſei ein geſetzlicher Akt gewelen, vermöge deſſen Kaiſerin 
Agnes die Bormundihaft übernahm. Lambert fchreibt: ) „das Meich erbte 
der fünfjährige Heinrich IV., aber die Staatdgewalt und die Enticheidung 
der öffentlichen Angelegenheiten blieb in den Händen der Kaiferin Agnes.“ 
Bernold braucht?) die Wendung: „nach dem Tode Heinrich® IH. begann des 
Verstorbenen Eohn, der unmündige Heinrid IV. fammt feiner Mutter 
Agnes zu regieren.” 

Man fann fi zum Beweife des eben ausgeiprocdhenen Satzes nod) 
auf eine weitere Thatjuche berufen. Lambert erzählt, ) Kaifer Heinrich II. 
habe im Jahre 1056 das erledigte Herzogthum Baiern an feine Ge- 
mahlin mit vollem Eigenthumsrecht übertragen. Sodann berichtet ) Bonizo, 
Biihof von Sutri, einer der erheblichften Zeugen für die Geſchichte ber 
zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, daß der Kaiſer jchon im Sommer 
1056 an Bieberanfällen litt; endlich behauptet *) der Biograph Hanno's 
von Göln, diefer Kirchenfürft habe ſeit längerer Zeit den Tod Heinrich's III. 
vorausgefehen, Unter ſolchen Umftänden wird man auf die Vorausfegung 
hingedrängt, daß der Kaiſer jelbft ein nahes Ende erwartete, und daß er 
Baiern feiner Gemahlin als Witthum zugewiefen hat. Nun fcheint mir 
unzweifelhaft, daß Heinrih der Withve eine fo wichtige Provinz nicht an- 
vertraut haben würde, wäre es feinem Willen entgegen geweien, daß 
Agnes Theil an der Regentſchaft nehme. Mit feiner Zuftimmung muß 
vielmehr die Wittwe Negentin geworden fein. 

Eine andere Frage aber ift, ob er nicht Fraft feines legten Willens 
der Kaijerin, die, wenn auch eine fähige Frau, doch, wie der Erfolg be- 
wies, an vielen weiblichen Schwächen litt, einen erprobten Staatsmann ale 
Mitregenten zur Seite geftellt habe? Die Annaliften des Reiche, Lambert, 
Berthold, Bernold, Effehard u. |. w. beobachten hierüber Stillſchweigen, 
gleichwohl fteht feit, daß der ſterbende Kaiſer allerdings dem Erzbifchofe 
Hanno von Eöln das fragliche hohe Amt anvertraut hat. 

Die Sache, von der ich rede, ift von größter Bedeutung; denn, wird 
die Frage bejaht, jo begreift man, daß, abgejehen von weiteren Puntten, 
gewiffe Vorgänge des Jahres 1062, die der Parteigeift merkwürdig ver: 
drehte, ein ganz anderes Licht empfangen. Man muß daher Borfiht an- 
wenden. Die Parteiung, welde in den jpäteren Jahren Heinrich's IV. 
das ganze Reich ergriff, fpiegelt fih auch in der hiftoriichen Literatur ab. 
Es gibt unter den gleichzeitigen Chroniften vier verfchiedene Claſſen: ſolche, 


!) Ipid. 158. 2) Berk V, 427. 3) Defele Scriptores rerum boic. II, 804, b. 
%) Berg XI, 469, b. 


Erſtes Bud. Gap. 1. Ueberſicht der Zuflände des Reiche. 7 


welche den Hof, ſolche, welche die Kirche vertheidigen; einen, der für Hanno 
und die Wahrheit ſchrieb — ich meine Lambert von Hersfeld; und endlich 
neutrale. Sobald Bertreter aller diefer vier Meinungen bezüglich eines 
Gegenftandes übereinftimmen, fo muß, was fie jagen, als eine unzweifelhafte 
Thatſache betrachtet werden. 

Genau dieß gilt von der Reichsverweſerſchaft des Eölner Metropoliten 
Hanno. Bilhof Benzo von Alba, ein rüdfichtslofer Gibelline — man 
erlaube mir das Wort — und bitterer Feind der römifchen Kirche, fonft 
aber ein Zeuge von hohem Werth, führt‘) den Cölner Metropoliten alfo 
edend ein: „Kaijer Heinrich III. hat mich aus dem Staube hervorgezogen, 
hat midy über alle andern Fürften geftellt, hat mich gleihfam zum zweiten 
Herm im Reihe gemadt, ja ſoviel that er für mid, daß mehr zu thun 
gar nicht möglich war.” Diefe Worte haben entweder feinen Sinn, oder 
bejagen fie, daß der Cölner Hanno von Heinrich III. fraft feines letzten 
Willend neben der Kaiferin Dlutter, oder vielmehr eine Stufe über ihr, zum 
Reichsverweſer bejtellt worden if. Nun eben dieß bezeugt Abt Hugo von 
Flavigny, cin gregorianiſch, d. h. Firchlich gefinnter, aber fonft gut unter- 
richteter Ehronift. Derjelbe meldet: ) „nad des Kaijerd Heinrich III. Tode 
blieb die Kaiferin zurid und deren unmündiger Sohn, welder das Neid 
unter Vormundſchaft des Cölner Erzbiihofs Hanno übernahm“. Man be: 
merfe wohl: vermöge der offenbar abſichtlich gewählten Stellung feiner 
Worte fchreibt Hugo das Reihöverweieramt nur dem Erzbiſchof, nit auch 
der Kaijerin Wittwe zu. Ein dritter Zeuge, welcher ven Neutralen zuges 
zählte werden mag, und in der That ebenjo unſchuldig als farblos ift, aber 
als Zeitgenofje beichreibt, was er felbft erlebt hat, der älteſte Chronift von 
Trier nemlid, jagt: ’) „Hanno von Cöln war durch Kaifer Heinrih zum 
Bormünder des Reihe und jeined Sohnd des minderjährigen Heinrich eins 
geſetzt worden.” 

Wie oben bemerft worden, jchweigt der Hersfelder Lambert gänzlich 
von der Sache, aber ein jonft unbekannter Mönch aus dem Klofter Sieg: 
burg, der offenbar nad) den Weberlieferungen und Aufſätzen Lamberts eine 
Lebensgeſchichte des Cölner Erzbiſchofs verfaßte, ſchweigt nicht, ſondern 
wirft *) folgende Bemerkung hin: „dem Coͤlner Erzbiſchof ward die Aufgabe zu 
Theil, des verftorbenen Kaiſers Eohn, welcher Krone und Namen des Vaters 
erbte, zur Ehre des Reichs und der Klirche aufziehen, was ihm den Neid Vieler 


) Berg XL, 633. :) Verb VIII, 408, et remansit Agnes cum filio parvulo, 
qui et regnum obtinuit sub tutore regni Annone Coloniensi archiepiscopo. *) Ibid. 
174. Hanno Coloniensis, quem tutorem regni ac filii sui Heinrici Heinricus imperator 
constituerat. %) Berk XI, S. 470, a. Heinrici fillum, nominis et regni heredem, 
ad honorem imperii et ecclesiae provectum suscepit nutriendum, multorum per hoc in- 
vidiam contra se accendens. 


8 u Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


auf den Hals lud.“ Wer fühlt nicht, daß letzterer Sat aus dem Leben 
gegriffen if. Im Uebrigen jchloß die Erziehung des Thronerben eine Bors 
mundichaft in ſich. 

Vollkommen feſt ſteht alſo, daß Erzbiihof Hanno vom verſtorbenen 
Kaiſer zum Reichsverweſer und Vormünder ſeines Sohnes beſtellt worden 
iſt. Auch hat Hanno als ſolcher unmittelbar nach Heinrich's III. Tode ge⸗ 
amtet, aber nur kurze Zeit, oder beſſer nur bei einem nachweisbaren Akte, 
dem allerdings außerordentliche Wichtigkeit zukommt. 

Zwei brennende Fragen waren aus den letzten Zeiten der Regierung 
des verſtorbenen Kaiſers unerledigt an die neue übergegangen: die Befrie⸗ 
digung des Flamänders Balduin, der, wie ſchon oben bemerkt worden, ſeit 
einer Reihe von Jahren in faſt ununterbrochener Fehde mit dem kaiſerlichen 
Haufe lag; und zweitens eine Auscinanderfegung mit Herzog Godfried und 
feiner zweiten Gcmahlin, Beatrir von Canofja, welde beide über große 
Unbill zu klagen hatten. 

Wegen diefer Angelegenheiten wurde — wie e8 jcheint, als erfte 
größere Mafregel des neuen Reichsregiments — eine Rathsverſammlung 
zu Cöln gehalten. Der niederländiihe Ehronift Eigebert von Gemblours 
iſt es, der hievon Nachricht gibt,') doch ohne die Zeit zu beſtimmen. Ins 
deß wird letzterer Mangel ergänzt durch eine Urkunde?) weldhe der unmüns 
dige König — oder vielmehr in feinem Namen die VBormünder — als die 
zweite befannte der neuen Herrichaft unter dem 5. Dez. 1056 zu Eöln 
ausftellten. Das wird, ja muß während der Rathöverfammlung gefchehen 
fein, denn nur bis etwa Mitte Dezember blicb der junge König am Nieber- 
shein, Weihnachten feierte °) er in dem entlegenen Regensburg. Erzbiſchof 
zu Cöln war befanntlid Hanno. Erhelt nun nicht aus der Wahl des 
Orts, daß er bei dem, was dort im Dezember -vorging, die Hände im 
Spiel hatte! Auch der Inhalt der gefaßten Beichlüffe bürgt dafür. 

Nah den angeführten Worten berichtet Sigebert weiter: „zu Eöln 
feien unter Vermittlung ded Pabſtes Victor IT. Godfried und Balduin 
zufrieden geftellt, auch andere Anläffe zu Fehden jeien befeitigt worden.“ 
Bictor U. hat demnach bei jenem Anlaffe entfcheidenden Einfluß geübt. Treff: 
lich flimmen hiezu die Aeußerungen eined Schreibens, das Abt Peter Das 
miani, nachmaliger Cardinal der römijchen Kirche, von dem in vorliegen- 
dem Werke vielfach die Rede fein wird — cin fehr gut unterrichteter 
Zeitgenofje, an Pabſt Victor IL unmittelbar nad) deffen Rückkehr über vie 
Alpen richtete %): „der Allmächtige hatte dir nah dem Tode des Kaiſers 
gleihfam das Steuerruder des ganzen römiſchen Reiches übertragen.“ 


!) Bere VL, 360. 2) Böhmer Regeften a Conrado rege Nr. 1697. *) Berk V, 
158. *) Epist. I, 5. Opp. Petri Damiani (Paris 1642 Fol.) Vol. I, 3, b. flg. 


Erſtes Bu. Gap. 1. Weberfiht der Zuflände bes Meiche. 9 


Allein über Art und Weiſe, wie mit Godfried und Balduin Frieden 
geſchloſſen wurde, ſchweigen, mit Ausnahme eines Einzigen, ſämmtliche 
Chroniſten. Dieſer Eine aber — Lambert von Hersfeld — braucht ge⸗ 
heimnißvolle Wendungen, fo daß man ſieht, er wagte nicht offen auszu⸗ 
ſprechen, was er wußte Lambert jagt ') nemlih: „Pabſt Victor kehrte 
über die Alpen zurüd, nachdem die Angelegenheiten des Reichs nicht fo, wie 
ed im Einne des Öffentlihen Wohles gewünfcht werden mußte, fondern jo 
wie es eben die Umftände geftatteten, "geordnet worden waren.“ Deutlich 
gibt er zu verftehen, daß bedeutende Hafen übrig blieben. Eben von Ent» 
büllung diefer Hafen hängt, wie der Erfolg zeigen wird, guten Theile 
das richtige Verftändniß der Geſchichte Gregors VII. und Heinrichs IV. ab. 

Glücklicher Weiſe kann man etlihe Hauptpunfte der Cölner Verhand⸗ 
lungen vom Dezember 1056 mittelft gelegentlicher Bemerkungen anderweis 
tiger Zeugen feftftellen. Um dieß zu zeigen, ift nöthig, daß ich auf gewiſſe 
Maßregeln des verftorbenen Kaiſers zurüdgreife. 

Als der Salier Heinrich II. nad Leo's IX. Tode im Jahre 1055 
den damaligen Bifchof Gebehard von Eichftätt zum Pabſte ernennen 
wollte, machte diefer folgende Bedingungen der Annahme: erfilih müfje der 
Kaiſer gewiffe Bisthümer, Städte, Landichaften, die dem römiſchen Etuhle 
mit Unrecht entzogen worden, zurüd erftatten; zweitens müfje Heinrich II. 
auf das Patriciat, deſſen Einnbild ein goltner Reifen war, verzichten. 
Unter Patriciat verftand man die Befugniß, welche Dtto I. im Jahre 962 
und welche weiter ihm nachahmend Kaifer Heinrih IM. 1046 an fih ge 
bracht hatte, Päbſte nah Gutdünken einzuſetzen. Der Salier, der da— 
mals bereitö in ſchwerem Gedränge war, bewilligte die Forderungen Gebe: 
hards: er gab ?) die Marken Epoleto und Camerino (vielleiht auch noch 
andere Orte) — vorerft nur für die Lebensdauer des neuen Pabſtes — zurüd; 
er entüußerte fich weiter auch des Patriciats.“ Und jest erft beftieg Gcbr> 
hard unter dem Namen Victor IT. Petri Stuhl. 

Nun hat die Kaiferin Wittwe Agnes, wie tie nachfolgende Erzählung 
darthun wird, jo lange fie die Gewalt beſaß, unabläßig darnach geftrebt, 
das Patriciat wieder mit der deutſchen Krone zu vereinigen, auch nicht eher 
geruht, bis eine Parthei römijcher. Kapitane im Herbjte 1061 ihr auf der 
Synode von Bajel das erichnte Gut und deſſen Einnbild den goldenen 
Reifen überreihte. Wäre daher zu Cöln ihr Wunſch durchgeſetzt worden, 
jo würde fie Beides, den Reifen und die Würde, ſchon dort erlangt haben. 
Aber es ging anders: das Patriciat ijt nicht ihr, jondern einem dritten, 


') Pertz V, 158, Mitte. 3) Die hauptjächlichften Beweidftellen find Perg VIL, 
265 Mitte und Defele IL, 804 unten. Andere werde ich im vorlegten Gapitel des achten 
Buched beibringen. 


10 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


dem Lothringer Herzog zugejprochen worden. Dieſe Thatſache bezeugt der 
Mönch von St. Hubert, ein Zeitgenoffe, der, wie aus andern Angaben 
hervorgehen wird, mit den Verhältniffen Godfrieds vertrauter war als irgend 
ein anderer Ehronift. Derfelbe ſchreibt): „Gottfried war einft Batricier 
der Stadt Rom, Burggrav von Ancona, Marfgraf von Piſa und 
Gebieter über die ganze Strede Italiens, die zwiſchen der tuschichen Küfte 
und der von Ancona liegt." Noch ein weiterer Zeuge, ebenfalls Zeit: 
genofle jagt) Aehnliches — obgleich nicht fo beftiimmt — aus, indem er 
Godfried einen Bannerträger von Rom (gleihbedeutend mit Patricius) 
einen Markgrafen Italiens, einen Herzog von Lothringen nennt. Die Zeit 
da Godfried das Patriciat verwaltete und die andern Ehren genoß, fällt 
nothwendig zwifchen die zweite Hälfte des Jahres 1056 und den Herbft 
1061. Denn im Frühjahr 1056 war er noch ein Geächteter, und im 
Oktober 1061 gelangte, wie unten gezeigt werden foll, Patriciat und Ring 
an die Kaijerin Agnes zurüd. Zu dem Befite des Patriciatd aber Fann 
er nur in Cöln gekommen fein auf jener Rathöverfammlung, welche die 
Verhältniffe des Reichs im Allgemeinen und Staliend insbefondere neu 
regelte. — 

Nun fage ih: von den beiden Vormündern, die im Namen ded min- 
derjährigen Königs regierten, ift es nicht die Katferin Mutter gewefen, die 
das Patriciat in die Hände Godfrieds niederlegte, denn dieſer Aft wider⸗ 
firebte ja durchaus ihren Abfichten; folglih war e8 Hanno, der die Maß: 
regel durchjegte. Sehr gut ftimmen hiezu die übrigen befannten Handlungen 
des Eölner Erzbiſchofs. Die Gefchichte feiner Verwaltung beweist, daß er 
den h. Stuhl nicht gefnechtet, fondern Die Wahlfreiheit — allerdings inner: 
halb gewilfer Schranfen — gewahrt wiffen wollte. Aud hat Hanno das 
PBatriciat dem Lothringer, mit dem er feitvem — eine Ausnahme abge- 
rechnet, von der weiter unten die Rede jein wird, — in gutem Einver- 
nehmen ftand, nicht ohne Bedingungen überlaffen. Godfried follte ale 
PBatricier thun, was das Wohl des Reiches erheifchte, deſſen Verweſer 
Hanno war. Im Grunde rechnete der Erzbifchof mit einem Schlage zwei 
verjhiedene Zwede zu erreichen; durch Weberantwortung des Patriciats an 
Godfried wollte er dieſes gefährlihe Amt den chrfüchtigen Händen ber 
Kaijerin entrüden, und zugleich die Häupter der päbftlichen Parthei — ich 
werde fie ftetd Oregorianer nennen — nöthigen, daß fie auf die Vorjchläge 
eingehen, die er bezüglich der Pabftwahl zu machen gefonnen war. 

Zweitend Kaifer Heinrich III. hatte die Marken Spoleto und Game: 


i) Berg VII, 581 oben. ?) Berg XII, 115 Mitte. Godefridus signifer roma- 
nus, marchio Italiae (offenbar iſt der Ausdruck abfichtlich gewählt, weil Godfried Marks 
graf nicht bloß in Spoleto, oder in Tuscien, fondern von einem Meer zum andern war, 
darum Italiae) dux Lothariae. 


Erſtes Buch. Gap. 1. Weberficht der Zuſtaͤnde des Reiche. 11 


rino, wie bereitS bemerkt worden, nur auf die Lebensdauer Victors II. an 
die römijche Kirche erftattet. Faſt nothwendig mußte in Eöln zur Sprache 
fommen, was aus denjelben werben ſolle. Nun war zwar die Rüdgabe 
der im Sommer 1055 eingezogenen ſehr großen Güter des Hauſes Kanofia 
an die Herzogin Beatrir (die zweite Gemahlin Godfrieds) und an deren 
Tochter Mathilde vom Kaijer etlihe Monate vor feinem Tode (laut dem 
Zeugniffe ) Bonizo8) angeordnet worden. Aber auch für fi) verlangte 
Godfried Recht, und begehrte Erſatz für die beiden Fahnen Brabant und 
Lothringen, deren der Katjer ihn in früheren Jahren entjegt hatte. Man 
fonnte ihm die eine oder die andere für den Augenblid unmöglich zurüd- 
geben, denn jene trug damals der Luremburger Friedrich, dieſe trug der 
Elfäßer Gerhard zu Lehen. ?) 

Ohne Zweifel ift er auf die künftige Wiederherftellung in Brabant — 
nemlich nach Friedrichs Tode — vertröftet worden, denn gleich nachdem 
Friederich geftorben, erhielt Godfried die erledigte Fahne zurüd. Allein 
Godfried verlangte baldigen Erfab und zwar einen foldhen, der fich mit 
feiner Stellung ald Gemahl Beatricend vertrage. So verfiel man denn 
auf den Ausweg, ihm außer der Anwartihaft Brabantd auch die der 
Marken Epoleto und Camerino — nemlih nach dem Tode Victors II. und 
bis zu Erledigung eined der deutſchen Herzogthümer zu eröffnen. 

Die eben erwähnte Thatfache fteht feſt. Nicht nur erhellt ) aus Ur⸗ 
funden, daß Godfried unmittelbar nach dem Tode Victors II., der im Hoch⸗ 
jommer 1057 ftarb, den Titel Herzog, Marfgraf von Epoleto annahm, 
fondern auch Benzo bezeugt *) ausprüdlich, Godfried habe jofort die beiden 
Marten beſetzt. Nirgends ftößt man auf eine Spur von Klagen über 
folhes Verfahren. Man muß hieraus den Schluß ziehen, daß Godfried 
in feinem Rechte war, oder mit andern Worten daß er auf einen Vertrag 
fußte. Dieſes Recht aber kann er nur durch die Verhandlungen zu Cöln 
envorben haben. 

Die Uebertragung der Marken an Godfried verftieß hart gegen wohl; 
begründete Anſprüche der römiſchen Kirhe, denn ihr und Niemand fonft 
gehörten fie, wenn anderd die von den alten Kaifern, von Karl dem 
Großen, von Dtto I., von Heinrich II. gewidmeten Schenfungen geachtet 
wurden. Allem Anſcheine nah haben in Betreff der Marken die Kaiferin 
Agnes und Godfried dort zu Cöln zufammen gefpielt. Begreifliher Weiſe 
hörte der Xothringer dieſe Melodie gerne, denn wo wird ein Ehrgeiziger 





1) Defele IL, 804, b. ?) Das ift alles im vorlegten Bapitel des achten Buche 
haarklein nachgewiefen. 2) Fatteschi memorie riguardanti la serie dei duchi etc. 
Camerino 1801, ©. 113. Gin Werk von hohem Werthe. %) Bere XI, 618 untere 
Mitte. 


10 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


dem Lothringer Herzog zugeiprochen worden. Dieſe Thatſache bezeugt der 
Mönch von Et. Hubert, ein Zeitgenoffe, der, wie aus andern Angaben 
hervorgehen wird, mit den Verhältniffen Godfrieds vertrauter war als irgend 
ein anderer Ehronift. Derjelbe fchreibt '): „Gottfried war einft Batricier 
der Stadt Rom, Burggrav von Ancona, Markgraf von Piſa und 
Gebieter über die ganze Strede Italiens, die zwiſchen der tusciſchen Küfte 
und der von Ancona liegt." Noch ein weiterer Zeuge, ebenfalls Zeit 
genofje jagt ?) Aehnliches — obgleich nicht fo beftimmt — aus, indem er 
Godfried einen Bannerträger von Rom (gleihbeveutend mit Patricius) 
einen Marfgrafen Italiens, einen Herzog von Lothringen nennt. Die Zeit 
da Godfried das Patrictat verwaltete und die andern Ehren genoß, fällt 
nothwendig zwifchen die zweite Hälfte des Jahres 1056 und den Herbft 
1061. Denn im Frühjahr 1056 war er noch ein Geächteter, und im 
Dftober 1061 gelangte, wie unten gezeigt werben jol, Patrictat und Ring 
an die Kaijerin Agnes zurüd. Zu dem Befite des Patriciats aber kann 
er nur in Cöln gefommen fein auf jener Rathöverfammlung, welcde die ° 
Verhältniffe des Reichs im Allgemeinen und Staliend indbefondere neu 
regelte. — 

Nun fage ich: von den beiden VBormündern, die im Namen des min- 
derjaͤhrigen Königs regierten, ift es nicht die Kaiferin Mutter gewefen, die 
das Batriciat in die Hände Godfrieds nicderlegte, denn dieſer Aft wider 
ftrebte ja durchaus ihren Abfichten; folglih war es Hanno, der die Maß: 
regel durchſetzte. Sehr gut ftimmen hiezu die übrigen befannten Handlungen 
des Eölner Erzbiſchofs. Die Gefchichte feiner Verwaltung beweist, daß er 
den h. Stuhl nicht gefnechtet, jondern die Wahlfreiheit — allerdings inner: 
halb gewiffer Schranfen — gewahrt wilfen wollte. Auch hat Hanno das 
PBatriciat dem Lothringer, mit dem er feitvem — eine Ausnahme abge: 
rechnet, von der weiter unten die Rede fein wird, — in gutem Einver- 
nehmen ftand, nicht ohne Bedingungen überlaffen. Godfried follte als 
PBatricier thun, was dad Wohl des Reiches erheilchte, deſſen Verweſer 
Hanno war. Im Grunde rechnete der Erzbifchof mit einem Schlage zwei 
verjchiedene Zwede zu erreichen; durch Ueberantwortung des Patriciats an 
Godfried wollte er dieſes gefährliche Amt den ehrfüchtigen Händen ver 
Kaiferin entrüden, und zugleih die Häupter der päbftlihen Parthei — id 
werde fte ſtets Oregorianer nennen — nöthigen, daß fie auf die Vorfchläge 
eingeben, die er bezüglidy der Pabſtwahl zu machen gefonnen war. 

Zweitens Kaifer Heinrich II. hatte die Marken Epoleto und ame: 


') Perg VII, 581 oben. ’) Berk XII, 115 Mitte. Godefridus signifer roma- 
nus, marchio Italiae (offenbar iſt der Ausdruck abfichtlich gewählt, weil Godfried Marl: 
graf nicht bloß in Spoleto, oder in Tuscien, fondern von einem Meer zum andern war, 
darum Italiae) dux Lothariae. 


Erſtes Buch. Gap. 1. Weberficht der Zufände bes Reichs. 11 


rino, wie bereitö bemerft worden, nur auf die Lebensdauer PVictors II. an 
die römijche Kirche erftattet. Faſt nothwendig mußte in Cöln zur Sprade 
fommen, was aus denjelben werden jolle. Nun war zwar die Rüdgabe 
der im Sommer 1055 eingezogenen fehr großen Güter des Haufes Canoſſa 
an die Herzogin Beatrir (die zweite Gemahlin Godfrieds) und an deren 
Tochter Mathilde vom Kaifer etlihe Monate vor feinem Tode (laut dem 
Zeugnifte *) Bonizo8) angeordnet worden. Aber auh für fi verlangte 
Godfried Recht, und begehrte Erfah für die beiden Bahnen Brabant und 
Lothringen, deren der Kaiſer ihn in früheren Jahren entjegt hatte Man 
fonnte ihm die eine oder die andere für den YAugenblid unmöglid zurüd- 
geben, denn jene trug damals der Luremburger Friedrich, dieſe trug ber 
Elſäßer Gerhard zu Lehen. ®) 

Dhne Zweifel ift er auf die fünftige Wiederherftellung in Brabant — 
nemlih nad Briedrihd Tode — vertröftet worden, denn gleich nachdem 
Friederich geftorben, erhielt Godfried die erledigte Fahne zurüd. Allein 
Godfried verlangte baldigen Erfag und zwar einen folden, der ſich mit 
jeiner Stellung als Gemahl Beatricend vertrag. So verfiel man denn 
auf den Ausweg, ihm außer der Anwartichaft Brabants auch die ber 
Marken Epoleto und Bamerino — nemlich nah dem Tode Victor IT. und 
bis zu Erledigung eines der deutfhen Herzogthümer zu eröffnen. 

Die eben erwähnte Thatjache ſteht feſt. Nicht nur erhellt) aus Ur⸗ 
bunden, daß Godfried unmittelbar nad) dem Tode Victor II, der im Hoch⸗ 
jommer 1057 ftarb, den Titel Herzog, Markgraf von Spoleto annahm, 
iondern auch Benzo bezeugt *) ausdrüdlich, Godfried habe jofort die beiven 
Marten beſetzt. Nirgends ſtößt man auf eine Spur von Klagen über 
ſolches Berfahren. Man muß hieraus den Schluß ziehen, daß Godfried 
in jeinem Rechte war, oder mit andern Worten daß er auf einen Vertrag 
fußte. Dieſes Recht aber fann er nur durch die Verhandlungen zu Eöln 
erworben haben. 

Die Uebertragung der Marken an Godfried verftieß hart gegen wohls 
begründete Anſprüche der römiſchen Kirche, denn ihr und Niemand fonft 
gehörten fie, wenn anderd die von den alten Kaifern, von Karl dem 
Großen, von Dtto I., von Heinrich II. gewidmeten Schenfungen geachtet 
wurden. Allem Anicheine nad haben in Betreff der Marfen die Kaijerin 
Agnes und Godfried dort zu Eöln zufammen gejpielt. Begreifliher Weile 
hörte der Lothringer diefe Melodie gerne, denn wo wird ein Ehrgeiziger 


— — 





) Defele II, 804, b. ?) Das iſt alles im vorletzten Capitel des achten Buche 
baaıflein nachgewiefen. 3) Fatteschi memorie riguardanti la serie dei duchi etc. 
Camerino 1801, ©. 113. Gin Werk von hohen Werthe. %) Bere XI, 618 untere 


Mita 






12 Zeitalter. 

nicht mit beiden Händen greifen. tor man ihm foldhe Dinge in Auss 
fiht ſtellt! Warum aber vie Kälferin"!den : him des Pabſtes Bictor 
dem h. Etuhle entzog und — wenn es. nicht: anders fein fonnte — dem 
Lothringer zuwandte, ift leicht zu errathen. 

Hätte Eintracht zwiſchen Petri Stuhl und ‚dem vereinigten Haufe 
Canoſſa⸗Lothringen geherrſcht, fo wäre es um bie Faiferlibe Herrihaft über 
Rom und das Pabſtthum geſchehen geweſen. Um dieß zu verhindern, ers 
griff die Kaiſerin eine Mafregel, welche nad, ihrer Abſicht die Bolge haben 
mußte, daß beide gründlich verfeindet wurden: fofern fie. das Eigenthum . 
der Kirche in des Lothringers Gewalt dahin gab. ; Sie rechnete: Rom. 
werde hiedurch einen fo furchtbaren und läftigen Nachbar befommien, daß 
die Paͤbſte — wohl oder übel woliend — genöthigt feien ſich dein kaiſerlichen 
Hof in die Arme zu werfen und die Bedingungen dei Hülfe anzunehmen, 
welche Iegterer vorzuichreiben gut finde. So ‚lange Agnes ‚die Staatöges 
malt behauptete, wandelte fie, wie fi jonnenflar ſpäter ergeben wird, in 
den Wegen ihred verftorbenen Gemahls. Erſt nachdem bie. Schläge des 
Jahres 1062 fie tief erfchüttert hatten, ging fie in; fi ic, und wire, ein neuer 
Menſch. 

Unter den beſchriebenen Umftänden würde Hanno ige: wider die 
Einftimmigfeit der Kaiſerin und Godfrieds ausgerichtet haben, auch wenn 
er Allem aufgeboten hätte. Als Meiſter in der Siaatsltunſt af er auf 
andere Weiſe. Er beſtand nemlich darauf, daß an: die. Vebergabe der; 
Marken Spolcto und Camerino eine Claujel geknüpft, ward 
Nachtheile, die der betreffende Artikel für Petri Stuhl —* 











glaubwürdig, den nöthigen Beweis liefert. 6 legt 
Godfried Worte in den Mund, aus welchen ſich ergibt 
italiſche Geſammterbe des vereinigten Hauſes Eanofja-Lothringen:, unter bem’ 
Namen Herzogthum Canoſſa begriffen wurde, und zweitens daß ebenbafjelbe 
als ein Lehen des heiligen Stuhleg — und zwar durch Verfügung ber 
Oberlehensherrn, d. h. des Faiferlihen Hofes und des Papſtes — aner⸗ 
fannt war.‘) 

Diefe rechtliche Verfügung aber fann nur auf dem Tage zu Com. ge 
troffen worden jein. Denn nicht nur wilfen wir im Allgemeinen, daß 
man dort ſtrittige Verhaͤltniſſe regelte, die aus den Zeiten Heinrich's III. her 
der Löſung bedurften, ſondern überdieß meldet ?) die Chronik von Altaich: in 
Folge der damals gefaßten Beſchlüſſe hätten Papſt Victor II. und Herzog 





H Werg XI, 617 Mitte per seniores Canussiae est paparam adeatas. ) Gieſe⸗ 
breit annales altahenses. S. 92 unten. 


Erſtes Bu. Gap. 1. Meberficht ber Zuſtaͤnde des Reiche. 13 


Godfried fammt feiner Gemahlin Beatrir gemeinfhaftlih tie Verwaltung 
Staliend übernommen, was zu der Vorausjegung berechtigt, daß über bie 
fünftige Stellung des h. Stuhl zum Haufe Canofja - Lothringen Normen 
aufgeftellt wurden. Nicht minder unzweifelhaft erjcheint, daß ed Hanno 
war, der die Einfügung der Claujel beantragt und durchgeſetzt hat, denn 
die Kaiſerin Agnes, die mit ihm die Vormundfcaft ‚führte, wollte den 
Stuhl Petri einvämmen, nicht aber demjelben Ausfiht auf eine fünftige 
jehr umfangreiche Erwerbung eröffnen, dagegen hatte der Cölner Erzbifchof 
Pflichten nicht nur gegen das Reich, ſondern auch gegen die Kirche zu 
erfüllen. 

Hanno ging offenbar von der Erwägung aus: wenn das jeßige Haupt 
des canofianer Hauſes die Marken Spoleto und Camerino begehre, welde 
von Rechts wegen der römijchen Kirche Eigenthum feien, fo ſolle e8 auch 
billigen Erſatz dafür leiften, folle einräumen, daß fein ganzes Erbe unter 
gewiffen Umftänden an den heiligen Stuhl heimfalle. 

Was ich über Das Verfahren Hanno’d fage, erhält durch Dinge, 
welche etlihe Jahre fpäter geichahen, vollfommene Beftätigung. Als er 
im Jahr 1064 und 1065 die überaus wichtige Geſandtſchaft nach Stalien 
übernahm, hat er gemäß den cben entwidelten Grundfägen gehandelt. Noch 
möge bemerft werden, daß die zu Eöln getroffenen Beftimmungen bezüglich) 
der Lehenbarkeit des Canoſſaner Herzogthums den erften Grund zu der 
weltberühmten Ecenfung legten, welde 20 Sahre fpäter die Groß⸗ 
gräfin Mathilde machte. Als Ehriftin fühlte fie ſich gebrungen, ihren 
ganzen Beſitz der römiſchen Kirche zu vergaben, hiezu aber war fie voll 
fommen berechtigt, nachdem zu @öln die gefeglihe Reichsgewalt förm⸗ 
ih anerkannt hatte, daß al ihr Vermögen Lehen des römiſchen Stuh⸗ 
les fei. 

Noch Vieles wäre zu fagen, damit das bisher Erzählte gehöriges Licht 
empfünge. Der Lejer weiß nicht, was die Lehen Spoleto und Camerino 
waren, oder warum die Kirche ein Recht auf fie befaß, noch wie Herzog 
Godfried in die Lage fam, in der er ſich 1056 befand, noch daß Erz 
bijhof Hanno, außer den angeführten, durch jehr gewichtige andere Gründe 
beftimmt wurde, jo zu handeln, wie er damals verfuhr. AU dieß kann 
nicht hier auseinander gejegt werden, fondern erſt fpäter an paflendem 
Orte, nachdem alled gehörig vorbereitet fein wird. 

Genug! wenn die Verjammlung zu Cöln wirflih die Anordnungen 
traf, welche eben dargelegt worden find, jo muß man zugeben, daß von 
ebenverjelben die Verwaltung deſſen, was man damals vorzugsweile Itas 
iien nannte, der Ländermafje, die fih vom Po bis zu den heutigen Abruzzen 
erftredt, zunächit dem Pabſte Victor I. — nemlih nur jo lang als er 
am Leben blieb — und dem Canoſſaner Hauje überlaffen worden ift. 


16 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


und dem Frühling 1062 nirgends ald Reichsverweſer geamtet, jo wünſche 
ih, daß man letzteres Wort in ftrengem Sinne nehme in Regierungs» 
. akt fällt, wie fpäter gezeigt werden fol, ind Jahr 1057, welder jo ges 
deutet werben könnte, als jet er zu Gunften Hanno’d angeordnet worden, 
wiewohl auch eine andere Erklärung der Sache möglich if. Dagegen liegt 
nicht die leifefte Anzeige vor, daß weder diefe politiihe Maßregel noch irgend 
eine andere aus dem Zeitraum vom Januar 1057 bis zu DOftern 1062, 
unter Hannos thätiger Mitwirkung ergriffen worden wäre. Gleichwohl übte 
Hanno auch während der angegebenen Zeit großen Einfluß auf die geift- 
lihen Angelegenheiten des Reichs; aber dieſen Einfluß übte er nicht 
vermöge des ihm vom verftorbenen Kaiſer übertragenen Reichsverweſeram⸗ 
tes, fondern ald Metropolit von Cöln und zweiter Prälat Germaniens, vers 
möge welder Stellung er Machtbefugniſſe bejaß, die ihm die Kaiferin gar 
nicht entziehen Fonnte. Agnes hat in ihm nur den Reichöverwefer vers 
drängt, nicht den Erzbifchof. 

Viele Afte aus den Zeiten vor 1057 find befannt,') welche beweilen, 
daß deutihe Könige oder Kaifer ohne Einwilligung der Stände nichts 
wichtiged vornehmen fonnten. Aus dieſem Grunde ift es wahricheinlich, 
daß Agnes vorher eine Parthei unter den Fürften gewann, ehe fie es 
wagte, den Cölner Erzbiichof feines Amtes als Reichsverweſer zu entjepen. 
In der That berichtet ) Ehronift Berthold — und zwar nod zum Jahre 
1056 — folgendes: „von den erften Männern des Reichs ward der minder 
jährige König feiner Mutter zur Erziehung übergeben.” Die früher ange: 
führten Zeugen jagen aus, vom verftorbenen Kaijer fei Hanno zum Reiches 
verwejer und Erzieher Heinrich IV. beftellt worden. Hier aber geihah das 
Gegentheil: demnach iſt zwiichen den Eölner Verhandlungen, bei denen 
Hanno fihtlih als Stellvertreter wirfte, und dem Schluffe des Jahres 
1056 ein Schlag gefallen, der einen Hauptartifel des von Heinrich IH. 
hinterlaffenen legten Willens, betreffend die Perfon Hanno’s, umftieß. Sieht 
dieß nicht jo aus, als habe Agnes die Cölner Verfammlung bemügt, um 
unter den anweſenden Fürften Parthei zu machen und mit ihrer Hülfe 
Hanno aus dem Reichsregiment zu verdrängen! Und hiedurch erhält jene hin- 
geworfene Acußerung ded Biographen, Hanno’ Erhebung zum Regenten 
habe bei Vielen Neid erregt, doppelte Gewicht. Der Biograph fpielt 
offenbar auf den Sturz des Cölner Erzbiſchofs an, wagte aber doc nicht 
offen auszusprechen, was er wußte. 

Die nächte Trage ift: aus welden Männern Agnes die neue Regie⸗ 
rungsbehörde zujammenfegte, welche durch gewaltjame Entfernung Hans 
no's nöthig geworden war. Schon oben wurden Zeugniffe beigebracht, welche 





1) Das wird fpäter bewiefen werben. ?) Verb V, 270, 


Erſtes Bad. Gap. 1. Ueberfiht der Zuflände des Reiche. 15 


Wibertiniſche und die Baratanifhe gründeten. Meines Erachtens ift 
das verwandtichaftlihe Verhaͤltniß, in welchem Wibert zu den Eanoffanern 
Rand, einer der Gründe geweien, warım Agnes ihn zum Kanzler madıte: 
durch innere Zwiftigfeiten wollte fie das Geſammtgeſchlecht veruneinen, thei- 
len, jchwächen. 

Die Ernennung eines Kanzlerd genügte jedoch der Katjerin Wittwe 
nicht. Unten wird ſich ergeben, daß fie neben Wibert noch einen kaiſer⸗ 
lichen Statthalter aufwarf, der fogar — und zwar unverkennbar Godfried 
m Troz — den Titel König von Italien annehmen durfte. Und zwar 
wählte fie zu dieſer Rolle den Sproſſen eines römiſchen Capitangeſchlechts, 
das Ältere deutihe Kaijer auf Leben und Tod befämpft hatten, nemlic 
einen Erescentier. Allerdings mußte fie, um Godfried mit einigem Erfolge 
die Spige bieten zu fünnen, zu dem fraglihen Mittel greifen; denn da bie 
Gewalt über Italien, welche der Herzog vermöge der Eölner Verhandlungen 
bejaß, dem Wejen nach einem Königthum glih, blieb, wenn anders ver 
Bertrag vom Dezember 1056 umgeftoßen werden follte, nichts übrig ale 
dem Banofjaner zum Mindeften einen Namen-König, entgegenzuftellen. 

Noch verderbliher für das Reich, für den jungen König und für die 
Kaijerin Wittwe jelbft waren die Streiche, welche legtere in blinder Leidens 
ichaft gegen Hanno führte. Nur bis zum Dezember 1056 hat er, ber 
doch durch das Teftament des verftorbenen Kaijerd zum Reichöverweier ein- 
gejegt worden, Einfluß auf die Leitung der politiihen Angelegenheiten geübt. 
Seitdem zeigt fih feine Spur feiner Theilnahme an ven Geichäften des 
Reichsregiments. Aus dem faft fehsjährigen Zeitraum, der von ber 
Eölner Rathsverſammlung bis zur gewaltfamen Entführung des jungen 
Königs verlief, meldet Feine der vorhandenen Quellen etwas, was darauf 
hinwieje, daß Hanno irgend welde Afte der Etaatögewalt übte. Im 
Gegentheil wird ausdrüdlih gemeldet‘), die Kaiferin Mutter ſei ald Res 
gentin fait ausjchlieglih dem Rathe des Biſchofs Heinrih von Augsburg 
gefolgt, und diefe Bevorzugung deſſelben habe Unzufriedenheit unter den 
Fürften erregt. Hanno muß folglih in der einen oder andern Weile ver: 
drängt worden fein. 

Noch mehr! Agnes hat ihm, wie unten bervortreten wird, in der SBers 
von des wüthenden Heinrich aus Ezzo's Stamm einen Gegner auf den 
Hals gefhidt, der in der Nähe von Cöln felbft jaß, und die Wurzeln der 
geiftlihen Macht des Erzbiſchofs zu untergraben fih abmühte. Daß Hanno 
dem Gift oder dem Dolch dieſes Rajenden nicht unterlag, war nicht der Kai⸗ 
jerin Verdienſt noch ihr Willen. 

Wenn ih fage: Hamo habe zwifhen dem Ende des Jahres 1056 


1) Perg V, 162 u. 270. 


16 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


und dem Frühling 1062 nirgends ald Reichsverweſer geamtet, jo wünſche 
ih, daß man letzteres Wort in firengem Sinne nehme. Ein Regierungs- 
. aft fällt, wie fpäter gezeigt werden foll, ind Jahr 1057, welder jo ges 
deutet werden könnte, als jei er zu Gunſten Hanno’d angeordnet worden, 
wiewohl auch eine andere Erklärung der Sade möglich ifl. Dagegen liegt 
nicht die Teifefte Anzeige vor, daß weder dieſe politiihe Maßregel noch irgend 
eine andere aus dem Zeitraum vom Januar 1057 bis zu Oſtern 1062, 
unter Hannos thätiger Mitwirkung ergriffen worden wäre. Gleichwohl übte 
Hanno aud während der angegebenen Zeit großen Einfluß auf die geift- 
lichen Angelegenheiten des Reihe; aber diefen Einfluß übte er nicht 
vermöge des ihm vom verftorbenen Kaifer übertragenen Reichsverweſeram⸗ 
tes, ſondern als Metropolit von Eöln und zweiter Prälat Germaniens, vers 
möge welcher Stellung er Machtbefugniſſe bejaß, die ihm die Kaiferin gar 
nicht entziehen Fonnte. Agnes hat in Ihm nur den Neichöverwefer vers 
drängt, nicht den Erzbiſchof. 

Viele Alte aud den Zeiten vor 1057 find befannt,t) welche beweijen, 
daß deutfche Könige oder Kaifer ohne Einwilligung der Stände nichts 
wichtiged vornehmen konnten. Aus diefem Grunde ift es wahricheinlic, 
daß Agnes vorher eine Parthei unter den Fürften gewann, che fie es 
wagte, den Cölner Erzbiſchof ſeines Amtes ald Reichsverweſer zu entiegen. 
In der That berichtet *) Chronift Berthold — und zwar noch zum Jahre 
1056 — folgendes: „von den erften Männern des Reihe ward der minders 
jährige König feiner Mutter zur Erziehung übergeben.” Die früher ange: 
führten Zeugen jagen aus, vom verftorbenen Kaijer jei Hanno zum Reiches 
verwejer und Erzieher Heinrich IV. beftellt worden. Hier aber geihah dag 
Grgentheil: demnach iſt zwiſchen den Cölner Verhandlungen, bei denen 
Hanno fichtlih als Stellvertreter wirkte, und dem Schluffe des Jahres 
1056 ein Schlag gefallen, der einen Huuptartifel des von Heinrich IM. 
hinterlafjenen legten Willens, betreffend die Perſon Hanno’s, umftieß. Sieht 
dieß nicht jo aus, als habe Agnes die Cölner Verjammlung benügt, um 
unter den anweſenden Fürſten Parthei zu machen und mit ihrer Hülfe 
Hanno aus dem Reichsregiment zu verdrängen! Und hierurd erhält jene hin- 
geworfene Acußerung ded Biographen, Hanno's Erhebung zum Regenten 
habe bei Vielen Neid erregt, doppeltes Gewicht. Der Biograph fpielt 
offenbar auf den Sturz des Cölner Erzbiſchofs an, wagte aber doch nicht 
offen auszufprechen, was er wußte. 

Die nähfte Frage tft: aus welchen Männern Agnes die neue Regies 
rungsbehörde zufammenjegte, welde dur gewaltfame Entfernung Hans 
n0’8 nöthig geworben war. Schon oben wurden Zeugniffe beigebracht, welche 


— — 





1) Das wird fpäter bewiefen werben. ?) Berk V, 270, 


Erſtes Buch. Gap. 1. Ueberſicht der Zuſtaͤnde des Beiche. 17 


beweiien, daß fie vor Allen ihr Bertrauen dem Augsburger Biſchof Hein- 
rich ſchenkte. Diefer Heinrich war früher Hoffapellan geweſen, fpäter — im 
Sabre 1047 — hatte ihn Kaiſer Heinrih IIT. auf den Stuhl von Augs⸗ 
burg erhoben,) den er bis zu feinem im Herbfte 1063 erfolgten Tode ein 
nahm.) Wahricheinlich verwaltete er zugleich im Namen der Kaiſerin das 
Herzogthum Baiern, das ihr neulich zum Witthum ausgejegt worden war. 

Bor einigen Jahren nemlich, da der verftorbene Kaiſer feinem erftges 
bornen Sohne, dem jegigen Könige, die Fahne Baierns übertrug, erach- 
tete er für nöthig dem unmündigen Knaben einen Stellvertreter in ber 
Berfon des damaligen Bilhofs von Eihflätt, Gebehard, an die Seite 
zu fegen. Nun erfcheint es glaublich, daß Agnes dieſes Beifpiel nachahmte. 
Weil fie als Regentin dem ganzen Reiche vorftand, mußte fie das Beduͤrf⸗ 
niß fühlen, jenes bejondere Amt durch einen Dritten verwalten zu laffen 
umd folglich in der Nähe Baierns einen Vertrauten aufzuftellen, der für fle 
die herzoglichen Gelchäfte beforgte. Wirklich liegt eine Thatfache vor, welche 
m dem Schluße berechtigt, daß Heinrih von Augsburg die fragliche Wuͤrde 
befleivet bat. Hievon wird unten die Rede jein. 

Die Gunft, weldhe die Kaiſerin dem Bilchofe bewies, erregte nicht 
geringen Lärm und gab Anlaß zu fchlimmen Deutungen. Gerüchte von 
ſchmutzigen Liebeshändeln liefen’) um. 

Neben dem Augsburger Heinrich hat ohne Frage aud der Hamburs 
ger Metropolit Adalbert fchon in dem Zeitraume von 1057 bis zum Früh⸗ 
ling 1062 merflihen Einfluß auf die Regierung geübt. Den Hauptbeweis 
liefert die nordiſche Kirchengefchichte Adams von Bremen. Allein da diejer 
ausgezeichnete Ehronift den jchwierigen Ausdruck Confulat gebraucht, der 
nur Durch jpätere Ereigniffe das gehörige Licht empfängt, muß ich die Er⸗ 
läuterımg der betreffenden Stelle einem andern Orte vorbehalten. Im 
Uebrigen fiimmen auch Urkunden zu. Durch Erlaß) vom 25. April 
1057, dem erftien Jahre der vormundichaftlichen Regierung, verlieh der uns 
mündige König auf Yürbitten feiner Mutter dem Erzbiichofe Adalbert, 
wegen der treuen Dienfte und der Ergebenheit, die er bethätigt habe, bie 
ausgedehnte Grafichaft im Hunfes und Fivelgau. Laut dem Zeugniße *) 
Adams von Bremen hatte vorher die nemlihe Grafſchaft Herzog Godfried 
von Lothringens@anoßa befeßen, und man wird wohl fchwerlich irren, wenn 
man vorausfegt, daß die Abficht der Schenkung dahin zielte, den neuen 
Empfänger mit dem ehemaligen Eigenthümer gründlich zu entzweien. Dep 
gleichen beruft fi König Heinrich IV. in einer unter dem 7. Februar 1058 


Bay V, 127. 2) Berg UI, 127. 2) Berk V, 162. 168 und II, 127. 
°%, Lappenderg, Hamburger Urkundenbuch I, 78 Nro. 79. *) Perk VIL, 353 oben. 
©frörer, Babſt Gregorins VIL Bb. L 2 


18 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


für das Hodftift Halberſtadt ausgeftellten Urkunde ') auf den Rath des 
Erzbifchofs Adalbert. Roh möge zum Voraus bemerkt werben, daß 
Adalbert von Bremen, fo lange er neben Hanno wirkte, als Tobfeind 
deſſelben ericheint. 

Alfo die alleinige Regentichaft der Kaiſerin Mutter begann mit einer, 
dem letzten Willen ihres Gemahls zuwider, an dem gefeglichen Reichöver- 
wejer verübten Gewaltthat, und das wenige Monate nad dem Tode Hein⸗ 
rich's III. und zu einer Zeit, da ſchon von früher her fo viele Zünbftoffe 
vorhanden waren! Mußte diefed unbefonnene Verfahren nicht verwegene 
Begierden, böfe Anjchläge Ehrfüchtiger und Uebelgefinnter reizen. Gewiß 
hat es die angedeutete Folge gehabt, obgleich die Ausfage eines Hauptzeu- 
gen zu widerjprechen fcheint. Lambert fchreibt 9: „troß den Gefahren, melde 
von vielen Seiten drohten, wußte Agned das Steuerruber mit folder 
Kunft zu handhaben, daß der eingetretene Wechfel in der Regierung kei⸗ 
nen Ungehorfam veranlaßte und daß nirgends Unruhen ausbrachen.” Auch der 
Umftand, jollte man meinen, deute auf innerlihe Ruhe bin, daß die An 
naliften, d. h. außer Lambert, Bernold, Berthold, Marianus Sfotus, Sige- 
bert, Edehard und Andere über die Jahre 1057—1063 verhältntgmäßig 
wenig berichten, erft fpäter werben fie reichhaltig, da die offene Bewe⸗ 
gung begann. 

Dennoh war all dieß nur trügerifche Außenfeite; unter der Ober: 
flähe gährten wilde Kräfte, welche fchon innerhalb jener 6 Jahre in 
vereinzelten Stößen, aber durch alle Provinzen des Reichs hindurch, fid 
Luft machten. Im Jahre 1057 wurde eine Verſchwörung in Sachen — die 
erfte in der Reihe nieler nachfolgenden — angezettelt, welche nicht bloß die 
Herrſchaft, jondern aud das Leben des jungen Königs und feiner Mutter 
bedrohte. Eine Urkunde ’) ift vom 4. April vefielben Jahres vorhanden, 
laut welder ein Ritter Ulrich, Dienftmann des Mainzer Erzftuhles, durch 
Urtheiliprud der Fürften genöthigt ward, ein nach dem Tode des Kaiferd 
dem Bamberger Hochftift geraubtes Gut herauszugeben. Zum Sahre 1058 
berichtet *) fodann der niederländiſche Chroniſt Eigebert, daß vie Kaiferin 
durd Einnahme mehrerer Echlöffer einen in Friesland entzündeten Aufruhr 
bämpfte. Kurz darauf — 1059 — entftanden Unruhen in Heßen. Ein Graf 
Friederich v. Gleiberg und feine Brüder, aus einer Seitenlinte des Lurem- 
burger Haufes, erhoben Waffen wider die Kaiferin, mußten fidy aber bald 
wieber unterwerfen. °) 

Zum nemlihen Jahre 1059 meldet ) die Augsburger Ehronif eine 


1) Höfer, Zeitfchrift für Archivfunde II, 6356. 9 Perk V, 168 oben. *) Boͤh⸗ 
mer Nro. 1702. %) Berk VI, 360. 6) Berg V, 271 und 427. 6) Berk 
III, 127. 





Erftes Bud. Gap. 1. Ueberficht der Zuflände des Keichs. 19 


Fehde, die zwiſchen dem Biſchofe der genannten Stadt, dem oben erwähn- 
ten Liebling der Kaiferin Heinrih, und einem bairiſchen Grafen Dietbald 
über den Befig einer Grafichaft entbrannte. Dietbalds Sohn Ratpodo 
drang mit einem Haufen Baier nad) Schwabmünchen vor, verbrannte dieſe 
und andere umliegende Ortſchaften, ward jedoch durch die Augsburger 
Stiftsmannſchaft zurüdigetrieben. Der Streit muß ungewöhnliches Auffchen 
gemacht haben, denn die Kaiferin reiste ſelbſt mit ihrem Sohne um Aller: 
heiligen 1059 nad Augsburg, und nöthigte den angreifenden Theil fich 
zu unterwerfen. Heinrich von Augsburg hatte aljo einem bairiſchen Gros 
fen den Befig einer Grafihaft vorenthalten; das fann er nicht wohl als 
Bifchof, ſondern er wird es als Föniglicher Verwalter des Herzogthume 
Baiern getban haben, wozu fehr gut ſtimmt, daß die Kaljerin ihm zu 
Hülfe eilte. Dieß die Thatfache, auf die ich oben hinwies. 

Zwei Jahre fpäter werden Fehden in Schwaben erwähnt, doch leider 
nur oberflächli. Berthold erzählt nemlich: ) „Burdhard und Wezil (Wer⸗ 
ner) von Zolorin feien erfchlagen worden.” Dieje Stelle ift das ältefie 
Zeugniß über dad Haus Zollern, das ſeit dem weftphäliichen Frieden fich 
zu europäischer Bedeutung aufgearbeitet hat. Um die nemliche Zeit wurden 
bie Gegend von Eöln und das im Süden des Reichs gelegene Herzog. 
thum Kämthen Schauplag von Unruhen, die trog der großen Entfernung 
zujammenbingen. 

Zwei nahmhafte Echriftfteller nun, beide Zeitgenofjen, beide wohl uns 
terrichtet, geben zu verftehen, daß dieſe und Ähnliche Unordnungen, begangen 
von Großen und Kleinen, eine tiefe gemeinfchaftlihe Wurzel hatten. Dtbert, 
Biihof von Lüttich, vielleiht unter allen vorhandenen Quellenjchriftftellern 
der entjchiedenfte Anhänger des Hofs, der in einer Art von Leichenrede, 
die er nad dem Tode Heinrich's IV. abfaßte, den dritten Salier in ten 
Himmel erhebt, jchreibt: ) „beim Tode des glorreihen Kaiſers Heinrich III. 
berrichte tiefer Friede im Reihe. Kein Raub wurde verübt, feine Treue 
gebrochen, die Staatögewalt behauptete ihr Recht, die Gefege hatten volle 
Geltung. Die durdlaudtigfte Kaiſerin Agnes, eine Frau von männlichem 
Geiſte, weldhe Mitregentin ihres Sohns war, juchte den glüdlichen Zuftand 
aufrecht zu halten, aber fie vermochte e8 nicht. Weil die ftarfe Yauft 
fehlte, vie bisher Webelthäter bezähmt hatte, und weil das kindliche Alter 
des Thronfolgers keinen Schreden einflößte, fchöpfte Kühnheit Muth zum 
Verbrechen. Jever der Kleineren ftrebte ed den Mächtigern gleich zu thun, 
oder fie zu überbieten: wilde Ehrſucht gährte überall.“ 

Man könnte fi verſucht fühlen zu glauben, ein durch den Gang der 
Ereigniffe mit Bitterfeit erfüllter Kaiferlicher fpreche hier ald Lobredner ber 


‘) Berg V, 272. °) Perp XI, ©. 271, unten fig. 
9% 


20 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


guten alten Zeit. Aber nein, Adam von Bremen, Fühler und fehr geſchei⸗ 
ter Beobachter, auch um ein Gutes älter ald Dtbert, jagt) genau Daffelbe 
nur in etwas andern Worten: „nah dem Tode des Kaiſers übernahm 
das Eteuerruder eine Frau mit einem unmündigen Knaben, nicht ohne 
großen Nachtheil des Reichs. Die Fürften verfhmähten es, fih von einem 
Weibe oder einem Kinde beherrfchen zu laſſen; erft rießen fie gemeinfchaft- 
(ih, um Niemand mehr untertban zu fein, die alte Freiheit wieder an fich, 
dann geriethen fie unter einander in ehrgeizige Händel über den Vorrang, 
zulegt griffen fie zu den Waffen, um ihren Herm und König gewaltfam 
abzufegen. Befchreiben kann man faum, was vorging, man muß den 
Greuel ſelbſt gefehen haben.“ 

Noch will ih den Bericht eines hochgeftellten Ausländere, betreffend 
Die Lage des Reichs im Augenblide, da Heinridy IIT. farb, fammt eingm 
Zeugniß über die Stimmung ded Volks beifügen. Othlo der Zeitgenoffe 
erzählt: ) „ein vornchmer Römer, welcher den Pabft Victor I. 1056 nad) 
Deutichland begleitet hatte, übernachtete zu der Zeit, da Kaiſer Heinrich zum 
Sterben fam, in einer deutſchen Herberge. Ermüdet von der Reife fchlief 
er ein und hatte einen bebeutfamen Traum, in weldhem er fah, wie ber 
Allmaͤchtige den deutſchen Kaiſer als einen Unterbrüder der Armen zur 
‚Höllenqual verurtheilte. Plöglih ward der Römer durch lautes Geraͤuſch 
aufgewedt: Wehflagen ertönten dur dad ganze Haus, denn die Nachricht 
war eingelaufen, daß Heinrich III. eben geftorben ſei.“ Othlo fährt fort: 
„der Römer hat mir dieß ſelber erzählt,“ und fchließt mit den Worten: „möge 
der Allmächtige ſich unferer erbarmen und und einen Herrfcher verleihen, 
der fi felbft zu mäßigen und die Armen gegen die Reichen zu: fchligen 
weiß. Denn unter unferem jegigen unmündigen Könige werben wir 
fchlimme Zeiten haben.“ 

Es ift eine Auflehnung der Großen gegen die Mittleren, der Mittleren 
gegen die Kleinen, welche dieſe Augenzeugen bejchreiben. Keiner derer, 
welche irgend Gewalt im Staate befaßen, wollte mehr dem Ganzen fid 
unterordnen; jeder firebte unabhängiger Herr zu werben, ober vielmehr ein 
Stück des Reichs für fih wegzunehmen. Nur eine tiefliegende, mächtige 
Urſache kann ſolche Wirfungen bervorbringen. Wir kennen fie: die ur 
fprünglih aus Lotharingien nad) Deutſchland verpflanzte, feit den Zeiten 
der Ottonen feimende, dann in den erften Jahren Heinridy’8 IV. unter 
dem doppelten Schirme der von Heinrich III. begangenen Fehler und der 
Shwähe des Weiberregiments ald vollendete Thatſache hervorbrechenve 
Erblichkeit aller Lehen war e8, was die Früchte trug, auf welde Otbert 
und Adam hindeuten. 


) Perg VIL, 348 oben. ) Berk XI, 384 fig. 


Erſtes Bud. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 21 


Die deutſche Reichsgeſchichte bleibt ein unverſtändliches Chaos, ein 
uch mit fieben Siegeln, wenn man nicht der Lehenerblichkeit die ihr ge- 
ihrende Stelle anweist. Denn diefe Erblichfeit war — allerdings neben 
wern Kräften, die ihrer Zeit gehörig ins Licht treten follen — eines der 
ichtigften Triebräver des 11. Jahrhunderts. Daraus folgt nun, daß ich 
® zwar bier an dieſem Orte, eine Ueberſicht der Dynaftengefchlechter geben 
uß, weldhe bis zum Negierungsantritt des Föniglichen Knaben Heinrich IV. 
bliche Hausmacht begründet hatten. Es entgeht mir keineswegs, daß ich 
nen gefährlichen Weg betrete und zwar gefährlich nicht ſowohl deßhalb, 
eil die Aufgabe — was allerdings nicht geläugnet werben fol, — eine 
wierige ift, fondern darum, weil ich in ein Gebiet — etwas wie Sta⸗ 
u nämlich — hinüberſchweifen muß, das ven meiften Lejern wenig 


gt. 

Um nad) Möglichkeit die Klippen der Unluft zu melden, wird mein 
efireben dahin gerichtet fein, erftlih nie den Ton von Hauschroniften 
ıufchlagen, zweitens meine Darftellung auf diejenigen Dynaften, die in 
a Neichöfronifen der Zeiten Heinrich’S IV. merklich hervortreten, zu be: 
wänfen, brittens alles, was in der angedeuteten Richtung gejagt werden 
uß, in das große Gefuge der allgemeinen Reichsgeſchichte einzuflechten. 

Die Annaliften erwähnen zwifchen dem Regierungsantritt Heinrich’8 IV. 
D dem Sturze feiner Mutter Agnes, außer den oben gejchilverten Un- 
ben in Sachſen, Heſſen, Schwaben und am Niederrhein, folgende größere 
egebenheiten: vie Herftellung des Friedens in Flandern und Yriesland, 
e Berjegung des rheiniichen Pfalgrafen Kuno nad Kärnthen, die Er- 
bung des Rheinfelder Rudolf zum Herzoge von Schwaben, den ungarl- 
ven Krieg, die Belehnung des Norbheimer Dito mit Baiern. Schauplatz 
ler diejer Ereignifie waren die 6 Huuptprovinzen des alten Reichs ger: 
aniicher Ration, Lotharingien, Sachſen, deutſches Brancien, Schwaben, 
aiern, Kärnthen. Bon felbft bietet ſich Gelegenheit, an diefe Fäden ans 
knũpfen, was über die Dynaftengeihichte vorgebracht werben muß. 

Ich beginne mit Lotharingien. 


‚Bweites Capitel. 


rgenfag zwifchen Anfter und Neuſter. Lotharingien. Gränzen, kirchliche und politifche 
Gintheilung, gefellfchaftliche Zuftände diefed Landes. Dynaſtengeſchlechter: die Gra⸗ 
fenhäufer von Holland und Flandern. Die Herzogthümer Brabant und Oberlotharin- 
sin. Das Balatinat von Machen. 


Das alte römifche Reich zerfiel zur Zeit feiner höchſten Macht in zwei 
oße Hälften Occidens et Oriens, Abend» und Morgenland; dort war das 


22 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Griechiſche, hier das Lateiniſche Hauptſprache. Als die Germanen, insbe⸗ 
ſondere Franken und Longobarden, in die lateiniſchen Länder einbrachen, 
haben fie die eben erwähnte Unterſcheidung aus Ehrgeiz, doch mit veraͤnder⸗ 
ten Namen, beibehalten. Ste wollten gleich den alten Römern ihr WVefts 
und Oftland haben. Lebtered hieß nunmehr Aufter oder Oftland, erfteres 
Wefterland, oder vielmehr Neumefterland. Denn da ſowohl Franken ale 
Longobarven von Oſten nah Weften vorrüdten, kamen im Laufe der Er: 
oberung zu den bereit befegten Etreden immer neue weiter im Werften 
gelegene hinzu. Daher geihah es, daß der Charakter fortfchreitender Be- 
wegung dem Ausdrude, der das Weftland im Allgemeinen bezeichnete, aufs 
geprägt wurde. Mean fagte fchlehtweg ftatt Weftland Neumweftland. 

Daß das Wort, das fpäter Neuftria gefchrieben wurde, urfprünglich 
Niuwiſter lautete, erficht man aus Chroniken der merowingiſchen, theilweiſe 
noch der carolingiihen Zeiten. Häufig brauchen ) fie ſtatt Neuftria die 
Form Niuftria, enticheidend aber ift folgende Stelle ”) der Meter Jahr: 
bücher: „Dieterih, König der weftlichen Sranfen, welche auf deutſch Ni⸗ 
wiftrier genannt werden.“ Zieht man noch in Betracht, daß der Mönd von 
Et. Gallen in den befannten Denfwindigfeiten über die Lebensgeſchichte 
Carl des Großen, als gleichbedeutend mit Neuftria, den Ausdruck Neu⸗ 
francien, Francia nova braucht, *) fo erjcheint als unzweifelhaft: die Franken 
des MWeftlands haben urſprünglich Niuwiftrier, ihr Land hat urfprünglic 
Niuwiftrien geheißen. 

Gleich den Franken umterfchieven %) auch die Longobarden Staliehs in 
ihrem Erbe ein Auftrien und Neuftrien, ein Oſt- und Weſtland. Nicht 
minder ging, wie ſich fpäter ergeben wird, der nämliche Gebraud zu den 
Sfandinaven des Nordens über. 

Die beiden Worte Neuftrien und Auftrien haben lange Zeit — leh—⸗ 
teres bis auf den heutigen Tag — fortgedauert; aber die Gegenftände, ober 
Landichaften, zu deren Bezeichnung fte dienten, wechlelten oft. In den 
Zeiten der Merowinger hieß Neuftrien das Land jenfeltd der Seine und 
ihrer Nebenflüffe, Auftrien aber das Gebiet von der Seine öſtlich zum 
Rhein, und über legteren Strom hinüber, fo fern nemlid die Herrſchaft 
der Nachfolger Chlodwigs über dieſſeits des Rheins gelegene Provinzen 
fi erftredte — was öfter wirklich der Fall war. Aber durch Carls des 
Großen Waffenthaten wurde das fränkifche Oſterland bis an die Gebirge, 
welhe Böhmen vom heutigen Baiern treiinen, und weiter gen Süb: 
often bis an die Raab ausgebehnt. Unter ven letzten beutfchen Caro: 


€ 


‘) Berg I, 116 oben, 136 Mitte, 322 untere Mitte und fonft oft. 3) Tbid. ©. 
317 obere Mitte, 3) Perg II, 740 Mitte, *#) Die Belage bei Muratori antig. 
Ital. I, 72 fig. 


Erſtes Bu. Gap. 2. Lotharingien. Serzogthümer. 23 


lingern gingen zwar diefe Erwerbungen verloren, aber die Dttonen vereinig- 
ten fie wieder mit der deutſchen Krone, und feit ihren Tagen erhielten, wie 
am gehörigen Orte urkundlich nachgewieſen werben wird, die Marken 
dort unten an der mittleren Donau den Namen Auſtria oder zu deutſch 
Oſtrich, der heute noch fortbefteht. 

Wohlan, zwilchen die Carolingiſchen Reichshälften Niuwifter und Oſter⸗ 
land — beide in ihrer größten Ausdehnung gedacht — zwängte der Verduner 
Bertrag vom Jahre 843 einen Keil hinein, beitehend in einem küͤnſtlich 
geformten Staate, der, weil er keine hiftoriihe Grundlage hatte, den Namen 
einer Perfon, des erften Empfängers — nämlid) des Kaiſers Lothar — erhielt. 

Dieſes Lotharingien ift und war ein verhängnißvolles Land, an das 
fib die großen Geſchicke Europa's bis auf die Gegenwart herab, 3. B. 
der dreihundertjährige Kampf zwilchen den Häufern Hugo Capets und Habs» 
burg und die entfernteren Folgen deſſelben, vie bereitö wieder geichwundene 
Größe Schwedens, dad Wahsthum Preußens und die Uchermadt Ruß⸗ 
lands Inüpfen. 

Roc bei Lothars I. Lebzeiten begann zwiſchen Reuftrien und Auftrien, 
oder zwilchen den Reichen Deutichland und Francien der Streit um fein 
Erbe. Lange waren Wir im Vortheil, die Dttonen haben das Mojels, 
Maas: und Schelveland fammt Italien errungen. Die Kaifer Heinrid ID. 
und Conrad IL gewannen auch noch das arelatifhe Burgund, fo daß nuns 
mehr Alles, was einft Lothar I. beſeſſen, mit der deutichen Krone vereinigt 
war. Dagegen jeit dem 16. Jahrhundert famen die Franzoſen empor und 
Wir janfen. Doch vermag feine der beiden Mächte, welde um Lothare 
Erbe buhlen, die andere zu bewältigen. Ste gleichen feinblihen Brüdern 
in der Art von Gaftor und Pollur, und eine faft taufendjährige Erfahrung 
berechtigt zu der Annahme, daß der, welcher jegt oben ift, wieder finfen, 
und daß der im Augenblid Geſunkene einmal wieder auffteigen wird. 

Schon zu der Zeit, da die Dttonen und der erfte Salier Lotharingien 
und Burgund errangen, bewährte fih die Erwerbung ald eine gefährliche. 
Die Ideen kirchlicher Freiheit, welche während der Regierung Heinrich's IV. 
den Berband deutſcher Reichseinheit loderten, faft fprengten, find von dem 
burgundiichen Klofter Elugny ausgeftrömt, das, obgleih auf neuftriichem 
Reichsboden gelegen, mit unwiderftehlicher Kraft auf die benachbarten Kreife 
von Deutfch » Burgund und Lothringen einwirkte. Deßgleichen famen aus 
ten im chemaligen Erbe Lothard ober an deſſen Gränzen angeſeſſenen Dy⸗ 
naftien die erften Beiſpiele von Erblichfeit der Lehen und von fürftlihen 
Hausgefegen, welche zum Nachtheil der Kaiferfrone in den dieſſeitigen 
Provinzen bald eifrige Nachahmer fanden. 

Der Erfolg wird zeigen, daß gründliche Einfiht in den innern Bau 
des deutichen Reiches bedingt iſt durch Kenntniß der Grängen, welche Die 


24 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


einzelnen großen Landestheile, oder die Herzogthlimer, von einander ſchie⸗ 
den. Ich werde daher im Verlaufe meiner Erzählung an paffenden Orten 
einen kurzen Meberblid des Umfangs voranjchiden, den jeder dieſer Gebiet» 
tbeile einnahm. Die Oränzen des jächfifch-faliichen Lotharingiend, das 
unter Otto I. in zwei Herzogthümer, Oberlothringen und Brabant, zerlegt 
wurde, waren mit wenigen Ausnahmen eine Nachwirkung des Berbuner 
Vertrags. 

Während der Iehten Jahre vor Abſchluß deſſelben herrſchte in den 
Kreifen, welche über das Schickſal der großen fränfiihen Monardie ents 
fchleden, der Gedanke vor, den zweiten unter den Söhnen Ludwig bes 
Frommen, den gleichnamigen Ludwig, der nachher den Zunamen des Deuts 
hen empfing, in der Art mit Deutfchland abzufinden, daß der Rhein die 
Raturgränge feines Antheils bilden follte.‘) Aber Solches ging nicht, denn 
als unmöglich ftellte fi heraus, das von dem h. Bonifacius eingefeßte 
firhlihe Haupt Germaniens — die Metropole Mainz mit ihren nächfigelege 
nen Suffraganftühlen Worms und Speier — von dem übrigen Körper zu 
trennen. Der Kampf zwiſchen den Brüdern wurde daher fortgefegt, bis 
fi Lothar, der Erftgeborme Ludwigs des Frommen und Mitkaifer, dazu 
verftand, die Sprengel von Mainz, Worms und Speier bei Deutichland 
zu belafien und folglid) an den jüngeren Bruder abzutreten.) Nun verlangte 
aber Lothar für das, was er in folder Weile auf dem linfen Ufer des 
Rheins bergab, eine entiprechende Entihädigung auf dem rechten. 

Diefe Entfhädigung wurde dadurch bewerfftelligt, daß der Verduner 
Vertrag von gewifien Punkten jenfeits der Ems aus, die ich unten nad 
zuweiſen mir vorbehalte, eine Linie nach dem Rheine zog und das Land, 
welches jenſeits derſelben lag, zu Lothars Antheile fchlug Weber die 
Ehroniften, welche über die Verduner Theilung, noch auch die andern, welde 
über fpätere mit der Uebereinfunft von Verdun zufammenhängende Staates 
verhandlungen fchrieben, beftimmen den Lauf diefer Linie, doch fann man 
ihre Richtung aus anderweitigen Nachrichten ermitteln. 

Mit Berufung auf einen Ausſpruch des karolingiſchen Hiftorifers Ein, 
hard, jagt”) Adam von Bremen: „dad Herzogthum Sachſen erftrede ſich 
der Länge nad von den Elbemündungen bis gegen den Rhein bin.“ Der 
Punkt, wo fih Sachſen dem Gebiete der Franken, oder, was hiemit gleich 
bedeutend, dem Rheine näherte, wird durch eine Quelle des 9. Jahrhunderts 
bezeichnet, welche meldet ): der Fluß Iſſel bilde die Gränzmarke zwiſchen 
Franken und Sachſen. Das alte Sachſen reichte alſo in weſtlicher Rich⸗ 


1) Nachweis der Belege bei GEfroͤrer, Carolinger J. 52 flg. 2) Pertz VII, 284. 
) Berk II, 408. " 


Erfies Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 2 


tung bis an die Iſſel, welche in den Haiden unweit dem heutigen Iſſel⸗ 
burg entipringt. 

Ih ſage nun: der Punkt, wo die vom Verduner Vertrag gezogene 
überemfifche Linie die Iſſel durdfchnitt und fofort ven Rhein erreichte, muß 
ſüdlich der heutigen holländiſchen Gränze, und nicht weit von dem oben 
erwähnten Iffelburg gefucht werden. Denn faft an der Stelle, wo ber 
Rhein in das heutige Gebiet von Holland einftrömt, trennt er ſich in zwei 
Arme, die Waal und den Altrhein, welche eine weitgedehnte und fruchtbare 
Aue umfchließen, die bei den Römern Inſel der Bataver, im Mittelalter 
Batua hieß, und noch jebt den Ramen Betuwe führt. Dieſe Flußinſel 
aber iſt dur den Verduner Vertrag zu Lotharingien oder zum Erbe Lothars 
geichlagen worden. Prudentius von Troyes gibt‘) zu verftehen, daß Kaifer 
Lothar, Ludwigs des Deutichen Bruder, fieben Fahre nach Abſchluß des Ver; 
duner Bertrags, 850, Batua fammt dem Handelsplatz Duerſtede an den 
KRormannen Rorif ald Lehen ausgab, und Hinfmar meldet’), daß 870, 
da Ludwig der Deutiche und Earl der Kahle das Loos über den Nachlaß 
Lothars warfen, letzterer Batua als feinen Antheil empfing. 

Alles Land, nördlich von der eben nachgewiejenen Linie, wurde zum 
Erbe Lothars geichlagen, was dagegen ſüdlich von ihr lag, verblieb beim 
Reiche Ludwigs des Deutichen. Erfterer Antheil aber begriff erftlih das 
eigentliche Friedland, oder das Küftengebiet vom Dollaert bis zur Maas 
mündung — ducatus Fresiae usque ad Mosam fagt ’) Prudentius — 
zweitens verfchiedene große Gaue, die damals noch nicht zu Friedland ges 
rechnet wurden, namentlich die Landſchaften Hamalant, Batua, Veluwe. 
Hierüber unten naͤheres. 

Der hiedurch feftgefebte Begriff des norböftlichen Lotharingiens behielt 
auch in den faliichen Zeiten feine ältere Geltung. Wippo erzählt): „nad 
dem Tode Heinridy’8 II. verfammelten fih 1024 fämmtliche deutiche Stämme 
auf beiden Ufern des mittleren Rheinftroms zur Königewahl: dieſſeits die 
Sachſen mit den Häuptlingen der zu ihnen gehörigen Staven-Marfen, dann 
die Oftfranfen, die Baiern, die Alemannen, jenfeit8 die Bewohner des 
Ueberrheins, die Ribuarier und die Lotharinger.” Das erfte Glied begreift 
jämmtliche auf dem rechten Ufer des Rheins gelegene Stammherzogthümer ; 
das zweite ebenjo die durch Dtto I. und II. mit dem deutſchen Reiche ver: 
bundenen Provinzen, welche einft zu Lothars Erbe gehört hatten. Die 
Friefen, ein Stamm, ver die Norbfüfte von der Ems bis zur Maas eins 
nahm, können in dem Berzeichniffe nicht übergangen fein. Wo find fie 
aber enthalten? nothwendig in dem zweiten Gliede, welches das Erbe Lo⸗ 
thars umfaßt. Yolgli begriff man noch in Wippos Zeit unter dem ge: 


) Berg I, 451. °) Inid. ©. 488. ®) Perb I, 435. *) Perg XI, 257. 


26 | Babft Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


meinfamen Namen Lotharienfer over Ribuarler, neben vielen andern Ges 
bieten, auch das der Briefen. 

Auch für die weitere Ausdehnung des jächfifch-faltfhen Lotharingiend 
blieben die Beftimmungen der Verduner Vertrags guten Theils maßgebent. 
Bon dem Punfte an, wo die Emslinie den Rhein erreichte, folgte die Oft- 
gränze Lotharingiend dem Etrome hinauf bis an die Stelle, wo drüben 
das Erzftift Mainz begann, überfchritt hier den Rhein, und jchnitt ') den 
Eprengel von Mainz fammt den zwei benachbarten von Worms und Speier 
ab, welche der Vertrag, wie bereits bemerft worden, dem Reiche Ludwigs 
des Deutichen zugetheilt hatte Gemäß dieſer Norm find die jenfeitd des 
Rheins gelegenen Städte Mainz, Worms, Speier auch in den fäcdhfifchen 
und faliichen Zeiten nicht zu Lotharingien gerechnet worden, fondern fie 
bildeten einen Theil des öftlihen over rheinischen Franciens. Allein von 
nun an wich die jächfiich-faliihe Neichseintheilung von den Satzungen des 
Verduner Vertrags ab. Kraft der letzteren lief Lothars Erbe längs der 
Südgränze des Speierer Sprengeld wicder dem Rhein zu, folgte weiter 
dem Strome bi zur Beugung bei Bafel und zog jomit das ganze 
Elfaß zu Lotharingien. Im zehnten und elften Jahrhundert dagegen gehörte 
Elfaß, wie am gehörigen Drt gezeigt werden wird, zu Alemannien. 

Mie die Oftgränge, fo mar im MWefentlihen and die Weftgränze bed 
fächfifch-falifchen Lotharingiens durch den Verduner Vertrag vorgezeichnet. 
Kraft deffelben trennte ?) der Lauf der Schelde von ihren Quellen bis zu 
ihrer Mündung das Erbe Lothars und das Earls des Kahlen. Was fübs 
ih von dieſer Linie lag, — das fpätere Nieverlothringen oder Brabant, — 
fiel an Lothar, was nördlich — die Landichaft Flandern — fiel ans 
Reich Neufter, den Antheil Carls des Kahlen. Diefelbe Begränzung 
dauerte im zchnten und elften Jahrhundert fort. Die um 1090 abgefaßte 
Chronik von Flandern jchreibt ): „der Schelvefttom fcheidet von feinen 
Duellen an bis zum Ausflug ins Meer das Land Lotharingien, welches 
zur beutfchen Kaiſerkrone gehört, von der Mark Flandern, welche ſtets ein 
Lehen der franzöfifchen Krone war.” 

Bon der obern Ecelve zog weiter der Verduner Vertrag mit anjehn 
liher Beugung nad) Weften, welche das dem Erbe Lothars einverleibte 
Bisthum Cambray umſchloß, eine Linie nach der Maas, welcher Fluß fo: 
fort bis zu feinen Quellen hinauf Lotharingien vom Reiche Carls des Kahlen 
abgränzte. Auch dieſe Marken blicben. Seit der Mitte des 10. Jahr: 
hundert gehörte das Hochftift Kammerich zum ſächſiſch-ſaliſchen Lotharin⸗ 
gien, und ſüdlich von eben demfelben bildete der Kauf der Maas die Gränze 


1) Die Belege bei Gfrörer, Sarolinger I, 53 fl. °) Sfrörer, Garolinger 1, 56. 
) Berk IX, 320 Nr. 10, 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 97 


zwiſchen den Befigungen der deutſchen Kaiſerkrone und dem Lande Neufter. 
Der Elunfacenjer Rodulf der Kahlfopf, ein Zeitgenofje Heinrich III., jagt‘): 
„die Maas trennt beide Reihe, das deutſche und Das franzöfiiche, und 
öfter hielten an diefem Strome die Herrfcher von Deutfchland und Franf- 
reih Zufammenfünfte.* 

Doch darf die Maadgränzge nicht bucftäblih verftanden werden. 
Manche der deutichen Krone unterworfenen Orte des ſaliſch⸗ſächſiſchen Los 
tharingiens, namentlidy Herzogen-Bar, wo, wie unten nachgewielen werben 
wird, gewöhnlich die Herzoge von Oberlothringen hausten, lagen auf dem 
Iinfen oder welfchen Ufer der Maas. Echon die Worte des Verduner Ver⸗ 
trag® hatten eine gewifie Weite zugelaffen. Prudentius von Troyes jchreibt”): 
„die Schelde, die Maas, dann weiter gen Süden die Saone und der 
Rhodan fein nah Maßgabe der an diefen Flüffen gelegenen 
Grafichaften zur Gränze zwifchen den Reichen Lothars und Carls des 
Kahlen beftimmt worden.“ Die eine over andere Grafichaft fonnte da und dort 
über die Flußlinie himüberreihen. Endlich ſchieden von dem Punfte an, 
wo gemäß dem Verduner Vertrag die Gränze den Rhein überfchritt, wie 
im Weften die Maas, fo im Often die Sprengel von Mainz, Worms, 
Speier, dann weiter oben die Höhen des Wasgau, das ottonifch -falifche 
Lotharingien theils vom rheinifchen Francien, theils von dem mit Ala⸗ 
mannien verbundenen Elſaß. 

Weiter gegen Süden hatte der Verduner Vertrag den Antheil Lothars 
durch eine Linie von der Maas zur Eaone, dann längs der Eaone und 
der Rhone bis and Mittelmeer verlängert. Aus dieſen ſüdlichen Streden 
des urfprünglich Lothar zugetheilten Gebiets entftand im Laufe des zehnten 
Jahrhunderts dad Meich Arelat, welches erft faft hundert Jahre, nachdem 
Dtto I. das dieſſeits der Echelde und Maas gelegene Lotharingien erwors 
ben, durch den Salier Conrad II. unter dem Namen Burgund mit der deut: 
ſchen Kaijerfrone vereinigt ward. Seit feiner Entftchung bildete das Reich 
Arelat die Sudgränze des ottoniſch-ſaliſchen Lotharingiens. . 

Letzteres umfaßte zwei Erzftifte, Cöln und Trier, dann die Bisthlimer 
Utrecht, Lüttich, Cammerich (Cambray), Verdun, Meg, Toul. Indeſſen 
gehörten zum Cölner Erzſtift Gebietstheile, die außerhalb Lotharingiens 
lagen, während ein ſächſiſcher Stuhl die geiftliche Aufſicht über mehrere 
Gaue führte, die durch den Verduner Vettrag dem Erbe Lothars zuge: 
lagen worden waren. Am gehörigen Orte wird gezeigt werden, daß ber 
Eölner Erzfprengel zwei Haupttheile, einen überrheiniſchen und einen dies— 
feitigen in fi) begriff, von denen der legtere tief nach Weftphalen hinein- 


1) Bonquel recueil X, 28. 2) Berk I, 440. 


28 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. - 


reichte. Andererfeitö Tagen zwiſchen dem Laubach over Lauwers, einem in 
mittelalterliden Quellen häufig genannten Fluſſe, der öftlih von der haus 
tigen holläindifchen Stadt Leumarden in den fogenannten Lauwer See, 
einen Buſen der Nordſee fällt, und zwilchen der Weftgränge des Bremer 
Erzftiftö auf dem Boden der durch den Verduner Vertrag an Lothar abs 
getretenen Provinz Friesland die Gaue‘) Hugmerdi, Hunusga (Hunſe⸗ 
gau), Fivilga, Emdga und Federitga, deren Belehrung in der zweiten 
Hälfte des 8. Jahrhunderts der h. Liudger, Apoftel der Oftfriefen, über 
nommen hatte. Nachdem er als erfter Bilchof auf den Stuhl von Münfter 
erhoben worden war, behielt er die geiftliche Aufficht über dieſe Gau, 
und auch unter feinen Nachfolgern bis ins 16. Jahrhundert hinein blieben 
fie, ald von dem übrigen Sprengel abgeſondertes Bruchftüd, mit dem Stuhle 
Münfter vereinigt.) 

Im Uebrigen hatte der Vertrag von Verdun nicht das gefammte Bolf 
der Sriefen dem Scepter Lothars unterworfen. Viele deffelben Stammes 
wohnten — und zwar gedrängt, oder nicht mit andern gemiſcht — im Er 
ftifte Bremen und unter dem Banner der fächfifhen Herzoge. Adam von 
Bremen erzählt‘): „Erzbifchof Adalbert von Hamburg begleitete den fächflichen 
Herzog Bernhard II. um 1056 nad Friedland, um dort durch fein An⸗ 
fehen zu bewirken, daß Steuern, welche der Herzog einzutreiben gedachte, 
leichter bezahlt würden. Durch die übermäßige Strenge des Herz0g6 ent 
ftand jedoch ein Aufruhr, in Folge deſſen die riefen viele Schlöffer des 
Herzogs und des Erzbiſchofs bradyen und plünderten.” An fih if Far, 
dag Metropolit Adalbert von Bremen nur im eigenen Sprengel eine ſolche 
Rolle fpielen, mur in eben demſelben Schlöffer befigen konnte. 

Wir fennen aus andern Quellen die von Frieſen bewohnten Gaue, 
welche zum Hamburg-Bremer Erzftift gehörten. Der gleichzeitige Scholiaſt 
zu Adam bemerkt): „von den 17 Gauen, welche das gefammte Friesland 
umfaßt, find folgende fieben dem Bremer Sprengel einverleibt: Oſtraga 
(Dftergau), Ruftri, Wanga, Triesmeri, Herloga, Nordi, Morfet. Diele 
fieben Gaue werden vom eigentlihen Sachſen gefchleven durch den See 
. Baplinga und die Wefermünbungen.” Unter dem Waplingajee muß der Jahde⸗ 
buſen verftanden werden. ®) Neuere haben bie Lage der fieben Gaue überzeugend 
nachgewiejen.*) Sie bilden einen Halbfreis um den Jahdebufen, und ftehen 
heut zu Tage unter der Hoheit von Oldenburg und Hannover. Schon ſeit 
Errihtung des Bisthums Bremen waren fie dem dortigen Sprengel durch 


X) Berk II, 410 u. VII, 289. Man vergl. auch bie Karte zn Lappenbergs Urkun⸗ 
denbud von Hamburg I. ?) Man vergl. Rettberg, deutiche Rirchengefchichte II, 539. 
3) Berk VIL 351. 4) Berk VII, 289. 8) Ibid. Rote 33. 6) Man fehe bie 
Karte bei Lappenberg, Hamburger Urkundenbuch I. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 29 


Earl den Großen zugewieſen worden, wie fi) aus der Stiftungsurfunde 
vom Jahre 788 ergibt. ‘) 

Keiner der fieben Gaue Tann bei der Theilung des Reichs von 843 
an Lothar gefallen fein. Denn trog den reichhaltigen Nachrichten, die wir 
über die ältere Geſchichte des Bremer Stuhls befigen, findet fich nicht die 
leifete Spur von einer Berfürzung des Sprengeld, welche doch angenoms 
men werben müßte, wenn ber vorausgejegte Fall eingetreten wäre. Das 
gegen iſt gewiß, daß die Weftgränge der fieben mit Bremen vereinigten 
Baue den Ausgangspunkt bildete, von wo aus das dem Kaifer Lothar zu 
Verdun zugetheilte Erbe, oder die norböftlihde Ausbeugung Lotharingiens 
ihren Anfang nahm. Der Scholiaft Adams fährt fort: „von den 17 Gauen, 
(welche Friesland im Ganzen zählt), ftehen weitere fünf unter dem Stuhle 
von Münfter, weil fie der heilige Liudger von Kaifer Carl (dem Großen) 
zur Ausftattung empfing. Die Namen der fünf Gaue lauten: Hugmerdt, 
Humsga, Filvilga, Emsga, Federitga, jammt der Infel Bant (d. h. 
Helgoland). Weiter oben jagt derſelbe Scholiaft: „der Emsgau iſt es, 
welcher „das übrige Friesland“ von den fieben (mit Sadjen und dem 
Bremer Stuhl vereinigten) Bauen ſcheidet.“ 

Was befagt der Ausprud „das übrige Friesland“? Ohne Frage das 
was nad Abzug der fieben fächfiihen Bezirke übrig blieb, alfo die Müns- 
fteriichen und weitere fünf ungenannte Gaue, weldye erfordert werben, um 
die Zahl von fiebenzehn voll zu machen, die das gefammte Friedland d. h. 
das jächfifche und das nichtjächfifche umfaßte. Dieſes übrige Friesland aber 
gehörte von 843 bis zur Mitte des 10. Jahrhundertd nicht zu Sachſen, 
auch nicht zu Deutichland, fondern war einem fremden Reiche, dem Lothars, 
überlafjen worden. In der That fpielt der Scholiaft unverkennbar auf 
einen Alt, der Friesland in Stüde zerlegt hatte, mit andern Worten er 
fpielt, vieleicht ohne jelbft ſich deſſen Kar bewußt zu fein, auf den Vertrag 
von Bervun an. Die fünf Münfterifchen Gaue find diefelben, welche oben 
aus der Lebendgeichichte des heiligen Ludger angeführt wurden. Man hat 
in neueren Zeiten ihre Dertlichleit ermittelt.) Der Emdgau lag, wie ber 
Name ausweist, zu beiden Seiten der Ems bis an ihre Mündung, nörds 
fi von ihm reichte der Federitgau bis zur Nordoftipige der zwiſchen dem 
Jahdebuſen und dem Dollart gelegenen Halbinfel. Die heutigen Städte 
Gretſyl, Marienhafen und Norden ftehen auf dem Boden des Yederitgau. 
Beide aber, Ems⸗ und Federitgau, bildeten die Gränzen „ded übrigen“ 
d. h. des lotharingiſchen Frieslands gegen das bremifche oder ſächſiſche. 
Weftlih von der Ems — am Meeresbuſen Dollart hin — dehnte fi der 

U 


) Daf. ©. 5. flg. vergl. mit Wedekind Noten II, 417 fig. 2) Siehe die Karte 
zu 2oppenberg I, und die Perk VII, 289, Note 34 erwähnten Schriften. 


30 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Fivilgau‘), dann der Hunfegau mit der heutigen Stadt Gröningen, an 
diefen fchließt fi weiter gen Welten Hugmerfi au. 

Damit ift zugleih die oben vorbehaltene Aufgabe gelöst, nachzuweiſen, 
von wo die Gränzmarfe ausging, welche der Verduner Vertrag zog, um 
Lotharingien gegen Nordoften abzufchliegen. Von dem weftlihen Saume 
ber fieben dem Erzitifte Bremen einverleibten friefiihen Gaue aus begann 
die Linie, welche das dieſſeits des Rheins gelegene Gebiet Lothard von Sachſen 
und dem Antheil Ludwigs des Deutichen ſchied. Die Stelle des Scholia- 
ften ijt nicht blos darum wichtig, weil fie allein unter allen vorhandenen 
Duellen die Nord-Oftgränze des alten Lotharingiend beftimmt, fondern noch 
mehr deßhalb, weil fie einen in Ziffern ausgedrüdten Begriff von dem gibt, 
was man zu Bremen um die Mitte des 11. Jahrhunderts unter dem 
Wort „ganz Friedland” verftund. Es lohnt daher der Mühe die Ausſage 
des Zeugen weiter zu verfolgen. | 

Bon den 17 Gauen, weldhe das gejammte Friesland umſchloß, haben 
wir 12, nämlid 7 bremijche und 5 münfterifche fennen gelernt. Bleiben 
demnad) noch fünf übrig, die zu ermitteln find. Erzbiſchof Adalbert von 
Bremen verfuchte es, feine Herrichaft über die dem Stuhle Münſter 
einverleibten friefiihen Gaue auszudehnen. Oben?) war von der Schen⸗ 
fungsurfunde die Rede, kraft weldher Heinrih IV. oder vielmehr die vor 
mundjchaftlihe Regierung ihm die Grafſchaft in Fivel- und Hunfegau zu 
ſprach. Adalbert vermochte jedoch die beiden Gaue nicht zu behaupten, fon 
dern mußte fie an den Grafen Efibert aus dem Haufe Braunfchweig 
abtreten, °) von den ih am gehörigen Drte mehr zu berichten habe. Der⸗ 
jelbe Efidert beſaß in der Nühe noch andere friefiihe Gaue, die er, wie 
es jcheint, auf Koften Adelberts hatte abrunden wollen. Gegen Weſten 
fließen nämlih an Hugmerfi, den legten unter den fünf münfterifhen Be 
zirken, die zwei großen friefiihen Gaue, Ofterga und Wefterga, welche ben 
Raum zwiſchen dem Fluſſe Lauberd und der heutigen Zuiderjee ausfüllen 
Daß dieje Gaue im eigentlichen Friesland und zwar neben einander lagen, 
erhellt aus der älteften LXebensbefchreibung des heiligen Bonifacius, wo es 
heißt: %) „im Lande der Briefen find zwei Gaue, nur durd einen Fluß — 
bie Bordau getrennt — welche in deuticher Sprache Wefters und Oſter⸗ 
Ache genannt werden”; daß weiter der Oftergau an den münfterifchen Bes 
zirk Hugmerfi grängte, erficeht man aus folgender Stelle’) im Leben- des 
heiligen Willehad: „der Heilige predigte im Oftergau, überjchritt dann den 
Laubers und gelangte nah Hugmerki.“ 


1) Man fehe bie bei Kalte traditiones fuldenses nachgewiefenen Orte ©. 441. 
3 S. 17. 2) Pertz VII. 353 oben n. 354 Mitte. 4) Berg 11, 350. 
) Ibid. 380. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 31 


Der Dftergau ftieß demnady unmittelbar an Hugmerfi, von dem er 
mur durch den Lauberdfluß gejchieven war. Weiter erfahren wir durch den, 
jelben Zeugen, ') daß im Oſtergau Dodinfirhen lag, wo der heil. Bonis 
facius den Märtyrertod erlit. Das heutige Dodum norböftlih von Leeus 
warden ift gemeint. Dem Weftergau gehörten die Orte Hindalop (Hins 
delopen an der Zuyderjee) und Haſalun (Haſſelt unweit des Ausflufjes 
der Vechte in den nämlichen Meerbujen) an, welche das Fulder Schenkungs⸗ 
buch, als im Weftergau gelegen, erwähnt. ) Bis 1085 gebot im Wefters 
wie Dftergau der oben erwähnte Graf Efibert; aber durch Urkunde’) vom 
7. Gebr. 1085 ſetzte ihn Kaifer Heinrich IV. wegen Treubruhs ab und 
verlieh nun die zwei Gaue an das Hodftift Utrecht. Das mag ald Beis 
ipiel dienen, wie faiferliche Politif das friefiihe Bisthum ald Gegengewicht 
berrügte, um den Uebermuth der weltlichen Großen des Landes zu —äms 
pfen. Mit dem Weiter: und Oftergau ift die Ziffer der nachgewieſenen 
Gaue Frieslands auf 14 geftiegen, es fehlen zu 17 nur noch drei. 

Mehrfach werden in carolingifchen Urfunden — und zwar ald anfehn- 
lihe Landestheile — die Gaue Hamalant und Tefterbant aufgeführt. Pru⸗ 
dentius von Troyes jchreibt *) zum Jahre 837: „Ludwig der Fromme dachte 
jeinem jüngften Sohne Friesland und die Comitate Batua und Hamalant 
zu“, und wiederum zum Jahre‘) 839: „der alte Kaifer wollte dem nämlichen 
Eohne das Herzogthum Friesland bis zur Mans fo wie die Eomitate 
Hamalant, Batua, Tefterbant übergeben”. Eodann meldet ) Hinfmar, daß 
Ludwig der Deutiche 870 bei der Theilung des lotharingiichen Erbe, außer 
vielen andern Gebieten, Batua und Tefterbant empfing. Die Dertlichkeit 
von Hamalant wird durch eine Reihe von Urkunden’) namentlih des Klo⸗ 
ſters Corvey beftimmt; es umfaßte das Ylußgebiet der Dfiel von der er⸗ 
fien Spaltung des Rheins an bis hinunter zur Zuyderfee: die Orte Hoch⸗ 
elten (ein Klofter bei Emmerih), Doesburg, Zuytphen, Deventer lagen 
im Hamalant. Die Landichaft Tefterbant, welche der alte Ehronift von 
Fuld ausdrücklich ald einen großen friefiihen Gau bezeichnet ®) der ein 
ganzes Heer aufzuftellen vermochte, begriff laut urkundlichen Nachrichten °) 


*) Berk 11, 380. Die beigefügten Noten find irrig. :) Dronke traditiones ful- 
denses ©. 51 Nr. 131. ©. 46 Nr. 59. ©. 47 Nr. 74 u. 76, endlich ©. 48 Nr. 86, 
») Böhmer regest. Nr. 1923. %) Perg I 431. 6) Ibid. 435. °) Ibid. S. 488. 
N) Zulfe traditiones correienses ©. 418 flg. und im Anhange dazu Sarachoniz registr. 
©. 40 Nr. 895—698. °) Perg I, 402 Frisones, qui vocantur Destarbentson. 
) Don nachweisbaren Drten werden in Tefterbant folgende erwähnt: auf dem linfen 
Ufer der Maas aber nahe dem Strome: Empel (norböftli von Herzogenboſch) Rosmalen 
(Rosmella) Harpen (Harpina); auf dem rechten Ufer: Driel gegenüber von Empel. Diefe 
in einer Lorfcher Urkunde aus dem neunten Jahrhundert Codex lauresham. I, 164 flg. 
Rr. 106. Berner auf der Infel zwifchen Wahl und Altrhein, die fonft Betume heißt, 
ver Handelsplatz Thiel (Urkunde vom Jahr 1000 bei Lacomblet I, 82 Nr. 132), ſodann 


32 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


aus dem 9. bis 11. Jahrhundert die Marfchgegenden zwilhen Mans, 
Wahl und dem Altrhein. 

Noch iſt das Haideland übrig, das ſich von der Iſſel um: die Zuyder⸗ 
fee hinzieht. Dafjelbe hieß Veluwe, in welchem Gaue Urfunden des neun 
ten und zehnten Jahrhunderts die Orte Wageningen, Engeland, Appelvorn, 
Effen (Asci), Emelaar (locus Agilmari) aufführen.) Noch heute bes 
wahrt viefelbe Gegend die Benennung Veluwe. Im eilften Jahrhundert 
muß der Gebrauch geherrfcht haben, daß man die Gaue Tefterbant und 
Veluwe im Einne von Marſch⸗ und Heideland einander entgegenfehte. 
Der Biograph des Biſchofs Meinwerf von Paderborn, der unter Katfer 
Heinrich's II. blühte, erzählt folgendes ): „Meinwerf befaß von Haus aus 
großes Gut in vielen ‘Provinzen des Reihe. Da nun einft Hungersnoth 
(beſonders in Friedland) herrichte, ließ der Biſchof zu Coͤln Getraide kan⸗ 
fen, und auf zwei Schiffe nach dem Niederland °) verladen. Des Biſchofs 
Anweifung lautete dahin: die beiden Oberverwalter der Güter in Tefter 
bant und in Veluwe follten das Korn in vier Theile zerlegen: einen zum 
Unterhalt für die Beamten, einen für die Hinterfaßen, einen zur fünftigen 
Ausfaat, einen für die Armen. Der Obervogt von Belumwe vollftredte 
pünftlid den Auftrag ſeines Gebieters, aber der von Tefterbant unterfchlug 
das für die Armen beftimmte Viertheil.“ 

Werden bier nicht die Gaue Tefterbant und Veluwe in der Weiſe 
von Marſch⸗ und Heideland unterfchieden? Man bemerfe nun, daß Beluwe 
der 17. Gau Frieslands ift, und daß wir Schritt vor Schritt von ber 
Wejermündung bis zur Maas, dem Endpunfte des friefiichen Herzogthums 
vorgerüdt find. 

Da das, was der Scholiaft Adams unter dem Worte „geſammtes 
Friesland“ bezeichnet — offenbar ein fehr ausgebehntes Gebiet, das von 
der Wefermündung bis zur Maas reichte — laut feiner völlig glaubwürbigen 
Angabe nur 17 Gaue zählte, jo fpringt in die Augen, daß unter diefen 17 
Gauen große Bezirke verftanden werden müſſen. Wirklich erfcheinen bie 
nachgewiejenen durchaus als jolhe in den Quellen. Wie da und dort im 
übrigen Deutjchland waren aber aud die größeren friefiihen Gaue in vers 


in dem Land zwifchen Maas und Wahl die befannte Stadt Bommel, und auf dem rech⸗ 
ten Ufer der Wahl Arkel bei Gorkum (Urfunde von 998 bei Falke trad. correiens. ©. 
434), weiter Well oder Wella füblih von Bommel (Sarachonis registr. ibid. Nr. 720); 
endlich Buuren abermal auf Betuwe (cod. lauresh. III, 282 Nr. 3797). Man vergl. 
noch Perb XI, 156 gegen unten mit Falke trad. correyens.. ©. 426. 

*) Ibid. 419 flg. Die erwähnten Orte find großentheild verzeichnet auf den beirefs 
fenden Karten des Woerl’ichen GentralsAtlas. 2) Perk XI, 138 Mitte, 3) Dua⸗ 
naves onustas ad inferiorem terram deferri focit. Schon damald nannte man die unter 
theinebene vorzugsweife Nieberland. " 


Erſtes Buch. Cap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 33 


ichiedene Untergaue eingetheilt, deren Namen häufig in Urfunden vorfom- 
men. ') Unfere Unterſuchung hat jedoch mit leteren nichts zu thun, dieweil 
ed fi für und einzig darum handelt, an der Hand des Scholiaften und 
anderer alten Denfmale die Eintheilung des gefammten Frieslands im Gros 
Ben zu ermitteln. 

Indeß bat e8 allem Anfcheine nah mit den Gauen Tefterbant und 
Betuwe eine eigenthümlihe Bewandtniß. Den Theilungsentwurf von 839 
ſchildernd, erwähnt”) Prudentius von Troyes neben Batua Tefterbant. 
Ebenſo fagt”) Hinfmar: Ludwig der Deutiche habe bei der wirklichen Thets 
lung von 870 aus dem Nadlafje Lothars Tefterbant und Batua empfan- 
gen. Demnach fcheint ed, ald habe man Batua und Tefterbant deutlich 
unterjchieden, d. h. in jedem der beiden Gaue eine befondere Landſchaft 
gefehen. Allein Spuren find vorhanden, daß gegen Ende des 9. Jahrhun⸗ 
derts der Begriff Batua ein Lebergewicht erhielt und den von Tefterbant 
wo nicht ganz aufjaugte, jo doch zum Rang eined Untergau's herab⸗ 
drũckte. Chronift Regino rechnet?) die wohlbefannte Stadt Nimmegen zu 
Batua, während fie doch nicht auf der durch die Trennung der Wahl und 
des Altrheins gebildeten’) Injel, jondern auf dem linfen Ufer der Wahl, 
alio im eigentlichen Tefterbant lag. Auf daſſelbe Ergebniß weist eine 
wichtige Urfunde aus dem Jahre 855 hin, von der unten bie Rebe 
jein wird. 

Das Umgefehrte dagegen geichah im Laufe des 11. und 12. Jahrhunderts. 
Bor Tefterbant verſchwand allmählig Batua, oder fanf zu einem Untergau 
der erfteren Landſchaft herab. Wie oben gezeigt worden, fennt der Bios 
graph Meinwerfd nur den Gegenfag zwiſchen Tefterbant und Veluwe und 
ſchweigt gänzlih von Betuwe. Einen zweiten Beweis liefert die Chronif 
von S. Trond. Die Güter diefer überreichen brabantiichen Abtei waren °) 
in zwei Hauptverwaltungen eingetheilt: die Propftei von Hespengau (Süd- 
brabant) und die von Tefterbant. Letzterer Gau wird nebenbei ald cine 
Landichaft bezeichnet, welche gejalgene Häringe und getrodneten Stockfiſch 
in Denge lieferte: der Handel der Maasmündungen von Rotterdam und 
Blärdingen thut fih Fund. Ausdrücklich führt die Chronik Bardwiik (öſt⸗ 
lih von Gertrudenburg an der fogenannten alten Maas), ald in Tefterbant 
gelegen ?) auf, von Betuwe dagegen fagt fie fein Wort. 

Nun zurüd zum Scoliaften Adams. Darf man ruhig annehmen, 
daß unter den fünf von ihm nicht namentlich, bezeichneten Gauen des „ges 


— — — — — — 


1) Man vergl. Falke cod. tradit. Corbeiens. und Dronke tradit. fuldens. S. 240 fig. 
3) Berg I, 435. 3) Ibid. 488. %) Ibid. 564, a oben. °) Ibid. 595. °) Pers 
x, 313 flg. 7) Ibid. 285 unten. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Br. J. 3 


34 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


fammten Friesland” wirklich die oben nachgewiejenen Dftergau, Weftergau, 
Hamalant, Tejterbant, Belume gemeint find? Was die beiden erften anbetrifft, 
fann fein Zweifel fein, da Ofters und Weftergau jo häufig und beftimmt 
vom 8. Jahrhundert an als friefiiche Landestheile erwähnt werden. Daſſelbe 
gilt aber audy bezüglich der drei übrigen. Wie anders fol man die Lücke 
zwiſchen Zuyderfee und der Maas ald der anerfannten Weftgränge Fries⸗ 
lands ausfüllen, wenn nicht mittelft der drei viel genannten großen Gaue! 
Noch ein zweiter entſcheidender Grund kommt hinzu. 

Der Scholiaft zu Adam, felbft ein Elerifer, entwidelt in jenen geogra- 
phiihen Beftimmungen nicht fowohl den politiichen als vielmehr den kirch⸗ 
liben Begriff von Friesland. Bon den 17 Gauen gehören 7 namentlid 
aufgeführte dem Stuhle von Bremen, fünf weitere dem von Münfter 
an. Ebenſo verhält es ſich mit den übrigen fünf ungenannten. Es gab 
ein dritted Bisthum, zu welchem Friesland in engfter Beziehung ftand: 
das von Utrecht. Lebtered hieß vorzugsweile das friefiihe. Sagt‘) doch 
fhon der Biograph des h. Bonifazius, diefer Apoftel unjerer Nation habe 
zu Utrecht feinen Gefährten Eobanus ald Biſchof der Friejen eingefept. 
Nun behaupte ih: unverkennbar meint der Echoliaft unter den fünf unge 
nannten Bezirken die Gaue Weiters und DOftergau, Hamalant, *Tefterbant 
und Veluwe, denn die erften drei bildeten?) die Gränze des Firchlichen 
Frieslande, d. h. des Utrechter Stuhls gegen Münfter und Osnabrüd, 
Tefterbant mit Batua fchied *) ebenfo von demjelben Sprengel die Hoch⸗ 
ftifte Coͤln und Lüttich; Veluwe aber füllte nach Innen die Lüde zwiſchen 
Weſtergau und Teſterbant aus. 

Iſt dem ſo — und ich glaube nicht, daß meine Behauptung umge⸗ 
ſtoßen werden kann, — dann folgt allerdings, daß der kirchliche Begriff 
von Friesland wenigſtens im karolingiſchen Zeitalter den politiſchen an Umfang 
übertraf. Zunächſt müſſen wir die bereits erwähnte Urfunve °) von 855 ins 
Auge faſſen. Ein Edler Namens Folfer, reichbegütert im norpöftlichen Lotharin- 
gien, war ald Mönch in die nieverrheinifche Abtei Werden eingetreten und 
hatte vorher fein Grundeigenthum verfchenkt. Zu dieſem Zwed verfügte er 
über Ländereien, gelegen in den Gauen Hamalant, Betuwe,*) Beluwe, 
Hlethi?) (Untergau von Veluwe), Kinnemerland, %).Weftergo und Hugmerfi. 
Die Urfunde ift ausgeftellt den 10. Nov. 855 — zwölf Jahre nach Ab⸗ 
Ichluß des Verduner Vertrags — unter der Regierung „unſeres Herrn, des 
Kaifers Ludwig ded Jüngeren”, worunter unzweifelhaft der älteſte Sohn 
Lothars, feit 850 Mitkaifer feines Vaters, zu verftehen if. 


2) Berk II, 349 unten. 2) Man fehe die Karte der Bisthümer Deutfchlands. 
’) Abgebrudt bei Lacomblet Urfundenbuch des Niederrheins I, 30 flg. Nr. 65. *) Ibid. 
©. 30. 6) Ibid. 31. *) Ibid. 31 über die Lage fiche unten. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 35 


Der Schenker bezeichnet ihn als feinen Herrn, weil daß kaiſerliche Scepter 
Ludwigs UI. fi) auf das ganze, durch den Vertrag von Verdun ausgefchiedene, 
Erbe Lothars erftredte. Folglich gehörte Batua und Hamalant, ſammt dem 
eigentlichen Friedland, oder dem Herzogthum des Prupdentius, zum Antheile 
Lothars, folglich erhält die oben nachgewieſene Emslinie eine urkundliche 
Betätigung. Bon Tefterbant jagt die Urfunde fein Wort, wohl aber 
führt fie den Ort Ewyk, der weftlih von Nimwegen zwilhen Wahl und 
Maas, alfo in Tefterbant liegt, unter dem Gaunamen von Batua auf. 
Beides beweist, daß das, was ich oben über dad Verhältniß der Gaue 
Batua und Tefterbant bezüglid ded 9. Jahrhunderts fagte, feine Richtig« 
feit bat. 

Endlich enthält dad Pergament nod eine wichtige Bemerkung. Folker 
fagt, daß er die Schenfung der genannten Orte gemäß den Formen dreier 
verſchiedenen Rechte: des ripuariichen, des falifchen und des friefifchen *) 
ausgefertigt habe. Es gab im Mittelalter Feinen ficherern Beleg der Ab- 
fammung als das Volksrecht. Der Salier ftand nur unter falifchem, der 
Ripuarier nur unter ripuariichem, der Briefe nur unter friefiichem Rechte. 
Folglih waren die Gaue, welde die Urkunde aufführt, nicht ausſchließlich 
von Briefen bewohnt, fondern nur ein Theil derjelben gehörte zum eigents 
lihen Friedland; in andern dagegen ſaßen Ripuarier und Salier. Welche 
muß man nun als friefiich, und welche als nichtfrieftfch betrachten? Nichts 
friefiich find geweien das obere Hamalant, Batua und Tefterbant. Denn 
nicht nur unterjcheiden Prudentius und Hinkmar dieje Bezirke in den Thei⸗ 
Iungsentwürfen oder Urkunden von dem eigentlihen Friesland, ſondern 
der Eritere jagt ausdrüdlih, daß fie zu Ripuarien gehörten aljo unter 
ripuarijchem Geſetze ftanden. Das falifche Recht herrfchte ) in dem unteren 
Theile Hamalands oder des Ifjelgebietes, welches deßhalb noch heute das 
Salland heißt. Frieſiſcher Abftammung und frieſiſchem Rechte gehörte das 
gegen an die Strede, welche Prudentius mit dem Namen friefiihes Her 
zogthum bezeichnet, d. h. das Küftengebiet von dem Weftergau zur Maas 
mit dem Stinnemerland und etwa dem öftlihen Theil der Veluwe. 

Allein obgleich theilweile von Nichtfriefen bewohnt bildeten die fünf 
oben genannten Gaue das kirchliche Friesland oder den Sprengel von 
Utrecht. So viel über die ältefte Eintheilung des nordöſtlichen Lotharingiens. 

Bei weiten dem größten Theile nad lag Lothars Erbe auf altem 
Römerboden, der noch immer zahlreiche Weberbleibfel der Cultur des großen 
Volks beſaß. Zum Beweiſe genügt es, eine Reihe Städte zu erwähnen, 
die von den Römern erbaut worden waren, und neuen von den Merowingern 


1) Der fogenannten ewa frisonum ibid. ©. 30. 3) Die Belege bei Lebebur, Land 
und Bolf der Brukterer, Berlin 1827. ©. 84. 
3° 


36 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


oder den älteren Garolingern gegründeten Schöpfungen zum Vorbild dienten. 
Ich nenne die Metropolen Cöln und Trier, die Biichoffige Utrecht, Lüttich, 
Cambray, Metz, Toul, Verdun, dann die Orte Deventer, Zütphen, Does- 
burg, Durftätt, Thiel, Nimwegen, Antwerpen (in Hamalant, Batua, 
Tefterbant und auf der Gränze Flanderns), Aachen, Bonn (im Eölner Erz 
ftifte), Brüſſel, Löwen, Meceln, Mond, Namur, Balenciennes, Maftricht 
(in Brabant), Coblenz, Diedenhofen, Nancy, Herzogenbar ') (in Obers 
Iothringen). 

. An politiihen Organijationen begriff das jächfich-falifhe Lotharingien 
zwei Herzogthümer (Brabant und Oberlothringen) ein großes “Palatinat 
(das der Ezzoniden von Aachen), dann eine bedeutende Zahl von Grafen: 
und Dynaſten⸗Geſchlechtern. Ylandern gehörte, wie oben gezeigt worden, 
geographiich nicht zu Kotharingien, dennoch muß es in unfern Kreis gezogen 
werden, theild weil dad dort herrichende Haus für Lehen, die auf lotha⸗ 
ringifhem Boden lagen, deutihen Kaijern Huldigung leiftete, noch mehr 
weil dafjelbe einen enticheidenden Einfluß auf die lotharingiſche Vaſallen⸗ 
welt, und durch fie auf das gejammte deutiche Reich geübt hat. 


Bie Graſen von Holland, die Monarchia Frisonum mit Erfigebartredht und 
j Untpeilbarkeit des Landes. 


Ich beginne im Nordoften mit dem holländifchen Grafenhaus, wobel 
jedody zum Voraus bemerft werden muß, daß auf dem Boden des fird- 
lichen Frieslands außer der holländiichen Grafihaft im Laufe des 10. und 
11. Jahrhunderts noch andere politiiche Organismen cmporfproßten, deren 
Geſchichte man nur theilweife Fennt. Don folcher Art find die Stiftslande 
von Utrecht oder die Grundherrichaft des dortigen Stuhls, welde in ven 
Zeiten der Salier folhe Ausdehnung erlangt hatte, daß die Bilchöfe von 
Utrecht, wie man unten erfehen wird, mit bewaffneter Hand den Holländer 
Grafen Widerpart zu halten vermochten, dann das Gebiet, welches Ebert 
von Braunfchweig im friefiihen Wefter- und Oftergau und auf Koſten 
Adalbertd von Bremen in den fünf münfterifchen Bezirken erwarb, aber 
bald wieder verlor; endlih das Lehen der Grafen von Zütphen im Hama: 
land. Der Mönd von Braunmweiler, von dem unten mehr die Rede fein 
wird, erzählt, ) daß der lotharingifche Pfalzgraf Ludolf in der erften Hälfte 
des 11. Jahrhunderts Mathilde, die Tochter de8 Grafen Dtto von Zütphen, 
eheligte. Saft 100 Jahre nad Dtto kommt ein Graf Heinrich von Zütphen 
vor, welchen eine Urkunde von 1117 erwähnt, ) und den auch der ſäch—⸗ 
ſiſche Annalift kennt. *) 


°) Die Beweife aus den Quellen unten im Berlanfe der Erzählung. 2) Bere XI, 
398 unten. °) Lacomblet a. a. DO. I, ©. 187 Nr. 285. *) Berg VI, 737 unten. 


Erſtes Bud. Kap. 2. Lotharingien. Herzogihümer. 37 


Wefentlib hat fich jeit dem Mittelalter die Oberfläche des norböft- 
lihen Lotharingiend geändert. Ehemals ftrömte der Rhein in zwei Haupt- 
armen, der Wahl und dem Altrhein, dem Meere zu. Vor feinem Aus⸗ 
flue nahm der Wahl-Arm die Maas auf. Ihre gemeinjchaftlide Mündung 
bieß Helium, von weldem Worte ein Stück in dem Namen des Orts 
Helvotsluys übrig geblieben ift. ) Der Altrhein berührte in jeinem Laufe 
bie Biſchofſtadt Utrecht und fiel unweit dem heutigen Leyden in die Norb- 
fee. Weiter oben, nicht fern von der Stelle, wo der Strom fi in die 
beiden genannten Arme trennt, hatten die Römer den Altrhein durd einen 
Canal (die fossa Drusiana) mit der Yſel verbunden. Diefer dritte Arm 
mündete nicht unmittelbar in das Meer, jonvdern in einen Landſee, Flevum 
genannt, der aber durch einen gleichnamigen Ausflug mit der Nordſee zus 
jammenhing. ) Schon um die Mitte des 9. Jahrhunderts nöthigte jedoch 
eine fürdhterlihe Sturmfluth den Rhein und die Maad neue Rinnfale zu 
öffnen. Abermal brah im 15. Jahrhundert der Ocean herein und ers 
weiterte, viele Dörfer und Städte verfenfend, das Beden ded Flevum zu 
dem jegigen Meerbujen der Zuiderſee. 

Im Erbe Lothars herrichte während des 9. und bis zur Mitte des 
10. Jahrhunderts größere politifche Verwirrung, als in den zwei andern 
dur den Verduner Vertrag entftandenen Theilreihen, und faft ungehindert 
wüthete dort die Gottesgeißel des 9. Sekulums, das Schwert der Nor: 
mannen. Schup von Seiten der Staatdgewalt gab es feinen, wer auf: 
fommen, wer ſich oben erhalten wollte, mußte mit der eigenen Perſon be: 
zahlen. Solche Zeiten find energiihen Männern günftig, fie haben unvers 
fennbar den Grund der Macht eined neuen Haufed gelegt, dad von unten 
auf fi emporarbeitend, nicht von einem der größeren älteren Gaue, nicht 
einmal von einem der Fleineren, feinen Namen empfing. 

Eine Inſel, welde die Maas gegen ihren Ausflug bildet, und auf 
welcher die Stadt Dortrecht liegt, hieß ) wegen des Buſchwalds, ver fie 
bevedte, Holtland d. h. Holzland. Dieje Benennung ging urfundlid *) 
teit 1083 auf jenes Haus und auf das von ihm beherrichte Gebiet, dann 
auf immer weitere Kreife über, und befteht heute noch, faft das ganze 
843 dem Kaifer Lothar zugewiefene Land zwiſchen Ems und Rhein ums» 
faffend. Im Uebrigen verhält es fi) mit dem Namen Holland, wie mit 
der Bezeihnung eines auf der Nordfeite der Elbe anfäßigen fächfiichen 
Stammed. Adam von Bremen jagt: ) „im überelbifhen Sachſen wohnen 
drei verſchiedene Stämme, die Diethmarfen, die Stormaren und die Hol 





1) Rettberg Kirch. Geſch. Deutfch. II, 497. 2) Man fehe die Karte des alten 
rießland bei Kluit. II, 138. *) Ibid. I, b ©. 48 fig. *) Ibid. IL, 119. °) Berk 
Gfroͤrer, Carol. I, 53. 


38 Babft Gregorius VIEL. und fein Zeitalter. 


faten (Urfprung des heutigen Namens Holftein); letztere heißen fo, weit fie 
in einem mit Holz bededten Land figen.“ 

Nicht wenig trugen zum Wachsthum des neuen Haufes die 5Ojährigen 
Kämpfe um den Beſitz des alten Lotharingiens bei, welche die Ottonen im 
10. Jahrhundert gegen die Testen @arolinger Neuftriend beftanden. Die 
Ahnen der nachmaligen Grafen von Holland haben dieſe Feindſchaft ges 
hit benüst, um auf Koften Beider ihr Gebiet zu vergrößern und durch⸗ 
zufegen, daß nicht nur die Erblichfeit ihrer Herrichaft, ſondern auch das 
aus dem benachbarten Flandern entlehnte Hausgefeg der Untheilbarfeit an- 
erfannt werden mußte. ine weitere Folge davon war, daß fie fpäter 
wiederholte Verfuche unferer Kaiſer, die friefiihe Dynaftie dem Berbande 
des’ Herzogthums Brabant zu unterwerfen, glücklich vereiteln konnten. 

Der erfte urkundlich befannte Graf hieß Theoderich I. Doch fcheinen 
ſchon feine Ahnen daffelbe Gebiet befeßen zu haben, das er feinen Kindern 
und Enfeln hinterließ. Aber Zufammenhang kommt in die Gedichte des 
holländifhen Grafenhaufes erft durch die von Theoverich gegründete Abtei 
Egmont, deren Mönche eine Ehronif verfaßt haben, welche unfere Haupt- 
quelle if. Durch Urfunde 9 vom 15. Juni 922 vergabte Earl der Ein: 
fältige, König von Neuftrien, damals noch Herr von Lotharingien und 
folglich auch von Friesland, an einen feiner Getreuen Theoderich die Kirche 
von Efmünde nebft Zugehör, begreifend das Land von Suitardeshage — 
einem durch den Zuyderſee verfchlungenen Ort — bis zur Kinnem. Die 
Kinnem ift ein Flüßchen unweit Alfmar, das der Gegend die es beipühlt, 
den Ramen SKinnemerland gab. Cgmont liegt gegenwärtig auf der Land- 
unge, welche beim Einbruch der Zuyderſee die Wuth des Elements vers 
ſchont hat. Daſelbſt errichtete ) nun Theoderich I, Graf ded Gaues, mit 
feiner Gemahlin, Gewa, ein $rauenflofter, das fie mit Allodialgütern aus⸗ 
ftatteten. 

Der Möndy von Egmont gibt das Todesjahr Theoderichs I. nicht an, 
wohl aber bemerft ) er, daß ihm um 970 fein Sohn Theoderich II. in der 
Grafſchaft nachgefolgt war. Diefer Theoderich II. vermehrte fein Hausgut 
bedeutend: er heirathete %) Hildegardis, eine Nichte Billungs des Stamm; 
vaters der fächfifchen Herzoge und Tochter Wichmanns, welchen Dtto I. zum 
Burggrafen von Gent beftellt hatte. 

Aus Anlaß eben genannter Heirath fcheint es gefchehen zu jein, daß 
ihm durch Urkunde ®) vom 13. April 969 König Lothar von Reuftrien, 
der damald und noch fpäter dem deutfchen Kaiferhaufe den Beſitz Lotha- 
ringiens offen oder heimlich, ftrittig machte, ) die Grafſchaft Gent und den 


") Rluit II, ©. 13 Nr. 3. 3) Kluit I, a ©. 19 flg. ”) Ibid. ©. 28. 
*) Ibid. ©. 30. ®) Ibid. IL, 30. 6) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1988. 


Erſtes Bud. Gap. 2. Loiharingien. Herzogthümer. | 39 


großen Forft Waasda oder Waes bei Gent übertrug. Theoderich hielt 
damals zur franzöfiihen Partei, aber nachdem das Kriegsglück für die 
Ottonen entihieden und den Staatsvertrag vom Jahre 980 erziwungen 
hatte, ) der die franzöflihen Karlinger für immer zwang auf Lotharingien 
zu verzichten, ging der holländer Graf zur Faiferlihen Fahne über. 

Abermal fam er nicht zu kurz. Nach Dttos IT. Tode find unter feinem 
unmünbigen Radfolger, dem Kinde Otto III., gefährliche Unruhen ausge: 
broden, bei welchen Gerbert, nachmals unter dem Namen Spyivefter II. 
Pabft, dem berrfchenden Haufe wichtige Dienfte leiſtete.) Theoderich IL 
muß damals fein Schifflein gewandt gefteuert haben. Denn während bie 
Iothringiihen Wirren auf der Spite ftanden, verwandelte I Kaifer Otto II. 
dur Urfunde vom 25. Auguft 985 die Grafihafen Mafalant, Kennem 
und Terla, welche Theoderich bisher vom Reiche zu Lehen trug, in erblichen 
Beſitz des Grafenhaufes. In die Augen fpringt, daß der deutſche Kaifer 
dieſe wichtige Bewilligung, welche jedoch — wohl abfihtlih — in dunfeln 
Ausdrüden abgefaßt ift, nicht für Nichts geleiftet haben Tann. Ste war 
ohne Zweifel der Preid entweder der Hülfe die ihm während der legten Un- 
ruhen Theoderich Teiftete, oder der Furcht die er einzujagen wußte. “Die 
brei eben genannten Grafichaften begreifen das Land an den Mündungen 
der Maas mit Vlärdingen und Delft, das SKinnemerland, wo Egmont 
jelbft liegt, und vielleicht die nachmalige Inſel Terel, oder zufammen das 
Küftengebiet vom Ausfluffe der Maas bis Terel, welches letztere) damals 
noch Feſtland war. 

Theoderich II. ſchuf das von ſeinem Vater gegründete Frauenkloſter 
Egmont in ein Benediktinerſtift um, und zeugte in ſeiner Ehe mit Hilde⸗ 
gardis drei Söhne: Arnulf, welcher in der Herrſchaft nachfolgte, und zwei 
andere, von denen der ältere Egbert hieß und 975 ven Erzftuhl von Trier 
beſtieg. Theoderich II. ftarb im Jahre 988. 

Amulf, der die Regierung ) übernahm, wurde Schwager des nad)- 
maligen Kaiſers Heinrih II., indem er Lintgardis, eine Tochter des 
Luremburger Sigfried und Schweſter der Kaiſerin Kunegunde, ehelichte. 
Der Mönch von Egmont gibt den Namen Liutgardid richtig an, auch die 
weitere Eigenſchaft, daß fie die Schwefter einer Kaiferin war, dagegen 
verwechfelt er Kunegunde mit Theophano, der Gemahlin Otto's IL. Allein 
da Dietmar nicht nur Liutgard ald Schwefter Kunigunden’s erwähnt‘), fondern 
auch den Sohn Arnulfs, Theoderich IIT., einen Neffen der Kaiferin Kunegunde 
nennt,”?) kann fein Zweifel über den Irrthum des Mönchs obwalten. Ars 
nulf verfuchte e8 fein Gebiet gegen Dften zu vergrößern, er griff, wie es 


1) Daf. ©. 1385. 2) Daf. 1423 flg. ®) Kluit II. 57. *) Man fehe die 
Karte bei Kluit. *) Kluit I, a ©. 36. 6) Perg IH, 810. ?) Ibid. ©. 869. 


40 Pabſt Sregorius VH. und fein Zeitalter. 


icheint, die Bewohner des oben erwähnten Weftergau an, aber mit fchled- 
tem Erfolg, denn um 1004 — irrig‘) nennt der Egmonter Möndy das 
Jahr 993 — ward er im Kampfe wider diefe Gegner erjchlagen. 

Nun folgte der Erftgeborne des Verftorbenen, Theoderich II. Weil 
er noch minderjährig war, führte die Mutter Liutgardid im Namen des 
Sohnes die Regentichaft. Hierauf deutet?) Dietmar von Merjeburg hin, indem 
er zugleich meldet, daß der deutſche König Heinrich II. im Jahre 1006 
die Friefen, welde den Kampf gegen Arnulf Sohn fortjegen wollten, mit 
einer Flotte zu Paaren getricben habe. Allem Anfcheine nad machte fid 
der König auf eine eigenthümliche Weife bezahlt. Der Egmonter Mönd 
meldet, Arnulfs Eohn, Theoverich III., babe nicht für fi allein, ſondern 
in Gemeinfchaft mit feinem jüngeren Bruder Sigfried (verfürzt Siffo) 
regiert. Der verbienftvolle Herauskeber der Egmonter Ehronif, Kluit, ver: 
wirft diefe Nachricht, weil ed damals nicht üblich geweſen fei, Graffchaften 
zu theilen. Aber Kluit hat Unrecht und der alte Mönch Recht. Ein fehr 
gut unterrichteter Schriftfteler des 11. Jahrhunderts, Berfafler der Ge 
ſchichte des Stuhls von Cammerih’), fagt bei Schilderung von fpätern Er: 
eigniffen, deren ich unten gedenfen werde, Theoderih, Sohn Arnulfe, des 
Genter Grafen, habe Antheil an der Monardie des Frieſenlandes beſeſſen. 
Unwiderfprechlid geht hieraus hervor: erftlih daß Theoderich Friesland nict 
allein, fondern in Gemeinfhaft mit einem andern, d. h. mit feinem Bruder, 
regierte; zweitens, daß die von feinem Großvater Theoderih D. erworbene 
Grafſchaft Gent dem Enfel geblieben war; endlich drittens, daß im Haufe von 
Holland ein Familiengeſetz beftand, welches Untheilbarfeit des Landes aus 
ſprach und demgemäß zur Noth eine gemeinjchaftliche Regierung zweier, aber 
nicht mehr fürmliche Zerſtücklung der Grafſchaft unter verjchtedene Erben 
duldete. Der von dem Chroniften gebrauchte Ausdruck Monarchia Frisonum 
nöthigt durchaus Leptered anzunehmen. 

Zwei Fragen find demnach zu löfen, einmal wie ein ſolches Geſet 
aufgefommen fein mag? fodann wie es geihah, daß, obgleid das Statut 
galt, Theoderich III., der Erſtgeborne des Haufe, fi feinen füngern 
Bruder als Mitregenten gefallen ließ? Was den erften Punft betrifft, fo 
war, wie wir wiflen, durd die Urkunde Dtto’8 IIT. vom Jahre 985 das 
Gebiet der Theoderihe für volles Eigenthum, folglih für erblich erklärt 
worden. In der menfchlihen Natur aber liegt es, daß Gefchlechter, welche 
ſolche Befugniffe von Seiten der Stantsgewalt erringen, auf den Gedanken 
gerathen: gar fchön müſſe es fein, wenn das Hausgut nicht mehr getheilt 


— — — —— — — 


1) Rluit I, a ©. 38 und ibid. Note 26. 2) Pertz III, 916. 2) Gesta Camer. 
III, 19. Berg VII, 471. Theodericus, Arnulfi Gandensis filius, qui participium 
monarchiae Frisonum tenebat. 


Erſtes Buch. Cap. 2. Lolharingien. Herzogthümer. 41 


werbe, ſondern ſtets in einer Hand verbleibe. Wirklich hat Theoderichs TIT. 
Pater oder Großvater fo etwas nicht nur gedacht, fondern auch ind Werk 
gejeßt: Beweis dafür die von dem Ghroniften bezeugte Einführung ver 
Monarchia Frisonum. 

Bezüglich der zweiten Srage kann wohl fein Zweifel fein, daß Theo⸗ 
verih 111. nicht gutwillig den Bruder zum Mitgrafen annahm. Aber ein 
dritter, der ftärfer war als er, nemlich fein Oberherr, der deutiche König, 
befaß Die nöthige Macht, um dem Holländer guten Willen einzuflößen. 
Begreifliher Weife paßte eine Monarchia Frisonum nit zu den Planen 
des damaligen deutfchen Herrſchers Heinrih’8 I. Gleichwohl konnte derſelbe 
das von Dtto III, feinem Vorgänger, eingeräumte Zugeftändniß nicht mehr 
umftoßen; dagegen half er fi dadurch, dag er an die Hülfe, welche Theo⸗ 
derih 1005 unumgänglid bedurfte, die Bedingung knüpfte, hinfort müffe, 
wenn ein Graf von Friesland mehrere Söhne Hinterlaffe, die Regierung 
gemeinschaftlich von denſelben geführt werben. 

Mündig geworden, heirathete Theoderich IM. Othilhildis, wie es 
icheint, die Tochter eines ſächſiſchen Großen; denn der Mönd von Egmont 
erzählt‘), fie jei nach dem Tode ihres Gemahls in Sachſen geftorben. Bald 
darauf ließ fih der Graf mit feinen Vettern, den Luremburgern, die ihrem 
Schwager, dem König Heinrih I. fo viel zu ſchaffen machten, in hochverräthes 
riihe Verbindungen ein. Der Anlaß war folgender: durd Verleihung von 
Mafalant hatte Dtto IH. den Holländer Grafen in ein feindliches Verhälts 
niß zu dem Utrechter Stuhl hineingebradht. Denn auch letzterer bejaß ?) ber 
gründete Anfprühe auf jenes Gebiet. Die widerftreitenden Intereſſen 
icheinen eine Zeit lang dadurch ausgeglichen worden zu fein, daß Theode⸗ 
ih III. den Bifchof als feinen Lehenheren anerfannte und in dieſer Eigen⸗ 
ſchaft das ftrittige Gebiet erhielt. Es hieß Meerwede (Meerweide) und 
begriff ausgedehnte aber fumpfige Niederungen am Ausflug der Mans, 
theils Inſeln, theild Feftland. Dietmar von Merjeburg bezeichnet ) den 
Holländer Dietrich als einen Dienftmann des Biſchofs Adelbold von Utrecht: 
das angeveutete Verhältnig zwifchen beiden hat aljo ftattgefunden. Bald 
jedoch behagte ed dem ehrgeizigen Grafen nicht mehr: er wollte alleiniger 
Herr in jener Gegend jein. 

Und nun fam es zu einem mehrjährigen Kriege). Theoderich III. 
fegte Befeftigungen auf Meerwede an, jammelte verwegene Gefellen um 
ſich, beeinträchtigte die Fiſchereigerechtigkeit verjchiedener geiftlichen Stifte 
und brandfchagte vor Allem den Rheinhandel, indem er den Schiffen, welche 
den Strom hinunter und binauffuhren, Zölle abpreßte. Gehäufte Klagen 





) Rluit I, a ©. 46. 3) Die Beweife aus Urkunden bei Kluit DI, 60. 3) Chro- 
nic. VIII, 13. Pertz III, 869. *%) Sfrörer, Kirch. Geſch. IV, 1085 fig. 


42 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


liefen bei'm faiferlichen Hofe ein. Auf einer Synode, welche Heinrih IL 
im März 1018 zu Nimwegen hielt, wurde der Beichluß gefaßt, Gewalt 
wider Theoderich zu brauchen. Die Bilchöfe von Utrecht, Lüttich und Eöln, 
jowie der Brabanter Herzog Gotfried III. erhielten Befehl, den Hollaͤn⸗ 
der anzugreifen. Allein, ob fie gleich ein anjehnlidhes Heer zufammenbrad; 
ten, erlitten fie den 29. Juli 1018 eine fchlimme Niederlage, Gotfried fi 
in Gefangenſchaft. Durch andere Gefchäfte gedrängt, konnte der Kaiſer 
den Uebermüthigen nicht zur Strafe ziehen, fondern unterhandelte. Gegen 
förmliche Abtretung des ftrittigen Gebiets, aus welchem feitvem bie Land: 
haft Südholland mit Dortreht als Hauptort wurde, erhielt der Brabanter 
Herzog die Freiheit wieder. 

Unten werde ich nadjwelfen, warum gerade Herzog Godfrieb von 
Brabant, und gerade die Kirchenhäupter von Cöln, Utrecht und Lüittich 
gegen den Holländer ausrüden mußten. Nachdem Theoderich auf folde 
Weiſe feine Herrfchaft bedeutend vergrößert hatte, verhielt er ſich für den 
Reſt feines Lebens ruhig Um 1037 trat er eine Pilgerfahrt nad dem 
gelobten Lande an, weldhe ihm ven Beinamen des Serufalemerd ſchuf. 
Kurz nad der Rüdfehr ſtarb er 1039, zwei Söhne aus der Ehe mit 
Dthilhildis, Theoderich IV. und Florentius hinterlaffend. 

Der Erftgeborne Theodorich IV. übernahm fofort die Regierung. Eben 
biefen finden wir ſechs Jahre jpäter ald Mitglied der großen Verbindung, 
welche die niederrheinifchen Fürften, Godfried IV. von Lothringen, Balduin V. 
von Flandern, Herrman Graf von Mons im Einverftändniffe mit Sranfreid 
wider den Salter Heinrich III. geichloffen hatten.) Im Sommer 1045 
ſchlug der Holländer 108, aber nicht ungeftrafl. Nach Often 1046 ſam⸗ 
melte ver deutſche König zu Utrecht eine Nheinflotte, fuhr mit derſelben 
hinüber nad Vlärdingen und entriß dem Holländer, laut dem Zeugnifle ’) 
Herrmanns des Lahmen, einen Gau. Es handelte fi um jenes Meerwede 
oder Südholland, welches Gebiet Theoderichs IV. gleichnamiger Vater 1018 
dem Reich abgepreßt hatte. 

Wir erfahren durch Herrmann noch etwas anderes. Er nennt wieder 
holt Theoverih IV. einen Markgrafen. Da der Ehronift von Reichenau mie 
fchmeichelt, nie leere Titel austheilt, fo muß man den Schluß ziehen, daß 
der Holländer bei Abtretung von Meerwede die Marfgrafenwürde fi ausbe⸗ 
dungen hat. Theoderich mußte fi damals unterwerfen. Aber nachdem 
Heinrich IIT. furz darauf in Rom zum Kaiſer gekrönt worden war und aus 
gefangen hatte, das Syſtem wider die Kirche zu entwideln, weldes durd 
das deutſche Reich, ja durch das fatholiihe Europa ven tiefften Unwillen 
erregte, faßte Theoderich IV. wieder Muth und griff das zweite Mal zum 


1) ad a. 1046 Perg V, 125. °) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 456 fg. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogihümer. 43 


zewehr. Der neue Kalfer zog im Herbft 1047 mit einer Klotte gegen 
u, aber richtete nichts aus, erlitt fogar auf der Rüdfehr namhaften Ver⸗ 
iſt. Die wahre Urſache des Mißlingend war, daß die niederrheinifchen 
difchöfe, obgleich bei Strafe der Felonie zum Ausrüden aufgefordert, dem 
kaiſer die Hülfe verweigerten. Allein fobald Heinrich III. durd Erhebung 
ed Pabſtes Leo IX. andere Eniten gegen die Kirche aufzuziehen fchien, 
yaten die Bifchöfe augenbliclich ihre Pfliht, und nun jchlug die Stunde 
es Holländers. Rad dem Reujahr 1049 rüdten die Bilchöfe Theodwin 
on Lüttich (Wazo's Rachfolger), Bernold von Utrecht, Adalbero von Metz 
ıit ihren Stiftömannfchaften und einigen andern Herren des niedern Landes, 
le Eisdecke, welche der Winter gebildet, benügend, gen Vlärdingen, Tiefer 
m dem Marfgrafen Theoderih IV. eine Schlacht, in welcher derfelbe ges 
sdtet ward, und unterwarfen die Gegend dem Kaiſer. Und ald Theodes 
ich's Mitverfchworener, Herzog Godfried IV., das eingenommene Gebiet 
efebte, zogen fie auch wider ihn, und fchlugen ihn fo, daß er faum 
strann. *) 

Der Ehronift von Egmont fagt 9: „Graf Theoderih IV. hinterließ 
ine geſetzmäßigen Kinder“. Dffenbar deutet der Möndh damit an, daß 
heoderich Baftarde gezeugt hat. Bon einer Gemahlin deſſelben ift nirgend 
ie Rede, er kann alſo nicht verheirathet gewejen fein, wohl aber war 
Hheoderichs jüngerer Bruder, Florentius, vermählt und zwar mit Gertrubig, 
te ihm zwei Söhne, Theoderih und Florentius, und zwei Töchter gebar, 
on welchen lesteren die eine mit dem SKapetinger Philipp I. den Thron 
on Frankreich getheilt hat. Hier ift zu erklären, warum der Erftgebome 
nvermählt blieb, der Nachgeborne dagegen eine Ehe ſchloß. Die Sade 
ängt meines Erachtens fo zufammen: oben wurde gezeigt, daß der deutſche 
könig Heinrih II. im Jahre 1006, um den Ehrgeiz des hollänbijchen 
zauſes zu dämpfen, die Theilung der Herrfchaft zwifchen den zwei Brü- 
ern Theoderich III. und Sigfried oder Siffo erzwang. Kaum ift denkbar, 
aß diefe Maßregel eine vorübergehende war, fondern man muß annehmen, 
yeinrik habe damals zur Bedingung der begehrten Hülfeleiftung gemacht, 
aß in Zukunft, fo oft mehrere Söhne im Herrenhaufe von Holland 
in würden, alle gemeinſchaftlich das Regiment führen follten. Um mun 
le politischen Folgen dieſes vom deutſchen Katfer auferlegten Gebots abzu- 
wenden, ging Theoderih IV. — fo denfe ih — mit feinem Bruder einen 
eheimen Bertrag ein, der dahin lautete: ich behalte die Herrichaft allein, 
eirathe aber nicht, du dagegen fannft dich vermählen und wenn id) fterbe, 
Ult das Land dir oder deinen Kindern zu. 

Birflih folgte Slorentius dem Bruder. Um 1055, kurze Zeit vor des 


) Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, 4886. 3) Kluit I, a 47. 


44 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Kaifers Heinrich III. Tode glich halb Deutichland, wie fpäter ausführlich ge- 
zeigt werden wird, einem Glutofen. Mit vielen andern weltlichen Herren nahm 
auch Florentius an der damaligen Verjhwörung Theil. Allein nachdem im 
Dezember 1056 zu Eöln das Haupt der Oppofition, der Brabanter Godfried IV. 
zufrieden geftellt war, erging ein Fleines Strafgericht über den Marfgrafen. 
Damals geſchah, was Sigebert von Gemblourd mit den Worten meldet‘): 
„einige Burgen wurden in Heinrih’8 IV. Namen gebrochen und die riefen 
zur Unterwerfung genöthigt.” Die Ueberlieferung findet fi bei Schrift: 
ftellern des jpäteren Mittelalter8,?) daB Erzbiihof Hanno von Eöln, Bi 
ichof Theotwin von Lüttih und mehrere Grafen oder Herzoge das von 
Sigebert Erwähnte vollbracht hätten. Mit Ausnahme jener Burgen blieb 
jedoch der Befisftand unverändert. Erft im Jahre 1064 erlangte der Ut- 
rechter Stuhl einen kaiſerlichen Yreibrief?), der ihm die von Theoderich fo 
lange vorenthaltenen Gaue zuſprach, jedody abermals nicht zum Vollzug ge: 
langte. Florentius erlebte diefe Demüthigung nicht mehr. Nachdem er fiegreich 
feine Gewalt gegen die verbündeten Reichsfürſten behauptet, ward er im 
Sahre 1061 durd einen Mörder erfchlagen, den die Reichöregierung be- 
zahlt haben mag. 

Sp ftanden die Dinge in Holland zur Zeit, da Heinrih IV. den 
Thron beftieg. Die große friefiihe Grafſchaft war nicht nur erbeigen ge: 
worden, ſondern aud mit einem Hausgeſetz ausgerüftet, das die Theilbar: 
feit verbot. Jetzt ift e& Zeit zu zeigen, woher das Vorbild dieſes Bamilien- 
ſtatutes ftammte. 


Yas Haus Flandern. Jit Monarchia Flandrensium. 


Das in Flandern herrihende Haus ftammte nach der Kunfeljeite von 
einer Garolingiihen Königstochter, Urenfelin des großen Earl, ab. Um 
feinem Stiefoheime, dem Neuftrier Carl dem Kahlen, den er töbtlich haßte, 
einen Echandfleden anzuhängen, ftiftete der fotharingiiche König Lothar IT. 
den Franken Balduin auf, daß diefer 861 die Tochter Carls Judith ent- 
führte.) Judith war durd ihren Vater 856 mit dem angelſächſiſchen 
Könige Aethelwulf vermählt worden. Da verfelbe ſchon 858 mit Tod ab- 
ging, reichte die Wittwe ihrem eigenen Stiefiohne Aethelbald, dem Erft- 
gebornen des Verftorbenen, die Hand. Ganz England gerieth in Aufregung 
tiber dieſen bfutfchänberifchen Ehebund. Nachdem auch der zweite Gemahf 
in Kurzem geftorben war, fehrte Judith in die Heimath zurüd. Ihrer 
Sittfamfeit mißtrauend, Tieß fie Carl der Kahle in anftändiger Haft zu 
Senlis halten und durch Geiftlihe bewachen. Gleichwohl nüpfte fie ein 








1) Per VI, 360. 2) Kluit I, a S. 49 Note 59. 2) Böhmer, regest. Nr. 
1780. *) Die Beweife bei Gfrörer Earolinger I, 325 flg. 


Erſtes Bud. Cap. 2. Loiharingien. Herzogthümer. 45 


Berhältnig mit Balduin an und floh mit ihm verkleidet zum Könige 
Lothar II., der beiden feinen Schuß gewährte. Die Nachricht hievon ſetzte 
Carl den Kahlen in Wuth, er beiwog die Bilchöfe feined Reichs gegen den 
Entführer und die Entführte den Kirchenfluch zu jchleudern. Allein nad 
einiger Zeit ftellte Pabſt Nikolaus I, deſſen Vermittlung Balduin und 
Judith angefleht hatten, dem erzürnten Könige vor, daß ed nur einen Weg 
gebe, das Aergerniß zu verwilhen und die Sache ind rechte Geleiſe zu 
bringen‘, wenn nemlich der König Beiden verzeihe und fie ald Mann und 
Frau zufammengebe. Carl der Kahle ging auf den Rath ein, worauf das 
Paar aus Italien nah Gallien zurüdfehrte und mit dem verjöhnten Könige 
in Aurerre zufammen fam. Dort fand audy die Trauung ftatt.‘) 

Die nächſte Aufgabe war, für eine ftandesgemäße Ausftattung des 
fönigliben Eidams zu forgen. Balduin erhielt das Küftengebiet an der 
Nordſee von dem Flüßchen Aa an, das bei Grevelingen fließt, bis zur 
Ecelde und deren Mündungen in die Eee. Dieje Landichaft hieß Flan⸗ 
dern, welcher Name un 670 zuerft vorfommt?) und war in ihren weftlichen 
und fühlihen Theilen von Romanen oder Geltoromanen — den heutigen 
Wallonen — gegen Rordoften von einem Gemiſche deutiher Stämme, 
namentlib von Echwaben und Altjachjen, bewohnt, die feit dem Anfang 
des fünften Jahrhunderts in das Küftenland eingewandert zu fein jcheinen. 
Der h. Eligius fand dort Sueven und noch heute zeugen zahlreiche 
Ortönamen?) die mit Sueve zufammengefegt find, für alte Niederlafjungen 
der Schwaben. Sächſiſche Anftenlungen werben befundet durd den Namen 
littus saxonicum, den die Norpfüfte Galliend jchon in der notitia imperii 
empfängt. Später müljen von den taufend und aber taujend Sachſen, 
welhe Carl der Große nad Beendigung des IOjährigen Kampfes oder 
während deſſelben ind Franfenreich abführte, viele nah Flandern verfegt 
worden fein.) Der Ehronift von St. Denid behauptet’), daß die Flan⸗ 
derer und Norbbrabanter von den Sachen abftammen, welche Earl damals 
an die Meereöfüfte verpflanzt habe, und er beruft fich zum Beweiſe biefes 


1) Daf. ©. 359. *) Vita S. Eligii Bouquet II, 557. ?) Der belgifche Ges 
ichichtfchreiber Raepfaet zählt 15 folder Ortönamen auf. Warnfönig, flandrifche Rechtes 
geſchichte I, 91. *) Man vergl. 3. B. Per J, 119. °) Chroniques de St. Denis 
U, 2. (Bei Bouquet V, 252) li empereres en Saisogne entra a grand force, tous les 
Saines (Saxons), qui demeurent de lä de Flun d’Albe fist passer dega en Frange, et 
fammes et enfans; leur pais donna & une autre maniöre de gent, qui sont appeld 
Abodrite. De celle gent (scil. de Saines) sont né et estrait, si come l’en dit, II 
Brebangon et li Flamenc, et ont encore celle meisme langue. 8 gibt unter ben jeßt 
wallonifch ausgeiprochenen Ortsnamen in Flandern viele, die auf oignies ignies endigen. 
Gin neuerer belgifcher Schriftfteller, Giulmat, hält viefe Formen, ich glaube mit Recht, 
für Verketzerungen bes beutfchen ingen und ſieht in ihnen Beweiſe fächfiicher Nieder⸗ 
laſſung. Warnfönig a. a. O. I, 92. 





46 Pabſt Gregorius VEL und fein Zeitalter. 


Satzes auf die Uebereinfiimmung der vlämifhen und niederfächftichen 
Mundarten; das mag übertrieben fein, aber ein Funke Wahrheit ift doch 
daran. Schon in den Zeiten der Merowinger war Flandern ftarf bevöl- 
fert und zählte die Städte Antwerpen, Brügge, Doornit, Caſſel, Courtray, 
Douay, Arras, Werwik, Dpern, Audenarde. ') 

Balduin, der erfte Graf von Ylandern und Ahnherr einer glänzenden 
Dynaftie, verdiente durch die Tapferkeit, welche er in den Kämpfen gegen 
die Normannen erprobte, den Beinamen ferreus, Eifenarm?); er ftarb 879, 
zum Mindeften zwei Söhne hinterlaffend: den Erftgebornen Balduin IL, 
den man zum Unterfchiede von feinem Bater den Kahlen nennt und ber 
in der Grafichaft folgte, dann einen zweiten, der Rudolf hieß. Während 
Balduin II. Flandern erbte, hatte Rudolf mehrere Schlöffer inne, verwaltete 
vielleicht auch die Grafſchaft Cambray.“) Nirgends werben jedoch Erben 
des Letzteren erwähnt, dagegen erfahren wir, daß, nachdem er 896 erjchlas 
gen worden war, Balduin II. den Nachlaß jeines jüngeren Bruders an 
fih zog. Das find Thatjachen, welde darauf hindeuten, daß nach dem 
Tode des Vaters, Balduind des Eijenarmd, zwiſchen den beiden Söhnen 
das Erbe entweder gar nicht getheilt wurde, oder wenigftend daß der Erfts 
geborne bei Weitem den Vorzug erhielt. 

Sei dem, wie ihm wolle, gewiß ift, daß jehr frühe ein Erftgeburt- 
recht im flandriihen Haufe auffam. Lambert von Hersfeld fchreibt*) zum 
Sahre 1071: „im Gefchlechte der Grafen von Flandern galt feit uralter 
Zeit als unverbrüchliche Norm, daß ſtets nur einer der Söhne des jeweils 
herrichenden Grafen den Namen des Vaterd empfieng, und allein die ganze 
Herrſchaft ungetheilt erbte. Die übrigen Brüder mußten entweder dem 
Bevorzugten fi unterwerfen und auf allen Glanz verzichten, oder, wenn 
ihnen dieß nicht behagte, Ind Ausland wandern, um fi) dort eine Stellung 
zu erwerben. Diefe Anordnung follte nämlich verhindern, daß die Macht 
des Geſammthauſes durch Theilung geſchwächt werde.” Der Ehronift 
ſchildert ein foͤrmliches Hausgeſetz, welches Untheilbarfeit des Landes und 
ein Recht der Erftgeburt verfügte. 

Allein die Ausjage Lamberts ift wiederholt und noch in neuefter Zeit 
verworfen worden, erftlich, weil man wähnte, daß der Annalift von Hers- 
feld — der ausgezeichnetfte des deutſchen Mittelalter — gerade an ber 
Stelle, wo er von dem flandrifchen Hausgeſetze ſpricht, abgeſchmackte Mähr- 
hen zu Marfte bringe, weßhalb auch obige Angabe bezüglich Flanderns Fei- 
nen Glauben verdiene. Ich werde jedoch am gehörigen Orte bündig nad) 


1) Die Beweife bei Warnkönig a. a. O. I, 98. ?) Annal. Vedast. ad. a 879. 
Berk I, 517: Balduinus ferreus cognomine comes moritur. 3) Annales Vedastini ad 
annos 895—97. Perb I, 529-531. *%) Berk V, 180 unten flg. ‚ 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 47 


weifen, daß Lambert, wenn je fonft, fi in dem, was er über die Ereigniffe 
des Jahrs 1071 berichtet, als bewunderungswürdigen Gejchichtfchreiber er: 
probt. Sener Einwurf ift alfo unbegründet. Zweitens hat man darzu⸗ 
thun geſucht, daß wenigftend zu den Zeiten Balduins IT. im flanprifchen 
Haufe feine Untheilbarfeit beftand. 

Balduin der Kahlfopf war nämlich mit einer angeljäcdhftihen Königes 
tochter Elftrudis vermählt, die ihm zwei Söhne, Arnulf und Adelulf, ges 
bar.) Bon diejen beiden erzählt) ein Mönd aus dem 12. Jahrhun⸗ 
dert folgendes: „nad dem Tode Balduins I. theilten fi feine Söhne in 
die Marf; Amulf der Erftgeborme erhielt Flandern, Adelulf aber die 
Stadt Bolonia (Boulogne) und das Gebiet von Terouane; jedoch nad) 
dem Tode Adalulfs zog Arnulf der Erftgeborne die Grafſchaft des Bruders 
wieder an fi." Allerdings braucht der Möndy den Ausdruck Theilung, 
und das Zeugniß Lanıbertd wäre Lügen geftraft, wenn dad Wort feine 
gewöhnliche Bedeutung hätte. Aber Lestered iſt erweislich nicht der Fall. 
Sch frage erſtlich: kann man das eine Erbtheilung nennen, wenn, wie bier 
geſchah, der ältere Bruder dad ganze ausgedehnte Flandern, der jüngere 
dagegen die eine Stadt Boulogne ſammt dem Fleinen Gebiet von Teronane 
empfängt? Zweitens, da laut dem eigenen Eingeftänpniß des Zeugen 
nad dem Tode Adelulfs feine Habe an Arnulf zurüdfiel, erjcheint die Vers 
muthung gerechtfertigt, daß der ältere. Bruder ſich ein Recht auf den Ans 
theil des jüngeren vorbehalten habe. Kurz die Darftellung des Mönche 
paßt einzig zu der Annahme, daß Amulf, da er die Herrichaft feines 
Baterd Balduin IT. übernahm, dem jüngeren Bruder nicht als Erbe, fons 
dern zur lebenslänglichen Ausftattung, die Stadt und das Feine Gebiet an: 
wied. Und wirflihd muß man um anderer Gründe willen für diefe Deutung 
enticheiden. 

Eine im 11. Jahrhundert nievergefchriebene Nachricht meldet:) „Arnulfs 
Bruder Adelulf, der von einem Echweinehirten erjchlagen ward, hinterließ 
einen Sohn Baltzo, den er mit einem Keböweibe gezeugt hatte. “Dielen 
Baldzo nahm nachher Amulf an Kindesftatt an, und beftellte ihn zum 
Vormünder feines Enfeld Arnulf I. in der Art, daß, wenn Arnulf D. 
minderjährig zur Regierung käme, Baldzo an feiner Statt „Die Monars 
bie*) Flandern“ verwalten follte.”" Warum hat Adelulf feinen rechtmäs 
Bigen Cohn, fondern nur einen unehelihen? Weil dad Hausgeſetz ihn hin⸗ 
derte, eine wahre Ehe zu jchließen und ein eigenes Geſchlecht zu gründen! 
Warum gelangt weiter nach Adelulfs Tode Boulogne fammt Terouane an 


) Berk IX, 303 u. 305. ?) Ibid. 318 Mr. 3. 2) Berk IX, 304 unten. 
%) Balzonem regimini totius monarchiae, quousque minor Arnulfus cresceret, 
praefecit. 


48 Pabſt Gregorius VOL. und fein Zeitalter. 


Arnulf zurück? Weil diefe Güter ihm nicht als Erbe, fondern als lebens⸗ 
länglihe Ausftattung, und unter Vorbehalt des Heimfalls, übergeben wor: 
den waren! Daß die Sache jo und nicht anders zufammenbieng, erhellt 
aus dem von der Urfunde gewählten Worte Monarchia, welches den dops 
pelten Begriff der Untheilbarfeit des Landes und eined Erftgeburtrechts in 
fi jchließt. 

Die Vorgänge unmittelbar nah Balduins II. Tode legen alfo nicht 
gegen, fondern für Lambert Zeugniß ab. Ueberdieß fommen noch fpätere 
Beweile hinzu, von denen unten die Rede fein wird. Da jedoch Lambert 
die Zeit nicht beftimmt, in welder dad Hausgeſetz eingeführt ward, fo 
fragt e8 fih noch, wann ſolches geichehen jey? Meines Erachtens nicht 
unter dem erjten, jondern unter dem zweiten Balduin. Der fränfifche Reichstag, 
welcher 817 zu Aachen zufammentrat, hat fih zu dem Gedanfen erhoben, Die 
Einheit der carolingiihen Monarchie zu verfünden und zu dieſem Zwed 
etwas, wie ein Erftgeburtsreccht — fo weit ed die Umftände erlaubten — 
im herrichenden Haufe feftzujegen.) Jedoch Leidenſchaft durchbrach nachher 
die Schranfen, welche Weisheit gezogen hatte. Hüben in Deutichland rigen 
die Söhne Ludwigs des Deutichen, drüben in Lotharingien rigen die Söhne 
Lothars, ebenjo in Neufter rigen die Söhne Karld des Kahlen Beben der 
väterlihen Reihe nach altem barbariihen Gebrauche an ſich. Diejed Un- 
weten der Theilungen dauerte bis 882, aljo über die Zeit hinaus fort, da 
Balduin I. ftarb; und es ift faft undenkbar, daß der erfte flandriiche Graf, 
während überall ſonſt die größeren Reiche zerftüct wurden, in feinem Haufe 
ein Recht der Erftgeburt zu begründen vermodht habe, obgleih allerdings 
die oben erwähnten Thatjachen auf den Wunſch, jo etwas ind Werk zu 
jegen, hindeuten. 

Allein jeit 888 verwandelten fih die größeren germanischen Reiche in 
wirkliche Monarchien: die Theilungen hörten für immer auf. Obgleich 
über die merfwürdigen Dinge, die damals zugerüftet wurden, faft alle Aften 
fehlen, darf man zuverfihtlih behaupten, daß die geiftlihen und weltlichen 
Vertreter der deutichen Nation, vor Erhebung Arnulf auf den durd Karls 
des Dicken Sturz erledigten Thron, eine neue Ordnung der Dinge ſchufen. 
Fefthaltend an den Grundſätzen der Achener Verſaumlung von 817 und 
des Verduner Vertrags, faßten fle den Beſchluß?, daß die deutihe Krone 
auf die Herrfchaft über Sranfreih und Italien verzichte. Ebendieſelben 
müfjen aud die Norm aufgeftellt haben, daß hinfort in den Föniglichen 
Häufern feine Erbtheilung mehr ftatt finden dürfe, denn der Erfolg zeugt 
hiefür. Nun ftammte Balduin II. mütterliher Seit aus dem koͤniglichen 


3 


1) Die Belege bei Bfrdrer 8. ©. II. 720 flg. 2) ©. den Nachw. bei &frärer, 
Karolinger II, 303 fig. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lolharingien. Herzogthümer. 49 


Haufe Neuftrien; als Enkel Karld des Kahlen hat er meines Erachtend 
jenes königl. Vorrecht angeiprochen, und auf diefe Weiſe ift — fo glaube 
ih — das Familiengefeg in Flandern zur Geltung gefommen. 

Eifern waren die Zeiten von 879—920, auf der Nordküſte Galliend 
und Germaniend wütheten die Normannen mit Feuer und Schwert. Bal- 
duin der Kahle fehte der Gewalt Gewalt, der Lift Lift entgegen und mehrte 
ein Gut auf jede Weile. Ueberall gefchahen damals tiefe Eingriffe in das 
Eigenthum der Kirche. Balduin that es hierin Anvern gleih, ja zuvor. 
Er hat viele Klöfter geplündert, unter dem Titel eines Latenabts ihre Güter 
ın fich gezogen, weßhalb der Metropolit von Rheims im Jahre 893 auf 
iner Synode den Bann über ihn verhängte ') An den Fehden, welde 
ver deutſche Kaifer Arnulf und deffen Sohn Zwentibold gegen die neuftris 
hen @arolinger beftand, nahm Balduin II. Tebhaften Antheil, bald zu 
ieſen, bald zu jenen haltend, je nachdem fein Vortheil es erheiſchte. Er 
tarb ) 919 nad 40jähriger Regierung. 

Run ging) das ganze Erbe an den Erftgebornen, Amulf, über. 
Diefer Arnulf wird der Große und der Marfgraf genannt, ) wie denn 
uch Slandern häufig den Namen Marf empfängt.*) Yünfundvierzig Jahre 
son 919—964) regierte er das Land, und zwar lange Zeit allein, dann 
n Gemeinſchaft mit feinem Sohne Balduin III.,) zulegt, nachdem biefer 
ın den Blattern geftorben war, troß jeined hohen Alters abermald allein. 
Wo fein Eigennug in’d Spiel kam, ſcheute Amulf fein Verbrechen, er ließ 
. B. den Normannenherzog Wilhelm I., Rollos Sohn, der das Gebiet 
son Boulogne und Terouane verwüftet hatte, im Jahre 943 hinterliftiger 
Weile ermorden.“) Die Geiftlichkeit behandelte er Anfangs gleich feinem 
Bater hart, war Laienabt mandyer Klöfter, aber fpäter ging er in fich und 
chlug nun die entgegengefegte Bahn ein. Er berief *) den heil. Gerhard, 
Abt von Brogne bei Namur, der allein im nördlichen Gallien beim tiefiten 
Berfall möndifcher Anftalten die alte Zucht aufrecht erhielt, erhob ihn zum 
Borficher des berühmten Kloſters Sithiu, über welches er bis dahin felbft 
Ialenabt gewejen war, und führte mit feiner Hülfe eine gründliche Refors 
nation durch. Unverkennbar iſt, daß der Geift von Clugny auf Flandern 
inzuwirfen begann. Auch anderen Klöftern bewies Arnulf Gunſt, weßhalb 
t von den Chroniften gepriefen wird. 


— on — — 


) Bonquet VIII, 161. 9 Ibid. 285: obüt Balduinus ; Arnulfus filius ejus successit. 
Ra. a. O. Berk IX, 304 Arnulfus marchio magnus. %) Selb in kaiferl. Urkunden, 
. B. in dem Briefe Heinrih’8 V. vom Jahre 1107 Per leg. II, 64 marchia flandren- 
is. s) Im Jahre 957 führte er als felbfifländiger Herr, d. 5. da der Vater noch 
ebte, als Mitregent deſſelben, Krieg Flodoardi chronic. ad a. 957. Pers IIL, 404. 
) Chronic. Sitbiens. Bouquet IX, 78. 

Gfrörer, Pabſt Eregorius vu. Bb. 1. 4 


50 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Arnulfs jpätere Regierungsjahre fielen in die Zeit, da der germaniſche 
König Dtto I. Deutich-Lotharingien an ſich brachte und die Erwerbung des 
wälihen Theiles vorbereitete. Auch der Slandrer Arnulf ward in dieſes 
Gewebe verwidelt, und zwar nicht zu feinem Vortheile. Flodoard berichtet ') 
von einem Vertrage, den Dtto I. im Jahre 939, während feiner erften An- 
weſenheit in Lothringen, mit Arnulf jchloß. Aber das BVerhältniß zwifchen 
Beiden fann nicht lange ein freundliches geblieben fein. Laut andern Nach⸗ 
richten ?) zog Dtto I. eine neue Marfe zwijchen Neufter und dem deutſchen 
Reichsboden, erbaute eine Veftung bei Gent, in welder er einen Sachſen 
Namend Wichman zum Burggrafen beftellte, und wies demſelben die 
Orte Adnethe, Bocholt, Arla, Hulft, fammt dem Lande Waes zu. Eine 
alte Meberlieferung fügt bei, daß der deutiche König damals, um die Grenze 
zu regeln, von der Echelde aus einen Graben, — heute noch Dttogracht ger 
nannt — in nördlider Richtung zum Meere hin zog.) Diefer Graben 
trennte ein gutes Stück vom bisherigen Flandern, und verleibte den abge: 
rifjenen Theil dem deutfhen Reihe ein. Offenbar hat Dito die Burg und 
den Burggrafen darum hergelegt, um den Ylandrer zu überwachen, allein 
jpäter heirathete ) Wichman Arnulf Tochter Liutgardis. 

Im Weſentlichen haben obige Angaben guten Grund, denn nicht nur 
beſtaätigte Kaiſer Otto I. durch Urfunde >) vom 22. Januar 966 die im 
deutihen Reiche gelegenen Befigungen der Abtei St. Peter zu Gent — 
wodurch er ſich thatfächlich ald Schugherr befagten Klofterd benahm, ſondern 
auch eine neuftrifhe Urkunde vom Jahre 963 liegt vor, ) in welder Graf 
Wihman als Schwiegerlohn ded Markgrafen Arnulf von Ylandern be 
zeichnet wird. Man fühlt: die Zeiten nahten, wo Ylandern, das, wie 
wir willen, unter neuftriiher Hoheit ftand, ſich deutſchem Lehensverband 
fügen mußte. 

In Folge der von Arnulf bewilligten Reformation gelangten bie 
Klöfter Flanderns, meift Stiftungen aus den Zeiten der Meromwinger, zu 
erneuerter Blüthe; den erften Rang unter denfelben nahmen ein: St. Baaft 
zu Arras, Sithiu oder St. Bertin bei St. Omer, St. Bavo und St. Peter 
oder Blandin bei Gent, St. Amand unweit Doomif. Das Erbbegräbniß 
der Flandrer Grafen war erft Saint Bertin, fpäter Blandin. 

Graf Arnulf ftarb I 964, die Mark Flandern erbte nunmehr Arnulfs 
Enkel, Arnulf II, welden der früh verftorbene Balduin III. in der Ehe mit 
Mathilde, der Tochter des fächfifchen Herzogs Heriman (Billung) gezeugt 
hatte. %) Die Regierung des jungen Grafen war eine Fraftloje, von vielen 


1) Berk III, 386. 2) Kluit U, 23. 2) Ibid. ©. 26. %) Ibid. II. 23. 
®) Böhmer regest. Nr. 312. 6) Bouquet IX, 628, ?) Chronic. Sithiens. Bon: 
quet IX, 79 unten flg. °) Berk VII, 306. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 51. 


Keinden mißbrauchte. Gleich nad dem Tode Arnulfs I. fiel König Lothar 
von Neuftrien in den wälfchen Theil Flanderns ein und nahm fo viel er 
konnte. ') Arnulf II. ftarb?) 988, aus feiner Ehe mit Suſanna, der Tochter 
des von Otto I. geftürzten Königs Berngar von Italien, einen Sohn 
Balduin IV. mit dem Beinamen Schönbart hinterlaffend.‘) Die Mutter 
diefes Balduin, oder die Wittwe Arnulfd II. heirathete bald darauf Robert, 
der Sohn Hugo Eapetd und nahmaliger König von Frankreich. Kaum 
fann man zweifeln, daß diejer Verbindung ehrgeizige wider Flanderns 
Selbftftändigfeit gerichtete Abfichten zu Grunde lagen. 

Schwierig waren die Anfänge Balduins Schönbart, aber er entwidelte 
jeltene Fähigkeit und durchriß das Neg feiner Feinde. Ein Zeitgenofie 
meldet: ) „während die Wittwe Sufanna noch für ihren unmündigen 
Eohn Balduin Schöndart die Regentichaft führte, brach in unjerer Gegend 
Verwirrung und Bürgerkrieg aus, denn viele ftrebten darnach die Xehen, 
welde fie von Balduins Vater empfangen hatten, in Eigenthbum zu ver- 
wandeln und verweigerten den Gehorjam. Zur felbigen Zeit verwaltete 
das Gebiet von Courtray ein vornehmer Herr Namens Eilboto, deſſen 
Gemahlin Emma gleihfalld einem edlen Haufe angehörte. Nachdem nun 
Eilboto geftorben war, beichloß der junge Balduin, der indeß in feiner Erb- 
herrſchaft, ver flandriſchen Monarchie, durd Gottes Gnade fich feft- 
gejegt hatte, die Grafihaft Courtray in feine Gewalt zu bringen, und 
führte wirklich feinen Plan aus.“ 

Die Worte des Berichterftatterd find fihtlih auf Schrauben geftellt, 
er weiß mehr, ald er zu jagen fich getraut, und deutet das Uebrige ver- 
Heft an. Klar ift, daß in Flandern nad) dem Tode Arnulfs II. ungefähr 
ähnliche Zuftände eintraten, wie in Deutichland zur Zeit da Heinsih IV. 
die Herrichaft übernahm: jeder Vaſalle ſuchte auf Koften des Landesherrn 
jeine Macht zu erweitern und unabhängig zu werden. Aber das Weitere 
ericheint dunkel. War Eilboto, der vornchme Mann, auch ein folder Ba- 
jalle, mit andern Worten hatte er Courtray von Arnulf II. zu Lehen 
empfangen? Die Zujammenftellung der Säge ſcheint letzteres anzudeuten. 
Aber warum geht der Mönd nicht offen mit der Sprache heraus? irgend 
etwas anderes muß darunter fteden. 

Wie wenn Eilboto ein deutſcher vom Kaiſer eingefegter Herr war, 


‘) Flodoardi chronic. ad 965 Perk III, 406. *?) Bouget X, S. 298 unten. ?) Berk 
VD, 3086. *) Bouquet X, 365 unten. Multi ea, quae a patre pueri hujus ut bene- 
ficiarii acceperunt, in hac perturbatione ceu propria usurpabant. Quo tempore quidam 
nobilis prosapiae Eilbodo curtracensi territorio praesidebat. — Ipso autem Eilbodone de- 
functo, Balduinus, qui ex successione hereditaria in principatua monarchiae Flan- 
drensis gratia Dei jam convaluerat, comitatum curtracensem ditioni suae, ut etiam 
postea fecit, subdere cogitabat. 

4° 


52 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


und nur zum Scheine Lehen von Flandern trug! Der Name, das vornehme 
Geſchlecht Eilbotos felbft und feiner Gemahlin ift diefer Vermuthung günftig. 
Sodann, weldhe Stellung nahm Eilboto zu Courtray ein? Der Mönd 
braucht zuerft den Ausdruck praesidebat territorio, dann ſpricht er von 
einem Gomitat Courtray. Graf muß wohl Eilboto gewejen fein, aber ein 
Graf befonderer Art, nemlid ein Burggraf. Gerade wie Courtray, eroberte 
Balduin die Stadt Valenciennes, letztere aber ftand, laut dem ausdrücklichen 
Zeugniffe ) der Ehronif von Cammerih, unmittelbar vor der Eroberung 
durd Balduin, unter deutjcher Herrihaft. Die Sache fieht daher aus, ale 
ob während der Regierung des ſchwachen Arnulf II. und unter der Bor- 
mundfchaft jeiner Wittwe nicht nur die Sranzofen, jondern auch die Deutjchen 
zugegriffen, und ihr Gebiet auf Koften Flanderns vergrößert hätten. Das 
Mebrige wird aus dem Folgenden klar werben. 

Volle Beachtung verdient die Weife, in welcher der Zeuge über das 
flanprifche Haus fih ausläßt, er nennt Balduin einen Herm von Gottes 
Gnaden, er bezeichnet Flandern ald eine Erbherrichaft, al8 eine Monardie. 
Beftätigt nicht diefed Wort, dem wir nun zum zweitenmale begegnen, die 
oben mitgetheilte Ausfage Lamberts, und zwar wiegt ed um jo fchwerer, 
weil der unbefannte Mönd, unzweifelhaft ein Zeitgenoffe und ein geborener 
Flamänder war. Da eben derfelbe unter deutſcher Herrihaft — vielleicht 
in Kaifer Heinrih8 III. Zeiten — ſchrieb, wagte er nicht offen zu reden, 
denn fonft hätte er jagen müfjen, daß Courtray vorher widerrechtlich durch 
deutfche Eingriffe dem Flandrer Haufe entzogen worden war. 

Zum Manne berangereift, ehelichte ?) Balduin Schönbart eine Tochter 
aus dem Lurenburger Haufe, Ogiva, die Nichte der nachmaligen Kaiferin 
Kunigunde. Bald darauf (1005—1007) geihah ed, daß Balduin IV. 
Balencienned und Coutray angriff ) und beide Städte eroberte. Nun 
ſchloß König Heinrich II. mit dem Franzofen Robert, Hugo Capets Sohne, 
einen Bund, der faum einen andern Zwed haben fonnte, als Flandern 
zu theilen. Ein aus deutichen und franzöfifchen Vaſallen zuſammengeſetztes 
Heer rüdte gegen Balduin ind Feld. Aber obgleich Heinrih II. Anfangs 
Vortheile erftritt, gewann doch zulegt der Flandrer die Oberhand; unfer 
König mußte Balencienned und etwas fpäter die Inſel Walchern unter 
dem Namen von Reichslehen an Balduin abtreten. ) Der Graf von 
Slandern, bisher nur frangöfifcher Vafalle, war jegt auch ein deutſcher 
Lehensmann geworden. 

Erft in den Zeiten Conrad's IT. ift wieder von Balduin Schönbart 


!) Castram Valentianarum imperio Heinrici (secundi) subjugatum fuerat. Man 
fehe gesta camerac. I, 33 Berk VIL 414. 2) Berk IX, 306. 3) Gfroͤrer, Kirch. 
Geſch. IV, 53 flg. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 53 


ie Rede. Sein Sohn aus der Ehe mit Ogiva von Luremburg, Balduin V, 
atte die Tochter des Königs von Frankreich, Adela, geehlidt. In Kurzem 
npörte ſich diefer Sohn gegen den eigenen Vater und verjagte benjelben 
m 1030 aus dem Lande. Balduin Schönbart floh zu dem Herzoge 
tobert von der Normandie und rief deffen Hülfe an, die ihm aud gewährt 
ard. Mit einem gewaltigen Heere rüdte Robert nad Flandern, und 
öthigte die ungetreuen Vaſallen, die auf Seiten des Sohnes ftanden, fo 
ie diejen felbft zur Unterwerfung. ) Der EChronift, der dieß meldet, gibt 
ı verftehen, Balduin V. ſei zu dem am Vater verübten Verbrechen durch 
ine Gemahlin Adela, alſo durch franzöfifhen Einfluß, verleitet worben. 
Hefür zeugt audy der Ort, wohin Schönbart floh. Der Rormanne Robert 
ar, gleih ihm, ein Vaſalle der Krone Neufter, aber auch ein geheimer 
eind derſelben. Weil fih die Sache fo verhielt, und weil Beide, der 
ormanne und der Vläme, fih durch den König von Frankreich bedroht 
ußten, half Robert dem Genofien gegen Umtriebe, die, wie ihm wohl 
fannt war, vom neuftrifhen Hofe ausliefen. 

Aber noch ein Anderer, nemlich ver deutiche König Conrad IL, {fl 
i dem flandrifchen Aufftandsverjuche betheiligt gewelen. Die Chronik 
‚n Cammerich meldet: „Balduin V., Balduin Sohn, wollte nicht länger 
inem Vater unterthan fein, fondern Herr werben; deßhalb brach er mit 
m, ging bin zum deutichen König Conrad und erſuchte ihn, dem Bifchofe 
m Kammerich zu befehlen, daß er ihm (Balbuin) erlaube, Befeftigungen 
ı Gebiete von Kammerich anzulegen. Aber der Biſchof willigte nicht ein.“ 
inter diefem Worte ift eine Lüde in der Handſchrift, die allem Anfchein 
ıh deßhalb ausgefrazt wurde, weil fie den Satz enthielt, daß König 
onrad die Vorichläge Balduins gebilligt habe, und daß der Plan mur 
ı dem Widerftande des Biſchofs fcheiterte.e Man muß nemlich willen, 
8 die von den Mönchen angelegten Chronifen unter einer gewiffen Auf- 
bt fanden, die dem, was man neuerdings Eenfur heißt, jo ähnlich jah 
je ein Ei dem andern. 

Deutſchlands Beherricher wünjchte nicht minder, als der Neuftrier, 
r fogenannten flandriihen Monarchie, als einem gar läftigen und ge: 
hrlihen Beifpiele, ein Ende zu maden. 

Nicht lange nach Unterwerfung des Sohns, — 1036 — ftarb Balduin 
hönbart. Der Möndh von GSithiu erzählt *) dieß in folgenden Aus- 
den: „nachdem jener edle Marfgraf und Graf von Flandern Balduin 
: Barte die Monarchie Flandern 47 Jahre lang kraftvoll regiert hatte, 
indelte er den Weg alles Fleiihes und ward begraben 1036 im Klofter 
landin. Ihm folgte fein Sohn Balduin (V.), ein prächtiger und gottes- 


) Wilhelm. gemetic. VI.6. BeiBouquetX,192. Berk VH,485. *)BouquetXI, 380. 





54 Pabſt Bregorius VII. und fein Zeitalter. 


fürdtiger Herr, der hatte zur Gemahlin Avela, die Tochter des Königs 
der Sranzofen Robert, welche ihm zwei Söhne, Balduin (VI) den Frommen 
und Robert mit dem Beinamen Frifo, aud eine Tochter Mathilde gebar. 
Diefe Mathilde nahm nachher Wilhelm der Baftard, Eroberer Englands, 
zu feinem Weibe.“ Wegen der Größe des Landes hieß Flandern eine 
Marf, aber zu Ehren ihres Ahns, des Eifenarms, behielten feine Nad: 
folger ſtets den Grafentitel bei. 

Der neue Gebieter Balduin V. erhielt den Beinamen Inſulanus, d. h. 
Erbauer von Lille (l'isle) zu deutih Ryßel. Die Ehronif von Sithiu 
fährt ') fort: „felbiger Balduin ward genannt Infulanus, weil er die Stadt 
Lille fammt einem reich ausgeftatteten Chorherrnftifte zum h. Petrus erbaut 
hat. Zum Feſte der Einweihung befagter Klofterfirche berief er die Prä- 
Iaten feines Landes, fie erſuchend, daß fte ihre Reliquien mitbringen 
möchten. Nachdem das Feſt vorüber war, fchenfte Balduin einem jeden 
der Prälaten dad Haus, in welchem fie Herberge gefunden, für ewige 
Zeiten zu freiem Eigenthbum, woher es fommt, daß auch unjer Klofter (das 
von St. Bertin, wo der Mönch fchrieb) ein Haus in der Vorſtadt von 
Lille befitt, denn unjer damaliger Herr Abt Roderih, der 1043 ftarb, 
hatte befagtem Hefte angewohnt.” 

Flandern war bis dahin, wie es fcheint, ohne eigentlihe Hauptftadt 
geweſen, jegt übernahm Lille diefe Rolle, freilih um bald von Gent und 
Brügge überflügelt zu werden. Damit der Ort ſchnell in Aufnahme fomme, 
ichenfte der Graf den benachbarten Kirchenhäuptern Häufer, was fo viel 
al8 eine Einladung war, häufig dort zu weilen. ine Frage drängt fid 
auf: woher befam Graf Balduin das Geld, das nöthig war, um ein 
Dorf in eine Hauptftadt zu verwandeln? Die Antwort finde ich in ber 
Ueberlieferung, I daß um die Mitte des 10. Jahrhunderts in Ylandern 
die erften größeren Markteinrichtungen, namentlich aber daß Tuchmadhergilven 
entftanden, diefe Gilden, welde in der Folge durch ihren Kunftfleiß un- 
jäglihe Summen in das Land zogen, und Slandern zu einer der reichten 
Provinzen Europa’ gemacht haben. 

Auh das Schwert wußte Balduin V. von Ryßel zu führen. Seit 
1046 °) nahm er Theil an der allgemeinen Verfhwörung *) nieverländifcher 
Großen wider den neugefrönten Kaiſer Heinrich III. und zwar als der un- 
verföhnlichfte unter den andern. Die Fehde dauerte mit geringen Unter: 
bredungen bis zum Tode des Kaiſers, und jchlug zum Nachtheile des 
deutſchen Reiches aus. Der Briedensvertrag, welchen zuerft König Heinrich 
von Frankreich zu Doomif, dann, wie oben *) gezeigt worden, Pabſt Viktor II. 


1) Bouquet XI, 380. 2) Marnfönig a.a. O. I, 116. 3) Sigebert ad. a. 
1046. Berk VI, 358. ) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 459 flg. 5) S. S. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 55 


zu Eöln vermittelten, beftimmte, daß an Flandern die von Dtto I. erbaute 
Burg bei Gent fammt 3 dazu gehörigen Aemtern, fodann 5 feeländifche 
Infeln, worunter Waldern, und endlich die Grafſchaft Aloft an ver 
Dender, dieffeits der Schelde und auf brabantiihem Boden, abgetreten 
werden mußten. 

Dagegen leiftete der Flanderer Graf bezügfih der überlaffenen Orte 
der Kaijerfrone den Lehenseid. ) Da fchon Balduin Schönbart (1012) vie 
Inſel Walchern erlangt hatte, war der betreffende Artifel des Vertrags 
von 1056 nur eine Beftätigung des früheren Zugeſtändniſſes. Außerdem 
erreichte ) Balduin V. von Ryßel Faijerlihe Anerkennung der Ehe feines 
gleichnamigen Sohnes mit Richildis, der Erbin von Hennegau, wodurch 
letzteres Gebiet, doch nur vorübergehend, an Ylandern fiel. Der Graf 
hatte, wie man fieht, feften Buß dieſſeits der Schelve, folglich auf deutſchem 
Reichsboden, gefaßt. 

Andererſeits wurden ihm durch die Vebereinfunft vom Jahre 1056 fchlimme 
Nachbarn, oder vielmehr Mitbefiger, auf den Naden geladen. Durd die 
Heirath nemlih, weldhe Graf Theoderich II. von Friesland mit Hildegardis 
der Tochter jened von König Dtto I. eingefegten Burggrafen Wichmann 
ihloß, ) waren erblihe Rechte auf das Land Waes an das holländifche 
Grafenhaus gefommen. Dieſes Ländchen aber bildete einen Theil des 1056 
an Balduin V. abgetretenen enter Burglehen; daſſelbe erhielt daher 
mittelft der Lebereinfunft zwei Herrn: einen wirflihen — denn die Erben 
Wihmanns blieben unter dem Namen von Afterlehensmannen im Beſitz *) 
— und einen fcheinbaren, den Ylandrer Markgrafen. Das gleiche Ber: 
hältniß fand Statt bezüglich der zeeländifchen Infeln, welde das Holländer 
Haus fraft der früher erzählten Ereigniffe erworben hatte, und deren ſchein⸗ 
baren Befig der Vertrag von 1056 dem Flanderer zuiprad. Saum kann 
man bezweifeln, daß die Reichöregierung darauf ausging, durch ſolche 
zweideutige Beftimmungen die beiden Häufer von Holland und Flandern 
mit einander zu verfeinden, was ihr auch gelungen ift. 

Noch müfen wir dad Verhältniß Balduins V. zu Frankreich ind Auge 
taffen. Neuftriend Krone hatte feine läftigere Vafallen al8 die Normannen- 
berzoge zu Rouen und die Markgrafen oder Grafen zu Ryßel, weil bie 
Macht Beider die der Eapetinger überwog. Der wohlverftandene Vortheil 
festerer fchrieb daher vor, den Normannen und Ylamänder auseinander zu 
halten, wo möglich zu veruneinigen. Aber weit gefehlt, daß dieß gelungen 
wäre: fchon in Älterer Zeit eilte, wie wir fahen, der Normanne zuweilen 
dem Ylamänder in deſſen Nöthen zu Hülfe, diente ihm ald Schild wider 


1) Die Belege zufammengeftellt bei Kluit I, b ©. 65 fl. . *°) Bergl. unten 
Hennegau. 3) Oben ©. 38. 2) Warmkoͤnig I, 119. - 


56 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


capetingiiche geheime oder offene Angriffe. Und nun gerieth Balbuin 
von Ryßel gar noh auf den Gedanken, feine Tochter Mathilde mit dem 
Baftard Wilhelm von Rouen, dem nachmaligen Eroberer Englands, zu ver: 
mäblen. Als Heinrih IL von Frankreich hievon Wind erhielt, rief er, wie 
es jcheint, den Beiftand der Kirhe an. Sicherlich ift e8 nicht ohne fein 
Zuthun gefchehen, daß Pabſt Leo IX. auf dem Eoncile, das er im Herbfte 
1049 zu Rheims hielt, vem Marfgrafen Balduin verbot, ') feine Tochter 
Mathilde dem Normannen Wilhelm zum Weibe zu geben. Doch weder 
der Normanne noch der Flamänder gehorchten dem Pabfte; Mathilde wurde 
Wilhelms Gemahlin. 

König Heinrih I. von Franfreih farb im Auguft 1060, einen acht⸗ 
jährigen, aljo unmündigen Erben Philipp I. hinterlaffend. ) Bald darauf 
wählten?) jämmtliche Barone von Neufter den Flamänder Balduin V., ale 
Schwager des verftorbenen Könige, zum Vormünder des Thronerben, mit 
dem weitern Beifügen, daß fie bereit feien, dem Marfgrafen, im Fall 
Philipp ohne Erben fterben würde, die Krone von Frankreich zu übertragen. 
Das Capetingiſche Haus ſchwebte damals in feiner geringen Gefahr. Doc 
widerſtand Balduin V. der Verfuhung und vergriff fih nit an dem 
föniglihen Knaben; aber der franzöfiichen Krone hat er gleichwohl ſchweres 
Leid zugefügt. Man Fennt Die Folgen der durch Wilhelm bewerfftelligten 
Eroberung Englandde. Der normanniſche Bafalle ift dadurch für die Ga- 
petinger ein Pfahl im Fleiſche geworden, der fie 4 Jahrhunderte Tang 
peinigte, und Yranfreih mehrmals an den Rand der Grube bradte. Nun 
hat aber der Vormünder Philipps I., Graf Balduin, eben dieſes Unternehmen, 
von dem er vorausjehen Fonnte, daß es den Capetingern nicht frommen 
werde, nad Kräften theild mit Mannichaft, theild mit Geld unter: 
ftügt.*) Zwilchen großen Bafallen und ihren Lehensherrn gab es von 
jeher feine Treue. 

Balduin V. ftarb 9) im Jahre 1067 und wurde, feinem Wunſche ge: 
mäß, in der von ihm erbauten Peterskirche zu Ryſſel begraben. °) 

Der Einfluß, den Slandern durch die monarchia auf die Vafallenwelt 
übte, tft hoch anzufchlagen. Zuerft eiferte den Balduinen das benachbarte 
Holländer Haus nad, wo gleihfalld von einer Monarchie die Rede iſt. 
Dann drang das Vorbild hinüber nad dem Mofel- und Rheinland, lang: 
ſam vorrüdend. Die erfte Spur der Nachahmung werden wir im pfalzgräf- 
lichen Haufe zu Aachen und Tomberg, die zweite auf dem Schloße Habe- 


ı) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 524. :) Philipp zählte 1059 nur 7 Jahre, Bou⸗ 
quet XI, 32. °) Bouquet X, 380, ein andered Zeugniß bei Per” IX, 319. 9) Bes 
weiſe bei Marnfönig 1, 120. °) Dieb folgt aus den Andeutungen des Ghroniften von 
Hennegau ad a. 1070, Berk VI, 442, ®) Bouquet XL, 389. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 57 


burg an der Aar, die dritte auf Dagsburg im Elfaß, weitere in Baiern 
und Oeſtreich finden. Indeſſen hatten die eigenthümlichen Verhältniffe des 
deutſchen Reichs zur Folge, daß das aus Flandern herüber verpflanzte Ge: 
wächs fi mit einer ſchützenden Hülle bededte. 


Pie ubertheiniſchen Herzogthämer. Allgemeines über Hipuarien und Mofel- 
land. Erzbifhof Iruno von Köln, zugleich Erzherzog des Weberrheins. Pie 
Fahne von Wirderlothringen oder Yrabant, fammt der Geſchichte des 
Srafenhaufes von Werden. 


Dur die Eroberungen, welche im Laufe des zehnten Jahrhunderts 
unjere Könige und Kaiſer aus dem fächfihen Stamme jenfeitd ded Rheines 
machten, gelangte allmählig ganz Lotharingien mit den oben‘) befchriebenen 
Gränzen an das deutſche Reich. Otto I. hat das fchwierige Werfe be- 
gonnen, fein Eohn und Nachfolger Otto IT. hat es vollendet. Da bie 
Lotharingier von früher her, eingefeilt zwiſchen zwei mächtige Kronen, Ger; 
manien und Neufter, die faft unaufhörlich einander befehbeten, und darum 
fteter Verführung ausgefegt, fih gewöhnt hatten, einen Herrn um ben 
andern zu verrathen, bedurfte es einer ftarfen Hand und Fluger Einrich⸗ 
tungen, um fie dauernd dem deutichen Reiche einzuverleiben. In der Per: 
ion jeines eigenen Bruders Bruno, der als Geiftliher erzogen worden, 
fand Otto einen fähigen Genofjen, der ihm die jchwere Aufgabe Iöjen 
half. Der jächfiihe Herricher ernannte ?) denfelben im Jahre 953 zum 
Erzbiihof von Cöln und zugleih zum Herzuge von LKotharingien, fo weit 
legtered Land um jene Zeit deutjcher Hoheit gehorchte. Bruno bejaß ”) 
durchdringenden Verftand: die politiichen Maßregeln, in Bolge welcher Xotha- 
ringien Jahrhunderte lang im germanifchen Reichsband feitgehalten ward, 
find hauptfächlich fein Verf. 

Er hat zwei Herzogthümer drüben aufgerichtet, beide auf Earolingi- 
iher Grundlage. Chronift Prudentius von Troyes erwähnt) Innerhalb 
des Gebietd, von dem ich rede, zwei fränfiiche Dufate, das Mofelland und 
Ripuarien. Was verftand man zu der Zeit, da Prudentius ſchrieb, alfo 
im Laufe ded neunten Jahrhunderts, unter Ribuarenland? Die Quellen 
geben hierüber mannigfachen Auffchluß. Der Fulder Chronift berichtet’): 
„im Jahre 881 feien von den Normanıen die Gebiete von Cambray und 
Utrecht, fo wie der Heepengau (pagus hasbanicus), überhaupt dad ganze 
Ripuarenland greulih verwüftet, und die dort gelegenen Klöfter Cornelius: 
münfter (bei Aachen), Stablo, Malmedy, der Palaſt von Aachen, endlich 





1). 24 fig. °) Berk I, 622. 2) Verb IV, 256. %) Berk I, 435 ducatus 
Mosellicorum und ducatus Ribuariorum. °) Verb I, 394. 


58 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


die Städte Cöln und Bonn in Aſche gelegt worden.” Auch laut andern 
Zeugniffen lagen die meiften diefer Orte oder Bezirfe im Ribuarenland. 
Hinfmar erwähnt ), ohne auf das Einzelne einzugehen, fünf Comitate 
deſſelben. Neuere Gelehrte haben nachgewieſen), daß mit diefen fünf die 
Gaue von Cöln, Jülich, Zülpich, Bonn und Eifel gemeint find. 

Das Eifelgebirge Ichied Ripuarien vom Mofelland, alfo daß die bei- 
den Gaue Bonn und Eifel die ripuarifhe Gränze gegen letzteres bildeten. 
Diek erhellt theild aus vielen andern Nachrichten, theild aus einer Stelle der 
Ehronif Regino's, wo ed zum Jahre 891 heißt): „der deutſche König 
Amulf, welcher wider die Normannen ind Feld gerüdt war, und Die Für- 
fen feines Heeres feien unfchlüffig geweien, ob ſie durch das Land der 
Ripuarier nah Göln, oder aber über Prüm nad Trier ziehen follten.* 
Das Eifelgebirge ift e8, welches die beiden hier angegebenen Linien jcheibet, 
denn auf feiner der Mofel zugefehrten Seite lag Klofter Prüm, weldyes 
die Straße aus Ripuarien nad) Trier und folglich, wie fi unten herausftellen 
wird, nad Mojelland oder Oberlothringen beherriht. Zugleich deuten 
die Worte Regino's darauf hin, daß Cöln die Hauptftabt Ripuariend wie 
Trier die des Mofellandes war. 

In weiterem Einne zählte man zu Ripuarien, außer den fünf genann- 
ten Bezirken, noch die Gaue Moil oder Moulgau,“ Batua (Betume), Hama- 
land, Maasgau, welche wir theilweiſe von der Beichreibung Frieslands her 
fennen, dann die Comitate Ardennerwald, wo Stablo und Malmedy Tag, 
Kondoruft zwifhen Maas und Urte) (um Huy), endlih die ganze Strede 
jwiihen Maas, Scelde und der Nordſee. Nah meinem Dafürhalten 
fönnen nemlich die Ausfagen des Prudentius‘) und Nitharde”) nicht anders 
als in dem eben entwidelten Sinne verftanden werden, ob ich gleich wohl 
weiß, daß laut der Darftellung®) Regino’s der eigentliche ripuarifche Groß: 
gau erſt jenſeits, d. h. auf dem rechten Ufer der Maas begann und bis 
Bonn reichte. Neben den angeführten Worten der beiden Chroniften kommt 
Folkers Schenkungsurkunde“)) von 855 in Betracht, Fraft welder in Batua 
und Hamalant ripuarifches Recht galt, was nicht der Ball geweſen fein 
würde, hätten dieſe zwei Landichaften nicht zu Ripuarien gehört. Auch ift 





!) Ibid. ©. 488. 2) Ibid. Note 78. 3) Ibid. ©. 602. *) Don der Lage 
beffelben zeugen mehrere Cölner Urkunden. In Muol oder Muhlegewe werben erwähnt 
bie Orte Erkelenz, Deftrich, Berg unter Beek, Rickelrath, Waflarlar, die großentheild heute 
noch zwifchen Jülich und der Maas, links von ber Roer, flehen. Der San begriff alfo 
eine Strede vom Jülichgau gegen die Maas Hin. Wan vergl. Lacomblet Urkundenbuch 
bes Nievercheind I, 44 oben (Nr. 81), ibid. I, 63 Mitte (Nr. 107) und ©. 225 gegen 
oben (Nr. 335). ) Perb I, 489 gegen oben. °) Perk I, 431 per fines Ribua- 
rioram comitatus Moilla, Batua. Hamelant, Mosagao und hann 435 oben. 7) Berk 
H, 653 unten. 0) Perg I, 603 unten. 9) Oben ©. 34. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 509 


gewiß, daß dad Herzogthum Niederlothringen oder Brabant, weldes nur 
eine Emeuerung des Garolingifchen Dukats Ripuarien war‘), nicht blos 
jene fünf Gaue, ſondern auch ſämmtliche oben aufgezählte Bezirke dieſſeits 
und jenfeits der Maas, fo wie das Gebiet zwiſchen Maas, Schelde und 
Meer begriff. Lebtere müſſen demnach jchon früher zu Ripuarien im wei: 
teren Sinne des Worts gerechnet worden fein. 

Es gab endlich noch einige ripuariihe Gaue, die zwar dem Gölner 
Erzftift einverleibt waren, aber auf dem rechten Ufer des Rheines lagen. 
Von diefen kann ich erft an einem andern Orte reben. 

Der Umfang des zweiten , Carolingiſchen Dukats, welcher der Mofel- 
ländiiche hieß, erhellt aus dem Namen. Er umfaßte das Stromgebiet der 
Mofel, an welcher befanntlid die drei Stühle Trier, Meg und Toul liegen. 
Da feit alter Zeit nicht blos die beiden letzteren Bisthümer, fondern auch 
das von Verdun, welde Stadt durch die obere Maas beipült wird, unter 
firdhlicher Hoheit der Metropole des Moſellandes Trier ftanden, iſt anzus 
nehmen, daß gleich den andern auch Verdun und die obere Maasgegend 
ſchon im neunten Jahrhundert für Theile des moſellaniſchen Dukats galten. 
Beftimmt war dieß der Fall, feit Otto I. und fein Bruder Bruno von 
Eöln den fraglihen Dufat unter dem Namen Oberlothringen wieder her⸗ 
geftellt hatten. Ein Zeuge aus der erften Hälfte des 11. Jahrhunderts 
ſchreibt: ) Theoderich (der zweite, Herzog des Mofellandes, Sohn und 
Nachfolger ded von Erzbifhof Bruno erhobenen Friederichs), fei über bie- 
jenigen geſetzt geweſen, „welche dieſſeits und jenſeits der Moſel, dieſſeits 
und jenſeits der Maas, (alſo an beiden Ufern der zwei Flüſſe) wohn⸗ 
ten.“ Doch bezieht ſich letztere Beſtimmung nicht auf die untere Maas, 
ſondern nur auf ihren oberen Lauf, oder auf die Strecke, wo ſie ſich der 
Moſel nähert, und faſt in gleicher Linie mit ihr ſtroͤnt. Da wo dieß der 
Fall tft, reichte das mofellanifhe Herzogthum, wie ſchon an einem andern 
Orte ?) angedeutet worben, ftellenweife auf das Iinfe Ufer der Maas hin- 
über, die jonft die Gränze zwiſchen dem falifchen Deutichland und Neuftrien 
bildete. Herzogenbar, der gewöhnliche Sig") des eben erwähnten erften 
Herzogs Friederich, lag jenfeits der Maas. 

Genauer fann man die Gränzen des mofellanifchen Herzogthums mit 
Hülfe der firlichen Eintheilung beftimmen. Seit alter Zeit umjchloß ber 
Metropolitan- Sprengel von Trier die Suffraganbisthümer Meg, Verdun, 
Toul. Dieß erhellt aus vielen Stellen ) der gegen Ende des 11. Jahr: 


) Man vergl. die Worte Wippo’s: „jenfeitd des Stromes verfammelten fich Die über« 
theinifchen Franken. nämlich die Ribuarier und Lotharingier, zur Erwählung Conrads II.“ 
Pertz XI, 257. ?) Berk IV, 664: Teodericus — dux eorum, qui cis eitraquo Mo- 
sarn Mosellamque resident. 3) Dben ©. 27. %) Die Beweife unten bei der Ges 
fchichte Oberlothringens. °) Im Jahre 883 ertheilt der Trierer Metropolit Ratbot 


60 Pabſt Oregorius VII. und fein Zeitalter. 


hunderts abgefaßten Trierer Ehronif. Auch andere Denkmäler ſtimmen zu. 
Auf der Frankfurter Synode von 1007, welche die Errichtung de Bam⸗ 
berger Stuhles guthieß, erſchien) der Trierer Metropolit Ludolf mit feinen 
drei Suffraganen, den Biſchöfen Theoderih von Meg, Berthold von Toul, 
Haimo von Verdun. Deßgleichen erfieht man aus den Verzeichniſſen der 
kirchlichen Eintheilung Germaniens, welde Harzheim dem erften Bande 
feiner Eammlung der deutſchen Synoden vorangeftellt hat, daß bis in’s 
16. Jahrundert hinein der Erziprengel von Trier die drei genannten Hochs 
ftifte umfing. 

Nun dedten?) mit Ausnahme eines ayf dem rechten Ufer des Rheins 
gelegenen Striches, die Begriffe Trierer Metropolitan-Berband und Herzog: 
thum Oberlothringen im 10. und 11. Jahrhundert einander alfo, daß alle 
jenfeitigen Orte, welche einem der vier moſſellaniſchen Bisthüimer einverleibt 
waren, in politijcher Beziehung unter der Fahne des Oberlotbringer Her- 
3088 ſtanden. Noch will ich bemerken, daß, nachdem der Mannsftamm des 
erften mofellanifchen Herzogs Friederich erloihen war, Bar nicht mehr poli- 
tifcher Mittelpunkt des Mofellandes blieb. Diefe Ehre ging vielmehr an 
Nancy über. Chronift Alberih, der im 13. Jahrhundert fchrieb, bedient 
ſich) des Ausdrucks „Herzog von Mofelland, das ift von Nancy.“ 

Die Zweiheit der Herzogthümer, welche ſeit der Mitte des 10. Jahr: 
bundert® innerhalb des fotharingifchen Erbe neben einander beftanden, Fonnte 
leicht zu Verwechslungen führen. Einige Chroniften hielten dieſelben da⸗ 
durch auseinander, daß fie den ſüdlichen Dufat Mofellanien, den nördlichen 
Ripuarien nannten. Andere dagegen wenden das Wort Lothringen auf 
beide an. Aus Gründen, von denen unten die Rebe fein wird, erhielt das 
nörblihe Herzogthum im 12. Jahrhundert einen befondern Namen, den 
auch wir hinfort brauchen werden. Schon merowingiiche Urkunden erwäh- 
nen jenjeitd der Maas ein Gebiet, welches auf Sateiniic Hasbantum, auf 
Deutſch Haspengau*) heißt. 

Daß dafjelbe einer jener großen Gaue war, erhellt aus dem Thei- 
lungsvertrag von 870, kraft deſſen Earl der Kahle, Ludwigs des Deut: 
hen Bruder, aus dem Nachlaſſe Lothars vier Comitate in Hasbanium 


dem Biſchof Robert von Metz die Weihe. Pertz VIII, 167 unten flg. 1078 bricht 
wegen Erwählung bed Baiers Engelbert zum Erzbiſchofe von Trier unter den Suffraganen 
Streit aus, nur der Biſchof von Verdun billigt fie, die Bifchöfe von Meb und Toul da⸗ 
gegen leiften Wiberftand, ibid. 184 flg. Gin entgegengefepter Fall fam um 874 vor, da 
Metropolit Bertulf von Trier feinen Suffraganen den Bifchäfen von Mek und Foul ents 
gegentrat, ibid. 165 flg. *) Ussermann episcop. bamberg. Urfundenband ©. 13 flg. 
2) Man fehe die Karte. 3) Leibnitz accessiones histor. II, b. ©. 28 ad a. 988. Frie- 
dericus dux Mosellanorum, id est Nanceji. *) Urfunde von 1018 bei Lacomblet I, 
92, Rr. 150. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 61 


empfing.‘) Nirgends findet fi meines Wiſſens eine ausführliche Befchrei- 
bung des Umfangs, den Hasbanium hatte. Dod fann man urfundlid 
nachweifen, daß innerhalb vefielben die Städte Dond und Halen unweit 
Dieft, Belpen bei St. Trond, Schaffen bei Mecheln,?) daß weiter Et. Trond’) 
fetbft, fo wie Maftricht,*) Dieft), dann die Carolingifhen Pfalzen Nivelle 
und Landen®), endlich das Schloß Lon oder 2003’) im Haspengau lagen. 
Angefichts diefer Zeugniffe kann fein Zweifel fein: Hasbanien begriff den 
ſũüdöſtlichen Theil des zwiſchen der untern Maas und der Schelde gele,:nen 
Landſtrichs. 

Um dieſelbe Zeit kommt neben Haspengau ein zweiter Bezirk zum 
Vorſchein, genannt Bratusbant, Bragbant oder Brabant, mit dem es ſich 
ebenſo verhält, wie mit jenem. Durch den nemlichen Theilungsevertrag, 
der Barl dem Kahlen Hasbant mit vier Comitaten zuwies, erhielt) er 
Brabant mit eben fo vielen Grafihaften. Daß Brabant längs dem rechten 
Ufer der Schelve fi hinzog, erfieht man aus der Chronif”) von Vaaſt, 
auch wird dieß jonft ausdrüdlich bezeugt.‘ Laut Urfunden oder Chronifen 
gehörten der Landſchaft Brabant folgende Orte an: die Gegend um das 
Flüßchen Haine!!) oder der Hennegau mit der Hauptftadt Mons, Doomif 
oder Toumai,'?) das Gebiet des Fluſſes Denver bis zur Mündung in die 
Schelde,!) Vilvorde,“) Löwen,!’) Mecheln,!“) Blommefchote, 7) öftlih von 
Antwerpen. Brabant war demnach das mur durch die Schelde getrennte 
Nachbarland Flanderns. Im Allgemeinen begriff man das Gebiet zwilchen 
der Maas und der Nordfee unter dem Ausbrude‘°) Flandern und Brabant. 
Ebenso fagte man, um überfichtlich die Strede zwilchen Schelde und Maas 
zu bezeihnen, ganz Brabant und ganz Hasbant. ‘”) 

Eenham, in fächfiichsfaliichen Zeiten Altefter Sig der Herzoge von 
Ribuarien, lag, wie weiter unten gezeigt werben wird, unweit Dubenarde, 
auf dem rechten Ufer der Schelde, alfo in Brabant. Daher mag e8 ges 
fommen fein, daß der Begriff Brabant allmählig die Ausprüde Ribuarien 
und Hasbant auffaugte. Ein niederländiicher Schriftfteller aus dem Anfang 
des 12. Jahrhunderts nennt?) Brabant eine Provinz Lothariend, was 
allem Anſcheine nach zum Unterfchiede der zweiten Provinz deſſelben Landes, 


) Perg L, 489. ?) Urkunde von 740 bei Pardeſſus Diplomata merowing. II, 379. 
Pal. mit Ber X, 371. 3) Verb X, 280 gegen unten. 2) Urkunde von 919. Bei 
Bonquet IX. 546. 6) Berk X, 373. 6) Ibid. 365. ?) Bere VL 691 oben. 
°) Berb 1,489. 9) Berg I, 518,537. 10) Bouquet XI. 365. **) Bouquet IIL, 
525 oben. 12) Pertz VII, 542 unten. VI, 360 Mitte, 375 Mitte. 13) Verb IX, 
320 oben. 4) Urkunde Lothars I. vom Jahre 844 bei Lacomblet I, 26 unten vergl. 
Berk VII, 426. 15) Berk VL, 355 oben, 693 und 695 unten. 16) Pertz VI, 384 
untere Mitte. 17) Registr. Sarachonis im Anhang bei Falle Nr. 233 und Tert ©. 429. 
9 Bere IX, 407 unten. 19) Pertz X, 299 unten. 20) Perg XI, 119 Mitte, 


62 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


nemlich Mofellaniens, gejagt if. Um vie nemliche Zeit beginnt der Ger 
brauch, daß Die dortigen Herzoge nicht mehr den Titel von Ribuarien, 
fondern von Brabant ſich beilegen. Eine Eölner Urkunde vom Jahr 1169 
führt Gopfried IX. ald Herzog von Brabant auf.) Immerhin hat fi 
bis in die jpäteren Zeiten des Mittelalterd die Ucherlieferung erhalten, dap 
Brabant nicht der urjprünglihe Namen des Herzogthums war. Ein Zeuge 
aus dem Ende des 14. Jahrhunderts jchreibt I: „man muß wiſſen, daß 
es von jeher im Lande Lotharingien zwei Dufate gab, erftlih den moſel⸗ 
lanifhen und zweitend den andern, welcher längft unter dem Namen Bra- 
bant begriffen wird.” Der Deutlichfeit wegen oder um Verwechslungen zu 
verhüten, brauche ich im vorliegenden Werfe für Ribuarien gewöhnlih den 
Ausdruck Brabant. 

Erzbiihof Bruno hat die zwei erften Herzoge, wie von Brabant fo 
von Mofellanien, eingefegt und blicb zu ihnen, jo lange er lebte, in einem 
Berhältniffe ver Oberaufficht, weßhalb er den merfwürdigen Titel Erzbiſchof⸗ 
Erzherzog empfängt.) Die Erhebung des Brabanterd ging allem Anjcheine 
nach der des Oberlotharingerd um mehrere Jahre voran. Die Dynaftie, 
welche der Erftere gründete, hat gleihjam ein doppeltes Geſicht: ein her: 
zoglihes und ein ftadtgräflihed. Ich werde deßhalb hinter die Geſchichte 
des Älteften herzoglihen Stammes von Brabant die des gräflihen Hauſes 
von Verdun reihen. 

Der gleichzeitige Biograph des Erzbiihofs Bruno erzählt,‘ dieſer habe 
um 963 den Herzog Godfried, einen trefflihen und zuverläffigen Mann, 
der unter der eigenen Aufficht des Erzbiſchofs herangebildet worven, mit 
einer Abtheilung ſchwerer Lotharingiſcher Neiterei, jeinem Bruder dem Kaijer 
Dtto I. zu Hilfe nah Italien geſchickt. Diejer Godfried ift ohme Frage 
derjelbe, welden eine Cölniſche Urkunde °) von 953 als Herzog auf 
führte. Er Icheint demnah im erften Jahre der erzbifchöflihen Verwaltung 
Bruno’d zum Herzogthum befördert worden zu fein. Laut dem Zeugnifle 
des Mönchs, der Regino's Chronik fortſetzte ), farb Godfried der Lotha⸗ 
ringier Herzog 964 an einer Seuche in Italien. Da Oberlothringen da- 
mals feine eigenen Herzoge hatte, von denen unten die Rede jein wird, 
tft ed unmöglich den Verwaltungsfreis Godfrieds anderswo als in Bra- 
bant zu ſuchen. Nach 964, dem Todesjahre Godfrieds I., wird ein zweiter 
Godfried im nemlichen Lande erwähnt,”) der etwa 10 Jahre regiert haben 
und ein Sohn des Erfteren gewefen jein fol. Aber im Jahre 976 ge: 
langte Brabant an einen Anderen. Um die angegebene Zeit vergab?) Kaijer 


*) Lacomblet I, 303 unten. ?) Perg X, 387 obere Mitte. 3) Berk IV, 261 und 
VI, 350. *) Berg IV, 270. °) Martene collect. U, 47. °) Berk I, 627. °) Butkens 
trophöes du duchs de Brabant I, 8, °) Gfrörer, Kirch. Gefch. II, 1383 unten fig. 


) 


Erſtes Bud. Gap. 2. Rotharingien. Herzogthümer. 63 


Otto II. das fraglihe Herzogthum an Carl, den Bruder des verftorbenen neu⸗ 
ftriihen Königs Lothar, unter der Bedingung, die deutfhe Sade gegen 
die Franzoſen zu verfehten. Der nemlihe Carl fiel 991 zu Laon durd 
Verrath in die Hände Hugo Gapets, ward von ihm in einen Kerfer gewor: 
fen und verfhwand für immer. Garl hinterließ einen Sohn Dtto, den 
legten Sprofjen des Hauſes der Barolinger, weldher das Herzogthum feines 
Baterd erbte und um 1012 kinderlos ftarb. 

Innerhalb fünfzig Jahren (von 953—1012) tritt und ein doppelter 
Verſuch entgegen, die Fahne von Brabant erblih zu maden: auf God⸗ 
fried L. folgt ein zweiter, von dem fich herausftellen wird, daß er des erften 
Sohn war; auf Earl folgt Dtto, des vorigen Sohn. Auch bei der fünften 
Bejegung hat die Rüdfiht auf Erbrechte den Ausfchlag gegeben. Derjenige, 
welcher 1013 aus den Händen Königs Heinrih UI. Brabant erhielt, hieß 
Godfried und wird ein Sohn des Grafen Godfried aus dem Ardennengau 
genannt.) Wir Fennen ) die Familie des Baterd: er hatte außer dem 
gleihnamigen Godfried, der 1012 oder 1013 das Herzogthum erlangte, 
noch vier andere Söhne, Gozelo, der jeinem älteren Bruder in Brabant 
folgte, Adalbero, der zwilchen 984 und 990 auf dem Stuhle von Verdun 
jaß, dann die Grafen Herimann und Frieverih. Der Vater, die Mutter 
— fie hieß Mathildis und flammte aus Sachſen — drei der Söhne 
traten in enge Verbindung mit einem Klofter zu Verdun, und durch das⸗ 
ſelbe mit dem Mutterftifte der Cluniacenſer Verbrüderung. Auf Betreiben 
Odilo's, des Oberabts von Clugny, wurde nemlich das Veitskloſter zu Ber: 
dun, das gleih jo vielen andern im Laufe des 10. Jahrhunderts durch 
die Gewalt von Laien Schiffbruch an Gut, Anfehen und Zuct erlitten 
batte, reformirt, und nun ftatteten dafjelbe der Vater Godfried, der gleichs 
namige Eohn, feit 1012 Herzog von Brabant, fowie defjen Brüder Heri⸗ 
mann und Friederich reihlih mit Gütern aus. Ja Graf Frieverih nahm 
jelbft die Kutte und ftarb ald Mönch im Beitsflofter. ) Gewiß ein merfs 
würdiger Beweis von der Energie, mit welder der Geift von Clugny auf 
die Orafenhäufer des nörblihen Lotharingiens einzwwirfen begann. 

Sollte nun der Vater diefer zahlreichen Familie nicht eine Perſon mit 
jenem Godfried fein, der nad dem Tode Godfrieds I. eine Zeit lang Her: 
30g von Brabant war? Im angegebenen Balle müßte man vorausjegen, 
daß Kaiſer Otto II., welchem viel daran lag, feinem um jene Zeit 
höchft läftigen Gegner, Lothar von Frankreich, einen Carlinger und wo mög» 
lih den eigenen Bruder entgegenzufegen‘), und dadurch die Anftrengungen 


1) Sigebertus ad. a. 1005 Perg VI ‚354. ?) Gesta episcop. Virdun. continuat. 
cap. 6 fig. Perk IV, 47 fig. ») Ganz fo ftellt der Chronift von Kambray die Sache 
tar. Hist. I, cap. 101. Berk VII, 443. 


64 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Lothars zu vereiteln, den Älteren Godfried durch irgend welche Anerbietun 
gen bewogen habe, zu Gunften Karl auf die Fahne von Brabant zu ver 
sichten. Ich werde unten den vollftändigen Beweis führen, daß die Sade 
fih allerdings fo verhielt. Hier nur jo viel: der Mönd von Afflighem 
nennt‘) in alten Zufägen zur Chronif Sigebertd den Gemahl Mathilvens 
und Bater jener Eöhne wirklih einen Herzog und fügt bei, daß derſelbe | 
auf Schloß Eenham (unweit DOudenarde), dem Stammfige des nieder 
lothringiſchen Herzogthums, gehaust habe, fo wie daß feine Ges 
mahlin Mathilde eine Tochter des fächfiihen Herzogs Herimann Billung 
und Wittwe des früh verftorbenen Balduin III. geweſen, endlich daß zulekt 
Godfried felbft ind Klofter gegangen ei. 

Alſo Eenham war Stammſitz des niederlothringifchen oder brabanti- 
Ihen Herzogthums! Diefer Ort liegt auf dem rechten Ufer der Schelde, 
nicht weit von Oudenarde, folglih auf dem Boden von Brabant und heißt 
heut zu Tage Enaeme. Sodann bezeichnet?) Wippo, Biograph des Kaiſer 
Conrad II., den Bruder und Nachfolger des dritten Godfrieds als einen Her: 
zog der Ribuarier. Wer wird nun glauben, daß die Herzoge von Ribua- 
sion oder Brabant außerhalb ihres Herzogthums faßen! Eicherlich war 
das entgegengejehte der Fall. Dann aber folgt fonnenflar, daß das Herzogs 
thum Ribuarien der ſächſiſch-ſaliſchen Zeiten, deſſen Titel die Godfriede 
trugen, von der Eifel bis zur Schelde reichte. Zweitens erhellt aus den 
Worten des Chroniſten, daß der Gemahl Mathildens eine Perſon mit dem 
Godfried ſein muß, der 964 nach dem erſten Godfried auftaucht, denn für 
nichts kann er nicht Herzog heißen, und weiter, daß er freiwillig oder 
gezwungen jenem Carolinger wich. Denn da Mathildens Gemahl ein 
auf den Rath Odilo's reformirtes Kloſter beſchenkte, und da Odilo erſt 
991 Abt wurde,”) ergibt ſich, daß Godfried II. erſt geraume Zeit nad) dem 
Zeitpunft ftarb, da er aufgehört hatte, wirfliher Herzog von Ribuarien 
zu fein. 

Bezüglih der Erhebung Godfrieds III. im Jahre 1012 berichtet *) 
bie Ehronif von Kammerih: „nad dem Tode des Herzogs Otto belehnte 
Kaiſer Heinrich IL. auf Verwendung des Biſchofs °) Gerhard von Kammes 
rih und auf Bitte der größeren VBajallen, Gottfried III. mit der er: 
ledigten Fahne. Zu der hohen Würde gelangt, diente diefer junge Herzog 
dem Kaifer mit feltener Treue; Niemand verftand fo gut wie er den Land» 
frieden zu wahren, den Fehden ein Ende zu machen. Und jo geſchah es, 


ı ad a. 1033 Perk VI, 399. 2) Berk XI, 257 gegen oben. 3) Bfrörer, Kirch. 
Geſch. IH, 1340. *) III, 7. Berk VII. 468. 5) Da Gerhard erfi 1012 das Bis: 
thum erlangt hat, nehme ich mit Perk an, daß Sigebert den Tod Otto's irrig in das 
Jahr 1005 flatt 1012 verfeßte. 





Erſtes Bud. Cap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 65 


6 mit Godfrieds Hülfe der Kaifer den harten Naden der Wiperfpenftigen 
ugen, feine Feinde beftegen fonnte.” Einige Fragen müſſen gelöst wer- 
a: wer find die größeren Vaſallen, auf deren Bürbitten der Kaiſer bei 
iger Belchnung Rüdfiht nimmt? Ohne Zweifel Solche, die im Herzog> 
um Brabant felbft anjäßig waren und daher cin gewiſſes Recht hatten 
e Wünfche vorzutragen! Zweitend warum verwendet ſich für den gleichen 
pe vorzugsweile der Bilhof von Cambray und fein Anderer? Etwa 
8 Ähnlichen Gründen, oder vielleiht darım, weil Bilchof Gerhard die 
ondere Gunft des Kaiſers genoß und weil Godfried veßhalb feine Fürs 
ade angerufen hatte? Ich werde hierauf unten zurüdfommen. 

Eodann erhellt aus den Worten des Ehroniften, daß Heinrich IL. den 
rabanter namentlidy deßhalb belehnte, weil diefer fich verbindlich machte, 
r Landfrieden herzuftellen und gewiſſe Rebellen zu züchtigen. Auf bra- 
ntifchem Boden ſaßen damald mehrere Grafen, die nicht nur längft Erb- 
keit der Lehen durchgeſetzt hatten, jondern überhaupt Niemand gehorchen 
‚Üten und die Rolle von Gaufönigen jpielten. Godefrieds Aufgabe war, 
je Herren erft dem herzogliden Banner und dadurch mittelbar der 
ıijerfrone zu unterwerfen. Er bat fein Wort gelöst. Zunächſt befam 
mit den Grafen Lambert von Löwen und Rainer von Hennegau, zweien 
6 der Klaſſe derer, die ich eben gejchilvert, zu thun. Ste wurden zu 
aaren getrieben und Lambert jelbft in einem Gefecht bei Florennes (zwi: 
en Sambre und Maas) den 12. Eept. 1015 erfchlagen. *) 

Darauf gerieth Godfried III. aus gleihen Anläffen in Fehde mit 
ıem Grafen Gerhard, welchen der Chronift von Cambray einen Haupt: 
ann und Anführer aller gegen den Landfrieden und die Herrichaft des 
aiſers gerichteten MWühlereien nennt.) Näheren Auffchluß über venjelben 
ben deutſche Duellen, namentlih Dietmar von Merfeburg. Er ftammte 
8 einer Seitenlinie des elſäßiſchen“) Orafenhaufes von Egisheim, das wir 
äter kennen lernen werden, war der mütterlihe DOheim*) des nachmaligen 
aiferd Conrad II. und mit Eva einer Tochter des Luxemburgers Siegfried, 
gleich Echwefter der Kaiſerin Kunigunde, vermählt.) Aus Rüdficht auf 
eſe Berwandtichaft fcheint es gefchehen zu fein, daß ihm König Heinrich II. 
ı Fahre 1002, nad) Beftegung des Gegenfönigs Herimann von Schwaben, 
ıe bis dahin Ichterem gehörige — wahrfcheinlich elfäßiihe — Grafſchaft 
ertrug, welche jedoch Gerhard nicht antreten konnte, weil die Infaßen ihm 





*) Ibid. III, 9 flg. Per VII, ©. 469. 2) Ibid. III, 11. 3) Deßwegen nennt 
ı Dietmar einen Grafen de Alsatia chronic, V, 13 Per& III, 796. *%) Herimanni 
ronic. ad a. 1017 Perk V, 119. °) Den Beweis bei Schöpflin Alsat. illustr. 
‚ 492. 
Gfrörer, Pabſt Sregorius vi. Bd. 1. 5 


66 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


hartnädigen Widerftand leifteten. Später taucht er um 1012 als ®raf in 
Ribuarien an der Eifel auf,) wo er mit dem Grafen Wichmann, einem 
berüchtigten Ruheftörer, Gemeinfchaft machte und das Schloß Heimbach er- 
warb.) Herzog Godfried durfte den Gewaltthätigfeiten Gerhards nicht 
länger zuiehen. Im Auguft 1017 überfiel er denjelben, brachte ihm eine 
Niederlage bei und nahm bei diefem Gefecht den Sohn Gerhards Sigifrid 
gefangen, der nachher an den in der Schlacht erhaltenen Wunden ftarb. 
Der Ehronift von Kammerich jagt:”) die Züchtigung, welche Gerhard auf 
jolhe Weife davon trug, habe den andern Bösgefinnten Schreden eingejagt, 
und die Ruhe im Lande bergeftelt. Im nemlihen Gefecht wurde aud) 
Conrad, der nachmalige Kaiſer und Neffe Gerhards verwundet, der mit 
den niederländischen Rebellen fich verbunden hatte. 

Die eben bejchriebene Fehde hing mit den Umtrieben der Luremburger 
Brüder zufammen, die den Kaiſer Heinrich II. unfäglihe Unluft bereiteten. 
Schon 1008 hatte Gerhard einem diefer Brüder, die feine Schwäger 
waren, dem ®lerifer Adalbero, bei Eroberung der Stadt Trier geholfen. ’) 
Und aud 1017 jpielte er mit ihnen zufammen. Denn nachdem der Kater 
fit) mit den Brüdern feiner Gemahlin ausgejöhnt, und die Wiedereinjegung 
des Baierherzogs beichloffen hatte, gab?) er dem Brabanter Godfried Bes 
fehl, nicht weiter gegen Gerhard einzuſchreiten. So geſchah es, daß dieler, 
obgleich bejiegt, Teidlich wegfam. Gerhard muß bald darauf geftorben fein, 
denn nirgends ift weiter von ihm die Rede. Seit dem Tode feines einzigen 
Sohnes war er finderlod, doc, hinterließ er in Lothringen Seitenverwandte, 
welche jpäter eine politiiche Rolle jpielten. 

Ich fomme an einen dritten Kriegszug, den Herzog Godfried IIL von 
Brabant im Auftrag des Kaijerd Heinridy unternahm. Es galt, die von 
dem Holländer Theoderich auf Merwede angelegten Beftungswerfe zu zer: 
ftören. „Der Kaiſer“ — fo berichtet) der Chronift von Kammerid, 
„ertheilte dem Herzog Godfried, fo wie den Bilchöfen von Cöln, Utrecht 
und Lüttich den Befehl, ein Heer zu vereinigen.” Warum wurden gerade 
diefe Bilchöfe gegen den Holländer aufgeboten? Ohne Frage deßhalb, weil 
die Hochftifte Cöln, Lüttich, Utrecht in politischer Beziehung der Bahne von 
Brabant zugeordnet waren, und weil Graf oder Markgraf Theoderich, 
der bis dahin den Erbherrn, den Monarchen, fpielte, eben derjelben unter: 
worfen werben follte. Hätte der Feldzug glüdlihen Erfolg gehabt, fo 
würden wir lefen, daß Theoderich, wohl over übel wollend, den Brabanter 
Herzog als feinen Vorgefegten anerkennen mußte, während der Sieg, den 


!) Alpertus de diversit. tempor. I, 1. Berg IV, 702 fig. II, 2. ) Perg VI 
469 u. Thietm. chronic. VII, 45 ®erg III, 856. 3) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 71. 
*) 111, 19, Berk VIL, 471. 


Erſtes Bud. Cap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 67 


er erfocht, ihn in Stand fegte, auch fürder dem Kaiſer und dem Herzog 
von Brabant zu trogen. 

Andere Nachrichten ftimmen zu. Die Bisthümer Utrecht und Lüttich 
gehörten zum Erzverband von Cöln, der kirchlichen Metropole Ribuariens. 
Auf der Frankfurter Synode von 1007 erihien ) der Cölner Erzbifchof 
Heribert mit feinem Suffragan dem Biſchof Notfer von Lüttih. Daß nicht 
minder der Stuhl Utrecht feit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts dem 
Eölner Erziprengel einverleibt war, ift fattfam befannt.?) Dur das ganze 
Mittelalter hindurch bis zu den Zeiten der Reformation blieben beide Bis⸗ 
thümer, Utrecht und Lüttich, in gleicher Stellung.) Doc hatte das Erz 
ſtift @öln noch andere Suffragane, weßhalb von ver ganzen Ausdehnung 
des Metropolitan= Bezirfd erft an einem fpätern Orte die Rede fein kann. 

Aber wie verhält es fi mit Cambray? Da Heinrich II. die Kirchen⸗ 
häupter von Eöln, Utrecht und Lüttich, nicht aber den Biſchof von Kam⸗ 
merich zu jenem Zuge aufmahnte, fo jcheint ed, als fei letzterer Stuhl nidht 
unter der Fahne Brabant und nicht unter der Metropole Cöln geftanden. 
Wirklich verhielt fich die Sache jo. Das deutſche Bisthum Cammerid war — 
eine jeltene Ausnahme — der neuftrifhen Metropole von Rheims 
ugetheilt. Als Kaifer Heinrich II. den durch den Tod Erluins 1012 ers 
ledigten Stuhl von Cambray an feinen bisherigen Capellan Gerhard vers 
lieh, flellte er demjelben frei, ob er fih — wie ed bisher üblich geweſen 
— zu Rheims, oder aber durch eine deutiche Reichsſynode zu Bamberg, 
weihen lafjen wolle. Gerhard entichied für Rheims, worauf Heinrih IL. 
die Klugheit dieſes Entſchluſſes lobte und ihm Urlaub ertheilte.) Bis ine 
15. Jahrhundert hinein verharrte?) Kambray im Verbande mit Rheims. 
Handelte e8 fi aber darum, daß der Bilchof von Cammerich als deutfcher 
Reichsſtand an Synoden und Hoftagen Theil nehmen mußte, fo jchloß er 
ſich gewöhnlih an ven Cölner Metropoliten an. So erichien Fulbert von 
Cambray um 960 auf einem Tage zu Eöln‘), und abermal‘) Erluin von 
Cambray mit dem Gölner Metropoliten auf der Frankfurter Kirchenverſamm⸗ 
(ung des Jahres 1007. 

Der holländische Feldzug von 1018 nahm, "wie wir willen‘), ein traus 
riged Ende. Nachdem Godfried aus der Gefangenfchaft befreit worden, 
taucht er mur noch bei einem von den Ehroniften erwähnten öffentlichen 
Afte auf: der Herzog war einer der wenigen Bertrauten, die den Kaiſer 
nad Ivois, unweit der oberen Maas, begleiteten, wo die Zuſammenkunft mit 
dem Könige Robert von Frankreich im Aug. 1023 ftattfand. Aug feinen Häns- 


1) Usserman episcop. bamberg. I, Urfunde S. 13. 2) Metiberg, deutliche Kirch. 
Geſch. II, 527. 530. 534. Perg II, 408. 3) Harzheim concil. Germ. I. Borflüd. 
*) Berk VIL 465 unten fig. °) Man fehe Berg IV, 262 Note 11. 9 Oben ©. 42. 

K® 


68 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


den empfingen damals die Begleiter des Franzoſen die für fie beftimmten 
faiferlihen Geſchenke.) Mit gutem Fuge darf man hieraus den Schluß 
ziehen, daß der glorreihe Kaifer — angefommen am Ende feiner Laufbahn, 
— den Brabanter für einen feiner treueften Beamten hielt. Godfried ftarb’) 
noh im nemlichen Jahre. Da feine der vielen Quellen des 11. Jahr: 
hundert irgend etwas von einer Gemahlin oder von Kindern, die er bejaß, 
meldet, ift anzunehmen, daß er unverheirathet war. 

Sein jüngerer Bruder Gozelo erbte‘) die Fahne Brabants. Mit Er- 
hebung des legteren hört die Treue, weldhe Godfried III. erprobt Hatte, 
auf, und Ehrſucht zieht in das brabantiihe Haus ein. Schon nad Hein- 
rich's IL Tode, bei Ausbruch der furzen Thronftreitigfeiten, ſpielte Gozelo 
den Eigennügigen, machte Echwierigfeiten, verkaufte fpäter dem Kaiſer 
Conrad II. feine Hülfe wider. Odo von Champagne, den Hauptgegner der 
von Conrad betriebenen Erwerbung Burgunds, um das ſchwere, aber dem 
Brabanter jelbft und feinem Haufe ververblihe Zugeſtändniß, daß ihm 
1034 neben Brabant auch nody die durch des Lothringers Friederich Tod 
erledigte Fahne von Oberlotharingien übergeben werden mußte.*) Gozelo 
war dadurch der mächtigfte Vaſall der Kailerfrone geworden. Der Nach— 
folger Konrad's II., König Heinrich ILI., geftattete ihm, nody bei Lebzeiten . 
feinen älteren Sohn, Godfried IV., zum Mitherzog in Oberlothringen an: 
zunehmen, und ertheilte zugleich dem jüngeren Eohn ebendeflelben, Gozelo LI. 
die Anwartihaft auf Brabant.) Gozelo J. ftarb 1044. Aus der Ehe mit 
einer unbekannten Gemahlin hinterließ er, außer den beiden bereitd genann- 
ten Söhnen, einen dritten, Friederich, welcher @lerifer wurve, und ale 
Nachfolger Viktor’3 II. unter dem Namen Stephan IX. Petri Stuhl beftieg; 
dann drei Töchter, worunter Mathilde, deren unglückliches Schickſal wir 
aus der Geſchichte des pfalzgräflihen Haufes bei Rhein werden kennen 
lernen. — 

Ich werde die Schickſale Godfrieds IV., der den Beinamen des Küh- 
nen oder des Bärtigen führte, an einem andern Orte ausführlich erzählen, 
und erwähne hier bloß ver Meberfiht wegen die Hauptpunfte. °%) Gleich 
nah des Vaters Tode forderte Godfried IV. zu Lothringen hin, das er 
längft befaß, auch noch den Antheil feines Bruders Gozelo, nämlid Bra: 
bant, und zwar unter dem Vorwande, daß lebterer zum Regieren untaug- 
ih jei. Als König Heinrih II. dieſes unftatthafte Verlangen zurückwies, 
Ihlug Godfried IV. in geheimem Bunde mit der Krone Frankreich los, 


1) Berk VII, 480 cap. 37. Vergl. Gfrörer, Kirch. Gefch. TIL, 131. 2) anna- 
les mosomag. ad a. 1023 Berk II, 161. °) Sigibert. chronic. ad a. 1019 Berg VI, 
355. *) Sfrörer, Kirch. Geſch. III, 214 fig. 311 fig. 5) Daſ. ©. 414. 0) Gfroͤ⸗ 
ver, Kirch. Geſch. IV, 414 fig. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 69 


ward jedoch befiegt und 1045 als Staatögefangener nad dem Schloß 
Giebichenftein bei Halle abgeführt. Um die nemliche Zeit hatte die Span- 
nung zwiſchen dem deutſchen Könige und dem hohen Clerus einen bevenf- 
lihen Grad erreicht. Aus Furcht vor den Kirchlichgefinnten, als deren 
Waffenhaupt bereitd Godfried betrachtet wurde, gab Heinrich III. im Jahre 
1046, furz vor dem Römerzug, den Gefangenen von Giebichenftein frei und 
jegte ihn fogar in das Herzogthum Lothringen wieder ein, forderte dagegen 
ten Sohn Godefrieds als Geißel für die Ruhe des Vaterd. Zu gleicher 
Zeit verlieh der König die durch den Tod Gozelos D., ver kinderlos ge- 
ftorben war, erledigte Yahne Brabant an den Lurenburger Friedrich, Bru⸗ 
der des 1042 eingefegten Herzogs Heinrih von Baiern. ') 

Während König Heinrid in Italien weilte und ſich zum Kaiſer krö⸗ 
nen ließ, während die Unzufriedenheit über ihn immer höher flieg, ftarb 
Godfried's IV. Cohn, den jener zur Geißel gegeben. Alsbald empörte fich 
der Lothringer im Bunde mit Frankreich, mit dem Holländer Theoderich, mit 
dem Flamänder Balduin V. und einigen andern niederländifchen Herren 
von Neuem, zerftörte den kaiſerlichen Pallaft zu Nimwegen, verbrannte bie 
Stadt Verdun, deren Biſchof Dietrid, ein eifriger Anhänger des Kaiſers 
war.?) Nach der Rüdfehr aus Stalien von allen Seiten bedrängt, Fonnte 
Heinrich IIT. vorerft nichts thun, als daß er Godfried für abgejegt erklärte 
und das Herzogthum Lothringen 1047 an einen gewiffen Adalbert verlich,, 
indem cr es letterem überließ, mit eigenen Hülfsmitteln den Gegner zu 
bemeiftern. Aber dieß gelang demſelben nicht, vielmehr wurde Adalbert im 
folgenden Jahre durch Godfried IV. erichlagen. ) Jetzt ernannte der Kai⸗ 
jer an Adalberts Stait Gerhard zum Herzoge von Lothringen. °) | 

Sigebert von Gemblours erteilt *) dem neuen Herzoge den Beinamen 
Gerhard von Elſaß. In derſelben Weife wird der oben erwähnte um 
1020 verftorbene Gerhard, Tangjähriger Gegner Godfrieds III., bezeichnet; 
faum fann man zweifeln, daß fie Verwandte waren. Weiter gibt eine 
Urkunde ®) von 1090, die zwar nicht unverbäcdhtig ift, doch Feine genealo- 
giihe Nachrichten erdichtet, zu verftehen, der im Juhre 1048 zum Herzoge 
Lothringend erhobene Gerhard fei ein Neffe feines Vorgängers Adalbert 
geweien. Demnad gehören alle 3, Adalbert und die beiden Gerharde, einer 
Seitenlinie des Hauſes Egisheim an. 

Indeſſen hatte ver Kaifer, um die Unzufriedenheit der Kirchlich⸗Geſinnten 
zu bejchwichtigen, die Erhebung Bruno's von Toul auf den durch den Tod des 
zweiten Damaſus erledigten Stuhl Petri bewilligt. Dankbar für dieſes Zu- 
geitändniß, zogen die niederrheiniſchen Biichöfe Theotwin von Lüttich, Bernold 


2) Daf. ©. 416 ſig. ) Daf. ©.460. Daſ. 462. *) ada. 1048 Berk VI, 
359. 5) Schöpfflin Alsat. illustr. II, 493. 


70 Pabſt Gregorius VH. und fein Zeitalter. 


von Utrecht, denen ſich Adalbero von Meb beigejellte, im Ian. 1049 
nicht bloß wider Theoderich von Holland, fondern aud gegen Godfried IV. 
zu Geld. Lesterer ward aus Holland, wohin er fich geworfen, vertrieben; 
drauf im Sommer 1049, während eben der Kaiſer ein Heer am Nieder: 
rhein jammelte, um den Empörer vollends zu erbrüden, erichien ) in feinem 
Lager der ehemalige Biichof Bruno von Toul, jetzt Pabſt Leo IX., zur Ber: 
mittlung bereit. Schon vorher hatte er den Lothringer mit dem Banne be- 
droht, wenn dieſer länger in der Empörung beharren würde. Godfried 
unterwarf fib und warb dem Erzbiichofe Eberhard von Trier zu milder 
Haft übergeben. ) Man fieht, vie päbftliche Parthei wollte den Lothringer 
ein wenig züchtigen aber nicht verderben, weil fie vorausfah, daß Godfried 
unter gewiſſen Umftänden nügliche Dienfte gegen den Bedränger der Kirche 
leiften könne. Im Jahre 1051 hob Heinrich III. die Haft Godfrieds IV. 
auf, aber feine Lehen erhielt derjelbe nicht wieder. ) Dagegen flattete ber 
Eölner Erzbiihof ihn mit einigen Gütern aus. 

So fam die Zeit des völligen Bruch zwilchen Kaiſer und Kirche 
heran. Während Balduin von Klandern als Borfämpfer Roms einen 
furdtbaren Aufftand im Norden des Reihe erhob, entichlüpfte Godfried 
IV. nad dem Süden, eilte nah Toskana und heirathete 1053, er, ein 
Wittwer, die Wittwe des verftorbenen Marfgrafen Bonifacius, Beatrir. *) 
Diefe Heirath, welche zwei der dem Kaiſerthum gefährlichften, weil mächtig: 
ften Häufer vereinigte, war ein ſchwerer Schlag für den Salier. Durch 
Warnungen geichredt, daß Godfried fid) zum Gegenfönig aufzuwerfen ge: 
denke, zog ) Heinrich IU. im Frühling 1055 über die Alpen, brachte Bea⸗ 
trier und deren Kinder in feine Gewalt, worauf in wenigen Tagen zwei 
der legtern wegftarben. %) Aber Godfried "entfam nad) Niederdeutfchland und 
fiel fofort, vereint mit Balduin von Flandern, über den Lurenburger Friede⸗ 
ri ber, den, wie ich fagte, der Kaiſer 1048 zum Herzoge von Brabant 
eingejegt hatte. Letzterer warf ſich in die Stadt Antwerpen, die beiven 
Andern belagerten ihn, doch ohne etwas auszurichten. ) So ftanden die 
Dinge, ald Kaiſer Heinrich IH. im Oktober 1056 ftarb. Eines der erften 
Geſchaͤfte, welches Pabft Victor EI., der fih damals am faiferlihen Hofe 
befand, vornahm, beftand, wie wir willen, darin, daß er im Bunde mit 
Hanno auf dem Reichstage zu Cöln Godfried mit dem jungen König aus— 
jöhnte. Brabant blieb vorerft dem Lurenburger Friedrich, Lothringen dem 
Eifäßer Gerhard. Aber Zuficherungen find Godfried gemacht worden, daß 
er nad dem Ableben Friedrich's Brabant wieder erhalten folle. 

Einige Punkte der Anfänge des Herzogthums Brabant find oben bun- 


) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 486 fig. °) Ibid. 502 fig. *) Daf. 563. *) Ibid. 
S. 601 fig. 9) Dal. S. 608. 9) Daf. S. 612. 7) Daf. 617. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 771 


kel geblieben. Sie empfangen Licht durch die Geſchichte der Ahnen und 
Seitenverwandten Godfrieds IV., zu denen wir uns jetzt wenden. 


Das gräflihe Haus von Berdan. 


Den Stuhl von Verdun nahm ') zwifchen 940 und 962 Biſchof Bern- 
gar, gebomer Sachſe, ein. Derjelbe gründete dad Klofter St. Veit, den 
Stiftungsbrief I aber unterjchrieb mit Andern Gorfried, Graf von Verbun. 
Der nämlihe Graf fpielte während der ftebziger und achtziger Jahre des 
10. Jahrhunderts eine hervorragende Rolle in den lothringifchen Händeln. Die 
Ehronif von Kammerich berichtet, ) im Jahre 976 habe Katfer Otto I. Carl, 
den Bruder des franzöfifchen Königs Lothar, zum Herzoge in Brabant ein- 
gejegt, Damit er dem Ehrgeize feines Föniglihen Bruders und deſſen Ber- 
größerımgsplanen entgegenarbeite. Dieje Ernennung zog augenblidlic einen 
Kampf zwiſchen dem neuen Herzog und dem Grafen Godfried nad ſich. 
Laut dem Zeugniffe ) deſſelben Ehroniften überfiel Herzog Carl noch wäh- 
rend des Jahre 976 im Bunde mit den Söhnen des verwiefenen Henne⸗ 
gauer Grafen Raginar III, Lambert und Raginar IV., den Grafen Gode⸗ 
fried und verjagte ihn aus Hennegau, defjen Verwaltung legterem nad) dem 
Sturz Raginard durch den Oberftatthalter Bruno übertragen worden war.°) 
Der Earlinger Carl muß alfo Godfried ald einen Feind betrachtet, oder er 
muß jein neues Herzogthum, durch denjelben bedroht geglaubt haben. Ob⸗ 
gleib von dem Erzbiſchof Erzherzog Bruno auf folhe Weile hintangeſetzt, 
und außer Standes fi Genugthuung für die erlittene Unbill zu verfchaffen, 
— denn Carl blicb Herzog und auch fein Sohn Otto erlangte die gleiche 
Würde — bewahrte Godfried dennoh dem Kaiſer unwandelbare Treue. 
Auf dem Rüdzuge, ven Dtto II. im November 978 nach vergeblicher Bes 
lagerung der Stadt Paris antreten mußte, leiftete Godfried wichtige Dienfte 
und verhinderte durd feine Elugen Nathichläge einen drohenden Verluft. % 
Die Rache des franzöfiichen Hauſes wandte fich deßhalb vorzugsweiſe gegen 
Godfried. Als nah Dtto’8 II. Tode König Lothar 984 in Lothringen ein 
fiel, gieng er zuerft auf Verdun los, eroberte die Stadt und nahm den 
Grafen Godfried gefangen.) Schon hieraus erhellt, daß Godfried Graf 
in Berdun, und folglih eine und dieſelbe Perfon mit dem Eingangs er: 
wähnten Godfried ift, der die Stiftungsurfunde von St. Veit unterfchrieb. 
Doch Sigibert jagt?) dieß mit dürren Worten: „König Lothar brachte 
Verdun und den Grafen felbiger Stadt, Godfried, in feine Gewalt.” Erft 


a — — — — * 


!) Berk IV, 8 u. 45. !) d’Achery spicileg. XII, 262. 2) Hist. I, 101 Pertz VIL, 
443. ı) I, 96, ibid. ©. 440. 9) Das wird unten Flar gemacht werden. ®) Ibid. 
I, 98 Berg VII, 441. ?) Ibid. I, 105 ©. 445. °%) ad a. 984 Perk VL, 852. 


72 Pabſt Gregorius VOL und fein Zeitalter. 


nad einigen Jahren wurde Godfried wieder frei. Er hatte nämlich ge 
wife Bedingungen, die ihm Lothar für augenblidliche Befreiung ftellte, als 
entehrend zurüdgemiefen. 

Ueber diefe Bedingungen gibt ein Brief) Gerberts Aufihluß. Sie 
umfaßten 4 Punkte: 1) Godfried fole dad Hennegau an den Grafen Ra- 
ginar zurüdgeben, 2) er folle feinen Eohn zum Verzicht auf das Bisthum 
Verdun nöthigen, 3) er folle felbft die Grafſchaft Verdun abtreten, 4) er 
jolle für fein Allod der Krone Franfreih den Huldigungseid leiften. Ein 
Sohn Godfried’8 ſaß folglihb um 984 auf dem Stuhle von Verdun. Gegen 
Ende des 10. Jahrhunderts legte Godfried feine Würden nieder, zog fid 
auf das Schloß Eenham, eines jeiner Erbgüter, zurüd und legte dort ein 
Klofter an, welchem Beilpiel auch feine Söhne folgten 

Der Name ded Schloſſes Eenham und das Bisthum feines Sohnes 
füftet vollends den Schleier, der noch über den Verhältniffen Godfrieds 
liegt. Laut der Ehronif von Verdun) hatte den Stuhl diefer Etadt von 
984— 990 Adalbero inne. Diefer Adalbero war ein Sohn des Grafen 
Gopfried. — Der Mönd fügt bei: ein gleichnamiger Enfel deſſelben God- 
fried habe nachher die Wittwe des italienischen Markgrafen Bonifacius 
geehlicht und fei dadurch Markgraf in Italien geworden. Aus der nämlis 
hen Ehronif erfahren wir ferner, daß die Mutter Adalberos oder die Ge: 
mahlin Godfrieds Mathilde hieß und 5 Söhne gebar, nämlich außer Adal⸗ 
bero, dem Biſchofe von Verdun, die Grafen Herimann und Friedrich, wel⸗ 
cher leßtere fpäter ins Klofter gieng, dann Godfried III. und Gozelo, welche 
beide das Herzogthum Brabant, erlangt haben. Kurz Godefried, der ehe: 
malige Graf von Verdun, ift eine und diefelbe Perfon mit demjenigen, den 
wir oben ald zweiten Herzog von Brabant fennen lernten. Zum Ueber; 
fluß wiederholt die fchon früher ungeführte Stelle der Chronik von Afflig- 
hem nicht nur dieſelben Yamilienverhältniffe und denſelben Wohnſitz auf 
Schloß Eenham, jondern bezeichnet auch Godefried, den Vater jener Söhne, 
als Herzog. Deßgleichen gibt) der jächfiiche Annalift zweimal dem Gemahle 
Mathildense den Titel Herzog, oder Herzog von Eenham. Herzog Tann 
aber Godfried nur zwiſchen 964 und 976 geweien fein, weil 964 ver 
erfte Herzog von Brabant ftarb und weil von 976 bi8 1012 der Garlin- 
ger Earl, oder deſſen Sohn Dtto, die Fahne von Brabant befefien haben. 

Die Sache ftellt fich jegt fo heraus: nach dem Tode des erften God» 
fried hatte der Oberftatthalter de& Ueberrheind, Bruno, die Verwaltung von 
Brabant dem bisherigen Grafen von Verdun übertragen, der allem An- 
Iheine nad ein Sohn oder naher Verwandter des erften Godfried geweſen 


1) Bouquet IX, 285 oben. ?) Gesta camer. II, 44, Perg, VII, 465. 2) Berk 
IV, 47 fig. “) ad a. 1002 und 1037. Berk VI, 648 u. 681. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Loiharingien. Herzogthümer. 78 


in. Aber gedrängt durch die Umtriebe des franzöſiſchen Hofes, enſetzte 
Kaiſer Otto II. den bisherigen Herzog, und verlieh die Fahne an den 
Carlinger Carl, um denſelben als politiſches Werkzeug wider Koͤnig Lothar 
zu gebrauchen. Godfried II. wich pflichtgetreu, doch kam es nachher zu 
Reibungen zwiſchen ihm und Carl, weil dieſer fürchtete, daß jener ihn wie⸗ 
der verdrängen koͤnnte. 

Roh bei den Lebzeiten des Vaters übernahm Friedrich, ver vierte 
Sohn Godfrieds, die Grafihaft Verdun. Derjelbe trat 997 eine Pilger: 
reife nach Jeruſalem an, als er glüdlih zurückkam, that er einen vwoichti- 
gen Schritt: in der Hauptfirhe zu Berbun legte er in die Hände des 
Biſchofs Haimo die Orafenrechte nieder, erflärend, daß er für immer zu 
Gunften des Biſchofs und feiner Nachfolger auf dieſelben verzichte. Eine 
Schenkungsurkunde ') wurde entworfen, welche Kaifer Dtto IIL und aber⸗ 
mal im 12. Jahrhundert Kater Friedrich L Rothbarth (lepterer unter dem 
17. Aug. 1156) beftätigt haben. Schon oben ift bemerft worven, daß 
das Haus des Grafen Godefried mit dem Mutterftift Clugny in Verbin⸗ 
tung ſtand. Sicherli war ed lugniacenjer Einfluß, was den Grafen 
Friedrich zu jener Maßregel bewog. Die neue Lehre, weldhe von Clugny 
ausgieng, wollte die Kirche von dem Joche befreit wiſſen, das den bifchöf: 
lichen Städten die Grafen auflegten. Weil die Kaiſer, welche fonft vielen 
Stühlen den Grafenbann verliehen, die gleiche Wohlthat den Bifchöfen von 
Berdun nicht erwiefen hatten, wurde Godfried's Sohn Friedrich vermodt, 
voran zu gehen. Nach obiger That trat er als Mönd in das Veitskloſter 
over Et Banned zu Verdun ein, wo er um 1020 ftarb. ) 

Obglei dur Friedrich's Schenfung die Grafſchaft in den Beftg des 
Berbimer Etuhled gelangt war, erjcheint doc nad) Friedrich's Rücktritt jein 
jüngerer Bruder Herimann ald Graf. Derfelbe nahm bis etwa 1020 an 
ten Welthändeln in den Eigenſchaften eines Soldaten, Staatsmanns oder 
Beamten Theil ®); aber dann wählte aud) er den geiftlihen Stand. Nad: 
dem er den größten Theil jeined Allod8 der Kirche gefchenft hatte, ging 
nicht nur Herimann felbft ind Klofter, jondern auch feine Familie folgte 
diefem Beiſpiel: die Gemahlin Herimanns, Mathilde, der Eohn deffelben, 
Gregor, die Tochter Ottilia.) Ohne Brage muß man aus ber Lebens⸗ 
geſchichte Herimannd den Schluß ziehen, daß er das Comitat von Verdun 
nicht der Schenfung jeined Bruders Friedrich zuwider, jondern nur im 
Einverftändniffe mit dem Biſchofe Haimo, d h. als deſſen Stellvertreter 
befleivet haben fann. In der That fagen °) auch die Benediftiner, Friedrich 





ı) Böhmer, Regeften Nr. 2362. 3) Mabillon annales Bened. IV, 282. ?) Gesta 
Camer. II, 35, III, 1.2.5.9. *) Berk VIII, 375. 5) Art de vörifier les dates IIL 43. 


274 Pabſt Sregorins VII. und fein Seitalter. 


fei von Haimo zum Bicegrafen beftellt worden, bod vermag ich fein aus: 
drüdliches Zeugniß hiefür aufzufinden. 

Aber nach dem Tode Herimannd machte der Überlebende Sohn Got: 
fried's II. jener Gozelo I., der 1023 die Fahne Brabants und 1034 auch 
noch das Herzogthum Lothringen erlangt hat, ohne Rüdfiht auf Friedrichs 
Schenkung, angeblihe Rechte feines Haufes an die Grafihaft Verdun 
geltend, und hieraus entftanden zwiſchen ihm, fo wie zwiſchen feinen Nach⸗ 
folgern einer, und den Bilchöfen von Verdun anderer Seit, emfte und 
lange dauernde Zerwürfniffe. Che ich den Beweis führe, ift nöthig bie 
Reihenfolge der Verduner Biſchöfe darzuſtellen. Haimo, der mehrfach er- 
wähnt wurde, hatte den Stuhl von 990—1025 inne. Auf ihn folgten 
von 1025—1039 Raimbert, von 1039—1046 Richard, von 1046— 1088 
Theoderidh. ') 

Einer der älteren Gefchichtichreiber von Verdun, der Lüttiher Mönd) 
Laurentius, der um 1140 blühte, berichtet ) Folgendes: „weil Biſchof 
Raimbert aus eigener Machtvollkommenheit einen Edelmann Ludwig von 
Ehiny zum Grafen von Verdun beftellt hatte, wurde der Eingeſetzte heim- 
ih durd Die Dienftleute des Herzogs von Brabant überfallen und getöbtet, 
denn befagter Herzog glaubte durch die Ernennung Ludwigs feine Rechte 
verlegt.” Der Herzog, von dem bier die Rede tft, fann fein anderer als 
Gozelo I. jein, welder, wie wir wiſſen, von 1023 bis zu feinem im Jahre 
1043 erfolgten Tode Brabant beſaß. Mit Gewalt behauptete Gozelo I. 
die Grafihaft Verdun, denn Kaifer Conrad II. mußte ihn fhonen. Die 
Zeit der Ermordung Ludwigs von Ehiny wird durd eine Urkunde beftimmt, 
welhe Mabillon mittheilt: ) „vie Gräfin Adelheid, Wittwe des edlen 
Grafen Ludwig, der nad dem Tode des Bischofs Haimo hinterliftiger Weiſe 
erihlagen worden ft, übergibt dur die Hände Gozelos und feines Sohnes 
Godfried dem St. Veitsftifte zu Verdun zwei Bauernhöfe, gelegen an ber 
Mans”. Ludwigs Ermordung ereignete fi alfo bald nad dem Tode des 
Biſchofs Haimo, etwa um 1026. Die Sade flieht fo aus, als habe 
Haimo’8 Nachfolger, Raimbert, feine biichöfliche Verwaltung damit begonnen, 
daß er, von der Befugniß Gebrauch machend, welche die Schenkung Fried⸗ 
richs und der Rüdtritt Hermanns feinem Stuhle verlichen, emen Grafen 
eigener Wahl einſetzte. Zugleich erhellt aus obiger Urkunde, daß Gozelo 
außer dem Comitat die Echußvogtei von St. Veit befaß, welche das Haut 

Gotfrieds I. bei Ausftattung dieſes Klofterd vorbehalten haben mag. 
Auch Gozelo's Erbe, Godfried IV., behauptete die Grafihaft Verdun, 
doch nur bis zum Ausbruch des Streits zwiſchen ihm und der deutſchen 


1) Den Nachweis bei Bert X, 526. ®) Ibid. S. 492. 2) Annales ord. S. Bene- 
dicti III, 308. 


Erſtes Buch. Gay. 2. Lotharingien. Herzogthüämer. 75 


Krone. Laurentius von Lüttich fährt ) fort: „Kaiſer Heinrich III. entzog 
dem Brabanter Haufe nicht blos das Herzogthum, fondern er verfällte 
and, durch Urtheil des Hofgerihts Godfried IV. in den Berluft der Graf: 
ſchaft Verdun, welche jener von feinen Ahnen her befaß, und erlaubte dem 
Bifchofe Richard, nach eigenem freien Ermeffen einen (Vice) Grafen zu 
beftellen.“ Ob Bifchof Richard von diefem Zugeftändniß Gebrauch gemacht, 
und wen er etwa zum Grafen eingejegt habe, meldet der Moönch nicht; 
Dagegen hebt er hervor, daß Godfried IV. ſeitdem Todfeind des Biſchofs 
Richard und noch mehr feines Nachfolger Theoverih ward. Wir wiljen, 
daß Godfried im Jahre 1047 die Stadt Verdun erftürmte und anzündete. 
Kirchen, Klöfter, Archive, Bücherfammlungen, Alles brannte zufammen. 
In der Berzweiflung wanderten nad dem Brand 24 Chorherrn aus, 
fuhten im fernen Ungam Unterfunft und fehrten nie mehr zurüd. Lau⸗ 
rentind bezeugt ausdrücklich, der Brabanter habe diefe Unthat aus Rache 
für die entzogene Grafichaft verübt. 

Kraft des Frievensvertrags, der nach des Kaiſers Heinrich III. Tode 
zu Göln abgefchloffen wurde, gelangte Godfried IV. wieder zum Beſitz des 
hart beftrittenen Comitats. Vom Vater erbte daffelbe fpäter der Sohn 
Gottfried V. mit dem Höder und der Enfel Gottfried VI. von Bouillon, 
der nachmalige Eroberer des h. Grabe und erfter König von Jerufalem. 
Jetzt erſt wagte es Bilchof Theoderich wieder, fein Recht auf die Grafſchaft, 
das nicht mehr blos auf der Schenfung Friedrichs und der Beſtätigungs⸗ 
urfunde Ottos III., jondern auch auf dem hofgerichtlihen Urtheil fußte, 
geltend zu machen. Laurentius jagt: ) „da Viele die Nachfolge Gottfrieds 
von Bouilon im Herzogthum für ungeſetzlich hielten und fi gegen ihn 
erhoben, faßte Theoderih ein Herz und entzog ihm das Comitat von 
Berdun, um ed dem Grafen Albert von Namur zu übergeben.” Im 
Folgenden wird dann erzählt, daß Gottfried VI. fi wieder mit Gewalt 
in den Befig der Grafichaft ſetzte. 

Wenden wir uns zum zweiten der überrheinifchen Dufate. 


Bas herzogliche Hans von Moſellanien oder Gberlothringen. 


Im Jahre 929 beftieg*) den Stuhl von Metz Adalbero, ein hochver⸗ 
dienter Brälat. Ueber das Geſchlecht deſſelben meldet’) ein Zeuge aus 
dem 10. Jahrhundert: Könige feien nad der Schwert und Kunfel-Eeite 
Ahnen Adalbero's geweſen, aber das Unglüd der Zeiten habe feine Familie 


')a.a. D. Perg X, 492 fig. 2) Siehe oben ©. 69. 2) a. a. O. S. 49. 
°) Berg II 378. ©) Perg IV, 348. 


76 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


in Armuth geſtürzt. Das ift übertrieben. Adalbero fagt felbft in ver Urs 
kunde,) kraft welder er das Klofter zur h. Gloſſindis wieder herftellte: 
„meine Väter behaupteten im Palaſt der (Karlinger) Könige einen hohen 
Rang unter den Großbeamten des Reihe." Vorliegendes Beifpiel liefert 
einen Beleg, daß man dem Dienfteifer älterer Genealogen fo wenig trauen 
darf, als dem der neueren. Im nemlihen Pergament bemerft Bifchof 
Avalbero, daß fein Vater Wigerich hieß, früher die gräflihe Würde bes 
fleidete, aber ald Mönch in einem Klofter ſtarb. Ein Bruder Adalbero’s 
nun, folglih ein Sohn Wigerichs, war Friederich, der 959 die Fahne 
Oberlotharingiens erlangte. 

Anfangs finden wir ihn als Laienabt, d. h. als Befiger von Kloſter⸗ 
gut, das er nad damaligem Brauch an ſich gebracht hatte, darauf als 
Erbauer einer Burg. In der alten Chronif des wasgau'ſchen Kloſters 
Moyenmonutier heißt?) es: Cum die Mitte des 10. Jahrhunderts) „war 
Herr über unſer Klofter der nachmalige Herzog Friederich, der jedoch von 
Andern gedrängt, einen Abt einjegte, das Flöfterliche Leben wieder herftellte, 
und viele Güter, die unfer Stift ehemals bejeffen, an daſſelbe zurüdgab.“ 
Offenbar war ed der Geift von Clugny, welder hier mittelbar einwirkte; 
der nächfte Anftoß aber ging vom Klofter Görz aus, „das damals,“ Taut 
derjelben Chronif, „heilfame Etrahlen möndifher Ordnung nad allen 
Seiten ausſendete.“ Gleichwohl verblieb Friederich aud nad Wiederher⸗ 
ftellung des Stifts Laienabt oder Obereigenthümer des Klofterguts; aber 
nicht lange blieb er es mehr. Die Chronik fährt‘) weiter unten fort: „mur 
jeinen Vortheil im Auge habend, erbaute Frieverih das Schloß Bar auf 
einem Grund und Boden, welder Eigentbum des Stuhls von Verdun 
war. Deßhalb klagte Biſchof Gerhard von Verdun beim (nachmaligen) 
Kaiſer Dtto dem Älteren über erlittenes Unrecht, worauf Friederich Befehl 
erhielt Genugthuung zu leiften. Dieß hatte den Abichluß eines Vergleichs 
zur Folge, vermöge deſſen Friedrich Bar behalten durfte, aber feiner Seite 
die Klöfter Moyenmoutier und Galiläa (vd. h. Saint Diey im Wasgau), 
jo wie einige Güter, die zu feinem Allod gehörten, an den Stuhl von 
Verdun abtreten mußte.” Gleich Moyenmoutier hatte folglich Friederich 
auch St. Diey an ſich gezogen. 

Weitere Nachrichten verdanken!) wir einer Chronif von Verdun: „zu 
felbiger Zeit (d. h. um 950) Iebte in unferem Lande ein mächtiger Herr, 
genannt Friederih. Als felbiger fah, daß das Kloſter St. Michel Can 
der Maas ſüdlich von Verdun) reich, der deutſche König aber fern ſei — 
unterwarf er bejagtes Klofter feiner Herrichaft — was ihm ohne viel Mühe 


— — —⸗ 





) Calmet histoire de Lorraine II, preuves ©. 200 fig. *°) Pertz IV, 89. ?) Ibid. 
©. 91. _ *)Chronic. S. Michaelis cap. 7. Berk IV, 81. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 7 


gelang — und er hat ed audy unter dem Titel der Schutzvogtei auf feine 
Nachkommen vererbt. Derjelbe Friederich erbaute als Bollwerk gegen bie 
Bewohner der Champagne, weldhe häufige Einfälle in das Gebiet von 
Lotharingien machten, dad Schloß Bar, weldye8 auf der Gränze beider 
ebengenannten Provinzen gelegen tft. Sintenmalen aber $rieverich in jener 
Gegend feine Güter hatte, von welchen aus er das neuerbaute Schloß hätte 
nit höriger Bevölkerung bejegen fönnen, verwandte er zu ſolchem Zwed 
ein Drittheil der Befigungen des Kloſters St. Michel, indem er den Möns 
chen jagte, daß die Burg Bar auf ewige Zeiten ein Schug für fie fein werte. 
Bofonville und einige andere benachbarte Drte, die dem Stuhle zu Ber: 
vun gehörten, taufchte Frieverich gegen die Klöfter Moyenmoutier und Et. 
Diey, jo wie gegen das auf deutfcher Erde gelegene Dorf Bercheim (im 
Elſaß) von dem Bilchof Gerhard ein. Darauf ehelichte Friederich Beatrir, 
die Schwefter des Markgrafen Hugo Eapet, der nachmals König der Fran⸗ 
zoſen geworben ift. Beatrir brachte ihrem Gemahle gewiſſe im Gebiet von 
St. Denis befindliche Ländereien zu, welche Friederich gegen die Dörfer 
Reuville, Laymont und Revigny, die in der Nähe von Bar liegen, ein- 
wecjelte.” Man erfieht hieraus, daß Friedrich nicht für Bar, fondern 
für andere Drte, die er dem Stuhle von Verdun abnahm, die wäljchen 
Klöfter im Wasgau und das deutiche Dorf Bercheim abgetreten hat. Im 
Uebrigen geben meines Erachtens die mitgetheilten Stellen ein Bild vom 
wahren Hergang‘) bei Entftehung der meiften Dynaſten-Geſchlechter. 
Bezüglich der Zeit find beide Chroniken ungenau. Hat der Laienabt 
erft nach Erwerbung aller jener Güter die Beatrir geehlicht, — was id) 
glaube, weil der Neuftrier Hugo einem armen Dann ficherlich feine Schwe⸗ 
fter nicht zum Weib gegeben haben würde — jo war $riederich weder jelbft 
Herzog, noch war Otto Kaifer, ald die Erwerbung erfolgte. Beſſere Anz 
gaben finden fih in den Jahrbüchern Flodoard's. Derfelbe meldet?) zum 
Jahre 951: „Friederich, der Bruder des Biſchofs Adalbero (von Meg), der 
fi) mit der Tochter des Fürften Hugo verlobt hatte, kam in unfer Land 
(nad Neuftrien), Tegte, ohne im Geringften nad) dem König (Ludwig dem 
Ueberfeeifchen, der damals noch Wälfchlothringen fein nannte) oder nad) der 
Königin zu fragen, Befeftigungen bei Fains (Flodoard meint das Schloß 
Bar) an, und plünderte von dort aus bie umliegenden Gegenden.” Dann 
zum Sahre ’) 954: „Friederich, Bruder des Biſchofs Adalbero, ehelichte 
die Tochter des Kürften Hugo." Endlich zum Jahre) 960: „Lambert, 
welcher wider den Willen des Erzbiihofs Artold von Rheims auf deſſen 
Gebiete an der Maas ein Schloß erbaut hatte, mußte daſſelbe in Gegens 


— — —— — — —— 


1) Das rapere, capere ſpielte dabei feine kleine Rolle. ) Pertz III, 400. *) Ibid. 
©. 402. %) Ibid. ©. 405. 


’ 


78 Pabſt Eregorius VIEL. und fein Zeitalter. 


wart des Herzogs Friederich bejagtem Erzbifchof ausliefern.“ Woher kam 
Friedrich nah Lothringen? ohne Zweifel aus dem Elfaß, wo er, ber 
Deutiche, auf deutfhem Boden Güter befaß. Die Hand der Beatrix er: 
hielt ebenverfelbe erft, nachdem er Herr zu Bar geworben war. 

Zugleich tritt ziemlich Klar hervor, warum Hugo den deutfchen Fried: 
rih zum Eidam wählte. Beide, Hugo und Friedrid, find Abfümmlinge 
alter karlingiſcher Großbeamten geweien und reichten einander die Hand, 
da es fih darum handelte, die Ichten morſch gewordenen Sproſſen des 
Karlinger Hauſes abzuthun. Noch ein Dritter half dazu, nemlich König 
Dtto von Deutihland. Nicht ohne geheimen Beiftand der deutfchen Krone 
fann Friedrich, jo wie er that, in Lothringen aufgetreten fein. Otto's 
Bruder, Bruno, der Metropolit von Eöln und Erzherzog des Ueberrheing, 
war es, der ihm 959 die Fahne des Mofellandes übertrug. Flodoard 
berichtet‘) zum genannten Jahre, Bruno habe ven Grafen Frieverich zu 
feinem Stellvertreter in Oberlothringen eingefebt. 

Seit diefer Belchnung wurde die Herrihaft Bar, welche Friederich, 
wie wir fahen, noch zur Zeit, da er bloßer Graf war, erworben hatte, 
als Allovialgut des herzoglichen Hauſes betrachtet, weßhalb fie nad Aus: 
fterben des Mannsſtamms im Jahre 1034 an die weibliche Linte über: 
Hing. Als Gründung eined Fürften, der eine Herzogsfahne trug, erhielt?) 
die Stadt Bar, zum Unterſchied von den andern gleichnamigen Orten, bie 
in Frankreich liegen, denfelben Beinamen, den fie noch heute führt, Barum- 
ducis, Bar le duc. Das Fürftenthum Bar bildete den am weiteften gegen 
MWeften vorgetriebenen Poſten des deutſchen Reichs, gleihlam einen Keil, 
der den Neuftriern in die Flanke gejegt war. 

Wir wiffen fonft nichts von Herzog Friederich, als daß ihn feine 
Gemahlin Beatriv lange überlebte, daß er vor 984 ftarb, und drei Kinder 
hinterließ, nemlich eine Tochter Ita und zwei Eöhne, Adalbero, welcer 
den geiftlihen Stand wählte und 984 als zweiter Nachfolger ſeines gleich 
namigen Oheims Adalbero's J., den Stuhl von Meztz beftieg;”) dann 
Theoderich, der nah ded Vaters Tode das Herjogthum Lothringen geerbt 
hat. Bon der Tochter Ita kann ich erft fpäter handeln, wenn ih an bie 
Urgeſchichte des Hauſes Habsburg komme. 

Im Jahre 984, bei Ausbruch der Thronſtreitigkeiten nach Ottos U. 
Tode, erſcheint Beatrix als Vormünderin des Herzogthums. Mit feſter maͤnn⸗ 
licher Hand führte ſie das Scepter, leiſtete der kaiſerlichen Sache große 
Dienſte, und wird zuweilen ſogar Herzogin genannt.) Aber nicht lange 


) Berk III, 404. 2) 3.8. Bouquet X, 287. 3) Sigeberti chronic. ad a 984 
Perk VI, 352 u. vita Adalberonis cap. 1. Perg IV, 659. 2) Die Beweiſe gefammelt 
in den Jahrbüchern des deutſchen Reichs IL, b. ©. 22 fig. 


Erftes Bud. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 9 


ertrug Theoderich das Joch der Mutter, er febte fie mit Gewalt ab, warf 
fie jogar in einen Kerfer, weßhalb Beatrir den Schu des Pabſtes und 
zwar nicht vergebens anrief. Durch römiſche Verwendung befreit, entflob 
fie — höchſt wahrfcheinlich mit ihrer Tochter Ita — in ein anderes Land. 
Wohin? werde ich unten zeigen. Schon um 986 muß Theoderich felbft- 
ftändig gewejen fein, denn e8 wird um dieſe Zeit berichtet, daß er ins 
Geld zog und Orte eroberte. Hievon fpäter. Nad dem Tode Kaifer Otto's III. 
ergriff Herzog Theoderich Partheit) für den Gegenfönig Herimann von 
Schwaben, warb aber dafür 1003 von Heinrih LI. gezüchtigt. 9) 

Drei Jahre nachher erlaubte ſich Theoderich eine Handlung, welche 
beweist, daß er feinen Herrn mehr über fi anzuerfennen gedachte. Des 
Lothringerd Bruder, Adalbero Biſchof von Meg, war 1005 geftorben. 
Ohne weiteres erhob Theoderich fein Söhnlein, Adalbero III., einen un- 
mündigen Knaben, auf den erledigten Stuhl, zu gleicher Zeit beftellte er, 
um die Echwäger des deutſchen Königs in fein Intereffe zu ziehen, ven 
Luremburger Dietrich zum einftweiligen Vormünder des Knaben. Dafür 
tab der beleidigte König ruhig zu, als Dietrich kurz darauf den Knaben 
aus Meg verjagge und felbft das Bisthum an fi riß. Hierüber entftand 
eine wüthende, aber dem Reiche nügliche, Feindſchaft zwiſchen dem Loth⸗ 
ringer und den Luremburgern. Als Erfterer von einer Zuſammenkunft 
mehrerer Fürſten, die zu Mainz ftattfand, 1011 nad Haufe ritt, wurden 
er und feine Begleiter von den lesteren überfallen. Theoderich gerieth in 
Gefangenschaft, aus der er erft nach einigen Jahren loskam. Unter ſolchen 
Umftänden, von mächtigen Gegnern umlauert, konnte der Lothringer feine 
große Rolle jpielen. 

Theoderih ftarb ) um 1026, als Erben einen Sohn, Friedrich IL 
binterlaffend, der ihm im Herzogtum nachfolgte und fchon in den legten 
Jahren des Vaters Theil an der Regierung genommen zu haben ſcheint.“) 
Sriederih war vermählt mit Mathilde, der Wittwe des im Jahre 1012 
verftorbenen Herzogs Conrad von Kärmthen, und Mutter ded jüngeren 
Conrad, der fib nah Kaiſer Heinrichs II. Tode, als Nebenbuhler feines 
Vetters, des Älteren Conrad, um den Thron bewarb. Aus Rüdfichten 
auf den Stieffohn unterftüste daher Theoderich den jüngeren Conrad, unters 
warf fich jedoch bald aus Furcht vor der Macht, welche der von der Ras 
tion erwählte König entwidelte.) Mathilde gebar ihrem Gemahle feine 
Söhne,‘) weßhalb nad Friedrichs Tode die Fahne Lothringen an die Bras 
banter gelangte, wohl aber zwei Töchter: Sophia, welche das Fürftenthum 


!) Thietmari chronic. V, 2 u. 17 Perg III, 791. 798. *) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 
50 fig. 3) Man vergl. Etenzel, Deutfchland unter den fränfifchen Kaifern II, 114 fig. 
*%) Sfrörer, Kirch Geſch. IV, 214. 5) Daf. ©. 225. *) Berk VI, 357. 


80 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Bar ald Allod ihres Vaters erbte, und Beatrir, welche nachher ven 
italienifhen Marfgrafen Bonifacius chelihte und durch ihn Mutter 
der berühmten Mathilde von Canoſſa geworben: ift. Friedrich II. ſelbſt 
ftarb ') 1034. 

Don den Berhältniffen Lothringend unter den beiden Brabantern, 
Gozelo I. und deſſen eritgebornem Sohne Godfried IV. war oben die Rebe. 
Nach der erften Abjegung Godfrieds IV. erhielt die Fahne Oberlothringens 
jener Eljäßer Adalbert, der in Kurzem durd feinen Rebenbuhler erichlagen 
ward. Nun belehnte Kaijer Heinrich III. mit der erlevigten Sahne den 
Neffen des Getötteten, Gerhard, bei deſſen Haufe Lothringen lange Zeit 
blieb. Gerhard ftarb?) 1070. 

Noch ift ein drittes Großlehen des überrheinifchen Landes übrig. 


Has Yalatinat von Anden. Geſchichte des KHanfes der Ezzeniden. Ver- 
pflanzung der Pſalz ans Anden nad ſaach. 


Der Schwabenfpiegel, dad bekannte Geſetzbuch aus der zweiten Hälfte 
des 13. Jahrhunderts, jagt”): „in deutichen Landen hat jedes Land (jedes 
Herzogthum) feinen Phalenzgrafen.” Dafür, daß diefer Sa auch von den 
älteren Zeiten gilt, bürgt nicht nur der Erfolg, ſondern aud die Natur ver 
Sache. Zwei Hauptverrihtungen kamen den Pfahgrafen zu: erſtlich die 
faiterlihen Kammergüter zu verwalten — in einer bairiſchen Urkunde) 
vom Jahre 1122 heißt es: „Pfalzgraf Otto führte die Aufficht über bie 
Güter der Krone” — und zweitend das Hofgericht zu leiten. Run be: 
ſaßen Dttonen und Salier viele Güter im Lande über dem Rheine: alſo 
fonnte e8 dort an einem Pfalzgrafen nicht fehlen. 

Zujammenhang kommt in die Gefcichte der rheiniſchen Pfalz erft gegen 
Ende des 10. Jahrhunderts. Zugleich erhellt aus dem, was fofort erzählt 
werben wird, daß diejelbe ſowohl Ribuarien oder Brabant als Oberloth⸗ 
ringen umfaßte. Als Gründer des pfalzgräflihen Haufes, deſſen Ahnen 
ich erft jpäter nachweifen kann, erjcheint ein frönfifcher Großer, Namens 
Herrmann, der ald folder in zwei Urfunven °) aus den Jahren 989 und 
993 erwähnt wird. Die erjte derfelben gibt Auffchluß über die Thätigfeit 
Herrmannd, denn es ift darin von einem Gerichte die Rede, welchem er 
vorftand. Um diefelbe Zeit gedenkt') Thietmar von Merfeburg der glän- 
zenden Heirath, welche des Pfalzgrafen Herrmann Eohn, Ezzo oder Ehren: 
friend, Schloß. Das Todesjahr Herrmanns ift nicht befannt, eine Urkunde”) 





1) Bouquet XI, 369 unten flg. 2) Berk VI, 362. 2) Ausgabe v. Wadernagel 
©. 99. *) Monum. boic. XV, 370. °) Cod. Lauresheim 1, 141 und Böhmer NRegeften 
Nr. 715. 9) Berk IIL, 7885. ?) Lacomblet Urk. des Niederrheind I, Ar. 126. 


Erſtes Buch. Cap. 2. Lotharingien. Gerzogthümer. 81 


vom Jahre 996 nennt ihn noch als einen Lebenden, aber bald darauf 
icheint er geftorben zu fein. Er hinterließ zwei Söhne,‘) weldhe die Xehen 
des Vaters erbten und eine Rolle in der Welt gefpielt haben: den bereits 
genannten Ezzo, welcher der Erftgeborne war, und Hezelin oder Heinrich. 

Ezzo, welcher einer der Ihönften Männer am Hofe gewejen fein foll,?) 
gewann die Liebe der Tochter des Kaiſers Dtto IL, Mathilde, und hei⸗ 
tathete fie. „Diele Ehe,” jagt”) Thietmar von Merfeburg, „erregte bei 
Vielen Mißfallen, aber der junge König Otto III., Mathildens Bruder, 
fonnte die Sache nicht mehr rüdgängig machen, und flattete die Schwerter, 
damit fie flandesgemäß leben könne, mit Vermögen aus.” Da fpäter im 
Beſitze Ezzo's oder feiner Kinder eine Maſſe Güter fich befinden, die über 
theilweije entlegene Provinzen, über Sachſen, Thüringen, dad Mainland, 
zerftreut find, liegt die DVermuthung nahe, daß fie von Mathildens Aus⸗ 
ſtattung berrühren. Im Uebrigen legte die Verbindung mit der Kaiſers⸗ 
tochter den Grund nicht bloß zum Glanz, fonvdern auch zu unverfennbarer 
Ehrjucht des pfalzgräflichen Haufe. 

Bei den Unruhen, die nad Otto's III. Tode ausbrachen, ergriff 
Ezzo Parthei gegen König Heinrich II., leiftete ihm mehrere Jahre, wahrs 
ſcheinlich im Bunde mit den Luremburgern feinen Nachbarn, Widerſtand, 
ließ ſich aber zulegt dur Schenkungen abfinden. Er erhielt, und zwar nicht 
ald Lehen, ſondern mit vollem Eigenthumsrecht, die Drte Duysburg und 
Kaiſerswerth am Rhein, ſodann in Thüringen das Schloß Saalfeld ſammt 
Zubehör.*) Seitdem wurde Ezzo ein eifriger Anhänger ded Hofes, und 
begleitete den König 1013 zur Kaiferfrönung nah Rom. Zehen Jahre 
ſpaͤter, als Kaiſer Heinrich der neuen Kriegsordnung wegen den an einem 
andern Drte ®) bejchriebenen Griff in die Güter des überreihen Stifte 
Marimin von Trier machte, fiel ein wohlgemefjenener Theil diefer Beute 
dem Pfalzgrafen zu. Es war dieß die dritte große Erwerbung, welde 
Ezzo an fein Haus bradıte. Bald folgten andere noch ausgedehntere. Wir 
werden ſehen, daß Ezzo's Geſchlecht auf ähnliche Weiſe von Heinrichs II. 
Nachfolgern begünſtigt worden iſt, wie die Koburger im 19. Jahrhundert 
von Englands Herrſchern. Wirklich dienten die Pfalzgrafen den Kaiſern 
Conrad II. und Heinrich III. zu ähnlichen Zwecken, wie die Koburger 
den Britten. 

Bald nad) dem Anfall der Stiftsgüter von St. Marimin gründeten‘) 
Ezzo und feine Gemahlin Mathilde die Abtei Braunmweiler, zwilchen Eöln 


— 





1) Mehrfach erwähnt dafelbft Nr. 164. 165. 169. 185. ) Perg XI, 397. ?) Per 

TIL, 785. 8) Beweiſe aus einer ungedrudten alten Chronik bei Brolliud „die Pfalggrafen 

zu Nahen“ ©. 34 fo wie bad Chronic. Sancti Pantaleonis bei Gffard corpus hist. medil 

aevi I, 900. s) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. Band IV, 188 fig. °) Die Stiftungsbriefe 
find ausgeflellt im Jahre 1028. Lacomblet a. a. O. Nr. 164 und 165. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. J. 6 


82 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


und Bergheim, die ftattlih mit Gütern ausgerüftet ward. Ein Mönd 
aus diefer Abtei, der gegen Ende des 11. Jahrhunderts ſchätzbare Nach⸗ 
» richten über das neue Klofter und feine Wohlthäter niederſchrieb, fprict 
fih dahin aus,‘ daß der Pfalzgraf und feine Gemahlin aus lauterer 
Frömmigkeit das Gott wohlgefällige Werk vollbracht hätten. Meines Er: 
achtend errichtete Ezzo das Klofter, um die durd den Raub an St. Maris 
min aufgereizte Stimmung des Volks zu befchwichtigen; höchſt wahrſcheinlich 
fam aber noch ein anderer Grund hinzu, den ich erft Ipäter auseinander 
fegen kann. Der gewöhnlihe Wohnfit des Pfalgrafen und feiner Ge⸗ 
mahlin war, jo feheint ed, das Schloß Tomberg im Eifelgau. Im Herbfte 
1025 beſuchte Prakgräfin Mathilde von dort aus ihren Schwager Hegelin, 
Ezzo's Bruder, auf deſſen Gute Eich, farb aber während des Aufenthalts 
dafelbft unvermuthet den 4. November, nachdem fie ihrem Gemahl nicht 
weniger ald zehn Kinder, ficben Töchter und drei Söhne geboren hatte”) 
Auch der Pfalzgraf befand fich nicht zu Haufe zur Zeit, da Mathilde farb; 
„er war nemlid,” jagt der Mönd von Braunweiler, „nad Aachen gereist, 
um im Pfalzhofe dajelbft mit den Großen von ganz Lotharingien über bie 
Angelegenheiten des Reichs zu verhandeln.” Ezzo überlebte feine Gemahlin 
um neun Jahre und fcheint ihren Verluſt leicht verfchmerzt zu haben, denn 
er pflog, wenigftend nad) dem Tode derfelben, Umgang mit andern Weibern. 
Der Ehronift von Hildesheim meldet): „im Jahre 1034 ftarb Pfalzgrat 
Ezzo, wie das Gerücht geht, an einem Gifttrank, welchen ihm feine Kebie 
Tiethburg beigebracht Hatte.” 

Zehn lebendige Kinder find ein unbequemer Segen für ein Haus, das 
feinen Güterbefig bei einander behalten will. Kirchenpfründen mußten aus: 
helfen. Sechs der Töchter wurden ald Aebtiffinnen verforgt,*) und zwar 
Adelheid im Klofter Nivelles, Theophanu zu Effen, Hellwig zu Neuß, 
‚Mathilde zu Dediefirhen bei Bonn, Ida zu Eöln, Sophia zu Gandershelm. 
Nur die Ältefte, Richenza, durfte heirathen, ſchloß aber dafür eine nad 
Außerlidem Anfchein glänzende Verbindung. Sie wurde mit dem Polen: 
fönig Micislaw II. vermählt, dem fie einen Sohn, den nachmaligen 
König von Polen Bazimir gebar. Allein diefe Ehe war) eine un 
glüdlihe; von den Polen vertrieben, mußte Richenza in die Heimat) 
flüchten, und ftarb als PVerbannte im März 1063 bei ihren Berwandten 
am Rhein. 

Bon den drei Söhnen Ezzo's und Mathildens trat der eine, Herimann, 
in den geiftlihen Stand und ftieg zu den höchſten Kirchenwürben empor. 
Er erlangte 1036 nad Piligrimd Tode das Erzbisthum Cöoͤln, ) fchloß 


1) Berg XL, 399 flg. ) Ibid. 401 u. 204. 2) ad a. 1034 Perg TIL, 99. 
*) Ibid. ©. 399. °) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 233 fig. 284. 9) Daf. ©. 330. 


Erſtes Bud. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthuͤmer. 83 


ſich enge an die Bregorianiiche oder die Elugniacenjer Barthei an,‘) erhielt 
als Lohn für feine dem Etuhle Petri geleifteten Dienfte von Pabſt Leo IX. 
1049 die Ehre der Ernennung zum römischen Kanzler ?) und ftarb, ) töbtlich 
von Kaifer Heinrih III. gehaßt, im Februar 1056. Der andere Sohn 
Er30’8, Ludolf, ald Erfigeborner zum Erben des Vaters beftimmt, erwarb 
eine nicht unbedeutende weltliche Würde, das Banneramt von Cöln, oder 
den Befehl über die Wehrmannicaft des Eraftiftes. Ludolf vermählte fich 
mit Mathilde, der Tochter des Grafen Dtto von Zütphen, und zeugte in 
Dieter Ehe zwei Söhne, Heinrid, (1.) und Kuno, von denen dem erfteren bie 
Nachfolge in der Pfalsgrafichaft zugedacht war, während der zweite, Kuno, 
fpäter das Herzogthum Baiern erlangte. Denn diefer Kuno oder Conrad, 
Ludolfs Sohn und Ezzo's Enkel, ift derfelbe, den Kaiſer Heinrich III. um 
Lihtmeß 1049 mit Baiernd Fahne beichnte,*) aber 4 Jahre fpäter auf 
dem Merjeburger Reihstage von 1053 wieder abjegte. °) Ludolf hat jedoch 
fegtere Ereigniffe nicht erlebt, er ftarb noch vor Ezzo im Jahre 1031. Auch 
Ludolfs Erſtgeborner, Heinrich (1.), welcher feine Kinder hatte, verfchied vor 
feinem Großvater Ego. *) 

Im Jahre 1034 nad dem Hintritt Ezzo's, dem, wie eben gezeigt 
worden, der Tod Ludolfs und feines Erftgebornen Heinrich (J.) voranging, erbte 
die Pfalsgrafihaft ver dritte Cohn Ezzos, Dtto, Ludolfs und Herimanns 
von Eöln jüngfter Bruder. Auch die meiften Allove des Haufes fielen 
demfelben zu: Der Mönd von Braunweiler hebt”) namentlich hervor, 
daß das thüringifhe Gut Saalfeld nebft Zubehör, wo ed damals nod) 
Bären in Maſſe gab, in den Befig Otto's übergegangen ſei. Eilf Jahre 
ipäter erlangte Dtto eined der großen Reichölchen, indem König Heinrich 
II. an Oftern 1045, kurz vor dem Römerzug, den bisherigen Pfalzgrafen 
mit Alamanniens berzoglihem Banner beichnte, aber nicht ohne dem Bes 
lehnten jchwere Bedingungen aufzuerlegen. Dtto mußte vorher erftlich die 
Bialsgrafichaft an die jüngere Linie feines Hauſes, an die Hezelind abtreten, 
zweitens mußte er jene zwei Allove, welche fein Vater zwiichen 1002 und 
1012 dem König Heinrich II. abgepreßt hatte, nämlich Kaiferöwerth oder 
Ewibertöinfel und Duysburg an das Faiferlihe Haus zurüdgeben. ) Nur 
erwas über zwei Jahre erfreute fi) Otto der neuen Würde, denn er ftarb 
den 7. Sept. 1047 und zwar nicht in Alamannien, fondern auf Schloß 
Tomberg, das wir ald Stammfis jeined Haufe fennen. Begraben wurde 


) Daf. ©. 417 fig. 2) Daf. S. 504. 3) Daf. ©. 594. 2) Daf. ©. 462. 
») Daf. ©. 592. 6) Alles über die Verhältniſſe Ludolfs und feiner Söhne Geſagte bes 
ruht auf dem Zeugnifie des Braunweiler Mönche, Perk XI, 398 fly. ?) Berg XI, 404. 
°), Der Mind von Braunmweiler fagt Berk XI, 404: imperator accepta ab Ottone insula 
Sancti Swiberti atque Duysburg, Suerorum ei committit ducatum, Henrico ejus patrui 
Slio ad palatii oficium substituto. j . 


% 


84 Pabſt Bregorius VIL und fein Zeitalter. 


er im Klofter Braunmweiler, der Stiftung feined Vaters Ezzo, an der Seite 
defielben. ') 

Zur Zeit, da Otto verfchied, lebte Hezelin, des erften Pfalzgrafn 
Herrmann jüngerer Sohn und Ezzo's Bruder, längft niht mehr. ein 
Todesjahr finde ich nicht aufgezeichnet, in Urfunden ) fommt er als leben 
der nur bis zum Sept. 1033 vor; er jcheint kurz nach oder vor Ezzo ges 
ftorben zu fein. Wer feine Gemahlin geweſen, ift gleichfalls unbekannt. 
Gründe, die ih unten anführen werde, madyen wahrſcheinlich, daß er eine 
Tochter des im Jahre 1039 verftorbenen Herzogs Conrad von Kärmtben 
geheirathet hat. Jedenfalls zeugte er in gejeßlicher Ehe zwei Söhne, näm- 
li Heinrich (II.), der 1045 an Otto's Stelle Pfalzgraf wurde, und Euno, von 
dem Lambert von Hersfeld Folgendes meldet: ’) „im Jahre 1057 wurde 
uno, ein Verwandter des Königs (von der Regentin Agnes) zum Her: 
zoge von Kärnthen erhoben, Cunos Bruder aber, Heinrih, Pfalzgraf ver 
Lothringer, trat ind Klofter Görz.“ 

Hezelin, der Vater diefer Söhne, hat ein Werk binterlaffen, welches 
ihn überlebte, und welches, meines Erachtens, Urfadhe war, daß im Jahre 
1045, nad) Ernennung Dtto’8 zum Herzoge Alamanniend, das pfalzgräfliche 
Erbe an Heinrich (II), Hezelins Sohn, übergieng. In einer Urfunde*) vom 
29. Sept. 1033, fraft welcher er dem Gereonöftifte zu Eöln einen Frohn⸗ 
hof zu Lovenich ſchenkte, ſpricht Hezelin folgendermaßen von fi: „ich, Heel, 
nicht mit Necht, jondern dem Namen nad Pfalzgraf geheißen, Bruder des 
Herren Pfalzgrafen Ezzo.“ 

Hezelin legt fi alfo den Pfalzgrafentitel bei, bemerft aber im gleichen 
Athen, daß er denfelben (no) nicht mit vollem Recht führe. Warum 
macht er gleihwohl auf den Titel Anſpruch? offenbar muß dieß einen 
Grund haben. Man zerbredhe ſich den Kopf, wie man wolle, feine andere 
Erklärung ift möglih, als die, daß zwiichen dem Erfigebornen Ezzo und 
dem Nacgebornen Hezelin irgend eine rechtliche Webereinfunft beftand, 
weldhe dem Legteren felbft oder jeinen Söhnen die Befugniß zuerfannte, 
unter gewifjen Bedingungen in das Gefammterbe des Hauſes und fomit auch 
in die Pfalggrafichaft einzutreten. Denn mur wenn man dieß vorausfept, 
wird begreiflic, daß Hezelin in gerichtlichen Aften mit Bedacht einen Titel 
brauchte, der ihm für den Augenblid, Taut feinem eigenen Zugeftändniß, nicht 
mit vollem Rechte gebührte. 

Meine Vermuthung wird durch dad, was 1045 vorgieng, theild bes 
ftätigt, theild ergänzt. Ald das Haupt der zweiten Linie des Herrmannjcen 
Hauſes, Heinrich (II.), nachdem der bisherige Pfalzgraf Otto mit Alamans 


1) Die Beweife bei Stälin, württemb. Geſch. I, 489. 2) Lacomblet a. a. ©. I, 
Nr. 169. ?) Berk V, 159. *) Lacomblet I, ©. 105. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogihümer. 85 


nien belchnt worven, das Palatinat übernahm, lebte noch ein Eproffe der 
erften Linie, nämlich Ludolfs Sohn, Cuno, derfelbe, der 1049 das Herzog: 
thum Baiern erhielt. Warum hat mun dieſer, der doch bei Belehnung fei- 
ned Oheims Dtto noch nicht verforgt war, und in gerader Linie von Ezzo 
abftammte, nicht im Jahre 1045 die Pfahgraffchaft davon getragen, warum 
it vielmehr diefelbe, mit Ausſchluß eines Enfeld von Ezzo, dem Erftgebors 
nen der zweiten oder hezeliniichen Linie zugefallen? 

Eine Uebereinfunft, oder ein Bamilienvertrag zwilchen Ezzo und Heze⸗ 
lin muß bier eingewirft haben, ein Vertrag fage ich, deſſen Beftimmungen 
ungefähr fo lauteten: „erftlih dad Palatinat ift in beiden Linien des von 
dem Ahnherrn Herrmann gegründeten Gefammthaufes, nämlich fowohl in 
der Ezzoniſchen, als in der Hezeliniſchen erblich. Zweitens daſſelbe verbleibt 
vorerft den Ezzoniden gemäß nachftehender Ordnung: auf E30 folgt fein 
Erftgeborner, auf diefen wieder fein Erftgeborner und ſofort.“ Die fragliche 
Vorschrift wurde wirflih eingehalten. Der Mönd von Braunweiler gibt 
deutlich zu verftehen, ) daß nad Ezzo fein Altefter Sohn Ludolf, und nad 
ihm binwiederum fein Erftgeborner, Heinrich (I.), hätte in die Pfalz eintreten 
jollen, und daß diefe Erbfolge nur durch die dem Abfterben Ezzos vorans 
eilenden Todesfälle Ludolfs und Heinrih I. verhindert ward. — Weiter: 
„ſtirbt ein Erftgeborner unverheirathet oder kinderlos, doch fo, daß er einen 
jüngeren Bruder hinterläßt, fo ift nicht diefer, jondern der Oheim des Vers 
ftorbenen, nämlich der nächſte Vatersbruder zum Erbe berechtigt.” Auch 
dieß war Uebung im pfalzgräflien Haufe, denn, obgleich Ludolfs Erftge- 
borner, Heinrich (I.), einen jüngeren Bruder Euno hatte, fiel die Pfalz nicht 
diefem, fondern Heinrichs (I.) Oheim, Otto, dem nachmaligen Herzog von 
Schwaben zu. Drittens: „ftirbt ein in letzterer Weile in die Pfalz einger 
tretener kinderlos, oder erhält er eine andere Verforgung, und hat er Bet: 
tern oder Neffen, nachgeborne Söhne Älterer Mitglieder des Ezzonidenzweigs, 
jo erben nicht diefe, fondern die Pfalz geht an das jeweilige Haupt ber 
zweiten Linie des Gefammthaufes oder der Hezeliner über.“ — Auch Diele 
Korm erhält durch die That ihre Beglaubigung. Obgleich Dito bei feiner 
Belehnung mit Schwabens Fahne einen Neffen Cuno, nachgebornen Sohn 
feined Bruders Lubolf hatte, gelangte das Palatinat nicht an diefen, fon- 
dern an Heinridy (II), das Haupt der Heeliner. 

Man könnte allerdings entgegenhalten, es fei denfbar, daß die Aus» 
ſchließung Kuno's nicht durch den vorausgeſetzten Yamilienvertrag, ſondern 


1) Seine Worte lauten Perg XI, 398 unten: Ludolfus, major natu, — praeter pa- 
rentum glorias et divitias comitatum seu praefecturam adeptus; bann betreffend Lubolfs 
Grägebornen, Heinrich I. Henricus post (Ludolfi) mortem comitatum ejus meruit. Nicht 
wirflich empfleng er die Pfalz, weil er vor Ezzo ftarb, fondern er hätte fie erben follen, 


86 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


durch den Willen des Kaifers Heinrich III., der folde® zum Bebing ber 
Vebertragung Alamanniend an Dtto gemacht habe, bewirft ward. Aber 
diefe Einwendung fällt zufammen vor den oben angeführten Worten ber 
Urkunde vom 29. Sept. 1033, welde zwölf Jahre vor der Belehnung 
Dtto’8 mit Alamannten nievergefchrieben find, und unverfennbar eine Hoff: 
nung auf Das ausfprechen, was 1045 zu Gunften der Heeliniihen Familie 
wirklich geſchah. Ich wiederhole ed: nach meiner Ueberzeugung läßt jener 
Sag, im Bunde mit der im pfalzgräflihen Haufe nachgewiejenen Rechts: 
praris, feine andere, als die eben entwidelte Deutung zu. 

Nachdem Herzog Dtto, der legte berechtigte Sprofje des älteren Zweige, 
mit Tod abgegangen war, brachen zwilchen dem jetigen Erbherrn Heinrich 
(II.) und den überlebenden Gliedern der ezzoniſchen num zurüdgetretenen Linie 
Streitigkeiten aus, welche ohne Frage mit dem Haudvertrag zufammen- 
hängen, und Vorhandenſein wie Geltung defjelben außer Zweifel ſetzen. Ich 
muß jedoch einige Bemerkungen voranfenden. Die Abtei Braunweiler, 
welche, wie oben bemerft worden, Ezzo geftiftet hatte, war um jene Zeit 
ſehr reich, die Vogtei aber über viefelbe ftand, und zwar in erblicher Eigen; 
Ichaft, dem Stifter und feinen Nachfommen zu, und wurde als Berforgung 
für nacdhgeborne Söhne gebraudt. Der Mönch von Braunweiler jagt: ') 
„Ludolf (Ezzo's Erftgeborner) ftarb im Städtchen Braunmeller, deffen Bog- 
tei er von feinem Vater ererbt hatte und feinem (nachgebornen) Sohne 
Cuno (dem nachmaligen Herzoge von Baiern) hinterließ." Weiter muß 
man willen, daß Vogteien um jo werthvoller und gefuchter waren, je mehr 
Gut das betreffende Stift befaß. Klagen über den Mißbrauch der Bog- 
teirechte bilden einen ftchenden Artifel in den Ehronifen der mittelalterlichen 
Mönche.) Die Herren Vögte jchöpften nicht bloß den Rahm von ben 
Klofterrenten ab, jondern rißen aud häufig das halbe oder gar das ganze 
Eigenthum ihrer angeblihen Schüglinge an fih. Nun zur Sadıe. 

Eine kaiſerliche Urkunde) vom 17. Juli 1051 liegt vor, deren ge 
ſchichtlicher Inhalt folgender ift: „Nachdem Pfalzgraf Ehrenfried, der mit 
feiner Gemahlin, der Herrin Mathilde, die Abtei Braunmeller geftiftet bat, 
(längft) geftorben war, wurden feine Kinder, Herimann, Erzbiſchof von 
Cöln, jo wie deſſen Schwefter, die Herrin Richenza, ehemalige Königin 
von Polen, und Theophanu, Webtiffin zu Effen, durch Rechtögelehrte unter: 
rihtet (edocti a legis peritis), daß befagte Stiftung angefochten und um: 
geftoßen werben könne; deßhalb beichloßen fie, die nöthigen Schritte zu 
thun, damit ihnen das Eigenthum der genannten Abtei mit voller Rechts: 
fraft zufalle. Zu diefem Zwede trugen Erzbifchof Herimann von Cöln, 


) Berk XL, 403. *) Vergl. Efrörer, Kirch. Geſch. W, 1329 fig. 3) Lacom⸗ 
blet L, Nr. 184. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 87 


die Herrin Königin Rihenza und die Xebtiffin Theophanu , begleitet von 
ihren Anwälten, die beiden Erfteren zu Paderborn, Theophanu zu Goslar, 
ihre Sache dem Kaifer perfönlid vor. Sofort wurde in Anwejenheit des 
Herrſchers Hofgericht gehalten, welches nad) Vorlegung der Rechtstitel und 
gehöriger Erwägung derfelben ein Urtheil fällte, das befagten Kindern 
Ezzo's das Erbe ihres Vaters — nämlich die Abtei Braunweiler — zuers 
fannte. Kaum war aber foldhes geichehen, als bejagte Kinder Ezzo's das 
ihnen zugeiprochene Erbe an den heiligen Nikolaus zu Braunweiler — und 
tolglih an die dortige Möndydgemeinde — mit vollem Eigenthumsrecht und 
in der Weiſe zurüdgaben, daß für alle Zufunft Erzbifhof Herimann und 
jeine Nachfolger auf den Stuhle von Cöln Beihüger und Obervögte bes 
ſagten Kloſters fein ſollten.“ Zunächft gibt die Urkunde eine Beichreibung der 
Graͤnzen des von Ezzo der Abtei geſchenkten Gute, dann geht der Tert zu einem 
andern Punkte über: „einft hätten die Brüder Ezzo und Hezelin einen wegen 
feiner Größe Vele genannten Forft, den fie früher gemeinichaftlich bejaßen, 
getheilt, worauf Ezzo feine Hälfte an den heiligen Nikolaus zu Braun» 
weiler, Hezelin dagegen den ihm zugefalfenen Antheil an den heiligen Eors 
nelius (d. h. an das Klofter Comelimünfter) geichenft habe. Dfefem Beis 
Ipiele ihres Vaters folgend, feien Erzbiihof Herimann und deſſen beide 
Schweſtern, Königin Richenza und Aebtiſſin Theophanu, übereingefommen, 
auch Die zweite Schenkung gut zu heißen, und aljo bejagte Hälfte des 
Forſts an die Abtei Braunmweiler für immer abzutreten.” — 

Holgt nun der Schluß: „nachdem alles Vorerwähnte in gehöriger 
Ordnung geichehen, aucd die Abtretungsurfunde gemäß der gejeglichen Vor⸗ 
Ihrift auögefertigt worden, haben Erzbiihof Herimann und deſſen Schwe- 
ftern kaiſerliche Majeftät geziemend erjucht, kraft höchſter Machtvollfommen- 
beit genannte (nunmehr völlig felbftändige) Abtei mit folgenden Freiheiten 
auszuftatten: 1) nad dem Tode eines Abts follen die Mönde, im alle 
fie in ihrer eigenen Mitte einen tüchtigen Mann finden, denfelben frei zum 
Nachfolger wählen dürfen. Iſt dagegen im SKlofter fein zur Nachfolge 
paffender vorhanden, jo mag der Erzbifhof von Coͤln einen geeigneten 
Geiftlihen anderöwoher nehmen und zum Abt weihen. 2) Der Abt von 
Braunmweiler ift im Bunde mit dem Gölner Erzbiichofe befugt, einen Klos 
ftervogt einzufegen. Begeht ein folder Vogt Ungerechtigfeiten und bebrüdt 
er das Klofter, jo foll der Erzbiichof denſelben feines Amts wieder ent> 
jegen und an feiner Statt einen Andern erheben. Dieje jämmtlihen Ans 
träge de8 Erzbiſchofs Herimann und feiner Schweftern Richenza und Theo: 
phanu hat faijerlihe Majeftät feierlich kraft Namensunterfchrift genehmigt, 
aud allen denen, welche zuwider handeln würden, eine Strafe von hundert 
Pfunden lauteren Goldes angedroht, von welder Buße die eine Hälfte dem 
kaiſerlichen Schae, die andere der Kammer des Cölner Erzftifts zufallen ſoll.“ 


88 Pabſt Sregorius VOL. und fein Seitalter. 


So die Urkunde. Vorerſt ift Elar, daß weder Herimann noch feine 
Schweftern irgend daran daten, Braunweiler an fich zu ziehen. Denn 
hätten fie dieß gewollt, fo würden fie die fraglichen Güter, nachdem fie 
ihnen zugefprodhen worden, nicht fofort an den Helligen, d. b. an das 
Klofter jelbft zurüdgegeben haben. Alfo war die Klage beim kaiſerlichen 
Hof auf Zuerfennung des Stifts eine Börmlichfeit, welche Feineswegs den 
Zwed hatte, das Klofter zu berauben, ſondern vielmehr e8 im ungefchmä- 
lerten Befisftande zu erhalten. Nun fieht ein Blinder, daß ein ſolches 
Spiel, das vor dem hödjften Gericht eined großen Reiches getrieben wird, 
feine guten Gründe haben muß. Bon welcher Art dieſelben waren, Deutet 
die Urkunde jelbft an. Es heißt: „weil Erzbiſchof Herimann und feine 
Schweftern durch Rechtögelehrte unterrichtet worden, daß die Schenfung 
Ezzo's umgeftoßen werben Fönne,” hätten fie auf Zuerfennung des Beſitzes 
angetragen und fofort das zuerfannte Gut an den Heiligen wiebererftattet. 
Sodann fpringt in die Augen, daß der angedeutete Verſuch, die Stiftung 
Ezzo's anzugreifen, nur von Erbberechtigten, aljo von Mitgliedern des 
pfalzgräflichen Haujes, ausgegangen fein fann, aber nicht von den am Leben 
gebliebenen Sprofjen der älteren oder ezzoniſchen Linie — denn diefe — 
Herimann, Richenza und Theophanu — wollen ja den Beſitzſtand des Klofters 
erhalten. Alfo muß man nothwendig auf Heinrich (IL), das Haupt der 
jüngeren Hezelinifhen Linie jchließen: er war es, der die Schenfung Ezzo's 
zu feinem eigenen Vortheil angriff oder anzugreifen drohte, und gegen ihn 
bat Erzbiichof Herimann die Hülfe des Faiterlihen Hofgerichtd angerufen. 
Und zwar ift anzunehmen, daß Heinrih8 CII.) Anfprüche feineswegs eines 
guten Grundes ermangelten, denn die Rechtögelehrten, deren die Urfunde 
erwähnt, hatten ja dieſelben für erheblib erklärt. Warum aber waren fie 
erheblih? offenbar deßhalb, weil fie auf irgend einer Webereinfunft berub» 
ten. Folglich werden wir abermal auf die Vorausjegung bingetrieben, daß 
im pfalggräflichen Haufe ein zwiſchen den Häuptern der älteren und fün- 
geren Linie abgejchloffener Yamilienvertrag beftand, aus dem feit 1045 
Heinrih (II.) gewiſſe Rechte ableitete. 

Auch über den Inhalt diefer Rechte gibt die Urkunde Aufſchluß. Nach⸗ 
dem Erzbifhof Herimann und feine Schweftern im Allgemeinen die Bitte 
vorgetragen haben, daß Kaiſer Heinrih III. das volle Eigenthumsredt 
der erft dur einen Spruch des Hofgerichts ihnen felbft zuerfannten, und 
dann alsbald wieder an das Klofter zurüdgegebenen Güter dem heiligen 
Nicolaus von Braunweiler für immer zujprechen möge, fordern fie nachher 
im Einzelnen, daß der Kaiſer der Möndhdgemeinde die doppelte Freiheit 
der Wahl des Abts und der Ernennung des Kloftervogts verleihe, weldyes 
Anfinnen au der Kaifer genehmigt. Offenbar find die beiden legtgenanns 
ten Sreiheiten nicht mehr und nicht weniger, als die praftiihe Ausführung 


Erſtes Bu. Gap. 2. Lotharingien. Hergogthümner. 89: 


des im Eingange geforberten vollfommenen Eigenthumrechtes. Um dieſe 
Punfte drehte ſich in erfter Linie die Brage, oder mit anderen Worten ber 
zwiſchen Heinrich (IL) und den Sprofien der älteren Linie ausgebrochene 
Streit. Als Ezzo die Abtei Braunweiler ftiftete, hatte er fi und feinen 
direkten Nachkommen die erbliche Vogtei vorbehalten, denn der Moͤnch von 
Braunmeiler hebt, wie wir fahen, ausbrüdlich hervor, daß Ezzo die Vogtei 
jetnem Erfigebornen Ludolf, und daß dieſer hinwiederum ebendiefelbe feinem 
zweiten Sohn @uno hinterließ. Die Vogtei aber, melde Ezzo in folder 
Weite beſaß, ſchloß in gewiſſem Sinne ein Obereigenthumsrecht über bie 
Güter des Stifts in fih. Denn der jeweilige Vogt bezog nicht bloß viele 
Renten, fondern er übte auch beveutenden Einfluß auf die Abtwahl, das 
Klofter bieng daher von ihm ab. Eben diefe Vogtei nun muß Heinrich 
(IT.) in Anſpruch genommen haben. Sein Streit mit Erzbiſchof Herimann 
betraf nicht etwa die Aufhebung des Klofterd zu Gunften des jüngeren 
Zweigd , fondern den Beſitz der Vogtrechte. Beweis dafür die oben ent 
widelte Thatſache, daß Herimann zur Sicherung des bedrohten Stifts freie 
Wahl des Vogtes ausbedang. 

Den Anfprudy aber, den er anf die Vogtei erhob, kann Heinrih ( II.) 
nur auf einen Hausvertrag begründet haben, fofern er behauptete: „zum 
allgemeinen Haudgut, defien Begriff durch die Verträge zwiſchen Ezzo und 
Hezelin feftgeftellt worden ift, gehört aud das Vogtrecht über Braunmweller. 
Da ih mun 1045 nad Otto's Rüdtritt — vermöge des genannten Bers 
trags — Haupt des ganzen Geſchlechts und Verwalter des geſammten Haus⸗ 
gutd geworden bin, jo gebührt mir die Nachfolge in der Vogtei Brauns 
weiler, und folglich dürfen die übrig gebliebenen Sprofien der älteren Linie, 
welche augenblidlih noch dieſe Vogteirechte ausüben, nicht zu Gunften 
fremder (die dem Geſchlechte des Stammvaterd Herrmann gar nicht .ans 
gehören) über Braunweiker verfügen.” Hinwiederum müfen die Gegner 
Heinrichs (II), Erzbiſchof Herimann und feine Schweftern, erflärt haben: 
„wir fechten den Hausvertrag, auf den ſich Heinrich (II.) beruft, nicht an, 
denn wir haben ja Eraft dieſes Vertrags im Jahre 1045 ruhig geduldet, 
dag Heinrih, ald Haupt der jüngeren Linie, in das Erbe der Pfalzgrafs 
ſchaft eintrat, obgleich damals noch ein unverjorgter Neffe aus erfter Linie, 
Euno, der jegige Herzog von Baiern, vorhanden war. Aber wir leugnen, 
daß die Vogtei Über Braunmweiler, fo wie aud alles andere, was wir aus 
dem Allodialbeftt unjres Vaters Ezzo erbten, einen Theil des durch bejags 
ten von und nicht beftrittenen Hausvertrag feftgefegten Geſammtguts auss 
mache, jondern daſſelbe ift unfer völlig freies Eigentum, wir fünnen 
damit machen, was ung beliebt, wor können es verichenfen, an wen wir 
wollen.“ Mit diefen Gründen müſſen Heinrih (II.) und fein Widerpart 
gegen einander gerechtet haben. 


90 VPabſt Gregorius VII. und fein Zeitalier. 


Damit ſind wir in den innerſten Kem der Sache eingedrungen. Hein⸗ 
rich (II.) beſtritt keineswegs, daß feine Verwandten im perfönlichen Beſitz ver 
von ihrem Vater Ezzo an ſie gefallenen Güter und Rechte verbleiben, ſon⸗ 
dern dagegen allein erhob er mit Berufung auf den Hausvertrag Einſprache, 
daß Herimann und ſeine Schweſtern befugt ſein ſollen, jene Güter und 
Rechte ſchon jetzt oder für den Fall ihres Todes an Andere abzutreten. 
Denn das Zerwürfniß, das zwiſchen den Mitgliedern der beiden Linien 
herrſchte, betraf — ſo weit es zum Vorſchein kommt — einzig und allein 
ſolche Fäͤlle, wo Herimann und feine Schweſtern Güter, in deren perfön- 
lihem Beſitz fie nicht angefochten find, an Fremde verichenfen wollen. 

Der Stand der Dinge war diefer: die Sproffen der älteren Linie 
befaßen großed Gut, hatten aber feine natürliche Erben. Richenza, die 
Königin von Polen, war zwar ehemals verheirathet geweien und hatte in 
ihrer Ehe mit Micislaw IT. einen Eohn Cazimir gezeugt, der eben um 
jene Zeit fein väterliche8 Reich wiederherzuftellen ſuchte. Aber dieſer Eazis 
mir durfte gleichwohl jeiner Mutter Gut nicht erben, denn die Weisheit 
altveutfcher Geſetzgebung geftattete nicht, daß ein fremder Fürſt auf Ger 
maniens Boden Eigenthum befiße. Dieſer Mißbrauch ift erfi nach der Refor: 
mation bei und eingeführt worden. Sicherlich fann man nicht annehmen, 
dag Richenza ihren eigenen Sohn Cazimir haßte. Gleihwohl werden wir 
fehen, vaß fie ihre in Deutichland gelegenen Güter nicht ihm vermachte, 
fondern an Fremde vergabte. Sie muß alfo dur die Reichsgeſetze ges 
hindert worden fein, jo wie Mütter thun, für ihren einzigen Sohn zu for: 
gen. Folglich fteht der Satz feft, daß fie feine vom deutſchen Staatsredt 
anerfannte Erben hatte. Ihre Geſchwiſter dagegen, Erzbiſchof Herimann 
und Nebtiffin Theophanu, gehörten dem geiftlihen Stand an und konnten 
deshalb Feine natürlihen Erben haben. Aber, wie der Erfolg bereits ges 
zeigt hat und noch mehr zeigen wird, hegten alle 3 die Abficht, die Güter, 
weldhe fie als Erben ihres Vaters Ezzo befaßen, an Nichtfamilienmitglie: 
der, nämlich an firdliche Anftalten, zu verfchenfen. Dieß wollte Heinrich 
(II.) abwenden, und befagte Güter nady dem Tode der Verwandten für das 
Gelammthaus erhalten. 

Sein Wunſch war natürlih, unter gleichen Umfländen würde Jeder 
das nemliche thun. Derſelbe war aber auch gejeglih, denn der Haudvers 
trag, auf welchen er ſich berief, ift durch Rechtsgelehrte ald bindend aner- 
fannt worben. Dennoch entichied das Hofgeriht und der Kaifer wider 
Heinrih, indem obige Urkunde verdedt die Regel ausſprach, daß die Güter 
und Vogteirechte, welche Herimann und feine Schweftern von ihrem Bater 
ererbt hätten, Fein unveräußerliches Familiengut, ſondern freier und perjöns 
licher Befig feien, über welden die Gegner Heinrich's (IL) nad Gutdünken 


Erfes Und. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 94 


verfügen mögen. Damit fchwebte das Gefammterbe der Nachfommen des 
Stammvaterd Herrmann in Gefahr der Zerſtücklung. 

Allein bald darauf gelang ed den Anftrengungen, welche Heinrich ger 
macht haben muß, der Sache eine andere Wendung zu geben. Der Taifers 
fihe Spruch vom 17. Zuli 1051 ift zu Kaufungen bei Kaffel auögefertigt 
worden. Einen Monat fpäter befindet ſich der Kaifer mit feinem Hofe am 
Niederrhein auf St. Swiberts-Infel (zu Kaiſerswerth). Hier beftätigte er 
durch Urkunde ‘) vom 20. Auguft 1051, bezüglich der Abtei Braunweiler, 
die Schenfung Ezzo's. Dieſe Verfügung des Kaiſers ift entweder zwecklos, 
was man nicht annehmen darf, oder hat fie einen verborgenen, dem Spruche 
vom 17. Juli entgegen ſtrebenden, für Erzbiihof Herimann und feine 
Schweftern nadtheiligen, für Heinrih (IL) dagegen günftigen Sinn. Der 
Kaiſer kann die Beftätigung der von Ezzo vor 25 Jahren gemachten Stifs 
tung, nicht, wie ed beim erften Blick den Anfchein bat, zu Bunften 
ber Abtei Braunmeiler ausgeiprochen haben. Denn wollte er dem Klofter eine 
Wohlthat erweiien, fo mußte er einfach und mo möglich ftillichweigend den 
Sprud vom 17. Juli aufrecht erhalten, oder doch, im Fall er je, aus uns 
unbefannten Gründen, auf die Sache zurückzukommen für gut fand, nicht bie 
alte Schenkung Ezzo's, fondern die erneuerte Schenkung oder den Akt, kraft 
defien vor einem Monate Erzbifchof Herimann und feine Schweftern dem 
Klofter die für vafjelbe fo überaus wichtige Freiheit der Abt- und Vogt⸗ 
wahl verihafft hatten, beftätigen. Indem dagegen Kaiſer Heinrich, mit 
Vebergehung letteren Afts, die Stiftung Ezzo's bekräftigte, weldher — wie 
oben gezeigt worden — fich und feinen Kindern die erbliche Vogtei über das 
Klofter vorbehielt, erfannte er ſtillſchweigend viefelbe Erblichkeit des Vogt⸗ 
rechtd an, auf welche geftübt Heinrich (IL) gegen die Sproſſen der Älteren 
Linie einen Prozeß wegen Heimfalld an das Gefammthaus einleiten wollte, 
und ftellte dadurch verdedt den unter dem 17. Juli gefällten Richterſpruch 
in Frage. Angenommen nun, Kaifer Heinrich III. habe wirklich durd bie 
Urkunde vom 20. Auguft an dem Spruche vom 17. Zuli deſſelben Jahres 
gerüttelt, fo ift nicht zu laͤugnen, daß fein Verfahren ein hinterliftiged war. 

Zunächſt fragt es fi: liegen Gründe vor, welche und zwingen, ber 
eben entwidelten, an ſich höchſt wahricheinlichen, ja ich füge bei, unab- 
weisbaren, aber der Ehre des Kaiſers widrigen Deutung beizupflichten? 
Ja fie liegen vor! Erſtlich erfcheint unter den Zeugen der Urfunde vom 
20. Auguft auch Pfalzgraf Heinrih (IL); er hat folglid dem Afte beige: 
wohnt. Iſt ed nun irgend wahrfcheinlich, daß Heinrich (II.) mitunterzeichnet 
haben würde, wäre nicht das, was er zu beglaubigen hatte, feinen Wüns 
hen gemäß geweien! Noch brannte die Wunde vom 17. Juli; da er gleich» 


N) Daf. Nr. 185. 


09 Vabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


wohl nicht nur zu Hof fommt, fondern auch durch einen feiner Natur nach freis 
willigen Aft an einer gerichtlihen Handlung Theil nimmt, die mit dem zwi- 
ſchen ihm und feinen Verwandten objchmebenven Streit enge zufammenhängt, 
drängt fich die Vorausſetzung auf, Daß der Wind günſtiger zu wehen be- 
gonnen hatte. Yürs Zweite muß man wiffen,‘) daß Kaiſer Heinrich II. 
tm Hochſommer 1051 gegen Herrman, Erzbifhof von Eöln, der mehr und 
mehr zu den Gregorianern hielt, tiefes Mißtrauen hegte, und demſelben 
um die nemliche Zeit in der Perfon Hanno's einen Wächter auf den Naden 
lud, der bereit8 1051 den Titel Erzbiihof empfängt, obgleih Herimann, 
der wahre und eigentliche Metropolit, erft im Februar 1056 flarb. Wohlan 
diefer nemlihe Hanno, ein vermöge feiner Stellung nothwendig für Heri⸗ 
mann hödhft Täftiger Doppelgänger, hat nicht blos auf gleihe Weiſe wie 
Pfalzgraf Heinrih CI.) die Urkunde vom 20. Auguft unterfchrieben, fondern 
er wird auch in einem andern Afte vom nemlihen Tag, auf den ich glei 
zu fpredhen fommen werde, ſehr ehrenvoll als Erzbiſchof erwähnt. Klar 
erhellt meines Erachtens aus diefen Thatfahen, daß Mitte Auguft 1051 
am Faiferlihen Hofe eine dem alten Erzbifchofe Herimann, und folglich aud 
feinen offenen oder geheimen Wünfchen abgeneigte, und dagegen dem Pfalz 
grafen Heinrich (II.) günftige Stimmung herrichte. Zwiſchen dem 17. Juli, 
da der Kaiſer noch verdedt für Herimann entihied, und dem 20. Auguft 
1051, da er abermal verdeckt gegen den Eölner Parthei nahm, Tag — fo 
fheint es — irgend ein Ereigniß, das den fchon vorher fühlbaren Argwohn 
des Salierd vermehrt hatte. 

Man verftehe mich wohl: ich fage nicht, Kaiſer Heinrih habe durch 
die Urkunde vom 20. Auguft den Spruh vom 17. Juli förmlich umge: 
ftoßen, fondern nur dieß fage ih, daß er den dort verbedt anerkannten 
Rechtsſatz hier ebenfo verdedt in Frage ftellte. Sein Verfahren war, ent: 
ſprechend feinem jonftigen Benehmen, geheimnißvoll, fchlau, vol Hintergedan⸗ 
fen, und Alles wohl erwogen, fieht die Sache fo aus, als Habe er die 
Abfiht gehegt, den Metropoliten Herimann und feine Schweſter durch 
Winkelzüge zu einem gütlihen Vergleich mit dem Pfalzgrafen zu nöthigen, 
und einftweilen das zwiſchen ihnen eingetretene Zerwürfniß in gutem Gange 
zu erhalten. Gelang dieß, jo blieben beide, der Pfalzgraf und feine mäch⸗ 
tigen Bettern, vom Faiferlihen Hofe abhängig, beide mußten um die Gunft 
des Herrſchers buhlen, und der Hauptregel diefes Kaiſers — herriche durch 
Theilung — war glänzendes Genüge gefchehen. 

Abermal werden die Vorausfegungen, auf welde und die damalige 
Lage nieverrheinifcher Verhältniffe hindrängt, durch Thatfachen gerechtfertigt 
und unwiderruflich beftätigt. Am nemlichen Tage, da der Kaiſer den eben 


— —— 


1) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. B. IV, 563. 594. flg. 





Creſtes Bud. Gap 2. Lotharingien. Herzogthümer. 93 


erwähnten Akt bezüglih Braunweilerd vornahm, und unter Beiziehung der 
nemlidhen Zeugen, beftätigte‘) ebenverjelbe Kaifer eine doppelte Schenkung, 
fraft welder die Königin von Polen 1) der Abtei Braunweiler ihre Bes 
figung Clotten an der Mofel, und 2) dem Pfalzgrafen Heinrih (II.) ihren 
Drt Kochem vergabte, und zwar leßteren Ort mit dem Beifügen, daß der 
genannte Pfalzgraf dad Vogteirecht über Elotten haben, aber durch einen 
Stellvertreter ausüben, — weiter, daß dieſe Vogtei an Heinrich's Leibeserben 
übergehen und wenn Heinrich's (II.) Mannsſtamm ausgeftorben jein werbe, 
an den Erzftuhl von Eöln fallen fol. Wie wir willen, hatte Richenza, 
Herimannd Schwefter, furz vorher einen Rechtöftreit wider den Pfalzgrafen 
betrieben. Solche Redhtöftreitigfeiten erzeugen nirgends in der Welt Liebe 
für die Gegner, noch weniger Luft zu Schenfungen an fie. Wenn bie Kö⸗ 
nigin von Polen gleihwohl ihren Better großmüthig bevenft, jo muß man 
ichließen, daß fie durch die Umftände zu folder Großmuth genöthigt worden 
it. Mit andern Worten: die dem PBfalzgrafen zugewiejene Gabe war eine Ge⸗ 
genleiftung dafür, daß Richenza’8 neuefte Schenkung an das Stift Braunmweller, 
dem, wie der jpätere Erfolg zeigt, ihr Herz anhing, die unumgänglich nöthige 
Bekräftigung des kaiſerlichen Siegeld erhielt. Alfo hat vorher ein Vergleich 
zwiſchen ihr und dem Pfalzgrafen, ihrem bisherigen Widerpart, ftattgefunden. 

Ueber Wejen und Inhalt dieſes Vergleichs ergeben fih aus ben in 
der Urkunde ſelbſt angeführten Thatjachen folgende Schlüffe: Richenza 
ſchenkte Güter an das Stift Braunweiler; folglidy hatte ihr Pfalzgraf Heins 
ri (II.) das Recht hiezu — wohlbemerft bezüglich Braunweilers — zugeftanden. 
Durd eine Schenfung an diefen Ort war für Heinrich nicht viel vergeben, 
jobald er nur die Vogtei des Klofterd errang, welche — wie ich früher 
nachwies — ein halbes Eigenthumsredht in ſich ſchloß. Nun durfte er fich 
wirflih Hoffnung maden, dieſe Foftbare Vogtei davon zu tragen, denn 
einmal ftellte ja die Urkunde vom 20. Auguft den widrigen Epruh vom 
17. Zuli in Frage. Eodann war der Kaiſer — die Fortdauer feiner jetzigen 
Gewogenheit für den Pfalzgrafen vorausgefegt — im Stande, bemfelben 
ſelbſt mit buchſtäblicher Aufrechthaltung des Spruchs vom 17. Juli den 
Eieg zu verſchaffen; denn diefer Spruch bejagte nur, daß die Möndhe die 
Befugniß haben jollen, nad eigenem Gutdünfen einen Vogt zu wählen, 
von der Perjon des zu Wählenven ift nicht die Rede. Der Kaifer aber 
übte als jolcher mächtigen Einfluß auf die dortige Mönchsgemeinde. Wie 
nun? wenn er fie auf Ummegen und mit Wahrung der Form zwang, 
ſcheinbar freiwillig zum Vogt feinen andern als eben den Herrn ‘Pfalzgrafen 
Heinrib (II.) zu wählen! dann war der widerliche Sprudy vom 17. Juli 
umgangen, und Alles geftaltete fi) den München Heinrich's (IL) gemäß, 


t) Lacomblet I, Nr. 186. 


94 Pabſt Gregorins VII. und-fein Seltalter. 


Indem Richenza mit Einwilligung des Pfalggrafen ihr väterliches Erb⸗ 
gut Elotten an Braunweiler ſchenkte, mußte fie zugleich ald Abfindung für 
Heintich ein anderes Gut, Kochem, ihm jelbft zuwenden und überdieß ver- 
fügen, daß er das erblihe Vogtrecht über jene an Braunweiler abgetretene 
Befigung haben folle. Das heißt mit andern Worten: zur Entſchädigung 
für das ihm entgehende volle Eigenthum Glottend befam er das in der 
Vogtei begründete halbe Eigenthumsrecht, fo wie noch ein befondered But 
Kochen, deſſen Werth der ihm entzogenen einen Hälfte entiprochen haben 
mag. Ich glaube man ift berechtigt, die eben entwidelten Grundfähe, nad 
welchen die Schenfung Richenza’8 vom 20. Auguft 1051 erfolgte, als Norm 
des Bergleih zu betrachten, der kurz vorher zwilchen Richenza und dem 
Pfalzgrafen abgefchloffen worven fein muß. 

Dieß vorausgejegt, enthielt der fragliche Vergleich folgende Punfte: 
„das Haupt der jüngeren Linie des pfalgräfliden Hauſes fpricht, vermöge 
des beftehenden Yamilien-Vertrags, nach dem Tode der Mitglieder des Altern 
Zweigs, weldye entweder gar feine, oder von dem Reichsgeſetze ausgeſchloſſene 
Leibeserben haben, das Eigenthumsrecht über ſämmtliche — augenblicklich von 
denſelben beſeſſene väterlihe Güter an. Zweitens räumt bejagter Pfalgraf 
aus Rückſicht auf den Kaiſer der Königin von Polen die Befugniß ein, gewifle 
Ländereien leßterer Art an das Klofter Braunmweiler zu vergaben, und zwar 
räumt er diefe Befugniß darum ein, weil er die Hoffnung hegt, dem Fa⸗ 
milienvertrage gemäß, in die Vogtei über bejagtes Klofter einzutreten. 
Drittend wenn Richenza von der eingeräumten Befugniß Gebraudy macht, 
jo muß fie für ein Gut, das fie an Braunweiler vermacht, ein anderes 
ihm ſelbſt ſchenken und ihm außerdem die Schutzvogtei des an die Abtei 
abgetretenen Guts vorbehalten.“ Pfalzgraf Heinridy II. wandte, wie man 
fieht, alle möglichen Mittel auf, um das Gefammtvermögen ded Herimanni⸗ 
jhen Haufes, nad) dem Tode feiner Seitenverwandten, wieder in einer 
Hand zu vereinigen. Und in der That, wenn die Uebereinfunft, auf ber 
die Schenfung Richenza’8 vom 20. Auguft 1051 fußte, aufrecht erhalten 
worden wäre, jo hätte er feinen Zwed jo ziemlich erreicht. Allein die Ab: 
neigung feiner Bettern durchbrach die von ihm gezogenen Schranfen und 
der Vergleich verlor feine Wirfjamfeit. 

Neun Monate nad den eben beichriebenen Borfällen, unter dem 
7. Mai 1052 erlich Pabft Leo IX. eine Bulle '), kraft welcher er nicht 
nur dem Erzbiichofe Herimann die Würde eined Cardinals und römijchen 
Kanzler fammt andern außerordentlihen Vorrechten verlieh, jondern aud) 
den Eölner Erzftuhl im Befige des Klofterd Braunweiler und des Schloſſes 
Tomberg beftätigte, als welche Güter befagtem Stuhle durch Erzbiſchof 


) Lacomblet I, Ar. 187. 


Erſtes Buch. Gap. 2. Lotharingien. KHerjogihümer. 95 


Herimann jelbft geichenft worden fein. Gemäß dem bisher im beutfchen 
Reihe üblichen Rechte ftand nicht dem Pabſte, jondern nur dem Kaiſer die 
Befugniß zu, Vertaufhung oder Schenkung von Gütern, die auf germani⸗ 
ſchem Boden lagen, zu beftätigen. Noch auffallenver ericheint die Maps 
regel Leo's IX., wenn man den Gegenftand in Erwägung zieht. Im Juli 
1051 hatte zwar Kaifer Heinrich III. die Abtei Braunmeller unter den 
Schub des Cölner Erzftuhles geftellt, und der dortigen Moͤnchsgemeinde 
die Freiheit der doppelten Wahl des Vogts und Abts zuerfannt. ber 
einen Monat fpäter gewann bei ihm eine entgegengefeßte Anficht, die den 
Anſprũchen des Pfalgrafen Heinrich (II.) günftig war, die Oberhand. In 
Folge dieſer Aenderung jcheint Herimann die Hoffnung aufgegeben zu haben, 
das was er für fein gutes Recht hielt, beim Kaiſer zu finden. Er wandte 
ih nicht mehr an Heinrich III., fondern an Pabft Leo IX., der feit 
Kurzem völlig mit dem Kaiſer gebrochen hatte, und Leo IX. erfüllte 
das Begehren des Erzbiſchofs. Noch eine zweite Bulle %) deſſelben 
Pabſts vom nemlihen Tag ift auf und gefommen, welde fi gleichfalls 
auf die Abtei Braummeiler bezieht. Wie die erfte, enthält fie eine Beſtaͤti⸗ 
gung des der Eölner Kirche zugewieſenen Beſitzes von Braunmweiler, aber 
fie erwähnt nebenbei etwas weientlihed, das die erfte übergeht, nemlich 
den Epruch des Kaiſers vom 17. Juli 1051, obwohl in Ausprüden, welche 
Darauf hinzuweiſen ſcheinen, daß der Pabft eine ernftliche Abſicht Hein 
rich's III. in Zweifel 309. 

E8 gelang dem Pfalzgrafen Heinrich (II.) 1icht, die Gefahr, welche 
ihn durch Einmiſchung des Pabſtes traf, abzuwenden, fondern er wurde 
das Opfer des Hafjes feiner Seitenverwandten. Auch Hanno, Heris 
mannd Doppelgänger, der bei dem Afte vom 20. Auguft 1051 auf 
Eeite des Pfalzgrafen ftand, ergriff feit 1056 Parthei gegen ihn. Man 
muß dieß aus den Maßregeln jchließen, welche der Unglüdliche ergriff, und 
welche beweiten, daß Heinrih (II.) in Verzweiflung war und nicht mehr 
vom Rechte, fondern nur von Gewalt Befjerung feiner Rage erwartete. 
Ich laſſe nun einen Mönd des Klofters Siegburg reden, der zu Anfang 
des 12. Jahrhunderts das Leben des Erzbischofs Hanno befchrieben hat. 
Derjelbe erzählt?) folgendes: „Pfalzgraf Heinrih, ein Mann von hoher 
Geburt und großer Macht, faßte ohne gerechten Anlaß tiefen Groll gegen 





1) Acta palatina III, 152. Sicut praeceptum carissimi filii nostri, imperatoris 
Heinrici videtur continere — confirmamus et corroboramus ecclesiae tuae praedictum 
monasterium. Ich weiß recht wohl, baß in mit*elalterlicden Urkunden das Wort videri 
bänflg nichts weiter ald eine Thatfache bezeichnet , und daß in biefem Sinne der Satz 
continere videtur foviel ift, als das einfache continet. Aber unter den oben entwidelten 
Umfländen glaube ich, hat die Wahl des Worts einen tieferen Sinn. ?) Berk XL, 


M47k 1 


96 Pabſt Gregorins VIL. und fein Seltalter. 


Erzbiſchof Hanno, und erfüllte von feinem Schloß Siegburg aus das ganze 
Erzftift mit Mord, Raub und Brand.” Auch Hanno jelbft gedenft in einer 
Urkunde *) vom Jahre 1064 diefer Fehden. „Nicht blos in alter Zeit,“ 
jagt er, „jondern au in unjern Tagen, wie Wir zu unjerem tiefen Kums 
mer erleben mußten, haben von der Vefte auf jenem Berge aus ruchlofe 
und verwegene Menfchen, welchen Bosheit Geſetz, Raubgier Gerechtigkeit 
zu fein jchien, graufame Berwüftungen angerichtet u. |. w.“ Die Wirren 
fcheinen längere Zeit gedauert zu haben; aber im Jahre 1057 gewann der 
Erzbiſchof, und zwar hauptjächlic durch geiftlihe Waffen, die Oberhant. 
„Hanno,“ Fährt der Mönch von Siegburg fort, „verhängte den Kirchen: 
bann über Heinrih (II), worauf dieſer gefangen und nad) Eöln abgeführt 
ward. Dort angefommen, ftürzte der Pfalzgraf dem Erzbiichofe zu Füßen 
und flehte um Vergebung, die er auch erhielt. Seitdem gieng Heinrich ald 
Mönch in das Klofter Görz.“ 

Hiemit find wir an einen Punft gelangt, wo der trefflihe Lambert 
von Hersfelo ald Zeuge eintritt, jofern er, wie fchon oben bemerkt worden, 
zum Sahre 1057 meldet?): „Heinrich, der Pfalzgraf von Lotharingien, 
babe das Mönchsgelübde im Kloiter Görz abgelegt, fein jüngerer Bruder 
Kuno dagegen fei zum Herzoge von Kärnthen erhoben worden." “Die dem 
PBfalzgrafen auferlegte Buße beichränfte ſich keineswegs auf das Anlegen 
der SKutte, fondern er mußte erftlih bedeutende Ländereien — vermuthlid 
als Echadenerfag für die angerichteten VBerwüftungen — dem Eölner Erzftifte 
überlafien, und zweitens allen ferneren Anſprüchen auf die Güter der Älteren 
Linie feines Haufe ftilihweigend entfagen. Der Biograph Hanno’d und 
diefer felbft geben zu verftchen, daß eine der Bedingungen, unter welden 
der gefangene Pfalzgraf Verzeihung erhielt, Abtretung des Bergs war, auf 
dem früher das Raubſchloß ftand und wo jeit 1065 das Klofter Siegburg 
errichtet worden if. Zu dem Berge gehörten aber gewiſſe am Fuße liegende 
Streden mit Dörfem und Lchenhöfen. ) Berner führt) Hanno unter 
den Gütern, mit denen er 1065 das Klofter Siegburg ausftattete, ge 
wiſſe Ländereien zu Eulz und Lara auf, welche ehemald dem Pfalzgrafen 
gehört hatten. Schmerzlicher al8 dieſe Verlufte an altem Stammpermögen 
der Hezelin'ſchen Linie, mag für den gefangenen Heinrich geweien fein, daß 
nunmehr geihah, was er jeit Jahren hatte abwenden wollen: alle jene 
prächtigen Befigungen des älteren Zweige, welde bi dahin Richenza inne 


1) Lacomblet I, Nr. 202. 2) Berk V, 159. 3) Lacomblet I, S. 130, Note 
2 unten: montem (sigebergensem) et pedi montis adhaerentia palatinus comes Hein- 
ricus — tradidit. *) Daf. S. 131 unten Rote 3: in Lara et in Sulsa quidquid ad pa- 
latinum comitem pertinuit. 


Erſtes Bu. Gap. 2. Lotharingien. SHerzogtfümer. 97 


gehabt, gingen in fremde Hände über, wurden geiftlihes und zwar mittels 
bar Eölniihes Eigenthum. 

Im nemlihen Jahre, da Pfalgraf Heinrich IL gefangen und zum 
Mönche geichoren ward, aber, wie ich vermuthe, einige Zeit nach dieſen 
Ereigniffen, ftelte Erzbiihof Hanno unter dem 25. Juni 1057 eine Urkunde‘) 
aus, welche beſagt, daß die Königin Richenza ihre in Thüringen gelegenen 
Befigungen, namentlich Saalfeld, Koburg, Orla ſammt Zubehör für immer 
gegen Prefarei an den Cölner Erzftuhl vermacht habe. Die Prekarei over 
die Gegenleiftung, welche fie ſich vorbehielt, beftand 1) im lebenslänglichen 
Genuß der gejchenften Dörfer — jo daß dieſelben erft nad) Richenza’8 Tod 
wirkliches Beſitzthum des Erzftifts werden follten; 2) in dem lebend- 
länglihen Einfommen von fieben Dörfern, weldes ihr der Erzbiihof aus 
feinem Stiftövermögen zuwies; 3) in einer lebenslänglichen Rente von 
100 Marf Silber, welde binfort die Kammer des Erzſtifts an die Kös 
nigin zu zahlen hatte. Wie man fieht, ward feine Mühe geipart, ver 
Schenkerin das, wad man von ihr begehrte, jo ſüß al& möglich einzugeben. 
Richenza, die allem Anſcheine nad an großen Geldverbrauch gewöhnt war, 
erhielt für den Augenblid, aber auf Koften ihrer Stammesvettern, ein viel 
größeres Einfommen, als fie fonft gehabt hätte. 

Nun in diefelbe Zeit, da die Macht des Pfalzgrafen Heinrih II. und 
feine Hoffnungen auf ſolche Weiſe einen tödtlihen Stoß erlitten, fällt die 
Emenmung feines jüngern Bruderd Kuno zum Herzoge von Kärnthen. Ins 
dem Chronift Lambert die Demüthigung ded Einen und die Erhebung 
des Andern beveutungsvoll zufammenftellt, gibt er zu verftchen, daß zwi⸗ 
fchen beiden Ereigniffen ein urfadhliher Zufammenhang ftattfinde. Kuno, 
Heinrichs IL Bruder, hatte vor einigen Jahren Theil an einer großen 
Verſchwörung wider Kaifer Heinrich III. genommen, deren Schauplatz, wie 
ih unten zeigen werde, daflelbe Kärmthen war, deſſen Fahne er jet erhielt. 
Da er gleihwohl auf ein hohes Reichslehen befördert wurde, muß man 
den Schluß ziehen, daß bejondere Gründe einwirkten. Es ift nicht jchwer, 
diefelben zu errathen. Die harte Behandlung, welche der geftürzte Pfalz⸗ 
graf erfahren, erregte merklichen Unmillen in der Gegend — nod im nem» 
lien Jahre griffen viele Rheinländer für ihn zum Gewehr und eine ges 
führliche Bartheiung brah aus. — Um nun den Eturm der öffentlichen 
Meinung zu beihwichtigen, denfe ih mir, hat die Vormünderin Regentin 
für gut gefunden, dem Bruder des fchwer BVerlegten ein Fahnen-Lehen — 
gleihjam als Entichädigung für die Bamilie — zu verleihen. Zur Gegenbes 
dingung wird ihm gemacht worden fein, daß Kuno und jein Anhang das 


1) Daf. 123 Nr. 192. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. 1. 7 


98 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


gegen Heinrich II. eingeleitete Verfahren gut heißen und im Rothfall ver: 
theidigen. 

Allein die Abfichten der Kaiſerin Agnes wurden für den Augenblid 
durch einen verwegenen Streich vereitelt. Lambert von Hersfeld ſagt): 
„nur wenige Tage blieb Heinrich II. im Kloſter zu Gdrz, warf dann die 
Kutte weg, fehrte zu feiner Gemahlin zurück und übernahm feine Be: 
figungen wieder." Berthold dagegen fpricht ) fo, als ſei Heinrich erft im 
Jahre 1060 entflohen. Da diefer Ehronift Epternadh, das fpätere Gefäng- 
niß des Pfalggrafen, mit Görz verwedjelt, da er zudem von nieberrheini- 
fhen Begebenheiten nur oberflächlihe Kunde befigt, verdient Lamberts 
Zeugniß den Vorzug. Alſo Pfalzgraf Heinrih IL entiprang dem Hlöfter: 
lichen Kerfer zu Görz fon nad wenigen Wochen — jedenfalld noch im 
Jahr 1057 — und fuchte fein Heil in den Waffen. Diefe Flucht hatte 
eine doppelte Wirfung: die eine in vie weite Kerne, die andere in ber 
Nähe. Aus Zeugniffen, die unten angeführt werben follen, geht hervor, 
daß Kuno, Heinrich Bruder, nie zum wirflichen Befige des Herzogthums 
Kärnthen gelangt if, und zweitens, daß er diefe Provinz im Herbfte 1058, 
wiewohl vergeblih, von Lombardien aus an fi zu bringen verfuchte. 
Der gerade und natürliche Weg aus den Rheinlanden nah Kärnthen führte 
durh Baiern, das damals nody unter Verwaltung der Katferin ftand. Da 
Kuno gleihwohl einen Umweg einſchlägt, da er auch fo nicht feften Fuß 
in Kämthen zu faſſen vermag, ift far, daß Agnes, die, wenn fie nur 
wollte, ihm leicht den Befib des Herzogthums verichaffen fonnte, dem 
Bruder Heinrih8 heimlich oder offen entgegen gearbeitet hat. Sie hielt 
alfo ihr im Jahr zuvor gegebened Wort nicht. Daß fie ed aber nicht 
bielt, hing meines Erachtens mit der Flucht Heinrichs aus Görz zufammen. 
Weil die Gegenbebingung, die fie geftellt hatte, nemlich daß der abgeſetzte 
Pfalzgraf im Klofter bleibe und Feine Unterftügung von feinen Verwandten 
empfange, nicht erfüllt ward, glaubte auch fie fich entbunden. 

Beffer find wir über die Wirkungen der Flucht in der Nähe unter: 
richtet. Zwiſchen dem entiprungenen Pfalzgrafen und dem Erzbifchofe Hanno 
fam es ſofort zu einer blutigen Fehde, die bis zum Jahre 1061 dauerte. 
„Diele der Verwandten,“ fagt”) Hanno's Biograph, „ſchaarten ſich zu 
Heinrich D., andere hielten zum Erzbiſchof.“ Längere Zeit war der Pfalz 
graf im Vortheil. „Er,athmete,” fährt ver Biograph fort, „nichts als Wuth 
gegen Alles, was Cleriker hieß, und verheerte, gleich einem wilden Eber, 
die Umgegend von Eöln. Bon den Stabtmauern aus fah Hanno den 
Brand der Dörfer und Lehenhöfe. Nun aber ermannten ſich die Eölner, 


1) Berk V, 159. 2) ad a. 1N60 ibid. ©. 271. 3) Vita Hannonis I, 32. Berg 
XI, 479 fig. 


Erſtes Bud. Gap. 2. Lotharingien. Gerzogihümer. 99 


Heinrih II. mußte den Rüchzug nad Kochem antreten, wo er neue Streits 
fräfte zu fammeln gedachte.” Alfo Kochem) an der Mofel war in Heinrichs 
Beſitz und Mittelpunkt feiner Friegerifchen Unternehmungen. Doch die Eöls 
ner Stiftsmannſchaft rüdte vor den Ort und traf Anftalten zur Belages 
rung. Aber nicht durch Gewalt fiel Kochem, ſondern durd ein furchtbares 
Ereigniß. Der Pfalgraf von allen Seiten bebrängt, gerieth in Verzweif⸗ 
fung, Wahnfinn umnachtete feine Seele: „während Heinrichs Anhänger 
draußen fih zum Kampfe gegen die Cölner bereiteten, faß er felbft im 
Srauenzimmer bei feiner Gemahlin Adelheid,) die er liebte. Ploͤtzlich riß 
er eine Hellebarde, die an der Wand hing, herunter, durchſtach die eigene 
Frau, ftürzte hinaus und erzählte unter wahnfinnigem Lachen was er ge 
than.” Die That erregte Entjegen und hatte die Uebergabe der Stadt und 
den Abſchluß eines Vergleichs zur Folge, der Heinrichs Anhängern geftattete, 
im Frieden nah Haufe zu gehen. Er felbft wurde ergriffen, gefeffelt und 
nach dem SKlofter Epternach abgeführt, wo er nad langjährigen fchweren 
Leiden ald Wahnfinniger ftarb. 

Die Mordthat und die zweite Gefangennehmung Heinrichs IL. erfolgte 
laut dem Zeugniffe”) Lamberts im Jahre 1061, das Todesjahr deſſelben 
iR unbefatnt. Der Siegburger Mönd, fügt feinem Berichte noch die für 
und wichtige Nachricht bei, daß Erzbifhof Hanno den nicht mit Ramen 
bezeichneten Sohn des unglüdlichen Heinrich IL. zu fih nahm, mit väters 
licher Sorgfalt erzog und nachher mit Wohlthaten (Lehen) bedachte. Hiers 
aus erhellt, daß ver Erzbiichof, obgleich erbittert über den Vater, den 
Eohn erhalten wiffen wollte; zweitens, daß chen dieſer Eohn im Jahre 
1062 unmimdig war; drittens, daß er nicht die väterlihe Pfahzgrafichaft 
geerbt haben kann, denn wäre dies der Fall geweien, fo hätte Hanno 
nicht nöthig gehabt, den ungenannten Sohn mit Lehen auszuſtatten. Geits 
dem verſchwindet Pfalzgrafs Heinrih II. Nachgelaſſener aus der Gefchichte 
und ein anderes Geſchlecht gelangte zur lotharingiſchen Pfalzgrafenwürde. 

In niederrheinishen Urfundent) kommt von 1064 an, alfo kurz nad 
der zweiten und bleibenden Gefangennehmung ded wahnfinnigen Heinrich, 
bis zum Jahre 1082 ein Pfalzgraf Herimann vor, der ungefähr denfelben 
Amtsbezirk hat, wie früher Heinrih IL. Wahrſcheinlich ift, daß dieſer 
Herimann unmittelbar auf Heinrih II. folgte, gewiß, daß er nicht des 
Bahnfinnigen Sohn war, denn letzterer erjcheint ja bei dauernder Ents 


t) In suum castrum, quod Cochomo dicunt, se contulit, fagt der Moͤnch von Sieg: 
burg. 5 Der Mönch von Siegburg nennt fie Adelheid, aber der Ehronift von Lobbes 
(Berg IV, 20) gibt ihr den Namen Mathilde und fügt bei, fie fei eine Tochter des Her⸗ 
98 Gozelo von Brabant geweien. 2) ad a. 1061 Perg V, 162. %) Lacomblet I, 
Rt. 201. 204. 205. 216. 232. 

7 


100 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


fegung des Vaters als ein Unmündiger. Pfalzgraf Herimann flarb, laut 
dem Zeugnifje‘) der Hildesheimer Chronik, zu Ende des Jahre 1085. Seit 
1075 taucht neben Herimann erft ald Graf, jpäter als Pfalzgraf ein 
Heinrih III. auf, der den Titel „von Laach“ führe, und in die Reichsge⸗ 
fhichte unter Kaifer Heinrih III. eingriff. Im Jahre 1075 unterſchrich) 
derjelbe als Zeuge eine Trierer Urkunde mit den Worten „Heinrich Graf 
von Laach.“ Fünf Jahre fpäter (1080, noch immer zu den Lebzeiten Heri- 
mann) befehligt *) Graf Heinrich von Laach das Faiferlide Heer in der 
Schlacht an der Elſter. Im Jahre 1093 endlich, alfo fieben Jahre nad 
Herimanns Tode, erſcheint Heinrich von Laach als Pfalzgraf und zwar unter 
merfwürdigen Umftänden. 

Laach, von dem er den Titel führt, war ein ihm eigenthümlidh ange 
höriged Schloß an dem Kleinen Ece gleihen Namens zwiſchen Andernad) 
und Mayen. Hier gründete Heinrich ein Klofter, deffen Stiftungsbrieft) 
vom Jahre 1093 auf und gefommen if. Der Eingang deſſelben lautet: 
„ih Heinrih Pfalzgraf am Rhein und Herr von Laach thue biemit 
fund und zu willen, daß ich, weil ich ohne leiblihe Kinder bin, im Ein- 
verftändnifje mit meiner Gemahlin Adelheid beichloffen habe, auf meinem 
Erbgut Laach ein Manneklofter zu gründen.” Folgen nun nähere Beftim- 
mungen. Für feine Lebenszeit behält er fi die Vogtei über das neue 
Stift vor. Nach feinem Tode mögen die Mönche unter den Stiefjöhnen 
des Stifterd oder unter andern angefehenen Edlen der Provinz einen Vogt 
wählen, aber jedenfalls fol Laach Erbbegräbniß Heinrichs und feiner Nad- 
fommen fein. Als Zeugen unterfchrieben den Stiftungsbrief unter Andern 
Heinrih, Herzog von Limburg, Wilhelm, Graf von Luremburg, beide nahe 
Verwandte des Stifter (cognati mei). 

Man fennt diefe Zeugen. Wilhelm war ein Sohn Conrads und 
Enfel Gijelbertd, Grafen von Luremburg, von welchem fpäter die Rebe 
fein wird. Heinrih von Limburg, ein Sohn Walerans, hatte zur Mutter 
Judith, die Tochter des Luremburgerd Friederich, der ein Bruder des eben- 
genannten Gijelbert gewejen war.) Diefem Luremburger Stamme gehörte 
alſo Heinrich durdy irgend welche verwandtichaftlihe Bande an. Genauern 
Aufihluß gibt eine andere Quelle. Zum Jahre 1081 nennt‘) Marianus 
Scotus den neuen Gegenfönig Heinrich's IV., Herrmann von Luremburg 
und Salm, einen Bruderd-Sohn Heinrich’ von Laach. Der Vater des 


!) ad a. 1085 Pertz III, 105. ?) Hontheim hist. diplom. trevir. I. 419, Nr. 


24. ?) Bruno de bello Saxonico cap. 122 Perg V, 380. 4) Eccard hist. 
prineipum Saxon. ©. 555 flg. ego Henricus comes palatinus Rheni et Dominus de 
lacu. *) Man vergl. Wenk heſſiſche Landesgefchichte Gefchlechtstafel zu III. cap. 4 


$. 18. e) Berk V, 562. 


Erfie Bud. Gap. 2. Lotharingien. Gerzogthümer. 101 


Gegenfönigs Herimann ift wohl befannt. Gifelbert war es, der mehrfach 
erwähnte Luremburger Graf. Folglich ift Heinrich ein leiblicher oder wenigs 
ftend ein Stiefbruder Giſelberts geweſen. Die eigene Angabe der von dem 
Laacher Heinrich ausgefertigten Urkunde und das Zeugniß des Ehroniften 
ftimmen überein, und es ftellt fi heraus, daß ums Jahr 1085 das Luxem⸗ 
burger Haus die 20 Jahre früher von dem wahnfinnigen Heinrich befleivete 
Pfalzgrafenwürde erlangt hat. 

Aber auch der unmittelbare Vorgänger Heinrih8 von Laach, jener 
Herimann, der 1085 als Pfalgraf ftarb, war gleihen Stammes. Denn 
erftlih wird unter den Söhnen Frieverichd von Luremburg, — oder, was 
biemit gleichbedeutend — unter den Brüdern Giſelberts — ein Graf Herrmann 
erwähnt,‘) fürs zweite erhält der nemliche Herimann in einer Urfunde °) 
des Erzbifchofd Hanno, welche in die Jahre 1063—66 fällt, den Beinamen 
Herimann von Gleiberg — was, wie fid) unten ergeben wird, ein Neben- 
titel ded Luremburgifchen Geſchlechtes war. Das Iotharingiihe Palatinat 
it folglich ſchon nach Abſetzung des wahnfinnigen Heinrich an die benach⸗ 
barten Luremburger übergegangen. Dieſes Haus, berüchtigt durch Die ehrs 
füchtigen Umtriebe, die es unter Kaiſer Heinrich IT. machte, nahm aud) 
an den Wirren des vierten Heinrich Iebhaften Antheil, aber in entgegen» 
geſetzter Richtung. Während Herimann, Gifelbert8 Sohn, 1081 fi zum 
Gegenkönig aufwarf, hielt des Gegenkönigs Bruder, Conrad von Lurems 
burg, treulich zu Heinrih IV.) Dieſelbe Politif befolgte Conrads Oheim, 
unjer Heinridy von Laadı. 

Noch etliche andere Punfte der Stiftungsurfunde von Laach müſſen ins 
Auge gefaßt werben. Heinrich von Laach nennt fid einen Pfalzgrafen am 
Rheine (comes palatinus Rheni). Es ift das erftemal, daß ein Titel vors 
fommt, welcher nachher häufig und zulegt ausfchließlid wird. Die Vors 
gänger des Laachers hießen entweder einfady palatini comites, oder wenn 
von Ehroniften eine Beftimmung beigefügt wird, lautet fie Palatine der 
Lothringer,t) womit ohne Zweifel angezeigt werden fol, daß das ehemalige 
Reich des Carolingers Lothar zu ihrem Palatinfreis gehörte. Wie verhalten 
fih nun die beiden Titel zu einander? Ich kann in dem neuen (palatinus 
Rheni) nur eine Bejchränfung des älteren fehen. Die Stammväter des 
ersten pfalggräflihen Haufes, Herimann I. und fein Sohn Ezzo, tagten in 
Aachen, wie oben gezeigt worden, und verhandelten dort über die Ange⸗ 
fegenheiten des gejammten Lotharingiend. Aber unter dem Haupte der 


ı) Wenck, hefl. Geſch. IIL, 207. 2) Lacomblet Niederrh. Urkunden I, S. 131 
unten Note 4 Herimannus comes de Glizberc. 3) Bernoldi chronic. ad a. 1086 
Berg V, 445. %) Lamberti annales ad a. 1057 u. 1061. Henricus (furiosus) comes 
palatinas Lotbariorum. Pert; V, 159 u. 162. 


102 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


hezeliniichen Linie gingen vie meiften am Unterrhein gelegenen Eigengüter 
des Altern Zweigs verloren. Dreißig Jahre jpäter ericheint nicht mehr 
Tomberg oder Aachen, fondern Schloß Laach, unweit Andernach und Eoblenz, 
als Sig der Pfalzgrafen, d. h. das Palatinat ift aus Ribuarien nad 
Mofellanien zurüdgedrängt worden. Diejelbe Richtung mußte die Pfalz in 
den fpäteren Zeiten einhalten. Sie rüdte immer weiter hinauf, bis fie nad 
Heidelberg und Mannheim gelangte, wo fie zu Anfang dieſes Jahrhunderts 
entichlief. 

Ferner Pfalzgraf Heinrih von Laach, obgleich im Vergleich mit den 
Hyelinern und Ezzoniden ein armer Herr, ftiftete doch kurz nad Erlan⸗ 
gung des Palatinats ein neued Klofter. Er folgte hierin dem Beifpiele 
feiner Vorgänger, welde zu Anfang des 11. Jahrhunderts die Abtei Braun 
weiler gegründet hatten. Der Zufammenhang vieler Abtei mit dem alten 
pfalzgräflihen Haufe ift, wie wir fahen, durch den Erzbiſchof Herimann faſt 
gewaltfam gefprengt worden. Heinrich von Laach, der die Vogtrechte über 
Braunmeller nicht mehr an fi zu bringen vermag, errichtet dafür ein 
eigenes Stift, deſſen Vogtei er ſich jorgfältig vorbehält. Weist diefe That 
fache nicht darauf hin, daß auf den Befis abhängiger Klöfter im 11. Jahr 
hundert die größeren reihsfürftfihen Häufer einen bedeutenden Werth gelegt 
haben? Denn für nichts gaben jene ehrfüchtigen Herrn nicht fo viel Güter 
sur Ausftattung her. Doc von diefem wichtigen Punkte fann ich erft fpäter 
handeln. 

Die Stiefjöhne, deren Heinrih II. in dem Laacher Stiftungsbriefe 
gevenft, find befannt. Adelheid, feine Gemahlin, war eine Wittwe aus 
dem Orlamünder Haufe, das wir in Sachſen fennen lernen werben; fie 
brachte einen Sohn erfter Ehe mit an den Rhein, der Siegfried hieß, ſeit⸗ 
dem in der Geſchichte des Reiches hervortritt, auch — doch nicht ummittel: 
bar nad) Heinrichs IIT. von Laach Tode — die Pfalzgrafenwürde davon 
trug. Heinrih von Laach farb 1095. hronift Bernold meldet‘) feinen 
Tod mit den Worten: „im Jahre 1095 verſchied Pfalzgraf Heinrich, ein 
reicher, aber Petri Stuhle abgeneigter Fürft, in deſſen bedeutenden Nachlaß 
ſich viele lachende Erben theilten.” Obgleich verkleinert, bot das rheinifche 
Palatinat feinen Verwaltern noch immer Mittel genug, fi zu bereichern. 

Zwar find nicht wenige Urkunden über die Geſchichte der Ezzoniden 
auf uns gefommen, doch bleibt Vieles dunfel. Namentlich reihen die vors 
handenen Nachrichten nicht aus, um ein gründliches Urtheil über das Bers 
fahren Hanno's zu füllen. Dem Anſcheine nah hat er eigennüßig gegen 
den Hezeliner Heinrich II. gehandelt, aber diefer Verdacht wird durch fein 
übriges Leben Lügen geftraf. Da mur einige der hervorftechenden Punkte 


9) Berh V, 4693. 


Erſtes Bud. Gap. 2. Lotharingien. Herzogthümer. 103 


emeldet werden, während die Kenntniß faft aller Nebenumftände uns abs 
eht, räth der gefunde Menjchenverftand, nicht in's Blaue‘ hinein abzu⸗ 
rechen. Als unzweifelhaft betrachte ich, daß im Pfalzgräflichen Gefchlechte 
ie oben nachgewiefene Erbfolgeorunung beftand, und zweitens, daß die 
berrheinifche Pfalz bis herab auf den Sturz Heinrichs II. ganz Lotharins 
en, ober die beiden Herzogthümer Ribuarien und Mofellanien, umfaßte. 

Wie fam nun jenes Statut in das Haus des erften Pfalzgrafen 
yermann? Meines Erachtens durch Nachahmung des von den flandrifchen 
Jalduinen gegebenen Beiſpiels. Weil ver erfte Balduin eine Königstochter 
eehlicht hatte, fprachen feine Nachkommen, ald Enkel der Carolinger nad) 
er Kunfeljeite, das feit 888 den Kronen bewilligte Vorrecht der Untheils 
arfeit des Erbe an. Gleicher Weife benützte Herrmann, ober fein jün- 
erer Sohn Heelin, die Ehe, welche der ältere Bruder Ezzo mit der 
aiſerstochter Mathilde ſchloß, um etwas wie ein feſtes Hausvermögen zu 
ründen. Allein fie mußten fih den Verhältnifien des Kaijerreih8 anbes 
semen. Die Beftimmungen, welche der Vertrag zwilchen Ezzo und Hezelin 
orichrieb, waren Fünftlih und darum unficher, während die einfache Ans 
ſduung, welche Balduin IT. traf, gerade aus zum Ziele führte. Um des 
emlichen Grundes willen hat jenes Werk nur furze Zeit gedauert. 

Den zweiten Sag betreffend, bürgt für ihn nicht blos die oben ers 
ärtete Thatſache, daß die überrheiniiche Pfalz aus Ribuarien nah Mojels 
mien zurüdgedrängt ward, jondern auch ein ausprüdliches Zeugniß. “Der 
Röndh von Braunweller fagt): „Pfalzgraf Ezzo habe zur Zeit, da feine 
Jemahlin Mathilde farb, im Palatium zu Aachen Berhandlungen mit 
m Großen von ganz Lotharingien — totius Lotharingiae — ges 
logen.“ Gewiß ift das Beiwort nit müßig. Ganz Lotharingien aber 
griff Ribuarien und Mofellanien. 

Während Erzbiihof Hanno in die erfte Fehde mit Heinrich II. vers 
delt ward, und ihn zum Eintritt ind Klofter Görz nöthigte, erhob, wie 
ir fahen, Kaiferin Agnes Cuno, den jüngeren Bruder des dem Verder⸗ 
a verjallenen Pfalzgrafen, zum Herzog von Kärnthen. Diefe Maßregel 
Bt kaum eine andere Erklärung zu, als daß die Regentin den Hezeliner 
uno von Heinrich losſchaͤlen, und durch ſolche Trennung die im Rheinlande 
ihrende Unzufriedenheit bejchwichtigen wollte Unter ſolchen Umftänden 
ante die Erhebung Cuno's Niemanden erwünfcter fein, als dem Cölner 
rzbijchofe, den der Haß Heinrihs zunächſt traf. Allein hat Agnes was 
e that, wirklich zu Gunſten Hanno’8 gethan? Dieß fcheint immerhin 
öglih, obgleich e&, wie oben gezeigt worden, gegen Ende des Jahre 
056 oder um den Anfang des folgenden zum völligen Bruche zwiſchen ihr und 


*) Pers XI, 401 Mitte, 


104 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


dem vom verftorbenen Kaifer eingefesten Bormünder gefommen war. Denn 
wenn auch vom Hofe verdrängt, befaß Hanno theild als Erzbiſchof, theile 
wegen feiner feltenen Fähigkeit, jo nachdrücklichen Einfluß im Staate, daß 
Agnes guten Grund hatte ihn zu fchonen. Andererjeits iſt ebenfo denkbar, 
daß die Kaiſerin Wittwe niht aus NRüdfiht auf Hanno, fondern aus 
eigenem Antrieb jene Anordnung traf. Ein Haus, wie das pfalzgräfliche, 
pas den Balduinen naceiferte, auf Erbverträge pochte, welde den Nero 
faiferliher Herrſchaft verlegten; ein Haus endlih, dem jener Ältere Cuno 
angehörte, der erſt neulich ald Herzog von Baiern eine gefährliche Ems 
pörung gegen den Salier Heinrich III. angezettelt hatte, Fonnte unmög: 
lich dem Hofe behagen, und es entfpricht dem gewöhnlichen Weltlauf, wenn 
Agnes die günftige Gelegenheit ergriff, um den einen der Hegeliner unter 
dem Schein der Gnade, den andern durch Losreißung von feinen nächſten 
Anverwandten zu verderben. 

Ueber den geheimen Zufammenhang der Dinge dagegen, welche zwi: 
ihen 1057 und 1061 am Niederrhein vorgingen, iſt meines Erachtens 
fein Zweifel ftatthaft. Nach Furzer Haft in Görz entiprang Heinrid II. 
aus dem Kerfer und erhob nun wider Hanno eine Fehde, während welder 
Eöln belagert, das Erzftift greulich verheert wurde. Laut dem Zeugnifie 
Lamberts muß dieſes Unwejen faft vier Jahre gedauert haben. Run fage 
ih: nimmermehr hätte ein bloßer Edelmann und Vaſalle des Throns fo 
etwad wagen noch ausführen Fönnen, wäre ihm nicht von Seiten des 
Staatsoberhaupts, nemlich der damaligen KRegentin, heimlicher Vorſchub ges 
ſchehen. Offenbar hat Agnes die Fauſt des Verzweifelten benügt, um ben 
verhaßten Erzbiihof zu demüthigen. Die verlegene Einfilbigfeit, mit welcher 
Lambert über die Geichichte des Cölniſchen Kampfes wegichlüpft, ftimmt 
jehr gut zu der eben ausgeſprochenen Vermuthung. Der Hersfelder Ehros 
nift, welcher — wie ſich jpäter zeigen wird — als Anhänger Hanno's den 
Griffel der Elio führt, hütete fi, die verborgenen Schäden jener erften 
Zeit aufzudeden. Nicht ganz ein Jahr nad dem völligen Sturze Hein 
rih8 erfolgte der große Schlag von Kaiſerswerth, welcher vie Regentin 
für immer vom Steuerruder verdrängte. Das ift fiherlih nit ohne Ein; 
wirfung der Role gefchehen, welde die Katferin Mutter in den Streitigs 
feiten zwilchen Hanno und dem nunmehr gefallenen Pfalzgrafen gejpielt 
hatte! — 

Die großen Lehen des Meberrheins find dargeftelt. Noch tft übrig, daß 
wir auch die Heineren in beiden Herzogthümern, Ribuariens Brabant und 
Mofellanien, erforfchen. 


Erſtes Bud. Gap. 3. Dynaſten in Brabant. 105 


Drittes Capitel. 
I. Graͤfliche Häuſer und aufſtrebende Dynaſten im Herzogthum BRibnariensBrabant. 


1. die Grafen von Zennegan. 


Der Hennegau, lateiniſch Haginao, ſchon in Carls des Großen Zeiten 
jo genannt,‘) erhielt ſeine Bezeichnung von dem Flüßchen Haine (Hagna), 
das ihn bewäflert, und hatte Mons (flaͤmiſch Berghen im Hennegow) zur 
Hauptftadt. Der gewöhnliche Name im Haufe von Hennegau war Raginar 
(Reinhard). Drei Fürften diefes Namens — Großvater, Vater, Enfel — 
machten von 880 bi8 957 Lärm in der Welt. Indeß reichte Anfangs ihre 
Macht weit über den Hennegau hinaus. 

Raginar I. erfheint ?) zuerft um 880 als Kämpfer gegen die einges 
drungenen Nordmannen. Im Jahre 895 fiel”) er in Gemeinſchaft mit dem 
Flamänder Balduin II. von dem neuftrifhen Könige Odo zu Zwentibold, 
dem in Lothringen eingefegten Sohne des deutſchen Kaiſers Amulf, ab, war 
num eine Zeit lang der hegünftigte Rathgeber des Xothringers, zog ſich 
jedoch bald die Ungnade veflelben zu, warb feiner Lehen entjebt und des 
Landes verwiefen. Doch Raginar gehordhte nicht, jondern floh nach feiner 
fetten Burg Durfos an der Maas, wo er den Anftrengungen Zwentibolds 
trogte.*) Allem Anfcheine °) nad ift der Streit zwilchen Beiden darum 
ausgebrochen, weil Raginar I. dem Plane Zwentibolde, nah dem Tode 
Odo's die Krone Neuftriend an ſich zu ziehen, Widerftand leiſtete. Kurz 
darauf wurde Zwentibold getöbtet und der deutſche Antheil Lothringens 
wieder mit der germaniichen Krone vereinigt.) Raginar lebte noch anderthalb 
Jahrzehnte. Der ſächſiſche Annalift verfegt ) feinen Tod ins Jahr 916, 
Richer fiimmt zu und fagt®) bei diefem Anlaffe: „um jene Zeit verfchied 
Kaginar, genannt Langhals, in der Pfalz von Merjen (am Zufammenfluß 
der Maas und Geule), ein ausgezeichneter und vornehmer Herr, ber bie 
höchften Würden befleidete (Vir consularis).“ Das heißt allem Anjcheine 
nad: Raginar, Langhald genannt, fei zulegt etwas wie Herzog in Ribuas 
rien geweſen. Der neuftriiche Chronift fügt bei, Raginar habe einen Sohn, 
©ijelbert, binterlaffen, der mit Gerberga, der Tochter des deutſchen Könige 
Heinrich I., vermählt war, nad) der Krone von Lothringen firebte, deßhalb 
von dem neuftriihen Garlinger Carl dem Einfältigen vertrieben wurde, 
nah Deutfchland entfloh, und zulegt, auf Bitten feines Schwiegervaters, 
wieder die Erlaubniß zur Rüdfehr erhielt. 


1) Lacomblet U. B. des Niederrh. I, 1. 3) Berk I, 524. 2) Did. 529. 
4) Ibid. ©. 606. 6) Gfroͤrer, Karolinger IL, 370 flg. %) Daf. ©. 384. ) Berg 
VI, 593. %) Berk IIL 579. 


106 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


Kurz darauf finden‘) wir Gifelbert in andern Verhältniffen: er ift ein 
Gefangener des neuftriihen Könige Robert, wird aber 924 frei, weil 
Raginar II, Gifelbertd Bruder, feine eigenen Söhne ald Geißeln für ihn 
ftelt. Raginar I., Langhals, hatte alfo außer Gijelbert einen zweiten 
Sohn, Raginar II. Eofort gerathen die beiden Brüder in Streit, liefern 
einander Gefechte, aber nach etlihen Jahren, va der deutſche König Hein- 
rich I. nach Lothringen fommt, und dieſes Land in feine Gewalt zu bringen 
beginnt, föhnen fie fi) aus und leiten der Eine, wie der Andere, dem 
neuen Herricher den Huldigungseid.) Raginar II. muß nicht lange dar 
nach geftorben fein, denn nirgends mehr ift von ihm die Rede. Man fieht: die 
Raginare hatten bi8 dahin, jo wie es andere Vafallen mehr machten, den 
Streit der Kronen Neufter und Deutichland um den Beſitz Lotharingiene 
audgebeutet, um felbft emporzufommen, indem fie, je nachdem es ihr Eigen 
nug gebot, bald dem einen bald dem andern Nebenbubler beiftanden. Aber 
nunmehr nahte die Zeit, da die Dttonen feften Fuß in Lothars Erbe faß- 
ten. Alsbald Eehrten fie die rauhe Seite gegen die Kleinen Herm heraus: 
die Macht derfelben ward bejchnitten. 

Fünfundzwanzig Jahre nach dem vermuthlihen Tode Raginars II. 
taucht ’) ein dritter auf, wahrjcheinlic des Vorigen Sohn. Er wird bes 
zeichnet ald Graf im Hennegau, und Richer fagt*) ausdrücklich, daß dieſer 
Raginar auf dem Schloſſe zu Mons hauste, fo wie daß deſſen beide Söhne 
um 956 noch flein waren. Diefer Raginar III. zerfiel) mit dem Franken 
Conrad, weldhen König Dtto I. 944 zum Herzoge von Lothringen eingelegt 
hatte,“) und fpäter auch mit dem neuernannten Erzbifchofe von Eöln und 
Oberftatthalter des Ueberrheins, Bruno. Lepterer machte den Wühlereien 
des Hennegauerd ein Ende, er nahm ihn beim SKopfe und ließ ihn 957 
als Staatögefangenen nad) Deutichland abführen. ) Das Lehen des Ber 
bannten, oder den Hennegau, übertrug®) Bruno erft an einen gewiſſen 
Richar, dann, nad) deſſen Tode, Zweien, den Grafen Warner und Rainald, 
zulegt, al& auch diefe geftorben, abermal Zweien, den Grafen Amulf und 
Godfried II. (von Verdun). Ohne Zweifel follte die Ausftattung des Letzte⸗ 
ren ein Erfag für den Berluft ver Fahne Ribuariens fein, welche God» 
fried II. an den Carlinger Earl hatte abtreten müffen. ”) 

Allein die von Bruno eingejegten Verwalter befamen einen fchweren 
Stand. Auf die erfte Nachricht, daß Kaifer Dtto I. geftorben fei, brachen 
973 die Söhne Raginars III., welde mit ihrem Vater verbannt worden 
waren, — fie hießen Raginar IV. und Lantbert — in Brabant ein, lies 


t) Berg II, 373. 3) Daf. ©. 378. 5) Perg VI, 349 ada. 969. 4) Perp 
II, 611. Pert II, 400. °) Gfeörer, Kicch. Gefch. IIL 1222. 7) Berk IL 
404. °) Berg VII, 439. %) Eiche oben ©. 71. 


Erſtes Buch. Gay. 3. Dynaften in Brabant. 107 


ferten den Grafen Warner und Rainald bei Peronne (auf neuftriichem 
Gebiet) eine Schlacht, in welcher letztere unterlagen, befeftigten nach erftrittes 
nem Siege das Schloß Boufjoit an der Haine und beunruhigten von dort 
aus das umliegende Land. ') 

Warum Raginars II. Söhne eine folhe Macht entwideln konnten, 
wird durch die Bemerkung ?) Sigiberts begreiflih: Lantbert ſei mit Ger⸗ 
berga, der Tochter des Herzogs Carl (des vorlegten Carlingers), Raginar 
IV. dagegen mit Hathiwig, der Tochter Hugo Capetd vermählt geweſen. 
Diefe fremden Herm wollten unter dem Borwande, den Söhnen Raginars 
zu ihrem Rechte zu verhelfen, im Trüben filchen. 

Der Einfall blieb nicht unbeftraft. Kaiſer Otto II., Nachfolger feines 
Vaters, eilte herbei, eroberte das Schloß Boufjoit, nahm die Söhne Ras 
ginars IIT. gefangen und verwies fie abermal aus dem Lande. Doch 
wurde hiedurch die Ruhe in Brabant nicht dauernd hergeftelt, denn die 
Wirren des Reihe benügend, ruhte Raginar IV. nicht eher, bis Mons und 
das Hennegau in feine Gewalt gerieth. Dieß gelang ihm 998. Zu dieſem 
Jahre berichtet °) Alberih: „Graf Raginar entriß dem Grafen Godfried die 
Stadt Mons.“ 

Ungeftört behauptete feitvem Raginar IV. ven Beſitz des Hennegau 
bis zu feinem Tode, der ins Jahr 1013 fällt. Auf ihn folgte fein Sohn 
Raginar V., welcher mit feinem Oheim, dem Grafen Lantbert von Löwen, 
gemeine Sache gegen Godfried III., Herzog von Brabant madte.*) Es 
fam 1015 zu der früher erwähnten Schlacht bei Florennes, welde Gods 
fried gewann. Lantbert blieb im Kampfe, Raginar V. mußte fliehen, und 
verbanfte nur der Fürbitte des Bilchofs Gerhard von Cambray, daß Kai⸗ 
jer Henri II. ihm Verzeihung des Gefchehenen angeveihen ließ. 

Ich finde Raginard V. Namen gegen das Jahr 1030 zum letzten⸗ 
male erwähnt, ®) er muß um diefe Zeit geftorben fein. Den Hennegau 
erbte nun ein Weib Richilvis, ohne Zweifel das einzige Kind Raginars V. 
An Bewerbern um die Hand einer foldhen Erbin hat es nicht gefehlt. Ihr 
erfter Gemahl hieß Herimann. Eine alte Nachricht ſagt: ) „durd feine 
Gemahlin Rihilvis erlangte Herimann die Graffhaft Hennegau. Richil⸗ 
Dis gebar ihm zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, welche beide 
zum Eintritt in den geiftlihen Stand genöthigt wurden.” Warum dieſe 
Kinder das erwähnte Loos traf, erfahren wir ) aus der flandriihen Haus» 
chronik: „nachdem Herimann geftorben war, heirathete Balduin VL, — 


1) Berk VII, 439 und Sigibert ad a. 973 Perg VI, 351. 2) ad a. 977 Berk 
v1, 352. 3) Leibniz accession. II, b. ©. 37. &%) Gesta camerac. III, 9. Perg 
vu, 469. 6) Chronic. 8. Andreae I, 21. Pertz VII, 530. ©) Genealog. hainon. 
bei Bouquet XI, 375. ") Berg IX, 320 Rr. 12, 


108 Pabſt Gregorins VII. und fein Beitalter. 


der gleichnamige Sohn Balduins von Ryſſel — die nachgelaffene Wittwe 
Richildis, damit er durch fie das Hennegau gewinne. Der Stiefvater ſteckte 
fofort den Sohn feiner Gemahlin aus deren erfter Ehe, welcher fehr ein, 
fältig war, ind Klofter und forgte dafür, daß er fpäter auf den Stuhl 
von Ehalons erhoben wurde; das Erbe des Stiefſohns aber zog Balduin an 
fih. Lietbert, Biichof von Cambray, erklärte jedoch die Ehe Balduins für 
blutjchänderifh, weil der Flamänvergraf ein naher Anverwandter des ver: 
ftorbenen Herimann war — verhängte deßhalb den Bann über Balduin 
und Richildis. Allein Pabft Leo IX., der mütterlihe Oheim Richildens, 
bob den Bann wieder auf, indem er Beide verpflichtete, feine fleifchliche 
Gemeinſchaft mehr mit einander zu haben.” Dieſe Beringung ift nidt 
eingehalten worden, *) denn Richildis gebar in zweiter Ehe zwei Söhne 
Balduin VII. und Arnulf, die beim Tode des Vaters, der 1070 farb, 
noch unmündig waren. 

Man muß den Angaben der Ehronif von Kammerih andere Nah: 
richten beifügen. Um fid dafür zu rächen, daß die Verbindimg Richildens 
mit Balduin VI. vom Pabſte gut geheißen worden war, erließ?) Kailer 
Heinrih IT. im Frühling 1055 auf dem Lombarbifhen Landtage zu 
Zürih ein Reichsgeſetz, das verbotene Ehen mit Gütereinziehung bedrohte, 
und ohne Frage insbeſondere gegen die flämijchhennegauffche Heirath zielte. 
Gleichwohl blieb die Ehe aufrecht, und Hennegau vorerft im Beſitze Bal⸗ 
duins VI, weil der Cölner Vertrag vom Dez. 1056, wie die übrigen 
Horderungen des flandrifchen Haufes, fo auch jene Verbindung genehmigte. 
Indeß, da nah Balduins Tode Hennegau wieder von Flandern getrennt, 
und dem jüngeren der beiden Söhne, weldhe Richildis in der Ehe mit Bals 
duin geboren hatte, überwieſen ward, ift man zu dem Schluffe berechtigt, 
daß der Bölner Vertrag einen Artikel enthielt, welcher die Vereinigung des 
Hennegau’s mit Flandern nur für die Lebeusdauer Balduins VI. gelten ließ. 


2. Bie Zynaſten von Yamar. 


ALS der erfte Erbgraf von Namur erfcheint ) NRotbert, von welchem 
Flodoard meldet, daß der Erzbiichof Erzherzog Bruno vergeblid im Jahre 
960 fein Schloß Namur belagert habe. Nun folgte allem Anfcheine nad 
ein gleihnamiger Sohn des PVorigen, von dem feftfteht, daß er ſich mit 
einer Tochter des vorlegten Carlingers, jenes Herzogs Carl — fie hieß 
Ermengardis — vermählt hat. „Carl“, heißt‘) es in einer alten niebers 
ländifchen Chronif, „hatte zwei Töchter, Gerberga, welche Lantbert von 


1) Siehe Sfrörer, Kir. Geſch. IV, 599. 3) Die Beweife im vorletzten Gapitel 
des 8. Buche. 3) Per III, 405. %) Bouquet XL, 376. 





Erſtes Bud. Gap. 3. Dynaflen in Brabant. 109 


wen ehelichte, und Ermengarbis, welde ihre Hand dem Grafen von 
amur reichte.” Meined Erachtens hieß der Gemahl der Ermengarbis, 
ich feinem Vater, Robert. Die Ehronif von Cambray führt) nämlich 
ı 1008 einen Grafen Robert von Namur auf, der in enger Verbindung 
t Kantbert von Löwen, feinem muthmaßlihen Schwager, ftand. Bon nun 
iſt die Reihenfolge fiher. Ein Geichlechtöregifter I aus dem Ende des 
. Jahrhunderts berichtet: „&rmengardid gebar den Grafen Albert von 
amur.” Die Zeit dieſes Albert wird beftimmt durch eine Lütticher 
yronif, °) laut welcher Albert von Namur im Kampfe gegen den Grafen 
do von Champagne, Gegner des Kaifer Conrad, (um 1037) blieb. Die 
wonit fährt fort: „Albert L Hinterließ einen gleichnamigen Sohn, 
bert II.” Diejer Albert lebte tief in die Zeiten des Königs Heinrich IV. 
zein. 


3. Bie Graſen von Köwen. 


Die Reihe der Dynaften von Löwen beginnt erſt gegen Ende bes 
). Jahrhunderts mit dem oben erwähnten nadhgebornen Sohne des Gra⸗ 
ı Raginar III. von Hennegau, welder Lantbert hieß und eine Erbtochter 
wis, des vorlcgten Carlingers, ehelichte. Lantbert, der Spießgefelle feines 
ruders Raginar IV., muß zu gleicher Zeit, da letzterer fih des Henne⸗ 
us wieder bemächtigte, nämlich 998, Brüffel und Löwen in feine Gewalt 
bracht haben. Ein Recht auf den einen Ort befaß er von feinem Vater 
r, ein Recht auf den andern durd) das Heirathgut feiner Gemahlin. Die 
brfach erwähnte Hennegauer Ehronif berichtet:*) „Lantbert hatte Brüſſel 
n feinem Bater geerbt, Löwen aber durch feine Gemahlin Gerberga, 
uls Tochter, erhalten. In feiner Ehe mit Gerberga zeugte Lantbert einen 
ohn, Heinrich den älteren, Grafen von Brüffel: zufammen gründeten fie 
8 Collegiatftift zum heiligen Peter in Löwen.“ Wir fehen hier Lantbert, 
r zugeitandener Maßen einer der frechften Raubritter feiner Zeit war, 
8 Kirchenftifter auftreten: ein ſchlagender Beweis, daß vielen Stiftungen 
were ald fromme Zwede zu Grunde lagen. 

Lantbert war gleich feinem Bruder Raginar der Schreden Brabants und 
fonders der Bilchöfe und Klöfter, denn frei fonnten fie ihr Weſen treiben, 
lange ihr Schwager der Karlinger Otto das Herzogthum in Brabant vers 
altete. Der Mönd von Cambray erzählt: „als Balderich im Jahre 
08 nad Notferd Tode den Stuhl von Lüttich beftieg, wollte er einen 
uud mit dem Grafen Lantbert fchließen, der fein Verwandter war. Vers 
blih warnte Gerhard von Cambray, der die Bosheit Lantbertd aus 


1) III, 5. ®erb VII 468. 3) Bouquet XII, 585. 2) Bouquet XL, 172. 
Bouquet XL, 376. 6) Bist. III, 5 Per VIL, 467 fig. 


110 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


Erfahrung fannte, den Genofien. (Der Bund fam zu Stande). Nur zu 

4 bald wurden die Borausfagungen Gerhards bewahrheite. Balderich be; 
feftigte da8 Dorf Hougard bei Tirlemont, um den Landfrieden zu fichern 
und die Uebelthäter im Zaume zu halten. Plotzlich überfiel jedoch Lant- 
bert in Gemeinſchaft mit Robert, vem Grafen von Namur, ) die neu ers 
richtete Veſtung, jagte die Belagung aus einander, nahm den Grafen 
Herimann (wahricheinlih Godfrieds III. Bruder) gefangen, und übergab 
ihn dem Namurer Robert zur Verwahrung. Aber die Mutter Roberts 
ließ nachher Herimann, ohne Lantberts Vorwiſſen, unter der Bedingung 
frei, daß er ihren Sohn mit dem Kalfer und den Bifchöfen ausföhne. 
Herimann erfüllte, was er verfproden. Auf der Synode zu Coblenz ver 
sieh Kaiſer Heinrih IL. dem Namurer Haufe.“ Diefe Synode fand, laut 
dem Zeugniffed) der Ehronif von Quedlinburg, im Jahre 1012 flatt, der 
Angriff auf Hougard ift demnach vor 1012 erfolgt. 

Im Jahre 1013 ernannte der deutihe König, an des verftorbenen 
Karlingers Dtto Stelle, Godfried III. zum Herzog von Brabant. Und nun 
traf die Unruhftifter wohlverdiente Strafe. In dem Gefecht bei Florennes 
ward 2antbert, Graf von Löwen, erſchlagen, obgleich er laut dem Zeug: 
niſſe) des Moͤnchs von Cambray ein Zaubermittel unter dem Harmiſche 
trug, das ihn ſchützen follte. Auch Thietmar von Merjeburg erwähnt das 
Treffen bei lorenned und entwidelt*) bei diefer Gelegenheit folgende 
Schilderung vom Charakter des Löwener Grafen: „es gab Keinen fchlechteren 
Menſchen auf Erden, als Lantbert; Viele hat er in den Kirchen mit dem 
Glockenſeile erdroſſeln laſſen, Unzählige um Hab und Gut beraubt und er: 
morbetz nie that er Buße. Sein Vater Rainer war von König Otto I. 
nah Böhmen in die Verbannung geſchickt worden und vafelbft geftorben. 
Das Leben von Menfchen wie Lantbert iſt ein oͤffenliches Unglüd, ihr 
Tod ein Segen.“ 

Lantbert hinterließ zwei Söhne, Heinrih, der unmittelbar, und Bal- 
verich, auch Zantbert II. genannt, der ſpäter nachfolgte. Heinrich wandelte 
anfangs auf den Wegen jeined Vaters, fpäter aber ward er dur bie 
Biſchoͤfe vermocht, fih dem Kaifer zu unterwerfen und Frieden zu halten.‘ 
Sm Jahre 1038 ftarb er eined gewaltfamen Todes. Chronift Sigebert 
erzählt: ) „Heinrih, Graf von Löwen, ward in feinem Haufe von einem 
Manne Namens Harmann ermordet, den er zum Gefangenen gemadt 
hatte.” Die Grafihaft erbte zunächft Dtto, Heinrichs Sohn, aber da bie 
fer gleichfalls bald ftarb, folgte der Bruder Heinrichs, Balderich⸗Lantbert IL 


*) Dieß ift der oben erwähnte Nachfolger Roberts I., Grafen von Namur. *) Bert 
II, 81. ®) Hist. III, 12. Berg VII, 469. *) Perg II, 851. *) Berg VII, 469. 
*%) Berk VL, 357 unten flg. 


Erfſtes Buch. Gap. 3. Dynaflen in Brabant. 111 


nah. Bon ihm berichten ) brabantifche Chroniken: „Lantbert II. war vers 
mählt mit Oda, der Tochter des Herzogs Gozelo I. von Brabant. Beide, 
Lambert II. und Oda, gründeten 1047 das Stift St. Gubula, das fie 
mit 12 Chorherrn bejegten und reichlich mit Zehnten ausftatteten. Oda 
gebar ihrem Gemahle einen Sohn Heinrich IL, der nad des Vaters Top 
die Grafſchaft erbte.” 

Zantbert II. jelber erlebte nody die Zeiten des Saliers, Heinrich IV.: 
als Zeuge unterfchrieb er eine Urkunde ?) vefielben vom 21. Sept. 1062. 
Aber bald darauf muß er mit Tod abgegangen fein. Man begreift, daß 
neben ſolchen Bafallen, wie die Grafen von Hennegau, Namur, Löwen, 
das Herzogthum Brabant nicht gedeihen konnte. Allen Anftrengungen des 
Oberſtatthalters Bruno und der folgenden Kaifer haben diefe Dynaften 
getrogt, und noch in ber erften Hälfte des 11. Jahrhunderts erzwungen, 
daß ihre Grafichaften ſogar als Kunkellehen anerfannt werden mußten. 
* Mit Brabant war, wie ich früher zeigte, dad Hochſtift Cambray 
zwar nicht politiich verbunden, fand aber doch in engen Beziehungen zu 
dem Herzogthum. Ich reihe deßhalb die Geſchichte des Ländchens bier ein. 


4. Bir Stadt- oder Jurggraſen von Cambray. 


Um 920 fommt ’) ein Graf Iſaak vor, der auf einer Synode durch 
den Rheimſer Metropoliten mit dem Bifchofe Stephanus von Cambray 
ausgeföhnt wurde. Vermuthlich war vieler Iſaak Graf im Gau von 
Kammerih, weldes in Carolingijhen Zeiten mehrfad erwähnt wird. %) 
Bis ind 11. Jahrhundert befand ein Comitat Kammerich fort, denn durch 
Urkunde °) vom 22. October 1007 jchenkte König Heinrich II. dem Bifchofe 
Erluin und deſſen Nachfolgern die dortige Grafihaft. Gleichwohl ift nad) 
obigem Iſaak, alfo von 920 bi8 auf 1007 herab, fo wie aud fpäter 
nirgends von Grafen zu Cambray die Reve, hingegen tauchen daſelbſt 
Deamte auf, welche einen eigenthümlichen Titel führen, feit den Tagen 
Dtto’8 I. die Erblichfeit erlangen, und eine für die Biſchöfe höchft läftige 
Macht ausüben, die durch das Geſchenk vom Jahre 1007 um nichts ges 
mildert ward. Die Chronif von Cambray fest uns in Stand, genauen 
Bericht über den fraglichen Gegenftand zu erftatten. 

Um 972 wurde auf den Stuhl von Cambray Tedto erhoben. „Diefer 
Tedto,“ jagt‘) der Ehronift, „hatte ſchweres Unreht von den Eolvaten des 
Stifts zu erbulden, hauptjächlich durch die Bosheit eines gewiflen Johan» 
nes, der ald Majordom, d. h. Oberfter der Stiftömannjchaft, hervorragens 


1) Bouquet XL, 376 u. 467. 5 Böhmer, Regeſten Nr. 1752. *) Perg VIL, 
424. *) Pertz I, 324 u. 489. 6) Böhmer, Reg. Nr. 999. ©) Gesta camer. 
I, 93 Berk VII, 438 unten flg. 


112 BabR Gregorius VIL und fein Seitalter. 


des Anfehen genoß, aber doch unter dem Bilchofe ſtand. Einſt gebot Tedto, 
Steine und Kalf zur Erweiterung der Hauptfirche herbeizuführen, ward 
jedoch, che der Bau begann, an den Faiferlihen Hof zu Dito I. berufen. 
Während nun der Biſchof verreist war, nahm befagter Eaftellan Johann 
Kalf und Steine weg, und erbaute daraus für fih eine Burg mit einem 
hohen Thurm mitten in der Stadt Cambray. Bon der Reife zurüdge 
fommen, gerieth der Biſchof in heftigen Zorn, fammelte Soldaten und 
jagte den Eaftellan fort. Allein Johann fand in der Nähe viele Helfer, 
und verheerte mit ihnen das Gebiet von Cambray. Dieß ſetzte den Bilchof 
im Schreden, und während er auf Mittel ſann, dem Üebel zu begegnen, 
kam Walter, Vaſall des Schloſſes Lens, ein vornehmer und mächtiger, 
aber jehr verfchlagener und treulofer Mann, und machte folgenden Antrag: 
wenn Ihr meinem Sohne alle die Lehen verleiht, die Johann von euch 
trug, und wenn Ihr denfelben an die Stelle Johannes einſetzt, fo will id 
Euch ſchützen und den Räuber zurüdtreiben. Der Biſchof ging den Bors 
Ichlag ein und der junge Walter befam Johanns Amt. Aber derfelbe hielt 
nicht Wort und der Biſchof war genöthigt, Johann durch Ertheilung von 
Gütern zufrieden zu ftellen.” 

Diefer Bericht ift unvollftändig. Zuerft fragt es fih: wer hat urfprüng- 
ih Johann eingejegt? Offenbar nicht der Bifhof, denn Johann und 
feine Nachfolger find ſeitdem eine unerträgliche Laſt für die Biſchöfe von 
Cambray und trog aller Mühe, welche letztere aufwandten, konnten fie fi 
nicht von den Gaftellanen befreien. War es aber nicht der Bifchof, ber 
den Gaftellan ſchuf, fo kann die Einfegung nur vom Kaifer ausgegangen 
fein. Zweitens, der Befehl über die bewaflnete Macht des Stifts ift in 
den Händen Johanns, doch nicht ganz; denn der Bifchof findet nad) ver 
Rückkehr vom Hofe willige Dienftleute, welde auf fein Wort Hin den 
Caftellan aus der Stadt treiben. Drittens, fobald der Eaftellan durch die 
Reife Tedtos freie Hand befommt, ift dad erfte was er vornimmt, die 
Erbauung einer feften Burg innerhalb der Etadt Cambray. Dffenbar 
hing dieſes Bauweſen mit dem Amte des Gaftelans zufammen. Aber der 
Biſchof hat Feine Freude daranz denn Johann unternimmt den Bau hinter 
feinem Rüden. Man muß meines Eracdhtend vorausſetzen, daß ſchon früher 
Verhandlungen wegen ded Baues zwilchen Tedto und Johann ftattfanden, 
daß der Biſchof widerftrebte, Johann dagegen auf feinem Willen beftand 
und die nächſte befte Gelegenheit ergriff, das Werk zu vollbringen. Bier 
tens, der Bilchof erzwingt, vol Unwillen über das hinterliftige Betragen 
Johanns, deſſen Abfegung; aber er gewinnt hiedurch nichts, nur die Perfon 
wecdjelt, die Sache bleibt dieſelbe. Abermal muß ein ftärferer Wille eins 
gewirkt haben, derjelbe Wille nemlich, von dem die urfprüngliche Beftellung 
eines Caſtellans ausging. 


Erſtes Buch. Cap. 3. Dynaſten in Brabant. 113 


Der Zufanmenhang ift ohne Frage diefer: obgleich der Katfer die 
Gaftellanei dem Bilchofe zum Trog errichtet hatte, wollte er doch den Schein 
gewahrt wifien; weil er fand, daß Johann allzu plump drein gefahren fei, ließ 
er denfelben fallen, verlangte dagegen, daß ein Nachfolger gleicher Art an 
Johanns Stelle trete. Ueberdieß ward Tedto genöthigt, den Abgeſetzten zu 
entfchädigen. Walter war fo gut wie Johann ein Werkzeug kaiſerlicher 
Staatöfunft, und feine dem Biſchof geftellten Anträge find nicht ohne Vor⸗ 
wiſſen Otto's I. gemacht worden. 

Im Folgenden beichreibt *) dann der Chronift die Drangfale, welde 
Walter dem Biſchofe zufügte, wie er denfelben demüthigte, in Schreden 
fepte, Lehen von ihm erpreßte, auf feine Verbindung mit dem faiferlichen 
Hof pochend. Während deſſen fand ein doppelter Wechjel des Bisthums 
ſtatt. Tedto ftarb um 979 und hatte Rothard zum Nachfolger;*) aud 
diefer ging 995 mit Tod ab, worauf Erluin den Stuhl von Cambray 
beftieg.”) Das Betragen Walters blieb daſſelbe. Der Ehronift jagt: „ale 
Erluin vom Hofe Otto's III., wo er feine Erhebung durchgeſetzt hatte, nad 
Haufe fam, fand er den Nachlaß feines Vorgängers Rothard durd Walter 
und Genofien geraubt. Um 1010 fanf!) Walter aufs Kranfenlager, und 
ließ den Biſchof Erluin bitten, daß er die Caftellanei feinem Sohne, Wal 
ter IL, übertragen möchte. Der Bilchof, ver vorausfah, daß der Sohn 
noch ſchlimmer fein werde, ald der Vater, fchlug Anfangs das Anfinnen 
rund ab, gab aber doch zulegt nach, unter der Beringung, daß Walter ges 
wife Güter, die er dem Stuhl abgepreßt hatte, zurüdgebe. Walter ver 
weigerte dieß, nahm feinen Soldaten einen Eid ab, nur dem jungen Walter 
gehorchen zu wollen, und ftarb kurz darauf unbußfertig. Walter IT. folgte 
wirklich feinem Bater.” 

Klar erhellt hieraus, daß dem Bilchofe mur ein Schein von Einwilli 
gung bei Befegung der Caftellanei zuftand, während die Enticheidung in 
den Händen ded Kaijerd lag. Der nemliche Erluin, unter dem dieß ges 
ſchah, hatte fünf Sahre früher die Grafihaft Cambray von König Hein 
rich II. zum Gefchenf erhalten, aber dieſes Geſchenk vermehrte feine Macht 
um Nichts, wenn er aud dadurd einen Zuwachs an Einfünften erlangt 
haben mag. 

Der Chronift fährt fort: „im Jahre 1012 fiel Erluin in tödts 
(ihe Krankheit. Noch hatte er die Augen nicht gefchloffen, als Walter II. in 
ren Bifchofshof einbrach, die Ställe Erluind und die Wohnungen der 
Domherren plünderte und fi mit dem größten Hebermuthe benahm.” Das 


3) Berk VII, 441, cap. 99. cap. 103, cap. 110. 2) Ibid. I, cap. 100 und 10%. 
2) Ibid. I, cap. 109 u. 110. *%) Ibid. cap. 117 u. 118. 
Gfrörer, Nabſt Bregorius vu. Bd. L 8 


114 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


heißt ohne Zweifel, der Caftellan übte das fogenannte jus spolii‘) aus, 
vermöge deſſen der Nachlaß von Biſchöfen der kaiſerlichen Kammer zufiel. 
Gerhard, Heinrichs IT. Capellan, erhielt das erledigte Bisthum, Walter IL 
aber blieb im Amte, obgleih ver Kaifer auf die wiederholt einlaufenden 
Klagen eine Unterfuhung über ihn verhängte, welche zur Folge hatte, daß 
er, in die Enge getrieben, Beſſerung verſprach.) Aber wer nicht Wort 
hielt, war Walter II. Einft — furz vor dem Tode Heinrichs II. — er⸗ 
morbete er jeinen VBajallen Rotbert, einen jungen Mann von vornehmen 
Geſchlecht, und zwar ermordete er ihn nur darım, weil Walter fürchtete, 
daß Rotbert mit der Zeit ihm in den Weg treten werde. Der junge Rot 


bert hatte, fo jcheint es, vom Biſchofe gewonnen, Parthei unter der Etifte 
mannfchaft gegen Walter gemacht, deßhalb räumte ihn dieſer aus dem 


Wege. "Bon nun an führt) der Ehronift eine geheimnißvolle Sprade: 
„DVergeblih hatte ed Gerhard verfuht, Rotbert mit Walter auszuföhnen; 
als der Bilchof die legte Unthat vernahm, feßte er den Caftellan ab, und 
verjagte ihn aus der Etadt, aber bald darauf nahm er ihn wieder in bie 
Burg auf. Diefe Nachgiebigfeit wurde bewirkt durch die Sündenfchuld der 
Ehriften, dur den Tod des Kaiferd Heinrih I., und durch andere Urs 
ſachen mehr.“ 

Iſt das nicht eine diplomatifche Ausdrucksweiſe! Der Chronift will 
jagen: Conrad II., Heinrih8 Nachfolger, habe die Wiedereinfegung Wal 
ter& II. erzwungen. Doc wahrte auch der neue Herrfher den Schein. Ein 
Vertrag fam zu Etande, fraft deffen Walter II. dem Biſchof einen frijchen 
Eid der Treue ablegte, und für gewiſſenhafte Erfüllung zwölf Geißeln, 
worunter jeinen Sohn, ftellte. Außerdem ſchworen als feine Eideshelfer vier 
Vafallen — wohl Unterbefehlshaber Walters — daß fie dem Biſchof zu 
Aufrehthaltung des Vertrags behülflich fein, auch im Nothfall Walter dazu 
nöthigen würden. Ceinerfeitd ging der Bifchof folgende Bedingungen ein: 
ftirbt der von Walter als Geißel geftellte Eohn vor dem Vater, fo ftellt 
legterer einen anderen Geißel von gleihbem Werth. Stirbt Dagegen der 
Bater, währenn der Eohn noch in der Gewalt des Bilhofs iſt, fo gibt 
der Biſchof den Sohn zurüd, und dieſer tritt in alle Rechte des Vaters 
ein, doch vorbehaltlih pünftliher Treue gegen den Stuhl und den Kaiſer, 
und der im gegenwärtigen Vertrage enthaltenen Beftimmungen. Stirbt 
endlich der Bilhof, während Walter Eohn noch Geißel ift, fo wirb der 
Sohn dem Vater unter gleibem Vorbehalt zurückgegeben.“ 

Durch diefen Vertrag war die Erblichkeit der Eaftellanei in Walters 
Familie förmlich anerfannt. 


2) Bgl. Gieſeler, Kirch. Geſch. 4. Aufl. II, b. S. 264. 2) Gesta cam. III, 1. 
2. 3. Per VII, 465 flo. 3) Ibid. UI, 39. Perg VIL 481. 


Cärs ab Sie 1 Taukez ws For — 


Walter fein ſeiren zur zeng — uvm 
, immer bich a. we + zum x Iırm wmis Me rm 
yerpart.‘) Der Ent Sei’ mı ie Same m yı Bair 

nrih IH. mit, werz > Iiıser Lıe rm m 

ungerebte Chrankiierza ser Zur rer rer rue ie 
en Walter IL geritıri 

Sm Zabre Id wu ir DD. rem come Krieg 
mbray betete, turt Westieier sm or Sem enlie 
Buße tbım und serute Ficm or 2» Zen ua. De Bo 
d nahm fie nidı au. ara el 1 Im ie de me 
m Ralter IL vu. a ur u ae Eummrs m eur 
Yin, der nob unmint; zu I: Dome —S vı 5 mi 
für eine Beitimprunz Ir RAin! rm asia ef ar B⸗ 
d wurden tie Giuer id ra not ad 
iduin von Flandem Rartei a Bir. ım va rı Sie vr 
mn zurückzunchmen. Tie Sm: 2; mr mr u mic x 
eiter Ehe ven Kirtenzest zer Ari. Item: ur saje c$ in 
uer dem neuen Gemable te Gat:lim :ı vw ui — , 
rt Chronift — eigentlit Tem ** ar Zr L oo 
lb darauf farb (um 1050. PB" Grizr vr mei me kieruteg 
pellan Lietbert sum Ratieizer. 1.dı Jeiazmı er mo ser Seen IL 
Caſtellan bejtärigt. 

Die weiteren Renwidlunsn un? va3 Retiimr rı8 Ras u 3 
mes hängen’) mit ten pelimitcn Ummibiz 2 fra Nirrerianten u 
nmen. Als Kirchewogt ven Arad wur Icharn en T:ertmanı res 
imänders Balduin. Gerade wegen tier Esartatı 3 Hannt IIL 
ıfefben hervor, er wollte ikn zugleict als Werkzcug gegen Lieber, ven 
: Kaijer wegen heimlider Hinneigung zur Gregeriam’ten Partkei bearg⸗ 
hnte, und gegen Baltuim, den offenen zZiind ter denti ven Kıene, ge- 
men. Je nachdem Heinrich TIL. ñegte eder unterlag, fiel eder ftieg 
hann. Der Friedensſchluß in Eöln jeret madte für immer der Gewalt 
3 Vogts ein Ende, er mußte das Amt nicterlegen.*) 

Gleichwohl verblieb daſſelbe in der Familie Walters. Ter unmündige 
ohn, den letzterer bei ſeinem gewaltſamen Tode binterließ, war in jungen 
ihren geſtorben, doch nicht ohne Erben: ein kleiner Knabe — Hugo 
6 er — überlebte den Vater. Biſchof Lietbert ließ tiefen Enkel Walters II. 
rgfältig erziehen, und fegte ihn dann zum Caſtellan ein’). Zum Manne 





t) Ibid. III, 50. 53. 2) Ibid. III, 60. ?) Ibid. cap. 62. Perg VIL, 490. 
Ibid. cap. 63. 5) Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, 597 flg. ®) Chronic. S. Andreae 
‚22. Pertz VII, 535. ”) Ibid. IL, 16 S. 534. 

8° 


116 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


herangewachſen, trat Hugo in die Yußtapfen feines Ahns, arbeitete dem 
Bifchof entgegen,‘ ward aber deßhalb aus der Stadt verjagt.”) 

Mährend deſſen ftarb Biſchof Lietbert im Jahre 1076, und erhielt 
Gerhard II. zum Nachfolger. Diefer jchloß fofort mit Hugo einen Ber: 
trag, kraft deſſen der Biſchof alle Einkünfte, welche früher der Eaftellan 
aus der Stadt bezogen hatte, für ſich behielt. D. 5. Gerhard II. be 
fchränfte den jungen @aftellan auf das Gebiet, und ſchloß ihn von der 
Mitherrfhaft über die Etadt aus. Im Innern Deutſchlands tobte da 
mald ver Bürgerfrieg, und dieß war ohne Zweifel die Urfache, daß «6 
Gerhard wagen durfte, ohne Rückſicht auf die Krone in folder Weile die 
Sehnen der Macht des Caſtellans zu durchſchneiden. 

Aber um die nemliche Zeit, da der Biſchof zu ſiegen ſchien, traten 
die erſten Früchte des langen Kampfes zwiſchen dem Bisthum und der 
burggräflichen Gewalt hervor: Früchte, welche der nemliche Kampf auch an 
andern Orten Deutfchlands getragen hat. Während Gerhard II. eine Reiſe 
an das Hoflager machte, errichteten die Bürger von Cambray um 1076 
eine Commune, d. h. eine republifaniiche Stadtverfaffung, und ließen ihrem 
Biſchofe melden: wenn er nicht das Geſchehene feierlich anerfenne, würden 
fie ihm den Eintritt in die Stadt verweigern. Der Bifchof wendete fid 
in feiner Noth an den Grafen Balduin von Hennegau. Dieſer ſchaffte 
Hülfe, er fam mit Heeresmacht, eroberte die Etadt, hieb die Bürger, 
welche am lauteften für die Freiheit geiprochen, zufammen, nahm Allen 
Hab und Gut, und möthigte fie, dem Biſchof einen unbedingten Eid ber 
Treue zu fchwören.’) 

Nachdem dieß geihehen, forderte der Caftelan Hugo Aufnahme in 
die Stadt*) und Miedereinfegung in die ihm entzogenen Einkünfte. Beil 
der Biſchof das Anfinnen abſchlug, erholte jener fih an den Ländereien 
des Stifts, verbrannte die Dörfer und plünderte die Bauern aus. ber: 
mal wandte fih Gerhard II. an den Grafen von Hennegau, indem er für 
die Züdhtigung Hugo’d 200 Marf Silber bezahlte. Wirklich wurde Hugo 
ganz aus dem Lande verjagt: er floh nad) Eugland, damals dem Sammel: 
plag der Abentheurer. , 

Die Geſchichte der Caftellane aus dem Haufe Walterd furz zufammen- 
faffend, briht?) der Mönd von Cambray in die Worte aus: „welde 
Geder, welche Zunge ift im Stande, genügend das Unheil zu befchreiben, 
das Walter der Vater, Walter der Sohn und des letzteren Enfel Hugo 


— — — — — 


!) Gesta continuat. Berk VII, 498. *) Ibid. ©. 496. 3) Ibid. Nr. 2 flg. €. 
498. 9) Der Mönch rüdt Hier deutlicher mit der Sprache heraus: renovata est ma- 
litia de castellania, quam infra Cameracum retinuerat episcopus. ibid. cap. 4. ®) Chro- 
nic. S. Andreae ], 6, ibid. ©. 528. 


Erſtes Bud. Gap. 3. Dynaften in Lothringen. 117 


auf Die vier Biihöfe Erluin, Gerhard J., Lietbert und Gerhard II. ges 
häuft haben !!“ 

Brauch’ ich noch zu fagen, daß das Amt, das der Ehronift mit dem 
Worte Caftellan bezeichnet, auf deutſch Burggraf hieß? Heute noch geben 
die Slamänder Caftelanus durch Burchgräve wieder. ') 

Nun hinüber nah Mofellanien. 


IL Grafen und aufftrcbende Dynaften in Oberlothringen. 
1) Yas Hans Snremburg mit deu Webenlinien Simburg und Sal. 


Mit dem Luremburger Haufe verhält es fih, wie mit dem pfalzgräfs 
lihen von Aachen: wir lernen die erften Fleinen Anfänge beider nicht fennen, 
fondern als fertige Mächte treten fie in die Reichögefchichte ein. Allen im 
alten deutichen Reich haben Neulinge nur felten es weit gebradt. Wer 
Anfprüce auf eine hervorragende Stellung machte, mußte entweder Ahnen 
nachweilen, oder im Stande fein, fih auf große Thaten zu berufen. Wirk 
ich Hatten fowohl die Luremburger ald die Ezzoniden Ahnen, und zwar 
glänzende. Doch müßte ich den Zuſammenhang der Geſchichte durchreißen, 
wollte ich jchon bier von diefen Vorfahren handeln. An einem andern, 
pafiendern Orte wird von ihnen die Rede fein. 

Gegen Ende des 9. und vor der erften Hälfte des 10. Jahrhunderts 
fommen in Mofellanien mehrere Richwine als mächtige Herren zum Bor 
ſchein. Mönh Widukind von Corvey fchreibt ): „Cum 940) beftellte Der 
deutihe König Dtto I. ven wälfchen Grafen Dtto, Richwins Sohn, zum 
Herzoge in Lotharingien." Richwin hatte demnach einen Sohn, der Dtto 
hieß, aber ſchon 943 farb.) Wer die Gemahlin Richwins war, erfahren 
wir durch eine von Bertholet in jeiner Geichichte Luremburgs erwähnte 
Urfunde*) aus dem Jahre 946, weldhe ausſagt: Richwin ſei mit Gertrude, 
einer Tochter des Frankenherzogs, vermählt geweſen. Nun gab ed damals 
feinen andern Herzog der Franken, ald den Bruder des 918 verftorbenen 
Königs Conrad L, Eberhard, mit deſſen 939 erfolgtem Tode das Herzogs 
thum Sranfen für immer erlofh.)) Sodann hat!) Mönd Lambert von 
Ardes, der im 12. Jahrhundert Nachrichten über alte Familien zufammentrug, 
die Ueberlieferung erhalten, daß aus der Ehe Richwins mit Gertrud Sigi 
fried, der Gründer des Geſchlechts von Luremburg, abftammte. Alle diefe 
Angaben find feft begründet,”) denn unzweifelhaft befaß das Lurems- 


) Warmkoͤnig I, 285. ?) Perg III, 445 Mitte. ®) Verb L 619. ı) Man 
vgl. Wend, heſſiſche Landesgeſchichte III, 175 flg. *) Dieß alles wird am gehörigen 
Orte urkundlich bewiefen werben. *) Abgepruct bei Bouquet XI, 301 Rote d. ) Wendt 
a. a. O. UL 175. 


120 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


während feiner legten Jahre in jene phantaftiichen Träumereten einer neuen 
Weltverfaffung eingelullt ward, welche Titel des byzantiniichen Hofes, co- 
mites sacri palatii, judices palatini, logothetae mitten in einer germanis 
fhen Welt aus dem Nichts herauf beſchwor. Auch deutiche Große bedachte 
Dtto III. mit ſolchem glitter; er ernannte‘) 3. B. den Erzbifchof Heribert 
von Eöln zum Archilogotheten, den Biſchof Bernward von Hildesheim zum 
primiscrinius.) Aus gleihem Anlaffe mag Sigifriv zum Palatintitel ges 
fommen fein. Ich denfe mir, daß der Luremburger einer von denen war, 
welche den unglüdlihen Kaifer umgamen halfen, und dadurd einen Ein 
fluß und eine Macht erlangt hat, die zu glänzender Verſorgung feiner 
Kinder führte, aber auch einen maßlojen Ehrgeiz in denfelben entzündete. 

Sigifried ftarb’) allem Anfchein nach im Jahre 1004. Da die übrigen 
Söhne entweder Elerifer waren, oder ohne männliche Nachkommen vers 
Ichieden, fiel dad ganze Hausvermögen an Friederich und deſſen Kin 
der. Friederich felbft ging*) noch bei Lebzeiten des Kaiſers Heinrich II. 
1019 mit Tod ab, nachdem er mit einer unbefannten Gemahlin ſechs 
Söhne: Heinrich, Friederich II., Adalbert II, Herimann, Giftlbert, Diet 
rih und zwei Töchter, Ogiva und Imiza gezeugt hatte.) Bon den Tödys 
tern haben wir Ogiva als Gemahlin Balduind IV. fennen gelernt. Die 
andere, Imiza, heirathete einen Welfen — hievon fpäter. Heinrich IL, der 
Erfigeborene, erlangte‘) 1042 das Herzogthum Baiern, ftarb aber ſchon 
1047 ohne Nachkommenſchaft. Friederich, der zweite Bruder, ift derfelbe, 
den wir oben ald Herzog von Brabant und Nachfolger Gozelos II. Tennen 
lernten. Bermählt mit Gerberga, hinterließ er bei feinem 1065 erfolgten 
Tode feinen Sohn, wohl aber eine Tochter Jutta, welche die Ahnfrau des 
Dynaftenhaufes von Limburg geworden ift, das anfangs den gräflichen 
Titel führte, aber in der dritten Gefchlechtöfolge den herzoglichen erwarb. 
Jutta reichte nämlich ihre Hand einem Grafen, der bald Uto, bald Wale: 
ram genannt wird,) und auf dem von feinem Schwiegervater überlaffenen 
Gebiete um 1060 das Schloß Limburg, zwifhen Eupen und Lüttich, er 


ty) Daf. ©. 1531. 2) Daf. ©. 1567. 2) Menf a. a. DO. IH, 180 Note ;. 
*) Annal. quedlinburg. ad a. 1019. Perg III, 84. °) Die ganze Familie aufgeführt geneal. 
comit. Flandriae Nr. 6. Berk IX, 318, nur mit dem Fehler, daß der Ghronift faͤlſchlich 
den Vater Ogiva's Gifelbert, ſtatt Friederich nennt. 6) Gfroͤrer, Kirch. Gefch. IV, 414. 
) Genealog. Arnulfi Bouquet XIII, 684: Gerberga soror Eustachii comitis boloniensis 
ex Friderico duce habuit filiam Juttam; haec genuit Henricum de Lemburch. Ghronif 
bed Mönche Alberich bei Leibnig access. histor. II, 104 ad a. 1064: Walerannus comes 
per uxorem suam coepit habere dominium ultra Mosam prope Leodium et inchoarit 
aedificare castrum de Lemborch. Gölner Urkunde von 1061 bei Lacomblet Urkundens 
buch IL, Nr. 197, egregius comes Udo de Lemburch. Urkunde bes Meber Bifchofs Adal⸗ 
bero vom Jahre 1065 Udo, fratris mei successor bei Pertz X, 325. Endlich daſelbſt 
Seite 233 folg. Note 76. 


x 


Erſtes Buch. Gap. 3. Dynaſten in Lothringen. 121 


bante. Die Herrfhaft Limburg wuchs ſeitdem auf Koften des Herzogs 
thums Brabant. Der Erbe Uto’8 und Jutta's hieß Heinrich, auf welden 
Waleran II. folgte. Adalbert II., ver dritte Sohn Friedrichs I. von 
Luremburg, wurde im Jahre 1047 von Kaiſer Heinrich III. auf den Meper 
Stuhl erhoben‘) und ftarb?) 1072. Der vierte Bruder Herimann fommt nur 
in einer einzigen Urfunde vor,’) und ift derfelbe, der nad Abſetzung des 
wahnfinnigen Heinrih das rheinifhe Palatinat erlangt hat. Bon den 
zwei noch übrigen Brüdern übernahm Theoderich die deutſchen Befigungen 
des Gefammthaufes, von denen ic, fpäter zu handeln mir vorbehalte;*) Giſil⸗ 
bert aber, der die Grafſchaft Salm erwarb, ftiftete durch den älteren feiner 
Eöhne, Herimann, nachmaligen Gegenfönig, die Salm’sche Linie; der 
andere Sohn Giſilberts, Conrad, pflanzte das Luxemburger Geſchlecht fort. 
Betreffend Giftlbert und deſſen Sohn Eonrad, erzählt) die Trierer Chro⸗ 
nie ſchlimme Dinge: „wie der Wolf unter den Schaafen wüthet, fo gingen 
der Luremburger Graf Gifelbert und fein Sohn Conrad mit und um: der 
Eine raubte das, der Andere jenes, und unaufhörlich fügten fie uns Böſes 
zu.“ Giſelbert fcheint um 1055 geftorben zu fein, wenigftens ift feitvem nur 
von Gewaltthätigfeiten die Rede, die Conrad allein verübte. 

Die Ehronif fährt) fort: „einft, da Erzbifchof Eberhard eine Rundreiſe 
in feinem Sprengel machte, nahm ihn Graf Conrad von Ruremburg gefans 
gen, riß ihm die priefterliben Kleider vom Leibe, fhüttete das heil. Del 
aus. Wie die Nachricht hievon nad Trier gelangte, ftellte der dortige 
Elerus den Gottesdienft ein und Flagte zu Rom, worauf Pabſt Gregor VII. 
den Bann über den Uebelthäter verhängte. Dieß blieb nicht ohne Wirkung. 
Nachdem Conrad fchon vorher gegen Geißel den Erzbiichof freigegeben 
hatte, ftellte er fih al8 Büßer zu Trier. Eberhard legte ihm eine Walls 
fahrt nad Jerufalem auf, während welder er — um 1085”) — farb.” 
Man muß erwägen, daß diefe Greuel während des Bürgerkriegs vorfielen, 
der alle Ordnung auflöste. Im Uebrigen machte e8 Conrads Sohn, Wils 
heim, der dem Vater folgte, nicht viel befler. Die von den Ruremburgern 
erworbene Schirmovogtei drüdte auf Trier wie ein Alp. 


2. Bie Grafen von Keh. 


Bis zu Ende Farlingifcher Herrſchaft gab*) es ein Gau und Comitat 
von Meg. Auch fpäter beſaß Meb eigene Grafen, doch kann die Reihen 


ı) Gfroͤrer, 8. ©. IV, 418. ) Verb X, 543. 9 Wenk, heſſiſche Landesge⸗ 
fegichte III, 207 Rote n. *) Siehe unten den Abſchnitt Gleiberg. *) Gesta Trevir. oontin. 
eap. 4. Berg VII, 177. 9) Ibid. ©. 182. Man vergl. Gesta episc. Tullensium 
eap. 48. Ibid. ©. 647. 8) Urkunde des Kaifers Arnulf vom Jahre 892 bei Bouquet 
IX, 366 in pago et comitatu metensi. 


124 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


dem ebengenannten Gebiete ſaß feit Ende des 10. Jahrhunderts ein Ge⸗ 
ſchlecht, deſſen Ahnherrn man nicht fennt. Nur foviel iſt wahrjcheinlic, 
daß feinem Stamme zwei Erben, nämlich außer Ludwig, von dem jogleic 
die Rede fein wird, noch ein anderer Namens Liutho, fei ed durch Hei⸗ 
rath, fei es durch Geburt, angehörten. Ortlieb, Verfaſſer der Ziviefalter 
Chronik, berichtet: ) „Rudolf, der Bruder Egino’s, des Erbauers der Burg 
Achalm in Schwaben, habe Adelheid, die Tochter des edlen Grafen Liutho 
und der Willibirgis von Mümpelgard-Wülflingen geehliht." Das Schloß 
Wülflingen lag im heutigen Canton Zürich. Die Verbindung der Titel 
Mümpelgard- Wülflingen weist darauf bin, daß Liutho, Gemahl der Wils 
libirgis, aus Alamannien nah dem nörblihen Burgund gefommen fein 
dürfte. Allem Anfcheine nad) war Graf Ludwig ein Sohn oder Eidam, 
jedenfalls ein Erbe deſſelben Liutho. 

Diefer Graf Ludwig befaß die Schlöffer Montion oder Moußon auf 
einem hohen Berg an der obern Mofel, unweit der heutigen Stadt Pont 
a Mouffon, jo wie Mümpelgard, und vergrößerte fein Gebiet durch eine 
glänzende Heirath ) mit Sophia, einer der beiden Erbtöchter des Lothrin, 
ger Herzogs Friederich, welche ihm die Orafihaft Bar ald Allod des nun⸗ 
mehr im Mannftamme ausgeftorbenen erften Lothringer Haujes zubrachte. 
In die Reichsgeſchichte tritt Graf Ludwig als Gibelline und Vertheidiger 
ber deutichen Erwerbung Burgunds ein? Reginolf, Fürft von Hocburs 
gund, Oheim der Königin Agnes und Feind Heinrich's III., griff 1044 im 
Bunde mit dem Genfer Gerold das Schloß Mümpelgard an. Graf Lud: 
wig rüdte heraus, fchlug die Gegner und trug dur dieſe Waffenthat, wie 
e8 jcheint, nicht wenig dazu bei, daß im folgenden Jahr die widerfpenfti: 
gen Burgunder ſich der deutfchen Krone unterwarfen.) Graf Ludwig flarb 
um 1060, feine Gemahlin Sophia dagegen überlebte ihn um viele Jahre, 
denn fie verſchied erft 1093, nachdem fie Enkel und Urenfel gefehen hatte.) 

Vermuthlih war jener Liutho, dem der Ehronift den Titel Mümpel 
gard und Wülflingen gibt, ein geborner Alamanne, und nicht ohne Zuthun 
ber Ottonen wird es gefchehen fein, daß er die Hand der Willibirgis und 
mit ihr die Herrichaft Mümpelgard davon trug. Denn der Staatsvortheil 
ſchrieb dem ſächſiſchen Haufe vor, tapfere Männer auf der burgundifchen 
Gränze anzufledeln, die ihnen bei Erwerbung des Nachbarreiches hilfreiche 
Hand leiften fonnten. Auch der Erbe oder Nachfolger Liutho's, Graf Lud⸗ 
wig, hielt, wie wir fahen, zur kaiſerlichen Parthei. Aber nad feinem Tode 
ging eine merflidhe Aenverung vor. Aus der Ehe, die er mit Sophia von 





') Pertz X, 71. 2) Verb V, 454. 456. X, 492. Man vergleiche noch Alberich 
zum Jahre 1033, der aber falfche Nachrichten einflicht, bei Bouquet XL, 350. 3, Sfrös 
rer, Kirch. Welch. IV, 415. *) Berk V, 456 oben. 


Erſtes Bud. Gap. 3. Dynaften in Lothringen. 125 


Lothringen ſchloß, entiproßten nämlich vier Söhne: Bruno, Theoderich, Lud⸗ 
wig, Friederich, und drei Töchter, Mathilde, Sophia und Beatrir, welde 
alle in einer Urkunde ') von 1105 verzeichnet ftehen. Bon den Söhnen 
haben zwei, Theoderich und Friederich, größere Bedeutung erlangt. Jener 
pflanzte den Stamm von Mümpelgard, Moufion und Bar fort, diefer war 
längere Zeit Laien-Haupt der Gregorianiſchen Parthei. Bernold von Eon, 
ftanz berichtet ) über Yrieverih zum Jahre 1092 Folgendes: „Graf Fries 
derih, Echwiegerjohn der Marfgräfin Adalheid von Turin, vertheivigte als 
Soldat und Laie in der Weife des heil. Sebaftian aufs tapferfte Die Sache 
der Kirche. Ihn liebten deßhalb Pabft Gregorius VIL und ver felige 
Biihof Anfelm von Lucca wie einen einzigen Sohn; mit gleicher Anhäng» 
lichfeit waren ihm Mönde und Elerifer, ja alle Verehrer Ehrifti zuge⸗ 
than. Denn unerjchütterlidh feſt ftand er im großen Kirchenftreit auf Seiten 
des Apoftelfürften Petrus gegen die Keger und Abtrünnigen, und blieb ver h. 
Sache treu bis zum legten Athemzug.“ „Friederich,“ fügt Bernold bei, „war 
ein Sohn des Grafen Ludwig und der Herrin Sophia, einer Mutterfchwer 
ſter der Gräfin Mathilde von Canoſſa, welche jelbft au fammt ihrem Ges 
mahle, dem Herzog Welf von Baiern, ſchwere Kämpfe gegen die Abtrünnis 
gen in Stalien beftand.” 

Kircheneinfluß hatte feine Verbindung mit der Erbtochter von Turin 
angebahnt. Gcheimer Zwed dieſer Ehe war, die Herrichaft über das nords 
weftliche Italien der deutſchen Krone zu entziehen. Weil fih die Sache fo 
verhielt, ruhte Kaifer Heinrih IV., wie am gehörigen Orte gezeigt wers 
den joll, nicht eher, biß er Peter, den Erben Friederichs, welcher lebtere 
im Eommer 1091 geftorben war, aus Stalien vertrieben hatte. 

Da wir das Nöthige über die Geſchichte der Grafen von Verdun, 
deren Gebiet unter der Fahne Mofellaniend ftand, ſchon früher bemerften, 
ift die Leberfiht der Zuftände Lotharingiend oder des Landes zwilchen 
Rhein, Schelde, Maas und der burgundiichen Gränze abgejchloffen. Sie 
hat den Beweis geliefert, daß in jenen Gegenden theilweile noch im 9., 
durchaus aber im 10. Jahrhundert alle größeren Lehen erblih wurden, ja 
daß einzelne der mächtigern Familien ein Erftgeburtrecht einzuführen begans 
nen. Konnte ed auch anders fein! Eeit dem Jahre 870 ftand die wäljche 
Hälfte des Landes, zwiſchen 911—925 ftand jogar ganz Lotharingien unter 
neuftriiben Herrihern; und hat nicht Kaiſer Karl der Kahle, deſſen Geſetz⸗ 
gebung in das allgemeine Capitularienrecht überging und für alle neuftris 
ichen Lande binden? wurde, auf dem Reichstage von Chierfey im Juni 877 
die Erblichfeit der Kronlehen förmlich und unwiderruflich anerfannt!’) Gleich 


1) Schoepflin Alsat dipl. Nr. 235. !) Berg V, 454. 2) Gfrörer, Sarolinger 
DL, 143 flg. u. 149. 


126 | Babft Sregorius VII. und fein Seitalter. 


den andern Großen, machten fih aud die Lotharingier das Zugeftändnif 
während der neuftriihen Herrſchaft zu Nutzen. 

Es war daher ein für die Ordnung des deutſchen Reichs gefährlicher 
Gewinn, als die Ottonen Lothringen erwarben. In der That fam jchon 
damals die Schädlichfeit des Einfluſſes, welden das neuſtriſche Eapitu- 
larienreht auf Lothringend Zuftände geübt hat, Anhängern der Regierung 
zum vollen Bewußtſein. Als Biſchof Gerhard von Kammerich, der in der 
Kanzlei Kaiſer Heinrichs II. herangebildet worden war, den ungetreuen 
Caſtellan Walter zu Ablegung eines neuen Vaſallenſchwures verpflichtete, *) 
nahm °) er in die Eidesformel die Worte auf: „ih fage ab dem Farlenfi- 
ſchen Gebraud und werde dir die Ehre erweilen, welde lotharingifche 
(deutich-lothringiiche) Ritter ihren Biſchöfen und Herrn ſchuldig find.“ 

Achnlihes berichtet *) der Ehronift von Cambray bezüglich Kaifer 
Heinrih IL: „auf die Nachricht, der neuernannte Gerhard habe den Ent- 
ſchluß gefaßt, fih von dem Rheimſer Metropoliten weihen zu laffen, drückte 
Heinrih II. feine Billigung aus, überjandte aber zugleich demſelben eine 
Abſchrift des in Deutichland üblihen Rituale, damit Gerhard nad dieſem 
und nicht etwa nad den zuchtloſen Gebräuchen der Earlenfer eingefegnet 
werde.” Mit dem Worte Carlenſer, dad durch die Erbärmlichfeit der letzten 
Karlinger einen verächtlichen Nebenbegriff erlangt hatte, bezeichnet nämlich 
deutſcher Nationalftolz neuftriiches Weſen. 

Ich füge ein dritted Beiſpiel bei, das den Gegenſatz, der obigen beis 
den Etellen zu Grunde liegt, in noch helleres Licht fell. Die Chronif 
von Et. Trond berichtet:*) „Abt Rudolf, erzogen zu Lüttich, regierte (in ber 
erjten Hälfte des 12. Jahrhunderts) das Etift Et. PBantaleon zu Cöln 
ruhmvoll. Alle Hinterfaffen des Klofters lichten ihn, weil er fie ehrenvoll 
behandelte und in jener wohlgeordneten Weiſe, welche man an den Deut 
fchen beobachtet.” Es iſt ein Wäljcher, der fo fpricht: dem fahrigen, grund» 
jaglojen Weſen feiner eigenen Nation hält er deutihe Ehrenhaftigfeit ale 
beſchaͤmenden Gegenſatz vor. Unſere Ahnen machten vor 800, ja noch vor 
200 Jahren auf fremde Völfer den Eindruck, wie ihn heute die Britten 
hervorbringen. 

An Lothars Erbe gränzte, längs der friefifchen Linie, welche oben 
nachgewiejen wurde, die altdeutiche Provinz Sachſen, wohin wir und nun 
mehr wenden. 


— — - — — — — 


1) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 147. ) Pertz VII, 481. 2) Daſ. 466: ne for- 
tasse indisciplinatis moribus Karlensium inregnlariter ordinaretur. *) Berg X, 
304 Mitte: diligebatur valde a familia ecclesiae, quod tractabat eam honorifice et Teu- 
tonicorum disciplinato more. 


Erſtes Buch. Cap. 4. Das carolingifche Sachſen. 127 


Viertes Capitel. 


Das karolingiſche Sachſen. Graͤnzen deſſelben. Kirchliche und politiſche Eintheilung. 
Die drei Metropolen, welche dort Hoheitsrechte übten: Mainz, Göln, Hamburg. Das 
Marfherzogthum Neus ober Oſt⸗Sachſen, von Dtto I. gegründet. Daffelbe erlifcht 
nach kurzem Beſtand, im Jahre 983. Nur brei Marfen bleiben übrig, welche nicht 
unter dem Banner des herzoglichen Sachſens fiehen. Neufächfiiche Metropole Magde⸗ 
burg. Gigenthümliche Verhältnifle der ihr zugewielenen Slaven⸗Bezirke. 


Nahdem Angeln und Sadjen im 5. Jahrhundert Britannien erobert 
hatten, fam die Unterfcheidung auf, daß man die in Deutichland Zurüd- 
gebliebenen alte, die Ausgewanderten junge Sachſen nannte. Diefer Auss 
drud ging in viele Chroniken ') und fogar in päbftliche Bullen über. Bon 
den verfchiedenen Echreiben, welche Gregorius II. erlich, um feinen Send» 
boten, unſern Apoftel Bonifacius, den deutfchen Völferfchaften zu empfehlen, 
it eines ?) gerichtet: „an das gefammte Volk der Provinz Altſachſen.“ 
Später ward jedoch der Gegenſatz zwilchen Alt: und Jung-Sachſen vers 
gefen, oder vielmehr durch einen andern verbrängt. Schon Carl der 
Große, der Bändiger des Volks der Altjachfen, begann unter dem Namen 
Marten feiner Eroberung Anhängjel beizufügen, zu welchen die benachbarten 
ESlavenftämme den Stoff liefern mußten. Im Kanzleiftyl der erften Hälfte 
des 9. Jahrhunderts erhielt Sachſen den Ehrentitel Königreich (regnum), 
während andere deutihe Provinzen bloß Herzogthümer genannt wurden. 
Der Wormſer Theilungsentwurf von 839 verfügt‘) über die Herzogthümer 
Moſelland, Ribuarien, Eljaß, Alamannien, Oftfranfen ſammt Swalafeld 
und Nordgau, Thüringen fammt feinen Marfen, jo wie über dad Reich 
Sachſen mit den dazu gehörigen Marken. Dieſe Marfen find vou 
den jpätern Garolingern Germaniens almählig verloren worden, aber Otto IL. 
ftellte die Echöpfung Carls in erweitertem Umfange ber. Unter ihm ent 
ftand neben dem Garolingiichen Sachſen ein neues, weitläufiges, auf jlavis 
Ihem Boden errichtetes. 

Wir haben es zunächft mit erfterem zu thun. Lebendige Schilderungen 
des altdeutihen Sachſens liegen aus dem 8. und 9. Jahrhundert vor. 
Die Ehroniften und die Gefege Earld des Großen unterjheiden drei Haupts 
theile de8 Gejammtlandes: Oftfalen, Engern, Weftfalen.*) Der Wortlaut 
verräth, daß die Oftfalen gegen Morgen, die Weftfalen gegen Abend, dems 
nah daß die Angrarier oder Engerer in der Mitte zwilchen den beiden 


1) Stellen gefammelt von Senf, die Deutfchen und ihre Nahbarflimme &. 388. 
2) Gregorius papa universo populo provinciae Altsaxonum. Bei Mürbtwein epist. s. 
Bonifacii epist. IX, ©. 25, 2) Berg I, 435. 4) Berk I, 154 u. 155 leg. I, 75. 


on an 





128 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


andern gewohnt haben müſſen. Wo die Eige der Angrarier und Oftfalen 
zu ſuchen, zeigt eine Stelle der Chronif!) Einhards zum Sahre 775: 
„Carl drang bis an die Oder vor, da erjchien der ſächſiſche Fürft Heſſi mit 
allen Oftfalen und ftellte Geißeln. Als der König dann, auf dem Rückmarſche 
begriffen, im Gau Budi anlangte, famen die Angrarier herbei und Huldigten 
gleichfalls." Mittelpunkt der Oftfalen war alfo die Oder, welche befannts 
ih in die Aller fih ergießt. Der Gau Budi, heute noch kenntlich in dem 
Etadtnamen Büdeburg, liegt an ver Weiler. Dort faßen demnach die 
Angrarier. Weſtlich von ihnen erftredten fih die Sige der Weftfalen. 
Beſonders belehrend ift eine Stelle?) des fogenannten fächfiichen Dichters: 
„das Volk der Sachſen zerfällt in drei Mafjen: gegen Abend wohnen bie 
Meftfalen, und nicht weit vom Rheine entfernt ift ihre Landesgränze; gegen 
Eonnenaufgang figen die Ofterleute, auch Oſtfalen genannt, zur Seite der 
Slaven, die oft das Gebiet diefer Nachbarn verwüflen. In der Mitte 
zwiſchen beiden ift der dritte Stamm Sachſens angefiedelt, die Völkerſchaft 
der Angrarier. Nördlich gränzt das Eadjenland an den Ocean, fürlid 
an das Gebiet der Franken,“ d. h. an die von den Franken eroberten mittel 
deutſchen ‘Provinzen. 

Wir haben hiemit den Umfang des karolingiſchen Sachſens Fennen gelernt, 
jedoh nur im Rauhen oder Großen. Bon einer Linie an, die nicht weit 
vom Rheine abjtand, aber erjt näher bejtimmt werden muß, bis gegen bie 
Weſer hin, faßen vie Weftfalen, auf beiden Seiten der Weler die Angras 
rier, von da weiter die Oſtfalen. Nördlich ftieß dafjelbe Gebiet (doch wie 
fich fpäter ergeben wird, nicht längs der ganzen Gränzftrede) an den Ozean, 
füdlih an das deutſche, von den Karlingern, zum Theil fchon von den Ne 
rowingern eroberte, Francien. Nur die Oftgränze ift noch zu ermitteln, fie 
ward durch einen Theil des Laufed der Eaale und der Elbe gebilbet. 
Mehrfach melden’) die Chronifen, König Carl habe ganz Sachſen von ber 
Weſer bis zur Elbe verheert; eben biefelben unterjcheiden‘) zwifchen norbis 
Ihen Sachſen, welche jenfeitS der Elbe, und ſüdlichen, welche dieſſeits woh—⸗ 
nen. Die Elbe muß aljo eine Echeidelinie gebildet haben. Bon den 
nördlichen Eadjen wird unten die Rede fein. 

Weiteres Licht verbreiten zwei Stellen der Chronifen Einharbs und 
Adams von Bremen. Erjterer %) fchreibt zum Jahre 784: „durch This 
ringen vorbrechend, gelangte der Franke Carl in das Blachfeld der Eachien 
längs der Elbe und der Saale, und verheerte jofort das ganze Gebiet der 
Oſtfalen.“ Wie jchon an einem andern Orte bemerft worden, denft®) fich der 





') Berk 1, 155. 2) Ibid. 1, 228 Mitte. Denique Wesfalos vocitant in parte 
manentes Occidua, quorum non longe terminus amme Rheno distat. ) Berg L 
185. 191. 351 u. 353. *) Perg I, 167. °) Pertz VII, 284. 


Erſtes Bud. Gap. 4. Das carolingifche Sachfen. 129 


Geſchichtſchreiber von Bremen Sachſen als ein Dreied: der eine Schenfel 
reiht weftlih bis gegen den Rhein hin, der andere öftlich längs der Elbe 
bis zu einem Punkte der Saale, der unten näher beftimmt werden foll; ber 
dritte, welcher das Dreieck fchließt, Iauft wieder von der Saale zum Rhein. ° 
Mit heutigen Landkarten verglichen, erfcheint dieſe Darftellung etwas phan⸗ 
taftiih, doc, fieht man was Adam will, und daß er im Ganzen doch Recht 
bat. Elbe und Saale ſchloßen auf gewiffen Punkten Sachſen gegen DOften 
und Südoften ab. 

Dreigigiährige Kämpfe Foftete befanntlid Sachſens Eroberung den 
Stanfen. In dem Maße, wie das fchwierige Werk vollbradt ward, gab 
der große Earl dem Lande eine neue Organijation, deren Grundlage Biss 
thümer waren. inftimmig jagen‘) Abt Eigil und Rimbert, die Biogras 
phen des erften Vorſtehers von Fuld Sturmi und des nordischen Apoftels 
Ansfar: „nachdem Carol die Sachſen mit der Schärfe des Schwerts bes 
zwungen hatte, theilte er das ganze Land in bifchöflihe Eprengel.” Die 
Stühle, welche in ſolcher Weife gegründet wurden, find Halberftabt, Bres 
men, Hildesheim, Verden, Minden, Osnabrüd, Paderborn, Münſter. 
Außerdem erhielten Antheil an der ſächſiſchen Erwerbung die älteren Erz 
ſtifte Eöln und Mainz: und zwar einen beträchtlichen jenes, einen Fleineren 
letzteres. Die oben entwidelte dreifache Gliederung der Sachſen in die 
Stämme der Weftfalen, Engerer, Oftfalen, bat fichtlihen Einfluß auf bie 
YAusftattung der neuen Bisthümer geübt. Weſtfalen fiel an die Stühle 
von Münfter und Eöln, ein Stück an Osnabrüd. Auf engriihem Boden 
lagen die Bisthümer Paderborn und Minden ganz, und größere oder klei⸗ 
nere Stüde von Hildesheim, Verden, Bremen. Oftfalen oder dem öftlichen 
Sachſen gehörten die Hochftifte Halberftadt ganz, Verden und Bremen dem 
größten Theile nad an. 

Haben die oben angeführten Zeugen Recht mit der Behauptung, daß 
der große Karol ganz Sachſen in Bisthümer zerlegte, fo muß fich ber 
Umfang des gelammten Landes nach den Gränzen der Sprengel bemefjen 
laſſen. Wirklich ift Letzteres der Fall, wie ich fofort nachweiſen werde. 
Indeß jcheint, um Mißverftänpnifien vorzubeugen, die Vorbemerkung nöthig, 
daß unfere Aufgabe nicht ift, die Gränzen der einzelnen jächfiichen Bis⸗ 
tbümer gegen einander, fondern mit ihrer Hülfe die der ganzen Provinz 
zu beftimmen; weßhalb nur ſolche den ſächſiſchen Stühlen untergebene Orte 
in Betracht kommen, welche nicht⸗ſächſiſches, d. h. Dänisches, ſlaviſches, 
deutichfränfifches, ribuariſches und friefiihes Gebiet berühren. 

Wie oben?) gezeigt worden, endete das nordjächfiiche Erzitift Bremen 
gegen Weften mit jenen fleben ehemals frieftihen Gauen, welde der große 

1) Berg U, 376 n. 6986. °) ©. 28. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. J. 9 


130 BabR Gregorins VIL und fein Zeitaller. 


Garol zugleich dem eben genannten Stuhle und dem Lande Sachen einver- 
leibt hatte. Nun folgten in ver Richtung von Oft nad Welt die fünf unter 
firchlihe Hoheit des Bisthums Münfter geftellten friefiihen Gaue. Ob⸗ 
gleich der Kirchlichen Aufficht des weftfäliichen Hirten zugeordnet, galten fie 
doch nicht für Beſtandtheile Sachſens. Der Scholiaft Adams zählt fie ja 
zum übrigen, d. h. zum nichtjächfiichen oder eigentlihen Yriesland. Auch 
hingen fie räumlich gar nicht mit dem weftfälifchen Gebiet von Münfter 
zufammen, denn von der Südweſtgränze des Hocftift Bremen zog ſich 
der Sprengel von Osnabrück, erft die fünf genannten Gaue, dann das 
große frieftihe Hochſtift Utrecht begränzend, bis nad Nordhorn an der 
Vechte hin.) Beim ebengenannten Orte ftießen die Graͤnzen dreier Bi 
thuͤmer, jenſeits des friefiichen von Utrecht, dieſſeits die der beiden Stühle 
von Osnabrück und Münfter, zufammen, und von nun an bildete in ber 
Richtung von Nordoft nad Südweſt der Münfterer Sprengel die Scheibe 
gegen den Utrechter. Nachweisbare) Gränzorte des erfigenannten Kirchenge 
biets find (naͤchſt Nordhorn) Brandlecht, Gilvehaus, Gronau, Epe, Alſtede, 
Vreden, Neede, Geefteren, Hengelo, Zellem, Silvelde, Anholt, Iſſelburg. 

Bei Iſſelburg ftießen abermals vie Grängen dreier Bisthümer, die 
friefiihen von Utrecht, die ribuariihen von Cöln, die weftfältfchen von 
Münfter auf einander. Stimmt das nicht trefflich zu dem, was früher) 
dargethan worden, insbeſondere zu der Stelle aus dem Leben des h. Liud⸗ 
gar, laut welcher an ver fiel ein Punkt war, wo die Gebiete der Franken 
(und Frieſen), jo wie der Sachſen (Weftfalen) fi) berührten! Bon Iſſel⸗ 
burg an z0g die Gränze des Hochſtifts Münfter, nad Süden umbeugend, 
in der Richtung von Nordweſt nad) Südoft, parallel dem Rheine, aber 
doch ſtets einige Stunden von ihm entfernt, nad Schermbef an der untern 
Lippe, und folgte von da diefem Fluſſe hinauf bis zu der Stelle, wo ber 
Bach Glene in erfteren mündet. 

Durch die münfterjche Linie von Iſſelburg nad) Schermbef entfleht ein 
ſchmaler Streifen, gelegen zwilchen ihr felbft und dem Rhein, ein Streifen, 
jage ich, der ausgefüllt ward durch die zum Cölner Eraftift gehörigen Kind: 
fpiele Wefel, Reed, Hamminfel, Helveren, Millingen, Biene und Iſſel⸗ 
burg jelbft; denn der legtgenannte Ort war, als auf dem linfen Ufer der 
fiel gelegen, dem Gölner Sprengel einverleibt.) Nun fagt der fächfiche 
Dichter, daß Weſtſachſen (oder Weftfalen) zwar dem Rheine fich nähere, 
aber doch nie denjelben erreiche; demnach muß zwiſchen der Weſtgraͤnze 
Weitfalend und dem Strome eine fchmale Strede übrig geblieben jein. 


*) Die biplomatifchen Beweife aus Urkunden vom 10-15. Jahrhundert zufammen: 
geftellt von Lebebur, Land und Volk der Brufterer ©. 15 fig. 7) Oben ©. 24. 
2) Lebebur a. a. D. ©. 19 u. 59. 


Erſtes Bub. Gap. 4. Das carolingiſche Sachſen. 1341 


Einen Heinen Theil dieſes Mittelgebietd haben wir in den aufgeführten 
Eölnishen Kirchipielen kennen gelernt. Aber der Ausdruck des Poeten ift 
allgemein, er fann nicht auf jene paar Orte beichränft, fondern muß auf 
die ganze Weftgränzge Sachſens bezogen werben. Folglich fagt entweder 
der Poet eine Unwahrheit, oder erftredte der bei Sffelburg beginnende 
Streifen fi länger den Rhein hinauf. 

Der Poet hat Recht, und feine Worte ſetzen uns in Stand, die auf 
dem rechten Ufer des Rheins gelegenen ribuariihen Theile des Gölner 
Erzftifts zu beftimmen. Ganz Deutihland war bis ins 11. Jahrhundert 
hinein, wie firhlih in Pfarreien, Defanate, NArchiviafonate, Bisthümer, 
jo politifch in Centen, Gaue, Grafſchaften und Herzogthümer gegliedert. Die 
zwilchen der Schermbeder Linie und dem Rhein erwähnten Kirchipiele haben 
vermuthlich einen eigenen Gau gebildet, indeß hat man bis jeht feinen 
Kamen noch nicht entdedt,*) dagegen fennt man die alten Bezeichnungen 
anderer Gaue, die weiter gegen Süden längs dem rechten Ufer des Rheins 
ſtroms ſich erſtreckten. Zwei Urkunden ?) aus den Jahren 904 und 910 
erwähnen die Gaue Duisburg und Kelda, von denen der erftere durch 
bie Dertlichkeit der Stadt Duisburg beftimmt wird, der andere bei Kaiſers⸗ 
werth lag. Sie waren vielleiht nur Abtheilungen des großen Ruhrgaus 
als defien Mittelpunft die Abtei Werden erfcheint. Diele Urkunden’) ges 
denfen deſſelben und zwar mehrmald mit dem Belfag, daß er Ribuarien 
angehörte. 

Weitere ribuariihe Gaue auf dem rechten Ufer des Rheins find ver 
Hatterun⸗ oder Hettergau, in weldem die Drte Münbelheim am Rhein 
(füplih von Duisburg), ferner Mühlheim, Styrum und Herbeve an der 
Ruhr angeführt werden,*) dann der Avelgau, der, fo fcheint ed, die Strede 
zwiſchen den Klüffen Sieg und Wied umfaßte. Laut alten Rachrichten®) 
lagen in ihm Filich (gegenüber von Bonn), die heutigen Bürgermeiftereien 
Ober⸗Pleis und Udrath, Schöndorf, Eſchmar, Königswinter. Durch Urs 
funde vom 13. Dez. 1096 verlich Erzbifhof Herrmann von Cöln die Des 
fanie im Avelgau dem vom Metropoliten Hanno gegründeten Klofter Siegs 
burg, was zugleich als Beiſpiel dienen mag, daß Defanate und Gaue 
einander dedten. Mit dem Nvelgau jchloß der ribuariiche Antheil des 
Gölner Erzſtifts. Jenſeits begann das auf dem rechten Ufer des Rheines 
gelegene Gebiet von, Trier.) Eine Bulle’) des Pabſt's Gregor V. vom 
24. Mat 996 ift vorhanden, worin es heißt: „das Frauenkloſter Filich ſei 


1) Ibid. ©. 60. 2) Sacomblet I, Nr. 83 u. 85. 3) Ibid. 26. 29. 37. 39, 
50. 57. 58. 205 vgl. mit ibid. 31. 36. 38. 47. 51-54. 60-62. 326. ®%) Ibid. 
Mr. 207 un. Lebebur a. a. D. ©. 158. 5) Lacomblet Nr. 103. 107. 111. 126. 210. 
Ledebur ©. 169. 6) Ledebur a. a. O. ©. 169. Lacomblet I, Nr. 126. 


132 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


gelegen in der Grafichaft des Pfalzgrafen Herimann, im Gau Avelgowe, 
im Eprengel ded Erzbiihofs Everger von Cöln.“ Solche ausführlid« 
Drtsbeftimmungen find jonft nicht häufig. 

Nun zurück nah Sadfen. Das ganze Bisthum Münfter gehörte inner- 
halb der oben angegebenen Nord, Süd⸗ und Weftgrängen dem Lande Weit 
falen an. Altfried jagt‘) in der Lebensbeſchreibung des h. Lindgar: „König 
Carol beftellte Liudgar zum erften Hirten der Weftfachien (der Weftfalen), 
und wies ihm den Ort Mimigerneford (die Stadt Münfter) zum Biſchofs⸗ 
fite an.” Außerdem werden viele Orte des Münfterlandes urkundlich ale 
in Weitfalen gelegen aufgeführt.) Aber auh das Ersftift Cöln erhielt 
einen großen Theil Weitfalend, nämlidy die ganze Strede, welche gegen 
Norden dur die Lippe und das auf ihrem rechten Ufer liegende Münſteri⸗ 
Ihe Bisthum, gegen Süden durch das Ebbe und Rothhaargebirge, gegen 
Weſten over dem Rhein zu, durch die oben aufgezählten ripuarifchen Gaue 
begrängt wird. Die Cölniſche Hälfte Weftfalens beftand aus zwei Lant: 
haften: dem großen Bruftergau und dem jogenannten Südlande Chod- 
deutih Sauerland geheißen.. Als im wejtfäliihen Bruftergau gelegen, 
ericheinen urfundlich feit dem 9. Jahrhundert Pierbede‘) und Gaftrop*) bei 
Dortmund; Stofum (im Kirchipiele Heringen), Hemmerde und Mühl; 
haufen (bei Unna); dann um Soeft die Orte Ampen, Schmerlede und 
Geſecke;) endlih dem Rheine zu der Hof Erenzell,‘) in deſſen Nähe vie 
Abtei Eſſen fi erhob. 

Klar ift: unter dem Worte Bruftergau verftand man das Land vom 
Iinfen Ufer der oberen Lippe zur Ruhr hinüber. Deßgleihen umfaßte der 
andere Bezirk, oder das weftfäliihe Süderland, die Gegenden der Ruhr mit 
ihren füdlichen Nebenflüffen, Möhne, Lenne, Bigge bis an das oben be 
ichriebene Rothhaargebirge hin. Jenſeits des letzteren lag fränfiiche Erde, 
unter firdhlicher Hoheit des Mainzer Hochſtifts. Zuweilen werben Orte, die 
dem Gölniichen Süderland und Bruftergau angehörten, einfach als in Weft- 
falen gelegen aufgeführt. ”) 

Die Alten, weldhe aus den Zeiten des Erzbiſchofs Hanno auf und 
gefommen find, liefern genügende Beweile, daß er innerhalb der nadıge 
wiefenen Gränzen des Cölner Sprengeld nicht nur als Kirchenhaupt, fon- 
dern guten Theild jelbft ald Grundherr geamtet hat. Unter den Befigungen,*) 





') Berk IL, 411. 2) Redebur a. a. D. ©. 27. 7) Lacomblet I, Ar. 38. 
*) Ibid. Nr. 48. 6) Den Nachweis bei Lebebur a. a.D. ©. 34 fig. 6) Lacomblet 
L, Nr. 109 vgl. mit Ledebur ©. 34 Note 183. 1) 3.8. Urkunde von 997 (Lacom⸗ 
blet L Nr. 129.) Trotmannin (Dortmund) in pago Westfalon, ebenfo die Orte Kiflich 
(bei Brilon) und Mefchebe, Kefliki in pago Westfalon, Meschede juxta flurium Rura 
in partibus Westphaliae bei Ledebur a. a. O. ©. 149 Note 527. 9) Lacomblet L 
Ar, 202 fig. beſonders ©. 132 Note 2. 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingifche Sachfen. 133 


mit tenen er 1064 das von ihm gegründete SKlofter Siegburg außs 
flattete, finden ſich Drte aus allen Theilen des Hochſtifts. Cine der 
anjehnlichiten Stellen unter den größeren Gemeinden des Cölntihen Wefts 
falens nahmen ohne Frage die Städte Dortmund und Soeft ein; wie oft 
wird jenes in kaiſerlichen und kirchlichen Aften erwähnt! Soeft aber hat, 
dem Vorbilde Cölns folgend, zuerft im weftlichen Sachſen bürgerlicher Freis 
beit einen feften Heerd bereitet. Die älteften Statutarrechte von Soeſt 
reichen‘) bis ins Jahr 1120 hinauf, und noch im Laufe des 12. Jahrhun⸗ 
derts verlieh der aus Baiern nah Nordſachſen vertriebene Welfe, Heinrich 
der Löwe, feiner Stadt Kübel das Recht von Soeft. Nun eben über beide 
Hauptorte des Cölniſchen Weftphalens übte Hanno Befugniffe kirch⸗ 
liher Hoheit. Durch Handvefte) vom 3. Oftober 1074 fchenfte er dem 
Eunibertsftifte zu Coͤln, als Erſatz für andere durch einen feiner Vorgänger 
demjelben entzogene Nutzungen, gewiſſe Gefälle zu Soeſt. Deßgleichen 
widmete ebenderfelbe durch Urkunde’) vom 29. Zuli 1075 dem @ölner 
Gollegiatitift Maria ad gradus außer andern Gütern die Mutterfirche zu 
Dortmund. 

So bedeutend war der Cölnifhe Antheil Weftphalens, verglichen mit 
ienen Ffleinen ribuariſchen Gauen auf dem rechten Ufer des Rheinſtroms, 
und fo nahe reichte die zweite oder münfterifche Hälfte defielben Landes an 
den nämlihen Strom, daß man von den dazwilchen liegenden Gauen 
ablab, und wenn von dem öftlihen Gebiete Cölnd die Rede war, nur an 
Meitfalen dachte. Alſo geſchah es, daß fchon im 10. Jahrhundert der 
Gebrauch auffam, Weftfalen zwiſchen Rhein und Weſer zu verlegen, erſte⸗ 
ren Strom für die Weft-, den anderen für die Oſtgränze des meftfälifchen 
Sachſens zu erflären. Eine Lebensbejchreibung der h. Ida iſt auf uns 
gefommen, welde ein Mönch in den Zeiten Dtto’8 II. verfaßt hat. Der; 
jelbe behauptet,*) unter Carl dem Großen jei ein Herzogthum beftanden, 
„das alle zwiichen Rhein und Mefer wohnenden Sachſen begriff.” Der 
biftorijche Theil vieler Ausjage ift grundlos, aber nicht der geographifche. 
Wäre ed nicht üblich geweien, Sachſen bis an den Rhein auszudehnen, fo 
hätte der Mönch nicht fo ſprechen fönnen. Seit dem 13. Jahrhundert 
vollends begriff man allgemein?) unter dem Worte Weftfalen das Land 
zwiſchen Wejer und Rhein: der urſprünglich ribuariihe Charakter jener 
mittleren Gaue war vergefien. 

Aber nicht ebenſo verhielt es fih mit den auf dem linfen Ufer des 
Rheins gelegenen Theilen des Cölner Erzftifts, oder mit dem ebendajelbft 
errichteten Herzogthum Ribuarien-Brabant. Das Andenfen, daß diefe Lande 





!) Erhard regesta Westphaliae I, S. 228 Nr. 1456. ) Lacomblet I, Nr. 218. 
%) Ibid. Nr. 220. *) Berg I, 571.  *°) Die Belege bei Ledebur a. a. O. S. 9 Nr. 26. 


134 Pabſt Gregorius VIEL. und fein Zeitalter. 


urfprünglih Ribuarien hießen, blieb wach, und fpiegelt ſich in einem Aus: 
drude ab, der in die Volksſprache überging. In deutichen Gedichten heißt 
feit dem Ende des 11. Jahrhunderts der Ueberrhein Rifland,*) weldes 
Wort ohne Frage eine bequeme Umformung von Ribuarien, Rib⸗ ober 
Rifwarenland if. Auch Iateinifch gefchriebene Denfmäler fpielen auf die 
deutfhe Benennung an. Der Unbefannte, welcher ven Sachſenkrieg Hein 
rich's IV. in lateinifhen Werfen befchrieb, bezeichnet‘) die zum Herzogihum 
Brabant gehörigen Städte Nymwegen und Thiel (auf Betuwe) als urbes 
ripheae. M 

Wir haben nunmehr die Dft-, die Nord» und die Weſtgränze des 
Garolingifchen dieſſeits der Elbe gelegenen Sachſens beftimmt: ift aljo noch 
übrig, daß auch die Markicheide gegen Süden nachgewieſen werde. “Der 
Erfolg wird zeigen, daß durch Loöſung der letzteren Aufgabe zugleich bie 
Gränze einer zweiten großen Provinz, welche jchon ver jächflihe Poet in 
den Süden Sadjend verfegt, nämlich der Francia teutonica ober des 
deutihen Franciens and Tageslicht -hervortritt; denn von dem oberen 
Lahngebiet an fließen die Gränzgen Sachſens und Franciens bis zur 
Saale und Unftrut aufeinander, Wir erreichen daher mit einem Schlage 
zwei Zwede, was um jo vortheilhafter, da die Natur des Gegenftands, 
dem vorliegendes Werk gewidmet ift, eine Nöthigung im fich fchließt, nicht 
nur die Ausdehnung der überrheinifchen Herzogthümer und Sachſens, jon- 
dern auch die Gränzen Franciens, Alamanniens, Baiernd und Kärnthens 
zu ermitteln. 

Den Rheinftrom aufwärts ſchloß das Cölner Erzftift, wie oben ge 
zeigt worden, mit dem Avelgau, ver bis gegen das Heine Flüßchen Wied 
hinreichte. Jenſeits auf dem linfen Ufer begann in bortiger Gegend ber 
Sprengel von Trier. Sollte nun dieſes Hochftift nicht auch, gleich dem 
Cölner, auf der rechten Seite ded Stroms mit einer Heineren oder größe: 
ren Ausftattung bedacht worven fein, zumal da das Wohl des Reichs eine 
gleihmäßige Begünftigung der drei Erzftühle des Rheins und der Moiel 
in der Art forderte, daß Rückſicht auf den eigenen Bortheil fie antreiben 
mußte, die beftehende Ordnung der Dinge zu vertheidigen und im Gange zu 
erhalten? Die Frage muß bejaht werden. Gegen Süden fließ am ben 
Avelgau der Engers- oder Ingerdgau, welcher urfundlid ) die Streden 
von Linz am Rheine bis zur Lahnmündung, und dann oſtwärts bis zur 
oberen Sieg hin umfaßte. Eben diefer Engerdgau aber war dem Trierer 


t) Die Belege gefammelt bei Floto, Kaifer Heinrich IV., Vd. IL, ©. 431 unten flg. 
2) Den Nachweis bei Levebur a. a. D. ©. 56 Note 251, und Kremer, rheinifches Frans 
cin ©. 142 flg. 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingifche Sachſen. 135 


Sprengel einverleibt und bildete ein befonderes Dekanat, das von dem 
Archidiakonat zu Dietkirchen abhing. 

Länge der Lahn, von ihrem Ausfluffe in den Rhein bis hinauf zu 
ihren Quellen, erftredte fi der Lahngau, einer der größten des weftlichen 
Deutichlands, der wegen feiner Ausdehnung von jeher in zwei Hälften, 
den obern und den untern Gau, getheilt war. Schon Urkunden‘) des 9. 
und 10. Jahrhunderts Fennen dieſe Unterfcheidung, obgleich fie nur Selten 
angewendet wird, denn gewöhnlich fagen die Pergamente im Allgemeinen, 
der und jener Drt gehöre dem Lahngau an. Der untere Theil dieſes Lahn⸗ 
gaues, welcher auf feiner Rorbfeite an den vorgenannten Engersgau grängte, 
umfaßte?) mit feinen Nebengauen Einrih, Haiger und Erdede das Ges 
biet am Rheinftrome bin, von der Lahnemündung bis zum Visperbacdhe und 
dann landeinwärtd die Umgegenden von Limburg, Hadamar, Weilburg, 
Wetzlar, Montabaur, Wefterburg, Gießen, Herborn, Hager, Dillenburg. 
Diefe ganze Strede aber gehörte zum Hodftift Trier und bildete Das 
Arhidiafonat Dietfirhen, das eine Reihe Defanate zählte, von denen ich 
nur zwei, Weblar, dann Marienfelö, den Eirchlihen Mittelpunft des Eins 
rihgaues, namhaft machen will. 

Wahr ift e8: die Thatfahe, daß der Trierer Sprengel ſich in ſolchem 
Umfange auf das rechte Ufer des Rheins hinüber ausvehnte, kann nur 
aus Arcidiafonats-Regiftern erhärtet werben, die zum Theil erft gegen das 
Ende des 14. und 15. Jahrhunderts abgefaßt find. Dennoch ift unzwei⸗ 
felhaft, daß dieſelbe Abgränzung im Wefentlihen rüdwärtd bi zum 
9. Jahrhundert beftand. Laut einer noch ungedrudten Urkunde’) hat Erz 
biſchof Bertholf von Trier im Jahre 878 das neugegründete Klofter Ges 
münden (zwiſchen Driedorf und Wefterburg) eingeweiht; auch wird im näm- 
liben Pergamente ausprüdlich bemerkt, daß Gemünden ſchon in den Zeiten 
des Metropoliten Hethi, der 847 ftarb, unter dem Krummftabe von Trier 
ftand. Ferner bat Kaifer Conrad II. dem Trierer Stuhl den Grafenbann 
zu Marveld (Marienfeld) im Gaue Einric verliehen; Conrads Sohn 
aber, der Ealier Heinrich III., beftätigte die Schenkung durch Urfunde*) 
vom 13. Sept. 1039. Marvels ift derſelbe Ort Marienfeld, der bis ine 
vorige Jahrhundert herab Sig eines Trierifchen Defanatd war. Im Jahre 
1141 ftiftete Gräfin Clementia von Glizberg, auf den Rath des Erzbiichofs 
Aralbero von Trier (ald des Haupts der betreffenden Diöcefe), die Pfarrei 





1) MWend, Heifiiche Landesgefchichte II, 424 Note b u. 431 Notem oben. ?°) Wenck 
a.a. ©. II, 444 flg. Hontheim hist. trevir. diplom. I. 70 flg. Kremer, rheiniſches 
Krancien S.58—863, 122 flg. Lebebur a. a. D. ©. 54. 32) Kremer rheinifches Frans 
cin S. 60. 9) Böhmer Reg. Nr. 1451. 


136 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. + 
Schiffenberg, welche ſüdlich von Gießen Liegt. Durch Urkunde‘) vom Jahre 
1162 beftätigte Metropolit Hillin von Trier die Stiftung. Der nämlide 
Metropolit gemwährleiftete durdy Handvefte ) vom Jahre 1163 dem Kiofter 
Arnftein bei Naffau den Befig gewiſſer im Einridy gelegenen Güter, welde 
von vornehmen Gönnern der Abtei geſchenkt worden waren. 

Die Gränze Franciend gegen das Cölniſche NRibuarien und Weftfalen 
begann demnad auf dem Boden des Erzftiftd Trier mit dem Engerögau, 
und z0g längs dem Cölniſchen Eüderland nad der mittlern Lahn bin. 
Weiter aber ward die Echeivelinie Sachſens bis zur Saale durch die Nord» 
gränge des Mainzer Erzftiftö geregelt. Zum Mainzer Sprengel gehörte 
erftlih der obere Lahngau, welcher firhlih in zwei, mit den Mainzern 
Eolegiatftiften St. Stephan und St. Johann verbundene Archidiakonate 
eingetheilt war.) Mit eben dieſem Oberlahngau beginnt eine Landſchaft, 
welche feit dem Anfang des 8. Jahrhunderts den Ramen Heſſen empfängt,*) 
welcher bis auf den heutigen Tag geblieben if. Als urſprüngliche Hei⸗ 
math der Heſſen erſcheint) das Gebiet von der Werra zur Fulda, zur Ever, 
zur Diemel. Dafjelbe zerfiel in zwei Hauptgaue, den fränfifchen und den 
ſächſiſchen. Jener begriff dad Land von Heröfeld bis zur Vereinigung ber 
Fulda und der Werra in der Richtung von Süd nad) Nord, und von ben 
Quellen des Sonderbadhes bis Mengeringhaufen, in der Richtung von Of 
nah Welt. Der ſächſiſche Heffengau begann auf dem linfen Ufer der Fulda 
unweit der heutigen Stadt Kaffel, folgte dem Etrom bis zur Bereinigung 
mit der Werra, dann der Weſer bid Beverungen, beugte bier links ab 
gegen dad Eggegebirg, und reichte hinauf bis an die obere Diemel. 

Daß der fränfiihe Theil des Heſſen-Baus zu Mainz gefchlagen wurde, 
tft in der Ordnung, aber als jeltene Ausnahme erfcheint ed, daß auf 
ein gutes Stück des ſächſiſchen Heſſens das gleiche Schidjal hatte, während 
doch der ganze Gau auf engeriihem Boden lag, und engerifches Recht be 
folgte,) weßhalb er der jonft üblichen Regel gemäß dem engeriichen Spren 
gel von Paderborn hätte zugetheilt werden jollen. Dem Mainzer Spren 
gel waren nämlich einverleibt außer dem ganzen fränfiihen Heflengau, 
vom ſächſiſchen die füdlihen auf dem linken Ufer der Weſer gelegenen 
Streden. Für jenen bildete das Archidiakonat Friglar,. für den Mainzi⸗ 
ſchen Antheil des Letzteren bildete das Ardidiafonat Hofgeismar den kirch⸗ 
lichen Mittelpunft.®) 

Entiprechend dieſer Gliederung der Gränzgaue hatte die Mainziſche 


1) Kremer a. a. O. S. 57, Notei, wo bie Urfunden nachgewieſen find. *) Hontheim 
hist. trevir. diplom. I, 599. 3) Die urkundlichen Belege bei Wend a. a. O. IL 
423 flg. 9) Zeuß, die Deutfchen ©. 347. 6) Wend a. a. DO. II, 369, Note a und 
371 flg. °) Wend IL, 396 flg. und 380 fg. 


Erfie Bud. Gap. 4. Das carolingifhhe Sachen. 137 


Scheidelinie gegen die fächfifchen Bisthümer Cöln und Paderborn folgende 
Geftalt: länge dem Oberlahngau Tagen den Mainzifhen Kirchipielen 
Rengershaufen, Habfeld, Arfeld, Rumland, Berleburg, Hilgenbach, Müßen, 
Litphe, Crombach, (welde von den Defanaten Battenfeld, Arfeld, Rumland, 
Netphe, Siegen abhingen) die füderländifchen zum @ölner Hochſtift gehöris 
gen Ortichaften Oberkirchen, Schmalenberg, Lenne, Oberhunden, Hemd» 
berg, Brachthauſen, Eilberg, Benolfe, Altbaum, Wenden, Otſingen gegens 
über‘); andererſeits gehörten zum Mainzer Antheil des fächfifhen Heſſens 
die Orte Zierenberg, Elfingen, Geismar, Grevenftein, Gottesbüren; zum 
Paderborner Sprengel dagegen eine Reihe unter den jenfeitigen Defanaten 
Barburg, Helmershaufen, Horhaufen ftehender namentlich befannter Orte. ) 

Unfern Beverungen überſchritt) die Mainziihe Scheibelinie den Wefer: 
from, und jchnitt abermal eine gute Strede fächftfcher Erde ab, die eigent⸗ 
lih vermöge ihrer natürlichen Lage zum Bereiche des Hochſtifts Hildesheim 
gehört hätte. Das abgefchnittene Stüd begriff die Gaue: Leinegowe, 
Sufbergi, Rettigow, Lisgo und die fogenannte Duderſtädter Marke; eben 
daffelbe war Eirdhlich in die beiden Archidiakonate Noerten und Eimbeck ein- 
getheilt, unter denen viele namentlich befannte Pfarreien fanden.) Auf 
die neuere Geographie übergetragen, umfaßte der fragliche Einjchnitt das ganze 
Fürſtenthum Göttingen und die fübliche Abdachung des Harzes, insbeſon⸗ 
dere aber die Orte Daffel, Eimbeck, Oſterrode, Salzderheld, Moringen, 
Nordheim, Uslar, Nörten, Göttingen, Dransfeld, Dubderftadt, Münden 
an der Wefer, Hedemünden an der Werra, Etadt Worbis.) Ich bemerfe 
im VBorbeigehen, daß durch diefe Anordnung die Gränze des Mainzer Erz 
ftifts bis in die Nähe des Klofterd Gandersheim gerüdt ward. 

Auf der öftlihen Seite der eben befchriebenen Ausbeugung hatte Die 
Mainzer Scheidelinie das Bisthum Halberftadt erreiht. Da wir nun nicht 
nur eine alte Begränzung des legteren Hochſtifts befigen, ſondern auch Die 
Mainziſchen Archidiakonate im benachbarten Thüringen fennen, läßt ſich der 
fernere Lauf der ſächſiſch-fränkiſchen Markicheide bis zu ihrem öftlichen Ends 
punft von zwei Seiten aus beftimmen. Eine Bulle,*) kraft welcher Pabſt 
Benebift VII. im Einverftändniffe mit Kaifer Heinrih II. um 1020 den 
Umfang des Halberftänter Hochftiftd regelte, bejagt: „das genannte Bis: 
thum folle reihen die Saale hinauf, bis zu dem Drte wo die Unftrut 
einmündet; ferner hinauf die Unftrut bis zum Einfluffe der Helme, und 
dann von lebterer bi8 zum Fuße des Harzgebirges, das Sachſen und Thü- 
ringen jcheidet.” Mit diefem Gebirge ftieß die Halberftänter Gränze auf 


ı) Ledebur a. a. D. ©. 150 fig. ?) Daf. ©. 131 fig. 5) Wenck a. a. O. 1, 
350 flg. und ibid. Urkundenanhang ©. 492 fig. die Archidiakonats⸗Regiſter. *) Bei 
Leibnitz script. bransric. UI. 121. 


138 Pabſt Gregorins VL und fein Zeitalter. 


den oben beftimmten Punkt der Mainzer Scheivelinie. Denn von der Of 
feite jener, die vier engerifchen Gaue Leinegowe, Sulbergi, Rettigo, Lisgo 
fammt der Duderſtädter Marfe umfchließenden, Einbeugung an rüdt das 
Mainzer Hochſtift weiter öftlih nad Thüringen, und umfchließt ſofort Diele 
ganze Landſchaft. Was verftand man nun im 9. bis 11. Jahrhundert 
unter Thüringen? Die Quellen geben genauen Beſcheid. 

Einhard fagt ') im Leben Carls des Großen: „bie Saale fcheidet 
Thüringen vom Lande der Sorben.” Auf dem rechten Ufer des Fluſſes 
faßen nämlich die Sorben, auf dem linfen die Thüringer. Frägt man weis 
ter wie weit hinauf an der Saale Thüringer wohnten? fo findet ſich bie 
Antwort bei dem Lombarden Liutprand, welcher fchreibt:) die Gegend von 
Merjeburg fei ed, wo Slaven, Sadjen und Thüringer zufammenftoßen. 
Gegen Weften wird Thüringend Gränze durch den Hersfelder Ehroniften 
Lambert beftimmt, Taut deſſen Zeugniß‘) die Werra Thüringen von Heſſen 
ſchied. An den Urfprüngen der Werra erhebt fih das Thüringer Walb: 
gebirg, das ſchon im 11. Jahrhundert, wie heute noch, als Echeibelinie 
Thüringens gegen Südweſten angefehen wurde.*) Bezüglich der Nordgränze 
Thüringens liegen zwei Ausjagen vor: in der Geſchichte der Verſetzung des 
b. Alerander wird zu verftehen gegeben:°) „die Unftrut habe einen Theil 
Thüringens von Sachſen getrennt." Allerdings begränzte die Unftrut mur 
einen Theil Thüringens, denn andere Thüringer wohnten weiter gegen Nor⸗ 
den bi8 an den Fuß des Harzeds. Im Einflange mit der oben angeführten 
Stelle aus der Begränzungsbulle von 1020 heißt e8 im Leben‘) ver heil. 
Liutbirgis: „der Harz ſcheidet Sachſen und Thüringen.“ 

AT das ſtimmt aufs Wort zu den Beftimmungen Benebift’8 VIIL 
Eben dafjelbe gilt aber auch von den auf und gefommenen Archidiakonats⸗ 
Regiſtern,) laut welchen das Mainziihe Thüringen in vier Archidickonate, 
Bibra und Erfurt (jpäter mit einander vereinigt) — fie zählten zufammen 
17 Defanate — Jechaburg (unweit Sonderöhaufen) mit 11 Defanaten, 
endlih Ordruf (ſpäter nach Gotha verlegt) mit fünf Defanaten, eingetheilt 
war. Im beutigen Weimar — das wir tiefer unten als die Wiege eines 
Dynaftengeichlehts fennen lernen werden — faß einer der 17 Defane des 
Archidiakonats von Erfurt. 

Man fieht nun: die Stelle, wo die Unftrut in die Saale mündet, 
war der Außerfte Punkt des Mainzer Hochſtifts. Bon da lief die Süd—⸗ 
gränze Sachſens, zufammenfallend mit ver Eceidelinie des Halberftädter 
Bisthums, die Saale hinunter bis zu ihrer Bereinigung mit der Eibe, 





‘) Berg IL, 450. 2) Daf III, 294. 2) Daf. V, 207 unten. %) Daf. 369. 
*) Daf. IL, 675. *%) Daf. IV, 189. ) ®end a. a. D. II, Urfundenanhang 
©. 494 fig. 


Erſtes Buch. Gay. & Das carolingifche Sachien. 139 


Iche ihrerjeits Oftfachfen gegen die Lande der Slaven abſchloß. Erft 
ch der Mitte des 10. Jahrhunderts, da Otto I. die neuſächſtſchen Stühle 
indete, find vom Farolingiihen Umfange des Halberftäbter Hochftiftes 
ei Streden, eine zu Gunften Merjeburgs auf dem linfen Ufer der Saale, 
b eine andere zur Ausftattung Magdeburgs auf dem linfen Ufer der 
be, Iosgetrennt worden. ') 

Die ganze Nordgränze des Mainzer Sprengeld oder — was hiemit 
tchbedeutend — die Scheibelinie Franciend gegen Sachſen iſt biemit fo 
aan, als es für unfern Zweck nöthig fcheint, dargelegt. Will man das 
hſiſche Heſſen und die fünf Bezirfe des Göttinger Fürſtenthums, obgleich 
ganz oder theilweiſe dem Mainzer Hocftift einverleibt waren, dennoch 
Sachſen rechnen, fo würde es allerdings biezu nicht an einer fchein- 
ren Berechtigung fehlen. Die Urkunden heben, wie ich früher zeigte, her⸗ 
r, daß das ſächſiſche Heffen, wie jene fünf Bezirke, auf engerlichem 
wen lagen, und daß da wie dort fortwährend engeriiches Recht galt. ?) 
eſſen ungeachtet wäre die fragliche Unterſcheidung ungeſchichtlich. 

Bon den ſechs Hauptgauen, welche das Halberftäpter Hochftift in ſich 
loß — Derlingow, Nordthüringen, Belfesheim, Harzgow, Schwaben 
w, Haſſigow — hat die Hälfte ihre Namen von Einwanverern aus ans 
m Stämmen erhalten: der Haffigew von Heflen, von Schwaben der 
Hwabengow, von Thüringen der Gau Nordthüringen. Dennoch fiel es 
jemanden ein, die Abftammung diefer Fremdlinge ihren jegigen Wohnftgen 
tgegenzuftellen, fondern ausprüdlich wird bemerft,”) daß die Nordſchwaben 
Sachſen geworden feien, obwohl fie die Gefege der urjprünglidhen Hei⸗ 
ith beibehielten.) Was aber von den Heflen, Schwaben und Thürin- 
m des Halberftäbter Bisthums, gilt in noch höherem Grade von jenen, 
e Zahl nach unbedeutenven fächfifchen Elementen des Mainzer Hochſtifts. 
» groß war das Anſehen, welches, wie ich fpäter darthun werde, der 
tuhl des Heiligen Bonifacius als Firchliher Mittelpunft von ganz deutſch 
ancien genoß, daß die Bewohner des fächflichen Hefjend und der fünf 
his der Wefer gelegenen Bezirke ficherlich durch die Einverleibung in den 
fentlich fraͤnkiſchen Verband von Mainz fi nicht befchwert glaubten. 

Jedenfalls galten die Hefien und Thüringer, welche den Often bes 
'tainzer Sprengeld bewohnten, im weiten und — ih füge bei — im 
erlihien Sinne des Worts für Infaßen Franciens. Cine Nation kann 
n höheres Recht ausüben, als wenn fie frei und felbfiherrlid ein ober: 


1) Leibnig a. a. D. II, 121 und Webefind Noten I, 72 unten flog. 2) MWend II, 
1 Rote c, außer den ſchon oben angeführten Belegftellen. ?) Berk 1, 330 Saxones, 
| Nordosquari vocantur. *) Dieß bezeugt Minh Widukind von Gorvey, Berk II, 
4 nuten. 


140 Pabſt Bregorius VIL und fein Zeitalter. 


ſtes Haupt, einen König wählt, jo wie unfere Borfahren im Sept. 1024, 
nah dem Tode Heinrih’8 IT, den Salier Conrad erhoben. Nun be 
eben diefem Anlaß verfammelten fi, laut dem mehrfach angeführten Zeug 
niffe ) Wippo's, die Sachen mit den Häuptern der zu ihnen gehörigen 
Slaven, die Franken, die Batern, die Schwaben dieſſeits, vie Mojellaner 
und Ribuarier jenſeits des Rheines. Wer wird wähnen, daß die Hefien 
und Thüringer von dem Wahlaft ausgefchloflen waren! Wo aber ſoll man 
fie einreihen? hanpgreiflich unter die Sranfen. In Fällen, wo die ganze 
Kation auftrat, tagten und ftimmten Thüringer und Heflen als Franken. 

Allerdings kommen in den Chronifen Beifpiele vor, daß Thüringer 
und Heffen theild räumlich, theild der Abftammung nad von Kranken unter 
ſchieden werden. Allein diefe Thatſache begründet feinen Einwurf gegen 
obigen Sat. Man ftellte in gleicher Weiſe Ribuarier und Mofellaner, 
Oftfalen, Weftfalen, Engerer einander gegenüber, obgleih Jedermann ans 
erfannte, daß jene beiden gemeinjchaftlib Inſaßen des Lotharlichen Erbe, 
bie drei andern Sachſen feien. Der geographiihe Begriff Francien war 
nicht etwa blos eine durch natürliche Vermehrung der Volfdmenge erzeugte, 
ſondern zugleich eine dur Waffengewalt oder Eroberung, und weiter durd 
Geſetze und Reihstagsbefchlüffe entftandene Frucht. In diefem Sinne nahm 
das Wort Wippo, den Wahlaft von 1024 befchreibend; und ebenfo ber 
ſächſiſche Poet, fofern er jagt, ganz Sachſen fei gegen Süden durch das 
Gebiet der Franken begränzt.) Im nämlihen Einne werden wir es ges 
braucht finden auf der Sübfeite der Branfenlinie gegen Alemannien und 
Baiern hin. 

Abermal beruht die Scheidelinie zwiſchen Sachſen und Francien haupt: 
fählih auf Mainziſchen Archidiafonats-Megiften. Run ift ed allerdings 
nicht wahrfcheinlih, daß die ganze reihe Gliederung, wie fie in vielen 
zwiſchen dem 13. biß 15. Jahrhundert abgefaßten Liften bervortritt, bie 
zu den Zeiten des h. Bonifacius hinaufreiht. Solche Drgantfationen bes 
dürfen, um völlig ausgebaut zu werden, geraumer Zeit und günftiger Ums 
fände. Eine Thatſache Tiegt vor, welche meines Erachtens darauf hin 
deutet, daß das engeriich-mainziiche Archidiafonat Nörten erft um die Mitte 
des 11. Jahrhunderts, da der Thüringiſche Zehntftreit begann, gegründet 
worden iſt. Eine Mainzer Urfunde °) bejagt nämlih, Erzbifchof Liutbald 
(1051 —59) habe im Jahre 1055 vie bereitd vorhandene Kirche in Nörten 
zu einem Collegiatſtift erweitert. Bei dieſer Gelegenheit wird, venfe ic, 
das Archiviafonat mit dem neuen Etift verbunden worden fein. Allein 
wenn auch der innere Einbau allmälig groß wuchs, fteht nichts defto wer 


1) Berg XL, 257. 2) Berg I. 228, horum (scil. Saxonum) patria Francorum 
terris sociatur ab austro. ®) Guden, codex diplom. I, 20 flg. vergl. ibid. 223, 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingifcdhe Sachſen. 141 


ger feft, daß die oben nachgewieſene Ausdehnung des Sprengeld im 
VWeſentlichen das Werk des h. Bonifacius und Garld des Großen war. 
Dieß ſoll zum Schluffe nachgewieſen werben. 

Betreffend die obere Lahngegend, als den erſten unter den größeren 
Mainziihen Gauen längs der Sachſengränze, hat Pabft Gregorius III. im 
Jahre 739 zu Gunften des h. Bonifacius ein Schreiben ) an verfchiebene 
leinere Stämme des mittleren Deutſchlands erlaffen. Die Namen diefer 
Stämme lauten nad den beften Handſchriften fo: Bortbarii, Nistresi, 
Wedrewi, Lognai, Suduosi et Grabfeldi, welche alle in Heſſen ober 
Ehüringen gefucht werden müflen, weil die allgemeine Bezeichnung Thuringii 
t Hessi vorausgeht. Man kann immerhin über den Sinn der Worte 
Bortharii, Suduoſi, Niftrefi ftreiten, obwohl ich die Behauptung?) des ge 
ehrten Wend nicht beftreiten möchte, welcher Borvari auf Anwohner des 
eiftichen Fluſſes Wohra, Niftrefi auf Anmohner der gleichfalls heſſiſchen 
Rifter bezieht, weldhe in die Sieg mündet. Die Ausdrücke Grabfelbi, 
ognai und Wedrewi dagegen find klar, fie bezeichnen die Inſaßen der 
ohlbefannten heſſiſchen Gaue Wetterau, Grabfeld, Lahngow, welche fammt 
mb ſonders dem Mainzer Sprengel angehören. Demnach ſtand der Lahn⸗ 
au ſchon vor der Mitte des 8. Jahrhunderts unter dem Krummftabe des 
(pofteld unferer Nation! 

Zweitend auch die Vertheilung des ſächſiſchen Heſſengau's zwiſchen 
en Stühlen von Mainz und Paderborn reicht in die Zeiten der Garolinger 
inauf. Auf dem linfen Ufer ver Wefer, und erweisiih") im Mainziichen 
Intheil des Heffengaues, lag das alte Klofter Hildwardhauſen. Nun einer 
Irfunde*) vom 11. April 970, Eraft welcher Dtto I. diefem Stifte gewiſſe 
züter ſchenkt, ift die Bemerkung beigefügt, daß es dem Mainzer Sprengel 
ngehöre. Die Einverleibung Hildwardhauſens war demnach ſchon im 
0. Jahrhundert etwas Herkömmliches, Altes, das heißt fie beftand ſeit 
en Zeiten der Earolinger. ALS gleih alt erfcheint der Mainziihe Eins 
hnitt in den Bereich des Hilvesheimer Gebiets, oder die Vereinigung der 
inf Gaue rechtd der Weſer mit dem Mainzer Hochſtift. Denn ein Ereigs 
iß, weldyes zu Ende des 10. und zu Anfang des 11. Jahrhunderts bie 
eutiche Kirche erichütterte, der Verſuch des Erzbiſchofs Willigis, das Hils 
esheimiſche Klofter Gandersheim feinem Sprengel einzuverleiben, empfängt 
ur dann das nöthige Licht, wenn man vorausjept, daß Gandersheim an 
er Mainziihen Gränze lag, folglich daß die Scheidelinie ſchon damals fo 
ef, wie ich fie oben nacdhgewiejen habe. 

Bezüglich Thüringens iſt gewiß, daß ichon der heil. Bonifacius obers 


— —— —— — 


) Epist. S. Bonifacii edid. Würdtwein Nr. 44, Seite 95. ) A. a. O. I, 
32 fig. und 199. 2) MWend IL, 360. *) Böhmer, Regeſt. Ar. 375, 


142 Vabft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


fer Bifchof der ganzen Landfchaft war, denn er felber fchreibt *) 742 an 
den Pabit: „ih habe drei Stühle errichtet, einen zu Würzburg, einen zu 
Buraburg und einen zu Erphesfurt. Befanntlib kam der Plan der Errich⸗ 
tung des Bisthums Erfurt entweder gar nicht zur Ausführung, ober ging 
daitelbe in Kurzem wieder ein. Dennoch fieht man, daß Bonifacius den 
Gedanken nicht hätte faſſen können, wäre nicht ganz Thüringen ſchon vor; 
ber jeiner geiftlichen Aufficht unterftellt gewejen. Zum Ueberfluß erzählen?) 
jeine Biographen, daß unter jeiner Leitung eine Menge Pfarrkirchen ſowohl 
in Thüringen, als in Heffen gegründet worden feien. Auch fpätere Zeug. 
niffe fehlen nicht. Erfurt galt von jeher für Thüringens Hauptftabt. Nun 
berichtet °) Thietmar von Merjeburg, der Mainzer Erzbifchof Willigis habe 
den Meißener Biihof Wolfold, ver vom Böhmenherzog Boleslaw aus 
feinem Sige vertrieben worden, zu Erfurt im Jahre 984 verforgt; deß⸗ 
gleichen meldet *) die Hildesheimer Chronif, daß Erzbifhof Rutharb von 
Mainz den unglüdliben Kaijer Heinrih IV. an Often 1105 ehrewoll zu 
Erfurt empfing. Thüringens Hauptftant war demnach im 10. und 12, 
wie Ihon im 8. Jahrhundert, den Mainzer Erzbiichöfen untergeben. 

Sichtlih hat nicht bloß die Feder, jondern noch mehr das Schwert, 
die nördliche Gränze ded Mainzer Sprengeld, oder — was hiemit gleichbe: 
deutend — die Scheidelinie des deutſchen Franziens gegen das Sachſenland 
gezogen. In folder Weije aber führte das Schwert nur der große Garol: 
er allein war in der Lage, nach Gutdünken Etüde von Sachen abzujchneis 
den und mit Francien zu vereinigen. Er that ed auch, und zwar haupt 
jächlih darum, weil unfere Vorfahren, Könige wie Volk, Ehrfurdt vor 
unjerem Apojtel hegten. Aus dieſem Grunde ſchlug Carol nad) Bewälti⸗ 
gung Sachſens alle Etriche, wo irgend der Apoftel, fei es in eigener Per⸗ 
fon, fei es durch jeine Sendboten gewirkt hatte, ohne Weiteres zum Mains 
zer Sprengel. 

Nicht bloß das oben erwähnte Schreiben des Pabſtes Gregorius IIL 
vom Jahre 739, jondern auch manche andere Urkunden, auf die man bei 
Beftimmung der kirchlichen Gränzen ftößt, werfen helled Licht über eine ges 
wiffe Eigenthümlichfeit der Deutſchen in den Zeiten des Heidenthums. 
Innerhalb eined verhältnigmäßig engen Raums wohnten 6 verfchiedene 
Völklein: Wetterauer, Lahngauer, Grabfelver, Worderer, Nifterer, Sudoſer 
zufammen, an welche Pabſt Gregor III. einzeln zu jchreiben für nöthig 
erachtete, weil jedes derfjelben feinen eigenen Kopf hatte und darum geehrt 
fein wollte. Deßgleihen rühren viele Gaunamen, welde in den Carolin 
giichen Zeiten vorkommen, von alten deutichen Kleinftämmen ber, die jchon 


') Epist. s. Bonif. Nr. 51 ©. 106. 2) Pertz II, 346. 2) Berk TIL, 769. 
*) Ibid. ©. 108, 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingiſche Sachſen. 143 


Bacitus aufführt. Der Bruftergau, der Hamagau oder dad Hamalant, 
er Hatterungau, der Heſſigau hießen jo, weil jhon ums Jahr 100—300 
ınjerer Zeitrehnumg Brufterer, Chamaven, Chattuarier, Chatten dajelbft 
aßen,') welche ein jcheinbar felbftändiges Dorf- und Gauleben führten. 
turz, ganz Deutichland bot damals daſſelbe Bild dar, welches der fächfiiche 
Boet bezüglic, feines Heimathlandes in marfigen Zügen ſchildert: ?) „taujends 
ah war das Volk getheilt und faft fo viele Herzoge gab es im Lande, 
l8 man Gaue zählte. Daffelbe gliech einem Körper, deſſen Glieder fremde 
Bewalt in Feben rip.” 

Diejer jämmerlichen Zerfplitterung machte, nächſt dem Schwerte Carls 
es Großen, die römiihe Kirche, Mutter des Gehorſams, des Gemein⸗ 
eiftes, der Einheit und darum auch der Madıt, ein Ende, indem fie die 
wei DOrganijationen des Mainzer und Eölner Metropolitanverbandes fchuf, 
yelche nicht am wenigften dazu beigetragen haben, das deutſche Volk vor 
en übrigen Rationen ded Mittelalters zu erhöhen. 

Noch ift das überelbiſche Sachſen (Transalbinia) öſtlich und nörblid 
er Elbemündung übrig. Die Gränze dieſes Landestheiled wird durch eine 
stelle’) Adams von Bremen beftimmt, ver fih auf Urkunden Carls des 
Iroßen und anderer Kaiſer beruft. Kleine Bäche, Moore, Wälder, bildeten 
ine Linie von einem Punkte an der Elbe, oberhalb Lauenburg, landeins 
arts nach Hombed; von da nach Wejenberg an der Trave, dann weiter 
ah den Orten Travenhorft und Blunf, (welches letztere Dorf im Amte 
Segeberg Ticgt), von Blunf nah dem Plönfee und endlih nad der 
Schwentine. Mit der Mündung des lebgenannten Fluſſes in vie Oſtſee 
der den Kieler Mecrbufen endete dieſe Linte, welche dad Transalbingiſche 
Sachien, in der Richtung von Süd nad) Nord, gegen das heutige Meflen- 
urg und das alte Wagrien, oder den öſtlichen Theil des jetzigen Holftein, 
vei damals von Slaven bewohnte Provinzen, abihloß. Die ſüdliche Ede 
e8 eben beichriebenen Gebiets, oder die zwiſchen der Bille und obiger 
inie gelegene Strede hieß im Mittelalter auf Latein limes saxonicus, 
uf Deutſch Sadelbande *), denn Carl der Große hatte dort eine von ftehens 
m Beſatzungen bewachte Marfe eingerichtet. Die Nordgränze Transdals 


2) Man vergl. Zeuß, „Die Deutſchen“, S. 336 flg. 353. 3) Berk I, 228: Bed 
ıwiis divisa modis plebs omnis habebat, quot pagos, tot paene duces, velut unius 


“as corporis in diversa forent hinc inde revulsi. 2) Bere VII, 310 unten flg. 
azu die Erläuterungen Wedekinds in feinem Bud, Noten I, 3 fig. u. 341; ferner bie 
arte bei Lappenberg, Urkundenbuch von Hamburg I. *) Zappenberg, Hamburger 


rfundenbuh I, S. 200, 220 oben, 431 unten, 444. 454 unten. Salband nennt man 
Schwaben die aus grober Wolle gewobenen Tuchenden; Salband bedeutet Streifen 
ıb ein Lanbeöflreifen war ber limes. 


144 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. ı 


bingiend gegen die Jüten zog von der Oſtſee zur Nordſee das Bette 
der Eider. 

Carl der Große und, fein Beijpiel erneuernd, Heinrich I. von Deutſch⸗ 
land, haben auf der Nordjeite noch eine weitere Strede zugefügt, nämlich 
das Land zwifchen der Eider und der Schlei, oder die Schledwiger Marke, 
die jedod feinen längern Beitand hatte. inhard fchreibt *) zum Jahre 
803: „der Dänenfönig jei mit jeiner Flotte und feinem Landheere nad) 
Schleswig vorgedrungen, wo damals die Gränzen Sachſens und Dänemarks 
zufammenliefen.” Ebenderſelbe meldet ?) zum Jahre 808, daß „Godfried 
in Schleswig lagernd, cinen Gränzwall längs dem nördlichen Ufer ver 
Eider von der Oſt- zur Nordſee aufwarf.“ Durh Adam von Bremen 
erfahren wir, daß König Heinrid I. die Marf Schleöwig (um 931) wie 
derherftellte,°) aber auch daß Kaifer Conrad IL, kraft des Friedensſchluſſes 
von 1026, Marf und Stadt Edyleswig an ven Dänenfönig Kanut abtrat.*) 
Noch heute bürgen die im füplichen Theile des Herzogthums Schleswig 
berrichende deutſche Sprache, deutſche Gebräuche und Afermaße?) dafür, 
daß das Land lange Zeit von Franken und Sachſen beiegt war. Die 
nämliche Wahrnehmung ift ſchon im 11. Jahrhundert aufgezeichnet worven. 
Adam von Bremen jchreibt:°) „(von dem Kattegat) bi6 zur Schlei hin 
wohnen Dänen, die man Jüten nennt;“ dieſſeits der Schlei faßen alfo 
Deutiche. 

Gegen Weiten endlid war Transalbingien durch die Nordſee, die 
Elbemündung und eine Etrede des unteren Stroms begränzt. Innerhalb 
der gejammten Landichaft wohnten drei verſchiedene Stämme: an der Nord⸗ 
jee bis zur Wilfter die Ditmarjen mit dem Hauptort Melvorf, öſtlich 
von ihnen die Holjaten mit der Mutterlirhe Schönfeld zwiſchen Eider und 
Stör, dann im Süden zwiſchen Stör und Bille die Stormaren, wozu 
Hamburg ſelbſt gehörte.) Die Sadelbande hatte eine Bevölkerung eigens 
thümlicher Art. Sie beftand nämlich aus regelmäßigen Dienftmannichaften, 
welche von den hinterliegenden Provinzen Sachſens zur Bewachung der 
Gränze geftellt wurden und Marfmänner hießen. Helmold jagt") in der 
Slaven-Ehronif: „die fogenannten Markmänner, eine aus allen Gegenden 
(Sachſens) zujammengelejene Mannfchaft, jagen in der Mark“ (nämlich im 
limes saxonicus). Man bemerfe die Zähigfeit, mit welcher die von Garl 
dem Großen gegründeten Einrichtungen fortdauerten. 

Schon Ludwig der Deutiche dachte daran, die öftlid von Transalbin 


— ern — — — 


1) Pertz I, 191. ?) Berk I, 196. 3) Berg VIL 304 Mitte. e) Inid. 
325 unten. 5) Belege findet man in ben Sahrbüchern des beutfchen Reiche J. a. ©. 
168 flg. °) Bere VII, 373 oben. ?°) Ber VII, 310. 5) Leibnitz soript. brauns- 
vio. U, 593, vgl. mit ibid. 567. 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das" carolingifche Sachfen. 145 


gien längs der Oftfeefüfte angefiebelten Slaven dur kirchliche Bande in 
den Kreis des Reiches zu ziehen. Solches erhellt aus einer um die Mitte 
des 9. Jahrhunderts abgefaßten Begränzungsurkunde,) welche das ganze 
Gebiet vom Einfluffe der Bille in die Elbe biß zur Peenemündung, alfo 
das heutige Meflenburg und ein Stück von Pommern, unter die firdhliche 
Aufficht des fächfiihen Stuhls von Verden ftelte Die Sache fam jedoch 
allem Anicheine nad nicht zur Ausführung, weil die überelbifchen Slaven, 
ermuthigt durch die wachſende Schwäche der Garlinger, Widerſtand leiſteten. 
Hundert Jahre jpäter aber nahm Otto T. den fränfiihen Plan, und zwar 
in größerem Maapftabe ald feine Vorgänger, wieder auf. Auch er 
brauchte hiebei die Kirche ald Werkzeug, jedoch nicht mehr das Verdener 
Bisthum, fondern den mit Bremen vereinigten Erzftuhl Hamburg. Das 
ganze Küftenland von der Bille biß zur Peenemündung unterwarf er einers 
ſeits der Firchlihen Hoheit 7) de8 Hamburger Erzbifchofs, und andererſeits 
der politiihen Gewalt?) des neueingejchten Sachſenherzogs. Auch Wagrien, 
oder der öftlihe Theil des heutigen Holftein, wurde zum Herzogtum Sach⸗ 
fen geichlagen, fam aber nicht unter die unmittelbare, jondern nur unter 
die mittelbare Auffiht ded Hamburger Erzftuhles; denn Otto L errich⸗ 
tete!) — um 946 — zu DÖlvenburg, an einem Buſen der Oftfee, einen 
eigenen Stuhl, weldyen er jevod dem Hamburger Metropolitanverband eins 
verleibte.°) 

Schon bei Gründung der niederelbiihen Metropole haben der Pabft 
und der Kaifer die Abficht ausgeſprochen, daß von hier aus der ffandina- 
viſche Norden befehrt werden folle. Anskarius, erfter Metropolit von Hams 
burgsBremen und Apoftel der Sfandinaven, that Dad Seinige, um dieſe 
Aufgabe zu löſen: allein die politiichen Stürme, welde dem Sturze der 
deutihen Garolinger vorangingen und folgten, brachten das Werk ine 
Stoden, bis Dtto I. — wie fonft vielfach, fo auch hier in die Fußtapfen 
Carls des Großen tretend — mit mächtiger Fauſt eingrif. Mit einem 
Schlage erzwang er, 947, die Gründung von 3 Stühlen in Dänemarf. 
Hauptzeuge ift Adam von Bremen, den ich reden‘) laſſe: 

„Nachdem König Dtto faft alle Kinder, welche einft zum Reiche Carls 
des Großen gehörten, wieder unterworfen hatte, rüdte er gegen die Dänen 
ind Feld, die ſchon von feinem Vater (Heinrich I.) befiegt worden waren. 
Denn furz zuvor hatten diefelben Otto's Gefandte ſammt dem Mark: 
grafen bei_Schledwig ermordet, und die im Lande angefiedelten Sachſen 
umgebradt. Um diefen Schimpf zu rächen, zog Dtto das Schwert. Bei 
Schleswig fam es zur Schlacht, weldhe die Deutfchen gewannen. Harald, 


1) Wedekind, Noten, I, 48 fig. ?) Berk VII, 310. ?) Berg III, 463. *) Gfroͤ⸗ 
rer, 8. G. IIL, 1278, 6) Merk VII, 310 vben. 6) Ibid. 306 unten flg. 
Gfrörer, RPabſt Bregorius Vn. Bb. L. 10 


146 Pabſt Gregorius VOL. und fein Seltalter. 


der Dänenfönig, unterwarf fi in Folge der Niederlage, nahm fein Reid 
von Dtto zu Lehen und gelobte, das Chriſtenthum in Dänemark einzu 
führen. — Damald ward Jütland in 3 Bisthümer getheilt und dem 
Metropolitanverband Hamburgs einverleibt. Unſer Erzbiichof Adaldag weihte 
kurz darauf drei Biſchöfe: Herold für Schleswig, Liufdag für Ripe, 
Reimbrand für Aarhus. Auch übertrug er felbigen dreien Die Aufficht der 
Kirchen jenfeits des Meeres: in Sinne, (der Infel Fühnen) Seeland, Sche⸗ 
nen (auf der Süpfüfte des heutigen Schwedens) und in Schweden.“ 

Obgleich fein anderer Ehronift, der von Otto's Thaten handelt, etwas 
von dem dänifchen Feldzuge bed Jahres 947 weiß, ‘) tft die Ausſage 
Adams ihren weientlihen Zügen nah wahr. Denn auf der Reichsſynode, 
welche Dtto I. im Juni 948 zu Ingelheim am Rheine verfammelte, er 
Schienen I zum erftenmale, neben vielen deutſchen, vie jütiſchen Bijchöfe 
Reimbrand von Aarhus, Lifvag von Ripe und Herold von Schleöwig, aljo 
biefelben, von welchen Adam jagt, daß fie dur den Hamburger Metro: 
politen Adaldag geweiht und eingeſetzt worden jeien. Chronift Adam macht 
fein Hehl daraus, daß Otto I. um politifcher Zwede willen die 3 jütiichen 
Bisthümer gegründet und unter die Metropole Hamburg geordnet hat; der 
deutſche König wollte ſich durch diefe Maßregel der Herrſchaft über Dänes 
marf verfihern. Den Herzog von Sachſen zog Dtto nicht, wie es bezüglic 
Wagriens und des Obotritenlandes gefchehen, in feinen Plan hinein, fon 
dern die kirchliche Hülfe des Hamburger Erzſtuhles genügte ihm. 

Der Verſuch, die Gränzen des Carolingiſchen Sachſens zu beflimmen, 
hat und fraft innerer Nothwendigfeit auf die Machtbefugniß des Hambur⸗ 
ger Erzftuhles hingeleitet: und zum erftenmal tritt und bier das unermeß- 
lihe politiihe Gewicht des Metropolitanverbanded entgegen. Ich halte 
bier ein, um rüdgreifend denſelben Gegenftand weiter zu beleuchten. Wie 
der ſächſiſche Erzſtuhl an der Elbemündung nad) Dänemarf und Skandi⸗ 
navien hinüber reichte, fo übten zwei, nicht auf ſächſiſchem Boden ftehenbe, 
Metropolen firhlihe Dberhoheit über den größten Theil Sachſens. Diele 
Metropolen find Mainz und Cöln. Zum Voraus muß bemerkt werden, daß 
ed nicht möglich ift, hier an diefem Orte den ganzen Umfang der Mainzer 
Metropolitangewalt zu entwideln, da fie Provinzen umſchlang, die wir noch 
nicht kennen. Anders verhält es fih mit Cöln, weil wir die Verbältnifie 
des Ueberrheind, wo der Cölner Etuhl gleihfalls Metropolitanrechte übte, 
bereitd erforſcht haben. 

Die alten Verzeichniſſe der deutſchen Hierarchie bezeugen einſtim⸗ 
mig, daß der Erzſtuhl Cöln fünf Euffragane, nämlich auf lotharingiſchem 
Boden zwei, Utrecht und Lüttich, auf ſächſiſcher, d. h. auf weſtphäliſcher 


‘) Gfrorer, Kirch. Geſch. III, 1201. 2) Harzheim coneil. Germania I, 27. flg. 


Erſtes Buch Gap. 4. Das carolingifche Sachſen. 147 


und engeriiher Erde drei, die Bisthlimer Münfter, Osnabrück und Min; 
den zählte. Diefelben Denkmäler weifen der Mainzer Metropole von den 
fächfiihen Stühlen folgende vier zu: Paderborn, Hildesheim, Verden, Hals 
berftabt. Bündig fann man varthun, daß dieſe Ordnung im 11. Jahr⸗ 
hundert, und ohne Zweifel auch ſchon geraume Zeit rüdwärts beftand. Zu 
Frankfurt wurden 1007 und 1028 zwei Synoden gehalten, deren auf ung 
gefommene Alten das Verhältnig der Metropolen zu den betreffenden Suffra- 
ganen beftimmen. Im Jahre 1007 erfchienen‘) und unterjchrieben mit ihrem 
Metropoliten, dem Erzbiſchof Willigis, Die ſächſiſchen Euffragane Rather 
von Paderborn, Bernward von Hildesheim, Arnold von Halberſtadt; deß⸗ 
gleichen erſchienen und unterſchrieben damals mit dem Cölner Erzbiſchof 
Heribert feine Suffragane Notker von Lüttich,“ Suidger von Münſter, 
Ansfried von Utrecht, Theoderich von Minden, Thiedmar von Osnabrück. 
Die Suffragane von Cöln hatten ſich vollzählig eingefunden, aber von den 
jächfiihen ded Mainzer Erzftuhles fehlte der Verdener. Die Lüde wird 
jedoch dur die Verhandlungen von 1028 ergänzt. Auf dieſer zweiten 
Kirchenverfammlung faßen ) gegen Dften am Hocaltare des Domes Erzs 
biſchof Aribo von Mainz mit feinen fächfiihen Euffraganen Meginward 
von Paderborn, Godhard von Hildesheim, Brantho von Halberftadt, Wig- 
ger von Verden; im Weften ver Kaljer, und neben ihm PBiligrim von 
Eöln mit feinen Untergebenen,“) den Bifchöfen Eigibert von Minden, 
Siegfried von Münfter, Benno von Utrecht. Aus der Reihe der Letztern 
waren dießmal der Lütticher und der Osnabrücker weggeblieben. 

In Sachſen ftand zwar cin Erzftuhl, der von Hamburg-Bremen, aber 
im Lande felbft hatte derjelbe Feine Suffragane, ſondern die von ihm ab- 
hängigen Bisthümer gehörten fremder, jlavifcher oder ſkandinaviſcher Erbe, 
Wagrien und dem dänijchen Reihe an. Dagegen waren die fieben jädhft- 
fhen Bisthümer zwei rheiniichen Metropolen, Mainz und Cöln einverleibt. 
Kaijer Carol iſt es, der im Wefentlichen diefe Einrichtung traf. Es bedarf 
wahrlich feined bejonderen Scharfſinns, um ihren geheimen Grund aufzus 
decken. Weil Carol den mit der Schärfe des Schwertd unterworfenen 
Sachſen mißtraute, hat er die oberfte Auffiht über die dortigen Kirchen 
zweien rheiniihen Erzftiften übergeben, welche längft in die großen Inte— 
rejjen des Frankenreichs hineingewachſen waren, denn er hegte die Ueber⸗ 
zeugung, daß diefe eine Mafregel hinreihen werde, um die Sadjen für 
immer in der Treue gegen das Chriftenthum und gegen dad Reich zu ers 
halten. Glängend ift durch den Erfolg feine Borausficht gerechtfertigt 
worden. - 





!) Ussermann episc. bamberg. I, Urfundenbund ©. 13 fig. 2) Ibid. 13 Mitte, 
5) Perg XI, 208 unten. %) Cum subditis suis. 
10° 


148 Pabſt Gregorins VIEL und fein Seitallter. 


In der deutſchen Geſchichte gibt ed meines Eradytens Feine geiftvollere 
und großartigere Echöpfung, als die Organijation der beiden Metropolen 
Mainz (deren volle Bedeutung ſich fpäter enthüllen wird) und Eöln. Die 
That zeugt dafür. Obgleich die Erblichkeit aller bedeutenden Reichslehen 
ſchon zur Zeit, da Heinrih I. ftarb, Regel geworden war, und obgleich 
die mächtigen weltlichen Vafallen unaufhörlid dahin arbeiteten, die geich- 
lihe Macht des Kaiſers zu ſchmälern, zu untergraben, hielt das Reich den 
nod wie Stahl und Eijen zujammen. Noch im Jahre 1516 war troß 
der Verwirrung, welde herrichte, fein Grundpfeiler unterhöhlt, bei einigem 
guten Willen würde Alled wieder in das richtige Geleije zurüdgefchrt jein. 
Da brach die Glaubendneuerung aus, welche nothwendig politifche Geltung 
und Ehre der Nation zerftörte.e Denn das alte Reih war auf den Fel⸗ 
fen Petri gegründet und fonnte auf einer andern Unterlage nicht forileben. 
Mohlan! den beften Theil dieſer jegensreihen Wirfungen verdankt das 
deutihe Volk den Erzftühlen Mainz und Eöln. 

Man erwäge: im Mittelalter nahm unter den weltlichen Mächten der 
Kaijer, unter den geiftlihen Gewalten der Pabſt, die oberfte Stelle ein. 
Der nächte an Rang nad dem Pabſte war der Mainzer Metropolit, ale 
der erfte Cleriker Germaniend, und dann der Gölner Erzbiihof, als der 
zweite kirchliche Würdeträger ded Reichs. Gegen die Natur aber ftreitet 
ed, daß, wer eine ſolche Stellung inne hat, dieſelbe nicht zu behaupten 
ſuchte. Bewahrt aber fonnte fie nur dann werden, wenn beide Metropos 
liten Allem aufboten, die beftehende Ordnung im Gange zu erhalten, folge 
lich vorzubeugen, daß weder ein fremder König auf dem Reichsboden ſich 
einnifte, noch daß einheimifche Empörer gefährliche Anfchläge ind Wert 
ſetzen. Das heißt nun, fie hatten in allen gerechten Dingen ein und das⸗ 
jelbe Interefje mit dem Kaiſer, da zwei der mädhtigften Hebel, die Stimme 
der Pflicht wie die des eigenen Vortheils, fie antrieben, die gejegliche Ges 
walt der Kaijerfrone, welde ihrer Hilfe nicht entbehren konnte und fie 
deßhalb hüten mußte, zu vertheidigen. Sind nicht zu Anfang des laus 
fenden Jahrhunderts zugleich mit dem deutſchen Kaiſerthum aud die beiden 
Metropolen erlojhen! Doc Ichtere nicht für immer, noch für lange Zeit, 
denn die Kirche befigt eine geheime Kraft, fich jelbft und ihre großen Werke 
und zwar in verebelter Geitalt gleich dem Sonnenadler zu erneuern. 

Keineswegs fehlte es den beiden Metropoliten an den nöthigen Mitteln, 
um den Uebermuth weltliher Vaſallen und deren ungeeignete Begehrlichkeit 
zu dämpfen, denn von jeher, doc nod mehr als früher, feit der durch 
Kaiſer Heinrich II. eingeführten Kriegsordnung, von weldyer an einem andern 
Orte die Rede fein wird, verfügten fie felbft, oder ihre untergebenen Suffra⸗ 
gane über viele taufend Dienftleute zu Roß und Fuß, die, ihres Winkes 
gewärtig, bald den Kaifer nad Stalien im Römerzug geleiteten, oder aud) 


Gries Bud. Gap. 4. Das carolingifche Sachſen. 149 


je nah Umfländen im Lande felbft Friedensſtörer züchtigten. Faſſen wir 
insbeſondere den Eölner Erzbifhof ind Auge. Durch die weftliche Hälfte 
des eigenen Sprengeld und durch feine beiden Suffragane, den Utrechter 
und ten Lütticer, bejaß er feiten Fuß in ganz Ribuarien. Das haben 
wiederholt die zwei wiberfpenftigften Vaſallen des Ueberrheins, der Holläns 
der Graf und der Brabanter Herzog Godfried IV. erfahren: zuerft im Jahre‘ 
1018, ta die geiftlihen MWürbeträger Ribuariens, der Eölner Erzbifchof 
und jeine beiden Suffragane, die Biſchöfe von Utreht und von Lüttich, 
ımier dem herzoglichen Banner Godfrieds III., des Gerechten, wider Theo⸗ 
derih III. von Holland zogen und ihn trog der Niederlage, welche fie ers 
litten, zur Rube nöthigten.) Noch kräftiger aber erfuhren ed 31 Jahre 
ipäter — im Frühling 1049 — Theoderih IV. und fein damaliger Buns 
desgenoſſe, Godfried der Bärtige, als die beiden Cölner Suffragane, Theod⸗ 
win von Lüttich und Bernold von Utrecht, im Bunde mit dem Meger 
Bilchof, den Empörern eine gründliche Züchtigung beibrachten. ?) 

Während der eine Arm des Bölner Metropoliten Ribuarien deckte, 
reichte der andere durch die weftphäliiche Hälfte des Eraftifts und dur 
die drei Suffragane Münfter, Osnabrüf, Minden, tief nad Sachſen hinein. 
Bermöge diefer Stellung war der Bölner Erzbiſchof ebenjo, wie die Mes 
tropoliten von Mainz und Hamburg, darauf angewiefen, ja genöthigt, zu 
wachen, daß feine ungefegliche Vafallengewalt in Sachſen auffeime, weil 
jedes folhe Gewächs nur auf Unkoſten der Metropolen jelbft und ihrer 
Euffragane hätte gedeihen fünnen. Es gab in Sachſen ehrſüchtige Herren 
genug, die übrigen aber übertraf an Begehrlichfeit das vornehmfte Haus 
des Landes, das herzogliche der Billungen von Lüneburg. Alle zufammen 
baben ven Zaum der drei Metropolen gefühlt; begreifliher Weiſe jedoch 
am nachdrüdlichften den des Hamburger Erzftuhles, weil dieſer auf fächfl- 
ſchem Boden felbft errichtet war. Bündige Zeugniffe Tiegen hierüber vor. 

Adam von Bremen jchreibt:?) „jeit ein Herzog in Sachſen eingefebt 
it, bat Zwietracht zwifchen den beiden Gewalten, der erzbifchöflihen und 
der berzoglihen, nie aufgehört. Denn die eine, die herzoglidhe, ſann ftete 
darauf, den König und die Kirche zu erniedrigen, während die andere das 
Entgegengeſetzte erftrebte.” Und abermal ſagt ) derſelbe: „weil Erzbiſchof 
(Adalbert) von Hamburg ſah, daß fein Bisthum durch Gewaltthätigfeit der 
Herzoge unterdrüdt fei, fuchte er eifrig die alte Freiheit feiner Kirche her⸗ 
zuſtellen. Dieſes Beftreben zog ihm den Haß des Herzogs Bernhard zu. 
Defters ſoll derſelbe geäußert haben: dieſer Adalbert ift mir wie ein kai⸗ 
ferliher Kundfchafter auf den Naden geſetzt, damit er Sachſens ſchwache 


1) Giche oben ©. 42. 2) Daf. ©. 43. ®) Berk VII, 323 oben. *) Tbid. 
@. 337. 


150 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Punkte dem Kaiſer und den Fremden‘) verrathe; aber jo wahr ich Herzog 
in Sachſen bin, ſchwöre ich, daß, fo lange ich jelbft oder meine Söhne am 
Leben bleiben, ver Berräther Feine gute Stunde haben ſoll.“ 

Herzog Bernhard III. jah in den Metropoliten nur kaiſerliche Beamte, 
und damit hatte er von feinem Standpunkte aus Recht, denn jobald es fid 
darum handelte, den Uebermuth weltliher Vaſallen einzufchränfen, gingen 
die Krone und die Metropolen unfehlbar Hand in Hand. Begreiflih if 
es daher, daß der Lüneburger das fühlte, was man im gemeinen Leben 
feit den Zeiten Carls des Großen Pfaffenhaß nannte. Allein modte er 
auch an böjen Tagen fih fo fehr erhigen, daß er hätte an den Wänden 
feiner Schlöffer zu Lüneburg und Hamburg hinauflaufen mögen: alles fruch—⸗ 
tete nichts, nun und nimmermehr fam er über die drei großen geiftlichen 
Dämme hinüber, welche von den Bilchofshöfen zu Hamburg, zu Main, 
zu Eöln nach dem herzoglihen Sachſen außliefen. 

Das Reich deutiher Nation war mittelft des durchgeführten Gegen 
ſatzes geiftliher und weltliher Gewalt fo funftgerecht und fturmfeft gefugt, 
daß es nie zufammengebrocdhen wäre, wenn anders die Kaiſer folgenve drei 
Regeln befolgten: 1) dem Pabfte, ald dem Haupte des Glaubens und ber 
gefammten Kirche, die gebührende Ehre zu erweilen, 2) nie eine Antaftung 
des priefterliben G@ölibats zu dulden — (denn ein Kind fonnte voraus 
jehen, daß Geftattung der Priefterehe unzweifelhaft die Stifte gleich den welt 
lien Würden in Erblchen verwandeln müfje) und 3) dafür zu forgen, daß 
nie unwürdige, fondern ſtets rechtfchaffene und vom @elfte der Kirche er 
füllte, Männer auf Stühle und Abteien gelangen. Leider haben Heinrid 
IV. und jeine Mutter, die Regentin Agnes, in vielen Beziehungen auch 
Kaifer Heinrid III, das Gegentheil gethan, ſofern fie, um Sultanges 
füfte zu befriedigen, die römische Kirche in Armuth flürzten, dem Pabſte 
zu Trotz klerikale Unenthaltfamfeit begünftigten, und mit den Pfründen 
Ihmählihen Dienfthandel trieben. 

Nun nah Neuſachſen. Auf der einen Seite gränzte, wie wir wiſſen, 
die Saale, auf der andern die Elbe, das alte Land ab. Wohlen, jenſeits 
beider Flüſſe auf ihrem rechten Ufer erwarb Otto I. ein großes Gebiet. 
Zu joldem-Zwed hat er hauptjächlich zwei Hebel in Bewegung gefebt: 
Waffen und Kirhen-Madıt. Seit den Anfängen Otto's L fommt in Chro⸗ 
nifen und Urkunden längs der Gränze eine Reihe Kriegsoberſten zum Bors 
ſchein, welche unzweifelhaft den Auftrag hatten, die benachbarten Slaven 
zu unterwerfen, und damit fie dieß zu thun im Stande feien, mit mehreren 


*) Alienigenis; der Sachienherzog erlaubt fi, die andern Meichögenoflen, Franken 
und Schwaben, Fremde zu fchelten, gerade fo, wie man fie nach Auflöſung des Reiche 
und vor Errichtung des Zollvereind wirklich behandelte. 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingifche Sachen. 151 


Comitaten innerhalb Altſachens, ihren Rüftfammern, ausgeftattet wurden. 
Sie führen bald den eigentlihen Titel Markgrafen, zuweilen aber werden 
fie von den Chroniſten legati oder praesides genannt. Widukind von 
Corvey ſchreibt: ) „in dem Jahre, da Dtto I. den Thron beftieg (936), vers 
waltete während feiner Abwejenheit Graf Sigfried, ein naher Verwandter 
des Föniglihen Haufes und nad Otto der zweite an Rang, die Landſchaft 
Sachſen, bereit, jeden Feind, der eindringen würde, abzuwehren.“ Dieſe 
Worte beweifen, daß Siegfried Fein gewöhnlicher Graf, fondern mit dem 
Befehl an der Slaven Gränze betraut, folglihd Markgraf war. 

Eigfried ftarb 937, und aus Anlaß der Meldung feines Todes berich- 
tet”) Widukind weiter, daß König Otto die Legation des Verftorbenen an 
den Grafen Gero übertragen habe. Iſt obige Deutung richtig, jo muß 
Gero an Sigfrieds Stelle zum Mario ernannt worden fein. Und rich⸗ 
tig verhält fih die Sache fo, denn feit 941 empfängt?) Gero in Urfunden 
den Titel Marfgraf, fpäter fjogar den ungewöhnlichen, Gränzherzog, marchio 
dus. Im Jahre 945 wird ſodann neben Gero ein Marfgraf Ehriftian 
erwähnt,*) feit 955 ebenfo ein Markgraf Theodrich, der zuerft den Titel 
Präfes führt,“ fpäter aber ein Markgraf heißt.) Vier Jahre nachher 
fommt ein Marfgraf Heinrich zum Vorſchein, doch nur verhült. Durch 
Urfunde”) vom 2. Juli 959 jchenft nämlih König Dtto an die Moriz⸗ 
fire zu Magdeburg gewilfe Güter, gelegen in der Grafichaft und in der 
Legation Heinrih’s. Diefer Heinrich befaß demnady außer dem Comitat 
auch noch eine Legation. Das heißt, laut obigem Nachweis: er war 
Markgraf. 

Endlich macht Dtto J. in einem Schreiben,®) dad er 968 an die 
Großen Sachſens richtete, drei Markgrafen, Wigbert, Wigger und Gün- 
tber namhaft, die zu gleicher Zeit amteten. Don den fpäteren Marfgrafen 
wird unten die Rede fein. 

Bedeutende Eroberungen müſſen von diefen Markgrafen, und wohl 
auch von andern nichtgenannten, zwiſchen 936 und 966 bewerfftelligt wors 
den fein. Denn jeit 946 zog Dtto die Kirche herbei, um durch ihre Hilfe 
dad mit den Waffen Errungene zu befeftigen. Eine Kette von Bisthüs 
mern erftand auf Slavengrund über ein ſehr weites Gebiet hin. Mittelft 
Urfunde?) vom 9. Mai 946 ftiftete Otto das Bisthum Havelberg, wel 
chem er die Kirchliche Aufficht über das Land zwilchen Elbe, Peene, Elbe, 
Etremme übertrug. Bei dieſer nämlihen Gelegenheit geſchieht es, daß 
Markgraf Gero zum erftenmal den Titel Markherzog empfängt; denn im 


') Pertz III, 438 Mitte. :) Ibid. ©. 440. 3) Raumer, regest. brandenburg. 
1. Rr. 144. 146. 154 fig. *) Ibid. Nr. 147. 5) Ibid. Nr. 171. ®) Ibid. Nr. 
217. ?) Ibid. Nr. 179, °®) Berg, leg. II, 561. 9) Böhmer, Regeſt. Nr. 196. 


152 Babft Gregorius VIEL und fein Zeitalter. 


Texte des Stiftungshriefes heißt ed: „Dtto habe das Bisthum unter Bel 
rath des Marfgrafenherzogs Gero, und in der ihm anvertrauten Marfe er: 
richtet.” Das ficht fo aus, ald hänge die Gründung des Stuhls mit der 
Beförderung Gero's zufammen. Drei Jahre fpäter erfolgte die Errichtung 
des Bisthums Brandenburg. Der betreffende Stiftungöbrief‘) erwähnt 
abermals den Beirath des Marfgrafenherzogd und fügt gleichfall® bei, daß 
der Stuhl in der Marfe Gero's gelegen fei. Beide neue Bisthümer wie 
Dtto dem Metropolitanverband von Mainz zu, doch war dieß nur eine 
vorübergehende Maßregel, denn bald tritt ein größerer Plan hervor. 

Biſchof Dietmar von Merfeburg, ver felbft in Neuſachſen lebte, er 
zählt, daß Dtto I. 955 vor der Schlacht gegen die Ungarn, falls ihm 
der Allmächtige den Sieg verleihen würde, die Errichtung eines Stuhls zu 
Merjeburg angelobte. Dreischn Jahre ftand es an, bis der Herricher dieſes 
Gelübde löste, doch war an der Zögerung allem Anſcheine nach weniger 
er ſelbſt ſchuld, als vielmehr zwei Andere, welche Opfer bringen follten 
und darım ein Recht hatten, mitzufprechen. Abermal berichtet ver Chronik 
von Merjeburg: Biſchof Bernhard von Halberftabt, welchem Dtto zum 
thete, einen Theil feined Sprengeld zu Ausftattung des neuen Bisthums 
herzugeben, habe beharrlihen Widerſtand geleiftet, fo lange er lebte.) Ebenſo 
machte ed der Metropolit Wilhelm von Mainz, natürlider Sohn Otto's. 
Denn da der König, wie wir fogleich jehen werben, zugleih mit dem Mer 
feburger Stuhl und einigen andern die Metropole Magdeburg zu gründen 
gedachte, wurde der Mainzer aufgefordert, die Bisthümer Havelberg und 
Brandenburg, weldhe neulih Dem Mainzer Erzverband einverleibt worden 
waren, an das neue Erzftift Magdeburg abzutreten. 

Wilhelm muß ſich deßhalb Elagend nah Nom gewendet haben. Denn 
auf der Synode, welde Dtto I. felbft und der Pabft Johann XIIL im 
April 967 zu Ravenna hielten, billigten*) die verJammelten Väter den vor: 
gelegten Plan bezüglich der neuen Bisthüner, fprachen aber zugleich ven 
Wunſch aus, daß, weil die Gegend von Magdeburg bisher zum Sprengel 
Halberftadt und zum Metropolitanverband Mainz gehört hätte, erft die 
Einwilligung der beiden betreffenden Prülaten eingeholt werde. Sowohl 
Wilhelm von Mainz, ald Bernhard von Halberftadt, beharrten auf ihrem 
Widerſpruch. Denn erft, nachdem diefer Anfangs Februar, jener den 2. Män 
968 mit Tod abgegangen war,’) konnte Ottto L zum Werke fchreiten. 
Den Nachfolgern Beider wurde zur Bebingung gemacht, daß fie in feiner 
Weile die Errichtung der Metropole hindern. Hatto IL, der nad Wil 
helms Ableben den Stuhl des heil. Bonifarius beftieg, trat durch eine bes 


1) Ibid. Nr. 168. 3) Perg IIL, 746. 3) Ibid. ©. 747. %) Den Radıs 
weid bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IIL 1279. 6) Id. ibid. 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingifche Sachfen. 153 


fondere noch vorhandene Urkunde‘) feine erzbifchöflihen Rechte über die 
Bisthümer Havelberg und Brandenburg an die neue Metropole ab. Deß⸗ 
gleihen wurde Hildewart, Bernhards Nachfolger in Halberftadt, gezwungen, 
nadhzugeben. ‘) 

Nach Uebenwindung fo vieler Hinderniffe, führte Otto I. feinen Plan 
in um fo größerem Umfange aus. Mit einem Echlage wurben die Metros 
pole Magdeburg und vier ihr unterworfene Bisthümer Zeiz, Merjeburg, 
Meißen, Pojen (in Polen) aufgerihtet. Das Hocftift Halberſtadt mußte 
an Magdeburg, wie an Merfeburg etliche zum alten Sachſengrund gehörige 
Stride abtreten, deren Gränzen man in gleichzeitigen Chronifen oder Urs 
funden?) verzeichnet findet. Die übrigen Bisthümer lagen ganz auf Sla⸗ 
venboden. Das neue Eraftift Magdeburg zählte mit den um 20 Jahre 
ältern Stühlen Havelberg und Brandenburg, die ihm zugewieſen wurden, 
im Ganzen ſechs Euffraganbisthümer. In den Bullen,‘) kraft welcer 
Pabft Johann AI. die Schöpfung Otto's beftätigte, heißt ed durchaus: 
die neuen Bisthümer feien gegründet worden, um die jenfeit der Saale 
und Elbe wohnenden Slaven im chriftlihen Glauben feftzuhalten. Man 
fann fte daher, ftreng genommen, feine deutſche, ſondern muß fie ſlaviſche 
Anftalten nennen, ob fie gleich allerdings den Zwed hatten, die ihnen zus 
getheilten ſlaviſchen Heerden in bleibende Unterthanen der deutſchen Kaiſer⸗ 
frone zu verwandeln. 

Dennod kam ſchon im 10. Jahrhundert der Gebrauch auf, das mit 
der Schärfe des Echwertd beziwungene, in bifchöflihe Eprengel vertheilte 
Slavengebiet, fofern es nämlich den deutihen Kaiſern nachhaltig gehorchte 
und folglih als Kronland betrachtet werden fonnte, nicht Elavien zu nennen, 
jondern mit dem Namen Oftiachfen zu bezeichnen. Widufind braucht?) von 
den Dienftleuten, an deren Epige Markherzog Gero die Slaven unterjochte, 
den Austrud: das Heer des Dftlandes; Thietmar von Merfeburg fest‘) in 
einer merkwürdigen Stelle den Inſaßen des eigentlihen Sachſens die Bes 
wohner der Slavenmarfen als Oftleute, orientales, entgegen. Die Ehronif 
von Hildesheim nennt‘) den Markgrafen Dieterih, von dem fpäter die 
Rede jein wird, einen Häuptling der Dftleute. Der fächfifche Annalift führt 
den Marfherzog Gero ald Markgrafen der Oftfachien, führt”) weiter die Stadt 
Magdeburg als eine Metropole Sachſens auf. Endlich werden die Marken 
des Dreiecks zwilhen Saale, Elbe und dem böhmifchen Gebirg, wie unten 
gezeigt werben foll, ſchon im 11. Jahrhundert gewöhnlich Oſtmarken genannt. 


*) Id. ibid. ) Raumer, reg. I, Nr. 232. Dann die Urkunde vom Jahre 1020 
bei Leibnig script. brunvic. II, 121. 2) Raumer, cod. branden. I, Nr. 227. 230. 
231. *) Perg III, 448 Mitte: orientalium partium milites. 6) Ibid. 768 Mitte. 
®) Ibid. ©. 99 unten orientalium comes. ’) Berg VI, 617 Mitte, 


154 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Auch in die Gefege und in die Kanzleiſprache ging biefelbe Ausdruck⸗ 
weife über. Den Vertrag von Piacenza mußten 1183 auf Befehl des 
Kaiſers Friederich Rothbart mit vielen Andern die „Markgrafen von Sad: 
fen“ befhwören.‘) Bis auf den heutigen Tag dauert die Nachwirkung des 
Namenwechſels fort. Als die Eintheilung des Reichs in Kreife zu Stande 
fam, wurde das eigentlibe Sachſen zum niederfächfifchen, das Dreied ber 
Saale zum oberſaächſiſchen Kreiſe geichlagen. Ja in neuerer Zeit haben bie 
wahren Sachſen ihren alten Etammnamen ganz verloren, da man fie 
Hannoveraner, Braunſchweiger und Preußen nennt, während die Nachkom⸗ 
men der von den Sachſen mit dem Schwert unterworfenen Saale s Slaven 
ausschließlich Sachſen heißen. Es ift Widukind's Stammgenoffen ergangen, 
wie dem Volfe des Herzogthums Schwaben⸗Alamannien, das jeht den amt 
lihen Namen Württemberger, Badener, Schweizer empfängt. Weil die 
dentfhe Herrſchaft im Saales Dreied ftärfere Wurzel trieb, als in ben 
Landen jenjeitd der Elbe, wo theils die eingebornen Slaven, theil bie 
Polen und hartnädigen Widerftand leiſteten, geſchah ed, daß der Name 
Oſtſachſen vorzugsweife auf die Saale-Slaven angewandt ward, obgleich 
diejelben nicht im Oſten, fondern im Süden des eigentlihen Sachſens 
faßen. — 

Im Ganzen hat Dtto auf Slavenboden acht Bisthümer: Magdeburg, 
Zeiz (unter Conrad IL. nad Naumburg an der Saale verlegt), Merfeburg, 
Meißen, Havelberg, Oldenburg (der Metropole Hamburg zugetheilt), Brans 
denburg, Pojen errichtet. Wohlan! ebenfo viele Stühle fol Carl der Große 
laut der Volksſage in Alttachfen gegründet haben,?) denn vdiefelbe machte 
ihn zum Urheber jämmtlicher füchfiichen Bisthümer, obgleih mehrere er 
durch Ludwig den Frommen fefte Geftalt erhielten. Aus dem Zufammen 
treffen der Zahl folgt meines Erachtens unzweifelhaft, daß der Sachſe Otto 
dem großen Franfen nacheiferte. Ueberblidt man die Karte, fo zeigt ſich 
bald, daß die acht flaviihen Bisthümer zugleich eine militäriſche Linie bils 
den, als deren Baſis Meißen, Magdeburg, Havelberg, Oldenburg, als 
deren Sturmfäule Brandenburg und Rofen erfcheint. Zeiz und Merfeburg 
nehmen die Stelle der Nachhut ein. Unverkennbar ſchwebte dem Baumeifter 
der acht ſlaviſchen Stühle ein ähnlicher Plan vor, wie der, welden bie 
Gründer der preußiſchen Monarchie befolgten. 

Schon aus diefer einen Erwägung erhellt, daß es nun und nimmer 
mehr die Abfiht Otto's I. geweſen fein fann, das neue Oſtſachſen mit 
dem alten Carolingifchen in irgend welcher Weife zu vereinigen, denn wie 
übermächtig, und darım wie gefährlich, wäre hiedurch das Herzogthum ber 
Billungen geworden! Bielmehr follte Neufachfen, gleih Altfachien, Baiern, 


— — 


‘) Berk, leg. II, 173 obere Mitte: marchiones de Saxonia. ?) Bere VI, 560. 





Erhed Buch. Gap. 4. Das carolingifche Gachfen. 155 


aunien, Ribuarien, Mofellanten und ehemals Franken, ein unmittels 
unter dem Reichsoberhaupt ſtehendes Kronlehen fein. Dafür daß 
L fo und nicht anders dachte, zeugen noch andere fchlagende That⸗ 
. Erftlih während Altfachfen zwar in Geftalt Hamburgs eine Mes 
e befaß, jedoch eine folhe, deren Wirkfamfeit nicht dem eigenen 
„ fondern dem Norden zugefehrt war, erhielt Neuſachſen durch Grün⸗ 
Magdeburgs fein eigenes Erzbisthum: das beweist für ſich allein, 
jemäß den Entwürfen Otto's Neufachfen dazu beftimmt war, ein Groß⸗ 
für fih zu fein. Dan zeige mir irgend eine beutfche Metropole, bie 
Inhängfel einem auswärts gelegenen Herzogthum zugewieſen worden 
Es gibt Feine. Zweitens fegte Otto über Neufachfen eigene Hers 
die diefen Titel noch zu der Zeit führten, da Herrmann, Billung’s 
„bereits Herzog von Altjachfen getworden war. Wie ich oben zeigte, 
Gero ſeit 946 urfundlih Markherzog — marchio dux — genannt. 
fol das heißen? ohne Zweifel dieß, daß Gero zu den andern Marks 
t, die neben ihm zum Borjchein kommen, in demfelben Verhäftnifie 
wie die übrigen deutſchen Herzoge zu den ihnen untergebenen Grafen. 
war jelber Markgraf, aber aud zugleich Herzog, d. h. Oberbefehls⸗ 
der andern jlaviihen Marfgrafen. 
Roh fchärfer tritt die wahre Bedeutung des Worts etwas fpäter hers 
obwohl erft unter dem Nachfolger Gero's. Der erfte Markherzog ſtarb) 
5 965, feine Stelle erhielt nunmehr mit gleichen Rechten derfelbe 
verih, der 955 als praeses, 966 ald Marfgraf aufgeführt wird. ?) 
fächflfche Annalift nennt?) ihn zum Jahre 983, wie mir fcheint, einer 
ide folgend, Marfherzog, marchio dux. Zur Zeit, da Theoderich 
8 Nachfolger wurde, befaß Herrmann, Billung’d Sohn, ſchon ſeit 
ren Jahren das Herzogthum Altſachſen. Nun hat Otto I. im Jahre 
von Rom aus an die Häupter von ganz Sachſen (d. 5. vom alten 
neuen) ein Schreiben gerichtet, daS Moͤnch Widukind in feine Chronik 
dm. Im Eingange vdiefes Briefes findet?) ſich der Sag: „Euch, den 
gen Herrmann und Theoderih, jo wie den übrigen Großbeamten 
end) wünjche ich Alles Gute.” Alfo war Thiederih fo gut Herzog 
Hermann, und folglid bildete Neufachfen ein eigenes Herzogthum 
jehörte politisch nicht mehr zu Altſachſen. 
Die acht neuen, von Dtto gegründeten Stühle, befanden fi in einer 
zigen Lage. Mitten unter eine ſlaviſche Bevölkerung hinein verjept, 
e die deutſche Herrichaft, und mit ihr das Chriftenthum (weil es durch 
härfe des Schwertd gepredigt ward) herzlich haßte, konnten fie ohne 





) Berk L, 628. 2) Siehe oben ©. 151. ’) Berk VI, 631. %) Bere III, 
unten. 


156 Vabſt Gregorins VIL. und fein Zeitalter. 


militärtfhen Schug feinen Augenblick beftehen. Daher drängt fidh bie Ber: 
muthung auf, daß von jenen verfchiedenen Marfgrafen, die unter dem 
Markherzog fanden, je einer einem beftimmten Stuhl zugewielen worden 
fein dürfte. Und wirflih ſtößt man auf mehrere Thatfachen, weldye dieſe 
Borausjegung beftätigen. In dem Ecreiben vom Jahre 968, Fraft deſſen 
Dtto I. die Erhebung Magdeburg's zur Metropole den Großen Sachſent 
anfündigte, und zugleich vie Errichtung der drei neuen Stühle Zeig, Meries 
burg, Meißen verorbnete, heißt‘) ed: „Euch, meinen Markgrafen, Wigbert, 
Wigger, Günther gebiete ich bei Vollzug meines Willens genau die Weis 
fungen zu befolgen, vie Euch Erzbifchof Adalbert (von Magdeburg) geben 
wird.” Offenbar war jeder dieſer drei Marfgrafen beauftragt, eines ver 
rei Bisthümer (nämlich dasjenige, das in feiner Marfe lag), aufzuricten 
und zu fchirmen. In gleihem Sinne fagt ) der ſächſiſche Annalift zum 
Jahre 983, Markherzog Theoverih fei zum Schirmherr der Bisıhümer 
Brandenburg und Havelberg beftellt gewefen. 

Und hiemit gelangen wir an eine neue Seite der militäriichen Be 
fehrung Slaviend, an eine Seite, welche nachhaltigen Einfluß: auf fpätere 
Jahrhunderte übte. Der Fluch Slaviens haftet auf der deutfchen Nation, 
denn greulid haben unfere Vorfahren das Nachbarvolf behandelt. “Die 
Unterdrüdung begann, noch che Dtto I. Hand an Gründung Neuſachſens 
legte. Im erften Jahre feiner Regierung fchenkte er durch Pergament‘) 
vom 13. Sept. 937 an das Nonnenklofter Quedlinburg 15 flavifche Ger 
finde zu Froſe, und ebenjo viele zu Calwe. Durd Urkunde *) vom 21. 
Sept. defielben Jahres vergabte er an das Morizſtift zu Magdeburg drei 
Gefinde von Liten und 15 ©efinde von Elaven; abermal unter den 
11. October‘) eine unbeftimmte Zahl von Gefinden aus Eolonen, Leib⸗ 
eigenen (servi) und Liten beftehend, zu Germersleben; fo wie in einem 
zweiten Orte Gefinde von Slaven; dann durch Brief‘) vom 7. Juni 939 
an dafjelbe Stift ungezählte Gefinde von Liten und Slaven. Drei Arten 
der Unfreiheit werben bier unterjchieden: Liten, Die noch gewiffe Rechte ber 
faßen; zweitend Leibeigene, servi, ganz Unfreie; drittend Slaven. Lebtere 
aber traf das härtefte Loos, fie waren geborene Sflaven; ift ja doch ihr 
Volksname Bezeihnung unfreien Standes in allen neueren abenvlänbijchen 
Sprachen geworden. 

Als vollends Dtto I. das Marfherzogthum Neuſachſen zu errichten 
begann, wurde der Krieg gegen die Elaven mit unmenſchlicher Grauſam⸗ 
feit geführt. Markherzog Gero bat ſich als Feldherr unläugbares Verdienſt 
um das Reich deuticher Nation erworben — mehrere Chroniften fprechen mit 


— 


’) Perg, leg. U, 561. 2) Berk VI, 631. 9 Raumer, regest. brandenburg. I, 
Nr. 129. *) Ibid. Ar. 130. 6) Ibid. Nr. 131. *) Ibid. Rr. 136. 


Erſtes Buch. Gap. 4. Das carolingifche Gachien. 157 


ıer Anerkennung von ihm, Widukind ertheilt ) ihm glänzendes Lob, 
der Fortſetzer Regino's nennt?) Gero, feinen Tod meldend, den beften 
Rarfgrafen — aber für die Elaven war er das verkörperte böfe Ges 
ein Würgengel. Widufind erzählt’): „im Jahre 939 Iud Gero 
30 Fürften der Slaven zu einem Gaftmahle und ließ dann während 
tacht die Beraufchten nieverfäbeln.” Ein noch Ärgerer Greuel ging 
verbfte 955 vor; während die Ungarn gegen Alamannien vorbrangen, 
ı aud die Elbeilaven fih von Neuem wider das deutſche Joch ers 
. Nach dem Siege bei Augsburg rüdte Dtto L perfönlih wider fie 
eld. Am Tage des h. Gallus (16. Det. 955) ward ihr Lager erftürmt, 
yeer vernichtet. Den König der Slaven, Stoinef, erlegte ein beutfcher 
: im Zweifampfe. Am andern Morgen warfen die Sieger den Kopf 
‚etöbteten Königs auf das Schlachtfeld und umfreisten denfelben mit 
Kranze von 70 enthaupteten Gefangenen. Zu diefen Todten fügten 
ch einen LZebenden, nämlich einen der Räthe Stoinef’d, dem man vors 
Ingen und Zunge auögerifjen hatte: hülflos mußte der Unglüdliche 
machten. Widukind, der all’ dieß berichtet,*) Täßt Teinen Laut des 
6 vernehmen; er jet offenbar voraus, den Slaven ſei Recht gefchehen, 
tten ed ebenfo mit den Unirigen gemacht, wären fle die Stärferen 
en. Der Nachfolger Gero’d, jener Marfherzog Theoderih, ahmte 
ı Vorgänger nah. Dur die unerträglichen Laften, die er auf den 
n der Elaven bürdete, fammelte ſich folhe Wuth an, daß hauptſäch⸗ 
ı Holge feines Waltens die Empörung von 983 ausbrad.°) 
Run eben dieſe fürcterlihe Markgrafen mit ihren Lanzfnechten find 
zentlichen Bekehrer der Saale- und Elbe-Slaven geweſen. Mit dem 
folben und dem Schwerte hat man 2epteren die Lehre vom Kreuze, 
die Vorſchrift etliche Gebete herzufagen und im Uebrigen ungemefjene 
t, Frohnden, Hand» und Spanndienfte zu leiften, gepredigt. Sonft 
jedes Fatholiiche Volk einen Apoftel aufweiſen: zu den faliichen Franken 
er 5. Rhemigius, zu den Briefen Wilibrord, zu den Oberbeutfchen 
. Bonifacius, zu den Weftfalen Liudger, zu den Preußen ver beil. 
», zu den Polen der 5. Adalbert als Engel des Friedens. Aber den 
aven ift Feiner zu Theil geworben. Nichts finde ich in dieſer Ber 
g verzeichnet, ald eine gelegentlihe Weußerung in dem Schreiben 
3 I., welches die Errichtung der drei Stühle Zeig, Merjeburg und 
n gebietet.“) „Boſo,“ heißt es darin, „der 968 als erfter Biſchof 
stuhl von Merfeburg beftieg, habe fi früher viele Mühe gegeben, 
laven zu befehren.“ 


Ders III, 461. 2) Berk I, 628. 3) Berk IIL, 444 oben. 4) Pertz III, 
*) Ibid. ©. 764. °) Perg, leg. II, 561. 


158 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Ehronift Thietmar geftcht felber ein, daß die Slaven, auch nad ihrer 
angebliden Befchrung, wo fie fonnten, Hohn mit Dem deutihen Ehriftenthum 
trieben. Er erzählt:') „Boſo, der erfte Biſchof von Merfeburg, fchrieb, um 
jeine Heerde leichter unterrichten zu können, Predigten in ſlaviſcher Sprache 
nieder, und machte ihr zur Pflicht das Kyrie eleifon auswendig zu lernen. 
Über die Slaven fprachen, ftatt Kyrie elcifon, Ufrivolfa aus, was in ihrer 
Zunge jo viel bedeutet, als: die Erle fteht im Buſch.“ Wie auf dem rechten 
Ufer der mittleren Elbe und der Saale, jo geitalteten fich die Dinge drunten 
im Obotritenlande, wo die Herzoge von Altſachſen dem Gelchäfte der Be 
fehrung oblagen. Man glaube nicht, Daß es an warnenden Stimmen tedt: 
ichaffener Geiſtlichen fehlte, die das Unweſen verdammten, allein ihre Worte 
verhallten wirfungslos. Adam von Bremen jchreibt:7) „feit geraumer Zeit 
herricht zwiichen den Herzogen von Sadjen und den Enzbilchöfen Ham- 
burgs Meinungsverfchiedenheit, betreffend die Behandlung der Slaven. 
Der Erzbiihof will dad ewige Wohl derfelben, der Herzog dagegen will 
ihr Geld, und längft wäre ganz Slavien chriftlich geworben, hätte nit 
bie Habjucht der Herzoge den Fortgang des Werts gehindert.“ 

Selbft in jenem Befehle Dtto’d I. vom Jahre 968 fpiegelt fich ver 
gewaltthätige, widerchriſtliche Charafter jlaviiher Belehrung ab. „Ihr 
meine Markgrafen Wigbert, Wigger und Günther,” jchreibt ver nem 
Kaifer, „unterftchet Eudy nicht, die drei Stühle zu verfürzen, fie ärmlid 
in Bettlers und Bauernart auszuftatten.” Otto kannte jeine Leute. So 
weit es nach ihrem Kopfe ging — und meift ging es darnach — behielten 
fie die Pomeranze für fib, und ließen dem Elerus nichts als die zwar 
jüßduftende aber ungenichbare Schale. 

Ungerehte Behandlung erzeugt überall Haß, der um fo zäber fort 
dauert, je weniger er Befriedigung findet. Ein merkwürdiges Beiſpiel liefert 
die Ehronif Helmold's, des Slaven-Pfarrers: „die abgefallenen Wenven 
Nordalbingiens,“ jagt”) er, „vertheidigten ihre Freiheit mit unbeugfamen 
Muthe, und wollten lieber in den Tod gehen, ald wieder Ehriften heißen 
und den Sacdfenfürften Tribut zahlen.” Dieſe Anftrengungen wurden 
niedergefchlagen, aber nicht die Erinnerung des erlittenen Unrechts. Die 
Elaven des 10. und 11. Jahrhunderts haben letztere, wie ein böfes Erb 
ft, ihren fpäten Enfeln überliefert. Böhmen erfuhr ein Ähnliches Schid- 
fal wie das Elbejlavenland. Zwar befaßen die Czechen am h. Adalbert 
von Prag einen ächten Apoftel ihres Bluts. Aber unfähig den Drud, der 
unter dem Aushängeichild des Ehriftenthbums auf feinen Stammgenofien 
laftete, länger angujehen, verließ er die Heimath umd ging nach Polen, 





1) Perg IL, 7585. ?) Berg VE, 331 unten, vergl. ibid. Seite 344 Mitte. 
3) Chronic. Slavorum I, 25. bei Leibnik script. brunsvic. II, 559 obere Mitte. 


Erſtes Buch. Gar. 4. Das carolingifche Gachfen. 159 


wo er ald Märtyrer ftarb. Run in eben diefem Böhmen brach die kirch⸗ 
lich⸗politiſche Neuerung des 15. Jahrhunderts aus: unter der Form hußis 
fcher Lehre erhoben fi) die Czechen gegen die Hoheit des deutſchen Reiche, 
denn fatholifch und deutſch galt damals nod für gleichbedeutend. Funken 
des Huffitenwejens fielen nach dem benachbarten Stavien hinliber, dad man 
bereit Kurfürftentbum Sachen nannte, glommen unter der Aſche fort, bis 
der große Brand von 1517 entftand. Iſt nicht der mit dem Schwerte 
befchrte und mit der Sflavengeißel regierte Metropolitanverband von Mag» 
deburg Mittelpunft und Lärmplag der Prädifanten geweien, und war das 
vielgepriefene Werk des Wittenbergers, feinem wahren Weſen nad, etwas 
Anderes als ein Verſuch, nach Hujfitenart die weltliche und geiftlihe Ord⸗ 
mung ded Reichs zu Gunften der hohen Ariftofratie umzuftürzen. 

Die Neuerer gewannen die Oberhand in jenem Gebiet, weil bas 
dortige Volf aus den oben entwidelten Gründen feine Anhänglichfeit für 
ven Fatholiichen Glauben fühlte, und mit heimlicher Schadenfreube den Sturz 
der beftehenden Einrichtungen anjah. Aber in dem Maße, wie die Präs 
difanten dem Rheine zu nad den alten Herzogthümern vorrüdten, ftießen 
fie auf Widerſtand, denn bier liebte dad Volk, an Freiheit gewöhnt, feine 
Kirche. 

Nur bie 983 hat das von Otto I. gegründete Markherzogthum Neus 
oder Oſtſachſen gedauert. Während ver nämlichen Zeit ift das Land jen⸗ 
feitö der Elbe Schwerpunft der neuen Schöpfung gewejen. Denn nicht 
nur wird jener Herzog Markgraf Theoderich ein Schirmherr der Hochſtifte 
Havelberg und Brandenburg genannt,‘) fondern überdieß gibt?) Thietmar 
von Merjeburg zu verftehen, daß Hodo, einer der Markgrafen, die offens 
bar unter Theoderidy’8 Dberbefehl ftanden, Tribut aus dem Gebiet zwiſchen 
Eibe und Warthe, wie es jcheint bis nach Bofen bin, eintrieb. An einer 
andern Stelle fügt °) derſelbe Ehronift bei: Micislaw, der Polenherzog, 
babe ſolche Scheue vor Hodo gefühlt, daß er nie im Pelzrod ein Haus zu 
betreten wagte, wo der Markgraf weilte, noch figen blieb, wenn biefer 
aufftand. 

Allein mit dem Jahre 983 gingen fämmtliche Eroberungen jenfeits 
der Eibe verloren. Auf die Nachricht vom Tode des Kaiſers Otto U. 
erhoben ſich die Slaven, verjagten oder ermordeten die deutichen Landherrn, 
verbrannten die Kirchen, zerftörten die Bilchofsfige Havelberg und Bran⸗ 
denburg, und ftellten auf cine Reihe von Jahren den alten Gögendienft 
wieder ber. „Wie Hiriche,” jagt‘) Thietmar, „flohen die Deutſchen vor 
den Wenden. “Denn jenen flößte das Unrecht, welches fie verübt, Echreden, 





) Siehe oben ©. 156. 2) Perg II, 753. 5 Ibid. S. 793. ) Die Bes 
weisftellen gefammelt bei Gfroͤrer K. &. III, 1410 fig. . 


160 Pabſt Eregorius VII, und fein Seitalter. 


diefen die Ehmad ter Knchtihaft Wuth ein.” Selbſt dieffelts der Elbe 
faßten die Empörer damals feften Fuß. Helmold hat die Nachricht aufs 
bewahrt, ') daß die Elaven zur Zeit des Aufitandes von 983 das fumpfige 
Land zwiſchen Salzwedel und der Elbe bejegten und dort Niederlafjungen 
gründeten, welde fie bis in’8 12. Jahrhundert behauptet haben. Zwiſchen 
990 und 1000 gewannen zwar Die Deutichen wieder Boden jenfeitd ver 
Elbe. Unten werde ich zeigen, daß im Nordoften eine Marf an der Havel 
fortbeftand, und daß weiter gegen Süden einer der Markgrafen des Saale 
landes die Laufig an fih bradte. Aber kurz barauf erlitt vie deutſche 
Herrſchaft einen zweiten Hauptichlag dur den Polen Boleslaw Chrobw, 
welcher die Laufig jammt andern nahen Gebieten eroberte und vermöge 
des Vertrags, den er im Juli 1002 zu Merfeburg mit König Heinrich IL 
abichloß, behalten durfte. ?) 

Markherzog Theoderich war ſchon 983 zur Etrafe dafür, daß er bi 
Slaven durch jeine Graujamfeit zur Verzweiflung und zum Aufftand ges 
trieben hatte, abgejegt worden. ’) Das Herzogthum ſelbſt ging ein, nirgends 
ift jeitdem mehr von einen marchio dux die Rede, was allerdings begreifs 
ih, da ja der jenjeitd der Elbe gelegene Haupttheil des Oftlandes, das 
einft Gero und Theoderich verwaltet hatten, fi nunmchr in den Händen 
der Elaven befant. Von Neu: oder Oftjachien blieben nur drei Marten 
übrig, eine, welche jpäter den Namen Nordmarke erhielt, an beiden Ufern 
der Elbe um Werben und Tangermünde, die zwei andern im Gebiet 
zwiſchen Elbe, Eaale und dem böhmilchen Gebirge. Als Erbftüd des ches 
maligen Markherzogthums Oſtſachſen, dem fie bis 983 angehörten, führten 
Iegtere beide den Namen Oſtmarken fort, obgleich fie nicht öftlich, Jondern 
füdlich von Altjachfen lagen. Erſt im Laufe des 12. Jahrhunderts wurden 
mit ihnen wieder öjtlid gelegene Striche vereinigt. Mit den- drei Marten, 
welche vielfah in die Geſchichte des Reihe unter Heinrih IV. eingriffen, 
haben wir es unten zu thun. 

Obſchon das herzoglice Band, das diefelben bis 983 umſchlang, ges 
fprengt war, wurden fie Doch nicht zu Altjachfen geichlagen. Keine einzige 
Thatjache liegt vor, welche auf eine joldye Vereinigung hinwieſe, wohl aber 
ift eine fchlagende befannt, welde für das Gegentheil zeugt. Hievon unten. 
Landherrn und Grundbeſitzer in den Marken waren durchaus Deutiche, bie 
hörige Bevölkerung dagegen, welde zum Vortheil der Gebieter das Land 
bebaute und allerlei Gewerbe trieb, beftand aus Slaven. Alle Gaue, 
faft alle Wohnftge, mit Ausnahme weniger Zwingburgen, wie Witteberg, 
Merfeburg, Naumburg, welche anzulegen We deutſchen Herren für gut 


1) Leibnitz script. bransvic. II, 612. 2) Folgt aus Vergleihung der Ausfagen 
Thietmar's Perk IL, 792 u. 795. 3) Raumer, regest. brand. I, Rr. 292 flg. 


Erſtes Buch. Cap. 4. Das carolingifche Sachſen. 161 


nden, trugen beſonders in den zwei fühlichen Marken jlaviihe Namen. *) 
ad Land felbft befand fi in einem blühenden Zuftande. Thietmar von 
terfeburg erzählt, Boleslaw Chrobry, der Polenkoͤnig, habe 1003 den 
au Glomuzi (das heutige Amt Lommatich), welcher bis dahin aufs Beſte 
gebaut geweſen, im Laufe eined Tages zur Wüfte gemacht. Ich denke, 
fe Bemerkung darf im Allgemeinen auf die neuſächſiſchen Marken anges 
bet werben. Trefflich taugten die Slaven zu Dem, wozu fie unfere 
orfahren vorzugsweiſe verwendeten, nämlich zu Aderbaufnechten. 

Bekanntlich meldet Cornelius Tacitus, daß die alten Deutfchen das 
Dtifche Leben nicht liebten, fondern es vorzogen, auf einfamen Höfen zu 
ihnen. In Denkmälern ded frühern Mittelalters finden ſich Beweife, daß 
: gleiche Eigenthümlichkeit bis über die Zeiten der Garolinger herab fort: 
uerte, aber aud daß die Slaven ein Städte bewohnendes Geſchlecht 
ıren.°) In dem Schreiben, das im Herbfte 900 Metropolit Theotmar 
n Salzburg fammt feinen Suffraganen an Pabſt Johann IX. richtete, 
BEN) es: „Die Slaven verfriehen fi hinter Mauern und Städten.“ 
ehr gut ftimmen hiezu die Zuftände der drei Marfen. 

Sm Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts fommen innerhalb der Nords 
arfe urfundlich oder bei Ehroniften vor: die Städte Werben,*) Prizlawa, 
angermünde,°) Stendal;°) in den Marfen zwilchen Elbe und Saale wers 
a, außer den bifchöflichen Städten Merjeburg, Zeiz, Naumburg, Meißen, 
r felben Zeit erwähnt die Drte: Nienburg an der Saale, ”) Barby, ®) 
alle, ſchon in Carls des Großen Tagen erbaut;?) Wettin,’Y) Sig eines 
Achtigen Srafengeichlehts, Zörbig, 9 Eilenburg,'”) Skeudiz, Wurzen, 
üben, Löbniz,'’) Belgern,'*) Torgau, ‘°) Strehla,'* Mügeln,‘7) Kol 
B,'°) Rochlitz,!“) Leipzig;?) endlih in den jenſeits der Elbe gelegenen 
indſchaften Ober⸗ und Niederlaufib, welche nachher wieder mit den neus 
chſiſchen Marken vereinigt wurven, die Städte: Dobriluf,?! Baupen, 9) 
ibben, von Thietmar eine große Stadt genannt. ?°) 

Anders jah ed im altveutichen Sachen aus, wo Bauern und Abel, 
eifweife bis auf den heutigen Tag, den einfamen Hof dem gefchloffenen 
orfe oder der Stadt vorzogen. In feltfamer Weife ift die vielbeiprochene 


*) Man vergl. dad Kartenheft zu Raumer regest. brandenb. I. 2) Berk II, 
5. Vergl. mit ibid. 801. 7 &frörer, Garolinger DI, 390. *) Raumer, regest. 
Ar. 451. 6) Ibid. Nr. 398. 6) Ibid. Nr. 470. 7) Ibid. Nr. 259. 267. 271. 
Ibid. 349 Barabogi genannt. 9) Berk I, 308. 19%) Raumer ibid. Nr. 186 und Berk 
L, 760. 11) Berg IIL, 821. 13) Raumer ibid. Nr. 367. 8) Berk III, 764. 
) Raumer Nr. 250. 404. 411. '°) Raumer Nr. 385. *®) Ibid. Nr. 366. ??) Berk 
L, 769. N) Ibid. ©. 844. N) Ibid. ©. 821. 20) Ibid. ©. 844. 22) Berk 
L 811. 3) Pertz III, 793 oben und öfter. 38) Berg III, 815. Raumer I, 
x. 890. 

Ofrörer, Vabſt Gregorius vu. Bd. 1. 11 


162 Vabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


Stelle mißdeutet worden, wo Mönd Widukind ſagt: ) „König Heinrich L 
habe viele urbes erbaut, und vor ihm feien, außer diefen von ihm ange 
fegten urbes, faft feine oder nur wenige moenia, (d. h. ummauerte Dr) 
im Sachſenland vorhanden gewejen.” Das Wort urbes beveutet hier nicht 
Etadt, jondern Burg. Daß dem jo fei, kann man nicht nur mittelft meh⸗ 
rerer gleichzeitigen bairijchen Urkunden, von denen fpäter die Rede fein 
wird, fondern auch fraft einer jächfiichen, von Heinrich's Sohne, Dtto L, 
ausgeftellten, darıhun. Durd Pergament ?) vom 13. Sept. 937 fchentte 
König Otto dem Frauenflojter zu Quedlinburg die in Quedlinburg felhf 
auf dem nahen Berg gelegene urbs. Handgreiflih if, daß bier der Aus 
druf urbs ein Bergichloß bedeutet, welches in Quedlinburg felbft lag. 
Allerdings werden in Altjachfen zwiſchen dem 9. und 12. Jahrhundert, 
außer den Bilhoföfigen Hamburg, Bremen, Halberftabt, Hildesheim, 
Minden, Verden, Paderborn, Osnabrüd, Münfter, noch andere Städte 
namhaft gemacht, wie Bardowik,“) das ſchon in Earld des Großen Tagen 
als Einlapftätte für den Handel zwiſchen Sadjen und Slaven erfcheint;*) 
Braunjchweig,’) Sig eined mächtigen Gejchlehts, Goslar, von den Saliern 
erbaut; dann in Weftfalen Soeft, im 9. Jahrhundert noch Billa (ein Dorf) 
genannt,°) aber im zehnten mit dem Namen Stadt gefbmüdt, und wegen 
des lebhaften Handel gepriefen;”) endlih Dortmund, wo König Hein⸗ 
rih II im Jahre 1005 eine vielbefuchte Kirchenverfammlung hielt. )e 
Allein alle dieſe Pläge waren zu den Zeiten Heinrich's J. und Otto's L 
noch offene Orte. Ausbrüdli wird bezeugt, daß die meiften bijchöflichen, 
Städte Sachſens erft gegen Ende des 10. und im Laufe des 11. Jahr 
hunderts befeftigt worden find. Erzbifchof Bescelin (1035—1045) beganz 
laut dem Zeugniffe?) des Chroniften Adam, die Hauptorte ſeines Sprew 
geld, Bremen und Hamburg, zu ummauern. Der jächftihe Annalift berich⸗ 
tet,%) daß Erzbischof Gero von Magdeburg, welder 1023 ftarb, bie 
Ummaurrung feines erzbiihöflihen Sites, zu welcher Kaiſer Otto L ben 
erften Grund gelegt hatte, vollendete. Derfelbe Zeuge meldet, Hildiward, 
Biihof von Halberftadt, habe dieſen feinen Sig, welcher gänzlich verfallen 
geweien, wieder hergeftellt und zu einer wahren Stadt gemadt.‘) Cuts 
lid erfahren wir, daß Biſchof Bernwarb feine Stadt Hildesheim mit 
Mauern und Thürmen verwahrte.‘?) Gleichwohl ließ die Befeſtigung ber 
genannten Städte Viele zu wünſchen übrig. Denn zum Jahre 1073 


— — — — — —— — 


‘) Pertz III, 432. ?) Raumer, regest. I, Nr. 129: donat congregationi Sanctimo- 
nialium in Quidilingaburg urbem in Quidilingaburg super montem constructam. 
2) Perg I, 181. %) Pers leg. I, 133. °) Perg III, 113. IV, 786 a. %) Br U 
683 b. ?) Ibid. 574. °) Berk ILL, 810. 9%) Berg VL, 831. 10) Berg VL 
676 oben. 11) Ibid. 641. 2) Berg IV, 761 unten flg. 


Erſtes Buch. Gap. 5. Sächfifche Groflchen. 163 


behauptet *) Ghronift Effchard, es habe damals nur wenige eigentliche 
Veſtungen in Sachen gegeben. 

Und nun wenden wir uns zu den im Billungifhen Herzogthum und 
in Neuſachſen aufgefommenen Herrengeichlechtern. 


Sünftes Capitel. 


Unruben in Altfachien. Das dortige Herzogtum. Die Billungen von Lüneburg. Die 
drei Marken in Neus oder Oftfachfen mit ihren Häufern. Zwei Palatinate. Auf⸗ 
Rrebende Geſchlechter: Buzizi, Weimar, Stade, Walbek, Braunfchweig, Nordheim, 
Orlamünde, Ballenftädt, Gupplinburg. 


In den Tagen Heinrich's III. war der Ueberrhein, oder das lotha⸗ 
ringiſche Erbe, Mittelpunft des politiihen Widerftands gegen die Plane 
des Faiferlihen Hofs gewejen. Bon den erften Jahren Heinrich's IV. an 
übernahm Sachſen dieſe Rolle. 

Lambert berichtet?) zum Jahre 1057: „die Zürften Sachſens hielten 
häufige Zufammenfünfte, um wegen des Unrechts zu berathen, das fie von 
Seiten des verftorbenen Kaiſers erlitten zu haben glaubten. Da fie ers 
warteten, daß der junge König in die Fußtapfen feines Vaters treten 
werde, geriethen ſie auf den Gedanken, demſelben gewaltfam die Krone zu 
entziehen und einen Anvern auf den Thron zu erheben. Bald erhielten 
diefe Anſchläge eine fefte Geftalt, weil ein tauglicher Führer fih ans 
bot. Der 1056 im Kampfe gegen die Slaven gefallene Markgraf Wils 
beim hinterließ einen Halbbruvder, Namend Dtto, welder zwar aus 
einer Mißheirath jeines Vaters mit einer Slavin ftammte, gleihwohl ein 
tapferer und entichloffener Mann war. Dtto hatte von Kindeöbeinen an 
als Berbannter in Böhmen gelebt; ald er aber ven Tod feines Bruder 
vernahm, eilte er herbei, vol Begierde, nicht nur die Mark an fich zu 
reißen, fjondern auch die deutfche Krone zu erringen. Die unzufriedenen 
ſächſiſchen Fürften Fnüpften Unterhandlungen mit ihm an, verfprachen ihm 
beizuftehen und verfhworen fih, den jungen König bei nächfter Gelegen- 
beit zu ermorden. Die Nachricht von viefen Entwürfen verbreitete Schreden 
am Hofe: der Beichluß wurbe gefaßt, daß der König ſich fo fchnell ala 
möglih nach Sachſen begeben ſolle. So geihah ed auch. Heinrih IV. 
traf um das Feft der Apoftel Peter und Paul (29. Juni 1057) zu Merfes 
burg ein, wohin er einen Landtag ausgefchrieben hatte, auf den fämmtliche 
Fürften Sachſens eingeladen waren.” 

Adfichtlih hebt Lambert die halbſlaviſche Abſtammung Otto's hervor: 
er bezeichnet ihn dadurch als einen Anmaßer, und allerdings nad dem bes 


*) Berg VI, 200 unten. *) Berk V, 158. 
11° 


164 Babft Gregorius VIL. und fein Seltalter. 


ſtehenden Staatsrecht war er ein folder. Der alte Grundſatz: „das Klub 
folgt der argen Hand,“ hatte feine Geltung noch nicht verloren. Zugleich 
erhellt aus dem Berichte Lamberts, daß nach den Begriffen unferer Bor 
fahren die Slaven als ein Volk betrachtet wurden, das nur zum Dienen 
gefchaffen fei, nie aber den Genuß von Herrenrechten fordern dürfe. Rod 
MWeitered liegt, obwohl verftedt, dem Gebanfengange des Chroniften zu 
Grunde: wäre Otto der vollbürtige Sohn feines Vaters aus der Ehe mit 
einer deutihen Mutter geweſen, jo würde er allerdings Anſpruch auf die 
Nachfolge in der Marfe gehabt haben. Mittelbar erkennt Lambert ein 
Recht der Erblichfeit an. Derfelben Meinung huldigten die unzufriede⸗ 
nen fächfifchen Großen und zwar fo entfchieben, daß fie fogar von ben 
Mängeln der Geburt Otto's abfahen. 

Zunächſt ift zu erflären, warım auf einmal viele Fürften in Sad 
zum Borfchein fommen, und warum gleihwohl das mädtigfte Haus des 
Landes, nämlich das herzoglihe, obwohl es, wie fich jpäter zeigen wird, 
tiefen Grol gegen die Salier hegte, unter den vielen Unzufriedenen feine 
oder doch nur eine verborgene Rolle fpielt ? 

Die Antwort ift: zur Zeit, da Heinrich IV. den Thron feines Vaters 
beftieg, waren alle Lehen in Sachſen erbli geworben: darım die Vielheit 
der Fürften. Andererfeitö hatte Heinrich's III. Staatsfunft, um dem befürch⸗ 
teten Wachsthum Billungiiher Macht einen Damm entgegenzufeßen, mehrere 
der Hleineren Lehenfürften in eine feindliche Stellung zu dem herzoglichen Haufe 
hineingetrieben: darum mußte legtered an fi halten. 

Den Beweis für das Gefagte wird nachfolgende Weberficht ſächſtſcher 
Zuftände liefern. 


Bas herzegliche Hans der Yillungen. 


Mönch Widufind von Corvey berichtet, ) König Dtto L babe bald 
nach feinem Regierungsantritt einen edlen, thatfräftigen und fcharffichtigen 
Mann, Namend Herrmann, zum Oberbefehlshaber des Heeres beftellt. 
Weiter erzählt?) eben vderjelbe, daß: „als Dtto I. 954 wider die Empörer 
in Sranfen zum Kampfe auszog, Herrmann in Sachſen zurüdblieb, um 
ald Stellvertreter des Königs diefes Land zu verwalten.” Sodann mel 
det?) Adam von Bremen: (ums Jahr 961) „va Dtto nad Stalien ziehen 
wollte, hielt er Rath, wem er wührend feiner Abwefenheit, als feinem 
Stellvertreter, die Auffiht über Sachſen anvertrauen möge. Die Wahl 
des Königs fiel anf Herrmann, derfelbe wurde an ded Könige Statt zum 


') Perg III, 439. *) Ibid. 455 oben. Herimannus dux Saxoniam procurabat. 
%) Pert VII 308. 


ſArſtes Buch. Gap. 5. Säachfiſche Großlehen. 165 


Berwalter eingeſetzt.“ Adam fpricht hier in rofenfarbener Weife und als Hof⸗ 
mann. Die Wahrheit ift, daß die Stimme aller Unpartheiiſchen, welche 
Gewicht im Lande und Einfiht befaßen, den Römerzug des Königs und 
Die mit dem Unternehmen zufammenhängenven Plane mißbiligten. Well 
dem fo war, fürdtete Dito, daß während feiner Abwefenheit Unruhen 
ausbrechen könnten, deßhalb beichloß er nun einen Bertrauten und Thells 
baber feiner geheimen Entwürfe ald Wächter im Lande zurüdzulaffen. 

Im Uebrigen erhellt aus den Wendungen, welde Adam übereinftims 
mend ‚mit obiger Stelle Widukinds braudt, daß nad) des Könige Abſicht 
Herrmann das übertragene Amt nur vorübergehend, ober fo lange als die 
Entfernung des Staatsoberhaupts dauere, behalten folltee Allein dieſe 
Beichränfung vermochte der neue Kaiſer nicht ind Werk zu ſetzen, obgleich 
ed ihm an gutem Willen dazu nicht fehlte. Schon 964 legte Dtto L 
merkliche Eiferfucht gegen den eingefegten Verweſer Sachſens an den Tag.) 
Herrmann wurde durd eben jenen Aft Herzog von Sachſen, blieb es, fo 
lange er lebte, erbaute das Schloß Küneburg, ſeitdem Stammfit feines Ge⸗ 
ſchlechts, und farb 973 als Herzog.) Weder Widukind von Corvey, 
noch Thietmar von Merfeburg nennen den Vater Herrmannsd mit Namen; 
aber aus fpäteren Quellen geht mit Sicherheit hervor, daß er Billung hieß 
und Graf war,) weßhalb dad von Herrmann gegründete Haus gewöhnlich 
als das Billungifche bezeichnet wird. 

Rah Hermann’ Tode erbte defien Sohn Bernhard I. nicht nur das 
Allod, fondern aud die Lehen des Vaters. Diefer Bernhard hat dem 
deutihen Könige Heinrich IL zwiſchen 1002 und 1011 böje Händel bes 
reitet, dennoch behielt er das Herzogthum bis zu feinem 1011 eingetretes 
nen‘) Tode. Nunmehr folgte Bernhards I. gleihnamiger Sohn, Bern- 
bard D., im Lehen wie im Allod. Obgleih die Ungnade nit nur 
Heinrih’8 II., fondern auch der beiden faliihen Kaiſer Conrad IL und 
Heinrich III. auf ihm Iaftete, behauptete Bernhard II. feine Lehen faft ein 
halbes Jahrhundert lang und ftarb*) 1059 als Herzog. Noch zwei weis 
tere Gefchlechtöfolgen, unter Ordulf (auch Otto genannt) dem Sohne, und 
unter Magnus, dem Enfel Bernhards IL, verblieb dad Herzogthum Alt⸗ 
ſachſen im Gefchlechte der Billungen, bi8 deren Mannsftamm erloſch. Man 
ſieht daher: diefes Haus hat eine merfwürbige Zähigfeit erprobt. 

Wie mag es gekommen fein, daß die Kaiſer, trotz ber unläugbaren 
Abneigung, welche fie gegen die Billungen an den Tag legten, dem läfti- 
gen Geſchlechte das Herzogthum nicht mehr zu entziehen vermochten, ſondern 
bie Erblichkelt des Lehens dulden mußten? ine Haupturfahe läßt fich 


1) Die Belege nachgewiefen bei Sfrörer, Kirch. Geſch. III, 1360 fig. 2) Ebenſo 
ibid. IV, 149. 3) Berk III, 80. 93. %) Wedekind, Noten II, 409. 








166 Vabſt Gregorins VIL. und fein Beitakter. 


nachweiſen. Innerhalb 80 Jahren haben Bernhard I. und Bernhard 
die Gunft der Zeitverhältniffe benützend, eine Maſſe von Gaugraff 
die im Umkreiſe ihres Herzogthums Tagen, als erblichen Beſitz 
Sie waren daher nicht blos Herzoge, ſondern zugleich Grafen in 
Landestheilen. Im Jahre 974 erfcheint Herzog Bernhard I. als Graf 
Gau's Lidbeke) im Sprengel vom Minden, an der Gränze von Osnab 
975 als Graf des Gaues Boroktra,) im weftfäliihen Antheil des Coln 
Erzſtifts; 979 als Graf des Gaues Oſterburg,) im Sprengel Minden : 
(heute heſſiſches Amt Schauenburg); 983 als Graf des Gaues Aftringa,Y 
im Sprengel Bremen (heute oftfrieftfches Amt Zrieveburg) ; 989 ale Gef 
des Gaues Skopingon,“) im Sprengel Münfter (heute Amt Horſtmar); 99% 
ale Graf des Landed Engern und des Gaues Weſſegow ‘) im Bistkeme 
Paderborn. Innerhalb des einzigen Jahred 1004 hat eben derſelbe an 
fi gebradt:”) die Gaugraffchaften Auga im Bisthum Paderborn, Barden⸗ 
gau im Verdener Sprengel, Drawän im nämlihen Sprengel, Hallangeise 
dafelbft, Hoftrungowe im Hochſtift Bremen, Mofedi im Verdener Sprengel, 
Tilttht im Bisthum Minden, Wifanafeld im Sprengel Hildesheim. Lebtere 
gehäufte Erwerbungen fallen in die ſchwer bevrängten Anfänge des Könige 
Heinrich's IL. Offenbar hat der Küneburger die Verlegenheiten der neuen 
Regierung meifterlih auszubeuten verftanden. 

Bernhard’8 I. gleihnamiger Sohn blieb an Eifer zu erwerben nit 
hinter dem Vater zurüd, obgleich die Zeiten ihm nicht in gleihem Maße 
günftig waren. Herzog Bernhard II. wird urkundlich aufgeführt 1013 als 
Graf ded Gaues Merftein,?) Sprengel von Minden (heute Aemter Calen⸗ 
berg und Lauenau). Innerhalb des einen Jahres 1022 gelangte eben 
derjelbe zum Beſitz der Gaugrafichaften?) Aftfala, Sprengel Hildesheim, Bel 
kesheim im Hocftift Halberftant, Guddinggowe im Bisthum Hildesheim, 
Skotelingen ebenvafelbf. Um's Jahr 1022 ift es geſchehen, daß Kaiſer 
Heinrich II. feine neue Kriegsordnung einführte,%) welche ven Bafallen große 
Laften auflegte. Diele derjelben verlangten und erhielten deßhalb Entſchaäͤ⸗ 
bigung durch erweiterte Lehen, und auch Herzog Bernhard II. von Sachen 
nahm, wie man flieht, die gute Gelegenheit wahr. Zwiſchen 1022 und 
1059 bat Bernhard I. — fo welt die Quellen reihen — nur noch zwei 
Gaugrafſchaften erworben, nämlih um 1029 das Comitat Enterigow,*‘) 
Sprengel von Minden, und um 1058 — ein Jahr vor feinem Tode — 
das Gomitat Loja‘?) im nämlichen Bisthum. 


— — 0 


*) Die Belege daſ. II. 177 unten fl. *) Ibid. 176. ®) Ibid. 179. *) Ibid. 
173. 6) Tbid. ©. 182. 6) Ibid. 174 und 183. ?) Ibid. 174— 184. ®) Ibid. 
179. 9) Did. 173—181. 9) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 188 fl. ) Wede⸗ 
find a. a. D. IL 177. 12) Ibid. 178, 


Erſtes Buch. Gap. 5. Saͤchfiſche Großlehen. 167 


4 Sicherlich wirkte, außer kluger Benübung der Umftände, bei all’ dieſen 
u Orwerbungen, die fi über fämmtlihe Sprengel Sachſens erftredten, auch 
„der Beſttz baaren Geldes mit. Das nothiwendige Del der großen Ges 
ſchäfte aber, welches im Mittelalter eine faft ebenfo bedeutende Rolle fpielte, 
wie heut zu Tage, erlangten die Herzoge von Altfachien in Hülle und 
Bälle durch die Gewaltherrfchaft über die Slaven der Dftfee. Nicht ums 
ſenſt klagt Aram von Bremen in den oben angeführten Stellen über den 
unmenjchlichen Geiz der fächfifchen Billungen. Auch muß man befennen, daß 
bei den Slaven der Oſtſee, weil fie weithin Handel auf ihren Schiffen 
tieben, etwas Erfledliches zu holen war. Der nämliche Bremer Ehronift 
azählt:") „ein Krieg war (um 1047) zwiſchen den Slaven der Peene, welche 
uater Firchlicher Obhut ded Hamburger Erzftuhles und unter dem Banner 
des ſaͤchſtſchen Herzogs ftanden, und ihren öftlihen Nachbarn ausgebrochen. 
Die Peeneilaven flegten, nun riefen aber die Meberwundenen den Obo⸗ 
tsttenhäuptling Gotſchalk, der fi zum Chriftenthum befannte, fammt dem 
Dänenfönig Swein und dem Herzog Bernhard TI. zu Hülfe. Alle drei 
erfchlenen mit gefammten Streitkräften. Die bisherigen Sieger fonnten 
einer folhen Uebermacht nicht widerſtehen: fieben Wochen lang mußten fie 
bie drei Heere auf ihre Koften erhalten und zulegt den Frieden um die 
ungeheure Summe von 16,000 Mark Silber erfaufen. Ueberdieß ſchlepp⸗ 
ten die verbündeten Fürſten viele taufend Gefangene weg, die ald Sklaven 
verfauft wurden.” 

Unter dem Titel Kriegskoften ift diefes Geld den Slaven am Meere 
abgepreßt worden. Aber auch im Frieden wußten die Billungen die Ver⸗ 
waltung der ihnen zugetheilten ſlaviſchen Rande fo zu regeln, daß fie möglid) 
große Nutzungen zogen. ine Urkunde Heinrich's IV. liefert den Beweis, 
daß die beiden Bernharde aus den flaviichen Bauen, welche unmittelbar an 
Me alte Reichsgraͤnze oder die ſächſiſche Sadelbande fließen, eine foͤrm⸗ 
liche Hausmarke gebilvet hatten, wo fie nad) Belieben jchalten und walten 
fonnten. Kraft einer zu Cöln im Jahre 1062 ausgeftellten Handvefte”) 
ſchenkte nämlich der unmündige König an Herzog Ordulf (Dtto, Bern 
hard's II. Sohn und Nachfolger) das Stoß Rageburg fammt allem Zus 
bebör, „was in des Herzogs Mark und im Polabergaue liegt,” zu freiem 
erblihen Eigentbum. Die herzoglihe Marfe beftand demnach bereits, als 
der Salier die Schenkung machte, nur ging fie jegt im erblichen Beftg 
des Haufe über. Das Wort Polabi befagt Sole, welche an der Elbe 
(po Laba) wohnen, und demgemäß beſtimmt Adam von Bremen ihre 


— — — — 


‘) Berg VII, 344. :) Böhmer, Megefl. Nr. 1747, vergl. Wedekind, Noten I, 
10 fig. 


168 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitaller. 


Sige. „Das Land der Polaber,” fchreibt‘) er, „liegt und Chen Sachſen) 
zunächſt und ihr Hauptort ift Rapeburg.“ 

Die von den Slaven auf dem einen oder andern Wege alljährlich 
. eingetriebenen Summen wurden allem Anfcheine nad durch Die Billungen 
großen Theild dazu verwendet, um in Altſachſen Landbefig und dadurch 
unfehlbar Gaugrafichaften zu erwerben. 

Nun fage ih: nachdem Bernharb I. und auch fein Sohn Bernhard IL 
fo unermeßlihes Gut an ihr Haus gebracht hatten, ſtand es nicht mehr 
in der Macht des Falferlihen Hofes, den Billungen das Herzogthum zu 
entziehen. Denn foldyen Örundeigenthümern gegenüber, hätte fein Anderer 
die übertragene Fahne zu behaupten vermocht. Folglich mußten die Kailer 
rubig geichehen laſſen, was nicht mehr abzuändern war, und indeß auf 
gute Gelegenheit harren, ven Gehaßten in gefeblicher Weife beizufommen. 
Allein die Billungen mieden, wie aus dem oben erzählten Ereigniße erhellt, 
forgfältig den böfen Schein, und benahmen fich jo, daß man ihnen gericht⸗ 
lich feine Felonie nachweifen konnte. 

Wegen des reichen Ertrags müſſen flavifche Lehen von deutfchen Her 
ren noch eifriger gefucht worden fein, als altſächſiſche von gleicher Aus 
dehnung. Hiefür bürgt die Gefchichte der drei oftjächfiihen Marken, die 
im nordöftlihen Deutichland den zweiten Rang nächſt dem altfächfiichen 
Herzogthum einnahmen. Männer aus ven angefehenften Häufern des 
Landes bewarben fih um dieſe Marken, und ver Wechfel im Beftge der: 
jelben wirft deßhalb Licht auf die größeren Geſchlechter Sachſens. 

Wir haben ed zunächft mit derjenigen Marfe zu thun, welche bis zum 
Jahre 1056 Wilhelm, Stiefbruder des oben erwähnten Halbflaven Dite, 
befaß. Vorerſt muß ihre Lage beftimmt werden. Sie empfing, wie fid 
unten zeigen wird, noch im Laufe des 11. Jahrhunderts den Namen Nord⸗ 
marfe (marca aquilonaris). Das weist darauf hin, daß fie im Norden 
der zwei übrigen Marfen lag. Aus einem andern Grunde bat man fie 
fiblih von dem Rapeburger Lande zu fuchen, da dort laut Ausſage der 
Urkunde von 1062 die Billungen eine eigene Hausmarfe errichtet Hatten. 
Genaueren Aufjhluß geben folgende Thatfachen: erftlih haben, laut dem 
Zeugniffe”) Helmold's, Slaven nad dem Aufftande von 983 dauernde An- 
fieblungen in dem fumpfigen Lande um Salzwedel gegründet. Da die 
Sadhjen bald nah 983 das von dem Yeinde bejegte dieſſeitige Gebiet 
wieder eroberten, fann fein Zweifel fein, daß die Eingedrungenen unter 
deutſche Obrigkeit, alſo unter einen Markgrafen geftellt wurben. Zweitens 
“aus mehreren Chronifen erheitt,) daß in Kaifer Conrad's TI. Tagen 


) Perg VIL, 311 unten. 2) Siehe oben ©. 160. ?) Bere III, 99 flg. 
V, 122. XI, 271. 


Erfes Bud. Gap. 5. Säachſiſche Großlehen. 169 


Werben auf dem linfen Ufer der Elbe, gegenüber Havelberg, eine deutſche 
Gränzfeftung war, um welche während ber Jahre 1033 — 36 wüthende 
Kämpfe flattfanden. Drittens hat fich die Ueberlieferung‘) erhalten, daß 
Udo von Stade, feit 1057 Borftand der Nordmarke, einen jungen Edel 
mann mit der Stadt Tangermünde belchntee Das Dreieck zwiſchen Salzs 
webel, Werben und Tangermünde bildete demnach einen dieſſeits der Elbe 
gelegenen Theil der Norbmarke. 

Aber auch über das jenfeitige Gebiet muß fie fich erftredt haben, 
denn wozu eine Marke "auf fo engem Raume, und noch dazu ganz auf 
altſaͤchfiſchem Boden! Prizlawa, der Drt, wo Markgraf Wilhelm, Udo's 
Vorgänger, 1056 fiel, lag auf dem rechten Ufer der Elbe heim Einfluß 
der Havel. Sodann melden?) die Chroniften, daß Kaiſer Conrad die 
1032 abgefallenen Slaven der Havel im Jahre 1036 mit blutiger Strenge 
wieder unterwarf und möthigte, noch jchwereren Tribut zu zahlen, als fie 
unter den früheren Kaiſern entrichtet hatten. Die Marke tft alfo bis 1032 
jenſeits fortbeftanden und 1036 wiederhergeftellt worden. 


Pie Uordmarke. Hänfer Walbeche und Stade. 


Bis zum Jahre 983 befaß der früher erwähnte Theoderich, außer 
dem Marfherzogthum und der Schirmberrfchaft über die Stühle Havelberg 
und Brandenburg, die Nordmarke. Nachdem er abgefegt worden, erlofch 
das Marfherzogthum, allein die Nordmarke blieb und wurde nunmehr an 
Lothar verlichen, welchen der fächftfche Annalift als Herrn des Stammfiges 
Waldbecke bezeichnet.) Diejer Lothar farb den 25. Ian. 1003, worauf 
fein Sohn Werinhar in der Würde ded Vaters nachfolgte. Wir haben 
bier das erfte Beifpiel, daß die Marke in Erbeigenthum überzugehen bes 
gann. Doch nahm fie diefe Eigenfchaft nicht ohne eine befondere Verfügung 
des Königs, und nicht ohme bedeutende Opfer des betheiligten Haufes an; 
denn Dietmar von Merſeburg bezeugt,*) daß die Mutter Werinhars für 
Vererbung des Lehend an ihren Sohn den Preis von 200. Pfund Silbers 
bezahlte. Im Jahr 1009 fiel Werinhar in Ungnade bei König Heinrich 
IL und verlor durch Richterfpruch feine Marke fammt den andern Lehen.’) 

Die Marfgrafichaft gelangte nun an Bernhard, den Sohn deffelben 
Theoderich, der 983 abgefegt worden war.“) Dieß deutet darauf bin, daß 
König Heinrih IL. ein gewiſſes Erbrecht des Neubelehnten anerkannte. 


!) Raumer, regest. branden. I. Nr. 565. 2) Berk IIL, 99 flg. V, 122. XI, 271. 
) ad a. 983, Berk VL 631. °) VI, 52, Berk III, 831 vergl. auch Raumer Reg. 
Mr. 370 fl.  *) Raumer Reg. Nr. 400 u. 425. 6) Annalist. Saxo ad a. 1010, 
Berg VI, 660 unten flg. 


170 Pabſt Gregorind VIL und fein Betbalter. 


Wirklich blieb auch ſeitdem Würde und Gebiet erblih im Haufe Bernbarbs 
bis zum dritten Glied.) Denn auf ihn folgte fein gleichnamiger Sohn 
Bernhard II., und hinwiederum auf diefen in gleicher Weiſe Bernhards II. 
Sohn, Wilhelm, der 1056 im Kampfe gegen die Liutizen fiel und Stief⸗ 
bruder des Halbflawen Dtto war. Der Drt, wo er erſchlagen warb, hieß 
Prizlawa und lag, wie bereitd gejagt worden, unfern der Stelle, wo bie 
Havel in die Elbe einmündet. Das Treffen fcheint zur Bertheidigung ber 
nahen Bifchofftant Havelberg geliefert worden zu feyn. Ein Zeuge, der 
zwar erft im 13. Jahrhundert fehrieb,?) aber über die Geſchichte Sachſens 
gute Nachrichten mittheilt, — der Lüneburger Ehronift — meldet ausdrüclich, 
dag Marfgraf Wilhelm feine Kinder hinterließ. Das Lehen war daher 
erledigt und fiel einem mächtigen norbfächfifchen Haufe, dem der Grafen 
von Stade an der untern Elbe zu. Der fächftiche Annalift, welcher letzte⸗ 
res meldet, gibt?) der Provinz den eigenthümlichen Namen, welder ihr 
fpäter geblieben ift, indem er fie Nordmarke nennt. 

Das Gefchleht der Grafen von Stade Tann bis in die zweite Hälfte 
des 10. Jahrhunderts zurüdverfolgt werden. Auf unzweideutige Weiſe er 
wähnt daſſelbe zuerft der fächfiiche Annalift, indem er zum Jahre 969 einen 
Grafen Heinrih von Stade aufführt, der aus feiner Ehe mit Juditha, 
ber Schwefter eines Herzogs Udo, zwei Söhne, Heinrih und Sigfried 
binterlafjen, auch das Schloß Harfefeld Can der Aue) erbaut habe. Dieſer 
Heinrich, der von andern gleichnamigen Nachkommen feines Stammes durch 
den Beinamen des Kahlen unterfchieven wird, ftarb*) den 10. Mai 976. 
Auf ihn folgte in der Grafenwürde zuerft der Ältere Sohn Heinrid, ber 
Gute genannt; dann, nachdem diefer 1016 mit Tod abgegangen war, ber 
füngere Bruder Sigfried, welcher im Mai 1034 ftarb, einen Sohn Luther 
auch Udo genannt, hinterlaffend, der erft das Lehen feines Vaters erbte, 
und 1056 auch noch die Norbmarfe erhielt.) 

Lambert fügt, nachdem er die Uebertragung der Rorbmarfe am Ude 
gemeldet, die Bemerkung bei,°) er fei ein tapferer Mann und dem Föniglis 
hen Haufe nahe verwandt gewefen. Da feine Spur vorhanden ift, daß 
Udo und fein Haus — etwa durch Verfchwägerung mit dem verflorbenen 
Wilhelm — ein Recht der Anwartichaft auf die Nordmarke befaß, ſcheim 
legtere Aeußerung Lamberts den Grund zu enthalten, weßhalb die Marke 
vorzugsweiſe den Grafen von Stade zu Theil ward. Weil der Taiferlide 
Hof auf die Anhänglichkeit Udo's rechnete, fanden Agnes und ihre Rathgeber 





) Raumer a. a. D. Nr. 401. 425. 427. 434. 437. fig. 444. 459. 471. 508. 
518. 537. 550, endlich chronic. luneburg. bei @ffarb corp. hist. I, 1372. Ellard 
a. a. O. I, 1372. 2) Ad annum 1056, Berk VI. 691. 4) Raumer, Ar. 263. 
*) Daf. Rr. 403. 435. 494 fi. °) ad a. 1056, Berk V, 158. 


Crfed Bu. ap. 5. Sachfiſche Großlchen. 171 


oder vielleicht andy noch Kaiſer Heinrich III. ſelbſt — denn die Vebertras 
gung fönnte vor des Kaiſers Tod erfolgt fein — für gut, das Lehen an 
das Haus von Stade zu vergeben. Zugleich wird jegt Far, warum bie 
Uebertragung ſo großen Anftoß bei den ſächſiſchen Fürſten erregte. “Diele 
Mafregel war gegen fie alle gerichtet und darauf berechnet, ihren Empoͤ⸗ 
rungögelüften, weldhe der Hof Fannte, einen Zaum anzulegen. Noch mehr 
als die andern Fürften, grollte der Halbbruder Wilhelms, Dito. Vergeſſend, 
daß er der Sohn einer Slavin fei, ſah er in der Belehnung eines jeinem 
Sefchlechte fremden Bewerbers eine fchreiende Verlegung ver jeit 3 Mens 
ſchenaltern zum Gewohnheitsrecht gewordenen Erblichkeit aller Lehen. 


Pie Oſtmarke. Pas Haus Juzizi. 


Die zufammenhängenvde Reihe der Markgrafen diefes Gebiets beginnt 
mit Thietmar, dem Sohne des früher erwähnten‘, Markgrafen Ehriftian, 
und durch feine Mutter Hitta, eine Schwefter des Marfherzogs Gero, leibs 
lichem Neffen dieſes gefeierten Mannes.“) Derfelbe ehelichte Swanehild, 
die Tochter Herrmann's, des erften Sachſenherzogs aus dem billungiichen 
Stamme, und ftarb 978.7) Auf ihn folgte in der väterlichen Würde fein 
Sohn ®ero, welcher in Urkunden mehrfach erwähnt wird“) und den 6. Aug. 
1015 im Kampfe gegen den Polen Boleslaw fiel.) Noch zwei weitere 
Menfchenalter blieb die Marke bei Thietmars Stamme: bis zum Jahr 1029 
Rand ihr Gero's Sohn Thietmar IL vor, der den 10. Ian. 1030 mit 
Tod abging; dann nach ihm deſſen Sohn Hodo, welcher kurz darauf gleich 
falls farb und zwar ohne Kinder zu Hinterlaffen.‘) Somit fam der das 
malige Beherricher Deutichlande in den Fall, über das erledigte Lehen zu 
verfügen. 

Er verlieh e8 an ein Dynaftengeichlecht, weldhem Thietmar von Merfes 
burg den Beinamen Buzizi gibt, der wohl auf eine Stammburg bezogen 
werden muß. euere vermuthen,’) das Dorf Pauſitz bei Leipzig (in einer 
Urfunde Otto's III. vom Jahre 991 Buſci genannt) fei gemeint. Der 
Bifhof von Merfeburg, und, ihm mit einigen Zufäßen folgend, der ſach⸗ 
ſiſche Annalift®) berichten: „zu den Zeiten Otto's I. Iebte ein hochfreier 
Mann Thieverih, aus dem Geſchlechte Buzizi, der zwei Söhne, die Grafen 


%)6. oben ©. 151. °) Annalista Saxo ad a. 965, Berk VI, 619 unb Chronicon 
montis sereni ad a. 1171 bei Menden Script. rer. germanic. II, 191. 8) Annalist. 
saro ad annum 978. Perk VI, 627; ad annum 1002 ibid. 648 u. ad annum 1029 ibid. 
678. *) Raumer regest. Nr. 319. 321. *%) Thietmari merseburg. chronic. VIL, 13. 
Berg II, 842. Bol. mit Wedefind, Noten III, 250. °) Daf. ©. 236 u. annal. saxzo 
ad a. 1029. Berk VI, 678. ’) Berk III, 820 Note 61. °)ada. 1009. Perg 
VI, 659 fig. 


172 Pabſt Sregorins VIL und fein Zeitalter. 


Dedo und Friederich hinterließ. Der ältere von dieſen beiden, Dedo, trat 
als junger Menſch in die Dienfte des Markgrafen Rifpag‘) und arbeitete 
ſich durch Verftand und Tapferkeit empor. Unter Kaiſer Dtto IL ließ er 
fih in eine Verſchwoͤrung mit den Böhmen ein, geleitete diefelben im Jahre 
973 nad Zeib und half ihnen dieſe Stabt zerftören. Später jöhnte er 
fih mit dem faiferliben Haufe aus, errang die Gunft Otto's TIL und 
flieg von Ehren zu Ehren. Unter Anderem erlangte er, mit Beibülfe des 
Erzbiichofs Gifelher von Magdeburg, die Grafihaft Merfeburg, welde 
das Gebiet zwifchen der Wipper, der Saale, dem Salzſee und dem Wil 
denbach umfaßte. Auch glänzende Bamilienverbindungen ging Dedo ein: 
er ehelichte nämlich Thietburga, die Tochter ded Markgrafen Theoderich. 
Sein Glück machte ihn jedoch übermüthig, und erfüllte ven Kaifer Otto IIL 
mit Eiferfucht, die andern ſächſiſchen Großen mit Neld gegen ihn.“ So 
im MWejentlihen Thietmar und der andere Chronift. 

Unter dem Schwiegervater Dedo's ift ohne Frage der erfte Markgraf 
der Rorbmarfe, jener Theoderich, Geros Nachfolger, gemeint, von Dem oben 
die Rede war. Außer Thietberga, welde den Grafen Dedo von Pauflz 
ehelichte, hatte Markgraf Theoverich noch eine ältere Tochter, die, obgleich 
ald Nonne in ein Klofter zu Calwe eingetreten, ums Jahr 980 dem Her 
zoge Micislam I. von Polen ihre Hand geben mußte.) Dedo von Buziz 
war daher durch feine Heirat, mit dem polnifchen Königehaufe verſchwaͤ⸗ 
gert. Bald endete Dedo auf gewaltfame Weije: er warb nämlid im Jahr 
1009 durd den Markgrafen ver Nordmarke, Werinhar, aus dem Haufe 
Walbecke und Vetter des Merfeburger Gefchichtichreibers, erichlagen. *) 

An Weihnachten deſſelben Jahres, in welchem die Mordthat vor fih 
ging, beftätigte König Heinrih II. den Sohn des Getödteten, Theoderich, 
der feinen Namen zu Ehren des mütterlihen und väterlichen Ahns empfan- 
gen zu haben fcheint, in allen Lehen des Vaters; zu gleicher Zeit wurde 
auch der Mörder in der früher befchriebenen Weife, nämlich durch Abſetzung, 
beftraft. Acht Jahre, nachdem Theodrich, Dedo's Sohn, in den Nachlaß 
feines Vaters eingetreten war, erbte*) er auch noch die Zehen feines väter 
lichen Oheims Friederih, der 1017 ohne männlihe Nachkommen verſchied, 
namentlih Stadt und Grafſchaft Eilenburg‘) an der Mulde. Er muß 
fhon damald einer der mächtigſten Herm in Sachſen gewelen fein, und 
diefer Glanz ward noch durch Verſchwägerung erhöht. Die Gemahlin 
Theodrihe,, Mathilde, war’) eine Tochter Ekkihards L, Markgrafen von 
Meißen, der 1002 als Gegenkoͤnig wider Heinrich IL. von Deutſchland 





1) Siehe Jahrbrücher des beutfchen Reichs IL, a. 152. ) Berk II, 784 und 
annal. saxo ad a. 986. Berk VI, 633. 5 Perk III, 820 u. VL, 659. 9) Berg 
III, 852. ®) Chronicon montis sereni bei Menden IL, 307. 


Crfeb Bud. Gap. 5. Eädfüiche Großlehen. 173 


% [) 
auftrat.) ine andere Tochter deffelben Effihard, Oda, nahm im Jahre 
1018 der Polenfönig Boleslaw Chrobry, Micislaws I. Sohn, in vierter 
Ehe zum Weibe.?) 

Der nämliche Theoderich nun, Dedo's Sohn, aus dem Geſchlechte Buzizi, 
war es, der im Jahr 1030 nad dem Tode ded Marfgrafen Thietmar II. 
die erledigte Marke erhiel. Doch kann der Beweis nur auf Umwegen 
geführt werden. Im Frühling 1030 machte der Polenfönig Micislaw IL, 
Boleslaw Chrobry's Sohn, in das Gebiet zwiſchen Elbe und Saale 
einen verheerenden Einfall, der mit Thietmar’d Tode in Zujammenhang 
fand. Einer der ſächſiſchen Geſchichtſchreiber, den man durd den Beinamen 
des Ehronographen von dem gleichzeitigen Annaliften unterfcheidet, berichtet’) 
zum Sahre 1030: „auf die Nachricht vom Tode des Markgrafen 
Thietmar brach Micislaw II. von Polen über die deutſche Gränze ein, 
verwüftete zroifchen Saale und Elbe 100 Dörfer, fchleppte 9065 Männer 
und Weiber ald Gefangene fort” u. ſ. w. Wie man fieht, will der Zeuge 
fagen, daß Thietmar's Tod den Polen zu diefer That ermuthigt habe, und 
dag Micislaw den Zug wohl nicht gewagt hätte, im Falle der Markgraf 
am Leben geblieben wäre. Wenn je ein deuticher Großer in jener Gegend 
dem Feinde Widerftand zu leiften vermochte, fo mußte dieß Theoderich, 
Dedo's Sohn, verfuhen. Denn feine vom Vater und Oheim ererbten 
Grafſchaften, Eilenburg und Merſeburg, lagen in Mitte des durch die Polen 
bedrängten Gebiets. Wirklich meldet!) der Annalift zum Sahre 1030, 
Graf Theoderich fei den eingedrungenen Feinden entgegengerüdt, habe viele 
getöbtet, die andern zum Rückzuge genöthigt. Obgleih der Annalift den 
Grafen Theoderich nicht näher bezeichnet, Tann man unmöglich bezweifeln, 
daß der Gemahl Mathildend und Dedo's Sohn, Herr der Grafichaften 
Merfeburg und Eilenburg, gemeint ift. 

Zwei Jahre fpäter erhielt Theoderich einen glänzenden Lohn für bie 
Verdienſte, welche er fih durch Vertreibung des mit ihm verwandten Pos 
Ienfürften um dad Reich erworben hatte. Mehrere deutihe Quellen fagen 
aus, Kaijer Conrad habe bald nad obigem Einfalle den Polen Micislaw 
zu Paaren getrieben und zu bedeutenden Abtretungen, oder, damit ich den 
eigenen Ausdruck der Chroniften gebrauche, zu Thellung des von feinem 
Bater Boleslaw Chrobry ererbten Reiches genöthigt. Aber über die 
Zahl der Theile ftimmen fie nicht überein. Wippo und ihm folgend Otto, 
der Freifinger Bifchof, fprechen®) von drei Theilen, ohne daß fie die Namen 
Derjenigen angeben, welche auf Koftlen Micislaws bedacht wurden. “Der 


*) Sfrörer, Kirch. Geh. IV, 5 flg- ?) Berg III, 861, vergl. mit ibid. ©. 784. 
8) Leibnitz, accessiones historic. I, 241. %) Berk VI, 678. *) Die Beweisftellen 
gefammelt und trefflich beuriheilt von Dobner zu Hagel V, 189 fig. 


174 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Mönd von Hildesheim dagegen, der, ob er gleich über die Vorgänge im 
öftlihen Sadjen zuweilen gute Radhrichten mittheilt, doch die dortigen 
Verhältniffe nur oberflählih kennt, erwähnt nur eine Abtretung, bezeichnet 
aber dafür den, welder ven chemaligen polniihen @ebietstheil befam, ale 
Theoderih, einen Verwandten (patruelis) Micislaw's. Dieß paßt nur auf 
Theoverih, Dedo's Sohn, der ja, wie ich oben zeigte, ein Schwager Boles⸗ 
law’8 gewefen war. Im gemeinen Leben wird man daher den Sohn Bes 
leslaw's ald Neffen Theoderichs bezeichnet haben, obgleih Micislaw fein 
Sohn der Oda, der eigentlichen Schwägerin Theoderich’8 war, fondern aus 
der dritten Ehe Boleslaw's mit der Slavin Emnilvis abftummte. *) 

Boleslaw Ehrobry hatte im langen Laufe feiner Regierung zu dem 
eigentlichen Erbreiche, deffen Weftgränze die Oder bilvete, auc die Gebiete 
bis zur Elbe erobert, welche unter den Dttonen Provinzen des deutſchen 
Reichs gewejen waren. Hoͤchſt wahricheinlih, ja man darf fagen, 
unzweifelhaft ift daher die jchon von früheren Schriftftellern aufgeftellte 
Behauptung, daß die Erwerbung, weldye damals Theoderich auf Koften 
Polens machte, in dem Gränggebiet zwiſchen Oder und Elbe gefucht wer: 
den müfle, das feit dem 12. Jahrhundert Laufig heißt, und jpäter dauernd 
mit der öftlihen Markgrafichaft vereinigt wurbe, welcher von 1030—1034 
Theoderih vorftand. Damals aber blieb die Laufig nur für kurze Zeit in 
den Händen Theoderichs; denn der Mönd von Hildesheim fügt”) feinem 
Berichte die Bemerkung bei, Micislaw habe kurz darauf feinen Verwand⸗ 
ten Theoderich wieder aus dem Beſitze der abgetretenen Landestheile ver 
trieben. Da beide, Micislaw und Theoderich, im Jahre 1034 ftarben,’) fo 
muß man die Vertreibung des letztern zwilchen 1032 und 1034, alfo wohl 
ind Jahr 1033 verfeßen. 

Allem Anfcheine nad ift Theoderich, noch ehe Micislaw die Laufig an 
ihn abtrat, vom Kaiſer mit der feit 1030 erlevigten Marf Thietmar's bes 
lehnt worden. Jedenfalls bejaß er diefelbe 1034, im Jahre ſeines Todes; 
denn der Hildesheimer Mönd meldet:”) „ven 19. Nov. 1034 warb Theo 
derih, Graf der Oftmarfe, in feinem Zimmer dur Dienftmannen des 
Markgrafen Effihard II. (von Meißen) verrätheriicher Weife ermordet.“ 
Der Ausbrud, den der Chronift gebraucht — comes orientalium — iſt uns 
gewöhnlih, und meined Erachtens darım gewählt, weil Theoderich nicht 
bloß eines, ſondern mehrere Lehen im öftlihen Sachſen, nämlidy außer ber 
Marke auch noch verfchienene Orafichaften, beſaß. Sämmtliche Lehen Theo 
derich's, fowohl die Marke, ald die Grafichaften, gingen auf den erſtgebor⸗ 
nen Sohn ded Getöbteten, auf Dedo über, der von den Chroniften des 


ı) Thietmari chronic. IV. 87. Berg IIL, 784. 2) ad a. 1092. Berg 1IL, 98. 
8) Idem ibid. 99. 


Erſtes Bud. Gap. 5. Sachſiſche Großlehen. 175 


11. Jahrhunderts vielfah erwähnt wird,‘) und aud während der erflen 
Beriode der Regierung Kaiſer Heinrih’8 IV. eine Rolle geipielt hat. 

Laut dem oben angeführten Zeugniffe brach der PBolenfönig, nach dem 
Tode des Markgrafen Thietmar und aus Anlaß diefed Ereigniffed, in das 
Land zwiichen Elbe und Saale ein; der Graf von Merjeburg und Eilen 
burg aber war es, der den Eingebrungenen zurückſchlug. Das heißt nun 
jo viel: das Gebiet, dem Thietmar vorftand, begriff die beiden genann⸗ 
ten Städte, oder, was hiemit gleichbedeutend, die Landſchaft zwiſchen Mulde 
und Saale. Da ferner die Mulde in ihrem Laufe die Gränze zwiſchen 
den Sprengeln Zeiz und Meißen bildete, fann man kaum bezweifeln, daß 
die Oſtmarke zum Schuge der Hochſtifte Merfeburg und Zeiz errichtet wors 
den ift, und beide umſchloß. Bolglih war Thietmar L, mit dem die zus 
fammenhängende Reihe der Markgrafen im fogenannten Oftlande beginnt, 
Nachfolger eines der drei- Markgrafen Wigbert, Wigger und Günther, 
welche Kaifer Otto L im Jahre 968 beauftragt hatte, die drei Stühle 
Merfeburg, Zeiz und Meißen einzurichten. 

Noch lag eine dritte Marke in dem Dreieck zwiſchen Eaale, Elbe und 
dem böhmifchen Gebirge. Diefelbe muß nothwendig mit dem Sprengel von 
Meißen zufamenfallen, da diejer den ganzen Raum audfüllte, den die Ges 
biete der Bisthümer Merfeburg und Zeiz übrig ließen. In der That ers 
bielt die dritte Marke noch im 11. Jahrhundert, wie fi unten zeigen 
wird, den Ramen der Meißner. Unſere Darftelung wird alſo von allen 
Seiten beftätigt. 


Pie Meikuer Marke. dJas Hans Echiherds; die Iynaſten von Weimar und 
Orlamände. 


Die Reihenfolge der Markgrafen des Meißener Landes eröffnet Guͤn⸗ 
tber, derſelbe, welchen dad Befehlſchreiben Dtto’8 I. vom Jahre 968 er 
wähnt Rad großen, dem Reiche unter Dtto I. und II. geleifteten Dien- 
fien, fiel er 982 in der unglüdlichen, gegen die Saragenen in Calabrien 
gelieferten, Schlacht.) Ueber feinen früheren Schickſalen legt Dunkel, 
Thietmar von Merfeburg gibt zu verftehen,*) Günther fei längere Zeit fels 
ner Lehen entjegt gewejen, habe aber unter Dtto II. wieder die kaiſerliche 
Gunſt erlangt. Diefer Unfall kann ihm entweder unter Otto I. oder IL 
zugeftoßen fein. War Erftered der Ball, fo fcheint ed rathfam, Günthers 
Ungnade in die erfte Periode der Regierung Otto's I., vor Erlangung der 
Kaiferkrone hinaufzurüden, denn aus jenem Faiferlihen Schreiben,‘) kraft 


%) Stellen gefammelt von Eccard hist. geneal. prince. Sax. ©. 63 fig. ) Man 
fege die Karte. ?) Thietmari chronicon III, 12. Berg III, 766. *) Idem IV, 26, 
ibid. ©. 779. ®%) Perg leg. IL, 561. 


176 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


deffen Dtto J. feine Markgrafen Wigbert, Wigger und Günther ammeitt, 
die Bilchöfe von Merfeburg, Zelz und Meißen auf ihre neuerriciteten 
Stühle einzufegen, erhelt, daß Günther im angegebenen Jahre Markgraf 
zwiichen Saale und Elbe war. Diefelbe Würde behauptete Günther auch 
in den erften Jahren Dtto’8 IL, denn eine Urkunde dieſes Kaiſers vom 
30. Aug. 974, aus welder der Merfeburger Geichichtfchreiber einige Säge 
anführt,) befagt: eine Schenfung an die Kirde von Merfeburg fei 
unter dem Markgrafen Günther und dem Biſchof Gifelher erfolgt. Kiel 
dagegen Günther’ Ungnade in die Regierung Otto's II., jo muß man ſie 
in die Zeit zwiichen 974 und 982 verjegen, weil Günther, wie wir eben 
fagten, 974 eine Marfe verwaltete, und 982 mit dem Kaiſer ausgeföhnt, 
ftarb. 

Ich halte von den beiden angegebenen Fällen den letteren für wahr 
fcheinlicher, mit andern Worten, ich vermuthe, daß Günther nad, 774 ſein 
Zehen verloren hat. Mein Hauptgrund ift diefer: Günthers berühmter 
Sohn Effihard, der den Vater auf dem Zuge nad Italien begleitet bat, 
aber glüdlicher ald er, unverfehrt zurüdfam,?) erlangte zwar die gleid« 
Würde, wie der Vater; aber nicht unmittelbar nah Günthere Tode, fon 
dern erft drei Jahre fpäter, nachdem ein Anderer, Rifvag, der bis 985 
Marfgraf von Meißen war, das Zeitliche gejegnet hatte Thietmar von 
Merfeburg erwähnt nämlih”) ein ind Jahr 984 fallendes kriegeriſches 
Ereigniß, aus welchem hervorgeht, daß die bifchöflihe Stadt Meißen zum 
Amtsbezirk des Markgrafen Rikdag gehörte, und dauernd von Dienftimannen 
defielben bewacht wurde. Im nächten Jahre, d. h. 985 ftarb*) Rifvag, 
und nun erft erlangte Effihard, Güntherd Sohn, diefelbe Marke, die biöher 
Rikdag befefien und verwaltet hatte Denn der Merjeburger Ehronift jagt 
furz hinter der oben angeführten Etelle: „nach dem Tode Rikdags folgte 
Effihard in der Marke.” Hätte nun Günther die Marke, welche er in ven 
Jahren 968 und 974 urkundlich befaß, bis zu feinem Tode behauptet, fo 
würde weder Rifvag um das Jahr 984 in der nemlihen Gegend, wo 
Günther früher amtete, als Markgraf erfcheinen, noch wäre Ekkihard ge 
nöthigt gewejen, mit Erlangung der Marke bis zum Tode Rikdags zu 
warten, jondern er würde feinem Vater unmittelbar gefolgt fein. 

Markgraf Ekkihard heirathete die Wittwe Thietmar's, des erſten 
Markgrafen der Oftmarfe, Swanehild, Tochter des Billunger Herzogs Herr 
mann, mit welcher er eine Reihe Kinder zeugte. Von diefen Sproffen der 
Ehe Effihard’8 mit Swanehild reiht?) eine Stelle des ſächſtiſchen Annaliften 
4, nämlih 3 Söhne Herrmann, Eftihard II. und Günther — die beiden 


s) VIII, 10, ibid. IT, 867. 2?) Idem IV, 36, ibid. ©. 79. 5) 14. IV, 4. 
Tbid. 759. ) Aunales Quedlinb. Pert IIL, 67. *) Ad a. 1029, Bere VI, 678 


Erſtes Buch. Cap. 5. Saͤchſiſche Großlehen. 177 


ten folgten nachher dem Vater ald Markgrafen — und eine Tochter 
itgarde zufammen. “Drei weitere Kinder erwähnen andere gleichzeitige 
wellen:*) einen Sohn Godſchalk und zwei Töchter, Mathilde, welche den 
arfgrafen der Oftmarfe Theoderich heirathete, und Oda, weldhe 1018 in 
rter Ehe mit König Boleslaw von Polen vermählt ward. 

Ausgerüftet mit großen Vorzügen des Körperd und Geiſtes, tapfer, 
Schlagen, voll Ehrgeiz, arbeitete ſich Efkihard rafch empor und wurbe 
ter Katjer Otto III. der mäÄchtigfte Fürſt ver fächfifhen Lande. Er 
ıchte bedeutende Erwerbungen, nicht bloß im ſlaviſchen Oſten, fondern 
ch im deutſchen oder halbveutichen Weften. Der Merfeburger Geſchicht⸗ 
reiber berichtet, I daß Effihard mit Waffengewalt die Milzener unter; 
ırf, und durch freie Wahl ded Volks zum Herzoge von ganz Thüringen 
oren ward. Das Rand der Milzener heißt?) in gleichzeitigen Quellen 
ilzavia oder Miltze und begriff die Provinz, welde nachher den Ramen 
berlaufig erhielt. Als Hauptort derjelben erſcheint) fchon in Thietmar's 
n Merieburg Tagen Bubufin oder Baugen. Auch nah Böhmen Hin 
hnte Effihard jeine Eroberungen aus, denn Thietmar fügt dem eben mit: 
theilten Sage die weitere Bemerkung bei, Effihard habe den Boͤhmenher⸗ 
3 Boleslaw III. gezwungen, fein Dienftmann zu werden. Am Hofe 
tto's III. genoß?) er überwiegendes Anjehen, das die andern Fürften in 
hatten ftellte, aber wenigftend theilweiſe einen zweideutigen Urjprung hatte. 
er unglüdliche und übelberathene Enfel Otto's des Großen war, weil er 
Inge unternahm, vie weit über jeine Kräfte gingen, in fteter Geldver⸗ 
jenheit und Icheute Fein Mittel des Erwerbs. Nicht nur Aemter, fons 
m auch vie Gerectigfeit wurde um Geld verfauft,‘) und Mißbräuche der 
rt müſſen befonterd aus Anlaß der beiden legten Römerzüge des Dritten 
tto überhand genommen haben. Allem Anſcheine nah hat auch Ekki⸗ 
rd, welder den jungen Herricher im Jahre 998 nad Romanien ber 
eitete,*) die Ebbe des kaiſerlichen Schatzes ausgebeutet. Denn die vom 
terjeburger Geichichtichreiber mitgetheilte Nachricht, der Markgraf habe zu 


— 





1) Die Zeugnifle gefammelt von Eccard, histor. geneal. principum Saxon. ©. 167 

. 2) V, 5. Berk III, 792. 3?) Vita Henrici II. autore Aldeboldo, cap. 22. 
xy IV, 689. ) Chronic. V, 6. ®erg III, 793. 6) Idem IV, 26 ibid. 779. 
Man fehe die Spottverfe auf ihn, welche der Moͤnch von St. Gallen mittheilt, Perg 
153. 

Otto rex! tua lex, quia semper venditur auro, 

Hic gentes frustra quaerunt judicia justa. 

Otto! dum regnas, non sunt judicia regni; 

Otto! dum regnas, regnat pecunia tecum, 

Plus valet argentum tecum, quam lex sapientum. 

Impie rex Otto! cur fulmina te patiuntur? 
Gfrörer, Pabſt Gregorlus vor. Bd. 1. 12 


178 Vabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


Wege gebradht, daß der größte Theil feiner Lehen in Eigenthum verwar⸗ 
delt wurde, läßt faum eine andere Erflärung zu, al& die, daß der Meißner 
um bie Zeit des vorlegten von Otto IL. angetretenen Römerzuge das 
große Vorreht um Geld vom kaiſerlichen Hofe erftanden hat. 

Dieß war meined Wiffens das erfte Beiſpiel, daß ein deutſcher Kat 
fer die Erblichkeit eines Großlehens förmlich verkaufte. 

Die ehrſüchtigen Plane, welche Effihard feit den lebten Zeiten Ottod 
III. hegte, traten nad dem Tode ded Kaiſers and Tageslicht hewor. 
Effihard warf‘) fib 1002 zum Gegenfönige auf, erreichte jedoch feinen 
Zwed nicht, fondern ward zu Pölde erichlagen. Sein Sturz erfolgte unter 
Umftänden,, welche zugleich über andere Verhältniſſe erwünichtes Licht ver 
breiten. Wie oben gezeigt worden, hutte Effiharb nicht nur die von jel- 
nem Vater ererbte Meißner Marke durch Eroberungen jenfeit® ter Elbe 
und des böhmifchen Gebirge vergrößert, fondern auch durchgeſetzt, daß die 
Thüringer ihn zu ihrem Fürſten wählten. Letztere That fonnte unmöglich 
dem Mainzer Metropoliten gefallen, unter deſſen Krummftabe, wie wir 
wiffen, ganz Thüringen ſtand. Denn hätte der ehrgeizige Fürſt fehten 
Fuß im Lande gefaßt, jo würde der Mainzer Erzftuhl weder das Recht des 
Zehntend, auf welches er alte Anſprüche erhob, durchgefochten, noch bie 
Herrſchaft über die Dienftleute im öftlihen Thüringen, welche laut dem 
Zeugnifje”) des Ehroniften Thietmar dem Erzbiſchofe verpflichtet waren, bes 
hauptet haben. In der That ift Metropolit Willigid dem Meißner ent 
gegentreten, denn hauptſächlich jeinem Beiſtande verdankte) es Heinrich IL, 
daß er den Sieg errang, und die Gegenfönige, welde ſich wider ihn er 
hoben hatten, zu bejeitigen vermochte. 

Obgleich Ekkihard als befiegter Empörer unterging, blieb doch die Erb⸗ 
lichfeit der Marfe aufrecht. Allein weder durfte Ekkihards Erſtgeborner, Herr 
mann, fogleih das Erbe antreten, noch erhielt er, ald dieß gefchehen war, 
den ganzen Nachlaß des Baterd. In geheimem Einverftändniffe mit König 
Heinrich IL, hatte der Pole Boleslaw Chrobry unmittelbar nad Effiharde 
Ermordung dad Gebiet des legtern angegriffen, und die zmifchen Ober und 
Elbe, oder was hiemit gleichbedeutend, die zwiſchen Neuſachſen und Polen 
gelegene*) Landſchaft erobert, welde von Effihard, laut Thietmars Be 
riht, zu den Zeiten Otto's III. erworben worden war. Das Land ber 
Milgener, oder die Milzawa wurde polnijh.) Auch die dieſſeits der Elbe 
liegenden Strihe der Marfe Effihards erhielt zunächft ein Anderer, wiewohl 
ein naher Anverwandter des Hauſes. 


) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 5 flg. ?) Pertz IL, 768 Mitte. 3) Die Bes 
weile bei Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, 10 fig. 16 fig. *) Vita Henrici secundi autore 
Aldeboldo, cap. 22. Berk IV, 689. °») Biſchof Adalbold fügt in ber Lebensgeichichie 


Erſtes Buch. Gay. 5. ESächſiſche Großlehen. 179 


Ehronift Thietmar berichtet‘) nämlich, daß König Heinrich, bald 
nad dem Einfalle der Polen in die Marke, das Verlangen Ehrobry’s, ihm 
das ganze Gebiet des erfchlagenen Ekkihard zu überlaflen, zurückwies und 
nur die Abtretung des Milzener Landes und der unteren Laufig genehmigte, 
dagegen mit Meißen Gungelin belehnte. Diejer Gunzelin wird von dem- 
felben Chroniften mehrfach als ein Bruder Boleslaw's bezeichnet.) Das 
Wort frater beſagt ebenjogut leiblicher als Stiefbruder. Ohne Zweifel 
muß es in letzterem Sinne verftanden werden: Boleslaw's Mutter, die 
Gemahlin Micislaw’s, hieß Dobrawa, war cine böhmiſche Fürftentochter 
und ftarb vor ihrem polnischen Gemahle.“ Hätte nun Dobrawa in eben 
diefer Ehe außer Boleslam auch Gunzelin geboren, jo würde faum begreifs 
ih fein, daß Gunzelin, ein Elave von Bater und Mutter her, im deut 
ſchen Reich hohe Aemter erhielt und längere Zeit behauptete. Man muß deß⸗ 
halb annehmen, daß er entweder von der Schwert: oder von der Kunkel⸗ 
Seite aud deutihem Blute abftammte und folglich nicht ein voller, fondern 
nur ein halbichlächtiger Bruder des Polenherzogs Boleslaw war. Noch 
verwidelter werten die verwandtichaftlihen Verhältniſſe Gunzelins durd 
eine weitere Stelle!) bei Thietmar von Merjeburg, in welder die Bemer⸗ 
fung bingewiejen wird: Gunzelin habe feinen Neffen Herrmann, den (erfts 
gebornen) Eohn des im Jahr 1002 erichlagenen Effihard I. in der ges 
wohnten Weije, wie Oheime gegen die Söhne von Brüdern zu verfahren 
pflegen, mißhandelt. Diefe Worte find entweder finnlos, oder bejagen fie, 
daß Gunzelin, der Stiefbruder ded Polenherzogs Boleslaw, defien Bater 
Micislam hieß, zugleich cin Bruder Effiharb’d war, als deſſen Vater wir 
den Markgrafen Günther kennen gelernt haben. Wie joll man fih das 
Räthjel erklären? Ich fche nur eine Löfung, nämlich durch die Annahme, 
dag Dobrawa, die böhmiſche Fürftentochter, zwei Ehen einging, eine erfte 
mit dem deutichen Markgrafen Günther, in welcher fie Mutter Ekkihard's 
und Gunzelind wurde, und dann nach Günthers im Jahre 982 erfolgten 
Tode eine zweite mit Micislam von Polen, in welder fie Boleslam Ehros 
bry gebar. 

Seit der Belehnung mit Meißen erhält‘) Gunzelin in Thietmar’d 


— — — — er 


Kaiſer Heinrich's II. (Pert IV, 689 Mitte) Bulizlawus Milzawiam — Saxoniae et Polo- 
niae interjacentem marchiam — sibi subjecit. Die obere Laufig liegt nicht zwiſchen 
Bolen und dem karolingifchen Sachen, ſondern zwifchen erflerem Land und dem Dreied 
der Saale. Dan fieht daher, daß ber Biograph unter dem Namen Saxonia, außer dem 
tarolingifchen, insbeſondere das öftliche oder neue Sachſen begriff, was trefflih zu ben 
früher mitgetheilten Zeugniflen flimmt. 

*%) Chronic. V, 10, Bere III, 795. 2) Ibid. dann V. 22. VI, 36. 2) Idem 
IV, 35. *) Chronic. VI, 36. Guncelinus — quidquid incommoditatis Herimanno co- 
miti, quia semper patrui in fratrum filios saeviunt, facere potuit, id nullatenus distulit. 
) Chronic. VI, 36. 

12° 


180 Pabſt Sregorins VO. und fein Settalter. 


Chronik regelmäßig den Titel Markgraf. Daß er mit feinem Neffen Heri- 
mann, dem Erftgebomen Ekkihard's J., im Unfrieden lebte, ift in der Ord⸗ 
nung, weil er, beim Lichte befehen, venfelben aus dem väterlichen (Erbe 
verdrängt hatte. Der Merjeburger Gefchichtichreiber berichtet) von bluti⸗ 
gen Fehden zwiihen dem Oheim und dem Neffen. Herrmann war nd 
ih, obgleich ihm der größte Theil des väterlichen Erbe entging, nicht ber 
figlo8, vielmehr erfcheint er gegen Das Jahr 1008 als Herr der Stadt 
und Grafihaft Etrehlen an der Elbe, die er vielleicht als Morgengabe 
jeiner zweiten Gemahlin Regilindis, einer Tochter Boleslaws Chrobry, dar 
vontrug.”) Um diejelbe Zeit wurde Gunzelins Stellung unhaltbar. Während 
König Heinrih II. im Jahr 1009 einen Landtag zu Merfeburg bielt, 
tiefen fchwere Klagen wider Gunzelin ein. Die Folge war, daß Heinrid 
II. die Verhaftung defjelben anordnete, ihn feiner Lehen entjegte und bie 
Marke an Herimann übertrug. So gelangte der Erfigeborne Effibarbe I. 
wieder zum Befig der Erbichen jeined Hauſes. 

Herimann behauptete die Mark bis zu feinem Tod, welcher im Sahre 
1032 erfolgt fein muß. Eine Bulle?) vom Dez. 1028, kraft welcher Pabſt 
Sohann XIX. die Ueberſiedlung des Zeiger Stuhles nad Naumburg gut heißt, 
enthält ven Sag, daß der Pabft Solches auf Yürbitten des Markgrafen 
Herimann und feines Bruders Effihard IL angeordnet habe. Der näm 
lihe Sag wird wieberholt in einer Beftätigungsbulle*) deſſelben Pabſtes 
vom März 1032. Allein eine Urkunde,“) welche Kaifer Conrad IL gleich⸗ 
falls bezüglih des Naumburger Stuhls unter dem 17. Dezember 1032, 
alio 9 Monate nad der letztern päbftlihen Bulle auöftellte, fchweigt von 
Herimann und führt Effihard Il., den Bruder Herimann’s, ald Markgrafen 
auf. Hieraus geht hervor, daß Markgraf Herimann zwiſchen dem Jamai 
und Dez. 1032 das Zeitliche gejegnet hat, und daß um dieſelbe Zeit ber 
zweitgeborne gleichnamige Sohn des Altern Effihard in das Erbe des ef 
gebomen Bruders eintrat. 

Der neue Markgraf Effihard IL ift derfelbe, ver zwei Jahre nad 
feiner Belehnung, nämlich 1034, die früher‘) bejchriebene Mordthat an ſei⸗ 
nem Schwager Theoderih, dem Marfgrafen der Oftmarfe, verüben lich. 
Gleichwohl findet fih in gleichzeitigen Quellen feine Spur einer gerictlis 
hen Verfolgung, im Gegentheil erjcheint Ekkihard II. urfundli”) als Günſt⸗ 
ling des Hofes, ald ein wegen feiner Treue gepriefener Anhänger ded Kai 
ferd Heinrich IH. In einigen Handveften”) nennt ihn Heinrich III. feinen 
geliebten Markgrafen, in einer jogar den allergetreueften, fidelissimus fidelis 


— — — — — 


1) Chronic. VI, 36. *) Ibid. V, 22, vergl. mit IV, 37. 2) Zaffe, regesta pontis 
cum Nr. 3104. °) Ibid. Nr. 3117. 6) Böhmer, regest, Mr. 1383. °, Oben 
©. 174. ?) Eccard hist. geneal. a. a. D. ©. 228. Böhmer, Nr. 1496. 





Geb Buch. Gap. 5. Gächfifche Großlehen. 181 


noster. Effihard IT. farb 1046. Herrmann der Lahme meldet‘) zu dies 
fem Jahre: „Markgraf Effihard, einer der reichften Fürften feiner Zeit, ftarb 
plöglih und hinterließ fein ganzes Vermögen dem faiferlihden Haufe.” Man 
kennt zwar eine Gemahlin Ekklihards II., welche Uta hieß,) aber männs 
liche Erben koͤnnen in diefer Ehe nicht erzeugt worven fein, weil fonft die 
Bemerfung Herrmanns des Rahmen, daß das Eigenthum des Verbliechenen 
an das Faiferlihe Haus zurüdfiel, kaum begreiflic wäre. Der Kaifer ver: 
fügte fofort über das erledigte Lehen und zwar zu Gunften eines mächtigen 
thüringifchen Haufed, das von feinem Stammfige der Stadt Wimare 
(Weimar) den Namen trägt. 

Zuerft, fo viel ich weiß, gedenkt') des Ortes MWimare der Mönd 
von Weißenburg, indem er zum Jahre 975 berichtet: Kaiſer Otto IIL habe 
in Wimare einen Fürftentag gehalten. Am nämlichen Drte tritt in ver 
weiten Hälfte des 10. Jahrhunderts ein Dynaftengeichledht hervor, das 
wahrjcheinlich in die Farolingiichen Zeiten hinaufreiht und unter feine Ahnen 
auch einen Poppo zählt, welcher unter Arnulf's Regierung das Herzogtum 
Thüringen erlangt hat, aber 892 abgeſetzt worden?) if. Die erften völlig 
fiheren Häupter des Haufes Weimar find die Brüder Poppo und Wils 
beim, von denen der erftere Capellan bei Kaiſer Dtto I. war, der zweite 
feit 965 ald Graf von Weimar ericheint.‘) Wilhelm erreichte ein hohes 
Alter und erlebte noch die Regierung des zweiten Heinrich. Als Ekkihard L 
von Meißen fih zum Gegenkönig aufwarf, ergriff Wilhelm PBarthei wider 
den Meißner und leiftete 1002 dem rechtmäßigen Könige Heinrich II. 
wichtige Dienfte. Zum Danfe dafür erließ Heinrih II. den Thüringern, 
bauptjähli auf Wilhelm's Yürbitte, einen in Schweinen beftehenven jähr- 
lihen Tribut, der jeit alten Zeiten eingeführt war. Der Merfeburger Ges 
fhichtfchreiber, welcher dieß erzählt, fügt bei, Wilhelm fei damals ver 
mächtigfte Fürft in Thüringen geweien. Ich glaube, man muß bieraus 
den Schluß ziehen, daß der alte Weimarer ein mehr als gräflidhes, d. h. 
faft ein herzogliches Anſehen — doch wohl verftanden, ohne ven herzoglichen 
Namen — beſaß. Wilhelm von Weimar ftarb im Jahre nad dem Siege 
Heinrich's 11. über Effihard von Meißen, den 14. Dez. 1003.”) 

Die Gedichte feiner nächſten Nachfolger iſt durch eine Verwechslung 
des fächfiihen Annaliften in Verwirrung gerathen. Diefer äußert fi näm- 
ih an mehreren Stellen?) jo, wie wenn Wilhelm III. von Weimar ber, 
wie wir jehen werden, 1062 ald Bräutigam und ohne Kinder ftarb, 


1) Berk V,125. Eccard a. a. O. ©. 230. °) Perk IL, 63. *) Berk L, 605. 
Ich werde auf dieſe Derwanbifchaft fpäter am geeigneten Orte zurüdfommen. °) Thietmari 
ehronic. II, 10. Berk III, 748, verglichen mit annal. Saxo. ad a. 965. Pers VI, 618. 
%)V,5 Ber& II, 792 und V, 9 ibid. 794, vergl. mit annal. Saxo. ad a. 1046, 
) Gffarb, hist. geneal. ©. 242. Berk IIL, 794 Note, °) Ad. a. 1046 und 1056. 


182 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter, 


ein Sohn des erften Wilhelms geweſen wäre, ver 1003, laut dem Zeugnifie 
Dietmard von Merfeburg, ein hohes Greifenalter erreicht hatte, und affe 
etwa zwiſchen 910 und 920 geboren worven fein dürfte. Das fireite 
wider die Natur: Vater und Sohn koͤnnen nicht anderthalb Jahrhundente 
mit ihrer Lebenszeit ausfüllen. Zwiſchen Wilhelm dem erften und vem 
dritten liegt vielmehr ein zweiter Wilhelm, Sohn des erften, Water des 
dritten und feiner Brüder, für den auch in der That andere Quellen un 
abmeislih zeugen. Der Merjeburger Gefchichtichreiber ſpricht nach dem 
Jahre 1003, in welchem ver erfte Weimarer ftarb, wiederholt‘) von einem 
Grafen Wilhelm, der, ob er gleich nicht näher bezeichnet wird, faum ein 
anderer jein kann, als ein Weimarer und ein Eohn des 1003 verftorbenen 
erften Wilhelm. 

Entjcheidend ift eine Stelle der Hildesheimer Chronif, verglichen mit 
einer Ausfage des ſächſiſchen Annaliften, welde, ohne daß er es ſelbſt 
fühlt, die oben gerügte Verwechslung aufdeckt. Der Mönch von Hildet: 
heim meldet?) nämlich zum Jahre 1034: „Dedo, Sohn und Erbe des von 
Effihard 11. erichlagenen Markgrafen Theoderich von der Oſtmarke, habe 
nachher, d. b. nach 1034, Ota, die Wittwe des Thüringer Fürften (Tu- 
ringorum praetoris) Wilhelm, geheirathet. Laut dem Zeugnifle °) bee 
fächfifhen Annaliften aber war Wilhelm, der die Dta Hinterließ, welde 
nachher in zweiter Ehe fih mit dem Marfgrafen Dedo vermäblte, ein 
Cohn Wilhelms von Weimar. Es gab aljo einen zweiten Wilhelm von 
Weimar, der um 1034 ftarb, während der erfte laut den oben geführten 
Beweilen 1003 mit Tod abging, der dritte erft 1062 das Zeitliche ge: 
jegnet hat. Noch ift zu bemerfen, daß der vom Hildesheimer Mönde ge 
brauchte Ausdrud, „Fürft der Thüringer,“ abermals mehr befagt als Graf. 
Es verhält fih mit dem zweiten Wilhelm ebenjo wie mit dem erften: beite 
befaßen eine Gewalt, welche über die gräfliche hinausging. 

Die Söhne, welde der fächfiihe Annalift durch Verwechslung dem 
erften Wilhelm beilegt, müflen dem zweiten, der um 1034 ftarb, zuge 
Ichrieben werden. Sie hießen Wilhelm (III.), Boppo und Otto; alle drei 
haben eine wichtige Rolle im Staate gefpielt. Ich beginne mit dem älte 
ften. Wilhelm III. von Weimar wurde Marfgraf von Meißen Der 
ſächſiſche Annaliſt berichtet?) zum Jahr 1046: „nachdem Ekkihard der jüngere 
geftorben war, wurde die erledigte Meißener Marf an Wilhelm III. Sohn 
des gleichnamigen Wilhelm von Weimar, verliehen.“ Als Worfteher ver 
Marfe erlebte Wilhelm III. die erften Zeiten der Regierung Heinrich's IV. 
oder vielmehr der Mutter ded Königs, Agnes. Reben der Marke behielt 


‘) VII 5 Berg II 838. VIL, 18 ibid. 844 und VIL 38 ibid. ©. 852. ) Bey 
IL 99. ) Ad a. 1046. Perh VL, 687. *) Perg VI 687. 


Erſtes Bud. Gap. 5. Saͤchſiſche Großlehen. 183 


er auch noch die von feinem Vater und Ahn ererbten Lehen in Thüringen, 
welche mit jener vereinigt worben fein müſſen, denn aus Gelegenheit des 
Feldzugs nad Ungarn, von welchem unten die Rede fein wird, gibt") 
Chroniſt Lambert unferem Wilhelm III. den Titel Markgraf der Thüs 
singer. Der eben erwähnte Kriegszug, welchen Wilhelm III im Auf- 
trage der SKailerin Vormünderin antrat, beweist, daß Agnes befonderce 
Bertrauen zu dem Weimarer hegte, oder daß derſelbe ein Günftling des 


Faiferlihen Hofes war. Bermuthli brauchte man ihn als Gegengewicht . 


wider die dem regierenden Haufe abgeneigten Fürften Sachſens. Damit 
er hiezu defto tauglicher jei, fcheint ed, hat ihm entweder Kaiſer Hein- 
rich III, oder jedenfalls defien Wittwe, die Regentin, außer der Meißner 
Marke, nod die Verwaltung Thüringens übertragen, wo, wie wir fahen, 
ſchon Wilhelm’s III. Vater und Ahn mehr als gräflihe Gewalt befaßen. 
Im Uebrigen war die Vereinigung Thüringens mit Meißen nichts weiter 
als eine Wiederaufnahme defjelben Plans, den kurz vor oder nach dem 
Tode des unglüdlichen Kaiſers Otto III. Markgraf Effihard I. von Meißen 
auszuführen verſucht hatte. ?) 

Eben dieſe Vereinigung hatte aber ihre befondere Bewandtniß. So 
gänge und gäbe im 10. und 11. Jahrhunbdkrt das Wort Herzog war, 
nennt keiner von allen Chroniſten weder einen der Weimarer Brüder, noch 
den Meißener Ekklihard, der Aehnliches wie jene erſtrebte, einen Herzog 
der Thüringer, ſondern ſie brauchen Ausdrücke wie princeps, praetor und 
dergleichen. Es muß ein Amt eigenthümlicher Art geweſen ſein, das ſie 
in Thüringen verwalteten. Ich werde hierauf ſpäter am gehörigen Orte 
zurückkommen. Noch iſt zu bemerken, daß während Ekkihard I. dem Mainzer 
Erzſtuhle zu Trotz die Herrihaft über Thüringen zu erringen fuchte, bie 
Weimarer Brüder den umgekehrten Weg einſchlugen: fie verftänbigten fi 
mit dem Metropoliten. Lambert von Hersfeld berichtet,”) Otto — Nach⸗ 
folger ſeines Bruders Wilhelm in der Mark — habe willig den Zehnten 
von feinen thüringifchen Gütern an den Mainzer Erzftuhl entrichtet, aber 
hiedurch den Haß aller Evelleute ded Landes auf ſich geladen. 

Wilhelms III. zweiter Bruder, Poppo, erlangte für ſich, oder vielleicht 
für feinen Sohn Ulrih, eine Marfgrafihaft in Kärnthen; hievon unten. 
Der dritte Bruder endlich, Dtto, gründete das gräflide Geſchlecht von 
Drlamünde,*) und zeugte in feiner Ehe mit Adela von Löwen eine Tochter 
Adelheid, von weldyer die längft erlojchenen älteren Markgrafen von Brans 
tenburg, fo wie die noch heute regierenden Häufer des herzoglichen und 
furfürftlichen (jest königlichen) Sachſens und von Anhalt abflammen. Orla- 


t) Ad a. 1061. Pers V, 162. 2) Siehe oben ©. 177. 2) Berk V, 173, 
%) Annal. Saxo. ad a. 1060 und 1062. Berk VL 693. 





—— 


184 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


münde oder (wie der Annalift fagt) Orlagemünde liegt füblih von Weimar 
am Einfluffe der Orla in die Saale, woher auch der Name kommt. Allem 
Anjcheine nach gehörte der Ort zu dem thüringifchen Machtgebiet, das fchon 
Wilhelm I. und II. erworben hatten, und das dann Wilhelm III. mit ver 
Meißner Marke zu einem Ganzen verſchmolz. Es Tann daher dem zweiten 
oder dritten Weimarer nicht fchwer geworden fein, einen nadhgebornen Sohn 
oder Bruder mit der Orlamünder Grafichaft zu verforgen. Nach dem 1062 
erfolgten Tode Wilhelm’8 IIL, der unverheirathet ftarb, erbte Dtto von 
Drlamünde die Marke feined Bruders. 


Malzgrafen von Alt- und Wenfachfen. 


Gleich den andern Herzogthümern hatte auch Sachſen feine Pfalz 
grafen. Allein tiefe Dunkel laftet auf der Geſchichte derfelben. Ich zähle 
die ſächſiſchen Palatine zunächſt nach der Zeitfolge auf, in welder fie 
von Chroniften oder Urkunden erwähnt werden. 1) Pfalzgraf Woalbero. 
Thangmar, der um 1024 das Leben des im Jahre 1022 verftorbenen 
Biſchof's Bernward von Hildesheim bejchrieb, berichtet:') „Bernward ſtammte 
aus einem vornehmen fächfilchen Geſchlecht. Seine Mutter war eine Tochter 
des Pfalzgrafen Adalbero, welcher eine zahlreiche Bamilie, ſowohl Söhne 
als Töchter, hatte.” Weder den Namen der Mutter Bernward's, noch 
den feines Vaters nennt Thangmar, bemerkt dagegen, daß Graf Tammo 
und der Biſchof Folkmar (verfürzt Poppo) von Utrecht Söhne des Pfalz: 
grafen Adalbero, und folglih Oheime Bernward's waren; deßgleichen er: 
wähnt ) er eine Stiefmutter Bernward's, Rothergardis, die 1006 als 
Aebtiſſin des Klofters Hildwarbhaufen an der Wefer ftarb. Hieraus ergibt 
fi), daß Bernward’8 ungenannter Vater nach dem Tode feiner Gemahlin, 
ver Tochter des Pfalzgrafen Adalbero, eine zweite Ehe geichloffen hat. 
Erzogen wurde Bernward in der Stiftsſchule zu Hilvesheim; nach Vollen⸗ 
dung feiner Studien begab er ſich zu jeinem Großvater und blieb bei 
ihm bis zu Adalbero’d Tode.) Drauf ging Bernward an den deutſchen 
Hof und übernahm die Erziehung des Prinzen und nacdmaligen Kaiſers 
Otto III, der damals fieben Jahre zählte. Das angegebene Alter hatte 
Dtto im Jahr 987. Folglich erhellt aus der Bemerkung Thangmar's, daß 
der jächfiihe Pfalsgraf Adalbero um 987 mit Tod abgegangen ift. 

2) Pfalzgraf Theoderich. Die Chronif von Quedlinburg erzählt: *) 
„im Jahre 995 ftarben Pfalzgraf Theoderih und fein Bruder Sigibert, zwei 

vornehme Sachſen.“ Beide, den Pfalgrafen Theoderich und feinen Bruder 


*) Vita Bernwardi, cap, 1. 35. Pertz IV, 758 flo. ?) Ibid. cap. 42, ©. 776. 
2) Daf. Cap. 3, S. 759. ) Berk IIL 73. 


Erſtes Bu. Cap. 5. Saͤchſiſche Großlehen. 4185 


fennt‘) auch der Merfeburger Gefchichtfchreiber, welcher fie überbieß in 
einer Stelle?) feiner Chronik von den oftjächfiihen Grafen unterfcheibet, 
und dadurch andeutet, daß fie im weftlichen oder im altveutihen Sachen 
ihren Wohnftg hatten. 

3) Pfalzgraf Friederich. Der Merfeburger Ehronift meldet:“) „im 
Fahre 993 gab Kaiſer Dtto III. dem Marfgrafen Effihard von Meißen, 
dem Pfalzgrafen Friedrich und vielen Andern Befehl, der von den 
aufgeftandenen Slaven hart bedrängten Stadt Brandenburg zu Hülfe zu 
eilen.” Dann eben vderjelbe zum Sahre*) 1002: „auf dem Reichötage zu 
Merjeburg erjhienen die Biſchöfe (folgen die Namen), Herzog Bernhard 
von Sadjen, die Markgrafen Liuthar (von der Norbmarfe) und Gero 
(von der Oftmarfe), fo wie Pfalzgraf Friederid.“ 

4) Pfalzgraf Burkhard. Diefer erjcheint in einer Urkunde °) Königs 
Heinrih 11. vom 23. Nov. 1004, als Graf im Heflengau unfern Merje 
burg. Im nämlidyen Jahre übertrug‘) ihm, laut Thietmar’d Zeugniß, König 
Heinrich U. die Grafenwürde über Merfeburg und — fo fügt Thietmar bei — 
ein mit dieſem Amte verbundened Lehen. Weiter unten berichtet”) ſodann 
derfelbe Chronift: Markgraf Werinhar (von der Norbmarfe) fei auf dem 
Magdeburger Reichsſstage des Jahres 1009 in Gefahr geſchwebt, zugleich 
die Gunſt des Königs und feine Marfe zu verlieren, hätte nicht das eine 
(den Berluft der Gunft) eine augenblidlihe Krankheit des Anklägers vers 


hindert, das andere (die Entſetzung vom Lehen) die Klugheit des Pfalz⸗ 


grafen Burdard hinausgeichoben. Angenommen, daß der in der erften 
Stelle erwähnte Graf Burdard eine und diefelbe Perſon war mit dem 
Pfalzgrafen der zweiten, jo muß er entweder jchon im Jahre 1004 oder 
zwiſchen 1004 und 1009 Pfalzgraf geworden fein. Noch bei andern Ge: 
legenheiten erwähnt der Ehronift denjelben Beamten. Im fiebten Buche 
erzählt?) er: „1015 beim Rüdzug von der unglüdliden Heerfarth gegen 
Boleslam Chrobry von Polen übertrug Kaifer Heinrich den Befehl über 
die Nachhut dem Erzbifchofe Gero von Magdeburg, dem gleichnamigen 
Markgrafen der Oſtmarke, jo wie dem Pfalzgrafen Burchard.“ Einige Säße 
weiter unten fagt er dann: „in einem Gefecht, das fi entipann, warb 
Graf Burchard verwundet, Marfgraf Gero dagegen erfchlagen.“ Unvers 
fennbar wechleln hier die Namen Graf und Pfalzgraf mit einander als 
Bezeihnung einer und derfelben Perſon ab: Burchard war Beides, Graf 
und Pfalzgraf. Endlich meldet?) Thietmar von Merfeburg Burchard's Top 


t) Chronic. IV, 1 und 13. ®Perg III, 767 und 773. ?) Ibid. IV, 2. ©. 768. 


2) Ibid. IV, 15. ©. 774. *) Ibid. V, 9. ©. 795. *) Im Auszuge bei Perg IIL 
809. Note 7 und 8. *) Chronic. VI, 12: comitatum super Merseburg et beneficium 
ad hunc pertinens, Burchardo concessit. ) Chronic. VI, 32, ©. 820. °, VII, 
13. Perg III, 842. ?) VII, 30. ©. 850. 


„ 


[dd 


186 Vabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


mit den Worten: „Pfalggraf Burdard ward von einem Schlagfluffe ge 
troffen.“ 

Soweit die Nachrichten, welche der Merſeburger Chroniſt bezüglich 
Burchards mittheilt. Die Art, in welcher ebenderſelbe die Einſetzung Burdards 
‘in das Merjeburger Gebiet jchildert, verdient Beachtung; deutlich unter 
jcheidet er zwei Dinge, die Grafſchaft felbft, und ein — vielleicht aus⸗ 
nahmsweiſe — mit Iegterer verbundenes Lehen. Wie ſoll man fidh dieß 
erklären? Kaum kann mit dem zweiten etwas andered gemeint fein, ale 
die pfalzgräflihe Gewalt, welde, wie wir jahen, Burchard feit 1004 
neben der Grafenwürde befaß. Die eben ausgefprochene Anfiht wird durch 
eine neuerdings von Höfer an’d Licht gezogene Urkunde‘) Heinrich's IL. 
vom 17. Oct. 1012 beftätigt. Hier ift von der Schenfung eines unfern 
Merjeburg gelegenen Weinbergd die Rede, welden der Kaiſer durch 
feinen Bogt, den Pfalzgrafen Burdard, der dortigen Kirche übers 
geben habe. Die Worte Vogt und Pfalzgraf ergänzen fib. Weil ver 
Kaiſer Güter im Merfeburger Sprengel bejaß, bedurfte er zu ihrer Ber 
waltung eines Vogts. Dieſer Vogt war aber nicht wie bei Stühlen und 
Klöftern ein gewöhnlicher Beamter, fondern ein Pfalzgraf; denn das Her: 
fommen wollte e8 jo, daß mit diefem Titel geſchmückte Magiftrate Aufficht 
über die kaiſerlichen Kammergüter führten. Als Vogt und Pfalzgraf hatte 
Burchard bei der erwähnten Echenfung zu amten, ihm lag ob, den Meries 
burger Stuhl in den Beſitz des Weinbergs einzuführen. 

Denn Verwaltung der kaiſerlichen Kammergüter bildete die eine Hälfte 
der amtlichen Thätigkeit des Pfalzgrafen. Auf die andere Hälfte weist 
die oben mitgetheilte Stelle der Merfeburger Chronif hin, wo von der Ges 
fahr die Rede ift, die über Marfgraf Werinhar ſchwebte. Die Abſetzung 
Werinhar’s, jagt Thietmar, ward dur die Klugheit Burchard's hinaus: 
geihoben. Da die Einziehung von Lehen in Folge eines gerichtlichen Ur- 
theild erfolgte, jo erhellt hieraus, daß Pfalzgraf Burdard das Hofge: 
richt leitete. 

5) Pfalzgraf Sigifried. Die Chronif von Hildesheim meldet:”) „im 
Fahre 1038 ftarb Pfalzgraf Sigifried, der Bruder des Mindener Bifchofs 
Bruno, und ward zu Wimmelburg (einem im Bauernfrieg von 1525 zer: 
ftörten Klofter unweit Eisleben) begraben.” Ich finde fonft über dieſen 


) Abgedrudt bei Bere scrip. X, 175 Note 92: per adrocatum nostrum Burchar- 
dum comitem palatinuım. ) ®er& II, 102. Sigifridus, praetor palatinus, moritur. 
Der Ausdruck praetor darf nicht irre machen; er ift gleichbebentenb mit comes. Erz⸗ 
biſchof Adalbert, Sprofie derjenigen pfalzgräflicden Familie, deren Geſchichte ganz ficher 
it, braucht in einer Urkunde von 1053 (Lappenberg, Hamburger Urkundenbuch L Rr. 76) 
von feinen Brüdern, den Pfalzgrafen Dedo und Friederich, dad Wort palatini praesides, 
welches ſichtlich mit praetor zufammenfällt. 


Erſtes Buch. Gap. 5. Sächſiſche Großlehen. 187 


Pfalzgrafen Sigifried feine Zeugniffe. Dagegen bemerkt‘) derſelbe Chroniſt 
zum Jahre 1036, Bruno von Minden fei ein Dann aus vornehmem 
Haufe geweſen. Demnach flammten Bruno und GSigifried aus einem ver 
edlen Geſchlechter Sachſens. Ein Schriftfteller vom Ende des 14. Jahr: 
hunderts, der aber aus guten, für uns verlorenen Quellen fchöpfte, nennt?) 
den Mindener Bilhof Bruno einen nahen Verwandten des Markgrafen 
Ebert. Hiemit ift ohne Zweifel der gleichnamige Sproffe des älteſten 
Braunfchweiger Haufed gemeint, der im Jahre 1067 die Nordmarke ers 
hielt. Unten am gehörigen Orte wird vom Marfgrafen Edbert und feinem 
Haufe ded Weiteren die Rede fein. Ich halte das Zeugniß des Mindener 
Ehroniften für glaubwürdig. 

6) Als fechster Pfahgraf in Sachſen erfcheint endlich Friederich und 
fein Geſchlecht, deſſen geichichtliher Zufammenhang far vorliegt. Diefer 
Hriederich, einem erlauchter Haufe Sachſens entiproffen, heirathete Agnes 
aus dem Haufe Weimar, und zeugte mit ihr eine Tochter Dia und drei 
Söhne, welche hohe Würden im Etaat oder in der Kirche befleivet haben, ven 
nachmaligen Erzbiihof Adalbert von Bremen und die Pfalzgrafen Dedo 
und Friederih.”) Vater und Mutter erreichten ein hohes Alter, doch if 
nicht genau befannt, wann Friederich I. farb, nur foviel weiß man, 
daß fein Tod vor Gründung des Klofterd Gofek?) erfolgte, welches feine 
Söhne auf der Stelle einer alten Burg an der Saale zwilchen Naumburg 
und Weißenfeld errichtet haben. Die Stiftung des Kloſters fällt in's Jahr 
1041; Friederich I. muß alfo vor 1041 mit Tod abgegangen fein. Pfalz: 
graf Dedo, der zweitgeborene Sohn Friedrich’8 I., endete‘) 1056 unter den 
mörderiihen Händen eines Geiftlihen, weldhen Erzbiſchof Adalbert von 
Bremen feinem Bruder zur Verwahrung übergeben hatte. Nach Debo’s 
Ermordung erbte‘) der jüngfte Sohn Friedrich's J., Friedrich IL, die von 
Dedo bisher befleidete pfalzgräflihe Würde. 

Er und feine Schwefter Ota pflanzten aud das Gefchlecht fort. 
Sriederih II. vermählte fi) mit Hadewig, der Sproffin eines vornehmen 








‘) Ad annum 1036. Per& III, 101. nobilis prosapiae Bruno. *) Lerbeceii chronic. 
episcop. mindensium Gap. 16 bei Reibnig: script. brunsvic. OD, 171: fuit Bruno Egberto 
marchioni consanguinitate proximus. ?) Chronic. gozeciense I. cap. 1. 2. 3. Berk 
x, 141 flg. Der Mönch fagt von Friederich's I. Geſchlecht: Fridericus, de nobilissima 
antiquorum Saxonum et Francorum prosapia originem ducens. Auch Lambert preist 
die erlauchte Geburt des Erzbifhofs Adalbert von Bremen, indem er ben Ausdruck cla- 
ritas generis wählt: ad a. 1063. Perg V, 166. Die Gemahlin Friederich's leitet 
der fächfiihe Annaliſt aus einem andern Geichlechte ab, er macht fie nämlich gu einer 
Tochter Dedo's von der Oſtmarke. Uber feine Ausfage kann gegenüber dem Mönch von 
Sofef, dem genaue Nachrichten zu Gebote fanden, nicht in Anſchlag kommen. 
%) Lamberti annales ad a. 1056. Berg V, 158. 5) Annal. Saxo. ad a. 1056, 
Perg VI, 690. 


188 Pabft Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


bairiſchen Haufes, *) und zeugte mit ihr einen Sohn, Friedrich IIL, ben 
der Vater überlebt hat.) Friedrich III. heirathete nämlich in früher Jugend 
Adelheid, vie Tochter des Markgrafen Udo von der Nordmarke aus dem 
Haufe Stade, die Ehe dauerte aber nur drei Jahre; denn im vierten 
wurde er verrätherifcher Weile durch den heßiſchen Grafen Ludwig mit dem 
Beinamen des Springers, und Ahnherrn des älteren tbüringiichen und des 
beßiichen Haufes, erichlagen. Die Mordthat FAN‘) in's Jahr 1085. Bei 
feinen Lebzeiten führte °) Friederich IIT. den Titel Pfalgraf von Putelen⸗ 
dorf, der auch auf den einzigen Sohn des Getödteten, Friedrich IV.,*) 
jo wie jpäter auf den Enkel, Friedrich V. überging. Adelheid, die 
Wittwe Friedrich's, war beim Tode ihres Gemahls jchwanger und gebar 
wenige Tage fpäter einen Sohn, der den Namen ded Vaters fammt ſei⸗ 
nem Titel erbte. Aber kurz darauf heirathete fie den Mörver, Grafen 
Ludwig von Thüringen, mit dem fie offenbar ein verbrecheriſches Verhält⸗ 
niß angefnüpft hatte. Ich werde unten auf diefe Ereignifle zurückkommen. 

Wenden wir uns jegt zu Dta, der Tochter Friederih’8 IL. und Schwe⸗ 
fter des zweiten Friederich. Sie ehelichte einen Edlen Adalbert mit dem 
Beinamen Scucco, zeugte mit ihm einen Sohn, der den in ber pfalzgräfs 
lihen Familie fo häufigen Namen Friederich erhielt. Ota ftarb furz nah 
ihrem Bruder in hohem Alter um 1090 auf ihrem Gute Zurbau, und 
wurde im Kloſter Goſek begraben. Ihr Sohn Friederich heißt?) in gleich 
zeitigen Quellen Pfalzgraf von Sommerſchenburg. Doch muß man, ſcheint 
ed, zwiſchen der Burg und der Pfalzgrafſchaft unterfcheiden. Jene mag 
Friederich, Ota's Sohn, von Haus aus bejefien haben; das Pfalzgrafens 
amt dagegen raubte er, laut dem Zeugnifje‘) des Mönchs von Goſek, mit 
welchem auch der fächftihe Annalift übereinftimmt,’) feinem gleihnamigen 
Better, dem Pfalzgrafen Sriedrih IV. von Putelendorf. Friedrich I. von 
Sommerfchenburg heirathete eine reiche ſchwäbiſche Wittwe, welche jedoch 
mütterlicher Seitd aus dem fächfiichen Haufe Werle ſtammte. Adelheid, die 
Tochter des Grafen Heinrih von Laufen, (am Nedar oberhalb Heilbronn) 
war in erfter Ehe mit dem Grafen Adolf von Huvili oder Berg am 
Unterrhein vermählt geweſen; in zweiter Ehe gebar fie dem Pfalzgrafen 
Friederich einen Sohn, der den Namen und Titel feines Vaters erbte. ®) 
Er hieß wie der Vater Friederich, und wird wie diefer Pfalzgraf von 
Sommerjhenburg genannt.”) Neben dem Sommerfchenburger führten aber 


2) Chronic. gocez: I, 14. 15. Perk X, 146. 2) Annal. Saxo bei Per& VI, 690. 
3) Bere VL 721. *) Idem ad a. 1096 ibid. ©. 679 u. ad a. 1125 ibid. ©. 762. 
6) Idem ad a. 1056. Pertz VI, 690 u. chronic. gocez. I, 21. Perb X, 148. *) Chro- 
nic. gocez. II, 2. Pertz X, 152. ?) Er fagt nämlih a. a. O. (Berk VI, 890): 
Fridericus de Sumersenburch comitatum palatii adquisivit. *) Idem ad a. 1026. 
Berk VL 677. ?) Idem ad a. 1118 und 1124 ibid. S. 755 u. 761. 


Erfed Bud. Gap. 5. Gächflice Großlehen. 189 


auch die Putelendorfer, wie wir ſahen, ven pfalzgräflichen Titel fort. Es 
gab demnach jeit dem legten Drittel des 11. Jahrhunderts in Sachfen zwei 
getrennte Häufer, die aus einem und demſelben Stamme hervorgegangen, 
die Pfalzgrafenwürbe anſprachen. Hieraus folgt entweder, daß bei dem 
einen dad Palatinat nur ein leerer Name, oder aber, daß das Lehen wirfs 
lich zwiſchen beiden getheilt worden war. 

Die Drte, nach denen fid beide fchrieben, Sommerſchenburg und 
Putelendorf, müfjen ohne Frage ald Wohnfige des einen und des andern 
Zweig betrachtet werden. Diefelben könnten aber noch mehr fein, nämlich 
Stammburgen, welche feit eingeführter Erblichfeit der Lehen bejondere Bes 
achtung verdienen, weil man aus ihrem Beſitze Schlüffe über die Geichichte 
der Geſchlechter ziehen kann. 

Und nun fehren wir zu den oben aufgezählten, älteren und einzeln 
vorfommenden Pfahgrafen von Sachſen und zwar zunächſt zu Adalbero, 
dem Großvater ded Hildesheimer Biſchofs Bernward zurüd. In dem Terte 
einer der vorhandenen Handichriften des von Thangmar hinterlaffenen Buchs, 
die jedoch nur dem 15. Jahrhundert angehört, ift die Bemerkung einges 
fügt,') die Sommerfchenburg ſei Stammfig der Bamilie Bernwards geweſen. 
Ferner gibt es eine altveutiche Weberfegung defjelben Buchs, die im Jahre 
1540 gedrudt erjchienen ift. Der unbefannte Verfaſſer diejer Verbeutichung 
erzäbtt‘) gleich im Eingange, der Vater Bernwards, den der lateinische Text, 
wie ſchon oben bemerkt worden ift, nicht nennt, habe Theoderich, Graf von 
Sommerjchenburg, geheißen. Ohne Frage lebten der Abjchreiber und der 
Veberfeger in der Stadt Hildesheim und zwar zu einer Zeit, wo über bie 
älteften Zeiten des Stift noch Quellen floßen, die jegt verſchwunden find. 
Auch läßt fih faum ein Grund denken, warum beide den berühmten Bis 
ſchof Bermward irriger Weife follten aus einem Gefchlechte abgeleitet haben, 
das ſchon im Jahre 1180 ausftarb,?) aljo in den Tagen des Abſchreibers 
längft verfhollen war. Bolgli verdient die Nachricht, daß Bernwards 
Vater Theoderich hieß und ein Graf von Sommerſchenburg war, Glauben. 

Mit einem Schlage fällt jetzt auf zwei der oben angeführten verein, 
zelten Pfalzgrafen erwünjchtes Licht. Jener ſächſiſche Pfalzgraf Theoderich, 
deſſen Tod die Quedlinburger Chronik und Thietmar von Merfeburg zum 
Jahre 995 melden, war aller Wahrjcheinlichfeit nach eine Perſon mit dem 
gleichnamigen Grafen von Sommerjchenburg, welchen der Meberfeger Tang⸗ 
mars ald den Vater des Biſchofs Bernward bezeichnet. Zweitens ſowohl 
Theoderich, ald im weiteren Sinn deſſen Schwiegervater Adalbero, gehörten 
dem Geſchlechte der Friederiche an, die feit der zweiten Hälfte des 11. Jahr, 
hunderts erweislich als Erbherrn auf dem Schlofje Sommerjchenburg figen. 


*) Pertz script. IV, 774 Note a und 757. °) Webelind, Noten UI, 122 Ar 403. 


190 Vabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


m —.- 









Beide waren Ahnen des Erzbiichofs Adalbert von Bremen und feiner B 
der. Auch andere Spuren ftimmen mit diefem Ergebniffe zujammen. L 
Thangmar's Zeugnifje ftarb Rothergarpis, die Stiefmutter Bernward’s, 
Jahre 1006 als Aebtiſſin von Hildwardhauſen. Der Schleier aber, 
fie trug, beweist, daß fie Wittwe war, folglich ihren Mann, den 
Bernward's, durdy den Tod verloren hatte; denn bei Lebzeiten ihres 
mahls würden ihr die Kirchengefege den Eintritt in's Klofter nicht ge 
haben. Folglich muß Theoderih von Sommerjhenburg vor 1006 mit Teb 
abgegangen fein. Das fteht in gutem Einflange mit den andern Zeugnifi 
laut welchen Pfalzggraf Theoderih 995 das Zeitlihe gefegnet hat. End 
drittens, da Theoderich, der im Jahre 995, und Adalbero fein Schwä 
der, wie wir oben zeigten, um 987 ftarb, beftimmt als Pfalzgrafen bezeich 
net werden, und da ohne Klare Beweife nicht wohl angenommen werben. 
fann, daß fie neben einander dieſe Würde bekleidet haben, — liegt die Bew 
muthung nahe, das Amt dürfte nach Adalbero's Tode, oder vielleicht an 
ſchon früher an den Schwiegerjohn übertragen worben, und Letzterer auf folde 
Weile zum Befit des Hauſes Sommerſchenburg gelangt fein. 

Faſſen wir den dritten der vereinzelten Pfalzgrafen, jenen Friedrich ins 
Auge, der in den Jahren 993 und 1002 als Pfalzgraf vorfommt. Ueber 
aus häufig war, wie wir jahen, in der Familie der Stifter des Kloſtert 
Goſek der Name Briederih. Sollte nun diefer Pfalzgraf Friederich nid 
eine und dieſelbe Perſon geweien fein mit dem gleichnamigen Vater ber 
Brüder von Goſek, welder, wie wir oben zeigten, wenige Sabre vor 
Gründung des genannten Klofters, etwa um 1035 mit Tod abging? Die 
Lebensdauer macht feine Schwierigfeit; denn da Friederich, der Vater dei 
Erzbifchofs von Bremen, laut dem Zeugniffe des Goſeker Ehroniften ald 
hochbetagter Greis ftarb, ftand er um 993 im fräftigften Mannesalter, und 
fann aljo recht gut die Pfalzgrafenwürde befleivet haben. War aber Pfalz⸗ 
graf Friedrich wirflih eine Perfon mit dem Goſeker, jo folgt weiter aus 
obigem, daß cr ein naher Verwandter des Pfalzggrafen Theoderih von Som⸗ 
merjchenburg, vielleicht ein Sohn deſſelben aus zweiter Ehe mit Rothergars 
dis gewejen ift. 

Dad BVerhältniß beider zu einander leitet auf eine andere Yrage. 
Nicht bloß zum Jahre 995 wird Theoderich von den Ehroniften ald Pfalz 
graf erwähnt, fondern er ericheint als folcher ſchon zwei Sabre früher in 
einer Urfunde‘) vom Januar 993. Friedrich dagegen war erweislid?) 
Pfalzgraf in den Jahren 993 und 1002. Unzweifelhaft ift daher, daß 
beide eine Zeit lang neben einander ald PBfalzgrafen geamtet haben. Es 


| 
1 
) 


) Raumer, regest. brandenb. I, Nr. 318, 2) Siehe die Beweisflellen oben 
©. 185. 


Erſtes Bud. Gap. 5. Saͤchſtſche Großlehen. 191 


folglich zwiſchen 993 und 995 zwei Palatinate in Sachſen. Wie ſoll 
ſich dieß erklären? 
Ich denke ſo: früher wurde gezeigt, daß man mit dem allgemeinen 
en Sachſen zwei, in kirchlicher wie in weltlicher Beziehung getrennte, 
inzen bezeichnete, näͤmlich das alte karolingiſche und das neue ottoniſche 
fen. Da beide politiich abgefondert waren, ift nichts natürlicher, als 
im einen, wie im andern eigene Palatinate errichtet worben find. 
Und wirflih muß Pfalzgraf Sriedrih, der zwiſchen 993 und 1002 
nt wird, in Neufachfen gewaltet haben. Denn laut dem oben mit⸗ 
ten Berichte Thietmars, ſchickte ihn Kaifer Otto III. mit dem Marks 
Effihard aus, den von den Slaven bedrängten Biſchofsſitz Bran- 
g zu vertheidigen. Brandenburg war ein neufächfticher Stuhl, Effis 
ein newjächfticher Markgraf, folglih wird auch Pfalzgraf Friederich in 
Jenſachſen angeftellt geweſen fein. Noch beftimmter gilt dieß von dem 
Halzgrafen Burchard, der, wie ich ſogleich nachweilen werde, auf Frieder 
folgte. Denn das Merfeburger Hochſtift, ein Theil Neufachfens, wird 
deutlich als zu feinem Amtöfreife gehörig bezeichnet. Theoderich dagegen 
mus in Altiachien die Pfalzgrafenwürde bekleidet haben. Daß er aus dies 
km Lande ftammte, erhellt aus einer Stelle der Merfeburger Chronif, wo 
Ipeoderich und fein Bruder Sigibert ald Weft- oder Altjachfen vielen naments 
bh aufgeführten Oſt- oder Neufachjen entgegengejegt werden.) Sodann 
lag?) die Sommerjchenburg, welche er ſammt dem Palatinate durd die Hei- 
rath mit der Tochter Adalberos erlangt hat, in Altjachien unweit Helmftädt. 

Abgeſehen von den eben angeführten Gründen ift für die Trennung 
der beiden Pfalzen ein Zeuge vorhanden, der aber zugleich ihre Verſchmel⸗ 
mmg meldet. Der Mönd von Goſeck fchreibt:’) „als Lohn für die großen 
Dienfte, welche Dedo von Goſeck (dem Ealier) Heinridy III. im ungarijchen 
Kriege geleiftet hatte, erhob ihn der Kaifer zum alleinigen Pfalzgrafen.“ 
Die Worte ded Zeugen lafjen meined Erachtens feine andere, ald die in 
der Ueberſetzung ausgedrüdte Deutung zu. Weiter unten fügt der Mönd 
bei: nach dem gewaltiamen Tode Dedo's jei jein Bruder Friedrich gleich: 
falls zum alleinigen Pfalzgrafen eingefegt worden. Der ungarijhe Krieg 
lt ind Jahr 1044. Die Vereinigung der beiden Pfalzen folgte dem⸗ 
sah um 1045. 

Mag nun der Pfakgraf Sriederih, welchen Thietmar’d Chronik ers 
vähnt, eine Perſon mit dem gleichnamigen Goſeker, oder von ihm verſchie⸗ 
















ı) Berk IU, 768 Mitte. *) Leibnitz, script. brunsvic. I. praefat. Bogen f. °) Berk 
K, 144 unten: quia in ezpeditione ungarica cunctis virtute militari se praetulit, primus 
%iepis suae monarchiam palatii a rege promeruit, und ibid. 145 oben: defuncto Dedone 
oponarchiam palatii dominus Fridericus, germanus ejus, a rege suscepit. 


192 Babft Sregorins VII. und fein Zeitalter. 


den fein — in feinem Falle fann er das Palatinat der Marken über das 
Jahr 1003 hinaus behauptet haben. Die Einerleiheit vorausgeſetzt, ergibt 
fihh der eben ausgeſprochene Sap aus folgenden Gründen: ver Goſeker 
Mönch ftreiht‘) die pfalzgräfliche Würde der Gofeker Brüder Dedo und 
Sriederih II. mit jtattlihen Worten heraus, er nennt fie Pfalzgrafen 
und erlauchte Vollftreder kaiſerlicher Beicheide; allein furz darauf, und gleich 
ſam im nämlihen Athemzuge, führt er den Water derfelben, Friedrich, als 
bloßen Grafen auf. Nimmermehr würde er Solches gethan haben, wäre 
er im Etande geweien, dem Vater eine höhere Stellung nadyzurühmen. 
Friedrich J. kann alſo geraume Zeit vor feinem Tode nicht Pfalzgraf ges 
weien fein, und wenn er je ein Palatinat bejaß, fo mußte er daſſelbe 
längft verloren haben. In gleicher Weije ftellt auch der ſächfiſche Annalift 
dem pfalzgräflihen Glanze der Eöhne das einfache Eomitat des Vaters 
gegenüber. „Vater des Erzbiſchofs Adalbert von Bremen“, jagt?) er, „war 
Graf Sriederih, welder in jeiner Ehe mit Agnes die Pfalzgrafen Dedo 
und Friedrich II. zeugte.” Im zweiten Kalle — oder wenn man die Ber: 
ichiedenheit beider Friederihe vorausjegt, verhält fid) die Sache ebenfo. 
Denn Thietmar von Merjeburg erwähnt Friedrich ald Pfalzgrafen nur bis 
zum Jahre 1002. Bon 1004 an fteht nad) feiner Darftellung dem Pa- 
latinat in den Marfen Burdard vor, der zugleich Stadtgraf von Merie 
burg if. Das nämlihe Palatinat aber hat, fraft der oben angeführten 
Thatfachen vorher Friedrich bejeffen. Folgli muß nothwendig von zweien 
Dingen eined angenommen werden: entweder ftarb Friedrich vor 1004, ohne 
daß Thietmar feinen Tod meldet, oder ward er durch Burchhard verdrängt. 
Im Uebrigen liegt fein Grund vor, Burchhard mit dem Geſchlechte des 
Hauſes Sommerjhenburg in Zujammenbang zu bringen. Er fcheint viel 
mehr ein Gegner, oder wenigftend ein Nebenbuhler, ver legteren geweſen 
zu fein. Sein Name deutet auf thüringifche Abkunft hin. 

Noch iſt der lebte der vereinzelten Pfalzgrafen, Sigifrivd übrig, ver 
laut der Chronik von Hildesheim im April 1038 mit Tod abging. Bei 
der Dürftigfeit der über ihn vorhandenen Nachrichten kann nicht mit ge 
nügender Eicherheit entjchieden werden, ob er das Palatinat in Altjachien 
— etwa als Nachfolger des 995 verftorbenen Theoderich, oder in den 
Marten — ald Nachfolger Burchhards bejefien hat, und ob er in näherem 
oder entferntetem Grade den Sommerjchenburgern verwandt war. Dod 
glaube ich Iehtered aus folgendem Orunde bejahen zu dürfen. Kraft einer 
Urkunde?) vom 26. Sept. 1045 verlieh König Heinich III. dem Biſchofe 


*) Chronic. gozec. I, 1. Dedo et Fridericus, palatini comites et regalium decre- 
torum maximi principes. Berk X, 142. 2) Ad a. 1043. Pertz VI, 684. 2) Boͤh⸗ 
mer, regest. Nr. 1536. 


Erſtes Bud. Gap. 5. Säaͤchſiſche Großlehen. 193 


Bruno von Minden, der, wie wir willen, der Bruder des 1038 verftor- 
benen Pfalggrafen Sigifried war, das Markt⸗ Münz⸗ und Zollreht in Eis⸗ 
leben; die Urkunde fügt bei, der genannte Ort (Eisleben), gelegen im 
Heflengau im Eomitat des Pfalzgrafen Dedo, fei ein altes Stammes 
gut der Bamilie Bruno’d. Der bier erwähnte Dedo ift ohne Frage der 
Bruder des Erzbiichofs Adalbert von Bremen und Sohn des Goſeker Fries 
derih. Diele Beijpiele find vorhanden, daß Markgrafen und Pralzgrafen, 
neben der Murf und neben dem PBalatinat, früher bejefiene Grafichaften 
beibehielten. Denn Marfen und Palatinate wurden in der Regel an Mits 
glieder hervorragender gräflicher Häuſer vergeben, welche nit daran dach⸗ 
ten, wegen der neuen Lehen die alten fahren zu laſſen. So beſaß nun 
auch Dedo neben dem Palatinat die Grafjchaft im Heſſengau. Die Graf: 
haften aber waren längſt erblid geworben, während die Pfalzämter noch 
zwiſchen Wechſel und Erblichfeit ſchwankten. Man hat daher guten Grund, 
den Grafenbann, welchen Dedo im Heffengau befaß, als ein ererbtes Gut 
zu betrachten. Ich frage nun: ift es irgend wahrjcheinlih, daß die Familie 
des Biſchofs Bruno und des Pfalzgrafen Sigifried, deren Stammgüter im 
Heflengau lagen, und deren Glanz von den Quellen gerühmt wird, dem 
Haufe des Pfalzgrafen Dedo, der im nämlichen Gaue fogar ald Graf ers 
icheint und nicht minder dem höchiten Adel des Reichs angehört haben joll, 
fremd geweſen jei? Ich glaube dieß nicht: die engen Gränzen eines Comi⸗ 
tats haben nicht Raum genug für zwei verfchiedene Sippen von Habicht: 
falfen, deren Weſen es mit ſich bringt, feinen Gleichgeftellten neben fih zu 
dulden. Dedo und Sigifrid waren allem Anjcheine nad), wenn aud nicht 
Sprößlinge eines und defjelben Zweige, doch des nämlidhen Stammes. 

Ich betrachte es als unzweifelhaft, daß bis 1045 zwei abgejonderte 
Pfalzen in Sachſen, eine im alten, eine im neuen bejtanden. Diele Dop⸗ 
pelheit ift ein ſchlagender Beweis für volljtändige Trennung beider Pros 
vinzen, und bürgt insbejondere dafür, daß aud nad dem Erlöjchen des 
Markherzogthums die drei Marken nie dem Billungijchen Großlehen unters 
geordnet worden find. 

Faſſen wir jegt das Ganze in's Auge. Während der Regierung Hein 
rich's IH. umſchloß Sachſen — im weiteften Einne des Worte — ſechs 
von einander unabhängige hohe Reichslehen, das billungiſche Herzogthum, 
3 Markgrafihaften, eine Pfalz auf altſächſiſchem, eine andere auf marks 
gräflihem Boden. Das Herzogthum war damals nahezu ein Jahrhundert 
lang in der Familie der Billungen erblid. Auch in den marfgräflichen 
Häujern hatte die Erblichfeit der Lehen die Oberhand gewonnen. Doch ers 
jtredte fie fih noch nicht auf Seitenverwandte, noch weniger auf Töchter, 
und durch den Finderlofen Tod mehrerer Erjtgebornen wurden die Kaifer in 
Stand gejegt, ihre Oberlehensherrlichfeit über die Marfen frei auszuüben. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vi. Bd. 1. 13 


194 Babft Sregorius VEL, und fein Zeitalter. 


So oft eine Lüde der Art entftand, buhlten aufftrebende Dynaſtengeſchlechter 
um die Belehnung, und die Marfen erfcheinen ald der Angelpımft, um 
welchen fih die Geſchichte diefer Gefchlechter dreht. Als folhe Bewerber 
haben wir fennen gelernt die Häufer Buzizi, Weimar, Stade, Walbel, 
Drlamünde, denen im näcften Verlauf unferer Erzählung noch mehrere 
andere fich anreihen werden. Was endlich die Palatinate betrifft, jo treten 
unverfennbare Epuren eines ftillen Kampfes zwiſchen den Kaijern, welde 
die freie Verfügung über das Pfalzamt behaupten wollen, und dem Stamme 
der Eommerjchenburger hervor, die nach der Erblichfeit des pfalzgräflicen 
Lehens ftreben, das auch wirfli von 980 bis 1080 im Beſitz von ver: 
ſchiedenen Mitgliedern, oder vielleicht Zweigen, des Sommerſchenburger Hau- 
ſes erjcheint. Unter Heinrih IV. erreichen jene Goſeker das längft erftrebte 
Ziel auf altfächfiihem Boden. In Neufachfen dagegen warb fpäter das 
Palatinat von den Markgrafen verfchlungen. 


Ausgang der Empörung des Halbſlaven Otte. Pie Käufer Zrauuſchwtig und 
Uordheim. 


So ſtanden die Dinge, als der oben erwähnte Streit um die Nad- 
folge in der Norpmarfe ausbrach, und Heinrich IV. oder befier feine Mutter 
Agnes die erhigten, durch PBartheiung geipaltenen, Fürſten nah Merjeburg 
zu einem Landtage berief.” Die Borgeladenen festen fi in Bewegung, 
aber nicht in friedliher Weife, fondern bewaffnet und umgeben von zahl: 
reihem Gefolge.‘) Gerüftet zog auch der Halbflave Otto, Haupt der Ber: 
Ihwörung, nad der biihöflihen Stadt an der Eaale. Man muß bieraus 
den Echluß ziehen, daß es feine Abſicht war, den König einzufchüchtern, 
und ihn zu gutwilliger Ertheilung der Marf zu beftimmen. Allein Dtto 
erreichte Merjeburg nicht, unterwegs bei Niendorf an der Selke ftieß er 
auf 2 vornehme Brüder, Bruno und Efbert, welche gleichfalls bewaffnet 
zum Landtage gingen, jedoch der Gegenparthei angehörten und alte Feinde 
Otto's waren. Es Fam fogleih zum Kampfe. Vol Wuth flürzten Otto 
und Bruno auf einander los und brachten fi gegenjeitig töbtliche Wunden 
bei. Nachdem Otto gefallen, errang der Bruder des getödteten Bruns, 
Ebert, den Sieg und trieb die Echaaren des Gegners in die Flucht. Das 
Gefeht und der Tod der beiden Anführer ereignete fi den 26. Juni 
1057. Ueber die Folgen bemerft Lambert: „durch den Fall des Parthei⸗ 
haupted Otto erlahmte der beabfichtigte Aufftand und Sachſen ward von 


t) Ueber den Kampf vergleiche man Lambert’8 Chronik zum Jahre 1057. Berk V, | 
158 flg.; über den Ort: annal. saxo ad e. a. Perk VI, 692; über den Tag: das ne- 
erologium Sancti Michaelis bei Wedekind Noten II, 47. 


Erſtes Buch. Gap. 5. Saͤchſiſche Großlehen. 195 


einer großen Gefahr gerettet.“ Zunächſt müſſen wir die beiden Brüder 
kennen lernen, welche dem jungen Könige und ihrem Lande einen fo wid) 
tigen Dienft erwiejen haben. 

Lambert und der ſächfiſche Annalift bezeichnen fie als nahe Anver⸗ 
wandte des kaiſerlichen Hauſes. Ihr Geſchlecht fan genau nachgewiefen 
werben. Conrad, Bater Rudolf's, des legten Königs von Burgund, nad) 
deſſen finderlofem Tode dieſes Reich an die deutfche Krone fiel, hinterließ 
außer mehreren andern zwei Töchter, Gifela und Gerbirga, die beide mit 
deutſchen Großen vermählt wurden. Giſela heirathete den Herzog Hein- 
rih von Baiern und wurde Mutter des nachmaligen Kaiſers Heinrich II.) 
Gerbirga reichte?) ihre Hand dem Herzoge Herrmann II. von Schwaben 
und gebar ihm einen Sohn Herrmann III., der nachher feinem Vater im 
Herzogthum Schwaben folgte, dann eine Tochter Giſela, welche Ahnfrau 
des Haufes Braunſchweig und der oben erwähnten Brüber Bruno und 
Efbert geworden iſt. Dieje Giſela, wegen ihrer Anſprüche auf Burgund 
die gefuchtefte Erbin jener Zeit, ging nicht weniger als 3 Ehen ein,‘) bie 
ich hier aufführen muß, um die von Lambert und andern Chroniften herz 
vorgehobene Verwandtſchaft der Braunfchweiger mit den Ealiern darzuthun. 
Zuerft heirathete fie den Grafen Bruno von Braunfchweig, auf den ich 
fogleich zurückkommen werve, dann den babenberger Ernft IL, welcher 1012 
als Nachfolger feines Schwagers, Herrmann’s TIL, das Herzogthum Schwaz 
ben erhielt. In diefer zweiten Ehe gebar fie Emft III, der 1015 nad) 
dem frühen Tode feined Vaters das ſchwäbiſche Lehen erbte, und Herrs 
mann IV. Zum Drittenmale endlich vermählte fie fih mit dem nachmalts 
gen König Conrad IL, dem fie Heinrich III., Kaifer von Deutjchland, ger 
bar. Wenden wir und zum erften Gemahl Gifela’e. 

Bruno, Sprößling einer Seitenlinie des ottoniſchen Kaiſerhauſes, 
fol die Stadt Braunfhweig gegründet haben; richtiger ift wohl, daß er 
eine Ältere Anlage, die vielleicht bis ins 9. Jahrhundert hinaufreicht, zu 
einem anjehnlichen Umfang erweitert hat.) Der fächfiihe Annalift gibt 
ihm den Beinamen des Braunjhweigerd. Bruno muß um das Jahr 1000 
einer der mächtigften Bürften im Reiche gewefen fein; denn nad dem Tode 
Dtto’8 III. traf er Anftalten, die Krone an fich zu reißen, warb aber in 
Ausführung dieſes Plans hauptſächlich durch den Widerftand des Biſchofs 
Bernward von Hildesheim gehindert, weßhalb Bruno jeitvem tödtlichen 


1) Herrmannus cont. ad a. 995. Berk V, 117. 2) Id. ad a. 997. Ibid. ©. 
118. 3) Hauptſtelle annal. Saxo. ad. ann. 1026. Perk VI, 676. Daß dieſes Zeugs 
niß bezüglich der 3 Chen Gifela’s richtig if, erhellt aus den von Eflard im Auszuge 
mitgetheilten Urkunden Heinrich's II. hist. gen. ©. 279. Bezügli der Abflammung 
Bifela’8 aber irrt der Annaliſt. Noch gehört hieher Hermanni contracti chronic. 1012 


und 1015. Per V, 119. *) Man fehe Wedekind Noten II, 128 fig. 
12° 








196 Pabſt Eregorins VEL und fein Seitalter. 


Haß auf den Biſchof warf.‘) Seine Ehe mit Gifela, der Erbin von 
nigen und Herzogen, mag mitgewirkt haben, daß er nach jo hohen 
firebte. Im Mebrigen ift aus diefer Ehe nur ein Sohn befannt, 
Kiutolf, der nad des Vaters Tode die Grafſchaft Braunfchweig erbte. 
Todesjahr Bruno's melden die gleichzeitigen Ehroniften nicht, indefien, 
feine Wittwe Gifela im Jahr 1012 ald Gemahlin des Babenberger 
erfcheint, folgt, daß Bruno einige Zeit vorher geftorben: ift. 

Liutolf, Bruno’d Cohn, wurde durch die zweite Ehe jeiner Date 
ein Stiefbruder zweier Herzöge von Schwaben, Emftd IIL und Herman 
IV.; durd die dritte Ehe ebenderjelben ein Stiefbruder des nachmaligge 
Raifers Heinrih III. Wirklich wird dieſes Verhältniß in mehreren Urt 
den hervorgehoben. Conrad II. nennt ihn feinen Stieffohn, Heinrich HE 
braudt den Ausdruck Etiefbruder von ihm.?) Hieraus folgt weiter, daß 
die Behauptung der oben angeführten Chroniften, welde die Söhne ie 
tolf's, Ekbert und Bruno, nahe Verwandte des Faiferlihen Haufes, ai 
Vettern Heinrich III. bezeichnen, wohl begründet ift. Liutolf heirathete eine 
Gräfin Gertrud, die wahrfcheinlih aus Friesland ftammte und ihrem Maume 
bedeutende Güter in dieſer Provinz zubrachte.“) Er ftarb*) im Jahre 1038, 
aus der Ehe mit Gertrud zwei Söhne, Bruno und Efbert hinterlafend, 
welche biejelben find, die bei Niendorf gegen den Halbjlaven Otto ſchlugen 

Ueber die Urſachen des Grolld, den die Söhne Liutolfs, Egbert um 
Bruno, gegen den Halbjlaven Dtto, laut dem Zeugniffe Lamberts, vom 
früber her hegten, melden die Quellen nichts. Dagegen geht ſowohl aus 
der eigenen Darftellung Lamberts als aus jpäteren Ereignifjen hervor, daß 
das braunfchweigifche, dem Kaijerhofe jo nahe verwandte, Haus fi im 
den Berathungen der Fürften, welche dem Merjeburger Landtage vorangiess 
gen, für die Regierung und gegen Otto's Plane erflärt haben muß. Die 
allgemein lautenden Yeußerungen, als hätten die Fürften Sachjens überhaupt 
Theil an der Verſchwörung Dtto’8 genommen, erleiden daher eine nic 
unbedeutende Beichränfung. Wenn aud viele Große Sachſens auf Reue 
rung ſannen und ſich mit dem Halbjlaven einließen, jo hatte doch die Res 
gentin eine Parthei, und zwar eine ftarfe Parthei, im Lande. Denn wäre 
dieß nicht der Fall geweſen, fo ließe es fich faum begreifen, daß nad) dem 









‘) Tbietmari chronic. VIN, 12. ®erg II, 868 und Vita Bernwardi cap. 38. 
Perg IV, 775. Obgleih in beiden Stellen Graf Bruno nicht näher bezeichnet 
wird, glaube ich mit Gflard (hist. princip. Saxoniae &. 269), daß der Braunfchweiger 
gemeint if. ?) Urfunde Conrads U. vom Juli 1028, wo unter den Zeugen Liutolfas 
comes et privignus imperatoris aufgeführt wird, Böhner, regesta Nr. 1341 unb Urkunde 
Heinrich's IL vom Jahre 1051, ebendafelbft Nr. 1625. 3) Den Beweis bei Effard, 
hist. geneal. Sax. ©. 281. %) Annales Hildesheim. und annalist. Sax. ad a, 1038. 
Perg II, 102 und VI, 682. 


’ 


Erſtes Bud. Gap. 5. Saͤchſiſche Großlehen. 197 


Gefechte bei Niendorf die öffentliche Ruhe zurüdfehrte. Die geheimen Freunde 
Otto's lebten noch und hatten nichts verloren, aber fie hielten an ſich, weil 
burh den Tod des Führerd dad Gleihgewicht für den Augenblick herge- 
ſtellt war. Zur Faiferlihen Parthei gehörten erftlih die Braunfchweiger 
Brüder, Bruno, der im Kampfe fiel, und Efbert, der Sieger, welcher, wie 
ich unten zeigen werde, als Lohn feiner Treue im Jahre 1067 die Meißner 
Mark davontrug. 

Zwei weitere Anhänger der Regierung werden durch die Ereignifie der 
nächftfolgenden Jahre Fenntlich, nämlich der Weimarer Wilhelm, feit 1046 
Markgraf von Meißen, und der Norbheimer Graf Dtto. Jener führte 
1061 im Auftrage der Regentin ein bairiſches Heer nad Ungarn, ein 
Unternehmen, welches beweist, daß Agnes ihm großes Vertrauen erwies 
und ihn alfo zu den Ihrigen zählte. Der andere erhielt im nämlichen 
Jahre das Herzogthum Baiern, welches Agnes bis dahin auf eigene Red: 
tung verwaltet hatte. Klar ift, vaß ein folches Gefchenf bedeutende Dienfte 
orausfegt, die der Hof dem Nordheimer verdanfte oder von ihm erwartete. 
Lambert preist‘), aus Gelegenheit der Belehnung Otto's mit Balern, die 
große Gefchäftserfahrung, Umficht und Thätigfeit diefes Mannes. Der jäch- 
Riche Annalift jagt?) zum Jahre 1057: „hervorragended Anfehen befaß 
damals in Nieverdeutichland Otto von Nordheim, Sproffe eined erlauchten 
ächftihen Geſchlechtes.“ Doc kann dieſes Gefchleht mit Beftimmtheit nur 
mf den Großvater Otto's zurüdgeführt werben. 

Sigfried I., Graf von Nordheim, der unter den Dttonen lebte, vers 
mählte fih mit Mathilde (deren Eltern unbefannt find) und zeugte in Dies 
er Ehe zwei Söhne, den gleichnamigen Sigfried II. und Benno, den Vater 
Dtto's. Das Todesjahr des erften Eiegfried wird von den Quellen nicht 
ıngegeben. Benno, fein Eohn, heirathete eine Gräfin Elifa, welche Mutter 
Dtto's wurde. Die Brüder Siegfried II. und Benno fpielten eine berüch⸗ 
igte Rolle und ihr Name muß nicht bloß zu Anfang des 11. Jahrhun⸗ 
erts, fondern noch lange nachher im Munde der Menſchen gewefen jein. 
Sie find es, welche durch einen politiichen, am Gegenfönige Heinrichs II. 
yerübten, Mord diefem Fürften auf den deutſchen Thron verhalfen. Mit 
nehreren andern verihworen fie fih gegen den Markgrafen Effihard von 
Meißen, und in der Nacht vom 29. auf den 30. April 1002 fiel der Meiß⸗ 
wer unter Sigfrids Händen im Klofter Pölde.“) 


t) Ad a. 1061. Perg V, 162. ) Berk VI, 692. 3) Ueber das Geſchlecht 
Ytto’8: annalist. Saxo ad a. 1082 und 1083. Perg VI, 721. Ueber den Mord vergl. 
san Thietmari chron. V, 3. 4. Perg II, 791 fig. Wie lange die That im Munde der 
Menfchen blieb, erhellt daraus, daß der fächfifche Annalift, fo oft er auf Otto's von Nord⸗ 
eim Geſchlecht oder auf die Grafen von Gatlenburg, Mitverfchworene Benno's und Gigs 
rid’&, zu fprechen kommt, ſtets den Mord erwähnt. 


198 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Bon felbft verfteht es fih, daß eine folhe That nicht ohne Zuſiche⸗ 
rung eined bedeutenden Lohnes unternommen ward, denn gefährlich genug 
war fie, da ded Ermorbeten Söhne Herimann und Effihardb II. bis zum 
Sahre 1046 die Südmarfe jammt den andern Lehen ihres Vaters behaup- 
teten. Aus dem zweideutigen aber wichtigen Verdienſt, das fi) Benno 
und Sigfried auf folde Weife um den deutſchen König erwarben, erflärt 
ſich meined Erachtens der reihe Grundbefiß, den der Sohn des Mitver: 
ſchworenen und Neffe des Mörders gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts 
inne hatte.‘) Otto jelbft jcheint übervieß fein Gut durch eine Huge Heirath, 
die er nad) damals fo häufiger Sitte mit einer fetten Wittwe ſchloß, ver 
mehrt zu haben. Er chelichte nämlich Richenza, die Wittwe des Grafen 
Herrmann aus dem mädtigen Haufe Werle. Jedenfalls gehörte Dito, 
noch ehe er das Herzogthum Baiern erwarb, zu den reichften Grundherrn 

Sachſenland. Bon dem unweit Göttingen gelegenen Stammfige feines 
Haufes‘) Nordheim, aus erftredten, ſich feine Güter noͤrdlich bis nach ber 
Unterelbe und der Gegend von Etade, weftlih nad Weftphalen, füdlich bis 
tief in die Landſchaft Heſſen hinein. 

Da die Regentin Agnes im Jahre 1057 auf die guten Dienfte von 
ſolchen ſächſiſchen Freunden zählen konnte, wird es begreiflih, daß nad 
dem Tode des Halbilaven Dtto die Ruhe äußerlich zurüdfehrte. Ich fage 
Außerlich, denn unter der Aſche glomm das euer fort und brach nad) eini⸗ 
gen Jahren wüthend hervor. 


Hie Hänfer Suppliuburg und Zallenſtädt. Kloferiftungen in Zachſen durch 
die Zynaſtengeſchlechter. 


Den bisher erwähnten fächfifhen Häufern müffen zwei weitere beige: 
fügt werben, deren Sproſſen noch unter Heinrich IV. in die deutſche Reiche 
geſchichte eingriffen. Der heilige Bruno,?) Apoftel ver Preußen und Bolen, 
welcher den Beinamen Bonifacius dur feinen Befehrungseifer verdiente 
und den 14. Februar 1009 als Märtyrer unter den Händen der Heiden 
endete, ftammte”) wahrfcheinlich aus einer Seitenlinie des ſächſiſchen Kai: 
ſerhauſes. eine Mutter hieß Ida, fein Vater trug denjelben Ramen, 
wie der Sohn, Bruno, und war ein ehrwürdiger Mann, deſſen Tugenden 
der Biihof von Merjeburg rühmt. Der ältere Bruno hatte, außer dem 
gleichnamigen Sohn, welcher in den geiftlichen Stand trat, nod) einen zwei, 
ten, Gebehard, der das Geſchlecht fortpflangte.) Bruno, der Stammivater, 


9) Die Beweife bei Webefind Noten II, 226 flg. und 253 flg. s) Bfrörer, Kirch. 
Geſch. II, 1575 flg. 3) Thietmari chronic. VI, 58. Perk II, 833 fig. °) Haupts 
fielle annal. Saxo ad a. 1009. .Perb VL 658. 


Erſtes Bud. Gap. 5. Saͤchſiſche Großlehen. 199 


muß vor der Mitte des 10. Jahrhunderts geboren fein, denn der Merfes 
burger Bifchof, der felbft 1018 ftarb, fpricht von ihm als einem Greifen. 
Man Fennt die Gemahlin nicht, welche der Stammhalter Gebehard T. nahm, 
weiß aber, daß er einen Sohn Burchhard und eine Tochter Spa hinterließ. 
Burchhard zeugte mit einer unbefannten Gemahlin einen Sohn, Gebehard II., 
welder offenbar nady einer Stammburg den Beinamen von Querfurt 
erhält, und Oda, die Tochter des Grafen Theoderih von Ammensleben 
ebelichte, die ihm zwei Söhne, Conrad und Burchhard gebar, von denen 
ber erftere Burggraf von Magdeburg wurde, der zweite im Jahre 1134 
den Erzftuhl der nämlichen Stadt beſtieg.) 

Ida, die vorgenannte Tochter Gebehard’8 I., welche die Großmutter 
eines deutſchen Kaiſers werben follte, vermählte fih mit Liuthar, dem Gras 
fen des Derlinggau, welcher bedeutende Güter im heutigen Gebiete von 
Braunihweig um Schöppenftadt und Schöningen befaß9), und vor 1046 
geftorben zu fein ſchein. Aus der Ehe Ida's mit Liuthar gingen hervor 
zwei Söhne, Thietmar, der den geiftlihen Stand wählte und furze Zeit 
den Stuhl von Halberftabt einnahm,) dann Graf Gebehard IIL Letzterer 
vermählte fich mit einer reihen Erbin, Hedwig, der Tochter des bairijchen 
Grafen Friedrich von Formbach, auf welche durd ihre Mutter ein großer 
Theil der Stammgüter ded Hauſes Haldensleben überging.‘) Gebehard 
IM. fiel 1075 in der Schladht bei Hohenburg,’) einen Sohn Lothar Hins 
terlaffend, welcher als Nachfolger des im Mannsftamme erlofchenen Ges 
ſchlechts der Billungen 1107 die Fahne Sachſens davontrug, und 1125 
den deutichen Thron beftieg. Da die Supplinburg, von welder dieſer 
Lothar feinen Beinamen empfängt,‘) im Derlinggau lag, fo ift wahrſchein⸗ 
lich, daß fie durch feinen Großvater, Liuthar, Grafen im genannten Gaue, 
in den Beſitz des Hauſes gelangte. 

Nach kurzem Glanze erlofh das Haus Supplinburg. Das Geſchlecht 
dagegen, zu dem ich übergehe, dauert noch heute in ſeinen Gliedern fort. 
Der ſächſ. Annaliſt deutet”) an, daß Hodo, jener früher®) erwähnte oſtſäch—⸗ 
fiihe Markgraf, welcher unter Kaifer Otto III., alfo vor 1002 ftarb, durch 
die Ehe feiner ungenannten Tochter mit einem gleihfall8 nicht genannten 
Gemahle, Großvater eines Enkels geworden fei, der Eftfo hieß und von 
einer Stammburg den Beinamen Graf von Ballenftädt (im heutigen 
Gebiet von Anhalt) empfieng. Diefer Efifo, der in der erften Hälfte des 


“) Idem ad a. 1040 u. 1134. Ibid. ©. 685 und 769. 2) Den urfundlichen Bes 
meis bei Webelind Noten IL, 117 flo. ?) Annalist Saxo ad a. 1100. Berg VI, 733. 
°%) Jaffe, Geſchichte Kothars des Sachſen ©. 226 flg. u. Webelind IL, 120. 8) Annal. 
saxo ad a. c. 6) Idem ad a. 1106. Berg VI, 745. 7) Ad a. 1030 Ibid. ©. 
678. °), Dben ©. 159. 


200 Babft Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


11. Jahrhunderts blühte, chelichte‘) Mathilde, eine Tochter des Haufe 
Merle, und zeugte mit ihr einen Sohn Adalbert I., Grafen von Ballenftäht, 
welcher fich mit Adelheid, der Tochter des Grafen Dtto von Orlamünde, 
vermählte. Adalbert ward um 1076 erjchlagen, nachdem ihm feine Ge: 
mahlin zwei Söhne, Otto, der den Beinamen des Reichen erhielt, und Eig- 
fried geboren hatte.) Nah jeinem Tode ging die Wittwe Adelheid zwei 
weitere Ehen ein, die eine mit dem Pfalggrafen Herimann bei Rhein, bie 
andere mit deſſen Nachfolger, dem Pfalzgrafen Heinrihd von Laach, von 
welhem an einem andern Orte‘) die Rede war. 

Dtto, Graf von Ballenftädt, der Ältere Bruder Sigfrieds, fchloß eine 
glänzende Samilienverbindung: er vermählte fih*) mit Eiltfa, der Erbtochter 
des legten Billungen, Herzogs Magnus von Sadfen, welche die Hälfte 
des billung'ſchen Allods in fein Haus brachte. Dtto der Reiche ftarb*) im 
Sabre 1123. Bon feinem Sohne Adalbert, mit dem Beinamen des Bären, 
ftammen mehrere herzogliche Häuſer Sachjens und die Fürften von Anhalt ab. 

Eine Maſſe Klöfter find in der zweiten Hälfte des 10. und tm Laufe 
des 11. Jahrhunderts durch die auffeimenden ſächſiſchen Dynaſtengeſchlech⸗ 
ter gegründet worden. Früher waren es in der Regel die Kaifer oder 
einzelne Kirchenfürften, welche ſolche Anjtalten ins Leben riefen; jebt tritt 
ein Umſchwung ein, deſſen geheime Triebfeder ſich ſpäter enthüllen wir. 
Die Ballenftädt Ichufen ihre Stammburg in ein Ehorherrenftift um, ) wel 
ches 1123 in eine förmliche Benediftinerabtei verwandelt ward.) Graf 
Heinrih I. von Etade hatte im Jahr 969 das Schloß Harfefeld erbaut.‘ 
Sein Sohn Heinrih II. brach es ab, und errichtete auf den Trümmem 
1010 ein Chorherrenftift.) Das Haus Halvdensleben gründete die Abtei 
Lutter, weldhe aud die Supplinburge ald ein Yamilienftift reichlich bedach⸗ 
ten.‘ Ebenſo errichtete der Nordheimer Dtto kurz vor feinem Tode Inner: 
halb feines Stammſitzes eine Abtel.!Y Das Frauenftift Gerbſtedt (im 
Mansfelviihen) verdanfte dem Markgrafen Rikdag feinen Urſprung;) die 
Klöfter Helmwardhaufen und Hildwardhauſen wurden im Jahre 1000 durch 
den Grafen Effihard geftiftet.‘) Auch der erfte Herzog des billungijchen 
Haufes erbaute '*) in jeinem Schloſſe Lüneburg ein eigened Familienſtift, 
das Benebiftiner-Klofter Sanft Michael. 


— — —— 


1) Annal. Saxo. ad a. 1026. Ibid. ©. 676. ?) Idem ad a. 1062. ©. 693. *) Oben 
©. 100 fig. *) Idem ad a. 1106, ibid. ©. 744. °) Idem ad.a. c. ibid. 759. °) Gffarb, 
hist. princip. Saxon. ©. 503. 7) Annalist. Saxo. ad a. c. ©. 760. °) Ibid, ©. 623. 
9) Tbid. ©. 661. 10) Wedekind Moten II, 121. 119. 11) Die Urkunde angeführt 
bei Schrader, Dynaftenftämme ©. 48. 1?) Annalista Saxo. ad a. 985. Berg VI, 
633. 13) Ibid. ©. 645. 14) Wedekind, Noten I, 406 IL, 290. 





Erſtes Buch. Gap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 201 


Sechstes Capitel. 


Derfchiedene Bedeutungen des Worts Francien. Im Kanzleifiyl der Carolinger, wie ber 
Ottonen und der Salier, bezeichnet der Ausdrud das Land zwiſchen der Sachlengränge 
und ber Donau, zwifchen Eaale und den Weftgrängen der Eprengel Eyeier, Worms, 
Mainz. Nachweifung der Franfenlinie. Ingolſtadt ein fränfifches Bisthum, das 
aber politifh zuweilen unter bairifcher Herrfchaft ftand. Der Regensburger Sprengel 
bairiſch. Die zwei füplichen Marken gegen die Böhmen mit dem Hauptort Regens⸗ 
burg, und gegen die Sorben mit den Ginlafflätten Hallftadt und Erfurt. Dies 
felben find von Garl dem Großen errichtet worden, und dauerten ganz ober theilweife 
unter den Dttonen fort. Ihre Bedeutung für das richtige Berftändnig der Geſchichte 
Franciens und Baierns. 


Das Wort Francia, Franfenland, hatte durch die Zeiten ded Mittels 
alters verjchievene Bedeutungen. Im Allgemeinen bezeichnete ed den ganzen 
Umfang der Carolingiſchen Monarchie und, nad Auflöfung derfelben, außer 
Gallien auch das deutſche Reich, fo jedoch, daß beide Hälften zwar mit 
dem gemeinfamen Worte belegt aber durch den Beiſatz „deutſches und las 
teiniſches“ Francien unterfchieden wurden. In dem um 1025 abgefaßten 
Stammbaum der alten Könige und Kaiſer heißt‘) ed: „zu den Zeiten Ar- 
nulf's (887 — 899) ward die Trennung gemacht zwifchen deutidhen und 
lateiniſchen Franken.“ Diefer Begriff des Worts verbreitete fih über die 
ganze Welt bis in das ferne Morgenland. Wenn Abulfeva von den 
Kriegsthaten redet, welche die Batalanen in Spanien, oder Deutſche, Frans 
zojen, Engländer, Normannen in Kleinafien und Paläftina verrichteten, fagt 
er ftets: die Franken haben Solches gethan. Noch heute brauchen Perſer, 
Araber und Türfen von den Abendländern ven Ausdrud „die Franken“. Auch 
die Byzantiner des Mittelalters nahmen das Wort im gleichen Sinne. In 
dem Berichte, welchen Bifchof Liutprand von Gremona über feine griedjis 
ſche Geſandtſchaft vom Jahre 968 erftattete, jagt”) er: „Öffentlich bei Tafel 
fpottete der griechifche Bafileus Nicephorus Fokas über die Franfen, wors 
unter er fowohl die Deutfchen ald die Lateiner verſtand.“ 

Statt deutſche und lateiniſche Franken fagte man aud, mit Beziehung 
auf die Himmeldgegend, Oft: und Weftfranfen. Daß viefer Begriff der 
ihon in merowingifchen Zeiten üblichen Unterfcheidung zwiſchen Neuftriern 
und Auftriern, oder zwiſchen Auftrafta und Niuwiſtria zu Grunde liegt, habe 
ih an einem andern Orte?) gezeigt. 

Co viel über die allgemeine Bebeutung des Wortd. In befonderem 


!) Ber II, 214 divisio facta est inter teutones Francos et latinos Francos. 
:) Ibid. 354 Mitte: ex Francis, quo nomine tam latinos, quam Teutones comprehendit, 
ludum habuit. 3) Oben ©. 22 flo. 


202 Vabſt Gregorind VIL und fein Zeitalter. 


Einne bezeichnete Franken eine beftimmte Provinz des deutfchen Neiche, 
naͤmlich das Gebiet, das die Carolinger einer Seits zwiſchen der fächfifchen 
Graͤnze, anderer Seit zwilchen Alamannien und Baiern oder dem Donau: 
ftrom erobert haben. In der Chronif Einhards heißt‘) e8 zum Jahre 820: 
„Ludwig der Fromme bot drei Heere aus Sachſen, aus Oftfranfen, aus 
Alamannien und Baiern auf.” Ferner) zum Sahre 823: „zum Reiche; 
tage in Frankfurt erfchienen die Fürften aus Oftfranfen, Sachſen, Baiern, 
Alamannien.” Deßgleihen jagt‘) ein unbekannter Mönd vom Ende des 
9. Jahrhunderts, der die Chronik Erchanberts fortjegte: „Eraft der Theilung 
von Verdun erhielt Ludwig der Deutfhe ganz Germanien, nämlidy Oft 
franfen, Alamannien fammt Rhätien, Baiern, Sachfen mit den angrängen: 
den Slavenmarfen.” Genau jcildert*) den Umfang Oftfranfens derſelbe 
Einhard in der Lchensgefchichte Carls des Großen: „der Theil Germaniens, 
welcher zwifchen der Sachſengränze und der Donau, zwiſchen dem Rhein: 
firome und dem Saalefluß, ald der Scheidelinie Thüringend und des Eors 
benlandes, liegt, ift von Franken bewohnt, weldhe man die öftlihen nennt.“ 

Diefe Stellen find Schlagen. Wo amtlih und im Großen von ben 
Provinzen Germaniend die Rede ift, wird, wie man fieht, Thüringen nicht 
bejonders gezählt, fondern ald ein Theil DOftfranfens betrachtet. Allerdings 
fam nad der Theilung von Verdun der Gebrauch auf, Thüringen neben 
Dftfranfen zu reihen, und als beſondere Provinz aufzuführen. Ich gebe 
Beiſpiele. Zum Jahre 840, da der Alt von Verdun vorbereitet ward, 
fchreibt ) die Fulder Chronik: „Ludwig der Deutiche erhielt die Oftfranfen, 
die Alamannen, die Sachſen und die Thüringer in feiner Treue.” Dep: 
gleihen‘) zum Jahre 888: „Baiern, Oftfranfen, Sachſen, Thüringer, 
Alamannen huldigten dem König Arnulf.” Chronift Regino zum Jahre‘) 
876: „König Ludwig fammelte ein Heer aus Sachſen, aus Thüringen, 
aus Dftfranfen.” Dann zu demfelben Jahre: „Eraft der damaligen Reiche: 
theilung befam ver jüngere Ludwig Oftfranfen, Thüringen, Sadien, 
Friesland.” Die Chronif von Kanten bemerkt‘) zum Jahre 869: „dad 
Reich Ludwigs des Deutfchen begriff Baiern, Alamannien ſammt Chur: 
walen, Schwaben, Thüringen und Oftfranfen mit den Gauen 
Worms und Speier.” In ähnlicher Weile, doch ohne Schwaben und Ale 
mannien zu unterfcheiven, zählt”) der unbekannte Fortjeger Ado's die Pro⸗ 
vinzen Ludwigs des Deutjchen auf: „Baiern, Alamannien, Thüringen, 
Dftfranfen, Sachſen.“ 


1) Berk I, 207. 3) Ibid. 210. 2) Berk II, 329: Ludovicus suscepit totam 
Germaniam: idest totam orientalem Franciam, Alamanniam sive Rhaetiam, Noricum, 
Saxoniam et barbaras nationes. %) Berk II, 450 unten. ®) Berk I, 362. 
%) Ibid. I, 405, ’) Ibid. I, 588 unten, ®) Berk IL, 233. ®) Ibid. II, 324, 


Erſtes Bud. Gap. 6. Deutfchs&rancien und feine Gränzen. 203 


Je Feiner die Staaten zufammen ſchwinden, deſto glänzender lauten 
die Titel: leerer Schal fol das Weſen der Dinge verdeden. Um die aus 
dem Alte von Verdun entftandenen Theilreiche groß erfcheinen zu lafien, 
unterjchied man zwiſchen Sachſen nnd Thüringen, zwifchen Friesland und 
Ribuarien, zwiſchen Alımannien und Churmwalen, ja jogar zwiſchen Ala- 
mannien und Schwaben. Letzterer Unterſchied ift zwar nicht ganz grunds 
1085 wo man flatt „ich bin geweſen“ ſpricht „i bi gſy“, da iſt alamanni- 
her, wo dagegen „i ben gwea“, da ift ſchwäbiſcher Boden. So viel id 
ſehe, haben ſich ältere ſchwäbiſche Schriftfteller gehütet, diefe Saite öffents 
lih zu berühren. Uebrigens folgte der politiichen Ruhmredigfeit die Strafe 
auf dem Buße nad: in allen den Bruchtheilen, welche ver Kanzleiſtyl 
auf die beichriebene Weile von dem Hauptftamme ablöste, Feimten gegen 
Ende des 9. Jahrhunderts befondere Herzoge oder Markgrafen empor. ‘) 

Allein mit dem Augenblide, da der Schatten Carls des Großen wie: 
der zum Leben erwachte, mit andern Worten, da deutihe Könige das 
fränfiiche Kaiſerthum erneuerten, fehrte der amtliche Styl zu dem carolingis 
ihen Begriffe der Provinzen oder Herzogthümer zurüd. Niemand verftand 
fi) befier auf das, was man am Hofe Otto's I. gerne hörte, ald ber 
ſchlaue Lombarde Liutprand. Er möge reden. „Der großmädhtige König 
Arnulf,” jagt”) er, „berrichte über die Baiern, die Schwaben, die Oſt⸗ 
franfen, die Lotharinger und über die fühnen Sadfen.” König Dtto J. 
von Sachſen war ed, in defien Sold Liutprand fchriftftellerte. Darum fügt er 
zu Sachen dad jchmeichelnde Beiwort „die kühnen“. Abermal jchreibt”) der 
Biſchof von Eremona: „der hochberühmte Heinridy (Otto's I. Vater) war König 
ver Baiern, der Schwaben, der Kotharingier, der Franken und der Sad 
fen.” Mit feiner Sylbe berührt er Rhätien oder Friesland, oder endlich 
Thüringen, obgleich er wohl wußte,“) daß zwifchen ver Saale, der Sach⸗ 
fengränge und der Werra ein Gebiet lag, das man Thüringen nannte. 

Wohlan! genau ebenjo, wie ihre Vorgänger, die Ditonen, hielten es 
Kaiſer Heinrih II. und die Salier. Thietmar von Merfeburg fagt: 9) 
‚um den Spätherbft pflog Heinrich II. der Jagdluft im Speffartwald, dann 
ging er durch Francien nad) Sachen." Wer diefe Reife macht, fommt noth⸗ 
wendig durch Thüringen. Alfo begriff der Merfeburger Thüringen unter 
Krancien. Als Zeugen für die Anſchauungsweiſe der faliichen Zeiten ftelle 
ih die Ehroniften Lambert und insbejondere Wippo. Erſterer fchreibt:®) 
„zu einem Landtage nach Tribur wurden geladen die Großen von Schwa- 
ben, von Baiern, von Sadjen, von Lotharingien und von Deutichfrans 


) Die Belege bei Gfrörer, Garolinger II, 400 fig. !) Pertz III, 276 Mitte. 
) Ibid, ©. 306 unten. ı) Man jehe ibid. 294 gegen oben. °) Berg III, 802 
oben. °) Berk V, 251 oben. 


204 Pabft Gregorius VI. und fein Zeitalter. 


cien.“) Was Wippo betrifft, ift die Stelle?) mehrfach angeführt worden, 
wo er fagt: „um die Königswahl vorzunehmen, hätten die Sachjen, bie 
Öftfranfen, die Baier, die Alamannen dieſſeits, Ribuarier aber und 
Mofellanier jenfeitd des Nheinftromes ein Lager bezogen.” 

Alfo im 10. und 11. Jahrhundert verftand man unter Yrancien 
das ganze zwilchen Lotharingien, Alamannien, Baiern, der Saale und ber 
ſächſiſchen Gränze gelegene Gebiet. Kirchliche Haupt deifelben war Mainz. 
Darum braudht") der Fortjeger Regino's den Ausdrud: „Mainz die Fönig- 
liche Stadt und Metropole von Francien.” Außer den jenfeitd gelegenen 
Streden des Mainzer Sprengeld gehörten zu Francien auch die überrheini- 
hen Defanate der Hochftifte Worms und Speier, welhe mit Mainz fchon 
durch den Verduner Vertrag dem Reiche Ludwig's des Deutichen einverleibt 
worden waren. Weil die Sadhe fich jo verhielt, zählt der Kantener Chro⸗ 
nift in der oben angeführten Stelle die Gaue Worms und Speier auds 
brüdlich zu Oftfrancien. Auch fonft wird mehrfach hervorgehoben, daß bie 
Bisthümer Worms und Epeier in Francien lagen. Liutprand bemerft‘) 
z. D., daß der Speierer Bifchof Otbert auf der Synode zu Rom im Jahre 
963 Francien vertreten habe. 

Eine allgemeine Beichreibung der Gränzen Franciens genügt für meine 
Zwede nicht, fie muß in’d Einzelne gehen. Da nun die ſüdliche Scheide: 
linie Sachſens, welche id im vorigen Abfchnitte nachgewielen habe, zugleich 
die Nordgränge Franciens beftimmt, bleibt übrig, die Gränzen deſſelben Ges 
bietS gegen Welten, Süden und Often darzulegen. Der Avelgau ſchloß 
die überwiegend weftfäliiche, dieſſeits des Rheins gelegene, Hälfte des Cölner 
Erzſtifts ab. Folgten dann jene dem Trierer Sprengel zugetheilten, über das 
sechte Ufer des Stroms fick erftredenden Gaue,) weldhe einen Theil Fran: 
ciens ausmachten.‘) Unweit der Stelle, wo der Wisperbadh in den Rhein 
faͤllt, überfchritt Franciens Gränze den Strom und lief, den großen Rah: 
gau, der auch Mainzergau hieß,”) vom Trierer Hocftift und vom Herzog: 
thum Mofellanien fcheidend, in weftlicher Richtung von Niederheimbach, mit 
welhem Drt jenfeitd die Mainzer Diöcefe begann — ich nenne blos größere 
in gewöhnlichen Karten verzeichnete Orte — auf Simmern, auf Rhaunen, 
auf Wilverdurg, auf Oberftein, wo die Linie gegen Süden umwandte. 
Richt fern vom legteren Orte fticß der Nahgau und das Mainzer Hocftift 
mit dem Sprengel von Met zufammen, welchem 3. B. Sanft Wendel an: 
gehörte. Von Oberftein ging Franciens Gränze weiter nad Baumholder, 
erreichte dort, jedoch nur auf kurzer Etrede, das Wormſer Bisthum, 309 


t) Francia teutonica. 3) Berk XI, 257. 3) Berg I, 622 Mitte. *) Berk 
II, 342 Mitte. 5) Siehe oben S. 134 flg. °) Den Beweis werbe ich unten führen. 
7) Kremer, vheinifches Francien 381 flg. 392, 


Erſtes Buch. Gap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 205 


weiter nad) Landſtuhl und von da, mit der Südgränze des Hochſtifts Speier 
zujammenfallend, nah dem Surbach, der unweit dem elſäßiſchen Orte Selz 
in den Oberrhein mündet. Diejer Heine Fluß bildete nämlich die Scheibe: 
linie zugleih einer Seits zwiſchen Francien und dem Speierer Sprengel, 
anderer Seits zwiſchen dem alamanniſchen Eljaß und dem Straßburger 
Hochſtifte.) 

Somit haben wir die Gebietstheile umfreist, welche auf dem linken 
Ufer des Rheins zu Francien gehörten. Kehren wir über den Strom zus 
rüd. Eine Vorbemerkung ijt nöthig. Die Sprengel der rheiniichen Stühle 
Eöln, Trier, Mainz, Worms, Speier, Etraßburg, reichten ohne Ausnahme 
auf Das rechte Ufer herüber, jo zwar, daß die Ddiefjeitigen Stridye meift an 
Umfang die jenfeitigen übertrafen. Bezüglid Cöln, Trier, Mainz ift dies 
bereitd nachgewiejen. Zum Wormſer Hodjitift,”) das drüben nur den ein- 
jigen Gau Wormazfeld umfaßte, gehörten in Geftalt der Gaue Lobdengau, 
Eljenzgau, Gartahgau, Nedargau, Zabergau,’) Stüde des heutigen Großs 
berzogthums Baden und des Königreihe Württemberg. Ebenſo begriff ber 
Epeierer Sprengel!) die im jeßigen Gebiete von Baden und Württemberg 
gelegenen Gaue Ufgau, Pfunzgau, Anglahgau, Kraihgau, MWürmgau, 
Glemsgau. Dafjelbe gilt vom Straßburger?) Bisthum: längs feiner Nord⸗ 
jeite, jowohl dieſſeits als jenjeitö des Nheinftroms, eine gute Strede lang 
die Graͤnze zwilchen Yrancien und Alamannien bildend, umſchloß ed im 
heutigen Baden die ganze Mortenau. 

Offenbar ſchwebte den Herrichern, unter welchen die Oränzen der rheis 
niihen Stühle zuerft gezogen worden find, der Plan vor, durch Firchliche 
Bande beide Ufer des Rheins politiicd zu vereinigen. Der Verduner Vers 
trag durchriß — aber nur für kurze Zeit, und nur für die Hochſtifte Cöln, 
Trier, Straßburg — diefen gefunden Gedanken. Schon Ludwig der Deutfche 
arbeitete mit Anftrengung aller Kräfte darauf hin, Eöln, Trier und Straßs 
burg wieder für das deutihe Reich zu gewinnen, was dann Dtto L völlig 
in's Werk jegte. Nun und nimmermehr — dieß beabfichtigten Dito L 
und jeine carolingiihen Vorgänger — follte der Rhein die Gränze Ger 
maniend abjteden. Und wie nachdrücklich und dauernd hat das einfache 
Mittel gewirkt! Je genauer man die alten Einrichtungen des Reichs ers 
foricht, deſto höher fteigt die Achtung vor der politiichen Weisheit unjerer 
Vorfahren. Werzweifelt Klein ftehen wir neben ihnen da! 


1) Die Belege daf. S. 66 flg. ) Die Archidiakonate deflelben verzeichnet um 
1496 bei Würdtwein nov. subsid. diplom. III, 238 flg. 3) Man vergl. Stälin, Ges 
fohichte Württeinberge I, 312. *) Die Archidiafonate bei Würbtwein subsid X, 283 fig. 
Die betreffente Urkunde gehört der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an. °) Shenfo 
daf. nor. subsidia. VIU, 87 fg. 


206 Pabſt Gregorius VEL. und fein Seltalter. 


In dem Schwarzwaldthale hinter Badens Baden entfpringt der Oos⸗ 
bad, welcher nörblih von Raftatt und unweit der Stelle, wo gegenüber 
Selz fteht, in den Rhein mündet. Eben diefe Oos zog bis zu ihrer 
Duelle die Gränze, wie zwilchen Francien und Alamannien, fo zwiſchen 
den Sprengeln von Speier und Straßburg.‘) Nördlich von ihr iſt Das Klofter 
Gottsau, unweit dem heutigen Karldruhe, gegründet worden. Durch Urkunde?) 
vom 16. Aug. 1110 beftätigte König Heinrih V. die Stiftung umd fügte 
bei, Gottdau fei gelegen „im Epeierer Hocdftift und in deutſch Francien“. 
Bon den Quellen der Oos firi die Linie nah der Enz und Nagold, 
noch immer den Sprengel Speier, doch nicht mehr vom Straßburger, fon- 
dern vom Gonftanzer Hochftift ſcheidend. Nahe bei der württembergifchen 
Oberamtsftadt Calw erhob fi das berühmte Klofter Hirfhau an der Na⸗ 
gold, von welchem es in einer Beftätigungsurfunde ®) Heinrichs IV. aus 
dem Jahre 1075 heißt: „Hirſchau liege in deutich Francien, im Speierer 
Sprengel und im Würmgau.“ Gleich Hirſchau fließen an die Franfenlinie 
die nahen Orte Disingen und Heimsheim. Erſteres Dorf beichreibt eine 
Garolinger Urkunde t) al8 dem Herzogthum Franken und dem Glemsgau 
angehörig, welcher, wie ih oben fagte, dem Epeterer Sprengel einverleibt 
war. Heimsheim wird vom Fortſetzer der Chronif Regino’d zum Jahre 
965 als gelegen auf der Gränze Franciens und Alamanniend bezeichnet. ‘) 

Sodann überfchritt die Frankenlinie, fortwährend die Sprengel Eonftanz 
und Speier trennend, oberhalb Marbach, das unter dem Hodftift Speier 
ftand,°) den Nedar, ftieß dort an die Südſeite des Würzburger Sprengels, 
den fie jedoch blos noch auf einer Fleinen Strede vom Conftanzer, dann 
aber bis zur oberen Wörnig hin vom Augsburger Hochſtift ſchied. Letz⸗ 
teres ragte nämlich weit in das heutige Württemberg herein und umfaßte 
namentlidh die Aemter Neresheim, Heidenheim, Aalen, Ellwangen bis 
ſchwäbiſch Gmünd. Dann über den Welzheimer Wald hin zog die Scheide: 
gränze Franciens und Alamanniend jüdlih der Mur, Ellwangen rechts 
laffend, auf Feuchtwangen.) Legtere Gegend bezeichnet eine Urkunde”) des - 
Saliers Heinrich III. ald den Endpunft, wo die Gränzen Schwabens und 
Frankens aus einander gehen. Das ift buchftäblich zu verftehen, denn Schwas 
ben erftredte fich nicht weiter gegen Oſten,) fondern bog bei Feuchtwangen 
in fünlicher Richtung der Wornig folgend, nad) der Donau und dem Led 
ab; Franken dagegen reichte, wie wir fehen werben, noch weiter gegen 
Sonnenaufgang. 

Wenige Stunden von der Wörnig, Schwabens Nordoſtgränze, liegt die 


‘) Schöpfflin, Alsat. illustrat. I, 630 und 675 fi. *) Böhmer, Reg. Ar. 1998. 
8) Monum. boic. XXIX, Nr. 423. *) Cod. lauresheim. III, ©. 164 und L 104. °®) Berß I, 
627. 6) Stälin, Gefchichte von Württemberg I, 188 u. 322. 7) Nachgewiefen baf. ©. 222, 


Erſtes Bud. Gap. 6. Deuiſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 907 


Stadt Eichſtädt, wo der heilige Bonifacius einen Stuhl errichtet hat. Um⸗ 
fchloß num dieſes Bisthum, welches im Süden durd die Donau begrängt 
war, und nirgends auf das rechte Ufer ded Stromes hinüber ftrih, bai⸗ 
riichen oder fränfiihen Boden? Die Quellen geben fcheinbar wiberfpres 
ende Antworten. Der ältefte Biograph des Apoſtels der Deutfchen 
erzählt: ) „zurücigefommen von jeiner dritten Reife nad Rom, theilte der 
h. Bonifarius, mit Einwilligung des Landesherzogs Opilo, ganz Baiern in 
die vier Bisthümer Salzburg, Breifing, Regensburg, Paſſau.“ Dann 
weiter unten:?) „Bonifacius beförderte zwei treffliche Geiſtliche, Willibald 
und Burghard, zur bifhöflihen Würde, und wies ihnen Stühle im Herzen 
des öſtlichen Frankens und an der Gränze Baiernd an: Willibald erhielt 
feinen Sig zu Eichftätt, Burkhard zu Würzburg” Die Gründung der 
beiden letzteren Bisthümer erfolgte zwei’) bis drei Jahre, nachdem unjer 
Apoftel die neue Firhlihe Ordnung in Baiern eingeführt hatte. 

Unter dem im Herzen des öftlihen Frankens gelegenen Stuhl verfteht 
der Biograph ohne Frage Würzburg. Deßgleihen kann faum ein Zweifel 
fein, daß die Eichftädt betreffenden Wortet) den Sinn haben: ver bifchöfliche 
Sig Willibalds liege nicht innerhalb des Herzogthums Baiern, fondern an 
der Graͤnze deffelben; denn ganz Baiern war ja fchon drei Jahre, bevor 
Bonifarius das Bisthum Eichftädt ſchuf, Firchlich eingetheilt, der deutſche 
Apoftel konnte daher auf bairtihem Boden feine neue Stiftung machen. Aud) 
noch andere Gründe von hohem Gewicht zeugen für diefen Sachverhalt. Die 
ältefte Ehronif von Lorſch jchreibt ) zum Jahre 746: „Bontfacius, der 
heilige Mann, hat durd feine Predigt viele Gemeinden der Thüringer, 
Hefien und Oftfranfen befehrt, auch als der erfte unter allen Klöfter im 
Lande Oftfranfen, und überdieß mit Einwilligung des (Franken⸗) Herzog 
Carloman im Echloffe Würzburg einen Stuhl gegründet.* Abermal die 
nämliche?) zum Jahre 747: „Burghard, der Genoffe des h. Bonifachus, warb 
zu Würzburg, Willibald dagegen zu Eichſtädt als Biſchof eingeſetzt.“ Da 
der Ehronift vorher ausfchließlih von DOftfranfen und den dort wohnenden 
Stämmen der Hefjen und Thüringer redet, tft ar, daß er Eihftäbt fo gut 
als Würzburg nah Oftfranfen verlegt. 

Rod muß eine Stelle der Fulder Ehronif vernommen werden, welde 
zum Sahre 746 meldet: „im Auftrage des Apoftolifus und mit Eins 
willigung des Herzogs Carloman hat Bonifacius zwei Stühle, den 
einen zu Würzburg, den andern zu Eihftädt aufgerichtet.” Alſo nicht ohne 
Zuthun des Landesherzogs Carloman ging das Werk vor fid. Diefer 


1) Berk II, 346. *) Ibid. 348. *) Retiberg, Kirch. Geſch. Deutfchlands II, 315 
oben, und 350 oben. *) In intimis orientalium Francorum partibus et Bagüariorum ter- 
mins. °) Berk I, 115. ®) Ibid. I, 346. 





208 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Garloman aber, Pippins Bruder und Oheim Carls ded Großen, war 
Herzog der Oftfranfen.‘) Folglich lagen in diefem nämlichen Sande beide 
Stühle, fowohl Eichſtädt ald Würzburg. In der That hat Willibald als 
oftfränfifcher Biſchof gehandelt, und auch der Stuhl, auf dem er faß, be 
hauptete fränfiihen Charafter von den Tagen der Carolinger an bis zur 
Auflöfung des deutihen Reihe. Schon 742 erihien Willibald auf der 
fräntiihen Synode,“) welde Bonifaciud hielt und jein Bisthum- blieb 
als ein fränfiches, mit Ausnahme weniger Jahre, von 742 an bis zu An 
fang des 19. Jahrhunderts der fränfiihen Metropole Mainz einverleibt.') 

Ausgemacht ſcheint aljo: das Bisthum Eichftädt fand auf fränfi- 
ichem Boden. Nein! jagen Andere — und zwar, wie ſich fogleich ergeben 
wird, nicht unbefugt — Eichftädt gehörte zur Zeit, da Bonifacius den dor: 
tigen Stuhl gründete, zu Baiern. Mehrere Biographien Willibald, des 
erften Bilchofs, find auf und gefommen. In einer derfelben heißt‘) «es: 
Eichftänt fei gelegen im Gebiete von Baiern — in finibus Bajoariae. Man 
fönnte immerhin über den Sinn des Wortd Fines ftreiten; allein eine 
zweite Etelle?) läßt feinen Zweifel mehr zu. Wir erfahren nämlich, daß 
Bonifacius erft die Einwilligung des bairiihen Herzogs Odilo einholte, 
ehe er das Bisthum Eichſtädt ordnete. Odilo befaß folglih über die Hei: 
math des neuen Stuhld Herrſchaftsrechte, wenn auch unter fränfifcher Ober: 
hoheit. Ja! jo verhielt fih die Sache: beide Zeugen haben Recht. Eid: 
ftänt war fränfiih, zuweilen "aber. auch nicht fränfiih, fondern bairiſch. 
Fränfiih nämlih war es in kirchlicher Beziehung faft durchaus, in politischer 
Beziehung Dagegen nicht immer, fofern der Gau, in welchem der Stuhl 
lag, Zeitenweije unter den Herzogen Baiernd ftand. 

Ich muß zunädit von den Thüringern reven. Aus dem Leben des 
bh. Severinus, wie aus dem fogenannten Gcographen von Ravenna, erhellt,‘ 
daß Thüringer gegen Ende des 5. Jahrhunderts nad) der mittleren Donau 
vorgebrungen waren und fi dort niedergelafen hatten. Sie plünderten 
Paſſau, und laut der Ausſage des Gcographen, ftrömten die beiden Flüſſe 
Regen und Nab, die bei Regensburg in die Donau münden, durch 
Thüringer Land. Die deutihe Bevölferung, welche der h. Bonifacius 
auf dem Nordufer der Donau antraf, als er den Eichſtädter Stuhl grün- 
dete, ftammte von eben diefen Sübthüringern ab, obgleich fie gewöhnlich 
nicht mehr Thüringer, jondern Oftfranfen hießen, weil nämlich das Schwert 
der Merowinger fie in fränfiiche Unterthanen verwandelt Hatte, alſo aus 


1) Bouquet, script III, 366 oben: Karlus (nämli Carl Mattel) primogenito Karlo- 
manno Austrasiam, id est Alamanniam et Thoringiam promisit. ?°) Gfrörer, Kirch. 
@efch. II, 513. °) Daf. ©. 696. *) Mabillon, acta Sanctorum ord. S. Benedicti III, 
b. ©. 353. 5) Ibid. ©. 345. ®) Die Stellen bei Zeuß, die Deutſchen, S. 355. 


Erſtes Buch. Gap. 6. Deutfchsrancien und feine Graͤnzen. 209 


yemfelben Grunde, weßhalb man heute die Septimanier von Languedof, fo 
vie die Eljäßer und Lothringer Franzoſen nennt. Der lebte römijche 
Dichter Venantius Yortunatus, Zeitgenoffe Gregor’d von Tours, Ipricht‘) 
son Triumphen, welde der merowingiihe König Sigebert an der Rab 
ıber Thüringer erftritten habe. 

Wohlan, ebenjo wie die merowingiichen Sranfen, machten jpäter die 
igilolfingifhen Herzoge Baierns Eroberungen im füdlichften Theil Thürin⸗ 
zens, und haben auf diefe Weile namentlich die Gegend von Eihftäbt in ihre 
Bewalt gebradt. Gehen wir jegt in's Einzelne ein. Ein im 10. Jahr: 
hundert abgefaßtes Leben des deutichen Apoſtels liegt vor, worin fich folgende 
wichtige Nachricht findet:) „von den Bisthümern Negendburg, Augsburg, 
Salzburg jchied der heilige Bonifacius die Gaue Nordgow und Swalafeld 
aus und bildete daraus den Eprengel von Eichftädt”. Das ift buchitäb- 
ih oder doch faft buchftäblih wahr. Rechts und Links fließen an das 
Hochſtift Eihftädt die Bisthümer Augsburg und Regensburg, beide Älter 
als erftered. Folglich Ipringt in die Augen, daß der Eichſtädter Sprengel 
nur auf Koften der zwei andern geformt worden jein fann. Aber auch 
Salzburg muß jeine Einwilligung gegeben haben, obgleih das Gebiet Dies 
ſes Stuhld nirgends an das Eichftädter grängte. Denn ed handelte ſich 
bei Gründung des neuen Eprengeld nicht blo8 um eine gewiſſe Jahl von 
Dörfern oder Bauen, jondern zugleih um Abtretung von Metropolitanredyr 
ten, die 742 an Mainz übergingen. 

Erft jeit 798 erſcheint') Salzburg als förmliche Metropole Baierns, 
zu welcher die Suffraganbisthümer Regensburg, Freifing, Seben over Brixen 
und Palau gehörten. Allein obſchon der Drt im Jahre 742 noch nicht 
Metropole hieß, iſt dennoch unzweifelhaft, daß die bairiſchen Bisthümer 
jeit der Zeit, da fie Bonifacius neu ordnete, d. h. feit 739 einen feften 
geichlofenen Verband bildeten, der gewille Rechte übte und nicht ohne Eins 
ſprache ein Stüd des gemeinfamen Gebietd ſich entziehen ließ. Einer der 
Biihöfe von 739 muß beauftragt geweien fein, im Namen der andern 
über Fragen der angedeuteten Art zu verhandeln. Da nun der gleidhzeitige 
Biograph des deutichen Apojteld in den oben angeführten Sägen den Sal 
burger Biſchof voranftellt, ihn ausdrüdlich als den erften bezeichnet,*) darf 
man mit gutem Fuge annchnen, daß der Salzburger ſchon damals einen 
Vorrang der Ehre genoß, welcher ihn befähigte, über Dinge mitzureden, 
welche in förmlichen Metropolen den Erzbijchof angingen. Jedenfalls fcheint 


) Dom Bouquet, script. gallic. II, 503: hic nomen avorum extendit bellante manu, 

cni de patre virtus, quam Nabis ecce probat, Thoringia victa fatetur. 2) Pertz IL, 

355 a. unten. 3) Gfroͤrer, Kirch. Gefch. IL, 695 fly. *) Quorum primus Johannes 

ecclesiae in oppido, quod dicitur Salzburg, episcopatus cathedram suscepit. Per& II, 346. 
Bfrörer, Pabſt Sregorius vu. Bo. 1. 14 


210 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalier. 


mir Elar, daß der Zeuge, welcher die Bethelligung des Salzburger® melket, 
höchftens in fo fern geirrt haben mag, ald er eine an fi wahre Sad 
nicht in der Weife des achten, fondern in der des 10. Jahrhunderts aus. 
drüdt, da alle Stühle längft Metropolen einverleibt waren. Indem Bonifacius 
739 die Kirche Baierns ordnete, hat er ficherlih den vier neuen von ihm 
anerfannten und geweihten Bifchöfen zur Bedingung gemacht, daß fie jelbft 
und ihr Vorftand die Ausftattung des Eichſtädter Sprengeld mit Stüden 
der Hochſtifte Regensburg und Augsburg gut hießen. 

Alſo die Gaue Swalafeld und Nordgau bildeten den Umfang des frän- 
fiihen Hodftifts Eichftädt. Bei Wemding entipringt ein Bad, die Schwal 
genannt,. weldher unweit Holzfirhen in die Wörmig mündet.) Bon ihr 
empfing‘) allem Anſcheine nad der Gau feinen Namen. Urkundlich)) wer- 
den als ihm angehörig aufgeführt die Orte Altheim, Solenhofen, Dreut- 
lingen, Gunzheim, Qunzenhaufen, Heidenheim, Lierheim, Monheim, Mur, 
Stopfenheim, weldhe alle im Sprengel Eichftäpt liegen. Größere Schwie⸗ 
rigfeit macht ed, die Ausdehnung des Nordgau's zu beftimmen; verfelbe hat 
nämlich nicht, wie Die meijten andern Gaue, etwas Feſtes, Unverrückbares, 
d. h. einen Bad, einen Berg, einen Borft zur Grundlage, fondern «8 ift 
ein Gedanfending, auf dem. er fußt. Unter Norden und Süden, Oſten und 
Weſten kann man alle möglicdyen Orte befafien. Die Gefahr der Täufchung 
erjcheint noch dringender, wenn man in Erwägung zieht, daß bairtiche Ge⸗ 
walthaber, welche gegen Ende des 9. und zu Anfange des 10. Jahrhunderts 
lebten, Markgrafen und Herzoge, auf den Beſitz des Nordgau's Anſprüche 
ſelbſt an urfprünglich nicht nordgauifche aber benachbarte Gebietstheile gründen 
mochten, ja aller Wahrfcheinlichfeit nach wirflid gegründet haben. Wer in 
folher Weile Geographie treibt, weiß fie zu dehnen. Man muß deßhalb 
Borfiht anwenden und nur ſolche Orte dem Farolingifhen Nordgau zuthei⸗ 
len, welde in farolingifchen Urkunden ausdrücklich als im Nordgau gelegen 
erwähnt werden. Orte der Art find?) Ingolftabt, Lautershofen, Siedelbach 
(zwiſchen Altvorf und Neumarkt), Hersbrud an der Pegnitz, vielleidt 
Brämberg und Nabburg. Mit Ausnahme der beiden letztgenannten, weld« 
an der Nab gelegen, dem Regensburger Hochſtift, wie jpäter gezeigt wer 
den ſoll, zugewielen waren, gehörten fie wirflih dem Eichftädter Sprengel 
an. Falls Rabburg und Brümberg fchon in Farolingiichen Zeiten ein Stüd 
des Nordgau’s bildeten, würde folgen, daß der I. Bonifacius nicht den 
ganzen Gau, fondern mur den größten Theil deffelben zu dem neuen Bid 
thum gefchlagen hat, was wohl möglidy wäre. 

Der Name Nordgau ift ein fprechender und darum geeignet, Zeugniß 


%) Chronic. Gotwicense II, 785 fig. 2) Chronic. Gotwie. U, 716 und die Lit: 
bei Buchner, bair. Geſch, Dofumente IL, a. ©. 36, Nr. 287. 


Erſtes Bu. Gap. 6. DeutfchsBrancien und feine Graͤnzen. 211 


abzulegen. Wer hat ihn aufgebraht? Offenbar nur foldhe, denen der Gau 
im Norden lag, aljo nit die Sranfen — denn der Nordgau nahm genau 
den ſüdlichſten Winfel des öftlihen Franciens ein: wäre folglich die Bes 
nenming von ihnen ausgegangen, jo würde das Wort umgekehrt, Südgan, 
lauten. Bielmehr find es die Batern gewejen, welche ven Namen jchufen, 
denn nur von ihrem Standpunft aus empfängt der Nordgau mit Recht 
feine Bezeihnung, da er das nördliche Bollwerk des eigentlichen Baierns 
bildet. Weiter beweist der Name, daß Baiern längere Zeit die Herrichaft 
über den Nordgau bejaß, denn nur Herren und Grundeigenthümer vers 
mögen Landestheilen Ramen zu chöpfen, welche allgemeine Geltung erlangen 
und, wie e8 hier der Kal war, Jahrhunderte lang fortvauern. Daß Herzog 
Odilo Hoheitörechte im Nordgau und Swalafelv übte, erhellt aus der oben mit- 
getheilten Thatſache. Dafjelbe gilt von feinem Sohne und Nachfolger Thaſſilo. 

Ich laſſe nun fränfiihe Akten reden. Carl der Große, welcher das 
bairiiche Herzogthum niederjhlug und das Land mit der Krone vereinigte, 
fegte im Jahre 806 einen legten Willen auf, fraft deſſen er verfügte, wie 
dereinft das Reich unter feine Söhne vertheilt werden folle. Die betreffende 
Urkunde beftimmte‘) für den mittleren Sohn, Pippin, das Land Baiern, jo wie 
ed einjt Thaifilo inne hatte, doch mit Ausnahme der im Nordgau gelegenen 
Königdhöfe Ingolftadt und Lauterhof, „welche früher an bejagten Thaiftlo 
als Lehen ausgegeben geweien feien.” Sie wies ferner dem dritten Sohne, 
Garl, „denjenigen Theil Baierns“ zu, „weldher Nordgau heißt.” Die 
beabfichtigte Zerftüdlung des Reichs wurde bekanntlich dadurch abgewenbdet, 
daß die jüngeren Eöhne vor dem Vater wegftarben und nur Ludwig ber 
Fromme am Leben blieb. Eilf Jahre fpäter gab die Nothwendigfeit, Katjer 
Ludwigs des Frommen nachgeborene Söhne audzuftatten, abermal Anlaß, in 
öffentlihen Verhandlungen die nämlihen Orte zu erwähnen. Auf dem 
Aachener Reihstag von 817 wurde der Beihluß gefaßt, Ludwig ber 
Deutſche (des gleichnamigen Kaiferd Zweitgebomer) folle Baiern, Kaͤrn⸗ 
then, Böhmen fammt den Marken der Avaren und Slaven, weldhe auf 
Baierns Oftgränzge liegen, enblid die beiden Kronherrſchaften Lauterhof 
und Ingolftadt zum Leibgeding erhalten. Noch kommt drittens der Theis 
Iungsentwurf von 839 in Betracht, welder außer vielen andern Provinzen 
aufführt: dad Herzogthum Oftfranfen mit Swalafeld, Nordgau und Heljens 
land, dad Herzogthum Thüringen mit feinen Marten. 

Diefe Stellen zufammen geben Elaren Aufſchluß über den wahren Sach⸗ 
verhalt. Erftlih muß der Nordgau lange Zeit unter bairiſcher Herrihaft 
geftanden fein. Zwar äußert fi Carol in der Urkunde von 806, ald habe 
er aus befonverer Gnade die beiden Königshöfe Lauterhofen und Ingols 


1) Berg, leg. I, 141. u 


212 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


ſtadt — offenbar Sige zweier Oberrentämter, von denen die übrigen Kron- 
güter des Nordgau abhingen — an den Bater Taffilo verliehen. Allein 
der Kaiſer redet ſichtlich in majeftätifcher Weiſe ald Herr des Reiche, deſſen 
Huld der bairiſche Vaſalle alles, was er bejaß, verdanke, und jene Worte 
fchließen mit nichten die IThatfahe aus, daß der Nordgau keineswegs 
bloß durch die erwähnte Verleihung, jondern früher bairiſch geworben 
war. Hatte doch ſchon Thaſſilos Vater, Odilo, wie aus der Geſchichte 
des deutichen Apofteld erhellt, Hoheitörechte über den Rordgau geübt. Auch 
würde fiherlih Carol nimmermehr den bairischen Herzog, gegen welchen er 
tiefes Mißtrauen hegte, mit dem Gau belehnt haben, wenn diefer nicht von 
feinem Vater her wohlbegründete Anjprühe darauf gehabt hätte. Sondern 
weil es jchwierig, ja geradezu unmöglich war, den läftigen Thaffilo gleich 
von vorne herein auszutreiben, begann Carol das Werk der Unterbrüdung 
damit, daß er dem bairiihen Herzoge das Erbe, weldes diefer ald Nach: 
folger feines Vaters erlangt hatte, naͤmlich Baiern und den Nordgau, vor 
erft unter der Form eincd Lehens — verfteht fi mit läftigen Bedingungen 
— belief. Im Uebrigen wird die Wahrheit des eben Gefagten durch Ca⸗ 
old eigenes Eingeftänpniß befräftigt. Nennt er doch im zweiten Ab 
fage der Urfunde von 806 den Nordgau einen Theil Balerne. Das 
Wort Baiern bezeichnet etwas Feſtes, Naturwüchfiges, nämlih ein Stamm; 
gebiet. Wird einem folhen ein Anhängjel zugefchrieben, wie bier der Nord⸗ 
gau dem Herzogthum Baiern, jo folgt daraus nothwendig, daß ein langer 
Befig voranging, ehe der urfprünglihe Körper und der eingefegte Theil zu 
einem Begriff verwuchſen. 

Zweitens obgleih man zuweilen mißbräudhlih den Nordgau zu Baier 
zog und bairifch nannte, ift nichts defto weniger gewiß, daß der eben erw 
wähnte Gau ſammt Swalafeld amtlid und im eigentlihen Sinne de} 
Worts als ein Theil Oftfranfens und nicht Baierns betrachtet wurde. Der 
Reichstagsbeſchluß von 817 trennt den Gau ganz von Baiern, indem cı 
zuerft Balern, Kämthen, Böhmen, andere jlaviihe Nebenländer aufführt, 
und dann ald ein Stück für fi die beiden Königshöfe dem Leibgeving 
Ludwigs des Deutichen beifügt. Enpli die Urfunde von 839 löst ben 
allgemeinen, in carolingiihen und hinwiederum in falifhen Zeiten üblichen, 
Begriff Deutſch⸗Francien in feine einzelne Beftandtheile auf, neben Oftfran- 
eien im engeren Einne des Worts Swalafeld und Nordgau, dann Heſſen⸗ 
land und Thüringen unterjcheidend. Was befagt nun hier der Ausorud 
Oftfranfen? handgreiflih das, was nah Abzug der im Norden gelegenen 
Landfchaften Heffen und Thüringen, welde wohl verftanden beide zum 
Mainzer Hodjtift gehörten, und weiter was nad Abzug des im Süden ge: 
legenen, dem Eprengel von Eichftädt einverleibten Nordgaus und Ewalafelts, 
vom öftliben Francien übrig bleibt; mit andern Worten: das Oftfranfen 


Erſtes Buch. Gap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Gränzen. 213 


der Urfunde von 839 begreift die Diöcefe Würzburg. Alle Verfuche, die 
Geographie des Mittelalters ohne Kenntniß der Sprengel zu erläutern, find 
vergeblih. Man muß von der firhlichen Eintheilung ausgehen. 

Klar bat fich herausgeftellt, daß den örtlichen Beftimmungen der drei 
Urfunden dieſelbe Anſchauung zu Grunde liegt, welche Einhard vertritt, 
indem er behauptet, das Land zwiſchen Rhein, der Sachſengränze, der Saale 
und dem Donauftrom ſei von Branfen bejegt. Gemäß feiner Ausfage bes 
gann Baiern erft auf dem rechten oder fühlichen Ufer der Donau. Eben» 
dieß aber jagt‘) ein anderer gut unterrichteter Zeitgenoffe, Paul der Lon⸗ 
gobarde, mit dürren Worten: „das alte Norifum der Römer, welches jept 
Baiern heißt, gränzt gegen Often an Ungarn, gegen Weften an Schwas 
benland, gegen Süden an Italien, gegen Norden an den Donauftrom.* 
Ja bis ins 13. Jahrhundert herab befchränfte der gewöhnliche Sprachge⸗ 
brauch Baiern auf die rechte Seite der Donau. Im Nibelunglied erreichen 
bie burgundifchen Helden erft, nachdem fie über die Donau gefegt find, das 
Gebiet Gelfraths, des Herrn in Baierland. >) 

Drittens, ſchon aus dem, was oben gefagt worden, erhellt, daß bie 
in dem Theilungsentwurfe von 839 erwähnten Dertlichfeiten, Swalafelb 
und Rordgau, eine politifche Bezeichnung deſſelben Gebiets find, welches 
man in Firchlicher Eprache Sprengel von Eihftädt nannte. Südlich von 
Oftfranfen im engften Sinne des Worts, das heißt vom Würzburger Hoch⸗ 
ftift, blieb zwildhen Main und Donau fein anderes Land mehr übrig, als 
eben das Hodftift Eichſtädt. Auch liegen faft alle oben aufgezählten Drte, 
welche durch Farlingifche Urfunden dem Ewalafeld und Nordgau zugewieſen 
werden, richtig im Eichftädter Bisthum. 

Daſſelbe ftieß weftlih an die MWörnig, die Nord- und Nordoftgränge 
warb durch die Rezat bis zur Pegnis, dann durch den Lauf letzteren Fluſſes 
gezogen. Indeß tft zu bemerken, daß der Eichftätter Sprengel vor 1015 
noch ein Stück Land auf dem rechten oder nördlichen Ufer der Pegnitz bes 
jaß, welches im genannten Jahre auf Befehl ded Kaiſers Heinrih IL an 
den neu errichteten Stuhl von Bamberg abgetreten werden mußte.) Südlich 
reichte das Eichftätter Bisthum an die Donau, doch nur auf einer mäßigen 
Strecke, indem ein ſchmaler Streifen, der zum Hodftift Augsburg gehörte, 
zwifchen dem Strom und der Eichftätter Südgränze hinftrih; gegen Oſten 
Ihied es von dem benachbarten Sprengel Regensburg eine Linie, welche 
von der oben Pegnig nach der Donau lief, jo zwar, daß der untere Lauf 
der Altmühl, welche das Eichftätter Gebiet bewäfjert, fowie deren Mündung 
in dad Regensburger Bisthum fiel.) 


*) Muratori, Script. ital. I, a. S. 450, a. Mitte. ) Strophe 18596. ) Berk 
VII 252 Mitte und 260 gegen unten. %) Man fehe die Karte. 


914 Pabſt Sregorius VIL und fein Seitalter. 


Betreffend die Eintheilung des Eichftädter Hochſtifts Hat v. Falten 
ftein alte Nachrichten zuſammengeſtellt,) Taut welchen baflelbe vor der Kir 
henfpaltung die 10 Landfapitel: Neumarkt, Altvorf, Berding, Hipoltfein, 
SIngolftadt, Weißenburg, Eſchenbach, Monheim, Gunzenhaufen, Waflertrüs 

dingen umfaßte. 

Daß der Sprengel weſentlich fchon vor dem 11. Jahrhundert denjelben 
Umfang hatte, fann man aus einer Stelle der Chronik Gundachars nad: 
weifen, wo eine Menge in der Diöcefe Eichftätt gelegener Orte aufgeführt 
werben. ?) 

Und nun entfteht eine Hauptfrage: erftredte ſich Deutſchfrancien noch 
über die Oſtgränze des Eichftätter Sprengeld hinaus weiter gegen Sonuen 
aufgang? Nein! denn mit dem Hochſtift Regensburg, deffen weftliche dem 
Eichſtäätter Bisthum zugefehrte Seite oben bejchrieben wurde, begann das 
firdliche Gebiet von Baiern, da Regensburg gleich Paffau, Yreifing und 
Seben, nicht wie die fränfiichen Stühle Würzburg, Eichftätt, fpäter auch 
Bamberg und die alamannifchen, Augsburg, Eonftanz, Chur, Straßburg, ber 
fränfifhen Metropole Mainz, fondern dem durchaus bairiſchen Erzver⸗ 
band von Salzburg einverleibt war. 

Ueber den Umfang, oder — was hiemit gleichbedeutend — über bie 
Archidiafonate des Regensburger Sprengeld liegt ein gedrucktes Verzeich⸗ 
ni’) vor, deſſen Abfaſſung ind Jahr 1433 fällt; nad) diefem und nad 
ähnlichen Hilfsmitteln hat Spruner feine Karte der mittelalterlihen Bis 
thümer des deutfchen Reichs entworfen. Das Regensburger Hochſtift bes 
griff erftlih auf dem linfen Ufer der Donau das ganze Ylußgebiet der 
Nab und Vils, ferner im Norden die Urfprünge der Eger, nad Oſten den 
mittleren und untern Lauf des Regens, gen Weften den untern Lauf der 
Altmühl; zweitens auf dem rechten oder bairiſchen Ufer des Stroms eine 
ausgedehnte Strede Landes über die untere Iſar hinüber und bis zu den 
Gränzen des Salzburger Bisthums. Gegen Norden und Nordoften hatte 
das Hochſtift Regensburg ſchöne natürliche Gränzen an der Gebirgöfette, 
welche Böhmen vom eigentlihen Deutichland ſchied. 

Den Söhnen des 19. Jahrhunderts, die unter lauter politischen Ber 
änderungen aufgewachlen find, fcheint es freilich ſeltſam, daß eine Urkunde 
des 15. Jahrhunderts audy für die Zeiten Carls ded Großen beweiſende 
Kraft haben ſolle. Und doch ift dem fo: unverrückbar war und iſt bad 
Recht der Kirche und ehern find bis zur lutherischen Neuerung bin bie 
Gränzen unferer Rationalbisthümer geweien. Hiefür bürgt die unfäglice 


‘) Antiquit. nordgovienses (Frankfurt und Leipzig 1733 fol.) I, 295 flo. 
37. 2) Berk VII, 247. ) Ried, geographifche Natrikel des Bistkums 
Regensburg. 


Erſtes Bu. Cap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 215 


Mühe, welche es den rothen Löwen Dtto I. koſtete, um das für Errichtung 
der neuen Stühle Magdeburg und Merfeburg nöthige Gebiet dem Halbers 
FRädter Biichofe abzuringen, und noch mehr die verzweifelten Anftrengungen, 
welche König Heinrich IL. zwifchen 1007 und 1015 aufwenden mußte, bis er 
das Hocftift Bamberg zuſammenbrachte. So lange fie lebten, leifleten 
Erzbischof Wilhelm von Mainz, obgleich Otto's Teibliher Sohn, und Bern: 
hard von Halberftabt, fo wie fpäter Meingaud von Eichftädt den beharr⸗ 
lichſten Widerſtand, und als Otto IT. den Merjeburger Stuhl zertrümmert 
hatte, brach ein folder Sturm des Unwillend aus,) daß das Bisthum in 
Kurzem wiederhergeftellt werben mußte. Weberhaupt duldeten nicht nur die 
betreffenden Bilchöfe und ihre vorgefegten Metropoliten, fondern auch der 
allgemeine Metropolit des katholiſchen Erdkreiſes, der Pabſt zu Rom, 
duldete nicht, dag man ein Hochſtift mindere, Fürze, verunehre. 

Abgefehen von diefen allgemeinen Gründen, kann man zum Ueberfluffe 
darthun, daß der Regensburger Sprengel im 11. und 12. Jahrhundert dies 
felben Gränzen hatte, welche ihm das Verzeichniß von 1433 zufchreibt. 
Der Biograph des pommerfchen Apofteld berichtet:?) Dtto, der Heilige von 
Bamberg, habe, außer vielen andern, folgende Klöfter gegründet, bezüglich 
deren ausdrüdlich beigefügt wird, daß fie dem Regensburger Sprengel ans 
gehörten, nämlich: Ensdorf (oben an der Vils), Priefling (am Zufammen- 
finfie der Nab und Donau), Möndhsmünfter (unterhalb Vohburg), Biburg, 
Mallersvorf (zwiſchen Straubing und Regensburg), Wintberg (bei Straus 
bing). Laut andern Chroniken lagen im Regensburger Sprengel die Drte 
Walderbach) (über dem Regen, dem böhmijchen Gebirge zu) und Eger*) 
(an der Nordoftgränge des heutigen Böhmens). Bergleiht man die Lage 
aller zufammen, fo zeigt fih, daß fie dem Begriffe der Diöcefe, welchen 
das Verzeichniß von 1433 aufftellt, genügend ehtfprechen. 

Aljo die auf dem linfen Ufer der Donau, zwilchen den Oftgrängen der 
Hodftifte Würzburg und Eichftätt und zwiſchen dem böhmijchen Gebirg ges 
legenen Streden, welche ven jenfeitigen Antheil des Regendburger Spren- 
geld ausmachten, waren feit dem 8. Jahrhundert in Firchlicher Beziehung 
bairiih und dem Salzburger Erzverband zugewiefen. Unter welcher Obrigs 
keit ftanden nun eben dieſelben in weltlichen oder politiihen Dingen? Zu 
den Zeiten der Karolinger wohnten in dortiger Gegend — zum Theil mit 
Deutſchen, d. h. mit Südthüringern vermiſcht — viele Slaven, wie fi 
unten ergeben wird. Gegen Slaven aber haben befanntlic deutſche Herrs 
ſcher fletö die raube Seite herausgefehrt, haben fie mit dem Schwerte res 
giert. Hiezu kam noch, daß im Rüden der Slaven des Regenöburger 


°) Die Belege bei Sfrörer, Kirch. Geſch. ILL, 1401 fig. 3) Berg ZU, 758 fig. 
®) Perg VIII, 232, b. unten. ) Pertz IX, 521 Mitte, ® 


216 Pabſt Gregorius VEL. und fein Seitalter. - 


Sprengels Böhmen lag, eine Provinz, welche damals noch nicht den Frms 
fen gehorchte, und auch in fpäteren Zeiten deutſches Joch mit merklichem 
Widerwillen trug. Unter ſolchen Berhältniffen pflegte befanntlidy Carl ver 
Große Marken einzurichten. In der That gab ed unter ihm eine Marke, 
die etwa von Paffau bis Forchheim (am Zufammenfluß der Wiſent umd 
der Regnig) reichte und deren politiicher Mittelpunkt die Stadt Regensburg 
war. Dieß erhellt aus einem Reichögefege vom Jahre 805, durch weldes 
Earl den Gränzverfehr regelte, indem er Anordrung traf, Daß nur in ger 
wiffen Einlaßftätten Handel mit Slaven und Avaren getrieben werben durfte. 
Die hieher gehörigen Worte‘) des Eapitulars lauten: „vie Kaufleute, 
welche nach den Ländern der Slaven und Avaren verfehren, follen nidt 
weiter vorgehen als in Sachſen bis Burbowif, bi Schejla, bis Mage 
burg; bis Erfurt und Halaftadt; bis Forchheim, Brämberg und Regens 
burg; bis Lord. Die Aufficht in den genannten Orten follen führen (fol 
gende Markgrafen): zu Bardowif Hredi, zu Schezla Madalgoz, zu Magdes 
burg Alto, zu Erfurt und Halaſtadt Madalgaud, zu Forchheim, Brämberg 
und Regensburg Audulf, zu Lord Warnarius.“ Sechs Oberbeamte find 
genannt, welche eben fo vielen Bezirken vorftanden. Wir haben es mur 
. mit den drei lebtern zu thun. Run fage ich: die drei Bezirke, welche von 
Warnartus, Audulf und Madalgaud verwaltet wurden, find Marken ges 
wejen, und zwar die Oftmarfe gegen das Mvarenland, die bairifche Slaven⸗ 
marfe gegen Böhmen, und drittens die Sorben» oder Saale-Marfe. 
Beweis: Lorch lag nahe bei der Mündung des Ensfluffes, welder 
von Einhard zum Jahre 791 als Gränze gegen die Avaren oder Hunner 
bezeichnet?) wirt. Daß Earl der Große eben dort eine Marke, Oftmarte 
genannt, gründete, bezeugt der Verfaſſer des Berichts über Bekehrung ber 
Kärnthner, welder im 9. Jahrhundert lebte. Derjelbe fchreibt:”) „nah 
Beftegung der Avaren hat Earl im Jahre 798 die Oftmarfe gegründet; 
zum erften Gränzgrafen vafelbft fegte er Goteram ein, zum zweiten (nad 
des Vorigen Abgang) Wernher.” Statt Marchio braudt der Verfaſſer 
den umfchreibenvden, aber ſehr deutlichen Ausdruck confinii comes. Ohne 
Zweifel ift diefer Markgraf Wernher eine Perfon mit dem gleichnamigen 
Grängbeamten ded Capitulars von 805. Wir lernen ihn ferner, und zwar 
ſammt feinem Genoſſen Aupulf, als Faiferlihen Missus oder Sendboten fen 
nen. reifinger Urfunde*) vom Jahre 801: „in Regensburg faßen zu Ges 
richt die Sendboten des durdlaudtigften Herrſchers: Arno, Erzbiihof (von 
Salzburg) jo wie die Grafen Audulf und Wernher.“ Andere Urkunde des 
nemlichen Hochftifts aus dem Jahre 805: „zu Detting, dem Kronhofe, ers 


‘) Berk, leg. L, 133 Nr. 7. 2) Berk 1, 177. ) Berk xI, 11. e) Mei- 
ohfbock, histor, Frising. I, Anhang Nr. 118. 


nmν Em Een ven vun 


Erſtes Bud. Gap. 6. Deuiſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 217 


fhienen die Senbboten unferes Herrn und Kalfers Carol: Erzbiſchof Arno, 
jo wie die Grafen YAubulf und Wernher.” Wohlan, auch im apitular 
von 805 werben die 6 Gränzbeamten (alfo mit den andern drei, Wernher, 
Audulf und Madalgaud) als Sendboten aufgeführt. 

Die Oftmarfe hat dur das 9. Jahrhundert fortgedauert, einzeln kann 
man ihre Borfteher von Goteram und Werinhar an nachweiſen.) 

Der Bezirf Audulfs erſtreckte fi von einem ungenannten PBunfte im 
Dften Regensburg nad diefer Stadt, von da weiter nad) Brämberg, 
welcher Ort — ganz wie die Linie von Regensburg auf Forchheim vors 
auszujehen nöthigt, — im Winkel zwiſchen Vils und Nab liegt und dem 
Regeneburger Sprengel angehörte. Weiter reichte Aubulfs Bezirk bis 
Sorhheim, der bekannten karolingiſchen Pfalz an der Redniz, welche in 
demjenigen Stüde des damaligen Eprengeld von Würzburg ftand, das 
1007 zu dem neuen Hochſtifte Bamberg gefchlagen wurde. Aus der weis 
ten Ausdehnung des Bezirks erhellt, abgefehen von andern Thatſachen, daß 
es fi bier nicht um ein Gomitat, fondern um etwas Größeres, nämlich 
mm eine Marke, handelt. Deßgleichen bürgt die Lage eben dieſer Marke 
dafür, daß fie gegen Böhmen gerichtet war. 

Folgt nun drittens der Bezirk Madalgaud’s, welcher die Einlaßftätten 
Halazſtadt und Erfurt begriff. Urkunden?) des 9. und 11. Jahrhunderts 
emähnen den Drt Halazftadt, der heute noch unter dem Namen Hallftatt 
wenige Stunden von Bamberg an einer Beugung ded Maines fteht, und 
fit 1007 dem Bamberger,’) folglih früher dem Würzburger Sprengel an« 
gehörte. Die Lage von Erfurt, der Hauptftabt Thüringens, ift befannt. 
Das Capitular von 805 beftimmt nirgends die Anfangs- und Endpunfte 
ter drei ſüdlichen Marken, ſondern erwähnt nur die innerhalb derſelben ges 
legenen Einlapftätten. In der Oſtmarke gab e8 deren eine — Lord; in 
ver Böhmenmarkfe drei: Regensburg, Brämberg, Forchheim; in der Marke 
Madalgaud's zwei: Halftadt und Erfurt. Die Oftgränze der Böhmen⸗ 
marfe begann an irgend einem unbekannten Drte zwiſchen Lord und Res 
gensburg, ebenfo ftießen die Marken Audulfs und Madalgauds irgendivo 
zwiſchen Forchheim und Hallſtadt zufammen. Endlich lag die Nordoftgränge 
der Marfe Madalgauds gegen vie nächfte fächfiiche, welcher Aito vorftand, 
irgendwo zwifchen Erfurt und Magdeburg ; wahrſcheinlich aber reichte erftere 
die Saale hinunter bis zu deren Mündung in die Elbe, denn wir willen“) 
ja, daß der Saalefluß das carolingifhe Sachſen von dem jlaviichen Sors, 
benland ſchied. 


t) Gfrörer, Carolinger I, 116. 3) Nachgewiefen bei Rubhart, ältefte Geſchichte 
Baierns ©. 566, 3) Uſſermann, episcopat. bamberg. Vorrede ©. 41. % Eiche 
oben ©. 138. 


218 Pabſt Gregorius VIE und fein Setkalter. 


Sodann erhellt aus der Dertlichfeit der beiden Einlapflätten Halay 
ftatt und Erfurt, daß Madalgauds Marfe eine und diefelbe iſt mit derjeni⸗ 
gen, welche fpäter in carolingiichen Chroniken ven Ramen „forabifcher Graͤnz⸗ 
bezirf“ limes sorabicus, empfängt.*) Nachdem Tahulf, „Graf und Herzog 
der Sorbengränge, 873 geftorben war,” fo melden?) die Zeitbücher von Fuld, 
„empörten fich die Sorben und Siusler; aber nun feßten zu Anfang des 
Jahrs 874 Erzbiichof Liutbert von Mainz (als Grundherr in einem guten 
Theile Thüringens) und Ratolf, der Nachfolger Tahulfs, über die Saale, 
verheerten, brüben angefommen, das Sorbenland mit Feuer und Schwert 
und zwangen dadurch die Empörten ſich wieder zu unterwerfen.“ Die 
MWohnfige der Sorben lagen alfo Thüringen gegenüber auf dem rechten 
Ufer der Saale. Ebenfo berichtet?) Rudolf von Fuld, daß Ludwig ber 
Deutihe mit Heeresmacht 851 durch Thüringen nad dem Lande ber 
Sorben zog. Das ftimmt vortrefflid zu den Einlaßftätten ver Mark Ma 
dalgaude. 

In einer weſentlichen Hinfiht unterſchieden fich jedoch die karolingi⸗ 
ſchen Gränzbezirfe von den fpäteren der Ottonen. Die Oftmarfe lag um 
Lorh und Ensburg, der alten Gränzfeftung, alfo guten Theils auf bairi⸗ 
ſchem Boden; ebenjo ftehen die Einlaßftätten der Marfen Audulfs und 
Madalgauds, Regensburg, Brämberg, Forchheim, Hallſtadt, Erfurt auf 
firhlichbatriichem, auf oftfränfifchem, auf thüringifchem Gebiet. Dtto L, ver 
Sachſe, dagegen hat feine Marfen ganz oder großentheild nach dem ehemals 
feindlichen, d. h. flavifchen Lande hinüber verſetzt. Es Fonnte nicht anders 
fein. Die Errichtung von Marken war überall der erfte Schritt zu einer 
Reihe von Eroberungen, und diefe mußten ihrer Ratur nad) von einem 
Punfte des eigenen Gebietd ausgehen. 

Die BöhmensMarke oder der Bezirk Audulfs reichte in zwei Bisthüs 
mer hinein; denn Regensburg und Brämberg waren dem Nordbairiſchen, 
Forchheim dagegen war feit 1007 dem Bamberger*), folglid früher dem 
Würzburger Hochftifte zugetheilt. Daſſelbe gilt von dem Bezirke Madal⸗ 
gauds oder der Sorbenmarke: Hallſtadt lag im Bamberger, Erfurt dagegen 
im Mainzer’) Sprengel. 

Beide, fowohl die Böhmen» ald die Sorbenmarke, blieben durch das 
9, Jahrhundert beftehen. Rudolf von Fuld fchreibt‘) zum Jahre 849: „weil 
die Böhmen auf Empörung fannen, rüfteten fih Herzog Ernſt, der mit 
dem Kriegsbefehl in jenen Gegenden beauftragt war,) und Tachulf, Herzog 
der Sorbengränze, zum Kampfe wider fie.” Es handelte fi) hier um einen 


*) Berk I, 366. 372. 387. 3) Ibid. 387. ®) Ibid. 367. °) Uffermann 
a. a. D. Vorrede ©. 42. *) Siehe oben ©. 142. °) Berk L 366. 7) Wörtlich 
dux partium illarum. 


Erſtes Bud. Gap. 6. Deutſch⸗Fraucien und feine Graͤnzen. 219 


Ungriff auf Böhmen, folglich Tann der Wirfungsfreis oder, um mit dem 
Ehroniften zu reden, fünnen die Landestheile, in welchen jene beiden Her: 
joge, denen es zuftand, böhmiſche Empörer zu züchtigen, den Oberbefehl 
führten, mır an der böhmifchen Gränze gefucht werben. In der That bes 
jeichnet Rudolf den einen der beiden, Tahulf, als Herzog der Sorbens 
gränze, welche, fofern die Sorben Gehorfam leifteten, an Böhmen ftieß. 
Noch etwas Anderes erhellt aus letzterer Thatſache. Da es feit Carls 
bed Großen Tagen nur zwei Marken längs der Böhmengränze gab, da 
ferner dieſelbe Einrichtung laut den Worten Rudolfs, welcher nur 2 Marks 
berzoge in jener Gegend fennt, um die Mitte des 9. Jahrhunderts forts 
bauerte, da endlih Tachulf zugeftandener Maßen die Sorbenmarfe verwals 
tete: bleibt für Ernft nur die zweite oder die Regensburger Marke gegen 
Böhmen übrig. Demnach tft Far, daß Ernft Herzog oder Marfgraf der 
Böhmenmarfe war. 

Beide Marken werden zwanzig Jahre fpäter in merfwürbiger Welfe 
neben einander genannt. Abermal berichtet‘) die Fulder Chronik: „bie 
Böhmen machten 869 wiederholte Einfälle in das batriiche Gränzgebiet, 
beßhalb bot König Ludwig (der Deutihe) die Marfoberften jener Landes- 
theile zum Kampfe wider diefelben auf.” Der Ausbrud tutores partium 
illarum, den bier die Chronif anwendet, ift offenbar gleichbedeutend mit 
ber Würde, welche Rudolf von Fuld durch das Wort dux oder duces illa- 
ram partium bezeichnet. Mit gutem Fuge braucht der Ehronift nicht die 
einfache, ſondern die Mehrzahl; denn ed gab zwei Marken längs der Böh- 
mengränze. Roh Eins: obige Stelle nöthigt zu der Vorausfegung, daß im 
Jahre 869 Baiern unmittelbar an Böhmen gränzte. Das heißt nun: um 
bie angegebene Zeit find die auf dem linken Ufer der Donau, gelegenen 
Striche ded Regensburger Hochſtifts nicht mehr bloß in Firdlicher, wie 
ehemals, fondern auch in militärifcher und politiicher Beziehung als bai⸗ 
rifch betrachtet worden. Demnach herrichte bereit 869 die Anfchauung, 
welche eine Urfunde König Heinrich's II. mit den Worten ausſpricht:) „ver 
Nordwald, (d. 5. der Böhmerwald) fcheivet zwei Länder Baiern und Boͤh⸗ 
men von einander.” Das ift alles in der Ordnung. Ludwig der Deutfche, 
welcher damals Germanien beherrfchte, hatte feine Rolle als Föniglicher 
Statthalter über Baiern begonnen, Batern bildete Tange Zeit den Mittel» 
punft feiner Macht, und Regensburg war feine bevorzugte Hauptftabt. ?) 
Daher brachten es die Berhältniffe mit fih, daß er den Regensburger 


6) Berk L, 380 unten: Bohemi terminos Bajoarioram erebris incursionibus infestant, 
sentza quos Ludowicus rex tutores partium illarım mittit. 5, Monum. boic. XVII. 
B. 421. Nortwalt separat duas terras: Bajoariam videlicet et Bohemiam. Die 
Belege bei &frörer, Rarolinger I, 127. 


220 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


Sprengel, der längft der bairifhen Metropole einverleibt war, auch in po⸗ 
litiſcher Hinficht ganz zu Baiern 308. 

Etwas weniger ald 30 Jahre fpäter, in König Amulfs Tagen, bes 
gann der bairifche Große Engildik nach der Herrſchaft zu ftreben. Er hatte 
Hildegard, die Tochter des verftorbenen Carolingers Ludwig, — doch mur 
zur linken Hand — geehlicht, und erhält,‘) auf ver Höhe feiner Macht anges 
fommen, von dem Fulder Chroniften den Titel „Markgraf in Baiern.” 
Aus Urkunden?) geht hervor, daß Ebenderſelbe Comitate an der Donau, 
füdlich und öftli von Negensburg, fo wie im Nordgau beſaß, aud zu 
Regensburg felbft amtete er ald Graf. Allein die ehrgeizigen Plane En 
gildiks mißlangen. Im Frühling 895 ließ König Arnulf feine Baſe Hilde 
gard auf die Anklage des Hochverraths hin verhaften und in das Klofter 
Chiemſee einfperren; zugleich entjeßte der König den Markgrafen Engilbif 
aller Lehen. An des Geftürzten Stelle wurde Liutpold erhoben, der ohne 
Zweifel ein Sohn Engildiks und Hildegardens war, weßhalb er aud in 
Ehronifen wie in Urfunden ein Verwandter des Königs Arnulf genannt 
wird.) Seitvem hat Liutpolp urfundlih*) eine Reihe Comitate auf beiden 
Seiten der Donau neben andern im Rordgau inne, aud) den Titel Mar: 
graf empfängt er gleich feinem Vater Engildik, und zwar in Urkunden‘) 
aus den Jahren 898 und 903. 

Wo ift nun die Marke Liutpolds und Engildiks zu fuchen? Daß dw 
mals ebenfo wie früher zu Baiern nur zwei Marken gehörten — nämlid 
die Regensburger oder die böhmifche und die öftlihe — erhellt aus einer 
Stelle?) der Fulder Ehronif, wo die Marfgrafen der einen und der andern 
neben einander aufgeführt werben: „ald der neue Kaifer Arnulf 898 er 
fuhr, daß im Lande der Mähren innerlihe Partheiung ausgebrochen fei, 
fandte er feine Marfgrafen Liutpold und Artbo aus, um demjenigen Theile 
beizuftehen, der zu den Deutichen hielt." Nun verwaltete Aribo erweislich‘) 
feit 882 die Oftmarfe, und auch fein Sohn Iſanrich behauptete bis ind 
10. Jahrhundert hinein das ererbte Lehen. Folglich kann unter der Marke, 
welcher Liutpold vorftand, nur die böhmiſche verftanden werben. 

Die oben angeführten Urfunden bezeugen, daß Engilvif und Liutpold 
das Gomitat im Nordgau befaßen. Doch dieß gemügte ihnen nicht, fie 
brachten zu Wege, daß das Hodftift Eichftädt, welches, wie wir wiſſen, 
jeit feiner Gründung dem Erzverbande Mainz angehörte, losgeriſſen und 
der Metropole Salzburg untergeordnet, d. h. ganz zu Baiern gefchlagen 


1) Berk I, 410. 2) Rachgewiefen von Buchner, Dokumente zur Geſchichte Baierns 
11, 25 flg. Ueber die heimliche Ehe zwifchen Hildegard und Engildik vergl. man Gfroͤ⸗ 
rer, Geſchichte der Karolinger II, 343 fig. 3) Buchner a. a. D. Dokumente IL, 27 
flg. *) Ibid. % Berk L 413. e) Gfroͤrer, Garolinger IL, 249 fig. 
371 fig. 406 fig. 496. 


Erſtes Buch. Gap. 2. DeutichsYrancien und feine Graͤnzen. 221 


ward. Die erſte noch leiſe Spur tritt in den Verhandlungen der deutſchen 
Reichsſynode hervor, welche 894 zu Tribur zuſammentrat. Dem Herkom⸗ 
men gemäß wurden die gefaßten Beſchlüſſe von den anweſenden Kirchen⸗ 
häuptern unterzeichnet. Die Unterfchriften‘) folgen fo auf einander: bie 
Metropoliten Hatto von Mainz, Herrmann von Cöln, Ratbod von Trier; 
die Biſchoͤfe Waldo von Breifing, Erhanbald von Eichſtädt, Tuto 
von Regendburg; nun kommen in langer Reihe lauter Suffragane des 
Mainzer Erzſtuhls, dann der Meper Bilchof, Suffragan von Trier, den 
Schluß bilden 3 Suffragane von Eiln. Erhanbald von Eichftänt ſteht 
mitten inne zwijchen zwei Salzburger Suffraganen, und wird offenbar felbft 
als ein folcher gezählt. 

Daß dieſer Fingerzeig guten Grund hat, erhellt aus fpäteren Ereigs 
niſſen. Im Jahre 900 richtete Erzbiichof Theotmar von Salzburg an den 
Pabſt Johann IX. über die Zuftände des deutſchen Reichs ein merkwürdi⸗ 
ges Schreiben, deſſen Eingang fo lautet:”) „Eure getreuen Söhne, Erzbis 
ſchof Theotmar von Salzburg, jo wie die Biſchöfe Waldo von Kreifing, 
GErchanbald von Eihftätt, Zacharias von Seben, (Briren) Tutto von 
Regensburg, Ridar von Baflau, auch der gefammte Glerus und das ges 
fammte hriftliche Volk des Landes Norifum, das jeht Baiern heißt.” Uns 
zweifelhaft ift e8: Erchanbald von Eichftädt gehörte damald dem bairifchen 
Kirchenverband von Salzburg an. Auch feine nächften Nachfolger blieben 
in derjelben Stellung. Zu Anfang des Jahre 932 hielten die bairtichen 
Kirhenhäupter eine Synode zu Dingolfing, auf welcher ſich einfanden®) 
Metropolit Adalbert von Salburg, dann die Bilchöfe von Regensburg, 
Paſſau, Breifing, Seben, jo wie Bevollmädtigte des Biſchofs Udalfried 
von Eichftädt. Letzteres Bisthum hing aljo bis 932 von der Metropole 
Salzburg ab; doch dauerte dad Unweſen nicht mehr lange fort. - Nachdem 
König Dito I. den Uebermuth der Arnulfivden Baierns gebrochen hatte, 
traf er Anordnung, daß Eirhftätt in den Verband von Mainz zurüdfehrte. 
Bruchſtücke der Verhandlungen einer zu Regensburg verfammelten bairiſchen 
Eynode liegen vor, welche in die Jahre 940—945 fällt. Hier heißt!) e8: 
„für das Seelenheil des Königs und der Königin, ded Herzogs und feiner 
Gemahlin, des Biſchofs einer jeden Diöcefe, auch für das Seelenheil der; 
jenigen Kirchenhäupter, die der nämlichen Provinz angehören, oder aud) 
unjere Nachbarn find, wie Udalrich und Starfhand, jollen je drei 
Meilen von jedem Presbyter abgejungen werden.” 

Die hier nameutlih aufgeführten Kirchenhäupter Udalrich und Starfs 
hand waren Biſchöfe von Eihftädt. In der That unterſchrieb Starfhand 


‘) Mansi XVIU. 157 fig. 2) Ibid. ©. 208. 2) Berg leg. II, b. ©. 171. 
%) Jbid. 171. 





299 Babft Eregorins VII. unb fein Seltalter. 


von Eichftädt die Beichlüffe der im Jahre 948 von Otto L nach Ingelheim 
einberufenen Reichsſynode in der Art, daß fein Name mitten unter denen 
der Euffragane des Mainzer Erzftuhles zum Vorſchein fommt.‘) Während 
fein Vorgänger Udalfrid noch, obgleih bloß durch Bevollmädtigte, den bai⸗ 
riihen Tag von Dingolfing befchidte, war Starfhand im Angeficht det 
Reichs zur Metropole Mainz zurüdgefchrt, bei weldyer feitvem feine Nach⸗ 
folger verblieben. 

Man kann fogar die geheimen Triebfevern nachweiſen, weßhalb 
Biſchof Erchanbald gutwillig geichehen ließ, daß fein Bisthum ganz zu 
Baiern gezogen ward. Herzog Arnulf, von den Chroniften der Böje ges 
nannt, Sohn des oben erwähnten Liutpold, führte ein greulidde® Regiment 
in Baieen ein, insbeſondere dedte er die Fauſt auf dad Kloftergut. Den 
beiten Theil des Raubs behielt er für ſich, einzelne Stüde vergabte er an 
hohe Vaſallen, feine Epießgejellen. Auch die Bilchöfe des Landes gingen 
nicht leer aus, namentlid nicht der von Eichftädt. Der Mönch von Her 
rieden meldet:) „auf Betreiben des damaligen Fürften von Baiern, Arnulf, 
erhielt Biſchof Erchanbald die Abtei Herrieven, welche ihrer Zeit eine der 
reihften dur ganz Deutichland war, jedodh mit Ausnahme gewifjer am 
Rheine gelegenen Befigungen. Nach vollbrachtem Werke (ded Beſitzwechſels) 
trieb der kluge Bifhof die vorhandenen Möndye aus, febte ftatt ihrer etliche 
Ehorherren ein, die er jedoch nur aͤrmlich außftattete. Alles übrige zog er 
in feine Hand, oder vielmehr er vertheilte e8 unter Soldaten. Während dad 
Hochſtift Eichftädt jonft nur wenige Kriegslcute im Dienfte hatte, ſchwoll jetzt 
ihre Zahl mädtig an. Bis auf den heutigen Tag if, mit Ausnahme von 
3 bis 4 Lchenträgern, die ganze jo bedeutende Stiftsmannſchaft von Eid: 
ftädt auf Kloftergütern verforgt, die einft der Abtei Herricden gehört hatten.“ 
Welch' naive Schilderung eines Chroniften, der doch ſelbſt als Mönch das 
Brod von Herrieden aß! 

Liutpold, Arnulfs Vater, lange Zeit Graf und Markgraf in Baiern, 
empfängt?) zuletzt nicht nur in Chroniken, fondern aud in Urfunden den 
Titel Herzog. Er fiel 907 in der großen Schlacht gegen die Ungam, 
worauf jein Eohn Arnulf im Herzogthum nacfolgte.*) Die Bande, weld« 
fonft die Einheit des Reichs fefthielten, jchon unter Carl dem Diden um 
Arnulf gelodert, waren vollends während der Regierung ded Kindes Lud- 
wig geborften. So gefchah ed, daß der Baier in öffentlihen Urkunden‘) 
aljo von fi reden fonnte: „Wir Arnulf von Gottes Gnaden, Herzog von 


1) Berk, leg. I, ©. 24 unten. ?) Berk VII, 256 Mitte. ) Die Beweiſe 
bei Gfroͤrer, Carolinger HI, 406. %) Berk I, 614 oben. s, Sefammelt bei Bud 
ner, Dofumente II, zweiter Abfchnitt, ©. 9. 


Erſtes Buch. Gap. 8. Deutſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 223 


Baiern und den umliegenden Gegenden‘), thun kund und zu wiſſen 
allen Biihöfen, Grafen und weltlichen Fürften dieſes unſeres Reiches.“ 
Was meint der Herzog mit den umliegenden Gegenden? Jedenfalls müſſen 
unter dem Worte, außer den verſchiedenen Slavenftämmen Kärmthens, das 
damals zu Baiern gehörte, die auf dem linken Ufer ver Donau wohnen: 
den Oftfranfen verftanden werden, welde man im 8. Jahrhundert Süd⸗ 
thüringer nannte. 

AS Zeugen ftelle ich den Lombarden Liutprand, welcher folgenves ers 
zählt:”) „aus Furcht vor dem deutſchen Könige Conrad I. entfloh Herzog 
Arnulf von Baiern (917) mit Weib und Kind zu den Ungarn. Als er 
aber vernahm, daß Conrad geftorben ſei, kehrte er in die Heimath zurüd 
und ward fehr gut von den Baiern und von den Oſtfranken empfans 
gen, welche ſogar in ihn drangen, daß er den Eöntglihen Titel annehme.“ 
Außer den eigentliden Baiern waren folglih auch Oftfranfen Unterthanen 
Amulfd. Natürlich, nachdem er felbft und auch ſchon fein Bater Liutpold 
nicht nur die böhmiſche Marke, weldhe über Forchheim hinaus, folglich tief 
in den damaligen Würzburger Sprengel hinein reichte, fondern aud das 
ganze Hodftift Eichftätt erworben hatte, begriff dad Herzogthum, dem er 
vorftand, außer dem jenfeits der Donau gelegenen Baiern, einen guten Theil 
Oſtfrankens. 

Und nun müſſen wir die dritte der im Capitular von 805 genannten 
Marten ind Auge faſſen. Baft zu gleicher Zeit, da fich die bairiſchen Ars 
nulfiven der Regensburger Marke und des Hochſtifts Eichftätt bemächtig- 
ten, geriet auch der forabifche Grängbezirt in die Hände neuer Beſitzer. 
Seit 866 taucht in der nädften Nähe jener im apitular von 805 er: 
wähnten Einlaßftätte Halftadt ein mächtiges Geſchlecht empor, das zwiſchen 
870 und 905 eine laute Rolle geipielt hat. Uriprüngliche® Haupt des, 
felben war Heinrih, der im Jahre 866 ald Oberfter der Leibwache zum 
Borjchein kommt,!) welche Ludwig der jüngere, des gleichnamigen erften 
deutichen Könige Cohn, in ftändigen Eold genommen hatte. Nach dem 
Tode ſeines Gebieterd trat er in Dienfte Carls ded Diden, verrichtete 
namhafte Kriegsthaten gegen Normannen und Eübfranzofen, und half 
feinem neuen Herrn jene verberblichen Pläne ausführen, welche die Einheit 
des Tarolingifchen Weltreichs, obwohl nur für Furze Zeit und nur jcheinbar, 
wiederherftelten. Im SHerbfte 886 ward Heinrih, gegen die Normannen 
fechtend, weldhe die Stadt Paris belagerten, erjchlagen.°) 

Ueber die Würden, zu denen er aufftieg, find die Quellen nicht einig. 
Die im Innern Germannien gefchriebenen Chroniken bezeichnen‘) ihn mit 


1) Dux Bajoariorum et etiam adjacentium regionum. ?) Et regni hujus principibus. 
3) Berg III, 292. *) Pertz I, 379. 5) Pertz I, 396403. *) Berk I, 399.401. 403. 


224 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


wenigen Ausnahmen während feiner ganzen Laufbahn ald Grafen. Indeß 
ftellt der bairiihe Mönd, welder Hauptzeuge für die Begebenheiten zwi: 
ſchen 882 und 901 ift, ihn einmal zum Jahre 882 in merfwürbiger Weile 
mit Arnulf, dem damaligen Herzoge von Baiern und nachherigen Könige 
zujammen, indem er dieſen einen Fürften der Baiern, jenen ebenjo einen 
Fürften der Franken nennt.‘) Ebenverfelbe gibt?) ihm zum Sahre 886 
ven Titel „Markgraf der Franken“. Auch die Chronif von Vaaſt braucht‘) 
an einer Stelle von Heinrid den allgemeinen Ausdruck „Fürſt“, doch mit 
weniger Nachdruck, da die Vergleihung mit dem Baier Arnulf fehlt. Bon 
andern Chroniften dagegen, und zwar nicht bloß von weftdeutichen, wie 
der alamannifhe Mönch *) und Regino’), fondern auch von dem Wälichen 
aus Vaaſt,“) wird Heinrih al& „Herzog“ oder ald „Herzog der Auftras 
fier“, d. 5. der Oſtfranken aufgeführt. 

Da der gefunde Menjchenverftand zu der Vorausfegung nöthigt, daß 
der Franke Heinrih nur in der Hoffnung eines hohen Preiſes den verwes 
genen Anfchlägen des diden Carl, die ihm ſelbſt das Leben koſteten, fein 
Schwert geliehen habe, da weiter jene Andeutungen des gut unterrichteten 
bairiihen Mönchs diefer Annahme fein geringes Gewicht verleihen, halte 
ih es für wahricheinlih, daß der Titel „Herzog der Franken“ in vollem 
Sinne des Worts verftanden werden muß. 

MWeitern Aufihluß geben die Bamilienverhältniffe Heinrich's. Er hatte’) 
einen Bruder Poppo, der feit 880 als Graf⸗Herzog des forabifchen Grin. 
bezirfs, d. h. als Markgraf der thüringiihen Sorbenmarfe auftritt.) Ohne 
Zweifel war dieſer Poppo Nachfolger Ratolfs, welcher 874 die gleide 
Würde bekleidete.) Obgleich Markgraf Poppo böſe Kämpfe mit verihie 
denen Gegnern beftehen mußte, behauptete'°) er feine Lehen bis 892, alſo 
6 Jahre über den Tod Heinrich's hinaus, welcher die Hauptftüge der gan 
zen Familie gewejen war. Heinrich hinterließ‘) weiter drei Söhne, Aral 
- bert, Adalhard und Heinrih II., die, an Ehrgeiz dem Vater nicht nad» 
ftehend, hohe Aemter erlangten und fpäter Unruhen im Reiche erregten. 
Ehroniit Effehard von St. Gallen meldet, Adalbert (Heinrich's Erftgebomer) 
jet Eöniglicher Kummerbote, d. h. Pfalzgraf in Franken geweien. Beide, 
Adalbert und fein jüngerer Bruder Heinrid IL, werden femer in einer 
Urkunde '*) Ludwigs des Kindes vom Jahre 903, als bisherige Markgrafen 
bezeichnet, Doch ohne daß angegeben wäre, wo ihre Marken lagen. Meined 





— — 


t) Ibid. 396, b. oben. 2) Ibid. 403, b. Mitte. Heinricus marchensis Francorum. 
2) Ibid. I, 518 unten. ) Berg I, 52 Mitte. ) Ibid. ©. 607. 6) Ibid. ©. 523 
und 524, 7) Ibid. 398. 399. ®) Ibid. S. 393 unten. 9) Siehe oben ©. 218. 
10) Perg 1, 408. *°) Berk I, 607 u. 54.  *?) Berg I1,83 Mitte. *>) Bei 
Eccard, Francia oriental. I, 897. 


% 
‘ 


Erſtes Bud. Gap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 225 


achtens hatten fie ſich, der Eine als Palatin, der Andere als Markgraf 
die Verwaltung Oſtfranciens getheilt. 

Demnach erſcheinen innerhalb 40 Jahren von den Sproſſen eines und 
ſelben Geſchlechtes der eine, welcher zugleich das Haupt des ganzen Hau⸗ 
iſt, Heinrich der Ältere als Herzog von Franken, fein Bruder Poppo 
> Markgraf des zu Franken gehörigen forabiichen Gränzbezirks; die 
zhne Heinrich's I. endlich befigen nach dem Sturze ihres Oheims Poppo, 
Icher 892 erfolgte, die Marf- und Pfalzgrafenwürde im nämlichen Fran- 
. Zum volllommenen Begriff eines Stammherzogthums, fo wie er fid 
ter den deutſchen Garolingern geftaltete, gehören 3 Großlehen, nämlich 
Ber dem Herzogthum jelbft die Marke, und drittens das Pfalzamt. Alle 
ri befinden fi in den Händen einer Sippſchaft. Das heißt nun: un- 
eifelhaft haben Heinrih I. und fein Haus dahin geftrebt, das gefammte 
utſche Francien in ein Familienlehen umzuwandeln. 

Auch von andern Seiten her wird dieſes Ergebniß beftätigt. Regino 
reibt‘) zum Jahre 897: die Söhne Heinrich's J. „wetteiferten an Adel 
3 Bluts, an Zahl und Macht der Angehörigen und nicht minder an Aus- 
hnung des Grundbefiged mit den Conradinern.” Run muß man wiſſen, 
6 diefe Conradiner, von denen ſogleich weiter die Rede fein wird, nahe 
t dem föniglihen Haufe der Garolinger verwandt waren,?) und daß 
uptjählic aus dieſem Grunde einer von ihnen, Conrad genannt, nad) 
m finverlojen Tode des unmündigen Ludwig III. im November 911 ven 
ron beftieg. Die BVergleihung der Söhne Heinrich's mit den Conradis 
m will daher viel beſagen. Als Stammfiß der erftern bezeichnet?) Re⸗ 
10 das Echloß Bamberg, weßhalb man fie gewöhnlich die Babenberger 
unt. Bamberg lag ganz nahe bei Hallitadt, einer der Einlaßftätten des 
rabtichen Gränzbezirfs, von welchen Poppo, Heinrich's I. Bruder, feinen 
irfgräflihen Titel trug. 

Nun ein Schluß: ift es in Wahrheit die Abficht diefer Babenber: 
r geweien, das Herzogthum Francien an fi zu reißen, jo muß man 
rausſetzen, daß fie feine Mühe fparten, den Erzbifhof von Mainz und 
n Bifchof von Würzburg in ihr Netz zu ziehen. Denn, abgeſchen von 
ihftätt, wo ebendamals die Arnulfiven Baiernd feften Buß faßten, füllten 
e Eprengel von Mainz und Würzburg das öftlihe Yrancien aus. Ohne 
h der beiden Kirchenhäupter verfichert zu haben, fonnten daher die Baben- 
ger Dynaſten nimmermehr zum erwünſchten Ziele gelangen. Wohlen! 
nau nad der eben entwidelten Vorausſetzung haben die Babenberger 
handelt! 





t) Bere I, 607. 2) Die Belege bei Sfrörer, Karolinger II, 455. 2) Ver 
610. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vIr. Bd. I, 45 


226 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Den Stuhl von Würzburg beftieg‘) 855 Arno und behauptete?) den 
felben faſt 37 Jahre bis zu feinem 892 erfolgten Tode. Die Lage um 
große Auspehnung des dortigen Sprengeld brachte es mit fi, daß bie 
Krone dem neuen Bilchofe die Pflicht auferlegte, mit feiner Stiftömann- 
ſchaft des Reiches Gränzen gegen die benachbarten Böhmen zu ſchirmen. 
Wirklich leiftete Arno gute und treue Dienfte. Im Berein mit einem Grau 
fen Rapolf, wahrfceinlih demſelben, der 874 die Sorbenmarfe erhich, 
fämpfte’) er 872 glücklich gegen die Böhmen, erlitt‘) jedoch im folgenden 
Jahre eine Niederlage. Während deffen hatten fi die Babenberger em- 
porgearbeitet, und juchten aldbald — nit ohne Erfolg — Einfluß aut 
den Würzburger Bilchof zu gewinnen. Die Fulder Ehronif berichtet”) zum 
Sahre 884: „da die Normannen in Sachſen eingebroden waren, rüdten 
(der Babenberger) Heinrih 1. und der Würzburger Biſchof Arno mit be- 
trächtlichen Etreitfräften gegen die Eingedrungenen ind Feld und erftritten 
— doch nicht ohne viele Leute zu verlieren, — einen namhaften Sieg.“ 

Acht Jahre ſpäter geſchah laut Regino's Ausfage‘) Folgendes: „auf 
Andringen Poppo's, des Herzogs der Thüringer (und Markgrafen ver 
Eorbengränze) machte Biſchof Arno einen Einfall ind Land der Slaven 
(nad Böhmen), ward aber in einem Treffen getödtet." Einige Säge wei: 
ter unten fügt Regino bei: „im nämlidhen Jahre erging das Urtheil der 
Abſetzung über Poppo (den Babenberger), aljo daß derjelbe allen feinen 
Lehen entjagen mußte.” Dffenbar tft gegen Poppo die Anklage erhoben 
worden, daß er den damals jchon hochbetagten und vielleicht altersſchwachen 
Biſchof mißbraucht habe. Unzweifelhaft gab man dic dem Babenberger 
ſchuld: denn Regino fährt fort: „das durch Arno's Tod erledigte Bisthum 
erhielt (ohne Verzug) der Conradiner Rudolf, ein Cleriker von erlaucter 
Geburt,”) aber ſehr beichränften Geiſtesgaben.“ 

Der Abt von Prüm dacte nicht daran, den Abel in der Weife eincd 
heutigen Demofraten herabzufegen, ſondern er hat die ſcharfe Bemerkung 
fihtli in der Abficht eingeftreut, um begreiflih zu maden, daß Rudolf 
nichts feinem eigenen Werthe, ſondern alled feiner Sippichaft verbantfte. 
Die damalige Regierung, auf welche bereitd Erzbiihof Hatto von Main;, 
der Retter des deutſchen Reichs, merklichen Einfluß übte, ging von der An 
fiht aus, um fernerem Umgreifen der Babenberger Einhalt zu thun, fei ed 
durhaus nöthig, daß ihnen zu Trotz ein Conradiner, alfo von Hand aus 
ein Todfeind der Babenberger, auf den Stuhl von. Würzburg beförtert 
werde. Das heißt nun: Diejenigen, welce die Lage der Dinge am Ge 


(nn 


1) Ibid. I, 369. 2) Berk VI 28 Mitte. 3) Pertz I, 384. 4) Ibiè. 365. 
®) Ibid. ©. 399. %) Pertz J, 605. ?) Mörtlich: Ruodolfus, licet nobilis, stultici- 
mus taınen. 


Erftes Buch. Gap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Gränzen. 297 


eften kannten, hegten Die Ueberzeugung, daß die Babenberger den Würz- 
ger Biſchof Arno und fein Hochſtift umgarnt hätten. 

Noch fchlagender fann man darthun, daß der Franke Heinrih I. und 
e Stammjippen den gleihen Plan bezüglih der Metropole Mainz be- 
t haben. Abermal meldet‘) Regino: „im Juhre 889 ſtarb Erzbifchof 
dpert von Mainz. ofort ward mit Einwilligung des Königs Arnulf, 
re auf Betreiben?) des Herzogs (Markgrafen) Poppo, der Mönd Sunzo 
gefürzt für Eunderolt), ein frommer und einfältiger Mann, der ziemliche 
ıntnijje in den geiftlihen Wiffenichaften befaß, und fein ganzes Leben 
. Kindesbeinen an unter der Zucht des Abts im Kloſter Fuld zugebracht 
te, zum Nachfolger Liutberts eingefegt." Wie fein deutet Regino an, 
ich daß König Arnulf — er ift der König Nobel in der damals ent- 
ivenen Thierfabel Reinefe Fuchs,) der von feinen Bafallen greulich miß- 
ucht wird — als er feine Zuftimmung zur Erhebung Sunzo's gab, 
as that, was dem Wohle des Reichs widerftritt, dagegen trefflih dem 
ennug der Babenberger entiprad; und zweitens daß Markgraf Poppo 

deghalb jo gnädig dem einfältigen Sunzo unter die Arme griff, damit 
neue Erzbiihof von Mainz das Lied der Babenberger finge, für fie 
tanien aus dem Feuer hole. 

Wären nun die Babenberger durchgedrungen, d. h. zum unbeftrittenen 
ige von ganz Francien gelangt, was würde die Folge davon gewefen 
1? Unfehlbar dieß, daß das Geſchlecht bei nächſter Erledigung des Thros 

— das föniglide Haus fand in den letzten Jahren Arnulfs nur noch 
vier Augen, auf feinen eigenen und auf denen feines einzigen rechtmä- 
n Sohnes Ludwig III, eined unmündigen Kindes — entweder nad) 
tiicher Unabhängigkeit, oder im glüdlichten Falle nad der Herrſchaft 
: das deutſche Reich geangelt hätte. Lestered Ziel aber fonnten fie uns 
lich erreihen und zwar darum nicht, weil es um jene Zeit in deutichen 
den, außer den Babenbergern, noch 3 andere Dynaftengefchlechter gab: 

Burkhard’ihe in Schwaben, das Arnulfiihe in Baiern, das Ludol- 
he in Sachſen, welde den Babenbergern an Macht nichts nachftanden 

deren Häupter die Stirne body genug trugen, um fih nun und nints 
mehr gutwillig einen bisherigen Mitvajallen zu unterwerfen. Demnach 
de die Frucht jener babenbergiichen Bejtrebungen darin bejtanden ſein, 

dad Reich germanifcher Nation unwiederbringlid aus einander fit. 

Es fiel aber nicht auseinander und zwar darum nicht, weil der hohe 
iche Clerus, eingedenk feiner Pflichten und der politifhen Uebeilieferun⸗ 
unſeres Apofteld, des heiligen Bonifacius, muthig und in gefdloffenen 
') Pertz L 601. °) Annitente Boppone duce, et Arnolfo rege annuente. 3) Tie 


eite bei Gfroͤrer, Carolinger II, 496. 
15° 


228 Pabſt Gregorius VV. und fein Zeitalter. 


Reihen den böſen Gelüſten der Empörer entgegentrat, noch mehr, weil W 
Leitung diefer Körperfchaft 891 ein großer Mann übernommen hatte, d 
fi ein unvergängliches Verdienſt um die deutiche Nation erwarb. Erz 
ſchof Sunderolt von Mainz, das Geſchöpf der Babenberger, wurde nem 
891 mit vielen taujend andern Vornehmen und Geringen im Treffen a 
der Geule von den Normannen erichlagen.) Noch im nämlichen aba 
erhob König Arnulf auf den erledigten Etuhl des heil. Bontfacg 
den bisherigen Abt von Reichenau, Hatto, denjelben, welchen jchon die Ich 
genofjen, weil er die Krone vor Untergang bewahrt hat, „das Herz ie 
Königs” nannten. ?) 

Bon Etund an wirfte Hatto den Babenbergern entgegen. Ratüriig 
bedurfte er des Beiſtands mächtiger weltliher Vafallen, welche im Nothfeke 
das Schwert in die Wagfchale legen fonnten. Hatte verband fich zu die 
fem Behufe mit dem in Franken angejeffenen Gefchlechte der Conradiner. 34 
habe ſchon oben gejagt, daß fie mit dem Föniglihen Haufe der Carolinge 
verwandt waren, doch nur nad der Kunfeljeite; denn ausdrüdlich bezeugt‘) 
Herrmann der Lahme, daß mit Ludwig dem Kinde der Föniglihe Stamm 
(nad der Schwertfeite) erlofchen ſei; auch ift es bis auf den heutigen Tg 
feinem Genealogen trog eifrigfter Bemühungen gelungen, die Conrabise 
aus carolingifhem Mannsftamme abzuleiten. Sie befaßen viele Güter, auf 
Grafichaften in Heſſen und im weftlihen Brancien. Als einen ihrer Stamm 
fige bezeichnet?) Regino den im Mainzer Sprengel gelegenen Ort Friklar, 
als ihr Hausflofter das Stift Weilburg. An der Spite des Geſchlecht 
ftand Conrad, Water des nachmaligen gleichnamigen Könige. Derſelb 
hatte drei Brüder, den Elerifer Rudolf, von welchem oben die Rede war, 
und die Laien Eberhard und Gebhard, die gleih Conrad I. Comitate fa 
Franken inne hatten. 

Aus den |päteren Ereigniffen erhellt, daß der Bund zwilchen Hat 
und den Conradinern auf folgende Grundlagen bin abgefchloffen worke 
ift: 1) die deutihe Krone verbleibt dem föniglihen Haufe, fo lange ei 
männlicher Sproffe lebt; 2) ftirbt es aus, fo wird nicht nach dem Wohl 
gefallen der weltlichen Vaſallen, jondern nur unter Mitwirkung des hohe 
Elerus ein neuer König gewählt; 3) erfüllen die Conradiner ehrlich wm 
treu diefe Bedingungen, fo dürfen fie"im Falle der Thronerledigung au 
die guten Dienfte des Mainzer Erzbifhofs zählen. Ich habe hiemit hi 
möglicher Kürze die leitenden Grundgedanfen entwidelt, welche in den näd 
ften 20 Jahren die Lenker der Schickſale des deutihen Reichs zur Richt⸗ 
ſchnur nahmen. " 

Strads empfanden die Babenberger den Drud ver feften Hand Hat 


*) Berp I, 603.  °) Perg II, 183. >) Berk V, 112. ©) Berk L 611. 


Erſtes Bud. Cap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Gränzen. 229 


Unmittelbar nad dem Tode des MWürzburgerd Arno, ward der Con⸗ 
wbiner Rudolf zum Nachfolger eingeſetzt. Drauf erging das oben befchries 
:dene Urtheil der Vervammung über Poppo, den Marfgrafen-Herzog des 
H Sorbengraͤnzbezirks. Er mußte feine Lehen, insbefondere das Herzogthum 
= Shüringen, niederlegen. Und wer erhielt nun an feiner Statt letzteres 
Herzogthum? das Haupt der Eonradiner, Conrad der Aeltere. „Allein er 
vermochte daſſelbe nicht zu behaupten” — meldet‘) Regino weiter — „ſon⸗ 
vdern gab ed an die Krone zurüd, worauf das Herzogthum Thüringen dem 
Grafen Burdard verliehen ward.” Warum fonnte ſich Conrad der Xeltere 
‚an Thüringen nicht aufrecht erhalten? Ohne Zweifel deghalb, weil die Ba- 
benberger noch zu viel Einfluß in dortigen Landen befaßen; einen Dritten 
deſdeten fie zur Noth auf thüringifhem Boden, wo ihr Haus über ein 
Jahrzehnt gewaltet hatte, aber einen Conradiner dulveten fie nicht. 

„Bis auf den heutigen Tag,” fährt‘) Regino fort, „verwaltet Burdard 
Thüringen mit Fräftiger?) Fauſt.“ Der Abt fchrieb nämlich an feiner Ehronif 
6 906, und da lebte Burchard noch. Aber im Jahre 908, nad vollen- 
detem Sturze der Babenberger, ward derfelbe im Kampfe gegen die Ungarn 
erfchlagen.’) An wen gelangte nun das durch feinen Tod erledigte Herzog: 
tum? Ohne Zweifel an den Sachſen Dtto, den Vater des nadhmaligen 
Könige Heinrich I. Widukind berichtet,) „König Conrad IL, der Nach⸗ 
felger Ludwig's des SKindes, habe nach dem im Jahre 912 erfolgten Tode 
des Sachſenherzogs dem Sohne defjelben, Heinrich I., nicht alle Lehen des - 
Vaters beftätigt, fonvern ſei Willens gewejen dem jungen Herzoge einen 
Theil derſelben zu entziehen. Dabei find die Worte des Chroniften jo 
geftelit, daß man fchließen muß, unter den Lehen, veren Beftätigung der 
König zu verweigern Miene machte, ſei insbejondere Thüringen gemeint. 
Und gewiß ift diefe Deutung richtig. Denn noch vor feiner Erhebung auf 
den Thron ericheint”) Heinrih I., Otto's Sohn, als Herzog nicht nur von 
Sachen, ſondern auh von Thüringen. Der Franke, König Conrad, hatte 
alfo jeine Drohung nicht in's Werf zu jegen vermocht, fondern der Sachſe 
Heinrih war in das volle Erbe jeined Vaters vingetreten. 

Mit dem Großlehen der jorbiihen Marfe ging übrigens ſeit der zweiten 
Hälfte des 9. Jahrhunderts eine merflihe Veränderung vor. Wie id) 
früher zeigte, werden Tachulf und Ratolf, entiprechend der von Carol dem 
Sroßen gegründeten Einrichtung der Marfen des Reihe, Grafen oder 
Grafenherzoge des forabiihen Grängbezirfd genannt. Auch Poppo, der Ba: 
benberger, dritter Nachfolger der vorgenannten, führte Anfangs noch diefen 
Titel, aber nicht mehr gegen das Ende feiner Laufbahn, denn nunmehr 





) Daſ. S. 605. 2) Woͤrtlich: strenue. 3) Pertz I, 54. *%) Berg IIL, 427, 
) Berg UI, 291 unten, und 292 gegen oben. 


230 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


beißt!) cr ausfchliehlih „Herzog der Thüringer”. Daffelbe gilt von 
Poppo's Nachfolgern, Burdard und dem Sadjen Heinrich: beide erhalten 
nur den Titel Herzoge der Thüringer. Warum dieß? weil im Jahre 892, 
aus Gelegenheit der Abjegung Poppo’s, das ehemalige große Marfgebiet 
der Sorbengränze getheilt, mit andern Worten, weil die eine Hälfte, be 
fiehend in dem Thüringer Lande zwifchen Unftrut, Saale und dem Franfen 
wald, von der andern, weldhe die Gegenden um Hallftadt, Bamberg und 
einen guten Theil des Würzburger Sprengeld umfaßte, ausgeſchieden worden 
if. Die verkleinerte Marke verblieb 892 den Babenbergern. 

Diefe Behauptung Flingt verwegen, ja abenteuerlih, und doch benift 
fie auf feftem Grunde. Ich fage erftlich, nie wären die Söhne des Baben- 
bergerd Heinrich I. nad) dem Sturze ihres Oheims Poppo im Stande geweien, 
nicht nur den eingedrungenen Conrad I in Kurzem wieder aus dem 
thüringiſchen Lehen hinauszutreiben, fondern audh mehr als zehnjährige 
verzweifelte Kämpfe wider die Eonradiner und die mit ihnen verbün 
dete Krone zu beftehen, hätten fie nicht über Land und Leute in Hülle 
verfügt, folglih den größten Theil der Lehen ihres Vaters und Oheims 
auch nad dem Unglüd von 892 behauptet. Auch erfcheint ja das Schloß 
Babenberg, das hart an der karolingiſchen Einlaßftätte Halazftatt lag, bis 
906 als Mittelpunft ihrer Macht. Das ift allerdings ein Grund der 
MWahrjcheinfichkeit; aber ein fchlagender, ein urfundliher fehlt nicht. Kennt 
nicht König Ludwig das Kind in der Urfunde?) von 903 die Babenberger 
Brüder, Heinrid II. und Adalbert, Marfgrafen? dieß beweist handgreiflich, 
daß fie auch nah dem Sturze ihred Oheimd Markgrafen geblieben waren, 
und zwar nothwendig in der alten Marke ihres Hauſes. Denn weit und 
breit gab es feine andere Marken ald folgenve drei: erftend die thüringiſche, 
welche jetzt Herzogthum hieß und fi) ſeit 892 in Händen erft Conrad's L, 
dann bis 908 Burkhard's befand; zweitens die Regensburger, wo bie 
Arnulfiven Baiernd feften Fuß gefaßt hatten; endlich drittens die feit 892 
von Thüringen getrennten Weberbleibjel des großen ſorabiſchen Gränzbe⸗ 
zirks, wo die Babenberger bis 906 nocd immer aufrecht ftanden. Weitere 
Belege werben |päter hervortreten. 

Zunädft müfjen wir die Kämpfe zwilchen Eonradinern und Baben- 
bergern in’d Auge füllen. Der erfte Ausbruch lange gährender Eiferſucht 
erfolgte im Jahre 897. Regino, der hier abermal fihtlih mehr wußte, 
als er offen zu jagen wagte, fchreibt: °) „and geringfügigem Anlaſſe ent: 
ftand zwilchen dem (Gonradiner) Biſchofe Rudolf von Würzburg und ten 
Söhnen des verftorbenen Herzogs Heinrich I. verderbliche Fehde. Viele fraß 


2) Fulder Ehronif zum Jahre 892 bei Pertz 1, 408: dux Thuringorum. Ebenſo kei 
Regino, ibid. 605, ?) Siehe oben ©. 224. 3) Pertz I, 607. 


Erſtes Buch. Cap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Gränzen. 231 


uf beiden Seiten das Schwert, und mit Mord und Brand wurden die 
ändereien des Einen wie der Andern heimgefucht.” Katfer Arnulf ftarb 
m 8. Dez. 899. Im nädftfolgenden Januar 900 wählten Germaniens 
tände ven einzigen rechtmäßigen Erben des Verbliechenen zum König; 
uch den Regierungswechſel aber flieg Macht und Einfluß der Conradiner 
hr und mehr. Don Neuem flammte die Wuth der Babenberger 902 
npor. Abermal fchreibt‘) Regino: „die Brüder Adalbert, Adalhart und 
yeinrich II. brachen mit ftarfer Mannſchaft aus ihrem Schlofje Babenberg 
gen die (Conradiner) Eberhard, Gebehard und den Würzburger Bilchof 
ubolf hervor. Trogig rüdten ihnen die Conradiner entgegen, durchbrachen 
e Reihen der Feinde, trieben fie in die Flucht. Don den Babenbergern 
U Heinrich IL. im Gefecht, Adalhard ward gefangen und nachher auf Befehl 
ſebehards enthauptet. Auch die Conradiner verloren ein Mitglied ihrer 
amilie: Eberhard ftürzte mit Wunden bededt, warb nad beendigtem 
ampfe unter den Leichen gefunden, halbtodt nad Haufe gebracht, wo er 
ir; darauf ftarb.” 

Bon den Eonradinern blieben aljo drei am Leben, das Haupt des 
aujed, Conrad I, Vater des nachmaligen Königs, welcher feinen Theil 
ı der legten Fehde genommen, dann der Würzburger Biihof Rudolf, 
id drittens Gebehard. Auf Seiten der Gegner lebte nur noch Adalbert. 
ngebrochenen Muthes feßte diefer den Kampf fort. Laut der Ausjage‘) 
egino’d verjagte Adalbert im Jahre 903 den Bilhof Rudolf aus feiner 
tadt Würzburg, verheerte die Befigungen der Domfirche, vertrieb zugleich 
e Eöhne des im vorigen Jahre gefallenen Eberhard ſammt der Mutter 
is dem Befige ihrer Eirbgüter, wie der vom Könige verliehenen Zehen 
id nöthigte fie, bis über den Speſſart hinaus zu fliehen. Letztere Be: 
mmung verdient Aufmerfjamfeit. Der Speijart bildete die Gränze des 
zürzburger Eprengeld gegen Nordweſten, aber auch zugleich ſeit 976, nad) 
tolgter Vereinigung der Regensburger Murfe mit den Ucberbleibfeln der 
rabiihen, die Gränze Baiernd in gleicher Richtung. Das fieht meines 
rachtens aus, ald hätten die Babenberger Anſpruch gemacht, daß ihre 
tarfe fo weit reihe ald der Würzburger Sprengel und deßhalb nicht ges 
ildet, daß die Kinder Eberhards, der fih, feit Erhebung feines Bruders 
udolf auf den Stuhl von Würzburg, im Hodhftifte niedergelafien und 
ch Lehen, vielleicht auch durch Anfauf oder Schenfungen Grundeigen⸗ 
um erworben hatte, länger im Lande bleiben. 

Nunmehr jehritt die Reichöregierung wider den Friedensbrecher ein. Um 
e Mitte des Sommers 903 wurde ein Neichdtag gehalten, der als ober- 
3 Gericht über die 902 getödteten Babenberger Adalhard und Heinrich 


2) Tal. E. 610. 


232 Prabſt Gregorius VIL. und fein Zeitaller. 


die Strafe der Hochverräther verhängte. Demgemäß verfchenfte der un 
mündige König durch Urfunde‘) vom 9. Zuli 903 an den Würzburger 
Bischof Rudolf mehrere namentlih aufgeführte, im Gaue Gozfelo”) (am 
Main) gelegenene Dörfer, „welde den Brüdern Adalhard und Heinrid 
wegen der Größe ihrer Bosheit gerichtlih abgeiprodhen worden feien.“ 
Gegen Adalbert, der allein noch lebte, geihah nichts, ja aus einer hinge⸗ 
worfenen Aeußerung’) Regino’8 geht hervor, taß man mit ihm unterhanbelte. 
Dieß kam daher, weil die Regierung, von allen Seiten bebrängt und ges 
hindert, Feine entfcheidende Maßregel ergreifen fonnte, während ver Em- 
pörer felbft unbeugfam im Trotze beharrte. 

Drei Jahre jpäter — im Bebruar 906 — Tam?) es zu einer neu 
Fehde zwiſchen Adalbert und dem Haupte der Conrabiner, Conrad dem 
Aelteren. Auch der gleichnamige Sohn des Letzteren, der nachmalige Kö 
nig, nahm dießmal am Kampfe Theil, der unglüdlic) genug für die Con 
radiner ausfiel: Conrad der Xeltere erlitt eine Niederlage und verlor das 
Leben; ſiegreich kehrte Adalbert in feine Burg Babenberg zurüd, es war 
jedoch das legte Mal, daß ihm das Glück lächelte. Im folgenden Sommer 
wurde er vor zwei verfchievene Reichstage geladen. Da er nicht erfchien, 
umzingelten der unmündige König oder vielmehr feine Rathgeber — id 
laffe Regino reden — „mit einem von allen Seiten ber gefammelten Heere 
das Schloß Tharafja (Theres), wohin ſich Adalbert geworfen hatte.“ Durch 
gift bewog man ihn fih zu ergeben, hielt ihm aber nit Wort. Den 
9. Sept. 906 endete der legte unter den Söhnen des ehemaligen Franfen- 
herzogs Heinrich: als Hochverräther warb er im Angefichte des Heeres und 
mit gebundenen Händen enthauptet. °) 

Regino fchließt ) feinen Bericht mit den Worten: „der Nachlaß des 
Hingerichteten fiel der Kammer zu, doch vertheilte nachher der König die 
Güter Adalbertd unter die vornehmften Großen des Reihe." Bon felbft 
verfteht es fih, daß die Conradiner hiebei nicht zu furz famen. Allein 
Die zwei am Leben gebliebenen Brüder Conrads des .Nelteren, der Würz 
burger Biſchof Rudolf und Gebehart, konnten den neuen Erwerb nur kurze 
Zeit genießen, denn beide wurden, jener’) 908, diefer)) 910 im Kampfe 
gegen die Ungarn erſchlagen. Defto größeren Gewinn zogen die Söhne, 
welche Conrad der Aeltere hinterlaffen hatte. Der Erftgeborene hieß, wie 
mehrfach erwähnt worben, gleih dem Vater, Eonrad; ein zweiter trug ben 
Namen Eberhard. Wohlan! der Leptere empfängt”) fowohl in Chronifen 


1) Böhmer, regest. Carolorum Nr. 1191. ?) Ueber die Lage befielben vergleiche 
man Rudhart, ältefte Geſchichte Baierns ©. 5593. 3) Berk I, 611 flg. Weber bad 
Einzelne vergleige man Gfroͤrer, Barolinger IL, 427 flg. *) Berg L, 612. >) Perp 
L 54. ®) Ibid. 614 und 55 oben. ’) Die Belege bei Wenck, heffifche Landesge: 
ſchichte II, 641 Note a, dazu noch eine Urkunde in den acta palatin. VII, 88, 


Erſtes Bud. Cap. 6. Deutſch⸗Francien und feine Graͤnzen. 933 


als in Urkunden den Titel Markgraf. Bon welder Marfe? nothwendig 
von derjenigen, welde ehemals die Babenberger befaßen. Denn Thürin- 
gen war feine Marfe mehr, fondern hieß Herzogthum und befand fich feit 
Burkhards Tode in den Händen des fächftihen Haufes; die Regensburger 
Marke hatten die Arnulfiven inne; die Oftmarke endlich beftand gar nicht 
mehr, fondern war eine Beute der Ungarn. Abermal ein handgreiflicher 
Beweis, daß die am Main gelegenen Lande, deren Beſitz die Babenberger 
bi8 906 behaupteten, auch nach der Lostrennung Thüringens eine befondere 
Marke gebildet haben. Ich werde von nun an bie Ueberbleibfel des ſora⸗ 
bifhen Gränzbezirfs, der Kürze wegen, Babenberger Marke nennen. 

Der erftgeborene Sohn des älteren Conrad, Conrad ver SYüngere, 
wird in einer Urkunde‘) Ludwig des Kindes, ausgeftellt zu Frankfurt unter 
dem 10. Februar 910, Herzog (der Franken) genannt, und in einer an: 
dern Urkunde?) vom 18. März 913 erflärt Conrad felbft, damals bereits 
König, daß er im Jahre 908 ein Herzog geweien ſei. Seine Beför: 
derung zum Herzogthum reicht, wie man ſieht, jo ziemlich in bie Zeiten 
des Eturzes der Babenberger hinauf. Nun die Sadıe ift klar. Conrad, 
das damalige Haupt feines Haufes, hatte ungefähr feit 906 erlangt, was 
der Feldherr Carls des Diden, Heinrih I. Ahnherr der Babenberger, ver- 
geblih erftrebte.e Der Weg zum Throne war erfterem gebahnt, den er 
zwei Monate nad dem Tode Ludwig des Kindes, zu Anfang Rovembers 
911, richtig beftieg. 

Zwei Menfchenalter fpäter trat abermals eine MWeränderung ein, bei 
welcher die Regensburger Marke wie die Babenberger eine Rolle fpielten. 
Um 976 gründete nämlih Kaifer Dtto II. die große bairiihe Marke, 
welche die politiihen Gränzen Baiernd bis über den Main hinaus und 
bis zu dem Speflart ausbehnte, und zwar traf der genannte Herricher dieſe 
Einrichtung, nit etwa um Baiern zu ftärfen, fondern im Gegentheil um. 
das dort herrichende herzoglihe Haus gründlich zu dämpfen. Zuſammenge⸗ 
fest aber wurde die große bairiſche Marfe durd Vereinigung des alten 
farolingiihen Gränzbezirfd von Regensburg mit den babenbergifchen Leber: 
bleibfeln der Sorbenmarfe.. Dieß wird unten am gehörigen Orte nachge⸗ 
wiefen werden. Keineswegs ift der Nordgau, der einen guten Theil des 
Eichſtäädter Sprengels ausmachte, Grundlage der neuen politiihen Schöpfung 
geweien. Nie bildete der genannte Gau eine bejondere Marfe, noch war er 
Ausgangspunkt einer folden, und was neuere Schriftfteller von einer aus 
demfelben entftandenen Nordmarke reden, entbehrt ver Begründung. 

Die eigenthümlihe Vermengung der Gränzen Franciens und Baierns 
hat fo mädtigen Einfluß auf die Gefchichte beider ‘Provinzen geübt, daß 


— — — — — 


1) Böhmer, regest. Carol. Nr. 1229. 3) Ibid. Wr. 1245. 


234 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


man ohne gründliche Kenntniß dieſer Verhältniſſe die Geſchichte Balerne 
und Franciens nicht verſteht. Als ver heilige Bonifacius den Stuhl von 
Eichftädt errichtete, war der Boten, auf dem derſelbe fland, nämlich ver 
Nordgau, dem herzogliben Haufe der bairiſchen Wgilolfinger unterthan. 
Nichts deſto weniger bildete der Eichftänter Sprengel durch Abſtammung 
der Einwohner und durch gefchichtlihe Entwidlung einen Theil des teutos 
nifchen Franciens, weßhalb auch der deutiche Apoftel das Eichſtädter Hoch⸗ 
ftift der fränfiihen Metropole Mainz einverleibte. Allein jene vorkbers 
gehende Herrſchaft der Agilolfinger über den Nordgau wurde für die jpäs 
teren Herzoge ein dauernder Reiz, dahin zu ftreben, daß das Eichftäbter 
Hodftift ganz, d. h. nicht ‚nur in politifcher, fondern auch in kirchlicher 
Hinfiht mit Baiern vereinigt werde. Für furze Zeit erreichten, wie oben 
gezeigt worden, die beiden erften Arnulfiden diefen Zwed; doch nod vor 
948 kehrte Eichftänt zu Mainz zurüd. 

Umgekehrt verhält es fih mit dem Regensburger Sprengel. Die auf 
dem rechten Ufer der Donau gelegenen Theile defjelben waren durch Ab» 
ftammung und Geſchichte ſüdthüringiſch, d. h. fränkiſch, wurden jedoch feit 
Errichtung des Stuhls in kirchlicher Hinſicht zu Baiern geſchlagen und dem- 
gemäß der bairiſchen Metropole Salzburg zugewieſen; auch blieb dieſe kirch⸗ 
liche Eingliederung durch alle ſtaatlichen Stürme hindurch aufrecht. Eben 
dieſelbe wirkte abermals als Reiz auf die Herzoge Baierns, keine Mühe 
zu ſparen, daß der Regensburger Sprengel ganz, d. h. nicht nur in kirch— 
licher, ſondern auch in politiſcher Beziehung an Baiern falle, und weiter, 
daß die babenbergiſche Marke am Main, welche vielfach in die Regens— 
burger hineingriff, gleichfalls für Baiern gewonnen werde. Kaiſer Otto's J. 
Bruder Heinrich, und von ihm zum Herzoge in Baiern erhoben, hat, wie 
ih ſpaäͤter darzuthun mir vorbehalte, dieſe durch die Umſtände angeregten 
Gedanken der Vergrößerung in's Werk geſetzt, jedoch gleichfalls nur für 
kurze Zeit. ALS einen Pfahl im Fleiſche herzoglich bairiſcher Ehrſucht er 
sichtete Kaifer Otto IL die oben erwähnte große Marke. 

Auch auf die politische Entwicklung Franciens wirkte die näniliche Ur: 
ſache ſichtlich ein. Seit dem Augenblide feiner Abſetzung verſchwindet Graf 
Herzog Poppo, der Bruder des faiferlihen Feldhauptmanns Heinrich, defien 
urfprüngli ſorabiſche Marke 892 verfürzt oder getheilt worden war, 
ſpurlos aus der Geſchichte. Eolite er feine Kinder hinterlaffen haben! 
Sein Name dauert fort unter den Grafen Thüringend. Das Fulder Tod- 
tenbuch führt‘) zum Jahre 945 als geftorben einen Grafen Poppo auf. Ind 
befondere aber fchrt diejer Name in einem mächtigen thüringiihen Hauſe 
— dem Weimarer — fo regelmäßig wieder, daß fat in jeder Geſchlecht— 


*) Leibnitz, script. brunsvio. III, 763. 


Erſtes Bud. Gap. 6. DeutfchsFrancien und frine Gränzen. 235 


folge ein nachweisbarer Sproffe Boppo heißt.) Daffelde Haus befigt ferner 
in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts eine Macht in Thüringen, Die 
auf hiſtoriſchen Hintergrund zu fchließen berechtigt; denn ohne Ahnen fam 
unter den Dttonen nicht leicht ein Dynaftengefchleht empor. Mit dem 
treffliden Effard halte ich die Weimarer für Nachkommen Poppo's, die 
meines Erachtens, lange gedemüthigt, nachdem der Sachſe Dtto I König 
und Kaifer geworden war und auf die unmittelbare Herrſchaft über Ihüs 
singen verzichtet hatte, fich wieder empor arbeiteten. 

Noch ift übrig, einen wefentlichen Punkt, ven ich früher blos berührte, 
in’d gehörige Licht zu fielen. Das Gapitular Carls des Großen vom 
Jahre 805, welches von den Marfen an dgr bairiihen Gränze handelt, 
gibt zu verftehen, daß dieſelben hauptſächlich der Slaven wegen errichtet 
worden fein. Daraus folgt, daß in jenen Gegenden viele Slaven gewohnt 
haben müſſen. Wirklich war dieß der Fall. Als Biſchof Heinrich von 
Würzburg der Gründung des Bamberger Stuhls, deſſen nachmaliges Gebiet: 
bis dahin ein Theil des Würzburger Sprengeld gewefen, beharrlichen Widers 
ftand leiftete, fchrieb im Auftrage des Könige der Halberſtädter Biſchof 
Arnold im Jahre 1007 an feinen Amtögenofjien einen Brief, ) um den⸗ 
jelben zur Rachgiebigfeit zu bewegen. Unter anderen Gründen macht Ars 
nold folgenden?) geltend: „haft du nicht felbft gegen mich geäußert, daß Du 
nur wenig Nugungen aus der Bamberger Gegend zicheft, da das Land 
ringsum mit Wald bedeckt und nur von Elaven bewohnt ſey.“ Im nord» 
öftlihen Theile des alten Würzburger Hochftiftö faßen alfo meift Slaven. 

Doch nidt nur jene Etrihe, jondern auch das Flußgebiet um den 
obern Main und auf dem rechten Ufer der mittleren Regnig nahmen im 
9. und 10. Jahrhundert Elaven ein. Laut einer Beftätigungsurfunde ‚*) 
welhe König Arnulf unter dem 21. Nov. 889 ausftellte, hatte Kaifer 
Carol der Große befohlen, daß die Würzburger Biichöfe in dem Gebicte 
der Slaven, die zwilchen dem Main und der Regnitz wohnen und darum 
Mains und Regnig-Wenden genannt werden, Kirchen bauen (und das Volt 
zum chriftlihen Glauben anhalten) follten. Beigefügt ift die wichtige Be: 
merfung, daß der gleiche Befehl auch an die, beſagten Elaven vorgejchten, 
Grafen ergangen ſei. Deutlich ficht man bier, wie zugleih mit dem 
Echwert das Kreuz zu den Elaven fam. Hatte Carol eine Gegend ers 
obert, fo verleibte er fie einem nahen Sprengel ein, oder wenn fein joldyer 
in der Rähe lag, errichtete er ein neucd Bisthum. Denn nach farolingis 
ihem Gebraudy war Taufe, Credo, Zchnt das Beftätigungsficgel fränfifcher 


— — — — — 


) Man vergleiche die Geſchlechtstaſel bei Ekkard, hist. prineip. Sax. ©. 247. 
») Abgedruckt bei Uſſermaun, episcop. bamberg. probat. S. 8 fin. 2) Ibid. ©. 11. 
oben. *) Böhmer, regest. Carolerum Nr. 1070. 


236 Pabſt Gregorius VEL und fein Zeitalter. 


Herrihaft. Weil fih die Sache fo verhielt, wurde der obere Main und 
das NRegniggebiet zum Würzburger Sprengel geichlagen. 

Allein die Sige der bairiihen Slaven reichten weiter über das redhte 
Ufer der Regnig gegen Often hinaus. Auch an der Bild und Rab, fo 
wie länge dem Böhmerwald, der damald Nordwald hieß, wohnten zahl: 
reihe Wenden. ine batrifhe Urkunde ) vom Jahre 863 erwähnt Rab: 
wenden, d. 5. jolde Elaven, die an der Nab faßen; ſodann erhellt aus 
einer Regensburger Schenfungsurfunde von 991,7) daß Wenden als Eo: 
Ionten deutfcher Herren da und dort im Nordwald angefiedelt waren. Eollte 
nun der große Carol vie Befehrung diefer Vils-, Nab⸗ und Nordwald⸗ 
Menden vergeflen, und nidg aud auf ihren Naden außer dem Echwert 
das Kreuz gelegt haben? Keineswegs ließ man fie außer Acht, fondern 
damit das Werk der Belehrung um fo ficherer vorwärts fchreite, find die 
dortigen Wendenbezirfe dem Regensburger Sprengel zugetheilt worben. 

Die eben entwidelte kirchliche Politik, weldye überall nach derjelben 
Megel verfuhr, ift ein leßter fchlagender Beweis dafür, daß der Regens— 
burger Sprengel ſchon in Carol Tagen die Gränzen hatte, welche ihm 
das Arcidiafonats-Verzeichnig von 1433 beimißt, mit andern Worten, daß 
er das ganze Nab- und Vildgebiet bis hinauf nach Eger umfaßte. Denn 
irgend einem der benachbarten Bisthümer müſſen die Nab- und Nordwald⸗ 
wenden untergeordnet gewelen fein. Solder Bisthümer aber gab es drei: 
Eichftädt, Regensburg, Würzburg. Nun gehörten fie nicht dem Sprengel 
von Eichftädt an, denn dieſer reichte nicht bis an die Bild; auch nicht 
dem Würzburger, denn die Urkunde Earld des Großen erwähnt nur bie 
Main und Regnigwenden und fchweigt von den Slaven der Nab: folglich 
bleibt nur das Regensburger Hochſtift übrig. 

Obgleih die von den SKarolingern gegründeten geiftlihen und welt: 
lichen Anftalten — Bisthümer und Marfen — unauflösliche Verwirrung 
in die Gränzen von Franfen und Baiern zu bringen drohten, erhielt ſich 
doch das Bewußtjein der Scheivelinte zwilchen beiden Provinzen. Als frün 
fiih galten im Süpoften die Sprengel Eichſtädt, Würzburg, Bamberg nad 
ihrer ganzen Ausdehnung. Bezüglib Eichftäpts ift Died oben dargethan 
worden. Was Würzburg betrifft, zählt König Arnulf in einer Beftätigunge: 
urfunde?) vom 1. Dez. 889 eine Reihe im öſtlichen Franken gelegener 
Gane auf, welde dem dortigen Stuhle zinsten. Es find folgende 17: 
Waldſaßen, Mulahgau, Taubergau, Jartgau, Nedargau, Kochergau, 


1) Monum. boic. XI, 121. 2) Ried, cod. diplom. ratisbon. I, Nr. 119. 
2) Böhmer, regest. Carol. Nr. 1074. ®) Weber bie Lage vergleihe man Rudhart 
a. a. O. ©. 554. 


Erſtes Buch. Cap. 6. Deutfch:rancien und feine Öränzen. 237 


Rangau,) Gollachgau, Iphigau,“ Hafagau,) Grabfeld,Y) Tullifeld,®) 
Salagau (nad der fränfifhen Saale fo genannt), Weringau,‘) Gozfeld, 
Weingarteiba,”) Badanadgau.) Bon denfelben gehören ſechs“) (Tauber- 
gau, Jartgau, Mulahgau, Nedargau, Kodergau, Golladhgau) ganz oder 
theilweije dem jetzigen Württemberg, die übrigen Baiern, Heffen, Thürin- 
gen an. Außer den in ber Urkunde von 889 genannten begriff der Würzs 
burger Eprengel noch die drei Gaue: Banzgau, der laut einer von dem 
Würzburger Biſchof Adalbero ausgeftellten Hanbvefte‘) vom Jahr 1069 
unter feinem Krummftabe ftand, dann Volkfeld und Radenzgau, aus wels 
chen beiden Iegteren 1007 das neue Hocftift Bamberg geformt ward, 
nachdem fie der Würzburger Biſchof Heinrich fürmlih an den König zu 
ſolchem Behufe abgetreten hatte.) Wohlan, auch dieſes Bamberg bezeichnet 
die Quedlinburger Chronif und der Merjeburger Thietmar ausdrüdlich als 
fränfifch, '?) und zwar zu einer Zeit, da der Ort in politiiher Hinfiht — 
wie fih unten ergeben wird — bairifch geworden war. 

Die eben erwähnten Gaue zufammen füllten den Umfang des Würz- 
burger Hodftiftö, genau den Graͤnzen entſprechend, welde bemjelben ein 
Archidiakonats⸗Verzeichniß!“) vom Jahre 1453 beimißt. Alle von den Ka⸗ 
rolingern gegründeten Bisthümer hatten jchon im 9. und 10. Jahrhundert 
die Ausdehnung, welde fie unter den Saliern befaßen und welche fort- 
dauerte bis zur Kirchenfpaltung des 16. Jahrhunderts. Aber nicht leicht 
von einem andern Hochftifte fann man dieß fo jchlagend nachweilen, wie 
von dem Würzburger. 

Der Drt, wo die Saale entipringt, lag an der Nordgränze des fränfis 
Ihen Sprengel Bamberg und noch innerhalb feines Gebiets. Nördlid von 
den nämlichen Quellen erhebt fich ein Gebirgszug, der noch heute durch feinen 
Ramen verräth, daß er fränfifche und forbiihe Erde ſchied. Branfenwald 
heißt er, welche Bezeihnung fchon mittelalterlihen Schriftftellern wohl be- 
fannt ifl, nemus Francorum. '%) Aus Rüdfiht auf die Sorben, die jenfeits 
wohnten, braucht!“) der Mönch von. Braunmeller den Ausdruck „Waldge⸗ 
birge der Slaven,“ beifügend, daß der flavifhe Name Levia laute, und 
daß in diefem großen Forſte Saalfeld liege. Auch fpätere Quellen nennen 


— — — —— —— 


1) Daſ. S. 548 flg. 2) Ebenſo daſ. ©. 550 flg. *) Daſ. S. 562 fig. ) Daſ. 
€. 555 flg. *) Daf. ©. 560 fig. ®) Daf. S. 558 fig. ’) Tbid. ©. 570 fig. 
°) Ibid. ©. 569 flg. 9) Stälin, Geſchichte von Württemberg I, 312 fig. 10) Usser- 
mann, episcop. Wirciburg. probat. Nr. 23. 11) Ibid. Nr. 14. 1?) Berk III, 80 
unten ad a. 1012: Babenbergense Castellum Franciae u. ibid. 814 gegen oben: 
civitas Bavenberg, in orientali Francia sita. 13) Abgebrudt bei Würdtwein, 
subsid. diplom. V, 345 flg. 10) Man fehe die DBeweisftellen bei Kremer, Brancien 
©. 174.  '°) Berk XI, 404. 


240 R Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


werden mußte. Nun tft der vorausgefegte Hall nad) dem Tode Conrads L 
wirflich eingetreten: die Krone ging aus dem fränfifchen Haufe der Eon 
radiner in das jächfiiche der Lubolfiner über. 

Dieſer Wechjel wurde frühe in falſche Romantif eingehüllt, während 
in Wahrheit Alle nad) dem gewohnten Weltlauf zuging. Conrad IL hat 
eine Tochter aber feinen Sohn hinterlaſſen — nirgends wird ein folder 
erwähnt, während ed doc bei einem König unmöglich verſchwiegen werben 
fonnte, wenn ein Erbe ihn überlebt hätte. Aufgerieben durch titanijche 
Mühen, den Thron unter den jchwierigften Umftänden zu behaupten, er: 
fannte er gegen Ende feined Lebens, daß das conradiniihe Haus nicht im 
Stande fei, dem übermächtig gewordenen jächftfchen länger den erften Rang 
ftreitig zu machen. Chronift Widukind berichtet:‘) „fterbend forderte der 
König feinen Bruder Eberhard auf, dem Sachſenherzoge Heimich L die 
Krone anzubieten. Eberhard vollftredte den lebten Willen des Verblieche⸗ 
nen: im April 919 wurde Heinri I. auf einem Tage zu Friztzlar durch 
die Sranfen und Sachſen zum Könige gewählt.“ 

Anderer Seitd hatte Eberhard, der eine jo großmüthige Rolle zu ſpie⸗ 
len ſchien, den eigenen Vortheil nicht vergeflen: er behielt erſtlich als Erbe 
ſeines verftorbenen Bruderd Conrad, oder als jetziges Haupt des Haufe, 
das Herzogthum Franken. Zwar fehlt e8 weder in Ehronifen?) noch in 
Urkunden’) an einzelnen Stellen, die ihn zum bloßen Grafen berabbrüden 
möchten; dennoch empfängt er in der Megel den Titel Herzog der Franken, 
und was noch mehr bejagen will, er handelte bei feierlichen Anläſſen ald 
folder. Als nach dem Tode Heinrich's I. Otto zum Nachfolger gewählt 
worden war, verrichteten dem Herfommen gemäß die Stammherzoge beim 
Krönungsmahl den Ehrendienft: Giejelbert von Lothringen als Feſtordner, 
Eberhard von Franken ald Truchſäß, Herrmann von Schwaben ale Ober; 
mundſchenk, Arnulf von Baiern als Marjchalf.*) 

Zweitend erhellt’) unzweifelhaft aus fpäteren Ereigniflen, daß der 
Sachſe Heinrid den Franfenherzog, der ihm damals die Krone anbot, mit 
fächfiihen Lehen bevaht hat. Das war der Preis des Danfes für bie 
bewiejene Gefälligfeit. Auch blieb, fo lange Heinrich I. lebte, die Einig- 
feit zwilchen ihm und dem Franfenherzog ungetrübt. Ausdrücklich bezeugt‘) 
Widukind, daß Eberhard treu zu dem neuen Könige hielt. Seiner Seite 
hütete fih Heinrid I, dem Franken Anlaß zur Unzufriedenheit zu geben. 
Er hatte vollauf mit einheimijchen und auswärtigen Gegnern zu thun, und 


1) Berk I, 428 unten flg. ?) Bei Liutprand Perp IH, 321: Heverardus comes. 
3) Beifpiele aus den Jahren 928 und 930, gefammelt von Wend h. G. IL, 644 Note c. 
a) Verb III, 438 Mitte, 6) Den Nachweis bei &frörer, Kirch. Geſch. III. 1202 flz. 
®) Pertz III, 429. 


Erſtes Bud. Cap. 7. " Die vier falifchen Hänfer aus Franken. 94 


vermied deßhalb muthwillige Händel. Ohnedieß war er, genau befehen, 
nur König der Sachſen und Franken, auf die fühlihen Stämme, Schwaben 
und Baiern, übte er nur durch Mitwirkung der höhern Geiftlichfeit, welche 
auf Herftellung völliger Reichseinheit hinarbeitete, politiichen Einfluß. *) 
Heinrich mußte deßhalb nothgenrungen den Frankenherzog Eberhard fchonend 
behandeln. 

Anderd wurde ed, nachdem Otto I. ald Nachfolger feines Vaters den 
Thron beftiegen hatte. Auf geheimes Betreiben des neuen Königs Fündig- 
ten die Hinterfaßen der jüchfiichen Lehen, welde vor 18 Sahren an den 
Sranfen Eberhard durch Heinrich I. vergabt worden waren, ihrem Lehen- 
berm den Gehorfam auf, und wie Eberhard die Säumigen ftreng züchtigte, 
zog Dtto den Herzog als Frievensbrecher zur Rechenſchaft, büßte ihn um 
den Werth von 100 Pfund Silbers und beihimpfte ihn öffentlich. Eber- 
Hards Dienftleute mußten zur Strafe Hunde nad) Magdeburg tragen.” 
Unverfennbar ift es, daß Dito den Franken zum Aufruhre reifen wollte, 
um ihn hintendrein niederzufchmettern. Und in ver That, um fo herrichen 
zu können, wie der junge König es beabfichtigte, war der Untergang bed 
Franken und jeined Herzogthums zur politiſchen Nothwendigkeit geworben. 

Eberhard griff wirflih zu den Waffen, aber nicht er allein, ſondern 
mit ihm andere mächtige Laienfürften und dazu noch der erfte Geiftliche 
Germaniens, Erzbifchof Srieverih von Mainz. Diefer Prälat, einer der 
großen Staatdmänner, welde den Etuhl des h. Bonifacius zierten, hatte 
guten Grund, das zu thun, was er that. 8 handelte fi in der ob» 
ſchwebenden Sache nicht etwa blos um die Perjönlichfeit des Herzogs der 
Eranfen, Eberhard, jondern um die Verfaſſung des Reihe. Otto I. fand 
auf dem Punkte,) die hergebrachten Formen des Etaatsrechts zu durch⸗ 
brechen, fraft deren ein deutſcher König nichts Wichtiges ohne die Ein- 
willigung der geiftlihen und weltliden Etände unternehmen durfte. Da 
nun Erzbischof Friederich, als Primas des Reihe, gefeßmäßiger Wächter 
der eingeführten Ordnung war, nöthigte ihn die Pflicht, dem Könige ent: 
gegen zu treten und den beeinträchtigten Herzogen bis zu einem gewiljen 
Grade Hilfe zu leiften. Otto I hat damals und |päter Die Oberhand über 
die Beitrebungen Derer erlangt, welche die Verfafjung vertheidigten, fein 
Sieg aber führte, dem ausgeſprochenen Willen der Stände zu Trog, die Wie⸗ 
derherftellung des Kaiſerthums, weiter dad Unglück jeines Sohns Otto IL, 
den Sturz ſeines Enfeld Otto's IIL, und in leßter Folge den Ausbruch) 
der wechjelvollen Kämpfe zwifchen Thron und Altar herbei, deren Geſchichte 
vorliegended Werk ſchildern wird. 


1) Den Nachweis bei Sfrörer, Kirch. Gefch. TIL 1190 fly. ) Daf. ©. 1203 flg. 
y Daf. ©. 1217 fig. 
Gfrörer, Pabſt Bregorius vıl. Bd. J. - 16 





242 Pabſt Gregorius VI. und fein Zeitalter. 


Schon hatten die Dinge im Jahre 939 eine bedenkliche Wendung für 
Otto I. genommen, als unvermuthete Schläge ihn von den zwei mächtig⸗ 
ften feiner Feinde aus dem Laienftande, von dem Franken Eberhard umd von 
deſſen Verbündetem, dem Lothringer Herzog Giſelbert befreiten. Jener wurte 
in einem Gefechte getödtet, diefer ertranf auf der Flucht im Rheinftrome.') 
Raſch benügte Otto die Gunft des Geſchicks: er ſchlug das Herzogthum 
Francien für immer nieder, oder vielmehr er ließ es ftillichweigend eingehen; 
denn fein Zeuge meldet, daß er offen die Aufhebung des Herzogthums 
ausſprach, aber die That beweist, daß er e8 nicht mehr vergab. Kein 
wirfliher Herzog von ganz Francien iſt jeit 939 mehr eingejegt worben. 
Eine weitere Nachricht, welche fih auf den nämlichen Gegenftand bezieht, 
verdanken wir dem Mönche Effchard von St. Gallen, welcher in der erften 
Hälfte des 11. Jahrhunderts die Chronif feines Klofterd fortgefebt hat. 
Derfelbe fagt:) „vor hundert Jahren fei Schwaben fein Herzogthum ge 
wejen, jondern von fönigliben Kammerboten verwaltet worden; kurz «6 
habe die Einrichtung gehabt, welche heute noch in Francien fortbeftehe.“ 

Aljo in Ekkehards Tagen und zwar feit lange ber (nämlich jeit dem 
Tode des Herzogs Eberhard) war Francien zum Kammergut gezogen und 
wurde von Beamten verwaltet, die der Zeuge mit dem Ausdrucke Boten 
bezeichnet. Dad Wort, das Ekkehard wählt, trägt den Charakter des 
Alterthümlihen. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts hießen die Vorſteher 
der Föniglihen Kammergüter Schwabend im gemeinen Leben Königliche 
Eendmänner (missi) oder Boten; aber dieſer alte Ausdruck war im Laufe 
der Zeit durch einen andern verdrängt worden, jofern man die fraglichen 
Beamten Pfalgrafen nannte, die, wie ich früher nachwies, überall vor 
fommen. Gleihwohl bin ich überzeugt, daß Effehard nicht ohne Grumd 
jened Wort anwendet. Hätten Diejenigen, welde jeit 939 des Königs 
Geldgeichäfte in Srancien bejorgten, den Titel Pfalggrafen geführt, fo würde 
ber Ehronift fiherlih anders reden. Bolglich ift anzunehmen, daß es mit 
der Verwaltung Sranciens eine bejondere Bewandtniß hatte, über deren 
Eigenthümlichfeit vorliegende Unterfuchung weiteres Licht verbreiten wird. 

Eberhard, Herzog von Franken, hinterließ bei feinem Tode feinen 
Sohn, wohl aber eine Erbtochter und übervieß nahe Anverwandte, welde 
dem königlichen Haufe jchwere Sorgen bereitet haben. Gewaltfam ſich der 
legteren zu entledigen, wagten weder Dtto I noch einer feiner Nachfolger; 
und zwar vermuthlih deßhalb nicht, weil es viele und mächtige Männer 
gab, die ſolches nicht ruhig hätten gefchehen laſſen. Dügegen wandten 
Dtto und fein Gefchleht alle möglichen andern Mittel auf, um die Eonra- 
biner entweder durch gegenfeitige Kämpfe unter einander aufzureiben, oder 


) Dal. ©. 1220 fig. 2) Berk II, 83, 


Erſtes Bud. Cap. 7. Die 4 falifchen Häufer aus Franken. 243 


Gutem zu gewinnen, jedenfalls aber um dieſelben aus ihrem Heimath⸗ 
de Francien zu entfernen. Weder das Eine noch das Andere iſt jedoch 
ſächſiſchen Haufe vollftändig gelungen. 


Dit jüngeren Konradiner des 10. und 11. Jahrhunderts. 


Ih beginne mit denjenigen, deren Eippfchaft durch ausprüdliche Zeug- 
e feitgeftellt if. Conrad, der gleichnamige Vater des Königs, welcher 
I nad dem Tode Ludwigs des Kindes ven deutſchen Thron beftieg, 
te, wie früher gezeigt worden,') zwei Brüder, Eberhard, der 902 an 
en Wunden ftarb, und Gebehard, der 910 im Kampfe gegen die Ungarn 

Beide waren verehlicht und hinterließen Nachkommenſchaft. Laut der 
Bfage Regino’8 mußte Eberhard's MWittwe, von dem Babenberger Adal⸗ 
t verfolgt, mit ihren Kindern über den Speßart hinüber fliehen. Aus 
Zahl diefer Kinder ift nur ein Eohn, Conrad, befannt, der den Bei: 
nen Kurzpolt, oder auch der Weiſe erhielt. Obgleich im Jahre 902 noch 
nündig, da feine Mutter mit ihm aus dem Hodjftifte Würzburg entwich, 
ß er bald darauf volljährig geworden fein; denn unter dem 10. Februar 
) ſchenkte) König Ludwig das Kind, auf Bitten feines Wetters des 
r3088 Conrad (welcher 911 die Krone empfieng) und des Erzbiſchofs 
tto von Mainz, dem geliebten Grafen Conrad, dem Sohne Ebers 
rd8, einen auf defjen Comitat im Lahngau gelegenen Schatzhof. Wie 
? fieht, hatte der damalige Herzog Conrad den von ihm erworbenen 
fluß bei Hofe benügt, um feinem leiblichen Better, dem Sohne feines 
torbenen Oheims Eberhard, ein Gut zu verihaffen; auch war eben diefer 
yerwandte bereitd mündig, da ihn Ludwig nicht blos einen Grafen nennt, 
ven ihm auch ein Comitat im Lahngau zufchreibt. 

Als König Dtto I. den oben gejchilderten Edjlag gegen Eberhard den 
geren, Herzog von Francien, zurüjtete, nahm er Bedacht, die nächften 
ummfippen deſſelben in jeinen Kreis zu ziehen und wider jenen zu be- 
nen, damit das Täftige Geſchlecht durch innerliche Entzweiung geſchwächt 
e gar audgerottet werde. Der Plan gelang. Liutprand berichtet”): „in 
ı Aufruhr, weldhen (939) Herzog Eberhard der jüngere anzettelte, ftanden 
Seiten des Königs mächtige Verbündete, nämlih Herrmann Herzog 
Schwaben, defjen Bruder Ute, dann Conrad mit dem Beinamen bes 
fen. Obgleich alle drei nahe mit Eberhard verwandt waren, hielten 
es doch für beffer, die gerechte Sache des Königs zu unterftügen, ale 
ihrem Stammfippen, dem Empörer, zu triumphiren.” Im Folgenden 


— — ——— 


1) Oben ©. 228. *°) Böhmer, regest. Carolor. Nr. 1229. 9 Berg III, 321, 


te. 
16° 


242 Pabſt Gregorins VEL. und fein Zeitalter. 


Schon hatten die Dinge im Jahre 939 eine bedenflihe Wendung für 
Otto I. genommen, als unvermuthete Schläge ihn von den zwei mächtig 
ften jeiner Feinde aus dem Laienftanve, von dem Franken Eberhard und von 
deſſen Verbündetem, dem Lothringer Herzog Giſelbert befreiten. Jener wurde 
in einem Gefechte getödtet, diejer ertranf auf der Flucht im Rheinſtrome.“) 
Raſch benützte Dtto die Gunſt des Geſchicks: er fchlug das Herzogtbum 
Francien für immer nieder, oder vielmehr er ließ es ſtillſchweigend eingehen; 
denn fein Zeuge meldet, daß er offen die Aufhebung des Herzogthums 
ausſprach, aber die That beweist, daß er es nicht mehr vergab. Kein 
wirfliher Herzog von ganz Francien ift ſeit 939 mehr eingejegt worben. 
Eine weitere Nachricht, welche fih auf den nämlidhen Gegenftand bezieht, 
verdanken wir dem Mönche Effehard von St. Gallen, welder in der erften 
Hälfte des 11. Jahrhunderts die Ehronif feines Klofterd fortgeſetzt hat. 
Derfelbe ſagt:) „vor hundert Jahren fei Schwaben fein Herzogthum ge 
weſen, ſondern von königlichen Kammerboten verwaltet worden; kurz es 
habe die Einrichtung gehabt, welche heute noch in Francien fortbeſtehe.“ 

Alſo in Ekkehards Tagen und zwar ſeit lange her (nämlich ſeit dem 
Tode des Herzogs Eberhard) war Francien zum Kammergut gezogen und 
wurde von Beamten verwaltet, die der Zeuge mit dem Ausdrucke Boten 
bezeichnet. Das Wort, das Ekkehard wählt, trägt den Charakter des 
Alterthümlichen. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts hießen die Vorſteher 
der königlichen Kammergüter Schwabens im gemeinen Leben königliche 
Sendmänner (missi) oder Boten; aber dieſer alte Ausdruck war im Laufe 
der Zeit durch einen andern verdrängt worden, ſofern man die fraglichen 
Beamten Pfalzgrafen nannte, die, wie ich früher nachwies, überall vor⸗ 
kommen. Gleichwohl bin ich überzeugt, daß Ekkehard nicht ohne Grund 
jenes Wort anwendet. Hätten Diejenigen, welche ſeit 939 des Königs 
Geldgeſchäfte in Srancien beforgten, den Titel Pfalzgrafen geführt, fo würde 
der Chronift ficherlih anders reden. Folglich ift anzunehmen, daß es mit 
der Verwaltung Franciens eine befondere Bewandtniß hatte, über deren 
Eigenthümlichfeit vorliegende Unterfuchung weiteres Licht verbreiten wird. 

Eberhard, Herzog von Franken, hinterließ bei feinem Tode feinen 
Cohn, wohl aber eine Erbtochter und überdieß nahe Anverwandte, welde 
dem Föniglihen Haufe jchwere Sorgen bereitet haben. Gewaltſam ſich der 
legteren zu entledigen, wagten weder Dtto I. noch einer feiner Nachfolger; 
und zwar vermuthlich dephalb nicht, weil es viele und mächtige Männer 
gab, die ſolches nicht ruhig hätten gejchehen laſſen. Dugegen wandten 
Dtto und fein Geſchlecht alle möglichen andern Mittel auf, um die Eonra- 
diner entweder durch gegenfeitige Kämpfe unter einander aufzureiben, ober 


') Dal. ©. 1220 fig. ?) Berk IL, 83. 


Erſtes Bud. Bay. 7. Die 4 ſaliſchen Häufer aus Franken. 943 


in Gutem zu gewinnen, jedenfalls aber um diefelben aus ihrem Heimath- 
lande Francien zu entfernen. Weder das Eine noch das Andere ift jedoch 
dem jächfiihen Hauje volljtändig gelungen. 


Dit jüngeren Konradiner des 10. und 11. Jahrhunderts. 


Ich beginne mit denjenigen, deren Eippichaft durch ausdrückliche Zeug- 
nifje feftgeftellt if. Conrad, der gleichnamige Vater des Könige, welcher 
911 nad dem Tode Ludwigs des Kindes den deutſchen Thron beftieg, 
hatte, wie früher gezeigt worden,‘ zwei Brüder, Eberhard, der 902 an 
feinen Wunden ftarb, und Gebehard, der 910 im Kampfe gegen die Ungarn 
fil. Beide waren verehliht und hinterließen Nachkommenſchaft. Laut der 
Ausfage Regino’8 mußte Eberhard's Wittwe, von dem Babenberger Adal⸗ 
bert verfolgt, mit ihren Kindern über den Epeßart hinüber fliehen. Aus 
der Zahl diefer Kinder ift mur ein Eohn, Conrad, befannt, der den Bei- 
namen Kurzpolt, oder auch der Weije erhielt. Obgleich im Jahre 902 noch 
unmündig, da feine Mutter mit ihm aus dem Hochſtifte Würzburg entwich, 
muß er bald darauf volljährig geworden fein; denn unter dem 10. Februar 
910 ſchenkte) König Ludwig das Kind, auf Bitten feines Wetters des 
Herzogs Conrad (welcher 911 die Krone empfieng) und des Erzbiichofs 
Hatto von Mainz, dem geliebten Grafen Conrad, dem Sohne Eber 
hards, einen auf deſſen Comitat im Lahngau gelegenen Schatzhof. Wie 
man fieht, hatte der damalige Herzog Conrad den von ihm erworbenen 
Einfluß bei Hofe benügt, um feinem leiblihen Better, dem Sohne feines 
verftorbenen Oheims Eberhard, ein Gut zu verſchaffen; aud) war eben dieſer 
Anverwandte bereit mündig, da ihn Ludwig nicht blos einen Grafen nennt, 
fondern ihm aud ein Comitat im Lahngau zuſchreibt. 

Als König Dtto I. den oben geſchilderten Schlag gegen Eberhard den 
jüngeren, Herzog von Francien, zurüftete, nahm er Bedacht, die nächſten 
Stammfippen defjelben in feinen Kreid zu ziehen und wider jenen zu be- 
waffnen, damit das läftige Geſchlecht durch innerfiche Entzweiung geſchwächt 
oder gar ausgerottet werde. Der Plan gelang. Liutprand beridtet’): „in 
dem Aufruhr, welchen (939) Herzog Eberhard der jüngere anzettelte, ftanden 
auf Seiten des Königs mächtige Verbündete, nämlid Herrmann Herzog 
von Schwaben, deffen Bruder Uto, dann Conrad mit dem Beinamen des 
Weiſen. Obgleih alle drei nahe mit Eberhard verwandt waren, hielten 
fie es doch für befler, die gerechte Sache des Königs zu unterftügen, als 
mit ihrem Stammfippen, dem Empörer, zu triumphiren.“ Im Bolgenden 


— — — — — 


1) Oben ©. 228. 7) Böhmer, regest. Carolor. Nr. 1229. ?) Berg III, 321, 


244 Pabſt Gregorius VOL. und fein Seitalter. 


wird erzählt, wie Eberhard hauptſächlich durch die drei zu alle gebrad 
worden fei. Ueber die Perſönlichkeit Herrmann’d und Uto's werde I 
unten das Nöthige bemerken. 

Später wiederholt Liutprand noch einmal, daß Conrad den Beinam 
der Weife (sapiens) geführt habe. Das Beiwort fcheint in diefem Fal 
jo viel als „pfiffig“ zu bezeichnen, fofern Conrad ſich trefflic auf d 
eigenen Vortheil verftand und dem Könige zu Lieb die nächſten Verwandte 
aufopferte. Der Fortjeger Regino’8 meldet‘) zum Jahre 948 den U 
Eonrads mit den Worten: „in dieſem Jahre ftarb Graf Conrad, m 
dem Beinamen Eurzipold, der Sohn Eberhards, ein gar weijer und Flug 
Herr." Diefe verſchiedenen Nachrichten ergänzen ſich gegenfeitig und fe 
Zweifel kann fein, daß eine und diefelbe Berfon gemeint if. Nachfommm 
Kurzpold8 werden nirgends erwähnt, er ſcheint kinderlos geftorben zu feh 

Ih fomme an den zweiten Bruder des älteren Conrad oder, wi 
hiemit gleichbedeutend, an den zweiten Oheim des Königs Conrad L m 
des Frankenherzogs Eberhard, an Gebehard, der 910 getödtet worden ij 
Der Fortjeger Regino's jchreibt?) zum Jahre 910: „in ver Schlacht gege 
die Ungarn fiel Graf Gebehard, zwei unmündige Söhne, Uto und Hen 
mann binterlafjend, welde in der Folgezeit hohe Aemter erlangt haben. 
Uto brachte es nicht weiter ald zu einer oder vielleicht mehreren Bra] 
haften in Heflen; doch erwies ihm, kurz che er ftarb, — was im Jah 
949 geihah — König Dtto L die Gnade, daß er nad freiem Ermeſſe 
die Zehen, die er inne hatte, unter jeine Söhne vertheilen durfte:) dw 
erfte in Deutjchland befannte Beiſpiel der vom Staatsoberhaupte ſelbe 
bewilligten Erblichfeit gewifjer Lehen. Uto's Söhne find jpäter zu glänzenden 
Würden emporgeftiegen, wovon am gehörigen Drte die Rede fein wird. 

Bon dem jüngeren Bruder Uto’8 dagegen, von Herrmann, gilt ü 
vollem Maße was der Fortſetzer Regino's zum Jahre 910 bemerkt. Nat 
dem nämlich Herzog Burkhard von Schwaben 926 erſchlagen worden war 
verlieh”) noch König Heinrich L die erledigte Fahne an den Conrabiae 
Herrmann, Gebeharde Eohn. Um Wurzeln in dem fremden Lande A 
treiben, heirathete der neue Herzog die Wittwe ſeines Vorgängers, Reg 
lindis, mit welder er eine Tochter Ida zeugte, über deren Hand Könk 
Dtto I. 947 zu Gunſten feines eigenen Sohnes Liutolf verfügte.) Da 
Eonradiner Herrmann, Gebehard’d Sohn, Herzog von Schwaben, farb’) 
im De. 948. 

Er und fein Bruder Uto find es gewejen, welde im Verein mi 


') Berk I, 620: vir sapiens et prudens. ?) Verb I, 620 Mitte. 2) Beh 1, 
616. *) Berk I, 620. I, 452. 744. 327. fl. °) Man vgl. Gtälin, württenb 
Gef. I, 444. 


f Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Haͤuſer aus Franken. 245 


u Kurzpold 939 den gemeinfchaftlihen Stammfippen, Eberhard Herzog 
won Kranfen, fälten. Dan fieht daher, erftlih daß Zwieſpalt im Schooße 
Ber Conradiner ausgebrodhen war; zweitens daß ſchon Otto's I. Water, 
-- König Heinrich J. Maßregeln ergriffen hatte, um einen Sproßen des Ges 
iwlechts aus Franken fortzufchaffen und auf einen Boden zu verpflanzen, wo 
vderſelbe faum gedeihen fonnte; drittend daß der Erhobene für ſolche Gnade 
. ver Krone jeden möglichen Dienft erweifen mußte. @iner der Söhne Uto's 
= IR gegen Ende des 10. Jahrhunderts in gleicher Weile nad Alamannien 
E hefördert worden. , 

Gehen wir von den Brüdern des Älteren Conrad, von den Grafen 

Eberhard und Gebehard, zu deſſen Söhnen, dem gleihnamigen König 
E Eonrad I. und dem Marfgrafen und fpätern Herzog Eberhard dem jüngeren 
über. Letzterer lebte in der Ehe. Liutprand Spricht‘) von Eberhards Gemah- 
in, doch ohne fie mit Namen aufzuführen; gleichwohl wird nirgend ein 
Eohn aus dieſer Ehe erwähnt, fo daß man annehmen muß, Eberhard 
babe bei feinem Tode feine männliche Erben hinterlaffen. Wohl aber über: 
kedte ihn eine Tochter Gertrud, die fpäter durch Heirath das Allod ihres 
Baters in das Luremburger Haus brachte. Ich habe hievon an einem 
* andern Orte?) gefprochen. Auf ſolche Weife geichah es, daß die Luremburger 
: m Lahngau auf dem rechten Ufer des Nheinftroms anfehnliche Ländereien 
ewarben. Obgleich die dießeitigen und jenfeitigen Befigungen des Hauſes 
weit genug auseinander lagen, umſchloß fie doch ein gemeinfchaftliches kirch⸗ 
lihes Band, denn die Herrſchaft Gleiberg gehörte in geiftliher Hinficht, 
gleich den Luremburger Stammgütern, dem Trierer Hochſtifte an. 

Ebenſo wie mit Herzog Eberhard, verhält es fich mit feinem älteren 
Bruder König Conrad. Laut dem Zeugniffe des alamanniſchen Ehroniften?) 
ehelichte er 913 aus Gründen der Staatöffugheit die Wittwe des Herzogs 
Liutpold von Baiern, die damals bereitd einen erwachſenen Eohn Arnulf 
hatte, der feinem Vater im Herzogthum nachgefolgt war. Die Wittwe 
Rand folglich vorausfichtlih in vorgerüdten Jahren, und ihr Alter ſchloß 
die Hoffnung auf Nachkommenſchaft aus. Allein ohne Zweifel hatte Con— 
rad I. ſchon früher cine erfte Ehe eingegangen; gleichwohl find weder ber 
erften noch der zweiten Verbindung Söhne entiproffen. Ausdrücklich bezeugt?) 
Mönh Effehard von St. Gallen, daß König Conrad feine männlichen 
Erben hinterließ. Die Worte, welche der Ehronift braucht, jcheinen an- 
wdeuten, daß der König, wenn auc feine Söhne, fo doch Töchter hatte, 
denn fonft würde Ekkehard einfach geſagt haben: Conrad ftarb Finderlos. 
Und in der That überlebten ihn, wo nicht zwei, fo doch eine Tochter. 


— — 


1) Pertz III, 321 gegen unten. ) Dben S 117. 3) Verb I, 56 oben. 
*%) Bere II, 103 untere Mitte: Chuonradus rex virili prole caruit. 


246 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Widukind bezeichnet‘) einen der Söhne des Herzogs Burkhard von 
Thüringen, der im Jahre 908 getödtet worden if, ald Tochtermann des 
Könige Conrad — gener regis, und ich ſehe feinen Grund, dem lateini- 
ihen Worte gener eine andere Bedeutung, ald die gewöhnliche „Eidam“ 
zu unterlegen. Sei dem, wie ihm wolle: fein Zweifel kann darüber obwalten, 
daß der rheinifhe Graf Werinhar, von dem ſogleich die Rede fein wird, 
eine Erbtochter dc8 Könige Conrad I. geehliht und mit ihr den Lothringi- 
chen Herzog Conrad, Ahnherrn des falifhen Haufes von Worms, gezeugt 
hat. Ein um 1026 abgefaßter Stammbaum der farolingifchen und fächfiichen 
Kaifer und Könige, ſowie des erften Salierd, Conrad IL, welcher 1024 
nad) Heinrih8 II. Tode den deutſchen Thron beftieg, ift auf und gefommen. 

Diefe Foftbare Urkunde befagt:) „nad dem Erlöſchen des Farolingi- 
ihen Mannftammes gelangte die Herrihaft an Conrad I., der, ehe er flarh, 
das Scepter dem Herzoge von Sachſen, Heinrih IL, vermadte. Xeßterer 
zeugte zwei Eöhne, Dtto I., der die Kaiſerkrone erlangte, und Heinrich, der 
fpäter zum Herzog von Baiern eingefegt ward. Auf Otto I. folgte im 
Kaiſerthum der zweite, auf diefen der dritte Otto. Nach dem dritten Dtto 
erbte den Thron Heinrih II. dur feinen Großvater, Heinrich L, Herzog 
von Baiern, Urenfel des erften jädhfiichen Königs. Abermal trat nad dem 
Hingang des Kaiſers Heinrich IL ein Wechfel ein. Herzog Conrad (der Rothe 
nämlich), welder aus dem Geſchlechte des Königs Conrad L 
ftammte, hatte eine Tochter Dtto’8 des Großen geehlicht, mit welcher er 
den nachmaligen Herzog Dtto (von Kärnthen) zeugte. Dieſer nämlice 
Dtto (von Kärnthen) aber hinterließ zwei Söhne, deren einer Conrad, der 
andere Heinrich hieß. Ein Sproße des Legteren aber ift König Conrad IL. 
der heutigen Tages regiert.” 

Der Salier Conrad II. wurde den 1. März 1027 zum Kaiſer ge 
frönt. Da der Verfaffer des Stammbaums ihn gleihwohl König nennt, 
ſieht man, daß der Unbekannte obiges Gejchlechtsregifter nad) dem 1. Sept. 
1024, dem Tage der Königsweihe Conrads II., und vor dem 1. März 1027, 
dem Tage der Kaiferfrönung, zufammengetragen hat. Er Iebte alfo zu einer 
Zeit, da jeder, der ſich unterrichten wollte, genaue Kunde über die Ab 
ftammung des neuen Königs einzichen konnte; und gewiß muß man ben 
Verfaſſer des Stammbaums zu den Unterrichteten zählen, denn Alles, was 
er fagt, iſt buchftäblib wahr. Alfo Conrad, Gemahl der Tochter Otto’ L 
und Ahnherr des ſaliſchen Haufes von Worms, flammte von König 
Conrad I. ab, und zwar, fraft der oben angeführten Zeugniffe, nicht nad 
der Schwert⸗, jondern nach der Kunfel-Seite. Der Vater Conrads des Rothen 
aber hieß — darüber find die Quellen einig — Werinhar, folglich muß vieler 





*) Berg IT, 427 unten. ) Perg III, 214. 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifhen Häufer and Franken. 247 


ſich mit einer Erbtochter des Königs Conrad I. vermählt haben. Die Zeit 
und viele jonft befannte Thatfachen flimmen zu. Wer war nun Werinhar, 
Conrad's I. Eidam? Nur ein einziger Chronift nennt‘) ihn und zwar aus 
Anlaß der Erhebung ſeines Sohnes, Conrad's des Rothen, zum Herzoge von 
Lothringen. Aber Urkunden geben Aufihluß. Der rothe Conrad bejaß?) 
und zwar ohne Zweifel als Erbe feines Vaters Werinhar, Comitate im 
Speiers, Wormd- und Nahgau. Sodann hat Werinhar — allem Anfcheine 
nach in Folge feiner Bermählung mit der Tochter des Königs Eonrad J.— 
werthvolle Rechte in der Stadt Speier erlangt. Denn im Jahre 946 ver: 
gabte?) der rothe Conrad, Werinhar's Sohn, an den Dom zu Speter „zum 
Heile jeiner eigenen Seele und zum Heile der Seelen feiner Eltern alle 
Leibeigenen jamt Sippichaft, die ihm in dortiger Stadt gehörten; dann die 
Münze, die Hälfte des Zolls, die Abgaben von Salz, Pech, Wein, welche 
fremde Kaufleute entrichten mußten, endlich noch andere von feinen Eltern 
durch königliche Schenfung erworbene Nutzungen.“ 

In der nemlihen Urkunde erklärt Werinhard Sohn, daß er diefe 
Schenkung mit Einwilligung feiner Brüder‘) gemacht habe. Folglich ſtammten 
aus der Ehe Werinhars mit der Königsrochter nody andere Söhne. Wo 
find diefe zu ſuchen? Ich halte es für waährſcheinlich, daß Herman, der 
Gründer des pfalzgräflihen Haufes von Aachen⸗Tomberg, einer der Brüder 
Conrad's, oder ein Sohn Werinhard war. Allein ed würde die natürliche 
Reihenfolge meiner Darftellung unterbrechen, jollten die Gründe diefer Bes 
hauptung ſchon hier entwidelt werden. Ich muß daher den Lejer auf einen 
andern Ort verweilen. 

Wann Werinhar, Eonrad’8 ded Rothen Vater ſtarb, ift nicht aufge- 
zeichnet worden; der Sohn tritt zum erftenmal 943 in der Reichsgeſchichte 
auf und zwar mittelft eines Föniglihen Akte, kraft deſſen ihn Dtto I. zur 
berzoglihen Würde beförderte, aber auch zugleich aus dem Heimathland 
entfernte. Der Fortſetzer Regino's berichtet: °) „Conrad, Werinhars Sohn, 
wurde 943 zum Herzog von Lothringen erhoben.” Derjelbe war ein Mann 
im vollen Sinne des Worts, ausdgerüftet mit glänzenden Vorzügen dee 
Leibe und der Seele, tapfer, ja verwegen vor dem Feind, befonnen im Rath, 
hochgefinnt,, freigebig.‘) Darum fielen ihm alle Herzen zu, und auch die 
Gunſt des Königs gewann er in feltenem Maße. Der nemlihe Chronift 
meldet ’) weiter zum Sahre 947: „Herzog Conrad, der damald am Hofe 
Alles galt, erhielt die Hand der Tochter des Königs, Liutgarda.“ Aber 


1) Berk I, 619 ad a. 943: Chuonradus, filius Werinheri in ducatu succesait. 
2) Acta Theodoro-Palatin. I, 292. 3) Ibid. III, 265 flg. % Cum consensu et 
unanimitate fratrum meorum. °) Perg I, 619. °) Man fehe die Schilderung Wi; 
dufinde. Perg II, 458 gegen oben, 459 Mitte. ") Bere I, 620. 


948 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


das gute Verhältniß zwiſchen Eidam und Schwäher dauerte nicht lange. 
Da König Dtto feit 951 offen darauf hinarbeitete, dem Willen der Stände 
zu Trotz Stalien zu erobern, das Kaiſerthum Carls des Grofien zu erneuern, 
erhob fich der Mainzer Erzbifchof Friedrih von Neuem wider ihn. Zum 
Primas aber hielten des Königs eigener Sohn, Liudolf, damals Herzog 
von Schwaben, und ebenfo, den politifchen Weberlieferungen feines Haufes 
getreu, der Ealier Conrad von Lothringen, Liudolfs Schwager. 
Nach längeren Kämpfen wurden die Unzufriedenen überwunden. Conrad 
büßte fchwer: er mußte 954 der Fahne Lothringen entfagen, und nicte 
blieb ihm als fein Allod und die Erlaubniß, auf feinen Gütern weilen zu 
pürfen. I Ein Jahr nad diefen Ereigniffen gefhah es, daß ein unermeß: 
fihe8 ungariihes Heer in das ſüdliche Deutichland einbrach. Mit allen 
verfügbaren Streitfräften rüdte König Otto I. dem Feinde auf das Lechfeld 
vor Augsburg entgegen. Auch Conrad nahm Theil an dem Kampfe, der 
Rache vergeffend und nur der Pflichten eingevenf, die er dem deutſchen 
Reiche ſchuldete. Er hat an jenem venfwürbigen Tage — ed war ber 
10. Auguft des Jahre der Gnade 955, welcher für immer die Wuth der 
Magyaren brach — das Beſte gethan und zugleich die Schuld, welche auf 
ihm laftete, weil er fich früher mit ven Ungarn eingelaffen, ?) gefühnt, denn 
al8 Sieger und Netter feines Landes ift er auf dem Lechfelde durch einen 
Pfeilſchuß getödtet, gefallen. Weil er des Herzogthums entjegt war, nennt‘) 
ihn die Chronik von Corvey aus Anlaß feines Todes blos einen Grafen. 
Deßgleihen jagt?) der Biograph des Erzbiihofs Bruno von Cöln, Conrad 
habe vor Augsburg nicht ald Herzog, ſondern als einfacher Soldat gefochten. 
Aus der Ehe mit Liutgarda hinterließ er einen einzigen unmündigen 
Sohn, Otto, der dieſen Namen zu Ehren feines mütterliben Großvaters, 
des Königs, erhielt. Der junge Dtto erbte die im rheiniihen Francien 
gelegenen Comitate, welche einft fein Vater befeffen hatte. In einer Fönig: 
lichen Schenfungsurfunde ) vom März 956, welche demnad ein Jahr nad 
dem Tode Conrads audgeftellt ift, wird der unmündige Sohn, der damals 
kaum 6—8 Jahre zählen konnte, als Graf im Nahegau aufgeführt. Die 
nächfte Thatfache, Die wir aus dem Leben Otto's fennen, fällt etwa 22 
Jahre fpäter in die Zeiten feiner Mündigfeit und entipriht genau dem 
Schidjale feined Vaters Conrad; denn gleich Diefem warb er zu gleicher Zeit 
um eine Stufe erhöht, aber auch aus dem Heimathland am ſchönen Rhein 
ftrome entfernt und auf fremden Boden verpflanzt. Kaiſer Otto II. nemlich, 
der 973 zur Regierung gelangt war, erhob den gleichnamigen Better um 
978 zum Herzoge von Kärmthen. 5) 








*) Ibid. 623. ?) ®erk IV, 268. 2) Pertz III, 4. ) Schannat, histor. 
wormac. probat. Nr. 23: in pago Nahgowe, in comitatu Ottonis, filii Conradi ducis. 


6) Die Belege bei Perk XL, 379, Note 21. 


x 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer aus Kranken. 249 


Angenommen, daß Herrman, der Ahnherr des Haufe Tomberg-Aacen, 
wirflih ein Bruder Conrad's des Rothen war, ift ihm daſſelbe, wie dem 
neuen Kärnthner Herzog und defien Vater widerfahren: auch er wurde, jedoch 
eine Reihe Jahre früher und ungefähr zur nämlichen Zeit, da Conrad die 
Fahne Lothringen empfieng, aus dem Franfenland nad Ribuarien vers 
feßt. Hievon fpäter. Noch ein Dritter, der erweislich dem Conradinifch- 
faliihen Etamme angehörte, Conrad, Utos Sohn und Gebehards Enkel, 
erhielt 4 Jahre nah unferem Otto eine Anftellung auf nicht fränfifchem 
Boden, fo fern ihn Kaifer Otto IT. 982 mit der eben erlebigten Fahne 
Alamannien belehnte.) Dieſe Beifpiele, welche auf einen feften Plan 
hinweifen, mögen vorerft nur als Merkzeichen erwähnt werben. 

Der neue Herzog von Schwaben, Conrad, Utos Eohn, durfte troß 
der Verfebung die ererbten Comitate in ver Heimath beibehalten, denn eine 
Urkunde I vom Jahre 985 erwähnt den Herzog Euno als Grafen im 
Rheingau. Nicht ganz fo gut ergieng es dem nach Kärnthen übergeftevelten 
Salier Otto. Durch Schenkung ) vom Jahre 979 vermachte Kaifer Dtto 
II. an den Wormfer Biſchof Hildebrand das, bisher dem Herzoge Dtto, 
Better des Kaiſers, angehörige Drittheil des Banns und Zolls zu Worms. 
Der Salier hatte folglich, ehe er Herzog in Kärmthen wurde, auf gewiſſe 
ererbte Nupungen im Branfenlande verzichten müffen. Auch das Comitat 
im Rahegau, das, wie wir fahen, Dtto, Conrads Sohn, als unmündiger 
Knabe beſaß, gerieth in andere Hände. Hievon wird ımten die Rebe fein. 

Dagegen verblichen ihm, nachdem er das Herzogthum Kärnthen erlangt 
hatte, die Comitate Speiergau, Elſenzgau und Kraichgau, wo ihn Urfun- 
den *) aus den Jahren 982 und 985 als Grafen aufführen. Als Lüden- 
büßer für Andere ift Otto nah Kärnthen gefhidt, als folcher wieders 
holt daſelbſt behandelt worden. Ich werde über die Schidfale, die er dort 
erfuhr, in der Ueberfiht Kärnthens das Nöthige ſagen; hier haben wir es 
mit den fränfifchen Befigungen zu thun, die er und feine Söhne fortwäh- 
rend behaupteten. Schon 983 mußte er die Fahne Kärnthen wieder aufs 
geben, einem Mächtigern weichend, den damals der kaiſerliche Hof begün- 
ftigte. Doch befam er fie 996 wieder, und blieb Im Befige derſelben bis 
zu feinem Todesjahr 1004. Meines Erachtens darf man hieraus fchließen, 
daß ihm 983 die MWiedereinfegung in Ausficht geftellt worden if. Noch 
eine andere Thatfache ſtimmt zu. Dtto führte in dem Zwifchenraume von 
983—995 ven herzoglichen Titel fort. Nachdem er im angegebenen Jahre 
Kaͤrnthens Fahne abgetreten hatte, kehrte er wieder In die fränfifche Heimath 


— 


1) Die Belege bei Stälin, württ. Gef. I, 463 flg. *) Scheib, origin. guelf. IV, 
286. 3) Böhmer, regest. Nr. 548. *) Schöpflin, Alsat. dipl. I, Nr. 163 unt 
Schannat, probat. Wormac. Nr. 29. 





250 Pabſt Gregorius VIL und fein Beitalter. 


zurüd. Allem Anfcheine nad fam er in fchlimmer Stimmung hauptjächlich 
darüber, daß er durch eitle Verfprehungen vermocdht worden war, um der 
unfihern Erwerbung Kärnthens willen alte und wohlverbriefte Nugungen 
in der Heimath, wie 3. B. die Einkünfte von Worms, aufzugeben. Der 
Salier erholte fih für den erlittenen Verluſt an geiftlihem Gut. Die 
Chronik von Weißenburg (im Hochſtift Speier) ſchreibt) zum Jahre 983: 
„Herzog Otto, Sohn des Herzogs Conrad, bemädhtigte fi gewaltiam des 
Klofterd Weißenburg und vertheilte unfere Ländereien unter jeine Soldaten“ 

Einige Jahre fpäter machte Dtto, vielleicht um den böſen Eindrud zu 
verwiſchen, welchen der an Weißenburg verüdte Raub hervorgebracht hatte, 
eine firhlihe Stiftung, die in mehr als einer Hinfiht Aufmerfjamfeit ver- 
dient. Durch Urkunde ) vom Jahre 987 gründete er im Speierer Hochſtift 
das am Epeierbad gelegene Klofter Gravenhaufen, welches er mit gejchenften 
Gütern ausjtattete. Dem Herfommen gemäß fügte er gewifle Beftimmungen 
bei: „frei jolle das Stift fein für alle Zeiten, und Niemand — auch fein 
Kaijer oder König — darf wagen, mit bejagtem Klofter irgend Jemand 
zu belehnen.“ Weiter gibt Otto folgende Vorſchrift: „die Vogtei über 
Gravenhauſen jolle nur Mitgliedern aus dem Geſchlechte des Stiftere zu 
Theil werden, und zwar ftetS dem älteften des Hauſes.“ Im 
Verlaufe vorliegenden Werkes wird fich ergeben, daß ſeitdem mehrere deutſche 
Fürſten, welde Abteien ftifteten, legtere Sagung nachgeahmt haben, indem 
fie die Vogtei dem älteften unter ihren Nachkommen vorbehielten. Dod 
war Herzog Dtto keineswegs der erfte, der dieſes Beilpiel gab. In dem 
von jeinen Vorfahren gegründeten Klofter Hornbach galt urfundlich °) jeit 
mindeftend dem 9. Jahrhundert die Anordnung, daß ftetd der Weltefte dee 
Haufed die Vogtei befleidete. 

Nun fage ich: wer zuerft eine ſolche Beftimmung erjann, dem fchwebte 
unverkennbar der Gedanfe eined Hausgejeged vor, dad den älteften Sohn 
und feine Erben gegenüber den Nachgebornen bevorzugen ſollte. Die dem 
älteften Erben vorbehaltene Vogtei enthielt den erften Keim eines Erftge 
burtrechted, einen Keim, der, weil feiner offenen Entwidlung unbefiegbar 
politiihe Hinderniffe entgegenftanden, ſich mit der ſchützenden Hülle Flöfter 
licher Einrihtungen umgab. Spätere Thatfachen werden diefe Behauptung 
beftätigen. Für jegt bemerfe ich: nur die angefehenften Häujer des Reichs 
haben es ſich herausgenommen, bei Gründung neuer Klöfter das Vorbild 
von Hornbach und Gravenhaufen anzuwenden. 

Zweitens lernt man aus der Urkunde von 987 die Familie des tif: 
terö fennen. Im ingange heißt e8: „Ich von Gottes Gnaden Herzog 


— — — — 


‘) Berg III, 70. 2) Acta Theodoro-Palatin. VI, 265, Nr. 15. 8) Ibid. 
©. 258 Nr. 9, 





Erſtes Buch. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer aus Franken. 251 


Dtto babe zu meinem eigenen und meiner Eltern Seelenheile, unter Beirath 
meiner Gemahlin Juditha, und mit Einwilligung meiner drei Söhne Hein. 
ri, Bruno, @uno, die Errihtung des Kloſters beſchloſſen.“ Otto war alfo 
mit einer Gemahlin vermählt, welche Juditha hieß, und hatte die drei ges 
nannten Eöhne. Etwas anders lautet die Nachricht, weldhe der Capellan 
des ſaliſchen Hauſes, Wippo, tiber die ihm fehr gut befannte Familie des 
Kaifers Conrad II. gibt. „Herzog Dtto”, fagt‘) er, „hat vier Söhne gezeugt: 
Heil, Cuno, Bruno, Wilhelm. Beide legtere wurden @lerifer, und zwar 
beftieg Bruno fpäter unter dem Namen Gregorius V. Petri Stuhl; der 
Bierte, Wilhelm, erlangte das Bisthum Straßburg.” Wergleiht man bie 
Angaben Wippo’8 und der Urkunde, jo drängt fi die Vermuthung auf, 
daß der vierte Sohn Wilhelm 987 entweder nod in der Wiege lag, ober 
gar nicht geboren war. Hiemit fteht in gutem Einflange die Tihatfache, 
dag Wilhelm, der 1027 nad) dem Tode des Haböburgers Werner Biichof 
von Straßburg wurde, ) und 1047 ftarb, °) nicht nur feine fämmtlichen 
Brüder, jondern au feine Neffen überlebt hat. 

Zu Ausgang des Jahres 987 findet man Herzog Otto zu Frankfurt 
in der Umgebung des jungen Königs Dtto IIL., der ihn in einer Urkunde *) 
vom 31. Dez. des genannten Jahres ald anweſend erwähnt. Anderthalb 
Jahre fpäter kommt er abermals als Begleiter des jungen Herrſchers — 
und zwar in merfwürbiger Gefellichaft zum Vorfchein. Unter dem 28. Sept. 
989 vergabte*) nemlidy eine reihe Matrone an das Klofter Lorſch anjehnliche 
im Lobdengau (bei Ladenburg am Nedar) gelegene Befigungen. König 
Otto III. war bei der Schenfung zugegen, und beftätigte fie auf Fürbitte erſtens 
des Erzbiichofs Willigis von Mainz, zweitens bed Herrn Dtto, fo wie 
feiner Söhne Heinrih und Conrad, drittens des Pfalzgrafen Herr 
mann.” Hier werden nur die beiden Älteren Söhne Otto's, welche Laien 
waren, nicht aber der dritte, Bruno, genannt, der wohl damals ſchon irgend 
in einer Klofterfchule weilte, um der geiftlihen Wiffenichaft obzuliegen. Aber 
wie fommt Pfalzgraf Herrmann, der doch in dem entfernten Aachen wohnte, 
nah Lorſch und in die Umgebung ded Salierd Dtto? Ich denfe darum, 
weil er dem jedenfalls ihm verwandten Haufe des Herzogs einen Beſuch 
abgeftattet hatte. Wir wollen uns dieſe Zufammenkunft merfen. 

Im Jahre 996 erhielt Dito das Herzogthum Kaͤrnthen wieder, und kehrte 
nun dorthin zurüd. ine Urkunde ) vom 6. November deſſelben Jahres 
liegt vor, laut welder Dtto III. (welder im Mai 996 zum Kaifer gefrönt 
worden war) an das Erzſtift Mainz einen zwifchen Bingen und Bacharach 


14 
*) Bere XI, 258. 2) Berk V, 121 oben. 3) Ibid. 126. %) Schannat, 
bist. wormae. probat. Nr. 31. 6) Cod. Lauresh. I, 141. Rr. 83. 6) Böhmer, 


regest. Nr. 786. 


952 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gelegenen Forft, mit Einwilligung de8 Herzogs Konrad fchenfte. Neuere 
haben hieraus jchließen wollen, daß der Ealier Otto, als er zum zweiten, 
male nah Kärnthen abzog, feinen jüngen Cohn Conrad mit dem Titel 
eines Herzogs am Rheine zurüdgelaffen babe, um bie dortigen Güter des 
Haufes in Abweſenheit des Vaters zu verwalten. Aber ohne Zweifel ift 
nicht Otto's Sohn, welder in den bis jett befannten Urkunden vor 1005 
nirgends den Titel Herzog empfängt, fondern der gleichnamige Herzog Eon» 
rad von Schwaben gemeint, der, ald geborner Salier und Enfel des Con⸗ 
radinerd Gebehard von Franfen, Erbgüter am Mittelrheine befaß, nament: 
lich aber Graf im Rheingau war,‘) wo der Forft lag, und den 20. Auguft 
997 ftarb.) Nimmt man an, er habe gewiffe Rechte auf den fraglichen 
Wald, oder einen Theil deffelben geltend gemacht, fo iſt begreiflich, daß 
Kaifer Otto III. erft feine Einwilligung einzuholen für gut fand. 

Aus einer Reihe von Urkunden und Zeugniſſen) erhellt, daß Henog 
Dtto zwiſchen 996 und 1004 ohne weitere Beläftigung das Ihm zurüd: 
gegebene Kärnthen behauptete. Obgleich fchwer gefränft durch das fürchter: 
liche Schiefal, das feinem Sohne Bruno, der als Pabft Gregorius V. bieß, 
bereitet worden war, blieb er auch nah dem Tode des Kaiſers Dtto III. 
dem beutfchen Reiche treu. Chronift Thietmar von Merfeburg melvet,*) daß 
der damalige Herzog von Baiern und nachherige König und Kaifer Heinrid 
II. dem Kärnthner Otto, ald dem nächſten Anverwandten des verftorbenen 
Otto III. von weiblicher Seite, die Krone angeboten, daß aber fofort ber 
Kärnthner mittelft eines befondern Vertrags, den er mit Heinrich abſchloß, 
zu feinen Gunften verzichtet habe. Kurz darauf griff Otto von Kärnthen, 
im Auftrage des neuen- Könige Heinrich, den Lombarden Hartwig an, 
wurde jedoch aus Italien zurüdgevrängt.) Der Kärnthner Herzog ftarb‘) 
im November 1004. 

Das Herzogthum Kärnthen blieb in dem Haufe ded Werftorbenen, 
aber e8 gieng nit an Hezil oder Heinrich, der doch überall in den Denk—⸗ 
malen, welche den Bater fammt den Söhnen aufführen, vorangeftellt und 
folglih ald der Erſtgeborne bezeichnet wird, ſondern ed gieng an den jüngern 
Sohn, an Cuno oder Conrad, über. Diefer hatte, noch ehe er feinem Water 
in Kärnthen folgte, eine Ehe eingegangen, welche ihm ſeitdem fchlimme 
Verlegenheiten zuzog. Sproffen der erften Häufer Deutſchlands, fomie 
Gallien bewarben fich gegen Ende des 10. Jahrhunderts um die Schweftern 
des Testen Burgunderfönigd, Rudolf des Fahrläßigen. Denn da dieſer 
Rudolf ein Schwädling war, welcher feine Kinder hatte und wahrjcheinlic 


— — — --7- — 


) Oben ©. 249. ?) Stälin, württemb. Geſch. L, 467. 2) Nachgewieſen, 
Jahrbücher des deutſchen Reichs IL, b. S. 201 flg. ) Pertz II, 797 unten fig. 
®) Acta Theodoro-Palatina III, 423. 


* 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer aus Franfen. 253 


auch gar feine zeugen konnte, ftand zu erwarten, daß bereinft das fette 
Erbe den Echweitern und deren Ehemännern zufallen dürfte. Auch Herzog 
Herrmann 11. von Schwaben, Sohn oder Neffe‘) des oben erwähnten Salierd 
Eonrad aus Gebehards Stamme, hatte die Hand einer dieſer reihen Er: 
binnen — fie hieß Gerberga — davongetragen,?) und zeugte mit ihr, außer 
einem ohne, Herrmann III., der nad des Vaters Tode die Fahne 
Schwabens ererbte, drei Töchter, um welche — da die oben entwidelten 
Gründe fortdauerten — gleichfalls viele Bewerber buhlten. 

Eine diejer Töchter Hermanns IL, Mathilda, wurde dem Sohne Otto's, 
Eonrad von Kämthen, zu Theil,’) und derjelbe muß auf ihren Beſitz gläns 
zende Hoffnungen, dereinſt die Krone Burgunds zu erwerben, gebaut habey. 
Denn der neue König von Deutichland, Heinrih II, fand für gut, gegen 
die Ehe Conrads mit Mathilda, weil fie wegen naher Verwandtſchaft das 
Kirchenrecht verlege, die Hilfe de8 deutichen Bisthums anzurufen. Ein 
Jahr, nachdem Gonrad Herzog in Kärmthen geworden war — 1005 — 
berief der König eine deutſche Synode,*) welche die Verbindung des Kärnths 
ner Herzogs mit Mathilde verdammte. Der bedrohte Herzog und jein 
Anhang zeigten Luft, diefen Beſchluß mit Waffengewult umzuftoßen. Unvers 
rihteter Dinge gieng die Verfammlung auseinander; denn Heinrich IL 
bejag damals noch nicht Kraft genug, um widerjpenftige Vafallen mit der 
Schaͤrfe des Schwerts zum Gehorfam zu zwingen... Die Ehe blieb aufrecht, 
zwiihen dem Könige aber und beiden Linien des kärnthniſchen Haufes 
herrſchte jeitvem merfliches Zerwürfniß. 

Viclleiht war die Ehe Conrads mit Mathilde eine der Urjachen, 
weßhalb nit der ältere Cohn Otto's, Heil, fondern der jüngere dem 
Pater in Kärnthen gefolgt if. Bei dem regen Argwohn, welden ver 
König gegen die Ehrſucht Conrads hegte, würde er, der jedenfall bei dem 
Wechſel in Kämthen ein Wort mitzufprechen hatte, meines Erachtens 
nie geduldet haben, daß die rheiniiche Hälfte der Beſitzungen des Saliers 
Otto an den Gemahl Mathildens gelange. Denn diefe Befigungen lagen 
nicht weit von der burgumdiihen Gränze entfernt, und hätten Conrad in 
Etand gejegt, allerlei Fäden drüben anzufnüpfen, während er, auf Kärnthen 
beichränft, weniger Umtriebe nach jener gefährlichen Seite hin madjen fonnte. 

Und nun zu der andern Linie des faliihen Haujed, welde Dtto’s 
Erftgeborner, Hezil, in der Heimath, am Rheine, gründete. Schon Otto 
hatte den Titel „von Worms” geführt, wie man aus einer Urkunde erficht, 
welche Kaijer Conrad II., Otto's Enkel, ausftellte.°) Der Titel rührte ohne 


— — — — 


1) Man ſehe Stälin, württemb. Geſch. I, 467. 2) Perg V, 118 ad a. 997. 
3) erg XI, 258, *) Verb III, 813 untere Mitte. Vgl. mit IV, 663 fig. *) Schöpf- 
lin, Alsat. illustr. II, 603, 


54 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Zweifel daher, weil Worms den Mittelpunkt des ſaliſchen Hausguts bildete. 
Nah dem Tode Dtto’d muß aus den rheinifhen Beſitzungen ein Herzog: 
thum gebildet worden jein, dad den Namen eines fräntifchen, aber zugleid 
einen Beinamen erhielt, der den politiihen Werth des erfteren Worts 
weſentlich beichränfte. Weber diejen wichtigen aber dunfeln Punkt vervient 
vor allen Wippo gehört zu werden, weil er die Yamilienverhältniffe ver 
Salier genauer kannte, als irgend cin anderer Ehronif. „Unmittelbar nad 
dem Tode des Kaiſers Heinrich II.,“ fchreibt‘) er, „befanden fich die Stamm: 
herzogthümer des deutſchen Reich in folgenden Händen: das Banner von 
Sachſen trug Benno (Bernhard), das von Iſtrien (und Kärnthen) Aal: 
bero, das von Baiern Hezilo, das von Alamannien Ernft, dad von Moſel⸗ 
lanien $riederih, das von Ribuarien Gogelo, Wormfer Herzog?) der 
Sranfen aber war Euno.“ 

Man fann darüber ftreiten, ob hier der ältere Conrad, nämlich der, 
welcher furz darauf zum König gewählt ward und den Thron beftieg, oder 
jein gleihnamiger Better, der jüngere uno, gemeint ifl. ebenfalls aber 
wird, ſeit der Ältere Conrad die Krone trug, der Titel Wormſer Herzog 
der Sranfen unzweifelhaft dem jüngern Cuno ertheilt. Weiter unten meldet’) 
Wippo: „Lim Jahre 1025) empörten fi) die Herzoge Ernft von Alaman⸗ 
nien, @uno von Franken, Friederich von Lotharingien, gegen den König 
Eonrad IL.” Hier fehlt. der beichränfende Beiſatz „des Wormſers“; aber 
an einer dritten Stelle*) vergißt Wippo denfelben nit: „Herzog Euno 
von Worms, der Vetter des Kaiſers, verhielt fih ruhig” (während An- 
dere zu den Waffen griffen). Nächft der Ausfage Wippo's hat Das Zeug: 
niß des Freifinger Biſchofs Otto vorzügliches Gewicht, weil er, dem bie 
Akten der kaiſerlichen Kanzlei offen ftanden, mit der Geſchichte der großen 
Geichledhter bejonderd vertraut war. Nun über den Aufftand von 1025 
bemerkt’) der Freifinger Biihof: „gegen König Conrad IL verfchworen fid 
fein Vetter Conrad und fein Stiefjohn Ernft, jener Herzog der Bormien 
diefer der Schwaben.“ 

Man fieht: das fränfiiche Herzogthum von Worms beftand nur dem 
Namen nad; errichtet, um dem Stolz der Salier einige Entf hädigung für 
wirflihen materiellen Berluft zu geben, beichränfte es ſich auf das rheiniſche 
Hausgut der Salier und reichte genau fo weit als letzteres. 

Nun entfteht die Frage: wem ficl daffelbe nad) dem Tode des Kärnthner 
Herzogs Otto zu? gelangte es gleichfalls an den jüngern Sohn Otto's, Eon 


— — nn — — 


ı) Berk XI, 257. ?) Chuono Wormaciensis dux Francorum; auch wenn man 
wormaciensis zu Chuono zieht, bleibt am Ende, doch nur in verftedterer Weife, der Sinn 
der nämliche. 2) Pertz XL, 264. *%) Ibid. S. 266. Chuono dux Wormaciensis. 
6) Chronic. VI, cap. 28: Conradus Wangionum, Ernestus Suerorum duces. 


Erſtee Bud. Gap. 7. Die vier falifhen Häufer aus Franfen. 955 


rad, oder wurde e8 dem Älteren, Hezilo, oder im Fall er geftorben gewefen 
fein follte, defien Erben zu Theil? Der gefunde Menfchenverftänd nöthigt, 
Leptered anzunehmen; denn ſonſt hätten ja Hezilo oder fein Sohn gar 
nicht vom Nachlaffe Dtto’d empfangen, wären gleih Verbrechern erblos 
geworden, während doch die deutlichften Zeugniffe vorliegen, daß fie ein nicht 
unanfehnliched® Hausvermögen befaßen. Noch andere Gründe find vorhans 
ven. Doc ehe ich fie entwidle, müflen wir die Familie Hezilo's in's Auge 
faſſen. 

Laut der Ausſage) Wippo's vermählte ſich Otto's Erſtgeborner mit 
Adelheid, der evelften Jungfrau im ganzen Ueberrhein. „Dieſe Adelheid,“ 
fährt der kaiſerliche Capellan fort, „war eine Schwefter der Grafen Gerhard 
und Adalbert, und ftammte aus dem Blute der alten Trojanerfönige, bie 
unter dem feligen Remigius, dem Belenner, das Joch ded Glaubens auf 
fih nahmen.” Bekanntlich ift ed eine Stammjage der Franken, daß ihre 
Borfahren aus Troja, d. h. aus den Gegenden des nördlichen Kleinaſiens 
in ihre fpäteren Wohnfige am Rhein und an der Maad eingewandert feten. 
Witzlinge belächeln dieſe uralte Ueberlieferung, und doch hat fie guten Grund. 
Die Stammpäter des deutſchen Volks, welde Afen,d in orientalifcher Aus» 
ſprache Askenas hießen,“) haben wirfli in grauer Urzeit den Boden Klein⸗ 
afiens bewohnt und find von da fpäter nad) dem weftlihen Europa vor- 
gedrungen.?) Aus dem Beilage Wippo’s: „die alten Trojerfönige hätten 
vom h. Remigiud, dem Belenner, die Taufe empfangen,” erhellt, daß er 
Ehlodwig den Franken und defien Kampfgenoſſen meint. Dieſe Franken 
aber wurden feit dem Ende des 5. Jahrhunderts Salter, ihr Geſetzbuch 
das faliihe genannt. Man fieht alfo: der Capellan bezeichnet auf vers 
blümte Weije die Gemahlin Hezilo's, Adelheid, ald eine Sproßin aus fas 
liſchem Blute. In Wahrheit ftammte fie, wie fpäter gezeigt werben fol, 
mütterlier Seits aus dem eljäßiihen Haufe von Egisheim ab, weldhem 
Papft Leo IX. angehört. Diejed Haus war folglid, laut Wippo’s Andeu⸗ 
tungen, ein ſaliſches. 

Mit Adelheid von Egisheim zeugte der Salier Hezil nur einen urs 
fundlicy nachweisbaren Eohn, Conrad, welcher 1024 den deutihen Thron bes 
ftieg und, zum Unterſchied von feinem gleichnamigen Vetter aus der Kärnths 
ner Linie, den Beinamen des Älteren empfieng. Adelheid muß jedoch ihren 
eriten Gemahl entweder überlebt, oder verlaffen und einen Andern genoms 
men haben. Denn fie gebar — unzweifelhaft nicht in der Ehe mit Hezilo 
— einen zweiten Eohn, Gebehard, der als Kind in die Kloſterſchule zu 
Würzburg geftedt ward, aber daraus entlief, und Soldat werden wollte. *) 


t) Berk XI, 258. Adelheida ex nobilissima gente Liutbaringorum. ?) Gfroͤrer, 
Urgefchichte des menfchlichen Geſchlechts 1, 35. 66 flg. 2) Berk XI, 154 oben, 190 


oda 


256 _ Babf Gregorius VIL und fein Beitalter. 


Doch gelang es ihm nicht, fein Vorhaben ind Werk zu fehen. Denn im 
October 1027 zwang ihn jein Stiefbruder, der neugefrönte Kaifer Eonrad 
II., wieder in den Clerus einzutreten. Der Zeuge, der ſolches erzählt, fagt‘) 
aus: Gebehard fei damals ein junger Menſch geweſen, der ald Knappe?) 
diente. Neun Jahre fpäter — 1036 — erhob’) ihn Kaifer Conrad auf 
den erledigten Stuhl von Regensburg. Aus eben diefem Anlafie bemerkt‘) 
Herrmann von Reichenau, daß Gebehard nur von der gemeinfchaftlicden Mut 
ter Adelheid ber ein Bruder, alfo ein Stiefbruder des Kaijerd war. Uns 
durchdringliches Dunfel laftet auf der zweiten Verbindung Adelheids! Das 
deutet” meines Eradıtend darauf hin, daß Dinge vorgegangen find, welde 
die Angehörigen zu verheimlichen fuchten, weil fie ſich ihrer jchämten. 

Das neue faliiche in Franken gelegene Hausherzogthum trug von der 
Etadt Worms jeinen Namen, und doch gehörte leßtere den Saliern nicht 
mehr an. Otto hatte, wie oben gezeigt worden, ehe er die Fahne Kärntien 
erlangte, auf alle Nugungen aus Worms verzichten müſſen. Nach 
dem gewöhnlichen Laufe der Dinge läßt fih daher erwarten, daß Otto's 
Geſchlecht, namentlich feit ed inne geworden, wie wenig ficher der Bells 
Kärnthens war, fein Mittel verfäumte, um die verlomen Rechte in dem 
rheiniſchen Biihofsfige wieder zu gewinnen. Wirflih geſchah dieß in vollem 
Maaße. Die Wormjer Biſchöfe haben ihre Wunder erfahren! Im Jahre 
1000 vergab Kaijer Otto III. den dortigen Stuhl an den Cleriker Bur⸗ 
fard. Der gleichzeitige Biograph des neuen Biſchofs berichtet:*) „als Bur⸗ 
hard zu Wormd anlangte, fand er den Ort im tiefften Verfall und beis 
nahe verödet. Wilde Thiere, namentlih Rudel von Wölfen, brachen in bie 
Mauern ein, noch jchlimmer aber als fie wütheten Räuber. Herzog Otte 
und fein Eohn Eonra- (der 1004 nad des Vaters Tode Kärnthen erbte) 
bejaßen nämlich mitten in Worms ein fefted Schloß, das fie allen denen 
bereitwillig öffneten, welde fib an dem Bilhofe und dem Stiftsgute ver 
griffen. Sein Leben lang hat Bilhof Burkhard tiefen Abſcheu vor den 
Beichügern der Räuber gefühlt; nur gegen einen jungen Sproffen des Haw 
ſes, der, weil er die Bosheit der andern nicht theilte, ſondern ſchuldlos 
lebte, jelbft von jeinen Angehörigen mißhandelt wurde, hegte Burfhart 
andere Gefinnungen, er zog ihn an fib, brachte ihm die Grundſätze ver 
Furcht Gottes bei und gewann ihn jehr lieb. Eben diefen jungen Mann 
hat der Allmächtige nachher zum Lohn für feine Tugend auf den Thron 
Germaniend erhoben.“ 

Conrad, der Sohn Hezilo’d und der Adelheid, ift gemeint: er lebte alio 
nady dem Anfang des 11. Jahrhunderts zu Worms. Kurz darauf ſtarb 
Kaijer Otto III. und die Thronftreitigfeiten zwifchen Heinridh II. von Baiem 


1) Ibid. 3) Armiger juvenis. 2) Berk V, 122. %) Berk IV, 835, 


Erſtes Buch. Cap. ?. Die vier falifchen Hänfer aus Franken. 557 


und feinen Nebenbuhlern, den Gegenfönigen, brachen aus. Geſchickt benützte 
Biihof Burkhard dieſe Händel; gegen das Verfprechen völliger Befreiung 
von dem Joche des Kämthner Haufes, verhieß er jenem feinen Beiftand. 
Auf den Thron gelangt, hielt Heinrih II. Wort: für fein Eigengut Bruch⸗ 
jal‘) (zwiſchen Carlsruhe und Heidelberg im heutigen Großherzogthum 
Baden) taufchte er alles, was das Kärnthner Haus innerhalb der Stadt 
Worms befaß, von Herzog Dtto ein und trat jofort durch Urkunde) vom 
DOftober 1002 den eingetaufchten Werth an Biſchof Burkhard auf ewige 
Zeiten ab. Der Biograph fügt bei: „an dem Tage, da der Bifchof den 
Befig übernahm, habe er das innerhalb der Etadt gelegene Schloß des 
Herzogs bis auf den Grund niederreißen laflen, und auf der Stelle, wo 
dafjelbe fand, eine Kirche zu erbauen begonnen.“ 

Die Bedrückungen, welche der Wormfer Stuhl von Seiten des fali- 
ſchen Hauſes erlitten hatte, und die Kunde davon, daß der neue König 
Heinrid endlich in der eben befchriebenen Weile dem Unmwefen fteuerte, er- 
regten Aufjehen dur das ganze Reih. Dem Schluffe des fünften Buches 
feiner Ehronif, in welchem er die Anfänge der Regierung Heinrich's II. 
ſchilderte, fügt?) Thietmar eine Reihe lateinifcher Herameter bei, welche den 
König preien, weil durdy feine Großmuth die Stadt Worms, welche bis⸗ 
ber unter dem Drude ihrer Herzoge jeufzte, befreit, anftatt der Raubburg 
eine Kirche errichtet, und der dortige Clerus in Stand gefeßt worden fei, 
ven Gewaltthätigfeiten verfchiedener Richter (der herzoglichen Unterbe⸗ 
amten) ein Gebiß anzulegen. 

Zwei Jahre nach Ausſtellung der königlichen Urkunde vom Oktober 
1002, welche den Wormſer Biſchof von dem Feinde, der ihm auf dem 
Nacken ſaß, befreite, — im Nov. 1004 — ſtarb Herzog Otto. Bis dahin 
hatte der ganze rheiniſche Gutsverband des ſaliſchen Hauſes ihm, als dem 
jeweiligen Haupte der Familie, gehört. Nunmehr aber muß Conrad, Hezils 
Sohn, in dortiger Gegend ſeinen Wohnſitz aufgeſchlagen haben, denn indem 
der Biograph meldet, Biſchof Burkhard habe den jungen Sproſſen in ſei⸗ 
nen Kreis gezogen und für die Erziehung deſſelben Sorge getragen, gibt 
er zu verſtehen, daß Conrad, obwohl noch unmündig, die Jahre der Jugend 


— e— — ⸗8— 


°) Pertz IV, 836. *) Schannat, episcop. wormac. prob. Nr. 41. *) Perg IL, 804. 
Urbs Wormacensis gaudet temporibus istis 
Libertate sua, cujus manebat in umbra 
Hactenus, atque ducum fuerat sub lege suorum. 
Burchard antistes laetatur et inter heriles 
Ex animo procerer, quod non timet amplius hostes 
Nunc ex contiguo, longe semotus ab illo. 
Aula ducis Domini domus est jam praeclua Christi, 
Et judices varios clerus nunc deprimit illos. 
Gfrörer, Pabſt Eregorius vu. Br. 1. 17 


58 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


zu Worms ober in der Nähe zubrachte. Das deutet unverkennbar darauf 
hin, daß Hezilo’d Sohn an den Rhein Fam, um ein Erbe anzutreten. Bor: 
erft hatte Biſchof Burfhard Ruhe vor weiteren Bebrüdungen, aber nict 
auf lange Zeit. 

Im Jahre 1012 trat ein für das ſaliſche Haus wichtiger Todesfall 
ein, der den Stand der Dinge zu Wormd Ändert. Herzog Conrad von 
Kärmthen, Dtto’d Cohn und des jungen am Rheine weilenden Conrads 
heim, ftarb. Aus der Ehe mit der burgundiſch⸗ſchwäbiſchen Erbtochter 
Mathilde hinterließ derjelbe zwei urkundlich nachweisbare Söhne, den erſt⸗ 
gebornen Conrad, der nunmehr zum Unterjchiede von feinem Älteren gleid: 
namigen Better der jüngere genannt ward, und einen zweiten, Bruno, wel 
cher den geiftlihen Stand erwählen mußte und 1034 durch die Gnade 
jeines Stammfippen, des damaligen Kaiſers Conrad IL, das Bistbum 
Würzburg erlangte.) Abermald erhellt aus diefem Beilpiele, daß das 
jalifhe Haus, um Erbtheilungen zu verhindern, die nachgebornen Söhne 
faft regelmäßig für den Kirchendienit beftimmte. Dem beftehenden Rechts⸗ 
gebrauche gemäß, hätte Conrad der jüngere, Conrads Sohn, feinem Vater 
im Herzogthbum Kämthen folgen follen. Allein dieß geſchah nicht. Rad» 
dem er den Tod des Vaters gemeldet, fährt”) Herrmann der Lahme zum 
Sahre 1012 aljo fort: „der gleichnamige Eohn des Berftorbenen, welder 
noch ein Knabe war, wurde des väterlichen Lehens beraubt und ftatt ſei⸗ 
ner empfing die Kärnthner Sahne Adalbero” (von Eppenftein). 

Vollkommen begreiflib ift, daß König Heinrich II., weldyer für das 
Wohl des Reiches zu jorgen hatte, (weßhalb er die Erblichfeit der Groß 
leben mißbilligte) und gegen deſſen ausdrücklichen Willen ferner die Ehe 
Conrads mit Mathilde, der Mutter des jüngeren Conrad, zu Stande gr- 
fommen war, den eben bejchriebenen Wechſel anzuordnen für gut fand. 
Mber das jaliiche Geſchlecht traf verjelbe hart genug; und zwar nidt mır 
die eine, jondern audy die andere Linie, weil es faum fehlen Eonnte, daß 
die Entjegung des jüngeren Conrad ftörend auf den Befisftand des Gr: 
ſammthauſes rüdwirfte Denn nachdem dad Kärnthner Herzogthum, auf 
welches der Knabe, kraft den Herfommen, Erbanſprüche erhob, ihm ent: 
zogen worden war, mußte irgend ein anderer Beſitz für ihn ausgemittedt 
werden. Die einzige Möglichkeit aber, Solches zu bewerfitelligen, beftand 
darin, daß man ihn auf einen Theil der rheinifchen Güter anwies, in deren 
Beſitze fi Conrad der ältere befand. In der That erhoben fich fofort 


— — —— — — 


1) Herrmann ber Lahme ſagt (Pertz V, 122 oben) zum Jahre 1034: Meginhard 
praesule Wirzeburgensi mortuo, Brun, patruelis imperatoris, filius scilicet ex Mathilde 
Counradi ducis, episcopatum accepit. ?°) Ibid. ©. 119: privato filio ejus puero Coun- 
rado Adalbero ducatum accepit. 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Haͤufer aus Franken. 959 


beide Linien wider das Oberhaupt des Reichs, und abermals war es Bi- 
ſchof Burchhard von Worms, der die erften Früchte Ihrer Widerſetzlichkeit 
zu jchmeden befam. 

Im Cpätherbft 1013 zog König Heinrich IT. über die Alpen, um in 
Rom aus den Händen des Pabſtes Benedikt VIII. die Kaiferfrone zu 
empfangen. Als nun der neue Kaifer zurüdfehrte, beftürmte ihn der Worms 
fer Biſchof mit Befchwerden über grobe Bedrückungen, denen die Innfaßen 
feines Etifted von Seiten gewiſſer Grafen ausgefeßt geweſen feien. Er 
machte unter Anderem geltend, daß dieſe Grafen für jedes aud das ge 
ringfte Vergeben Bußen im Betrage von 60 Scillingen eintreiben. Hein- 
rih II. ließ die Sache unterfuchen und fand die Klage begründet. Unter 
dem 29. Juli 1014 ftellte er zu Gunften des Wormſer Stuhles einen 
Schirmbrief aus, der den Grafen verbot, je wieder Gerichtsbarkeit über 
die Angehörigen des Stiftö zu üben. Die jchuldigen Grafen werben in 
der Urfunde nicht namentlich bezeichnet, aber faum fann man bezweifeln, 
daß die beiden Conrade ihre Hände im Spiel hatten. Heinrih II. wollte 
fie noch jchonen; dennody fam es kurz darauf zum offenen Brud). 

Der Babenberger Ernft, Eohn des Markgrafen Liutpold von Deftreich, 
hatte Giſela, die Tochter des Herzogs Herrmann IT. von Schwaben und 
Schweiter Mathildens, der Herzogin von Kärmthen, damals eine junge 
Wittwe, geehlicht und in Folge diefer Verbindung 1012 nad dem Tode 
feines Schwagers, ded Herzogs Herrmann IIT., der unverehlicht ftarb, auch 
die Fahne Alamannien erlangt.) Nur 3 Jahre verwaltete er dad Lehen, 
denn im Mai 1015 ging er auf räthielhafte Weife aus der Welt. Id 
laſſe zuerſt Thietmar von Merjeburg reden:’) „Herzog Emft von Schwa⸗ 
ben, Nachfolger des Knaben Herrmann IIL, ward auf der Jagd von einem 
feiner Soldaten, der mehr aus Unwiſſenheit, als aus böfer Ab- 
ſicht einen Fehlſchuß that, töplich verwundet. Die Nähe des Todes führ 
lend, rief er, weil fein Priefter zugegen war, einen feiner Dienftleute her⸗ 
bei, beichtete ihm, und beihwor alle Anweſende, für feine Seele zu beten, 
aud feine Gemahlin zu ermahnen, daß fie ihre Ehre wahre und Ihres 
Gemahles nicht vergeſſe. Bald darauf farb er ven 31. Mai 1015.” 

Aus der fonderbaren Bemerkung: der Mörber habe mehr aus Un—⸗ 
wiffenheit als aus fchlimmer Abfiht den Schuß gethan, muß man nothivens 
dig den Schluß ziehen, daß andere Zeitgenoffen das Gejchehene nicht aus 
einem unglüdlihen Zufall, fondern aus Bosheit ableiteten, denn jonft hätte 
der Ehronift vernünftiger Weiſe jagen müſſen: der töbtlihe Bolz habe wider 
den Willen des Thäters getroffen. Thietmar will fichtlih umlaufende böfe 

) Böhmer, regest. Nr. 1127. 2) Die Belege bei Etälin, württemb. Geſch. I, 


473 flo. 3) Perg III, 840 unten flg. 
47° 


260 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Gerüchte mildern; eine ähnliche Milverung ift ed auch, daß er den Schützen 
einen Dienftimann oder Soldaten des Herzogs nennt. Derjelbe war, wie 
wir jogleic jehen werben, fein Diener, jondern ein Herr. Endlich laſſen 
die Weußerungen, welde Thietmar dem Sterbenden bezüglich feiner Ge: 
mahlin in Mund legt, Feine andere Deutung zu, ald die, daß Emft Verdacht 
gegen geheime Liebeshändel Giſela's hegte. 

Hören wir nun Herrmann ') von Reichenau, welder in der Nähe 
der That lebte: „Ernft Herzog von Alamannien ward auf der Jagd von dem 
Grafen Woalbert, der nad einer Hirſchkuh ſchoß, tödtlid getroffen. Das 
Herzogthum erbte jofort Ernſt's gleihnamiger Sohn, Gijela aber, die Witwe 
des Getödteten, reichte ihre Hand dem Eohne Heinrich's und Enkel Dttvs, 
Conrad.” Alſo Gijela hat ihren vorigen Gemahl vergeſſen, bat jeinem 
ausdrüdlihen Willen zuwider — wahrſcheinlich nod im nemlichen Zahre, 
ipäteftend im folgenden — denn der nachmalige Kaiſer Heinridy III. Sproſſe 
der Verbindung Giſela's mit Conrad wurde 1017 geboren — den Ealier 
geehliht. Die Ermordung ded Herzogs Ernft fchlug demnach zum Vortheil 
des Lepteren aus, verjchaffte ihm eine reiche mächtige Krau. Wer war 
aber der Schütze? Höchſt wahricheinlidd Graf Adalbert von Egisheim, einer 
der beiden Oheime Conrad's, von denen Wippo fagt,?) daß fie unaf 
hörlih „mit Königen und Herzogen“ im Streite lebten. Man erwäge 
ferner, daß der Ehronift von Et. Gallen, ebenfalld Zeit und Landesgenofie, 
obgleih er den Schügen jcheinbar für unſchuldig erflärt, tiefen Abjcheu über 
die That ausjpricht, *) und zugleich andeutet, der Mörder ſei ein Bluts— 
verwandter des Herzogs geweſen, was nur auf den Egisheimer paßt, der 
mit den Saliern von Wormd, und durch fie mit den übrigen Zweigen der 
Eonradiner, aud mit Giſela's Gemahle Emft, verſchwaͤgert war. 

Noch mehr. Neuerdings ift ein Schreiben veröffentlicht worden) 
welches der Abt Sigfried von Görz 1043 an jeinen Collegen von Stablo 
richtete, um dieſen zu beftimmen, daß er dem jungen Könige Heinrid II. 
Vorftellungen gegen die cben bejchloffene Ehe mit Agnes von Poitou macht. 
Eigfried weidt zuerft nach, daß Agnes und Heinrich im dritten Grade ver 
wandt ſeien; dann führt er alfo fort: „ich bitte Dich, lege beifolgenden 


. — — — — — 


) Pertz V, 119. ’) Pertz XI, 258: comites Gerhardus et Adalbertus semper 
cum regibus et ducibns confligentes. 2) Berg I, 82: 
Poenitet et miseret, dolet et piget, obstupet, horret 
Sola sine exemplo casu mors facta sinistro. — 
O cohibe dextram telum titubando regentem, 
Pro cervo nostrum figere pacificum. 
Sponte tus quamquam facinus non feceris unquam, 
Sanguis amice ducis, fide comes lateris. 
*) Abgedrudt bei Gieſebrecht, deutſche Kaiferzeit IL, 613 fig. 


Erftes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer aus Franfen. 261 


Stammbaum dem Könige vor und befchwöre ihn, daß er fih hüte bie 
Sündenihuld jeiner Eltern (Conrad's und Giſela's) zu feiner eigenen zu 
madıen. Denn das Etrafgericht Gottes wird über fein Haupt losbrechen, 
wenn er wiederholt, was feine Eltern thaten. Steht nicht geichrieben: 
beimfuchen wird der Herr die Ruchlofigfeit der Väter an den Eöhnen und 
Enfeln bie in's dritte und vierte Glied. Möge der König dieſen furcht⸗ 
baren Sprud beberzigen. Denn nicht nur fein ewiges Seelenheil, fondern 
auch jein leibliches Wohlfein fteht auf dem Spiele: tft nicht fein fonft fo 
zahlreihes Geſchlecht bis auf einige Angehörige zufammengefchwunden. ” 
Offenbar deutet der Abt mehr an, ale er offen zu fagen wagt. Gräulice 
Dinge müfjen über die Ehe Conrad's mit Gifela gefagt und geglaubt 
worden jein. 

Diefelbe widerftritt ganz in derſelben Weile ſowohl den Kirchens 
gelegen al8 auch dem Staatdwohl, wie die Ehe des gleichnamigen Kämth- 
ner Herzogd mit Mathilde, gegen welche König Heinrih II. im Jahre 
1005 jenes deutfche Concil verfammelt hatte, das ſie für nichtig erklärte. 
Denn der Kämthner Conrad und der Wormfer waren leibliche Vettern, deß⸗ 
gleichen waren Giſela und Mathilde leibliche Schweften. Man jollte daher 
erwarten, daß der Kaifer irgend weldhe Maßregeln wider die Heirath des 
Wormſer Herzogs ergriff. Dennoch meldet feine der vorhandenen Quellen 
etwas der Art, wohl aber erfahren wir, daß beide Conrade im Bunde mit 
nahen Verwandten das Schwert gegen verichievene Anhänger des Kaiſers 
zogen. Herrmann der Lahme fchreibt *) zum Jahre 1017: „Herzog Gozelo 
von Brabant’) beftegte in einer Feldſchlacht den Grafen Gerhard, mütterlihen 
Oheim des nachmaligen Kaiſers Conrad II.” Auch die Chronif von Cam- 
bray erwähnt *) dieſe Kämpfe, und bemerkt aus dem nämlichen Anlaffe, Ger- 
hard fei der Rädelsführer aller Störer des Landfriedens geweſen, zu deflen 
Fahne eine Maſſe verwegener Gejellen ftrömte. Es hat feinen guten Grund, 
dag Herrmann zu dent Orafentitel, welchen er Gerhard ertheilt, den Beifag fügt: 
„und mütterliher Oheim des nacmaligen Kaijerd”. Conrad der Aeltere 
tocht damals selber mit unter dem Banner Gerhard's und kam jchlimm 
weg. Thietmar von Merichurg erzählt”) nämlich: „in dem Treffen, dad Herzog 
Gozelo wider Gerhard gewann, ward auf des letzteren Eeite Euno vers 
mundet, der den Kirchengejegen zuwider feine Nichte, die Wittwe des Hers 
1098 Ernft von Echwaben, geehlicht hatte.” Das ift eine feine Andeutung, 
daß Euno darum Theil an der Empörung nahm, weil er kaiſerliches Ein- 
ichreiten wider feine Ehe fürdtete. 

Die Schlacht wider Gerhard iſt auf brabantiihem Boden jenſeits des 


') Berg V, 119. ») Siehe vben S. 65. 2) Berg VII, 469. %) Perg 
III, 856. 


262 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. _ 


Rheines geliefert worten. Zwei Jahre fpäter finden wir ven Salier Conrad 
in neue Kämpfe, aber dieſſeits des Stromes, und gegen einen andern Groß 
beamten des Kaifers verwidelt, und dießmal wird ausprüdlich bemerkt, daß 
der jüngere Conrad aus der Kärnthner Linie gemeine Sache mit feinem 
älteren Better machte. Wiederum meldet ) Herrmann der Lahme zum 
Fahre 1019: „im Bunde mit feinem gleichnamigen Better, der fpäter bie 
Kaiferfrone erlangte, griff der junge Conrad, Eohn weiland Conrads des 
Kärnthner Herzogs, den damaligen Herzog von Kämthen Adalbero an, und 
befiegte ihn in einem Gefechte bei Ulm.” Beachtung verbient, daß bier 
der Geichichtfchreiber von Reichenau den Vater des jüngern Conrad durch 
das Wörtchen quondam, „weiland“ als einen Geftorbenen bezeichnet. Zwei⸗ 
mal führt?) ebenverjelbe den älteren Gonrad neben feinem Bater Heinrich auf, 
ohne zu dem Namen des letzteren eine ähnliche Bemerfung beizufügen. Ih 
jehe hierin cine, allerdings nur leife Andeutung, daß Heinrich, Otto's Sohn 
bis gegen 1024 Iebte. 

Aralbero, welcher wie oben gezeigt worden, 1012 ven Sohn dee 
Herzogs Conrad aus dem Lehen Kärnthen verbrängt hatte, war mit einer 
dritten burgundiſch⸗ſchwäbiſchen Erbtockter, der leiblichen Schwefter Giſela's 
vermählt. ) Folglich fochten bei Ulm Echwager gegen Schwager, Refie 
gegen den Oheim. Zum Kampfplage aber fcheint die dortige Gegend 
darum geworden zu fein, weil die beiden Gonrade, um für den Berlufl 
Kärnthen’d Rache zu nehmen, oberfhwäbiiche Güter, zu deren Beſitz Adalbero 
durch die Hand feiner eben erwähnten Gemahlin ?) gelangt war, woegges 
nommen haben dürften. 

Das Zerwürfniß zwiſchen Conrad dem älteren und dem Kaifer Hein 
rich II. dauerte nicht, oder nicht lange über 1019 hinaus. Eine fürmlide 
Ausföhnung fand ftatt. Hierauf weist Wippo hin, indem er fagt:*) „die 
Mutterbrüder des Älteren Conrad lagen in ewigen Händeln mit der Krone 
und den Herzogen, zulegt jedoch fchloßen fie Frieden und verblieben ruhig, 
aber nur aus Rüdficht auf ihren Neffen Conrad.” Weiter unten läßt’) ber 
nämliche Zeuge den Mainzer Erzbiichof alfo zu dem neugewählten Könige 
Eonrad II. reden: „früher hatteft du dir den Unfrieden des Kaiferd Heinrich IL. 
zugezogen, aber jpäter erlangteft du feine Gnade.” Hier tritt die Aus 
jöhnung offen hervor. Es ift nicht ſchwer, die Gründe derfelben aufzubeden. 

Der Kaiſer war um 1020, da Pabſt Benedikt VIII. hilfeſuchend 
zu Bamberg vor ihm erjchien, auf der Höhe des Ruhmes und ver Macht 


) Berk V, 119. ?) Zu den Jahren 1015 und 1024 ibid. I, 149 und 120. 
2) Die Belege bei Stälin, württemb. Geſch. I, 471. 473. *) Perg XL, 258. Der Ur: 
text lautet: Gerhardus et Adelbertus, semper cum regibus ao ducibus confligentes, ad 
extremum Causae propinqui sui Cuonradi — vix acquiescebant. Welche marfige, eines 
Tacitus würbige Kürze des Ausdrucks! 5) Ibid. ©. 260. 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer aus Franken. 263 


ngefommen, aber feine Lebendfraft neigte fich, aufgerieben durch zwanzigs 
ährige unausgefeßte Kämpfe zu Ende, und da er Feine Leibeserben bejaß, 
außte er an die Auswahl eines tüchtigen Nachfolgers denken. Der taugs 
ichfte hiezu war ohne Zweifel der ältere Conrad, theils wegen feiner 
Abftammung, theils wegen feiner perfönlichen Eigenichaften. Wirklich reichte 
Heinrih II, nur auf das Wohl des Reiches bedacht, dem Gemahle der 
Richte feiner Mutter, obgleich derfelbe bisher fich fehwer an der Krone vers 
jangen hatte, die Hand des Friedens. Unterpfand der Ausföhnung war 
es Saliers Theilnahme an dem Römerzuge von 1022. Conrad der Aeltere 
mt den Kailer begleitet, und erjcheint ſeitdem als einer feiner am meiften 
egünftigten Vertrauten. Im Sommer 1022, da ſich Heinrich II. im Mutters 
Hfte des Benediktinerordens zu Montecajfino befand, ließ er ein vertraus 
iches Schreiben ') an ven Pabft Benedift VIII. ausfertigen; unterzeichnet find 
rftfich der Kaiſer jelbft, dann heißt ed: „ih Herzog Conrad, Blutöver- 
vandter des Kaiferd, habe meinen Namen beigefügt.” Als dritte und lebte 
Interjchrift folgt die des Unterkanzlers Theoderich. 

Kaiſer Heinrich II. Tehrte im Herbfte 1022 über die Alpen zurüd, und 
ebte jeitvem nicht mehr volle zwei Jahre. Während dieſer Zeit hat er 
aut Yusfage ?) der glaubwürbigften Quellen das Seinige gethban, um bie 
Lachfolge Conrad's zu fihern. Nun begnügen ſich befanntlich weife und 
roße Staatsmänner nicht damit, etwas zu wollen oder zu wünſchen, jons 
ern fie rühren die Hände, um das was fie beabfichtigten in’d Werk zu ' 
etzen. Ohne Ausftattung mit Reichslehen wäre Conrad faum im Stande 
jewweien, in dem bevorftehenden MWahlfampfe über Nebenbuhler, an denen 
8 ihm vorausfichtlich nicht fehlen fonnte, obzuſiegen. Allein es gab da⸗ 
nal Feine erledigte Kahne. Dennoch jchaffte der alte Kaiſer Rath, indem 
r zu einem außerordentlichen Mittel griff. 

Das Stift St. Marimin, gelegen vor den Thoren der Metropole 
Erier, war im 11. Jahrhundert eines der reichften durch ganz Germanien, 
enn unermeßliche Ländereien befaß es in allen Theilen des Reihe. Aber 
bon hatte ein Mächtiger dafür geforgt, daß allgugroßer Ueberfluß an welt» 
iher Habe die Mönche nicht verderbe. Kurz nad feiner Krönung zum 
taifer — im Februar 962 — jtellte Otto I. zu Rom eine Urfunde ’) aus, 
raft welcher er — und zwar mit ausprüdlicher Einwilligung des Pabſtes 
tohann XII. — anordnete, daß hinfort für alle Zufunft das Stift Marimin 
(usftattung der deutſchen Kaiferinnen, und daß die dortigen Aebte Gas 
ellane eben verjelben fein follen. Das heißt: die Gemahlinnen der deut» 


s) Abgebrudt bei Gattola: accessiones ad. histor. abbat. casin. ©. 219 unten fig. 
) Die Beweile zufammengeftellt bei Gfroͤrer, K. G. IV, 211 fig. 2) Böhmer, reg. 
tr. 254. 


264 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


fhen Kaifer erhielten das Recht, fo viel von den Einfünften der Abten an 
fi zu ziehen, als ſie mit ihrem Gewifjen vereinbar fanden. Auch Hein 
rih8 II. Gemahlin, die Lurenburgerin Kunegundis, genoß, wie fich ſogleich 
ergeben wird, dieſe Nutzungen, doch nur bi6 gegen Ende des Jahres 1023, 
denn nunmehr verfügte Heinrich II. anders über die Abtey. 

Durch zwei, nur in Nebendingen abweichende, Erlaffe‘) vom 30. Ne; 
vember und 10. Dezember des eben genannten Jahres, löste der Kailer 
ſechstauſend ſechshundert ſechsundfünfzig Bauernhöfe (mansus) von dem 
übrigen Stiftsgut ab, und vertheilte fie unter brei bevorzugte woeltlice 
Vaſallen. Die angegebene Maſſe von Ländereien müßte, wenn fie ein 
Stück ausmadte, ein ausgedehntes Fürftenthum gebildet haben; denn ber 
Manfus wird bald als eine Strede beftimmt, für deren Anbau ein Joh 
Ochſen genügt,”) bald zu 30—AO Jauchert Feld geſchätzt. ) Demmak 
icheint e8 beim erften Anblid, ala habe ver Katfer einen harten Gewalt 
ftreih gegen das Stift geführt. Und dennoch war dem nicht fo. Im 
Terte jelber heißt ed: „Niemand wähne, daß Wir und ungerechter Weile 
an dem Gute des h. Marimin vergreifen.” Zum Beweife wohlvollender 
Gefinnung erflärt der Kaiſer weiter, daß er die fraglihe Anordnung af 
den Rath, der Erzbifchöfe Aribo von Mainz, Poppo von Trier, Piligrim 
von Eöln und vieler anderer Getreuen getroffen und dem Abte Haricho, fe 
wie deſſen Rachfolgern, al8 Erſatz für den jcheinbaren Verluſt wefentlidk 
Vorrechte bewilligt habe. 

Legtere beftehen in folgenden Zugeftänpniffen: 1) das Stift St. Marimin 
ift für immer befreit von allem Kriegs- und Hof-Dienftl. Jene drei Bu 
fallen werden hinfort anftatt des Klofterd Heereöfolge und Hofbienft leiſten. 
2) Das Stift ift befreit von der Abgabe, welche es je das zweite Jahr an 
Uns und an etliche unferer Vorgänger (Anfpielung auf die Urkunde Ottos 1. 
vom Jahre 962) zu entrichten hatte. 3) Der Abt ift befugt nad freic 
ftem Ermeſſen hinfort Kloftervögte ein- und abzufegen. 4) Das noch übrige 
Gut des Klofterd darf niemehr irgend Jemanden zu Lehen gegeben werben, 
jondern fol einzig und alleine dem Unterhalt der Mönchsgemeinde gewidmet 
fein. 5) Sterben die drei vorgenannten Bafallen oder deren Söhne un 
Enfel aus, ohne Mannsftamm zu hinterlaffen,*) jo fallen die 6656 Bauer: 
höfe an das Stift zurüd. 

Noch einmal verfichert der Kaifer im Terte feierlich, daß er Die frag 
liche Maßregel nicht zum Vortheile des Staates, fondern zum Wohle ver 


= — —— — 


) Böhmer, regest. Nr. 1249 u. 1251. Vgl. acta Theodoro-Palatina III, 38 fla. 
*) Du Cange glossarium, neuefte Ausgabe IV, 241: mansus quantitas terrae, quae sufl- 


cit duobus bobus in anno ad laborandum. 3) Beweife gefammelt bei Gtälin, wärt: 


temb. Geſch. I, 356 fl. *) Si quis fortasse illorum fideliam nostrorum, aut Ailii filio- 
rum suorum — sine haerede fuerit defunctus. 


Erſtes Bach. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer ans Franken. 265 


btei ergriffen habe.) Wollte man dad Mißtrauen foweit treiben, diefe 
ehauptung zu bemädeln und die drei rheintichen Erzbiichöfe für Mithelfer 
ed Raubes zu erflären, fo beruft fi der Tert auf ein weiteres Zeug- 
B, vor welchem jeder Zweifel verftummen muß, nämlich auf eine Bulle, 
ıft welcher der damalige Pabft Benebift VIIL. die Ausfcheidung der 6656 
tanfus gebilligt hatte. Wer wird glauben, daß das Oberhaupt der Kirche 
? Hand zu einem an dem Trierer Stift verübten Kirchenraube bot! 

Folglich fteht feft: das Klofter St. Martmin hat Fein Unrecht erlitten, 
ndern der Ertrag des ausgejchievenen Landes Fam gleich den nun wegge- 
mmenen Laften, welche das Stift in Geftalt von Kriegs und Hofdienſt, 
wie der je das zweite Jahr wiederfehrenden Abgabe an die kaiſerliche 
chatzlammer zu tragen hatte. Aller Wahrfcheinlichfeit nach gewann fogar 
° Abtei durch die neue Ordnung, jo daß nun mehr für den eigentlichen, 
n firchlichen Beruf der Moͤnchsgemeinde, größere Einfünfte erübrigt wur: 
n, als früher, bei jcheinbar viel ausgevehnterem Befige. Verhaͤlt fich aber 
: Sache fo — und meines Erachtens iſt es unbeftreitbar, daß fie ſich jo 
rhielt, — dann traf der Schlag, welchen Kaiſer Heinrih führte, nicht 
8 Klofter, ſondern andere Perſonen, nämlich erſtlich die Kaiſerin Kuni⸗ 
nde, die bisher aus dem Ueberfluſſe der Einfünfte des Stifte ihre Nadel⸗ 
[der bezogen hatte und zweitend den Kloftervogt von St. Marimin. Denn 
ben andern Rechten bewilligte ja der Kaiſer dem Abte Haricho und ſei⸗ 
n Racfolgern insbefondere die Befugniß, hinfort nach freiftem Ermefjen 
dgte ein- und abaufegen. Die Kaftenvogtei über Et. Marimin aber hatte 
3 dahin das Luremburger Haus befeflen, und zwar jo gut ald erblid; 
an auf feinen Vater folgte?) in viefem Amte der Sohn Heinrich, dama⸗ 
er Herzog von Baiern. Nun muß man weiter wiflen, daß Herzog Hein- 
h, der bisherige Vogt von St. Marimin, ein leibliher Bruder der Kai⸗ 
in Kunigunde war. 

Jetzt iſt es Zeit die drei Vaſallen, welche das abgelöste Eigenthum 
3 Stifts erhielten, in's Auge zu fallen. Der Erlaß vom 30. November 
agt:”) „nachdem der Abt Hariho 6656 Bauernhöfe an Uns abges 
ten hat, geht unser Entichluß dahin, bejagte Güter an unfere Getreuen, 
ı Herzog Heinrib, den Pfalzgrafen Ezzo und an den Grafen Otto, 
Ihe weder vom Reihe noch von Uns bisher (das heißt feit dem Regie⸗ 
198anfang des Kaiſers Heinrih II.) irgend ein Lehen empfangen 
‚ben,*) unter der Bedingung auszugeben, daß alle drei für fi und ihre 
ichkommen diejenigen Hof- und Kriegsdienfte Teiften, zu welchen bisher 


‘) ]lla bona non tam in nostrum quam in eorum (monachorum) servritium inde 
razimus. ?) Die Beweife fiehe oben S. 119. ») Acta Theodoro-Palatin. III, 
h. *) Ibid. qui nibil a regno vel a nobis usque adhuc habere visi sunt. 


266 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


das Stift verpflichtet war.“ Der zweite kaiſerliche Erlaß vom 10. De. 
reiht neben einigen andern, wie es jcheint, zu Gunſten des Abts berechneten, 
doch im Ganzen unbedeutenden Aenderungen die Namen der drei Empfänger 
in der Art, daß Pfalzgraf Ezzo vorangeftellt wird: „Wir verleihen bejagte 
Güter unferen Getreuen dem Pfalggrafen Ezzo, und dem Herzoge Helnrid, 
jowie dem Grafen Dtto.” 

Bon ſelbſt verfteht ed fih, daß ver Sailer, che er die Webereinkunft 
mit dem Abte Haricho traf, beiondere Verträge jchloß, welche beftimmten, 
wie viel ein Seder der drei Berorzugten aus dem Gejammtbetrage ber 
6656 Höfe empfangen jolle. Angenommen nun, diefe Auseinanderjegung 
habe fo gelautet, daß dem erftgenannten das, dem zweiten und britten jence 
Stück zugeſprochen ward, erfcheint die Mühe begreiflich, welche fih Pfalz⸗ 
graf Ezzo gab, um durchzuſetzen, daß fein Name in der zweiten Ausfertis 
gung den Vorrang erhielt. Denn dann erlangte nicht nur feine Eitelfeit 
einen Triumph, jondern er errang vorausfichtli auch materiellen Gewinn, 
da faum zu zweifeln ift, daß das dem Erften zugeficherte Stüd den An 
theil de8 zweiten und Dritten an Umfang oder an innerem Werth übertrat. 
Jedenfalld fieht man: zwifchen zweien der Bevorzugten, zwiſchen Pfalzgraf 
Ezzo und dem Herzoge Heinrich, herrſchte Eiferfucht. 

Bleibt übrig, die Perfönlichkeit der drei zu ermitteln. Weber den Pfalz 
grafen Ezzo waltet Fein Zweifel, es gab damals feinen andern Palatin 
diejes Namens, ald den Eohn Herrmanns und Gemahl Mathildens, der 
Schweiter des Kaifers Dtto III. Diefer ift ohne Frage gemeint. Auch der 
dritte macht feine Schwierigkeit; Pfalzgraf Ezzo hatte, wie wir wiflen, einen 
Sohn Dtto, der nach dem Tode feiner Neffen das PBalatinat von Aachen, 
zulegt 1045 die Fahne Schwabens erlangte. Mit den meiften neueren 
Schriftftellern nehme ih an, daß diefer Dtto zugleich mit feinem Vater 
einen Theil des ausgejchiedenen Klofterguts erhielt. Aber auf ver Per 
jönlichfeit deffen, der im Erlaß vom 30. Nov. vorangeftellt wird, in dem 
vom 10. Dez. die zweite Stelle einnimmt, laftet cimmeriſches Dunkel. 
Fat alle Neuere verftehen unter ihm den Quremburger Heinrib, Cuniguns 
dens Bruder, der allerdings damals das Herzogthum Baiern beſaß und 

um 1027 ftarb.‘) Allein dieſe Deutung iſt nichtig. 

Abgeſehen von der Unwaährſcheinlichkeit, daß Kaiſer Heinrich LI. einem 
Manne, der ihm während der legten 20 Jahre unfäglibe Mühen und 
. Känıpfe bereitet hatte, auf der Höhe des Lebens und im Beſitze unbe: 
ftrittener Macht, eine joldhe Gnade erwieſen haben jollte, fteben zwei andere 
entjcheidende Gründe entgegen. rftli paßt der in beiden Erlaffen aue: 
geſprochene Sag: „die drei hätten bisher weder vom Reiche noch von der 


‘) Berg XI, 208. 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Käufer aus Franken. 267 


Krone irgend ein Lehen getragen,“ nimmermehr auf den Luremburger Heinrich, 
ber im April 1003 vom Könige zum Herzog von Baiern erhoben‘), 1009 
wegen Hochverraths abgeſetzt) worden war, und den endlich der Kaifer 
1018, faft wider jeinen Willen und nur weil die Macht der Umftände zur 
Nachgiebigkeit nöthigte, wieder hergeftellt hatte.) Fürs zweite fegen beide 
Erlaſſe voraus, daß die drei Bevorzugten Nachkommenſchaft beſaßen; denn 
als Erbleben wird jedem für ihn felbft und für die Söhne feiner Söhne 
ein Antheil des Stiftsguts zugewiefen. Der Luremburger Heinrih aber 
ftarb*) 1027 in hohem Alter und kinderlos; nirgends werden Söhne oder 
Töchter deſſelben erwähnt. 

Es gab 1023 unter den Großen des Reiche, außer dem Luremburger 
nur noch einen zweiten Heinrich, der möglicher Weile den Titel eined Her- 
3098 führen konnte, — joferne er nämlih um die angegebene Zeit noch 
lebte — ich meine den und urkundlich befannten Vater des Älteren Conrad. 
In der That muß man, im Angefiht gewichtiger Thatſachen, eben diejen 
Heinrih für denjenigen erklären, der mit Pfalzgraf Ezzo und mit dem 
Grafen Dtto jened Lehen empfing Nachdem der kaiſerliche Capellan 
Wippo die Erwählung Eonrads zum Rachfolger des SKaiferd Heinrich LI. 
berichtet hat, ruft?) er aus: „Fürwahr ein Werk befonderer göttlicher 
Fürſehung war «6, daß ſo viele mächtige Herzoge und Markgrafen fich die 
Erhebung eined Herrichers gefallen ließen, welcher, ob er gleih an Glanz 
ver Geburt, an Fähigkeit und auch an Allod hinter Keinem zurüdftand, 
doch im Bergleih mit jenen Andern, vom Staate nur wenig Lehen 
befaß.“ Alſo Conrad IL. trug Lehen, aber nur wenige, und zwar muß 
er nothwendig diefe wenigen zwilchen 1019 und 1024 von Kaijer Heinrich U. 
erlangt haben; denn bis 1019 Ichte er mit dem herrſchenden Haufe in 
Unfrieden, aber nachher wandte ihm Heinrich IL. feine Gunft zu. Kurz 
mit fiegender Gewalt zwingen unabweisbare Gründe zu der Annahme, 
daß der in beiden Erlaffen von 1023 aufgeführte Herzog Heinrih der 
Bater des Salierd Conrad war. | 

Gar Feine Kunde vom Lebend-Ende diefed vornehmen Herm ift auf 
und gefommen. Im Fulder Todtenbuche‘) wird zum Jahre 989 ein Herzog 
Heinrich als geftorben erwähnt. Viele Neuere nahmen an, daß biejer 
Todte der Sohn des Kärnthners Dito und Vater Conrad's jei, allein ohne 
Grund; denn nicht nur fommt er in der Urkunde’) vom Ende Sept. 989 
neben feinem Pater und feinen Brüdern als ein Lebender zum Vorſchein, 
iondern er konnte auch damals noch nicht den herzoglicen Titel führen, 
da fein Vater bis zu Ende des Jahr 1004 Kärnthen verwaltet hat. 


— 





ı) Gfroͤrer, K. ©. IV, 36. 2) Ibid. 69. *) Ibid. ©. 108. *) Berk XI, 208. 
) Berk XI, 259. *) Leibnitz, script. bransvic. III, 765. ?) Siehe oben ©. 251. 


268 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


Andererfeitd mag freilich nicht geläugnet werben, daß Heinrich's Gen 
etwa feit dem Anfang des 11. Jahrhunderts nicht mehr mit ihm, je 
mit einem unbekannten Anvern lebte, und mit Leßterem Kinder 3 
Allein diefe Tihatfache beweist Feineswegs, daß Adelheid Wittwe, nod 
Heinrih, Otto's Eohn, geftorben war. Merkwürdige Sittenlofigfeit hei 
damald in den großen Häufern Germaniene. 

Biihof Thietmar von Merfeburg, welcher den 1. Dez. 1018 ft 
fchreibt”) am Ente feiner Ehronif, die er faft bis zu den lepten - 
feines Lebens fortfegte: „eine Unzüchtigfeit ift bei und eingerifien, die 
Maaß überfteigt: Zeuge dafür die unzählbare Menge verführter . 
frauen, und die wilde Luſt gewifler vornehmer Damen, die währen 
angetraute Mann noch lebt, ungefcheut mit Andern zu halten. Unt 
genügt den Sünderinnen noch nicht: Beiſpiele find vorhanten, daß 
Frauen den Ehemann nicht bloß verfchmähen, ſondern dem mörbeı 
Dolche des Buhlen überliefern, und nachher den ſüßen Jaſon bein 
Andere verlafien ihren Gatten, und reichen irgend einem jeiner Sol 
der ihnen befjer gefällt, die Hand. Weil diefe Greuel nicht beftraft wi 
wähst das Uebel von Tag zu Tag. O ihr Bilchöfe erhebt end 
männlihem Muthe, und fchneidet das Krebsgeſchwür mit heilendem 
aus! Ihr Laien aber unterlaflet es, den Eündern Schutz zu gemäf 
Alfo Fälle, und zwar häufige Bälle, kamen damals in den Kreifen vo 
man jeßt die vornehme Welt nennt, daß Frauen im Einverſtändni 
den Buhlen den eigenen Gatten an's Meffer Tieferten. Andere hinwiet 
liefen ihren Ehemännern davon und heiratheten irgend einen fchönen 
daten. Das cerfte Glied weist meined Erachtens auf Dinge hin, wı 
welche 1015 am herzoglichen Hofe von Schwaben vorgiengen, das ; 
geißelt Beifpiele wie das, welches Avelheid, die Gemahlin des © 
Heinrich, gab. 

Wirklich wiffen wir von eben dieſem Heinrich gar Nichts, als ii 
geboren ward, in den Stand der heiligen Ehe trat, einen Sohn zeugt 
zulegt den Weg alles Rletiched wandelte. Denn nur ald Sohn, als 
mann, ald Vater, wird er erwähnt, und das erfte und einzige Mal 
es, daß er 1023 eine politiihe Rolle jpielte; aber wohlverftanven, 
diefe Role ſpielte er nicht als ſelbſtſtändiger Dann, fondern als & 
büßer jeined Sohnes Conrad. Ich fchließe aus al’ dem, daß er eir 
ichläfriger und unbeveutender Herr geweien fein muß. Wenn babe 
feurige Richte der raufluftigen Grafen Adalbert und Gerhard von ihm 
lief, und irgend einen hübfchen Ritter zum Manne nahm, fo erfcheint fı 


— — — —— — — 


') Pertz IIL 727 oben. !) Ibid. 861. 


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— Getiar =; 3m = o - m — — mes 
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wagte, io eiwas ın Anregung zu dringen. mu Dem kallen Ben adden 
haben, wären tie trei Geichlectter, weiße mu dem lauerliden War Ih 
verikwägerten, nicht das geweien, wad man beutzutage „edenditingn“ vennt 


Dieie Ebenbürtigkeit will ih jchließlich deweijen. An dem alte DIN 


270 Pabſt Gregorius VII. nnd fein Zeitalter. 


da er fih anfcidt, die Anfänge des fächfiichen Haufe® zu erzählen, fügt‘) 
Abt Ekkehard von Herzogen-Aurach nachſtehende Bemerkung in feine Ehronit 
ein: „fintemalen nach dem Ausiterben des karlingiihen Mannſtammes durch 
König Heinrih I. die Herrihaft an die Sachſen gelangte, halte ich es für 
geeignet, Einiges über die Geichlechtsregifter zu jagen.” Yolgen nun vier, 
die Karlinger betreffende Verſe, welche die Herrlichkeit de® großen Karol 
feiern und dann melden, daß, nachdem fein Mannsſtamm erlofchen, von 
der Kunfel-Seite der erfte Conrad eingetreten jei. Weiter bringt er brei 
Berfe über das fächftihe Haus, weldye andeuten, daß dieſes noch fhneller, 
ald das Karlingiihe, zu Ende gieng. Dann kommen zwei Berfe?) über 
den neuen Königsſtamm, welchen Conrad, Hezild Sohn, von Worms zeugte. 
Jetzo begründet ein drittes Geſchlecht der Salier Konrad, 
Heute noch dauert es fort, wenn nicht noch Schlimmere® fömmt. 

Diefe Verſe find gefchrieben zu einer Zeit, da die Macht der Nachfolger 
Conrads II. noch nicht völlig erfchüttert war, aber auch da das Haus die 
Achtung der Menſchen verloren hatte; ich denke zwilchen 1073 und 1085 
vor dem Tode Gregors VL 

Alſo Schon im 11. Jahrhundert nannte man das Geſchlecht Conrads 
I. ein ſaliſches. Was verftanden die Zeitgenoffen, d. 5. wohlnnter: 
richtete Deutihe des 11. und 12. Jahrhunderts, unter dem Worte? Die 
Antwort giebt?) Biſchof Dtto von Freiſing: „vie alleredelften unter ven 
Franken werden Calier genannt." Wer aber im Sinne unferer Vorfahren 
das Merkmal allereveliten Blutd verdiente, der mußte von Königen und 
Nolfshäuptern bis hinauf in die Zeiten Wodans abftammen. Auch biefe 
Cap fann mit einem gleichzeitigen Zengniffe belegt werden. Den Adel des 
Haujed Egisheim preijend, zählt Capellan Wippo, wie id oben*) gezeigt 
habe, unter die Ahnen defjelben die alten Trojer-Slönige, über deren Haupt 
Remigius von Rheims, der Befenner, das Taufwafler goß, alſo fprecdend: 
„ftolger Sifamber, beuge deinen Naden unter das Joch Ehrifti.* 

Zwifchen den Zrojerfönigen und der Herrſchaft Conrads IL. Tage 
außer den Jächfifchen Dttonen, die Merowinger und die Karlinger Kranciene. 
Indem das Geſchlecht Conrads II. für ein ſaliſches erflärt wird, hieß dich 
fo viel als dafjelbe zähle wenigftend nad der Kunkel⸗Seite die Karlinger 
und die Meromwinger unter feine Ahnen. Nun das war, bezüglich des rothen 
Eonrads und feiner Nachkommen, buchftäblih der Fall. Conrad, Gemahl 
der ſächſiſchen Königstochter Liutgard, ftammte mütterliher Seite von dem 


— — — — — 


) Pertz VI, 175. 
2) Rex oritur salicus Conradus nomine dictas, 
Si non in pejus, perdurat adhuc genus ejus. 
2) Chronic. IV, 32: nobilissimi Francorum, qui Salici dicuntur. ı) ©. 255. 


Erſtes Bud. Gap. 7. Die vier falifchen Hänfer aus Franken. 971 


deutichen Könige Conrad I. ab, der den 23. Dec. 918 ftarb. Eben biefer 
König aber hieng, laut deutlichen Stellen von Urkunden, nah der Kunfel- 
Ceite mit den Karlingern und demgemäß auch — nämlich im Sinne des 
Mittelalterd — mit den Meromwingern und den TrojersKönigen zufammen. 
Folglich gehörte der Wormjer Conrad dem allerevelften Blute der Franken 
an, und verdiente den Ehrennamen Saller. 

Aber warum nannte man die Sproſſen dieſes Geſchlechtô, oder viel⸗ 
mehr, wie fich fogleih ergeben wird, dieſer Geſchlechter nicht lieber Kar- 
linger? Darum nicht, weil dad Wort durd die Erbärmlichkeit der fpäteren 
Nachkommen des großen Karol einen verädhtlihen Nebenbegriff erhalten 
hatte. Etliche Beiipiele, die ſolches beweilen, find früher‘) angeführt worden. 
Ih will nody einige beifügen: die Chronif von Kammerich fhreibt:?) „Bis 
ſchof Johann hat (um 868) das Klofter Lobbed von dem begehrlichen, 
unrubhigen Wejen der Karlenfer befreit.” Der Mönh von St. Gallen 
meldet’) zum Jahre 978: „Kaiſer Dtto IL ift mit Heeresmacht wider bie 
Garlenjer. zu Felde gezogen.” In der Würzburger Ehronif heißt!) es zum 
Jahre 1036: „Dtto (von Champagne), Fürft der Carlinger, warb von Her: 
zog Gozelo in offener Feldſchlacht beflegt, und auf ver Flucht getödtet.“ 
Bei Gelegenheiten, wo die Nachbarn über dem Rheine drüben Echläge und 
Nippenftöße empfingen, behagte es unfern Borfahrern, von Garlingern zu 
reden. Natürlich! ein ſolches Wort taugte nicht mehr, um den höchſten 
Adel des Bluts zu bezeichnen, man brauchte daher den Ausdrud Salier, 
ter an ein unvergänglihes Denkmal, auf das unjere Vorfahren — und 
nicht ohne Grund — ftolz waren, an das jalifche Gefeh, erinnerte. 

Nun weiter: außer dem von Wormd beftanden im 10. und 11. Jahr: 
hundert noch drei andere ſaliſche Häufer, und zwar erftlih dad Luxembur⸗ 
giiche, von Siegfried gegründete. Ein fonft unbekannter Mönd, welcher 
gegen Ende des 12. Jahrhunderts das Leben des Kaiſer Heinrih IL ber 
fchrieb, nennt’) den erften Ruremburger Grafen Sigifrid, ja auch deſſen 
Gemahlin Hedwig „Eprofjen des Geſchlechts der alten Könige und Kaifer.“ 
Folglich müfjen fie im Sinne ded Mittelalters Salier gewejen fein. In 
der That bezeichnet der Möndh von Weingarten dad Haus Sigifrieds als 
ein ſaliſches; denn die Ehe jchilvernd, welche Welf von Ravensburg mit 
Imiga, der Nichte unferer Kaiferin Kunigunde, ſchloß, jagt‘) er: „Welf 
führte eine Tochter aus ſaliſchem Blut, Imita, als feine Gattin nad) 


— — — — — — 


) Oben ©. 126. ?) Pert VII, 421 Mitte: ab inquietudine Karlensium libera- 
vit. &8 liegt etwas Tanzmeifterartiges in dem Begriffe. °) Per I, 98 unten. *) Perg 
II, 243. *) Berk IV, 817 Mitte: ambo de nobilissima descendentes Augustorum 
prosapia. %) Heß, monum. guelf. ©. 12. Guelfo uxorem duzxit de gente salica 


272 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


Haufe." Endlich befiten wir einen vor der Mitte des 11. Jahrhunderts 
verfaßten Stammbaum, ‘) welder nicht nur die Katjerin Kunigunde, fondern 
auch ihren Vater Eigifried unter die jpäteren Garlinger reiht, und Abt 
Ekkehard hat eben dieſen Etammbaum ald etwas Erprobtes, Glaubwürdi⸗ 
ges, in feine Chronif aufgenommen. ?) 

Eowohl Effehard, ald der Verfafler des Etammbaumd, und der un 
befannte Biograph haben Recht. Wie oben urkundlich nachgewieſen wor: 
den, ftammte der Luremburger Sigfried mütterliher Seitd von dem Eon 
radiner Eberhard, dem legten Herzoge der deutſchen Franken, alfo im Sinne 
des Mittelalters zugleih von den Carlingern und Merowingern ab; fein 
Geſchlecht reichte demnach bis in die Zeiten Odins und der ſaliſchen Bolfe 
häupter hinauf, die aus den Händen des heil. Remigiud von Rheims bie 
Taufe empfingen. 

Das dritte faliihe Haus war das pfalggräflihe von Aachen; denn 
Ezzo, der Sohn Hermanns, ift ja der Verfchwägerung mit den Dttonen 
gewürdigt worden. An einem beftimmten Zeugnifle, daß Ezzo's Vater dem 
fonradinischen Etamme angehörte, fehlt es; dennoch jpricht hohe Wahrſchein⸗ 
lichkeit dafür. Der Mönch von Braunmweiler, Hauptzeuge über die Gr 
ſchichte der Ezzoniden, berichtet:”) Ego, der Gemahl Mathildens, habe 80 
Lebensjahre gezählt, ald er im Mai 1034 ftarb. Er ift aljo um 954 ge 
boren worden und folglih war fein Bater Herrmann um die Mitte des 
10. Zahrhundertd ein gemachter Mann. Nun gibt e8 alte Zujäge zu dem 
Büchlein ded Braunweiler Mönche, in welchen es unter Anderem heißt:) 
„der hochadelige Held Herrmann, Pfalzgraf, mit dem Beinamen des Klei⸗ 
nen, genoß hervorragendes Anjehen unter den Großen des durchlauchtigften 
Kaiſers Dttv J., und ftand ihm in den Geſchäften des Reichs mit Rath 
und That bei; namentlih hat er in der Schlacht gegen das wilde Boll 
der Ungarn fid, rühmlich ausgezeichnet.“ 

Unter der Ungarnſchlacht verftand man den Kampf auf dem Lechfeld im 
Sabre 955: fie ift ohne Zweifel gemeint. In eben diefer Schlacht befeh— 
ligte, laut Widukinds Zeugniffe,”) den Heerhaufen der Franken Comad, 
der vor einigen Jahren abgefegte Herzog von Lothringen. Herrmann, der 
nachmalige Pfalzgraf, hat demnach mit ihm, wahrſcheinlich fogar unter ihm 
gedient. Auch Urfunden erwähnen ihn: durch Erlag‘) vom Jahre 945 
gab König Dtto I. die Servatius Abtei zu Maftriht an den Trierer 
Stuhl zurüd. Laut feinen eigenen Worten hat der König dieſen Beſchluß 
gefaßt „auf Yürbitte der Großen unfered Reiches, nämlid des Mainzer 
Erzbiſchofs Friederich, dann unferes Bruders Heinrih (der furz darauf die 


nn — —— — 


1) Berg IL, 314. 2) Berk VI, 176 oben. 3) Berg XI, 403. 5) Ibie. €. 
407. ®) Berg UI, 458. 6) Hontheim, histor. diplom. trevir I, 282. 


Erſtes Buch. Gap. 7. Die vier falifchen Häufer aus Franken. 273 


hne Baiern erhielt), und drittens des Grafen Herimann.“ Wahrlich, 
terer muß ein vornehmer Herr geweſen fein, und die Stellung, welde 
in beſagter Urfunde einnimmt, ftimmt trefflic zu der Schilderung, welche 
Zujüge von dem Einfluffe ded hochadeligen Herrmann entwerfen. 

Eine Urkunde) vom Jahre 970 führt Herrmann als Grafen im 
nngaue, zwei weitere?) aus den Jahren 975 und 978 führen ihn ale 
rafen im Eifelgaue auf, und faum fann ein Zweifel obwalten, daß in 
en drei Büllen der nachmalige Pfalzgraf gemeint ift; denn im Sahre 
20 verwaltet?) den Bonngau, offenbar ald Erbe feines Vaters, Ezzo 
r Pfalzgraf. Berner neben Herrmann verwendete Kaijer Dtto I. vor 
zs8weiſe Conradiner in Lotharingien. Im Jahre 943 beftellte er Konrad 
1 Rothen zum Herzoge dieſes Landes, furz darauf mußten ebendafelbft 
ne Bettern aus Gebehards Stamme, Herrmann IL feit 926 Herzog 
n Echwaben, und defien Bruder Udo, Graf in der Wetterau, militärifche 
ilfe leiten.) Zum Lohne für diefe Dienfte empfing Herzog Herrmann 
: Abtei Epternach, welche dann nad) feinem Tode der Quremburger Ahn⸗ 
m Eigifried, wie wir wiſſen, gleichfalls cin conradinifcher Stammſippe, 
hielt.°) Endlich nachdem Graf Herrmann um 989 fih zur Würde eines 
falzgrafen emporgearbeitet hatte, wird er durch die Urfunde®) vom 29. 
ept. des genannten Jahres mit dem Färnthnifchen Herzoge Dtto und deffen 
öhnen vergeftalt zufammengereiht, daß man auf nahe Verwanbtfchaft zwi⸗ 
on Beiden jchließen muß. Kurz wenn innere Gründe irgend Gewicht 
ben, kann faliihe Abftammung der Ezzoniden faum in Abrede gezogen 
den. 

ALS viertes ſaliſches Haus bezeichnet Kapelan Wippo, fraft der früher 
tgetheilten Worte, dad von Egisheim. Ein anderer Zeitgenoffe, Wibert, 
r ald Augenzeuge eine Gejchichte des Pabſts Leo IX. verfaßte und nirgends 
efanntichaft mit dem Buche des Erfteren verräth, ſondern jelbftändig fchrieb, 
mmt vollfommen mit der Ausfage Wippo's überein. Er beginnt die 
iographie des Pabſtes mit dem Sage:”) „Bruno ftammte von Ahnen ab, 
e, ſo weit unfere Kunde zurüdreicht, jei cd in der Staatöverwaltung, jet 
; in der Kirche, ftetS die höchiten Aemter befleidet haben und die nächſte 
tele nad Kaifern und Königen einnahmen.“ Erwägt man nod die 
vermeßlichen Anftrengungen, welde, wie fih aus dem Verlaufe vorliegens 
n Werks ergeben wird, die Gregorianer gemacht haben, um den Egiöhets 


1) Lacomblet I, 66 unten. 2) Hontheim a. a. O. I, 318. 319. ') Lacom- 
et 1, 97. *%) Bere III, 390 u. 393. 6) Die Belege zufammengeftellt in den 
ihrbüchern des deutſchen Reichs I, b. ©. 101 fig. 6) Cod. lauresheim I, 141. 
iehe oben ©. 251. ?) Mabillon acta Sanctor. Ord. S.B. VI, b. ©. 52 (Venetia⸗ 
r Ausgabe). 

Gfrörer, Pabſt Sregorius vir. Wb. 1. 18 


274 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalier. 


mer Grafen Bruno auf Petri Stuhl zu erheben, fo kann fein Zweifel fein, daß 
ihre Abfiht dahin ging, dem Salier Henri III., der die deutſche Krone 
trug, einen andern Salier als Petri Statthalter entgegen zu ftellen. Ich 
halte die Angaben Wippo's und Wiberts für wahr, obgleich ich einen 
farolingiichen Urfprung des Haufes Egiebeim im Einzelnen nicht nachzu⸗ 
weijen vermag. 

Die deutihe Reichsgeſchichte empfängt durch die hier zum erſtenmale 
entwickelte Thatſache des Beſtands mehrerer ſaliſchen Häufer neues, über 
raſchendes Licht. Um ſo dringender iſt die Pflicht, die Sache nach allen 
Seiten aufzuhellen. Ich berufe mich noch auf das beſte epiſche Gedicht 
des deutſchen Mittelalters. Das Niebelungenlied, deſſen Spuren wir theild 
ſchon begegnet find, theil® noch jpäter begegnen werden, umfaßt, bezüglid 
der Quellen, aus welchen der Dichter jchöpfte, zwei Haupttheile, die wohl 
unterfchieden werden müflen, einen rheinifchen und einen danubiichen. Der 
erfte ift wirre, mengt Zeiten und Dertlichfeiten bunt durch einander, ſchwebt 
in den Lüften; aber der zweite bewegt fi) in der Wirklichkeit, zehrt von 
lebendigen Erinnerungen der Thaten, welde die audgezeichneten Eolvaten 
verrichtet haben, die in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts dem 
Reiche germanifcher Nation die ſchöne Oftmarfe an der mittleren Donau 
erwarben. 

Drei Könige thronen am Rheine und zwar zu Worms. Diefelben 
* werden genannt Herren des Landes zu Burgund. Wo findet fidh in ge 
fhichtlihen Quellen irgend Kunde von einem Königsftuhle, der zu Worms 
ftand, oder von einem Burgunderreiche, das bis an den Mittelrhein reichte! 
Und doch muß man vernünftiger Weiſe annehmen, daß der Dichter nicht 
ganz in’d Blaue hinein Worms zum Sitze eined Königthums malte. 
Meine Anficht ift: eine trübe Sage ſchwebte ihm vor, daß zu Worms eink 
ein Herrengeſchlecht hauste, welches Anſprüche auf Burgund, und nicht nur 
auf diejed Land, jondern auf Germanien bejaß. In das Wormſer König 
haus heirathet ferner der Niederländer Sigifried aus Xanten: auch hierin 
ſehe ich eine dunkle Weberlieferung verwandtichaftliher Bande zwiſchen ben 
Saliern von Worms und den beiden Gejdhlechtern des Luremburgers Sigi⸗ 
fried und der Ezzoniden von Aachen. Die Stadt Zanten ging‘) 1116 in 
den Befig der Abtei Siegburg über, welche Hanno von Eöln 1064 auf 
den Trümmern des Raubichloffes gegründet hat, von dem herab der 
wilde Pfalzgraf Heinrich längere Zeit die Geißel des Niederrheind war. 
Wie viel wird man über dieſe Drte gefabelt haben! 

Sreilih reihen fih um den winzigen hiſtoriſchen Kern alle möglide 
andere Sagen, nordiſche und merowingiiche; aber daß der burgundiſche 


*) Lacomblet I, Nr. 280 u. 290, 


Erſtes Buch. Gap. 7. Die vier falifchen Gäufer aus Franken. 2735 


‚hron von Worms aus allerdings dunfeln Erinnerungen falifcher Gefchichte 
mporiproßte, fcheint mir unbeftreitbar. 

Kehren wir zur Erhebung Conrad's II. auf den deutfhen Thron zus 
hf. Wippo berichtet!) von geheimen Verhandlungen, die vor dem Wahl: 
fte vom September 1024 zwiſchen den beiden Conraden ftattfanden. Wer 
rd zweifeln, daß der Jüngere für den Ball feines Unterliegens fi von 
em Älteren Better Wiedereinfegung in das Herzogthum feines Waters, 
. 5b. in Kämtben, ausbedungen hat. Aber Conrad II. hielt, nachdem er 
en Thron beftiegen, fein Wort nicht: vielleicht konnte er daſſelbe nicht 
alten, weil ed gefährlich gewejen wäre, den Eppefteiner Adalbero, ber 
it 1012 das Herzogthum Kärnthen befaß, ohne Weiteres aus dem Lehen 
a vertreiben. Aus Race machte deßhalb der jüngere Conrad mit andern 
zufriedenen Großen fo lange Parthei, bie ſich Conrad II., der indeß 
taifer geworden war, zur Abfebung Adalbero's entihloß und das erledigte 
eben dem Better überließ.?) Lebtered geſchah im Jahr 1036. 

Drei Jahre fpäter — 1039 — ftarb’) der jüngere Conrad kinderlos. 
Beder eine Gemahlin noch Söhne oder Töchter defjelben werben erwähnt. 
der Mannsftamm des jüngeren Zweige der Conradiner Kärnthens war 
rloſchen. Gleichwohl muß der Kämthner Conrad eine Schwefter hinter 
Men haben, die mit einem Sproffen aus dem pfalggräflihen Haufe von 
lachen vermählt war. Denn nicht nur Anſprüche, welche die Ezzoniden auf 
kaͤrnthens Fahne ‘erhoben, ſondern auch andere Thatfachen mehr, von denen 
päter die Rede fein wird, möthigen zu der Annahme, daß eine Erbtochter 
er jüngeren Kärnthner Linie einen Ezzoniden geehliht hat. 

Gleichwie die Ottonen und auch Heinrih II. regen Argwohn gegen 
ie faliihen Häufer an den Tag legten, ihre Sprofjen bald durch Künfte 
er Schmeichelei oder Bande der Verwandtichaft zu verftriden, bald wieder 
ewaltjam niederzuhalten fuchten, fo haben es auch die Salier von Worms, 
achdem fie fi der Herrihaft bemäctigt hatten, den noch übrigen ebens 
ürtigen Geſchlechtern gemacht. Der Mönd von Braunweller fagt!) mit 
ürten Worten, daß Raiſer Heinrih IL. den bairischen Herzog Cuno aus 
em pfalsgräflihen Haufe von Tomberg durd Gift aus der Welt ſchaffte. 
ticht viel beffer erging e8 dem Stammfippen des Vergifteten, dem füngern 
ſuno. Und wenn die Kaiferin Wittwe Agnes den Bruder des Lepteren, 
Jeinrih, nachdem fie ihm vorher ald Werkzeug der Rache wider den Erz 
ifhof Hanno von Eöln in Bewegung gefegt hatte, zum Wahnfinn trieb, 
» nahm fie hiebei nur das Berfahren ihres Gemahld wieder auf. Auch 
wiſchen den Luremburgern und dem kaiferlichen Hofe herrichte bitterer Groll: 


) Berg XI, 258 fig. 3) Ibid. ©. 264. 266. 267., dann Berg V, 122. 
) Did. ©. 123. *) Pertz XI, 399 oben. 
18° 


976 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


doch waren Jene fchlauer als die Tomberger und nahmen ihren Zortheil 
beifer wahr. Wie ich unten zeigen werde, hat fi ein Luremburger im 
Jahre 1080 zum Gegenfönig wider Heinrih IV. aufgeworfen. 

Trop der großen Anftrengungen, welche die Biſchöfe von Worms 
machten, um fi der überläjtigen Nähe des längere Zeit in ihren Mauern 
wohnenden herzoglichen Stamms zu erwehren, gelang ihnen dieß nie ganz. 
Glüdliher waren die Metropoliten von Mainz. Wie ich früher‘) zeigte, 
befaß noh im Jahre 956 Conrad's des Rothen Sohn, Otto, der nad- 
malige Herzog von Kärnthen, als Erbe feines Vaters, das Comitat des 
Nahgau's, in welden die Metropole Mainz lag. Aber weder Otto nöd 
auch feine Nahfommen haben dieſes Comitat behaupte. Denn feit 961 
fommt im Nahgau urfundlih 9 ein gräfliches Gefchleht zum Vorſchein, 
deſſen Häupter anderthalb Jahrhunderte lang Emicho heißen, fpäter ven 
Burgnamen von Beldenz fid) beilegen.) Warum find nun die Emicho au 
die Stelle der Conrade getreten? ohne Zweifel deßhalb, weil die Mainzer 
Erzbijchöfe das Menjchenmögliche thaten, um zu verhindern, daß ein über 
mächtige Geichledht vor ihren Thoren fefte Wurzeln treibe. Sie had 
die Ichlimmen Erfahrungen, welde ihre Suffragane zu Worms und ESpeier 
machten, wohl beherzigt. 

Lange Zeit wucjen auf dem Boden ded Mainzer Hochftiftd Feine 
weltliben Großvaſallen zu geführliher Macht empor, jedoch mit Ausnahme 
eined einzigen, ven aber die Erzbiichöfe urfprünglih als ihren Amtmann 
nach dem öjtlichen Sranfen ausfandten. Dagegen gediehen in dem Theile 
des Trierer Eprengeld, der, dieſſeits des Nheinftromes gelegen, ein Etüd 
von Teutoniſch-Francien bildete, mehrere Herrengefchlechter, zu denen wir 
und jet wenden. 


Achtes Capitel. 


Der Gleiberg'ſche Zweig des Luremburger Stammes. Die Häufer Arnſtein, Lurenbutg⸗ 
Naſſau. Die Giſonen und Werner in Heilen. Die landgraͤfliche Dynaſtie von The 
ringen. Die Grafen von Komburg. 


Ehronift Berthold von Eonftanz berichtet”) zum Jahre 1059: „Friede⸗ 
rih und feine Brüder von Gleiberg empörten ſich wider König Heinrich IV. 
wurden aber bald zur Unterwerfung genöthigt.” Unweit der heutigen Stadt 
Gießen erheben fih auf dem rechten Ufer der Lahn drei Berge: der Gleis 
berg (in älteren Urkunden gewöhnlich Gliperg oder Glizberg gefchrieben), 
der Voizberg und der Wedenberg. Der erftere war ſeit alten Zciten von 


ı) Oben ©. 248. ?°) Hontheim, histor. diplom. trevir. I, 292. Vgl. mit ibid. 304. 
Die weiteren Belege in den acta Theodoro-Palatina II, 252 flg. 2) Berg V, 271. 


Erfted Bud. Gap. 8. Größere Dynaſten in Franfen. 277 


einem Schloſſe gefrönt, das erft 1645 zerftört worden fl.) Aus dem 
mächtigen Geſchlechte, das oben ſaß, hat Welf von Ravensburg, der 1030 
ftarb, eine Tochter, Imiza, geehliht, und aus Anlaß eben diefer Verbin: 
dung geichah es, daß der Möndy von Weingarten, wie ich früher zeigte, ?) 
die Gleiberger Braut als eine Ealierin und als eine Schwefter der Her: 
zoge Heinrich von Baiern und Friederich von Lothringen bezeichnet. Wir 
fennen ihren Stammbaum ’) und wiffen bereitö, wie der Ahnherr des 
Luremburger Haufed zu den urſprünglich conradinishen Befigungen in Hefjen 
gelangte. 

Don allen Söhnen Sigifrieds hat nur der eine, Friederih, Imiza's 
Bater, geheirathet. Deutet diefe Thatfache nicht auf eine Familienüberein- 
kunft hin, welche der unaußsbleiblichen Folge vieler Ehen, der Zerfplitterung 
des Haudguts, vorbeugen follte! Friederich, welcher 1019 ftarb,*) hinterließ 
-ußer Imiza folgende Kinder: Heinrih, den der Salier Heinrich III. 1042 
nit Baiernd Fahne belehnte; ) Friederich, den ebenderſelbe 1046 zum Her» 
joge von Brabant erhob;°) Adalbero, der 1047 auf den Stuhl von Meg 
befördert ward, fammt drei andern, Herrmann, Gifelbert und Dieterich. 
Bon Lesteren dreien haben wir früher den einen, Herrmann, als Nadyfolger 
des wahnfinnigen Heinrih im rheinischen Palatinat fennen gelernt. ”) 

Während die übrigen unvermählt blieben, pflanzten die beiden Brüder 
Giſelbert und Theoverih®) das Gefchlecht fort. Gifelbert, welcher bei ber 
Erbtheilung Luremburg erhielt, und noch die Herrihaft Salm dazu erwarb 
— weßhalb er au den Titel eined Grafen von Salm führt?) — zeugte 
zwei Söhne, Conrad, der mit Quremburg ausgeftattet ward, ‘%) und Herimann, 
ber fih 1080 zum Gegenfönige wider Heinrih IV. aufwarf,'') aber nad 
furzer Zeit wieder abdanfen mußte und in einem Gefechte 1087 erfchlagen 
wurde.!) Theoderich, der andere verheirathete Bruder Gifelberts, war 
aller Wahrjcheinlichfeit nad) Vater!’) eines Sohnes Herrmann, der in Ur- 
funden‘'*) und Ehronifen‘’) den Titel eined Grafen von Gleiberg empfängt, 
bei Ausbruch des Bürgerfriegs ſich an die Hofparthei anfchloß, dem Salier 
Heinrich IV. wejentlihe Dienfte ald Soldat leiftete und fein volles Vertrauen 
genoß.‘°) Sein Todegjahr ift nicht befannt, wohl aber, daß er Söhne 
hinterließ, auf welche die Herrſchaft Gleiberg forterbte. 

Ueber Urſache und Berlauf der Empörung im Jahre 1059, von der 
wir oben audgingen, fehlt es an Nachrichten. Der Gleiberger Friederich, 


1) Wend, heſſ. Landesgefchichte III, 165. 2) Dben ©. 271. 3) Daf. ©. 117. 
%) Berk III, 84. °) Gfrörer, K. ©. IV, 414. 6) Daf. ©. 416. ?) Oben 
©. 101. ®) Die Belege bei Wend a. a. DO. II, 207. ®?) Hontheim, hist. trevir. 
diplom. I, 367 und Perg IX, 318. 10) Wenck a. a. O. IIL 229. 1) Berg I, 
100. 1?) Berg VL, 724. 13) MWend a. a. O. UI, 217 fig. 20) Ibid. 
15) Berk V, 227 u. 232. 





278 Pabſt Sregorius VIL. und fein Seitaller. 


den Ehronift Berthold an die Spige ftellt, war ohne Frage damals Herzog 
in Brabant. Da fih um jene Zeit Godfried von Lothringen-Ganofja, der 
dem Gleiberger hatte weichen müffen, dem deutſchen Hofe näherte, ſcheint 
ed glaublih, daß Srieverih darum zu den Waffen griff, weil er von dem 
Lothringer verbrängt zu werben fürchtete. Doc kann ich die Gründe dieſer 
Bermuthung erft an einem andern Drte entwideln. 


Pie Grafen von Arnfein und Surenburg. 


In derfelben Gegend, wo die Gleiberge faßen, das Heißt in dem 
dieffeitd des Rheins gelegenen Theile des Trierer Hochftifts, erſtanden zwei 
Häufer, deren Ahnen zwar in den Quellen der ſaliſchen Zeiten entweber 
gar nicht, oder doch nur zerftreut erwähnt werben, die aber doch erweislid 
damals ihren Anfang nahmen. Beide hängen enge zujammen, und bas 
eine derſelben verdient befondere Beachtung, theild weil aus feiner Geſchichte 
erhellt, vaß es im 11. und 12. Jahrhundert für ein unſchätzbares, mit jegs 
lihem Mittel erftrebtes, Gut galt, fich falifchen Urfprunges rühmen zu kön 
nen; theild weil dieſes Haus noch vor Ende des 13. Jahrhunderts dem 
deutſchen Reiche einen König gab. 

Im Jahre 1139 gründete Graf Ludwig mit feiner Gemahlin Guda 
auf dem bisherigen Stamnfige Arnftein, von dem er den Titel führte, ein 
PBrämonftratenfersKlofter, deſſen Stiftung fofort durch Pabſt Innocenz IL 
fraft Bulle vom 21. Sept. 1142, und durch König Conrad IIL kraft Ur 
funde vom Jahre 1146 beftätigt ward.‘) Ein Mönch eben dieſes Kloſters 
verfaßte gegen Ende des 12. Jahrhunderts ein Büchlein,?) in welchem er 
die Geſchichte theild der Abtei, theild des gräflichen Haufes Arnſtein bes 
ſchreibt. Derſelbe beginnt mit dem gleichnamigen Vater des Stifters, ber, 
wie der Sohn, Ludwig hieß und auf der Burg Arnftein ſaß. „Dice 
Burg,” fagt er, „liegt drei Meilen weftlih vom Rheine an ver Lahn auf 
der Spige eined Bergs, und war ausgezeichnet feft, nur ein einziger enger 
Fußpfad führte hinauf, den man mit eifernen Gittern verrammeln Tonnte." 
Der Mönch preist den Glanz des Haufes, weldhem Graf Ludwig, der Vater 
bes Stifterd, angehörte, indem er bemerkt, Ludwig habe eine Reihe glän 
zender Ahnen gezählt. 

Wer waren nun diefe Ahnen, und um welche Zeit lebte Ludwig, des 
Stifterd Vater? Der Mönch felbft gibt mit Ausnahme der Jahre, in welde 
die Gründung des Klofterd und dann der Tod des Stifters fällt, Teine 
andere Zeitbeflimmung. Die nöthigen Aufihlüffe müflen daher anverswe 


*) Beide Urkunden bei Kremer, origines. nassoicae II, 164 Rr. 104 u. 105. 3 üb 
gebrudt daf. ©. 362 flg. Nunmehr auch bei Böhmer, fontes II, 326 fig. 


Erſtes Buch] Cap. 8. Größere Dynaften in Franken. 279 


gefucht werben. Kraft Urfunde‘) vom Jahre 1034 fchenfte der Wormfer 
Btichof Azecho feinem Stifte ein von ihm felbft erworbenes Gut zu Naffau, 
gelegen im Lahngau, in dem Comitate der Grafen Wigger und Arnold. 
Da Wigger und Arnold nur ein Comitat inne haben, fleht die Sade fo 
aus, als jeien fie Brüder geweſen. Sodann muß bemerft werben, daß 
Naſſau in der Nähe des Schlofies Armftein liegt. Graf Amold kommt 
noch weiter vor. In einer zweiten Urkunde?) vom Jahre 1052 ift er als 
Zeuge mit den Worten unterfchrieben, Arnold von Arnftein. Er faß aljo 
auf derjelben Burg, die hundert Jahre fpäter zum Klofter eingerichtet warb. 
Ueber den Umfang feiner Grafſchaft gibt eine dritte Urkunde‘) vom Jahre 
1050 Befcheid, in welcher angegeben ift, daß das Dorf Camb in der 
Grafſchaft Arnolds, in dem Einrihgau, liege. Daffelbe Dorf Camb aber 
und derfelbe Einrichgau erfcheint hundert Jahre ſpäter im Beſitze des Grafen 
Ludwig von Armftein,*) der das Klofter "gleichen Namens gegründet bat. 
Allem Anfchein nach hatte der Stifter diefe Güter von feinem Ahn Arnold 
geerbt. Seit 1052 wird Arnolds Rame in Urkunden nicht mehr erwähnt: 
er fcheint bald nachher geftorben zu fein. Dagegen fommt 20 Jahre fpäter 
ein Graf Ludwig vor, der diefelbe Grafſchaft befigt wie früher Amolb. 
Kraft Urkunde?) vom Jahre 1067 ſchenkte König Heinrich IV. dem Kloſter 
Kaiſerswerth fünf Weinberge, gelegen zu Camb im Gau Einrihe, und 
im Comitat des Grafen Ludwig. Kaum fann man zweifeln, daß bieler 
Ludwig der Sohn und Erbe Arnolds gewefen if. Abermal 40 Jahre 
fpäter erjcheint in zwei Urfunden‘) von 1107 und 1108 ein Ludwig als 
Zeuge, der den Titel Graf von Arnftein führt. 

Aller Bahrfcheinlichfeit nah war der in ben beiden Urfunden von 
1107 und 1108 erwähnte Ludwig Bater des gleichnamigen Stifterd, und 
ſomit derfelbe Graf, mit welchem der Mönd von Arnſtein feine Geſchichte 
beginnt. Zweifelhaft dagegen bleibt «8, ob ber Ludwig von 1067 und der 
von 1108 eine Perfon find. Die Zeitentfernung fteht letzterer Anflcht ents 
gegen, und ich halte es deßhalb mit Kremer für rathſam, beide zu unters 
iheiden und den älteren für den Vater, den jüngeren für den Sohn zu 
klären. Demnad wäre Ludwig II. ein Sohn Ludwigs L und ein Enfel 


t) Schannat, hist. wormac. prob. ©. 51 Nr. 55: praedium quodcungue visus sum 
abere Nassouwa ... situm in pago Loganehe, in comitatu Wiggeri et Arnoldi comitum. 
) Hontheim, hist. trer. dipl. I, 393: Arnoldus de Arnstein. %) Pez, Thes. anecodot. 
Yol. VI, ©. 234. Villa, quae dicitur Cambo, sita in comitatu Arnoldi, in pago Ein- 
iche. ) A. a. O. bei Kremer II, 370: erat sub jurisdictione Ludovici comitis — 
ota provincia, quae dicitur Einriche, und einige Säße weiter unten ſchenkt Ludwig an 
as Klofter feinen Allod Camb. 5) Kremer a.a. D. II, 140 Nr. 90: quinque vi- 
ıoae sitas in villa Cambo, in pago Enriche, in comitatu Ludovici comitis. °) Hont- 
im a. a. D. I, 484 u. acta Palatina III, ©. 109. | 


980 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Arnold, der Stifter des Klofterd Arnftein dagegen der Urenfel Amolos, 
des erften Grafen von Arnftein gewefen. Ludwig IL aber, des Stifters 
Pater, hat ohne Frage zu Anfang des 12. Jahrhunderts geleb.. Ueber 
feine Perſon theilt der Mönch beachtenswerthe Nachrichten mit. 

Ludwig II. hatte fieben Echweftern, die er alle glänzend vermählte: 
„Zwei von ihnen wurden die Frauen ungarifcher Barone; die Dritte 
heirathete einen Pfalggrafen von Tübingen, ver feine Braut zu St. Goar 
(das zur Grafichaft Ludwigs II. gehörte) mit großem Geyränge und ge 
leitet von 200 Dienftmannen abholte.“ Die Vierte reichte ihre Hand einem 
Naffauer und zeugte in diefer Ehe zwei Söhne, Robert und Armold, 
fowie eine Tochter Demodis, drei Kinder, über deren Geſchichte fich der 
Mönch ausführlich verbreitet. „Graf Arnold,“ fagt er, „wurde der Bater 
bes friegeriichen Grafen Robert, der auf dem Kreuzzuge ded Kaifers Frie⸗ 
derih im Morgenlande ftarb; Robert, Arnolds Bruder, zeugte den Grafen 
Waleram, deſſen Söhne Heinrih und Robert heute (u Ende des 12. Jahr⸗ 
hundert8) der Grafſchaft (Naffau) vorftehen. Demodis vermählte ſich mit 
Embriho und gebar in diefer Ehe den Grafen Heinrich, welcher der Bater 
des Grafen Gerhard von Dietz wurde.” Dam wieder auf die übrigen 
Schweftern des Grafen Ludwig II. zurüdgehend, fährt der Mönd fort: 
„die Fünfte chelichte einen Grafen von Laufen und wurde Mutter de 
Grafen Poppo und der Adelheid, von welher die Grafen Berthold und 
Diether von Kagenellenbogen abftammen. Die Sechfte gründete das Ge— 
ſchecht der Iſenburger, die Siebente heirathete in das Grafenhaus von Züt- 
phen.” Eo der Mönch von Arnftein. Eine ganze Pflanzftätte aufquellender 
Dynaſtengeſchlechter enthüllt fih vor unfern Augen. Wir haben es nur 
mit demjenigen zu thun, deſſen Wachsthum er felbft die größte Aufmerkſam⸗ 
feit zumwendet, mit dem Naflauer. 

Ein Ort diefes Namens fommt zuerft in einer Urkunde‘) vom 7. Aug. 
915 vor, Fraft welcher König Conrad I. feinen Hof Naffau ſammt allen 
jenfeitd und dieffeits der Lahn dazu gehörigen Gütern dem Klofter zu Weib 
burg fchenfte. Wann das Klofter diefen Befig wieder verlor, vermochte ih 
nicht zu ermitteln; gewiß dagegen ift, daß der Biſchof Azecho von Worme 
das Gut erwarb und kraft der oben erwähnten Urkunde von 1034 an jein 
Stift vergabte. Abermal blieb Naffau nicht ein fefted igenthum ver 
Wormſer Kirche, ſondern Fremde maßten fih dieſes Gut gewaltfam an. 
Kraft Urkunde) vom 9. März 1158 tritt das Domftift Worms Schloß 
und Hofgut Naffau gegen Tauſch an den Erzbifhof Hillin von Trier ab. 
Im Terte der betreffenden Uebereinfunft fagen die Domherren: „dieſes Gut, 


) Kremer a. a. O. II, ©. 56 Nr. 35. 3) Daf. S. 180 flg. Nr. 111. 


Erſtes Buch. Gap. 8. Größere Dynaſten in Franten. 281 


das im Lahngau liegt und 40 Bauernwirthſchaften umfaßt, war vor Zeiten 
durch freie Schenkung unſeres Biſchofs Azecho unſer rechtmäßiges Eigen⸗ 
thum geworden, aber wir durften uns des Beſitzes nicht erfreuen. Denn 
die Vorfahren der Brüder Robert und Arnold von Lurenburg riſſen bes 
fagted Naffau mit Gewalt an fih; und auch die beiden Brüder felbft bes 
Barrten in der Anmaßung, bis endlih das Gut durch den Spruch eines 
Hofgerihts unter Kaiſer Lothar unferem Hochftifte zurückgegeben warb.” 
Run folgen die Beftimmungen des Tauſches: weil Naffau zu weit von 
Worms entlegen fet, hätten fie e8 gegen 19 Bauernwirthichaften von 12 
Pfund Ertrag, im Dorfe Barvenheim gelegen, und gegen einen weiteren 
Hof, der 10 Schillinge Pacht zahle, an den Trierer Erzbiſchof abgetreten. 

Die Entfernung war, wie fih aus dem Folgenden ergeben wird, mır 
Borwand, in Wahrheit hatten die Wormſer Naſſau darım ausgetaufct, 
weil fie verzweifelten, ihren wankenden Beſitz gegen die gewaltthätigen 
Herren von Lurenburg behaupten au Fönnen. Aber noch war fein voller 
Monat verfloffen, ald Hillin von Trier räthlich fand, mit den Anmaßern 
und ihrem Geſchlecht einen Vergleich abzuſchließen. Dieß gefchah durch 
Urkunde‘) vom 1. April 1158, welche gleichfalls viel Gefchichtliches ent: 
hält. Zuerft bemerft Hillin, die Ausfage der vorigen Urkunde ergänzend, 
daß durch die Vorgänger der Brüder Robert und Arnold von Lurenburg 
nicht blos das Hofgut Naffau geraubt, fondern auch wider den Willen des 
Wormſer Domftifts das dortige Echloß erbaut worden fel. Dann fügt er 
bei: auch nach dem richterlihen Spruch, der unter Kaifer Lothar gefällt 
worden, hätten biejelben hartnädig die Herausgabe verweigert, und felbft 
den Banndrohungen des päpftlicen Stuhls, deſſen Hilfe Worms anrief, 
Troß geboten; weßhalb zulegt er (Hillin) fich entfchloffen habe, aus Rück⸗ 
fiht auf die beiden genannten Brüder, welche feine Bafallen feien, das 
Gut vom Wormier Stuhl einzutaufhen. Nachdem nun folches nefchehen, . 
feien die Gräfin Beatrir und ihre Miterben, vie Söhne Roberts und Ar- 
nold’8 von Lurenburg, gefommen und hätten flehentlich gebeten, daß Erz- 
biſchof Hillin in Anbetracht der Treue und großen Dienfte, welche ihre 
Vorfahren dem Trierer Stuhl geleiftet, und fie ſelbſt noch leiſten Fönnten, 
das Schloß Naffau mit dem anliegenden Hofgut ihnen zu Leben geben 
möchte, wogegen fie bereit feien, eine Summe von 150 Marf Silber als 
Entſchädigung zu zahlen, und überbieß die Oberlehensherrlichkeit des Bi- 
fchofs über alles Allod, das fie auf befagtem Sclofle befäßen, anzuer- 
fennen. Auf diefe Verhandlungen hin fei dann wirflich die Webergabe unter 
Bermittlung Rembald's von Sfenburg, der damals die Grafſchaft, 
in welder Naffau liegt, verwaltete, vollgogen worden. 





2) Ibid. S. 186 Nr. 113, 


282 Pabſt Gregorius VIL und fein Beitalter. 


Dieß die urfundlichen Nachrichten über die Ältefte Geſchichte des Schloſſes 
Raffau. Folgendes geht aus ihnen hervor: erftend die in beiden Urfunden 
erwähnten Brüder Arnold und Robert von Lurenburg find dieſelben, welde 
der Mönch von Arnftein ald Söhne des Naffauerd und der ungenamten 
Schweſter des Grafen Ludwig II. von Armftein aufführt; denn fie und 
ihre Vorgänger befanden fi im (gewaltfamen) Befipe der Burg Raffau, und 
nur von diefer Burg fann der ungenannte Bater dieſer Brüder ben Beis 
namen haben, welchen ihm der Mönch zufchreibt. Zweiten® fie und ihre Bor: 
fahren hießen früher Herren von Lurenburg. Selbft Robert und mol, 
„die Söhne des Nafjauers” führten den älteren Namen fort. Sie fin 
3. B. in einer Urkunde‘) vom Jahre 1128 alo Zeugen mit den Worten 
unterjchrieben: Arnold und deflen Bruder Robert von Lurenburg; und unter 
demfelben Titel als Graf von Lurendburg gründete) Robert, Arnold's Brw 
der, im Jahre 1132 auf eigenem Grund und Boden das Klofter Schöman. 
Drittend die Lurenburger waren von alten Zeiten bid tief in das 12. 
Sahrhundert hinein Dienftleute des Trierer Erzſtuhles. Viertens rechtlich 
fonnten die Lurenburger den Titel von Naſſau erft feit 1158 führen, nad: 
dem ihnen die befagte Burg, Fraft des mit Hillin abgeichloffenen Bertragd, 
förmlich, obgleich unter Täftigen Lehenbebingungen, abgetreten worden war. 
Sn der That nennt’) fih Robert in Urkunden erft feit 1159 einen Grafen 
von Naffau. Bünftens die Graffchaft, in welcher Burg Naſſau lag, be 
faßen die Lurenburger im Jahre 1158 noch nicht, denn Hillin fagt ja auß 
drücklich, Rembald von Sfenburg habe damals den fraglihen Gau verwaltet; 
fie können daher erft fpäter in den Befig des Comitats gelangt fein Seh 
tens wenn der Vater Robert’8 und Arnold's ſchon geraume Zeit vor 
1158 in der Ehronif des Arnfteiner Moͤnchs den Titel „Raffauer” empfängt, 
jo geihah dieß mißbräuchlich, ganz wie ihr damaliger Befig der Burg ein 
mißbräudhlicher war. 

Zugleich wird jetzt — beiläufig ſei dieß gefagt — erflärlidh, warm 
berjelbe Moͤnch, während er fonft in obiger Stelle allen angeführten Per⸗ 
fonen mit unverfennbarer Sorgfalt die gebührenven Titel beilegt, den Bater 
Robert's und Arnold's blos als einen „Naſſauer“ bezeichnet. Meines Er 
achten wollte er nicht „Herr von Lurenburg” fagen, was der Bater und 
auch die Söhne wirflih waren, denn er wußte, daß ber Eine und bie 
Andern nad höheren Dingen ftrebend, und namentlich auf den vollkommenen 
und rechtlichen Beſitz des Schloffes Naſſau erpicht, den Älteren Titel nit 
gerne hörten. Andererſeits aber fcheute er fh, der Wahrheit und den recht⸗ 
lihen Einfprachen des Wormjer Stuhls zuwider, den Schwager Ludwigs IL 


1) Ibid. S. 160 Nr. 101. 2) Ibid. Nr. 102. Daſ. S. 192 Nr. 114 
u. ©. 194 Nr. 115 u. f. mw. 


Erſtes Buch. Gap. 8.. Größere Dynaſten in Franken. 283 


tinen Grafen von Raflau zu nennen. Gedrängt durch diefe Verlegenheiten 
ließ er jelbR den Taufnamen weg. 

Siebented da die Lurenburger mehr als ein Jahrhundert lang mit 
größter Beharrlichkeit und allen Hinberniffen, ſelbſt päbtlichen Bannftrahlen 
su trog, um die Erwerbung des Schlofjes ſich abmühten, muß man den 
Schluß ziehen, daß fie durch außerorventlihe Triebfevern hiezu vermodht 
worden find. Allerdings knüpften fich gefeierte Erinnerungen an dieſe Burg, 
Die Welt wußte, daß fie einft zum Erbgute des Könige Conrad I. und 
des alten carolingiichsjaliichen Haufe gehört habe. Meines Erachtens Tagen 
biefe und ähnliche Erwägungen den Lurenburgern nicht fern. Zwei Gründe 
laſſen fich denken: entweder frebten fie darum nad) dem glänzenden Schlofie, 
weil fie wahre, und nur für den Augenblid berabgefommene, Sprößlinge 
der alten Eonrabiner waren, und durch den Befig Nafſau's die ehemalige 
Bröße wieder herzuftellen hofften — oder, da die gefchichtlihe Wahrheit der 
Annahme conradiniichen Urfprungs der Lurenburger ſchnurſtraks wideripricht, 
wollten fie durch Ermwerbung ded Schloffes die Welt in dem Wahne bes 
Rärfen, daß ihr Geſchlecht ein uraltes ſei. 

Ih bin legterer Anfiht, und glaube deßhalb, daß die Herren Ardi- 
vare des vorigen Jahrhunderts, welche, wie Kremer und Andere, die Anfänge - 
des naſſauiſchen Haufes nicht bloß bis auf die Bonrabiner, ſondern felbft 
auf die Merowinger zurüdführten, den geheimen Berechnungen der Lurens 
burger des 11. und 12. Jahrhunderts entiprochen haben, obwohl anderer 
Seits nicht geläugnet werden kann, daß jene gelehrten Genealogen unendlich 
viel Dunft zu Markte brachten. 

Endlich achtens iſt unverfennbar, daß der Vater Amolv’d und Ro⸗ 
bert’8 durch feine Heirat) mit der reichen Grafentochter von Arnſtein den 
Brund zum Wahsthum der Raffauer gelegt hat. Erf ſeit Abſchluß dieſer 
Ehe geht es vorwärts mit ihnen, fie find jebt im Stande dad Burglehen 
Rafau um 150 Mark, damals eine bedeutende Summe, vom Trierer Stuhl 
a erfaufen. Vorher aber, d. h. als Lurenburger, waren fie Heine Herren. 

Nur die Rüdfeite des Naſſauiſchen Haufes, die, welche den Schild 
Burenburg trägt, reiht in das 11. Jahrhundert und in die Tage Hein 
rich's IV. hinauf. Die Wusdrüde der oben mitgetheilten Urkunden laſſen 
vermuthen, daß die Lurenburger, welche etwa feit 1050 Naffau gewaltſam 
befegten und die Burg oben bauten, eine längere Geſchlechtsreihe gebildet 
haben. Dod wird Feiner dieſes Namens von den Ghroniften der Zeiten 
Heinrich's IV. erwähnt. Auch in Urkunden kommt nur ein einziger vor. 
Den Stiftungsbrief‘) des Kloſters Laach vom Jahre 1093 unterzeichnete Dudo 
Sraf von Lurenburg. Kraft einer andern Urkunde, ?) die etwa in’d Jahr 


*) @llarb hist. pr. Sax. ©. 558. °) Kremer a. a. D. II, 151 Rr. 96; vgl. L, 301. 


284 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. | 


1114 fällt, verordnet Dudo von Rurenburg, wie folgt: „das im Comiu 
Ludwigs (II. von Arnftein) gelegene Klöfterlein Lichtbronn (heut zu Tag 
Löpern im naſſauiſchen Amte Schönau), welches von einem feiner Vorfahren 
Namend Drutwin geftiftet worden, folle jährlih an die Abtey Echaftbaufen 
(in der heutigen Schweiz) zum Seelenheile der Stifter eine Marf Silba 
abtragen.“ Aus dem weiteren Inhalt der Urkunde erhellt, daß er erblide 
Vogt des Klöfterleind war. Ueber die Gründe, warum Dudo auf feih 
Weile das weit entfernte Stift Schaffhaufen, welches unter den berühmte, 
Klöftern ded 11. Jahrhunderts eine der erften Stellen einnahm, fid æ 
verbinden ſuchte, werde ich an einem andern Orte handeln. 

Dudo ſelbſt legt ſich in der mitgetheilten Urkunde den Titel Gef 
nicht bei, wohl aber geſchieht dieß in einer andern gleichzeitigen,) Frail 
welcher Erzbiihof Bruno von Trier obige Verordnung des Grafen Dude, 
welchen er feinen Freund nennt, beftätigt und zugleih den Mönchen von 
Lichtbronn eine Echenfung zufommen läßt. Die Berechtigung Dudo's, den 
Orafentitel zu führen, erfcheint mehr als zweifelhaft. Yür einen Reichs⸗ 
oder Gaugrafen kann ich meines Theild ihn nicht halten, erftlich weil bie 
Güter, die er befigt, in fremdem Banne liegen, zweitens weil er und feine 
Stammverwandte Dienftmannen des Trierer Stuhles waren; drittens weil 
er ſelbſt es unterläßt, fich einen Grafen zu nennen. Ich werde |päter Ge 
legenheit haben, darzuthun, daß um jene Zeit längft der Gebrauch herrſchte, 
Edelleuten wegen ihrer VBerwandtichaft mit wirfliden Grafen aus Hößflich 
feit den Grafentitel zu ertheilen. Won folder Art jcheint auch des Luren 
burger's Dudo Comitat gewejen zu fein. Meines Erachtens verdanften die 
Lurendburg-Nafau ihr allmaͤliges Auffommen hauptfählid den Wirren der 
Regierung Heinrich's IV., die Alles aus den Fugen rifjen. 

Noch möge bemerkt werden, daß der Mönd von Ammftein, dem wir 
die Nachrichten über die obgenannten Häuſer verdanfen, ausdrücklich her⸗ 
vorhebt,“) Schloß Arnftein, Mittelpunft der Grafichaft Ludwig's, jei gelegen 
im Trierer Sprengel. Ebenverfelbe bezeichnet’) die Orte Boppart, Ober 
wefel, St. Goar, Lahnftein, Coblenz, fo wie den ganzen Einrichgau als 
dem Rheinlande angehörig, rhenenses. Legtered Wort aber ift gleichbedeutend 
mit Francia rhenensis. Folglich wurde der dieſſeits des Rheinftroms 
gelegene Theil des Trierer Sprengeld zu Srancien gerechnet. Das ift der 
Beweis, den ich oben nachzutragen veriprochen habe. 

Mit andern fränfishen Dynaſten-Geſchlechtern, die weiter gegen Ofen 
auf dem Boden des Mainzer Sprengel faßen, hat e8 eine eigenthümlide 
Bewandtniß. Man erinnere fi), daß laut der Ausfage*) des St. Galler 





1) Ibid. II. 152 Mr. 97. 2) Böhmer, fontes III, 332: castrum Arinstein in Tre- 
virensi diöcesi Constitutum. 8) Ibid. ©. 333 oben. % Dben ©. 242, 


Erſtes Buch. Gap. 8. Größere Dynaſten in Franken. 985 


Affehard zu feiner Zeit das ehemalige Herzogthum Sranfen dem Kammer: 
gate einverleibt war. Aus anderweitigen Thatfachen erhellt, daß Dtto I. 
mach dem Sturze der Conradiner ein gutes Stüd ihres Nachlaſſes und zwar 
vermuthlich alles das, was fie ehemald von Seiten ded Reichs bejaßen, 
eingezogen haben muß. Namentlich traf dieſes Schickſal Stadt, Schloß und 
Eoſter Weilburg, welches — man darf fagen, in feierlicher Weiſe — ale’ 
Beſitz Königs Conrad I. bezeichnet wird. Der Fortſetzer Regino's erzählt:') 
„uachdem der gleihnamige Vater eben dieſes Könige 906 im Gefechte 
wider die Babenberger erichlagen worden, haben die Verwandten feine 
Reiche abgeholt und in dem Schloffe Weilburg beigeſetzt.“ Deßgleihen bes 
sichtet ?) Mönh Widukind von Eorvey, König Conrad I. fei in feiner 
Stadt Weilburg begraben worben. 

Wohlan, eben diefes Weilburg hatten fpäter die fächfiichen, theilweife 
woch die jalifchen Kaijer inne. Denn im Jahre 993 verjchenfte ?) Otto III. 
an dad Hocftift Worms die Abtey Weilburg mit allem Zubehör. Sieben 
Jahre jpäter, unter dem 27. Dez. 1000 vergabte*) ebenderjelbe an den 
wemlihen Stuhl aud das Schloß Weilburg mit Ausnahme eines jünlichen 
Aubaues, und eined in der Stadt felber gelegenen Könighofed. Abermal 
zwei Jahre jpäter verlich”) der neue König Heinrich II. dem Wormſer Bis 
hof Burdart die Stadt Weilburg mit allem daſelbſt befinplihen Kammer; 
gut. Dennoch behielt die Krone noch einiges Eigenthum im Orte. Denn 
vurh Urkunde °) vom 26. Nov. 1062 beftätigte Heinrich IV. eine Akte 
keiner Mutter Agnes, kraft welcher diejelbe dem Wormſer Hochftifte einen 
auf der Eüdjeite des Klofterd Weilburg, und innerhalb der Stadtmauern 
gelegenen, Hof übergeben hatte. 

Kun ift jonnenflar, daß unfere Kaifer irgend weldhe Beamte haben 
mußten, um durch fie theild vor obigen Schenfungen die Weilburger, theils 
die vielen übrigen Güter, welde die Krone, laut Ekkehard's Zeugniß, im 
Sranfenlande bejaß, verwalten zu laffen. In andern Provinzen hießen die 
Beamten, welche ſolche Geichäfte bejorgten, Pfalzgrafen. Dennoch fommen 
in Sranfen nirgends Pfalzgrafen vor, und zwar meines Eramtend darum 
nicht, weil die Kaiſer fi) wohlmeislih gehütet haben, auf dem brenn- 
baren Boden Franciens ein Großamt einzurichten, das, — wie Beilpiele anderer 
Brovinzen jattiam bezeugten, — gar leicht in feinen Trägern Gedanfen 
verwegenen Ehrgeized entzüunden mochte. Gleichwohl waren ähnliche, aber 
in beicheidener Weile zugerüftete Aemter vorhanden. Ich jage: das fräns 
kiſche Kammergut ijt dur gewille Hofgrafen verwaltet worden. 


1) Ber L 611. 2) Berg IH, 429 oben: in sua civitate Wilinaburg. 8) Böhse 
mer, regest. Rr. 710. *) Ibid. Nr. 869. 6) Ibid. Nr. 909. 6) Ibid, Nr. 1757, 


286 Babft Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Pie Werner und die Gifonen von Gudensberg. 


Die letzterwähnte Urkunde Heinrid’8 IV. vom 26. Nov. 1062 ent: 
hält die Bemerfung: Stadt, Klofter, Schloß Weilburg liege im Lahngan 
und im Comitate des Grafen Werner. Da jene Gegend viele Kammergüter 
umfaßte, drängt fi) die Vermuthung auf, diefer Graf Werner dürfte in 
irgend welcher Weife mit der Hoffammer verwandt gewefen fein. Run 
fommt weiter — 20 bis 25 Jahre früher — ein Werner als Graf in 
einem Gaue vor, der weit genug von Weilburg entfernt war. Cine Ur⸗ 
funde‘) Conrad's IT., welche Kaiſer Friedrich I. beftätigte, ſchreibt nemlich 
einem Grafen Werner den Heſſengau (an der untern Eder) zu. Ange⸗ 
nommen, daß dieſe Werner eine und dieſelbe Perſon geweſen find, ober 
daß fie im BVerhältniffe von Vater und Sohn ftanden; angenommen ferner, 
daß fie beide @omitate, den niedern Lahngau, und den Heſſengan, als 
Erbherrn inne hatten, müßten fie über eine fehr bedeutende Macht verfügt 
haben, von welcher wahrlich die Chroniken nicht fchweigen könnten. Gleich⸗ 
wohl finden fich nirgends in Heffen oder Oftfranfen Spuren eines fo ge 
waltigen Grafenhaufes. Folglich räth der gefunde Menfchenverftand ans 
nehmen, daß die Comitate Weilburg und Heflengau feine gewöhnlichen 
Grafichaften gemwejen feien. _ 

Allerdings kann man einwenden: ed habe von jeher viele Werner in 
Deutichland gegeben, und die Borausfegung, daß der Lahngau und ber 
Hefiengau einem und demfelben Grafen dieſes Namens zugetheilt geweſen, 
ermangle jedes feften Bodens. Solche und Ähnliche Einwürfe Taffen fih 
— ich geftehe es gerne zu — leichtlid erheben, aber man wird fe nicht 
mehr machen, wenn man folgende weitere Thatfachen erwägt: der fächfiſche 
Annalift berichtet?) zum Jahre 1040, bei dem Einfalle, den König Her 
rih II. damald nah Böhmen machte, fei ein Graf Werner erichlagen 
worden, weldhem er einen ungewöhnlichen Titel ertheilt; er nennt ihn nem 
lich signifer (Bannerträger) und primicerius des jungen Könige. Def 
die deutſchen Herricher ihre befonveren Bannerträger hatten, welche Pie Leib 
fchaar führten, ift befannt, aber was fol das Wort primicerius in tiefem 
Zufammenhange befagen? Meines Erachtens weist es auf die Kanzlei bin, 
und deutet an, daß Werner mit der Hoffammer zu fchaffen hatte. Der 
in Böhmen Erichlagene wird wohl derſelbe fein mit dem Berwalter bed 
MWeilburger Comitats. Wenigftend pafjen Zeit und Umftände trefflic. 

Dreiundzwanzig Jahre ſpäter fommt am Hoflager Heinrich's IV. ein 
anderer Graf Werner zum Vorſchein, der, obgleich noch jung, großen Ein 
flug übt. Die Bermuthung liegt nabe, daß diefer junge Werner ein Sohn 


1) Scheid, origin. guelf. IV, 428, ?) Berk VI, 684. 


Erſtes Buch. Gap. 8. Größere Dynaſten in Franken. 997 


des in Böhmen Gefallenen war. Das hohe Amt, welches der Eine und 
der Andere befleivete, die Wahrfceinlichfeit, daß der junge König die Vers 
dienfte, welche fich der ältere um feinen Vater erworben, in dem Sohne 
belohnen wollte, envlih das jugendliche Alter des jungen Werner find dieſer 
Annahme überaus günſtig. Was wird nım von dem zweiten Werner er- 
zahlt? Lambert jchreibt‘) zum Sahre 1063: „die mäcdhtigften Männer am 
Hofe waren damald Erzbiichof Adalbert von Bremen und der noch junge 
Graf Werner, ein Menfch zügellos von Gemüthsart und durch Ungeftüm 
der Jugend. Sie regierten für den unmündigen König und verfauften um 
ſchweres Geld Bisthümer und Abteyen. Wer irgend etwas bei Hofe er 
langen wollte, der mußte damit anfangen, daß er beide fchmierte.* Der 
Ehronift unterjcheivet deutlich zwei Seiten der Thätigfeit Werners: erſtlich 
bejafte der Graf fich felber, und zweitens forgte er für Ueberfluß in ver 
Hofkaſſe. Warum that er Legteres? Offenbar weil er Vorftand eben dieſer 
Kafie, etwas wie ein Hofpfalzgraf war. 

Aber auch ald Gaugraf, oder vielmehr ald Berwalter gewiffer im 
Heflengau gelegener Krongüter hat er Dienfte gethban. Lambert berichtet?) 
weiter zum Jahre 1064: „Graf Werner jegte durch, daß der König das 
unferem Klofter (Hersfeld) gehörige Dorf Kirchberg, ohne den Abt zu befras 
gen, ihm (vd. h. dem Grafen felber) zuwies.“ Diefer Akt kann möglicher 
Weiſe einen doppelten Sinn haben. Entweder ſprach Heinrid IV. das Dorf 
dem Grafen ald einem Privatmanne, nemlih zu eigenem Befige, oder 
fprach er es ebenvemielben, ald dem Verwalter des Hoffammerguts zu, in 
welch’ letzterem Falle der König den Ort nicht dem Grafen gejchenkt, ſon⸗ 
dern zum Krongut, das Rechtsanſprüche auf Kirchberg befeffen haben mag, 
gezogen hätte. Ich hoffe auf allgemeine Zuftimmung, wenn id) behaupte, 
daß leßtere Annahme wahrjcheinlicher jei, ald bie erftere. Denn fo weit vers 
gaß fih, felbft in feiner Ichlimmften Zeit, Heinrich IV. nicht, daß er ohne 
Weiteres einem Reichöftifte Güter raubte und an einen Günftling verfchentte. 

Nun muß man wiffen, daß Kirchberg im heutigen heifiichen Amte 
Gudensberg, oder nach alter Eintheilung im Heſſengau liegt, wo laut der 
oben angeführten Urfunde Conrad's II. der Ältere Werner als Graf waltete. 
Zieht man noch weiter in Betracht, daß laut einer Reihe anderer Urfunden, ?) 
welche den Jahren 1061—1065 angehören, das Comitat des Grafen Werner 
fi) weithin über den Heffengau und den unteren Lahngau erftredte, ſo 
funn meines Erachtens fein Zweifel mehr über folgende Punkte herrſchen: 
erftlih Graf Werner, ver Günftling Heinrich's IV., war ein Sohn des 
gleichnamigen, in Böhmen 1040 gefallenen Grafen; zweitens bie Comitate, 


*) Verb V, 166 unten. *) Ibid. ©. 168. 2?) Man fehe Wend, heſſiſche Lans 
besgeichichte III, 28. 


288 Vabſt Gregorins VIL. und fein Seitalter. . 


welche er verwaltete, gehörten nicht ihm, fondern der Hoflammer. Graf 
Werner nahm‘) ein jeiner Thaten würbiges Ende: ein heſſiſcher Bauer 
flug ihn 1066 tobt. 

Ebenſo wie mit ven Wernern, verhält es fi) meines Erachtens mi - 
den Gifonen, welche im 12. Jahrhundert fi) den Titel Grafen von Gu⸗ 
dendberg beilegten. Lambert von Hersfeld berichtet?) zum Jahre 1073: 
„Graf Giſo, welder frübet fchändliche Ränfe gegen den batrifchen Herog 
Dtto von Nordheim am Hofe angezettelt hatte, warb in einer Fehde auf 
feiner Burg Hollenden erichlagen." Diefe Burg lag’) an der oberen Lahn, 
zwiſchen den Orten Biedenkopf und Wetter. Ebenvort muß man, fo fein 
es, feine Grafſchaft ſuchen. Vierundſechszig Jahre fpäter erwähnt‘) der 
fächfiihe Annalift einen heſſiſchen Grafen @ilo, der zu Präneſte in 
Stalien 1137 ftarb. Das fieht jo aus, als habe ein heifiiches Geſchlecht 
den erblichen Namen Giſo getragen. In ver That führen heſſtſche Urkunden‘) 
aus den Jahren 1008, 1049, 1099, 1100, 1105—1122 eine ganze, ars 
vier bis fünf Gejchlechtöfolgen beftehende Sippichaft von Giſonen auf, welde 
zuerft im Oberlahngau figen, jpäter nach dem Ausſterben der Werner in 
deren Nachlaß eintreten, fi) Grafen von Gudensberg fchreiben, und außer 
dem die fetteften Kloftervogteien, wie Die von Heröfeld, Hafungen, Kan⸗ 
fungen, an ſich dringen. 

Nicht durch Erbichaft oder Heirathen haben fie Gudenoberg, wo eink 
die Werner walteten, erlangt, ſondern durdy Faijerlihe Berleihungen: fie 
waren folglich Beamte ver Hoffammer. Ebendieß ergibt ſich auch aus dem 
Verfahren ded zu Hollenden erjchlagenen Giſo. Diejer Hefe war nicht 
werth, dem Nordheimer Dtto die Schuhriemen aufzulöfen, gleihwohl rüftete 
er gegen ihn eine Anklage auf Hocdverrath zu. Das hieng meined Er⸗ 
achtens aljo zufammen: die Herren Grafen Verwalter übervortheilten, we 
ed anging, den Schag, dafür forderte der Kaifer von ihnen ald Gegen 
bienft, daß fie die ſchwarze Wäſche des Hofes wajchen, d. b. allerlei jchlimme 
Aufträge, zu welden fih cin Mann nicht hergibt, der auf feine Ehre Hält, 
beforgen mußten. 

Nach dem Jahre 1137, in weldyem der oben erwähnte Gijo (vermuthlid 
der fünfte jeineds Stammes) zu Präneſte ald Soldat des Kaiferd Lothar 
mit Tod abgieng, kommt fein Giſo mehr vor. Sein gleihnamiger Bater, 
Giſo IV., war um 1124 geftorben.) Nachher vermählte fi) feine Wittwe 
mit Heinrih Raspo, dem Bruder des Landgrafen von ThüringensHeflen; 
die einzige Tochter Giſo's IV. dagegen reichte”) ihre Hand dem Landgrafen 


ı) Berk V, 172. ?) Ibid. ©. 206 gegen oben. 2) Wend, heſſ. Landesgeſch. 
II, 76. *) Perg VI, 775 Mitte. 6) Wend a. a. O. IL, 73-89. 9 Daſ. 
S. 81. )) Ibid. ©. 82 fig. 


Erſtes Buch. Cap. 8. Größere Dynaften in Franken. 991 


letzterer Stadt geftorben und deſſen Erbe dem erfteren zugefallen war, 309 
eudwig der Bärtige, begleitet von 12 Bewaffneten, nad Thüringen und 
fiedekte fi) am Walde Loybe zwijchen den Höhen an, welche Katherberg, 
Aldenberg und Kornberg heißen.” Mit dem Worte Loiba wird, wie wir 
wiffen,') der Thüringer Wald bezeichnet. 

Der Ehronift fährt fort: „in bejagter Gegend erfaufte Ludwig der 
Bärtige von den Grafen Bifo von Gleihen, Günther v. Kevernberg und 
ftlichen andern Evelleuten mehrere Güter, namentlih das Dorf Aldenberg 
und umliegende Orte. Auch erbaute er mit Erlaubniß des Kaiſers Conrad 
I. auf einer Höhe des Loibawaldes dus fefte und unbezwinglide Schloß 
Schauenburg (unweit Friedrihe-Rhode?) und Gotha), fpäter erhielt er einen 
guten Theil des Thüringer Waldes Fraft Faiferliber Schenfung Conrad's 
U.* (Der Mönd fügt bei, auf diefem von Conrad I. gejchenften Theile des 
Waldes fei nachher das Klofter Reinhardsbrunn errichtet worden, dem er 
jelbft angehörte). „Endlich vermählte fi Ludwig der Bärtige mit einer vor: 
nehmen Erbtochter, Cäcilia von Sangershaufen, weldhe ihm nicht weniger 
als 7000 Bauernwirthichaften ſammt unzähligen Leibeigenen zubrachte. 
Diefe Cäcilia gebar ihrem Gemahle zwei Söhne, die Grafen Ludwig II. 
und Beringer, dann drei Töchter, Hildegard, Uta, Adelheid.“ 

Zunächft bemerfe ich, daß der jächfiihe Annaliit zum Jahre 1062 
inen thüringifchen Edelmann Günther erwähnt,”) weldyer einen Sohn Sizzo 
jeugte, der erweidlid, den Namen Graf von Kevernberg führte. Diejed Zus 
'ammentreffen ift offenbar ein für die Glaubwürdigfeit des Rheinhards- 
zrunner Chroniften günftiged Zeichen. Die Zahl der Bauernwirthichaften, 
velche der bärtige Ludwig durch jeine Gemahlin erlangt haben foll, finde 
ch allerdings ein wenig hoch gegriffen, aber man denfe ſich TO Weiler, mit 
100 Feuerftellen jeden, jo ſcheint die Angabe nicht mehr unmöglih. Jeden: 
falls muß das große Vermögen, das jeitvem Ludwig's des Bärtigen Sohn 
erweislich beſitzt, doch irgenpwoher fommen. “Der Stifter des Thüringiſchen 
Hauſes hat offenbar, gleih dem Nafjauer, deſſen Wahsthum ich oben 
ihilderte, durch eine reiche Heirath die Größe der Seinigen angebahnt. 
Zubwig der Bärtige farb‘) um 1055. 

Weiter berichtet der Mönch von Reinhardsbrunn: „des Verſtorbenen 
Erſtgeborner, Ludwig IL, der fehr reich war, kaufte um 1061 von Conrad, 
yem Sohne feines Bruderd Beringer, den Ort Sangerdhaufen.” Sofort 
mwähnt der Chroniſt die blutige Ehe Ludwig's mit Adelheid von Stade 
and die Ermordung des Pfalzgrafen Srieverih von Putelendorf. Allein 


) Oben ©. 237. 2) So beflimmt die Lage ber landgräfliche Schreiber, ſiehe 
Hlard ©. 353. 2?) Verb VI, 693 vgl. ibid. S. 737. *) Wegele, annales Rein- 


sartbrunnenses, S. 7 unten. 
19* 


290 Babft Gregorius VII. und fein Seitalter. 


blos dunfel, ſondern abfichtlich verfälfcht. Zwei Urkunden Conrad's II. wm 
Heinrich's TIL, welche man gewöhnlih an die Epige flellt, tragen da 
Gepräge der Unädhtheit, weder Ort noch Zeiten ftimmen zufammen. Die 
jelben wurden in doppelter Abficht gefchmiedet, theild um den Ludwigen 
Thüringens einen Fatjerlihen Stammbaum anzudichten — diefelbe Bereg 
nung, die wir oben bezüglih der Naſſauer nachgewiefen haben — the 
um dem fchnellen Wachsthum des überfühnen Geſchlechts eine fcheinher 
rechtlihe Grundlage zu geben. Bei foldem Stande der Dinge if We 
Forihung auf die Ausfagen des Mönche von Goſek, der um die Mitte 
des 12. Jahrhunderts fchrieb und Glauben vervient, auf Stellen ber in 
der erften Hälfte des 13. Jahrhunderts zufammengetragenen, nicht unebenm 
Reinhardsbrunner Chronif, endlich auf verfchievene Arbeiten umbefanzter 
Berfaffer befchränft, die erft nad den Zeiten des Gegenkönigs Heimiq 
Raspo zum Ruhme und Bortheil des hochfürſtlichen thüringiichen Haufe 
niedergeichrieben wurden. Ich will legtere mit dem Namen der landaräf, 
lihen Schreiber bezeichnen. Glücklicherweiſe ftehen einige ver wichtigfen 
Thatfachen aus der Geichichte des zweiten thüringifchen Grafen Ludwig wi 
dem Beinamen des Springers feft, weil der fächfifche Annalift, ein jüngerer 
Zeitgenofje des ebengenannten Ludwig, und der Hildesheimer Chroniſt ai 
Zeugen eintreten. 

Um die Mitte des 11. Jahrhunderts lebte in Thüringen ein Graf, 
Ludwig der Bärtige genannt, der viel Land und Leute gewann, und md 
größere Erwerbungen feiner Söhne vorbereitete. Die landgräflichen Shrek 
ber bringen‘) ihn in enge Verbindung mit dem Mainzer Etuhl, indem fe 
melden, Erzbiihof Bardo habe Ludwig den Bärtigen zu feinem Etatthalter 
über Thüringen ernannt, ihn in dieſe Provinz gejendet und dort mit großen 
Lehen begnadigt. Diefer Ausfage iſt der Wahrheit Siegel gleihiam auf 
die Stirne gedrüdt. Der Mainzer Erzftuhl ſprach, wie ich oben bemerkte, 
dad Recht auf den Zchnten in ganz Thüringen an, das jedoch von da 
Grundherrn hart beftritten ward, Wir werben fpäter fehen, daß deßhalb 
in den früheren Jahren Heinrich’8 IV. wüthende Fehden ausbrachen. Wal 
tft unter ſolchen Umftänden natürlicher, als daß ſchon Erzbiſchof Barte 
(1031—1051) einen Amtmann nad Thüringen jandte, um dort ben Ben 
theil des Erzftifts wahrzunehmen! Hiezu kommt nod das Zeugnif dei 
Mönchs von Reinhardsbrunn, welcher fagt:?) „nachdem Ludwig's des Bin 
tigen Bruder, Wichmann, bis dahin Dienftmann von Fuld und Main, I 


wo auch die Iandgräflichen Gefchichten S. 345 fig. abgebrudt find; Stellen der Reinharde 
brunner Chronik, welche neulich Wegele herausgegeben hat, bei Wedekind Moten IL, 18 
und bei Ekkard 346, b. unten fig. 

) Effard ©. 3569. 2) Wegele a. a. D. ©. 2 flg. passim. 


Erſtes Bud. Gap. 8. Größere Dynaften in Franken. 201 . 


legterer Stadt geftorben und deſſen Erbe dem erfteren zugefallen war, 308 
Ludwig der Bärtige, begleitet von 12 Bewaffneten, nady Thüringen und 
fiedekte fih am Walde Loybe zwifchen den Höhen an, welche Katherberg, 
Aldenberg und Komberg heißen." Mit dem Worte Loiba wird, wie wir 
wiſſen,) der Thüringer Wald bezeichnet. 

Der Chronift fährt fort: „in bejagter Gegend erfaufte Ludwig der 
Bärtige von den Grafen Bijo von leihen, Günther v. Kevernberg und 
etlihen andern Evelleuten mehrere Güter, namentlid) das Dorf Aldenberg 
und umliegende Orte. Auch erbaute er mit Erlaubniß des Kaiſers Conrad 
U. auf einer Höhe des Loibawaldes das fefte und unbezwingliche Schloß 
Echauenburg (unweit Yriedrihg-Rhode?) und Gotha), fpäter erhielt er einen 
guten Theil des Thüringer Waldes kraft Faiferliber Schenfung Conrad's 
11.* (Der Mönch fügt bei, auf diefem von Conrad II. gejchenften Theile des 
Waldes fei nachher das Kloſter Reinhardsbrunn errichtet worden, dem er 
jelbft angehörte). „Endlich vermählte fi) Ludwig der Bärtige mit einer vors 
nehmen Erbtodhter, Cäcilia von Sangershaufen, welche ihm nicht weniger 
ald 7000 Bauernwirthichaften jammt unzähligen Leibeigenen zubrachte, 
Dieje Cäcilia gebar ihrem Gemahle zwei Söhne, die Grafen Ludwig II. 
und Beringer, dann drei Töchter, Hildegard, Uta, Adelheid.“ 

Zunächſt bemerfe ich, daß der jächfiiche Annaliit zum Jahre 1062 
einen thüringiihen Edelmann Günther erwähnt,’) welcher einen Sohn Sizzo 
zeugte, der erweislich den Namen Graf von Kevernberg führte. Dieſes Zus 
fammentreffen ift offenbar ein für die Glaubwürdigkeit des Rheinhards⸗ 
brunner Chroniften günftiged Zeichen. Die Zahl der Bauernwirthichaften, 
welche der bärtige Ludwig durch eine Gemahlin erlangt haben joll, finde 
ich allerdings ein wenig hoch gegriffen, aber man denke fi 70 Weiler, mit 
100 Zeuerftellen jeden, jo jcheint Die Angabe nicht mehr unmöglich. Jeden⸗ 
falls muß das große Vermögen, das jeitdem Ludwig’d des Bärtigen Sohn 
erweislich befigt, doc) irgendwoher fommen. Der Stifter des Thüringijchen 
Haufed hat offenbar, gleih dem Nafjauer, deſſen Wachsthum ich oben 
ſchilderte, durch eine reihe Heirath die Größe der Seinigen angebahnt. 
Ludwig der Bärtige fturb*) um 1055. 

Weiter berichtet der Mönch von Reinhardsbrunn: „des Berftorbenen 
Erftgeborner, Ludwig IL, der jehr reich war, faufte um 1061 von Conrad, 
dem Eohne ſeines Bruders Beringer, den Ort Sangershanfen.” Cofort 
erwähnt der Chronift die biutige Ehe Ludwig's mit Adelheid von Stade 
und die Ermordung des Pfalzgrafen Briederih von Putelendorf. Allein 


) Oben ©. 237. 3) So beflimmt die Lage der Iandgräfliche Schreiber, ſiehe 
Stlard ©. 353. 3) Perg VI, 693 vgl. ibid. S. 737. *) Megele, annales Rein- 


hartbrunnenses, ©. 7 unten. 
49° 


292 Pabſt Gregoruis VIL und fein Zeitalter. 


genauere Nachrichten fajt gleichzeitiger Schriftſteller beweijen, daß dieſes 
Ereigniß mehr ald 20 Jahre jpäter, im Eommer 1083, eintrat. Dagegen]. 
faͤllt zwiſchen die Heirat) Ludwig's II. und die Erbſchaftsübernahme die 

erfte Gefangennehmung des Grafen und die That, welde ihm den Bei 

namen des Springerd erwarb. Zur Erklärung derjelben muß ich einigeb | 
voranjciden. Im Jahre 1070 begann die große und langwierige Em i j 
pörung der Sachſen und Thüringer. Im Anfange dieſes Aufftanded nahm - 
der König mehrere Große, welche gemeine Sache mit dem Norpheimer Ott 
gemacht hatten, am Kopf, und warf jie ald Etaatögefangene auf fer 
Schlöſſer. Wahrjcheinlih ift cd, daß Graf Ludwig an dieſer Bewegum 
Theil nahm, und wenn ſolches der Ball war, kann man es keinesweg 
befremdend finden, daß er gleih dem ohne des Herzogs von Sadia 
und jo vielen andern Epelleuten in Haft kam. Nun in eben dieſe Ja [ 
verjeht der Mönch von Reinhardsbrunn folgenden Vorgang: 

„Ludwig IL jaß auf Burg Giebichenftein an der Eaale (bei Halk) 
und vernahm, Daß er vom Könige zum Tode verurtheilt jet. Es gelany 
ihm jedod, Einverftindnijje mit den einigen anzufnüpfen und Mittel zu 
Flucht vorzubereiten. Am Tage, ehe die Hinrichtung erfolgen jollte, war 
er unter dem Vorwand, daß cd ihn friere, einen weiten Mantel um, un 
ftellte jih unter das Fenſter des Speiſeſaales. Da gewahrte cr, wie dri 
ben auf dem andern Ufer der Eaale fein Knappe mit dem guten Leibref 
erſchien, welches der Schwan hieß. Alsbald ftürzte jih der Graf hinunter 
in den Etrom, warb von dem Knappen herausgezogen, auf das Roß ge 
fegt und entfam glüdlid nad Haufe.” Den vielen Zweiflern zu Troy 
welche dieſes Abentheuer für eine Fabel erklären, halte ich es mit Were 
tind?) für baare Wahrheit. Ueber die Art und Weiſe, wie Graf Ludwig 
der Springer ſich gegen die Rache des Könige zu jchügen wußte, ſchwei⸗ 
gen die Quellen. 

Das nächſte Ereigniß aus Ludwigs Leben, Das wir kennen, fällt int 
Sahr 1083 oder ſpäteſtens 1085, und ift der Mord des Pfalzgrafen Fried⸗ 
rih von Putelendorf und die Vermählung mit deſſen Wittwe NApelkeit 
von Stade. Die jhöne und reiche Adelheid, die mit dem Mfalzgrafen, 
dem ſie erft vor vier Jahren angetraut worden, auf der Weißenburg, ba 
Tſcheiplitz im heutigen Amte Freiburg an der Unftrut, hauste, verlichte fih 
in Ludwig den Epringer und forderte ihn auf, ihren eigenen Gemakl 
Sriedrich zu ermorden, indem fie eine gute Gelegenheit herbeizuführen ver 
ſprach. Ludwig ging auf die Jagd und zwar nicht auf eigenem Grund 
und Boden, jondern in einem Forfte des Pfalzgrafen, zugleich ließ er weis 


— —— — — — — 





ı) Wegelin ©. 12. :) Noten zu einigen Gefchichtfchreibern des Mittelalters U. 
189 fly. - 


Erſtes Bund. Cap. 8. Größere Dynaften in Franken. 293 


r fein Hifthorn erſchallen. Während deſſen badete der Pfalzgraf in ver 
ıftrut, da eilte feine Gemahlin herbei, fchalt ihn, daß er gleichgültig fein 
te8 Recht durch den Epringer verlegen laſſe. Durch diefe Reden des 
zeibes entzündet, ſchwang fih Pfalzgraf Frieverih auf fein Roß und 
chte im Malde den Springer auf: es fam zu einem kurzen Kampfe, in 
elchem Friederich durch drei Begleiter des Epringers, die Brüder Dietrich 
v Ulrich von Deutleben und Reinhard von Runftatt umgebracht ward. t) 
urz darauf genad Adelheid eines mit dem Ermordeten gezeugten Sohnes 
id heirathete dann den Mörder. In diefer zweiten Ehe gebar?) fie vier 
öhne, Ludwig IIT., der dem Vater folgte und erfter Landgraf von Thü- 
ngen ward; Heinrich, mit dem Beinamen Raspo; Herrmann, der um 
120 als Staatögefangener auf Schloß Hammerftein ftarb; endlich Udo, 
r in den Clerus trat, und das Bisthum Zeiz erlangt hat. Außer den 
er Eöhnen brachte fie noch Drei Töchter zur Welt, Kunigunde, welde 
n ſächſiſchen Grafen Wichmann heirathete; @äcilie, die an den Grafen . 
krlah von Veldenz vermählt ward, und Adelheid, welche Graf Ulrich 
m Weimar zum Weibe nahm. 

Im Uebrigen hatte der Mord zwei wichtige Folgen. Einmal fonnte 
idwig, bereichert durh das große Vermögen feiner Gemahlin aus dem 
ächtigen Haufe Stade, fein Gut beveutend vermehren. Er erbaute bie 
ıbeswingliche Veſte Wartburg bei Eifenah und Schloß Neuenburg an der 
nftrut, auch die Etadt Freiburg am gleihen Fluſſe gründete?) er. Bei⸗ 
fig will ich bemerfen, daß dieſe Angaben durch das volfommen glaubs 
hrbige Zeugniß des Goſeker Moönchs beftätigt werden, welder zu vers 
ben gibt,*) dag Schloß Neuenburg an der Unftrut zum Befige des Ora- 
ı Ludwig gehörte. Eine zweite Folge des an dem Pfalzgrafen verübten 
ordes war die Gründung des Klofters Reinharbsbrunn, in welchem bie 
jronif geichrieben worden iſt, der wir großentheils die bisher mitgetheilten 
ıchrichten verbanfen. Geängſtigt durch die Vorwürfe des Biſchofs Giſil⸗ 
rt von Halberftadt, faßte Graf Ludwig II. im Jahre 1085 Calfo zwei 
ihre nach dem Mord) den Entſchluß, eine Abtei auf feinem Gut Reins 
rosbrunn zu errihten. Die Einweihung erfolgte jedoch erft zwölf Sahre 
kter an Mariä Himmelfahrt 1097 unter dem Halberftadter Biſchof Stes 
an oder Herrand. Beſetzt aber wurde das neue Klofter mit dreizehn 
[uniacenfer Möncden aus Hirſchau (bei Calw im Schwarzwalde). 

Man alaube nicht, daß die Gründung des Klofterd eine Frucht tiefer 
ne oder des Vorſatzes gründliher Befferung war. Politiſche Berechnung 
t zum Mindeften cbenfo viel mitgewirft. Ludwig blieb der alte. Weber 


1) Gffard ©. 356 u. Chronic. Gozec. I, 15. Berk X, 146. 2 Ekkard ©. 317, 
Ekkard S. 357. %) Chronic. II, 4. Per& X, 152. 


294 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


die Ereigniffe von 1098 an berichtet ver Goſeker Minh als Augenzeuge. 
„Bisher,“ jagt‘) er, „habe ich Geleſenes mitgetheilt, was ich welter ers 
zähle, erlebte ich felbft.“ Gründliche Verwirrung herrſchte in Sachlen. Faſt 
in jedem Klofter, faft in jedem Hochftifte fanden Aebte und Gegenäbte, 
Biſchöfe und Gegenbifchöfe wider einander.” Und wie benahm fidh ber 
Springer unter diefen Umftänden ? Er hielt bald zur einen bald zur andern 
Parthei,?) wie e8 feinem Vortheil dienliher war. Allerdings kam er dabei 
nicht zu furz. Die Landgrafihaft Thüringen, eine Würde, nach der er mit 
großer Beharrlichfeit firebte, die jedoch amtlih erft unter Ludwig's II. 
gleihnamigem Eohne anerkannt warb, beftand thatlächlich Schon um 1090. 
„Ueber Thüringen," fagt ’) ver Goſeker Mönch, „berrichte Ludwig als 
Fürſt.“ 

Zuletzt ftredte er gegen den eigenen Stiefſohn räuberiſche Hände aus. 
Der Knabe Friederich, des erichlagenen Pfalzgrafen gleihnamiger Cohn, 
war mit den Kindern aus zweiter Ehe, feinen Stiefbrüdern und Stie; 
Ichweftern, aufgewachſen und erzogen worden.) Als er die Zahre der 
Mündigfeit erreicht hatte, verlangte er das Erbgut feines Waters, dad 
Palatinat von Putelendorf und die Vogtei über Goſek. Aber jenes beftritt 
ihm fein Vetter, der Eommerjchenburger Friederih, dieſe fein Stiefoater 
Ludwig, Es muß zu entjeglihen Scenen zwiſchen ihm und dem Grafen 
gefommen fein. Vor dem Hofgerichte zu Merfeburg forderte ums Jahr 1111 
der junge Pfalggraf den Mörder feines rechten Vaters und den Räuber 
der Vogtei Goſek zum Zweifampf heraus, und „fie hätten fich gefchlagen,“ 
fügt’) der Möndh bei, „wäre nicht das Machtwort des Kaiferd (Hein 
rih V.) dazwiſchen getreten." Ich breche hier ab, weil die weiteren Be 
gebenheiten aus dem Leben des Begründerd der Landgrafihaft Thüringen 
über Die Zeit hinausreichen, welcher vorliegende Werk gewidmet ifl. 

Da Sranfen feit 938 Feine Herzoge mehr befaß, ſollte man erwarten, 
daß dort zu Lande mehr Dynaften auffeimten, als in andern herzoglichen 
Provinzen. Dennod war das Gegentheil der Fall. Drei Haupturjaden 
haben auf dieſes Ziel harmoniſch hingearbeitet: erſtens die ftetS rege Sorg- 
falt, welche unjere Kaiſer aufwandten, um zu verhindern, daß in dem 
gefährlihen Mittellande ein übermäctiged Haus entitehe; zweitens die 
Macht des Mainzer Erzjtuhlee. Rückſicht auf das eigene und des Reiches 
Wohl jchrieb Den Nachfolgern des h. Bonifacius die Pflicht vor, darüber 
zu wachen, daß ihnen fein weltlicher Bafalle über den Kopf wachſe. Dabei 
verfügten fie über die nöthigen Mittel, um das, was Vernunft for 


1) Chronic. gozec. I, 29. Pertz X, 151. 2) Ibid. I, 28 ©. 150. EB 
tempore comes Ludorvicus huic principabatur provinciae. % Ibid. I, 17 ©. 117. 
8) Ibid. ©. 152. 


Erſtes Buch. Cap. 9. Schwabens kirchliche und politifche Gränzen. 295 


rte, in's Werk zu ſetzen. In gleihem Sinne wirkte drittens die überaus 
nftige Stellung, welche, wie ich fpäter zeigen werde, die Würzburger Bi: 
öfe zwiihen 1007 und 1017 erlangt haben. Selber Herzoge in dem 
ochftift geworden, hielten fie ihr Gebiet fauber und duldeten fein Ein- 
Ren von Adlern und Lämmergeyern. 

An der Südweftgränze ded Würzburger Eprengeld gegen Schwaben 
n, tauchen‘) im Laufe des 11. Jahrhunderts mehrere, wahrfcheinlih ein 
d demjelben Geſchlechte angehörige Grafen, Burchard, Rugger, Heinrich 
if, welche zu Komburg (unweit ſchwäb. Hal) und zu Rothenburg an 
r Zauber jagen. Verwandt mit ihnen war Bilhof Emehard, der von 
189 bis 1104 den Stuhl des h. Kilian einnahm. Der erftgenannte 
urchard brach 1078 fein Stammhaus Komburg ab und errichtete auf 
rjelben Stelle ein Benebiktiner-Stift, in das er felber ald Mönch eintrat. 
at) und Helfer bei diefer Sache war ein reicher Mainzer Bürger, Wiges 
md. Burchard, der Stifter, ftarb 1096, die erblihe Vogtei erhielt fein 
ruder Heinrih, der aber 1108, ohne Kinder zu hinterlaffen, verſchied. 
fit ihm erloſch das Gefchlecht, das, wie man fleht, ein ungefährliches, dem 
eiche und der Kirche getreued gewejen war. 

Ferner Feimte im nördlichen Theile des Würzburger Hochſtifts das 
aus Henneberg, hochberühmt dur feinen Sohn, den Mainzer Erzbi- 
of Berthold, der kurz vor der Kirchenipaltung von 1517 das Mens 
enmögliche that, um das finfende Reich germaniſcher Nation zu retten. 
ie Anfänge des Geſchlechts reichen in die Zeiten Gregor’d VIL hinauf; 
fein weil die Henneberg enge mit den Dynaften der babenbergifchen Marke 
fammenbhängen, muß ich die Entwidlung ihrer Urgefchichte für einen ans 
m Ort aufjparen. 

Kun nah Schwaben. 


Henntes Eapitel. 


rchliche und politiſche Bränzen des Landes Schwaben. Elſaß und Churmwalen mit 
Alamannien verbunden. Die Stühle Straßburg, Chur, Conſtanz, Augsburg. Der 
nördliche Theil des burgundifchen Hochftifts Baſel ſteht unter deutſcher Hoheit. Bor⸗ 
mio und Gläven fchwäbifh. Der Augsburger Krummftab reicht in bairifches Gebiet 
hinüber. Metropolitangewalt von Mainz fammt Nachweis ihrer vollen Bedeutung. 
Die Großlehen Schwabens. Das Herzogihum und ein Palatinat. Herrengeſchlech⸗ 
ter: die Welfen von Ravensburg, die Zähringer, die Nheinfelber. 


Die Nordgränze Schwabens ift oben beftimmt worden, wo wir zugleich 
ıchwielen, daß fie mit dem nörblihen Saume der Hochſtifte Straßburg, 


ı) Die Belege bei Stälin, württemb. Geſch. I, 571 u. 594 u. II, 412 fig. 


296 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Conſtanz, Augsburg zufammenfält. Bleibt daher noch übrig, den begons 
nenen Kreis gegen Welten, Eüden und Often abzufchließen. Vom 9. bis 
zum 13. Jahrhundert war die Landſchaft Elfaß mit dem Herzogthum 
Schwaben vereinigt: in elſäßiſchen Urkunden) führen die fchwäbifchen Her: 
zoge Dtto (982), Conrad (988), Herimann II. (1003), Herimann II. 
(1004) zugleih den Titel Herren des Elfaßes, und die nemliche Einrichtung 
dauerte auch durch Pie Zeiten der Hohenftaufen for. Da nun der Rhein 
Elſaß vom eigentlihen Alamannien ſchied, und va folglich erftere Land⸗ 
Ihaft eine weftliche Fortfebung ded Herzogthums war, befteht die Aufgabe, 
Schwabens weftlihe Gränze zu beftimmen, darin, daß man darthun muß, 
wo Elfaß gegen Abend endete. 

Die Sache ift nicht ohne Schwierigkeit. Im Leben?) des 5. Deicolus 
heißt ed: „das Wasgau (oder die Vogefenfette) ſcheidet das Elſaß vom alten 
Burgund (und Lotharingien).” Dieſe Anfhauung hat fi bis auf den has 
tigen Tag erhalten, das Land jenfeits des Vogeſengebirgs war und iR 
wälih, das vieffeitige deutih. Wir Eennen aljo die Weſtgränze Alaman 
niend gegen Lothringen und Burgund. Aber wie weit reichte Elſaß gegen 
Eüden? Gregorius von Tourd fagt ‘) im Leben des h. Romans: „der 
raubefte Theil des Jura trenne unweit der Stadt Aventicum Alamannim 
von Burgund.” Auf der nördlichen Abdachung eben dieſes Jura emtipringt 
das Flüßchen Bird, das unweit Basel in den Rhein mündet. Demmach 
müßte zu Ende des ſechſten Jahrhunderts Alamannien, d. 5. Elſaß bis 
an die Quellen der Bird gereicht haben. Sa, jo war ed damals und aus 
in den folgenden Jahrhunderten. Denn unweit den ebengenannten Quellen 
lag das Klofter Münfter im Granfeld (monasterium grandis vallis), und 
bezüglich dieſes Klofterd fagt Kaifer Lothar I. in einer Urkunde *) vom 
Aug. 849, daß e8 dem Herzogthume Elfaß angehöre. Elfaß und folglich 
auh Alamannien ſtieß demnad gegen Süden an die nördliche Abdachung 
des Jura. 

Aber nun entfteht ein Hafen. Nicht ein Bisthum umſchloß das Elſaß, 
jondern zwei, außer dem Straßburger das Basler, theilten fih in die Lands 
haft. Die Gränze zwiſchen beiden bildete dieſſeits Schlettftapt der Eden 
bach,) welcher, noch heute Landgraben genannt, zugleich die zwei politifchen 
Bezirke des Ländchend, den Süd- oder Eundgau, von dem Nordgau und 
den Basler Eprengel vom Straßburger ſchied.) ine Lifte der Landfa 
pitel des Basler Bisthums aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 


D Schoepfin, Alsat. diplom. I, Nr. 163. 166. 172. 182. 184. 2) Bei Mabil- 
lon, acta Sanct. II, 100 fly. ?) Acta Sanctor. Bolland. Febr. III, 746: illa juren- 
sis deserti secreta, quae inter Burgundiam Alemanniamgue sita, Aventicae adjacent 
eivitati. *) Schöpflin, Alsat. diplom. I, 83 Nr. 102: situm in ducatu helisazensi. 
®) Schoepflin, Alsat. illustr, I, 21. IL, 15. 


Erſtes Bud. Gap. 9. Schwabens kirchliche und politifche Bränzen. 907 


gt‘) vor, Taut welcher daſſelbe eilf Defanate beariff. Die beiden noͤrd⸗ 
hſten unter diefen Landkapiteln waren die, welche „jenſeits des Ottenbühel“ 
d „längs dem Rheine” genannt wurden.) Aus dem angehängten Verzeich⸗ 
ze der Pfarreien erſieht man, vaß jenes auf dem linken Ufer der Ill 
3 an den Eckenbach, und daß das andere auf dem rechten Ufer des näm- 
hen Fluſſes bis nah Breiſach reichte. Und zwar iſt diefe Eintheilung 
en ſo alt, wie die der übrigen deutſchen Hochſtifte, denn im Jahre 1068 
ꝛihte“) Biſchof Berenger von Baſel eine neu erbaute Capelle zu Mülbach 
| Münfter im elſaſiſchen Gregoriusthale. 

Nun meldet?) ferner Wippo im Leben des Kaiſers Conrad IT., Bafel 

unmittelbar vor der Bereinigung Burgunds mit Deutfchland eine bur- 

ndifche, von der dortigen Krone abhängige, Stadt geweien. Sollte nicht 
raus folgen, daß auch der Eprengel, daß alfo die beiten obgenannten 
efanate unter burgundiſcher Hoheit ftanden? Mit Nichten! Anderthalb 
ihrhunderte vor der Erwerbung Burgunds haben unfere Könige und Kater 
mittelbar über ven elfäflfchen Sundgau ebenfo wie über den Nordgau 
herrſcht. Durch Urkunde) vom März 913 beftätigte König Conrad T. 
r unweit Colmar im Sundgau gelegenen Abtey Murbach den Belt 
fer ihrer Güter; durch Schenkung“) vom Sahre 953 gab König Dtto T. 
ı den Stuhl von Ehur gewiſſe elfäflihe, im Sundgau zu Kinsheim, 
emare, Wiejenheim gelegene Güter zurück; durch Urkunde”) vom Sahre 
9 vergabte er an Rudolf, feinen Getreuen, Krongüter zu Colmar und 
ottenheim. Sch Fönnte noch viele Beifpiele anführen, aber das Geſagte 
ag genügen. Alles Land, das heute noch zum Elſaß gehört, war bis 
r Die Thore Bafels deutich, genau fo weit, als der Sundgau reichte. An 
tem aber lag noch das Dorf Kems, ) das faft vor Baſels Mauern 
bt. Auch Wippo deutet in feiner Welfe auf den eben entmwidelten Sad: 
rhalt hin: mit autem Bedacht nennt er Die Stadt Bafel und nicht den 
prengel burgundiſch. 

Die füblihen Theile des Bafeler Hochftiftes ftanden allerdings unter 
rgundifcher Hoheit, aber auch über dieſe übten — fo weit nämlich das 
te Farolingifche Herzogthum Elfaß fih ausdehnte — Deutichlands Könige 
nge Zelt vor der einentlihen Erwerbung Burgunds eine mittelbare Herr: 
aft. ine Urfunde”) des burgundiſchen Königs Conrad (937—993) 

vorhanden, aus welcher wir Folgendes erfahren: der ebengenannte König 





t) Trouillat, monumens de l’eräch& de Bäle I, Porflüd ©. 74 flo. ⁊) Decana- 
ı ultra colles Ottonis und decanatus circa Rhenum. 3) Daf. I, 183. %) Verb 
‚263: Basilea sita est in quodam triviali confinio, id est Burgundiae, Alemanniae 
Franciae: ipsa vero civitas ad Burgundiam pertinet. 6) Schöpflin, Alsat. diplom. 
Mr. 134. *) Ibid. Nr. 138. ?) Ibid. Nr. 140. °) Schöpflin, Alsat. illustr. 
633. ®) Trouillat I, S. 134 flg. Nr. 81. 


298 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


hatte in Anmefenheit vieler Herzoge, Biſchöfe, Grafen eine Zufammenkunft 
mit dem neuen Kaiſer Dtto I. und beffen Sohne, dem Könige (Dtto IL) 
gehalten. Hier traten Kläger auf und führten Befchwerde, daß Conrad's Vater, 
Rudolf II., die Abtei Münfter im Granfeld an einen Laien verliehen habe. Die 
Verfammlung erklärte fofort die Vergebung für unftatthaft und wiberredt- 
ih; demgemäß ftellte befagter König Conrad die Abtei wieder her. Ueber⸗ 
ſetzt man diefe Fünftlihen Wendungen in lautered Deutſch, fo befagen fie: 
König Conrad fei durch Kaiſer Otto, ald den Oberherrn der burgunbijcen 
Theile des Elfaßes, gezwungen worden, das Klofter herauszugeben. 

Das nämliche Verhältniß dauerte unter den Nachfolgern Otto's I. fort. 
Denn durd Urfunde‘) vom Jahre 1000 beftätigte Rudolf der Fahrlaͤßige, 
letzter König von Burgund, dem Basler Stuhle den Beſitz der Abtei Mün⸗ 
fter im Granfeld, beifügend, „daß der durchlauchtigſte Kaiſer Otto III. ſothane 
(von ihm dem Könige ertheilte) Beſtätigung gut geheißen habe.” Die bur⸗ 
gundilchen Ivetot waren, wie man ficht, längft von den Ottonen umgamt, 
ehe die Kaifer Heinrih II. und Conrad II. dad Nachbarreich fürmlid in 
Beſitz nahmen. 

Verhielt fih die Sade wirflih fo, dann muß man offenbar jagen, 
daß die Biſchöfe von Bafel im 10. Jahrhundert Doppelvajallen waren, 
fofern fie für die nörblichen Theile ihres Sprengeld unter germanifcher, für 
die fühlichen dagegen unter burgundifcher Hoheit ftanden. Und in der That if 
nicht8 gewißer, als daß der Stuhl von Bafel fih in dieſer Lage befant. 
Auf der deutfchen Reichsſynode, weldhe der Löwe Otto 948 zu Ingelheim 
hielt, wo er den neuftrifchen König, Ludwig den Ueberfeeilchen, tief demi- 
tbigte, ) erfchten ) mit den Bifchöfen von Augsburg, Conftanz, Worms, 
Speier und vielen andern auch ver Basler Wichard. Dreizehn Jahre Ipäter 
(961) fand fih der Nachfolger Wichards, Bilchof Lando von Bajel, zu 
Magdeburg ein,?) um das große Kirchenfeft zu begehen, das gefeiert ward, 
ald man die Reliquien des h. Mauritius im dortigen Dome beifegte. Wäre 
der Stuhl von Baſel nit theilweife deuticher Hoheit untergeorbnet ge 
wejen, jo würden ficherlih die Bifchöfe Wichard und Lando nicht in 
jolher Weife dem rothen Löwen aufgewartet haben. 

Alfo von den Quellen des Surbadhes an, welder, wie früher?) gezeigt 
worden, Francien von Alamannien, das Speierer Bisthum von dem Straß 
burger fchied, lief die MWeftgränge des Herzogthums Schwaben über die 
Schneeſchmelze der Vogejenfette hin, bis zur nördlichen Abdachung des Jura 
und zum Klofter Münfter im Granfeld, fehrte von da, Bafel als burgun 
diſche Stadt rechts lafjend, zu dem Nheinftrome zurüd, überfchritt denſelben 


t) Ibid. Nr. 86 ©. 140. 2) Gfroͤrer, X. ©. III, 1213 flg. 2) Berk, eg. 
DJ, a. ©. 24 unten fig. 4) Berk VI, 615. s) Oben S. 205. 


Erſtes Buch. Gap. 9. Schwabeno kirchliche und politifche Graͤnzen. 299 - 


In der Nähe der Beugung, folgte dem Strome hinauf bis zu der Stelle, 
wo gegenüber die Aare einmündet, ſprang hier auf die andere Seite hinüber, 
und ftrich immer die Aare zur Rechten hinauf bis zum Thuner See, und 
von da zum Gotthard empor. Alles das fagt Kaiſer Friederich I., der 
Rothbart, in der Urfunde‘) vom 27. Novbr. 1155, kraft welcher er die 
uralten, auf den Merowinger Dagobert zurüdgeführten, Gränzen des Con⸗ 
ſtanzer Hochſtifts gegen die burgundifchen Bisthümer Baſel und Laufanne?) 
beftätigte. 

Vom Gotthard an zog nicht mehr der Conſtanzer Sprengel, fondern 
ein anderes alamannijches Hochſtift,) das von Chur, die ſüdliche Gränze 
des Herzogthums Schwaben. Gleich der weftlihen hatte auch dieje fünliche, 
vom Bisthum Chur ausgefüllte, Ede ihren befonderen Namen. Sie hieß 
naͤmlich Rhätien oder Churmwalen*) und hatte jogar zwifchen 889 und 909 
eine bejondere, obwohl mit Schwaben verbundene Marfe gebildet.°) Betrefs 
fend den Umfang des rhätifch-alamannifchen Hochſtifts Chur liegt ein Vers 
zeichnißs) aus dem Jahre 1486 vor, laut weldem daſſelbe acht große 
gandfapitel begriff. Anderer Seitd erhellt aus einem Schreiben”) welches 
der Churer Biſchof Victor 821 an Ludwig den Frommen richtete, daß fein 
Bisthum damals vielleicht noch größer war, ald 1486. Denn Bictor 
behauptet darin, nicht weniger ald 230 Pfarrkirchen feien feinem Stuhle 
untergeordnet, während die Lifte von 1486 nicht fo viele Pfarreien 
aufweidt. 

Wir haben e8 hier nur mit denjenigen Theilen ded Churer Hochſtifts 
zu thun, weche von der Südgränze Alamanniend Zeugniß ablegen. Unter 
bem genannten Krummftabe ftanden erftens das Thal der obern Moeja mit 
Mifocco und Roveredo; zweitens das Engadin oder dad obere Innthal; 
drittend das obere Etichthal mit Glurns, Schlandersd und Meran. Den 
Engadin hat der Churer Stuhl durd die Glaubensfpaltung verloren; Die 
beiden andern Stüde aber bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts behauptet. °) 
Allein die politiihen Gränzen des Herzogthums Schwaben reichten gegen 
Süden über den geiftlihen Eprengel von Chur hinüber, indem fie, doch 
nicht ohne Vermittlung des dortigen Biſchofs, das obere Addathal oder 
das Baltelin mit dem Hauptort Bormio, zu deutſch Worms, und die Graf 
haft Ehiavenna, zu deutih Eläven, umfaßten. Eine Urkunde Friederichs 


— — — 


') Dümge, regest. badens. ©. 139 Nr. 92. ?) Ibid. inter basiliensem episco- 
patum — per ripam Rheni — usque ad flumen Arae, ac deinde inter lausanensem epis- 
‚opatum per ripam Arae usque ad lacum Thunsee, inde ad alpes. ?) Weiter heißt es 
jinter obigen Worten: et per Alpes ad fines Rhetiae Curiensis. %) Pertz IL, 325 u. 
329. °) Neugart, cod. diplom. Alam. Nr. 584. 627. 640. 643. 654. 658. 668. 673. 
Bel. auch ibid. 553. 774. 731. 739. 6) Eichhorn, episcopat, curiens. prolegom. ©. 
25 flg. ?) Ibid, probat. Nr. 6 ©. 14. 





300 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


des Rothbarts, welche Kaifer Heinrih VI., fein Sohn, unter dem 15. 
Februar 1192 beftätigte,) befagt: „auf einem Landtag zu Ulm habe ver 
ſchwäbiſche Adel Beſchwerde geführt, daß die Grafihaft Chiavenna dem 
Herzogthume Schwaben entzogen worden fei und gedroht, Feinen Kriegsdienſt 
mehr zu leilten, wenn nicht Abhilfe gefchehe.* Weiter heißt ed: „der Kailer 
ließ die Sache unterfuchen, fand die Klage begründet, und gab die Graf 
Ihaft an das Herzogthum zurück.“ 

Wann und wie ift Eläven an Schwaben gefommen? Meines Grad: 
tend in den Tagen Kaiſer Dtto’8 II. und durch Schenkung veffelben an 
den Stuhl von Chur. Mittelft Urkunde?) vom 5. Dez. 980 verlieh näm- 
ih Dtto IT. dem Churer Biſchof Hiltebold den Zoll der Brüde, die vor 
der Stadt Cläven über die Mera führt, fammt allen Leibeigenen, welde 
bis dahin Die Krone in der genannten Etabt beſaß. Auf ähnliche Weile 
und wohl um diefelbe Zeit muß der Churer Stuhl aud das Baltellin 
fammt Bormio erworben haben. Denn vie Ueberlieferung hat fich erhal: 
ten,”) daß die Mailänder im Bunde mit denen von Como um 1200 dem 
Churer Biſchof Bormio entriffen. Ein Verzeichniß aus dem Ende des 
15. Jahrhunderts, das die Schlöffer und Herrichaften aufzählt, welde in 
alten Zeiten dem Churer Stuhl gehört hatten, aber längft verloren gegan- 
gen waren, vergißt Stadt und Bann Worms nict.*) 

Ein Blick auf die Karte genügt, um den wahren Zufammenhang aut: 
zudecken. Cläven beherrſcht den fühlihen Zugang zum Splügen-Paß und 
Bormio liegt am Fuße des Wormſer Joches, einer Hauptftraße, die aus 
dem obern Innthale, folglich aus Schwaben und Baiern, nah Wärichland 
führt. Unſere Kaifer hatten daher guten Grund, zwei fo wichtige Päfle 
nicht in den Händen von Stalienern zu laffen. Deßhalb ſchlug man das 
obere Adda- und Merathal zum nächften Herzogthum Schwaben, und zwar 
vertraute man fie einer der Krone freundlihen Macht, dem Bifchof der 
Gränge, d. h. dem Ehurer, an. Gleichwohl war der Biſchof nur Grundher, 
nicht zugleich geiftlicher Vorgefegter in Bormio und Cläven; denn In 
überzeugenver Weile zeigt) Pater Eichhorn von St. Blaften, daß beit 
Orte fortwährend unter dem Krummftabe von Como blieben, dem fie durd 
Carl den Großen zugetheilt worden waren. Auch fpringt in die Augen, 
daß es fich bei Einverleibung der zwei Thäler in den Verband des jchwi: 
biihen Herzogthume, nicht um Religion oder fonft geiftlihe Fragen, fondern 
um Waffen: und Kriegdgewalt handelte. 

Vom oberen Innthale ſtrich Schwabens politiſche Granze, gegen Oſten 
umbeugend, nach dem Lech hinüber und folgte dieſem Fluſſe bis zu ſeiner 





1) Böhmer, regest. Nr. 2777. ?) Eichhorn a. a. O. probat. Nr. 26 ©. 30 
flg. ®) Ibid. Tert ©. 85 fig. *) Ibid. prob. ©. 159. ®) Tbid. proleg. ©. 24 


Erſtes Bud. Gap. 9. Schwabens Firchliche und politifhe Graͤnzen. 301 


mündung in die Donau. „Der Led,” fchreibt‘) Einhard zum Jahre 
7, „ſcheidet Alamannien vom Baierland.” Indeſſen bildete er nur in 
Itliher Hinfiht die Gränze, denn die geiftlihe Amtögewalt oder der 
ummjtab des jchwäbiichen Biſchofs von Augsburg reichte ziemlich weit 
rt den Lech hinüber auf bairisched Gebiet. Aus dem im Jahre 1441 
jefapten Verzeichniſſe der Beſtandtheile des Augsburger Hochftiftd er: 
It,’) daß jemjeitd des Lechs eine Reihe Defanate zu demjelben gehörte, 
eine Linie von Weilheim über den Ammerjee bis nad Neuburg an der 
mau hinunter bilden.) Und wie fchön fann man beweifen, daß ber 
gsburger Sprengel jhon im 8. Jahrhundert diefe in Baiern gelegenen 
te umfaßte! 

Alte Nachrichten‘) deuten an, zwiſchen 740 und 801 ſeien letztere 
üde von dem ſchwäbiſchen Stuhle abgelöst und zu einem beſondern bals 
ben Hochſtift Neuburg geichlagen worden. Dieſe Weberlieferung ift uns 
treitbar wahr. Die ältefte unter Carl dem Großen niedergefchriebene 
tet) deutſcher Metropolen zählt zu Mainz die Suffraganftühle Straßburg, 
nftanz, Augsburg; dagegen zum Salzburger Erzverband die Bisthümer 
gensburg, “Palau, Freiſing, Seben-Briren und Neuburg Nod 
br! in der Bulle?) vom 11. April des Jahres 800, Fraft welcher Pabſt 
) III. die Erhebung Arno's zum Erzbiſchofe von Salzburg beftätigte, 
net er ihm folgende Suffragane zu: Seben, Paſſau, Freiſing, Regens⸗ 
9, Neuburg. 

Aber bald darauf machte Carol der Große dem bairiihen Mißbrauch 

Ende. Glaubwürdig wird gemeldet,‘ daß Biſchof Sintbert, derjelbe, 

Ihen obige Bulle als Kirchenhaupt von Neuburg aufführt, unter thätiger 
twirfung Carols, der damals ſchon Kaijer gewejen jei, und des Pab⸗ 
Leo III., die aus einander gerifjenen bairischen und ſchwäbiſchen Stüde 
: alten Augsburger Eprengeld zu einem Ganzen vereinigt habe. Der 
rte hatte jeine Heerde wieder, und Dad Neuburger Afterbisthum war in 
Donau gefallen. Im Uebrigen ift ed leicht zu enthüllen, wie die Sache 
ammenhing. 

Die Gründung des Augsburger Hochſtifts reicht in die Zeiten des 
schen Weſtreichs hinauf, da jene Gegenden Norikum und Vindelicien 
Ben, und der Lech noch nicht Alamannien von Baiern ſchied. Epäter 
T jebte Herzog Ddilo von Baiern, welcher mit dem ‘Plane, umging, der 
chſenden Macht des farolingiichen Haufes zu Trog, jein Land in einen 


‘) Berg I, 173. vgl. ibid. 43 Mitte. Man vgl. noch ibid. V, 114 unten und 441 
re Mitte. ?) Monum. boic. XVI, 602. 3) Braun, Bifchöfe von Augsburg IL, 
Rüd ©. 16. %) Gfroͤrer, 8. ©. III, 696. 5) Jaffe regest. pontif. roman. 

1912. *®) Pertz IV, 425. 


302 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


unabhängigen Staat zu verwandeln, mittelft feines Einfluſſes in Rom 
durch, daß Pabſt Zacharias für ihn Parthei ergriff. Im Sommer 743 
fam es am Lech zum Kampfe zwiſchen Odilo und dem damaligen Franken: 
herzoge Pippin, dem Vater Carld des Großen. Die Baiern erlitten eine 
fürdterlihe Niederlage, und in ihrem Lager wurde der päbftliche Legat 
Sergius gefangen genommen.‘) Aus Anlaß der Verhandlungen, die biejem 
Kampfe vorangingen, wird es, denfe ich, geichehen fein, daß Zacharias zu 
Gunften des Herzogs Odilo die bairiihen Stüde des Augsburger Hod- 
ftiftö von den ſchwäbiſchen trennte, und aus erfteren ein eigenes Bisthum 
bildete, dad ausjchlieglih von dem Gebieter Baierns abhing. 

Der Fehler war gefchehen, und die Ehrfurdt, weldye die Carlinger 
dem Etuhle Petri zollten, geftattete nicht, auf al&baldige Wiederherftellung 
zu dringen. So verftriben gegen 60 Jahre; aber bald nad feiner Arö- 
nung zum Kaiſer, wußte Carol Pabft Xeo III. zu vermögen, daß er bie 
Aufhebung des Sprengeld Neuburg bewilligte. Seitdem blieb die Einheit 
des Augsburger Hochſtifts aufrecht, und hat ald Schranfe wider Unab: 
hängigfeit8-Gelüfte bairiſcher Herzoge wohlthätig gewirkt. 

Etwas wefllih von der Stelle, wo der Lech in Die Donau fällt, 
mündet jenfeitd die Wörniz in den nämlichen Strom. Ich habe an einem 
andern Orte nachgewiefen, daß die ſchwäbiſche Gränge an der Wörmiz und 
ihren öftlihen Seitenarmen hinauf bi8 nad) Feuchtwangen lief und von dert 
gegen den Rhein zurüdfehrte. Im Jahre 836 brachte der Presbyter Addo 
die Gebeine des h. Venantius aus Italien nad Niederdeutfchland. Ueber 
den Weg, den er machte, liegt ein Bericht”) aus dem 9. Jahrhundert vor, 
in welchem es heißt: „Addo jei von Eolenhofen aus nah dem, zu Ala— 
mannien gehörigen Drte Holzffirhen gegangen, von wo aus ihn Aa 
mannen über Wafjertrüdingen nad) Herrieven begleitet hätten.” Holzkirchen 
liegt auf dem rechten, alfo jchwäbifchen Ufer der Wörniz. Deßgleicen 
nennt die dem Aachener Reichötage von 817 vorgelegte Lifte‘) ſchwäbiſcher 
Klöfter neben Kempten Beuchtwangen und Ellwangen. 

Das Herzogthum Schwaben begriff vier Bisthümer, die ich der Größe 
nah aufzähle: Conſtanz, Augsburg, Etraßburg, Chur. Alle vier waren 
der Mainzer Metropole einverleibt. Dieſer Verband hatte zur Yolge, daß 
Alamannien zuweilen, doch nur felten und nur in Firchlicher Beziehung, dem 
heiligen Bonifacius zu Ehren, als fränkiſch betrachtet wurde. Die Aften 
des deutſchen Nationalconcild, welches König Ludwig I. im Herbfte 852 
nah Mainz berief, beginnen mit den Worten:) „im Oktober des Jahres 
der Gnade 852, traten auf Befehl des durdlauchtigften Königs Ludwig, 


1) Perg I, 327 fig. 2) Vita Rabani Mauri, acta Sanctor. Bolland. Pete. 1 
516, 517. 2) Perg leg. I, 224. *) Ibid. I, 410 unten fig. 


Erſtes Buch. Gap. 9. Schwabens kirchliche und politifche Bränzen. 303 


unter dem Vorfite des Metroppliten Rabanus Maurus die Biihöfe-Oft- 
franciens, Baiend, Sachſens zufammen.” Nun tagten damald zu Mainz, 
außer den jächfiihen Kirchenhäuptern von Halberftadt, Paderborn, Hildes- 
beim, außer den fränfiihen von Speier, Würzburg, Eichftädt, und außer 
den bairijhen von Seben, Regensburg, Paſſau, auch die alamannijchen 
von Conftanz, Chur, Augsburg. Letztere find aljo offenbar zu Francien 
im weiteften Sinne ded Worts gezählt worden. 

In gleicher Bedeutung braucht meines Erachtens den Ausdruck Wippo 
an der mehrfady angeführten Stelle,') wo er fagt, die Stadt Bafel liege 
auf der dreifachen Markſcheide Alamanniens, Burgunde, Franciens. In 
politiſcher Hinficht ftießen bei Bafel nur die Länder Alamannien und Bur- 
gund zuſammen; aber in Bezug auf kirchliche Eintheilung berührten ſich 
ebendajelbft die fränkische Metropole von Mainz und die burgundiiche von 
Bejancon. Denn Bajel gehörte dem Erzverbande Iegterer Hauptftabt an, 
während die an den Basler Sprengel gränzenden Bisthümer Straßburg 
und Conſtanz den Rachfolger des h. Bonifactus als ihr Haupt verehrten. 
In der That war der kirchliche Verkehr zwiſchen Mainz und den alamanni- 
fhen Suffraganftühlen lebhaft. Die fogenannten Elfäßer Formeln enthalten 
ein Beilpiel?) aus dem 9. Jahrhundert, welches zeigt, daß man in Schwa⸗ 
ben häufig von Entjcheidungen der Suffragane auf das Urtheil des Mainzer 
Primas Berufung einlegte; und im 11. Jahrhundert ſchrieb) der St. Galler 
Effehard, welder um 1070 ftarb, in fein Gebetbuch: „tft zu Conſtanz 
nicht recht gerichtet worden, jo geht der Zug nah Mainz.” 

Jetzt erit hat fi) vor unfern Blicken die volle Ausdehnung ded Main: 
zer Metropolitanbezirfd enthüllt. Derjelbe umſchloß die ſächſiſchen Stühle 
Halberftadt, Paderborn, Hildesheim, Verden; die fränkischen, Speier, Worms, 
Würzburg, Eichftädt, Bamberg; die alamannifhen, Straßburg, Eonftanz, 
Chur, Augsburg. Zahlreiche Belege find aus dem 9. bis 11. Jahrhun⸗ 
dert vorhanden, welche zeigen, daß die eben entwidelte Ordnung beſtand. 
Ih begnüge mid einige mitzutheilen. 

Im Herbite 847 berief Metropolit Rabanus Maurus nah Mainz eine 
Synode, auf welcher fih einfanden*) die fränkiihen Suffragane von Worms, 
Speier, Würzburg, Eichftädt; die fächfiihen von Paderborn, Hildesheim, 
Halberftadt, Verden; die alamannifchen von Chur, Augsburg, Conftanz. 
Im Jahre 1024 richteten die Suffragane des Mainzer Erzftuhles zu Guns 
ften ihres Metropoliten Aribo an den Pabſt Benedikt VIII. ein Schreiben, °) 


1) Berk XI, 263 unten. °) Eccard, leges Francorum ©. 242 Mr. 17. ?) Arx, 
Geſchichte v. St. Ballen I, 255 und 279: si Constantiae male judicatum sit, Magontiam 
adpellatur. ©) Mansi conc. XIV, 899 flg. ) Abgedruckt bei Biefebreckt, Ges 
ſchichte der deutfchen Kaiferzeit IL. 606 fig. Nr. 3. 


304 Pabſt Gregorius VI. und fein Zeitalter. 


welches audgefertigt war im Namen ver Biichöfe von Worms, Speier, 
Bamberg, Eichftädt, Würzburg; von Verden, Hildesheim, Halberſtadt; 
von Ehur, Straßburg, Conſtanz. Auf der Frankfurter Synode von 10% 
jaßen‘) neben ihrem Metropoliten Aribo die jächfiihen Biſchöfe von Ber 
ten, Halberjtadt, Hildesheim, Paderborn; die fränfiihen von Bamberg, 
Würzburg, Worms; die ſchwäbiſchen von Straßburg und Augsburg. 

Noch ein weiterer Stuhl jtand unter der Metropole Mainz, und zwar 
ein wichtiger und großer: der böhmiihe von Prag. So lange es unter 
den Czechen nur wenige und vereinzelte Befenner Jeju Ehrifti gab, war 
die böhmijche Kirche ein Anhängjel?) des Negensburger Stuhled geweren, 
jintemalen ihm Carol der Große die Predigt unter den Slaven des Ge⸗ 
birgs übertragen hatte. Nachdem aber durch Dtto L ganz Böhmen zur 
Annahme des Chrijtenthums genöthigt und zu Prag ein eigener Stuhl cr: 
richtet worden war, ftellte der Kaijer das neue Bisthum unter die Metro 
pole Mainz. Dephalb jagt?) der Czeche Cosmas: Erzbiſchof Willigie von 
Mainz habe Dietmar den erjten Biſchof von Prag geweiht, und bemerft‘) 
weiter ausdrücklich, der Nachfolger Dietmard Adalbert fei Euffragan von 
Mainz geweien. Weil die Sache fid fo verhielt, hat das oben erwähnt 
an Pabſt Benedikt VIII. gerichtete Schreiben vom Jahre 1024, mit den 
andern Suffraganen, auch Biſchof Izo von Prag unterzeichnet. *) 

Der Erzverband von Mainz übertraf an Umfang vier deutiche Königs 
reihe von heute. Der geiftlihe Arm der Nachfolger des h. Bonifacius 
reichte vom Comerjee bis zur Niederelbe, vom Donnersberg bis zu der 
Etelle, wo die Unſtrutt in die Saale mündet. Wer, der eine joldye Würde 
einnimmt, wird fie nicht behaupten wollen! Behaupiet fonnte fie aber nur 
dann werden, wenn das imperium, das Neid, germaniicher Nation, auf 
recht blieb. Die Mainzer Erzbiichöfe waren daher in Allem, was loblid 
und recht, geborne Zwillingsbrüder der Kaifer und Väter unjeres Volls. 
Und wie eifrig haben fie in älteren Zeiten ihre Aufgabe erfüllt! Auf bie 
Grundlage der kirchlichen Einrichtungen hin, welche der h. Bonifacius ſchuf, 
ijt Dur den Verdüner Vertrag der deutiche Reichskörper gebaut worden. 
Als zu Ende des 9. und zu Anfang des 10. Jahrhunderts ein Haufe 
mächtiger Uebelthäter das Reich zerreigen, Die deutihe Nation wie eine 
herrenloſe Heerde theilen wollte, 309 fie Hatto zur wohlverdienten Reden 
haft. Abermal zwei bie drei Menjchenalter jpäter hat Willigis, der Un 
vergepliche, dreimal den wankenden Etaat gerettet. 

Die große Macht, über welde der Mainzer Erzftuhl verfügte, hätte 
allerdings an fi leiht dazu führen fünnen, daß einzelne Unwürdige, vie 

1) Berg XI, 208. 2) Perg IV, 538 Mitte °) Ber IX, 50. *) Ibid €. 
51 oben. 5) Gieſebrecht, deutfche Kaifer IL, 606. 


Erſtes Buch. Gay. 9. Schwabens kirchliche und politiſche Graͤnzen. 305 


sauffamen, auf etwas wie ein deutſches Pabſtthum ſinnen mochten. Allein 
gen diefe Gefahr war gute Vorkehr getroffen: auf dem Naden faßen 
n Mainzern zwei, wenn nicht an politifhen Mitteln, jo doch an Würde 
fichgeftellte Amtögenofjen, die Erzbiichöfe von Cöln und Trier, denen es 
der an gutem Willen noch an der nöthigen Stärfe fehlte, ven erftges 
men Sohn der deutichen Kirche, falls er etwa ausfchreiten wollte, in bie 
nie der Pflicht zurüdzutreiben. Zugleich entzündete diefer Gegenſatz einen 
m öffentlihen Wohle ungemein förverlichen Wetteifer. Wenn etwa ein 
kegfried von Muinz jchläfrig war und der golpnen, auf deutichen Synoden 
oft eingeſchärften Regel: ne sitis sicut canes muti, qui non latrant, 
rgaß, jo trat Nachbar Hanno von Cöln vor und handelte fo, wie es ſich 
ziemte. 

Wahrlich, nie hat menſchliche Weisheit etwas Vollkommeneres und 
leres geſchaffen, als vie kirchliche Verfaſſung des deutſchen Reichs. Selbſt⸗ 
htig das Vermächtniß des h. Bonifacius antaſten, erſcheint daher als 
ı überaus ſchlimmes Verbrechen. 

Biſchof Otto von Freiſing, der Geſchichtſchreiber Friederichs des Rothbarts 
nnt') im Leben dieſes Kaiſers die Gegend von Baſel bis Mainz hin, das 
erz oder den Kern des deutichen Reichs.“) Unverfennbar if, daß er vors 
gsweiſe Schwaben-Alamannien im Auge hat. Freilich könnte ed der Kal 
n, daß man foldhe Gedanken erft in den Zeiten der Hohenftaufen laut 
ißerte, obgleich fon Heinrih IV. unläugbar Schwaben fowohl im Hofs 
8 im Heercödienft bevorzugt hat, und obgleich ſchon Kaiſer Karol eine 
hwäbin, Hildegard, Tochter der Ahnen des nachmaligen Grafenhaujes 
n Bregenz Buchhorn ehelichte;") obgleih endlih Karold Sohn, Ludwig 
r Fromme, Judith, die Tochter des erften urfundlich befannten Welf gleiche 
8 aus dem Lande Schwaben, zum Weibe nahm,*) während man von 
mlihen Berbindungen zwiſchen Kaijern oder Königen und Töchtern von 
nterthanen anderer deutfchen Stämme nichts hört oder liest. Sei dem 
je ihm wolle, gewiß ift, daß im genannten SHerzogthum die Hörner 
Ben, mit denen des Reiches Feinde geftoßen wurden. Eine wahre Wolfe*) 
n Zeugniffen aus Chronifen, Dichtern, Geſetzbüchern liegt vor, welde 
ıftimmig ausjagen, daß von den Zeiten Karold des Großen bis herab 
8 14. Jahrhundert Schwaben ftetd die Ehre. des erften Angriffs, oder 
mit ich den Ausdruck der Quellen gebrauhe — des Vorfechtens genoß. 


1) De gestis Frideric. I, imperat. I, 12. Muratori script. ital. VI, 650. :) Pro- 
ıcia a Basilea usque Moguntiam, ubi maxima vis regni esse noscitur. 3) Siehe 
ten bei den betreffenden Geſchlechtern. *) Stälin, württemb. Geſch. I, 393 u. Il, 643. 

Bfrörer, Pabſt Sregorius vi. Bd. 1. 20 


306 Babft Sregorius VEL. und fein Seitalter. 


Ein mittelalterliher Dichter gibt Auffchluß über den hoben Werth, 
den diejenigen felber, welde für dad Reich firitten und bluteten, nemlid 
Schwabend Bauerföhne auf diefed Vorrecht legten. Er fagt: *) 

Swaben und Eticher (Tiroler) heiten Stoß: 
Das war um dad Vorfechten; 
Jegliher nach dem alten Loos 
Molt bleiben bei den Rechten. 


Weil nemlich ein guter Theil des heutigen Tirol, das obere Etſchthal 
von Mals bis Meran, zu Schwaben gehörte, machten die Tiroler über 
haupt Anſpruch auf Mitgenuß des Vorrechts. Aber die Andern entgeg- 
neten: Wir find Schwaben, Ihr aber ſeid nur Baier. Deßhalb fechten 
Wir vor und nit Ihr, oder — u. f. w. Das war ein Uebermaß von 

Selbftgefühl, denn jedem Stamme muß ungefränft feine Ehre bleiben. 

Unter den Städten Schwaben bejaß Straßburg den Borrang. 
Dietmar von Merfeburg nennt?) e8 das Haupt des Herzogthums Alaman- 
nien. Neben den bifhöflihen Eiten Augsburg, Straßburg, Conſtanj 
arbeiteten‘) fih Züri, Ilm, Eplingen zu bürgerlihem Wohlftand und pol: 
ticher Bedeutung empor. Schon im 11. Jahrhundert war der Grund u 
dem gelegt, was die befannten mittelalterlihen Verſe mit den Worten 
ausſprechen: 

Venediger Macht, 
Augsburger Pracht, 
Nürnberger Witz, 
Straßburger Geſchuͤtz 

Und Ulmer Geld 

Gehen durch die ganze Welt. 

Unter dieſen fünf Orten ſind, wohlgemerkt, drei ſchwäbiſche. 

Und nun zu den Großlehen und den Geſchlechtern Schwabens, ı 
welchen leßteren eines, das von Mheinfelden, gezogen werden muß, obgleis 
die Burg, von welder es den Namen trug, auf Burgundifher Erve ſtand 
und obgleich es, dem Blute nad, wie am gehörigen Orte nachgewiefen wer 
den foll, aus Sachſen ftammte. Denn durch ihre Geſchichte gehören die 
Rheinfelder Schwaben an. Beginnen wir mit dem Herzogthum. 


Pie Herzoge Schwabens. 


Im Jahre 911 wollte fi) der Alamanne Burkhard zum Herzoge auf 
werfen, büßte aber den Verſuch mit dem Leben.) Einige Zeit fpäter (917) 
erlangk Burfhardd gleichnamiger Cohn wirklih die vom Vater erſtrebte 


*) Der Nachweis ebenbaf. II, 643 Note 6. ) Perk II, 794 oben. Belege 
bei Stälin I, 537. 539. ©) Berk V, 112. 


Erſtes Buch. Gap. 9. Schwabens kirchliche und politifche Graͤnzen. 307 


Würde und behauptete Alamamien bis zum Jahre 926, in weldhem er 
erjblagen wurde.‘) Auf ihn folgte, von König Heinrich I. erhoben, ver 
ſaliſche Franke Herimann, der bis 954 die Fahne trug. Nach Herimanne 
Tode zog König Dtto J. Schwaben an fein eigenes Haus: er belehnte nem- 
ih mit dem Herzogthum feinen Sohn Liutolf, der mit der Tochter Heris 
manns vermählt war. Liutolf ftarb 957, nachdem er ſich wider den Bater 
empört und hiedurch fein Lehen verwirft hatte. ) Run gelangte Schwaben 
wieder an einen einheimiſchen Großen, Burfharb II., der mit einer rau 
aud dem Fönigliden Hauje, Hadwig, der Tochter Heinrih8 J. von Baiern 
und Nichte Ottos I., verehelicht war.) Nach Burkhards IL. im Jahre 973 
eingetretenem Tode, erhielt dad Herzogthum Liudolfs Sohn, Dtto I. von 
Schwaben, aljo abermal ein Eproße des Föniglihen Hauſes. 

Auf Otto folgte 982 der Salier Conrad, Neffe Herimand L; auf 
diefen im Jahre 997 des vorigen Sohn, Herimann IL; auf ihn der Enfel 
Conrads und Sohn Herimanns II., Herzog Herimann III. Drauf, nach⸗ 
dem Herimann III. 1012 geftorben, vergab König Heinrich II. die Fahne 
Alamanniend wieder an einen Fremden, den Babenberger Ernft I., der 
fhon 1015, wie früher gezeigt worden, durch ein Verbrechen befeitigt warb, 
und feinen gleichnamigen Sohn, Ernft IT. zum Nachfolger erhielt, welchen 
fein Stiefvater Kaifer Conrad II. 1030 wegen Empörung abſetzte. Nach 
Ernſts II. Tode vergab der Kaiſer dad Herzogthum an deffen Bruder, Heris 
mann IV., der 1038 mit Tod abgieng. Jetzt ward Schwaben förmlich 
mit der Krone vereinigt: von 1038 an verwaltete das Land Heinrih IIL, 
des Kaiferd Conrad Sohn, erft ald Thronfolger, dann als König. Aber 
1045 fah fich verjelbe genöthigt, wieder eigene Herzoge einzufegen, wozu 
er fremde, in Schwaben nicht anfäßige, Herren auserſah. “Der erite auf 
diefe Weije erhobene Herzog war der Eohn des Aachener Pfalzgrafen Ezzo, 
Dtto, in der Reihe ſchwäbiſcher Bannerträger gleihen Namens der zweite. 
Rachdem dieſer 1047 das Zeitliche gefegnet hatte, folgte auf ihn der Baben» 
berger Dtto III, welcher ven Beinamen des Schweinfurterd führt, und im 
Eeptember 1057 ftarb, ) ohne Söhne zu hinterlafjen. 

Die älteren Herzoge Schwabens hausten meift auf der uralten Burg 
Hohentwiel, der Königin des Hegau, die jedoch fammt den Erbgütern der 
Burdarde 994 an das Föniglihe Haus fiel.) Die zwei Ichten obges 
nannten fcheinen fich häufig in der eigenen Heimath aufgehalten zu haben. 
Der Ezzonide ftarb auf Schloß Tomberg und ward zu Braunmweller, der Etifs 
tung E08, begraben.) Auch der Schweinfurter Otto erhielt im Erbbes 


— nn — 


1) Ibid. 113. 2) Die Belege gefammelt bei Stälin, württemb. Geſch. I, 451 flg- 
3) Ibid. 453. %) Daſ. S. 492. *) Die Beweife bei Stälin I, 5?2 und 531 unten. 


°) Perg XL 404 unten fig. 
20° 


N 


308 Babft Bregorius VII. und fein Zeitalter. 


gräbnifje feines Haufes, der Kirche zu Schweinfurt, die letzte Ruheftärte.') 
Das ift bezeichnend. Wiederholt haben ed, wie man fieht, Ottonen und 
Salier verſucht, Schwaben zur Krone zu ziehen, und als dieß nicht gelang, 
nahmen fie wenigftend Bedacht, die Fahne an Fremde zu vergeben, die im 
‚Rande feine Wurzeln bejaßen. Dabei tritt unter den Dttonen der Reben 
zweck hervor, die Salier, die auf den herzogliden Stuhl Schwabens be; 
fördert wurden, aus Franfen zu entfernen. ine foörmliche Erblichkeit des 
Herzogthung Alamannien haben die Ottonen, wie ihre Nachfolger, der Sachſe 
Heinrid IL. und die zwei erften Salier, nicht geduldet. 

Allein nad dem Tode des Schweinfurter Otto giengen bisher uner- 
hörte und forgfältig vermiedene Dinge vor. 

Zwei eingeborne Große bewarben fi um die erledigte Fahne: Bert 
hold von Zähringen und Rudolf von Rheinfelden. Obgleih jener auf das 
Mort des verftorbenen Kaiſers fi) berufen fonnte, ertheilte Doch die Bors 
münderin Agnes dem Lebteren den Vorzug. Rudolf, Graf von Rheinfel- 
den, wurde im Herbite 1057 mit der Fahne Alamanniens belchnt. 

Ueber die Beweggründe der Reichöverwelerin ſtimmen die Zeugen nidt 
vollfommen überein. Abt Effchard von Aurach berichtet:?) „noch bei Lebs 
zeiten Otto's von Schweinfurt hatte Kaifer Heinrih III. das Herzogthum 
auf den Fall der nächjten Erledigung dem Grafen Berthold veriprocen, 
und demjelben ald Unterpfand des gegebenen Worts jeinen Sigelring eins 
gehändigt. Berthold hob den Ring forgfältig auf und ermangelte nicht, 
denjelben der Kaijerin vorzumeilen, nachdem beide, Heinrich III. und Dite 
von Echweinfurt, mit Tod abgegangen waren. Agnes erfannte allerdinge 
den Ring an, und gejtand ein, daß Berthold ein guted Recht habe; ven 
noch verlich fie das Herzogthum nicht ihm, jondern dem Grafen von Rhein 
felden, der — man weiß nicht ob auf eigene Bauft oder im geheimen Eins 
verftändiß mit Agnes — die Tochter des verftorbenen Kaiſers, Die wegen 
ihrer Jugend dem Biſchof Rumold von Conftanz zur Erziehung übergeben 
worden war, geraubt hatte. Gewiß ift, daß Agnes fih mit Rudolf aus⸗ 
föhnte, feine Vermählung zugab und ihm nun aud, aus Rüchkſicht auf di 
Tochter, das Herzogthum Schwaben verlich. Berthold von Zähringen, da 
dieß jehr übel nahm, wurde in Kurzem durch das Banner von Kärnthen 
bejchwichtigt, dad dur den Tod Kuono’d verfügbar geworden war.“ 

Der Abt von Aurach will es, wie man ficht, unentichieden laſſen, ob 
Rudolf aus cigenem Antrieb oder im Einverftändniß mit Agnes die Kailer 
tochter entführt habe. Aufrichtiger, oder befjer unterrichtet ift Lambert von 
Hersfeld. „Nah dem Tode Dtto’d von Schweinfurt,” jagt”) er, „erbidt 


— 


1) Pertz VI, 692. :) Ad a. 1057. Perg VI, 198. 2) Ad a. 1058. Pen 
V, 159. 





Erſtes Bud. Kap. 9. Schwabens Firdhliche und politiſche Graͤnzen. 309 


Rudolf dad Herzogthum Schwaben, und damit er bei der ſchwierigen Lage 
des Reichs dem failerliihen Haufe um fo treuer diene, verlobte ihn Agnes 
zugleih mit ihrer Tochter, die jedoch, weil fie damals noch zu jung war, 
für fo lange dem Eonftanzer Biſchof übergeben wurde, bis fie mannbar 
geworden fein würde.” Agnes hat demnady freiwillig die Vermählung ihrer 
Tochter mit dem Grafen beichloffen, und wenn je an dem Raube, von 
dem Ekkehard fpricht, etwas war, fann es nur ein zwiſchen Rudolf und 
Agnes verabredeted Spiel gewejen fein, das den Zwed hatte, die Kaiferin 
vor der Welt wegen des an dem Zähringer begangenen Wortbruhs rein 
zu waſchen. Rudolf von Nheinfelden mußte, im Kal Effehard Wahrheit 
berichtet, die Kaifertochter aus Conftanz entführen, damit Agnes jagen 
konnte, fie habe Wohlſtands halber der Einwilligung in die erzwungene 
Heirath, und in Folge verfelben auch der Belehnung Rudolf nicht mehr 
ausweichen fönnen. 

Die Katfertochter — fie hieß Mathilde und war allem Anfchein nad) 
1045 geboren,‘) zählte alfo 1059 nur 14 Jahre — blieb kurze Zeit in 
Conſtanz, ſchon 1059 fand ihre Vermählung mit Rudolf, dem neuen Her- 
zoge von Alamannien ftatt,?) viel zu frühe für die Gefunpheit des Kindes. 
Denn Mathilde ftarb, wie Lambert behauptet,”) Schon nad) wenigen Wochen 
des Eheftandes; laut der Ausfage Bertholds dagegen, im Jahre 1060. Der 
Wittwer jchritt fpäter zu einer zweiten Ehe, und zwar heirathete er abers 
mals eine Verwandte von Königen und Kaiſern, nemlich die Tochter des 
Markgrafen Odo von Turin, Adelheid, Echwefter der mit Heinrih IV. 
feit Weihnachten 1055 verlobten*) Bertha.) Der Wittwer war, wie man 
flieht, durch diefe Heirath ein doppelter Schwager des deutſchen Könige 
geworden. Beweist dieß nicht ehrfüchtige Gedanfen! Doch es bedarf Feiner 
Schlüſſe. Das Ziel, wohin Rudolf fteuerte, erhellt unzweifelhaft aus ber 
Morgengabe, die er bei Abfchließung der erften Ehe ausbedungen hat. 

Nicht nur die Fahne von Echwaben verlich ihm damald Agnes, ſon⸗ 
dern auch die Verwaltung des Reiches Burgund, welche die Kaifer bisher 
ſich ſtets jelbft vorbehalten hatten. Auch dieß genügte dem Rheinfelder Grafen 
noch nicht; die Reichöverweferin mußte ihm den erblichen Befig Schwas 
bens bewilligen. Berthold von Gonftanz jagt‘) zum Jahre 1079: „dem 
Sohne Rudolfs fei, al8 er noch ein Kind war, das Herzogthum Schwaben 
von König Heinrih IV. zugefihert worden.” Bon felbft ift flar, daß Heins 
rich, der faum 7 Jahre mehr zählte al8 der Sohn des Herzogs, ein ſolches 
Zugeftändniß nur darım gemacht haben fann, weil feine Mutter und Vor⸗ 





1) Hermani chron. ad a. 1045. Pertz V, 125. :) Bertholdi chronic. Berk V, 
271. 3) Ad a. 1072. Berk V, 191. 2) Sfrörer, Kirch. Geſch. IV, 617. 
®) Bertholdi annal. ad a. 1079. Pertz V, 319. e) Ibid. ©. 319. 


310 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


münberin Verbindlichkeiten in dieſer Richtung gegen Rudolf eingegangen 
hatte. Was die Verleihung Burgunds betrifft, jo meldet‘) der Zeitgenofle 
Walram mit dürren Worten: „zugleich mit der Hand ihrer Tochter übergab 
die Kaijerin Agnes dem Herzoge Rudolf dad Reich Burgund, damit ders 
felbe ihrem Sohne, dem Könige, defto treuer diene.” Auch andere Zeugen 
ftimmen biemit überein. Der Schwabe Rubolf wird von Effehard?) „Herzog 
Alamanniend und Burgundiend,” von Sigibert”) aus Gemblourd „Herzog 
der Burgunder” genannt. 

Rudolfs Rebenbuhler, Berthold von Zähringen, ermangelte nicht das 
Beilpiel des Rheinfelders nachzuahmen. Als ihn die Kaiſerin für das ent» 
zogene Schwaben mit Kärnthen abfand, bedang er gleichfalls zu Gunften 
feines Mannftammes die Erblichkeit aus. Abt Effeharb fährt‘) nad den 
oben mitgetheilten Sägen fo fort: „obgleih König Heinrih IV. das Her 
zogthum Kärnthen nicht nur dem Grafen Berthold felbft, fondern auf 
deffen Sohne verliehen hatte, bielt er nachher doch nit Wort, jondern 
vergab fpäter die Provinz an feinen Blutöverwandten Liutold“ (den Eppen 
fteiner). Mit den wachjenden Jahren zu befjerer Einficht gelangt, bereute 
nemlich der König das verderbliche Zugeftändniß der Mutter, allein e8 war 
zu ſpät. Das Zähringer Haus trat in die Yußtapfen des Rheinfelvere. 
Berthold's Nachfolger ruhten nicht cher, bis ihnen die Kaifer neben einem 
deutichen Erbherzogthum aud das burgundifche Reich verliehen. Auf dem 
Speierer Reichstage von 1127 wurde Berthold's I. Enfel, Conrad, mit dem 
Oſtjuraniſchen Burgund belehnt, und feitdem führten er und feine Erben 
den Titel Verwalter (rectores) von Burgund. ’) 

Wie fam c8 nun, daß Agnes dem Nheinfelder Rudolf fo flaate 
gefährliche Zugeftändniffe machte? Er muß Meifter in der Kunſt geweſen 
fein, vornehme Frauen zu umgarnen. „Herzog Rudolf“, fchreibt") Lambert 
zum Jahre 1072, „fand bei der Kaiferin in höchſter Gunft, theild wegen 
der Verdienſte, welche er ſich früher um fie erworben hatte, theils ald 
ehemaliger Schwiegerfohn.” Allein anderer Seits kann ed nicht an ein 
flußreihen Stimmen gefehlt haben, welde ernſtlich und entfchieven das 
abrietben, wad Agnes thun wollte und wirflih that. Abt Ekkehard bes 
merft”) zum Jahre 1057: „die Belchnung Rudolf von Rheinfelden mit 
dem Herzogthum Alamannien war gleihjam ein Abgrund, aus weldem 
alle die Stürme hervorbrachen, die nachher das Kaiſerreich erfchütterten.“ 
Unverfennbar deutet der Chronift an, daß der Schlag, welcher 1062 gegen 


*) Bei Freher, scriptor. rer. germ. I, 195. ’) Ad a. 1075. Berg VI, 201. 
2) Ad a. 1077 ibid. ©. 364. *) Ada. 1057. Perg VI, 198. *) Siehe die Re: 
geften der Zähringer bei Stälin, württ. Geſch. II, 288. °) Berg V, 191. ?) Berk 
VI, 198. 


Erſtes Bud. Gap. 9. Schwaben Firchliche und politifche Graͤnzen. 311 


Agnes geführt worden ift, mit der Erhebung des Rheinfelders zufammen, 
hieng: und nun wird die Sade flar. Weil die Kaiferin Mutter unges 
rechter und thörichter Weife den Reichsverweſer Hanno vom Steuerruder 
verdrängt hatte, und weil deßhalb in Kurzem Berge von Schwierigfeiten 
ſich gegen fie aufthürmten, fiel fie in das Nep von Nänfefchmieden, die 
ihr unter der Maske blinder Ergebenheit ungeheure Opfer abpreßten. Agnes 
bat durch das, was fie im Herbfte 1057 anrichtete, den Gegentönig groß 
gezogen, der jeit 1077 ihrem Sohne Heinrich IV. den Thron ftreitig machte. 

Marken hatte Schwaben feine, folglich auch feine Markgrafen. Zwar 
wird ein Markgraf von Giengen erwähnt, aber derſelbe führte dieſen Titel, 
wir ald Erbe von Gütern eincd wirklichen Markgrafen, folglih mißbräuds 
ih. Hievon jpäter. 


Pr ſchwaͤbiſche Yalatinat. 


Das Krongut, das die ſaliſchen Kaifer in Schwaben befaßen, kennt 
san nur aus Schenkungsbriefen, kraft welcher ſie einzelne Theile deſſelben 
an geiftliche Anftalten vergabten. Immerhin beweifen diefe Quellen, ‘) daß 
das Ichwäbiiche Kammereigenthum beträdhtlih war. Folglich konnte es an 
ſchwaͤbiſchen Pfalzgrafen nicht fehlen. Doch iſt nicht viel von ihnen die 
Rede. Inter den Dttonen wird ein einziger, Pfalzgraf Berno, in einer 
Urfunde ?) vom Jahre 972 aufgeführt. Seine Abftammung ift dunkel. 
Neugart Halt) ihn für einen Sohn Berthold, der unter Kaifer Arnulf 
bie Pfalzgrafenwürde befleivete. In den Zeiten der Salier, Heinrich's III. 
und Heinrich's IV., fommen zwei ſchwäbiſche Pfalgrafen, Friederich und 
Manegold vor,*) von denen der erfte wahrfcheinlich, der zweite gewiß, dem 
Dillinger Grafenhaufe angehörte. Da diefe Dillinger über ein Jahrhundert 
lang erweislid dad Palatinat von Schwaben inne hatten, und aud) jonft 
vielfah in die Reichsgeſchichte eingriffen, müfjen wir ihren Stammbaum 
in's Auge faffen. 

In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts Tebte ein ſchwäbiſcher 
Edelmann, Hugbald, der im Jahre 909 ftarb. Mit feiner Gemahlin 
Theitberga zeugte er cine Tochter Liutgard und drei Söhne, Manegolbd, 
Dietbald und Ulrih. Lebterer trat in den geiftlichen Stand, wurde Biſchof 
von Augsburg, erwarb fich hohe Verdienſte um Reih und Kirche) und 
farb den 4. Juli 973 mit dem Rufe eines Heiligen. Ulrih8 beide Brüs 
der, Manegold und Dietbald, pflanzten ihr Geſchlecht fort. Jener hinterließ 


2) Stälin a. a. O. J, 521 flg. 2) Daf. ©. 526. 3) Episcopat. constant. 
S. 245. 4) Urkunden von 1053. 1070. 1075. Bei Stälin IL, 654. 6) GEfroͤrer, 
Kirch. Sei. I, 1192. 1302 fig. 1363 fig. 


312 Pabſt Gregorius VIEL und fein Seitalter. 


einen Sohn Hugbald II., welcher Graf genannt wird. Dietbald, der gleich⸗ 
falls Graf war und 955 ftarb, hatte einen Sohn Rihwin, der erweis: 
ih auf der Burg Dillingen (Can der Donau) hausſte. Ob viele Burg 
ſchon Stammfig der älteren Glieder des Hauſes geweſen ſei, kann nidt 
mit Sicherheit entichieden werden. Genug, Rihwin erfcheint in den vor: 
handenen Quellen ald erfter Burgherr zu Dillingen. Er war mit Hilde 
garde vermählt, und zeugte in diefer Ehe. vier Söhne: Warmann, Eber⸗ 
hard, Hugbald, Manegold. Die beiden erfteren wurden Geiſtliche und 
erlangten hohe Würden. Warmann ftarb 1034 ald Biſchof von Conſtanz;) 
Eberhard folgte feinem Bruder auf dem gleichen Stuhle, machte als Be 
gleiter Kaifer Heinrih’d III. den Römerzug ded Jahres 1046 mit, und 
ftarb zu Rom den 24. Dez. 1046.) Bon den zwei andern Brüdern fehte 
Hugbald die ältere Linie feined Haufes fort; der zweite, Manegold, grün 
dete eine neue, die von Donauwörth. 

Diefer Manegold ift derjelbe, den wir aus der Urfunde von 1053 ale 
Pfalzgrafen fennen gelernt haben; er jcheint in hoher Gunft bei Hofe geftanden 
zu fein, denn in Gemeinſchaft mit dem Straßburger Biſchof Werner, von 
dem unten die Rede fein wird, trat er im Auftrage des Kaiſers Conrad IL 
eine Reife nad) Conftantinopel an, um dort für den Sohn feines Gebieterd 
die Hand einer griechiſchen Prinzeſſin zu erbitten. “Die Ueberlieferung bat 
fi erhalten, daß ihm damals einer der byzantinischen Cäfarn, ald Zeichen 
feines Wohlwollens, ein Stüd vom heiligen Kreuz in koſtbarer Faſſung 
Ichenfte, welche Reliquie noch heut zu Tage in Dillingen aufbewahrt wir. 
Manegold ftarb im Jahre 1053. 

Wenden wir und zur älteren Dillingifchen Linie zurüd. Hukbald IL 
zeugte einen gleihnamigen Sohn, Hufbald II., der 1074 ftarb und einen 
Erben Hartmann hinterließ, welder in die Geſchichte des Reiches eingrifl. 
Hartmann, Graf von Dillingen, heirathete Adelheid, die Erbtochter von 
Kyburg und verdoppelte durch dieſe Ehe fein Vermögen. Als der Bürger 
frieg in Deutichland ausbrach, nahm er Parthei für den Gegenfönig Ru 
dolf von Rheinfelden, und that dem vierten Heinrich jo viel Schaden ald 
möglihd. Dafür verbrannte 1079 Abt Ulrich von St. Gallen, Hein 
rich's IV. Anhänger, das bei Winterthur gelegene Schloß Kiburg, weldee 
Hartmann durd jeine Gemahlin Adelheid geerbt hatte. Aus Anlaß vieles 
Borfalles nennt?) ihn der Geihichtichreiber von St. Gallen den überreichen 
Grafen Hartmann und den erbittertften Gegner Heinrih’8 IV. 

Ich habe mehrfah darauf hingewielen, daß faft alle größere Gefchled: 
ter um jene Zeit Klöfter gründeten, und daß foldhe Stiftungen als Beweis 


!) Neugart, episcop. constant. ©. 439 flg. 2) Ditissimus comes Hartmannus, 
regis Henrici infestissimus hostis. PBerk HI, 157. 


Erſtes Buch. Gap. 9. Schwabens Firchliche und politifche Graͤnzen. 313 


von der politischen Bedeutung eines Haufes angefehen werben müflen. 
Auch Graf Hartmann blieb nicht hinter feinen aufftrebenden Zeitgenoffen 
zurüd, er errichtete 1095 das Benediftiner-Stift Neresheim, das mit Möns 
hen aus Petershaufen bei Conſtanz bejegt wurde, und feitbem beiden Zweis 
gen der Dilinger ald Erbbegräbniß diente. Kraft einer Bulle,‘) deren 
Jahr nicht angegeben ift, die aber zwiſchen 1095 und 1099 fällt, beftätigte 
Pabſt Urban II. die Etiftung und nahm das Klofter gegen die gewöhns 
liche Berpflihtung, jährlig ein Goldſtück an den Lateran zu erlegen, in 
bejondern Schuß des Stuhles Petri. 

Die zweite, oder die von Manegold „gegründete Donauwörther Linie, 
behielt das jchwäbiiche Palatinat bis gegen die Mitte des 12. Jahrhun⸗ 
derts, und dauerte noch vier Gefchlechtöfolgen for. Alle Häupter dieſes 
Zweigs hießen Manegold. Manegold IL, des erften Sohn, ftarb 1074, 
Manegold III. ftarb 1126, Manegolv IV. endlich, des erften Urenfel, vers 
ſchied 11915 mit ihm erloſch der Donauwörther Zweig. "Schon 30 Jahre 
früher hatte das, von den Hohenftaufen begünftigte, Tübinger Haus Die 
ſchwäbiſche Pfalzgrafenwürde an fi) gebracht. ?) 


Shwäbifhe HZertengeſchlechter. Jas Welfenhans. 


In erſter Linie müſſen die Ravensburger Welfen genannt werden, 
unter ſämmtlichen heute noch beſtehenden Häuſern Europa's das ältefte; 
denn ihre Anfänge reichen in die Zeiten Odins hinauf und der erfte Akt, 
mit weldem fie an das Licht der Gedichte treten, war eine Verſchwaͤge⸗ 
rung mit dem Eohne Carold des Großen, mit Kaifer Ludwig dem From⸗ 
men: woraus zugleich erfichtlich, daß ſchon im Jahre 819 die Welfen einen 
hohen Rang im fränfifchen Weltreihe einnahmen und für Abfömmlinge glän- 
zender Ahnen galten. 

Gegen Ende des 8. Jahrhunderts (unter Kaiſer Carol) lebte auf 
Gütern, die er in Baiern und Schwaben befaß, ein hochfreier Edler, 
Welfo, welchen Einhard in den Jahrbüchern’) einen Grafen, Theganus 
Dagegen im Leben?) Ludwigd des Frommen einen Herzog nennt. Bermählt 
war er mit Eigelwi, einer Sprojfin aus dem edelften Blute Sachſens. 
Aus diefer Ehe gingen hervor zwei Töchter: Judith, welche 819 Kaiſer 
Ludwig der Fromme heirathete, und eine ungenannte, die im Jahre 827 
mit Ludwig den Deutichen vermählt ward;‘) dann zwei Söhne, Conrad 
und Etiho, von denen der erftere Stanımvater einer Reihe von SKönigen 








‘) Jaffe, regest. pontif. rom. Nr. 4315. 2) Die Beweife für bie Geſchichte ber 
Dillinger bei Stälin 1, 562 fig. IL, 654 fig. 3) Berg L, 205. 9 Berk Di, 596. 
*) Ibid ©. 225. 


314 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


geworben ff. Der Welfe Eonrad gründete‘) nämlich durch feinen Enke 
Rudolf I. das burgundifhe Haus, defien Erbe nad dem finderlojen Tode 
Rudolf III. an die deutfhen Salier fiel.” 

Etiho I. pflanzte die deutfche Linie fort. Eticho II, wahrſchein⸗ 
ih Enfel des vorgenannten, flarb um 910 im bairiſchen Ammers 
gau, wo er reich begütert war. Bon ihm wird Folgendes erählt:”) 
„Eticho erzeugte einen Sohn Heinrich (der fpäter den Beinamen „mit dem 
goldenen Wagen" erhielt). Als dieſer Heinrih in das wehrbare Alter 
fam, ging er an den Hof und ſchwur dem (nachmaligen) Kaiſer (Arnulf) 
gegen Belehnung mit 4000 Bauernwirthfchaften, den Dienfteid als Vaſalle. 
Die Nachricht hievon erfüllte den alten Etiho mit Bram; er verließ feine 
Burgen und Höfe am Bodenſee, ftieg hinauf in's allgäuiſche Gebirg und 
verbarg dort die Trauer über die That des Sohnes, in welcher er eine 
Erniedrigung feines hochfreien Haufes fah." Die fpäteren Welfen haben, 
wie aus dem Folgenden erhellen wird, Feine fo ftrenge Begriffe mehr über 
die entwürdigenden Feſſeln der Vaſallenſchaft gehegt. 

In der Ehe mit Dia zeugte Heinrich vom goldenen Wagen zwei 
Söhne, Conrad und Rudolf. Der erftere wählte den geiftlichen Etand, 
erlangte 935 das Bisthum Conftanz und ftarb als Biſchof diefer Statt 
im Jahre 976. Der andere Sohn Heinrichs, Rudolf, der um 940 mit 
Tod abging, hinterließ einen gleichnamigen Erben, Rudolf II, welcher in 
feiner Ehe mit Ita von Deningen zwei Söhne, Heinri II, der um IM 
ftarb, und Welf IT. erzeugte. Mit dem lestgenannten Sohn Rudolf's, mit 
Welf IT., beginnt die politifhe Bedeutung des Haufed. Er wird Graf 
genannt, erbaute dad unweit dem Bodenſee gelegene Schloß Ravensburg, 
von dem die jpäteren Welfen ihren Namen führten, griff in die Reichöges 
ſchichte als Waffengenoffe des Straßburgiihen Biſchofs Werner im bur⸗ 
gundiihen Kriege vom Jahre*) 1020, und als treuer Freund des Herzogs 
Ernft I. von Schwaben?) ein. Nachdem die Empörung, welde Emft 
angezettelt hatte, niedergejchlagen worden war, beftrafte Kaifer Conrad ben 
Welfen hart, und entzog ihm unter Anderem die Grafihaft Bogen im heu 
tigen Tyrol; doch nahm er ihn wieder zu Gnaden an. Welf IT. farb 
1030, aus feiner Ehe mit Imiza oder Jrmingard, aus dem Haufe Gleis 
berg, einen Eohn, Welf III. und eine Tochter, Kunigunde, binterlaffent. 
“RKunigunde heirathete einen Wälfchen, den Markgrafen Azzo von Efte, 
nächft dem Vater Mathildens, Bontfacius, den mächtigſten Fürften in Sta- 
lien. Welf III, der Nachfolger feines gleichnamigen Vaters, wurde von 





1) &frörer, Karolinger II, 301. :) Sfrörer, Kirch. Geſch. IV, 307. 3) Hess, 
monunm. guelf. ©. 7. vgl. mit &frörer, Karolinger II, 288. *) Sfrörer, Kirch. Geſch. 
Iv, 114. 9) Daſ. ©. 266. 


het Bud. Gap. 9. Schwabens kirchliche und pelitifche Graͤnzen. 315 


Kaijer Heinrich III. im Jahre 1047 mit der Fahne KHärnthens belehut,*) 
aber ließ fih 1055 in eine Verſchwörung gegen den Kaiſer ein?) und ftarb 
noh im nämlihen Jahr mit Hinterlaffung eines letzten Willens, Eraft deſſen 
er tie Mönche des von ihm geftifteten Klofterd Weingarten zu Erben 
ded geſammten welfiihen Vermögens eingejegt haben fol. Diefe angebs 
lihe oder wahre Verfügung ift jedoch nicht verwirklicht worden.) Das 
Hausgut ging vielmehr an den gleihnamigen Neffen des Verftorbenen, den 
Sohn Azzo's und der Kunigunde über, der in der Reihe ver Welfen der 
Bierte heißt, und eine wichtige Rolle in den deutfhen Bürgerfriegen unter 
Heinrid IV. fpielte. 

Ich muß noch nachholen, daß Welf III. das bereits erwähnte Benes 
piftinersStlofter Weingarten unweit Ravensburg, eines der fchönften Schwas 
bens, im Jahre 1053, da er chen auf Empörung gegen den Kaifer fann, 
gegründet hat. Weithin erftredten fi die Allodgüter des welfiſchen Hauſes 
über Oberjhwaben, Oberbaiern, Churwalden, Tyrol. Sie waren die 
Fürften des Hochlandes und mit gutem Bug braucht Wippo, der Geichichts 
Ichreiber Conrads IL, von Welf IL, dem Erbauer des Schloſſes Ravens⸗ 


burg, den Ausdruck, er fei reih an Ländereien, mädtig durch Waffen 


geweien.”) 


Bie Bähringer. 


Für die Urgeichichte dieſes Hauſes ift eine Bemerfung wichtig, welche 
Abt Sigfried von Görz in dem früher erwähnten Echreiben‘) macht, das 
er an den Abt von Stablo 1043 richtete, um die damald befchlofjene ches 
liche Verbindung des Königs Heinrid III. von Deutichland mit der Burs 
gunderin Agnes von Poitou abzurathen. „König Heinrih," ſagt ) er, 
„iſt mit Agnes im dritten Grade blutöverwandt. Zwar wollen dieß Einige 
in Abrede ziehen, indem fie vorgeben, die Großmutter der Agnes fei nur 
eine Stiefihwefter der Großmutter Heinrichs geweſen. Aber dem ift nicht 
jo, denn ftets hat die Enkelin auf beiden Seiten den Namen der Großs 
mutter geführt, woraus klar erhellt, daß jene wirkliche Schweftern waren.“ 

Ein wohlunterrichteter Zeuge, der zu einer Zeit lebte, da die Bezeich⸗ 
nung der großen Häufer nah Stammburgen erft im Entftehen war, erflärt 
alfo die Gleichheit der Namen, die fi in dritter Generation wiederholen, 
für einen vollgültigen Beweis der Abftammung. Run ift in dem Geſchlechte 
der Zähringer feit der Zeit," da eine zufammenhängende Gefchichte defjelben 


) Daf. S. 418. 2) Dal. S. 614 fig. 3) Die Beweiſe für den Stammbaum 
der Welfen bei Stälin I, 251. 556 flg. 590. *) Abgebrudt bei @iefebrecht, deutſche 
Kaiſer II, 614. 


316 Pabſt Gregorius VI. und fein Zeitalter. 


beginnt, der Name Berthold regelmäßig und zwar in der Art, daß ihn 
Erfigeborene und Stammhalter tragen. Da aber ferner auch rüdwärts 
und ehe der Stammbaum vollfommen beglaubigt ift, und überdieß in den⸗ 
felben "Gegenden, wo die biftoriichen Zähringer ihre Befigungen haben, eine 
ganze Reihe von Bertholden (verfürzt auch Birthilo genannt) urkundlich) 
zum VBorfcheine kommt, fo ift foviel ald gewiß, daß Ichtere Ahnen ver 
erfteren waren. 

Ums Jahr 724 wird ein Berthold ald Mitglied des alten alamanni- 
hen Herzogshaufes erwähnt,‘) das etwa vom Ende ded 7. Jahrhunderts 
bis 748 Schwaben beherrichte, und gewöhnlich nach dem erften erweislichen 
Haupte, Godfried, die Bezeihnung des Godfriedſchen erhält.) Zwiſchen 
744 und 748 jchlugen die Söhne Carl Marteld, Pippin der Kleine und 
Carloman, diefed alte Herzogthum nieder, aber als reiche Grunvbefiger und 
ald Gaugrafen blühten die Enfel und Urenfel Godfrieds fort. Ihre Güter 
lagen auf dem Schwarzwalde und am Fuße deflelben, in Oberſchwaben, 
in den nörblihen Streden der heutigen Schweiz. Ein Theil des Gebiet, 
wo fie angejeflen waren, hieß die Bertofdsbar. Diefer Rame kommt urfund- 
ih’) zum erftenmale 749 vor, und befteht feinem legten Theile nach heute 
noh. Da er unzweifelhaft auf einen Berthold hinweift, dem die Bar zuerft 
gehörte, da zweitens in den betreffenden Theilen Alamanniens fein älterer 
Berthold befannt ift, als jener Herzogsjohn aus Godfrieds Geſchlecht; da 
endlih die Größe des Bezirts — die Bar umfaßte mehrere Gaue un 
glihb einem Fleinen Herzogthum,t) — der Vermuthung hohe Wahrſchein⸗ 
lichfeit verleiht, fie jei uriprüglich zu Ausftattung eines nadhgebornen Soh— 
nes ausgefchieden worden: jo darf man die Bertholdsbar zuverfichtlid für 
das Erbe der Gottfriediichen Bertholde erflären. 

Nun eben bier und in angrenzenden Gauen führen Urfunden vom Ente 
des 8. bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts, alfo bis auf die Zeiten 
des erften Zähringers herab, eine ganze Reihe Bertholde auf, ohne daß man 
jedoch ihr Verhältniß zu einander genauer beftimmen könnte. Won 790 bie 
817 erſcheinen)) Berthold und feine Söhne, Chadoloh und Paldebert, ald 
Gutöbefiger in vielen Orten Oberſchwabens; Chadoloh's Sohn, Berthold, 
wird 825 in derjelben Gegend genannt.) Bon bier an ift eine Lüde bis 
tief in das 10. Jahrhundert, aber zwilchen 962 und 1052 tauchen die 
Bertholde oder Birthilone wieder in zahlreichen Urkunden?) als Grafen im 
Breisgau, in der Mortenau, im Alpgau und Zürihgau auf. 


— — — — — 


) Man vgl. Stälin I, 242 flg. 3) Ibid. ©. 179. %) Neugart, cod. dipl. 
Alem. Nr. 25. 40. ) Den Beweis bei Stälin I, 284 fig. 6) Neugart a. a. D. 
Nr. 112. 115. 120. 133. 155. 193. *) Ibid. Nr. 226. 7) Zufammengefellt bei 
Stälin a. a. ©. J, 551 fig. Note 18. 


Erſtes Bud. Cap. 9. Schwahens kirchliche und politifche Graͤnzen. 317 


Auch die Reichöchronifen ſprechen von Bertholden oder Birthilonen, 
und zwar in einer Weife, die jene Lüde ausfült, und erklären dürfte, warım 
bis 962 nicht mehr von ihnen die Rede if. Einer von den Kammerboten 
des jüdlihen Schwabeng, die fih um 913 gegen König Conrad I. empörten, 
hieß Berthold, und eben derſelbe wurde mit feinem Bruder Erchanger 917 
enthauptet.‘) Die Gegend, wo diefe Herren wirkten und lebten, die Gewalt, 
welche fie bejaßen, Ipricht für die Vermuthung Gottfried’scher Abkunft. War 
dem fo, dann wird begreiflih, daß längere Zeit Fein Berthold mehr in 
fhwäbiichen Urkunden vorfommt. Wolitiihe Gründe mußten den König 
Conrad I. und feine Nachfolger beftimmen, das übermächtige Geſchlecht von 
Öffentlihen Aemtern fern zu halten. Den zweiten Römerzug Otto's III 
vom Jahre 999 machte? ein Birthilo mit, der den italienifchen Biſchof 
Johann verftimmeln lleß. 

Dieß find die muthmaßlichen Ahnen des erſten Zähringers Berthold, 
der ſich, wie oben gezeigt worden, 1057 um das Herzogthum Schwaben 
bewarb und als Abfindung die Fahne Kärnthen erhielt. Seine Großmutter 
hieß Bertha, fein Vater Bezelin; legterer empfängt den Titel eines Grafen 
von Villingen, welcher Ort in der alten Bertholdebar liegt.”) Der Stamms 
fit des Haufes, Burg Zähringen, deren Trümmer noch heute einen ber 
vorjpringenden Schwarzwaldhügel nördlich von Freiburg frönen, wird 1078 
zum erftenmale erwähnt.) Berthold I. Ichloß zwei Ehen, die erſte mit 
Richwara, die zweite mit Beatrir von Mümpelgard-Moufion, und binters 
ließ vier Kinder: eine Tochter Liutgard, und 3 Söhne, Gebhard, Berthold 
II. und Herrmann. Gebhard trat in den geiftliden Stand und beftieg 
den Stuhl von Gonftanz. Berthold II., der Stammhalter, erbte Namen, 
Güter und Würden des Vaters, namentlich die Auwartſchaft auf das Hers 
zogthum Kärnthen und auf die mit Kärmthen verbundene Marf Verona. 
Dbgleid er nie zum wirflihen Beſitz der beiden Lehen gelangte, bielt er 
und fein Haus an den Titeln feft: dieß hatte zur Folge, daß der herzog⸗ 
lihe Name von Kärnthen 1133 auf die im Breidgau, dem Schwarzwald 
und am Fuß der württembergijchen Alp gelegenen Stammgüter, der mar: 
gräflihe Name: Verona auf die von dem dritten Eohne Berthold's, Herr: 
mann, gegründete badiſche Exitenlinie feit 1112 übertragen wurde. Es 
gab nunmehr im Lande Schwaben zwei Herzogthümer, das altherfömmliche 
und wahre, und das fünftlihe von Zähringen; deßgleihen eine Markgraf: 
haft, welche früher nicht beftand, nämlich die der badiſchen Zähringer. °) 


1) Siche Gfrörer, Karolinger II, 468 fig. :) Catal. pontif. rom. bei Gffard, 
corpus hist. med. aevi I, 1640. 3) Die Beweife für dieß und das Folgende bei 
Etälin 1, 550 fig. *) Annales Einsiedi. Per& III, 146. 5) Die Beweife bei 
Stälin I, 551 und II, 302 fig. 


818 Vabſt Sregorius VII. umb fein Seitalter. 


Ein befonderes Erbe muß nach Berthold's J. Tode für ben dritten 
Eohn, Herrmann J., ausgeſchieden worden fein. In einem alten Denk 
male erhält cr den Titel eines Grafen von Lintburg. Doch fann die Lage 
dieſes Schloſſes nicht mit genügender Eicherheit befiimmt werden: entweder 
ift eine alte Burg gleihen Namend am Fuße der fhwäbilchen Alp, unfern 
der württb. Oberamtsſtadt Kirchheim, oder die Limburg gemeint, vie fid 
nördlich von dem breisgauifchen Kaiferftuhl über dem Rheine erhebt. Beide 
gehörten zum zähringifhen Erbe. Troftlos über das Unglüd des Bürger: 
kriegs, 309 fih Herrmann I. von Lintburg in das berühmte Mutterftift des 
elugniacenfer Ordens zurüd, und ftarb den 26. April 1074 ale Mönd zu 
Elugny. Aus feiner Ehe mit Judith, deren Geſchlecht nicht befannt if, 
hinterließ er einen gleichnamigen Sohn, Herrmann IL, der gewöhnlid als 
Markgraf von Lintburg oder Verona, im Jahre 1112 zum erftenmal 
als Marfgraf von Baden in Urkunden fi unterzeichnet. Herrmann II. 
ftarb den 7. Oft. 1130. Auch feine Nachfommen führten die marfgräfs 
lien Titel ven Verona und Schloß Baden neben einander bis zum Jahre 
1260 fort; erft feitvem blieb Verona weg. 

Noch ift zu bemerken, daß Berthold der Erſte, Stammvater be} 
zähringifhen Haufes, ein eigenes Hausftift, das Benediktiner⸗Kloſter St, 
Peter zu Weilheim am Buße der Ted Cim heutigen Württemberg) gründete. 
Er befegte dafjelbe mit Minden aus Hirſchau, folglih mit deutſchen Clug⸗ 
niacenjern. Denn die von dem berühmten Abte Wilhelm zu Hirfchau einge 
führte Regel war der Clugniacenjer nachgebildet. Im Jahre 1093 vers 
pflanzte') jedoch Berthold gleichnamiger Eohn, Herzog Berthold II., die 
Mönchsgemeinde aus Weilheim in die Nähe feines Stammſchloſſes Zäh— 
ringen auf eine Bergebene hinter der Kandelipige, wo Bertholds Etiftung 
bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts fortbeftand. Durd Bulle?) vom 
Sahre 1095 nahm Pabft Urban das erneuerte Klofter St. Peter, gegen 
die Verpflichtung jährlih ein Goldſtück an den Lateran zu entrichten, in 
den bejondern Schuß des apoftoliihen Stuhles. 

Die oben nachgewiefene, uneigentliche Anwendung großer Xehentitel ver 
dient Beachtung. Wir werden fpäter jchen, daß, was Bertholds Geſchlecht 
that, von Andern nachgeahmt worden if. Unſere Kaiſer fanden es ihrem 
Vortheil gemäß zu dulden, daß die Söhne von Grafen, Markgrafen, Pa: 
latinen, Herzogen, auch wenn fie nicht im väterlihen Lehen nachfolgten, 
doh den Titel des Waters fortführten und ſich Grafen, Marfgrafen, Pa 
latine, Herzoge nannten. Durd Vervielfältigung des Schmucks ſollte die 
Achtung, welde bisher das Volk den Trägern der großen Xchen zollte, 
herabgevrüdt werden. Im Mebrigen war jchon Berthold, der Stammmvater, 


— - — 


) Bernoldi chron. ad a. 1093. Pertz V, 456. 3) Yaffe, regest. Nr. 4161. 


Erſtes Buch. Gap. 9. Schwabens kirchliche und politifche Graͤnzen. 319 


ch einer Seite hin mit einem Beiſpiele ähnlicher Führung des herzoglichen 
tels vorangegangen. Üben wurde gezeigt, daß Herzog Otto der 
Hweinfurter ven 28. Sept. 1057 ftarb. So lange er lebte, hatte Nies 
ınd, ald er, das Recht in Schwaben-Alamannien den Namen eines 
erzogs fich beizulegen. Gleichwohl ift eine breisgauifche Schenfungsurs 
ide‘) von 1052 auf und gefommen, in welder der erfte Zähringer Hers 
j genannt wird. Allem Anjcheine hat Berthold fi den Herzogtitel mit 
idfiht auf die ihm vom Kaiſer Heinrich III. ertheilte Anwartichaft 
gelegt. 


Das Hans Uheinſelden. 


Die Anfänge des Rheinfelder Haufes, zu dem ich übergehe, un- 
fiegen großen Schwierigkeiten... Hauptzeuge ift der Möndh von Muri, ?) 
lcher im 12. Jahrhundert fchrieb, aber wejentliche Verftöße begeht, vie 
rh die von ibm ſelbſt mitgetheilten Urkunden aufgededt und glüdlicher 
eife zugleich verbefjert werden. Man muß ihn mit Vorficht benügen. 
ben iſt gezeigt worden, daß die Reichöverweferin Agnes im Jahre 1058 
e Tochter Mathilde mit dem Rheinfelder Grafen Rudolf verlobte. Agnes 
ir die Wittwe eined Kaiſers, dabei felbft aus edlem Blute entiproffen, 
emand wird ed wahrfcheinlich finden, daß Agnes ihre und des Kaiſers 
inrih II. Tochter einem Manne gab, der nicht felbft erlauchte Ahnen 
‚te. Die Verlobung darf daher mit gutem Bug ald Bürgichaft für hohe 
:burt des Mheinfelders betrachtet werden. Hören wir nun den Mönd 
n Muri. Derjelbe führt das Gefchleht des Nheinfelderd und des mit ihm 
nwandten Habsburgiichen Hauſes nah der Kunfeljeite auf einen lothas 
giſchen Fürften zurüd. „Der Lothringer Herzog Theoderich,“ jagt’) er, 
atte eine Echwefter Ita, welche fih mit Rapoto vermählte, und einen 
uder Euno, welcher den (Gegenfönig) Rudolf gezeugt hat." Etwas 
iter unten bemerft er, Cuno fei nur ein Halbbruder Ita's (und Theo: 
ichs), nämlich von der Mutter ber gewejen. Hieraus folgt, daß die 
utter Ita's wenigftend zwei Ehen geichloffen, und in erfter den Herzog 
eoderidh und die Sta, in zweiter den Nheinfelver Grafen Cuno ges 
‘en bat. 

Wer war nun diefe ungenannte Mutter? Da ein Herzog, und zwar 

folder, deſſen Sand befannt ift, weit eher in den Zeitquellen aufgefuns 
ı werben fann, als eine Frau, räth der geſunde Menfchenverftand, den 
uber Ita's, jenen Theoderich, zum Anhaltspunft zu wählen. Rudolf von 


— — — — — 


1) Schöpflin, histor. zaring. bad. V, Nr. 12. ) Ich brauche dem Abdruck bei 
ard, origines habsburgo-austriacae ©. 203 fi. ?) ©. 2085. 


320 Pabſt Gregorius VD. und fein Seitalter. 


Rheinfelden, der Sohn Cuno's, tritt um die Mitte des 11. Jahrhunderts 
ald gemachter Mann auf, er mag um 1020 geboren fein. Demnach iR 
anzunehmen, daß Cuno's Halbbrupder, der Lothringiihe Herzog Theoderich, 
etwa in dem Zeitraume von 980—1030 gejucht werden muß. Nun gerade 
innerhalb der angegebenen Zeitgränzen findet fih in Oberlothringen ver 
früher nachgewieſene) Herzog Theoverih, auf den die vorausgefegte Ber 
wandtichaft jehr gut paßt. Theoderich übernahm ald Nachfolger feines 
Vaters Briederih, der um 984 geftorben war, etwa von 986 an das 
Herzogthum Lothringen und ftand genanntem Lande bis 1026 vor, um 
wwelche Zeit er geftorben iſt.) Seine Mutter hieß Beatrix, war eine Tochter 
der Echwefter des Kaiſers Dtto J, Hedwig, und des Herzogs Hugo von 
Srancien. Ihr Bruder Hugo Capet hat jeit 987 die Dynaftie des capes 
tingijhen Hauſes von Francien gegründet.) Iſt daher unfere Auslegung 
der Ausjage des Mönchs von Muri die richtige und hat er felbft Wahrheit 
gemeldet, jo muß eben dieſe Beatrir, nachdem ihr erfter Gemahl Friede: 
ri geftorben, in zweiter Ehe und zwar hödft wahrſcheinlich mit einem 
deutſchen Grafen von Rheinfelden, uno, den Vater des nachmaligen 
Gegenkönigs Rudolf geboren haben. 

Schen wir, ob nicht andere Nachrichten geeignet find, Licht über die 
jen dunkeln aber wichtigen Theil der Geſchichte zweier großen Häufer, des 
lothringijchen und des habsburgiſchen, zu verbreiten. Eine unvergleichlice 
Quelle, die Briefe Gerbertd, der nachher unter dem Namen Eylvefter IL 
Petri Stuhl beftieg, erwähnen mehrfah der Herzogin Wittwe. Aus ihnen 
erhellt) im Bunde mit andern Zeugniffen, daß Beatrir nach dem Tod 
ihres Manned Friederich, ald VBormünderin ihred Sohnes Theoderich, Die 
Regierung Lothringens an fih zog und mit Fräftiger Hand einige Zeit das 
Moſelland verwaltet hat. Aber ihr Eohn Theoderich, ein chrgeiziger Jüngs 
ling, ertrug nicht in die Länge das Jod der Mutter. Bei cinem Schrift 
fteller, der zwar erft im 14. Jahrhundert Ichte, aber aus guten Quellen 
geihöpft hat, bei Johann von Bayonne, jogenannt nad) feiner Vaterſtadt, 
einem Heinen Orte in Lothringen, findet fi die Ueberlieferung,°) daß Hers 
zog Theoderich, unwillig über die Vorenthaltung des Regiments, im Jahre 
1011 feine Mutter verhaften und gefangen ſetzen ließ. Allein in der Zeit 
angabe des Mönchs ift ein Schler. Bereits eine Reihe von Jahren vor 
1011 erjcheint Theoderich als regierender Herr, 985 erobert er den On 
Stenaye,“) dann im Jahr 1002, nad) Ausbruch der Thronftreitigfeiten 


1) Siehe oben ©. 78. ?) Siehe oben S. 79 und Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, S. 214. 
3) Gfrörer, Kirch. Geſch. III, 429 und den uralten Stanımbaum bei Berg. 2) Die 
Beweife gefammelt in den Juhrbüchern des deutichen Reihe IL, c. S. 22 fly. 5) Dom 
Calmet, histoire de Lorraine II, 124. Das Werk Johann's iſt, fo viel ich weiß, noch 
nicht gedruckt. 6) Bouquet IX, 291 und Perk III, 629. 


Erſtes Buch. Gap. 9. Schwabens Firchliche und politifche Gräͤnzen. 321 


zwiſchen König Heinrich II. und feinen Widerfachern nimmt ebenderfelbe 
eine zuwartende Stellung ein, obgleich er insgeheim den Schwaben Heri⸗ 
mann begünftigt.‘) Bleihwohl hat nicht bloß die von dem Mönche er- 
wähnte Verhaftung der Herzogin Wittwe ihre Richtigkeit, fondern noch ber 
weitere Umftand fteht feft, daß die Gefangene den Schu des Pabſtes 
anrief, und daß diefer den jungen Herzog nöthigte, die Mutter frei zu 
geben, und die That dur fromme Werke abzubüßen. Denn in einer 
lotharingiichen Urkunde‘) vom Jahre 1022 wird neben vielen andern Älteren 
Schenkungen eine Mühle erwähnt, weldhe Herzog Theoderich auf Ermah⸗ 
nung des Pabftes ald Buße für Gefangennehmung feiner Mutter (Beatrir) 
an die Kirche zu Bar vergabt hatte. Unzweifelhaft ift demnach: Beatrix 
ward auf Befehl ihres Sohnes eine Weile lang gefangen gehalten, aber 
nachdem fie die Verwendung des Stuhles Petri angerufen, wieder frei ge- 
geben, nur muß dieß aus den oben angeführten Gründen zum Mindeften vor 
1002, wahrſcheinlich aber fchon ein oder zmei Jahre nad dem Tode ihres 
Gemahls Friederich geichehen jein. Nun frage ich, entipricht es nicht der 
täglichen Erfahrung, daß Beatrir nad) ſolchen Scenen nicht mehr in Loth⸗ 
ringen unter den Augen ded undanfbaren Sohnes blieb, fondern nad den 
Landen über dem Rheine ging und dort, ſei ed, um einen zuverläffigen 
Beichüger zu finven, fei e8 dem Sohne zum Troß, eine zweite Ehe fchloß? 
Auch kann es dieſſeits nicht wohl an Bewerbern gefehlt haben, welche Luft 
in ſich verjpürten, dur die Verbindung mit Beatrir dem eben aufgefom- 
menen Königshaufe der franzöfiichen Capetinger verjchwägert zu werben. 

So fam die Wittwe in dad Haus des ungenannten deutjchen Grafen, 
mit welchem fie Cuno, den Vater des deutichen Gegenkönigs Rudolf zeugte. 
Da diejer Rudolf zur Grafſchaft Rheinfelden faum anders als durch väterliche 
Erbichaft gelangt fein fann, drängt fi, die Vermuthung auf, der ungenannte 
zweite Gemahl von Beatrir und Vater Cuno's jei ein Graf von Rhein» 
felden gewejen. Rheinfelden liegt am linfen Ufer des Rheines zwilchen 
Säckingen und Bafel auf einem Boden, der damald noch dem Reiche Bur⸗ 
gund angehörte. Das Stammſchloß Rudolf wird, fo viel ich finde, zum 
ertten Mal um 1057 erwähnt. ‘) 

Die Bermählung der Herzogin mit dem Rheinfelder hat allem Ans 
ſchein nach bewirft, daß in der Folge auch die Verbindung zwiſchen Ras 
poto und Sta, der Tochter Beatricend aus erfter Ehe, zu Stande Fam. 
Denn Rapoto und der Vater Cuno's waren, wie fi unten zeigen wird, 
Nachbarn, und es ift in der Ordnung, daß Beatrir nad ihrer zweiten 


t) Thietmari chronic, V, 2 u. 17. Berk III, 791 u. 798. 3) Abgedruckt bei 
Dom Calmet, histoire de Lorraine Vol. II, preuves S. 250 flg. 2) Pertz VI, 198. 
Gfrörer, Pabſt Sregorius vu. Bd. 1. 21 


322 Babft Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Heirath auch die Tochter in der neuen Heimath, fern vom ungeliebten 
Sohne Theoderih, unterzubringen ſuchte. Ueber die Ahnen Rudolfs be 
richten deutiche Quellen gar nichts, wohl aber findet fi Aufſchluß über fe 
in burgundifchen Denfmälern. Weberhaupt Tann man die ganze Geſchicht 
des Geſchlechts herftellen, aber nur auf Grundlage der an fich ſehr wer 
widelten Verhaltniſſe des burgundiſchen Reiches. Ich muß deßhalb dieſen 
Nachweis für einen ſpäteren Ort aufſparen. Vorerſt nur ſoviel: die 
Hausgüter Rudolfs lagen zwiſchen Jura und dem Genferſee. Dieß erhell 
aus einer Urfunde‘) von Jahre 1079, kraft welcher der Salier Heinrich IV. 
dem Hochſtift Lauſanne alled jchenft, was der von ihm in die Acht erflärk 
Gegenkönig Rudolf und deffen Angehörige zwilchen der Saane, dem 
Hochgebirge der Alpen und dem Jura bejefien haben. Die heutigen 
Schweizerfantone Waadt, Genf, fammt Theilen von Freiburg und Neudyatel 
find gemeint. Meined Erachtens verbietet der Beiſatz „und feine Anger 
hörigen” anzunehmen, daß Rudolf diefe ausgedehnten Güter erft als Herzog 
von Schwaben und Landgraf von Burgund erworben habe. 

Ein Klojter hat Rudolf — fo viel ih finde — aus eigenen Mitteln 
nicht geftiftet. Dagegen bradıte er ein von Andern gegründetes an jid. 
Als im Jahre 1063 der erfte große Griff in das Eigenthum der deutſchen 
Mönche geihah, ließ fi) Rudolf die Abtei Kempten, eine der älteften auf 
deutjcher Erde, jchenfen.?) Diejed 752 errichtete”) Stift hatte während der 
legten 40 Jahre dafjelbe Unglüd ſchon zweimal erfahren. Herrmann der 
Lahme berichtet *) zum Jahre 1026: „Herzog Emft IL. von Schwaben 
erhielt durd feinen Etiefvater König Conrad II. die Abtei Kempten zu 
Lehen, und vertheilte deren Güter unter feine Mannen. Kurz darauf farb 
Abt Burghard von Kempten und Rheinan, fein Nadfolger wurde in 
Rheinau der Abt Birthilo.” Weiter erzählt?) ebenderjelbe: Biſchof Gebe 
hard von Regensburg jei um 1049 durch Kaiſer Heinrich ILL mit der 
Abtei Kempten belchnt worden. Abermal 13 Jahre jpäter gefchah, was 
oben berichtet worden, nämlih daß die Abtei in die Hände Des Rhein 
felder Rudolfs gerieth. | 

Klar geht aus diefen Beijpielen hervor, daß das Klofter durch die Ber 
leihung an Laien nicht aufgehoben noch zerftört worden iſt; denn wär 
dieß der Fall geweſen, fo hätte dieſelbe Abtei nicht dreimal hintereinander 
an Andere verjchenft werden fünnen. Sondern die Sache ging jo zu: wen 
ein Klofter einem Laien zufiel, trat der belehnte Laie an die Stelle des 


1) Böhmer, regest. Nr. 1886. Die betreffenden Worte lauten: quidquid ipse (Ro- 
dulphus) suique infra fluvium Sanuna et montem Jovis (dem Bernharbäberg) et pon- 
tem Gevenensem (die Rhonebrüde bei Genf) et infra montana Jurae et Alpium habue- 
aut. ) Berk V, 167. >) Ibid. ©. 99. *)Ibid. ©. 120. ®) Ibid. ©. 199. 


Erſtes Bud. Gap. 10. Das Haus Haböburg. 323 


686. Darum jagt Herrman der Lahme, nad) dem Tode des Abts Burg: 
ard, der die zwei Abteyen Kempten und Rheinau bejaß, ſei Birthilo zum 
tachfolger in Rheinau ernannt worden, und ſchweigt von Kempten; denn 
ler bedurfte es Feines Nachfolgers, weil Herzog Ernft Laienabt geworden 
rar in gleicher Weiſe, wie e8 nachher der Regensburger Biſchof Gebehard 
nd der Rheinfelder Rudolf wurden. Die Mönche dagegen durften nad) 
er. Belehnung des Laienabts bfeiben, und befamen fortwährend ihren 
freilich oft geichmälerten) Uuterhalt; auch waren fie es, welche dem Stift, 
0 der Abwefenheit eines oberften geiftlihen Vorſtands, den weſentlichen 
harakter einer Abtey bewahrten. Man fieht daher: der Rheinfelder Rudolf 
Mam durch die im Sahre 1063 erfolgte Zuweiſung Kemptens eine Mönchs⸗ 
emeinde unter feine Befehle And viefer Umftand war meines Erachtend 
je Haupttriebfeder, warum er die Abtei Kempten geſucht hat; feine neuen 
Schüglinge festen ihn nemlich in Stand, mit Rom, mit der Gregorianis 
ben Barthei, Verbindungen anzufnüpfen. 


Behntes Capitel. 


6 Haus Habsburg. Biſchof Werner von Straßburg und feine Neffen. Ita von 2os 
thringen, vermählt mit Rapoto. Der Burgunderkrieg. Erbauung ber Haböburg 
und des Stiftes Muri. Hausgeſetz, das die Vogtei über Muri fletd dem älteften Habs⸗ 
burger vorbehält. Bertrag von Othwigen. 


Durd die Unterfuhung über das rheinfeldiihe Haus find zugleich 
wige der wichtigften Punkte der Habsburgiſchen Geſchichte aufgehellt 
orden. Hauptzeuge ift abermal der Mönd von Muri. Er nennt zwei 
Ihnen des erften Schloßherrn auf Habsburg, nemlich Guntram den Reichen 
nd den Grafen Lanzelin von Altenburg. Beide werden wahrſcheinlich in 
Isfunden der jächfiichen Kaiſer erwähnt. Bald nachdem Otto I. auf den 
entichen Thron erhoben worden, verſchworen fi bekanntlich) verichiedene 
droße, worunter des Königs Bruder Heinrih, dann die Herzöge Eber- 
ard von Franken, Gifelbert von Lothringen, Herrman von Schwaben, 
sider ihn. Auch mehrere alamannifhe Grafen müfjen an dem Aufitande 
‚heil genommen haben. Otto I. fiegte und zog die Ueberwundenen zur Etrafe. 

Kraft einer zu Augsburg unter dem 9. Auguſt 952 auögeftellten Urs 
ande,?) fchenft Dtto I. an das Klofter Meinradszell (Einfieveln bei Schwyz) 
in im Brifahgau und dem Comitat des Grafen Liutolf (der des Könige 
igener Sohn war) gelegenes Gut, Namens Lielahe (wohl das heutige 
tel bei Schliengen), das durch Urtheil eined Volkögerihtd dem Guntram 


1) Sfrörer, Kirch. Geſch. III, 1216 fig. s) Böhmer, rogest. a 193. 
° 


324 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


entzogen, und der Föniglihen Kammer zugeiprochen worben ſei. Kraft einer 
zweiten Urfunde‘) vom 6. Januar 959 vergabt Otto I. an daffelbe Klofter 
gewiffe zu Eichenz im Thurgau gelegene Güter, die gleichfalls dem Grafen 
Guntram durch richterliches Urtheil, und zwar wegen Empörung abgeſprochen 
worden. Da die Habsburger fpäter in den von beiden Urkunden erwähs 
ten Gegenden begütert erfcheinen, va ferner der Name Guntram in As 
mannien zu den Celtenheiten gehört, fo fann man kaum zweifeln, baf 
der vom Mönde aus Muri angeführte Guntram eine und biefelbe Berfen 
mit dem der beiden Urkunden iſt. 

Der Sohn Guntram's hieß, laut dem Zeugnife des Möndıs, Langen 
Diefes Wort ift ohne Frage eine verfleinerte Form des Namens Lanteh, 
Nun ein Graf Lantold, der gut zu dem Lanzelin des Mönche von Mur 
paßt, kommt im Sahr 972 vor. Kraft einer zu Conſtanz unter des 
28. Auguft des genannten Jahres ausgeftellten Urkunde, ) beftätigt Kaiſer 
Dtto I. dem Hochſtifte Chur den Befi eines in der Grafichaft Rhaͤtien 
gelegenen Hofes Zizerd, der befagtem Etuhle ftrittig gemacht worben war. 
Dem Gerichte, das die Sache unterjucht hatte, wohnten außer vielen Staßs 
bürgern aus Ehur, die ald Zeugen vernommen wurden, mehrere Grafen 
an, worunter Santold. Ich bin mit Effard und dem Pater Neugart der 
Meinung, daß dieſer Lantold derjelbe ift, den ver Mönd von Mur 
unter dem verfleinerten Namen Lanzelin ald Sohn des Grafen Guntram 
aufführt. 

Auch den Mohnfig Lanzelin's oder Lantolv’8 lernen wir durch ben 
Mönd kennen. Er hauste auf der Altenburg, die über den Trümmern 
der alten Römerftapt Vindoniſſa (Windiſch) nahe der Aare erbaut worben 
war. An die Etelle der Altenburg trat aber bald darauf, wie wir fchen 
werden, eine zweite berühmtere Burg von weltgefchichtlicher Bedeutung. 
Noch eine andere Nachricht theilt und der Mönd mit, eine Nachricht, welche 
über die Scidfale der Heinen Freien merkwürdiges Licht verbreitet. x 
erzäbhlt:®) „an dem Orte, wo fpäter das habsburgifche Stift Muri errichtet 
ward, lag feit alten Zeiten ein Dorf, das, weil ed auf Trümmern alter 
Römermauern ftand, in der Landesſprache Mürlen hieß.) Befagtes Dorf 
hatte eine Pfarrkirche, welcher mehrere umliegende Weiler ald Walwyl, Butt 
wyl, Geltwyl einverleibt waren. Zu Mürlen ſaßen einige reiche Leite, 
denen auch obgenannte Kirche gehörte, dieſe liefen zum Grafen Langelin, 
dem Sohne Guntram's des Reichen, und erfuchten ihn, daß er ihr Schuſ⸗ 











— — 


1) Ibid. Nr. 223. In der ganzen Sammlung Neugarto kommt außer uuferem 
Guntram Nr. 739 u. 742 nur noch ein Guntram zum Jahre 826 vor, der vielleicht der 
Vater des Obigen, möglicher Weiſe er ſelbſt war. Nr. 714. 5) Böhmer, reg. Kr. 
393. *) Effard, origines habsburg. ©. 203. 5) Die alamannifche Mundart ſpricht 
bekanntlich nicht Mauer, fondern Muur und in der verkleinerten Form Mürlen. 


Erſtes Bud. Gap. 10. Das Hans Habeéburg. 325 


herr werben möchte. Der Graf entſprach ihrer Bitte, trieb aber die Schutz⸗ 
vogtei in der Art, daß alled Hab und Gut befagter Leute mit Recht oder 
Murecht jein Eigenthum wurde. Wie nun die andern Bauern, die eben- 
falls in Mürlen wohnten, und gleich jenen freie Leute waren, Solches 
haben (d. 5. jahen, daß Lanzelin Schußherr jener Reichen geworben war), 
gingen fie auch zum Grafen und überantworteten ſich und ihre Güter gegen 
gejeßlihen Zins in feinen Schub. Alfo geihah es, daß faft der ganze 
Ort Mürlen in die Gewalt des Grafen gerieth. Denn derjelbe jagte die 
bisherigen Eigenthümer fort, und fiedelte auf ihren ehemaligen Gütern feine 
Kuehhte und Mägde mit Roſſen, Vieh und Adergeräthe au. So blieb «8 
bis zum Tode des Grafen Lanzelin. Als er geftorben war, erhoben fich 
die ehemaligen Eigenthümer in der Hoffnung, ihr Erbe wieder zu erlangen, 
und rücten in ſtarker Anzahl bis an einen nahen Drt, der Marbach hieß, 
weiter aber famen fie nicht; denn bei Marbady hatte Lanzelin's Sohn, 
Rapoto, feine Knechte aufgeftellt, welche die Anrüdenden mit blutigen 
Köpfen zurüdtrieben und ihnen für immer die Luft benahmen ihr Erbe zus 
rldzufordern.” Im Folgenden fpricht der Mönd, der von dem Geiſt der 
Kirche erfüllt war, feinen Tadel Über das Verfahren des Grafen aus. 

Wir haben hier eine lebendige Echilverung deſſen, was weithin im 
deutichen Reiche, jeit die Dynaften auffamen, über die feinen Freien ers 
ging. Andere, die nicht Dynaften waren, halfen ihnen dabei aus Unvers 
Rand und zu ihrem eigenen Ververben. Zwei Akte müfjen in der Gefchichte 
ver Verfnehtung ded Ortes Mürlen unterfchieden werden. Den erften 
Anlaß zu dem, was er fpäter unternahm, erhielt Graf Lanzelin dadurch, 
daß jene paar Reiche kamen und feinen Schup nachſuchten; da ihnen bie 
Bfarrfirhe gehörte, müſſen fie eine Art von Dorfmagnaten gewefen fein. 
Die Ausprüde des Mönchs machen auf mid den Einvrud, als ſpreche er 
von den Angehörigen eines reihen Dorfihußen. Warum liefen nun dieſe 
Menihen zum Grafen? ohne Zweifel, weil fie die einfältige Hoffnung heg⸗ 
ten, mit feiner Hülfe die andern freien Bauern des Ortes zu unterdrüden. 
Allein es ging anders. Das hinterliftige Geſuch der Reichen nöthigte bie 
kbrigen Einwohner, einen Schupvertrag gegen Zind mit dem Grafen abs 
sufchließen. 

Und von nun an war diefer im Stand, fein Netz über alle zufammen 
auszuwerfen. Wie wird er ed angegriffen haben? Da der Mönch ſagt,) 
ganzelin habe theils rechtliche theild unrechtlihe Mittel angewendet, muß 
man fi den Hergang fo denfen: der Graf forderte den Schutzzins uner⸗ 
bittlih fireng — und das war juste factum, zugleih aber fleigerte er 


‘) Gflard a. a. D. ©. 203: quousque (Lancelinus) totam (locum) in suam po- 
testatem tam Juste quam injuste contraxit. 
N 


396 Pabſt Sregorius VIL und fein Seitalter. 
| 

vdenfelben bei jeder günftigen Gelegenheit — id quod injuste fecit. G 
nun Einer um den Andern, der früher, jener fpäter, auf den fürchterlic 
Sanft Martinstag‘) feine Verbindlichkeit nicht decken Fonnte, jo machte F 
Herr Graf fi felbft bezahlt, indem er die fäumigen Schulpner von H 
und Hof vertrieb und nun die verlaffenen Wirthichaften mit feinen Knchier 
befegte — welche — wie der Erfolg zeigt — zugleich feine Söldner wa 
d. 5. im Dienfte des Grafen mit der Lanze oder wenigftend mit ‘Prüg 
in der Hand ausrüden mußten. 

Sept ift e8 Zeit, daß wir die Familie des Grafen Lanzelin UT. 
faffen. Alte Nachrichten aus dem Klofter Meinradszell Cd. h. Einfie 
bei Schwyz) melden,?) Liutgard, Eberhard’8 Tochter, fei die Gema 
Lanzelin’d gewejen. Eine Urfunde”) vom 15. Januar 979 liegt vor, f 
welcher Kaiſer Otto IT. den Gütertaufch beftätigt, in Folge deſſen 
Eberhard, mit Zuftimmung feiner Gattin Gifela und feines Sohnes Ge 
hard, im Zürichgau befindfihe Güter an das Kloſter Einfienlen abtritt = 
dagegen andere empfängt, die im Elfaß und der Mortenau liegen. 
erfieht hieraus, daß Eberhard ein wohlhabender Herr war, der an me 
ren von einander entfernten Orten Ländereien beſaß. Da Zeit und DE 
gut paflen, wird es nicht zu Fühn fein, wenn wir diefen Eberhard für de 
Schwiegervater Lanzelin’d erflären. 

Sei dem wie ihm wolle, aus der Ehe Lanzelin’d mit Liutgard ab 
iproßten vier Söhne: Rapoto, Lanzelin, Rudolf und ein vierter, ver iS 
wichtige Rolle in der Reihögeichichte gefpielt hat, nämlich Werner. Zwar 
Mönch von Muri, welder Rudolf ald einen Bruder Rapoto's anerken, 
ſchweigt von Lanzelin und berichtet bezüglich Wernerd etwas anderes; « 
will nämlich Werner zu einem Bruder nicht Rapoto’d, fondern der Ita, fi 
lothringifhen Gemahlin Rapoto’8 machen. Allein fein Stillſchweigen übe 
Lanzelin und die Srrthümlichfeit der Ausfage betreffend Werner, wird var 
eine Urkunde, die der Mönd von Muri felbft mittheilt, und übervieß werd 
das Zeugniß einer elfäßifchen Chronik theild ergänzt, theild aufgededt. (Cie 
Urfunde*) vom 4. März 1114, kraft welcher Kaiſer Heinrih V., d 
vierten Cohn und Nachfolger, die vom Habsburger Grafen Werner (ra 
unzweifelhaft ein Eohn Rapoto’8 war), dem Klofter Muri ertheilten $re 
heiten beftätigt, bezeichnet den gleichnamigen Werner Biihof von Straßburg 
als einen väterlihen Oheim (parens) des jüngeren Werner. Der Bike 
von Straßburg muß daher ein Bruder Rapoto’s, nicht aber fann er befa 
Schwager gewejen fein. 
















a) 


a 


‘) Ad missam S. Martini ift der in unzähligen Urkunden wiederholte Zindtag. ) El 
kard a. a. O. ©. 72. 3) Böhmer, regest. Nr. 539. %) Böhmer, regest 
Mr. 2033. 


Erſtes Buch. Gap. 10. Das Haus Haböhurg. 327 


Ehen dieß fagt mit dürren Worten die Chronif‘) des eljäßifchen Klo⸗ 
Ebersheim, das im Hodftift Straßburg lag und folglich feiner Zeit 
Ber der Oberauffiht jened Werners fland. Lanzelin, Bater der vier 
aufgeführten Söhne, ftarb 991 unter der Regierung Otto's III.; denn 
Lantold, deſſen Tod die Einfiedler Chronif zum ebengenannten Fahre 
„) fann faum ein anderer als der Gemahl Liudgartd geweſen fein. 
nun tritt wieder der Mönd von Muri ein. Nach dem Tode Lanzes 
Ps, gibt) er zu verftehen, theilten fi die Brüder in das Erbe des 
‚ worüber jebodh zwiſchen Rapoto und Rudolf ein Streit entftand, 
-zu Gewaltthaten, Raub und Brand, führte Demnach galt im Haufe 
lin's fein Erftgeburtsrecht, wovon, mit Ausnahme der pfalzgräflichen 
ie am Rhein fo wie Flanderns und Hollands, ſich auch fonft Feine 
zeigt. Zugleich fieht man, daß durch die Theilung der vier Brüder 
Stammgut zerfplittert worden fein muß. 
z Aber um diefelbe Zeit traten Ereigniffe ein, welche den Söhnen Lans 
6 neue und reichliche Quellen des Wohlſtands eröffneten, die Grün, 
mg einer zweiten Stammburg herbeiführten und, wie e8 ſcheint, die Fünf; 
Be Größe der Hab&burger vorbereitet haben. Werner, wahrjcheinfich ver 
wofte Sohn Lanzelin’s, widmete ſich dem geiftlichen Stande und erlangte*) 
Mai 1001 ald Nachfolger Alawich's den Stuhl von Straßburg. Gleich 
B folgenden Jahre leiftete er dem Reiche wichtige Dienfte, nämlich bei 
webruc der Thronftreitigfeiten nach Dtto’8 III. Tode. Er ergriff ent- 
Wofien Parthei für Heinrich II., wohnte der Krönung deſſelben zu Mainz 
Juni 1002 an, widerfegte fi dem Gegenfönige Herrmann von Schwas 
n mit bewaffneter Hand, litt zwar dadurch empfindlichen Schaden, aber 
ne Hartnädigfeit trug nicht am wenigften dazu bei, daß der Schwabe 
October 1002 ſich dem rechtmäßigen Herricher unterwerfen mußte.®) 
4 diefer Gelegenheit wurde Herimann genöthigt, die von ihm früher bes 
jene Abtei St. Stephan zu Straßburg ald Entſchädigung an den Bilchof 
patreten. Seitvem muß Werner das volle Vertrauen des deutfchen Kö⸗ 
o genofien haben. Denn Heinrich II. verwendete ihn ald Gehülfen bei 
Bführung eines großen Entwurfs, der jedoch erft unter dem Salier Con⸗ 
) II völlig verwirklicht war. 
Die Plane feiner Vorgänger, der Dttonen aufnehmend, arbeitete 
mig Heinrich II. feit feiner Thronbeſteigung unaudgefegt auf Erwerbung 
3 burgundiſchen Reiches hin. Zwei Bilchöfe, ein burgundiicher, Adalbero 
1 Baſel, der jedoch zugleih, wie wir wiſſen,“ Vaſall ver deutichen 


1) Bouquet XI, ©. 434 Note d. 2) Perg III, 144: obiit Landoldus comes. 
u. aD. ©. 205. *%) Perg III, 794. 5) Gfroͤrer, Kirch. Beh. IV, 11 und 
6) Siehe oben S. 298. 


328 Babft Sregorind VIL und fein Zeitalter. 


Krone war, und der Straßburger Werner, halfen‘) dem beutichen König 
wie bei dem burgundiichen Unternehmen, fo au in andern Dingen. m 
Sommer 1002 vertheivigte Adalbero, vereint mit Werner, die Burg von 
Breiſach wider den Gegenfönig Herimann von Schwaben, und erhielt für 
feine Dienfte fpäter reelle Zeichen der Dankbarkeit Heinrich's, der dem 
Hodftift 1008 einen Wildbann im Breisgau verlieh.) Kurz darauf, um 
1006, waren außer Adalbero bereits vier andere burgundifche Kirchenhäupter 
gewonnen. Denn der Synode, welde König Heinrih IL. im Nov. 1007 
zu Frankfurt hielt, wohnten neben dem Bafeler Adalbero, die Erzbiichöfe 
Burchard von Lyon, Baldolf von Tarantaiſe, fowie die Biſchöfe Heinrid 
von Laufanne, Hugo von Genf bei.?) Abermal einige Zeit fpäter hatten 
die im größten Geheimniß betriebenen Unterhanvlungen denjenigen Punft 
der Reife erreicht, auf welchen fie überhaupt mit Worten und Dinte ges 
langen konnten. Der Merjeburger Chronift erzählt, ?) daß Kaifer Heinrich IL 
im Sommer 1016 eine Zujammenfunft mit dem Burgunderföntg zu Straf 
burg hielt, wo leßterer für den Ball feines Todes dem deutſchen Herrſcher 
die längft verheißene Nadfolge in Burgund felerlih beftätigte und bas 
Verſprechen beifügte, daß er fchon jegt nichts Wichtiged ohne Heimich'e 
Zuftimmung vornehmen werde. Die Wahl des Orts, wo biefer Bertrag 
zu Stande fam, deutet darauf hin, daß Biſchof Werner die Hand im 
Spiel hatte. Im Uebrigen war durch die PVerheißungen Rudolf nicht 
viel gewonnen, denn feine ungehorfamen Vaſallen widerftrebten aus allen 
Kräften der deutichen Erwerbung Burgunde.) Daher jchritt jetzt Kailer 
Heinrih zum zweiten Aft, d. h. er rüftete fib, Gewalt, Langen und 
Schwerter anzuwenden. 

Mit dem Augenblide, da dieß geihah, mußten noch andere Leute, 
als Biſchöfe und lerifer, nämlid Männer des Harnifches beigezogen 
werden. Was wird unter den damaligen Umftänden das paſſendſte Mittel 
geweſen fein, um ein fremdes und zwar ein abgeneigted Land dauernd 
in Beſitz zu nehmen? Ohne Zweifel dieſes, daß der Kaifer aus dem 
Stande der Grafen, welde die bürgerliche mit der militäriſchen Gewalt 
vereinigten, diejenigen für jein Unternehmen gewann, die der Gränze zu⸗ 
nädhft faßen, und darum gleihjum von ihren Burgen herab dem Kailer 
helfen fonnten. Die allertauglichften aber unter diefen Grafen waren ohne 
Zweifel Solche, die neben deutſchen Gütern auch noch in Burgund gelegene 
Ländereien befaßen. Denn erftere konnten vom Sailer ald ein Yauftpfand 
angejehen werden, daß bejagte Herren bei Erweiterung der leßteren nicht 
blo8 den eigenen Vortheil, ſondern aud die Abfichten des Kaiſers zur 


*) Die Beweife für dieß und das Folgende bei Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, 111 fly. 
>) Daf. 111 fig. 


J 


Erſtes Buch. Cap. 10. Das Haus Habeburg. 329 


Richtſchnur wählen werden. Run fage ich, unter den obwaltenden Ber: 
hältniffien war Niemand geeigneter, dem Kaifer Dienfte zu leiften, als bie 
nächſten Anverwandten des Straßburger Biſchofs, das Grafenhaus von 
Rheinfelden und dasjenige, das damals noch, aber nicht mehr für lange, 
von der Altenburg bei Windiſch feinen Namen trug. Denn das Stamms 
ſchloß der Erfteren dort auf dem Rheinfelſen, umfpült von zwei Armen des 
Stromes, der gewaltfam durch die engen Berge hindurchſtürzt, hatte eine 
folhe Lage, daß man von dem Fenfler der Südſeite einen Stein nad) 
Burgund, von dem Fenfter der Nordfeite einen Stein nach Deutickland bins 
überwerfen fonnte; deßgleichen erhob fich die Altenburg in der Nähe der Yare. 

Menden wir uns zu den Brüdern des Straßburger Biſchofs, die Laien 
geblieben waren, zu Rudolf, Lanzelin II. und Rapoto. Nirgends ift' von 
Kindern Rudolf's und Lanzelin's die Rede, faft fcheint ed, fie ſeien unvers 
mäblt geweſen. Aber Rapoto, der ohne Zweifel der Erftgeborene des Hauſes 
war, ſchloß eine Ehe und zwar eine glänzende, er heirathete Ita von Loth- 
ringen, die Tochter Friederich's und Beatricens, die Stiefichwefter Cuno's von 
Rheinfelden, die Richte des Stifterd der capetingifchen Monarchie. Ich habe 
oben die Wege nachgewieſen, auf welchen dieſe Verbindung herbeigeführt 
worben jein mag. Die Grafen von Windiih und Rheinfelden waren 
Nachbarn, bequem reitet man in einem Vormittag von der einen Burg 
Rheinfelden, wo Beatrir und wahrfcheinlih auch Ita hauste, zu der ans 
dern hinüber. Die Heirath Ita's mit Rapoto beweist, daß auch er feiner 
Seits einen erlaucdhten Stammbaum aufzuweifen hatte, denn fonft würde 
fie ihm fchwerlih die Hand gereicht haben. Befanntlid find viele von 
jeltener Gelehrſamkeit unterftügte Verſuche gemacht worben, die Ahnen 
Rapoto's einzeln aufzuzählen. Aber jo viele Spuren aud auf die alten 
Herzöge des Elſaßes oder Alamanniend hindeuten, ein regelrechter Beweis 
fann nicht geführt werden, weil zufammenhängende Urkunden fehlen; man 
bat feinen feften Grund unter den Füßen. 

Iſt e8 nicht merfwürdig, daß das Haus Habsburg zwei Mal in ents 
ſcheidendem Augenblid ehelihe Verbindungen mit dem lothringifchen fchloß, die 
eine damals über der Wiege beginnender Größe, die andere flebenhundert 
Fahre fpäter in fürdterliher Roth, da der alte Mannsſtamm erlojchen war, 
und eine Welt voll Feinde fi) gegen die Erbtochter Marta Therefia — fie, die 
Frau, unter den deutſchen Kaifern nach Carol L der trefflichfte — in Waffen 
erhob! Das erfte Mal war es die Ahnfrau, die aus HerzogensBar und 
Rancy Fam, das andere Mal war es aus gleicher Gegend ein neuer Ahnherr. 

Run zurüd zu den burgundiſchen Verwidlungen. Im Sommer 1018 
ſammelte) Kaiſer Heinrih II. ein Heer bei Bafel und brad in Burgund 


ı) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. Band IV, 114. 


330 Pabſt Sregorins VII. und fein Seitalter. 


ein; bald aber nöthigten ihn Unruhen im nördlihen Deutfchland zur Ums 
fehr. Allein an feiner Statt übernahm Biichof Werner von Straßburg bie 
Leitung ded Kriege. Herrman von Reichenau meldet‘) zum Jahre 1020: 
„von unterfchieblichen ſchwäbiſchen Herren begleitet, griff Biſchof Werner 
Burgundien an und fiegte in einer Feldſchlacht.“ Als Theilnehmer des Zuge 
nennt ?) die Augsburger Chronit zum gleihen Jahre den Ravensburger 
Welf. Vielleicht find auch Cuno von Rheinfelden und Rapoto oder deſſen 
Söhne mitgeritten. Allem Anjcheine nad gewann aus diefem Anlaß ver 
Führer des Heeres, Bilchof Werner, großes Gut, über das er, wie wir fo 
gleich jehen werden, einige Jahre fpäter zu Gunften feiner nächſten Ber 
wandten verfügte. 

Kaiſer Heinrih II., Wiederherfteller des deutſchen Reichs, ftarb den 
13. Zult 1024. Weber die Role, welche Biſchof Werner in den kurzen 
Thronftreitigfeiten jpielte, die nun ausbrachen, liegen Feine Nachrichten vor. 
Dagegen ift gewiß, daß bald darauf ein politifche® Ereigniß den Biſchof 
beftimmt hat, fein Haus zu beftellen. Ich laße zunächft den Moͤnch von 
Ebersheim reden, welcher fagt:”) „Bilchof Werner übergab feinem Bruder 
Rapoto, Grafen von Habsburg, viele Höfe und Kirchen, die eigentlih 
dem Stift Straßburg gehört hätten, zu Erblehen.” Der Mönch hegt, wie 
fi unten des Weiteren ergeben wird, Groll gegen Werner; darum vers 
dient die Behauptung, daß jene Lehen an den Straßburger Stuhl hätten 
fallen follen, forgfältige Prüfung. In Deutichland wie in der übrigen 
Ehriftenheit beftanden Gelege, welche gewiſſenloſe Biichöfe hinderten, eigentliche 
Stiftögüter an Anverwandte zu verjchleudern. Aber jehr gut kann es gefchehen 
fein, daß Werner Beftigungen, die er während feiner bifchöflichen Verwal 
tung ald Privatmann erworben hatte, dem Bruder oder deſſen Kindern 
vermacdhte. Er war hiebei in feinem Rechte, obwohl begreiflich iſt, daß bie 
Straßburger Domberrn, weldhe den reichen Allodialnachlaß Werners gerne 
für ihr Stift zu Handen genommen hätten, fauer zu der Schenkung fahen. 
So, denke idy mir, wird die von dem Ebersheimer Mönd erzählte That: 
jache zu verftehen fein, welche in Zweifel zu ziehen fein Grund vorhanden 
ft. In den Gütern, über welche Werner verfügte, ſehe ich eine Frucht 
der Danfbarfeit Heinrichs IL. für große geleiftete “Dienfte. 

Ueber den Anlaß aber, warum Werner fein Hab und Gut leben 
verfchenfte, bringt derſelbe Mönch eine ganz ungefalgene und einfältige 
Fabel vor, welche offenbar Haß eingab. „Werner,“ fagt er, „hatte ſich wider 
den Kaiſer Conrad II. in eine Verſchwörung eingelaffen, die entvedt wart. 
Weil jedoch der Kaiſer Bedenken trug, wegen der Größe und Macht des 
Geſchlechts, dem der Schuldige angehörte, Werner am Kopfe zu nehmen, 


) Berk V, 119. ?) Daf. IIL, 125. 2) Bouquet XI, 434. Mote d. 


Erſtes Bud. Gap. 10. Das Haus Habsburg. 331 


übertrug er ihm eine Geſandtſchaft nach Konftantinopel, und ſchickte hinten⸗ 
drein Boten an den griechiihen König mit dem Erfuchen, den Gefanbten, 
jobald er anfäme, vergiften zu laflen, was denn auch befagter griechiicher 
König bewerkftelligt habe.” Credat Judaeus Apella! Wie? Kaifer Conrad 
— denn der ift gemeint — fol jo einfältig gewefen fein, einen Mann, ven 
er befeitigen wollte, nicht auf deutihem Boden, wo er doch Herr war, 
aus der Welt zu fchaffen, und Zweitens fo dumm, daß er einem fremden 
Fürſten feine geheimften Gedanken anvertraute, und drittens fo unverfchämt, 
baß er den Herrſcher des Morgenlandes um Henfersdienfte erfuchte!! Das 
Ganze fieht aufs Haar einer verunglüdten Nachbildung des Uriasbriefes 
glei, den einft Köntg David abgeſchickt hat. 

Im Uebrigen haben die zwei Hauptpunfte der Erzählung des Ebers⸗ 
heimer Moͤnchs ihre Richtigkeit: Biſchof Werner ift wirklich gegen Ende 
"des Jahres 1027 als Faiferlicher Gefandter nad EConftantinopel abgegangen 
und zweitens er ift wirklich im folgenden Jahre dafelbft gejtorben.‘) Den 
Bilchof begleitete damals, wie oben angeveutet worden, der fchwäbifche 
Pfalzgraf Manegold I. aus dem Dillinger Haufe. Die Duelle, welde 
letzteres meldet, fügt bei, die Geſandtſchaft ſei abgeſchick worden, um für 
den Sohn des deutichen Kaiſers eine griechiiche Prinzeffin zu erbitten. Das 
Flingt nicht unglaublid. Wahrſcheinlich aber hatte Werner noch andere 
Aufträge.) Jedenfalls fteht feft, daß Faiferliches Vertrauen und nicht Arg⸗ 
liſt ihm die Gefandtichaft nach dem Oſten anvertraut hat. 

Immerhin war die Reife nah Eonftantinopel eine gefährlihe Sache, 
und ed ift in der Ordnung, daß Werner. vorher feine Angelegenheiten 
ordnete, wie ein Mann, der bald fterben könnte. Nach 26jähriger Vers 
waltung des Stifts fann er überdieß 1027 nicht mehr jung geweſen fein. 
Ehe er zu Pferde ftieg, fertigte er eine Urkunde °) aus, welche zwei Dinge, 
die Erbauung der Habsburg und die Gründung des Älteften habsburgiſchen 
Hausftifts Muri, betrifft. Der wefentlihe Inhalt Tautet wie folgt: „Fund 
und zu wiflen den fommenden Geſchlechtern, was Maaßen ih Wernher, 
Bifhof von Straßburg und Erbauer des Schloßes Habsburg, auf 
meinem väterlihen Erbtheile im Drte Muri, gelegen im Aargau und der 
Grafſchaft Rore, zu Ehren der b. Dreifaltigkeit und der heiligen Mutter 
Gottes, auch aller Heiligen, ein Klofter gegründet habe, das für immer dem 
feligen Bifchofe Martinus (von Tours) geweiht if. Diefem Klofter vers 
mache ich durdy die Hand meines Bruders Lancelin, der ald Soldat bisher 


%) Eine Reihe der zuverläßigften deutſchen Chroniſten melden feinen in Gonftantinos 
pel erfolgten Tob: Necrologium fuldense ad a. 1028 bei Leibnig script. brunsvic. II, 
767. Annales Hildesheim. ad a. 1029. Berg III, 97. Annales August. ad a. 1028. Ibid. 
©. 123. Herimannus contr. ad a. 1027. Berk V, 121 oben und andere. 2) GEfroͤ⸗ 
rer, Kirch. Geſch. Band IV, 278 fig. 2) Ektard a. a. D. ©. 242 Nr. 4. 


332 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


mein Eigenthum geichirmt hat, al’ mein väterlihes Erbtheil, mit vollem 
Eigenthumsreht. Ich verfüge weiter, daß Fünftig die Mönde von Muri 
nach der Regel des heiligen Benediktus leben, und ſich nad freiem Gut⸗ 
bünfen einen Abt, fei es aus ihrer eigenen Mitte, fei ed aus einer andern 
Brüderfchaft, wählen. Zum Vogte aber des Stiftes Muri ſoll der Abt ſtets 
einen Sprößling meines Hauſes, der auf befagtem Schloße Hab% 
burg wohnt, und zwar immer ven Aelteften, beftellen.. Wenn je der 
Beftellte Bedrückungen an der Monchsgemeinde verübt, und auf zwei ober 
dreimalige Warnung fich nicht beffert, fo will ich, daß der Abt einen Anden 
aus demfelben Haufe, der auf befagter Habsburg wohnt, ohne Widerſpruch 
zum Vogt einjege. Stirbt der Mannsftamm des habsburgifchen Hauſes 
aus, fo fol die Vogtei an die Erbtochter übergehen, die auf bejagtem 
Schloffe Habsburg wohnet.“ — Folgen nun die gewöhnliden Androhungen 
des Bannes gegen Solche, die diefen legten Willen anzutaften wagen würden, 
dann der Schluß: „alfo gegeben im Sahre des Heild taufend zwanzig 
fieben, Römerzindzahl zehen,‘) unter der Herrſchaft des glorreichen Kailerd 
Conradus.“ 

Das neue Stift wurde ſofort mit Mönchen aus Meinradszell (Ein 
fiedlen) beſetzt.) Diele Nachricht iſt darum wichtig, weil wir aus andem 
Quellen wiflen, daß in Einſtedlen die ftrenge gregorianiiche Richtung herrſchte. 
Als Graf Adalbert IL von Calw, der Neffe des Pabftes Leo IX. und 
nachher entichloffener Anhänger des von Gregor VII. begünftigten Gegen 
fönigs Rudolf von Rheinfelden,’) das Klofter Hirihau wiederherftellte, be: 
rief *) er Mönde aus Einſiedlen. Das ift an fi ſchon Deutlich genug, 
nun fommt aber noch hinzu, daß fofort im Schooße ded von infiedlen 
aus bevölferten Klofterd jener berühmte Abt Wilhelm erftand, der das 
Mittelglied wurde, durch welches ſich Clugniacenſer Vorjchriften und Beftte 
bungen über ganz Deutichland verbreitet haben. >) 

Nicht mindere Beachtung, ald die Folgen der Stiftung Werners, ver 
dient die Urkunde an fih. Der Bifchof verfügt, daß die Vogtei über Muri 
ſtets dem älteften ded Haujes zuftchen, und nur, wenn diefer ſich untaug 
lich erwiejen, an den Nächften, — im Falle aber ver Mannsſtamm erlöſche, 
an die habsburgiſchen Erbtöchter übergehen ſolle. Werner von Straßburg 
war nicht der erfte, der eine folche Vorfchrift gab. Wie ich an einem 
andern Orte zeigte,) hatte das fuliihe Haus von Worms fchon geraum 
Zeit früher ähnliche Verfügung getroffen. Auch Tann man nicht fagen, 
daß Werner durd jene Beftimmung ein Erftgeburtredht einführte — wir 


*) Ganz richtig. Man fehe die Inpiftionentafel in art de vörifier les dates. I, 21. 
2) Ekkard a. a. DO. ©. 206. °) Stälin, württ. Geſch. J, 568. ) Codex Hirsayg. 
ed. Stuttgart 1843 ©. 3 oben. ) Stälin IL, 6885. *) Dben ©. 250, 


Erſtes Buch. Gap. 10. Das Haus Habsburg. 333 


werben unten fehen, daß feitdem Erbtheilungen bei den Habsburgern nicht 
felten vorfommen, — gleihwohl enthielt Werner Sagung den Keim einer 
Bevorzugung der Erftgeburt. Sie gab jedenfalls eine praftiiche Anweiſung 
— bie nicht unbeherzigt blieb, — das Hausgut vor Zertrümmerung zu 
wahren. Wann die Habsburg erbaut worden, erhellt aus der Urkunde 
nicht, das Schloß ftand offenbar fchon längere Zeit, ald Weruer die Reife 
ind Morgenland antrat. Wie jehr ift er für die Burg beforgt! nur die 
jo auf Habsburg haufen, follen die Vogtei ausüben dürfen. Er fpricht, als 
ob er geahnet hätte, daß fih an das Schloß dort oben Über der Aare große 
Geſchicke knüpfen! 

Weder Ita noch Rapoto, noch auch der zweite Bruder Rapoto's, 
Rudolf, waren am Leben zur Zeit der Abfaſſung des Stiftungsbriefes. 
Nachrichten, welche glaubhaft find, melden‘): Rudolf ſei ſchon 1012 ges 
ftorben, Ita aber im Juli 1026, und furz darauf im Mär, 1027 aud 
ihr Gemahl Rapoto mit Tod abgegangen. Hieraus erflärt ſich genügend, 
warum Werner in. der Stiftungsurfunde, die im Herbfte 1027 abgefaßt 
worden zu jein Icheint, von Rapoto und Ita fchweigt, und nur des dritten 
Bruders Lanzelin gevenft, der laut denfelben Zeugniffen bis 1036 lebte. 
Da der Mönd von Muri berichtet, I Ita babe Iebhaften Antheil an ver 
Stiftung genommen, auch fei die Leiche Rapoto's in der Kloſterkirche be⸗ 
graben worden, muß man den Schluß ziehen, daß die Erbauung und Zus 
rüftung ſchon einige Zeit vor der Reife Wernerd begonnen hatte. Die 
Worte der Urkunde ftehen diefer Annahme nicht entgegen, fondern find ihr 
im Gegentheil günftig. 

Graf Rapoto von Habsburg hinterließ aus feiner Ehe mit Ita von 
Lothringen vier Kinder: eine Tochter Richenza, welche mit einem Grafen 
von Lenzburg vermählt ward, und drei Söhne Otto, Adalbert, Werner II. 
Rad dem Tode des Vaters theilten fich die drei in das Erbe;) alio bes 
ftand fein Erftgeburtsrecht. Die Vogtei über Muri muß erft an Otto, als 
den älteften Bruder, dann fpäter an den zweitgebornen Adalbert überges 
gangen fein; denn erft nachdem der Mönd den Tod dieſer beiden gemeldet, 
berichtet er vom dritten Bruder Handlungen, weldye beweifen, daß er die 
Vogtrechte ausübte. Diefed Verfahren war, wie man fieht, den im lebten 
Millen des Straßburger Biſchofs enthaltenen Berfügungen gemäß. Kurz 
geht der Mönd über die Geſchichte des erftgebomen Bruders weg. Doc 
wird feine Wortfargheit einigermaßen dur eine Urkunde‘) Conrads IL vom 
15. Juli 1025 ergänzt, welche aus Gelegenheit der Beftätigung einer zu 
Steinenbrunn gemachten Schenfung bemerkt, diefer Ort liege im Elfäßifchen 


) Gffard a. a. D. ©. 69 und 72. ?) Ibid. S. 205 und 207. 2) Ibid. ©, 
207. *) Böhmer, regest. Nr. 1290. 


334 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


Eundgau und in ter Grafihaft Otto's. Mit Effard glaube ich annehmen 
zu dürfen, daß Dtto eine Perfon mit dem Sohne des Habsburgſchen Grafen 
Rapoto ff. Otto von Habsburg bejaß demnad eine Grafihaft im Elſaß, 
wo befanntlih fein Haus fpäter jehr begütert war. Der Mönd von Muri 
fährt fort: „nachdem er längere Zeit gelebt, fiel Graf Dtto unter den mör 
derifhen Händen eined Soldaten und ward zu Straßburg begraben.“ 
Abermal deutet dieß darauf hin, daß Dtto gewöhnlid oder doch zuweilen 
feinen Wohnfig im Elſaß hatte. 

Ebenfo wortfarg ift der Mönd von Muri über Otto's zweiten Om 
der und muthmaßlihen Nachfolger in der Vogtei, Adalbert. Er fagt bloß: 
„al8 Adalbert auf dem Todtenbette lag zu Hönigen, vermadhte er das 
Drittel am dortigen Gut, das er befaß, der Abtei Muri und ward allbier 
neben der Leiche feined Vaters Rapoto beigeſetzt.“ Zwei Fragen find zu 
beantworten: erftend wie fol man das Drittel verftehen, das Apalbert 
am Orte Hönigen befaß? Die natürlichfte, dem Wortfinn entfprechende Dev 
tung fcheint mir die: jedem der drei Brüder fei von allen Stüden des ges 
meinfamen Erbe ein Drittel zugewiefen worden, aljo daß feine wirkliche 
Abfonderung ftattfand, fondern das Gejammtvermögen gefchloffen blieb, 
wie es in den Zeiten des Vaters gewefen. Nur hatte jeder Bruder ein 
Drittel des Gefammtertrags anzufprechen. Zweitens, wo ift Hönigen a 
fuhen? Das befte Hülfsmittel für Löfung geographiſcher Schwierigkeiten 
auf alamanniihem Boden bietet die Sammlung des Pater Neugart dat, 
der die Urkunden nicht bloß buchftäblih abdrucken ließ, fondern auch zu⸗ 
gleich — namentlich durch Beltimmung der Ortslagen — erläuterte. Run 
finde ich dafelbft feinen Ort genannt, der mit unferem Höntgen genügend 
Aehnlichkeit hätte, ald das in zwei Urkunden‘) 870 und 925 erwähnte 
Dorf Hoinga. Daffelbe heißt heut zu Tage Höngg und liegt unweit 
Zürih. Diefe Lage paßt gut zu der von unferem Mönche mitgetheilten 
Nachricht, daß die Leiche Adalberts nah Muri abgeführt ward, während 
Graf Dtto die legte Ruheſtätte in Straßburg fand; denn von Hoͤngg 
bie Muri ift e8 nur eine fleine Entfernung. 

Endlich fagt der Mönd Fein Wort von Kindern Otto's und Adalbertt, 
während er genügenden Aufichluß über die Nachkommenſchaft des dritten 
Bruders Werner gibt. Sieht dieß nicht jo aus, als habe nur einer der 
Söhne Rapotos geheirathet, und weiter, als fei gegen Zerfplitterung des 
Hausguts dadurch Vorſorge getroffen worden, daß, wenn mehrere Söhne 
da waren, je nur Einer die Rolle des Stammhalterd übernahm? Der 
eben ausgeſprochene Sag ift darum Feine leere Vermuthung, weil in den 
nächſten Geſchlechtsfolgen fi unverkennbar diefelbe Erſcheinung wiederholt. 


) Cod. dipl. Alam. Nr. 467 u. 713. 


Erſtes Bud. Gap. 10. Das Haus Habsburg. 935 


Zuverfitlih darf man jagen, die im Teftamente des Straßburger Biſchofs 
ausgeftreuten Keime find aufgegangen. 

Ausführlih Außert fih der Mönd über die Geſchichte des dritten 
allein noch übrigen Erben, Werners, der, wie fchon bemerft worden, nad) 
dem Tode der zwei Älteren Brüder die Vogtei ded Familienſtifts antrat. 
Merkwürdige Dinge giengen damals im Klofter Muri vor. Erftlich brachen 
unter der Möndydgemeinde Mißhelligfeiten aus wegen der Regel. „Ein 
neugewählter Abt band fidy nit an die bisher beftehende firenge Zucht, 
fondern ließ den Brüdern manche Freiheiten. Solches mißſiel dem Vogt 
Werner II. der Beſſeres in St. Blafien gejehen hatte und mun verlangte, 
daß die neuerdings dort eingeführte Ordnung auh in Muri beobachtet 
werde. Hievon aber wollten viele der Mönche nichts hören, und ed gab 
böfe Händel.” Unverfennbar tritt hier der faft magifche Einfluß hervor, 
welchen Hildebrand um die Zeit der vom Mönche angeveuteten Streitigs 
feiten auf fein ganzes Zeitalter geübt hat. Die Schwingungen des neuen 
Geiſtes, den er dem Mönchthum einpflanzte und der Reformation, die er ers 
zwang, find bis Muri vorgebrungen. 

Zweitens auch der Kloftervogt Graf Werner II. verfuhr, obgleich im 
Ganzen gut Firhlih gefinnt, nicht immer pflihtgemäß: „von dem böfen 
Beilpiele anderer Vogte angeftedt, zog er Güter an fi, die von Rechts⸗ 
wegen dem Stifte gehörten, und hielt feine und des Kloſters Dienftleute 
nicht jo getrennt, wie es ſich gebührte.” Das heißt, er forderte von dem 
Gefinde des Stifts gleiche Leiftungen wie von feinem eigenen. Aber nicht 
ungewarnt that er joldes: „Herbei kamen die Aebte Sigifried von 
Scaffhaujen, Wilhelm von Hirſchau (der von 1061—1091 befagtem Klofter 
vorftand‘) und madten dem Habsburger Grafen Vorftellungen, daß er 
zum Heile feiner Seele dem Stifte völlige Freiheit vom Joche der Vogtei 
gewähren jolle. Und fiehe, Graf Werner horchte auf diefe Reden und 
that was die Aebte begehrten.“ 

Sch muß bier den Bericht des Mönchs unterbrehen, um einige Er: 
läuterungen einzuftreuen. Die Aebte dreier Kloöſter, nemlih von Hirſchau, 
Sanft Blaſien und Schaffhauſen, haben, wie man fteht, ftarf auf den 
Grafen Werner eingewirkt. Was dieß heißen will, erhellt am beften aus 
folgender Stelle des Zeitgenoffen Bernold, welcher zum Jahre 1083 ſchreibt:) 
„um jelbige Zeit waren bie gefeiertften Stifte im Kaiferreiche der Deutſchen 
folgende drei: das Klofter St. Blafien im Schwarzwald, das Klofter zum 
h. Aurelius in Hirſchau und das Klofter zum Erlöfer in Schaffhaufen.“ 
Den erften Rang aber nahmen bejagte Klöfter darum ein, weil in ihnen 


ı) Stälin a. a. D. IL, 696. 2) Perk V,.439. 


336 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


die gregorianifche Richtung, welcher auch der Ehronift Bernold anhieng, vol, : 
fommen ausgeprägt war. 

Der Mönd von Muri, der jelbft faum ahnt, weld’ wichtige Dinge 
er mittheilt, fährt‘) fort: „auf den Zuſpruch der genannten Aebte entgeg 
nete Graf Werner: es jei ihm Alles recht, fie möchten ſelbſt einen Frei⸗ 
brief aufjeben, wie es ihnen am beften dünke, damit ſolche Urkunde vor 
dem Könige, vor dem hohen Adel (coram principibus) und vor dem Bolk 
beftätigt und befräftigt werde. Dieß geſchah. Nunmehr verfammelten fid 
auf St. Martind Tag allhier im Klofter Muri die drei Aebte, Gifelben 
von St. Blafien, Wilhelm von Hirihau, Sieifrid von Schaffhufen ; vom 
hohen, weltlihen Adel Rudolf von Tierftein, Burchard von Nellenbung, 
(wir lernen bier die Laienhäupter der Gregorianiichen Parthei fennen), fammt 
vielen andern freien und unfreien Standed. Nach dem Hodamt trat Guf 
Werner vor den Altar und erklärte öffentlih, daß er Muri freigebe uw 
daß weder er noch feine Nachkommen irgend ein Recht an das Stift haben 
ſollten. Auch ließ er ven Entwurf des Briefs vorlefen.” Ich braude 
mit gutem Bedacht den Ausdruck Entwurf, weil der Möndy weiter unten 
fagt, Werner habe päter aus dem Briefe einige Güter geftridhen, die er 
vorher dem Klofter zugelagt hatte. Dean erfieht hieraus, wie aus dem 
Folgenden, daß die Seitenverwandten des habsburgiſchen Hauſes dem Grafen 
Werner unaufhörlih in ven Ohren lagen, feine Großmuth gegen die Mönge 
zu mäßigen. 

„Runmehr forderte Graf Werner die Mönchsgemeinde auf, das Recht 
derjenigen freien Kirche zu bezeichnen, welches fie zu erhalten wünſcht 
Der Abt nannte das Recht der Kirche von Luzern — es warb ihm m 
geftanden. Weiter lud er fie ein, nad eigenem freien Gutbünfen einen 
Vogt zu wählen. Hierauf ward das Stift den Brüdern überantwortt, 
welche Abt Giſelbert von Et. Blaften mit fi) gebradıt hatte; zuvor abe 
erklärte Graf Werner den Münden der bisherigen Gemeinde: wer wm 
ihnen der neuen Regel gehorchen wolle, dürfe bleiben, wer nicht, der folk 
fortgehen. Diele verließen wirflih das Kloſter. Solches Alles geicah 
im Jahre des Heiles 1082, Römerzindzahl 5. Nachdem die Mönche Rath 
gehalten, erforen fie zu ihrem Vogt Ludolf von Regensberg; der aber komte 
nicht lange bleiben, weil eine Fehde zwiſchen Graf Werner un 
jeinen Neffen, den Söhnen des Grafen von Lenzburg, ausbrach. Draxf 
wählten die Mönde einen Andern, Richwin von Aſſek zum Vogt, aber arch 
der vermochte die Vogtei nicht zu behaupten.“ 

Ueber die Gründe, warum Rihwin den Poften aufgeben mußte, fchweigt 
der Mönd; aber das, was er bezüglich Ludolfs von Regensberg jagt, 


- [a 


N aD. Ekkard S. 209. 


Erſtes Buch. Gap. 10. Das Haus Habsburg. 337 


gilt offenbar audh von Jenem. Beide find allem Anſcheine nad) durch 
die Waffen der Lenzburger vertrieben worden. Weßhalb erhoben nun dieſe 
Fehde? Darum, weil fie Söhne der Richenza, der Schwefter Werners waren, 
darum zweitens, weil dad vom Straßburger Biſchof Werner II. gegründete 
Hausgeſetz beitimmt hatte, daß nah dem Erlöichen des Mannjtamms die 
weibliche Linie in der Bogtei folgen jolle. Aus dieſem Grunde glaubten 
die Lenzburger Grafen, als Söhne der Richenza — und wie mir fcheint, 
niht mit Unreht — ihre Erbaniprühe durch den Akt berroht, fraft 
defien der Oheim für fi und fein Haus auf die DBogtei verzichtet hatte. 
Man flieht: Alles in dem Berichte des Mönchs hängt aufs Befte zuſammen, 
das Sigel der Wahrheit ift demjelben auf die Etirne gedrüdt. Zugleid) 
erhellt aus dem Betragen der Neffen, daß fie nahe Rechte auf das Habs⸗ 
burgifche Gejammterbe hatten, folglich daß die Fortdauer des Mannsſtamms 
auf wenigen Augen ftand, folglidy daß die Brüder Werners IL nicht vermählt 
gewejen jein fönnen, folglich daß unjere oben ausgeſprochene Bermuthung 
abermal beftätigt wir. 

Der Mönd von Muri fährt fort: „Zulegt gereute es den Grafen Werner, 
baß er vie Vogtei aus der Hand gegeben, auch viele der Klofterbrüder 
felbft waren nicht damit zufrieden, weil ſie nur bei Werner gehörigen Schug 
fanden; deßhalb ſchloß er mit Richwin einen Vergleich, kraft deſſen Iegterer 
ihm gegen Abtretung eined Guts die Vogtei zurüdgab. Hierauf verfams 
melten fi faft alle bei dem Hausgeſetz (das einjt der Straßburger 
Bifchof gegeben) betheiligte Herren‘) in dem Orte Othwigen, wo aud 
Werner IL, begleitet von dem Abte Liutfriced aus Muri, erjchien. Dajelbft 
ward feſtgeſetzt, daß ſtets der ältere unter feinen Söhnen aus den Hän- 
Den des Abts die Vogtei empfungen ſolle.“ 

Das heißt mit andern Worten: Werner bejtätigte ausdrüdtic den 
für den Augenblid allein praftiih wichtigen Punkt des von feinem Oheim, 
Dem Straßburger Biſchofe, eingeführten Hausgeſetzes. Diele Beftätigung 
Schloß jedoch ftillihweigend die Gültigkeit der, Die Rechte der weiblichen Linie 


1) 9. a. O. (convenerant ad villam Othwigen) pene cuncti comprimitiales prin- 
eipes. Gntweder hat der fhwierige Ausdrud feinen Sinn, oder den angegebenen. Meine 
@ründe find: 1) das Wort primitiae (das in der Zufammenjegung comprimitiales enthals 
ten) bezieht fi nothwendig auf die Vogtei Muri. Hier beſtand allerdings ein jus pri- 
zwitiarum , nämlich vermöge der im Teftament ded Straßburger Bifchofs gegebenen Ber: 
Fügung, daß flets der Aelteſte des Haufes die Vogtei haben folle. Comprimitiales find 
Daher die, welche ein Recht auf dieſe primitiae haben, oder erlangen koͤnnen; 2) das Nänıs 
Liche folgt aus der Sachlage. Bine Fehde war ausgebrochen, weil die weibliche Linie, 
oder die Göhne der Richenza, ihre Anfprüche durch die vom Oheim beliebte Verzichtung 
auf Lie Bogtei beeinträchtigt glaubten. Zu Dihwigen aber follte ein Vergleich ges 
troffen werden. Darum hatten alle die, welche Rechte auf das Teitament des Bifchofe 
gründeten, ein Intereile bei der Berhandlung zu erjcheinen. 

Yfrörer, Pabſt Gregoriue vu. Bd, 1. 22 


338 Pabſt Eregorins VII. und fein Zeitalter. 


nad) dem Erlöſchen des Mannsftammes betreffenden, Beſtimmungen in fi. 
Denn unter den Bamilienmitglievern, welche zu Othwigen mitverbandelten, 
waren jedenfall Vertreter der Kunkelſeite. Gekommen aber wären Dieje nick, 
wenn Werner nicht feine Bercitwilligfeit erflärt hätte, ihre Rechte anzuers 
fennen. Indem Graf Werner den Grundſatz ausfprad: es bleibt beim 
Teftamente des Oheims, ſtets fol der Keltefte vom Mannftamm die Vogtei 
haben, hieß er, obgleih die andern Artifel nicht ausdrüdlid hervorgehoben 
wurden, das ganze Hausgeſetz gut. 

Der Mönd von Muri erzählt ſodann: „nachdem Obiges geichehen, 
jhidte Graf Werner einen Evelmann Efbert ald Mittelöperfon nad) Rom, 
um das Stift in den Schug des Etuhled Pet, zu übergeben. Wie dieſer 
nad) Rom fam, vermochte er, ih weiß nicht aus welden Gründen, nidt 
vor den Pabſt zu gelangen, wohl aber brachte er fein Anliegen vor die 
in Rom anweſenden Cardinäle, welche auch der Bitte Efbertd entipraden, 
und einen Freibrief ausftellten.“ Der Mönd theilt die Urfunde mit: fe : 
enthält die für ſolche Fälle gewöhnliche Beftimmung, daß Muri Künftig ı 
gegen jährliche Erlegung eines Goldſtücks an ven Lateran unter Ein | 
und Hoheit des apoftoliichen Stuhles ftehen folle; am Eingang aber iR} 
ein Sag eingefügt des Inhalts, daß der Pabſt abweiend fei, und da 
darum die Cardinäle, als feine gejeglichen Stellvertreter, Die Sache in bie 
Hand genommen hätten. 

Zwei Punkte bevürfen der Erläuterung. Warum ward Efbert nad N 
Rom geſchickt? Nicht etwa um die Vogtei dem Habsburger Haufe zu ar 1 
ziehen, denn der Vergleih von Othwigen blieb aufrecht und Werners Ras » 
fommen behaupteten das vom Water ererbte Amt; fondern es geſchah, um 
gewiſſen Mißbräuchen vorzubeugen, die nad dem gewöhnlichen Weltfauf ans 
der Vogtei hätten entipringen können. Reben dem, was ich oben anführk, 
war zu Othwigen aud noch dieß beichloffen worden, daß aus der erblichen 
Vogtei, welche Abt und Gemeinde dem Hauje Habsburg zuerkannte, Feine 
wegs ein andered Recht, oder eine andere Nutzung zum Nachtheile des 
Stifts abgeleitet werden dürfe. - An Berfprehungen und gefchriebenen 
Handfeften aber genügte c8 den vorfichtigen Mönchen nicht, ſondern auf 
ihr Betreiben mußte Efbert nach Rom, um dort einen Schutzbrief aubp⸗ 
wirfen. Dieſer Brief war nemlih für den Fall berechnet, daß Werne 
Nachkommen das Vogtreht nah dem Beilpiel Anderer mißbrauchen würden. 
Geſchah dieß, jo hatten fie ein verbrieftes Recht, den Pabft wider ten 
Ihlimmen Vogt zu Hülfe zu rufen. 

Zweitens, warum fonnte Efbert nicht vor den Pabft gelangen, ode 
vielmehr, warum befand fich Iegterer nicht in Rom, und endlich wer war 
dieſer Pabſt? Meines Erachtens fein anderer als Gregorius VII, chevem 


Grhes Bud. Kap. 10. Das Haus Habeburg. 339 


als Cardinal Hiltibrand genannt. Bon Heinrih IV., aufs Aeußerfte 
bedrängt, hatte‘) Gregor VII. im Mai oder Juni 1084 Rom verlaffen, 
um hinfort die Weltftadt nicht mehr zu jehen. Denn im folgenden Jahre 
Barb er im normannischen Lager zu Salerno.?) In der Zeit zwifchen dem 
Suni 1084 und dem Mai 1085 ift — fo ſcheint e8 mir — Ekbert nad) 
Rom gefonmen. 

Der Mönd von Muri berichtet von Nun an nichts mehr aus der 
Lebensgefchichte Wernerd, er meldet nur noch deſſen Tod: „allzufrühe ftarb 
den 11. November des Jahres der Gnade 1096 Graf Werner, worauf 
an feiner Statt des BVerftorbenen CÄltefter) Sohn Dtto zum Vogte von 
Muri beftellt ward.” Auch einer der Reihöchroniften, Bernold, erwähnt?) 
den Todestag Wernerd zun nemlihen Jahre, dod ohne den Stammnamen 
Habsburg beizufügen. Sei es nun Zufall over Abficht, Bernold reiht bei 
Diefem Anlaſſe den Grafen Werner mitten inne zwiſchen zwei ausgezeichnete 
Aebte, Sigifried von Schaffhaujen und Liutfried von Muri, die zu Ende 
defielben Jahres ftarben. Deutet er etwa dadurch heimlidy die Kirchliche 
Geſinnung Werner an? Jedenfalls erhellt aus Bernolds Worten, daß er 
den Haböburger unter die ausgezeichneten Männer des Reiches zählte, 
deren Todestag der Nachwelt überliefert zu werben verdiene. 

Werner Il. binterlich aus jeiner Ehe mit Regilinda, deren Geſchlecht 
man nicht fennt, zwei Söhne, Dttto II. und Adalbert. Ich habe ſchon 
gelagt, daß Dito IL als Erftgeborner, nach dem Tode des Waters 
die Vogtei von Muri befam. Nachdem er diejelbe 13 Jahre lang 
verwaltet, wurde er im November 1109 auf feinem Haufe Butenheim 
durd einen Edelmann, Heſſo von Ujinberg, erihlagen. Der Getöbtete 
hinterließ Kinder, die aber erft jpäter in der Vogtei nachfolgten. Zur 
nächſt übernahm diejelbe, dem Hausgefege gemäß, ald Aeltefter des Hau⸗ 
fes, Otto's Bruder, Adalbert. Im 5. Jahre der Vogtei eben dieſes Adal- 
bert geihah «8, daß Kaifer Heinrih V., fraft der früher erwähnten zu 
Bajel unter dem 4. März 1114 audgeftellten Urkunde’), ſämmtliche Frei⸗ 
heiten des Stifted Muri gemäß dem Bergleihe von Othwigen, und ben 
dort von Werner IL am Teftamente feines Oheims, ded Straßburger Bi- 
ſchofs, vorgenommenen Yenderungen feierlich beftätigte. Dieß iſt zugleich 
das erſte bekannte Beiſpiel, daß Habsburger mit Beifügung ihres Stamm 
namens in Den vorhandenen Akten der Reichskanzlei erwähnt werben. 





2) Jaffe, regesta ©. 442 fig. 2) Pertz V, 464. , Böhmer, regest. Ar. 
2033. 


22° 


340 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


Eilftes Capitel. 


Die übrigen Herrengeflechter Schwabens. Die Zollern, die Württemberg, die Rellenburg, 
bie Grafen von Beringen:Altöhaufen, die BregenzsKyburger, die von Urach: Adalm 
Die Graſen von Berg und von Kirchberg Die Grafen von Calw und von Tübinger 
Das faliiche Haus von Egisheim im Elſaß. Pabſt Leo IX. Gründung dee Kloſter 
Moffenheim mit der Vorfchrift, daß die Vogtei ſtets dem Melteften des Geſchlechte 
zuftehen folle. 


Haus Bollern. 


Bon der Habsburg wenden wir uns, den Rhein und die Donauquellen 
überjchreitend, nach der auf einem Kegel der ſchwäbiſchen Alb ſich erheben 
den Bergvefte Hohenzollern. In den Reichsfronifen treten Zollern, wie 
ih früher‘) gezeigt habe, zum erftenmale 1061 hervor, fofern Mönch Ber: 
thold meldet,’) damals feien Burghart und Wezil (Werner) von Zollem 
erichlagen worden. Demnach ftand die Burg Hohenzollern bereits im an 
gegebenen Jahre. Nacdweisbarer Zujammenhang beginnt jedoch in ihrem 
Stammbaum erjt gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts.) Dagegen erw 
jheinen einzeln mehrere Edle oder auch Grafen von Zollern zwifchen 1060 
und 1156. Der widtigfte unter diefen ift Adalbert von Zollern, weil wir 
urfundlih eine Handlung deſſelben fennen lernen, welche beweist, daß die 
Zollern zur Zeit der Anfänge ihrer Geſchichte fi der großen kirchlichen Be 
wegung des 11. Jahrhunderts angeichloffen haben. Kraft Urkunde*) vom 
16. Jan. 1095 gründen Rotmann von Haufen, Adalbert von Zolleın und 
Graf Alawich von Eulz auf ihrem gemeinſchaftlichen Gute Alpirjpad ein 
Benediftinerftift, das jofort durch den Conftanzer Biſchof Gebehard einge 
weiht und, gegen jährliche Erlegung eines Goldſtücks an den Lateran, dem 
Schuge des apoftoliihen Etuhles überantwortet wird. Ausdrücklich bewil⸗ 
ligen die Stifter der neuen Gemeinde freie Wahl nit nur des Abte, 
fondern auch des Vogts. Dem Stiftungsbriefe ift ſodann eine zweite Alte 
einverleibt, welche die Nachricht enthält, daß Adalbert von Zollern 10% 
jelbft in das von ihm mitgegründete Stift ald Mönch eintrat, und ebendem- 
jelben noch mehrere Güter vermadte. 

Da es eine bedenkliche Sade ift, den Einfluß, welchen die Gtiftung 
eined Klofterd verleiht, mit zwei Andern zu theilen, möchte ich den Schluß 
ziehen, daß Adalbert von Zollern oder auch das Haus, dem er angehört, 
um 1090 nicht befonderd mit zeitlichen Gütern gejegnet war. Im Uebris 
gen gelangten die Anverwandten Adalbert bald zum Befige der Vogtei 
über das neue Klofter, obgleich die Stiftungsurfunde, wie wir fahen, ven 
Mönden vollfommene Freiheit bezüglich der Vogtwahl gelaffen hatte; denn 


ı) Dben ©. 19. 2) Berk V, 272 oben. 2) Eiche Stälin II, 505. 
) Etillfried und Märcker, monumenta Zollerana I, 1. 


Erſtes Buch. Gap. 10. Das Haus Haböburg. 337 


t offenbar audh von Jenem. Beide find allem Unfcheine nah durch 
Waffen der Lenzburger vertrieben worden. MWeßhalb erhoben nun diefe 
hde? Darum, weil fie Söhne der Rihenza, der Schwefter Werners waren, 
rum zweitens, weil dad vom Straßburger Bilhof Werner II. gegründete 
msgeſetz beitimmt hatte, daß nad dem Erlöſchen des Mannſtamms die 
iblihe Linie in der Vogtei folgen ſolle. Aus diefem Grunde glaubten 
Lenzburger Grafen, ald Söhne der Richenza — und wie mir fcheint, 
bt mit Unreht — ihre Erbanjprüde durd den Akt bedroht, kraft 
fen der Oheim für fi und fein Haus auf die Vogtei verzichtet hatte. 
an flieht: Alles in dem Berichte des Mönchs hängt aufs Befte zujammen, 
3 Sigel der Wahrheit ift demjelben auf die Etime gedrückt. Zugleich 
et aus dem Betragen der Neffen, daß fie nahe Rechte auf das Habe 
rgifche Gejammterbe hatten, folglich Daß die Fortdauer des Mannsſtamms 
F wenigen Augen ftand, folglid daß die Brüder Werners IL. nicht vermählt 
vefen jein können, folglich daß unjere oben ausgeiprochene Vermuthung 
mal beftätigt wird. 

Der Mönd von Muri fährt fort: „Zulegt gereute e8 den Grafen Werner, 
3 er die Vogtei aus der Hand gegeben, aud viele der Klofterbrüber 
ft waren nidyt Damit zufrieden, weil jie nur bei Werner gehörigen Schuß 
den; deßhalb jchloß er mit Richwin einen Vergleich, kraft deſſen letzterer 
a gegen Abtretung eines Guts die Vogtei zurüdgab. Hierauf verfams 
Iten fih faft alle bei dem Hausgefeg (dad einit der Straßburger 
Ichof gegeben) betheiligte Herren‘) in dem Orte Dthwigen, wo auch 
erner II., begleitet von dem Abte Liutfricd aus Muri, erſchien. Dajelbft 
rd feftgejeht, daß ftetd der Ältere unter feinen Söhnen aus den Hän- 
ı des Abts die Vogtei empfangen folle.” 

Das heißt mit andern Worten: Werner beftätigte ausdrüdlic ben 
den Augenbli allein praftijh wichtigen Punkt des von feinem Oheim, 
n Straßburger Bifchofe, eingeführten Hausgeſetzes. Diefe Betätigung 
oß jedoch ſtillſchweigend die Gültigkeit der, die Rechte der weiblichen Linie 


— 





!) A. a. O. (convenerant ad villam Othwigen) pene cuncti comprimitiales prin- 
30. Gntweber bat der ſchwierige Ausdrud feinen Sinn, oder ben angegebenen. Meine 
ünde find: 1) das Wort primitiae (dad in der Zufammenjegung comprimitiales enthals 
) bezieht fich nothwendig auf die Vogtei Muri. Hier beftand allerdings ein jus pri- 
jarum , nämlich vermöge der im Teftament des Straßburger Bifchofd gegebenen Ber: 
ung, daß ſtets der Aeltefte des Haufes bie Vogtei haben folle. Comprimitiales find 
ver die, welche ein Necht auf dieje primitiae haben, oder erlangen fünnen; 2) das Nänıs 
e folgt aus der Sachlage. (Eine Fehde war ausgebrochen, weil die weibliche Linie, 
r die Göhne der Richenza, ihre Anfprüche durch die vom Oheim beliebte Verzichtung 
’ die Vogtei beeinträchtigt glaubten. Zu Othwigen aber follte ein Vergleich ges 
fen werden. Darum hatten alle die, welche Rechte auf das Teftament bed Bifchofe 
indeten, ein Intereſſe bei der Verhandlung zu erfcheinen. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. |. 22 


342 Pabſt Gregorius VIEL und fein Seitalter. 


weiht worben ifl. Die politiihe Geſinnung dieſes Prälaten ftebt feſt: er 
war einer der entjchloffenften Gegner Heinrich's IV. und büßte feine Anhaͤnz⸗ 
lichfeit an die große Eache der Kirche mit Vertreibung und Gefangenfchaft.‘) 
Iſt es nun irgend wahrjcheinlih, daß der MWürttemberger, mitten in ven 
furchtbaren Parteifämpfen des Jahres 1083, einen ſolchen Biſchof auf feine 
Burg gerufen hätte, wäre er nicht ein politfcher Freund vefjelben geweſen. 
Ich ſage Nein! 

Noch ein ſtaͤrkerer Grund kommt hinzu. Längft iſt von württember⸗ 
giſch⸗geſinnten Schriftſtellern, und zwar rühmend, hervorgehoben worden, 
dieſes Haus habe ſeit dem Beginn ſeiner Geſchichte ſich faſt vor allen u 
dern deutſchen Herrengefchlehtern dadurch ausgezeichnet, daß es Feine over 
jehr wenige geiftlihe Stiftungen machte, im Gegentheil zugriff, wo etwas 
auf Koften der Kirche zu gewinnen war. In der That If etwas — wie 
ſoll ich jagen? — an diefem Lob oder an diefem Tadel. Im 12. Jahrhun⸗ 
dert taucht nur eine einzige geiftliche Brüderſchaft auf, die erweislich dem 
Württembergiſchen Haufe ihren Urfprung verdankt, nämlich das Ehorherrs 
fift Beutelsbach, das zum Conftanzer Sprengel gehörte. Hier befand ſich 
die älteſte“) Begräbnißftätte württembergifcher Grafen. Aber über die Ans 
fänge des Etifts weiß man nichts. Das heißt, dieſe Anfänge reichen Hinter 
den lichten Tag württembergifcher Geſchichte, alfo in die Dämmerung dei 
11. Jahrhunderts zurüd. Oben fahen wir, daß ver erfte Württemberg, 
der überhaupt vorfommt, abwecfelnd den Namen von Beutelsbach und 
Schloß Württemberg trägt, und daß er zu derfelben Zeit Iebte, da Bilder 
Adalbert von Worms die Burgfapelle eingeweiht hat. Ebenderſelbe wird 
der Gründer des räthfelhaften Chorherrnftifts zu Beuteldbach geweſen ſein 

Mit diefer VBermuthung ftimmt vortrefflih ein Zeugniß zufammen, dad 
um fo größere Beachtung verdient, weil es von einem wohl unterrichteten 
Mitgliede des Haufes felbft ausgeht. Graf Eberhard von Württemberg, 
mit dem Beinamen des Erlauchten, jchrieb) um 1320 an den Pabſt Je: 
hann XXI., daß das Chorhermftift Beutelsbach ſeit unfürbenflicher Zeit 
(dudum) beſtehe und von feinen Urahnen (progenitores) gegründet worden 
ſei. Graf Eberhard führt demnach, gerade wie ich eben gethan, die Ur: 
jprünge des Stift8 auf den Etammvater zurüd. Und nun empfängt auch 
die von Biſchof Aralbert vollzogene Einweihung der Gapelle auf Burg 
Württemberg ihr natürliches Licht. Gar wenig glaublich ſcheint es, daß 
der Wormſer Bilchof, welcher eine große Rolle fpielte und mit wichtigen 
Geſchäften vollauf zu thun hatte, 600 — 70 Stunden weit von Worms hie 
gegen Eßlingen hinauf geritten fein fol, bloß um die Burgfapelle eines 


‘) Annal. august. ad a. 1078. Berg III, 129. T,amb. annal. ad a. 1074. Perf 
V, 207. ad a. 1076. Taf. ©. 254. ’) Staͤlin II, 484. 


Erſtes Buch. Gap. 11. Die übrigen Herrengefchlechter Schwabene. 343 


damals noch Fleinen Herrn einzufegnen. Aber wenn man fidh denkt, daß 
Koalbert, der das volle Vertrauen des Pabſtes Gregorius VIL genoß, in 
gleicher Abficht jene Gegend befucht hat, in welcher der obenerwähnte Bis 
ſchof Gebehard von Conftanz nad Alpirfpah Fam, nämlih um ein new 
errichtetes Klofter, dad Chorhermftift zu Beutelsbach, einzumeihen und für 
ben SKirchendienft zu verpflichten, jo wird das, was laut jener Infchrift 
droben auf der Burg geichah, vollfommen Far. Es war ein Rebengefchäft, 
das der Bilchof bejorgte.e Dem Gründer des Ehorherruftifts zu lieb, bat 
er allem Anjcheine nach den Abftecher auf die Burg binauf gemadht. 

Fünf der zulegt erwähnten Herrenhäufer blühen heute noch fort; und 
mie nahe liegen einander ihre Stammburgen! In zwölf Stunden reitet 
man von Burg Zähringen nah Rheinfelden; in ſechs von hier nad ber 
Habsburg; abermal in einer ftarfen Tagreife nah Ravensburg, wo bie 
älteren Welfen hausten; von da bedarf es mehr als einer Tagreiſe nad) 
Schloß Württemberg, aber nit um Burg Grüningen, wahrfcheinlich die 
Wiege der nachmaligen Württemberger, zu erreihen. Bon da aus gelangt 
man in acht Stunden nah Hohenzollern, und von bier in einem Tage zus 
rüd nah Hohenzähringen. Und welche Geſchicke Mmüpfen fih an dieſes 
verhältnißmäßig fleine Gebiet! Schwaben wurde die Wiege weltbeherr> 
ſchender Geſchlechter, welche durd Glück oder Weisheit fid über den Wogen 
erhielten und Reiche gegründet haben, in denen die Sonne nicht untergeht. 


Die Hänfer Melenburg und Yeringen-Altshanfen. 


Ich muß noch einige Häufer nennen, die mehr oder minder in Die 
Geſchicke des Reichs unter Heinrich IV. eingegriffen haben, an Abel des 
Bluts den meiften der erwähnten nicht nachftanden, aber fi nicht in bie 
känge zu erhalten vermochten. Das Gefchleht der Grafen von Rellen> 
burg reicht‘) erweislih in das Ente des 9. Jahrhunderts zurüd. In 
iner Urfunde?) vom 27. Juni 889 wird Eberhard, Graf im Zürichgau, 
ufgeführt. Diefer Eberhard I. erfcheint, nach den im Einſiedler Schenfungs> 
buch enthaltenen Thatfachen, als ältefter nachweisbarer Ahnherr der Nellens 
burge. Bon ihm ftammten ab einer Seits eine Linie Manegolde, Grafen 
im Zürihgau, mit zwei erweislihen Gliedern dieſes Namens, und eine 
Binie Gottfried-Eberharde, Grafen im Thurgau und Schwerzgau, mit drei 
Bliedern. Der dritte diefer Eberharbe, wegen feiner Verdienſte um die Kirche 
ver Selige genannt, ift der Gründer des mehrfach erwähnten Klofterd zu 
Schaffhaufen, das in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, als Rüft- 
'ammer der Kirche, als Pflanzftätte feuriger Anhänger Gregor's VIL, 


) Stälin I, 552 flg. 2) Neugart, cod. dipl. Nr, 589. 


344 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


außerordentlihen Einfluß auf die öffentlihe Meinung geübt bat. Er und 
feine Gemahlin Ida traten zuletzt ſelbſt in den Flöfterlihen Stand um 
ftarben, er ald Mönch zu Echaffhaufen, fie als Ronne, zwiſchen 1075 
und 1079.') 

Aus ihrer einftigen Ehe gingen fünf Söhne: Udo, Ekkehard, Eberhard IV., 
Heinrih, Burfhard hervor. Udo, einer der jchönften und berebteften Geiſt⸗ 
lichen feiner Zeit, befticg den Erzftuhl von Trier und fiel‘) 1078 als Eols 
dat der Kirche bei Belagerung des Schloſſes Hohentübingen. Effehart, 
gleichfalls Geiftliher, wurde Abt von Reichenau, und flarb daſelbſt. Graf 
Heinrich fiel als Föniglier Streiter den 9. Juni 1075 in der Schladt 
gegen die Sachſen an der Unftrut. Eberhard IV., ald bevorzugter Rath: 
geber des Königs von den Ehroniften häufig genannt, viel geichmäht oder 
gelobt, endete bei gleicher Gelegenheit neben feinem Bruder, Die Sade bed 
Thrones vertheidigend. Burchard endlich, der legte Nellenburg, farb ohne 
männlihe Nachkommen, und beichloß jein erlauchtes Geſchlecht. Jener ent: 
jegliche Riß, welcher ganz Deutichland entzweite, hat dem Nellenburger 
Haufe Wunden beigebradt, an denen es verblutete. Die Söhne Eber 
hard's III., Etifters von Ecdaffhaufen, wirkten, fämpften und ftarben in 
entgegengefegten Lagen. Das Schloß, von dem fie den Namen trugen, 
lag in der Gegend von Stodah und wird urkundlich zuerft im Jahr 1065 
erwähnt.) Das Geichleht war einft reich begütert im Hegau, Klegga, 
Zürihgau ja bis in den Nahgau bei Kreuznach.) 

Als nahe Verwandte der Nellenburger müffen die Grafen von Be: 
ringen: AltShaufen betrachtet werden. Ihr Schloß Altshaujen fl 
das ältefte, das überhaupt in ſchwäbiſchen Landen als Stammfig einer edlen 
Familie genannt wird, denn daſſelbe fommt fchon 1004 vor.*) Wolferat L, 
feit 1004 Graf im oberjhwäbifchen Eritgau, hinterließ einen gleichnamigen 
Sohn, Wolferat II., der eine große Zahl Söhne und Töchter zeugte. Bon 
diefen hat fich einer, der Reihenauer Mönch Herrmann der Lahme, unver: 
gängliben Ruhm erworben. Als großer Gelehrter, als wahrhaftiger, un 
beftechlicher Gefchichtfchreiber, ift er noch heute der Stolz feines Landes.) 


Das Haus Yregenz-Anbnrg. 


Dad Haus von Bregenz-⸗-Buchhorn-Kyburg iſt wahrfdeinlid 
mit den Zähringern ftammverwandt und reidıt hinauf — durch erweisliche 
Mittelgliever — bis auf die alten Gottfried'ſchen Herzoge Schwaben. 
Die Kaiferin Hildegard, Gemahlin des großen Carol, gehört ihnen an. 


t) Gesta Trevir. contin. I, 9. Berk VIII 183. 2) Stälin I, 548. 2) Daſ. 
©. 552. 9 Daſ. 548. 8) Siehe Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 626 fig. 


Erſtes Buch. Gap. 11. Die übrigen Herrengefchledhter Schwabens. 345 


Im 8., 9., 10. Jahrhundert erfcheinen fie als Grafen im Argau und Linz« 
zau und in der Bertholdsbar. Häufig war früher unter ihnen der Name 
Mrih. Der fünfte dieſes Namens, Ulrich in Buchhorn am Federſee hau- 
end, Binterließ bei feinem um die Mitte des 10. Jahrhunderts erfolgten 
Tode zwei Söhne, Ulrih VI. und Adalhard Letzterer ſetzte die Linie 
Buchhorn fort, welche 1089 mit Dtto II., Grafen von Buchhorn ausftarb. 
Der andere Bruder, Ulrih VI., Gründer ver Linie Bregenz, zeugte zwei 
Söhne, Ulrih VII. und Liutfried. Erfterer hatte einen Sohn, Ulrih VIII., 
velcher Bertha, die Tochter des Gegenkönigs Rudolf von Nheinfelden, hei⸗ 
athete, das Klofter Mehrerau ftiftete und 1097 als gefeiertes Haupt der 
irchliben Parthei farb.) Liutfried, Ulrihs VI. zweiter Sohn, gründete 
ie Linie WinterthursKiburg, deren großes Gut die legte Erbtochter Adels 
yeid, durch ihre Ehe mit Hartmann, an das Haus der Pfalzgrafen von 
Dillingen brachte. ?) 


Has Hans Hrah-Adalm. " 


Dem Grafenhaufe von Urach (in einem reizenden Thale der ſchwäbi⸗ 
hen Alp), das urkundlich erft gegen Anfang des 12. Jahrhunderts hervor- 
ritt, aber ohne Zweifel viel älter ift, gehören, jo fcheint es, ald Seiten⸗ 
inte, zwei Brüder Egino und Rudolf an, welde in den Zeiten Kaiſers 
Bonrad II. blühten. Bon Egino wird Folgendes’) erzählt: „nachdem er 
ange dem Reiche ald Soldat gedient und großen Ruhm erworben, erfaufte 
Egino um ſchweres Geld und das einträglihe Landgut Schlat einen Berg, 
er nad dem unten fließenden Bad) Achalme genannt ward,) und begann 
ben auf der Spite die Burg (urbs) Achalm zu erbauen.” Dieſe Rad: 
icht ift merfwürdig, weil aus ihr erhellt, daß damals Bergipigen, die zu 
Anlagen von Burgen geeignet waren, in hohem Preife fanden, unge⸗ 
ahr wie man jebt Güter theurer als gewöhnlich bezahlt, weil eine größere 
Stadt in der Nähe liegt, die man mit Mil oder Bier, oder Obft oder 
Bemüfe vortheilhaft verforgen kann. 

Allerdings ift die Lage von Achalm eine der fchönften und für ritters 
ihe Zwecke paffenpften in ganz Schwaben. Abt Ortlieb fährt weiter fort: 
‚während des Baues ftarb Egino kinderlos und hinterließ jein Vermögen 
yem jüngeren Bruder Rudolf, der auch die Burg Achalm vollendete. Dieler 
Rudolf war vermählt mit der Schwefter des Erzbiſchofs Humfried von 


') Bernoldi chronic. ad a. 1097. Pertz V, 465. 2) Die Beweife über ben 
Btammbaum des Buchhurn-Bregenzer Haufes, Stälin I, 243 u. 559; über Adelheid ſiehe 
ben ©. 312. 5 Ortliebi zwifalt. Chronic. I, 1. Pers X, 71. %) Der Bach hieß 
aͤmlich Ach (gegenwärtig Echaz); Alme aber ift heute noch im Alemannifchen bie Bezeich« 
mng für Berge mit Waiden. 


346 Pabſt Gregorius VII. uud fein Seitalter. 


Ravenna,') Adelheid, einer gebornen Gräfin von Mümpelgard⸗Wülflingen.“ 
Die Ehe Adelheid's und Rudolf's trug überreiche Yrüchte, nicht weniger 
als fieben Söhne: Cuno, den Erftgebornen, Liutold, Egino, Rudolf, Hum- 
fried, Beringer, Werner, welcher letztere in den geiftlihen Stand trat und 
1077 als Biſchof von Straßburg geftorben iſt; ) außer den Söhnen drei 
Töchter: MWilberga, Mathilde, Beatrir, welche letztere Aebtiffin im elläßi- 
ſchen Klofter Eſchau wurde. In andern gleichzeitigen Quellen erſcheinen 
Cuno und iutold, jener ald Graf von Wülflingen, viefer ald Graf von 
Abalm.?) Das Todesjahr Rudolf's, des Vaters diefer zahlreichen Yamilie, 
ift nicht befannt. 

Da die acht jüngeren Gefchwifter entweder dem geiftlichen Stande 
angehörten, ober frühzeitig ohne Kinder zu hinterlaſſen ftarben, fiel das 
ganze Hausvermögen an die beiden Älteften Brüder, Cuno den Grafen von 
MWülflingen, und Liutold den Grafen von Achalm, weldye gleichfalld unver 
heirathet waren. Deßhalb beichloßen fie, auf den Rath des Biſchofs Aral 
bert von Würzburg und des Abts Wilhelm von Hirihau, ein Klofter zu 
gründen und demjelben ihr Hab und Gut zu vermaden. Alſo geſchah es 
auch. Der Ort, den fie wählten, war Zmiefalten, feitvem eine ber bes 
rühmteften Benediftiner-Abteien Schwabens. Die endlihe Einweihung, 
deren Vorbereitungen Abt Wilhelm von Hirſchau anmwohnte, fällt*) ind 
Jahr 1089. Aus Klofter Hirſchau Famen die erften Mönde und 109 
erhielt das neue Etift durch Pabft Urban II. eine ftattlihe Schirmbulle.) 
Die Grafen Cuno und Liutold flarben beide in hoͤchſtem Greijenalter, jener 
in feinem Schloß Wülfingen 1092, dieſer den 18. Aug. 1098 und wurden 
im Kloſter Zwiefalten begraben.) 

MWelhen Zwecken von Anfang an die Stiftung diente, erhellt aus ver 
Geihichte der beiden hohen Geiftlihen, deren Rath die Stifter eingebeit 
haben. Wir Fennen den Hirſchauer Wilhelm als unermüblichen Borfäm 
pfer Elugniacenfiiher Beftrebungen. Der Andere, Biſchof Adalbero von 
Mürzburg, war gleihfall8 Anhänger Gregor's VII. Für dieſelbe Sad 
huben die Brüder Stifter gewirkt. Abt Ortlieb fagt:”) „Cuno und Lintel 
ftanden unerfchütterlih wie eine Eiche auf Seiten der Kirche, und nie 
beugten fie, wie fo viele Andere gethan, ihre Kniee vor Baal. I 
jüngfter Bruder dagegen, Biſchof Werner IL. von Straßburg, hielt zum Kab 
fer." Derſelbe Abt gibt?) zu verftehen, daß Cuno und Liutold Seitenver⸗ 
wandte hatten, welche auf einen Theil der Erbichaft Anſprüche erheben 


— — — — — 


!) Siehe Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 432 u. 545 flg. 2) Vgl. Bertholds Annalen 
ad a. 1077. Berk V, 301 unten. 2) Stälin I, 564 flo. *) Stälin 11, 709. 
°) Jaffe, reg. Rr. 4095. 9 Chronic. Zwifalt. I, 14 u. 17. Perg X, 81 flg. 7) Mid 
I, 14. ®) Ibid. I, 12. 


Erſtes Buch. Gap. 11. Die übrigen Herrengefchledhter Schwaben. 345 


Im 8., 9., 10. Jahrhundert erfcheinen fie als Grafen im Argau und Linz 
gau und in der Bertholdebar. Häufig war früher unter ihnen der Name 
Ulrih. Der fünfte diefes Namens, Ulrih in Buchhorn am Yederjee hau: 
fend, Binterließ bei feinem um die Mitte des 10. Jahrhunderts erfolgten 
Tode zwei Söhne, Ulrib VI. und Adalhard Letzterer ſetzte die Linie 
Buchhorn fort, welche 1089 mit Dtto II., Grafen von Buchhorn audftarb. 
Der andere Bruder, Ulrich VI., Gründer der Linie Bregenz, zeugte zwei 
Söhne, Ulrih VII. und Liutfried. Erfterer hatte einen Sohn, Ulrich VIII., 
welcher Bertha, die Tochter des Gegenkonigs Rudolf von Rheinfelden, heis 
rathete, das Stlofter Mehrerau ftiftete und 1097 als gefeierted Haupt der 
kirchlichen Parthei ftarb.‘) Liutfried, Ulrichs VT. zweiter Sohn, gründete 
die Linie WinterthursKiburg, deren großes Gut die letzte Erbtochter Adels 
heid, durch ihre Ehe mit Hartmann, an das Haus der Pfalzgrafen von 
Dillingen brachte. ?) 


Has Haus Urah-Adhalm. " 


Dem Grafenhaufe von Urach (in einem reizenden Thale der ſchwäbi⸗ 
hen Alp), das urkundlich erft gegen Anfang des 12. Jahrhunderts hervors 
tritt, aber ohne Zweifel viel Alter iſt, gehören, fo fcheint es, als Eeitens 
linie, zwei Brüder Egino und Rudolf an, welde in den Zeiten Kaiſers 
Conrad II. blühten. Bon Egino wird Yolgendes ) erzählt: „nachdem er 
lange dem Reiche ald Soldat gedient und großen Ruhm erworben, erfaufte 
Egino um ſchweres Geld und das einträglihe Landgut Schlat einen Berg, 
der nad) dem unten fließenden Bach Achalme genannt ward ‚*) und begann 
oben auf der Spige die Burg (urbs) Ahalm zu erbauen.“ Diefe Nadı- 
richt ift merkwürdig, weil aus ihr erhellt, daß damals Bergipigen, die zu 
Anlagen von Burgen geeignet waren, in hohem Preiſe fanden, unge⸗ 
fähr wie man jegt Güter theurer als gewöhnlich bezahlt, weil eine größere 
Stadt in der Nähe liegt, die man mit Mil oder Bier, oder Obſt ober 
Gemüfe vortheilhaft verforgen Fann. 

Allerdings ift die Lage von Achalm eine der fhönften und für ritters 
lihe Zwede pafjendften in ganz Schwaben. Abt Ortlieb fährt weiter fort: 
„während des Baues ftarb Egino kinderlos und hinterließ fein Vermögen 
dem jüngeren Bruder Rudolf, der aud die Burg Achalm vollendete. Diefer 
Rudolf war vermählt mit der Schwefter des Erzbiſchofs Humfried von 


') Bernoldi chronic. ad a. 1097. Berg V, 465. 2) Die Beweife über ben 
Stammbaum des Buchhorn-Bregenzer Haufes, Stälin I, 243 u. 559; über Adelheid fiche 
oben ©. 312. *) Ortliebi zwifalt. Chronic. I, 1. Pertz X, 71. %) Der Bach hieß 
nämlich Ach (gegenwärtig Echaz); Alme aber ifl heute noch im Mlemannifchen bie Bezeich⸗ 
nung für Berge mit Waiden. 


248 Babf Gregorins VIL und fein Schaller, 7 oo 


rich, Diepold, Dtto, Manegold, welche alle vier Gelftliche wurben unb m 
den höchften Kirchenwürben gelangten. Heinrich beſtieg 1169 ven Stuhl 
von Paffau, dankte aber ſchon 1172 wieder ab; auf ihn folgte fein jüngerer 
Bruder, Diepold, ver bis 1189 den dortigen Stuhl behauptete, aber auf 
dem Kreuzzuge von 1190, kurz nad dem alten Kaiſer Friederich dem Rot 
bart, im gelobten Lande. farb. Der dritte Bruder, Otto, wurbe 1183 
—* von Freiſing, der vierte, Manegold, im Jahre 1206 Biſchof vor 
aflau. 

Man erficht hieraus, daß die Brafen von Berg zu den von ber 

Kirche am Meiften begünftigten ſchwäbiſchen Häufern gehörten. 


Strafen von Kirberg. 


Das Gleiche gilt von den Grafen zu.Kirchberg und Brandenburg) 
welche Schlöfjer an der untern Iller, nicht weit von Ulm lagen. Zwei Brk 
der, Graf Hartmann von Kirchberg und Otto, gründeten im Jahre 1093 auf 
eigenem Grund und Boden das BenebiktinersStift Wiblingen, deſſen Vogtei 
erblih in ihrem Haufe blieb. Die Einweihung erfolgte im nämlichen Jahre 
durch" den Biſchof Gebhard von Eonftanz, einen Gegner des Kaiſers Hein 
rih IV. Graf Hartmann, der den Kreuzzug von 1098 mitmadhte um 
das heilige Grab erobern half, hinterließ zwei Söhne, Eberhard und Hart 
mann, welche das Geflecht fortpflanzten. Sie oder ihre Sproffen erfcheinen 
häufig am Hofe der Katfer aus dem Haufe Staufen. 


Pie Grafen von Calw. 


Mehrere Ahnherrn der Grafen von Calw werden fchon gegen Ende 
des 9. Zahrhunderts auf zuverläßige Weile erwähnt.) Zufammenbang 
fommt jedoch in die Geſchichte des Calwer Hauſes, wie faft aller anderen 
Dynaſten, erft mit dem Augenblide, da die Burgen ald Stammfige ihre 
Rolle zu Spielen begannen. Die Burg Calw, gelegen über dem Nagoldthal, 
unweit Klofter Hirſchau, erfheint ) zum erftenmal urfundlid im Jahre 
1037. Damals hauste dort Graf Adalbert I. ein im Calwer Haufe haͤn⸗ 
figer Name. Bald darauf finden wir einen andern Adalbert von Galw, 
allem Anjcheine nach den Sohn des Vorgenannten, in hohen Familienver⸗ 
bindungen und zwar in folden, die dem Haufe eine kirchliche Richtung 
gegeben haben. Der ſächſiſche Chroniſt erzählt:*) „im Jahre 1049 fam 
Pabft Leo IX. auf feiner Reife durd Schwaben zu feinem Schwefterjohne, 


) Die Beweife dafelbft IL, 406 fig. *) Stälin, württ. Geſch. I, 335. °) Dal. 
©. 548. *) Berk VI, 687 unten. 


Erſtes Buch. Gap. 11. Die übrigen Herrengefchlechter Schwabens. 349 


dem Grafen Adalbert (von Calw) und ermahnte denjelben unter Androhung 
von Höllenftrafen, das Klofter Hirſchau wieder herzuftellen, deſſen Güter 
der Graf an fich gerifien hatte.” Der Bater Adalbert's war demnach mit 
einer Schweiter Leo's IX., gebornen Grafen von Egisheim, vermählt. 
Adalbert II. jelbft heirathete Wilitrud, die Tochter des Herzogs Gottfried 
von Brabant, defjelben, der den gleichnamigen Vater Königs Heinrich IV. 
als gefährlichfter Gegner entgegentrat, deſſelben, der Beatrir, die MWittwe 
des Marfgrafen Bontfacius ehelichte, und den erften Grund zur guelfijchen 
Parthei in Stalien legte;) defielben, deſſen Bruder, Cardinal Friederich?) 
nach Viktors II. Tode Petri Stuhl beftieg.”) Auch ſonſt hatte Adalbert II. 
von Calw guten Grund, mit der Kirche zu ftehen und zu fallen; er trug 
bedeutende Lehen vom Klofter Lorſch, damald dem reichften des fühlichen 
Deutichlande. Zmölfhundert Gewappnete zählte die Wehrmannfcaft diejes 
Etifts, getheilt in zwölf Schaaren, jede unter einem bejondern Bannerberrn. 
Der vornehmfte aber unter Lebteren war Graf Adalbert von Calw!) — 
„gleih ausgezeichnet” — dieß find die Worte des Mönchs von Lori, 
„durch Glanz der Geburt, durch Zahl und Treue feiner Anhänger und 
durch Kriegserfahrung.” 

Kann man fih wundern, daß im Klofter Hirihau, welches er, ges 
horfam den Ermahnungen des Pubftes Leo IX., um 1060 wiederherftellte 
oder eigentlich neu gründete, die Fäden der firdlichen Bewegung Schwas 
bens zujammenliefen, und daß er jelbft hartnädig die Sache Rudolfs von 
Rheinfelden, des von Gregor VII begünftigten Gegenkönigs, verfodht.®) 
Greis geworden, trat Adalbert II. in das Klofter Hirihau als Mönd ein, und 
farb dajelbft im Sept. 1099. Ich erzähle feinen Tod mit den Worten‘) 
Bernold's: „bis zum legten Hauch unerjchütterlidy in der Treue für den hei- 
ligen Petrus wider die Abtrünnigen verharrend und zulegt Mönd gewor- 
den, verſchied Graf Adalbert in dem von ihm ausgeftatteten Klofter Hirihau 
und ward dajelbft begraben.” 

Aus feiner Ehe mit der brabantiſchen Herzogstodhter hinterließ er fünf 
Kinder: die Töchter Uta und Irmengard, die Söhne Bruno, Adalbert 
und Gottfried.) Die vier erften derſelben ftarben vor dem Vater, und 
zwar Adalbert III. 1094 als Graf von Calw, Bruno, der zur Parthei 
des Kaiſers übergegangen war, als vertriebener Bilchof von Meg. Nur 
Gottfried, nad feinem mütterlihen Großvater jo genannt, überlebte den 
Bater, und fpielte eine Rolle in der Reichsgeſchichte. 


1) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, ©. 601 fly. 2) Daf. ©. 551. 3) Ibid. ©. 
622. 4) Cod. lauresbeim. I, 183 unten flg. 6) Lambert 3. Jahre 1077. Berk V, 
257 u. Bernold 3. Iahre 1089. Ibid. ©. 448. 6) Ibid. S. 467. 1) Stälin II, 


nm 


350 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


Pie Grafen von Hehn-Lübingen. 


Das Schloß Tübingen wird zuerft im Jahre 1078 aus Gelegenheü 
einer Belagerung erwähnt‘) Um dieſelbe Zeit fommen?) vereinzelt Grafen 
von Tübingen mit den Kamen Hugo, Anjelm, Heinridy vor, welche ohne 
Zweifel einer und derjelben Familie angehörten. Die zuſammenhängende 
Geſchichte des Geſchlechts beginnt jedoch erft mit einem fpäteren Hugo, der 
um 1150 Pfahgraf von Echwaben wurde, ein Amt, das ſeitdem über 
zweihundert Jahre den Tübingern verblieb. Zwei der vereingelten Tübinger 
haben 1085 das Benediktiner-Stift Blaubeuren gegründet, Das unter den 
ſchwaͤbiſchen Klöftern eine würdige Stelle einnahm. Gleich Hirfhau, Muri, 
Et. Blafien, Schaffhaujen und andern der Sache des Pabſtthums ergebe: 
nen Klöftern, ward Blaubeuren durch Bulle’) des Pabſtes Urban’s 11. 
vom 25. Januar 1099 gegen die gewöhnliche Auflage der jährlichen Ent 
richtung eined Byzantinerd in den befondern Schuß des 5. Stuhles genom⸗ 
men. Auch die Tübinger traten demnach als Anhänger der Kirchenpartei 
in das Licht Der Reihögejchichte ein. Stammburg und Haußflofter entficht 
faft zujammen. 

Run aus dem eigentliden Schwaben hinüber in das Elſaß, wo wir 
die Geſchichte eines Geſchlechtes nachzuholen haben, das durch den Blanz, 
welchen ein Sproſſe, Pabft Leo IX., verbreitete, um bie Mitte des 11. 
Jahrhunderts alle andern überftrahlte. 


Pie Esisheimer Grafen. 


Wie anderswo?) gezeigt worden, feiern der Faiferlihe Kapellan Wippo 
und der Biograph des Pabftes Leo IX., Wibert, in glei ftarfen Aus 
drüden den Adel des Geſchlechts, das auf Burg Egisheim ſaß, führen cd 
auf die Trojerfönige zurüd, die vom h. Remigius getauft wurden, fagen 
aus, Mitglieder ded Hauſes hätten jtetd hohe Aemter im Staat und in 
der Kirche bekleidet. Gleihwohl fann eine zujammenhängenvde Geſchichte 
der Egisheimer erft gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts feftgeftelt 
werden. Damals blühte im elfäßifchen Nordgau ein Graf Eberhard L, 
welcher den Entſchluß faßte, ein Benediftinerflofter in Altdorf (wiſchen 
Straßburg und Molsheim) zu gründen. Aber che er feinen PBlan au: 
führen konnte, ftarb er — und zwar vor 966, — aus der Ehe mit einer 
Gemahlin, deren Name nicht befannt ift, einen Sohn Hugo I. hinterlaſſend. 

Thatjachen, die ich unten anzuführen mir vorbehalte, laſſen keinen 
Zweifel darüber zu, daß die ungenannte Gemahlin Eberhard zwei Ehen 





!) Gesta Trevir. contin. I, 9. ®erg VIII, 183: annal. zwifalt. ad a. 1078. Berg X, 54. 
2) Stälin II, 426 und 436 flg. ?) Jaffe, regest. Nr. 4328. *) Oben ©. 255 und 279. 


Erſtes Buch. Gap. 11. Die übrigen Herrengefchlechter Schwaben. 351 


geihloffen und mit einem andern Manne den Vater der zwei Söhne Gers 
hard und Adalbert, fowie einer Tochter Adelheid geboren hat, welde die Muts 
ter des nachmaligen Kaiferd Conrad II. wurde. Bleiben wir vorerft bei 
Eberhards Sohne Hugo I. ftehen. Derjelbe vollzog den Wunſch feines Va⸗ 
ters, indem er die Abtei Altvorf gründete. Hugo wird urfundlid im Jahre 
968 als Graf im Nordgau erwähnt.) Man tft daher berechtigt anzus 
nchmen, daß er feinem Bater nachgefolgt war und das Klofter um jene 
Zeit, dem Willen des Verftorbenen gemäß, errichtet bat. An ver Ein 
weihung des neuen Stift nahm, außer dem Straßburger Biihof Erchan⸗ 
bald (der 991 ftarb),”) aud der Oberabt von Elugny, Majolus, Theil. 
AU’ dich erfahren wir aus einer Bulle’) des Pabftes Leo IX. vom Jahre 
1049. Leptere Nachricht ift von hohem Werth, weil fie beweist, daß die 
Familie Eberhards I. und folglid die Ahnen Leo's IX. alte Verbindungen 
mit den lugniacenfern unterhielten. 

Hugo 1. jtarb um 986, drei nachweisbaret) Söhne, Eberhard LI., 
Hugo II. und Matfred hinterlaffend. Die beiden erfteren gründeten Linien: 
Eberhard II. folgte feinem Vater im Nordgau und als Kirchenvogt von 
Altvorf. In zwei Urkunden?) aus den Jahren 986 und 992 wird er als 
Graf im Nordgau aufgeführt, um 999 erlangte er von Kaifer Otto III. eine 
Beitätigung‘) der Rechte des Klofters Altvorf. Sonft weiß man nichts von 
ihm, ald daß er nad dem Anfang des 11. Jahrhunderts ftarb und mehrere 
Eöhne hinterließ, I die jedoch, fo jcheint eg, Feine Nachkommenſchaft hatten, 7) 
denn die von Eberhard II. verwaltete Vogtei des Kloſters Altvorf fammt 
dem Comitat im Nordgau gieng an den zweitgebornen Sohn Eberhards IL, 
den obengenannten Hugo IL. über, der jeit 1027 ald Haupt des Ger 
ſammthauſes erſcheint. 

Bon ihm meldet?) Wippo in der Geſchichte des Kaiſerg Conrad IL: 
„im Jahre 1027 verheerte Herzog Ernft von Schwaben, Conrads II. Stiefs 
john, das Elfaß und beichädigte die Burgen des Grafen Hugo, der ein 
Blutöverwandter des nämlichen Kaiſers war." Wir haben hier einen erften 
Beleg naher Verwandtichaft des Wormſer Haufed und des Egisheimers. 
Andere Quellen geben Aufihluß über Lage und Namen der zwei wichtigſten 
unter den Burgen Hugo’8 II. Die eine hieß Egisheim,?) lag zwilchen Eol- 
mar und Rufach, und wird von Pabft Leo ald Stammfig bezeichnet”) Eine 
zweite, Dagsburg genannt, hat Hugo IL erheirathet. Er vermählte ſich 
nämlih mit Heilwig, der Tochter des Grafen Ludwig von Dagsburg, der 








t) Schöpflin, Alsat. diplom. I, Nr. 150 vgl. Alsat. illustr. I, 790. *)®erb IIL, 
68 unten. 2) Schöpflin, Alsat. diplom. I, Rr. 208. *) Schöpflin, Alsat. illustr. 
II, 478 unten. °) Schöpflin, Alsat. dipl. I, Rr. 165 un. 170. °) Ibid. Nr. 176; 
vgl. ibid. Alsat. illustr. IL, 478. ?) Ibid. flo. °) Berk XI, 266. >) Bulle vom 
Jahre 1050; Schöpflin, Alsat. dipl. I, Nr. 207. 


352 Pabſt Gregorius VIL und fetn Zeitalter. 


ohne männlihe Nachkommen verſchieden fein muß. Denn aus gewifien 
Yeußerungen, welche Pabft Leo in eine, unten zu erwähnende Bulle‘) vom 
Jahre 1052 einflicht, geht hervor, daß Graf Hugo II. in das Erbe feines 
Schwiegervaters eingetreten if. Die Dagsburg, längft zerflört, erhob ſich 
zwifchen den Quellen des Haſſelbaches und der Saar auf einer Spike ber 
Vogeſen, und die mit ihr verbundene Herrichaft reichte über die weſtliche 
Abdahung des Wasgau hinüber.?) Durdy Bereinigung zweier Gebiete er 
langte die Macht des Hauſes Egisheim einen bedeutenden Zuwachs. Ich 
jehe hierin den Grund, warum Hugo IL in einer Urkunde“) vom Sahre 
1035 ein Fürft des Eljaßes genannt wird. 

Graf Hugo I. ftarb*) vor 1049, eine Tochter und drei Söhne, 
Gerhard, Bruno und Hugo II. hinterlaffend. Der Name der Tochter iſt 
unbefannt, aber feſt fteht, daß fie einen Grafen von Calw geehelicht bat, 
und in dieſer Ehe jenen Adalbert gebar, welchen Pabft Leo IX. 1049 bes 
juchte und zu Wiederherftelung des Klofters Hirſchau aufforverte.°) Bruno, 
Hugo's II. zmweitgebomer Sohn, widmete fi dem geiftlihen Stande, er 
langte im Jahre 1026 das Bisthum Toul; 23 Jahre ſpäter beftieg er 
unter dem Namen Leo IX. Petri Etuhl.®) 

Zunächſt müſſen wir zu den Ahnen des Pabſtes zurüdfehren. In der 
früher angeführten Stelle’) bezeichnet Wippo die Mutter des Katjerd Eon 
rad II., Adelheid, als eine Schwefter der Grafen Gerhard und Wpalbert 
und fagt von allen dreien, daß fie einem ber evelften Geſchlechter Lot ha— 
ringieng angehörten. ben dieſe lothringiihen Grafen jammt ihrer 
Schweſter aber hängen unzweifelhaft enge mit dem elſäßiſchen Hauje von 
Egisheim zujammen. Denn einmal nennt, wie oben gezeigt worden, Wippe 
den Vater des Pabſtes Leo IX., Grafen Hugo, einen Blutöverwandten de 
Kaiſers Conrad IL, fürs zweite jagt‘), aufs Wort hiemit übereinftimment, 
MWibert, der Biograph Leo's IX., Hugo, der Vater des Pabftes, jei ein 
Vetter (consobrinus) Conrads II. gewejen. 

Bon welder Art war nun das Band, das die beiden Häuſer ver 
fnüpfte? Rechnen wir. Laut dem Zeugnifje”) des gleichzeitigen Mönchs, 
der das Leben des Biſchofs Burkhard von Worms beichrieb, Fam der nad» 
malige Kaiſer Conrad II. ums Jahr 1000 ald unmündiger Knabe nad 
Worms, wo der Biichof fh feiner Erziehung annahm. Sodann willen") 
wir, daß Conrad IL. im Jahre 1015, oder jpäteftend 1016 die Witwe 
Giſela heirathete. Beide Thatſachen deuten darauf hin, daß er nicht vor 





!) Calmet, histoire de Lorraine II. preuves ©. 289: pater meus in istis bonis hae- 
res. 2) Schöpflin, Alsat. illustr. II, 194 u. 195. 5) Ibid. I, 643. *) Ibie. II. 
479. 5) Siehe oben ©. 348 file. 6) Sfrörer, K. G. IV, 249 fig. u. 485 fly. 
7). erg AL, 258. ®) Vita Teonis IX, I, 1. Bei Mabillon aeta Ord. S. B. VI, b. 
©. 52. ) Oben ©. 256. m) Daſ. ©. 260, 


Erſtes Buch. ap. 11. Die übrigen Serrengeichlechter Schwabend. 353 


990 geboren worden fein fann. Das berectigt aber weiter zu einem 
Schluffe auf das Alter feiner Mutter Adelheid: man muß annehmen, daß 
fie um 990 immerhin 20 Jahre zählte, daß aljo ihre Geburt bis gegen 
970 binaufreict. 

Das Nemliche was von Adelheid, gilt von ihren Brüdern, den Grafen 
Adalbert und Gerhard, dic laut der Ausſage Wippo’s in ewigen Kämpfen 
mit Königen und Herzogen lagen. Gerhard erhielt von König Heinrich II. 
im Jahre 1002 eine Grafſchaft im Eljaß, die er aber nicht wirflidh ans 
treten Fonnte, weil Niemand ihn im Lande duldete.) Nun it es faum 
glaublih, daß er damals weniger als 30 Jahre zählte. Won dem zweiten 
Bruder Aralbert weiß?) man, daß er um 1037 hochbetagt ftarb. Seine 
Geburt fällt daher etwa Ind Jahr 966. 

Unter diefen Umftänvden liegt die Vermuthung nahe, daß die Drei Ges 
jchwifter Kinder des Grafen Hugo I. geweſen feien, der um bie angegebene 
Zeit nad dem Tode feines Vaterd die Grafichaft im Nordgau übernommen 
und das Klofter Altdorf gegründet hat. Allein gewichtige Gründe wider: 
ftreiten diejer Vorausſetzung: erftlich weist Feine elſäßiſche Urkunde Adelheid 
und ihre Brüder ald Sproſſen Hugo’d auf, während andere Söhne deſſel⸗ 
ben erwähnt werden. Fürs zweite ijt zu erklären, wie Wippo dazu kommt, 
das Geſchlecht der Adelheid und ihrer Brüder ans Lothringen und nicht 
aus dem Eljaße abzuleiten, während doch das Egisheimer Haus unzwei- 
felhaft ein eljäßifched war. Auch andere Thatfachen ſtimmen mit der Aus⸗ 
jage Wippo’s überein. Die Brüder der Adelheid vermocten trog wieder: 
holter Anftrengungen fein Erbe im Eljaße zu erlangen, wohl aber erjcheinen 
fie als Bejiger auf lothringiſchem Boden.“) Nocd mehr! durch Urfundet) 
vom Eept. 1046 vergabte der Ealier Heinrich III., Kaijer Conrads II. 
Cohn, an den Eprierer Stuhl dad bei Trier gelegene Gut Lockweiler, wos 
bei er ausprüdlich bemerkt, daß er daſſelbe von jeiner Großmutter Adelheid 
geerbt babe. Dieſe war alfo, gleich ihren Brüdern, in Mojellunien 
begütert. 

Alle diefe Knoten fünnen nur dur die Annahme gelöst werden, daß 
irgend eine Egisheimer Stammmutter früher in Lothringen wohnte, und 
dafelbft eine erfte Ehe geichloifen hat, in welcher fie Lothringer, Adelheid 
und ihre Brüder gebar. Nbermal paßt dieß, vermöge der-oben entwidel- 
ten Geburtöverhältniije, nur auf die unbefannte Gemahlin Eberhards, die 
in der Ehe mit ihm Hugo l., den Großvater des Pabſtes Leo IX. zeugte. 
Auch ein Zeugniß fehlt nicht. Aus Urkunden weist Crolius nach,“) daß 


-—- 


'ı) Oben S. 65 u. Pers III, 796 unten. ?) Schöpflin, Alsat. illustr. II, 493. 
2) Siehe oben ©. 69. %) Acta Theodoro-Palatina VI, 276 fig. ®) Ibid. 277. 


Mote. 
Gfrörer, Pabſt Bregorius vu. Bd. L 23 


354 Pabſt Gregorins VE. und fein Seitalter. | 



















der lotharingifche Graf Richard von der Mutter her ein Etiefbruder des €; 
heimer Hugo I. war. Diefelbe Mutter, welche tiefen in zweiter Ebe ge 
hatte folglich in eriter den Grafen Richard, Vater der drei Geſchwiſter, gebo 
Und nun fällt zugleich helles Licht auf eine Bemerkung, welde Wiber 
der Lebensgeſchichte Leo’8 IX. macht. Er bezeichnet‘) nemlich einer Sc" 
das Ruremburger Haus und das Geſchlecht des Mofellaner Herzogs Til 
derich, anderer Seits die Wormjer Salier als contribules des Pabſte 
Durch jene Stiefehe war das Egisheimer Haus mit den drei Geſchlect 
in gleicher Weile verwandt. 

Wenden wir und zu den Kindern Hugo's I. zurüd. Im Ja 
1049 ftattete Pabſt Leo IX. einen Beſuch in der Heimath ab. Als 
geihah, waren jeine Brüder, Gerhard und Hugo II. gleib dem Be 
geftorben,?) Hugo zu unbekannter Zeit, Gerhard 1038, erichlagen?) in e 
Fehde wider Reginald, Edrloßherrn auf Rappoltftein. Beide aber bin 
ließen männliche Erben. Hugo ILL. batte in der Ehe mit Mathilde, deren € 
ſchlecht man nicht kennt, einen Sohn Heinrich erzeugt, der zur Zeit, ta P 
Leo IX. die erfte Reife in die Heimarh machte, auf dem Schloſſe Egishe 
laß. Eben diefem Heinrich übertrug fein Oheim durch Bulle?) vom 18. We 
1049 die Vogtei über Die von Graf Hugo II. und der Gräfin Heilwig 
den Eltern des Pabſtes — gegründete Abtei Woffenheim mit dem Bi 
fügen, daß nah Heinrih’d Tode ſtets der Aelteſte des Hauſes, das @ 
Egisheim feinen Sitz habe, zum Vogt beftellt werden und daß dieſes Ak 
wenn der Mannsſtamm ausfterbe, an die weibliche Linie übergehen ſolles 
genau diejelben Beftimmungen, welde der Straßburger Biſchof Werner bei 
züglich des habsburgiſchen Geſchlechts gegeben hatte. 

Aus einer weiteren die Freiheiten der bei Sarburg gelegenen Abtei 
Hefe beftätigenden Bulle?) Leo's IX., die fein Jahr bat aber um 1052 
erlafjen zu jein fcheint, muß man den Schluß ziehen, daß Graf Hein 
von Egisheim, den, wie wir jahen, der Pabſt während feiner eiſten Reiſe 
nah Deutſchland chend fand, bald darauf mit Tod abgegangen war. 
Denn die fragliche Bulle braucht von ihm den Ausprud „weiland Graf 
Heinrih.” Ift dem jo — und ih bin mit Schöpflin®) der Meinung, daß 
das Gewicht ded Wörtchens quondam mit feinen SKünften der Auslegung 
herabgebrüdt werden fann — dann folgt, daß weder feine Söhne noch feine 
Neffen, d. b. die Erben ſeines Bruderd Gerhard, unmittelbar nad be 


1) Mabillon, acta S. Ordin. S. B. VI, b. S. 53: duo Adalberones contribeies 
(Leonis) u. ©. 55 Mitte: imperator Conradus contribulis ejus. 2) Erhellt aus nr 
Bulle ded Pabſtes: Alsat. dipl. I, Nr. 207. 2) Schöpflin, Alsat. illustr. II, 483. 
*) Dom Calmet, histoire de Lorraine II., preuves S. 288. Die bezügliden Worte lauten: 
precibus Dominae Mathildis et filii ejus Henrici nostri quondam nepotis, altare in 
ipaa ecclesia nos ipsi dedicavimus. ®) Alsat. illustr. II, 518. 


Erſtes Buch. Cap. 11. Die übrigen Herrengefchlechter Echiwabens. 355 


äter Tod das Comitat im Nordgau geerbt haben. Denn von 1052 bis 
* fommt ') im niedern Elſaß urkundlich ein Graf Heinrich vor, der 
weicht eine Perjon mit dem Egisheimer Heinrib jein kann (da dieſer, wie 
Weir jahen 1052 ftarb), der aber auch nicht unter den befannten Mitglie— 
Bern des Eglsheimer Haufes eine Etelle findet. Ich werde jpäter auf 
Miele Frage zurüdfommen. 
s» Graf Heinrihb, Hugo’d IM. Sohn, hinterließ ) aus einer nicht be: 
Mannten Ehe zwei Eöhne, Hugo IV. und Bruno. Der erftgenannte führte 
‚ven Titel Graf von Dagsburg und erbte von jeinem Vater, außer der 
en erwähnten Grafſchaft, noch die Vogtei von Altdorf; auch die Verwal: 
ung des Nordgau's hat er erlangt, aber erſt um’d Jahr 1075, nachdem 
ihm im genannten Amte jein Vetter Gerhard, Gerhard's Sohn, vorange- 
-gangen war. 

Wir müſſen und jept zu dem älteften Bruder des Pabſtes Leo IX., 
Gerhard, dem Erjtgebornen Hugo's IL wenden, den wir oben bei Seite 
ließen. Diefer Gerbard jchloß ’) eine glänzende Ehe mit Petronifa, der 
Tochter des oberlotharingiichen Herzogs Friederih. Ihre Mutter hieß Ma- 
thilde und war eine jener ſchwäbiſchen Erbinnen des Burgunderkönigs Rus 
bolf, um deren Hände damals jo viele Chrgeizige buhlten. Durch jeine 
Bermählung mit Petronika kam der Egisheimer Gerhard in die höchſten 
Berbindungen. ine Schweſter Petronifa’s war Beatrir von Brabant, 
weldhe in ihrer Ehe mit dem Markgrafen Bonifacius die reichte Erbin 
Italiens, Großgräfin Mathilde von Canoſſa, gebar. Div Baſe Petronifa’s, 
Giſela, welche gleich ihr in dem Burgunderfönig Conrad einen mütterlichen 
Großvater ehrte, jaß von 1025— 1039 neben Conrad IL. auf Germaniene 
Ihron. 

Graf Gerhard, der, wie ich früher fügte, ſchon 1038 erihlagen ward, 
hinterließ aus der Ehe mit der genannten Ocmahlin zwei Töchter und einen 
Sohn, Gerhard IL, ver um 1064, ohne Zweifl als Nachfolger jenes 
räthſelhaften Heinrih, die Verwaltung des Nordgau's erlangte.*) Kurz 
darauf brach zwilchen ibm und feinem Better, Hugo IV., Heinrich's Sohn, 
Streit aus. Mit Berufung auf das oben erwähnte, von Pabft Leo IX. 
erlafjene Hausgeſetz, verlangte Gerhard IL, als älterer Sprojje des Egis— 
heimer Stammes, die Vogtei über Woffenheim, welche ter an Jahren jüns 
gere Sohn Heimich’s, Hugo IV., in Beſitz genommen hatte. Vol Wuth 
gegen einander vergriffen fich beide an den Gütern des Stifts Woffenheim. 
Die Sache gelangte zulcgt an Petri Stuhl, worauf Pabſt Gregorius VI. 
durd Bulle’) vom 29. Oft. 1074 den Biſchöfen Werner von Straßburg 


') Alsatia illastr. II, 518. x °) Die Belege bei Schöpflin, Alsat. illustr. II, 462 
fig- 3) Ibid. S. 483 flg. ) Ibid. 518. ) Jaffe, reg. Vir. 3646. 


23° 


356 Pabſt Gregoriue VII. und fein Zeitalter. 


und Burchard von Bajel gebot, bei Strafe des Kirchenbannes den Grafen 
Hugo IV. zu ermahnen, daß er auf feine ungerechten Anſprüche verzichte. 
Bald nach dieſer Entiheidung des Streits ftarb Graf Gerhard II. Finder: 
los, und nun erft folgte ihm im Nordgau fein Vetter, Hugo IV., Hein 
rich's Sohn. 

Wie es von einem Sprojjen des Egisheimer Hauſes nicht anders zu 
erwarten war, ergriff Graf Hugo IV. bei Ausbrudy des Kampfes zwiſchen 
König Heinrib und Gregor VII. Parthei für die Kirche. Aufruhr und 
Fehde tobte durch Schwaben und Elſaß, und Graf Hugo IV. muß von 
mächtigen Gegnern, namentlid dem neu aufgefommenen Hohenjtaufen Fricdes 
ri, hart bedrängt worden jein. Bernold von Eonjtanz meldet!) zum Jahre 
1088: „Hugo, Graf von Egisheim, brad in das Elfaß ein, das von ven 
Feinden längft beiegt war, und juchte es wieder an fi zu bringen.” Im 
folgenden Jahre fam ein Vertrag zwilchen ihm und dem Hohenftaufen Otto 
zu Etande, den die kaiſerliche Parthei zum Gegenbiichof von Straßburg 
eingejegt hatte. Unvorjichtig traute Hugo dem gegebenen Worte, befuchte 
den Biſchof Otto, und Ichlief ald Zeichen des Vertrauend mit demſelben 
in einem Gemadhe. Aber während der Nacht vom 3. auf den 4. Sept. 1089 
ward er von den Mannen ded Bilchofs überfallen und ermordet. Bernolt, 
- der dies erzählt,) nennt ihn einen unermüdlichen Streiter des h. Petrus. 

Hugo IV. ftarb als der legte des Egisheim’ihen Mannftammes. Biel 
leiht durd eine Schweiter Gerhard’d IL, welche den Grafen Bolfmar von 
Meg und Luneville geheirathet hatte, gelangte nunmehr das Allod der 
Egisheimer jammt dem Comitat im Nordgau?) oder dem niedern Elſaß an 
das Metzer Haus, das und von Lpthringen ber befannt ift.*) 

Nicht blos darum, weil das Egisheimer Geſchlecht ver bedrängten 
Kirche einen großen Pabſt gab, verdient die Geichichte deſſelben befonder 
Beachtung, fondern audı noch aus anderen Gründen. Bon allen deutjchen 
Dynaſten erjcheinen die Egisheimer ald die erften, welche in Verkehr mit 
den Clugniacenſern traten, auch haben fie dem Orden eine Bahn in das 


Innere Schwabens geöffnet; denn darüber kann faum ein Zweifel jein, dap | 


die eleftrijhen Strömungen, welde vom Haußftifte der Calwer Grafen, 
vom Klofter Hirſchau, aus ganz Schwaben durdaudten, ihren Ausgang 
punft im Schlofje Egisheim hatten. Endlich führte der Egisheimer Drum, 
ein Jahr nachdem er Pabſt geworden, in jeinem Hauje ein Statut ein, 
das den Eatungen des Straßburger Biſchofs Werner unverkennbar nad 
geahmt war und zum Viertenmal das Vorbild, weldes die Ahnen de 
Salier von Worms bei der Stiftung Hornbachs gegeben, wiederholte. 





sale _ 


si £2 


1) Perg V, 447. *) Ibid. €. 449. 2) Schöpflin a. a. D. II, 484 fig. 518 


fig. % Eiche oben S. 122, 


Erſtes Buch. Gap. 11. Die übrigen Herrengefchlechter Schwabens. - 357 


Hiebei kann man deutlicher, als dieß in Bezug auf die Habsburger 
möglich ift, nachweiſen, daß die Vorſchrift Leo's IX. fih nur dem Scheine 
nah auf die Vogtei des Hausſtifts beichränfte, in der That aber auch die 
Lchen des Geſchlechts im Auge hatte, obgleih man letzteres aus hegreif- 
lihen Gründen nicht offen eingeftand. Gleich andern vornehmen Geſchlech— 
tern, jtrebten die Egiöheimer feit der Mitte des 10. Jahrhunderts auf Erb- 
lichkeit der ihnen anvertrauten Comitate bin, und zwar nicht ohne guten 
Erfolg. Urkundlich) wird Hugo I., der Großvater des Pabſtes, 968 und 

73 als Graf im Nordgau aufgeführt, ebento des Vorigen Sohn, Eber⸗ 
hard IT., in den Jahren 986 und 992. Auch ein dritter Eberhard, der 
in einer Urfunde vom Jahre 1016 den Titel eines Grafen im Nordgau 
empfängt, gehörte allem Anjcheine nah dem Egisheimer Haufe an und 
war der gleichnamige, auch fonft erwähnte?) Sohn des zweiten Eberhard. 
Daſſelbe gilt endlih von Hugo II., der urfundlich zwifchen 1035 und 1040 
den Nordgau verwaltete, und der und mohlbefannte Bruder Leo's IX. ges 
weten ift. Allein zwiſchen hinein fommen andere Grafen, Liutfried, Dtto, 
Wezilo zum Vorſchein, welche feine Stelle im Stammbaume der Egisheimer 
finden. Man muß daher befennen, daß das Haus um die Mitte des 
11. Jahrhunderts die Erblichfeit des Comitats guten Theild, doch nicht 
völlig erreicht hatte. 

Haft mit dem Augenblid jedoch, da Leo IX. die Bulle bezüglih Wof⸗ 
fenheims erließ, erfolgte ein merfliher Rückſchlag. Kaum ift des Pabftes 
Neffe Heinrich geftorben, jo geräth der Nordgau in die Hände jenes ans 
dern Heinrih, der fein &gisheimer war und dad Comitat gegen zwölf 
Jahre behauptete. Das kann nur durch Eingreifen des Kaijerd Heinrich LIT. 
geichchen jein. Im Verlaufe vorliegenden Werks wird handgreiflich gezeigt 
werden, dag der Salier nach 1049, bittern Groll gegen Pabſt Leo hegend, 
faft jede Gelegenheit erariff, um ihn zu fränfen. Die Ernennung jenes 
andern Heinrich hieß ſo viel ald: „ich weiß recht gut, was Pabft Leo, 
was Biihof Werner und Andere mit dem Vorbehalt zu Gunften des Ael- 
tejten wollten; daß fie durch Einführung eines Rechts der Erftgeburt Lehen 
und Allod unbeweglich zu machen, und dadurch die Macht ihrer Häufer 
feft zu gründen jtrebten; allein fo lange ich lebe, wird Nichtd daraus, das 
Gomitat im Nordgan ſoll aufhören ein Hausgut der Egisheimer zu fein.” 
Dieſelbe Richtichnur hielten aud noch Agnes und die andern Vormünder 
ein. Allein ſolchen Einfluß bejaßen die Egisheimer, daß nad 1063 ver 
Nordgau wieder an die Familie fam, und nun gemäß dem von Leo IX. 
gegebenen Statut, wie oben gezeigt worden, dem Aelteſten des Hauſes 


zufiel. — 


') Schöpflin, Alsat. illustr. II, 516 flo. ?) Ibid. IL, 478. 


358 Pabſt Gregoriue VO. und fein Zeitalter. 


Unzweifelhaft icheint mir, Daß ſowohl der, welcher zuerft den Geban- 
fen faßte, vie Vogtei eines Hauskloſters dem Xelteften vorzubehalten, al 
die, welde das Vorbild nahahmten, ein Erftgeburtsrecht im Sinne hatten. 


Bwölftes Capitel. 
Baiern. 


Allgemeine Züge. Wechfelnde Größe des Landes. Marfen werden hinzugefügt und wie 
der weggenomnen. Bairiſche Herzoge: Arnulfiden , das halbſächſiſche Haus, wel: 
chea Heinrich I., Otto's I. Bruder gründete: vie Aenderungen, welche das entichei: 
bende Jahr 976 brachte. Bairifche Pfalzen, zum mindeiten gab es drei verfchiebene 
Palatinate, welche aber zugleich das Krongut in den Nebenlanden verwalteten, nt 
außervem eine oberfte Pfalgbehörbe oder ein Reichefhapamt. 


Das Herzogtbum Baiern war, fo lange die Regendburger und die 
Babenberger Marke, dann die Donau: oder Oſtmarke und Kämthen mit 
jeinen Nebenlanden dazu gehörten, welche wirklich theilmeile bis 976 dem 
Herzogthum einverleibt blieben, an Ausdehnung Das größte unter jämmt: 
lichen Kahnenlehen des Reihe. Außerdem verliehen ihm befondere Verhält: 
niffe erhöhte Bedeutung. Es beherrichte die Zugänge nach Italien, wobin 
fett der Mitte des 10. Jahrhunderts Die ebhrgeizigen Beftrebungen ber 
Dttonen zielten. Der gangbarfte Paß nach Dem Klirchenlande, der Brenner, 
auf welchem im Laufe des Mittelalterd Millionen deuticher Kriegsleut, 
Gierifer, Pilger, Kaufherrn, Etreit: und Eaumroffe, Fracht: und Rüſt 
wagen bin und berzogen, Tag auf bairiihem Boden. Baiern grängte 
ferner an Ungarn, wo im 10. Jahrhundert vie gefährlichiten Gegner Ger: 
maniend hausten. Notbgedrungen mußte daher der Landesherzog ftetd dae 
Schwert in der Hand führen, was nicht fehlen fonnte feine Macht zu wer 
größern. Ebendaſſelbe Herzogthum umſchloß drittend eine ftreitbare, fchlag 
fertine Bevölferung, welde ihre Freude hatte am Klange der Waffen, wi 
fie heute noch den Knall der Kugelbüchie gerne hört.) 

Ein viertes Etwas fam hinzu, das fähigen Herzogen einen mäcdtiga 
Hebel der Gewalt verlieh, ein Etwas, von dem neuere Bearbeiter I 
deutſchen oder bairiichen Geſchichte nichts wiſſen, obgleih ea in jeinm 
geiftigen Folgen heute noch wirft: ich meine die lex bajuwarica, weldt 
Carl Martel um's Jahr 727 mit der Schärfe des Schwerts eingefühl 
hat, um die fränkiſche Herrichaft über Batern zu befeftigen. Die nämlik 
lex haben nachher die Herzoge zu ihrem Vortheil ausgebeutet und fte ift ü 


) u. hat faferifch Fnallt” fagen die batrifchen und öflerreichifchen Tiroler, um ih 
Mohlbehagen an einem Feſte, wo fleißig geſchoſſen wird, ober an einem wirflichen Kamrit 
audzudrüden. 








Erſtes Bud. Kap. 12. Baiern. Wechſelnde Größe des Landes. 359 


erſter Linie Urſache geweſen, daß auf bairiſcher Erde, mit Ausnahme Res 
gensburgs, wo kirchlicher Einfluß den weltlichen Arm beſchraͤnkte, nie Reichs⸗ 
ſtädte aufkamen, und zweitens, daß die Herzoge Baierns — früher als es 
in andern Provinzen der Fall war — zum vollen Beſitz landesfürſtlicher 
Gewalt gelangten. Manche werden freilich über das, was ich eben be⸗ 
züglich der lex bajawarica fagte, den Kopf ſchütteln; aber die Sache vers 
hält ſich dennoch jo, aud wird ſich unten paffende Gelegenheit finden, bie 
Wirkſamkeit des bairiihen Geſetzes an etlichen Erjcheinungen nachzuweiſen. 

Der Umfang ded Herzogthbumd Baiern hat im Laufe des 10. und 
11. Jahrhunderts häufiger und jtärfer gewechielt, als ſolches in andern 
Provinzen geihah: daher kann ich hier nicht eine Ueberficht der Gränzen 
voranſchicken, wie ih es bezüglich Lotharingiens, Sachſens, Frankens, Alas 
manniens that, ſondern ich muß den Nachweis der Ausdehnung des Landes 
in die Fäden der Erzählung verweben. Genug! Baiern umſchloß die Me⸗ 
tropole Salzburg und vier Hochſtifte: Paſſau, Regensburg, Freiſing, Brirens 
Seben, welde, mit Ausnahme gewifjer Streden des Paſſauer und des Salzs 
burger Sprengeld, unverrüdt beim Herzogthum blieben. Abgefehen von den 
fünf biihöflihen Eigen, gab es, vor Abtrennung der Marken und der Fahne 
Kärnthen, Feine eigentliche Stadt im Lande. Aus dem Berfahren, welches 
unjere Kaijer gegenüber dem bairischen Großlehen einhielten, geht hervor, 
daß fie jehr deutlich fühlten: alled jtche auf dem Spiel, wenn dad Her 
zogthum dauernd in einem und demjelben Hauje wurzle. Mit noch größerer 
Eorgfalt ald in Schwaben, haben fie die Erblichkeit der Fahne Baiern zu 
verhindern gejtrebt, wie aus nachfolgender Weberficht erhellt. 


Bas bairifhe Herzogthum. 


Zur Zeit, da König Heinrih J. Otto's Vater, auf den deutjchen 
Thron gelangte, waltete in Baiern Herzog Arnulf,‘) Liutpold's Sohn, ein 
Herr, welder nad) Gutdünken Biſchöfe ein: und abſetzte, Klöſter beraubte 
und aufhob, Münzen mit jeinem Namen fchlug, von einem bairishen Reiche 
redete, Urfunden ausjtellend, die mit den Worten anfingen: „Wir Arnulf 
von Gottes Gnaden, Herzog der Baler und ver umliegenden Länder;“ der 
endlih auf eigene Fauſt Kriege in Italien führte, jedoch mit wenig Glück.?) 
Dieſer hochſtrebende Fürft, Ter zu einem deutſchen Reihe, wie es die 
Ditonen im Einne hatten, nun und nimmermehr puaßte, farb’) zum Glüd 
für ihn jelber 937, im erſten Jahre Otto's, ohne daß der neue König 
nöthig gehabt hätte, Gewalt zu braucen. Arnulf hinterließ aus zwei Ehen 
mehrere Söhne und Töchter, von denen bier nur diejenigen in Betracht 


) Siehe oben ©. 222 fig. :) Berg III, 314. 2) Berk L, 78. 


360 Bahr Bregorius VIE. und fein Zeitalter. 


fommen, welche für die Reichsgeſchichte Bedeutung haben Sie find eine 
Tochter Judith, welche König Dtto mit feinem Bruder Heinrich vermählte,‘) 
dann zwei Söhne, Eberhard und Arnulf IT., von denen der erftere bie 
Nachfolge im Herzogthum des Waters vergeblich erftrebte, der andere aber 
— wenn man nämlich die bairifchen Genealogen hört — Stammvater des 
Hanfes Scheiern-Wittelsbach geworden fein fol. 

Dtto’8 I..Entihluß war gefaßt, um jenen Preis das läftige Geſchlecht 
Arnulf's aus dem Herzogthum Baiern zu verdrängen; doch Foftete ihn Die 
Ausführung Mühe genug, und er mußte Anfangs weite Ummege einichla: 
gen. Gleih nach Arnulf's Tode wollten defien Söhne in die Eıbichaft 
des Vaters eintreten; der König unterfagte ihnen dieß und gebot, fie follten 
fih mit gewiſſen Grafſchaften begnügen, die er ihnen überlaflen wolle; aber 
von einem jtarfen Anhang unterftügt, troßten die Söhne.) Nun ging 
Dtto 937 felbft nad Baiern und zog das Echwert, worauf die Mehrzahl 
der Miderfpenftigen fih unterwarf, nur der Erftgeborne Arnulf's, Eberhard, 
fuhr in der Wiverfeglichkeit fort, weßhalb ihn Dtto aus dem Reicbe ver- 
bannte.?) Jetzt erft wurde das Herzogthum Baiern neu befegt: Otto I. 
vergab ed an ten Bruder Arnulf's J., Bertholp,*) der aus Dankbarkeit 
für die erwiefene Gnade dem Könige getreufich half, die Neffen nieder 
halten. Bis au feinem um 947 erfolgten *) Tode, verwaltete Bertbolt, 
fortwährend in des Königs Gunft, das Land Baiern. 

Gleichwohl hatte er daſſelbe nicht in dem nämlichen Umfange, wie es 
einjt fein Bruder Arnulf I. beiaß, erhalten. Wenn Mohnföpfe zu hoch ges 
wachſen find, gipfelt man fie bei paflendem Anlaffe ab; die beften Belegen: 
beiten zu ſolchen Verrichtungen bieten Aemterwechjel. Etwas Aehnliches 
muß nach Arnulf's I. Abtritt in Baiern gefchehen fein. Wir wiflen,‘) daß 
der ebengenannte gewaltige Herzog das Eichftänter Hochftift zur bairiſchen 
Metropole Salzburg gefchlagen, und den dortigen Biſchof in herzoglide 
Bafallenbanve verftridt hatte. Das hörte nah Arnulf's Tode auf; dem 
auf jener Eynode zu Regensburg, deren Jahr zwar ungewiß ift, die aber 
vor den Tod des Herzogs Berthold fällt, behandelten vie bairiſchen Kirden 
häupter den Eichjtänter Biſchof nicht mehr als einen Landesgenofien, fon 
dern nur als einen Nachbar. Sodann hat auf der Ingelheimer Reichsfſynode 
von 948 Biſchof Starkhand von Eichftänt ale Cuffragan des Mainzer 
Erzituhles geftimmt.”) 

Kein Zweifel fann daber jein, daß die herzogliche Gewalt Baiernd 
nah dem Tode Arnulf's I. weientlihb auf der Seite gegen Eichftänt be 


*) Berg III, 447 Mitte u. IV, 322. °) Vers III, 440. 3) Pers I, 69 unt 
617 unten fla *) ers II. 326 u. VI, 184. ) Pers V, 114. 6) Oben E. 
221 fig. ) Daſ. S. 222. 


GErſtes Buch. Gap. 12 Baiern. Wechfelnde Größe des Landes. 361 


Ichnitten worden ift. Die dortigen Stiftövafallen, welche der Bilchof mit 
Hülfe Arnulf's I. auf Kloftergfitern von Herrieden verforgt batte,‘) folgten 
nicht mehr dem Banner des bairifhen Herzogs. Doch behielt Berthold 
auch nach eingetretenem Wechfel ein oder pas andere Comitat im Nordgau 
nnd Ewalafeld, oder doch anfehnliche Ländereien. Denn fterbend vers 
machte?) er feiner jungen Gemahlin Wilitrud Güter, welche in den ge 
nannten Gauen, folglich auf dem Poden des Eichſtädter Sprenaels, Tanen. 
Ob Dtto I. aus gleihem Anlaffe auch mit der Regensburger Marfe, welche 
Arnulf I. erweislih Inne hatte,) eine ähnliche Aenderung vornahm — fofern 
er nämlich diefelbe, zwar dem Namen nach, bei Baiern befieß, aber nad 
eigenem Ermeſſen an irgend einen Kehenträger verlieh — wage ich aus 
Mangel an Zeugniffen nicht au enticheiden; Doch halte ich Solches für 
wahrjcheinfih, da Otto T. ftets geneigt war, Großlehen, Die feinen Verdacht 
erregten, zu ſtutzen. Weitere Gründe werben unten zum Vorſchein fommen. 
| Nach Berthold's Ableben belehnte Dtto I. mit der Fahne Baiern nicht 
mehr einen Arnulfiden, obgleich Berthold einen Sohn, Heinrich, hinterließ, 
von welchem unten die Rede fein wird; fondern er erhob an des verftors 
benen Stelle feinen eigenen Bruder Heinrich, denſelben, mit weldem er 
ſchon vor geraumer Zeit) Arnulf’8 IT. Tochter, Judith, offenbar in der 
Abfiht vermählt hatte, ihm ein Anrecht auf das Erbe Amulfs I. zu 
verfchaffen, folglich das vorqubereiten, was jetzt in's Merf gelebt ward. 
Gleichwohl find die Arnulfiven damals noch nicht ganı zurückgeſetzt wor⸗ 
den, fondern der König verlieb, wie unten gezeigt werben foll, einem 
Mitglieve des ehemaligen herzoalihen Haufe ein bebeutendes, vielleicht 
eben neu errichteteß, Lehen in Baiern. Ohne Zweifel follte dadurch zunächft 
die Unzufriedenheit Der Arnulfiden befchwichtigt werben, außerdem aber 
wirften noch andere Berechnungen mit. Immerhin wird, wer irgend bie 
Geſchichte des deutſchen Mittelalters Fennt, nicht bezweifeln, daß die bats 
riihen Grafen und Herm Sauer genug dazu fahen, als ihnen der König 
einen gebornen Sachſen zum Landesherzog beftellte. In ſolchen Fällen 
pflegt man Wermuth mit Honig zu beftreihen. Täufchen nicht alle An« 
zeigen, jo hat der deutſche Herricher damals etwas Der Art gethan. 
Nachdem Otto I. Kaiſer geworden war und das Iombarbifche König: 
thum Berngar's nievergefchlagen hatte, ließ er den chengenannten geweſenen 
Rönig der Lombarden als Staatögefingenen über die Alpen abführen. 


1) Eiche oben ©. 222. ?) Urkunde, monum. boica XXXI, ©. 230 fig. Nr. 119. 
”) Siehe oben S. 223. *) Dieß folgt meines Erachtens aus den Worten Wibufinde 
Pertz II, 447 Mitte. Handgreiflih aber zeugt dafür die Thatfadhe, daß eine Tochter 
aus der (She Heinrichs I. mit Judith, Hedwig genannt, fchon 955 an den Herzog Burfs 
hard 11. von Schwaben vermählt war. Man ſehe Pers III, 458. Heinrich muß dem⸗ 
nach Judith fpäteftens um 940 geehelicht haben. 


362 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Und wohin? eine bündige Antwort findet fi in der Ehronif von Hilded- 
heim, die, wohl gemerkt, gleichzeitig mit den Begebenheiten und von wohl 
unterrichteten Männern aufgezeichnet worden iſt. Sie jchreibt‘) zum Jahre 
964: „Nach Erftürmung des Schloſſes Sanft Leo, wohin ſich der Longo⸗ 
bardenfönig Berngar ſammt den Seinigen geflüchtet hatte, warb er bajelbft 
gefangen genommen, und gewaltfam mit feiner Gemahlin, der Königin 
Willa, nad dem Schloß Babenberg in Baiern gebracht, wo er (zwei 
Jahre jpäter) ftarb.* 

Aljo Die und wohlbefannte fränkiſche?) Stadt Bamberg, wo König 
Heinrih II. 1007 einen Stuhl aufridtete, lag um 964, ebenjo wie «6 
heute wieder ver Kal ift, in Baiern. Nun weiter: welder politiichen 
Drganijation hatte Bamberg früher angehört? unzweifelhaft ver Baben- 
berger Marfe!?) Zweite Brage: wer war vordem Haupt eben dieer 
Marke geweſen? erweislid der Franfenherzog Eberhard, Bruder des 919 
verftorbenen Könige Conrad II. Darum, weil er ver Marke vorftand, 
führte er neben dem herzoglichen Titel den marfgräflichen oder hieß mar- 
chio.*%) Dritte und vierte Frage: wie und wann ift befagte Marke an 
Baiern gelangt? 

Den einen Punkt betreffend jteht feit, daß fie durch die königliche Hofr 
fammer hiedurch in den wahren oder Echeinbefig des bairiichen Herzogs 
wanderte. Wie wir wiſſen,“) verlich König Otto L, nachdem Herzog Eber: 
hard 1039 getödtet worden, dad Herzogthum Franken an feinen Andern, 
jondern ließ es eingehen, und 309 alle Lchen Eberhard’8 und der Seinigen, 
folglih au die babenberger Marke an fi, d. h. er ſchlug fie zum Reiche: 
gut. Allein zwiihen 939 und 964 muß fid der König anders bejonnen, 
muß befagte Marke jcheinbar oder wirflid von der Kammer abgelöst und 
mit Baiern vereinigt haben. Denn Bamberg war ja 964 bairiih. Wann 
geihah nun ſolches? möglicher Weile ſchon zwilchen 939 und 947, da der 
Arnulfive Berthold, von dem gemeldet wird, daß cr hoch in des Königs 
Gunſt ftand, den bairischen Herzogsftuhl einnahm. Dod nein! das geht 
nicht; denn oben bat fi herausgeftellt, daß Otto in Berthold's Tagen 
Baier minderte und nicht mehrte, und daß er überhaupt jeden Reiz ferne 
hielt, der den wohlgefinnten Arnulfiven verleiten mochte, in die Fehler jeiner 
nahen Berwandten, der bödgefinnten Arnulfiven, zu verfallen. 

Zweitend könnte der Wechjel eingetreten jein unter Herzog Heinrid’d 
gleichnamigen Sohne, der fpäter den Beinamen des Zänfersd erhielt, nad 
denn Tode feines Vaters 955 Baieın erbte und bis 976 verwaltet 
hat. Doch auch diefe Annahme verträgt fih nicht mit befannten That 


— — m nn — 


') Pertz III, ‚60. ?) Siehe oben ©. 237. ?) Siehe oben ©. 233. *) Eiche 
daf. 2) Dat. E. 242. 


Erſtes Buch. Gap. 12. Baiern. Wechſelnde Größe des Landes. 363 


chen. Wie ich unten nachweiſen werde, handelte der zweite Heinrich von 
aiern wie ein Mann, der ſich durch die Krone eingeſchnürt fühlt, und 
cckte deßhalb zulegt das Schwert wider feinen kaiſerlichen Vetter, Otto II. 
jemnach bleibt nur die eine Möglichkeit übrig, daß die Bamberger Marfe 
ter dem erften Herzog Heinrih, alfo zwiſchen 947 und 955 an Baiern 
m. Ja! jo ift ed; denn nicht nur trat bei jeiner Erhebung der Fall 
n, daß König Otto I. irgend etwas thun mußte, um zu Gunſten des 
fgedrungenen Herzogs die böſe Stimmung ded Landes zu beſchwichtigen; 
ht nur gingen damald Dinge vor, welde zu der Vorausjegung nöthigen, 
ı8 Baiern um jene Zeit wirflih oder jcheinbar vergrößert worden ſei, 
andern auch ein ausdrückliches Zeugniß liegt vor. Rotger, Verfaſſer der 
ographie des Erzbiſchofs Bruno von Cöln, der über die geheime Ges 
hichte Dito’8 I. beſſere Aufichlüffe gibt, al® irgend ein anderer Zeuge — 
eſer Rotger, fage ih — bezeichnet‘) Otto's I. Bruder, Heinrich, zugleich 
8 Herzog und als Marfgrafen der Baiern. Lesterer Titel kann ſich 
ar auf eine neuerdings mit Baiern vereinigte Marke, d. h. auf die Baben- 
rger beziehen. 

Alfo diefe Marfe ift ald Erfaß, oder wenn man will, als Ausftattung 
es aus Sachſen gefommenen Herzogs bairiſch geworben. Hat nicht König 
Itto T. durch ſolchen Akt eine jeltene Liebenswürdigfeit gegenüber feinem 
Iruder entwidelt? So ſcheint es, aber noch gewifler iſt: die voraus- 
eſetzte Großmuth paßt zu dem befannten Charafter weder des Königs, 
och auch feines Bruders Heinrich. Otto hegte jonft regen Argwohn mider 
stern und nicht ohne guten Grund; denn faft an allen Verkhwörungen, 
e zwiſchen 936 und 947 ausbracden, hatte Heinrih, Otto's Bruder, 
‚heil genommen und faft aus dem Stautsgefüngniffe heraus war er 947 
uf den Herzuaftuhl Baierns befördert worden.?) Und eben diefen Heinrich 
U Dtto mit faft fönigliher Macht ausgerüſtet haben! Unter ſolchen Um- 
änden räth der geſunde Menjchenverftand genau zu prüfen, ob bier nicht 
wa ein Spiel getrieben worden ift, wie das befannte, wo die eine Hand 
yegnimmt, was die andere gab? In der That verhielt fih die Sache fo. 

Neben Herzog Heinrih, Otto's Bruder, kommt, wie oben anges 
eutet worden, ein zweited großes Lehen zum Vorfchein, von dem Ältere 
tuellen nichts oder nur wenig melden, nämlih ein bairisches Palatinat. 
nd zwar verwaltete dafjelbe Arnulf IT., des im Jahre 937 verftorbenen 
yerzogd Arnulf Sohn und Bruder des um 938 verbannten Eberhard. 
Yyabei kann nicht der geringfte Zweifel fein, daß König Dtto I. es ge- 
efen ift, der dem zweiten Arnulf die Pfalzwürde verlieh; denn die Zeit- 


-rv 


) Berg IV, 260 gegen oben: Heinricus frater regis, Bajuwariorum dux et mar- 
io. ’) Perg III. 447 Mitte. 


364 Pabſt Bregorins VEL. und fein Zeitalter. 


quellen!) ftellen Teßteren nicht al8 einen Anmaßer, fondern als einen geſetz⸗ 
lich berechtigten Xehenträger hin. Alfo der König bat feinem Bruder, dem 
neuen Herzog, einen Arnulfiven auf pen Naden nefest; und doch Fonnte fih 
Niemand darüber täufchen, daß Arnulf IT. Batern als fein rechtmäßiges 
Erbe betrachten, folglib in dem Sachſen Heinrih einen Anmaßer jehen, 
ihn als folhen haſſen und ihm Fallen ftellen werde, was wirflich nachher 
Alles in reihem Maße geſchehen if. Andererſeits darf man vermümftiger 
Weiſe ebenfo wenig annehmen, es fet irgend in der Abficht des Königs 
gelegen, daß Arnulf IT. den Sachſen Heinrih aus dem Lande Kinausdränge 
und Baiern an fich reiße. 

Nein, an fo etwas Dachte Otto T. nicht, aber dieß wollte er, daß 
Einer den Andern im Zaume halte. Gin Mächtiger, der Urſache Bat, zwei 
Gegner au fürdten, handelt am Klügften, wenn er ſie in eine ſolche Stel⸗ 
fung zu einander bringt, daß fie fich gegenſeitig verfolgen, binden, knebeln 
müffen. ®enau in die eben befchriebene Lage waren Beide, Arnulf und Hein- 
rich, durch die Doppelbelehnung des Einen mit ver bairiihen Pfalz, des 
Andern mit dem bairifchen Herzogthum hineingetrieben, fie ftanden im Vers 
hältniß von Strafgefeg und Begierde, von Rain und Abel, von Romulus 
und Remus. 

Und damit völliges Gleichgewicht zwiſchen beiden herriche, hat König 
Dtto dafür geforgt, daß der Pfalzgraf eine mehr als fonft bei Palatinen 
gewöhnliche Amtsgewalt erhielt. In merkwürdigen Ausdrüden ſprechen bie 
Zeugen von den Befugniffen Arnulf8 II. Rotger, der oben ermähnte, 
trefffich unterrichtete, Zeuge ſagt:) „die oberfte Gewalt in Baiern fei um 
953 Arnulf, dem Sohne Arnulf's, einem tapferen Manne übertragen ge 
weſen.“ Wer batte ihm dieſe Macht verliehen? Gerhart, Biograph des 
Biichofs Ulrich von Augsburg meldet: „ald Herzog Heinrih 953 an 
den Hof zu feinem Bruder Dtto eilte, vertraute er die Stadt Regensburg 
und ganz Baiern dem Pfalzarafen Arnulf an.” Sieht das nicht jo aus, 
als hätte Arnulf die große Gewalt, welche der erfte Zeuge preist, nur augen 
bliklih und nur als Stellvertreter Heinrich’8 befeffen? Nein! entgegne id; 
denn wäre Arnulf vom Könige nicht fo hoch geftellt geweten, daß der Herzog 
gar feinem andern als ihm Baiern übergeben Fonnte, jo würde er nimmer: 
mehr fein Hab und But in die Hände des Arnulfiven niedergelegt haben. Alto 
ift Flar, daß Arnulf über größere Mittel verfügte, als gewöhnliche Palatine. 

Worin beftand aber das Mehr, welches der Arnulfide voraus hatte? 
meines Erachtens darin, daß er nicht blos, gleich andern PBalatinen, die im 
eigentlihen Baiern gelegenen Krongüter beauffichtigte, fondern Daß ihm 
auh Neubaiern, oder die feit 947 mit dem Herzogthum vereinigte Baben: 


) Berg IV, 261. 398 fly. 


Erſtes Buch. ap. 12. Baiern. Wechſelnde Groͤße des Landes. 365 


berger Marfe zugeteilt war. Bamberg hieß zwar bairiſch, und ich zweifle 
nicht, daß der Herzog dort ald Markgraf gewifle jedoch unweſentliche Rechte 
übte, aber die Verwaltung der Landescinfünfte, folglih der Nerv ver 
Geſchäfte, befand fi) in den Händen des Doppelgängers, Arnulf II. Kur 
weil er eine ſolche Stellung einnahm, konnte er die hervorragende Rolle 
jpielen, die er in den ftürmifchen Jahren 951 — 954 wirklich gejpielt hat. 
Auf andere entjcheidende Gründe werden wir unten ftoßen. 

Der berzoglihe Stuhl, auf weldyen ihn Dtto erhob, wurde für Hein: 
rich zum Profruftesbette. Alles, was der König wünichte, mußte er thun,) 
mußte den NRömerzug vorbereiten, mußte Einfälle nah Stalien machen; 
denn der Gegenſatz zu Arnulf, jeinem Wächter, nöthigte ihn, innerhalb ver 
vom Hofe beliebten Bahnlinie zu bleiben. Aber ald der König um 950 
offen mit dem Plane hervortrat, den Schatten Carls des Großen herauf- 
zubeſchwören, das Kaiſerthum zu erneuen, da brach durd das Weich gers 
maniicher Nation eine allgemeine Bewegung aus. An die Spige derſelben 
traten zwei Erzbijhöfe, der Mainzer Friederich, der Salzburger Herolb. ?) 
Die meijten Stammedherzoge fchaarten fit) um fie, namentlid aber hat aus 
diefem Anlafje Pfalzgraf Arnulf, „ver“ — to jagt’) Widufind — „jein väter: 
liched Reich wieder gewinnen wollte,“ ſchwere Schläge gegen Herzog Hein- 
ridy und deſſen füniglihen Bruder geführt. 

Auf Otto's I. Seite jtanden nur Herzog Heinrich von Baiern, der 
treu bleiben mußte, weil feinem Hute gleiche Gefahr drohte wie der Krone. 
Dennoch fiegte zulegt der König, denn befennen muß man, der rothe Löwe 
war ein gewaltiger Herricher von jeltenem Scharffinn und von unbeugjamer 
Thatkraft. Otto belagerte 954 Regensburg, wohin ſich Amulf mit ven 
Scinigen geworfen hatte. In einem Gefechte vor den Mauern ward der 
Pfalzgraf getödtet.) Nocd einige Zeit nad dieſem Ereigniß hielten die 
Aufjtändiichen feft, mußten fi aber zulegt ergeben, worauf ein ſchweres 
Strafgericht über fie erging. Widukind jchreibt:*) „die verführte Menge 
verichonte der König, aber die Häupter des Aufftandesd beftrafte er mit 
Verbannung.” Dieje Strafe hatte gewöhnlich Einziehung der Güter im 
Gefolge, weil man Bedacht nahm, Hocverräthern die Mittel der Rache 
zu entziehen. Ebendaſſelbe widerfuhr aud damals den Aufftändiichen. 

Die früher erwähnte Urfunde °) Dtto’d IL. vom 29. September 976 
befagt: jämmtlihe Güter, welche einft Herzog Berthold von Baiern feiner 
Gemahlin Wilitrud vermacht hatte, jeien ihr dur Urtheil eines Fürſten⸗ 
gerichtd abgeiprodhen worden. Das wird Hohl damals geſchehen fein, und 
man erfieht demgemäß, daß die Rache auch ſolche Arnulfiden traf, die ver: 

1) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. II, 1225 fig. 2) Ibid. 5. 1234. 2) Berg II, 
454 unten: paternum regnuın. *) ®er& III, 457. °) Monum, boic. 31, 230 fig. 


366 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


möge ihres Geſchlechts, wie Wilitrud, feinen thätigen Antheil an der Ems 
pörung nehmen konnten. Möglicher Weile fiel jedoch der Aft gegen Bil 
trud und andere Arnulfiden erft ein Jahr jpäter. Im Sommer 955 haben 
die Ungam den mehrfach erwähnten Feldzug nach Deutfchland gemacht, ver 
mit den Aufftänden von 953 und 954 zufammenhing, denn mehrere tüds 
tige Zeugen fügen‘) aus und auch Denkmale beweilen ed, daß die Mu 
gyaren von den Unzufriedenen in's Reich gerufen worden find. Rad dem 
glänzenden Siege am Le, verfammelte König Dtto eine Synode, welde 
den Fluch über die deutihen Mitverfchworenen der Ungarn verhängte. Ueber 
die näheren Umftände, fo wie über Ort und Inhalt anderer Beſchlüſſe, 
die damals gefaßt wurden, behalte ich mir vor, fpäter zu berichten. ?) 

So ſchwer das Gedränge war, in das Herzog Heinridy von Baier 
durch den Pfalggrafen Arnulf II. gerieth, erhielt cr einigen Erſatz durch 
Vergrößerung ſeines Herzogthumd gegen Süden. In Folge des eriten 
Feldzugs, den König Dtto I. 951 nad Italien antrat, Ichlug’) er die 
Marke Aquileja zu Baiern. Diefe Marfe, von der mehr die Rede jein 
wird, ift fpäter, da Dtto IT. Kärnthen von Baiern ablöste, mit erjterem 
Herzogthum vereinigt worden. Meines Erachtens bat Dtto die Oräne 
Baiernd darım nad dem nörblihen Italien vorgefhoben, um je nad Be 
lieben in legteres_ Land einbrechen zu kennen; denn in Heinrich's Händen 
ftanden die Päffe dem Könige fo ficher offen, als wären fie in deſſen un 
mittelbarer Gewalt geweſen. Den Sturz des Pfahgrafen wird Heinrich ohne 
Zweifel als eine Gunft des Himmels betrachtet haben, aber nicht lange 
fonnte er fich der wiederhergeftellten Ruhe erfreuen, denn er ftarb*) gegen 
Ente ded Jahres 955. 

Auf ihn folgte im Herzogthum fein gleihnamiger Sohn, Heinrich IL 
Vieles weiß man von den ſpäteren Handlungen des neuen Herzogs, aber 
jo gut als nichts aus den erften 15 Jahren feiner Verwaltung. Hingegen 
fteht feft, daß Herzog Heinrib IT. faft unmittelbar, nachdem Otto II. 
als Alteinherricher zur Gewalt gelangt war, das Echwert gegen den jun 
gen Kaiſer, feinen leiblichen Vetter, zog. Warum hat er nun ſolches ge 
than? Wie jeinem Vater der Pfalzgraf Arnulf II, To faßen ibm einhes 
miſche Gegner oder Wächter auf dem Naden, befonderd ein Berthold, der 
erft Graf, daun Markgraf genannt wird, und nad 976 als Herr der 
vereinigten Babenberger und Regensburger Marke erfcheint. Bifchof Thiet: 
mar erzählt”) von dieſem Berthold, der fein naher Verwandter war: nicht 
blos als Soldat und Dienſtmann der Strone, fondern als perfönlicher Feind 
jet er ftetd dem Herzoge Heinrib II. von Baiern entgegengetreten und 


— — — 





') Perg IV, 261. 268. 402 oben. ?) Siehe unten die Geſchichte des Haniet 
Witielobach. ) Pertz 1, 621. +) Pertz V, 115. 5) Berg III, 800 gegen oben. 


Erſtes Bud. Gap. 12. Baiern. Wechfelnde Größe des Landes. 365 


berger Marke zugetheilt war. Bamberg bieß zwar bairifch, und ich zweifle 
nicht, Daß der Herzog dort ald Markgraf gewiffe jedoch unweſentliche Rechte 
übte, aber die Verwaltung der Landeseinkünfte, folglich der Nerv ver 
Geſchäfte, befand fi in den Händen des Doppelgängere, Arnulf I. Nur 
weil er eine ſolche Stellung einnahın, fonnte er die hervorragende Rolle 
ipielen, die er in den ftürmifchen Jahren 951 — 954 wirklich geipielt hat. 
Auf andere enticheidende Gründe werden wir unten ftoßen. 

Der herzogliche Stuhl, auf weldyen ihn Dtto erhob, wurde für Hein 
rich zum Profruftesbette. Alles, was der König wünfchte, mußte er thun, ') 
mußte den NRömerzug vorbereiten, mußte Einfälle nah Stalien maden; 
denn der Grgenjab zu Arnulf, ſeinem Wächter, nöthigte ihn, innerhalb der 
vom Hofe beliebten Bahnlinie zu bleiben. Aber ald der König um 950 
offen mit dem Plane hervortrat, den Schatten Carls des Großen beraufs 
zubeſchwören, das Kaiſerthum zu erneuen, da brady durd das Weich gers 
manijcher Nation eine allgemeine Bewegung aus. An die Spige derjelben 
traten zwei Erzbiichöfe, der Mainzer Sriederih, der Salzburger Herolv. ?) 
Die meijten Stammedherzoge Ichaarten ſich um fie, namentlid aber hat aus 
diefem Anlafje Pfalzgraf Arnulf, „der“ — jo jagt‘) Widukind — „fein väters 
liches Reich wieder gewinnen wollte,” ſchwere Schläge gegen Herzog Heins 
rich und deſſen föniglihen Bruder geführt. 

Auf Otto's I. Seite jtanden nur Herzog Heinrih von Baiern, der 
treu bleiben mußte, weil feinem Hute gleiche Gefahr drohte wie der Krone. 
Dennoch fiegte zulegt der König, denn befennen muß man, der rothe Loͤwe 
war ein gewaltiger Herricher von jeltenem Scharffinn und von unbeugfamer 
Thatkraft. Otto belagerte 954 Regensburg, wohin fih Armulf mit den 
Scinigen geworfen hatte. In einem Gefechte vor den Mauern ward der 
Pfalzgraf getödtet.) Rod einige Zeit nad) Ddiefem Ereigniß hielten die 
Aufftändiichen feft, mußten fi) aber zulegt ergeben, worauf ein ſchweres 
Strafgeriht über fie erging. Widufind jchreibt: ) „die verführte Menge 
verichonte der König, aber die Häupter des Aufftandes beftrafte er mit 
Verbannung.” Diele Strafe hatte gewöhnlich Einziehung der Güter im 
Gefolge, weil man Bedacht nahm, Hocverräthern die Mittel der Rache 
zu entziehen. Ebendaſſelbe widerfuhr auch damald den Aufftänviichen. 

Die früher erwähnte Urkunde °) Dtto’d II. vom 29. September 976 
bejagt: fämmtliche Güter, welche einft Herzog Berthold von Baiern feiner 
Gemahlin Wilitrud vermacht hatte, jelen ihr durch Urtheil eines Fürften- 
gerichtd abgeiprodhen worden. Das wird Wohl damals gefchehen fein, und 
man erfieht demgemäß, daß die Race auch ſolche Arnulfiden traf, die ver- 


°) Bfrörer, Kirch. Geſch. III, 1225 fig. 2) Ibid. 5. 1234. ) Perg II, 
454 unten: paternum regnum. *) Berk III, 457.  °) Monum, boic. 31, 230 fig. 


368 Pabft Gregorius VIEL und fein Zeitalter. 


Indeſſen hinterließ der bei Merfeburg gefallene Adalbert nicht cine, | 


iondern zum Mindeften zwei Eöhne, nämlich außer Liutpold noch den oben 
erwähnten Berthold. Bilhof Thietmar von Merfeburg bezeichnet‘) von 
Eohn Bertholdd Heinrib, von dem weiter unten die Rede fein wird, al 
einen Neffen Liutpolds, des erften babenbergiihen Markgrafen von Oftrie; 
folglib muß Heinrichs Vater, Berthold, ein Bruder des öftreichiichen Man— 
grafen geweſen ſein. Wohlan, dieje beiden Brüder waren wie vazu ges 
macht, den Zwecken zu dienen, für welde fie Otto I. und deſſen Radfek 
ger verwendeten. Denn erftlih hingen fie, ald verarmte Seitenverwande, 
ganz von der Gnade des Füniglihen Haufes ab, und zweitens befaßen fie 
eine Eigenfchaft, die fie dem Hofe beſonders empfehlen mußte, nänlid 
jenen, den Sproſſen großer aber herabgefommener Familien eigenthümlichen 
Haß gegen alle Glüdlihe und Hochftehende. 

Unter dem 4. Februar 961 vergabte?) König Otto I. an die Minh 
gemeinde von Et. Emmeram zu Regensburg das Gut Brämberg, „gelegen 
im Nordgau und im Gomitat des Grafen Berthold.“ Dieſes Brämber 
ift derfelbe Drt, den das Capitular Carld des Großen vom Jahre 805 mı 
einer der Einlaßjtätten für die Regensburger Marke beftellt. 

Zwölf Jahre ſpäter fommt ein Berthold ald Graf im Volkfeld zum 
Vorſchein, wo Bamberg lag, denn dur Urkunde) vom 27. Juni 913 
Ichenfte Kaijer Dtto IL, auf Fürbitte feiner Mutter Adelheid, an den He 
309 Heinrih IT. etlihe bisher zur faiferlihen Kammer gehörige (nosti 
juris pracdium) Güter (worunter die Stadt Bamberg), „gelegen im Eomi 
tate des Grafen Berthold, dem Gau Volkfeld.“ Wie wir wiſſen, bat 
zu Anfang des 10. Jahrhunderts der Babenberger Adalbert das Schief 
Bamberg beſeſſen. Dafjelbe war folglich jeitven durch Einziehung an di 
Hoffammer gelangt. An fih Könnten freilih die Grafen Berthold im 
Volffeld und im Nordgau nidt nur von einander, jondern auch von dem 
Berthold verjchieden fein, den wir meinen. 

Allein triftige Gründe iprechen für die Einheit der Perſon. Bas 
Güterbuh von Et. Emmeram enthält 2 Urkunden?) aus der andern Hälfte 
des 10. Jahrhunderts, welde fih auf unjern Berthold bezichen. 

Durch die eine vergabt Berthold, Graf in Oftfranfen genannt, mi 
jeiner Gemahlin an das chen erwähnte Klofter ein Gut Isning, und wier 
Mirthichaften von Leibeigenen in dem Orte Amerdal. Die zweite Alte ft 
eine Wiederholung der erjteren, allein fie führt Berthold nicht mehr al 
Grafen, jondern ald marchio-comes oder ald Markgrafen auf. Und zwar 


‘) Perg III, 773. *) Monum. boic. XXVIII, €. 188 fig. Nr. 130. °) Monum. 
boica XXVIII, S. 201 Nr. 138. *%) Pez, thesaurus anecdotor. I, c. 92 u. 99 R. 
20 und 30, 


— ——— A — 0 —— 


Ortes Bud. Gay. 12. Baiern. Wechſelnde Groͤße des Landes. 369 


n fein Zweifel fein, daß beide Schenfungen von unierem Berthold ber: 
ren, denn Amerdal erfcheint‘) ſeitdem als Haupthof, zugleich als einer 

Wohnfige ded von Berthold gegründeten marfgräffihen Geſchlechts. 
m liegt Amerdal vor den Thoren Ambergs an der Bild, und ift gar 
ht weit von Brämberg entfernt. Wer wird aber glauben, daß die Marke, 
welcher Amerdal gehörte, nicht auch dad benachbarte im Nordgau gele- 
te Brämberg begriffen habe? Graf Berthold des Pergamentsd von 961 
x alfo eine Perjon mit dem in den zwei Schenkungen von Et. Emme: 
n erwähnten Grafen oder Markgrafen. Dafjelbe gilt aber au von dem 
rthold, der 972 als Graf im Volkfeld erwähnt wird. Denn wie ich 
ten zu zeigen mir vorbehalte, erſcheint jpäter die Babenberger Gegend 
) Mittelpunft der Befibungen des von Berthold gegründeten marfgräfli- 
n Hauſes. 

Da den beiden Et. Emmeramer Schenkungen fein Jahr beigefügt ift, 
ın man aus ihnen allerdings nicht beweilen, wann Berthold zur Würde 
es Markgrafen gelangte. Gleichwohl jteht teit, Daß ſolches vor 974 ge- 
ah; denn ein tüchtiger Zeuge tagt’) aus: nachdem ih Herzog Heinrich 

gegen Kaijer Otto II. empört hatte — was 974 geſchah — ſei Mark: 
af Berthold, als faijerliher Felhhauptmann, gegen ihn ausgerüdt und 
be den Herzog in der Stadt Regensburg belagert. Man hat Daher 
ten Grund anzunehmen, daß vie Erhebung Bertholde zum Marfgrafen 
h in die Zeiten Otto's I. fällt. Auch ven Namen fennen wir, welden 
prünglih die Marke trug, die er in der erften Zeit ſeines Watsıhume 
waltete. Urkunden?) aus den Jahren 1040 und 1061 erwähnen cine 
arfe Nabburg, welcher im erftgenannten Jahre Bertholds Enfel, Eito von 
hweinfurt, vorftand; das zweite dieſer Pergamente bemerkt ausdrüdlich, 
6 zur Nabburger Marfe der Nordgau, folglich auch Brämberg, gehöre. 
er Drt Nabburg, welcher der Marfe den Namen gab, liegt öftlich von 
nberg und Amerdal an der Rab, die weiter unten mit der Bil6 zu 
nmenfließt. Diefe örtlichen Verhältniſſe berechtigen zu dem Schluſſe, daß 
»Marke Bertholds jeit ihrem Entftehen obige Bezeichnung erhielt. 

Berthold war keineswegs der Einzige, welder auf Koften des Her; 
zthums Baiern mit einer Marke bedacht worden if. Zwei Andere ge: 
fien die gleihe Ehre. In zwei Urkunden‘) aus den Jahren 972 und 
'3 kommt auf öftreihiihem Boden ein Marfgraf Burkhard zum Vorſchein. 
h werde an einem andern Orte zeigen, daß Burkhard aus dem Haufe 
r Regensburger Burggrafen ftammte. Auf ihn folgte ſeit 976 in der 


1) Berg IIL 800 Mitte IV, 690 oben. :) Perg IV, 568 a. unten. 3) Ried, 
d. diplom. ratisbon. I, Nr. 159 u. 164 ©. 152 n. 156. *) Monum. boie. XXVIII 
©. 193 u. 195. 

Gfrözer, Bahr Gregorius vu. Bdb. 1. 24 


370 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Oſtmarke der Babenberger Liutpold, Bruder des Nabburger Martgrafen 
Berthold. Aehnliches gefhah — und zwar noch etwas früher — in ven 
bis dahin herzoglich bairiihen Kärnthen: durd Urkunde‘) vom 7. Min 
970 ſchenkte Kaifer Otto I. der Salzburger Kirche bedeutende Güter, bei 
Leibnig (in der heutigen Unterfteiermarfe), „gelegen?) im Comitat Wart 
wartsd unſeres Marfgrafen.” Marfwart war, wie ich tpäter darzuthm 
mir vorbehalte, der Vater Adalbero's, welder 1012 nad des Wormier 
Eonrads Tode Das Herzogthum Kärnthen erlangte. 

Es gab aljo zum mindeften feit 930 auf chemald bairifchem Boden 
drei Marken: eine an der Nab und Bild, eine an der mittleren Donau, 
— beide offenbare Erneuerungen der von Carl dem Großen in gleiche 
Gegend geichaffenen DOrganijationen — und eine dritte an Der kärnthniſchen 
Mur. Nun verfteht c8 ſich von jelbft, daß nicht etwa Herzog Heinrich IL 
von Baiern, jondern vielmehr daß Otto I. diefe Marfen gegeugt hat. Tem 
überall erſcheint die Errichtung folcher neuen Behörden als ein kaiſerliches 
Borrecht, weßhalb denn auch Dito in obiger Urfunde Markwart unjeren 
Marfgrafen nennt. Abgefchen hievon, beweist tie Geſchichte der von dem 
bairiſchen Herzog Heinrich I. gegründeten Dynaftie, daß weder a fell, 
noch jein Eohn gutmüthig oder einfältig genug war, um freiwillig gefähr 
lihe Miteffer an den eigenen Tiſch zu fegen. In der That haben be 
Drei kurz darauf einen guten Theil defjen verjpeist, was Herzog Heimrich 
U. fein rechtmäßiged Erbe nannte. | 

Der Zufammenhang ift jet far. Die Ereigniffe der Jahre 95294 
hatten den Beweis geliefert, daß die Erhebung jenes übermächtigen Biely 
grafen Arnulf IL, welden Otto I. feinem Bruder Heinrich) entgegenftellte, 
ein Mißgriff geweien ſei. Kaiſer Otto, der — jo denfe ih — währe 
der Jahre 961— 970, die er meift in Stalten zubracdhte, weitere Fortſchiite 
in den Künften der Herrihaft gemacht hatte, verbefierte den begangen 
Schler, jedoh das Syſtem felbit behielt er bei. Das bairiiche Palatimat 
Arnulfs II. blieb, aber ed wurde, wie man unten fchen wird, unter Web 
tere vertheilt. Ueberdieß lud er dem bairiſchen Herzoge Heinrich IL del 
Marken: die danubijche, die Färnthniiche an der Mur, und endlich die Rab; 
burger auf den Naden, von denen legtere, weil fie vor den Thoren ber 
Hauptftatt Regensburg begann, für Heinrich die unbequemfte war. Alles 
dieß aber rüftete der alte Kaiſer deßhalb zu, weil er dem zweiten Heinrib 
in gleicher Weiſe mißtraute, wie einft dem erften. 

Daß der junge Herzog fi durch diefe Maßregeln beengt fühlte, iR 
begreiflih. Noch kamen aber weitere Gründe eines fürmlichen Zerwürf⸗ 


ı) Böhmer, regest. Nr. 371. *) Ueber die Lage vgl. man Archiv für Kunde 
öftreich. Beichichtsguellen 1850 I. B. S. 172 unten flo. 


Erſtes Buch. Gap 12. Baiern. Wechſelnde Größe des Landes. 371 


niſſes hinzu. Seit geraumer Zeit ſchwebten zwifchen den Herzogen von 
Schwaben und Baiern Gränzftreitigkeiten. Gerhard jagt!) in der Lebens⸗ 
geihichte des heil. Ulrich von Augsburg: „Herzog Ludolf von Echwaben, 
des Königs Dtto I Eohn, (der die Fahne Alamanniene von 949—954 
trug) haderte mit feinem Oheime, Heintih I. von Baiern, wegen der Grän- 
zen des beiderjeitigen Gebiets." Hätte der Lech in jeder Beziehung die 
Sceibelinie zwiſchen Baiern und Schwaben gebildet, jo konnte nicht wohl 
Streit entftehen. Allein, wie wir wiffen,) war eine Reihe auf dem rech⸗ 
ten Ufer des Lech's gelegener Defanate dem Eprengel des ſchwäbiſchen Biss 
thums Augsburg einverleibt. Deßhalb wird Ludolf gejagt haben: alles 
Land, das unter dem Krummftabe von Augsburg fteht, ift von Rechtswe⸗ 
gen ſchwäbiſch, mein Herzogthum reiht jo weit, als bejagtes Bisthum; 
während Heinrih von Baiern das Gegentheil behauptete. 

Nachdem Bifchof Ulrich von Augsburg, der feine Pflicht that und treu 
zum kaiſerlichen Haufe hielt, in hohem Alter Anfangs Juli 973 geftorben 
war, boten Heinrid II. und jeine Mutter Judith, welde fortwährend gros 
Ben Einfluß übte, Allem auf, um den erledigten Etuhl einem nahen An⸗ 
verwandten und Günftling ihres Hauſes, dem Clerifer Heinrich, zu vers 
ihaften. Es gelang ihnen, jevod nur durd offenbaren Betrug. Zögernd 
beſtaͤtigte Kaiſer Dtto II. die dem Augsburger Domkapitel vom bairiichen 
Hofe abgeliftete Wahl.) Allein in einer andern noch wichtigern Angelegens 
. beit trat er der Begehrlichfeit Heinrichs IL. ſtraks entgegen. Herzog Burks 
hard TI. von Echwaben, Gemahl Hedwigs, der Echwefter Heinrichs II., 
hatte im Nov. 973 das Zeitliche geſegnet.) Die verhältnigmäßig noc 
junge aber finderloje Wittwe behielt nicht nur Das Hausgut des verftorber 
nen Gemahls, ſondern auch die Kloftervogteien, welche er beſeſſen hatte, 
ja fie legte fih fogar in Urfunden den Titel Herzogin von Schwaben bei.) 
Dhne Zweifel war es ihr eigener und ihrer bairiihen Verwandten Wunſch, 
daß ihr die ganze Macht Burkhards vom Kaijer belafien werben möge, die 
beiden Herzogthümer hätten dann einmal bei günftiger Gelegenheit ver; 
ſchmolzen werden fünnen. Aber anderd dachte Kaifer Dtto II.: er verlieh 
die erledigte Yahııe Schwabens an feinen gleichnamigen Vetter, Otto, den 
Eohn ded unglüdlihen Ludolf aus der erften Ehe Otto's I. mit Evitha. 

Man fieht nun, daß die Empörung Herzog Heinrichs II. durch alte 
Zwiftigfeiten vorbereitet war. Heinrich zettelte 974 Einverftändniffe mit den 
Biſchöfen von Freifing und Augsburg, mit den Herzogen von Böhmen und 
Polen anz doch der Kaifer erhielt von dieſen Umtrieben Wind, Iodte ven 
Verſchwörer durch Lift an fib und ließ ihn als Staatögefangenen nad 


ty) Berk IV, 398 untere Mitte. 2) Oben ©. 301. *) Die Belege bei Gfroͤrer, 
KR. ©. III, 1366. ) Stälin, württemb. Geſch. I, 459. 


94% 


372 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Sngelheim abführen. Allein in Kurzem entfam Heinrich II. aus der Haft, 
und entzündete nun einen Bürgerfrieg, der bis zu Ende des Jahres 977 
dauerte, und zulegt mit völliger Unterwerfung Heinrid’8 TI. endete. Rad 
dem Kaifer Otto II. Regensburg im Sommer 976 erobert hatte, berief er 
eine Synode, weldhe den Kirchenfluh über den Herzog und 28 der ſchul⸗ 
digften unter feinen Anhängern verhängte; zugleih wurde ihm vie Fahne 
Baierns durch richterliche8 Urtheil abgeſprochen.9 

Otto II. begnügte ſich nicht, dad Verbrechen Heinrichs II. zu beftra 
fen, er ergriff außerdem geeignete Maßregeln, damit fünftige Nachfolger 
Heinrich's II. nicht mehr ähnliche Dinge unternehmen können. Der Um: 
fang Baierns ift damald bedeutend verringert worden. Kaiſer Otto IL 
[ö8te erftlih Kärnthen von Baiern ab, und erhob erftere Landichaft zu einem 
eigenen Herzogthum, damals dem jechöten des Reihe. Und an wen ven 
lieh der Kaifer die neue Bahne? an einen Eohn des 947 verftorbenen 
Herzogs Berthold und der Wilitrud, der gleich dem geftürzten Baierherzg 
Heinrih hieß”), und von ihm durch den Beinamen ded Jüngern unteridie 
den wird. Der mit Kärnthen Belehnte war demnad ein Arnulfide. 

Merfwürdige Erjcheinung, die über fpätere Ereigniffe Licht verbreitet! 
Troß der über das alte bairiſche Herzogshaus längft verhängten Berfok 
gung, beſaß es noch immer jo zähe Wurzeln im Lande Baiern, dag Otte IL . 
einen Arnulfiden beiziehen mußte, um feinen Better Heinrich II. gründiih 
niederhalten zu können. Ohne Zweifel in Folge der Erhebung ihres Soh—⸗ 
ned erhielt die Wittwe Wilitrud durch den mehrfach erwähnten kaiſerlichen 
Erlaß vom 29. Sept. 976 die um 954 zum Staatsſchatz gezogenen Güter 
ihres Mannes zurüd.°) 

Zweitens erhob Dtto II. um diefelbe Zeit Liutpold, den Bruder Berk 
holds, zum Markgrafen der Landſchaft, Die ſeitdem Oftri genannt wir, 
und noch heute diefen Namen führt. Ob der Kater zugleich dem neun 
Markgrafen einen ausgedehnteren Bezirk, oder eine größere Gewalt verlich, 
ald die war, welche Liutpolds Vorgänger, der obenerwähnte Burkhard, be 
feffen hatte, wage ich beim Stillſchweigen der Quellen nicht zu entſcheiden, 
doch dünft ed mir wahrfcheinlih. Mit dem Jahre 976 beginnen die ws 
fundlihen Erwähnungen?) des Markgrafen Liutpold, und ſeitdem blieb die 
öftlihe Marke mehrere hundert Jahre lang bei feinem Geichlechte. Dre . 
tend muß der Kaifer 970 auch Liutpolds Bruder Berthold, der in ka 
legten Kämpfen gegen den Empörer Heinrid der Krone wichtige Dienfe 
geleiftet hatte, zu höheren Ehren beförvert haben. Denn während Berthob 


— — — — 


) Die Belege bei Gfroͤrer, K. G. III, 1367 flg. 2) Bgl. die in den Jahrbüchen 
des deutſchen Reichs II, b. S. 191 angeführte Urkunde. ») Gfroͤrer, K. G. M.6. 
1360. *) Meiller, Regesten der Babenberger. ©. 1 fig. 





Erſtes Buch. Gap. 12. Baiern. Wechſelnde Eröße des Landes. 373 


vor 976 urfundlih nur ald Markgraf an der Nab und Bild erjcheint, bes 
finden ſich fpäter, wie am gehörigen Orte gezeigt werben foll, nicht bloß 
die Pläge Kronach, Kreufen, Schweinfurt am Main, fondern auch die Ge⸗ 
genden, aus welchen zwifchen 1007 und 1017 das Bisthum Bamberg und 
das geiftlihe Fürftenthum ded Würzburger Stuhles geformt ward, in dem 
Beſitze Bertholds oder feines Sohnes Hezelo. Das heißt nun unzweifel⸗ 
haft: zu Gunften Bertholds ift im Jahre 976 die alte Babenberger Marfe 
mit der Nabburger, welche jener ſchon vor 976 verwaltete, zu einem politis 
ſchen Ganzen vereinigt worden. 

Die eben bejchriebenen Anordnungen des Kaiſers haben innern Zuſam⸗ 
menhang, und pafjen vortrefflich zu den vom erften Otto getroffenen Maßs 
regeln. Heinrih I. trug zwiſchen 947 und 955 den DoppelsTitel Herzog 
und Marfgraf der Baiern, d. h. er bejaß, außer dem eigentlichen Baiern, 
die von Garl dem Großen errichteten Marfen an der mittleren Donau, 
an Rab und Vils und am Main, von denen legtere ein Nachlaß der Ba- 
benberger war. Dagegen wurde ihm in der Perfon Arnulf II. ein mäch⸗ 
tiger Pfalzgraf zur Seite geftelt. Nach der Empörung Armulfs vertheilte 
Otto das Palatinat unter mehrere. Abermal etwas fpäter, da Heinrich IL, 
der Zänfer, die Fahne ſeines Vaters geerbt hatte, ließ ihm Otto L nur 
das Herzogthum, entzog ihm dagegen die marfgräflihe Gewalt, indem er, 
wie oben gezeigt worden, die drei Marfen an der Donau, an der Nab und 
Vils, und in Kärnthen gründete, und fie an Burfhard, Berthold und Mark; 
wart verlieh. 

Endlich, nachdem die Schilperhebung des Herzogs Heinrich I. nieder- 
gefchlagen worden war, führte Otto II., dem Borbilde feined Vaters ge- 
treu, einen legten Streih: Kärnthen wurde ganz von Baiern getrennt und 
in ein befondered Herzogthum verwandelt. Berner wurde die Babenberger 
Marke, wo, wie wir fahen, Berthold ſchon 973 das Comitat im Volkfeld 
bejaß, zum Bortheil eben dieſes Berthold mit der Nabburger Marke ver: 
fchmolgen; zugleich verlieh Dtto II. die Oftmarfe an Bertholds Bruder, da⸗ 
mit beide vereint Hinfort um fo leichter Die Fünftigen Herzoge des verrin- 
gerten Baierns zu dämpfen im Stande feien. Man darf mit gutem Grund 
behaupten, die Nothwendigkeit der Dinge war es, welche auf dieſe Einrich» 
tungen bintrieb. Wer einmal A gefagt hat, muß früher oder jpäter auh ® - 
fagen. Ä 

Gleichwohl find die Nachrichten aus den Zeiten Otto's IL fo dürftig, 
daß auch nicht eine einzige Chronik mit deutlihen Worten die Beichränfung, 
oder beſſer die Zerſtücklung des alten bairiſchen Großherzogthums befchreibt. 
Nur aus den Urkunden erhellt, daß Alles das wirklich geichehen if, was 
ih eben entwidelt habe. Immerhin führen jedod die Chroniften wentgftens 
eine Thatfache an, welche auf den wahren Zufammenhang hinweist. Sie 


374 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


melden nämlich, daß Kaifer Dtto IT., nach Austreibung Heinrichs II., mit der 
Fahne Baierns nicht etwa einen Neuling belchnte, fondern daß er fie an 
feinen gleichnamigen Vetter, Ludolfs Sohn, Dtto, bisherigen Herzog von 
Schwaben verlieh.) Zwei Herzogthümer, Schwaben und Baiern, flanden 
alfo jest unter einem Hut: eine bi8 dahin unerhörte Maßregel, Die um fo 
jeltfamer Flingt, da Alles, was damals der junge Kaifer gegen Heinrid II. 
in Baiern vornahm, den Zweck hatte, die zu hochgeftiegene Macht eines 
Großvafallen zu beſchneiden. Alfo um den Einen flürzen zu Eönnen, bat 
er einen Andern zum Doppelbherzog erhoben! 

Warum verfuhr er jo? etwa darum, weil er verzweifelte, ohne die 
Streitkräfte, über welche Ludolfs Sohn als Herzog von Schwaben verfügte, 
den ausgetriebenen Heinrich IT. niederzuhalten® Ich denke, noch eine andere 
Erwägung wirkte mit. Wenn aud Jedermann in Baiern über die Zer⸗ 
ſtücklung des Herzogthums fehrie, fo hatte wenigftend Dtto von Schwaben 
feinen Grund, in diefen Tadel einzuftimmen, da er durch die Bereinigung 
Schwabens mit Baiern eine Macht gewann, die weit über das mit dem 
Wohle des Reiches verträglibe Maaß hinausgrif. Nur wenn man vor 
ausfegt, daß in Baiern Dinge vorangegangen waren, die allgemeine Erbit: 
terung erregten, erſcheint das Doppelherzogthum des Schwaben Dtto eini⸗ 
germaßen als begreiflic. 

Keine der Abfichten, welche der junge Kaifer mit feinen Staatöver 
änderungen in Baiern bezwedte, wurde erreiht. Heinrich II. entfam 976 
und erregte im folgenden Jahre einen neuen Aufftand, und zwar nicht er 
allein, fondern mit ihm ein anderer Oroßvafalle, der dem Kaifer fein Lehen 
verbanfte. Wer follte e8 glauben, derſelbe Arnulfide Heinrich ver jünger, 
Sohn des 947 verftorbenen Herzogs Berthold und der Wilitrud, den Otto 
II. das Jahr zuvor mit der Fahne Kärnthens bedacht hatte, machte gemein 
Sade mit dem geftürzten Heinrih IT. So ſehr fchämen ſich die deutſchen 
Ehroniften der an den jüngeren Heinrich verfchwendeten Gnade, daß fe 
von feinem furzen färnthnifchen Herzogthume, welches nur das eine Jahr 976 
dauerte, gänzlich fchweigen — einzig aus Urkunden?) kennt man daſſelbe — 
wohl aber erwähnen?) fie die Echilverhebung, welche er 977 in Gemein 
haft mit dem geftürzten gleichnamigen Baier wagte. 

Warım handelte nun der jüngere Heinrich fo? Deutliche Anzeigen Te 
gen vor, daß ale Welt den Kaiſer Dtto IT. für einen Schwädlin 
hielt, deffen Herrihaft nicht in die Länge gedeihen fünne. Die gleiche Anfıdt 


— — — —— 


Pertz M, 65, IV, 416. Ebenſo zwei Urkunden vom Jahre 976: monum. boic. 28, 
Mr.146u.148. ) Jahrb. d. d. R. II.b. S. 191. *)Perk IIL,64.65.IV,417,V, 116 unten. 
(Herrmann ber Lahme nennt ihn hier, die Wahrheit aufdeckend, et alius Heinricus dw, 
doch ohne den Titel Kärnthen beizufügen) ; endlich annal. altahens. ed. Giesebrecht €. 41. 


Erſtes Bud. Gap. 12. Baiern. Wechfelnde Groͤße des Landes. 375 


Batte, meines Erachtens, Heinrich der jüngere: lieber wollte er, dem Kaiſer 
zu Trop, Alles aufs Spiel ſetzen, um das ganze Erbe feiner Ahnen, d. h. 
Baiern mit Kärnthen wieder zu erringen, ald aus den Händen des Schwäch⸗ 
lings ein Stüd kärnthniſcher Erde behalten. Aus Thatſachen, die ih unten 
anführen werde, geht hervor, daß zwilchen den beiden Heinrichen eine Ueber: 
einfunft folgenden Inhalts abgejchloffen worden fein muß: gemeinfchaftlich 
werben fie dahin wirken, daß Otto IL die Krone verliert, und an feiner 
Statt Heinrih II., Heinrih8 I. Sohn und Enkel, den deutſchen Thron bes 
fteigt; geichieht dieß, jo tritt der neue König ganz Baiern (mit Kärnthen 
und den Marken) an den Arnulfiden Heinrich den jüngeren ab. 

Weil der hohe deutſche Clerus, an der eingeführten Staatsordnung 
fefthaltend, den ſchwachen Kaiſer unterftügte, unterlagen die beiden herzog⸗ 
lihen Empörer: fie wurden 978 gefangen und in Haft gebradt. Nun 
erhielt die erledigte Kahne Kärnthen der Wormfer Salter Otto, Conrads 
und Liutgardend Sohn, den wir von früher fennen; Baiern aber blieb in 
den Händen des Doppelherzogs Dtto. Doc dauerte das nicht mehr lange. 
Der Doppelberzog zog mit dem jungen Kaifer nah Italien, nahm Theil 
an den verwegenen Planen, weldhe ver Faiferlihe Gemahl der Grichin 
Theophano dort ausführen wollte, erlitt im Juli 982 mit ihm die große 
Niederlage durch die vereinigten Saracenen und Byzantiner, und ftarb etliche 
Monate nah der Schlacht, Ende October 982 zu Lucca.) Don den beis 
den durch feinen Tod erledigten Herzogthümern, Schwaben und Baiern, vers 
lieh?) Kaifer Dtto II. das erftere noch im Jahre 982 an Conrad aus der 
ſaliſchen Linie Gebeharps. °) 

Mit Wiederbefegung ded Herzogthums Baiern dagegen wartete Kai⸗ 
fer Dtto II. noch weitere fieben Monate. Natürlich, letztere Angelegenheit 
hatte ihre eigenen Hafen. Erft in Folge des italienijchen Reichstags, wels 
her Anfangs Juni 983 zu Verona gehalten wurde,*) verfügte Otto über 
die Sahne Baierns und zwar — zu Gunften des Arnulfiden Heinrichs des 
Jüngeren, deflelben, der etliche Jahre zuvor ald Staatögefangener einges 
ferfert worden war. Die Chronif von Hildesheim und Ihietmar von 
Merfeburg jagen‘) einftimmig aus: „zu Verona wurde der Beichluß ges 
faßt, den jüngeren Heinrich aus der Haft zu entlaffen und ihn mit Baiern 
zu belehnen.” Das Flingt freilich ſonderbar, daß ein verurtheilter Hochverräs 
ther nicht nur Gnade, fondern im nämlichen Zuge einen Herzogshut ems 
pfängt. Allein in Wahrheit ließ fih die Sache nicht anderd maden. Nur 
zwei Männer, der Arnulfive Heinrich, und der gleichnamige Halbarnulfive, 


1) Die Belege bei Stälin, mwürttemb. Geſch. I, 464. 2) Berg V, 117. 3) Siehe 
oben ©. 249. *) Siehe Gfroͤrer, K. G. IIL, 1407 fig. 6) Berg III, 64 u. 766 


unten 


376 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalier. 


Sohn der Judith und des Herzogs Heinrich I., beiaßen folchen Anhang in 
Baiern, daß fie ſich möglicher Weiſe — nämlich unter einen Kaiſer, wie 
Dtto II. — aus eigenen Kräften halten konnten. Alſo hatte der Kaiſer 
nur die Wahl zwilchen den beiden Heinrihen. Run haßte er den älteren 
— al8 einen näheren Berwandten von Vaters Eeite her — ftärfer als den 
andern, darım gab er dem jüngeren den Vorzug. 

Offenbar hat Heinrich, Bertholds Sohn, die Lage der Dinge ganz aus 
demjelben Gefichtspunfte betrachtet, ven ich eben nachwies. Denn pochend 
auf die Verlegenheiten des Hofs, begnügte er fich keineswegs mit den 
durch die Maßregeln von 976 verringerten Baiern, fondern er verlangte, 
dag man ihm aud noch Kämthen mit in Kauf gebe. Und fiehe! ver Ar: 
nulfive drang durd. Denn zum Sahre 984 bezeichnet‘) der Merſeburger 
Thietmar den jüngeren Heinrih als Doppelberzog von Balern und von 
Kärnthen! Das war ein Donnerftreih für einen dritten, den Wormier 
Salier Dtto, der 978 die Fahne Kärnthens erlangt hatte. Er mußte wei- 
hen und ward nah Hauſe an den Rhein geichidt, wo wir ihn etlicde 
Jahre fpäter urfundlih erwähnt fanden.” Die Ehroniften ſchweigen aber: 
mal vom furzen Herzogthum Dtto’8 und feiner Abdanfung, vermuthlid, 
weil fie ſich fchämten, ſolche Beweiſe kaiſerlicher Schwäche der Radweli 
mitzutheilen. Aber die Pergamente bezeugen, was in Wahrheit geſchah 
Nur bis 983°) und dann wieder nad 995 kommt Dtto als Herzog von 
Kämthen in Urkunden zum Borfchein. 

Aber auch Heinrih der Jüngere behauptete das Doppelherzogthum 
nicht Tange. Nah dem Tode des Kaiſers Otto II, welcher den 27. De, 
983 zu Rom geftorben war, entfam der gefangene Heinrich II. von Baiem, 
der Arnulfivin Judith Sohn, aus der Haft, erichütterte das Reich von 
einem Ende zum andern, bemädhtigte fi ded unmündigen Nachfolger, 
Otto III, und ließ ſich ſelbſt als König ausrufen. Abermal vertbeidigt 
der hohe Clerus die beftehende Verfaffung, allein jo groß war der Anhay 
des Älteren Heinrih, daß man ein Abkommen mit ihm treffen mußt. 
Heinrih II. verlangte Wievereinfegung in dad Herzogthum feines Vaten 
Diefe Forderung erregte jedoch neuen Hader, obwohl nicht zwiſchen Hei 
rih IL und dem Hofe, jondern zwilchen ihm und dem jüngeren Ramen& 
genoffen, dem Sohne der Wilttrud und ded Herzogs Berthold. Thietmar 
von Merfeburg fchreibt:*) „während ver Unterhandlungen mit dem Hof 
gerieth der bairiihe Heinrih in böfen Streit mit dem andern Heinrid, 
den man den Süngeren nennt (und der damals Kämthen und Baier iv 
ſaß); doc gelang es zulegt dem Grafen Herrmann, eine Verſtändigung ar 


') Per& III, 768 Mitte. *) Siehe oben ©. 249 flg. ) Die Belege in ten Sam 
büchern des deutichen Reiche IL, b. ©. 191 Note 2. *%) Bere III, 770 oben. 





Erſtes Buch. Gap. 12. Baiern. Wechfelnde Groͤße des Landes. 377 


jahnen, worauf Heinrich der Aeltere (985) das Herzogthum (Baiern) 
eder erhielt.“ | 

Daß der füngere Heinrich wenig von den Verhandlungen erbaut war, 
der ältere mit dem Hofe pflog, iſt begreiflih; denn er felber lief ja 
fahr, das Opfer des Einverftännnifies zu werben. Aber die Leiden⸗ 
aftlichfeit,‘) mit der er dem früheren Bundesgenoſſen entgegentrat, weist 
ch meinem Gefühl darauf bin, daß er fid von dem Sohne der Jubith 
rogen, verrathen glaubte „Wie!“ wirb er gelagt haben, „Ihr, für 
n ih 977 das Schwert zog, Ihr, der mir Kämthen und Baiern ver: 
ad, wollet mir nun beide Herzogthümer, dad Erbe meiner Ahnen, raus 
n.“ Dieß die Spur einer zwilchen Beiden abgefchlofienen Uebereinkunft, 
n der ich oben fprad. Der Graf Herrmann, welder den Streit bei- 
te, fcheint der nachmalige Palatin von Aachen zu fein, der um jene 
tt urfundlih (von I970—980) ald Graf im Eifelgau erwähnt ) wird. 
je Worte Thietmar's find fo geftellt, daß fie von einer Ausgleichung 
fanden werden müflen, welche gewöhnlih darin befteht, daß der eine 
yeil auf gänzliche Weigerung, der andere auf hochgefpannte Forderungen 
rgichtet. Im vorliegenden alle heißt dieß fo viel als: der jüngere Hein- 
b babe das eine feiner beiden Herzogthlimer (nämlih Baiern) an den 
ohn der Judith abgegeben, das zweite aber — nämlih Kärnthen — für 
b behalten. 

Und in der That war dieß der Ausgang des Handel. Aus den 
ihren 985 bis 989 Tiegen mehrere Urfunden‘) vor, in welchen theild ein 
einrich für ſich als Herzog von Kärmnthen, theild zwei Heinriche neben 
ander, jener als Kärnthner diefer ald Bairifcher Herzog, erwähnt wer: 
n. Da laut dem Zeugniffe Thietmar's der ältere Heinrich Baiern wieder 
Yelt, kann mit dem Kärnthner nur der füngere gemeint fein. Immerhin 

wahrfcheinlih, daß der ältere kraft des Vertrags, welchen Graf Herr: 

mn zu Stande bradıte, fich, falls der jüngere fterben würde, die An: 
wtichaft auf Kärnthen ausbedungen hat. Tiefer Kal trat ein. Das 
ılder Todtenbuch führt‘) zum Jahre 989 einen Herzog Heinrich als ges 
ben auf. Es war der Kärnthner, Heinrich der Jüngere, denn bie 
wonit von Altaich meldet:) „im Jahre 989 verfchied Herzog Heinrich 
n Kaͤrnthen.“ 

Und von nun an erwähnen bairiihe oder Färnthnifche Urkunden nur 
& einen Heinrih,*) der zugleih Herzog in Baiern und Karnthen ifl. 


— 


1) Magna seditio oritur, lautet der von Thietmar gebrauchte Ausbrud. 2) Oben 

273. 3) Jahrbücher des deutfchen Reiche II, d. ©. 194. ) Leibnitz, script. 
msvic. III, 7685. 6) Gieſebrecht, annal. altah. ©. 44. 6) Jahrb. des beutfchen 
ichs a. a. D. II, b. ©. 198 fig. 





378 Pabſt Gregorius VIL und fein Beitaller. 


Das heißt nun: jene Anwartfchaft ging in Erfüllung, Heinrich II., der 
Zänfer genannt, hatte zu Balern bin noch Kärnthen erlangt. Aber aud 
für den Ball, daß der Zänfer ſterben würbe, fcheint dem Wormfer Otto, 
der 983 hatte weichen müflen, eine Anwartſchaft auf Kärnthen ertheilt 
worden zu fein. Der Zänfer ftarb ‘) 995, worauf ihm in Baiern jein 
gleichnamiger erftgeborner Sohn, der nachmalige König und Kaiſer Hein 
rih IT. folgte. In Kärmthen dagegen kommt iebt wieder der Wormier 
Dtto ald Herzog zum Vorſchein und behauptet das Lehen bis zu -jeinem 
Tode, doh fo, daß neben ihm zumellen der Sohn Heinrich's II. von 
Baiern ald Herzog genannt wird.) Wie fol man biefe feltiame Erſcheinung 
erflären? Folgende Meberlieferung?) ift erhalten worden: „als der nachmalige 
Kaifer Heinrih IL, nad dem Tode feines Vaters, Kärnthen an ven 
Wormſer Dtto abtrat, behielt er fi etliche Landſtriche vor, namentlid 
die Städte oder Schlöffer Wolföberg und Vila, welde er ſpäter dem 
Bamberger Stuhl fchenkte.” Diefe Nachricht ift begründet, denn im Laufe 
des 11. Jahrhunderts erfcheint Villach urfundlih I als Eigenthum des 
Bamberger, von Heinrich TI. audgeftatteten, Hochſtifts. 

Im Jahre 1002 beftieg Heinrih, Heinrich's IL Sohn, der in ber 
Reihenfolge der bafrifchen Herzoge gleihen Namens ald ver vierte gezählt 
wird, den deutfhen Thron, nachdem er mehrere Gegentönige befiegt hatte. 
Kurz darauf verſuchte es Hezilo, der Sohn des Markgrafen Berthold, auf 
den wir unten zurüdfommen werden, den neuen Herricher mit Waffenge: 
walt zu nöthigen, daß er ihm Batern überlaſſe. Heinrich IL. überwältigte 
und beftrafte den Empörer, doch behielt er die Fahne Batern mur bis 1004, 
in welchem Jahre er fie an feinen Schwager, den Luremburger Heinrid, 
Bruder der Königin Kunigunde, abtrat.) Der Ruremburger lohnte feinem 
Wohlthäter mit Verrath, weßhalb König Heinrich IL. im Jahre 1009 auf 
einem Regensburger Reichstage den Schuldigen abfegte und fein väterliches 
Herzogthum jelbft wieder übernahm.) Abermals behielt er e8 nur neun 
Jahre. 

Unaufhoͤrlich durd die Ränke der Schwäger bebrängt, und um den 
Frieden am eigenen Herde wieder herzuftellen, gab Kaiſer Heinrich IL 
durch die Hand feiner Gemahlin im Dez. 1018 Baierns Fahne an ten 
Luremburger zurüd,°) der fih nun ruhig verhielt bis zu feinem Tode, 
welder in den erften Jahren des Könige Conrad II. um 1026 erfolgt 
iſt.) Der neue König fühlte ſich ftarf genug, Baiern einzuziehen, oder — 
was hiemit gleichbedeutend — die herzogliche Fahne des Landes an feinen 


— — mr . 


1) Bere V, 117: annal. altah. ©. 45. ?) Die Beweife in den Jahrbüchern dei 
beutfchen Reiche IL, b. S. 202 fig. 3) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 36. %) Dal. 


S. 69, *) Daf. 108. ) Ibid. ©. 263. 


Erſtes Buch. Gap. 12. Baiern. Wechſelnde Groͤße des Landes. 379 


Sohn und Thronerben Heinrich — den nachmaligen Kaiſer Heinrich II. — 
m verleihen. Dieſer bewahrte das Herzogthum in eigener Hand bis 
1042; aber zu Anfang des ungarifchen Kriegs, den das beutiche Bisthum 
höchlich mißbilligte, überließ‘) er Baiern, um fich durch den Anhang mädy- 
tiger Laienhäufer zu verftärfen, an einen Luremburger, den Neffen deſſen, 
der von 1004—1026 das Herzogthum verwaltet hatte. Der Neuerhobene 
hieß, wie feine Vorgänger, Heinrih, und zählt unter den gleichnamigen 
Herzogen Baiernd als der ſiebte. Ausnahmsweiſe blich derfelbe dem fais 
ſerlichen Haufe treu, und ftarb ohne Vorwurf im Herbfte 1047. 

Nun war Baiern über ein Jahr Tang ohne eigenen Herzog, wahr: 
ſcheinlich weil Kaiſer Heinrich III. Hoffnung hegte, das Land wieder an 
fich zu bringen. Aber mehr und mehr wuchs die Unzufriedenheit im Reich, und 
um Lichtmeß 1049 fand Kaiſer Heinrich III. gerathen, Baierns Fahne an 
Conrad aus dem pfalzggräflihen Haufe von AahensTomberg zu vergeben. ?) 
Allein in Kurzem ließ fi Conrad in eine Verſchwörung gegen den Kaiſer 
ein, ward deßhalb 1053 abgefegt und in die Reichsacht erflär. Noch 
einmal verfuchte es Kaiſer Heinrich III. das Land mit der Krone zu vers 
einigen, indem er feinen erfigebornen, damals kaum vierjährigen Cohn — 
den nacmaligen König Heinrih TV. — unter Vormundſchaft des Eich⸗ 
ſtaͤdter Biſchofs Gebhard zum Herzog ernannte. *) 

Auch dich hatte Feinen Beftand. Nachdem der Knabe Heinrih 1054 
zum König gekrönt war, vergab der Kaifer — abermal bloß dem Ramen 
nach — das Herzogthum an feinen zweiten Sohn, den zweijährigen Eon- 
rad, der aber ſchon 1056 ftarb, worauf Balern an die Kaiſerin Agnes 
als Witthum gelangte.) Und nun, nachdem Agnes fünf Jahre lang das 
Land im eigenen Namen, obwohl mit fremder Hilfe verwaltet hatte, ſah 
fie fih aus Gründen, die ich fpäter entwideln werde, genöthigt, im Herbfte 
1061 den Nordheimer Dtto zum wirklichen Herzog in Baiern einzufegen. 


Dairiſche Yalatinate. 


Dben wurde erzählt, daß der Arnulfide Arnulf IT., welchen König 
Dtto I. zum Pfalzgrafen über Baiern beftelt und zugleich feinem Bruder, 
dem Herzoge Heinrich I., entgegengefegt hatte, 954 im Kampfe vor Regend- 
burg fiel, und daß nunmehr laut Widukind's Zeugniß ein Etrafgericht über 
die Schuldigen, namentlich über die Familie des erfchlagenen Pfalzgrafen 
erging. Die Ehronif von St. Emmeram meldet) (wahrſcheinlich irrthüms 
ih) zum Jahre 951: Berthold, der Sohn Arnulf, ſei aus Baiern vers 


!) Ibid. S. 414. N) Daſ. ©. 462. 2) Dal. ©. 593. *) Lamberti anna- 
es ad a. 1056. Per V, 158. 6) Berk L 9. 


380 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalier. 


bannt worden. Da die nämliche Ehronif unmittelbar vorher die große 
Ungarnſchlacht zu erwähnen fcheint, welche erft 955 ftattfand, drängt 
fi die Vermuthung auf, der Mönd habe in Bezug auf erfteres Ereignif 
ein unrichtiged Jahr genannt, und die von ihm gemeldete Verbannung Ber; 
thold’8 müfje entweder, gemäß der Angabe Widukind's, in's Jahr 954, ober 
in das folgende verfeßt werden. War erftered der Fall, Dann muß man 
annehmen, daß der verbannte Berthold mit den ungarifchen Raubichaaren 
955 in die Heimath zurüdfehrte, um fein eigened Vaterland zu befämpfen; 
denn laut der Ausfage‘) Gerhard's hat Berthold, Arnulf's Sohn, fun 
vor der Schlacht auf dem Lechfeld, die Aufftellung des deutſchen Heeres 
dem Häuptling der Ungarn verrathen. 

Noch einmal fommt Berthold, Arnulf's Sohn, in einer Urkunde‘) 
des Kaiſers Otto I. vom Jahre 976 vor, wo es heißt: verfelbe habe 
früher, da er noch in Gunſten bei Otto I. fand, alfo vor 954, das Gut 
Wiſchelburg an ein Klofter verfchent. Wer wird irgend zweifeln, daß 
nad den Scenen von 954 und 955 die Rolle der Söhne des Pfalzgrafen 
Amulf II. für immer in Baiern zu Ende gewefen fei! 

König Otto I. müßte ganz abfonderlide Anfälle von Empfindſamleit, 
— ein Uebel, an dem ver Löwe mit nichten litt — gehabt haben, um Men 
hen, die feinem Haufe töbtlihen Haß geſchworen hatten, wieder in's Land 
zurüdgurufen und ruhig in Baiern Boden faffen zu lafjen. Defjenungeadtet 
wollen neuere und ältere bairifche Genealogen, ohne alle Beweife aus Ur: 
funden und Ehronifen, das Haus Scheiern Wittelöbad von einem voraus 
geſetzten Sohne Berthold's IL. ableiten. Ich werde hierauf unten zurüd: 
fommen. 

Nach Verbannung des pfalzgräflichen Zweige der Arnulfiden ging bas 
Palatinat, oder vielmehr ein Stüd defjelben, an Hartwig über, der in einer 
oberbairifchen Urkunde vom Jahre 978 den Titel Pfalzgraf empfängt’) 
Um diefelbe Zeit kommt ein Graf Hartwig vor, der im Chiemgau, Iſen⸗ 
gau und in Kämthen begütert if.) Die Vermuthung, daß beide eine 
Perſon ſeien, mit andern Worten, daß Hartwig neben dem Palatinat auch 
eine oder die andere Grafichaft befaß, hat nichts wider fih, Alles für fid. 
Ein halbes Menfchenalter etwa fpäter tritt in Baiern ein Pfalzgraf Aribo 
auf, der zu den gefeiertften Männern feiner Zeit gehört. Ekkehard, Abt von 
Aurach berichtet:*) „in den Sahren 1102 und 1104 ftarben zwei Greiſe, 
die während ihres Fräftigen Alters die Welt mit dem Rufe ihrer Ihaten 
erfüllt hatten: Aribo, ehemals Pfalzgraf in Baiern, und deſſen Bruber 
Boto, beide Söhne des Pfalzgrafen Hartwig und Nachkommen jenes be 


1) Bers IV, 401 unten flg. 2) Monum. boic. XI, 439. 2) Buchner, Geſchichte 
Baierns, Docum. ad III, S. 28 Nr. 169. *) Pertz VI, 224 u. 225, 


Erſtes Bud. Gap. 12. Baiern. MWechfelnde Groͤße des Landes. 381 


ühmten Aribo, deſſen Andenken noch heute das Volkslied feiert, und ber 
mf der Jagd von einem Auerftier umgebradht ward.” Wir haben alfo bier 
inen Aribo, der zwei Enfel oder Urenfel, Aribo und Boto hinterließ, von 
enen der erftere Pfalzgraf in Baiern geweſen if. Bekleidete nicht auch 
er Ahn, unfer Aribo, das gleihe Amt? Gewiß. 

Kraft Bulle ') vom April 999 beftätigte Pabſt Sylveſter II. Beſitz, 
Sreiheiten und Rechte ded neuen Benediktiner-Klofterd Seon, welches Graf 
Aribo auf einer Fleinen Infel des eben genannten, zwiſchen Traunftein und 
Bafferburg am Yuße des bairifchen Gebirge gelegenen, See's, gegründet 
yatte. Die Bulle nennt ihn nur Graf, aber im Todtenbuch von Seon 
vird der Etifter des Kloſters als Pfalzgraf bezeichnet.) Da er nämlid 
eben dem Palatinat auch eine oder gar mehrere Grafichaften inne hatte, 
onnte man ihm nad) Belieben den einen oder den andern Titel geben. 

Was wir an fo vielen andern Beilpielen nachgewieſen haben, geſchah 
iuch hier: Klofter Seon blieb Yamilienftift, und diente zugleih dem pfalz⸗ 
jäflihen Haufe ald Erbbegräbnig. Da das bairiihe Palatinat feitdem, 
vie wir fogleich zeigen werden, fih in Aribo’® Fumilie vom Vater auf 
ven Sohn vererbte, liegt die Vermuthung nahe, dieß dürfte jchon vorher 
er Hall, mit anden Worten, Aribo dürfte ein Sohn des erftgenannten 
Pfalzgrafen Hartwig gewejen fein. 

Das Jahr, in welchem Pfalzgraf Aribo den Stößen des Auerftiers 
rlag, wird von den Duellen nicht angegeben. Weil aber urfundlih von 
hm nad) dem Anfang des 11. Jahrhundertd nirgends mehr die Rede ift, 
heint er um 1000 geftorben zu fein. Vermählt war er mit Adela’), 
nd aus diefer Ehe hinterließ er, außer mehreren Töchtern, eine Reihe 
Söhne, worunter Hartwig,”) Cadeloh,“ Artbo, Euno,*) Yriederid,.°) 

Einer diefer Söhne Aribo's, der nämlich, welcher den gleihen Ramen 
nit dem Vater trug, trat in den geiftlihen Stand und erlangte die höchfte 
Rirchenmwürde Germaniens: er wurde nämlih 1021 auf den Mainzer Erzs 
tuhl erhoben.®) Zwei andere, Friederich und Cadeloh, fcheinen bloße Grafen 
zeweſen zu fein; aber die zwei weiteren, Hartwig II. und @uno, werden 
on den Quellen unzweifelhaft ald Palatine bezeichnet.) Man fieht das 





°ı) Monum. boica II, 123. 2) Ibid. ©. 158: Aribo comes palatinus, fundator hu- 
us loci. 3) Monum. boic. II, 162. *) Monum. boic. II, 159. ) Ekkehardi 
‚hronic. ad a. 1104. Perg VI, 226 oben. 6) Sfrörer, Kirch. Seh. IV, 127. 
) ®erg VI, 225: Aerbo et Boto, Hartwici comitis palatini filil. Urkunde vom 
Zahre 1025 bei Meichelbed, hist. frising. I, 220. Hartwic comes palatinus. Perꝶ VI, 205 
'ad annum 1081): occisus est Cuono, filius palatini comitis Cuononis. Urfunde von 1050 
n den monum. boic. VI, 163: Cuono aulicus praeses. Urkunde vom Jahre 1073 ibid, 
, 352; memoria Cunonis palatini. 


382 Pabſt Gregorius VE. und fein Zeitalter. 


her, dag Abt Effehard mit gutem Fuge das pfalzgräflihe Haus eines ver 
edeliten in Baiern nennt. 

Auch in der nächſten Geſchlechtsfolge nahm der Glanz nicht ab; Hart 
wig II vermählte fih mit einer Jungfrau von vornehmem fächfiichen Blut, 
Friderun, deren Geſchlecht Effeharb auf den alten Sachfenherzog Wittufind 
zurüdführt.) Das Todesjahr Hartwig's II. ift nicht befannt, a mag um 
die Mitte des 11. Jahrhunderts geftorben jein. Aus der Ehe mit ride 
run hinterließ er zwei Söhne, Boto und Aribo IL, die fi) beide durch 
Waffenthaten auszeichneten. Boto erfüllte die Welt mit feinem Ruhme; 
er ift derjelbe, der 1061 in dem Kampfe gegen die Ungarn, von weldem 
jpäter Die Rede jein wird, eine viel bewunderte Tapferkeit bewährte. Ber 
heirathet war er mit Jubith, einer Tochter Otto's von Schweinfurt, des 
Herzogs von Alamannien, und zeugte mit ihr eine Erbin Adelheid, die fpäter 
fib mit einem niederländiſchen Großen vermählte.) Aus zwei Urkunden’) 
von 1070—1094 geht hervor, daß er feinen Wohnfig auf dem Schloß 
Bottenftein im bairifchen Franken zwilchen Heeröbrud und Forchheim hatte, 
und das Klofter Theres am Main mit Gütern gegen die Bedingung aus 
ftattete, Die dortige Kirche jolle jeine Grabftätte fein. Boto flarb, wie wir 
wifjen, ohne männliche Nachkommen im Jahre 1104 und wirklich meldet‘) 
Abt Effchard, daß feine Leiche in Theres beigefeßt ward. 

Boto's Bruder, Aribo, hauste*) auf einem Schloffe zu Haigermoos 
(im Salzburggau) und fcheint unvermählt geblieben zu fein. Daß er die 
Pfalzgr fenwürde in Baiern, ohne Zweifel als Erbichaft feines Waters, 
bekleidet hat, erhellt aus dem Zeugniffe des Abts Ekkehard. Aber die 
Worte, die der Ehronift braucht, lauten?) jo, ald ob Aribo IL nur ein 
Zeit lang Palatin gewejen jei, und nachher dieſes Amt verloren oder nie 
dergelegt habe. 

Wenden wir und zum Oheim ver beiden eben geſchilderten Brüder, 
dem Pfalzgrafen Cuno, Eohn Aribo's L Er muß vor 1086 und wahr 
fcheinlich geraume Zeit vorher geftorben fein, denn die Wittwe feines gleich—⸗ 
namigen Sohnes macht im genannten Jahre eine Stiftung °) zum Helle 
der abgeichiedenen Seelen ihres erften Gemahld Cuno II. und feines Vaters 
Cuno I. Diefer jüngere Cuno war nämlich mit Elifabeth vermählt, deren 
Geſchlecht nicht fiber befannt if. Als Orte, an denen er jeinen Wohnſiß 


— — — —— — 


‘) Pertz VI, 226 u. 227. ?) Annal. Saxo, ad a. 1036. Pertz VL 679. ) No- 
num. boica IH, 248 oben und Ussermann, episcop. wirceburg. probat. Nr. 26 ftatt Ho- 
nonis ducis muß Cunonis gelefen werden. Juditha war nämlich in erſter She mit dem 
Herzog Cuno von Baiern aud dem pfalzgräflicden Haufe bei Rhein vermäplt gemefen : 
unter dem andern Herzog Dtto ift ihr Vater gemeint. *) Berg VI, 224: Aerbo, 
guondam in Bajoaria palatinus comes. *) Die Urfunde, angeführt von Buchner, 
bair. Geſch. Dofumente zum 3. Band Nr. 80. 


Erſtes Bud. Gap. 12. Baiern. Wechſelnde Eröße des Landes. 383 


tte, erſcheinen Vohburg, öftlih von Ingolftabt an der Donau gelegen, 
d Kelheim, wahrjcheinlich eine alte Reihöpfalz, weiter unten am gleichen 
trome beim Einflujje der Altmühl. Nach erfterer Burg erhielt @uno IL, 
e wir fogleich fehen werden, feinen Beinamen. Den andern Ort ver 
bte‘) Cuno's Wittwe, Elifabeth, um 1099 zum Heil der Seele des Abs 
ihiedenen an ein Klofter. 

Bei Ausbruch des Bürgerkriegs ergriff der jüngere Cuno Parthei für 
: Sade des Könige, und ward für ihn fechtend 1081 in dem Treffen 
| Hodftänt an der Donau erjchlagen. Abt Effehard meldet ?) dieß mit 
n Worten: „Cuno, Sohn des Pfalsgrafen Cuno, fiel bei Hochſtädt.“ 
ie Ehronit von Petershaujen fügt’) einige nähere Umftänvde bei: „der 
ne Herzog von Schwaben Friedrich (der Hohenftaufe) und Pfalzgraf 
mo von Bohburg bejegten mit andern Partheigängern des Königs ges 
fe Feſtungen in Baiern, und rüdten von da auf Donauwörth. In der 
ähe dieſes Städtchens ftießen fie auf den Gegenkönig Herrmann, und es 
m fofort zur Schlacht, in welcher Pfalzgraf Ehuno von Bohburg blieb.“ 
ıno II. hinterlich aus feiner Ehe mit Elijubeth Feine Kinder. 

Noch zur Zeit, da Euno II., und wahrjcheinlih auch noch deſſen Vater 
mo 1., lebte, gab es neben ihnen und ihrem Veiter Aribo cin drittes 
ılzgräfliches Haus in Baiern, das der Rapoto. In Urkunden‘) aus der 
reiten Hälfte des 11. Jahrhundertd wird ein Graf Rapoto von Kamb 
m Regen unweit dem böhmiſchen Gebirge) und ein Graf Rapoto von 
öthelberg erwähnt. Wahrjcheinlih dem gleichen Geſchlechte gehörte ver 
irifche Pfalzgraf an, der feit 1070 zum Vorfchein fommt. Cosmas, der 
tefte ezecbiiche Geichichtichreiber, berichtet °) zum Jahre 1072: „Herzog 
zratislaw von Böhmen hatte den Entſchluß gefaßt, in Saden der Ers 
htung des Bisthumd Dlmüg eine Gefandtihaft nah Rom zu fchiden. 
amit jeine Abgeordnete die Reife ungehindert machen könnten, erfuchte er 
n Pfalggrafen der deutichen Krone, Rapoto, um ficheres Geleit. Diefer 
falggraf war nämlich ein jo mädtiger Mann, daß er bis nad Rom hin 
n Station zu Station eigene Dörfer und Landgüter und überall Burgen 
ſaß, in denen feine Soldaten lagen; auch bezoy Rapoto vom böhmijchen 
erzoge als Jahrsgehalt hundert und fünfzig Marf Silber.” Das Elingt 
ifih etwas unglaublih: denn obgleih Rapoto und fein gleichnamiger 
ohn, wie wir jogleidh fehen werden, unzweifelhaft ald Männer daftehen, 
elche einen hohen Rang unter den Fürften des Reihe einnahmen, müßten 


) Die Urkunde daf. IV. Band, Tert ©. 281 Nr. 71. 3) Berk VI, 205 oben. 
Bei Ussermann, Germaniae sacrae prodrom. I, 339 flg. *) Buchner IV, 280 und 
mum. boic. III, 246. 8) Chronic. II, 29. ®erk IX, 86. 


384 Pabſt Eregorius VIL umd fein Seitalter. 


beide in der deutſchen Geſchichte eine ganz andere Rolle jpielen, wenn all 
jene Herrlichfeiten ihr Eigenthum gewejen wären. 

Eine fleine, fih von felbft aufprängende, Unterſcheidung hilft aus ver 
Schwierigfeit heraus. Cosmas hat in einer Bezichung Medht: ich zweiſle 
nicht, daß Pfalzgraf Rapoto, wenn er eine Reife nad Rom machen wollte, 
jeden Abend und jeden Mittag Dörfer, Landgüter und Burgen fand, an 
deren Thore er als gebietender Herr anpochen konnte, ich zweifle nicht, 
dag überall auf feinem Wege Bejagungen lagen, die von ihm Befehle an 
nahmen. ber diefe Burgen, Dörfer und Städte gehörten nicht ibm, ſon⸗ 
dern dem deutſchen Kaiſer oder König, ftanden jedoch allerdings unter 
Rapoto's oberfter Verwaltung. Es ift das Palatinat Rapoto’s, das Cos⸗ 
mas bejchreibt, nicht deſſen Allod; und da Rapoto, mit einem jolchen Amte 
betraut, großen Einfluß beſaß, will ich keineswegs in Abrede ftellen, daf 
der Herzog von Böhmen den mächtigen Mann durch einen jehr bedeutenden 
Jahrsgehalt in fein Interefje zu ziehen fuchte. Eine Urkunde‘) des Königs 
Heinrih IV. vom Jahre 1075 enthält unter andern Zeugen auch ben Ra 
men des Pfahgrafen Rapoto. Kaum kann ein anderer gemeint fein, ald 
der, den Cosmas aufführt. 

Die Laufbahn des mächtigen Pfalzgrafen neigte fi bald darauf zu 
Ente. Bruno, der Geichichtichreiber des Sachſenkriegs, erzählt?) über bie 
Schlacht, die im Jahre 1080 an der Eifter geliefert warb, folgendes: 
„als eben vie Biſchöfe von der Parthei Heinrich's IV. den Siegsgeſang 
„Herr Gott dic loben wir“ anftimmten, wurde die Leiche Rapoto’s, eines 
der erften Fürften des Reichs, herbeigebraht.”" Das paßt abermals mur 
auf den Rapoto ded Cosmas. Wer wird glauben, daß es am Hofe des 
Königs zwei völlig verjchiedene Reichsfürſten gab, die der Beſchreibung 
Bruno's und ded czechiſchen Chroniften entſprechen! Pfalzgraf Rapoto if 
aljo 1080 geftorben. 

Aber in feine Stelle rüdte ein anderer Rapoto ein, der fo wie de 
erftere Pfalzgraf genannt wird, der gleich dem erfteren überwiegendes Au 
fehen bejaß, und die Sache des Königs entichloffen verfodht. Diefer zweite 
Rapoto kann nur der Sohn des vorigen fein. Das nächſte, was wir 
von ihm wiljen, ift eine Helrath. uno, der Jüngere, wie oben gezeigt 
worden, 1081 bei Hochſtädt gefallen, hatte eine Wittwe, Elifabeth, hinter: 
lafjen. Eben dieſe ehelichte Rapoto II. und zugleich ging durch dieſe Ber: 
bindung das Schloß Vohburg, Cuno's II. Wohnſitz, in den Beſitz Rapo⸗ 
to's 11. über. Mittelft Urfunde ’) vom Mai 1086 vergabt Elifaberh mit 
Zuftimnung ihres zweiten Gemahls, Rapoto, gewiſſe Güter für das Seelen 


1) Schöpflin, hist. zaring. bad. IV, 22. ?) Berk V, 380. 3) Buchner, a. a. 
D. Dokum. zu Bud 3, ©. 11, Nr. 80. u. 81. 


Erſtes Buch. ap. 12. Baiern. Wechſelnde Größe des Landes. 9385 


heil Euno’d des Pfalzgrafen und feines Sohns uno, ihres erften Mannes. 
Kraft einer andern Urkunde ') vom Juli 1090 findet auf Schloß Voh⸗ 
burg, in Anwejenheit Rapoto's und jeiner Gemahlin Elifabeth, ein Güter- 
taufch ftatt. 

Die Pfalzgrafenwürde befleivete er mit gleihem Glanze wie fein Vor⸗ 
gänger. In einer Urkunde?) Kaifer Heinrih’8 IV. vom 27. April 1086 
wird er als ein Fürft qufgeführt, der den nächften Rang nad) den Her: 
zogen bat. Im Jahre 1091 geleitete‘) er die neu ernannten Biſchöfe 
Cosmas von Prag und Andreas von Olmütz nad Mantua zu Kaifer 
Heinrich IV., und führte fie fpäter von da wieder nah Haufe. Im Jahr 
1094 bewirfte er durch feine Empfehlung, daß die nämlihen Bifchöfe zu 
Mainz die Weihe empfiengen.*) Mehr und mehr fteigt jein Einfluß: er 
gilt als Haupt und Führer der ganzen Faiferlihen Parthei, als gefährlid- 
fer Gegner der Kirche. Seinen Tod meldet’) Bernold mit den Worten: 
„im Frühling 1099 ftarb Pfalzgraf Rapoto von Baiern, der hartnädigite 
Begünftiger ja das Haupt aller Derer, welche dem apoftolifchen Stuhl und 
der Einheit der Fatholiihen Kirche trogten.” Abt Effehard fügt‘) einige 
wichtige Nebenumftände bei: „eine Seuche, die zu Regensburg ausbrach, 
raffte außer vielen Menſchen niederen Ranges zwei Magnaten des Hof, 
den Pfalzgrafen Rapoto und deſſen Vetter, den Grafen Ulrih weg, 
der den Beinamen des Vielreihen führte.“ 

Ich denke, Graf Ulrih werde feinen Vetter, Rapoto IL, in deſſen 
befchwerlicher Amtsführung unterftügt und bei biefen Geſchäften einen Theil 
feines großen Vermögens erworben haben. Jedenfalls ift gewiß, daß Ras 
poto's II. gleichnamiger Vater, Rapoto I., einen Bruder hatte, deijen 
Sohn der vielreihe Ulrih war. Der nämlihe Graf Ulrich Hinterlich eine 
Tochter, Uta, auf welche jest das ganze Erbe des Haufes, d. h. nicht nur 
Allod, fondern auch Lehen, überging. 

Die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts abgefaßte Gejchichte 
der Stiftung ded Klofterd Baumburg, gelegen auf einem hohen Berge am 
Zufammenfluffe der A und Traun unweit Chiemfee, berichtet”) Folgendes: 
„in Baiern hauste ein erlauchter Graf, uno von Frontenhaufen genannt, 
der hatte eine Tochter von jo wunderbarer Schönheit, daß der Water zu 
feinem Entichluffe kommen fonnte, wen er fie zum Weibe geben folle. 
Aber während Graf Euno hin- und herſchwankte, knüpfte die Tochter ein 
Liebeöverhältnig mit einem benachbarten Grafen, Marfwart, an, der, da 





— — 


1) Buchner, a. a. O. 2) Cosmae chronic. Il, 37. Berk IX, 92. 3) Ibid. ©. 
100. *) Ibid. ©. 103. 5) Verb V, 466. °) Berk VI, 218: duo magnates, 
Rapoto palatinus comes et patruelis ejus Udalricus comes, quem multum divitem dice- 
bant. ?) Monum. boic. II, 173 flg. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vo. Bd. I. 25 


386 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


der Vater die Einwilligung verweigerte, Adelheid entführte und auf ſein 
Schloß Markwartjtein brachte, wo er fid mit ihr trauen ließ. “Darüber 
gerietb) Graf Euno in heftigen Zorn und enterbte feine Tochter; auch dem 
Entführer ging es ſchlecht, denn feine unehlichen Söhne, die er mit einer 
Beiichläferin erzeugt hatte, lauerten ihm, erbittert über dic Verdrängung 
ihrer Mutter, auf, und brachten ihn eine tödtlihe Wunde bei.“ 

Markwart ftarb, nachdem er die junge Gemahlin zur Erbin feines 
Vermögens eingejegt hatte. Adelheid aber heirathete nun einen Andem, 
nämlich den Grafen Uri von Paſſau,) der, wie der Mönd von Baum⸗ 
burg jagt, ein gar mächtiger und reicher Herr war, auch deßhalb den Beis 
namen „der Vielreiche“ erhielt.) Ulrich zeugte mit Adelheid eine einzige 
Tochter Namens Uta, welde nachher mit Engelbert von Kraiburg ver 
maͤhlt ward. 

Nun eben diefer Engelbert empfängt in einer Regensburger Urkunde’) 
vom Jahr 1107 den Titel Pfalggraf. Er ift aljo nicht bloß feinem Schwie⸗ 
gervater im Allod, jondern auch den Kapotonen im Palatinat gefolgt. 
Doc behielt er letered nur bi gegen 1110; denn nunmehr brachte, wie 
jpäter gezeigt werden joll, das aufitrebende Haus der Scheiern⸗Wittelsbach 
die bairiihe Pfalz an ſich. 

Jetzt find wir im Stande ein Gejfammturtheil über das bairiihe Pr 
fatinat zu fällen. So viele Pfalggrafen werden zu gleicher Zeit genannt, 
daß es nothwendig mehre Pfalgbezirfe neben einander gegeben haben muß. 
Die Orte, wo die einzelnen Palatine figen, helfen dazu, die verfchiedenen 
Bezirke zu unterjcheiden. Hartwig I. und Aribo L haufen um Salzburg 
und Scon, Aribo U. wohnt zu Haigermoos in derjelben Gegend. Das 
deutet darauf hin, daß ihnen das benachbarte Kärnthen zugetheilt geweien 
fein dürfte. Und wirfli war dem fo. Durch Urkunde!) vom 28. April 
980 ſchenkte Kaijer Otto feinem gleichnamigen Better, dem Herzoge Otte 
von Kärnthen, gewilje Güter, gelegen in pago Karintriche in regimine ac 
comitatu Hartwigi comitis. Sichtlich bezeichnet dad Wort regimen etwas 
Anderes ald comitatus: nur ein Pfalzbezirf fann gemeint jein. Deßgleichen 
jagt Abt Effchard von Aribo II., er jei ein edler Fürſt in Kärnthen und 
Pfalzgraf in Baiern gewejen.) Das heißt meined Erachtens: die Kam 
mergüter, die er verwaltete, und die ihm hohes Anſehen verfchafften, lagen 


— — — — — 


1) Comes de Pactaria. Ich verſtehe mit Buchner (bair. Geſch. IV, 86) Oberhand, 
die alte Befte von Baflau, darunter. *) Ita ut vulgo Vilrich appellaretur, die wort: 
liche Ueberfeßung bed von Gffeharb gebrauchten Ausdrucks multum dives. 3) Ried, 
cod. diplom. rat. I, S. 170 Nr. 182: testis palatinus comes Engilbertus *) Monum. 
boic. XXVUI, 231 Mr. 155. °) Berg VI, 224: Aerbo nobilis de Carinthia princeps, 
et quondam palatinus in Bajoaria comes. 


Erſtes Buch. Cap. 12. Baiern. Wechfelnde Eröße des Landes. 387 


in Kaͤrnthen, obgleich fein Palatinat jelbft als ein bairiiches betrachtet 
wurde. 

Als MWohnfig des Pfalggrafen @uno IT. erfcheint die an der Donau 
gelegene Stadt Bohburg, von welder auch fein Balatinat ven Ramen 
empfing. Bermuthlih hat diefer Cuno in den auf dem linken Ufer der Dos 
nau gelegenen, urjprünglich fränfiichen, aber feit 947 mit Baiern verbuns 
denen, Strihen geamtet. Denn ein eigenes Palatinat muß dort beftanden 
haben, da ja, während alle andern älteren Pfalgbezirfe längft vergefien 
find, nur zwei Landfchaften, die eine am mittleren Rheine, die andere auf 
der Weftieite des Böhmerwalds, die Bezeichnung Pfalz (obere und untere _ 
Pfalz) bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Im eigentlichen Baiern 
wird wohl irgend einer der übrigen Nachkommen Hartwig's I, oder ein 
anderer hoher Beamter, Pfalzgraf geweſen fein. 

Nicht ebenfo verhält es fi mit dem Palatinat der Rapotone. Die 
oben angeführten Worte des Czechen Cosmas laſſen feinen Zweifel darüber 
zu, daß Rapoto I. Borftand einer Oberpfalgbehörde war. Ein Einzelner fann 
nicht die Kammergüter weit gebehnter Landftriche, die von Böhmen bis zur 
Stadt Rom reichen, verwalten, wohl aber kann er Unterbehörden übers 
wacden, welche Fleineren Rentbezirfen vorgejegt find. Man wird vielleicht 
einwenden, der Gedanfe, der eben ausgeſprochen worden, klinge gar zu 
neumodijch, um für wahr zu gelten. Ich entgegne: ſchon vor Heinrich's IV. 
Zeiten beftand ein oberfted Schagamt. Denn Bonizo, einer der am beiten 
unterrichteten Zeugen des 11. Jahrhunderts, fagt‘) aus: „Biſchof Gebehard 
von Eichftätt” — derjelbe, welcher nad Leo's IX. Tode 1055 unter dem 
Ramen Viktor II. Petri Stuhl beftieg, — „ſei Schagfanzler des Kaiferd Hein- 
rich III. geweſen.“ Noch ein zweiter Schriftfteller von gleihem Gewicht 
fimmt bei, obwohl nur verdedt: ich meine den Ehroniften von Montes 
Eaifino, Leo, welcher behauptet,” „daß Biſchof Gebehard nicht nur der 
ſchlauſte, jondern auch nädft dem Kaiſer der reichfte Mann durdy ganz 
Germanien war.” Folglich muß Gebehard erftlich ein jehr hohes Yinanz- 
amt befleivet, und zweitens ſich daſſelbe zu Rute gemacht haben. 

Mer nichts von Gefchichte verfteht, der betrachtet das Mittelalter wie 
eine Fata morgana. Aber in dem Maße, wie man in den Kem jener 
Zeiten eindringt, ftellt fid heraus, daß Menſchen und Dinge, mit Auss 
nahme gewiſſer wechfelnder Formen, diefelben waren, wie heute nod. Nas 
mentlih haben Yinanzfragen unter den Kaijern Heinrih III. und Heins 
rih IV. eine große Rolle gejpielt. Zugleich wird jest begreiflih, warım 


— — — — — 


1) Oefele, script. boic. II, 804 a. unten. Gebehardus episcopus, ooconomus impera- 
toris. ?) Verb VII, 686 unten fly. erat post imperatorem potentior et ditior cunctis 
in reguo. 


25° 


388 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


ein Sherpfalggraf ded Reichs erft in den Tagen der Volljährigkeit Hein 
rih’8 IV. zum Vorſchein fommt. Die Bormünder hüteten ſich, denke id, 
das Amt Gebehard's zu erneuern, das jchlimm mißbraucht werben fonnte; 
Heinrih IV. dagegen ahmte, jobald er mündig und felbftändig geworben, 
die Vorbilder jeined Vaters nad). 

Laut den oben entwidelten Thatfachen waren die verjchiedenen baltis 
chen Pfalzämter entweder jchon erblich, oder im Zuge es zu werden. Mehr⸗ 
fah gehen fie vom Vater auf den Eohn über, ja an jenen Engelbat 
gelangte das Palatinat als Kunfellchen. Sodann fanden wir die bain⸗ 
ſchen Pfalzgrafen unter allen Umftänden auf Eeiten des Hofes. Obgleiqh 
dem ungarijchen Feldzuge von 1061, wie fpäter gezeigt werten joll, bie 
öffentliche Meinung der Nation widerftrebte, rüdte gleihwohl der Praly 
grafenjohn Boto bereitwillig in’d Feld, und errang in Ungarn durch jeine 
Tapferkeit hohen Ruhm.‘) Epäter, nachdem der Bürgerkrieg ausgebroden, 


fehten und fallen Cuno I. und Rapoto I. in des Königs Dienft, und Ru | 
poto IT. wird Haupt und Führer der Gibellinen genannt. Dieß ift in der 


Ordnung. Hätte der König in dem Kampfe mit den geijtlichen und welt 
lichen Ständen obgeſiegt, jo würden die Einkünfte der Kammer, und folg 
lich audy die Nutzungen der Bialggrafen, verzehnfacht worden jein, währen 
in Wirklichfeit durch die Niederlage, welche die Krone erlitt, faft alles 
Reichsgut verloren ging. 
Smmerhin gab es in andern Provinzen Pfalzgrafen, gegen welde ver 
König Verdacht gehegt haben muß, daß fie zur Partei der Kirche hinübermeigen. 
rüber?) wurde gezeigt, daß die Manegolde von Dillingen das Pfalggrafenamt 
r Schwaben befleideten. Dennoch ftanden in Alamannien gelegene Orte 
unter Verwaltung des bairiſchen Pfalggrafen Cuno IL Durch Urkunde‘) vom 
Auguft 1079 vergabte König Heinri IV. das im Breisgau, im Pala; 
tinat Euno’s, gelegene Dorf Beringen an das bairische Klofter Altaid. 
Bürgerkrieg tobte damald durch das ganze Reich. Weil nun Heinrid IV. 
den Manegolden als Kirchenfreunden mißtraute, hat er, jo jcheint ed, den 
Vohburger Cuno die Auffiht über die Breisgauiſchen Kronhöfe anvertraut. 
Im Uebrigen bereicyerten fi) die bairiſchen PBalatine in gleicher Weite, wie 
die der andern Provinzen, und awar nicht blos auf rechtlichen, fondern auch 
auf unrchhtlihen Wegen. Echwerlid hat Rapoto L den Jahrsgehalt von 
150 Mark — eine für pamalige Zeiten bedeutende Summe — welde der 
Böhmenherzog an ihn bezahlte, mit Einwilligung des Kaiſers bezogen, fon 
dern dieſe Gefchenfe waren allem Anjcheine nach der Preis für geheime aber 
regelmäßige Dienfte, welche der Oberftpfalzgraf feinem herzoglichen Gönner 
leiſtete. Deßgleichen zweifle ih, ob die unermeßlihen Schätze, welde UL 


2) Berk VI, 226. ) Oben ©. 312. 2) Monum. boic. XI, 160. 


- — — 


Erſtes Buch. Gap. 13. Bairifche Marken, a) die vereinigte Rabburg-Bamberger. 380 


rih der Vielreihe zujammenbeutelte, ohne Verlegung des fiebten Gebote 
erworben worden find. 


Dreizehntes Lapitel. 


Bairiſche Marken, a) die vereinigte Nabburger und Bamberger Marke, Stammmutter ber 
Marten BohburgsKambe, Giengen, Banz. Das Haus Henneberg. 


Bon dem Marfgrafen Berthold ift nad den früher erzählten Begeben- 
heiten wenig mehr die Rede. Nicht einmal fein Todesjahr fennt man mit 
Sicherheit. Laut dem Todtenbuch) von Fuld farb im Jahre 980 ein 
Graf Berthold, unter welhem der gelehrte Effard”) unfern Marfgrafen 
verftcht. Andererfeitö meldet?) Lambert von Herdfeld, daß in der Sara- 
cenenſchlacht von 982, außer vielen andern Evelleuten, auch ein Berthold 
fiel. Einer von diefen beiden wird der fränfifch-bairifhe Markgraf geweſen 
fein. Berthold's Gemahlin hieß!) Eila, fonft auch Heilwinda genannt. 
Sie war die Tochter des fächfifchen Grafen Liuthar von Waldbek und über: 
lebte ihren Gemahl um viele Jahre; denn fie ftarb erft 1015 und wurde 
in einem Kloſter bearaben, das fie zu Schweinfurt gegründet hatte.*) 

Aus der Ehe mit ihr hinterließ er zwei Söhne, ven erftgeborenen 
Heinrih, gewöhnlich verkürzt Hezil oder Hezelo genannt, und Bucco oder 
Burdhard. Bon letzterem weiß man nichts, als daß er in des älteren 
Bruders Dienften ftand, und ihn als feinen Herrn ehrte.) Das deutet, 
meined Erachtens, auf ein von Berthold eingeführted Hausgeſetz der Be: 
vorzugung ded Aclteften hin. Allod und Lehen des Vaters erbte Hezelo; 
vermählt ) war er mit ©erberga, welche einen Bruder, Dtto, hatte,®) 
der allem Anjcheine nad in der Nähe von den Befigungen des marfgräf- 
lichen Haufe wohnte. Denn bei den Kämpfen zwilchen Hezelo und König 
Heinrich II., von denen fogleih die Rede fein wird, war er zugegen, ohne 
jevoh, wie es fcheint, das Schwert gegen Heinrich IT. zu ziehen. Nun 
werben in einer Urkunde“) des ebengenannten Könige vom 7. Mai 1007 
die Orte Meinungen, Meinunger Marfe, Walddorf erwähnt, als gelegen 
im fränfifhen Grabfeld im Comitat des Grafen Dtto. Sn der 
gleihen Gegend aber fommt”) feit 1037 ein Graf Poppo zum Vorſchein, 
der nad feiner Burg den Stammnamen Henneberg führt; mit diefem Poppo 
beginnt eine zujammenhängende Reihe des Hennebergiichen Geſchlechts. 
Nach dem Borgange anderer neuerer Hiftorifer, halte ich Otto für den Ahn- 





t) Leibnitz, script. brunsvic. III, 765. ?) Histor. principum Saxoniae, Vorrede 
©. 15. 2) Pers IIL, 65. *) Ibid. ©. 801 und Perk VL 669 Mitte. 6) Perg 
IL, 800 fie. 6) Böhmer, Regel. Nr. 1031. ‘) Ussermann, episcopat. Wirceburg. 
probat. Nr. 17 S. 18: Boppo comes de Heninberg testis, 


390 Pabſt Gregorius VL. und fein Zeitalter. | 


herren der Henneberg, und die Gemahlin des Marfgrafen Hezilo für eine 
Schweſter des hennebergifhen Stammvaters. 

Berthold, Hezilo’8 Vater, hatte ſich durch unbedingte Hingebung an 
das Haus der Ottonen emporgearbeitet; des Sohnes Ehrgeiz griff ned 
höher. Als Heinrich Il., nad Otto's III. Tode, fit um die Krone be 
warb, ) bot ihm Markgraf Hezilo feine Hilfe an, aber nur gegen einen 
hohen Preis: er verlangte nämlih, der neue König ſolle, ſobald er den 
Thron beftiegen, das Herzogthum Baiern an ihn abtreten. Im &ebränge 
gab Heinrich die gewünfcte Zufage, dachte aber nicht daran, Wort zu 
haften. Wirflich vertheidigte Hezilo Heinrih’8 IL. Recht wider die beiden 
Gegenfönige, Herrmann von Schwaben und Effihard von Meißen, forderte 
aber dann die Belehnung mit Baiern. Heinrich IT. brachte allerlei Aus— 
flüchte vor; mißvergnügt begleitete Hezilo den König auf den Reichstag 
nah Merfeburg. Hier verſchwor er fih mit dem Polenfönig Boleslaw 
Ehrobry, der eben Böhmen erobert hatte, und folglih von dorther dem 
Markgrafen die Hand reichen Fonnte. Auch mehrere einheimifche Große 
machten mit Hezilo gemeine Sache, namentlich fein Better Ernſt, Sohn 
des Marfgrafen Liutbold von Oftrih, und des Könige eigener Bruker, 
Bruno. 

Die Unzufriedenen griffen im Eommer 1003 zu den Waffen, aber 
der König fam ihnen zuvor, eroberte ſchnell die Hauptfeſtungen Hezilo's, 
Amerval, Kreufen, Kronach, Schweinfurt, nahm die Mutter und die Ge: 
mahlin des Marfgrafen gefangen. Auch Hezilo felber mußte fidh ergeben, 
ward ein Jahr lang auf dem Schloſſe Giebichenftein eingeiperrt, wo er 
durch Pialmenfingen und gute Werke feine Untreue büßte. Nah BVerfluß 
biefer Etrafzeit erlangte er Gnade und MWiedereinfegung in die Marfe, aber 
nicht ohne fchwere Opfer. Thietmar von Merjeburg jagt, ) ein großer 
Theil der Allodgüter wie der Lehen Hezilo's ſei eingezogen und zerftüdt 
worden. 

Man ficht, der gedemüthigte Markgraf erhielt das Erbe feines Vaters 
jehr verringert und gleichſam ausgehöhlt zurüd. Zunächſt müſſen wir er: 
mitteln, wie groß dafjelbe vor der Einbuße war. So ſchwierig die Auf: 
gabe jcheint, kann man fie ziemlich befriedigend löſen. Berthold befaß einft 
und hatte auf jeinen Eohn vererbt die Marke Nabburg, die mit der alten 
Megendburger Marke Carls des Großen zufammenfiel. Wie viel Hezilo auf 
diefer Seite verlor, d. b. wie vicle Lehen er dafelbft 1004 an die Föniglice 
Kammer abtreten mußte, vermag ich nicht zu beftimmen. Zweitens, behaupte 
ich, hatte Berthold zu der Nabburger Marke hin noch die alte Babenberger 


— — — — —— 


) Die Belege für dieß und das Folgende bei Gfrörer, K. G. IV, 28 flg. 2) Perk 
II, 802 oben: devastata omnis comitis proprietas et cum beneficio late divisa est. 


Erſtes Buch. Gap. 13. Bairiſche Marken, a) die vereinigte Rabburg- Bamberger. 391 


Stammmarfe erworben. Welche Gebiete umfaßte dieſelbe vor 100 Jahren, 
zu der Zeit al& die Babenberger, Berthold's Ahnen, in erfter Blüthe ftan- 
den? Einmal begriff fie das Land um Bamberg, denn dort lagen bie 
Schloͤſſer Babenberg und Theres, von wo aus Adalbert I. zu Anfang des 
10. Jahrhunderts jene Fehden gegen die Conradiner führte. Zweitens 
reichte ebendiefelbe um die angegebene Zeit gen Weften bis an den Speflart. 
Denn nachdem Adalbert I. den Conradiner Eberhard erichlagen, deſſen 
Bruder den Würzburger Biſchof Rudolf verjagt hatte, heißt‘) es, zwang 
er die Wittwe Eberharb’8 mit ihren Kindern über den Speffart hinüber zu 
fliehen. Er betrachtete aljo das Land von den Mainquellen bis zum ges 
nannten Waldgebirg ald fein Eigenthum. 

Wohlan, genau daſſelbe Gebiet befaßen Berthold, und vor 1003 aud 
deffen Sohn und Nachfolger Hezelo. Denn erftlih wiffen wir, daß Ber- 
thold urkundlich die Grafſchaft Volkfeld inne hatte, wo Bamberg?) Kros 
nad, Ereufen, There?) Tagen. Für's Zweite gibt?) ein tücdhtiger Zeuge 
zu verfichen, das Erbe Berthold's ſei in Hezelo’d Händen vor 1003 nicht 
gemindert, fondern im Gegentheil durch die Großmuth Heinrich's IL, fo 
lange diefer Herzog in Baiern war, gemehrt worden. Weiter gehörte zu 
der Marfe, welche Berthold und auch Hezelo vor 1003 verwalteten, das 
Gebiet von Volkfeld bis zum Speffart, alfo bis zu dem Walde, mit welchem 
vor hundert Jahren die Marfe der alten Babenberger endete. Denn ber 
Zeitgenoffe, welcher die Anfänge der Regierung Könige Heinrich II. be- 
fchrieb, wirft!) folgenden Sag hin: „nachdem Heinrih IL die Burgen 
Hezilo's gebrochen, ihn felbft aus dem Lande vertrieben hatte, feierte er 
Weihnachten zu Bamberg; dann ging er, um der Jagdluſt zu pflegen, nad) 
dem Speffartwald, der Francien (das rheiniſche oder weftlihe) von 
Baiern fcheidet.* 

Alfo Baiern reichte im Jahre 1003 bis an den Speffart, jedoch wohl 
verftanden, nicht das herzogliche, ſondern das marfgräflide Baiern. Denn 
Otto's I. Bruder, Heinrich I. ift 947 nicht ald Herzog, ſondern ald Marf- 
graf in den mainfränfishen Nachlaß des 938 erichlagenen Herzogs⸗Mark⸗ 
grafen Eberhard eingetreten;*) eben dieſes marfgräflic bairiſche Gebiet ever 
hatte König Otto I. nad Heinrichs I. Tode von dem berzoglihen Hute 
abgelöst und zu einer beſondern Marke geformt, welde um 976 in die 
Hände des Markgrafen Berthold kam.“) Nirgends wird in jenen Gegen- 
den eine andere Marke erwähnt, als eben die, welche Berthold und nad 
.ber jein Sohn Hezilo verwalteten. 





') Pertz I, 610. ) Man fehe die Urkunden bei Ussermann, episcop. bamberg. 
probat. Nr. 5 und 16. 2) Perg IV, 686 oben. *%) Ibid. S. 690 unten. ) Eiche 
oben ©. 363. 0) Daf. S. 369. 


392 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Man erficht jest, warum es nothwendig war, die Ueberſicht der Ge⸗ 
ſchichte Frankens und Baierns mit einem genauen Nachweis ver alten Ge 
bietseintheilungen zu eröffnen, denn nur auf diefer Grundlage können je 
wichtige, die Gefchichte beider Provinzen betreffende, Fragen gelöst werben. 
Die ehemalige Marfe ver Babenberger begriff, wie fih bald herausſtellen 
wird, den ganzen Würzburger Sprengel, und auch die neue zu Gunmſten 
Bertholds, des Abfümmlings der Babenberger, wiederhergeſtellte Marke hatte 
die nämlihen Gränzen. Ich hebe zunächſt nur einen Punkt hervor: ber 
Speſſart trennte den Würzburger Sprengel gegen Weſten vom Mainziſchen;) 
ebenderjelbe jchied aber auh, wie wir oben vernahmen, das rheintide 
Franfen vom marfgräflich-bairifhen oder von der Marfe Bertholds und 
Hezilo's. Folglich fielen die Gränzen des Hochſtifts Würzburg und der 
babenberger Marfe wenigftend nad einer Seite hin zufammen. 

Nah dem Schlage von 1003 erlitt Hezelo's Gebiet auf ber Linie 
von den Mainquellen zum Speflart ſchwere Einbuße. Die Erfahrung hatte 
den Beweis geliefert, daß Hezilo, ſtatt des Reiches Gränze gegen Böhmen 
zu fchirmen, wozu er eigentlich berufen war, ſich mit den ſlaviſchen Nach⸗ 
barn drüben verfhwor; und wenn die gleihe Macht feinem Haufe verblieb, 
fonnte man ohne prophetiihe Gabe vorausjehen, daß es Hezilo’8 Nachfol⸗ 
ger ebenfo treiben würden. Diefem verderblichen Spiele nun machte Ks 
nig Heinrich durch eine große Maßregel für immer ein Ende: er errichtete 
1007 auf dem Boden des Gaues Volkfeld einen neuen Stuhl. Die Bam: 
berger Biſchöfe haben feitdem nie mit den Czechen gemeine Sache wider 
das Reich gemacht, vielmehr befand ſich die germanifche Gränze nach dieſer 
Seite hin von nun an in zuverläßigen Händen. Die Gründung des Stuhle 
war daher ein Fluge8 Merk. Nun erhellt aus den Urkunden?) der Schen⸗ 
fungen, mit welchen Heinrih IL das neue Bisthum bedachte, daß in den 
Jahren 1007—1010 Dietmar Graf im Bolffelde war. Da aber Heilo 
unzweifelhaft, glei den andern Befigungen ſeines Vaters, auch das Comi⸗ 
tat im Volkfeld geerbt hatte, fo erfteht man, daß letzteres zu den Lehen 
gehörte, welde ihm laut Ausfage des Merjeburger Ehroniften in Yolge ber 
Eripörung von 1002 entzogen worden find. 

Nicht beffer erging es ihm bezüglich der Lehen, die im Würzburger 
Hoditift Tagen. Doc hier wirfte ein Dritter ein. Der marfgräflihe Nach⸗ 
bar zu Schweinfurt muß wie ein Alp auf dem Würzburger Stuhle gela 
ftet haben. Kaum fonnte e8 fehlen, daß fait tägliche Verwaltungsſtreitig⸗ 
feiten zwifchen dem Bilchofe und dem Marfgrafen entftanden. Der dama⸗ 
lige Bilhof von Würzburg — er hieß Heinrih und war ein überaus Flu- 


‘) Siehe die Karte. ?) Ussermann, episcop. bamberg. probat. Rt. 5 und 16. 


Erſtes Buch. Gap. 13.. Vairifche Marten, a) die vereinigte Nabburg⸗Bamberger. 393 


feiner Rachfolger Naden abzuwählen. So lange erhob er Schwierigfeiten 
gegen Gründung des Bamberger Stuhls — der, wie ich früher fagte, mit 
einem Stüde des Würzburger Sprengeld audgeftattet ward, — bis ihm 
König Heinrich IL. außerordentlihe Dinge zufagte. Und Heinrich IL. mußte 
Wort halten. Im Jahre 1018 ftellte er einen Freibrief‘) (vie magna 
charta Würzburg) aus, welche verfügte, daß hinfort im ganzen Dufate 
oder in den Grafſchaften des öftlihen Sranfens?) die Gericht- 
barfeit (fammt dein Rechte, Beeden, Vorſpann und Quartier zu fordern) 
über alle dem Hochftifte Würzburg pflichtige Inſaßen — jedoch mit Aus: 
nahme der Gemeinfreien, welche man Bargilden nennet — nur dem heil. 
Kilian, d. h. dem Biſchof von Würzburg zuftehen, und daß Fein Graf, 
kein Richter innerhalb der angegebenen Gränzen etwas zu entfcheiden oder 
zu verlangen haben jolle. 

Wie? gab ed damals ein eigentlihes und förmliches Herzogthum Oſt⸗ 
franfen? D nein, hievon weiß feine Quelle etwas; dennoch iſt das Wort 
mit gutem Bedachte gewählt. Biſchof Heinrich wollte jelber Herzog in Dft- 
franfen, d. 5. in feinem Sprengel werden, und er wurde ed aud. „Uns 
fer Metropolit Adalbert,” fchreibt *) Adam von Bremen, „eiferte dem Beis 
ipiele ded Würzburger Biſchofs nad, der in feinem Hochftifte zugleih Her: 
309 iſt.“ Sener Sag hat daher den geheimen Sinn: wenn auch biöher 
fein förmlidhes Herzogthum Oſtfranken beftand, jo werde ein ſolches nad) 
Ausfertigung des Freibriefd jchnell genug heranwachſen, und die Wahl des 
Ausdrucks diente dazu, das Auffeimen des neuen geiftlihen Fürſtenthums 
zu befördern. Immerhin fieht man, Daß die Urkunde nicht jo reden Fönnte, 
wie fie redet, wäre nicht in Oftfranfen früher eine Gewalt vorhanden ge: 
wefen, welche der herzoglichen gli; und wirflih gab es eine folche, welde 
berzogliche Befugniffe bejaß, aber doch unter einem fremden Herzoge ftand: 
das war die Marfgrafihaft Bertholds und Hezilo's. Unten werde idy zei: 
gen, daß fie in gewiffen Beziehungen dem Herzogthum Batern untergeord> 
net war. Der Freibrief von 1018 übertrug daher die herzoglihen Rechte, 
welche früher Marfgraf Hezilo und jeit 1003 wohl der König jelber durch 
feine Grafen im öftlihen Franfen oder im Umfreife ded Würzburger Epren- 
geld geübt hatte, an den dortigen Stuhl. Denn man fann nicht anneh⸗ 
men, daß Hezilo erft im Jahre 1018 das verlor, was jest der Bilchof 
erhielt, da laut der Ausfage Dietmard Allod und Lehen des Markgrafen 
nur im Jahre 1003 und dann nicht mehr beichnitten worden ift. 

Gemäß dem Wortlaute des Freibriefs, blieb den vom Sailer feit 
1018 eingefegten Grafen oder fonftigen Beamten blos die Gerichtöbarfeit 


1) Monum. boic. XXVIII, ©. 477 flg. Nr. 296. °) In toto ducatu vel cometlis 
orientalis Franciae. ?) Berk VIL 353 oben. 


3094 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


über die Gemeinfreien aus der Klaffe der Bargilden, deren Zahl jedoch, 
vergliben mit den halb oder ganz unfreien Stifte-Infaßen, faum in Be 
tracht fam. Denn felt den Zeiten Carld des Großen war die unenblice 
Mehrzahl der ftäntifchen und ländlichen Bevölferung den Großen, der Ari- 
ftofratie, unterthänig geworden. Ich ſehe in obigem Sage des Freibriefe, 
verbunden mit der Speffart:Gränze, einen ſtarken Beweis dafür, daß die 
Marke Hezilo’8 vor 1003 den ganzen Würzburger Sprengel begriff. 
Betreffend die andern Gränzen der Hezilonifhen Marke, gibt eine 
Erbtheilung Aufſchluß, welhe im Jahre 1057 ſtattfand. Markgraf 
Hezilo farb‘) den 18. Sept. 1017, aus der Ehe mit Gerberga mehrere 
Kinder, unter anderem eine Tochter Judith und einen Sohn Otto hinter: 
laſſend. Judith ehelichte den Böhmenherzog Bracislaw, und warb nad 
deffen Tode von dem eigenen Sohne Spitihnew, den fie in diefer Verbin: 
dung geboren, aus Böhmen vertrieben; worauf fie, um Rade an dem un- 
natürlichen Sohne zu nehmen, eine zmeite Ehe mit dem Könige Peter von 
Ungarn, dem Feinde des erfteren, eingieng.) Man fteht, wie ehrgeizig bas 
marfgräflihe Haus nad hohen Verbindungen ftrebte. Hezilo's Sohn, Otto, 
blieb hierin nicht hinter der Schwefter zurüd: er verlobte ſich 1035 mit 
Mathilde, der Tochter des verftorbenen Polenkönigs Boleslaw Chrobry: 
allein im folgenden Jahre verfammelte Kaifer Conrad TI. eine Synode zu 
Tribur, welche bie eingeleitete Verbindung als den Kirchengefehen wiber: 
firebend verbammte und auflöste.) Das deutiche Bisthum hat hiebei im 
Sinne des Staatswohles gehandelt. Run ehelichte Markgraf Otto eine 
Stalienerin, Irmengard, nad italifcher Zunge Emilia, die Tochter des 
Markgrafen Megenfred von Turin. Die politiiche Bedeutung des Hauled, 
in welches Otto heirathete, erhellt daraus, daß ver Schwabenherzog Her: 
mann IV., Sohn der Kaiſerin Gifela aus ihrer zweiten Ehe, eine Tochter 
aus demfelben Haufe zum Weibe nahm, ja daß auch Kaiſer Heinrich III. ſei- 
nen Sohn, den Thronfolger, mit Bertha, einer Nichte der Irmengard, verlobte.*) 
Markgraf Dtto hatte nach dem Tode feines Vaters die Marke über: 
nommen. Urkundlich“) wird er zum Jahre 1040 als Graf im Nordgau 
und in der Marfe Nabburg aufgeführt. Merkwürdig if, daß weder 
Dtto no fein Vater Hezilo einen Titel empfangen, ver beftimmt auf eine 
Marfe am Maine hinweist. Die Ehroniften nennen fie Marfgrafen in 
Baiern,‘) jehr häufig auch blos Grafen; außerdem heißen fowohl Heyil 
als Dtto nach ihrem gewöhnlichen Wohnfige Markgrafen von Schweinfurt.”) 





ı) Berk UI, 856. 2) Berk VI, 692 ad a. 1058, ) Gfroͤrer, K. ©. IV, 
289 fl. ) Idid. ©. 311 u. 617. _ °) Ried, cod. diplom. I, Nr. 159. °) Perg 
VI, 626 unten flg.: Henricus marchio in Bawaria. ?) Berk VI, 692 unten: marchio 
Henricus de Swinforde. Bezüglih Otto's fehe man bie von Stälin, württemb. Geſch. I, 
490 gefammelten Stellen. 


Erſtes Buch. Cap. 13. Bairifche Marken, a) die vereinigte Nabburgs Bamberger. 395 


Den Tod Hezilo’8 fchildernd, braucht Thietmar von ihm den Ausprud:‘) 
„Markgraf Heinrich, die Zierde Oſtfrankens.“ Da von ihren am Main 
gelegenen Gebietstheilen nirgends die Rede if, obgleich fie zu Schweinfurt 
ihren Sig hatten; da ihnen anderer Eeitd der Nordgau und bie Nabburger 
Marke urkundlich zugefchrieben wird, darf man, glaube ih, den Schluß 
giehen, daß ihre norbgauifchen Befitzungen — wenigftens ſeit den Ereig- 
niffen von 1003 — die übrigen bei Weitem übermwogen. 

Dtto von Schweinfurt wurde zulegt Herzog in Schwaben. Denn im 
Jahre 1048 belehnte ihn Kaifer Heinrich III. mit der, durch den Tod des 
Ezzoniden Otto erledigten, Fahne Alamanniend. Sowohl in dem neuen 
Wirkungskreiſe als in dem älteren muß er fein, durch den Schlag von 1003 
verringertes, Erbe anfehnlich vermehrt haben. Ein Mönd, der über die 
Wunderthaten der Kaiferin Adelheid ein Feines Büchlein fchrieb, berichtet?) 
folgendes: „ver jchwäbtiche Herzog Otto von Echweinfurt war fonft fein 
unrecdhter Herr, aber eine unerjättliche Begierde hatte er, felbft mit uner⸗ 
lanbten Mitteln und in der Weiſe des jüdiſchen Könige Ahab, ja der Kö- 
nigin Jezabel, durch Beraubung Armer feine ausgedehnten Güter zu ver- 
größern.” 

Diefer nämlihe Dtto ſtarb) im Sept. 1057, ohne Mannsftamm, 
dagegen hinterließ er fünf Töchter. Seitvem verfchwindet die chemalige bai- 
rifch-fränfifche Marke; an ihrer Statt aber fommen eine größere und zwei 
fleinere zum Vorſchein, die jedoch erſt geraume Zeit fpäter befondere Namen 
empfangen, aber erweislih auf dem Boden der älteren Bertholbiichen 
Marke emporgefproßt find. Faſt unmöglich ift «8, ihren Urfprung andere 
zu erklären, als durch die Annahme, daß fich die verheiratheten Töchter 
Otto's von Schweinfurt in den fränfiihen Nachlaß ihres Vaters getheilt 
haben. Der fächfiihe Annalift gibt zwar Aufſchluß über diefe Erbtöchter, 
aber leider Feinen genügenden. „Sie hießen,” jagt‘) er, „Eilifa, Judith, 
Beatrir, Gifela, Bertha. Die erftgenannte, Eilifa, ging ins Kloſter und 
wurde Aebtiffin. Die zweite, Juditha, vermählte ſich erft mit dem Herzoge 
Euno von Baiern, dann nad deffen Tode mit Bobo, und gebar in zweiter 
Ehe eine Tochter Adelheid. Die dritte, Beatrir, nabm den Marfgrafen 
..... (der Name iſt ausgekrazt) — und gebar eine Tochter. Die vierte, 
Bertha, wurde die Gattin eines bairiſchen Fürſten, der nach feinem Schloſſe 
den Namen Haböberg führte, und gebar ihm eine Tochter. Die fünfte, 
@ijela, reichte ihre Hand dem (jächftihen) Grafen Wichmann von Seburg, 
mit welchem fie einen Sohn zeugte.” 


‘) Berg IIL 856 unten: marchio Henricus decus orientalium Francorum. ?) Perg 
IV, 648, b. Mr. 13. ?) Die Belege bei Stälin a. a. O. I, 492. ) Perh VI, 
678 unten fly. 


396 Pabſt Eregorius VD. und fein Zeitalter. 


Muß es nicht auffallen, daß der Ehronift, mit einiger Ausnahme 
Giſela's, nur weiblihe Nachkommen der Erbtöchter Otto's von Schwein 
furt aufzählt? Das flieht fo aus, als habe er obige Nachrichten aus einer 
Duelle geihöpft, die einen eigenthümlichen Geſichtspunkt verfolgte, deutli- 
cher gefprodhen, welche fi zur Aufgabe machte, darzuthun, daß, abgejehen 
von Giſela, die übrige Sippſchaft Otto's eine ungefegnete, von irgend 
einem böfen Berhängniß getroffene geweſen ſei. Für unfern Zweck fommt 
vor allen Beatrir in Betracht, weil nur fie als Marfgräfin, oder ald Ge: 
mahlin eines Marfgrafen, bezeichnet wird. 

Dtto’8 Erbin, Beatrir hat, außer der vom fächflichen Annaliften ers 
wähnten Tochter, Eöhne geboren. Abt Effehard von Herzogen-Auradı 
meldet‘) zum Jahre 1104: „Conrad, der noch junge Sohn der Marfgräfin 
Beatrir, welcher, obgleih er ſchon fchöne Kortichritte In den Wiffenfchaften 
gemacht hatte, zu den Waffen überging, fiel in einem Kampfe, gemäß dem 
Ausſpruche Ehrifti: wer das Schwert zückt, wird durch das Schwert unter: 
gehen. Kurz darauf farb auch Beatrir, Conrads Mutter, und ward neben 
der Leiche ihres Vaters, des (ſchwäbiſchen) Herzogs Dtto, im Schloſſe 
Schweinfurt begraben.” Deutlih fieht man: Conrad hatte eine geiftlice 
Erziehung erhalten, aber fpäter wechfelte er den Stand und widmete fid 
den Waffen, mas der Abt von Herzogen-Aurah mißbilligt. Nun fage id: 
nie oder höchſt felten beftlimmten große Häufer einzige Söhne für die klen⸗ 
fale Laufbahn; Conrad muß alfo Ältere Brüder gehabt haben. 

Glüdliher Welle fann man den Namen des marfgräflichen Gemahls 
der Beatrir, welchen der Annalift entweder unausgefüllt Tieß, oder den eine 
jpätere Hand ausfragte, fo wie den Namen eined älteren Sohnes, 
den Beatrir gebar, aus andern Quellen ergänzen. Otto von Schweinfurt 
erhielt, wie früher gezeigt worden, 1040 urkundlich den Titel Graf im 
Nordgau und in der Marke Nabburg. Seitdem er aber dad Herzogthun 
Alamannien angetreten bat, kommt an der Nab und im Nordgau — ur 
kundlich) feit 1053 — ein anderer Graf zum Vorfchein, der Heinrich heißt, 
und eben diefer Heinrich wird 4 Jahre nah dem Tode des Schweinfurte 
Dtto, ſeines muthmaßlihen Schwiegervaters, in einer Handvefte”) vom 
13. Februar 1061 Graf im Nordgau und in der Nabburger Marke ge 
nannt. Er führte alfo denfelben Titel, wie 20 Jahre früher Dtto. Wels 
ter erftredte fih, Taut anderweitigen Urkunden,“ der Wirfungsfreis te 
Grafen Heinrich über den ganzen Nordgau (den Eichftätter Sprengel, über 
das Waſergebiet der Nab und Fils und bis vor Regensburgs Mauem: 


1) Ibid. ©. 226 Mitte, 2) Machweis bei Buchner, Gefchichte Baierns, Dokumente 
zum dritten Buch S. 70 Nr. 400. 2) Ried, cod. dipl. ratisbon. I, ©. 156 Nr. 164. 
%) Ibid. Nr. 161. 162. 164 u. f. w. 


Erſtes Buch. Cap. 13. Bairifche Marken, a) die vereinigte RabburgsBamberger. 397 


lauter Gegenden, die erweislich früher zur Marke Bertholds gehörten. Es 
fann nicht fehlen: diefer Heinrih muß der Gemahl jener Marfgräfin Bea⸗ 
trier und Eidam ded Schweinfurter Dtto gewejen fein. Noch gibt es hie⸗ 
für eine legte Beglaubigung: der bairiſche Geſchichtſchreiber Aventin, ber 
zwar erft im 16. Jahrhundert blühte, aber eine Menge jebt verlorner 
Quellen erften Ranges benügte, beginnt") die Reihenfolge der Markgrafen, 
bie, wie fich jogleih zeigen wird, fpäter den Beinamen von Vohburg ers 
hielten, wirflih mit obigem Heinrich. 

Und nun zu den Erben Heinrich's und der Beatrir. In der zweiten 
Hälfte des 11. und in der erften des 12. Jahrhunderts tauchen nach eins 
ander drei Markgrafen, Theobald oder Dibold auf, welche ohne Frage zu 
Beatrix und Heinrih im Verhältniffe von Sohn, Enfel, Urenkel ftehen. 
In dem blutigen Treffen bei Melrichſtadt, das die Anhänger des Könige 
Heinrih IV. und des Gegenkönigs Rudolf einander im Sommer 1078 
lieferten, fiel auf Heinrid’8 IV. Seite, laut der Ausfage?) Bruno's und 
des jächfiichen Annaliften, neben andern edlen Herrn, Diepold und Hein- 
ri Graf von Lechsgemünde. Ueber den einen der Gefallenen, über Diepold, 
ist?) der Ehronift von Petershauſen genaueren Aufichluß, er nennt’) ihn 
‚einen Markgrafen von Giengen.” Dieſes Giengen ift ein kleines 
Städtchen im heutigen württembergifchen Oberamte Heidenheim. Woher nad) 
Schwaben, das feine Marke bejaß, woher gar nad) Giengen ein Marfgraf? 
58 wird bald klar werben. 

Abermal werden nad 1078, alfo nach Diepold's I. Tode, zwei weitere 
Markgrafen Diepold erwähnt, von denen der jächfiiche Annalift den einen 
18 den jüngeren, den andern als den älteren, jenen als den Sohn, dieſen 
18 den Vater bezeichnet‘) Letzterer kann nur ein Sohn des bei Melrich⸗ 
tadt gefallenen Diepold J., folglid ein Enkel ver Beatrix, geweien jein. Im 
Jahre 1095 verleitete®) diefer Diepold II, „Markgraf in Baiern genannt,“ 
en gleihnamigen Sohn und Thronfolger des alten Kaiſers Heinrid IV. 
um Abfall vom Vater, und brachte dadurd letzterem einen Schlag bei, von 
em er fih nicht mehr erholt hat. Unter der neuen Regierung Hein 
ich's V. ſpielte Diepold II. eine wichtige Rolle: in mehreren ttalienifchen 
Aktenſtücken wird er ald Zeuge, ald Günftling des Kaiſers und als einer 
ver erften Reihsfürften aufgezählt.) Wir haben nod andere Nachrichten über 
hn. Eine Urkunde ift vorhanden,’) kraft welcher Markgraf Diebold genannt 
‚der Reiche”, im Jahre 1118 auf Bitten feiner Mutter Liufarbis, und mit 


— — — — — 


1) Aventini annal. boic. Ingolstad. 1544 ©. 862 oben. 2) Berk V, 368 und 
Berg VI,.713. 2) Ussermann, prodrom. I, 337. %) Berk VI, 744. 5) Ibid. 
127. %) Akte von 1111. Pertz leg. II, 66 u. 68. Akte von 1122. Ibid. ©. 76, 


) Monum. boic. XIV, 406. 


398 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Einwilligung feiner Kinder fowie feiner Gemahlin, Adelheid, das im Regens 
burger Sprengel am Regen gelegene Klofter Reichenbach ftiftete.‘) Da Dies 
pold II. ohne Zweifel ein Sohn Diepolv’8 I. war, hieß alfo die Gemahlin 
des Markgrafen von Giengen Liufardid. Auch Aventin leitet in gleicher 
Weiſe die Diepolde vom Markgrafen Heinrih ab. Noch muß bemerkt?) 
werden, daß Diepold IL unter andern Gütern gewiſſe jchwäbifche Dörfer 
dem Kfofter Reichenbach geichenft hat, woraus folgt, daß er nicht mur in 
Baiern, fondern aud in Echwaben begütert war. 

Indeſſen hatte Marfgraf Diepold IL, ehe er Adelheid freite, eine erfte 
Ehe eingegangen. Der fächfiiche Annalift jchreibt?) zum Jahre 1103: Cuno, 
der Sohn des ehemaligen bairifchen Herzogs Otto von Nordheim, erzeugte 
vier Töchter, von welchen eine fi mit Diepold, „dem Markgrafen in Baiern“ 
vermählte. Diepold II. muß dieſe feine erfte Gemahlin überlebt und in 
zweiter Ehe obige Adelheid geheirathet haben. iner der in erfter over 
zweiter Verbindung erzeugten Söhne war nım Diepold IIL, den der fjäh- 
fiihe Annalift als den jüngeren und als den Eohn eines gleichnamigen 
Vaters aufführt. Diefer nämliche Diepold III. ſchloß, laut Ausjage*) des 
Annalijten, eine glänzende Verbindung mit Mechtilve, der Tochter des Welſen 
Heinrich, der von 1120 bis 1126 Herzog in Baiern war und ald Mönd 
ftarb. Auch der Chronift von Weingarten erwähnt diefe Heirath, fügt aber 
einen für und wichtigen Beifa zu. „Der Welfe Herzog Heinrich in 
Baiern,” ſagt ) er, „zeugte in feiner Ehe mit Wulfhild, der Erbtochter 
des Ichten Billungen Magnus von Sachen, vier Töchter: Judith, Sophia, 
Wulfhild und Mectilde Die erfigenannte, Judith, wurde Gemahlin des 
(Hohenftaufiihen) Herzogs Briederih und gebar den nachmaligen Kaiſer 
Ariederih mit dem rothen Bart. Sophia reichte ihre Hand dem Herzoge 
Berthold von Zähringen. Wulfhild vermählte fih mit dem Grafen Rubel 
von Bregenz; Mechtild endlich heirathete den Marfgrafen Diepold (IIL) 
von Vohburg.“ 

Ueber das Todesjahr Diepold's TU. finde ich feine Nachrichten, dod 
hat er allem Anjcheine nad bis tief in die zweite Hälfte des 12. Jahr 
hunderts hinein gelebt. Eo hoch ſtand damals das Haus Vohburg, daf 
Friederich der Rothbart ſich ald Herzog mit einer Schwefter Diepold's IIL 
vermählte, welche Ehe jedoch 1153 unter dem Vorwande allzunaher Ber 
wandtichaft wieder getrennt warb. °) 

Mie wir jahen, geben tie Chroniften den Dicpolden im Allgemeinen 
ben Namen Markgrafen in Baiern, genau wie chemald Berthold, Heile, 


— 


1) A. a. O. ?) Monum. boic. XIV, 409. 3) Berk VL 737 unten fly. 
% Tid. ©. 744. 6) Hess, monum. guelfic. ©. 21 unten flg. %) Die Belege 
ſammt altem Stammbaum bei Stälin, württemb. Geſch. IL, 91 fig. 227 fig. 











— 22 — . ——— ———— 


ve And EI “a) 7 


} 


Erſtes Bud. Gap. 13. Bairiſche Marken, a) die vereinigte Rabburg: Bamberger. 390 


Dtto bezeichnet. worden waren. Als befondere Benennung taucht zuerft der 
Titel Markgraf von Giengen auf; bald fommt als zweiter, der von Voh⸗ 
vurg hinzu. Das waren verfchievene Linien eines und deſſelben Haufes. 
Das Zwiefalter Todtenbud führt‘) einen Markgrafen Berthold von Giengen 
mf, der im 12. wo nicht im 13. Jahrhundert gelebt haben muß. Bald 
ntſtaͤnd noch ein dritter Titel. Eine von Kaiſer Conrad IL im Jahre 
1144 am Niederrheine ausgeftellte Urfunde?) unterzeichnete als Zeuge Dies 
pold, Marfgraf von Kambe. Die Gleichheit des Namens weist darauf hin, 
aß diefer Diepold eined Stammes mit den Markgrafen von Vohburg und 
Biengen war. Zehn Jahre fpäter taucht ein Markgraf Berthold von 
Rambe auf, der gleichfalls als Zeuge eine Urfunde”) Friederichs des Roth: 
arts unterfchrieb. Unten werde ich zeigen, daß Kambe und Bohburg nur 
in einziges ungejondertes Großlehen bildete, deſſen Träger, wie es fcheint, 
ih nad Gutdünken bald von Bohburg bald von Kambe fchrieben. 

Als die Giengener Markgrafen auffeimten, war bereits ein dritter 
jweig des Schweinfurter Stammes wieder erlofchen. Ich theile zunächft 
te Hauptitelle des jächftichen Annaliften mit, welche ich oben nur im Aus⸗ 
uge gab:*) „Bertha, die fünfte Tochter Otto's, vermählte ſich mit einem 
airiſchen Fürften, der nad feiner Etammburg den Namen Haböberg ers 
felt, und gebar ihm eine Tochter Judith, welche zu ihrem Unglüd ein 
nebenbürtiger Dienftmann entführte.“ Durch letzteren Beiſatz deutet der 
Rönd, meines Erachtens an, daß Judith von ihren Eltern enterbt worden 
i. Wohlan, der ungeannte Gemahl Bertha's hieß, nad höchſter Wahrs 
heinlichfeit, Herrmann, und führte den Titel „Markgraf von Banzgau.“ 
fine Urkunde‘) liegt vor, kraft welcher Herrmann, Markgraf im Banzgau, 
flärt, vaß er fein Gmilchen Staffelftein und Lichtenfeld am oberen Main 
tlegened) Schloß Banz, in Uebereinftimmung mit feiner Gemahlin Alberad, 
ı einem Klofter umgewandelt und leptered mit Gütern ausgeftattet habe. 

Man wird einwenden: Herrmann, Marfgraf von Banz, könne ver 
om fächſiſchen Annaliften erwähnte Echwiegerfohn des Schweinfurter Dtto 
ht fein, weil die fünfte Tochter Otto's Bertha, und nicht Alberad ges 
ßen habe. Allein beide Namen find gleich. Die Gemahlin Dtto’8 von 
‚chweinfurt, Irmengard, war von Geburt eine Italienerin. Dem ges 
öhnlihen Laufe der Dinge entſpricht ed, daß der Mutter zu lieb vie 
öchter italienische Benennungen erhielten. Nun hatten aber Deutfche und 
taliener im Mittelalter für viejelben Namen verjchievdene Formen. Der 
chſiſche Annalift jagt am gleichen Drte, Emilia, der eigentliche Name der 


— 





1) Hess a. a. DO. ©. 240. ?) Lacomblet, nieberrheinifches Urkundenbuch I, 239. 
Monum. boica IX, 311 flg. XUL, 180. ) Berk VL 679 unten fig. 6) Usser- 
ann, episcopat. Wirceburg. probat. Mr. 24 und Tert &. 310 fig. 


400 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Gemahlin Otto's, Iaute auf deutjch Irmengard oder Immula. Ebenſo vers 
hält es fich mit Alberad und Bertha. Die Deutfchen fagten Adalbert ober 
Adalbero, die Italiener aber Alberifo; als weibliche Form deſſelben Namens 
brauchten die Italiener das Wort Alberada, die Deutichen aber Adalberta, 
oder verfürzt Berta. Gleich der Mutter, führt der ſächſiſche Annalift auch 
die Tochter unter ihrem deutfhen Namen auf; im Iunern der Familie du 
gegen wird man Alberada gejagt haben. 

Zugleid wirft das Zeugniß des Annaliften Licht auf geheime Triebfedern 
der Gründung des neuen Klofterd. Hermann und Bertha befaßen zwar eine 
Tochter Judith; aber weil diefelbe ungehorfam gewejen, und durch eine Miß⸗ 
heirath dem Glanze des Stammbaums einen Madel zugefügt hatte, enterbten 
fie Bater und Mutter, und ftatteten mit dem reihen Hausgut ein Kofler 
aus. Man fieht, alles ftimmt wohl zujammen. Aber wenn dieß auch nict 
der Fall wäre, frage ich: wie anders joll man die Thatſache erklären, daß 
ein fränfifcher Edelmann um 1070 ven Titel eined Markgrafen von Ban 
annimmt, als durch die Vorausſetzung, Herrmann ſei einer der Erben des 
Schweinfurter Markgrafen gewejen, ver früher in jener Gegend allein ben 
Titel eined Marchio zu führen berechtigt war? Mit jenem Heinrich, dem 
Gemahle der Beatrix, und mit den Diepolven, deflen Kindern und Gnfeln, 
bat fi Herrmann nicht nur in die Allovialgüter, fondern aud in den Titel 
des Stammherrn getheilt. 

Und nun ift vorliegende Geichichte der großen bairifchen Marke zum 
Abſchluſſe reif. Otto von Ehmeinfurt, der in der Erwerbluft Feine Graͤnzen 
achtete, muß ald Herzog von Echwaben tlchtig zugegriffen haben. €» 
gelangten an jein Haus die Güter um Giengen an der Breng, die nidt 
weit vom Nordgau entfernt lagen, aljo eine künftige Abrundung verbießen 
Weil der Erblafjer ein Markgraf geweſen war, trugen die Erben dieſen 
Titel auf die jhwäbiichen Erwerbungen über. Anders verhielt es fi mit 
der Marke Vohburg⸗Kambe. Diefe gehörte zum Stammgut des Schwein 
furter Haufed, denn ſchon Berthold, dann Dtto und fein Schwiegerjohn 
Heinrih find Herrn im Nordgau und in der Nabburger Marke, fo wie am 
Regen geweſen; da ja die alte Regensburger Marfe, die zu Gunften Ber 
thold’8 erneuert worden, ſich weftlih von Paſſau bis Regensburg, Braͤu⸗ 
berg, Forchheim erftredte. 

Indeß waren zum alten Erbe, nad) Anfang des 12. Jahrhunderts, die 
Schlöſſer Vohburg und Kambe (am Regen) hinzugefommen. Oben!) wurk 
gezeigt, daß beide Drte im Laufe der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts 
als Eige von bairiſchen Pfalzen erfcheinen. Nun berechtigen trifftige Gründe 
zu der Annahme,” daß König Heinrih V., als er das große bairiſche 





1) ©. 383. ?) Buchner, bairifche Geſchichte IV, 287 fig. 


Erſtes Buch. Gap. 13. Bairifche Marken: a) Die Nabburgs Babenberger. AO I 


Balatinat jenem Engelbert, Erben Rapoto's II., entzog und an Dtto von 
Wittelsbach verlieh, die beiden Reichspfalzen feinem damaligen Günftling 
Diebold II. überlafien hat. Kambe lag innerhalb der großen bairifchen 
Marfe, Schloß Vohburg fland zwar auf herzoglid-bairiihem Boden, aber 
nur der Donauftrom, auf deſſen rechtem Ufer das Schloß ſich erhebt, trennte 
daffelbe vom Nordgau, wo der Schmweinfurter Otto und feine Ahnen längft 
walteten. 

Man fieht daher, der Schlag von 1003 hat die ſüdlichen Theile der 
großen Berthold'ſchen Marke nicht oder faum getroffen, denn das Comirat 
im Nordgau und die Nabburger Marke verblieben Hezelo’8 Erben ganz, 
oder doc beinahe unverfümmer. Das ift begreiflih: der Nordgau und 
das andere Stud bildeten die Linie, längs welcher das zu Gunſten Ber: 
thold's geichaffene Gebiet unmittelbar an das herzoglidhe Baiern ftieß. Eben 
dieſes Gebiet aber follte, gemäß den Abfichten des deutihen Hofes, auch 
fürder ein Pfahl im Fleiſch für Baierns Herzoge fein. Bolgli durfte 
man dafjelbe nicht fchwächen. Anders dagegen verhielt es fich feit den 
Ereignifien von 1003 mit der nörblihen Hälfte des Bertholdiſchen Groß⸗ 
(chend. Was dort Hezilo’d Sohn Hinterlich, reichte gerade aus, um eine 
ärmlihe Marfe für Herrmann, den Schwiegerjohn Dtto’d, zu formen, der 
als Erbe eines Markgrafen gleihfalld den marfgräflichen Titel ſich beilegte. 
Alle übrigen älteren Befibungen bed Bertholdiſchen Haufes waren auf jener 
Seite nah 1003 an den neu errichteten Stuhl von Bamberg und an das 
Würzburger Hochftift übergegangen, welches letztere ſeitdem zu einem fleinen 
geiftlihen Herzogthum ſich geftaltete. 

Der Banzgau, in einer Urkunde) ded Kaiferd Heinrich IT. vom Mat 
1017 erwähnt, erftredte ſich über den norböftlihen Theil?) des Würzburger 
Hochſtifts unfern der Gränze gegen den Bamberger Sprengel. Das 
Schloß Habsberg aber, aus welchem Herrmann, Alberadens Gemahl, 
fammte, lag auf der Nordgränge des Würzburger Bisthums nahe dem 
heutigen Meinungen, und bildete ?) jpäter einen Theil der Befigungen des 
Haufes Henneberg, deſſen Urkunden ’) es aufführen. Nun nennt der fäd 
fiiche Annalijt den Markgrafen Herrmann einen bairifchen Fürften, und 
diefe Angabe wird auch von einer andern Eeite her befräftigt. Denn ver 
Stiftungsbrief des Klofterd Banz vom Jahre 1071 ſpricht von Zeugen, 
die an den Ohren gezupft worden ſeien.) Das war eine durch das alte 
batrifche Geſetz, und nur durch dieſes, vorgefchriebene Formalität; wo an den 





1) Ussermann, episcopat. bamberg. probat. Nr. 21. ?) Idem, episcop. wirceburg, 
Prolegom. ©. 27. 2) Schultes, Geſchichte des Hanfes Henneberg I, ©. 24 und 96. 
%) Ussermann, epis. wirceb. probat. Nr. 24: testes per aurem tracti, Frideric etc. 

SGfrörer, Pabſt Gregorius vi. Bv. I. 26 


402 BabR Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Ohren gezupfte Zeugen vorfommen, da darf man zuverfihtlich auf Hen⸗ 
ſchaft des bairischen Geſetzes, und folgli auf bairiſche Hoheit fchließen. 

Wir haben im Vorbeigehen einen neuen Beweis für den Umfang 
Baierns, oder damit ich einen Flareren Ausdrud wähle, des bairiichen 
Sranfens, gefunden. Letzteres Land erftredte fi), laut den früher angeführ 
ten Zeugnifien, 965 bi8 Bamberg, um 1017 bis an den Speflart, und 
noch um 1080 wurde Die Gegend um Meinungen als zum bairifchen Franken 
gehörig betrachtet. Diefe Ausdehnung aber hatte Balern nur vermittelf 
der herrichaftlihen Rechte, welche die vom bairiichen Herzogthum abhängige 
Bertholdiihe Marke über die Etiftölande von Würzburg und Bamberg bis 
1003 voll, ſeitdem blos noch in gewiſſen Stüden übte. 

Die ebengenannte Marke begriff demnach vor 1003 erftlich die Stifts- 
lande von Würzburg und Bamberg, zweitens den Rordgau und Swalafel 
oder den Sprengel von Eichftädt, drittens die alte Regensburger Marfe 
gegen Böhmen, oder die auf dem rechten Ufer der Donau gelegenen Etreden 
ded Regensburger Hochſtifts. Das war allerdings ein großes Gebiet, 
das an Umfang dem eigentlihen Herzogthume Baiern nicht viel nachſtand. 

Gleihwohl darf man fi die Markgrafſchaft Berthold's und Hezilo's 
nicht in der Weiſe eined heutigen beutfchen Fürftenthums venfen. Reben 
dem Markgrafen befaßen die Bilchöfe von Eihftäpt, Regensburg, Wür- 
burg, Bamberg, deßgleichen verfchiedene bairiiche Palatine, als Vewrwalter 
der dort gelegenen Kammergüter, dann die Burggrafen von Regensburg, 
auf die ich unten zu fprechen kommen werve, und endlich die Gaugrafen, 
welche in Regensburger, Bamberger und Würzburger Urkunden vorkommen, 
bedeutende Rechte. Der Markgraf leitete die Anftalten zur Vertheidigung 
der Gränge, hatte die Kriegsmacht unter feinem Befehl, konnte die Ein 
wohner in gewiſſen Fällen vor fein Gericht laden, allerlei Abgaben, Bor 
ſpann, Quartier fordern. Nah der Niederlage von 1003 verlor jedoch 
Hezilo die Gerichtsbarkeit über alle dem Hochſtift zinspflichtigen Leute, 
welche durch die Faijerlihe Urkunde vom Jahre 1018 an den Etuhl dei 
h. Kilian überging. Doch war feitdem im Würzburger Hochftift eine Klafı 
von Inſaßen übrig, welche nicht unter der richterlihen Gewalt des Bilde 
fand, nämlich die Bargilden. Lebtere blieben unter dem Banne der Gra 
fen oder anderer Beamten, von denen fie fchon früher Recht nahmen. Wen 
ehrten nun eben dieſe Grafen oder Beamten als ihren nächften Vorgejepten? 
Da der Würzburger Sprengel oder dad Stück Franken, das er einnahm, 
auch nah 1003 und nad) 1018, wie wir ſahen, bairiſch genannt wirt, 
muß man meines Erachtens den Schluß ziehen, daß die Bargildens@rafen 
von den bairishen Herzogen, theilmeife — fo weit nämlid das Schwein 
furter Haus aus dem Schiffbruch von 1003 einzelne Lehen oder Allode 
(wie 3.3. den Banzgau) gerettet hatte — von diefem abhingen. 


Erſtes Buch. Gap. 13. Bairiſche Marken: d) Oftrich. 403 


Endlich ift noch ein Hauptpunft übrig Obgleih vie Berthold'ſche 
Marfe in der Abficht gegründet worden war, den bairifchen Herzogen einen 
Damm entgegen zu jegen, ftauden Berthold und feine Nachfolger nichtsdeſto⸗ 
weniger fortwährend unter der Lehenshoheit eben dieſer Herzoge. Der gleich 
zeitige Biograph des nachmaligen Könige und Kaiſers Heinrih II. er 
zahlt,') diefer habe, jo lange er nod Herzog in Baiern war, Hezilo (von 
Schweinfurt), den Vater Otto's, mehr als alle übrigen Grafen feines Lan⸗ 
des (Baiernd) begünſtigt. Herzog Heinrihd von Baiern ſah folglih in 
dem Schweinfurter Hezilo einen Lehensmann, einen Untergebenen. Auf 
dafjelbe laufen die Titel „Markgraf oder Graf in Baiern“ hinaus, welde 
Berthold, Hezilo und Dito empfangen. Ein drittes Zeugniß, weldes 
deutlihen Aufihluß über die Art und Weife der Abhängigkeit gibt, in 
welcher die Marfgrafen gegenüber dem bairijchen Herzogthume ftanden, bes 
halte ich mir vor, jpäter mitzutheilen. 

Die Zerftüdlung des Berthold'ſchen Großlehens in drei Theilmarken 
fann nicht ohne Zuthun des deutſchen Hofes vor ſich gegangen fein. Nach⸗ 
dem die größten Anftrengungen aufgewenvet worden waren, wider die Ueber: 
macht bairischer Herzoge einen ſtarken Damm aufzuführen, halfen die Sas 
lier jelbft zu Zerftörung des mühfeligen Werkes. Wie oft hat ſich ſeitdem 
diefe DanaidensArbeit wiederholt! Durch ihre Feindſchaft wider die Kirche 
in eine falſche Lage bineingetrieben, mußten die Kaiſer unaufhoͤrlich Kleine 
groß machen, um Große zu fällen, und hinwiederum dann den Großge⸗ 
wachienen neue Kleine entgegenfegen, bis zulegt alle alten Drganifationen 
zerrieben waren. 


Yie Ofmarke der Pabenberger feit dem Ende des 10. Iahrhunderts. Sparen 
des Wibelangenliedes. 


Die Geſchichte der Oſtmarke ift belchrender ald die jeder andern, haupts 
jächlih deßhalb, weil fie überrafchenves Licht auf das Weſen der alten 
Marfeinrihtungen wirft. Zwei große Hebel, einerfeitd das Schwert, aber 
außer demjelben, vielleicht in noch höherem Maße, der Pflug, die Ein- 
wanderung oder ein wohldurchdachtes Eolonifationd-Syftem haben dort unten 
harmonisch zufammengewirft. 

Schon Carl der Große errichtete, wie früher gezeigt worben, eine 
Marke an der mittleren Donau. Zugleich ftatteten er und feine deutſchen 
Nachfolger ven Etuhl von Paffau mit ausgedehnten Gütern innerhalb be 
fagter Marke aus, damit die Biſchöfe um fo eifriger helfen möchten, das 


ı) Berk IV, 686 gegen oben. 
26° 


404 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Land in Aufnahme zu bringen. Denn der Paflauer Sprengel!) reichte auf 
beiden Seiten der Donau hinunter bis zur heutigen Gränze von Ungarn, 
und die dortigen Bilchöfe haben im Laufe des 10. Jahrhunderts wieder 
holte, wiewohl zulegt vergebliche, Verfuche gemacht, den Kirchenhäuptern von 
Ealzburg die Metropolitunhoheit über Pannonien abzuringen. ?) 

Die alte Farolingifche Oftmarfe ward bald nad Anfang des 10. Jahr: 
hundert durch die Ungarn zerftört, welche feitvem faft zwei Menfchenalter 
hindurch nicht nur die öftlihen Gränzprovinzen des Reich, fondern auch das 
innere Deutichland regelmäßig verheerten. Der Wendepunkt trat 955 durch 
den Eieg auf dem Lechfelde ein. Doc fand ed noch 15 Sahre an, bie 
Kaifer Dtto I. die bairiſche Oftmarfe wieberherftellte, und eine zweite auf 
färnthnifchem Boden zwifchen Dur und Drau hinzufügte. Allein nur lang: 
fam ſchritt das Werk vorwärts, denn die Ungarn machten nach dem Tode 
des Löwen Dtto I. neue Einfälle, und um 982 klagte) Biſchof Piligrim 
von Paſſau beim Faiferlihen Hofe: „die Güter, welche fein Stuhl dort ſeit 
alter Zeit befige, feien menfchenleer und mit Geftrüpp überzogen.” Im 
Laufe des Jahrhunderts, dad von Einjegung des erftien Babenberger Marf: 
grafen bis zur Mitte der Regierungszeit Heinrich8 IV. verlief, blühte die 
Marke auf, füllte fi mit deutjchen Bewohnern. Wie tft dieß gefchehen? 
Mehrere Auszüge von Urkunden liegen vor, welche über dieſe Frage einigen 
Aufichluß geben, aber feinen genügenden. VBollftändige Akten fehlen, was 
wir befigen, find Bruchftüde, gefammelt aus dem Gefihtspunft des beſon⸗ 
deren Vortheild einzelner kirchlichen Anftalten, namentlich des Paſſauer Stuhlee. 

Eine Urkunde‘) des Kaiferd Dtto III. verfügt, auf Bitten des Paffauer 
Biſchofs Piligrim, daß freie Leute, deren Dienfte man wegen Mangels 
einer ausreichenden Anzahl von Leibeigenen bevürfe, ald Anſiedler auf fol 
hen Gütern der Dftmarfe, welche geiftlichen Anftalten gehören, erftlich von 
dem ordentlidyen Gerihtöbann der Grafen und Markgrafen befreit, zweitend 
niht wie fonft an die kaiſerliche Kammer, fondern nur an die geiftlichen 
Schutzherrn zu zinfen, verpflichtet fein ſollten. Es ift, wie man ſieht, ein 
Bortheil, den der Paſſauer Biſchof für fich erlangte. Aber mit welden 
Mitteln bewog eben derſelbe freie Leute, fi auf Kirchengrund in der Oſt 
marfe niederzulaſſen? Hierauf gibt die fragliche Urkunde feine Antwort, und 
gerate über diefen Punkt wäre Belchrung wünjchenswerth. 

Klar ift, daß die geiftlihen Herren freien Anſiedlern Rechte und Ber: 
günftigungen in Ausficht geftellt haben; denn kaum ſcheint es glaublich, daß 


ı) Ein altes Archidiafonatsverzeichniß, welches Pfarreien und Dekanate bis zur uw 
garifchen Graͤnze begreift, ift abgebrudt in ben monum. boic. XXVIII, b. ©. 487 fig. 
2) Gfroͤrer, 8. ©. UI, 1204 fig. 1223. 1287. 1363. 1372 fig. 3) Meiller, Regeften 
ber Babenberger ©. 1 Nr. 3. 


Erſtes Bud. Gap. 13. Bairifche Marken: b) Oſtrich. 405 


ne Mafle freier Baiern, Schwaben und Sachſen nad der Oſtmark wan⸗ 
rte, um dort geiftlide Grundholden zu werden. Für befier iſt es jeber 
eit gehalten worden, als freier Bauer auf eigenem Grunde zu fißen, flatt 
firhliche Vaſallenſchaft verftridt, Aebten oder Bilchöfen zu zinjen. Das 
leihe, wie von obiger Urkunde, gilt von einem zweiten Aftenftüde,‘) aus 
elhem erhellt, vaß um 985 ein Landtag zufammentrat, welcher Beſchlüſſe 
te, die für das Wohl der Oftmarfe wichtige Folgen hatten. Allein 
yermal enthält das im Paſſauer Saalbuh aufbewahrte Brudftüd diefer 
erhandlungen nur ſolche Dinge, die das Interefie des dortigen Biſchofs 
rührten. Wir erfahren, daß der Paſſauer Stuhl fi den beftrittenen 
eſitz gewiſſer Drte, wie St. Pölten, Traidmauer, den ZoU von Ebers⸗ 
rg, den Haufenfang in der Donau bei Tulln u. |. w. durch Schiedsrich⸗ 
£ zufprechen ließ, daß ebenverjelbe für feine Grundholden Befreiung von 
arfgräflihen Gilten, Brohnden, Vorjpann, Beden erlangte. Davon, was 
sen Anftedlern, die volles Eigenthum erwerben wollten, bewilligt worden 
i, fteht fein Wort in dem Auszuge. 

Und hiemit fomme idy auf einen zweiten Punkt. Mögen die Lände- 
len, welde der Paſſauer Stuhl oder andere geiftlihe Anftalten im Um- 
sife der Oſtmarke ald wohl verbrieftes Eigenthum in Anſpruch nahmen, 
ıch noch jo ausgedehnt geweſen fein, ficherlich bildeten fie nur einen klei⸗ 
n Theil ded Grunde und Bodens der gejammten Provinz. Auch zum 
irflihen nugbaren Kammergut ver Krone Tann verhältnißmäßig nur ein 
ined Stüd der Oftmarfe gehört haben. Nach Zurüddrängung der Un⸗ 
m lag bei Weitem das meifte Land wüfte, war eine Einöde, die, um 
jerth zu erlangen, fleißige Hände, und da man dieſe nur durd Lohn 
er Rechte anloden kann, Befiger erwartete. Diefe Befiger, die auf freiem 
rund ſich anfiedelten, find gefommen, das beweist der Erfolg; aber wie 

zur Anfiedlung bewogen wurden, bleibt zu ermitteln. 

Aventin, der viele jest verlorne Quellen bemügte, theilt gewifle Nach⸗ 
bten mit, die dem Bedürfniſſe gerechter Wißbegierde entſprechen. Allein 
ın hat fi) an die Unart gewöhnt, diefen Geſchichtſchreiber herabzuſetzen, 
ch mit Unreht. Wie gewann neuerdings fein Anfehen, nachdem es ges 
gen ift, Bruchſtücke der Altaicher Chronik, die ihm noch ganz vorlag, 
eder zujammenzufegen! In gewifler Hinfiht verdient er allerdings Miß⸗ 
men, aber nur da, wo Schmeichelei gegen das fürftlihe Haus, für das 
die Feder führte, ihn auf Abwege leitete. Warum er aber zu Gunften 
r Babenberger, die zu feiner Zeit längft ausgeftorben waren, hätte Fabeln 
innen jollen, ift faum zu begreifen. Ich halte daher feinen Bericht über 


*) Monum. boic. XXVIII, b. ©. 86 flg. Nr. 116 und Meiller a, a. D. Nr. 4, 


406 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


giengen, für wahr und bin überzeugt, daß er ihn aus einer jetzt entweder 
verlornen oder nocd nicht wieder aufgefundenen Duelle entnahm. 

Er ſagt:) „auf jenem Landtage,“ — den auch das Paſſauer Aktenſtück 
erwähnt, und welchen Aventin meines Erachtens auf gute Beweiſe ge: 
fügt, nah Tulln verlegt, — „ſey unter Anderem befchloffen worden, allen 
Freien, die fih in der Oftmarfe anftedlen würden, Erledigung von Abgaben 
aller Art und vom Kriegsdienſt anzubieten; dem Adel aber und dem Elerus 
zu geftatten, daß Mitglieder beider Stände, die fi zur Niederlaffung in 
Oſtrich entichlöffen, nah Gutdünken Schanzen anlegen, Burgen erbauen 
dürfen.” Aufrufe müſſen demgemäß in die ftarf bevölferten Herzogthümer 
des alten Reichs ergangen fein, jeder, ver fein eigener Herr, könne 
gegen leidlichen Kaufpreis, unter den erwähnten günftigen Bedingungen, 
Eigenthum in der Oſtmarke erwerben. Der Erfolg bürgt dafür, daß fo 
etwas geichehen ift: Anftedler aus allen Theilen Germaniens, namentlid 
aus Baiern, Sachſen, Echwaben ftrömten herbei; Dörfer, Gefllde, Wein 
berge, Gärten, Städte blühten empor. 

Schon im Jahre 1206 fonnte der Babenberger Leopold VI. rühmen,’) 
Wien ſtehe an Größe und Zahl der Bewohner nur der Stabt Eöln nad. 
Für ſchwaͤbiſche und fächfiiche Anfiedlungen zeugen Ortsnamen, wie Sad: 
fengang”) und Edwabborf.!) Die überwiegende Mehrzahl ver Bevölle⸗ 
rung jedoch ftammte aus Baiern. Roh im Jahre 1233 hieß*) die Haupt: 
ſtadt der heutigen Steiermarf Bairiſch-⸗Grätz, zum Unterfchied von dem an 
dern Orte gleihen Namens, aber ſlaviſchen Urfprungs, der noch jet Win⸗ 
difh-Gräß genannt wird. Bairiſch befagt hier jo viel als deutſch, woraus 
folgt, daß die Oſtmarke vorzugsweife aus Baiern ihre Bewohner erhielt. 
Defterreih war, wie man fieht, feit dem Ende des 10. Jahrhunderts das 
Land der Hoffnung für Solche geworden, welche in der Heimath Fein Aus: 
fommen fanden, ed fpielte die Rolle, wie jebt die vereinigten Staaten Nord⸗ 
amerika's. Soviel von den Erwerbungen durch den Pflug. 

Das Vebrige that dad Schwert. Vom Regierungsantritt Otto's L bie 
auf Heinrih IV. herab, alfo über hundert Jahre, herrichte im Grenzgebiete 
gegen Ungarn hin entweder offener Krieg, oder ein dem Kriege ähnlicher 
Zuftand. Die gefelertftien Soldaten des 10. und 11. Jahrhunderts haben 
dort den Grund zu ihrem Ruhme gelegt. Der fähftihe Chronift Wins 
find fagt:) „dur die Eiege, welhe Herzog Berthold (im Jahre 943) 
über die Ungarn erftritt, warb fein Name weit und breit befannt.” Die 





1) ©. 506 der früher angezeigten Ausgabe. ) Meiller, a. a. O. ©. 96 Rr. 64: 
Vienna civitas, quae post Coloniam una de melioribus teutonici regni urbibus esse di- 
citur, amoena flumine, situ praedita, civibus populosa. 3) Urkundlich ermähnt zum 
Jahre 1021 daf. S. 5 Nr. 3. %) Ebenſo ermähnt zum Jahre 1194, ibid. €. 75 
Mr. 21. 8) Daf. S. 152 Nr. 19. ®) Chronic. II, 84. Berk IIL 447. 


Erſtes Buch. Gap. 18. Bairiſche Marken: b) Oftrich. 407 


Ahnherrn des Hauſes Diſſen⸗Andechs, von dem unten die Rede fein wird, 
verdankten nicht minder dem Kampfe gegen die Ungarn Glanz und Madıt. 
Ich erinnere ferner an die früher‘) mitgetheilte Stelle des Abts Ekkehard, 
wo von jenem Boto, dem Bruder des Pfalzgrafen Aribo, die Rede ift, der 
durd feine Kriegsthaten in Ungarn zu Wege gebradht habe, daß er für 
einen der alten Hünen gelte. 

Ueberall wirft friegeriicher Ruhm auf die Phantafte, begeiftert Dich⸗ 
ter. Wie viel Gefänge und Lieder find aus den Kämpfen längs der ſchot⸗ 
tiichen und engliiden Gränze hervorgegangen! Aehnliche Blüthen trieb 
der ungariihe Gränzfampf bei und. Die Lorbeeren Aribo's des Aelteren, 
den laut dem Zeugniffe des Abts von Herzogenaurach noch zu feiner Zeit 
das Bolfslied feierte, waren allem Anfcheine nah im Streite gegen die Un⸗ 
garn errungen worden. Dieſe Lieder find nicht ganz verflungen, wir be⸗ 
figen fie theilweiſe noch, obwohl in Weberarbeitung durch fpätere Hände. 
Bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts hat fih im ſüdlichen Deutichland 
eine UVeberlieferung erhalten, welche zwei Schriftfteller dieſer Zeit, Bruſch 
und Laztus fchriftlih niederlegten.) Bruſch jagt: „Biſchof Piligrim von 
Paſſau gab — jo geht die Sage — einem damaligen Dichter den Auftrag, 
in deutichen Reimen die Thaten der Avaren und Hunnen, welde Oftrid) 
bis zur End inne hatten, und wegen ihrer Wilpheit Rieſen oder Reden 
genannt wurden, zu ſchildern, auch zu zeigen, wie jelbiges Vollk durch die 
Hauptleute Dtto’8 des Großen befiegt ward." Lazius meldet Aehnliches 
und führt zugleih als Probe jener Gedichte etliche Verſe an, die im heu⸗ 
tigen Nibelungenliede ftehen, neben andern, die fidy nicht darin finden. 

Keine Frage kann fein, daß wir an dem Borne ftehen, aus dem ein 
güter Theil ver älteſten Form ver Niebelungenſage quol. Oſtrich war’ 
ihr Heimathland, Stegeöfreude über der Hunnen Bezwingung ihre Amme. 
Indeß floffen eine Menge anderer Stoffe, die Sagen von Ezel⸗Attila, von 
dem Burgunder Siegfried, mit den ungriſchen Kampfliedern, al& deren Helv 
Marfgraf Rüdiger von PBechlaren, ein poetifcher Stellvertreter ver Baben- 
berger Markgrafen, ericheint, in Eines zufammen. Auch der Paſſauer Bi- 
Ihof Piligrim erhielt in den fpäteren Bearbeitungen der Nibelungen und 
in der Klage feine Stelle. Letzteres Gedicht behauptet *) fogar, Piligrim 
habe veranlaßt, daß die Ribelungen-Sage in Latein niedergeichrieben ward. 
Meines Erachtens verdient die Ueberlieferung, Piligrim fei bei Verbreitung 
des Urſtamms bejagter Lieder in Latein und Deutſch thätig geweien, Olauben. 


.— — — — — 


ı) Oben ©. 380. 3) Hund, metropol. Salisburg. Monachil 1620 Vol. I, 30% 
m. Lazius, de gentium migrationibus. Franoof. 1600 ©. 271. 3) Klage, Vers 2145: 
Bon Pazowe der Biſchof Pilgerin,, durch Liebe der Nefen fin hieß ſchriben diefe Märe, 
wie es ergangen wäre, mit latiniichen Buchflaben. 


408 Pabſt Gregorins VIEL. und fein Seitalter. 


Tritt fein Name nicht überall hervor, wo es fi darum banbelt, bie DR 
marfe mit ftreitbarem Wolfe zu bejegen und gegen die Ungarn zu verweh- 
ren! Diefer Prälat aber konnte fein beſſeres Mittel ergreifen, um bie 
Einwanderung nad der Oftmarfe im Reiche beltebt zu machen, ald wem 
er die Lieder zum Lobe der Hunnenbefleger in den Mund der fahrenven 
Sänger brachte, die Deutichland feit alter Zeit durchſtreiften und auf bie 
öffentliche Meinung ungefähr fo einwirften, wie jegt die Tageöprefle Und 
wahrlih, jchnel muß der Name Donaumarfe ein im Munde des Boll 
beliebter Laut geworden fein. ine merkwürdige Thatjache bürgt biefür: 
während in den lateiniſch gefchriebenen Urkunden und Chroniken des 10, 
11. und 12. Jahrhunderts die deutichen Provinzen regelmäßig Tateintiche 
Bezeihnungen empfangen, macht nur die Dftmarfe eine Ausnahme; fie wird 
feit dem Ende des 10. Jahrhunderts ftetd „Oftrih“ genannt.) 

Als erften Markgrafen hatte, wie früher gezeigt worden, Katfer Otto I. 
einen Burchard eingefegt, deſſen Geſchlecht wir fpäter kennen Iernen werben. 
Seit 976 folgte auf Burchard Marfgraf Liutbald, der Ahnherr der oſtric⸗ 
ihen Babenberger. Wo hauste nun urjprünglich diefer Liutbald ? 

Ich denke, auf der Burg Pechlaren, und zwar erftlich weil anzunehmen 
ift, daß das Nibellungenlied und aud, Adelolds Chronik nicht ohne irgend 
einen biftorijhen Grund den Sit des Markgrafen gerade nach Pechlaren 
verlegt; zweitens weil im Anfange der Verwaltung Liutbalds das Land von 
Pechlaren abwärts die Donau hinunter gar nicht in feiner Gewalt, fonvern 
von den Ungarn beſetzt war. Wie oben im Vorbeigehen bemerft worden, 
hatte Piligrim von Paffau um 982 Klage geführt, daß die in der OR 
marfe gelegenen Güter feined Stuhles neuli von den Ungam verwüftet 
worben feien. Kaiſer Dtto III. erließ deßhalb Befehle an den Markgrafen 
Liutbald, dem Unweſen zu fleuern und verjah ihn zugleich mit Streitkräften. 
Und nun geihah 983, was ein Mönd aus dem Klofter Mölk mit folgen; 
den Worten berichtet:?) „vom Kaifer beauftragt, rüdte Markgraf Liutbald 
mit Heeresmacht vor die Burg bei Mölk, welche ein mächtiger Ungarfürft, 
Geifa, zum Raubneft eingerichtet hatte, nahm und zerftörte fie, und grün 
dete unten im Drte gleichen Namens ein Stift von zwölf Chorherren, welde 
verantwortlich gemacht wurden, dafür zu forgen, daß fein Räuber mehr 
auf dem benachbarten Berge Befeftigungen anlege.“ Mölk war Das ältefle 
von Babenbergern gegründete Klofter. Nach dieſer Kriegsthat drang der 
Sieger weiter gegen Often vor, und bald darauf ward jener von Aventin 





1) Urfunde von 996: regio Ostarrichi. Meiller, ©. 2 Nr. 2; von 998: pagus Oster- 
riche. Ibid. ©. 3 Nr. 3; von 1002 Ostarriche ibid. Nr. 4; von 1058 Marca Osterriche 
©. 8. Nr. 4. und fonft fehr oft, ibid. S. 4. 7. 8. 9. 10. ?) Sanfig, german. sacra 
l, 225, 


Erſtes Bud. Gap. 8. Bairifhe Marken: b) Oftrich. 409 


ah Tulln verlegte Landtag gehalten, der Beichlüfe faßte, welche eine 
rößere Einwanderung nad Oſtrich veranlaßten. 

Vermählt war Marfgraf Liutbald I. mit Richenza, deren Gefchlecht 
nbefannt if. In dieſer Ehe zeugte er eine Tochter Chriftiana, die als 
tonne zu Trier ftarb, und vier Söhne Poppo, Adalbert, Heinrich, Ernft, 
ie alle hohe Würven erlangt haben. Adalbert und Heinridy folgten dem 
Zater in der Marfgrafihaft, Poppo trat in den geiftlihen Stand und 
arb 1047 als Erzbiihof von Trier; Ernft, Tochtermann des Herzogs 
Serrmann III. von Schwaben, erhielt 1012 nad defien Tode Alamans 
{end Fahne.) Der alte Markgraf Liutbald verlor im Juli 994 das 
eben durch die Hand eines Würzburger Dienftmanne. Er war vom 
ziſchofe diefer Stadt zur Feier des Kilianfeftes eingeladen worden. Wäh- 
end er früh morgens feine Soldaten „in ritterlihem Spiele” übte, traf 
yn ein aus Rache befiederter Pfeil, der feinen Tod zur Folge hatte. Das 
itterliche Spiel, welches der Zeuge diefed Vorfalls, Biſchof Thietmar von Mers 
burg, erwähnt, ?) verdient Beachtung; ich werde fpäter darauf zurüdfommen. 

Rah dem Tode des Vaterd erbte die Dftmarfe der erftgebome Sohn, 
Jeinrich I., welcher feine bedeutende Rolle gefpielt zu haben fcheint. Denn 
icht8 weiter melden die Chronifen von ihm, als daß er im Jahre 1015 
eim Feldzuge gegen die Polen tapfer mitfoht”) und 1018 eines plöß- 
hen Todes ftarb. ) Er hinterließ feine Kinder, die Oftmarfe ging deß⸗ 
alb an den jüngeren Bruder Adalbert über, ver fie bis zu feinem im 
Rat 1055 erfolgten Tode verwaltet hat. Zur Gemahlin erfor Adalbert 
ine Ungarn, Nichte des Königs Stephan und Schwefter des Könige 
Petrus, der auf Stephan folgte.) Laut Urkunden hieß fie Frowila.“) 
Diefe Ehe des Markgrafen bat ihm das Mißtrauen ded Kaijerd Hein: 
ich III. zugezogen, und für ihn und fein Haus jchlimme Folgen gehabt. 

Im Jahre 1039 rüdte der neue Ungarfönig Peter über die deutiche 
Srenze an der Donau und verheerte das Land, ohne daß Markgraf Adals 
ert, Peters Echwager, demſeiben Widerftand leiftete.) Diefe Unthäs 
igleit muß den Argwohn des deutihen Königs erregt haben, der auch 
achher noch Mißtrauen verrieth, obgleih Adalbert vereint mit feinem 
Sohne Liutbald II. 1042 dem Ungar Aba, der fi) furz vorher der Krone 
es geftürzten Peter bemädtigt hatte, eine enticheidende Niederlage beis 
rahte. Nachdem Herimann der Lahme dieß in feiner Ehronif zum Jahre 
042 berichtet, ) fährt) er zum Jahre 1043 alfo fort: „zu Ingelheim, 





1) Die Beweife bei Ekkard, histor. princip. Saxon. praefatio S. 15 u. 19 fig. 
) Chronic. IV, 14. Perg III. 774 oben: cum suis militibus ludens sagitta volante vul- 
eratus est. 3) Ibid. VII, 12 ©. 842. ) Annales hildesheim. ad a. 1018. Berk 
Oo, 95. 8) Die Beweife bei Ekkard a. a. D. ©. 22. 6) Meiller ©. 6 Nr. 11 
. 196 Rr. 34. 1) Gfroͤrer, 8. G. IV, 348, °) Berk VII, 124, 


410 Pabſt Gregorius VIL und fein Beilalter. 


wo der König fein Beilager mit Agnes von Poiton hielt, befoͤrderte er Lini⸗ 
bald den Sohn des Markgrafen Adalbert, einen jungen Mann von großer 
Tapferkeit und gewiffenhafter Treue, zum Markgrafen, aber wenig 
Tage fpäter farb Liutbald; feine Leiche ward nad Trier abgeführt, we 
der Oheim des Berftorbenen, Erzbiſchof Poppo, fie begrub.“ 

Neuere Schriftfteller wollen die Beförderung Liutbalds fo verftchen, 
als fei ihm nicht eine wirkliche Marke, ſondern nur die Anwartichaft auf 
die Nachfolge in der Würde des Vaters verliehen worden. Allein bie 
Deutung widerſpricht ten Haren Worten eined Chroniften, der mit Bedacht 
ſchrieb. Unzmweifelhaft hat die Stelle den Sinn, daß der deutſche König 
dem Sohne Adalberts eine eigene Marke übergab. Hieraus folgt aber 
daß Heinrich III. eine Probe jener Künfte der Politik ablegte, auf dk 
man jo häufig in feiner Regierungsgefchichte ftößt. Heinrich's Abfiht muf 
gewefen fein durch die gefährlihe Danaergabe den Vater mit dem Sohne 
zu verfeinden, und badurd dem gefürchteten Ehrgeizge des Erfteren Schren 
fen zu fteden. Allem Anſcheine nach betrachtete auch das babenbergiide 
Haus die Sache in diefem Lichte. Der Tod des unglüdlihen Jünglings 
den Herrmann der Lahme jo bebeutungsvoll gleih nad) der Beförberumng 
erzählt, ift ſchwerlich auf natürlihe Weiſe erfolg. Erwägt man, wie ber 
Reichenauer Chronift auch fonft durch fünftlihe Zufammenreihung von 
Thatfachen verftedte Dinge andeutet,‘) die er aus Furcht vor dem Deöper 
ten, der damals Deutſchland beherrfchte, nicht offen ausjprechen durfte, je 
muß man zwifchen jenen Zellen den Sag leſen: Liutbald fei als Opfer 
des Haſſes feiner Verwandten gefallen, den ihm ver König durch bie arg 
liſtige Belchnung zugezogen hatte, 

Weil dem fo iſt, fügt ber Chronift der Eharafterfchilberung des jungen 
Mannes den Zug gewiffenhafter Treue?) hei, und erwähnt das Begräbnif 
in Trier. Er will damit jagen: das an Liutbald verübte politische Verbrechen 
jet unnöthig gewejen, denn der junge Fürft würde ſich doch nicht gegen ben 
Vater empört haben, und weiter, der Oheim habe, die That mißbilligend, 
Vorſorge getroffen, daß die Leiche nicht in dem öftreichiichen Erbbegräbuifie, 
jondern auf lotharingiſcher Erde zu Trier beigefebt warb. 

Die Rolle, welche Heinrih III. dem jungen Babenberger zugebadi 
hatte, war auf gewaltfame Weife unmöglich gemacht worden; gleichwohl 
verzichtete der König nicht auf feinen gegen Adalbert gerichteten Plan, er 
bediente fih anderer Werkzeuge. Herrmann der Lahme jagt, Heinrich ILL 
habe im Jahr 1043 den Ungar genöthigt, einen Theil feines Reichs bis 
zur Leitha bin an die deutſche Krone abzutreten. Offenbar muß vide 


ı) Sfrörer, 8. &. IV, 487. 494. 560. 576. 7) Magnae virtatis et pietatis 
adolescens. 


Erſtes Buch. Gap. 13. Balrifche Marken: d) Oſtrich. 411 


Angabe ſo verſtanden werden, daß das abgetretene Gebiet gegen Weſten 
der gegen das deutſche Reich hin die Leitha zur Grenze hatte. Aber wo 
yegann daſſelbe vom ungarifhen Standpunfte aus, oder in öftlicher Richtung ? 
neines Erachtens an der Raab in der Art, daß der abgetretene Theil 
Angarıs die Strede zwiſchen Raab und Leitha begriff. Ich halte dieſes 
yarum für wahricheinlih, weil in einer Urkunde, ) angeblih aus dem 
Jahre 1073, die zwar handgreiflich unächt, aber alt ift, und deren unbes 
kanınter Berfafjer mit den dortigen Verhältnifien wohl befannt war, eine 
Marke an der Raab erwähnt wird. Run einen Theil eben dieſes erobers 
en Gebiets verwandelte König Heinrih IIL in eine Marke, welche ohne 
Srage dem Babenberger Apalbert zum Trotz gegründet worden iſt. 

Dis jetzt find 4 Urfunden,?) alle aus dem Jahre 1045, and Tagess 
licht gezogen, welde einen Markgrafen Sigifrid aufführen, der damals 
in befonderer Gunſt beim Könige ftand. Die Lage der Mark Sigfriebe 
erhellt aus den nämlichen Pergamenten. Kraft des einen ſchenkte der König 
jeinem Getreuen Reginold gewiffe Güter, gelegen zwiſchen der Fiſcha und 
Beitha im Gebiet ded Markgrafen Sigifried; kraft des andern verlieh er 
dem Klofter Altaicy Ländereien an der Zaia, abermals in des Markgrafen 
Sieifried Berirf. Die Marke des letztern 'erftredte ſich alfo dieſſeits der 
Donau zwiſchen den Flüſſen Fiſcha und Leitha und wahrfcheinlih noch 
weiter nach Dften, dann jenjeits des Stromes den Mardifluß hinauf bis 
zur Zala, welde in die March fällt. Dagegen reichte die Marfe Oſtrich 
im Jahre 1058 bis zur nämlichen Fiſcha bin, mit welcher 1045 der Be⸗ 
zirk Sigifrieds begann; denn im October 1058 fchenkte”) König Heinrich IV. 
bem Stifte St. Pölten 3 Königshöfe zu Mannswörth an ber “Donau 
„gelegen zwifchen Schwechat (unter Wien) und der Fiſcha in der Marf Oft- 
rich und im Gomitate des Markgrafen Ernſt,“ der feinem Bater Apalbert 
jet dem Mai 1055 gefolgt war. Kein Grund iſt vorhanden, anzunehmen, 
daß die Strede zwiihen Schwechat und Fiſcha nicht auch ſchon 13 Juhre 
früher, in Adalberts Tagen, zur Oftmarfe gehörte. Man flieht daher: jener 
Sigifrid war dem Babenberger in der Art auf den Nacken gefebt, daß bie 
zu Gunften des Erfteren errichtete Marke das Gebiet des Letztern von der 
Berührung mit Ungarn und folglich auch von der Möglichkeit weiterer Ers 
werbungen ausfchloß, die Damals allein gegen Oſten gemacht werden Fonnten. 
Wenn die Dinge fo blieben, drohte den Babenbergern Gefahr, ftille zu 
fiehen und den unberechenbaren Bortheil des Wahsthums, das allein in 
politiihen Körpern Leben erhält, zu verlieren. 








!) Meichelbek, histor. frising. I, 265: in marcha juxta Raabam fliuviam Chaniberge. 
Gibt es dort ein Königsberg oder Konberg ? %) Monum. boie. XXIX, a. ©. 81 fig. 
Nr. 362 u. 363, dann Böhmer, regest. Ar. 1525 u. 1530, ?) Meiller, ©. 8 Rr. 4. 


412 ab Gregorind VEL web fein Seitkiiet. 


Aber die Dinge blieben nicht fo: nach furzem Beſtehen muß Gigikie 
und feine Mark wieder verſchwunden fein. Nirgends if mehr won heben 
die Rede, und Biſchof Otto von Sreifing, ver ſelbſt dem Babenberger 
Haufe angehörte und die Berhältniffe der Oftmarfe wohl Tannte, berichtet,) 
"Markgraf Adalbert, Ernſt's Vater, habe die den Ungam abgenommenm 
Lande als Reichslchen mit der Oſtmarke vereinigt. Diefe Angabe Bei 
nur dann einen Sinn, wenn man vorausfeht, daß bie zu Bunflen Sitz⸗ 
frids errichtete Ungarnmarfe nad kurzer Dauer wieder eingegangen, mb 
zu Oftrid) gefchlagen worden if. Ä 

Markgraf Adalbert zeugte in der Ehe mit Froila zwei Söohne, ber 
erfigebornen Liutbald IL, ver auf die oben befchriebene tragiſche Weiſe 
endete und dann Ernft, der nad) dem im Jahre 1055 erfolgten Tod feined 
Baterd die Marke erbte. Emft beherzigte Wie Lehre, welde ber Galler 
Heinrich dem babenbergiichen Haufe gegeben. Stetö hielt er zur Krems; 
im Sommer 1061 nahm er mit dem Weimarer Marfgrafen Wilhelm Tell 
an dem unglüdlichen Feldzuge wider die Ungum. Nachdem der beuikde 
Bürgerfrieg ausgebrochen, vertheidigte er die Königliche Sache, unb Rad 
den 9. Juni 1075 an den Wunden, weldhe er Tage zuvor in der Schletht 
an der Unftrut gegen die Sadyjen davon getragen hatte. Die Ofmarfe 
war, wie man flieht, von Anfang an im Geſchlechte des erfien Babe 
bergers, Liutbald L, erblich, fie blieb e& auch weitere 200 Jahre bis zum 
Erloͤſchen des Hauſes. 

Meine Aufgabe bringt es mit ſich, daß ich zunächft Die Grenzen von 
Oſtrich beftimmen muß. Durch Urfunde ?) vom 3. Ockober 977 fchenkte 
Kalfer Otto II. der Kirche zu Lord dad Kammergut Ensburg, gelegen im 
Traungau, am Ufer der Eng, im Comitat Liutbalds (welcher einige Ei 
zuvor Markgraf genannt wird). Der bier erwähnte Traungau war eine 
der größeren de8 Reichs, denn er umfaßte ) das Gebiet auf beiden Ufen 
ver Flüffe Ens und Traun, von Eferding bis hinunter nah Ips. Iſt mm 
anzunehmen, daß in obigem Pergamente die Ausbrüde Traungau und 
Comitat Liutbalds ſich deden, mit andern Worten, daß das Comitat im 
Traungau, weldhes Markgraf Liutbald verwaltete, den ganzen Traungan 
in fich begriff? Schwerlich! verfchievene große Gaue, namentlich der beuad» 
barte Donaugau, waren damald erweislich % in mehrere Comitate geteilt. 

Eben dieß ift allem Anfcheine nad auch mit dem Traungau ber Fel 
gewefen; denn erftlich vergabte Kaifer Otto II., Fraft der nämlichen Urkuie, 
nachdem er die Lage Ensburgs ausführlich befchrieben, an Die Kirche von 




















1) Chronic. VI, 15: Urstisius I, 125. 3) Bon Meiller, Regeflen der B. Erik 
{ Rr. 2. _?) Chronioon. Gotwic. II, ©. 815. *) Jahrbücher des dentſchen Reiki 
La. ©. 176. 


Erſtes Bud. Gap. 13. Bairiſche Marken: b) Dſtrich. 413 


Lorch noch einige weitere Höfe, von denen bemerkt wird, fie feien auf dem 
weitlidhen Ufer der End gelegen, aber ohne Liutbalds oder feines Comitats 
zu gedenken: was meines Erachtens darauf Hindeutet, daß fie (und folglich 
mit ihnen andere Orte jenfeits) nicht zur Grafichaft Liutbalds gehörten. 
Fürs zweite wird ſich unten ergeben, daß zu gleicher Zeit, da Liutbald 
das Gomitat inne hatte, die Ahnherrn des Steyrer Haufes zu Steyer auf 
dem weftlihen Ufer des gleichnamigen Fluſſes ſaßen.) Wahrjcheinlich 
bilvete daher der Endfluß die weftlihe Grenze der Marke Liutbalds gegen 
das herzogliche Baiern. 

Gegen Rorden wird dad heutige Erzherzogthum unter der End durch 
die boͤhmiſche Gebirgskette vom Ezechenlande getrennt, eine Echeidelinie, 
welche die Ratur felber zog, und welde daher menſchliche Willfür kaum 
verrüden konnte. In der That findet man jchon ums Jahr 1000 nad) 
dieſer Richtung Hin dieſelbe Grenzbeſtimmung. Aus mehreren Urkunden 
erhellt, ) daß das Gebiet der Dftmarfe unweit der Ensmündung den 
Donauftrom überichritt, auf die böhmischen Berge zuftrihd und mun in 
worböftlicher Richtung längs dem Gebirg, weiter gegen Oſten längs der 
mwährifchen Grenze’) bis zu dem mittleren Laufe des Marchfluffes fich erftredte. 
Gegen Oſten reichte die Marke Liutbalds fo weit als fein gutes Echwert. 
Hier war die Grenze Oſtrichs beweglich, und rüdte in dem Maaße er 
tungener Siege vor. In einer Urkunde‘) Kaiferd Heinrih III. vom 
25. October 1051 heißt ed: „ich fchenfe der Kirche zu Haimburg den 10. 
Bauernhof und den Zehnten aller Garben der Striche längd der Ungarns 
grenze, die wir im Lande Dftrih mit unferem Schwerte dem Yeinde ab» 
genommen haben.” 

Die füdliche Richtung betreffend, iſt das heutige Herzogthum Oeſter⸗ 
teih unter der End umfäumt von einer Kette hoher Berge, die mit Aus- 
nahme des vorfpringenden Wiener Waldes, faft in gleicher Entfernung vom 
Donauftrome hinziehen und jegt öftreichiiche Alpen heißen. Eben dieſelben 
bildeten feit Ende des 10. Jahrhunderts die Südgrenze Oſtrichs, aber fie 
trugen damals einen andern Namen, man bezeichnete fie mit dem Ausbrude 
„lärthnifhes Gebirge”. Urkunde) vom 7. Mai 1034: „hinauf 
au der Ips (die von den öftreichifchen Alpen herabfließend bei der Stadt 
gleichen Namens in die Donau fällt) bie zum Gebirge Kärntheng.“ 
Die Pfarrei des unmeit der Erlaf gelegenen Ortes Steinenfirchen erftredte 
ſich die Erlaf hinauf bi8 an das Gebiet Kärnthens.“) Inter dem 


ı) Man vgl. noch die Bemerkungen Meillerd a. a. O. ©. 189. 2) Meiller ©. 
7 Nr. 17 u. Roten S. 199 Nr. 47. 3) Meiller, Reg. S. 2 Mitte: ad marewinos 
terminos. %) Monum. boica XXIX, a. ©. 104. 6) Meiler, Reg. S. 5 Nr. 7. 
°%) Pez, thesaurus anecdot. VI, a. ©. 72 Nr. 105: usque ad terminum Chernten. 


416 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Mur liegt. Andenken und vielleicht Umfang des Forſtes Sufll hat ſich is 
dem Namen der zwei Dörfer Saufal erhalten, die den Amtsbezirken Her 


racheck und SKleinftätten an der Sulm einverleibt find.) Endlich erhet 


aus einer Salzburger Urfunde ) vom Jahre 1051, daß zur Burg Zub 
das Land gehörte, das zwiſchen den Flüſſen Laßnig und Sulm von ibm 
Quellen auf den benachbarten Schramberger Alpen bis zu ihrer Mündung 
in die Mur fich erftredte. 

Wir kennen jegt etliche innerhalb der Marke Markwart's gelegene 
Güter, welde der König einem Dritten verlieh. Die Marke felbft aber 
reichte begreiflicher Weife über den Umfang der weggegebenen Länberelen 
hinaus; denn fonft hätte der König, vermöge jenes Afts, nicht etliche Orte 
in „der öftlichen Landſchaft“, fondern die Marke jelbft verjchenkt, was gegen 
den klaren Wortfinn ftreitet. Mittelft anderer Nachrichten kann man bar 
thun, daß in der Kärmthner Oftmarfe ein Schloß ftand, das nicht dem 
Könige, fondern dem Marfgrafen gehörte und das in der Geichichte Käm—⸗ 
thens eine Rolle fpielt. Die Ehronit von Altaich fehreibt ) zum Jahre 
1053: „der vom Kaifer neulich abgefchte Herzog Cuno von Baiern (ans 
dem pfalzgräflihen Haufe von Aachen⸗Tomberg) floh nad Ungarn zu Koͤ⸗ 
nig Andreas, brach hierauf mit ungarifcher Hülfe in Kaͤrnthen ein, wer 
wüftete das Land, bemächtigte fi der Hengftburg und warf eine flark 
Befagung hinein.” Lautet dieß nicht, als fei die Hengflburg eine Graͤm—⸗ 
feftung Kärnthens gegen Ungarn geweſen, und als müfle man fie in ber 
Marke Markwart's fuben? Ja, jo verhält fih die Sache in Wahrheit. 
Sie lag unweit Leibnig bei Wilden, und obgleid fie längſt zerftört if, hat 
fih ihr Andenken in dem Ramen der Pfarrgemeinde St. Lorenz in Hengs⸗ 
berg erhalten.) Eodann geht aus einer Urkunde‘) vom Jahre 1066 her 
vor, daß um die genannte Zeit Burg Hengift fi im erblichen Beftge des 
Hauſes befand, das, wie ich unten zeigen werde, Marfgraf Marfwart 
von Oftfärnthen, derfelbe, von dem hier die Rede tft, gegründet hat. 

Im Angefichte der eben entwidelten Thatfachen kann fein Zweifel fein: 
der Markbezirk Markwart's begriff das Gränz⸗Land zwiſchen den Flüſſen 
Drau und Mur, und derſelbe lag in einer Gegend, die offenbar vorzugs⸗ 
weife geeignet war, zur Marfe eingerichtet zu werden, fobald es ſich danım 
handelte, die Zugänge Kärnthensd gegen ungarische Angriffe zu fchirmen. 

Der Name Marfwart’8 taucht noch einmal empor und zwar in mer 
würdiger Gefellichaft. Ich komme abermals auf den öftreihifchen Landtag 
zurüd, den Herzog Heinrih von Baiern zwifchen 985—990 in Liutbal’s 


— — —— — — — 


1) Archiv für Kunde oͤſtr. Geſchichtsquellen, Jahrg. 1850 1, b. S. 173. 23) Klein: 
mayern a. a. D. Anhang Nr. 89 ©. 238, 2) Gieſebrecht, annah. altal. ©. 87. 
*) Archiv für öfter. Seid. a.a.D. ©. 179. °) Abgevrudt daſ. 6. Band ©. 892 fig. 


Erfted Bud. Gap. 13. Bairiſche Marken: Oftfärnthen. 417 


Marfe, laut dem Zeugniffe Aventin's) zu Tulln, hielt. Es war eine 
große und glänzende Verſammlung. Obgleich ganz Oftrich in geiftlicher 
Beziehung unter dem einen Stuhle von Paſſau ftand, erfchienen doch da⸗ 
ſelbſt auch noch andere Bilchöfe, vermuthlih darum, weil außer dem 
Paſſauer auch die Kirchenhäupter von Salzburg, Yreifing, Regensburg, 
dort unten Güter befaßen. Neben den ebenerwähnten Bifchöfen fanden ſich 
ferner viele Grafen und andere vornehme Herren ein. Gränzftreitigfeiten, 
Händel über Dein und Mein, wurden — und zwar nad altdeutſchem Ge- 
brauch — durch Zeugneid beigelegt. Als folche Zeugen fchwuren ?) mit 
Andern Graf Meginhard, Graf Pabo (mie ich fpäter zeigen werde, Burg- 
graf von Regensburg), dann Graf Martwart und fein Bruder 
Rüdiger. 

Der Titel Graf, den hier Markwart empfängt, beweist nicht entfernt, 
daß ein Anderer als der gleichnamige Markgraf gemeint fei. Denn faft 
jeder Mario beſaß — im Bereiche feiner Marfe — irgend ein Comitat, 
was insbelondere von Marfwart gilt, da ja die Burg Ziub, laut der 
Schenfungsurfunde von 970, im Eomitate des Markgrafen Markwart lag. 
Rah Belieben konnte man daher den Marchio audy Grafen nennen. Die 
geichieht häufig bezüglich des mächtigften unter allen bairiſchen Markgrafen 
Berthold's und feined Sohnes Hezilo’d, die in Stellen, wo nicht der lei⸗ 
fefte Zweifel fein fann, daß es fih um die beiden Markgrafen handelt, 
als Grafen aufgeführt werden. Sit aber der in den Tullner Landtagsver⸗ 
handlungen erwähnte Markwart eine Perſon mit dem Markgrafen von Oft- 
färnthen, jo folgt erftlih, daß die kärnthniſche Oſtmarke, obgleih damals 
Kärnthen zum mindeften feit zehn Jahren ein eigened Herzogthum bildete, 
noch immer vom bairifchen Herzogshute abhing. Trefflich wird diefe That- 
fache durch Zeugniffe befräftigt, die ich fpäter zu entwideln mir vorbehalte. 

Zweitend drängt fi) im vorausgefeßten Yale die Vermuthung auf, 
daß wir hier die hiftorfjchen Urbilder der beiden Marfgrafen Rüdiger und 
Markwart des Niebelungenlieded vor und haben. Zwar fcheint ed bedenf- 
ih, auf die Ausſage eines Gedichts hin, das jo viel Phantafterei enthält, 
einen biftorifben Schluß zu gründen — fofern nämlich nicht andere gewich— 
tige Beweiſe zur Seite ftehen. Aber ſolche Beweiſe find wirklid vorhan⸗ 
den. Ich ftelle als weiteren Zeugen die fogenannte Chronik von Pechlaren. 
Diefelbe verwirrt, wie ſchon früher bemerft worden, bie Zeiten, fie be» 
hauptet,’) daß Markgraf oder Graf Rüdiger von Pechlaren bis 916 die 
Mark Oftrih verwaltete; daß ihm dann ein gleihnamiger Sohn, Rü- 
diger II., folgte; daß diefer zweite Rüdiger bis 943 glorreich feine Marke 


) Oben ©. 406. ?) Meiller, Regeft. der Babenberg. ©. 2. 3) Deutiche 
Sahrbücder I, a. ©. 171 fig. ü 
Sfrörer, Pabſt Sregorius vu. Bd. L 27 


416 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


Mur liegt. Andenken und vielleicht Umfang des Forſtes Sufll hat 14 ia 
dem Namen der zwei Dörfer Saufal erhalten, die den Amtsbezirken Has 
racheck und Kleinftätten an der Sulm einverleibt find.) Endlich echch 
aus einer Salzburger Urfunde I vom Jahre 1051, daß zur Burg Zah 
das Land gehörte, das zwiſchen den Flüſſen Laßnig und Sulm von ikem 
Quellen auf den benachbarten Echramberger Alpen bis zu ihrer Mining - 
in die Mur fich erftredte. 

Wir fennen jegt etliche innerhalb der Marke Markwart's gelegen 
Güter, weldhe der König einem Dritten verlich. Die Marke felbit aber 
reichte begreiflicher Weife über den Umfang der weggegebenen Ländereien 
hinaus; denn jonft hätte der König, vermöge jenes Alts, nicht etliche Orte 
in „ber öftlichen Landichaft”, fondern die Marfe felbft verjchenft, was gegen 
den klaren Wortfinn ftreite. Mittelft anderer Nachrichten kann man dam 
thun, daß in der Kärnthner Oſtmarke ein Schloß ftand, Das nicht den 
Könige, fondern dem Markgrafen gehörte und das in der Geſchichte Klım 
thens eine Rolle fpielt. Die Chronik von Altaich fehreibt *) zum Sabre 
1053: „der vom Kaiſer neulich abgeſetzte Herzog Cuno von Baiern (au 
dem pfalzgräflihen Haufe von Aachen⸗Tomberg) floh nad Ungam zu Kb 
nig Andreas, brach hierauf mit ungariſcher Hülfe in Kärnthen ein, ver 
wüftete dad Land, bemächtigte fih der Hengftburg und warf eine fark 
Beſatzung hinein.” Lautet dich nicht, als fei die Hengflburg eine Gräw 
feftung Kämthene gegen Ungarn gewejen, und ald müfle man fie in der 
Marke Markwart’d juhen? Ja, fo verhält fi die Sache in Wahrkelt 
Sie lag unweit Leibnig bei Wilden, und obgleich fie längft zerftört if, hat 
fih ihr Andenken in dem Namen der Pfarrgemeinde St. Lorenz In Henzt⸗ 
berg erhalten.) ‚Sodann geht aus einer Urkunde‘) vom Jahre 1066 her 
vor, daß um die genannte Zeit Burg Hengift fi im erblichen Befige des 
Hauſes befand, das, wie ich unten zeigen werde, Markgraf Markwart 
von ÖOftfärnthen, derſelbe, von dem hier die Rede tft, gegründet hat. 

Im Angefichte der eben eutwidelten Thatſachen fann fein Zweifel fen: 
der Markbezirk Markwart's begriff das Gränz⸗Land zwiſchen ben Flüſen 
Drau und Mur, und derſelbe lag in einer Gegend, die offenbar vor 
weife geeignet war, zur Marfe eingerichtet zu werben, fobald es fi danım 
handelte, die Zugänge Kärnthend gegen ungarische Angriffe zu ſchirmen 

Der Name Markwart's taucht noch einmal empor und zwar in maf 
würdiger Gefellichaft. Ich komme abermals auf den öftreichifchen Landtag 
zurüd, den Herzog Heinrich von Baiern zwiſchen 985—990 in Llutbah't 


— — — — — — 


1) Archiv für Kunde öftr. Geſchichtsquellen, Jahrg. 1850 L, b. S. 173. 2) Klein⸗ 
mayern a. a. O. Anhang Nr. 99 S. 238. 2) Gieſebrecht, annah. altal. ©. 87. 
*) Archiv für öferr. Geſch. a. a. O. ©. 179. °) Abgedruckt daf. 6. Band ©. 392 fie. 


Erſtes Bu. Gap. 13. Bairiſche Marken: Oftfärnthen. 417 


Harfe, laut dem Zeugniffe Aventin’6') zu Tulln, hielt. Es war eine 
moße und glänzende Verſammlung. Obgleich ganz Oſtrich in geiftlicher 
Beziehung unter dem einen Stuhle von Paſſau ftand, erfchienen doch da- 
elbſt auch noch andere Bilchöfe, vermuthlih darum, weil außer dem 
Buflauer. auch die Kichenhäupter von Salzburg, Freifing, Regensburg, 
vort unten Güter befaßen. Reben ven ebenerwähnten Bifchöfen fanden ſich 
erner viele Grafen und andere vornehme Herren ein. Gränzftreitigfeiten, 
Dänbel über Dein und Mein, wurden — und zwar nad altdeutichem Ge: 
naucdh — durch Zeugneid beigelegt. ALS folhe Zeugen fehwuren ?) mit 
Hubern Graf Meginhard, Graf Pabo (wie ich fpäter zeigen werde, Burg- 
yraf von Regensburg), dann Graf Marfwart und fein Bruder 
Rüdiger. 

Der Titel Graf, den hier Markwart empfängt, beweist nicht entfernt, 
vaß ein Anderer ald der gleichnamige Markgraf gemeint fei. Denn faft 
der Mario beſaß — im Bereiche feiner Marke — irgend ein Comitat, 
was insbejondere von Marfwart gilt, da ja die Burg Ziub, laut der 
Schenkungsurkunde von 970, im Comitate des Markgrafen Marfwart lag. 
Rah Belieben fonnte man daher den Mario auch Grafen nennen. Dieß 
geichieht häufig bezüglich des mächtigften unter allen bairiſchen Markgrafen 
Bertholv’8 und feines Sohnes Hezilo's, die in Stellen, wo nicht der lei- 
fee Zweifel fein fann, daß es fih um die beiden Marfgrafen handelt, 
als Srafen aufgeführt werden. Iſt aber der in den Tullner Landtagsver⸗ 
bandlungen erwähnte Markwart eine Perſon mit dem Markgrafen von Oft 
fimtben, fo folgt erftlih, daß die Färnthnifche Oftmarfe, obgleih damals 
Karnthen zum mindeften jeit zehn Jahren ein eigenes Herzogthum bildete, 
och immer vom bairischen Herzogshute abhing. Trefflich wird dieſe Thut- 
ſache durch Zeugnifie befräftigt, die ich fpäter zu entwideln mir vorbehalte. 

Zweitend drängt fih im vorausgeſetzten Bulle die Vermuthung auf, 
daß wir bier die hiftorifchen Urbilver der beiden Markgrafen Rüdiger und 
Rarfwart des Niebelungenlieves vor und haben. Zwar fcheint ed bebenf- 
lich, auf die Ausfage eined Gedichts hin, das fo viel Phantafterei enthält, 
einen hiſtoriſchen Schluß zu gründen — fofern nämlich nicht andere gewich— 
ige Beweiſe zur Seite ftehen. Aber ſolche Beweiſe find wirflih vorhan- 
en. Ich ftelle ald weiteren Zeugen bie fogenannte Chronik von Pechlaren. 
Diefelbe verwirrt, wie fchon früher bemerkt worben, die Zeiten, fie be> 
ſauptet,) daß Markgraf oder Graf Rüdiger von Pechlaren bis 916 bie 
Rarf Oſtrich verwaltete; daß ihm dann ein gleichnamiger Sohn, Rü- 
iger II., folgte; daß diefer zweite Rüdiger bi8 943 glorreich feine Marke 


') Oben ©. 406. 2) Meiller, Regeft. der Babenberg. ©. 2. 3) Deutfche 
tahrbücher I, a. ©. 171 fig. ü 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vIL Bd. L. 27 


420 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Abſetzung das Herzogthum fammt der Oftmarfe verwaltet. in merktwür 
diger Bericht iſt neuerdings veröffentlicht ) worden, den ein unbefanakı 
Elerifer, welchen Biſchof Azelo von Worms nad Mainz gejendet hat, 
wo damals viele Fürften tagten, um audzufundfcaften, was vorgehe, a 


feinen geiftlichen Gebieter erftattete. Der wefentlihe Inhalt — fofeme 


die Marfe betrifft — das Uebrige werde id) at einem andern Orte nat 
holen — lauft auf folgende Punkte hinaus: Kaiſer Conrad II. hegt bitten 
Grol gegen Herzog Adalbero von Kärnthen, und hat den Ständen um 


dem eigenen Thronerben Heinrich III. zu Trog die Verurtheilung des de . 


haßten erzwungen. Schon ift die Marke Adalbero’8 an einen Anden, au 
A. v. % (die Namen find nit ausgefchrieben) vergeben, das Herzogthum 
aber noch nit. Doc geht das Gerüdt, daß Cuno (Conrad der Jünger) 
demnähft an den Hof reiten wird, damit bie. erledigte Fahne hm zu 
Theil werde. 

Die Reichschroniken melden,) daß das Urtheil der: Abſetzung über 
Adalbero 1035 erging: in dieſes Jahr fällt folglich der Bericht des Unbe 
fannten. Conrad der Jüngere ſetzte wirflid feinen Zwed durd, aber af 
im Februar 1036, da ihn der Kaifer auf einem Neichötage zu Augsbun 
mit Kärnthen belehnte.) Wir wollen zunäcft den Geftürzten in's Auge 
faffen. Wie es fcheint, hielt Adalbero ven kärnthniſchen Grafen Wilheln 
für den Urſächer ſeines Sturzes; denn die Chronif von Hildesheim mel 
det, daß er denfelben todtſchlug. Nach dieſem Morde mußte Adalbero das 
Land meiden und verftedte fich irgendwo in einer Burg. Jedoch einige 
Zeit ſpäter, da Kaiſer Conrad (d. Juni 1039) das Zeitliche gefegnet hatt, 


fehrte der. Verbannte in die Fämthnifche Heimath zurüd, fand ader de ı 


noch im nämlichen Jahre jeinen Tod. °) 


Die Leiche ded gewejenen Herzogs wurde In dem einige Jahre frühe . 


gegründeten Klofter Geifenheim beigefegt, das im Regensburger Hocfil 


füpfih von Vohburg an der Ilm lag. Hier erfhienen nach einiger Zi | 


Adalbero's Söhne, Markwart IL und der Elerifer Adalbero IL, welde 
nachher Kaifer Heinrich III. an Weihnachten 1053 auf den Stuhl vo 
Bamberg beförberte,t) jo wie des Todten Bruder, Eberhard, und ftiftetn 


zum Seelenheile des Verblichenen den Forft Mosbach und das Dorf Dem | 


| 


hofen. Warum ift Adalbero zu Geiſenheim beigefegt worden, und woht 


gelangten die Söhne zu den bairifchen Gütern, die fie an die Abtei ver 
gabten? Beides erklärt fi meines Erachtens am beften durch die Vorauk 
jegung,. daß Markwart I. aus der Gegend von Geifenheim Co. h. aus 
Golvern)  eöflamınie, und deßhalb Erbgüter in Baiern befaß. Ich halt 


*) Abgebrudt bei Gieſebrecht, deutfche Kaifer II, 611. 2) Perk IIL, 100. v, iꝛ 
®) Annal. altah. ed. Giesebrecht S. 60. *) Berk V, 133. 





Erſtes Bud. Gap. 13. Bairifhe Marken: c) Oflfärnthen. 421 


ihn für einen Enfel oder Urenfel jenes bairiihen Grafen Markwart von 
940, weßhalb id legteren auch an die Spipe Des Geſchlechts geſtellt habe. 
Nicht umſonſt trug in Adalbero's Hauſe ſtets der Enkel zu Ehren des 
Großvaters den Namen Markwart. 

Und nun zurück zur Marke. Wer war der A. v. L., ver fie 1035 als 
Nachfolger Adalbero's erhielt? Cine Urkunde) vom Jahre 1043 führt 
Arnold als kärnthniſchen Markgrafen auf; dieſer Arnold aber gehörte, wie 
ich ſogleich zeigen werde, dem Haufe von Lambach (im heutigen Eraherzog- 
thum ob der End) an. Somit hätten wir die Anfangsbuchftaben A. v. 2. 
erklärt. Indeß war Amold zur Zeit, da er die Marfe übernahm, ſchon 
Bee und bedurfte eines rüftigen Gehilfen, ven er auch in der Berfon 
feines eigenen Sohnes Gottfried, eines gefeierten Soldaten, — ohne Frage 
mit kaiſerlicher Einwilligung — erhielt. Unter dem 7. Nov. 1042 fchenfte?) 
König Heinrih III. dem Markgrafen Gottfried zwei Schaghöfe, gelegen in 
Der dem vorgenannten Marfgrafen zugeorpneten Grafihaft Hengift (das 
Sand um die Burg war zum Comitat geworden). Drei Jahre fpäter, den 
7. Dez 1045 vergabte*) ebenverfelbe an den Dom von Salzburg das Kron- 
gut Liutoldesdorf, gelegen in der Grafſchaft Gottfriev’s, fammt dem Forfte 
Suſil am Ufer der Lasniz: lauter Gegenden und Orte, welde ſchon 
970 Markwart's I. Markbezirk in ſich Ichloß. 

Auch die Reichsannalen erwähnen in ehrenvoller Weiſe Gottfriev’s 
Samen. Laut der Chronik!) von Altaih brachte Markgraf Gottfried den 
Ungarn 1042 eine ſchwere Niederlage bei Pettau bei. Pettau liegt an ber 
Drau, füplih von Radkersburg, füpöftlih von der Burg Hengif. Im 
alle eined Krieg mit den Ungarn mußte ed ungefähr in jener Gegend 
aum Zufammenftoße fommen, wenn andere die kärnthniſche Oſtmarke fo 
geftaltet war, wie früher nachgewiefen worden. Man darf dryer das 
Schlachtfeld von Pettau als eine Beftätigung der oben entwidelten Dert- 
Yichkeiten betrachten. Jener Sieg hat dem Markgrafen dauernde Früchte 
getragen. Und nun ift «8 Zeit, daß wir die Yamilie Gottfried's in's 
Auge faflen. 

Gegen Ende des 12. Jahrhunderts beſchrieb ein unbekannter Mönd) 
Das Leben des Biſchofs Adalbero von Würzburg, der fpäter in dem 
Kirchenftreite zwifchen Gregorius VII. und Heinrich IV. eine hervorragende 
Molle fpielte, und ein Bruder des Markgrafen Gottfried war. Der Bios 
graph berichtet) im Wefentlihen: „auf dem Schloſſe Lambach an ber 
Traun, mit welchem eine Zolftätte verbunden war, wo ſeit alter Zeit alle 
wie, welche überfegen wollten, Abgaben entrichten mußten, hauste ein Graf 


1) Archiv öfter. Welch. B. 6, 389. ) Ibid. ©. 385. 3) Ibid. 390. 9) Gie⸗ 
Jebrecht, annal. altah. S. 66. °) Perg W, 129 unten flg. 


420 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 














Abſetzung dad Herzogthum fammt der Oftmarfe verwaltet. Ein merteig 
diger Bericht iſt neuerdings veröffentlicht ) worden, den ein unbela 
Elerifer, welchen Biſchof Azelo von Worms nah Mainz geſendet Hai 
wo damals viele Fürften tagten, um auszukundſchaften, was vorgebe, 
feinen geiftlihen Gebieter erftattete.. Der wefentlihe Inhalt — ſofem @: 
die Marke betrifft — das Uebrige werde ich an einem andern Orte nag 
holen — lauft auf folgende Punkte hinaus: Kaiſer Conrad II. hegt bitte 
Grol gegen Herzog Adalbero von Kärnthen, und bat ven Ständen 
dem eigenen Thronerben Heinrich III. zu Troß die Verurtheilung des € 
haften erzwungen. Schon ift die Marke Adalbero's an einen Andem, « 
4. v. % (die Namen find nicht ausgelchrieben): vergeben, das Herzogiäug 
aber noch nicht. Doc geht dad Gerücht, daß Euno (Conrad der Jüngen 
demnähft an den Hof reiten wird, damit die erledigte Yahne ad 
Theil werde. 
Die Reihschronifen melden, ?) daß das Urtheil der Abſetzung übe 
Adalbero 1035 erging: in dieſes Jahr fällt folglich der Bericht des 
fannten. Conrad der Jüngere feste wirklich feinen Zweck durch, aber ek 
im Februar 1036, da ihn der Kaifer anf einem Reichdtage zu Augsbuge 
mit Kärntben belehnte.) Wir wollen zunächſt den Geftürzten in’s 9 
faffen. Wie es fcheint, hielt Avalbero den Färnthnifchen Grafen Wilhein 
für den Urfächer feines Sturzes; denn die Chronik von Hildesheim me 
det, daß er denfelben todtſchlug. Nach diefem Morde mußte Aoalbero de 
Land meiden und verftedte ſich Irgendwo in einer Burg. Jedoch einig 
Zeit ſpäter, da Kaifer Conrad (4. Juni 1039) das Zeitliche gefegnet hatte 
fehrte der Verbannte in die Färnthnifche Heimat zurüch, fand ader de 
noch im nämlichen Jahre feinen Tod.“) | 
Die Leihe des gewejenen Herzogs wurde in dem einige Jahre 
gegründeten Klofter Geiſenheim beigejeßt, dad im Regensburger He 
fübfich von Vohburg an der Ilm lag. Hier erfdienen nad) einiger 3 
Adalbero's Söhne, Marfwart II. und der Elerifer Adalbero IL, welchen 
nachher Kaiſer Heinrich "III. an Weihnachten 1053 auf den Stuhl * 
Bamberg beförderte, jo wie des Todten Bruder, Eberhard, und ſtifteten 
zum Seelenheile des Verblichenen den Forſt Mosbach und das Dorf Bers 
hofen. Warum ift Adalbero zu Geifenheim beigefegt worben, umb woher 
gelangten die Söhne zu den batrifchen Gütern, die fie an die Abtei ven 
gabten? Beides erklärt fi meines Erachtens am beften burd die Boraube 
ſetzung, daß Markwart I. aus der Gegend von Geifenheim (d. h. aus 
Golvern) abftammte, und deßhalb Erbgüter in Baiern befaß. Ich halte 


1) Abgedruckt bei Gieſebrecht, deutfche Kaifer IL, 611. *) Perg IL, 100. V, 12%. 
?) Apnal. altah. ed. Giesebrecht &. 60. *) Perk V, 183. 


















Erſtes Bud. Gap. 13. Bairifche Marfen: c) Offärnthen. 421 


Ba für einen Enkel ober Urenkel jenes bairiichen Grafen Markwart von 
MO, weßhalb ich legteren auch an die Spitze des Geſchlechts geftellt habe. 
Bit umfonft trug In Moalbero’s Haufe ſtets der Enfel zu Ehren bes 
Broßvaters den Namen Marfwart. 

Und nun zurüd zur Marke. Wer war der A. v. L., der fie 1035 als 
Machfolger Adalbero's erhielt? Eine Urkunde‘) vom Jahre 1043 führt 
Hmofd als färnthnifchen Markgrafen auf; diefer Arnold aber gehörte, wie 
Bi ſogleich zeigen werde, dem Haufe von Lambach (im heutigen Erzherzog. 
Mam ob der Ens) an. Somit hätten wir die Anfangsbuchftaben A. v. 2. 
erflärt. Indeß war Arnold zur Zeit, da er die Murfe übernahm, jchon 
Bechbetagt und bedurfte eines rüftigen Gehilfen, den er aud in der Perfon 
feine® eigenen Sohnes Gottfried, eines gefelerten Soldaten, — ohne Frage 
weit Faiferliher Einwilligung — erhielt. Unter dem 7. Nov. 1042 ſchenkte) 
König Heinrich III. dem Markgrafen Gottfried zwei Schaghöfe, gelegen in 
Der dem vorgenannten Markgrafen zugeordneten Grafihaft Hengift (das 
Band um die Burg war zum Comitat geworben). Drei Jahre fpäter, den 
J. Dez 1045 vergabte‘) ebenderjelbe an den Dom von Salzburg das Kron- 
u Liutoldesdorf, gelegen in der Grafſchaft Gottfried's, fammt dem Forſte 
St am Ufer der Lasniz: lauter Gegenden und Orte, welde ſchon 
BT Markwart's I. Markbezirk in ſich ſchloß. 

Auch die Reichsannalen erwähnen in ehrenvoller Weiſe Gottfried's 
Mamen. Laut der Chronik!) von Altaich brachte Markgraf Gottfried den 
Mingam 1042 eine ſchwere Niederlage bei Pettau bei. Pettau Tiegt an der 
Drau, ſüdlich von Radkersburg, jüdöftlih von der Burg Hengift. Im 
Salle eines Kriegs mit den Ungarn mußte e6 ungefähr in jener Gegend 
zum Zufammenftoße fommen, wenn anderd die kaͤrnthniſche Oſtmarke fo 

‚ gefaltet war, wie früher nachgewiefen worden. Man darf dryer das 
i Schlachtfeld von Pettau ald eine Beftätigung der oben entwidelten Dert- 
E Yifeiten betrachten. Jener Sieg hat dem Markgrafen dauernde Früchte 
‚ getragen. Und num iſt es Zeit, daß wir die Familie Gottfried’ in's 
E Sage faflen. | 
} Gegen Ende des 12. Jahrhunderts beſchrieb ein unbefannter Mönd) 
das Leben des Biſchofs Adalbero von Würzburg, der jpäter in dem 
Kirchenftreite zwifchen Gregorius VII. und Heinrih IV. eine hervorragende 
Rolle fpielte, und ein Bruber des Marfgrafen Gottfried war. Der Bio: 
graph berichtet) im Wefentlihen: „auf dem Schlofje Lambach an ber 

Sraun, mit welchem eine Zolftätte verbunden war, wo feit alter Zeit alle 

die, welche überjegen wollten, Abgaben entrichten mußten, hauste ein Graf 


1) Archiv fir. Geſch. B. 6, 389. ı) Ibid. ©. 385. 3) Ibid. 390. &) Gie⸗ 
febrecht, annal. altah. ©. 66. °) Perk XII, 129 unten flg. 


’ 


422 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Arnold, der in der Ehe mit der hochgebornen Frau Regila aus fraänkiſchem 
Stamme mehrere Kinder zeugte, worunter Adalbero und Godfried, fo wie 
eine Tochter (fie hieß‘) Mechtild), welche ſich fpÄäter mit dem Grafen Et 
bert von Neuburg am Inn vermählte. Apalbero widmete fi dem geift- 
lihen Stande, und ward von König Heinrich III. 1045 auf den Stuhl 
von Würzburg erhoben.) Der ältere Cohn, Godfried, zeichnete ſich ald 
Eoldat aus, gewann glorreihe Eiege über die Ungarn und ftieg zur Würde 
eined Markgrafen empor. Sein Herriderfig war die Veſtung Bütten, 
welhe den Mittelpunft vieler gegen die Ungarn erbauten Schlöſſer bildete: 
weithin mußte dad umliegende Land ihm zinjen.” 

Pütten liegt im oberen Thale der Leitha, ſüdlich von Wieneriſch Neu: 
ftabt, weftlih von Dedenburg, unfern der heutigen Gränze Niederöftreiche 
gegen Ungarn, und Godfried's Gebiet muß laut ver Beichreibung des 
Mönchs ziemlih weit in das Land der Magyaren hincingereicht haben. 
Beim erften Anblick ſcheinen dieſe Ausfagen faum glaublich, denn die oſtkaͤrnth⸗ 
niihe Marfe, welche Godfried jammt feinem Vater Amold feit 1035 ver: 
waltete, lag 50 — 60 Etunden jürlih von Pütten zwiſchen Mur um 
Drau; und plöglich fol die Marfe weit gegen Norven hin erweitert wor: 
den jein! Die Dertlichkeit von Pütten hilft auf die wahre Deutung. In 
Folge des Sieges, den Marfgraf Godfried 1042 erftritten, bat, wie oben 
gezeigt worden, König Heinrich III. die Ungarn genöthigt, das Land zwi: 
Ihen Leitha und Raab an die deutiche Krone abzutreten, hat weiter aus 
diefem Gebiet eine Marke, oder jo etwas geformt, doch fo, taß fie nidt 
in den Befig eined Einzigen gelangte, jondern an zwei, den oben envpähnta 
Markgrafen Eigifried, deſſen Herridaft jevoh nur furze Zeit dauerte, um 
an unfern Godfried vertheilt ward. Godfried erhielt das Fürſtenthu 
Pütten unter anderen Beringungen, ald er oder fein Water Amold dr 
Dftmarfe übernommen hatte; nämlich jenes war ein Erblehen, verbunden mi 
Nachfolge der Kunfel, die Marfe dagegen verblich nach Godfried's Tor 
in männlichen Händen. 

„Man weiß nicht, wann Arnold, Godfrieds Vater, ftarb. Der Mönt 
berichtet, daß er, ehe er das Zeitliche gefegnete, feinen Stammſitz Lan 
bad in ein Klofter umſchuf. Eben dieſes Etift ftattete Biſchof Adalben 
von Würzburg, ald Erbe Arnolds, durch Urkunde) vom Jahre 1056 mi 
Gütern aus. Auf folhe Weile erwarb die neue Abtei, außer Lambat 
und dem Marftfleden Wels, große Forſte im heutigen Oberöftreich, fo mt 
im Main’ihen Franken die Orte GeroltShofen und Ansbach, welde wei 
dem Mürzburger Bifchofe von Seiten feiner Mutter zugefallen waren, I 


























) Monum. boic. IV, 12. 2) Berk V, 125. 2) Berk XU, 133. 


Erſtes Bud. Cap. 7. Bairifhe Marken: d) Bütten. 423 


in |päterer Zeuge aus dem gräflihen Haufe von Weinsberg im heutigen 
Bürttemberg ableitet. *) 

Auh das Todesjahr Godfriede wird meines Willens von feinem 
jeugen angegeben. Im Sommer 1053 hat, wie oben gezeigt worden, 
er abgejegte bairijhe Herzog Cuno die Hengftburg, auf der die oftfärnth- 
liſchen Marchionen jußen, mit ungarifher Hülfe gewaltfam befegt. Sch 
weifle, ob Godfried dieſes Ereigniß erlebte, da die Quellen fonft irgend 
twas über die Stellung, die er zu Cuno einnahm, fagen würden, wähs 
end fie doch gänzlid hievon ſchweigen. Nach feinem Tode fand eine 
Eheilung feines Nachlaſſes Statt: die Marfe gelangte an das Haus von 
Steier, das Püttener Gebiet dagegen fiel der Schwefter Godfrieds, Med): 
ide und ihren Kindern zu: „Nachdem Godfried (kinderlos) geftorben war,“ ?) 
agt der Mönch, „erbte feine Schwefter Pütten fammt Allem, was dazu 
‚ehörte.“ 


Das Haus Wenburg-Sormbar-Pätten. 


Eine im bairiſchen Kloſter Formbach, das zwiſchen Paſſau und 
härding auf dem linken Ufer des Inns liegt, abgefaßte Etammtafel ) 
ſt vorhanden, welche an die Spitze des genannten Geſchlechts einen Graf 
Urich ſtellt, der 6 Söhne gezeugt haben ſoll, worunter Tiemo J., der das 
Haus fortpflanzte. Wirklich kommt in Urkunden von 1005 an ein Tiemo - 
yor,*) der dad Comitat im Schweinachgau (an der Donau bei Vilshofen) 
verwaltete, die Vogtei über dad Klofter Tegernfee befaß und — im Jahr 
1028 auch ald Domvogt von Regensburg erfcheint. Man fann nicht bes 
weifeln, daß er eine und diejelbe Perſon ift mit dem Tiemo der Form⸗ 
yacher Stammtafel. Tiemo hatte eine nahe Anverwandte Himiltrud, weldye 
m Orte Formbach felbft ein Klofter gründete und in den Stiftungsbrief 
Ye Beftimmuug einfügte, daß Tiemo und nad ihm ftetd der Altefte unter 
einen Söhnen und Enfeln erblicher Vogt befagter Abtei fein follte. Aber 


*) Ibid. 129 Note 4. 2) Ibid. 130. 2) Monum. boic. IV, 9 flg. °) Urs 
unde vom 5. Nov. 1005, monum. boic. XI, 134: villa Ulinspach sita in pago Sweini- 
jowe in comitatu Tiemonis comitis. Urfunde vom Juni 1009, daf. ©. 136: villa Hen- 
rensberg in comitatu Tiemonis praesidis. Brief des Abts Eberhard von Tegernfee an 
Tiemo, ald Schußvogt des Klofters, bei B. Pez, cod. diplom. hist. epistol. pars I (anec- 
lot. Vol. VI) ©. 137 Nr. 5. Urkunde vom Jahre 1028 bei Ried, cod. ratisbon. I, ©. 
147 Nr. 153: facta sunt haec episcopo ratisbonensi Gebehardo II, abbate Richolfo, 
ıdvrocato ejusdem dioecesis Timone de Formbach. Letztere Urfunde hat zwar falfche 
Zeitbeflimmungen und ift darum verbächtig, aber ald Zeugniß über die Perfon des Doms 
ogts behält fie ihr Gewicht. 


424 Pabſt Gregoruis VIL und fein Zeitalter. 


mal eine Nachahmung des von dem Haböburger Werner, Biſchof p 
Straßburg gegebenen Beiſpiels. 


Dem Willen der Stifterin gemäß wurde Tiemo erſter Schutzvogt bei : 


Formbacher Stifts. Er hinterlich außer etlihen andern Kindern 3 Söhm, 
welche ſich vermählt haben: Tiemo II, rieverih und Meginhard. Der 
zweite unter ihnen, Friederich heirathete Gertrud, die Tochter des ſächfiſchen 


Grafen Eonrad von Haldensleben, ) und zeugte mit ihr eine Erbin Her 


wig, welche durd die Schiefale ihrer Mutter nad Sachſen geführt, don 
eine glänzende Verbindung ſchloß. Graf Frieverih von Formbach farb 
nemlih vor 1060, worauf Gertrud in ihre Heimath zurüdfehrte und 
dort in zweiter Ehe den vorlegten Billunger, Herzog Ordulf, heirathete. ’) 
Im nämlichen Lande fand ihre Tochter Hedwig einen Gemahl in der Per 
fon des Grafen Gebhard von Suplinburg, dem fie aud im Jahre 1075 
einen Sohn gebar, jenen Lothar, der nah dem Untergang des faliichen 
Haufed deutfcher Kaifer geworden if. Die Großmutter Lothars, Gertrud, 
jeit ihrer zweiten Vermählung Herzogin von Sachſen, ftarb *) im höchſten 
Greifenalter 1116, nachdem fie die Anfänge der Größe ihres Enkels er 
lebt hatte. 

Tiemo’8 I. Erftgeborner, Tiemo IL, erbte die Würden des Vaters. 


Allem Anjcheine nad ift er eine und biefelbe Perjon mit dem Tieme, | 


welden eine Urfunde Heinrichs II. vom Februar 1049 als Grafen von 
Hengerdberg an der Donau nicht weit von Vilshofen aufführt. Auch die 
Bogtei von Formbach übernahm er. Mit einer Gemahlin, deren Geſchlecht 
man nicht Fennt, zeugte Tiemo IL. zwei Söhne, Egbert I. und Helnrid. 
Der ältere von diefen Beiden, Egbert, ift e8 nun, der Mechtilde, die Erbin 
von Lambach, ehelihte, und durd ihre Hand das Fürftenthum Pütten er 
langte. Seitdem führt er in Urfunden*) abwechjelnd den Titel Graf von 
Pütten over Graf von Formbach. Bei Ausbruh des Bürgerkriegs ergrif 
er im Bunde mit dem Salzburger Metropoliten und dem Würzburger Bi 
ſchofe Adalbero, feinem Schwager, PBarthei für die Kirche, litt hiebund 
ſchwer, mußte fogar nah Ungarn entfliehen. %) Aus lekterem Lande zu 
rüdgefehrt, beichenfte?) er das Klofter Formbach mit Gütern, die zum 
Theil dem Püttener Erbe angehörten, wie Glocknitz, wo jeßt die öfrd- 
chiſche Südbahn den Sömmering hinanfteigt. 

Der gleichnamige Enkel Eckberts J., der um 1110 ſtarb, Edben ll. 


) Lüneburg’fche Chronik bei Ekkard, corpus bistor. medi aori I, 41372 ſanmi dir 
Geſchlechtstafel a. a. O. ©. 9 u. 10. *) Da Herzog Ordulf, Gertrubens zweiter Gr 
mahl, ſchon 1071 mit Tod abgieng (Pertz V, 195), muß ihr erfter Mann um ein Rat: 
liches früher geflorben fein. ?) Berk VI, 754 oben. *) Die Belege. bei. Bebbark, 
Geſchichte der beutfchen Reichsſtaͤnde II, 223. 6) Monum. boic. IV, 18. 


Erſtes Buch. Gap. 13. Bairifche Marken: e) Steier. 4925 


wird in Urkunden gewöhnlid Graf von Pütten genannt, ) indeß erhält 
er zuweilen — obwohl, wie es fcheint, nur mißbräudlid — den Titel 
eines Marfgrafen. Mit ihm erlofh das Geſchlecht. Dan nehme num 
eine Karte zur Hand. Die Ede des heutigen Ungams, welche zwiſchen 
Pütten und dem Neufiedler See liegt, iſt mit Ortſchaften angefüllt, die 
lauter deutſche Namen tragen. Einwanderer aus den alten Brovinzen des 
Reichs müſſen in Mafje dorthin geftrömt fein. Das war meined Erachtens 
eine Wirfung davon, daß Godfrieds Erwerbung in den Beſitz eines bairi⸗ 
hen Grafenhaufes gelangte, welches feinen Bortheil darin fand, den Er- 
trag der ererbten ungarifchen Güter durch deutſche Anſiedlungen zu erhöhen. 

Wenden wir und nun zum andern Haupttheil des Godfriediſchen 
Nachlaſſes, zur kärnthniſchen Oftmarfe zurüd. Seit 1056 erſcheint dort 
als Marfgraf ein Otachar. Schenkung?) vom Jahre 1056: „Odalisnitz 
gelegen in der Marke und im Comitate ded Markgrafen Otachar.“ Der 
Drt heißt jetzt Disnig und gehört zur Pfarrei Preding, weftlih von Wil- 
don. Urkunde ) vom 1. Juni 1059, kraft welcher König Heinrich IV. 
dem Salzburger Stuhle vergabte fünf Krongüter zu Gumpertftetten, ge: 
legen in der katantaniſchen Marfe des Markgrafen Otachar, mit dem Bei- 
fügen: follte im genannten Orte nicht mehr jo viel verfügbares Krongut 
vorhanden fein, jo müſſe das Fehlende durch andere Höfe weiter oben an 
der Lasnig ergänzt werden. Die Marfe Dtachars erftredte fich folglich 
auf dafjelbe Waffergebiet der Lasnig und Sulm, welches ſchon in den Ur- 
funden Marfwartd I. den Mittelpunkt der Oftmarfe bilde. Der neue 
Markgraf gehörte dem Haufe Steier an. Ausdrücklich wird bezeugt,*) daß 
Güter und Lehen des Lambacher Grafen Arnold durch Erbanfall den Stei- 
tern zu Theil geworden feien. 


die Marke Steier. 


Der Name Steiermarfe rührt von dem Orte Steier her, welder 
am linfen Ufer der Ens fteht. Diefer Fluß entipringt befanntlich in dem 
entlegenften Theile des Gebirge, welches das Salzburger Land vom dama- 
ligen Kärnthen ſchied, ftrömt eine gute Strede von Weft nad) Oft, beugt 
dann nach Norden um, durchbricht die öftreichiichen Alpen, und eilt an 
Steier vorbei der Donau zu, in weldhe er bei dem alten Ensburg eins 
mündet. Aus der Donauebene bildet dad Ensthal den einzigen ebenen 
Weg nad dem Innern damald zu Kämthen gehörigen Bergland. Durh 


Die Belege bei. Gebhardi a. a. O. II, 225. 2) Archiv öftr. Geſch. fechöter 
B. ©. 391 u. 346 flg.. .2) Böhmer, Regeſt. Nr. 1728. *) Archiv a. a. O. ©. 
891. Gebhardi a. a. O. III, 326. 


7 


426 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


die nämliche Oeffnung find ohne Zweifel die deutfhen Grafen, Soldaten 
und Anſiedler vorgedrungen, welche ungefähr feit 970 das Ensgebiet den 
Ungarn abrangen, und zum Schuge bed legteren wird die Stiraburg er 
richtet worden fein, Die meined Wilfend zum erftenmale um 985 urlume: 
ih auftaucht. ) Auf der nämlichen Burg ließ ſich ein Geſchlecht nieder, 
das allem Anjcheine nach zu gleicher Zeit mit dem Babenberger Liutbal 
eingewandert iſt. 

Der gewöhnliche Name der älteren Glieder lautet Ottokar, Dee, 
vielleicht" auch Dtto, denn meines Erachtens find dieß nur drei verfchiedene 
Formen eined und deſſelben Stammd. Adams von Bremen Scholiaſt 
gibt ?) zu verftchen, der zu den Zeiten, da Odins Religion nod) beftant, 
im Norden häufige und auch bei fühliheren Germanen in der Form Odoa—⸗ 
fer, Odaker, beliebte Name Odinkar befage foviel ald Odins Schügling 
oder Geliebte. Nachdem das Ehriftenthum geficgt hatte, verbüllte man, 
jo fcheint +8 mir, um die heidnifche Spur zu verwifchen, den urjprüng 
lihen Sinn durch Umformung in Otto, Dezo, Otachar. 

Eine Urkunde ?) des Klofterd Monfee vom Jahre 974 hat neben an 
dern Zeugen ein Graf Dttofar unterzeichnet; das dürfte der Steirer Ahn⸗ 
herr gewejen fein. Ferner ift einem ZJaufchvertrage*) welchen Biſchof Alt 
mann von Paflau 1088 abſchloß, vielleicht von fpäterer Hand der Sap') 
eingefügt, zwei Dttofare, Markgrafen von Steier, Vater und Sohn, Bit: 
ten Lehen vom Biſchofe Piligrim erhalten. Ich bemerfe, daß der eben ge 
nannte Biſchof 991 ſtarb. Wäre nur Einer genannt, den er belchnt 
haben joll, fo würde dieß glaublicher Flingen, fintemalen ed kaum möglich 
ſcheint, in Piligrims Tage zwei Gefchlechtsfolgen von Steierern hinaufzurüden. 

Jedenfalls aber hießen die drei erften Väter des Geſchlechts Dttofar 
oder Dezo. Denn eine alte Stammtafel liegt ®) vor, welche bejagt: Marl: 
graf Ottofar I. von Stire fet der Vater eined gleichnamigen Markgrafen 
Ottokar II. geworden, der hinwiederum einen Sohn Oezo zeugte, welcher 
unter Heinrih III. geblüht habe. Dem pritten Ottokar (Dezo) gingen 
demnach zwei Geichlechtöfolgen voran, und dem gewöhnlichen Laufe menid- 
liher Dinge gemäß ift man beredtigt, den Urfprung der Marfe Stier 
in das letzte Drittel des 10. Jahrhunderts, folglich in diefelbe Zeit zu vers 
fegen, da das Herzogthum Kärnthen, fo wie die Marken Liutbald’s, Ber 
thold's, und die oftfärnthnifche Markwart's von Baiern abgefondert wurden. 
Eine Urkunde vom Jahre 1074, Eraft welcher der Babenberger Ernſt von 


*) Monum. boic. XXVIII, b. ©. 88 unten Stirapurch. 2) Berk VIL 319 
unten. 3) B. Pez, thesaurus VI, a. ©. 120 Nr. 26. *) Der Text monum. beic. 
XXIX, b. 44. °) Hansitz, Germ. sacr. I, 280. 6) Hansitz, Germ. sacr. II, 211. 
Deßgl. monum. boic. XVI, 579. 


Erſtes Bud. Gap. 8. Bairifche Marken: e) Gteier. 427 


Oſtrich dem Kloſter Mölk gewiffe Güter vergabte, trägt ) neben andern 
Zeugen auch die Unterfchrift „Dezo, Markgraf von Styre.* Er Iebte alfo 
minbeftend bis 1074. Weiter willen wir, daß Oezo zu Gärften unweit 
. Steier ein Chorherrnſtift gründete, und endlich daß er — vielleicht während 
einer Wallfahrt — zu Rom ftarb. Denn dieſe beiden Nachrichten theilt ur- 
fundlich °) Oezo's Sohn mit, von dem unten die Rede fein wird. 

Allem Anjcheine nach geihah es in Oezo's Tagen, daß die kaͤrnth⸗ 
niſche Oftmarfe an das Steirer Haus gelangte. War er ed nun felber, 
der fie erwarb? Daß in den oben erwähnten färnthnifchen Urfunden der 
Name ded Befiterd der Oftmarfe Otachar lautet, während der unjrige 
Dezo heißt, macht feine Schwierigfeit; denn leßterer Name iſt unzweifel: 
haft eine Verfürzung des erfteren. Dennoch jcheint e8 nicht gerathen, bie 
aufgewworfene Frage unbedingt zu bejahen. Die Stammtafel, auf welder 
guten Theild die Urgeſchichte des Steierer Haufed beruht, zählt offenbar 
nur die Erftgebornen auf, welde dem Vater in der Marfe folgten. Meben - 
diefen ältern Söhnen wird es jedoch ficherlich auch jüngere gegeben haben, 
die verjorgt jein wollten. Wenigftend werden in der Etiftungsurfunde des 
Klofterd Gotweih, die ind Jahr 1083 fällt, nicht weniger ald 4 Mark: 
grafen, Ottokar, Piligrim, Harderih und Rudolf aufgeführt,*) die ich für 
Eöhne oder Brüder Oezo's halte Da alle vier Marfgrafen heißen, ers 
fcheint es glaublih, daß fie fit) wo nicht in die Marke, fo doch in den 
Titel ihres Vaters getheilt hatten. Könnte nun nicht auch jener Otachar, 
der nad Godfrieds Tode die Färnthnifche Marke erhielt, ein folder Nachge⸗ 
borner gewejen jein! 

Meines Erachtens gehörte dem nämlichen Haufe noch ein geheimniß- 
voller Marfgraf an, der Dtto hieß. Mittelft Urkunde *) vom 10. Dez. 
1055 beftätigte Kaifer Heinricd IH. den Domherrn von Sreifing den Bes 
fig gewiffer Güter, welde Markgraf Dtto denjelben gefchenft hatte. Weber 
den nämlichen Otto bemerft der Kaifer weiter, daß er wegen Blutſchande 
von der Kirche gebannt und daß in. Folge deſſen fein Eigenthum, gemäß 
dem bairifchen Geleb, für die Kammer eingezogen worben fe. Die Mare 
Otto's muß in Baiern gejucht werden, denn nur in diefem Herzogthum 
und in den mit ihm verbundenen Nebenlanden Oſtkaͤrnthen, Oſtrich, Steier 
galt das bairische Geſetz. Sodann weist die der Urfunde eingeflochtene 
Bemerfung: eines der gefchenften Güter liege im Hochgebirg, ) auf Kärns 
then oder Steier hin. Allem Anjcheine nach hatte Markgraf Otto eine 


1) Meiller, Regeften der Babenberger S. 9 Nr. 11. 2) Caesar, annales Styriae 
L 129. 3) Gebhardi, Geſchichte der Reichsftände II, 326 Note 10; auch bei Vioͤhlich, 
archaeontol. karint. II, 177. *) Monum, boic. XXIX, ©. 123 flg. Nr. 388. °) Wörts 
lid) : inter montana. 


428 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


ſchwer verbotene Ehe eingegangen, vielleicht etwas anderes Widernatürs 
liches gethan. Aber für den wahren Grund feiner harten Beftrafung halte 
ich dieſes Vergehen feineswegs. Deutiche Große verübten damals noch ſchlim⸗ 
mere Dinge, als Fleiſchesſünden, ohne daß fie deßhalb zur Rechenſchaft 
gezogen wurden. Nur dann fchritt Kaiſer Heinrich der Schwarze ein, wenn 
er feine eigene Majeftät verlegt glaubte. Und gerade aus diefem Anlaſſe 
traf während ver Jahre 1053—1055 Viele, welche gemeine Sache mit 
dem abgefegten Ezzoniden Kuno, ehemaligem Herzoge von Baiern, gemadt 
hatten, des Kaiſers Blik. ') 

Die Kämpfe, welche der Empörer Cuno gegen den Salier Heinrich IT. 
beftand, bewegten fih auf dem Gränzgebiete zwiſchen Baiern und Ungarn, 
d. h. auf Färnthniihem Boden. Hätte nun der Ezzonide nicht viele und 
mächtige Anhänger in der ebengenannten Provinz gehabt, jo würde es ihm 
faum möglich geworben fein, Hengftburg zu nehmen und ein ganzes Jahr 
befegt zu halten.) Unter diefen Umftänvden glaube ich mich zu der Ber- 
muthung berechtigt, daß Marfgraf Otto ein Vorgänger jened Dttachar war, 
welcher erft feit 1056 zum Vorſchein fommt, daß eben derfelbe ferner mit 
Cuno zufammenfpielte, aber vorfichtig und ohne fi ganz bloß zu ftellen, 
und endlih, daß er — weil ed an genügenden Beweifen politifcher Schuld 
fehlte, wegen Firchliher Vergehen zum alle gebracht worden ift. 

Markgraf Oezo hinterließ zwei nachweisbare Söhne — Ottachar IV. 
und Adalbert. Beide geriethen in böfe Zwiftigfeiten mit einander. Das 
fam vom Kirchenftreite her, der in jenen Tagen die Welt erjchütterte; denn 
Ottachar verfocht die Sache des Pabjtes, Adalbert dagegen hielt zum Hofe. 
Dffenbar hat die Politik des Königs Heinrih IV. den jüngeren gegen 
den älteren Bruder in Bewegung gejegt. Die Stammtafel meldet:) „Dttachar 
zog das Schwert für die Salzburger Erzbifchöfe Gebhard, Thieme, Conrad 
(Häupter der gregorianiichen Parthei), gewährte ihnen in fchwerer Ber: 
folgung feinen Schuß, auch mit feinem Bruder Adalbert zeıfiel er, bis ver 
jelbe von feinen Dienftleuten erfchlagen ward.” Weiteren Aufichluß geben 
etlihe andere Quellen. Der Biograph ded Salzburger Erzbifhofs Gebe: 
harb fügt: „Markgraf Ottachar von Stire fchenfte zu feinem Seelenheile 
an dad von Gebehard gegründete Klofter Admont (im Ensthale) das Gut 
Eihdorf. Auch des Markgrafen Bruder Adalbero, der langwierige Fehden 
mit Otachar führte, vergabte, um Befreiung vom Kirchenbann zu erlangen 
und viele andere im Dienfte Heinrichs IV. verübte Frevel zu fühnen, an 
genanntes Stift die Orte Ardning und Hauzenbüchel“ (im Ensthal). Eine 


1) Man vergl. bei Böhmer die Urkunden Nr. 1655. 1660. 1661. 1677. 1682. 
°) Annal. altah. ©. 87 u. 88. ?) Monum boica XVI, 579. *) Berk XI, 36. 


Erſtes Bud. Gap. 13. Bairifhe Marken: e) Steier. 429 


Salzburger Ehronif berichtet: ) „Adalbero, Otachars Bruder habe das Co- 
mitat vom Enſer bis zum Gelferwald inne gehabt." Das heißt Adalbero's 
Grafſchaft begriff den oberften Theil des Ensthales, die Gegend um Rad⸗ 
ftatt, während Dtahar die unteren Streden ver Steirer Marfe verwal- 
tete. Offenbar fieht der Salzburger Chronift in Adalbero einen bloßen Gra— 
fen, Faiferlihe Urkunden vom Jahre 1073 dagegen geben 2) ihm den 
Titel Mario. 

Das Jahr, in welchem Adalbero fiel, läßt fich nicht beftimmen, wahr: 
Iheinlih hing fein gewaltfamer Tod mit dem Firchlichen Akte zufammen, 
welchen der Bivgraph des Erzbiſchofs Gebehard ſchildert. Adalbero's Dienft- 
leute fahen — von Heinrich IV. Geiſte erfült — fehr ungern, daß ihr 
Gebieter fich der Kirche unterworfen hatte, ſie erſchlugen ihn daher aus 
Rache. 

Ottachar IV. war mit der Schweſter des Babenbergers Liutbald II. 
von Oſtrich — fie hieß Eliſabeth — vermählt und geügte in dieſer Ehe 
ſeinen Nachfolger, Liutbald, der den Beinamen des Tapfern erhielt. Das 
von ſeinem Vater gegründete Chorherrnſtift Gärſten ſchuf Otachar) 1107 
in ein Benediktinerkloſter um, und wirkte auch ſonſt eifrig im Sinne der 
Kirche. Der Markgraf ſtarb hochbetagt, Mitte Januar 1122.) Ein 
jüngerer Zeitgenofje entwirft?) vom Charakter des Geſtorbenen folgendes 
merkwürdige Bild: „Ottachar war ein ausgezeichneter Dann, und ob⸗ 
gleich ein weltliher Fürſt ded deutſchen Reiche, doch merklich verjchieden von 
andern Herren jeined Standes, denn er hielt Frieden, übte Gerechtigkeit 
und ftand wider die Verfolger der Kirche unerfchütterlich feft, wie ein 
Thurm.“ Es ſah damald in der Welt aus, wie heute nod). 

Das obere Steiererland ift von dem Gebiet, welches ehemals Färnth- 
nifche Oſtmarke hieß, jegt aber Unterfteiermarf genannt wird, durch einen 
ztemlih hohen Gebirgsrücken getrennt. Diefe Scheivelinie bat dag Haus 
der Ottokare jeit dem Tode des Püttener Godfried allmählig überfchritten, 
indem ed zu feiner urfprünglichen Marfe im Oberland aud das Mur: und 
Mürzthal erwarb, das nunmehr den gemeinichaftlihen Namen Steier em- 
pfing. Drüdt man diefen Sag in der Bilderſprache des Mittelalterd aus, 
fo lautet er: die Marfen Steier und Oftfärnthen, urfprünglich zwei ges 
fonderte Bahnenlehen, feien zu einer Lanze vereinigt worben. 

Sind wir im Rechte, außer Oftrih und Vohburg-Cambe, auch die 
Marfen Oftfärnthen und Gtire, jo wie es gefchehen, unter das herzogliche 
Banner Baierns einzureihen, während fih Doch im Verlaufe unferer Dars 


— 





1) Pers IX, 774 unten. 2) Meiller, Regefl. S. 9 Nr. 12 u. Gebhardi a. a. 
D. II, 327 Note b. 7) Berk IX, 774 u. Caesar annal. styr. I, 129. % Nach⸗ 
weis bei Gebhardi a. a. D. IH, 328 Note g. | 


430 Pabſt Sregorius VIEL. und fein Zeitalter. 


ftellung ergab, daß die beiden leßtgenannten Gebiete auf kärnthniſchen 
Boden lagen, und während Kärmntben feit 976 ein abgejonderted mit eiges 
nen Marfen ausgerüfteted Herzogthum bildete? Ja wir find im Rechte! 
denn obſchon vorzugsweife von Elaven bewohnt, blieben Stire und Of- 
färnthen aud nad der Maafregel von 976 in einer wichtigen Beziehung 
bairiih. Den Beweis führe ich aus einem feierlichen Afte, der um die 
Mitte des 12. Jahrhunderts im Angefihte des verjammelten Reichstages 
vor fi ging. 

Baiern war durch Urtheil von Kaifer und Reich 1138 dem Welfen 
haufe abgeiproden und dem Babenberger Leopold V. übergeben worden, 
jo daß Deftreih und Baiern ſich jest in einer Hand befand. Aber die 
geftürzten Welfen ruhten nicht‘ eher, bis fie wieberhergeftellt waren und 
fie erreichten ihren Zweck. Achtzehn Jahre fpäter, im fünften der Regie 
rung Friederich's J., der den Welfen feine Erhebung verbanfte, kam ein 
Vertrag zu Stande, ber legtere wieder in bie bairiſche Heimath zurüds 
führte, zugleich aber als Entihädigung für die Babenberger, welche zurüd- 
treten mußten, die bisherige Marke Oftrich vergrößerte und in ein Herzog: 
thum verwandelte. In's Werf gejeßt wurde die Uebereinfunft durch folgen 
den finnbildlihen Akt: auf dem Regensburger Reichstage im Herbfte 1156 
übergab der damalige Herzog von Baiern Heinrich, (mit dem Beinamen Jafo: 
mirgott) Leopolds V. Bruder und Erbe, das Gejamntlehen, das er beſaß, 
unter der Form von 7 Bahnen In die Hände des Kaiſers Friedrich I., um 
erhielt jofort von den fieben zwei zurüd mit dem Bedeuten, daß Ofmich 
nicht nur ein in männlicher und weiblicher Linie erbliches Herzogthum, 
fondern auch wefentlic erweitert fein folle. Der Zuwachs betrug erflid 
auf dem rechten Donauufer den Strih von ber End an, die bis dahin 
Deftreih gegen Weften ubgefchloffen hatte, bis zum Wald Rotenſal, und 
zweitens auf dem linfen Ufer ded Stromes dad Lund, das zwifchen ber 
bisherigen Gränze der babenbergiihen Marfe, die, wie ich früher fagte, 
vom Ausflug der End fih in gerader Richtung gegen das Böhmiſche Ges 
birg erftredte, und zwiſchen dem heutigen Baiern mitten inne liegt. Mit 
andern Worten, der Babenberger befam zu der Marfe unter der Eng, die 
fein Haus jeit 976 befaß, aud noch die Marfe ob der En, fo daß alle 
jept beide Theile wejentlih jo, wie fie heute beftchen, vereinigt waren. 
Legtere Strihe mußte Baiern zu Gunften der Babenberger abtreten. 

Ueber den Umfang der Gebietdermeiterung herrſcht Fein Zweifel, aber 
wohl über die Zahl der Comitate, die in dem abgetretenen Bezirke lagen. 
Dtto von Freifing, Hauptzeuge ded Vorgangs, braudht ) die Wendung: 


:) De gestis Friderici II, 33 bei Muratori, script. ital. VI, 737: praedicti comita- 
tus, quos tres dicunt. 


Erſtes Buch. Gap. 13. Bairifhe Marken: e) Gteier. 431 


„Oſtrich habe damals Comitate erhalten, welche (Einige) als 3 zählen.“ 
Die Art und Weiſe feines Ausdrucks deutet darauf hin, daß diefe Zählung 
etwas Unbeftimmtes an fi hatte. Ein anderer Zeuge, Conrad von Mölff, 
ſcheint ) nur 2 Comitate zu rechnen, indem er jagt, das Land zwifchen 
End und Rotenfal (einem Wald vor Paflau) und übervieß die Grafichaft 
Bogen (oder vielmehr Peugen) ſei damals zu Oſtrich gefchlagen worden. 

Dffenbar begriff dad genannte Comitat diejenigen Streden des heu⸗ 
tigen Ober-Mainhard-Bierteld, welche früher noch nicht zur Marfe Oſtrich 
gehört hatten. Eine Urfunde ?) vom Jahre 1081, kraft welcher ver Paſ⸗ 
fauer Bifhof Altmann gewiffe, weitlih vom Mainhardsberge gelegene, 
Güter an ein neugegründetes Klofter vergabte und den Marchio Liutbald IT. 
zum SKaftenvogt derfelben ernannte, jpriht von einem Beuchriche. Mei- 
ned Erachtens muß man zwiſchen dieſem Beugrihe, das allem Anſcheine 
nad wegen feiner Größe ſolchen Namen empfing, und dem Comitat Beud) 
oder Ping, ald dem weftlihen Theile des Erfteren, unterjcheiven. Dort 
übten die Babenberger ſchon vor 1156 Rechte ald Markgrafen; denn wenn 
Altmann vermöge der angeführten Urfunde den zweiten Liutbald zum Kaften- 
vogt einſetzte, geſchah dieß wohl darum, weil bie vergabten Güter am 
Mainhardsberg der Marfe Oſtrich einverleibt waren. Deßgleihen beweijen 
mehrere Urkunden“) aus den Jahren 1123 und 1124, daß die Marfe 
Dftrih ſich jenfeitd der Donau weftli über den obern Kremsbach und 
den Ort Kotted hinaus erftredte. Da nun die Babenberger erft 1156 
das Comitat Beuch erhielten, muß man den Schluß ziehen, daß daſſelbe 
die weftlihen, früher nicht mit Oftrich verbundenen, Theile von Beuchriche 
umfaßte. 

Die abgetretenen Theile DdiefjeitS der Donau fonnten, wie auch der 
Sreifinger Dito zu verftehen gibt, je nach Belieben ald 2 oder als ein 
Comitat gerechnet werden. Dad Traungau reichte nämlich in Älterer Zeit 
von Yps bis Eferding. Den öftlihen Theil deſſelben befaßen die Baben- 
berger ſchon ſeit Errichtung der Oſtmarke, wollten fie jest, nachdem fie ihn 
ganz erlangt hatten, die erworbenen Etüde ald befondere Graffchaft zäh⸗ 
len, jo betrug der Zuwachs mit dem bis Rotenfal reichenden Gau und 
mit Beugen drei, im entgegengefegten Fall nur 2 Comitate. 

Die Hauptfahe, nämlich daß jene zwei aus der Zahl ver fieben 
ahnen Sinnbilder der beiden zu einem Herzogthum vereinigten Marfen 
ob und nid der End waren, fteht fefl. Die ehemalige Verbindung diefer 
2 Bahnen mit den 5 andern hatte durch den Aft von Regensburg aufge- 
hört, fie begannen jebt ein eigenes felbftftändiges Leben. Nicht minder ges 


*) Pez, scriptor. austr. I. 294. 2) Meiller, Regefl. ©. 10 Nr. 2. 3) Tbid. 
x 16 flg. Nr. 29—32 u. ©. 212 fig. 


432 Pabſt Gregorius VEL. und fein Zeitalter. 


wiß ift, daß die anderen fünf vorerft beiiammenblieben, denn Friedrich der 
Rothbart übergab fie ja in eine und diefelbe Hand, in die des Welten, 
Heinrich's des Löwen. Was bedeuten nun die 5 Fahnenlanzen? jedenfalls 
große, an Umfang den beiden abgetrennten, das heißt den 2 Marten ob 
und nid der Eng, entiprechende Gebiete. Ich behaupte: gemeint find erf- 
(ih das Herzogthum Baiern, zweitend und drittens die ehemals gefonderten 
Marken Oftfärnthen und Stire, welche feit 1050 eine Doppellanze bilde⸗ 
ten, viertend die Marfe Kamb und Vohburg, fünftend die Mark Iſtrien. 

Al Zeugen ftelle ich den Benediftiner Herrmann, welder um 1200 
geboren, und von 1242 bis 1273 Abt des Klofters Niederaltaich eine 
trefflihe Ehronif fchrieb, die von 1152 bis 1273 reicht, und in ver fi 
folgende Stelle ') findet: „auf einem” Reichötage, welchen Kaiſer Friedrich, 
feines Namens der Erfte, im Jahre des Herm 1156 zu Regensburg hielt, 
(öste er die Marf Oftrih vom bisherigen Verbande mit Baiern , fügte 
ihr einige Grafſchaften bei und verwandelte fie in ein Herzogthum. Hie⸗ 
durdy ward die Gerichtsbarkeit des Babenberger Fürften von der Ens bit 
zum Wald Rotenfal, der vor Paſſau liegt, ausgedehnt. Denn bis dahin, 
(das heißt bi8 1156) hatten die 4 Markgrafen von Oftride, von Stir, 
von Iſter und der Kamber, der ſich auch nah dem Schloß Vohburg nennt, 
auf ausgeichriebenen Landtagen des bairischen Herzogs gerade ſo erſchei⸗ 
nen müfjen, wie heute noch die Bilchöfe und Grafen des Landes (Baiernd 
nämlich) ſich einzufinden verpflichtet find.“ 

Abt Herrmann bezeugt erftlih mit klaren Worten, daß 1156 ber bie 
ber beftehende Verband Oſtrichs mit dem Herzogthum Baiern gelöst wart; 
zweitens deutet er an, daß das nämliche Verhältnig auch bezüglich ber 
Marfen Kanıbe, Styre, Iſter mit der Zeit aufgehört habe. Das ift aller: 
dings gejchehen, doch erft geraume Zeit nah 1156. Im Uebrigen fcheint 
es beim erften Anblid, ald ob Herrmanns Ausfage die fünf Lanzen Otto's 
von Freifing nicht vollftändig erfläre; denn nachdem Dftrih von Baiem 
getrennt war, blieben laut Herrmannd Darftelung nur vier Yahnen 
(Herzogthum Baiern und die Marken Styre, Iſter, Kambe) übrig, 
während wir doch fünfe bedürfen, damit die von dem Freifinger Biſchof 
angegebene Ziffer herausfomme. Das ift alled wahr, allein man er 
wäge Yolgendes: im Jahr 1156 hatte ſich die Meberlieferung lebendig 
erhalten, daß die Bahnen Oftfärnthen und Styre, ob fie gleich bereits eine 
Doppellanze ausmadten, urfprünglidy gejondert waren. Dagegen ein Jahr 
hundert fpäter, da Herrmann ſchrieb, kannte man blos, wie heute nod, 
ein zu einem Ganzen verbundene Herzogthum Ober: und Nieder » Steier, 


*) Böhmer, fontes rerum germanic. II, 487. 


Erſtes Bud. Gap. 13. Bairifche Marken: e) Steier. 433 


a8 einem und demjelben Herrn gehörte. Der Abt von Niederaltaich jagt 
aber in der Weile feiner Zeit die volle Wahrheit. 

Was Otto von Freifing und Abt Herrmann über die urjprüngliche 

Berbindung Baierns mit den fünf oder, je nachdem man zählt, ſechs Marken 
nelden, wird, wie ich früher‘) gezeigt habe, bezüglich Oſtrichs und Oft 
Amthend durch ältere Nachrichten beftätigt. Aber auch Styre betreffend 
iegt ein anderes, freilih nicht ganz um ein Jahr Älteres, Zeugniß vor. In 
einer Urkunde?) vom Sommer 1156 zählt Heinrich der Babenberger, „Her: 
‚og von Baiern und Markgraf in Oftrih“, kurz ehe er Baiern an bie 
Welfen zurüdgab, eine lange Reihe „feiner Getreuen“ auf, worunter auch 
den Mario Dttochar CV.) von Styre. Getreu beveutet in folder Ber: 
bindung genau fo viel ald Untergebener oder Vaſall. Und zwar hat Heins 
rich unverkennbar ald Herzog von Baiern dieſe Spracde geführt. 
- Banım find nun die drei Marken Oftfärnthen, Styre und Sftrien fo 
lange zu Baiern in einem DVerhältniß der Unterordnung geblieben, obgleich) 
fie großen Theild oder ganz auf kärnthniſchem Boden lagen, und obgleich 
es jeit 976 ein eigenes Herzogthum Kärnthen gab? Zwei Haupthebel 
haben meines Erachtens hiebei zujammengewirft: ein politiicher, vielleicht 
befier, ein ftaatdwirtbichaftlicher, welchen ich erft }päter darlegen fann, dann 
ein militärijcher. 

Alle jene Marken find zum Schutze des deutſchen Reichs gegen dic 
Ungarn angelegt worden. Weil dem fo war, ericheinen diefelben jo ein- 
gerichtet, daß fie die verwundbarften Zugänge, d. h. die Flußthaͤler vers 
wahrten. Aus dem damaligen Deutihland ftrömen vier anjehnliche zum Theil 
große Flüſſe nah Ungarn hinunter, die Donau, Die Raab, die Mur, die 
Drave. Und fiehe, fhon Dtto I. gründete an der Donau die Marfe Oft 
rih mit Styre ald Hintergrund, zwiſchen Mur und Drave die Marke Oft- 
färnthen; jpäter hat dann Heinrich IIL, um das Syſtem feines Vorgängers 
zu ergänzen, die Raabmarke hinzugefügt, welche jedoch nicht ftarf genug 
war, um in die Länge auf eigenen Füßen zu ftehen, weßhalb fie bald zu 
anderen Marfen geichlagen ward. 

Allein es gab an der deutſchen Gränze gegen Ungam nod ein weite 
red Zlußgebiet, das, wenn nicht die von Dtto I. gegründete Organifation 
ein Stüdwert bleiben follte, in gleicher Weife geichirmt werden mußte, 
nämlich das der Save und Kulpa. Und wirklih hat dort Dtto eine Dritte 
Marke gegründet, die, wie ich jpäter zeigen werde, gewöhnlich mit Krain 
vereinigte Äftriiche. Die drei Marken dienten folglid dem nämlihen Zwede. 
Run ift Einheit faft in allen menſchlichen Angelegenheiten ein überaus löb- 
liches Ding, im Kriegsfache aber oder im Heerbefehl wird fie zur dringen⸗ 


1) Oben ©. 414 u. 417. ) Meiller, Reg. ©. 37 Mr. 80. 
Gfroͤrer, Pabſt Eregorius Vil. BB. 1. 28 


434 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


















den unabweisbaren Nothwendigkeit. Dtto hätte daher widerfinnig 
unflug gehandelt, wenn er die drei Marken verfchiedenen Oberbehör 
d. 5. Herzogthümern unterordnete. Allein der genannte Kaijer ande 
nie vernunftlos, ſondern war ein vortrefflicher Feldherr, ein vollend 
Staatsmann. 

Weiter konnte aus vielen Gründen, von denen ich zwei anführen 
nur Baiern dad Herzogthum fein, dem unjer Kaifer die drei Markfa 
zutheilen mochte. Denn erftlich forderte Baiern mit gutem Bug als 
für die großen Verluſte, welhe es 976 erlitt, einen Vorzug der 
Für’d zweite würde fid jeder Blutstropfen im Herzen der Deutichen 
10. und 11. Jahrhunderts empört haben, wenn der Kaiſer einen H 
der Slaven — und der Kämthner war dieß — über unjer Kriege 
gefegt hätte. Unfere Vorfahren befaßen nämlich etwas, das wir Neu 
feit 300 Jahren nicht haben noch haben fünnen — wie jollten aud) as 
Difteln Feigen wachſen — ein jehr reges ja ein überftrömendes Gefühl 
für Nationalehre. Hoc trugen fie die Stimme, namentlich gegemüber von 
Elaven. 

Worin beftand nun das Verhältniß der Unterordnung, in weldes di 
Markfahnen zu dem herzoglichen Banner von Baiern geftellt waren? Hi 
über gibt die Geſchichte der Kriege, welche der Salier Heinrib III. gega 
die Ungarn führte, genügenden Aufſchluß. Faſt regelmäßig gingen ber 
Kämpfen bairiſche Landtage voran, weldhe über Plan und Mittel dei 
Kriegs Berathungen pflogen und Beſchlüſſe faßten. Die Ausſchreiben zu 
jolhen Verſammlungen aber erließ ver jeweilige bairifhe Herzog. J 
feinem Auftrage fertigte die Regensburger Kanzlei durch Boten an die ver 
ſchiedenen Lehenträger Pergamentftreifen ab, welche in Bezug auf die Raw 
fen Oſtrich, Styre⸗Kärnthen, Iftrien, Kambe jo Tauteten: „Ihr, Mardie 
da und da, werdet auf den und den Tag unverweigerlid zum Landtage 
nach .... erfcheinen, denn alfo ift es des Kaiſers unferd Herm Wilke 
und Befehl.” 4) 

Die gleiche Einrichtung dauerte bezüglich des ungarifhen Grängdienfed 
im 12. Jahrhundert fort, denn Abt Herrmann fagt ja, bis 1156 ſeien 
die Markgrafen von Oftrih, Kambe, Styre, Sftrien verbunden geweſen 
auf Landtagen fich einzufinden, die der bairiſche Herzog ausfchrieb. Biel 
leicht übte der Herzog noch außerdem das Recht, daß in Abweſenheit des 
Kaiſers die Markgrafen vor feinem Hofgericht verklagt werden mochten. 
Aber weiter gingen meines Erachtens die Befugniffe des herzoglichen Ban 
ners gegenüber den Marflanzen nicht. Wie wir willen, hegten bie Katier 
rege Eiferfucht wider den Ehrgeiz bairifcher Herzoge und hüteten ſich wohl 


9 Man vgl. Sfrörer, 8. G. IV, 357 fig. 


436 Pabſt Gregorius VIL nnd fein Zeitalter. 


mens Berthold hatte. Die Mutter beiver legteren hieß Kunigunde. Weiter 
wird ein Sohn Pabo's, Liutold, erwähnt, der ald Mönd in das Kofler 
St. Emmeram eintrat. Allein Pabo hinterließ nody andere Söhne und zwa 
viele, zunächft einen Namens Rupert, der dem Vater nad) dem Jahre 1000 
in der Präfektur von Regensburg folgte, und in einer Reihe von Urkunden 
zum Vorſchein fommt.‘) Nirgends wird zwar Ruodpert ausdrücklich als 
Sohn Pabo's bezeichnet, aber gleihwohl ergibt fi) dieß unzweifelhaft an 
folgendem Umſtande: ein hoher Elerifer, Conrad, der den Salzburger En: 
ftuhl von 1106—1147 einnahm, hatte den Stabtpräfeften Pabo zum Groß 
vater, deſſen Nachfolger Ruodpert zum Oheim, folglihd muß Ruodpert — 
was auch fonft flar, da das Regensburger Burggrafthum feit Ruodbert 
erweislih in einer und derjelben Familie blied — ein Sohn Pabo's ge⸗ 
weſen fein. 

Der Lebensbeſchreiber des eben erwähnten Erzbiſchofs Conrad theilt 
noch andere und zwar ſeltſame Nachrichten bezüglich der Gefchichte des alten 
Stadtpräfeften Pabo mit. Er erzählt:?) „Conrad, der nacdhmalige En: 
biſchof von Salzburg, ftammte aus einem der edelſten Gefchlechter Baiernd; 
feine Brüder waren’ die erlaudten Grafen Otto und Wolfram, von 
welchen der erftere ohne Kinder ftarb, der zweite aus einer Ehe mit der 
Schweſter Diebold’s, (Ahnherrn des Hauſes, dad nachmals den Titel Bob: _ 
burg führte), einen. Sohn, den Grafen Rapoto von Abensberg und Kirchen | 
vogt von Bamberg, hinterließ. Der Regensburger Stadtpräfeft, Otto ber 
Aeltere (wie ich unten zeigen werde, ein Eohn Rupert’8), war ein Better 
Conrad's. Außerdem hatte Konrad noch andere Blutöverwandte von min 
derem Glanz, doc freien Geſchlechts, die nicht bloß Baiern, fondern aud 
Kärmthen, ja das mainiſche und rheinifche Francien angefüllt haben. Das 
ging fo zu: der Großvater Conrad's, Pabo, erzeugte nicht weniger ald 
dreißig Söhne und acht Töchter, alle Kinder freier Mütter.“ 

Iſt es zu verwundern, daß dieſer reiche Segen in Baiern fein ge 
nügendes Ausfommen fand, fondern anderswo Glück zu machen fude 
mußte? Der Mönd fährt fort: „einft, als befagte Jungen herangewachſen 
waren, lub Kaiſer Heinrich II.°) den alten Pabo zu einer Jagd ein, drüdt 


1) Urkunde von 1002. (Ried Nr. 124): curtile in ratisbonensi civitate — sitan 
in comitatu Ruodperti. Urfunde von 1002 (ibid. Nr. 26): curtiferum in civitate Rade- 
bona in comitatu Ruodperti situm. Urfunde von 1008 (ibid. Nr. 134): abbatia infn 
urbem Radesbonam, sita in pago Donagowe, in comitatu Ruodperti. Urfunde von 108! 
(ibid. Nr. 146): terra quaedam intra civitatem Radesbonam in comitatu Ruodperti stz 
Endlih Urkunde aus der Zeit zwifchen 1007 u. 1028 (bei Bez, thesaur. anecd. I pan 3 
©. 108 Nr. 51): testes: Ruodpret ratisbonensis comes cum filiis suis duobus, Heise 
et Pabone. ?) Berk script. XI, 83 flg. 3) Der Zeit wegen Tann nar Ne 
gemeint fein. 





Erſtes Bud. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 437 


jedoch den Wunſch aus, derſelbe möchte nur von wenigen Dienern begleitet 
ericheinen. Pabo aber erwog, daß er den günftigen Augenblid benügen 
müfle, um feine Kinder unterzubringen; er nahm daher alle feine Söhne 
mit — lauter Fräftige, hübſch gewachſene Burſche — indem er jedem einen 
Diener und einen Soldaten beigab. Als der Kaifer den langen Zug daher 
fommen fah, fragte er: warum bringt Ihr fo viele? Pabo antwortete: ich 
babe nur einen Diener und einen Soldaten bei mir, die andern find meine 
Söhne und deine Vaſallen, o Herr, welde nichts Anderes wünfchen als 
dir treulih zu dienen, wenn es dir anders gefällt. ein gnädiges Auge: auf 
fie zu werfen. Der Kaifer mußte lachen, und verforgte in der Folge alle 
ftattlih mit Lehen und geiftlihen Aemtern.“ 

Eo der Mönd, der den Salzburger Erzbiihof Conrad perjönlich ges 
fannt hat. Er macht einen fdharfen Unterjchied zwilchen den Blutsver⸗ 
wandten Conrad's: die einen waren erlauchten Geſchlechtes; zu dieſen zählt 
er die Grafen Dtto und Wolfram, Brüder Conrad's, ferner den Stadts 
präfeften von Regensburg, einen Oheim des Erzbiichofs, ſodann den Großs 
vater Pabo, und endlich den Erzbifchof felbfl. Die Andern dagegen, von 
denen er feinen Einzigen mit Namen nennt, fanden an Glanz der Geburt 
erfteren nad, d. 5. fie waren nach der Kunkelſeite nicht ebenbürtig, obgleich 
freien Standes. Da er nun von Müttern dieſer unebenbürtigen Oheime 
und Tanten jpriht, fo müflen vderfelben nothwendig mehrere geweien fein, 
und zwar freier aber doch nicht adeliger Abkunft. Urkundlich Fennen wir 
eine Gemahlin Pabo's, jene Mathilde, die ohne Zweifel erlauchten Ges 
jchlechte war, weil fie über Erbgüter verfüge. Demnach bat Pabo ents 
weder nad Mathildend Tode mehrere Weiber zwar freien aber doch niedes 
ren Standes geehlidht, oder ſonſt zweideutige Verbindungen eingegangen, 
die in legterem alle von der Kirche nicht anerfannt worden find. 

Etlihe neuere Schriftfteller erflären die Angaben ded Mönchs, be- 
treffend den Kinderfegen Pabo's, für eitel Mährchen; ich behaupte im Gegen- 
theil, der Stempel der Wahrheit ift dem Bericht auf die Stimme gedrüdt. 
Wo wird ein Geiftliher über die Sippfchaft eines Erzbiſchofs (der noch 
dazu für einen Heiligen galt), ſolche Dinge ausfagen, wenn fie nicht welt 
fundig find! An fi ift eine Vaterfchaft von 38 Köpfen — fobald man 
nur verjchiedene Mütter vorausfeßt, wozu der Tert nöthigt — nichtd außer: 
ordentliches — gewiſſe Fürften chriftlicher und mahomedaniſcher Länder im 
18. Jahrhundert haben in diefer Hinficht weit mehr geleiftet. 

Der Mönd nennt fonderbarer Weile den Vater des Erzbiſchofs nicht, 
und läßt es unentichieden, ob Conrad von väÄterlicher oder von mütterlicher 
Seite ein Enfel Pabo's war. Die Kirchenvogtei, welche Conrad's Neffe, 
Rapoto, zu Bamberg befleidete, ging ſehr häufig vom Vater auf den Sohn 
über; es ift daher an fih wahrfcheinlih, daß auch Wolfram Kirchenvogt 


438 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


von Bamberg war. Nun ericheint wirflih in einer Bamberger Ur 
kunde‘) vom 6. Mai 1093 als vortiger Kicchenvogt Wolfram, und eine zweite) 
vom Sahre 1071 nennt, neben andern Zeugen, die Grafen Wolfram mb 
deffen Bruder Otto von Abensberg. Ohne Frage find dieß dieſelben Brk 
der, welche ber Lebensbefchreiber des Salzburger Erzbifchofs ermähnt. En 
lich führt eine dritte) Urfunde vom 27. März 1132 den Grafen Rapete 
von Abensberg in der Art auf, daß man faum zweifeln fann, derſelbe fe 
Kirhenvogt von Bamberg gewejen. Die Angaben des Lebensbefchreibers 
werben alfo von verjchiedenen Seiten her beftätigt. 

Die legte vorhandene Urkunde, Fraft welder Pabo die Präfektur von 
Regensburg verwaltete, fällt, wie oben gezeigt worben, in's Sahr 1000; | 
die erfte, in welder fein Eohn Ruodpert daſſelbe Amt befleivete, gehört 
dem November 1002 an, und zwar genau derſelben Zeit, da König Heiss 
rih II zum erftenmal Regensburg beſuchte.“ Da nicht angenommen 
werden kann, daß zwei Etadtpräfeften — wenn aud Vater und Sohn — 
neben einander amteten, fo muß Pabo zwifchen 1000 und dem November 
1002 von der Präfektur zurücgetreten fein; mag er nun zu Gunſten des 
Sohnes freiwillig abgevdanft, oder mag Kaifer Otto IIL, oder auch Hein 
rih II. für gut gefunden haben, den Water jener 38 Kinder abzufehen. 
Geftorben kann Pabo währenn jenes zweijährigen Zeitraums in feinem Fall 
fein, weil unſer Zeuge den oben erzählten Auftritt in die Regierung Hein 
rich's II. verlegt. Wäre nämlih Pabo faum zuvor, ehe die Vorftellung 
der 30 Söhne erfolgte, von feinem Amt entfernt worden, jo würde kam 
begreiflich jein, theile, daß er felbft jo Furz nach einer ſolchen Demüthigung 
es wagte, eine folhe Scene zu veranftalten, theild, daß der König fie 
gut aufnahm. Allen Anjcheine nad fällt die Jagdgeſchichte in die fpäteren 
Jahre Heinrich's IL, und Pabo hat feinen Rüdtritt von der Präfektur um 
eine Reihe von Jahren überlebt. 

Es gab zwei Schlöffer faft gleihen Namens im heutigen Baiem: 
das eine, Abenberg, lag unweit Ansbah, das andere, Abensberg, am 
Fluſſe Abens, fteht ſüdweſtlich von Regensburg. Das erftere iſt in obigen 
Stellen gemeint. Das Grafengefchleht, das diefen Namen trägt, fammt, 
jei es in weiblicher, fei e8 in männlicher Linie, von dem Stabtpräfeiten 
Pabo ab. 

Wenden wir und zu den erlaudten Nachkommen des Regend 
burger Haufe. Ruodpert, wie es fcheint, der Erftgeborne Pabo's, ftarh 
um 1030, vielleicht noch ſpäter, und hinterließ drei urfundlich nachweis⸗ 


*) Ussermann, episcop. bamberg. probat. Nr. 52. 2) Ibid. Nr. 40. ) Did. 
Mr. 117: Eberhardus episcopus tradit per manus Rapotonis comitis. %) Böhme, 
reg. Nr. 911 fig. 


Erſtes Buch. Gap. 14. Nuffirebende Dynaften in Baiern. 439 


bare Söhne, von denen zwei, Heinrich und Pabo IL, ſchon oben auf 
geführt worden find; der dritte hieß Dtto. Zwei von den dreien, näms 
ih Heinrich und Dtto, haben nah einander Die Präfektur in Regens⸗ 
burg befleivet. Durd Urkunde‘) vom Jahre 1052 beftätigte Kaiſer Heins 
rich III. dem Stift Obermünfter zu Regensburg gewiſſe, inners und außerhalb 
der Stadtmauern im Comitat Heinrich’ gelegene Grundſtücke. Ebenſo 
ſchenkte) Heinrih IV. dem Bamberger Stuhl eine Regensburger Eapelle, 
„gelegen innerhalb der Stadtmauern im Donaugau und im Comitat Heins 
rich's.“ Da Regensburg im Comitate Heinrich’ felbft lag, muß er, laut 
den Erfahrungen, die wir oben bezüglich jeined Vaters und Großvater 
machten, Stadtpräfeft gewejen fein. Eine dritte Urkunde beweist, daß dem 
wirflih jo war und zugleih, daß fein Vater Ruodpert hieß. Kraft eines 
Stiftungsbriefes,) deſſen Zeit nicht angegeben ift, der aber zwilchen 1030 
—60 fällt, vergabte Stabtpräfeft Heinrich, zum Seelenheil feines (verftor- 
benen) Vaters Ruodpert, an die Abtei St. Emmeram zwei Höfe. 

Ungefähr um die nämliche Zeit machte Präfeft Heinrich eine ähnliche 
Stiftung, und zwar zum Heile der Seele jeined Bruders Pabo (der aljo 
bereitö geftorben war). Dieſe zweite Stiftung aber wurde, laut der⸗ 
jelben Urkunde, durch den Biſchof von Regensburg und durch Dtto, den 
Bruder des Stadtpräfeften, an die Abtei überantwortet. Vor 1089 fcheint 
Heinrih, der damals jedenfall hochbetagt war, die Stabipräfeftur zu 
Gunſten ſeines Bruders Dtto niedergelegt zu haben. Denn eine Urkunde) 
vom 1. Febr. 1089, kraft welcher Kaifer Heinrih IV. die Schottenmönde 
von Regensburg in feinen Schuk nahm, ift von folgenden Zeugen unter; 
Ichrieben: von Dtto dem Stadtpräfeften zu Regensburg, von deſſen Bru- 
der Heinrih, dann von mehreren genannten Einwohnern der Stadt Re- 
gendburg, worunter Graf Otto und Graf Adalbert. Lebtere waren höchſt 
wahrſcheinlich Söhne Otto's I., oder Heinrich's IL, oder beider. Erinnern 
wir und nun, daß der Biograph jenen Better ded Salzburger Erzbiichofe 
ald Otto den Aelteren bezeichnet; ed muß aljo einen Dtto den Jüngeren 
aus demjelben Haufe gegeben haben. Wirklich fommen auch nachher eine 
Reihe Ditonen und Heinriche als Stadtpräfeften vor, die unzweifelhaft dem 
Stamme Pabo's angehören, und Söhne oder Enfel Otto's L find. 

Ich wende mich zu Beantwortung einer Frage, welde ich oben unent⸗ 
ſchieden ließ: wie nannte man im 10. und 11. Jahrhundert Die Stabt- 
präfeften auf deutſch? Der Sicherheit wegen muß ich Beiſpiele aus andern 
Provinzen herbeiziehen. In allen größeren Städten Deutſchlands, naments 
lich in den biſchöflichen, erjcheinen feit der Mitte des 11. Jahrhunderts, 


‘) Ried, cöd. diplom. Nr. 161. 2) Daf. Rr. 163. 2) Daſ. Ar. 173. 
*%) Daf. Nr. 172. 5) Daf. Mr. 178. 


440 Pabſt Sregorius VII. und- fein Zeitalter. 


theilweife noch früher, Faiferlihe Beamte, die auf Latein den Titel prae- 
fecti urbis oder einen Ähnlichen, praetores urbani, comites urbani führen. 
Zu Eöln werden urkundlich) im Jahr 1032 ein praefectus urbis Udal⸗ 
rih, 1061 ein Stapdtpräfeft Franko erwähnt. in halbes Jahrhundert 
ipäter, im März 1117, tritt ebenvafelbft ein anderer, aber mit dem gleichen 
Amte betrauter Franko auf, deſſen Titel die deutſche Bezeichnung des Worts 
praefectus urbis deutlich erfennen läßt; er wird nämlich Kalb Iatein halb 
deutfch burgicomes genannt.) Da es für das lateiniſche comes nur das 
eine veutihe Wort Graf gibt, fo folgt, daß die deutiche Bezeichnung für 
praefectus urbis Burggraf war. Diefen nämlichen Titel trugen allem An 
fheine nach fchon jeit dem 10. Jahrhundert die Regensburger Stadt: 
präfeften obiger lateinifchen Urkunden. Denn nachdem im 12. Jahrhundert 
die Sitte aufgefommen war, hohe Reihsämter aud in lateinifchen Schriften 
mit ihren deutichen Namen der Art zu bezeichnen, daß man leßteren eine 
lateiniihe Endung anhängte, erhielten die Nachkommen Pabo's nicht mehr 
wie feither den *itel praefecti urbis, fonden wurden burggravü ge 
nannt. °) 

Nicht der Teifefte Zweifel kann fein, daß das Amt der Burggrafen ur 
fprüngli in engem Zufammenhange mit Reichöburgen ftand, Die in den frag 
lihen Städten fi befanden. Nun hat, foviel ich fehe, die Burggrafenwürbe 
— als bejonderes Reichsamt — in Regensburg zuerft ihre volle Ausbildung 
erhalten. Warum dieß? Ich begnüge mich, einen Grund hervorzuheben. Seit 
die Krone an die Ottonen gelangt war, bethätigte das fächftiihe Haus regen 
Argwohn gegen die Herzoge Baiernd. Dieſe Herzoge hausten ſchon im 
7. Zahrhundert zu Regensburg. Ausdrüdlich wird bezeugt,*) der heilige 
Emmeram habe, ald er nad Baiern fam, Theodo, den Herzog des Lan 
des, in der aus Stein gemauerten Stadt Regensburg gefunden. 

Nah der Schilderung, welche ein Schriftfteler des 14. Jahrhunderte 
entivirft, war Regensburg um 920 faft in moderner Weife Hauptftabt von 
ganz Baiern, jo daß nicht nur der Landesherzog Arnulf dort Hof hielt, fon 
dern aud die Prälaten der benachbarten Stühle und Klöfter in der Etat 
eigene Häufer erbauten, um dem Sige der Gewalt nahe zu fein.) Dice 
Ausfage wird durch Urkunden beftätigt. Noch im Jahre 1384, da München 
bereits aufgeblüht war, bejaßen die Herzoge von Baiern dort einen eigenen 
Palaft, des Herzogs Hof genannt;°) vdeßgleichen fommen zu Regendburg 
Häufer der Bilchöfe von Seben im Jahre”) 1002, der Bilhöfe von Bam: 


— — 





4) Lacomblet, Urkundenbuch des Niederrheines I, Nr. 167 u. 196. 3) Ibid. Rr. 
283. °) Regendburger Urkunde von 1147: testes sunt Otto Burggravius etc. Ur 
funde vom 5. Febr. 1157: testes sunt: Heinricus Burggrarius ratisbonensis. Ried, cod. 
dipl. Nr. 233 u. 248. *) Bfrörer, 8. ©. III, 460. °) Hansiz, Germ. sacra L 
188. 6) Ried, cod. diplom. Nr. 979. ) Tbid. Nr. 126, 


Erſtes Bud. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 441 


} feit 1007, ver Bilchöfe von Freifing feit 1020, der Erzbifchöfe 
Salzburg feit 1062,°) der Aebte von Seon feit 1026,%) endlich vieler 
ıfen und Herren jeit 998 urkundlich) vor. 

Auch eine große kaiſerliche Pfalz ftand daſelbſt, die unter den Caro⸗ 
ern des 9. Jahrhunderts mehrfadh erwähnt wird.) Zu Anfang des 
Jahrhunderts war diefelbe in Trümmer gefunfen und ald Unterlage 
neuere Bauweſen benügt. Durch Urkunde’) vom 30. Auguft 1025 
ätigte der neu gewählte König Conrad den Freifinger Stuhl im Befige 
8 Gebäudes, das errichtet jei auf den Trümmern eines alten Palaftes, 
von dem neuen Freifinger Hofe an act Ruthen nörblid reiche und 
m Dften ſich bis an die Donau erftrede. Conrad fügt bei, fchon fein 
rgänger, Kaiſer Heinrih II., habe diefen Raum — und zwar mit 
mwilligung des. Herzogs von Baiern — an den Freifinger 
ihl abgetreten. Der Beiſatz beweist, daß die bairiſchen Herzoge ale 
mbherrn der Stadt betrachtet wurden. Da der König von dem zerſtoͤr⸗ 
Palaſte das Beiwort „alt“ braucht, iſt es wahrſcheinlich, daß ſchon 
‚längerer Zeit eine neue Pfalz aufgeführt war, vielleicht dieſelbe, welche 
: Urkunde) vom Sahre 1280 mit dem Ausbrude curia Regis be: 
net. — 

Die angeführten Stellen beweifen, daß Regensburg im ſüdöſtlichen 
atfchland ungefähr dieſelbe Stellung einnahm, wie im norböftliden Coͤln 
r Aachen. Unjere Könige und Kaifer hatten daher guten Grund, die 
idt wohl im Auge zu behalten. Aber eben daſelbſt wohnte nicht blos 
Herzog, ſondern auch einer der mächtigften, einflußreichften Biſchöfe des 
lichen Germaniend. Wie? wenn beide, Biſchof und Herzog, fih mit 
ınder verftanden, und gemeine Sache machten, dann erhielt die Krone 
n fchweren Stand. Wohlan! um eben dieß zu verhindern, den Einen 
den Andern zu überwaden, wurde als dritte Macht der Stabtpräfeft 
jeſetzt. Königlicher Argwohn hat die Burggrafenwürde der großen bi: 
flihen und herzogliben Städte gegründet. Nun kommt Pabo, der 
iherr des burggräflihen Haufes von Regensburg, erft um 983 urfund- 
vor. Zwar hindert nicht anzunehmen, daß er fchon mehrere Jahre 
yer diejelbe Würde befleivete, wenn auch Feine der erhaltenen Urfunden 
er gedenkt. Allein lange kann diefe unbefundete Verwaltung nicht 
I gedauert haben, weil jonft dem Stabtpräfeften, der, wie wir jahen, 





1) Daf. Nr. 133 u. 147. 2) Daf. Nr. 142 u, 147. 3) Daſ. Nr. 165 und 

%) Daf. Nr. 152. 5) Daf. Nr. 121. 122. 389. 593. 6) Chronic. Got- 
©. 506, gewöhnlich mit der Formel: actum Reganespurch in palatio nostzo, oder in 
» palatio. 7) Ried, Nr. 147. %) Daf. Nr. 596. 


442 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalier. 


bis tief in die Zeiten Heinrich's IT. hinein Iebte, ein gar zu hohes Alter 
zugefchrieben werben müßte. 

Andererfeitd war der Zeitraum zwiſchen 938 und 955 verjenige, in 
welchem Otto I. die heftigften Kämpfe mit den geftürzten Arnulfiven zu 
beftehen hatte. Bier verjchievene Empörungen wurden durch Pfalzgraf Urs 
nulf II. angezettelt, wobei es fich ſtets um den Beſitz Regensburg handelte. 
Wenn je fonft, mußte daher Dtto I. damals einen Burggrafen in Regens⸗ 
burg einfegen. Iſt meine Anſicht von Entftehung der Stabtpräfeftur rich⸗ 
tig, fo hat fle die Probe des Nachweiſes zu beftehen, daß es jchon vor 
Pabo einen Burggrafen von Regensburg gab. Sie befteht dieſe Probe. 
Der Mönd Arnold von St. Emmeram, welder 1035 jchrieb, erwähnt‘) 
um 970 einen Markgrafen Burdard, der auch Stabtpräfeft von Regens 
burg gewefen jet. Kein anderer Marfgraf Burdard kommt zur angegebe 
nen Zeit por, als jener Vorgänger des öftreichiichen Babenbergers Lintbald I, 
jener oſtbairiſche Markgraf, der 970 zuerft in einer Urkunde Dtto’6 IL 
genannt wird, aber feit 976 verſchwindet, indem nunmehr Liutbald feine 
Stelle einnimmt. Mit Anderen halte ich beide für eine und dieſelbe Pers 
fon. Daraus folgt, daß Burdard Stadtpräfeft von Regensburg geweſen 


fein muß, ehe er die Oftmarfe übernahm, denn zwei ſolche Aemter können 


zu gleicher Zeit nicht verwaltet werden. Da er nun um 976 ftarb, fin 
wir berechtigt zu fchließen, daß Burchard etwa zwiſchen 947 und 970 bie 
Präfektur zu Regensburg befaß, und daß ihn dann Otto als Anerkennung 
geleifteter treuer Dienfte zum Marfgrafen im Oſtlande beförbert hat. 

Ich werde fpäter auf die deutfche Burggrafenwürbe zurüdfommen md 
weiter an pafjendem Orte zeigen, daß Regensburg nicht nur Sig eines 
bifhöflihen und herzoglihen Hofed und vieler geiftlihen und weltlichen 
Großen, fondern auch ſchon im 11.. Jahrhundert ein wichtiger Handel 
plag war, der ein Stadtviertel enthielt, das, weil Staliener daſelbſt wohn 
ten, das lateiniſche hieß. 

Neben dem pfalzgräfliben Amte gibt es fein anderes, das fo ſehr 
perſoͤnliches Bertrauen des jeweiligen Herrſchers vorausfegt, ald dag burg 
graͤfliche. Man follte daher erwarten, daß unfere Kaiſer je nah Wohl 
gefallen erledigte Reichsburgen ftetd an Günftlinge verliehen, daß folglid 
das Amt ein wechſelndes war. Allein dieß ift nicht der Fall; wie bie 
Palatinate, fo war auch die Präfektur zu Regensburg von Anfang an in 
einer beftimmten Familie erblih. Kaum läßt ſich ein fchlagenderer Beweis 
‚von der unwiberftehlihen Kraft denken, mit der alles auf Erblichkeit ver 
großen Lehen hinprängte. Immerhin haben nachweisbare Gründe das Erb; 


‘) De miraculis Sancti Emmerammi I, 16. (Perk IV, 553): Burchardus marchi- 
oomes ot praefeotus Ratisbonensis. 


Erſtes Buch. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 443 


lichwerden der Regensburger Präfektur befördert. Zum Burggrafen in der 
Königsftadt dort‘) taugte nur ein Mann, der durch ausgevehntes Land- 
eigenthum im Stande war, dem Bifchofe und dem Herzoge zugleich die 
Waage zu halten. Pabo's Haus befaß in der That großes Allod; Beleg 
dafür, daß aus demjelben tim Laufe des 12. Jahrhunderts die gräfliche 
Linie von Rietenburg ) und die landgräflihe von Steveningen oder Stefs 
ling’) hervorgegangen ift. 


Bie Scheiern-Wittelsbad). 


Wir betreten ein Gebiet, das Schmeichelet mit dichten Nebeln umhüllte, 
obgleich dem gefunden Menjchenverftand Alles Har if. Wer hat nicht Schon 
von den Erfindungen funftfertiger Genealogen gehört, welche das Haus 
Sceiern bald von den Merowingern oder den alten Römern, bald von 
Carl dem Großen, bald von den Agilolfingern, bald von den Sciri des 
Jornandes, bald von dem böfen Arnulf ableiten?%) Ich ſetze diefen Träus 
men die beftimmten Zeugniffe zweier mittelalterliher Schriftfteller entgegen, 
welche die Wahrheit nicht nur wußten, ſondern auch fagen wollten. 

Dtto, der berühmte Bifchof von Freifing, Geſchichtſchreiber des Reichs 
und des Kaiſers Friederih Rothbart, ein Prälat, deſſen ehrenhaften Cha⸗ 
rafter noch Niemand in Zweifel zu ziehen wagte, ein PBrälat ferner, der - 
vermöge feiner Geburt, als Eprößling des babenbergifchen und ald naher 
Verwandter des hohenftaufiihen Hauſes, jo wie vermöge feiner Stellung 
als Fatferliher Capellan, freien Zutritt zur Reichskanzlei hatte, berichtet’) 
in der Weltchronif folgendes: „auf die Nachricht vom Tode ded Königs 
Eonrad I. (919) kehrte der aus Baiern nad) Ungarn vertriebene Herzog Ar- 
nulf vol Herrichfucht in die Heimath zurüd und brachte zu wege, daß ihm 
der neue König, Heinrich I., nicht nur die herzogliche Würde, ſondern auch 
freie Verfügung über die Stühle und Kirchen Baierns überlafien mußte. 
Diefer Arnulf ift derfelbe, der die kirchlichen Anftalten und Klöfter Baiernd 
zerftörte und ihre Beſitzungen feinen Soldaten preißgegeben hat; derſelbe, 
fiber den der Allmächtige dem feligen Bifchof Ulrich von Augsburg ein Ges 


‘) Regensburg heißt vorzugäweife civitas regia. Chronic. Gotwic, ©. 506 ober se- 
des regia, 3. ®. vita Wenceslai cap. 45. Per IV, 219; ober caput bawarii regni Bei 
Dietmar v. Merfeburg II, 3. Berk III, 745. 2) Ried, Nr. 181. 3) Ibid. Rr. 
4143 und fpäter. %) Man fehe Hormayr, Herzog Liutpold S. 98 flg. Unter allen 
jenen Benealogen ift mir biefer Jofeph Freiherr von Hormayr der widerlichſte. Denn 
mit Stellenjägerei verbindet er je nach Umftänden die Bosheit der Kape, die Sentimen« 
talität einer Dichterin, die gefalbte Begeifterung eined Heuchlers. *) lib. VI, 18 Ursti- 
sius a. a. D. ©. 127. 


444 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


fiht offenbarte, deſſen Sinn war, daß Amulf ein Anmaßer ſei. Bat 
darauf gewann König Heinrich I. in Sachſen einen herrlichen Sieg über 
die Ungarn.” So Dtto von Freifing. Klar ift, daß er den Arnulfiven 
nicht fchonen will und daß er im beften Zug war, noch fchlimmeres über 
ihn oder fein Gefchlecht auszufagen, wenn er nämlich etwas der Art ge 
wußt hätte. 

Im folgenden Capitel fchilvert er die Thaten Könige Otto J. bis zum 
großen Einfall der Magyaren. Sodann handelt er vom Ungarntrieg: „im 
Jahre des Heiled 955 drang das verruchte Volk der Ungam, mit umähs 
ligen Schaaren gleih Heufchredenfhwärmen die Erde bedeckend, bis Auges 
burg vor. Dort ftellte fih ihnen unfer glorreiher König Dtto zum Kampf, 
und ſchlug fie bis zur Vernichtung. Anftifter des Sturmes war — fe 
lautet die Meberlieferung — ein gewiffer Graf von Sciren aus Baiern, 
der den Feind in’d Land hereinführte, aber dafür von dieſem felbft den ge - 
bührenden Lohn empfing; denn nachdem fie wahrgenommen, daß er fie in’ 
Unglüd geftürzt habe, fchlugen die Ungarn den Sciren als einen Berräther 
tobt. Nach feiner Ermordung ward dad Land, das er bejeflen, eingezogen 
und vom Könige meift unter die Kirchen vertheilt; nur ein Stüd fammt 
dem Schloß Sciren blieb dem Geſchlechte, doch geht die Sage, jenes 
Grafen Nachlaß fei von den Bilchöfen mit ewigen Fluche belaftet 
worden.” | 

Hier verjchweigt der Ehronift einen vermittelnden Gedanken, ber ben 
Uebergang zu den näcften Sägen bilden ſollte. Es ift nicht ſchwer, den⸗ 
jelben zu errathen. Otto von Freifing fährt nach den mitgetheilten Worten 
alſo fort: „aus diefem Gefchlechte find feitvem .viele Tyrannen erflanden; 
alle älteren Schiren aber übertrifft an Bosheit Pfalzgraf Dtto, der gleid» 
artige Sohn eines gleichartigen Vaterd, welcher die Kirche Gottes zu ver 
folgen bis auf den heutigen Tag nicht aufhört. Gottes Gerichte find vers 
borgen, gleihwohl beweist die That, daß ein finfterer Geift durd das 
Haus der Schiren geht. Keinen oder wenige, felen es weibliche oder männ- 
lihe Mitglieder, mögen fie einen Stand oder Beruf irgend welder Art 
ergriffen haben, feinen oder wenige gibt ed unter den Sciren, die nidt 
entweder als offene Tyrannen fih gebaren, oder in Blödfinn verfunfen, 
und zu jedem geiftlichen oder weltlichen Amte unfähig, mit Raub oder Bettelei 
ihr Leben friften.” So lautet in getreyer Ueberfegung die Ausfage dei 
Sreifinger Biſchofs. 

Die Scheiern haben, wie unten gezeigt werden wird, in ber erſten 
Hälfte des 12. Jahrhunderts auf ihrer Stammburg 9) ein Benebiftine, 


ı) Schloß Scheiern liegt unweit Pfaffenhofen auf einer Höhe. 


Erſtes Bud. Gap. 14. Aufftrebende Dynaften in Baiern. 445 


kloſter errichtet, deſſen erblihe Schirmvogtei fie fich felbft worbehtelten. *) 
Conrad, einer der Aebte eben dieſes Hauskloſters, fchrieb im 13, Jahr: 
hundert — ungefähr hundert Jahre nad) Dtto von Freifing — eine Ge: 
ſchichte des Stift, aus welcher einige der wichtigften Säße hervorgehoben 
werden müſſen. „Schloß und Berg Schiren,” fagt”) er, „gehörte nicht 
einem oder zweien Fürften, fondern ed war gemeinfchaftliches Eigenthum 
vieler. Einen Theil der Burg hatten nämlih die Fürften inne, welde 
nachher den Beinamen von Dachau erhielten. Auf einem zweiten hausten 
die Grafen von Grube, welche fpäter die Linie von Valey gründeten. Das 
Mebrige bejaßen jene großen und durchlauchtigen Grafen, welche vorzuges 
weile den Stammnamen Sciren führten. — Mit wenigen Ausnahmen 
waren die Namen Dtto und Edehard ihnen eigen; zu gleicher Zeit lebten 
von den Gliedem des Gejammthaufes drei, welche Eckehard, fünf, welche 
Dtto, zwei, weldhe Bernhard, einer, weldher Conrad, einer, welder Ar: 
no hießen; man jagt au, daß jener (Herzog) Arnold (Arnulf), der die 
Klöfter zerftörte und das Kirchengut unter feine Soldaten vertheilte, zuerft 
den Berg Sciren wohnbar gemadt habe.“ 
Ih halte hier einen Augenblid inne. Darin ftimmen fowohl der 
Hreifinger Biihof als Abt Conrad überein, daß ein zahlreiches Geſchlecht 
von Burg Schiren ausging, und wohl aud dort oben faß. Aber während 
der Biſchof, der nad Gunſt oder Ungunft des Pfalzgrafen Otto nichts 
fragte, friih weg behauptet, viele der Schiren hätten von Raub over 
Dettelei gelebt, wirkte auf den Abt, deſſen Klofter in erblicher Abhängigkeit 
von den geftrengen Schirmvögten ftand, Furcht ein; die Sciren find bei 
ihm lauter Fürften, große, durdlaucdtige Grafen. Wenn er ferner im 
legten Sate den Herzog von Baiern, Arnulf, hereinzieht, fo geichieht dieß 
in erfter Linie der Ramenähnlichkeit wegen. Er will jagen, der eine Schire 
heiße gerade fo, wie einft jener böfe Arnulf; gleichwohl ift nicht zu ver 
fennen, daß indgeheim noch die weitere Abſicht zu Grunde liegt, den 
Glauben hervorzubringen, als feien die Schiren mit der alten Herzogs⸗ 
familie verwandt. Ich ziehe Hieraus den Schluß, daß man es auf der 
Pfalz Wittelsbach ſchon damals gerne hörte, wenn die Schiren und die 


1) Urkunde Kaifer Heinrihd V. vom 1. Mai 1124: monum. boica X, 449 Nr. 5. 
3) Monum. boic. X, 392 fig. passim. Ich theile die Hauptfäge ihrer Wichtigfeit wegen 
im lat. Terte mit: non duo vel tres, sed plurimi erant principes schirenses dicti, qui fere 
omnes, exceptis paucis, duobus nominibus vocati sunt: videlicet Otto et Ekkehardus. 
Tres quippe erant qui uno nommine dicti sunt Ekkehardt, quinque qui dicti sunt Otto, 
duo Bernhard, quidam Conrad, quidam Arnold; ut fertur, etiam Arnoldus dux Bawa- 
riae, qui monasteria destruxit et reditus eorum militibus divisit, primus hunc mon- 
tom habitabilem fecit. 


446 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Arnulfiven in fünftlihe Verbindung gebracht wurden. Denn für nichts bet 
Abt Conrad fiherlidd den Herzog Arnulf nicht erwähnt. 

Aber gleich ſchlug ihn das Gewiſſen. Hätte er die Farben di auf 
tragen wollen, jo etwa wie es Aventin machte, der geftügt auf obige Werte 
Conrad's, den Herzog Arnulf von Baiern zum Erbauer der Stammburg 
Schiren machte, jo mußte er eben dieß jagen, während er blos davon fprict, 
daß Arnulf der Böfe den Berg bewohnbar gemadt habe. Das heißt uw 
gefähr foviel: der Herzog ließ dur den Wald einen Weg hinauf hauen, 
oder errichtete etwa oben ein Jagdhaus, an deſſen Stelle fpäter die Schiren, 
nad dem Sturze der Arnulfiden, eine Burg erbaut haben mögen. 


Ich gehe weiter und behaupte: Abt Eonrad hatte nicht blos Gefühl 


für Wahrhaftigfeit, fondern er war auch ein Fein wenig Schalf; denn im 
nämlihen Athem, da er den geneulogiichen Liebhabereien des Erbvogts 
Weihrauch zuftreuen jcheint, vernichtet er dieſe Täufchung durch den wohl 
überlegten Sa, betreffend die herfümmlichen Taufnamen der Bervohner de 
Stammſchloſſes: bei weitem die meiften hätten Otto oder Eckehard geheißen 
und der Name Amold oder Arnulf fei eine Ausnahme geweſen, von ber «6 
nur ein einziges Beifpiel gebe. Damit deutet er heimlich für Kundige am, 
die Behauptung der Schiren, daß fie von Arnulf abftammen, fei nichtig; 
denn hätte fie Grund, jo müßte, ftatt Effeharb oder Otto, Arnold ver ges 
wöhnlihe Name im Schirenhauſe geweien fein. Und wahrli der Einwurf, 
auf den bier der Abt hinweist, hat Fein geringes Gewicht. 

Weiter berichtet Conrad: „ber ältefte Cbefannte) unter jenen Grafen, 
die vorzugsweife Schiren hießen, war Wernher, welcher aus Rache dafür, 
dag ihn König Otto L in die Acht erklärt hatte, die Hungarn (im Jahre 
955) bis nad) Augsburg führte. Diefelbigen erlitten eine tödtliche Nies 
derlage, und nad der Schladht wurden fieben ihrer Kürften bei Regensburg 
aufgehenkt. Aber Graf Wernher felbft entfam, weil ihm Ulrich der Hei⸗ 
lige, Biihof von Augsburg, der ihn aus der Taufe gehoben hatte, das 
Leben rettete.” Abermal ftimmen Abt Konrad und Dtto von Freifing in 
einem Hauptpunfte überein: beide beginnen die Gejchichte des Hauſes Schiren 
mit einem Grafen, der die Ungarn 955 in's Reich berief. Allein der digj⸗ 
finger Biſchof fagt beftimmt, daß derjenige Schire, der dieſes Verbrechen 
verübte, von den Ungarn erjchlagen worden war, während Abt Conrad 
denjelben gerettet werben läßt. Hier ift ein Wiverfprud. Welcher von beis 
den hat Recht? 

Meined Erachtens der Gejchichtichreiber Friederich's des Rothbarts. 
Abgefehen davon, daß Dtto von Freifing der Begebenheit, welche der eine 
wie der andere befchreibt, um ein volles Jahrhundert näher ftand, und daß 
er, der Faiferlihe Gapellan, die geheime Geichichte der großen Familien des 
Reichs beffer Fannte, als der dunkle Abt von Schiren — begirüge ich mid 


Erſtes Bud. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaſten in Baiern. 447 


mit dem einen Einwurf: ift es glaublich, daß ver heilige Udalrich, ein dem 
Reiche treuer Prälat, e8 ‚gewagt habe, einen Mann, der ein joldhes Vers 
brechen auf fich geladen, loszubitten, oder weiter, fann man annehmen, 
dag Dtto L, jelbft wenn der Bilchof fih zu einem ſolchen Schritte hin- 
reißen ließ, ſchwach genug geweſen jei, durch Begnadigung vollendeten 
Hochverraths das jchlimmite Beilpiel zu geben. Credat Judaeus Apella, 
non ego. Indeß ift es nicht unmöglih, die Ausjagen Beider mittelft 
einer Eleinen Aenderung zu vereinigen. Wie? wenn wir vorausfegen, daß 
jener Wernher des Abts, Sohn und Erbe des obgenannten Grafen ges 
wejen fei, der laut dem Berichte des Freifinger Gejchichtichreibers von den 
Ungarn jelbft erjchlagen ward. Dann behält Abt Conrad wenigftens darin 
Recht, daß der Schire Wernher nad jener fürdhterlihen Cataftrophe das 
Haus fortgepflanzt hat. 

In der That enthält fein eigener Bericht geradezu Elemente, welche 
nöthigen auf etwas der Art zu rathen. Hievon unten. Vorerſt nur dieß: 
„der h. Ulrich, Biſchof von Augsburg,” fagt er, „hat den Grafen Werner 
aus der Taufe gehoben.“ Nun fteht feft, daß Udalrih im Jahre 924 ven 
Stuhl von Augsburg beftieg.‘) Folglich kann jener erft nad 924 geboren 
fein, und zwar geraume Zeit nachher. Denn hätte er im Jahre 955 zu⸗ 
gleich mit feinem Vater die Waffen bei dem ungarijchen Einfall getragen, 
fo würde er nicht verjchont worden fein. Vielmehr muß man vorausjeßen, 
daß er damals nody unmündig war. Auch Dtto von Freifing gibt zu, daß 
nach erfolgter Einziehung des größten Theild der Hausgüter, die Burg 
Schiren den Erben des Schuldigen gelafjen ward. Dieß mag auf Fürbitte 
des Biſchofs Udalrich und zu Bunften feines Pathen Werner gejchehen fein. 

Abt Conrad fährt fort: -„Ein Enfel jenes Werner war Graf Otto, 
Sohn der Gräfin Hazaga, welde das Klofter auf Schiren geftiftet hat.“ 
Mit der Mutter und dem Vater ded Grafen Otto beginnt der Tag für 
die Geſchichte des Hauſes Witteldbah. Hazaga, Otto's Mutter, auf die 
ich zurüdfommen werde, ftarb nad 1096, aber ihr Gemahl, der gleichfalls 
Dtto hieß, war fchon geraume Zeit vorher mit Tod abgegangen. Auch 
der Hazaga Sohn, Otto, derſelbe, welden Abt Conrad ald Enfel des 
erften Schiren Werner aufführt, verfhied um 1123. Angenommen nun, 
Graf Werner, der Ahnherr des Haufes, habe beim Einfall der Ungarn 
im Sommer 955 erft fünf Jahre gezählt, und er ſei alfo um 950 geboren, 
würde, wenn man den von Abt Conrad gebrauchten Ausdruck nepos buch⸗ 
ftäblich verfteht, unabweislic folgen, daß von der Geburt des Großvaterd 
bis zum Tode des Enfeld nicht weniger als 173 Jahre verliefen. Dieß 
iſt — ih will nicht jagen unmöglich, denn allerdings find Beiſpiele befannt, 


ı) Gfroͤrer, K. &. III, 1192. 


448 Pabſt Eregorins VIEL und fein Seitalter. 


dag Männer im 70. Lebensjahre noch Fräftige Kinder zeugten — aber ia 
hohem Grade unwahrſcheinlich ift ed. Gerathener dürfte daher fein, Yen 
Ausdruck nepos in weiterem Sinne zu nehmen, für Nachkomme überhamt. 
Jedenfalls fieht man, daß Abt Conrad zwifchen dem Stifter, jenem Ben 
her und dem Gemahl der Hazaga, Dtto, feinen Schiren fannte, der ige 
eine hervorragende Rolle geipielt hätte. 

Die bairifchen Genealogen geben — fo fehr ſonſt ihre jogenannien 


— — 


Eyfteme ſich gegenfeitig wiberfpredhen — alle von der Anficht aus, daß 


zwilchen dem erften Schiren, der um 950 lebte und zwiſchen Otto den 
Gemahle der Hazaga mehrere Mittelglieder einzureihen feien, von welchen 
der Abt nichts wiſſe. Die hiedurch entftandene allerdings kaum beftreithare 
Lücke benügen fle, um den Gemahl der Hazaga mit Vorfahren zu beichen 
fen, durch welche er nach Gutdünfen mit dem Stammbaume der Arm 
fiven, der Agilolfinger, der Garolinger, der Merowinger in Berbindung ge 
bradht wird. Den Ruhm beweglicer Phantafie kann man dieſen erfinderb 
Ihen Köpfen — von Aventin an bis herab auf den Archivbeamten 3. Fert. 
Huſchberg — nicht abiprechen; aber vor dem Richterftuhle des gefunden Me 
Ihenverftands find ihre Einfälle ſammt und ſonders Feine Bohne werth. 
Und zwar darum find fie nichts werth, weil fie erſtlich die Zeugniſſe des 
Freifinger Biihofs und des Abts Conrad, der doch ein geiftlicher Vaſal 
der Schiren war, völlig auf die Seite fchieben, während eben dieſe Zeug 
nifje in der fragliden Sache einzig und allein Gewicht haben; zweitens, 
weil fie ohne allen Beweis aus Urkunden und gleichzeitigen Schriftftellen 


beliebige Perſonen zu einander in das Verhältniß von Vater und Sohe 


jegen. — 
Nah dem fürdhterlihen Schlage, der die Schiren in Folge der großen 
ungariichen Niederlage bei Augsburg betroffen, konnten dieſelben für län 


gere Zeit feinen Lärm in der Welt machen. Es ift daher in der Orbnung, 
daß die Ehronifen von ihnen wie von taufend andern Heinen Adeligen 


Ihweigen. Die Schiren waren verarmt, und lebten vom Stegreif. Zum 
Beweis führe ich die Ausſage eines Mannes an, der in der 2. Hälfte 
des 11. Jahrhunderts Selbſterlebtes niederſchrieb, Jener Mönd ven 
Herrieden, der über den Biſchof von Eichſtädt, nachmaligen Pabſt unter 
dem Namen Biftor IT., jo vortrefflihe Nachrichten mittheilt, meldet *) unter 
Anderem Folgendes: „nachdem der abgefehte Herzog Conrad von Baien 
fih zu den Ungarn geflüchtet hatte) (1053), übertrug Kaifer Heinrich II. 
bie vormundichaftlihe Verwaltung des Herzogthums dem Eichflänter U 
Ihofe Gebhard. Während einer kurzen Amtsführung hat derſelbe ſich grefe 


‘) Liber de episcopis Eichstedtensibus, cap. 35. Per$ VII, 264. 2) feier, 
K. ©. IV, 598, ‘ 


Erſtes Buch. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 449 


Berdienfte um das Land erworben und zwar das größte dadurch, daß er 
Die Schiren, welche damals, wie heute noch, vom Raube lebten, zujammen- 
fchmetterte und ihre Schlöffer verbrannte. Die Schiren,“ fügt der Mönd 
bei, „flagen bi8 auf den heutigen Tag über die Züchtigung, die ihnen - 
damals der Biſchof von Eichftädt beibrachte.” Ich frage: wird nicht durch 
die wenigen Worte des Augenzeugen die Ausſage des Geſchichtſchreibers 
von Freifing glänzend beftätigt, und ſchwinden nicht vor ihrer einfachen 
Wahrheit die Hirngelpinnfte der Genealogen wie Seifenblafen zufammen!! 

Erſt eine reiche Heirath hob einen Sprößling des verarmten Hauſes 
empor. Abt Conrad gibt hierüber ziemlich ausführlihe Nachricht. „Ha⸗ 
zaga,” meldet er, „eine Jungfrau aus dem alten und edlen Gejchlechte 
der Schiren, vermählte fih mit dem Grafen Herrmann von Caftel. Rad» 
dem dieſer geftorben war, verheirathete man fie in zweiter Ehe an den 
Grafen Dtto von Schiren.“ Ich muß hier einhalten. — Hazaga war eine 
Schirin, und ehelichte einen Schiren. Hieraus folgt entweder, daß Graf 
Dtto eine jehr nahe Anverwandte zum Weibe genommen hat, oder daß 
die Sciren ein großes zahlreihes Geſchlecht waren, unter denen es Linien 
gab, die durch mehrere Geſchlechtsfolgen ſich in folder Weiſe von einander 
gefonvert hatten, daß entfernte Mitglieder ohne Hinderniß — ein Scire 
mit einer Schirin — Ehen fchließen konnten. Run ift fein Zweifel, daß 
Die Kirhe Otto's Ehe mit Hazaga gebilligt hat, folglich muß letzteres der 
Ball geweien fein. 

Die Schiren waren ein zahlreiches und altes Adelsgeſchlecht. Hierauf 
weifen einftimmig die Ausjagen aller Zeugen hin. Der $reifinger Otto 
ſpricht von multi Schirenses, Abt Conrad braucht den Ausdruck non duo 
vel tres, sed plurimi erant Schirenses comites. Auch der Mönd von 
Herrieven fennt feinen Schirensis, fondern Schirenses: weßhalb denn aud) 
Das Stammſchloß Schiren ald der Wohnſitz eined ganzen Gefchlechte, als 
eine Ganerbenburg geſchildert wird. Jedoch nicht nur eine zahlreiche, fons - 
dern aud eine alte Sippſchaft waren die Schiren. Dieß ergibt fi aus 
folgenden Gründen: ein Scire hat 955 mehr ald hunderttaufend Ungarn 
ind Reich hereingeführt. Nun wird man fein Beifpiel finden, daß ein 
fremdes Volk ſich zu folhen Unternehmungen durch Plebejer ohne Namen 
fortreißen läßt, fondern nur Männer, denen man Anhang im Lande zu 
traut, find im Stande zu bewirken, daß ein Antrag der Art ins Werk 
geiegt wird. Berner König Dtto I. hat, laut dem Zeugniffe des Sreifinger 
Geſchichtſchreibers, nach dem Siege über die Ungarn eine Synode mehrerer 
Biichöfe berufen, damit fie den Kirchenfluh gegen das Haus des Ver- 
rätherd ausſprächen. Mit Verbrechern geringen Stande macht man nirs 
gends ſolche Umftände, man henkt fie einfach auf: wenn dagegen Mittel 

Gfröoͤrer, Pabſt Eregorius vu. Bd. J. 20 


450 Babft Gregorius VII und fein Seitalter. 


der Art in Bewegung gejegt werben, jo ift dieß ein Beweis, daß es fih 
um eine große, mächtige Familie handelt. 

Wirklich erhellt aus der Bawarifa, einer Quelle erften Rangs, def 
ed in Baiern zahlreihe mit befondern Vorrechten ausgeftattete Geſchlechter 
gab, und zwar, außer dem’ herzoglichen der Agilolfinger, fünf, genannt: die 
Huofi, Droza, Bagana, Hahilinga und Anniona. Ich beiaupte nm: 
entweder gehörten die Sciren einem biefer Geſchlechter als (onſt nicht 
erwähnte) Unterabtheilung an, oder haben fte in dem 200jährigen Zeitraume, 
der zwilchen Abfafjung der Bawarifa, d. h. dem Jahre‘) 727 und dem 
Sturze der Arnulfivden verlief, eine ähnliche Stellung errungen. 

Abt Konrad nennt?) den erften Gemahl der Hazaga einen Grafen von 
Ehaftel oder Chaftelin. Ein befanntes Echloß diefed Namens, Etammburg ber 
Grafen von Kaftel, Tag in der Babenberger Marfe, während Graf Herrmann, 
laut der Schilderung des Abts Conrad, im füdöftlihen Baiern unweit Aibling 
an dem Mangfall hauste. Allein Erftered paßt in anderer Beziehung zu den 
Ausjagen des Abts. Derfelbe gibt nämlich zu verftehen, daß Graf Herr: 
mann in ungewöhnlicher Weile dort zu Lande Eigenthum erwarb. Er muß 
demnach nicht von alter Zeit her unweit Aibling angefeffen gewejen fein 
„Graf Herrmann,” fährt?) der Abt fort, „betrat mit feinen Dienern und 
Hinterfaffen von den Gehöften bei Willing aus, ) welche fein gefegliches Eigen 
waren, den Freimald am Orte Helingerdweng und ergriff von demielben 
im eigenen Namen wie in dem feiner Gemahlin, der Gräfin Hazaga, Bes 
fit, ohne daß Jemand Widerſpruch erhob (Eigenthumsrechte geltend machte). 
Solches that er unter Beobachtung der Normen, melde das Herfommen 
für Sole vorfchreibt, die von erbeigenthümlichen Höfen aus Gemeinwah 
in Befig nehmen wollen: er hieb nämlih Markzeichen in die Bäume, er 
baute Hütten und blieb darin 3 Tage. So gewann er einen Bezirk vom 


u a — — 


Berge Chitenrein an bis zu dem Waldbach, Chivirins Urfprung genamt - 


Bald darauf, da er abermald auszog, nahm er aud noch einen (weite 
gegen Süden gelegenen) Wald bis zum Diezzentenbach in Befig. Seitden 
wurde felbiger Forft durch des Grafen Dienftleute Stellenweife ausgerodet, 
mit Höfen befegt und urbar gemacht.“ 

Um die nämliche Zeit kommen ähnliche Befigergreifungen auf anden 
Seiten vor. Der und befannte Burggraf von Regensburg, Pabo, jchenfte‘) 
um’d Jahr 1000 an das Stift St. Emmeran einem Forftbezirt im Nord 


1) Den Beweis hiefür werbe ich in einer Befchichte der deutfchen Volksrechte führen. 
») Monum. boica X, ©. 382 u. 383. 5) Am rechten Ufer des Mangfalle. *) Rie, 
cod. diplom. Nr. 119: circumeunde captivaverat. Lepterer Ausbrud weist auf des 
gefepliche Wort captura Bin. 


= 


Erſtes Bud. Gap. 14. Auffirebende Dynaften in Baiern. 451 


wald, welchen er von feinem Erbgute Steveninga aus (Stefling am Re- 
gen) durch Umſchreitung mit feinen Dienern in Eigenthum verwandelt 
hatte. Kaifer Carl der Große gab über das hier beichriebene Verfahren 
bejondere Vorſchriften; die auf ſolche Weile in Eigenthum verwandelten 
Ländereien hießen auf Latein captura, auf deutſch „Bifang.“ Sehr viel 
rund und Boden ift durch Bifang in den Tagen Carols ausgerodet und 
nusbar gemacht geworden, denn die Bevölferung des Reichs wuchs unter dem 
großen Herrfcher außerorventlih. Die Anjegung neuer Colonien muß jedoch 
in Balern während der nädften 200 Jahre nadı Carol geftodt haben, da 
erft wieder feit 1000 urfundlih von großen Ausrodungen die Rede ift. 
Ich denfe mir, daß die zahlreihen Auswanderungen nad Oſtrich eine 
der mitwirkenden Urſachen waren. Sept erft, nachdem die Oſtmarke genü⸗ 
gende Bewohner erhalten hatte, Fam beſonders bei dem tiefen Zandfrieven, 
der unter Kaifer Heinrich III. berrihte,‘) das Werk fortjchreitender Boden⸗ 
kultur wieder in Gang. 

Die Ehe Hazaga’d mit Herrmann von Chaftel kann nicht lange ges 
bauert haben, da ihr zweiter Gemahl, der Schire Otto L, auf den id) 
übergehe, jhon um 1070 ftarb, fie felbft aber erft nach 1100 mit Tod 
abgegangen iſt. „In zweiter Ehe,“ jagt Abt Conrad, „ward fie übergeben ?) 
bem Sciren Grafen Otto, weldhem fie 3 Söhne, Dtto II, Bernhard und 
Ekkehard gebar.” Daß fie dem Schiren Otto großes Gut zubrachte, erhellt 
theild aus den Taufchverträgen, theild aus den Schenfungen, welde fie 
als Wittwe nad dem Tode des zweiten Mannes machte. Meines Er- 
achtens iſt ed auch aus Rüdficht auf die zweite Ehe geichehen, daß Otto L, 
Gemahl der Hazaga, ein wichtiges und ſehr einträgliched Amt erlangte, 
nämlich die Kirchenvogtei des Hochſtifts Freiſing.) Da der Augen⸗ 
jeuge von Herrieden, wie wir jahen, die Schiren um 1053 als landkun⸗ 
bige Räuber bezeichnet, ift faum zu glauben, daß die Freifinger Biſchoͤfe 
ohne bejondern Anlaß einen Mann des genannten Haufed zu ihrem 
Bogte genommen haben. Nun geht aus allen befannten Handlungen 
Hazaga's hervor, daß fie unabläffig bemüht war, die Kirche zu gewinnen. 
Ich vermuthe deßhalb, fie dürfte es geweſen fein, welde nicht nur ihren 
Mann auf andere Wege brachte, fondern ihm auch das Amt verjchaffte. 

Im Jahre 1077 bei Einweihung der Kirche von Willing erjcheint fie 
als ſelbſtſtaͤndige Gebieterin: Otto L muß demnach vor dem angegebenen 


ı) Gfroͤrer, 8. ©. IV, 373. ’) Die Wahl des Ausprudes fcheint darauf hinzu⸗ 
benten, daß Hazaga nicht ganz freiwillig ben zweiten Gatten nahın: comiti Hermanno 
de Chastel nupta fuit, quo mortuo cuidam comiti, Ottoni de Schiren, tradita, per 
sum tres filios habuit. 2) Urkunde bei Hufchberg, S. 218 Note 13: Domina Ha- 
sacha, vidaa domini Ottonis, istins ecclesiae adrocati. 

29° 


452 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Jahre geftorben fein. Kraft einer noch vorhandenen Urkunde ) vergabte 
fie zum Seelenheile ihres verftorbenen Gemahls an die Freifinger Kirche Gü⸗ 
ter in den Orten Hugarin und Inding unter dem Bering, daß jährlich am 
Gerädtnißtage Dtto’8 eine gewiffe Summe zu einem Todtenmahl verwen 
det werde. Im Falle dieß unterbleibe, folle ihr Eohn Efkehard, oder wer 
nad ihm nächſter Erbe der Burg Ediren fei, befagte Güter gegen Nies 
derlegung eines Goldſtücks auf den Altar wieder an fich ziehen dürfen. 
Später errichtete fie im Mittelpunft der von ihrem erſten Gemahle Her 
mann durch Ausrodung errungenen Befigungen zu Helingerdöweng eine 
Mutterkirhe, welche fie reihlih mit Höfen zu Hegling (am linfen Ufer 
des Mangfall8), zu Ammendorf und Grafingen, ſodann mit Gütern im 
Zilferthal und bei Truns (im Tirol), jo wie mit Weinbergen bei Bopen 
ausftattete.) Hieraus erhellt, daß fie bis tief ind heutige Tirol hinein 
Eigenthum bejaß. 

Die Ausftattung der Dorffirdhe weist bereits auf den Plan bin, ein 
Klofter zu Helingerdweng zu gründen. Wirflih hatte Hazaga dieß nicht 


nur im Sinne, fondern fie führte e8 auch aus. Conrad erzählt ?) weiter: | 


„die Gräfin übergab befagte Kirche dem Abte Wilhelm von Hirſchau in - 


Schwaben gegen die Beringung, daß derjelbe für Erridtung eines Klo⸗ 
ſters zu Helingersweng Eorge trage. Der Abt von Hirkhau ging darauf 
ein, er fandte 12 Mönde und 12 LXaienbrüder, welche ſich (um 1080) m 
Helingeröweng nieberließen.” Auf einmal finden wir die Schiren-Wittwe 
in Verbindung mit dem berühmten Hirfhauer Wilhelm, welcher das Haupt 
der firhlien Bewegung durch ganz Süddeutſchland war. Nicht Tange 
blieb das Stift zu Helingeröweng: „weil dafjelbe in einer Gegend Ing, 
wo Mangel an Wegen und undurddringliche Wälder die Beiführung von 
Lebensmitteln erjchwerten, baten die Mönche Hazaga, einen befjem On 
auszuwählen. Sie entipradh ihrem Wunſche, taujchte vom Hochſtift Frei 
fing das nördlich von Helingersweng gelegene Dorf Viſchpachau ein, we 
fie ſeitdem ein größeres Gebäude für die Brüder aufführen ließ.” Aud 
bie innere Verfaſſung des neuen Klofter8 wurde umgeändert. Das älter 
Stift ftand bis dahin unter der Leitung des Mutterfloftere Hirfchau, aber 
jetzt ſchickte Abt Wilhelm in der Perſon Erchenbalds einen eigenen Bor 
ftand. Auf den Antrag des Legtern beſchloß Hazaga, die Abtei dem m 
mittelbaren Schutze des Stuhles Petri zu unterwerfen. 

Die betreffende Bulle ) wurde im Jahr 1103 durch Pabſt Paſchalis IL 
erlaſſen. Kraft derjelben nahm er das Klofter Viſchpachau gegen jährlide 
Entrihtung eined Byzantinerd in St. Peters Schub und übertrug ve 
Schirmvogtei auf Otto IL, den Sohn Hazaga’s, mit der Beftimmung, daß 


) Monum. boica X, 383. 3) Ibid. ©. 384, °) Ivid. ©. 437. 


Erſtes Buch. Gap. 14. Anffirebende Dynaften in Baiern. 453 


nach ihm ftetS der Erfigeborne unter feinen Söhnen und Enfeln die Vogtei 
erben follen, nur dann wenn fie vom Wege der Tugend abwiehen, möge 
die Beftellung eined Vogts ver freien Wahl des Stift überlaflen fein. 
Hazaga erlebte die Ankunft diefer Bulle nicht mehr, fie war bald nad) 
1100 geftorben,‘) nachdem ſie ihrem Stifte noch verſchiedene Güter jenſeits 
ber Donau am Regen und anderdwo vermadt hatte. 

Wenden wir und zu den Söhnen Hazaga’d. Ekkehard, der Erftge- 
borne, erhielt, allem Anfcheine nad als Erbe feines Vaters, die Schutz⸗ 
vogtei des Hocftifts Freiſing. Abt Conrad bezeichnet ) ihn als ſolchen; 
und in der That erfcheint?) feit 1074 ein Effehard urfundlidh als dortiger 
Vogt. Ebenderſelbe Schloß eine glänzende Ehe mit der Tochter eines ber 
mädhtigften Gejchlechter in Deutichland: aber das Mittel, durch das er 
diefe Gemahlin errang, war Raub. Der Mönd von Weingarten meldet:*) 
„mit Sophia, der Wittwe jenes Weimarer’s Udalrich (der 1071 ald Marl: 
graf von Iſtrien ftarb), zeugte Herzog Magnus von Sachſen (der legte 
Bilunge) 4 Töchter: Wulfhild, welche jpäter fi mit dem Welfen Heinrich), 
Herzoge von Baiern, vermählte, Eilifa, welche einen Markgrafen von Sad) 
fen zum Manne nahm, und noch 2 andere. Die dritte heirathete einen 
Herzog von Mähren, die vierte endlich entführte Graf Effehard von 
Schiren aus einem Klofter zu Regensburg, und zeugte mit ihr Dtto“ (den 
erften bairiſchen Pralzgrafen aus dem Haufe Schiren-Witteldbah). Der 
Ehronift nennt den Namen der entführten Tochter des Sachſenherzogs 
nicht, aber aus mehreren Urfunden®) erhellt, daß fie Richardis hieß. Da 
der Sachſenherzog Magnus nur Töchter, Feine Söhne hatte, mußte voraus⸗ 
fichtlih großes Allod an erftere fallen. Hat nun Effehard die Richardis 
aus Liebe zu ihrer Perfon, oder zu ihrem Erbe entführt?‘ Ich halte den 
zweiten Ball für den wahren, und bin überzeugt, daß der Einfluß des 
ſächſiſchen Hauſes und Nachlafjes nicht am wenigften dazu beitrug, dem 
Sohne der Richardid den Weg zum Palatinate Baierns zu bahnen. 

Mit dem Schiren Otto IIL, der um 1110 die Pfalzgrafenwürde als 
Nachfolger Engelberts erlangte, von welchem an einem andern Orte die Rebe 
war®), tritt das Haus, dem er angehört, in den Kreis der großen Lehen; 
träger, und zugleich der Reichögefchichte ein. Zum erftenmale führt ver: 
jelbe im Jahre 1116 urkundlich”) den Titel „von Wittelsbach“. Er ſcheint 
kurz zuvor dieſe bei Aichach norböftlih von Augsburg gelegene Burg ent⸗ 
weder erbaut, oder durd feine Gemahlin Eilifa, eine Erbtochter des gräf- 
lichen Hauſes Lengenfelv, erheirathet zu haben. Otto's III. Vater, Effe- 
hard flarb ungefähr zu gleicher Zeit mit der alten Hazaga, bald nad) 





— — —— 


) Huſchberg ©. 220. 2) Monum. boica X, 383. 5 Huſchberg ©. 224. *) Hess, 
mon. guelfica ©. 21. °) Hufchberg, S. 225. *°) Dben S. 386. ) Huſchberg ©. 268. 


454 Pabſt Sregorius VIL und fein Seitalter. 


1100. Aventin behauptet, ?) er habe den Tod im heiligen Lande und ai 
Genoſſe des erften Kreuzzugs gefunden, aber da er feine Quelle neuat, 
und überdieß erweislih falſche Dinge beifügt, ?) laſſe ich Die Theilnchme 
am Kreuzzuge dahingeftellt fein. 

Seit dem Jahre 1096, in weldhem der erfte Kreuzzug begann, es 
icheint nicht mehr Effehart, fondern deſſen jüngerer Bruder Bernhard alt 
Kirchenvogt von Freifing. Aber nicht Iange befleidete er Diefed Amt, dem 
auch er ftarb’) bald nach 1100 unverheirathet; fein von Vater und Mutter 
ererbted Vermögen, beftehend in Gütern jenfeit und dieffeits der Done, 
am Zeh, an der Paar, an der Iſar, an der Amber und im Hochgebirge 
bei Bogen, vermachte) er dem von der Mutter Hazaga geftifteten Kiefer 
Viſchpachau. 

Noch lebte der dritte Sohn Hazaga's, Otto IL, vermählt mit Petriſe, 
deren Gejchleht man nicht kennt. Nach dem Tode feiner beiden Brüber 
verwaltete °) er die Vogtei von Freiſing; ebenverjelbe ergriff merkwürbige 
Mapregeln, betreffend Klofterverlegung. Ich laſſe den Gefchichtichreiße 
von Sciren, Conrad reden:*) „nachdem die Anzahl der Brüder in Viſch 
pachau allmählig bebeutend gewachſen, aud eine Mafle junger Aoeligen 
ihnen zur Erziehung übergeben worden war, erwog Abt Erchenbald, def 
das Klofter eigentlich Feine gute Lage habe, und pflog deßhalb Rath mi 
zwei großen Fürften, nämlich mit dem Grafen Dtto auf Schloß Schire, 
dem Sohne der Hazaga, und mit dem erlauchten Grafen Berthold vn 
Burgef wegen Verlegung. Beide genannte Herren befaßen nämlich ge 
meinfhaftlid von ihren Ahnen her das Schloß Glanek fammt Uſenhoven 
(Eifenhofen) am Flüßchen Glan. Sie vereinigten fi über Berlegum. 
Und nun ward das Klofter im Jahre 1104 von Viſchpachau nad Uſen⸗ 
hoven verjegt. Am Tage der Einweihung vergabte Graf Berthold an das 
neue Stift feine Befigungen auf der rechten Seite des Lech bei deſſen 
Ausmündung; nur das Schloß Burgef Getzt Burfheim) fammt der Dit 
haft Berg, und feine dortigen Dienftleute nahm er aus. Noch im näm 
lihen Jahre erſchien aus Rom eine Beftätigungsbulle,”) Eraft welcher Pabf 
Paſchalis IL verfügte, daß die Vogtei von Uſenhoven zunächſt Gral 
Berthold, aber nad deſſen Tode Graf Otto IL von Sciren oder Dit) 
Sohn — wenn ihn nämlich die Mönche zu wählen für gut fänden — über 
nehmen ſolle.“ 

Der Pabft hatte, wie man ficht, der Moͤnchsgemeinde eine gewiſe 
Breiheit der Bogtwahl vorbehalten. Aber dieſes Recht ward nicht zur Bib | 


*) Monum. boic, X, 387. 2) Huſchberg, S. 22°. *) Monum. boica X, #. 
) Daf. ©. 380. °) Die Beweife bei Hufchberg ©. 228. 9) Monum. beic. 3. 
N) Daf. S. 440. 


Erſtes Bu. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 455 


lichkeit, und auch Berthold von Burgek hat die Vogtei nicht erlangt, ober 
wenigftens gleich wieder verloren. Denn im Jahre 1007 wußte der Scire 
Graf Otto I. von König Heinrih V. eine Urfunde ') auszuwirken, welche 
anordnete, daß Vögte des Klofterd Uſenhoven fein follen Graf Dtto IL 
von Schiren, dann deſſen Erftgeborner. Der Schire war ein Fluger Herr, 
er |pielte hintereinander, ja faft zu gleicher Zeit — wie es ihm eben diente 
— den Gibellinen und den Yuelfen. Um den gutmüthigen, unverheira- 
theten und wohlbegüterten Burgefer zu vermögen, daß er zur Ehre Got⸗ 
tes — wie man ihm vorjagte — fein Erbe hergebe, wurbe der Pabſt beis 
gezogen, der das Vogtrecht jenem zufprad. Dann hinwiederum, damit der 
Burgefer aus dem Sattel gehoben werde, wandte fi Dtto an den Föniglichen 
Hof, der feinen Herzenswunſch erfüllte, und nicht den Burgeker, fon- 
dern ihn, den Schiren Dtto, fammt Nachkommen zu Vögten ernannte. Das 
Ende vom Liede war, daß der Scire unter lauter frommen Vorwänden 
den Mitbefig des fetten Erbes von Burgef errang. Denn wie ih unten zei⸗ 
gen werde, kann man die Nugungen des Vogtrechts nicht hoch genug ans 
jchlagen. 

Weil dad Spiel mit Burgek jo gut gelungen, wiederholte er es, und 
zwar dießmal gegen feine eigenen Stämmedvettern. Zum viertenmale mußte 
das Hausflofter fih in Bewegung fegen und von Ufenhoven hinaufwans 
dern auf die Burg Schiren. Biele- Ganerben hatten, wie wir wiflen, ein 
Recht auf jene Burg, welde Dtto IL. in feinen alleinigen Beſitz zu brins 
gen wünjchte. Unter dem Namen von Slofterverlegung jollten dieſelben 
vermocdht werden, auf ihren Antheil zu verzichten. Aber das ging hart, und 
aus dem Berichte des Chroniften erhellt, daß Otto II. als lebten und 
ftärfften Hebel ein Geheimniß angewendet hat, dad man jonft mit Außer: 
fter Sorgfalt vor der Welt zu verbergen fuchte. Conrad erzählt:?) „Bruno 
der Nachfolger Erchenbald8 in der Abtwürde zu Ujenhoven erwog, daß es 
wegen der ungünjtigen Lage ded genannten Ortes und wegen ded Mans 
geld am nöthigen Waſſer beffer fein würde, das Klofter nad Sciren hin; 
auf zu verjegen. Nun hatten in alten Zeiten die Fürften von Schiren gar 
große Sünden wider Gott begangen, weßhalb ſowohl fie felbft als 
ihr Stammſchloß fammt allem Zubehör von den Heiligen Udalrich 
(Biſchof zu Augsburg) und Wolfgang Cerftem Apoftel der Ungarn und 
nachher Biihof zu Regensburg’) mit dem Kirchenfluch belegt wors 
den waren. Endlich gingen die Enfel felbiger Sünder in fi, wurden 
von Reue ergriffen, gaben ihre Einwilligung zu Verlegung des Kloſters 
nah Schiren und ftellten Verzichturfunden aus.“ 

Auf einmal geftehe der Chronift Dinge, die er vorher verfchwiegen, 


9 Daf. ©. 441 fig. ?) Ibid. ©. 3965. 3) Gfroͤrer, Kirch. Seid. III, 1286. 


456 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


ftimmt ohne Rüdhalt in das Zeugniß des Freiſinger Biſchofs ein, mb 
nimmt verbedt eine frühere Behauptung zurüd. Da nämlidy ver heilige 
Udalrich auch nad der Ausſage Conrads den Kirchenfluch gegen die Ber: 
räther geichleudert hat, welde 955 die Ungarn nah Deutichland führte, 
fann jener Graf Wernher feiner von denen gewefen fein, welche an vem 
Verbrechen Theil nahmen, denn fonft wäre Üdalrich, indem er Wernher los 
bat, in den Häglichften Widerfpruch mit fich felbft gerathen; ſondern man 
muß voranfegen, daß Werner, obgleih Scire, feine Schuld trug am Ber: 
gehen der Häupter feines Geſchlechts, und folglich zur Zeit der That unmüns 
dig war. Warum rüdt nun Abt Conrad in obiger Stelle mit der vollen 
Wahrheit heraus? offenbar deßhalb, weil er andeuten wollte, der Kirchen 
fluch Udalrichs ſei als legte Schraube gebraucht worden, um bie widerſtre⸗ 
benden Glieder des Geſammthauſes zu vermögen, daß fie ihre Einwilligung 
zu der von Ötto II. betriebenen Maßregel gaben. Man führte ihnen zu 
Gemüth, daß es unumgänglid nothwendig fei, die mit Fluch belaftee 
Stammburg durd Errichtung eined Klofterd zu heiligen. 

Abt Conrad verjegt den betreffenden Familienbeſchluß ind Jahr 1108, 
aljo in die Zeit furz nachdem es Otto II. gelungen, mittelft der oben er: 
wähnten Urfunde Heinrih8 V. den Burgefer auszuftehen. Laut einer 
alten Veberlieferung‘) gab es arge Scenen bei gemeinfchaftliher Berathung 
der betheiligten Ganerben. „Arnold,“ von dem ich unten handeln werde, — 
jo lautet eine im 13. Jahrhundert in deutſcher Sprache niedergejchriebene 
Sage, — „babe feinen Handſchuh auf den Tiſch geworfen mit den Worten: 
cher jol der dem Teufel verfallen, ald daß ich auf meinen Theil verzichte; 
alsbald fei der Handſchuh verfhwunden, d. h. vom Teufel geholt worden.“ 
Es dauerte noch volle 11 Jahre, bis die nöthigen Gebäude oben auf Shi 
ren fertig waren. Die Ueberfiedlung erfolgte allem Anjcheine nah”) im Juhre 
1119. Bier Jahre fpäter beftätigte Pabſt Ealirtus IT. durch Bulle’) vom 
März 1123 das neue Klofter Schiren, fügte aber ausdrücklich die Beftim 
mung bei, daß die dortige Gcmeinde unbeſchränktes Recht haben ſolle, nad 
eigenem Ermefjen Vögte zu wählen, und im Falle einer feiner Pflicht niet 
nachkomme, den untauglich erfundenen durch Andere zu erſetzen. Etwaige 
eigennügige Abfichten Otto's II. waren demnah — jo ſchien ed — ver 
eitelt. — 

Nein, fie waren es nicht, wentgftens für die nächſte Zeit nicht. Dite 
hatte, ehe die Bulle kam, bereit durchgeſetzt, daß die Mönche von Schiren 
ihn zum Vogte wählten, oder vielmehr wählen mußten. Sehr fein deutet 
dieß der Chroniſt Conrad an. Nachdem er weitläuftig auseinandergejeßt, 
daß lange lange Jahre Burg Sciren Ganbefiß vieler geweien, fügt”) a 


1) Hufchberg, S. 230. *) Daf. S. 231. *) Monum. boie. X, 447. *) Daf. 6.39. 


Erſtes Buch. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 457 


bei: „zulegt aber wurde Graf Dtto, der Hazaga Sohn, alleiniger Herr dort 
oben (mit Ausflug der Stammesfippen).“ Wodurch wurde er Herr? das 
dur, daß die Anderen Verzicht leifteten. Zu welchem Zwecke leifteten letztere 
Verziht? damit das Klofter von Ujenhoven nad) Schiren verlegt werbe. 
Wie kann aber die Verlegung Dtto zum alleinigen Herrn oben gemacht 
haben? nur dadurch, daß er das Vogtreht erlangte. Doch nicht lange 
mehr genoß er die Früchte heißer Bemühungen. „Nachdem Dtto das Ber: 
mögen, das er zufammengebradht, unter feine vier Söhne vertheilt hatte,“ 
fährt Abt Conrad fort, „trat er eine Pilgerfhaft zum heil. Grabe (nad) 
Jeruſalem an) und verfchied auf diefer Reife ſeliglich.“ Sein Tod muß 
vor 1123 erfolgt fein, denn weder in ber bereitd erwähnten päbftlichen 
Bulle vom März 1123, noch in einer Urkunde vom folgenden Jahre ift 
irgend von ihm die Rede. 

Man darf zuverfihtlih annehmen, daß Dtto, als er alle jene Umtriebe 
machte, fih der Hoffnung hingab, die Vogtei von Schiren ald Erbe feinen 
Kindern hinterlaffen zu können; aber hierin täufchte er fich, weil ein Schlaues 
rer nach Otto's IL. Tode die Sache jo zu drehen wußte, daß die Früchte 
in feinen Schooß fielen, und den Kindern des Gründers von Klofter Schiren 
entgingen. Otto's II. gleihnamiger Neffe, der neue Pfalzgraf von Baiern, 
wußte nämlich bald nach des Erfteren Tode bei Hofe eine Urfunde‘) aus⸗ 
zuwirfen, Eraft welcher Kaijer Heinrich V. unter dem 25. April 1124 die 
Verlegung des Kloſters von Ujenhofen nad Schiren befräftigte, und dabei 
ausdrücklich erwähnte, wie alle Stammesfippen, namentlid die Gräfin Bea- 
trir fammt deren Söhnen Conrad und Dtto von Dadau, ferner Pfalzgraf 
Dtto II., jo wie die Söhne feines Oheims (Otto II.), nämlid die Gra⸗ 
fen Bernhard, Ekkehard und Dtto IV. ihre feierliche Zuftimmung gegeben 
hätten. Weiter verfügte Heinrich V., wie folgt: „Vogt ded genannten Kloſters 
Schiren fol Niemand anders fein, ald der Herr Pfalzgraf Otto III., fo 
wie deſſen Söhne und Kindesfinder, ohne daß irgend Jemand das 
Recht hat, Einſprache hiegegen zu maden.” Nidt ohne Kampf 
ſcheinen leßterer Andeutung zu Folge die Söhne Dtto’8 IT. gewichen zu 
fein, aber fie waren und blieben ausgejchloffen. 9 

Ich muß noch zeigen, wie und warum Abt Conrad dad Vogteirecht 
als eine Art von Eigenthum, als eine Herrſchaft jchildern kann. Otto II. 
war etwa feit 1102 Vogt des Hochſtifts Freiſing; er muß dieſes fein Amt 
über alle Gränzen hinaus nutzbar gemacht haben, denn ber Freiſinger Bi⸗ 
ſchof fah ſich veranlaßt, auf einer italienifchen Synode, welder der dama⸗ 
lige Pabſt Paſchalis II. in eigener Perfon anwohnte, im Jahre 1104 


*) Monum. boic. XXIX, 247 u. X, 449 fig. 3) Ibid. X, 453. 


458 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. | 


bie Abfaffung folgender Beſchlüſſe ) zu veranlaffen: „nur einmal ir 
Jahre find die Grundholden verbunden, vor der vom Schirmvogt anber — 
ten ordentlichen Gerichtsſitzung zu erſcheinen. Derſelbe hat an Natura 
zügen während der Sitzung nichts weiter zu fordern, als zwei Ma 
Waizen, 5 Malter Haber, 2 Schweine, 3 Fäſſer Wein und Meth, 10 8 < 
fer Bier. Dem Bogt gehört ferner der ganze Betrag aller Bolizeiftrafen |. 
jo wie der dritte Theil aller gerichtlihen Bußen, doch fo, daß die Wehr 
gelver für Mord von Freien und Sklaven ganz den Beichädigten zufalle 
müſſen. Iſt der Prälat genöthigt, darum, weil ihm auf gütlichem eg 
Erjat für erlittenen Schaden verweigert worden, außerorbentlicher Weiſ 
den Vogt zu Hülfe zu rufen, fo darf derfelbe von der Kirche oder bern 
Hinterfaßen Feine beſondern Leiftungen begehren, fondern fol ſich mit dem 
begnügen, was man ihm gibt.“ 

Daß der Vogt die Heinen Bußen für polizeiliche Vergehen gamz, von 
den großen Gerichtöftrafen das Dritttheil erhielt, war, wie man ſieht, altes 
Herfommen. Aber der Vogt von Freifing und ohne Zweifel gleich Ihe 
viele andere Kirchenvögte griffen viel weiter: fie ſprachen auch von ba 
MWehrgelvern, die doch nad) uraltem deutfchen Recht den Beſchädigten felk 
oder ihren Anverwandten gehörten, ein Dritttheil an. War z. B. ein Freier 
oder ein Sklave, ein Mönd oder ein Laie, innerhalb des bifchöflichen Be 
figverbandes erfchlagen worden, fo ftedten fle von den eingetriebenen Wehr 
gelvern den dritten Theil in ihren Sad. Dadurch wurde die Lafterhaftig 
keit des Volks eine goldne Quelle für fie, und ihr Vortheil — auf ven 
fie allein hörten — rieth, die rechtlofen Zuftände zu befördern, ſtatt denfelbe 
zu fleuern. Zugleich mehrten fie die Gerichtstage und forderten auf bew. 
jelben für fih und ihr Gefolge, für Pferde und Jagdhunde, unerfchwing 
liche Atzung. Die mittelalterlihen Urkunden find voll von Klagen dei 
Welt: und Klofterelerus über die Eingriffe der Vögte und von Verſuchen, 
biefen fürchterlihen Beichügern Schranken zu fteden: alles vergeblich. Die 
Mönchsgemeinden vermocdhten nichts ohne den Vogt, und dieſer, nicht der 
Abt, war eigentliher Herr im Stift. 

Dben ift bemerkt worden, daß, laut dem Zeugniffe des Chroniſten 
Conrad, vor der legten Verlegung des Klofters Ufenhoven Mitglieder zweier 
Seitenlinien, wohl Bettern des Gemahls der Hazaga, neben viefem und 
feinen Kindern auf Schloß Schiren hausten. Das Haupt der einen Sci 
tenlinie hieß Arnold. Er muß vor 1124 geftorben fein, denn in ber fü: 
jerlihen Urfunde, die fonft alle Ganerben aufzählt, wird er nicht mehr a: 
wähnt; wohl aber lebte damals noch feine Gemahlin Beatrix, deren Ge⸗ 
ſchlecht nichk befannt if. Aus der Ehe mit ihr hinterließ er zwei Söhne, 





t) Meichelbeck, histor. frising. I, Urkundenband S. 530 fg. Nr. 1272. 


Erſtes Buch, Gap. 14. Auſſtrebende Dynaſten in Baiern. 459 


Di ‚ auf den ich unten zurüdfommen werde, und Gonrad I., von dem 
nicht viel weiter erfahren, ald daß er feinem Vater an Tugend glich, 
gen Ende feines Lebens Mönd wurde, aber vorher zwei Söhne zeugte, 

rad II. und Arnold TI. Der ältere von dieſen gründete bie Linie von 
au, welchen Burgnamen er 1140 zum erftenmal urkundlich führt; ') 
ward er durd König Friedrich den Rothbart erft 1153 zum Her: 
je von Marano oder Marania, einer am adriatiichen Meer, unweit der 
Iſtriens gelegenen Landſchaft, dann im folgenden Jahre 1154 zum 
oge von Groatien und Dalmatien ernannt.) Da er jedoch befagte 
und Länder, auf deren Befitz ihm der Katfer Hoffnung gemacht, nicht 
inzunehmen vermochte, fo ließ er fie nothgedrungen fahren, aber auf den 

tigen Titel verzichtete er nicht, jondern verband denfelben, das von 
den Zähringern gegebene Beiſpiel nahahmend, mit dem Orte Dachau, den 
er wirklich bejaß, alfo daß es nunmehr im fühlihen Baiern einen Sciren 
Conrad II. geſchmückt mit dem Namen eines Herzogs von Dada gab.*) 

Conrad, Graf und Herzog zu Dadau, farb im Februar 1158 zu 
Bergamo in Stalien, die Leiche ward nah Deutichland herausgeführt und 
im Stifte Schiren beigefegt. Aus feiner Ehe mit Adelheid hinterließ er 
einen Sohn Conrad III, der den herzoglichen Titel von Dachau fortführte, 
aber um 1179 unvermählt ſtarb;) worauf die überlebenne Mutter, Eon- 
rads II. Wittwe, Adelheid, die Dachauiſchen Güter an das pfalzgräfliche 
Haus, das inde das Herzogthum in Baiern erlangt hatte, um 10 Mark 
Goldes und 800 Pfund Silber verkaufte.) 

Das Haupt der zweiten Seitenlinie der Schiren-Witteldbah war 
Dito,®) der andere Sohn des vorerwähnten Grafen Arnold und der Bea- 
rix. Abt Conrad gibt feinen Namen nicht an, bezeichnet ihn aber als 
Derm des Schloſſes Grub, das an dem Mangfall liegt und vielleicht einft 
m den Gütern gehörte, welche Hazaga zur Zeit ihrer erften Ehe mit Herr: 
nann von Baftel erworben hatte. Außer Grub erlangte Dtto noch den 
Befiß einer zweiten Burg, bie gleichfalls an dem Mangfall lag, nämlid, 
Baley, nad) weldyer die von Dtto gegründete Nebenlinte ſeitdem fich ſchrieb. 
Die Nachkommen Ottos von Valey ftarben mit der dritten Gefchlechtöfolge 
aus, worauf ihr Erbe 1238 an die Hauptlinie Scheiern⸗Wittelsbach zurückfiel. 















) Sufchberg, S. 243 Note 5. 3) Den Beweis bei Hormayr, Werke III, 208 fig. 
) Huſchberg ©. 247 flg. *) Daf. S. 250. °) Monum. boic. X, 392. °) Huſch⸗ 
berg, ©. 404. 


460 Pabſt Gregorius VV. und fein Seitalter. 


c) Bir Iynaſten von Pifen-Andchs-Welfrathsheufen. 


Die Urgeſchichte des Hauſes Diffen ift mit den Schidfalen des Ko 
fter8 Tegernjee verwoben. Tegernjee, gelegen am Fuße des bairiſchen 
Hochgebirge, war eines der 14 Klöfter des fränkiſchen Reich, von welden 
Kaifer Ludwig der Fromme im Jahre 817 außer Heeresfolge auch jährliche 
Beden forderte.) Die dortigen Mönche haben theild durch eigene Hand» 
arbeit und Fleiß in Bebauung des Bodens, theild durch die Großmuth un 
ferer Kaiſer und Könige, zu den Zeiten der Garolinger fehr ausgedehnte Län: 
derefen errungen. Nach dem Beginne des 10. Jahrhunderts befaß die Ab- 
tet, laut dem glaubwürdigen Berichte eined Mönche, der um 1050 an On 
und Stelle jchrieb,?) nicht weniger als eilftaufend Bauernhöfe und Salzpfan⸗ 
nen in dem benachbarten Hal. Aber nun brady ein doppelte Lingewitter 
über das Stlofter herein: erſtens die ungariiche Sturmfluth, welche das Land 
zwilchen Inn und Lech in eine Einöde verwandelte, und fürs zweite bie 
Oraujamfeit des bairishen Herzogs Amulf, mit dem Beinamen des Böſen, 
der bis auf 114 Hufen alles übrige Eigenthum der Abtei in Beichlag 
nahm und unter feine Dienftmannen vertheilte. Letzteres geſchah im Jahre 921. 

„Seitdem zogen,“ führt der Mönd fort, „Laien mit Weibern und Kin 
dern, mit Hunden und Schweinen, in unfere Hallen ein und erfüllten fie 
mit eitel Unrath. Erft in Kaifer Dtto’8 II. Zeiten ward das Klofter wies 
der mit Benediftinern bejegt." So der Mönch von Tegernfee. Nun ifl 
eine zweite, im nämlichen Klofter entworfene, Urkunde vorhanden, weld« 
eine Reihe von Dynaften mittheilt, die ſich zu jener Zeit im Beflge che 
maliger Güter der Abtei Tegernjee befanden. Zuverfichtlih darf man ans 
nehmen, daß die aufgezählten Ländereien durd den Kirchenraub Arnulfs 
abhanden gefommen und an die Voreltern derer gelangt waren, welde 
obiges Verzeichniß erwähnt. Das Haus von Diffen nimmt die erfte Stelle 
unter den gewaltjam aufgedrungenen Erben ein. Die jüngere Lifte beginnt‘) 
mit den Worten: „Graf Otto — die Ältere Urfunde fügt bei, Friedrichs 
von Diffen Sohn — „hat die Drte Phyneina (Pfunzen), Vereſtetti (Bor: 
ftett — beide im heutigen Gerichtsbezirk Roſenheim), Agafinga (Aifing), 
Risfenhart (Reiſchenhart, beide im Gerichtsbezirfe Aibling), Randesheim, 
Slutheim, Ammerfeld (ſchwer zu beftimmen), Holabach (Hollenpady bei 
Pfaffenhofen), Popunhuſa (Pobenhauſen bei Pfaffenhofen), Eskilbach (Eichel: 
bad bei Erding), Purchhuſa (Burghaufen Gerichts Erantsberg), Talahufa 


) Perg leg. I, 223. °) De fundatione monasterii Tegrinsee bei Bez, anecd. IIL 
c.©. 4985 flg. *) Monum, boic. VI, 162. 


Erſtes Bu. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 461 


(Thalhaufen bei Aichach), Haivolvinga (Hatolfing daſelbſt)y, Ouwa, Muniha 
Cwahrjheinlih Au und Münden), Hobollinga (Holzolling im Gericht Aib- 
ling), Ollinga (Olching bei Dachau), Eberesprunna (Ebersbrunn, ſchwer zu 
beflimmen, da ed mehrere Orte dieſes Namens gibt), Sichkinhufa (Siggen- 
haufen Gerichts Erantsberg), Veldkirche (Feldkirch Gerichts Aibling), Ouwifta 
(niht zu beftimmen), Perega C(wahrfceinlih Perg Gerichts Erding), Rihe⸗ 
risperga und Eruvinfinga (ſchwer zu beftimmen).) Die genannten Orte 
find über ein weites Gebiet zerftreut. Mit Hufchberg vermuthe ich, daß ver 
boͤſe Arnulf abfichtli feinen zufammenhängenden Befig in die Hände ber- 
Beichenkten gelangen ließ; fie follten dadurch gehindert werden, ihm über 
den Kopf zu wachſen. 

Wir haben dur die Urkunde zwei Mitgliever des Haufes Diffen 
fennen gelernt, den Grafen Sriederih und deſſen Sohn Otto. Da vieles 
Geſchlecht durch Arnulf großes Gut erhielt und bis im 11. Jahrhundert zu 
bewahren wußte, ift nicht zu bezweifeln, daß die Diffen auch Graffchaften 
erlangten; denn faum war es möglih, bei Vergabung der Grafenlehen 
ein jo mädtiged Haus zu umgehen, oder demjelben die einmal ertheilten 
Gomitate wieder zu entziehen. Aus biefen Gründen dürfen wir die Diffen 
ohne Bedenken für ein gräflihes Erbhaus halten. Zweitens ift ſehr wahr- 
fheinlih, ja gewiß, daß Herzog Amulf von Baiern durch den Antheil am 
Raube von Tegernjee, den er den Diſſen bewilligte, nicht etwa bloß dieſe 
bereichern, fondern ſich jelber ftärfen wollte; mit andern Worten, er muß 
gerechnet haben, daß die Macht, welche das Haus Diffen fchon vorher 
bejaß, durch den Köder, den er ihm bingab, feinen eigenen Zwecken dienftbar 
werden würde. Unter Umftänden, wie die, in welchen fih damals Arnulf 
der Böfe befand, der durch das eben im Aufſchwung begriffene Haus ber 
ſächſiſchen Könige ernftlih bedroht war, fällt ed Fürften nie ein, in eitler 
Großmuth Arme aus dem Staub hervorzuziehen; fondern fie werben mit 
felbftfüchtiger Klugheit Mächtige zu gewinnen fuchen, damit dieſe ihnen nicht 
bloß mit dem geichenften Gute, fondern noch vielmehr mit den Hülfsmit- 
teln, über welche fie jchon vor der Schenfung verfügten, Beiftand leiften. 
Zuverfichtlicd dürfen wir daher vorausjegen, daß die Diſſen ſchon vor Bers 
theilung der Güter des Klofterd Tegernjee ein mächtiges Haus waren, dad 
in das 9. Jahrhundert und die Zeiten der Garlinger hinaufreicht. 

Ein 1224 im Haußftifte des Geſchlechts, von dem ich rede, nämlich in 
dem oberbairifchen, am Ammerfee gelegenen Klofter Diffen abgefaßtes Verzeich⸗ 
niß von Mitgliedern aus dem Stamme, dem bejagte Wbtet ihren Urjprung vers 
dankte, ift auf und gefommen.”) Diefe Tafel enthält eine dreifache Reihe 


2%) Ich folge hier Hufchberg, S. 127. 2) Monum. boic. VII, 297. 


462 Pabſt Sregorins VIL. und fein Zeitalter. 


von Sippen: a) ohne Beifügung von Burgnamen, die Grafen Razo m 
Friedrich, genannt Rode, und die Gräfin Kunigunde, ald deren Todesjaht 
1075 bezeichnet iſt;) b) zwei mit Burgnamen ausgerüftete Linien, Andecht 
und Wolfrathähaufen. Der Linie Wolfrathshaufen gehören an Graf Otte 
der Aeltere, geftorben 1122, Gräfin Juſtitia, Heinrich, Biſchof von Regent 
burg (jaß auf dem genannten Stuhle von 1132—1155), Graf Liutpold 
und die Gräfin Mathildis von Sulzbach, Graf Dtto IL, geftorben 1136, 
Gräfin Lauritta, Agnes, Aebtiffin von Neuburg, die Grafen Otto II. 
und Heinrih. Als Mitglieder der Linie Andechs werden aufgeführt: Eon 
rad, Domherr, Juta, Stiftsfrau, Graf Frieverih, Graf Arnold, Gräfe 
Giſela, Graf Dtto, Graf Gebhard, Graf Thiederih, Graf Berthold, ge 
ftorben 1151, Gräfin Sophia, Dtto, Biſchof von Bamberg, (ſaß auf dem 
dortigen Stuhle von 1177—1196), Graf Poppo, Mathilde, Aebtiſſin von 
Dthilftetten, Euphemia, Aebtiffin von Altomünfter, Gifela, Gräfin von 
Berg, Markgraf Berthold und Gräfin Hadewig, geftorben 1173; endlich 
noch eine Reihe von Namen, die weit über die Zeit, mit der ih mid br 
jchäftige, berabreichen. 

Die Lifte des unbefannten Verfaffers hat unbeftreitbaren Werth, denn 
was er jagt, wird durch Zeugnifie des Diffener Todtenbuches und 
noch mehr durch die Grabftellen, welche die meiften der Aufgeführten in 
der Diſſener Erbgruft des Haufes fanden, erhärtet. Weiter ſpringt in bie 
Augen, daß der Verfafler jagen will: die drei Namen, welche er voran 
ftellt, gehören dem Urftamme des Haufes an, und eben diefer Stamm habe 
fih nachher in die zwei Linien Andechs und Wolfrathshauſen getheilt. 

Die beiden Burgen, Andechs und MWolfrathehaufen, find befannt. Er- 
ftere ftand auf einem hohen Berge zwilchen dem Würm⸗ und Ammerle, 
die andere, von welder das noch heute vorhandene Städtchen jeinen Namen 
empfing, lag an der Jar, wenige Meilen oberhalb Münden. Mehrere 
der Dörfer, welche die oben mitgetheilte Liſte als ehemaliges Eigenthum 
des Klofterd Tegernjee aufführt, mögen zu den Grafſchaften Andechs und 
Wolfrathshaufen gejchlagen worden fein; wenigftend ift die Lage vieler dieſer 
Vermuthung günftig. 

Allein, wie jchon bemerkt worden, aus den oben entwidelten Grün 
den ift anzunchmen, daß das Haus Diffen, aus weldhem vie zwei 
Linien bervorgingen, vor 921 noch andere, erbeigenthümliche Güter bejaf. 
Wo haben wir diejelben zu fuchen? 

Der Mönd von Weingarten erzählt”) folgendes: „nachdem 1130 durd 
den Tod Cuno's der Regensburger Stuhl erlenigt worden war, wählt 


*) Ohne Zweifel irrig, flatt 1020: fiehe unten ©. 463. *) Hoss, monum. Gauelfe. 
©. 25 flo. 


Erſtes Buch. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Baiern. 463 


das Kapitel 1131, dem damaligen Herzog von Balern, Heinrich, (einem 
Welten) zum Trog, den Clerifer Heinrih aus dem Haufe Wolfrath8- 
haufen zum Biſchof. Allein nun griff der Herzog zu den Waffen: eine 
Fehde entſtand, die längere Zeit dauerte. Für feinen Verwandten erhob 
fih Graf Otto von Wolfrathshaufen und es fehlte nicht viel, daß Dtto den 
Herzog durch einen Ueberfall gefangen genommen hätte. Aus Rade dafür 
brady der Herzog im Frühling 1133 in das Gebiet Otto's ein, verbrannte 
deffen Burg Ambras und vermwüftete weithin das Gebirgsland.“ Alſo 
Ambras, das wohlbefannte unweit Innsbruck gelegene Schloß, und ein Theil 
vom heutigen nörblihen Tyrol gehörte um's Jahr 1133 zur Grafichaft 
Wolfrathshauſen. Sind nun diefe Befigungen im Gebirg erft feit der 
Trennung beider Linien an das Haus Wolfrathshaufen gelangt, oder mad)- 
ten fie einen Theil des alten Diffen’ihen Stammgutes aus? An fih ift 
legterer Ball wahrjcheinliher. Hiezu fommt noch, daß in einer Freifinger 
Urfunde‘) um 1080 ein Graf Dtto von Ambras erwähnt wird, der faum 
einem anderen Haufe ald dem der Diffen angehört haben fann. 

Don den drei Mitgliedern des Diffener Geſchlechts, welche die Stif- 
tungstafel vor Entftehung der beiden Linien reiht, läßt fich die Lebenszeit 
der Gräfin Kunigunde genau, die des Grafen Friederich Roche annähernd be 
flimmen. Im Todtenbudhe von Diffen heißt?) e8: „den 6. März ftarb 
Gräfin Kunigunde die Stifterin, Gemahlin des Grafen Friederich Roche.” 
Das Jahr, von weldem das Todtenbuch ſchweigt, wird durch eine fteinerne 
Inſchrift feftgeftellt, welhe man im Jahre 1466 bei Deffnung des Grabes 
fand. Sie ift abgebildet in der bairishen Urfundenfammlung‘’) und lautet 
jo: Kunigunde, die Sünderin und dieſes Haujed Gründerin, verfchied den 
6. März 1020. Ueber ihr Geſchlecht finden fih Aufzeichnungen beim 
Mönch von Weingarten, welcher berichtet:*) „Graf Cuno von Deningen 
hinterließ vier Töchter, von welchen die eine fih mit einem Rheinfelder 
Grafen, die zweite mit dem Welfen Rudolf II., die dritte mit einem Grafen 
Diffen vermählte.” Die zweite diefer Töchter hieß Ita, und ftarb, ihren 
Gemahl Rudolf II., der ſchon um 992 mit Tod abging, überlebend, gegen 
das Jahr 1020. Die dritte Tochter Cuno's von Deningen muß unfere 
Kunigunde oder Cuniza von Diffen fein. Das Todesjahr Ita's ſtimmt 
zut zu der Zeit, in welder jene Injchrift Cuniza, die dritte Schwefter, 
fterben läßt. 

Bezüglich ihres Gemahls erfahren wir aus einer Freifinger Urfunde, 5) 
daß Graf Engelbert im Jahre 1087 das Kloſter Aetl Cbei Wafferburg), 
das einftend von Yürften des Hauſes Diffen gegründet, aber durch ben 


) Meichelbek, histor. frising I, ©. 289 unten. #) Monum. boica VIL, 303. 
) Ibid. ©. 120. %) Hess, a. a. O. ©. 11. 6) Monum. boio. I, 266. 


464 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Grafen Frievrih, genannt Roche, beraubt worden fei, wieder bergeftelt 
habe. Nach viefen Worten zu fchließen, fcheint es, ald ob das von Friedrich 
an dem Klofter verübte Unrecht geraume Zeit vor 1087 falle, und es 
wird nicht zu fühn fein, wenn wir feinen Tod in die erfte Hälfte bei 
11. Jahrhunderts verjegen. Einer der Ahnen eben dieſes Friedrich mm 
war jener Razo, der an der Spibe der Difjener Stiftungstafel fleht. 

Auch über letztern fehlt es nicht ganz an Nachrichten, doch werben fie 
von einer ſpäten und unlauteren Duelle mitgetheilt, welche große Berftöße 
gegen Zeitrechnung und befannte Thatſachen begeht. Veit Arenbef, ein 
bairiſcher Ehromft des 15. Jahrhunderts, berichtet von glänzenden Kriege 
thaten, welche Razzo, als Feldherr des Herzogs Heinrich I. von Baiern, 
gegen die Ungarn vollbrachte. Später jei er nad) Paläftina gewallt und im 
Sahre 954 Stifter des Klöfterleind Wörth am Ammerfee geworden, wo er 
als Mönch das Zeitliche gejegnet habe. Das Iautet recht ſchön, wenn mur 
nicht diefer Zeuge im nämlihen Athem die Arnulfivin Judith zur Gemahlin 
Kaifers Heinrich IL, den Kaiſer felbft zum Sohn eines Andechſer Grafen 
machte. Dennod muß etwas daran fein, daß Razzo um die angegebene 
Zeit Heldenruhm im Kampfe gegen die Ungarn gewann, und das Kloſter 
Wörth gründete. Denn erftend behauptet‘) Aventin, mit eigenen Augen zu 
Mauersfirh eine aus gebrannter Erde bereitete Reiterftatue Razzo's gejehen 
zu haben, die zu Ehren der von ihm um 950 errungenen Siege errichtet 
und vom Volfe durch Wallfahrten geehrt worben fei. Fürs zweite ent 
halt?) das Diffener Todtenbud zum 19. Juni die Bemerkung: an biejem 
Tage ftarb Graf Rage, Stifter des Kloſters Wörth. Aus beiden That 
ſachen folgt unzweifelhaft, daß Razzo der Geſchichte des 10. Jahrhunderts 
und dem Haufe Diffen angehört. 

Wir find fomit in die Nähe der Zeit hinaufgerüdt, da Armulf ber 
Böfe die Klöfter vernichtete und an feine Soldaten vertheilte. Razzo ſelbſt 
fönnte es gewejen jein, der aus des Herzogs Händen Befigungen Tegern 
ſee's empfing. 

Allein wir müſſen der oben angeführten Gründe wegen noch weiter 
zurüdgreifen. Gefährlich ift diefe Bahrt, doch können und zwei Gefichte- 
punfte, Gleichheit der Namen und der Drte, einiger Maßen zur Ricdr 
fhnur dienen. Solche, die fih mit den Quellen des Mittelalterd be 
Ihäftigt haben, willen, daß je weiter man über die Zeiten hinaufgeht, da 
die Burgnamen beginnen, Taufnamen in den Familien ftätig find. Kommen 
daher in denjelben Gegenden, wo ein Geſchlecht nad) Ausbildung der Burg 
namen begütert erjcheint, die gleihen'Taufnamen vor, jo hat die Forſchung 
eine nicht zu verachtende Grundlage. 


%) Annales Boji, ©. 495 der a. I. $) Monum. boic. VIII, 306. 


Erfte Bud. Gap. 14. Aufſtrebende Dynaften in Batern. 465 


Gerade in den Gegenden, wo feit der zweiten Hälfte des 11. Jahr⸗ 
hunderts die Häufer Diffen, Wolfrathshauſen, Andechs, Herrichaften be- 
faßen, ift im 9. Jahrhundert unter den Gaugrafen der Rame Razzo ober 
ein gleihbeveutenver, Ratold, Rapoto, häufig. Ich gebe einige Beifpiele. 
Sm Jahre 848 ward ein Gerichtstag zu Feldkirch gehalten, bei welchem 
außer vielen Andern auch Biſchof Erchanbert von Freifing und Graf Ratold 
erjchienen.‘) Feldkirch tft allem Anfcheine nach derfelbe Ort, der auf ber 
obigen Lifte tegernjee’jher Güter fteht, weldhe das Haus Diffen durch den 
Aft von 920 empfing. Im Jahre 849 fchrieb derſelbe Biſchof Erchanbert 
einen Tag nad) Tannera (Tanning bei Wolfratbshaufen) aus, zu welchem 
das Geſchlecht der Huofi zahlreich fi einfand. Die gefaßten Beichlüffe 
wurden unter Andern vom Grafen Ratold ald Zeugen beglaubigt.”) Die 
Huoft waren eines der fünf Adeldgefchledhter der Bawarifa und gaben dem 
oberbairifhen Gaue Huofi den Namen, welder die Gegend zwilchen dem 
oberen Laufe der Amber und far, namentlich aber vie fpäter unter dem 
Burgnamen Wolfrathshaufen und Andechs hervortretenden Stammgüter des 
Hauſes Diffen, umfaßte.‘) Sicherlich find die Ratolde ein mächtiger Zweig 
der Hofier gewefen, denn fonft würde Herzog Arnulf fie bei der Theilung 
nicht vorzugsweife bedacht haben. Im Jahre 902 taufchtet) der edle Herr 
Radolt, Beamter des Königs (Ludwig des Kindes), regalis minister (wahr: 
ſcheinlich iſt das Amt eines Pfalzgrafen gemeint), im Einverftändnifje mit 
feiner Gemahlin Adalonna, Güter gegen den Regensburger Biſchof Tuto 
aus. Radolt übergab was er im Brichtenthal (am Inn zwifchen Ratten: 
berg und Kufftein) an Aedern, Wäldern, Matten, Jagden von Stein 
böden bejaß, veßgleichen zmei Höfe zu Vöttersdorf und Rathfeld, dafür 
empfieng er die Orte Umbelsdorf, Gotfrieving und Rattenbach. Man fieht, 
biefer Ratold war mit feinem Gütererwerb in’® Gebirg vorgebrungen und 
näherte fih dem Schloffe Ambras, das in der Folge die Diffen befaßen. 
Dur Urkunde’) vom 13. Sept. 901 vergabte König Ludwig das Kind 
an den Stuhl zu Seben das Krongut Briren, gelegen zwifchen dem Hoch⸗ 
gebirg in der Grafſchaft Rapot's. 

Ih denke, unter diefen Verhältniffen iſt es Feine leichtfertige, ſondern 
eine begründete Vermuthung, die eben erwähnten Ratolve feien Ahnen bes 
Hauſes Diffen gewejen. 

Gegen Ende des 11. Jahrhunderts erfolgte die oben erwähnte Schei⸗ 
bung des Hauſes Diffen in die zwei Linien Andechs und Wolfrathehaufen. 
Graf Dito von Wolfrathshaufen wird im Diffener Todtenbuche Aeltefter und 


t) Meichelbek, I. probat. Nr. 655. *) Ibid. Nr. 661. *) Lang, Baiernd Gaue 
S. 165. *) Ried, cod. diplom. Nr. 89, 5) Monum. boio. XXVIII, a. ©. 125 flg. 
Mr. 91. 
Gfroͤrer, Pabſt Gregorius vu. Bd. I, 30 


466 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Haupt des Hauſes genannt.‘) Diefer Titel bat Feinen Sinn, wenn mm 
nicht vorausſetzt, daß nicht blos feine eigenen nächften Angehörigen, ſonden 
auch noch Andere, d. h. die Sprofien einer Seitenlinie, ihm gewiſſe Ber 
rechte der Ehre und der Oberaufficht zuerfannten. Graf Otto flarb m 
1120 wohlbetagt. Sein Nachfolger, Dtto IL, gründete zu Diffen da 
Chorherrnftift St. Stephan; außer Ihm ftattete aber auch fein Better, Ben : 
hold von Andechs, das neue Klofter mit Gütern aus. Beide wandten fi 

an den damaligen Pabft Innocenz II. mit der Bitte, das Stift in den io 

ſondern Schuß des h. Stuhles zu nehmen. 

Innocenz II. entſprach dieſem Wunſche: durch Bulle?) vom 6. Febt. 
1132, welche diejenigen Mitglieder beider Linien, die ſich bei der Gründung 
betheiligt hatten, insbeſondere Berthold von Andechs ſammt feiner Gemah—⸗ 
lin Sophia, jo wie den Grafen Otto IL von Wolfrathghauſen ſammt ſeiner 
. Gemahlin Rauritta, aufzählt, verfügte der Pabft, daß auch das Slöfterlen | 
Wörth, das Werk Razzo's, dem Stephangftifte untergeben fein folle. Aus | 
einer Urkunde,) welche einen Dienftmann Otto's IL, Ulrih von Ambras 
erwähnt, erhellt, daß die alten Hausbefigungen im heutigen Tyrol gam 
oder theilweife an die Wolfrathshaufer Linie übergegangen waren. 

Wie wir fahen, ftrebten die Diffen ſchon feit dem Ende des 9. Jahr 
hunderts feften Fuß in Tyrol zu faffen. Zwei, breibundert Jahre fpäter 
geihah es, daß die Andechs und die Witteldbah ihr Neb fogar nah 
den Küftenländern am adriatiſchen Meer, nad Marano, ja hinunter bi 
nah Slavonien auswarfen. Allein obgleich die Diffen im 10. Jahrhundert 
Ambras ihr Eigenthum nannten, vermocdhten unter den Saliern weber fe 
noch andere bairifhe Dynaften größeren zufammenhängenven Beſitz im Ge⸗ 
birgslande an fih zu bringen. Das Fam offenbar daher, weil unfere 
Kaifer das Auffommen mächtiger Herrengefchlehter in jenem wichtigen 
Gebiete, das den gangbarften Paß nad Italien umfchloß, zu verhindern 
wußten. 

Welf, der Mitverfchivorene des Herzogs Ernft IL. von Schwaben, 
hatte die Grafihaft im Inn- und Eifafthale befeffen. Kaifer Eonrad IL 
verurtheilte im Sommer 1027 den Empörer zum Verluſt des Gomitats, 
und fchenfte daffelbe durch Urkunde‘) vom 7. Juni 1027 dem Stuhle von 
Briren. Eine Woche früher, durch Handvefte”) vom 31. Mai des näm 
lichen Jahres, vergabte derjelbe Kaifer den Grafenbann von Trient an das 
dortige Bisthum. Weber die Abfichten, die ihn hiebei leiteten, Tann unmög 
lich Zweifel obwalten. Damit fein Dynaft an der Eifaf Wurzeln treibe, 
zog der Salier es vor, die Herrichaft im Gebirgsland Biſchöfen, d. } 





1) Monum. boic. VIII, 304. 2) Jaffe, regest. pontific. Rr. 5396 °) Monsm. 
boic. VIII, 132. ») Böhmer, Regeſt. Nr. 1327. 6) Ibid. Nr. 1324. 


Erfles Buch. Gap. 15. Kärnihen mit feinen Marken. 467 


zur Ehelofigfeit verpflichteten Großen, zu überlaffen. Spätere Oberhäupter 
Germaniens befolgten, jo weit ed ging, diefelbe Politik, und dies ift mei⸗ 
nes Erachtens der wahre Grund, warum im heutigen Tyrol erft nach der 
Mitte des 12. Jahrhunderts erbliche Herrengeſchlechter auffeimten, während 
das übrige Deutichland ſchon 100 und 200 Jahre früher eine Wolfe von 
Dynaſten erzeugt hatte. 

Roc iſt das eigentliche Kärnthen mit feinen wälſchen, oder halbwäls 
fchen, halbſlaviſchen Marklanzen übrig. 


Sünfzehntes Capitel, 


Has Herzogthum Kärnthen. 


Grängen. Herzoge ded Landed. Die von dem Baier Markwart und dem Salier Otto 
gegründeten Häufer. Der Ezzonide Cuno. Germaniens fländifche Rechte treten bei 
der Abfegung Adalbero’8 hervor. Wilhelm von Soune. Die zu Kärnthen gehöris 
gen Marken Aquileja, Iftrien, Krain. Bairifhe Palatine verwalten die in Kaͤrnthen 
gelegenen Krongüter. Das Amt der Waltpobone. 


Das Herzogtum Kärmthen hatte im Laufe des 11. Jahrhunderts 
folgende ©eftalt: nad) Sonnenaufgang gegen Ungarn hin war ed ums 
fäumt von den Marken Sfter, Krain, Oftfärnthen, Leitha-Raab, deren 
Grenzen nicht genau angegeben werben fönnen, weil das Schwert, eine 
wandelbare Größe, die Scheidelinie bald jo bald anders zog. Gegen 
Norden trennte, wie früher gezeigt worden, die Gebirgöfette, welche heute 
den Namen öftreichifcher Alpen trägt, Kärnthen von Oſtrich und Deutſch⸗ 
land. Da die Marke Oftrih urjprünglih nur bis an den Endfluß reichte, 
müſſen wir nunmehr die weiteren Gränzen Kärnthens im Norden, Welten, 
Süden beftimmen. 

Dom Traungau an, in den ſich, wie wir fahen, die Babenberger und 
die Steirer Marcdionen, fo wie die Grafen von Wels⸗Lambach theilten, 
zieht eine Reihe germanifcher Gaue Farolingifchen Urſprungs, welde 
zugleih die Gränze Baiernd gegen Carantanien bildeten, gegen Südweſten 
bin. Dieſe Gaue find der Attergau, deſſen Name fih in dem Atterfee 
erhalten hat, zwilchen der Traun und Sala; 9 dann der Salzburggau,?) 
bis zum Paſſe Lueg oder Kuchel gegen Süden; weiter in gleicher Rich⸗ 
tung die Salza hinauf der Pongau; ) von da an, dem nämlichen Fluſſe 
gen Weften folgend, der Pinzgau.) Im oberften Theile des Pinzgau’s 


1) Kleinmayern, Juvavia Anhang ©. 21 flg. u. Chronicon Gotwic. II, ©. 551 
unten flg. 2) Ibid. u. Chr. Got. ©. 760. 23) Juvavia, Anhang ©. 29 n. 159 fig. 
8) Ibid. ©. 23. 

30* 


468 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


überſchritt Baierns und Kämthend Gränze das Hochgebirg und ſtrich dis | 
über nad) dem Puftergau oder Bufterthale, *%) fo zwar, baß Die eine Ab 
dachung, nämlich diejenige, welche ihre Waffer der Eifaf zu und nad Bi 
ren hinab fenvet, bairifih war, während die andere, deren Bache in die 
Drau ftrömen, Kärnthen angehörte. Folgt weiter der Gau Roritkal, ’ 
von welchem die oben erwähnte Grafichaft des Ravensburger Welfs ein Ctüd 
ausmadhte, das Conrad II. 1027 an das Hodftift Brixen vergabte. Die 
betreffende Schenfungsurfunde beweist, daß außer Brixen auch Beopen in 
dem geſchenkten Theile lag. 

Senfeitd der genannten Gaue begann Kärnthens Boden. Daß das 
obere Ensthal Färnthnifh war, wurde früher gezeigt. Im Pongau, af 
dem rechten Ufer der Sala, lag die Zelle oder das Klöfterlein St. Mu 
rimilian. Nun berichten ) alte Salzburger Dentmale, ſchon im 8. Jahr 
hundert fei viefelbe durd Slaven, die in der Rähe wohnten, wer 
heert worden. Im Jahre 965 fchenfte*) Kaifer Otto I. an einen Bajallen 
Negomir das Gut „Vierſchach in der Landſchaft Kärnthen.“ Dieſes 
Vierſchach liegt bei ver alten Abtei Innichen im heutigen Puſterthale, un 
weit den Quellen der Drau. Innichen felbft bezeichnet °) Ludwig der 
Fromme als gelegen auf der Gränze Kärnthens. Endlich findet ſich in 
der nordoͤſtlichen Ede der Abdachung des Puſterthaler Hochgebirgs ein 
Städtchen, das heute noch, wie im Mittelalter, Windifh Matrey heißt. 
Das angefügte Beiwort gibt zu verfiehen, daß zu Matrey Wenden wohn 
ten, und folglih, daß der Ort in Kärnthen lag. 

An das Bisthum Briren, das wir oben, ber Eiſak folgend, erreid- 
ten, als das Außerfte auf der Südgränze Baierns gelegene, ſtieß des ka 
lienifhe Hocftift Trient. Zwiſchen legterer Stadt und Bogen, das ach 
zum Brirener Comitat gehörte, lief die Gränze, welche nad mittelalte 
liher Anſchauung deutſche und italiihe Erde ſchied. Ich begnüge mich 
zwei Zeugen, einen aus dem zehnten, den ander aus dem zwölften Jahr: 
hundert, aufzuführen. Liutprand der Lombarde jchildert ) ven Felbpug 
welden Herzog Arnulf von Baiern 935 nah Italien machte mit ben 
Worten: „Arnulf rüdte auf Verona, unweit Trient die Gränzen Stalens 
überfchreitend.” Deßgleichen fagt ) der Freiſinger Dtto von einem Räd 
zuge des Kaiferd Friedrich Rothbart aus Italien in die Helmath: „den 
Weg über Trient wählend, gelangte der Kaiſer nad Bogen, welder On 
auf der Gränzicheide Italiens und Baierns liegt.” Die mit Kärntben 


1) Chronic. Gotwic. ©. 732 flg. 2) Ibid. ©. 723 Mr. 341. 3) Iwarie. 
Anhang ©. 33. *) Vuirschah, in partibus Karanthanige. Archiv für öfr. Geld. 
1849, drittes Heft ©. 22 unten flg. °) Daf. S. 4: Inticha sita in oonfinie sarsiesi. 
°) Ber II, 314. Tridentinam ex ea parte primam Italiae marcam pertransises 
”) Muratori VI, 730: haec villa in termino Italiae et Bajoariae posita est. 


Erſtes Bud. Gap. 15. Kärnihen mit feinen Marken. 467 


ur Ehelofigfeit verpflichteten Großen, zu überlaffen. Spätere Oberhäupter 
Bermaniens befolgten, fo weit e8 ging, biefelbe Politif, und dies ift mei⸗ 
es Erachtens der wahre Grund, warum im heutigen Tyrol erft nad) ver 
Mitte des 12. Jahrhunderts erbliche Herrengeichledhter auffeimten, während 
as übrige Deutichland ſchon 100 und 200 Jahre früher eine Wolfe von 
Dynaaften erzeugt hatte. 

Noch ift das eigentliche Kärnthen mit feinen wäljchen, oder halbwäls 
hen, halbflaviihen Marklanzen übrig. 


Süufzehntes Capitel, 


Has Herzogthum Kärnthen. 


Iränzen. Herzoge ded Landes. Die von dem Baier Markwart und dem Salier Otto 
gegründeten Häufer. Der Ezzonide Cuno. Germaniens fländifche Rechte treten bei 
der Abfehung Adalbero’8 hervor. Wilhelm von Soune. Die zu Kärnthen gehöris 
gen Marken Aquileja, Iftrien, Rrain. Bairifche Palatine verwalten bie in Kaͤrnthen 
gelegenen Krongüter. Das Amt der Waltpobone. 


Das Herzogtum Kärnthen hatte im Laufe des 11. Jahrhunderts 
gende Geftalt: nad Sonnenaufgang gegen Ungarn bin war ed ums 
mmt von den Marken Sfter, Krain, Oftfärntben, LeithasRaab, deren 
zrenzen nicht genau angegeben werden fünnen, weil das Schivert, eine 
‚andelbare Größe, die Scheidelinie bald jo bald anderd zog. Gegen 
torden trennte, wie früher gezeigt worden, die Gebirgsfette, welche heute 
mn Namen öftreichiicher Alpen trägt, Kärnthen von Oſtrich und Deutich- 
nd. Da die Marfe Oftrih urjprünglih nur bi8 an den Endfluß reichte, 
üffen wir nunmehr die weiteren Gränzen Kärnthens im Norden, Weften, 
jüden beftimmen. 

Dom Traungau an, in den fi, wie wir fahen, die Babenberger und 
e Steirer Mardionen, jo wie die Grafen von Wels⸗Lambach theilten, 
eht eine Reihe germaniiher Gaue karolingiſchen Urfprungs, welche 
glei die Gränze Baiernd gegen Carantanien bildeten, gegen Südweſten 
n. Diefe Gaue find der Attergau, deſſen Name fih in dem Atterſee 
halten Hat, zwilchen der Traun und Salzaz9 dann der Salzburggau,?) 
8 zum Paſſe Lueg oder Kuchel gegen Süden; weiter in gleicher Rich⸗ 
ng die Sala hinauf der Pongau; ) von da an, dem nämlidhen Fluffe 
n Weften folgend, der Pinzgau.) Im oberften Theile des Pinzgau’s 


*) Kleinmayern, Juvavia Anhang ©. 21 flg. u. Chronicon Gotwic. II, ©. 551 
ten fig. 3) Ibid. u. Chr. Got. ©. 760, :) Juvavia, Anhang ©. 29 n. 159 fig. 
Ibid. ©. 23. 

30° 


470 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


zoge, die wiederholt einander ablösten. Ich habe denfelben, fammt ven 
geheimen Gründen, anderswo ") geſchildert. Nach dem Tode feines Vaters, 
des Salierd Otto, gelangte Conrad, des gleichnamigen deutſchen Kaifers 
Eonrad II. väterliher Oheim, zu Kärnthens Beſitz; aber er zerfiel faft im 
nämlihen Augenblide mit den damaligen deutſchen Könige Heinrid IL, 
wegen der Ehe, die er mit Mathilde, der Tochter Herrmann’d IL von 
Schwaben und der Burgunderin Gerbirga ſchloß.“) Conrad der Kärntt: 
ner Herzog trogte dem Willen des Reichsoberhaupts und den Abmahnungen 
der von Heinrich II. berufenen Synode; doch that er ſolches nicht unge 
ftraft, obgleich er jein Weib behielt. König Heinrich IL bereitete wider ben 
ungehorjamen Kärnthner ein Rüftzeug der Race, das ihn felbft und nos 
mehr Conrads Kinder hart genug traf. 

Wir haben oben die Marfgrafen der Färnthnifchen Oftmarke, Marl: 
wart und deſſen Sohn Adalbero, kennen gelernt, welcher letztere feinem 
Bater vor 1000 in der Würde gefolgt war. Diefer Adalbero freite, wahr 
ſcheinlich kurz nad des Herzogs Conrad eben erwähnter Heirath, und 
fiberlih nicht ohne Zuthun des deutſchen Hofe, eine Gemahlin, welche de 
Schwefter der neuen Herzogin von Kärnthen geweien fein muß. Dieſelbe 
gebar *) dem damaligen Markgrafen zwei Söhne, Marfwart IE, der Laie 
blieb, und Adalbero, der in den Clerus trat und an Weihnachten 1053 
das Bisthum Bamberg erlangte.) Herrmann der Lahme meldet") Ic 
tered Ereigniß mit den Worten: „SKaifer Heinrich beförderte auf den Stuhl 
von Bamberg feinen leiblihen Vetter,“) den Elerifer Adalbero.“ 

Nur von mütterlicher Seite her kann Adalbero in folcher Welfe mit dem 
Salier verwandt geweſen jein, nämlich dadurch, daß feine Mutter eine Schwe⸗ 
fter Mathildens, der Gemahlin des Herzogs Conrad und zugleich der Gilela 
war, weldhe in dritter Ehe den nachmaligen Kaifer Heinrich III. geboren 
hat. Auf daſſelbe Verwandtichaftsverhältniß deutet die Thatfache bin, daß 
Abt Effehard von Herzogen Aura den Neffen des Bamberger Bifcofs 
oder Sohn Marfwartd IL, Liutold, der gleich feinem Water, wiewohl 
erft fpät, Herzog in Kaͤrnthen wurde, ald einen Blutsverwandten des So- 
liers Heinrich IV. bezeichnet.) Beide, Liutold und Heinrich IV. ve: 
ehrten in dem Echwabenherzog Herrmann II. gleihmäßig ihren mütterlice 
Urgroßvater. Endlich befaßen”) die Nachkommen ded Markgrafen und Her 
3098 Adalbero I. Güter in Schwaben, die fih faum anders erflären laſſen, 
als durch die Vorausfegung, daß Adalbero eine fhwäbifche Erbin geehficht hat. 


ı) Oben ©. 249 flg. ?) Oben S. 253. °) Man vgl. die Beifenfelder Urkunde 
monum. boic. XIV, 184 Nr. 9. *) Berk V, 133. 6) Consobrino suo denari 
praesulatum. °) Perg VI, 198: Liutoldus consanguineus Henrici regis. ) 6 
lin, württemb. Geſch. I, 473 Note 5. 


Erſtes Bud. Gap. 15. Kärnihen mit feinen Marken. 471 


Laut dem Zeugniffe ) einer ungebrudten kärnthniſchen Chronif hieß 
Adalbero's Gemahlin Beatrir. Wenig liegt an ihrem Namen, viel aber 
an Beantwortung der Trage: wie und in welcher Weife der Kärnthner 
und die Schwäbin zufammenfamen? Ihr Vater Herrmann II. hatte?) fi, 
als Heinrih II. nah Kaiſers Dtto III. Tode den Thron beftieg, zum 
Gegenkönig aufgeworfen, war aber befiegt und, als er fi unterwarf, zu 
Gnaden angenommen worden. Bald nad diefen Vorgängen — im Mai 
1003 — ftarb ?) Herzog Herrmann I., eine Schaar von Töchtern, ’) aber 
nur einen Sohn, Herrmann IIL, der beim Tode des Vaters minderjährig 
war, hinterlaffend. Begreifliher Weile Eonnten die Vormünder diefer Kin- 
der eines begnabigten Empörerd nicht nein jagen, falls König Heinrich IL. 
das Begehren ftellte: um die dem Hofe mißliebige VBermählung des Kaͤrnth⸗ 
nerd Conrad mit Mathilde gut zu machen, müfle eine andere Tochter 
Herrmannd, Beatrir, dem Markgrafen Adalbero ihre Hand reihen. Meis 
ned Erachtens hat König Heinrich II. fo etwas gefordert, denn am Tage 
ift, daß er den Markgrafen als einen Wächter dem verdächtigen Kärnth⸗ 
ner Herzoge Conrad auf den Naden lud, und Adalbero’8 Ehe mit Beatrir 
von Schwaben, welde die Vortheile faft aufhob, die Conrad aus der 
Verbindung mit Mathilde ziehen mochte, als politiiche Waffe benügte. 

Im Jahre 1012 geihah, was Herrmann der Lahme mit den Worten 
meldet:*) „Herzog Conrad von Kärnthen ging mit Tod ab, worauf König 
Heinrih II., mit Ausichluß des gleichnamigen Sohnes, den der Verſtor⸗ 
bene hinterließ, das erledigte Herzogthum an Adalbero verlieh.” Der neue 
Herzog behielt, wie an einem andern Orte?) gezeigt worden, feine Marfe 
bei; in Kurzem aber gerieth er mit dem jüngeren Conrad, feinem Neffen 
und auch mit defien Älterem Better, dem nachmaligen Kaiſer Conrad, in 
böfe Zerwürfniſſe. Mehrere Fehden wurden zwifchen ihnen ausgefochten. 
Schlimmer für Adalbero war, daß auch Kaiſer Heinrich IL Argiwohn gegen 
ehrfüchtige Abfichten des Kärnthners ſchöpfte. Denn fchon drei Jahre nad) 
Adalbero's Erhebung ftößt man auf Zuräftungen, welde feinen Zweifel 
darüber zulafien, daß Heinrih II. darauf ſann, den neuen Herzog in 
gleiher Weile durch einen Dritten zu dämpfen, wie Moalbero felbft als 
Hemmſchuh wider das faltihe Haus von Kärnthen verwendet worden war. 

Unter dem 16. April 1015 fchenkte‘) Kaifer Heinri IL. dem Grafen 
Wilhelm, eingedenk der von feiner Mutter Emma (weldhe der Kaiſer eine 
neptis, Nichte nennt) und dem Grafen felber geleifteten Dienfte, 30 Kron⸗ 
böfe zu Traskendorf, ferner alles was der Kaiſer zwiſchen den Flüſſen 


1) Archiv. oͤſtr. Geſch. 1850 I, 197. 7) Stälin a. a. O. J, 469 fig. ) Berk 
IV, 460: (Hermannus ex Gerbirga) filias satis procrearit. *) Perg V, 119. °) Oben 
©. 420. *%) Archiv oſtr. Geſch. 1849, zweited Heft ©. 818. 


472 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Souwe und Soune, Zotle und Nirine im Gau Soune, in der Grafik 
Wilhelms befaß. Das Eomitat, das hier befchrieben wird, lag im Unter 
fteyermarf um die heutige Kreisftabt Cilli zwiihen Save und Soune und 
anderen Heinen Bächen, die in die Save münden. Außer viefem Comitat 
befaßen Wilhelm und feine Mutter noch die bedeutende Grafſchaft Frieſach 
im herzoglichen Kärnthen. Denn zwei Tage nad) obiger Schenfung unter 
dem 13. April des genannten Jahres vergabte ‘) Kaijer Heinrich IL dem 
nämlichen Grafen Wilhelm und jeiner Mutter Emma den dritten Theil 
der Salgwerfe im Admonter Thal, das Zoll, Marfte und Münzrecht, wo 
ſolches Wilhelm in feinem Comitat Frieſach haben wolle fo wie alle Nutzun⸗ 
gen aus den auf feinem Grund und Boden befindlihen oder Fünftig zu 
eröffnenden Erz: und Salgruben, ohne daß die Krone irgend eine Steuer 
oder Abgabe anzufpredhen habe. 

In Kärnthen wohnte alfo eine Verwandte des Kaiſers. Warum in 
obigen Schenfungen nur Emma und ihr Sohn Wilhelm, nicht aber ihr 
Gemahl genannt wird, erhellt aus einem Pergament?) vom Jahre 1042, 
welches die Bemerkung enthält, ver Gemahl Emma’d habe glei dem Sohne 
Wilhelm geheißen, aber ſchon feit vielen Jahren fei fie in den Witwen⸗ 
ftand verfegt. Baft ebenfo große Gewogenheit, als Heinrich IL, bewies 
jpäter Kaifer Conrad II. der nämlichen Wittwe. Aus dem Yolgenden aber 
wird fi ergeben, daß Herzog Adalbero in dem Söhne der Emma einen 
Todfeind ſah und nicht eher ruhte, bis er ihn aus der Welt geichafft 
hatte. Das heißt nun: Graf Wilhelm von Soune iſt dem Kämthner 
Herzog durch kaiſerliche Politik als Pfahl in's Fleiſch getrieben worden. 

Heinrich II. ſtarb im Juli 1024. Nach ſeinem Tode beſchloſſen, wie 
wir wiſſen, Germaniens Stände, die vorzunehmende Königswahl auf zwei 
Bewerber, die beiden Conrade, zu beſchränken. Der ältere ſiegte, nachdem 
er mit ſeinem jüngeren Vetter eine Uebereinkunft geſchloſſen hatte, kraft 
welcher er ſich verbindlich machte, im Falle die Krone ihm zu Theil werde, 
jenen wieder in den Beſitz ſeines väterlichen Herzogthums Karnthen her⸗ 
zuſtellen. Conrad II. hielt nicht ſogleich Wort; meines Erachtens konnte 
er nicht Wort halten, denn ſicherlich wäre es ein bedenkliches Unternehmen 
geweſen, Adalbero ohne Urtheil und Rechtsgrund aus dem Lehen zu vers 
treiben. Andererjeitd traf Conrad gewiſſe Vorbereitungen, aus welchen bie 
Abſicht hervorleuchtet, jened Verſprechen, fobald als thunlich, zu erfüllen. 

Acht Monate nad erfolgter Königswahl, unter dem 11. Mai 1025, . 
ſchenkte) König Conrad IL. dem obengenannten Grafen Wilhelm in feinem 
Comitate Soune, jo wie weiter in deſſen Marke, zwilchen Soune und dem 
Fluſſe Gurk, dreißig Schatzhöfe, wie Wilhelm fie ſelber auswählen möge. 





— — —— 


) Ibid. ©. 314. 2) Daſ. ©. 321. 2) Ibid. ©. 315 flg. Mr. 99, 


Erſtes Bud. Gap. 15. Kaͤrnthen mit, ſeinen Marken. 473 


Das Briefacher Comitat war alfo, offenbar dem Landesherzog Adalbero zu 
Trotz, in den Rang einer Marke erhoben worden. Zwei Jahre fpäter erlitt 
der Kärnthner Herzog eine zweite Demüthigung, aber auf einer andern, 
vielleicht empfindlicheren Seite Wie ih unten des Weiteren nachweifen 
werde, verwaltete Adalbero, gleich den meiften jeiner Vorgänger, außer dem 
Herzogthum Kärnthen, die Marken Verona und Iſtrien, zwei ausgedehnte 
und wohlhabende Gebiete, welche ihm große Summen abwarfen. 

Sämmtlihe Güter, Schlöffer, Städte, Leibeigene, Hinterfaßen ver 
Metropole Aquileja mußten Vorſpann, Frohnden, Abgaben an den Herzog 
leiften. Sei ed mit Unrecht oder mit Recht, Adalbero bezog thatfächlid, diefe 
Nugungen, aber nur bi8 zum 30. Mat 1027. Denn am genannten Tage 
hielt der neue Kaiſer Conrad II. Hofgericht zu Verona, und im Angeficht 
vieler deutichen und italienischen Großen, welde um den Kater verfammelt 
waren, ſah fi Herzog Adalbero genöthigt, auf alle Fünftigen Anforderun⸗ 
gen an den Metropoliten von Aglar oder an deſſen Untertanen förmlich 
u verzichten.) Das waren zwei Schläge, welde einen nahenden Sturm 
anfündigten. 

Weitere acht Jahre verliefen. Immer dringender muß der jüngere 
Bonrad feinen Better, den Kaiſer, an Vollzug des Vertrags vom Sept. 
1024 gemahnt haben. Endlich griff der Salier durd. Als Zeuge tritt bier 
eine Quelle ein, dergleichen wenige aus dem Mittelalter auf und gekommen 
find: der fchon früher erwähnte Bericht,) den ein geiftlider Kundſchafter 
an den Biſchof Azeko von Worms erftattete. Derfelbe fchreibt: „über bie 
neueften Vorgänge am Hofe habe ich Folgendes glaubwürdig in Erfahrung 
gebracht: der Zorn des Kaiſers wider den Herzog Markgrafen Adalbero hat 
ven höchften Grad erreicht, und fo gefteigert ift Conrad's II. Leidenichaft, 
yaß,er neulich die am Hofe anweſenden Fürften, namentlih die Markgrafen 
5. (Eftihard von Meißen) und A. (Adalbert von Oftrih) fammt etlichen 
Andern zu fich berief und ihnen befahl, ein hofgerichtliche® Urtheil wider 
Adalbero zu fällen, und ihn wie des Herzogthums jo aud der Marke zu 
mtheben. ” 

Der Cleriker fährt fort: „die aufgeforderten Fürſten pflogen Rath mit 
inander und gaben dann dem Sailer den Beſcheid, ohne Anweſenheit und 
Mitwirkung des Thronfolgerd Heinrich III. könnten fie nichts thun. Hein- 
rich warb gerufen, Conrad IL befhwor ven Sohn, wenn er feinen Bater 
rgend lieb habe, Alles mögliche zu thun, daß Adalbero das Herzogthum 
in gejegliher Borm’) verliere. Allein Heinrich blieb unerſchütterlich, 
ssflärend: er habe Adalbero einen ſchweren Eid geleiftet, ven er nicht brechen 


1) Die Urkunde bei Mubeid, monum. eccles. aquilej. S. 500 fig. ?) @iefebrecht, 
Befch. der deutſch. Kaifer. II, 611 fig. *) Ducatum judicio abdicandum postularit. 


474 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


fönne noch wolle. Bergeblih bat, mahnte, drohte der Vater, Heintich bw { 


barrte auf feiner Weigerung ; da gerieth der Kaiſer außer fi, verlor Sprade 
und Bewußtſein und wäre auf den Boden niedergefallen, hätten ihn nid 
die Anwefenden in ihren Armen aufgefangen und zu Bette gelegt.“ 
„Nachdem er ſich ein wenig erholt hatte, ließ er den Thronfolger m 
die Fürften abermal rufen. Sept ftürzte der Vater vor feinem Sohne af 
die Kniee nieder, beihwor ihn unter Thränenftrömen, nicht Schande af 
dad Haupt des eigenen Erzeugerd zu wähen, es nicht zu machen wie Ab: 
jalom, der durd die Beindfchaft wider David das Reich an den Rand der 
Grube brachte. Heinrih IH. war erfchüttert, fehrte zum Gehorfam zuräd, 
eröffnete feinem Vater den Inhalt des Eids, welchen er dem Herzog Aral 
bero geihworen, und geftand fogar, daß er ſolches auf den Rath des 
Biſchofs Engelbert von Freiſing gethan habe. Kaiſer Conrad IL ſtellte 
jofort den Biſchof zur Rede. Engelbert Täugnete feineswegs, behauptete 
jedod, daß er den Rath nur darum gegeben habe, um den Herzog Aal 
bero in der Treue gegen die Krone zu erhalten, denn der Eid felber beſage 
nichtö weiter, ald was jedem aus Gerechtigkeit auch ohne Schwur gemähret 


werden müfje, nämlih das Verfprechen unter Feinerlei Umftänden zu duß 


den, daß ohne Urtheil und Recht gegen Hab und Gut des Herzogs ein⸗ 
geichritten werde.“ 

Der Bericht jchließt mit den Worten: „gleichwohl geriet Conrad IL 
in den beftigften Zorn, überhäufte den Biſchof mit Schimpfwörtern md 
gebot ihm auf der Stelle das Fatjerliche Gemach und den Hof zu verlafen 
Nach diefen Scenen wurde Hofgericht gehalten und dem Kärnthner Aal 
bero fowohl das Herzogthum als die Marke abgeſprochen. Die Sage geht, 
Adalbero ſetze feine legte Hoffnung auf die Kroaten,‘) mit deren Hilfe er 
dem Kaiſer zu trogen gedenfe. Bereits ift Befehl ergangen, daß die Baiem 


= — — 


an dem Feldzuge (gegen die Luiticer ) in der heutigen Mark Branden-⸗ 
burg) feinen Theil nehmen, fondern — um im Nothfalle ven Kroaten de 


Spige bieten zu können — daheim bleiben follten.“ 

Der einfache Bericht des Unbekannten ift mehr werth, als eine did, 
feibige Chronif von gemeinem Schlage. Welches Licht wirft er auf die 
inneren ZJuftände des Reihe! Lange muß Kaifer Conrad mit dem Kaͤrnth⸗ 
ner unterhandelt, muß ihn aufgefordert haben, gutwillig und ohne Zwelfd 
gegen Entihädigung, welde Conrad IL. bot, abzudanfen und dem füngeren 
Conrad zu weichen. Weil aber Adalbero hartnädig auf feinem behaupteten 
Rechte beftand, faßte Conrad IL zulegt den tiefften Groll gegen ihn un 
befchloß, ihn um jeden Preid zu ſtürzen. Warım bat nun der deutſche 
Kaifer bei folher Stimmung den Kärnthner nicht einfach durd einen Ak, 


1) Confsum Crawatis. ) Bol. Perz V, 122 ad a, 1035 u. M, 100. 


Erſtes Bad. Gap. 15. Kaͤrnthen mit feinen Marken. 475 


ähnlich heutigen Cabinetsbefehlen, abgefegt? Ein Kind fieht, daß Hemm- 
niſſe der ftärfften Art dem Salier die Hand banden. Die Verfafjung des 
Reichs war es, welche gemäß dem Grundfage: „wer mitthatet, auch mit- 
rathet,” beftimmte, daß der Kaiſer ohne Einwilligung der Großen ober der 
Stände nichts von Wichtigkeit vornehmen durfte: ferner, daß fein Freier 
ohne Urtheil und Recht — und zwar gefällt durch feines Gleichen — Leben, 
Glieder, Ehren, Eigenthbum, Lehen verlieren Fönne. 

Diefe Verfaffung beftand, wie ih im vorliegenden Werke zeigen werde, 
fhon unter Carl dem Großen für das Gefammtreih. Ludwig der Deutjche 
hat fie nad) Germanien verpflanzt, obgleich er für feine Perſon wenig Be- 
bagen an ihr fand. Eben diefelbe war der letzte Hort, der in den Zeiten 
Ludwig's des Kindes unferen Bifchöfen die Möglichkeit verfchaffte, die ſchwer 
bedrohte Einheit des Reichs und Majeftät der Nation zu retten. ber 
durch Dtto J. ift fie niedergefchlagen worden, da er, dem ausgeſprochenen 
Willen der geiftlihen Häupter unfered Volkes zu Trog, das Kaiferthum 
erneuerte. Mit gutem Fuge darf man fagen, daß er nur über den Leichen 
der beften deutfchen Metropoliten, des Mainzers Friederih und des Sahbur- 
gerd Herold, den fluhwürdigen Römerzug von 961 anzutreten vermochte. 

Nachdem jedoch Otto's I. Werk alle die Früchte getragen batte, bie 
ed vermöge feiner Natur tragen mußte, rief König Heinrid IL, der Glor⸗ 
reihe, die alten Yormen wieder in's Leben zurüd. Sn feine Spuren trat 
Conrad II. im Frühling 1035 bei dem Akte, den der Unbekannte fchilvert. 
Denn genau ebenjo, wie damals der erfte Salier vor feinem unnatürlichen 
Sohne, ift Heinrih II. dort auf der Frankfurter Synode von 1007, da 
:8 fi darum handelte, dad Bisthum Bamberg aufzurichten, vor den deut: 
hen Biichöfen niedergefniet;') nur mit dem Unterfchiede, daß es eine ge- 
rechte Sache war, welche Heinridy II. begehrte, und daß den gleichnamigen 
Würzburger Biſchof, obgleich er auf den Buchflaben ver heiligen Canones 
ußte, wohlverbienter Tadel trifft, ven deutſchen König aus Tauterer Selbft- 
uht auf das Aeußerfte getrieben zu haben. 

Freiwillig, zur Ehre Gottes, zum Heile der Nation, hatte Heinrich IL 
die ftändiiche Freiheit hergeftellt. Aber Conrad IL. trug die Erbichaft feines 
Borgängers, wie eine böje Laft. Weil dem fo war, ſuchte er, fo wie 
ver Unbefannte erzählt, die wider Herricher-Willfür aufgeführten Schranfen 
ünftlih zu umgehen, indem er den Markgrafen Ekkihard und Adalbert 
yefahl, etwas zu thun, was doch von Rechtswegen mur freiwillig, mur 
ms Ueberzeugung gefchehen durfte. Allein, obgleich beide) fchmiegfam 


1) Die Belege bei Gfroͤrer, 8. &. IV, 59. 2) Ekkihard von Meißen hatte das 
Jahr zuvor (1034) den Markgrafen der öftlichen Slavenmarke Theoderich ermorden laſſen, 


476 Pabſt Eregorius VIL und fein Seitalter. 


waren, festen fie der ungehörigen Zumuthung Lift entgegen, indem fie ſich 
hinter den Thronfolger verftedten. Wie am gehörigen Drte gezeigt werben 
wird, deden felbft die Reichschroniken das Geheimniß auf, daß Heinrich II. 
gegen feinen Bater Eonrad II. Parthei machte. Auch der Mutter erging 
es nicht beſſer. Heinrih II. war für Giſela das boͤſe Berhängniß, das 
die Sündenfchuld heimfuchte, welche fie in jungen Jahren auf ihr Gewiſſen 
geladen hatte. 

Während Heinrich III, als Thronfolger, dem Bater zu Troß, die 
fländifchen Rechte der Nation verfocht, hat er nachher, König und Herr 
geworben, ebendieſelben zum Schaden für ihn felbft, für fein Geſchlecht, 
für die Nation umgeftoßen. Die Zeiten der Minverjährigkeit Heinrich's IV. 
aber — dieß möge bier zum Voraus bemerkt werden — verliefen unter 
fteten Verſuchen, die Verfaffung theild herzuftellen, theild zu vernollfomm; 
nen. Und zwar war der heilige Hanno von Göln der Fähnderich, ber 
das Banner vortrug, auf welchem der Sinnſpruch gefchrieben fand: senatus 
populusque germanicus, 

Beachtung verdient der Sab: Befehl fei an das bairiſche Aufgebot 
ergangen, nicht nach dem Lande der Liutizier auszurüden, fondern daheim 
zu bleiben, und im Nothfalle den Froatifchen Helfern des geftürgten Herzogs 
die Spitze zu bieten. Handgreiflich tritt bier hervor, daß die Bertheidigung 
der Gränzen Kärnthend Aufgabe der Baier war. Weil ſich die Sache fo 
verhielt, mußten die Markgrafen der Färnthnifchen Ofte und Süpoftgräng, 
die von Styre, von Pechlaren, von Hengift und Iſtrien bereit fein, von 
bairiichen Landtagen Befehle zu empfangen; denn wo ed mit rechten Dingen 
zugeht, gibt es Feine Pflicht, der nicht ein Recht entipräche, un werben 
bedeutende Angelegenheiten Zug um Zug abgemadt. 

Die Kroaten erfchienen nicht, und Adalbero mußte weichen; bie Mare 
erhielt noch im Frühling 1035 Arnold von Lambach, ſammt feinem Some 
Godfried. Das herzoglihe Banner dagegen verlieh *) Kaifer Conrad IL 
im Febr. 1036 auf dem Augsburger Reihstage an feinen gleichnamigen 
Vetter. Indeß ging Adalbero nicht ohne böfe Epuren im Lande zurüd: 
zulaffen: aus Race erichlug er damals den Grafen Wilhelm von Sount, 
Emma’d Sohn, offenbar weil er ihn für den eigentlihen Anſtifter feines 
Unglüds hielt. Auch urkundliche Nachrichten befigen wir über dieſes Ereig 
niß und feine nächſten Folgen. Die Witwe Emma erjdyeint als kinderlos, 
denn nicht nur ihr Sohn Wilhelm, fondern aud andere ungenannte waren 
ermordet. Darum vergabte fie zwifchen 1042 und 1045 Cin welch' letzteren 


und mußte deßhalb dem Kaifer, ber durch die Finger fah, zu Gefallen leben. Berg II, 
99 und oben ©. 180. " 
1) Perg II, 100 u. oben ©. 275. 


Erſtes Bud. Gap. 15. Kärnihen mit feinen Marken. 477 


Jahre fie ftarb) durch eine Reihe von Urkunden‘) al’ ihr Hab und Gut 
zu Errichtung eined Frauenkloſters und eines Chorherrnftifts in Gurk. 
Diefe ihre Schenkung wurde dreißig Jahre ſpäter Grundlage des Gurfer 
Bisthumo. 

Beſonders merkwürdig iſt eine der von ihr ausgeſtellten Urkunden, 
weil fie beweist, daß ſelbſt in dem armen unterdrückten Kärnthen und unter 
Herrihaft blutiger Geſege, von denen fpäter die Rede fein wird, das Evan- 
gelium den Froͤhnern langſam, weil ohne Umſturz, aber fiher Menſchen⸗ 
rechte verſchaffte. Emma verfügte?) nämlich unter dem 3. Febr. 1043: aus 
den leibeigenen Gefinden, mit welchen fie dad neue Frauenftift ausftattete, 
ſolle jeder Erfigeborne befugt fein, gegen ein Entgelv von einem Talent und 
15 Denaren, das an die Aebtiſſin bezahlt werben müſſe, fi freizufaufen. 
Emma gab weiter zu verftehen, daß fie gerne auch den andern Söhnen 
das Recht der Ablöſung gewähren möchte, aber folches gehe nicht an, weil 
fonft der Kirche allugroßer Schaden am nöthigen Gefinde erwachſen würbe. 

Jugleich erfieht man, daß das Wort Talent, welches die Chroniften des 
11. Jahrhunderts häufig gebrauchen, nichts if als ein anderer Ausdruck 
für das, was ſonſt libra, ein Pfund Silber heißt. Ein Talent, oder 
ein Pfund betrug, wie ich feiner Zeit nachweifen werde, 20 Scillinge 
zu 12 Denaren jeden, oder 240 Denare. Landläufig ausgedrüdt würde 
daher die von Emma feftgejegte Summe lauten: ein Pfund, einen Schilling, 
drei Denare; ftatt deſſen wählt fie die runde Form: ein Pfund 15 Denare, 
wie wenn man etwa Beute, ftatt 101 Gulden 10 Kreuzer, fagen würde: 
hundert Gulden und fiebzig Kreuzer. 

Die von ihr gemachte Schenfung umfaßte, außer weitgedehnten Läns 
dereien, Märkte, Münze, Zölle, Salzwerfe, Erzgruben, eine Maſſe von 
Hörigen. Erworben hatte fie dieſes Eigen theild durch ältere, theild durch 
jpätere Berleihungen der Kaijer Arnulf, Ludwigs des Kindes, Otto's, Hein 
rih’8 II. und Conrad's II. Es war folglid ein altes, ſchon gegen Ende 
ded 9. Jahrhunderts eingewandertes Haus, dem Emma angehörte und 
das mit ihr erloſch. Mit der eigentlihen Stiftungsurfunde legte fie die 
faiferlihen Handveften, als Rechtsnachweis, auf den Altar der Gurfer 
Kirche nieder. ’) 

Conrad der Jüngere, Herzog von Kämmthen, erhoben an Lichtmeß 
1036, ftarb*) fchon 1039, im nämlihen Jahre mit feinem Rebenbubhler 
Adalbero. Nirgends ift von einer Ehe, die Conrad ſchloß, oder von Kins 
dern die Rede, welde er hinterließ. Gleichwohl hat fid, wie wir unten 
fehen werben, und zwar vermuthlid bald nad Conrad's Tode, ein Erbe 


1) Archiv öfter. Geſch. 1849, zweites Heft S. 321 — 325. 2) Ibid, ©. 324 
Mr. 117. 5 Ibid. ©. 324 flg. Nr. 118. *) Berp V, 123. 


478 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


um feinen Nachlaß beworben” Zwiſchen 1039 und 1047, währenn volle 
acht Jahre, wird weder in Chroniken noch in Urkunden ein Herzog von 
Kärnthen erwähnt. Das kann nicht auffallen, denn das falifche Haus hat 
in den Zeiten Conrad's IL und Heinrich's III. auch noch andere deutſche 
Herzogthümer, namentlich Alamannien und Baiern, mit der Krone zu ver: 
einigen geftrebt, was jedoch ftetd nur auf Furze Zeit gelang. Auch in 
Kärnthen dauerte die Vereinigung nicht lange, denn im Sommer 1047, 
ſechs bis acht Monate nad) dem Römerzuge, ſah ſich Kaifer Heinrich II. 
genöthigt, Kärnthens Fahne an den Ravensburger Welf zu vergeben.‘) 

Der neue Herzog fcheint fi nicht häufig in Kärnthen aufgehalten zu 
haben. Soviel ich fehe, erwähnt nur eine Kärnthner Urkunde ) feinen 
Namen. Welf ftarb") 1055, in eine Verſchwörung gegen den Kaifer ver 
widelt, an welder außer ibm mande Kaͤrnthner Herren Theil nahmen. 
Denn im Jahre 1055 und im folgenden häufen fi Tobesurtheile und 
Gütereinziehungen. Unter dem 6. März 1055 vergabte*) Kaifer Heinrich II. 
an den Salzburger Dom gewiffe an der Mur gelegene Güter des geächte⸗ 
ten Botho; unter dem 10. Dez.:) verfügte ebenderjelbe über Güter des 
verurtheilten Markgrafen Odo; unter dem 14. De.) 1055 über Laͤnde⸗ 
reien des Majeftätöverbrechers Richwin im kärnthneriſchen Gaue Grubate; 
unter dem 20. Febr. 1056 verjchenfte’) er eingezogenes Eigenthum des zum 
Tode verurtheilten Hochverräthers Ebbo, das in der (oſtkärnthniſchen) Marke 
des Marfgrafen Otachar lag. 

Im zweiten Jahre nad) dem Tode Welf's geihah, was Lambert von 
Hersfeld in einer früher angeführten Stelle berichtet:*) Reichsverweſerin 
Agnes erhob Cuno, den Bruder des Pfalsgrafen Heinrih von Aachen⸗ 
Zomberg, der fpäter wahnfinnig wurde, zum Herzoge von Kärnthen. Diele 
Ernennung ift vor dem 4. April 1057 erfolgt, denn am genannten Tage 
unterjchrieb Cuno als Zeuge mit dem Titel „Herzog von Kärnthen“ eine 
Urfunde?) zu Worms. Diefelbe hat überdieß ihre geheimen Beziehungen, 
die enthüllt werben müffen. Lambert fagt:*) Cuno, der neue Herzog, ſei 
ein cognatus ded Könige, d. h. ein naher Anverwandter von mütterlicer 
Seite geweſen. Diefe Eigenfhaft kann ſich nicht darauf beziehen, daß ber 
väterlihe Oheim Cuno's, Palzgraf Ezzo, eine Tochter Otto's II. geehlidt 
hatte, während Heinrh IV. in fünfter Gefchlechtsfolge von Luidgard, der 
Tochter Otto's I. abftammte. Denn wahrli wenn Lambert ſolche Verhält: 
nifje unter den Begriff von Cognation zöge, würde er die Vetterſchaften 


') Ibid. ©. 127. 2) Archiv öfter. Gel. a. a. DO. ©. 329 Mr. 130. *) By 
V, 269 u. Giesebrecht, annales altah. ©. 90 flg. *) Böhmer, Regefl. Nr. 1660. 
6) Daſ. Nr. 1677. 6) Daf. Nr. 1678. ?) Ibid. Nr. 1682. ®) Berg V, 199. 
°) Böhmer, Regefl. Nr. 1702. 





Erſtes Bud. Gap. 15. Kärnten mit feinen Marken. 479 


weiter treiben, als dieß jelbft in den Heinen Städten des Landes Schwaben 
ver Braud if. Der gefunde Menfchenverftand räth daher, auf ein nähe: 
red Band zu rathen. Nach meinem Dafürhalten war Euno entweder mit 
Agnes, der Mutter, oder mit Giſela, der Großmutter des jungen Könige 
verwandt. Ä 

Da Agnes aus einem fremden Lande, d. h. aus Burgund oder befler 
ms Poitou, nach Deutichland gekommen ift, fehlt e8 ver erfteren Voraus⸗ 
ſetzung an Wahrfcheinlichkeit; dagegen hat die zweite Alles für fih, ja fie 
ft fowiel ald gewiß. Angenommen, daß Euno’d Mutter eine Schwerter 
des Kärnthner Herzog Conrad IL, der 1039 verjchied, und eine Tochter 
des gleichnamigen 1012 geftorbenen Herzogs war, jo hatte Cuno, als 
Sohn diefer Mutter, nach dem Tode des 1039 kinderlos verftorbenen Oheims, 
Conrad IT., Anſprüche auf die Nachfolge in Kärnthen, fofern nämlich die: 
je8 Land nicht nur als Mannds fondern auch als Kunfellehen angefehen 
werben fonnte, ein Gefichtöpunft, den ficherlih Cuno zu feinen Gunften gel- 
tend machte. Nun bat Cuno wirflid — und allem Anſcheine nah ſchon 
vor der Belchnung Welfs — Erbaniprühe auf Kämthen erhoben, aber 
diefelben find von Kaiſer Heinrich III nicht anerfannt worden. 

Nachdem Lambert die Ernennung Cuno's unter dem Jahre 1057 ge 
meldet hat, jchreibt‘) er zum folgenden: „der Kärmthner Herzog Euno zog 
große Streitkräfte zufammen, um mit Waffengewalt fein Herzogthum zu 
bejegen, das er feit fo langer Zeit,?) aus Furcht vor dem Wider, 
ftande der Einwohner, nicht betreten hatte.” Diefer Satz ift entweder finn- 
08, oder befagt er, daß Euno ſchon geraume Zeit, d. h. feit 19—20 Jah⸗ 
ren die Fahne KHärnthen als fein Eigenthum betrachtete, aber nicht zum 
wirklichen Befip gelangen fonnte. Zweitens uno, Hezelind Sohn, und 
Bruder ded wahnfinnigen Pfalzgrafen Heinrich, hatte bereitd vor dem Tode 
des Salierd Heinrih II. Verſuche gemacht, das burchzufegen, was er 
1058 unternahm, naͤmlich Kärnthen mit dem Degen in der Bauft zu erben. 
Die Altaicher Chronik ſchreibt) zum Jahre 1056: „Kaifer Heinrich IIL 
begnadigte feinen Better Cuno, ver in die Verfhwörung des Ezzoniden 
Conrad, Herzogs von Baiern, verwidelt gewejen war, und Reue darüber 
an den Tag legte.” Das heißt, weil Euno der jüngere verzweifelte, das 
in Gutem zu erlangen, was er fein Erbrecht nannte, hatte er fih an fei- 
nen Stammedfippen uno den älteren von Baiern angefchloffen, um mit 
defien Hilfe Kärnthen zu erobern. Daß der Chronift ihn als einen nahen 
Verwandten des Kaifers bezeichnet, bürgt für unjere Auffaffung. Der Sa- 
lier Heinri III. war ein Sohn Giſela's, Cuno aber muß der Sohn einer 


1) Berk V, 159. 3) Quem tanto tempore non inviserat. 3) Gieſebrecht, ©. 
92 oben: imperator Cunonem, nepotem suum, poenitentem de rebellione suscepit. 


480 Pabſt Eregorins VIL und fein Beitalter. 


Tochter Mathildens, der Schwefter Giſela's, aus ihrer Ehe mit dem 1012 
verftorbenen Kärnthner Conrad I. geweſen fein. Enbli paßt die voraus 
gejepte Ehe trefflic zum befannten Alter Hezelins, der bis gegen 1035 
lebte. ') 

Laut Ausfage?) der Altaiher Chronik wollte uno im Herbfte 1058 
von Lombardien aus Kärnthen einnehmen, aber es gelang ihm nicht. Kun 
darauf ftarb’) er plöglih weg. Gleichwie um jene Zeit Cuno von Baiern 
und Welf von Kärnthen vergiftet worden find, wird auch Cuno's des Jim⸗ 
geren Tage ein ‘PBülverlein abgekürzt haben. Jedenfalls muß man bie 
wahre Urfache des Unglüds, das Cuno traf, in der abgeneigten @efinmung 
des falifhen Hofes fuhen. Das Haus von AachensTomberg war, wie 
wir wiflen, dem Verderben geweiht. 

Nunmehr empfing der Zähringer Berthold, als Troft für die ihm ent 
gangene Fahne Echwaben, dad Herzogthum Kämthen. Berthold von Eon 
ftanz fchreibt*) zum Jahre 1061: „nachdem Gonrad (Emo), der nur dem 
Namen nad) Herzog geweſen war, das Zeitliche gefegnet hatte, gelangte 
Kärnthen an den Schwaben Berthold.” Aber nur 12 Jahre vermodte 
Lesterer fein Lehen zu behaupten; denn an Weihnachten 1072 feßte*) ihn 
König Heinrich IV. ohne Urtheil und Recht ab, und erhob an Bertholde 
Stelle feinen Vetter Marfwart, Adalbero's und der Beatrir Sohn, der 
endlih nah Jahre langem Warten die Würde jeined Vaters davon img. 
Seitdem blieb das Herzogthum eine Zeit lang erblih in ber Fauilie 
Adalbero’s. 

Herzog Markwart nahm etwas vor, was man ald gemeinjchaftlih 
Maßregel der größeren Herrengefchlechter betrachten darf, die ſich ihres Br 
figes ficher fühlten. In der Färnthnifchen Grafſchaft Frieſach, auf der Eüd⸗ 
gränze des heutigen Landes Steiermark, gründete er das Benebiftinerfift 
St. Lambert; doch ward das Werk erft durch Marfwarts zweiten Sohn, 
Heinrih, im Jahre 1096 vollendet.) Nach einer Stammburg, gelegen im 
oberen Thale des Mürzfluffes, der nörblih von Gräß bei Brud in die 
Mur mündet, führten die Nachkommen Adalbero's den Dynaften-Ramen 
von Eppenftein. ©) 

Das jüngere Haus von Worms hatte, wie man fieht, bebarlid 
Anftrengungen gemacht, um die Erblichfeit des Herzogthums Kärnthen ef 
im Mannftamm, dann auch nad) der Kunfeljeite durchzuſehen, aber vergeb 
ih. Etwas glüdlicher waren die Eppenfleine, obwohl auch fie ihr Zid 
nicht vollftändig, noch auf längere Zeit erreichten. Germantend Kaifer dul⸗ 


) Siehe oben ©. 84. 2) Gieſebrecht, S. 94. 2) Berk V, 159. &) Ibid 
©. 271. 6) Daf. ©. 192. °) Urkunde im Auszuge bei Frohlich, arehaeontol 
Carinth. I, 32. 


Erſtes Bud. Gap. 15. Kärnthen mit feinen Marken. 481 


beten nicht, daß ein mächtiged Gefchlecht dauernd Die Herrihaft über Kärn 
then erringe. Nicht ohne guten Grund hanvelten fie jo; denn durch zwei 
mit ihm verbundene welihe Marfen übte das Herzogthum Kärnthen nam: 
haften Einfluß auf das Kirchenland Stalien. 


die Aark Yerona oder Aquiltja. 


Wie oben) gezeigt worden, hat König Otto J. die im Feldzuge von 
351 eroberte Mark Berona-Aquileja feinem Bruder Heinrich J., dem das 
naligen Herzoge der Baier, überlafien. Auf ſolche Weife ward ein gutes 
Stüd des obern Italiens zu dem nächſten deutfchen Herzogthum gefchlagen, 
veil es der König feinem Vortheil gemäß fand, von nun an nad Belieben 
eine Hände in die Angelegenheiten Lombardiens mifchen zu Fünnen. Nach 
tfolgter Ausſcheidung Kärnthene von Baiern, ging die Marf Berona an 
därnthens Herzoge über. Von der Mitte des 10. Jahrhunderts bis herab 
mf Welf, ven Ravensburger, führten?) Legtere ohne Ausnahme den Titel 
‚Herzöge von Kärnthen und Marfgrafen von Berona,“ oder einen ähnlichen. 

Was verftand man nun unter der Marf Aquileja-Berona, und welche 
Sränzen hatte fie? Urkunden geben Aufihluß. Durch Gnadenbrief“) vom 
Jahre 1001 vergabte Kaifer Dtto III. an den Erzftuhl von Aquileja die 
Hälfte des Schloſſes Saligano (heute noch Salcano genannt, unweit Görz), 
erner bie Hälfte des Dorfes, das die Slaven Gorizia nennen (das heutige 
Harz), endlich die Hälfte des Gebietd zwiſchen Iſonzo, Wippach, Ortona 
md dem Hocgebirg. Die andere Hälfte ded nämlichen Gebiets erhielt 
aut einer andern Urkunde Dtto’8 III. ein Graf, deffen Name wegen Vers 
noderung des Pergaments nicht deutlich gelefen werden kann, der aber 
Beriant oder Warient gelautet:haben muß, denn dieſe ſlaviſch⸗waͤlſche Form 
ür das deutihe Wort Werinhar oder Werner findet fi häufig in Färnth- 
er Urkunden.) Das Herfommen ſchrieb vor, daß in foldhen Fällen der 
Zeichenkte die Erweiterung feines Befiges der Provinzialbehörde anzeigte 
nd fi durch fie einmweifen ließ. Graf Weriant that die nöthigen Schritte. 
Ju Verona, dem Hauptorte der Marke, jaß Otto, Herzog der Kärnthner 
nd Marfgraf von Verona, im Söller des dortigen Biſchofhofes zu Gericht, 
mgeben von den Großen des Landes. Abermal kann man mehrere Namen 
icht Iefen, nur die der Grafen von Vicenza und Papua treten hervor. 
Bor ihnen erfbien Weriant, Graf im Friaul, und legte den Faiferlichen 


1) S. 366. 2) Die Belege bei Fröhlich, a. a. O. IL, 78 fig. ) Rubeis, 
ıonum. agqnilej. I, 489. ) Archiv oͤſtr. Geſch. 1849, drittes Heft, Handveſte vom 
jahre 927: testis Weriant. ©. 16, ibid. vom Jahre 928: vir nobilis Weriant cum 
onjuge Adalswind. Urfunde von 945, ibid. ©. 20: regimen Werianti. Urkunde von 
70, ibid. 24: testis Weriant. 

Bfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. J. 31 


482 Pabſt Gregorius VO. und fein Zeitalter. | 


Gnadenbrief vor, Eraft deſſen er die oben befchriebenen Ländereien erhalte‘ 
hatte. ‘) 

Klar if: der Bezirk oder die Marke, deren höchfte Behörde in folcher 
Weiſe 1001 zu Verona tagte, reichte von letzterer Stadt bis an den Iſonzo. 
Denn Berona bildete ja den politifchen Mittelpunft des ganzen Gebiets, 
und darf folglich nicht außerhalb der Gränzen deſſelben geſucht werben; 
andererfeitö lagen die an Weriant gefchenften Güter um den Iſonzo. Die 
Vermuthung drängt fih auf, ob nicht die eben erwähnten Gränzen auf 
irgend einer älteren Landeseintheilung beruhten? Wirflih war dieß ber 
Fall. Das Land, das gen Weften und Südweſten durch die Etih (an 
welcher Verona liegt), im Süden durd dad Meer, im Norden durch dad 
(kaͤrnthniſche) Hochgebirg, im Oſten endlich durch den Küftenfiuß Timavus 
(Timavo) umſchloſſen wird, hieß bei den alten Römern Venetien”), ein | 
Name, der ſeit der Zeit, da Seevenetien oder die in den Lagunen ber 
Küfte keimende mächtige und große Republik St. Marco fi von Ion 
gobardifchen und deutſchem Joche los gewunden hatte, durch den Ausdruck 
nBeronefer Mark“ verdrängt worden iſt. Noch zu den Zeiten der Karolin⸗ 
ger wird das Wort Venetia entweder ganz im alten Sinne”), oder doch 
mit einem Anklange der ehemaligen Bedeutung*) gebraucht. Hingegen fagt?) 
der Fortſetzer Regino's, ftatt Venetien, Mark Verona Aquileja. 

Der Timavo ift ein Küftenfluß von kurzem Laufe, der aus mehreren 
Duellen und einem See entfpringt, und zwiſchen Trieft, das zu Iſtrien 
gehörte, und dem Iſonzo, an welchem Görz liegt, in den adriatiſchen Meer: 
bufen mündet.) Man begreift jest, daß Werlant und feine Güter unter 
dem Banne des Markgrafen von Verona ftanden, der übrigend damals eine 
Perſon mit dem Kämthner Herzoge war. Seine Beftgungen lagen nämlich 
wetlih vom Timavo, und folglih innerhalb Venetiens oder der Veroneſer 
Mark. Aud andere Denkmäler ftimmen trefflih zu den Ergebniffen der 
eben entwidelten Urkunden Dtto’8 III. Verona's Marfe begriff”), außer 
den oben erwähnten Graffchaften Vicenza und Papua, die Eomitate Trevilo, 
Cadore del Piave, Trient, Ceneda, (ſüdlich von Belluno), Friaul und viele 
andere. 

Es war ein ſchoͤnes ausgedehntes Küftenland, bewohnt bis and Ge 
birg bin von Italienern und befegt mit reihen Städten, wie, außer den 
obgengenannten, Belluno, Utine, der erzbifhöflihe Sig Aquileja, Baflano, 


u; 





!) Rubeis, monum. ©. 491. °) Forbiger, alte Geographie III, 576 flg. ?) Berk, 
legum II, 6 ©. 9. Bertrag zwifchen Pippin dem Kleinen und dem Pabſt: universus 
exarchatus Ravennatium atque provinciae Venetiarum et Istria. %) Berg L 193: 
duces ac populi tam Venetiae quam Dalmatiae. 8) Ibid. ©. 621. 6) Forbiger 
a. a. O. III, 513. ?) Belege bei Meichelbek, hist. frising. L 177. 179. ri 
öftr. Gefch. 1849, drittes Heft, 25 oben Nr. 47, und 36 oben Nr. 79. 


Erſtes Buch. ap. 15. Kärnthen mit feinen Marken. 483 


— jeltre, Conegliano. Nur Schade, daß im Laufe des 10. und noch mehr 
des 11. Jahrhunderts die auffeimende Macht der Republif Venedig inner: 
halb des angegebenen Umfangs. ein Stüf um das andere durch Lift oder 
Gewalt an fi zog, was jedoch im Einzelnen nicht hier, fondern nur mits 
telft der Geſchichte des Freiſtaats von St. Marco nachgewieſen werden 
fann. Die der deutichen Kaiferfrone unterworfene Marke Verona fchrumpfte 
daher bereit8 unter den Saliern mehr und mehr ein. 

Mehrfah wird auf dem Boden der Marfe eine Heerftraße erwähnt, ') 
weldhe man im 10. Jahrhundert Ungarnftraße nannte, ohne Zweifel weil 
die Magyaren bei den verheerenden Einfällen, welde fie feit den Tagen 
des Kaiſers Arnulf nah Oberitalien madten, diefen Weg eingefchlagen 
haben. Da vernünftiger Weife nicht angenommen werden fann, weder 
daß die Magyaren, damals ein überaus wildes Volk, für fih Straßen 
bauten, noch auch daß die Italiener des 10. Jahrhunderts, etwa um dem 
Neichöfeinde befferen Zugang zu verichaffen, etwas der Art unternahmen, fo 
muß man auf Weberbleibfel alter Römerwerfe fchließen. In der That ift 
fattfam befannt,?) daß Aquileja ehemals ein Knotenpunft war, von wo 
die Fortfegungen der via aemilia nad Rhätien, Norikum, Bannonien, 
Sftrien und Dalmatien ausliefen. Auf diefen alten Römerfpuren find die 
Magyaren mit ihren Roffen und Wagen hergerannt, um Welſchland zu 
plündern. 


Die Krainer-KMarke. 


Der Ausdruck Carni, welder mit Krain zufammenhängt, war fchon 
im Alterthum üblich, und rührte von einer celtifchen Völkerſchaft her, die 
um die Anfänge chriftliher Zeitrehnung das heutige Krain bewohnte”) 
Als Südſlaven dort einwanderten, trugen Deutſche und Italiener den alten 
Namen auf fie über. Der Langobarde Paul der Diakon ſchreibt:) „nads 
dem Ratchis zum Herzog von Friaul erhoben worden war, brach er mit 
Heeresmacht in die flaviihe Provinz Carniola (klein Kärnthen) ein, und 
verwüftete dad Land mit Feuer und Schwert.” Diejenige Eigenjchaft, 
welche bewirkte, daß nad) der Mitte des 10. Jahrhunderts eine Marke 
dort aufgerichtet wurde, hebt‘) Einhard in feiner- Ehronit zum Jahre 820 
bündig hervor: „die Carnioler wohnen um die (obere) Save und ftoßen 
(gegen Welten) an die Landſchaft Friaul.“ Weil Krain das obere Gebiet 


*) Rubeis, a. a. O. ©. 477, Urkunde Otto's I.: via publica, quam Stratam Hun- 
garorum vocant. Urkunde Gonrads II., vom Sahre 1028, ibid. ©. 503: strata, quae 
vulgo dicitur Ungarorum. ?) Borbiger, a. a. DO. IH, 581 unten. 3) Forbiger, a. 
a. O. III, 584 fig. ) Muratori, script. ital. I, a. ©. 507 zweite Spalte, Mitte. 
6) Berk I, 207. 


N 


a1? 


A484 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


der Save begriff, und weil der Thalweg dieſes Fluſſes den Ungarn eine 
Zugang nad Kärnthen, Italien, Baiern bot, fand Dtto I. für gut, daſelbſ 
eine Marfgraficaft zu gründen. 

Urkunden vom 30. Juni‘) und 24. November?) 974: Kaiſer Ötto IL 
ſchenkt an den Freifinger Stuhl gewiſſe Güter (worunter Laaf), „gelegen 
in der Marfe, die auf deutfch Khrainmarke, auf Latein Carniola heißt, wb : 
weldher Graf Poppo vorſteht.“ In ter Ecenfung vom 24. November 
wird Chrain ald Marke und Comitat des Grafen Poppo bezeichnet, and 
ift darin von einer Etraße der Krainer die Rede, welche ich für eine Ber 
längerung der Heerftraße halte, die wir in der Mark Verona kennen ge : 
lernt haben. Die Marke beftand fchon in den Anfängen der Regierung 
Ottos II. Ohne Zweifel hatte fie fein Vater Otto I. eingerichtet, zu der ! 
jelben Zeit, da er auch den Bränzprovinzen Oftrih, Styre, Oſtkaͤrnthen 
eine Marfverfaffung gab. 

Fünfzehn Jahre fpäter, im Oktober“) 989 beftätigte und erweiterte 
König Dtto IH. obige Scenfungen feines Baterd, mit dem Beifügen, 
daß die Krainermarfe unter dem Herzoge Heinrich (dem Zänfer) von Baiem 
und Kärnthen ftche, und daß in ihr Waltilo Graf fei. Diefer Waltilo war aljo 
in der Zwifchenzeit auf Boppo gefolgt, den wir 974 ald Grafen der Krainer: 
marfe erwähnt fanden. Auch in einer Urfunde*) des Königs Heinrich IL 
vom Jahre 1002 empfängt Waltilo den Titel „Graf im Krainerlande*. 
Nun ift eine Lüde in der Geſchichte Kraind bis zum Jahre 1040, in 
welchem wiederhohlt ein Markgraf Eberhard zum Vorfchein fommt. Durd 
zwei Erlafje’) vom 8. und 16. Januar 1040 vergabt nämlich König Hein 
rich III. Ländereien an den Stuhl von Briren, „gelegen in der Marfe Krain 
und im Comitat ded Markgrafen Eberhard.” Diefer Eberhard wer 
vielleicht der Bruder des Herzogs Adalbero, auf den wir früher") fliehen 
Nicht Tange nachher muß Krain aufgehört haben, eine felbftändige Marke 
zu fein, indem es mit Iftrien vereinigt ward, wohin wir und wenden. 


Hark Iſtrien. 


Mit dem Worte Sftrien bezeichneten die alten Römer das Küftengebiet 
zwilchen dem Timavo, welcher Venetien von Sftrien fchied, und dem Fluſe 
Arfia, der ald Gränze Italiens gegen Illyricum betrachtet wurbe”). Sfrien | 
umſchloß die anſehnlichen Seeſtädte Trieft, Suftinianopolis (jpäter Cape | 
d'Iſtria genannt) Pirano, Eitta nuova, Parenzo, Rovigno, Pola. Wohlen 


— LU Lesben. _ . „0. __ 


1) Monum. boic. XXXI, S. 220 flg. Nr. 113. 2) Ibid. XXVII, ©. 210 fi. 
2) Ibid. XXXI, ©. 247 fl. 9) Ibid. ©. 274 flg. ) Acchiv öfer. Geſch. 184, 
zweites Heft S. 320. *) Oben ©. 419. ?) Korbiger, a. a. ©. II, 586 fh. k 


m. 


Erſtes Bud. Gap. 15. Kärnihen mit feinen Marken. 485 


te römiſche Landeseintheilung beftand auch unter den Dttonen und 
m fort. Eine Urkunde!) vom Jahre 949 Tiegt vor, kraft welder 
F Johann von Trieft gewiſſe Gerechtſame veräußerte, um die Schulden 
den, welche fi während des Kriegs, den er feit Jahren gegen den 
g von Kärnthen und andere Räuber zu DVertheivigung feines Hoc» 
führen mußte, angehäuft hatten. Demnach war nody unter den 
fiven Baiernd der Anfang mit Eroberung Trieſts, oder der norbweft- 
Theile Yftriend gemacht worden, während Otto I. Venetien oder 
Rarfe Berona erſt 951 eroberte. Ferner ſchenkte König Heinrich IV. 
Hundvefte?) vom 24. Oktober 1062 an ein Klofter zu Freiſing gewiffe 
yöfe, „gelegen in der Mark Iftrien und in den Orten PByrian und 
nburd.” Die welihen Namen der legten Drte lauten Pirano und 
nuova, denn die Deutichen des Mittelalters brauchten Worte ihrer 
he auch für fremde Städte. 
ferien begriff alfo in den Zeiten der Dttonen und der Salier Die 
Zrieft, Pirano, Eitta nuova, das heißt, die Landſchaft hatte beiläufig 
ben Umfang, wie unter den alten römischen Kaifern. 
Gleich der Veroneſer Marfe war Iftrien mit dem Kärnthner Herzog. 
verbunden, aber nur bis auf Welfs Zeiten herab. Hermann der 
e berichtet?) zum Jahre 1035, Adalbero habe zugleich die Gunft des 
rs (Conrad 11.) und fein Herzogthum Kärnthen, ſammt Sfirien, 
ren. Zum folgenden Jahre meldet ebenverjelbe, daß ver jüngere 
ıd das Herzogthum feines Vaters, nämlih Kärmthen und Sftrien, 
e Lehen Adalbero entzogen worden waren, vom Kaifer empfing. Die 
ge Eonrad I. und Conrad II. jo wie Apalbero hatten demnach zus 
dad Banner Kärnthen und die Marflanze Jftrien getragen. Allein 
trat eine Aenderung ein. 
Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts kommt in Sftrien urkundlich 
Narfgraf Ulrich zum Vorſchein, der nebenbei auch Krain befigt. Durch 
ide?) von nicht genanntem Jahre übergab Markgraf Ulrih gewiſſe 
r an einen Dienftmann ded Brirener Stuhlee. Im Jahre 1060 
te König Heinrih IV. demjelben Markgrafen zwanzig in Iſtrien ges 
e Höfe. Unter dem 24. Oftober 1062 vergabte‘) der König an ein 
er zu Sreifing Ländereien „gelegen zu Pirano und Eitta nuova in der 
k Sftrien und im Comitat des Markgrafen Ulrih.” Unter dem 
Dezember des ebengenannten Jahres verfchenkte) Heinrid IV. Länder 
„gelegen in der Marf Krain und im Comitat des Markgrafen Ulrich.“ 





) Archiv öfter. Geſch. 1849, drittes Heft S. 20 Nr. 38. 2) Daf. Heft 2. 
336 Nr. 144. 2) Berg V, 122. %) Archiv öfter. Geſch. Heft IL, a. a. O. 
28 Nr. 128. 6) Ibid. ©. 333 Nr. 141. 6) Ibid. ©. 336 Nr. 145. 


+ 


486 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Diefer befaß folglich neben der Mark Iftrien auch die Krainer Marke, beide 
Lanvestheile waren folglich mit einander vereinigt. Unter dem 27. Septem 
ber 1063 überlich‘) der König dem Brirener Etuhle zwei Alpen, „gelegen 
in der Marfe des Markgrafen Ulrich.” Endlich vergabte?) König Heinrich IV. 
unter dem 5. März 1067 an den Freifinger Dom mehrere namentlih auf 
geführte Drte der vom Markgrafen Ulrich verwalteten Marfe Jftrien, bie 
man heute noch zwiſchen Trieft und Capo d'Iſtria nachweifen Fann. 

Ueber die perjönlihen Verhältniſſe des Marfgrafen Ulrich geben die 
Reichskroniken Aufihluß. Nachdem Lambert von Hersfeld gejchilvert hat, 
wie der Weimarer Wilhelm, welchen Heinrid II. 1046 zum Marfgrafen 
von Meißen erhoben hatte, zum zweitenmale gen Ungam zog, um feine 
Braut Eophia, die Tochter des ungarifhen Könige, abzuholen, aber auf 
der Reife jählings wegftarb, fährt”) er fort: „die nachgelaſſene Berlobte 
nahm nachher ein Verwandter Wilhelms, Udalrich Markgraf in Kärnthen, 
zum Weibe!" Weiter berichtet*) Lambert zum Jahre 1070 den Tod Ulriche, 
indem er ihn abermal einen Markgrafen der KHärnthner nennt. 

Mit der Verwandtihaft Wilhelms und Ulrichs, welche Lambert nur 
im Allgemeinen berichtet, verhält es fich laut dem Zeugniſſe) des ſächſiſchen 
Annaliften jo: der Weimarer Wilhelm IL, von weldem an einem andern 
Drte?) die Rede war, zeugte außer dem gleichnamigen Wilhelm TIL, der 
1062 verfhied, und außer Dtto von Orlamünde”), einen dritten Sohn 
Poppo, der ſich mit einer vornehmen Sftrierin vermählte; er ehelichte näm- 
ih Azzika, die Tochter des Grafen Wezelin, weldhe auch urkundlich) vor 
fommt. Diefe Heirath muß den Weimarern eine Brüde nad Iftrien ge 
baut haben. 

Aus der Verbindung Ulrichs mit der Ungarifhen Königstocher Sophia 
ftammten?) zwei Söhne, Ulrich IL, Erbe der deutſchen Güter feines Hauſes 
und darum Graf von Weimar genannt; dann Poppo, der 1093 ald Markgraf 
in Sftrien zum Vorſchein kommt!o), alfo feinem Vater mittelbar oder uns 
mittelbar gefolgt if. Der innerlihe Zufammenhang dieſer Thatſachen 
jcheint mir unzweifelhaft. Weil nah dem Tode ded Kämthner Herzogd 
Conrad II. König Heinrih II. fand, daß fortvauernde Bereinigung 
Iſtriens mit Kärnthen der Krone gefährlihd werben könne, löste er bie 
Marfe vom Herzogthum ab, vergrößerte aber zugleich erftere durch Zufü— 
gung von Krain, damit die neue Schöpfung mehr Stoßfraft befomme. 
Zugleih übertrug er das Lehen an den Weimarer Ulrich, ald den Epröß 


1) Daf. ©. 338 Nr. 147. 2) Daf. ©. 339 Nr. 150. ) Perg V, 162. 
*) Ibid. 177 oben. 6) Ad annos 1046, 1056 u. 1062 bei Berg VI. ° Oben 
©. 182. ?) Siehe oben ©. 183. 8) Unter dem Jahre 1040, Archiv oͤſtr. Geld. 
1849, zweites Heft, S. 320 Nr. 114. 9) Die Belege gefammelt bei Ekkard, hist 
princip. Sax. ©. 243 fig. 0) Archiv, a. a. O. ©. 355 Nr. 174. 


Erſtes Buch. Gap. 15. Kärnthen mit feinen Marken. 487 


ng eined Haufed, das der Krone im ſlaviſchen Sachſen große Dienſte 
leiftet hatte. 

In kirchlicher Beziehung bildeten die Marfen Berona und Sftrien ein 
kanzes, nämlich den Erzverband von Aquileja. Diefe Metropole umfaßte ‘) 
imlich die in Landvenetien gelegenen Bisthümer: Belluno, Geneva, Eon- 
dia (Porto Gruaro) Feltre, Padua, Trevifo, Trient, Verona, Bicenza und 
e iſtriſchen Stühle: Eitta nuova, Parenzo, Pedena, Pola, Trieft, Capo 
Iſtria. Dttonen und Salier verfäumten nichts, um in ihrer Weife die geiftliche 
zewalt der Erzbiſchöfe von Aquileja den Zweden der Krone dienſtbar zu 
aden. Wie oben?) gezeigt worden, verfchenfte Dtto IIL die eine Hälfte 
on Görz und Umgegend an den Laien Werlant, die andere an den Stuhl 
on Aglar, damit die Intereffen hübſch getheilt fein. Und ald Conrad II. 
ırauf auöging, den Kärnthner Herzog Adalbero zu ſtürzen, begann’) er 
ımit, daß er denfelben nöthigte, auf alle Nugungen’und Abgaben zu vers 
chten, welde der Herzog bisher ald Markgraf von Aquileja und Sftrien 
us den Gütern des Erzftuhles gezogen hatte. Seitvem werben vorausſicht⸗ 
ch Beide, der Erzbifchof und der Herzog, auf keinem freundlichen Buß zu 
nander geſtanden fein. 

Sicherlih hat die Ehe, welche Marfgraf Ulrich mit der nacdhgelaffenen 
Iraut jeined Vetter fchloß, dem deutſchen Hofe wenig behagt. Ich fchließe. 
ieß aus gewiffen Wirfungen. Nah dem Tode Ulrich ift nämlih Krain 
jeder von Jftrien getrennt worden. Denn durch Urfunde‘) vom 11. Juni 
077 vergabte Heinrih IV. die Marfe Krain „aus dem Eigenthbum und 
er Gewalt des Thrones in das Eigenthum und die Gewalt des Erzftifts 
lquileja.“ Gleihwohl gelangte der Erzbifchof nicht zum wirklichen Beſitze 
ed Lehend; denn in einer zweiten Urfunde‘) vom 12. Mai 1093, fraft 
yelcher Kaiſer Heinrih IV. die Schenfung von 1077 wiederholte, gefteht 
r felber ein, daß er inzwilchen, durch Einflüfterungen böfer Rathgeber vers 
ıhrt, die Krainer Marfe einem Dritten verliehen hatte. 

Mittelft anderer Verhältniffe war dafür geforgt, daß der Erzbifchof von 
lquileja fib an den deutichen Thron anflammern mußte. Gegenüber 
iner Stadt faß auf der Inſel Grado ein böſer Doppelgänger, der Pas 
jarh von Seevenetien, der durch die ganze Macht Venedigs unterftügt, 
ingere Zeit einen geiftlihen Krieg auf Tod und Leben mit dem Aquilejer 
ihrte. Nur wenn die Metropoliten von Aglar dad Lied des Kaiſers 
gen, durften fie hoffen, dem gefährlichen Nachbar zu winerftehen. Webers 
aupt wiederhole ich die oben bezüglih der Mark Verona gemachte Bes 
erfung: die DBenetianer fpielten in Iſtrien dieſelbe Rolle, wie gegen 


1) Rubeis, monum. aquilej. Anhang ©. 65 fig. S. 481. 2) ©. 473. 
Böhmer, Regeſt. Nr. 1877. 5) Ibid. Mr. 1948. 


488 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


MWeften auf dem Beftland. Eine Stadt, ein Bezirf um den andern, ging 
an fie verloren. 

Ein eigenes Palatinat beftand für Kärnthen nicht, wohl aber verwals 
teten bairifhe Palatine die zahlreichen und ausgedehnten SKrongüter des 
Landes. Aus der DVergleihung vicler Urkunden ergibt fih, daß die füb- 
bairifche Kunzleifprache ein beſonderes Wort brauchte, um einen Pfalzbezir 
zu bezeichnen, nämlich die Ausdrüde regimen oder ministerium. Laut der 
früher angeführten Urkunde‘) (von 916—18) verfchenfte König Conrad L 
ein Landgut, „gelegen zu Goldern im Gau Viehbach, in boffammerlichen 
Bezirke Waltrams.)“ Der Begriff Pfalzgamt könnte faum fchärfer darge 
ftellt fein. Dit dem Jahre 945 fommt in Kämthen ein Pfalzbeamter 
Weriant zum Borfchein. Unter dem 4. Juni des genannten Jahres ver: 
gabte nämlich“) König Dtto I. Güter, „gelegen auf dem Boden Kärnthend 
im Bezirksamt Weriants,“ deßgleichen mehrere Xeibeigene, welche biöher der 
föniglihen Pfalz gehört hatten. 

Acht Jahre jpäter, mit dem 10. Dez. 953 taudht‘) ftatt Weriants ein 
Hartwig auf, von deſſen regimen oder ministerium vielfadh) die Rebe ift, 
und der zum Testenmale 980 erwähnt wird. Wir fennen ihn von 
Batern‘) her, wo Hartwig gleichfalls ein Palatinat verwaltete und ein 
ganzes Geſchlecht von Pfalzgrafen gegründet hat. Auch Hartwigs I. 
fpätere Nachkommen find zugleih in Baiern und Kärnthen Pfalzgrafen ges 
weien. Auf Verwenden des Palatins Cuno geihah ed, daß König Hein 
rih IV. dem Patriarchen Sigehard von Aquileja 1077 die Marfe Krain 
zu fchenfen verhieß”), welches Verfprechen er jedoch, wie früher gezeigt wors 
den, nicht gehalten hat. Diefer uno kann faum ein Anderer geweſen 
fein, als entweder der gleichnamige bairiſche Pfalzgraf, ver auf Schloß 
Vohburg jaß, oder deſſen Vater, der ebenfalls Cuno hieß.) 

Kärnthen eröffnete großen Gutsherrn, und insbeſondere Palatinen, 
mehr Gelegenheit des Erwerbs, ald manche andere Provinz, denn es gab 
dort Schätze nicht blos über, fondern auh unter der Erde zu beben. 
Steiermark, das ehemald Kärnthen hieß, hat heut zu Tage für unſere 
Ohren den Nebenbegriff eined Landes der Erze, und jchon in den Urfunden des 
10. und 11. Zahrhundertd tritt diefe Eigenfchaft hervor. Unter dem 20. Nor 
vernber 890 fchenkte?) König Arnulf dem Salzburger Dome neben andern 
Gütern die Erzgruben des Bergs Gomanara im Lavantthale. Durch Ur 


1) Bez, thes. anecd. I, c. ©. 47. ?) In ministerio Waltramni, quod ad nos- 
tram pertinet cameram. 2) Kleinmayrn, Juvavia Anhang S. 178. °) Archiv 
öftreich. Geſch. 1849, drittes Heft, S. 20 Nr. 39. °) Daf. ©. 21 Nr. 40. S. 22 Mr. 
42 u. 43. ©. 26 Nr. 53. ©. 27 Nr. 54. ©. 29 Nr. 56. °) Oben ©. 380. 
”) Siehe oben ©. 487. *) Oben ©. 382. %) Archiv a. aD. ©. 12 Mr 22. 





Erſtes Buch. Gap. 15. Kärmihen mit feinen Marken. 489 


funde vom 27. Juni 931 trat‘) Graf Alberib an ven Salzburger 
Erzbiſchof Adalbert ab einen Schmelzofen?) und das Recht, fteuerfrei Erz 
zu graben. Die Schenfung, kraft welder Gräfin Emma al ihr Eigen- 
thum dem Gurker Stifte vermachte, führt") insbeſondere auch Salzwerke und 
Metallgruben auf. Auch die bereits erwähnte Urfunde von 931 fpricht von 
einer Salzpfanne, welche der Salzburger Erzbifchof Adalbert dem Grafen 
Alberih im Taufhe gab. Endlich nennt*) die Etiftungsurfunde des Klos 
fterd St. Paul im Lavantthale einen ganzen Eifenberg (mons ferrarius). 

Auch die Forſte Kärnthens jcheinen größere Erträgnifie geliefert zu 
haben, als die anderer Provinzen. Ich fchließe dieß daraus, weil Ur- 
funden vom Holzſchlage in einer Weife reden, die zu der Annahme nöthigt, 
daß ed fih um einen beveutenden Werth handelte Kraft der oben be> 
\prochenen Urfunde vom 20. Nov. 890 vergabte König Arnulf an die Salz⸗ 
burger Kirche den Bergforft im Lavantthale, jedoh ohne Jagd, wohl 
aber mit vem Holzjchlag; ferner den Berg bei Gurnig, mit dem Holzichlag, 
jowie mit dem Waid- und Maftungsredt. Berner Ichenfte”) Kaijer Dtto II. 
unter dem 5. uni 983 an die Mönche von St. Lambert drei Joh Wald 
auf dem SKarantaner Berge, aber nur mit der Hälfte des Holzſchlags. 

Ein Blid auf das, wad in den Häfen des benachbarten Venetiens 
vorging, verbreitet Licht über diefe beim erften Anblick fo ſeltſame Erſchei⸗ 
nung. Schiffbauhol; war einer der großen Stapelartifel des dortigen 
Handels: Kiele, Maften, Planfen, Ruder, Cegelftangen der Slotten, 
mit welchen jaraceniihe Aomirale die Küften des byzantinischen Reiche 
angriffen, jelbft die Wafjereimer, aus welchen fie ihren Mannſchaften zu 
Trinken reichten, famen aus den Lagunen nad den Seeplägen Syriend und 
Aegyptens, und ftammten ficherlih meift aus den Wäldern Kärnthend. 
Beil dem fo war, drohte‘) Bafileus Waſil, ver Bulgarentödter, dem Dogen 
nit Krieg auf Leben und Tod, wenn Venedigs Handelftand fürber den 
Sarazenen Waffen oder Bauholz liefern würde. Sägemühlen und Eifen- 
Hämmer müſſen ſchon zu den Zeiten der Dttonen vielfach in Kärmthend 
Ehälern geflappert und gepocht haben. 

Die bairlihen Pfalzgrafen Kärnthens und ihre Bermwaltungsbezirke 
rhielten einen befonderen, im übrigen deutjchen Reiche nirgends üblichen, 
bgleih deutſchen Namen, der ftarfed Zeugniß von den gewaltiamen Zu⸗ 
Händen des Landes ablegt. In drei Kärnthniſchen Urkunden”) vom 3. April 
65, vom 8. Febr. 978 und vom 9. Oftober 979 wird Hartwig, den 


1) Ibid. ©. 19 Nr. 36. 2°) Flatus ferri. 2°) Daf. Heft 2 ©. 324. *) Ibid. 
5. 352. 6) Ibid. Heft 3, ©. 30 Mr. 59. °) Die Urkunde bei Tafel und Thomas, 
ıntes rerum austriac. XI, a. ©. 25 flg. 7) Archiv, a. a. D. dritte Heft ©. 23 
g. Mr. 48. 53 u. 54. 


490 Pabſt Bregorius VN. und fein Zeitalter. 


wir als Pfahgrafen fennen gelernt haben, ein Walpodo, fein Amt ein 
regimen waltpodonium genannt. Deßgleichen heißt e8 im zweiten diefer Pers 
gamente, der Ort Ribniza (jebt Reifnig am Klagenfurter See) „liege im 
Lande Kärnthen im Verwaltungsbezirke des Walpodo Hardwig (in regimine 
Hartwig Waltpodonis) und in der Tegnei (in Tegneja) Berthold.” Un; 
zweifelhaft fcheint mir, daß Waltpodo foviel ald Gewaltbote bejagen will. 
Eodann muß, vermöge des Zufammenhangs, Tegnei etwas wie eine Unters 
abtheilung größerer Verwaltungsfreife, aljo ein Ort-Rentamt, bezeichnen, 
das unter der Aufficht eines Gewaltboten flieht. Mit Hujchberg‘) leite 
Ih Tegneja von dem niederbeutfhen Thegn, das Dienftmann, ober 
von dem Zeitwort Thegnian ab, das dienen bezeichnet. Sonft Fommt 
meined Wiflens dad Wort Walpodo nur noch in zwei Bamberger Urkunden 
vor. Die eine vom Jahre 1058 meldet‘), daß neben dem Palatin Euno 
und defien Söhnen, fowie neben mehreren Grafen, ein Walpodo Immo vor 
einer Eynode erſchien, um über einen Zehntftreit vernommen zu werben. 
Die andere, ausgeſtellt) unter dem 6. Mat 1093, führt neben zwei Gra⸗ 
fen einen Walpodo Adelold auf. 

Daß in Bamberg Namen von Aemtern zum Vorſchein fommen, bie 
fonft ausfchlieglich in Kärnthen üblich find, hat feinen guten Grund. Wir wii: 
fen jat), daß der nachmalige König und Kalfer Heinrich IL, als er nach dem 
Tode feined Vaters Kärnthen abtrat, fi mehrere Bezirke des Landes 
vorbehielt, die er fpäter großen Theild an den neuerrichteten Stuhl von 
Bamberg verfchenfte. Inter ſolchen Umftänden ift begreiflih, daß Bambergs 
Biſchöfe ihre kärnthniſchen Güter in landesüblicher Weiſe verwalten ließen, 
und folglich gleih der Krone einen Walpodo anftellten. 

Wenn deutſche Chronifen und Urkunden feinen Stoff darbieten, mit 
Hilfe deifen der Begriff Walpodo aufgehellt werden Fönnte, fo findet fih 
dagegen in dem an die kärnthniſche Marke Verona ftoßenden Lombardien 
ein lateiniſches Wort, das zur Vergleihung einladet. Die Faiferlichen Vögte 
oder Gewaltboten, welde in den oberitalifhen Städten die Kronrenten 
eintrieben, hießen?) potestates (podesta), was meines Erachtens eine 
wörtlihe Meberjegung von Walpodo if. Man verfuhr nämlich deutſcher⸗ 
ſeits mit den Stalienern ungefähr wie mit den Slaven Kärnthens. Das 
rüber aber, wie e8 in letzterem Lande zuging, gibt das Slavengefeh Auf 
Ihluß, von dem im nächſten Abjchnitte die Rede fein wird. 

Die Faiferlichen Pfalzbeamten waren befugt, jäumige Zahler Förperlic 
zu züchtigen, — wörtlich abzuledern — in die Sklaverei zu verfaufen, je nad 


1) Scheiern⸗Wittelsbach, S. 189 Note 43. 2) Mansi concil. XIX, 885. 5 Ur 
sermann episcop. bamberg. probat. Nr. 52. *) Oben ©. 378. 6) Radewicus, de 
* gestis Friderici imperatoris II, 6 bei Muratori, script. ital. VI, 788, 


Erſtes Bud. Gap. 16. Markgräfliches und Herzogliches Baiern. Slawengeſetz. 491 


Umftänden aufzufnüpfen. Mit gutem Bug erhielten fie daher ven Namen 
Waltpodones, ®ewaltboten. 


Schhszehntes Kapitel. 


Schluß. Es gab ein boppeltes Baiern: ein marfgräfliches und ein herzogliches, die wohl 
unterfchieben werben müflen. Grängen beider. Grundzüge des Syſtems beutfcher 
Eolonifation auf ſüdſlawiſchen Boden. Das Slawengeſet von 955. 


Wie oben gezeigt worden, waren die Herzoge von Kärnthen meiſt 
zugleich Marfgrafen von Iſtrien. Daher entfteht die Brage, ob das Zeug: 
niß des Breifinger Biſchofs Otto und des Abtd Hermann, laut welchem 
die Marflanzen Kambe, Ober: und Unterfteier, Oftrih und Jftrien vor 
1156 von Baiern abhingen, auf diejenigen Herzoge Kärnthens ausgedehnt 
werden müſſe, welche neben dem Herzogthume die Mark Iſtrien beſaßen. 
Die Ausfagen beider Zeugen lauten fo beftimmt, daß ich nicht wage, Fünfte 
liche Beichränfungen hineinzudeuten. Andere Gründe fommen binzu. Sft- 
rien fonnte gleih den andern gegen Ungarn errichteten Marken faum an- 
ders, als mit bairifcher Hilfe vertheivigt werden. Rechneten aber die 
Kärnthner Herzoge, welde zugleih Markgrafen in Sftrien waren, auf 
bairiſchen Beiftand, nun fo mußten fie auch den Herzogen Baierns die ges 
bührende Ehre erweifen. | 

Sept erft find wir im Stande, ein Urtheil über die Ausdehnung 
Baiernd zu fällen. Nur dur Unterfcheidung eined doppelten Baierns, 
eines herzoglichen oder unmittelbaren, und eines marfgräflichen oder mittels 
baren, kommt Licht in das Dunfel. Erſteres umfaßte dad Land zwifchen 
dem Lech und der früher nadhgewiejenen Gebirgsgränze Kärnthens, doch mit 
Ausnahme gewiffer Stüde, welche die Markgrafen von Styre inne hatten, 
und dann zwiſchen der Donau und dem Südrande des Brirener Sprengelß. 
Marfgräflich bairiich Dagegen war bis 1017 das Würzburger Hochftift, ſeitdem 
aber nicht mehr, da die Zugeftändniffe, welche Kaifer Heinrih IL. im ge- 
nannten Jahre dem Würzburger Biſchofe und feinen Nachfolgern bewilligte, 
den Keim eined geiftlihen Herzogthumd Mainfranken enthielten. Marfgräfs 
lih bairiſch blieb ferner bis tief in’d 12. Jahrhundert hinein das Eich⸗ 
ftetter Hochftift, fowie die Marke Vohburg-Kambe, welche die jenfeits der 
Donau gelegenen Streden des Regensburger Bisthums, oder die Blußgebiete 
des Regen, der Bild und Nab bis hinauf nady Eger begriff. Beweife‘) 
liegen vor, daß der Hohenftaufe Friedrich der Rothbart audgebehnte Güter 
im GEgerlande befaß, die er kaum anders als durd die Heirath mit Der 


ı) Etälin, württemb. Geſch. II, 89 Note 3 und 218. 


492 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Vohburgerin Adelheid erworben haben kann. Endlich gehörten zum mark 
gräflihen Baiern die Gebiete der Marken Ober- und Unters Styre, Oſtrich, 
Iſtrien mit Krain. 

Allerdings war es ein loſes Band, welches beide Haupttheile, das 
marfgräfliche und das herzogliche Baiern, mit einander verknüpfte, aber doch 
ein Band; und man fieht, daß aud nad den Ausſcheidungen des Jahres 
976 das Herzogthum noch immer mit dem größten Theil feiner ehema- 
ligen, nun unter Marfgrafen geftellten, Provinzen zufammenhing. Noch von 
einer andern Seite her fann man tieß nachweiſen. Wie früher bemerkt 
worden, eröffnet Wippo feine Geſchichte des Kaiſers Conrad IL mit einer 
Ueberſicht der deutichen Herzogthümer. „In Sachen,” jagt er, „war damals 
Bernhard, in (Kärnthen und) Iftrien Adalbero, in Baiern Hezilo (der Luren- 
burger), in Alamannien Ernft, in Mojellanien Friedrich, im Ribuarenlande 
Gozelo, im Wormfer Gebiet war Conrad Herzog." Dann geht er zur 
Königswahl über: „die Sachſen, die Franken, die Aamannen, die Baiern 
traten dieſſeits des Rheines, die Oberlothringer und die Ribuaren jenfeitd 
zuſammen.“ 

Zu welchem Stamme rechnet er den Kärnthner Adalbero und die 
übrigen Freien, die mit ihm zur Wahl ſich einfanden? Offenbar zu den 
Baiern. Das heißt nun: Wippo ſah in denjenigen Claſſen der Bevöl— 
kerung Kärnthens, welche Herrenrechte übten, nichts weiter als ein Ans 
hängſel Baierns, eine bairiſche Colonie, und damit weiſ't er auf geheime 
Beziehungen hin, die wir ſchließlich in's Auge fallen müſſen. Die Errich⸗ 
tung der Marfen längs der Ungarngränze war nicht bloß ein gegen dad 
feindliche Volf der Magyaren aufgeführtes Bollwerk, ſondern fie war 
zugleih ein Rüſtzeug deuticher Colonifation auf dem Boden der Süpflaven. 
Weil fih die Sache fo verhielt, mußten die neuen Marken als Bezirke, 
welche mit Anftedlern befegt werden follten, mit einem beutfchen Herzogs 
thume, das den nöthigen Stoff zum Schuß, wie zur Erweiterung der Colo⸗ 
nien liefern mochte, in feftem Verbande bleiben. 

Man nehme die Karte zur Hand. Auf dem weiten Gebiet, wo einft laut 
den oben geführten Beweifen Barentanen hausten, fommt auf zehn deutſche 
Drtönamen faum ein windiicher. Alle dieſe neuen Anfiedlungen find aber faft 
ohne Ausnahme im Laufe des 10.—11. Jahrhunderts entftanden. Außer 
den Namen der Dörfer und Städte legen auch die der Flüſſe Zeugniß ab. 
Warum gibt ed dort eine fteiriihe Mur, eine fleiriihe Salza (fällt ober 
halb Altenmarkt in die End), warum eine kärnthiſche Glan (bei Klagen 
furt), eine oberöfterreihijche Traun, eine niederöfterreihifhe Fiſchaha, neben 
den altbairijchen, jalzburgifchen, ſchwäbiſchen Flüſſen gleihen Ramens? 
Dfienbar deßhalb, weil Anſiedler, die aus letztgenannten Ländern famen, 


Erſtes Buch. Gar. 16. Markgräfliches und herzogliches Baiern. Slawengeſetz. 493 


den Gewäflern, die fie in den neuen Wohnfigen antrafen, Namen der alten 
Heimath ertheilten! 

Sodann finden fih auf dem ehemaligen Slavenbovden Orte, die im 
Lande jelbft mit dem Beiſatze „Windiſch“ Doppelgänger haben: bairijch 
und windifh Gras, bairifh und windiſch Matrei, Winpiich - Gärften, 
Windiih - Baumgarten, Windifh Kappel, Winvifc » Landsberg, Windiſch⸗ 
Bleyberg, Windiſch-Feiſtritz, MWindifh» Wagram. Wie find diefe Doppel: 
gänger entftanden? Ich denke fo: entweder gründeten deutſche Anſiedler 
einen neuen Drt, dem fie nah Erinnerungen aus der Heimath einen 
Namen jchöpften, oder bejegten fie einen jchon von Slaven bewohnten 
Boden, drängten diefe allmählig hinaus und formten den flavifchen Orts⸗ 
namen nad ihrer Weile um: Görz ftatt Goriza, Matrei, Grat ftatt Gra⸗ 
disfa u. ſ. w. Hatte ein folder Drt eine hinreichende Zahl von Bewoh⸗ 
nern, fo zogen überzählige Bauernföhne aus demjelben fort, ließen fich 
unter Slaven nieder, gaben der neuen Heimath den Namen der alten 
verlaffenen. Die, welde im alten Wohnorte zurüdgeblieben, vielleicht Die 
Anfiedler zweiter Schichte felbft, unterfchieven die neue Pflanzung von der 
alten durch den Beiſatz Windiſch. Sobald dies gefhah, war ed ein 
Beweis, daß der Doppelort eine gewiſſe Bedeutung bejaß, und dann ftand 
es nicht mehr lange an, bis derſelbe die Eigenfchaft, weshalb er den Bei- 
lag „Windiſch“ erhielt, vollends verlor. Die Slaven, weldhe dort gewohnt, 
fonnten ſich zum Abziehen rüften; fie mußten fort, denn ſlaviſch und deutſch 
geht nicht lange in einen Topf. 

Zwar die Ehroniften, lauter Geiftliche, die entweder mit den Intereſſen 
ihrer Klöfter oder mit dem Zweikampfe zwifchen Kirche und Staat beichäftigt 
find, melden fo viel als Nichts von einer Bewegung, weldhe Maflen von 
Menſchen in eine neue Heimath fortriß; aber dennoch deuten fie auf eine 
Maßregel hin, die mit der Colonifation zufammenhing., Was mußte vor 
Allem gejchehen, damit Auswanderer ficher Pflanzungen gründen Eonnten ? 
Eine militärifche Organifation des Bezirks mußte gefchaffen werden. Eben 
diefen Sinn hatte die Errichtung der Marfen: hinter dem Markgrafen und 
jeinen Lanzknechten her zog eine lange Reihe von Pflangern mit Weib und 
Kind, mit Gefinde und Vieh. 

Wenn aber au die Ehronifen ſchweigen, ſo geben doch einzelne 
Urkunden Andeutungen über das, was vorging. Ich habe oben das Wid- 
tigfte deffen mitgetheilt, was Paſſauer Aufzeihnungen über die Beſetzung 
der Marf Oftrih durch bairische Anfievler berichten. Auch nah andern 
Seiten hin fehlt e8 nicht an Epuren. Unter dem 15. Juni 993 fchenfte ') 
Kaiſer Otto III. auf Fürbitte feines Getreuen, des Herzogs Heinrid von 


*) Monum. boie. XXVII, a, ©. 253 Nr. 167. 


494 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Baiern und Kärnthen, einem Sachſen drei Kronhöfe „an dem Orte, ber 
in der Volksſprache auf deutſch Gluzengiſatzi heißt, allwo ein Slaw 
Namens Gluzo Ausrodungen begonnen hat." Ich denke, da der Elaw, 
der die anfänglihe Wildniß erft in einen Wohnort umjchuf, den Namen 
Gluzo trägt, dürfte Gluzengiſazi, Glutzenſitz, Glutzenhof beveuten. “Der 
Drt wird wohl in Kärnthen zu fuchen fein. Run muß man wife, 
dag in Kärnthen am Zufammenfluß der Mol und Drau eine Stadt 
Sachſenburg liegt. Hängt vielleicht obige Schenfung Otto's TIL. mit dieſem 
Sachſenburg zufammen? 

Beſonders merkwürdig jcheint mir eine Aufzeihnung im Saalbuke 
des Hochſtifts Briren, welche Hormayr mittheilt 4: „in remdling, 
feiner Abftammung nad Alamanne, Namend Hupold, fam in unfer Bi 
thbum und erwarb durch feine Dienfte die Gnade des Biſchofs fo weit, 
daß er ihm ein Lehen verhieß. Nun führte Hupold aus Alamannien 
Hörige herbei und gründete mit ihnen einen Hof." Sonft find es Herren, 
Grafen, Ritter, Soldaten, denen man Lehen ertheilt, und die dann eins 
heimiſche Hörige zwingen, ihnen zu adern und zu pflügen. Hier aber 
ift e8 ein freier Alamanniſcher Bauer, der fih auf fremdem Boden anfiebelt 
und aus der alten Heimath fein Gefinde mitbringt. Man würde jehr 
irren, wenn man die Erfcheinung, deren zufällig das Brirener Saalbud 
gedenkt, für eine vereinzelte hielte, weil fie im Saalbuche vereinzelt daftch. 
Aehnliches muß auf hundert und taufend verfchievenen Punkten gefchehen fein. 

Wo hat der ungenannte Alamanne jeine Pflanzung gegründet? auf 
färnthnifchem, deutichem oder italieniishem Boden? Die drei Fälle find gleid 
möglih. Denn feit dem Jahre 1027, da der Brirener Stuhl das Comis 
tat von Bogen erlangte, erftredte fich feine Gerihtöbarfeit auf Färnthnilde, 
italienifche, deutfche Gebiete, deren Gränzen dort in einander liefen. Sei 
dem, wie ihm wolle, gewiß ift, daß unfere Katjer auch in der Marf Verona 
deutſche Niederlaffungen gründeten, die nicht gegen Slaven, fondern gegen 
Staliener gerichtet waren. Oberhalb Baſſano, in den Vorfprüngen de 
Hocgebirges, haufen die fogenannten fieben Gemeinden ), weldye — eine 
deutfhe Infel mitten im Meer italienischer Bevölkerung — bis auf ven 
heutigen Tag MUeberbleibfel deutſcher Spradhe bewahrt haben. Erft in 
neufter Zeit wandte fih ihnen die Aufmerffamfeit der Gelehrten zu, und 
Einige find auf den Einfall gerathen, befagte Colonie für verfprengte Reſte 
der Oftgothen auszugeben, welche einft unter Theoderich Italien beherrfchten. 
Kaum ſcheint es nöthig, die Unwahrfcheinlichkeit dieſer Anſicht hervor 
heben: nod weniger, ald die Langobarden, Nachfolger der Gothen, ihr 
Nationalität aufrecht zu erhalten vermochten, iſt ſolches den Gothen gelingen 


*) Herzog Liutpold, Noten ©. 56. 3) Le sette commauni. 


Erſtes Buch. Gap. 16. Markgräfliches und herzogliches Baiern. Slawengeſetz. 495 


Ich halte die fieben Gemeinden für Pflanzungen, welche unter den Saltern 
oder vielleicht fhon unter den Ottonen angelegt worven find. Wenn man 
die Archive von Feltre und Baflano oder umliegender Klöfter gehörig 
unterjucht haben wird, dürften fich Beweiſe finden. 

Heut zu Tage foll die deutſche Sprache und Nationalität in Tirol an der 
wälſchen Gränze Boden verlieren, hauptjächlih weil in Grängorten Pfarrer 
angeftellt werden, die nur wälſch und nicht deutich verftehen. Vor den Zeiten 
der Reformation war ed anders. Felix Schmid (Fabri), Mönd im Prediger 
Hofter zu Ulm, feiner Vaterſtadt, welcher im Jahre 1483 eine Pilgerreife ine 
gelobte Land antrat, die er nad) feiner Rüdkunft fehr ſchön befchrieb, meldet‘) 
unter Anderem: „im April 1483 ritten wir hinein nah Trient und 
biieben daſelbſt über Naht. Trient iſt eine der älteften Städte jener 
Gegend und hat eine anmuthige, fonnige, geſunde Lage. Eigentlich find 
es zwei Städte, eine obere und eine untere; in der oberen wohnen Staliener, 
in der unteren Alamannen. Da tft eine Scheidung der Sprachen und der 
Sitten, jelten haben fie Frieden unter einander, und mehrfach geſchah es 
in alter Zeit, daß wilde Zwietradht tobte, bald angeregt durch die Staliener 
aus Haß gegen die Deutichen, bald von den Deutihen, den Italienern zu 
Trotz. Es find nicht viele Jahre her, da waren der Deutichen nur wenige 
in felbiger Stadt und gehalten wie Fremdlinge ; jest aber find fie Bürger 
und führen dad Regiment im Stadtrath. Und bald wird gefchehen, was 
in Boten geſchah, nachdem Iegterer Ort von dem Insbruker Erzherzog 
Sigismund eingenommen worden war: die Staltenes werden ganz weichen 
müfjen, denn die Unfrigen nehmen in Trient von Tag zu Tag zu.“ 

Dann den einzelnen Fall in eine Regel — gemäß feinen eigenen 
Erfahrungen — verwandeln, fährt Bruder Felir fort: „wie cd Fommt, 
daß wir Deutfche ſtets in die Länder Anderer hineinwachſen, und nie uns 
gekehrt diefe in unjer Gebiet, das habe ich noch nicht ergründet. Man 
fönnte jagen: die Deutichen wandern darum fo viel aus, weil ihnen ihre 
Heimath zu eng, mangelhaft und unfruchtbar erfcheint, aber das hieße der 
Ehre Deutihlands zu nahe treten. Wahrjcheinlicher ift, daß ſolches darum 
geichieht, weil wegen Wildheit der Deutſchen fein anderes Volf ihre Nadı- 
barfchaft und ihren Anblid lange erträgt, deßhalb geben legtere lieber Raum 
und weichen zurüd, ?) den Zorn der Deutfchen fürchtend.“ Weiter unten 
befchreibt Felix, wie die Geſellſchaft, deren Reifefaplan er war, beftehend 
aus den Reichsfreiherrn Hand Werner von Zimmern, Heinrich v. Stöffeln, 
Hand Truchjeß von Waldburg, Bär v. Rechberg, Edlem auf Hohenred- 
berg, zu Venedig anlangte. 


*) Bibliothek des litterariſchen Vereins zu Stuttgart, Vol. II, oder evagatorium 
ertae sanctae I, ©. 75 u. 84. 3) Er fpielt auf die rabbia tedesca an. 


496 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Das Stadtviertel, wohin fie ſich wandten, war deutſch, ) die Herberge 
wo fie abftiegen, deutfch, der Wirth, die Wirthin, der Knecht, die Magd, 
lauter Deutfhe, ja auch der Hofhund war ein deutſcher. Bon dieſen 
Hund erzählt er Ergötzliches: „als wir das Thor der deutſchen Herberge 
zu der leuten öffneten, fam und der Hund entgegen, webelte mit dem 
Schweife, bezeugte feine Freude, indem er an und hinaufiprang, wie Hunde 
gegen Bekannte zu thun pflegen. Mit gleicher Zutraulichfeit nimmt bejagter 
Hund alle Deutfhe auf, aus welchem Theile des Reichs fie auch fein 
mögen. Aber tritt ein Italiener, ein Lombarde, ein Franke (ein Wälſch⸗ 
Lothringer oder Wälſch-Flamänder), ein Slave, ein Grieche, herein, ſo 
wird er wie rafend, beißt und belt und hört nicht auf, bis ihn em 
Deutiher zur Ruhe bringt. Auch an die Staliener, die in der Nähe 
wohnen, gewöhnt er fih nicht, ſondern macht es ihnen, wie den Anden; 
jelbft die italienifshen Hunde derſelben duldet er nicht, während er mit 
deutſchen Hunden ſich gut verträgt. Kömmt ein deuticher Bettler, Almofen 
zu begehren, läßt er ihn gehen; kommt ein italienifcher Bettler, fo beißt er 
ihn; ich habe oft ſolche Menſchen gegen jeine Zähne geſchützt. An biefem 
Thiere,“ fährt Bruder Felir fort, „Tann man erfehen, vaß, gleich wie 
befagter Hund vie Wälfchen unverföhnlich haßt, fo auch deutſche Menſchen 
nie ein Herz zu Stalienern faffen. Aber als unvernünftiged Thier folgt 
der Hund blindlings dem Triebe feiner Leidenichaft, während Menſchen den 
Haß, der von der Natur ihnen eingegeben if, durch Vernunft zu zügeln 
wiſſen.“ 

Aus Anlaß eines Hundes liest der Ulmer Mönch ein Capitel über 
die geheime Macht der Stammesverfchiedenheit, und das Verhältniß eine 
Herrenvolfed zu einem gefallenen und unterdrüdten. Im Webrigen ſprich 
aus ihm der Geiſt des alten Kaijerreiche. 

Großartig war die Colonifationsthätigfeit der Deutfchen; ein Jahr: 
hundert etwa, nachdem man angefangen hatte, den Boden Kärnthend mit 
Anfiedlern zu befegen, begann die Verdeutſchung der Slavenmarfen im 
Norden jenjeitd der Elbe. Die Laufigen, die Marken von Brandenburg, die 
Landſchaften Meflenburg, Pommern, Schlefien, wurden mit Eoloniften aus 
Altfachfen und dem rheinifchen Francien eben fo gefüllt, wie Kärnthen aus 
Baiern und Schwaben die feinigen empfangen hatte. Im Verhältniß wie 
dieß geihah, rückten aud dort die Marfen vor, zum deutlichen Beweis, 
daß die Marfe das Nüftzeug der Eolonifation war. Weiter fchritt die 
Anſiedlung nad der Weichfel, der Paffarge, dem PBregel, der Memel, dam 
nad Kurland, Liefland, Efthland, ja bis in die fernen Gegenven dei 


‘) Infra Rivoalti pontem declinavimus a canali magno in aliud canale, quod & 
latere dextro habet fonticum Alamannorum. 


Erſtes Bud. Gap. 16. Rarkgraͤfliches und Herzogliches Yaiern. Slawengeſe. 497 


Ladogafees. Nicht bloß die Ritterfchaft, fondern auch der Bürgerftand, hat bei 
Eroberung der Ordendlande in Preußen das Seinige gethan. So ganz 
jpielte der Deutſche im Mittelalter die Rolle, die jegt der Angelfachfe über- 
nommen hat, daß jelbft fremde Könige nur durch Beiziehung deutſchen 
Blutes Eultur in ihren Gebieten pflamen zu können glaubten. Tauſende 
von Deutjhen haben, dur ungariihe und polnische Könige herbeigerufen, 
fih in Sarmatien, in Ungam, Siebenbürgen niedergelafjen und dad Magde⸗ 
burger Stadtrecht und mit ihm bürgerliche Zreiheit, Handel und Gewerbe, 
in ferne Gegenden verpflanzt. Wie klaͤglich fteht in diefer Beziehung das 
neue Deutihland dem alten gegenüber! Man baut jetzt Theater, Luft 
Ichlöffer, Cafernen, Gefängniffe, Zuchthäufer, man mehrt die Zahl ver 
Schreiber, häuft die Aftenftöße und fieht ruhig zu, wie durch unnatürliche 
Anhäufung der Menſchenmaſſen Förperlihe Kraft und Schönheit des Volks 
dahin fieht. Muß man nit von 20 Jahr zu 20 Jahr das Maß der 
für junge Soldaten vorgefchriebenen Körperlänge um einen halben Zoll 
berabfegen !!! | 

Die Eolonifation des 11. und 12. Jahrhunderts hat, außer ihrer 
lichten, eine finftere Eeite, welche deutlicher al8 die andere in den Quellen 
bervortritt. in ſchweres 2008 traf das Volk, auf deſſen Erbe fih ber 
deutfche Auswanderer niederlich. Ich begnüge mich, außer ven früher mits 
getheilten Belegen, zwei weitere, einen aus dem Norden, einen aus dem 
Süden anzuführen. Der Ehrgeiz des Biſchofs Gifelher hatte im Jahre 981 
die Zertrümmerung ded Merjeburger Stuhls veranlaßt 9, den jpäter König 
Heinrih II. wieberherftellte. Der Merfeburger Chroniſt Thietmar ſchildert 
erftered Ereignig mit den Worten: „die Güter des Stifts feien damals zers 
flüdt worden, wie eine zum Berfaufe verurtheilte Slaven— 
familie.” Diefes Bild beweist, daß die deutichen Eroberer mit den Slaven 
der eroberten Orte, welche Widerſtand leifteten, ebenfo . verfuhren, wie im 
17. und 18. Jahrhundert Portugiefen, Holländer, Engländer mit Regern. 
Man riß die Familien auseinander, man trennte nad) Gutdünken den 
Mann von der Frau, die Kinder von den Eltern. Die härtefte Sklaverei 
war das 2008 Aller. 

In alten bairifhen Handſchriften findet fih eine Verordnung, ) die 
auf einem Landtage ald Zuſatz zum bairifhen Geſetz erlaffen worden if. 
Die Ueberfchrift lautet: „Beſchluß, gefaßt durd den Herzog Heinrich und 
alle Großen des Landes, ſowohl Biſchöfe ald Grafen." Der Tert befagt: 
„Wenn ein Höriger männlichen oder weiblihen Geſchlechts entflohen ift, 
und der Herr findet ihn nachher bei einem Andern, derjenige aber, bei dem 


1) Sfrörer, Kirch. Gefch. IT, 1401. ?) Wiener Jahrbücher, Angeigeblatt zu 
Band 29, Wien 1827, ©. 36 fig. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. DB. L 32 


498 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


er ihn fand, weigert fi, den Flüchtigen herauszugeben, fo hat der Her 
für fih allein (ohne Eiveshelfer) einen Eid zu leiften, daß der Hörige fein 
Eigenthum ſei; der Andere dagegen, bei dem der Ylüchtige ſich verbarg, 
muß fjchwören, daß er den Hörigen weder geftohlen, noch durch Try 
erlangt, noch auch den Herrn aus Feindſchaft wiffentlich zur Ablegung Yes 
Eids getrieben habe. Nachdem dies gejchehen, darf der Herr den Hörigen 
ohne Weiteres zurüdnehmen; tft der Sflave während ver Zeit, da ihm 
der Andere Schuß gab, weiter entronnen, fo muß der Beichüger dem Herm 
das volle Wehrgeld ded Hörigen erſetzen. Wer diefer Verordnung wider⸗ 
ftrebt, der fol, wenn er ein Vogt des Herzogd oder eined Gutsherm if, 
fofort von feinem Amte entfernt werben, bis der Herzog Die Sache unter 
fucht haben wird. Hat der Maier (praepositus, Gutsverwalter) eines 
Herrn ſolches verbrochen, fo fol er entweder mit 40 Peitſchenhieben bien, 
oder dem Beichädigten ein Pfund Gold zahlen. In gleicher Weiſe wird ein 
Elerifer für das nämliche Vergehen beftraft. Iſt es ein Scabine, der fih 
deſſen fchuldig machte, fo muß er entweder fo lange in's Gefängniß war 
bern, als es der Herzog für gut findet, ober er verliert fein Amt. Ber: 
ſonen niedern Ranges, jeien fie frei oder börig, büßen für die nämlide 
Miderfeglichfeit mit Abjcheeren ded Haupts und mit Prügelftrafe“ (wörtlih 
excorticentur, das Fell fol ihnen über die Ohren gezogen werben). 
„Stet8 muß darauf gefehen werden, daß die durch gegenwärtiged Geſeh 
verordnete Beftrafung in Anwefenheit des Beichädigten erfolgt. Wenn ein 
Fremdling fih in den Schug eines Gutsherrn begeben bat (folglich fein 
Unterthan geworden iſt) und nun einen Diebftahl oder ein anderes Ber 
brechen begeht, fo jol der Schugherr befagten Fremdling entweder zu gefeh- 
licher Entfhädigung des Klägerd anhalten, oder vor das Gericht des 
Grafen ftelen. Wenn der Graf fein Recht fchafft, und indeſſen ver Fremd⸗ 
ling, ohne die Buße bezahlt zu haben, entfloben ift, fo muß der Graf hie 
Buße erfegen. Wenn ein Graf einen unter Bann befindlichen Verbrecher 
Ihügt, ihm nicht vor das Gaugericht ftellt, oder vor dem Gaugericht ungerethter 
Weiſe vertheidigt, und bejagter Graf wird vor dem Herzoge dieſes Ber: 
gehens überführt, jo verliert er die Gnade ded Herzogs fammt feinem Comitet. 
Iſt e8 ein Hundertmann oder ein Vogt, der foldhes fi zu Schulden 
fommen läßt, fo büßt der Eine wie der Andere mit Entſetzung vom Amte. 
ft e8 ein Gutsverwalter, fo wird er gefchoren und abgeledert. Wenn ein 
Gutsherr jeinen Sklaven wegen irgend eines Verbrechens ungerecht ſchühtt, 
d. h. ſich weigert, ihn vor das Gaugericht zu ftellen, und er wird biefer 
Schuld überführt, jo büßt er mit Gefängniß oder Verbannung Wem 
der Landesherzog gegen Grafen oder Scabinen Klage erhebt, daß fe 
(d. h. irgend ein Graf oder ein Scabine) unter Bann Stehende oder Diebe 
ungerechterweife, fei ed vor dem Gaugericht oder ſonſtwo, gefchügt haben, 


Erſtes Bud. Gap. 16. Markgraͤfliches und Herzogliches Baiern. Slawengeſetz. A499 


und die Angeklagten fönnen den vom Gefege vorgejchriebenen Reinigungseid 
nicht leiften, fo werden fie entweber eingethürmt, oder des Landes vers 
wiefen. “ 

Nun kommt der Schlußfag, der für unfern Zwed der wichtigfte if: 
„Slaven follen auf gleihem Fuße, wie vorliegende Vereinbarung zwiſchen 
Herzog und Ständen ausweist, behandelt, oder, wenn fie fih widerfegen, 
vernidtet werden. (Sclavi etiam ejusdem coadunationis districtioni 
subjaceant, aut exterminentur.) So beſchloſſen zu Ranteshofen. 
Amen.” Faßt man bloß den Wortlaut in’d Auge, fo Eönnte der Sinn des 
legten Sates dahin gedeutet werden: Slaven follen, im Falle fie eines 
der in der Verordnung erwähnten Verbrechen begangen haben, die gleiche 
Behandlung erfahren, wie jene Mönde, Scabinen, Gutsverwalter, Gen: 
tumviri, DVögte, Grafen. Allein diefe Erklärung wäre, abgejehen von vielen 
andern Gründen, darum nichtig, weil nur bei Nennung bejagter Slaven 
die Formel angehängt ift: fie follen vernichtet werden. Diefe Bormel vers 
birgt böje Hintergedanfen. Der Sinn tft unzweifelhaft diefer: Slaven 
werben vor dem Geſetz durchweg ald Hörige, als Sklaven behandelt. Flieht 
einer, fo gilt er ald entronnener Sklave, dem Niemand Schug gewähren 
darf; begeht einer ein Verbrechen, jo wird zunächft nicht er felbft, ſondern 
fein Gebieter verantwortlich gemacht, denn in den Landen, wo das gegen- 
wärtige Gejeg herricht, muß jeder Slave einen Herrn haben, widrigenfalls 
er als Wildling ohne Gnade umgebradt wird. Man bemerfe noch, daß 
das Wort nicht mehr wie fonft Slavus, fondern mit Beifligung des c 
Sclavus gefchrieben ift. Der Zuwachs eined Buchſtabens deutet auf etwas 
Sclimmes hin, nämlidy auf die Verwandlung eines urjprünglichen Stamm⸗ 
namend in den Begriff unfreien Standes. Denn Hörige heißen befanntlich 
in gemeinem Deutſch Sklaven. 

Die nächſte Trage ift: in welche Zeit fällt obige Vereinbarung? Bon 
jenem Heinrih an, den fein Bruder König Otto I. 948 auf Baierns 
Herzogäftuhl erhob, bis herab auf den Welfen, Heinrich den Löwen, welchen 
Kaiſer Friedrich der Rothbart 1180 ftürgte, hat ed im Ganzen nicht weniger 
ald 12 Herzöge Baierns gegeben, die bejagten Namen führten. Welcher 
von den 12 Heinrichen ift gemeint? Ich behaupte: der erfte, Otto's I. 
Bruder, und zwar darum fann nur diefer gemeint fein, weil das fragliche 
Geſetz die Grafen ald das Hinftellt, was fie urjprüngli waren, was fie 
aber ſeit 962 zu fein allmählig aufhörten, nämlich als abjegbare Reiche: 
beamte. Faſt undenkbar ift, daß nad der Zeit, da alle größeren Lehen, 
namentlidy aber die Orafichaften, erblih wurden, ein Herzog es gewagt 
haben würde, eine foldhe Sprache gegen die Grafen feines Fahnenlehens zu 
führen. Undenkbar ferner ift es, daß felbft vor Erblihwerdung der Lehen 
ein Anderer als ein Königſohn, d. h. jener Heinrich, Otto's Bruder, den 

32° 


500 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


bairifchen Grafen fo unverblümt ihre wahre Stellung vorbielt. Man kam 
die Zeit des Geſetzes noch genauer beftimmen. Herzog Heinrih L ſtarb 
im November 955; es ift alfo erlaffen zwiſchen 948 und 955 und zwar 
höchft wahrfcheinlih, nachdem die Arnulfiven jammt den Grafen, die mit 
ihnen unter der Dede jpielten, verbannt, die Ungarn auf dem Lechfelde ges 
fchlagen, die Sciren von der Kirche verfluht worden waren: unter dem 
Einfluffe des Schredend, den diefe Schläge allen Wiperfpenftigen einjag- 
ten, aljo im Herbite 955. Das in der Unterfchrift erwähnte Ranteöhofen 
war eine alte Eatferlihde Pfag am Inn unweit Braunau, und wird als 
folhe ſchon in den Zeiten der Karlinger genannt.‘) Die Vermuthung drängt 
fi auf, daß die Synode, welche den Kirchenfluch gegen die Schiren ſchleu⸗ 
derte, mit dem Landtage von Ranteshofen zufammenfiel. 

In der That fommen noch vor dem Schluffe des 10. Jahrhunderts 
einerjeitö urfundliche Beweife vor, daß die (ſlaviſchen) Eingebornen Käm- 
thend, und Hinwiederum die eingewanderten bairifchen abeligen Herren 
des Landes unter verjchiedenem Rechte ftanden; andererfeit wird aus 
brüdlih ein Geſetz erwähnt, das nur für die Slaven, und zwar für all 
ohne Unterfchied, galt. Um 999 ftiftete Wichburg, Wittwe des Grafen 
Dtwin, ein Klofter. Den Gabebrief?) unterjchrieben acht adelige Zeugen, 
nad bairijhem Brauche an den Ohren gezupft, ferner fünfzehn Andere, von 
denen e8 heißt, daß ſlaviſches Recht für fie maßgebenp fei — quindecim 
slawicae institutionis. Außerdem erfahren wir, daß die Stifterin eine 
der geſchenkten Güter nad dem, allen Slawen gemeinfamen, Geſetze bejaß: 
cum communi omnium slavica lege. Dieſes Geſetz fand meines Grad: 
tend in Zujammenhang mit den oben erwähnten Beichlüffen von Rantes⸗ 
hofen. 


Siebzehntes Kapitel. 


Die Kammerländer der Kaiferfrone: Böhmen, Polen, Ungarn, die Gebiete der Elbeflaven, 
Italien. Der ungarifche Krieg im Sommer 1061. 


Wir haben den Kreid der Herzogthümer und Marken abgefchlofen, 
welche zufammen das eigentliche Reich germanifcher Nation bildeten. Aber 
noch gab es gewille auswärtige Provinzen, welde zwar theilweiſe unter 
einheimifhen Häuptern ftanden, aber dennody von der Kaiſerkrone abhingen 
und ihr Tribut bezahlten. Die Kanzleiſprache des Mittelalters bezeichnete 
fie mit dem Ausdrucke Kammerländer. Der ungarifhe Feldzug von 1061 


2) Chronic. Gotwic. II, 505. ?) Archiv öfter. Geſch. 1849 drittes Heft, ©. 37 
flg. Nr. 84. 


Erſtes Bud. Gap. 17. Die Kammerländer der Kaiferkrone. 501 


verfchafft uns einen paffenden Rahmen, um eine Darftellung dieſer Gebiete 
bier einzufügen. 

Nah langen Kämpfen hatte Kaiſer Heinrih II. den König von 
Ungarn, Andreas, 1053 genöthigt,‘) der deutfchen Krone den Bafalleneid 
zu ſchwören und Zins zu zahlen; er hatte weiter, kurz vor feinem ode, 
mit Andreas Unterhandlungen angefnüpft,‘) die auf eine Vermählung des 
ungarischen Thronerben Salomo mit einer Tochter des Salierd hinausliefen, 
und Ungarns Unterwerfung aud für die Zufunft befeftigen follten. Allein 
im Lande der Magyaren gab es eine ftarfe Parthei, welche diefe Abfichten 
durchſchauend, den König Andreas ald das Werkzeug eined fremden Ty⸗ 
rannen haßte und auf Neuerungen fann. An der Spige der Unzufriedenen 
ftand der Bruder des Andreas, Bela, den jener mit einem SHerzogthume 
hatte abfinden müflen.”) Der Plan ward entworfen, den König zu ers 
morben oder abzufegen, und an feiner Stadt Bela auf den Thron zu ers 
heben. Andreas, der von diefen Umtrieben Kunde erhielt, traf Gegenmaß⸗ 
regeln. Obgleich fein zum Nachfolger beftimmter Sohn noch ein Kind war, 
ließ er ventelben im Jahre 1057 Erönen,‘) und befchleunigte die wegen 
Verlobung des Knaben mit der ebenfo jungen?) Tochter des Kaiſers Heins 
rih III. angefnüpften Unterhandlungen. 

Laut dem Berichte) der Altaicher Chronik erfchienen im Jahre 1058 
ungarifhe Gefandte am deutjchen Hofe, worauf die Reichöverweferin Agnes 
mit ihrem Sohne, dem Könige, nach einem Drte an der Gränze abreisdte 
und dort unter Beiziehung von Großen beider Reihe die Sache vollends 
in's Reine brachte. Die Ehe zwar Fonnte wegen bed unreifen Alterd der 
Berlobten noch nicht vollzogen werden, aber der Vertrag war abgeichlofjen. 
Ueber die Beringungen defjelben fchweigen die Quellen. Allein da die 
Sade urfprünglid von Kaiſer Heinrih III. ausging, da ferner biefer 
Herriher unabläßig darnach ftrebte, Ungarn in Abhängigfeit zu erhalten, 
darf man zuverfichtlih vorausfegen, daß bei Abſchluß des Vertrags .der 
ungarifche König ſich verpflichten mußte, wie früher Tribut zu zahlen. Wir 
werden unten fehen, daß Thatfachen, die einige Jahre fpäter eintraten, 
für die Richtigkeit unferer Annahme bürgen. Auch das, was zunächſt ges 
ſchah, beftätigt dieſelbe. 

Ungarn gerieth in Aufregung über die Nachrichten, die aus Deutſch⸗ 
land einliefen, und Bela ging ein Bündniß mit dem Polenherzog Boles⸗ 
law II. ein, der um jene Zeit feinem Vater Cazimir nadhgefolgt war, und 


1) Die Belege bei Gfroͤrer, 8. G. IV, 592 u. 618. 2) Giesebrecht, annal. al- 
tah. ©. 103, 3) Endlicher, rer. hung. monum. ©. 55. *%) Lambert fagt zum 
Jahre 1061: Salomoni imperator fillam suam parvulo parvulam desponderat. °) Lamb. 
ad a. 1061. Perg V, 161 fig. Berthold, ad a. 1060 ibid. 271. Gieſebrecht, annal. 
altah. ©. 94 u. 96 fig. 


502 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


dem Ungar bewaffnete Hülfe verhieß. Verzweifelnd, mit eigener Kraft dem 
drohenden Sturme zu trogen, jandte König Andreas — wie es jcheint im 
Herbfte 1060 — feinen Sohn Salomo fammt großen Geldfummen nad 
Deutſchland heraus und bat um fehleunige Zujendung eines Heeres. Die 
Reichsverweſerin entſprach dem Wunfche des beprängten Fürften: ein Feld⸗ 
zug nad Ungarn ward im Brühling 1061 angeoronet. 

Mir müſſen zunächft die Berfönlichkeit Derer in's Auge fafjen, welde 
die Kaijerin mit diefem Geſchäft beauftragt hat. Sowohl Lambert als Die 
Ehronif von Altaich ftimmen darin überein, daß der Herzog von Böhmen, 
Epitihnew II, unter den Aufgebotenen war. Da er feit der Züchtigung, 
welche jein Vater Bracislaw durch Kaiſer Heinrih III. erfuhr, ſich ſtets 
fügfam bewies,') ift e8 in der Ordnung, daß der Böhme Befehl erhielt, 
für deutſche Zwede in's Feld zu rüden.. Laut der Altaicher Chronik nahm 
zweitens ter .Marfgraf von Oftrih, Ernft, an dem Zuge Theil. As 
nächfter Nachbar Ungarns, ald gefeplicher Beſchützer der deutſchen Gräng, 
fonnte dieſer ſich dem befchloffenen Feldzuge gar nicht entziehen. 

Die erfte Rolle endlich bei dem ungarifchen Kampfe übernahmen, laut 
dem einftimmigen Zeugniffe aller Quellen, der Biſchof Eppo von Raumburg- 
Zeig und der Weimarer Wilhelm, der feit 1046 die Marf Meißen beſaß.) 
Außer den Echaaren, die fie aus ihren eigenen Gebieten herbeigeführt haben 
mögen, erhielten beide ein bairifche8 Heer, das ohne Zweifel die Kaiſerin 
Agnes, welde damald nody das Herzogthum Baiern für eigene Rechnung 
verwaltete, ihnen zugewiefen hatte Wir lernten den Weimarer früher ald 
Günftling ded Hofes fennen. Nicht anders verhielt e8 fih mit dem Biſchofe 
von Zeit. Im Jahre 1045, nad dem Tode Cathelo's, auf den Raums 
burger Stuhl erhoben, wußte er das Vertrauen der Kaiſerin und ihres 
unmündigen Eohned in folhem Maße zu gewinnen, daß faft nichts 
Wichtiges ohne feinen Rath geſchah. Sehr zweideutige Dinge werden über 
ihn berichtet. °) 

Man fieht: es war fein Reichäheer, das Ungarn im Sahre 1061 
angriff, ſondern eine aus perfönlichen Abfichten von etlihen Großen zu: 
ſammengebrachte Schaar. Die Nation nahm feinen Antheil. Gleich An 
fange ereignete fih ein Mißgeſchick von böfer Vorbedeutung. Lambert 
fagt:*) „der Bischof von Zeig und der Marfgraf Wilhelm wollten nit 
länger auf den Herzog von Böhmen warten, fondern rüdten für ſich allein 
in Ungarn ein. Das Säumen Epitihnew’s wird durch andere Zeugnifie 
erklärt: er fonnte nicht fommen, weil er den 28. Jan. 1061 mit Tod ab 
gegangen war, jein Nachfolger und jüngerer Bruder Wratislaw vermodte 


) Gfrörer, Kirch. Geh. IV, 347 fl. ) Siehe oben ©. 182. °) Berg V, 
192. 196. 197. 254. 333. 361.  *) Ibid. 162, 


Erſtes Bud. Gap. 17. Die Kammerländer der Kaiſerkrone. 503 


eihfall8 nicht den Zug mitzumachen, weil die dringenden Geſchäfte einer 
vuen Regierung ihn zu Haufe hielten. ) Nachdem Wilhelm und Eppo 
ngamsd Gränzen überfchritten hatten, trat ihnen Bela mit Heeresmacht 
den Weg: ed kam zu einem Treffen, in weldhem die Deutfchen Vortheile 
rangen, die aber nichts entſchieden; denn in Kurzem fammelte fi fo viel 
olf um Bela, daß Wilhelm und Eppo ſich entichließen mußten, den Rüd- 
ig anzutreten. Auch Andreas floh mit ihnen. 

Ueberall fanden fie die Päffe durch Feinde befegt, und die Zufuhr 
n Lebensmitteln gehemmt. In der Nähe der Gränze wurde ein zweites 
reffen geliefert, dad mit einer Niederlage der Deutichen endete. Andreas 
irzte vom Pferd und ward zertreten, der Biſchof Eppo fiel in Gefangen 
haft. Wilhelm und der bairiſche Graf Boto erreichten fechtenb mit dem 
‚efte ihrer Leute einen Hügel, wo. fie Halt machten, fi bis zur Nacht 
uthig vertheidigten, aus Haufen erichlagener Feinde eine Bruftwehr bil 
nd. Ich habe von Boto's Thaten und Sippfchaft anderdwo?) geiprochen. 
le Zapferfeit fruchtete nichts, durd Ermüdung und Hunger gezwungen, 
ußten fih Marfgraf Wilhelm und Boto am folgenden Tag ald Gefangene 
geben. Das Heer der Reihöverwejerin war vernichtet. Allein die Führer 
men für ihre Perfon über Erwarten gut weg. 

Lambert erzählt:?) „aus Bewunderung für die Tapferkeit des Marks 
rafen bewog Bela’8 Sohn, Geyfa,*) feinen Vater, daß er den Weimarer 
icht nur frei gab, fondern fogar mit einer feiner Töchter verlobte.” Go 
eſchah es auch. Wilhelm, ver ald Feind Ungarn betreten hatte, verließ 
16 Land als Anverlobter der Tochter des neuen Könige von Ungarn. 
Bas hinter dieſem romantiſchen Berichte ftedt, ift leicht zu fehen. Bela, 
sgleih Sieger und Herr des Landes, fürdhtete ſich doch vor der Rache ber 
‚alferin. Um nun ihr die Möglichkeit der Erneuerung des Angriffs zu 
itziehen, bot er dem Weimarer, der bisher eine der flärkften Stügen der 
zutichen Regierung gewejen war und ohne deſſen Hülfe der legte Feldzug wohl 
je hätte bewerfftelligt werden Fönnen, die Hand feiner Tochter und wahr- 
heinlich ungarifche Lehen an. Bon Ehrgeiz beraufcht, fhlug Wilhelm ein 
nd verrieth die Kaiferin. Es war fein Unglüd. 

Lambert fährt fort: „Wilhelm kehrte nach Thüringen zurüd und traf 
‚fort Anftalten, feine Braut im folgenden Srühling mit großem Gepränge 
bzuholen. Wirklich machte er fih auf den Weg, aber er gelangte mur 
8 in das zweite Nachtquartier, denn ald er weiter reifen wollte, fiel er 


t) Cosmae chronic. bohem. II, 17. 18. Berk IX, 79. ?) Oben ©. 382. °) Perk 
‚ 162. %) Lambert nennt ihn Joas. Diefer Name war nämli, wie Webelind 
Roten I, 193) fchön nachweist, eine byzantinifche Umformung bed Worte Geyſa, und 
i den Ungarn auch fonft üblich. 


504 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


plöglich todt nieder.“ Hätte der Mönd von Hersfeld das, was er wußte 
und dachte, offen fagen wollen, fo würde der Satz jo lauten: Wilhelm 
von Weimar büßte den an ber Kaiſerin verübten Verrath durch Ber 
giftung. — 

Die Braut des verftorbenen Markgrafen — fie hieß Sophia — blieb 
deßwegen doch in der Weimarer Bamilie, fie reichte, wie wir willen, ihre 
Hand dem Better Wilhelm’s, jenem kärnthniſchen Marfgrafen Ulrich;) die 
Mark Meißen aber erhielt Wilhelm’s Bruder, Dtto von Orlamünde, jedoch 
nur gegen Bedingungen, die ihn mit ganz Sachſen verfeinveten. Hie 
von unten. 

Zunächſt ift nöthig zu erflären, warum Agnes, trog dem Widewillen, 
den die deutſche Nation dur ihre Theilnahmlofigfeit bethätigte — in den 
Reichtagsverhandlungen, die vorangingen, werden aud laute Widerſprüche 
ertönt fein, von denen die vorfichtigen Schriftteller ſchweigen — jo hartnädig 
auf einem Unternehmen beftand, das laut den Erfahrungen ihres Gemahle 
bebenflih war, und deſſen unglüdlicher Ausgang wohl Niemand überraiht 
hat. Der Schatten ihres Gemahls, ja man darf jagen, das Schidial des 
Kaiſerthums trieb fie vorwärts. Seit Otto I. wider den Willen der Reichs⸗ 
ftände das Kaiſerthum erneuert hatte, ftrebten er und alle feine Nachfolger 
unabläßig nad der Weltherrihaft, indem fie die umliegenden Rationen eine 
nach der andern zu unterjochen ſuchten. Keiner aber war diefem Ziele fo 
nahe gerüdt, und hatte zu Erreihung deſſelben jo ſchwere Miffethaten be: 
gangen, als der ſchwarze Heinrih III. Wollte Agnes nicht mit allen 
Ueberlieferungen aus der Zeit ihres Gemahls breden, fo biieb ihr nichts 
übrig als auf den Wegen Heinrich's III. fortzumandeln, was fie denn 
aud that. Es handelte fi in dieſer Brage nicht blos um Befriedigung ber 
Herrihfucht, fondern um etwas, das damals faum mehr entbehrt werben 
fonnte: um Geld und zwar um hohe Summen Geldes. Glanz und York 
dauer des Kaiſerthums beruhte wejentlih auf den Tributen von fünf Kam: 
merländern. Zahlten diefelben nicht mehr, jo drohte etwas, vor dem nidt 
nur Könige, fondern aud Privatleute zurüdbeben, die Nothwenbigfeit, einen 
verfleinerten Haushalt einzurichten. 

Die ebengenannten fünf Kammerländer waren: 1) Ungarn, 2) Polen, 
3) die Provinzen der Elbejlaven, 4) Böhmen, 5) Stalien und zwar le 
teres in höchftem Maßſtab. 

Ich beginne mit Ungam. Die Chronif von Altaih und Hem: 
mann der Lahme berichten ?) zum Jahre 1043: „nachdem König Hein 
rich IIL den Ungar Aba aufs Aeußerfte bevrängt hatte, erbot fich viele 
400 Pfund Gold und ebenjo viele ſeidene Gewänder zu entrichten, aus 


— — ne nn 


ı) Oben ©. 486. 2) Siehe Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 867. 


Erſtes Bud. Gap. 17. Die Kammerländer der Kaiferfrone. 505 


alle Kriegsfoften zu erſetzen. Vergebens, Aba wurde geftürgt.“ Zwei Jahre 
fpäter legte Aba's Nachfolger, Peter, dem deutſchen Herrſcher eine Maſſe 
Goldes zu Füßen, und überantwortete ebendemfelben vor allem Volke fein Reich 
unter dem Sinnbild einer vergoldeten Lanze. Heinrich III. gab ihm zwar 
das Lehen zurüd, aber mit der ausdrüdlichen Bedingung, daß Peter das⸗ 
felbe nicht erblih, fondern nur für feine Lebengzeit befigen ſolle.) Die 
Ungarn fanden jedoch dieſe Laft unerträglih und brachten ihren König um, 
worauf Andread den Thron beftieg.”) Im Jahr 1053 ſchloß Kaifer Hein; 
ri III. mit eben dieſem Könige Frieden, unter folgenden Bedingungen: 
Andreas zahlte eine Summe, die nad) dem Ausdrude‘) Herrmann’d des 
Luhmen unermeßlih war, trat eine Strede Landes ab, und verpflichtete 
fi zur Heeredfolge für alle Beldzüge des Kaiferd, ausgenommen nad) Ita- 
lien.) Da Wibert, der Lebensbefchreiber des Pabſts Leo IX., mit offen- 
barem Bezug auf dieſe Unterhandlungen das Wort hinwirft: „dem römt- 
ſchen Reiche ſei damals die Herrfchaft über Ungarn entriffen worden,“ ziehe 
ih mit dem treffliden Dobner ) den Schluß, daß Andreas die unermeß- 
liche Summe in der Abficht bezahlt hat, um für die Zukunft jedes weiteren 
Tributs enthoben zu fein. Allein Kaifer Heinrich III. meinte e8 anders. 
Er Hat furz vor feinem Tode die Heirathöunterhandlungen mit Andreas 
fiherlih nur in der geheimen Abficht angefnüpft, den Ungar wieder zind- 
pflihtig zu machen. Denn für nichtd verfpradh er ſchwerlich dem Fleinen 
Prinzen Salomo feine Tochter. Eben fo wenig hat die Kaiſerin Wittwe, 
Agnes, für nichts den Foftbaren Feldzug nad Ungarn angeordnet. 

Wohin fie damals fteuerte, erhellt aus einem Borfalle‘) des Jahres 
1074. Salomo, den, wie wir unten fehen werben, ein Reichsheer 
im Jahre 1063 auf den Thron eingefegt hatte, war zum zweitenmale vers - 
trieben, und ſaß irgendwo in Deutjchland. Nun jchidte er an Heinrich IV. 
eine Botſchaft folgenden Inhalts: wenn der König, fein Schwager, ihn 
nad Ungam zurüdführe, werde er für alle Zufunft den Tribut gewifjen- 
haft bezahlen, auf's Wort gehorchen, überdieß als Unterpfand unverbrüch⸗ 
lichen Worthaltend der deutſchen Krone ſechs der ftärfften Beftungen ſeines 
Reiches einräumen. Und damit der König jehe, wie ehrliche Abfichten der 
Schwager hege, ftellte Salomo jogleih 12 Geißeln. Nun beorverte Hein- 
rich wirflih ein kleines Heer nad Ungarn, das aber nichts ausrichtete. 

Zweitend Polen betreffend, übernahm um das Jahr 1000 der König 
dieſes Landes, Boleslaw Ehrobry, die Bezahlung eines jährlichen Tribut’) 
ın die deutſche Krone. Thietmar von Merjeburg, der dieß anbeutet, gibt 


ı) Dal. s. 367 fig. 2) Daf. ©. 422. ”) Ad a. 1053. Berk V, 133: im- 
pensam pecuniam. %) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 592. 6) Ad Hagek V, 321. 
) Berg V, 217. ) Gfrörer, Kicch. Geſch. II, 1528. 


506 Pabft Sregorius VIL. und fein Seitalter. 


zugleich zu verftehen, daß Boleslaw die Zahlungen zurückhielt. Aber fein 
Nachfolger, Micislaw, warb dafür von Kaifer Conrad IL hart gezüctigt. 
Vergebens erbot fi) derfelbe im Jahre 1031, alles zu bewilligen, was 
Conrad nur immer fordern möge. Dom Kaiſer unterftügt, werbrängte 
Besprim feinen Halbbruder Micislaw, und ſchwur nun der beutfchen Krone 
Treue, d. h. er verpflichtete fi Tribut zu entrichten. Doch weder er noch 
feine Nachfolger fonnten die Fleine Macht, die ihnen der Kaiſer gelaffen, 
in die Länge behaupten, und Polen fiel für eine Reihe von Jahren in 
heilloje Verwirrung, ohne Frage eine Folge der Rache, welche die Galler 
dafür nahmen, daß Polens Fürften es verfucht hatten, felbftändig zu fein. 

Drittens die Elbeflaven waren feit einem Jahrhundert Kammerhknechte 
der Kaiferfrone. Conrad IL litt an fühlbarem Geldmangel, als er ven 
Thron beftieg, aber bald befjerten ſich feine Umftänve, nachdem er — laut 
Wippo's Beriht?) — von den an Sadfen gränzenden Barbaren, d. h. 
von den Elbeſlaven, den rüdftändigen Zins eingetrieben hatte. Im Jahre 
1045 verſuchten es die Liuticier den Zins abzufchütteln, jedoch vergeblid; 
mit Waffengewalt zu Paaren getrieben, mußten fie Sortbezahlung des ger 
wohnten Tributd angeloben.”) Allerdings war etwas Erflefliches bei ihmen 
zu holen, weil fie der Handel auf der Nordjee bereicherte. Hat fie doch 
Herzog Bernhard von Sachſen um 1040 mit einem Schlage zu einer 
Brandihagung von 15,000 Marf Silber’) genöthigt. 

Noch ftärfer tritt die finanzielle Bedeutung kaiſerlicher Oberherrlichkeit 
in Böhmen hervor. Ich laffe den Czechen Cosmas) reden: „Nachdem 
Bracislaw, der Böhmen Herzog, 1038 Polen geplündert und unermeßlicd« 
Beute in feine Hauptftadt Prag geichleppt hatte, forderte König Heinrich IL 
"Auslieferung ded Raubs und Genugthuung für die begangene Miffethat. 
Die Gefandten ded Herzogs Bracislaw erwiderten: „wir find ſtets treu 
Unterthanen der Nachfolger Carls des Großen geweien, und find nod 
heute dir treu, fofern du thuft, was recht if. Pippin, Carls des Großen 
Sohn, hat und das Beleg auferlegt, daß wir jährlih an das Faiferlice 
Haus 120 augerlefene Ochſen und 500 Marf Silber entrichten jollen. Wir 
find bereit, dafielbe auch dir zu geben, aber eher werden wir flerben, als 
mehr zahlen.” Hierauf antwortete der deutfche Herricher: „es ift ein alter 
Braud der Könige, daß fie von Zeit zu Zeit neue Verordnungen erlaſſen, 
fintenmalen Gejege nicht einmal für allemal gegeben find, fondern unter 
den Händen der Nachfolger anzuwachſen pflegen. Wer durch Gelege regiert, 
der fteht nicht felbft unter dem Geſetz, dieweil das Geſetz, um mit ben 
Eprihwort zu reden, eine wächlerne Nafe hat, Könige aber lange eiſemt 


1) Daf. IV, 221. 3) Daſ. 416. 3) Daf. 467, *) Ohronie. II, 8. Id 
IX, 72. 


Erſtes Bud. Gap. 17. Die Kammerländer der Kaiſerkrone. 507 


Hände befigen, die fie hinftreden können, wohin es ihnen beliebt. Pippin 
hat euren Borfahren auferlegt, was ihm gefiel, Euch aber jage ich: wo: 
fern Ihr nicht thut, was Ich will, jo ſollt Ihr erfahren, wie viel gemalte 
Schilde Mir zu Gebote ftehen, und was Ich im Kriege vermag.” 

Das Elingt allerdings fultanifch, gleihwohl ift wahrfcheinlih, daß vie 
von Cosmas vorgebrahten Sätze genau den Sinn des Salierd ausdrücken, 
ja ich möchte die Vermuthung wagen, daß Cosmas die fürmlichen Worte 
des ſchwarzen Heinrich wiedergibt, denn aus eigenem Schage fann der jüß- 
liche, und was die Form anbetrifft, unausftehliche Ezeche jene Fühnen und 
fhneidenden Gedanken nicht hervorgeholt haben. Nebenbei bemerfe man 
die gemalten‘‘) Schilde: die erfte befannte Spur adeliger Wappen. 

Ein Jahr nad den eben beichriebenen Verhandlungen — im Sommer 
1041 — eroberte Heinrich III. Böhmen mit Waffengewalt und zog als 
Sieger ein in Prags Mauern. Und nun führten die Czechen eine andere 
Sprade: „was willft du und welter bevrängen o Herr,“ huben ihre Ge⸗ 
fandten an,?) „unfer Land ift dein Kammergut, wir find deine Knechte 
und wollen e8 fein.” ft dies nicht ein neuer Beweis, daß Cosmas aus 
einer treffliden Duelle jchöpfte? In der Kanzlei des Kaiferd Heinrich II. 
müſſen die der Krone zinspflichtigen Provinzen Slaviend und Romaniens 
KRammerländer genannt worden fein. " 

Stalien, ſchon unter Carl dem Großen zum Kammerland eingerichtet, 
und zu folhem Zwede mit einer eigenen drückenden Verwaltung ausgerüftet, 
mußte feit Otto’ I. Tagen feine Ketten mit ſchwerem Gelde bezahlen. Ein 
deutfcher Glerifer, der die Keder wie wenige zu führen verftand, um 1170 
den Märtyrertod des Mainzer Erzbiſchofs Arnold beichrieb, und unverfenn; 
bar die geheimen Akten der Reichskanzlei fannte, berichtet:) „während 
der Minverjährigkeit Otto's III., da Erzbifchof Wiligis von Mainz Reichs⸗ 
verwejer war, gingen als Tribut Lombardiens jährlich ein 1200 Pfunte 
feinen Golded.” Laut Belegen, die ich fpäter mittheilen werde, jchäßte 
man im Mittelalter ein Pfund feinen Goldes an Werth zehn Pfunden 
reinen Silberd gleih. Mit dem SHupferbeifag, welcher den geprägten Mün⸗ 
zen beigemilcht wurde, kamen 1200 Pfund reinen Goldes etwa 20,000 
Marken Silberd gleih. Im Uebrigen erjcheint es zweifelhaft, ‘ob ver 
Zeuge unter dem lombardiſchen Tribut die ganze, aus Italien ein- 
gehende Steuer begriff. 

Aus den Zeiten Heinrich's IL. und der Salier liegen blo8 allgemeine 
Schägungen der Erträgnifie vor, welche die Kaiferfrone aus Stalien bezog. 


t) Ostendam vobis quot pictos habeam clipeos. 2) Cosmas, a. a. ©. II, 12. 
Berk IX, 74: nostra terra tua est camera, nosque tui sumus et esse tui cupimus. 
5) Martyrium Arnoldi bei Böhmer, fontes II, 825. 


508 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Der Mönch von Quedlinburg jchreibt‘) zum Jahre 1014: „bei dem zweiten 
Zuge nad Stalien raffte Kaifer Heinrich II. unermeßliche Summen überal 
im Lande zufammen, und brachte fie heraus in die Heimath.“ Ba 
könnte diefe Worte fo verftehen, als fei nicht von einem regelmäßigen Gin 
fommen, jondern von einer augenblidlihen Brandſchatzung die Rede, etwa fo 
wie die Sranzojen in den Kriegen vom Ende des vorigen und vom Anfange 
des jegigen Jahrhunderts überall Geld erpreßten. Aber dieſe Deutung 
wäre irrig. 

Die von Heinrid II. damals mitgebradhten Summen beliefen fid 
deßhalb fo hoch, weil der Kaifer auf einmal die rüdftändigen Zinfen meh 
rerer Jahre eintrieb. Die Ehronif von Altaich meldet?) zum Jahre 1068: 
„König Heinri IV. ſchickte den Erzbiihof Hanno von Eöln, den Biſchof 
Heinrihd von Trient und den Herzog Otto von Baiern ald Reichöboten 
nad Stalien, um Landtage zu halten, Recht zu fprehen im Namen ver 
Krone und Zins einzutreiben.” Die Zufammenftellung {ft wichtig 
Landtage und Schöppenftuhl waren das Werkzeug, mit welchen man ven 
Zind heraus Flopfte. Leicht könnte ich ähnliche Stellen, wo von italienifcen 
Zinjen die Rede ift, zufammenhäufen. Aber dieß würde zu nichts führen, 
ta es fih für unjern Zweck darım handelt, nicht fowohl die Thatjache, 
welche feitfteht, al8 vielmehr Höhe und Art des italienischen Zinſes kennen 
zu lernen. Und in diefer Beziehung bietet fi eine in ihrer Art cs 
jige Stelle dar, welde zwar erft in die Mitte des 12. Jahrhundert 
— 50 Jahre nad Heinrih’8 IV. Tode — fällt, aber auf Einrichtungen 
beruht, die ſchon zu feiner Zeit beftanden, folglich als vollgültiges Zeugaif 
geachtet werden muß. 

Auf dem roncalifhen Reichstage, den Kalfer Frieberich I., der Rothban, 
im November 1158 hielt, nöthigte er durch ein umfaflendes Gefeh bie 
Staliener, alle Regalien, die unter früheren Regierungen, d. h. namentlid 


in den ſtürmiſchen Zeiten Heinrich's IV., der Katferfrone entzogen worden _ 


waren, zurüdzugeben. Das Geſetz jelbft beftimmt den Begriff Regalen 
genau. „Zur faiferlihen Kammer gehören,” heißt?) es darin, „Abgaben‘) 
der Sahnenlehen, Ertrag der Landftraßen, der Flüffe, Candle, Abgaben vom 
Schiffbau, von Häfen, Werften, Uferzinfe, Münze, Strafgelver, ber 
loje8 oder mit Unrecht angemaßtes Gut; das Vermögen der Hochverräthe, 
der Geächteten, derer, welche ruchlofe Ehen eingehen, Kriegs⸗ und ander 
Frohnden, Zölle von Schiffen und Laftwagen, außerorbentlihe Steuen 
zum NRömerzug, Beiträge zur Erhaltung und Ausrüftung der kaiſerlichen 
Pfalzen und des nöthigen Silbergeräths; Erträgniffe der Rathshäuſer md 


— 


1) Berk II, 82. ?) Annales altah. ed. Giesebrecht ©. 110. ) Berk, ig. 
u, 111 fle. ) So verflehe ih das Wort arimannia. 


Erſtes Bud. Gap. 17. Die Kammerländer der Kaiferfrone. 509 


Gerichtshdfe, der Fifchereien und Salzwerfe, endlich die Hälfte der vers 
borgenen Schätze, die auf des Kaiſers oder der Kirhe Grund und Boden 
durch Zufall gefunden werden.” 

Ueber die finanziellen Früchte eben dieſes Geſetzes bemerkt‘) der Frei: 
finger Domherr Radewich in feiner Geichichte des Rothbarts: „durch die 
damalige Rüdziehung mit Unrecht abgefommener Einfünfte fei, auch nachdem 
der Kaijer fehr Vieles aus Gnade an Sole, die bisher im Genuffe 
ftanden, zurüdgegeben hatte, die jährliche Rente ver Fatferlihen Kammer 
um dreißigtaufend Pfund Silber erhöht worben.” Wir werben 
wohl jhwerlid irren, wenn wir erftlih den Gefammtertrag der Kaiferlichen 
Kammer aus italienischen Quellen nab dem Reichstage von 1158 we: 
nigftend auf 50,000, und wenn wir zweitens das Taufende Gefamniterträgs 
niß ebenderjelben aus gleicher Quelle zu den Zeiten Heinrich's IIL und in 
den erften Jahren Heinrich's IV., ehe durch die politifchen Folgen des 
Kirchenſtreits unzählige Einfommenstheile in unrechte Hände geriethen, auf 
wenigſtens 60,000 Pfund Silber jchägen. 

Aus dieſer Ueberfiht erhellt nun, warum die deutichen Kaiſer, troß 
der unglüdliken Folgen, welche faft jeder Römerzug hatte, mit unüber- 
windliher Zähigfeit Italien fefthielten, das vom Befite der Kaiſerkrone 
abhing. Sodann wird Far, warum Agned auf den von ihrem Gemahle 
vorbereiteten Verſuch, Ungarn in alter Zinspflichtigkeit zu erhalten, nicht 
verzichtete. So wie man einmal eined der SKammerländer aufrihtig und 
ohne Hintergedanfen vom Zinsverband Löste, lich fih vorausfehen, daß 
aud die andern über furz oder lang das gleiche Zugeſtändniß begehren oder 
erziwingen würden. 

immerhin muß der unglüdlihe Ausgang des ungariichen Yeldzugs 
von 1061 der Reichöverweierin ſchwere Verlegenheiten bereitet haben: ihre 
Stellung war, abgejehen von andern Thatſachen, die ich ſpäter entwideln 
werde, unhaltbar, und die im folgenden Jahre durch Hanno angeordnete 
Entfernung des jungen Königs von der Mutter zur Nothwendigfeit gewor- 
den. Das Reid hatte feine Hülfe zum Krieg verweigert, aljo ſtillſchwei⸗ 
gend das Unternehmen gemißbilligt; und nun da die Nachricht vom jchmäh- 
lihen Mißlingen fam, welche Urtheile werden laut geworden jein! Das 
Schlimmfte mußte Agnes von zwei der größten Provinzen des Reichs, deren 
eine im Süden, die andere im Norden lag, von Baiern und Sadjen, bes 
fürchten. Das bairiſche Heer, das fie ohne Zweifel mit Aufbietung ihres 


*) De rebus gestis Friderici I. lib. U cap. 5 bei Muratori. script. ital. VI, ©. 787: 
ex his tamen, qui nullo jure, sed sola praesumtione ‘de regalibus se intromiserant, 
triginta millia talentorum plus minusve reditibus publicis per singulos annos ac- 
cosaoro. 


510 Pabſt Gregorius VIL und fen Zeitalter. 


herzoglichen Anſehens nad dem Oftlande getrieben, wear nicht mehr; viele 
Familien betrauerten den DVerluft von Angehörigen. Zu Tage liegt, daß 
Agnes in diefer Richtung ſchwere Beforgniffe hegte, denn fie legte das 
ESteuerruder Baierns, das fie bis dahin jelbft geführt, aus der Hand und 
übergab es einer ftarfen, männlichen Fauſt. 

Noch gefährlicher fanden die Dinge in Sachſen. Jener Aufruhr des 
Halbflaven Otto hatte den Beweis geliefert, *) daß der Heinfte Anlaß ges 
nüge, um die Glut, die unter der Oberfläche fortihlih, zur Flamme anzu⸗ 
blafen, und die Ruhe dauerte nur darum fort, weil zwei Parteien, eine 
faiferlihe und eine provinzielle, fi das Gleichgewicht hielten. Eben vieles 
Gleichgewicht war im Frühling 1062 zerftört, da jener Weimarer Wil 
helm, bisher Scildträger des Hofes, verlodt durd die Hand der ungarl 
ſchen Königstochter, zu den Feinden der Kaiferin überging. Er büßte hie, 
für perfönlih mit dem Tode, allein feine Beftrafung konnte höchftens die 
Rachgier der Kaiferin fühlen, nicht ihr Zufunft fiher fielen. Bor Allem 
mußte dafür gejorgt werden, daß die mächtige Samilie, der er angehörte, 
nicht die gleihe Bahn einſchlage, nicht für den fchnellen Ton des Marks 
grafen Abrechnung halte, noch mehr, daß fie die kaiſerliche Parthei zu 
unterftügen fortfahre. Zu Erreichung des erften Zweds verlieh Agnes die 
erledigte Marke Meißen an des Verftorbenen Bruder, Otto den Orlamün⸗ 
der, zu Erreihung des zweiten legte fie dem Reubelehnten eine Bedingung 
auf, die ihn mit der provinziellen PBarthei verfeindet hat. Er warb ver 
pflitet, die Thüringer zu Erlegung ded Zehnten anzuhalten, und baburd 
die Einführung einer allgemeinen Reichöfteuer vorzubereiten. Genauer kann 
ih mich hierüber erft unten, an pafendem Orte äußern. Hier mögen die 
Worte genügen, mit weldhen Lambert feinen Tod meldet. „Otto, ber 
Markgraf von Thüringen-Meißen,” jagt?) er zum Jahre 1067, farb 
und Schadenfreude und Verwünſchungen der Thüringer folgten ihm ind 
Grab.“ 

Gleichwohl glaubte die Kaiferin Wittwe, oder vielleicht beffer, glaubten 
die, deren Rath Agnes feit dem Herbfte 1061 hören mußte, durch Her 
beiziehung des Weimarer Otto die Fortvauer der Ruhe in Sachſen nod 
nicht hinfänglich gewahrt. Zu gleicher Zeit wurde ein Mann, der übe 
wiegendes Anfehen in jener Provinz befaß, ein Mann ferner, ver a 
Stärfe des Charakters und Geiftesfraft feine übrigen Landsleute übertraf, 
burd Verleihung des wichtigften und größten deutſchen Fahnenlehens ge 
wonnen. So lange man den Norpheimer Dtto in Stand fepte, dem Reid 
mit Ehren zu dienen, blieb nicht nur feine neue Heimath Baiern, fonden 
aud feine alte Eachfen, trotz aller Gährung, die im Innern Fochte, ruhig; 


) Siehe oben ©. 194 fg. :) Berk V, 173. 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 511 


x mit dem Augenblid, da der Leichtfinn des fungen Königs ihn forts 
B, brach unaufhaltiam der Sturm 108. Thatjächlih hat der Norpheimer 
to, um mit der Mythologie zu reden, den Schlauh des Aeolus in 
er Hand gehalten. 

Sicherlich ift Dito von Nordheim, ehe ihm Agnes die Fahne Baierns 
vertraute, durch bindende Zufagen verpflichtet worden, nicht nur das neue 
rogthum, das er übernahm, fondern auch feine ſächſiſche Heimath, wo 

durch ausgedehnten Güterbefig und Yamilienverbindungen Einfluß 
e, in der Treue zu erhalten. Unmittelbar nachdem Lambert von 
röfeld den unglüdlihen Ausgang des ungariſchen Feldzugs gefchilvert hat, 
st‘) er alfo fort: „Kaiſerin Agnes übertrug das Herzogthum Baiern, 
» fie bis dahin felbft verwaltete, an Otto, weil fie erfannte, daß er ein 
tiges und zu Staatögeihäften jehr brauchbares Haupt fei.” Lambert 
t hiemit Wiffenden zu verftehen, daß zwiſchen dem fchlimmen Ausgange 
ungariſchen Kriege und der Belehnung Dtto’8 mit Baiern ein urfädh- 
er Zufammenhang ftattfinde. Jedes Wort, das diefer unvergleichliche 
hriftfteller jagt, und ebenfo, was er verfchweigt, will mit der Goldwage 


vogen jeyn. 


Adhtzehntes Kapitel. 


adden und Folgen der Erblichwerdung aller großen Lehen: Gütererwerb der Dynafltens 
geſchlechter, greuliche Heurathen, Burgen, Wappen, Ritterfpiele (Tourniere). Ber: 
fuche der Regierung, den veränderten Umfländen gemäß neue Stügen flaatlicher Orb» 
nung zu ſchaffen. Geheime Mittel des Schredend. Finanzen der Krone. Dienſt⸗ 
handel Plane einer allgemeinen Reichsſteuer und der Errichtung eined Soldheeres. 


Die meiften großen Lehen: Graffchaften, Palatinate, Marken, Herzog- 
mer waren, wie wir fahen, noch ehe Heinrih IV. den Thron be- 
g, erblid; die wenigen, die es noch nicht waren, wurden es vollendg, 
d während fonft nur das Herfommen almählig Erblichkeit herbeigeführt 
He, verwilligte Kaiferin Agnes diefelbe ausprüdlih und von Rechtswegen 
mehreren höchſtwichtigen Fällen. 

Die politiſche Veränderung, die hiedurch eintrat, iſt von unüberſehbarer 
deutung. Wie? wann? warum? ließen unfere Kaiſer fich hinreißen, 
B verderblihe Zugeftänpniß zu gewähren. Früher wurde gezeigt, daß das 
limme Beiſpiel aus Lothringen fam und eine Frucht der Geſetze war, 
Ihe die neuftrifhen Vafallen, als Preis für die Furze Freude des Kaifer- 
md, ihrem Gebieter Earl dem Kahlen 877 auf dem Reichötage zu Chier⸗ 
abpreßten. Immerhin kämpften die Könige des fächfiihen Stammes lange 


ı) Berk V, 162. 


512 x Vabſt Gregsrins VIL uud fein. Seltalter. ‚ 
und bartnädig gegen das Uebel, indem fie nicht mır in Lothricigen Gefdhledhte, 


1 


die unter den älteren neuftriichen Herrichern erblichen Beſtz von Grafiieh 


ten erlangt hatten, wieder verbrängten, fondern noch mehr im eigenlliche 
Deutſchland den Gelüſten, die fi überall Fund gaben, das Loiheingiide 
Beiſpiel nachzuahmen, entichloffenen Widerſtand entgegenfepten. Dieſſei 


des Rheines iſt es ihnen bis gegen das Jahr 960 hin gelungen. PFF 
Nur ausnahmsweiſe, nur mit ausdrücllicher kaiſerlicher —XXAä— | 


durften einzelne Söhne ‚großer Bafallen in die Lehen ihrer Wäter einireien. 
Der Moͤnch, welcher Regino's Chronik fortiegte, hebt ed als etwas Beies 
deres hervor‘), daß König Dtto IL. jenem ſaliſchen Grafen Lite - erfaubk, 
im Jahre 949 die von ihm bejefienen Lehen und Aemter feinen Söhnen nah 
Butbünfen zu übergeben. Die Zähringer, deren Ahnen fchon unter den Gare 
lingern häufig Comitate verwalteten, verſchwinden, wie früher gezeigt wer 
den, mehrere Menfchenalter lang aus den 2iften ber Grafen, well we 
Könige Eonrad I, Heinrih L, Otto L fie zur Strafe für die Empörung, 
welche einer der Ahnen des Haufes, der ſchwäbiſche Kammerbote Bertheis, 
zu Anfang des 10. Jahrhunderts erregt hatte, von ben großen Lehen 
. ferne bielten. Um biefelbe Zeit befleiveten die Welfen gar Teine Aemier, 
und nicht von einem einzigen Haufe in Deutfchland kann dargethan werben, 
daß es Comitate oder Herzogthümer in umunterbrochener Reihe bis ind 
9. Jahrhundert zurüd befaß. 

Anders wurde es, nachdem Dtto I. in den 60 Jahren des 10. Jahr 
hundert dad Kaiſerthum Carls des Großen wiederhergeftellt hatte: da⸗ 
mals begann die dynaftiihe Gewalt der Billungen in Sachen und fo vieler 
anderer gräflichen Bamilien, deren erblihe Macht, wie wir fahen, bereite 
um die Anfänge der Regierung Heinrichs II. tiefe Wurzeln getrieben hatte. 
Warum nun diefe Erſcheinung? wider die öffentliche Meinung der Nation 
hatte Dtto I. die Rolle Carls des Großen erneuert. Weil dem fo war, 
mußte er, um der allgemeinen Abneigung die Spige bieten zu Fönnen, bie 
größeren und mächtigen Gefchlechter durch Zugeftänpniffe auf feine Seite 
ziehen. Nachdem aber dieſe Nothwendigkeit eine Zeitlang gedauert, wurde 
es ihm und feinen Nacfolgern geradezu unmöglich, die bereitd entftandene 
Ariftofratie wieder zu dämpfen, oder was hiemit gleichbedeutend, die be 
gonnene Erblichfeit der größeren Lehen zu hintertreiben. 

Schon zu der Zeit, da Heinrih I. und Otto I. feft an dem Grund⸗ 
jape hielten, daß die Krone frei über erledigte Lehen zu verfügen habt, 
war es keineswegs ein leichtes Geſchäft, nach dem Tode eines Grafen 
das Amt, mit Ausschluß der vom Berftorbenen hinterlafjenen Söhne, einem 
Andern zu übertragen. In dem früher erwähnten neuftrifchen Landtage⸗ 


‘) Ada. o. Perb L 620. 


Erſtes Buch. Cap. 18. Wolgen ber Grölichkeit aller Lchen. 513 


abſchiede von Chierſey, der die Lehen der Väter den Eöhnen zuſprach, 
heißt‘) es (Abichnitt 9): „hat ein verftorbener Graf einen unmündigen 
Sohn hinterlaffen, fo fol unfer Thronerbe (— Carl der Kahle rüftete 
fih, als er den Landtag hielt, zu einem neuen Zuge nad) Italien und hatte 
für die Zeit feiner Abwefenheit den Thronerben zum Stellvertreter beftellt) 
fammt den Vaſallen und dem betreffenden Bifchofe die Grafichaft jo lange 
unter Obhut nehmen, bis wir Weiteres befehlen. Hinterläßt der Verſtor⸗ 
bene feinen Sohn, jo fol das Gleiche gefchehen, bis unfere Willensmei- 
nung befannt wird. Niemand aber zürne und, wenn wir eine jolde 
Grafſchaft, deren verftorbener Befiger Feine Söhne befaß, nad freiem Er- 
meſſen einem Andern übergeben als dem, weldem der Thronerbe, obiger 
Vorſchrift gemäß, die einftweilige Verwaltung anvertraute.” 

Carl der Kahle machte auf dem Reichdtage von Ehierjey folgende 
Zugeſtändniſſe: ftirbt ein Graf und hinterläßt einen mündigen Sohn, jo 
tritt Lepterer ohne Weiteres in das Lehen ein; hinterläßt der Verftorbene 
einen unmündigen Erben, jo wird eine vormundfcaftlide Verwaltung der 
Grafſchaft eingefegt, und zwar in der Art, daß ver Erbe, ſobald er zu 
reifen Jahren gefommen ift, dad Lehen des Vaters befümmt. Dagegen 
behält fih ver genannte Kaifer das Recht vor, Grafſchaften Solder, die 
ohne Erben ftarben, einige Zeit nad) Gutdünken durd Dritte verwalten zu 
lafjen und dann mit der Zeit belichig an Andere, und zwar auch an folde, 
die nicht mit der einftweiligen Verwaltung beaufgetragt gewejen waren, 
folglich mit Ausjchluß legterer, zu vergeben. Karl der Kahle wollte, ſage 
ih, letzteres Vorrecht der Krone gewahrt wiljen; aber im nämlichen Augen⸗ 
blide geiteht er offen ein, daß es nicht ohne Schwierigkeit fei, diefe Befug- 
niß auszuüben, nämlid darum, weil Diejenigen, welde, wenn aud) nur 
einftweilen und auf wenige Jahre, mit der Verwaltung beauftragt gewejen, 
gleih ein Recht auf die dauernde Belehnung zu haben glaubten. 

Nun um wie viel ſchwerer mußte es fallen, Söhne von Grafen, nad) 
dem Tode der Väter, am Eintritt in die Lehen zu hindern! Letztere 
Schwierigkeit beftand in Deutſchland fo gut als drüben bei den Neuftriern, 
denn fie ift gegründet in der menfchlihen Natur. Eben diefe Echwierigfeit 
bat unjern SKönigen felbft zu der Zeit, da fie die freie Verfügung über 
die Lehen ungefchmälert behaupteten, genug zu fchaffen gemadt. Ih will 
zwei Beiſpiele geben. Dietmar von Merfeburg erzählt): „weil König Eons 
sad I. von Deutichland, nad dem Tode ded Herzogs Otto von Sachſen, 
dem Sohne defjelden, Heinrich — der nachher den deutichen Thron beftei- 
gen jollte — nicht alle Lehen des Vaters übertrug, faßte Heinrich tiefen 
Groll gegen Conrad.“ Denfelben Haß, den hier Heinrih gegen Conrad 


1) Berg leg. I, 539. ?) Chronic. I, 4. Pertʒ III, 736, 
Gfrörer, Pabſt Sregorius vo. Bd. 1. 33 


514 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


begt, fühlten nachher andere Deutfche wider Dtto L, als er — König gewor⸗ 
den — den Söhnen verftorbener Grafen gleihfalld den Eintritt in das Lehen 
vorenthielt. Weiter berichtet‘) der Merjeburger Chronift: „Ihangmar over 
Tammo, Eohn ded Königs Heinrih I. aus einer früheren Ehe, hat fih 
gegen feinen Stiefbrubder Otto I. empört, weil diefer ihm ein gewiſſes Lchen, 
auf das fih Tammo Rechnung gemacht, entzog und einem Andern übergab.“ 
Mocten die Könige, fowie dort Karl der Kahle, noch fo beredt und Ichön 
fagen ne irascamini: diejenigen, welche bei Austheilung der Lehen über 
gangen wurden, geriethben in Wuth. Allein unbefümmert um ven Zom 
der Zurüdgefeßten, übten unjere Könige geraume Zeit das wichtigfte Recht 
der Krone, die freie Verfügung über erledigte Lehen aus. 

Mit dem Augenblide jedoch, da Dtto I. des Beiftands der Großen gegen 
die öffentliche Meinung bedurfte, änderte fi) die Lage der Dinge. Ebenſo 
wie jene Neuftrier gethan — denn die Zugeftändniffe von Chierjey waren 
der Preis ihrer Einwilligung in die Römerzüge Carls des Kahlen — mad: 
ten die deutſchen Großen ihre Hülfe von der Forderung abhängig, daß 
Dtto I. Nachfolge der Söhne in ven Lehen der Väter geflatte. Viele er: 
reihten allmälig diejen ihren Zweck, wiewohl in mindern Umfange, ald 
jene franzöftihen Vorgänger, und ohne daß ein förmliches Beleg — wie 
zu Chierſey — erlaffen ward, das den Sieg der Vaſallen verewigte. Seit 
dem Jahr 962, in welchem die Katferfrönung Otto's L erfolgt ift, werben 
bei uns häufige Bälle von Lehenerblichkeit bemerkbar. 

Sowie aber einmal dieſe oder jene Familie den Befitz eines Lehent 
zwei Menſchenalter hindurch behauptet hatte, vermochten die Kaiſer auch 
beim beſten Willen und bei unzweifelhafter Macht — Niemand wird z3.8. 
läugnen, daß Kaifer Heinrih III. über große Mittel verfügte — nicht 
mehr, ohne Bürgerfrieg und offene Gewalt, die Söhne folder Väter aus 
der Nachfolge zu verdrängen. 

Diefe Unmöglichkeit ift jebt zu beweifen. Schon während der Caro—⸗ 
Iingifchen Zeiten fommen Häufer in deutfchen Landen vor, weldye ausgedehnte 
Allove befigen. Ein Haus der Art war das welfiihe, das, ſtolz auf 
feine uralte Unabhängigkeit, den Hofdienft der Könige und Lehengenuf 
längere Zeit verſchmähte. Berner brachen in faft regelmäßigen Zwiſchen⸗ 
räumen politiihe Stürme aus, welche Anlaß gaben, daß Häufer mit fafl 
ebenfo großem Beſitz ald die Welfen entftanden. Dynaftien dauerten im 
Mittelalter jelten über 200 Jahre, die meiften kürzer. So oft nun ein 
Dynaftie ftürzte, hatte der Fall eine allgemeine Jagd auf das Eigenthum 
ber Krone, namentlich aber der Kirchen und Klöfter zur Folge, welche letztere 
von Glück fagen konnten, wenn fie nicht Alles verloren. Immer waren 


) Ibid. U, 1. ©. 744, 


Erfied Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 515 


ed dann große Bafallen, die fih in den Raub theilten. So find. in 
Baiern auf Koften von Klöftern jene fünf oder ſechs Familien der Tegern⸗ 
ſeer Lifte, die wir unter Heinrich III. uud IV. im Befige erblicher Grafs 
haften fanden, zu Folofjalem Landbeſitz gelangt. Auch die Iotharingifchen 
Erbherren begannen in der Regel als Latenäbte. 

Hatte nun ein Haus, das entweder wie die Welfen von Aelternätern 
her großes Gut bejaß, oder durch geſchickte Benützung politischer Wirren 
geiſtliches Eigenthum an fi riß, oder drittens, hatte jedes andere Haus, 
das mit Nichts, ald mit der Gnade des Hofes anfing, zwei Menjchenalter 
hindurch Lehen behauptet, jo blieb es nothwendig im Beflg und wurde 
ein ſtehendes Mitglied erblicher Ariftofratie. 

Das Comitat verlieh feiner Natur nach dem, der es verwaltete, bedeutende 
Einfünfte.e Der Graf bezog nicht nur aus den Lehengütern, bie feine Bes 
foldung bildeten, namhafte Nubung, noch mehr warf das Gerichtéweſen, 
dem er vorftand, und zwar an baarem Gelde ab. Oben find Beiſpiele 
angeführt worden und die Urkundenfammlungen bieten andere zahlreiche dar, 
aus welchen erhellt, daß die Kleineren ‘PBolizeiftrafen ganz, von den größeren 
ein Drittheil in die Taſche der Grafen fielen. Das Eomitat lieferte alfo 
dem Befiger baare Mittel, noch mehr, es verjchaffte ebendemjelben prächtige 
Gelegenheit, das Erworbene nutzbar anzulegen. Die Eleinen Freien, ſo⸗ 
viel ihrer alte Freiheit zu bewahren gewußt, waren in der Hand des 
Grafen, ſie mußten vor ſeinem Zorn zittern, ſie mußten ſeine geneigte Ge⸗ 
ſinnung zu erringen ſuchen. Nun führte er als erſte Gerichtsperſon des 
Gaues die Oberaufſicht über Auspfändungen und gewaltſame Beſitzent⸗ 
Außerungen wegen Schulden aller Art. Wer wird es gewagt haben, ihm 
als Steigerer von Gütern, die zum Verkauf ausgefebt waren, Widerpart 
zu halten! Ich verweile auf das oben‘) angeführte Beiſpiel des Schwein- 
furter Dito. Der Mönd jagt: „bei allen feinen fonftigen Tugenden litt 
Herr Dtto an einer unbezähmbaren Begierde,” jeved Gütchen, mochte es 
auch nocd jo Klein fein, das an feine ausgedehnten Befigungen ftieß, in der 
Weile Ahabs oder vielmehr der Königin Jezabel an fi zu bringen.“ 
So wie Dtto haben es viele Andere gemadt, denn viele Andere find wie 
er zu ausgedehnten Befite gelangt, was mit rechten Dingen nicht zuge⸗ 
gangen ift. 

Immerhin war das eben erwähnte Mittel gräflichen Erwerb — Ankaͤufe 
aus dem regelmäßigen Einfommen der Comitate — ein geſetzlich erlaubtes. 
Seit der Zeit, da erblihe Häufer emporwuchſen, wirb eine Art von Ehen 
immer häufiger, die von folder Natur find, daß jede fittliche oder phuftiche 
Rückſicht vor der einzigen des Gütererwerbs verftummte Man lefe die zahl 


1) ©. 396. 
33° 


516 Pabſt Sregorind VOL. und fein Zeitalter. 


reihen Beiſpiele, welche der ſächſiſche Mönd in feiner Chronik mittkeilt: 
dreifahe Wittwer heirathen dreifahe Wittwen, und der Bruder würde zus 
legt, wie bei ven ägyptiſchen Ptolemäern, die Echwefter, der Vetter die Bafe 
zum Weibe genommen haben, wenn die Kirche ed geftattet hätte. 

Die Folgen, weldhe folhe Ehen für das nachwachſende Geſchlecht 
haben, blieben nicht aus. Man täufcht fich fehr, wenn man glaubt, die 
deutichen Adeligen des 10. und 11. Jahrhunderts feien Männer von ſechs 
Schuh Länge und Ffräftigem Körperbau geweſen. Es fehlte unter ihnen 
niht an Heftifern, die von Mutterleib an fiehten. Ein Mönd von 
Verdun erzählt‘): „Adalbero, der Eohn des Grafen Godfried, ward um 
984 zum Bilhof von Verdun erwählt. Derſelbe war rechtichaffen umd 
demüthig, litt aber an folder Schwäche des Körpers, daß er im nämlicen 
Jahre, da er bejagten Etuhl beftieg, der Wieverherftellung feiner Geſund⸗ 
heit wegen eine Reife nad) Salerno anzutreten befhloß. inige von und 
begleiteten ihn. Allein, nachdem er eine Zeitlang dort geweilt hatte und 
fand, daß die Aerzte von Salerno ihm auch nicht helfen Eönnten, fehrte 
er um und ftarb auf der NRüdreife* (um 990). Kür das Uebel, an dem 
vermuthlih Adalbero litt, gab und gibt?) es Fein Kräutlein. Dean erficht 
im Uebrigen aus dem Berichte des Mönche, daß die Arzneifchule von Ealerno 
ſchon im zehnten Jahrhundert großen Ruhm im’ Abendlande erlangt hatte. 

Wäre die Kirche nicht geweſen, jo würden Ehen zwiſchen den nächſten 
Verwandten nod viel häufiger und überdieß Ehefcheidungen in Unzahl ſtatt⸗ 
gefunden haben, nur damit durch die einen das Familiengut hübſch bei ein, 
ander bleibe, durch die anderen größerer Erwerb erzielt werde. Wie rif 
man fih um die Erbtödhter des Burgunderfönigd, und wie viele Ehen 
mußten diejelben eingehen! Bezüglich der Scheidungen gab ver erfte König 
aus ſächſiſchem Stamme, Heinrich I., ein bedenkliches Beiſpiel. Thietmar 
von Merjeburg erzählt:) „Hatheburgis, die erfte Gemahlin Heinrid’e, 
hatte ihm einen Eohn, Tammo, geboren. Nachdem Solches geſchehen, 
wandte fi) dad Herz des Könige von Hatheburgis ab und entbrannte in 
Liebe zur Schönheit und zum großen Vermögen einer gewillen 
Sungfrau, Namend Mathilde, der Eproffin aus Widufinds erlauchtem 
Stamme. Und bald erwog Heintih, daß er eine große Sünde begangen 
habe, fo lange mit der Hatheburg, feiner nahen Verwandten zufammenu: 
leben; er fchiefte fie deßhalb fort, freite um Mathilde und heirathete fie.“ 
Leife und mißbilligend det der Merjeburger Bilchof die wahre Triebfeber 
der zweiten Ehe auf. 


1) Gesta episcop. Virdunens. cap. 6. Perg IV, 47. 2) Contra vim mortis non 
est medicamen in hortis, fagen die Salernitaner felbft. 3) Chronic. I, 6. Berg II, 
773: ob pulchritudinem et rem cujusdam virginis nomine Mathildis secreto flagrarit. 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen ver Erblichkeit aller Lehen. 17 


Der Mönch von Muri theilt‘) die Mittel, welchen die Grafen erblihe 
dacht verdanften, ein in zwei Klaſſen: in gerechte und ungerechte. Zu 
elher Elaffe die eben erwähnten Ehebünde zu rechnen find, will ich nicht 
ticheiden, aber man begreift, daß fie dazu dienten, großes Gut in eins 
Inen Bamilien anzuhäufen. Ohne Frage zu den ungerechten gehörte 
n dritted Hauptmittel gräfliden Wahsthums, weldhes den niederen 
laſſen Knechtſchaft und häusliches Verderben gebraht hat. Auf dem 
eihstage von 811, drei Jahre vor feinem Tode, richtete?) Kaiſer Carol 
rt Große folgende Anfragen an die verfammelten geiftlihen und weltlichen 
ehenträger der Krone: „ich muß hören, daß Bilchöfe, Aebte, Grafen, Rich⸗ 
t, Gentenare Fleine Freie, die fih weigern ihr Eigentum (durch Prekarei) 
n jene abautreten, jo lange plagen und drüden, bis die Armen, gut oder 
bel wollend, fi ihres Eigenthums begeben; ich höre, daß namentlich der 
riegsdienft zu ſolchen Zweden mißbrauht wird und daß Sole, die ihr 
igenthum abgetreten haben, ruhig zu Haufe bleiben dürfen, während bie 
indern immer und immer wieder ausrüden müſſen. Verhält fih die Sache 
ı Wahrheit jo oder niht? Man berichtet mir, daß Biſchöfe, Aebte und 
drafen freie Leute, die in ihren Bezirfen angefeffen find, unter dem Nas 
ıen von Minifterialen zu ihrem Hausdienſte verwenden, und dieſelben als 
jalfner, Jäger, Zöllner, Gutöverwalter, Echulgen, oder zu Beherbergung 
er kaiſerlichen Sendboten gebrauden. Verhält ſich die Sache fo oder 
icht?“ | 

Leider verhielt fie fih fo. In fürdterlich rafcher Ebbe nahm die Zahl 
er Fleinen Freien ab, obgleih Ludwig der Bromme, um dem llebel Schran⸗ 
en zu ſetzen, wiederholt gebot,) daß die Faiferlihen Sendboten Liften der 
brig gebliebenen zum Kriegsdienſt verpflichteten Freibauern einſenden folls 
m. Was fonnte Das Schreiben nügen? Kraft des natürlichen, unaufhalts 
amen Gangs der Dinge, fpeiste das Comitat und das Stift die Heinen 
freien auf, indem es fie in Hinterfaßen, Prefariften, Schußbefohlene oder 
ar in Hörige verwandelte. Nacd der Mitte des 9. Jahrhunderts ift das 
inſt aus fränfifchen Freibauern zufammengefegte Fußvolk verfchwunden, 
ieſes Fußvolk, das von der Eider bis zur Meerenge von Meifina, von 
er Weichfel biß zum Ebro, Europa dem Willen des großen Carol dienſt⸗ 
ar gemacht hat, und an feiner Statt findet man bie Reiterei der Bajallen, 
te nicht einmal mit jenen Haufen norbmännifcher Räuber fertig zu werben 
ermochte. 

Der Kriegsdienſt, der Blutzehnte, welchen der Graf jährli für bie 


1) Acta murensia bei Gffard,, origines habsburgicae ©. 203: in suam potestatem 
am jurte quam injuste contrazit. 2) Capitulare de expeditione exercitali anni 811, 
ap. 3 u. 4. Pertz leg. I, 168. ) 3. 8. ibid. 1, 354, Nr. 5 unten. 


\ 


518 Pabſt Gregorius VEL und fein Seitalter. 


Feldzüge in weite Kernen eintrieb, war unter den fächflichen und falifchen Kai 
fern bis auf Heinrich IV. weggefallen, erft in den ſpätern Jahren des lehtges 
nannten Herricherd kommt wieder bäuerliches Fußvolf zum Vorfchein. Aber 
gleihmwohl wirkte die das Kleine freie Eigenthum verjchlingende Kraft, welde 
Garl der Große nicht zu bewältigen vermodht hatte, an Einem fort, um 
ging fie nicht mehr gleihmäßig vom Stift und vom @omitat, fondern vors 
zugsweiſe vom Comitat und vom Herzogthum aus. Sch erinnere an bie 
goldene Stelle!) ded Möndy8 von Muri: lauter Freibauren waren es, die 
im Dorfe Mürlen an der Aare faßen, nachdem aber der Graf Lanzelin 
einen einzigen derjelben zu feinem Schugbefohlenen gemacht hatte, geichah 
‚In Kurgem was der Mönch weiter meldet, nämlih: daß die Knechte und 
Mägde des Grafen, mit ihrem Vieh und ihrem Adergeräth, in die ausge 
leerten Höfe der ehemaligen Freibauern einzogen. Run die Erſcheinung 
von Mürlen ift, wie ich fchon früher bemerkte, feine vereinzelte geweſen, 
fie wiederholte fi) auf taufend andern Punkten, oder vielmehr fie hatte 
fi in den meiften deutichen Provinzen bis zur Hefe herab wiederholt, fo 
daß es verhältnigmäßig nur noch wenige freie Bauern gab. 

Eine Ausnahme machten das diethmarſiſche und frieſiſche Küftengebiet, 
weiter Weftphalen, wo ver Cölner Stuhl und der vorherrſchende kloͤſterliche 
Befig den gemeinen Mann im Genufje mäßigen Wohlftands und menſchlicher 
Rechte bewahrte, insbejondere aber dad alamannifche Hügel: und Alpenland. 
Es ift etwas im ſchwäbiſchen Blut, was fid) gegen Ungerechtigkeit empört, 
ein Etwas, mit dem fonft gewiſſe nicht beifle Gewalthaber älterer und 
neuerer Zeiten nicht fertig zu werden vermochten. Anders dagegen ſah es in 
Baiern aus. Jenes Zuſatzedikt zur Bawarika, von weldyem oben die Rede 
war, erwähnt feine Eleine Freie, welche einem flüchtigen Sklaven Unterſchleif 
geben fonnten, es fpridht nur von Grafen, Gutsherrn, Amtleuten, Schulen, 
Gerichtsbeifitzern. 

Sehen wir jetzt, welche Wirkungen die oben beſchriebenen Arten graäf⸗ 
lichen Erwerbs hervorbrachten, ſobald das Spiel längere Zeit und unge 
hindert durch Wechſel des Befiges fortpauerte. 

So weit unſere Geſchichte zurüdreicht, übten freie Deutiche die pein 
liche und bürgerliche Gerichtsbarkeit über ihre Hörigen. Schon in den Ur 
wäldern war dieß, laut dem Zeugniffe des großen römifchen Hiforifere, 
ber Fall.) Später, nachdem Franken und andere germaniſche Stämme 


‘) Siehe oben S. 324 flg. *) De situ, moribus et populis Germaniae: cap. 25. 
servis non in nostrum morem descriptis per familiam ministeriis utuntur; suam quisque 
sedem, suos penates regit. Frumenti modum Dominus aut pecoris aut vestis, et colono, 
injungit et servus hactenus paret. Verberare serrum ac vinculis et opere coärcers, 
zarum; occidere solent, non disciplina et severitate, sed impetu et ira, ut inimicum, 


Erſtes Buch. Gap. 18. Polgen der Erblichkeit aller Lehen. 519 


nze Provinzen erobert hatten, wurde das alte Herfommen Gegenftand 
onderer Geſetze, welche die Landherrn nicht blos beredtigten, fondern 
yar verpflichteten, eigene Gutögerihte auf ihren Ländereien einzufegen. 
le jene verfchiedenen Stufen der Abhängigfeit, welche das allmählige 
Hwinden der Heinen Freien und die Ausbildung des Lehensverbandes 
uf, gehörten zum Bereiche der Privatgerichte. Nicht nur der eigentliche 
Have, jondern auch der Lite, der Schußbefohlene, der Zinspflichtige, der 
ehrvajall, ftand unter vem Banne ded Herrn. Die Folge davon war, 
6 das platte Land überall gutSherrlicher Gerichtsbarkeit anheimfiel, welche 
‚ Die Stelle der ehemaligen Gau- und Centgerichte trat. 

Ich will ein Beifpiel anführen. Durd Urkunde‘) vom Jahre 999 
enfte Kaifer Otto's III. Vaſalle Hemedif, ein Mann freien Standes, an 
s Klofter Altvorf fein Allod Thutelenheim, gelegen im elſäßiſchen Nord⸗ 
u, „mit Allem was dazu gehört, Herrnhof, Aeder, Wiefen, Mühlen, 
echte, die Gutsherrſchaft über das ganze befagte Dorf, den Ges 
htsbann fammt dem Ortsgefängniß u. f. w. in der Art, daß 
ıfort der Abt des beſchenkten Klofterd, Benno, befugt fein folle, ohne allen 
ziderſpruch den Scultheißen über den Drt einzufeßen und einen Vogt 
tentmeifter) zu ernennen.” Weil mande Herrn nicht blos ein Dorf in 
(her Weiſe, fondern mehrere ja viele neben einander befaßen, fo wurben 
is denſelben Gutöverbände gebildet, die ihre bejonveren Namen erhielten. 
ie gewöhnliche Tateinifche Benennung war potestas, in dem Sinne bes 
utigen Wort Amt, Bezirksamt. In dem Güterbuche des Klofters Prüm 
is dem Anfange des 9. Jahrhunderts heißt?) es: homines ex nostra 
milia, qui infra potestatem nostram sine mansis sunt, sol- 
ınt unusquisque annuatim friskingam verveecinam. Der Sat befagt, 
ejenigen Prümer Unterthanen, die, ohne Höfe angewiefen erhalten zu ha 
n, Innerhalb der Klofterherrihaft wohnen, entrichten u. |. w. 

Kraft der früher angeführten Urkunde) aus dem Jahre 1069 verfügte 
7 Touler Biſchof Uto: „wenn in den fieben alten Aemtern, welde zu 
r Küde des Biſchofs zinſen, Raufhändel ausbreden, jo erhält von 


si quod impune. Weber die Gutsgerichte zu den Zeiten der Garolinger werde Ich in 
einer Geſchichte der deutfchen Volksrechte ausführlich handeln; Hier kann ich nur allges 
eine Umriſſe geben. 

1) Würdtwein, nova subsid. diplom. VI, Nr. 70: Hemediech, homo liberae conditio- 
s, tradidit allodium suum Thutelenheim, — curtem scilicet cum pratis, agris, molen- 
nis, fas, jus et potestatem super totam villam cum bannali cippo, bannum quo- 
io ejusdem villae, cum omni jure ex integro et justicia etc. *) Hontheim, 
stor. trevir. diplom. I, 880 a. oben. ?) Calmet, II, hist. de Lorr. preures ©. 339: 
duellum fuerit factum in septem antiquis potestatibus, quae pertinent ad coguinam 
iscopi etc. 


520 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


den Strafgeldern der Zouler Graf ein Drittheil.” Der gewöhnliche deutſche 
Ausdruck war Ambacht (woher unfer heutiged Amt). Die Urkunde‘) vom 
26. Juli 1083, kraft welcher Graf Theoderih V. von Holland den Güter 
befig der Abtei Egmond beftätigte, enthält den Satz: judiciaria potestas, 
quae ambach vocatur teutonice. Ebenſo ift im Lorſcher Güterbuch von 
verfchiedenen Ambacten oder Klofterämtern die Rede, welche die Abtei ber 
jaß. Nah dem Namen des erjten Amtmannd hieß der eine Bezirk Suitgers 
Ambet, der andere Heligribe Ambahte. ?) 

Als Mittelpunkt eines folben Verbands erjcheint ver Amtshof, auf 
lateinifh Curia genannt. Die Chronif von Harfefeld meldet,”) nad dem 
Tode ded Nordheimer Dtto jei fein Nachlaß jo getheilt worden, daß jeder 
der drei Erben jeinen eigenen Amtshof erhielt: der Eine die Curia Aler⸗ 
flede, der Andere die Curia Königshofen im Dorf Harjefeld, der Dritte 
die Curia Hethfelde. Im Jahre 1147 ſchloß Abt Folknand von Lord 
mit König Conrad IM. einen Tauſchvertrag,) kraft deſſen er an bejagten 
König die drei Amtshöfe — tres abbatiae curias — Oppenheim, Bib- 
lingen, Giengen abtrat. Ich behalte mir vor, an einem andern Orte nad 
zuweiſen, erftlih daß Deutichland in den Tagen Heinrich's IV. voll von 
ſolchen Amtöhöfen war, zweitend daß dieſelben gewöhnlid an den Meift 
bietenden verpachtet wurden, drittens daß dieſe Pachtungen böfe Folgen 
nach ſich zogen. 

Wenn nun irgend ein gräflihes Haus zwei Menjchenalter lang ein 
und daſſelbe Comitat behauptete, jo fonnte e8 kaum fehlen, daß befagtee 
Haus durd die oben geſchilderten Mittel in Gutem oder mit Gewalt bie 
Grundherrſchaft ſammt gutsherrliher Gerichtsbarkeit über die noch übrigen 
Freien im ganzen Gau, oder doch über einen großen Theil derjelben ers 
warb.) Und was war dann der Graf? nicht mehr im alten Sinne de 
Worts ein Fönigliber Beamter, jondern ein Grundherr, ein Gaufönig. 
Ohne daß der Name wechelte, hatten die Eadyen, die Verhältniſſe, einen 
gründlihen Wechfel erlitten. Vermochte aber der Kaijer, nad dem Tote 
eines ſolchen Erbgrafen, das Comitat mit Ausſchluß des erbberechtigten 
Sohnes einem Andern zu übergeben? Nein, er vermochte ed nicht, weil 
er ſonſt das Privatrecht hätte antaften müſſen; er vermochte es nicht, weil 
fonft zur tiefften Schmadh der Regierung vor aller Welt das Geheimnif 
offenbar geworben jein würde, daß es Feine Gaue im alten Sinne mehr 
gab, daß Gaufönige die Stelle der Dienftgrafen eingenommen hatten. 


1) Kluit, histor. Holland. UI, 126. ?) Cod. lauresheim. III, 232 u. 284. 
8) Wedekind, Noten I, 254. ) Cod. lauresh. I, 244 unten. 5) Man vgl. Bird 
rer, 8. ©. Band IV, 152 flg., wo nachgewiefen ift, wie gewifle Grafen in Neuſachſen 
dadurch, daß fie einzelne Städte oder Orte ihres Bezirks zu Cigenthum erwarben, bie 
Erblichkeit des Gomitatd erzwungen haben. 





Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 521 


- Zugleich Fällt jetzt Licht auf den verborgenen Grund, warum die Kaiſer 
ih noch mit Glück der Erblichfeit des Herzogthums zu erwehren vermed)- 
en, während die Grafſchaft längft erblid geworden war. Den Herzogen 
jelang es nicht in gleicher Weile, fi) zu Grundherrn in der Provinz aufs 
uwerfen, wie den Grafen in den Comitaten. Hätten fie es verfucht, fo 
vürden fie — ficherlih zu ihrem Verderben — unheilbar mit den Grafen 
erfallen jein, von denen feiner gutwillig einen großen Mitbefißer in feinem 
Yau neben fi duldete. Weil Jenen Pfahlwurzeln fehlten, konnte der Kai- 
er noch längere Zeit verſtorbene Herzoge durch Nachfolger anderen Gefchlechtd 
siegen, aber die Erblichfeit des Comitats mußte er ſchweigend hinnehmen. 

Häufig Iprehen neuere deutſche Hiftorifer geheimnißvoll von einem 
ogenannten Verfall der alten Gauverfafjung, welder im Laufe des 11. 
der 12. Jahrhunderts eingetreten ſei. Was Verfall! Durch die Erblichfeit 
er Comitate oder vielmehr durd ihre Urſache, die gutsherrlihe Gewalt, 
velhe die Grafen an fih rißen, hatten die alten Gaue fammt den ehe- 
naligen Gaugerichten aufgehört. War es einem der neuen Gaufönige ge= 
ungen den ganzen Bezirk, in welchem ehemals feine Vorgänger als konigliche 
Beamte jaßen, in jeine gutöherrlihe Gewalt zu bringen, fo bejaß er den 
Bau als Eigenthum: der Gau bieß zwar noch Eomitat, ‚aber mit ganz 
ındern Berhältniffen ald früher. Hatte der Graf dagegen mur ein Stüd 
ın ſich zu -ziehen vermocht, fo wurde das Stüd fein Comitat, und „ber 
ibrige Theil fiel dem oder jenem Nachbar zu, dem ed geglüdt war, die 
Rolle des Gaukönigs durchzuführen. 

Ein Beifpiel möge Baiern liefern. Unter dem 11. Juni 1065 ver: 
yabte ) König Heinrih IV. an den Stuhl von Briren die Abtei Polling 
bei Weilheim unweit des Würmſee's) „gelegen im Gau Haufen und 
m Gomitate des Grafen Sigemar.” Zwei Monate fpäter fchenfte?) ders 
elbe König dem Hochſtifte Freiſing die Abtei Benedikt» Beuren (am Kochel⸗ 
ee), „gelegen im Sundgau und im Comitat des Grafen Sigemar.” Der 
jairiiche Sundgau wie der Haufengau waren alte und zwar große Gaue, 
venen ehemals eigene Grafen vorftanden. Jetzt lagen die Sachen andere. 
Ein und verjelbe Herr, Sigemar, hatte von einem, wie dem andern ein 
Stüd, nämlich ohne Zweifel dasjenige, in welchem er überwiegender Grund- 
yerr geworben, inne, fo jedoch, daß er über das in bemfelben gelegene 
Rlofter die althertömmlichen Grafenrechte übte, während feine fonftige 
Stellung gegen früher ſich wefentlich geändert hatte. 

Ich füge Belege”) aus Alamannien und Franken bei: Urkunde aus 
ver Zeit um 976: die Dörfer Botwar, welches im alten Murrgau, Stod- 


1) Monum. boica X, 38. 3) Monum. boic. VII, 91. 2) Befammelt bei Stäs 
in württ. Geſch. I, 5933 Note. 


522 Pabſt Gregorius VIEL und fein Seitalter. 


heim, welches im Zabergau, Heinesheim, welches im Gardachgau Liegt, ge 
hören zum Comitate des Grafen Burdard; Urfunde von 985: Drte in da 
Gauen Kraichgau, Elſenzgau find zum Comitate des Herzogs Dito gereh- 
netz Urfunde von 1024: über die Gaue Kraichgau und Pfunzgau erftredi 
fih das Eomitat des Grafen Wolfram. Urkunde von 1043: die Gau 
Thurgau und Jartgau, (welche über 50 Wegftunden auseinander liegen), 
find mit dem Gomitat Hezelo's zufammengeftellt. 

Schon im Jahre 1009 war die Erblicfeit der Eomitate Regel; bean 
Thietmar von Merjeburg berictet,‘) „dem berfömmlichen Rechte 
gemäß“ habe König Heinrich IL um Weihnachten 1009 an Theoderid, 
Dedi's Cohn, die Grafſchaft jeines verftorbenen Vaters verliehen. Us 
Zeitpunkt, da die Kaifer für immer den Miverftund gegen Die Erblihtät 
des Comitats aufgaben, darf man das Gefeh?) vom Jahre 1024 beiradw 
ten, fraft deſſen Conrad IT. verbot, Soldatenlehen je wieder den Söhnen 
verftorbener Dienftmannen zu entziehen. Gleichwie die Grafen urfprünglid 
Vaſallen der Kaifer waren, jo hatten erftere wieder Soldaten unter fih, 
die als Lohn ihrer Leitungen Lchengüter genoffen. Durch obiges Erik 
verpflichtete Conrad die Grafen, den Söhnen ihrer Soldaten ftets das väter 
liche Lehen zu belaſſen. Die Abficht des Geſetzes ging ohne Frage dahin, 
den Verband zwiſchen dem Grafen und feinen Vafallen zu lockern, deptere 
ungbhängiger von Erfterem zu machen. Es war ald ob Conrad U. den 
Grafen gejagt hätte: wie Ihr mir und dem Reiche gethan, fo geſchehe « 
Euch; Habt Ihr mid) aus der freien Verfügung über die großen Lehen des 
Reichs verdrängt, fo ſollt aud Ihr Eure Dienftleute nicht mehr nach Gut⸗ 
dünfen wechſeln dürfen. Nach Erlafjung eines ſolchen Geſetzes mußten bie 
Hertſcher auf fernere Verſuche wider die Erblichkeit der Comitate verzichten 

Das Verſchmelzen der alten Gaugerichte mit der herrſchaftlichen Ge 
richtöbarfeit, welde der Erbgraf ald Grundherr übte, oder deutlicher ge 
ſprochen, die Verdrängung der erfleren durch leptere, war eim ſchwerer 
Schlag für die Heinen Freien, die etwa noch ihre Unabhängigkeit gerettet 
hatten. Wo follten fie Hagen, im Ball der Graf ſelbſt oder feine Amtlerte 
ihnen Unrecht thaten? etwa vor der gräflichen Curie da und dort? doch be 
war ja fo gut als der Graf felbft. Kaum konnte es fehlen, daß eimelne 
Kaiſer einen fo ſchreienden Uebelftand in Erwägung zogen und auf Whale 
fannen. Irre ich nicht ganz, fo iſt genau um die Zeit, da die Erblidfeit 
der großen Lehen den Sieg errang, eine neue Organifation der Gaugericht 
verfuht worden, von der jedoch nur dürftige Epuren vorliegen. Seit ber 
zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts tauchen Beamte auf, welde ober 
Zweifel mit den Grafen zufammenfallen, aber nicht den Titel comites, jo 


) Chrom. VI, 34. Perg II, 821. ) @frörer, Kirch. Geſch. IV, 220. 


— 


Erſtes Buch. Gap. 18 Volgen der Erblichkeit aller Lehen. , 523 


dern den andern praesides führen. Ich glaube kaum bemerfen zu müſſen, 
daß das Wort praeses ftetd eine richterlihe Bedeutung hat. 

In einer Lorfcher Urkunde‘) vom Jahre 966 heißt es: gewiſſe Güter 
feien gelegen „in der Feldmark Neuenheim, im Lobdengau und im Gerichts⸗ 
bezirfe des Grafen Conrad,” in praesidatu Conradi comitis.?) Wozu 
der feltfame Ausdruck? Das um die Mitte des 11. Jahrhunderts in Süd⸗ 
baiern entworfene Berzeihniß ehemaliger Kloftergüter des Stifts Tegernfee 
führt ) als DBefiger folder Ländereien ſechs verfchievene praesides auf: 
nämlich Otto von Dißen (Dtto de Diezun praeses, Stammvater der An- 
dechſer Grafen), Engelbert, Welf (Welf praeses, Welf III. Herzog von 
Kämthen), Cuno von Ripoldsbergen (nahmaligen Pfalzgrafen), einen zweiten 
Euno aus dem gleihen Haufe (mit dem Titel aulicus praeses d. h. Pfalz: 
graf), Heinrih von Regensburg (Heinricus ratisbonensis praeses, ber 
gleihnamige Burggraf von Regensburg aus dem Haufe Pabo's ift ge- 
meint). Auch fonft fommen in Baiern um dieſelbe Zeit praesides vor. 
Die nämliche Ericheinung wiederholt fih in Sachſen. Die Lebensgefchichte 
des Biſchofs Meinwerf von Paderborn erwähnt!) um 1010 ein Allov, ge: 
legen in der Grafichaft Udo's, des Gerichtsherrn gu Himmerfelden” — in 
comitatu Udonis praesidis in Himmerveldun. Paderborner Urkunde ®) 
vom Jahre 1100, laut welder ein Kauf beftätigt wird zu Donnersberg 
in der Gerichtöfigung des praeses Erfo. Urkunde vom gleichen Jahre: 
Gerichtsſitzung des Präſes Walo im Drte Burg. Urkunde °) von 1102: 
Graf Liutpold wohnt einer Gerihtöfigung bed praeses Walo an. ' 

Mit gutem Fuge fragt man: warum erhalten einzelne Grafen den 
Titel praesides, und zwar offenbar mit Bezug auf das Gerichtöwefen, wähs 
rend die andern den alten Namen comites fortführen? Ich weiß nur eine 
Antwort, nämlich diefe: zur Zeit, da die Gomitate in erblihen Befiß ber 
betreffenden Häufer übergingen, find anftatt der älteren Gaugerichte größere 
Gerichtsſprengel angeordnet worden, deren Leitung man einzelnen Grafen, 
die beſonders befähigt jchienen, übertrug. Die neuen Gerichtögrafen er- 
hielten dann in lateiniſchen Urkunden den Ehrentitel praesides, während 
diejenigen Erbgrafen, welche nicht den gleihen Vorzug erlangten, mit dem 
früheren Namen fid) begnügen mußten. Hauptbeftimmung der neuen Ge: 
richte mag geweſen fein, wider die Eleinen Gaufönige Rocht zu ſprechen. 
Eine Beftätigung diefer meiner Anficht finde ich in einer bairifchen Urkunde 
aus dem Jahre 1040, von welcher zufälliger Weile eine altveutiche Ueber; 


1) Cod. lauresh. I, 356. 2) Ebenſo eine zweite Lorfcher Urkunde vom Jahre 969: 
villa Empele in pago Dehsendron (fonft Teflerbant genannt, ein nieberländifcher Gau) 
in praesidatu Ansfridi comitis. Daf. I, 127 vgl. mit I, 164. ®) Monum. boica VI, 
182. 2) Derp XI, 134 obere Mitte. 6) Schaten, annales Paderbonnenses I, 849 
w. 656. % Daf. 


594 Pabſt Eregorius VIL und fein Zeitalter. 


fegung auf und fam. Der lateiniſche Text fpricht ) von Gütern, „gelegen 
in den Comitaten des (öftreihiichen) Markgrafen Adalbert und des PBräies 
Dietmar;“ die Lleberfegung lautet:?) „gelegen in den Grafſchaften Gem 
Albrehtes des Markgrafen und Hern Dietmard des Landrichtere“. 
Nah Einführung des Schwabenjpiegeld entftanden befanntlic une 
dem Namen Landgerichte größere Faiferlihe Gerichtöfprengel, wie die fie 
Ober⸗ und Niederjhwaben zu Rotweil und Weingarten, für das Here. 
thum Mainfranken zu Würzburg, für das Nürnberger Burggrafthum m 
Ansbach. In obiger Verdeutſchung des unbekannten Mönche fehe ich einen 


Beweis, daß etwas Achnlidhed ſchon zu den Zeiten der Ottonen und & 


lier verfucdht worden ift: unverfennbar verftebt der Weberfeger unter Land⸗ 
richter eine höhere Würde ald das bloße Komitat. Dem fei wie ihm 
wolle: die neue Einrihtung gewann feinen Beftand und nüßte nicht wid, 
denn jonft müßte mehr von ihr die Rede fein. Nichts trieb in Deutik 
land fefte Wurzeln, als die ariftofratifhe Erbmacht, das geiftlihe Stift 
und die Stadt, bis jeit dem 16. Jahrhundert auch die beiden letztern durch 
die erftere mittelft einer weltbefannten Umwälzung aufgejpeist worden find, 
welche man Kirchenverbefferung zu nennen beliebt hat. 

Die Reihschronifen, deren Berfaffer in der Regel nur Außerlice, in 
die Sinne fallende Ereigniffe melden, die leiſen allmäligen Veränderungen 
ftaatliher Zuftände (die auch heute noch nur von den begabteften Geiſtem 
erfannt werden) meift jelbft nicht empfanden, fchweigen gänzlich von bem 
bezüglich der Lage des gemeinen Mannes eingetretenen Umfchwunge. Ale 
man würde gewaltig irren, wenn man wähnte, daß Die, welche verloren 
hatten, den Drud des Schuhes nicht fühlten. Allgemeines Mißbehagen 
herrſchte durch die niederen Elaffen. Nachdem die gewöhnlichen Mittel des 
Kampfes wider die Ariftofratie erfhöpft waren, gerieth der Salier Hein⸗ 
rich IV., wie ich fpäter zeigen werde, auf den Gedanken, das „wüthende 
Gemüth” ver Fröhner für Rechnung der Despotie auszubeuten und im 
Bunde mit den Unterbrüdten einen gemeinjchaftlihen Krieg gegen die Bevor 
zugten, als Doppelfeinde der Krone und des Volks, zu entzünden. So gefähr 
lih der Anlauf ſchien, den er nahm, mißglüdte auch diefer greuliche Plan. 

Anders freilich fehen die Sahen aus, wenn man ſich auf den Stand 
punft Derer ftellt, welche gewannen. Das, was man jegt hohes Lehen 
nennt, machte beveutende Fortſchritte: die Erblichfeit der Großlehen trieb 
eine Reihe Inftitute hervor, denen es an romantifhem Duft nicht fehlt. 
Die erfte und näcfte Folge war, daß die Gemahlin des Grafen, de 
Herzogs, den Namen comitissa, ductrix oder ducissa empfängt und baf 
bie Kinder, die fie gebärt, von Haus aus Grafen und Gräfinnen, Henjgoge 


1) Monum. boica XI, 1486. 5 Ibid. ©. 151. 


— — 


— — 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 595 


b Herzoginnen find. Ueberall wo dieſe Namen vorfommen — und fehr 
nell werden fie Mode — ift die Erblichkeit fertig. Keineswegs war 

Anwendung berjelben eine mißbräudliche, etwa wie man heut zu Tage 
Frau des Oberften Frau Oberftin, die des Profeſſors Frau Profeſſorin 
mt. Die Erbgräfin hieß nicht blos fo, fondern fie war es, fo gut ale 
- Königin oder die größere Gutsherrin nicht blos Königin und Gutsherrin 
st, ſondern wirklich ift. 

Die zweite Frucht, weldhe die Erblichfeit trug, beftand in Erbauung 
r Stammburg. In früheren Zeiten hatte fein Bafall es wagen dürfen, 
ne bejondere Erlaubniß der Krone eine Veſte anzulegen, und nur gegen 
ßere Feinde, nicht für geheime Berechnung heimifcher Ehrſucht, wurde 
: Erlaubniß ertheilt. Ich gebe einige Beifpiele. Biſchof Udalfried von 
chſtaͤdt erkannte die Nothwendigkeit, zum Schuge feines Hochſtifts Befefti- 
ngen wider die räubertfchen Einfälle ver Ungam zu errichten, und wandte 
h deßhalb an den Hof. König Conrad I. entſprach diefem Wunſche, 
d geftattete durch Urkunde‘) vom 9. Sept. 918 dem Bifchofe eine urbs, 

h. eine Burg aufzubauen. Die gleiche Erlaubniß ertheilte Kaiſer Amulf 
sc) Urkunde?) vom Jahre 898 dem Bafallen Heimo, aber er machte aus» 
helich zur Bedingung, daß fi Heimo darum dem Gerichtöbanne des 
ränzgrafen Aribo nicht entziehe. Wie vorfichtig! Arnulf ahnte, daß bie 
rbauung adeliger Burgen den politiichen Gehorſam der Bafallen und bie 
richtlihe Ordnung des Reichs umftürzen werde. 

. Seht, d. h. ſeit Erblichmachung der großen Lehen, ward es anders. 
hne den Kaifer zu fragen, erbauten die Herren in die Wette Burgen. 
nzählige müfjen im Laufe des 11. Jahrhunderts entftanden fein, und aus 
m Beilpiele des Erbauerd von Hohen-Adhalm erfieht man, daß geeignete 
ergfpigen theuer bezahlt wurden. Jede Burg war eine That. Wenn, 
ie vom Urgroßvater Kaifer Friederichs des Rothbarts, weiter gar nichts 
zählt wird,) als daß er feinen Wohnſitz auf dem Schlößhen Büren 
etzt Wäfchenbeuren zwiſchen Gmünd und Göppingen) nahm, beweist dieſer 
ne Zug aufftrebenden Ehrgeiz. Wie mit allen Anftalten, die den Reichs⸗ 
band fprengten, ift der Ueberrhein over Lotharingien auch mit dem Bei⸗ 
tele der Burgenerbauung für Privatzwede vorangegangen. Biſchof Thiet- 


1) Monum, boiea XXVIII, ©. 157 Nr. 110: Udalfridus indicavit nostrae serenitati, 
aliter Hludowicus bonae memoriae rex condonasset — ei — in suo episcopatu aliquas 
anitiones et firmitates contra paganorum incursus moliri —ideoque concedimus ei urbem 
nstruere. Deutlich erhellt aus Vergleichung beider Säße, daß urbs eine Burg bezeich⸗ 
t. Denfelden Sinn hat, wie früher gezeigt worden, dad Wort in ber befannten Stelle 
ſidukinds, wo dieſer Ehronift von den militärifchen Bauten Heinrichs I. redet. ?) Ju- 
via, Anhang ©. 118 fig. Nr. 58. 2) Martene collect. II, 557: Fridericus genuit 
idericum de Buren. 


526 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


mar von Merfeburg, der dieß meldet, durchſchaute Die Folgen. „Wir gu 


wäre es,“ ruft!) er aus, „wenn die Bewohner jenes Landes, die fe : 


zum Böfen einmüthig find, zu Ausführung ihrer jchlimmen Abſichten feine 
Burgen hätten; nun find aber biefe verberblichen Neſter ganz dazu gemadt, 
abſcheuliche Wünfche zu verwirklichen. * 

Zahlreiche früher mitgetheilte Beifpiele zeigen, daß häufig neben ver 
Stammburg aud) noch das Hausflofter erftand. Ich kann von ber Bert 
nung, die legteren Anftalten gewöhnlich zu Grunde lag, erft an einem ax 
dern Orte reden, halte e8 dagegen für paflend, hier zu zeigen, welde 
Blüthen derſelbe Trieb des Schaffens in dem anderen Hauptzweige ber 
höheren Geſellſchaft, in der Geiftlichkeit, hervorfproffen machte. Das Bi 
thum hatte fchon zu den Zeiten Heinrich's IL. viel gebaut;?) es blieb auch 
jegt nicht zurüd. Eine Thätigfeit im Bauen herrichte durch das gume 
Reich, wie vielleicht nie vorher und nie nachher, eine Thätigfeit, die and 


durch den Bürgerfrieg nicht unterbrochen worden iſt. Bekanntlich reicht zum 


Bauen Phantafie nicht aus, man muß Geld auf der Hand haben 

Die Mittel ver Bauten lieferte der Wohlftand, welcher unter Conrad 
und hauptfächlih unter Heinrich III. durd die Ruhe im Innern und den 
wachjenden Handel emporfeimte. Thietmar von Merjeburg erzählt,’ Bis 
hof Bruno von Verden, der 962 ftarb, habe in befagter Stadt cine ſchoͤne 
Hauptlirhe aus Holz erbaut, weil es in dortiger Gegend an Steinen 
mangle. An einer andern Stelle gibt ebenverjelbe gu verftehen,*) daß ned 
um die- Mitte des 10. Jahrhunderts die meiften Kirchen Sachſent aus 
Holz beftanden. Allmählig traten jetzt fteinerne an ihre Stelle. Der 
unbefannte Mönch, welcher um 1140 das Leben Altmanns befchrieb, der 
1091 nad 26jähriger Amtsführung als Bilchof von Paffau farb, ruft‘) 
aus: „hr weltlih gefinnten Bilchöfe diefer Zeit, wenn Ihr verfcheibet, 
welcher Ruf folgt Euch in's Grab, der Ruf von Kirchenerbauern? Nein, 
jondern die Nachrede der Aufthürmung von Burgen, die Ihr mit dem Schweife 
der Armen, mit dem Pfenning der Wittwe auf Bergipigen anlegtet, nicht um 
böfe Geifter zu bannen, fondern um Menſchen, Eure Mitgefchöpfe, zu bewältigen. 
Anders aber handelten die heiligen Bilchöfe, weldhe dachten wie Altmann.‘ 
Weiter unten fagt‘) er dann: „id vermag kaum zu befchreiben, wie vie 
Klöfter Altmann geftiftet, wie viele Kirchen er erbaut und gejchmüdt bat“ 

Die Werke, mit welchen fidy die deutſche Baukunſt des 11. Jahrhur⸗ 
derts beichäftigte, wuren gewöhnlich dreifacher Art: die Feftung oder Burg, 
das Klofter, die Kirche. Hiezu kamen nod als vierte Aufgabe Grer 


*) Chronic. VII, 9. ®er& III, 866. 2) Sftörer, 8. &. IV, 208. I) (hr- 
nic. U, 21. Berk III, 753. *) Ibid. IL, 26. ©. 757. 6) Via 8. Altınauni Pe 
XD, 231 unten. ®) Ibid. ©. 234. 


— — — REED En — > oo > 


—— 


zn — 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen ber Erblichkeit aller Lehen. 527 


beiten fühner Art. Ein berühmter Elerifer hat ald Meifter ver Baukunſt 
fih den Weg zu den höchſten Würden gebahnt, ich meine den Schwaben 
Benno, der in niedrigem Stande geboren, zu Reichenau, unter der Leitung 
Herrmann’d des Lahmen, den Grund zu einer feltenen wiſſenſchaftlichen 
Bildung, vorzüglich in der Mathematik legte, dann in die Dienfte des falls 
ſchen Kaiferhaujes trat, und zum Lohne das Bisthum Osnabrück erhielt, 
dem er von 1068 bis 1088 vorftand. Benno’s Lebensbeſchreiber hebt, außer 
unzähligen Feſtungs⸗ und Kirchenbauten, rühmend hervor, daß er durch einen 
früher unzugänglihen Sumpf eine prächtige Kunftftraße führte,‘) und ein 
anderes Unternehmen ähnlicher Art bei Speier vollbrachte. Der Rheinftrom, 
der damals ein anderes Bette hatte als jetzt, unterwühlte die Grundlagen 
des von den Saliern erbauten Domes, welder heute noch, durch König Lud⸗ 
wig von Baiern im Innern hergeftelt, den Ruhm altveuticher Baufunft 
verfündet. Benno wurde gerufen und half ver Gefahr ab, indem er durch 
fteinerne Dämme, die er in den Strom bineintrieb, dem Rheine einen ans 
dern Lauf aufnöthigte. ®) 

Die herrlichften Blüthen der Kunft fallen nicht vom Himmel herunter, 
fondern fie find das Ergebniß langer Vorarbeiten, vieler halb geglüdter, 
oder auch fehlgeichlagener Verſuche. Wer will läugnen, daß die Spitzbogen⸗ 
fire das hödhfte ift, was das Mittelalter im Fache der Baufunft hervor: 
brachte! Die Bauten der Salier aber waren Vorjchule und Unterlage der 
Münfter, welche das 12. Jahrhundert aufzuführen begann. 

Während der materiellen und geiftigen Erfchütterung, welche der große 
Kirchenftreit nad) fi) zog, geſchah es, daß der erfte Gedanke deſſen auf- 
bligte, was man nachher die gothiiche Form nannte, ein Gedanke, welchen die 
durch das Bauweſen der faliihen Zeiten wohlgejchulten Werkleute reicher und 
reicher entfaltet haben. Das Vorbild felber ift nicht in Deutſchland entftanden, 
fondern es Fam, wie ich fpäter zeigen werde, aus der Kormandie zu une. 

Gute Köpfe ftrengten damals ihre Kräfte an, um die Kunft im Sinne 
der Kirche nady mehreren Seiten zu vervollfommnen. Don den brei großen 
Mitteln, welche die Wirkung des Münfters vollenden — ich meine die Orgel, 
die Glode, die gemalte Benfterjcheibe — gehört”) das erfte, die Orgel, noch 
den farolingiichen Zeiten an; das zweite, die Glocke, ift unter den Saliern 
verbefiert, das dritte, die Yenfterfcheibe, ift unter dem dritten Otto erfunden 
worden. Ich werde fpäter zeigen, daß in den Städten Glodengießereien 
beftanden, aber auch einzelne Klöfter, namentlich Tegernfee und Niederaltaich, 
befaßen urkundlich ſolche Werkftätten und lieferten gute Arbeit.) Ueber 


ı) Vita Bennonis cap. 15. Perk XII, 67. 5) Ibid. cap. 27 ©. 76. 5) Gfroͤ⸗ 
rer, 8. ©. III 948. *#) Die Beweife bei Günther, Geſchichte der litterariſchen Ans 
falten Baierns I, 178. 376. 382. 385. 


528 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gemalte Scheiben liegt die ergreifende Stelle eines Briefs vor. Abt Cop 
bert, der von 983—1001 dem Klofter Tegernjee vorftand, fchreibt") an 
ven Grafen Arnold: „nicht genug können wir Euch danfen für die Gabe, 
mit der Ihr und beichenft habt, eine Gabe, die weder das Alterthum fannte, 
noch wir felbft zu fchauen hoffte. Bisher mußten unfere Fenſteroͤffnungen 
mit Vorhängen zugededt werden, jetzt leuchtet der Sonne goldner Gtrafl 
durch bunt gemaltes Glas auf die Marmorplatten unferer Kirche. Ber 
das fieht, dem poct vor Freude das Herz; fo lange dieſes Gotteshant 
fteht, wird Dein Name bei Tag und Nacht gepriefen werben. Wir bitten 
Dieb, die Namen der Deinigen und aller Andern, die Dir am Herzen liegen, 
auf einem ‘Bergament verzeichnet, hieher zu fenden, damit wir ihrer fie) 
im Gebete gedenfen fönnen. Unſere jungen Burjche, welche Du die Km 
gelehrt haft, fchifen wir an Dich zurüd, damit Du fie prüfeft, ob fie de 
nothwendige Vollfommenheit erlangt haben“ u. ſ. w. 

Ueber die Berfönlichkeit des Grafen Arnold ift nichts weiter befannt, 
Vielleicht war es der gleichnamige Graf Arnold von Lambach, Vater des 
Markgrafen Gottfried von Pütten und des Biſchofs Adalbero von Win 
burg’). Jedenfalls fieht man, daß er Glashütten — wahrfcheinlid im 
böhmischen Wald — beſeſſen haben muß, in welchen die Kunſt entweder 
entvedt, oder ausgebildet worden if. Der Abt von Tegernfee legt großen 
Werth auf die Erfindung und entichließt ſich ohne Weiteres der neuen 
Kunft in jeinem Klofter eine Werkftätte zu bereiten. 

Kehren wir zurüd zu den Früchten der Xehenerblichkeit. Ausfchließlid: 
fcit liegt im Weſen der Ariſtokratie. Jeder Erbherr will für fich etwas 
jein, nicht mit Andern vermengt werden. Merkwürdig ift, wie lange bie 
jer Trieb auf feine einfache natürliche Befriedigung warten mußte. Der 
Samiltenname fehlte bis zu Anfang des 11. Jahrhunderts: mur Ianfs 
namen waren im Brauche und Gleichnamige fonnten nur durch Bellen 
des Namend, den der Vater führte, ünterfchieden werden. Wie ich frühe 
zeigte, ſuchte man daburd einigen Erfag für den Mangel, daß in enges 
nen Familien gewiße Namen wie 3. B. bei den Sommerfchenburger Pfahl 
grafen Friedrich, bei den Zähringern Berthold, oder Birthilo, bei den 
bairiihen Pfalzgrafen Rapoto, im ſächſiſchen Kaiſer-Hauſe Dtto, bei ben 
Saliern Heinrih, bei den Dillingen Manegold erblid wurde. Erſt der 
Stammname, den die Burg fchuf, Ichaffte dem Bedürfniß der Abſondermg 
vollen Raum, aber faum hat er ein Menfchenalter beftanven, fo iſt aub 
Ihon ein zweites glänzenderes Zeichen da, welches im öffentlichen md 


1) Petz, ihesaur. anecd. noviss. Vol. VI, a. ©. 122 flg. Nr. 3: auricomus sol pi- 
mum infulsit basilicae nostrae pavimenta per discoloria picturarum vitra. ’) Ci 
oben ©. 421 fig. 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 529 


Privatleben die eine hochgeborne Familie von der andern unterfchefbet, 
nämlich die Fünftlihe Figur auf dem Schilde, aus welder dad Wappen 
und das Innfiegel herauswudhe. 

In die legten Jahre Kaiſers Heinrih IV. fällt der erfle Kreuzzug, 
der das h. Grab von der Herrſchaft des Islam befreit hat. Einer der 
Geichichtichreiber diefer Unternehmung, Wibert, meldet‘) der Bruder Gott: 
frieds von Bouillon, Balduin Graf von Edeſſa, habe einen goldenen Schild 
vor fih ber tragen laffen, auf dem ein Adler abgebildet war. Es ift 
ohne Frage ein Wappenſchild, den Wibert beſchreibt. Allein die Wappens 
Schilde kommen wenigftend ſechszig Jahre früher in Deutichland vor. Erin- 
nern wir und an die Worte’), welche König Heinrih IIL 1039 zu den - 
Czechen ſprach: „wenn Ihr nicht thut, was Ich verlange, fo follet Ihr er: 
fahren, wie viel gemalte Schilde Mir zu Gebote ſtehen.“ Der Beifag „ge- 
malt“ ift nicht müßig, jondern hat eine nachdrückliche Bedeutung. 

Der König rühmt fidy nicht etwa bloß der großen Anzahl feiner Soldaten, 
fondern er will jagen, daß viele Vornehme, d. h. Herrn mit gemalten 
Schilden, feinem Banner folgen. Ohne Brage beweist das Zeugniß des 
Eosmad, daß ſchon um 1039 die großen Lehenträger der deutfchen Krone, als 
unterjcheidende Auszeichnung, bejonvere Figuren auf ihren Schilven führten. 

Die Stammburg auf ded Berges Epige hätte kaum Werth gehabt, 
wenn ber Erbherr, der oben jaß, nicht über ein Dienftgefolge verfügte, das 
bei dem bald offenen bald geheimen Kriege Aller gegen Alle, den bie 
Erblichkeit der großen Lehen entzündete, ihn allein in Etand feßen konnte, 
das bereits Errungene zu behaupten und auf Koften Anderer zu mehren. 
In der That war Dichten und Trachten der Herrn vorzugsweife auf Vers 
mehrung der Dienftmannichaft gerichtet. Welche Mittel wählten fie? die 
einfachften und wohlfeilften! Hätten fie freie Leute in Wehrbienft genom- 
men, jo würbe dieß erftlich viel gefoftet haben, und wäre nicht einmal ficher 
gewejen, denn wer bürgte dafür, daß ein freier Soldat ſich nicht beigehen 
ließ, bei pafjender Gelegenheit gegen feinen Herrn dieſelbe Rolle zu fpielen, 
welche dieſer der Krone gegenüber fpielte. War es nicht klüger, wohlfeller, 
fiherer, wenn bie geftrengen Herrn: — strenuus ift gewöhnlich der ehrende 
Beiname für den Grafen — aus ihrer hörigen Bauernfchaft die ftärfften 
und derbften Burfche herauszogen, einem jeden Schwert, Spieß und Schild 
in die Hand, auf den Kopf einen Helm und dazu ein Roß- over Fuß⸗ 
Lehen gaben, von welchem der neue Dienftmann leben konnte? 

Genau diefer Weg wurde eingeichlagen. Eine Urkunde Conrads II. 
gibt Aufihluß. Im Jahre 1035 gründete der genannte Kaifer das Klo: 
fter Limburg im Speiergau und ftattete dafjelbe mit acht Dörfern aus. Zu⸗ 


1) Bongarsius, gesta Dei per Francos ©. 555. °) Oben ©. 8507. 
®frörer, Pabſt Bregorius vu. Bd. L 34 


s30 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


gleich beftimmte er — damit nicht Insfünftig der Abt zu viel von ben 
Inſaßen der geftifteten Dörfer fordere, oder Legtere zu wenig leiften — die 
Rechte und Pflichten Aller folgendermaßen:‘) „die hörigen Männer jolen 
jedes Jahr je einen Eilberfchilling, die Weiber je ſechs Denare an bie 
Kammer des Abts zahlen, oder einen Tag in der Woche Yeldarbeit leiften 
Der Abt tft berechtigt, die noch unverbeiratheten Söhne befagter Inſaßen 
je nach Belieben in der Küche, oder der Bäderei, oder im Waſchranme, 
im Roßftalle, oder in anderer Weiſe zu verwenden. Die verheiratheten 
Söhne der Bauern find verpflichtet, im Keller oder auf dem Yruchtfaften, 
als Zöllner, ald Forftifnechte, zu dienen. Will der Abt einen der Borges 
meldeten zu feinem Hausdienſte verwenden, will er ihn zum Schenken, 
Truchſäßen oder zum Soldaten nehmen, und ihm im leßteren Falle 
ein Lehen zuweilen, jo ſoll der Ausgewählte, fo lange er fi gut hält, 
im Hausbienfte bleiben; wo nicht, tritt er in das frühere Verhältniß zus 
ruf (d. h. er wird wieder Feldarbeiter). Nach dem Tode eines hörigen 
Mannes erbt der Abt das befte Haupt Vieh, nad dem Tode eines Bauem⸗ 
weibs ihr beited Gewand“ u. |. w. Alſo der Etiftsfoldat wurde nad 
Gutdünken des Abts aus der Maffe der hörigen Bauernfchaft herausgezogen, 
und der Gewählte mußte dieß für ein Glück anfehen, weil er ftetd ale 
Lohn für den Waffendienft ein kleines Lehen erhielt. | 

Auf diefelbe Weile wie der Abt ergänzte der Erbgraf die Reiben 
feiner Wehrmannſchaft. Die Hörigen, weldye man alfo zum befonvern Dienfte 
des Herm, fei cd im Haufe ald Schenken, Tafeldeder, Truchſäßen, ſei es 
zum Waffendienſte aushob, bießen ministeriales: ein Wort, das ſchon in 
farolingifcdhen Zeiten vorfommt?) und ftetd einen Unfreien bezeichnet. Zeit 
Erblichwerden der Lehen erhielten vorzugsweiſe die zum Wehrdienſt Gezo— 
genen diefe Benennung. Nah älterem Herfommen durften Hörige werer 
in eigenem Namen vor Gericht erjcheinen, noch als Zeugen auftreten, ober 
Urfunden unterschreiben. Nunmehr räumte man Minifterialen letzteres 
Recht ein, aber gewöhnlich unterſchied man fie von den freien Zeugen, ſo 
rag ihr höriger Etand nicht verschwiegen blieb. In den Unterfchriften der 
Urfunden fteben?) Die freien Zeugen voran mit der Formel testes liberi, bin- 
tendrein fommen dann Die testes ex ministerialibus. Weil der Minifte 
viale von Haus aus, oder — wie man häufig fagte — nad dem Fleiſch 
secundun carnem, ein Sklave war, galt die chelihe Verbindung einer 
freien Jungfrau mit einem Minijterialen für eine Mißheirath und folglid 
für entehrend. Deßhalb fügt der ſächſiſche Annalift?) bei Aufzählung der 


t) Acta palatina VI, 275. ’) Siehe den oben angeführten Beleg ©. 517. 
?) Beifpiele gefammelt von Schraber, Dyynaftenflämme S. 76 fla. *) Ad a. 1036. 
Per VI, 679 unten flg. 


Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen der Brblichkeit aller Lehen. 531 


Nachkommenſchaft des Schweinfurter Dtto: „die vierte Tochter Otto's vers 
mählte fi mit einem Herm von Haböberg, dem fie eine Erbin Juditha 
gebar. Diefe Judith aber erniebrigte ihr edles Blut durch die Heirath mit 
einem Minifterialen, welche Unglüd über ihr Haus gebracht hat.“ 

Freilich geihah es im 12. Jahrhundert nicht felten, daß freie Männer, 
geborne Adelige, in den Stand der Minifterialen eintraten, aber nur bei 
großen Herrn, bei den Herzogen Schwabens und dem Faiferlihen Haufe 
der Staufen, nahmen fie ſolche Dienfte, indem der Glanz ded Hofs das 
Zweideutige der Stellung verdedte. Die Minifterialen der Fleineren Herrn, 
der Grafen, der Aebte, verblieben in einer beſcheidenen Lage. Abt Ortlieb 
fagt:') „das Klofter Zwiefalten hat verſchiedene Arten von Unterthanen. 
Einige verjelben find zu folgender Art hörigen Dienftes verpflichtet: wenn 
der Herr Abt, der Prior, der Probft oder irgend ein Moͤnch augreitet, fo 
müfjen fie zu Roß dieſelben geleiten und bevienen. Damit fie foldhes 
Amt gehörig verjehen Fönnen, werben ihnen gewiſſe Lehenhöfe zugemiefen. 
Diefe Art des Dienftes ift gefucht, weil fie das Recht von Minifterfalen 
verleiht. Glücklicher Weiſe gibt es unter den Minifterialen unferes Klofters 
noch feinen, der fo hochmüthig wäre, daß er fi herausnähme, im Waffen: 
Ihmud mitten unter und zu reiten, oder der fich weigerte, dem geringften 
Mönche des Klofterd den Mantel auf feinem Thiere nachzuichleppen. Ers 
laubt fih Einer eine Nachläffigfeit im Dienft, fo "unterliegt er der Rüge 
des Probſts oder des Herrn Abt. Würde er fidh hiegegen auflehnen, fo 
ift ed am Kloftervogt, folchen Webermuth firengftens zu beftrafen. Wenn 
ein Minifteriale jein Roß in unferem Dienft und durch unfere Schulo 
verliert, jo fommt es dem Klofter zu, ihm ein anders Pferd zu geben, 
oder darf der Minifteriale drei Jahre lang ohne weiteren Dienft das Lehen 
behalten (und muß dann auf eigene Koften ein neued Roß anſchaffen). 
Stirbt ein Minifteriale — gleichviel ob er einen Sohn hinterläßt oder nit, — 
jo wird es mit. ihm gehalten wie mit andern Hörigen: das Roß und das 
Lehen fällt an das Stlofter zurück“ (und es bleibt dem freien Ermeſſen des 
Herrn Abts vorbehalten, ob er den Sohn in den Dienft des Vaters eins 
treten lafjen will, oder nicht). 

- Der Sinn des legten Satzes ift klar. Gewarnt durch die traurigen 
Erfahrungen, welche das Kaiſerhaus gemadt, find die Mönche entſchloſſen, 
jedem Berfuche vorzubeugen, der gemacht werden mochte, auch die Fleinen 
Roßlehen der Minifterialen in Erblehen zu verwandeln. Deutlich. erhellt 
aus dem Berichte ded grundgeicheiten Abts, daß die Minifterialen als 
Reit» und Waffenfnechte anfingen, aber in Kurzem nad) einer höhern Stel⸗ 
lung aufftrebten. Die Aebte mußten unabläfftg bemüht fein, den Ehrgeiz 


1) Chronic. zwifalt. I, 9. Perg X, 78: sunt alii, quibus hoc genus serritutisinjungitur. 
34° 


530 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gleich beftimmte er — damit nicht Inskünftig der Abt zu viel von ben 
Snfaßen der geftifteten Dörfer fordere, oder Lehtere zu wenig leiften — bie 
Rechte und Pflichten Aller folgendermaßen:') „die hörigen Männer follen 
jeves Jahr je einen Eilberfchilling, die Weiber je ſechs Denare an bie 
Kammer des Abts zahlen, oder einen Tag in der Woche Beldarbeit leiſten. 
Der Abt ift berechtigt, die noch unverheiratheten Söhne befagter Inſaßen 
je nach Belieben in der Küche, oder der Bäderei, oder im Wafchraume, 
im Roßftalle, oder in anderer Weife zu verwenden. Die verheiratheten 
Eöhne der Bauern find verpflichtet, im Keller oder auf dem Fruchtkaſten, 
als Zöllner, als Forftfnechte, zu dienen. Wil der Abt einen der Borge 
meldeten zu feinem Hausdienſte verwenden, will er ihn zum Schenfen, 
Truchfäßen oder zum Soldaten nehmen, und ihm im letzteren Falle 
ein Lehen zuweilen, jo ſoll der Ausgewählte, fo lange er fi gut hält, 
im Hausdienſte bleiben; wo nicht, tritt er in das frühere Verhältniß zu 
rück (d. h. er wird wieder Feldarbeiter). Nach dem Tode eines hörigen 
Mannes erbt der Abt das befte Haupt Vieh, nad) dem Tode eined Bauern 
weibs ihr befteds Gewand” u. |. w. Alſo der Stiftsſoldat wurbe nad 
Gutdünken des Abts aus der Maſſe der hörigen Bauernfchaft herausgezogen, 
und der Gewählte mußte dieß für ein Glück anfehen, weil er ftetö als 
Lohn für den Waffendienft ein Fleined Lehen erhielt. 

Auf dieſelbe Weile wie der Abt ergänzte der Erbgraf die Reiben 
feiner Wehrmannfchaft. Die Hörigen, welche man aljo zum befondern Dienfte 
des Herrn, ſei es im Haufe als Schenken, Tafeldeder, Truchſäßen, fei «ee 
zum Waffendienfte aushob, hießen ministeriales: ein Wort, das fchon in 
farolingifchen Zeiten vorfommt?) und ſtets einen Unfreien bezeichnet. Seit 
Erblihwerden der Lehen erhielten vorzugsweife die zum Wehrdienſt Geo 
genen diefe Benennung. Nach älterem Herfommen durften Hörige were 
in eigenem Namen vor Gericht erjcheinen, noch als Zeugen auftreten, ober 
Urfunden unterjchreiben. Nunmehr räumte man Minifterialen letzteres 
Recht cin, aber gewöhnlich unterſchied man fie von den freien Zeugen, jo 
daß ihr höriger Stand nicht verfchwiegen blieb. In den Unterfchriften der 
Urkunden ftehen‘) die freien Zeugen voran mit der Formel testes liberi, bin 
tendrein fommen dann die testes ex ministerialibus. Weil der Minifte 
tiale von Haus aus, oder — wie man häufig fagte — nach dem Kleilt 
secundum carnem, ein Eflave war, galt die cheliche Verbindung einer 
freien Jungfrau mit einem Minifterialen für eine Mißheirath und folglid 
für entehrend. Deßhalb fagt der ſächſiſche Annalift) bei Aufzählung dr 


u — — — — 


1) Acta palatina VL 275. 2) Siehe den oben angeführten Beleg ©. 511. 
?) Beifpiele gefammelt von Schrader, Dynaftenflämme S. 76 flg. %) Ada. 10% 
Pertz VI, 679 unten flg. 





Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 531 


Nachkommenſchaft des Schweinfurter Otto: „pie vierte Tochter Otto's vers 
mählte fi mit einem Herrn von Haböberg, dem fie eine Erbin Juditha 
gebar. Dieſe Judith aber erniedrigte ihr edles Blut durd die Heirath mit 
einem Minifterialen, welche Unglüd über ihr Haus gebradht hat.“ 

Freilich geſchah es im 12. Jahrhundert nicht felten, daß freie Männer, 
geborne Adelige, in den Stand der Minifterialen eintraten, aber nur bei 
großen Herrn, bei den Herzogen Schwabens und dem kaiſerlichen Haufe 
der Staufen, nahmen fie ſolche Dienfte, indem der Glanz des Hofe das 
Zweideutige der Stellung verdedte. Die Minifterialen der Fleineren Herrn, 
der Grafen, der Aebte, verblieben in einer beſcheidenen Lage. Abt Ortlich 
fagt:) „das Klofter Zwiefalten hat verſchiedene Arten von Unterthanen. 
Einige derfelben find zu folgender Art hörigen Dienftes verpflichtet: wenn 
der Herr Abt, der Prior, der Probft oder irgend ein Mönch, ausreitet, fo 
müſſen fie zu Roß diefelben geleiten und bedienen. Damit fie foldhes 
Amt gehörig verfehen Fönnen, werben ihnen gewilfe Lehenhöfe zugewiefen. 
Diefe Art des Dienftes iſt gefucht, weil fie das Recht von Minifterialen 
verleiht. Glücklicher Weife gibt es unter den Minifterialen unferes Klofters 
noch feinen, der jo hochmüthig wäre, daß er fi herausnähme, im Waffen: 
ſchmuck mitten unter und zu reiten, oder der fich weigerte, dem geringften 
Mönche ded Klofterd den Mantel auf feinem Thiere nachzuſchleppen. Ers 
laubt fih Einer eine Nachläffigkeit im Dienft, fo "unterliegt er der Rüge 
des Probft oder des Herrn Abts. Würde er fich hiegegen auflehnen, fo 
ift e8 am Kloftervogt, ſolchen Uebermuth firengftend zu beftrafen. Wenn 
ein Minifteriale fein Roß in unferem Dienft und durch unjere Schuld 
verliert, jo kommt ed dem Klofter zu, ihm ein anders Pferd zu geben, 
oder darf der Minifteriale drei Jahre lang ohne weiteren Dienft das Lehen 
behalten (und muß dann auf eigene Koften ein neues Roß anſchaffen). 
Stirbt ein Minifteriale — gleichviel ob er einen Sohn hinterläßt oder nicht, — 
jo wird ed mit.ihm gehalten wie mit andern Hörigen: das Roß und das 
Lehen fällt an das Kloſter zurück“ (und es bleibt dem freien Ermefjen des 
Herrn Abt vorbehalten, ob er den Sohn in den Dienft des Vaters eins 
treten laflen will, oder nicht). 

Der Sinn ded legten Satzes ift Har. Gewarnt durch die traurigen 
Erfahrungen, welde das Kaiſerhaus gemacht, find die Mönche entichlofien, 
jedem Berfuche vorzubeugen, der gemacht werden mochte, auch die Fleinen 
Roßlehen der Minifterialen in Erblehen zu verwandeln. Deutlich. erhellt 
aus dem Berichte des grundgejcheiten Abts, daß die Minifterialen als 
Reit⸗ und Waffenknechte anfingen, aber in Kurzem nad einer höhern Stel⸗ 
lung aufftrebten. Die Aebte mußten unabläfftg bemüht fein, den Ehrgeiz 


*) Chronic. zwifalt. I, 9. Perg X, 78: sunt alii, quibus hoc genus serritutisinjungitur. 
34° 


532 Babft Gregorius vo. und fein Zeitalter. " 


diefer Diener zu dämpfen. Deutſchland war voll von ſolchen Miniſteruin 
fie ſaßen auf den Dörfern herum und führten nach dieſen Wohnfigen ge 
wöhnlic ihre Namen: Peter von Herberen, Hans von Undingen, Cun 
von Dußlingen u. f. w. Das klingt adelich, aber ift es mit Richten. 

Statt vieler ein Beiſpiel:) Ein Höriger der Abtei St. Emmeram a 
Regensburg ift von Dienftleuten des Kloſters St. Veit zu Prül erjchlagen 
worden. Zur Sühne übergibt der Abt von St. Veit durch die Hand je 
nes Kaftenvogts, Kadaloh von Kirchberg, an die Abtei St. Emmeram einen 
Hörigen, der gerade fo viel zinste, als der Erichlagene. Dieſer Hörige 
heißt Werinhar von Herbrandstorf. Die Urkunde unterfchreiben als Zen 
gen: Heinrich von Pennechapel, Friedrich von Gundeshaufen, Heinrich Bert 
hold der Meßner, Bernold ver Klofterfoh, Ulrih von Egildbrun und 
andere Dienftleute des Klofterd Prül, Berthold von Ruit, Heinrich von 
Burgftal, Soldaten des Kloftervogts Kadaloh von Kirchberg.” 

Das was man jept in deutichen Landen niederen Adel nennt, flammt 
großen Theils von ſolchen Minifterialen, d. 5. Hörigen ab. Die Enfel 
berjelben haben vaher feinen Grund auf die Bürgerliden, die von Hand: 
werfern und Kaufleuten der Städte herfommen, herabzufehen. Wahrhaft 
adelig find in Deutichland nur die Dynaftengefchledhter und eine andere 
Claſſe, die man gewöhnlich nicht dafür anfteht, nämlid bie Hofbauern, hie 
von Urältern her auf einem und demſelben Hofe als freie Leute figen. Im 
Uebrigen bemerfe man die merkwürdige Schidung, die in vorliegendem Falle 
hervortrit. Das nämliche Lehenſyſtem, das in feinen Anfängen die gemei: 
nen Freien wehrlo8 gemacht und erniedrigt hat, muß von dem Augenblide 
an, da es in Erblichkeit umjchlägt, dem Bauer wieder die Waffen in die 
Hand geben und künftige Rächer groß ziehen. 

Die Deutichen find von Haus aus ein Soldatenvoll. Wie viek 
Hunderttaufende unferer Altvordern haben entweder für den eigenen Heer 
gegen die Römer, oder im römiſchen Solde gegen andere Nationen gefoc— 
ten! Gründlic lernten fie den römischen Kriegsdienft, von welchem Das 
tirocinium oder die tägliche Waffenübung der NRefruten im Frieden einen 
wesentlichen Theil ausmadte. Die alfo gewonnenen Kenntniſſe gingen nidı 
verloren. In Carls des Großen Tagen gab es zweierlei Arten von Col 
daten: die eine, welche das allgemeine Aufgebot lieferte, dann eine zweite, 
welche im befondern Dienite des Kaiſers ftand, ſtets bei den Waffen blieb 
und nad römischer Weile täglid) gelibt wurde. Die Streiter Der zweiten 
Claſſe führten den Namen scarae.?) Der Möndh von St. Gallen erzählt:’) 
„die Häufer der Vornehmen, welde die faiferlihe Pfalz zu Machen umgı: 


1) Pe}, thesaur. anecd. novis, I, c. ©. 161 flg. Nr. 170. 2) Gfroͤrer, Kar 
linger I, 164 flg. ?) Gesta Karoli I, 30. Berg II, 745. 


Erſtes Bud. Kap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 533 


ben, enthielten im untern Stodwerfe geräumige Säulenhallen, in welchen 
die Soldaten der Vafallen Earld des Großen im Nothfalle Schuß gegen 
Regen und Sonnenhite fanden, und zwar jo, daß der Kaiſer unbemerkt Alles, 
was unten vorging, hinter ven VBorhängen jeined Söller8 beobachten konnte.“ 

Ich leſe aus diefen Worten den Sinn heraus, daß die Leibwache, 
welche in der Pfalz lag, bei Regen und Sonnenſchein in jenen Hallen ihre 
Uebungen vornahm. Ein Menfchenalter jpäter befchreibt Nithard die Kunſt⸗ 
fertigfeit, welche die fränfiihen Schaaren durch unausgefeßtes Drillen im 
Kriegsfpiel erlangt hatten. Während des Bürgerkriegs zwiſchen den drei 
Söhnen Ludwigs ded Frommen, famen zwei verfelben, die Brüder Carl 
der Kahle und Ludwig der Deutiche, im Frühling 942 zu Straßburg zus 
fammen. „Der Uebung wegen,” fagt‘) Nitharb, „führten fie Kampfſpiele 
auf. Säcfiihe Schaaren wurden baskifchen, oftfränfifche bretagnifchen ges 
genüber aufgeftellt. Auf dad Zeichen der Trompete rannten beide Theile 
in vollem Laufe wider einander los, wie zu ernftlihem Kampfe. Vor dem 
Zufammenftoßen aber ging dieſer Theil, wie gejchlagen, zurüd, and wurde 
von dem andern Theile, wie von einem fiegenden Feinde, verfolgt. Ploͤtz⸗ 
lich änderte ſich die Scene: dieſe weichen, jene fegen nad, ver Kampf wogt 
bin und her, ohne daß Einer den Andern beſchädigt, bis die beiden Könige, 
von einer glänzenden und jauchzenden Jugend gefolgt, dazwiſchen fprengen.* 

Abermal drei Menfchenalter fpäter finden wir die nämlichen Uebungen 
im nördlichen Deutfchland erwähnt. Meifter darin ift König Heinrich, der 
erfte Herricher des ſächſiſchen Hauſes. Mönd Widukind von Corvei fchreibt:”) 
„im Kampffpiele übertraf Heinrid alle Zeitgenofien, fo daß Jedermann fich 
fürchtete, mit ihm es aufzunehmen.” Das nächfte Beifpiel liefert Thietmars 
Chronik, welche berichtet:”) „während Markgraf Adalbert I. von Defterreich 
Morgens frühe den 10. Juli 993 zu Würzburg, wohin er zur Feier des 
Kilianfefted eingeladen war, mit feinen Soldaten das Kriegsfpiel trieb, traf 
ihn aus der Hand eines heimlichen Feinds ein von Rache befiederter Pfeil, 
der ihm eine töbtlihe Wunde beibrachte.” Der vierte Zeuge, den ich ftelle, 
ift der Freifinger Biſchof Otto, der vier Menfchenalter nad dem Merfes 
burger fchrieb. Im Sommer 1127 belagerte der neugewählte König Los 
tbar die von hohenftaufiichen Schaaren bejegte Stadt Nürnberg, aber vers 
geblih. Die Herzoge Brieverih und Conrad rüdten zum Entjab herbei, 
und der König mußte nad Würzburg zurüdweihen. Run brachen die bis⸗ 
her Belagerten aus der Stadt hervor und verfolgten den fliehenden König 
bis vor Würzburgs Mauern, indem fie Lothard Soldaten mit den Künften 
des Kriegipield nedten, „das man heut zu Tage Tournier nennt.**) 


) Histor. IH, 6. Perk IL, 667. ?) Histor. I, 39. Perk III, 438. ) Chro- 
nic. IV, 14. Berk III, 773 unten flg. *) Gesta Friderici I, 17. Muratori, script. 
ital. VI, 853: regem inseguentes, illo in ciritate manente, tirocinium, quod vulgo nunc 


534 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Sch ziehe aus den Worten des Biſchofs folgende Schlüſſe: 1) das vor 
Würzburg getriebene Spiel war halb Ernft, denn es galt wirflihen Fein 
den; doch fam ed nicht zu größerem Blutvergießen, weil die Anhänger der 
Hohenftaufen den König mehr verhöhnen als beſchädigen wollten. Zweis 
tend das Kampfipiel ift aus den einft im Lager der Römer erlernten 
Kriegsübungen hervorgefproßt, daher der Ausdruck tirocinium. Drittens 
den gleihen Sinn hat aud das Wort turniamentum, das urjprünglid 
fünftliche Wendungen, oder was man jegt Manöverd nennt, bezeichnet. 
Viertens zur Zeit der Vorgänge von Würzburg müfjen die eigentliche Tours 
niere ſchon längft eingeführt gewejen fein. Fünftens der wälſche Name 
Tournier fcheint darauf hinzudeuten, daß der Gebraud in der Geftalt, wie 
er hier erfcheint, nämlich al& ein adeliged Vergnügen, aus romanifchen Lan; 
den, etwa aus Flandern, Wälfch-Lothringen, Neuftrien, oder wie ich glaube, 
aus der Normandie, nad Deutichland verpflanzt worden iſt. 

Nachdem der hohe Adel überall durd das Tateiniihe und germaniſche 
Abendland die Erblichkeit der großen Lehen durchgeſetzt hatte, erfcheint es 
natürlih, daß diefer Stand fih nunmehr mit befonderer Freude Spielen 
hingab, die wie dazu gemacht waren, feine Herrlichkeit vor der Welt zu 
entfalten. Die fogenannte große belgiiche Chronik, ein ſpäͤtes Sammel⸗ 
wert, das viele Fabeln enthält, berichtet,‘) im Jahre 1048 habe Marfgraf 
Theoderi IV. von Holland das Unglüd gehabt, auf einem Tournier zu 
Lüttich den Bruder des Erzbiſchofs (Herimann) von Cöln zu tödten. Weber 
die Egmonter Ehronif weiß etwas von einem ſolchen Tournier, noch er: 
wähnen rheiniihe Quellen einen Bruder des Ezzoniden Herimann, der auf 
die fraglihe Weife geftorben fei. Die Ausfage des belgiihen Mönde er: 
Icheint daher als ſehr zweifelhaft, doch möchte ich Feinedwegs leugnen, daß 
um die angegebene Zeit ſchon Tourniere in Deutfchland jtattfanden. Die 
Ehronif des Klofterd Waldſaßen erzählt:”) zur Zeit des Königs Lothar 
jeien der weftphäliihe Ritter Gerwig und Markgraf Diepold von Bohburg 
aller Orten, wo Tourniere gehalten wurden, herumgereist, um ihre Waffen 
fertigfeit zu zeigen. Ohne Frage waren Tourniere damals ſchon häufig. 

Auch geiftige Vergnügungen fanden auf einzelnen Schlöflern von Erb: 
herrn freundliche Pflege. Ich habe oben gezeigt, wie die Stammfage des 
Nibelungenlieded den Kämpfen wider die Ungarn und der Einwanderung 
nah Oftrih ihre Entftehung verdankt. Urfprünglid für die Maſſe des 
Volks beftimmt, gewann fie vorzugsweife unter den Mittelflaffen Raum. 
Einige Zeit fpäter gab das unglüdliche Schiefal des Herzogs Ernft von 
Schwaben, der dem Haffe feines Stiefvaters, des Kaiſers Conrad IL ale 
turniamentum dicitur, cum militibus ejus extra exercendo, usque ad muros ipsos Wirce- 


burgensis. civitatis progrediuntur. 
1) Pistorius-Struve, scriptores germ. III, 114. °) Oefele, soript. boio. I, 54 b 


Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen ber Exblichkeit aller Lehen. 535 


Opfer fiel, ver Muth, den er entwidelte, die Treue, welche feine Yreunde 
ihm bewiefen, Anlaß zu einem Xiederfreife, der vorzugsweiſe unter dem 
Adel Beifall fand. Denn ed war auf eine Berherrlihung des Kampfes 
tapferer Bajallen gegen harte und ungerechte Lehensherrn abgejehen. Solche 
Tine wurden begreifliher Weile auf den Sclöffern der Erbherrit gerne 
gehört. Ein Brief ift auf und gefommen, den Graf Berthold IL von 
Andechs, Markgraf in Sftrien, um 1180 an den Abt Rupert von Tegern⸗ 
jee ſchrieb:) „ich beſchwöre dich, du wolleft mir gütigft „das deutſche Buch 
vom Herzogen Ernſt“ lehnen, damit ich eine Abichrift nehmen laſſe; ift fie 
gemacht, fo fol dir das Buch unverzüglich zurüdgegeben werden.” Man 
fieht: auch die geiftlihen Herrn hatten eine Freude an deutfchen Gedichten 
der Art. Das drang mehr zum Herzen, als jene lateinifchen leoninifchen 
Herameter, die damals in Maſſe gefchmiedet wurden. 

Heiter, ja lachend erjcheinen die Früchte der Lehenerblichfeit, wenn 
man fie mit den Augen eined Bevorrecdhteten mißt. Aber wie ganz anders 
geftalteten fih die Dinge, vom Throne aus bejchen! Mit tiefem Unmuthe 
mußte es bie Kaijer erfüllen, anzujchauen, wie dieſe Kehenträger, ihre ches 
maligen Beamte und Geſchöpfe, fih unaufhaltiam in jelbftändige Herrn 
verwandelten, von deren jedem voraus berechnet werden mochte, wie lange 
er oder feine Nachfolger fid noch bequemen würden, der Krone Gehorfam 
zu leiften. Ich brauchte oben den Ausdruck Gaufönige von den Erbgrafen: 
fie waren e8. Noch im 11. Jahrhundert fommt für Grafichaften der Aus, 
drud dominia, Herrjchgebiete vor. Der Lebensbefchreiber ded oben erwähns 
ten Biſchofs Benno von Osnabrück erzählt, ) offenbar nad einer Urfunde: 
„ein gewiffer Edelmann hat, während er im Dorfe Barfhaufen auf dem 
Gebiete ded (Grafen) Adalgar weilte (dum esset in villa Barkhausen 
in dominio Adalgeri), bedeutende Schenfungen für ein Klofter gemacht.” 
Die Regierungsgeihichte Kaifer Friedrichs des Rothbarts liefert ein über- 
rafchendes Beifpiel von der Ausdehnung, welche die Grafen ihren Herrſcher⸗ 
echten gaben. 

Im Sommer 1185 bielt Herzog Sriedrih von Hohenftaufen, Sohn 
des Rothbarts, auf dem Königftuhl (wohl bei Freiburg) ein berzogliches 
Landgericht. Hier erjhien der Abt von Salem und brachte folgende Klage?) 
vor: zwei freie Männer (angeſeſſen in ver Grafichaft Heiligendberg am 
Bodenſee) hätten feinem Klofter ihre Allove gejchenft, aber auf die Nach⸗ 
richt hievon ſeien dieſe Güter von dem befagten Grafen des Heiligenbergs 
unter dem Borgeben weggenommen worden, daß fein freier Mann ohne 
feine (des Grafen) Einwilligung berechtigt fei, ein in feinem Comitat ges 

1) Pez, thes. anecdot. novis. VI, b. ©. 13 Nr. 2: rogo pietatem tuam, ut mihi 


concedas libellum teutonicum de Herzogen Ernesten. 2) Vita Bennonis cap. 17 bei 
Bere ZI, 68. 2) Urkunde bei Herrgott: geneal. diplom. austr. II, 196. 





Gr 
536 Pabſt Bregorius VII. und fein Zeitalter. 




















legenes But an eine andere Herrichaft zu vergeben. Der Herzog entichieb 
den Grafen, indem er das Urtheil fällte: freie Männer dürfen ihre 
an jede Kirche, überhaupt an jede beliebige Perfon, nad Gutdünken ſche 

Bon welcher Anficht ging der Graf des heiligen Berge aus? O 
von diefer: alle in einer Grafſchaft gelegenen Güter, gleichviel ob 
oder Lehen, ob Eigenthum von Freien, Haldfreien, oder Hörigen, ſtehen 
Landeshoheit des Grafen, die durch Fein anderes Recht geichmälert 
fann. Das was nicht zur Grafichaft Heiligen Berg gehört, ſei «6 
benachbartes Komitat oder gar ein Klofteramt, ift Ausland und wib 
feindlihe Macht behandelt; wer an Ausländer Schenfungen macht, bat 
Strafe eines Hocdverräthers, nämlich Einziehung der Güter, zu gewän 
Nah ſolchen Grundfägen verfuhr der Graf unter den Augen der H 
ftaufen. Andere vor und nach ihm müfjen es ebenjo gemacht haben, 
jonft wäre ſolches Gebahren eines Einzelnen kaum denkbar. 

Weiteres Licht über die Sache verbreiteten die neuen Benennungen, we 
die Eomitate feit Anfang des 11. Jahrhunderts empfiengen. Die alten € 
hatten befanntlic ihre Namen gewöhnlih nad) Flüſſen oder Bergen 
ten. Wollte man einen Ort genau bezeichnen, fo hieß ed: das Dorf fo 
fo, gelegen im Gaue (Alpegau, Nedargau, Nibelgau, Haufengau, D 
gau, Traungau 2c.), jo und fo, in der Grafidhaft des und des; folgte nam 
der Name des Befigerd. Jetzt lauten die Bezeichnungen anders. In Schwaben 
fommen,‘) laut Urfunden von 978 und 1075 eine Grafihaft Ingershei 
laut Urkunden von 1095, 1108, 1112 eine Graffchaft Ajeheim, laut We‘ 
funden von 1102, 1110 eine Grafihaft Forchheim, Taut Urkunde von 1109 
eine Grafihaft Mergentheim, laut Urkunden von 1109, 1122, 1161 dm 
Grafſchaft Bretheim; veßgleihen in Sahfen gar ein Gau (pagus) Res 
pradhtiffen laut Urkunde?) von 1151 zum Vorfchein. Woher diefe Namen! 
ohne Frage von den gräflihen Amtshöfen (oder den fogenannten curiae), 
die in den fraglihen Dörfern lagen. 

Im Uebrigen tft e8 leicht zu zeigen, warum der Graf von Heilige 
berg (abermals eine Grafſchaft, von der die alte Gaueintheilung nichts weiß) 
gerade gegen die Schenfung an ein Klofter jo tiefen Groll verrieth. Die 
meiften Abteien und Stühle befaßen feit den Garolingifchen Zeiten Immunität, 
d. h. kaiſerliche Breibriefe, welche allen weltlihen Richtern, @entenaren, 
Vikarien, Grafen, Herzogen bei Strafe verboten, irgend welchen Alt der 
Gerichtöbarfeit im Umkreiſe des gefreiten Bezirks vorzunehmen, da nur den 
Biichöfen und Aebten felbft, oder den von ihnen eingefegten Vögten, obrig 
feitlihe Gewalt zuftand. Wenn nun in einer Grafichaft, wo biöher kein 
gefreited Gut lag, Schenfungen an ein Stift gemacht wurben, fo hatte 


5 


[| 


1) Die Beweife bei Stälin I, 5633, II, 652. *) Guden, cod. diplom. I, Mr. 78. 


Erfles Bud. Gap 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 537 
















sr Folge, daß daſelbſt eine kleinere oder größere Inſel auftauchte, 
icher der Graf feine Hände fern halten mußte, denn das Stift ver- 
eine Immunität bartinädig und Kaifer und Päbſte ſchützten es. Das 
jellen einer folchen Injel muß daher für einen Grafen, ver von Lan⸗ 
lichkeit träumte, jehr unangenehm geweſen fein. Zugleih aber fieht 
daß der Kaifer guten Grund hatte, die geiftlihen Immunitäten zu 
pen und aufrecht zu halten. Denn fie bildeten den ftärffien Damm 
iR das Wachsthum der Erbherrn, indem fie auf taufend Punkten das Nep 
ichen Güterzufammenhangsd durchbrachen, eine Abrundung vereitelten. 
| Im Ganzen find die Fortſchritte, welche die Landeshoheit der Dynas 
vom Ende des 11. bis zum 15. Jahrhundert machte, von feinem 
hen Belang geweſen: überall trat ihr die Immunität des Stifte, 
ber ald zweiter Bundesgenoſſe ſich die Reichsſtadt gefellte, bemmend in 
Weg. Darum wandte fi zulegt die ganze Leidenſchaft des erblichen 
Beenfiandes wider die überläftigen geiftliden Nachbarn, und bald nadı 
Bang des 16. Jahrhundert gelang es den „Geſtrengen“, durd welt 
ante Maßregeln die gehaßte Schranke zu durchbrechen, freilich nicht ohne 
J zugleich dem alten Reiche deuticher Nation ein töbtlicher Streich ver- 
wurde. 
Außer der Immunität wirkte in gleihem Sinne ein Grundſatz des 
Erbrechts. Der Gebrauch, daß bäuerliched Eigenthum nur auf einen 
sn — den älteften oder den füngften — vererbte, reicht in die Zeiten. 
Be Ditonen hinauf. Nachdem bei weiten der größte Theil des Fleineren 
> Granpbefipes in Bande ver Abhängigkeit von geiftlihen oder weltlichen 
&- VBehrhügern verftridt worden war, fanden es Letztere ihrem Vortheil ange 
= weſſen, Vorkehr zu treffen, daß die Höfe nicht durch Erbtheilungen zu 
— Staub zerfplittert würden, denn die Zinsleute hätten ja fonft die ihnen auf- 
erlegten Abgaben nicht mehr erichwingen fönnen! In niederrheinifchen Ur: 
funden aus dem 11. und 12. Jahrhundert findet man deutliche Spuren 
der fraglichen Einrihtung. in altes Fölnifches Dienftrecht beftimmt: ') 
„binterläßt ein Dienftmann des Erzbiſchofs Söhne, fo geht der Dienft des 
Baterd auf den äÄlteften über.” inige Yreie waren zum Grafen von 
Arnöberg in dad Berhältnig von Schughörigen gegen Zins getreten. In 
der Anweiſung von 1114, die ihr Künftiges Verhalten regelte, heißt?) «8: 
. „den Zins wirb flet6 der älteſte Sohn übernehmen.” Won jelbft verfteht 
es fih, daß dem NAelteften die Laft darum aufgelegt warb, weil er allein 
dad Gut, aus defien Ertrag der Zins beftritten werben mußte, ems 


pfangen hatte. 
Die nämlihen Vorſchriften Tehren wieder in Urkunden von 1131:°) 


*) Kindlinger, münfterfche Beiträge IL, b. 79. ?) Ibid. S. 100 oben. ) Ibid. 109. 


538 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


„ſtets hat der Neltefte den Zind abzutragen;“ von 1142:') „eine zins⸗ 
pflichtige Dorfgemeinde umjchließt mehrere abgefonderte Geſinde, aus einem 
ieden der Letztern übernimmt ftetö der Aeltefte die Abgabe;“ von 1146:?) 
„iſt ein Zinsbauer geftorben, jo geht das Erbe, nad Abzug der Erträgnifie 
des Beithauptrechtes, an den Nächſten, d. b. an den älteften Sohn (mit 
Ausschluß der übrigen Kinder) über;“ von 1185:°) „ift der Water geftor: 
ben, jo fällt ver Bauernhof an den Sohn.“ 

Dieſe Stellen find fchlagend. Eine entgegengefegte Erborbnung aber 
berrichte in den adeligen Geſchlechterm. Ih will nidt jagen, daß ſtets 
nach dem Tode des Vaters fein Nachlaß gleichmäßig unter die Kinder zer: 
ftüdt worden ſei, denn Fuge Maßregeln gewiſſer Bamilien, over auch 
Großmuth dieſes und jenes Berechtigten, wandten zuweilen die Zertrümme⸗ 
rung ab. Im Uebrigen muß man zwijchen Allod und Lehen unterfcheiben. 
In das Allod theilten fi die Kinder gemöhnlih zu gleihen Stücken. Als 
Beifpiel möge die oben berichtete Erbtheilung gelten, weldye den Nachlaß 
des Norpheimer Otto traf. Bezüglich der Lehen fand eine Zerftüdung 
dann nicht ftatt, wenn der Nuten des Staats das Gegentheil gebot. Der 
Kaiſer fonnte z. B. nicht wohl dulden, daß Herzogthümer, wichtige Mars 
fen durch Erbſchaft in mehrere Hände geriethen, weil dadurch die Lehen an 
fi geſchwaͤcht und erniedrigt worden wären. 

Dennoch gingen, wenn Argwohn es anrieth, Erbtheilungen von großen 
und feinen Marfen vor fih. Wie früher gezeigt worden, führt‘) die Stif- 
tungsurfunde des Klofters Götweih aus dem Jahre 1083 um den unbe 
deutenden Traifenbady nicht weniger als vier Markgrafen auf, die offenbar 
einem Stamme angehörten und durch Erbtheilung ihren Titel erlangt hatten. 
Deßgleihen tritt dem Marfgrafen Ottofar V. von Store fein Bruber, 
Markgraf Adalbero, feindlih entgegen. Und ift nicht Die ausgedehnte 
Marke des Schweinfurter Otto unter feine Töchter zerftüdt worden! Kun 
dige wiflen, daß bie in's 17. Jahrhundert herab größere deutſche Dyna- 
ftengefchlechter, indbejondere joldhe, denen die. „Kirchenverbefferung“ goldene 
Früchte getragen hatte, fortfuhren, neue Linien und Zweige zu treiben, 
d. h. Erbtheilungen vorzunehmen. 

Sollten aber die Häupter der Gejchlechter nicht gefühlt haben, daß 
eine ſolche Ordnung des Erbend eine Klippe fei, an welcher die ehrgeizigen 
Plane, welche fie unzweifelhaft hegten, zerfchellen mußten! Gewiß fühlten 
fie e8: Beweis die Maßregeln, welche Biele ergriffen, um das Unvermeidliche 
abzuwenden. Man darf ald Regel betrachten, daß nachgeborne Söhne 
vornehmer Häufer in den geiftlichen Stand traten. Das geſchah aus feinem 


%) Ibid. 173. 2) Ibid. 180. 2) Ibid. 221: filius recipit mansum patris su 
defuncti. %) Oben ©. 427. 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 539 


andern Grunde, ald um die Zahl der Miterben zu verringein. Ferner fan: 
den wir in der Geſchichte des habsburgiichen Haufes Flare Spuren, daß 
Nachgeborne nicht oder nur jelten Ehen ſchloßen. Das hatte den nämlichen 
Zwed, aber die Anwendung gelingt nur da, wo Gemeingeiſt — eine nicht 
ganz häufige Eigenschaft — herrſcht. Endlich gibt es gewiſſe unnatürliche 
Mittel, der Zerfplitterung ded Familienguts vorzubeugen, Mittel, welce 
Tacitus andeutet,') jedoch Indem er zugleih bezeugt, daß fie von den 
Deutſchen verihmäht worden fein. Ich will glauben, daß derſelbe fitt- 
lihe Abſcheu auch im 11. Jahrhundert fortvauerte, obgleih an den da 
maligen Deutichen, beſonders den Hocgebomen, wenig von den Tugenden 
verfpürt wird, welche der Römer preist. 

Wie nun? wenn die vorragenden Geſchlechter ſich vereinigt hätten, 
den SKaifer in Gutem oder mit Gewalt zu beftimmen, daß er ihnen bie 
Einführung von Hausgeſetzen geftatte, wie das, weldes in Flandern bes 
ftand. Ein folder Verſuch ift nit gemadyt worden und zwar vermuthlich 
darım nit, weil die Kaifer den entjchlofjenften Widerftand geleiftet, weil 
fie nichts unterlaffen haben würden, um die, welde foldhe Dinge vorzu- 
bringen wagten, in jeder menfchenmöglihen Weiſe niederzufchmettern. 

Man erinnere fih an die früher erwähnten Maßregeln, wodurch 
deutſche Herricher Erbtheilungen der Grafichaften Flandern und Holland 
zu erzwingen fuchten. Weiter wurde nacdhgewiejen, daß feit der zweiten 
Hälfte des 11. Jahrhunderts die großen Titel Grafen, Markgrafen, Her: 
zoge, Pfalzgrafen, Landgrafen, Burggrafen, in verfchwenderiiher Fülle 
anſchwollen. Hat das oder jened Haus eine Marke, ein Herzogthum irgend> 
wo in dem Reiche erlangt, glei führen mehrere Sippen den prächtigen 
Zitel: es gibt Markgrafen von Banz, Kraiburg, Vohburg, Orlamünde, 
Wettin, Baden, Herzoge von Zähringen, Ted, Marano, Dachau; alle 
Söhne von Grafen heißen Grafen. Niemand rede mir ein, daß dieſer 
Blüthendbaum von Titeln ohne Zuthun des Faiferlihen Hofs aufgeſchoſſen 
ſei. Es war ein Reizmittel, dad man den jüngern Söhnen hinwarf, den 
Erftgebomen nicht nachzuftehen, noch fih von ihnen überflügeln zu lafjen. 

Don allen deutihen Häufern hat das pfalzgräfliche bei Rhein am 
Kühnften das flandrifche Vorbild nachgeahmt. Aber wie fchnefl und tragiih . 
endete dafjfelbe! Noch mehr: deuten jene furchtſamen Verſuche, unter der 
Maske von Bogtrechten, welche ausſchließlich den NAelteften des Gejchlechtes 
zuftehen, eine Bevorzugung der Erftgeburt — wie fol ich jagen — anzu⸗ 
bahnen oder zu verdeden, nicht darauf hin, daß die Urheber des Planes 
Befürchtungen hegten, der Kaiſer würde offened Hervortreten deſſen, was 


‘) Taciti Germania cap. 19: numerum liberorum finire, aut quemquam ex gnatis 
necare, fagitium habetur. 


540 Babf Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


fie heimlich beabfichtigten, wie ein Verbrechen beftrafen? Endlich Tommen 
noch die Schiefale Flanderns in Betradht. Im die Wette behandelt nich 
bloß die neuftrifhe, fondern auch die deutiche Krone das flandriſche Hans 
als einen Todfeind. Nichts unterbleibt, was dazu führen mag, dortige 
Monarchie ein Ende zu machen. 

Alfo Immunität und Theilbarfeit des adeligen Erbe hielt das Walk: 
tum der großen Häufer innerhalb gewiffer Schranken zurüd. Das war 
allerdings ein Gewinn für den Thron, aber fein genügender, fo lange ee 
den Herrichern nicht gelang, das, was fle auf der einen Seite verloren hatten, 
auf einer andern zu ergänzen. Alle Verſuche aber, den Ausfall zu beden, 
ihlugen fehl. Die Anſchauung der Früchte, weldhe aus dem Baume ber 
Lehenerblichfeit allmählig emporfproßten, muß den und jenen Kaifer in ein 
zelnen trüben Stunden faft zur Verzweiflung getrieben haben. Man dart 
bieß aus den Mitteln jchließen, zu welden fte griffen, um vie bebrohte 
Staatsordnung zu fihern. Ein alter Römer fagt, wer Clio's Griffel fühn, 
dürfe nicht nur nichts Falſches jagen, fondern auch das Wahre, das cf 
wife, nicht verfchmweigen. Dieſer Pflicht jo Genüge geſchehen. Dasjenige 
altdeutſche Geſetzbuch, welches am Rachhaltigften wirkte — die Bawarlfa 
nämlid — verleiht dem Lanvesherzoge oder vielmehr dem Oberherrn det 
jelben — Carl Martel, der Urheber des Geſetzes, hat ven fraglichen Ar⸗ 
tifel zu feinen eigenen Gunſten eingefügt — ein förmlidhes Mordrecht, mit 
andern Worten, die Befugniß, Perſonen, die ihm gefährlich zu fein fcheinen, 
ohne Urtheil und Recht, ohne alle Procevur, aus der Welt zu fchaften. 

Der achte Abſchnitt des zweiten Titeld der Bawarifa befagt:") „wenn 
Einer auf Befehl des Königs oder des Herzogs einen Menſchen 
erfchlagen hat, jo kann ver, welcher Solches that, nicht zur Verantwortung 
gezogen werben, nod unterliegt er der Blutrache, weil er das Gebot feinee 
Herrn vollftredte, dem er nicht wiberfpreden durfte. Der Herzog fl 
verpflichtet, einem Solden, jo wie aud deffen Kindern, feinen Schutz zu 
gewähren. Und wenn Der Herzog ftirbt, fo muß fein Nachfolger die gleiche 
Pflicht übernehmen.” Zu allen Zeiten mag es einzelne Fürften gegeben 
haben, welde für erlaubt hielten, Menfchen, deren Dafein dem Staats- 
wohle oder dem herrſchenden Haufe verberblich zu fein erachtet ward, in 
eine Welt zu jenden, aus der fein Wanderer mit Fleifh und Blut wieder— 
fehrt; aber wo dieß etwa geſchah, wurde die That forgfältig mit dem 
Schleier des Geheimnifjes überdeckt. in zweites Geſetzbuch, das fo rüd: 
fiht8lo8 verborgene Gedanfen ausfpräche, tft mir nicht befannt. Wenn Ju 
ftinian’d Sammlung den Satz aufftellt: princeps legibus solutus est, oder 
quidquid prineipi placuit, legis habet vigorem, fo fann derſelbe möglice 


*) Walter, corp. jur. germanic. L 252. 


Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen ber Erblichkeit aller Lehen. 541 


Weiſe au den Sinn haben, der im zweiten Titel der Bawarika hervor: 
tritt, aber der Anftand, der äußere Schein ift hier gewahrt, dort nicht. 
Der bairiiche Abſchnitt fagt rund heraus: dem Fürſten fleht das Recht 
zu, Jeden umzubringen; es gibt gegen ſolche Befehle feinen gefeglihen Schuß, 
feine Klage auf Erfag von Wehrgeld und vergleichen. 

Zwei deutfche Kaiſer des 11. Jahrhunderts, die beide eine Zeitlang 
Herzoge in Batern waren, und won denen überdieß der Eine fi unfterb- 
liche Verdienſte um das Reich deuticher Nation erwarb, Heinrich IL und 
Heinrich II. haben, jener einen feltenen, dieſer einen verjchwenderiichen 
Gebrauch vom 8. Abichnitt des zweiten Titel der Bawarika gemacht. 
Effiharb I., der Meißner Markgraf, Hatte fih wider Heinrich's II. Recht auf 
die Krone erhoben. In der Nacht vom 29. auf den 30 April 1002 wurde 
er zu Poͤlde durch die Vorfahren Otto's von Nordheim erfhlagen. Ich 
weiß nicht, ob man diefen Ball unter den fraglichen Artifel der Bawarifa 
befaffen darf. Ekkihard hegte die unzweifelhafte Abficht, ſich ded Throns 
zu bemächtigen; er war für bie Anhänger Heinrich's II. ein Hochverräther. 
Hodverräther aber ftehen nach mittelalterlihen Begriffen außer dem Schuge 
des Geſetzes und jeder darf fie ungeftraft niedermachen. Anders verhält 
es fich mit einem zweiten Kalle. 

Im Juni 1012 beftieg der Cleriker Walthard durch die Wahl des 
Magdeburger Domfapiteld und wider den Willen ded Könige den Erzftuhl 
der ſächſiſchen Metropole. Heinrih II. hatte hierauf eine geheime Unter: 
rebung mit ihm, hieß dann das Geſchehene gut, übertrug dem neuen Erz⸗ 
biſchofe die Kriegführung gegen Boleslam von Polen. Als aber der Erzbiſchof 
fih in geheime Unterhandlungen mit Boleslaw einließ, ſtarb er nah mur 
zweimonatliher Amtsführung unter höchſt auffallenden Umſtänden weg. 
Thietmard Bericht läßt kaum einen Zweifel darüber zu, daß die Welt an 
Bergiftung glaubte. ') 

Häufigere Beiſpiele kommen unter den Sallen vor. Im Jahre 1034 
unter Kaiſer Conrad U. ließ Margraf Ekkihard II. feinen Schwager Thies 
derih, Markgrafen der Oftmarfe, ermorden. Keine Spur einer Unterfuhung 
zeigt fich, welche eingeleitet worden wäre, um das Werkzeug oder den Urs 
heber der That zu beftrafen; im Gegentheil wiſſen wir, daß König Hein» 
ri III. nachher den Mörder mit Lobfprüchen überhäufte, ihn feinen aller: 
getreuften nannte”). Wer wird glauben, waß Effihard nicht unter höherem 
Schutze ftand, ald er das Werk anorbnete! Seit der Zeit, da Heinrich II. 
mit Gewalt und Lift die Kaiſerkrone an fih brachte, den Etuhl Petri alles 
Landbefiges beraubte, Kaiſer⸗Paͤbſte nad Gutdünken einjegte, nehmen die 
politifhen Mordthaten in entjeglihem Maasftabe zu. Drei blühende Kinder 


) Ofroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 75, 82. *) Eiche oben ©. 180. 


542 Pabft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


hatte Beatrix, die Wittwe des Markgrafen Bonifazius, als fie dem Safer 
Heinrich III. in die Hände fiel; nady wenigen Tagen lebte von den dreien 
nur noch ein Mädchen‘). Um diefelbe Zeit endete der abgefehte Herzog Eon 
rad von Baiern durch Gift, das ihm fein Mundkoch beigebracht hatte. 
Auch Herzog Welf von Kärnthen, der fi mit Conrad in. eine Verſchwö⸗ 
rung eingelaffen, ward plöglich frank und flarb weg‘). Die Reichöverweierin 
Agnes bebte keineswegs vor Anwendung ähnlicher Mittel zurüd. Jener 
Weimarer Wilhelm, der für fie Waffen nad Ungarn trug, hatte als Ge⸗ 
fangener die Politit gewechfelt und fih mit einer ungariihen Prinzeffin 
verlobt; wie er aber im nächſten Jahre die Braut abholen wollte, fiel a 
plöglih auf der Reife todt um. Wir werden unter Heinrid ‘IV. nod 
häufigeren Fällen begegnen. 

Zu gleicher Zeit, da folde Dinge vorgehen, ftößt man ba’ und dort 
auf Spuren einer geheimen Beauffihtigung, die fi unfichtbar über das 
ganze Reich erftrefte. Belege, welche fih auf das öffentliche Leben beziehen, 
follen unten am geeigneten Orte mitgetheilt werben; bier beichränfe id) mid 
auf die Literatur. Die Mönde, welde Chronifen fchreiben, zittern, ber 
Nachwelt die Wahrheit zu überliefern, und Herrmann der Lahme in Re 
henau wendet den größten Scharffinn auf, um das, was er wußte, fin 
gen Lejern in einer Weiſe anzubdeuten‘), die ihn vor Verfolgung ficher flellte. 
Diefe Ehroniften handelten ohne Frage fo, al8 ob fie jeden Augenblid An 
gebereien falſcher Brüder zu befürchten hätten. Es muß in den Kiöften 
wie in den Burgen Aufpaffer gegeben haben. Ein merkwürdiges Beiſpiel 
liefert die Chronif von Cambray. Der Mönch, welcder fie abfaßte, will 
erzählen, wie Balduin V. von Flandern, der fich gegen feinen Vater Bal- 


duin den Echönbart empört hatte, bei diefer Bewegung von dem deuntſchen 


Kaifer Conrad II. unterftügt worden fe. Plöglih ftodt der Iert — 
mehrere Zeilen find ausgefragt”)! Ich denfe mir, daß der Abt oder Biſchof, 
dem der Mönd fein Werk zu zeigen verpflichtet war, die Ausmerzung ſelbſt 
anbefohlen habe, damit nicht etwa des Kaiſers Zorn fi über den uwor⸗ 
fichtigen Schreiber oder feine Vorgefegten entlade. Erft nad Ausbrud 
ded Bürgerkriegs wagten es die Schriftfteller des 11. Jahrhunderts unge: 
Icheut zu fagen, was fie dachten: ein Zuftand der Literatur bildete ſich aus, 
der dem, was man jegt Preßfreiheit nennt, ähnelt. Aber dieſer Bortheil 
war um den Bruch des ftaatlihen Friedens erfauft. 

Im Angefiht der ewigen Grundſätze des Rechts und der Sittlichkeit 
muß man folde Thaten vervammen. Gleihwohl halte idy e8 für verwegen, 
den Stab ohne Weiteres über die zu brechen, welde fie angeoronet haben 





) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 612. ) Daf. ©. 615. 3) Eiche bafelik €. 
486 fig. 494 fig. ) Eiche oben ©. 53. 


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Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 543 


Die Wahrheit ift, daß Erfcheinungen der Art überall vorfommen, wo die beftehens 
den Gefege nicht mehr ausreichen, wo eine alte Ordnung der Dinge ein- 
ftürzt, eine neue in Geburtöwehen liegt. in Theil der Gegenparthei, durch 
Heinrih’8 III. Gewaltftreiche zu wilder Leidenſchaft entflammt,; machte es 
auch nicht befier. Wie vie Fliegen ftarben') jene Katferpäpfte, Clemens II., 
Damajus IL, jene beiden von Heinrich ILL, der Kirche zu Trotz, einge⸗ 
jegten Erzbifchöfe von Ravenna, Humfried und Nitfer, weg. 

Heilmittel, wie die beichriebenen, wirken auf einen Franfen Staats» 
förper in der Welle des Opiums, fie betäuben für den Augenblid, aber 
vermehren die Schwäche und folglid dad Uebel. Nachdrücklich fonnte nur 
dann geholfen werben, wenn ed gelang, eine neue Grundlage des Staats 
aufzuführen. Es hat wahrlid an Vorfchlägen und Verſuchen nicht gefehlt. 

Man kann die Einbußen, welche die Kaiſerkrone durch die Erblichkeit 
der Lehen erlitt, im großen Ganzen unter zwei Hauptgeſichtspunkte fafjen: 
Berluft des ausſchließlichen Rechts der Geſetzgebung und zweitens wejent- 
liche Verringerung der Kriegsgewalt. Als ein glorreiches Denkmal der Herr: 
ſcherweisheit Carls des Großen ftcht das Buch ver Bapitulare da! Aber 
nah ihm jchrumpfte die geſetzgeberiſche Thätigkeit merkwürdig ſchnell zu- 
jammen. Das Edikt, welches Kaifer Heinrich IL. im Herbfte 1019 zu Straß- 
burg veröffentlichte,”) ift ein Gefeg im vollen Einne des Worte, großartig, 
bündig, gerecht, ehern. Zwar bezieht es fich feinem Inhalt nah auf das 
Faiferlihe Italten, doc, hatte e8 Gültigkeit für das ganze Neid. Eben« 
daffelbe muß, genau bejehen, als das legte der Capitulare betrachtet 
werben. 

Der Erlaß Eonrad’8 II. vom Herbft 1024, betreffend Die Fleinen 
Lehen, befaß zwar für Deutichland die Bedeutung eines Gelege, aber nicht 
die Form, und iſt nur dadurch auf und gefommen, daß ihm Wippo eine Etelle 
in feiner Chronif anwies.”) Die Verordnung, welde Conrad, Kaifer ge- 
worden, gegen den Sklavenhandel richtete,*) erfcheint als eine etlichen unge⸗ 
treuen Beamten eingetränfte Rüge; was ebenderfelbe in Bezug auf die 
Lehen Italiens vorfchrieb, ging nicht das Herrenland Germanien, fondern 
nur das Unterthanenland Lombarbien an. 

Roh weniger kommen, ſobald man den Gefichtspunft fefthält, den ich 
eben anbeutete, die öffentlichen Akten der fpäteren Salier und ihrer Nad)- 
folger in Betracht, welche Bert in den zweiten Band der Reichsgeſetze aufs 
genommen bat. Obgleich die Wichtigfelt einer jeden für fich nicht geläugnet 
werden fol, find fie meift Verhandlungen mit dem roͤmiſchen Stuhle, mit 





) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 479, 483, 550, 566. 2) Pertz, leg, IL, a. 38. 
3) Eiche oben ©. 522. *) Perg, leg. II, a. ©. 38 a. 


544 Pab Gregorius VII und fein Zeitalter. 


der und jener Macht, alſo Staatsverträge, aber Feine Gefege im eigentlichen 
Sinne des Worts. 

Die Gefeggebung hörte darum nicht auf, jondern fie fchlug eine anden 
Richtung ein, oder gerieth vielmehr in untergeorbnete Hände. Die Haller 
hatten feinen Anlaß mehr, in ber Weiſe Carls des Großen Gapitularin 
zu verkünden. Denn das Volk der Deutſchen ftand micht mehr unmittelbar 
unter ihnen, eigentliche Unterthanen des Throns waren nur mod die Hin 
terfaßen der Kammergüter. Wollte der und jener Herrſchet letztern ober 
Andern, die ſich in ähnlicher Lage befanden, feinen Willen Fund thun, jo 
wählte er die Korm befonderer, auf beftimmte Orte und ihre eigenthümlichen 
Verhältniffe berechneter Erlafie. 3. B. in den Reichsſtiften Lorſch und Worms, 
welche den befondern Schug der Krone genoßen, waren blutige Streitig 
feiten zwiſchen beiderjeitigen Dienftleuten ausgebrochen. Um dem Uebel zu 
fteuern, gab Kaiſer Heinrich II. unter dem 2. Dez. 1023 eine Verordnung, ') 
welche bei ſchwerer Strafe jeden ferneren Friedensbruch verpönte. Ein äh 
licher Befehl?) vom 9. März 1024 zügelte die Händel zwiſchen ben Stift: 
mannjchaften von Fuld und Hersfeld. 

Die überwiegende Mehrzahl des Volks hing von den „Geftrengen® 
ab, welche durch die Erblicfeit der Lehen Gewalt über Land und Leute, 
über Eigen, Ehre, Glieder, Leben der Hinterfaßen erlangt hatten, Dice 
nämlichen Herm befaßten fih jegt mit dem Gejchäfte, Normen für ihre 
Heerden aufzuftellen. Man nennt folde für befchränfte Kreife von Heinen 
Fürften erlafjene Gejege gewöhnlich Hofrechte. Das Ältefte befannte, von 
einem Laien gegebene, hat einen der Älteren Welfen,zum Urheber, regelt 
die Leiftungen der Hörigen und Zinsleute des von dem Welfenhaufe ge 
Rifteten Kloſters Weingarten, und wurde gegen Ende des 11. Jahrhunderts 
durch Welf IV. und feine Gemahlin Judith erneuert.) Auch die Hohe Beif- 
lichkeit Germaniens trat in ähnlicher Welfe als Gefeggeberin auf, machen 
ihr unfere Kaiſer, die Nothwendigkeit erfennend, dem übermäßigen Wade 
thum weltlicher Bafallen einen clerifalen Damm zur Herſtellung des Gleich 
gewichts entgegen zu fegen, ausgedehnte Güter anvertraut hatten. 

Indefien brauchten Biſchöfe und Aebte in der Regel bier wie jonf 
ihre Macht nicht, um den gemeinen Mann legaliter auszubeuteln, fondern 
um ihn zu ſchützen. Das ältefte geiftliche Landrecht) wurde um 1020 
von dem Wormfer Biihof Burdard erlafien. Im Eingange heißt es: 
„wegen unabläßiger Klagen der Armen und wegen alttäglicher Gewals 
thaten Vieler, welche wie Hunde die Grundholden des 5. Petrus von 

8 


") Codex Laurenh. I, 150. | *) Dronke, end. dipl. Fl. ©. 38. | 
drudt bei Kinblinger, Geſch. der deutſchen Hörigkeit ©. 220. *) Bei alter, 
jur. germ. I, 77579. 


Erſtes Buch. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 545 


Worms zerfleifchen, indem fie ihnen neue Laften aufbürden und den ges 
meinen Mann dur Rectsfprühe unterdrüden, habe ic, Biſchof Burkhard, 
unter Beirath meines Elerus, meiner Bafallen und aller meiner Hinterjaßen, 
gegenwärtige Geſetze aufzeichnen laſſen, damit Hinfüro ein und bafjelbe 
Recht Armen und Reichen gemeinfchaftlich jet.“ 

Ein Irrthum wire e8 zu wähnen, wohldenkende Zeitgenoffen hätten 
nicht mit Schamröthe gefehen, wie der edelfte Schmud der Krone, das 
Geſetz, den Kaiſern entjchlüpft fei. Mit gutem Bedacht ertheilt‘) Capellan 
Wippo in dem an den Salier Heinrich III. gerichteten Lehrgedichte den 
Rath, das Studium des Rechts wieder zu beleben, und dahin zu wirken, 
Daß die höheren Stände ihre Söhne diefem Berufe widmen. Aehnliche Ge- 
danken fpricht ein Privatmann, vornehmer Laie, aus, von weldhem jpäter 
die Rede fein wird. Meines Erachtens rechnete Wippo, wenn nur einmal 
eine hinreichende Anzahl von Juriften vorhanden fei, werde die Geſetz⸗ 
gebung fchon von felbft wieder in die Hände des Kaiſers zurüdfehren. Zunächſt 
aber fonnte Buch und Schreibfever wenig helfen, fondern das Echwert 
mußte erft neuen Gapitularien Raum machen. Denn wer über ein zahl 
reihes, gehorfames und tapfered Heer verfügt, der kann leichtlich Geſetze 
erlaffen, fo viel ihm beliebt, auch denjelben Gehorfam verfchaffen, während 
andererſeits die Erfahrung zeigt, daß fobald Geſetz Brod verleiht, zungen- 
und handfertige Rechtsfünftler nie mangeln. Sch fomme nun auf den 
zweiten Hauptpunft. 

Kaifer Heinrich II. hatte das Kriegsweſen des Reichs neu geordnet, alfo 
daß ed auf zwei Grundjäulen beruhte, den Mannjchaften nämlich, welche 
erftend das geiftlihe Stift, und zweitens das weltliche Lehen lieferte. Weil 
der genannte Kaifer die Kirche und den Pabſt gerecht und gütig behandelte, 
halfen ihm Biſchöfe und Aebte getreulih den Uebermuth der großen Va—⸗ 
fallen brechen. Nie iſt einem deutſchen Herriher von „den Geſtrengen“ 
bereitwilliger gehorht worden, als dem zweiten Heinrih in ven legten 
Jahren feines Lebens: Fein Ehrfüchtiger durfte mehr mudjen. Auch die 
Rechte der Krone und insbefondere die Schugvogtei über Petri Stuhl hielt 
Heinrih, vom deutſchen Elerus unterftüßt, glorreich aufredht. An,der Spike 
von mehr ald 100,000 Mann, meift Kirchenleuten, ift er im Herbfte 1021 
über die Alpen gezogen. ?) 

Allein eine entgegengefegte Wendung nahmen die Dinge unter dem 
zweiten Salier, Heinrih II. Weil er fih am Rechte der Kirche vergriff, 
weil er den Pabſt unterdrüdte, leiftete ihm das Stift nur zögernd Kriegs: 
bülfe, verfagte fie zulegt ganz. Noch jchlimmer machten e8 die Erbherm; 
fie verweigerten nicht blos den Dienft, fondern vereinigten ihre Streitkräfte 





1) Berk XL 251 oben Vers 183—203. 2) Sfrörer, 8. &. IV, 128. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. L 35 


546 Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


gegen den Katfer, und boten ihm Trotz. Auch ftellte fi in Kurzem ber, 
aus, daß, fo Tange die Erbherrn Erbherrn blieben, Feine gründliche Belle: 
rung zu erwarten ſtehe. Man denke ſich das befte, fchönfte Heer der Welt, 
und nehme weiter an, der Kriegöherr, der eine ſolche Armada befigt, werte 
dur irgend welche Verhältniffe genöthigt, die Oberften ſämmtlicher Regi- 
menter für erblih, die Mannſchaften, aus denen fie zufammengefegt find, 
für Erbunterthanen verjelben erblichen Oberften zu erflären: was müßte bie 
Folge hievon fein? Unfehlbar dieß, daß der Heerförper fi in Rotten von 
Verſchwörern auflöfen würde. Nun wollten jowohl die Reichsverweſerin 
Agnes, ald ihr Kind Heinrich IV., auf der vom zweiten Salier eingefchlas 
genen Bahn verharren. Wie follte geholfen werden? 

Die Gewalthaber des 11. Jahrhunderts fannten das geeignete Mittel 
jo gut, ald man es jetzt Fennt, fie wußten, daß der Lanzfnecht, oder das 
Soldheer, unbeftreitbare Vorzüge vor den Lehensmannſchaften befige. Ja, 
noch mehr, es gab bereitd Söldner. Marfherzog Gero hat den Krieg in 
den Slavenbezirfen an der Elbe meift mit bezahlten Leuten geführt. Denn 
Mönch Widukind berichtet:') „da die Soldaten Gero's ſtets vor dem 
Feinde Tagen und täglih Berlufte erlitten, während bie Brovinzen den 
Tribut nicht regelmäßig lieferten — was zur Folge hatte, daß das Heer 
nicht pünftlich feinen Sold erhielt — hub die Mannſchaft an zu meuten.* 
Otto den Großen begleitete?) beim erften Römerzuge eine ftehende Leibwache 
von 400 Mann, die unter dem dritten Dtto auf 1110 Köpfe vermehrt 
worden if.) In Heinridy’8 IV. Tagen bildeten Soldtruppen, die man 
gregarii .nannte,*) bereit einen befondern Theil der königlichen Streitkräfte. 
Da der nämlihe Name für diefelbe Sache, wie ich fpäter zeigen werte, 
in engliihen Quellen vorkommt, drängt fih die Vermuthung auf, daß 
normanniſche Borbilder auf Errichtung der deutſchen Eölpner eingewirkt 
haben. — 

Solche Söldner waren ed allem Anſcheine nad, weldhe jene Kette 
von Burgen, die laut dem Zeugnifje‘) des Czechen Eosmas, herwärts ber 
Gränze Böhmens bis in die Gegend Roms reichten, befegt hielten. Selbſt 
einzelne Biſchöfe hatten beſoldete Dienfimannfchaften. Die Chronik von 
Lüttich erzählt:°) „damit die Kriegszucht ftrenge gehandhabt und das arme 
Landvolf gegen Mißhandlungen der Söldner gefhügt werden Fönne, lieh 
Biſchof Wazo von Lüttich dem Eleinen Heere, das in feinen Dienften fand, 
nad dem Beifpiel der alten Römer täglich Sold ausbezahlen." Vorhanden 
waren aljo Söldner, aber nicht in genügender Zahl, um den Lehenmann- 


') Per& III, 446. 2) Haupfflelle daf. S. 353 untere Mitte. 3) Ozanam, do- 
cuments inedits S. 171. *) Per V, 217 gegen unten. ) Siehe oben ©. 38. 
6) Berg VII, 223 oben. . 


- Erfted Buch. ap. 18. Folgen ber Erblichkeit aller Lehen. 547 


Ichaften das Mebergewicht abzugewinnen, und überhaupt die Abfichten durch, 
zufegen, welche der faliihe Hof im Schilde führte. Ohne große Summen 
fonnte die Maſſe derfelben nicht vermehrt werden, und eben um Aufbrins 
gung des hiezu nöthigen Geldes drehten fi die Schwierigfeiten der Re⸗ 
gierung Heinrich's IV: 

Die Trage ift: reichten die ordentlichen Einfünfte der Krone Hin, um 
ein Eolpheer von 80,000 bis 100,000 Mann zu bezahlen? Ich bin im 
Stande die Sache genauer zu erörtern, ald man es biöher für möglich 
hielt. Aus dem Bapitular, welhes Carl der Große über Bewirthichaftung 
der kaiſerlichen Kammergüter erließ, jo wie aus einigen andern geht hervor, 
daß er der reichfte Landevelmann des Abendlandes war und enorme Maflen 
von Erzeugniffen des Landbaues und der Viehzucht jährlid bezog. Noch 
ein anderer Punkt fteht feſt. Vor Pippin, Carls Vater, hatten die Faifers 
lihen Kammergüter, oder die Zinsbauern der Krone, nur Früchte des 
Bodend oder des Stalls: ald Körner aller Art, Wein, Hanf, Blade, 
Häute, Schlachtvieh, Geflügel, Eier geliefert. Seit Pippins Regierung 
ging erweislich eine Anderung vor, fofern jest ein Theil des Zinjes in 
Geld abgetragen ward. Earl der Große gab der Geldwirthicdhaft eine ſolche 
Ausdehnung, daß von nun an etwa die Hälfte in baarem Geld einging, 
die andere Hälfte in Naturprobuften fortgeliefert wurve. ') 

Im gleihen Stande blieben die Dinge unter den deutſchen Königen 
und Kaiſern. Aus der Zeit, da Otto I. die Höhe feiner Macht erftiegen 
hatte, befigen wir eine Statiftif der einen Hälfte des Kron-Einfommens, 
nämlich der Renten an Bodenprobuften, welche der genannte Kaiſer bezog. 

Wir verdanken fie dem Sammlerfleiß jenes fächfiihen Mönchs, den 
man den Annaliften nennt. Auf den vielen Reifen, die er machte, muß 
er fie im Archive irgend einer Faiferlichen Pfalz entdedt haben. Er fchreibt 9) 
zum Jahre 968: „ich finde aufgezeichnet, daß Kaiſer Otto I. jeden Tag 
bezog: taufend Schweine und Schaafe, 10 Fuhren Wein, 10 Fuhren Bier, 
taufend Malter Kom, 8 Ochfen und außerdem eine ungemefjene Zahl von 
Hühnern, Ferkeln, Fiſchen, Eiern, Gemüfen und vielen andern Dingen,“ 
(wie 3. B. Honig, Blade, Hanf). 

Die Form betreffend, bemerfe ih, daß ein ähnliches Denfmal vorhan- 
den ift, welches die Einkünfte der engliichen Krone unter Wilhelm dem 
Eroberer, nicht, wie es jet üblidh auf das Jahr, fondern gleihfalld auf 
den Tag berechnet. Hievon fpäter am geeigneten Orte. Beftimmen wir 
zunächft die Maaße. Der Malter ift noch heute das gewöhnliche Maaß, 
nad) welchem Frucht auf ven Märkten Oberſchwabens, Alamanniens, Baierns 


») Ich werbe dieß in meiner Gefchichte ber deutfchen Volksrechie bündig nachweiſen. 
2) Pertz VI, 622. 


9290 


548 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


verfauft wird. Ich glaube kaum zu irren, wenn id ihn auf ein Gewicht 
von drei Zentnern Zollgewicht beftimme. Laut mittelalterlihen Angaben‘) 
faßte der Malter 4 modii, der modius Getraide aber wog nad) den von 
Guerard angeftellten Wahrfcheinlichfeitöberehnungen?) etwa 40 Kilogramme 
oder 80 Pfund Zollgewicht. Vier modii geben demnach 320 Pfund, was 
mit obiger Annahme übereinftimmt. Die Yuhre (carrada) Wein oder Bier 
betrug?) foviel, ald man auf einem mit zwei Ochſen beipannten Wagen 
fortfchaffen fonnte, oder nach andern Berechnungen 1200 Zollpfund Gewidt, 
etwas mehr als drei badiihe Ohm. Werner muß man meined Erachtens 
den erften Anſatz des Annaliften „1000 Schweine und Scaafe“ nicht jo 
verftehen, als ob dem Kaiſer täglih 1000 Stüd Schweine und taufend 
Stück Echaafe eingegangen jeyen; denn wäre dieß der Sinn, den ber 
Zeuge ausdrücken will, fo würde er wie unten bei Rubrif Wein und Bier 
gefagt haben mille porcos, mille oder totidem boves, fondern bie Ziffer 
taufend ift gemeinfam von Echaafen und Schweinen zu verftehen, fo daß 
alfo das Einfommen täglich je 500 Scaafe und 500 Schweine betrug. 

Rechnen wir: der gegenwärtige Werth von einem Schaafe und 
einem Schweine wird nah einem Durchſchnitt von 50 Jahren etwa zu 20 
Gulden für das Echwein, 8 Gulden für das Schaaf angenommen werke 
dürfen. Die Fuhre Wein fchäße ih zu 40, das Malter Korn zu 10, die 
Fuhre Bier zu 25, den Schlachtochſen zu 80 Gulden. Demnach belief fih 
das tägliche Naturaleinfommen des Kaiferd an Kom auf 10,000, an 
Schweinen und Echaafen auf 14,000, an Odhfen auf 640, an Wein 400, 
“ an Bier 250 rheinifhe Gulden. Da der Annalift unterläßt, Zahl oder 
Betrag der übrigen egenftände (Ferkel, Hühner, Eier, Fiſche, Gemüfe) u 
beftimmen, darf man den Werth derfelben zufammen faum höher, als ven 
der niederften Ziffer jchäßen. Rechnen wir für leßtere Gegenftände ven 
Anſatz des Biere, jo haben wir weitere 250 Gulden. 

Das tägliche Gelammteinfommen des Kaiſers Dtto I. an Naturalien 
gibt nach jegigen MWerthen für den Tag die Summe von 25,540 für das 
Sahr die Ziffer von 9,322,100 Gulden. 

Nun bezogen aber die Dttonen gleihb Carl dem Großen, außer den 
Erzeugnifjen des Bodens und der Viehzucht, bedeutende Geldrenten aus Kron- 
höfen, aus jogenannten jährlichen Gefchenfen der Stifte, aus Zöllen, Lant: 
ftraßen, Bergwerfen und Tributen der Kammerländer. Bon diefen Geldren 
ten ſpricht) der Quedlinburger Mönch zum Jahre 999 mit den Worten: 
„die Steuergelder der Krone, welche aus dem ganzen Reiche, fei es ald 
Tribute der unterworfenen WVölfer, fei c8 unter dem Namen von Geſchen⸗ 


') Siehe du Cange sub voce maltra. ?) Irminon I, 961. 2) Ibid. IL 189. 
*) Pers III 76: regni census toto orbe tributario jure vel etiam donario quaesitus. 


Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen ber Erblichkeit aller Lehen. 549 


fen zufammenfloßen.” Ich glaube in gutem Rechte zu jeyn, wenn ich den 
Betrag der Geldrenten dem der Naturalbezüge gleichjchäge, und alfo für 
das Gefammteinfommen der Krone in den blühendften Zeiten des ſächſiſchen 
Kaiſerthums rund die Ziffer von 20 Millionen, wohlgemerft nad heu- 
tigen Werthen anfege. Daſſelbe warf alfo ungefähr die Hälfte deſſen 
ab, was gegenwärtig das Königreih Baiern in den Staatsihag zahlt. 
Bon diefen Einfünften der Kaiferfrone mußte durchaus alles beftritten wer: 
den, Ausgaben des Heeres, des Hofs, des Föniglihen Hauſes, Gejandt- 
Ichaften, Beftehungen im Ausland, Spione im Innern. Denn das deutiche 
Mittelalter kannte feine allgemeine Staatöfteuern nach heutiger Weiſe; die 
Hoffammer war der Reiheichak, die oberfte Pfalzbehörde das Minifterium 
der Finanzen. 

Ohne Frage find unter den fpätern Ottonen, theils durch wieder: 
holte Empörungen, theild dur die Verirrungen, zu welchen fi der unglüds 
lihe Jüngling hinreißen ließ, der von 984 bis 1002 auf dem deutſchen 
Throne jaß und wegftarb, ehe er zum reifen Berftande fam — ich fage, 
durch diefe verſchiedenen Urfachen find eine Menge Kronhöfe in allen Thei⸗ 
len ded Reichs abhanden gekommen. Kaifer Heinrih II., der auf Otto III. 
folgte, verjchenfte fein ganzes Allod an die Kirche. Unter den Schwierigs 
Feiten, auf welche der nachmalige Kaiſer Canrad IL als Thronbewerber ftieß, 
nahm Armuth den erften Rang ein‘) er hat, auf den Thron gelangt, der 
Kaiſerkrone wenig zugebradt. Allein nicht lange ftand es an, jo famen 
die Salier, um mit dem Eprihworte zu reden, in die Wolle. Schon im 
Jahre 1027 fühlte fih Conrad ftarf genug, den bairiſchen Vafallen, welche 
fih während früherer Unruhen am Krongut vergriffen hatten, den Raub 
abzujagen?). Obgleich die Chroniken nichts davon berichten, jo wenig ald 
von der bairiichen Unterfuhung, die wir nur aus einer Urkunde kennen, 
find ficherlih Ähnliche Wiedererftattungen auch in andern Provinzen durch⸗ 
gefett worden. Denn fein Bürft bleibt in folhen Dingen beim A ftehen, 
fondern man fchreitet zum B und € fort. Vollends Conrads II. Sohn und 
Erbe, Kaifer Heinrich IIL war ein vollendeter Finanzmann und man darf 
zuverfichtlih vorausfegen, daß er die Kroneinfünfte zum Mindeften wieder 
auf die Höhe brachte, die fie unter Dtto I. erftiegen hatten. 

Meine Gründe find: erſtlich ſpricht) der Bremer Ehronift Adam um 
1048 von unermeßlihen Renten des Kaiſerthums. Zweitens war 
Heinrich III. reich genug, um in furzer Zeit ein Jagdhaus, das früher an 
der Stelle Goslars fand, in eine blühende Stadt mit Hauptpfalz, Kirchen 
und Klöftern zu verwandeln, was bedeutendes Einfommen vorausjegt?). 


1) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 218 fig. 2) Daf. ©. 264. 3) Gesta hammab. 
III, 27. Berg VII, 346: ingentes regni divitiae. 


550 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


Drittens hat Heinrich II. die Tribute der Kammerländer Stalien, Polen, 
Ungarn, Böhmen, Slavien fortwährend gefteigert. Viertens liegen tat 
liche Beweiſe vor, daß die Bergwerfe im Harz zu feiner Zeit hohe Summa 
abwarfen. 

Thietmar von Merfeburg ruft‘) aus: „unter Dtto I. ift Das golden 
Zeitalter angebrocdhen, die erfte Silberader ward bei und entdeckt.“ Dar 
über, daß die Umgegend der nachmaligen Stadt Go8lar der Ort war, we 
die neuen Bergwerfe erftanden, flimmen alle Zeugniffe überein. Anmuthige 
Sagen liefen über Art und Weife der Entvedung um, denen jedoch, wie 
immer, unbiftorijche Züge eingewoben finv. 

Ich theile eine derſelben) mit: „der Kaifer pflegte an dem Orte, we 
jegt Goslar fteht, zu jagen, denn ed gab dort Bären, Hirfche, Rebe in 
Fülle. Mitten im Forſt hatte ein armer Mann Namens Gundelkarl eine 
Hütte, welche der Kaiſer zuweilen nad der Jagd bejuchte. Der Mann 
züundete dann Yeuer an, Fochte und trug dem Kaljer auf, was er vermodte. 
Als durch diefe Ausgaben fait al’ fein Geld aufgezehrt war, bat er ven 
Kaifer um eine Gnade. Diefer entgegnete: fag’ nur was du will. Gum 
delfarl deutete auf eine benachbarte Höhe, welche der Rammesberg hieß, 
und ſprach: um die bitte ih. Der Kaifer, der großmüthig war, lachte 
und meinte, Gundelfarl hätte fih etwas Werthvolleres wünfchen ſollen. 
Aber Gundelkarl wußte, was in dem Berge ftedte, ging hin in jein H% 
mathland Franfen — denn er war felbft ein geborner Franfe — jammelte 
dort Leute, die fih auf den Bergbau verftanden, fehrte zurück und baute 
fi mit ihnen an. Bald fanden fie Adern von Kupfer, Blei, Silber um 
Gundelkarl wurde ein fteinreiher Mann; nach den Sranfen, Die Den Berg: 
bau zu Goslar einführten, heißt noch jegt einer der Erzberge Frankenberg.“ 

Fälſchlich nennt der Abfaſſer dieſer Sage den Kaifer, unter dem tie 
Entdeckung der Erzadern erfolgte, Heinrich ftatt Otto, während befanntlid 
Heinrih I. nie die Kaijerfrone trug; ebenjo unrichtig ift, daß die Goslarer 
Gruben von Privatleuten ausgebeutet wurden, fie gehörten vielmehr ve 
Krone; für hiftoriih begründet dagegen halte ich die Angabe, daß Leute 
aus Franken, d. h. aus den Rheinlanden, den ſächſiſchen Bergbau einge 
richtet haben. Im Stifte Lüttich blühte bis in die Zeiten der Römer zurück 
allerlei Erzgewerb und Bergbau. Das Grubenwejen im Harze ift frühe 
Iyftematiichh ausgebildet worden. Dan hat deutlihe Epuren, daß ſchon im 


) IL 8. Ber III, 747. ?) Henrici Bodonis syntagma bei £eibniß script. I]. 
714: Otto primus venas argenti et aeris juxta ciritatem Goslariam invenit. Ebenſc 
de fundatione quarundam etc. ibid. I, 261: rex mineralia in monte invenit, qui dici- 
tur Ramesberg. Ferner chronicon Engelhusii ibid. II, 1075: Otto reperit venas aun 
et argenti Goslariae, unde duas ecclesias collegiatas et nobile palatium imperiale 
fundavit ibidem. 


Erſtes Bud. Cap. 18. Folgen ber Erblichkeit aller Lehen. 551 


13. Jahrhundert ein eigenes Bergrecht beftand. Die mit dem Metallbau 
beichäftigten Leute hießen im Allgemeinen auf Latein sylvani, zu deutſch 
Waldleute oder Waldwerker; von den eigentlihen Bergfnappen, die unter 
ber Erde arbeiteten, unterjchied man drei Gewerbe, die Hüttenleute (car- 
bonarius), die Schmelzer (fusor) und die Abtreiber (separatores), welche 
das edle Metall von dem Geftein ſcheiden.) 

Daß nun die Harzbergwerfe unter Heinrich III. und IV. große Er- 
trägnifje lieferten, jchließe ich daraus, weil beide genannte Fürften nicht 
nur Goslar jelbft in eine Stadt verwandelten, fondern auch das umliegende - 
Land — das ganze Gebiet der Bergwerfe — durch angelegte Burgen ver; 
wahrten.?) Sie machten jene Gegend zum Mittelpunkt aller gegen Sachſen 
gerichteten kriegeriſchen Maßregeln: mit einem Worte, fie bewachten Goslar 
mit einer Sorgfalt, als glaubten fie einen Nibelungenhort dort verborgen. 

Endlih bürgen für den blühenden Stand der Finanzen unter Heins 
rih II. auch noch die ſehr vervollfommneten Pfalzeinrihtungen, die ich 
oben nachwies, jo wie bdrittend eine merkwürdige Nachricht, welche ber 
Biograph des Biſchofs Benno von Osnabrück mittheilt. Derfelbe erzählt, ®) 
wie Benno den erften Unterricht zu Reichenau durch Herrmanı den Lah- 
men erhielt, dann eine Art von hoher Schule bezog, weldhe die Salier zu 
Speier errichtet hatten. „Zu Speier,“ fährt der Biograph fort, „machte 
Benno nicht blos Fortichritte in den Wiffenjchaften, fondern ey begann auch 
bereitd Reichthümer zu erwerben.” Dann den Schap feiner Kenntniß 
fchildernd, fagt er: „Benno verftand alle Zweige des Landbaus und der 
Viehzucht aufs gründlichfte, und zwar nicht etwa durch bloße Webung, 
fondern in theoretiichert) Hinſicht.“ Meines Erachtens nöthigen Teptere 
Worte zu der VBorausfegung, daß damald in Deutichland irgendwo — 
wahrjcheinlih zu Speier — eine Anftalt, wo Landbau und Finanzweſen 
zugleich praftiih und theoretiich gelehrt ward, alſo eine Art von Hohenheim 
beftand. Ein glänzenderer Beweis für die Staatswirthſchaft der Salier 
laßt ſich kaum denken. 

Mag nun die Gefammtziffer der Kroneinkünfte beim Tode Heinrichs III. 
den Betrag ebenderfelben unter Dtto I. erreicht, oder, wie ich glaube, jos 
gar überfchritten haben, oder mag dieß nicht der Fall geweſen fein: gewiß 
ift, daß fie nicht ausreichten, weder um Lehensmannjchaften, jo oft ald die 
Salier e8 wünſchten, nah Italien in Bewegung zu ſetzen, nody viel wenis 
ger um ein flehendes Solpheer von 80—100,000 Mann zu unterhalten. 
Denn auch die Römerzüge von Lehenleuten Tofteten dem Schatze viel Geld, 


1) Leibnig a. a. DO. III, Vorrede S. 17 Nr. 20 u. 21 und Tert 535 fl. °) Die 
Beweife bei &frörer, Kirch. Geſch. IV, 478 flg. 3) Berk XIL, 62. *) Ibid. 64: 


quam tamen non usu constat eum didicisse, sed arte. 


552 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


weil die Maſſe der Fleinen Vafallen nicht im Stande war, aus eigenem 
Sedel auf fremdem Boden zu zehren, und weil, wenn man fie auf Rau 
angewiejen hätte, die Erbitterung in den Kammerländern gränzenlos geworten 
feyn würde. Ein Vertrag‘) liegt vor, den Kaifer Conrad IL. mit feinem Stiefjohn 
Ernft, al8 dieſer an ihn feine Güter zu Weißenburg im Nordgau überlieh, 
im Mai 1029 abgejchloffen hat. Derjelbe beftimmt: „Söhne von Lehen 
mannen dienen ein Jahr unentgeldlid am Hofe des Kaiferd, im zweiten 
Jahre empfängt jeder drei Kronhöfe zu Lehen, wo nicht, find fie aller Der: 
pflihtungen entledigt. Beim Römerzug fol jeder erhalten 10 Pfund Gelr, 
5 Hufeilen, zwei Rehfelle, einen Mauleſel mit zwei wohlverfehenen Man 
teljäden, einen Knecht zum Fahren, einen andern zum Treiben. Bon 
Letzteren bekommt jeder ein Pferd und ein Pfund Geld. Nach Ueberfteis 
gung der Alpen liegt die Verpflegung der Lehensmannichaft dem kaiſerlichen 
Schatze ob. Bei andern Heerfahrten (als nad Italien) empfangen die 
Weißenburger Dienftleute 5 Pfund Geld, ein Padpferd ohne Manteltad, 
fünf Hufeifen, zwei Gaisfelle.“ 

Faſt gleichlautende Sabungen finden fih in einem kölniſchen Dienf 
rchte aus dem 11. Jahrhunderte. Hier heißt?) ed: „alle Vaſallen, 
welche Lehengüter inne haben, die jährlich einen Ertrag von 5 Marf um 
mehr abwerfen, find verbunden, ihrem LXehenherrn, dem Gölner Erzbiſchof, 
über die Alpen auf dem Römerzuge zu folgen. Iſt ein Römerzug ange 
jagt, jo wird der Erzbifchof jedem der Genannten 10 Marf zur Ausrüftung, 
15 Ellen Scharlachtuch zur Bekleidung für die Diener, ein Packpferd mit 
Sattel und Zeug, 2 Manteljäde mit einer Dedhaut, 4 Hufbeichläge jammt 
24 Hufnägeln liefern. Hat man die Alpen überjchritten, jo empfängt 
jeder Vaſall für feinen Unterhalt monatlid eine Marfe aus der Rent 
fammer des Erzbiichofd.” Die Uebereinftimmung beider Urfunden beweist 
meines Erachtens, daß bezüglicd des fraglihen Punktes fo ziemlich die nim 
lihen Einrichtungen da und dort im Reiche beftanden. 

Kaifer Heinrih IL. hat zwei Römerzüge, ebenjoviele haben je Cor 
rad II und Heinrich II. gemacht. Innerhalb 50 Jahren Fonnten de 
Koften für ſechs Unternehmungen der Art von der Krone, von den oberfa 
geiftlihen und weltlihen Vafallen aufgebracht werden. Aber die Aufftellun 
eines ftchenden Heeres erforderte die gleiche ja noch höhere Ausgaben für 
jedes Jahr. Hoch war der Eold, verhältnißmäßig um ein Gutes höke, 
al8 ihn jest irgend ein Heer — felbft das englifche nicht ausgenommen — 
befümmt. Zwar liegen feine Nachrichten über Bezahlung deuticher Sol: 
ner aus Heinrih8 IV. Tagen vor, aber wohl fennt man, wie fpäter ge 


) Den Nachweis bei Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, 291. 2) Kindlinger, Miünfterk 
Beiträge II, 70 flg. 





Erſtes Bud. Gap. 18. Bolgen der Erblichkeit aller Lehen. 553 


zeigt werben fol, den Sold der Widinger, die den Königen Swen, Knut 
und deren Nacyfolgern in Britannien, zum Theil in Dänemark und Nors 
wegen dienten. Ich glaube nicht, daß bie deutſchen Kaifer im Stande ges 
wejen wären, ein Ähnliche8 Heer aufzubringen, hätten fie karger bezahlt. 
Um das Werf durchzuführen, mußten daher die oben nachgewieſenen Staats- 
einfünfte wenigſtens verfünffacht, vielleicht verzehnfacht werben. 

Unzweifelhaft liefen die Abfichten der Regierung auf dieſes Ziel hin. 
Das erite Mittel, weldhes fie ergriff, war der Dienfthandel, wobei man 
ältere Vorgänge ald Grundlage benügte. Die Aemter des Reichs zerfielen 
in zwei Hauptflaffen, in weltliche und geiftliche. Bezüglich der erfleren muß 
man himviederum zwei Fälle unterjcheiden: entweder fonnte es ein Neuling 
jeyn, der ein Lehen empfieng, oder übernahm feit Einführung der Erblidy- 
feit der Sohn das Lehen des Baterd. Die Gefchichte zweier Älteren Herr: 
her liefert Beijpiele, daß Neulinge nicht ohne weſentliche Gegenleiftungen 
in weltlihe Lehen eingejegt wurden. Eine Urkunde‘) vom Jahre 1004 
liegt vor, laut welcher König Heinrich II. feinen Dienftmann Wolferat von 
Altshaufen gegen Abtretung der Zehntbezüge zu Malterdingen (im Breis- 
gau) und einiger andern Werthe mit dem Comitate im Eritgau belchnte. 
Sodann weiß?) man, daß der Ezzonide Dtto, ehe er aus Heimichs II. 
Händen 1045 die Fahne Alamanniend empfing, an die Krone St. Swi- 
bertd Inſel oder Kaiferswerth und Duisburg überlaffen mußte. 

Heinrih IV. überbot diefe und ähnliche Forderungen feiner Vorgäns 
gänger bei Weitem. Lambert von Hersfeld gibt?) zu verftehen, daß Welf 
IV. dad Herzogthum Baiern nah dem Sturze ded Nordheimer Otto für 
unermeßlihe Summen vom Könige erfauft hat. Den zweiten Ball betref- 
fend, find einzelne Beweife vorhanden, daß auch nad Einführung der Xehen- 
erblichkeit Söhne ven Vätern nicht ohne einen gewiſſen Preis folgten. 
Dietmar von Merjeburg berichtet,*) daß Heinrich II. an Weihnachten 1009 
dem Herfommen gemäß Theovderih, Dedi's Sohn mit dem Comitat 
jeined Vaters belchnte; eben derjelbe erzählt’) aber weiter, Godila, bie 
Wittwe des Markgrafen Liuthar habe dafür, daß ihr Sohn Werinhar in 
das Lehen feines Vaters eintreten durfte, 200 Mark Silber an die Krone 
entrichtet. Die Nachfolge der Söhne in ven Lehen der Väter war, als 
Dietmar fchrieb, gewöhnlich, denn der Merjeburger Chronift ſpricht ja von 
einem Herfommen; aber auch der andere Fall kann Fein außerordentliger, 
fondern muß ein häufiger gewefen fein. Mit andern Worten die Sade fieht 
fo aus, ald ob der Sohn, ehe er das Lehen des Vaters übernahm, einen 
Zehenfanon zu bezahlen hatte. 

1) Dümge, regest. badensia ©.‘ 15. 2) Berk XI, 404. 2) Berk V, 179. 
%) Perg III, 821. 6) Daf. ©. 831. 


554 Pobſ Gregoriue VIV. und fein Zeitalter. 


Hat Heinrih IV. diefen Gebrauch beibehalten? Beweiſe fand id nir 
gende, ja dad Gegentheil ſcheint aus etlihen Thatſachen zu erhellen. In 
der menschlichen Natur liegt ed, daß Niemand den vorausgefegten Kanon 
gerne bezahlte. Nun wurden über den geiftlihen Dienfthandel die lautefen 
Klagen geführt, während nirgends von Beſchwerden die Rede ift, welche 
weltliche Dienftleute über Beichapung erhoben. Dagegen ermangelten % 
- tere nicht über Raub zu fchreien, fo oft der König ein Lehen einzog. Ich 
möchte hieraus den Schluß ziehen, daß Heinrihs IV. Regierung die Steuer 
aus der Nachfolge der Söhne in die Lehen der Väter vorerft ruhen lief. 

Und nun zu den geiftlihen Aemtern. Bezüglich ihrer wurde ber 
Dienfihandel im weiteften Umfange betrieben. Bald kam es fo weit, daß 
der faliihe Hof faft offen Stühle, Abteien, Canonifate, wie im alten rö- 
mifchen Reihe Steuerpacdhtungen — in Aufftreih brachte. Die ummwürdigs 
ſten Menfhen, wahre Buben, gelangten zum Dienfte des Altars. Laut 
befannten Thatfachen fand eine doppelte Behandlung des Geſchäfts fatt: 
gewöhnlih erlegte der, welcher ein Kirchenamt erfaufte, auf einmal um 
zum Voraus den ganzen Kaufpreis, und es blieb ihm dann überlafien, 
jelbft zu fehen, wie er wieder zu feinem Gelde fomme. So zahlte‘) ver 
Mönd Robert, den man nur den Wechsler oder Geldfad nannte, auf einem 
Brett für die Abtei Reichenau an die Hoffammer 1000 Pfund des lauter 
ften Eilbers, d. h. nad dem Metallgewicht ungefähr 40,000 Gulden, nad 
den jegigen Werthen beiläufig 160,000 Gulden. Dod muß es zuweilen 
gefchehen feyn, daß die Hoffammer ſich mit Schuldverfchreibungen begnügte 
und daß Käufer, welche der König begünftigen wollte, nach und nad bie 
Kaufjumme aus den Einfünften der übertragenen Pfründe ablieferten. Der 
Lebensbejchreiber des Metropoliten Hanno von Cöln erzählt, der Abt von 
Ellwangen in Schwaben ſeye dem Könige beveutende Summen jchuldig ge 
weſen. Da der König ficherlich feine Wechfelgefchäfte betrieb, iäßt fich bie 
Schuld nur durd die Annahme erklären, der fragliche Abt Habe die Koſten 
feiner Einjegung noch nicht abgezahlt gehabt. 

Wer damals fein Glück bei Hofe machen wollte, namentlich geiftlid 
Herren, die nach reihen Pfründen angelten, mußte vor Allem ſehen, dab 
er über baar Geld zu verfügen habe. In ſolchen Fällen wendet man fid 
gewöhnlid an Wucherer, und weil Juden ſtets die geſchickteſten Wudckra 
waren und find — an Juden. In der That blühte damals der Juden 
Geſchäft, namentlih in den Städten der großen Handelsſtraße, nämlid 
am Rheinftrom, merfwürdig auf. Auch würdige, tugendhafte PBrälaten, wi 


‘) Lamberti annal. ad a. 1071. Pers V, 183: irrupit Robertus abbas, Cognomenu 
nummularius, annumeratis in aerarium regis mille pondo argenti purissimi. 2) Va 
Annonis I, 38. ®erg XI, 483 a. 


Erfted Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 555 


Hanno von Eöln, geriethen zuweilen, vermuthlich weil ihre hohe Stellung 
fie zu übermäßigen Ausgaben nöthigte, in peinlidhe Verbindlichkeiten gegen 
Hebräer. Hanno's Biograph erzählt: „ald Hanno todtfranf darniederlag, 
rief er feine Gefchäftsleute zu fih und nahm ihnen einen Eid ab, daß fie 
aus feinem Nachlaſſe alle Schulden, die er bei Juden und Chriften ge: 
madt, aufs Pünftlichfte bezahlen wollten, was auch nad) Hanno’d Tode 
wirflih geihah.” Einzelne Juden wurden fteinreich, aber die Folgen blieben 
nicht aus, die fih aus ähnlichem Anlaß ſtets von Zeit zu Zeit wieberho- 
len: ein wüthender Volkshaß jammelte ſich gegen die Befchnittenen an und 
bei Ausbruch der Kreuzzüge ſchlug man fie in den Rheinſtädten wie tolle 
Hunde tobt, nachdem das Bisthum vergeblich große Anftrengungen gemacht 
hatte, die Unglüdlichen zu retten. 

Das Geſchrei gegen den geiftlihen Dienfthandel wurde jo groß, daß 
die Regierung einlenfen mußte. Meines Erachtens war ed nie ihre Ab- 
fiht, die Simonie für immer beizubalten, fondern fie brauchte diejelbe ale 
Hebel, um den höhern Elerus mürbe zu machen, damit er deſto eher feine 
Einwilligung zu einer großen Binangmaßregel gebe, welde der Hof von 
Anfang an im Schilde führte. Diefer bisher noch verborgen gehaltene 
Gedanke trat im 20. Jahre des Königs, dem 15. feiner Regierung hers 
aus: er lautete — Einführung einer allgemeinen Reichsſteuer, 
zu der ein jeder ohne Unterfchied des Standes — Adelige und Bürgerliche, 
Hreie, Halbfreie, Unfreie — beitragen follte. Bruno, der Geſchichtſchreiber 
des Sadjenfrieges fagt:?) „der König wollte wie die Sachſen jo aud) die 
Schwaben zwingen, daß fie ihm von ihrem fämmtlichen Eigentbum Steuern 
zahlten.” Nicht bloß auf Sachſen und Schwaben, fondern auf alle Reichs⸗ 
infaßen: Schwaben, Sachſen, riefen, Franken, Lothringer, Baiern ſammt 
den zu jedem Herzogthum gehörenden Marfen war es gleichmäßig abgejehen. 

Die Sade ift nicht zum Vollzug gefommen, man fann daher 
nicht jagen, wie die Ausführung fich geftaltet haben würde. Doch liefert 
die Geſchichte der neuftriichen Carolinger einige Anhaltspunftee Zu der 
Steuer,’) weldhe Carl der Kahle für das Jahr 877 ausſchrieb, zahlten 
geiftlihe und weltlihe Vaſallen hohen und niederen Ranges von jedem 
Herrenhof 12 Denare, von jeder Pachtung, auf der ein freier Pächter ſaß, 
8, von jeder Wirthfchaft eines Leibeigenen, 4 Denare. Die Pfarrer hatten 
höchſtens 5 Schillinge, mindeſtens 4 Denare abzutragen. Aehnliche Forde⸗ 
rungen hätte, denfe ih, Heinrih IV. geftellt. 

Wäre nun der Plan durchgeführt worden, was würde geſchehen jeyn? 
Ich laſſe einen berühmten Schriftfteller des 16. Jahrhundertd reden. Mars 


1) Vita Annonis lib. III, cap. L Berk XI, 502. ?) De bello saxonico cap. 17. 
Verb V, 335. 3) Sfrörer, Garolinger 1I, 163. 


556 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


tin Luther überfegt den griechiſchen Tert‘) des erften Buchs der Makla— 
bier, Abfchnitt 3. V. 54. 55 folgender Maaßen: „darnach ließ Judas, 
(der Maffabäer) das Volk zufammenrufen mit der Poſaune und madte 
ein Feldregiment, Oberfte, Hauptleute und Waibel.“ Unver 
fennbar fpricht Luther aus eigener Anfhauung In feiner Jugend, zu 
der Zeit, da er die Einheit der Kirche noch nicht angetaftet hatte, war Lu, 
ther zu Augsburg und Insbrud und fah dort die Kriegsoberften Kailer 
Marimiliand I., den Ritter Jörg von Frondsberg und Andere verrichten, 
was er in wenigen Worten jo ergreifend ſchildert. Nun eben jo würde es 
im vorausgefegten Falle von Heinrich IV. heißen: er richtete ein Feldregi— 
ment auf und ordnete 8H— 100,000 Lanzfnechte unter Oberften, Hauptleuten 
und Waibeln. 

Und nachdem dieß gelungen, würden wir weiter lefen: König Hein 
rich verfammelte die Biſchöfe und Aebte des Reichs zu einer Synode und 
ſprach zu ihnen: blidt um Euch, jo werdet Ihr gewahren, daß meinen väters 
lichen Abfichten ftarfe Gründe zur Seite ftchen. Ihr ſollt es gut haben, 
aber feinen Widerſpruch mehr, fonft....”) Sodann rief er die Herzoge, 
Markgrafen, Grafen, Bicegrafen und alle größeren Vaſallen an verſchiede⸗ 
nen Orten zufammen und hub alfo an: Ich habe Euch fünf Forderungen 
vorzulegen: 1) wollet Ihr mir alle Eure Burgen überantworten und in 
die Ebene herabziehen; denn in Zukunft wird nur Kaiſer und Reid Burs 
gen haben; 2) wollet Ihr alle Eure Dienftleute unter meine Kriegsknechte 
einreihen — in Zufunft wird nur Katfer und Reich Soldaten halten; 3) 
wollet Ihr auf die Erblichfeit Eurer Lehen verzichten, die Ihr mit Trug 
und Gewalt an Euch gebracht, und ruhig abwarten, bis ed mir gefällt, 
einen Eurer Söhne zu verjorgen; 4) wollet Ihr die Heinen Freien wieder 
herftellen, die Ihr mit Trug und Gewalt in Abhängigfeit verftießet; 5) 
wollet Ihr Euch mit den Aemtern von Schagbeamten begnügen, für ride 
tige Ablieferung der Kronfteuer einftehen, dabei aber Bürgichaft Ieiften, daß 
Ihr feinen Untergebenen widerrechtlich übervortheilet? Wollet Ihr dieſe fünf 
Punfte ohne Widerrede einräumen, fo fol Gnade ftatt firengen Rechts 
über Euch ergehen. Wo aber nicht: Kanzknechte vor! Weiter würde man 
lefen, daß König Heinrich Gerichte niederfegte, eine Menge zum Tode ver 


2) In der Urfprache lautet er fo: xal Zoalnıcay zais oalnıykı, xal EBonoar 
ywyıy ueyaly, xal uera Täro xaresnoev Isdas nysufvas tũ Akad, xıulıapyas zal 
Exatovragyas xal NEVINXOVIGEXBS xal dExKeyas. 2) Unten werbe ich aus einem 
Haren Zeugnifle darthun, daß den Bifchöfen in der neuen Reichsordnung eine prächtige 
Stellung, freilih ohne Würde und ohne — Chriftenthum zugedacht war. Sie würde 
ungefähr gehalten worben fein, wie die Biſchöfe des Königs Heinrich VIII. von England. 
Auch Weiber hätten fle je nad Umfländen nehmen dürfen und an Ginekuren für bie 
Söhne und Töchter der geiftlichen Herrn hätte es nicht gefehlt. 


Erſtes Bud. Gap. 18. Kolgen der Erblichfeit aller Lehen. 557 


urtheilte, daß er die Güter von noch viel Mehreren zum Staatsfchage fchlug ; 
daß in Kurzem Stand und Name der Herzoge, Grafen, Markgrafen da⸗ 
hinſchwand wie Schnee im Frühjahr, und daß hinfort Die Länder des Reiche 
nad der Weife eines Feldregiments von Hauptleuten und Öberften, oder 
ähnlichen militärischen Beamten verwaltet worden feien. 

Das find Feine Phantafien, fondern ich werde in einem der folgenden 
Kapitel Punkt für Punft aus den eigenen Eingeftänniffen der Faiferlichen 
Schriftfteller erhärten. Etwas Würchterliches war im Werke, Etwas, das 
Europa von einem Ende zum andern verwirrt und dag gleihwohl mit dem 
Sturze der Salier geendet haben würde. Man kann das mittelalterliche 
Kaiſerthum faum anders ald mit dem Namen eines Schattenfpield bezeich- 
nen. Eine Zeit lang fchien Carl der Große nahe daran, Ernft daraus zu 
machen, doch blieb ed beim bloßen Verſuche, und dieſen Berfuh hat gleich: 
wohl die Mafle des fränfiihen und deutihen Volks mit dem Verlufte der 
Freiheit und alten Wohlſtands bezahlt. Otto I. fam auf die Rolle Carls 
des Großen zurüd, aber ſchon viel ſchwächer, und fein Sohn und Enkel 
gingen unter über den Anftrengungen, die fie machten, ded Vaters und 
Ahns Werk zu erhalten. Die Macht Julius Cäfars, nach deren Wieder: 
herftelung bewußt oder unbewußt unfere Kaijer ftrebten, fann nur mit ben 
Mitteln Julius Cäfars, d. h. mit römifchen Legionen, oder, da wir Deutſche 
ebenfo gut, vielleicht noch beijer, das nöthige Zeug dazu in unferem Bauern- 
ftand befigen, mit deutichen Feldregimentern behauptet werben. Der Lehen: 
ftaat taugt nicht zur Welteroberung. 

Nun eben um Wiederaufrichtung der Legionen handelte e8 fi damals. 
Das finanzielle Vorbild aber, das gleihfam die Seele des ganzen Getrie- 
bes war, fam richtig aus dem Brucftüde des alten römijchen Reichs, 
das damals allein noch ſtand, nämlih aus Byzanz. Ein Schriftfteller, den 
ih in den nächſten Capiteln aufführen werde, ein Schriftfieller, der das 
Vertrauen der Kaijerin Agned und eine Zeitlang auch Heinrichs IV. ge: 
noß, rückt mit den legten Hintergedanfen feiner PBarthei, zum großen Vor: 
theil der Gejchichte, ungefcheut hervor. Biſchof Benzo von Alba ruft‘) aus: 
„Apulien und Galabrien find Provinzen, die des Kaiſers Sädel füllen. 
Aus diefen Landen o Herr! wird, jofern Du nur willft, Geld wie Heu in 
deine Schatzkammer fließen.” 

Die Ausführung war fchon ziemlich weit gediehen, ehe die Bedrohten 
den geheimen Sinn merften. Zugleih wird aus den Schilderungen der 
Quellen flar, daß der Plan von Heinrid III. ausgegangen ifl, und daß 
Agnes und ihr Sohn nur in die Fußtapfen des zweiten Saliers traten. 
Im Jahre 1048 hat Kaijer Heinrich III. angefangen?) Goslar zu befefti- 


1) Berk XI, 629 oben. 2) Gfrörer, 8. ©. IV, 478. 


558 Babft Sregorius VII. und fein Seitalter. 


gen. Nun bezeugt‘) aber der Lebensbejchreiber Benno’s, Daß die vormmd. 
ſchaftliche Regierung, den Abfall der Sachſen von Weitem vorherſehend, 
und ohne Frage auf dem von Heinrich III. gelegten Grunde fortbauent, 
noch viele andere Burgen in Sachſen errichten ließ. Bruno fagt:”) „wir 
hielten Anfangs diefe gehäuften Bauten für ein kindiſches Spiel und Viele 
von uns halfen felbft dazu, theild mit Gelbbeiträgen, theild mit Ablieferung 
von Bauftoffen.” Manche Biſchöfe waren im Geheimniß und unterftügten 
den Plan, Bilchöfe nicht aus der Zahl jener Miethlinge, die feit 1064 
auffamen,, fondern von den älteren ehrenhaften Prälaten aus der Reihe 
fanzlei. Sch nenne vor allen den Erzbiichof Adalbert von Bremen. Es 
fcheint mir nicht ohne Bedeutung, daß er der Sohn eines Pfalzgrafen war, 
und wohl von Kindesbeinen an den Hofgeift eingefaugt hat. Er glaubte, 
wie es Scheint, ein fchranfenlofes Kaiſerthum fei jedenfalls befler, ald ewi- 
ges Partheitreiben im Lande. Die Anhänger Roms dagegen, die nit 
ohne Grund eine völlige Verfnedhtung der Kirche fürchteten, firengten alle 
Kräfte an, um das Werk zu vereiteln. 

Eine dritte Parthei bildete Hanno von Cöln und zwar er faft allein. 
Hanno wollte dem römifhen Stuhle gerecht werben, er gab deßhalb, wie 
wir jpäter fehen werben, den Kirchenftaat, fo weit ſolches von ihm abhing, 
an den Pabft zurüd. Andererſeits verabſcheute er die Ehrſucht der Salier, 
durchkreuzte unaufhörlih die Plane der Kaiſerin Agnes, des jungen Könige 
und der geſchickteſten oder verwegenften unter feinen Gejchäftsleuten. Das 
gegen beftand er entſchieden darauf, daß das Vorrecht der deutſchen Nation, 
als der erftgebornen in der chriftlichen Staatenfamilie aufrecht, daß unſerm 
König die Schugvogtei des Stuhles Petri vorbehalten bleibe, und daß fein 
Pabſt ohne Einwilligung des veutfchen Staatsrath8 eingelegt werben bürfe. 
Leptere beide Punkte hat Cardinal Hilvebrand nicht zugegeben, deßhalb ges 
rietb Hanno in Zerwürfniß mit ihm. Jahre lang verhinderte Hanno, daß 
bie Leitung der Geichäfte ganz in Hildebrands Hände überging. 

Nah dem Plane des Cölner Erzbifchofs ſollte das weltliche Vaſallen⸗ 
thum zwar gedämpft und innerhalb gewiffer Schranfen zurüdgetrieben wer: 
den, aber keineswegs wollte er dafjelbe vernichten, fondern er hatte ihm 
eine chrenvolle Stellung zugedacht. Deutliche Beweiſe liegen vor, daß 
Hanno auch die Reichöftener nicht verwarf, aber er knüpfte eine unerläß 
lihe Bedingung an fie, nämlich die: nicht einfeitig vom Könige, ſondern 
nur unter Zuftimmung der Stände dürfe die Steuer erhoben und verwen: 
bet werden. Hätte er länger gelebt, fo würde eine Verfaffung wie bi, 


‘) Vita Bennonis cap. 11. Perg XII, 65. ?) De bello Saxonico cap. 16. Perf 
V, 334. 


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Erſtes Bud. Gap. 18. Folgen der Erblichkeit aller Lehen. 559 
R 


welche heute noch der Stolz Englands ift, in Germanien zur Wahrheit ge; 
worden fein. 

So wie die Sachen damals ftanden, mußte Hanno nad zwei Seiten 
zugleich die Stirne bieten, gegen den Yeuergeift, der von Rom aus fprühte, 
und gegen die Selbſtſucht des faliichen Hofes. Um fo größere Bewunde⸗ 
rung verdient diefer Bauernfohn, ') welcher, Melancholifer gleich Hildebrand 
und an Charafterftärfe und Geiftesfraft ihm nicht nachftehend, ſich unter 
den jchwierigften Umftänden als einen würdigen Jünger des heil. Bonifa- 
cius erprobte, der das deutſche Reich auf den Felſen der Kirche gegrün- 
det hat. 

Sobald die Sachen das wahre Ziel des Hofes durchſchauten, erfolgte 
ein fürchterlicher Gegenftoß. Außer dem breißigjährigen Kriege, den Bosheit 
fremder Mächte Gift und Schande beimifchte, weist unfere Nationalgefchichte 
Feine ähnliche Erfchütterung auf. Aus den ungeheuren Streitkräften, welche 
die Gegner des Hofes entwidelten, geht hervor, daß fie die Sachen ganz 
in dem Lichte, wie ich oben entwidelte, betrachteten, daß fie ſich won allen 
angegebenen Gefahren bedroht glaubten. Nicht mehr Fleine Heere, voie 
fonft auf deutſchem Boden, rüdten ind Feld. Allein im Herzogthum Sach⸗ 
fen kämpften oft mehr ald 100,000 Mann wider einander. Auch nicht 
mehr blos Vaſallen und Minifteriale, nein der Landflurm wurde in Reih 
und Glied geftelt. Das altgermaniiche Fußvolk ftand wieder da.) Tau 
fende von Bauern fihlugen fih in Sadjen, Schwaben, Franken für bie 
Freiheit, oder für das Königthum und verheißene Rache am Adel. Auch 
war erflered Wort dießmal Fein leerer Schal. Trog jeweiligen Siegen 
erlitt die Ariftofratie ſchwere Püffe. Weil König Heinrih IV. den Bauern- 
ichaften, die wider ihn fanden, werthvolle Rechte anbot, ſahen ſich die Her: 
ren genöthigt, zuvorzufommen. Das graufamfte aller Gejege,) das nod 
Gonrad II. im Jahre 1024 mißbilligend beftätigte, fiel damals für immer, 
von den Herren jelbft zurüdgenommen. 

Wir haben nunmehr das Bild der Innern Zuftände Germaniens zu 
der Zeit, da Heinrid IV. den Thron beftieg, abgeichloffen. Bleibt noch übrig, 


— — — — — 


1) Der Biograph ſagt: (Pertz XL, 467) Hanno's Eltern ſeien ehrſame und freie, 
aber keineswegs edle Leute geweſen. Cbenderſelbe gibt zu verſtehen (vita I. 4. ibid. 468), 
daß nach feiner Erhebung auf ben Erzſtuhl der Coͤlner Klinfel von damals (in Stutts 
gart fagt man „die Geldprotzen“) murrte, weil er ihn nicht vornehm genug fand. Ich 
denfe, Hanno war der Sohn eined Hofbauern, und in der That, wenn man nicht von 
Hiftorifchem Adel feyn Fann, gibt es kaum eine ſchoͤnere Abflammung, ald and einem gus 
ten Bauernhaufee *) Taciti Germania cap. 30: omne robur in pedite. 3) Wippo, 
vita Chunradi. Pertz XL 263 oben: legem crudelissimam Saxonum, secundum volunta- 
tem eorum, constanti autoritate roborarit. 


‘ 


560 Pabft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


daß wir die Stellung nachweiſen, welde die vormundfchaftliche Regierung 
zum römischen Stuhle zwiſchen dem Dez. 1056 und dem Frühling 1062 


einnahm. 


Heunzehntes Capitel. 


Befchichte des Pabſtes Stephan X. Gegner, die ſich wider ihn erheben. Freunde, bie 
für ihn einftehen. Anfänge der Pataria zu Mailand. Ariald, Lanbulf, Anfelm, 
Bifchof von Lucca. Erftes Auftreten Hildebrands. Seine Geſandtſchaft an den deut; 
fchen Hof. Stephan X. entfchließt fih zum Kampfe wider die Normannen un 
ftirbt fehnell weg den 29. März 1058. 


Als der neu ernannte Pabſt Leo IX. im Februar 1049 zu Rom an: 
langte, war laut dem Zeugnifje‘) Wiberts fein Pfenning päbftlicher Ein- 
fünfte mehr vorhanden, denn Kaiſer Heinrih ILL. hatte alle Güter des h. 
Stuhles an römiſche Adelige, oder an Normannen ausgegeben, ‚damit hin: 
fort Fein Pabſt beftchen könne, der nicht willenlod den Forderungen des 
Katferd nachlebe. Zwar mußte der Salier, durch die Umftände gedrängt, 
infofern einlenfen, als er 1054 vor Erhebung des Pabſtes Victor IL die 
Marken Spoleto und Camerino (den größten Theil?) des heutigen Kirchen; 
ftaat8) an Petri Stuhl zurüdgab, weßhalb auch Victor IT. ald Pabit ur 
fundlih den Titel Herzog und Markgraf von Spoleto führte.) Allein 
diefe Rüderftattung war feine vollftändige und rechtöfräftige, ſondem auf 
die Lebensdauer Victor II. befchränft gewefen. 

Wie oben gezeigt worden, erzwang Reichöverweferin Agnes, daß in 
den Bertrag zu Cöln ein Artifel aufgenommen warb, welcher beftimmte, 
Spoleto und Camerino folle nah Bictord Tode an Godfried, den zweiten 
Gemahl der Beatrir von Canoſſa, fallen. Dieß geſchah wirflid. Unmits 
telbar nad) dem Tode Victors II. bemächtigte ſich Godfried beiver Marken.‘) 

Der heil. Stuhl war daher jegt. wieder fo arm als je; zum Pabſte 
aber taugte unter diefen Umftänden nur ein foldher, der auf Godfrieds 
Geldhilfe rechnen fonnte: ein naher Verwandter, ein Bruder des Herzog, 
alfo Frieverih von Lothringen, Cardinal der römifchen Kirche und jeit dem 
Frühling 1057 aud Abt des Mutterftifts Montecaffino. ®) 

Zweitens der nämlihe Cölner Vertrag hatte dem Herzoge Godfrie 
das römiſche Patriciat, und fomit das erfte Wort bei neuen Bejepungen 
des heil. Stuhles übertragen. Demnach konnten bie, welchen nad dem 
Tode Victors IL, der Ende Juli 1057 ftarb, die Wahl des Nacfolgerd 


3) Gfroͤrer, 8. ©. IV, 492. 2) Das wird am gehörigen Orte haarklein nad: 
gewiefen werben. 2) Gfrörer, 8. ©. IV, ©. 613. %) Die Beweife oben ©. 11. 
°) Die Belege bei Gfroͤrer, K. G. IV, 620 fig. 


Erſtes Bud. Gap. 19. Geſchichte des Pabſtes Stephan X. PBataria in Mailand. 561 


zuftand, kaum zweifeln, daß fie dem Sinne Godfrieds gemäß handeln wür- 
den, wenn fie ihre Stimmen auf Carbinal Friederich, feinen Bruder vereinig- 
ten. Denn welder Herzog wird nicht gerne einem Bruder die höchfte 
geiftlibe Würde gönnen! 

Drittens fteht feft, daß Friedrich von Lothringen fchon zu den Zeiten 
des Pabſtes Leo IX., ver ihn mit fi nad Italien nahm,) die Yreiheit 
der Kirche muthig vertheidigte und deßhalb in hohem Grade das Vertrauen 
der Gregorianer genoß. Die Parthei, für welche derſelbe feit etlichen Jah: 
ren wirfte, war jegt nad) dem Tode des Saliers Heinrich III. oben. Was 
ift natürlicher, al® daß fie nunmehr, da fie freie Hände hatte, einen Mann 
wie ihn zum Nachfolger des verftorbenen Victor II. wählte. 

Kurz! find die Zeugniffe, auf welche geftügt, wir eben die Lage der 
Dinge audeinanderfegten, der Wahrheit gemäß, fo fonnte es nicht fehlen, 
dag Eardinal Friederich Petri Stuhl beſtieg. Und wenn bieß wirflich ge 
ſchah, jo darf man die vollendete That als eine Beftätigung jener Ausſa⸗ 
gen betrachten. Wohlan die Probe trifft zu! 

Den 1. Auguft 1057 gelangte die Nachricht vom Tode Victors I. 
nad Rom. Sogleih ftrömten Maffen von Clerikern und Laien zu Cardi⸗ 
nal Sriederich, gaben ihm zu verftehen, daß nur er zum Pabſte tauge, klei⸗ 
deten jedoch die Schmeichelet in die Frage ein: wen er für würdig ber 
Nachfolge halte? Friederich nannte vier Bifhöfe, von Velletri, Perugia, 
Tusculum, Sanfta Rufina und fünftens den Subdiacon der römiſchen Kirche, 
Hildebrand. Die Antwort lautete: Fein anderer als er felbft müſſe Pabſt 
werden. Indeß fügt”) Leo von Oſtia bei: „Einige hätten geäußert, man 
folle erft die Ankunft Hildebrands abwarten, der den vorigen Pabft nad 
Tuscien begleitet hatte und noch nicht zurüdgefehrt war.” Vielleicht ging 
diefer Vorfchlag von heimlihen Anhängern des deutſchen Hofes aus, welce 
Zeit gewinnen und die Wahl verfchieben wollten. Sie wurden jedoch nicht 
gehört. Den 2. Auguft 1057 erfolgte die Wahl einflimmig, der Gewählte 
nahm den Namen Stephan X. an. Niemand dadıte daran, vorher die 
Einwilligung der Reichsverweſerin einzuholen. Seit den Zeiten Gregors 
VI. war dieß wieder die erfte freie Einfegung eines Pabftes. Lambert 
von Heröfeld, der kluge Geſchichtſchreiber, ſagt:) „in vielen Jahren ift 
Keiner mit jo freudiger Zuftimmung Aller auf Petri Stuhl erhoben wor- 
den, und nicht leicht hat eine Wahl jo große Erwartungen erregt. Aber,“ 
Schreibt er hintendrein „ein früher Tod follte alle diefe Hoffnungen vereiteln.“ 
Lambert deutet damit leife an, daß das Nichteinholen der Fatferlichen Beftäti- 
gung Urſache vom fchnelen Wegfterben des Neugewählten war. 


) Sfrörer, 8. ©. IV, 551. ?°) Chronic. casin. II, 94. ®erk VII, 693. ?) Ad. 
a. 1057. Berk V, 158. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. J. 36 


& / 
562 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 








Der Kühnheit des Eintrittd entfpradden die übrigen Handlungen St 
phans. So kurz er wirkte, hat er ald Kirchenpabft regiert. Dem Beiſpieh 
Leo's IX. folgend, nahm er unverweilt den Kampf gegen Simoniften u 
verheirathete Priefter auf. „In bäufigen Synoden,“ jo meldet Leo von! 
Oſtia weiter, „verfammelte Stephan Bolt und Clerus der Stadt umd de 
fümpfte mit brennendem Eifer Heirathen der ‘Priefter und Ehen von Laien) 
welche wegen zu naher Verwandtſchaft der Verbundenen dem Kirchengefeg | 
widerftritten.” Die Beiziehung des Volks zu ſolchen Synoden hatte guten 
Grund. Ueberall war die öffentlihe Meinung gegen verheirathete Priefter, 
aber dieſe leifteten jo entfchloffenen Widerftand, daß man nur mit Hülſe 
des Volks fie zu Paaren treiben konnte. Deßhalb ftügten ſich die rege 
rianer in dem Streite wider die beweibten Eferifer auf die Menge. 

Ich gebe einen kurzen Ueberblid der Akten Stephand X. So viel die 
bis jeht and TW Mgeslicht gezogenen Urfunden ausweifen, hat er Mechte und 
Befit von vier Klöften zu Perugia, Arezzo, Reggio, namentlidy aber bes 
Mutterftifts Clugny beftätigt.) Der Oberabt von Clugny, Hugo, war 
jelbft nah Rom gefommen, wahrjcheinlih um neben der Beftätigung noch 
andere Angelegenheiten zu betreiben. Die Urkunde zu Gunften der Clug—⸗ 
niacenjer ift ausgefertigt zu Rom im Lateran unter dem 6. März 1058. 
Kurz darauf erließ Stephan X. an die Kloftergemeinde ein Schreiben, in 
welchem er fie feiner bejondern Gewogenheit verfihert, und den Mönden 
fund thut, daß er ihren Abt bei fich behalten habe, damit er der großen 
Synode anmwohne, die der Babft auf die erfte Woche des Maimonats 1058 
ausgefchrieben hatte — er erlebte dieſelbe nicht mehr. — Weiter ertheilte 
er dem Clerus von Lucca Vorrechte, die in mehr als einer Hinficht Beach⸗ 
tung verbienen. Einmal beftätigte er den Befig der genannten Kirche, fürs 
zweite beftimmte er: Fein Vornehmer oder Geringer, wer es aud) fei, folk 
ſich unterſtehen, Cleriker des Hochftifts Lucca vor weltliche Gerichte zu ziehen, 
noch dürfe der Kirchenvogt von Lucca je genöthigt werden, anders, als er 
für fih allein, einen Eid zu leiſten.) Aus den Worten der Bulle geht 
hervor, daß Geiftlihe der Kirche zu Lucca damals häufig vor Laiengericht 
geladen worden fein müffen, ſowie daß man Verſuche gemacht hatte, mit 
Umgehung ded von Kaifer Heinrich III. im Jahre 1055 erlaffenen &e 
ſetzes, welches Geiftlihe von der Verpflichtung zu gerichtlichen Eiden en» 
band,*) den Kirhenvogt des Hochſtifts zu nöthigen, daß er feine Schwäne 
durch Beiziehung geiftliher Eiveshelfer befräftige. Warım gerade das Bik 
thum Lucca ſolche Pladereien erfuhr, wird unten Har werben, wo ich auf 





‘) Iaffe, regesta &. 382 fig. °) Der fonft übliche Ausdruck für dieſes Berfahren 
it: sua manu sola juret. 3) Sfrörer, 8. &. IV, 608. 


U 


Srftes Buch. Gap. 19. Geſchichte des Pabſtes Stephan X. Pataria in Mailand. 563 


ch bezüglich der übrigen Handlungen Stephand X. Bericht zu erftatten 
Kir vorbehalte. 







Ein dreifaches Gewitter 309 fi gegen den neuen Pabft zufammen, 
fih von der Normannen Seite her, nörblih aus Mailand, endlih an 
Drt und Stelle ſelbſt oder zu Rom durch die Adeligen, welche Heinrich III. 
1046 mit den der roͤmiſchen Kirche entriſſenen Gütern belehnt hatte,) und 
welche fi dur das Fühne Auftreten Stephand X. bedroht wußten. Diefe 
drei Gegner aber wurden unfichtbar durd Fäden geleitet, welche von ber 
deutſchen Hofpfalz ausliefen. Allen zufammen bot Stephan X. unverzagt 

e Stirne. 

Ih ſetze ald befannt voraus, daß die deutichen Kaifer feit längerer 
Zeit mailändifchen Ehrgeiz als Gegengewicht wider Die Machtvollkommen⸗ 
heit des römifhen Stuhles gebrauchten und das Stift des heiligen Ambro⸗ 
Rus zuweilen faſt wie ein zweites, ein lombarbifches, Pabſtthum dem Bor: 
rechte des Apoftelfürften entgegenthürmten. Bonizo fagt?) aus Anlaß der Par⸗ 
theiung, von welder fofort die Rede fein wird: „faft 200 Jahre lang hat 
die Mailänder Kirche der römischen getroßt, und erft (unter Gregor VII.) 
ward fie genöthigt, die Oberhoheit Roms anzuerfennen.” Daß Etephan X. 
Mh durch den Uebermuth des Mailänder Metropoliten verlegt fühlte, er 
hellt meines Erachtens aus der hingeworfenen Bemerfung‘) Leo's von 
Dftia, der Pabft habe die Abfingung des ambroftanifhen Hymnus verbos 
sen. Dieß geihah offenbar deßhalb, weil Stephan X. Nichts mit den 
Mailänder Gebräuchen gemein haben wollte. 

‚Mailand war wie dazu gemacht, den von Stephan verfuchten Auf: 
ſchwung zu hemmen. Nun fam aber nody ein befonderer Anlaß neuer Ber: 
wiclungen hinzu. Indem Stephan X. den Kampf wider die SPriefterehe 
aufnahm, warf er, jelbft wenn er dieß nicht gewollt hätte — und er wollte 
es, — der lombardiſchen Metropole den Fedehandichuh Hin. Denn Mais 
fand erjcheint als Mittelpunkt und Hauptquartier aller für die Prieſterehe 
freitenden Cleriker, übervieß fand fi faft Fein einziger Geiftliher in der 
Stadt und dem Hodftifte, der nicht auf Wegen, welche das firenge von 
den Gregorianern verfochtene Kirchenrecht verwarf, d. h. durch Laieneinfluß 
und um Geld feine Pfründen erlangt hatte. Schon 40 Jahre früher ftans 
den!) die Sachen fo im Mailänder Sprengel. Lebte doch -jener Erzbiſchof 
Heribert, der zuerft dem gemeinen Volke Antheil am Stadtregiment vers 
ſchaffte, in fürmlicher Ehe mit einer Frau aus edlem Geſchlechte, Namens 


%) Daf. ©. 441. 32) Ad amicum lib. VI, bei Oefele script. rer. boic. II, 804 
b. unten fig. 2) U. a. O. Pertz VII, 693. *) Gfroͤrer, 8. ©. IV, 154 flo. 
* Daf. ©. 382. 
36° 


564 Past Gregorius VIL und fein Zeitalter, 


Ureria.) Allein zwiſchen 1050 und 1060 müſſen bie fraglichen Verhält: 
niſſe noch weiter und zwar ſyſtematiſch ausgebildet geweſen fein. 

Mit dem beweibten und durch Simonie emporgefommenen Priefter: 
ftande hing enge der mailändiſche Adel — Capitane und Balvaforen 
— folglich die Ariſtokratie zufammen, welche durch die politijchen Ereig- 
niffe der Jahre 1041—1045 genöthigt worden war, das Stabtregimen, 
das fie ſonſt ausſchließlich beſaß, mit dem gemeinen Wolfe zu theilen 
Bonigo, der Augenzeuge, der in das geheime Getriebe damaliger Partheien 
eingeweihte Schriftfteller jagt:) „auf Seiten der beweibten Mailänder Ele 
rifer, deren Maſſe unzählig ift, wie des Sandes am Meere, ftanben bie 
Gapitane und die Valvaſſoren, denn fie waren es, welde die Pfründen 
verkauften, fie waren es, welche die Neihen des Clerus mit ihren Söhnen 
und Verwandten anfüllten, fie waren es endlich, deren Töchter, Schweſtern 
und Bajen heirathsluftige Priefter zu Weibern nahmen.“ Ueber anderwei: 
tige Urſachen engen Zufamenhangs zwilden dem Solvatenabel und dem 
verheiratheten Clerus Lombardiens geben die Thatſachen Licht, melde ih 
an einem andern Orte entwidelt habe.) 

Auf dem Erzituhle Lombarbiens ſaß noch immer jener Wido, da 
‚Heinrich III. im Jahre 1045 dem Adel wie dem Volfe zu Trotz erhoben 
hatte.) Wide war ein Gefchöpf des Hofes, nichts Fonnte er hun ohne 
des Kaiſers Willen. Wenn er Rom zum Kampfe herausforderte, wenn er 
den Bund zwiſchen Adel und Clerus unterftügte, wenn er den geiſilichen 
Dienſthandel im Gange erhielt, muß man vorausfegen, daß al dieß dem 
deutſchen Hofe genehm war. Noch mehr, das Gefühl des katholiſchen 
Volks iſt überall, feit e8 eine Kirche gibt, gegen verhelrathete Priefter: es 
erregt ein ungünftiges Vorurtheil, die Worte Pfarrerin, Presbyterin 
oder gar Biihöfin zu hören und von allen Vorwürfen, welde der Kirche 
Geneigte oder Abgeneigte gegen einzelne Priefter zu erheben pflegen, find 
immer Zweifel gegen Keufchheit die erften und lauteften. Wird es im Mai 
laͤndiſchen anders geweſen fein? Gewiß nicht! 

Wenn dennod) in biefer Stabt die von den Oregorianern befämpften 
Mißbraͤuche fo um ſich gegriffen hatten, daß laut dem Zeugniffe Bonizo’s') 
auf 1000 Cleriker faum fünf reine, d. h. nicht durch Simonie erhoben, 
nit mit Weibern verbundene, famen, fo ziehe ic den Schluß, der Abnei- 
gung des Volks zu Trotz müſſe den verheiratheten Prieſtern ein mächtiger 
Wille, vor dem das Volk ſich murrend beugte, Schup gewährt haben. Wit 
andern Worten, die Heirathen der Priefter in Lombardien find vom beut 
ſchen Hofe begünftigt worden. Das flingt unglaublich, aber es iſt dennod 


) Daſ. ©. 16. ) A. a. D. bei Defele II, 805 a. unten fig. ) Gfröm 
KR. G. IV, 155 fg. 9) Daſ. ©. 379. *) Defele IL 805 b. 


Erſtes Buch. Cap. 19. Geſchichte des Pabſtes Stephan X. Pataria in Mailand. 565 


wahr. Stein Zweifel fann darüber fein, daß Kaifer Heinrich III. und daß 
die Wittwe, welde in das Erbe feiner Politik eintrat, Mailande Stuhl 
als Dämpfungsmittel wider die Echlüffelgewalt Petri brauchten. Nun 
taugte Mailand zu der fraglichen Rolle um fo beffer, je weniger eine Aus- 
jöhnung zwiſchen beiden Gegnern möglih war. Einer ſolchen Ausföhnung 
aber fchob die Priefterehe einen ehernen Riegel vor. So lange verheiras 
thete Priefter in Lombardien die Meſſe lafen, konnte Friede zwilhen Rom 
und Mailand nicht zu Stande kommen, und Mailand blieb der gezwungene, 
unfehlbare Verbündete des deutihen Hofe. Folglich mußten die deutſchen 
Kaiſer — fo lange fie nämlid die von Heinrich III. beliebte Richtung ein- 
zuhalten gedachten — das beweibte Prieſterthum Lombardiens begünftigen. 
Ich werde für meinen Sag unten einen weitern Beweis führen. 

Der Lehenadel Mailands bildete den Kern des gegen Rom in Lom⸗ 
bardiens Metropole zufammengebündelten Knotend. Im Wefen eines folchen 
Standes liegt ed, ſich nicht für Nichts in anderer Leute Geſchäfte zu mi- 
hen. Was war der Herzendwunjd der lombardiſchen Capitane und 
Balvafjoren? ohne Zweifel dieß, daß die Kaufleute und Handwerker ber 
Stadt aus dem Rathhaufe vertrieben werden, und daß die ehemalige aus- 
jchließlihe Herrichaft wieder in ihre Hände zurüdfehre. Sicherlich haben 
die Adeligen, ald fie fit auf die bejchriebene Weile mit dem beweibten 
Clerus verbanden, den eben erwähnten Hauptzwed nicht vergeffen, und man 
barf zuverfichtlic annehmen, daß fie ihre Cchüßlinge, die Priefter, verpflich⸗ 
teten, bei der bejchloffenen Unterdrüdung ded zum Herrn gewordenen Bür⸗ 
gers hülfreihe Hand zu leiften. Was bezüglich des Iegteren Punktes ver 
dritte im Bunde, der deutiche Hof, beabfichtigte, ift allerdings eine andere 
Frage. Daß Kaifer Heinrih III. von dem Regimente der Handwerfer 
wenig erbaut war, hat er burd die That bewieſen. Aber ebenjo wenig 
dachte er daran, die Valvaſſoren höher wachſen zu laffen. Seine eigent- 
lihen Plane verrieth‘) er 1044, als er dem Abgefandten der bedrängten 
Bürgerfchaft, Lanzo, den Vorichlag machte: „ih will Eud A000 Reiter zu 
Hülfe ſchicken, aber Ihr müfjet fie in Eure Stadt aufnehmen und befolden.“ 

Wäre dieß gelungen, fo hätte er, denke ich mir, den Mailändern durch 
den Mund des über die A000 Reiter gefegten Kriegsoberften fund gethan, 
wasmaßen in Zufunft nad feinem Willen Bürger und Balvafforen ges 
horchen und bezahlen follten, und beide dürften dann gleich wenig Anlaß 
zur Zufriedenheit gehabt haben. Vorerſt fonnte für Beſetzung der Etadt 
nichts gethan werben, der Hof begnügte fih, die Partheiung im Gange zu 
halten, den Lehenadel und den Elerus gegen Rom zu brauchen. Immerhin 
mochten die Adeligen über ihren auf Dämpfung der Bürger gerichteten Plas 


1) Gfroͤrer, K. ©. IV, 377 flg. 


566 Babft Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


nen brüten, fo viel ihnen beliebte, zur That fonnte es nicht lommen, ohne 
Eingreifen des Kaiſers. 

Es gab aber in Mailand eine zweite Hauptparthei, naͤmlich eine demes 
kratiſche, welche die im Jahre 1045 errungenen Rechte nicht blos mannhaft 
zu behaupten, fondern auch wo möglich zu erweitern ftrebte. Die Demo: 
fratie ift — fo lange fie nämlich den Sieg noch nicht errungen hat — iven 
liſtiſch geſinnt, während die Ariftofratie, welde etwas Erfledliches befigt, 
gewöhnlich die unvollfommene Welt, in der wir leben, behaglic findet. 
Auch klammern fih an demokratiſche Partheien in der Regel ſchwaͤrmeriſche 
Geifter an, welde in allem Ernfte und aufrihtig die Menſchheit auf eine 
früher nie erreichte Stufe erheben und alles Krumme gerade machen möch⸗ 
ten. Hat dagegen die. Demofratie den Sieg errungen, jo wird fie gewöhns 
lic gemein, und lohnt ihren bisherigen. Verbündeten, den eben genannten 
Weltverbeſſerern, mit Undank. 

Auch in Rom wurden um die nämliche Zeit, obwohl nicht von Schwar⸗ 
mern, ſondern von den pofitivften Geiftern Ideale aufgeftellt, wie fc viel- 
leicht feitdem die Welt nie mehr vernahm; aud) in Rom kämpfte ein ents 
ſchloſſenes Häuflein um die höchften Güter gegen einen mächtigen, ſtaats⸗ 
Mugen Feind, der zugleich Feind der Mailänder Stadtfreiheit war. 

Unter diefen Umftänden fonnte es nicht fehlen, daß beide Mächte, die 
demokratiſche des feimenden lombardiſchen Bürgerthums, und die gegen das 
Joch tyrannijcher Kaiſermacht ankimpfende Hierarchie, fi aneinander an 
ſchloſſen. Dieß ift wirklich gefhehen: wir ftehen an der Wiege der Lega 
Lombardica. Erzbifchof Heribert hat im Jahr 1044 nur foviel bewirkt, 
daß der Gewerbftand Mailands den adeligen Herrn gegenüber innerhalb 
des Weichbilds der Stadt politifchen Boden gewann; aber die Einleitung 
dazu, daß die lombardiſchen Bürgerſchaften mit vereinter Kraft, ald Bol: 
werf der Kirche, den Kaiſern entgegentraten, ift das Werk des Archidiakons 
Hildebrand. Wir kennen die Mittelgliever: der erfte Samen deſſen, was 
damals vorging, reicht in die Zeit nad dem Tode Heriberts hinauf. 

Für den würbigften zur Nachfolge auf den erledigten Stuhl hatte im 
Jahre 1045 die Öffentlihe Meinung einen Clerifer und Carbinal‘) ber 
mailändishen Domkirche, Anfelm von Baggio, einem Orte weftlih von 
Mailand erklärt. Derfelde ſtammte aus einem vornehmen und reichen Ges 
ſchlechte, war beredt, wegen der Reinheit feines Lebens geachtet, genoß gros 
ßes Anfehen beim Bolt.) Nachdem ftatt feiner von König Heinrich TIL 
jener Wido auf den Stuhl des heiligen Ambrofius erhoben worden, machte 
Anfelm Partei gegen den Clerus der Stadt, griff die verheiratheten Prie⸗ 


‘) Berg VIII, 20 unten: olim cardinalis ecclesiae ambrosianae. Die mailandiſche 
Kirche hatte ihre Carbinäle wie die roͤmiſche. ) Ibid. ©. 76. 


le Buch. Gap. 19. Geſchichte des Pabfles Stephan X. Pataria in Mailand. 567 


e und den geiftlihen Aemterfauf an. Dieß geftehen die mailänpifchen 
efchichtichreiber Arnulf und Landulf, welde dem römiſchen Primat abge- 
igt find, ungejcheut ein, aber fie verjchweigen etwas Anderes, was allen 
zeigen nach Anfelm gleichfalls that. Meines Erachtens ftrafte Anjelm 
n Elerus der Stadt nicht blos wegen Simonie und Unenthaltfamfeit, 
adern er griff denfelben auch deßhalb an, weil er überall zu den Reichen 
d Vornehmen halte, ftatt nad) dem Vorbilde des heiligen Ambrofius fich 
re Armen und der Vielen gegen die Wenigen und Mächtigen anzunehmen. 
on Anfang an machten die Anhänger der Volksherrſchaft Parthei für 
njelm, daraus fchließe ich, daß er für die Demokraten Mailands ſich ers 
irt hat. 

Das muthige Auftreten Anſelms jagte dem Erzbilchofe und feinem An- 
mge Schreden ein. Wido bewog den ehemaligen Mitbewerber, in feiner 
ejelichaft eine Reife an den deutſchen Hof zu machen, und jehte bort 
ich, daß der Kaiſer Anjelm auf das Bisthum Lucca beförderte. Wido 
ffte, den Gegner hiedurch befeitigt zu haben. Da es ihm felbft nur um 
enuß und Ehre, nicht um Grundfäte, zu thun war, dachte er, daß aud) 
njelm jest, nachdem der Ehrgeiz, den er ihm zutraute, befriedigt ſei, ſchwei⸗ 
n werde. Hierin täujchte er fih: Anſelm fuhr wie früher, fo auch jetzt 
rt, für die gleichen Anfichten zu wirken; auch ließ er in Mailand Ans 
inger zurüd, die dem Erzbifchofe hart zufegten. Ohne Brage gehörte An- 
Im zu der gregorianifchen Verbindung, die in dem Mutterftifte Clugny 
ren Mittelpunft hatte und den damaligen Subdiakon, jpäteren Cardinal 
ildebrand, als ihr Haupt verehrte. Bedarf ed hiefür eined weiteren Ber 
eijes, als die Thatſache, daß hauptiählih durd Hildebrand Bemühuns 
n im Sahre 1061, nad) dem Tode des Pabſtes Nifolaus IL, der bishe⸗ 
ge Bilhof von Lucca auf Petri Stuhl erhoben worden ift! 

Nach Anjelms Entfernung aus Mailand traten zwei Andere in feine 
ußtapfen, beide Elerifer: der eine hieß Landulf, der andere Ariald. Jener 
ebörte einem vornehmen Stadtgeichleht an; von Ariald bemerkt‘) der 
Railänder Geſchichtſchreiber, mit einem verächtlichen Seitenblide, er ſei von 
raußen hereingefommen, aud dem Dorfe Cuzago bei Cantu. Die Stadt 
ewohner fahen nämlich auf die Dörfler, wie auf untergeorbnete Weſen 
erab: auch feine Pfründe beſaß Ariald, fondern er war bloßer Xevite. 
Yagegen hebt der Ehronift hervor, daß Ariald Magifter der freien Kunft 
eweien ſei. Das beweist meines Erachtens, daß Ariald die gefeiertften 
Schulen ſeines Zeitalter beſucht hat. 

Ueberhaupt muß derfelbe eine ungewöhnlich forgfältige Bildung erhals 
en haben. Ein Zeitgenoffe, der fein Leben befchrieb, Andreas, mel- 


) A. a. O. Pers VIII, ©. 76. 


568 Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


det: „Ariald genoß den Unterricht der Lehrer feiner Provinz (d. h. Som: 
barbiens) in jo weit, als diefe jelbft foldhen zu geben vermochten; dam 
reiste er im fremde Länder, widmete ſich mit großem Gifer den Studien 
und erlangte, bis er zum Mann herangereift war, vollfommene Kenntnif 
nicht mur der freien Wiſſenſchaften (liberalium litterarum), fondern aud der 
h. Schrift.“ Das lautet fo als fei er in Paris, vielleicht in Spanien ge 
wefen. Meines Erachtens dürfte er auch die Anftalt zu Clugny beſucht 
haben. Die Schule dieſes Klofters befaß fo hohen Nuf, daß ein Mann, 
der von dem Wifjensprange befeelt war wie Ariald, und die Mittel befaf, 
wie er, kaum das ziemlich nahe Eluguy umgangen haben kann. 

Beide, Landulf und Ariald, eiferten gegen Simonie und SPriefterehe. 
Der Chronift fagt: „fie wandten fich zuerft an bie Scholaren, d. h. an 
den in Mailand ftudirenden Nachwuchs des Elerus, und zogen dieſe jungen 
Leute auf ihre Seite, Dann dehnten fie ihre Thätigfeit über weitere Kreiſt 
aus. Landulf bearbeitete das Volk in ver Stadt, Ariald reiste auf den 
Dörfern herum und prebigte den Bauern.“ Ueber ihre ſtädtiſche Wirfjams 
feit gibt der Chronift einen Wink, ) der Beachtung verdient: „durd Schel⸗ 
len und Ausrufer, welche in den Strafen herum rannıten, wurde das Bolt 
nad) dem Theater bejchieden, dort war ein Pult errichtet, auf Das ſtieg 
Landulf hinauf und hielt glühende Neden an die verfummelte Menge.“ 
Giulini, ein malländifher, der Volksherrſchaft abgeneigter Edelmann, weis 
her im 18. Jahrhundert die Geſchichte feiner Vaterſtadt beſchrieb, macht 
darauf aufmerffam, wie demokratiſch das klinge. „In folder Weije,“ fagt 
er,’) „und von folhen Perfonen wurden damals die öffentlichen Angelegen 
heiten berathen.“ Ich glaube, Giulini hat Recht, offenbar lag das Regis 
ment der Stadt in den Händen des Volfd, das auf Seiten der beiden 
Prediger und ihrer geheimen Beihüger ftand. Und nur weil die Sache 
fid) fo verhielt, läßt es fi begreifen, warum der Erzbiſchof Wido von 
Mailand, fammt dem auf Leben und Tod angegriffenen beweibten Stadt: 
elerus, jo wie der Adel, die fonft ganz andere Saiten wider die Neuerer 
-aufgezogen haben würden, die Hände in den Schooß legten, und ruhig ges 
ſchehen ließen, was fie nicht ändern fonnten. Furcht vor den Yäuften der 
Menge lähmte jeden Widerſtand. Landulf, Ariald und Anfelm von Lucca, 
der mit den beiden erfteren fortwährend engen Verkehr unterhielt, hatten 
die ganze Demokratie hinter fi. 

Man bezeichnete die Parthei mit dem Gefammtnamen Pataria, die 
einzelnen Mitglieder hieß man Patariner.*) Bonizo bezeugt,*) daß der 
Ausdrud pataria mit dem lateiniihen pannus zufammenhänge und daß 


) Vita Arialdi cap. 2: Acta Sanctoram Bolland. ad 27 Jmi. *) vo 
80. ) Memorie di Milano IV, 26. *) ®er& VIH, 20. 9 Defele 13 


Erſtes Buch. Cap. 19. Gefchichte des Pabſtes Stephan X. Pataria in Mailand. 569 


patarinus jo viel als pannosus bejage. In der That fommt‘) pataria ur⸗ 
kundlich in folder Verbindung vor, daß e8 unzweifelhaft die Tuchmachers 
werfftätte bezeichnet. Nach dem Sinne derer, die den Partheinamen aufs 
brachten, hieß Pataria allem Anfcheine nah „alter Tuchlappen” und die 
urfprünglihe Bedeutung von patarinus war fo viel als unfer deutſches 
Wort Lump. „Aus Verachtung ihrer Armuth,” fagt Bonizo, „hat man fie 
jo genannt.” Bekanntlich empfingen Diejenigen, welche in der zweiten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts die große niederländiiche Bewegung anfingen, welche 
mit Losreißung Frieslands und Hollands von der fpaniihen Monarchie 
geendet hat — ich jage, bekanntlich empfingen diefe Leute den Spottnamen 
Geujen oder Bettler. Solche Bettler und Qumpen, wie die hier erwähn- 
ten, entwideln nicht jelten furcdhtbare Kräfte, und die Vornehmen oder Reis 
chen, die ſich ihnen entgegenftellen, ziehen gewöhnlich den Kürzeren. 

Die bisher beichriebene Wendung hatten die Mailändifchen Anges 
(egenheiten gegen den Spätherbft 1057 genommen, als ein Dritter eingriff. 
Der Mailänder Chronift jagt?) lakoniſch: „Oldeprand fam.” Ich kann 
weder von weiterem Bortgange der Mailänder Bewegung, nod von den 
übrigen Gefahren, die den neuen Pabſt beprohten, handeln, ohne dieſen 
Dritten ind Auge gefaßt zu haben und wende mid daher zu ihm. 

Welcher Muth gehörte dazu, um fo, wie Stephan X. bei Uchernahme 
des Pontififats that, einer feindlihen Welt entgegen zu treten! Nur einen 
Bundesgenofien hatte er, dieler eine war ein bloßer Subdiakon und Abt 
eines nicht reichen Kloſters — es ift merfwürdig, wie langſam Hildebrand 
zu den höheren Kirchenwürden emporftieg, — aber derſelbe wog mehr als 
taujende. Eine der erften öffentlihen Aeußerungen des neuen Pabſtes war 
die, daß er nichts ohne Hildebrand vermöge. Wie ich oben zeigte, geſchah 
ed den 2. Auguft 1057, daß Stephan X. Petri Stuhl beftieg. Kurz 
darauf lief ein Schreiben’) des Erzbiſchofs Gervaftus von Rheims ein, worin 
diefer dem Pabſte zu feiner Erhebung Glück wünſchte und zugleih wegen 
gewiſſer DVerhältniffe des Erzſtuhls von Bourges eine Anfrage machte. 
Stephan IX. antwortete,) wie es fcheint noch im Auguft, oder Septems 
ber: „über Bourges kann ich nichts fagen, weil unjer geliebter Sohn Hilde⸗ 
brand gegenwärtig nicht bier anmwejend ift. Nach feiner Rüdfehr werde ich 
die Sache vornehmen.” 

Aus den eigenen Worten des Pabftes erhellt dvemgemäß, daß er Hilves 
brand gleich in den erften Tagen feines Pontififats mit einer Sendung be⸗ 
auftragt hatte. Wohin ging diefelbe? nad Gallien? faft follte man dieß 
aus obigem Briefe fchliegen. Bonizo berichtet, Hildebrand habe damals 


') Die neue Ausgabe: Ducange’s vom Jahre 1845, sub voce Pataria. ) Berk 
VI, 82. 2) Bouquet XI, 492. 


570 Pabſt Gregorius VII. und. fein Zeitalter. 


außer Mailand auch Burgund Gallia — lugdunensis — beſucht, allein 
eben derſelbe erzählt weiter von einer That Hildebrands zu Lyon, welde 
andere Zeugen ausprüdlich in die Tage des Pabſts Victor II. zurüd und auf 
“eine Lyoner Synode von 1055 verlegen. ‘) 

Bonizo, der aus dem Gedächtniffe und im Alter ſchrieb, mag die Zei⸗ 
ten verwecjfelt haben, gleichwohl glaube ich, ift anzunehmen, daß die frage 
fihe Sendung neben andern Provinzen auch Gallien galt. Allein da über 
feine Wirffamfeit in leßterem Lande feine ficheren Zeugniffe vorliegen, laſſe 
ih die Sache lieber dahingeftellt fein. 

Weiter befuchte damald Hildebrand allen Anzeigen nad den Biſchof 
Anfelm von Lucca. Erinnern wir und, daß der oben erwähnte Gnaden⸗ 
brief, Fraft deffen Pabſt Stephan X. dem Elerus von Lucca Schu gegen 
Vorladung vor weltliche Gerichte verleiht, auf Verwendung des Subdia⸗ 
kons ausgeftellt if. Männer von dem überlegenen Geifte Hildebrands er 
theilen ſolche Rathichläge, die möglicher Weife ernfte Folgen haben können, 
nicht, ohne ſich dur eigene Anjchauung vom Stande der Dinge überzeugt 
zu haben. Hildebrand muß aljo um jene Zeit in Lucca gewejen fein. Die 
päbftliche Bulle enthält verdedt Drohungen gegen weltliche Beamte, welche 
furz zuvor den Elerus von Rucca, fiherlih vor Allen den Bifhof der Stadt, 
bevrängt hatten. Warum wurde nun Anjelm und fein Elerus bevrängt? 
allem Anjcheine nach deßhalb, weil er für dad Haupt der Lombardiſchen 
Gregorianer galt, weil er die Priefterehe und Simonie befämpfte, weil er 
endlih mit Landulf und Arlald Parthei wider die Mailänder bielt. 

Wir haben demnach hier einen handgreiflichen Beweis dafür, daß bie 
Reichverweferin Simoniften und beweibten Prieftern Vorſchub Ieiftete. Denn 
jene weltlide Beamte, weldhe zu Lucca gegen Anjelm wirften, fTönnen, 
was fie thaten, nur auf geheimen Kaiferlichen Befehl gethan haben. Auch 
den Mann lernen wir fennen, deſſen ſich Agnes oder ihre Rathgeber be 
dienten, um ihre Zwecke in Stalien auszuführen. Bonizo erzählt:”) „als 
Agnes die Regentichaft übernahm, betraute fie mit der Verwaltung Italiens 
einen gewilfen Wibert, der aus einem vornehmen Geſchlechte zu Parma 
ftammte, und ernannte denfelben zu ihrem Kanzler.“ Ein folder Kanzler 
fonnte allerdings dem Biſchofe von Lucca böje Steine in den Weg werfen, 
denn Italien war laut dem Zeugniffe des Czechen Cosmas voll Burgen, 
in denen deutfche Befagungen lagen, und man begreift daher, daß es den 
Werkzeugen Wibertd nicht fehwer wurde, lerifer von Lukka nah Gut 
bünfen vor weltliche Gerichte zu ziehen und mit den Stadeln des Kailer 
rechts zu plagen. Die zu Gunften der Lucceſen erlafiene Bulle trägt den 


1) Sfrörer, 8. G. IV, 611. 2) Defele II, 806, a. 


@rftes Bud. Gap. 19. Geſchichte des Pabſtes Stephan X. Pataria in Mailand. 571 


18. October 1057, daraus folgt, daß Hildebrand zum mindeſten eine 
Woche früher in Lucca eingetroffen war. 

Kaum iſt denkbar, daß der Schutz, welchen Pabſt Stephan X. auf 
den Rath Hildebrands dem gefährdeten Biſchofe von Lucca verlieh, nicht 
die Verbündeten deſſelben, Ariald und Landulf, ermuthigt haben ſollte. 
In der That erfolgte um die angegebene Zeit zu Mailand ein Schlag. 
Das Volk ſtürmte die Häuſer der Simoniſten und beweibten Prieſter, 
plünderte ihre Wohnungen, verjagte ſie ſelbſt aus der Stadt und verſchwor 
ſich förmlich, in Zukunft nur aus den Händen reiner Cleriker Sakramente 
zu empfangen.‘) Kurz darauf langte Hildebrand in Mailand an. Bonizo 
ſagt:) „als er in der Stadt anfam, fand er den Erzbiichof nicht vor, 
denn Wido, felbft beweibt, felbft ein Erzfimonift, war geflohen, weil er 
ein böjes Gewiſſen hatte und fich fcheute, unter Hildebrands Augen zu 
treten. Der Legat ward jehr gut aufgenommen, blieb einige Tage, er: 
mahnte das Bolf und reiste dann weiter”. Es fcheint, daß Hildebrand 
die That des Volks ald übereilt und ungeſetzlich mißbilligt hat. Landulf 
und Ariald wandten ſich nah Rom an den Pabſt. 

Laut der BVerfiherung”) des Mailander Chroniften tabelte in Anweſen⸗ 
heit Stephans X. einer der römiichen Barvinäle, Namens Dionyfius, der 
in Mailand erzogen, vielleicht dort geboren war, das Betragen Arialds 
und Landulfe. Der Pabft aber beobachtete beharrliches Stillfchweigen. 
Er wollte, wie es jcheint, erft abwarten, wie die Saden ſich geftalten - 
würden, um je nad Umftänden handeln zu können. Später aber forderte?) 
er den Mailander Erzbiihof auf, eine Synode zu halten und die Ordnung 
wiederherzuftellen. Ich verftehe dieß fo, daß Stephan die Hoffnung hegte, 
Wido werde, geichredt durch den Widerſtand des mailändiſchen Volks, fi 
mit Rom ausfähnen und folglich Beichlüffe gegen Simonie und Prieſterehe 
faffen. Die Synode fam zwar in Fontanetum bei Novara zu Stande, 
allein Landulf und Ariald, welche Wido dem Berlangen des Pabſtes ger 
mäß eingeladen hatte, erfchienen nicht, ſondern fetten ihren Widerftand 
fort und Hagten von Neuem in Rom, wo jedod, wie ed jcheint, erft unter. 
dem nächſten PBontificate offen zu ihren Gunſten entjchieven ward. “Das 
heißt mit andern Worten, Wido hatte fich römifcher Oberhoheit auf der 
Eynode von Kontanetum nicht unterworfen, jondern eine feindjelige Stellung 
beibehalten. 

Folgen wir dem römifhen Subdiakon. Was war das Ziel feiner 
weiteren Reife? Der deutſche Hof! Lambert von Heröfeld berichtet: °) 
„Weihnachten (nad heutiger Rechnung des Jahres 1057) feierte König 


1) Berg VIIL 80 fig. 2) Defele II, 805 a und b. 2) Perg VII, 81 flg. 
s) Ibid. ©. 20 oben. 5) Ad a. 1058. Pertz V, 159. 


572 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Heinrich IV. zu Merfeburg. Hier erjchien unter den Fürſten des Reicht 
Hilvibrant, Abt des Klofterds St. Paul zu Rom, mit Aufträgen vom 
apoftolifhen Stuhle, ein Mann, bewunvderungswürbig durch Berebtjamfeit 
und tiefe Kenntniß der heiligen Wiſſenſchaften.“ Alto furchtlos drang er in 
das Lager des Löwen ein, obwohl man dort willen mußte, daß er das 
Haupt der kirchlichen Bewegung fei, und obwohl er felbft ſich nicht dar 
über täufchen fonnte, daß der deutſche Hof vor feinem Mittel, Täftige 
Gegner zu befeitigen, zurüdbebe. War es nicht übel gethban, ein Leben, 
wie das feinige, von dem damals fo viel abhieng, rüdfichtslos Gefahren 
auszufegen! Eines fchügte ihn: Niemand wagte ihm von Angeficht zu 
Angeficht die Stirne zu bieten und in feiner Gegenwart verftummte jelbft 
der grimmigfte Haß. DVielleiht hat es nie einen Menfchen gegeben, der 
jolhen Zauber auf Andere übte, dem, jo wie ihm, das Herrſcher⸗Siegel 
aufgedrüdt geweſen wäre. 

Ich komme auf die Lyoner Synode zurüd, welche viele Zeugen‘) in 
das Jahr 1055, Bonizo dagegen, wohl irrthümlih, in den Herbft 1057 
verlegt.) Ein Biſchof war grober Simonie angeflagt, ein Bifchof, dem 
der Zeitgenofje Bonizo das Lob feltener Beredtſamkeit ertheil. In ver 
Nacht beftah er feine Ankläger mit Geld und gewann faljche Zeugen. 
Morgens trat er triumphirend in die Kirche, innerhalb deren die Verfamm: 
(ung ftattfand, und rief: wo find meine Anfläger? Da richtete der Eub: 
diakon feinen ftechenden Blid auf ihn: „glaubft du, daß der heilige Geiſt 
eine Perjon der heiligen Dreifaltigkeit jei?" Ich glaube ed, lautete die 
Antwort des Biſchofs. „Nun jo ſprich: Ehre und Preis fei dem Pater, 
dem Eohne und dem heiligen Geiſte.“ Der Bilchof fagte die beiden 
erften Säße, als er an den dritten fam, flodte die Stimme, er erbleichte, 
ftürgte zufammen. Der Unglüdlide vermochte in Hildebrands Anweſenheit 
den Namen des heiligften Weſens nicht auszufprechen, welches zu befügen 
er verfucht hatte. Bonizo fügt bei, der Schreden, den dieß hervorbradte, 
jei jo groß gewejen, daß nody 16 andere anmwefende Bijchöfe fich der 
Simonie ſchuldig befannten und auf ihre Stühle verzichteten. in zweiter 
Zeuge nennt 6, ein dritter fünf und vierzig. Ich gebe der mittleren Zahl 
den Vorzug: die Wirfung bleibt dieſelbe. 

Hören wir einen Mann, der felbft hervorragenden Antheil an’ ber 
großen Kirchenbewegung des 11. Jahrhunderts nahm und in täglicher Be 
rührung mit Hildebrand ftand. Peter Damtani fehreibt:?) „in deiner Ge⸗ 
genwart habe ich feinen Willen; ſtets gehorchte ih in Allem, was du 
unternimmft, nur dir, id war gleihfam ein Blitz in deiner Hand bei den 
Kämpfen, die du beftandeft.” Dann in einem andern Briefe: „wie in 


‘) Mansi XIX, 837 fig. DOefele II, 806 b. ?°) Epistol. II, 8. *) Epise 1, 16 


Erſtes Buch. Gap. 19. Befchichte des Pabftes Stephan X. Pataria in Mailand. 573 


Iyrann, wie ein Nero, wie ein Löwe, hat er mid zu Allem, was recht 
ift, genöthigt, wie ein heiliger Satan hat er mich beherrſcht“. Schwerli 
gibt ed ein Wort, das beffer als letzterer Ausdruck eine fo. magiſche Ges 
walt der Willendfraft bezeichnete. Mitten unter Gegnern war Hildebrand 
wie gefeit, wie durch unfihtbare Mächte geichükt. 

Aus dem Folgenden wird fich ergeben, daß die Sendung des Sub: 
diakons an den deutihen Hof höchſt wahrfcheinlich einen doppelten Zweck, 
nämlidy einen allgemeinen, das Fünftige Verhältniß des Stuhles Petri zur 
Kaiferfrone, und einen bejonderen, die Anerkennung Stephand X. von 
Seiten der NReichöverweferin betreffend, hatte. Letztere Abficht erreichte - 
Hildebrand nicht. So wie dieß entichieden und die Enticheidung in Rom 
befannt war, nahmen die Dinge dort eine ernfte Wendung. Man muß 
wiſſen,) daß Cardinal Frievrih zu Ende des Jahres 1053 ald Gefandter 
des damaligen Pabfted Leo IX. nad Eonftantinopel gieng und von dort - 
im folgenden Jahre große Summen zurüdbracdte, die ihm der Kater des 
Dftend, Eonftantin Monomahus, offenbar zum Kampfe wider die mit Heinrich 
II. verbündeten Rormannen Süvitaliens, übergeben hatte. Diefer Schag war 
indefjen im Mutterflofter Monte Caſſino niedergelegt worden. 

Frage: ift es glaublich, daß der Byzantiner dem Cardinal das Geld 
ohne weitere Sicherheit einhändigte, mit andern Worten, hat er feine Bürg- 
ſchaft gefordert, daß daſſelbe nur zu beftimmten Zwecken verwendet 
werde? Gewiß ift erfteres fehr unmwahrfcheinlid. Es liegt nit in der 
Art großer Herricher, Anderen blinded Bertrauen zu beweilen. Aber wie 
war eine Bürgfchaft der Art ausführbar? Ich denke jo: wenn Conftantin 
dem abreifenden Cardinal Leute mitgab, die das Geld unter ihrem Vers 
Ihluß behielten und erft dann ausbezahlten, fobald durch unzweibeutige 
Handlungen der Beweid hergeftellt war, daß ed zu Dingen, die den Ab- 
fidten des byzantinifchen Hofs entfprachen, verausgabt werben folle. ei 
dem, wie ihm wolle: Ende November verließ Pabft Stephan X. mit 
ftarfem Gefolge Rom und reiste nad Monte Eaffino, wo er den 30. No⸗ 
vember 1057 anlangte und bis zum 10. Februar 1058, alfo faft 2". 
Monate verblieb). Indeſſen müflen Nachrichten über den Erfolg ver 
deutihen Sendung Hildebrand’8 eingelaufen fein. 

- Meines Erachtens in Folge diefer Nachrichten nahm der Pabft zwei 
wichtige Afte vor, denen nad) feiner Rüdfehr in die Stadt ein dritter von 
faft gleicher Bedeutung folgte. Stephan X. war 1057 zum Abte von 
Monte Eaffino eingefegt worden, und hatte die Abtwürde auch als Pabſt 
beibehalten. Aber während feiner damaligen Anwejenheit eröffnete er’) den 
Mönchen, daß er ihnen Sreiheit ertheile, einen Andern zum Vorftand zu wählen. 


) Bfrörer, 8. ©. IV, 601. 2) Leo montec. chronic. II, 9. Perk VII, 702 fig. 


574 Pabft Gregorius VIE und fein Zeitalter, ) 


Die Wahl fiel auf den Mönd; Deſtderius und ward vom Siephan ge | 
billigt. Die Aufforderung hieß fowiel, als Stephan X. wolle von mn ] 
an blos Pabft jein. Da er aber bisher hauptſächlich von dem Cinfünften 
Monte Caſſino's gelebt hatte, muß man den Schluß ziehen, daß Etrnhan 
die Möglichfeit vorausfah, die Ausgaben des Pabftthums auf andere Weir 
zu beftreiten. Dieß fonnte er aber nur durch offenen Kampf mit dem 
römifchen Adel, mit den Normannen, mit dem beutichen Königthum, dreien 
Mächten, welde das chemalige Erbe des h. Petrus gewaltiam in Bet | 
genommen hatten, erreichen. Die Anorbnung einer neuen Wahl war alle 
jo gut, als eine Kriegserflärung. n 

Weiteres Licht gibt Leo von Oſtia. Derfelbe fährt fort: „nachdem die 
Mahl vollbracht war, erflärte Pabft Stephan X.: vorerft will id die 
Abtwürde noch behalten und wiünjche, daß Defiverius für mich eine Ge⸗ 
ſandtſchaft nad) Eonftantinopel übernehme; kehrt er zurück, während ih 
noch am Leben bin, jo werbe ich ihn jofort in die Abtei einfegen; jolle 
id) bei feiner Rückleht jchon geftorben fein, jo ift er ohme Weiteres Abt | 
Defiderius willigte ein, und Stephan X. fandte ihn, begleitet von zmei 
Anderen, Mainardus und dem Gardinal Stephanus, mit Briefen nah 
Eonftantinopel.* Dieſe zweite Gefandtfchaft muß denjelben Zweck gehabt 
haben, wie bie erfte vom Pabfte vor vier Jahren, da er noch Earbinal 
Friedrich hieß, felbft übernommene, d. h. Eröffnung des Kriege gegen bie 
Normannen und folglich mittelbar gegen die deutſche Krone. 

Kurz darauf reiste Stephan X. nah Rom zurüd. Dort angefoms 
men, ernannte‘) er den biöherigen Abt Peter Damiani zum Carbinals 
Biſchofe von Oſtia. Auch diefe That war bedeutſam und einer Kriege 
erflärung gegen die Feinde Roms gleih. Alle Welt kannte Damtani al 
einen Eiferer, der mit Hand und Mund, in vielen weitverbreiteten Schrif⸗ 
ten wie im Gefchäftleben, die Priefterehe, die Simonie, den Einfluß des 
Kaiſers auf Beſetzung geiftlicher Aemter befämpft hatte, und nicht minder 
in feiner neuen Stellung befämpfen werde. Der Würfel war gefallen. 
Sofort ſchickte Stephan X. Befehl nad Monte Caffino, ven dortigen 
Schatz nad Rom zu ſchaffen. Es geihah?) fo: die Summen wurden an& 
bezahlt und in die Stadt abgeliefert. Seitdem muß das Gefühl großer 
Gefahren, die ihn umgaben, und eines nahen Todes den Pabſt beherrht 
haben. Mehrere glaubwürdige Zeugen jagen‘) ans: „Stephan X. ver 
fammelte Biſchoͤfe und Laien, Elerus ind Volk von Rom, innerhalb einer 
Kirche, und nahm allen einen Eid ab, daß fie, im Falle er (Stephan X) 
demnädft fterbe, feinen Pabft wählen würden, bevor Hildebrand, Sub⸗ 


*) Im der erflen Woche des März 1058; die Veweiſe bei Pagi: breriar. pontif. r- 
man. II. 366. *) Perg VII, 694. *) Nachgewiefen bei Jaffs, ©. 388 oben. l 


Erſtes Buch. Bay. 19. Geſchichte des Pabſtes Stephan X. Pataria in Mailand. 575 


diafon der römtfchen Kirche, von feiner Gefandtihaft an den Hof der Kai⸗ 
ferin Agnes zurüdgefehrt fei.”" Man fteht, ver Pabft ahnte, daß er nicht 
mehr ‚lange leben werde, aber im Angefiht des Todes hielt er an dem 
Glauben feit, wenn je ein Menfch, fei Hildebrand im Stane, die Kirche 
aus höchfter Gefahr zu erretten. 

Ueber die weiteren Ereigniffe geben nur die von Perg zuerſt ver: 
öffentlichten römiichen Jahrbücher einen ungeſchminkten Beriht. Sie mels 
den‘): „die Römer entriffen dem Babfte mit Gewalt den Schag, welchen 
Stephan früher aus Eonftantiopel gebracht hatte Im Zorn hierüber eilte 
Stephan aus Rom hinweg, um das, was geichehen, feinem Bruder, dem 
großen Herzog Gottfried anzuzeigen und Hülfe von ihm zu begehren. 
Allein die Römer Ichidten ihm einen Trasteveriner Namens ...... (das 
“ Wort ift ausgefragt) nad, der, wie die Sage geht, den Pabft unterwegs 

traf und vergiftete, worauf Stephan X. ftarb.“ 

Laut andern Nachrichten”) war der Drt feines Todes Florenz, die 
Zeit der 29. März 1058. Leo von Dftia ſchreibt:) „die Abficht der 
Reiſe, welche Stephan X. antrat, gieng, jo hieß es, dahin, mit feinem 
Bruder in Tuscien zufammenzutreffen und ihm die Kaiſerkrone aufzufeßen, 
dann wollten fie nah Rom zurüdfehren und vereint die Rormannen aus 
Stalien vertreiben." Nicht blos die Reife, jondern noch vielmehr die That: 
ſache der Abholung des Schatzes aus Monte Caſſino, und die zweite con- 
ftantinopolitanifche Gefandtichaft weilen unzweifelhaft auf kriegeriſche Zwecke 
Hin, die fi jedody außer den Normannen auch noch auf den römilchen 
Stadtadel und den Faiferlihen Hof bezogen. Beſagter Adel hatte daher 
das größte Intereffe, theild den Schag, der die Hülfsmittel des Kriegs 
enthielt, dem Pabfte zu entreißen, theild den gefährlichen Gegner ſelbſt zu 
bejeitigen. Die Unthat, welche Stephan längft ahnete, wurde vollbracht. 

Hat Herzog Gottfried irgend etwas gethan, um die Ermordung des 
Bruders zu rächen? Nichts, gar Nichte. Aus dem Folgenden wird klar 
werben, daß die Sacen jo ftanden: nicht blos der deutfche Hof war dem 
geftorbenen Pabft entgegen geweſen, auch bie angefehenften unjerer Bichöfe, 
namentlih Hanno von Cöln, hatten mißbiliigt, daß Cardinal Friederich, 
ohne die deutſche Krone zu befragen, den Stuhl ‘Petri beftieg. 





ty) Berk V, 470. 2) Jaffé a. a. D. 2) Perk VIL 694. 


576 Pabft Gregorins VL. und fein. Zeitalter. s 


Dwangigfies Eapitel. 


Die Gapitane Roms werfen, nicht ohne Zuthun ber Kaiferin Agnes, Benebift X. aus hm 
Haufe Tueculum zum Adelspabſte auf. Doch wirb derſelbe in Kurzem gemötbiat je 
weichen. Erhebung des Kirchenpabſts Nikolaus IT., nachdem eine deutſche Rathever⸗ 
ſammlung, deren Ort wir nicht kennen, entſchieden hatte, daß hinſort die Römer und 
ber ſaliſche Hof gemeinſchaftlich das Recht üben follten, Petri Stuhl zu bejegen. Die 
Kaiſerin Mutter Agnes mußte diefe Veſchlüſſe genehmigen. Synode von Sutri, 
Großes Goneil im Lateran, gehalten an Dftern 1059. -Damian’s Sendung nah 
Mailand, durch weldhe die Bifchöfe Lombardiens gezwungen werden, bei dem röuiı 
ſchen Goneile ſich einzufinden. Mnfänge der Laufbahn ded Hauptmanng Griembalt. 
Wahldeltet des Pabftes Nikolaus II. Sinn deſſelben. Verngar von Tours wit 
ruft feine Keherei. Weil die Katferin Mutter fh weigert, das römifche Kirkhengut 
herandzugeben, unterhanbelt Nifolaus IT. mit den Normannen Apuliens. Kurze Ger 
Fichte verfelben. Ehd der Treue, den Robert Wipfard als Fünftiger Sehupvozt det 
römifchen Stuhles dem Pabfte leiſtet. Derfelbe zieht mit Heeresmacht nad) Rom 
und züchtigt die widerfpänftigen Gapitane. Worzeihen nahenden Bruches zuwifden 
dem falifehen Hofe und dem Pabfte. Ueberſicht der großen Erfolge, welche Nitolaut 
in dem übrigen katholiſchen Reichen des Abendlandes erringt. Gerhard, Graf son 
Galeria , plündert angelfächfiiche Gefanbte aus, welche nah Rom gefommen fin. 
Diefe That gibt den legten Ausſchlag, daß Nifolaus IL die der deutſchen Krone im 
Wahldefret von 1059 bewilligten Rechte widerruft. 


Die Entfernung von Florenz, wo Stephan X. ftarb, nah Rom ber 
trägt, wenn man nicht mit unterlegten Pferden vorwärts eilt, fünf Tags 
reifen. Der Tod des Pabfted wurde am 3. oder 4. April in Rom befannt:') 
und alsbald Iegten diejenigen, deren geheimen Streihen Godfrieds Bruder 
unterlag, Hand ans Werf. Die römijchen Jahrbücher zählen?) folgende 
als Anftifter der neuen Pabftwahl auf: Gerardus, Rainers Sohn, Graf 
von Galeria (einer ſtarken Vefte Sutri zu), Alberih Graf von Tusculum 
und die Söhne des Erescentius von Monticelli. Es find theils dieſelben, 
welde bis 1046 über das Pabſtthum verfügt hatten, theild Söhne berer, 
dur welche noch früher Petri Stuhl in Sflaverei geftürgt worden war. 
Noch einmal erhob das Haus der Ercscentier, mit dem Grafen von Tut 
fulum vereint, die blutige Fauſt, aber auch das legte Mal: ihre Stunde nahte, 
und zwar in Folge deſſen, was fie damals ausbrüteten. Inder Nacht vom 4. 
auf den 5. April‘) fammelten fie ihre Dienftleute, warfen unter Waffen⸗ 
getümmel ihr Werkzeug, den bißherigen Biſchof von Velletri, Johann 
Minchus genannt, der felbft aus dem Haufe Tusculum ſtammte, ) zum Pabſt 
auf, gaben ihm den bezeichnenden Namen Benebift X., der die Wiederkehr 
der unter drei, vier Pähften gleichen Namens verübten Unthaten verhieß 


H Ueber die Zeit vergleidje man ebendaſ. Jafss richtige Berechnung Bd 


V, 470. ?) Höfler, deutſche Päbfte IL, 290. 


Erſtes Buch. Cap. 20 Gegenpabft Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. z. Bruche mit Agnes. 577 


riefen dann das Volk zufammen, theilten Geld mit vollen Händen auß, 
und brachten zu Wege, daß der Pöbel die Wahl billige. Wergeblich boten 
die in Rom anweſenden gut gefinnten Cardinäle, namentlich Beter Damiant, 
Cardinalbiſchof von Oſtia, Alles auf, um den Gewaltftreich zu verhindern, 
baten, drohten mit dem Banne: fie mußten fliehen und durften zulegt froh 
fein, daß fie mit heiler Haut davon kameny. Rom hatte wieder einen 
Adeldpabft, wie vor 12 Jahren. 

Zunädft fragt e8 fi, haben die Crescentier und Tusculaner daß, 
was fie thaten, in der Vorausſicht gethan, daß der faiferlihe Hof ihre 
Schritte billigen werde oder niht? Bon Beantwortung diefer Frage hängt 
das Verftändniß des zwiſchen dem Pabſtthum und der Katferfrone obſchwe⸗ 
benden Streits ab. Ehe Heinrih IV. 1046 nad Rom Fam, hatte Graf 
Gerhard, Rainers Sohn, daſelbſt das nämliche Wefen getrieben, das er jet 
wieder trieb. Zog ihn etwa der Salier zu jener Zeit zur Etrafe, wozu 
doch Heinrih II. ald Schußvogt des heil. Stuhl verpflichtet war? Nein, 
Gerhard durfte nach Heinrich’8 III. Rückkehr ungefährdet zu Rom bleiben und 
ward dadurch in Stand geſetzt bei nächfter Gelegenheit das Spiel wieder 
vorne anzufangen. 

Bonizo fagt,”) mit Gerhard hätten die anderen Capitane Roms bei 
Erhebung Benedikts zufammen gewirft. Wer waren diefe Eapitane? Keine 
andern als die Häupter ded Lehenadeld, welche Kaifer Heinrich III. gegen 
Ausgang des Jahre 1046 im Befite der dem Stuhle Petri entriffenen 
Kirchengüter beftätigt hatte.) Wozu die Beftätigung? dazu, daß St. Peter 
arm bleibe, daß folglik nur Deutfche Pähfte werden fonnten, die dort vom 
Ertrage ihrer deutihen Bisthümer leben folten; dazu endlich, daß die mit 
dem Eigenthum des heil. Stuhls belehnten römiſchen Evelleute unverweilt 
losbrächen, jo bald ein Verſuch gemacht würde, das Pabftthum aus ſchmaͤh⸗ 
licher Knechtichaft zu befreien. Denn natürlih, wenn wieder ein Kirchens 
pabft auffam, mußte derjelbe damit anfangen, daß er das geraubte Eigen⸗ 
thum des Apoftelfürften zurüd verlangte, und folglich die Räuber aus dem 
Beſitze vertrieb. Wollten daher die Belehnten fürder ven Herrn ſpielen — und 
wer will das nicht? — fo mußten fie St. Beter in Knechtichaft erhalten. *) 
Kurz, Kaifer Heinri III. ließ im Jahre 1047 befagte Capitane gleichſam 
— man verzeihe mir den Ausdrud, aber er bezeichnet fcharf und natürlich 
das wahre Verhältnig — als Schergen zurüd, um St. Peterd Gefängniß 
zu bewachen. Als ſolche hatten fie jo eben die Erhebung Benedikts X. und 
das ihr vorangegangene Verbrechen vohftredt. 


) Chronic. cas. Per& VII, 695 und der Brief Damiani’8 bei Baronius ad a. 1058. 
Pr. 11. 2) Defele II, 806, a. 2) Sfrörer, K. ©. IV, 441. %) Siehe daf. 
©. 435 fig. 
Gfroͤrer, Pabſt Gregorius VIL Bd. L 37 


578 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


Man könnte einwenven, To ſei es allerdings in den Zeiten Heinnd'i 
III. geweſen, aber die Reichsverweſerin Agnes, die 1058 mit jchwader 
Hand regierte, habe weit weniger Macht beſeſſen, ald ihr verftorbener Ge⸗ 
mahl, und es laffe fi denfen, daß die Capitane jene That der Kaiſeri 
zu Trotz wagten, nämlich weil fie glaubten, Agnes werde keineswegs im 
Stande fein, die Erhebung Benedikts, felbft wenn diefelbe ihr hoöchlich mik 
fiele, an den Lrhebern zu beftrafen. Ich entgegne hierauf: die Gapitaw 
Roms waren Heine Herm; wie wir unten ſehen werden, genügten wenige 
hundert Normannen, um für immer ihrer Herrihaft ein Ende zu maden. 
Und die Reichsverweſerin follte nicht ftarf genug gewejen fein, das zu vers 
rihten, was diefe Normannen vermochten? Es hieße den gefunden Ru 
fchenverftand beleidigen, wollte man länger einer jo widerfinnigen Annahme 
die Ehre erweilen, fie mit Bernunftgründen zu widerlegen. 

Die Capitane Roms wurden damald in der Hand eined Mächtigen 
als Keil gebraucht, um Andere zu etwas zu zwingen, was dieſe fonft ſchwer⸗ 
lih gethan hätten. Und als ver vorausgeſetzte Zweck erreidht war, al 
Gottfried, der Bruder des unglüdlichen Stephan und deſſen natürlicher Räckr, 
den von der failerlihen Regierung anerfannten Kirchenpabft nad Rom ge 
führt und die Stadt in feiner Gewalt hatte, find befagte Capitane doch 
nicht zur Strafe gezogen worven, ohne Brage, weil höhere Befehle dem 
Brabanter die Hände handen. Wäre ed ganz nach dem Willen der Reiches 
verwejerin gegangen, jo würben die Eapitane abermald unverfehrt und nıbig 
in Rom geblieben feyn, um zum brittenmal bei paflendem Anlafje das Spiel 
von 1045 und 1058 zu erneuern. Feinde der Kaiſerin find es geweſen, 
welche letzteres unmöglich machten. 

Ueber die Folgen der Erhebung Benedikts X. haben wir, ftatt der ges 
fürbten, aus dem Getriebe der Partheifeidenfchaft hervorgegangenen, durch 
Unwahrheit oder berechnetes Schweigen entftellten italienischen Berichte, ein 
flared, völlig glaubwürdiges deutiched Zeugniß. Lambert von Herfeld 
meldet‘) zum Jahre 1059: „die römischen Häupter jchidten eine Gejandt- 
[haft an den König, um Genugthuung zu leiften. Diele Gefantt- 
ſchaft erflärte, ihre Auftraggeber feien bereit, jo weit es in ihrer Madı 
ftehe, dad dem Vater des Könige — dem Kaifer Heinrich III. — gegebene 
Verſprechen zu halten; zu ſolchem Zwede hätten fie den erledigten Stuhl 
noch nicht befeßt, fondern wollten erft die Willensmeinung des deutſchen 
Hofes vernehmen. Der König möge den bezeichnen, den er zum Nachfolger 
wünſche. Habe aud indefjen ein Anderer ſich widerrechtlich eingedrängt, ie 
made dieß Feine Schwierigkeit. Auf dieſe Erklärung der Gejandten hin,“ 
fährt Lambert fort, „pflog der König mit feinen Großen Rath, und be 


’) Berk V, 160. 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. IT. 6. 3. Bruche mit Agnes. 579 


zeichnete, da fo wohl Römer als Deutfhe über die Wahl des 
Slorentiner Biſchofs Gerhard übereinftimmten, den eben ge- 
nannten als Mann feiner Wahl, und erließ fofort an den Markgrafen 
Godefried Befehl, Gerhard nah Rom zu führen.“ 

Aus den Worten Lamberts ergeben fi folgende Punfte: erftlich die 
Geſandtſchaft ift nach Erhebung Benebiftd X. und zwar nicht von feiner 
Parthei, fondern von der entgegengejegten, abgefchidt worden, denn die Ab- 
georbneten fordern ja den deutſchen König ziemlich unverblümt auf, den 
Eingedrungenen mwegzuwerfen. Folglich ging die Geſandtſchaft von Anhängern 
der Kirchenfretheit, d. h. von Gregorianern, wenn aud von gemäßigten 
Gregorianern, aus. Zweitens die Auftraggeber erflären fich bereit, auf etwas 
zu verzichten; denn Lambert jagt ja, die Geſandtſchaft habe Genugthuung 
angeboten.) Worin die Genugthuung beftand, ift Far. Bei Erhebung 
Stephans hatten die Römer den deutſchen König gar nicht befragt, ald wenn 
er nicht in der Welt wäre. Seht dagegen geben fie ihren Entſchluß zu 
erkennen, daß fie, ehe eine Wahl zu Stande komme, erft die Meinung 
des deutihen Königs vernehmen wollten, und legen dad Verſprechen ab, 
dieß auch in Zukunft fo zu halten. Drittens obgleich die Auftraggeber kin 
begangnes Unrecht eingeftehen, erflären fie gleihwohl offen, daß fie das 
einft dem Kaiſer Heinrich III. zugeftandene Recht des Patriciats nicht in 
vollem Umfange aufrecht erhalten Fönnten, denn ed heißt?) ja, fie würden 
das dem Vater ded Königs gegebene Wort, nur ſo weit ed möglid 
fei, erfüllen. | 

Als Patricier hatte Kaifer Heinrich IIL. aus eigener. Machtvollkommen⸗ 
heit Päbfte nad) Gutdünken eingejegt, ohne Jemand zu befragen. “Die 
angebeutete Unmöglichkeit bezieht fich darauf, daß die Römer eine fo jchranfen- 
lofe Befugniß nicht mehr einräumen ‚wollen. Auch der König fleht thats 
fächlic von derfelben ab; denn er bezeichnet”) ja Gerhard von Florenz dann 
erft als Pabft feiner Wahl, nachdem ſich herausgeftelt hat, daß auch Die 
Römer fih über ihn vereinigt hatten. Wiertend dem Aft, wodurd fich 
die deutſchen Großen mit der Erhebung Gerhards einverftanden erflärten, 
war eine Ältere in Stalien bewerfftelligte Vorwahl vorangegangen, Fraft 
welcher die Römifhen Häupter darüber Beichluß gefaßt hatten, daß Ger- 
hard, Bilhof von Florenz, ihnen als Pabſt genehm ſei. Und indem 
Heinrih IV. diefen Vorſchlag gut hieß, hat er ſtillſchweigend die vorange⸗ 
gangene Wahl der Römer und auch das Recht dazu beftätigt. 

Fünftens, Aufmerkſamkeit verdient die Bemerkung Lamberts: Heinrih IV. 


') Satisfactionem ad regem mittunt. 2) Se fidem quam patri dixissent quoad 
possent servaturos. ) A. a. O. rex Gerhardum pontificem designat, Romamque 


per Gotefridum marchionem transmittit. 
37° 


580 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


habe an Herzog Godfried Befehl ertheilt, den neuen Pabſt nah Rom 
zu geleiten. Warum erhielt gerade Godefried diefen Auftrag? Offenbar 
weil er durch den Eölner Vertrag vom Dezember 1056 zum Wächter 
Roms, zum Schußvogt des heil. Stuhls, zum PBatricier oder Bannerträger 
der ewigen Stadt ernannt worden war. Mittelbar legt daher Lambert 
Zeugniß für die Mahrheit Deffen ab, was, wie an einem andern Orte!) 
gezeigt worden, einige von ihm unabhängige und ausgezeichnete Duellen 
melden. Indeſſen muß dur die Verhandlungen, welche den von Lambert 
erwähnten Reichstagsbeſchlüſſen vorangiengen, Godfrieds Stellung zum 
römifchen Stuhl wejentlich geändert worden fein. Bei der Wahl Etephand 
hatten die Römer den deutfhen Hof nicht befragt, Godfrieds Einwilligung 
genügte, um den vom römiſchen Clerus vorgeſchlagenen Cardinal Friedrich 
auf Petri Stuhl zu befördern. Folglich übte der Herzog von Canoſſa bei 
diefem Anlafje in volftem Umfange die Rechte eines Patriciers. 

Jetzt aber waren die Partheien übereingefommen, daß binfort Papft 
wahlen zugleih vom deutfchen Hofe und von einer römiſchen Behörde aue: 
gehen follen. Seitdem fonnte Godfried nicht mehr als eigentlicher Patricier 
amten, wohl aber übte er, wie aus den angeführten Thatfachen erhellt, 
noch immer die Befugniß eined Bannerträgerd von Rom und eined Schuß 
vogted der Mutterfirhe. Ob Godfried den goldnen Reifen, Die Außere Aus: 
zeichnung des Patriciats, zwiihen 1056 und 1058 in Verwahrung gehatt, 
und etwa vor Weihnachten des Ießtgenannten Jahres in die Hände der 
Römer zurüdgegeben hat, kann man beim Schweigen der Quellen nicht 
ermitteln. Dagegen fteht feft, daß der fraglide Reifen bald darauf von 
einer römiſchen Parthei an die Kaiferin Agnes überliefert worden iſt. 

Die Sache ftellt fih jeht fo heraus: in Folge fonft nicht genauer be: 


fannten Berhandlungen, welde die Anfunft der römischen Bevollmädtigten 


am deutſchen Hoflager, vieleicht auch ſchon die frühere Geſandtſchaft Hilte 
brands herbeiführte, ift ein Vergleich zwijchen zwei jonft weit auseinander 
gehenden Meinungen abgeichlofien, und ald Norm feftgefeßt worden, baf 
fünftig Babftwahlen weder, wie vor 1046 gefchehen, nur von den Römer, 


nod), wie es Heinrich IIT. feit 1046 verfuchte, ausfchließlih vom Kailer . 


getroffen werden, jondern daß beide Mächte Theil daran haben follten. 
In ſolchen Fällen wird Erzielung eined vernünftigen Erfolgs überall mu 
dann möglih, wenn man zwilchen bejahender und verneinender oder wer 
werfender Wahlbefugniß unterfcheivet, und dem einen Theil das Recht bed 
Vorfchlagd, der Erwählung im weiteren Sinn des Worts, dem Andern das 
Recht der Verwerfung einräumt. Brage, wer erhielt bei obigem Vergleich 
das Recht der Affirmative, wer dagegen die Erelufive? Antwort: ohne 


ı) Dben ©. 10. 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 581 


Zweifel wurde erftered den Römern, das zweite der beutfchen Krone zu: 
gewiejen. 

Nicht nur heißt, wie wir fahen, Heinrih IV. thatſächlich eine vorans 
gegangene Wahl der Römer gut, fondern auch der von der deutichen Krone 
anerfannte Pabft Nikolaus II. hält fofort eine große allgemeine Synode, 
welde eine Wahlordnung entwirft, die den römischen Cardinälen das Recht 
der Wahl oder vielmehr des Vorfchlags, dem deutjchen König dagegen einen 
gewiſſen Ehrenvorzug zumeist, welder leßtere in nichts Anderem beftanden 
haben kann, als in der Befugniß, gewiſſe Kandidaten, die von den Wäh- 
lern genannt worden, auszuſchließen. Diefe Wahlordnung erlangte für 
einige Zeit Geltung, die Reichsverweſerin hat nachher nicht gewagt Nifolaus IT. 
offen anzufechten — ruhig ſaß er über zwei Jahre auf Betri Stuhl — eine 
merflihe Ausnahme von Allem dem, was feit Leo's IX. Zeiten gejchehen. 
Es ift undenkbar, daß eben dieſe Wahlorbnung nicht eine Frucht der am 
deutſchen Hofe gepflogenen Verhandlungen war, daß fie nicht zum Voraus 
die Beiftimmung der Reichsgewalt erlangt hatte. 

Nur fo viel, als ich eben gethban, läßt fih mit Eicherheit aus dem 
Berichte Lamberts durch Schlußfolgerungen ermitteln. Aber nicht zu zweifeln 
ifl, daß noch manche andere Dinge zur Sprache famen. Durfte die deutjche 
Krone nur einen von den Römern genannten, oder mehrere ausjchließen 
und etwa mit der Verwerfung nad Belichen fortfahren? Ich weiß Feine 
Antwort auf diefe Frage; doch ift letztere Annahme höchſt unwahrſcheinlich, 
weil fonft das Mahlrecht der Römer ein trügerifched geworden fein würde. 
Indeß getrane ich mir, noch einen Punkt feftzuftelen. Die Römer müffen 
geltend gemacht haben, es fei nicht recht noch billig, daß der Kaifer jeit 1046 
nur Deutjche — Clemens II., Damafus IL, Leo IX., Victor IL. zu Paͤbſten 
gemacht habe, andere Nationalitäten verdienten gleiche Berüdfichtigung, und 
zweitend die Römer müffen mit diejer Vorftellung ganz oder wenigſtens 
mehr als halb durchgedrungen fein, denn Gerhard von Florenz iſt für lange 
Zeit der letzte Cismontane, der Petri Stuhl befteigtz; felbft er war fein ' 
eigentliher Deutjcher mehr, nad feinem Tode aber fiel die Wahl der Römer 
auf Italiener. Noch mehr, die Reichöverweferin getraute ſich nicht leichthin 
nach dem Tode des zweiten Nikolaus, die alten Händel von Vorne anfangend, 
einen Deutfchen der römifchen Kirche aufzudrängen, fondern fie fchob nuns 
mehr einen Italiener, Kavaloh von Parma, voran. Ich glaube, man darf 
hieraus den Schluß ziehen, nicht nur daß die Römer jene Klage erhoben 
hatten, fondern aud daß fie von mächtigen Männern am Hofe für nidt 
unbegründet erklärt worden jel. | | 

Obgleich die Rathsverſammlung, welche wir durch Lambert kennen 
lernten, bezüglich etliher fehr wichtiger Punkte einen DVergleih zu Stande 
brachte, liefern fpätere Ereigniffe den Beweis, daß Stoff des Hader genug 


582 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


übrig blieb. Die Reichsverweſerin Agnes genehmigte damals die gefaßten 
Beichlüffe, ließ ferner ruhig die Eynoden zu Eutri und im Lateran, von 
denen fogleih die Rede fein wird, gewähren, ſchwieg zu der neuen Wahl: 
ordnung, vergriff fih nidt in dem Maße an Nifolaus IL wie an feinem 
Vorgänger Etephan X. Daraus folgt, daß fie entweder die Uebereinkunft 
innerlic) gebilligt hat, oder aber durch einen ftärferen Willen genötbigt 
worden ift, ihre Unzufriedenheit in fich zu verichließen. Letzteres war ber 
Full. Denn nah dem Tode Gerharde Fam fie auf die Plane ihres ver: 
ftorbenen Gemahls Heinrich's ILL. zurüd, waffnete einen Gegenpabft, ten 
Parmeſanen Kadaloh, wider die römische Kirche. Folglich ift der abge: 
ſchloſſene Vergleich nicht ihr freies Werf geweien, fondern ihr durch einen 
Andern abgerungen worden. Wer diefer Andere war, wird unten ber 
vortreten. | 

Noch ein weiterer Zunder des Zerwürfniſſes glomm fort. Faft un 
denkbar ift, daß die römiſche Geſandtſchaft nicht bei jenen Verhandlungen 
Beftrafung der Capitane und MWiedereinfegung der Kirche in das gewaltjam 
entzogene Eigenthum gefordert haben follte. Aber fie drang biemit nict 
durch. Obgleih Markgraf Godfried mit bewafneter Hand nad Rom fan, 
Nifolaus II. einjegte, und Benedift X. zu unbedingter Unterwerfung nöthigke, 
obgleidh er Herr der Etadt und der Umgegend war, obgleich er endlid cin 
blutiges, an jeinem Bruder verübtes, Unrecht zu rächen hatte, gejchah dot 
den Gapitanen nichts. Erſt die Normannen haben jpäter, und zwar nidt 
im Dienfte der Reichsverweſerin, fondern als ihre Gegner, die Madt 
jener Menſchen gebrochen. Ebenfowenig befam Petri Stuhl feine Güte 
zurüd. Behielten doch die Päbſte Nikolaus IL und Alexander IL, um 
(eben zu können, die früher von ihnen befleiveten Bisthümer, jener Florenz, 
diefer Zucca bei, und nur allmählig und in beijchränftem Umfange gelangte 
die römische Kirche wieder zu Grundbeſitz. 

Nun, nachdem die deutschen Verhältniffe erläutert find, wenden wir 
und über die Alpen zurüd. Was hier nad dem Tode Etepband X. 
vorgieng, beftätigt den Bericht Lambertd. Dom Todestage Etephand X, 
der, wie wir wifjen, auf den 29. März 1058 fällt, bis zu Erhebung des 
neuen Kirchenpabftes dauerte es volle I Monate. Aus mehreren That 
jachen erhellt, daß dieſer Verzug durch die Unterhandlungen am kaiſerlichen 
Hofe bedingt war. Lambert von Hersfeld erwähnt den Abſchluß des Ber 
gleichs zwilchen der Reichsverweſerin und Rom erft zum Jahre 1059, aber 
er beginnt das neue Jahr nad damaliger Sitte mit dem Chriftfeft, und 
ed ift überbich faum zu zweifeln, daß er die Verhandlungen darım zum 
folgenden Jahre zog, weil er auf einmal und ununterbrochen auch die Bolk 
ftredung der gefaßten Befchlüffe, die wirklich erft im Jahre 1059 erfolgte, 


erzählen wollte. Die Art und Weife feines Berichts fteht mit Richten dar 


Erſtes Buch. Kap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. II. b. z. Bruche mit Agnes. 583 


Annahme entgegen, daß die Kaiſerin ſchon im November oder Dezember 
1058 ihre Bereitwilligkeit, den von den Römern vorgeſchlagenen Candidaten 
anzuerkennen, erklaͤrt hat. Nun erſt ging in Italien die wirkliche Wahl vor 
fich. Zweitens dieſelbe fiel richtig auf den von Agnes Bezeichneten. 

- Baffen wir die Berfönlichkeit ded Gemwählten ind Auge In einem 
Screiben,') das Erzbischof Gervafius von Rheims an den neuen PBabft 
erließ, heißt es, Nikolaus 1I. ftamme aus dem Reihe, dem auch Gervaſius 
angehöre. Man fönnte hieraus jchließen, Nikolaus IL, oder mit feinem 
früheren Namen Gerhard, ehemaliger Biſchof von Blorenz, jet in Neuftrien 
geboren. Allein ebenſo wahrſcheinlich ift, daß Gervaſius in der fraglichen 
Stelle nicht blos die eigentlihen Neuftrier, fondern auch die Wälſch⸗Lothrin⸗ 
ger und Burgunder ald Landsleute und Volksgenoſſen betrachtet. Meines 
Erachtens fteht daher die Behauptung des Rheimſer Erzbifchofs Feineswege 
. im Widerſpruch mit der Ausſage anderer Zeugen,?) welde den Florenzer 
Biſchof Gerhard einen Burgunder nennen. Ein neuerer Schriftfteller ſagt,“) 
jedoch ohne Belege anzuführen, daß Gerhard in früheren Zeiten neben dem 
Lothringer Frieverih, dem nadmaligen Carbinal und Pabſt, Domherr in 
Lüttih war. Ich halte die Angabe für wahrfcheinlih, wage aber ohne bes 
ftimmte Zeugniffe nicht, offen für fie Parthei zu ergreifen. Allem Anſcheine 
nad gehörte Stephan zu ben’ vielen Reiheinfaßen, weldhe vie Kaifer feit 
1024 nah und nad ‚auf italiänifhe Stühle beförvert haben,*) und 
hinwiederum zu den Wenigen unter den Vielen, welde ohne Rüdficht auf 
die geheimen Zwede ihrer Brodherrn entjchloffen zu den Gregorianern hiels 
ten. Seine Abftammung aus dem Lande jenfeitS der Alpen dürfte ein 
Hauptgrund gewejen feyn, warum Gerhard erhoben wurde. Dem Hofe 
zu gefallen, wählten die Oregorianer noch einmal, aber auch das Letztemal, 
einen gebornen Unterthan der Kaijerfrone, einen Reichsinſaßen. 

Die Wahl erfolgte?) Ende Dezember 1058, und zwar zu Siena auf 
toskaniſchem Boden; den Ausjchlag dabei gaben Subdiafon Hiltibrand, der 
fett feiner Zurüdfunft von der deutichen Geſandtſchaft bis um dieſe Zeit in 
Tuscien geweilt zu haben fcheint, und MarfgrafsHerzog Godfried von Tus⸗ 
cien-Brabant. Leo von Montecaffino berichtet:*) „auf der Rüdreije aus 
Deutfchland begriffen, vernahm Hiltibrand, daß Benedikt mit Gewalt ſich dee 
Stuhles Petri bemächtigt habe, blieb nun zu Florenz, forderte die Häupter 
der römischen Kirche (die Carbinäle) auf, ſich bei ihm einzufinden und ſetzte, 


1) Mansi XIX, 875. 2) Pagi breviarium II, 371 und Eccardi corpus hist. med. 
aevi I, 1214. 3) Hoͤfler, deutfche Pähfte IL, 292. 2) Bfrörer, K. G. IV, 550. 
6) Pagi. breviar. I, 371 flg. Bonizo bei Oefele II, 806, a. 6) Chronic. II, 12. 
Perg VII, 704 fig. 


584 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


unterftügt von Herzog Gottfried, durch, daß Biſchof Gerhard von Florenz 
zum Pabſte erwählt wurde.“ 

Die erfte Handlung Gerhards beftand darin, daß er eine Eynode nad 
Eutri ausfchrieb, zu welder er die Bilchöfe Tusciend und Lombardiens 
und überdich den Kanzler der Kaiſerin Agnes, Wibert, einlud. Als Zweck 
der Verfammlung bezeichnete er, über den Eindringling Benedikt zu richten, 
der fich widerrechtlih zum Pabfte aufgeworfen habe. Nicht nur die gelades 
nen Bilchöfe famen, fondern auch der kaiſerliche Kanzler Wibert. Das 
Erjcheinen des Legtern beweist, daß dad, was zu Sutri gejchehen follte, 
im Einflange ftand mit dem am kaiſerlichen Hofe abgejchloffenen Vergleiche, 
mit andern Worten, daß die Reichsverweſerin Agnes ihre Zuftimmung zur 
Abſetzung Benediftd gegeben hatte. Auch Benedikt felbft jah die Sache jo 
an. Laut der Ausſage Bonizo’d und einiger anderen Zeugen‘) dankte ber 
Gegenpabft, ohne Widerftand zu leiften, oder das Urtheil der Synode von 
Sutri abzuwarten, freiwillig ab. 

Die römischen Jahrbücher dagegen melden, ?) daß ed zu Rom zwiſchen 
den Anhängern Hiltibrande, der bejonders die Einwohner von Trastevere 
auf feiner Seite gehabt zu haben jcheint, und der Gegenparthei zu Gefech⸗ 
ten fam, in welchen Letztere unterlag, Solche Händel mögen Anfangs 
ausgebrochen feyn, gleichwohl verbient meined Erachtens die Ausfage Bo 
nizo's, daß Benedift gutwillig das Feld räumte, Glauben. Die meiften 
Zeugen ftimmen darin überein — und fein einziger wiberjpricht gerade, 
daß Godfried den Auftrag nicht nur erhalten, ſondern auch ausgeführt hat, 
den neugewählten Pabſt in Rom einzujegen. Sicherlich aber kam er nicht 
allein, fondern mit Heeresmacht. Was konnten die Capitane einem ſolchen 
Manne gegenüber ausrichten, nichts blieb ihnen übrig als Unterwerfung, 
wenigftens zum Schein und für den Augenblid. Dagegen ift fein Zweifel, 
daß Godfried die Capitane nicht zur Rechenſchaft gezogen hat. Sie blieben 
im Befige ihrer Lehen und Aemter, woraus hanpdgreiflich erhellt, daß fie 
noch immer den heimlichen Schuß der Neichöverweferin genoffen, und daß 
Agnes feinen ernftlihen Frieden mit den Gregorianern geſchloſſen hatte. 
Denn wären dem Brabanter nicht die Hände gebunden gewejen, jo würde 
er andere Saiten gegen die Mörder feines Bruders aufgezogen haben. 

Bon Sutri aus hielt Gerhard friedlih feinen Einzug in die ewige 
Stadt und nahm Wohnung in dem von Benchift X. verlaffenen Lateran. 
Das ganze Volf erfannte ihn an, Niemand wagte fich zu woiderfegen, die 
heimlihen Gegner ſchwiegen. Die feierliche Einweihung des neuen Pabfted 
erfolgte in der zweiten Hälfte des Sanuard 1059. Mit diefem Afte war 
fraft alten Herfommens die Beilegung eines Pabſtnamens verbunden. Der: 


1) Pagi brev. H, 371 fig. Oefele II. 806. ?) Berk V, 471. 


Erftes Buch Gap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Rifol. II. 6. 3. Bruche mit Agnes. 585 


jenige, welchen Gerhard wählte — Nikolaus II. — ift bedeutfam. Der Bor: 
gänger, welcher vor Gerhard diefen Namen trug, Nikolaus I., der von 
858—867 der allgemeinen Kirche vorftand, hat zuerft unter allen Päbften 
den Ichwierigen Wurf gewagt, der Welt zu zeigen, daß die Könige der 
Erde von Rom nicht nur Gejehe des Glaubens und der Sittlichfeit, fon- 
dern auch des politiichen Rechts zu empfangen hätten; der nemliche hat zu⸗ 
erft unter allen Päbften, als Sinnbild deſſen, was er erftrebte, fih krönen 
laffen.‘) Auch der zweite Nikolaus ward nad der Weihe mit einer Krone 
geihmüdt, und zwar geſchah dieß auf den Rath Hiltibrande,. 

. Biihof Benzo von Alba berichtet folgendes:?) „Prandellus“ (fo nennt 
er |pottweife Hiltibrand) verfammelte eine Synode, im Angefiht welder 
er feinem Götzen (Nikolaus II.) eine Königskrone aufſetzte. An dem un- 
teren Reifen dieſes Schmudes ftand die Injchrift: „Krone des Reichs von 
der Hand Gottes; an dem obern war zu lefen: Diadem ber Herrſchaft von 
der Hand Petri.” Wie Alles, was Benzo über Hildebrands Handlungen 
erzählt, ift auch diefe Angabe in Gift und Galle getaucht, aber man hat 
darum feinen Grund, fie in Zweifel zu ziehen. Vielmehr ſtimmt die un- 
beftrittene Thatfahe, daß Gerhard den Namen Nikolaus wählte, jo voll- 
fommen zu dem, was Benzo meldet, daß man jelbft ohne fein Zeugniß auf 
etwas der Art jchließen müßte. Sinnbildlich bezeichnete der eine wie der 
andere Aft den Geift, in welchem Gerhard zu regieren gedachte. 

Noch ein dritter Akt hatte diefelbe Bedeutung. Die Amtsführung des 
neuen Pabftes begann, wie wir jahen, mit Berufung einer Synode nad) 
dem Orte Sutri. Wer wird glauben, es fei ohne beſondere Abficht ges 
ſchehen, daß Gerhard ftatt unmittelbar von Siena, wo die Wahl erfolgte, 
nah Rom zu ziehen, fi in der kleinen Stadt aufhielt? Zu Sutri hatte 
Heinri III. im Dez. 1046 die Synode gehalten,’) mit welder das der 
Kirche auferlegte Joh der Knechtichaft feinen Anfang nahm. Nah dem 
nämlichen Sutri berief Gerhard, abermald im Dez. 1058, eine zweite Sys 
node, von welcder die Freiheit der Kirche ausgehen follte. Beide Verſamm⸗ 
lungen ftehen im Verhältnig von Etoß und Gegenftoß: die Wahl des Orts⸗, 
des Pabftnamend, die Krone, welche fih der neue Nikolaus auflegen ließ, 
haben einen und denjelben Sinn. Man fieht: obgleich der Pabft und die 
Reichsverweſerin im Januar 1059 und no bis zum Juli ihr gegenfeitiges 
Benehmen nah dem im Jahre zuvor abgefchloffenen Vergleich. bemaßen und 
äußerlih Frieden hielten, war Stoff genug zum Ausbruch von Streitigfeis 
ten vorhanden, jobald Agnes von der aufgeftellten Gränzlinie abwid. 

Das zweite größere Geſchäft des Pabſtes Nikolaus IT. betraf die 





— — 


2) Gfrörer, K. G. III, 983. ) Panegyr. in Henric. lib. VOL, 2. Perß XI, 672. 
2) Gfroͤrer, 8. G. IV, 423. 


586 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Ernennung eines Garbinald. Oben wurde berichtet, daß Stephan X. bei 
feiner leßten Anwefenheit in Montecajfino die Mönde Defiderius und 
Mainardus beauftragte, als feine Geſandte nad Conftantinopel abzugeben. 
Diefelben traten, wie e8 fcheint, Anfangs März 1058 die Botichaft an, 
gingen nah Bari auf der Oftfüfte Süditaliens und erhielten, als fie fid 
eben in Geſellſchaft des griechifchen Oberftatthalter von Ealabrien, Argyrus, 
einfchiffen wollten, am 12. April die Nachricht von dem vor zwei Wochen 
erfolgten Tode des Pabftes Stephan X. Aus Montecaffino nachgeſchickte 
Brüder, die ihnen diefe unerwartete Kunde brachten, forderten fie auf, un 
verweilt in das Mutterftift zurüdzufehren. Deſiderius berathichlagte - mit 
dem Oberftatthalter über die befte und ſchnellſte Weile der Rückreiſe, denn 
er fürdhtete, daß die Normannen, fobald fie den Tod des Pabſtes erführen, 
ihn und feine Genofjen gefangen jegen dürften. Sie fchafften einige Laft- 
thiere an und machten fih auf den Weg. Entweder fonnten fie das Ge 
biet des Normannenhäuptlings, Robert Wizfard, der damals Graf über 
einen Theil von Apulien war, nicht umgehen, oder hatten fie mittlerweile 
in Erfahrung gebradıt, daß Robert verjöhnliche Gefinnungen hege: gewiß 
ift, fie begaben fih zu ihm und baten ihn um Beiftand, und wirflid be 
willigte ihnen Robert Wizfard, obgleich er den Tod Stephans kannte, nicht 
nur ficheres Geleit, ſondern verforgte auch die Geſellſchaft mit drei Saum: 
offen. Ohne weitere Beſchwerden langten die Mönde am Morgen des 
- Ofterfonntags, den 19. April in Montecaffino an. Eben befanden ſich da⸗ 
jelbft zwei Carbinäle, Humbert von Sta. Rufina und Peter Damiani von 
Dftia, die bei der Erhebung des Adelspabſtes Benedift X. aus Rom ent: 
flohen waren. Der Verordnung Stephans X. gemäß wurde fofort Defis 
derius in die Abtwürde eingefegt. ‘) 

Kurz darauf begann derfelbe große Bauten, die nicht wenig gefoftet 
zu haben jcheinen. Die Älteren Gelaffe waren theild verfallen, theils Arms 
ih; ein Palaft, den Abt Richer vor mehreren Jahren aufzuführen ange 
fangen hatte, ftand halb fertig, eine fünftlihe Ruine, da. Defiverius vol, 
endete denfelben, baute eine Bibliothek, dann eine ftattlihe Wohnung für 
den Abt, Schlafgemäcdher für die Mönche, endlich einen Gapitelfaal, den er 
mit gypjernem Fries, gläfernen Fenftern und mit einem Fußboden aus ver 
Ichiedenartigem Marmor fchmüdte; auch eine Burg errichtete er, um bie 
Befigungen des Mutterftiftd gegen die Gewaltthätigkelten der Einwohner des 
Städtchens Lefratte zu ſchützen, welche in letzter Zeit häufig Einfälle in 
das Gebiet von Montecaffino gemacht hatten.) 

Wie kommt ed, daß die Mönche ihr Eigenthum bis zum Frühling 


*) Leo chronic. ®asinens. III. 9, 10. Pertz VII, 703 flg. - 3) Ibid. II, cap. 
10, 11 ©. 704. j 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. II. b. z. Bruche mit Agnes. 587 


1058 in ſolchen Verfall gerathen ließen und daß nun Defiderius auf ein- 
mal die Mittel bejaß, Alles wieder In gehörigen Stand zu feßen? Die 
Antwort Tiegt auf: der Hand. Der Vorgänger des Defiderius, Friede⸗ 
rih von Lothringen, war genöthigt geweien, aus den Einfünften der Abtei 
die Koften feiner Gefandtichaft nad Eonftantinopel und fpäter feines Pabſt⸗ 
thums zu beftreiten, denn aus dem Erbe St. Peters vermochte er nicht zu 
leben, weil ein ſolches ſeit Jahren nicht mehr beftand. Sept aber, nachdem 
Defiderius die Abtei erlangt hatte, konnte er die Renten des Klofters für bie- 
ſes jelbft verwenden. In der That, die Bauten ded Abts geben wichtigen 
Aufſchluß über den Zuftand der Dinge zu Rom. 

Im Februar 1059 traf eine Botichaft des Pabfts Nikolaus II. in 
Montecaffino ein, welche dem Abte anfündigte, daß ihm die Erhebung zum 
Cardinale bevorftehe, und daß er fih ohne Verzug zum heiligen Vater be- 
geben folle. Defiderius gehorchte und ward den 6. März 1059 zum Car⸗ 
dinal-Presbyter ernannt und am folgenden Sonntage geweiht. Zugleich 
erhielt er einen ftattliden Beftätigungsbrief zu Gunften feines Kloſters.) 
Noch ein anderes Amt übertrug ihm der Pabſt, ein Amt, das fchwierig zu 
"verwalten war, aber, wenn Elug verwaltet, Petri Stuhle großen Nugen 
ſchaffen konnte: Nikolaus II. beftellte ihn zum päbftlichen Stelivertreter in 
den jübitaliihen Provinzen Kampanien, Calabrien, Apulien und dem foges 
nannten Principat, oder dem Gebiete von Benevent. Was mag der Grund 
gewefen fein, daß der Pabſt mit einem Sclage jo viele Ehren auf das 
Haupt ded Abts von Montecaffino häufte? Ohne Zweifel verdiente Deſi⸗ 
derius die Bevorzugung, er war ein Mann von hervorragender Geiſtes⸗ 
und Willenskraft, weßhalb er auch nad Gregors VII. Tode auf Petri 
Stuhl erhoben worden tft. Aber es gab andere hohe Elerifer in Italien, 
die dem neuen Cardinal nicht nachſtanden und doch nicht die gleichen Ehren 
erlangten. Bei der völligen Mittellofigfett des Stuhles Petri zwang die 
Noth, begüterte Prälaten nah Rom zu ziehen, die mit ihren Einfünften 
den Bebürfniffen der römifchen Kirche zu Hülfe fommen mochten. Ich bin 
überzeugt, daß der Reichthum des Stift Montecaffino, dem Defiderius als 
Abt vorftand, nicht wenig zu feiner Erhebung beigetragen hat. Sicherlich 
wirkte aber noch ein anderer Hauptgrund mit: derfelbe Grund, der vorzugs⸗ 
weile den Pabſt vermocht hat, Deſiderius zu feinem Stellvertreter in jenen 
füplihen Provinzen einzufehen. 

Ehemals, bis auf’die Zeiten Gregors I. herab, befaß Petri Stuhl ausges 
dehnte Landgüter in Campanien, Apulien, Calabrien, Sicilien, Güter, die ihm 
jpäter durch Longobarden, Saracenen und Byzantiner entriffen, durch Carl 
den Großen theilweiſe zurüdgegeben worden waren, bie aber in den Stürs 


1) Ibid. ©. 705. 





588 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


men des 9. und 10. Jahrhunderts abermals verloren gingen, und in welde 
die römifche Kirche wiederum einzufegen die Kaifer Otto I. Heinrich IL 
fih verpflichtet hatten,‘) ohne jedoch ihr Wort zu löfen. Was etwa davon 
der heilige Etuhl vor dem Jahre 1046 noch fein eigen nennen fonnte, 
war feitvem, wie wir wiſſen, durch Kaifer Heinri III. vollends an die 
Normannen und andere Lehenträger in der Abficht verjchleudert worden, 
damit die Päbfte, durch Armuth zu unbedingtem Gehorſam genöthigt, von 
dem Gnadenbrode leben müßten, das er ihnen aus Deutichland zufließen 
laffen würde. Einen Theil diefer Güter hoffte damals Nikolaus II. durd 
Unterhandlungen mit den Normannen wieder an fi zu bringen. Zu fol 
chem Zwecke aber bedurfte er der Hülfe eined Vertrauten, defien Wohnitg 
dem Gebiete der Normannen nahe lag, und der wo möglich in gutem Ein- 
vernehmen mit ihnen ftand. Beide Bedingungen erfüllte Abt Defiderius, 
Das Klofter Montecaffino war gleihjam ein in die Beflgungen der Nor: 
mannen vorgefchobener römiſcher Poſten; zudem deuten die oben erwähnten 
Thatfachen darauf hin, daß Deſiderius mit dem mädhtigften Häuptlinge des 
Volks, mit dem Grafen Robert Wizkard von Apulien, nicht übel ftand. Die 
im März 1059 erfolgte Ernennung des Abts von Montecaffino zum Gars 
dinal und päbftlihen Stellvertreter in Süditalien darf daher ald ein Fin 
gerzeig betrachtet werden, daß Nifolaus IL. ſchon damald mit dem Plane 
umging, den er vier Monate ſpäter auszuführen beganıt. 

Die Zeit nahte heran, wo der Pabft das, was bisher in der Stille 
vorbereitet worden, vor der Welt fund thun, namentlid das Fünftige Ber: 
hältniß des Etuhles Betri zur Kaiferfrone, gemäß den im letzten Jahre 
getroffenen Verabredungen, öffentlich feitfegen mußte. Nur mittelft einer 
Synode fonnte dieß geihehen; nun begreift man, Beides, Ehre und Bors 
theil Roms gebot Sorge zu tragen, daß die Eynode durch die Theilnahme 
möglich Vieler ein feierliches, überwältigendes Anfehen erhielt. Die lombardis 
ſchen Biſchöfe hatten ſich bisher als hartnädigfte Gegner der Gregorianer er⸗ 
probt. Wenn es gelang, gerade dieſe ſo abgeneigten Praͤlaten zur Theil⸗ 
nahme an der beſchloſſenen Kirchenverſammlung zu nöthigen, ſo war ein 
großer Schritt vorwaͤrts gethan. Es gelang, und zwar in Folge außer 
ordentlicher Anftrengungen, die zwifchen dem 1. Februar 1059 und Mitte 
April gemacht worden find, obgleih die Quellen von diefen Mühen mır 
wenig berichten. Die Häupter des Pataria-Bunded, Landulf und Ariald, 
hatten, wie wir wiffen, Hülfe gegen Erzbischof Wido in Rom gefudt. 
Diejer Umftand bot paffenden Anlaß, eine römifche Geſandtſchaft nach der 
Hauptftadt Lombardiens abzuorpnen. Peter Damiani, Carbinal von Oftia, 
und Anfelm, Biſchof von Lucca, wurden mit der Sendung beauftragt. Da 


— — — — — 


') Pertz leg. II, b. ©. 164 flg. u. 174 fig. 


Erſtes Buch. ap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 589 


dur dieſelben Lombardiens Bifchöfe wirklich gezwungen worden find, auf 
der römijchen Synode zu erjcheinen, welche Mitte April ftattfand, folgt, daß 
die mailändiiche Reife der beiden Prälaten zwiſchen die Einweihung des 
Pabſtes — d. h. die legte Woche des Januar 1059 und etwa die erfte 
Mode April fällt. 

Die Aufgabe Damiani's und Anſelm's war nicht bloß fchwierig, ſondern 
geradezu gefährlih. Denn obgleich Artald und Landulf die demofratifche 
Parthei günftig Hir Rom geftimmt hatten, mußte damals eine höchft brenn⸗ 
bare Frage, nämlich die firdliche Unterordnung Mailands unter Rom, oder, 
damit ich im Geift jener Zeit rede, der Vorzug des Apoftelfürften Petrus 
vor dem heiligen Ambrofius von Mailand durchgefochten werden! Gleich⸗ 
wie man in Rom den jeweiligen Pabft ald Stellvertreter ded Haupts der 
Zwölfboten betrachtete, jo ſah Mailand in feinen Erzbiihöfen Diener, 
Beauftragte des heil. Ambroſius. Und wie war Ehre und Ruhm diefes 
Confularen in Fleiſch und Blut der Lombarden verwachſen! Es gab viels 
leicht Feine andere Stadt in der Welt, wo der Volfögeift in ſolchem Grabe, 
wie zu Mailand, von Firdlichen Ueberlieferungen durchdrungen war, die alle 
mit der Geſchichte ded h. Ambrofius zufammenhingen. Zur Zeit, da Peter 
Damiani und Anfelm zu Mailand eintrafen, genügten Beichlüffe gegen 
Priefterehe und geiftlihen Dienfthanvel nicht mehr — denn ſolche Beſchlüſſe 
waren lüngft gefaßt worden, ohne durchzuſchlagen; ihre Sendung verfehlte 
den Zwed, wenn fie nit das Volk dazu vermocten, den Metropoliten 
MWido- und die übrigen Bilchöfe Lombardiens zu nöthigen, daß fie dem Bes 
fehle des Pabſtes folgten, demnach daß der heil. Ambrofius dem heiligen 
Petrus gehorchte, und daß der bisher behauptete Echein, als fei die mai- 
ländiſche Kirche unabhängig von Rom, aufgegeben werde. Hier lag der 
Knoten, und es fehlte nicht viel, daß die päbftlihen Geſandten ihr Leben 
in Mailand verloren. 

Sie hatten mit Tiftigen Gegnern zu thun.) Nach ihrer Anfunft ver: 
fammelten Peter Damiani und Anfelm den Clerus des Ersftifts zu einer 
Synode. Begreifliher Weile führte Peter, als Haupt der Geſandtſchaft 
und Stellvertreter des Pabftes, den Vorſitz, zu jeiner Rechten nahm Anfelm 
Play, zu feiner Linken Erzbiihof Wido. Der letztere ließ ſich nicht blos 
gutwillig dieſe Zurüdfegung gefallen, nein, er erklärte dem Cardinal, daß 
er bereit jet, fi zu den Füßen des Römers auf einen Schemel zu feßen. 
Diefe Demuth, welhe Damiani zurüdwies, war erheuchelt und darauf be: 
rechnet, die Gefühle des mailändifchen Bold gegen die beiden Römer auf: 


1) Quellen: der Brief des Cardinals Damiani bei Mansi XIX , 887 flg. Arnulpbi 
bistor. mediol, IH, 14 flg. Pers VIII, 20 flg. 


590 Babft Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


zuregen, als feien fie gekommen, dem heil. Ambrofius einen unerhörten 
Schimpf anzuthun. Der Funke zündete. 

Damiani felbft fchilvert offen, was in der Stadt vorging. „Das 
Bolt, vom Clerus bearbeitet, fchrie: eime Schande ift es, daß Mailande 
freie Kirche der römischen unterthan fein fol. Der Pabft hat Fein Recht 
über ven heil. Ambrofius zu richten u. |. mw.” Die nämlichen leidenſchaft⸗ 
lichen Gefühle fpricht der Mailänder Ehronift Arnulf aus. Eine demofratifce 
Scene erfolgte, wie die, welche ich früher befchrieben habe. Die Glocken 
wurden gezogen, die große erzene Trompete ertönte, der Haufe ftürmte nad 
der Kirche, wo die Synode verfammelt war. Damiani jagt: „der Tod 
drohte und, und meine Sreunde haben mich nachher verfihert, daß Viele 
nad unjerem Blute lechzten.“ Der Cardinal bewies durch die That, daß er 
würdig fei, der Kirche neben Hiltibrand zu dienen, er verlor den Muth 
nicht, erhob fi, winkte mit der Hand den Wüthenden, daß er fprechen 
wolle und hielt eine Rede, welde das Volk umftimmte, obgleich er nichts 
verjhwieg, nichts zurüdnahm. | 

Der Sinn feiner Worte lief darauf hinaus: er und fein Amtögenofie 
feien nicht gefommen, um den heil. Ambrofius zu demüthigen, jondern viel; 
mehr die Würde deſſelben zu erhöhen. Der Ruhm des heil. Ambrofius 
beftehe darin, den Ehrenvorzug des heil. Petrus bereitwillig anzuerkennen, 
im Einflange mit ihm die Einheit der Kirche zu befeftigen.. Wahr war, 
was Damiani jagte, aber indem die Mailänder ihm Beifall jauchzten, tha- 
ten fie das fchnurgerade Gegentheil von dem, was fie vor einigen Augen 
bliden gewollt hatten. Die Demokratie ift überall ein heftiges aber Findis 
- Sched Weſen. Zum Berathen taugt fie nicht, jondern nur dreinzufchlagen, 
und auch dieſes nur, wenn fie von einem Eugen Haupte geleitet wird. Per 
ter Damiani und Anjelm erreichten ihren Zwed. Wido von Mailand und 
feine &lerifer mußten nicht nur fchriftlih und mit Eidſchwüren der Simonie 
und ber Priefterheirath abjagen, ihr bisheriges Verfahren verbammen, 
Buße thun, fie mußten überdieß der römiſchen Kirche fürmlich hulbigen, 
und Bürgſchaft geben, daß fie auf der bevorftehenden Synode zu Rom ers 
Icheinen würden. 

Ehronift Arnulf, welcher glei Wido für die fogenannte Unabhängig: 
feit des h. Ambrofius ſchwärmt, ruft mit Anfpielung auf die Worte Pauli 
im Galaterbriefe III, 1 aus: „o ihr unfinnigen Mailänder, wer hat Euch 
behext! Ihr feiget die Mücken und verfchluder die Kameele, geftern vers 
fündigtet Ihr den Vorzug Eures Stuhles, heute ftoßet Ihr die Orduung 
der Kirche um. Vielleicht fpreht Ihr: Rom muß im Apoftel geehrt wer: 
den. Ih antworte: zugegeben, aber auch Mailand darf in der Perſon bes 
h. Ambroftus feinen Schimpf erfahren. Künftig wird es heißen: Rom if 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Rikol. IL. b. 3. Bruche mit Agnes. 591 


Mailands Gebieterin geworben, und fiche gegen Recht und Herkommen 
muß Euer Metropolit nah Rom zur Synode folgen.” 

So vollftändig war der Sieg der Gefandten, daß die Vermuthung 
fih aufprängt, andere tüchtige Männer dürften ihnen in die Hand gear- 
beitet haben. In der That war dieß der Ball. Früher fanden, wie wir 
willen, Landulf und Ariald an der Spige der Pataria. Allein zur Zeit, 
da Peter Damiani und Anfelm zu Mailand anlangten, hatte fih, fo 
ſcheint es, Landulf zurüdgezogen. Chronift Arnulf berichtet,‘) daß Leßterer 
auf de Reife nah Rom begriffen, zu Piacenza in einem Bolfsauflaufe 
ſchwere Wunden erhielt, die ihn zur Rückkehr nöthigten. Laut der Aus- 
fage des Moͤnchs Andreas, welcher das Leben Arialds befchrieb, dürfte 
dieß noch in den Tagen bes Pabſtes Stephan IX. gefchehen feyn. Landulf 
wird noch im Jahre 1062 unter Alerander II. erwähnt, aber nicht mehr 
als Führer; ich möchte daher die Vermuthung wagen, daß jene Wunden 
Nachwehen zurüdließen, die ihn hinderten, öffentlich aufzutreten. Ein an- 
derer noch fähigerer Tribun, Landulf's Bruder, Herlembald, wirkte feitvem 
an defien Stelle. 

Der Mailänder Chronift entwirft ?) folgende belebte Schilderung des 
Manned: „Herlembald, Sproffe einer der größeren Capitanfamilien, war 
ein geborener Soldat, ausgezeichnet durch rothen Bart, (der Longobarde 
verräth fi) von ſchmalem Gefiht, mit Adleraugen, einem Löwenherzen, 
unbezwinglihen Muths, im Reden vor dem Bolf wortfarg, im Feld ein 
Eäfar, in Gefahren ruhig, von gedrungenem, ebenmäßig gebautem Körper: 
ftetö wußte er Rath und, wenn er vor dem Feind ftand, fiel fein Schlum- 
mer auf fein Augenlied. Erft neulih von einer Reife nach Jeruſalem zus 
rüdgefehrt, hatte er fih mit einer Jungfrau verlobt, aber als er erfuhr, 
daß fie fih mit einem Prieſter einließ, auf jeden Gedanken an Ehe ver- 
zichtet, und dem Adel Haß geichworen.“ Der Ehronift fährt fort: „nad 
dem die Partheiung in Mailand ausgebrochen war, famen einftend bei 
Naht Ariald und Landulf zu Herlembald. Landulf umarmte den Bruder 
und hub an: theurer Herlembald, wir können dem Allmächtigen nicht ges 
nug danfen, daß er dich glüdlih aus dem fernen Lande zurüdführte Wie 
du bisher ald Soldat der Welt dienteft, jo jolft du von nun an deinen 
tapfern Arm ver fatholifchen Kirche weihen, und uns beiftehen, das zu 
verrichten, was wir bisher allein nicht ausführen konnten. Werde ein 
zweiter Matathias, ahme dem Vorbilde ver Maffabier nah, melde für 
das Haus Gottes und die Befreiung ihres Volks in den Tod gingen und 
für irdiihe Mühe ewiges Leben eintauſchten. Arbeiten wir zuſammen, die 


1) III, 15. Pertz VII, 21 ſammt Note 18 ©. 20 u. Note 26 ©. 21. 3) Lan- 
dulphi hist. medol. II, 14. Pertz VIU, 82 fig. 


592 Pabſt Gregorius VOL. und fein Beitalter. 


Kirche von dem Joche beweibter Priefter zu befreien, du mit dem Geſeße 
des Schwerts, wir mit dem Gefehe des göttlihen Worte. Herlembald 
trat in den Bund ein, und ſchloß fich feitvem eng an Anfelm von Lucca 
an, der 1061 unter dem Namen Alerander II. Betri Stuhl beftieg.“ Ein 
Mann, wie Erlembald, war allerdings ein furdhtbarer Gegner für Wide; 
denn der ließ fich durch feine Ausreden, Feine Gleisnereien berüden. 

Auf die zweite Woche nad Oftern 1059 hatte der Pabſt die oben 
beiprochene Kirchenverfammlung in den Lateran ausgeichrieben. Zahlreid 
erfchienen Italiens Bifchöfe und Aebte, auch der Metropofit von Mailand, 
Wido, kam mit feinen Suffraganen. Es mag. ihm jauer genug geworten 
feyn, allein er mußte fein den Gefandten gegebened Wort löfen. Die Pa 
taria zwang ihn dazu. Bonizo fagt:') „zu der vom Pabfte ausgeſchriebenen 
Eynode fand fich, gut oder übel wollend, der Metropolit von Mailand ein, 
denn die Patariner machten ihm Füße. Wido brachte mit fich jene hatt: 
nädigen Stiere, die Bifchöfe Lombardiens, Cunibert von Turin, Giſelin 
von Ati, Benzo von Alba, Gregor von Bercelli, Dtto von Novara, 
Opizo von Lodi, Aldeman von Brescia.” Zum erftenmale begegnen wir hier 
dem Biſchofe Benzo von Alba, welden unten genauer fennen zu lernen, 
reihlihe Gelegenheit fein wird. Nikolaus felbft beftimmt?) in einer Bulle 
die Zahl aller anweſenden Bilchöfe, mit Ausſchluß der Aebte, auf 113; die 
gleiche Ziffer gibt‘) Bonizo, der Zeitgenofje und trefflich unterrichtete Geſchicht⸗ 
Ichreiber. Obgleich die beften vorhandenen Abfchriften?) der Beſchlüſſe mur 
78 unterzeichnete Namen tragen, darf man ſolchen Zeugen den Glauben 
nicht verweigern. Leicht kann es gejchehen fein, daß Manche unter den 
113 erft nad) dem Beginn der Unterhandlungen zu Rom anlangten, noch 
mehrere vor dem Schluß abreisten und deßhalb vie Akten nicht unterzeich⸗ 
net haben. | 

Wie ſoll man fi erklären, daß faft ganz Stalien an der Synode 
Theil nahm, namentlih, daß die Lombarden, bisher entichlofjene Gegner 
Roms, unverweigerlih erfchienen? Der von Bonizo angeführte Grund, 
die Wirffamfeit der Pataria, Töst das Näthfel für fih allein noch nicht. 
Denn auch fchon früher beftand der Bund, ohne daß er es vermochte, Loms 
bardiens Bifchöfe zum Gehorfam gegen Rom zu nöthigen. Hätten legtere, 
jo wie früher, auf den Beiftand des deutſchen Hofes geredinet, jo würden 
fie auch jegt noch den PBatarinern und Rom Trotz geboten haben: da liegt 
der Knoten. Meichöverweferin Agnes muß gehindert worden jein, jo wie 
fie e8 bisher gethan, den Naden der Lombarden zu fteifen. Vom deutſchen 
Schutze verlaffen, wie fie waren, fanden die Lombarden, fanden wohl 


— 





1) Defele II, 806, b: ducens secum cervicosos tauros longobardos episcopos. 
?) Mansi XIX, 873, 3) Pertz leg. IL, b. 177 fig. 


Erſtes Buch. Eap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. II. 6. 3. Bruche mit Agues. 593 


manche andere italieniſche Kirchenhäupter, die fonft wenig von Hiltibrands 
Planen erbaut waren, gerathen, dem Rufe des Pabſtes zu folgen. Auch 
einige Süditaliener, Unterthanen der Normannen, hatten fi eingefunden: 
ich fehe hierin einen weiteren Beweis beginnenden Einverftändnijfes zwiſchen 
dem Pabſtthum und den Normannen. 

Nikolaus II. eröffnete die Verfammlung mit einem Vortrage über die 
wichtigfte Frage des 11. Jahrhunderts, über die Drdnung der PBabftwahl: 
„hr wifjet, geliebte Brüder und Mitbiichöfe, welche Uebel nach dem Tode 
des Pabfted Stephan X, unfered Vorgängers, auf die römiſche Kirche ein- 
ftürmten. Damit in Zufunft ähnlichem Unheil vorgebeugt werde, verord- 
nen Wir, geftübt auf die Ausſprüche unferer Vorfahren und anderer heili- 
gen Väter, wie folgt: ift ein Pabft mit Tod abgegangen, fo follen vor 
allen andern die Cardinäle zufamnıentreten und nach ernftlicher Meberlegung 
zur Wahl fchreiten. Solches hat zu gefchehen mit fteter Rüdfiht auf Ehre 
und Vorrechte unferes vielgeliebten Sohnes Heinrich, der gegenwärtig König 
ift, und demnächſt mit Gotted Hülfe Kaifer fein wird, laut den Berab- 
redungen, welche wir mit dem Kanzler von Lombardien, Wibert, feinem 
Bevollmächtigten, getroffen haben. Auch in Zukunft foll gleihe Rüdficht 
auf Ehre und Vorrechte der Nachfolger Heinrich’8 genommen werben, fofern 
fie nämlich perſönlich beim apoftolifhen Stuhl fit um dieſe Befugniß be⸗ 
werben. Damit für immer die Sünde der Käuflichfeit ausgerottet werde, 
ſollen in erfter Linie befagte Cardinäle im Verein mit unferem Sohne Heins 
rih die Wahl vornehmen, in zweiter Linie werden dann die Andern Ans 
theil an der Wahl haben. Wählen aber follen fie den Nachfolger aus dem 
Schooße des römijchen Clerus, fobald fih in legterem ein Würdiger findet. 
Nur wenn dieß nicht der Fall ift, mögen fie ihre Augen auf Mitglieder 
einer andern Kirche richten. Im Falle Ruchloſigkeit ſchlechter Menſchen 
es unmöglih macht, In der Stadt felbft eine Tautere, reine, durch Feine 
Deftehung beſchmutzte Wahl durdzufegen, haben befagte Cardinäͤle Bolls 
macht — mag ihre Anzahl auch noch fo Hein fein — an einem andern 
Orte, den fie in Uebereinftimmung mit dem Könige pafjend finden, zur 
Wahl zu ſchreiten. Ift die Wahl vollbracht, und geftatten gleichwohl Kriegs» 
läufe oder Umtriebe verfehrter Menfchen nicht, den Erwählten fofort auf den 
Thron des h. Petrus einzufegen, fo hat der Ermählte nichts defto weniger 
volle Gewalt, die heilige römiſche Kirche zu regieren und über ihr ganzes 
Bermögen zu verfügen. Wer gegen dieſes unfer Defret aufrühriicher und 
hochverrätheriicher Weife gewählt, geweiht, auf den h. Stuhl eingefegt 
wird, der ſoll nicht als ein Pabſt, ſondern als ein Teufel, nicht ald ein 
Apoftolifus, jondern als ein Abtrünniger angejehen, und jammt feinen An- 
hängern und Gefellen für immer aus der Kirche verftoßen ſeyn.“ Folgt 
ein aus Stellen des alten Teftaments entnommener Fluch wider alle, 

Sfrörer, Babft Gregorius vu. Bd. 1. 38 


594 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


welche Troß bieten würben, dagegen Verheißung des Segens für die, welde 
Gehorfam leiften. 

Es gibt verfchiedene Faſſungen dieſes Geſetzes, die mehr oder minder 
Fälfchungen enthalten. Sowohl das Alter der Handſchrift ald der Inhalt 
felbft bürgen dafür, daß ver Tert Acht ift, welchen Pertz im zweiten Band 
der Geſetze veröffentlicht hat. Die Akte unterfcheidet zwei Klaſſen eigens 
fiher Wähler: 1) die Eardinäle und 2) die Andern. Unter den Andem 
fann nur der übrige Clerus Roms und das dortige Wolf verftanden werten. 
Im 8. und 9. Jahrhundert hatten die Garlinger, wenn man anders die 
Dinge beim wahren Namen nennen will, über die Pabſtwaähl verfügt; in 
der erften Hälfte des 10. Jahrhunderts war das Wahlrecht zum größten 
Nachtheil der Kirche in die Hände des römischen Adels gerathen, in ver 
zweiten Hälfte defjelben Zeitraums von den Dttonen ausgebeutet, dann 
gegen die Hälfte des 11. Jahrhunderts hin abermal von den Capitanen 
mißbraucht worden, bis Gregor VI den Berfuh machte,‘ die Befugnif 
zur Wahl dem römischen Volk zu überliefern. Aber das nämliche Bolt 
hatte im Berlaufe von zwölf Jahren feine vollendete Unfähigkeit erprobt, 
ed hatte das fragliche Necht das eine Mal an den deutfchen Könia,?) das 
andere Mal an die Bapitane?) um fchweres Geld verfauft. Sept erft nad 
fo Tangen Irrfahrten legte die Macht der Umftände und das Genie Hilde: 
brands obiges Recht in die paffenden Hände nicher. 

Nur ein von den Päbften felbft zufammengefehtes, durch Erziehung 
und eine würdige Stellung in der Welt gemeinem Partheigetrieb entrüdtee 
Collegium, kann Vernunft gemäß Nachfolger Petri zeugen. Wirklich fiel vurd 
die neue Ordnung der eigentliche Nerv des Gejchäfts dem genannten Col: 
legium zu. Den Andern, d. h. dem Volk und der Maſſe Des niederen 
römifchen Glerug, blieb nur ein Schein, jedenfalls nur ein ſehr befchränfter 
Einfluß auf die Wahl. Sie konnten ja! fagen zu dem Vorfchlage der Gar: 
dinäle, aber nicht nein! Denn jo wie der vielföpfige, durch verſchiedene 
Intereſſen getheilte, und darum nothwendig finnlofe‘) Haufe — nur vom 
Snftinft geleitet, in einzelnen großen Aufregumgen und wenn die Intrike 
Ihweigt, handelt die Menge manchmal vernünftig — jo wie, fage id, 
diefer Haufe fi herausnahm, anderer Meinung zu feyn, als die Cardi⸗ 
näle, hatten diefe das Recht, die Wahl nad einem andern Orte zu ver 
legen und folglih das Anhängfel hübſch Hinten zu Taffen. 

Die neue Wahlordnung übertrug aber zweitens fehr wefentlichen Antheil 
an der Wahl einem Dritten, dem deutſchen Könige. Worin dieſer Antheil 


ı) Sfrörer, K. G. IV, 395. ) Daf. 426. 3) Oben ©. 577. ı) Wie 


der Dichter jagt — — — — jeder für ſich ift erträglich; Sind fie in corpore da, gleich 
wird ein Binfel daraus, 


Erfled Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabft Nikol. I. b. 3. Bruche mit Agnes. 595 


beftand, ift nicht mit deutlihen Worten gejagt. Zwar laffen die früher 
entwidelten Gründe faum einen Zweifel darüber zu, daß ihm die Negative 
eingeräumt war, das heißt, er konnte entweder einen, vielleicht mehrere 
von der Wahl ausschließen, oder bereitd gemachte Vorfchläge verwerfen. 
Allein in Dingen von folder Wichtigkeit, wie vorliegende Frage, genügen 
Schlüſſe — mögen fie audy noch fo bündig fcheinen, genügen Wahrfchein- 
lichfeitögründe — mögen fie noch fo helle leuchten — bei Weiten nicht, 
fondern Thatfahen, unzweideutige Zeugniffe müflen den Ausſchlag geben. 

Anfelm II, welder von 1073—1082 den Stuhl von Lucca ein- 
nahm, ein unbeugfamer Vertheidiger Gregor’ VII, äußert‘) in feiner 
zweiten Streitichrift gegen Wibert: „Pabft Nifolaus IL. hat durch fein 
Dekret beftimmt, daß nad) dem Tode des jeweiligen Apoftolifus ein Nach- 
folger gewählt und die Wahl fofort dem Könige angezeigt werben folle. 
Erft wenn Beides gefchehen, d. h. die Wahl vor fi gegangen und dem 
Könige vorgelent worben, dürfe der neuerwählte Pabſt die Weihe empfan- 
gen." Anfelm rüdt hier meined Erachtens etwas weiter mit der Sprache 
heraus, ald das Defret, doc fchenft auch er feinen Flaren Wein ein, weil 
feine Worte unentichieden laffen, ob eine bloße Notification genügte, oder 
ob der König das Recht hatte, die von den römischen Wählern gemachten 
Vorſchläge zu verwerfen. Wäre erftered der Fall geweien, jo müßte man 
fagen, daß der deutſche Hof wie ein Kind fich gebahrte, denn wahrlid eine 
bloße Notification wog an Werth faum die Reijekoften auf, die ein Eilbote 
bedurfte, um von Rom nah Regensburg, Frankfurt oder Aachen zu reiten. 

ALS zweiten Zeugen ftelle ih den Biſchof von Sutri, Bonizo, welder 
andeutet: ) während ber italienifchen Sendung im Jahre 1064 (von weldyer 
‚fpäter die Rede feyn wird) habe Erzbiihof Hanno dem Pabſte Aleran- 
der II. Vorwürfe gemacht, daß er ohne Einwilligung des deutſchen Könige 
Petri Stuhl beftieg, und fih zu Begründung diefer Vorwürfe auf das 
Wahldekret des zweiten Nikolaus berufen. Zwar brauht auch Bonizo 
diplomatifche Wendungen, dennoch liefern feine Eingeftändniffe den Beweis, 
daß Hanno von Cöln aus den Beichlüffen der 113 Väter des Lateran- 
concils von 1059 den Rechtsſatz ableitete: die wirkliche Erwählung eines 
Pabftes fei erft dann möglih, nachdem der deutſche König die gemachten 
Vorſchlaͤge gebilligt hätte. Niemand wird zweifeln, daß der Cölner Hanno 
das, was 1059 im Lateran vorging, genau kannte. Folglich ift dem 
deutihen Könige durch das Dekret des zweiten Nifolaus das Recht der 
Erclufive eingeräumt worden. Die Borfchläge, welche die Römer mittelft 
einer Art Vorwahl machten, erlangten nicht früher als durch die Einwilli⸗ 
gung des deutjchen Könige Kraft. Und erſt, nachdem die Urkunde 


1) Canisius-Basnage III, a. ©. 382. 2) Oefele, script, boic. II, 808, a. 
anR® 


596 Pabft Gregorius VOL. und fein Seitalter. 


föniglicher Einwilligung auögefertigt worden, konnten die Cardinale zur 
wirflichen und eigentlihen Wahl jchreiten. 

Drittens aus den Worten des Defretd erhellt, daß zur Zeit ver 
Lateran-Synode Verhandlungen zwifchen Rom und dem Könige, oder viel: 
mehr deſſen Bevollmächtigten, dem lombardiſchen Kanzler Wibert, fchmebten. 
Es heißt ja: unfer vielgeliebter Sohn, König Heinrih, der demnädf 
mit Hülfe Gottes Kaifer werden wird. Demnad iſt beuticer 
Seits der Antrag geftellt worden, Nifolaus IL. folle Heinrih IV. unver: 
weilt zum Kaifer frönen. Bon felbft verfteht es fih, daß Rom für den 
angefonnenen Dienft, welchen zu leiften der Pabft Bereitwilligfeit durd: 
bliden läßt, feine Beringungen gemadt hat, über deren Inhalt ich unten 
das Nöthige zu fagen mir vorbehrflte. Diefe Bedingungen find jedenfalls 
nicht erfüllt worven, denn die Krönung unterblieb. 

Viertend erbictet fi der Pabft, die gleihe Befugniß, Die er Hein 
rich III. bereit eingeräumt bat, auch deſſen Nacfolgern zu gewähren, 
jedoch abermals unter einer Beringung: fie follen ſich erft perfönlich beim 
apoftoliihen Stuhl um das fragliche Recht bewerben. Roc Flarer ift hier 
al8 in obigem Falle, daß der Pabſt ftillichweigend den Vorbehalt machte, 
für dad, was er in Ausficht ſtellte, Gegenleiftungen zu fordern. Denn 
wer fih um etwas bewirbt, muß in der Regel auch feiner Seitd etwas 
geben. ch werde auf den Sinn diefer verdedten Anerbietungen unten zus 
rückkommen. Vorerſt nur fo viel: unverkennbar iſt, daß die Verhandlungen 
zwiſchen Rom und dem Kaiferhofe keineswegs abgeichloffen waren, ſondem 
Lücken enthielten, Die entweder dur fpätere Verträge ausgefüllt werden 
mußten oder im entgegengefeßten Falle einen Bruch herbei zu führen brobten. 

Fünftens die Beftimmung, daß in Zufunft regelmäßig Mitglieder de 
römischen Clerus zu Nachfolgern verftorbener Päbfte erwählt werden follen, 
bridt dem von Kaifer Heinrich LIT. eingeführten Gebrauche, Deutſche auf 
Betri Stuhl zu erheben, die Epige ab. Nur ausnahmöweije und in außer 
ordentlihen Fällen kann fürder die Wahl auf Mitglieder anderer Kirchen 
fallen. Diefe Satzung ift cine Drohung gegen bie beutfhe Krone md 
zugleih eine Anbahnung defien, was feit 1061 wirflih geſchah. 

Noch andere Befchlüffe wurden auf der Lateranfynode von 1059 ge 
faßt. Seit den Zeiten Leo's IX. ſchwebte die Frage über Behandlung ber 
Simoniften. Co groß war die Menge Derer, welde in weiterem ober 
. engerem Sinne dem Vorwurfe der Simonie unterlagen, daß man fi ge 
nöthigt ſah, Klaſſen zu machen. Die Synode unterjchied drei Fälle: erflend 
Biſchöfe, welde für Gold Etühle erlangt haben, ertheilen Anderen für Geld 
Weihen; zweitens Bifchöfe, die nicht für Geld erhoben worden find, weißer 
Andere für Geld; drittens ein Clerifer hat nicht für Geld, alſo für fie 
ſchuldlos von einem Biſchofe, der ald Simonift fein Amt erhielt, die Weihe 


Erſtes Bud. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabft Nifol. IL. b. 3. Bruche mit Agnes. 597 


empfangen. Pabſt Nikolaus II. verfügte, daß Cleriker, die unter die beis 
den erften Claſſen fallen, ohne Gnade ihrer Aemter entjegt und aus dem 
Clerus verftoßen, diejenigen der dritten Clafje dagegen geduldet werben 
ſollten. Uber er fügte ausdrücklich bei,) daß er dieſe Milderung der Etrenge 
des Geſetzes nur bejonderer Umftände wegen und für jegt geftatte, und daß 
fie für fünftige Zeiten nicht als Regel ‚gelten dürfe. 

Weiter verordnete Die Synode, wie folgt: 1) es ift den Laien verboten, 
die Meſſe bei ſolchen PBrieftern zu hören, von welden fie wiflen, daß 
Diejelben offen eine Beiichläferin oder heimlich eine Yrau im Haufe haben; 
2) Priefter, Diakone, Subdiafone, welde ſeit dem Defret, welches Pabſt 
Leo 1X. wider die Unenthalttamfeit des Clerus erlich, fich verehelichten, 
oder jhon früher angeheirathete Weiber nicht fortichieften, find von Vers 
richtung heiliger Handlungen und vom Umgang mit pflichtgetreuen Geift- 
fihen ausgeſchloſſen, auch erhalten fie feinen Antheil der Kircheneinfünfte. 
3) Alle an einer Kirche angeftellten Geiftlihen follen gemeinfam eſſen, 
Schlafen, Icben. A) Prieſter dürfen nicht zu gleicher Zeit zwei Pfründen 
inne haben. 5) Die Älteren Vorfchriften über Erlangung des Presbyterats, 
Diafonats und Subdiafonatd find erneuert. 6) Laien, melde in den geifts 
lihen Stand treten wollen, dürfen nur nach jorgfältiger Prüfung zu cleri- 
kaliſchen Würden befördert werden. 7) Niemand unterftehe fih, das Mönche: 
leid in der Hoffnung oder gar gegen dad Verſprechen zu nehmen, daß 
man ihn fofort zum Abte wähle. 8) Mönche, welde ihr Gelübde nicht 
halten, find jo lange aus der Kirchengemeinſchaft verftoßen, bis fie ums 
fehren. 9) Dafielbe gilt von ®lerifern, welche die Tonjur ablegen, den 
Kirchendienſt verlaffen. 10) Elerifer, welche Waffen tragen, büßen mit 
Entjegung vom Amte. 11) E8 ift verboten, den Nachlaß verftorbener 
Bilhöfe oder Päbfte zu plündern, ſondern derſelbe muß den Erben aufbes 
wahrt werden. 12) Wer Kirchhöfe entweiht oder beraubt, unterliegt dem 
Banne. 13) Kein Laie unterftehe fich, für Geld oder unentgeltlih Kirchen 
an Cleriker zu verleihen. 14) Kein Laie unterſtehe fih, Geijtliche irgend 
welchen Ranges vor weltliche Gerichte zu ziehen. Bon der Kirchengemeins 
Schaft werden ausgeſchloſſen: 15) Laien, welhe Pilgern, Walfahrern, Cle⸗ 
rifern, Mönchen, Frauen, Armen auflauern, fie bejhädigen oder berauben; 
16) Laien, welche Ehen bis zum fiebenten Grad der Verwandtſchaft eins 
gehen; 17) Laien, welche neben rechtmäßigen Gemahlinnen Kebjen halten; 
18) Laien, weldhe den von den Bifchöfen der verfchiedenen Länder vorge⸗ 
fchriebenen Gottesfrieden nicht beobachten; 19) Leute jeden Standes, welche 
Wucher treiben; 20) Laien, weldhe wider den Willen der betreffenden 
geiftlihen Eigenthümer Kirchengüter inne behalten. ?) 


— 





1) Mansi XIX, 899. 2) Mansi XIX, 897 fig. 873. 907 fig. 915 fig. 


598 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Diefe Beichlüffe beweifen, daß unerträglihe Mißbräuche eingerifien 
waren. Aus der Zahl derer, welche Laien betrafen, fommt bejondere Wit: 
tigfeit denen zu, die ich oben mit den Ziffern 13 und 19 bezeichnete. Der 
eine von ihnen eröffnete den Kampf über dad Inveſtiturrecht, und enthielt 
je nah Umftänden eine Kriegserflärung wider die deutiche Krone; der an- 
dere bedrohte Taufende größerer oder kleinerer Herren, welde geiftlihe 
Güter offen oder verdeckt an ſich geriffen, mit Befißentäußerung oder mit 
dem Kirchenbanne. 

Laut der Ausfage des Ehroniften Arnulf, ) Fam es während ber Ver⸗ 
handlungen zu einer Scene zwifchen dem Erzbiſchofe Wido von Mailand 
und dem Glerifer Ariald, der fih auf der Eynode eingefunden hatte. Ich 
gebe einfah den Bericht des Chroniften wieder: „zur rechten Seite dee 
Apoftolifus ſaß unjer Metropolit Wide. Ihn anzuflagen ftand Ariald, 
der falfche Angeber, auf, aber fogleich erhoben ſich wider ihn die Biſchoͤfe 
von Afti, Novara, Turin ſammt den andern Euffraganen Lombardiens 
und ftopften dem Anfläger den Mund. Da Wido dem Pabſte Gehorſam 
gelobte, erhielt er von ihm einen Ring als Zeichen apoftoliicher Gnade 
und voller firhliher Gewalt, und konnte triumphirend über feine Gegner 
den Rüdweg antreten.” Man fieht, Arnulf fchreibt zu Gunften des Mes 
tropoliten, dennody wagt er nicht zu jagen, daß Nifolaus Il. die Klage 
Arialdd zurüdgewiefen oder gar mißbilligt habe. Vielmehr ift dieſelbe allem 
Anſcheine nach als Keil gebraudht worden um Wido zu nöthigen, daß er fi 
im Angeficht von 113 italifchen Biihöfen vor Rom demüthigte. Nur gegen 
diefen Preis durfte Wido, als ſcheinbarer Sieger über Ariald, nad) Haufe fehren. 

Den 1. Mai 1059, wohl zum Echluffe der Verfammlung, aber zu 
einer Zeit, da Wido von Mailand und die andern Rombarden noch zu 
Rom weilten, brachte der Subdiafon Hiltebrand einen Antrag ?) ein, der 
dem Worte nach gegen gewilje Firchliche Verordnungen Ludwigs des From⸗ 
men, in der That aber, meined Erachtens, gegen Mißbräuche in Lombars 
dien und einigen Theilen Deutjchlands gerichtet war. Im Jahre 817 hatte 
Carl's des Großen Cohn, Katfer Ludwig, auf dem Reichstage von Aachen 
bie von dem Meger Bilchof eingeführte Regel *) des kanoniſchen Lebens 
unter Beifügung von Zufägen beftätigt,Y) welde, wenn fie von ihm her 
rühren, allerdings Tadel verdienen. Hiltibrand hub an: „manche der in 
Rom lebenden Eanonifer werden in ihrem Eifer für fittlihe Reinheit ent 
weder gelähmt oder gar zum Abfall verleitet durch gewiffe Eapitel, die auf 
Betrieb Ludwigs des Frommen von einem Unbefannten verfaßt worden 


‘) Gesta mediolan. III, 15. Perg VIO, 21. ?) Text bei Mabillon, annal. ordin. 
S. Benedicti IV, 748 fig. >) Gfroͤrer, K. G. II, 586 fi. *) Harzheim, concilia 
Germ. I, 430 fig. 


® 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabft Bened. X. Pabft Nikol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 599 


feien. Dieſe Eapitel,“ fuhr er fort, „erwähnen zwar, was die h. Väter 
über freiwillige Armuth und den Segen gemeinfamen Lebens lehren, aber 
fie verdrehen auch die Ausfprüche derfelben in der Art, wie wenn gejchrieben 
ftünde: nur der kann Chrifti Schüler fein, welcher behält, was er befiht, 
oder gar nad Kräften eigen Hab und Gut zu vermehren ftrebt." 

Hildebrands Vorwürfe trafen, wie man fieht, die Beftimmungen, welche, 
den Kanonifern geftatteten, Eigenthum zu befigen und dadurch Habſucht 
anfachten. Die Pfeile des Subdiakons wandten fich nody gegen einen ans 
dern Hauptpunft. Einige Stellen des Buchs wurden vorgelefen; fie be- 
fagten: jedem Banonifer feien täglich vier Pfund Brod und überdieß ſechs⸗— 
maliger Trunk (wie e8 jcheint, ein Humpen Wein), einer zum Frühſtück, 
einer um zchn Uhr in der Frühe, einer zum Mittageffen, einer um drei 
Uhr Mittags, einer zum Nachteſſen, ein ſechster endlih als Schlaftrunf 
geftattet. Die Anwefenden riefen: eine folhe Verſchrift ſtürze alle chriſt⸗ 
liche Mäßigfeit um, beförvere ein Eyelopenleben, pafje beſſer für Matrojen 
als für Domherrm, und müſſe unterdrüdt werden. 

Im Terte heißt es weiter: „während Die übrige chriftlche Welt ſich 
an die alten ächten Regeln des gemeinſamen Lebens halte, ſei der gerügte 
Mißbrauch nur in einem Winkel Deutſchlands eingeriſſen.“ Ich getraue 
mir faft zu errathen, welches Vorbild der römiſche Diakon vor Augen hatte. 
Lambert von Herdfeld erzählt‘) zum Jahre 1065: „Arnulf, Biſchof von 
Worms, ein durch Sittenreinheit ausgezeichneter Priefter, verfchied zu einem 
befiern Leben. Zum Nachfolger erhielt er den Bruder Rudolf von Rheins 
felden, Herzogs von Schwaben, genannt Adalbero, einen ehemaligen Mönd) 
von Et. Gallen. Diefer Menfch war eine feltfame Erſcheinung: eine ftarfe, 
breitichultrige Geſtalt, an einem Fuße lahm, unerhört gefräßig und fo did, 
daß der Anblick eher Schreden als Verwunderung erregte. Man hätte 
glauben jollen, daß eined der Ungethüme, der hundertarmigen Riefen, von 
denen die alten Dichter fabeln, aus der Unterwelt wiedererftanden ſei.“ 
Ih vermuthe, Hiltibrand ift auf feinen vielen Reifen durch Deutjchland 
irgendivo mit diefem vornehmen Mönche zufammengetroffen. 

Sihtlih hatte Hiltibrands Vortrag einen tiefem Zwei. In dem 
furdtbaren Kampfe, welchen die Gregorianer begannen, fonnten fie nur dann 
fiegen, wenn im Clerus durd alle Mittel Gemeingeift gewedt ward. Das 
Gegentheil aber von Gemeingeift entfpringt aus Verftrifung der Priefter 
in häuslihe Bande, aus Ehe und Sucht nad Eigenthum. Hinwiederum 
waren Lombardiend Städte damald Brennpunkte diefer dem Streben Hilti- 
brands feindlichen Kräfte. Bon zweien Dingen eined: entweder mußte das 
gemeinfame Leben, der Mönchsgeift in Mailand und den andern Orten 


1) Berk V, 171. 


600 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


durchdringen, oder Hiltibrands Plane jceiterten. Sicherlich ift es nicht 
ohne guten Bedacht gejchehen, daß Lombardiens Biſchöfe dem Vortrage über 
Kaiſer Ludwigs verunglüdte kirchliche Vorſchriften anwohnen mußten. 

Noch find zwei Afte der Lateran-Synode übrig, die ich abfidtlid bie 
auf diefen Punkt verfparte. Einmal empfing damals der Adelspabſt Ben 
pift X. jein Urtheil. Die römiſchen Jahrbücher, deren Verfaſſer, ich weiß 
nicht aus welcher Verfehrheit, Parthei für die römischen Capitane ergreift, 
und gleih einem Romanſchreiber Luft an graufigen Scenen verräth, berids 
ten: „Hildebrand ergriff Den abgefegten Benedilt mit Gewalt und führte 
ihn nach der Conftantinijhen Kirhe vor den Pabft Nifolaud II. und die 
verjammelte Eynode. Dort mußte er, wohl oder übel wollend, eine Schrift 
ablejen, auf welcher die Verbrechen verzeichnet waren, Die er begangen 
haben jollte, während er fie doch nicht begangen hatte. Die Mutter Bene 
diftö war zugegen, zerraufte fid dad Haar, zerihlug ihre Brujt. Auch 
viele Römer ftanden dabei, hörten und jahen, was vorging. Nach dem 
Ablejen rief Hiltibrand: Ihr Römer habt vernommen, was der Pabſt Euc 
ver Wahl verübte. Hierauf legte man ihm päbftlihe Gewänder an um 
ſprach das Urtheil der Abjegung über ihn aus. Nachher warb er wicht 
entfleivet und abgeführt. Aus Erbarmen erhielt er eine Heine Pfründe an 
der Kirche der jeligen Agnes, durfte jedoch Feine heilige Handlung verrid: 
ten. Erſt jpäter wurde ihm das Lejen der Epifteln geftattet. Benedikt 
erlebte noch das Pontififat Gregors VIL, ftärb aber furz darauf.“ €o 
der Römer. Ich möchte nicht bezweifeln, daß Nifolaus IL. den Gegenpaht 
durch die Rateran-Synode richten und venurtheilen ließ. 

Ein zweiter Angeflagter, der vor der Lateranſynode ftand, war ber 
Scholaſtikus Berngar von Tours. ES jcheint mir paffend, bier die wid 
tigjten Punkte“), betreffend die Geſchichte dieſes Mannes, zufammenzudrin 
gen, damit wir nachher nicht mehr nöthig haben, auf ihn zurückzukommen. 
Weil König Heinrih J. von Franfreih fürdtite, daß die von dem zweiten 
Salier auf Petri Stuhl erhobenen Kaijer-Päbfte zu Untervrüdung der übri 
gen Fatholiihen Reiche des Abendlandes — ein Zwed, auf den allerdings 
Kaijer Heinrid III. losſteuerte, — mißbraucht werden dürften, hatte er den 
gelehrten Berngar vorangefhoben, um gededt dur die Anklage faljce 
Lehre, die der Scholaftifus wider Rom erhob, aus der Kirchengemeinfcaft 
jbeiden zu können, und eine Art von Gallicanismus in feinem Lande cin 
zuführen. Der von Berngar erhobene Abenpmahlftreit gli jehr viel den 
deutſchkatholiſchen Beſtrebungen des bereitd vergefjenen Schlejiers Johannes 
Ronge, nur mit dem Unterfchied, erftlih daß Berngar wirklich ein 
Gelehrter, obwohl ein querköpfiger war, während man Herrn Ron | 





') Perg V, 471 unten fig. ) Bgl. Ofiörer, K. ©. IV, 507 fig. 


Erfted Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. II. b. 3. Bruce mit Agnes. 601 


nur die letztere Eigenfchaft, nicht auch die erftere zuichreiben kann; und daß 
zweitens das Unternehmen des frangöfifhen Königs eine gewiſſe Entſchul⸗ 
diguug in den damaligen Verhältniffen des Occidents findet, während Herr 
Ronge ruchloſer und zugleih einfältiger Politif ald Werkzeug diente. 

In dem Maße, wie König Heinrih I von Frankreich ſich überzeugte, 
daß die römische Kirche muthvoll ihre Freiheit gegen das deutſche Kaiſer⸗ 
thum behauptete, ließ er den Scholaftifus fallen. Während der Jahre 1053 
und 1054 durchzog Hiltibrand als pübftlicher Bevollmächtigter Gallien, hielt 
viele Synoden und nahm auch den Scholaftifus in die Schule. Schon 
damals wollte er denfelben mit fich nad Italien führen, damit Berngar 
dort feinen Irrthum abſchwöre.) Der im April 1054 erfolgte Tod des 
Pabſtes Leo IX. und vermuthlidy noch mehr die Abfiht des Königs von 
Frankreich, erft abzuwarten, ob der Nachfolger gleiche Keftigfeit wie Leo IX. 
gegen Zumuthungen des Kaiſers erprobe, vereitelte jedoch dieſen Plan. 
Sept aber, nachdem Nikolaus II. Petri Stuhl beftiegen, fonnte und durfte 
der franzöfiihe Herriher den Scholaftifer nicht länger bejhügen. Mit 
Ihwerem Herzen mag Berngar nah Rom gereist fein, denn in der That 
feine Reife war eine faure. Dem gewöhnlidhen Laufe der Dinge ift e8 
gemäß, daß man Angeflagte der Art nicht gleich vor eine Synode ftellt, 
jondern ihnen vorher unter 4 Augen zu Gemüthe führt, welche Bolgen bes 
harrlicher Widerſpruch gegen die Einftimmigfeit der Kirche haben könne. 

Vor die Verfammlung geladen und aufgefordert zu ſprechen, gerieth 
Derngar, laut feinem eigenen Eingeftändniffe?), in tödtlichen Schreden, ver- 
ftummte, ſtürzte nieder, erklärte feine Bereitwilligfeit, jedes Belenntniß, das 
man verlange, zu unterjchreiben. Cardinal Humbert hatte für diefen Yall 
eine Schrift fertig, welche unter Anderem folgenden Sag?) enthielt: „ich, 
Berngar, glaube in vollfommenem Einklang mit der römischen Kirche, daß 
Brod und Wein nad erfolgter Weihung auf dem Altar nicht blos Sakra⸗ 
ment, jondern wahres Fleiſch und Blut unferes Herrn JEſu Chriſti ift 
aud auf förperlihe Weile nicht blos im Saframent, fondern in Wirklichkeit 
durch die Hände der Priefter berührt, gebrochen und von den Zähnen der 
Gläubigen zermalmt wird." Berngar mußte dieſe Bormel beſchwören 
und hierauf das Bud des Johann Erigena, auf das er ſich ftetö berufen 
hatte, vor der Berfammlung ind Feuer werfen. Das Nep, mit weldhem 
der Cardinal den Gelehrten von Tours fing, war meines Erachtens derb 
und der Heiligkeit des Gegenftandes nicht vollfommen angemefien. 

Pabſt Nikolaus machte‘) nachher den Widerruf Berngars in den vers 
fchievenen Reichen des Abendlandes befannt. Der Scholaftifus felbft wurde 


ı) Sfrörer, K. ©. IV, ©. 588 fig. !) De sacra coena, ed. Vischer ©. 73. 
2) Mansi.XIX, 900. 9) Daf. ©. 759 fig. 


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600 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


durchdringen, oder Hiltibrands Plane jcheiterten. Sicherlich iſt es nidt 
ohne guten Bedacht geichehen, daß Lombardiens Biſchöfe dem Vortrage über 
Kaifer Ludwigs verunglüdte kirchliche Vorſchriften anwohnen mußten. 

Noch find zwei Afte der Lateran-Synode übrig, die ich abfichtlid bie 
auf diefen Punkt verfparte. Einmal empfing damald der Adelspabſt Benc⸗ 
dift X. fein Urtheil. Die römijchen Jahrbücher, deren Verfaſſer, ich weiß 
nicht aus welcher Verfehrheit, Parthei für die römifhen Capitane ergreift, 
und gleih einem Romanſchreiber Luft an graufigen Scenen verräth, berid- 
ten:) „Hildebrand ergriff den abgefegten Benedilt mit Gewalt und führte 
ihn nad) der Conftantinischen Kirhe vor den Pabſt Rifolaus II. und die 
verfammelte Synode. Dort mußte er, wohl oder übel wollend, eine Schrift 
ablejen, auf welder die Verbrechen verzeichnet waren, Die er begangen 
haben jollte, während er fie doc nicht begangen hatte. Die Mutter Bene 
dikts war zugegen, zerraufte fi das Haar, zerfchlug ihre Bruſt. Auch 
viele Römer ftanden dabei, hörten und jahen, was vorging. Nach dem 
Ablefen rief Hiltibrand: Ihr Römer habt vernommen, was der Pabit Eurs 
ver Wahl verübte. Hierauf legte man ihm päbftlihe Gewänder an und 
ſprach das Urtheil der Abjegung über ihn aus. Nachher ward er wieder 
entfleivet und abgeführt. Aus Erbarmen erhielt er eine Heine Pfründe an 
der Kirche der feligen Agnes, durfte jedoch Feine heilige Handlung verrich⸗ 
ten. Erft fpäter wurde ihm das Leſen der Epifteln geftattet. Benedikt 
erlebte no das Pontififat Gregors VIL, ſtärb aber furz darauf.” So 
der Nömer. Ich möchte nicht bezweifeln, daß Nikolaus IL. den Gegenpabſt 
durch die Lateran-Synode richten und verurtheilen ließ. 

Ein zweiter Angeflagter, der vor der Lateranjynode ftand, war ber 
Scholaftifus Berngar von Tours. Es Icheint mir paſſend, hier die wid: 
tigjten PBunfte?), betreffend die Geſchichte dieſes Mannes, zufammenzudrän 
gen, damit wir nachher nicht mehr nöthig haben, auf ihn zurüdzufommen. 
Weil König Heinrih I von Frankreich fürdtete, daß Die von Dem zweiten 
Salier auf Petri Stuhl erhobenen Kaijer- Pübfte zu Unterdrückung der übri 
gen Fatholiihen Reiche des Abendlandes — ein Zwed, auf den allerdings 
Kaijer Heinrich III. Tosfteuerte, — mißbraucht werden dürften, hatte er den 
gelehrten Berngar vorangefhoben, um gededt durch die Anklage faljcher 
Lehre, die der Scholaftifus wider Rom erhob, aus der Kirchengemeinidaft 
ſcheiden zu können, und eine Art von Gallicanismus in feinem Lande ein 
zuführen. Der von Berngar erhobene Abenvmahlftreit glich jehr viel ven 
beutichfatholiihen Beftrebungen des bereitd vergefienen Schlefiers Johannes 
Nonge, nur mit dem Unterfchied, erftlih daß Berngar wirklich ein 
Gelehrter, obwohl ein querföpfiger war, während man Herm Ronge 


) Berg V, 471 unten flo. 2) Dal. Gfroͤrer, K. G. IV, 507 fig. 





Erſtes Bud. Cap. 20. Gegenpabft Bened. X. Pabft Nikol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 603 


worte unſeres Erlöjerd weſentlich (substantialiter) gewandelt werben in 
das wahre, eigentlihe (propriam) und lebendig machende Fleiſch und Blut 
Jeſu Chriſti unferes Herm, und daß das Brod nad der Weihung fei der 
wahre Leib Chrifti, der geboren ward von der Jungfrauen, für das Heil 
der Welt geopfert am Kreuze hing, und nun figet zur Rechten des Vaters; 
deögleihen, daß der Wein fei das wahre Blut Ehrifti, das aus der Seite 
des Erlöfers floß: alles nicht blos im Zeihen und durch Wirfung des 
Saframents, fondern in Wirklichkeit der Natur und Wefenheit des Seine.“ 
Non tantum per signum et virtutem sacramenti, sed in proprietate na- 
turae et veritate substantiae. Die lateiniſch angeführten Worte gehören 
nicht der Schrift, fondern der Scholaftif an. Da die Gegner ihn mit dem 
Ausdrud substantialiter preßten, erneuerte der alte Thor, nicht gewigigt 
durd jo viele bittere Erfahrungen, den Streit no einmal. Doch Pabſt 
Gregorius VII. gab ihm einen Freibrief)) in die Heimath mit, der Jedem 
verbot, Berngar als Ketzer zu verfolgen. Dadurch geihah ed, vaß er, 
zurüdgezogen auf die Inſel St. Erome bei Tours, im Jahre 1088 ruhig 
fterben Fonnte. ?) 

Was wird der Grund geweſen fein, weßhalb Pabſt Nikolaus II. den 
Scholaſtiker von Tours vor die LateransEynode lud, auf welder die wid 
tigften Fragen zur Sprache famen? Sicerlid drangen alle Kronen, nicht 
nur die franzöfifche, unaufhörlih in die Päbfte, den Anmaßungen des 
deutſchen Kaiſers unbeugfamen Widerſtand zu leiften. Denn der Pabſt 
vertrat in dieſem Kampfe nicht weniger als die politifche Freiheit ded Abend⸗ 
landes. Gerade deßhalb, weil Stephan X. und Nikolaus II. tapfer kämpf⸗ 
ten, waren fie berechtigt vom franzöftichen Könige zu fordern, daß er mit: 
telft eines unzweidentigen Aktes jedem ferneren Verſuche entjage, fi und 
fein Reih von der Kircheneinheit Toszureißen. Diefer Akt beftand darin, 
daß er den Echolaftifus nah Rom außlieferte. Nachdem dort Berngar 
widerrufen, eilte der Pabſt, dieß allen Nationen des Abendlandes fund zu 
thun. Hätten die Gregorianer nicht fo fühn das Feld gegen die deutſche 
Kaiferfrone behauptet, jo würden durch die Streitigkeiten des Scholaftifus 
im nichtdeutfchen Europa etwas wie proteftantiiche Kirchen hervorgewachſen 
fein, wozu wirflid nicht blos in Franfreih, fondern aud in Spanien be: 
reitd ein Anfang gemacht war.) Man fieht, wie Alles die Päbſte zum 
entfchlofjenften Widerftand gegen unfere Kaifer vorwärts trieb, und wie fie 
in diefer Eache für Sein oder Nichtfein der Kircheneinheit ftritten. Mit 
dem Augenblide der Auslieferung Berngars und ihrer unabwendbaren Folge 
feines Widerrufs, verlor die von ihm angeregte Streitigfeit den politijch- 





') D’Achery spicil. III, 413. ?) Bouquet XII, 465. 3) Gfroͤrer, K. ©. IV, 
523, 526 fig. 


602 Pabſt Gregorius VOL. und fein Zeitalter. 


im Frieden entlaffen, aber faum befand er fich wieder zu Haufe und in 
Sicherheit, ald er die Händel von vorne anfing," neue Streitjchriften heraus 
gab, (die ih an einem andern Orte?) verzeichnet habe) und die Behauptung 
aufftellte, er fei durd Gewaltthaten und Drohungen Humbertd gezwungen 
worden, Dinge zu jagen, die ernicht glaube. Faſt 20 Jahre jpäter un 
ter dem Pontificate Gregors VII. fam die Eadye noch einmal zur Ber: 
handlung auf zwei Synoden, die 1078 und 1079 zu Rom gehalten wor: 
den find. Da der Streit damals alle politifchen Stadheln, die ihm Anfangs 
einen gefährlihen Charakter gaben, verloren hatte, wollte der große Pabſt 
den Scholaftifus nicht aufs ÄAußerfte treiben, denn er mißbilligte ſelbſt vie 
Meife, in welcher Humbert den Lehrbegriff der Kirche abgefaßt Hatte. 

In einer eigenen Abhandlung gibt?) Berngar hierüber Aufihluß: „Ic 
war in Rom und hatte verfchiedene Unterredungen mit ©regorius VII. 
Einmal ſprach er zu mir: ich will nicht zweifeln, daß, was Du jept, bezüg⸗ 
(ih des heil. Abendmahls vorbringft, mit der gefunden Lehre übereinftimmt, 
indefien bin ich gewohnt, in ſolchen Kragen ſtets meine Zuflucht zur aller: 
feligften Jungfrau Maria zu nehmen, und habe darım einen gewillen 
Mönd, meinen Freund, erfucht, fi im Gebet und mit Baften an die heis 
lige Mutter Gotted zu wenden. Später eröffnete er mir dann wieder: ber 
Mönd hat von der feligften Jungfrau vernommen, daß man bezüglid des 
Opfers Jeſu Ehrifti nichts denfen und feftftellen folle, als was die Flaren 
Stellen der Schrift ausfagen, und folden widerftreite die Darftellung Bern 
gars nicht.“ 

Wie groß fteht der Pabft da! Mitten in der leidenfchaftlichen Aufre⸗ 
gung Derer, die ihn umgaben, befteht er darauf, daß das heiligfte aber 
auch geheimnißvollfte aller Saframente, das den Mittelpunkt des Glaubens 
bildet, nicht gelehrter Epefulation preisgegeben, fondern in der einfachen 
Faſſung der heil. Schrift und der Tradition feftgehalten werde. Gegen 
diefe unabweisbare Wahrheit hat meines Erachtens Humbert ebenjo gefehlt, 
ald früher Berngar. Es war nicht wohl gethan, das Blut und den Leib 
unfered Herrn mit Zähnen und am Ende gar mit Gebärmen in Berbin 
dung zu bringen. 

Auf dem Eoncile von 1078 zeigte fih Pabft Gregor VII geneigt, 
eine Formel zu billigen, in der Berngar nur Worte der Schrift Hätte 
wiederholen ſollen. Indeß gab er dem Andrange der entſchloſſenſten 
Gegner ſo viel nach, daß der Scholaſtikus auf der Synode des folgenden 
Jahres folgende Faſſung unterzeichnen mußte: „ich bekenne mit dem Munde 
und glaube mit dem Herzen, daß das Brod und der Wein, einmal auf 
den Altar gelegt, durch das Geheimniß des h. Gebets und die Einſetzungs⸗ 


) Mansi XIX, ©. 759 fig. ?) Gfroͤrer, K. G. IV, 509. *) Mansi XIX. 761 fa 


Erſtes Bud. Eap. 20. Gegenpabft Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 605 


fcher Großen, welche Lambert zu Anfang des Jahrs 1059 ewähnt, über 
Befegung des Stuhles Petri, alfo über kirchliche Angelegenheiten entſchied, 
fann fein Zweifel fein, daß fie vorzugsweiſe aus hohen Elerifern, aus 
Biſchöfen und Aebten, beftand, denn mur dieſen fam es zu, in folden Din- 
gen das Wort zu führen. Diefelbe war ohne Frage mehr eine Synode, 
als ein Reichstag gewefen. 

Die Nachrichten, weldhe der unbefannte Clerifer in dem Schreiben an 
den Biſchoſ Azeko von Worms über die Vorgänge bei Abfegung des Her- 
3098 Adalbero von Kärnthen mittheilt,') Tiefen den Beweis, daß Kaifer 
Conrad II. auf der Höhe feiner Macht in Fragen des Lehenrechtd nichts 
ohne Einwilligung der weltlichen Stände durchzuſetzen vermochte. Aug 
Delegen, die ich ſpäter an geeignetem Drte anzuführen mir vorbehalte, er: 
heit, daß während der Minderjährigfeit Heinrih’8 IV. in geiftlichen Din⸗ 
gen nichts ohne Zuftimmung des hohen Clerus geſchah. Nun ebenjo ver: 
hielt e& fih mit jener Verfammlung, deren Ort Lambert nicht beftimmt. 
Nicht die Abfichten der Kaiferin Mutter haben dort den Sieg errungen, 
fondern Hanno's Wille. 

Immerhin hatte Pabft Nikolaus IT. nur die Hälfte der. Forderungen, 
die er ftellte, und ftellen mußte, durchgeſetzt. Der Stuhl Petri war noch 
immer mittellos, und Fonnte doch nur durch Hilfe der Katferin Agnes 
wieder zu feinem rechtmäßigen Eigenthum gelangen, das ihm vdurch die Ges 
waltthaten des Salierd Heinrich LIT. entzogen worden war. Der Pabit muß 
die Wiederherftellung verlangt haben. Jener Say im Wahlbefrete, wo da⸗ 
von die Rede ift, daß König Heinrich IV. demnächſt Kaifer werden 
dürfte, fieht aus, wie eine Xodjpeife, welche die Eurie der Reichöverweferin 
vorhielt, um fie zu beftimmen, daß fie defto eher bezüglich des römijchen 
Kirchenguts nachgebe. Denn Berheißungen der Art verfehlen felten vie 
MWirfungen auf das Gemüth von Müttern. Allein Nikolaus II. harrte in 
diefer Hinfiht vergeblih auf eine billige Entſcheidung. Agnes hielt uner- 
fchütterlih an dem Syſteme ihres verftorbenen Gemahls feft, dur Armuth 
Petri Statthalter an den kaiſerlichen Willen zu fefleln. 

Bon dem Schluffe der Lateran-Synode bis zu dem Augenblide, da 
der Pabft etwas Entfcheidendes that, verfloffen etwas mehr als zwei Mo- 
nate. Nikolaus II. zögerte, befann fi, wie Beſonnene zu thun pflegen, 
ehe fie Maßregeln ergreifen, vie feine Rückkehr mehr zulafien. Im 
Juni 1059 erhob er fi von Rom und ging nad Montecaffino, wo er 
das St. Johannisfeſt feierte.) Don da zog er weiter um die Mitte Juli 
nad der Stadt Melfi in Apulien auf normanniihem Boden. Hier bielt 
er laut dem Zeugniſſe) des Apuliers Wilhelm eine Synode, auf welder 


1) Oben ©. 473 fig. ?) Chronic. casin. III, 13. Berg VIL 705. *) Ber IX, 261. 


604 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gefährlichen Eharafter und fanf wieder zu dem herab, was fie vor Ber 
gar in der Stille gewefen war,‘) zu einer Sculfrage. 

Eben damit rechtfertigte fi eine andere Behandlung der Sade von 
Seite der Kirchenobern. Die Fatholifhe Lehre ift, was fie fein muß, un 
beweglih, ehern, unantaftbar dem neuernden Ehrgeiz der Gelehrten, welde 
unter dem Schuge großer Auftoritäten ihr eigenes Licht vor der Welt leud: 
ten laſſen möchten; aber fie ift auch — fo weit es ſich mit foldyer Unver: 
änderlichfeit verträgt — einfach und geftattet dem Einzelnen einen gewiſſen 
Spielraum, fi Ddiefed und jenes innerhalb der unverrüdbaren Gränen 
nach feiner Weife zurecht zu legen. Letztere Breiheit hat der große Pabſt 
dem Echolaftifus gewahrt wiſſen wollen, obgleih er Berngar’s ſchulmeiſter⸗ 
lihe Zanffuht und Rechthaberei nicht billigte. 

Mer kann läugnen, daß die Lateran⸗Synode von 1059 große Erfolge 
errang! Bor einigen Jahren noch geihah es, daß Kaiſer Heinrich IIL 
Päbfte nah Gutdünken erhob und entfernte; jetzt dagegen hat der jaliihe 
Hof rechtöfräftig zugeftchen müflen, daß dad Garbinald-Collegium weſent⸗ 
lihen Einfluß auf Beſetzung des h. Stuhles übt. Ninunermehr würde 
Pabſt Nikolaus al dieß ohne Hilfe von deutjcher Seite her erreicht haben. 
Er jelbft gibt meined Erachtens Aufihluß über die Perfönlichkeit des Hel⸗ 
ferd. Den 1. Mai 1059, vielleiht am Tage, da die Lateran Synode 
gefchloffen ward, unterzeichnete Nikolaus II. eine Bulle,?) kraft welder er 
die vom Bölner Erzbiſchof Hanno geftiftete Eollegiatlirhe der h. Mutter 
Gottes zu den Stufen in den befonderen Schug des römischen Stuhles 
nahm. Der Ton diefer Bulle iſt auffallend warm, der Pabſt nenut den 
Erzbifhof feinen theuerften Mitbruder, hebt hervor, daß er ganz befonbere 
Liebe für ihn empfinde. Unter damaligen Umftänden haben dieſe Herzens: 
ergießungen eine mehr ald alltägliche Bedeutung. Der Pabſt gab dadurch 
zu verftehen, daß er dem Erzbilchofe dankbar für erwiefene Dienfte fei. 

Der Augenfchein zeigt, daß die Kaiferin Mutter Agnes, als fie die 
Beichlüffe der deutichen Rathöverfammlung gut hieß, welde das Wahl 
defret des zweiten Nifolaus anbahnten, nicht that, was fie wollte, ſondem 
etwas, was fie nicht wollte. Denn feitvem verfuchte fie alles Mögliche, 
um das Gefchehene ungefchehen zu maden. Die Einwilligung ift ihr allo 
dur einen Stärferen abgepreßt worden. Diefer Stärfere aber war ohne 
Frage Erzbifhof Hanno, fintemalen nur er den zweiſchneidenden Berftand 
und das nöthige Anſehen befaß, um ſolche Dinge durdzuführen. Agnes 
hatte ihn aus der Würde eines Neichöverwefers verdrängt, aber feinen 
geiftlihen Einfluß Fonnte fie ihm nicht nehmen. Hanno blieb nachher wie 
vorher zweiter Erzbiihof des deutſchen Reihe. Da die Berfammlung deut 


— 





1) Daf. III, 899 flg. ?) Lacomblet, vheinifches Urkundenbuch J, Nr. 198. 


Erſtes Buch. Gap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 605 


fcher Großen, welche Lambert zu Anfang des Jahre 1059 ewähnt, über 
Belegung ded Stuhles Petri, alſo über kirchliche Angelegenheiten entſchied, 
kann fein Zweifel fein, daß fie vorzugsweife aus hohen Elerifern, aus 
Biſchöfen und Aebten, beftand, denn nur diefen kam es zu, in folden Din- 
gen das Wort zu führen. Diefelbe war ohne Frage mehr eine Synode, 
als ein Reichstag gewefen. 

Die Nachrichten, welche der unbekannte @lerifer in dem Schreiben an 
den Biſchoſ Azeko von Worms über die Vorgänge bei Abfegung des Her: 
3098 Adalbero von Kärnthen mittheilt,') Tiefen den Beweis, daß Kailer 
Conrad IT. auf der Höhe feiner Macht in Fragen des Lehenrechtd nichts 
ohne Einwilligung der weltlichen Stände durchzuſetzen vermochte. Aug 
Belegen, die ich ſpäter an geeignetem Drte anzuführen mir vorbehalte, er: 
heilt, daß während der Minderjährigfeit Heinridy’8 IV. in geiftlichen Din- 
gen nichts ohne Zuftimmung des hohen Elerus geihah. Nun ebenjo ver: 
bielt es fih mit jener Verſammlung, deren Ort Lambert nicht beftimmt. 
Richt die Abfihten der Kaiſerin Mutter haben dort den Steg errungen, 
fondern Hanno’d Wille. 

Immerhin hatte Pabſt Nikolaus IT. nur die Hälfte der Forderungen, 
die er ftellte, und ftelen mußte, durchgeſetzt. Der Stuhl Petri war nod) 
immer mittellos, und fonnte doch nur durch Hilfe der Kaiſerin Agnes 
wieder zu feinem rechtmäßigen Eigenthum gelangen, das ihm durch die Ges 
waltthaten des Salterd Heinrich III. entzogen worden war. Der Babft muß 
die Wiederherftellung verlangt haben. Jener Sab im Wahlbefrete, wo da- 
von die Rede ift, daß König Heinrih IV. demnähft Kaiſer werden 
dürfte, fieht aus, wie eine Xodfpeife, welche die Curie der Reichsverweſerin 
vorhielt, um fie zu beftimmen, daß fie defto eher bezüglich des römifchen 
Kirchengutd nachgebe. Denn Berheißungen der Art verfehlen felten die 
MWirfungen auf dad Gemüth von Müttern. Allein Nikolaus II. harrte in 
diefer Hinfiht vergeblich auf eine billige Entſcheidung. Agnes hielt uner: 
fchütterli an dem Syſteme ihres verftorbenen Gemahls feft, durch Armuth 
Petri Statthalter an den Faiferlihen Willen zu fefleln. 

Von dem Schluffe der Lateran⸗Synode bi3 zu dem Augenblide, da 
der Pabft etwas Entfcheidendes that, verfloffen etwas mehr als zwei Mo; 
nate. Nikolaus II. zögerte, bejann fih, wie Beſonnene zu thun pflegen, 
ehe fie Maßregeln ergreifen, die Feine Rückkehr mehr zulafieen. Im 
Juni 1059 erhob er fih von Rom und ging nad Montecaffino, wo er 
dad St. Johannisfeſt feierte.) Von da zog er weiter um die Mitte Juli 
nach der Stadt Melfi in Apulien auf normanniſchem Boden. Hier hielt 
er laut dem Zeugniffe”) des Apulierd Wilhelm eine Synode, auf welder 





1) Oben ©. 473 fig. ) Chronic. casin. III, 13. Berk VII, 705. 9) Berk IX, 261. 


606 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


100 Biſchöfe aus Calabrien, Apulien, Lucanien und dem übrigen Süden 
Staliens erfchienen fein follen. „Allgemein,“ jagt der Azulier, „war um 
jene Zeit die Priefterehe geworden; aber jegt mußten die Presbyter, von 
Nikolaus II. befiegt, ihre Weiber entlaffen und der Keufchheit fich befleifi- 
gen.” Doc die Reife des Pabftes hatte noch einen andern Zweck. Nifos 
laus IT. fuchte einen Schutzvogt der römifchen Kirche, welder den Stuhl 
Petri beffer und treuer vertheidige, als die deutichen Kaiſer es feit einem 
Zahrhundert gethan. Der Pabſt fand, was er fuchte. 

Die Anfänge der Einwanderung galliiher Normannen nad Apulien, 
die bald eine fo wichtige Rolle fpielen follten, reichen gegen das Jahr 
1016 hinauf. ) Aller Wahricheinlichfeit nach mar ed Pabft Benedikt VIIL, 
der im Vereine mit dem Longobarden Melus um die angegebene Zeit die erfte 
Schaar Normannen nah Stalien berief. Sie follten ihm als Schugwehr 
wider die Griechen Süpditaliend dienen, die mit den Gegnern des Haufe 
Tusfulum, dem er jelbft angehörte, mit den redcentiern, im Bunde 
ftanden. Anfangs fochten fie glüdlich, wurden aber 1019 von dem byzan- 
tiniſchen Catapan in einer großen Schlacht befiegt, die ihnen nahezu den 
Todesftoß gab. Bon 250 Etreitern, die fih nah und nah bei Melus 
eingefunden hatten, follen nur 10 leßteren Kampf überlebt haben.“ Melus 
brachte fie im Dienfte der Iongobardifchen Fürften von Salerno und Capua, 
Waimar unv Pandulf, unter und eilte nach Deutichland, um die Hilfe 
des Kaiſers Heinrih II. anzurufen. Er felber jtarb zu Bamberg, wo er 
begraben liegt, ) aber im Epätherbft 1021 zog Kaiſer Heinrib I. mit 
einem großen Heere über die Alpen, ſchlug die Griechen im Frühling 1022 
wiederholt, eroberte die von benfelben neulich bejegten Städte Neapel, 

- Salerno, Benevent, Capua, Troja. Die Söhne ded Melus erhielten eine 
Grafſchaft, auch die normannischen Verbündeten defielben wurden mit einigen 
Lehen bevadıt. *) 

Seitdem verkauften die Normannen ihr Schwert abwechſelnd an den 
oder jenen Häuptling Unteritaliens, wobei fie jedoch jorgfältig Bedadt 
nahmen, daß feiner derjelben übermäctig werde: ein gewiſſes Gleichgewidt 
folfte beftehen, damit Niemand daran denke, fie felbft zu vertreiben, ſondem 
damit Alle ihrer bedürften. >) Im Jahre 1030 halfen fie einem der vielen 
fleinen Fürften, die fih um den Befiß des Landes ftritten, Namend Ser 
gius — man weiß nidt gewiß, ob er lombardiſcher oder italienijcher 
Abfunft war — die Stadt Neapel einnehmen und erhielten ald Lohn für 
ihre Dienfte das Gebiet zwiihen Neapel und Capua, wo ber Feind des 





) Gfroͤrer, 8. G. IV, 121 flg. 2) Chronic. casin. DI, 37. Pertz VIL 65. 
’) Gfrörer, 8. ©. IV, 124. * Daf. ©. 129. 6) Guilielmus appul. Perk DL, 
244. 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabft Nifol. II. b. 3. Bruce mit Agnes. 607 


Sergius, Pandulf IV. hauste. Hier erbauten fie feit 1031 die Stadt 
Averja, den erften Mittelpunkt für größere Unternehmungen. Sergius gab 
dem tapferften unter diefen Normannen, die ihm Beiftand geleiftet, — er 
hieß Rainulff — die Hand feiner Nichte und ernannte ') ihn zum Grafen 
von Averfa. AS Kaifer Konrad IL, Heinrich's II. Nachfolger, 1038 in 
das untere Italien kam, beftätigte er Titel und Lehen Rainulf's.“) Bon 
diefem Augenblide beginnt der Aufihwung normanniiher Macht. Rainulf 
fandte Botſchaft nad der Normandie, um mehrere Landsleute einzuladen. 
Viele folgten dem Rufe, da Rainulf’8 Beifptel den Beweis geliefert, daß 
tapferen Männern in dem jchönen Lande Ehren und Reichthümer winken. 
Unter Anderen famen mehrere der ältern Söhne Tankred's, von dem unten 
die Rede fein wird, Wilhelm mit dem Beinamen Eifenarm, Drogo, Hum⸗ 
fried, und fanden fogleih Gelegenheit, ihren Werth zu zeigen. 

Noch im Jahre 1038 war von den Griehen, Normannen und Lon- 
gobarden des ſüdlichen Italiens ein gemeinfchaftlihes Unternehmen wider 
die Saracenen beſchloſſen worden, welche feit der Mitte des 9. Jahrhun⸗ 
derts Sicilien inne hatten.) Der byzantiniihe Katapan Maniafis be: 
fehligte das vereinigte Heer, weldes viele Drte drüben einnahm.*) Aber 
weil der Grieche die Beute für fi behalten wollte, brach bald Uneinigfeit 
aus. Normannen und Longobarden fehrten um, und auch die Byzantiner 
mußten weichen, worauf die eroberten Pläge wieder in die Hände ver 
Saracenen geriethen. Um dieſelbe Zeit ward Maniafis zu Conftantinopel 
des Hochverraths angellagt, geftürzt und hingerichtet, feine Stelle erhielt 
Ducianus. Gegen diefen verbanden fih Normannen und Longobarden. 
Der Flug entworfene Plan Fam in den Jahren 1041— 1043 mit über- 
rafhendem Glück zur Ausführung. Die Städte Melfi, damals Hauptftadt 
Apuliens, Venoſa, Adcoli, Lavello, Monopoli, Trani, Montepilofo, Fri: 
gento, Acerenza, Monorbino und andere fielen der Reihe nad in die Ge: 
walt der Verbündeten, die Herrichaft der Byzantiner aber neigte fich 
ihrem Ende zu. Eine Theilung folgte dem Stege. Wilhelm, genannt 
Eifenarm, erhielt Ascoli, Drogo Benofa, erfterer wurde zugleih zum all: 
gemeinen Feldhauptmann der Normannen erforen.®) 

Nun ift ed Zeit, den Stammbaum °) der beiden legtgenannten Häupt- 
linge ind Auge zu fallen. Die erften Normannen, welche 1016 in Stalien 
auftraten, waren Leute unberühmten Gefchlehts, alltägliche Abenteurer 
geweſen. Erft nachdem Söhne guter Häufer fih an die Spitze ftellten, 


Em — — — — 


!) Chronic. casin. II, 56. ®er& VII, 665 unten flg. dann Pertz IX, 245. ?) Gfroͤ⸗ 
rer, 8. ©. IV, 336 u. Perg VII, 672 oben. ?) &frörer, K. ©, II, 965. *) Chro- 
nic. casin. II, 66. Pertʒ VII, 675 fig. 5) Sauptquelle: Galfredi Malaterrae histor. 
sicul. I, 3. 4. 5. 11. bei Muratori script. rer. italic. V, 550 flg. 


608 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gewann die normannifche Eroberung feften Beftand. Ariftofratiich ift bie 
Grundverfaffung aller deutihen Stämme, der nördlichen wie der füblicen, 
der Normannen und der Germanen. Auf dem Schloffe Altavilla (Hante: 
ville), unweit der Stadt Coutances in der heutigen Normandie, haudte in 
der erften Hälfte des 11. Jahrhunderts ein Edler Tanfred, für deſſen 
Kinderfegen die heimischen Beſitzungen weit nicht ausreichten. Er zeugte 
nämlich in erfter Ehe mit Moriela 5 Söhne, Wilhelm Eifenarm, Drogo, 
Humfried, Galfred, Serlo; in zmeiter Ehe mit Franſendis 7 weitere, 
nämlich Robert mit dem Beinamen Wizfard, Malger, Wilhelm II., Alfter, 
Humbert, Tanfred, Roger, ein ganzed Geſchlecht von Helden, welde in 
der Folge, (mit Ausnahme von zweien, die ungern und nur gegen bad 
Verſprechen, daß die Ausgewanderten für ihre Erben forgen follten, zu 
Haufe blieben, um das Geſchlecht fortzupflanzen), nad dem füblichen Sta: 
lien binüberzgogen. Die zwölf Brüder ftanden an Sahren ziemlich weit 
auseinander; der Legtgeborne, der um 1030 das Licht der Welt erblickte, 
mochte wohl 25 Jahre jünger fein, ald Wilhelm der Erftgeborne. Daher 
fam es, daß die Thaten der Söhne Tanfred’d mehr ald die Hälfte eines 
Sahrhundertd ausfüllen. 

Die Maffe ded normannifchen Heeres beftand aus Knappen, die im 
Dienfte ihrer Gebieter fochten I, immerhin gab es unter den Eingewan« 
derten außer den Eöhnen Tankred's noch andere Evelleute, die auf eigene 
Rechnung vorwärtd fommen wollten. Schon bei der erften oben erwähnten 
Theilung erhielten, neben Wilhelm und Drogo, 10 andere Häuptlinge, die 
nicht Tankred's Geſchlechte angehörten, nämlich Arnolinus, Hugo, Peter, 
Walter, Rodolf, Triftan, Herveus, Asclittinus, Rodulf Bebenas Eohn, 
Raimfried große Lehen.) Wenn gleich die Gefammtheit der Nordmannen 
den Eifenarm Wilhelm zum Belohauptmann gewählt hatte, bejaß dieſer 
darum feine monardifhe Gewalt. Nur im Kriege führte er den Ober: 
befehl, im Frieden blieb jeder Häuptling fein eigener Herr. Deßhalb bes 
durfte ed in der Folge vieler und großer Verbreden, um den Normann: 
ftaat Italiens unter einen Hut zu bringen. Neben diefen Elementen fünf 
tiger Zwietracht ftößt man jedoh auf Epuren merfwürbiger Verſuche, bie 
Einheit zu erhalten. Wilhelm der Apulier fagt ): „die Norbmannen nah: 
men Ylüchtlinge aller Nationen unter fih auf, aber fie beftanden darauf, 
daß die auf ſolche Weile Einverleibten eine und diefelbe Eitte, eine um 


') Man vgl. ibid. I, 25, wo von fidi milites u. armigeri die Rebe if. *) Pen 
VII, 676. ?) Gesta Roberti I, v. 165 fig. Verb IX, 244: 
Si vicinorum quis perniciosus ad illos 
‘ Confugiebat, eum gratanter suscipiebant: 
Moribus et lingua, quoscumque venire videbant, 
Informant propria, gens efficiatur ut una. 


12, a r\ u u’ Van . .. 


Erſtes Bud. Eap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 609 


biefelbe Sprache (die Heeresſprache nemlih, ein Gemiſch von franzöftfch 
und italienisch) fi angemwöhnen mußten.” Gleich den alten Römern waren 
fie ein Volk von Räubern. Das Bedürfniß zwang fie daher, nach dem 
Grundfage zu handeln, den der Dichter mit den Worten ausfpricht: 


Hier fragt Niemand was Giner glaubt, 
Und nur zwei Dinge gibt8 überhaupt: 
Was zur Fahne gehört und was nicht, 
Und nur der Fahne bin ich verpflicht. 


Eine andere Eigenthümlichkeit der Wiege des Normannenftaats hängt 
meined Erachtens mit der Geſetzgebung der Heimath zufammen. Die gals 
liſchen Roromannen lebten nad faliichem Recht und haben ebendaſſelbe nad 
dem ſüdlichen Stalten hinübergebradt. Beweis dafür, daß Kaiſer Fried⸗ 
rih U., als Erbe der Normannfönige von feiner Mutter her, eine der 
fchreiendften Beftimmungen des faliichen Geſetzes, betreffend die 13monat- 
liche Berjährungsfrift, aufhob. ) Nach altem ſaliſchem Gewohnheitsrechte 
erbte ein Enfel nichts von dem Yamiliengute, fobald der Vater des Enfele 
vor dem Großvater mit Tode abgegangen war, fondern in dieſem Yalle 
traten die Oheime des Enfeld, oder die Brüder feines verftorbenen Vaters 
ausfchließlih in das Hausgut ein.) Was mag der Grund dieſes Ver⸗ 
fahrens geweſen ſein? 

Meines Erachtens ging daſſelbe folgerichtig aus dem Weſen des 
älteften fränkiſchen Staates hervor. Die Salika war das Geſetz eines 
Soldatenvolks; der Genuß der ftaatsbürgerlihen Rechte und namentlich) 
des Grundbefiges wurde durch die MWehrfähigfeit bedingt. Daraus folgt 
erftlih, daß nur die Lanze Grundeigenthum erben durfte, nicht aber die 
Kunfel, denn nur der Sohn trägt Waffen, nicht die Tochter. Bekanntlich 
ſchließt') das falifche Gefeh die Tochter vom unbeweglichen Erbe aus. Zwei: 
teng, da ber Enfel, wenn der Vater vor dem Großvater mit Tode abgeht, 
in der Regel ein Unmündiger fein wird, ergibt fih aus obigem Grundſatz, 
daß der Enkel niht am unbeweglihen Hausgut mitzuerben berechtigt ift, 
fondern daß das Erbe den Oheimen zufällt; denn als Unmündiger ver- 
mochte der Enfel das Schwert nicht zu führen, während die Oheime ver- 
möge ihres Alterö wehrfähig waren. Man fieht: fo fonderbar und (nad) 
neueren Begriffen) hart jene Vorſchriften des faliihen Geſetzes Klingen, 
hatten fie für die urfprünglichen Zuftände des Volks einen guten Sinn. 





2) Constitution. sicul. lib. III, Titel. 32, 1 bei Canciani I, 365, a. *) Das Dekret 
des Königs Ehilperich II. vom Jahre 596 fuchte diefe Beftimmung aufzuheben. Perk leg. 
1, 9. Nr. 1; aber das alte Herfommen dauerte gleichwohl hartnädig fort. Zöpfl, Rechts⸗ 
gef. II, b. ©. 340 Note 24. 5) Nach der Ausgabe von Waitz tit. 59, 5: de terra 
nulla in muliere hereditas est. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vi. Br. L 39 


6140 . Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Angenommen nun, Tanfred’8 Söhne hätten die Eroberungen, welde 
fie in Stalien machten, als ein Gut ded Tankred'ſchen Gefammthaufes, 
oder in alter Rechtsſprache als eine res aviatica betrachtet, und demgemäf 
auf Vererbung deſſelben die Beftimmungen ihres heimathlicden Geſetzes, 
“der Salifa, übertragen, jo muß erwartet werden, daß nad) dem Tode eine 
der Brüder, nicht die Söhne des Verftorbenen, fondern Die andern Brüder 
zufammen, oder etwa der nächfte im Alter, das Erbe erhielten. In der That 
ift leßtered der Kal. Längere Zeit erbten nach dem Tode eined der Tar 
freviven regelmäßig nicht die Söhne des Verftorbenen, obgleich ſolche mehr: 
fach vorhanden waren; fondern das Erbe fiel dem nächſten Bruder zu 
Die eben erwähnte Thatjache fteht feſt. Freilich könnte man noch andere 
Erflärungen verfuchen und 3. B. annehmen: zwilchen den Brüdern fei ein 
förmlicher Vertrag abgefchloffen worden, der die fraglihe Erborbnung fefs 
gefegt habe, auch läge ed nahe, diefe Vermuthung noch durch die Erwägung 
zu verftärfen, daß die Dringlichkeit der Umftände den Normannen ein 
mächtiger Antrieb fein mußte, die Anführung im Kriege nicht unerfahrenen 
Zünglingen, ſondern erprobten Männern, alſo, fo lange noch einige der 
Brüder lebten, ſtets dem an Alter nächften zu übergeben. Allein ich finte 
nirgends Andeutungen eines jolhen Vertrages und halte es deßhalb für 
gerathener, eine unbeftreitbare Thatfache an die Rechtöbegriffe anzufrüpfen, 
welche Tankred's Söhne aus der Heimath nad Italien bradten. 

Wilhelm Eifenarm, der erfte Feldhauptmann der Rormannen, ftarb im 
Sahre 1046, nachdem er furz zuvor einen großen Sieg über den byzanti- 
niſchen Katapan Euftafius erftritten hatte.) Auf ihn folgte in der Haupt: 
mannſchaft fein mächfter Bruder Droge. In die Zeit des Lepteren fällt 
der Römerzug und die Kaiferfrönung Heinrich's III. Der Salier zog fe 
fort die Normannen in feinen Kreis.) „Heinrich III,” fagt ) Leo von 
Oſtia, „beftätigte Die Normannen Grafen Drogo von Apulien und Rainulf 
von Averfa im Beſitze des ganzen Gebietes, das fie bereits inne hatten 
und ſprach ihnen auch noch das Fürftenthum Benevent zu, das fie jedoch 
erft erobern mußten.“ Diefes nämliche Gebiet aber hatte ehemals ver 
römischen Kirche gehört, oder gehörte ihr zum Theil noch. Die Normannen 
waren, wie man fieht, förmliche Theilnehmer des Plans, das Pabl: 
thum zu unterbrüden, fie waren Kerfermeifter des Stuhles Petri gewor 
ben; daher in den nächften Jahren das Bündniß, welches Pabſt Leo IX. mit 
dem bdyzantinifchen Herrſcher Conftantin Monomahus fhloß,*) um bie 
Normannen als gemeinfame Feinde gemeinfhaftlih zu befämpfen. 

Der Byzantiner wandte zugleich Waffen und Arglift auf, und made 


‘) Lupus ad a. 1046. Pertz V, 58 flo. *) Bfrörer, K. ©. IV, 435. 9 Chn- 
nic. casin. II, 78. Perk VII, 683. *) Sfrörer, 8. ©. IV, 558, 


— 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabft Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 611 


dem Pabſte die Zumuthung, aud in letzterer Hinficht das Gleiche zu thun. 
ber Leo IX. wies die griechifchen Anträge zurüd. Damals geſchah es, 
daß er nach Eonftantinopel ſchrieb): „nie ift es meine Abficht geweſen, 
den Mord eined Normannen herbeizuführen, jondern id wollte fie bloß 
durch Zurüftung von Etreitfräften ſchrecken.“ onftantin Monomachus da⸗ 
gegen fühlte feinen Scrupel, durch griechiſches Geld wurde eine allgemeine 


Verſchwörung der Apulier angezettelt, welche nichts weniger ald eine Art 


ficiliicher Vesper, oder die Ausrottung ſämmtlicher Normannen, bezwedie. 
Die Bewegung brad aus, und mit vielen anderen Normannen ?) fiel Drogo 
1051 zu Montolio unter den Dolcftihen eines Eingebornen, Namens 
Riſus, deffen Kind der Normanne aus der Taufe gehoben hatte. Obgleich 
Droge aus der Ehe mit der Tochter ded Grafen Rainulf von Averſa 
einen Sohn Rihard hinterließ, ) folgte nicht dieſer, ſondern Drogo's jün- 
gerer Bruder, Humfried. 

Humfried nahm ?) an den Mördern Rache und ſchlug den griechiſchen 
Catapan Argyrus in mehreren Gefechten. Der Catapan forderte aus Con⸗ 
ftantinopel neue Truppen, aber in der byzantiniſchen Hauptſtadt herrſchte 
Rathloſigkeit und Argyrus befam feine Hülfe.*) Unter diefen traurigen Um⸗ 
fländen bot Pabft Leo IX. Allem auf, um aus Deutichland ein Heer zu 
erhalten, das ihm Recht gegen die Normannen verfchaffen follte. Allein 
der Kalfer betrog den Pabſt auf eine gräulihe Weife ), und die Streit: 
fräfte, welche die Verwandten Leo's IX. aus eigenen Mitteln zufammen- 
brachten, waren der normannifhen Macht nicht gewacfen. Den 20. Juni 
1053 fam es bei Eivitella zu einer Schlacht, in welder 700 Schwaben, 
die für Leo IX. und die Freiheit der Kirche das Schwert gezogen hatten, 
bi8 auf den letzten Mann fielen. % Bom Schlachtfeld weg ſtürzten bie 
Sieger auf Eivitella los, wo der Pabft ſich befand. Leo IX. fiel in ihre 
Hände. Sie geleiteten ihn auf fein Verlangen nad) Benevent, ohne jedod) 
diefe Stadt felbft zu betreten, die ihnen verfchloffen blieb. 

Faft 9 Monate verweilte Leo IX. in Benevent, ſtets von den Nor: 
mannen beobachtet. Diefer fange Aufenthalt berechtigt zu der Vermuthung, 
daß irgend welche Verhandlungen zwifchen Beiden gepflogen worden ſeien. 
In der That berichtet Galfred Malaterra, felbft ein gebomer Normanne, 
der gegen Ende des 11. Jahrhunderts fchrieb und folglich jüngerer Zeit: 
genoffe der Begebenheiten war, welche er fchildert, — diefer Galfredus, 
fage ich, berichtet, I Pabft Leo IX. habe ven früher über die Rormannen 


ı) Gfroͤrer, K. ©. IV, 558. 2) Lupus ad a. 1051. Perg V, 59 und Galfre- 

dus Malaterra I, 13 bei Muratori V, 553. 3) Seb. Paoli cod. diplom. di Malta I, 

389 flg. 4) Lebeau, histoire du bas empire, revue par Saint-Martin XIV, 379. 

) Sfrörer, Kirch. Gefch. II, 574. °) Ibid. ©. 580. ) 1, 14. 15. Muratori V, 559. 
99 ® 


612 Babft Gregorius VII. und fein Seitalter. 


verhängten Bann zurückgenommen, und überbieß diefelben nicht bloß mit den 
einft dem h. Stuhl gehörigen Ländereien, in deren Befig fie bereitd waren, 
fondern auch mit Calabrien und Sicilien, welche fie erft theild den Byzan⸗ 
tinern, theild den Sarazenen abnehmen mußten, im Namen der römiihen 
Kirche belehnt. 

Bon felbft verfteht es fich, daß, die Wahrheit diefer Angabe voraus: 
gefeßt, auch die Normannen ihrer Seits für ſolche Zugeftändniffe Vaſallen- 
treue verheißen und vielleicht noch andere Berpflihtungen übernommen 
haben. Demnad wäre fchon von Leo IX. der Plan, betreffend die Ror: 
mannen, entworfen worden, den Nifolaus II. im Sommer 1059 wieder 
aufnahm und in's Werk ſetzte. Meines Erachtens ift fein Grund vor: 
handen, das Zeugniß Galfred's in Zweifel zu ziehen, und zwar um fo 
weniger, weil mit einer weiteren Angabe Ebendeſſelben aud Leo von Oſtia 
übereinftimmt, ) der Pabſt fei, al8 er endlich Benevent verließ und nad 
Rom zurüdfehrte, von Humfried bis Capua geleitet worden. Dieſes &e 
leit fegt freundliche PVerhältniffe oder den Abſchluß eined Vertrags voraus. 

Pabſt Leo IX. ftarb ?) den 10. April 1054. Drei Jahre jpäter — 
1057 — verſchied) auch der Normanne Humfried, einen Sohn Abagi- 
lardus hinterlaſſend. Abermals folgte nicht diefer in der Hauptmannjdaft, 
ſondern Humfried's nächfter Bruder, Robert Wizkard.) Doch kam es je: 
fort zum Streit zwiſchen Oheim und Neffen. Erbittert über die Verdraͤn⸗ 
gung aus dem Erbe feines Waters zettelte Abagälardus mit mehreren 
Rormannengrafen eine Verſchwörung gegen Robert an, allein dieſer ſchlug 
fie mit Gewalt nieder, züchtigte die einen wie die andern und nöthigte fie 
zur Flucht. 9) Robert war der fähigfte unter den Söhnen Tankred's und 
hat für Ausdehnung und innerliche Befeftigung der normannifchen Madt 
mehr gewirkt, al8 feine Brüder zufammen. 

Ich laſſe) den Ehroniften von Montecaffino reden: „zur Zeit da Drogo 
Teldhauptmann der Normannen war, belehnte er feinen jüngeren Bruder 
Robert mit dem Schloffe S. Marco, das jener auf der Gränze Ealabriend 
erbaut hatte, und übertrug ihm die Eroberung Calabriend. Da jedoch Re 
bert damald gar wenig bejaß und ohne eine große Summe Geldes die 
nöthige Anzahl von Soldaten nicht anzuwerben vermochte, nahm er va 
Herrn der benachbarten Stadt Bifiniano, genannt Peter Tyrä, unter dem 
Vorwande einer Zufammenfunft gefangen und erpreßte von ihm ein Life 
geld von 20,000 Byzantinern. Damald geihah es, daß der Norman 
Gerhard zuerft im Scherz den Beinamen Wizfard (Schlaufopf) von Robert 


*) Chronic. casin. II, 84. ®erk VII, 686. 2) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 584. 
?) Pertz IX, 261 fammt Note 11. ©) Lupus ad a. 1056. Perg V, 59. *) Bey 
IX, 269. *) Chronic. coasin. III, 15. Pert; VIL 707. 


* 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nikol. IL. b. z. Bruche mit Agnes. 613 


brauchte; derſelbe Gerhard gab ihm auch eine ſeiner Verwandten, Namens 
Alberada, zum Weibe und trat in Robert's Dienſte. Zuſammen eroberten 
fie die meiſten Städte Calabriens. Als bald darauf Humfried ftarb, über⸗ 
nahm Robert die Hauptmannſchaft und brachte jofort die Hafenftadt Neggio 
in feine Gewalt: ſeitdem legte er fi den Titel Herzog bei. Nach der Ers 
oberung Reggio's kehrte er in die Provinz Apulien zurüd und nahm die 
Stadt Troja; allmählig unterwarf er nicht bloß das übrige Land, fondern 
auch die andern Normannenhäuptlinge, mit einziger Ausnahme des Grafen 
Richard von Averfa und Capua, feiner Herrſchaft.“ Richard, ein Sohn 
des normanniihen Häuptlingd Asclettinus, hatte die Grafihaft Averja 
nah dem Tode Rainulf's erlangt, dann fpäter Capua dazu erobert.‘ 
Permählt war er mit einer Schwefter der Söhne Tankred's, woraus erfichts 
lich, daß nicht bloß die Brüder, fondern auch die Schweftern ihre galliiche . 
Heimath verließen und in Sübitalien Glück fuchten. 

Sn die legten Jahre Humfried's fällt das Pontififat Stephan’d X, 
und der wieder aufgenommene Verſuch, mit Hülfe der Byzantiner und des 
Brabanter Godfried die Normannen aus Stalien zu vertreiben. Da 
Stephan X. noch als Cardinal Frievrih im Namen Leo's IX. eine Ge- 
ſandtſchaft nach Conftantinopel übernommen hatte, da er ferner von dort eine 
große Summe Geldes zurückbrachte, iſt Har, daß die eingegangenen Ber: 
bindlichfeiten ihm nicht erlaubten, eine andere Politik einzuhalten. Aber 
mit feinem Tode ließ die Gregorianiſche Parthei dieſen Plan fallen und 
entſchied fich für die entgegengejegte Richtung. In der That, nachdem das 
deutiche Kaiferhaus jede Mithilfe zur Wiederherftellung des Grundbeſitzes 
der roͤmiſchen Kirche verfagt hatte, blieb den Päbſten nichts mehr übrig, 
als fih mit den Normannen gegen die deutſchen Salier zu verbinden. 
Gleich nad Erhebung Nikolaus II., vielleicht noch vorher, fcheinen die von 
Leo IX. im Herbfte 1053 angefnüpften Unterhandlungen mit den Häupt⸗ 
lingen der Normannen, und zwar durd) Vermittlung der Mönche von 
Montecaffino, wieder aufgenommen worden zu fein, denn es geichah ?) 
fiherlih nit ohne Grund, daß Robert Wizfard dem Abte Defivertus und 
feinen Genoſſen jo bereitwillig die nöthigen Mittel zur Rückkehr nad 
Montecaffino verlieh. 

Ein gewagter Schritt war ed, fi mit den Normannen einzulaffen, 
aber die eiferne Noth drängte. Der Augenzeuge Galfred Malaterra ents 
wirft ) vom Charafter dieſer Abentheurer folgendes Bild: „die Normannen 
find verfchlagener als irgend ein anderes Volk der Erde; rachſüchtig, vol 
Gier in fremdem Lande Geld und Gut zu gewinnen, verachten fie den 





1) Chronic. casin. O, 66 u. III, 15. :) Oben ©. 5886. ) L 3: Muratori 
V, 550. 


614 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


heimathlichen Beſitz, herrfchfüchtig, räuberijh nehmen fie jede Maske vor; 
man fann fie eben fo gut Verſchwender als geizig nennen. Aus Begierde 
nad Lob jchenen ihre Fürſten fih nit, Großmuth und Freigebigfeit zu 
üben. Jeder Normanne ift ein geborner Schmeidhler, und ſelbſt Knaben 
verftehen fih auf die Künfte der Rede; hält man fie nicht mit dem Joche 
der Gerechtigkeit nieder, fo durchbrechen fie alle Schranfen. Anftrengungen, 
Hunger, Durft, jede Witterung ertragen fie mit Leichtigfeit, wenn mur 
das Glück winft. Ihre Luft ift die Jagd und die Falkenbaize; dem Prunke 
der Waffen, ver Pferde und der Kleider find fie leidenſchaftlich ergeben.“ 
Zur Zeit da Robert Wizfard mit Babft Nikolaus II. abſchloß, gab 
es neben ihm in Süpitalien nur noch einige wenige unabhängige Bürften, 
aber von zweifelhafter, bereits erfchütterter, oder wenigftend ihm nicht ge: 
wadhjener Macht: auf Sicilien die Saracenen, in den Seeftädten der Süd—⸗ 
Ipige zu Tarauto, Dtranto, Squillace, Brindift und in andern Fleineren Plaͤtzen 
jo wie zu Bart die Griechen, die aber bald, gleich jenen, die Herricaft 
vollends verlieren follten; weiter oben zu Salerno den jüngern Gilulf 
aus dem longobardiſchen Haufe der Waimare; aber fchon rüftete fih Ro: 
bert, nad diefer Seite fein Net auszuwerfen. Nach den oben angeführten 
Worten fährt‘) Ehronift Leo fort: „erwägend, daß Gerhards, feines Schwa- 
gerd, Bafe Alberada ihm alzunahe verwandt fei und daß folglich feine Ehe 
mit ihr dem Kirchengefege wiverftreite, entlicß er fie und vermäblte ſich mit 
Sigelgaita, der Schwefter des Fürften von Salerno.” Außer dem Salers 
nitaner hatte ein anderer Langobarde, Landulf VI., Benevent, jedoch unter 
Dberhoheit des Stuhles Petri, inne. In Capua und Averſa herrichte jener 
Normanne Richard, der fih bis jest allein dem Joche des Tanfrebiven zu 
entziehen gewußt hatte. Die Herzogthümer Neapel und Sorrent bejaßen’) 
endlich zwei Fürften Sergius, aus einem gleichnamigen Haufe, von dem man 
nicht weiß, ob es Tombarbifcher oder altitalifcher Abkunft war. 
Unverfennbar ift, daß fchon vor der oben erwähnten Reife des Pabſts 
Nikolaus IL. nah Apulien Verabredungen getroffen worden find. Wilhelm 
der Apulier fagt,’) Robert Wizkard habe eben die Stadt Cariati in Cala 
brien belagert, al& der Pabit nah Melfi gelangte. Auf die Nachricht feir 
ner Ankunft fei er fogleich herbeigeeilt, den größten Theil ſeines Kriege 
volks vor Cariati zurücklaſſend. Nikolaus ertheilte ihm den Titel Herzog 
und belehnte ihn mit den Landichaften Apulien, Ealabrien, Sicilien, welde 
legtere Infel jedoch die Normannen erft erobern mußten. Seinerfeits ſchwot 
Robert zwei Vaſalleneide, welche Baronius mittheilt.‘) Der erfte laute 
10: „Ich, Robert, durch die Gnade Gottes und des heiligen Petrus, Her 


') Pers VII, 707. ?) Ibid. ©. 720. 3) Berk IX, 261. %) Ad a. 1059. 
Nr. 70 und 71. 


Erftes Buch. Gap. 20. Gegenpabft Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 615 


309 von Apnlien und Calabrien, und mit Beider Hülfe fünftiger Herr von 
Sieilien, gelobe als Zeichen der Vafallentreue, von allem Lande, das ich 
gegenwärtig inne habe, oder an andere meiner Stammgenofjen zu Lehen 
verlieh, auf jedes Jod Ochſen 12 Denare Paweſer Münze in zwei Friften, 
im Dezember und am Ofterfonntage an Di, meinen Herren, Pabft Niko⸗ 
laus, jowie an Deine Nachfolger unverweigerlih zu entrichten. Zu gleichem 
Zinſe verpflichte ich meine Erben gegen Di, meinen Herrn, Pabft Niko⸗ 
laus und gegen Deine Nachfolger, fo wahr mir Gott helfen möge und jein 
heiliges Evangelium.” 

Aus den früher angeführten Gründen betrachtete Pabft Nikolaus — 
und nicht ohne guten Zug — Petri Stuhl ald rechtmäßigen Grundherrn 
jener Gebiete und forderte daher von den Normannen für das übertragene 
Lehen einen angemeflenen Tribut. Auch wäre es ein grober Irrthum, 
wenn man wähnte, die Normannen hätten nur Laften auf fich geladen, und 
Nichts dafür erhalten. Die päbftlihe Belehnung brachte ihnen unberedhens 
baren Nuten, vor Allem weil fie durch diefelbe eine legitime Madt 
geworben find. | 

Der zweite Eid betraf die Pflichten, welche ver Normanne als Schuß 
vogt der römifchen Kirche übernahm: „ic Robert, durd die Gnade Gottes 
und des h. Petrus, Herzog von Apulien und Calabrien und mit Hülfe 
Beider fünftiger Herr von Eicilien, gelobe von dieſer Stunde an in alle 
Zufunft der römiſchen Kirche, und Dir meinem Herm, dem Pabite Niko⸗ 
aus, bold und treu zu fein; ich werde mit Rath und That Gefährlichkeit 
von Dir abwehren, ich werde geheime Maßregeln, die Du mir in Vertrauen 
mittheilfl, Niemand zu Deinem Schaden offenbaren; ich werde der römildhen 
Kirche ſtets beiftchen, ihre Rechte und Renten wieder zu erwerben und zu 
behaupten; ich werbe ihr Eigenthum gegen alle Menfchen vertheidigen, ich 
werde Dir helfen, daß Du ehrenvoll und ungefährdet das Pabſtthum, das 
Fürftentbum‘) und das Gebiet des h. Petrus befigeft; ich werde mit 
Ausnahme der Güter, die du mir bereits verliehen haft, oder die mir 
etwa fpäter Deine Nachfolger verleihen, kein Land ohne Deine oder Deiner 





t) Adjuvabo te, ut secure et honorifice teneas papatum romanum terramque Sancti 
Petri et principatum. Niemand wird, benfe ich, zweifeln, daß jedes dieſer Worte mit 
Bedacht gewählt if. Wohlan, warum unterfcheidet der Tert drei Dinge: das päbftliche 
Amt, papatum, das Gebiet des Apoftelfürften — fonft patrimonium S. Petri genannt — 
und endlich drittens das Fürſtenthum? offenbar deßhalb, weil Nikolaus nicht nur Pabfl 
und rechtlicher Befiger der Güter des Apoſtels war, fondern drittens auch als Fürſt, ale 
König geachtet fein wollte. Letztere Beftimmung ift aber wenigſtens ber Form nach nen, 
fie beweist daher, daß Nicolaus fih eine Würde beigelegt haben muß, die feine nächften 
Vorgänger nicht beanfpruchten. Ich fage weiter: das Wort principatus in obiger Urs 
kunde beftätigt die Ausſage Benzo's, daß Pabſt Nicolaus II. fi nach der Weihe hatte 
trönen laflen! 


- 616 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


rechtmäßigen Nachfolger Erlaubniß beſetzen; ich werde den Zins von dem 
Gebiete, das ich inne habe oder etwa noch erwerbe, meinem Schmwure ge- 
mäß an die römijche Kirche entrichten. Alle Kirhen, die in meinem Ge 
biete liegen, fammt ihren Gütern, werde ich in Deine Gewalt überantworten 
und fie in der Abhängigkeit von Dir zu erhalten fireben. Wenn Du ober 
Deine nächſten Nachfolger vor mir aus dieſem Leben abjcheiden, jo gelobe 
ih der an mid von Seiten der wohlgefinnten) Carbinäle, Cleriker 
und Laien ergangenen Aufforderung gemäß behülfli zu fein, damit ein 
Pabſt gewählt werde, der dem 5. Petrus Ehre macht. AU’ dieß werde ih 
Dir und Deinen rechtmäßigen Nacfolgern, daferne fie mich im nämlicen 
Lehen beftätigen, unverbrüchlid halten, ſo wahr mir Gott helfe und ſein 
h. Evangelium.“ 

Durch dieſe Lehenvereidung trat der Normanne Robert Wizkard als 
Schutzvogt der römiſchen Kirche in die ſeit einem Jahrhundert von den 
deutſchen Kaiſern eingenommene Stelle ein; noch mehr, aus mehreren Sägen 
des zweiten Schwured geht hervor, daß Robert ſich verbindlich gemadt 
hatte, die Pflichten, welde er übernahm, vorzugsweile gegenüber dem je 
liſchen Haufe zu erfüllen. Außer Robert war noch ein anderer Normanne, 
Richard, der Nebenbuhler des Tanfrediven, nah Melfi berufen worden 
Ehronift Leo fagt:) „zu gleiher Zeit (da Robert in der oben beicrie 
benen Weife belehnt ward) beftätigte der ‘Babit den Normannen Richard 
im Befig des Fürſtenthums Capua, und empfing aus feinen Händen ben 
Eid der Treue und das Angelöbniß, jährlih für fein ganzes Gebiet auf 
jedes Joh Ochſen 12 Denare an die römische Kirche zu entrichten.” Man 
fiebt: der Pabft benügte ſtaatsklug die Eiferfucht beider, um den Einen durch 
den Anden in der Treue zu erhalten. Wenn Robert fein Wort brad, 
fonnte man den Capuaner gegen ihn in Bewegung jegen. 

Richard mußte fogleih einen oder vielmehr zwei Dienfte Ieiften. Er 
was weiter oben berichtet °) derjelbe Leo: „nach dem Schluffe der Synode 
von Meifi trat Fürſt Richard auf Ermahnung, oder beffer auf Befehl des 
Pabſtes, das Klofter zur h. Maria, gelegen zwiſchen dem Berg Gargamı) 
und dem adriatifchen Meere unweit der Stadt Viefti, mit allen dazu gehör; 
gen Burgen, Dörfern, Zellen, Höfen an das Mutterftift Montecaffino ab. 
Auch Gifulf, der Fürft von Salerno, gab das Klofter zum heiligen Be 
nedift in Salerno, das er früher und entzogen hatte, aus Furcht vor Gott 
zurüd.” Da Leo fagt, die Ermahnung des Pabſtes an Richard fei jo 
gut ald ein Befehl geweſen, ift man berechtigt den Schluß zu ziehen, daß 


*ı) Wörtlich: Secundum quod monitus fuero a melioribus cardinalibus, clerich 
romanis et laicis, adjuvabo etc. ?) Chronic. casin. II, 15. Perg VII, 706. 2) Di 
S. 705 unten. 


si. 


Erſtes Bud. Gap. 20. Gegenpabſt Beneb. X. Pabft Rifol. II. b. z. Bruche mit Agnes. 617 


Richard früher das fragliche Klofter den Mönchen entriffen hatte. Denn 
wäre daſſelbe gejegmäßiges Eigenthum des Capuaners gewejen, jo hätte 
fih fiherlih Nikolaus II. nicht herausgenommen, Richard zum Schenfen 
zu nöthigen. Wohl aber war der Pabft, als jegiger Lehenherr des Nor⸗ 
mannen, befugt und fogar verpflichtet, feinen Dienftmann zur Rüderftattung 
geraubier Güter anzuhalten. Der Gefchichtichreiber von Montecaffino fchont 
den mächtigen Fürften von Capua und braucht daher jene feine Wendung ; 
offener geht er bezüglich des Salernitanerd mit der Sprache heraus, indem 
er nicht verhehlt, daß Giſulf das Klofter zum h. Benedikt mit Unrecht be- 
faß. Doch fann er au hier den Diplomaten nicht ganz verläugnen, denn 
die Furcht, unter deren Einfluß Giſulf handelte, war ſicherlich nicht fowohl 
Furcht vor Gott, als vielmehr vor den beiden Normannenfürften, Richard 
und Robert, die dem Salernitaner auf dem Raden faßen, und fobald fie 
zufammen gingen, was im vorliegenden Falle wirkli der Fall war, ihm ein 
böfes Wetter zu bereiten vermochten, weßhalb denn Gifulf fih fügen 
mußte. 

Die Bereinbarung des Stuhld Petri mit den Rormannen fam, wie 
man fieht, zunächft dem Mutterftifte des Benediktinerordens zu Gut. Noch 
andere Wohlthaten erwies der Pabſt um biefelbe Zeit der Gemeinde von 
Montecaffino. Mit einem Schlage beförverte er drei Mönche des Stiftes, 
den einen, Oderiſius, aus dem Haufe der Grafen des Marfenlandes, zum 
Cardinaldiafon, einen zweiten, Martin aus Florenz, zum Bilchof von 
Aquino, einen dritten, ‘Petrus aus Ravenna, zum Biſchof von Benafro. *) 
Wozu diefe gehäuften Gnadenbezeugungen? Ich denke dazu, damit die Brü- 
der das mit den Normannen abgejchloffene Bündniß als etwas Erfreuliches 
betrachten und das Shrige thun, um es aufrecht zu erhalten. Montecaffino 
war naͤmlich vermöge jeiner geographiichen Lage Ausgangspunkt und Schluß: 
fein aller mit den fühnen aber gefährlichen Fremdlingen von römiſcher Seite 
betriebenen Verhandlungen. 

Wer wirb zweifeln, daß der Pabſt, während er ſogleich den Gehor: 
fam des Capuaners in Anſpruch nahm, nicht auch von Mobert Ähnliche 
Dienfte und zwar größere, im Verhältniß der ihm zugeftandenen Rechte, 
gefordert habe? Sonderbarer Weile jchweigen hierüber die meiften Geſchicht⸗ 
Ichreiber des 11. Jahrhunderts. Galfred Malaterra meldet überhaupt nichte 
über den Bund, den der Pabft mit Robert ſchloß; Wilhelm der Apulier 
und Leo von Montecaffino erwähnen zwar die Verhandlungen von Melfi, aber 
fie übergehen die Heerfahrt Roberts nach der Romagna. Die Wahrheit 
findet fi) bei Bonizo und in einer alten Lebensbeſchreibung des Pahfts Ni⸗ 
folaus I. Halten wir und an die Zeitfolge. 


ı) Daf. ©. 706. 


618 Vabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 





eine Ennode verlammelte.‘) Allem Anſcheine nab hat er die Etadt we 
niger wegen Abhaltung der Synode beſucht, ald um eines andern Zweds [fi 
willen. Bonizo ſchreibt: ) „als Rifolaus II. die Normannen mit Apulien, 
Galabrien und den andern chemaligen Gütern der römifchen Kirche belchnte, 
bevang er ausdrücklich, daß Petri Stuhle die Stadt Benevent eingeräumt |! 
werde.“ Es iſt faum denkbar, daß dieſe Bedingung unerfüllt blieb. Mes f' 
ned Erachtens hat der Pabſt obige Reife nad Benevent hauptjächlich def 
- halb angetreten, um tie Etadt zu übernehmen und fih huldigen zu laſſen 
Das Haus der Landulfe, das feit langer Zeit dort regierte, behielt zwar 
die Herrihaft, weßhalb auch die Bencventer Chronif fortführt, die Zei 
nach den Jahren Dieter Fürſten zu beftimmen,’) aber ficherlich mußten fe 
die Oberhobeit des römiſchen Stuhles anerfennen und Zins entrichten. An 
der That geſchah es ſeitdem häufiger als jonft, daß Päbſte Beſuche 
Benevent abftatteten. 

Run erſt kehrte Nikolaus II. — vielleicht Anfangs September — nad 
Rom zurück. Aber er kam nicht allein, ſondern begleitet von einer Schaa 
normannitcher Dienftleute, welche der neue Schugvogt des Stuhles Bet 
geftellt hatte. Ich laſſe den alten Lebensbeſchreiber reden,) mit welchen 
Bonizo?) übereinftimmt: „den rüdfehrenden Pabfte folgte auf dem Fur 
ein Heer Normannen. Nachdem dafjelbe Campanien durchzogen, griff ed 
die Güter der Capitane von Präneſte, Tusculum und Romentum an und 
fügte ihnen fhweren Schaden zu. Drauf jehten die Rormannen zu Ro 
und Fuß nebit vielen Bogenichügen über die Tiber, rüdten auf Galeria un 
bis Sutri vor und zerftörten alle Burgen des Grafen Gerhard (des Ober 
ften der römischen Capitane). Damals ift der harte Naden dieſer Menſchen 
gebeugt worden; fie mußten die geraubten Güter herausgeben und fich dem 
Pabfte unterwerfen. Für längere Zeit hatte ihre Tyrannei ein Ende.“ 

Eo gelangte die römiſche Kirche wieder zu einem Theile, freilich einem 
fleinen Theile, ihres chemaligen Befiged. Auch in Urfunden finden jid 
Spuren davon, Die zugleich beweilen, daß obige Ländereien unter den Hän—⸗ 
den der Barone in traurigen Zerfall gerathen waren. Durch Gnade 
brief?) vom 18. April 1061 verlich Pabft Nikolaus II. an mehrere Ge 
nannte, worunter ein SPriefter, ein Richter, die übrigen freie Laien, 
den erblichen Befiß der Burg Alt-Rocca (wahrſcheinlich Rocca di Papa 
auf dem Latiner-Berg) unter der Bedingung, daß fie die zerftörten Häuſer 
wieder aufridhten, mit Infaßen befegen und von jedem — je nad der 
Größe des zugetheilten Gutes — jährlid 12, 8, 6, 2 Denare auf den Ofter 


— — — — 


') Mansi XIX, 921. 2) Defele IL, 806 d. °) Berg II, 180 fly. ) Bei 
Baronius ad a. 1059 Nr. 74. 6) Jaffe, regest. pontif. 8366. 


— — 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabft Nikol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 619 


ag an die päbftliche Kammer bezahlen, die gewöhnlichen Naturallieferungen 
"entrichten und den gerichtlihen Vorladungen des Pabſtes und feiner Boten 
r pünktlich Yolge leiften. 
Die eben beichriebenen Schläge, welde die Normannen im Dienfte 
Des Pabſtes gegen Roms Capitane führten, hatten fo ziemlih den Sinn 
: einer Kriegserflärung wider das beutfche Kaiſerhaus. Denn diefe Menichen 
waren ja jeit Jahren die Schüglinge der Salier gewefen und während der 
neun Monate, von dem Einzuge des Herzogs Gottfried in Rom bis zum 
Sept. 1059, offenbar nur durd die Macht der Reichsverweſerin vor wohl 
verdienter Züchtigung gefhüht worden. Nikolaus that ungefähr um die 
nämliche Zeit einen andern Schritt, der meines Erachtenö bei der Hof: 
parthei in Deutjchland drüben großen Anftoß erregt hat. Der Pabſt erhob 
nämlich den bisherigen Subdiafon Hiftibrand zum Ardidiafon der römischen 
Kirche, eine wejentliche, obwohl nur Außerliche, Beförderung des in Deutich- 
land fo gefürchteten Mannes. Urkundliche Belege ') find vorhanden, daß 
die Ernennung erft nach dem Auguſt 1059 erfolgt ift. Auch andere Gründe 
zeugen dafür. Ehe durch den Vertrag mit den Normannen der Bruch 
zwilchen Rom und dem Kaiſerhauſe unvermeidlich geworden war, hatte fi) 
der Pabit, wie idy oben zeigte, vor extremen Maßregeln gehütet, weil 
immer noch Ausjöhnung möglich ſchien. Die Beförderung Hiltibrands aber 
erfcheint al8 ein Schritt, der faum mehr Umfehr zuließ. 

Obgleich Nikolaus IL. die Schiffe Hinter fi) verbrannt hatte, fiel doch 

- mehr als 18 Monate lang fein weiterer Streih. Während viele der vor: 
handenen Akten des Pabftes Nikolaus IL. den Beweis liefern, daß er 
gegenüber den Kronen von England und Frankreich muthig voranſchritt, iſt 
nicht eine einzige darunter, vie ſich auf Deutichland bezöge. Auch Faller: 
licher Seits wird fein offener Angriff erwähnt. Wohl aber ftößt man hier 
und dort auf Spuren geheimer Vorbereitungen eines nahen unausweidhlichen 
Kampfes. 

Während jeiner zweiten Reife nad Deutichland hatte Pabft Leo IX. 
verſchiedene lothringifche Elerifer bewogen, in den Dienft der römifchen Kirche 
einzutreten, und fie nachher zu hohen Würden befördert.) Unter biefen 
war Hugo aus NRemiremont, mit dem Beinamen Candidus, feitdem von 
Leo IX. zum Cardinal erhoben. Bonizo jagt, ‘) Die Beförderung des 
Mannes meldend: „damals erhob Pabft Leo auch den Hugo aus Remire: 
mont, der nachher ein Abtrünniger wurde.” Diefer Abfall erfolgte laut 
der Ausſage defielben Zeugen während der Regierung des Pabſtes Nifo- 
laus I., etwa in feinem letzten Jahre. Bonizo fährt) fort: „zur Zeit 


1) Pagi breviar. pontif. rom. II, 377. 2) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 551 unten 
fig. 3) Defele II, 803 b. %) Ibid. 807 a. 


620 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


des genannten Pabftes ging der römiihe Cardinal Hugo Candidus rüd: 
wärtd, und fiel ab von der Gemeinfchaft römifcher Kirche. Es ift beſſer 
über die Bosheit des Menfchen zu fchweigen, als obenhin von ihr zu reden; 
ich befchränfe mich auf einen einzigen Sag: die Augen Hugo's boten ein 
Abbild feiner Seele. Gleich wie feine Augen nad innen gefehrt waren, 
fo waren feine Handlungen frumm." Wer hat nicht ſchon die Richtigkeit 
der Bemerfung des Biſchofs von Sutri in feinem Leben erprobt? Ich we: 
nigftend hüte mich vor Leuten mit dem Mongolenblid, deren Augen gegen 
die Naſenwurzel zufammenlaufen. Eiferfuht auf den wachſenden Einfluß 
Hiltibrands mag den Lothringer gefoltert haben, aber fiherlih waren es 
der Faiferlihe Hof und feine Schildknappen, die diefe böfe Leidenjchaft zur 
Flamme anbliefen! 

Eine Urkunde, die der Pabſt genau um die ‚Zeit, da der Weißlopf 
abgefalfen fein muß, ausfertigen ließ, enthält merkwürdige Winfe darüber, 
daß er fih von geheimen Berräthern umlauert glaubte, und zwar von 
ſolchen Verräthern, die gleichſam an feinem Tifche faßen. Ich komme auf 
den zweiten Eid zurüd, den Robert Wizkard leiſtete. Der Normanne 
ſchwur: die Hand zu bieten, damit gemäß den Weifungen, welche ihm die 
befleren Gardinäle ertheilen würden, ein des Apoftelfürften würbiger Nach; 
folger eingejegt werde. Nikolaus unterichied demnach zwiſchen guten und 
Ihlimmen @ardinälen, und wußte folglid, daß es in diefem Kreife Vers 
räther gebe. Die Brage drängt fih auf: warum hat der Pabſt bie 
räudigen Schaafe, die er fannte, nicht zur Verantwortung gezogen, ober 
wenigftend von ihrer Stelle entfernt? Die Antwort ifl: weder Nifolaus 
noch fein Nachfolger Alerander II., noch felbft Gregor VII. konnten dieß 
vollbringen. Allein die Gründe nachzuweiſen, warum fie foldhes nicht zu 
thun vermochten, ift eine ſchwierige Aufgabe, deren Löfung von gründlicher 
Einfiht in das Wefen der damaligen römischen Stadtverwaltung abhängt. 
Ich werde das. Rüthjel an einem andern Orte enthüllen. 

Die Berführung des Weißfopfs war dem falifchen Hofe geglüdt, aber 
eine andere Maßregel, welche die Reichöverweferin damals gegen Niko⸗ 
laus II. ind Werk fegen wollte, gelang nit. Lambert von Hersfeld 
jchreibt ‘) zum Jahre 1060: „der König feierte Weihnachten 1059 zu 
Worms; nad diefer nämlihen Stadt hatte er eine Synode ausgefchrieben, 
diefelbe Fam jedoch nicht zu Stande; denn die geladenen Biſchöfe entſchuldig⸗ 
ten fi) mit der Seuche, die damald in einem großen Theile des Reiches 
wüthete.” Das war ein Scheingrund. Seuchen fünnen die Abhaltung einer 
Eynode nicht ernftlih hindern. Dffenbar wollte die Reichöverweferin zu 
Wormd irgend einen Schlag gegen den Pabſt führen, aber die große 








) Berg V, 161. 


Erſt es Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 621 


Mehrzahl ver Bifchöfe fühlte Feine Luft, auf die Abfichten der hohen Frau _ 
einzugehen. 

Auch die Gregorianer arbeiteten in der Stille, ihren Anhang zu ftär- 
fen. Erzbiſchof Gervaſius von Rheims hatte dem Pabſte feine Abſicht 
fund gethan, eine Reife nad Rom zu machen, aber auch zugleich die Ber 
fürdtung ausgeſprochen, daß ihn der Brabanter Gotfried daran hindern 
pürfte. Hierauf antwortete‘) Nikolaus: „jei wegen Gotfrievs unbeforgt, er 
wird dir nicht nur Feine Schwierigfeiten in Weg legen, fondern im Gegen- 
theil deiner Reife jeden Vorſchub thun.“ In einem zweiten Briefe’) er- 
mahnt Rifolaus denfelben Erzbifhof, mit Herzog Godfried „unferem theuer- 
ften Sohne” Frieden zu halten. Dan fieht: Pabſt Nikolaus II. und feine 
©etreuen betrachteten um jene Zeit den Canoſſaner Herzog als den Shrigen, 
obgleih Godfried noch immer Faiferliher Statthalter über Italien hieß. 

Während das Spiel fonft überall heimlich getrieben wurbe, machte 
Lombardien eine Ausnahme: hier rüdten die Partheien mit offenem Bifir 
wider einander los. Nachdem jene Bilchöfe, welche Bonizo Lombardiens 
hartnädige Stiere nennt, auf der Lateran-Synode vom April 1059 eine 
böfe Niederlage erlitten hatten, unterließen fie es, in die Heimath zurüdge- 
fommen, die gefaßten Beichlüffe zu verfündigen. Bonizo berichtet: „fie 
nahmen Geld von den beweibten Prieftern und fehwiegen. Nur ein einzi- 
ger, der Biſchof von Brescia hielt Wort, jedoch mit ſchlimmem Erfolg. 
Als er in der Kirche die Beichlüffe öffentlich vorlefen ließ, fielen die Eles 
rifer mit Prügeln über ihn ber und jchlugen ihn halb todt. Diefer Greuel,“ 
fährt Bonizo fort, „gab der Pataria großen Aufihwung. Nicht nur in 
Bredca, jondern au in Eremona, Piacenza und durch ganz Lombardien, 
fagten Biele den beweibten Prieftern die Kirchengemeinichaft auf.” Mehr 
und mehr verwuchs die demofratifhe und die firhlihe Parthei. 

Ich gebe einen Leberblid derjenigen Handlungen des Pabſtes, welche 
fih auf andere Länder, ald das deutfche Reich, beziehen. In Reuftrien re: 
gierte von 1031 bis 1060 König Heinrih J., Dderjelbe, unter welchem 
Pabſt Leo IX. die folgenreihe Kirdhenverfammlung zu Rheims gehalten 
bat.) Unauslöfhlih muß das Andenken an diefes Ereigniß in die Seele 
des Königs eingegraben gewefen fein: Heinrich fonnte nicht vergeffen, daß 
Leo IX. damals wie ein Gebieter in Neuftrien waltete, während er jelbft, 
der König, neben dem Babft wie eine Nulle verſchwand. Mit Schreden 
erfüllte ihn daher die Nachricht, daß Nikolaus II. gleihfalld mit dem Plane 
einer Reife nach Frankreich umgehe. Der Pabſt ſcheint ernftlich hieran gedacht 
zu haben. In einem feiner Briefe an Gervaflus von Rheimso bemerkt?) er, 


*) Bouquet XI, 492. 2) Ibid. 494. 8) Defele II, 807 a. 2) GEfroͤrer, 8. 
G. IV, 513 fig.  °) Bouquet XI, 494, 


622 Pabſt Gregorius VOL, und fein Seitalter. 


daß er noch nichts beftimmtes über die Zeit feiner galliihen Reife fagen 
fünne. Allerdings fehlte ed nicht an gegründeten Anläffen zu verfelben. 
Der franzöfifhe König und mande feiner Prälaten trieben es, wie andere 
Könige und Biſchöfe mehr: fie verkauften geiſtliche Aemter um Geld, dul⸗ 
deten verheirathete Prieſter, verlegten die Vorſchriften des Kirchenrechts. 
Diefe Zuftände waren für Heinrih I. ein Grund weiter, vie päbftlice 
Reife zu Hintertreiben. Er muß allerlei Mittel zu folhem Zwed in Be 
wegung gejegt haben, unter Anderem geftattete er nicht, daß irgend ein 
franzöfifcher Elerifer Rom befuchen durfte, während nach feinem Tode viele 
nah der Hauptftabt der Chriftenheit wallten.‘) Selbft Gervaftus von 
Rheims fand für gut, in einem Schreiben, ?) in welchem er ven eben er- 
folgten. Tod des Königs Heinrih I. nad) Rom meldete, das umlaufende 
Gerücht Lügen zu ftrafen, ald ob auch er durch geheime Ränfe die bejchlofs 
jene Reife des Pabſts zu hintertreiben gefucht habe. 

Auf folhe Weiſe gehindert, perfönlih in Gallien einzugreifen, wählte 
Nikolaus II. andere Wege zu Wieverherftellung kirchlicher und politifcher 
Zucht in jenem Lande. Klagen waren eingelaufen, daß Gervafius, im ge 
heimen Einverftändnifje mit dem neuftriichen Könige, dem Anfehen des apo- 
ftoliihen Stuhles entgegenarbeite. Nikolaus II. erließ bald nad Antritt 
des Pontificatd an den Erzbiſchof ein Schreiben,”) in welchem er obige 
Punkte kurz berührte, dann aber fortfuhr: „Iebe jo, daß deine Feinde fei- 
nen Grund finden, dir etwas anzuhaben. Eile durch deine Wachfamteit 
der beinahe verfallenen Kirche von Frankreich zu Hülfe, warne, ftrafe, bitte 
den König, daß er feinen ſchlechten Rathgebern folge, welche wähnen, die 
apoftoliihe Zudhtruthe werde abgewendet, wenn man Zwietracht zwiſchen 
dem gallifchen Bisthum und Petri Stuhl ausſäe.“ Folgen nun ziemlid 
ftarfe Drohungen gegen den König. Das Schreiben jchließt mit den Wors 
ten: „dich grüßen unfere theuerften Brüder, die Cardinalbiſchöfe, und die 
Demuth unjered theuerften Sohnes Hildebrand.“ 

Nikolaus hatte weiter vernommen, daß der Biſchof von Beauvais fei- 
nen Stuhl, ohne Willen des Metropoliten, um Geld erfauft, und daß ber 
Biſchof von Senlis dazu geholfen habe. Der Pabft gebot*) deßhalb dem 
Erzbifchofe von Rheims, im Falle fi die Sache wirklich fo verbalte, beide 
Schuldige ihrer Aemter zu entheben und fie aufzuforvern, daß fie vor der 
nächſten Ofter-Synode zu Rom ſich verantworten. Diefer Auftrag des 
Pabſtes muß vollftredt worden fein, denn in einem fpäteren Screiben®) 
an Gervafius erflärt Nikolaus II., daß er eine durch den Biſchof von 
Senlid vorgebrachte Bitte bewillige. Eigenthum, das der Kirche von Ber 


‘) Man fehe die Briefe bei Mansi XIX, 900 flg. ) Daf. ©. 875. 5 Ihid. 
©. 868. Dal. 6. 869. °) Ibid. ©. 870. 


Erſtes Buch. Kap. 20. Gegenpabft Bened. X. Pabſt Nifol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 623 


dun gehörte, war durch Untergebene des Erzitifts Rheims verlegt worden. 
Der Pabſt forderte abermald den Erzbifchof auf, Erſatz für den Schaden 
zu leiften. Nicht nur an den erften Metropoliten Neuſtriens, auch an Mit- 
glieder deöd herrichenden Hauſes wandte fih Nifolaus mit ähnlichen Anlies 
gen. König Heinrih I. war mit Anna, einer Tochter des ruffiichen Groß- 
fürften Jaroslaw, vermählt. An diefe Anna richtete der Pabft ein Schrei: 
ben,‘) worin er ihre Tugenden, namentlich ihre Milde gegen die Armen, be- 
lobt, aber dann die Ermahnung beifügt, fie möge auf ihren Gemahl ein- 
wirfen, damit er den Vorſchriften der Religion und der Gerechtigleit gemäß 
regiere und die Ordnung der Kirche achte. 

Ein politisch wichtiger Akt, bei welchem Nifolaus II. mitwirkte, fand 
an Pfingften des Jahre 1059 zu Rheims Statt. Der fiebenjährige Sohn 
Könige Heinrih L., Philipp, wurde nämlich in Anweſenheit zweier römijchen 
Legaten zum Mitregenten jeined Vaters und künftigem Thronfolger gejalbt. 
Da eine richtige Beurtheilung diefer Geremonie ohne Kenntniß der damalis 
gen inneren Zuftände Neuftriens nicht möglich ift, behalte ich mir eine aus— 
führliche Schilderung derjelben für einen andern Ort vor. 

Roh im nämlichen Jahre beauftragte Nikolaus IL. den Cardinal 
Stephan, einen geborenen Yranzofen,?) als Bevollmädtigter des römifchen 
Stuhls (oder ald Legat) die Beichlüffe des Lateran⸗Concils vom April 
1059 in Gallien zum Vollzug zu bringen. Der Cardinal hielt zu diefem 
Zwede zwei große neuftriihe Synoden, die eine für den Süden am 31. 
San. 1060 zu PVienne, die andere für den Norden Galliend den 1. März 
deſſelben Jahres zu Tours. Daß beide Berfammlungen dazu dienten, um 
als Geſetz der neuftrifchen Kirche zur Geltung zu bringen, wad auf ber 
Lateran: Synode beichloffen worden war, erhellt aus dem Inhalte der auf 
uns gefommenen Satzungen.“) Diefelben wiederholen das, was das römijche 
Goncil, betreffend Simonie, Priefterche, Bereinigung mehrerer Pfründen, 
Waffentragen der Geiftlihen, verbotene Verwandtſchaftsgrade u. |. w. ver: 
fügt hatte, nur mit dem Unterfchiede, daß zu Vienne und zu Tours Laien 
noch bündiger und ftärfer, als zu Rom unterjagt ward, geiftliche Aemter 
zu verleihen, oder Kirchengüter an fich zu reißen. 

Reben Stephan wirfte, und zwar ebenfalls als päbftlicher Legat, der 
Dberabt von Elugny, Hugo. Er hielt um die nämlihe Zeit zwei Syno- 
den, zu Avignon®) und zu Touloufe,") deren Zwed faum ein anderer ge 
weſen fein kann, als gleichfalls die Beichlüffe des Laterans Concild durch⸗ 
zuführen. Zwei der Städte, wo diefe Verfammlungen ftattfanden, Vienne 
und Avignon, lagen auf der damaligen Gränze Burgunds gegen Neuftrien. 


9) Tbid. S. 872. 2) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 551 unten. 3) Mansi XIX, 
a20fig. *) Ibid. 929. ©) Ibid. 877. 


624 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


Die PBerfönlichkeit des einen der zwei Legaten, des in ganz Burgund ver 
ehrten Oberabt8 von Elugny, wie die Wahl der Orte, fcheint auf die Ab: 
fiht hinzubeuten, daß auch burgundiſche Biichöfe, die damals befanntlid 
unter deutſchem Scepter ftanden, beigezogen werben follten. Wie bereits 
oben bemerft worben, hütete fich fonft Nikolaus, offen in die Firchlichen oder 
politiihen Verhältniffe des deutichen Reichs einzugreifen. 

Auch in Spanien nahm unter Pabſt Nikolaus II. pas Anfehen des 
heiligen Stuhles einen fühlbaren Auffhwung. In der Stadt Jacca, bie 
der Krone Arragon gehorchte, trat um 1060 ein Concil zufammen, weldem 
der König von Arragon, Ramirez, deſſen Sohn und Nachfolger Sande, 
jo wie neun Bilchöfe, mehrere Aebte und viele weltliche Große anwohnten. 
Dafjelbe faßte‘) folgende Beichlüffe: 1) „über Rechtsſachen der @lerifer haben 
binfort feine weltlichen Gerichte mehr, fondern nur der betreffende Bifchof 
zu enticheiden; 2) ein Zehntheil aller Einfünfte des Reihe ſoll Gott und 
den h. Apoftelfürften Petrus gefchenft fein, zunächſt aber auf Errichtung 
eines Bisthums in der Stadt Jacca verwendet werden. Daß der König 
und die Synode unter dem Einfluffe gregorianiicher Ideen handelte, iſt un- 
zweifelhaft. Andere Nachrichten verlegen die Berfammlung von Jacca nidt 
in das Jahr 1060, fonvern in das Jahr 1063, folglich in das Pontifikat 
Alexanders II. Sollte dieß auch richtig fein, fo fteht nichts deſto weniger 
feft, daß der Anftoß zu den Beichlüffen ver Synode zu Jacca von Niko: 
laus II. ausging. Denn vom Augenblide der Erhebung Aleranders II. bie 
zum Sabre 1063 herrfhte zu Rom eine Verwitrung, die dem genannten 
Pabfte fchwerlich geftattete, fich mit den Angelegenheiten Spaniens zu be 
ihäftigen. Er mußte damals froh fein, wenn es ihm gelang, fi der 
Gegner, die in nächfter Nähe auf ihn einftürmten, zu erwehren. 

Für den willigen Gehorfam, den das angelfächfifche Rei dem Pabſte 
Nikolaus II. leiftete, zeugen Thatſachen, die ich tiefer unten entwideln 
werde. Größere Mühe koſtete es Nikolaus II. den harten Raden eine 
nordfranzöftfchen Häuptlings, der ein Vaſall der neuftrifchen Krone hieß, 
in der That aber ein unabhängiger Herr war, und in Kurzem Gebieter 
Englands werben follte, nämlich ded Herzogs Wilhelm von der Normandie, 
unter das Gebot der Kirche zu beugen. An einem andern Orte iſt gezeigt 
worden,?) daß fchon Pabſt Leo IX. die Ehe, welche Wilhelm mit Mu 
thilde, der Tochter des Grafen Balduin V. von Flandern fchloß, wegen 
naher Verwandtſchaft für ungültig erklärte, und bei Anprohung des Banned 
Scheidung gebot. Allein Wilhelm trogte dem neunten Leo wie deſſen Rad 
folgern. Deßhalb verhängte Pabft Nikolaus II. nicht mur über den Her 
308, jondern audy über die Normandie den Bann. Gleihwohl entließ auf 


‘) Ibid. ©. 931 fi. ) Oben ©. 55 fig. nd 


Erſtes Buch. Cap. 20. Gegenpabſt Bened. X. Pabft Nikol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 625 


jest Wilhelm die Gemahlin nicht, fhickte dagegen den Prior Lanfranf von 
Bek, welder dem h. Stuhle in der Sache Berngars bedeutende Dienfte 
geleiftet hatte, al8 feinen Gejandten nah Rom, um Gegenvorftellungen zu 
machen. Wirflih gelang e8 dem Prior, Nikolaus II. zu vermögen, daß 
er den Bann unter der Beringung zurüdnahm: Wilhelm und Mathilve 
follten zwei Klöfter, eines für Mönche, eines für Nonnen ftiften, in welchen 
unabläfftg für das Heil ihrer Seelen gebetet werden müſſe. Wilhelm unter- 
warf fi) diefem Gebot und Lanfranf wurde erfter Abt des Stephansklofters 
zu Caen, das der Herzog der Vorfehrift des Pabftes gemäß errichtete. ') 

Nikolaus blieb feitdem in freundlichem Verkehre mit dem Abt. Neulich 
ift ein Schreiben des Pabſtes an Lanfranf veröffentlicht worden, ?”) in wel: 
chem er den Abt erfuchte, gewiſſe junge Leute, Capellane des Kaiferd wie 
des Stuhles Petri, in die berühmte Schule von Bel aufzunehmen und fie 
in der Dialeftif und Rhetorik zu unterrihten. Die Jünglinge felbft über: 
brachten den Brief aus Rom nad Bel. Die Worte des Schreibens laſſen 
faum eine andere Deutung zu, ald daß eine nievere Schule für Eapellane - 
jowohl der Katferfrone als des h. Stuhles in Rom beftand. Ich finde 
dieß Feinedwegs überrafhenn. Da feit den Zeiten der Dttonen, noch mehr 
jeit den Tagen Kaiſer Heinrichs II. auf erledigte Bisthümer in der Regel 
Gapellane befördert wurden,) hatten die Päbfte fein geringes Intereſſe 
Darauf zu dringen, daß junge Leute, welche in die fraglihe Laufbahn ein- 
treten wollten, zu Rom ihre Erziehung erhalten. Das Ergebniß folder 
Bemühungen muß die Errichtung einer Capellfhule in Rom auf gemeins 
Ichaftlihe Koften der Kaiferfrone und des Stuhles Petri geweſen fein. 
Demnach beftand ſchon im Mittelalter zu Rom etwas wie das heutige 
collegium germanicum. Aber ihre volle Ausbildung jcheinen die Zöglinge 
dort nicht erhalten zu haben, weil jonft der Pabft faum einige berjelben in 
die gefelerte‘) Anftalt Lanfranfs geſchickt hätte. 

Außer diefer großartigen Wirkfamfeit, welche ganze Länder umfaßte, 
finden wir den Pabft Hauptfächlih mit der Sorge für das Wohl des 
Mönchthums beſchäftigt. Innerhalb des oben erwähnten Zeitraums hat er 
eine Reihe Klöfter in den befondern Schuß des h. Stuhles aufgenommen, 
den Befig anderer beftätigt oder gegen Räuber nachdrücklich vertheibigt.°) 
Man fühlt aus ven betreffenden Akten heraus, daß fi Nifolaus IL, glei 
feinen nächſten Vorgängern von Gregor VI. an, vorzugsweiſe auf das 
Klofter ftügte. Ein gefeiertes Haupt des Mönchſtandes, zugleich ein Mann, 


) Vita Lanfranci, cap. 3: vor den Opp. 2) Theiner, disquis. critic. S. 206: 
hos igitur nostrae dilectionis filios, imperatorios capellanos et nostros, dialectica et rhe- 
torica arte Caritati vestrae mittimus edocendos. °) Gfrörer, K. G. IV, 145 fig. 454. 
*) Eiche GOfroͤrer, 8. G. IV. 533. 6) Jaffé, regest. pontif. ©. 386 flg., 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Br. J. 40 


626 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


deſſen Dienfte Nikolaus IT. nicht miffen konnte, bereitete ihm gleichwohl 
manche Unluft. Stephan X. hatte, wie wir wiffen, den bisherigen Abt 
Peter Damiani zum Cardinalbifhof von Oftia ernannt und zu wichtigen 
Gefchäften gebraucht. Auch Nikolaus IT. verwendete ihn auf ähnliche Weil. 
Allein nach Volftredung der Mailänder Gefandtihaft forderte‘) Peter wie 
derholt und ungeftüm feine Entlaffung von der Würde des Carbinalats un 
Erlaubnig zur Rückkehr in die "Stille des Klofterd. Der Andrang des 
Sturms von Geſchäften fcheint ihn übermannt zu haben. Wirklich wurde in 
jener heroiſchen Zeit des Pabſtthums denen, welde das Ruder führten, 
feine Stunde der Ruhe oder gar des Genuffes zu Theil. 

Indeß trug noch etwas Anderes zu der Verſtimmung Damiani’d sei 
So kühn auh Nikolaus II. gegen Mißbräuche voranjchritt, und feine 
Feindſchaft fcheute, war ed dem Eiferer nicht genug. Damiani führte, wenn 
ih fo fagen darf, einen unverjöhnlichen Krieg gegen priefterlichen Gefchledts- 
trieb und zwar häufig in Ausdrüden und Wendungen, denen ein mindered 
Maß von Derbheit und Nadtheit zu wünjhen wäre.) Ich leſe aus 
feinen Worten heraus, daß es ihn felbft unendliche Mühe gefoftet hat, ven 
böfen Trieb zu überwinden. Defto höher jchäßte er dieſes Verdienſt, deſto 
abftoßender war er gegen die, welde es nicht fo weit brachten, wie er. 
Der Carbinal von Oſtia verlangte, Nikolaus II. jolle ohne Weiteres alk 
Biſchöfe abjegen, gegen deren Keufchheit gegründeter Verdacht vorliege. Da 
dem Pabſte die Klugheit verbot, ſolche Rathichläge zu befolgen, grolite 
Peter Damiani. Seine Entlaffungsgefuhe wurden zurüdgewiefen. 

Aus Peters eigenen Briefen erheltt, daß hauptſächlich Hiltibrand es 
gewefen ift, der ihn feft hielt. Er nennt”) ihn feinen Tyrannen, feinen Nero, 
er legt ihm den Sag in den Mund: „wie? diefer bequeme Schläfer will 
unter dem Vorwande der Buße aus Rom, entlaufen, will, während wir 
Andern in die feindlihen Reihen uns ftürzen und bis auf's Blut Fämpfen, 
im Schatten des Klofterd ſich gütlih thun.“ 

Unter folden Mühen verftrihen die Jahre 1059 und 1060, kam ter 
Frühling 1061 heran, um deffen öfterlihe Zeit Pabft Nikolaus eine zweite 
Lateran-Synode hielt. Wir lernen die Wirkſamkeit derſelben zunächſt aus 
der Gedichte) eines englifhen Prälaten fennen. Den 22. Dez. 1060 
ftarb Erzbiſchof Kinfi von York. Am folgenden Weihnachtfefte wurde ber 
bisherige Biſchof Aldred von Worcefter zum Nachfolger gewählt. Diele 
Wahl griff tief in die politifhen Zuftände Englands ein, und fann ohne 


*) Baronius ad a. 1059 Nr. 4 flg. 2) Man lefe die Schrift ibid. Nr. 39 fly. 
2) Ibid. ad a. 1061 Nr. 37. *) Pagi ad Baronium 1059 Nr. 6 flg.: Ausgabe von 
Lucca XVII, 159 flg. Dann. ad a. 1060 Nr. 9 fg. ibid. ©. 178 flg. Die Aftenfüd 
auch bei Mansi XIX, 1053 fig. 


Erſtes Bud. Cap. 20. Gegenpabſt Beneb. X. Pabſt Nikol. II. b. 3. Bruche mit Agnes. 627 


Entwidlung derſelben kaum verftanden werden. Ich behalte mir vor, 
hievon an einem andern Orte zu handeln, und berichte hier nur die wich⸗ 
tigften Thatſachen. | 

König Eadward von England, fpäter mit dem Beinamen des Belen- 
ners geſchmückt, befand fich in der Gewalt zweier Großen, der Söhne God» 
win’d. Der eine derjelben, Harald, Earl von Weſſex, riß fünf Jahre fpäter, 
nad Eadwards Tode, die Krone England an fih. Der andere, Toftig 
genannt, und Earl von Northumbrien, ftrebte gleichfalls nad der Herr: 
ſchaft. Bereits hatten beide die Ernennung der Bifchöfe dem Könige ent- 
wunden, und mehrere Stühle des Reihe mit Anhängern bejegt. Auch der 
obenerwähnte Aldred, Biſchof von Worcefter, war ein Gefchöpf Toftigs, und 
die neulihe Erwählung defjelben zum Metropoliten von York ift gleichfalls 
durch Toftigs Einfluß durchgejegt worden. Doch genügte es dem Earl von 
Rorthumbrien noch nicht, eines feiner Werkzeuge auf den zweiten Erzſtuhl 
Englands erhoben zu jehen; damit er durch Aldred auf die mittleren Pros 
vinzen ded Reichs, wo Worceſter liegt, einmwirfen Fönne, wollte Toftig, daß 
der neuerwählte Metropolit fein früheres Bisthum beibehalte.e Durch ger 
heime Schredmittel wurde Eadward genöthigt, hiezu feine Einwilligung 
zu geben. | 

Allein die Vereinigung zweier Stühle widerſprach den Kirchengeſetzen, 
und Toftig fcheint gefürchtet zu haben, daß Klagen nah Rom gelangen 
dürften. Um nun diefen Stein des Anftoßed zu entfernen, beftimmte er 
den König zu Abfendung einer Geſandtſchaft nah Rom, welde die Geneh- 
migung des Pabſtes einholen ſollte. Zu Bevollmädtigten wurden auser- 
ſehen Aldred felbft und zwei hohe Cleriker, Gifa oder Gifelbert, neulid) 
zum Biſchofe von Wales, und Walter, ebenfalls neulich zum Biſchofe von 
Hereford erwählt. Beide legtere hatten den Nebenzwed, vom Pabfte bie 
Beitätigung ihrer Wahl zu erbitten. In den Alten erfcheint Toſtig nicht 
als Mitglied der Gefandtichaft, gleichwohl ift gewiß, daß er die drei ans 
dern, wahrfcheinlih auf eigene Kauft, begleitete, weil er ihrer Anhänglich- 
feit mißtraute. 

Aldred, das eigentlihe Haupt der Gefandtfhaft, brachte wirkſame 
Empfehlungen mit, nämlich erftlih den Ertrag des letztfälligen Peters⸗ 
pfenning, zweitend das Fönigliche Verjprechen, in Zufunft die Steuer zu 
erhöhen, drittens die Bitte, der h. Vater möge geftatten, daß König Ead- 
ward ftatt der Wallfahrt nah Rom, die ihm früher zur Buße auferlegt 
worden, ein Klofter gründen dürfe. Nikolaus IL. beftätigte die Erwählung 
Giſa's und Walter's, auch den Earl Toftig nahm er fcheinbar gut auf, 
aber Aldred fiel durch. Der Pabſt wies nicht blos die beantragte Ver⸗ 

B einigung der beiden Stühle zurüd, er verwarf auch die Erhebung Aldreds 
E zum Metropoliten von VYork, und wollte nur aus Gnade dulden, daß Aldred 


AN® 


628 . Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


länger Biſchof in Worceſter bleibe. Offenbar hat Nikolaus IT. jo gehan 
belt, um Eadward zu retten. In der That ftand die Krone auf dem 
Spiele, wenn das treulofe Begehren Toftigd erfüllt ward. Der Baht 
muß genau vom Stande der Dinge in England — gewiß nicht ohne Zu 
thun Eadwards — unterrichtet geweſen ſein. Ich bin überzeugt, daß vor: 
her zu Rom geheime Berichte des Königs einliefen, welche die öffent 
lichen, von Aldred und Genoffen überbrachten, aber abgedrungenen Eingaben 
Lügen ftraften. 

In übler Stimmung zogen die Hautperfonen der Gefandtichaft, Aldred 
und Toftig, aus Rom ab; denn fie hatten den eigentlihen Zwed ihrer Sen 
dung verfehlt. Auf dem Rückwege gelangten fie in die Gegend von Sutri, 
bier ftieß ihnen ein ſchwerer Unfall zu. Jener Gerhard von Galeria, den 
wir ald Häuptling der römifchen Capitane Fennen, ftürzte mit feinen Spieß 
gefellen auf die Reiſenden los, und nahm ihnen alle ihre Habe, im Be: 
trag von 1000 Pfund Pamefer Münze, weg. Die Beraubten eilten nad 
Rom zurüd, dort führte Carl Toſtig eine Spracde, faft wie ein neuerer 
Engländer: „ob der Pabft glaube, ferne Nutionen werden fich vor feinen 
Bannftrahlen fürdten, wenn in nächſter Nähe Roms fredhe Buben unbe 
fümmert um biefelben ihr Weſen treiben; wolle ver Pabft über die Welt 
herrſchen, fo folle er zuerft im eigenen Haufe für Ordnung forgen. Wenn 
der König von England höre, was feinen Gefandten wiverfahren fei, werk 
er in Zufunft den Peterd-Pfenning zurüdhalten.” Etwas mußte gefchehen, 
um Toftig zufrieden zu ftellen, weil ſonſt zu befürchten fland, daß er gan 
England durch Klagen über Verlegung des Gefandtenrehtd gegen Rom 
aufrühre. 

Nikolaus gewährte die früher verweigerte Beftätigung der Yorker 
Wahl, fammt dem Pallium, aber er ftellte die Bedingung, daß der Stuhl 
von Worcefter einem Andern zu Theil werde. Zweitens verhängte ter 
Pabſt in feierliher Weiſe den Bann über Gerhard, wobei die Lichter aut: 
gelöjcht wurden. Solches geſchah vor einer großen römifchen Synode im 
Lateran, der auch die drei Engländer, der neue Metropolit von York, und 
die Biichöfe Giſa und Walter anwohnten. 

Ein Eoncil ift alfo damals zu Rom gehalten worden. Auf vielem 
nämlichen Concile gingen noch andere fehr wichtige Dinge vor. 

Faſſen wir die allgemeine Lage der Kirche in's Auge. Die Angelegen 
heiten des h. Stuhls hatten ſich offenbar unter dem Pontifikat des zweiten 
Nikolaus fehr günftig geftalte. Spanien, Frankreich, England gehorchten 
ohne Widerrede, man Fönnte poetifch fagen, diefe Kronen huldigten zu ben 
Süßen des Pabſtes. Welch' ein Umſchwung gegen die Zuftände vor 10—12 
Jahren, wo das halbe Abendland auf dem Punkte fand, römifcher Kirchen 
einheit abzufagen, wo die Könige von Frankreich und Spanien fi) rüfleten, 


Erſtes Buch. Gap. 21. Nikol. IL. widerruft die Beſchlüſſe d. Concils v. 1059. 629 


Landespäbfte einzufegen, ja ſogar den Lehrbegriff zu ändern! Warum find 
die drohenden Wettermolfen vorübergezogen? Ohne Frage deßhalb, weil 
jene Könige fi überzeugten, daß die Tiare mit großem Muthe deutſche 
Anmaßung befämpfte und des Sieged gewiß war; darum weiter, weil fie 
einfahen, daß Rom zugleich mit der eigenen Unabhängigfeit die Freiheit 
Aller verfechte. Die Hingebung der übrigen Nationen für das Pabftthum 
und die römifche Kirche wuchs im Verhältniffe des Widerftandes, den bie 
Gregorianer dem falifhen Hofe entgegenfegten. Wer wird nun bezweifeln 
wollen, daß eben diefe fremden Könige nicht unaufhörli und bei jeder 
Gelegenheit den Pabſt beftürmt haben, ganz mit ber beutfchen Krone zu 
brechen, durch deren Uebẽrmacht ſich alle bedroht fühlten! 

Immerhin mögen jolhe heimlihe Einflüfterungen nicht ohne Einfluß 
auf Nikolaus II. gewefen fein, als er vor verfammelter Synode des Frühlings 
1061 das zwei Jahre früher der deutichen Krone ertheilte Recht bezüglich 
der PBabftwahl zurüdnahm. Indeß räth ſowohl Gerechtigfeit als gefunder 
Menjchenverftand, vorerft genau zu prüfen, ob nicht andere ftärfere Beweg⸗ 
gründe hinzufamen. Ehe der Pabſt eine Maßregel ſehr gewagter Art er; 
griff, die Heicht verderbendringend auf fein eigened Haupt zurüdfallen 
fonnte und in der That wirklich zurüdfiel, müffen, fage ich, ſchwere Schläge 
gegen ihn geführt worven fein. Ja fo tft es: ein greuliches Gewebe hatte 
der ſaliſche Hof wider ihn angezettelt. 


Einundzwanzigfies Capitel, 


Agnes hatte die Burggrafenwürbe Roms dem Herzoge Godfrieb entzogen, hatte bie Cres⸗ 
centier zu Stabtpräfekten, einen berfelben fogar zum KönigsStatthalter ernannt, und 
hieburch den Grafen Gerhard in Stand gefebt, Petri Stuhl durch Beraubung ber 
angelfächfiichen Geſandten tödtlich zu befchimpfen. LateransGoncil vom Frühling 
1061, auf weldem Nicolaus II. das dem beutfchen Könige ertheilte Mecht der Er⸗ 
elufive widerruft. Beurtheilung diefer Maasregel. Ihre Folgen: im Namen ber 
deutfchen Kirche fündigt Hanno von Coͤln dem Pabſte Nikolaus IL. die Gemeinfchaft 
auf. Kurzes Schisma. Nikolaus II. flirbt im Sommer 1061. 


Wir müßen und nad) Deutfchland wenden, und in ben Geift des 
ſaliſchen Hofes verfegen. Daß die Nachricht, Nikolaus II. habe den Nors 
mannen Robert Wizfard zum Schugvogt der römifchen Kirche ernannt und 
mit feiner Hilfe die römischen Eapitane zur Rechenfchaft gezogen, der Kaiſerin 
Wittwe wenig behagte, lag im Weſen der Verhältniffe Wen wird nun 
nächft dem Pabfte ihr Zorn vorzugsweife getroffen haben? fiherlih den 
Brabanter Godfried und zwar von ihrem Standpunkt aus, nicht mit Uns 
recht. Die römischen Jahrbücher melden‘), daß die Normannenfchaar, welche 


%) Derh V, 471 Mitte. 


630 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


im Herbfte 1059 die Schlößer der Capitane brad, nur 300 Köpfe zählte. 
Gewiß, wenn Godfried, der durch den Cölner Vertrag vom Dezember 1056 
zum Burggrafen oder Bannerträger von Rom, zum Herzog von Canoßa, 
zum Marfgrafen von Gamerino und Spoleto erhoben worden war, der end: 
lich über die großen Schäge feiner Gemahlin Beatrir verfügte: — gewiß 
jage id, wenn diefer Godfried nur wollte, hätte er mit leichter Mühe die 
300 Normannen vernichten Tonnen. Aber er wollte nicht, und dieß hat 
ihm Agnes nicht verziehen. Godfried war — zum Mindeften im Jahre 
1060, — nicht mehr Burggraf von Rom und hatte überhaupt im römiſchen 
Dufat nichts mehr zu befehlen; feine frühere Stelle befleidete, wie ich fo: 
gleich zeigen werde, ein Anderer, und zwar ei® Todfeind des Pabſtes 
Nikolaus’ II. 

Auch die Marfen Spoleto und Gamerino, jo wie dad Herzogthum 
Canoßa würde ihm Agnes ohne Zweifel entzogen haben, wenn fie es naͤm—⸗ 
lich vermodht hätte. Doch das ging nicht, fintemalen Godfried dieſe großen 
Lehen nicht durch Gnade der Kaiferin Mutter, fondern theild kraft Vertrags, 
theild kraft Eherechts bejaß. 

In dritter Linie grollte Agnes dem Cölner Erzbiihofe Hanno, un 

„abermals von ihrem Standpunft aus nicht ohne Grund. Denn die Rolk, 
welhe Hanno auf jener Rathsverſammlung, deren Ort Lambert nict 
beftimmt, gefpielt hat, war es, beim Licht bejehen, was den erften Grund 
dazu legte, daß Pabſt Nifolaus II. wagen konnte, auf eigenen Yüßen 
zu ftehen, dad Recht der Wahl dem Carbinaldcollegium zu übertragen, und 
gar zulegt Wicdereinfegung der römifchen Kirche in das, was fie ihr wohl 
erworbened Eigenthum nannte, zu begehren. Agnes hat für dieſe That, 
in welder fie ein grobes Verbrehen ſah, Race genommen, fowie in 
ähnlichen Fällen erbitterte Frauen zu thun pflegen. Lambert von Hersfeld 
berichtet‘) zum Schluße des Jahres 1061, erft damals fei es endlich gelungen, 
den wahnfinnigen Pfalzgrafen Heinrich, Mörder feiner Gemahlin, zu bemäl: 
tigen und in das Klofter Epternach dauernd einzufperren. Bis zum Sommer 
hatte folglich jene Fehde gedauert, während welcher der Wüthende Cölln 
belagerte, die Güter, Höfe, Scheunen des Erzbijhofs mit euer un 
Schwert verheerte. 

Wenn Jemand behaupten wollte, al? das habe der Raſende auf eigene 
Kauft und ohne Zuthun der Reichsverweſerin vollbracht, fo entgegne id: 
credat Judaeus Apella, non Ego. Solche Vorjpiegelungen Tann man 
Kindern glaublih machen. Im Gegentheil beweist die Gleichzeitigkeit des 
Eöliner Kriegs mit den oben befchriebenen, römifchen Ereigniffen handgreif 
ih, daß der Pfalzgraf als Kragbürfte gebraucht worden iſt, um Hann 


) Berk V, 162 Mitte. 


Erſtes Buch. Cap. 24. Nikol. II. widerruft die Befchlüffe d. Goncils v. 1059. 631 


wegen deſſen wund zu reiben, was er zu Gunften des römijchen Stuhles 
gethan hatte. 

Und jegt zu Dem, der den Becher weiblicher Rache bis auf die Hefe 
leeren mußte. Die Gapitane Roms, namentlihd Gerhard von Galeria, 
waren durch die Normannen Roberts im Herbfte 1059 gedemüthigt wors 
den, aber doch nicht gründlih, noch für lange Zeit. Denn im Februar 
oder März 1061 erfrechte ſich Gerhard von Galeria, die engliichen Ges 
jandten niederzuwerfen und rein auszuplündern. Cine größere Beihimpfung 
fonnte der römifchen Kirche kaum angethan werden; diefe That Ger; 
hards drohte England mit dem Pabſte zu verfeinden, drohte den heiligen 
Stuhl feiner legten fiheren Rente, des angeljächfiichen PBeterpfennings, zu 
berauben. Das Evangelium fchreibt Milde vor, aber nur gegen reuige 
Sünder, nicht gegen grobe, jchamlofe Verbrecher. Bezüglich Lepterer gilt 
der Cap: die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umfonft. Folglich war es 
die Pflicht des Pabſtes, Gerhard zu beftrafen. Hat nun Nikolaus den 
Räuber von Galeria, jo wie er e8 verdiente, enthaupten, viertheilen, oder 
hängen laſſen? 

D Nein! Alles, was der Pabſt anordnete, beichränfte ſich darauf, daß 
über dem Altar der Kirche, wo die Öfterfynode von 1061 zufammentrat, 
die Lichter ausgeblafen wurden, welde die fünftigen, einer andern Welt 
angehörigen Verhältniffe der Echuldigen vorbebeuteten. Das that dem Grafen 
von Galerta körperlich nicht wehe. Im Uebrigen flieg Gerhard Kurz 
darauf zu den höchften Ehren bei Hofe empor. Er ftand, wie wir unten 
ſehen werden, an der Spige der Geſandtſchaft römischer Eapitane, welche 
noch im Jahre 1061 nad Deutfhland hinüber wanderten, um der Reiches 
verwejerin den Patricier Reifen, und unter diefem Sinnbild volle fchranfens 
loſe Gewalt über Petri Etuhl einzuhändigen. Kurz er hat am ſaliſchen 
Hofe Lohn für das geſucht, was er neulih am Pabfte und an den engs 
liſchen Geſandten verübte, und hat diefen Lohn auch richtig errungen. 

Wenn Nikolaus II. den Grafen von Galeria nicht gerichtlich beftrafte, 
jo geſchah ſolches einzig deßhalb, weil e8 ihm platterdingd an der Macht 
dazu fehlte. Und Fonnte dieß anders fein? Aus den zuerft von Berk vers 
öffentlichten römischen Annalen erhellt), daß in den Jahren 1059, 1060, 
1061 Sprößlinge des Hauſes der Erescentier, Todfeinde der Kirchenfreis 
heit, die Würde der Stadtpräfeftur zu Rom befleideten. Stabtpräfeft aber 
hieß, wie fpäter am gehörigen Orte gezeigt werden wird, der höchfte kaiſer⸗ 
liche Beamte, welder die Gerichtsbarkeit über Rom und Weichbild übte, 





ı) Ad a. 1059. Berk V, 471: abstulerunt praefecturam Petro praefecto de regione 
S. Angeli; dann wieber Crescentias praefectus; ebend. zum Jahre 1061 S. 472: Cen- 
cius Stephani praefecti. 


632 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Bußen aller Art, jelbit Todesſtrafe verhängen fonnte, auf der Engelöburg 
ſaß und den Befehl über die bewafinete Macht führte. 

Noch mehr: wir erfahren aus den nämlichen Annalen, daß der Sohn 
eines diejer Präfekten den Titel „König“ erhielt), und daß eben derſelbe 
König, des Prüfekten Sohn, die Sache der Reichöverweferin eifrigft ver: 
foht. Bon zweien Dingen eines: entweder fft fein Sinn noch Berftand 
in dem was der Annalift meldet — während dod Niemand läugnet, daß 
er fonft treffliche Nachrichten mittheilt — oder muß man annehmen, daß Hein- 
rich's III. Wittwe Agnes einen Crescentier als kaiſerlichen Statthalter 
mit dem föniglihen Titel dem Brabanter Godfried entgegengeſetzt hatte, 
um zugleich diefen aus der Stadt zu verdrängen, und nebenbei die Geißel 
über den Pabſt zu fchwingen. 

Und nun empfangen drei Erfcheinungen genügendes Licht: erftlich daß 
Gerhard ungeftraft engliihe Gefandte ausplünderte, denn im Bunde mit 
dem Stabtpräfeften und dem König Erescentius fonnte er thun was ihm 
beliebte; zweitens daß der Pabft fid damit begnügte, „die Lichter auszu⸗ 
blafen“, denn feine Macht reichte nicht über die Wände der Kirchen hinaus; 
drittend daß Nikolaus in jenem Schreiben an den Rheimſer Erzbifchof ver: 
fidert, Godfried von Brabant-Canofa .fei ein zuverläßiger Freund des heil, 
Stuhle. Godfried war wirflih ein unfehlbarer Verbündeter des Pabſts 
geworden, nämlich weil ihn Agnes in diefe Etellung hineingetrieben hatte, 

Allerdings koſtete es die Reichsverweſerin ihrer Seitd nicht geringe 
Mühe, das ind Werk zu fegen, was eben erzählt worden. Denn da es in 
Deutihland Männer gab, und zwar mächtige Männer, welche die Einfälk 
der Kaiferinwittwe für verfehrt hielten und darum Widerſtand leifteten, ſah 
fle fi genöthigt, mit ſchweren Opfern Freunde zu gewinnen, die ihr das 
Wort reveten. Im Jahre 1058 gefchah?) es, daß fie den Rheinfelder Rudolf 
zum Herzog von Alamannien erhob, und mit ihrer Tochter Mathilde verlobte. 
Weiter geſchah“) es im folgenden Jahre 1059, daß der Rheinfelder wirf- 
ih die Hand der Königstochter und dazu noch die Erblichfeit der Fahne 
Alamanniend, fammt der Etatthalterfchaft über Burgund, davon trug. In⸗ 
dem ferner Abt Effehard von Herzogen-Aurach bemerft*), die Bevorzugung 
Rudolfs ſei gleihjam ein Schlau des Aeolus geweien, aus dem bie 
Stürme hervorbradhen, welche nachher das Reich erfchütterten, gibt cr 
fehr deutlich zu verftehen, daß der fchnelle Aufihwung jened Ehrfüchtigen 
mit dem Kirchenftreite zufammenhing. Wie thöricht hat Agnes gehandelt! 
Um vorzubeugen, daß man fie hinvere, Dinge zu thun, welde ihr felbft, 
dem Reiche, dem herrfchenden Haufe Verderben bringen mußten, machte fie 


— 





1) Ibid. 471: perrexit ad castrum Passerani apud regem, qui fuit filius Uresoseli 
praefecti. ?) Pertz V, 159. 2) Ibid. 271 u. oben ©. 8308 fly. *) Perg VL, 18. 


Erftes Buch. Gap. 21. Nikol. II. widerruft die Befchlüffe d. Concils v. 1069. 633 


einen Menfchen groß, ver nad) etlichen Jahren das Schwert wider ihren 
eigenen Sohn 309. | 

Genug! ich glaube bündig dargethan zu haben, daß fein Grund vor: 
handen ift, den Pabft anzuflagen, wenn er im Frühjahre 1061 auf den 
Gedanken gerieth, das Maß des angerichteten Mebels fei voll und die Zeit 
angebrochen, energiiche Schritte zu thun. 

Die Akten des Lateranconcild von 1061 find nicht auf uns gefommen, 
weil die Gregorianiſche Parthei fpäter für gut befunden hat, diefelben zu be- 
feitigen. Dagegen gibt es zwei verſchiedene Terte‘) der auf dem erften 
Concil (von 1059) befchloffenen Wahlordnung, nämlich außer dem ächten, 
oben von und mitgetheilten, einen zweiten, der zwar die Eäge, betreffend 
das Vorrecht Heinrih’8 IV. und feiner Nachfolger, enthält, aber aus dem 
Zufammenhang geriffen und. fo gefüßt, daß bejagted Vorrecht faft allen 
Werth verliert und zu endlofen Streitigkeiten über ven wahren Sinn führen 
mußte. Die Vermuthung liegt nahe, ob nicht der zweite Tert bie von ber 
Synode ded Jahrs 1061 beichloffene Faſſung darjtelle. Alles erwogen, 
muß ich mich gegen dieſe Annahme erflären. Daß auf dem Eoncil von 1061 
die Beftimmungen des erften, weldhe das Vorrecht Heinrich's IV. aners 
fannten, nicht etwa blos abgeändert, gefchwächt, oder verbunfelt, fondern 
foͤrmlich abgethan worden find, ergibt ſich aus folgender Thatſache: Biſchof 
Anfelm von Lucca fährt?) nad den früher mitgetheilten Worten in ver 
erwähnten Schrift aljo fort: „falls Ihr gegen Und den Einwurf erhebet: 
Nikolaus habe auf der Ofterfynode (von 1059) feftgefegt, die Weihung 
eined Pabſts dürfe nur dann vorgenommen werden, wenn eine fürmliche 
Wahl vorangegangen, und zweitens, wenn fie dem Könige angezeigt jet, — fo 
entgegnen wir: Euer König und feine Großen haben ſich dieſes Vorrechts 
unwürdig gemacht." 

Abermal von zweien Dingen eined: entweder ift, was Anjelm vorbringt, 
eitled Wortgeklingel, oder gefteht er ein, daß ein Vorrecht, das der Krone 
wirklich ertheilt worden war, nachher zurüdgenommen worden ift. Die Grego— 
rianer fonnten den Widerruf nicht durchfechten, und ihr Ehrgefühl gerieth 
durch die verunglüdte Sagung von 1061 in Elein Eleines Gedränge Der 
eben genannte Anſelm II. verfihert,) noch im Laufe des 11. Jahrhun⸗ 
derts fei die Wahlordnung des Pabftes Nikolaus II. jo häufig gefälicht worden, 


1) Giefeler, 8. ©. 2. Aufl. I, & ©. 236. Rote 10. 3) Der Inteinifche Tert 
lantet: (Canisius-Basnage thesaurus III, a. ©. 382) sunt qui dicunt, Nicolaum de- 
creto synodi constituisse, ut obeunte apostolico successor eligeretur et electio ejus regi 
notificaretur, facta vero electione et, ut praedictum ost, regi notificata, ita demum 
pontifex consecraretur. Quod si admittendum est, ut ratione factum dicatur, ‚objici- 
mus ad hoc confutandum: praefatum regem et optimates ejus se ea Cconstitutione in- 
dignos fecisse. 3) Ibid. 


634 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


daß faft Feine Handſchrift der andern glich. Wenn er weiter dieſe Täu- 
ſchung den Kaiferlihgefinnten in die Schuhe ſchiebt, fo erlaube ich mir, den 
Vorwurf auf die Schultern der Einen wie der Andern gleihmäßig zu ver 
theilen. Denn wien faft ale. Handichriften von einander ab, fo ift Far, 
daß faft alle Abſchreiber — folglih Gregorlaner wie Gibellinen — am 
Terte ihren Wig verſucht haben. 

Alſo Pabſt Nikolaus IL hat die der deutſchen Krone günftigen Be: 
ftimmungen des WahlvefretS von 1059 widerrufen, hat fih von jeder Ver: 
pflihtung gegen das faliihe Haus losgeſagt, durch welches allerdings die 
Kirche gröblich verlegt worden war. Weder im Namen der Sittlichfeit 
noch des Rechts kann man, ich wieberhole es, fein Berfahren tabeln, 
allein eine andere Frage ift, ob es Flug, ob es zweckmäßig geweſen fei, jo 
zu handeln? Diefe Trage muß unjered Erachtens verneint werden. Ale 
Kaifer Dtto I. den Pabft Johann XII. zwang, ihm die Kaiferfrone aufs 
Haupt zu feßen, ihn als Oberherrn anzuerkennen, geihah ſolches nicht, weil 
Dtto ein Recht, jondern weil er die nöthige Macht dazu befaß. Auf der 
jelben Grundlage beruhten die Befugniffe, welde dem heiligen Stuhle 
gegenüber Kaifer Heinrkh der Schwarze geübt hatte. Aber aud im Jahre 
1060 und 1061 waren die Verhältniſſe wefentlich nicht geändert. Man 
kann die militäriihe Kraft eines großen geeinten Reihe nicht mit Dinte 
und Feder wegdekretiren! 

Ein gewifjer Idealismus ift vom Weſen des Chriſtenthums unabtrenn; 
bar; gleichwohl gibt es aud einen gefährlichen Idealismus, welchen ich den 
unbejhuhten nennen möchte, weil es ihm an ftarfen Eohlen unter den Füßen 
fehlt, die nöthig find, um über die ſpitzen Klippen der Wirklichkeit fiegreid 
weggufchreiten. ine Erjheinung der Art war es, was im Frühling 1061 
zu Rom vorgieng. Indem PBabft Nikolaus verſuchte, die Reichöverweierin 
in die Schranfen der Ordnung zurüdzudrängen, hat er Etwas angetaftet, 
was nicht etwa blos eine Anmaßung der Kaijerin Wittwe war, ſondern 
zugleih von der Nation ald ein werthvolled Recht betradytet wurde, umd 
hat dadurch bewirft, daß etwas geihah, was er ficherlich nicht beabfichtigte, 
nämlih Daß die Nation oder ihre Wortführer gemeine Sade mit Agned 
machten. 

Nikolaus II. fcheint erwartet zu haben, daß Hanno von Cöln, weil 
er in gleiher Weiſe von der Kaiferin beleidigt worden war, zu den römis 
ſchen Gegenmaßregeln ſchweigen werde. Aber der entgegengejegte Kal trat 
ein: gerade Hanno nahm den Kampf gegen Betri Statthalter auf. In 
der That fonnte er nicht anderd handeln. Hätte er noch mit ruhiger Stimme 
hintreten mögen vor den Reihstag, wenn er, in deſſen Hände der ver 
ftorbene Kaifer das Reichsverweſeramt nicderlegte, dazu half, daß apulifce 
Normannen fid) der Schugvogtei des römiſchen Stuhles bemächtigten, daß 


- 


} 


Erſtes Buch. Gap. 21. Mikol. II. widerruft die Beſchlüſſe d. Eoncils v. 1059. 635 


v 
die Deutſchen aus Italien binausgedrängt wurden, daß fie den Vorrang 
unter den Nationen ded Abendlandesd verloren. Nimmermehr würden bie 
Germanen des 11. Jahrhunderts fo etwas ruhig geduldet haben! 

Biſchof Benzo von Alba berichtet: ) „um Rache zu nehmen für dus 
Unrecht, weldes Nifolaus II. gethan, erhob fi ver Cölner Metropolit 
und richtete an den Pabft, im Einklang mit andern deutſchen Bifchöfen, 
ein Schreiben, worin er ihm die Kirhengemeinihaft auffündigte. Nikolaus 
las dafjelbe, gerieth in großen Schreden und ftarb furz darauf.” Die Wahrs 
beit der Ausſage Benzo's vorausgefegt, erhellt aus feinen Worten erftlich, 
daß Nifolaus nicht lange vor feinem Tode einen Schritt gethan, ver deut: 
Iher Seits ald eine Ungerechtigfeit angefehen wurde; zweitens daß Hanno 
von Cöln an der Spike der deutihen Nation ftand. Man fönnte nun 
freilich die Glaubwürdigkeit Benzo’8 angreifen, aber fein Zeugniß wird durch 
einen Schriftfteller der Gegenparthei theild beftätigt, theild ergänzt, jo daß 
jeder Zweifel verftummen muß. Anfelm II. von Lucca jchreibt weiter: ?) 
„weil fih Hanno von Cöln verdammliche Eingriffe erlaubt hatte, zug ihn 
Pabſt Nikolaus zur Rechenſchaft, aber die deutſchen Bifchöfe nahmen Solches 
jo übel auf, daß fie Nikolaus IT., jo viel an ihnen war, des Pabftthums 
entjegten, und jeinen Namen aus dem Kirchengebete in der Meſſe wegzu⸗ 
lafien geboten. * 

Melde Ereignifie! Warum jchweigen ſämmtliche deutſche Chroniften 
von diefen Schlägen, die im Frühling 1061 rajd auf einander folgten? 
Ohne Zweifel deßhalb, weil Babft Nikolaus IT. kurz nah Ausbruch des 
Schisma wegftarb, und weil die Gregorianiihe Parthei, wi: wir fehen 
werden, alsbald einlenfte. Deßhalb erhielten, jo jcheint es, die Mönche, 
welche unjere SKlofterchronifen fchrieben, von verftändigen Hänptern ges 
heime Welfung, jene traurigen Vorfälle der Vergeffenheit zu überlafjen. Die 
Kirchentrennung kann faum einige Wochen gedauert haben. Auf die Hiobs⸗ 
poften hin, welde aus Deutichland einliefen, verließ Nikolaus U. Rom 
und ging in fein Bisthum Florenz, wo er den 27. Juli 1061 ftarb.‘) Un- 
durchdringliches Dunkel liegt auf ver Gefchichte der Ichten Wochen des Pabfts. 
Aber jo mangelhaft die Nachrichten find, genügen fie für den Beweis, daß 
die Oſterſynode von 1061 einen Knoten gejchürzt hat, und daß das, was 
oben über diejelbe gejagt wurde, richtig. ift. 


) Panegyr. VII, 2. Berk XI, 672. 2) A. a. D. ©. 382, 2) Die Belege 
bei Jaffe, ©. 389. 


636 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Bweinndzwanzigfies Capitel. 


Nach dem Tode des zweiten Nikolaus unterhandeln die &regorianer mit dem beutfchen 
Hofe. Anfchläge der „lombardifchen Stiere* und der römifchen Kapitane. Die Ber: 
theidiger der Kirchenfreiheit Tommen ihnen zuvor und erwählen Alerander IL zum 
Statthalter Petri. Synode zu Bafel im Herbfle 1061, weldhe den Parmefaner 
Kadaloh zum Gegenpabfte aufwirft. 


Saft dritthalb Monate ftand e8 an, bis ein Nachfolger gewählt wart. 
Aus diefer einen Thatlache folgt, daß die Gregorianer wieder am beutichen 
Hofe unterhandelten, folglich das vor einigen Wochen unvorfichtig beftrittene 
Recht der Kailerfrone thatfächlih anerfannten. Dod es bedarf Feiner 
Schlüffe, Zeugniffe find vorhanden. In einem Auflage, welchen Cardinal 
Damiani für die Augsburger Verhandlungen jchrieb, von denen ſpäter die 
Rede fein wird, legt er‘) dem Vertheidiger des römischen Stuhles die Worte 
in den Mund: „wir haben den Bardinal-Presbyter Stephan, einen Mann, 
defjen Tugenden weltbefannt find, mit apoftolifchen Briefen an den 
füniglihen Hof abgeihidt, aber er ward von den Räthen der Kaiſerin nicht 
zugelafien. Bünf Tage lange wartete er in den Vorzimmern des Palaſtes 
vergeblih auf Gehör, zum größten Schimpf des apoftoliihen Stuhls. Ge: 
duldig nahm er diefe Beleidigung bin, die es ihm unmöglich machte, feine 
Sendung zu vollftreden; uneröffnet und verfiegelt brachte er die ihm anver: 
trauten Botichaften des Concils wieder zurüd.” 

Aus dem Zufammenhang der Darftellung Damiani's geht hervor, daß 
das, was er berichtet, in die Zeit nach dem Tode des Pabſtes Nikolaus I. 
fällt. Da er gleihwohl von apoftolifchen Schreiben und überdieß allem 
Anfcheine nach von einem Concile redet, jo dürfte meined Erachtens unter 
legterem die Synode, weldhe zur Pabftwahl verfammelt war, unter den 
von Stephan überbrachten Schreiben, Briefe des vorläufig erwählten Anjelm 
von Lucca zu verftehen fein. Dieſe Zufchriften felbft aber können faum einen 
andern Zwed gehabt haben, al8 die Kaiferin-Mutter zu bitten, daß fie ihre 
Einwilligung zur Erhebung Anjelms gebe. 

Nicht mindere Thätigfeit, als die Gregorianer, entwidelten ihre Tob: 
feinde, die Eapitane Roms und „die lombardiſchen Stiere”. Hören wir 
zuerft Bonizo:?) „nad dem Tode des Nikolaus dachten die Biſchöfe Lom- 
bardiens, nun ſei der rechte Zeitpunft gefommen, um das in ven letzten 
Jahren Verlorene wieder zu erringen. Auf Betreiben des Kanzlerd Wibert 
traten fie zufammen zu einem Concil, auf welchem fie den Beichluß faßten, 
nur einen Solchen zum Pabfte zu wählen, der erftens feiner Geburt nad 
dem Paradieſe Italiens, d. h. Lombardien angehöre, der zweitens feinem 


‘) Mansi XIX, 1012 unten fig. ?) Oefele II, 807. 


Erſtes Bud. Cap. 22. Nikol. flirbt. Pabſt Alerander II. Gegenpabfl Kadaloh. 637 


Charafter nah Mitleiven mit den natürlichen Schwächen der Menfchen 
fühle. Bon dem Concile weg eilten fie über die Alpen an den Hof der 
Kaiſerin, welcher fie vorftellten: als Erbe feines Vaters fei ihr Sohn Nach⸗ 
folger nicht blo8 im Reiche, ſondern auch im römifchen PBatriciate, ihm 
allein ftehe folglih das Recht zu, Päbfte einzujegen, und eben dieſes Recht 
habe ja fogar Nikolaus II. felber anerfannt, indem er verordnete, daß hin⸗ 
fort den Stuhl Petri nur Solche befteigen dürften, deren Erhebung förmlich) 
vom deutſchen Könige gut geheißen worden ſei. Als ein ſchwaches Weib 
ließ fich die Kaiſerin von den liftigen Rathichlägen der Lombarden umgarnen.” 

Bonizo jchweigt von der Rolle, welde die Capitane bei diefer Sache 
ipielten. Aber die Lüde wird ergänzt, theild durd das Zeugniß zweier 
deutſchen Chroniften, theild durch die Ausſage ded Cardinals Damiani. 
Bernold von onftanz berichtet: „nachdem Nikolaus II. Ende Juli zu 
Florenz verftorben war, jchidten die Römer an den deutſchen König die 
Batricierfrone fammt andern Geichenfen und forverten ihn auf, einen neuen 
Pabſt einzuſetzen.“ Merkwürdiger Weife jagt) Berthold von Reichenau 
faft ganz dafjelbe in denjelben Worten. Beide Ehroniften find fonft unab⸗ 
hängig von einander, fie find übervieß entjchloffene Gregorianer, während 
fie bier über ein folgenjchweres Ereigniß wie Diener des Hofes reden. 
Aus diefer Fünftlichen Uebereinſtimmung folgt meines Erachtens, daß Eenfur 
wider fie geübt worden ift. Hätten fie. frei fagen dürfen, was fie wußten 
und was fie dachten, jo würden wir aus ihrem Munde vor Allem erfahren, 
wer bie Römer waren, welche den goldenen Reifen des Patriciats nach Deutich- 
land hinübergeſchickt haben. Für die erzwungene Stummheit der Eonftanzer 
@lerifer tritt der Cardinal in dem früher genannten Auflage ein. 

Der Wortführer des Königs jpriht: „wenn wir Honorius II. zum 
Pabſte wählten, jo geichah es auf Betreiben der Römer; haben nicht Graf 
Gerhard von Galeria und feine Genofjen, hat nicht auch jener Abt des 
Klofterd auf dem Scaurus-Hügel lebhaft dabei eingewirft!" Der Vers 
theidiger des Stuhles Petri erwidert: „jo, alſo diefe Menſchen nennet Ihr 
wahlberechtigte Römer? Ich ſchweige von dem Abte, aber weiß nicht alle 
Welt, daß Gerhard vom Bannfluhe faft aller Päbfte getroffen ward, die 
er erlebt hat, ift er nicht derſelbe, der die vier Engländer ausplünderte, 
derjelbe, den Nikolaus II. furz vor dem Tode mit dem Fluch der Kirche 
belegte” u. |. w. “ 

Bon dem Grafen Gerhard und andern Capitanen Roms gieng dem- 
nad der Plan aus, das Patriciat, und mit ihm die Greuel der Zeiten 
Heinrich's III. zu erneuern. 

Die Ueberjendung des PatriciersReifen nad) Deutichland ließ Keinen 


) Ad a. 1061. Berk V, 427. 2) Ibid. ©. 271. 


638 Pabft Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Zweifel zu, daß die Abficht der Verfchwornen dahin gieng, das Recht ber 
Pabſtwahl den Eardinälen ganz aus den Händen zu winden. Diefe That 
fache fonnte ven Bedrohten nicht verborgen bleiben. So bald fie aber Kunde 
davon erhielten, daß die Kaiſerin entichloffen jei, auf die Anträge der Ka 
pitane und Lombarden einzugehen, ſchrieb Ehre und Pflichtgefühl ihnen eine 
beftimmte Maßregel vor: fie mußten dem Feinde zuvorzufommen fucen. 
Eben diefen Weg haben fie eingefchlagen. Am 6Aften Tag nad erfolgtem 
Tode des Nikolaus, den 30. Sept. 1061 ') wählten Hiltebrand und tie 
gleichgefinnten Carbinäle den bisherigen Biſchof Anjelm von Lucca unter 
dem Namen Alerander II. zum Nachfolger. Drt ver Wahl fann nidt 
wohl Rom felbft gewefen fein, denn als fie den Gewählten am andern 
Tage zu Rom einfegen wollten, erfolgte Widerſtand von Seiten der Failer- 
lichen Parthei. Ich ziehe daher den Schluß, die Wahl ſei in irgend einer 
Kirche unweit der Stadt vor fih gegangen. Die Wähler hatten einen 
Kampf vorausgejehen, und darum für eine bewaffnete Macht gejorgt, welde 
im Stande war, den Gewählten zu befchügen. Bernold fagt:?) „Alexander 
ward von den Nordniannen und einigen Römern eingejegt." Weiteren Auf: 
ihluß gibt Chronift Loeo von Monte-Caffino. (Der Abt und Cardinal) 
„Defiderius“ meldet’) er, „war kurz vor der Wahl mit dem Fürften nad 
Rom geeilt, und. beide halfen nad Kräften das Werf Hiltibrande fördern.“ 
Nach dem, was Leo vor der eben angeführten Stelle erzählt hat, kann unter 
dem Fürften faum ein Anderer, als der Normanne Richard, Fürft von 
Gapua, verftanden werden.‘ Er war e8 wirfli. Denn Benzo beridtet:') 
„für den Preis von 100 Pfund Silber hatte Hiltibrand den Nordmannen 
Richard von Capua angeworben, Alerander II. mit Gewalt einzufeßen.“ 

Bei alle dem ift nicht zu bezweifeln, daß manche Carbinäle im Augen 
blide der Wahl auf eine frievliche Ausgleihung mit dem Hofe bofften. 
Damiani läßt?) in jenem Auflage den Vertheidiger des Stuhles Petri her: 
vorheben — was ſodann auch der Sprecher des Königthums zugibt — die 
Cardinäle hätten die Wahl deßhalb vorzugsweife auf Anfelm von Lucca 
gelenkt, weil fie vorausfesten, daß es als ehemaliger Hofflerifer und Günft 
ling Heinrich's III. der Kaiferin nicht mißfällig fe. Die Worte Damiani's 


) Der Tag ergibt fih aus folgenden Stellen: Nach Bernold (Berk V, 428) ward 
Cadaloh den 26. October, Alexander dagegen 27 Tage früher, alfo am 30. September 
gewählt. Damiani verlegt Alexanders Ginfegung auf beu erften October (Mansi XIX, 
1012 Mitte); Benzo aber fagt (Berk XL, 672) zwifchen der Ginfegung und ber Wahl fei 
ein Tag verftrichen. Letztere fiel alfo auf den 30. Sept. °) Pertz V, 428. >) Per 
vu, 11. ) A. a. D. Bes XI, 672. 6) Mansi XIX, 1017: ecclesia romans 
eum, qui regi tanquam domesticus et familiaris erat, elegit. Hierauf gibt ber adrocatus 
regis 3u: populus romanus non de romano clero, sed ex aula regia sacerdotem ad u 
stolicae sedis culmen erexit. 


Erſtes Buch. Gap. 22. Nikol. flirbt. Pabſt Alerander II. Gegenpabft Kabaloh. 639 


lauten jo, als ob Anſelm früher Mitglied der kaiſerlichen Hofkapelle ges 
weſen wäre. Dieß ift in der That nichts weniger als unwahrſcheinlich, 
weil Heinrih III., weldem Anfelm das Bisthum von Lucca verbanfte,‘) in 
der Regel auf erledigte Stühle Capellane zu befördern pflegte. Noch ein 
anderer Punft muß in Erwägung gezogen ‚werden. Die Wahlordnung vom 
Jahre 1059 hatte vworgefchrieben, in Zufunft bei Erledigung des Stuhles 
Petri vor allen Andern Mitglieder des römiſchen Elerus zu berüdfichtigen, 
und die Wahl nur dann auf Fremde zu lenfen, wenn fi unter der römi⸗ 
chen Elerifey feine würdige Bewerber fänden. Auch ift fein Grund vor- 
handen anzunehmen, dieſe wejentliche Beftimmung fei etwa durch den er: 
neuerten Entwurf von 1061 abgeändert worden. Wer möchte nun behaupten, 
daß im Schooße des römijchen Clerus, der damals Männer wie Hiltibrand, 
wie Stephan, wie Damiani zählte, fich fein ver Nachfolge Würdiger befand! 
Da die Bardinäle gleihwohl einen Auswärtigen, einen Lombarden, erforen, 
läßt dieſes Verfahren faum eine andere Deutung zu, als daß fie, fo weit es 
Roms Ehre und Wohl erlaubte, dem Hofe entgegenfommen, und durch Nach⸗ 
giebigfeit den Groll der Kaiferin entwaffnen wollten. 

Anſelms Erhebung hatte allerdings eigenthümliche Stacheln: war er 
nicht erfter Begründer und Anftifter der Mailander Pataria gewelen,?) und 
ftand nicht zu befürdten oder zu hoffen, daß durch feine Beförderung der 
Bund neuen Auffhwung erhalte, daß die Sache der lombardiſchen Demos 
fratie ganz mit der des Stuhles Petri verfchmelzen werde? Meines Er- 
achtend lagen dieſe Folgen jchwerlih außer der Berechnung Hiltibrande ; 
aber eine andere Brage ift, ob die übrigen Gregorianer an jo etwas dachten. 
Sch glaube es kaum und vermuthe, die meijten Wähler dürften, als fie 
dem Biſchofe von Lucca ihre Stimme gaben, nur von der Abficht geleitet 
worben fein, der Kaiſerin nicht mehr, ald die Noth erforderte, in den Weg 
zu treten. Später freilich gingen Allen die Augen über Aleranderd Ber: 
bindungen auf. Benzo ruft?) aus: „hat nicht diefer Alerander, den Hiltis 
brand auf Petri Stuhl erhob, die Pataria ausgeheft.“ 

Sei dem wie ihm wolle, ſowohl Die, welche an eine friedliche Löſung 
glaubten, ald Die, welde fie nit erwarteten, durffen auf einen dritten 
güinftigen Umftand bauen. Schwanfen, Unjchlüffigfeit herrichte im entgegen- 
gefegten Lager. Zur Zeit, da die Erwählung Aleranders ftattfand, war drüben 
noch nichts gefchehen. Solchen Wiverfachern gegenüber hat eine vollendete 
Thatfache, wie die römifhe Wahl, ftets ihr Gewicht. Allein die Faiterliche 
Parthei ſchwankte nicht blos hin und her, fie war in ſich getheilt. Ich 
werde unten nachweiſen, daß Hanno von Cöln und mit ihm viele andere 
das, was Agnes im Schilde führte, höchlich mißbilligten. Die Gregorianer 





1) Siehe oben ©. 567. ) Daf. ©. 567 fig. ) Berk XI, 672 Mitte, 


640 . Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


hatten daher guten Grund anzunehmen, daß bie kühne That ven Widerftand 
der Kaiſerin brechen dürfte Endlich verdient der Pabftname, den fid 
Anfelm beilegte, Beachtung. Die drei Kirchenpäbfte, welche vor Anjelm 
Petri’ Stuhl beftiegen, Bruno von Toul, Friedrich von Brabant, Gerhart 
von Florenz hatten Namen angenommen, welde an die glängendften Zeiten 
des Pabſtthums erinnerten, oder gar wie Nikolaus, nichts ald Kämpfe mit 
den Fürften weiſſagten. Anjelm dagegen wählte einen unfcheinbaren Ramen, 
deſſen erfter Träger zu den Zeiten der heidnifchen Kaiſer Trajanus und 
Hadrianus lebte, und faft feine Spuren in der Gefchichte zurüdließ. In⸗ 
dem Anfelm öffentlich vor aller Welt einen ſolchen Vorgänger zu feinem 
Mufter erfor, fehlen er allen Anſprüchen auf Größe zu entfagen, und fid 
freiwillig in die Reihe jener, von Heinrich III. eingejegten Kaiferpäbfte, Ele: 
mens 1I., Damaſus I. zu ftellen. 

immerhin fam es nicht zu einer friedlihen Ausgleihung. Die Loms 
barden und die Eapitane drangen durch. Bernold von Conftanz fährt‘) 
nah den oben mitgetheilten Worten fort: „ein allgemeines Concil 
trat in Bafel zufammen; hier fegte man dem jungen Könige den von Rom 
überfchidten Reifen auf das Haupt, und rief ihn zum römifchen Patricier 
aus. Drauf gaben die anweſenden römiſchen Gejandten ihre Stimme zur 
PBabitwahl ab, und erforen den Biſchof Cadaloh von Parma unter dem 
Namen Honorius II. zum Nachfolger Petri; die übrige Verſammlung aber 
erklärte fi mit der Wahl einverftanden. Solches gefhah den 26. Dftober 
1061.” Ich habe fchon früher bemerft, daß Bernold, mit weldem aber- 
mal fein Zeit- und Stammgenofje Berthold im Wefentlichen übereinftimmt, 
nicht feine eigene Anſicht ausfpricht, fondern die ihm aufgedrungene amt: 
liche Darftelung wiedergibt. 

Demnach begehrte der falifhe Hof, daß die chriftlide Welt in ver 
Berfammlung von Bafel ein Concil, und ſogar ein allgemeines Concil ehre. 
Das war eine grobe Täufhung. Den Namen allgemein verbient ein Concil 
nur dann, wenn alle Nationen der Chriftenheit auf ihm vertreten find; den 
Namen Deutſch nur dann, wenn Deutfchland durch geſetzliche Wortführer feine 
Stimme abgibt; endlid den Namen Eoncil überhaupt verdient eine Verſamm⸗ 
lung nur dann, wenn Mitgliever des hohen Clerus in folder Zahl Dabei 
betheiligt find, daß fie im Namen der Kirche des Landes, das fie fchickt, zu 
Iprechen vermögen. Keines dieſer Merkmale traf bier zu. Bon Bevollmächtigten 
fremder Nationen weiß feine Quelle ein Wort. Ebenfowenig war das Reid 
germaniicher Nation vertreten. Außer jenen paar Lombarden und einem ober 
zweien Mitgliedern des hohen römiihen Clerus — Damiani führt mur ben 
einen Abt vom Sfaurusklofter auf, — erfchien zu Bafel nicht ein einziger 


1) Berk V, 428. 


Erſtes Bud. Gap. 22. Nikol. ſtirbt. Pabſt Aerander II. Gegenpabſt Kadaloh. 641 


deutſcher Erzbifchof, und auch bei Weitem die meiften Bifchöfe blieben weg. 
Der Chronift von Augsburg, der wohl gemerkt, kaiſerlich gefinnt iſt Y, 
und unter den Augen des Biſchofs Heinrich, des Lieblings der Reichsver⸗ 
weſerin fchrieb, meldet?) zum Sahre 1061: „ver PBarmejane wurde von 
Etlichen (wenigen) zum Pabſte beftellt, die Erzbifchöfe aber und die übrigen 
Bifchöfe Cd. h. außer den wenigen, die, wie 3. B. der Augsburger, fich eins 
fanden) gaben ihre Zuftimmung nicht.” Zwei Fälle find denkbar: entweder 
legten die Erzbifchöfe und übrigen Biſchöfe ihre Nichteinwilligung dadurch 
an den Tag, daß fie förmlih Widerſpruch gegen Abhaltung der Synode 
felbft, oder nachher gegen ihre Beſchlüſſe erhoben; oder begnügten fie fich, 
ihre Unzufriedenheit dur einfaches Wegbleiben zu bethätigen. Rechtlich 
hatten beide Bälle die gleiche Bedeutung: das Nichterfcheinen war jo viel 
al8 eine Proteftation. 

Aus den Nachrichten, welche Zeitgenofien über die Perfönlichkeit des 
zu Bafel Gewählten mittheilen, geht hervor, daß die Kaiſerin Mutter, wäh- 
rend fie ihre eigenften Abfichten ind Werk zu feßen glaubte, von unterge- 
ordneten Geiftern, Kammerbienern und dergleichen, greulich mißbraucht wor- 
den if. Man fennt zwei Thatfachen aus Cadalohs früherem Leben. Auf 
der Rüdfehr vom Römerzug des Jahres 1046 begriffen, hat ihm Kaifer 
Heinrih III. durch Urkunde?) vom 1. Mai 1047 den Grafenbann über 
die Stadt Parma verliehen‘). Folglich muß Cadaloh ſchon damald die 
Gewaltherrihaft des Kaiferd nah Kräften unterftügt haben. Sodann 
meldet!) Damiani, daß vor 1061 drei verfchiedene Synoden über Cadaloh 
wegen feines jchlehten Wandel das Verdammungsurtheil ausgeſprochen 
hätten, und daß die Abjegung deſſelben nur durd die Langmuth der 
früheren Päbfte abgewendet worden fei.. Die Hebel, durch welde er vor: 
wärts fam, enthüllt Bonizo, indem er jagt): „der Parmefaner Biſchof war 
eben ſo reih an Geld als arm an Tugenden.” Noch offener geht‘) 
Berthold von Reichenau mit der Eprade heraus: „durch Simonie ward 
Cadaloh zum Pabft erwählt, weil er, wie die Sage geht, gewifie Leute mit 
großen Gefchenfen gewann.” Endlich berichtet”) der Ehronift von Altaich, 
der Parmeſane fet deßhalb zum Ziele gekommen, weil er die Hofleute ver 
Kaiferin mit Gold beftad). 

Alles, was zu Bajel vorging, trägt, wie man fieht, den Stempel der 
Handlungsweife einer ſchwachen, von ihrer Umgebung mißbraudten, aber 
rechthaberiihen Brau. Leo von Oſtia erzählt): „als die Kaiferin erfuhr, 


1) Berk III, 123. 3) Ibid. S. 127: parmansis episcopus a quibusdam papa 
constituitur, archiepiscopis et ceteris episcopis non consentientibus. 
3) Gfroͤrer, 8. ©. IV, 443. *) Epistol. lib. I, 20. 5) Defele, II, 807, b. 
6) Berg V, 271. 7) Gieſebrecht S. 96. °) Pertz VII, 711 unten. 

Gfroͤrer, Pabſt Gregorius vu. Br. I. 41 


642 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


daß die Römer, ohne fie zu fragen, Alerander IL zum Pabfte gewählt 
hätten, wurde fie noch zorniger und erhob nun den Biſchof von ‘Parma. 
Es war ein Gewaltftreich der verwegenften Art, ven fie im Sinne hatte. 
Solche Dinge gelingen nur dann, wenn Schreden zu Hilfe gerufen wird, 
wenn.man durch rafches und rüdfichtlojed Handeln die Gegner außer Yafjung 
bringt. Allein Agnes vollzog das, was mit dem Leichtfinn eines Kindes be; 
fchloffen worben, mit der Mattherzigfeit eined Merowingers. 

Nach dem Tage von Bafel verftrichen mehr ald vier Monate, ohne 
daß irgend etwas Entfcheidendes gejchehen wäre, um den Hofpabft Hono 
rius einzufegen. Und doch brachte dieſes Nichtsthun der Sache des letzteren 
unwiderbringlichen Schaden. 

„Da die Römer, welche bisher für Honorius gewejen, die Langjam: 
feit des neuen Pabſtes fahen, zerihmolzen fie wie Wachs in verjchiedene 
Partheiungen”, fagt‘) ver Bilchof von Alba. Warum dieſes Zögern? Beny 
gibt?) weiteren Auffhluß: „der Regen, floß in Strömen nieder und ver 
hinderte das Reifen.“ Das find leere Worte, denn man fann im Winter 
jo gut oder noch beffer aus Deutfchland nad Rom gelangen, ald im Sommer. 
Denzo fühlt felbft, daß der von ihm vorangeftellte Grund nichts beweile. 
Er fährt fort: „Herzog Gottfried und feine Gemahlin hemmten die Be 
wegungen des neuen Pabſtes.“ Alfo der Kothringer Gottfried hat die rajde 
Erfüllung der Wünſche Cadalohs und feiner Beihügerin Agnes durchkreujzt. 
Nun werden wir ftarfe Beweife finden, daß Gottfried und Hanno gemein: 
ſam handelten; Benzo hätte daher eben jo gut fagen fünnen, Cadalohs 
Einjegung fei durch Hanno aufgehalten worden. 


Dreinndzwanzigfies Eapitel. 


Benzo’d Sendung nah Rom. Charakter diefes Mannes. Sein Buch, das den Titel 
Lobrede auf Heinrich IV. trägt, gibt merkwürdige Aufichlüfle. . Die Theorie der Gi: 
bellinen. Göttlicgfeit des Kaiſerthums, Sefularifation des Kirchenguts, Abfchaffung 
aller Lehen, Reichöftener, Soldheer. Gelehrte follen an bie Stelle der Cleriker treten. 


Endlich nachdem der Frühling 1062 angebrochen, ermannte ſich Agnes, 
aus dem Pabftthum Cadalohs Ernft zu machen. Bei diefem Anlaß er 
hielt die wichtigfte Rolle zugetheilt ein Mann, deſſen Namen wir fchen 
öfter genannt haben, ein Mann fage ih, dem die Geſchichte des 11ten 
Jahrhunderts mehr verdankt, als irgend einem andern, obgleich er ald Menſch 
und Glerifer verzweifelt wenig Werth hat. Ich meine Benzo, den Bifchof der 
Stadt Alba, im heutigen Piemont, welche am Tanaro zwifchen Chierasco und 


') Perg XI, 612. 2) Berg XL, 618. 


Erfted Bud. Gap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 643 


Aſti liegt, und zum alten Liguria gehörte, weßhalb Benzo felber letzteres Land 
mit den Worten Liguria nostra als feine erfte oder zweite Heimath bezeichnet. *) 

Benzo ftammte allem Anfchein nah von deutſchen Eltern ab. Er 
felbft erzählt”), daß er die deutſche Sprache verftand und deßhalb von Pabft 
Honorius ald Geſandter an den Hof Heinrichs IV. gefchidt worden fei. 
Sch denke, auch ihn, gleich fo vielen andern deutichen Elerifern, wird Kaiſer 
Heinri III. auf irgend einen der erledigten Stühle Italiens befördert 
haben. Wann er das Bisthum Alba erlangte, ift ungewiß, dagegen erhellt 
aus dem früher mitgeteilten Zeugniffe Bonizo's, daß Benzo als Biſchof 
von Alba der Lateraniynode des Jahres 1059 anwohnte. Bonizo zählt 
ihn bei diefer Gelegenheit unter „die Stiere Lombardiens“. Als Bor: 
fämpfer der Krone nahm Benzo zwanzig Jahre hindurch lebhaften Antheif 
an den kirchlichen Streitigfeiten der erften Zeiten Heinrichs IV., und fchrieb 
zulegt über feine Erlebniffe ein Buch, das zu den feltfamften litterarifchen 
Erzeugniffen des Mittelalterd gehört. 

Daffelbe befteht, meines Erachtens, aus einer Reihe einzelner Aufſätze, 
Betrachtungen, der Form nad erdichteter, dem Inhalte nad) wahrer Briefe, 
bie er durch einen eingewobenen hiſtoriſchen Baden loſe verband. Die 
erftgenannten Beſtandtheile find, glaube ich, zu verjchiedenen Zeiten zwijchen 
1063 und 1090 niedergeſchrieben, der Abſchluß des Ganzen fällt nicht lange 
nach dem Sahre 1091. Pabft Gregor VIL war längft aus Rom ver: 
trieben, Heinrih III. zum Kaiſer gekrönt’), Benzo felbft, der die Geſandt⸗ 
Schaft nad Rom in den beften Jahren ausgeführt hatte, war vom Alter 
niedergebrüct und gebrechlichy. Die Worte’): „aus Rom vertrieben, fault 
Hiltebrand“, fcheinen den Tod Gregor VII. anzuzeigen; doc iſt Diele 
Deutung nit ganz fiher, da Benzo bei feiner überaus derben Schreibart 
dadurch aud nur den gänzlihen Verfall der Sache Hiltebrands andeuten 
könnte. Dagegen findet fi) eine andere, unzweifelhafte Zeitbeftimmung am 
Ende des Buchs, wo er jagt‘): „Adelheid iſt jest aufgenommen in den 
Chor der reinen Schaafe, welche den Thron der Mutter Gottes umgeben.” 
Diefer Sag bezieht fih ohne Frage auf den Ton der Marfgräfin Adelheid, 
Schwiegermutter des Kaiſers Heinrih IV., welche laut dem Zeugnifje”) 
Bernolds im Dezember 1091 ftarb. Benzo beendete folglid fein Buch 
nah 1091. Die hiftorifchen Zugaben hat er — meiner Anfiht nad — 
fpäter ale die rhetoriſchen Stüde, wohl nicht lange vor Abſchluß des Ganzen®) 
und zwar — wie ich vermuthe, aus dem Gedaäͤchtniſſe eingefügt. 


1) Daf. *) Ibid. 627. 9) Lid. VI, cap. 5. Per XI, 664. *)1, 5. Ibid. 601. VII, 
1. S. 669. *) vu, 2. Ibid. ©. 673: cetera quis nescit, depulsus ab urbe putres- 
cit. °) VII, ?. Ibid. S. 680. ?) Berk V, 453. *) Die, Note 4 u. 5 angeführten 
biftorifchen Stellen, die am Anfang und zu Ende bes Ganzen flehen, bat er als abges 
lebter Greis, alfo um 1091 gefchrieben. 


419 


644 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 





Theild dieſe Weiſe der Abfafjung, theild der Zwed, ven er ſich von" 


fegte, theild die Eigenthümlichfeit feines Weſens find Urſachen zahlreiche 


Mängel des Buchs. Wer heute den Auftrag erhielte, das was in taf 


legten 30 Jahren vor feinen Augen vorgegangen, ohne literariihe Hülle 
mittel, ohne Zeitungen, ohne Aufzeichnungen in Tagebüchern zu ſchildem, 
würde unfehlbar viele Verftöße gegen die Zeitfolge oder die Einzelnheiten 


der Greigniffe begehen. Denn eine feltene, faft möchte ich fagen, unerhörk \z 
Kraft der Erinnerung gehört dazu, um foldhe Fehler zu vermeiden. 3 je 
darf daher dem Bifchofe von Alba nicht hoch. angerechnet werden, daß er|! 
häufig die Zeitordnung verwirrt, in fonft wahre Darftellungen faliche Züge | 


einwebt, auch zuweilen Phantaften ftatt Thatjachen vorbringt. Mit Sicher: 


heit fann man fein Buch nur dann benügen, wenn man nebenbei Urfunden 
und Die Tagebücher ded Mittelalters, d. h. die Chroniken, zu Rathe zieht. |* 


Die Arbeit Benzo’d verfolgte einen perjönlihen Zwed: er will die 


Gunft des falifchen Haufes und des Königs Heinrih IV. gewinnen, für |} 


den er fein Werf beftimmt hat; vafjelbe ift deßhalb in die Form einer Lob: 
rede (eines Panegyrifus) eingefleidet, und in der That trägt es die Farben 


did genug auf. Sodann will er feinen Groll wider die Gegenparthei aud: Ki 
lafjen, die ihn, wenn nicht um Amt und Ehre, fo doch um das frühere fette Wi 


Einfommen gebradt hat). Deßhalb ftrömt feine Feder über von Gall 
gegen die Häupter der Gregorianer, namentlich gegen Hiltibrand, Aleran- 
der IL, Bonizo, Herzog Gottfried, von denen er faft feinen mit dem fahren 
Namen bezeichnet, jondern in der Regel mit Edyimpfwörtern, die jedod 
leicht verftändlich find, und zwar mit derben und niedrigen, belegt. Don 
Haus aus ift Benzo ein munterer, lebensluftiger, gejchäftsfundiger Knabe, 
er nimmt die Menjchen wie fie find, weiß fie an ihren Schwächen zu paden, 
tröftet fi über die Schlechtigfeit der Welt, und es fällt ihm nidt 


ein, dieſelbe beſſern zu wollen; aber von klerikaliſchem Feuer oder fittliher 


Würde findet fih bei ihm feine Spur. Er hat nur vor Geld und Madı 
Achtung, denft nur an Genuß, ift ein wahres Vorbild jener geiftlichen ober 
vielmehr ungeiftlihen Sinefuriften, mit welchen die Gregorianer in unver: 
jöhnlihem Kampfe lagen. Wenn er aud) häufig den Previgerton anftimmt, 
geihieht Dieß nicht aus innerem Trieb, fondern aus Gewohnbeit, weil 
der Stand, in dem er aufwuchs, es fo mit fi bringt; gleichwohl heuchelt 
er nicht, jondern gibt fi) ald das, was er ift, namentlich ftredt er umver: 
hüllt den Bettelfat vor den Kaifer hin. Benzo machte Anfprud auf 


667: nos episcopi vocamur, 
nec sumus episcopi; 
auferunt quidquid habemus 
homines nequissimi. 





Erſtes Buch. Cap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 645 


das, was das 11te Jahrhundert für feine Weltbildung hielt. Der falifche 
Hof muß einen gewifien Anftrich von Liebhaberei für ſchöne Kitteratur gehabt 
haben. Der Biſchof von Alba ftrebt deßhalb nad dem Ruhme eines 
Poeten, bringt jeine Säße großen Theild in gereimte Tateinifche Verſe, 
namentlich aber will er geiftreich ericheinen und fein Gegenftand ift fo ernft, 
über den er nicht feine Laune auszugießen verfuchte. Trotz dieſen Nichts- 
würdigfeiten nimmt Benzo's Panegyrifus auf Heinrich IV. unter den Quellen 
des 11ten Jahrhunderts eine der erften Stellen ein, und zwar darum, weil 
er die legten Hintergedanfen theild des kaiſerlichen Hofs, theild des geift- 
lichen Gelichters, dem er felber angehörte, ausſchwazt. 

Es gibt feine mächtige, auf die Welt einwirfende Parthei und hat 
nie eine gegeben, die nicht ihre eigene Theorie oder Lehre aufitellte. Zu⸗ 
weilen werden folde Theorieen eine Zeit lang verheimlicht, zulegt aber 
brechen fie hervor, und noch ehe dieß offen geichicht, wird man wenigſtens 
Spuren derfelben in den Schriftftelern entveden. Zur Zeit, da Heinrich IV. 
den Thron beftieg, bejaßen die Gregorianer, deren Mittelpunkt das Klofter 
Clugny, längft ihr abgejchlofjenes Gebäude von Grundſätzen, das wir am 
gehörigen Drte werden kennen lernen. Da aber PBartheien kraft des 
Gegenjages groß wachſen, konnte es nicht fehlen, daß im Verhältniffe, wie 
die Gregorianer mit ihrer Weltanfchauung hervortraten, auch der Wider: 
part die feinige entwidelte. Wohlan! Benzo ift der erfte Schriftfteller, der 
die Theorie der Gegenfüßler des gregorianiichen Syſtems darlegt. Daß 
dem ſo fei, mit andern Worten, daß Benzo nicht etwa perfönlihe Meinungen 
vorbringt, dafür hat Herr Bod in feiner Schrift‘) über Guido von Piſa 
den äußeren Beweis geliefert. Beide, Benzo, der im 11., Guido, der im 
12. Jahrhundert fchrieb, find Sprößlinge eines geiftigen Stammes, Wort: 
führer einer und verfelben Theorie, obgleich vielleicht Guido nicht einmal 
die Schrift feines Vorgängers kannte. Doch es bedarf nicht einmal Außerer 
Zeugniffe. u 

Sobald zwei entgegengefegte Partheien ihre Reife erlangt haben, 
entftehen nothwendig auf dem Gebiete, das zwiſchen beiden Feuerheerden 
liegt, jene Zwittermeinungen, denen ein berühmtes Haupt vor 28 Jahren 
den Namen „richtige Mitte” gefchöpft hat. Die Baumeifter folder rich- 
tiger Mitten find gewöhnlich entweder gutmüthige oder pfiffige Menſchen, 
welche in erfterem Fall die Welt durch den Doppelgenuß deſſen, was fie 
an den entgegengejegten Syftemen für Acht und gut erachten, beglüden, oder 
im andern Fall nad zwei Seiten bin für den eigenen Bortheil forgen 
möchten. - 


— — — — —— 


1) Lettre à Mr. Bethman sur un manuscrit — intitulò: liber Guidonis, Bruxelles 
1851. Gin Meifterftüd von Scharffinn und Gelehrſamkeit. 


646 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Die richtige Mitte zwiſchen gregorianiſcher und gibellinifcher Schärfe war 
in den Tagen Benzo's längft aufgefunden, und wurbe von ihm eben jo ent- 
ichieven zurüdgeftoßen, als dieß vorausfichtlih von Seiten der Gregorianer ge: 
Ichehen fein muß. Die Einleitung zum erften Buche des Panegyrifus beginnt‘) 
mit den Worten: „wollet Ihr Andere nicht irre führen, jo jorgt dafür, daß der 
Name des Befigerd über der Thüre jedes Haufes angeheftet fei“. Dann 
den verborgenen Sinn dieſes Satzes enthüllend, jagt”) Benzo im erften 
Eapitel: „geichrieben fteht: fürchte Gott und ehre den König; und hinwiederum: 
o Herr fegne den König; darum jollen Alle, die unter des Königs Scepter 
leben, Tag und Nacht dieſes doppelte Gebot zu erfüllen ſich befleißigen. 
Wer e8 an Liebe zum Könige fehlen läßt, ver ift ein Verächter des gött- 
lichen Geſetzes.“ Das heißt in klares Deutich überjegt: heraus mit der 
Farbe, feid Ihr Anhänger des Königs oder nicht? für und gibt es nur 
zweierlei Menjchen auf der Welt, ſolche die den König ehren, und jolde 
die ihm den Gehorfam verweigern. Eine dritte Parthei erfennen wir nicht 
an. Der nämlide Grundgedanfe beherricht auh das Buch Guido's, aber 
er tritt hier noch finnlicher, handgreifliher hervor. Guido ſchmückt nämlich 
das erfte Capitel feines Werks mit dem In Farben gemalten Bilde eines 
Kaifers. 

So weltlich gefinnt und unfirhlih Benzo ſelbſt und feine Meinungs 
genofjen waren, hatte die hriftliche Theologie jo ganz das Bewußtſein der 
Menſchen des 11. Jahrhunderts durchdrungen, daß die Gibellinen ſich genös 
thigt jahen, den oberften Sag ihres politiichen Credo in ein bibliſches Ge- 
wand einzufleiven. Zu dieſem Zwede fteigt ihre Lehre in die Geſchichte 
des Baradiejes hinauf. Im vierten Buche des Panegyrifus heißt‘) «8: 
„Religion ftieg hernieder aus des Himmeld Höhen, wollte unter den Men 
ihen wohnen, um die Kinder der Erde an erhabene Ordnungen zu gewöhnen. 
Sie wanderte durch die Länder, verfnüpfte Hohe und Niedere, zerftörte bie 
Götzenbilder, verfündigte das Geſetz Gotted. Als dieß der Unglaube fah, 
verichloß er ein Auge der Menſchen, die ſchon gläubig geworden waren, 
ftachelte fie auf zum Ungehorfam und reichte jedem den Taumelbecher der 
Blindheit. Niemand, fprach er, traue den Worten der Religion, fie will 
Euch unter das Joch des Geſetzes beugen, ich aber laffe Euch den Zügel 
Ichießen und öffne alle Thore. Eingefchloffen war der erfte Menſch in 
einem Garten, Religion hielt ihn niever unter dem Katfertbum des Ge 
jege8*), ich aber habe den Zwinger gebrochen und ihm Die Freiheit 
zurückgegeben.“ 

Nach dem Falle des menſchlichen Geſchlechts übertrug der Höchfte die 


ı) Berk XI, 599. *°) Ibid. 600. °) Ibid. S. 639. *) Fides eum cohercebat 
sub legis imperio, offenbar eine Anfpielung auf das Kaiferthum. 


Erſtes Buch. Gap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 647 


Handhabung des Rechts dem Kaiſer, denn der Kaifer ift Gottes Statt: 
hulter auf Erden. Im erften Buche redet‘) Benzo Heinrih IV. folgender 
Maßen an: „Ih kann meinem Herrn dem Cäfar nicht verhehlen, daß 
Diele über Euch murren, indem fie ſprechen: Ihr wendet zu wenig Surgr 
falt auf Auswahl der Biſchöfe. Bedenket, daß der Allmächtige Euch als 
Statthalter eingefegt hat, um die Menſchen in gleicher Weile an Ordnung 
zu gewöhnen, wie Er, der Höchfte, die Ordnung im Himmel handhabt. 
Weil Ihr der Stellvertreter (vicarius) des Schöpferd (conditoris) ſeid, fo 
ſollt Ihr ftetd die Pflihten Eurer hohen Würde vor Augen haben. Denn 
dazu wurdet Ihr über alle Gewalten und alle Rechte der Reiche und Na- 
tionen erhöhet, damit Ihr bei allem Eurem Thun Eure Gedanken auf Gott 
richtet und ſtets die Ehre dem Höchjften gebet, der Euch nad) feinem Bilde 
unter den menjchlichen Geſchöpfen als einen zweiten Schöpfer beftellt 
hat.“ Den Sag von der Erhabenheit des Kaiſers über alle Geſetze und 
Rechte der Menfchen, welcher hier nur obenhin berührt ift, treibt?) Benzo 
an einer anderen Stelle bi8 auf die äußerſte Spige: „das Recht unge: 
firaft thun zu dürfen, was ihm beliebt, fteht nur dem Kaiſer zu.” 

Die Borftellung, der deutſche Kaiſer fei Gottes irdiſcher Statthalter, 
laßt fih faft ein Jahrhundert zurüdverfolgen, indeß wenn fie auch früher 
Ihon auftaucht, kommt fie doch in wefentli anderer Geftalt vor. Nach⸗ 
dem Dietmar von Merfeburg erzählt hat, wie der Plan des Polen Boles- 
law, den füniglihen Namen ſich anzumaßen, vereitelt worben ſei, fchließt 
er mit der Bemerfung:’) „jene verkehrte Menfchen, welde den Polen 
unterflügten, wußten nicht, daß der Ewige feinen Statthalter auf Erben 
(Dietmar meint den deutichen König Heinrih II.) mit mächtiger Hand 
gegen ihre Bosheit zu fchügen beſchloſſen hatte." Diefe Worte find ein 
geheimer Stid gegen den damaligen Pabft, welcher unter der Hand den 
Wünſchen des „Kühnen“ Vorſchub leiftete. Dietmar will jagen, weil Hein» 
rich OD. im Rechte war, Pabft Johann XVIIL dagegen mit Unrecht dem 
Polen half, ward Erfterer von Gott, dem Rächer Alles Böfen, als fein 
Stellvertreter durch die That anerkannt. Die ftatthalterlibe Macht, die 
der Merjeburger Biſchof dem deutichen Könige zufchreibt, erfcheint als eine 
durd die fittlihe Würdigkeit Heinrich’ II. bedingte. 

Aber bei Benzo fällt die Bedingung weg; der Kaifer mag handeln 
wie er will: er iſt Fraft feines Amtes Gottes Stellvertreter auf Erden, 
und Alles, was er beftehlt, ſei ed nach menſchlichen Begriffen recht oder 


® 


1) Ibid. ©. 609: in tantam sublimitatem elevatus et super omnes potestates om- 
niaque jura regnorum exaltatus. 2) Ibid. ©. 672: nam impune facere, quae libet, 
id est regem esse. 3) Chronie. VI. 8. Perg III, 808: ignorantes, quod ab eorum 
fraude vicarium suimet in terris Deus pater ingenitus liberaturus erat e coelis. 


648 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


unrecht, muß ohne Murten, weil ed von einer göttlich eingejegten Gewalt 
ausgeht, vollftredt werden und beftgt die Gültigkeit eines Geſetzes. Der Abfoln: 
tismus hatte innerhalb gewiſſer Kreije während des 40jährigen Zeitraums, 
der zwifchen Heinrich IL und Heinrih IV. liegt, merkwürdige Yortfchritte 
gemacht. Zugleich aber ficht man, daß die Theorie, welche Benzo und Genoſſen, 
angeblich zum Vortheil der Krone ausframten, je nad Umftänden dem Königs 
thum gefährlich werden fonnte. Denn welde Kluft gähnt zwiſchen dem 
von den wohlgenährten Baronen-Bilchöfen Lombardiens angepriefenen Ideal 
und der nadten Wirklichkeit! Um ruhig binzunehmen, daß ver liederlice 
Hof zu Goslar eine himmliſche Pflanzung, und gar daß der verzogene 
Knabe Heinrich IV. ein Untergott fei, dazu gehörte ein ftärferer Glaube, als 
er in Deutfchland bei unſern Ahnen zu finden war. 

Nicht minder ftaunenswerth ald die metaphuftiche, ift die hiſtoriſche 
Seite der Staatsredhtslehre des Biihofs von Alba. Vier Fürften werben 
ald Gründer des römiſchen Kaiſerthums vdargeftellt und gefeiert: Cajus 
Yulius Cäſar, zweitens Auguftus, drittens Tiberius, viertens Vespaſianus. 
Doch jpriht Benzo nur obenhin von Cäſar, den Nahdrud legt er auf die 
drei, und zwar den größten auf Tiberius. Im erften Kapitel des erften 
Buches heißt‘) ed: „als vierte der großen Weltmonardhien ward Rom er: 
höht. Der erfte Kaifer ded Reichs (Auguſtus) führte die allgemeine Eteuer 
ein, und ließ zu diefem Zwed die ganze Einwohnerfchaft aufichreiben. Durch 
den großen Tiberius empfing Rom den Ehrennamen „Haupt ber 
Welt”, dieweil derfelbige Kaifer viele neue Yefte in den Stamm des Reichee 
einfegte. Durch die Thatkraft der Cäfaren, durch ihre Waffen und häufigen 
Kriege hat die römiſche Macht den ganzen Erdkreis unterworfen, Alles 
unter das Geſetz des Gehorſams gebracht. Friede war überall, Ruhe, Heil, 
Wohlſtand. Wenn je da und dort eine böfe aufrühreriihe Neigung fih 
zeigte — wie eine jolde ja auch im Himmel am Anfang der Dinge ber- 
vortrat — ward fie jofort erſtickt durch römiſches Gericht. In diefer golpnen 
Zeit litt die Menjchheit an feinem Schaden. Der gelehrte Hegefippus be: 
Ichreibt, wie Vespaſianus das Judengefchleht züchtigte. Weil daffelbe ven 
Schöpfer diefer Welt mißhandelt hatte, wurden alle Juden, jung und alt, 
al8 Leibeigene unter die Völker vertheilt,“ 

Unter den Stiftern des Reichs erhält Vespaſian darum eine Stelle, 
weil er das am Weltheiland verübte Verbrehen, gemäß der Weiffagung, 
weldhe vom Herrn vor feinem Tode verfündigt worden, gebührend ftrafte, 
Er erjcheing als Boliftreder der von Ehriftus erlaffenen Rachebefehle. Aus 
andern Stellen des Panegyrikus erhellt, daß den LXobeserhebungen, welde 
Denzo dem Vespaſianus ertheilt, Hintergedanfen, die auf die Gegenwart 


) Perg XI, 598. 


Erſtes Bud. Cap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Bikellinen. 649 


zielten, zu Grunde lagen. Benzo's Meinung ift: wie zur Zeit, da ber 
Erlöjer lebte, das Judenvolk Die göttlihe Ordnung umzuftürzen fuchte, fo 
gibt es jegt ähnliche Weltverderber, die als Feinde des Menſchengeſchlechts 
geftraft werden müflen, nämlich die Parthei des Antihrifts Hiltibrand und 
jeiner Epießgefellen, der lombardiſchen Batariner. Diefen Gedanken, ver 
oben nur angedeutet ift, ſpricht) Benzo tiefer unten mit dürren Worten 
aus: „dad Haupt möge dem Teufeldjohne Hiltibrand abgefchlagen und an 
einen Spieß geftedt, oder möge er den Panthern und Löwen zum Yraß 
vorgeworfen werden. Seine Anhänger aber laſſe unfer Kaiſer Heinrich, 
mit Feſſeln beladen, nad Sachſen abführen, jo wie die Juden nad Bas 
bylon verpflanzt wurden. Zerftreut follen fie werben über die weite Welt, 
und nirgend mehr eine fefte MWohnftätte haben. Niemand gewähre diefen 
Berruchten, jungen wie alten, ein Begräbniß, damit die ſpäte Rachwelt 
noch erfahre, wie ernft ed unjerem Kaiſer war, ein neues Rom, ja eine- 
neue Welt zu fchaffen.” 

Nähft Bespaftan, dem Vollftreder göttlicher Gerechtigkeit an den Juden, 
preist Benzo den erften römijchen Kaifer Auguftus, und zwar dieſen wegen 
einer großen That, nämlid wegen Einführung der Reichsfteuer. Sonnen: 


1) Lib. VI, 4 ©. 662: Membris omnibus abscissis 
Caput fixum stipite 
Conspexerunt permanentes 
In castroram limite. 
Ut sic fiat Folleprando (Giner der vielen Unnamen, die er 
O fideles! dicite. Hiltibrand gibt.) 

Dann weiter: 
Nunc scitote, quot sit plenus 
Ille vir (Hiltibrand) daemonibus. 
Qui avertit Seniorem (ben Kaiſer) 
A propriis domibus, (Gr wollte den Kaifer nicht nach 
Justum est ut is tradatur Rom einziehen laflen.) 
Pardis et leonibus. 
Hierauf ©. 664: 

Transferantur catenati 
Quidam in Saxoniam, 
Ut Judaei sunt translati 
Apud Babyloniam. 
Dispergantur, nunquam magis 
Habeant coloniam! 
Nemo tradat sepulturae 
Parvulum aut vetulum. 
Videant posteri nostri 
Totum hoc per speculum, 
Quod fecisti novam Romam 
Atque novum seculum. 


650 Pabſt Sregorius VII. und fein Beitalter. 


flar ift, daß Benzo auf das zweite Kapitel des Evangeliums Luck anipielt, 
wo geichrieben ftehet: „ed begab ſich aber zu felbiger Zeit, daß ein Ger 
bot von Kaiſer Auguftus ausging, daß alle Welt gefchäget würde, — und 
Sedermann lief, daß er fih jchäben ließe, ein jegliher in feine Stadt.“ 
Der geheime Ideengang ded Bilhofs von Alba ift folgender: das Heil 
der Menjchheit, jenes goldene Zeitalter, dad Benzo fo berebt herausftreicht, 
warb durch zwei große Anftalten gegründet, erftlih durch die allgemeine von 
Auguftus angeordnete Reichöfteuer, und zweitens durch die Geburt Jeſu 
Ehrifti des Erlöſers. Dieje beiden Anftalten aber traten, zum deutlichen 
Beweilr, daß vor Gott die eine jo viel Werth hat, als die andere, zu 
gleiher Zeit in die Welt. Welche Theologie! Ich werde unten weitere 
Beweiſe des Gewichtes beibringen, welches Benzo auf die Reichöfteuer legt. 

Für den höchften und vortrefflichften unter den drei Gründern des Kais 
ſerthums erklärt Benzo den dritten oder Tiberius. Nicht nur gibt er ihm 
allein den Beinamen des Großen, nicht nur fchreibt er ihm die Vollendung 
römifher Macht zu, ſondern aud an andern Stellen ded Panegyrikus cr 
mahnt er den deutjchen König Heinrih, vorzugsweile Tiberius zu feinem 
Borbilde zu nehmen. Im ſechsten Buche zählt er die deutſchen Kaiſer von 
Carol bis zu den Ottonen herab auf, dann zu Heinrid III. übergehend 
ruft!) er aus: „jenen folgte in der Herrfhaft Heinrich III., figend auf dem 
Throne Tibers, würdig vor Allen des römischen Reihe, er ein Mann Gottes 
und vol himmlischen Sinnes.“ Weiter unten redet?) er Heinrich IV. felbft 
mit den Worten an: „o du großer Fürft, fichere Hoffnung des Reichs, an 
Macht und Majeftät Tiberius erreichenn. * 

Herr Bod wirft die Frage auf,”) ob die hohe Stelle, weldye Benzo 
trog den Scheußlichfeiten, welche dem Stieffohne Augufts die alten römi- 
hen Hiftorifer Schuld geben, dem dritten Cäͤſar anmweist, nicht daher zu er 
Hären jei, weil Tiberlus, laut der mittelalterlihen Sage, Heroded und Pi: 
latus wegen des an unferem Erlöfer verübten Mordes zur Strafe gezogen 
habe, und dur Die heilige Veronifa wunderbar geheilt worben fei. Ich 
bin mit Bod entgegengejegter Meinung, aber aus einem andern Grunde. 


1) S. 661: His successit Heinricus 
In sede Tiberii, 
Quem decebat magistratus 
Romani imperii, 
Homo Dei et coelestis 
: Plenus desiderii. 


?) Ibid. ©. 668: Certa spes imperii 
— Opibus et majestate 
Compar es Tiberii. 


2) A. a. O. S. 79. 


Erſtes Buch. Cap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Bibellinen. 651 


Meines Erachtens kannte Benzo die dem Tiberius von Sueton und andern 
im Mittelalter gelefenen Gefchichtichreibern gemachten Vorwürfe recht gut, 
aber er jah in diefen Hiftorifern antife Hiltibrande und PBatariner, Schwind⸗ 
ler, die aus Dummheit oder verftedter Ehrjucht die Welt beifer machen 
wollen, als fie zu fein fähig ii. Nach feiner Anſchauung war der Tadel 
jener Federhelden ein Xob für den Stiefſohn Augufts. Ein rechter Kaiſer, 
denft Benzo, muß ftrenge herrichen, und die Subler niederhalten, je mehr 
biefe jchreien, deſto gewiſſer ift, daß der Herricher feine Sache recht ges 
macht hat. 

Wie hängt das Kaiferthum der altrömifchen Cäfarn mit dem neuen 
der Salier zufammen? In folgender Weife: Gott oder Ehriftus übertrug 
einft die Gewalt an Auguftus und deſſen Nachfolger. Drauf als ihre Zeit 
erfüllet war, verlieh Er durdy jeine Apoftel Petrus und Paulus die Herrs 
ſchaft abwechſelnd den Griehen, den Franfen, den Longobarden, zulegt 
den deutſchen Königen, in deren Händen fie ewig bleiben fol. Der 
Anfang des dritten Buchs lautet:')- „Wehe Eu, die Ihr, was jchlimm 
ift, gut, was gut ift, ſchlimm nennt, die Ihr Licht für Finſterniß, 
Finfterniß für Licht ausgebet. Wehe Euch, die Ihr weile feid in Euren 
Augen und Hug nad eurem Sinne, und nit achtet auf den Felſen, aus 
dem Ihr gemeißelt jeid, und dem Ihr Alles verdankt. Darum, Ihr Lenker 
der Reiche, höret auf das Wort des Herrn: Petrus und Paulus, Banners 
führer der chriſtlichen Schaar, kämpfend wider die Gögen, welche die Heiden 
verehrten, der Eine mit dem Kreuze, der Andere mit dem Schwerte, haben 
die Burg des römischen Reiches erobert, und diejelbe nadı ihrem Wohlgefallen 
abwechjelnd den Griechen, den Gallien, den Langobarven übergeben, zulegt 
aber, und zwar zu ewigem Befige an die Deutjchen verlichen. Durch die 
überfhwänglihe Gnade des Apofteld wuchs der Deutihen Macht wirklich 
bis zum Himmel empor, und lange Zeiträume beherrjchten fie den glänzenden 
Garten Calabriend. Ihr Beſtes brachte ihnen bereitwillig Apulien dar, und 
das reiche Ligurien legte feine Echäße zu ihren Füßen, ja das ganze über- 
mächtige Italien freute ſich, ihnen zinspflichtig zu ſein; aber o Schmerz! 
während fie in ruchlojen Kämpfen fich untereinander zerfleijchten, während 
fie den Sohn von der Mutter trennten, ging die eine Hälfte des apoftolis 
ihen Erbe verloren.” Ich werde fpäter zeigen, warum Benzo vor allen 
Provinzen Calabrien und Apulien nennt. 

Waren nun die Salier, war der junge Heinrid IV. wahre und recht⸗ 
mäßige Nachfolger der Augufte und Tibere, nun jo mußten fie vor Allem 
die Reichöfteuer erneuern, durch welche der erfte Kaiſer Roms das Heil der 
Welt begründet hatte. Genau diefen Schluß zieht der Biſchof von Alba aus 


t) Berg XL, 622, 


652 Pabſt Bregorius VIL und fein Zeitalter. 


den nämlichen Vorverjägen, und man darf wohl jagen: neben Rachgier 
gegen Hiltibrand und die Patariner, welche legtere Ligurien verwüfteten, 
d. h. Benzo's Bisthum feiner beften. Einkünfte beraubt hatten, ift die Noth⸗ 
wendigfeit der Wiederherftellung des von Auguft angeordneten Cenſus Grund: 
gevanfe der Lobrede. Im Eingange zum erften Buche läßt‘) fich Ben 
alfo vernehmen: „lied o Heinrich! aufmerffam meine Schrift, denn fie hat 
einzig den Zwed, Vortheil und Ehre meined gnädigften Herm, des Kaiſers, 
zu fördern. Dur die Dffenbarung deines treuen Knechtes Benzo ſollen 
wichtige Dinge au's Licht fommen, die bisher in tiefer Vergeſſenheit bes 
graben lagen. If einmal die allgemeine Steuer wieder in's Leben getreten, 
dann wird die Welt inne werden, daß die Gnade aus der Höhe meinen 
Herrn den Kaiſer heimgefuht hat, denn durch die göttliche Gnade mitten 
in das Paradied des Reichthums hineingeftellt, wirft Dun erhöhet werben 
über alle Könige, die je auf Erden waren. Semiramid und Ahasverus, 
Nabuchodnoſſor und Ptolomäus, Darius und Eyrus follen vor Dir fidy beugen 
und eingeftehen, daß fie, verglichen mit Dir, Bettler gewefen, wenn einmal 
die Steuergelder von allen Seiten in Deine Schagfammer zujammenftrömen.“ 

Wozu follten diefe Summen in erfter Linie verwendet werben? zu Auf: 
ftellung eined Soldheeres. Der Panegyrifus gibt hierüber Aufichlüffe, aus 
welchen erhellt, daß dem Bilchofe von Alba die durch eingeriffene Erblid- 
feit der Lehen zerrüttete MWehrverfafiung des Reichs ganz in der Geftalt, 
wie ich fie oben jchilderte, vor Augen jchwebte. Im fünften Abfchnitte des 
erften Buchs jagt?) er: „ehe ich fterbe, will ich meinem Herrn anzeigen, 
was Noth thut. Ich weiß, daß Ihr bei Euren vielen Sorgen nicht wenig 
geängftigt werdet, weil Ihr die Geldforderungen der Soldaten nicht be: 
friedigen könnet. Deßhalb hab ich e8 für meine Pflicht erachtet, darzuthun, 
dag Ihr mit Recht Steuern fordern dürft, die allen Euren Nöthen ein 
Ende machen werden. Denn wenn nicht ſtets im Schage Geld genug vor: 
handen ift, um die Soldaten zu bezahlen, jo wird der König öfter im Ball 
fein, jelbft Die getreueften Anhänger vor den Kopf zu ftoßen. Den Ber: 
legenheiten des Hofes kann nur dann gründlich geholfen werden, wenn ber 
Schatz des Reichs wieder zum Befig der ihm gebührenvden Steuern gelangt.“ 
Ebenfo’) im erften Abjchnitt des nämlichen Buchs: „Will der König feine 


m — — — 


1) Pertz XI, 599 unten flg. ?) Ibid. ©. 601 unten flg. 2) Ibid. ©. 600: 
divisis usibus regalis militiae reconciliandis. Mit den Worten divisi usus iſt meines 
Erachtens das Mifverhältnig zwifchen dem Lehenheere und den Haustruppen gemeint. 
Letztere find viel zu gering an Zahl, um zu bewirken, daß auch das erftere feinen 
Dienft, fo wie es fein follte, thue. Abfichtlich drückt ſich Benzo dunkel aus. Gr weiß, 
daß er ein Stautsgeheimnig berührt. Ich bemerfe noch, daß Pertz flatt divisis, mie 
Menden lad, das Wort diversis gewählt hat. Allein nur erflere Lesart if meines Grad: 
tens gefund, da, wo eine reconciliatio eintreten foll,*vorher divisio befanden haben mus. 


Erfted Buch. Gap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 653 


eigene und feiner Nachfolger Zukunft fihern, fo muß er vor Allem feine 
Aufmerffamfeit dem Steuerwefen zuwenden. Damit die den Einfall drohenden 
Kirchen bergeftelt, Brüden und Spitäler im Stande erhalten werben, da⸗ 
mit namentlich der Zerüttung, welde im Kriegsdienſt eingeriffen 
ift, Abhilfe geichehe, muß nicht nur im Pallafte zu Rom, fondern auch zu 
Pavia eine Schatfammer erftehen.” 

Benzo fpriht fo, als ob die Säge Über die Nothwendigkeit einer 
Reichsſteuer in feinem Kopfe gewachien, feine Erfindung feten. Allein dieß 
ift eine leere Prahlerei. Seit des erften Otto's Zeiten ftand der deutſche 
Hof in Verbindung mit dem byzantinischen. War doch die Gemahlin des 
zweiten Otto eine Griechin. Nun Täßt es fich gar nicht denken, daß die 
deutfchen Könige auf dieſem Wege die unermeßlichen Vortheile nicht kennen 
lernten, welche den Beherrfchern des Oſtens das dort eingeführte Steuer: 
weſen gewährte. Und der Wunfch follte nicht längft in ihnen aufgeftiegen 
fein, diefe Einrichtung in ihren Landen nachzuahmen! Wer wird dieß glauben? 

Noch mehr! Seit Jahrhunderten ftrebten die Könige der germant- 
jhen Stämme, melde fih auf altem Römerboden niederließen, darnach, 
ihre deutfche Unterthanen in gleicher Weiſe der Steuerbarfeit zu unter- 
werfen, wie die romanifhen. Das Miplingen dieſes Plans bildete bie 
eigentliche Urſache vom Verfall merowingifcher Herrihaft; Doch es bedarf feiner 
Berufung auf die Vergangenheit. Zur Zeit, da Benzo obiges Werk fchrieb, 
hatte die Regierung Heinrih’8 IV. längft Allem aufgeboten, um den von 
ihm ausgefprochenen Grundſatz allgemeiner Befteurung im ganzen Reiche zu 
verwirflihen. Die vom Könige geforderte Steuer war der geheime Hebel 
deffen, was in Sachſen, Schwaben und in andern Herzogthümern vorging. 

Mährend über die Nothwendigkeit der Steuer unter den Anhängern 
ded Hofes nur eine Stimme herrfchte, zerbrah man ſich den Kopf über. 
die Welje der Einführung. Benzo wied auf ein Mittel hin, das allerdings 
blendend fcheinen mochte. Sein Ideengang iſt furz diefer: von allen Pro- 
vinzen des Tateinifchen Abendlandes, in denen einft die von Auguft ange: 
ordnete, oder nadı der Theorie Benzo's aus dem göttlihen Willen entfproffene, 
Schatzung beftand, gibt es nur noch zwei, welche die ehemalige Einrichtung 
in ihrer urſprünglichen Reinheit bewahrt haben, nämlich Calabrien und 
Apulien, bis vor Kurzem in den Händen der Byzantiner, aber jegt durch 
die Normannen bevroht. Eben diefe Goldländer aber bietet das griechtiche 
Kaiſerthum dem deutihen an. Heinrih IV. darf nur zugreifen; hat er 
fie einmal im Befiß, fo ift ein fefter PBunft gewonnen, von wo aus man 
das gleihe Syftem erft in Stalien, dann auch nad Deutfchland hinüber 
verbreiten kann. 

Um dieß zu erflären, müflen wir einen Bli auf die politiihen Ver: 
widlungen der Jahre 1061—1063 werfen. Als Benzo mit den von der 





654 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Kalferin- Mutter ertheilten Aufträgen nad Rom fam, fand er die Parthei 
Aleranders IT. und Hiltibrands in engem Bunde mit den Rormannen. Diele 
waren die gefährlichften Gegner des falifhen Hofes, aber ebendiefelben hatten 
fi zu gleicher Zeit die Feindſchaft des byzantinischen Baſileus zugezogen, 
weil Herzog Robert und feine Brüder immer weiter im griechiihen Cala, 
brien um fih griffen. Das gleiche Intereffe führte daher Benzo und die 
Byzantiner zufammen. Unaufhörlich wurde zwiſchen Benzo, jo wie fpäter 
zwiſchen dem Gegenpabft Honorius II. und den griechiſchen Etatthaltern 
Unteritaliend bin und her verhandelt. Ohne fremde Hilfe vermochten bie 
Griechen Ealabrien nicht mehr zu behaupten. Diefen Beiftand aber war 
nur der deutſche Hof zu leiften im Stande. Die Griechen machten deßhalb 
große Anerbietungen. Ich laſſe die betreffenden Stellen Benzo's folgen. 

Noch ehe Cadaloh zu Rom eintraf, behauptet‘) der Panegyrift, habe 
der griechiſche Statthalter von Amalfi Bantaleon ihn durch einen Brief auf 
gefordert, den deutichen König zu erjuchen, daß er die Normannen aus 
Stalien vertreiben möge, feinerfeitS werde hiezu der griechiiche Hof allen 
möglihen Vorſchub leiſten. „Nach der Ankunft des Gegenpabſts“ fährt‘) 
Benzo fort, „ſei eine zweite Gefandtfhaft aus Conftantinopel zu Rom ein 
getroffen, welche als Preis eines deutſchen Angriffs auf die Rormannen, 
Geld, jo viel nur Heinrih wolle, und zur Sicherheit für pünftliched Wort: 
halten ven Sohn des griechiichen Kaifers zum Geißel angeboten habe.“ Weiter 
Ipricht?) Benzo von einer dritten an ihn felbft und Cadaloh gerichteten Ge: 
ſandtſchaft, weldhe im Namen des griechiihen Kaiſers Conftantin Dufas den 
Beiftand von 100 griechiſchen Schiffen, Lieferung aller nöthigen Lebens⸗ 
mittel und abermal unermeßliche Geldſummen verbieß, wenn Heinrich IV. 
mit hunderttaufend Mann in Sübitalien einfallen, die Rormannen verjagen 
und das Land auf 20 Jahre beſetzen würde. 

Später machte Bantaleon, laut Benzo's BVerficherung,*) den Antrag, 
Bari fammt einigen andern noch in griechischer Gewalt befindlichen Städten 
den Deutichen zu überliefern, vorausgefegt', daß fie, der normanniichen Herts 
ſchaft ein Ende zu machen, ſich verpflichten. Zuletzt muß der Bafileus Abtretung 
von ganz Apulien und Calabrien angeboten haben. Benzo fagt:*) „unauf 
hörlich beten die h. Apoftel für Did 0 Herr! Denn, o Wunder, nit Du 
brauchft fremde Könige zu begrüßen, daß fie Dir helfen deine Macht zu ver: 
größern, ſondern fie felbft fommen, öffnen ihre Schäge, laden Dich ein zu 
nehmen was Dir beliebt. Apulien und Galabrien erwartet Dich mit offenen 
Thoren vol Hoffnung, Du werveft fie von den normanniichen Räubern 
befreien.” | 


) II, 7. Berg XI, 615. 2) II, 12. Ibid. 616 unten flg. 3) Lib. III, 3. 
Ibid. ©. 623. *) III, 11. Ibid. ©. 627. 9) Ibid. ©. 628. 


Erftes Buch. Gap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 655 


Es wäre thöricht, vorauszujegen, daß der griehiihe Hof ohne Ents 
Id ſolche Vorſchlaͤge machte. Da Benzo fchweigt, ſei mir die VBermuthung 
ftattet, Conftantin Dukas habe für Abtretung des fühlichen Italiens, das 

doch nicht länger halten konnte, Ravenna oder einen andern der weiter 

ven am abriatiichen Meerbufen gelegenen Pläge, welche früher den Griechen 
hörten, ausbedungen. Benzo wandte alle Künfte der Beredtfamfeit auf, 
n Heinrich IV. zu vermögen, daß er auf die griechifchen Anträge ein- 
be. „Die beiden Provinzen Calabrien und Apulien”, ruft‘) er aus, 
verden in Zukunft die Faiferlihe Schagfammer füllen! Siehe, die Zeiten 
dram’8 und Salomo's fehren wieder, Gold und Silber regnen, al8 wären 
; Steine, in deine Gewölbe. Aber vorher müflen erft Badaculus (Pabft 
ferander II.) und Prandelus (Htiltibrand), jo wie die unfaubern Nors 
annen audgerottet werden.” Sa der Bifchof von Alba geht?) jo weit, 
m deutſchen Könige, wenn er ſich mit den Griechen verbinde, die Herr: 
yaft über einen Theil des Drients und die Eroberung des h. Grabs in 
usficht zu ftellen. 

Man A aus legterer Thatjache deutlih, daß ſchon um 1060 der 
fan eines förmlihen Kreuzzugs gährte, und zweitens daß Benzo ein 
igewoͤhnliches Intereſſe hatte, den deutſchen König für feine ausſchwei⸗ 
nden Vorfchläge zu gewinnen. Dffenbar war er von den Griechen be- 
schen, und noch mehr Geld jcheint ihm verfproden worden zu fein, wenn er 
einrih IV. in ein Unternehmen hineinrieße, das vom deutſchen Stand» 
inkt aus betrachtet, weil unmöglich durchzuführen, als ein finnlofes erjcheint. 

Nächſt der Reichsſteuer hat der Biſchof von Alba noch einige andere 
euerungen im Hinterhalt. Der König joll ein Weiler fein, vieles leſen 
id fich mit Gelehrten umgeben. Gleich im erften Kapitel des erften Buche 
igt) er diefed Anliegen vor: „zwei Dinge find nöthig: daß der Fürft 
tejenigen liebe, die ihm treue Dienfte leiften, damit auch Andere zu gleichem 
‚ienfteifer angefeuert werden. Seine Liebe aber fol der Fürft dadurch be- 
ätigen, daß er den Betreuen angemefjenen Lohn für ihre Mühen ertheilt. 
odann made er es fi zum Grundjage, nie Neulinge alten erprobten 


1) IIL 15. ©. 629. 2) Lib. I, 15 ©. 605: 

Adhuc enim longa sibi (regi Henrico IV.) restat via, 

Sicut Sibillae testatur prophetia. 

Nam ordinatis 

Et in statum pristinum collocatis, 

Apulia scilicet et Calabria, 

Videbit eum Bizas coronatum in sua patria. 

Deinceps erit egressio ejus usque ad urbem Solimorum, 

Et salutato sepulchro coronabitur ad laudem viventis in secula seculorum. 
2) ©. 600 flg.: tum bene regnatur, cum princeps philosophatur. 


656 Vabft Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Dienern vorzuziehen, denn dieß zu thun ift verboten durch das Geſetz der 
älteren Herrſcher. Crübrigt der Fürft dem Drange der Staatsgefchäfte eine 
freie Stunde, fo leſe er die Gelege feiner Vorgänger, um ſich an ihnen 
ein Vorbild zu nehmen. Denn die Jahrbücher der Vergangenheit zu fennen, 
bringt den Herrſchern Nugen. Kein Tag möge vergehen, in welchem der 
Fürſt nicht wenigftend eine Stunde der Philoſophie widome. Denn dam 
ift ein Staat gut beftellt, wenn Philofophen herrfchen, oder, mas daſſelbe, 
wenn die Herricher philofophiren.“ Im dritten Kapitel bringt Benzo den 
Herameter an, den ich in der Note beigefügt habe. Auch jonft fommt unjer 
Biſchof Häufig auf den nämlichen Gedanfen zurüd, weist den König auf 
die Scipionen, auf Theodofius und Juftinianus hin. 

So unbedenklich dieſe Einflüfterungen lauten, enthalten fie doch nichts 
Geringeres, als den Rath, die Geiftlichfeit als ſolche, d. h. als Wortführerin 
chriſtlicher Theologie, alles Einfluffes auf die Staatsverwaltung zu berauben 
und die Perfon des Fürften nur mit Gelehrten, d. h. mit SHiftorifern und 
Kennern des Alterthums, zu umgeben. Benzo's geheime Abjichten find nict 
gegen das Anjehen der Bilchöfe, der Herren @lerifer über aunt gerichtet, 
jondern er will fagen: der Kaifer möge immerhin Bilchöfe in fein Ber 
trauen ziehen, aber nur foldhe, welche Gelehrte und weltfundige Männer 
find; ihr geiftlicher Charakter dagegen, oder wenn man will, ihre Frömmig- 
feit jolle ihnen feinen Anfpruch mehr auf Geltung im Staate verfchaffen. 
Daß Benzo hiebei feine eigene werthe Perjon vorzugsweife im Auge hatte, 
it mit Händen zu greifen. Warum anderd ermahnt er den Herrſcher, 
ftetd nur alten erprobten Beamten den Vorzug zu geben, als weil er fid 
jelbft für einen der treuften und älteften Diener des königlichen Hauſes Hält. 
Marım anders legt er jo großes Gewicht auf Gelehrſamkeit und Geſchicht⸗ 
funde, als weil er überzeugt ift, der vollendetfte Gelehrte im Reich und 
ein Mann zu fein, defien Rath vor allen andern gehört zu werben verdiene. 


Benzo geht noch weiter, er macht einen Borfchlag der fühnften Art, 


der jedoch mit den eben entwidelten Hintergedanken zufammenhängt. 
„Eine Schande ift e8, o Cäſar,“ ruft!) er aus, „vaß Du, ald wäreft Du 
einer von Und, Dich in fteter Gelpverlegenheit befindeft,”) während Du zu: 
jehen mußt, wie Andere von den Einfünften, die eigentlich Dir gehören, 
fich gütlih thun. Dieß fah fchon der weife Salomo?) im Geifte voraus, 
indem er zu den höchſten Ständen ſpricht: tretet heran Ihr Großen der 





') Lib. I, Cap. 6, ©. 602. 2) MWörtlich: daß du betteln gehefl: ut quasi unus 
ex nobis mendices. 3) Woͤrtlich Coheleth ; der Ausfpruch findet ſich jeboch nicht im 
Goheleth, oder dem Prediger Salomo, den man ecclesiastes nannte, fondern im ecclesias- 
ticus (33, 19 flg.), den man gleichfalls auf Salomo zurüdführte. Auch theilt Benze 
nicht die ganze Stelle mit, fondern nur die Schlagworte ; damit das, waß er will, Flarer 
hervortrete, füge ich die andern Berfe bei. 


Erſtes Bud. Gap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 657 


Kirche, und Ihr Lenker des Volks nehmet meine Worte zu Herzen. Laß 
dem Sohne, der rau, dem Bruder, dem Freunde nicht Gewalt über Dich, 
fo lange Du Iebeft, und übergib Niemand deine Güter, daß Dich es nicht 
gereue und müfjeft fie darum bitten; dieweil Du lebeft und Odem haſt, 
ordne Dich feinem andern Menſchen unter. Es ift beffer, daß deine Kinder 
Dein bedürfen, denn daß Du ihnen müffeft in die Hände fehen. Bleibe Du 
der Oberfte in deinen Gütern, und laß Dir deine Ehre nicht nehmen. So 
Salomo. Demgemäß werde dem Kaifer zurüdgegeben, was des Kaiſers ift. 
Die Folge wird fein, daß die ganze Welt‘ fih der Wieverherftellung des 
Geſetzes zu freuen hat. in abfonverliher Mißbrauch bericht in Latium, 
ein Mißbrauch, der aus jüdiſcher Nahahmung ſtammt, und deſſen Ab⸗ 
ſchaffung den kaiſerlichen Schag um viele viele Pfunde Goldes reicher machen 
muß. Wenn einmal das, was ich andeute, in's Leben tritt, dann wird 
Freude und Jubel fein im Himmel, auf Erven, im Meer und in den Tiefen 
deſſelben.“ 

Wer ſollte glauben, daß dieſe Säge von unermeßlicher Tragweite einem 
Schriftfteller des 11. Jahrhunderts entfloffen! Benzo gibt in ven legten 
Morten zu verftehen, daß er eines der verborgenften Staatögeheimniffe bes 
rühre; darum drüdt er fid, im lateinifchen Tert fo dunfel aus und rüdt 
den Ausſpruch des Eeclefiaftitus nur zur Hälfte ein. Was will er? Nichte 
Geringeres, als die Einziehung aller Zehen, und zwar in erfter Linie der 
geiftlihen, alfjo — man erlaube mir den modernen Ausdruck — Senula- 
riſation des Kirchenguts. Scheinbar jchont er das weltliche Lehen, und 
richtet feine Pfeile vorzugsweiſe gegen das geiftlihe. Aber an Verarmung 
der Kaiſerkrone, die er beflagt, find eben jo gut die weltlihen, als bie 
geiftlichen Zehenträger fchuld. Benzo muß daher erftere eben jo gut meinen, 
als letztere. Und wenn er bezüglich der Laten feine Gedanken bloß errathen 
läßt, geichieht dieß darum, weil die öffentlihe Meinung befjer auf einen 
großen Schlag gegen die Kirche, ald auf einen Ähnlichen gegen das welt- 
liche Reichsfürſtenthum vorbereitet war. 

Der Mipbraudy in Latium, der einem jüdiſchen Vorbild nachgeahmt 
fei, bezieht fi) ohne Frage auf den Pabft, welder nad Benzo’d Anficht 
eben fo unbefugt eine felbftftändige Rolle neben dem Kaijer ſpielte als fich 
einft die jüdiſchen Hohenpriefter eine folhe Stellung gegenüber den hebrät- 
fhen Königen angemaßt hätten. Es ift unferem Schriftfteller nicht genug, 
daß Kaiſer Heinrich III. faft jämmtliche Ländereien der römifchen Kirche an 
Andere verfchleudert hatte; Petri Stuhl fol durchaus alle Einfünfte aus 
eigenem Vermögen verlieren, und wenn ed nad) Benzo's Kopfe geht, werden 
Pabſt, Biichöfe, Domherrn, Pfarrer, Herzoge, Pfalzgrafen, Grafen, fünftig 
auf Geldbefoldung geſetzt, die fie — unter Bedingung willenlofen Gehor- 
ſams — aus dem Staatöfchage empfangen. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius VII. Bd. 1. 42 


658 Pabſt Gregorius VH. und fein Zeitalter. 


Wenn man die ganze Bibel vom erften Verſe der Geneſis bis zum 
legten Worte der Apofalypfe mit geipannter Aufmerkſamkeit durchliest, wird 
fi feine zweite Stelle finden, die fo ſchlagend gegen vie nachtheiligen Folgen 
der Lehenerblichfeit gebraucht werden könnte, ald obige Sätze aus Jeſus 
Sirach. Hieraus folgt aber, daß längft ein Sturm gegen die Lehen im 
Anzuge war, denn ehe man die Theologen zu Hilfe rief, und ehe es diefen 
gelang, einen fo prächtigen Bund zu maden, hatten ficyerlich die Männer 
der That, welche aus der täglichen Erfahrung fchöpften, Beweiſe in ihrer An 
zufammengehäuft. Und nun im Angefiht der Staatögeheimniffe des deut 
ſchen Hofes, welche Benzo ausſchwazt, frage ih: find die Plane, die id 
oben am Schluſſe des 18. Abſchnittes den Saliern unterlegte, Phantafien, 
müßige Combinationen, perfönlihe Anfichten, oder fonft Dinge, welche die 
Eulen der Geſchichte mit ähnlihen Worten zu brandmarfen pflegen? Nein, 
fie gehören dem Reihe der Thatfachen an, nein! fie werben durch einen 
Zeugen, der, wie Fein anderer Vorhandener, die Abfichten des Herrider 
haufes Fannte, beglaubigt!! | 

Beſchauen wir jegt die Rückſeite. Wer ift es, der die Plane Benzo’d 
und feiner Partheigenofjen durchkreuzt, der die Wiederherftelung des goltnen 
Zeitalterd altrömiſchen Kaiſerthums, mit welchen der Albenfer die Welt be: 
glüden will, freventlih hindert? Hiltibrand und immer wieder Hiltibrant. 
Ohne es zu wiflen, oder zu wollen, ftellt Benzo ver Fähigkeit des römi: 
Ihen Archidiakons ein Zeugniß aus, glängender ald irgend ein andere 
Scriftfteller.. Was mußte dad für cin Mann fein, der jein Jahrhundert 
jo beherrfchtel Nach Benzo’d Darftellung athmeten, wirften, webten und 
lebten die Päbfte, die von Leo IX. an bis 1073 auf Petri Stuhl faßen, 
nur durch Hiltibrand und aus ihm heraus. Er braucht mitunter jehr grobe 
Ausdrüde,‘) um ihre Abhängigkeit von ihm zu fchildern. Als bewaffneten 
Schildknappen Hiltibrands, weiht er den Normannen befondern Haß, und 
übergießt fie mit Schimpfwörtern — er nennt fie ein ftinfended Miftvolf 
und meint, nicht Normannen, fondern Nichtsmannen follte man fie beißen. ’) 
Immerhin gibt er zu verftehen, daß Richard und andere Häuptlinge, wie 
Tanfred und Trinfinot,’) die er namentlih aufführt, nur für Geld dem 
Archidiakon Dienfte leifteten,t) und folglih als Söldner zu betrachten jeien, 
die feine eigene Meinung haben. 


) So fagt er 3. B. VII 2 ©. 672 über Nikolaus II.: 
De cetero pascebat suum Nicolaum 
Prandellus in lateranensi palacio 
Quasi asinum in stabulo. 
2) III, 1 ©. 622: Normanni, qui melius dicuntur Nullimanni, foetidissima scilicet ster- 
cora mundi. 3) II, 16 ©. 619. *) VII, 2 ©. 672: Richardum de Capua ducit 
ad urbem sub mille librarum eonditione. 


Erſtes Buch. ap. 23. Benzo in Rom. Theorie der Gibellinen. 659 


Auch der größte Mann kann nichts ohne Werkzeuge thun. Wer waren 
die, welde dem Archidiakon Köpfe und Herzen unterwerfen halfen, welche 
ohne Lohn für ihn in den Kampf fi ftürzten? Benzo gibt eine bündige 
Antwort auf diefe Trage. Das Heer Hiltibrands beftand aus zwei Men- 
ſchenklaſſen, aus Mönchen und aus PBatarinern, weldhe ver Albenfer ala 
Zwillingsbrüder hinftelt. „Bon Mönchen, von Kuttenträgern,“ fagt‘) er 
wiederholt, „ging al’ dieß Unheil, ging die Erhebung jener Afterpäbfte 
aus.” Wegen der engen Verbindung Hiltibrands mit den Mönchen, nennt?) 
er ihn ſelbſt "einen befutteten Teufel, eine falfche Kapuze. 

Bei diefem Anlaffe verräth Benzo feinen wahren Charafter. Er grollte 
den Mönchen hauptfächlid darum, weil fie, von Haus aus arme Schluder, 
ohne Geld, ohne Anfehen in der Geſellſchaft, es wagten, Bilchöfen, großen 
Herren, geiftlihen Baronen des Reichs, Widerpart zu halten. „Wir jegigen 
Biſchoͤfe,“ ruft) er aus, „find wahre Memmen, daß wir und von Patari⸗ 
nern und Kapızen in Screden fegen laſſen. Unſere Borgänger waren 
anderen Schlags, große Herren, geiftliche Barone, die ſich fühlten, die ſich 
in die Bruft warfen, und mit furchtbarem Blick aufrühreriihen Buben ent- 
gegentraten. Da ſeht fie die Elenden, von denen wir und einjchüchtern 
lafjen! Geftern und ehegeftern zogen fie noch als Bettler in der Welt 
umher; ihre Kutten waren zerriffen und ohne Aermel, an der rechten 
Seite hieng der Kürbiß, an ver linken der Bettellaf, und nicht einmal 
Hoſen hatten fie, um ihre Blöße zu decken. Und heute gebärden fie ſich wie 
Gögenbilder, Feine Ehre ift ihnen genug und die Trompete muß vor ihnen 
her geblajen werben.” 

Die zweite Hauptftüge der Gewaltherrihaft Hiltibrands waren nad) 
Benzo die Patariner. Im erften Kapitel des fünften Buchs heißt‘) es: 


9) Ibid. ©. 614: 
Non est auditum & seculis seculorum, 
Quod ordinatio papae esset in manibus monachorum, 
Nedum etiam in manibus Normannorum. 
Lib. IV, prolog. ©. 634: Quid est vobis cum cucullano 
Aut cum aliquo Simoniano ! 

») II, 8 ©, 615: diabolicus monachellus, ibid. cap. 10 ©. 616: cucullatus dae- 
mon; V, 14 ©. 655: cucullatus diabolus ; lib. VI, praefat. ©. 656: falsa cuculla u. f. w. 
3) Ibid. ©. 635. 638, dann 614. 1) ©. 648: 

Sed Prandelli Asinander, 
Asinus haereticus, 
Congnegavit Patarinos 
Ex viis et sepibus, 
Et replevit totam terram 
Urticis et vepribus. . 
Qui dicebant: non ast templum, 
Non est sacerdotium ; 
42° 


660 Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


„Afinander (fo jagt er höhniſch ftatt Alerander), der Fegerifche Dummlopf, 
der Knecht des verruchten Prandelus (Hildebrand), der hat die Patariner 
von den Gaſſen und dem Straßenfoth aufgelefen, der hat die Welt ange: 
füllt mit diefem Unfraut. Fluch ihm, daß er Leute befhügt, welde ſpre⸗ 
hen: eure Tempel (nämlich die Kirchen der fimoniftifhen, beweibten Bi- 
ichöfe) find Feine Tempel, euer Priefterthum ift fein SPrieftertbum, welde 
die Giltigfeit der (von lerifern eingegangenen) Ehen leugnen, welche ſelbſt 
unferen Opfern Hohn fpreden, und wenn wir Meſſe leſen, figen bleiben, 
als hätte es nichtö zu bedeuten.” An einer andern Stelle‘) entwirft er 
über die politische Wirkſamkeit der Patariner folgende Schilderung: „Ketzer 
find aufgeftanden, rafende Menſchen, Söhne des Teufeld; in unferen Bi: 
ſchofsſitzen liefen fie herum, trugen ihren Unſinn vor, bellten täglich gegen 
uns, und gegen den heiligen Fatholifhen Glauben. Eine Zeit lang wur: 
den fie niedergebrüdt und mußten ſchweigen (wahrjcheinlih vom Tode des 
zweiten Nifolaus an bis zum Siege Aleranders II. im Jahre 1067), aber jept 
erheben fie ſich wüthender als je, juchen und zu berauben, und als Keper 
zu verfchreien. Das Geſetz, das fie predigen, mag gut fein für Bauern 
und Viehhirten, aber nicht für Herren, auch wiberftreitet e8 dem katholiſchen 
Glauben. Wenn Wir nicht den Außerften Wiverftand leiften, und wenn 
diefe Patariner fiegen, find Wir verloren. Ste werden und den Mod vom 
Leibe reißen und nichts übrig laſſen als das nadte Leben. Was auch die 
Laien thun mögen, die fi den Kopf durch die Fabeln der Keger verwirren 
laffen: Wir Bifchöfe müffen feft hinftehen, angethan mit dem Harniſch dee 
Glaubend. Preifen Wir unaufhörlih Gott, ehren Wir ohne Unterlaß ven 
König, weichen Wir feinen Finger breit ab vom göttlichen Gefege und zieben 


Nuptiarum improbabant 
Stabile negotium, 
Sacrificium ridebant, 
Sedentes in otium. 


') Bud 4, ©. 637: Sed venerunt heretici 
Ebrii et frenetici. 
Erraverunt ab utero 
Cum capite Lucifero. 
Ibant per nostras curias 
Suas docentes furias, 
Facti servi perfidiae 
Delatrabant quotidie; 
Legem ructant bucolicam 
Et non fidem catholicam. 
Quid vestra sapientia 
Valet nunc! si dementia 
Exspoliat vos vestibus 
Et nudos tradit pestibus etc. 


Erſtes Buch. Cap. 24. Bedeut. d. Moͤnchthums. Anfänge d. Sechszehn:AhnensKinder. 661 


Wir dieſen Patarinern das Fell über die Ohren. Möge jeder Biſchof Gott 
geben, was Gottes, dem Könige, was des Königs iſt, und den Willen 
des Herrn erfüllen, als ächter Apoſtel.“ 

In den legten Sätzen deutet Benzo an, daß die Lehre der Patariner 
eben jo gefährli für die deutſche Krone, ald für das fimoniftiiche Bisthum 
war. Im Uebrigen zeugt der Banegyrifus vom fortfchreitenden Wachs⸗ 
thum der PBatariner. Ein Bifchof Lombardiend um den andern jcheint Die 
Segel geftrihen zu haben, denn ſonſt würde Benzo nicht die ariftofratijche 
Entichloffenheit der ehemaligen Biſchöfe Reichsbarone feinen Amtögenoffen 
als beſchäämendes Beifpiel vorhalten. Sowie Einer nachgab, verlor er die 
Hälfte, zwei Drittheile, vielleicht neun Zehntheile feiner früheren Renten, 
denn jest durfte er nicht mehr, wie vordem, Weihen an Pfarrer und niedere 
Glerifer verkaufen, was in der guten alten Zeit ſchweres Geld getragen 
hatte. Auch das Einfommen aus den Stolgebühren muß gejchmoßzen fein. 
Nunmehr hieß ed: gratis accepistis, gratis date. Trotz feines Wiber- 
ſtrebens ſchwoll, fo ſcheint es mir, das Waffer zulegt aud dem edlen 
Benzo bis an die Kehle; denn er felbft Hagt ja, daß er arm geworden 
jet, wie eine Kirchenmaus. 


Vierundzwanzigſtes Capitel. 


Bedeutung des Moͤnchthums und der reichsfürſtlichen Kloſterſtiftungen. Die Erziehung 
des jungen Adels in den Haͤnden der Moͤnche. Rechtsſtudien zu St. Gallen. Sie 
hören auf mit dem Erblichwerden der größeren Lehen. Erſte Anfänge des Syſtems 
ber Sechözehn- Ahnen: Kinder. 


Alſo laut Benzo's Ausfage war das Möndtbum Kern und Mittel: 
punft der geiftigen Bewegung des 11. Jahrhunderts und Hiltebrand ver; 
mochte hauptjächlich deßhalb die Kraft eined Rieſen zu ientwideln, weil er 
überall in der weiten Welt an den Mönchen einen unerfchütterlihen Rück⸗ 
halt, ein Heer der tapferften, muthigften Streiter hatte. Auch andere Zeus 
gen von großem Gewicht ftimmen mit der Angabe des Biſchofs von Alba 
überein. Lambert von Hersfeld fagt:') „mit eingefleiichter Bosheit fuchen 
die MWeltleute ung Mönche ſtets herabzufegen, zu verläumden, zu unters 
drüden.” Lambert hat die Anhänger des Hofs, die Bureaucraten von da⸗ 
mals, im Auge, weldhe grimmigen Haß gegen das Klofter und deſſen Be⸗ 
ftrebungen hegten. Wir werben unten jehen, daß fogleidy nachdem Erzbiſchof 
Hanno von Eöln den Pabft Alerander zwar anerkannt, aber zugleich 
durch geheimen Vertrag von 1064 zur Nachgiebigfeit genöthigt hatte, ein 
Sturm über die deutfchen Klöfter losbrach. 


1!) Ad a. 1063. Berk V, 164. 


662 Rab Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Nicht minder ftehen ald Zeugen auf Benz0’8 Seite gewifle Freunde - 
des Mönhsthums, nämlich ſolche, welde mit diefer Macht, bejonberer 
Zwede wegen, ein vorübergehende Bündniß ſchloſſen. Ich babe in den 
erften Abjchnitten vorliegenden Buchs nachgewieſen, daß zwiſchen 1040 und 
dem Anfang des 12. Jahrhunderts faft alle größeren Dynajtenhäufer des 
Reichs eigene Klöfter ftifteten und zu ſolchem Zwede — im Ganzen eine 
jehr große Maſſe von Gütern verjchenften. Unter viefen Kloftergründern 
waren nicht wenige, ſondern viele, weldhe in ihrem fonftigen Leben das 
evangeliihe Wort: geben ift jeliger als nchmen, keineswegs befolgten. 
Warum dennoch jene Großmuth? Bon zehn Fällen lag ihr in neun eigen 
nügige Berechnung zu Grunde. Der Möndıftand, der Die öffentliche Meis 
nung beherrichte, lief Sturm gegen dad willführliche unbejchränfte Kaijer- 
thum, auf das die Salier losfteuerten. Bei dem Kampfe aber, ver be 
vorſtand, hofften die weltlihen Herren Pfeifen zu ſchneiden, ihre Lehen 
vollends unabhängig zu machen, ihren Güterbefig auf Koften ver Krone zu 
vergrößern. Damit ihnen um jo ficherer ein Theil der gehofften Beute zu- 
falle, gingen fie mit der geiftigen Madıt des Jahrhunderts ein Bündniß 
ein; dieſes Bündniß wurde verftegelt durch Errichtung von Klöftern, deren 
Schutzvogtei gewöhnlich, wie wir fahen, die Stifter fi vorbehielten. Man 
verftehe mich recht, ich fage nicht: Feine Klöfter ſeien von Reichsfürſten aus 
wirklicher Srömmigfeit geftiftet worden, fondern ich behaupte nur, daß dieſe 
Triebfeder eine Ausnahme, ehrgeizige Berechnung dagegen die Regel war. Je 
näher die Errihtung eined Klofterd der Zeit fällt, da der Sieg in dem 
großen Kampfe fih auf Seiten der Kirche neigte, d. 5. je näher dem 
Schluſſe des 11. Jahrhunderts, deſto mehr erfcheint der Verdacht eigen: 
nüßiger Zwede gerechtfertigt. 

Und wahrlih das Reihsfürftenthfum hat erfleflichen Gewinn aus jenen 
Schenfungen gezogen! Obgleih einig im Haffe gegen die Krone, waren 
doch die weltlichen Herren, bezüglich ihrer andern Intereffen, getheilt, Feiner 
traute dem Nachbar. Sie würden daher im Etreite mit dem Königthum 
faum obgefiegt haben, hätte ihnen nicht das Klofter einen guten General- 
ftab geliefert, welder Zufammenhang und Einheit in die vielföpfige Parthei 
der Gegner des Throned brachte. Auch in der Kitteratur tritt der Bunt, 
den dad Reichsfürftenthum mit dem Klofter fchloß, fühlbar hervor. Sonſt 
hatten die Mönde nur zu Ehren der Kirche oder des Reichs Chronifen 
verfaßt; jetzt entfteht eine reichsfürftliche Gefchichtliteratur. Der unbekannte 
Urheber der flandriihen Hauschronif, die Mönche von Egmont, Braunwei- 
ler, Zwiefalten, Weingarten, Goſek, Reinhardsbrunn, Arnitein, jene bairis 
riſchen Mönde, deren Arbeiten ich früher benügte, haben zum Preiſe ver 
Dynaften gefchrieben, von denen die Klöfter gegründet worden waren, in 
welchen die Ehroniften lebten. 


Erſtes Buch. Cap. 24. Bedeut. d. Moͤnchthums. Anfänge d. Sechszehns Ahnen, Kinder. 663 


Von jeher gab ed Mönche in der chriftlihen Kirche. Warum fpielte 
gleihwohl das Möndthum früher nicht eine Ähnlihe Rolle, wie im 
11. Jahrhundert? Ein neuer Geift befeelte dafjelbe, der Feuerheerd aber, 
von wo die Gedanfengluth ausftrömte, war das burgundiiche Klofter Elugny. 
Eben dort hat Hildebrand feine Bildung erhalten. Im Mebrigen ift zu 
bemerfen,') daß man das Verhältniß, in weldhem er zu den Elugniacenfern 
ftand, forgfältig zu verbergen ſuchte. Auch bezüglich Anderer geſchah das- 
jelbe. Wie früher bemerkt worven, behielt Aleranvder Il. als Pabſt das 
Bisthum Lucca bei, zu weldem ihn Kaifer Heinrid TIL befördert hatte. 
Nach feinem Tode, 1073 beftieg legteren Stuhl Anjelm IL, über welchen 
eine gute Biographie vorhanden ift. Der Zeitgenoffe, der dieſelbe verfaßte, 
fagt?) im Eingange: „über die Jugendgefchichte Anſelms will ich nichts 
Sagen, theils weil ih nicht Alles weiß, theils weil ih befondere 
Gründe habe, hierüber Stilljhweigen zu beobachten.“ Wirklich geht er 
fofort zu der Zeit über, da Anſelm Bilhof von Lucca wurde. Aber Ipäs 
ter vergißt er fi und plagt mit der Aeußerung heraus,“) daß Anfelm in 
feiner Jugend Mönch zu Clugny geweſen fei. Hier muß er gelernt haben, 
was der Biograph im Eingang ded Büchleind an ihm rühmt, gründliche 
Kenntniß der Dialeftif und der römijchen Philologie, jo wie die Meberzeus 
gung, daß Könige nicht befugt feien, geiftlihe Lehen zu erteilen. Haupt: 
ſächlich an legterem Punkte keunt man die Clugniacenfer, das DBerwerfen 
des Inveſtitur-⸗Rechtes ift das Merkzeichen dieſes Klofterd. Obiges Bei- 
ſpiel zeigt, daß die Gregorianer es der Klugheit gemäß fanden, tarüber 
zu fchweigen, wenn Einer aus ihrer Mitte feine Studien in Clugny gemadht 
hatte. Mit andern Worten, jeder, der in diefe Schule gegangen, galt uns 
bejehen den Königlichgefinnten für anrüdig!! 

Was hat nun dem Möndthum des 11. Jahrhunderts eine fo übers 
legene Geiftesmacht verliehen? Die Vermählung des Breviers, d. h. des 
Gebetbuchs oder der hriftlihen Theologie mit der Haffiihen Philologie, oder 
genauer beftinmt, mit der hiftoriichen Litteratur des alten Roms. Nie, zu 
feiner Zeit blühte Achte Philologie fo, wie damals. Gibt es heut zu 
Tage, wo man fo viel Rühmensd vom Stande philologifher Studien madt, 
Männer, die fo trefflih Latein zu fchreiben verftänden, wie Lambert von 
Hersfeld, der unübertrefflihe Hiftorifer? Meines Erachtens, Nein! Wie 
männlidy handhaben faft alle Gregorianer, namentlich Hiltibrand ſelbſt, die 
edle Sprache Latiums. Ich glaube, es ift unmöglih, daß ein dummer 
oder gemeiner Menſch je gut Latein — nämlid nicht eingebläuten Phra- 
fenfram, ſondern lebendiges, aus dem Geifte hervoriprudelndes Latein zu 
jchreiben vermag. Viele römiſchen Autoren wurden in den beſſern Klöftern 


1) Gfroͤrer, K. G. IV, 390 flg. *) Vita Anselm. Perg XII, 13. °) Ibid. ©. 24. 


664 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


gelefen,*) auch Tacitus, obgleih von der Bekanntſchaft mit diefem Schrift 
fteler fich feltene Beweife finden. Ich glaube in den Briefen Gregors VIT. 
Spuren zu entveden, daß er die Annalen und Hiftorien ftubirt hat; ohne 
dieß waren fie von Haus aus Geiftesverwandte. 

Wie bereitd bemerft worben, beichäftigten ſich die gelehrten Mönche 
vorzugsweife mit den alten Hiftorifen; Enthufiasmus für das Große in 
der Gefchichte Ded alten Roms flammte auf, und nahm zugleih in Stalien 
eine nationale Färbung an. Baronius theilt?) einen Hymnus mit, den 
der Erzbifhof Alphanus von Salerno auf Hiltibrand jchrieb, und der von 
altrömifchen Erinnerungen ftrogt: „Du haft mehr für Dein Land gethan, 
als die Scipionen und andere ruhmgefrönte Duiriten, Rom ift wieder das 
Haupt der Stäbte und vor feiner Macht beben die Barbaren. Wie groß 
ericheint in Deiner Hand der Bann! Was Marius, was Julius Cäſar nur 
mit unfäglihem Blutvergießen erreichten, das vollführeft Du mit einem 
Worte!” Auch die Kaijerlih-Gefinnten trugen gerne ihre Kenntniß der alten 
Geſchichte Roms zur Schau. Namentlih thut?) dieß Benzo, aber weil er 
ein gemeiner Menſch ift, und eine fchlehte Sache verfiht, erfcheint jein 
Prahlen mit hiſtoriſcher Gelehrfamfeit widerlich und abgeſchmackt. 

Das ſtete Handhaben des Breviers verlieh den Gregorianern jenen 
felſenfeſten Glauben, der aus ihren Schriften und Handlungen hervortönt. 
Unter ihren Häuptern ift feiner, der irgend einen Zweifel hegte, daß bie 
großen Neuerungen, auf welde fie hinarbeiten, gerecht jeien und mit dem 
göttlichen Willen übereinjtimmen. Die Beichäftigung mit den alten Hiſto— 
rifern gab ihnen weiten Geſichtskreis und hohe Gedanken, die Vereinigung 
beider Kräfte machte fie unwiderftehlich. 

Die Blüthe der philologiihen Studien wird durch ein Außerliches 
Zeichen, nämlich durd den großen Werth Fenntlich, welchen Bücher erlangen. 
Nahdem der Mönd von Muri eine lange Reihe von Werken aufgezählt 
hat, die fih im Schatze feines Klofterd finden, fährt*) er fort: „noch viele 
andere Bücher find da, die man forgfältig aufbewahren und vor Beſchädi⸗ 
gung hüten muß. Es ift eine Hauptpflicht jedes rechtihaffenen Mönche, 
Bücher abzufchreiben, die Sammlung zu mehren, zu verbefjern, zu jchmüden, 
(durch Ichönen Einband) jchwierige Stellen durch Anmerkungen zu erläutern. 
Denn was wäre das Leben des Geiftliben ohne Bücher!“ 
Im Jahre 1070 taufchte‘) der Presbyter Ulrich gegen ein Meßbuch, das 
er dem Grafen von Boten abtrat, einen Eoftbaren Weinberg ein. Gerhard 
erzählt®) im Leben des h. Udalrich, daß ein Soldat des Pfalzgrafen Arnulf zu 


) Man fehe bie in der Pertz'ſchen Ausgabe Lamberts beigefügten Noten. ?) Ada. 
1061 Nr. 33. 2) 3. 3. III, 24. Berk XT, 631. *) Eccard, origines habsburgi- 
cao ©. 218. 9) Hormayr, Werke I, 257. °) Cap. 11. Berg IV, 400. 


Erſtes Buch. Cap. 24. Bebent. d. Moͤnchthums. Anfänge d. SechszehnsAhnens Kinder. 665 


Augsburg um 954 ein Buch erbeutete, für das ihm ein Anderer ein ſchoͤ⸗ 
ned Streitroß gab. Im Jahre 1054 erwarb‘) Kaiſer Heinrich III. von 
den Mönden zu Tegernjee eine fchöne Bücherſammlung für Abtretung 
zweier Dörfer, Unholzing und Hettenbach. 

Auch griehifche Kitteratur muß in manden Klöftern getrieben worden 
fein. Ohne Brage verftand?) Herrmann der Lahme, dad Wunder von 
Reichenau, diefe Sprache. Daſſelbe gilt von dem Hirſchauer Abte Wilhelm. 
Aus dem geihmadvollen Buche, das er über den Weltbau fchrieb, geht 
unzweifelhaft hervor, daß er Schriften Plato’8 und des Stagiriten fannte’). 
Trithemius, der freilich erft mehrere Jahrhunderte fpäter blühte, aber aus 
guten Duellen fchöpfte, erzählt, Wilhelm habe von ven Mönchen ſeines 
Klofters, deren Zahl bis auf 150 flieg, eine eigene Abtheilung nur zum 
Bücherabſchreiben verwendet“). Ein Schüler Wilhelm® war elin, ber 
erfte Abt des von den Tübinger Grafen gegründeten Kloſters Blaubeuren. 
Don der Bücherfammlung eben dieſes Klofterd wird berichtet, daß fie außer 
den Schriften des Salluftius, Statius, Ovid, Cicero, auch die Werke 
Homers enthielt°). 

Nicht wenig flieg endlich der Einfluß des Moͤnchthums durch Anwen- 
dung defjelben Mitteld, das 500 Jahre fpäter die Sefutten mit fo viel 
Erfolg gebrauchten. Die Gregorianer bemächtigten fi der Erziehung des 
heranwachjenden Geſchlechts, namentlih des jungen Adele. In vielen 
Klöftern ihrer Richtung entftanden Anftalten, die dem, was man jept Pen⸗ 
fionen nennt, entiprachen. Ich gebe Beifpiele aus 3 verfchiedenen Herzog- 
thbümern: Baiern, Lothringen, Alamannien. Der Chronift von Sciren 
meldet:*) „Abt Erchanbald hat das von Hirfhau aus bevölferte Klofter 
Viſchbach mit weiler Umficht geleitet, und fehr viele junge Adelige, die ihm 
anvertraut worden, gut erzogen.” Hugo von Flais fagt:”) „der Ruf von 
den trefflihen Eigenfchaften des Abts Richard, der dem Veitsflofter zu 
Verdun vorftand, verbreitete fich in ganz Neuftrien und Auftrien, im Franken⸗ 
land und in Burgund, und hatte allgemeinen Zulauf zur Yolge. Die 
Einen traten als Mönde ein, Andere gaben ihm ihre Söhne zur Erziehung. 
Wegen der Maſſe Menſchen, mit denen fi das BVeitsflofter füllte, hätte 
man ed mit jenen Anftalten der nitriihen Wüſte vergleichen können. Wie 
viele große Männer find aus dieſem gefegneten Stifte hervorgegangen! 
Bürgen daflır die Bilhöfe, Herzoge, Grafen Deutfchlands und Galliens, 
welche entweder Mönche aus Verdun verfchrieben, um fie den von ihnen 
gegründeten Klöftern vorzufegen, oder wenn es nicht möglih war, ſolche 


1) Pez, thes. anecd. norviss. III, c. ©. 512. 2) Gfroͤrer, 8. G, IV, 627. 
3) Stalin, württemb. Geſch. IL, 887. %) Daf. ©. 088. ) Daf. S. 778. 
©) Monum. boic. X, 387. ) Histor. DI, 7. Berk VIIL 372. 


666 . Pabſt Gregorius VH. und fein Zeitalter. 


zu befommen, Mönche aus ihren eigenen Provinzen nad) Verdun fandten, 
damit fie von Richard geprüft würden, ob fie zur Abtwürde tauglich feien.“ 
Weiter unten fügt Hugo bei: „auch die Einkünfte des Veitskloſters find 
durch das Herbeiftrömen der vielen Zöglinge bedeutend gewachſen.“ Die 
ſelbe Bemerfung macht‘) bezüglich feines Klofterd der Möndh von Wuri: 
„Abt Regenbold erzog allhier viele Knaben von Adel und gewann dadurch 
bedeutende Summen Geldes." Sole Erziehungsanftalten waren und find, 
aus dem Geſichtspunkte des Nutzens betrachtet, Feine ſchlechten Geſchäͤfte. 

Weit an Alter übertraf die eben genannten Stiftungen Alamanniens 
gefeierte Mutterfchule zu St. Gallen, und fie hat ihren Ruhm aud im 
11. Jahrhundert behauptet. Die Väter von St. Gallen zeichneten?) fid 
dadurd aus, daß fie neben Latein, neben Griehilch, neben Mathematik und 
Mufit aud die Mutterfprache forgfältig pflegten und nicht wenig dazu hei: 
trugen, der alamanniihen Mundart einen feinen Schnitt zu geben, alſo daß 
in ihr eine ganze Litteratur von Werfen der Theologie, der Geſchichte, der 
Dichtkunſt, der Philofophie erblühte”), Tange, lange Zeit bevor man an 
eine meißniſche Bibelüberfegung dachte. Ueber dem Geift vergaß man zu 
St. Gallen den Leib nicht: zu Aufheiterung und förperlicher Kräftigung 
der Schüler dienten ritterliche Uebungen und Spiele. Auch weiß?) man, daß 
die dortige Schule in zwei Hauptflaffen, in eine adelige und eine unadelige 
oder geiftliche, eingetheilt war. 

In welder Richtung werden die jungen Adeligen, welche Laien bleiben 
jollten, erzogen worven fein? Wenn man erwägt, daß in den alten Ber 
zeihniffen der Bücher, welche unfere Klöfter im 10. und 11.. Jahrhundert 
bejaßen, fehr häufig Handfchriften der @apitulare Carls des Großen, der 
Bawarifa, der Alamannica, der Salifa, ver Ripuaria, der Langobarbifa 
erwähnt‘) werden, fo drängt fih die Vermuthung auf, St. Gallens Bor: 
fteher dürften jene Zöglinge vorzugsweiſe in der Rechtswiſſenſchaft unter: 
richtet haben. Und wirflih war dieß der Fall. Ein Denktmal*) aus dem 
11. Jahrhundert gibt nicht nur hierüber, fondern auch über andere wichtige 
Dinge Aufſchluß. 

Um die Mitte des 10. Jahrhunderts warb in Balern aus dem Ges 
ichlechte der Grafen von Ebersberg (zwiſchen Münden und Waflerburg am 
San), ein Knabe Ulrich geboren, der zu Ehre feines Pathen des Auge 
burger Biſchofs diefen Namen erhielt‘). Da der junge Ulrich einen ſchwäch— 
lihen Körper hatte, fchidten®) ihn feine Eltern in die Stiftsfchule nad 
St. Gallen, damit er dort eine gelehrte Erziehung erhalte. Nach vollen 


ı) Ekkard a. a. ©. 207. 2) Die Belege nachgewiefen bei Gfroͤrer, 8. G. IV, 
©. 201. 3) Man vgl. Stälin, wärttemb. Geſch. I, 410 fig. *) Chronicon eber⸗ 
pergense bei Oefele script. boici II, 4 fig. 9) Ibid. ©. 7, b. °) Tbid. ©. 8, a. 


Erſtes Buch. Cap.24. Bebeut.d. Moͤnchthums. Anfänge d. Sechszehn⸗Ahnen⸗Kinder. 667 


deten Studien kehrte Graf Ulrich von Ebersberg in die Heimath zurück, 
diente den deutſchen Kaiſern in Ehren, theils mit der Feder, theils mit dem 
Schwert. Auch ein Weib nahm Ulrich und zeugte Kinder, aber Enkel zog 
er feine groß, denn die ſtarben, ſammt Ulrichs Söhnen, vor dem Groß⸗ 
vater weg. Nachdem Ulrich zu hohem Alter gelangt und um die Anfänge 
der Regierung Conrads II. gebrechlidh geworden war, tröftete er fih in 
eigenthümlicher Weife über das nahe Ausfterben feines Haufes. Ein junger 
Zeitgenofje, der die Geſchichte des Ebersberger Grafen fchrieb, läßt‘) ihn 
alfo ſprechen: 

„Wären die jegigen Verhältniſſe jo befchaffen, daß ein Seglicher mit 
Ehren beftehen könnte, ohne Unrecht zu thun oder Unrecht zu leiden, fo 
würde es mich tief betrüben, daß ich Feine Enfel hinterlafje; nun aber, da 
eine Zeit angebrochen ift, wo man entweder Amboß oder Hammer fein 
(Andere unterbrüden oder felbft fein Eigen und feine Freiheit verlieren) 
muß, weiß ih den Mangel an Erben zu verfchmerzen. So lange nody die 
alten römiichen Kaiſer herrſchten, erließen ſie Geſetze, welche Jedem Schub 
gewährten; wer ſie übertrat, den traf unnachſichtlich Strafe. Nach dem 
Sturze ſelbiger Kaiſer brach Rechtloſigkeit herein. Doch nahmen die 
Könige Theodorich (von Bern: Ulrich ſpielt auf Caſſiodors Sammlung an) 
und Sigibert (von Aufter, den man ven Heiligen nannte), fowie Earl (Der 
Große) das Werk ihrer Vorgänger auf, indem fie neue Gelege gaben. 
Für eine Schande galt es feitvem, wenn Evelleute dad Recht nicht Fannten, 
und fo blieb es bis herab auf die Tage meiner Jugend, denn auch ich 
(und meine Genofjen) ftudirten die Geſetze. Aber jetzt iſt ed anders; bie 
Vornehmen laffen ihre Söhne nicht mehr in der Rechtswiſſenſchaft unters 
richten, fondern begünftigen oder unterdrüden nad Gutdünken die Schwachen.” 
Bald darauf ftarb Graf Ulrih von Eberdberg im März 1029 und ward 
neben der Leiche feiner Gemahlin begraben. 

Hat der alte Ulrich die Wahrheit gefagt, fo ergeben ſich folgende 
Punkte: erftlihd St. Gallen war für den jüngeren Adel eine Schule der 
Rechtswiſſenſchaft; zweitens viele Evelleute haben wirklich zwiſchen 950 
und 990 die Rechte flubirt; drittens fpäter hörten dieſe Studien auf, ber 
hohe Adel gab feinen auf Laienberuf angewieſenen Söhnen feine wiſſen⸗ 
ſchaftliche Bildung mehr. 

Man könnte argwöhnen, es fei ein Laudator temporis acti, der zu 
und ſpreche. Doc nein, die Ausfage Ulrih8 wird einem Hauptpunfte nad) 
durch einen Zeugen beftätigt, deſſen Glaubwürdigkeit vollkommen feftfteht. 
Gapellan Wippo jagt?) in dem an Kaiſer Heinrich IH. gerichteten Lehrge⸗ 


1) Tbid. ©. 9, b. ?) Berk XI, 251: 
Hoc servant Itali post prima crepundia cuncti, 
Et sudare scholis mandatur tota juventus. 


668 Babft Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


dicht: „durch Geſetze ift das alte Rom groß geworben, durch Geſetze hat es die 
Tyrannei überwunden; darum, o Kailer, gebiete, daß alle Wohlhabenden 
ihre Söhne im Gefege unterrichten, die Italiener halten es jo, und befin- 
den fi gut; von Kindesbeinen an werben ihre Söhne in die Rechtsſchule 
geſchikt. Nur die vornehmen Deutſchen erachten ed für ſchimpflich, 
Kinder, welde nicht für den Clerus beftimmt find, irgendwas lernen 
zu lafjen.“ 

Alſo Graf Ulrih von Eberdberg behält Rekt. Womit Hängen mın 
die Erfcheinungen zufammen, die er bejchreibt? Handgreiflich mit dem Erb: 
lihwerven der großen Lehen! Während der Tage feiner Jugend waren jie 
noch nicht erblih, darum mußten die Grafen ihre Söhne in die Schule 
ſchickkre, um die Zufunft derjelben zu fihern. Allein zwiſchen 980 und 
1030 verwanbelten fi die Staatsämter in Erblehen, und von Stund an 
bauten die Herren nicht mehr auf Recht nody Bildung, fondern auf Gewalt. 
Deutlich fchildert Ulrich die Unterdrüfung der kleinen Freien durch die 
. Habicht. Ambos oder Hammer! war die Loſung. Daſſelbe Gewächs 
trieb noch eine zweite Frucht, die fertig und ausgebildet dafteht, nämlid 
das Syftem der Sechszehn- Ahnen: Kinder, dieſes Syftem, das einer Seits 
dem Reiche, anderer Seits der Kirche tiefere Wunden ſchlug, ald alle Miß— 
griffe oder tyranniihe Maßregeln der Dttonen und Salier. Damit Har 
werde, was das Wort Schözehn-Ahnen-Kinder befage, möge Einer aus 
ihrer Mitte reden: 


Wir adern nicht und pflanzen nicht 
Wir lernen nichts und fchaffen nichts, 
Wir Sechszehn⸗Ahnenkinder. 
Und doch fprechen wir reiche Aerndten an, 
Denn von Haus aus find wir Kammerheren des Erbrunds, 
Wir Scchdzehn:Ahnens Kinder ! 
Alle Aemter Hoch bezahlt, und ohne Müh’ und Pflicht, 
Sie gebühren Uns, den Scchszehns Ahnen: Kindern. 
Denn unermeßlich ift unfer Berbienft, 
Nicht genug kann die Welt belohnen, 
Meder unfere Väter, daß fle und gezeugt, 
Noch unfere Mütter, daß fie und empfangen haben. 
Denn wir allein find wahrhaft geboren, 
Wir Sechszehn⸗Ahnen⸗Kinder, 
Und wir allein find zu Seglichem berechtigt, 
Wir Sechszehn⸗Ahnen⸗Kinder. 


Solis Teutonicis vacuum vel turpe videtur, 
Ut doceant aliquem, nisi clericus accipiatur. 


Erſtes Buch. Gap. 25. Alex. II. und Kabaloh zu Rom. Staatöflreih am Rheine. 669 


Sünfundzwanzigfles Eapitel. 


— Alexander II. und Kadoloh im Frühling 1062 zu Rom. Kämpfe dafelbft zwilchen beiden 


Bartheien. Ein am Rheine geführter Staatsſtreich macht dem Getriebe ein Ende. 


Bleibt noch übrig, die Anfänge der päbftlihen Verwaltung Aleranders II. 
darzuftellen. ine feiner erften Handlungen war, daß er den Mailänvern, 
d. 5. den Freunden Landulfs und Arialds, feine Erhebung anzeigie'). 
Dhne Frage hat er auf die Hülfe der ‘Patariner gerechnet. Fürs Zweite 
that er etwas, was faum einen andern Zwed gehabt haben fann, als den 
am Hofe überaus mächtigen Erzbiihof von Bremen, Adalbert, zu gewinnen. 
Adalbert brütete fortwährend über dem Plane?) einer Art von nordiſchem 
Pabftthum, dem Dänemark, Schweden, Norwegen, England unterworfen 
werden follten. Er hatte Bifchöfe für Dänemarf und England ernannt 
aber die dortigen Könige weigerten fi, diefe Geichöpfe des Bremers an- 
zuerfennen. Nun verwies der Pabft in zwei Schreiben‘) den genannten 
Königen ihr Betragen, und ermahnte fie, dem Erzbiichofe, welcher der 
Stellvertreter Roms fei, nicht länger entgegen zu arbeiten. Diefe 
Gefälligkeit half nichts. 

Bald nach dem Neujahre 1062 traf Benzo ald Bevollmächtigter der 
Kaiferin zu Rom ein, um dem Gegenpabite Honorius II. den Weg zu 
bahnen. Ich laſſe ihn felbft reden:*) „die Kaiferin ſchickte an mid ihren 
Kämmerer Azolinus ſammt vielen Maulthieren, die mit Eoftbarem Pelz⸗ 
werk?) beladen waren. Azolin brachte mir den Befehl, nad Rom zu gehen, 
um dort das Werf zu verrichten. Anfangs war ih ein wenig verbuzt, 
weil ich allein gehen follte, während die andern „fetten Stiere Lombardiens“ 
ruhig zu Haufe bleiben durften.” Man erfieht hieraus, daß der Spott- 
name, den ihnen Bonizo gibt, von den Lombarden ſelbſt aufgebracht wor- 
den if. Benzo fährt fort: „bald jedoch faßte ih Muth, machte das Zeichen 
des Kreuzes, erhob meine Gedanken zum Himmel und fprad: in deine 
Hände, o Herr! befehle ich meinen Geift, ftieg zu Roß, zog durch 
Tuscien, theilte überall Geſchenke un die Grafen aus, welde ich das 
dur bewog, daß fie mich mit Schaaren Bewaffneter begleiteten.” Im 
Folgenden erzählt er dann, wie er zu Rom prädtig aufgenommen wors 
den fei, Wohnung im Pallafte Octavians bezogen, täglih hohe und 
niedere Römer gegen Alexander und für Honorius bearbeitet, auch bei 


ı) Jaffé, S. 390 Nr. 3373, 3374. *°) Gfroͤrer, 8. &. IV, 468 fl. ?) Jaffé 
a. a. O. S. 390, Nr. 3375 fig. *) II, 1. Berk XI 612. 8) Mit Zobelfellen, 
die, wie ich fpäter zeigen werbe, dem Golde an Werth gleichgeachtet wurben. 


670 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


einer der Verfammlungen, die zu diefem Zwed ftattfanden, erfteren tief 
gedemüthigt habe. 

Im März 1062 ſetzte fih endlich auch Cadaloh von Parma aus in 
Bewegung, und rüdte mit einem Heere lombardifher Ritter, welde die 
Kaiſerin zu feiner Verfügung geftellt zu haben fcheint, gegen Rem. Den 
25. März‘) 1062 traf er zu Sutri ein. Hier ſtießen Benzo, der römiide 
Adel oder die Bapitane, und namentlich die ganze Sippichaft des von ber 
Kirche verfluchten Grafen Gerhard aus Galeria zu ihm. Zufammen trangen 
fie auf Rom vor. Dort lag eine gute Anzahl Normannen, entſchloſſen, 
Pabſt Alexander II. zu vertheidigen. Alfo mußten die Waffen entfcheiden. 
Mehrere Wochen lang dauerten die Kämpfe, und mehrmals erlitt die Par: 
thet Aleranderd namhafte Verluſte. Allein, obgleih ftärfer an Zahl und 
im Vortheil, vermochte doch der Anhang Cadaloh's die Gegner nicht zu 
ervrüden?). " 

Sp ftanden die Dinge, ald in Deutichland ein feit längerer Zeit vor: 
bereiteter Streich fiel, welder die Reichsverweſerin, deren Thorheit Staat 
und Kirche in Zerrüttung geftürzt hatte, gewaltfam vom Steuerruder ent: 
fernte und den Steg Alexanders II. entſchied. 


*) Die einzige klare Zeitbeftimmung , die ſich in Benzo's Buche findet II, 9. Perk 
XI, 615 unten flg. ?) Benzo a. a. D. 615 flg. Gieſebrecht, annal. altah. S. 100 
flg. Lambert zum Jahre 1063. Berk V, 163. Berthold. 3. Jahre 1062. Ibid. ©. 272. 


WBedeutendere Drucfehler. 


S. 84 Linie 9 von oben lies fatt „Tochter“ Schweſter. 
S. 278 Linie 10 von unten lied flatt „weſtlich“ oͤſtlich. 











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The Ka 
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DIE HERZ @EHE UND DAS NARKGRÄFLICHE BAIERN. : Guyor 72.24.1 











en ‚Marken, die unter dem hersogl. Banner Baierns ‚tanden . 


jschen Marke. VI . Mark Pütten 
W. „ Ann 
m. Hersogth.harnihen,, nach Abzug der Baierisch. Marken . 
X. Mark uileje mit hürnthen vereinigt. 
X. Das unmuüttelbar unter dem Herzog. ‚stehende Beiern .