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Full text of "Pabst Gregorius VII und sein Zeitalter"

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Denk von 3. Rrenzez In Gintigarl, 


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Pabſt Gregorius vr 


ſein Zeitalter. 


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| Pabfl Gregorins VII. 


ſein Zeitalter. 


Durch 
A. A. Gſroͤrer, 
ord. Profeſſor der Geſchichte an ber Univerſitaͤt Freiburg. 


Christus vincit, Christus regaat, Christeus immpere, 


Yo 
Fünfter Band. 





Schaffhauſen. 
Verlag der Fr. Hurt er ſchen Buchhandlung. 
1860. 


x Borrebe. 


knüpft weiter an bie erflen Verwicklungen der neuen Herrſchaft, Hand in Hand weit 
ben alten Zeugen, die Geſchichte der Dynaften Germaniens an und erzählt dam 
bie Begebenheiten bis zum Sturzge der Kaiſerin Agnes. 

Kaum fteht zu beforgen, daß einfichtige Beurtheiler den erften Theil für une 
nöthig erflären. Denn obgleich gründliche Einfiht in die Entwidlung des beutfchen 
Katfertbums wefentlih von Kenntniß des ariſtokratiſchen Gegenpols abhängt, gibt 
es — foweit dem DVerfaffer bekannt — weder in deutfher noch In andern Sprachen 
irgend ein Buch, das den Stoff behandelt, der im erften Buche geſchildert wird, und 
auf das der Lefer einfah hätte verwiefen werben können. Auch nicht die Eigene 
(haft der Nüsplichkelt wird man dem erften Bande vorliegenden Werks abſprechen. 
Denn er ftellt eine Maſſe Thatfachen zufammen, die bisher fo viel als unbekannt 
waren und doc helles Licht über das Dunkel veutfher Zuſtände des zehnten ul 
eilften Jahrhunderts verbreiten. Der Reihe nah Tommen die Ahnen Derer zum Bam 
fein, die ſich fpäter in ver Herrſchaft über Deutſchland ablößten ober in dieſelbe 
theilten, und ber Lefer empfängt eine Ahnung von dem, was allmählig aus Gew, 
manten wurde, nad dem Spruche des Dichters: „in dem Heute wandelt fon bat 
Morgen." | ö 

Andererſeits Eonnte bei der Art von Behandlung des Stoffs, meldhe der Bew 
fafler wählte, ein Nachtheil nicht vermieden werben, den man immerhin nicht gering 
anfälagen mag: er mußte nämlich die Geſchichte Gregor VIL nit mit den An⸗ 
fängen feiner eigenen Laufbahn beginnen, ſondern — ſcheinbar willkürlich — vom 
"einem in die Mitte feiner Wirkfamkeit fallenden Punkte ausgehen, auf ben äußere 
Gründe, naͤmlich Nüdfiht auf die Werhältniffe des deutſchen Meiches, hintrieben. 
Der Berfaflfer kann und will etwaigen Tadel megen dieſes Umſtandes nicht zurüds 
weifen, gibt aber Folgendes zu bedenken: das Leben Hildebrands enthält wenig ober 
feine Züge perfönlicder Art, wie man fie bei andern gefelerten Männern auffudht, 
um ihre Cigenthümlichkeit zu beleuchten, fonbern fein ganzes Wirken mar mit ber 
Bewegung des eilften Jahrhunderts, mit den großen Inftituten des Mittelalters ver 
wachfen. Ueber Hildebrands Kinder- und Knabenjahre fehlt es gänzlih an ſichern 
Nachrichten. Die vorhandenen Quellen führen ven Jüngling als Schüler und fpäter 
ale Mönd zu Elugny, den Mann ats pähftlihen Eapellan unter Gregor VL, als 
romiſchen Güterverwalter unter Leo IX., als Legaten unter Stephan X., als Cam 
dinal unter Nikolaus II. und Alexander U., endlich als Statthalter Petri auf. 
Alle diefe verſchiedenen Aemter hat er gleichſam aus einem Buffe, in einem unb 
bemfelben Geiſte verwaltet, nämlich in dem Geiſte Clugny's, welcher — man barf 
ed mit gutem Fuge fagen — fi in Geftalt Hildebrands verkörperte, Fleiſch und 
Blut anzog. 

So gut man nun die Geſchichte dieſes Burgunbifchen Kloſters, wenn fie am« 
vers, fo wie fie fol, mit fleter Rückſicht auf die größeren Welthegebenheiten be⸗ 
* Handelt wird, unter verſchiedene Geſichtspunkte fallen und vielfach abtheilen muß, 
dat man das Mecht, ein ähnliches Verfahren auf bie Wirkſamkeit Gregors VIL ans 
zuwenden, und DBorwürfe über Anwendung biefer Regel verlieren vollends dann jebe 
Begründung, wenn bie Thaten, welde Hildebrand vor dem Tode des Katfers Hein⸗ 
ri II., alfo vor 1056, verriätete, an einer Stelle erzählt werben, die dem Ge⸗ 
genftande entſpricht. Run hofft der Verfaſſer, den Lefer durch bie That zu üben 


Borrebe. xI 


yugen, daß berjenige Abſchnitt der Geſchichte Hildebrands, welcher In die Zeit vor 
1056 fällt, an pafiendem Orte eingereiht iſt. 

Die Anordnung des zweiten ımter den neun Büchern, in welche vorliegenbes 
Bert abgetheilt if, war durch den Inhalt des erften mie durch die Natur der Sade - 
Gefimmt. Es enthält die zufammenhängende Geſchichte Deutſchlands und Italiens 
von gewaltfamer Entfernung der Kaiſerin⸗Vormünderin Agnes bis zum Tode Ale 
zanderö IL und zu der Erhebung feines Nachfolgers Gregors VII. Treffliche Dienfte 
haben hiebei die Staatsbriefe geleiftet, welche Herr Bloß zu Trier entvedte. Indeß 
bunte der Berfafler durch feine Handſchrift beweiſen, daß er, ehe ihm biefe Briefe 
julamıen ober veröffentlicht waren, wefentlich die Entwicklung der Dinge ebenfo ber 
sutheilte, wie fie dur den Fund des Herm Floß im Einzelnen feftgeftellt wird. 
Anh ſonſt gibt das zweite Buch Auffchluß über manche Punkte, von benen biöher 
uirgenk, die Nede war. Beiſpielsweiſe mögen genannt werden: tie verborgene oder 
offene Thatigkeit Hanno's in Italien und Deutfhland , die Vorgänge zu Lüttich, 
be Berbandlungen von Halberſtadt, die Plane des fallfhen Hofes namentlid in 
Bezug auf Kriegäfteuer und Zehnten, die Verwicklungen der römiſchen Faſten⸗Sy⸗ 
mode, bie geheimen Gründe, warum Heinrich IV. die Ermählung SHildebrands 
gut hieß. 

Mit dem dritten Buche beginnt das Pontififat Gregors VL. Die welche früher 

die Geſchichte dieſes Pabſts befchrieben, fprechen fat ohne Ausnahme fo, als babe 
Gregor VII. feine Kräfte vorzugsweiſe oder gar ausſchließlich im Kampfe gegen 
Seinrich IV. von Deutihland aufgebraudt. Das iſt ein handgreiflicher Irrthum. 
Gregor VII. griff, je nachdem die Umſtände es erforderten, mit gleicher Energie in 
de Nerbhältniffe anderer Reiche des Abendlandes ein, mie in die deutfchen. Die 
Eigenthümlichkeit des Stoffes gebot daher, die Geſchichte der Ihaten des Pabſtes 
nach den Länvergebieten abzugrenzen, auf melde feine Anftrengungen gerichtet waren. 
Der Rorven Europa’d bildet aus Gründen, die in der Natur ded Bodens liegen, 
eine ſolche Maſſe. Hiezu kommt noch, daß im eiljten Jahrhundert, wie am gehö⸗ 
rigen Drte gezeigt worden, bie erftien Keime eines nordiſchen politifhen Syſtems 
beroortreten. Aber die nadte Erzählung der Begebenheiten genügte nicht, eine un. 
entbehrlihe Hülfswiffenfchaft der Befchichte,, die Erpbefchreibung, mußte beigezogen 
werben, weil im Laufe des zehnten und eilften Jahrhunderts viele Gegenden befannt 
geworden waren, von denen dad Alterthbum nichts mußte, und deren Bewohner und 
Benennungen gegenwärtig zum Theil andere find, ald in den Tagen Gregor VIL 
Darım hielt ed der DVerfaffer für geeignet, den Leſer an der Hand mittelalterlicher 
Geographen von den Gränzen Rußlands und Slaviens dur Skandinavien bis nad 
land, Grönland und endlich bis zur nörbliden Hälfte der heutigen amerikaniſchen 
Unton zu geleiten, welche normänniſche Seefahrer gegen Ausgang des zehnten Jahr⸗ 
hamderts entbedt Hatten. 

Nur Stückwerk würde es gemefen fein, hätte fi ber DBerfaffer darauf bes 
ſchränkt, einfad die Broßbojaren von Klew, die Könige von Schweden und Note 
wegen aufzuführen, mit denen Gregor VIL. in gefchäftlihen Verkehr trat, fondern 
ber gefunde Menfchenverftand gebot, zumal auf einem Gebiet, welches die vorhan⸗ 
dene hiſtoriſche Literatur kaum obenhin berührt, den Nachweis über die Urſachen zu 
Hefern, weßhalb jene Kürften mit der römifchen Kirche und deren Haupte Verbin» 

* 


x. Vorrebe. 


dungen anfnüpften. Ein ſolcher Nachweis war aber nur durch Eingehen auf bie 
früheren Zuftände ber betreffenden Länder möglih. Unter dem Einfluffe diefer umb 
ähnlicher Erwägungen erhielt das dritte Buch die Geftalt, in welcher es vorliegt. 
Vielleicht dürfte durch daffelbe die Kenntniß des Nordens, feines ehemaligen Götter 
bienftes, feines Volkslebens, und alter Beziehungen zum europätfhen Süben und 
Weften weſentliche Fortſchritte gemacht haben. Nebenbei gereichte es dem DBerfaffer 
zu beſonderem Vergnügen, die Verdienſte des islaändiſchen Geſchichtſchreibers Snorro 
Sturleſon ins Licht zu ſtellen. 

Das vierte Buch hat zum Gegenſtand Dänemark, England, die Normandie. 
Ein Mittelglied, oder — wenn man ſo will — eine Brücke zwiſchen dem Norden 
und Weſten des Abendlandes bildeten der normanniſch⸗frankiſche Staat an der Seine 
mündung, und ber anglosnormanntfche, welcher zu Anfang des eilften Jahrhunderts 
auf brittiſchem Boden entfland. Die politiſchen Schöpfungen bes tapferen Seevollt 
erforberten aus vielen Gründen beſondere Berüdfihtigung, erſtlich weil die Normannen 
im zehnten und eilften Jahrhundert gegenüber dem chriſtlichen Abendland die Rolle 
fpielten, welche in der Uhr die ſogenannte Unruh ausfüllt, zweitens weil fie gleichwohl 
ſchon frühe in engen Verkehr mit den Gregorianern geriethen, hauptſaͤchlich aber 
brittens weil Serzog Wilhelm, ver Eroberer, ald Soldat des h. Stuhles na England _ 
binüberzog. Sagt nit Gregor VIL felbft in feinem Briefmechfel, daß er, als tm 
verfammelten Carbinaldfollegtum Stimmen der Warnung vor den blutigen Folgen | 
ertönten, melde Wilhelms Einfall in Britannien nad fi ziehen werde, muthig . 
die ganze Verantwortlichkeit des Beiſtands auf fi nahm, welchen bie römische Kirche 
bem Groberer gewähren mwürbe. 

So konnte Gregor, der anerlanntermaßen ein guter Katholik und gewiſſenhafter 
Cleriker war, nur darum ſprechen, weil unmiberleglihe Thatſachen ven Beweis ges - 
liefert hatten, daß das angelfächfifche Volk fich nicht felber zu helfen vermöge, daß 
der dortige Adel grundverborben fei und dem Verberben entgegenreife, ſowie daß 
die Normannen und ihr Herzog die nöthigen Cigenſchaften befäßen, um mit bem 
einzigen Mittel, das noch möglih war, mit dem Eifen, die Innern Schäden Bri⸗ 
tanniend auszubrennen. Folglich lag dem Geſchichtſchreiber des Pabſtes ob, bay 
zuthun, wie und buch weſſen Schuld das MWidinger-Wefen auf ber Infel brüben 
zu unerhörter Blüthe kam, andererſeits mie das Wort Bigot, welches Hrolf ber 
Bußgänger, Gründer der Normandie, in feinen Unterhandlungen mit dem neuſtri⸗ 
ſchen Karlinger, Karl dem Einfältigen, brauchte, allmählig eine ganz andere Ber 
deutung annahm, ferner wie das Klofter Elugny Einlap in das herzogliche Schloß 
zu Rouen errang, wie in Folge beffen die fogenannten däniſchen Heirathen vers 
. fäwanben, . und das Eatholifhe Cherecht fiegte, endlich wie der junge Herzog Wil 
beim, in harter Schule des Kampfs und ber Entbehrung zum großen Manne 
herangewachſen, die Tugenden entwidelte, um beren Willen ihm Cardinal Hildebrand 
ungewöhnliches Vertrauen ſchenkte. 

Mit dem Augenblide, da Wilhelm von Mouen den Buß auf englifhen Boden 
fegte, hebt aus dem oben angeführten Grunde bie Mitverantwortiichkeit des Cardi⸗ 
nals für alles Wehe, pad ber Normanne über England ausgoß, aber auch fein Mit⸗ 
verdienft an den guten Früchten an, melde ver Sieg von SHaflings trug. Alſo 
mußten Beweggrůnde und Tragweite der Thaten, die Wilhelm drüben verrichtete, deß⸗ 


Vorrede. xim 


tzleichen Plan und Ziel der Geſetze, die er erließ, forgfättig — die Leiſtungen früherer 
Bearbeiter laſſen aud in diefem Gebiete gar Vieles zu wünſchen übrig — erforfät 
werden. Diefe Mühe war nicht vergeblih. Was Gregor VIL theils in eigener 
Berfen, theild im Vereine mit Wilhelm dem Eroberer für England that, erſcheint 
als das Juwel im Lorbeerkrange des Pabfles. Daß eine neue und dauernde Ord⸗ 
umg der Dinge im ganzen Norden aufgerichtet, daß bie gefährlicäfte Tochter Odint, 
Piraterie und Menſchenraub, niedergefchmettert, daß der Bottefriede auf dem Ozean 
gegründet, und demgemäß Taufenden der Weg zu Iohnendem Erwerb dur ehrlichen 
Handel eröffnet warb, endlich daß in Albion die Keime der politiſchen Verfafſung 
aufgingen, deren ſich heute noch das englifche Volk erfreut, verdankt die Menſchheit 
ven gemeinfchaftliden Anftrengungen des Pabſtes Gregorius VII. und tes (Eroberers 
Blülhelm 


Das fünfte Buch fpielt auf neuſtriſchem Boden und umfaßt die Zeiten ber vier 
erſſen Gapetinger Hugo, Nobert, Heinrich, Philipp. Noch um ein Gutes früher 
als dieſſeits des Rheins war jenſeits jeder Schub breit Land in Erblehen verwan- 
belt worden. Die Darftellung beginnt damit, daß fie die Dynaſten, welche dieſe 
Leben trugen, vorführt und zugleih den Beweis Liefert, daß mehrere berfelben ur» 
foräinglich mächtiger waren ald dad Kapetinger Haus, und außerdem Gebiete befaßen, 
Ye auch nit dem Namen nad unter neuftrifchem Scepter flanten, fondern bie Ho⸗ 
heit fremder Könige anerfannten. Wie e8 unter folden Umftänden gelang, baß ein 
neuer nur mit mäßigem Hausgut ausgerüfteter Herrfherflamm nicht nur Boden ge 
winnen, fondern allmählig ſämmtliche Bafallen binunterarbeiten konnte, erklärt Siß- 
mondi für eine kaum entwirrbare Aufgabe. Der Verfaſſer vorliegenren Werts hielt 
die Löfung des Räthſels für möglih und fuchte zu diefem Zwede in das geheime 
Getriebe der Kapetingiſchen Megierung einzubringen: er enthüllt die verborgenen 
Minen, welche die vier Könige gruben, er zeigt, was das franzöſiſche Bisthum zu 
Gunften ver Krone that, forwie wiederum, melde Maßregeln verſchiedene Päbſte, 
namentlich Gregorius VIL trafen, um zu verhindern, daß ber gallifanifche Glerus 
ganz in eine Meglerungsmafchine verwandelt ward. Man vergleihe das fünfte 
Bud mit jedem neueren franzöfifchen oder deutſchen Werke über ben gleihen Gegen⸗ 
Rand und man wird finden, daß erflered fat lauter Dinge enthält, welde man in 
den andern vergeblich fucht. 

Das ſechste Buch überfchreitet dad Pyrendengebirg, um die Entwicklung des 
heutigen Syaniens und Portugals, ſowie der Nordküſte von Afrika zu ſchildern. 
Die Nachkommen der Gothen haben faft Stadt um Stadt, Provinz um Provinz 
den Kalifen von Eorbova abgerungen, man kann deßhalb die Schidfale der Erſteren 
nicht beſchreiben, ohne auf Fortgang und Abnahme des anbalufifhen Kaltfats ein» 
zugehen. Noch ein allgemeiner Grund kommt Hinzu. Der erſte Gedanke eines 
gemeinfamen Kampfs der Ehriflen des Abendlands gegen den Islam iſt in Gre⸗ 
gors VIL Haupte entfprungen. Er war es, der ben ſyriſchen Kreuzzug von 1096 
vorbereitete, und zwei ältere ähnliche Bewegungen, die fi jedoch auf die pyrenäiſche 
Halbinſel befchräntten, theils veranlaßte, theils aus der Berne leitete. Der Geſchicht⸗ 
freiber Hildebrands mußte daher dad Verhältniß zwiſchen Khriſtenthum und ber 
Lehre Mohameds wohl ins Auge faffen. 

Das fchäts Bud beginnt damit, daß es ein Wi der hoͤchſten Mlüthe bes 


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— — — — 


Yorrede. 


AMunmehr, da der Verfaffer nahe am Ziele einer Tangjägrigen und überans 
mühlamen Arbeit angelangt tft, hält er es für paflend, den Plan zu entwideln und 
lid zu rechtfertigen, der feiner Geſchichte Gregors VII. zu Grunde liegt. 

Diefelbe bewegt fi ihrer Natur nah vorzugswelfe auf bem Gebiete zweier 
Binder, Germaniens und Itallend. Daher mußte, um ein wahres Bild des Gre⸗ 
gerianiſchen Zeitalterd entwerfen zu können, erfchöpfend auf die Entwicklung deutfcher 
Auflände eingegangen werben. Zugleich begriff der Verfafler, daß er in diefem Theile 
ſeiner Aufgabe einen Fehler zu meiden habe, der vielleiht nit am Wenigften zu 
ver vielbeklagten Gleichgültigkeit beiträgt, mit welcher die deutſche Leſewelt Bücher 
über vaterlaͤndiſche Geſchichte behandelt. Man nehme irgend ein Werk der bezeich- 
win Art: fie geben feinen ober doch keinen genügenden Begriff der einheimiſchen 
Kräfte, welche den deutſchen Königen oder Katfern entgegenwirkten, und über beren 
Belämpfung die verſchiedenen Dynaftteen, Karlinger, Sachſen, Salier, Staufen fid 
anfrieben. Weil Pol und Gegenpol nit fo, wie fie follten, hervortreten, verſchwimmt 
gleih einem Schattenfpiele an der Wand Alles in einander; man ſieht Feine le⸗ 
bendigen Körper, fondern Traumgeftalten, ohne Mark, Knochen, Sehnen. Dagegen 
wird der Lefer, flott Wahrheit zu hören, mit Mebensarten, mit Philoſophie, mit 
Lntheigeſchwät übergoflen, deilen verborgenes Getriebe nicht in Thatſachen ber Vers 
gangenheit, fondern in Berechnungen der Gegenwart murzelt. 

Begenpol der Krone war im neunten, zehnten und eilften Jahrhundert, obwohl 
niht mehr fo ausſchließlich als früher, die Ariftofratie.e Denn nah Anfang bes 
Aften Eakulumd taucht über den Alpen — und zwar in offener Gemeinſchaft mit ber 
Khe — Demokratie empor und eben biefelbe faßt gegen Ende des nämlichen Zeit 
ums auch am Rheine — jebod) grundverſchieden von italieniſcher Entwicklung — in 


‘ gheimem Bunde mit der Krone Wurzel. Mit einem Hauptzweige der Ariſto⸗ 


Iratte aber, nämlich mit tem meltliden Herrenftand, ging im Zeitalter Gregors durch 
8 Erblichwerden der Lehen eine überaus wichtige und folgenreiche Aenderung vor. 
dolglich gebot dem Verfaffer das Wefen feiner Aufgabe, den Anfängen der größeren 
Ceſchlechter in Verbindung mit keimender Erblichkeit der Lehen, ober mit andern 
Borten, ven Dynaften befondere Aufmerkfamkeit zu widmen. Das burfte aber ge» 
wäß den Megeln der Geſchichte nur an einem Punkte gefchehen, den beflimmte Aus⸗ 


ſegen der Quellen rechtfertigten. Nun welfen — wie am gehörigen Orte gezeigt 


werben tft — die Chroniken erſt gegen Anfang des vormundſchaftlichen Megiments 

uf fihtbare Wirkungen ber Lehen⸗CErblichkeit hin. Demgemäß beginnt dad Wert 

wit dem Tage, da Heinrich IIL, der Vater des unmänbigen delmis IV., ſtarb, 
Ofrörer, Pabſt Gregoriug VI. Bo, V. 


x Dorrebe. 


knüpft weiter an die erften Verwicklungen der neuen Herrſchaft, Sand in Sand mit 
ben alten Zeugen, die Geſchichte der Dynaften Germaniens an und erzählt dam 
bie Begebenheiten bis zum Sturze der Katferin Agnes. . 

Kaum fteht zu beforgen, daß einfichtige Beurtheller den erften Theil für un 
nöthig erklären. Denn obgleih gründliche Einficht in die Entmwidlung des beutfchen 
Kaiſerthums wefentlih von Kenntniß des ariftofratifhen Gegenpols abhängt, gibt 
e8 — Soweit dem Verfaſſer befannt — weder In deutſcher noch in andern Sprachen 
irgend ein Bud, das den Stoff behandelt, ver im erſten Buche geſchildert wird, und 
auf das der Leſer einfach hätte verwiefen werben können. Auch nicht die Eigen⸗ 
f&aft der Nütlichkelt wird man dem erflen Bande vorliegenden Werks abfpreden. 
Denn er ſtellt eine Maſſe Thatſachen zufammen , die bisher fo viel als unbefanzt 
waren und doch helles Licht über das Dunkel deutſcher Zuftände des zehnten unb 
eilften Jahrhunderts verbreiten. Der Reihe nah kommen die Ahnen Derer zum Mor 
ſchein, die fi fpäter in der Herrſchaft über Deutſchland ablösten oder in dieſelbe 
theilten, und der Leſer empfängt eine Ahnung von dem, was allmählig aus Gew 
manien wurde, nad dem Spruche des Dicterd: „in dem Heute wandelt ſchon bad 
Morgen.” 

Anvdererfeitö Eonnte bei der Art von Behandlung des Stoffe, melde der Bew 
faffer wählte, ein Nachtheil nit vermieden merben, den man inmerhin nicht gerim 
anf&lagen mag: er mußte nämlich die Geſchichte Gregors VIL nicht mit den Au 
fängen feiner eigenen Laufbahn beginnen, ſondern — ſcheinbar willkürlich — vos 
einem in die Mitte feiner Wirkſamkeit fallenden Punkte ausgeben, auf ben äußen- 
Gründe, nämlich Rückſicht auf die Verhältniffe des deutſchen Reiches, Hintrichen. 
Der Derfaffer kann und will etwaigen Tadel megen dieſes Umſtandes nicht zurüd⸗ 
welfen, gibt aber Folgendes zu bedenken: das Leben Hildebrands enthält wenig ober 
feine Züge perſönlicher Art, mie man fie bei andern gefeierten Männern auffudt, 
um ihre Eigenthümlichkelt zu beleuchten, fondern fein ganzes Wirken war mit ver 
Bewegung des eilften Iahrhunderts, mit den großen Inftituten des Mittelalters ver 
wachſen. Ueber Hildebrands Kinder» und Knabenjahre fehlt es gänzlih an ſichern 
Nachrichten. Die vorhandenen Quellen führen den Jüngling ald Schüler und fpäter 
als Mönch zu Elugny, den Mann als päbftlicden Capellan unter Gregor VL, «W 
rõmiſchen Güterverwalter unter Leo IX., ald Legaten unter Stephan X, als Ga 
dinal unter Nikolaus II. und Alerander V., endlih als Statthalter Petri auf. 
Alle diefe verſchiedenen Aemter hat er gleihfam aus einem Buffe, in einem und 
bemfelben Geiſte verwaltet, nämlich in dem Gelfte Clugny's, weldder — man barf 
ed mit gutem Fuge fagen — fi in Geftalt Hildebrands verförperte, Fleiſch und 
Blut anzog. 

So gut man nun die Geſchichte dieſes Burgundiſchen Klofters, wenn fie am 
vers, fo wie fle fol, mit fleter Rückſicht auf die größeren Welthegebenheiten bes 
handelt wird, unter verſchiedene Geſichtspunkte faffen und vielfach abtheilen muß, 
hat man das Met, ein ähnliches Verfahren auf die Wirkſamkeit Gregors VIL aw 
zumenben, und Vorwürfe über Anwendung biefer Regel verlieren vollends dann jebe 
Begründung, wenn bie Thaten, welche Hildebrand vor dem Tode des Kaiſers Hein⸗ 
rich II., alfo vor 1056, verriätete, an einer Stelle erzählt werben, bie .dem Ge 


genflande enifprig Nun hofft ber Verfaffer, ben Leſer durch die That zu üben 


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Vorrede. xI 


n, daß derjenige Abſchnitt der Geſchichte Hildebrands, welcher In bie Zeit vor 
> Fällt, an paflendem Orte eingereibt ifl. 

Die Anordnung des zweiten umter den nem Büchern, in welde vorliegenbes 
k abgetheilt iſt, war durch den Inhalt des erften wie durch die Natur der Sache - 
mt. Es enthält die zufammenhängende Geſchichte Deutſchlands und Italiens 
gewaltfamer Entfernung ver Kaiſerin⸗Vormünderin Agnes bis zum Iode Ale 
ers IL und zu der Erhebung feines Nachfolgers Gregors VII. Treffliche Dienfte 
n hiebei die Staatäbriefe geleiftet, weldhe Herr Floß zu Trier entdeckte. Indeß 
te der Verfaſſer dur feine Handſchrift beweiſen, daß er, ehe ihm dieſe Briefe 
men ober veröffentlicht waren, mefentlich bie Entwidlung der Dinge ebenfo ber 
ellte, wie fie durch ben Fund bes Herrn Floß im Ginzelnen feftgeftellt wird. 
d fonft gibt das zmeite Buch Aufſchluß über mande Punkte, von denen biöher 
enk, die Rede war. Beiſpielsweiſe mögen genannt werben: bie verborgene ober 
ne Thätigkeit Hanno’ in Stalten und Deutfchland , die Vorgänge zu Lüttich, 
Berhandlungen von Halberſtadt, die Plane des ſaliſchen Hofes namentlih in 
ng auf Kriegäfteuer und Zehnten, die Verwicklungen der römiſchen Faſten⸗Sy⸗ 
:, bie geheimen Gründe, warum Heinrich IV. die Ermählung SHildebrands 


hieß. 

Mit dem dritten Buche beginnt das Pontifikat Gregors VIL Die welche früher 
Geſchichte dieſes Pabſts beichrieben, ſprechen faft ohne Ausnahme fo, als habe 
ger VII. feine Kräfte vorzugsweiſe oder gar ausfhließlih im Kampfe gegen 
arich IV. von Deutfhland aufgebraudt. Das ift ein hanbgreiflicder Irrthum. 
gor VIL. griff, je nachdem die Umſtände es erforverten, mit gleicher Energie in 
Rerbältnifie anderer Reiche des Abendlandes ein, wie in die deutſchen. Die 
enthũmlichkeit des Stoffes gebot daher, die Gefchichte der Ihaten des Pabftes 
den Ländergebieten abzugrenzen, auf melche feine Anftrengungen geriähtet waren. 
e Rorden Europa’3 bildet aus Gründen, die in der Natur des Bodens liegen, 
ſolche Maſſe. Hiezu kommt noch, daß im eilften Jahrhundert, wie am gehö- 
n Orte gezeigt worden, die erfien Keime eines nordiſchen politifhen Syſtems 
ortreten. ber die nadte Erzählung der Begebenheiten genügte nicht, eine un» 
ehrliche SHülfsmwiffenihaft der Gefchichte, die Erpbeichreibung, mußte beigezogen 
ven, weil im Laufe des zehnten und eilften Jahrhunderts viele Gegenden befannt 
veden waren, von denen dad Alterthum nichts wußte, und deren Bewohner und 
ennungen gegenwärtig zum Theil andere find, ald in den Tagen Gregor VIL 
um bielt c8 der Verfaſſer für geeignet, ven Leſer an der Hand mittelalterlicher 
graphen von den Gränzen Rußlands und Slaviens durch Skandinavien bid nad 
nd, Grönland und endlich bis zur nörbliden Hälfte der heutigen amerikaniſchen 
m zu geleiten, welche normänniſche Seefahrer gegen Ausgang bed zehnten Jahr⸗ 
erto entvedt hatten. 

Nur Stüdwerf mürde es gewefen fein, hätte fih ber Verfaller darauf be 
met, einfach die Großbofaren von Klew, die Könige von Schweben und Notre 
m aufzuführen, mit denen Gregor VIL in geſchäftlichen Verkehr trat, ſondern 
gefimde Menſchenverſtand gebot, zumal auf einem Gebiet, weldes die vorhan- 
hiſtoriſche Literatur kaum obenhin berührt, den Nachweis über die Urſachen zu 
m, weßhalb jene Fürften mit ver romiſchen Kirche und deren Oaupte Verbin⸗ 


⸗ 


Xu. Vorrebe. 


bungen anfnüpften. Ein folder Nachweis war aber nur durch Eingehen auf bie 
früheren Zuftände der betreffenden Länder möglih. Unter dem Einfluffe diefer und 
ähnlicher Erwägungen erhielt das dritte Buch die Geſtalt, in welcher es vorliegt. 
Vielleicht dürfte durch daffelbe die Kenntniß des Nordens, feines ehemaligen Bötter- 
dienftes, feines Volkslebens, und alter Beziehungen zum europäiſchen Süden und 
Weften weſentliche Fortſchritte gemaht haben. Nebenbei gereichte es dem Verfaſſer 
zu befonderem Vergnügen, die Verdienſte des isländiſchen Geſchichtſchreibers Snorro 
Sturleſon ins Licht zu ſtellen. 

Das vierte Buch Hat zum Gegenfland Dänemark, England, die Normandie. 
Ein Mittelglieb, oder — wenn man fo will — eine Brüde zwiſchen dem Norben 
amd Weften des Abendlandes bildeten ber normanniſch⸗fränkiſche Staat an der Seine 
mündung, und der anglosnormannifche, welcher zu Anfang des eilften Jahrhunderts 
auf brittiſchem Boden entfland. Die politiſchen Schöpfungen des tapferen Seevolks 
erforberten aus vielen Gründen befondere Berückſichtigung, erftlich weil die Normannen 
im zehnten und eilften Jahrhundert gegenüber dem chriſtlichen Abendland die Rolle 
fpielten, welche in ver Uhr die fogenannte Unruh ausfült, zweitens weil fie gleichwohl 
ſchon frühe in engen Verkehr mit den Gregorianern geriethen, hauptfählih aber 
brittend weil Herzog Wilhelm, der Eroberer, ald Soldat des h. Stuhles nah England 
hinũberzog. Sagt nicht Gregor VIL felbft in feinem Briefwechſel, daß er, als tm 
verfammelten Carbinaldfollegium Stimmen der Warnung vor den blutigen Folgen 
ertönten, welde Wilhelms Einfall in Britannien nach fi ziehen werde, mutbig 
bie ganze Verantwortlichkeit des Beiſtands auf fi nahm, welchen bie römtjche Kirche 
bem Eroberer gewähren würde. 

So Zonnte Gregor, der anerfanntermaßen ein guter Katholik und gewiſſenhafter 
Cleriker war, nur darum fprechen, weil unmiberleglihe Thatſachen den Beweis ges 
liefert hatten, daß das angelſächſiſche Volk ſich nicht felber zu helfen vermöge, daß 
ber dortige Adel grundverborben ſei und dem Verderben entgegenteife, forte daß 
die Normannen und ihr Herzog die nöthigen Eigenfchaften befäßen, um mit dem 
einzigen Mittel, dad noch möglih war, mit dem Elfen, die Innern Schäben Bris 
tanniend auszubrennen. Folglich lag dem Geſchichtſchreiber des Pabſtes ob, dar 
zuthun, wie und dur weſſen Schuld das Widinger-Wefen auf der Infel drüben 
zu unerhörter Blüthe kam, andererſeits mie das Wort Bigot, melde Hrolf ver 
Yußgänger, Gründer der Normandie, in feinen Unterhandlungen mit bem neuſtri⸗ 
fen Karlinger, Karl dem Einfälttgen, brauchte, allmählig eine ganz andere Bes 
beutung annahm, ferner wie das Klofter Clugny Einlaß in das herzoglidhe Schloß 
zu Rouen errang, wie in Folge beffen bie fogenannten däniſchen Heirathen vers 
. föwanben, . und das katholiſche Eherecht fiegte, endlich wie der junge Herzog Wils 
beim, in harter Schule des Kampfes und der Entbehrung zum großen Manne 
herangewachfen, die Tugenden entwidelte, um deren Willen ihm Cardinal Hildebrand 
ungewöhnliches Vertrauen ſchenkte. 

Mit dem Augenblide, da Wilhelm von Mouen den Buß auf engliſchen Boden 
fegte, hebt aus dem oben angeführten Grunde bie Mitverantwortlichkeit des Cardi⸗ 
nals für alles Wehe, bad der Normanne über England ausgoß, aber auch fein Dit 
verdienft an den guten Früchten an, welche der Sieg von Haſtings trug. Alſo 
mußten Beiveggrünbe und Tragweite der Thaten, bie Wilhelm brüben verrichtete, deß⸗ 


xiv | Vorrede. 


Kalifats unter Abderrhaman LI. von Cordova entwirft, beſchreibt ſofort den raſchen 
Verfall des ſpaniſch⸗arabiſchen Reichs, und wendet ſich hierauf zu den chriſtlichen 
Staaten der Halbinſel, welche ſeit 1003 nachhaltig emporſtrebten. Vielleicht in kei⸗ 
nem Lande Europa's tritt der wohlthätige Einfluß, welchen der Clugniacenſer Orden 
auf die Geſittung der Völker übte, ſo ſichtlich hervor, wie in Spanien. Der Leſer 
wird in Stand geſetzt, Schritt vor Schritt zu verſolgen, wie der Begriff der Staats⸗ 
einheit unter ſteter Einwirkung der Clugniacenſer aufkeimte und Raum gewann, wie 
überaus weiſe Geſetze dem unausgeſetzten Kampfe gegen die Saracenen eine ſolche 
Richtung gaben, daß Sklaverei und Entwürdigung ber niederen Klaſſen verſchwand, 
politiſche Rechte Aller zur Geltung gelangten und das geſammte ſpaniſche Volk ein 
adeliges Gepräge erhielt. 

Später wollten die Könige von Xeon den Aufſchwung der Nationalmacht miß⸗ 
brauchen, um despotiſche Gewalt der Krone zu begründen. Aber Pabft Gregor VIL 
trieb fie innerhalb der Linie des Geſetzes zurück, indem er ihnen nur um ben Preis 
des Gehorſams den militärifhen Zuzug aus dem übrigen Abendlande verfchaffte, 
welden jene Könige nach dem Ausbruche des Kriegd wider den Almorawiden Jufluf 
Ben Tafchfin gar nicht entbehren Tonnten. 

Eben diefer mauriſche Sultan bot Anlaß zu einem ſchicklichen Uebergang nah 
ber Nordküſte von Afrika. Da die Araber dort, feit fie Herrn des Landes gemorben, 
faft alle älteren Einrichtungen der Römerwelt umgeftoßen hatten, mußte die Geo» 
graphie, ähnlich mie für den Norden Europa’d, zu Hülfe gerufen und ein Ueber» 
blid der von dem Islam gefchaffenen Eultur gegeben werden. Auch unter der Herr⸗ 
ſchaft des Islam dauerten da und dort in Mauritanten und Afrika einzelne Ehriften- 
gemeinden fort, und mehrere derfelben traten fehon vor den Tagen Gregor VIL 
mit Petri Stuhl in Firhlicden Verkehr. Die Iepten Kapitel des fechsten Buchs 
geben Rechenſchaft von dieſen älteren Verhandlungen, fehlldern weiter bie politifchen 
Wirren, welche der Gegenſatz zwiſchen Sunna und Schia Innerhalb des Jslams 
hervorbrachte, und endigen mit dem Briefwechſel, der zwiſchen Pabſt Gregor VIL 
und dem Emir von Bugia ſtattfand. 

Im Plane des Verfaſſers lag es, ſeinem Werke eine ſolche Zurüſtung zu geben, 
daß die in den einzelnen Abſchnitten beſchriebenen Gegenſtände oder Völker zwar nach 
Unten abgeſonderten Räumen eines großen Gebäudes gleichen, aber nah Oben wie die 
verſchiedenen Pfeiler mittelalterlicher Dome in eine gemeinſchaftliche Spitze auslaufen, 
und fomit ein engverbundenes Ganzes darftellen. In der That wird man finden, daß 
in den ſechs erften Büchern die Perfon des Cardinals Hildebrand oder ded Pabſtes 
Gregor ald der Mittelpunkt erſcheint, um den fih bie andern Theilnehmer des Drama 
reihen. Allein bezüglich des fiebten Buches mußte aus erheblichen Gründen von letz⸗ 
terer Megel abgewichen werben. 

Brage: gibt irgend ein vorhandenes Geſchichtwerk Aufſchluß über die wahren Be 
weggründe und legten Ziele des Streits zwiſchen Pähften und Katfern, diefes Streits, 
ber Jahrhundert gedauert hat und im gegenwärtigen Augenblide wieder auszubrechen 
droht. Nichts der Art iſt vorhanden, und Hauptfähli darum, weil ſolche Hülfse 
mittel mangeln, geſchah es, daß jene unbeftimmte, ſchwankende, und barım finn 
loſe Anklagen gegen Herrſchſucht in Umlauf kamen, melde man je nach dem Partheis 
ſtandpunkt bald gegen die Kaiſer, bald’ gegen die Pähfte ſchleudert. Hieraus ergibt 


Borıer. xv 


In folgende Norm. Ganbelt es ſich davon, die Geſchichte irgend eines mittel. 
ardgen Babfts, tusbeſondere aber die Gregors VIL., der Wahrheit gemäß zu ſchreiben, 
ſah v Allem als Worbedingung eine erfhöpfenne Auselnanderfegung ver Rechte 
Wr, weile Petri Statthalter vermöge der eigenthümlichen Verhälmiſſe des Etuhls, 
aim fie fahen , jederzeit feſthalten mußten, um ihre äußere Griftenz zu ſichern. 
da keit nun mit andern Worten: eine genügende Darftellung ber Wirkfamfelt 
wütklalterliher Räbſte wird dur Einfiht in die Geſchichte ver Entflebung und Aus⸗ 
Hung des Kixrchenflaats bedingt. ine ſolche Geſchichte aber gibt es ebenfalls nicht. 
dem kein Sachverſtändiger wird die Schmähfchrift, welche der Jude Eugenheim unter 
vom Ittel: „Geſchichte des Kirchenſtaats“ veröffentlichte, als eine hiſtoriſche Arbeit an» 
ertennen, obgleich die Böttinger Akademie dad Erzeugniß des befagten Juden zu 
kroͤnen ſich herablleß. 

Noch andere Erwägungen beſtimmten den Verfaſſer, den eben angedeuteten 
Beg einzuſchlagen. Schoͤpferiſcher Geiſt iſt In den großen Weltgeſchäften ungefähr 
ebenſo ſelten, als im täglichen bürgerlichen Leben. Dort wie hier tritt Einer dem 
Andern in die Fußtapfen. Die Salier haben bei ihrem Vorſchreiten wider Petri 
Stuhl das von den Ottonen, namentlich vom erſten Otto gegebene Vorbild nach⸗ 
geahmt, die Ottonen hinwiederum erneuerten in gleicher Sache die Maßregeln ber 
Carlinger. Aber auch dieſe benützten die praktiſchen Lehren, welche die griechiſchen 
Bafileid bezüglich der Behandlung des Pabſtes gegeben hatten. Nun iſt gewiß, daß 
dad Wirken der Salier, Zeitgenoſſen und Widerſacher Gregors VI, ein Buch mit 
fieben Siegeln bleibt, fo lange man das Verſahren ihrer Vorgänger nicht kennt. 
Aur Einfiht in das Beiſpiel der Leteren gibt den Schlüffel zu gründlicher Würbigung 
ver Nachahmer. 

Drittend ein bis zwei Jahrhunderte nach Gregor waren die Güter ber Groß⸗ 
sräfn Mathilde von Canoſſa eined der häufigften Loſungsworte in den Streitigkeiten 
pwiſchen Päbſten und Katfern. Mathilde hatte ihre gefammte Habe, Allod wie Lehen, 
dem Etuhle Petri geſchenkt, und zwar erweislich darum, meil Gregor VIL Anſprüche 
auf diefe Güter madte. Nahe liegt es, dad Merfahren des Pabftes für eine Erbe 
ſchleicherei zu erflären. In der That haben tie Feinde der Kirche von jeher die Schen- 
tung verdammt. Allen dieſes Urtheil iſt grundfalfch, fintemalen der 5. Stuhl wirklich 
ein mohl begründetes Necht auf das gefammte Fürſtenthum Canoſſa nachweiſen Eonnte. 
Immerhin beruhte das Recht, das die römiſche Kirche geltend machte, auf politiſchen, bib⸗ 
ber verborgenen Verwicklungen, die rüdwärts bis Ind achte Jahrhundert chriſtlicher 
Zeitrechnung hinaufreichen. Folglich iſt es unmöglich, eine der widtigften, aber auch 
am Meiften getadelten Maßregeln Gregors VII. ohne gründliche Erforfhung der Zeiten 
vor Ihm zu würbigen. 

Viertens Gregorius VII. fagt felber in mehreren Bullen, daß dad Mutterftift 
Glugny in einem eigenthümlihen Verhältnige zum H. Stuhle fand. Deßgleichen er» 
hellt aus feiner Lebensgeſchichte, daß Hildebrand nicht blos feine Erziehung daſelbſt 
erhielt, fondern auch als Cardinal und Pabſt die Ideen von Clugny in Vollzug ſetzte, 
weßhalb er als geiſtiger Vertreter des genannten Stifts betrachtet werden muß. Dar⸗ 

aus folgt, daß der Geſchichtſchreiber Gregors Entſtehung und Fortgang des Clugnia⸗ 
cenſer Ordens in das Leben des Pabſtes verflechten muß. Nun gehören die Anfänge 
Giugny’s der erflen Hälfte des zehnten Jahrhunderts an. Demnach gebot bem Ver⸗ 


XVI Vorrede. 


faſſer vorliegenden Werks die Natur ſeiner Aufgabe, den eben erwähnten Zeitraum 
in ſeinen Kreis zu ziehen. 

Dieſe und ähnliche Thatſachen gaben den Ausſchlag, daß das ſiebte Buch der 
Geſchichte Gregors VIL die Geſtalt erhielt, in welcher es vorliegt. Weſentliche Vor⸗ 
theile wurden dadurch erreicht: der Leſer erhält ein nach Möglichkeit anſchauliches 
Bild der Anfänge und der Entwicklung des Kirchenſtaats; er wird eingeweiht in den 
Kern des Verhältniſſes zwiſchen Petri Stuhl und den Carlingern; er ſieht vor ſeinen 
Augen die Früchte reifen, welche aus der Geſetzgebung Lothars hervorwuchſen; er 
erfährt, wie und warum als Nachwirkung derſelben um den Beginn des zehnten 
Jahrhunderts ein Adelsregiment zu Rom entſtand, nebenbei daß das mit ſo viel Lärm 
auspoſaunte Hurenregiment eine Landlüge iſt; er lernt die Thaten eines ausgezeich⸗ 
neten Mannes, des Fürſten Alberich, kennen, der urſprünglich Mitglied des Stadt⸗ 
adels, über ſeine Standesgenoſſen dadurch den Sieg errang, daß er einerſeits die 
Päbſte, jedoch merkwürdigerweiſe ohne ihrem geiſtlichen Anſehen zu ſchaden, unter 
Schloß und Riegel hielt, andererſeits die römiſche Volksmaſſe durch Cinführung demo⸗ 
kratiſcher Formen dauernd an ſich und ſein Haus feſſelte. 

Der andere Hauptakt des ſiebten Buchs ſchildert die Erneuerung des carolingi⸗ 
ſchen Kaiſerthums durch den Sachſen Otto J. und ſeine beiden Nachfolger. Der Be⸗ 
weis wird gellefert, daß die Schenkungsurkunde Otto's J., ſowie die zwei noch mehr 
beſtrittenen Satzungen Leo's VIII. unzweifelhaft ächt ſind. Auf dieſe Grundlage hin 
baut der Verfaſſer eine Darſtellung der Gewaltthaten, melde Otto in Italien ver⸗ 
übte, aber auch der überaus melfen Gefege, die er erlich, und melde zur Folge 
harten, daß weltliche Räuber nicht mehr die Hand an Kirchengut legen Eonnten, meiter 
bag Italiens Bifchöfe die Oberhand in ihren Eprengeln erlangten, endlich daß durch 
bie ganze Halbinfel bürgerliche Freiheit und ein früher nicht erhörter Grad von Wohl» 
fland erblühte. Letztere Wirkung bat allerdings ver rothe Löwe weder geahnt, noch 
gewollt, nicht deftomeniger iſt unläugbar, daß fie aus feinen Geſetzen bervorfproßte. 

Die Erzählung geht fofort über zur Vermählung der Griehin Iheophano mit 
dem jungen Kaiſer Dtto V., meist den verberbliden Einfluß nad, den fie auf den 
Gemahl, wie fpäter auf den Eohn Otto IIL, übte, gibt Nechenfchaft von ben Urs 
ſachen des Unglüds, das Otto IL in Itallen traf, entwirft ein Bild von ber Uns 
mündigfeit Otto’o II., von der verfehrten Erziehung, die man ihm gab, von ben 
Phantaftereien,, denen er, verleitet von Gerbert, in Form eines erneuerten römifchen 
Weltreichs nachjagte, und ſchließt mit dem tragifchen Ende, das er nahm. Nebenbei 
werden bie Echidfale der großen italiſchen Lehen dargeſtellt. Auch die ewige Stabt 
{ft nicht vergeffen. Leibhaftig flieht die alte Noma mit ihren Mauern, Brüden, 
Ihoren, Waflerleitungen, Iheatern, Bädern, Paläften, Burgen, Coloffen, Bild» 
fäulen und andern Stadtzierden, fowie mit ihren Regionen in ver Geftalt da, welche 
bie Tatholifhe Metropole zwiſchen 990 und 1002 Hatte. 

Nun die Kehrfeite. Um dieſes wechſelvolle Gemälde aufzurollen, mußte ver 
Geſchichte Gregors VIL ein 60 Drudbogen audfüllenner Abſchnitt, der das fiebte . 
Bud bildet, eingefügt, mußte in Folge bievon der Umfang des Werks bedeutend 
erweitert werben. Abermal mögen Eritiker ſolches Ausſchreiten tadeln, aber der Ver» 
fafler macht geltend, daß ohne das fiebte Buch vorliegendes Werk feiner natür« 

lichen Grundlage entbehren würde. Gr wollte kein Bruſtbild bed Pabſtes ent» 


Verrcde. xvu 


werfen, ſondern bie ganze Berfönliäfelt vom Kopfe bis zum Buße ſchtidern, wie 
fie leibte und lebte, tnsbefonbere auch mie fie bie überlieferten Ideen gleichge⸗ 
finnter, und mei kaum dem Namen nad belannter, Vorgänger in Fleiſch und 


beſchreibt die Geſchichte Italiens und der vorzugsweiſe vom 
Gregorlanern, ober auch im Begenfag wider fie von deutſcher 
Belttik Geeiuflußten Reiche des Abendlandes, anfangend mit bem Jahre 1002, zur 
Bett, ya muihmaßiich Hildebrand das Licht der Welt erblichte, bis zum Oktober 1056, 


Dos adıte Bud entipriät dem Titel des Ganzen: „Pabſt Gregorins VIL und 
* 
den 


Urgänzung des erſten. Außer den innerhalb der angegebenen Zeitgränzen lebenden 
Bibften werben aufgeführt bie deutſchen Kaiſer Heinrich U. Gonrab IL, Heinrich M. 
dann die Könige Stephan von Ungarn, Boleslaw von Polen, ſammt ihren Nach⸗ 
folgern, endlich Rudolf IIL von Burgund. Die deutſche Erwerbung des legtgenannten 
Reiches , bisher ein mit cimmeriſchem Dunkel bedecktes Gebiet, erhält ungeahntes 
Licht. Auch findet man erwünſchten Aufſchluß über den geographiſchen Begriff und 
Ve geheime Geſchichte des Fürſtenthums Ganoffa, über die Anfänge Mathilvens, 
über die römtiche Stabtverfaffung, die in der zweiten Hälfte des eilften Jahrhunderts 
beſtand, über die Gewalt ver Präfekten, die Zufammenfegung des Senats und ben 
Fertgang der römiſchen Kapitangefchleihter. 

Das neunte Buch wird das Werk abfchließen, indem es die Geſchichte Itallen® 
mb Deutſchlands von dem Augenblide, da Hildebrand ale Gregorius VL. Petri 
Stuhl beſtieg, bis zu feinem Tode umfaßt. Es ſchildert den großen Zweikampf 
miihen Tiara und Krone, tie ſächſiſche Empörung, die Wirkfamkeit des größten 
dentſchen Staatsmanns, Hanno's von Göln, die Entwicklung germanifhen Bürger 
ums und Städteweſens, den Beſtand und die enblihe Abſchaffung des von Karl dem 
Großen den Sachſen aufgebrumgenen faltfhen Rechts und noch viele andere gewichtige 
Dinge mehr, von welden neuere Geſchichtwerke ſchweigen. Der Drud des festen 
Bandes, der das achte Buch enthält, Hat begonnen, auch ber fiebte und legte wird 
noch im laufenden Jahre erfcheinen. 


Als Anhang diefer Auseinanderfegung fel mir vergönnt, eine litterarifche Ans 
gelegenheit zu berühren, die übrigens in die oben befprochene Materie einſchlägt. Seit 
1855 veröffentlicht Herr Wilhelm Giefehreht, derzeit Profeffor zu Königsherg in 
Preußen, eine „Geſchichte der deutſchen Kaiferzeit” , welche neuerdings von der Ber⸗ 
liner Akademie mit dem großen von feiner Majeftät König Friedrich Wilhelm IV. 
für das beſte deutſche Befchichtwerk ausgeſetzten Preife gekrönt worden if. Ans 
Tagesliäht getreten find bis jegt zwei Bände diefed Werks, deren erfter vom Jahre x 
sber wenn man fo will, von Erſchaffung des deutſchen Volks bis zum Ausgang 
Htto's TIL ober bis zum Jahre 1002, deren zweiter vom Regierungsantritt Hein⸗ 
richs IL bis zum Tode Heinrichs IU., alfo von 1002 bis zum Öftober 1056 reicht. 
Da ih in ber Kirchengeſchichte, welche ich währen meiner Anfievlung in Stuttgart 
herausgab, genau benfelben Gegenſtand behandelte, wie Gert Gieſebrecht in den eben 
mwähzten zwei Bänden, fo if es geſchehen, daß er meine Arbeit flart berück⸗ 


XVM Borrebe. 


ſichtigte, wohl in viel größeren Maße, als, wie ich Urſache babe, zu glauben, 
Herr Gieſebrecht fi felber oder Andern eingeftehen bürfte. M 

Ueber ven Geiſt, in welchem ich die Geſchichte des Mittelalters auffafſe, bricht 
Herr Gieſebrecht unbedingt den Stab, ermangelt aber gleichwohl nicht, mir fonft 
da und dort bidle Körner von Weihrauch zu fireuen. Im der Ueberſicht der beften 
neueren Hilfämittel fagt er (B. I, 758) über Gfrörer, allgemeine Kirchengefchichte, 
Band II, „fo wenig Wir mit der Tendenz des Buchs, bad im Wefentliden bie 
Gründung des deutſchen Reichs den Bifchöfen beimißt, einverflanden find, und fo 
entſchiedener Widerfpruch gegen viele willkürliche Hypotheſen einzulegen tft, Tann uns 
dieß nicht abhalten, die große Belefenbeit des Verfaſſers und feine eigenthümliche 
Auffafiung des Gegenftandes anzuerkennen. 88 ift ein nicht geringes Verbienft, daß 
er die Kirchengeſchichte jener Zeit mit der Meichögefhichte in die nädfte und un 
mittelbarfte Verbindung gebracht hat." Sehr gnädig! obglei der Eritiker nur von 
Belefenheit ſpricht, während man Andern Gelehrfamkeit nahrühmt und nur ein Ding, 
genannt Auffaffung, lobt, während fonft Meinungsgenofjen gegenüber bie Lippen 
von den Worten Geiſt, Genie, Scharffinn überfließen. 

Aus dem gleichen Anlaſſe läßt ſich Herr Gieſebrecht zum zweiten Bande S. 540 
alfo vernehmen: „ber vierte Theil von Gfrörers Kirchengeſchiche umfaßt genau 
denfelben Zeitraum, der bier (nämlih im zweiten Bande der Kalfer 
geſchichte Gieſebrechts) bearbeitet tft: bei der engen Verbindung, melde damals 
in der Ihat zwifchen Kirche und Reich beftand, und bei der befonderen Aufmerk⸗ 
famfelt Gfrörers auf biefe Verbindung wird feine Kirchengeſchichte in dieſem Ab⸗ 
ſchnitte völlig zu einer Geſchichte des deutſchen Reichs und Kaiſerthums. Im ber 
Behandlung zeigt Gfrörer auch bier eine fehr große Beleſenheit, und mit bemerkens⸗ 
werthem Scharffinne weiß er das reihe Material für feinen Zwed zu verwenden. 
Bu bedauern iſt nur, daß diefer Zweck weniger die Erfenntniß der biftorifhen Wahr⸗ 
heit war, ald die Begründung einer vorgefaßten Meinung über den unbegrängten 
Einfluß der Clugniacenſer und ihrer Freunde. Wollte man Gfrörer Glauben ſchen⸗ 
fen, fo wäre bamald das Abendland nicht ſowohl dur die Kaiſer, als durch bie 
Achte von Elugny regiert worden.“ 

Der Ton iſt, verglichen mit ven oben angeführten Worten bes erflen Bandes, 
ſichtlich herabgeſtimmt. Herr Gieſebrecht ſchiebt mir ziemlich unverholen Mangel an 
Wahrheitsliche in die Schuhe, maß überhaupt ver bärtefte Vorwurf iſt, den man 
gegen einen Geichichtichreiber erheben mag. Vielleicht rührt der Wechfel in der Me⸗ 
lodie daher, well 1855 Partheihaß gegen Profelgten noch nicht fo ungeſcheut hervor⸗ 
zutreten wagte, wie 1858, da Gieſebrecht feinen zweiten Band herausgab. Sonbers 
bar! Nirgends babe ich meines Wiſſens — weder in meiner Kirchengeſchichte, no 
in dem Sgeitalter Gregor VII. — gefagt, daß ftatt der deutfchen Kaiſer die Aebte 
von Elugny dad Abendland regiert hatten, fondern meine Behauptung ging dahin, 
daß der Glugniacenfer Orden großen, kaum berechenbaren Einfluß auf öffentliden 
Geiſt und politifhe Entwicklung Europa’ übte. Genau benfelben Sat trägt aber 
Herr Gieſebrecht in feinem Werke mit merfliher Zuverſichtlichkeit vor. Nun bat bis 
zum Jahre 1344, da der dritte Band meiner Kirchengefchichte erſchien, Niemand in 
Deutichland von einem ſolchen Einfluffe der Elugntacenfer gefprochen, weßhalb au 
Profeſſor Leo zu Halle, ein Hiſtoriker, dem meines Behünkens Herr Gieſebrecht in 


Vorrede. XIX 


geiftiger Hinſicht kaum an bie Waden reiht, Öffentlich behauptete, GBfrörer ſei es 
geweſen, ber zuerſt jene für richtige Würdigung des Mittelalters beveutfame That⸗ 
ſache nachgewieſen habe. Verhält ſich die Sache fo, — und fie verhält fi gewiß fo 
— dann folgt, daß Herr Gieſebrecht eine meiner Iveen zu gleider Zeit aufnahm und doch 
wieber — angeblich wegen Viebertreibung und gewagter Hypotheſenſucht — verbammte. 

Noch fonverbarer! der Berfafler der Kaiſergeſchichte theilt im Anhang zum 
zweiten Bande zwei Staatöbriefe mit, die mir zur Zeit, ald ich meine Kirchenge⸗ 
ſchichte abfaßte, unbekannt waren. Der eine ift von Kaifer Heinrich II. im Jahre 
1051, der andere von ber Kaiſerin Wittme Agnes unmittelbar nad dem Tode ihres 
Gemahls im GHerbfte 1056 an den Abt Hugo von Clugny gerichtet. Beide liefern 
ben Beweis, daß ſowohl der Kalfer, als die Wittwe den Beiftand der Elugniacenfer 
für eine unumgängliche Bedingung der Sicherheit ihres Negiments hielten. ine 
glänzendere Beglaubigung der in der Kirchengeſchichte vorgetragenen, von Gieſebrecht 
hart getabelten Sätze, die ich im Beitalter Gregors VIL noch des Weiteren erhärten 
werde, {ft kaum denkbar. 

Ueberhaupt begegnet es mir von Jahr zu Jahr häufiger, in proteftantifden Ges 
ſchichtbüchern Hühnchen aus meinem Brutofen zu entbeden, deren Gefieder jedoch zu» 
mweilen fo zugeſtutzt ift, daß nur ein fharfes Auge ihre urſprüngliche Heimath er 
fennen mag. Man trägt die Gedanken oder Entdeckungen Anderer — flammen fie 
ſelbſt aus dem Buffe eines Schwarzen, wie Gfrörer — In die Megifler ver Welt 
anſchauung ein, die in loco für politiſch orthodox gilt, und fördert fie dann, ale 
ob fie ſich von ſelbſt verſtünden, unter eigenem Namen in bie Welt hinaus. Aller 
dings mag es für neuere Gelehrte ebenio annehmlih fein, Lehengut in Allod zu 
verwandeln, ald Solches — jedoch in einem andern Lebendkreife — dem Herrenftande 
des Mittelalters bebagte. Zu gutem Ende hängt man, damit das gefpielte Kunfl- 
ftüd verborgen bleibe, dem eigentlihen Erfinder einen Schandfled an, lautend auf 
Mangel an Wahrbeitlicbe oder Uebertreibung und dergleichen. 

Noch bereitmilliger, ald in den oben angeführten Stellen, lobt ſcheinbar Gieſe⸗ 
brecht meine Leiftungen in der Vorrede zum zweiten Bande, wo er fagt: „Niemand 
wird leicht Stenzels“ (— der wohlgemerkt, fo lange er lebte, gar wenig Aufmun- 
terung erfuhr —) „Verdienſte um bie Aufhellung der (falifehen) Zeit hoch genug an» 
ſchlagen, und auch Gfrörers Arbeiten über dieſelbe verdienen nah manchen Seiten 
gerechtere Anerkennung, als fie gefunden haben.“ Ich bin abermal gerührt über 
dieſes Wohlwollen, muß jedoch das Tharfächliche berichtigen. Bezüglich der Dienfte, 
welche mir Freunde und Feinde für Förderung oder Nichtförberung meiner Laufbahn 
tetfteten, find — was ebenfo au für andere Gelehrte gilt — zwei Tinge zu unter 
ſcheiden, die Abfiht und der Erfolg. Sicherlich war es die Abfiht Mancher — 
namentli in gewiffen partibus — die Verbreitung meiner literarifhen Erzeugniſſe 
nad Möglichkeit zu erfehmeren, indem man bie für foldhe Bälle gemöhnlichen Mittels 
den, Ausſchließung von den Bibliotheken, Stillſchweigen ber literarifchen Zeitfchriften 
in Anwendung brachte. Was aber ven Erfolg betrifft, möge fih Herr Gieſebrecht 
beruhigen , ih babe Urſache mit dem äußern Beweis der Anerkennung, nämlich mit 
dem buchhändleriſchen Vertrich, zufrieden zu fein. Insbefondere macht es mir Spaß 
zu fehen , daß ih eine an Kopfzahl nicht unbedeutende Heerde theils gutwiutger, theils 
fee abgeneigter Nachtreter erzeugte. 


xx Borrede. 


Einige Zeilen weiter unten flägt Herr Gieſebrecht in derſelben Vorrede andere 
Salten an. Der Sinn feiner Rede ift: Alles, was er in feiner Katfergefchichte vor» 
bringe, beruhe auf eigenem Quellenſtudium, mögen feine Behauptungen neu ober 
alt, mögen fie fhon von Andern vorgebradt ober noch nie vorgebradt fein, fo ge 
hören fie ausſchließlich ihm an, weßhalb er es auch nicht unterlaffe, für jeden Sag 
den angemefjenen biftorfichen Beweis zu führen. Nach dieſen Aeußerungen fährt Gieſe⸗ 
brecht fort: „felbft wo ich mit Gfrörer übereinftimmte, konnte ich mich bei ber 
großen Verſchiedenheit, welde in ven Grundanfhauungen, wie in der Methode zwi⸗ 
ſchen tiefem Forſcher und mir obmwaltet, einer Begründung meiner Anfiht ohne 
Mißdeutung nicht überheben.“ Sichtlich liegt diefer Rede des Verfaſſers ber 
Kaiſergeſchichte eine geheime Ideenverbindung zu Grunde, in deren Kern ich jedoch 
nicht mit genügender Sicherheit einzudringen vermochte. Doch iſt klar, daß Gieſebrecht 
ſagen will, in gewiſſen Kreiſen (deren Beifall er erſtrebt, oder deren Mißbilligung 
er fürchtet), gelte es für läſtig, anrüchig, verdächtig oder gar — horribile dietu — 
für ſchimpflich, mit Gfrörer übereinzuftimmen. 

Genug! Herr Gieſebrecht weist jede geiftige Gemeinfchaft mit mir, fo berebt als 
feine Kräfte ausreichen, zurüd. Und nun mollen wir fehen, wie fern die Ihat feiner 
Behauptung entipridt. An «einer Stelle der Vorrede zum erſten Bande, mo er ben 
Dlan feines Werkes entmidelt, verſpricht Gieſebrecht die Kalfergefhichte von ben 
Ottonen an bis zum Ausgang der Hohenſtaufen, alfo umfaflend einen Zeitraum von 
mebr als 400 Jahren, In drei Bänden zu liefern. Nun reicht aber der erfle Band, 
ber bie fogenannte Vorgeſchichte und die Megierungen Heinrichs J., Dtto’® L, 
Otto's IL, Dtto’8 ILL begreift nur bis 1002, der zweite gar nur von 1002 bis zum 
Dttober 1056. Wenn baher Gieſebrecht feine ganze Aufgabe mit gleicher Breite Iößt, 
fo legt am Tage, daß aus den angeblichen drei Bänden zum Mindeften zehn werben 
müſſen. Mag er fi drehen und wenden, wie er-will, unmöglich kann er in Abrebe 
ziehen, daß er während des Wegs, den er nicht in eilendem Gedankenfluge, fondern 
mit der langfamen Schreibfeder in der Hand zurüdlegte, feinen urfprünglichen Plan 
ſehr wefentlih abänderte. 

Welcher Kalos oder Agatho-Dämon mag ihn nun biezu beftimmt haben? Wenn 
man feinen eigenen Worten Glauben beimißt, Tann bierüber kein Zweifel obwalten. 
Denn fagt er nicht in der oben angeführten Stelle (HI, 539 unten): „ber vierte Theil 
von Gfrörers Kirchengefchichte (vie er im folgenden Sape für eine eigentliche Reichs⸗ 
geſchichte erklärt) umfaßt genau denſelben Zeitraum, der im zweiten Theile (meiner 
Kaiſergeſchichte) behandelt iſt,“ und gilt nicht Daffelbe, obgleih er Solches nicht 
gleih offen eingefteht, von feinem erſten Bande, der fi Innerhalb der nämlichen 
Sränzen bewegt, wie Ih. IL, 3 der Kirchengefhichte Gfroͤrers, welcher weſentlich 
die Geſchichte des ſächſiſchen Haufes bis zum Tode Otto's III. barftellt. Sa, fo iſt 
ed. Iene, ohne Zweifel für das Publikum erfprieplihe, Erweiterung bed Planes 
rührt daher, weil Gieſebrecht im Augenblide, da er denſelben entwarf, ven Pflug, mit 
dem er nachher wirklich aderte, noch nicht fcharf genug ind Auge gefaßt hatte. Als 
er aber die Sterze in die Hand nahm, erprobte fih das fremde eiſerne Werk 
zeug fo flarf, daß der arme Mann nothgebrungen viel mehr Kurden aufwerfen 
mußte, als er urſprünglich dachte oder wollte. 

Nicht blos bezüglich der Zeiträume, fondern auch in visien andern wiätigen 


Borrede. xxI 


treffen die vor 16 Jahren verfaßte Kirchengeſchichte Bfrörers mb die feit 
erſcheinende Katferzeit des Herrn Biefebret wunderbar zufammen, und wenn 
nicht ganz täufche, glaube ih in den engen Spalten des Königsberger Cpi⸗ 
anfehnliches Häuflein meiner geiftigen Kinder zu erbliden, bie jedoch ba 
ziemlich umgeflaltet find. Herr Gieſebrecht bat ihnen nämlid eine Bes 
„feiner ſelbſt gewonnenen Anſichten“ beigefügt wie er fagt, ober wie mir 
Sache ſcheint, er Kat das Geinige gethan, um ven Schein des Allopialbefiges 
zu wahren. Gieſebrecht mag daher immerhin Urſache haben, eine in der That überamb 
enge Bemeinfhaft, bie er zwar nicht mit der Berfon Bfrörers, wohl aber mit mehreren 
Bänden der Kirchengeſchichte deſſelben pflog, zu verbergen, aber nicht iſt er berechtigt, 
dieſen Verkehr — und noch dazu ald etwas Anrüchiges — abzuläugnen. 

An einem Orte endlich (Noten zum erften Band S. 800) läßt Biefebrecht bie 
Nadke ganz fallen und zeigt feine wahre Geſinnung mir gegenüber. Ich hatte in 
meiner Kirchengeſchichte die Aechtheit der Urkunde vom Jahre 1000, kraft welcher 
Otto III. at Grafſchaften an die roͤmiſche Kirche abtrat, gegen die Einwürfe von 
Wilmans vertheidigt. Diefer meiner Bewelsführung tritt auch Gieſebrecht bei, aber 
Wie? Er ſchreibt alfo: „die Schenkungsurkunde Otto's III. erklaͤrt Wilmans für 
nnächt, Gfrörer in der allgemeinen Kirchengeſchichte dagegen hält an ihrer Aechtheit 
fe. Früher frliten gerade die eifrigften Romaniften gegen bie Aechtheit, während 
bie evangeliſchen Gelehrten die Urkunde für gefälfcht erklärten; neuerdings ſcheint 
das Verhaltniß fi umgekehrt zu Haben.“ Und nım nad diefem Gerede rüdt er 
mit dem Belenntnig heraus, daß ihm Wilmans Anſicht unrichtig heine. Offenbar 
yaßt der Schluß zu dem Eingang, wie im Spriäwort die Fauſt auf ein Auge. 
Gieſebrecht möge nit fürdten, daß er durch die Aufnahme einer fo raben- 
fäwarzen Behauptung ſich felber ober feinem guten Rufe ſchade. I tröfte ihn mit 
der Weiffagung, daß in Kurzem, wenn erſt das Zeitalter Gregors VIL. gehörige 
Verbreitung gefunden haben wird, nicht ˖nur die Aechtheit der obigen Urkunde, fon» 
dern auch bie ber viel hartnädiger beftrittenen Schenkung Otto's I. vom Bebruar 962, 
ja auch die der von beiden Partheien befämpften Sagungen Leo's VIIL unfehlbar 
durchdringen muß. 

Zunãchſt aber habe ich e8 mit einem andern Punkte zu thun. Gieſebrecht theilt 
laut obigen Sägen die Gefchichtfchreiber in zwei Klafien ein, nämlich erſtens in evan⸗ 
geliſche, oder In gefinnumgstücdhtige, noch genauer geſprochen in Anhänger der hiſto⸗ 
riſchen Apoflel Perk und 2. Ranke, denen er ald „den Meiftern deutſcher Geſchicht⸗ 
fosfhung* feine Kaiſergeſchichte gewidmet hat; zweitens in Nomaniften, fonft auch 
Ultramontane genannt. Was verſteht er unter letzterem Ausdruck? Derfelbe hat einen 
verborgenen Sinn, der, wie man aus freimaurerifdhegefinnten Zeitungen fattfam bes 
weiſen kann, ungefähr auf die Begriffe „Binfterling, Heuchler, Dummkopf oder gar 
Baterlandsverräther" hinausläufl. Das fagen nun freilid nur Zeitungsfchreiber 
offen, nicht aber ehrfame Gelehrte ober orbentliche Profefioren, wie &. Denn unges 
ſcheutes Hervortreten mit einer klaren Begriffsbeſtimmung Eönnte allerlei Schaden 
bringen. Immerhin leiftet das Wort auch in kauderwälſchem Gewande guten Dienft, 
foıtemalen der große Kaufe, nach deſſen Gunſt man firebt, unfehlbar an jene Eigenfhaften 
denkt, ſobald der fremde Klang in fein dickes Ohr fällt. Wie man fieht, hat Gieſebrecht 
mir keine Liebkoſung zu erweifen gedacht, Indem er mid unter die Romaniſten eintheilte. 


TH 


J 


xx Borrede. 


Böfes mitt Gutem vergeltendb, will id eine Mittheilung machen, -bie vielleicht 
meinem firengen Richter nüglih werben kann. Wir Andern befolgen in Würbigung 
der Hiftorifer eine Methode, die grundmwefentli von obiger Eintheilung Gieſebrechts 
verfhleden iſt. Einmal flellen Wir zwei Hauptgefihtspunfte voran, nämlich erftens 
den fittlichen Werth, und zweitens die geiftige Kraft. Gemäß erflerem unten 
ſcheiden wir ehrliche Geſchichtſchreiber, welche Wahrheit. ſuchen und nie wiſſentlich 
gegen fie verftoßen; 2) erwerbiuftige Geifter in verſchiedenen Abftufungen, als da find 
Gluͤcksjäger, Schnmihler, Verläumder, offenbare Lügner, Summa Summarum 
Menſchen, vie mit hiſtoriſchem Geſchriebſel gwede erſtreben, die ſie einzugeſtehen 
fich ſcheuen müſſen. 

Den zweiten Geſichtspunkt betreffend, zähle ich dreierlei Klaſſen von Hiſtori⸗ 
teen: 1) Berufene, welde die Vorfehung mit den Eigenſchaften audgeftattet bat, 
die erforberlih find, um Geſchichte im wahren Sinne des Worts zu {reiben — 
denn dieſes Geſchäft iſt wahrlih nicht Jedermanns Sade; 2) Mittelmäßige oder 
gemeine Arbeitskräfte, die hauptſächlich mit dem Sitzfleiſch wirken, wie ber Adler 
fliee mit dem Kopfe. Gelehrte der Art Tönnen bei mäßigen Anlagen und let» 
lichem Schulſacke nuͤtliche Dienfte leiften, indem fie entweder, mit unermüblicdem 
Fleiße Folianten um Folianten durchbohrend, eine Maſſe DBelegftellen fammeln, bie 
für künftige Hiftoriker von Beruf Werth haben mögen, oder zweitens in den Biblio⸗ 
theken unbefannt gebliebene Quellen aufftöbern, und dann drittens das Gefundene 
durch den Drud veröffentliden, was meiſt auf Koften des gemeinen Seckels ge⸗ 
(Sieht. Für die unter 2 und 3 erwähnte Thätigkeit find verſchiedene Handgriffe 
nötbig : die Arbeitskraft ſchreibt nämlih 1) den Text der aufgefundenen Handſchriften 
Buchſtaben um Buchſtaben richtig ab, fichtet 2) das Abgeſchriebene kritiſch, fügt 3) 
nötbig ſcheinende Noten bei, ſchickt 4) die genommene Abſchrift in pie Druderel und 
forgt 5) dafür, daß das Abgedruckte, fäuberli von Fehlern gereinigt, durch einen 
Verleger tn die literariſche Welt hinaus befördert wird. 

Weiter muß man wiflen, daß dieſes Eritifche Verfahren, welches man früher 
mit dem gemeinen und unfhönen Namen „SHerausgeben alter Texte“ bezeichnete, Taut 
ben Verſicherungen, welche uns ſeit faft 40 Jahren eine gewiſſe Schule zu geben 
nicht mübe wird, ganz enorme Geiſteskraft erfordert. Sodann erfolgt die Veröffent- 
Hung — wie e8 frommen Jpealiften geziemt — nicht ohne vorangegangene An» 
rufung der heiligen Vaterlandsliebe — sanctus amor patriae, weldher den Eingang 
eines jeden Bands der Pertz'ſchen Sammlung zierende Denkſpruch, abgefehen davon, 
daß er ven Anfang eines auf lauter Daktylen angelegten Hexameters bildet, wie 
etwa folgender: tum tuba mirifico sonitu Taratantara clamat, wegen ber glüdlichen 
Wahl des Worts sanotus befonberes Lob verdient, fintemalen fonft Der oder Jener 
leicht an die Virgilifchen Worte 

auri sacra fames 
hätte denken Eönnen. Schließlich verdient noch der Vollſtaͤndigkeit wegen beigefügt 
zu werben, daß der Drud gewöhnlich in zwei Formen vor fi geht, entweder auf 
Latein und in folio, mie die Monumenta Germanise, ober in octavo, wie bie deut⸗ 
fen Ueberfegungen derſelben Denkmäler, welches letztere Wert uns — beiläufig ſei 
es gefagt — ein überaus erfprießlihes Linternehmen zu fein ſcheint, würbig 


Vorrche. XI 
einer Vergleichung mit ber Betriebſamkeit des „berühmten“ Musketiere , der den 
KuellersZabad, ben .er aus den fauren Erfparnifien feiner Löhnung zu 
erfanfen vermochte, erfi Laute, dam trodnete und rauchte, brittens die etwa 
noch vorhandenen feften Ueberbleibſel mit wahrhaft kritiſcher Sorgfalt fiebte und zu 
guter Legt ſchupfte 

Ich Tomme jegt au bie britte Clafſe des zweiten Geſichtspunkts. Ste umfaßt 
vie Gecken, Leute, welche wider ven Willen der Diinerva und von Ihr ſchon bei ber 
Geburt enterbt, aus Großmannsſucht ſich vorandrängen; Leute, die mit ihren Maul» 
wurföäuglein nichts gewahren, als was ihnen auf die Nafe ftößt, nur an das fi 
haltend® was mit bürren Worten in ven Ghronifen flcht; Leute, die niemals ben 
geheimen Zufammenhang der Sachen und Perfonen ahnen, Leute, die, wenn fie 
z. 8. die Geſchichte des mittelalterlihen Italiens fhreiben wollen, nur die augen» 
fälligen änßern Greigniffe zuſammenſtoppeln, ohne Sinn für die langfame und darum 
nicht Jedem verſtändliche Bewegung der Geſellſchaft; Keute, melde die Wirkungen 
der Mittel und Wechſel des Beſitzes, ja fogar die Geſetzgebung — obgleich wohl⸗ 
erhaltene Denkmäler von beiden zeugen, als unnützen Plunder zur Seite liegen laffen 
und für alle dieſe Mängel dur leere Rednerei Erſatz elften möchten, indem fie 
bald Seiltänzerfünfte des Styles entwickeln, bald als frieblichgefinnte Demagogen 
bie Saiten anſchlagen, welde, ohne nad Oben zu verlegen, germaniſch⸗erglühende, 
vor Thatenbrang ſchwaͤrmende Jünglinge des Schulbanks in Wallung verfegen, bald 
— und das tft das Gewöhnliche — gleih als ob die Salter mit ihren Lieblingen 
beute noch herrſchten bereit, hoch⸗ und fein⸗Jebildeten Hungerleidern fette Stellen 
oder Gold und Silber hinzuwerfen — eine erſtaunliche Hoffeligkeit zur Schau tragen. 

Doch genug der Ironie Nur no ein Wort im Ernſt. Gieſebrecht licht es, 
ſei es als Borredner, ober als Erzähler, fei es als Michter über Gelehrte, 
einen hohen Zion ber Auftorität anzımehmen, gleih als wüßte er ganz Norddeutſch⸗ 
Iand hinter ſich. Das halte I für Schaum. Undenkbar ift, daß irgend eine mäch⸗ 
tige Behörde ihn zum Sprecher wähle. Wir haben des Haders genug in Deutfih- 
land, während andererſeits jeder Einfichtige weiß, daß offenbare Unterbrüdung, ob» 
glei Hart genug, weniger verlegt ald Begünſtigung von Hohlheit, die auf Schug 
pochend, Sachverfländigen gegenüber das große Wort zu führen fich erbreiftet. 

IH Habe mich vieleicht ſchon zu lang mit Biefebrecht abgegeben, denn meine 
Zeit und meine Kräfte find wichtigern Geſchäften gewidmet. Indeſſen va fein Wert 
befonderer Umftände wegen ungewöhnliche Verbreitung fand, wird e8 mir fein Bil⸗ 
ligdenkender verargen, daß ich das Mittel diefer Vorrede benüge, um ehrenrührige 
Unterftellungen abzuweiſen. Ich Eenne den Herrn nicht, begehre au nicht, ihn kennen 
zu lernen, aber gewiß tft, daß ih ihm nie mit Wort oder That zu nahe trat. 
Daſſelbe bin ich berestigt, von ihm zu fordern. Darum von zweien Dingen Eines: 
entweber enthalte er fih fürber, mir offen oder verſteckt niederträchtige Triebfedern 
in die Schuhe zu fchieben, oder werde ich den hiſtoriſchen Feldherrnmantel, den er 
fich umlegte, bei paflender Gelegenheit nah Schnitt, nah Farbe, nah Wolle, nad 
Nätherei einer gerechten aber unbarmhberzigen Prüfung unterziehen. 

Zum Schluffe füge ih noch einen Wunſch bei, der in feinem eigenen Interefie 
begründet if. Es möge ihm gefallen, ben dritten Band feiner Kaiſergeſchichte, 


zxIV Berrebe. 


welcher voraubfichtlich die Regierung Heinrichs IV. umfaffen wirb, wenigſtens gleich⸗ 
zeitig mit dem neunten und Iehten Buche meiner Geſchichte Gregors zu veröffent 
len, weldes den naͤmlichen Gegenfland behandelt und fpäteftens in ber zweiten 
Hälfte des Iaufenden Jahres erſcheint. Shut er dieß, fo liefert er den Beweis, daß 
er auch ohne eine gewiffe Amme, deren Milch er doch verläugnen müßte, Nachhal⸗ 
tiges zu leiften fi getraut. Ohnedieß find, follte man meinen, Gtenzel, den er 
felber hoͤchlich preiſt, und Floto, den er unter die beflen Hilfsquellen einreiht, Vor⸗ 
reiten, mit denen fi) etwas ausrichten läßt. 


Freiburg, Ende Januar 1860. 


A. Ir. Ofroͤrer. 


Inhaltsverzeichniß. 





Siebtes Bud. 


Italien und der heilige Stuhl vor dem Jahrhunderte Gregors VIL 


Entſtehung und frühere Schickſale des Kirchenſtaats. 





Erſtes Capitel. 


Keine Geſchichte des Pabſtihums, ja des Mittelalters überhaupt, iſt möglich ohne Cin⸗ 
fiht in Entſtehung und Ausbildung des römifchen Kirchenſtaats. Unfänge befs 
felben im vierten Jahrhundert. Ueberficht der Brovinzen Stalins. Faſt in allen 
erlangte Betri Stuhl Landeigenthum durch Schenkungen, welche theils Conſtantin L, 
theil® Privatleute machten. Die Latifundien, weldhe ein den vornehmen Geſchlech⸗ 
tern Roms gehörten, gingen meiſt in ben Befig der Päbſte über. Beweis, daß 
re vn zu Unfang des fünften Jahrhunderts vorzugsweile eine hohenprieſter⸗ 
i (1) ‚1: BEE ER 


Zweites Gapitel, 


Aufzählung von Bütermaflen, welche der roͤmiſche Stuhl feit den Zeiten Gregors I. bis 
gegen die Mitte des achten Jahrhunderts in Ballien, Stalin, auf den Infeln 
Gorfila, Sardinien, Gicilien, ferner in Dalmatien nnd Illyrien, endlich anf der 
Nordküſte Afrika's beſaß. Obgleich das Grundeigenthum ber Kirche kein geſchloſſenes 
Ganze bildete, obgleich der Pabſt in bürgerlichen Dingen unter byzantinifcher Ges 
richtsbarkeit Rand, und obgleich Fein neugemwählter Gtatthalter Betri ohne Bes 
„Rätigung bed Hofe zu Gonflantinopel deu 5. Stuhl befleigeu durfte, Hatten bie 
Häupter ber römifchen Kirche ſchon in Gregors Tagen gewifle Vorzüge erlangt, 
welche den Kern Deſſen ansmachen, was man fpäter nnier dem Namen Landeds 
hoheit begriff. Sie übten namentli die Rechte der Geſandtſchaft and des Kriege. 
Römifche Kanzlei, oder das von Gregor I. verbeflerte Syſtem der Berwaltung . 


Drittes Gapitel. 


Urfachen und Berlauf des Bruchs zwifchen Rom und bem Hofe von Gonftantinopel, 
Die Päbfte Inüpfen, durch die Langobarden gedrängt, mit den Pippiniden im 
Francien an. Sturz des Langobarbenreiche. Schenkungen Pippins des Kleinen und 
Karls des Großen, die aber nur mit bebenklichen Hintergebanfeu gemacht worden 
find. Beweis, daß der Franke Earl in den an den 5. Stuhl angeblich geſchenkten 
Gebieten nur daB Kircheneigentiium und die noch nicht an Soldaten verlichenen 
Schatzhoͤfe den Päbſten auslieferte, dagegen die Berfügung über fämmtliche Krieges 
lehen fich vorbehielt. Außerdem mußte Hadrian L fir fih und feine Nachfolger 
dem Frankenkönige diefelben Rechte, welche einft Petri Stuhle gegenüber ber gries 
chiſche Bafllens gebt Hatte, namentlich die Befuguiß der Betätigung aller Babfls 
wahlen, einräumen. Rechtfertigung Habrians I. in Betreff legterer Mafregel . 


Gfrörer, Pabſt Gregorins VvIL Bo. V, ‘ 


12 


XXVI Inhaltsverzeichniß. 


Viertes Gapitel. 


neberſichtliche Geſchichte der von Carl dem Großen innerhalb des angeblich der roͤmiſchen 


Kirche geſchenkten Gebiets eingeſetzten kleinen Herzogthümer Chiuſi, Florenz, Lucca 
(ans welchen fpäter die tusciſche Marke entſtand), fo mie der drei großen Lehen 
Friaul, Spoleto, Benevent. Nachweilung, wie durch fränfifche Politit Friaul 
in vier Grafſchaften (die jedoch in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderte 
wieder zufammenwuchfen), Spoleto in zwei Theilmarfen (Spoleto und Bamerino), 
Benevent endlich in drei Fürſtenthümer (Capna, Galerno, Benevent), aufgelöst wurde 


Fünftes Gapitel. 


Obglei Carl der Broße über die Bebiete, die er laut Urkunden und Chroniken ber 


Der 


römifchen Kirche vergabt haben foll, durch Ginfeßung weltlicher Lehenträger als 
Herr verfügte, iſt doch die Hechtheit der Schenfungsaften unzweifelhaft, aber legtere 
wurden von ihm nur in fehr geringem Umfange vollzogen. Der Franke begnügte 
fi, den Pähften auf den Ertrag eines Theild der geichenften Ländereien gewiſſe 
Renten anzuweifen. Der Erlaß Ludwigs des Frommen vom Jahre 817 gegen 
Einwürfe neuerer Schriftfteller gerechtfertigt Als Erfag für den mangelhaften 
Vollzug der italienifchen Schenkungen erhielt Betri Stuhl Ginfünfte in Gallien 
und Germanien. Umfang des wirklichen Beſitzes ber römifchen Kirche in den 
Tagen Carls des Großen. Nur im Brarchate, das feit dem 9. Jahrhundert den 
Namen Romania empfängt, hat Petri Stuhl durch die Carolinger eine wirkliche Er⸗ 
werbung gemadt. Mber diefer Gewinn wurde durch die Verluſte, welche bie 
Paͤbſte wegen des Bunde mit den Franken von Seiten ber griechiichen Kaifer ers 
litten, weit anfgewogen. Webergang zu dem fchlimmen Gewebe, das die Franken 
in bee Stadt Hom anzettelten.. ren. 


Sechstes Eapitel. 


ſchlimmſte Preis für die Echenfung von 773. war Berluft der Selbſtſtaͤndigkeit 
des Stuhles Betr. Schon Carl der Große fuchte durch allerlei Mittel die Herr⸗ 
fhaft der Päbſte über Rom zu untergraben Biel Schlimmere® unternahmen fein 
Sohn Ludwig der Fromme und fein Enkel Kaifer Lothar J. Kurze Geſchichte der 
Bäbfte Stephan V., Paſchalis I., Sugenius II. von 816—827. Beweis, daß 
was die Ghronifen über die Maßregeln von 817 und 824 melden, durch bie Geſetze 
Lothars beftätigt wird. Mittelft dieſer Geſetze führte Lothar das fränkifche Lehen⸗ 
recht im Kirchenflaate ein, entzweite die Stände, verwandelte die Adeligen in Beinde 
und Wächter des Pabſts, entzog den Statthaltern Petri alle Freiheit der Bewegung 
und insbefondere dad Kriegsrecht. Rückblick auf die feit 731 zwilchen Petri Stuhl 
und dem fränkifchen Hofe gepflogenen Unterhandlungen. Bor Abfchluß des Bünds 
niffes mit den Pippiniven hatten die Päbfte verlangt, daß ihnen bie fränfifchen 
Herrſcher entweder anberweitigen vollen Erſatz für die von den Byzantinern ents 
riffenen Provinzen leiften, ober, wenn bieß nicht gefchehe, Wiederherfiellung in ben 
frühern Beſihſtaud zuſichern. Die Schenkung von 773 ſollte die erſte Bedingung 
erfüllen, d. h. anderweitigen Erſatz gewähren. Weil fie nicht vollzogen ward, griffen 
die Pabſte anf die zweite Grundlage jener älteren Verhandlungen zurüd, drangen 
anf Wiederherfiellung bes früheren Beſitzſtands und verlangten demgemäß 817 von 
Ludwig dem Frommen, 962 von Dito I., 1020 von Heinrich II. die Binräus 
mung Galabriens, Giciliens, Sardinien - - > 2 0 nn nn nn 


Siebtes Gapitel. 


Weitere Schickſale des Kirchenſtaats in ven Jahren 827 bis 801. Päbſte Valentin, 


der nad) wenigen Tagen ſtirbt, Gregor IV. (827-844), unter dem die Binheit des 
Frankenreichs fich auflöst, Gergius IL (844—847), Leo IV. (Erbauer der Leoftabt) 
(847—855), Benebift III. (855858), Nifolaus I. der neue Elia 6 (858—867), 
Hadrion II. (867872), Johann VIII. (872—882), Marinus I. (882—884), 
Habrian M. (884—885), Giephan VI. (885—891). Weltliche Herren auf ber 
apenniniſchen Halbinfel. In dem Maße, wie bie Macht der Garlinger, denen bei 


Sufalitverzeiguiß. xxvir 


Uuflöfung des fraͤnliſchen Weltreichs Italien zuflel, durch Erbtheilungen zufammens 
ſchwindet. wächst der Drad, ben fie auf deu Kirchenftaat üben; denn ba fie, obs 
gleich ſchwach geworben, ven kaiſerlichen Titel fortführen, Tännen fie die Bewalt, 
au welcher fie fich durch den leeren Namen berechtigt glauben, nur auf Koſten 
geiſtlichen Guts behaupten. Tyrannei des carlingifchen Kaifers Ludwig II. Radhs 
dem er 875 ohne männliche Erben geflorben, wendet Pabf Johann VII. die 
Krone Garls des Großen dem Reufirier Garl dem Kahlen zu, der durch das 
gefährliche Geſchenk zu Grunde gerichtet wird. Nunmehr bemädhtigen fih die 
veutfchen Garlinger, Söhne Ludwigs des Deutichen, mit Bewalt des italienifchen 
Kaiſerthums. Der Schlimmſte unter ihnen, Carl der Dice, welcher Betri Gtatts 
halter größer als irgend ein früherer Herrſcher mißhandelt umd auf kurze Zeit 
bie Ginheit der Nonarchie Carls des Großen herſtellt. Schergendienſte, welche 
ihm die Herzoge von Gpoleto leiten. Carl der Dicke durch die bentfchen Gtände 
—— Broßertiger Entwurf, die Hauptreiche des Abendlandes unter eine Reihe 
von ionalkönigen zu theilen. Reben Arnulf, ber zum Rachfolger Carls des 
Dicken in Deuntſchland erhoben worden, ſollen der Spoletiner Herzog Wido die Krone 
Reufter, der Zrianler Bernhard die Krone Lombarbien erhalten. Wibo verzichtet 
dem Plane gemäß anf die mittelitalienifchen Städte, welche er der römifchen Kirche 
geraubt Hatte, und gebt nad Frankreich. Treulofigkeit Arnnifs, des deutſchen 
Könige. Da Wido in Renfirien nicht durchzudringen vermag, ehrt er in bie 
Heimath zurüd, befiegt Berngar von Friaul. Stalienifches Kaiſerthum Wido's und 
feines Sohnes Lambert. Das Uebel ärger ale je . . Fe 


Achtes GBapitel. 


Der Kirdenflaat in den Jahren 891—905. Päbfle Formoſus (891896); Bonifas 
cius VL, der in Kurzem weichen muß; Etephan VII. (896597) im Kerker ers 
morbet; Romanne, der nad 4 Monaten, Thesbor II., der nach 20 Tagen ſtirbt; 
Sohann IX. (8P8— 900); Benedikt IV. (900903); Leo V., der Petri Stuhl nur 
zwei Monate einnimmi; Chriſtophorus (903— 904), wird im Januar 904 abgefeht; 
Sergins Il. (904-911), das erflemal im Nov. 897 erhoben, 898 verdrängt, 
904 gewaltfam zurüdgeführt. Greuel wider die Leiche bed Formoſus. Die drei 
Eyfteme bezüglich des Kaiſerthums: fremde, aus den Ländern über ben Alpen ſtam⸗ 
mende, oder in Stalien anfäßige Fürften ald Oberherren einzufehen, oder endlich ga 
feinen Kaifer zu wählen, und die Echugvogtei über die römiiche Kirche den Koͤ⸗ 
nigen Lombarbiend zu übertragen. Nachdem beide letztere fi als unerträglid 
erprobt hatten, greift Pabſt Formoſus auf das erfle Eyſtem zurüd Suryes und 
unrähmliches Kaiſerthum des deutfchen Königs Arnulf. Berngar von Friaul kommt 
wieder zu Kräften. Beginn ber politiihen Laufbahn des tusciichen Haufe. 
Kaifer Lambert, Wido's Sohn, wird bald nach dem Tode Yrnulfd ermordet, wos 
rauf der Brovenzale Ludwig die KRaiferfrone empfängt, aber fie nicht zu behampten 
vermag. Berngar von Friaul Herr im oberen, Adalbert von Tuscien im mittleren 
Italien. Rom und ber Kirchenſtaat geräth unter dad Joch der zu üppiger Blüthe 
gebeihenden Mbelemaht - > > 2 0 2 Hr nee 


Reuntes Gapitel. 


Urkundlicher Nachweis, daß und wie die Adeligen Roms auf dem Wege, welchen Kaifer 
Lothar durch die Geſetze von 824 angebahnt Hatte, dad Grundeigenthum des 
Apofelfürken an fich riſſen. &bendiefelben geben durch Errichtung eines Senats 
oder Gtadiregiments ihrer angemaßten Bewalt Daner und feſte Gehalt. Die 
älteren Ramen von Aemtern oder Behörden: Senat, Eonfuln, Richter, Herzoge 
(duces), Tabellionen, erhalten eine neue Bedeutung. Nachweisbare Häupter der 
Gapitangefchlechter: Theophylakt and feine Sippſchaft; Erescentius, muthmaßlicher 
Ahnherr der fpäteren Grescentier ; Alberich I., &ründer bed Hanfes Tusculum . 159 


Sehutes Gapitel. 


Rom und der Kirchenſtaat während der Jahre 905— 928. Bäbfte Sergius III. (904— 911), 
Anaftafius III. (911— 913), Lando (913. 914), Johann X. (914—928). Das 
fogenannte Hurenregiment ein Gewebe dummer und nichtönupiger Lügen. Der 

£ ® 


130 


145 


XXVm Inhaltsverzeichniß. 


Verfaſſer des Büchleins von der Gewalt der Kaiſer. Schriffſtelleriſcher Charakter 
des Biſchofs von Cremona. Johann X., ein Bruder des Markgrafen Alberich I. 
von Spoletös@amerino und Sproſſe des Tusculaner Hauſes, wird den Kirchenge⸗ 
ſetzen zuwider durch die roͤmiſchen Adeligen auf Petri Stuhl erhoben, ergreift aber 
ſogleich Parthei gegen feine Gönner und arbeitet für Befreiung der Kirche. Im 
März 916 krönt ex den Friauler Berngar zum Kaifer gegen bie Bedingung, daß 
alles dem Apoftelfürften entrifiene But wiederhergeftellt werde, bildet dann ein 
mächtiges Bündniß wider die am Barigliano angefiedelten Saracenen und befiegt 
fie. Kurz darauf fchlagen die Großvaſallen des oberen und mittleren Italiens 
gegen den neuen Kaifer los. Berngar unterliegt. Der Burgunder Rubolf und 
nach ihm der Provenzale Hugo, Könige Lombarbiens. Auch in Rom brechen Heftige 
Kämpfe aus. Bon feiner Gemahlin Marocia verführt, empört ſich Alberich I. 
gegen den Pabſt, feinen Bruder, der aber mit Hilfe des Volks den Empoͤrer aus 
der Stadt vertreibt. Alberich ruft die Ungarn herbei, nimmt Rom wieder ein, 
fällt aber im Gefechte. Seine Wittwe Marocia heirathet in zweiter Che ben 
jungen Markgrafen von LuccasTuscien, Wido, zettelt eine Verſchwoͤrung gegen den 
Pabſt an, nimmt ihn gefangen und läßt ihn 929 erbrofleln. Andeutung baß Jo⸗ 
hann X. dem h. Stuhl die Firchliche Hoheit über Dalmatien und Groatien ers 
warb und einen merkwürbigen Umſchwung im griechifchen Morgenland anbahnte. 
Johann X., den Liutprand verläftert hat, war ohne Frage ber größte Pabſt des 
10. Jahrhunderts. Urfachen, warum feine Befchichte frühe verfälfcht wurde . 


Eilftes Capitel. 


Nach dem Sturze Johannes X. waren Marocia und ihr zweiter Gemahl Wibo von 
Tuscien unbefchränfte Bebieter in Rom und dem Kirchenflaate und feßten die Päbfte 
Leo VI. (Juli 928 bis Februar 929), Etepban VIII. (929—931), endlich Jos 
hann XI., den eigenen unehelihen Sohn Marocia’8 — ein. Allein um 930 flarb 
Wido, Marociend zweiter Gemahl, worauf Hugo, sönig von Italien, die Marfe 
Tuscien an Lambert, den Bruder Wido's, verlieh. Weil ihr auf foldhe Weife die 
Herrſchaft über dieſe ſchoͤne Marke entichlüpfte, ſchloß Marocia, um ihre wanfende 
Gewalt zu färfen, eine dritte Ehe mit König Hugo von Italien. Bald entfland 
Gtreit zwifchen diefem und Alberich II., dem Sohne Marocia’8 aus erfter Che. 
Alberich II. verjagt feinen Stiefvater aus der Stadt, wird vom Bolf zum Fürften 
von Rom erhoben und hält feitvem feine Mutter Marocia, wie feinen Bruder, den 
Pabſt Johann XI., gefangen. Trog wachfender, faft jedes Sahr wieberfehrender 
Angriffe Hugo's weiß Alberih II. das römifche Fürftenthum bie 945 zu behaupten. 
Biele ehemalige Anhänger Hugo’s, namentlich die von ihm in Spoleto, Gamerino 
und Tuscien eingefehten Broßvafallen, gehen zu Alberich über, ber diefe Ueberläufer 
fammt vielen Andern in räibfelhafter Weife zu gewinnen weiß. Als er enblich 
945 in ſchwerſtes Gedraͤnge gerieih, fchaffte ihm der Einfall des Markgrafen Bern; 
gar von Joren Luft. Anfänge des Haufed Jvrea. Die Saracenen von Frarinetum 
und ihr Lager im heutigen Wallie. Mit einem kleinen Heere bricht Markgraf 
Berngar and Deutſchland, wohin er vor 7 Jahren geflohen war, ind obere Italien 
ein. Die Anhänger und ehemaligen Kampfgenoflen Hugo's, meift geborne Burs 
gunder, die er reichlich mit Lehen ausgeftattet hatte, fallen von ibm ab und ers 
{ein en, daß die Krone Italien unter drei, Hugo, feinen Sohn Lothar, den er 
ängf zum Mitregenten angenommen, und endlich Berngar getheilt wird. Geheime 
—— ründe dieſer Maßregel. Berngar nöthigt Hugo, Frieden mit dem Fuͤrſten 
Ab D. zu fließen, wobei aber Leßterer ein ſchweres Opfer zu bringen hat. 
Alberich muß nemlich die Landſchaft Sabinum an ein Geſchoͤpf Berngars abtreten. 
Diefe Abtretung verbreitet Licht über die Gpringfebern ber Macht Alberichs. Hugo 
entweicht aus Stalien und lirbt > > 2 20 ne 


Zwolftes Gapitel. 


Lage und Bränzen des Gabinums. Diefe Landfchaft gehörte bis zur Mitte des 9. 
Jahrhunderts dem Gtuhle Petri an, ward dann von den Spoletaner Markgrafen vers 
ſchlungen, bis es Johann X. gelang, fie wieder an die Kirche zu bringen. Allein 
nach dem Gturze, des Pabſtsé deckte Alberich II. die Hand auf das Sabinum und 
brauchte es als Köder um Anhänger Hugo's zu verführen, indem er ihnen bie 


Suhaltöverzeiägnif. XXX 


Berwaltung der Landſchaft, obwohl nur auf etliche Jahre, übertrug. Weil der 
Befig des Sabinums bem von Rom fo merfliden Nu brachte, er⸗ 
zwang Berngar, daß Alberich baflelbe im Frieden von 946 obald, einem 
nahen Berwandten des Joreers, zufagen mußte. Geſchichte der Brafenhäufer von 
Rieti und vom Marfenland , die gleichfalls mit Alberich gemeine Sache machten. 
Durch die Maßregel, betreffend das Gabinum, hatte Berngar verrathen, daß er 
gute Luſt fühle „die Rolle Hugo's wider Alberich aufzunehmen, aber während er 
dem römifchen Fürſten Schlingen legte, warf ein Mächtigerer, König Otto L. ron 
Deutfchland, das Reg über ihn felber. Lothar, Hugo's Sohn, vermählt mit Adels 
bein von Burgund, wird durch dem Jvreer Berngar vergiftet. Berngar und fein 
Soßn Abalbert ald Ritregent zu Königen Italiens gekrönt. Mifhanplungen ber 
Biütwe Abelheid, fie entweiht and dem Kerfer und ruft König Otto's L Hilfe 
an. Als diefer nad Stalien zu ziehen und das Kaiſerthum —* bed Großen 

erneuern ſich auſchickte, erhoben ſich die deutſchen Stände unter der Leitung des 
Rainer GErzbifgofs Friedrich, wie ein Mann, gegen ihn. Die ganze Nation vers 
abfchente den Plan, Carolse Schatten heraufzubeichwären. Otto I. vermählt ſich 
mit Adelheid, muß aber in ben nächſten Jahren auf den Nömerzug verzichten. 
Erſt nachdem es ihm gelungen, durch gewaltfame Maßregeln den Geiſt des beutfchen 
Glerus nieberzudrüden, Drang er buch - > 200 ren 


Dreizehutes Capitel. 


Geiſtliche Geſchichte des Kirchenſtaats während der Zeit da Alberichs IL weltliches Für⸗ 
ſtenthum dauerte. Alberich Hält feine Mutter Marocia und feinen Bruder, ben 
Babf Johann XI., gefangen, und wacht forgfältig darüber, daß auch die Rachfolger 
Sohanne XI. nicht® ohne feinen Willen thun. Nachrichten über die Familie Se 
rocia’d. Go hart das Zoch war, welches der Fürſt von Rom auf ben NRaden 
der Gtatihalter Petri Ind, litt dennoch die priefterliche Macht des heil. Stuhles 
feinen Abbruch. Das kam baber, weil erfllidh) der zweite Abt von Cluguy, Odo, 
den Bäbften in der Zeit fchwerfler Bedraͤngniß ale Netter und Schüßer nahte, und 
die Dinge vorbereitete, die mehr als 100 Jahre fpäter Bregorius VII. ind Wert 
fegte ; zweitens weil Miberich II. felber, unter dem Ginfluffe der Glugwiacenfer, 
Klöfter und kirchliche Zucht wieder herftellte, überhaupt gegen Außen in ber Weiſe 
eines erlenchieten Pabſtes verfuhr. Päbfte Johaun XL, Alberichs älterer Bruder 
(931 —936), Leo VII. (936—939), Stephan IX. (9I39— 942), Marinne IL 
(942 — 946), Agapetus II. (946—955). Trop aller Gewaltthaten des Fürſten 
Alberich dauerten die clerifalen, auf Befreiung der Kirche gerichteten Beflrebungen 
nngefhwächt fort; auch übten fremde Könige — vor allem Otto I. von Deutfäe 
land — in Rom Ginflug. Agapet II. war es gelungen, ein gutes Maß von 
Selbfifländigfeit zu erringen, als Zürft Alberih II. 954 ab . . . 2... 


Vierzehntes Gapitel. 


Näthfelhafter Ing, den Otto's I. Sohn aus erfter Che, Liubolf ber abgeſetzte Herzog 
von Schwaben, 956 nadh Italien antritt. Geheime Gründe deflelben. Nachdem 
Agapet im Spätherbfle 955 mit Tod abgegangen war, warb Octavian, des verflors 
benen Alberichs II. einziger Sohn nnd Erbe, ein verzogener Prinz und junger 
Büftling,, zum Nachfolger, und zwar durch Wahl, erhoben. Urfachen, warum 
dieß wider den Willen des Clerus und des Adels gelang. Sterbend hatte Albe⸗ 
rich IL die Geſetze Lothar vom Jahre 824 abgefchafft und dem großen Haufen 
das Wahlrecht Ertheil. Rom im Jahre 955 Wiege italienifcher Gemeindefreiheit. 
Dctavian nimmt — als erfles Beifpiel — den Babfinamen Johann XI. an. 
Sein Feldzug gegen Benevent, welcher einen Kampf zwifchen ihm und dem Könige 
Berngar von Stalien, fo wie die Abſetzung verfchiedener hoher Lehenträger ber» 
beiführte. Im äußerften Gedränge ruft Johann XI. den König Dito I. zu Hilfe. 
Diefer ir fofort — im Gpätherbfle 961 — mit einem großen Heere nad 
Italien a 2 200er. 


. Fünfzehntes Eapitel, 


Sobald Otto J. im Spaͤtherbſte 1061 auf italiſchem Boden erſcheint, fallen die Lom⸗ 
barden von Berngar ab, der mit feiner Familie Schuß in Feſtungen ſucht. 


241 


XXX Inhaltsverzeichniß. 


Otto I. fehwört dem Pabſte einen Eid, wird zum Kaiſer gekroͤnt und bekraͤftigt 
nun die früher eidlich übernommenen Pflichten durch bie Urkunde vom 13. Februar 
962, welche Act iR. Der nene Kaifer verläßt Ron bald wieder, verfeßt aber 
den Pabſt durch künſtliche Mittel in die Lage, von ihm abfallen zu müflen. Aus⸗ 
bruch des Streits. Sohann ZU. von einer Synode abgeſetzt. An feiner Stelle 
erhebt Kaifer Otto Leo VIIL auf Petri Stuhl. Berngar wird gefangen 


Sechszehntes Gapitel. 


Bedingungen, welche Kaifer Dito feinem Befchöpfe, dem Babe Leo VIIL. auferlegte. 


2 


Im 


Derfelbe muß feinem kaiſerlichen Gebieter das Recht, nach Gutdünken Päbſte und 
Bifchöfe einzufegen, fo wie faſt das ganze Grundeigenthum ber roͤmiſchen Kirche 
auf ewige Zeiten zufprechen. Ausführlider Beweis für Mechtheit der Leonifchen 
Satzungen. Demokratiſche Einrichtungen in Rom. Zufchrift des Biſchofs Rathe⸗ 
rius von Derona an ben kaiſerlichen Unterfangler Ambrofius . nn 


Siebzehntes Capitel. 


an der roͤmiſchen Kirche von Otto J. verübten Gewaltthaten erzeugen unter dem 
deutſchen Heere ſolche Erbitterung, daß der Kaiſer vor Weihnachten 1063 die 
ganze Lehenmannſchaft in die Heimath entlaſſen muß. Nur die Leibwachen und ein⸗ 
zelne Vertraute bleiben bei ihm zu Rom. Aufſtand der Römer; fle werben nieder⸗ 
gefchmettert. Gleichwohl nöthigt der Anzug des Königs Adalbert (des Sohnd 
von Berugar) den Kaifer, die Metropole zu räumen. Pabſt Johann XII, Albes 
richs DI. Sohn, kommt wieder nah Rom und nimmt Rache an feinen Gegnern, 
doch entrinnt ihm Leo VIII. und findet Schug im kaiſerlichen Lager. Grmordung 
Sohanns ZI. im Mai 964. Nachdem Otto Verflärfungen aus Deutfchland, bie 
ihm fein Bruder Bruno von Coöln ſchickte, an ſich gezogen hatte, erobert er Rom 
im Sommer 964, hält Gericht über den von den Römern wider feinen Willen zum 
Pabſt eingefepten Venedikt V., erhebt Leo VIII. wieder auf Petri Stuhl und 
kehrt zu Anfang des Jahrs 965 in bie Heimath, nach vierfähriger Abweſenheit, 
zurück. Geuchen im Heere. Anzeigen, daß ber höhere deutſche Clerus muthig 
bie von Dtto durch dad Leouifche Geſetz angetaftete Wahlfreiheit verfocht. @e- 
beime Bründe, weßhalb die Reichs⸗Chroniken zwiſchen 964 und 967 verſtummen. 


Achtzehntes Capitel. 


Frühling 965 ſtirbt Pabſt Leo VIII., ſei es gewaltſam, ſei es auf natürlichem 
Wege. Erſt im October wird kraft einer Uebereinkunft zwiſchen Otto J., der damals 
in eutſchland weilte, und ben Römern Johann XII. zum Nachfolger erhoben. 
Weil Johann XIII. herrifch und nicht, wie es der Wahlvertrag vorfchrieb, fich 
benahın, vertrieben ihn bie Römer. Dito I. zieht 966 zum brittenmal nach Stalien, 
um bie Weinde Johannes XIII. zu züchtigen. Fürchterliches Strafgericht, das über 
bie Römer ergeht. Die von Alberich II. eingeführte demokratiſche Verfaflung ber 
ewigen Stabt ausführlidy befchrieben. Die römifche Stadtwehr und ihre yolitifchen 
Rechte, Senat, Gonfuln, der Bräfelt. Alberih IL, ein großer Gtaatömann . . 


Mennzehutes Capitel. 


Geheime Geſchichte der römifchen Vorgänge von 966. Im Rinverßäubniffe mit Dito L. 


hatte Pab Johann XI. die Römer zum Aufruhr gereizt, damit dev Kaifer einen 
Vorwand bekomme, die demokratiſche Verfaſſung Roms zu vernichten. Seiner Seite 
opferte ber Pabſt dieſe Verfaſſung gegen das Verſprechen auf, dag ihm der Kaiſer 
ke ‚ das römifche Kirchengut, entfprecddend der Urfunde vom Februar 962, her⸗ 

ellen zu wollen. Johann XIII. wird betrogen. Deutſches Lehenweſen im Kirchen» 
ſtaat und Wiederaufrichtung der Adelsherrſchaft. Das Haus der Grescentier, bie 
Marken Spoleto und Camerino an Pandulf, den Eifenfopf, verliehen. Andere 
aufleimende Bafaltengeihlehter - - - 2 22. nn. 


ng 


4 


Iufaltenerzeiuif. XXt 


Zwanzigftes Capitel. Belt 


Dtto, Zerſtoͤrer der demokratiſchen Berfaflung Roms, bricht — doch ohne es felb zu 
wollen ober zu ahnen — mittel einer Reihe gefeggeberifcher Alte, welche Bes 
wunderung verbienen, dem republikaniſchen Geiſte durch das obere und mittlere 
Stalien, fo wie kirchlicher Yreißeit weite Bahnen. Der nächte und erfte Beweis 
für diefe Thatſachen mınf mittel der Geſchichte von vier größeren Vaſallergeſchlech⸗ 
tern 1) des von Eſte, 2) des von Turin, 3) ded von Montferrat, 4) des von 
Ganofia geführt werden. A. Das Haus Eſte. Obgleich die Eſtenſer den marks 
gräflichen Titel führten und fehr große Büter beſaßen, erlangten fie nie eine ger 
ſchloſſene Matte - - > 22 rennt. 388 


Einnundzwanzigſtes Capitel. 


Des Haus von Turin. Rarkgrafen Ardoin I. TI. III., der erſte und zweite Magin⸗ 
fred. Mit größter Unftrengung ſetzt der leptgenannte Markgraf ein Bamilienfatut 
durch, welches Untheilbarfeit bed Haudguid nud Erſtgeburtrecht verfügt. Allein 
obgleich die Turiner unermeßliche Ländereien erworben haben, ift ed ihnen nicht 
gelungen , ihren Befitz abjurunden oder in ein gefcdhloflenes Gebiet zu vers 
wu en 


Zweiundzwanzigfte® Gapitel. 


Die Hänfer Montferrat und Ganofla. Das erflere gelangt trog großer Anſtrengungen 
fo wenig zum Beflg einer gefchlofienen Marke, als bie Dynaſten von und 
Turin. Bonifacind von Ganofla, Markgraf und Herzog, wirb zwar Herr eines 

großen zufammenhängenden Gebiets, aber nicht zum banernden Bortheil feines 

eigenen Geſchlechts, fondern anderer Mihte © » 2 2 2 0 


Dreiundzwanzigfted Gapitel. 


Geheime Urſachen, welche verhinderten, daß bie vier großen marfgräflichen Haͤuſer 
Staliens, ebenfo wenig als viele andere fleinere, gefchloflene Herrichaften erwarben. 
Schon ältere Könige Hatten da und dort den Grafenbann ber größeren Etädte 
an Bifchöfe verliehen, desgleichen trafen die Könige Berngar und Adalbert Vor⸗ 
fehr, daß die Handelsſtadt Genua von marfgräflicher Gerichtobarkeit befreit warb. 
Diefe Borgänge erweiterte Dito zu einem wohldurchdachten Syſtem. Zwiſchen 
962 uud 964 hat er ein allgemeines, für ganz Italien gültiges Geſet erlaflen, 
welches adeligen Laien verbot, Kirchenland zu vachten, oder Gerichtsbarkeit über 
geißliche Grundholden zu üben. Das een felbf if nicht mehr verhanden, weil 
eine ipätere Hand die Abſchriften zerflörte, gleichwohl fennt man feinen Inhalt 
theilweife aus einzelnen Bruchflüden. Die Wirkung war eine weitverbreitete Bes 
wegung unter den Unfreien, welche jebt, nachdem fie von bem Joche abeliger Das 
fallen erlöst waren, volle Freiheit zu erringen firebten. Solchen Umfang hatte 
dad entzüunbete Feuer erlangt, dab Kaifer Otto I. während feines zweiten Aufent⸗ 
halts in Mittelitalien ein Sdikt verfündigte, welches für immer den Hörigen bie 
Hoffnung der Preihelt entzog und fie zu Bezahlung eines jährlichen Kopfgeldes 
verpflichtete. Bine Frucht des verborgenen Geſetzes war die politifche Rothwen⸗ 
digkeit, fräher oder fpäter alle Biſchoͤſe mit dem Grafenbann ihrer Städte zu bes 
traum. Doch haben Otto J. md feine nädften Nachfolger nur allmählig bie 
Babe erteilt, fo jedoch, daß ed am Ende de 11. Jahrhunderts im ganzen Kaifers 
reihe kaum ein Biothum mehr gad, das nicht den Brafenbann efefen hätte. 
Dite erließ das verborgene Geſetz in doppelter Abſicht: erſtlich um Dergrößerung 
weltlicher Fürſten auf Koften bed Kirchenguts unmöglich zu machen, zweiten® um 
die Biſchoͤſe in Steuerdeamte der Krane zu verwandeln. Die erfte Abficht ging 
in @rfüllung , aber nicht die zweite. Ohne es zu wollen, ift Kaifer Dtto I. Urs 
heber der bürgerligen Freiheit Italiens geworden. - » 2 2 0000 0. 999 


XxxI Supaltöverzeichniß. 


Vierundzwanzigſtes Gapitel, 


Nachweis der Mittelftufen, durch welche Eriheilung des Grafenbanns au Bifchöfe bürs 
erliche Freiheit Herbeiführte. Herr ber Stadt geworden, bemühte ſich ber Bifchof, 
einen Sitz zu befefligen, er rief zweitens bie Lehenleute feines Stuhls in bie 
Gtadt herein. Der Vassus warb zum Valvassor. Bald zeigte es fi, daß bie 

Lehenmannfchaft zum Dienſte der Stadt nicht genügte; man mußte die Romanen 
beigiehen, ihnen die Wehr in die Hand geben. Kaum mar bieß gefchehen, fo vers 
langten die Romanen, das Schwert ſchwingend, Antheil am Stabtregiment. Hiemit 
begann zugleich der Kampf bed Bernunftrechts, ber Romana, gegen zwei, Cigenthum 
zeriörende, Drachen, Salika und Langobarbica, die allmälig niedergerungen wurden 


Fünfundzwanzigftes Gapitel. 


Das Geſetz vom 29. October 967. Bntwidlung ber in ihm enthaltenen Rechtö- Begriffe 
Deutliche Spuren, daß eine verbredgerifche Hand viele von Dito I. zum Wohle Itas 
lien® erlaflene Edikte zerftört Hat. Die Verjährungsfriften der Galifa und Lans 
gobarbifa. Während Adelige, die von geiftlichen Anftalten wegen ungerechten Beſitzes 
beklagt find, in eigener Perfon fechten müflen, erlangt ber Glerus das Recht, alle 
Gtreitigkeiten über Mein und Dein durch gewerbmäßige Kämpen ausfechten zu laflen 


Schdundzwanzigfted Capitel. 


Die Lehenbriefe auf drittes Geſchlecht. Mittelalterliche Rabuliſtik. Prozeſſe des Kloſters 
Yarfa. Indem Kaifer Dito I. dem Clerus das Recht bewilligte, durch gewerbs 
mäßige echter Streitigkeiten über Mein und Dein abzumadhen, gewährte er geiſt⸗ 
lichem Befig den einzigen, unter damaligen Umfländen möglihen Schutz. Mllein 
während er für das Bisthum väterlih forgte, gab er den höchften aller Bifchöfe, 
den Pabſt, ya > ren 


Siebenundzwanzigſtes Gapitel. 


Des Kirchenſtaats und bes Kaiſers Dito I. Verhältnifie zum byzantinifchen Reiche. Bis 
ſchof Lintprand reist 968 als Eaiferlicher Befandter nach Conſtantinopel, erreicht 
aber feinen Zweck, die Hand einer griechiſchen Prinzeffin für den jungen König 
Dtto IL. zn erbitten, nicht. Dennoch kommt die Ehe 971 zu Stande. Otto's 1. 
Kückkehr nach Deutfchland . er rn 


Achtundzwanzigſtes Gapitel, 


Ueberblick der allgemeinen Zuſtände Staliene während des Dttonifchen Kaiſerthums. 
Das Stalienifche wirb durch den Fürſten Alberich II. Geſchäftsſprache. Die Liter 
ratur in dem Lande, das heut zu Tage Piemont heißt. Otto's L Tod . 


Nennundzwanzigſtes Gapitel. 


Geſchichte des Kirchenſtaats von 972 bis 980, oder von der Rückkehr Otto's L aus 
Stalien bis zum Roͤmerzuge Otto's II. Pabſt Benedikt VI., den Kaifer Otto I. 
972 einfehte, wirb durch Großherzog Erescentius vom marmornen Rofle gekürzt und 
um bie Mitte des Jahres 974 getöbtet. Bonifacius als Begenpabfl. Grescentius 
hatte nemlich die Abficht fich in der Weile Alberichs zum Fürften von Rom aufs 
juwerfen,, und fland, als er das Berbrechen an Benedikt VI. verübte, in Berbins 
bung mit dem bygantinifchen Hofe und mehreren griechifch gefinnten Fürſten des 
unteren Italiens. Gegen diefe verfolgt die Laiferliche Sache Pandulf der Eiſen⸗ 
kopf von GapuasGpoletosGamerino. Als er einige Bortheile über feine mit 
Crescentius und den Griechen verbündete Nachbarn errungen hatte, wagte der von 
Grescentins eingefehte Begenpabft Bonifacius nicht Tänger in Rom zu weilen, fons 
dern entfloh nad Gonftantinopel. Gredcentius dagegen blieb. Otto IL bietet das 


417 


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. 467 


Jahalisserzeiguiß. XXXxXM 


darch den „gemaitfemen Tod Benedikts VI. erledigte Pabſtthum dem Oberabte von 
Glugny , Hajolus, an, der jedoch den Antrag zurädweist. Gründe feiner Weige⸗ 
ung. Run erhebt Otto IL auf Betri Stuhl den Glerifer Benebitt VIL, einen 
geboruen Tusculanuer und nahen Verwandten Johann Detaviaus, weil der 
deutfche Kaifer nur durch Beizichung der noch immer anfehnlihen Macht des 
tnöfwlanifchen Hauſes vie Grescentier niederhalten zu können vermeinte. Die 
Amisführung des neuen Pabſts, er ſtellt etliche Trümmer der Demokratie wieder 
ber. Anfänge des Erzbiſchofs Wiligis von Mainz. Berhältnifle zwiſchen Theo⸗ 
yhans und Udelheid. Benedikt VII. wird gegen Ende des Jahres 979 durch bie 
Grescentier and Rom vertrieben. Nun rüftet fi Otto II. wider den Willen der 
deutfchen Stände zu einem Römern - © > > 2 2 0 re. 


Dreifigftes Gapitel 


Der Mömerzug Dtto’6 II. vom Jahre 980. Da die Hänpter ber deutſchen Nation das 
Borhaben des jungen Kaiſers mißbilligten, begleitete ihn nur ein Kleines Heer über 
die Alpen. Gtrafgericht zu Rom wider bie Feinde Pabſts Benedikt VIL. Crescen⸗ 
tins, der ehemalige Großherzog, muß ind Kloſter gehen und flirbt 984 als Möud. 
Eröffnung des Kriegs wider die Briechen in Güpvitalien, welche die Garacenen 
zu Hilfe rufen. Würchterliche Niederlage, welche die Unfrigen bei Gap Etilo im 
Zuli 982 erleiden. Aus diefem Anlaffe melden mehrere der beflen Duellenfchrifts 
Reller,, daß die Kaiferin Theophano einen verderblichen Cinſuß auf ihren Gemahl 
übte, und die Urheberin feines Unglüds war . 2 2 2 2 re 


473 


Eiunnddreißigftes Gapitel, . 


In Kurzem gewinnt Theophano wieder den alten Zinfluß auf das Gemüth ihres Bes 
mahls. Bon ihr beherrfcht, beichließt Otto II., Rache an deu Griechen und Sara⸗ 
cenen zu nehmen. Da ihm die deutfchen Stände Mannfchaft verweigerten, verfuchte 
er, abweichend von dem Vorbild feines Baterd, ein Syſtem politifcher Liebeserweis 
jungen an Italiens Großen, die ihn indgeheim verhöhnten. Dtto IL hoffte nemlich 
mit Hilfe derfelben Apulien, Salabrieu , Sicilien zu erobern. Alte Gpießgefellen 
des Lombarbeufänigs Berngar, welche Otto I. des Landes verwielen hatte, werben 
mit ben wichtigfien Großlehen bedacht: Thrafimund erlangt Spoleto und Games 
rino, Hugo, Hnbertd Sohn, Tuscien; Cuno, Berngard Sohn, wirb begnabigt. 
Anfänge Arboins, des nachmaligen Könige der Lombarben. Kaifer Dtto IL geräth 
auf den Gedanken, den Gig des Reichs nach Italien zu verlegen. Reichstag zu 
Berona im Sommer 983. Der NRavennate Johann kroͤnt den unmündigen 
Dtto IL Kaifer Otto IL. flirbt im Dez. 983 fchnel zu Rom wg . . . . 8502 


Zweiunddreißigftes Gapitel, 


Da nah Otto's IL Tode der Thronfolger ein unmünbige® Kind war, mußte eine Res 
gentfchaft eingefegt werben. Ein natürliches Recht, an derfelben Theil zu nehmen, 
batten erflich die verwitiwete Kaiferin Theophano — aber ihr Charakter flößte 
gerechte® Mißtrauen ein; zweitens ber Herzog Heinrich IL von Baiern als nächfer 
Berwandter von der Gchwertfeite — aber er war ein Verſchwoörer und überbieß 
Staatögefangener. Diefer nemliche Heinrich II. reißt ohne Weiteres die Staats⸗ 
gewalt an fih und bemächtigt fich des Knaben Dito III. Biele Große aus bem 
Laienſtande wie aus dem hohen Blerus ergreifen Parthei für ihn. Zu gleicher 
Zeit mit Heinri D. verlangt König Lothar von Frankreich, der vorlegte Gars 
linger, als durch feine Mutter mit dem fächftichen Hanfe verwandt, Antheil an 
der Bormundſchaft. Bald verfländigen fich Heinrich II. und Lothar gegenfeitig. 
Lothar entreißt dem deutſchen Meiche Rothringen. In diefer fchweren Gefahr rettet 
Erzbiſchof Willigis von Mainz den finfenden Etaat. Br erkennt Theophano als 
Bormünderin an, feht ihr aber, nm fie am Boͤſen zu hindern. die Kaiferin Groß⸗ 
mutter Adelheid und die Echwefter des verflorbenen Otto II., Mbtilfin Mathilde 
von Dueblinburg, zur Seite. Willigis befiegt den Herzog Heinrich II. und zwingt 
ihn, den Knaben Dito IIL frei zu geben. Dem bentichen Kampf gegen Lothar 


XXXIV  Subaltsverzeihuih. 


6 
von Neuſtrien leitet Erzbiſchof Adalbero von Rheims, aus dem Berbuner Grafens 
haufe, welchem der Mönch Gerbert beigegeben wird. Anfänge dieſes Mannes. 
Rheims, obgleich dem Namen nach neuftrifh, ein geiftliched Fürſtenthum unter 
fächfifchem Schupe. Bon dort aus fucht Theophano, nachdem ihr Sohn Otto IL 
gerettet worben, die franzoͤſiſchen Barlinger zu verderben, zerfällt aber darüber mit 
Adelheid. Lothar und Lubwig ber legte Garlinger flerben fchuell weg. Hugo 
Gapet wird König. Erzbiſchof Arnulf von Rheims. Dezember 983 bis Som⸗ 
mer : EEE 


Dreiunddreißigſtes Eapitel. 


Nachdem Kaiferin Theophano die früher erzählten Dinge in Lothringen verrichtet 
hatte, wanbte fie fih gegen die Mitte des Sommers 988 über die Alpen, um 
auch Italien in ihrer Weile zu ordnen. Geſchichte des Kirchenflaats während ber 
Jahre 984—990. Pabſt Johann XIV. war im April 984 — kurz nachdem Theos 
yhano von Willigis gerufen ſich ind deutiche Reich begeben hatte, um ihren Sohn 
Dtto 1II. aus den Händen des Gegenkoͤnigs Heinrich zu empfangen, von Bonis 
facius, der aus Griechenland zurückkehrte, geflürzt und umgebracht worden. Nur 
ein Jahr konnte fih Gegenpabſt Bonifacius halten; dann ermorbeten ihn bie 
Römer. Beweis, daß Johann Grescentius IV., Sohn des gleichnamigen Baters, 
der 984 als Mönch farb, Solches und zwar im Ginverfländnifle mit der Kaiferin 
Theophano bewerkſtelligte. Ebenderſelbe erhob fofort, und zwar abermal im Gin» 
Hang mit Theophano, den Römer Johann XV., fein Geſchoͤpf, auf Petri Stuhl, 
und beherrfchte ſeitdem faſt unumfchränft Rom und den Kirchenſtaat. Theophano 
vermag ihn feit ihrer Rückkehr nach Italien nicht gründlich zu dämpfen, weil er 
ihr zu mächtig geworben war, dagegen ladet fie ihm nahe Wächter auf den Hals. 
Trafimund muß Spoleto und Gamerino abgeben, wirb aber mit der Grbgraffchaft 
Ghieti entſchaͤbigt. Beide ebengenannte Marken erhält zu Tusclen hin Hugo, 
Hubertd Sohn, ber die volle Gunſt Theophans's erringt und ihr ale Gegenge⸗ 
wicht wider Crescentius dient. Neue Verwicklungen zu Rheims beſtimmen ſie im 
Sommer 990 zur Rückreiſe nach Deutfchland.- Dort angekommen, ſtirbt Theophano 
im Suni 991 fchnell weg. Ihre byzantiniſchen Schöpfungen traurigfter Art. Die 
Kaiferin Großmutter Adelheid verliert allen Einfluß durch die Raͤnke der Echnur. 
Hugo von Tuscien und ber Kapuaner Laidulf, fo wie andere Staliener am beutfchen 
Hofe. Die bevorzugten Günſtlinge Theophano's, Johann der Balabrefe, Erzbiſchof 
von Piacenza, und Bernwarb aus dem Haufe Sommerſchenburg müflen nad dem 
Tobe der chin Veen er en 


Vierunddreißigftes Gapitel. 


Dem Huldigungseide zuwider, welchen Erzbiſchof Arnulf dem’ Könige Hugo Gapet ge: 
ſchworen, macht er gemeine Sache mit feinem Oheim, dem Herzoge Garl, und 
überliefert ihm feine Stadt Rheims. Krieg zwilchen dem Garolinger Garl und 
dem Gapetinger Hngo. Durch Verrath gerathen Carl und Erzbiſchof Arnulf in 
bie Gewalt des neuſtriſchen Rönigs, der fofort in Rom anf Abfegung Arnulfs 
dringt, aber fein Gehör findet, weil der Ottonifche Hof den Pabſt Johann XV. 
zwingt, dem beutfchen Gtaatövortheil zu fröhnen. Go lange die Kailerin Theos 
phano lebt, wagt Hugo feinen enticheidenden Schlag gegen Arnulf. Aber kaum 
iM die Griechin geſtorben, fo beruft der Gapetinger im Juni 991 eine franzöfifche 
Syuode nach Kheims, weldge den Pabſt für unfrei erllärt, weil er von einem 
Barbaren unterbrüdt fei, dem roͤmiſchen Stuhle den Gehorſam auffündigt und 
eine Staatékirche in Ausficht ſtellt. Gerbert, zum Nachfolger Arnulf erhoben, 
veröffentlicht ein Glaubensbekenntniß, vermöge deflen er Priefterehe zu gewähren, 
CEheſcheidungen zu dulden, Baftengebote und Ablaß abzufchaffen verheißt. Synoden⸗ 
oder „Geſetes⸗Streit“ zwiſchen Rom und Rheims. "Der römifche Abt Leo erfcheint 
biefleitö der Alpen ; feine großartige Thätigfeit. Er gibt zu. daß der Pabſt in der 
Gewalt einer fremden Macht ſich befinde, zieht aber aus dieſem Gingeflänbnifle 
die Bolgerung, daß alle guten Katholiken fich vereinigen müflen, den 5. Stuhl zu 
befreien. Gerbert, durch eine wachiende Mafle von Gegnern in ſchweres Gedraͤnge 
gebracht, benügt gewandt ben dargebotenen Ausweg, indem er vorgibt, er habe 


Supalteerzeihuiß. xxxv 


das Werk von Rheimd nur darum eingeleitet, um ber römifchen Kirche Luft zu Seite 


ſchaffen. Zulegt handeln die dentſchen Biſchöfe in gleichem Sinne. Was ans 
fänglich ein vernichtender Schlag für Petri Stuhl ſchien, beginnt fi in einen 
Triumph zu verwandeln. Jahre 990 bie 9966 . > 220er. . 559 


Füufundbreiigftes Gapitel. 


ja Frühling 993 fpricht Pabſt Johann XV., als erfied Beifpiel, den Biſchof Ulrich 
von Augöburg für die ganze Kirche Heilig. Nachweis, daß dieß eine Vorbereitung 
des Römerzugd von 996 war. Gewifle Rathgeber Otto's III. dringen baranf, 
bag ehe der junge Herrſcher nach Italien ziehe, feine Bolljährigleit abgewartet 
werde, was auch gefchieht. Wbendiefelben arbeiten auf Bermählung Otio's IH. 
mit einer griechifchen Bringeffin Hin. Johann von Piacenza reist zu diefem Zwecke 
als beutfcher Geſandter nach Conſtautinopel. Zufammenziehung des Reichsheeres in 
Regensburg. Im Febr. 996 bricht Otto III. nach Italien auf. Seitdem handelt 
ber junge Herrſcher unter dem ansfcließlichen Einfluß des Mainzer Erzbifchofs 
Willigis. Bruno von Kaärnthen, feine Berfönlichkeit und Berbindung mit den 
Elugniacenfern, er wird nach dem Tode Johannes XV. unter dem Namen Gregor V. 
anf Betri Stuhl erhoben, und kroͤut fofort Otto III. zum Kaifer. Diefer bewils 
ligt der römifchen Kirche folgende Zugeſtändniſſe: 1) Kaifer und Heer verläßt nad 
furzem Aufenthalt Rom und Italien, 2) das Bolt erhält wieder Antheil au dem 
Babwahlen, .3) die Marken Camerino und Spoleto, fo wie die Landſchaft Sa⸗ 
binum, werden — jedoch zunähf für die Dauer der Lebenszeit Gregors V. — 
au den h. Stuhl zurücdgegeben. Gericht über den Patrizier Johann Erescentins IV. 589 


Eechs unddreißigſtes Eapitel. 


Bährend feines erſten Aufenthalts in Rom geräth Otto IU. in folgenreiche Beziehungen 
u mehreren audgezeichneten Clerikern, welche es ſich zur Anfgabe fepten, in Sla⸗ 
vien eine nicht nur vom Mainzer Erzſtuhle fondern auch vom deutfhen Throne 
unabhängige Kirche anfzurichten. er 5. Abalbert, erſt Biſchof in Prag, dann 
Märtyrer in Polen. Sein Berhältuiß zu Theophano. Diefe Griechin brütet über 
dem Blaue, Böhmen vom Verbande mit Mainz zu löfen, den Prager Stuhl nad 
byzantiniſchem Borbilde in ein Patriarchat umzuwandeln, auch in andern flavis 
ſchen Ländern ähnliche Anftalten zu gründen, die nicht dem Babfle, fondern nur 
der Kaiſerkrone unterworfen fein follten. Zu Ausführung ſolcher und ähnlicher 
Dinge will fie den Czechen Adalbert mißbrauchen, ertheilt ihm deßhalb Erlanbniß, 
Brag zu verlafien, ruft ihn nah Rom und muntert ihn zu einer Wallfahrt nach 
Sernfalem auf, um ihn anf ber andern Seite des adriatifchen Meeres geheimen 
Berfzeugen in bie Hände zu fpielen, bie ihm byzantinifche Ideen beibringen 
follten. Die Aebte von Monte Caſſino und vom römifchen Klofter zu den 5. Bo 
nifacins ud Alerins vereiteln leßtere Seite des von Theophano erfonnenen Plans, 
beuten aber mit feltener Weisheit die anf Schwädnng der Mainzer Betropolitan- 
gewalt gerichteten Gedanken der Kaiferin aus. Der h. Nilus geiflicher Geſchaͤfte⸗ 
träger des byzantinifchen Bafıleus in Italien. Anfänge Bruno's, des Apoſtels 
ber Preußen. Der 5. Romuald, Stifter ded Camaldulenſer⸗Ordens, und feine auf 


Befreiung ber Kirche abzielende Thätigfeit . . . . 604 


Siebennuddreißigſtes Gapitel. 


Die Ambsführung des Pabſts Gregor V. vom Mai 996 bis gegen Ende des Jahre 997. 
Ohne viel übe fegt er die Wiederherfiellung des Garlingers Arnulf durch. Doc 
macht der franzöfifche Hof dis Begenberingung, daß Kaifer Otto IIL den Kirchen, 
ſtaat herſtelle und auf fernere Unterdrückung des Stuhles Petri verzidgte, fodann 
dag Geegert V. den Biſchof Akcelin von Laon zur Rechenſchaft ziehe. In Volge 
diefer Unterhandlungen gebt Abt Abbo von Yleuıy als franzöfiicher Botſchafter 
nad alien, wird dem Babfle zu Spoleto vorgeflellt und überzeugt ſich durch dem 
Angenſchein, dag die‘ Marten an die römiiche Kirche zurüdgegeben find. Gerbert 
entweicht ans Frankreich und begibt fich nach einem vergeblichen Derfuche, den 


xxxVi Inhaltsverzeichniß. 


Pabſt Gregor V. umzuſtimmen, an den beutfchen Hof, wo er den jungen Kaiſer 
in greulicher Weiſe umgarnt, indem er bie von der Griechin Theophano ihrem 
Sohne eingeträufelten Thorheiten ausbeutet. Gregors V. Maßregeln zu Gunften 
des Moͤnchthums, Schntzbriefe für Glugny und andere Kloͤſter. Zu Ende des 
Jahrs 996 zettelt mit griechifcher Hilfe Johann Grescentius IV. eine Empörung 
zu Rom an, vertreibt Gregor V. und erhebt fpäter den ehemaligen Erzbifchof von 
PBiacenza zum Gegenpabfl. Gregor V., feit dem Januar 997 anf ver Flucht, hält 
im März eine Synode zu Pavia. Beſchlüſſe derfelben. Zweite Synode im Som⸗ 
mer 997, welche den Gegenpabſt Johann verflucht. Gregor bleibt in Oberitalien, 
bi Kaifer Otto mit einem großen Heere zu ihm flößt, entichloffen den Gegen⸗ 
pabſt zu bh fen rn 


Achtunddreißigſtes Gapitel. 


Zweiter Römerzug Otto's III. angetreten im Winter von 997 auf 998. Seine Ber 
gleiter find diegmal nicht, wie 996, Biſchoͤfe, weldye vielmehr bis auf wenige Auss 
nahmen abfichtlich mwegbleiben , fondern Laienfürften. Mit dem Pabſte Gregor V. 
zieht er nah Rom. Strafgericht daſelbſt. Crescentius wird geföpft, dann ges 
henkt, der Galabrefe Johann von Piacenza ausgepeiticht und verflümmelt. Erſte 
Anfänge des Bruchs zwifchen Dito III. und dem Pabſte Gregor V. Abt Hugo 
von Farfa, und die Art und Weife, wie er zur Abtei gelangte. Die vom Kaifer 
erhobene Belchuldigung, daß Bregor V. die Abtei an Hugo verkauft habe, if 
grundlos. Nachweis, daß es Gerbert war, welcher den Kaifer und ben Pabſt ents 
zweite. Auch den Erzbiſchof Willigid von a bat er beim Kaifer verläumbet. 
Beihimpfungen, die er gegen Gregor V. und Willigid ausſtieß. Weil der Kaifer, 
von @erbert umgarnt, mit Ginziehung der Marfen Spoletos@amerino drohte, wird 
der Pabſt gendthigt, den Erzſtuhl Ravenna an Gerbert zu vergeben. Bulle, 
welche Gregor V. zu dieſem Zwede erließ: dieſes nemliche Pergament bereitet bie 
Ermordung des Pabfleb vor . > 200 nn 


Nennnnddreißigftes Eapitel. 


Kirchliche Mafregeln, welche Gerbert nady feiner Ginfegung in Ravenna ergriff. Synode 
zu Ravenna Anfangs Mai 998. Kirchenverfammlung zu Rom im Sommer 
befielben Jahres. Gerbert amtet erfi neben dem Pabfle, bald ohne ihn und zwar 
in Dingen, über welche nad Kirchenrecht nur Petri Statthalter verfügen koͤnnen. 
Dtto III. entſchließt ſich bie Befepgebung feines Großvaters Dtto I. zu vervolls 
fäudigen. Gründe diefes Entfchlufies. Mechtliche Berhältniffe Italiens. Ueberall 
drängen ſich Fleine Soldaten den Abteien und Stühlen, doch nicht mehr als Pächter, 
fondern als Wehrvafallen auf, Laienfürfen wagen, das Schwert gegen Biſchöfe zu 
ziehene Anfänge ber Gewaltthaten Arboins von Jvrea. Er ermordet den Biſchof 
Peter von Dercelli, bebrängt den von Jvrea aufs Blut. Der Pabſt, obgleich 
um Hilfe angerufen, vermag bie Unterbrüdten nicht zu ſchützen, weil der Tuscier 
Fe f Gegenſchwaͤher Arboind, für diefen am Hofe arbeitet und den Kaiſer ums 

ickt 1:7 ee 


Vierzigſtes Gapitel, 


Das auf dem Reichdtage zu Pavia unter dem 30. Sept. 998 erlaflene Edikt. Das 
felbe ficyert die Unverleplichkeit des Kirchenguts, bindet aber auch dem Kaifer bie 
Hände, ohne daß Otto III. Solches merkt ober beabfihtigt. Gerbert hat es dem 
Kaifer eingegeben, ausbrüdlich wirb er, mit Uebergehung des Pabſtes Gregor V., 
beauftragt, daſſelbe zu vollziehen. Durch dieſen neuen Echimpf follte Gregor V. 
befimmt werben, freiwillig abzudanken. Weil er nicht wich, fiel er durch Möcher 
im Februar 999. Urfache, weßhalb Kaifer Otto toͤdtlichen Haß auf Gregor V. 
warf, war die ſtandhafte Weigerung des Letzteren, die phantoflifche Weltreichver⸗ 
faſſung gut zu heißen, welche Gerbert dem jungen Kaiſer vorgefpiegelt hatte 


Inhaltoverzeichniß. ZXXVI 


Einundvierzigfted Gapitel. 


Singe, welche nach Grmorbung Greagors V. und vor der polnifchen Reife Otto's IIL. 
in Stalien vorgingen. Gerbert wird — doch nicht ohne Schwierigkeit — durch 
einen Nachtſpruch des Kailerd zum Statthalter Petri eingefept. Er nimmt den 
Namen Sylveſter IL an. Gründe ieler Wahl. Otto zieht die Marken Sroleto 
und Gamerino zurüd, geräth aber darüber mit dem neuen Babfte in einen Rechte 
freit. Der Kaifer verleiht die beiden Marken erſt an den Südlangobarden Abes 
mar, dann nach Aurzem an den Tnscier Hugo. Geſchichte Ademars und bes Kriegs 
in Gübitalien. Nachweis, wie und in welcher Weile Hugo von Tudcien die hoͤchſte 
Gunſt Dtto’8 TIL erlangte. Die Heudelei, welche Otto im Augenblide ber Er⸗ 
morbung Gregors V. trieb, verwandelt fih allmählig in Schlangenbifle der Reue. 
Der Beinh in Farfa. Acht und Kirhenbann über den Markgrafen Arboin von 
Iwrea verhängt, und die auf feine Verurtheilung bezüglichen Urkunden. Bifchof 
Leo von Berceli. Kirchliche Maßregeln Sylveſters II. Seine Zufchrift an bie 
Ghriftenheit, erlaſſen nach Befteigung bes h. Stuhles. Gnadenbulle für den Rheimfer 
Arnulf, Bulle der Drohung wider Ascelin von fan . 2 2 2 000. 


Sweinndyierzigfted Capitel. 


Die die Petersſtadt unter Otto IIL zwifchen 998— 1002 ausfah. Hilfsmittel für Kennts 
niß der mittelalterlihen Zuflände Roms: das Guriofum uud die NRotitia, das 
Babftbuch, der Bericht des Ginfiebler Moͤnchs, die mirabilia Romae, die Graphia 
aureae urbis Romae, bie Kirchenordnungen bes 12ten und 13ten Jahrhunderte. 
Wäre Conſtautin I. ums Jahr 1000 aus dem Grabe erflanden, er hätte Rom 
noch als feine Stadt anerkannt. Die fieben Hügel, Ringmanern, Thore, Brüden, 
Erbauung der Leofladt. Die Waflerleitungen, die größeren Burgen, bie Palatia, 
die Thermen oder Br 2»: 2 nn 


Dreinndvierzigfte® Capitel. 


dortſezung. Die Circus und die Theater. Unblutige Spiele. Die Stadtzierden: Co⸗ 
loſſe, Thurmfäulen, Triumphbägen, Obelisken, eherne und marmorne Stanbbilder. 
Die großen Pläpe: das Yorum romanum, die Prachtforen der Gäfarn, das Ma- 
cellum Liviae. Dad criftliche Rom. Hauptkirchen und Klöfter. Der Lateran als 
Batriarhium oder Wohnfiß der Paͤbſtte. 


VBierundvierzigftes Capitel. 


Belitifche Eintheilung des mittelalterlidhen Roms. Sufammenfehung des Pabftbudhe. 
Die vierzehn Regionen der heibnifchen Zeiten werben nach der Mitte des fechöten 
Jahrhunderts durch vierzehn chriftliche verdrängt. Urheber des neuen Syſtems war 
Bafileus Juſtinian. Gigenthümlichkeit der chriftlichen Regionen. Ziemlich deutliche 
Epuren find vorhanden, daß im neunten Jahrhundert der Karlinger Lothar, Lud⸗ 
wigd ded Frommen Sohn, in einigen wichtigen Punkten die Sintheilung Juſtinians 
abänderte. Als Dritter griff Fürſt Wiberich II., Urheber der demokraliſchen Ders 
faflung Roms, auch in das Regionenweien ein, indem er bie von Juſtinian begrüns 
dete Reihenfolge wieder herftellte, fonft aber den Borgo, als fünfzehnten Stadtbezirk, 
den vierzehn älteren beifügte. Diele Schöpfung Alberichs wird zum viertenmale 
buch Kaiſer Dito I. umgeftalte. Neuer Beweis für die Aechtheit der Verzicht⸗ 
Urfunde Pablo Leo VI. - 2 2 200 ren 


Füufundvierzigſtes Eapitel. 


Römifche Plähe, die neben den Regionen genannt werben: Orpheum, Basciola, Canna⸗ 
para. Abelige Hänfer befiehen neben den bürgerlichen fort. Viei oder Quartiere 
der Franken, Sachſen, Langobarden, Friefen, Sarden, Gorfen, Briechen fammt 
ihren Scholen oder Innungsgebäuden. Zufammenftrömen von Pilgern. Der Bers 
kehr mit ihnen wichtiger Rahrungszweig der Stadt. Weil dem fo war, wurben 
die alten Denkmäler forgfältig erhalten. Nachweis über die Bevölkerung Roms 
tm 10ten und 11ten Jahrhundert. Meben und Weder innerhalb der Stabtmauern. ‚ 
Fieberluft oder malaria 0 0 . J [) o .0 v . . . [} . . . . . o 810 


705 


726 


757 


AXXVIH Inhaltsverzeichniß. 


Sechonundvierzigſtes Capitel. 


Die Dttoniſche Weltreichsverfaſſung. Große Hofämter vol Prunk, aber ohne weſent⸗ 
liche Macht: Batricier, Magifter des h. Palaſtes, geheime NRäthe, Befiarier, 
Grafen des h. Palaſtes, Logotheten. Bezirföbeamte, Gonfuln, welche jährlich weche 
feln, Broconfuln, Peine Richter (pedanei). Dik Kriegsmacht zerfällt in zwei Ab» 
theilungen : erſtens in die Leibwache, zweitens in die durch Anshebung aufgebrachten 
Feldregimenter. Anführer der Ieptern, welche nie eine anſehnliche Gtärfe ers 
laugten, war ein Deutfcher, Gerhard. Tie Leibwache ſtand unter dem Befehle 
des Tusculaners Alberich. Wiederaufleben der Macht des tuscnlanifchen Hauſes. 
Bewaffnung des Heeres, Lieferungsweien. Spiel mit Triumphen, Schmuck des 
Kaiſers. Das Sinnbild des Adlers nen. 


@iebenundvierzigfte® Capitel. 


Die Finanzen der Ottoniſchen Weltreichöverfaflung. Der junge Kaifer erhebt in Stalien 
Steuern, welche zulept allgemeine Unzufriedenheit erregen. Nachweis, daß Dito IIL., 
trotz des Anfcheins riefenhafter Plane, nicht that was er felber wollte, fondern was 
ein Anderer, Klügerer, ihm eingab: ber Romantiker gegängelt von einem Prak⸗ 
tifer, dem Pabſte Sylveſter II. Drei römifche Bormeln, Hauptzeugen der Welts 
reihöverfaflung, betreffend erfllih die Stellung bes Patriciers, zweitens die Machts 
befugnifle des Siebner⸗Collegiums. Aufgabe bes Lehteren war, die Romana zu 


allgemeiner Geltung zu bringen Ueberficht älterer Berfuche, welche gemacht wurden, 


um bie ärgften Schäden der durch Lothars Geſetze von 824 verfchuldeten Unſicher⸗ 
heit italienifcher Mechtezuftände zu heilen. Die dativi judis . -. 2... 


Achtundvierzigſtes Gapitel. 


Künftliche Mittel, welche Sylveſter I. in Bewegung fepte, um den Kaiſer in Abhaͤn⸗ 
gigfeit vom päbfllidden Willen zu erhalten: Syſtem ver Blasglode und ber 
beraufchenden Lehre. Cine vierte römifche Formel, betreffend das Bürgerrecht, 
liefert den Beweis, daß Syivefler II. und Otto III., doch jeder in verfchiebenem 
Sinne, die Erbfürſten von Polen und Ungarn in den Bereich der neuen Weltreichs 
verfaflung hineinzuziehen trachteten nen 


Neunundvierzigſtes Gapitel. 


Zwifchenereignifle, die Muhme Dtto’8 ITI., Webtiffin Mathilde, welche er 997 zur 
Reichsverweſerin beftellt hatte, und auch feine Großmutter, die Kalferin Wittwe 
Adelheid, ſterben fchnell weg. Leptere fieht das Unglüd ihres Enkels voraus 
und erfennt in Pabſt Syivefler II. den Verderber deſſelben. Das Reich Ungarn. 
Rüdblid anf die ältere Befchichte der MRagyaren. Schwarz⸗ und Weiß⸗Ungarn, 
verſchiedene Sprachen und Stämme im Lande. Dewinz⸗Geiſa und fein Sohn 
Waick⸗Stephan begünſtigen das Chriſtenthum nicht blos wegen bed Glanbens, fons 
bern zugleich in der Abficht, mit Hilfe der Kirche eine regelmäßige, das ganze 
Land verbindende Monarchie aufjzurihten - - > ren. 


Fünfzigftes Eapitel. | 


Des ungarifchen Königs Stephan I. Verhandlungen mit dem 5. Stuhle. Sylveſters II. 
Bulle vom 27. März 1000 unzweifelhaft aͤcht. Weil Stephan I. nur gegenüber 
dem Pabſte nicht auch in Bezug auf den Kaifer politifche Verbindlichkeiten übers 
nahm, keimte der erfie Zunder von Zwietracht amifigen Dtto III. und Syivefter IL, 
ein under, ber während der polnischen Berwidlungen and Tageslicht hervorbrach 


Ginundfünfzigftes Capitel. 


Gleich dem Ungar Stephan verlangte auch der Bole Boleslaw Chrobry von Pabſt 
Sylveſter II. Anerkennung eines unabhängigen Slawenreichs und die Koͤnigskrone 
für fi. Doch bezüglich biefed Punkte brach zwilcdhen dem Pabſte und bem 
Kaifer Zwiſt ans. Meil er fich durch Freigebung bes von Otto L eroberten Polens 


Sei 


81 


Srhalioverzeichniß. XRXLX 


Gef ver füchfifchen Jurſten zugezogen hätte, die ans den unterworfenen Pros 
zen große Aupungen zogen, nahm Otto III. die Unterhandlung mit Boleslaw 
Vie eigene Hand, Stalien, machte Mitten im Winter von 999— 1000 
Seife nach Polen. Borgänge und Feſte zu Gneſen. Otto fen! dem biöherigen 

Boleslaw bie er auf, wogegen biefer ſich verpflichtet, „Mitwirker 
—— es hen Kaiferreih8* und „Freund auch Bundesgenofle 

iſchen Volls“ zu fein. Unermeßliche Behehungen . -» 00° 


Bweinubfänfzigfte® Gapitel. 


fchrt aus Polen nach Deutfchland zurück und verweilt daſelbſt ſechs Monate. 
Während biefer Zeit fpringt die Blasalode, und Miftrauen wider Pabſt Syl⸗ 
veer IL gewinnt die Oberhand in Otto's III. Eeele. Gr öffne dad Grab 
Garls des Großen und fammelt mit Gelvfummen, die er durch grobe Simonie 
aufbri gt in anfehnliches Heer, um mittel Kolbe und Streitart die erfaunten 
Mängel der Weltreichsverfaſſung zu verbeflern. Sein dritter Mömeräug, anges 
treten im Juli 0000 Oo. 2200 


Dreinndfünfzigfted Capitel. 


Kıhdem Dtto III. im Sommer 1000 auf italifchem Boden augelommen, beginzt ein 
fpigiger Briefwechfel zwifchen ihm nnd dem Pabſte. Syivefler droht mit Bann 
wegen gewaltfamer Gutfernuug der päbftliden Zeichen aus der Engelsburg nnd 
fordert Cutſchaͤdi im Gabinnm. Dtto II. antwortet mit Klagen über vers 
ſchwenderiſchen Han älterer Statthalter Betri, fpricht weiter von Prieflerbetrug 
und bringt ald Belege die erbichtete Schenkungsurkunde Gonftantine I. nnd eine 
angeblich gleichfalls unächte Bergabung Carls des Kahlen vor. Nachweis, wann 
und zu welchem Swede die Goldbulle Conſtantins gefcgmiedet worden. Jener Bors 
würfe wunerachtet tritt Otto III. acht Grafſchaften der Pentapolis an die römifche 
Kirche ab. Gründe, warum er dieß thun, und auch das Sabinum herandgeben 
muß. Gylvefter II. führt um die nämliche Zeit eine herbe Sprache wider eins 
jelne feiner Vorgänger. Borzeichen eines nahenden Sturms. Wegen den Ros 
vember 1000 erfcheint Otto III. wieder zu Rom. Kurz darauf beginnen erſchüt⸗ 
ternde Schläge in Deutfchland zu fallen ER 


Vierundfünfzigftes Eapitel. 


der Ganderkheimer Streit zwiſchen dem Mainzer Metropoliten Willigie und dem 
Hildesheimer Bifchofe Bernwarb, welcher letere die geheimen Plane Eylveftere 11. 
unterflügt. Willigie will im Bunde mit Sophia, der einzigen fähigen Schwefler 
Dtio’d III... ven Pabſt als Verderber des jungen Kaifere Rürgen und biefen 
nöthigen, daß er nach Deutichland zurückkehre. Während deflen geilen die welt⸗ 
uhen he wider den Kaifer eine Verſchwoͤrung an, welche Willigie zu vers 
eln fuht . . ne 


graz 


877 


Diis 


= 


887 


Fünfundfünfzigftes Sapitel. 


Kusbruch von Empörungen in Tivoli , in Rom, im übrigen Italien. Die Tivolefen 
hatten einen vom Kaifer zn ihrem Landvogt beftellten jungen Mann, Namens 
Mazzolin, erihlagen, und die Befagung, die in ihrer Stabt lag, vertrieben. Run 
rudte Dtto IIL mit Heeresmacht vor Tivoli, richtete aber nichts ans, worauf 
BabR und Kaifer den Aufrührern Gnade bewilligten. Alsbald griff das Haupt 
der Tusculauer, Bregor, zum Gewehr und zwang bad bentiche Heer fammt 
Dtto III. und Sylveſter IL die Stadt Rom zu räumen. Die Sache hing allem 
Anfcheine nah fo zufammen: die Grescentier, alte Gegner bed tusculaniichen 
Hauſes, Hatten fi von dem Echlage des Jahres 998 wieder erholt; die Wittwe 
des enthaupteten Patriciers Johann war Kebfe des Kaiferd geworden, anch anf 
Eylveſter II. übten fie Einfluß; zugleich fanden fie in enger Verbindung mit den 
alten Kapitangefhlechtern des Kirchenſtaats, die bis zur Binführung der Welt⸗ 

aflung Grafenrechte übten. Um nun die Grescentier felber und dieſe ihre 
Berbündete niederzuhalten, befanden die Tuseculaner darauf, daß der Grundſah, 


ZL Inhaltsoverzeichniß. 


€ 
welcher flatt Icbenslänglicher Statihaltereien jährlich wechſelnde anorbnete, aufrecht - 
erhalten werde. Als gleihwohl Pabſt und Kaifer den Mord Mazzolins, ber ein 
jährlich wechfelnder Bogt gewefen , verziehen und fo thatfächlich auf jene Rorm 
verzichteten, fchlng Gregor los. Demokraten nud Nriflofraten in Rom. Gregor 
verräth Leßtere, behauptet aber die Stadt. Vergebliche Werfuche des jungen Kaifere, 
den Aufruhr nieberzufchmettern. Gewiſſensbiſſe Otto's IIL.; er flicbt den 23. Jan. 
1002 zu Paternnn. 


Scheundfänfzigfte® Capitel. 


Pabſt Sylveſter II. und fein Werl. Alte Sage, daß er bei ven Garacenen Spaniens 
die ſchwarze Magie erlernt, und mit Hülfe des Boͤſen die brei Stühle Kheims, 
Ravenna , Rom, errungen habe. Lügen über fein Verhältniß zu Gregor VII. 
Bon Sylveſter II. geht um das Jahr 1000 ver erfle Aufruf zu einem fnrifchen 
Krenzzuge aus. Urfachen biefer Naßregel. Die gegenfeitige Stellung Sylveſters II. 


und der Siugniacenfer . | 


— 1 — — em 


Siebtes Bud). 
Italien und der heilige Stuhl bor dem Jahrhunderte 


Gregors VIL- Entstehung und frühere Schicksale 
des Birchenstunts, 


Ofrörer, PabR Gregerins VIL Be. v. 1 


Erſtes Capitel. 


Keine Geſchichte des Pabſtihnms, ja des Mittelalters überhaupt, ift möglich ohne Einſicht in 
Entfiehung und Ausbildung bed römifchen Kirchenflaatse. Anfänge beflelben im vierten 
Jahrhundert. Meberfiht der Provinzen Italiend. Fafl in allen erlangte Petri Stuhl 
Landeigentfum durch Schenkungen, welche theils Gonflantin J., theil® Privatleute 
machten. - Tie Latifundien, welche einft den vornehmen Geſchlechtern Roms gehörten, 
gingen meift in ben Beſitz ber Päbfte über. Beweis, daß Rom fchon zu Anfang bes 
fünften Jahrhunderts vorzugsweiſe eine hohenpriefterlihe Stadt war. 


Unläugbar ift, daß verftändige Leute, die fonft hiſtoriſche Studien lieben, 
fih mit einem gewifien Widerwillen von Büchern abwenden, welche mittels 
alterlihe Zuftinde, namentlih dad Verhältniß der großen Gewalten, ber 
Kaifer und Päbſte, ſchlldern. Woher diefe Thatfahhe? Unſeres Erachtens das 
ber, weil nad der Darftellung der Urheber folder Echriften die Zeiten und 
die hervorragenden SBerfönlichfeiten, weldhe von ihnen aufgeführt werten, wie 
ein unbegreiflihes Chaos erſcheinen; mit andern Worten, weil der Leſer feine 
genügende Aufflärung über die Beweggründe findet, warum ber oder jener 
Kaifer und König, der oder jener Kirchenfürft, gerade fo verfuhr, und nicht 
anderd. Bei genauerer Erwägung des Einzelnen fommt an den Tag, daß 
die Streitigfeiten zwiſchen geiftliben und weltliben Mächten faft ftetS — bald 
mehr, bald weniger — um die große Frage von „Mein und Dein“ fid 
trehbten. Die Päbſte des ſechſsten und fiebenten Jahrhunderts haben über 
Entziehung rechtmäßigen Eigenthums geklagt, die des achten und neunten 
haben Miederherftellung in Befig gefordert, der ihnen durch Räuber entzogen 
worden, die des zehnten und eilften Jahrhunderts haben gleiche oder ähnliche 
Beſchwerden erhoben. Aus allem dem folgt unwiderleglih, daß ſchon frühe 
— bis in das legte Drittel des vierten Jahrhunderts zurüd — etwas wie 
ein römiſcher Kirchenftaat beftand. 

Allein gerade auf der Geſchichte dieſes „Etwas“ laſtet cimmeriſches 
Dunkel, während andererfeitö nichts gewiſſer ift, ald daß ohne Aufhellung 
defjelben grimdliche Einfiht in die Wirkſamkeit Gregors VIL nimmermehr ers 
langt werden kann. Bei ſolchem Sachverhalt drängte fih dem Verfaſſer vors 
liegenden Werks bie Nothwendigkeit auf, an diefem Punkte angelangt, weit 
jurüd, was den Staff betrifft, bis in die Tage Gregors I., ja bezüglich ges 
wiſſer geographifcher Beftimmungen, in noch ältere Zeiten zu greifen. “Der 
Erfolg, hofft er, werde den Weg, den er einichlägt, rechtfertigen. 

g°® 


4 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Die Natur hat die appenninifche Halbinfel oder Stalien in drei Haupt 
teile: einen oberen oder nörblichen, einen mittleren, einen unteren gejchieben. 
Das obere oder nörblihe Stalien umfaßte‘) feit den Zeiten Auguſts folgende 
Provinzen: Liguria, Gallia cisalpina, Venetia, Iſtria. Ligurien wurde im 
Nordweſten durh den Fluß Varus und die Meeralpen von Gallien, im Rors 
den und Dften durch den oberen Bo von Cisalpina, in Süden durd den Fluß 
Magra, der unweit Luna ind tyrrhenifche Meer mündet, von Tuscien getrennt. 
Eisalpinien begriff das Stromgebiet des Po und zwar im Süden und Süpoften 
bi8 an das adriatifhe Meer, auf der Nord- und Oſtſeite bis an die Alpen 
und die Etſch, welche letztere die Grenze zwiſchen Gallia cisalpina und Benes 
tien bildete.) Weftlih ward Gisalpinien durch Ligurien, ſüdlich durch die 
zum mittleren Italien gehörigen Landichaften Umbrien und Tuscien begrängt. 
Mit dem Namen Benetien bezeichnete man das Gebiet zwiſchen Etſch, den 
Alpen, dem Fluſſe Timavus, der Venetien von Iſtrien ſchied, und dem adrias 
tiihen Meere.) Iſtrien endlich hieß!) die heute noch mit demfelben Ramen 
bezeichnete Halbinfel zwifchen dem Timavus und der Arſa, welche Iftrien von 
Illyrikum trennte. 

Mittelitalien zählte) jeh® Provinzen: Etruria oder Tuscia, Umbria, 
PBirenum, Camuium, Latium, Campania. Die erftgenannte Landihaft — 
Tuscien — gränzte“) gegen Weften ans Mittelmer, gegen Norden an is 
gurien, von dem es die Magra abfonderte, fowie an das cispadaniſche 
Gallen, von dem fie durch den Höhenzug des Apennins gefchieden war, gegen 
Oſten an Umbrien, fürlih an Latium, alfo daß der Tiberfluß Tuscien zus 
gleih von Latium und von Umbrien abfchnitt. Umbrien ftieß”) öftlich auf der 
Küftenftrede von der Mündung des Rubikon, welcher Mittelitalien gegen Eis- 
alpinien abgrängte, bis zum Fluſſe Aeſis Cheutzutage Efino) ans adriatifche 
Meer, zog fih dann ind innere Land mitten zwifchen PBicenum und Etrurien 
hinein. Picenum umfaßte?) den Küftenftrich zwifchen dem Efino und dem 
Eamnitenland, enthaltend die Städte Ancona, Firmum (jegt Bermo), Auximum 
(jest Dfimo), Asculum (Ascoli). 

Das Samnitenland, welches außer den MWohnfigen des ebengenannten 
Stammes die Gebiete der Eabiner (eine in der Geſchichte des Kirchenſtaats 
viel genannte Landſchaft), der Veſtiner, Marruciner, Marſen, Peligner bes 
griff,) hatte im Dften das adriatiihe Meer, im Weften Latium und Cams 
panien, im Rorden Picenum und Umbrien, im Süden Lucanien ‚und Apulien, 
zur Gränze. Latium‘) dehnte fi in der Richtung von Norden nad Süden 
zwilchen den Flüſſen Tiber und Lirid (jet Garigliano), gegen Weften ftieß 
ed and Mittelmeer, gegen Norden an Etrurien, gegen Oſten an Samnium, 


9) Die Belege bei Forbiger, alte Geographie LIL, 542 fig. ) Daſ. ©. 556, Note 81. 
+) Dal. ©. 577. ı) Dal. ©. 587. 5) Daf. ©. 589 fig. 9) Daf. Daſ. 
©. 616 fig. *) Daf. S. 624 fg. 9) Daf. ©. 630 fig. 10) Daf. ©. 649 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 1. Ueberficht Italiens. Keime des Kirchenſtaats. 5 


gegen Süden an Gampanien, welche legtgenannte Provinz das überaus fruchts 
bare Küftengebiet zwiichen dem Garigliano und dem Eilarus (jetzt Silaro), 
der bei Päftum ind Mittelmeer fällt, und zwiſchen der Landſchaft Samnium 
umſchloß.) 

Zum untern oder füdlichen Italien gehörten die Provinzen Apulien, Cala⸗ 
brien, Lucanien und Bruttium.?) Die apenniniſche Halbinſel läuft bekannt⸗ 
lich in zwei große Landzungen aus, von denen die öſtliche — mit den See⸗ 
ſtädten Brunduſium, Hydruntum, Callipolis, Tarentum — Calabrien, die 
weſtliche — mit den Hafenorten Croton und Rhegium — Bruttium genannt 
ward. Bon den weiter noͤrdlich gelegenen Gebieten hieß die weſtliche Hälfte 
Lucanien, die öftlihe Apulien. ?) 

In dem Zeitraume, der von dem Ausgange des weftrömilchen Reiches bis 
u Ende des achten Jahrhunderts verlieh, famen neue Bezeichnungen: italienis 
ſcher Gebictötheile auf, welche die alten verdrängten. Der Name cisalpinifches 
Gallien verſchwand, und Ligurien wurde der gemeinichaftlihe Ausdruck ſowohl 
für das weftlihe als das öſtliche Oberitalien. Paul, der Diafon, führt*) 
Pavia und Mailand ald Haupiftädte Liguriend auf, bemerkt!) aber zugleich, 
das, was jeht Ligurien heiße, ſowie ein Theil Venetiend und das Strom⸗ 
gebiet auf dem ſüdlichen Ufer des Po fei chemald cisalpiniihed Gallien ges 
nannt worden. Doch nidt lange erhielt fi viefe Bedeutung des Worte 
Kigurien. Nachdem Carl der Große das Reich der Langobarden erobert hatte, 
trat an Liguriend Stelle der Ausdrud Langobardien, welchen fraͤnkiſche Chros 
nitten zuerft braudhen.°) 

Drei weitere Namen verdanften ihren Urjprung dem Etraßeniyftem, das 
die Welthauptſtadt Rom mit den unterworfenen Ländern verband. Die Via 
Valeria,®) eine Fortſetzung der tiburtina, führte von Zivoli durd das Land 
der Marſer und Peligner bis an den Hafenplag Adria. Die Via flaminia, 
welde den Norden mit Rom verknüpfte, Tief von dem gleichnamigen Thore 
der Stadt nad Rimini und zog ſich von da unter dem Namen Aemilia weiter 
nad) Piacenza und gegen die Alpen.) Nach erfterer Etraße erhielt der nord» 
wehtlihe Theil von Samnium ven Namen Baleria, nad der zweiten warb 
das Lamb. von Rimini bis zum Po Flaminia genannt; die dritte endlich vers 
ſchaffte* ver Provinz, in welder Piacenza liegt, die Bezeichnung Aemilia. 
Zur Provinz Yemilia zieht”) Paul, der Diakon, die Städte Piacenza, Parma, 
Reggio, Bologna; der Provinz Ylaminia gehörten laut jeinem Zeugniß®) die 
Hauptſtadt Ravenna und die fogenannte Pentapolis, oder die fünf Orte ano, 
Peſaro, Einigaglia, Rimini, Ancona an; ald in Valeria gelegen erwähnt?) er 


9 Daf. S. 727 flg. 2) Daf. S. 745—752. 757. 766. 3) De gestis T,ango- 
bardor. I, 15. Bei Muratori, script. ital. I, 432. *) IL, 23. ibid. ©. 433. *°) Die 
Beweife bei Muratori, script. ital. X, Vorflüd S. 46. °) Borbiger a. a. D. III, 708. 
Y)%,a0D.I, 18.642. NL, 19. ibid. 843. 9 Bid U, 20, 


6 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


die Plaͤtze Tivoli, Rieti, Yurcone und Torre d’Amiterno, ſowie den Fuciner⸗ 
See, der jest Lago di Eelano heißt. 

Aus zwei Verſen des Satyriferd Martialid geht hervor, daß in Rom 
ihon gegen Ende des erften Jahrhunderts der Brauch aufgefommen war, eins 
zelne Provinzen nah den großen Heerftraßen zu bezeichnen, welche erftere 
durchſchnitten, denn er fpriht‘) von einer Gegend der Amilifhen Etraße und 
fogar von einer Landſchaft Aemilia. Neben Flaminia wurde feit der Zeit, ba 
die byzantiniſchen Oberftattgalter oder Exarchen zu Ravenna faßen, auch der 
Ausdruck Grarhat und Pentapolis üblich. 

Sm Umtreije der Provinzen nun, die ih unter dem Namen Tuscien, 
Ligurien, Aemilien, Slaminien, Umbrien, Picenum, Latium, Eamnium, Gams 
panien, Apulien, Calabrien, Lucanien aufführte, wuchs vom vierten bis zu 
Ende des adıten Juhrhundertd ein Gebiet der römischen Kirche zufammen, das 
allmählig die Geſtalt eincd zulammenhängenden Staats erhielt. Die Anfünge 
der neuen Echöpfung reihen in dad erjte Drittel des vierten Jahrhunderts 
hinauf und waren eine Frucht der Großmuth des Kaiferd onftantin I. 

Kardinal Baronius bat in feiner Kirchengeſchichte mehrere Urkunden vers 
öffentlicht, *) kraft welcer der genannte Kuifer um 324 an die drei Haupt 
bafiliten der Welthauptitant nugtragende Häufer zu Rom und Antiochien, jo 
wie in verſchiedenen Provinzen Italiens, Eiciliend, Griechenlands, Afrifa’s, 
Aegyptens, Phöniziens, Syriens gelegene Landgüter vergabte, die jührlich zu, 
fammen rund 12,000 Goldſtücke an baarem Geld und überdieß bedeutende 
Renten an foftbaren Bodenerzeugniſſen, als Gewürzen, Baljam, Weihraud, 
Papier, feinen Delen abwarfın. Schon in diefem älteften Zinsbuche des rö— 
miſchen Stuhles wird für die gefchenften Güter der Kunjtausprud Maſſa ans 
gewendet, der feitdem ftehend geworden if. Man weiß, daß bie reichen 
römischen Familien durd) Vereinigung Heiner Güter große Verbände zu fchaffen 
firchten, was ihnen auch gelang. Die in folder Weile zufammengebracten 
Ländereien wurden latifundia, oder, weil fie zufammenhängende Klumpen bils 
deten, massae genannt. Es war das entgegengefegte Eyitem von dem ,. das 
jegt in manchen Theilen Deutſchlands und Frankreichs herrſcht, wo durch fort 
geſedte, heimlich vom Geſetz begünftigte Erbtheilungen und raſchen Wechſel dee 
Befiped das Grundeigenthum ſich faft in Stuub auflödt. Das Uebermaß des 
einen bringt ebenſoviel Schaden, ald das des andern: latifundia perdidere 
Italiam fagt ein befanntes Sprüchwort. 

Den ebenerwähnten Gejchenfen fügte”) Conftantin noch weitere bei.‘ Doc 
wenn der römifhe Stuhl gegründete Urſache hatte, die Faiferlihe Großmuth 
zu loben, verdankten die Häupter der Kirche noch viel mehr der vom Gejege 





1) Epigrammat, III, 4 u. VI, 88. ?) Ad a. 324. Mr. 58. 65. 71. Ausgabe von 
Lucca IV, 49 fig. 3) Zaccaria, dissert. latin. de rebus ad antig. eccles. pertin. (Foligno 
1781.) Vol. II, 78 fig. 


Eiebies Bud. Gay. 1. Ueberficht Italiens. Keime bdes Kirchenſtaats. 7 


begünſtigten Freigebigkeit reicher und armer Privaten. Conſtantin hatte 321 
eine Berorbnung *) erlaſſen, welche dem Clerus die Rechte einer bürgerlichen 
Perjon ertheilte und demgemäß geftattete, daß geiftlihe und kirchliche An- 
falten von Jedermann Vermächtniſſe an beweglichen und unbeweglichen Gütern 
annehmen durften. 

Die Mapregel trug Früchte, welde in Kurzem fehr fühlbar wurden. 
Keine zwei Menichenalter waren abgelaufen, als Kaifer Balentinian I. nöthig 
fand, kirchliche Schenkungen durd einen Erlaß vom Jahre 370 gewaltig zu 
beihränfen, faft unmöglid zu machen. Die betreffenden Worte?) des Geſetzes 
lanten: „@lerifer und Mönche follen fürder nicht mehr wagen, in ten Häus 
jern von Wittwen und Wailen Erbichleicherei zu treiben. Vermächtiſſe zu 
Bunften der Kirche, welche ſchwachen Weibern und unverftänbigen Leuten abs 
gelodt wurden, find null und nichtig, ſobald erbbercchtigte Verwandte der 
Schenker Einſprache erheben.” Offenbar griff ter Kaiſer darum zu dem 
beroiihen Mittel, weil er fürdhtete, daß, wenn die von Eonjtantin eingeführten 
Begünftigungen länger fortvauern, das halbe Reih in die Hänte Eerifaler 
Defiger gerathen werde. 

Ehe Konftantinopel erftand und aud noch lange nachher war nirgends 
jo unermeglicdhes Vermögen zuſammengedrängt, als in Rom. Denn bier lebten 
die Erben jener Schooßfinder des Glüds, die durch Hofgunft unter den Älteren 
Kaifern fürftlihe Reichthümer erworben hatten, hier Emporkömmlinge jeglicher 
Art, und in der Tiberftabt wurden die Erträgnifje unzähliger über das Morgens 
und Abendland zerftreuten Latifundien, Gewinnfte des Handeld, des Staats⸗ 
dienſtes und der Kriegöbeute verzehrt. 

Wahr ift e8 nun, daß nicht nur das gemeine Volf, ſondern auch die 
Mehrzahl fenatoriiher Geſchlechter dem Ehriftentfum auch dann noch widers 
firebte, nachdem durch Conftantins Söhne die Einführung defielben im übrigen 
Reihe erzwungen worden war. Bei Tobesftrafe hatte Gonftantius im Jahr 353 
alle heidniſchen Opfer verboten.) Allein ald er 357 Rom bejuchte und dort 
troß des neuen Geſetzes den alten Götterdienft in voller Blüthe traf, wagte 
er nichts gegen die Widerfpenftigen. Symmadus, nachmaliger Präfeft von Rom 
berichtet, ) daß Conftantius damals die Vorrechte der Veftalinnen nicht ans 
taftebe, daß er dem Herkommen gemäß Prieſterthümer Adeligen zuerfannte, 
die Summen für den Götterdienft, die feit alter Zeit aus dem Staatsſchatze 
beftritten wurben, fortbezahlen ließ. 

Beſonders belehrend ift in diefer Beziehung, was der 5. Auguſtinus in 
den Selbfibefenntnifien von feinem Landsmanne Fabius Mar. Birtorinus ers 
zählt.) Diefer Afrifaner hatte als Lehrer ver Beredtiamfeit und platoniſchen 


t) Cod. Theodos. XVI, titul. 2. lex 4. ) Ibid. XVI, 2. lex 20. 3) Ibid. XVI, 
10, 4. ©) Epist. X, 61-Much in opp. Ambrosli Bened. Ausgabe II, 872, °) Gfrörer, 
Kir. Geſch. II, 667 fig. 








8 Babft Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Philofophie außerordentliched Anfehen gewonnen und in den Häufern der vors 
nehmften Senatoren Unterriht ertheil. Auf der Höhe feines Ruhmes ent 
Schloß er fi zum chriftlihen Bekenntniß, aber förmlidy überzutreten wagte er 
aus perfönlihen Rüdfichten nit. Denn, jagt Auguftin, „Victorinus jcheute 
ficb, feine hochgeftellten, dem Göpendienft ergebenen Gönner zu beleidigen, und 
bebte vor ihrer mächtigen Feindſchaft.“ Doc zulept ermannte er ſich und ber 
fannte Jeſum Chriſtum öffentlih in der Kirche vor allem Voll. Sein Uebers 
tritt fcheint um 370 erfolgt zu fein. 

Etwa ein Jahrzehnt fpäter — 382 — gebot Kaiſer Oratian, Valen⸗ 
tiniand I. Sohn, die Bildfäule der Siegesgättin, welche jeit ven Tagen Ju⸗ 
liand, des Abtrünnigen, wieder im Berfammlungsjaale des römilchen Senats 
aufgeftellt war, fortzuichaffen, entzog den Beitalinnen dad Recht, Vermächt⸗ 
nifje anzunehmen, und ftrich die bisher aus der Staatsfaffe für die heipnifchen 
Geremonien ausgejegten Gelder. Gewiß war es bedenflih und nicht ohne 
perjönlihe Gefahr, gegen eine ſolche Maßregel Einfpradhe zu erheben. Gleich⸗ 
wohl leiftete die Mehrzahl des Senats entichloffenen Widerftand. Wiederholt 
gingen von Symmachus audgefertigte Schriften an den kaiſerlichen Hof nad 
Mailand ab, welde den alten Götterdienſt im Sinne römifcher Staatsüber- 
lieferung mit hinreißender Beredtfamfeit vertheidigten.*) 

Alein während die abeligen Herren Roms das zufammenftürzende Heiden⸗ 
thum zu halten ſich abmühten, war die weibliche Hälfte der großen Familien 
für die Lehre vom Kreuze gewonnen. Erwünſchten Aufihluß gibt die Ge⸗ 
Ihichte des h. Hieronymus. Als derjelbe 382 aus dem Morgenlande nad) 
Rom fam, fand er unter den höheren Klaffen faum verhehlte Abneigung gegen 
das Chriſtenthum. In Kurzem erfolgte dur feinen Eifer ein Umſchwung: 
eine Reihe hochadeliger Frauen und Jungfrauen, Marcela, Paula, Bläfilla, 
Euftohium, Ajella, Lea, Principia, Melanium, Felicitas, Marcellina, Feliciana, 
Gemahlinnen, Wittwen, Töchter oder Enfelinnen von Senatoren, Eonjularen, 
Präfeften, unterwarfen fih feiner geiftlihen Leitung.) Mehrere begleiteten 
ihn 385 nad Paläftina, wurden dort Nonnen und erfüllten als folche die 
ihwerften Pflichten. Er felbft ſchreibt:“) „fe, die einft den Staub in Dem 
Straßen Roms nit ertragen Eonnten, fie, die fih auf den Händen ihrer 
Eunuchen tragen ließen, fie, denen jede Unebenheit ded Bodens unerträglich, 
jelbft das feldene Kleid eine Laft war, gehen jebt in geringem Gewande ums 
her, verrichten, ſich jelbft überbietend, die Dienfte von Mägden, zünden euer 
an, fegen das Haus mit dem Beſen, reinigen Gemüfe, kochen, beden ven 
Tiſch. Und doch haben fie Mädchen genug bei fih, welche ſolche Arbeiten 
bejorgen Fönnten, aber fie wollen es fih von Steiner zuvorthun Taffen.” 

Wer weiß es nicht, daß in Zeiten finfender Eultur Frauen einen grös 


') Ibid. I, 693 fig. ) Ibid. ©. 631 flg. >) Ibid. ©. 640. 





Siebtes Buch. Gap. 1. Ueberſicht Italiens. Keime des Kirchenftaats. 9 


ren Einfluß üben, als das männliche Geſchlecht: fie beherrſchen die Männer 
d durch fie die Well. In einem andern feiner Briefe jagt‘) Hieronymus: 
ad Beiipiel Marcella’8 und ihrer Breundinnen hat jo emfige Racheiferung 
est, Daß aus Rom ein Jerujalem ward. Häufig find Klöfter von Jung- 
men, beinahe unüberjchbar die Schaaren der Mönche. Was früher ver 
‚tet worden, bringt jegt wegen der Menge der Theilnchmer Ehre.” Auch 
r noch zurüdgebliebene Widerwille des Eenatd warb zulegt mehr durch 
ı Umſchwung in der öffentlihen Meinung, als durch Furcht vor Strafen 
erwunden. 

Rah Befiegung der Empörer Eugenius und Arbogaft, welde, um fid 
f die heimlichen Heiden ftügen zu können, die Verordnungen Gratians wider 
ı alten Götterdienft zurüdgenommen hatten, erließ Kaiſer Theodofius im 
wember 392 ein Geſetz,) welches bei Strafe des Hochverraths jedem Ein» 
hner des Reichs, jei er vornchm oder gering, verbot, in der Stadt oder 
f dem Lante den Göttern zu opfern oder aus Gingeweiden der Thiere fich 
iffagen zu laſſen. Einige Zeit ſpäter fam Theodoſius felbft nah Rom und 
ird Dort Augenzeuge des Eifer, den die vornehmen Geſchlechter bethätigten, 
t ihre Hinneigung für Eugenius durch jegigen Gehorfam zu fühnen. In 
ver feierliben Eigung erfannte der römiſche Senat an der Etelle Jupiters 
d jener Genofien Jeſum Ehriftum ald himmlischen Herrn und Beſchüter 
3 Reiches an: dad erlaudte Haus der Anicier ging mit gutem Beijpiele 
ran, bie andern adeligen Familien, tie Baſſi, die Paulini, die Gracdi®) 
gten. Gin Zeitgenofje dieſer Begebenheit, den ich benüge, der chriftliche 
ichter Prudentius, fingt:*) „die Lichter der Welt, die ehrwürdige Verfamms 
ig der Gatone, eilten mit Ungeduld, das jchnecweiße Gewand der Schulds 
igfeit (die Kleidung von Batehumenen) anzuziehen und die heidniſche Hülle 
zujtreifen.“ Rom wurde von Nun an, was es bis auf den heutigen Tag 
blieben ift — eine priefterliche Metropole. 

Es konnte nicht fehlen, daß jeit dem Augenblicke, da in den höheren 
reilen der Weltftadt Vorliebe für den chriſtlichen Glauben feimte, reifte, und 
legt dad Heidenthum niederrang, mittelft Bermächtniffen ein großer Theil der 
tifundien oder massae, welde ſich im Beflge der durch innere Erſchöpfung 
Imählig ausjterbenden vornehmen Gefchlehter befanden, an Petri Stuhl ger 
ngten. Dieß ift fchon frühe und in erftaunlihem Umfange geſchehen. 

Zwei Zeugen mögen eintreten, ein heidniſcher und ein chriftlicher. “Der 
Veichichtichreiber Ammianus Marcellinus berichtet, ®) daß gegen Ende des vierten 


') Ibid. S. 651. 2) Cod. Theod. XVI, 10, 12. 3) Micht die alten Gracchen ber 
erublik; tenn fehon die Tiger aus Gäfars Haufe: Tiberius, Claudins, Cajus hatten die 
leſchlechter der republifanifchen Nobilitas ausgerottel. In den fpäteren Zeiten der Mon» 
hie beſtand ber römifche Gemat aus lauter Freigelafſenen oder Guͤnſtlingen ber Kaifer und 
ns deren Erben. *%) Contra Symmachum lib. I, ®. 545 fg. 5) Histor. XXVII, 3, 


10 Pabſt Sregorius VII und fein Zeitalter. 


Jahrhunderts römische Paͤbſte wahrhaft föniglihen Aufwand machten, weil 
die Breigebigfeit frommer Matronen ſtets ihre Kuffen füllte. Wie gut ftimmt 
hiezu die Ausſage desjenigen Kirchenvaterd, der über römiſche Verhältniſſe 
ſtets zuerft gehört zu werben verdient! Hieronymus nämlich erzählt‘) daß 
Prätertatus, eined der adeligen Häupter des römijchen Heidenthums und ein 
Mann, der jede Zumuthung, Chrift zu werden, beharrlich zurüdwics, übrigens 
von hoher Geburt und ſchon zum Conſul des nädften Jahres bezeichnet war, 
jedoch vor dem Antritt der neuen Würde ftarb — öfter gegen Pabſt Da 
mafus ?) ſpöttiſch geäußert habe: „macht mich zum Bilchof der Etadt Nom 
und von Stund an bin ich Chriſt.“ Prätertatus betrachtete, wie man fick, 
Pabſtthum und den Genuß fürftliher Einfünfte als gleichbedeutend. 

Eine Thatfache, welche tief in die Weltgefchichte eingreift, legt von bem 
Aufſchwunge päbitlihen Reichthums und feiner unausbleiblihen Folge, politifche 
Unabhängigkeit des Etuhles Petri, merfwürdiged Zeugniß ab. Seit der Zeit da 
die Einheit des römischen Reichs in zwei Kaiſerthümer, das öftlihe und bat 
weftliche, aufgelöst zu werden begann, hat nicht eim einziger der Beherrſche 
des Weſtens in Rom dauernd feinen Sig aufgeichlagen, obgleich faft alle ia 
Stalien lebten, und obgleich viele unter ihnen waren, die während der zunch⸗ 
menden Schwäde des Staatd die Hülfsmittel, welde der Zauber des römb 
ſchen Namens bot, jchr gut hätten brauchen können. Nacd tem Tode Ges; 
ftantind des Großen (337) erhielt von feinen drei Söhnen Conftantius J. 
den Dften, Conſtans — erft im Verein mit feinem jüngeren Bruder Gonftantin IL, 
dann nach deſſen Ermordung allein den Weiten Dieſer Conftans hielt”) fi 
gewöhnlih in Gallien auf; befuchte er Italien, fo findet man ihn vorzugsweiſe 
zu Mailand‘) und Aquilcja.) Bekanntlich unterlag er dem Empörer Magnentiu. 
Durh den Tod des Eonftand wurde Conftantins alleiniger Herr des Reiche, 
derjelbe wohnte, wenn er im Welten weilte, meift zu Mailand, und hat übers 
haupt während feines ganzen Lebens Rom nur cin einziges Mal betreten.®) 

Die zweite Theilung des Reihe, die nadı Jovians Tod erfolgte, gab 
dem MWeften Balentinian zum Herrfcher, ver Anfangs Mailand zum Aufents 
halt wählte, ) aber durch die Einfälle der deutſchen Völkerſchaften genöthigt 
ward, fih häufig am Rheine aufzuhalten. Daß uud Valentinians Söhne 
und Nachfolger, Oratian und Valentinian IL, fowie des Letzteren Mutter 
und Vormünderin, die verwittwete Kaiferin Juſtina — fofern fie nach Stalien 
famen — vorzugsweiſe zu Mailand und Aquileja Hof hielten, erhellt theile 
aus der Geſchichte des h. Ambroſius,“) theils aus andern Urfunden.”) 


9 Epist. 38 (alias 61) ad Pammachium. ) Der von 366—384 auf Petri Stußle 
ſaß. 2) Tillemont, histoire des empereurs (Bruxelles 1732.) IV, 147. %) Hefele, 
Gonciliengefchichte I, 511. 6) Ibid. ©. 603, ®) Schloſſer, Meberficht der alten Weil 
IIL b, 328. IH, o, 13 flg. ?) Ibid. III, b, 359. *) Sfrörer, Kirch. Geich. IL, 592 fig. 
*, Schloſſer a. a. D. IH, e. ©. 189, 


Eichtes Bud. Gap. 1. Ueberſicht Italiens. Keime des Kirchenſtaatd. 11 


Die dritte und legte Theilung, die für immer den Weften vom Often 
hied, fand 395 nad dem Tode des Epanierd Theodoſius I. ftatt, welchen Gras 
an zum Mitregenten angenommen hatte. Seitdem erfcheint nicht Rom, nicht 
Railand oder Aquileja, fondern die Seeſtadt Ravenna‘) als dauernder Herr 
berfig der Echattenfaifer, die faft ein Jahrhundert bis zur völligen Auflöfung 
es abendländiſchen Reiches regierten. And merkwürdiger Weile überdauerte 
ie politiihe Bedeutung legterer Statt den Namen des Römerreichee. 

Austrüdli wird bezeugt,?) daß Odoaker, der erfte germanifche König 
ftaliens, von weldem der lebte Weftrömer Romulus Auguftulus geftürzt 
syorden war, zu Ravenna thronte. Daſſelbe gilt von dem Befleger Odoa⸗ 
ers, dem glorreihen Oftgothen Theoderich, während deſſen Regierung Ras 
enna den Ehrentitel urbs regia empjängt,*) obwohl der Oſtgothe häufig auch 
n andern größeren Städten des obern Staliens, wie zu Pavia und Verona,*) 
bohnte. Endlich blieb Ravenna nad Vernichtung des oftgothifhen Staats 
md Volks noch faft zwei Jahrhunderte lang Eis der Erarden oder ber 
yzantiniſchen Oberſtatthalter über Italien. 

Warım ließ fih nun von fo vielen Fürften, die noch den Titel römiſcher 
daiſer führten, oder Könige Italiens hießen, auch nicht ein einziger in der 
bemaligen Welthauptjtadt nieder, warun haben die meiften Rom nur vors 
idergehend, einige vieleicht gar nie beſucht? Meines Erachtens gibt es nur 
ine genügende Antwort auf diefe Brage: fie ſcheuten längeren Aufenthalt zu 
kom, weil fie fühlten, daß fie in einer Stadt, die einen priefterliben Chas 
after angenommen hatte, nicht mehr in dem Maße, wie es Könige wünjchen 
md wünſchen müffen, die erjte Rolle jpielen würden. Sene Thatſache ift 
aber ein unwiterlegliher Beweis nicht nur der Macht, fondern auch des 
keichthums der Päbftee Denn ohne Beſitz kann feine Gewalt — auch nicht 
ine geiftlibe — in die Länge beftehen. 

1) Tillemont, histoire des empersurs V, 233. N Bid. VI, 179. 5) Cassiodorus, 
Tariar. XII, 22. Wan vergl. Schloſſer a. a. ©. IIL, d, 170. ) Bergl. Efrörer, Kirch. 
ih. II, 947. 





12 Pabſt Bregorius VIL und fein Zeitalter 


Bweites Capitel. 


Aufzählung von Gütermaſſen, welche ber römifche Stuhl feit den Zeiten Gregors L bis gegen . 
die Mitte des achten Jahrhunderts in Gallien, Italien, auf den Infeln Gorfila, Sau 
dinien, Sicilien, ferner in Dalmatien und Illyrien, endlich auf der Nordküſte Afrikas 
befaß. Obgleich dad Grundeigenthum der Kirche Fein gefchloflenes Ganze bildete, ob ' 
glei der Pabft in bürgerlichen Dingen unter byzantinifcher @erichtöbarfeit Rand, wu 


obgleich fein neugewählter Statthalter Petri ohne Betätigung bed Hofe zu Gonflas . 


tinopel den 5. Stuhl befleigen durfte, hatten die Häupter der römischen Kirche fon m . 
Gregors Tagen gewifle Borzüge erlangt, welche den Kern Deſſen ausmachten, wad ma 
fpäter unter dem Namen Lanbeöhoheit begriff. Sie übten namentlih vie Rechte ber - 
Geſaudtſchaft und des Kriege. Römifche Kanzlei, oder das von Gregor I. verbeflerk 


Eyſtem der Bermwaltung. 


Ind Einzelne eingehende Belege dafür, daß Maffen von Latifundien, die 
früher den großen Yamilien Roms gehört, wohl auch einen Theil des Faifer : 


lihen Kammergutd ausgemacht hatten, durch Schenfungen an Petri Stuhl 


..- 


gelangt waren, finden ſich zuerjt unter Gregorius J., der von 590 bie 604 


der römifchen Kirche vorftand. Es war eine ciferne Zeit, in welche viele 


Pontifitat fällt. Seit 568 hielten die aus Pannonien eingedrungenen Lam ' 


gobarden faft das ganze obere und jchr bedeutende Streden des mittleren 
Stallens beſetzt, und ſchwer laftet ihre Fauſt auf dem Naden nicht nur ber 


griechifchen Statthalter, fondern auch der Römer. „Seit 27 Jahren,“ fpreibt‘) 


Gregorius I. im Jan. 594 an die byzantinishe Kaijerin Conftantia, „leben 
Wir allhier zu Rom mitten unter den Schwertern der Langobarden.“ Sn 
einem andern Briefe ?) von folgenden Jahre, der an den Kalfer Mauritius 
gerichtet ift, Hagt er, mit eigenen Augen gefehen zu haben, wie die Langer 
barden unter ihrem Könige Agilulf Haufen von Römern, mit Striden um 
den Hals gleich gefoppelten Hunden, ald Gefangene zum Berfaufe nad) dem 
Franfenlande abführten. In feiner Auslegung des Propheten Ezechiel heißt”) 
es: „bie Städte, die Dörfer Stalins find zerftört, dic Saatfelder verwüſtet, 
das Land ift in eine Einõde verwandelt, die bäuerliche Bevölkerung verſchwun⸗ 
den. — Rom, die einflige Herrin der Welt, ficht von taufendfahen Echmerzen 
niedergedrüdt ihre Bürger dahinfichen, die Gebäude in Trümmer fallen und 
erduldet täglich die LUingebühr der Feinde. Der Eenat ift am Erlöfchen, alles 
mit Ruinen bedeckt.“ 

Haft noch mehr ald tur die Langobardenkönige felbft, welde zu ihrem 
Antheil das Land zwiſchen den Alpen und dem Po auserforen hatten, litt 
Mittelitalien und Rom tur etliche mächtige Vaſallen derfelben, die in Kurs 
gem einen gewiflen Grad politischer Selbftjtändigfeit erlangten. Seit den 


— — — — — — 


1) Safls, regest. Pontific. Mr. 973. 3) Ibid. Nr. 990. 3) Gregorii 1. opera. 
edit. bened. Paris. I, 1374. 


Eichted Bud. Cap. 2. Das römifche Kirchengut unter Pabſt Eregor I. 13 


ten Zeiten der Eroberung beftanden nämlich neben der Tangobarbifchen 
trone drei Marfgrafenichen, das eine in Kriaul, das zweite in Tuscien mit 
em Mittelpunft Epoleto, welde Stadt zur alten Provinz Umbrien gehörte, 
as dritte in Eamnium mit dem Hauptorte Benevent. Man kann Ramen 
mb Geſchichte der Bafallen, die diefe Marken als Lehen der langobardiſchen 
tönige trugen, von Geſchlecht zu Geſchlecht bis in Die zweite Hälfte bes 
ten Jahrhunderts herab nachweiſen.) Höchſt läftig für die Päbfte waren 
te beiden leßteren Marfen, denn die eine umflammerte das römifche Gebiet 
om Rorden, die andere vom Süden her. 

Kaum läßt fi bezweifeln, daß die Anfänge der Eroberung noch gewalts 
amer waren al& der von Pabft Gregor beichriebene Verlauf. Ich will fagen: 
ie Langobarden, welche fortfuhren das bewenliche Eigenthum der römtichen 
Rirche au berauben, müflen ebenverfelben früher viel unbewegliches, Land» 
äter, Dörfer, Städte, entriffen haben. Gleichwohl erfcheint Die Gütermaffe, 
velche Petri Stuhl nah fo großen vorangegangenen Unfällen felbft in Ges 
ienden befaß, die dem Schwerte der Langobarven leicht zugänglich waren, ale 
ehr bedeutend. Ich gebe eine den Briefen Gregors entnommene Ueberſicht, 
md zwar in der Richtung von Norden nah Eden. 

A. Gallien. Wiederholt werden Güter des römishen Stuhles ers 
vähnt, die im fühlichen Theile des Frankenreichs, wie es fcheint, unweit 
Rarfeille lagen. In einem’ an die Kranfenfönige Theuderih und Theubebert 
erichteten Briefe?) vom Jahre 596 braucht Gregor von dieſen Beflgungen 
en Ausdrud patrimoniolum, welcher auf einen geringen Umfang hinzudeuten 
beint. Aber dem war nicht fo. Mittelft eines Schreibens’) vom 12. März 
‚94 fordert er die Pächter der römifchen Gütermaſſen (conductores massarum 
er Galliam) durch Gallien auf, wie bisher an den erlauchten Patrizier Ari⸗ 
ins zu zahlen, bis er felbft einen neuen Verwalter ſchicken würde. In einem 
weiten*) vom Jahre 593 beſcheinigt er, auf einmal aus der galliichen Gute 
affe die bedeutende Eumme von vierbundert Golbftüden erhalten zu haben. 
Yindereien, deren Verwaltung ein Patrizier vorſtand, und die mit einem 
Schlage vierhundert Golbvenare ablieferten, Tönnen nicht flein geweſen fein, 
md es iſt Far, daß der Pabſt jenen demüthigen Ausdrud nur aus Rüdficht 
mf Könige gewählt hat, mit deren Reiche verglichen das galliihe patrimonium 
Petri allerdings Flein ſchien. 

B. Stalien. Beginnen wir mit Ligurien. Daß der römifche Stuhl 
dort und zwar in der Gegend von Genua begütert war, erhellt aus einem 
Briefe) vom November des Jahrs 600, laut weldhem der Pabft den Notar 
Bantaleon aufforderte, fih nah Genua zu begeben und die vielen Intereflen, 


u —— — 


!) Art de verifier les dates I, 412 flag. 2) Jaffé Nr. 1072. edit. Bened. IL, 835 
gegen oben. Jaffé Nr. 982. *) Ibid. Rr. 873, ®) Ibid. Nr. 1375. 


14 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


welche die römifche Kirche dort habe, wahrzunehmen. Zwar liegt bie Ber 
muthung nahe, daß Gregor blos geiftlihe Angelegenheiten meinen könnte, 
allein da er den fraglihen Notar zuvor ermächtigt, einen Mailänder @lerifer 
in Genua zu weihen, und dann erft auf die andern Intereſſen zu reden 
kommt, fcheint es ratbfamer, letzteren Worten eine folhe Deutung zu geben, 
daß auch finanziele Dinge darunter begriffen werben mögen. Dieſe Erflärmg 
wird nun durch einen zweiten Brief‘) von gleichem Datum beftätigt, worin ber 
Pabſt Mailänder Geiftliche benachrichtigt, daß er den Notar Pantaleon, neben 
andern Gefchäften, mit der Verwaltung einiger in jener Gegend gelegenen 
Güter beauftragt habe. 

Laut der Ausfage?) des Diafond Paul gab König Aribert II, welde 
Lombardien von 701— 712 beherrfchte, an den Stuhl Petri ein von feinen Bor | 
fahren der römiſchen Kirche entriffenes Gebiet in den cottifchen Alpen zurid 
Daffelbe berichtet Anaftaftus, angeblicher Verfaffer der Pabftgefchichte,*) ſowie 
der deutſche Chroniſt Herrmann*) der Lahme, welcher Iegtere die Begebenkelt : 
ind Jahr 707 und in das Pontififat Johanns VII. verfept. Anaftaftus fügt . 
bei, es ſei lange vor Pabft Johann VII. gefchehen, daß Petri Stuhl jenes 
Gebiet verlor. In welche Zeit fällt nun der Raub? Meines Erachtens vor. 
die Regierung Gregors I. und demnach in tie erften Jahre langobardiſcher 
Groberung. Verhält fih die Sache wiflih fo, dann waren die Meinen lige 
riihen Güter, deren Gregor I. in dem oben erwähnten Schreiben gedenlt, der 
Ueberreſt eines einſt ftuttlichen Beſitzes. 

Weiteres Licht über die Sache verbreitet ein venetianiſches Zeugniß. 
Andreas Dandolo, geboren 1307 und feit 1343 Doge feiner Baterftadt,*) Kat 
die Geſchichte derfelben in einer Weiſe befchrieben, die ihm eine hohe Stelk 
unter den Hiftorifern Italiens anmweist. Haft lautered Golderz iſt es, wa 
er vorbringt, meift fchöpft er aus Urkunden. Darum verbienen feine Yub 
fagen auch über Dinge Glauben, "die der Zeit nad weit hinter ihm liegen. 
Nun eben diefer Dandolo meldet,*) übereinftimmenb mit den oben angeführten 
Berichten, daß der Lombarvenfönig Aribert die cottifchen Alpen der römijchen 
Kirche herausgab. Sodann berichtet”) eben derfelbe weiter: „König Link 
prand (won 712 — 744 der zweite Nachfolger Ariberts) beftätigte die rös 
mifche Kirche im Beſitze der cottifhen Alpen,” beifügend: „in diefer an Petr 
Stuhl zurüdgegebenen Provinz liegen die Städte Geuna, Tortona, Sas 
vona und das Klofter Bobbio.“ Alfo laut der Angabe ded Venetianers 
Danbolo hatte einft die Meeresfüfte zioifchen Genua und Savona und das 
Hinterland bis Tortona hin der römifchen Kirche gehört. Noch ift zu bes 





*) Ibid. Mr. 1376 u. Opp. II, 1095. ?) De gestis Langobard. VI, 28. Muratori 
l, a. 499. 2) Muratori a. a. O. III, 151. %) Berk V, 97. 6) Muratori, script. 
au, 3. *) Ibid. ©. 128 unten. ") Ibid. ©. 132, 


— — . 


He Er 4 B⏑ß — — — 


Siebtes Buch. Gap. 2. Das roͤmiſche Kirchengut unter Pabſt Gregor I. 15 


merken, daß auch Paul der Langobarde die nämlichen Orte in die Provinz 
der cottiſchen Alpen verlegt. ‘) 

Aus den Briefen Gregors I. geht ferner hervor, daß Petri Stuhl in 
Etrurien oder Tuſscien und zwar im ſüdlichen Theile dieſer Prowing 
Grundeigenthum befaß. Ein Klofter der Stadt Blera, die zwiſchen Viterbo 
und Sutri liege und jetzt Bieda heißt, war fo herabgefommen, daß bie 
Mönde faum mehr ihren Lebensunterhalt zu erſchwingen vermocdten. Hievon 
benadrictigt, ermädtigte Gregor durch Schreiben?) vom Frühling 602 den 
Diafon Eugenius, ein Stüd der gratilianiihen Gütermafje auf 36 Jahre an 
das verarmte Stift abzugeben. Die fragliben Güter müſſen unweit Bieba 
gefucht werden; denn fonft hätte die Abtretung den Mönchen faum genügt. 

Vielleicht gehörte auch die Stadt Nepa, heut zu Tage Nepi, die nabe 
bei Bieda liegt, zur gratilianifhen Maſſe, jedenfalls ift unzweifelhaft, daß 
Petri Stuhl Grundeigenthümer von Nepi war. Durch Echreiben‘) vom 
Jahre 592 forderte Gregor I. Elerus, Senat und Wolf von Nepi auf, dem 
Ueberbringer feiner Zeilen, Leontius, welchen er zum Etatthalter daſelbſt bes 
Rellt habe, unverweigerlib Gehorſam zu leijten, wibrigenfalls er fie mit Ua⸗ 
gnade und Ahndung bedroht. Sichtlich ſpricht er als Landesherr. 

Die Provinz Latium oder Orte, die dort lagen, werden in den Briefen 
Gregors faum erwähnt, bed kann man aus ihnen erjtlich beweifen, daß Ter⸗ 
racina pähftlih war, zwelteüs daß der römiiche Etuhl längs der appilchen 
Straße Güter beſaß. Mittelſt eines Schreibens!) vom Mai 598 weist 
Gregor I. den Biſchof Agnellus der erftgenannten Etadt an, Solche, welde 
in heidniſcher Weile Bäume verchren oder andern gößendienerijhen Unfug 
treiben, unnachſichtlich zu beftrafen. Zugleich unterfagt er cbendemfelben in 
frengem Tone, irgend welden männlihen Einwohner der Etabt Terracina 
vom Wachdienſte auf den Ringmauern zu befreien. Er ſpricht bier abermal 
ald Landesherr. Ein anderes Schreiben”) des Pabſts vom Januar 604 If 
an den Subdiafonus Felix, Oberverwalter des appiſchen Gutsverbands, ger 
rihtet und beauftragt denfelben, gewiſſe in der Naͤhe Roms gelegene Ländes 
seien an die Paulskirche abzutreten, damit in Zukunft aus ihren Erträgniffen 
Lichter für die genannte Kirche angefchafft werben. 

Das patrimonium Appiae, das, wie ich unten zu zeigen mir vorbehalte, 
in jpäteren Urfunden häufig vorkommt, erhielt jeinen Namen von der appiſchen 
Etraße, die befanntlih aus einem der ſüdlichen Thore Roms (erſt aud ber 
porta Capena, feit Aurelians Zeiten aus der porta Appia) über den Latiner 








*) Ibid. script. 1, a, 432. :) Jaffé Nr. 1479. Opp. II, 1220: appendicem, quae 
agellus dicitur, ex Corpore massae Gratilianae cum suis finibus eis debeas contradere. 
ı) Jaffe Nr. 803. Opp. U, 576. 4) Ibid. Nr. 1140. °) Ibid. Nr. 1548, 


16 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Berg nad Eapua und von da weiter nad Brunduſium führte.) Länge ber 
Straße erſtreckte fi die appiihe Gütermaffe. 

Häufig gedenft Gregor in feinen Briefen der Güter, welche der Apoſtel⸗ 
fürft in der Provinn Campanien befaß. Sie bildeten eine bejondere ud 
zwar bedeutende Verwaltung, welche einem @lerifer anvertraut war, dem ber 
Pabſt in amtlichen Schreiben ven Titel subdiaconus Campaniae gibt.) Ein : 
zeln werben aufgeführt Ratifundien bei Minturnä, welche Stadt an der Min 
dung des Garigliano auf der Gränze Latiums und Campaniens lag. Durch 
Schreiben?) vom Jan. 599 befichlt der Pabſt, die im Gebiete der Stabt 
Minturnä gelegene Gutömaffe, Veneris genannt, an den Abt Stephan abjus 
geben. Auch Vulturnum am Fluſſe gleichen Namens, heut zu Tage Caſtel 
di Volturno — war päbftlih. Im Januar des ebengenannten Jahres for 
berte*) Gregor den Privatmann Fauftus, deffen Vater Conftantius früher mit 
der päbftlihen Verwaltung Campaniens betraut gewefen, auf, die Schäße ber 
Kirche von Volturno, welche Eonftantius früher bei einem feindlichen Einfalle 
in Verwahrung genommen, an den jegigen Amtmann Campaniens, den Sub 
diakon Anthemius, zu überliefern. - 

Desgleihen muß Betri Stuhl Grundherr der Stadt Neapel und einiger 
dazu gehöriger Infeln, wie Capri, gewefen fein. Durch Schreiben?) vom 
Frühling 600 gebietet er dem Bilchofe Fortunatus von Neapel, die Thor - 
der Stadt an den Rathsherrn Theodor, und eine Waflerleitung an den „ers ; 
lauchten“ Ruſticus unverweilt auszuhändigen. Um diefelbe Zeit wies) er den 
nämlihen Biihof an, den Hofbeamten Johannes zu ermahnen, ober im : 
MWeigerungsfal durch Anrufung der gerichtlichen Hülfe des Falferlihen Prä— 
feften zu zwingen, daß er dem Gewerbsverband der neapolitaniihen Salfems : 
fieder feine weiteren Ungelegenheiten bereite. Im Sommer des nãmlichen 
Jahres erſuchte) Gregor den paäbſtlichen Defenſor Romanus, alle Wachfamteit 
aufzubieten, damit die wohlerworbeiien Rechte des Raths und der Bürgerfchaft 
von Neapel auf gewilfe Inſeln, Rechte, deren feierliche Betätigung er (Gre⸗ 
gor) felbft in früherer Zeit, da er Botfchafter in Konftantinopel gewefen, vom 
griechiſchen Kaifer Mauritius ausgewirft habe, nicht dur böswillige Beamte 
angetaftet würden. Ich behalte mit vor, unten nachzuweiſen, daß unter ben 
fraglihen Injeln allem Anfcheine nad) Capri und wohl auch Ischia und Pros 
cida gemeint fl. 

Durh Schreiben vom Frühling 601 beauftragte®) der Pabſt den neuen 
Biſchof von Neapel, Paſchaſius, eine gewiffe Summe von Kirceneinfünften, 
deren Hinterlegung Gregor dem Vorgänger des jeigen Biſchofs zur Pflicht 
gemacht hatte, in Anwefenheit des Subdiafons von Campanien 


') Forbiger, alte Geographie III, 703. 2) Z. B. Jaffé Nr. 1421. 2) Did. 
Mr. 1189. *) Ibid. Nr. 1190 u. 1191. 6) Ibid. Nr. 1308. °) Ibid. Nr. 1314 
”) Ibid. Mr. 1338, ) Ibid. Mr. 1385. 


————— ig — — — — — 


Siebtes Buch. Gap. 2. Das römifche Kirchengut unter Pabſt Gregor 1. 17 


Anthemius unter die Cleriker und die Stadtarmen zu vertheilen. Klar 
MR, daß der Pabft alle diefe Anordnungen nur darum treffen fonnte, weil er 
ale Pabft Grundherr von Neapel war. Endlich erfcheint Petri Stuhl noch 
ald Befiper von Mijenä am Golf von Bajä. Durch Echreiben‘) vom Jahre 
599 befiehlt Gregor I. dem Subdiakon Anthemius, daß er ten Reft einer 
Geſpſumme, , welche der eben abgejehte Biſchof von Mifenä, Benenatud, ers 
balten hatte, um eine Feflung dort anzulegen, an den Comes Gomitatius, der 
mit der Fortſetzung des Geſchäfts beauftragt fei, abliefere. Diefe Urkunde 
legt zugleih Zeugniß von den Anftalten zur Landesvertheidigung ab, die der 
Pabſt traf. 

Bezüglih der Provinzen Samnium und Apulien finden fih in ber 
Brieffammlung Gregors nur wenige Spuren, daß Petri Stuhl dort begütert 
war. Am Meere auf der Küfte Samniums lag die Etadt Ortona. Durch 
Echreiben?) vom Spätherbfte de8 Jahres 600 beauftragt der Pabft den römt- 
ihen Defenfor Echolaftifus, an den Biſchof von Drtona, der wegen Armuth 
Unterftügung bebürfe, einige in der Nähe der Etadt gelegene Ländereien, die 
der römifchen Kirche gebören, gegen einen mäßigen Pachtzind abzugeben. In 
Apulien unfern dem Berg Garganud, und nicht weit von der Stelle, wo im 
13. Jahrhundert Manfred, Kaiſer Friedrichs II. natürliher Sohn, Manfre⸗ 
donia erbaute, fand feit alter Zeit der Hafenplag Sipontum. Daß hier die 
römische Kirche Grundeigenthhum befaß, muß man aus folgenden Thatjachen 
Ihließen: durch Schreiben?) vom Sommer 593 befichlt Gregor dem päbfts 
liben Rotar Pantaleon nah Sipont zu gehen, und einen gewiſſen Zelix, ber 
die Tochter eines niedern Geiftlichen entehrt hatte, aufzufordern, daß er die 
Seihmwächte ehelige, oder aber venjelben, im Kalle er ſich weigere, zu flrenger 
Buße in ein Kloſter einzufperren. 

Sleidszeitig gebot*) der Pabft dem Biſchofe Felle von Sipont, in Ge⸗ 
meinihaft mit den römiihen Rotaren Pantaleon und Bonifarius, die zu 
diefem Zwecke Vollmachten erhalten hätten, ein genaues Verzeichniß jämmts 
liher Güter feines Stuhles zu entwerfen und nad Rom einzufenden. Im 
Herbfte des nämlichen Jahres forderte‘) Gregor denſelben Biihof auf, das 
Löfegeld von zwölf Goldſtücken, mit weldhem ein von Feinden gefangener 
Cleriker freigefauft worden war, unverweilt aus dem Einfommen feiner Kirche 
m berichtigen. Eieben Jahre fpäter, im Epätherbft 600, fchreibt‘) Gregor 
an den Etadtridter (Tribunus) won Sipontum, Johann: ein Einwohner dor⸗ 
tiger Stadt habe in Rom Klage eingereicht, daß der päbftlihe Notar Boni- 
facius ihn unftatthafter Weiſe als Sklaven in Anfpruh nehme. Der Tribun 
tolle daher in Gemeinfchaft mit dem Biſchofe PVitalianus — dem Nachfolger 


1) Ibid. Mr. 1187. 5) Ibid. Nr. 1368. 2?) Ibid. Nr. 881. 9) Ibid. Nr. 883. 
*) Ibid. Ar. O221. °) Ibid. Rr. 1373. 
Gfrörer, BabR Gregorius VIL Bb. v. 4 


18 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


des oben erwähnten Felix — die Sache forgfältig unterfuchen, und wenn be : 
Forderung des Notars feinen Grund habe, für immer den freien Stand dei : 
Klägers feftftellen. . 

Offenbar hatte Rotar Bontfacius behauptet, der Kläger jei von Haus 
aus. Höriger einer päbftlihen Gutsmaſſe, die in der Nähe von Eipontum lag 
Ebenfo unzweifelhaft fcheint mir, daß Petri Stuhl Herrenrechte über die Stadi 
felbft übte, denn fonft würde Gregor weder den .Ton eined Gebieterd gegen 
den Bifchof von Sipontum angefchlagen haben, noch aud fo, wie er that, 
gegen den Verführer des Mädchens eingefchritten fein. 

An Apulien grängte gegen Süden die Provinz Calabrien. Hier war 
Betri Stuhl reich begütert. Ausdrücklich fagt Gregor in feinen Briefen, ‘) daf 
zwei der größeren Seeftädte Calabriens, nämlich Otranto (Hydruntum) um 
Gallipoli (Eallipolis) der römifhen Kirche gehörten. Der Defenjor Sergies - 
verwaltete unter Gregors PBontififat die calabriihen Güter. In der Geſchiche 
der Päbfte Johann V. und Conon, die in der zweiten Hälfte des 7. Zahe « 
hunderts blühten, wird das päbftliche Patrimonium von Galabrien neben den 
von Sicilien, dem bedeutendſten unter allen, aufgeführt.?) 

C. Die großen zu Italien gehörigen Infeln Corſica, Sarbinien, , t 
Sicilien. In mehreren Briefen‘) Gregors empfängt der Cleriker Bouifaciß 
ben Titel defensor Corsicae, woraus erſichtlich, daß der Pabft nöthig befunden , 
hatte, eine eigene Gutsverwaltung für die Infel. änfzuftellen. Im Sommer , 
601 befahl?) er demſelben, die Einwohner der Städte Ajaccio und Nlerk, N 
beren Stuhl ſeit längerer Zeit, nicht ohne Schuld des Defenford, unbejegt ge , 
blieben, zu jchleuniger Wahl eines Biſchofs anzuhalten, aud) ſorgſam barüber | 
zu wachen, daß die Armen der Injel nicht von Mächtigern unterbrüdt werden, . 
und daß fein Laie fi; umterfiche, Cleriker vor weltliche Gerichte zu Me | 

Sardinien hatte gleich Korfica eine eigene päbftliche "Verwaltung, bie 
während Gregors Pontifikate dem Defenfor Vitali anvertraut war. Im | 
Sept. 598 beauftragte) Gregor denſelben, den Bann, der über gewiſſe Kathy \ 
geber des Biſchofs Januarius von Cagliari (Calaris) verhängt worben, wi 
vollziehen, und ſchickte zugleich eine Summe, welche der Defenfor dem Babe 
angeblich als Gefchent übermadht hatte, mit dem gemefienen Befehle zurkd, 
dieſes Geld Denen, welchen c8 abgenommen worden, zu erftatten. Im Früh—⸗ 
ling 599 ſchrieb) er an Vitalis, mit Mißvergnügen habe er vernommen, daß 
Cleriker, die über den Biſchof Januarius unzufrieven feien und Parthei wiber 
ihren Vorgefegten machen, bei ihm, dem Defenjor, Schug fuhen. Das dürfe 
nicht mehr geihehen, das Anfehen des Biſchofs müfle aufrecht gehalten werben. 
Meiter befichlt er demjelben, nicht mehr zu dulden, daß Hörige der Kirche vom 


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4) Ibid. Nr. 1256—59. 7) Muratori, script. ital. III, 146 u. 147. ) Zaffs 
Nr. 1429 u. 1507. *) Ibid. Rr. 1157. 8) Ibid. Nr. 1219. 


Siebies Bu. Gap. 2. Das roͤmiſche Kirchengut unter Pabſt Gregor 1. 19 


agliari die Ländereien, auf denen fie fien, verlaffen, und auf andern Gütern 
r Lohn arbeiten. 

Endlich fchärft er ihm ein, ein wachſames Ange zu haben, daß die Ord⸗ 
ung in den Klöftern der Inſel nicht geftört werde, und daß eines fidh der 
ufſicht des Bilchofs, in defien Sprengel es liege, entziche. Durch Echreibent) 
we Spätherbft 600 befahl er demfelben, in Gemeinſchaft mit dem Notar 
ſonifacius, ber zu dieſem Zweck nad Sardinien gejchidt worben, Sklaven für 
a Dienft der Güter einzufaufen. Mittelft eines vierten Schreibens?) vom 
ept. 603 ertheilte er demfelben die erbetene Erlaubniß, als Bevollmächtigter 
7 freien Grumdbefiger Sarbiniend nad Konftantinopel abzugehen, damit er 
wt Nachlaß der unerträglichen Steuern ermwirfe. Zugleich ermädtigte er Bi- 
is, vie Berwaltung der Spitäler auf der Infel, welde durch die Nach— 
Mgfeit des Biſchofs Januarius in Berfall gerathen, tüchtigen Männern zu 
ertragen, und darauf zu dringen, daß die erledigten Stühle Sardinien 
mell und gut bejegt würden. 

Man fieht hieraus: der römiiche Defenfor übte außergemöhnlihe Madıt: 
fugniffe auf der Infel, und ver Pabft behandelte das Bisthum Cagliari, 
8 wichtigſte Sardiniend, wie ein Eigenthbum Petr. Noch andere Be: 
eife dieſes Verhaͤltniſſes Kegen vor. Durch Echreiben‘) vom October 598 
igte Gregor dem Biſchofe Januarius den nahen Ausbruch eines Kriegs mit 
a Langobarden an um" eröffnete ihm, es fei durchaus nothwendig, daß bie 
fungswerfe der Stadt Cagliari und anderer Orte verftärft und Vorräthe 
ı 2ebensmitteln angefhafft werten. Nur ald Orundherr der Stadt und 
8 Bisthums konnte Pabft Gregor ſolche Befehle ertheilen. 

Sicilien endlid war die Perle unter den Patrimonien des Stuhles 
etri. Nach dem Tode des Erzbiihofs Caftorius von Mailand hatte Volk 
id Elerus der Hauptfladt Lombardiens den Katholiken Deusdedit zum Nach: 
(ger gewählt, aber der König machte Schwierigkeiten, den Erfornen zu beftä- 
jen und wollte der Gemeinde einen Elerifer feiner Wahl aufprängen. Nun 
ließ Gregor im Spätherbft 600 an Volk und Clerus der Stadt Mailand 
a Schreiben,*) in welchem er zuerft feine Freude über die Ermwählung des 
rusdedit ausdrückt, dann feinen feften Entichluß zu erfennen gibt, nie und 
uer Feinerlei Umftänden Demjenigen, welchen die Arianer zum Erzbilchofe 
nabarbiend wünjchen, feine päbftliche Beftätigung zu ertheilen. Hierauf fährt 
alſo fort: „die Drohungen des Königs (daß er die Muthigen unter Euch 
6 Brod und Amt vertreiben werde) mögen Euch nicht fchreden, denn wiſſet, 
) gibt ein Land, in welches der Arm ver Langobarven nicht reicht, ein Land, 
ı welhem ic alle treuen Diener des h. Ambrofius zu verforgen vermag. 
Heies Land heißt Sicilien.” 


1) Ibid. Mr. 1372. 5 Ibid. Rr. 1534. °) Ibid. Nr. 1469, ) Ibid. Rr. 1376. 
| 2. 


20 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


Aus dem 32. Briefe des zweiten Buchs der Gregorianiihen Sammlung 
erhellt, daß die ſicilianiſchen Güter des Stuhles Petri in zwei Hauptmaflen 
die von Palermo und die von Syrafus, eingetheilt waren, was meines Er - 
achtend auf eine weftlihe und eime öftlihe Hälfte hinausläuft; aber neben , 
ihnen fommen noch Unterabtheilungen zum Vorſchein. Durch Erlaß‘) vom 
November 598 beftellte Gregor I. den Cleriker Romanus zum Defenfer , 
der Patrimonien Eyrafus, Catania, Girgento und Mile.) Als Oberven 
walter, mit dem Titel subdiaconus Siciliae, war längere Zeit der Gleriter , 
Petrus beiden Hauptmaflen vorgejeht, fo daß er eine Anzahl von Defenſoren 
und Notaren überwachte. Kraft des früher erwähnten Schreibens) vom 
Sommer 592 befichlt der Pabſt dem ficilifchen Subbiafon Peter, bie großen 
Heerden von Stuten, die auf den Gütern der Infel gehalten würden, zu vo. 
ringern und nur 400 der jüngften und fräftigften beizubehalten, die er einzeln, 
an die Pächter vertheilen folle. Hieraus folgt, daß die ficilifche Gefammb 
verwaltung wenigftens vierhundert größere Pachthoͤfe umſchloß. 

Die einzelnen Höfe hießen Fundi. In einem Briefe*) vom Spätherife 
590 madt 3. B. der Pabſt die fundi Fulloniacum und Gerdimia, gelegen m 
Gebiet von Palermo, namhaft. Außer Ehriften faßen eine Menge Juden ri 
den päbftliben Gütern in Sicilien. Gregor ermädtigte”) z. B. den Subpiaten ' 
Petrus, denjenigen Juden, welche ſich zum Uebertritt in die chriftliche Kirche 
entfchlöffen, etwas am Schutzgelde nachzulaſſen.“) Einen Begriff von den Er | 
trägnifien der ftcilifchen Patrimonien mag die Thatſache geben, daß Gregor L | 
durch Schreiben) vom Sept. 595 dem Oberverwalter Eyprian Auftrag er 
theilte, an den Biſchof Zeno, welcher geklagt habe, daß in ſeiner Stadt Ma ' 
gel herriche, auf einmal 1000 bis 2000 Sceffel Walzen abzuliefern. 

D. Illyrikum und Dalmatien. Auch auf der Oftfüfte des abriattfgen 
Meeres hatte Petri Stuhl Güter. In einem Briefe”) vom Jahre 592 empfichk 
Gregor I. dem faiferlichen Präfekten von Illyrikum Jovinus den Ueberbringer 
des Schreibens, welcher nach Illyrien beordert worden feie, um das dort ge 
legene geringe Erbe des Etuhles Petri zu verwalten. Möglicher Weiſe koͤnne 
das bier erwähnte Gut ein und baffelbe fein mit dem dalmatifchen, von weh 
hem der Pabſt an andern Stellen fpricht; doch halte ich beide für vwerfchieben. 
Dberverwalter ver dalmatinifchen Ländereien war der Subdiakonus Antonin, 
weldher vom Pabfte den Titel rector patrimonii in Dalmatien empfängt.‘ 





') Safe Nr. 1177. ?) Agrigentinis vel Milensibus. Ich finde nirgends einen Orie⸗ 
namen in Sicilien, der letzterem Worte entipräche, und möchte daher die Vermuthung wagen 
daß in der verborbenen Lesart Milensibus bie wahre Melitensibus flede. Dann wäre We 
Infel Malta ein Anhängfel der Verwaltung von Agrigent gewefen. ı) Jaffo Nr. 88 
Opp. Gregor. I, 592. (lib. 11, 32.) ı) Jaffé Nr. 712. 9) Man vergl. ibid. Rr. 987. 


®) Ibid. Nr. 1014. ?) Ibid. Nr. 813: exiguum patrimoniolum. °) Ibid. Nr. 862 uud 
Opp. II, 647. 


Siebtes Buch. Gay. 2. Das roͤmiſche Kirchengut unter Pabſt Gregor 1. 21 


ven lagen, wie es ſcheint, in der Gegend von Salona und können nicht 
utend geweſen jein. 
„ Rordafrifa. In einem Schreiben‘) vom Sommer 591 wünfdt 
abſt dem Patrizier Gennadius, kaiſerlichem Erarchen über Afrifa, Glück 
; von ihm errungenen Siegen, dankt ihm zugleich für die den Bewohs 
es dortigen PBatrimoniums Petri erwielenen Onaden, namentlich dafür, 
ennabius mehrere verödete Güter durch Ablieferung barbariiher Bauern 
em Stand zu fegen geholfen habe, und empfiehlt ihm den vom h. Stuhle 
sten Berwalter Hilarıd. Diefer Hilarus wird in andern Briefen Gre- 
ald chartularius, bald Notur, bald Oberverwalter genannt,?) und übte 
zewalt ungefähr wie der Notar von Sardinien. Im Auftrage dee 
:8 zog er afrikaniſche Bilchöfe zur Rechenichaft und verfammelte Eynoden. 
28 darf man den Schluß zichen, daß die Verwaltung, der er vorftand, 
ı Umfang hatte. Im Uebrigen gingen die päbftlichen Güter in Afrika 
über ein halbes Jahrhundert nah Gregor J. Tode durch die faras 
e Eroberung verloren. 
Bie ich oben zeigte, Hatte onftantin I. der römifchen Kirche verſchiedene 
mgen in Afien geſchenkt. Bon jolhen afiatiichen Gütern finde ich weder 
r Sammlung Gregors I. nod in den Urfunden fpäterer Päbſte eine 
Wohl aber werden in Aſien gelegene Ländereien des Apoftelfürften 
nd des Zeitraums erwähnt, der zwilchen Gonftantind L Tagen und der 
ung Gregord I. verlie Im Mär) 432 bat’) Pabit Böleftin I. 
—432) den byzantiniſchen Kaifer Theodofius IL um Schup für die 
‚ welde die erlauchte Frau Proba der römifchen Kirche in Aſien vers 
habe. Kaum ift es denkbar, daß die byzantiniſche Regierung dieſe 
Ländereien dem h. Stuhle gewaltfam entriß, dagegen liegt die Vermu⸗ 
nahe, Petri Statthalter dürften jelbft diejelben gegen nähere und befier 
me zu irgendwelcher Zeit ausgetaufcht haben. 
Die Sammlung der Briefe Gregors I. — ohne Frage eines der Foftbarften 
näler des früheren Mittelalters — ward keineswegs in der Abficht an- 
‚, eine Ueberfiht der Güter, welde Petri Stuhl unter ihm befaß, zu 
wen. Sie hat einen ganz andern Zwed: fie fol der Nachwelt ein Bild 
er großartigen, frommen, glorreihen Wirkfamfeit des unvergleihlichen 
a geben, der allerdings wie cin Engel auf Eiden waltete. Nur gelegentlich 
ibgeriſſen ift in feinen Briefen von Befigungen der Kirche die Rede; bie 
nlung fann daher nicht als eine Quelle betrachtet werden, aus der man 
pirflihen Umfang des Patrimoniums zu beftimmen vermag. inzelne 
a derjelben beweifen immerhin, daß die Kirche da und dort Eigenthum 





ı Ibid. Rr. 779. 5) Opp. Gregor. I, 561. 566. 567. 612. 1068. 1185. 1199. 1201, 
6 Rr. 165. 


2) Pabſt Sregorius VIL. und fein Zeitalter. 


befaß, aber mit Nichten erhellt aus ihnen, daß Petri Stuhl nicht noch viele 
andere Orte inne hatte. 

Anzeigen liegen vor, daß unter jedem PBontififat nicht nur im Allgemeinen 
über den Befisftand der römischen Kirche Bücher geführt, ſondern aud bes 
fondere Berzeichniffe der Pachtungen, welde einzelne Statthalter Petri auss 
gaben, angelegt worden find. Kein Verzeihniß der Art ift aus den Zeiten 
Gregors I. auf und gekommen, wohl aber Bruchftüde von foldhen aus ben 
Verwaltungen anderer Bäbfte, die auf Gregor folgten. Nun fteht vollfommen 
feft, daß vom März 604, da GregorL ftarb, bi zu dem Augenblide, da die fräns 
fischen Garlinger Bippin der Kleine und Carl der Große das Schwert wider die 
Langobarden für den Stuhl Petri zogen, der Kirche Gut um nichts gemehrt wart. 
Im Gegentheil erlitt dafjelbe innerhalb der eben beftimmten Zeitgrängen merkliche 
Verluſte theild durch die Langobarden, theild durch byzantiniſche Kaiſergewalt. 

Hieraus ergibt ſich folgende Regel: kann dargethan werden, daß Petri 
Etuhl in dem Zeitraume, der zwildhen 604 und 753 — oder was daſſelbe — 
vom Pontififat Sabinians bis zur Erhebung Stephand III. verlief, irgend 
ein größeres Gut inne hatte — von Vermädtniffen einzelner Privaten ſehe 
ih ab — fo beweist dies zugleih für den Befisftand in den Tagen Gre⸗ 
gors L Wir gewinnen hiemit eine neue Quelle, durch welde es möglich 
wird, die Zeugniffe der Brieffammlung Gregord zu ergänzen, mit andern 
Worten, den Umfang des römischen Kirchenguts genauer zu beftimmen. 

Aus den Tagen Honorius IL, der von 635—638 Petri Stuhl einnahm, 
find Bruchſtücke eines Pachtbuches) vorhanden, laut welden der genannte 
Pabft über Güter bei Blera (in Etrurien), über andere zwiſchen dem Fla⸗ 
minischen Thore und der milvifchen Brüde hart bei Rom, über Güter bei Fermo 
im alten Picenum, über Güter bei Gentumcellä, dem heutigen Eivitavechia, 
verfügte, und endlich einen Kriegäbefehlshaber in der Stadt Neapel einfepte. 

Noch reihhaltigere Nachrichten befigen wir aus dem Pontififate Gregors IL 
(715—731). In den Jahren 716—7283 entriffen?) die Langobarden dem 
h. Stuhl Schloß und Stadt Cumä in Gampanien und Sutri in Etrurien, 
beide Orte waren aljo früher päbftlih. Laut Bruchftüden?) eines Pachtbuchs, 
das demjelben Pabfte angehört, befaß die römifche Kirche eine Reihe großer 
Güter, die in PBatrimonien eingetheilt erjchienen. Die Patrimonien felbft zer 
fielen in Massae, und dieſe hinwiederum in einzelne Fundi oder Pachthoͤfe. 

Holgende patrimonia werden erwähnt: a) das labicanum, fo genannt nad) 
der labicanifchen Heerftraße, die von dem römiſchen Stadtthore gleihen Nas 
mens in die Gegend von Gabii führte und fi beim 26. Meilenftein mit 
der via latina vereinigte.*) Der labicanifhe Verband umfchloß unter Anderem 


— — — — * 


9) Jafféô Nr. 1575—1580, ?) Ibid. Nr. 1652 u. 1669. ) Ibid. Nr. 1678—1716. 
*) Borbiger, alte Geographie III, 704. 


Siebtes Buchh. Say. 2. Das roͤmiſche Kirchengut unter Bab Gregor 1. 23 


Büter in den Umgegenden der Städte Anagni‘) und Pränefte?) (Paläftrina) ; 
b) das patrimonium Tusciae, welches ein doppelte war, indem man von 
den Tuscia suburbana®) die von Rom entfernteren nörbliden Streden unter: 
ſchied, welche leßtere ſchlechtweg al8 patrimonium Tusciae bezeichnet werben. 
Zu dem entfernteren Tuscien rechnet das Pachtbuh unter Anderem das Ges 
biet von Forum Claudii,*) welcher Ort jegt Orivolo heißt.) c) Das patri- 
monium Appiae, bei welchem diefelbe Unterſcheidung in eine massa suburbana®) 
und eine entferntere flattfindet. Zu legterer gehörte bie Umgegend von Aricia) 
auf dem Latinergebirg; d) das patrimonium tiburtinum ‚®) gelegen länge ber 
Etraße von Rom nad Tivoli; e) das patrimonium cajetanum’) im Umfreife 
der Stadt und Feſtung Basta; f) das patrimonium neapolitanum, welches 
unter Anderem die Inſel Capri begriff;'”) g) das fern von Rom im Norden 
gelegene Ravennatiihe Patrimonium ,'') dad durch den Bella quod juris 
romanae ecclesiae est offenbar von andern zu Ravenna gehörigen Etreden 
nicht römiichen igenthbumd unterjchieden wird. Der römiſche Antheil des 
Batrimoniumd von Ravenna begriff unter Anderem die Umgegend von Ceſena. 
Enplih führt”) das Pachtbuch Gregors II. noch römiſche Beflgungen in 
Montefeltre auf, weldher Ort zwiſchen Urbino nud Ravenna liegt. 

Mas die Art und Weiſe der Verpachtung anlangt, jo beftimmen bie 
Bruchſtũcke gewöhnlid weder die Dauer noch die Höhe des Pachtſchillings. 
Dreimal!’) wird im Allgemeinen die Bedingung beigefügt, daß ein Pacht oder 
ein jährliher Pacht entrichtet werden müſſe. Zwei Bälle ſetzen!') die Dauer 
des Pachtvertrags auf 29 Jahre feſt; in einem erfolgt!®) die Uebergabe für 
immer, doch ift es eine geiftliche Anftalt, zu deren Gunſten dieß geſchieht. 
Einmal — bei Verpachtung der Inſel Capri an den Gonfjul Theodor — 
wird zugleih die 2Yjährige Dauer und die Eumme des jährlihen Pacht⸗ 
ſchillings — 109 Goldſolidi und eine Lieferung an Wein — angegeben.‘*) In 
der Regel find ed Klöfter, Stifte, Blerifer, Nonnen oder Laien bürgerlichen 
Etandes, melde Pachtungen empfangen. Erft unter Gregor IL beginnen 
Ausnahmen: zweimal gibt!”) er Güter an Soldaten aus. Wie ich unten zei⸗ 
gen werde, hatte Gregor I. die Vertheidigung Neapeld einem Oberften übers 
tragen, der Söldner befehligte. Ebenjo hielt es noch Pabſt Honorius L, ins 
dem er den magister militum Anatolius zum Stadthauptmann von Reapel 
beſtellte.!) Das war das alte Syſtem der römifchen Kaifer, welche ihre 
Iruppen mit Geld ablohnten. Der zweite Gregor dagegen fand, auf zwei 





') Zaffe Rr. 1678.  ) Ibid. 1691. u. 1713. 5 Ibid. 1684. 1686 u. 1707. 
*) Ibid. 1679. 6)5 Borbiger a. a. O. ©. 611. 9) Zaffs Nr. 1699. 7) Ibid. 1697. 
) Ibid. 1689 m. 1714. 9 Ibid. 1702. 0) Ibid. 1704—1706. *') Ibid. 1680. 
2) Ibid. 1681. 2) Ibid. 1678. 1679 u. 1682. **) Ibid. 1704 u. 1710. 68) Ibid. 
190. 9) Ibid 1704.  *”) Ibid. 1691 u. 1716. 0) Ibid. 1579, 


24 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Eeiten von Byzantinern und Langobarden bedrängt, für nöthig, das germas 
nifche Lehensweſen im SKirchenftaate einzuführen. 

Auf Pabft Gregor II. folgte 731 ver dritte Gregor, auf diefen von 741 
bi8 752 Zacharias. Unter Gregor IH. nahmen‘) die Langobarden im Jahre 
739 dem römifchen Gemeinweſen die Städte Ameria, Horta, Polimartium 
(heutzutage Bomarzo), Blera weg, von denen die beiden erften im altem 
Umbrien, die andern in Tuscien liegen. Zwei Jahre jpäter geihah es laut 


dem Zeugniffe des DVerfaffers der Pabftgefchichte,”) daß der Langobarbenfönig : 
kurz nah Erhebung des neuen Pabftes Zacharias nicht nur die ebenerwähnten 


vier Städte, jondern aud das Sabinerland, das faft 30 Jahre lang den 
Römern entrifjen geweſen, ſowie die Gebiete der Städte Narni (in Umbrien), 
Ancona und Numana (auf der picenifhen Küfte), Ofimo (landeinwärts eben⸗ 
dafelbft) ſammt dem fogenannten großen Thale bei Sutri an die roͤmiſche 
Kirche zurüdgab. 


Auh aus den Zeiten des Pabſtes Zacharias find Miftüde®) eines 
Pachtbuchs vorhanden, doch führen ſie keine Massae und Patrimonien auf, 


welche nicht ſchon aus Älteren Urkunden bekannt wären. Nur das verdient bemerkt 
zu werben, daß Zacharias, gleich Gregor IL, einen Hof, der zum labicaniſchen 
PBatrimonium gehörte, an einen Soldaten — und zwar mit gemefjener Pacht⸗ 
zeit von 29 Jahren, ohne daß ein Pachtſchilling genannt wäre — verlich.") 

Endlich liefert eine Stelle des fogenannten PBabftbuches, auf die ih unten) 
zurüdfommen werde, den Beweis, daß die römifche Kirche gegen Ende des 
fiebten Jahrhunderts auch in den Provinzen Bruttium und Lucanien anſehn⸗ 
lihe Ländereien bejaß. 

Aus den angeführten Thatfachen erhellt, daß vom Ende des ſechsten bie 
zur Mitte des achten Jahrhunderts dad Grundeigentum des römiichen Stuhls 
im Nordoften faft jo weit als die jegigen Gränzen des Kirchenftaats reichte, 
dagegen im Nordiwveften, fowie im Weften, Often und bejonders im Süden 
viel weiter, nämlid bi8 nad Genua, im Weften über Eorfifa und Sarbinien, 
im Often nad) Dalmatien, im Süden nad) dem Königreiche Neapel oder Cam⸗ 
panien, Samnium, Lucanien, Apulien, Calabrien, Bruttium und über das 
Meer hinüber nah Sicilien und Nordafrika fi erftredte. 

Neben den oben mitgetheilten Stellen, welde einzelne Gutstheile ers 
wähnen, treten da und dort in der Brieffammlung Gregor I. noch andere 
Belege der Ausdehnung päbſtlichen Grundbefiges hervor. Johannes, Verfaſſer 
der Lebensgeſchichte des Pabſts, ein Mönd, der im neunten Jahrhundert blühte 
und nad Urfunden ſchrieb, berichtet,®) wie folgt: „noch zu meiner Zeit wirb 


— — — — — 


ı) Muratori, script. rer. ital. III, 161, a. und Cenni, monum. dominat, pontific. L, 8. 
2) Muratori a. a. DO. ©. 162, a. Mitte; vergl. Jaffe ©. 184, Mitte. 2) Zaffo Ar. 
1760—65. % Nr, 1762. ) ©. 31 fig. ®) Opp. ed. Bened. IV, 53 unten: ve 
Jumen chartaceum praggrande. 





U EEE A 3 ED DH ODE 3 DD MD 7 OD 3 3 DH — Br — —⏑ 


Slebtes On. Gay. 2. Das römifche Kirchengut unter Pabft Gregor 1. 25 


rchiv des Laterans ein Rechnungsbuch von größtem Umfange aufbewahrt, 
elchem die Namen aller Derer verzeichnet ſtehen, die von Gregorius J. 
lthaten empfingen.“ Ebenderſelbe deutet an, daß der Pabſt aus den 
en des h. Peter nicht nur einzelne Arme, nein faſt das ganze Volk nährte. 
Da wegen der ewigen Einfälle langobardiſcher Raubſchaaren der Ackerbau 
r rõmiſchen Campagna aufhoͤrte, da ohnedieß der Handel ſtockte, größere 
erbe fehlten, hätte die Stadt ohne des Pabſtes Hülfe untergehen, die 
lferung binfichen müflen. Zu Tuufenden empfingen!) Arme und vers 
» Vornehme aus den Magazinen ver päbftlihen Hauptverwaltung, theils 
aus Gregors Küche, Wein, Del, Mehl, Fleiſch, Fiſche, Foftbarere Waa⸗ 
Geld, gekochte Speiſen. Wer ficht nicht, daß nur der Befitz Eöniglicher 
infte ihn in Stand fegen fonnte, eine ſolche Kreigebigfeit zu üben! 
Einen zweiten Beleg gibt die Kanzlei, welche Gregor I. einrichtete. Aus 
rüheften unter feinen Briefen geht hervor, daß fchon zur Zeit, da er 
. Stuhl beflieg, die meiften päbftlihen Güter von Clerikern verwaltet 
en. Doch waren einige der größten in den Händen vornehmer Laien, 
denn 3 B. dem galliihen Patrimonium der PBatricier Dynamius vors 
Der Pabſt fund diefe Einrichtung fehlerhaft und erjeßte”) den Patri⸗ 
durch den Predbyter Candidus; denn er hielt an dem Grundfage?) feft, 
Eigenthbum des h. Stuhles blos durch Elerifer verwalten zu lafien, weil 
eßtere zu firengem Gehorſam verpflichtet jeien. 
Das genügte ihm noch nit. Dom Allmächtigen mit einer feltenen Ors 
ationsfraft ausgerüftet, die er im größten Mafftabe durch Bereinigung 
neu entftandenen germanijchen Reihe um Petri Hirtenftuhl, im Kleinen 
ıft ebenjo wie der Franke Carl mittelft des Capitulare de villis — durch 
Borihriften*) über Bewirtbihaftung der Stuhlgüter bethätigte, fchuf er 
Igenthümliches Verwaltungsgebäude. Die leitende Idee war, man müfle 
a machen und dem tüchtigen clerifalen Wermalter jo gut ald dem 
ren Eoldaten den Marfchalleftab in der Patrontaſche zeigen. 
Im April 598 jchreibt‘) Gregor I. an einen der päbftlichen Defenforen; 
nner, welde der Kirche treu dienen, müſſen durch entſprechende Beloh⸗ 
m aufgemuntert werden, damit einerfeits ihr Eifer wachſe, andererfeits 
Belt jehe, daß Petri Etatthalter dankbar if. Demgemäß haben Wir bes 
en, eine Ältere Einrichtung unferer Vorgänger, kraft welcher im Stande 
Rotare und Eubdiafone einzelne dur Ernennung zu Regionarien auöges 
et werten, aud auf die Klafie der Defenfored überzutragen, welde die 
ihen Güter verwalten. Hinfort follen fieben derfelben, welche bejondere 
chbarkeit erprobt haben, des Vorrechts von Regionarien genießen. Vers 
) Ibid. die ganze Seite. ) Opp. II, 795, d. 3) Jbid. II, 982, d. 4) Epist. 


Opp. U, 533 fig. Epistol. II, 32. ibid. II, 592 fly. °) Jaffé Nr. 1137. Opp. 
5. Ich Habe meine Anfiht von den fehwierigen Worten in der Veberfegung ausgedrückt. 





96 Pabſt Bregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Ichiekt fie der Pabſt, fo nehmen fie überall, wohin er fie fenvet, als feine 
Stellvertreter Platz in den Verfammlungen der Glerifer, und der gleihe Rang, 
den fie zu Rom behaupten, muß ihnen auswärts eingeräumt werben. Auch 
unter ben fieben felbft finden wieder Stufen ftatt, rüdt einer von ihnen vor, 
jo gebührt ihm derſelbe Rang auswärts, fogar wenn er wegen eigener Ges 
Ichäfte eine Reife macht. Diefe Verorbnung bat für alle Zufunft Gültigfeit.* 

Meined Erachtens fegt der Pabſt bezüglich der Defenjoren vier Haupt: 
punfte feft: 1) gleih der im Stande der Notare und Subdiafone eingeführten 
Ordnung jollen auch aus der Zahl der Defenforen fieben durch die Würde 
von Regionarien ausgezeichnet werden. 2) Unter diefen Defenforen findet jelbft 
wieder eine Stufenfolge ftatt, jo daß der erfte über dem zweiten fteht, ver 
zweite über dem dritten, u. |. w. 3) Der Rang der Regionare gilt nicht nur 
zu Rom, fondern au auswärts. 4) Das wichtigfte unter den Ehrenrechten 
der RegionarsDefenforen ift, daß fie, wenn fie verſchickt werden, in den cleris 
falen Berjammlungen (ver Bifchofsftädte, welche fie beſuchen), als Stells 
vertreter ded Pabſts Sik und Etimme haben. 

Bei Ichterem Punkte muß man, glaube ich, einen verborgenen Gedanken 
ergänzen. Die Defenjforen waren ihrem Berufe und Namen nach vorzugsweile 
Berwalter von Gütern des Stuhld Petri. Die Städte mit clerifalen Ber: 
fammlungen, wohin fie vom Pabſte gejendet wurden, werden daher in der 
Regel foldhe geweſen fein, in welden die römifche Kirche Eigenthum bejaß. 
Nun ftellt aber das Echreiben einen allgemeinen Sag auf, macht feine Unters 
jchiede noch Ausnahmen, daraus folgt meined Erachtens, daß Gregor bie 
biſchöflichen Orte, in welhe er Defenforen zu verjenden pflegte, d. h. die 
Städte der um Nom gelegenen Provinzen verdedt ald unterthänige betrads 
tete. Wer für Obergutöverwalter, die zu Sendungen nad Auswärts ver 
wendet werden, einen ausgezeichneten Rang in Anfprud nimmt, fest ftils 
Ihweigend voraus, daß die, zu welden er fie ſchickt, in einem gutäherr: 
lihen Verbande ſtehen. Das ftimmt trefflih zu audern oben nadhgewiefenen 
Thatjachen. j 

Amt und Name der defensores gehört urjprünglih der von Eonftantin 
dem Großen und feinen Nacdfolgern eingeführten Staatöverfaffung an. Weil 
das Volk ſchwer durch Bedrüdungen der Beamten litt, verliehen die Kaifer den 
Bürgerichaften die Befugniß, aus ihrer Mitte angefehene Männer zu wählen, 
welde unter dem Namen von Defenforen die Rechte der Einwohner wahren, 
Mebergriffe der Behörden abweiſen follten.‘) Seitdem beftellten auch die Bi- 
Ihöfe Defenjoren, um Beftand und Eigenthum ihrer Kirchen der Regierung 
oder Laien gegenüber zu vertheidigen. 

In Gregor I. Tagen wurden die Kirhendefenforen, welche lauter Cleriker 


) Sfrörer, Kirch. Geſch. II, 13. Du Gange, sub voce defensor. 


Siebtes Bu. Gap. 2. Das roͤmiſche Kirchengut unter Pabſt Gregor 1. 07 


waren, hauptſächlich dazu gebraucht, die Beſitzungen des h. Stuhles zu vers 
walten. Zu gleihem Zwede verwendete Gregor, wie aus den oben mitge 
teilten Stellen erhellt, noch zwei andere Klaffen von Elerifern, die Subdia⸗ 
fone und die Rotare. Gleichbedeutend mit Notar war das Wort chartularius, 
weßhalb Solche, welche jonft den Titeb Notare empfangen, zuweilen chartularii 
beißen.) Als Gutsverwalter hatten Defenforen, Subbiafone und Rotare 
viel mit Urkunden, alio mit Papyrus oder Pergament zu thun. 

Run beftand laut den Worten des päbftlihen Schreibens ſchon vor Gre⸗ 
gors I. Tagen die Einrichtung, daß unter den römijchen Subdiafonen einige — 
wie ich vermuthe, ficben — den Vorrang von Reglonarien genoffen. Schwer⸗ 
lich haben fie diefe Ehre in der Eigenihaft von Berwaltern erlangt, fondern 
zu einer Zeit, da die Klaffe der Subdiakone noch auf eigentlich geiftliche Ver⸗ 
rihtungen angewielfen war. Die Rangordnung dauerte jedoch fort, nachdem 
die Päbſte begonnen hatten, die Subdiakone des Stuhls in der Kanzlei und 
auf Gütern zu verwenden. Bei den Notaren weist ſchon der Rame auf die 
Kanzlei bin: Echreibereigefchäfte werden ihre urfprünglihe Beftimmung ges 
weien fein. Bon den Subdiafonen ging, wie es fcheint, die Auszeichnung ber 
Regionarien zu ihnen über. 

So fand Gregor I. den Etand des Kanzleiweſens vor: er ergänzte 
daſſelbe dadurch, daß er auch von den Defenforen fieben zum Range von 
Regionarien erhob. Was ift aber der Begriff legteren Worts? Der Regionarius 
unterjcheidet fih meined Erachtens von dem gewöhnlichen Eubbiafon, Notar 
und Defenfor dadurch, taß, während dieſe nur für eine beftimmte Kirche 
oder eine beflimmte Beamtung angeftellt find, erfterer in einer weiteren Aus⸗ 
dehnung, in einer Provinz, in einem ganzen Rande verwendet werben mag. 
Die Regionarien find Oberbeamte, die überall, wohin man fie fendet, den 
Rang vor den Drtöbeamten haben und letztere zur Rechenſchaft ziehen mögen. 

Ohne Frage zeugt die Form des Kanzleiweſens, die vor Gregor beftand, 
und die Vervollkommnung, weldhe er ihr gab, für einen ſehr großen Umfang 
des römiihen Kirchenguts, und das tft ed chen, was id darthun wollte. 

Allein jo ausgedehnt die Befigungen des Etuhles Petri waren, bildeten 
fie nichts weniger ald ein geſchloſſenes Ganze. Klare Beweiſe des Gegen: 
theils liegen vor. Das ficiliihe Patrimonium nahm, wie wir jahen, den 
erften Rang unter den übrigen ein. Gleichwohl lagen zwiſchen den römijchen 
Gütern folche, welche andern Herren gehörten. Ein Beiſpiel liefert die Brief⸗ 
jammlung Gregors. Durch Schreiben?) vom Dftober 600 empfiehlt er dem 
faiferlichen Prätor der Inſel, Alerander, ven Diafonus Johannes, der vom 
Erzbiichofe zu Ravenna abgejhidt war, um vie Verwaltung der ficilijchen 
Grundherrſchaften des genannten Erzftuhld zu übernehmen. Dafjelbe Verhälts 


) Gregorli, Opp. II, 561. 2) Jaffe Nr. 1356. 


8 | Pabſt Gregorius VL. und fein Zeitalter. 


niß fand auf Sardinien flat. In einem Briefe!) vom Mai 594 ermahnte der 
Pabſt den Adel und die freien Befißer diefer Inſel, nicht mehr, wie es bisher 
geichehen, zu dulden, daß ihre Gutshinterſaſſen Heiden bleiben, noch die Ans 
firengungen des Biſchofs Felix, der an ihrer Belehrung arbeite, zu bintertreiben. 

Auch fonft muß es alltäglich) geweſen fein, daß päbftliche Ländereien durch 
Eigenthum fremder unabhängiger Beſitzer begrängt und unterbrochen wurden. Im 
Sanuar 602 fchreibt?) Gregor I. an den Defenfor Romanıs: „ein Grunt- 
holde einer unjerem Stuhle gehörigen Herrichaft (massa) darf feine Tochter 
oder feinen Sohn auswärts verheirathen, fondern nur in dem Orte, welchem 
Bater und Kinder durch Geburt und Geſetz angehören. Wer gleihwohl heimlich 
entweicht, der wife, daß Wir nie unfere Zuftimmung zu feiner Verheirathung 
und Niederlafjung auf anderem Boden geben, fondern im Gegentheil den Hof, 
den er auf unferer Herrihaft inne hat, mit außerorventlihen Steuern belaften 
werden.” Dieje Worte nöthigen vorauszufegen, daß häufig von Drt zu Ort 
andere Herren jaßen. 

Obgleih der Begriff von Landeshoheit erft im neueren Europa ausge: 
bildet wurde, und deßhalb die Beantwortung folder Fragen für ältere Zeiten 
ihre Schwierigfeiten hat, Tiegt für unferen Zwed fehr viel daran, in der ans 
gegebenen Richtung das Berhältniß des gregorianifhen Kirchenſtaats zu dem 
byzantinischen Kaiſerthum zu beftimmen. Und zwar ift die Sache befonders 
darum wichtig, weil feit dem Ende des achten Jahrhunderts der Franke Earl 
und feine Rachfolger in die von ihren byzantinischen Vorgängern geübten 
Rechte eintraten. Fünf Hauptpunfte fommen in Betracht: 1) die Art und 
Weile des Uebergangs der höchſten Gewalt im Kirchenftaat von Einem au 
den NAndern, 2) die oberfte ©erichtöbarfeit, 3) dad Eteuerreht, 4) das 
Kriegsrecht, 5) das Recht der Geſandtſchaft. 

Wie wurden die Pübfte gezeugt? Ohne Frage durd Wahl des römischen 
Volks, Blerus, Adels. Aber dieſe Wahl an ſich genügte nicht, nur dann 
erlangte der Gewählte wirklih das Pabſtthum, wenn der Kaifer die Wahl 
beftätigte und Befchl gab, den Gewählten auf Petri Stuhl einzufegen. Man 
kann meines Erachtens nicht jagen, daß die oftrömischen Herriher Den zum 
Pabſte wählen ließen, der ihnen behagte, allein das ift gewiß, daß Keiner, 
den fie nicht wollten, Petri Stuhl beftieg. Der Lebensbefchreiber Gregor I. 
möge reden:) „(nah dem Tode des Pabſtes Pelagius IL.) wählte Clerus, 
Adel, Bolt von Rom einftimmig den bisherigen Diafon Gregorius zum Nadı- 
folger. Aber der Gewählte wollte das hohe Amt nicht annchmen, heimlich 
fchrieb er an den Kaifer Mauritius, deſſen Eohn er (als päbſtlicher Bot 
fchafter in Conftantinopel) aus der Taufe gehoben hatte, einen Brief, worin 
er denfelben beſchwor, die Wahl nicht zu beftätigen. Doch der Faiferliche Praͤ⸗ 


2) Ibid. Nr. 930. 2) Ibid. Mr. 1458, 2) Opp. Gregorii IV, 36, 


Siebtes Bad. Gay. 2. Das roͤmiſche Kirchengnt unter Pabſt Gregor 1. 29 


fett von Rom, Germanus, unterfhlug ven Brief, benachrichtigte den Hof 
von der Einftimmigfeit Roms und trug auf unverweilte Beflätigung an. 
Alſo geihah ed auch. Der Kaiſer gab Befehl, den Gewählten ohne Weis 
tere zum Pabſte zu weihen.“ 

Ebenſo wurde es gehalten vom Tode Gregors I. bis auf die Zeiten des 
Bundes der Kirche mit den Karlingern. Zwar folgte auf Gregor I. eine 
Reihe Päbfte von meiſt fehr kurzer Dauer, bezüglid) deren man — wegen 
ungewöhnlicher Dürftigfeit der Nachrichten — nicht beweifen kann, ob fie bes 
Kätigt oder nicht beflätigt wurden, allein mit dem Augenblide, da die Quellen 
reichlicher fließen, tritt aud das faiferlihe Beſtätigungsrecht wieder hervor. 
Auf Petri Stuhl ſaß zwiſchen 678 und 682 der Sicilier Agatho. Mit Bes 
zug auf ihn erzählt‘) der Verfaſſer des Pabſtbuches: „ver damalige Beherrs 
ſcher des Oſtreichs, Eonftantin Pogonatus — 668 bie 685 — hob die be- 
deutende Steuer, welde (jeit den Zeiten Odoakers) Petri Schatz bei jedem 
Pabſwechſel an die Faiferlihe Kammer zahlen mußte, auf, fchärfte aber das 
gegen das alte Herfommen ein, daß fein Gewählter auf Petri Etubl erhoben 
werben dürfe, er habe denn zuvor die Beftätigung des heiligen Hofes — näms 
fih des conftantinopolitanifhen — erlangt." Bon dem zweiten Nachfolger 
Agatho's, Pabſt Benedikt II., berichtet?) derjelbe, kraft einer Zuſchrift an ihn 
babe Kaiſer Gonftantin verordnet, — daß in Zufunft neue Pübfte, gleich 
nach geichehener Wahl — alfo ohne erft die Faiferlihe Beftätigung abzuwar⸗ 
ten — geweiht werden mögen. 

Allein dich war eine grobe Täufchung. Denn furz darauf (684) nahm 
die Abtheilung des griechifchen Heeres, welche in Rom lag, Theil an der 
Wahl und gab fogar die Entfcheivung. Don felbft verfteht es fih, daß Sol 
daten und Anführer nur Den wählten, welcer ihnen vom Kriegsherrn bezeichnet 
worden war. Auf diefem Wege gelangte der Hof, wie man ficht, noch leichter 
und einfacher zu feinem Ziele, als auf dem früheren. 

Ueberdieß ftellten die Kaifer nad Conftantin Pogonatus die alte Form 
des Verfahrens wieder her. Pabft Gregor IIT. war der legte, der 731 bie 
Betätigung feiner Wahl bei dem Ffailerlihen Oberftatthalter über Italien, 
dem Erarchen zu Ravenna, nadhjuchte.”) Während feined Pontififatd begann 
nämlich) das neue DVerhältniß zu den Karlingern. Daß bie auf Gregor IU. 
herab regelmäßig die Beftätigung des Hofs eingeholt worden ift, erhellt auch 
aus dem fogenannten römifcen Kanzleibudye — liber diurnus pontificum ro- 
manorum ‚*) deſſen Abfaffung in die Zeiten Gregor II. fällt, und das eine 
Formel für Einholung des fraglichen Akts enthält,‘) zum deutlihen Beweis, 
daß bis dahin bei jedem Pabftwechfel die Beftätigung erbeten zu werben 


) Muratori, seript. italic. III, 144, b. ) Ibid. II, 147. ) Beweife bei Bagl, 
breviarium Pontif. roman. I, 534 flg. %) Vergleiche darüber Gfroͤrer, Kirch. Geſch. 
DI, 489. “ 


30 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


pflegte. Denn Formeln feste man nur für BVerrichtungen auf, die fi von 
Zeit zu Zeit wiederholten, nicht für außerordentliche Fälle. 

Ohne Frage bat das kaiſerliche Beſtätigungsrecht ein feſtes Band der 
Abhängigkeit des Etuhles Petri vom Throne zu Eonftantinopel begründet. 

Dafür, daß die Päbfte durch ihre Verwalter peinliche und bürgerliche 
Gerichtsbarkeit über Grundholden, Colonen, Hörige, überhaupt über alle Ein: 
gejeffenen der römischen Kirchengüter übten, bürgen mehrere Schreiben‘) Gre⸗ 
gors I., namentlid aber dasjenige, welches er im Mai 591 an Petrus, den 
Subdiafon Siciliend, über die rechtliche Stellung der dortigen Pächter, Co⸗ 
Ionen und Hörigen erließ. Allein der gleihe Gerichtobann war allen grös 
Beren Gutsherren gemeinfam. Ich begnüge mid, an ven oben erwähnten 
Brief zu erinnern, in welchem Gregor den Adel und die freien Gutöbefiger 
Sardinien erfuchte, nicht länger zu dulden, daß ihre Hinterfaffen Goͤtzen 
verehren. 

Die höhere Gerichtsbarkeit dagegen oder die, welche das BVerhältniß zwi⸗ 
ſchen Freien und Freien betraf, haben Gregor I. und feine Nachfolger fo wenig 
beſeſſen, als andere Orundherren. Diefelbe befand fih in den Händen Taifers 
licher Beamten. Zu Rom,?) zu Neapel,’) auch zu Ravenna — in leßterer 
Hanptftadt neben dem Oberftatthalter oder Erarhen®) — walteten Präfeften, 
Sieilien ftand unter einem Prätor,“) Sardinien unter einem Präſes.) Wollten’ 
die Pübfte Recht gegen Nichtelerifer und Nichtunterthanen des 5. Stuhls fin; 
den, jo mußten fie fih an diefe Oberbeamten wenden, was aud mehrfach 
geihah. Wie oben?) gezeigt worden, ermächtigte Gregor den Biſchof Yortus 
natus von Neapel, im Nothfall gegen Johannes, den Bebrüder der Zünfte, 
Klage beim dortigen Präfekten anzuftellen. 

Noch belehrender ift ein anderer Ball, der fih auf Rom bezieht. Ein 
der Kirche ergebener Wechsler hatte öfter für bedrängte Schuldner Bürgſchaft 
geleiftet, und war tadurd in fchwere Verlegenheit gerathen, da er eine bes 
deutende Summe, für die er gut geiprochen, bezahlen ſollte. Eben fand bie 
Gerihtöbehörde im Begriff, das legte Banfgefchäft, das der Wechsler noch 
in Rom bejaß, zu fließen, als der Unglüdliche die Verwendung des Pabſtes 
anrief. Gregor fchrieb’) nun an einen feiner Bevollmächtigten, alles beim 
Präfekten, der, wie e& fcheint, damals ſich nicht zu Rom, fondern In Ravenna 
aufhielt, zu verfuhen, damit dem Wechsler Aufihub gewährt werde. Man 
erficht hieraus, daß die Obergerichte zu Rom unabhängig vom Pabfte waren. 

In den fleineren Etädten, felbft in ſolchen, welche erweislich zum Eigens 
tum St. Peters gehörten, wie Otranto, Gallipoli, Sipontum, faßen unters 
geordnete Faiferlihe Beamte, welche Tribunen hießen. Auch diefen hatte ber 

1) 3.8. II, 876: ad Nepesinos, wo er benfelben mit Strafen droht, wenn fie nicht 


gehorchen würden. 2) Gregoril, opp. IV, 36. II, 767. 2) Ibid. II, 1058. *) Ibid. 
IL, 736. ®) Ibid, 0) Ibid. I, 1106. 7.16. °) Ibid. IL, 1108, 


Siebtes Bad. Gap. 2. Dias romiſche Kirchengut unter Pat Gregor 1. 31 


Pabſt nichts zu befehlen. Im Jabre 599 wurde ter bioherige Tribun von 
Otrante, Viator, abgeſcht und ein Nachfolger in ver Perſon des Occilianus 
vom Exrarchen zu Ravenna beſtellt. Pabſt Gregor wünſchte!“) dem Reuer⸗ 
nannten Glück zu ſeiner Erhebung und rief zugleich deſſen richterliche Hülfe 
gegen die Bedrückungen an, welche der Vorgänger Viator an den dortigen 
Grundholden des Stuhles Petri verũbt hatte. Ebenſo erſuchte der Pabſt im 
dem früher?) angeführten Briefe ven Tribun von Sipontum, gemeinſchaftlich 
mit Tem dortigen Bilchofe den freien Stand eined von dem Verwalter Boni⸗ 
facius belangten Einwohner feſtſtellen zu wollen. 

Ich fomme an das Steuerrecht. Das Wort indietiv bezeichnete?) ur 
Iprüngliy die von Conſtantin I. eingeführte Grundfteuer, welche jedes Jahr 
Anfangs September audgefchrieben wurde. Unter demfelben Namen trieben‘) 
des Pabſtes Beamte die Abgaben ein, welde die Grundholden des Stuhles 
Petri zu entrichten hatten. Geſchah dieß vielleicht, um die Gerechtſame der 
Kirhe denen des Staates gleichzuftellen? Gewiß if, daß der Falferlibe Schatz 
Auflagen vom Patrimonium Petri erhob, obgleih Pabſt Gregorius in dieſer 
Beziehung fi nicht offen Außer. In einem Briefe) vom Sommer 595 
bittet er die Kaiferin Conjtantia, von ihrem Gemahle auszjuwirfen, vaß den 
unerträglichen Bedrüdungen, welche die byzantinischen Beamten auf Sardinien, 
Coiſika, Sicilien verüben, inhalt geſchehe. Gleichzeitig ſchrieb) er an 
den Biſchof Schaftianus von Sirmium: „ver Crarb Romanus fügt Une 
Römern) dur feine Bosheit und Raubfucht mehr Leid zu, als das Schwert 
der Langobarden.“ 

Nirgends aber jagt Gregor beftimmt, daß Petri Etuhl oder das Kirchen» 
gut befteuert oder mit Laften überbürdet werde. Gleichwohl fieht man, daß 
dem jo war. Denn wenn, wie es in Dtranto und Gallipoli geihah,”) die 
Grundholden Et. Peters von den Schagbeamten ausgeſaugt wurden, konnten 
. fie ihre Gebühren an die päbftlihe Kammer nicht mehr entrichten. Auch 
glaube ih nicht, daß die hohen Eunmen, welche Gregor, wie unten gezeigt 
werden wird, laut feinen eigenen Aeußerungen in die Kriegskaſſe einzahlte, 
durchaus freiwillige Gaben geweſen find. 

SZüngere Quellen nennen die Sache beim wahren Namen. Der Berfafler 
des Pabſtbuches berichtet ,) daß der byzantiniiche Kaiſer Juſtinian II. 
(685 — 711) unter den Päbften Johann V. und Conon drüdende Getreldeliefe⸗ 
rungen, welche bis dahin de Patrimonien des Stuhles Petri in Calabrien, 
Eicilien, ſowie in Bruttium und Lucanien jährlich entrichten mußten, erlafen 


3) Ibid. 11, 1003. Man vergl. noch den folgenden Brief an den Biſchof von Ballipoli. 
) oben ©. 17. 3) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IL, 11 unten fig. %) Gregor, opp. IL, 
48, a. u. 1003, e. 6) Ibid. II, 768 fig. ®%) Ibid. U, 770, b. ?) Ibid. IL, 1009. 
) Ruratori, seript. ital. III, 146, b. u. 147, b. 


32 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


babe. Diefe Stelle ift zugleich der oben erwähnte Beleg dafür, daß die ro 
mifche Kirche auch in beiden Ichteren Provinzen Güter befaß. 

Kriegsherr bezüglich des Kirchenftaats war dem Rechte, zum Theile and 
der That nach der byzantiniſche Herricher: feine Heere vertheidigten Rom un 
Italien gegen die Langobarden oder andere Feinde. In einem 595 an ber 
Kaiſer Mauritius gerichteten Schreiben‘) Flagt Pabſt Gregor, daß die nad 
Rom gelegte Beſatzung nicht ausreiche, daß man fie zur größten Gefahr fin 
die Stadt nad Narni und Perugia abgeführt habe; er Flagt weiter, daß der 
kaiſerliche Präfekt Gregor und ver Oberbefehlshaber Caftorius, obgleih fir 
während ber legten Belagerung Roms durch die Langobarden trefflihe Dienſte 
geleifter hätten, blos darum zurüdgefegt worden feien, weil fie zu ihm — 
dem Pabſte — in freundlichen Verhältniffen ſtanden. Der griechiſche Ho 
wollte nämlih, daß Feindſchaft zwiichen dem Heere und der Kirche herſſche. 
Immerhin befaß Kaiſer Mauritius troß des fürchterlihen Steuerdrucks, der 
auf dem Reiche laftete, dasjenige Etwas, was die Seele byzantiniicher Krieg: 
führung war, — nämlid Geld — nicht in gehörigem Maaße, um dem Lango: 
barden Einhalt zu thun. Und doch mußte Stalien vertheidigt werden. Noth, 
eiferne Noth drängte daher den Pabft, felbft einzugreifen, für Soldaten 
und Sold zu forgen, was die Griechen bis zu einem gewiffen Grade gerne 
geichehen ließen. 

Im Januar 594 fchreibt?) Gregor I. an die Kaiſerin Conftantia: „feil 
27 Sahren leben Wir bier zu Rom mitten unter den Schwertern der Lango⸗ 
barden ; hätte die römifche Kirche diefem Feinde nicht fo viel Geld bezahlt, fe 
wäre es längft mit und zu Ende. Wie der Kaifer zu Ravenna beim cerften 
Heere Italiens einen Zahlmeifter (saccellarius)! unterhält, um die täglichen 
Bedürfniffe zu beftreiten, jo bin ich allhier zu Rom für den gleichen Zwed 
Zahlmeiſter.“ Wer Soldaten befoldet, der hat ihnen auch kraft Naturredt 
zu befehlen. . 

Als ein hochverftändiges Haupt nahm Gregorius I. feinen Vortheil wahr 
und handelte ald Kriegsherr. Der 31. Brief”) des zweiten Buchs der gre⸗ 
gorianiſchen Sammlung enthält eine Beftallung für den päbftlihen Kriegs: 
oberften zu Neapel. „Der Ruhm des Soldaten,“ jchreibt er 592 an die ge 
ſammte Beſatzung der genannten Etadt, „befteht darin, daß er die ertheilten 
Befehle ohne Wanken volftrede. Ihr habt dieß gethan, Ihr habt dem chren- 
werthen Öbriften (tribunus) Eonftantius, dem Wir die Vertheidigung Nea— 
pels übertragen haben, Gehorſam geleiftet. Wir ermahnen Euch, auch ferner 
Allem, was er zum Dienfte des Kaiferhaufes und zum Wohle der Stabt 
Neapel anordnen wird, pünftlih nachzukommen.“ 

Offenbar fest die Beftallung, die er an Conſtantius ertheilte, voraus, 


‘) Gregorii I. opp- 11,767. *) Ibid. IL, 751. Jaffs Mr. 973. *) Opp. 11,591 unten fig. 


Siebtes Buch. Gap. 2. Das römifche Kirchengut munter Pabſt Gregor 1. 33 


daß die Soldaten, die Letzterem untergeorbnet waren, in der Kirche Sold 
ftanden, denn eine vom Kaiſer bezahlte Schaar hätte nimmermehr aus den 
Händen des Pabſtes einen Befehlöhaber angenommen. Wie oben‘) gezeigt 
worden, ahmte Pabſt Honorius I. das von Gregor gegebene Beiſpiel nad, in- 
dem er 630 dem magister militum ober päbftlihen Oberften Anatolius den 
Kriegsbefehl in Reapel übertrug. Gregors Wirken als Kriegsherr befchränfte 
fih nit auf die Hauptſtadt Campaniens: er legte eine Feſtung bei Mifenä 
an und gab Befehl, die Werke von Cagliari auf Sardinien zu verftärfen.?) 
Nun Ipringt in die Augen, daß, wer Eclöffer baut, Soldaten anwirbt, 
Oberſte und Hauptleute einjegt, entweder ſchon ein jelbftftändiger Herr If, 
oder ed unfehlbar werden muß, wenn anders feine Macht natürliche Wurzeln 
bat. Das, was man Landeshoheit nennt, war daher bezüglich des Kirchen; 
ſtaats troß der unläugbaren politiihen Abhängigfeit vom byzantinijchen Throne 
ſchon im fechöten und fiebenten Jahrhundert vorbereitet. 

Zur gebeihlihen Entfaltung des Keime trug noch mehr als militärifche 
Nothwendigkeit ein weiteres Verhältniß bei, zu dem ich fchließlich übergehe. 
Seit die Einheit der Fatholiihen Kirche in der römifhen Welt zur äußerlichen 
Eriheinung fam, find die Päbſte als Etatthalter Petri, ald Häupter des 
Leibe der Gläubigen, ftetd etwas wie geiftlihe Fürſten geweſen. Kraft diefer 
Eigenfchaft haben fie feit dem fünften Jahrhundert das Gefandtichaftsredht ges 
übt, und zwar jowohl ihren eigenen politifchen Gebietern, den oftrömiichen 
Kaifern, als fremden Mächten gegenüber. Gewöhnlich unterhielten fie am 
Hofe zu Gonftantinopel fländige Geſandte. Gregorius felbft ift unter dem 
Bontififate des zweiten Pelagius — in den Jahren 579 bis 584 — päbft- 
liher Botſchafter (apocrisiarius) am griechiſchen Hofe geweien.) An gers 
manifche und andere Könige ſchickten vie Päbſte nah Gutdünken in clerifalen 
Angelegenheiten Geſandte und ſchloſſen durch fie mit jenen Webereinfünfte. 
Run waren aber diejelben Statthalter Petri, welche als erfte Geiftlihe der 
Ehriftenheit die allgemeine Kirche Ienften, zugleich Herren des ausgedehnten 
Patrimoniums; ed konnte daher nicht fehlen, daß fie das Geſandtſchaftorecht 
auch in legterer Hinſicht benützten. 

Ein ſchlagender Fall kam 595 vor. Gregor hatte Bevollmächtigte an 
den Langobardenfönig Agilulf, der in offenem Krieg mit dem byzantiniichen 
Kaifer begriffen war und Mittelitalien bedrängte, nad Tuscien geſchickt und 
tenfelben zum Abſchluß eine® Friedensvertrag bewogen. Kaiſer Mauritius 
mag fauer genug dazu gefehen haben, daß der Pabft Oberften beftellte, Bes 
ungen anlegte, doch liegen feine urkundlichen Belege feiner Unzufriedenheit 
vor. Aber die Nachricht von dem eben berichteten Vorgange verfegte ihn in 
ſolche Wuth, daß er die Faffung verlor, aller Rüdfichten vergaß. Er erließ 


) ©, 22. ) Daf. ©. 17 un. 19. 3) Sfrörer, Kirch. Geſch. IL, 1045. 
Ofrörer, BabR Gregerius vi. Br. V. 3 


34 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


an den Pabft ein Schreiben, worin er ihm Eigenmädhtigfeit, ja fogar Dumı 
heit vorwarf. Man fennt den Juhalt des Faiferlihen Briefes nur durd t 
Antwort‘) des Pabſtes vom Juni 595, die ruhig aber voll priefterlid 
Hoheit if. Trotz den Einreden ded Mauritius fuhr Gregor gleich fein 
Nachfolgern fort, das Gefandtenrecht zu üben, und wahrlih viel mehr dur 
fein Anfeben, als durch die Waffen der Byzantiner iſt es zulegt gefchehei 
daß die Langobarven fi zum Frieden bequemten. 

Mit gutem Fuge darf man fagen, daß der Vorzug fürftlicher Ehren, di 
unabweislih den Päbften als Häuptern des Glaubens zufam, durch Natu 
nothwendigfeit auf die Bildung eines unabhängigen Kirchenſtaats Hintrie 
Es jchmeichelte ohne Zweifel dem Stolze byzantinifcher Herricher, in den ‘Be 
fonen der römiſchen Bilchöfe Unterthanen zu haben, welde mit den fernfte 
Völkern großartige Verbindungen pflogen, und in welchen die halbe We 
Statthalter Jeſu Chrifti verehrte. Aber damit diefe geiftlihe Macht und die 
Ehre, auf welde die Kaifer felbft bewußt oder unbewußt großes Gewid 
legten, ungejchmälert fortvauere, mußten fie den Rechten des Stuhles Petri mel 
Schonung erzeigen, als fie fonft irgend einem Menfchen oder einer Anftalt ı 
erweiien pflegten. Würden die abenlindifhen Nationen einen Oberprieſte 
der von griedhiihem Gnadenſolde lebte, geachtet, würden fie den geiftliche 
Sagungen eined offenbaren Werfzeugs byzantinifcher Herrfchfucht Folge geleift 
haben? Rimmermehr! nur vor einem freien, felbftftändigen Pabfte beugten f 
fih. Hebt die Bedingung irdifcher Befigthümer des h. Stuhls und der Fre 
heit feiner Häupter auf, jo ftürzt Die Einheit der Kirche in fich zufammeı 
Das heißt mit anderen Worten: die Kandeshoheit der Pähfte, die Unabhär 
gigfeit des Patrimoniums Petri, it aus dem Stern des Fatholiichen Glauber 
hervorgewachſen. 

Mitten im Drude oſtrömiſcher Kaiſergewalt entſtand auf die beſchrieber 
Weiſe durch gefeglihe Mittel — meift Vermächtniſſe over Schenkungen, zuweilt 
wohl auch Ankauf — eine päbftlihe Gütermaffe, Keim eines jelbftfländige 
Staats. Die Latifundien der alten römifhen Adelsgeſchlechter, ein Nachlo 
der blutigen Siege, welche einft das römische Volk in feinen republifanifche 
Zeiten erftritt, find dadurch, daß fie an Petri Stuhl gelangten, geweiht wordeı 
denn fie fegten Gregorius I. in Stand, die ewige Stadt zu erhalten und fü 
ferten die irdiſche Grundlage für jenen mittelalterlihen Organismus, dem d 
riftlihe Welt außer dem wahren Glanben, veffen Predigt von Rom aus ; 
den Nationen drang — ihre Eivilifation- verdanft. 


‘) Opp. Gregorii II, 765 unten flg. Jaffé Nr. 990. 


Siebtes Bady. Gap. 3. Sturz d. Langobardenteihe. Wahrer Sinn d. carling. Schenkungen. 35 


Brittes Capitel. 


Urſachen und Berlauf des Bruchs zwiſchen Rom und dem Hofe von Conflantinopel. Die 
Bäbfte fnkpfen, durch die Langobarden gebrängt, mit den Pippiniden in Fraucien an. 
Eturz des Langobardenreichs. Schenkungen Pippins des Kleinen und Karls des Großen, 
bie aber nur mit bebenklichen Hintergedanken gemacht worben find. Beweis, daß ber 
Franke Garl in den an den 5. Stuhl angeblich geſchenkten Bebieten nur dad Kirchen⸗ 
eigenthum und die noch nicht an Soldaten verlichenen Schaphöfe den Päbflen aus⸗ 
lieferte, dagegen die Berfügung über fämmtliche Kriegslehen fich vorbehielt. Außerdem 
mußte Hadrian L für ſich und feine Rachfolger dem Brantenfönige biefelben Kechte, 
melde ein Petri Stuhle gegenüber der griechifche Baflleus geübt hatte, namentlich 
bie Befugniß ber Beflätigung aller Babflwahlen, einräumen. Rechtfertigung Hadrians I. 
in Betreff letzterer Maßregel. 


Das byzantinishe Joh brach endlich im 8. Jahrhundert zufammen. 
Keineswegs it die römiſche Kirche während der griechiichen Herrichaft, jo wie 
es zwiſchen 962 und 1064 geihah, in Dürftigfeit verfunfen. Wohl aber 
haben die byzantiniſchen Kaifer verfucht, Diefelbe zur Magd zu erniedrigen. 
Ich fage, fie haben es verfucht, denn ihre Abficht auszuführen vermochten fle 
nicht, weil die Päbſte entfchloffenen und erfolgreihen Widerftand leiſteten. 
Erima 30 Jahre nah dem Tode Gregors I. brachen die monotheletiichen Streis 
tigfeiten aus, welche faft das ganze 7. Jahrhundert fortwährten, dann im 
8. begann der Bilderflurm, der den Riß zwifchen Rom und Konftantinopel 
berbeiführte. Beide Bewegungen waren ihrem Urſprunge nad eine Frucht 
politiicher Berechnungen des byzantinifchen Kaiſerthums. 

Um die zahlreihen Monophyfiten Afiens und Aegyptens, deren Haß durch 
das Anfchwellen perfiiher Macht und bald auch durd die Siege des Iolams 
immer gefährlicher wurde, mittelft dogmatiſcher Zugeſtändniſſe zu beichwichtigen, *) 
ipäter um eine Waffe des Angriffe, welde der ausfchweifende Bilderdienft ber 
orientalischen Kirche den Kalifen bot, den Lebteren zu entwinden,?) verlangte 
der Hof von Byzanz, daß Petri Statthalter die Hand biete, erft in einem 
ſehr wichtigen Punkte dad Dogma zu Ändern, fpäter den im ganzen Abends 
lande anerfannten Grundſätzen Gregors I. über kirchliche Kunft zu entjagen 
und einen ketzeriſchen Puritanismus zu befördern, der nur in dem Treiben der 
afrifanifchen Donatiften und der englifchen Rundföpfe des 17. Jahrhunderts 
ein Gegenftüd findet. 

Ehre und Würde der römischen Kirche ftand auf dem Spiel, wenn fie 
den Lehrbegriff, das hochheilige Vermächtnig der Schrift und Tradition, ans 
taften half. 

Die Päbfte blieben feſt, deßhalb fchritten ihre byzantiniſchen Gegner zur 


') Beweife bei Gfrörer, Kirch. Geſch. II, 36 fig. ”) Ibid. ©. 98 fig. 
3° 


36 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Anwendung von Gewalt. Im Eommer 653 gab‘) Kaiſer Conftand Befehl, 
den Babft Martin zu verhaften. Diefer Befehl ward volifiredt, der Gefangene 
nah dem Often abgeführt, wo er 655 in der Verbannung ftarb. Spätere 
Kaifer kamen auf das Verfahren des Conftang, fpätere Päbfte auf den Wider⸗ 
fand Martins zurüd. Baſileus Juſtinian II. wollte 694 den Pabſt Sergius nad 
Konftantinopel fortichleppen laffen, aber indeß war der Haß gegen die byzantiniſche 
Herrſchaft in Italien dergeftalt gewachſen, daß der Hof Feine Werkzeuge mehr 
fand. Das griehiiche Heer zu Ravenna und Rom, in weldem ficherlich viele 
Stalioten dienten, die nicht gegen die Mutterfirche fechten wollten, verweigerte 
den Gehorfam. Der DMeonotheletiihe Streit endete mit einem Siege Rome. 

Als der Bilderfturm begann, hatte den Stuhl Petri Gregor II. inne, ein 
fraftvoller Pabft, der den Namen feined großen Vorgängers zu führen ver- 
diente. Offen ſprach er ed aus, daß es fih in dem neuen Streit um die 
Gränzlinie kirchlicher und fönigliher Machtbefugniß handele. „Siehe,“ ſchrieb?) 
er 730 an Kaifer Leo den Saurier, „Ich verfündige dir den Unterfchied zwi⸗ 
fchen Krone und Priefterthbum, erfenne ihn an, damit deine Seele nicht ewig 
verloren gehe. So wenig der Oberpriefter das Recht hat, in Angelegenheiten 
des Palaftes ein Wort mitzureden, jo wenig darfft du dich in die Kirche eins 
drängen, Wahlen von Prieftern vornehmen oder die Saframente verwalten. 
Jeder von Uns bleibe in dem Berufe, weldyen ihm der Herr angewiefen hat.“ 
Gregors II. gleichnamiger Nachfolger Gregor III. verfammelte 732 zu Rom 
eine Synode, welde den Bann über alle Zerftörer der Bilder — alfo auch 
über den kaiſerlichen Hof — verhängte. °) 

Als Antwort hierauf 309°) Leo der Saurier ſämmtliche in Ealabrien und 
Sieilien gelegenen Güter, welche Petri Stuhl bejaß, ‘ein, fprengte weiter dad 
firhlihde Band zwifhen Rom und Weſt⸗Illyrien, indem er die Provinzen 
Illyrien, Epirus, Achaia, Thefjalien, welde bisher ven Pabft als ihren Obern 
anerkannt hatten, dem PBatriarchate zu Konftantinopel unterorbnete.*) Auch auf 
die oben erwähnten, in Illyrien gelegenen PBatrimonien der römifchen Kirche 
muß der Kaijer damals die Hand gededt haben, denn feitvem iſt nicht mehr 
von ihnen die Rede. 

Groß war der Verluft, den der 5. Stuhl erlitt, namentlid wenn man 
no erwägt, daß zwei Menjchenalter früher durd die Schwäche der Fatjer 
lichen Regierung die afrifaniihen Befibungen des 5. Peters in die Hände 
der Moslemim geriethen. Epütere Päbſte thaten, was irgend möglich, um 
das auf Eicilien und Calabrien Eingebüßte wieder zu erlangen, aber ohne 
Erfolg. Vergeblich forderte‘) Pabft Hadrian I. im Jahre 785, ebenfo vers 
geblih verlangte‘) 860 Pabft Nifolaus I. das entriffene Eigenthum in Sicilien 


1) Daf. S. 71 fg. 2) Ibid. ©. 116. 3) Daf. S. 119 unten flg. % Die 
Beweiſe baf. ©. 120. °) Jaffs, regest.Pontific. Nr. 1882. ®) Ibid. Nr. 2021. 


Siebtes Buch. Gap. 3. Sturz d. Langobarbenreiche. Wahrer Sinn d. carling. Schenkungen. 37 


und Galabrien zurüd. Auch die Klagen,') weldhe Leo IX. im Jahre 1054 
derfelben Sade wegen erhob, verhallten wirfungslos. Obgleich Feine urkund⸗ 
lihen Beweiſe vorliegen, bin ich überzeugt, daß die Anſprüche, welche die Päpfte 
des 8. Jahrhunderts bei den fränfiihen Earlingern auf dad Exarchat machten, 
von ihnen mitunter durch die behauptete Rechtmäßigkeit eines Erjages für die 
entrifienen Güter Calabriend und Siciliend begründet worden find. 

Der feit Gregors II. Tagen begonnene Bruch mit den Kaijern dee Oſtens 
ſtürzte Anfangs Petri Statthalter in fchlimme Gefahren. Denn unter dem 
Borwande, den wahren durch die Bilderftürmer verlegten Glauben zu rächen, 
brachen die langobardiſchen Könige erft wider das griechiſche Erardhat los und 
eroberten es, bald fielen fie auch über die Befigungen der Päbſte als Unter- 
thanen des ruchlofen Kaiſerthums her. Nur die Franken fonnten in biefer 
fürdterliden Noth helfen. Schon Gregor II. hatte Unterhandlungen mit Carl 
Martel angefnüpit,?) dody ohne daß diefer, wie es ſcheint, auf die römiichen 
Anträge einging. 

Die folgenden Päbfte warfen fi theild dem Hammer felbft, theils feinem 
Sohne Pippin, oder feinem Enkel Carl dem Großen in die Arme. Während 
der Langobardenfönig Liutprand Rom bedrängte, fchidte) Gregor IIL 739 eine 
Geſandtſchaft nad Yranfreih, weldhe dem Herzoge der Kranken, Carl dem 
Hammer, die Schlüffel zum Grabe des heiligen Petrus fammt der dringenden 
Aufforderung überbrachte, der bedrohten Metropole mit Heeresmacht zu Hülfe 
zu eilen. Die Uebergabe der Echlüffel fonnte feinen andern Sinn haben, als 
den, daß Gregor II. bereit fei, in ein ähnliches Schußverhältniß, wie dass 
jenige, in weldem Petri Stuhl früher zu den Kaifern des Oſtens fand, 
gegenüber den fränfifhen Garlingern zu treten, und folglich fegteren irgend» 
welche Oberberrlichkeit über Rom und das Befisthum der Kirche einzuräumen. 
Abgeſehen von den Schlüffeln, ward durch das, was jpäter gejchah, außer Zweifel 
gejegt, daß es Gregor III. wirflid jo meinte. 

Earl Martel bat die erbetene Hülfe nicht geleiftet, vieleicht weil ihn 
Kränklichfeit und fein bald darauf erfolgter Tod an einem Zug nad Italien 
binderte.%) Die Angriffe der Langobarden auf den Kirchenſtaat dauerten fort. 
Im Jahre 754 ging") Pabft Stephan IIL, der dritte Nachfolger Gregors IIL, 
ſelbſt nach Francien, wiederholte dort den Aft der Krönung, welde der h. Bor 
nifacius, Deutichlands Apoftel, ſchon einige Jahre früher dem bisherigen Hers 
zoge, jetzigem Könige der Franken, Pippin, ertheilt hatte,*) und verlieh”) überbieß 
dem neuen Könige fammt defjen Söhnen Carl und Carlmann die Würde 
sömifcher Patricier, welche ohne Frage Daffelbe befagte, was die von Gregor IH. 
an Earl Martel überſchickten Schlüffel, nämlidy eine gewiſſe Oberherrlichkeit 

1) Ibid. Nr. 3288. 3) Beweis bei Efrörer, Kirch. Geſch. ILL, 112. ») Iaffe, 


Mr. 1732 fig. ) Gfrörer, Kirch. Geſch. IL 121. *) Da. &.569. °) Daf. ©. 545, 
) Did ©. 571. 


\ 


38 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seltalter. 


über Petri Stuhl und das römifche Kirhengut. Zugleih ſchloß damals Ete- 
phan III. mit Pippin einen Vertrag, kraft defien der Franke ſich verbindlich 
machte, die Langobarden zu Abtretung bedeutender Gebietötheile an den Apo⸗ 
ftelfürften zu nöthigen. *) 

Pippin hielt Wort: in zwei Feldzügen 754 und 755 wurde der Zangos 
barden Macht gevemüthigt, fie mußten eine Reihe Städte dem Pabft über 
liefern. Gin fränkifcher Zeuge, der gleichzeitige Mönd von Fuld, bejchreibt?) 
die römifchen Erwerbungen mit den Worten: „der heilige Stuhl habe Damals 
Ravenna fammt der Pentapolis empfangen.” Ausführlichere Nachrichten gibt?) 
der Berfaffer des Pabſtbuchs, welcher folgende Drte nennt: Ravenna, Rimini, 
Peſaro, Concha (längft zerftört), Bano, Ceſena, Sinigallia, Jeſi, Forlimpopoli, 
Forli mit dem Schloſſe Saſſubium, Montefeltre, Acerres (unbekannt), Monte⸗ 
maggio (beim heutigen S. Marino), Monte Luco, Serra, das Schloß S. Ma⸗ 
rino, Bobbio, Urbino, Cagli, Luceolo, Gubbio, Comacchio ſammt Narni. Im 
Ganzen ftimmen beide Ausfagen überein. Auch ift zu bemerfen, daß unter 
diefen Orten mehrere find, in deren Nähe die römifche Kirche früher erweislidh 
Güter befaß, wie Narni, Ceſena, Montefeltre. °) 

Achtzehn Jahre fpäter — 773 — madte Earl der Große, Pippins 
Sohn, dem langobardiſchen Reich ein Ende, nahm ſeitdem felbft den Titel König 
der Langobarden an und vermehrte die von feinem Vater an den römijchen 
Stuhl gemachten Schenfungen in großem Maßftabe. Hauptzeuge ift der Bers 
faffer des Pabftbuches, deſſen Unpartheilichkeit und Wahrhaftigkeit allerdings 
manchmal gerechten Bedenken unterliegt. Er ſchreibt, Carl habe den Kirs 
chenftaat gegen Norden durdy folgende Linie begrängt: von der tusciſchen Meeres» 
füfte bei Luna an der Magramündung nad dem Tarofluffe (der in den Po 
miindet), vorbei an den Orten Surlanum, Mond Barbonis und Bercetum,®) 
von da nad Parma, nad Reggio, weiter den Po überfchreitend nach Mantua, 
dann in der Nähe des letzteren Orts die Etſch durchichneidend nah Mons 
Silicis Cheut zu Tage Monfelice unmeit Efte im Benetianifchen). Der Zeuge 
fügt bei, von Monfelice an fei das übrige Venetien fammt Iſtrien gleichfalls 
dem Apoftelfürften zugeiprochen worden. Demnad hätte der Kirchenftaat außer 
den Gebieten ſüdlich von der eben bejchriebenen Linie den größten Theil von 
Venetien und ganz Iſtrien, alfo das Küftenland zwiſchen Illyrien, ven Alpen, 
dem adriatischen Meere und etwa der Brenta fammt dem Backhilione umfaßt. 
Roh nah andern Seiten erweiterte Carl der Große Taut derſelben Audjage 
die Befitungen des h. Stuhls, indem er nicht nur die Infel Corſtca, fondern 
auch die beiden langobardiſchen Fürftenthümer Spoleto und Benevent, jenes 


) Die Beweiſe bei Jaffé ©. 191, ad 14, April. 2) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. TIL, 571. 
2) Eiche oben ©. 23. 24. ) Muratori, script. ital. III, a. 186. 6) Jetzt Berceto und 
Barbone, vergl. Borbiger, alte Geographie III, 574. 


Giehtes Buch. Cap. 3. Sturz d. Sangobarbenreiche. Wahrer Siun d. carling. Schenkungen. 39 


gelegen mitten in den älteren Patrimonien des h. Petrus, dieſes auf der 
Eüdgränge derſelben den Päbften zuerfannte. 

Sind die Worte des Zeugen buchftäblich zu nehmen, fo müßte man aller 
dinge fagen, daß der fränkifche Herriher damals eine Großmuth ohne Gleichen 
bewies. Das römische Volk hat einft in den Zeiten der Republit Jahrhun⸗ 
derte lang Kriege geführt, um all Das zu erwerben, was Carl hier mit einem 
Federzug der Kirche hingab. Noch mehr! aus einem Briefe‘) des Pabſts 
Hadrian erhellt, daß er um 787 aus Carlo Händen die Stadt Capua em⸗ 
pfing. Diefer Drt gehörte nicht zu den erweidlich älteren Beflgungen des 
Etuhles Petri, au kann man nicht fagen, daß fie in der Bergabung von 
173 begriffen ſei. Demnach find der römifchen Kirche geraume Zeit nah 774 
neue Güter zugeflofien. 

Alles kommt darauf an, daß ermittelt werde, unter welchen Bedingungen 
Garl, wie fein Vater Pippin, geihenft haben, und erft wenn dieſe Frage ges 
löst ift, kann man über die Glaubwürdigkeit oder Wahrfcheinlichfeit der oben 
mitgetheilten Hauptftelle des Pabſtbuchs ein gründliche Urtheil fällen. 

Feſtſteht: die byzantinischen Kaiſer übten Jahrhunderte lang das Recht, 
neue Pabſte zu beftätigen. Meines Erachtens ift nicht zu bezweifeln, daß bie 
Garlinger, jeit fie Petri Statthalter von den Griechen loszufchälen und auf 
ihre Seite zu. ziehen begannen, nad) Erlangung defielben Rechts geftrebt 
haben. Warum anders vyergabten die Garlinger fo viel Gut an Petri Stuhl, 
als weil fie deſſen Statthalter von ſich durch ein goldened Ne abhängig 
machen wollten. Die einzige mögliche Form, dicß zu bewerfftelligen, beftand, zus 
mal in den Honigjahren der neuen Verbindung, darin, daß fie in das Recht 
der Byzantiner eintraten. Ueberdieß boten die Nachfolger Gregors IL ſelbſt 
die Hand zu Uebertragung ded von den byzantinifchen Kaiſern geübten Rechte 
auf die Kranken, denn, wie ich oben zeigte, muß man der Zujendung ber 
Schlüfſel zum Grabe Petri jo gut ald ver Ertheilung des Patriciertiteld den 
Einn unterlegen, daß die Päbfte Gregor III. und Stephan IIL mittelft dieſer 
Einnbilder den fränkiſchen Gewalthabern eine gemäßigte Oberherrlichkeit über 
Rom und das PBatrimonium Petri anboten. 

Doch es bedarf feiner Schlüſſe. In Handichriften des 11. Jahrhunderts 
findet fih eine Urkunde?) des Pabſtes Leo VIII., der Petri Stuhl einnahm, 
ale König Dtto I. das Kaiſerthum erneuerte. Kraft diefer Urkunde bezeugt ber 
genannte Pabſt, daß einer feiner älteren Vorgänger, Hadrian I., dem Franken 
Earl die Befugniß eingeräumt habe, in Zukunft Petri Stuhl zu ordnen. Der 
gebrauchte Ausdrud ordinare ift vieldeutig: an und für fi kann er bejagen, 
dem Franken folle das Recht zuftehen, entweder ohne alle Wahl Jeden, der 


— — — — — — — 


ı) Genni, monum. domin. pontif. I, 487. ’) Berk, leg. II, b. ©. 167. Die Schlag⸗ 
worte lauten: Adrianus (apostolicus) domno Carolo — regi Francorum — et patricio Ro- 
manorum patriciatus dignitatem ac ordinationem apostolicae sedis concessit. 


40 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


ihm befiebe, auf Petri Stuhl dur einfache Ernennung zu erheben, oder aber 
mit Schonung der Wahlform die Nachfolge dadurch zu regeln, daß er nad 
Gutdünken den Gewählten anerfenne und beftätige, oder verwerfe. 

Aus andern Gründen hält von diefen beiden Deutungen nur lettere Stich, 
und zwar erftlih, weil es kaum denkbar ift, daß der fränfifche Herricher, 
während früher die römifchen Päbfte ſtets durch Wahl gezeugt wurden, wäh» 
rend weiter in den Tagen Garld die Befegung der Bisthümer und Erzbis- 
thümer regelmäßig durh — freilich meift [heinbare — Wahlen erfolgte, ‘) 
in Bezug auf die höchfte geiſtliche Würde des Reihe nadt die Defpotenfauft 
berausgeftredt babe — fo plump zu handeln lag nicht in Carls Art —; zwei⸗ 
tend, weil die Geſchichte der Pähfte, die zunächſt auf Hadrian folgten, ver 
erfteren an ſich grammatiſch möglichen Deutung widerfpriht und fie geradezu 
ausichließt. 

Hadrian J., der den in obiger Urkunde erwähnten Vertrag einging, jaß 
23 Jahre lang auf Petri Stuhl und ftarb im Dezember 795. Schon am 
zweiten Tag nad feinem Tode wurde Leo III. zum Nachfolger erforen.?) 
Der Gewählte überfandte?) fofort an den Frankenkönig das Banner der Stadt 
Rom und die Schlüffel des Grabes Petri, ſammt einem Schreiben, deffen 
Snbalt wir aus der noch vorhandenen Antwort Carls kennen lernen. In 
legterer heißt?) ed: „nach Durdlefung Eurer Zufchrift habe ich große Freude 
empfunden theild über die Einftinnmigfeit, mit der Ihr erwählt wurdet, theils 
über Euren demüthigen Gehorſam und die Verſicherungen 
Eurer Lehenstreue.“ Alſo wer damals nad) erfolgter Wahl Pabſt bleiben 
wollte, der mußte dem Gebieter die Echlüffel zu Haus und Hof überfchiden, 
mußte demüthige Huldigung leiften, unbedingte Treue angeloben. 

Mit Händen kann man greifen, daß die Forderung folder Treue das 
fönigliche oder Faiferliche Beſtätigungsrecht in ſich ſchloß. Wer treu ift, be 
hält den Poſten nur dann, wenn der Herr es gut findet, weicht, jobald ber 
Herr es gebeut. Nachdem Pabft Leo II. im Juni 816 geftorben war, 
wählten die Römer den Cleriker Stephan IV. zum Nachfolger. Laut dem 
Berichte”) eines gleichzeitigen fränkischen Ehroniften ließ der Gewählte gleid 
nad dem NAfte Roms Bürgerfhaft dem Sohne Carls, Kaifer Ludwig dem 
Frommen, huldigen, und ordnete eine Geſandtſchaft nah Francien ab, welde 
dorthin die Nachricht überbrachte, daß der Pabſt demnächſt in eigener Perjon 
an den Hof fommen werde, um über gewifje Dinge zu unterhandeln. Wirklich 
trat Stephan kurz darauf die Reife an, verftändigte fi mit Ludwig dem 
Frommen, und blieb feitvem Pabſt. 

Man fieht: der Gewählte hat felbft die kaiſerliche Beſtaͤtigung eingeholt; 


2) Beweis bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 608 unten flg. *) Ibid. S. 668. °) Daſ. 
S. 714. 





Eichtes On. Cap. 8. Sturz d. Langobardenreichs. Wahrer Einn d. carling. Schenkungen. 41 


indeffen ganz fo demüthig, wie Leo III. gegen Carl, benahm fi Stephan 
nicht gegen Carls Sohn. Die nächften Päbfte, die auf ihn folgten, traten*) 
noch etwas ſelbſtſtändiger auf. LUnverfennbar gab es eine clerifale Parthei in 
Rom, welche den Verſuch wagte, Zreibeit der Pabſtwahl von fränkischen Feſſeln 
ju erobern, aber diefe Parthei unterlag, und nad längeren Streitigfeiten, die 
nicht ohne Blutvergießen abliefen, mußten die Römer 828 ſich verpflichten, *) 
daß fein Neugewählter Petri Stuhl befteigen dürfe, er habe denn zuvor einen 
Huldigungseid abgelegt, deſſen Yormeln die Franken vorfchrieben. Das 
beißt: man kam beiderſeits auf den zwiſchen Garl tem Großen und Pabſt 
Hadrian I. abgeſchloſſenen Vertrag zurüd. 

Ferner fteht vollkommen feft: Beförderungen neugewählter Päbfte, bei denen 
der fränfifhe Hof in der eben befchriebenen Weife eingriff, kamen erft unter 
Leo IIL und feinen nächſten Nacdfolgern vor. Daraus muß man den Schluß 
jiehen, daß vor eo IIL., d. h. unter Hadrians Pontififat, irgendwelche Webers 
einfunft abgefchloffen worden ift, welde den fränkiſchen Hof berechtigte, in 
Fällen der Erledigung des Stuhles Petri ein gewichtiged Wort mitzureden. 
Befagter Pabit Hadrian hat von dem Franken Carl ein großes Gebiet, oder 
befier, wie wir unten jehen werben, die Zuficherung eines großen Gebiets ers 
halten. Run zeigt der Weltlauf over die Erfahrung, daß Herricer, wenn fie 
ſolche Großmuth wirklich oder fcheinbar üben, fich felber keineswegs zu vers 
geſſen pflegen. Mit fiegender Gewalt drängt fih daher die Annahme auf, 
daß Carl, ehe er die Echenfung machte, ald Gegenpreis in irgend welder 
Form fich ein Herrenrecht über Petri Stuhl ausbedungen habe. Legtere That⸗ 
lache würde auch dann unzweifelhaft fein, wenn das in obiger Urfunde ent⸗ 
haltene Zeugniß des Pabſtes Leo VIII. nicht auf und gefommen wäre, während 
andererjeitö die buchfläblihe Webereinftimmung verfelben mit dem wirflidden 
Gange der Dinge einen unumftößlihen Beweis für die Wechtheit der frag- 
lichen Urfunde begründet. 

Die Hülfe, welche die Pippiniden Carl Martel, Pippin, Earl der Große 
verfprachen oder leifteten, die Gebietderweiterungen, welche der römiſchen Kirche 
zufielen, waren um einen ſchweren Preis, um die Breiheit der Pabftwahl ers 
fauft. Nahe liegt es, hieraus den Stoff einer Anklage zu entnehmen und zu 
ſagen, die Päbfte Gregor IIL, Stephan III. und Hadrian I. hätten, jener ins 
dem er die Schlüffel zum Grabe des Apoftelfürften nach Francien überſchickte, 
diefer indem er an Pippin und deſſen Eöhne den Titel Patricier verlieh, 
der dritte, indem er für die Schenkung von 773 den großen Garl zum Herren 
des Stuhles Petri machte, — ihre Verpflichtungen bezüglich der ewigen Rechte 
des Apoftelfürften verlebt. 

Solche Beihuldigungen fehen auf dem Papier ftattlih aus, dennoch bin 


— — — — —— — 


») Daſ. S. 728 fig. bis 732, 


49% Pabſt Gregorins VIL und fein Zeltalter, 


ich, Alles erwogen, überzeugt, daß die fragliche Anklage grundlos wäre, und 
an einem, in politiichen Dingen bedenflihen Mangel, nämlid an Spealifterei 
leiden würde. Die byzantinifchen Kaiſer haben, wie wir fahen, lange Zeit 
ohne Widerrede das Recht, Päbfte zu beftätigen, geübt. Warum übten fie e8? 
Meil die Vergangenheit, weil die Entwidlung der Weltgeſchichte fie zu Herren 
des ganzen Reiche, zu dem auch Italien und Rom, der Sig des Pabſtthums, 
gehörte, erhoben hatte. Im Laufe des 8. Jahrhunderts erlangten die Langos 
barbenfönige größere Macht, als die Byzantiner, fie verbrängten dieſe aus 
Stalien und firebten alsbald, über die Päbſte cine Gewalt zu üben, die für 
legtere weit verderbliher geworden wäre, als byzantinifcher Einfluß, denn 
Betri Statthalter Tiefen Gefahr, zu geiftlihen Vaſallen italienischer Könige 
berabzufinfen und eben dadurch die Firchliche Hoheit über Abend» und Morgen; 
land zu verlieren. Sie thaten in diefer Noth Das, was allein möglidy war: 
fie riefen die Hülfe der fränfifchen Garlinger an, welche fi fofort im Kampfe 
gegen Noms Beinde ald die Stärferen erprobten. Die langobardiihe Macht 
ward durh Pippin den Kleinen geſchwächt, dur defien Sohn Earl vernichtet. 

Aber die Earlinger halfen weder, noch fchenkten fie ohne entipredyende 
Gegenleiftungen. Wer den Zwed will, muß aud die Mittel wollen, die 
Klugheit jchrieb daher den Päbften vor, das Unvermeidlihe mit Faſſung hin: 
zunehmen, und bei Ausführung der unumgänglihen Maßregel Sorge zu 
tragen, daß Petri Stuhl fo viel als möglich Nugen ziehe. Sie haben, glaube 
ich, diefer Obliegenheit genügt, und ihr Betragen erfcheint nach meinem Dafür: 
halten tadellod. Stets und unter allen Umftänden werden die Mächtigen der 
Erde Einfluß auf Beſetzung des Etuhles Petri zu erringen ſuchen und zwar 
darum, weil im Bereiche diefer Anftalt die größten Interefien zufammenlaufen; 
fie üben den fraglichen Einfluß heute noch durch das Recht der Erclufive, wie 
fie ihn vor vierzgehnbundert, vor taufend, vor vierhundert Jahren, wenn auch 
in anderer Form, übten. Böllig verfehrt wäre c8, die Dinge anders anzus 
ſchauen, als fie in Wahrheit find, oder fich einzubilden, daß man einer vor 
handenen Laft dadurch entweiche, wenn man vor ihr die Augen jchließt. Die 
Welt geht deßwegen doch ihren gewohnten Gang, welder darin beiteht, daß 
Mächtige ſtets ihre Macht zu entfalten und zu mehren ftreben. 

Unverholen erfannte Pabſt Hadrian I. den vollen Umfang der Macts 
befugnifje an, welde dem Franfen Carl das Echugrecht über den römijchen 
Stuhl verlich. Im Jahre 776, dem dritten nad der großen Schenkung, 
jchrieb') der Pabſt an den König: „nächft Gott haben Wir die Seelen aller 
Römer in deine Hände gelegt, darum hilf Uns, damit nicht die Völker aller 
Drten ſprechen: wohin hat dad Vertrauen geführt, das die Römer nächſt 
Bott auf ven König der Franen fepten! Du wirft bereinft vor dem Richter 





2) Benni I, 345. 


Eichtes Und. Cap. 9. Gturz d. Bangobarbenreiche. Wahrer Sinn d. carling. Echenkungen. 43 


Auble des Allmächtigen von deinen Thaten Rechenichaft ablegen müſſen, denn, 
noh einmal wiederhole Jh den Sag: gemäß dem Befehle Gottes und bes 
Apofelfürften haben Wir die heilige Kirche, das römiihe Volk, die Stadt, 
Uns ſelbſt, völlig Deinem Schuge überantwortet.” 

Bierzehn Jahre jpäter, gegen Ende feines Pontififats, da alle Wirfungen 
des Schenfungsaftd von 773 offen vor ihm dalagen, fand derſelbe Pabſt 
nöthig, feierlich Einſprache gegen gewiſſe Gcwaltthaten der Echugmadt eins 
wiegen. In einem Briefe‘) vom Sommer 790 Hagt er, daß gewiſſe Ein 
wohner der (unmittelbar dem h. Stuhle untermorfenen) Gebiete Ravenna und 
Pentapolis, welche widerrechtlich am fränfiihen Hofe gegen ihren Gebieter, . 
den Pabſt, Beichwerden geführt hätten, nicht nah Rom ausgeliefert worden 
jeien, während der König doch in ähnlichen Fällen Unterthanen des Herzogs 
von Benevent diefem zu überantworten befohlen habe. Dann fährt Hadrian 
fort: „Wir müſſen Eu bitten, daß, gleihwie Wir die Treue, die Wir Euch 
gelobten, unverbrüdhlid bewahren, und die Ehren, die Euch als Patricier ges 
bühren, ungejchmälert erweilen, alſo auch Ihr unjere Rechte als Patricier von 
Ravenna und der Pentapolis, vie Uns die Echenfung Eures Vaters Pippin 
verlieh und die Ihr durch bejondere Urkunden beftätigt und erweitert habt, 
ohne Rüdhalt achten wollt. Deögleihen erfuhen Wir Euch, die Rechtöregel 
einzuhalten, daß, gleihwie Wir feinen Franken, der aus Eurem Reiche zu 
Uns fommt, aufnehmen, er ſei denn mit Eurem Urlaub und Euren Briefen 
verjeben, aljo auch Ihr keinem Römer Gehör jchenket, dem Wir nicht Briefe 
oder Urlaub ertheilt Hätten.“ 

Hadrian legt fih hier — und zwar in Bezug auf das Exarchat von Ras 
venna, das Pippin dem dritten Stephan gefchenft hatte — den Titel Patricier 
bei, den, feit die fränfiihen Carlinger Echugvögte der römiſchen Kirche ges 
worden waren, jonft nur fie zu führen pflegten. Warum braucht er das Wort ? 
Ich kann mir faum einen andern Grund denfen, ald um anzudeuten, daß 
Petri Statthalter kraft der von Earl felbft beftätigten Schenkung feines Vaterd 
Bippin über den Exarchat diefelben Hoheitörechte anzuſprechen habe, welde 
Garl und feine Vorgänger vermöge der mit Stephan III. abgefchlofienen Vers 
träge in Bezug auf das Gebiet Roms oder den jogenannten römijchen Dufat 
übten. Hadrian will meines Erachtens jagen: wenn aud Carl vermöge des 
Ratriciats über römifche Rechtöfragen mitzuſprechen habe, jo gelte dieß nicht 
für Ravenna, dort fei der Pabſt alleiniger, ausjchließlicher Landesherr.. Im 
Uebrigen führt ebenverfelbe unzweifelhaft Beichwerde, daß diefe Hoheitsrechte 
durch fränkiſche Schuld und zwar wejentlich gefränft worden jeien. 

Er bringt aber noch eine zweite Klage vor, die einen ebenjo wichtigen 
Bunft betrifft. Seit der Zeit, da die Garlinger den Schug der römiſchen 


1) Ibid. I, 6520 fig. 


44 Pabſt Öregorius VII. und fein Zeitalter. 


Kirche übernahmen, muß zwijchen beiden Theilen, um ungeeignete Störungen 
diefes Verhältniſſes abzufchneiden, die Uebereinkunft getroffen worven fein, daß 
in Zufunft weder der Pabft Kranken, die ohne Urlaub ihres Königs fommen, 
noch umgefehrt der König Römern, die Feine Briefe des Pabſtes mit fich 
bräcdten, Gehör jchenfen werde. Auch diefe Zuſicherung war königlicher Seite 
gebrochen worden. Hadrian gibt deutlich zu verftehen, daß König Carl zum 
Nachtheile des Stuhles Petri Parthei unter den Römern made, indem er 
widerfpenftigen Unterthanen des Pabſtes geheimen over offenen Vorſchub leiſte. 

Die Schenfung vom Jahre 773 und die Verträge, auf welchen fie bes 
ruhte, waren alſo nicht in dem Sinne vollzogen worden, wie Hadrian Als 
fangs erwartet hatte. Faſſen wir jegt die laut dem Berichte des Pabſtbuches 
vergabten Güter ind Auge. Seit der zweiten Hälfte ded achten Jahrhunderts 
hat Petri Stuhl unzählige Schenkungen von Klöftern, ja mandymal von ganzen 
Reichen erhalten, wie 3. B. Ungarn durd Urkunde‘) Könige Stephan IL 
vom Jahre 1000, Polen?) um viefelbe Zeit durch Boleslaw Chrobry, Engs 
land) durch Wilhelm den Eroberer, Arragun) durd König Sandho, ohne 
daß die Echenfung andere Früchte getragen hätte, als von Seiten der Klöfter 
gewöhnlich des Jahre einen Byzantiner, von Seiten der Staaten einen im 
Ganzen jehr mäßigen Peterszins. Könnte nicht die Akte von 773 wenigftend 
zum Theil in einem Ahnlihen Sinne gemeint oder doch ausgeführt worden 
fein! Es verfteht fih, daß in Entſcheidung diefer Frage nur fihere Urkunden 
Beweisfraft haben. 

In einem an den fränfifchen König gerichteten Briefe vom Jahre 788 
ſpricht') Pabſt Hadrian davon, daß Earl dem Apoftelfürften Petrus zum Heile 
feiner Seele außer andern Drten auch die Etadt Capua geopfert habe. Syn 
einem zweiten Schreiben vom nämlihen Jahre meldet‘) er dann: „ih babe 
neulich in der Kapelle des b. Petrus Bürger von Capua jowohl der römifchen 
Kirhe und Uns, ald auch Eurer königlihen Herrichaft, Treue ſchwören laffen.* 
Niemand wird, denfe ih, auf den Gedanken gerathen, daß Hadrian aus eis 
genem Antriebe neben der Huldigung für fih auch die für den König forderte, 
fondern der gefunde Menjchenverftand nöthigt anzunehmen, daß er jo handelte, 
weil er vom Könige dazu beftimmt, oder, deutſch gejprochen, verpflichtet worden 
war. Das heißt mit andern Worten, Carl der Große hatte troß der Schen⸗ 
fung fih die Mitherrichaft über Capua vorbehalten. 

In welcher Zorn wurde nun eine ſolche Theilung der Gewalt ind Werl 
geſetzt? Aufihluß gibt ein gleichzeitiges Schreiben‘) an den König, worin der 
Pabſt Hagt, daß, als er neulich feine Bevollmächtigten abſchickte, um der 
föniglihen Schenfung gemäß das Gebiet von Benevent zu übernehmen, den 


1) Sfrörer, Kirch. Geſch. IT, 1533 fig. *) Ibid. ©. 1528. 5) Band III. diefes Werts 
©. 648 fly. %) Gbenfo IV, 459 flg. 6) Cenni I, 483 unten fig. %) Daf. ©. 487. 


Siebtes Buch. Gap. 3. Chung d. Bangobarbenreiche. Wahrer Sinn d. carling Schenkungen. 45 


ſelben nur die bifchöflichen Güter, die Klöfter fammt den Schlüſſeln der Etädte, 
auch die vorhandenen Schaphöfe oder Kammergüter, nicht aber die Infaffen 
jugewiefen worden feien.” Weiter unten heißt ed: „unmöglich können Wir 
unter diefen Umftänden die übergebenen Städte behaupten, fobald einige der 
Infaffen fih gegen uns verſchwören.“ Roc berichtet der Pabft über eine 
Aeußerung, welche angeblih Grimoald, des Arigis Eohn, vor einiger Zeit 
zu Capua fallen ließ. „In Anmwefenheit Euer Sendboten prahlte derfelbe: der 
König Hat ſelbſt zu mir gefagt, jedem, fei er groß oder klein, ſteht es frei, 
nah eigenem Belieben mein Dienfimann oder der jedes Andern zu werben. 
Der König will Niemanden deßhalb Zwang anthun.“ 

Das Wort, mit welchem das Schreiben die Inſaſſen bezeichnet, die nicht 
zugleich mit den Städten den Bevollmächtigten übergeben worven, lautet homo 
und bat befanntli im mittelalterlihen Latein den Nebenbegriff Dienftmann 
oder Baal. Zuſammt den bifhöflihen und Flöfterlihen Gütern, fo wie 
den nicht als Lehen ausgegebenen Echaghöfen!) hatte der Pabſt die Hörigen 
empfangen, welche diefe Ländereien bebauten und ihnen Werth verliehen. Die 
unterthänige Bevölferung war ihm daher nicht entgangen, wohl aber bie freie, 
oder diejenige, welche in Lehenvienften ftand und Waffen trug. Daß dieß der 
Sinn fei, erhellt au8 dem folgenden Satze, wo Hadrian I. erflärt, daß er die 
Etädte, wenn man ihm nicht mit ihnen die Infaflen übergebe, unmöglich zu 
behaupten vermöge, fobald einige diefer Infaffen auf Empörung fännen. Die 
homines find die bewaffneten Dienftleute, fie bilden die Kriegerfafte, darum 
ift ohne ihren Beitritt oder gar wider ihren Willen die Vertheidigung der 
Städte unmöglich. 

Wem fielen bei erfolgter Webergabe ver Schaghöfe und der anderen Güter 
die homines zu? Sie blieben in unmittelbaren Dienften des Königs Carl oder 
in mittelbarem DBerband mit der Krone als Untervafallen der größeren Lehens⸗ 
berren, denen fie der König zutheilte. Dieß erhellt abermals aus der Aeuße⸗ 
rung Grimoalds, welche der Babft mit gutem Bedacht in fein Schreiben herein» 
sieht. Die Vafallen, von denen Grimoald mit Berufung auf die ausdrüdliche 
Willendmeinung des Königs gejagt haben fol, daß ed Jedem frei ftehe, in 
feinen eigenen Dienft oder in den eined andern Föniglichen Lehenträgers zu 
treten, find diefelben, deren Nichtüberweifung an feine Bevollmächtigte der 
Pabſt beklagt. 

Allerdings lauten die Worte ded Briefs ſcheinbar fo, ald ob Hadrian 
glaube, es ſei nicht des Könige Schuld, ſondern böfer Wille irgend eines 
untergeordneten Werkzeugs gewefen, daß den päbftlihen Abgeordneten nicht 
jammt den geiftlihen Gütern und den Schaphöfen auch die Vaſallen übers 
geben wurden, fowie al8 ob Grimoald nicht im Auftrage Carls, jondern aus 


) Ibid. ©. 496. 2) Curtes publioae. 


46 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitallter. 


Prahlerei und ohne Ermächtigung jene Worte ausgeſprochen habe. Aber die 
war nicht die wahre Meinung des Pabſtes, fondern er bat die Korm m 
deßhalb gewählt, um feine Klage auf fo fchonende Weiſe ald möglich vorzu 
bringen. Die Vafallen wurden tem Pabſte deßhalb nicht überantwortet, we 
der König es fo befohlen hatte, ebendiefelben bfieben im Dienfte Grimoald 
oder anderer größerer Lehenträger, und zwar abermal, weil es dem König | 
genehm war. Um vieß zu beweilen, bebarf es nur eines Blicks auf die Ge 
ſchichte Grimoalds. 

Derſelbe ſtammte aus dem alten langobardiſchen Herzogshauſe. Caı 
der Große hatte im Jahre 787 Grimoalds Vater, Arigis, mit Krieg über 
jogen,‘) auch genöthigt, ſich zu unterwerfen und Geißel, worunter feine 
eigenen Eohn Grimoald, zu ftellen. Aus dieſem Anlafie war Grimoald alı 
Gefangener nad Francien abgeführt worden. Während er dort weilte, ftarl 
der alte Arigis und dieſer Todesfall erledigte das Herzogtum. Sowie Pabi 
Hadrian Solches erfuhr, wandte er fi in einem noch vorhandenen Schreiben? 
an König Carl, bat, ja befhwor ihn, das eröffnete Großlehen nicht an Grimoali 
zu vergeben, weil, wenn diefer zur Macht gelange, Mittelitalien fich nie ge: 
deihlicher Ruhe erfreuen würde. Allein Earl borchte nicht auf die Borftel: 
lungen des PBabftes: im Jahre 788 ernannte?) er Grimoald zum Rachfolger 
feines Vaters im Herzogthum Benevent. Kurz darauf orbnete der König 
an, daß das nämliche Gebiet dem Pabfte in der oben bejchriebenen Weile 
übergeben werbe. 

Nun verfteht es fih von felbft, daß der König, um zwei an ſich fo wider: 
iprebende Maaßregeln aufrecht zu erhalten, nothiwendig jenen Mittelweg ein 
Ihlagen mußte. Die Nichtüberlieferung der Inſaſſen war folglich keineswegs 
ein Werk der Eigenmädtigfeit von Vollzugsbeamten, fondern ausgeſprochener 
Wille des Könige. Desgleichen kann Fein Zweifel obwalten, daß ed Grimoald 
jelbft geweſen ift, zu defien Bunften die Inſaſſen dem Pabft vorenthalten wurden. 

Aber auch abgefchen von diefen zwingenden Gründen wird Fein Bernünfs 
tiger glauben, daß Beamte Carls des Großen ohne defjen beftimmte Ermäd: 
tigung gewagt haben würven, in folder Weife, wie ed in Benevent geſchah, 
den Pabſt herumguzichen. Dinge der Art ereignen fi nie oder ſelten in 
Wirklichkeit, fondern fie werden vorgejpiegelt, um verfnechtete Völker mit ber 
bequemen Lehre zu vertröften, daß große Herrn ftetd nur das Beſte ihrer 
Bölfer wollen und daß an dem vielen Echlimmen, das gleihwohl unläugbar 
auf Erden geſchieht, einzig unbegreiflihe Bosheit hochfürftliher Werkzeuge 
ſchuld fei. 

Laut unbeftreitbaren Thatfachen beftand, wie man fieht, die Schenfung 
Deneventd darin, daß dem Pabfte erftens die Kloͤſter und bifchöflichen Län, 


) Berg I, 168 flg. ?) Genni I, 477 unten fig. ’) Perg I, 17& 


Siebtes Bud. Gay. 3. Sturz & Langobardenreichs. Wahrer Sinn d. carling. Schenkungen. 347 


dereien, zweitens gewiſſe Schaphöfe zugewielen wurden. Durch Uebergabe des 
kloͤſterlichen nnd bifchöflichen Eigenthums verlor weder Earl, noch gewann ber 
Pabſt etwas Wefentlihes, denn Ehren halber durfte weder der Erftere fih an 
diefen geiftlihen Gütern vergreifen, noch der Andere Nugen aus ihnen ziehen. 
Ueberdieß hätte der König unter allen Umſtänden dem Etatthalter Petri das 
DOpberauffihtörecht über diefelben zugeftehen müflen. Auch ven zweiten Theil 
der Schenkung hat man guten Grund möglich nieder anzuſchlagen. Es gab 
im Gebiete von Benevent Kronvafallen genug, die nämlichen, über deren 
Richtunterwerfung der Pabſt Beichwerde führt. Nun wurden foldhe Vaſallen 
überall mit Schakhöfen ausgeftatter, folglich ift in hohem Grade wahrſchein⸗ 
lich, daß deren, die noch nicht in Lehen nerwandelt waren, nur wenige ge; 
weien find. Damit aber bei folhem winzigen Umfang der Gabe der Schein 
gerettet werde, fügte Carl ein fäußeres und prächtiges, obgleih an ſich leeres 
Zeichen des Eigenthums, nämlidd — die Echlüffel der Städte, bei, die Im 
Gebiet von Benevent lagen. Die wirflihe Macht und Gewalt dagegen, d. h. 
den Befehl über die Bafallen, behielt ver Frankenkönig feinem Lehenträger 
“ Grimoald oder vielmehr fi jelber vor. 

Ganz fo, wie in Benevent, ging ed auch in Capua zu, denn auch dort 
mußte der Pabft, wie wir wiſſen, bei der Uebergabe fi eine Theilung ges 
fallen lafjen, die ohne Zweifel eine Löwentheilung war. Ueberdieß bemerfe 
man, daß Grimoald die Worte, über welche Pabft Hadrian mit Recht Hagt: 
„der König will, daß jeder Bafall, fei er Elein oder groß, nad Belieben in 
meine oder jedes anderen Lehenträgerd Dienfte treten kann,“ nicht in Benevent, 
jonden in Capua geſprochen hat. Vermöge diefer Reden benahm er ſich als 
Herr von Capua, und er war ed aud in der That. Erſt um die Mitte des 
neunten Jahrhunderts ift Capua von Benevent getrennt und zu einem befons 
deren Kürftenthum eingerichtet worden.) An einem prächtigen Vorwande, 
mit welchem er jeine Weife zu Ichenfen befchönigte, Fann ed dem Franken⸗ 
tönige nicht gefehlt haben. Sicherlich ſprach er zum Pabſte: ich habe hoch 
und theuer gelobt, dad irdiſche Eigenthbum des Apoftelfürften zu ſchützen. 
Damit ich diefe Heilige Pflicht erfüllen fann, bedarf ih Soldaten, und zwar 
Soldaten, die raſch bei der Hand find. Ihr werdet daher, hoffe ich ſelbſt, 
bie unumgänglihe Nothwendigkeit einfehen, daß ich fämmtlihe Vaſallen der 
Lande, die ih Eurem Stuhle ſchenkte, unter meinem Befehle und in meinen 
Dienften zurüdbehalte. 

Im Angeſichte der eben entwidelten Zeugniffe und noch anderer, von 
denen unten die Rede fein wird, ift von Älteren Schriftftellern, namentlich von 
dem Römer Cenni, die Behauptung aufgeftellt worden, man müfle in der gros 
Ben Schenkung Carls vom Jahre 773 verfchiedene Klaffen von Gütern unters 


*) Muraiggi, script. rer. italic. Vol. I, 2. ©. 390. a, Bitte. Vol. IV, 298, b. unten, 


48 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


ſcheiden: in einigen ®ebietötheilen habe er dem Pabfte nur eine mittelbare 
Herrſchaft eingeräumt und fich die wichtigften Hoheitsrechte vorbehalten, andere 
dagegen feien der römijchen Kirche rückhaltslos übergeben worten, aljo daß 
dort nur der Pabft zu gebieten hatte. Alm feinen Sag zu erhärten, beruft 
fib Eenni darauf, ') daß Pabſt Hadrian gleich einigen feiner Vorgänger in ihren 
amtlichen Ecreiben häufig gewiffe Städte durch das Wörtchen nostrae als 
volle Eigenthum der Kirche bezeichne, während von anderen Orten, bie doc 
auch einen Theil der erften Echenfung Pippind oder der zweiten Carls aus: 
machten, der gleihe Ausdrud nicht gebrauht werde. Ich gebe die That: 
jache zu und will nicht läugnen, daß der Pabft einen Unterfchied zwifchen 
mittelbaren und unmittelbaren, vollen und halben Befigungen mache, aber der 
zweite Theil der von Cenni aufgeftellten Behauptung, naͤmlich daß der Pabft 
in den unmittelbaren Streden auefchließliher Herr geweſen fei, wird durch 
Ihreiende Thatfachen widerlegt. 

Unter allen Befigungen, welche Petri Stuhl carlingiiher Großmuth ver: 
danfte, war feine aus Gründen des Rechts fo vollfommenes und unbeftreitbared 
Eigenthum der römischen Kirche, als das ſchon von Pippin an Etephan IM. 
übergebene Erarchat. Nicht nur legt fih Hadriau L in dem oben angeführten 
Briefe den Titel Patricius von Ravenna bei, fondern auh König Carl er: 
fannte bis zu einem gewiffen Grade das volle Befigrecht des Pabſtes an. 
Der genannte Herrſcher hatte angeordnet, daß alle venetianiihen Kaufleute aus 
dem fränfifhen Stalien vertrieben werden follten. Auf die Kunde von dieſer 
Mapregel fchrieb?) Hadrian 785 an den König: „eurem Willen gemäß habe 
Ih Befehl ausgehen laffen, daß unverzüglich die venctianifchen Kaufleute das 
Gebiet von Ravenna und Pentapolis räumen, aud an den Erzbiſchof von 
Ravenna den Auftrag ertheilt, die Venetianer aus allen Gütern und Schloöſ⸗ 
fern, die fie auf dem Boden des Erardats inne haben, zu vertreiben." In 
politiiher Beziehung verhielt fi damals der Pabft zu Earl dem Großen, wie 
in den Zeiten des Rheinbundes die unter franzöſiſchem Schutze ftehenden deut: 
Ihen Fürſten zum Kaiſer Napoleon L Als diefer die Sperre der englifchen 
Waaren auf dem europäiſchen Feſtlande befchloffen hatte, gab er in allen uns 
mittelbaren Landen feinen Beamten Befehl, die zur Ausführung nöthigen 
Mapregeln anzuordnen, in den Rheinbundftaaten dagegen vollzogen die Fürs: 
ften, welche cbenfo wie Habdrian für Souveräne galten, den Willen des Herr: 
jherd. Das gleiche Verfahren beobachtete Carl. Hätte er den Pabſt nicht 
ald Herrn des Exarchats behandelt, fo würde er nicht gewartet haben, bie 
Hadrian jenen Befehl ergehen ließ, fondern unmittelbar eingefchritten fein. 

Demnach jollte man erwarten, daß der Pabft ruhig ſich des Beſitzes ber 
Ravennatifhen Lande erfreute und durch fränfifhe Gewaltthat nicht darin 





‘) Monum. dominat. pontif. I, 293. 2) Ibid. ©. 459 fig. “ 


Siebtes Buch. Gap. 3. Sturz d. Langobardenreichs. Wahrer Sinn d. carling. Schentungen. 49 


geftört worden fei! Aber weit gefehlt! Nachdem Carl das Tangobarbifche Reich 
vernichtet und die prächtige Schenfung, deren Gränzgen das Pabftbuch be- 
Ihreibt, an die römijche Kirche verliehen hatte, Eehrte er 774 in die Heimath 
wrud, um fofort die Sachſen zu befriegen. Kurz darauf lief im fränfifchen 
Hoflager ein Brief‘) aus Rom ein, worin fih Hadrian beflagte, daß ver 
Enbifhof Leo von Ravenna gleih nad dem Abzuge Carls vom Boden Jtas 
iind die päbftlichen Beamten aus dem größten Theile des Exarchats vertrieben, 
be Städte Forlimpopoli, Forli, Faenza, Ceſena, Bobbio, Comadio, das 
Herzogthum Ferrara, Imola, Bologna an fi gezogen habe, und was das 
Ehlimmfte, daß er behaupte, zu folden Miffethaten von Carl ſelbſt ermächtigt 
worden zu fein. Sc verweife einfach auf die früher gemachte Bemerkung: 
undenfbar, ja geradezu unmöglich ift, daß der Ravennate Dinge der Art ohne 
Einwilligung Carls wagte. Wie würde derſelbe gezüchtigt worden fein, hätte 
er auf eigene Fauſt gehandelt! Er erlitt aber feine Strafe, fondern behielt?) 
den Raub wenigftend bis gegen Ende des Jahres 775. 

Der Frantenfönig hat alfo feine Zuftimmung zu den Gewaltftreihen des 
Ezbiſchofe Leo gegeben. Warum er dieß that, ift leicht zu enträthieln. Der 
Stuhl von Ravenna war?) ein alter Nebenbuhler des Roͤmiſchen: Carl beus 
te diefe Eiferfucht für feine Zwede aus, denn er befolgte den Grundſatz: 
herrſche durch Theilung. Niemand außer ihm, am allerwenigften der Pabft, 
ſollte zu gefährlicher Höhe emporwachſen. Indeſſen hatte Hadrian das Redt 
fo vollfommen, fo unzweifelhaft auf feiner Seite, daß etwas geichehen jein 
muß, um den NRavennaten zu dämpfen. Aus dem oben erwähnten päbſtlichen 
Briefe von 785 geht hervor, daß um die angegebene Zeit Hadrian Herr im 
Gsardate war. Geihwohl famen die Nachfolger Leo's fpäter, wie ich unten 
eigen werde, auf ähnliche Anmaßungen zurüd, da die Carlinger und aud 
andere deutſche Könige von Zeit zu Zeit den Naden der Ravennaten fteiften. 

Dafielbe, was vom Erarchate, gilt von dem langobardiſchen Bürftenthum 
Spoleto. Der Berfaffer der Pabſtgeſchichte erzählt:*) „ald im Sommer 773 
der Langobarvenfönig Defiverius wider den anrüdenden Franken Carl nad 
den Klaujen der Alpen zog, um den Feind zurüdzutreiben, kamen einige ans 
gefehene Einwohner der Stadt und des Gebiets Spoleto (welches bis dahin 
von der langobarbiichen Krone abhing), nad Rom zu Pabft Hadrian und 
erklärten ihre Bereitwilligkeit, die Herrichaft zu wechleln und fih dem h. Stuhle 
m unterwerfen. Auch die übrigen Spoletiner hätten gerne das Gleiche ges 
tban, und fie unterließen es nur aus Furcht vor der damald noch ungebros 
denen Madıt des Königs Defiverius. Allein nachdem derſelbe in den Alpen 
geihlagen worden war, eilten alle nad Rom und hulbigten einmüthig dem 


1) Ibid. ©. 321 fd. 5) Ibid. ©. 334 fl. 2) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. M, 77 fig. 
583. 983. 985. 1124. 2) Muratori, script. ital. III, a. ©. 185, a. oben flg. 
Ofrörer, Pabſt Gregorins vi. Br. V. 4 


50 Vabfi Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Pabſte. Hadrian geleitete fie an das Grab des Apoftelfürften und nahm ihnen 
dort den Eid der Treue für fie felbft und für ihre Nachkommen ab. Dann 
forderte er fie auf, einen Herzog zu erwählen, der im Namen des Pabſtes 
hinfort das Gebiet von Spoleto verwalten ſollte. Die Wahl fiel auf Hilde 
brand, einen der Vornehmen, welche ſchon vor der Schladt in den Alpen fi 
zu Rom eingefunden hatten. Hadrian beftätigte hierauf den Gewählten und 
feste ihn in fein Amt ein.“ 

Man fieht: als Earl nad) Vernichtung langobardiiher Macht Rom be 
fuchte und die viel erwähnte Schenfung außftellte, war die Einverleibung Spo⸗ 
leto’8 in den Beſitz des h. Stuhles bereits eine vollendete Thatſache. Bereit: 
willig hat der Franke diefelbe anerfannt. Im Jahre 776 jchreibt‘) Habdrian 
an Carl: „mit eigener Hand haft du zum Heile deiner Seele dem Apoftel- 
fürften Petrus, deinem himmlischen Beichüger, dur Vermittlung unferer Wenig: 
keit das Herzogthum Spoleto geopfert.“ 

Trotz alledem behauptete Petri Stuhl faum ein Jahr lang Spoleto. In 
dem vorerwähnten Briefe‘) klagt Hadrian, daß zwei fränkiſche Sendboten, 
die der König nach Italien beorvert habe, und deren Aufgabe geweſen fei, 
nah Rom zu eilen, troß der dafeldft für ihren Empfang getroffenen Borbe 
reitungen fih zum Herzoge Hildebrand begaben, geheime Unterrebungen mil 
ihm pflogen, dann mit Umgehung Roms ſich nad) Benevent wandten und 
allen päbftlihen Einladungen, nah Rom zu fommen, Mißachtung entgegen 
fegten. In einem zweiten, wie es fcheint, um wenige Wochen fpäteren 
Schreiben?) ftelt der Pabft den Herzog Hildebrand als einen Verräther hin, 
der damit umgehe, im Bunde mit den Herzogen Arigid von Benevent, Rod 
gaud von Friaul und Reginald von Ehiufi die römiſche Kirche ihres Befiges 
zu berauben. Hildebrand hatte jedenfalls nicht gegen Carl und die fränkiſche 
Herrihaft fi verfhworen, denn er behauptete nicht bloß fein Herzogthum, 
jondern aud die Gunft Carls bis 789, in weldhem Jahre er ſtarb. Einhard 
erzählt :) „im Frühling 779 erfhien Herzog Hildebrand am Föniglichen Hof 
lager mit prächtigen Gaben, fand fehr gnädigen Empfang und warb reichlich 
beſchenkt in fein Herzogthum zurüdgefchidt.“ 

Dagegen ift wahrfcheinlih, daß Pabſt Hadrian geeignete Vorkehrung 
wider den beim Hofe beliebten Langobarden traf. Plötzlich kommt nämlich in 
Spoleto neben Hildebrand während der Jahre 775 und 778, alſo zur näm- 
lihen Zeit, da ver Pabſt feine Unzufriedenheit über Hildebrand offen aus 
ſprach, ein anderer Herzog, genannt Hilvebert, zum Vorſchein, der zum letzten⸗ 
male in einer Urkunde vom Jahre 787 erwähnt wird und dann fpurlo® vers 
ſchwindet.) Die Sade if räthfelhaft, meine Meinung geht vahin, daß 


— 


*) Cenni I, 341 unten flg. *) Ibid. ©. 343 fig. 3) Berg I, 161. ) Mus 
ratori, annali d'Italia ad a. 775. 





Gichted Buch. Gap. 4. Fraͤukiſche Lehen innerhalb des der rom. Kirche gefchenkten Gebiets. 31 


Hildebert ein Doppelgänger war, den der Pabft als fein Geſchöpf dem 
Königlichen Herzoge entgegenjegte, aber ohne ihn in die Länge aufrecht erhalten 
zu Fönnen. 

So viel fteht jedenfalls feſt, daß Hildebrand durch geheime Einflüfte- 
mngen des fränkifchen Hofes dem Pabſte abipenftig gemacht und auf die 
fnigliche Seite berübergeleitet worden if. Nach Hildebrands Tode zog 
König Carl die Beſetzung des Herzogthums Spoleto offen an ſich. Der erfle 
ſpoletiniſche Herzog Fönigliher Schöpfung war der Franke Winigis, den Carl 
789 zum Nachfolger Hilvebrands erhob.) Die fpäteren Gewalthaber zu 
Spoleto wurden feit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts fehr ges 
fuͤhrliche Gegner des Stuhles Betri. 

Der Frankenkönig Earl unternahm noch ganz andere Gewaltftreiche, als 
die Verführung eines Herzogs, wider den Pabſt Hadrian J. Diejer befchwert 
fh in einem Schreiben?) vom Jahre 777, daß der König fo weit gegangen 
jd, wider einen päbftlihen Geſandten wegen einiger mißfälligen Worte, die 
verfelbe ausſprach, Haft zu verhängen. „Ein folhes Verfahren,“ erklärt Has 
drian, „ſei noch nie erhört worden, feit die Welt ſtehe.“ Der berühmte Franke 
hatte zuweilen Anfälle von Sultanss2aunen, denen er in der Leivenichaft 
freien Lauf ließ. Vermuthlich beftand das Verbrechen des Römerd darin, 
daß er dem Könige ind Gefiht fagte, was alle Welt wußte und dachte, näms 
ih fein Gebieter, der Pabſt, fei mit der angeblihen Scenfung getäufcht 
worden, was denn der Franke, weil es wahr war, unerträglich fand. 


Biertes Kapitel. 


Uberfiptliche Geſchichte der von Carl dem Großen innerhalb des angeblich ber römifchen 
Kirche geſchenkten Gebiets eingefeßten Fleinen Herzogthümer Chiufl, Florenz, Lucca (aus 
welchen fpäter die tuscifche Marke entfland), fo wie ber drei großen Lehen Frianl, 
Spoleto, Benevent. Nacweifung, wie durch fränkifche Politif Friaul in vier Grafs 
fhaften (die jedoch in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhundertd wieder zufammen: 
wuchfen), Spoleto in zwei Theilmarken (Spoleto und Camerino), Benevent endlich in 
drei Fürſtenthümer (Capua, Galerno, Benevent), aufgelöst wurbe. 


Was in Capua, in Benevent, in Spoleto geihah, was im Erardate 
verfucht warb, wiederholte fih auf vielen anderen Punkten. Seit der Zeit, 
va Carl das Reich der Langobarden umftieß und zugleich jene Schenkung an 
bie roͤmiſche Kirche machte, kommen innerhalb des Gebiets, das, wenn bie 
Senkung eine Wahrheit ward, dem Stuhle Petri zufallen mußte, eine Reihe 
thells größerer, theils Kleinerer, vom Könige eingefegter Dynaften zum Bors 
ſchein. Ich will, mit den Fleineren beginnend, eine Weberficht derfelben geben. 


') Ibid. ad a. 789 und Perg I, 174 u. 175. 2) Genni I, 362. 
4° 


52 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Hart an der Gränze des heutigen Toscana gegen den Kirchenftaat, zwi⸗ 
fhen Arezzo und Orvieto, liegt das alte Elufium, jetzt Chiuſt. Aus den 
Briefen des Pabftes erhellt, daß dort ein Herzog hauste, welcher Reginald hieß. 

Im Jahre 776 fchreibt‘) Hadrian an König Carl: „Reginald, der früher 
(langobarbifcher) Amtmann (castaldus) im Caſtel Felicita?) war, jebt ale 
Herzog in Elufium figt, ein treulofer Menfh und Sämann des Linfrauts, 
bört nicht auf, Uns und die heilige Kirche zu bedrängen, alles, was Ihr zum 
Helle Eurer Seele dem NApoftelfürften fchenftet, will er an fi reißen; erfl 
neulih hat er Uns das Schloß Felicita weggenommen. Unmöglih kann Ich 
glauben, daß du, o gütigfter Sohn und allerriftlihfter König, um Dielen 
Reginald zu erhöhen, deinen früheren Verheißungen ungetreu geworden ſeieſt.“ 
In den nächſten Sätzen befchwört er den König, daß er Reginald aus Tuss 
cien entfernen möge. Klar ift, Reginald war durd Carl felbft von der unters 
georbneten Stelle eined Gaſtalden, welche derjelbe unter dem Langobarbenfönig 
Defiderlus befleivet hatte,”) zum Ducat befördert worden. Auch kann es nicht 
ohne Borwiffen und Einwilligung Carls gejchehen fein, daß der neue Herzog 
den Pabſt bedrängte. Keine Spur findet fih, daß der Franke dem Wunfde 
des Pabſtes entiprohen und Reginald abgeſetzt hätte; allem Anfcheine nad 
blieb .er im Amte. 

Wie zu Ehiufi Reginald, fo waltete zu Florenz ein Herzog Gunbibrand, 
ber ed machte wie jener. In einem Screiben,‘) das um 784 erlaffen zu 
fein jcheint, bittet der Pabft ven König, Anordnung zu treffen, daß Gundi⸗ 
brand, Herzog der Stadt Florenz, genöthigt werde, gewiſſe Güter, bie ber: 
jelbe einem tusciſchen Klofter weggenommen, zurüdzugeben. unpibrant 
erhält zwar nur den Titel: Herzog der Stadt Florenz, aber aus einen 
weiteren Sabe des Briefs erhellt, daß fih feine Gewalt auch auf dai 
umliegende Land oder das Gebiet von Florenz erftredte, deſſen Ausbehnun 
allerdings nicht ermittelt werden fann. 

Ein dritter Herzog faß zu Rucca. In einem an Carl gerichteten Schrei 
ben?) vom Jahre 774 berichtet der Pabft, daß Herzog Allo einen gewiffe 
Gausfried, Bürger der Stadt Piſa, ver neulich das Fönigliche Hoflager be 
ſuchte, während deſſen Rüdfehr habe ermorden wollen. Noc einmal erwähn 
der Pabft denjelben Herzog Allo in einem Schreiben‘) vom Jahre 778, in 
welchem er fi) gegen den Vorwurf rechtfertigt, als hätten Römer den zwi 
hen Griechen und Langobarden getriebenen Sklavenhandel begünftigt: „nimmer 
mehr möge Eure Hoheit ſolche Dinge glauben, im Gegentheil haben Wir aı 
Herzog Allo Befehl ertheilt, Schiffe auszurüften und die griechiſchen Sflaven 
händler feftzunchmen, ihre Fahrzeuge zu verbrennen; aber Allo leiftete un 


1) Ibid. ©. 337 flg. 3) Die Lage beffelben ift nicht ficher bekannt. 2) Sul 
Desiderii temporibus (Raginoldus) jurgia seminare non omittebat. Ibid. S. 338. %) Ibid 
©. 437 unten fig. ) Ibid. ©. 319. °) Ibid. ©. 370. 


Siebtes Bu. Gay. 4. Fraxkiſche Lehen innerhalb bes der züm. Kirche gefchentten Gebiete. 53 


feinen Gehorſam.“ Weber aus dem einen noch aus dem andern Briefe geht 
bervor, ob Allo ein beftimmtes Herzogthum inne hatte, oder ob er etwa blos 
den Titel führte. Doc fieht man wohl, daß er ein mächtiger Mann war, 
ber dem Namen nady unter dem Befchle des Pabſtes ftand aber in der That 
fi) wenig um denfelben befümmerte. 

Dagegen weist‘) Muratori aus Urkunden nad, daß Allo Herzog in 
Lucca war. Schon in langobardifhen Zeiten gab es Herzoge dafelbfl. Urs 
fundlich erfcheint im Jahre 713 Walpert ald Herzog von Yucca. Auf Walpert 
folgten unter langobardiſchem Scepter Obert, Alpert, Tadipert; dann feit der 
- fränfifchen Eroberung der obengenannte Allo, weiter Wicheram und zwei Boni⸗ 
facius, Bater und Sohn, von denen Adalbert der Reiche abftammte, der in 
der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts das bisherige Lehen Lucca zur 
tusciichen Marfgrafichaft erweiterte, und auch in der Pabftgefchichte eine bes 
rüchtigte Rolle fpielte. 

Noch ein vierter Herzog wird in den Briefen Hadrians genannt, der 
allem Anſcheine nad irgendwo in Venetien hauste, ohne daß es jedoch moͤg⸗ 
ih wäre, feinen Sit näher zu beftimmen. Um das Jahr 784 jpridht?) der 
Pabſt von dem erlauchten Herzoge Garamann, der als königlicher Sendbote 
ausgeſchickt worden jei, um gewiflen Mißbräuchen Einhalt zu thun. Dann 
im folgenden Jahre — 785 — ſchreibt)) Hadrian an den König: „Herzog 
Garamann if unvermuthet in die Ländereien und Befigungen der Kirche zu 
Ravenna, welche unjerem Gebiete angehört, eingebroden. Und ob Wir ihn 
glei unverweilt ermahnten, wenn er anders ein treuer Unterthan des Könige 
jein wolle, unfer Eigenthum zu achten, hat er Uns Trotz geboten und bält 
noch heute jene Güter zurüd. Darum beihwören Wir Euch, folhen Unfug 
nicht länger zu dulden, jondern Garamann aus dem unrechtmäßigen Bells 
u vertreiben.“ 

Carl der Große verwandte gewöhnlich Laienbeamte, Grafen und dergleichen 
ald Sendboten oder Specialbevollmädtigte. Daß Garamann feinen Herzog» 
titel von einem oberitaliihen Gebiete — etwa wie Efte — trug, weldes 
hart an dad Erarchat grängte, ſcheint daraus gejchloflen werben zu dürfen, 
weil er fonft faum die — ohne Zweifel mit Carls Ermächtigung — in Be 
ſchlag genommenen Güter hätte in die Länge behaupten können. 

Einer der vier eben aufgezählten Herzoge, Allo von Lucca, fand ohne 
Zweifel, wie oben angedeutet worden, zugleich In des Königs und In des 
Pabſtes Pflibten, obwohl in Iegteren nur dem Namen nad. Denn wir 
ſahen ja, daß Hadrian ihm Befehle ertheilte, was ein Verhältniß von Ober⸗ 
berrlichkeit, aber au daß Allo nicht gehorchte — was Mißachtung voraus 


— 





*) Annali d'Italia ad annos 775 u. 785, fo wie antiquit. Ital. I, 227 flg. 2) Cenni 
1,433. ?) Did €. 460. 


5A Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


ſetgt. Wahrfcheinlich gilt Ebendaſſelbe audy von den andern drei. In einem 
Schreiben aus dem Jahre 789 fpriht‘) Hadrian L, König Carl anredend, 
von zwei Herzogen, Gonftantin und Paulus, „die zugleich die unfrigen und 
die Eurigen find,“ d. h. dem Pabfte und dem König geichworen haben. 
Als Carl, ftatt Chiuſi, Florenz, Lucca unmittelbar an Petri Stuhl abzutreten, 
Herzoge dort einfegte, wird er, denfe ich, um den Schein zu retten, diejelben 
zugleih dem Pabfte verpflichtet haben. Da aber die Herren wohl merften, 
daß lehtered Berhältniß bloße Maske fei, machten fie ed, wie andere Beamte 
e8 machen: fie fangen das Lied des Brodgebers, vernadyläffigten und belei- 
digten dagegen den Pabſt. 

Zu den vier Heinen Herzogthümern fommen noch drei große, auf lange 
barbiiher Grundlage fortgebaute. Ich habe anderdwo ?) bemerkt, daß bis 
in die erften Zeiten des Langobarbenreichd hinauf der Beſtand dreier bedew 
tender Kronlehen, der Marken oder Herzogthümer Friaul (Forum Julii) Epos 
leto und Benevent nachgewieſen werben fann. Carl behielt diefelben bei. Zur 
Zeit der fränfifchen Eroberung war Rodgaud Herzog in Friaul. Carl Lie 
ihn im Amte. Aber als der Lombarde fih 776 empörte, brach ver König 
in Friaul ein, erjhlug den Herzog und nahm die Städte defjelben Yorum 
Julii — einft eine langobardifhe Hauptftadt, norpweftli von Aquileja und 
längft zerftört — fowie Trevifo und einige andere im Sturm. Go erzählt‘) 
die Ehronif von Lorſch. 

Man erfieht hieraus, daß ſchon damals außer Friaul und Trevifo ned 
mehrere andere Städte, wahrfcheinlid Vicenza, Baſſano und vielleidht auch 
Padua zum Herzogthum Friaul gehörten. Auf Rodgaud folgte, durch Garl 
eingejegt, WMarcarius,*) deffen Todesjahr man nicht kennt. Als nächſter 
Herzog von Friaul erjcheint Erih, der ald Föniglicher Feldherr 796 einen 
vielgefeierten Sieg über die Avaren in Ungarn erftritt,’) aber drei Jahre 
fpäter — 799 — in Dalmatien zu Terfat unweit Fiume erjchlagen ward.‘) 
Nah ihm verwaltete die Mark Friaul Cadaloh, der die Unterthanen ſchwer 
bebrüdt haben foll und 819 ftarb.’) Auf ihn folgte Balderih, dem, Taut dem 
Zeugniffe”) Einhards, außer der Marke aud noch ein Theil des benachbarten 
Kärnthens anvertraut ward. Im Jahre 828 fiel er in Ungnade bei Kaifer 
Ludwig dem Frommen, welcher Balderich abfegte und die Mark felbft in vier 
Grafſchaften zerfchlug.®) 

Erft 20 Jahre jpäter — um 848 — taudht?) wieder ein neuer Herzog 
oder Markgraf von Friaul auf: verfelbe hieß Eberhard und war der Schwies 
gerjohn Ludwigs des Frommen als Gemahl Gifela’s, der einzigen Tochter des 


*) Ibid- S. 502. ) Oben ©. 13. ?) Ad a. 776. Berk I, 154. *) Gemi 
I, 373. ) Bere I 182 fig. *) Ibid. ©. 186. ’) Ibid. ©. 205, Mitte u. 206 
gegen oben. s) Ibid. ©. 217 oben. 7) Muratori, annali d'Italia ad a. 848. 


Cichtes Buch. Gap. 4. Yränfifige Behen innerhalb des der röm. Kirche gefchenkien Gebiets. 58 
& 


genannten Kaiſers aus der zweiten Ehe mit der Welfin Judith.) Ein jün⸗ 
gerer Zeitgenofle, der Preöbyter Andreas von Bergamo, berichtet:?) „die Lans 
gobarden hatten viel durch Anfälle der Elaven zu leiden, bis Kaifer Lothar J. 
(deinen Schwager) Eberhard zum Fürften in Friaul beftellte.” Der Chroniſt 
deutet Damit an, daß der Reuernannte die Vertheidigung der Norboftgrenge 
Stalins gegen die Südflaven übernahm. Eberhard ftarb um 867, einen 
Iegten Willen hinterlaffend, fraft defjen er Hab und Gut unter feine Söhne 
Unrody und Berngar vertheilte. Zunächft folgte ihm Unroch, dann nach deſſen 
Tode — um 875 — DBerngar, der fpäter italtenifcher König und Kaiſer wurde, 

Daß Pabft Hadrian im Jahre der Auflöfung des Langobardenreichs 
— 773 — den Lombarden Hildebrand zum Herzoge in Epvleto eingefept bat, 
wurde oben’) beridiet. Nach Hildebrande Tode empfing aus König Garls 
Händen die Marf Spoleto der Franke Winigie, welcher 822, nachdem er 
furz zuvor dem Weltleben entjagt hatte, mit Tod abging.*) Auf ihn folgte 
eine Reihe von Günftlingen des Kaijerhofes, die aber nur furze Zeit ihre 
Stellung behaupteten. Ich laſſe den Zeitgenofjen Einhard reden:“) „an Winigis 
Stelle ward Suppo, bid dahin Graf der (lombardiichen) Stadt Brescia, von 
Kaifer Ludwig dem Frommen zum Herzoge in Epoleto eingeſetzt.“ Dann 
weiter unten zum Jahre 824: „im Frühling 824 lief am fränfifchen Hofe 
die Nachricht ein, Daß Suppo geftorben fei, nun erhielt das erledigte Herzog⸗ 
thum Pfalzgraf Adalhard, den man den Jüngeren nannte; aber faum fünf 
Monate verwaltete er das neu: Amt, denn ein Fieber ergriff ihn, von dem er 
weggerafft ward. Zu feinem Nadyfolger ernannte der Kaijer den bisherigen 
Grafen von Brescia, Moring, der wenige Tage, nachdem er die Kunde 
feiner Erhebung empfangen hatte, in eine Krankheit verfiel, die mit Tod endigte.“ 

Sorgfältig gibt fonft Einhard die Reihenfolge der größeren Lehenfürften 
Italiens, namentlih der Herzoge von Spoleto, Friaul und Benevent an. Da 
er gleihwohl keinen erwähnt, der an Morings Stelle getreten wäre und ba 
auch andere Quellen verjelben Zeit oder der nächftfolgenden Jahre bis gegen 
836 bin nirgends Herzoge von Spoleto erwähnen, muß man den Schluß 
sieben, daß das Herzogthum unmittelbar nah Morings Tode nicht weiter 
verliehen worben ſei. Wohlan die gleiche Erfcheinung trat uns faft um 
diefelbe Zeit in Friaul entgegen! Auch diefed Lehen erlojh um 828 auf län- 
gere Zeit und zwar nicht dur Zufall, fondern kraft politiiher Berechnung. 
Denn der Ehronift meldet ja, Kaifer Ludwig der Fromme habe die Marfe 
Friaul in vier Graffchaften aufgelöst. Drängt ſich nicht die Vermuthung auf, 
daß Aehnliches mit Epoleto vorgegangen ſei. In der That verhält ſich die 


1) Ibid. ad a. 867 u. 877; fo wie script. ital. II, 1. ©. 185, a. Mitte. 2) Berk 
IH, 235 gegen unten. °) ©. 49 fig. *%) Pertz I, 209 gegen oben. 6) Ibid. ©. 209, 
212. 213. 


56 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


* 
Sache ſo. Wir werden unten ſehen, daß nach etlichen Jahren, ſtatt des einen 
Herzogthums Spoleto, zwei Bruchtheile zum Vorſchein kommen. 

Ueber die Gründe, warum die fränkiſchen Gewalthaber jo verfuhren, be 
merke ich vorläufig Folgendes: gegen das Jahr 824 begannen die erſten Strei⸗ 
tigkeiten über die künftige Erbtheilung des Reichs unter Ludwigs Söhnen. Dieſe 
Händel tobten bekanntlich ein halbes Menſchenalter fort und führten zu völ— 
liger Zerreißung fränfischer Reichseinhei. Was iſt nun wahrſcheinlicher, als 
daß ſowohl der alte ſchwache Kaifer jelbft, ald feine Söhne während der ges 
fährlihen Zerwürfniffe die Rothwendigfeit erfannten, Borferge zu treffen, 
damit nicht mächtige aber ungetreue Vaſallen die gute Gelegenheit zu eigener 
Erhebung mißbrauden. Das heißt: die größeren Herzogthümer mußten, nament: 
ih in Italien, das mit Ingrimm fränfiihe Ketten trug, niedergefchlagen 
werden. In der That ift ſolches geſchehen. Die Nachweiſung deffen, was 
um diefelbe Zeit in Benevent und in Rom vorging, wird etwa noch vorhan- 
dene Zweifel über den eben entwidelten Zuſammenhang zerftreuen. 

Italieniſche Chroniken, weldhe dem 9. und 10. Jahrhundert angehören, 
erwähnen, großentheild unabhängig von einander, ungefähr feit dem Jahre 842 
einen Wido oder Guido, weldher Herzog in Tuscien oder in Spoleto genannt 
und ald Franke, d. h. Nichtitaliener bezeichnet wird.) Aber zu gleicher Zeit 
taucht?) in Urkunden aus den Jahren 836 und 843 ein anderer Herzog von 
Epoleto, Berengar, auf, der aljo neben Wido geamtet haben muß. Was fol 
man bievon denfen? Es gibt nur eine genügende Erflärung, der auh Mu 
ratori beipflichtet. Wie ich unten zeigen werde, fteht feft, daß die Marfe Spo⸗ 
leto nach ihrer vollen Ausdehnung vom tusciihen Meere bid zum adriatifchen 
durch Mittelitalien reichte, aber in zwei Haupttheile, den Bezirf von Spoleto 
und den von Gamerino zerfiel, die häufig in verſchiedenen Händen waren. 
Der Höhenzug des Apennind trennte beide Bezirke, auf der weftlihen Ab- 
dachung liegt Spoleto, auf der öftlihen Camerino. Daher kann man jagen, 
daß die Natur jelbft bier eine Trennung vorgezeichnet habe. Run beftand 
zwilchen 820—844 zeitenweife jowohl die jpätere Ausdehnung ald auch die 
Zheilung in zwei Hände, und zwar die Ausdehnung, weil ſonſt der Faiferliche 
Hof feinen Anlaß gehabt hätte, dad Ganze zu zertrümmern, die Theilung, weil 
fonft nicht neben Berengar ein Doppelgänger Wido aufgeführt würde. 

Das Schidjal Beider war verſchieden. Berngar kommt nur bis 844 
höchftend bis 850 in Urfunden‘) vor, er muß daher unterlegen fein. Wido 
dagegen behauptete nicht nur feine Stellung bis zu feinem Tode, der um 864 
erfolgte, jondern er gründete auch eine Dynaftie, deren Sprößlinge den Thron 


) Pertz, script. III, 228 oben. 247, Mitte. 249, Mitte. 509 fig. 713 gegen oben. 
2) Muratori, annali d'Italia ad. a. 843 u. 844. RömersAusgabe von Jahre 1752. Vol. V, 
pars I, ©. 15 u. 24; vergl. idem script. ital. II, b. ©. 295. ) Idem script. Il, b. 
©. 925 u. Antigait. Ital. I, 283. 


Siebtes Buch. Gap. 4. Fraͤutiſche Lehen innerhalb des der roͤm. Kirche gefchenkggn Gebiete 57 


von Italien beftiegen, fpäter den Kaiſertitel erlangten. Die Laufbahn Wido's 
hat, wie man fieht, überraſchende Aehnlichfeit mit der des gleichzeitigen Her⸗ 
1096 von Friaul, Eberhard. Eine Heirath mit der Kuaiferstochter war «6, 
was Letzteren in die Höhe hob und auf derfelben erhielt. Wie? wenn Wide 
demſelben Mittel feine und feines Geſchlechtes Größe verdanfte! Höchſt wahrs 
iheinlih war dieß der Yall. 

Rudolf von Fuld erzählt,') nach der für ihn unglüdlihen Schlacht von 
Sontanet, weldhe dic Auflöfung der Einheit des Frankenreichs entſchied, habe 
Kaifer Lothar, Ludwigs des Frommen Erftgeborner, eine feiner Töchter im 
Epätherbfte 841 zu Worms vermählt. Ohne Zweifel wollte ver Kaiſer mittelft 
diefer Verbindung feine durd das mörderijche Haupttreffen geihwädte Macht 
verflärfen. Indeß nennt der Möndy weder den Namen der Tochter, noch bes 
zeichnet er ihren Gemahl. Allein cin neuerer deutſcher Schriftſteller hat”) aus vielen 
vereinzelten Thatſachen in einer Weiſe, welde roll, vollwidhtiger Gewaͤhrs⸗ 
mann in ſolchen Dingen, für überzeugend erklärt,?) dargetban, daß Wido von 
Epoleto damald Schwiegerjohn des Kaiſers geworden ifl. Dem jei wie ihm 
wolle, feſtſteht, daß Wido I. zwei Eöhne, Lambert und Wido IL. hinter 
ließ,) welche ihm nacheinander im Herzogthum Spoleto folgten. 

Seit 865 ericheint?), Wido's Erftgeborner, Lambert, ald Herzog von 
Spoleto, woraus man den Schluß zu ziehen berechtigt ift, daß Wido I. um bie 
angegebene Zeit mit Tod abgegangen war. Eben diefen Lambert brauchte 
mei Jahre jpäter Kaifer Ludwig II., Lothars I. Sohn, ald Kerfermeifter der 
Statthalter Petri.) Nikolaus I., der große Pabſt, hatte im November 863 
das Zeitliche gefegnet. Um zu verhindern, daß der Verblichene einen ihm 
ähnlichen Nachfolger erhalte, fandte der Garlinger den Spoletinerherzog nad) 
Rom. Während der Wahl brach Kambert mit Heeresmacht in die Stabt ein, 
ängftigte die Einwohner durch Gewaltthaten, und bradte richtig zu Wege, 
daß ein Werkzeug der kaiſerlichen Parthei, Hadrian II, erwählt warb, ber 
Anfangs von der Bahn ſeines Vorgängers abweichen wollte, aber in ber 
Folge doch, gedrängt durd die öffentliche Meinung, wieder in die Wege des 
erſten Nikolaus einlenkte.°) Bier Jahre jpäter fiel Lambert in Ungnade bei Hof, 
weil herausfam, daß er fi in eine Verſchwoͤrung wider den Kaiſer Ludwig U. 
eingelaffen hatte: der Epoletiner wurde deßhalb 871 abgeſebt und zur Flucht 
nah Benevent genothigt.“) 


i) Berk I, 3083. 5 In ben origines bipont.; man ſehe art de vörifier les dates III, 
167, b. 3) Perg IH, 253, unten. 534, gegen oben. 258, untere Mitte. 263, Mitte. Lam- 
bertas dax et Guido germani, Guido filius Guidonis senioris, Lambertus filius Guidonis 
senioris. Der jüngere Wido wird überbieß deutlich als Herzog zu Spoleto bezeichnet, ibid. 
6. 259 gegen oben. 2) Muratori ad a. 865 u. Perk ILL, 250 gegen unten. 0) Die 
Beweife bei Gfroͤrer, Geſchichte der Garolinger I, ©. 1. 2 flg.; vergl. noch Perg I, 493 oben 
». Ill, 228 oben. 


58 * Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Der Kaifer vergab das erledigte Lehen‘) an einen feiner geheimen Räthe, 
Namens Suppo, welcher wahrjcheinlih ein Sohn des oben erwähnten Moring 
und Enfel jenes erften Suppo war, ber zwilchen 822 und 824 als Gerzog 
von Spoleto erjcheint. Nur wenige Jahre konnte ſich Suppo II. halten, weil 
bald darauf politiiche Ereigniffe eintraten, welche neue Partheiftellungen fchufen. 
Im Yuguft 875 ftarb Kaifer Ludwig IL, Lothard Sohn, nad ſechsund⸗ 
zwangigjähriger Regierung. Cogleidy bemühte fi des Verſtorbenen Oheim, 
König Carl der Kahle von Franfreih, um die Kaiferfrone, und trug fie wirklich 
durch die Gunft des Pabftes Johann VIII. davon, der ihn am Weihnachts 
fefte 875 Frönte.?) Außerordentliche Zugeftänpniffe hat ver Kahle hiefür dem 
Pabſte verwilligt, namentlich die Herzogthümer Benevent und Epoleto fammt 
den Städten Arezzo und Chiufl.”) Die Lebertragung Spoleto’d an Betri 
Stuhl war vielleicht der äußere Anlaß, weßhalb Suppo, Günftling des vorigen 
Kaifers, und darum nad dem gewöhnlichen Weltlaufe dem Nachfolger Carl 
dem Kahlen verdächtig, aus Epoleto weichen mußte. Mag übrigens der 
Grund, Anlaß oder Vorwand gewejen fein, welder er will, jevenfalls if 
Suppo's Entfernung unzweifelhafte Thatſache.“ Gleichwohl erlangte Pabſt 
Johann VII. trog dem mit Carl abgejchloffenen Vertrage die unmittelbare 
Herrſchaft über Spoleto niht. Der neue Kaifer, welder glei nad) der 
Krönung über die Alpen zurüdfehrte, erfannte nämlih die Nothwendigkeit, 
Statthalter in Italien zurüdzulafien, welche theild feine eigenen Rechte vers 
treten, theils ven Pabft jhügen jollten. Demgemäß beftellte*) er für Lombarbien 
feinen Schwager Boſo, für die mittleren Provinzen. den im Jahre 871 ver 
bannten Lambert zu Faiferlihen Bögten. 

Zu legterem Behufe wurde Lambert aus Benevent zurüdgerufen und ers 
bielt auch — jedoch ohne Zweifel unter päbftlicher Oberhoheit — Epoleto 
zurüd. Obgleich faft der ganze Briefwechſel Johannes VIII. vorhanden if 
und viele Schreiben in der Sammlung ftehen, die an Carl den Kahlen ges 
richtet find, findet fi in ihnen feine Spur, daß die Wicdereinfegung Lamberts 
gegen den Willen Johanns VIIL erfolgt wäre. Schon aus dieſem Grunde 
muß man den Schluß ziehen, daß der Pabſt feine Einwilligung gegeben hatte. 
Roh ein anderer IImftand kommt hinzu. Seit der Rüdberufung erjcheint 
Lambert nur zur Hälfte ald Herr von Spoleto, die Scheidung zwiſchen Ca⸗ 
„merino und Epoleto trat wieder ind Leben, und Lambert mußte die eine Hälfte 
an feinen Bruder, den oben erwähnten Wido IL, abgeben.) Meines Er⸗ 
achtens war die Thellung des Herzogthums eine der Bedingungen, welche 


) Muratori, antig. Italiae I, 281 fig. u. annali d'Italia ad a. 872. ) Die Bes 

weife bei Gfroͤrer, Barolinger IL, 124 fig. 3) Muratori, antig. Ital. I, 283. ) Sfrörer 

a a. O. II, 127. 6) Perg III, 253 unten: Carlus (imperator) I,ambertum ducem et 

Guidonem germanum ejus papae in adjutorium dedit, verglichen mit den Beweisſtellen bei 
uxatori, antig. Ital, J, 283. 


Eichtes Buch. Cap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb bes der roͤm. Kirche geſchenkten Gebiets. 50 


Johann VIIT. geftellt hatte. Denn leichter konnte er feine Oberhoheit über bie 
getheilte als über die vereinigte Provinz behaupten. 

Gleichwohl hat Lambert die wieder übertragene Gewalt in einem ganz 
andern Sinne audgebeutet, als Pabft Johann VII. zu erwarten berechtigt 
war, Doch ſchwerlich anders al& der neue Kaifer Carl der Kahle vorausſetzte. 
Bie vordem, bebrängte der Epoletiner Petri Stuhl, der Kahle aber fchwieg 
dazu oder trieb gar feinen Vogt an. Mitte Dezember 876, im erften Jahre 
vr Krönung Carls, erließ ber Pabft ein drohendes Schreiben‘) an Lams 
rt, Daß Dicfer die Seinigen abhalten möchte, länger die Dienftleute des 
h Peter und Wido's zu mißhandeln. Man erficht hieraus, daß der Spos 
ktiner wahrjcheinlih aus Neid aud den Bruder verfolgte, mit dem er hatte 
heilen mũſſen. Um dieſelbe Zeit wurde in Rom eine Berfhwörung zugleich 
wider den Pabft und den Kaiſer angezettelt. Als Carl bievon Kunde ers 
hielt, gab er dem Spoletiner Befehl, die Söhne der vornehmften Römer als 
Geißeln der Treue ihrer Väter zu verhaften. Diefer Auftrag fonnte nicht 
vollgogen werden, weil in Rom wüthende Gährung entftand. Der Pabſt 
ſelbſt ſchrieb?) an den Epoletiner: „unmöglich könne er glauben, daß ver Kaiſer 
einen ſolchen Befehl gegeben habe, welder allem Herkommen widerftreite. 
Aufruhr drohe, Lambert möge nicht nad Rom kommen.” 

Bald wurde dad Verhältniß zwiſchen Beiden noch geſpannter. Die Bes 
werbung des Kahlen um die Kaiſerkrone hatte die Eiferfucht feiner Stammes- 
vettern,, der deutſchen Garlinger, erregt. Während Carl im Sommer 877, 
um dem Pabſte gegen die Saracenen beizuftehen, welche Unteritalien über- 
ſchwemmten, einen zweiten Römerzug antrat, brach Carlmann, Sohn bes 
deutihen Königs Ludwigs L, In Lombardien ein und gewann bort eine zahls 
reihe Parthei. Diele italienifche Große, auch Lambert von Spoleto, gingen") 
m ihm über. Erſchreckt kehrte Carl der Kahle aus Stalien zurüd und flarb") 
unterwegs den 6. Dftober 877. Seitdem firebte Carlmann offen nad der 
erledigten Kaiferfrone und da der Pabſt auf die Beringungen, welde ders 
jelbe bot, nicht einging, brauchte der deutiche Garlinger Gewalt. Das Werkzeug 
aber, deflen er ficy bediente, war fein neuer Dienftmann, der Spoletiner. 

Lambert erhielt Befchl, ven Pabſt mürbe zu machen. Sept entichloß ſich 
Johann VIH. die Stadt Rom zu verlaffen, um in Frankreich Schutz zu ſuchen. 
Dem Herzoge Lambert kündigte er diefen Plan mittelft eines Schreibenst) 
an, worin es heißt: „die unzähligen Bedrüdungen, welche er täglich in Rom 
zu erdulden habe, machen ihm ferneren Aufenthalt in Italien unmöglich, 
er werde fich deßhalb zur See nad Frankreich begeben.” Zugleich bedrohte 
er Lambert mit dem Banne, wenn berjelbe während der Abwefenheit des 


') Zaffs, regest. Pontif. Nr. 2302. 2) Ibid. Nr. 2340 und Gfrdrer, Garolinger 
Il, 139. ) Ibid. II, 154. %) Jaffé Nr. 2347; vergl. &frörer, Garolinger II, 183, 


60 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Pabſtes Rom zu beläftigen wagen würde. Der Epoletiner antwortete grob, 
gab dem Pabfte nicht einmal den gebührenden Titel, fondern redete ihn wit 
den Morten „Euer Wohlgeboren” (nobilitas tua) an und verbot ihm, ohne 
feine (ded Herzogs) Einwilligung, an irgend Jemand Gefandte zu fchiden, 
worüber Johann VII. in einem Briefe!) Beſchwerde führte. 

Da der Pabft fih nicht einſchüchtern ließ, griff Rambert zu den Waffen, 
brad im Frühling 878 mit Heeresmadt in Rom ein, nahm Johann VII. 
gefangen und zwang den Adel der Stadt, dem deutichen Könige den Eid der 
Treue zu ſchwören.“) Gleihwohl vermochte Lambert Rom nicht zu behaupten, 
vermuthlih weil das Volk fih für Petri Statthalter erhob.) Nach Abzug 
der Soldaten ließ?) Johann VIIL den Altar der Petersfirhe mit härenem 
Tuch verhüllen und ſprach einen fürdterlihen Bann über Lambert und feine 
Genofjen aus. Hierauf beftieg der Pabft ein Schiff und fuhr nad Frank 
reih. Dort angefommen hielt er eine Kirchenverfammlung zu Troyes, wo er 
den Fluch gegen den Spoletiner wiederholte. 

Lambert ift nicht mehr mit der Kirche ausgejöhnt worden, er farb”) 
unter dem Banne um 879. Noch muß ich bemerfen, daß die Trennung des 
Herzogthums in zwei Hälften fortdauerte, auch nachdem Lambert das oben 
beſchriebene Berhältniß zu Carlmann eingegangen hatte. Eine Urfunve*) dieſes 
Königs vom Jahre 877 ift vorhanden, welche zwei fpoletinifche Herzogthümer, 
— das von Spoleto im engeren Sinne, und das von Camerino — erwähnt. 
Lambert hinterließ einen Sohn Wido III., der den Antheil feines Vaters 
erbte, gegen den Pabſt Johann VIIL in gleicher Weife wie der Vater vers 
fuhr, aber nad wenigen Jahren — um 983 ftarb, worauf Lamberts Bruder 
Wido II. das ganze Herzogthum vereinigte, ‘indem er zu Gamerino, das er 
befaß, auch noch Epoleto erhielt. | 

Erchenbert berichtet®) in der Gefchichte der Kangobarben: „nachdem Lambert, 
der Neltere, mit Tod abgegangen war, erbte defien Sohn Epoleto, als aber 
auch dieſer (furz darauf) ftarb, gelangte Spoleto ſammt Camerino an Wide 
den Jüngeren.” Den Namen ded Sohnes, den Lambert hinterließ, gibt der 
Ehronift freilich nit an, aber Pabft Johann VIII. tritt als Zeuge flatt 
des Lombarden ein. Im Zuli 880 fchreibt®) derſelbe an König Carl den 
Diden von Deutihland, daß er neulih Wido Lamberts Sohn zu einer Uns 
terredung eingeladen habe, aber daß der Gerufene nicht gefommen ſei. Wie 
man ficht, war der Vater damals geftorben, und der Sohn an feine Stelle 
getreten. Noch einmal, in einem Briefe vom Frühling 882 erwähnt?) der Pabſt 
zwei Wido von Epoleto — den Oheim und den Neffen — ald Lebende. 
Legterer muß alfo nach dem Frühling 882 geftorben fein. 


') Ibid. Mr. 23659. ) Öfrörer a a. O. I, 183 fig. 186. 5) Ibid. IL 216. 
%) Duratori, script. ital. IL 2. ©. 817 unten: ambo spoletani ducatus. 6) Perk II, 
263, Mitte. 6) Jaffo Mr. 2542, ) Ibid. Rr. 2601. 


bie Buch. Gap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb des ber roͤm. Kirche gefchentten Gebiets. 61 


Gleich feinem Bruder Lambert fpielte Wido IL. die Rolle eines Kerker⸗ 
iſters der Paͤbſte. Kurz vor feinem Tode unter dem 11. November 882 
rieb‘) Johann VIIL an Carl den Diden von Deutfchland, daß er ihn bes 
ien möge von Wide dem MWüthenden (rabia), dem Räuber und Leute- 
inder, ver nicht aufhöre, das römische Volf zu unterhrüden. Doc nicht 
hr blos in der deutſchen Garlinger Sold, fondern zum eigenen Vortheile 
ndelte Wido II. Er hat feinen nächſten Zwed erreicht, ift zuletzt, fammt 
mem Sohne Lambert II., König und Kaiſer von Stalien geworben. 

Ih wende mid zu dem britten großen Herzogthum des ehemals Tangos 
ırdifchen Stallens, dem von Benevent. Zur Zeit, da Carl der Große das 
ngobarbiiche Königreich vernihtete, hauste zu Benevent als Lehensmann der 
ingobardifchen Krone Herzog Arigis. Der Sieg des fremden Herrſchers 
eugte feinen Muth nicht. Statt dem Franken zu buldigen,. trogte er ihm. 
sont hatten?) fich die Lehenträger von Benevent mit dem Titel Herzoge bes 
nügt. Arigis nahm den eines Yürften (princeps) an, ließ fih von den 
ziſchöFen feines Landes falben, nannte?) in den Urfunden, die er audftellte, 
ine Wohnung nad) byzantinifhem Vorbilde, „unferen heiligen Palafl.” Kurz, 
r wollte ald unabhängiger König geehrt fein. 

Carl, feit 774 faft ausfchließlih mit dem Kriege gegen bie Sachſen bes 
häftigt, Tieß den Langobarven gewähren. In ver That war der Kampf mit 
emfelben feine Kleinigkeit, denn das Herzogthum Benevent umfaßte damals 
at Ausnahme der beiden Südſpitzen Italiens, oder den alten Provinzen Ca» 
abria und Bruttium, und dann noch einiger Seepläge, wie Neapel, Gaeta, 
Sorrent, die den Griechen gehörten, das heutige Königreich Neapel, namentlich 
ie Städte Benevent, Eapua, Aquino, Nola, Salerno, Nocera, Eofenza, Bari, 
Brunduftum, Tarent.) 

Endlich im Spätherbft 786 gewann Carl freie Hand zu einem Heereszug 
ah Süditalien, während Arigis mit dem byzantinischen Hofe wegen eines 
Bündniſſes unterhandelte,*) Kraft deffen er zum Patricier oder griechifchen 
Statthalter in Sicilten und Italien ernannt werden follte, und eine ftarfe Feſtung 
in Salerno angelegt hatte.) Der Beneventaner wurde überwältigt, mußte 
leine beiden Söhne Grimoald und Romuald, fammt vielen Andern als Geißeln 
Rellen. In Folge diefer Ereigniffe trat Carl unter dem Namen einer Schenkung 
Venevents die früher erwähnten Kirchengüter und Schaphöfe, fowie gewiſſe 
Befigungen in Capua an ven Stuhl Petri ab. Kurz darauf — im Jahre 787 — 
ſtarb) Arigis. Nun geihah, was ich oben erzählt habe, nämlih daß König 
Carl, troß den dringenden Vorſtellungen des Pabſtes Hadrian, Grimoald, des 
Arigis Sohn, zum Nachfolger ernannte. Laut dem Zeugniffe‘) Erchemberts 

1) Ibid. Nr. 2612. 3) Berk III, 243 gegen oben. 2) Muratori, antiquit. Ital. 


1,69 unten flo. Genni I, 154. Ber III, 246 unten. %) Genui I, 488. ) Bere 
Il, 243 oben. ) Perg L, 33. 


62 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


wurde ihm zur Bedingung gemacht, daß er auf die Münzen, die er jchlagen 
würde, fowie auf die üffentlihen Urkunden neben dem eigenen Namen ven 
des Frankenköonigs ſetze. 

Als Dienſtmann Carls foht‘) Grimoald 788 mit Glück gegen die Griechen, 
allein nicht lange dauerte das gute Verhältniß. Außer den bereits erwähnten 
Bedingungen war?) ihm weiter auferlegt worden, die Feſtungswerke von Sa; 
lerno, Acerenza und Conſa, d. 5. die drei ftärfften Burgen. feines Landes ab: 
zutragen. Bon Streben nad Unabhängigkeit erfüllt, brady oder umging Grimoalb 
das gegebene Wort.) In den Jahren 793 und 801 focht Pippin, Carle 
Sohn und Oberftatthalter über Italien, gegen die Beneventer, doch im Ganzen 
mit wenig Erfolg.”) Zwar eroberten die Franken im Jahre 801 Chieti un⸗ 
weit Ortona, und im folgenden Drtona felbft und Nocera. Aber kurz nachher 
brachte Grimoald legtern Drt wieder in feine Gewalt, und nahm fogar den 
Spoletiner Winigis, der die fränfifche Beſatzung in Nocera befehligte, gefangen. 

Nun müfen Verhandlungen über den Frieden angefnüpft worden fein, 
denn Einhard erzählt,") daß Grimoald 803 den gefangenen Spoletinerherzog 
aus der Haft entließ. Meines Erachtens iſt man berechtigt mit dieſer That⸗ 
fahe eine von Erdhembert mitgetheilte Nachricht in Verbindung zu bringen. 
Derfelbe fchreibt‘) nämlih: „Grimoald Hatte fi mit einer Nichte des byzan⸗ 
tiniihen Kaiſers vermählt, aber aus Furt vor den Franken ſchied er fid 
von ihr, indem er fie, nach hergebrachter Weife mit einem Scheidebriefe vers 
fehen, in die Heimath zurüdicidte." Obgleich der Chronift die Scheidung 
vor den Krieg von 801 und 802 zu verjegen jcheint, glaube ich Do annehmen 
zu dürfen, daß die Auflöfung der Ehe mit der Byzantinerin, ein Akt, welcher 
Grimoald in eine feindliche Stellung gegen das Oſtreich bineintrieb, eine der 
Bedingungen war, unter welden Carl dem Beneventaner Frieden gewährte. 
Nirgends ift feitvem mehr von Kämpfen zwifchen ihm und den Franken die 
Rede. Ungebeugt und von den Seinigen gefeiert, ftarb) Grimoald im 
Jahre 806. Ä 

Die Geſchichte deffen, der nunmehr in Benevent zur Gewalt gelangte, 
erzählt Erchembert furz und ungenügend, die Ehronif von Salerno dagegen 
weitläufig, aber mit Einmifhung von Babeln, welche immerhin zum Theil 
Iauteres Gold enthalten. Beide Zeugen ftimmen’) darin überein, daß ber 
nächte Herzog gleich feinem Vorgänger Grimoald hieß, aber niht aus dem 
fürftliden Haufe flammte, das bis dahin über Benevent herrichte, ſondern 
ein Neuling war. Ercheubert fagt, vderfelbe habe unter der früheren Regie: 
rung dad Amt eines Schagmeifters, wohl das höchſte im Staate, befleivet. 
Die Ehronif von Salerno bezeichnet ihn als einen Sohn Childerichs und fügt 

i) Ibid. ©. 174. 2) Per IIL, 484 fig. 3) Perg IL, 610. I, 190. IIL 243. 


*%) Ibid. I, 191. ®) Ibid. III, 243. °) Berg I, 120. III, 486 u. 173. 151. ’) Berg 
III, 244 u. 489, 





Eichtes Buch. Cap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb des ber rim. Kirche gefchenkten Gebiets. 63 


bei, man babe ihm den Beinamen Storefaiz gegeben, was In deuticher Zunge, 
welde die Langobarden ehemals redeten, fo viel ald Ordner des Heered bes 
lage. Ich verftehe diefe Deutung des vielleicht von den Abfchreibern verbors 
benen Wortes nit. Zwei andere Zeugen beftätigen,‘) daß der neue Herr 
von Benevent früher Schagmeifter gewefen ſei, einer derſelben gibt ihm ven 
Beinamen „des Fulfen”. 

Keine der vorhandenen Quellen fagt ein Wort darüber, daß oder ob 
mit Grimoald I. das fürftlihe Haus von Benevent oder aud nur der Mannes 
ſtamm deſſelben erlofh, was nicht wahrſcheinlich ift, da Arigis, der Vater 
Grimoalds, außer diefem und einem anderen Sohne Romuald, der vor dem 
Vater ftarb,?) noch einen dritten, Gifif oder Giſulf, und zwei Töchter, Theoderada 
und Mdelgifa, hinterließ, und da überdieß nad dem gewöhnlichen Laufe ver 
Dinge von früheren Zeiten her Seitenfprofien des regierenden Geſchlechtes bes 
ftehen mochten. Um fo mehr befremdet es, daß auf einmal ein Neuling fi 
der Herrichaft bemächtig. Wenn Carl ver Große je in Folge vieler Kriege 
eine gewiffe Oberhoheit über Benevent erlangt hat — und er hat fie ungweifels 
haft gebt — iſt es geradezu undenkbar, daß eine folche wichtige Aenderung 
ohne feine Einwilligung oder fein Zuthun erfolgte. Die Erhebung des Schaß» 
meifterd muß wenigftend zum Theil fein Werk gewefen fein. 

Ich komme zunächſt auf die Gefchichte des 'erften Grimoald zurüd. Die 
Chronif von Salerno berichtet:*) „als der Frankenkönig den Sohn des Arigis 
787 aus der Haft entließ und auf den väterlihen Thron beförderte, beftand 
er darauf, daß derſelbe zwei vornehme Franken, Autharis und Paulipert, als 
Wächter der dem fränfifchen Oberherrn fchuldigen Treue, mit fi nehme, ihnen 
bie wichtigften Aemter anvertraue und fie mit edlen Töchtern des Landes vers 
maͤhle.“ Der Wahrheit Siegel ift diefer Ausfage auf die Stirne gedrückt. 
Eolde Mittel braudte Earl, um Parthei in halb unterworfenen Ländern zu 
machen und Fürften, denen er mißtraute, zu zähmen. Kaum kann man zweis 
ten, daß Carl auch fpäter in gleicher Weiſe und zum nämlichen Zwede Franken 
im Gebiet von Benevent unterbradhte. 

Wie nun? wenn der Schagmeifter Grimoald einer der aufgebrungenen 
Sremdlinge oder der Sohn eines ſolchen war. Diele Anzeigen ſprechen für 
diefe Borausfehung: einmal der Name von Grimoalds Vater, Ehilverich, wels 
her bei den Langobarben felten, fehr häufig bei den Sranfen vorfommt, ſodann 
der deutiche Beiname des Schapmeifters felber. Die Ehronif jagt zwar: ehe⸗ 
mald, d. 5. zu ben Zeiten der Eroberung und auch als die Älteften langos 
bardifchen Geſetze gegeben wurden, hätten die Langobarden deutich geſprochen, 
aber in den Tagen Earl& des Großen finde ich Feine Spur, daß dieß noch 
ver Fall war. Dagegen, wenn Grimoald IL. aus einer deutſchen Heimath, 


— 


‘) Did. TU, 173. NIbid 5 Ibid. III, 483, ) Ibid. III, 484, Mitte, | 


64 Pabfl Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


wie Aufter oder das Ripuarenland ftammte, ift e8 begreiflih, daß er einen 
deutſchen Beinamen mit fi brachte. 

Noh andere Gründe kommen hinzu. Der Chronift erzählt‘) weiter: 
„Srimoald II. benahm fi nicht wie die Älteren Bürften, feine Vorgänger, 
jondern er war geizig, hochmütbig, ein frecher Lügner und entzweite die Lango—⸗ 
barden untereinander.” Dann weiter unten:?) „gerne hätten ihn die Langos 
barden Beneventd geftürgt, aber fie vermochten nichts wider ihn, weil bie 
meiften durch ihn gegenfeitig verfeindet worden waren.” Welch treffende Züge 
der Herrfchaft eined Fremdlings, der dem Lande aufgedrungen ift, und Def- 
halb nur durch ſchlechte Künfte fih halten kann. 

Aber darf man dem Chroniften, der fonft Fabeln genug vorbringt und 
faft 150 Jahre nad der That jchrieb, Glauben ſchenken? Hören wir gleid» 
zeitige fränfijche Berichte. Eine Handichrift der Heinen Jahrbücher von Lorſch 
enthält?) zum Jahre 807 folgenden Beifag, der fih in andern Pergamenten 
nicht findet: „auf Grimoald I. folgte ein zweiter Grimoald, der fi heraus 
nahm, ohne Erlaubniß des Königs (Carls des Großen) benachbarte 
Gebiete anzugreifen.” Weil der Zeuge den neuen Herzog als einen willen 
ofen Bafallen des fränfifchen Kaiſers betrachtet, fieht er eine Frechheit darin, 
daß Grimoald II. auf eigene Fauſt Krieg führte. Man muß aljo aus feinen 
Morten ven Schluß ziehen, daf der Echagmeifter durch Carl eingejegt worden war. 

Wer find die Nachbarn oder die anderen Herren, welde Grimoald an 
fiel? Man könnte an den Kirchenſtaat oder an die Griechen Unteritaliend 
denfen. Allein feine Duelle weiß etwas von Angriffen, welche Beneventer 
Herzoge um jene Zeit auf Pabft Leo III. gemacht hätten. Was dagegen bie 
Griechen betrifft, fo wird fid unten ergeben, daß Grimoald II. dieſelben nicht 
wider den Willen der Franken befriegte. Meines Erachtens find unter den 
alia regna die Gebiete folder Herren zu verftehen, die dem Scheine nach Bas 
fallen des herzoglihen Haufes von Benevent, in der That durch fränfifce 
Arglift dem ehemaligen Schabmeifter auf den Naden gejegt worden waren. 

Die Worte der Handichrift berechtigen zu der Bermuthung, daß es zu 
Meiterungen zwiſchen Grimoald II. und dem fränfiihen Hofe, vielleicht gar 
zu Beinpfeligfeiten gefommen ſei. Wirklich fpricht‘) die falernitaner Chronif 
von. Einfällen der Franken in das Herzogthum Benevent und deutet ſodann 
an, daß Grimoald aus Nachgiebigfeit gegen feine Unterthanen, welche das 
fränfiihe Joch haßten, und deren Race er fürdten mußte, falls er nicht zu 
den Maffen gegriffen hätte, in den Krieg bineingeriffen worden fei. Yräns 
kiſche Geihichtichreiber, deren Glaubwürdigkeit feinem Zweifel unterliegt, ftims 
men bei und geben überdieß Aufihluß über den Erfolg des Kampfes. 


— — —— nn mn 


1) Ibid. III, 489. ?) Ibid. 490. ?) Ibid. III, 19, Note 14: studuit invadere 
alia regna sine jussione regis. *) Ibid. II, 489 u. 490. 


Cichied Buch. Say. 4. Wränfifge Lchen innerhalb des ber rom. Kirche geſchenkten Gebiets. 6% 


Einhard berichtet‘) zum Jahre 812: „Kaiſer Carl fchloß Frieden mit 
dem Beneventer Herzoge Grimoald, der unter dem Namen eines Tribute 
25,000 Goldſtücke entrihten mußte.” Die von Einhard gebrauchten Ausprüde 
laffen eine mehrfache Deutung zu: die 25,000 Goldſtücke können entweder eine 
ordentlihe Zahlung, die ſich jedes Jahr wiederholte, oder eine außerordents 
lihe Entſchaͤdigung für Kriegöfoften geweſen fein, etwa auch eine gemiſchte 
Eigenjhaft gehabt haben. Anderweitige Thatſachen nöthigen, für die zweite 
Annahme zu entſcheiden. Der nämliche Hiftorifer meldet?) zum Jahre 814: 
„Ratfer Ludwig (Carls des Großen Nachfolger) unterhandelte mit dem Her- 
joge Grimoald I. von Benevent einen Vertrag des Inhalts, daß die Bene 
venter, gerade jo, wie ed unter feinem Vater Earl gefchehen, jährlich 7000 Gold» 
Rüde Tribut bezahlen follten.” Daffelbe erzählen die zwei Lebensbeſchreiber 
Ludwigs des Frommen. Theganus fchreibt:* Cim erften Jahre des neuen 
Herrſchers) „erichienen am Ffaiferlihen Hoflager Geſandte aus Benevent, 
weile ihr ganzes Land in die Hände des Kaiſers übergaben und jährlid 
mehrere taufend Goldſtũcke ald Zins zu entrichten verhießen, was wirflich bis 
auf den heutigen Tag (835) eingehalten wird.“ 

Ebenfo*) der andere Biograph: „Ludwig verpflichtete den Beneventer 
Herzog Grimoald, jährlib 7000 Golpftüde in den Reichsſchatz abzuliefern.* 
Demnach zahlte Grimoald II. unter Earl dem Großen denjelben Zins, wie 
unter Ludwig dem Frommen, woraus fi ergibt, daß jene Steuer von 
25,000 Goldſchillingen eine außerorbdentlihe war. Nun findet ſich feine Spur, 
daß die Beneventer vor den Tagen bed zweiten Grimoald — unter Arigis 
oder deſſen Eohne Grimoald I. — Tribut an die Franken entrichtet hätten. 
Folglich muß man annehmen, daß das jüritaliiche Herzogthum jeit der Ers 
bebung des Schatzmeiſters in viel größere Abhängigkeit von den Garlingern 
gerieth, als je früher. Dieß flimmt gut zu den früher entwidelten Thatſachen. 

Epäter, d. h. wie es fcheint, nach Abjchluß des Friedens mit den Sranfen 
ward Grimoald II. durch den Verrath eined Vaſallen in einen Krieg mit dem 
griechiſchen Landvogt zu Reapel verwidelt. Ercembert erzählt :”) „Daufer, 
ein vornehmer Mann, zettelte wider Herzog Grimoald eine Verſchwörung an, 
welche darauf berechnet war, denfelben auf einer Reife nad) Salerno zu er 
morden. Der Herzog erhielt jedoch Wind von dem Plane, ließ die Vers 
ihworenen verhaften und in Kerfer werfen. Rur ein Einziger, das Haupt 
der ganzen Bewegung, Daufer, entfam und floh nad) Neapel, wo er bei dem 
dortigen Befehlshaber — Erchembert bezeichnet ihn als einen magister militum 
— gute Aufnahme fand. Deßhalb rücdte Grimoald IL. mit Heeresmacht vor 
die Etadt, um die Auslieferung des Verräthers zu erzwingen. Allein ber 


©) Berg L 199 unten. ) Ibid. ©. 201, Mitte. 5 Berk IL, 599. 9) Ihe. 
©. 619. *) Berk III, 244. 
Ofrörer, Vabſt Gregerius vu. Br. V. b 


66 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Bogt leiftete Widerſtand und zog mit feiner Mannſchaft den Beneventern ent- 
gegen. Bor den Mauern entipann fih ein Kampf, in welchem die Reapoli- 
taner fchweren Verluſt erlitten.“ Gleichwohl erreichte Grimoald feinen urfprüng: 
lihen Zwed nicht, fondern der Streit endigte mit einem Vergleiche, kraft 
deſſen der Herzog den Flüchtling Daufer gegen Bezahlung einer Summe von 
8000 Goldſtücken, weldhe, wie es fcheint, der Vogt von Neapel bergab, 
wieder zu Gnaden annahm. 

Der Bericht Erchemberts ift unflar, doch ftellt ich deutlich heraus, daß 
Daufer im Einverſtändniſſe mit den Griechen den Schlag gegen Grimoald 
unternommen batte. Denn wäre bieß nicht der Fall gewefen, fo würden fie 
weder dem Ylüchtlinge Unterfchleif gewährt, noch für ihn fo viel gegen bie 
Kriegsmacht des Beneventanerd gewagt haben. Meines Erachtens haßten 
die Griechen Grimoald II. als ein Werkzeug fränfifcher Gewalt und knüpften 
deßhalb mit den Unzufriedenen in Benevent geheime Verbindungen an. Beil 
die Verfhwörung von ihnen ausging, verftanven fie fih dazu, jene hohe 
Summe für Daufer zu zahlen. 

Zuletzt fiel Orimoald II. durd anderen Verrat. Laut dem Berichte‘) 
Erchemberts erfchlugen ihn gemeinfchaftlih zwei Große, Radegis, Graf von 
Gonfa, und Sicco, Oaftalde von Acerenza, welchen leperen der Ehronift aus» 
drüdlich einen Fremdling nennt, den der Herzog im Lande untergebradyt und 
mit Ehren überhäuft habe. Genauere Nachrichten über den Fremdling gibt 
die Ehronif von Salerno. Diefelbe erzählt:?) „in der Stabt Spoleto lebte 
ein vornehmer Mann, Namens Eicco, der bei Pippin, dem kaiſerlichen Obers 
ftatthalter über Italien, in Ungnade fiel. Deßhalb verließ er mit Hab und 
Gut, mit Weib, Kindern und Gefinde die Heimath, um nah Conftantinopel 
auszuwandern, und trat den Weg über Benevent an. Als Herzog Grimoald 
vernahm, daß der Fremdling feiner Etadt nahe, ſchickte er ihm einige feiner 
Hofleute fammt Föftlihen Speifen und Getränfen entgegen, empfing ihn aufs 
Beſte und forderte ihn auf, in feinem Lande zu bleiben. Sicco willigte ein, 
worauf der Herzog ihm Häufer und Landgüter fchenkte und ihn zum Gaftalden 
in Acerenza beftellte. Sicco hatte zwei Söhne, Siccard und Sigenolf, welche 
leidenschaftlich das edle Waidwerf trieben. Eined Tags ftießen fie jagend 
auf einen Edelhirſch von feltener Größe, der ihren Händen nah den Forſten 
der benachbarten Stadt Conſa entrann, wo Radegis, ein geheimer Reiber 
Sicco's, Graf war. Sicco's Eöhne fchrten um, als fie fahen, daß der Hirſch 
aus ihrem Gebiet entwichen fei, erlaubten aber ihren Dienern, das Thier 
weiter zu verfolgen, welches wirklich in der Nähe Conſa's von ihnen erreicht 
und erlegt ward. Bald erfuhr man dieß in der Stadt, nun eilten die Leute 
des Grafen Radegid heraus, fielen über Sicco’8 Diener her, nahmen ihnen 


y Per II, 244. 2) Iid. ©. 491 fig. 


Siebtes Buch. Eap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb des der roͤm Kirche geſchenkten Gebiets. 67 


nit nur den Hirſch, fondern auch vie Jagdhunde weg und zerbläuten Meh— 
teren den Rüden.“ 

„Als Sicco hievon Kunde erhielt, befhwictigte er den Zorn feiner Söhne, 
die jogleich losſchlagen wollten, und ſchickte eine Geſandtſchaft an Radegis, 
welche ihm vorſchlug, den Hirſch zu behalten, aber die Hunde zurüdzugeben. 
Radegis antwortete in groben und beleidigenden Worten, weßhalb Sicco Bes 
waffnete nadı der Grafſchaft Conſa beorderte, welche dort Beute wegtrieben. 
Jetzt eilte Radegis an den Hof des Herzogs und forderte drohend Gemug- 
thuung. Grimoald erließ wirflih eine Borladung an den Gaſtalden, unver 
züglich in Bencvent zu ericheinen und Rechenſchaft abzulegen. Aber Eicco 
fam nicht, fondern rüftete fich zu bemaffnetem Widerſtand. Deßhalb bot der 
Herzog alle feine Bafallen auf und rüdte nit ftarfer Macht vor Acerenza, 
aber er richtete nichts aus, im Gegentheil vrlitt Radegis, fortwährenn ver 
hißigfte Gegner Sicco’8 und derjenige, welcher den Herzog zu dem Zuge 
weniger beredet als vielmehr genöthigt hatte, durch einen Ausfall, welchen 
die Belagerten machten, eine tüchtige Schlappe. Innerlich freute fi der 
Herzog über diefen Unfall des Grafen, denn er war des Kampfes gegen Sieco 
überbrüffig, und es wurmte ihm, daß er wegen Anftellung eines einzigen 
Fremdlings von feinen Bafallen zum Kriege hingerifjen worden ſei. Zulegt 
iprah er feine wahre Gefinnung gegen Radegis aus. Bon der Stunde an 
faßte Lesterer tiefen Groll gegen Grimoald, verbarg aber Das, was er Dachte, 
und erbot fih im Gegentheil, durch friedliche Unterhandlungen Sicco zu bes 
wegen, daß er zu feiner Pflicht gegen den Herzog zurüdfehre. Zu dieſem 
Zwede erhielt wirflih der Graf vie erbetene Erlaubniß, als Bevollmädtigter 
Ginlaß in Acerenza zu begehren: er ritt jofort nad der Etadt, verftäns 
digte fih dort ſchnell mit Eicco und bracte eine erheuchelte Ausföhnung 
befjelben mit dem Herzoge zu Stande. Grimoald verzieh dem Gaftalden alles 
Geſchehene. Seitdem arbeitete Radegis emfig auf den Sturz des Herzogs 
hin.“ Auch die Chronik von Salerno deutet an, daß Grimoalds Ermordung 
mit dem verunglückten Zuge gegen Acerenza zuſammenhing, obgleich ſie noch 
Andere, als Die, welche Erchembert aufführt, bei dem Verbrechen betheiligt 
fen läßt. 

Ich beftimme zunähft die Zeit. Da der Schagmeifter Grimoald laut 
allen Nachrichten gegen Ende des Jahres 807 oder zu Anfang des folgenden 
Herzog wurde, und da ferner Carls des Großen Eohn Pippin, aus Furcht 
vor defien Ungnade Sicco die Stadt Epoleto verlaffen haben foll, im Juli 810 
ſtarb,) fo ift Mar, daß die Ueberſiedlung des Epoletinerd nad Benevent 
wiſchen 807 und 810 fällt. Berner bezeugt?) die Ehronif von Salerno, daß 
Grimoaldo IL Verwaltung 11 Jahre und 7 Monate dauerte. Daraus folgt, 


*) Berg I, 199 unten fi. ) Perh III, 495. 
5° 


68 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


daß er gegen Ende des Jahres 818 ermordet worben iſt. In der That ver 
fegen‘) mehrere Fleinere ſüditaliſche Chroniken die Erhebung feines Nachfolgers 
Sicco in das Jahr 818. Obgleich man der Erzählung des falernitaner 
Möndes eine gewiffe Natürlichkeit und Zuſammenhang nicht abſprechen Tann, 
enthält fie einen offenbar fabelhaften Zug. 

Mer wird glauben, daß der Herzog von Benevent einem verfolgten 
Srembling , der angeblih vor dem Zorne des italienischen Statthalter Pippin 
floh, unter deffen Machtbefehl auch Grimoald ftand, aus lauterem Mitleiden 
oder aus einer unbegreiflihen Verehrung, deren Gründe fein Menfdy einftcht, 
feinen Hof entgegengefchidt, ja daß er ebendemſelben Häufer, Landgüter, fogar 
eine Grafſchaft geichenkt Habe! Das riecht nad falfher Romantif und paßt 
nicht in die wirflihe Welt. 

Anders verhielt fih die Sade. Nicht dem Öberftatthalter zu Trotz, 
fondern aus Furcht vor ihm, hat Grimoald II. den Spoletiner aufgenommen. 
Sieco ift dem Herzoge in gleicher Weife aufgenöthigt worden, wie Garl der 
Große dem Herzoge Grimoald I., Arigis Sohne, früher jene beide vornehme 
Franken und wohl aud den Echagmeifter felbft oder deſſen Vater auf ben 
Naden lud. Bitter war die Pille; aber um den Edein vor feinen Unter⸗ 
thanen zu retten, ftellte fih der Herzog, als ob er eined Verfolgten fi ers 
barme, während er doch einen Wächter, einen Feind verforgen mußte. Die 
Poſſe wird mit Einwilligung Pippins gefipielt worden fein, dem ed genügte, 
feinen Zweck zu erreihen, mochte im Webrigen Orimoald II. die Ketten, 
welche ihm fränfifhe Gewalt um den Naden legte, mit noch jo gleißendem 
Firniß überdeden. 

Radegis und wohl aud Andere durdfchauten die Wahrheit. Denn der 
Mönd; meldet, viele Beneventer feien höchlich unzufrieden über die Beförderung 
Sicco's gewefen und hätten gejagt: „Landeskinder jollen allhier in Benevent 
angeftellt werden, und nicht Fremdlinge, welde und das Brod wegefjen.“ 
Andererſeits ift begreiflih, daß der Mönd von Salerno nicht den eigentlichen 
Hergang ſchildert, fondern die amtliche, vom herzoglihen Haufe ausgefprengte 
Darftellung mittheill. Beſſer, ald der Mönd von Salerno, fah, wie es fcheint, 
Erchembert. Er begnügt fih, Sicco einen Fremdling zu nennen, der von 
Grimoald großes But erhielt. In Betreff des Uebrigen jchweigt er. 

Warım hat Pippin den Beneventer genöthigt, in folder Weiſe ven 
Franken Sicco mit einer Herrfchaft auszuftatten? Deßhalb, damit Sicco frän- 
kiſche Parthei im Lande mache und die Auflöfung des Herzogthums, das 
farlingifche Politit zu groß fand, vorbereiten helfe, welches Ziel wirklich 
nah einigen Jahren erreiht wurde. Schon unter Grimoald II. war ein 
guter Grund dazu gelegt. Nicht nur Sicco troßte ungeftraft dem Herzoge, 


1) Ibid. S. 173 u. 188, 


Siebtes Bud. Gap. 4. Franliſche chen innerhalb des der roͤm. Kirche gefchenkten Gebiets. 60 


fondern auch jener Daufer, aus defien Handlungen erhellt, daß er, ein unges 
treuer, in die wahre Gefinnung der GBarlinger eingeweihter Vaſalle, fich jede 
Ungebühr gegen den Herzog erlaubte. Der nämlichen Klafje gehört Radegis, 
Graf von Eonfa, und noch ein vierter an. Zwei alte Ehronifen‘) von Capua 
find auf uns gefommen, welde die Selbftftändigfeit dieſes Eleinen Staates, 
der früher, wie oben?) gezeigt worden, einen Theil des Herzogthums bildete, 
mit dem um 815 — aljo noch unter Orimoald II. — eingejegten Grahen 
tandulf L beginnen. In der That it, wie wir unten fehen werben, bald 
nah Grimoalds II. Tod die Unabhängigkeit Capua's zur Wahrheit geworben. 

Weil Sicco und Genoſſen dem Herzoge aufgedrungen waren, und weil 
fie wußten, daß man es am Hofe dee Statthalterd zu Pavia und an dem 
faiferlihen zu Aachen gerne ſehe, wenn fie Sturm audfäten, fuhren fie dem 
Beneventaner ungefcheut dur den Sinn. Dagegen fobald Grimoald II. wider 
die Ungehorjamen losbrechen wollte, jchrie die fränkifche Oberregierung über 
Eigenmädhtigfeit und drohte mit Einjchreiten, oder 308 gar das Schwert. Unter 
den anderen Reichlein, die ohne Geheiß des Kaiſers anzugreifen Grimoald 
fih Taut der oben erwähnten Handſchrift erfühnt haben joll, müſſen meines 
Erachtens die Herrichaften Sicco's und feiner Genoſſen verftanden werben, 
welche der fränfiihe Hof als unabhängige Mächte, als Inhaber Eleiner regna, 
dem Beneventaner gegenüber zu behandeln feinem Bortheil gemäß fand. 

Auch Fällt jeht Licht auf dad Benehmen Grimoalds II. Nur mit inner 
lichem Witerftreben, und nur weil er von anderen Bafallen genöthigt warb, 
unternahm er den Zug gegen Acerenza, und gab fih nad kurzem Kampfe 
mit einer fcheinbaren Unterwerfung zufrieden. Unverfennbar handelte er darum 
jo, weil er vorausfah, daß, wenn er Ernft machte, der Kaiſer ſich einmifchen 
würde. Wer etwa noch zweifeln follte, daß dieß der wahre Zufammenhang 
jei, wird durd die nächſtfolgenden Ereigniffe eines Beſſeren belehrt werben. 

Alle Quellen find darüber einverftanden, daß Sicco, bisheriger Gaftalde 
von Acerenza, nad Grimoalds Ermordung das Herzogthum erlangte. Erchem⸗ 
bert behauptet,’) Radegis, Graf von Conſa, der eigentlihe Mörder Gri⸗ 
moalds, fei ed geweſen, der die Erhebung Sicco's durchſetzte, unmittelbar 
darauf aber habe er die Welt verlaffen, die Kutte in Monte-Caffino angelegt 
und das begangene Berbrehen durch Iebenslänglihe Reue abgebüßt. “Der 
falernitaner Ehronift ſpricht) von einer Volkswahl und verfihert, daß Ans 
fangs die Menge den Grafen Radegid zum Herzoge einjegen wollte, aber 
daß dann ein anderer Großvafalle, genannt Rofred, die Wahl auf Sicco lenkte, 
und zwar hauptjächlich geftügt auf den Grund, weil ſchweres Unglüd über 
dad Land fommen würde, wenn man einen Anderen, al® den Yremdling 
Eicco, erhebe. 





) Berg I, 208 u. 207 unten flg. ) 6.47. ) Perp III, 244. ) Ibid. G. 496, 


70 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Offenbar leuchtet aus letzterem Sage Vertrautheit mit dem wahren Stande 
der Dinge hervor. Gleihwohl enthält die eine wie die andere Darftellung amts 
lichen, von Herzog Sicco ausgeftreuten Dunft. Nicht durch Radegis ober 
Mofred, auch nicht durch eine Volkswahl ift Sicco auf den herzoglichen Stuhl 
von Benevent befördert worden, fondern durch den Willen des fränfifchen 
Kaiſerhofes. 

„Der Lebensbeſchreiber Ludwigs des Frommen berichtet:) „während 
Kaiſer Ludwig 818 in der Burg zu Heriſtal weilte, erſchienen daſelbſt Ge⸗ 
ſandte des (neuen) Herzogs Sicco von Benevent, welche ſehr reiche Geſchenke 
überbrachten und zugleich ihren Herrn von der Anklage der Ermordung ſeines 
Vorgängers Grimoald II. reinigten.“ Ludwig muß die Entſchuldigung ge⸗ 
nügend befunden und die Erhebung Sicco's beſtätigt haben. Denn nicht nur 
blieb Sicco Herzog, was nicht der Fall geweſen ſein würde, wenn der Kaiſer 
das Geſchehene mißbilligt hätte, ſondern Erchembert meldet?) ausdrücllich, 
Sicco habe, nachdem er den Thron beſtiegen, das Bündniß mit den Franken 
erneuert. 

Wahrlich das Wort „Bund“ iſt ein ſehr unſchuldiges und glattes Wort 
für Bezeichnung eines drückenden Abhängigkeit-Verhältniſſes. Da Klagen 
über Ermordung Grimoalds II. eingereicht worden waren, muß man annehmen, 
daß der Kaiſer — wenigſtens Anſtando halber — eine Unterſuchung anord⸗ 
nete und Schuldige beſtrafte. Ich halte die Buße des Radegis nicht für eine 
freiwillige, ſondern er iſt meines Erachtens zum Sündenbocke Aller gemacht 
und auf kaiſerlichen Befehl zu lebenslänglicher Einſperrung in das Kloſter 
Monte⸗Caſſino verurtheilt worden. 

Auf die oben mitgetheilten Worte der Chronik von Salerno verweiſend, 
frage ich nun: würde Sicco die kaiſerliche Beſtätigung erlangt haben, wenn er 
kein Fremdling, d. h. kein Franke, oder wenn er mit wirklicher Ungnade Pippins 
belaſtet geweſen waͤre, und im Ernſte — fo wie der Chroniſt meint — zu 
Benevent Zuflucht gegen die Rache ſeiner Gebieter geſucht hätte? Nimmer⸗ 
mehr: die Vorgänge im Jahre 818 dienen alſo der Wahrheit des oben ent⸗ 
widelten Zufammenhangs zur lebten Beglaubigung. Der Kaifer bieß vie 
Scheinwahl gut, weil Sicco fih als tauglidhed Werkzeug fränfiicher Staates 
zwecke erprobt hatte, aber auf ven jcheinbaren Triumph folgte Demüthigung. 
Bon nun an braudte man ihn in gleicher Weiſe, wie feine Vorgänger ges 
braucht worden waren: ald Keil, um die Einheit des Reichs von Bene 
vent vollends zu jprengen. 

Der neue Herzog regierte, wie von einem Emporfümmling mit folcher 
Vergangenheit zu erwarten ſtand. Erchembert ſagt:) „Sicco verfolgte bie 
Beneventaner mit thieriiher Wilpheit und nahm noch bei Lebzeiten feinen 


) Berg I, 624, ?) Id. UI, 244 unten. °) Ibid. ©. 245 oben. 


Siebtes Buch. Gap. 4. Frankiſche Lehen innerhalb des der roͤm. Kirche geichenkten Gebiete. 74 


Sohn Eiceard, einen wollüftigen, hochfahrenden, unruhigen Menfchen, zum 
Mitregenten an.” Anders lautet die Darftellung ‘) des Mönche von Salerno: 
„Sicco war ein gar milder, gütiger und freigebiger Herr, der Vielen Gutes 
erwied.” Allein weiter unten meldet?) ebenverfelbe Ehronift: „die Bafallen 
des Herzogs lebten in böjem Hader mit einander und zerfleifchten fi, wie 
Nächtige zu thun pflegen. Eicco nahm die Miene an, als wünfche er den 
örieden herzuftellen, und richtete an die Etreitenden füße Worte, aber innege 
lid Hatte er feine Herzensfreude an ihrem Etreit, weil er bedachte, daß er 
tie Entzweiten befjer unter dem Daumen halten könne.“ 

Der Widerſpruch iſt, wie man fieht, nur fcheinbar, Beide jagen am Ende 
Daffelbe, doch von verjchiedenem politiihen Standpunfte aus.  Erchembert, 
ein geborner Langobarde?) und alſo Eohn des herrſchenden Volks, fchreibt 
ald ehrenfefter Ariftofrat, der Mönd von Salerno dagegen als ein fühitalis 
Iher Plebejer, der in die Yauft lachte, wenn die gehaßten fremden Herren von 
dem Herzoge in den Staub getreten wurden. 

Aud in anderen Hauptpunften ftimmen beide überein. Gleich Erchem⸗ 
bert, deutet!) meines Erachtens der Mönch von Salerno leiſe an, daß Siccard 
eine Zeit lang neben feinem Bater regierte. Won jelbft verfteht es fidh, daß 
dieg nur mit Einwilligung des kaiſerlichen Hofes geichehen fein fann. Des⸗ 
gleichen berichten beide von einem Unternehmen gegen Neapel, doch in vers 
Ihiedener Weife. Der Ealernitaner erzählt :*) „Herzog Sicco fammelte ein 
große Heer, rüdte vor Neapel und bevrängte die Stadt durch Schwert und 
Feuer, zuleht gewährte er auf die Vorſtellungen jeines Echwiegerjohnes Urfus, 
Chriſtenblut zu fchonen, einen Vertrag unter folgenden Beringungen: die Neas 
politaner fielen Geißeln, zahlen jährlichen Tribut, nehmen die Münzen von 
Denevent im Waarenverfehr an, liefern die &ebeine des h. Januarius aus. 
Die Neapolitaner unterwarfen fi, und Sicco brachte die Reliquien des Hels 
ligen im Triumphe nad Benevent.“ 

Ein befiegter Feind, der ſolche Bedingungen fi gefallen läßt, ift offen⸗ 
bar auf das Heußerfte gebraht. Wer wird nun glauben, daß Herzog Siceo, 
nachdem er Neapel faft zur Uebergabe genöthigt hatte, nur aus Rüdfiht auf 
Schonung von Ehriftenblut die Belagerung aufhob! Ein anderer Grund muß 
ihn beftimmt haben, und abermal zeigt fih, daß der Mönd ftatt Geſchichte 
Romantik vorbringt. 

Die Wahrheit findet fich bei Erchembert, welcher den Hergang ſo ſchil⸗ 
dert:“) „gemeinfchaftlich mit feinem Sohne Eiccard belagerte Sicco lange Zeit 
zu Waſſer und zu Lande die Stadt Neapel, vermochte aber doch nicht dieſelbe 
zu uchmen. Endlich, als er fie nach 16jähriger Anftrengung aufd Aeußerſte 

') Ibid. ©. 496. 2) Ibid. ©. 498. 3) Ibid. ©. 240.  *) Ibid. ©. 498 
unten fl. °) Ibid. ©. 497. ©) Ibid. ©. 245. 


72 Pabſt Bregorius VII. und fein Zeitalter. 


gebracht hatte, riefen die Reapolitaner den Schutz des Kaiſers Ludwig an, 
welcher wirflih den Herzog zwang, die Belagerung aufzuheben.“ Der Kaifer 
betrachtete die Reapolitaner, weil fie Unterthanen der Griehen waren, ale 
Reichsfeinde und ließ es ruhig geihehen, daß Sicco die Kräfte feined Landes 
gegen fie wenvete. Allein als der Beneventer auf dem Punkte ſtand, Die 
Feftung zu erobern, fchritt er ein, denn er wollte nicht, daß Sicco, jelbft auf 
Soften der Griechen, ſich vergrößere: geſchwächt ſollte Benevent werden, 
nicht geftärft. Immerhin mußten die Neapolitaner fih zu jenen harten Be 
dingungen verftehen. | 

Der Mönch von Salerno theilt‘) aus der Regierungsgefchichte Sicco's 
einen weiteren Zug mit, der meined Erachtens Glauben verdient, obgleid 
Erchembert davon ſchweigt, und der einen Blid in die damaligen Verhältniſſe 
geftattet: „mit Einwilligung de® Herzogs Sicco hatte Graf Landulf von Capua 
auf dem Berge Trifiöco, unfern der genannten Stadt, eine neue Feſtung ans 
gelegt. Als der Bau vollendet war, lud der Graf den Herzog ein, den 
Feierlichkeiten anzumwohnen, die er zur Ehre des Werks veranftaltete. Sicco 
erfchien mit feinen Großen. Es handelte fid darum, der Schöpfung einen 
Namen zu geben. Die Meiften fchlugen vor, fie Siccodburg zu nennen. 
Einer aber von den Begleitern des Herzogs meinte, nein nicht Siccodburg, 
fondern Rebellenburg follte man fie heißen. Beleidigt fragte Sicco, warum 
diefer Name? Der Dienftmann antwortete, veßhalb, weil von nun an bie 
Grafen von Capua und Beneventern den Gehurfam verweigern werden.” Der 
Erfolg hat die Weiffagung gerechtfertigt. Man fieht, daß Euge Leute ſchon 
damals die nahe Auflöfung des Herzogthums Benevent vorberjchauten. 

Der Mönd) von Salerno behauptet,“) Sicco's Verwaltung habe 12 Jahre 
3 Monate gedauert. Angenommen, daß er zu Ende ded Jahres 817 zum 
Beſitze der Gewalt gelangte, müßte er im Brühling 830, dagegen wenn er 
gegen Anfang 818 Herzog wurde, müßte er im Sommer deſſelben Jahres 
mit Tod abgegangen jein. Eine alte Grabjchrift gibt?) ihm volle 15 Regierungs⸗ 
jahre, was nicht ausjchließt, daß er bereit dad 16. Jahr angetreten hatte. 
Erchembert endlih fpriht in der oben angeführten Stelle von 16 Sahren. 
Und zwiſchen beiden letzteren Nachrichten liegt meined Erachtens die Wahrheit 
in der Mitte. Denn eine alte Chronik verfegt‘) den Anfang der Alleinregie- 
sung Siccards, der unmittelbar jeinem Vater folgte, ind Jahr 833, wel- 
ches das 16te Sicco’8 war. Im Mebrigen ftarb’) Sicco an einer Krankheit 
und auf feinem Bette. 

Siccard, feit einiger Zeit Mitregent feined Vaters, übernahm die Herr 
ſchaft allein. Doc führte er das Steuerruder nicht mit eigener Hand, fon 


) Ibid. ©. 497 unten fig. *) Ibid. ©. 499. *) Muratori, annal. d'Italia ad a. 833. 
) Pertz III, 188, °) Ibid. ©. 245 u. 498 unten fig. 


Siebtes Buch. Cap. 4. Fraͤukiſche Sehen innerhalb dee der roͤm. Kirche geſchenkten Gebiete. 73 


dern überließ die Geichäfte einem Günftling Rofred, dem Eohne Daufers, 
wohl demfelben, der das Meifte gethan hatte,') um Siccards Bater, Eicco, 
auf den herzoglichen Stuhl zu erheben. Beide Hauptzeugen, Erchembert und 
der Salernitaner, ftimmen?) darin überein, daß Rofred ein fchlauer, bödartiger, 
ſelbſtſüchtiger, habgieriger Menſch war, der feinem Gebieter die fchlimmften 
Ratbichläge gab, um ihn dem ganzen Volke verhaßt zu maden und dadurch 
ih felber ven Weg zum Beſitze der Herrichaft zu bahnen. 

Auf Betreiben Rofreds ließ Siccard den eigenen Bruder Sigenolf ges 
fangen nehmen und zu Tarent einthürmen,’) einen andern Seitenverwandten 
des herrſchenden Hauſes, der Majo hieß, zum Mönche fcheeren. Viele ber 
vornehmſten Beneventer wurden verbannt, eingeferfert oder gar hingerichtet. 
Tas Schickſal eincd dieſer Schlachtopfer erregte außergewöhnliche Theilnahme. 
Schon zu den Zeiten Sicco's beftand*) bittere Feindſchaft zwiſchen Rofred und 
Afan, dem Eprößling eined der erften Häufer, der zugleich Abt eined Klos 
fterö zu Benevent war. Als Altan fah, daß Rofred zu einer Etufe empor, 
getiegen ſei, die ihm erlaube, ungeſcheut feine Leidenſchaften zu befriedigen, 
gerieth er in Furcht und entwid nad Neapel. 

Gegen vierhundert junge Leute, theild aus Benevent, theild aus Salerno, 
tie ebenfo dachten wie er, folgten feinem Beifpiele. An ihrer Spike verheerte 
er die Güter feiner Feinde auf Streifzügen, die er ind Gebiet von Benevent 
machte. Dieweil der Anhang Alfand mehr und mehr wuchs, und die Bes 
wegung gefährlich zu werden begann, beichlofien der Herzog und fein Rath⸗ 
geber, den Läfligen durch Hinterlift zu verderben. Unter ven feierlichften 
Schwüren, welde von vielen Geiftlihen als Eiveshelfern bekräftigt wurben, 
ficherte ihm der Herzog volle Verzeihung zu, wenn er ſich in Ealerno ftellen 
und unterwerfen würde. Alfan traute und fam. Sogleich legte Rofred Hand 
an ihn: vor den Mauern der Stadt ward Alfan aufgefnüpft.*) 

Noch ein Ähnliches Verbrechen verübten Rofred und fein Gebicter. Das 
Klofter von Montecaffino, im Herzogthum Benevent gelegen, beſaß großes 
But, das die Begierden des Günſtlings reizte. Vielleicht kamen noch politifche 
Gründe des Haſſes hinzu. Die Geſchichte des Radegis liefert den Beweis, 
daß der kaiſerliche Hof vornehme Beneventer, die er beſtrafen wollte, als 
Staatsgefangene in Montecaſſino verwahrte, was Vertrauen vorausſetzt. Um 
fo abgeneigter mag Rofred der Kloftergemeinde geweſen fein. Plotzlich ließ 
Rofred den Abt des Stiftes — er hieß Deusdedit — abſetzen und einthürmen. 

Es war hauptfählih Habſucht, was ihn zu dieſer That trieb, denn 
Grhembert fagt: Rofred habe nach und nad gegen vierhundert der jchönften 
und fettftien Landgüter, die zuvor Kirchen gehörten, zufammengebeutelt. Nur - 


N Siehe oben S. 69 unten. 7) Berk III, 245 u. 500 fig. 2) Man vergl. 
bi ©. 505. % Iid. ©. 498 unten; vergl. mit ibid. ©. 245. e) Ibid. III, 
245 u, 501 fig. 


74 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


furge Zeit überlebte Rofred die Abjegung des Abts: er flarb, wie es fcheint, 
eines natürliden Todes. Bald darauf folgte ihm Herzog Siccard ins Grab, 
aber nicht in Folge einer Krankheit, jondern durch die That eined Mörder, 
der ihn aus Rache erſchlug.) Der Tod Eiccards fcheint ind Jahr 839 zu 
fallen. ?) 

Und nun wurden die wahren Gedanken Derer offenbar, die feit einer 
Reihe von Jahren aus der Berne das Herzogthum Benevent der Auflöfung 
zugeführt hatten. Kine Volkswahl erfolgte, welche anftatt des ermordeten 
Eiccard den Echagmeifter defjelben, Radelgis, auf den Herzogsftuhl erhob.) Es 
war Died das ziweitemal, daß innerhalb eines Menfchenalters ein Schatzmeiſter 
zur Herrichaft gelangte, denn beftieg nicht auch jener zweite Grimoald vom 
Ehapgewölbe weg den Thron? Was Hatten diefe Beamte vorzugsweiſe zu 
thun? Sicherlidy beftand eine ihrer wichtigften Obliegenheiten darin, den Jahres⸗ 
tribut an den faiferlihen Hof von Frankreich zu entrichten und meines Er 
achtens ift ed in hohem Grade wahricheinlih, daß die Kaiſer fie, um pünft- 
licher Bezahlung verfihert zu fein, in bejondere Pflichten nahmen. Jedenfalls 
müfjen fie enge Verbindung mit dem Hofe unterhalten haben. Ich jage num, 
fränkifcher Veiftand war e8, was den Echagmeifter Radelgis gerade fo wie 
vor einigen und dreißig Jahren feinen Vorgänger Grimoald IL. zum Herrn von 
Benevent machte! Den Beweis werden die nächſtfolgenden Ereignifie liefern. 

Radelgis behielt die Herrſchaft nicht in dem vollen Umfange, wie er «6 
wünjchte, fondern nur in dem beichränften, den feine fremden Gönner von 
ichrieben. „Zwei und ein halbes Jahr,“ fagt*) der Mönd von Ealerno, „Te 
gierte er ohne Nebenbuhler in Benevent,“ aber dann bradyen Unruhen aus, 
die laut demfelben Berichterftatter deßhalb begannen, „weil der Herzog — ſo 
wie Könige häufig zu thun pflegen — angefchene Männer verfolgte und außer - 
Landes zu gehen nöthigte.” Gährung herrichte, wie man fieht, im Herzogthum, 
eine Gährung, welche Radelgis vergeblid durch Strenge zu unterbrüden ftrebte. 
Ueber dad Weitere mag Erchembert reden. 

Noch immer ſaß der auf Befehl feines Bruders Siccard verhaftete jün- 
gere Eohn Sicco's, Eigenolf, ald Etaatögefangener im Thurme von Tarent. 
Ploötzlich entrann er und fand zuerft in Conſa bei dein dortigen Grafen Urſo, 
der vielleicht ein Cohn des früherd) erwähnten Confanergrafen Radegis war, 
Unterkunft. onfa, in Römerzeiten Compfa genannt,®) liegt im alten Sam⸗ 
nium unweit den Quellen des Aufivus, heut zu Tage Ofanto, und iſt nicht 
weit von Salerno entfernt. Außer Urfo waren noch andere vorncehme Bes 
neventaner im Geheimniß. Mehrere derjelben verließen eines Tags ihre Vaters 
ftabt und eilten nach Salerno. Herzog Radelgis muß unterrichtet geweſen 


1) Ibid. ©. 245 unten flg. u. 503. 2?) Ibid. S. 174 oben. 3) Ibid. ©. 246. 
*) Ibid. €. 505 unten ſlg. 6) Oben ©. 66. °) Forbiger, alte Geographie III, 646, 


Eichtes Buch. Gap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb des der röm. Kirche gefchenften Gebiete. 75 


« 


jein, daß fie Boͤſes gegen ihn im Schilde führten, denn Erchembert jagt,‘ 
der Herzog habe ihnen einen feiner Bertrauten nadgefhidt, um fie zur Rüds 
fchr zu bewegen. Aber der Geſandte verrieth feinen Herrn und ging zu den 
Berihworenen über. Run begaben fi diefe nah Conſa, holten Sigenolf 
ab, nahmen ihn mit fi und riefen ihn zu Salerno als unabhängigen Fürs 
ten aus. 

Ein zweiter Schlag erfolgte jofort in ECapua. Der dortige Graf Landulf 
bejegte die Siccoburg, erklärte feine Unabhängigkeit und fchloß ein Schutz⸗ und 
Zrugbündniß mit dem neuen Bürften von Salerno, Sigenolf. Um Lepteren 
jammelte fi eine bedeutende Kriegsmacht, deren Kern allem Anjcheine nad 
jene vielen von Radelgis verbannten Vaſallen bildeten. Als der Herzog mit 
einem ftarfen Heere vor Ealerno rüdte, ward er vor den Mauern der Stadt 
geihlagen. *) 

In die weitere Entwidlung des Trauerjpield griffen Fremdlinge aus dem 
ſernen Süden — Saracenen — ein. Erchembert fibreibt:?) „in den Tagen des 
Herzogs Sicco — um 828 — überjhwemnten Agarener aus Babylonien und 
Arifa wie ein Schwarm Horniſſe die Infel Sicilien, zerftörten viele Orte 
und bemächtigten fi der Hauptftadt Palermo.” Wir fennen diefe Räuber 
aus der Geſchichte der Aglebiven von Afrika,) durch welche fie hinübergefchidt 
worden waren. Schon unter Siccards Verwaltung drangen fie nah Süd⸗ 
italien vor, und entriffen”) dort dem Haufe von Benevent als Erftling ihrer 
Groberungen den Secplag Brindifi (das alte Brunduſium). Die nad Sics 
cards Ermordung entftandenen Unruhen eröfjneten ihnen die Bahn zu grös 
beren Erfolgen. 

Erchembert berichtet®) weiter: „der von Radelgis über die Stadt Bari 
bertellte Hauptmann Pando rief auf des Herzogs Befehl die Saracenen (aus 
Brindifi) zu Hilfe, und wies ihnen einen Lagerplag unfern des Hafens an. 
Aber in einer ſtürmiſchen Nacht überfielen die Bremdlinge den Ort, erfchlugen 
einen großen Theil der Bewohner, erjäuften den Hauptmann Pando im Meere 

. und blieben feitvem lange Zeit Herten von Bari.” 
| Herzog Radelgis mußte zu böfem Spiel gute Miene machen, denn er bes 
& 


«MB - 


durfte des ftarfen Armes ver Saracenen. Wirklich zog er fie troß des Berrathe 
in jeine Dienfte, und verwendete fie im Streite gegen Eigenolf. Diefer 
jeinerjeitö erkannte die Nothwendigkeit, ſich gleichfalls durch Fremde zu ftärfen, 
„, ad er rief Saracenen herbei, doch nicht afrifanifche, ſondern andalufiſche, 
ı tele bereitwillig kamen. So entlud fid der Haß zwifchen den Omajaben 
- | iu Cordova und den Aglebivden von Kairowan auf ſüditaliſchen Schlachtfeldern. 
a Einige Zeit ſchwankte der Kampf zwiſchen Radelgis und Sigenolf, zuletzt 


a ') Pertz IIL 246. 2) Ibid. u. ©. 507 gegen unten, 3) Ibid. ©. 245, Mitte 
4 ') Band IV. dieſes Werls ©. 528 fl. ©) Berk DI, ©. 503. ) Ibid. ©. 246. 





16 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


gewann Lebterer die Oberhand, entriß dem Nebenbuhler einen Platz um ben 
andern und belagerte mit Macht Benevent. 

Schon war die Stadt aufs Yeußerfte getrieben, die ſchwer bedrohte Ein- 
heit des Herzogthums fchien gerettet, als eine fränfifche Fauſt dad Gleich⸗ 
gewicht zwiſchen den Gegnern wieder berftellte. Lakoniſch fagt‘) Erchembert: 
„Wido, Herzog von Epoleto, erhielt Befehl, nad der Stadt (Benevent) zu 
eilen, bewog Sigenolf durch das Verſprechen, feine Sache zu vertreten, daß 
ihm derfelbe freien Pag durch das Belagerungsheer geftattete, ging hinein, 
unterhandelte mit Radelgis, empfing von ihm einen Werth von 10,000 Gold- 
ftüden, brah aber jein dem Calernitanerfürften gegebene Wort, obgleich 
Sigenolf mit ihm verfhwägert war.” 

Wer dem Spoletiner Befehl gab, nad) Benevent zu gehen, wird unten 
far werden. Nod in anderer Beziehung muß man den Bericht Erchemberts 
ergänzen. Der Sinn des letzten Satzes ift offenbar der, daß in Yolge der 
Verabredungen, welche Wido mit Radelgid traf, Sigenolf durd eine höhere 
Macht genöthigt ward, die Belagerung von Benevent aufzuheben. Der Chronik 
fährt‘) fort: „nachher ſprach Wido zu Sigenolf, wenn du wilft, daß vie 
Einheit des Herzogthums wieder in Gang fomme, fo gib mir 50,000 Golts 
füde, dann joll dein Wunfch erfüllt werden. Sigenolf zahlte die geforderte 
Summe, Wido ging mit derfelben nah Rom, verfchmierte dort das Gelb, 
richtete aber nichts aus.“ 

Warum hat Wido das Geichäft gerade in Rom betrieben? Ohne Zweifel 
darum, weil Lothar I. Sohn, Ludwig U., der 850 die Kaiferfrone empfing 
und das Neg gefchürzt hat, mit welchem die Einheit des Herzogthums Benerent 
erftict ward, gewöhnlich zu Rom weilte. Die Urfunden,?) welche aus dem Zeit 
vaume von 8A4— 848 vorhanden find, berechtigen zu der Vermuthung, daß Rom 
oder in der Nähe Rome gelegene Drte damals fein gewöhnlicher Wohnftg waren. 

Noch etwas länger dauerten die Beindfeligfeiten zwiſchen Eigenolf und 
Radelgis fort. Das Land litt fürchterlich dur den Bürgerfrieg, der haupt 
fächlic ven Sararenen zu gute fam. Gleich Bari und Brindifi brachten”) 
fie auch Tarent in ihre Gewalt. Endlich als alles gehörig mürbe geworben 
war, trat der wahre Urheber ded Spield and Tageslicht hervor. Erchembert 
fagt:*) „auf Bitten des Grafen Lando von Capua, der feinem Vater Landulf 
gefolgt war, erfhien König Ludwig, Lothar I. Sohn, in Benevent, ließ die 
Saracenen, welche fih in der Stadt (ald Vaſallen des Radelgis) angeftebelt 
hatten, niederfäbeln, und Ichrieb dann einen Theilungsvertrag vor.* 

Irrthümlich meint der Chronift, die Theilung fet eine zweifache geweien, 
während aus einigen Bruchftücen®) der betreffenden Urkunde, welche der Mönd 

1) Ibid. ©. 247. *) Böhmer, regest. Carol. ©. 61. Ginen andern ſchlagenden Be 


weis werbe ich unten liefern. ?) Perg III, 508. *) Ibid. ©. 247 unten fill. 9 Ibid. 
©. 510 unten fig. 


LEE; 





Siebtes Bud. Cap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb des der roͤm. Kirche gefchentten Gebiete. 77 


von Salerno mittheilt, hervorgeht, daß das Gebiet von Benevent in drei 
Iheil-Fürftenthümer, Benevent, Salerno, Capua, aufgelöst worden ifl. Jenes 
blieb im Beſitze des Radelgis und feiner Nachfommen , mit Ealerno warb 
das Haus Sigenolfs abgeipeidt, Capua fiel an Landulfs Erben. 

Bald nad erfolgter Theilung, berichtet‘) Erchembert, ftarben in furzen 
Zwilchenräumen erft Eigerolf, dann Radelgis. Laut der Ausfage?) des Mönche 
von Ealerno hat Sigenolf zehn Jahre und einige Monate regiert. Iſt dies 
wahr, fo fann er, da er erft im dritten Jahre‘) der Regierung des Radelgis, 
d.h. um 842, zur Herrſchaft gelangte, niht vor dem Jahr 852 das Zeitliche 
gefegnet haben. Nun verſetzt“) aber die Ehronif von Benevent das Ableben 
des Radelgis, der doch nad Sigenolf geftorben fein fol, ins Jahr 849. 
Hier ift eine Ungenauigfeit, die ich nicht auszugleichen weiß. Genug, Ravelgie 
und Sigenolf farben um die Mitte des neunten Jahrhunderts, der Theilungs⸗ 
vertrag gehört‘) allem Anjcheine nah den Jahren 848 oder 849 an. 

Bas Carl der Große durch Fünftlihe Verpflanzung fränfifcher Partheis 
gänger nad) Benevent und durd Erhebung des Schatzmeiſters Grimoald IL 
begann, was feine Nadyfolger Ludwig der Fromme und Lothar L durch Bes 
günftigung von Anmaßern und treulofen Bafallen fortjegten, das hat Ludwig II., 
Lothars Sohn, vollendet, indem er den Schagmeifter Radelgis zum Herzoge 
machte, dann ihm den erbberechtigten Sigenolf als Nebenbuhler entgegenjebte, 
lofort das durch Sigenolfs Siege bedrohte Gleichgewicht mittelft feines Werkzeuge, 
des Spoletiners Wido, wiederherftelte und endlich als letzten Akt die Theis 
Iungsurfunde vorjchrieb. 

Diefelde Planmäßigfeit einer von drei auf einander folgenden Herrſchern 
eingehaltenen Politik tritt noch in anderer Beziehung hervor. Wer fann den 
Thatfachen gegenüber, die ich oben entwidelte, bezweifeln, daß die zu gleicher 
Zeit eingeleitete und betriebene Zertrümmerung der drei großen Herzogthümer 
Friaul, Spoleto und Benevent von einem und demfelben Gedanken eingegeben 


. worden if. Die Zerftüdlung Benevents Foflete mehr Zeit und Mühe, ale 


die der beiden andern Herzogthümer, weil die Barlinger, deren Macht feit 
Auflöfung der Reichseinheit reißend ſchnell zerfiel, bei der großen Entfernung 
ihren Willen in Apulien nicht fo Teicht durchzuſetzen vermochten, ald am Po 
und an der obern Tiber. 

Wie ih ſchon oben‘) angeveutet habe, wurde in der zweiten Hälfte des 
nennten Jahrhunderts durch Carl den Kahlen ein wiewohl ſchwacher und vors 
übergchender Verſuch gemacht, die Einheit des Gejammtflaats von Benevent 
— jedoch nicht zu Bunften eines Laienhaufes, fondern des Stuhles Petri — 
wieder zufammenzufitten. Bezeugt wird diefe Thatjache durch den namenlofen 


— —— — — 


sy Ibid S. 2418. 5 Ibid. S. 814. 5 Siehe oben S. 74. 9) Perg II, 174. 
*) Nuratoxi, annali d'Italia ad a. 868. 9 ©. 58. 


78 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Verfaſſer eined Fleinen Bücleins über die Gewalt der Kaifer in der Stadi 
Nom, das dem zehnten Jahrhundert angehört. Obgleich der Tinbefannte für 
die Kalfer und gegen die Päbfte fchreibt, was in den Augen gewifler Menfchen 
eine Empfehlung ift, findet Herr Berk, Herausgeber der deutihen Geſchicht⸗ 
quellen des Mittelalterd, angemefien, feine Glaubwürbigfeit, wie im Allge⸗ 
meinen die faft fämmtlicher Urkunden zu bemäfeln, welche beweilen, daß die 
Paͤbſte etwas mehr als Sklaven der Kaiſer waren. 

Laut tem Berichte‘) des Ingenannten gefhah ed als Gegendienſt für 
die Kaiferfrönung, daß Earl der Kahle im Dezember 875 dem damaligen 
Pabſte Johann VIII. den Beflg aller Städte des Herzogthums Benevent, 
fowie der Provinzen Spoleto und Ealabrien zufprad. Herzog von Benevent 
war damals Adelgis, der dem Pabſte wie dem Kaiſer tropte. Nach beffen 
Ermordung gelangte?) um 878 Gaideris, des Borigen Enfel, zur Herrfchaft. 
Herten in den Ffleinen, aus der Einheit ded Staats von Benevent hervor 
geiproßten Fürftenthümern Gapua und Salerno waren um dieſelbe Zeit, 
dort Pandonuff,) hier Waifar.“ Nun berichtet‘) der Langobarde Erthem⸗ 
bert, — wohlverftanden ein jüngerer Zeitgenofie des Pabſtes Johann VIIL: 
„nachdem Carl, der Judith Sohn — der Kahle ift gemeint — aus den 
Händen Johanns VIII. die Katferfrone empfangen hatte, beorverte er die 
Herzoge Wido von Epoleto und deffen Bruder Lambert I., mit ihrer Manns 
ſchaft zu des Pabſtes Dienfte bereit zu fein. Wirklih zog der Pabft von 
beiden geleitet nah Bapua und Neapel. Die Folge davon war, daß Waifar 
(von Salerno) dem PBabfte in Allem Gehorſam leiftete.“ Weiter unten melbet®) 
eben derfelbe Ehronift: „Pandonulf von Capua hatte fih dem Pabfte jo voll 
fommen unterworfen, daß alle Urkunden in des Pabſtes Namen audgefertigt 
und fogar die Münzen mit feinem Bildniß geprägt wurden.” 

Und jegt hören wir noch einen zweiten Zeugen — den Pabſt felber. 
Im Oktober 876 fchreibt”) Johann VIII. an den Biſchof Landulf von Capua: 
„der Kaiſer bat Mir Vollmacht ertheilt, nah Meinem Belieben über Capua 
zu verfügen.“ In einem andern gleichzeitigen Briefe) Tobt Johann VIIL 
die Treue des Fürften Waifar von Salerno und feines Eidams, des Vogts 
Pulgar von Amalfi, die er neulich durd die That erprobt habe, als er ber 
Befreiung des ganzen Landes (von Benevent) wegen fin jene Gegenden ge 
fommen fei. „Die Jugeftänpniffe,“ fährt er fort, „deren Beftätigung Ihr von 
Kater Earl begehrt habt, bin Ich bereit Euch zu bewilligen, fobald Mein Ge⸗ 
fandter vom faiferlichen Hofe zurüdgefommen fein und Mir die nöthigen Voll⸗ 
machten überbracdht haben wird.” Drittens, nachdem Gaiderid an der Stelle 
feines Großvaters die Regierung von Benevent übernommen hatte, wünjcht ihm 

1) Berk IIL, 722. 2) Man fehe art de verifier les dates IIL, 771 flg. 3) Ibid. 


©. 780, b. fig. ) Ibid. &. 794 fig. 8) Berg III, 253 unten. °) Ibid. ©. 285 
unten. ) Zaffg Mr. 2278. *) Ibid. Rr. 22790. 





Eicbied Buch. Cap. 4. Fraͤnkiſche Lehen innerhalb bes der roͤm. Kirche gefchenften Gebiets. 79 


ver Pabft durch Brief!) vom Frühling 879 Glück, tröftet ihn über die Anfälle 
ver Saracenen, und verfpricht, daß er ihm nad fünftigen Oſtern Mannichaft 
m Hülfe fchiden werde. Abermals beklagt ver nämliche Pabft in einem zweiten 
gleichzeitigen Schreiben?) die Bedrängnifie, in welche Graf Daifer und fein 
naher Verwandter Gaideris, Bürft von Benevent, gerathen feien, und verheißt 
ihnen noch einmal bewaffneten Beiftand. 

Ih frage: würde Chronift Erchembert Das berichten, wa® er berichtet, 
würde Babft Johann fo fchreiben, wie er fchreibt, würbe er, ver felbft im 
furchtbarſten Gedränge durch die Waffen der Saracenen ſich befand, Soldaten 
aus Rom nad Benevent gefendet haben, wäre er nicht kaum zuvor durch 
irgend einen Aft des Kaiſers zum Landesherrn des ganzen alten Beneventer 
Berbands erhoben worden? Wie grundlos, ja wie kindiſch erfcheinen dem 
einftimmigen Zeugnifle fo verfchledener und glaubwürdiger Quellen gegenüber 
jene Zweifeleien neuerer Gelehrten, welche Partheigeift verblendet. Wahrs 
ih der Verfaſſer des Büchleins über die Gewalt der Kalfer war wohl 
unterrichtet! 

Der Stamm Sigenolfs zu Salerno wurde fchon in erfter Geſchlechtsfolge 
durch einbeimifche Anmaßer verbrängt, wobei jedoch das Fürſtenthum aufrecht 
blieb. Länger behaupteten fich die Häufer von Benevent und Gapua, bis ein 
Sprofje des Letzteren auch in Benevent die Gewalt an fi riß. Zuletzt fielen 
ale drei Fürftenthümer im eilften Jahrhundert dur die Schläge der Nor 
mannen. Den Zwechk, welchen die Garlinger erftrebten, dur Begünftigung. des 
Zaunfönigthums ihre Herrichaft über Italien’ zu fihern, haben fie nicht erreicht, 
weit diefelben Künfte der Arglift, welche fie gegen Andere in Bewegung festen, 
ihr eigenes Geſchlecht untergruben, und bewirften, daß fie, zugleich Geißel und 
Epott der Völker geworden, ſpurlos von der Erde verichwanden. 

Nur Fremdlinge, und zwar Todfeinde der Ehriftenheit — die Saracenen 
Afrika's und Spaniens — zogen Vortheil aus der Zertrümmerung ded großen 
füditalifchen Herzogthums. Nie würde ed den Moslemim gelungen fein, 


: ih dauernd In Sicilien, Calabrien, Apulien und Lucanien feftzufegen, wire 


nicht in Geſtalt des Staats von Benevent das Bollwerk Süpitaliend durch 
bie Barlinger gerbrödelt worden. Daß die Raubfchaaren des Oſtens zur Schande 
des hriftlichen Abendlandes zwei Jahrhunderte lang die Mutterkirche Angftigen, 
das Feftland und die Inſeln des Mittelmeers ausplündern, die Seeherrſchaft 
an fih reißen fonnten, war ein Fluch, den die Carlinger zurüdließen. 

Erft im eilften Jahrhundert ftelte in jener Gegend NRormannenfeuer die 
Ehre hriftliher Waffen wieder her: die Abkömmlinge der Seekönige des Nor⸗ 
dens erbauten aus den Trümmern langobarbifcher Erbſchaft und faracenijcher 
Gewalt einen Staat, weit mächtiger als das alte Herzogthum Benevent in 


') Ibid. Mr. 2443. 5) Inid. Rr. 2449. 


80 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


feinen beften Zeiten; fie nahmen Eicilien, festen über nad Afrifa und er 
jchütterten die Emirburgen von Tunis und Bugia. Die Päbfte aber ware 
es, welche die Retter herbeiriefen, und man begreift, daß fie wohl daran thaten 
den Aufihwung der Tankrediden, ob fie ihnen gleih zuletzt felbft gefährlic 
wurden, geraume Zeit zu unterftügen. 


Sünftes Capitel. 


Obgleich Carl der Große über die Gebiete, die er laut Urkunden und Ghronifen der römifce 
Kirche vergabt haben foll, durch Cinſetzung weltlicher Lehenträger ald Herr verfügt: 
ift doch die Aechtheit der Schenfungsaften unzweifelhaft, aber letztere wurden vo 
ihm nur in fehr geringem Umfange vollzogen. Der Franke begnügte fidh, den Paͤbſte 
auf den Ertrag eined Theild der gefchenkten Ländereien gewifle Renten anzumeife 
Der Erlaß Ludwigs des Frommen vom Jahre 817 gegen Cinwürfe neuerer Schrif 
ſteller gerechtfertigt. AS Erfag für den mangelhaften Bollzug ber italienifche 
Schenkungen erhielt Betri Stuhl Ginfünfte in Gallien und Germanien. Umfang de 
wirklichen Befiped der römischen Kirche in den Tagen Garld des Großen. Rur üı 
Grarchate, das feit dem 9. Jahrhundert den Namen Romania empfängt, hat Petri Stut 
durch die Garolinger eine wirkliche Srwerbung gemacht. Mber diefer Gewinn wurd 
burch die Verluſte, welche die Päbfte wegen des Bunbs mit den Franken von Seite 
der griechiſchen Kaiſer erlitten, weit aufgewogen. Webergang zu dem ſchlimmen Geweb 
das bie Franken in der Stadt Rom anzettelten. 


Blicken wir zurüd. Im Umfreife der Ländermafle, weldhe der Franke Eaı 
laut dem oben angeführten Zeugniffe — um 773 — der römiſchen Kird 
Ichenfte, fahen wir unter den Augen des Schenkers vier Eleinere Herzogthüme 
das von Chiufi, dad von Florenz, das von Lucca und eined in Venetien 
dann weiter drei große, das friaul'ſche, das fpoletinifche, das beneventaniſch 
entftehen, und leßtere drei waren von Anfang an jo ausgetehnt, daß fie Sto 
genug in fi ſchloſſen, um aus erfterem vier Grafſchaften, aus dem zweite 
zwei Marfen, die von Gamerino und die von Spoleto, aus dem drii 
ten drei Bürftenthümer zu bilden. Berner die Inhaber diefer Lehen babe 
großentheild entweder noch während ver Lebzeiten Carls oder unter feine 
Sohne und jeinen Enfeln fih dazu hergegeben, die Päbfte zu bebrängen, di 
doh nad dem Wortlaute der Schenfung ihre Oberherren fein mußten. Dräng 
nicht diefer unläugbare Sachverhalt zu der VBermuthung bin, daß die behauptet 
Scenfung ind Reich der Kabeln gehöre, daß Anaftafius, den man gewöhnlic 
ald Berfafier des Pabſtbuchs bezeichnet, in den Tag hinein füge! 

Nichts wäre voreiliger und verfehrter, als ein folder Schluß. Di 
Schenkung ift eine Thatfache, denn wiederholt berufen fih Pabft Hadrian L 
zum Theil aud fein Nachfolger Xeo IIL, und zwar ftet an Erfüllung de 
gegebenen Verſprechens mahnend, in ihrem unzweifelhaft Achten Briefwechſe 
darauf, daß König oder Kaiſer Carl die Vergabungen feines Vaters Pippi 


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SEiebtes Buch. Cap. 5. Erfah, den Earl für die nichtvollzogenen Schenkungen gewährte. 81 


nicht nur beftätigt, fondern aud bedeutend erweitert habe. Im Sahre 777 
beklagt‘) fich Pabſt Hadrian, daß der König zu einer verabredeten Zuſammen⸗ 
funft nicht erfchienen fei, und bittet, Carl möge, fein Wort löfend, Spoleto, 
Benevent, Corſica, Sabinum an Petri Stuhl ausliefern. 

Mittelft eined zweiten Schreibens vom Jahre 780 erfucht?) er den König 
um bewaffnete Hülfe zu Eroberung Gaeta's, Neapeld und Terracina’s. Im 
Jahre 788 fchreibt?) ebenderfelbe, Carl möge in gleicher Weiſe, wie er feiner 
Schenfung gemäß die Städte Suana, Tuscana, Biternum, Balneum regie, 
und andere übergeben habe, treu feinem Berjprechen die Ausfolgung der Drte 
Populonium, Rojelä& und der Etäbte des Herzogthums Benevent anordnen. 
Abermal begehrt er in einem andern Briefe!) die Auslieferung von Popu⸗ 
lonium und NRojellä, ſowie die Uebergabe des Herzogthums Benevent, „damit 
die Ehre der Fföniglihen Schenfung unbefledt erhalten werde.” In einem 
fünften Schreiben?) vom Jahre 788 fpricht er davon, daß Carl neben den 
übrigen Städten auch Capua dem h. Etuhle zum Opfer dargebracht habe, 
Endlich ſtellt) Hadrians Nachfolger, Pabft Leo III, in einem Schreiben vom 
Jahre 808 die Uebergabe der Infel Eorfica dem höhern Ermefjen des Kaiſers 
Earl anheim, doch jo, daß er halb verzweifelnd den Wunfch beifügt: „bie 
Ehre der Schenfung möge unbefledt erhalten werben.“ 

Richt nur das Zeugniß des Pabſtbuchs, ſondern auch die eben erwähnten 
wei Briefe Hadriand und Leo's III. fegen außer Zweifel, daß unter den 
Scenfungen, welche Carl im Jahre 773 der römiſchen Kirche machte, aud) 
die Infel Eorfica begriffen war. Nun fteht aber feft, daß während des achten 
Jahrhunderts das fränkifche Reich noch Feine Seemacht im Mittelmeer bejaß, 
zu einer Zeit da jaraceniihe und normannifche Raubſchiffe die Gewäfler Süd⸗ 
europa's durchfurdhten, Küften und Inſeln plünderten. Erft nad Beendigung 
des fürdhterlichen Landkriegs gegen die Sachſen fommt eine fränfiiche Flotte zum 
Borfchein, erft im Jahre 807 erhält”) Eorfica einen eigenen Kriegsbefehlshaber 
in der Perfon des Connetabels Burfard. Aber fo wie beides gefchieht, zeigt 
es ſich auch, daß, beim Lichte bejehen, nicht die Franken, fondern die Saras 
cenen dort das Mebergewicht befaßen. In den Jahren 806, 807, 810, 812, 
813 fpielten®) letztere die Meifterrolle auf der nel. 

Kothgedrungen muß man daher fagen, daß Garl, wenn er 773 die Inſel 
an Betri Stuhl verfchenfte, über fremdes Eigenthum verfügt bat. Aber 
er bat fie wirklich verfchenft und folglih etwas zugefagt, was nicht fein 
war. Ebenſo wie mit Eorfica verhält es fi mit Iſtrien, der fernften unter 
den Brovingen, welche die Schenkung von 773 namhaft madt, Nach dem 
gemeinen Wortverftand die Sachen betrachtet, erjcheint es unglaublich, daß Carl 

*) Gemni L, 352 u. 353. *) Ibid. ©.375. 5 Ibid. ©. 480. *) Ibid. ©. 474 fig. 
N) Did. ©. 483 unten fd. ) Ibid. II, 60. 7) Perb 1, 19. ®) Ibid. I, 198. 
353. 194. 354. 198. 199. 200. 
| Ofrörer, BabR Gregorius vi Bd. V. 6 


8% « Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


diefe Halbinfel, die damals und auch nod geraume Zeit fpäter griechi 
Herrihaft gehorchte, dem Pabfte zugeſprochen habe. Dennod erhellt unw 
leglih aus einem Zeugniffe, das ih unten mittheilen werbe, daß Earl um 
dem römiſchen Stuhle nupbare Rechte in Iftrien verliehen haben muß. 

Wir find hiemitsdurd das Gewicht unverrüdbarer Thatfachen auf « 
Bunft getrieben, wo nur noch zwei Möglichkeiten ſich eröffnen: entweder 
hat wirflih 773 im vollen Umfange die Schenkung gemacht, welche Anaflı 
erwähnt, aber nachher fein Wort nicht gehalten — alfo auf deutfch gefpri 
er hat — gelogen, oder er hat gefchenft, aber nachher die Schen 
jo gedeutet oder vollfiredt, daß es ihm nad feiner Meinung unbenon 
blieb, im Umkreis der geſchenkten Ländermaffen jene Herzogthümer zu erric 

Letzteres war der Ball. Erſtens berufe ich mich auf den früher‘) erwäh 
Benevent betreffenden Brief Hadrians, welcher beweist, daß Earl, ald er 
Babfte gebrängt, in Benevent Ehren halber irgend etwas thun mußte, 
das Flöfterlihe und bifchöflihe Eigenthum fammt den Schlüffeln der S 
und gewiffen Schaghöfen an die päbftlihen Bevollmächtigten ausfolgen 
die Bafallen dagegen für ſich behielt. Auch ift fo viel als gewiß, daß 
Sranfenfönig dieſes fein Verfahren durch den Vorwand befchönigte: da 
als Patricius die Pflicht obliege, Hab und Gut des Apoftelfürften zu 
theidigen, fo ſei unumgänglich nothwendig, ja felbfiverftändlih, daß eı 
Mittel der Kriegsmacht, Belohnung der Soldaten, Beftallung der höhern 
nieberen Befehlshaber, mit anderen Worten Ausftattung von Vaſallen, Hi 
leuten, Grafen und Herzogen unter feinen Händen habe. 

In andern Gegenden der gejchenften Ländermaſſe befolgte Carl die nän 
oder doch eine ähnliche Richtſchnur, fofern er den Pabft entweder auf ein 
Schaphöfe anwies, oder die neu eingefegten Herzoge verpflichtete, an bie 
ftoliiche Kammer jährlich einen Theil ihrer Einfünfte zu entrichten, oder eı 
aus den Gefällen, welde die herzoglihen Länder an den Reichsſchatz 
liefern hatten, eine beliebige Summe für den h. Stuhl auswarf. 

Eine Urkunde’) vom Jahre 817 ift auf und gefommen, kraft w 
Kaiſer Ludwig der Fromme die Schenfungen feined Baterd Carl an bi 
mifche Kirche beftätigte. Perg erklärt?) diefe Urkunde, dem Vorgange D 
tori’8°) und anderer Älterer Gelehrten folgend, für unächt und für ein I 
werk päbftlihen Betrugs, ich aber behauptet) ebenfo entſchieden ihre Aech 








1) Oben ©. 44 fig. 2) Berk, Leg. II, b. 7 flg. 3) Annali d’Italia ad a. 
% Herr Pertz verwirft die Urkunden Ludwigs des Yrommen von 817, Otto’ I. 
18. Februar 962 (ibid. II. b. ©. 159), des Pabſts Leo VII. vom 6. Dez. 963 
©. 167), Heinrichs II. vom April 1020 (ibid. ©. 173 flg.), kraft welcher die gem: 
Kaifer einen felbfifländigen Befitz der römifchen Kirche anerfennen. Dringt man in bie 
Hintergebanfen dieſes Urtheild der Derbammung ein, fo beruht daflelbe auf folgendem S 
„wäre ih, Georg Heinrich Perb, im Jahre 817 an Ludwigs Gtelle, ober 962 flatt & 


y 


Siebtes Buch. Cap. 5. Erfah, den Carl für bie nichtvollzogenen Schenkungen gewährte. 83 


‚a derfelben heißt es unter Anderem: „Wir Ludwig, Kalfer, beftätigen bie 
mit die Schenkungen, welche unfer Ahn König Pippin und hernach unfer Vater 
Kaiſer Earl der römiihen Kirche freiwillig gemacht haben, desgleichen ben 
ind und die Renten und die übrigen Gefälle, welche jährlich in den Schatz 


oder 1020 in ber Perfon Heinrichs TI. deutſcher Kaifer gemwefen, fo würde ich dem Pabſte, 
ald einer mir unansſtehlichen geiſtlichen Macht, Nichts, gar Nichts bewilligt, fondern im 
Gegentheil denfelben nach Kräften gezwadt haben. Da nun bie alten beutfchen Kaifer, als 
rechtſchaffene und hochverfländige Herren, fo gefcheit waren wie ich, und folglich eben fo 
dachten wie ich, fo kann fein Zweifel fein, daß befagte Kaifer jene Zugeftändnifle nicht ges 
macht Haben. Demnach find bie betreffenden Urkunden ſalſch.“ Bewiß hat jeder Menfch das 
Recht, Müden in feinem Kopſe berumgutragen, aber dennoch ift es unftatthaft, das eigene 
Heine Ich in foldem Umfange,. wie Herr Berk e8 ſich erlaubt, zu einem Kaiſer⸗, ja zu einem 
Welt⸗Ich zu erweitern. Da man Hintergedanfen gewöhnlich nicht ausfpricht, fucht Herr 
Berk die Unächtheit der Urkunde von 817 aus folgenden Einwürfen zu erhärten: der Kaifer 
ſchenkt oder beftätigt darin dem Pabfte viele Güter, die jener gar nicht befaß und darum 
andy nicht verfchenten konnte, oder welche Petri Stuhl wohl begehrt, aber erweislich nie 
inne gehabt bat. Ich enigegne: ald König Carl 773 in Stalien war, fchenfte er dem Pabſt 
neben vielen andern Landichaften und Städten die Inſel Corfica, fo wie bie Provinzen 
Denetien und Ifrien, welche Carl erweislich damals gar nicht befaß. Mach dem Grundſatze, 
ben Herr Berk aufflellt, ift alfo die Schenfung von 773 unmöglich , folglich die Urkunde 
richtet. Dennoch gibt ebenderfelbe, durch die Macht der Thatfachen gedrängt, die Schenkung 
von 773 bereitwillig zu (leg. IL b. ©. 7), erflärt alfo felber feinen Haupteinwurf für null 
and nichtig. Bezüglich des zweiten Punfts, dag Petri Stuhl die von Ludwig beflätigten 
Güter nie innegehabt habe, entgegne ich: wenn Einer etwas durch fehriftliche Schenkung 
einem Zweiten zufpricht, und der Befchenkte nachher das Geſchenk nicht inne hat, fo folgt 
entweder, baß ber Zweite die Babe in ber Zwifchenzeit verlor, oder aber daß ber Erfte, d. h. 
der Schenker, fein Wort nicht hielt und die Schenkung nicht verwirflichte. Letzteres geſchah, 
wie ih oben zeigte, in Betreff der Schenfung von 773. Genau befehen war bie Urfunbe, 
von welcher Anaftafius fpricht, Feine eigentliche Schenfung, fondern ein Berfprechen. Wirklich 
gibt dieß ber Hauptzeuge deutlich zu verftehen, indem er fagt (Murator. script. III. 186, b.), 
nach Ausfertigung der Urkunde hätten König Carl und fämmtliche anweſende geiſtliche und 
weltliche Große, ald des Königs Cideshelfer, einen fürdhterlichen Schwur abgelegt, daß fie 
alles Das, was auf dem Pergamente ftehe, unverbrüchlich halten wollten. Folglich war bie 
Schenkung noch nicht vollzogen. Da jedoch der Pippinide fo große Macht befaß, daß man, 
guten Willen vorausgeſetzt, den der Pabſt offen nicht in Abrede ziehen durfte, an ber Aus⸗ 
führung nicht zweifeln konnte, fo fand Hadrian es feinem Bortheil gemäß, das Verſprechen 
als baare Gabe oder als wirkliche Schenfung Hinzunehmen. So viel über die Nichtigkeit 
der Cinwürfe bes Herm Perk und Genoflen. 

Peine pofitiven Sründe für die Aechtheit find: 1) gefteht die Urfunde von 817 offen, 
daß Carl die Linie von Luna bis Reggio, Parma und Mantua nicht in Form von Quabrats 
meilen au Petri Stuhl abgetreten, fondern nur einen Zins daraus an bie päbftlihe Kammer 
entrichtet habe. Nun ift fonnenflar, daß, wäre das Aftenflüd zum Vortheil des Pabſtes 
geihmiebet, der Fälfcher diefe wichtige Linie mit einem Federſtrich der römifchen Kirche völlig 
zugeſchanzt haben würde. 2) Weiter unten heißt es: „wenn irgend ein päbftlicher Unterthan 
bei und Klagen anbringt und ſich dadurch der päbftlichen Gerichtsbarkeit entzieht, fo werben 
wir ihn nicht anhören.” Diefer Sag nimmt unverfennbar Rückſicht auf die früher (S. 43) 
angeführte Beſchwerde des Pabſt Habrian. Kaifer Lubwig verfpricht, wie man ſieht, 

6 L 


84 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


des Eöniglihen Palaftes von Lombarbien theild aus dem lombardiſchen Tuss 
cien, theild aus dem Herzogthum Spoleto abgeliefert zu werben pflegen, ges 
mäß der zwiſchen unferem Vater und dem feligen Pabfte Hadrian abgefchlofjenen 
Uebereinfunft, fraft welcher bejagter Pabft Unferem Bater die fchriftliche Zus 
fiherung gab, daß er zufrieden fei, wenn aus bejagtem Tombarbifchen Tus; 
cien und aus befagtem Herzogthum Epoleto aljährlihd ein Zins an die 
römtfche Kirche entrichtet werde. Indeſſen wollen Wir Uns alle Unfere kaiſer⸗ 
lichen Hoheitörechte über bejagte beide Landſchaften feierlich vorbehalten haben.“ 

Folgende Thatfahen werden durch die Urkunde von 817 feftgeftellt: 
1) zwifhen König Carl und Petri Stuhle war eine förmliche Uebereinkunft 
getroffen worden, in Folge welcher Pabſt Hadrian auf den buchſtäblichen Volk 
zug der Schenkung von 773 bezüglih des lombardiſchen Tusciens und“ det 
Herzogthums Spoleto verzichtete und fich befriedigt erflärte, wenn ihm flati 
des wirklichen Beſitzes diefer Provinzen eine jährlide Summe von Renten, 
die aus ihren Einfünften zu fchöpfen feien, abgeliefert würden. 2) Diefe 
Uebereinkunft ift betreffend Spoleto erft nad dem Jahre 777 zu Stande ge 
fommen, denn im eben genannten Jahre forderte Hadrian noch, wie oben ge: 
zeigt worden, die wirkliche Uebergabe von Spoleto, nachher aber that er ſolches 
nicht mehr, während er doch bis 790 unermüdlich fortfuhr, wegen anbereı 
Theile der Schenkung von 773 zu mahnen. Dagegen muß derſelbe Vertrag 


das Unrecht feines Vaters abzuflellen. Aber unmittelbar darauf folgen die Worte: „aus 
genommen jedoch hievon find ſolche päbftliche Unterthanen, welche von Mächtigern Gewalt er. 
litten Haben, und unfere Dazwiſchenkunft anrufen.“ In die Augen fpringt, daß Bier der Nachſat 
den Vorderſatz aufhebt, denn unter den Mächtigern Eonnte man jeben Beamten innerhalb bei 
Po und der Abruzzen, alfo auch die päbftlichen, verftehen. Abermal frage ich, hätte je ein von 
Babfte bezahlter Faͤlſcher etwas feinem Herrn fo Schaͤdliches geſchmiedet? 3) Am Schluſſe 
des Pergaments ſteht der Satz: „wenn nach dem Tode eines Pabfles alle Römer ein 
ffimmig und einmüthig einen Nachfolger gewählt haben, fo foll auf die Wahl unver: 
weilt die Weihe folgen.” Aber wie dann? wenn nicht alle Römer einflimmig und ein 
müthig wählten? Je nun! dann erfolgte die Weihe nicht, fondern die Sache ging an ben 
kaiferliden Hof, und diefer zeugte den neuen Pabfl. Zunächft muß man wiflen, baß vers 
möge ber Hebel, die ich fpäter aufdedlen werde, der Kaiſer zu Rom in Hülle und Fülle übe 
Mittel verfügte, um die Einflimmigfeit Aller, die an ſich ſchon faft unmöglich if, zu Hinter 
treiben. Die Urkunde gibt alfo thatfächlih das Pabſtthum in die Hände des Kaiſers. 
Wahrli nur ein Querkopf Tann ſich einbilden, daß ein päbftlicher Partheigänger eine foldı 
Urfunde ausgehedt habe! Das Siegel des Macchiavellismus der kaiſerlichen Kanzlei fl 
berfelben handgreiflich aufgebrüdt, und das Aktenſtück erinnert an das alte Lieb, wo ein 
Criticus auftritt und ſpricht: 

Salomo, der König, klagt: 

Es ift alles eitel. 

Wahr ifl, was der Weife fagt! 

Ausgenommen aber müflen fein 

Schöne Mädchen, guter Wein 

Und ein voller Beutel. 


Eichtes Bu. Cap. 5. Erſatz, den Carl für die nichtvollzogenen Schenkungen gewährte. 85 


in Bezug auf das langobardiſche Tuscien ſchon früher, wohl bald nach der 
Schenkung, abgeſchloſſen worden ſein, denn nirgends in den vorhandenen Schreiben 
fordert Hadrian oder Leo III. wirkliche Ausfolgung der in letzterem Gebiete 
gelegenen Orte. Aufs Schoͤnſte ſtimmt, wie man ſieht, der päbſtliche Brief⸗ 
wechſel und die Urkunde von 817 überein, was kein geringer Beweis ihrer 
Aechtheit iſt. 

3) Häufig wirdam carlingiſchen Zeitalter und auch noch ſpaͤter ein lombar⸗ 
diſches Tuscien erwähnt,‘) und gewöhnlich, wie oben, dem Herzogthum Spo⸗ 
leto entgegengeleßt. Das lombardiſche Tuscien begriff ohne Frage die in den 
früher?) mitgetheilten päbftlihen Briefen erwähnten Herzogthümer Chiuſi, Florenz 
und Lucca, weldhe der Beichreibung nad) zu Tuscien gehörten, und deren Her 
soge, obwohl fie unter fränkifcher Oberhoheit ftanden, doch dem Pabſte in 
irgend welcher Beziehung verpflichtet waren. Abermal ſteht die Urkunde von 
817 und der Briefwechjel in gutem Einklang. 4A) die Renten, welche ver 
Pabſt aus den mittelbaren Landen zog, wurden nicht unmittelbar durch bie 
tmöciichen Orte entrichtet, fondern von dem königlich lombardiſchen Schatzamte, 
an welches die mittelbaren Untertbanen des Stuhles Petri abliefern mußten, 
mit der päbftlihen Schagfammer verrechnet. 5) In allen Geldſachen ift Ge⸗ 
nauigfeit das erfte Erforderniß, das Berechtigte ſtets anfprechen werben. 
Diefer Regel thut die Urfunde von 817 keineswegs Genüge, denn fie fegt 
fine Summe, noch ein Maß feft, jondern redet blo8 von Gewohnheit. Das 
eriheint als ein böjes Zeichen, und ich ſehe darin einen Beweis, daß bie 
faiferlihe Kanzlei ven Pabft in der Schwebe zwiſchen Thür und Angel halten, 
mit andern Worten, daß fie ihn fchrauben wollte. 

Richt nur im lombardiſchen Tuscien und in Spoleto, fondern auch in 
Iſtrien iſt Petri Stuhl bezüglich der Schenfung von 773 mit einem Zinfe — 
und zwar mit einem fehr fchwanfenden — abgeipeist worden. Im Jahre 778 
ſchreibt) Pabft Hadrian an König Earl: „Wir zeigen Euch hiemit an, daß 
die in Iſtrien angefefjenen Griechen, vereint mit Einwohnern des Landes, dem 
iſtiſchen Bifchofe Mauricius, den Eure Herrlichfeit nach befagter Provinz bes 
ordert hatte, um die Zinsgelder des römijchen Stuhls in Iſtrien einzutreiben, 
die Augen ausftachen unter dem Vorwande, Biſchof Mauritius habe das Land 
an Eure Herrlichkeit verrathen wollen." Dieſes Schreiben beweist erftlich, 
daß der Pabſt gewiſſe Renten in Sftrien anfprad. Zweitens das Recht hiezu 
kann ibm nur durch Carl und zwar in Folge der Schenfung von 773 vers 
lieben worben fein, denn nicht Hadrian war e8, fondern wohlgemerkt der Franken⸗ 
fönig, der einen Bifchof zum Eintreiben der päbftlihen Steuergelver dorthin 
abſchickte. Ferner Earl war 778, fünf Jahre nach der Schenfung, noch gar 

4) Man vergl. Pertz, leg. IL, b. 164, Mitte. 174, unten. Muratori, antiquit. Ital. I, 


68, Mitte fl. Jaffé regest. Pontif. ©. 184, Mitte, wo ber Lombardenkoͤnig Liutprand 
von sus Tuscia fpridgt, endlich noch Gemi ll, 21%. °) ©.52f. °) Gennil, 872 fig. 


\ 


86 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. : * 


nicht Herr, wenigftend nicht voller Herr dafelbft, fondern Griechen bejaßen 
die Gewalt im Lande oder doch in einem Theile deſſelben. Endlich Iſtriens 
Bewohner verweigerten die Bezahlung, und nur mit Waffengewalt Eonnte fie 
ihnen abgepreßt werben. 

Höchſt wahrſcheinlich, ja ich fage, fo viel ald gewiß ift, daß König Earl, 
als er im Jahre 774 die ESchenfungsurfunde auf das Grabmal des Apoftel- 
fürften niederlegte, dem Pabfte nichts über die Art und Weiſe eröffnet hat, in 
welcher er nachher den Akt vollzog, fondern Hadrian muß in der Täufchung 
erhalten worden fein, ald ob Petri Stuhl buchftäblid Alles, was auf dem 
Pergamente ftand, befommen werde. Denn wäre der König damals offen mit 
der Sprache herausgerüdt, fo hätten die Häfeleien, die wir nachher zwijchen 
ihm und dem Pabſt ausbrechen fahen, gar nicht entftchen können. 

Am früheften wurde, fo fcheint es, Hadrian über die wahre Meinung 
des Königs in Bezug auf das langobardiſche Tuscien und Iftrien aufgellärt. 
Denn in des Pabfted Briefen findet fid) feine Spur von Klagen wegen Bors 
enthaltung der eben genannten Landfchaften. Epoleto dagegen forderte Hadrian, 
wie wir fahen, noch im Jahr 777, nachher aber nicht mehr, woraus fi er 
gibt, daß die päbftlihe Zuftimmungsafte, deren die Urfunde von 817 ge 
denkt, bald nachher ausgefertigt worden ift. In, Betreff des Herzogthums 
Benevent, der Infel Eorfica und vieler anderen Orte hat fib Carl, obgleid 
er thatſächlich nach denfelben Grundjägen, wie in Tuscien, Spoleto, Sftrien 
verfuhr, nie deutlich erflärt, — vermuthlih weil er ſich jchämte, mit dem 
Munde Das einzugeftehen, was die Hand that. — Auch gab der Pabſt nie 
feine Eimvilligung zu einer anderen Form, vielmehr fuhr Hadrian faft bis 
an fein Ende fort, über Rechtöverweigerung zu Hagen und auf Vollzug der 
Scenfungsurfunde zu dringen. 

Stalien war zur Zeit der fränfishen Eroberung ein verhältnißmäßig gelb» 
reihes Land. Man erficht dieß aus den hohen Summen, welde in der Ge 
ſchichte der jüdlihen Provinzen, namentlich Beneventd, erwähnt werden. Hätte 
daher Petri Stuhl alle Provinzen, welde die Schenfung von 773 aufführt, 
wirtlih erlangt, fo wären die Päbfte den Carlingern zu großem Danfe vers 
bunden gewejen. Aber ftatt wahrer Werthe erhielten fie eitle Titel, ftatt 
Weſens Schaum. Daß die Renten, welde Carl auf bie meiften in der 
Schenkung begriffenen Landichaften anwies, an fi wenig wogen und über- 
dieß unregelmäßig ausbezahlt worden find, muß man aus mehreren Gründen 
ſchließen: erftlih weil Carl ſich ebendafelbit neben anderen Hoheitsrechten, 
wie Staatöfteuern und der oberften Gerichtöbarfeit, das Kriegsweſen im mög- 
ih ausgedehnten Sinne, Errichtung von Soldatenlehen, Grafſchaften, Herzog. 
thümern vorbehielt — Provinzen, die ſolche Laften trugen, Tonnten ſicherlich 
an die päbftliche Kammer wenig abgeben —. Zweitens weil, wie ich oben 
zeigte, das hedenkliche Stilihweigen, welded Ludwig der Fromme in ber 


Siebtes Vuch. Kay. 5. Erſatz, den Garl für die nichtvollzogenen Schenfungen gewährte. 87 


Urfunde von 817 über Maß und Betrag” der dem Stuhle Petri verjprochenen 
Gefälle beobachtet, ſchlimme Hintergedanken verräth. 

Roc ein dritter Beweis, und zwar ein enticheivender, Tann geführt werben. 
Wenn die Renten, mit welchen Carl die apoftoliihe Kammer abzufpeifen für 
gut fand, in feinem richtigen Berbältniffe zu dem Neunwerthe der Schenkung 
von 773 flanden, jo muß man vorausjeten, daß Hadrian I. und vielleicht auch 
fein Nachfolger Leo III. anderweitige Entihädigungen begehrt bat. Denn 
durch Kirchenrecht ift, wie jeder Biſchof, jo auch Petri Statthalter verpflichtet, 
das Einfommen feines Stuhles fjorgfältig zu wahren. In der That liegen 
Anzeigen vor, daß der Pabſt nicht nur ſolche Entihädigung verlangte, fon- 
den auch daß Carl nicht ausweichen fonnte, den römifchen Forderungen 
Genüge zu thun. 

Ich berufe mich zunächſt auf ein ſchon früher‘) zu einem anderen Zwede 
berüßtes Schreiben?) vom Frühling 1081, in welchem Gregorius VII bes 
bauptet, im Archive des Vaticans feien urkundliche Belege vorhanden, daß Carl 
der Große jährlich auf drei verfchiedenen Punkten feined Reiches, zu Aachen, ° 
u Puy notre Dame (in Anjou) und zu Et. Gilles (in Languedoc) 1200 Pfund 
(Silber) für den Dienft der römifhen Kirche einzichen ließ. 

Die drei genannten Drte find jo gewählt, daß die Vermuthung ſich aufs 
drängt, das ganze überrheinijche Srancien habe zu der päbftlichen Steuer beis 
getragen. St. Gilles liegt im Süden, Puy notre Dame im Norbweften, 
Aachen im Rorboften des gallofränfifchen Reiches. Hat aber der ganze Ueber; 
thein dem Stuhle Petri gefteuert, fo läßt fi) erwarten, daß das Gleiche auch 
in den dentichen Provinzen dieſſeits des Stromes der Ball gewejen fei, welde 
ſeit dem Verduner Staatsvertrag den Antheil Ludwigs des Deutfchen bildeten. 
Wirflich werden unter dem Pabfte Nicolaus I. (858 bis 867) und Johann VII. 
(872 bis 882) in Alemannien und Baiern apoftolifche Gefälle erwähnt, ®) deren 
Urſprung allem Anſcheine nad) in frühere Zeiten, wohl in die Tage Carls des 
Großen, hinaufreicht. 

Kaum läßt fi) ein anderer Anlaß der Einführung diefer Abgaben denken, 
als der, es ſei gefchehen, um dem Stuhle Petri Erfab für den mangel- 
haften Vollzug der Schenfung von 773 zu gewähren. Gleichwie gewiſſe heus 
tige Regierungen wider den Faren Wortlaut der Verträge, Fraft welcher fie 
fh gegen Rom verpflichtet haben, neu begründete oder wiederauffebende Bis⸗ 
thümer mit Ländereien auszuftatten, diefelbe auf Geld fegen, fcheute ſich ſchon 
vr Franke Carl, das Grundeigenthum des Stuhled Petri zu vermehren. 
Barum er jo handelte, ſpringt in die Augen. Biel leichter fällt es, Geld⸗ 
anweifungen zu fperren, als feftbegründete Gutsverwaltungen umjzuftoßen. 
Die dieſſeits der Alpen zu Entſchädigung des päbftlihen Stuhls ausgemittelten 


*) Band IL, ©. 410 fig. *) Zaffs Ar. 3923. °) Gfroͤrer, Carolinger I, 415 u. II, 165 


88 Pabſt Bregorius VIE. und fein Zeitalter. 


Geldquellen verfiegten bald genug. Von den Einfammlungen auf den drei 
Punkten des fränkiſchen Galliend verlautet nah Carl fein Wort mehr, das 
gegen fommen in Baiern no unter Kaifer Heinrich III. päbftlihe Güter zum 
Vorſchein, die meines Erachtens dem Stuhle Petri als Ablöfung jener älteren 
Gefälle zugewiefen worden find. 

Berfuchen wir ed, dad Grundeigenthum zu beftimmen, das Petri Stuhl 
während Carls ded Großen Regierung, ſei es kraft früherer Rechte, ſei «6 
in Bolge der Echenfung von 773, wirflih und wahrhaft beſaß. Im der Ur 
kunde, laut welcher ver fränfifche Kaiſer im Jahre 806 das Rei für gewiſſe 
Fälle hin unter feine damals lebenden drei Söhne Pippin, Carl IL und Lud⸗ 
wig vertheilte, heißt‘) ed unter Anderem: „ftirbt SBippin vor feinen beiden 
Brüdern, jo fol Stalien, das er beſaß, unter die zwei anderen getheilt wer- 
den. Carl erhält die Linie von Aofta, Jvrea, Vercelli, Pavia und von ba 
dem Vo entlang bis zum Gebiete von Reggio, dieſe Stadt ſelbſt, fowie 
Eivita nuova (Drt und Feine Grafſchaft im heutigen Herzogthum Modena)’) 
und Modena bis zu den Gränzen des h. Peter. Alle genannten Stäbte, 
©ebiete und Grafichaften, ſowie weiter, was von chemaligen Befigungen 
Pippins links der Linie von Modena auf Rom liegt, ſammt dem Herzogthum 
Spoleto follen Carls Antheil fein. Diejenigen Gebietötheile des verftorbenen 
Pippin dagegen, welde rechts von den genannten Grafſchaften, Städten und 
Drten In der Richtung auf Rom liegen, namentlidy das Land bis zur Pro 
vence (d. h. das weftlihe Lombardien und Ligurien), die Streden jenjeits dem 
Po bis zum Mittelmeere (Cd. h. das Gebiet zwilchen der Magra und der 
Enza) fowie envlih das Herzogthum Tuscien follen dem anderen Bruder Lud- 
wig zufallen. “ 

Folgendes erhellt aus dieſen Sägen: 1) das Gebiet des h. Peter oder 
der Kirchenftaat begann erft jüdlih von Modena und der Grafihaft Civita 
nuova, während ebendaſſelbe fi nach dem MWortlaute der Schenfung von 773 
bis nach Reggio, und von da den Bo überfchreitend bi8 Mantua und Meonfelice 
hätte erftreden ſollen.) Zweitens zieht man eine Linie von Modena auf Rom, 
jo lagen links derjelben und zwiſchen dem adriatifchen Küftenfaume, der, wie 
wir unten fehen werden, dem Pabfte gehörte, eine Reihe Städte und Graf 
haften, welde, obgleich fie dur die Echenfung von 773 dem Stuhle Petri 
zugeſprochen waren, der Kaiſer ebenjo, wie das Herzogthum Spoleto, von 
dem die gleihe Bemerkung gilt, als fein Eigenthum behandelte. 

Drittend nicht anders verhält es fich mit dem Gebiete auf der rechten 
Seite jener Linie. Aus der in der Schenfung von 773 erwähnten Ländermaſſe 
theilt die Urkunde dem jüngften Sohne des Kaifers das Herzogthum Tuscien 


) Berk, leg. 1, 141. Nr. 4. 2) Man fehe Muratori, antig. Ital. II, 155. 186 flg- 
104 fg. 2) Siehe oben S. 38. 


Siebtes Buch. Gap. 5. Grfap, den Carl für die nichtvollzogenen Schenkungen gewährte. 89 


zu. Letzterer Ausdrud kommt bier meines Wiffens zum erftenmale vor, doch 
kann fein Zweifel fein, daß tusciſches Herzogthum Dafjelbe befagt, was bie 
oben erwähnten Briefe des Pabſtes Hadrian unter den Theilherzogthümern 
Chiufi, Florenz und Lucca begreifen, und was der Erlaß Ludwigs des From⸗ 
men vom Jahre 817 mit dem Worte „Iangobardijches Tusrien” bezeichnet. 

Mit den Ergebnifien der Teftamentsafte von 806 flimmt der päbftlich- 
carolinifche Briefwechſel überein. Laut den Schreiben‘) Hadrians I. und dem 
Zeugniffe des Pabſtbuches hatte die römifche Kirche, fei es Kraft früherer 
Rechte, ſei e8 in Folge der Echenfungen Pippins und Carls des Großen inne: 
A. im alten ciöpadaniihen Gallien und Umbrien von Norden nah Süden 
fortichreitend die Städte und Gebiete Berrara, Comacchio, Ravenna, Gabellum, 
Earfina,?) Bologna, Acerrä ’) (an der Etraße von Modena nad Bologna, 
heutzutage wahrfcheinlich Anzola) Imola, Yaenza, Forli, Borlimpopoli, Ceſena, 
Et. Marino, Rimini, Pefaro, Fano, Urbino, Foffoınbrone, Montefeltre, Eagli, 
Bubbio, Serra, Narni. Hiezu noch die untergegangenen oder ſchwer beftimms 
baren Orte Bobio*) (in der Provinz Ylaminia), Concha.“) B. Im alten 
Picenum die Städte und Gebiete Jeſi, Ancona, Dfimo, Fermo. C. Im alten 
Samnium die Stadt Rieti und dad Sabinerland. D. Im alten Latium die 
Hauptftadt Rem, fowie die Drte Terracina und Cecano. E. In Tuscien 
Sovana (Suana), Toscanella, Bagnarea®) (balneum regis), dad Eaftel Fe⸗ 
ficita,”) Biterbo, ſodann weiter im Norden Ruſellä, (unfern dem nördlichen 
Ufer des Umbrone etwas Iandeinwärtd vom Deere, heutzutage Rofello,)°) an 
der Küfte gegenüber der Injel Elba PBopulonium, heutzutage Porto Baratto;*) 
endlich F. im ſüdlichen Italien gewiſſe nicht näher beftimmbare Befigungen in 
den Gebieten der Fürſtenthümer Capua und Benevent.) 

Meder der Briefwechſel noh das Pabſtbuch gibt jedoch ein vollftändiges 
Bild vom Umfange des Kirchenftaatd zu den Zelten Carls des Großen. Eine 
einfache Bemerkung genügt, um dieß begreiflich zu machen. Die Statthalter 
Betri ſprechen in ihren Unterhandlungen mit den arlingern nicht davon, was 
fie rubig inne hatten, fondern davon, waß fie, geftügt auf Schenfungen und 
andere Rechtstitel, begehrten. Ebenjo befchreibt das Pabftbuch keineswegs den 
Befig der roͤmiſchen Kirche, ſondern es berichtet, was dieſelbe verlor oder ges 
wann. Ich will ein Beiipiel geben: zur Noth fann man aus dem Briefwechſel 
den Beweis führen, daß die Stadt Rom dem Stuhle Petri gehörte, weil 
Hadrian, weil feine Vorgänger und Nachfolger von Rom aus fchrieben und 


) Die Beweife and den Briefen und dem Pabſtbuch bei Perk, leg. IL, b. ©. 7 flg. 
) Man vergl. Genni I, 385 ſammt Noten. 3) Korbiger, alte Geographie III, 575. 
9%) Nuratori, antiquit. Ital. V, 356. °) Bergl. Gfroͤrer, Kirch. Geſch. ILL, 571. 6) Bergl. 
über die Lage bdiefer Städte Korbiger, alte @eographie III, 611. 613. 614. ) Bergl. 
Gemi I, 337. %) Vergl. Sorbiger a. a. O. III, 603 flg. u. 613. ) Siehe oben 
©. 44 fig. 


00 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


zwar als Fürften und Landesherren jchrieben, aber über die Umgegend der 
Welthauptftant enthalten fie fein Wort, während doch aus den zahlreichen Ur- 
funden, die ich früher anführte, erhellt, daß längs den großen Heerftraßen, 
weldhe von Rom ausliefen, nahezu alled Grundeigentum der Kirche gehörte. 
Eine mefentlihe Lücke ift daher unläugbar vorhanden. 

Diefelbe kann ausgefüllt werden, aber freilich in rechtmäßiger Welfe nur 
von Denjenigen, welche die Acchtheit ded Pergaments vom Jahre. 817, die 
allerdings für Sachkundige unerfchütterlich feftfteht, anerkennen. Dennoch che 
ih zu meinem nicht geringen Erftaunen, daß auch Herr Perk, der doch bie 
fraglihe Urkunde für ein |pätered Machwerk erflärt, fie ſtillſchweigend als ächte 
Duelle zu Ergänzung der Nachrichten des carolinifchen Briefwechjeld und bes 
Pabſtbuches benützt,) indem er jo jelbft feine Einwürfe als grundlos behandelt. 

Zu den Befigungen im cispadanifhen Gallien fügt fie folgende Drte 
hinzu: Adriani, womit wohl die zwiſchen Etſch und Po gelegene Stadt Woria,?) 
die heute noch diefen Namen führt, gemeint if. Der Lage nad fcheint fie 
zum Herzogthum Ferrara, welches durch die Echenfung Carls des Großen an 
die römiſche Kirche überging, gehört zu haben. Ferner in Umbrien die Stäbdte 
Perugia, Todi, Amelia (Ameria), Dtrieuli auf dem linfen Ufer der Ziber. 
Zu den Beflgungen im alten Picenum reiht fie die Stadt Numana, ſüdlich 
von Ancona am Meere, und das Gebiet von Balva oder VBalvaz*) zu den 
Befigungen in Latium und dem juburbicariihen Tuscien das jogenannte Dufat 
oder Stadtgebiet von Rom, dann die Orte Porto, Eivita vechia, Gere, Bieda, 
Manturanum — heutzutage Barberano genannt,*) Sutri, Nepe, Eivita Ca— 
ftellana, Galeſe (ehemals Falerli), Orta und Bomarzo; zu den Befigungen 
{m entfernteren oder ehemals langobardiſchen Tuscien fügt fie bei die Städte 
Berentino, Orvieto, fowie Orthäi und Marca, welche letztere beide ih nicht 
nachzuweiſen vermag; in den Landichaften Samnium und Gampanien fügt 
fie bei die Orte Segni, Zivoli, Anagni, erento, Alatri, Frofinone und 
Patricum, welcher legtere nicht genauer befannt ’) ift; endlich im Herzogthum 
Benevent, wo der Briefiwechlel nur im Allgemeinen von römiſchen Beflgungen 
redet, führt die Urfunde von 817 einzeln die Drte Arces (Schlöffer, vielleicht 
ift Civita ducale unfern der heutigen neapolitanifschen Gränze gegen Rieti ges 
meint), dann die befannten Städte Sora, Arpino, Aquino, Teano“) und 
Capua auf.”) 

Auch abgefehen von der ungmweifelhaften Aechtheit des Erlaſſes von 817 
ift ed aus anderen Gründen fo viel ald gewiß, daß die meiften der in dem: 
felben genannten Orte Eigenthum des h. Stuhles waren. Gehoͤrten nicht 
ſchon geraume Zeit vor Carls des Großen Tagen die ganze Umgegend von 

9 Berk, leg. II, db. ©. 8. 3) Sorbiger a. a. DO. III, 569. 3) Ueber die Lage 


vergl. man Muratori, script. ital. X, Vorſtück ©. 254 flg. *) Muratori, antiquit. Ital. I, 69. 
*) Muratori x, Vorſtuͤck ©. 227. ®) Borbiger IL, 787. 5 Berg, leg. IL, b. ©. 9 fig. 


Biebied Buch. Gap. 5. Erſah, den Carl für die nichtvollzogenen Echenfungen gewährte. 91 


m, oder der Dufat, dann die Städte Nepe,) Sutri,?) Civita vecchia,) Biedat) 
m Apoftelfürften, und faft unbegreiflih wäre es, wenn Petri Statthalter nad 
n fränfifhen Schenfungen dieſen alten Beſitz verloren haben ſollten. Was 
erugia betrifft, jo berichtet?) Anaftafius im Pabſtbuche: (749) „belagerte der 
ngobardenfönig Rachis mit aller Macht die Stadt Perugia. Als Pabſt 
ıhariad hievon Kunde erhielt, erhob er fich mit feinem Clerus und einigen 
mijben Großen, reiste ind Lager der Langobarden und bewog den König 
ch feine Beredtſamkeit und reiche Geſchenke, die Belagerung aufzuheben.“ 
Warım verwendete der Pabft fo viel Geld und Mühe, um die Stadt 
ı befreien? Sicherlich deßhalb, weil fie fein war. Wer wird nun glauben, 
ı8 Pippin oder Carl diefelbe dem roͤmiſchen Stuhle entyog! Der nämliche 
hronift erzählt) weiter: „um 590, da Gregor I. eben auf Petri Stuhl er- 
‚ben worden war, kam der griehiihe Erard von Ravenna nad Rom, und 
8 er wieder heimfehrte, eroberte er die Städte Eutri, Bomarzo, Drta, Todi, 
meria, Perugia, Luceoli, ſammt vielen anderen, welche die Langobarven früher 
ngenommen hatten“ Warum ift der Erardı vorhef;nah Rom gegangen, 
e er die Wiedereroberung betrieb? Vermuthlich deßhalb, weil der Pabft irgend 
elhe Rechte auf die fraglihen Städte geltend madte und einen Theil der 
riegsfoften bezahlte. Jedenfalls fteht feft, daß die fraglichen Orte während 
es Zeitraums, der zwiſchen 604 und 742 verlief, in den Befls der Päbfte 
- und zwar allem Anjcheine nad) aus gricdijchen Händen — gelangt find. 
Denn abermal meldet!) Anaftafius: (zur Zeit, da Zacharias Petri Stuhl 
ftieg)') „war Mittelitalien in großer Verwirrung, weil der Langobardenfönig 
mtprand die Städte Ameria, Orta, Bomarzo, Bieda von dem römijchen 
ufat abgeriffen hatte.” Sie waren aljo vor Liutprand römiſch, d. h. Eigen- 
um des h. Stuhles geweien. In der That wurden fie bald darauf dem 
chtmaͤßigen Eigenthümer zugeftelt. Anaftafius fährt) fort: „Liutprand ſetzte 
m Apoftelfürften wieder in Beſitz der Städte Amelia, Orta, Bomarzo und 
ſieda.“ Wie jchon früher?) bemerkt worden, hatte Pabſt Zacharias von 
önig Liutprand auch das Sabinerland, ſowie die Gebiete‘ von Ancona, 
'ami, Oſimo, Numana zurüderhalten. Schon Ehren halber mußte Carl der 
zroße nad Vernichtung des Reichs der Langobarben diejenigen von ihnen 
üher dem römijchen Stuhle entriffenen Städte, welde bis dahin in langos 
udiſchen Händen geblieben zu fein fcheinen, wie Tobi, Sutri, der Kirche 
ırüdgeben. 
Samnium und Gampanien betreffend, erhellt aus den Thatjachen, die 
h früher!“) nachwies, daß Anagni und Zivoli vor Carld Zeiten einen Theil 
es Kirchenftaates bildeten. Da ferner Petri Stuhl unzweifelhaft länge 
1) Eiche oben ©. 15. 2) Daſ. S. 22. 3 Daſ. Da. S. 13. 9) Muratori, 


zipt. Ital. 1, 164,0. °) Ibid. ©. 134,0 9 Did. S. 1601, 4. *) Ibid. 6.162, a. fig. 
ı Oben €. 24. 1) ©, 23, 


92 Babft Sregorius VII. und fein Seitalter. 


der via appia und der praenestina ausgedehnte und allem Anfcheine 
zufammenbängende Latifundien beſaß,) ift in hohem Grade wahrſcheinlich, 
ebenderjelbe auch zu Segni, Yerento, Alatri, Srofinone Grundherr war, 
er denn Terracina erweisli inne hatte Man fieht daher: felbft wenn 
Urfunde von 817 geſchmiedet und nicht aus der kaiſerlichen Kanzlei hervı 
gangen wäre, würde die Beiftimmung fo vieler anderer Zeugen vernün 
Richter nöthigen, ihr in Bezug auf die angeführten Drte Glauben zu faheı 
Wie viel mehr muß dieß der Fall fein, nachdem ihre Aechtheit fi u 
weislich herausgeftellt hat! 

Faſt noch mehr Beachtung als ihr Neden verdient ihr Schweigen. 
babe?) oben gezeigt, daß nad der erften Niederlage, welche der Lungobaı 
fönig Defiverius in den Alpen gegen Carl den Großen erlitt, die Einwo 
von Spoleto dem Stuhle Petri huldigten. Laut dem Berichte”) des P 
buches gingen um dieſelbe Zeit auch die Bürgerjchaften von Oſimo, Anc 
Fermo, Rieti und Caſtello di Felicita zu Pabft Hadrian über, fie ſchw 
ihm einen Eid, der ſie und ihre Nachkommen zu beftändiger Treue gegen 
sömifche Kirche verpflichtete. Unmöglih fann man annehmen, daß der Fr 
Earl diefe Drte hernach dem Pabfte entzog, denn durd ein ſolches Verfa 
wäre ja das Verhaͤltniß zwifchen ihm und Hadrian — und noch tazu in 
Honigjahre der Schenfung — unheilbar getrübt worden. Eogar Herr 9 
welcher fonft jo wenig MWohlwollen gegen Petri Stuhl an den Tag legt, 
trachtet) aus dem angeführten Grunde Ofimo, Fermo, Ancona, Rieti 
Caſtello⸗Felicita als pähftlihe Stähte. 

Wirklich theilt die Urkunde Ludwigs ded Frommen vom Jahre 817 
cona, Dfimo, Caſtello⸗Felicita dem Kirchenftante zu, aber über Fermo beoba 
fie Stillfhweigen, und was Rieti betrifft, gibt fie ziemlich deutlich zu 
fteben, daß diefe Stadt nicht römifh war. Sie jagt nämlid: das Sabi 
land folle gemäß ver fchriftlihen Scenfung Carls des Großen mit 
Kirchenſtaate vereinigt bleiben, in dem Umfange, wie ihn die Aebte Ithe 
und Maginarius bei Ausfcheldung der Gränzen zwilhen Sabinum und $ 
feftgelfept hätten. Was die Urfunde über die Berrichtung der beiden 4 
bemerkt, ftimmt genau mit den Briefen?) Habrians überein. Durd die 
den Aebten vorgenommene Abgränzung war Sabinum päbftlih gewor 
Mieti aber muß unter einer anderen Herrichaft geblieben oder unter fie 
fommen fein. Möglich, fogar wahrfcheinlih ift, daß der Pabft damals, 
das Sabinum zu erhalten, Nieti nothgedrungen an den König abgetreten 
Dafielbe, was von Nieti, gilt audh von Fermo. Waͤre diefe Stabi 
Sahre 817 päbftlih geweien, fo würde Ludwigs des Frommen Urku 


ı) Oben ©. 23. ) S. a49 fl. 2) Muratori, script. ital. III, 185, a. &) 
I,b ©. 7. 6) Jaffe, regest. pontific. Nr. 1862. 1864—66. 1870. 


Siebtes Buch. Cap. 5. Erſas, den Carl für die nichtvollzogenen Schenkungen gewaͤhrte. 93 


welhe eigentlih eine Statiſtik des Kirchenftaats iſt, unzweifelhaft ihrer 
erwähnen. 

Blieben nun Rieti und Fermo, jedes für fi, als zwei abgefonderte 
fleine Körper, unter fränfifcher Hoheit, oder wurden fie mit einem größeren 
Ganzen vereinigt? Meines Erachtens geſchah letzteres, fie find dem Herzogs 
thum Epoleto als dem nächftgelegenen fränkiſchen Großlehen, einverleibt worden, 
denn eine Urkunde‘) vom Jahre 887 führt Fermo und Rieti nebft vielen ans 
deren Orten, von denen jpäter die Rede fein wird, als zum Herzogtbum 
Spoleto gehörige Biſchofsſtädte auf, und Fein Grund liegt vor, anzunchmen, 
daß dieß nicht Schon einige Menjchenalter früher ver Fall war. 

Welche Beftimmung hatte Epoleto in dem Regierungsplane des Franfens 
finige Carl? Wie ich oben zeigte, verführte er kurz nach der Schenfung den 
ron Hadrian eingefegten Herzog Hildebrand, und braudte ihn und feine Nachs 
tolger, um Freiheit und Wachsthum der römilchen Kirche zu hindern. Die 
initeren Könige und Kaiſer carolingiichen Stammes De bei Weiten den 








Vorgang ihres Ahns: in ihren Händen dienten bie je von Spoleto als 
Kerfermeifter des Stuhles Petri, bis diefelben zuleßt Für dieſes Gebahren 
jo groß wurden, daß fie ihre Gebieter verrathen und felbft nad) der Kaiſer⸗ 
trone greifen Fonnten. 

Damit erfterer Zweck bequem erreicht werde, hatte ſchon Carl dem Herzogs 
tum eine planmäßige Ausftattung gegeben. Mitten in den Kirchenftaat bins 
ein wurde daſſelbe wie ein Keil getrieben, ver die Verbindung der weftlihen 
im Stromgebicte der Tiber gelegenen Theile des Patrimoniums mit den dfts 
hen vom adriatifhen Meere befpülten erfchwerte, und die Päbfte in ſteter Abs 

haͤngigkeit vom Föniglihen Hofe erhalten follte. Dieſes Syſtem machte burd) 

: Mlöfung der beiden Punkte Rieti und Fermo einen bedeutenden Fortſchritt. 
Erftere Maßregel ftellte den Rüden des Subinerlandes gegen Often bloß, die 
meite entzog dem Kirchenftaat die einzige Befigung, durch die er an die mitts 
lere Küfte des adriatiihen Meeres ftieß, und dehnte zugleich das Herzogthum 
bid an das nämliche Meer aus. Es fehlte nur noch, daß Spoleto’d Herzöge 
ab an der tusciihen See feften Buß faßten; dann war der Kirchenftaat 
nicht blos zufammengefeilt, fondern mitten entzweigefchnitten. Ich werde unten 
zeigen, daß Spoleto’8 und Tusciens Herzoge noch im Laufe des zehnten Jahr, 
hunderts das eben erwähnte Ziel erreichten. 

Eine abgefeimte, den Päbſten auffägige Staatsfunft liegt dem Still- 

; Nhmeigen zu Grunde, weldes die Urkunde Ludwigs des Frommen vom 

ı Jahre 817 über die zwei Städte Rieti und Fermo beobachtet! 

Andererfeitd fpricht ebenviefelbe dem Apoftelfürften weitläuftige Gebiete, 
ja ganze Länder, wie die Patrimonien Neapel, Salerno, Benevent, Obers 





) Muratori, antiquit. Hal. I, 67. 


94 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


und Riedercalabrien, die Inſeln Eorfica, Sardinien und Eicilien zu, 1 
Kaifer Ludwig entweder nur theilweife oder gar nicht befaß, und von w 
Petri Stuhl — vieleiht mit Ausnahme Sardiniens und Corſica's - 
einen Schuh breit Erbe erlangt hat. 

Bruchſtücke zweier Schreiben des Pabſts Leo IV., der pwiſchen 84 
855 Petri Stuhl einnahm, find auf und gefommen, *) Bruchküde, welche 
ned Erachtens beweilen, daß Leo IV. Hoheitsrechte über Sarbinien 
Ebenderſelbe Pabſt fiedelte laut dem Berichte?) des Anaftafius um 852 C 
welche aus Furcht vor den Saracenen aus ihrer Helmath geflohen n 
in der Hafenftabt Porto an. Ich vermuthe, diefe Corſen haben barın 
rade beim Pabſte Zuflucht gefucht, weil fie früher in einem Unterth 
Berhältnig zum h. Stuhle flanden. Nun melden?) fränfifche Ehronifen 
Sabre 815, dem erften der Regierung Ludwigs des Frommen: „Geſand 
Sarden aus Cagliari erihienen am faiferlihen Hofe und überbrachten 
ſchenke“ Die Gehippihaft ſetzt nach meinem Gefühl politiihen Geh 
voraus. Weiter Wlesgum Jahre 828 berichtet:‘) „Graf Bonifacius, 
die Vertheidigung Cörfen’s übertragen war, umfchiffte mit einer Hleinen | 
die Inſeln Corfica und Sardinien, jegte dann, da er nirgends Seeräuber 
nah Nordafrika hinüber, eroberte dort die Städte Utifa (Bizert) und 
thago (Zunid) und machte große Beute.” Der Lebensbeichreiber Lut 
des Frommen fügt‘) bei, Graf Bonifacius babe auf die Yahrt nad) | 
Lootſen aus der befreundeten Injel Sardinien mit fi) genommen. 
ned Erachtens muß man hieraus fchließen, daß nicht nur die Gorfen, 
dern auch die Sarden eine gewiffe Lehensherrlichkeit des fränkiſchen K 
anerfannten, und ich denke, Ludwig der Fromme hat diefe Erfolge bi 
um alte und gerechte Anſprüche, welche Petri Etuhl auf beide Injeln m 
zu befriedigen. 

Was dagegen die übrigen Schauſtücke betrifft, welche Lubwig dem 9 
Pascalis unter den Namen Neapel, Ealerno, Benevent, Obers und N 
calabrien und gar Sicilien vorbielt, jo war das eitel Dunft. Ludwig ı 
hiebei dem Borbilde feined Vaters nad, der gleihfalld dem Pabfte Ha 
Benetien, Iſtrien, Tuscien, Spoleto, Benevent in Form einer Schenfung 
ſprach, und nie entfernt daran dadıte, Wort zu halten. Weber die Gi 
warum Petri Statthalter Werth darauf legten, ihre Rechte auf gewille W 
berftellungen oder Entſchädigungen durch Faiferlihe Urkunden beftätigt 
anerfannt zu fehen, werde ich mich unten an paffendem Orte erflären. 

Der Kirhenftaat bildete, wie gezeigt worven, in Carls des & 
Tagen ein zufammenhängenves, aber nichts weniger als ein gefchlo 


—— 


) Jaffé Mr. 2001 u. 2002. 2) Muratori, script. III, 241, b. unten flg. * 
I, 202. Ibid. ©. 217. 6) Ibid. II, 832. 










Siebtes Bud. Cap. 5. Erfah, ben Carl für die nichtvollzogenen Schenkungen gewährte. 95 


Ganzes. Was die Beftandtheile defjelben betrifft, fo verdankten Petri Statt 
halter die nörvlihen Striche ihres Gebiets — nämlich den ehemaligen Erars 
dat und die Pentapolis — wefentlih den Schenkungen Pippins und Earle. 
Diefes Stüd ift aus byzantinischer Gewalt durch fränfifhe Waffen in päbſt⸗ 
lichen Befig übergegangen. Bekanntlich fuhren die Beherricher des Oſtens 
auch nad Auflöfung des weftrömifchen Kaiſerthums fort, ſich vorzugsweiſe 
roͤmiſche Herren, ihre byzantinischen Unterthanen Romanen, ihr orientalifches 
Reich ein romanifches zu nennen. Derjelbe Gebraud fand aud bei den Saras 
cenen Eingang, weldhe mit dem Worte Rum — nod heute bei den Türfen 
Aumelien — nicht Stalien oder den Kirchenftaat, fondern das Erbe der By⸗ 
jantiner bezeichnen. Durch Errichtung des Exarchats zu Ravenna war daher 
dad umliegende Land im Einne des früheren Mittelalters ein Theil Romas 
nind geworden. Sn der That behielt dad Erardhat nad erfolgter Abtretung 
an Petri Stuhl, gleihfam als Muttermal, den Namen Romania (jpäter 
Romanbiola, fein Romanien, im Stalienifhen la Reiagea) bei. 

Die ältefte Spur hievon finde ich in einem Ik naher chen @apitulare‘) 
Carls des Großen vom Jahre 783, welches als Theile des viefjeitd des Po 
gelegenen Italiens die Provinzen Benevent, Spoleto, Pentapolis und Romania 
aufführt. Meines Erachtens ift unter diefer Romania das Erardhat gemeint, 
obgleich ich nicht verbergen will, daß Ludwig der Fromme in einem Geſetze?) 
von 825 den Ausdrud in einem weiteren Sinne ald Bezeihnung für das 
höftlihe Stalien zu brauchen fcheint. In einer Urkunde) vom Jahre 925 
wendet der italieniiche König Hugo das Wort Romania dergeftalt an, daß 
man an den Exarchat denfen muß. Seit der zweiten Hälfte des zwölften 
Jahrhunderts ſteht“) diefe Bedeutung vollfommen feſt. Als Haupt der Ros 
magna galt?) feitvem Ravenna, als Theile die Orte und Bezirke Faenza, 
Imola, Borli, Bertinoro, Rimini, Gervia, Eejena, Sarſina u. |. w. 

Ich Habe gejagt, daß Petri Statthalter den Schenfungen Pippins und 
Carls weſentlich die Erlangung der Romagna verdankten. Lebterer Bella 
it mit Bedacht gewählt, denn aus den früher‘) mitgetheilten Belegen erhellt, 
daß der h. Stuhl ſchon vor den Zeiten fränfifchen Einfluffes Über Italien bie 
tief in die Pentapolis hinein und bis vor die Thore von Ravenna einzelne 
Güter befaß. Aber die Iandesherrlihe Hoheit über das Gejammtgebiet, und 
wohl auch zahlreihe Echaghöfe hat der Apoftelfürft dur die Pippiniden ge; 
wonnen. Pabſt Habrian L feldft jagt dieß mit dürren Worten. Im Jahre 774 
ihreibt”) er an Carl: „Seit der Reife Meines Vorgängers Stephan III. über 
die Alpen — genauer gefprocdhen ſeit der Schenfung Pippins vom Jahre 754 







1) Berk, leg. I, 47. Nr. 16. 2) Ibid. ©. 251. Nr. 4. 3) Muratori, antiq. 
ital I, 271. *) Berg, leg. II, a. 145 unten flg. ») Ferrarius, lexicon geographic. 
ed Baudrand. Paris 1670. sub voce Romandiola.. °) Oben ©. 23. ?) Gemni I, 322. 


096 Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


— haben Wir das Recht geübt, Verwalter und Richter von Rom aus nad 
dem Exarchat zu ſchicken und dort einzufegen.“ 

Alle anderen Städte, Gutöverbände, Gebiete dagegen, welde ich obea 
als wirflihe Stüde des Kirchenftaats nachwies, waren fchon vor den Caro 
Iingifhen Zeiten in päbjtlihem Befige, und wenn in dieſer Richtung di 
Pippiniden fich irgend ein Verbienft um Petri Stuhl erwarben, befchränfte ei 
fih Darauf, daß fie gewille Orte, welde faum zuvor durch langobardiſch 
Gewalt dem Apoftelfürften entriffen worden waren, an den rechtmäßigen Eigen 
thümer zurückgaben. 

Souſt hat freilih Carl der Große außer der Uebergabe des Erardati 
und außer der MWiederherftellung einiger geraubten Bezirfe, den Päpften nod 
ein anderes Opfer dargebradır, das, wenn man auf Worte ftatt auf Thateı 
ficht, großartig lautet, nämlid das ganze weite Land von der Magralini 
bis zu den zwei füblihen Landzungen der pyrenäifchen Halbinfel hinunter 
weiter bie öftlichen Ihefle des oberen Italiens. Das Geſchenk wurde, wi 
wir willen, befaßt : wer den Namen Iſtrien, Venetien, lombardiſch Tus 
cien, dann der Herzögihlimer Epoleto und Benevent. Aber dafjelbe trug fı 
Wahrheit den Beichenften nichts ein, als Bitterfeit über Täufchung, leer 
Titel und höchſtens magere und unfichere Bachtzinfe, welche in Kurzem dahi 
ihwanden, wie winterlider Schnee im fonnigen Frühling. 

Andererfeits ift ausgemacdt, daß Petri Statthalter ven Gewinn des Er 
arhats um einen ſchweren Preid bezahlen mußten. Daſſelbe Ereigniß, daı 
die Erwerbung des Exarchats anbahnte, nämlidy der Bruch des h. Stuhle: 
mit den Griechen und das hiemit eng zufammenhängende fränfiihe Bündnif 
brachte fchlimme Einbußen. Verloren gingen erftlih die reihen Patrimonie 
Gacta, Neapel, Salerno, welde ver h. Stuhl von Gregors I. Tagen bi 
herab auf das erfte Drittheil des achten Jahrhunderts befaß. In einem Brief 
vom Jahre 780 Hagt‘) Pabft Hadrian über Entziehung der Patrimonie: 
Gaeta und Neapel, und fügt bei, daß die Neapolitaner, vereint mit den ver 
ruchten Griechen, unabläffig bemüht feien, Petri Stuhl zu bebrängen. 9 
einem etwas älteren Schreiben bemerkt?) ebenverfelbe, der griehifche Ober 
ftatthalter (Patricius) von Sicilien habe, um feine Tüde bequemer auslafie 
zu Eönnen, den Wohnſitz in Gaeta aufgeichlagen. 

Auch unter Ludwig dem Frommen und den nädften Garlingern gin 
Keapel weder in fränfifchen, und noch viel weniger in päbftlichen Beſitz übe 
Oben?) wurde gezeigt, daß die Beneventaner Herzoge, Vafallen der carlingi 
ſchen Kaifer, Neapel wiederholt angriffen, fowie daß Ludwig der Yrommı 
als die Stadt auf dem Punkte war, genommen zu werden, Einhalt that, mu 
damit das Haus von Benevent nicht durd die Eroberung wachſe. Hätte « 









) Genni 5, 374 flg. ) Did. ©. 367. 5) S. 71 fig. 


— — —— — 


Siebtes Buch. Cap. 6. Umtriebe gegen päbftliche Selbſtaͤndigkeit. Geſete Lothars v. 824. 97 


damals die ernſtliche Abſicht gehabt, die in der Schenkungsurkunde von 817 
verſprochene Uebergabe von Neapel, Salerno und Gaeta zu vollziehen, fo 
waͤre der Ausführung nichts im Wege geſtanden. 

Verloren gingen zweitens die päbſtlichen Güter in Samnium und Apus 
lien, weldhe Wir oben‘) zu den Zeiten Gregors oder der folgenden Päbfte 
nachgewieſen haben. Berloren gingen drittens dad Juwel aller älteren Bes 
fdungen des h. Stuhls, nämlich die Patrimonien in Calabrien und Sicilien, 
fowie die illyriſchen Ländereien und zwar dieſe drei durch einen Gewaltftreich 
des byzantiniſchen Kaiſers Xeo, des Saurier, der, um für Gregors II. Ab- 
fall Rache zu nehmen, das befte Eigentum des Apoftelfürften mit einem 
Shlage einzog.) Endlich entriß um diefelbe Zeit griehiiher Zorn oder 
laracenifche Uebermacht den Statthaltern Petri die Inſeln Sardinien und Cor⸗ 
fa, denn erft nah 828 finden fid) wieder Spuren von Nußungen, die den 
Pabſten von dorther zuflofien. 


Sechstes Kapitel. 


Ta ſchlimmſte Preis für die Schenkung von 773 war DVerluft der Selbfifländigfeit des 
Stuhles Petri. Schon Carl der Große fuchte durch allerlei Mittel die Herrfchaft der 
Paͤbſte über Rom zu untergraben. Biel Schlimmered unternahmen fein Sohn Ludwig 
ber Fromme und fein Enfel Kaifer Lothar I. Kurze Befchichte der Paͤbſte Stephan V., 
Paſchalis J., Eugeniud I. von 816—827. Beweis, daß was die Ghronifen über bie 
Naßregeln von 817 und 824 melden, durch die Geſetze Lothars beflätigt wird. Mittelft 
dieſer Geſetze führte Lothar das fränfifche Lehenrecht im Kirchenflaate ein, entzweite die 
Stände, verwandelte die Adeligen in Feinde und Wächter bes Pabſté, entzog den Statts 
baltern Petri alle Freiheit der Bewegung und insbefondere dad Kriegsrecht. Rückblick 
anf die feit 731 zwifchen Petri Stuhl und dem fränfifchen Hofe gepflogenen Unterhand⸗ 
lungen. Bor Abfchluß des Bündniffes mit den Pippiniden hatten die Päbfte verlangt, 
daß ihnen die fränkifchen Herrfcher entweder anderweitigen vollen Erſatz für die von ben 
Byzantinern entriffenen Provinzen leiften, ober, wenn dieß nicht gefchehe, Wiederherftels 
lung in ven frühern Beſitzſtand zuſichern. Die Schenfung von 773 follte die erfte 
Bedingung erfüllen, d. 5. anderweitigen Erſatz gewähren. Weil fie nicht vollzogen ward, 
griffen die Paäbſte auf die zweite Grundlage jener älteren Verhandlungen zurüd, drangen 
anf Wieberherftellung des früheren Beſitzſtands und verlangten bemgemäß 817 von 
Ludwig dem Brommen, 962 von Otto L, 1020 von Heinrich II. die Ginräumung 
Galabriens, Siciliens, Sardiniens. 


Doch alle jene Einbußen waren fo viel als Nichts im Vergleiche mit ge: 
wiſſen Dingen, die in ver Stadt Rom felbft, dem Mittelpunfte päpftlicher 
Naht, vorgingen. Sch muß jept die finfterfte Falte des Spiels euthüllen, 
dad der Franke Barl und feine Abkömmlinge wider die römifche Kirche trieben. 
Bregor der Große waltete während feines Pabftthums unverkennbar ald Herr 


9 Dal. ©. 17 fig. 2) Dben ©. 36. 
Ofrörer, BabR Gregerius vi Br. v. j 7 


98 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


in Rom; obgleich ein griechiicher Präfeft in der Stabt faß, Tann derſelbe ihn 
nicht wefentlich gehindert haben. Allein unter feinen Nachfolgern treten Spuren 
jener Mittel hervor, durch welche es Regierungen in der Regel gelingt, geiſt⸗ 
lihe Mächte zu unterdrüden. Der byzantiniſche Kaiſer Eonftans gab Befehl, 
den Pabſt Martin zu verhaften, und ließ ihn wirflih 653 als Staatöge- 
fangenen nad) dem Morgenlande abführen. Vierzig Jahre fpäter verfuchte es 
Kaifer Juftinian IL, den Pabſt Sergius auf gleiche Weife zu behanbeln, aber 
Rom und daß italiihe Heer drohte, Petri Statthalter mit dem Schwert zu 
fhügen, und der griechiſche Hof mußte auf feine Gelüfte verzichten. Die alten 
Springfedern der Gewaltherrihaft hatten ihre Federkraft verloren. 

Als Leo der Ffaurier wider die Bilder der Kirchen Noms Krieg erklärte, 
griff) die Bürgerjhaft um 716 zum Gewehr und verweigerte die Steuern. 
Gleichwohl muß damals die Faiferlihe Regierung in irgend welcher Weife nod 
Herrin zu Rom geweſen fein, denn auf die Drofung des Kaiſers, den Pabft 
gefangen abzuführen, antwortete?) Gregor IL: „Ich brauche mich nur etliche 
Meilen von Rom nah Bampanien zu entfernen, dann bin Ich ficher vor dir, 
und du magft die Winde verfolgen.” Meines Erachtens meint Gregor I. 
Neapel, wo Betr Statthalter, wie wir wiſſen,) nit blo8 Grunds, ſondem 
auch Kriegs⸗Herren waren. 

Anders wurde ed nad Vollendung des Bruchs mit den Griechen. Seit 
dem unterhandelten die Päbfte als unabhängige Fürften mit ven Carlingern, 
und wenn fie gleihmwohl denfelben unter dem Sinnbild der Schlüflel des apofte- 
lifhen Grabes und der Fahne ‘Petri die Schugvogtei oder das Patriciat vers 
fiehen, fo erfieht man doch aus den Briefen Hadrians, daß dieſer Pabſt 
ebenfo gut die kirchliche, wie die politiiche Selbftftändigfeit feines Stuhles . 
wahren fuchte. Carl der Große war jedoch entichloffen, in dieſem Punkte fo 
wenig ald in andern Wort zu halten, und er hat in der That feinen Rad; 
folgern, den fränkiichen, ſächſiſchen, falifchen und ſchwäbiſchen Katjern, ein 
böſes Beilpiel gegeben. 

Oben!) find die Worte des Schreibens angeführt worden, im welden 
Hadrian Beihwerde erhebt, daß Carl wider Vertrag und Recht PBarthei in 
Rom gegen Betri Stuhl made. Die Klage fruchtete nichts. Carl fuhr mit 
feinen Künften fort; denn die erheuchelte, durch den Nachſatz aufgehobene 
Berfiherung in der Urfunde Ludwigs ded Frommen von 817, daß folde 
Dinge nicht mehr gefchehen follen, nöthigt, auf Fortgang der Bedrückung wäh 
rend der fpäteren Jahre Carls zu ſchließen. Daß dem fo war, Tann man 
auch mit Thatſachen belegen, doch erft zur Zeit des Pabſtes, der auf Gabrian 
folgte — Leo's III. Ich finde feine Spur, daß in Carls des Großen Tagen 


1) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 111. 2) Daf. ©. 115. ) Oben ©. 22. 32. 
6. 49. 


Eichted Buch. Gap. 6. Umtriebe gegen päbftliche Selbftaͤndigleit. Geſetze Lothar v. 824. 99 


regelmäßig eine fränkiihe Beſatzung in Rom lag, wohl aber fland in ber 
Nähe ein der Krone verpflihteted Heer unter dem Befehle des Herzogs Wir 
nigis von Spoleto, den der König und nachmalige Kaiſer ald Werkzeug 
einer italieniſchen Plane brauchte. Richt, wie es fpäter geihah, mit roher 
Waffengewalt wirfte Carl auf Rom ein, fondern mittelft verborgener Kanäle. 

Nachdem Hadrian L am Weihnachtstage 795 geftorben, wurde Leo ILL 
um Nachfolger gewählt, und zwar ift derſelbe — um mit dem Evangelium 
zu reden — nicht durch die rechte Thüre eingegangen. Lnregelmäßigfeiten, 
Befechungen müflen vorgefommen fein,‘) zu denen der Franke, fonft fo eifrig, 
Andere an ihre Pflichten zu mahnen, wohlmweislih ſchwieg: er bedurfte für 
line Zwede einen Pabft, der nicht rein war. In Kurzem brach zu Rom 
eine Partheiung wider Leo III. aus. Als derſelbe am 25. April 799 nad 
der Kirche des h. Laurentius ritt, um dort Gottesdienſt zu halten, warb er 
unterwegd von einem Haufen Bewaffneter überfallen,?) die unter dem Bes 
fehle ded Campulus und Paſchalis ftanden, welde die Verſchwörung wider 
Leo III. angezettelt hatten. Mit Mühe entrann der Babft aus dem Getümmel 
und jpäter aus der Stadt. Draußen angelommen, fand er den Herzog Wis 
nigise von Epoleto zu feinem Schutze bereit. Winigis ließ ihn nad Deutſch⸗ 
land geleiten, im Spätherbft traf Leo zu Paderborn in Eadfen mit Carl 
jujammen. 

Dort wurde zwiſchen Beiden ein Bertrag abgeichloffen,”) Eraft deſſen der 
Franke den Flüchtling wieder auf Petri Stuhl einzufegen, der Flüchtling das 
gegen den Franken zum Kaiſer zu krönen verhieß. Carl hatte hiemit ein heiß 
erſehntes Ziel erreicht, auf das er feit Jahren unabläffig binfteuerte.e Cams 
pulus und Paſchalis blieben faft ein Jahr lang zu Rom auf freiem Fuße, 
erft nach der Rüdfehr Leo's III. wurden fie verhaftet, gleihwohl gingen fie 
jo gut wie firaflos aus. Zwar verurtheilte die Synode, weldye um einige 
Wochen der Kalferfrönung Carls voranging, Beide zum Tode, aber die Sache 
war fo eingefävelt, daß Pabft Leo III. für ihre Begnadigung bat, worauf 
der neue Kater fie nach Frankreich dringen Tieß.*) 

Wer wird glauben, Campulus und Paſchalis hätten auf eigene Kauft 
und ohne Zuſicherung fränkiihen Rückhalts jenen Schlag gegen Pabft Leo 
gewagt! Im Gegentheil kann man mit Händen greifen, daß die römiſche Be⸗ 
wegung vom fränfifchen Hofe auslief. Carl hat die beiden Römer ald Werks 
zenge gebraucht, um den Pabſt in die Nothwendigfeit hineinzutreiben, daß er 
entweder auf Petri Stuhl verzichten, over die Kaiferfrönung vornehmen mußte. 
In ven allerwidtigftien und häfligften Dingen ift alfo zu Rom von Garl 
gegen den Pabſt Parthei gemacht worden. 


1) @frörer, Rich. Geſch. ALL, 888. 2) Ibid. ©. 670. 5 Tiid. ©. 673 fig. 


*) Dal. S. 679. 
7 ® 


100 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter, 


Leo III. überlebte den erften Kaifer der Franken um zwei Sahre, vo: 
waren dieß Jahre ver Trübfal. Im Winter von 814 auf 815 wurde ei 
Verſchwoͤrung vornehmer Römer gegen den Pabft entdedt. Leo IH. verſchaff 
ſich ſelbſt Recht, indem er die Schuldigen dem beftehenden Geſetze gemäß hiı 
richten ließ. Hierin ſah Kaifer Ludwig einen Eingriff in feine oberlehen: 
herrlichen Rechte und beſchloß deßhalb, dem Apoftolicus dur die That ; 
zeigen, daß der Blutbann in Rom ihm zuftehe. Der Faiferlihe Neffe Bernhar 
Oberftatthalter über Italien, erhielt Befehl, eine Unterfuhung an Ort u 
Stelle vorzunehmen. Leo III. wartete jedod das Ergebniß derſelben nicht a 
ſondern jchidte eine Gefandtihaft nad Aachen, die ihn entſchuldigte. Hiem 
beruhigte fi), wie es ſcheint, der Kaifer. 

Bald darauf verfiel Leo in eine Kranfheit, welche ven Unzufrievenen Al 
laß gab, von Neuem Gewalt anzuwenden: fie verbrannten mehrere vom Pat 
neuerbaute Landhäuſer und bemädhtigten ſich gewifler anderer Güter, die na 
ihrer Behauptung Leo III. ihnen widerrechtlihd weggenommen haben follt 
Bernhard jedoch billigte dad Verfahren der Empörer nit, noch Tann er lei 
tere Behauptung begründet gefunden haben. Der glaubwürdige Zeuge, de 
ih folge, meldet,) daß der Oberftatthalter dem fpoletiner Herzog Winig 
den Yuftrag ertheilte, die Empörer zu Paaren zu treiben. Die Frage drän, 
fih auf, wer die Unzufriedenen gewejen fein? Ich werde fie weiter unten b 
antworten. Pabſt Leo IIL ftarb?) im Juni 816. 

Sofort wurde Stephan V., ein geborener Römer, gewählt, und ſche 
am zehnten Tage nad dem Tode Leo’d eingefegt, woraus erfihtlih, daß d 
faiferlihe Beftätigung nicht zuvor abgewartet worben fein fann. ber d 
neue Pabft gab auf andere Weiſe Genugthuung: erftlich gebot er gleih na 
feiner Erhebung der gefammten Einwohnerfhaft Roms, den Eid der Tre 
gegen den Kaifer zu erneuern;?) zweitens erließ‘) er eine Verordnung, weld 
beftimmte, daß für die Zufunft neugewählte Päbſte nur in Anweſenheit kaiſe 
licher Gelandten — (was praftiich fo viel heißt, ald mit Einwilligung di 
Kaiſers) — eingejept werden dürfen und daß Niemand fi unterfichen fol 
bei Erledigungen des h. Stuhled Dem, welder zum Babfte gewählt würde, B 
dingungen zu maden; für’d Dritte trat er eine Reife über die Alpen an di 
faiferlihen Hof an. Wie man flieht, hat er durch Iegteren Aft die kaiſerliche Zi 
fimmung ſelbſt nacdhträglidy eingeholt, und man fann nad Allem, was ebı 
erzählt worden, faum zweifeln, daß ihm bei der Wahl DVertraute des Kaifen 
eingeflüftert haben, nichts ftehe feiner Erhebung im Wege, wenn er anders | 
den drei Punkten fi) verftehe, welche Stephan wirflic vollzog. 

Der Lebendbefchreiber Ludwigs des Frommen melbet®) über den Erfo 


9) Verb II, 619 unten fig. °) Jaffé, regest. Pontific. S. 220 unten. ) Der ] 
894 oben. 2) Zafle ©. 221. ») Berk II, ©. 621 gegen oben. 





Siebtes Buch. Cap. 5. Umtriebe gegen päbftliche Eelbftänvigfeit. Geſetze Lothars v.824. 101 


der päbftlihen Reife an den Hof: „nachdem Stephan V. Alles erlangt hatte, 
was er vom Kaiſer wünfchte, Fehrte er in die Stadt Rom zurück.“ Diefe 
Zugeftändniffe Tafjen fi genauer beftimmen. In der Urfunde Ludwigs des 
Srommen vom Jahre 817 heißt‘) es unter Anderem: „Fein Franke oder Langos 
barde folle ed wagen, fih in Pabſtwahlen einzumifchen.” Da obige Verordnung 
Stephans V. Aehnliches bezüglich ungejeglicher Limtriebe wahlberechtigter Römer 
vorjchreibt, darf man vorausſetzen, ver Pabſt habe gewünſcht, daß der Kaifer 
auch ſeinerſeits fränkiſche Einmiſchung unterfage, weil nur durch Zufammen- 
wirfen der politiihen und ver firhlihen Gewalt gefährlihen Mißbräuchen 
gründlich gefteuert werden möge. Nun hat Ludwig der Fromme laut dem Zeug- 
nifje des Biographen alle Wünſche Stephans V. befriedigt, alſo ift anzunehmen, 
daß dieß namentlich bezüglich des Artifeld fränfifscher Anmaßungen galt. Indeß 
felte Ludwig dem Pabſte Stephan — fo viel wir wiſſen — hierüber feine 
bejondere Urkunde aus. Dagegen geſchah Solches unter Stephand Nachfolger 
— und zwar allem Anſcheine nad in Folge der Unterhandlungen, welde 
Jener angefnüpft, und der Zufagen, die er erhalten hatte. "Stephan ftarb?) 
bald nach der Rückkehr von der fränftfchen Reife im Januar 817. 

Er war indgeheim ein Faiferliched Werkzeug gewejen, nad ihm wurbe 
em Kirchenpabft, Paſchalis, gewählt. Denn fchon gab es damald unter dem 
roͤmiſchen Clerus zwei entgegengefegte Partheien, eine, welche Faiferliher Ehrs 
fuht in die Hände arbeitete ober fi dazu bergab, Geſchöpfe des Hofe auf 
Petri Stuhl zu fegen, eine zweite, welche der Kirche Freiheit vertheidigte. 
Die Nachricht iſt auf und gefommen,?) daß nad Stephand V. Tode das 
Pabſtthum nur zwei Tage erledigt blieb. Nun ift Stephan den 24. Januar 
geſtorben,) demnach ging die Einſetzung des Paſchalis ſchon am 26. vor fid.. 
Afo haben die Römer nicht zugewartet, bis die kaiſerliche Beftätigung eintraf. 
Der neue Pabft dedte fih auf eigenthümlihe Weile. Bränkiiche Chroniften 
berichten :?) „gleich nady feiner Erhebung ſandte Paſchalis an den Katfer Ges 
ſchenke und ein Entihuldigungsichreiben, in welchem er erklärte, nur wider 
rinen Willen, ja durch förmlichen Zwang fei er zum Pabfte erhoben worden.“ 
Was hieß dieß? Ohne Zweifel fo viel: der Katfer möge offen feinen 
Willen ausſprechen, wenn er ed befehle, ſei Paſchalis jeden Augenblid bes 
seit, herabzufteigen von Petri Stuhl und Dem zu weichen, den Ludwig, Carls 
Eohn, zum Statthalter Ehrifti ernennen werde. 

Die cleritale Barthel fuchte, wie man fieht, durch gefeßlihe Mittel das 
Joch kaiſerlicher Beftätigung abzuſchütteln. Es gab nur einen Weg zu Erreis 
hung dieſes Zieled, wenn man nämlich den fränfiichen Herricher durch Klugheit 
in die Lage hinein trieb, offen als das aufzutreten, was er in Wahrheit war, 
nämlich ein Bebränger der Kirche, mit andern Worten, wenn man ihn nöthigte, 


9 Berg, leg. II, b. S. 10 unten. ) Jaffd, reg. ©. 222. 


102 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


der Welt den unzivelfelhaften Beweis zu liefern, baß die Pabſtwahl, welde 
der Hof, um die Menjchen zu täufhen, dem Scheine nad aufredt erhielt, 
eitel Trug und Lug ſei. Ebendieß beabfichtigte Paſchalis, er hat muthig ges 
handelt! Auch fledte das Mittel: Pafchalis ift troß der umgangenen Beftäti- 
gung Statthalter Petri geblieben. Yolglid wagte Ludwig, den man den From⸗ 
men nennt, nicht, den Erwählten Derer, welche für die Freiheit der Kirche wirk⸗ 
ten, abzuſetzen. 

Der Pabſt erlangte noch mehr. Einhard, Hauptizeuge für die Verwick⸗ 
lungen, von denen hier die Rede, fährt‘) fort: „Paſchalis fchidte 817 eine 
zweite Gefandtichaft an den Hof, durch welche er die Bitte ftellte, ed möge 
dem Kaifer gefallen, die Verträge, welche er mit den früheren Päbften ges 
fchloffen, auch mit dem jetzigen zu erneuern. Wirflih ward diefer Wunſch 
erfüllt.“ Alſo laut der Ausjage desjenigen fränkischen Chroniften, der unter 
allen am beften unterrichtet it, hat Paſchalis vom Katjer einen Vertrag, d. h. 
eine Urkunde begehrt, welde das Verhältniß zwilchen der Krone und Petri 
Stuhl regeln follte, und hat diefelbe wirklich erhalten! 

Nun befigen wir eine folde Urkunde, und zwar aus dem genannten 
Jahre, und zwar von folder Art, daß fie genau den damaligen Berhältniffen 
entipriht. Mean merke wohl, durch die oben beichriebene Maßregel hatte 
Paſchalis den Kaifer in die Nothwendigkeit verfept, ſich darüber zu er⸗ 
flären, ob bei Beſetzung des Stuhles Petri die herkömmliche Wahl Kraft habe 
oder nicht. Ludwig der Fromme bewilligte in der fraglichen Urkunde Das, 
was er gar nicht mehr umgehen konnte, er gab die rechtlihe Wirkung ver 
Wahl zu, aber nur unter dem Beding, daß fie einftimmig fei, was freilid 
das Zugeftänpniß wieder aufhob. Nod mehr! Einhard fagt, Kalfer Ludwig 
habe den erneuerten Bertrag dur den Nomenklator Theodor an Paſchalis I. 
überjchidt; in der Urkunde von 817 aber heißt es gleichlautend, fie fei durch 
den Nomenflator Theodor dem Pabfte zugefertigt worden. Sept tritt die Ver⸗ 
fehrtheit Derer, welche die Aechtheit der Alte von 817 läugnen, in vollem 
Umfange hervor, denn aud die Flare Ausfage Einhards zeugt wider fle. 

Da außer der ebengenannten noch verſchiedene Gefandtichaften?) zwiſchen 
Rom und Aachen gewechelt wurden, ziehe ih den Schluß, daß vieleicht aus 
Anlaß der Eaiferlihen Urkunde von 817 nicht das beſte Einvernehmen herrſchte. 
Im Jahre 823, dem vorlegten des Pabſtes Paſchalis, fiel ein Hauptichlag. 
Lothar, Mitkalfer feines Vaters, war auf des lepteren Befehl nah Stalien 
abgegangen, um dort, wie Einhard fagt,”) „Gerechtigkeit zu üben.“ Auch nad 
Rom fam er, wo ihn Pabſt Paſchalis nachträglich zum Kaiſer falbte, denn 
ſchon 817 hatte Ludwig feinen Erftgeborenen nicht nur zum Mitregenten ers 
nannt, ſondern auch aus eigener Machtvollfommenheit zum Kaifer gefrönt.*) 


‘) Ada.817, Berk I, 203 umen fig. ) Ibid. ©. 207, unten u. 208, Mitte. *) Ibid. 
€. 210, Mitte: ad justitias faciendas. Vergl. Berg 1, 627 fig. 4) Ibid. I, 204, Mitte. 





Siebtes Bud. Cap. 5. Unitriebe gegen pähftliche Selbftändigfeit. Geſetze Lothar v. 824. 103 


Offenbar war es die Abfiht des Pabſtes, durch Wiederholung des Aktes 
dem h. Stuhle wenigftend die Kaiferzgeugung vorzubehalten. Nach kurzem Auf- 
enthalte zu Rom kehrte Lothar über die Alpen zurüd, doch nicht, ohne Epuren 
feiner Thätigfeit in der Metropole zurüdzulaffen. Die Nachricht lief am 
fiferlihen Hofe ein, zwei hohe päbftlihe Beamte, welche Lothar audges 
zeichnet und an ſich gefeffelt hatte, feien im Palafte des Laterans erft geblenvet 
und dann enthauptet worden. 

Alsbald ertheilte Ludwig der Fromme dem Abte Adalung und dem Grafen 
Hunfrid Befehl, nach Rom abzureijen und die Eache zu unterfuhen. Noch 
che die Bevollmächtigten abgingen, erfchienen zwei päbftliche Geſandte am 
Hofe, und führten Klage über die Verläumdung, daß man jene That dem 
Pabfte ſchuld gebe. Der Kaifer nahm jedoch Feine Rückſicht hierauf: die 
Bevollmächtigten machten fih auf den Weg und leiteten zu Rom die anbe- 
fohlene Unterfuhung ein. Die Folge war, daß Pabſt Paſchalis und mit ihm 
ald feine Eideshelfer 34 Bifchöfe und fünf Presbyter oder Diakone im Las 
tran die Unſchuld des Statthalters Petri an der Hinrichtung durch einen 
Shwur befräftigten. Nun forverten die Faiferlihen Abgeordneten, man folle 
ihnen die Thäter audliefern, damit man von denfelben die wahren Urheber 
erfahren koͤnne. Dieſes Anfinnen jedoch jchlug der Pabft rund ab, er ers 
färte: als Hocverräther hätten die Hingerichteten ihr Echidjal verdient, die 
Thäter liefere er darum nicht aus, weil fie Petri Dienftleute felen. Was 
verfügte der Frankenkaiſer auf das Berfahren des Pabftes hin? Er fchwieg 
und ließ den Handel fallen. 

Alſo Pabſt Paſchalis und mit ihm 39 hohe Elerifer haben theild bes 
ſhworen, theild gerichtlich ausgeſagt, erftlih daß die Hinrichtung der zwei Bes 
amten nicht auf Befehl over Zuthun des Pabftes erfolgt jei, zweitens daß bie 
Entbaupteten Fraft der beftehenden Geſetze und mit Recht ein begangenes Vers 
reden gebüßt hätten. Feinde ver römiſchen Kirche mögen ſprechen: dieſe Eide 
beweifen nichts, denn Päbſte und Hunderte ihrer Elerifer Fönnen ebenjo gut 
falfch fchwören, als andere Menfchen. Allein bezüglich ded Yalles, von dem 
es fi handelt, liegt eine Thatſache vor, welde meines Erachtens jelbft 
Haflern des Pabſtthums, wenn fie anders nicht ihre Augen vor der hiſtori⸗ 
ſchen Wahrheit verfchließen wollen, verbietet, Gebrauch von obiger Einrede 
m machen: Kaffer Ludwig, der offenbar dem Pabfte Paſchalis wenig geneigt 
war, bat fich bei feiner Ausfage beruhigt, hat fie als volhnichtig hingenommen. 

Wie fol man fi den Hergang denfen? Schon unter 2eo III. waren Hins 
tihtungen vornehmer Verbrecher aus ähnlihem Anlaffe erfolgt, und bei Schil⸗ 
derung dieſes früheren Vorgangs braucht der Lebensbeichreiber Ludwigs bed 
Frommen eine Wendung,) welche Licht über die Sache verbreitet. Er jagt 

1) Ber II, 619 gegen unten : convictos apostolicus aupplicio addixit capitali, lege 
Romanorum in id conspirante. 


104 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


nämlih, die gegen Leo Verſchworenen feien mit dem Tode beftraft worden, 
„weil das römiſche Geſetz ſolches vorſchrieb.“ 

Alſo ein Geſetz beſtand im Kirchenſtaate, und zwar ein älteres (kein von 
Franken erlaſſenes), das die Schonung von Hochverräthern gegen den Pabſt 
verbot, die Hinrichtung derſelben unverweigerlich befahl. Doch ein Geſeztz if 
nichts ohne eine Behörde, die cd anwendet. Folglich muß zu Rom ſchon 
unter 2eo III. ein beſonderes Gericht in Saden des Hochverraths niederges 
jet gewefen fein, dad von Amts wegen einfchritt. Gleichwohl ftand damals 
noch dem Pabfte die Beftätigung der Urtheile und die Anordnung ded Boll 
zugs zu, denn es heißt, Leo habe die Hinrichtung, die durch das Geſezt vor 
gejchrieben worden, anbefohlen. Letzteres war in Paſchalis Tagen nicht mehr 
der Fall: ohne Appellation, ohne Einmiſchung des Pabſtes erfannte das Blut; 
gericht auf Tod und gebot die Hinrihtung. Sehr gut paßt dieß zu den be 
fannten Umftänden. Verführung vornehmer Römer durch kaiſerlichen Einfluß 
war alltäglich geworden, würde nun der Pabſt aus eigener Machtvollkommen⸗ 
beit gegen die Verräther vorgefahren fein, jo hätte dieß zu nichts als Klagen 
geführt, daß er alle treue Diener‘) des Kaiſerhofes verfolge Bei folder 
Sadlage konnte nur ein Gericht helfen, das den Pabft außer dem Spiele 
ließ, von Amts wegen Todesurtheile fällte und vollzog. 

Auch ſcheint mir unzweifelhaft, daß der Kaifer jelbft zu Einjegung dieſes 
Gerichts feine Einwilligung gab oder vielmehr zu geben genöthigt ward, denn 
wenn er fie verweigerte, hätte er offen eingeftehen müſſen, daß fein Wille 
dahin gehe, ale Ordnung im Kirchenftaate umzuftürzen und den Pabſt zum 
Sklaven zu machen. Allerdings wollte Kaifer Ludwig Beides zu Wege bringen, 
und er ließ nichts unverfucht, feinen Zwed zu erreichen. Aber was die Hand 
that, durfte der Mund nicht befennen, weil fonft der Schein, den er vor ber 
Welt zu retten wünſchte, unmieberbringlih verloren ging. Die Würde des 
Pabſtthums beruht am Ende auf dem Gewiſſen der Maffen, und dieſe ungreif 
bare Macht zum Kampfe herauszufordern, finden Herricher, wie Ludwig, nict 
rathfam. Römiſche Klugheit hatte in größter Bedrängniß ſchützende Rechte: 
formen zu finden gewußt. Endlich wird jegt klar, daß Pabſt Paſchalis und feine 
Eideshelfer ruhig jenen Schwur ablegen konnten: feine einfache Erflärung, die 
Köpfe der Verräther feien kraft Urtheil und Recht, ohne fein Zuthun, ja ohne die 
Möglichkeit der Einmiſchung, gefallen, madte den Kaiſer verftummen. 

Paſchalis ftarb?) gegen Die Mitte ded Jahres 824. Man hatte feinen 
nahen Tod vorausgejehen, denn Wala, Ecitenfproffe des faiferliden Hauſes, 
ein hochgefinnter Mann, aber unerbittliher Gibelline, befand’) fih in Rom, 


) Als ſolche wurden die 823 im Lateran Enthaupteten dargeflellt. Berk IL, 627 unten: 
dicebatur ob fidelitatem Lotharii eos, qui interfecti sint, talia fuisse perpessos. 2) Jaffé 
©. 223 unten flg. 9 Berg IL, 545 gegen oben, vergl. Efroͤrer, Kirch. Geſch. M, 709 
und 901 fig, 


= — ET 


Eichted Bu. Gap. 6. Umtriebe gegen paͤbſtliche Selbftändigfeit. Geſetze Lothars v. 824. 405 


beauftragt, die bevorftehende Wahl zu leiten. Bei diefem Anlaffe wurden die 
geheimften Plane des fränfifhen Hofes offenbar. Während der Wahl ents 
fand Zwietraht, das Volk begünftigte einen Bewerber, für einen andern 
fimmte der Adel. Des letzteren Schügling hieß Eugenius, ver wirflih zum 
ewünjchten Ziele gelangte, „weil,” wie Einhard in den Jahrbüchern) fagt, 
„die Parthei des Adels die Oberhand gewann.” Der nämlide 
Ehronift fährt fort: „jobald Kaiſer Ludwig Nachricht erhielt, daß Eugenius 
durhgedrungen fei, fandte er feinen Erftgeborenen Lothar nah Rom, um mit 
dem neuen Pabſte und dem römiichen Volke gewiffe Punkte zu ordnen, welce 
die Rothiwendigfeit zu fordern ſchien.“ Alsbald zeigte es fih, daß die adelige 
Parthei und die Faiferlihe eine und diefelbe jei. Denn Eugenius, das Ges 
Ihöpf des Adels, machte ald Preis der Einfegung ungeheure Zugeftändniffe, 
die der Hof längft gewünfct, aber den früheren Päbſten vergeblich abzus 
preſſen verjucht hatte. 

Wir befiten zwei verſchiedene Darftelungen der Uebereinkunft, die das 
mal8 zwilchen der Krone und dem Pabfte Eugenius abgeſchloſſen worden if. 
Die eine findet fi bei den fränfiihen Ehroniften, die im Sinne des Hofes 
ſchrieben. Ich lafje fie zuerft reden. Einhard berichtet:?) „Lothar ward, als 
er im Yuftrage Ludwigs in Rom anfam, ehrenvol von Eugenius empfangen. 
Da er demjelben die Willensmeinung feines kaiſerlichen Vaters eröffnete und 
auseinanderfegte, wie durd die Verfehrtheit früherer Paͤbſte ſeit langer Zeit 
die Ordnung im Kirchenftaate gewaltigen Abbruch erlitten habe, gab Eugenius 
feine Einwilligung, die eingerifjienen Mißbräuche abzufchaffen. Hiedurch geſchah 
ed, daß Alle, welche unter den früheren PBontififaten Einbuße an ihren Sachen 
erlitten hatten, die eingegogenen Güter zurüderftattet erhielten.“ 

Etwas offener rüdt’) der Lebensbeſchreiber Ludwigs des Frommen mit 
der Sprache heraus: „als Lothar zu Rom angelangt und von Eugenius 
wohlwollend aufgenommen war, begann er hervorzuheben, wie alle Die, welche 
ihm felbft, feinem kaiſerlichen Vater und den Franken treue Dienfte erwiefen 
hätten, theils hingerichtet, theild dem Hohne und Spotte audgefegt worden 
lien. Weiter machte er geltend, daß wegen foldhen Verfahrens viele Klagen 
wider die Päbſte oder die von ihnen eingejegten Richter an den Fatjerlichen 
Hof gelangten. Wirklich ſtellte fi) heraus, daß theild ohne Vorwiſſen der 
Paͤbſte, theild durch ihre Nachlaͤſſigkeit, theild endlich durch den unerjättlichen 
Geiz der pähftlihen Richter die Landgüter (praedia) Vieler ungerechter Weiſe 
eingezogen worden waren. Die Bemühungen Lothars brachten eine Wieder: 


) Ada. 823. Berk I, 212: cum duo per contentionem populi fuissent electi, Euge- 
nius tamen — vincente nobilium parte — ordinatus est. Dann weiter unten: imperator 
Lotharinm filiun — Romam mittere decrerit, ut — ea quae rerum necessitas flagitare 
videbatur, cum novo pontifice populoque romano statueret. 2) Ders I, 213. ) Berg 
IT. R9A. 


106 Pabſt Gregorius VN. und fein Zeitalter. 


berftellung fämmtlicher in folher Weife weggenommenen Ländereien zu Wege, 
was unter den Römern (verfteht fih unter denen, welche Nuten aus der That 
Lothars zogen) Feine geringe Freude erregte. Auch ward damald gemäß dem 
alten Herfommen beſchloſſen, daß hinfort der Kaiſer die höcfte Gerichtöbar: 
feit in Rom durch Bevollmächtigte ausüben folle, die er, fo oft es ihm gut 
bünfe, abſchicken möge, um allem Volk unpartheilich Recht zu ſprechen.“ 

Andererjeit& muß der Berfaffer des Pabſtbuches gehört werben, der gleich: 
falls das Licht unter den Scheffel ftellt, aber nicht aus Echmeichelei, wie bie 
fräntifchen Hofchroniften, fondern aus Angft. Derfelbe fchreibt:') (gegen Ente 
der Regierung des Pabſtes Eugenius) „durften die römijchen Richter, welde 
bi8 dahin in Francien gefangen gehalten wurden, in die Heimath zurüdfehren. 
Eugenius gab denfelben ihr väterliched Erbe zurück und verlieh ihnen über 
dieß einen guten Theil der vom lateraniſchen Palaft abhängigen Xänderelen, 
denn als fie zurüdfamen, waren fte alle von Hab und Gut entblößt.” Daß 
der junge Kaifer zu gleicher Zeit, da er die Miedereinfegung der den Franken 
treuen — oder was hiemit gleichbedeutend — dem h. Stuhl untreuen Be 
amten erzwang, die treuen römifchen Richter ald Opfer adeliger und kaiſer⸗ 
liher Rache nah Francien hatte abführen Taffen, verfchweigt Anaftafius, und 
doch folgt ed nothwendig aus feinen Worten. 

Menden wir nunmehr die hiftorifche Rechenkunſt an. Die Gefchichtfchreiber 
des Pabſtes Leo III. theilen blos die Nachricht mit, daß einige wornehme 
Römer, weil fie ſich gegen ihn verſchworen hätten, hingerichtet worden feien; 
weiter wird gemeldet, daß aus gleihem Anlaffe unter Paſchalis zwei andere 
die Todesſtrafe erlitten. Jetzt aber erfahren wir erftlih, daß die Innerlichen 
Zudungen, durch welde ſolche Ecenen herbeigeführt wurden, fchon Tange 
dauerten und wohl bis in die Zeiten Hadrians hinauf reichten, zweitens daß 
e8 der Hingerichteten nicht einer oder zwei, fondern mehrere waren, drittens 
daß zu gleicher Zeit, während dieſe mit ihren Köpfen büßten, nody viele an 
dere, minder Schuldige, einer Strafe unterlagen, weldye als Entziehung gewiſſer 
Güter bezeichnet wird, deren eigentlihe Beſchaffenheit aber noch der Erläute 
rung bedarf. Unverfennbar tft: ſeit Jahren berrichte im Kirchenftaate eine 
greuliche Partheiung, welche die Innerften Bande des Friedens zu fprengen, 
die beftehende Herrichaft d. h. die pähftliche, zu vernichten drohte. 

Meiter wird ausbrüdlih zugeftanden, daß ſowohl Die, welde dem 
Schwerte des Henkers, ale Die, welche der Güterentziehung verfielen, nicht 
etwa formlos und durd bloßen Befehl der Staatögewalt, fondern in Yolge 
von richterlichen Urtheilen büßten. Das Berbrehen der Schulvigen beftand 
laut Ausjage der römifchen Richter darin, daß fie den Herm der Stadt und 
des Kirchenftaats, nämlich den Pabſt, verrathen hätten. Dagegen behaupteten 


4) Muratori, script. rer. ital. IH, 1. 220, a. oben. 


ebied Buch. Cap. 6. Umtriebe gegen päbftliche Selbfländigkeit. Geſetze Lothars v. 824. 107 


ıifer Lothar und feine Meinungsgenofien, die Opfer der römijchen Richter 
en keineswegs wegen Untreue verfolgt worden, ſondern im Gegentheil wegen 
ye treuer und löblicher Dienfte, weldye fie dem fränfifchen Hofe leifteten- 
enau befehen ift dieſe weit auseinandergehende Schilderung einer und der⸗ 
ben Sache weniger ein Widerſpruch, als vielmehr das natürliche Ergebniß 
1e8 grundverfchiedenen Partheiſtandpunkts. 

Die Einen — die Failerlih Geſinnten — ftellten folgende Säge auf: 
bahrer und rechtmäßiger Herr Roms und des Kirchenſtaates iſt der fränfifche 
atfer, aber die Verkehrtheit einiger Päbfte, wie Leo III., wie Paſchalis I. 
e Hadrian I., hat dad Recht verrüdt,‘) hat jchreiende Mißbräuche einge: 
hrt, indem fie es verjuchte, ftatt der weltlichen Oberherrſchaft eine geiftliche 
fzuwerfen. Diejenigen, welcde dieſen Anmaßungen entgegenarbeiten und feine 
aftrengung fcheuen, dem Kaiſer die ihm gebührende volle Gewalt zu vers 
affen, find treue Diener und verdienen Belohnung, werben aber von dem 
abft und feinen ruchlojen Richtern verfolgt.” 

Dagegen lautete die Lehre der Anderen fo: „wahrer Fürft der römijchen 
irche und ihres Gebietes ift der Apoftolifus als Stellvertreter des h. Petrus, 
lein ſchon feit vielen Jahren ſuchen verfchiedene fränftihe Herrfher — wie 
rl I, wie Ludwig I., wie Lothar I. — den beftehenden Verträgen zumider 
t von Gott gebotene Ordnung umzuftoßen und den “Päbften ihre gejeßliche 
tacdht zu entwinben. Zu folhem Behufe verführen fie unabläffig die Beamten 
6 5. Stuhls und reizen diefelben zur Untreue, zum Meineid. Petri Statt⸗ 
Iter ift nicht mächtig genug, um ben eigentlih Schuldigen, d. 5. den Kaiſer, 
r Berantwortung zu zieben, wohl aber liegt ihm die Pfliht ob, gegen bie 
terfzeuge der Verführung einzufchreiten, durch welche der fränkische Hof feine 
ficht zu erreichen ftrebt, und ohne deren Hülfe er nicht zum Ziele kommen 
au. Das Einjchreiten felbft aber muß ein geſetzliches fein, die Schuldigen 
fen nicht willfürlih beftraft, ſondern follen vor ordentliche Richter ges 
üt werden.” 

Auch über die Art und Weile des gegen die Schuldigen eingeleiteten 
richtlihen Berfahrens geben die Worte der Chroniften Aufſchluß. Der Ler 
nöbejchreiber Ludwigs des Frommen fagt:?”) „durch die Bosheit der römischen 
ichter hätten die verfolgten ©etreuen des Kaiferd Hab und Gut verloren, 
er feien gar hingerichtet worben, indem die Päbfte ed entweder gar nicht 
ußten oder fih doch um das traurige Schidfal der Opfer nichts befümmerten.“ 
on jeher ward befanntlih der Kunftgriff geübt, in Staaten, wo laute Klage 
er Mißbraäuche erſchallen, die Fürſten — alfo im Kirchenftaat den Pabſt — 


1) Berg I, 213: statum populi romani jamdudum (ſchon längft, alfo ſchon feit den 
item Habrians 1.) quorundam praesulum (der Päbfle) perversitate depravatum esse, 
Berg II, 628: repertum est, quod quorundam pontifieum vel ignorantia, vel desidia 
d judieum ensca eupiditate multorum praedia injuste fuerint confiscata. 


108 Pabſt Sregorius VIT. und fein Zeitalter. 


dadurch zu entjchuldigen, daß man vorgab, fie meinen e& ſtets herzlich gut, 
würden aber durch böfe Rathgeber irre geführt. Allein obige Stelle Tautet 
nit nur an ſich viel zu far und beftimmt, als daß man dem Biographen 
bloße Schmeichelei unterjchieben könnte, ſondern ebenverfelbe verräth überbieß 
eine jo abgeneigte Gefinnung gegen den Pabit, daß an Augendienerei nad 
biefer Seite hin nicht zu denken if. Zwei Behauptungen treten hervor: der Pabft 
erfährt zwar die von den Richtern gefällten Urtbeile, jchreitet aber aus Gleich⸗ 
giltigkeit nicht gegen etwaige Ungerechtigkeit der Tribunale ein: dann eben- 
derſelbe erhält gar feine Kunde von den Urtheilen, und dieſe werben voll. 
zogen, ohne daß man ihn befragt. Im erfteren alle geichieht das Unrecht 
desidia, im zweiten gefchieht ed ignorantia pontificis. Das Zeugniß des 
Biographen nöthigt und daher, auf eine doppelte Gerichtsordnung in Rom 
zu ſchließen. Nach der einen erhielt der Pabft vor dem Vollzuge Kunde von 
den NRichterfprüchen der Tribunale, änderte aber nichtd daran, obgleich ihm 
die Befugniß zuftand, den Vollzug zu hemmen. Nach der andern urtheilten 
die Richter und vollzogen den gefällten Sprud, ohne den Pabft zu befragen. 
Mohlan aus ganz anderen Gründen find wir oben auf die nämlide 
Vorausjegung getrieben worden. Das Berichtöwefen, das in den Zeiten 
Leo's III. beftand, Hatte unter Paſchalis I. eine wejentlihe Abänderung er: 
litten. Jener ließ die von den Zribunalen bejchloffene Hinrichtung mehrerer 
Schuldigen gejchehen, ohne daß er Einhalt that. Unter Paſchalis dagegen 
fälten die Richter Todesurtheile und vollzogen fie, ohne alles Zuthun des 
Pabſtes. Die buchftäblihe Wahrheit des Schwures, den Paſchalis mit 
39 Eideshelfern ablegte, wird daher, wie man fieht, durd das beiſtimmende 
Zeugniß feiner erbittertften Gegner, der kaiſerlich⸗Geſinnten, beftätigt. 
Drittens drängt fi die Frage auf, durch welche Handlungen die „Ge 
treuen” wie die „DVerräther” das was die Einen Treue, die Andern Berrath 
nannten, bethätigt hätten? Meines Erachtens warb die von den Kaiferlichen 
gepriefene Treue auf zwei Wegen bewährt, erſtlich dadurch, daß die „Ge 
treuen” fi bemühten, dem Pabſte die Mittel Defjen, was bei den Kaiſer— 
lihen Unordnung, Mißbrauch, Anmaßung und fiherlih auch Pfaffenherrſchaft 
hieß, aus den Händen zu winden. Der Pabſt vermochte dem Kaiſer nur 
dann zu woiderftehen, wenn er tüchtige Gehülfen fand, dieſe fonnte er nur 
dann gewinnen, wenn er im Stunde war, ihnen Unterhalt zu gewähren. 
Der Unterhalt aber wurde gereicht, theild dur Anweiſung von Geld, theile 
durch Uebertragung von Ländereien. Wenn man daher dem Pabfte die bes 
weglihen und unbeweglichen Werthe, mit denen er feine Anhänger befolbete, 
entzog, wenn man ferner eben diefe päbftliden Güter in die Hand von lauter 
„Getreuen“ brachte, dann war dem Unfug für immer gefteuert, die Jubelzeit 
roͤmiſch⸗fraͤnkiſcher Vaſallen begann, die goldenen Zeiten der von Benzo hoch⸗ 
gefeierten Kaiſer Tiberius, Nero, Caligula und ihrer Weltherrichaft kehrten 


Siebles Buch. Cap. 6. Umtriebe gegen paͤbſtliche Selbflänbigfeit. Geſetze Lothars v. 824. 109 


wieder. Der Pabſt mochte indfünftig innerhalb des Laterand fo viel fingen 
und beten, als ihm beliebte, außerhalb hatte er nichts mehr zu befehlen. So 
dachten und handelten die „Getreuen“ Lothars I., und nicht unfonft fchrien 
fie Zeter, daß jene Landgüter, deren Natur ich fofort unterjuchen werde, 
ihnen durch Bosheit römijcher Richter entriffen worden feien. 

Der zweite Weg, Faiferlihe Gefinnung zu erproben, beftand darin, daß 
Lothars Getreue jo viel an ihnen war, die Erhebung verfehrter Päbfte, 
wie Hadrian I., wie Leo III., wie Paſchalis I. verhinderten. Nun wurden die 
Paͤbſte von jeher durd Wahlen gezeugt. Alſo handelte es fich für die Ges 
treuen darum, dergeftalt auf die Wahlen einzuwirfen, daß nur Befcheivene, 
Friedfertige, Unterwürfige, kurz Bewerber nad) dem Sinne des Hofs, Zugang 
u den Schlüffeln ded Himmels erlangten. 

Letzteres Ziel warb bei der Wahl des Eugenius glüdlich erreicht. Die 
„Getreuen“ fiegten im damaligen Wahlfampf; und zwar waren Die, welde 
ſolchen Sieg davon trugen, einer Geſinnung, eines Blutes, einer Gemüthd, 
beihaffenheit mit Denjenigen, welche früher wegen gleiher Treue durch böfe 
Richter mit Güterentziehung beftraft worden waren, oder gar ihre Treue gegen 
den kaiſerlichen Hof durch das Beil des Henkers ald Hochverräther am Pabſte 
gebüßt Hatten. Denn faum ift der Sieg entſchieden, jo treffen die Sieger 
Anjtalt, daß die Beraubten wieder in die entriffenen Güter eingejeht, bie 
Hingerichteten für ehrliche Leute, ja für Märtyrer der Treue gegen den 
Kaifer erklärt werden. Kurz am Tage ift, daß die Sieger des Wahlfampfes 
jene Andere wie Brüder, Bettern, theuerfte Freunde behandeln. Yolglich ges 
hörten Beide einer und derjelben PBarthei an. 

Und nun lernen wir eine neue Eigenfchaft der Getreuen fennen. Eins 
hard jagt, Eugenius erlangte das Pabftthum, weil die Adeligen fiegten. 
Er braucht das Wort „Getreue“ nicht, aber Fein Menſch kann bezweifeln, 
taß er fie meint. Demnach waren die Getreuen, und zwar ſowohl die Sieger 
im Wahlfampfe, ald Die, weldhe in Bolge des Siegs in Beſitz und Ehren 
wiederhergeftellt wurden, jammt und fonverd Adelige Was bedeutet dieſes 
Wort? In fränfiihem Sinne hießen Adelige erfllih Solche, welche von ihren 
Borfahren reihed Eigen, zweitend Sole, welche in gleiher Weife audges 
dehnte Lehen inne hatten; drittens Sole, welche auch ohne Ahnen fi, 
möglicherweife vom Stande eined Areigelafjenen aus, durch Waffens ober 
Etaatödienfte zu einer hohen Stellung aufſchwangen. Erblicher Lehen⸗ oder 
EigensBefig und dann Dienft machte in Francien adelig. 

Anders aber verhielt fih die Sache im Kirchenftaat: dort jpielten ber 
Helmbuſch und das Schwert an ſich eine untergeordnete Rolle; auch lag das 
Lehenweſen daſelbſt noch in der Kindheit, — erft Lothars Maßregeln von 824 
haben ihm zum Durchbruch verholfen — und ftatt deffelben beftand, wie id 
unten zeigen werde, eine ältere Welfe des Kriegsdienſtes. Weiter beſaßen 


110 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


bie vornehmeren Geſchlechter der Stadt Rom in den älteren carlingijchen 
Zeiten wenig oder gar fein Grundeigenthum. Unter aveligen römijchen Familien 
muß man, behaupte ich, folche verftehen, deren Mitglieder der Pabſt vorzugsweile 
mit Aemtern bedachte. Geburt fammt Amt hat im Kirchenftaat Adel verliehen. 

Wir find an einen Punkt gefommen, welcher forgfältiger Erörterung bes 
darf. Zunächft ift die Frage zu flellen: von welder Art waren die Güter, 
in deren Beſitz der Wahlfieg von 824 diejenigen wieder einfeßte, welche ber 
Sprud roͤmiſcher Richter verurtheilt hatte? Da in den Quellen von Eon 
fiöfation die Rede ift, wird wohl Jeder beim erften Blick vermuthen, ererbtes 
Eigenthum ſei gemeint. Allein diefer Schluß wäre irrig. Das Latein ver - 
fränfifchen und der römifhen Kanzleifprache Fennt eine Reihe beflimmter Aus 
brüde, um volles Eigenthum zu bezeichnen, wie alodis, haereditas, proprietas, 
res avitae, bona propria, bona oder propria parentum. Keiner berfelben 
wird jedoch in der bewußten Sache von den beiden fränkiſchen Chroniften 
gebraucht. Einhard ſagt,) „Lothar I. habe damals Denen, welche durch Um 
gerechtigfeit ihrer Sachen beraubt worden, wieder zu ihrem Gute verholfen.” 
Die Worte find zweifelhaft: fie fönnen ebenfo gut von vollem Eigen als von 
übertragenem Gute verftanden werden. Der Biograph Ludwigs des Frommen 
wählt eine noch unbeftimmtere Redeweiſe:?) „die Landgüter Vicler feien um 
gerechter Weife eingezogen worden.“ 

Sowohl Einhard als der Biograph Fannten, wie jeder Franke, den Un⸗ 
terſchied zwiſchen vollem und mittelbarem Eigenthum recht gut, und ed er 
Iheint um fo bevenklicher, daß fie die Natur der entzogenen Güter nicht an 
geben, weil fie offenbar gegen den Pabſt Parthei nehmen und fein Verfahren 
als ungerecht Hinzuftellen bemüht find. Hätten die römifchen Richter den 
Schuldigen wirkliches Eigenthum abgeſprochen, fo würden beide Ehroniften 
fiherlih nicht ermangeln, dieß hervorzuheben, da im vorausgeſetzten Falle 
das eingeleitete Verfahren auch vor unpartheiiſchen Beurtheilern dem Bor 
wurfe der Härte faum entgehen Fonnte. 

Der dritte Zeuge, Anaftafius, Verfaſſer des Pabſtbuchs, unterſcheidet 
wirflih zwifchen eigenem und übertragenem Gute, aber wohlgemerkt, er unters 
icheidet in einer Weife, welche die Annahme ausfchließt, als ob die Ländereien, 
welche den verurtheilten „Getreuen“ durch Richterjprudy abgenommen worden 
waren und welche fie in Folge des Wahlfieged wieder erhielten, wirkliches 
Eigenthum derfelben gewefen feien. Er fagt:*) „nachdem die ſeit einiger Zeit 


') Berk I, 213: omnes, qui rerum suarum direptione grariter fuerant desolati, de 
receptione bonorum suorum magnifice sunt consolati. ?) Ibid. II, 628: multorum praedia 
injuste fuerant confiscata. 3) Muratori, script. ital. III, 1. ©. 220, a. oben: romani 
« judices, qui in Francia tenebantur captivi, reversi sunt, quos (Eugenius papa) in parentum 
propria ingredi permisit et eis non modicas res de patriarchio Lateranensi praebuit, quia 
erant paene omnibus facultatibus destituti. 


Eichted Buch. Gap. 6. Umtriebe gegen päbflliche Selbfländigfeit. Geſetze Lothars v. 824. 111 


in Frankreich verhafteten römiſchen Richter Erlaubniß erhalten hatten, in die 
Heimath zurückzukehren, fegte fie der Pabft wieder in den Beſitz des väters 
lihen vollen Eigen, das ihnen durd) einen Gewaltftreih Lothars weggenommen 
worden, für’8 Zweite verlieh er ihnen anjehnlihe Güter — oder vielmehr 
Bahtungen — aus der Stiftungsmaſſe ded LateransBalaftes, dieweil bie 
Riedereingefepten gar wenig Vermögen befaßen.” Warum ftattete der Pabft 
die Rückkehrenden mit Stiftungsvermögen aus, obgleich fie wieder zum Beſitz 
ihre väterlihen Eigen gefommen waren? Dffenbar deßhalb, weil fie von 
legterem nicht hätten leben können, fintemalen fie von Haus aus zwar einige 
fahrende Habe, aber fein Brundvermögen bejaßen. 

Run nahmen die römifchen Richter — namentlich feit der unter Paſchalis 
eingeführten Ordnung — einen hohen Rang im Staate ein und gehörten 
Familien an, welden der Pabſt beſonderes Bertrauen bewies, welche ulfo 
vorzugsweiſe adelig genannt zu werben verdienten. Wenn gleihwohl dieſe 


- von Haus fo viel ald Nichts hatten und Linterhalt im Dienfte ſuchen mußten, 


wie viel mehr gilt dafjelbe von den „Getreuen,” die aus lauter Hunger und 
Habſucht den Pabſt, ihren Brodherrn, verriethen und fi dem fränfifchen 
Hofe verfauften. Die Güter, welche fie durd Richterſpruch verloren hatten 
und nad dem Wahlfieg wieder erhielten, find folglich nicht eigene, ſondern 
übertragene, nicht Allod, jondern Lehen gewejen. Mit andern Worten, fie waren 
Befoldungen für gewiſſe Aemter, welche man ihnen verlichen hatte. 

Ich will noch bemerken, daß auch eine Redewendung, welche ver Biograph 
Ludwigs des Frommen braucht, fichtlich mit den Ergebniffen der Darftellung 
des Pabſtbuchs übereinſtimmt. Derſelbe ſchreibt:) „viejenigen der von den 
roͤmiſchen Richtern Verurtheilten, welche nicht mit dem Kopfe büßten, ſeien 
der Verachtung preisgegeben worden;“ und erläutert dieß dann in Folgendem 
dahin: fie hätten ihre praedia (d. h. Pachtungen) verloren. Beamte, welchen 
ein Ricbterfpruch wegen Verbrehen Amt und Ehren entzieht, verfallen dem 
Epott, nicht aber Solche, welche mit Berluft des Eigenguts, des angeflammten 
Bermögeng, beftraft werden. Ueberall nimmt das natürliche Gefühl der Mens 
ſchen Parthei für Unglüdliche der letzteren Art. 

Allein wenn aud nicht die Ausfage des Pabſtbuchs deutlih und uns 
mittelbar, wenn aud nicht die Worte des Biographen mittelbar und verbedt 
für meine Wuslegung zeugten, könnte dennoch fein Zweifel jein, daß den 
Gütern der BVerurtheilten und Wiedereingefegten die Eigenjchaft von Ueber⸗ 
tragenem zufam. Aus den früher?) mitgetheilten Belegen erhellt, daß die Län- 
dereien, welche Petri Stuhl um die Stadt Rom und in den nächſten Pros 
vinzen inne hatte, nad) ven großen Heerftraßen, welche von der Metropole 
ausliefen, in abgefonderte Patrimonien oder Gutöverbände eingetheilt waren. 


*) Berg II, 628: hi, qui superviverent, Indibrio religuis baberentur. ”) Oben ©. 22 tlg. 


112 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Diefe Eintheilung beweist, daß das Grundeigenthum weithin dem Apoftels 
fürften gehörte. In der That duldet die eigenthlimliche Natur apoftolijcher 
Gutöverwaltung feinen felbftftändigen Grundbeſitz neben fih: die Kirdhe ers 
wirbt, wo fie fann, und verkauft freiwillig nie. 

Zur Zeit des erften Gregorius war es der heilige Peter, der Stabt und 
Volk ernährte, und fo iſt es geblieben bis auf den heutigen Tag. Als Pabſt 
Pius VIL von den Franzoſen abgeführt, und der Kirchenftaat zum napos 
leoniſchen Kaiferreich geichlagen war, fanf die Bevölferung Roms von den 
160,000 Köpfen, die man vor der frangöftihen Ummälzung des Jahres 1789 
zählte, unglaublih fchnell auf 20,000 herab; mit der Rüdfehr des Pabfts 
und der MWicderherftellung des Kirchenftants bob fie ſich allmählig wieder auf 
den früheren Betrag, Faſt Fein Schuh breit Land ift im Kirchenftaat, der 
nicht dem h. Etuhle, oder Kirchen und Klöftern, oder endlich Fürſten gehörte, 
aber legteren wohlgemerkt nur Eraft freiwilliger oder erzwungener Belchuumg 
von Seiten der Päbfte, auch reicht Feine dieſer Belehnungen in die Zeiten ber 
Carolinger hinauf. Selbft da, wo Heiner, fcheinbar felbftftändiger Beflg von 
Bauern vorfommt, wie in Frascati, Albano, beweifen die Grundzinje (Eu 
noned genannt), welche die Befiger bezahlen, daß die Güter, welde fie bes 
bauen, urfprünglid Pachtungen waren. 

Paͤbſtliche Aemter wurden in der Regel nur an Sprößlinge angefehener 
Familien vergeben, die man Adelige nannte Nahm ein Statthalter Petri 
ſolche Leute in Dienft, fo verlieh er ihnen gewöhnlich eine Pachtung, von 
welcher der Belehnte in der Regel einen Jahreszins bezahlte, der aber jo un 
bedeutend war, daß der Beamte von dem Ueberjchuffe des Ertrags mehr oder 
minder bequem leben konnte. Den betreffenden Pachtverträgen wurde zuweilen 
feine Bedingung bezüglih der Dauer beigefügt, worin ich einen Beweis ſehe, 
daß der Verleiher das Gut nach eigenem Ermeflen zurüdziehen mochte. Schr 
jelten find fie für immer auögeftellt, mehrmals lauten fie auf 29 Jahre. 

Da nah römiſchem Rechte die Verjährung in gewöhnlichen Fällen nad 
abgelaufenem 30. Jahre eintritt, jpringt in die Augen, daß letztere Beftims 
mung den Zwed hatte, mißbräudliche Verwandlung von Padtgut in Eigen 
unmöglid zu maden. Alles dich geht hervor aus jenen Bruchftüden einzelner 
Pachtbücher der Päbfte vor Hadrian I, von denen id an einem andern 
Orte handelte.) Unter denen, welche Bachtungen der Art erhielten, find viele 
Glerifer, aber auch Berheirathete, alfo dem Laienftande Angehörige, Tribunen, 
Gonfularen, Eonfuln. Die Pachtungen felbft hießen locationes oder auch 
emphyteuses. ?) 

Seinen allgemeinen Zügen nad ift der von den fränfifchen Ebroniften 
erftattete Bericht Mar. Nachdem der neue Pabſt Eugenius gehörig einge 


) Oben S. 22 fl. °) Man vergl. den Brief Hadrians I. v. Jahre 790. Ceuni L, 518. 


Gap. 6. Umtriebe gegen päbftliche Selbftändigfeit. Geſetze Lothars v. 824. 113 


den war, zwang Lothar denfelben, einzuwilligen, daß die durch 
Recht aus Amt und Beſitz vertriebenen „Getreuen“ in beides 
telt wurden. Das genügte aber nod nit. Man mußte Anftalt 
nicht etwa insfünftig römifche Richter von kaiſerlichen „Getreuen“ 
Weile Rechenichaft fordern, wie ſolches vor einigen Jahren ge- 
thar fchritt geradeaus zum Ziele, der Pabft mußte zugeftehen, daß 
roͤmiſche Gerichtsweſen aus feiner Hand in die ber fränfifchen 
jerglitt. Mit einem Federſtriche verlor Petri Stuhl ſelbſtſtändige 
eit über alle Laien, und damit den weſentlichſten der Ausflüſſe 
‚oheit. 

die befchloffene @infegung fränfifcher Obergerichte wurde der Stand 
ichter überflüffig, noch mehr, Rachgier der jetzigen Sieger wollte 
haft an einigen der audgezeichnetften Mitglieder des befagten 
len. Das dritte war daher, daß Kaiſer Lothar die Richter, welche 
Jahren gewilfe „Getreue“ theild zur Austreibung aus Amt und 
; zum Verluſte des Kopfes verurtheilt hatten, nicht nur ihrer — 
yeutenden väterlichen Erbjchaften beraubte, ſondern auch — 
ah Frankreich abführen ließ, wo fie in tiefem Elend Ich; denn 
n Ende der Regierung ded Pabſtes in die Heimath zurüdfehren 
ıren fie laut der Edilderung des Pabſtbuches plutt wie Kirchen» 
i diefem nämlihen Anlafje bevachte fie Eugenius mit Pachtungen 
tiftungsmaſſe, die offenbar bis dahin noch nicht zu gleihem Zwede 
worden waren. Warum that er dieß, warum gab er ihnen nicht 
zachtgüter zurück, die fie in früheren Zeiten als dienſtthuende Richter 
eten? Dffenbar deßhalb, weil der Pabſt über legtere gar nicht vers 
e, fintemalen biefelben fih in den Händen der Sieger befanden, 
8 ihre ehemaligen Pachtgüter wieder erlangt, jondern auch in den 
geftürgten Richter ſich getheilt hatten. 

ch, wie man fieht, Alles wohl zufammenhängt, leidet doch die 
der beiden Chroniften an wejentlichen Lücken. Wer Gerwaltftreiche 
die, welde.im Jahre 824 Lothar I. zu Rom führte, der bleibt 
ılbem Wege ftehen. Es iſt unvenfbar, daß mit den neuen fräns 
ten nicht zugleich fränkiſches Net nah Rom wanderte; es iſt 
dag nicht damals den Adeligen, weldhe die Erhebung des dem 
Hof fo bequemen Pabſts Eugenius durchgeſetzt hatten, -für die Zus 
ntfcheldende Wort bei Pabſtwahlen in irgend welcher Weile zuge: 
1; es iſt endlich undenkbar, daß nicht bei der nämlichen Gelegenheit 
taatöfunft irgend ein Mittel ervachte, um mögliche Sinnesänderung 
jewählter Päbfte abzujchneiven. 

ıngefähr find die Schlüffe, zu welchen bezüglih der angeführten 
florifcher Calkul berechtigt. So edel diefe Kunft if, und fo fichere 
„Pabſt Sregorius vi. Bd. V. 8 


414 . Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Ergebnifie fe, wenn von fundiger Hand geübt, zu liefern vermag, hat ihre 
Anwendung fletd und unfehlbar die Mißgunft der „Stleinmeifter“, einer durch 
Zahl, aber aud nur durch Zahl furdtbaren Schaar, wider fih. Selten ges 
lingt ed den Eingeweihten, die Tadler durch Flaren Augenfchein entwafinen 
zu fönnen. Doch bier ift folches ver Fall. Eine Reihe Gefege‘) Liegt vor, 
welche Lothar 824 zu Rom erließ. Ich theile fie nach dem fachlichen Zu 
fammenhange mit, und zwar beginne ich mit den Kirchengütern. 

Artifel 2. „Räubereien, welche bisher jo häufig verübt wurden, fowohl 
wann der Pabſt noch lebte ald wann er ſchon geftorben war, dürfen in Zus 
funft nicht mehr vorfommen. Wer zumider handelt, verfällt der Etrenge des 
Gefepes. Für ältere Fälle der Art foll gemäß den Vorſchriften, welche zu 
ertheilen Wir und vorbehalten, Genugthuung geleiftet werden.* Artifel 6. „In 
Betreff der Kirhengüter, deren fi unter dem Vorwande, al& habe ver Pabſt 
Vollmacht dazu gegeben, Unberechtigte bemächtigten oder welche, obgleich fie 
ungefegliher Weife von päbftlihen Behörden weggenommen wurden, no 
immer nicht zurüdigegeben find, werden Wir durch unfere Sendboten das, was 
Rechtens ift, verfügen.” Artifel 7. „UWeberhaupt dürfen „innerhalb unferes 
Gebiets“ Feine Räubereien mehr vorfommen und wenn folde bereits ge 
ichehen find, follen beide Theile dem Geſetze gemäß Erſatz leiften. Das Gleiche 
gilt von allen andern widerrechtlihen Handlungen.“ 

Der gefunde Menfchenverftand nöthigt, anzunehmen, daß zwiſchen den Be 
ſtimmungen der drei Artifel, obgleich fie fcheinbar faft gleich Tauten, ein wefents 
licher Unterfchied ftattfindet. Der zweite, und nur er, enthält den Beiſat: „fei 
ed, daß der Pabſt noch lebt oder fchon geftorben iſt. Bon diefem Beiſaß 
muß die Erklärung ausgehen. Bekanntlich war der Mißbrauch häufig, daß 
nad) dem Tode eines Biſchofs der Etadtpöbel den Nachlaß des Geftorbenen 
plünderte, aud in Rom fam ſolches vor, aber weiter geſchah dort, daß ent 
weder wann der Pabft noch Ichte, aber Doch ſchon in den legten Zügen lag 
oder gleih nad feinem Tode erbluftige Herren wohl gelegene Kirchengüter an 
fih riffen. Sie gaben fid) nämlich der Hoffnung bin, durch die Künfte, die 
fie bei der bevorftehenden Wahl zu entwideln gedachten, die Beſtätigung des 
Geraubten von dem fünftigen Pabft zu erpreffen. Wir lernen bier eines ver 
Hauptmittel kennen, durch weldhe Maſſen von Kirchengütern in die Hände 
von Laien gelangten. 

Der erfte Abſatz des fechsten Artikels fpriht von kirchlichen Lände 
reien, welche unter dem Vorwande, der Babft habe es geftattet, widerrechtlich 
weggenommen worden feien, dann wieder von ſolchen, welde päbftllihe Bes 
hörden ungefeglicher Weiſe an fich gezogen und noch nicht zurückgegeben hätten. 
Der Vorwand: es jei mit päbftliher Genehmigung gefchehen, bezieht fich meines 





9) Perg, leg. I, 239 unten fig. 


ich. Gap. 6. Umiriebe gegen päßftliche Eelbfländigfeit. Geſetze Lothars v. 824. 115 


anf Erlaffe gewöhnlicher Berwaltungsbehörden; denn biefe fonnten“ 
befonderer päpftliher Genehmigung Güter Anderer wegnehmen. Das 
lied betrifft Urtheile römiſcher Gerichte, die von Amtöwegen und 
hun des Pabftes die Einziehung von Lehengütern verfügten. 
Richtigkeit diefer Deutung laͤßt fich befriedigend erweifen. Noth⸗ 
muß das Geſetz Lothars von denfelben Dingen handeln, welche Einhard 
Biograph ald Inhalt der im Jahre 824 zu Rom ergriffenen Maps 
ifdern. Sodann ift unzweifelhaft, daß von allen Artifeln des frag» 
jeged nur der ſechste auf die Güter paßt, welche laut dem Zeugnifie 
niſten römilche Richter den „Getreuen“ entzogen hatten, und welde 
üdzuerftatten Eugenius genöthigt ward. Nun bemerfe man erftlic, 
Geſetz die Güter, welche ungerechter Welle, mit oder ohne Geneh⸗ 
x Pabſtes, Andern entzogen worden feien, in bürren Worten 
meigenthum bezeichnet — die Getreuen befaßen alfo dieſelben nicht 
rechts, fondern durch Uebertragung; zweitens, daß Kaiſer Lothar den 
d feine Behörden ungefcheut für Räuber erkläͤrt. Welche Herab» 
3 des Stuhles Petri und zugleich welche Ermuthigung für erwerbs 
mifche Adelige ! 

fiebte Artifel verbietet im Allgemeinen Räubereien und andere ges 
Handlungen, woraus erfihtlih, daß das Fauſtrecht in den Zeiten 
des Frommen auf römifhem Boden alltäglich geübt worden ift. 
verräth ein Wort die tiefe Abneigung des jungen Kaiſers wider 
it der Kirche: er nennt) den Kirchenftuat „unfer Gebiet“. Der 
rfte alſo das Patrimonium Petri niht mehr ald das Seinige be 


; weitere Artifel drehen fi um Einfeßung neuer Gerichte. Abfchnitt 4. 
len, daß theild von Seiten des Herrn Apoftolicus, theild von Unferer 
boten beftellt werden, welche an Uns jährlich darüber zu berichten 
de die einzelnen Herzoge und Richter dem Volke Recht ſprechen und 
eſeße vollziehen. Unſer Befehl ift, daß befagte Sendboten von allen 
jefommenen Pflichtverlegungen der Herzoge und Richter zuerſt den 
yoftolicus in Kenntniß fegen. Sit dieß gefchehen, fo mag der Pabſt 
der Sendboten beauftragen, im Verein mit dem andern die Schuls 
Rechenſchaft zu ziehen. Unterläßt dich der Pabſt, fo zeigt Unjer 
dieß Uns an, worauf Wir unfere Sendboten, denen Wir ſolches Ges 
übertragen Uns vorbehalten, anmweifen werden, Recht zu fchaffen.“ 
8: „Wir geruben zu befehlen, daß alle Richter und Vorgeſetzte 
, welde in biefiger Stadt Rom Aemter befleiden, vor Und erjcheis 


4, leg. I, 240: prohibemus, ut depraedationes inter confinia nostra ultra 


8° 
® 


116 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


nen, denn Wir wollen ihre Zahl und ihre Namen wiſſen, auch ihnen bezüg- 
lich ihres Amts Unfere Erinnerungen ertheilen.” 

Beilage Eivesformel für die Römer: „Ich, der und der, ſchwöre bei dem 
almächtigen Gott, bei den vier Evangelien, bei dem Kreuze unfered Herm 
Jeſu Ehrifti, bei dem Grabmale des feligften Apoftelfürften Petrus, daß ic 
von heute an mein ganzes Leben lang treu fein werde meinen Herren, den 
Kaiſern Ludwig und Lothar, nad) meinem beften Wiffen und Vermögen fonder 
Trug und Gefährve, doch mit Vorbehalt der Treue, die ih dem Herm Apo⸗ 
ftolicuß gelobt habe; nad meinem beften Wiſſen und Können werve ich ſtets 
bemüht fein, daß nie allhier eine andere Pabftwahl ftattfinde, als in völlig 
kanoniſcher und gejeglicher Weiſe, deögleichen werde ich nie dulden, daß ein 
zum Pabfte Gewählter Weihe und Einfegung erlange, ehe verfelbe in Ans 
wejenheit des Faiferlihen Sendboten und des Volkes den Huldigungseid abs 
gelegt haben wird, welchen Pabft Eugenius freiwillig, zum Wohle Aller, 
leiftete und ſchriftlich niederlegte.“ 

Der erfte Sap des vierten Artifeld beftimmt die Zahl der Sendboten 
nicht, die von beiden Seiten eingefeßt werben follen, aber aus den folgenden 
erhellt, daß es deren zwei waren, einer, den der Pabſt, ein zweiter, den ber 
Kaiſer ernannte. Doch ift dem Kaifer die Befugniß vorbehalten, zu Aus⸗ 
führung bejonderer Aufträge weitere aus Francien herüberzufchiden. Beim 
erften Anblid fieht die Sache fo aus, als ob gleiches Maß zwilhen Pabft 
und Kaifer eingehalten werde, und folglich als ob der Biograph Unredht 
habe, welcher zu verftchen gibt, daß im Jahre 824 das römifche Gerichte 
wefen in die Gewalt des Kaifers überliefert worden fel. Aber eine genauere 
Erwägung führt zu dem Ergebniffe, daß allerdings die Behauptung des Bios 
graphen und die Abficht des Geſetzes vollflommen übereinftimmt. 

Beiden Sendboten lag zunächſt die Verpflichtung ob, über die Amtes 
führung der römiſchen Beamten und Herzoge an den Katfer Bericht zu ers 
ftatten. Beiläufig gefagt, erhellt aus ven betreffenden Worten, daß noch 
immer bie alte Einrichtung‘) fortdauerte, vermöge welcher die päbftlichen Ober 
beamten der größeren Städte des Kirchenftaats duces hießen. Lagen Klagen 
gegen Rechtöverlegungen folder Beamten vor, fo fam e8 beiden Sendboten 
zu, hievon dem Apoftolicus Anzeige zu machen. Nachdem dieß geicheben, ſtand 
e8 dem Pabſte frei, einen der beiden Sendboten, alfo entweder feinen eigenen 
oder den vom Kaifer ernannten, zum Ginjchreiten gegen die auf Pflichtwidrig⸗ 
feit Angeflagten zu ermächtigen, aber wirflih die Schuldigen zur Berants 
wortung zu ziehen vermochte der beauftragte Sendbote nur im Berein mit 
dem andern Amtögenofien. Angenommen, daß der Pabft gewöhnlich zu dem 
fraglichen Gefchäft feinen Sendboten wählte, konnte diefer doch nichts ohne 


— — — — — 


) Muratori, antiq. Ital. I, 257 fig. 161 flg. 186 fig. 


8 Bud. Gap. 6. Umtriebe gegen päbflliche Selb ſtaͤndigkeit. Geſehe Lothats v. 824. 117 


aiſerlichen ausrichten. Hochgeſtellte Männer beftrafen iſt befanntlic ein 
hes Geſchaft, das leicht böfes Blut macht. Man fieht daher, daß der 
Artikel unter dem Scheine eines Vorrechts den Pabſt in die Lage vers 
fi den Haß feiner Römer aufzuladen. 

Hatte der Apoftolicus dagegen Feine Luft, Unterfuhungen anzuordnen, 
ging die Sache an den Kaifer, und nun blieb biefem die freie Wahl, 
den Schulvigen dur feinen römifchen Sendboten, oder auch durd be 
? andere, die er mit befondern Vollmachten aus Francien herüberfchiden 
&, zur Rechenſchaft ziehen wolle. Wie gut ift hier dafür geforgt, daß 
aiſerliche Sendbote, der in Rom feinen Sig hatte, nicht durch häufige 
der Strenge verhaßt werde! Der vierte Artikel Fönnte gar nicht arge 
r gegen den Pabſt zugerüftet fein. Schreitet der Apoftolicus in Bes 
ng untreuer Beamten voran, fo läuft er Gefahr, die Liebe der Römer 
tlieren, fehreitet er hintendrein, nun fo muß er nothwendig fein Anfehen 
andeöherr bloßftellen, weil dann Jedermann merkt, daß er eigentlich im 
mftaate nichts mehr zu befchlen hat, ein fünftes Rad am Wagen if. 
Gehen wir zum achten Abfchnitte über. Nicht blos der Faiferlihe Send» 
und durch ihn, wohl oder übelmollent, aud der pähftlihe hängt hinfort 
hließlich vom fränfifhen Hofe ab, auch jämmtlihe andere Beamten des 
enſtaats werben durch den achten Artifel zu kaiſerlichen Dienftleuten ges 
» Denn bier heißt es: alle in Rom angeftellten Beamten hätten ſich 
jungen Kaifer einzufinden und müßten feiner „Erinnerungen® gewärtig 
Zunächft verdient die Art und Weife beachtet zu werden, in welder der 
iff Geſammtheit“ ausgebrüdt‘) ift: „ale Richter, alle welde Andern 
'm, alle welde irgend eine obrigfeitlihe Gewalt in Rom inne haben.“ 
Ich fage, im erften und britten Gliede find fämmtlihe Latenhäupter, im 
m aber find die geiftlihen Vorfteher der Stadt Rom, nämlich Biſchöfe 
Aebte — verſteht fih mit Ausnahme des Pabfted — begriffen, welchem 
en befondere Ketten angelegt wurden. Daß bein fo fei, werde ih aus 
aiſſen darthun. Natürlich beſchied der junge. Kaifer die Aufgerufenen 
für Nichts vor fein Antlig, fondern es geſchah, um denſelben „Erinnes 
n* zu ertheilen.”) Worin diefe Erinnerungen beftanden, darüber ſchweigt 
h das Geſetz, aber den Geiſt, in dem fie gegeben wurden, lernen wir 
lein aus der angefügten Eidesformel kennen. 

Diefer Schwur verpflichtete erftlich alle Römer von einigem Anfehen, und 
ſowohl Cleriker als Laien, zu unbebingtem Gehorfam gegen das kaiſer⸗ 





) Berg, leg. I, 240: euncti judices, sive hi qui cunctis praesse debent, per quos 
wia, potestas in hac urbe romana agi debet. Man muß willen, daß das Wort judex 
romiſchen Kanzleifprache nicht blos eigentliche Richter, fondern Beamte überhaupt bes 
% Belege werben unten beigebracht werben. 3) Daf.: volumus sipgulis de mini- 
aibi eredito admonitionem facere. 


118 Pabſt Gregorind VII. und fein Zeitalter. 


lihe Haus. Ebenderſelbe verjegte zweitend alle diefe Römer in ein widriges, 
ja feinpfeliges Verhältniß zum Pabſte. Zwei Auflagen wurden den Schwös 
renden gemacht, einmal Obacht zu nehmen, daß Pabftwahlen binfort nur in 
fanonifcher und gefeglicher Weile’) vorgenommen werden, ſodann wicht zu 
dulden, daß ein gefeglih und fanonifh Gewählter die Weihe empfange, er 
babe denn zuvor den vorgejchriebenen Huldigungseid in die Hände des kaiſer⸗ 
lihen Sendboten abgelegt. 

Mas verfteht das Geſetz unter kanoniſch? Ich denfe Vermeidung ber 
Simonie oder Beftehung, fowie der im dritten Artifel, von bem unten bie 
Rede fein wird, aufgeführten Punkte. Was verfteht e8 weiter unter dem 
Worte gejeglih ? Meines Erachtens Beobachtung der vom Kaifer für Pabk- 
wahlen gegebenen Borjchriften, namentlih der in der Urkunde Ludwigs vom 
Sahre 817 enthaltenen Beftimmung, daß eine Babitwahl nur dann ver kaiſer⸗ 
lihen Beſtätigung nicht bevürfe, wenn fie einftimmig fe. Ich rathe dem 
Leſer, legteren Sag in gutem Gedächtniſſe zu bewahren, denn er iſt entfcheibend 
für Beurtheilung der Geſchichte des Pabftes, der auf Eugeniuß folgte. 

Weiter erfahren wir aus der Schwurformel erftlih, daß Pabſt Eugenius 
einen fürmlihen Huldigungseid — und zwar einen geichriebenen — ablegen 
mußte, zweitens daß der junge Kaiſer verlangte, Fünftige Päbfte follten dieſen 
nämlichen Eid öffentlih vor allem Wolfe wiederholen. Seder Römer, ber 
einem ſolchen Akte anwohnte, ſah mit eigenen Augen, daß der Apoftolicus 
gleih andern Leuten ein Unterthan des Kaifers und nicht mehr felbfiftändig 
ſei. Und obgleich befagter Eid foldhe Folgen für das Pabſtthum hatte, ver 
fibert und dennod die Formel, Pabſt Eugenius habe denſelben freiwillig 
und aus lauterer Rüdficht für das öffentlihe Wohl gefchrieben und geſprochen. 
Haft man die rechtlihen Wirkungen der Schwurformel in den Fürzeften Aus: 
drud zufammen, fo lautet er etwa jo: durch diefelbe hörten die Römer auf, 
dem Etuhle Petri verpflichtet zu fein, und verwandelten fih in kaiſerliche 
Dienftleute. Etatt pähftliher Unterthanen waren fie Beauffichtiger der Statt 
halter ‘Petri, alfo gewiffermaßen Vorgefegte derfelben geworden. 

Ueber die Zuftände, welche die Geſetzgebung Lothars vom Jahre 824 
ſchuf, gibt ein ſchon mehrfach erwähntes Büchlein Aufihluß, das den Titel 
führt: „von Gewalt der Kaifer über die Stadt Rom,” und deffen unbelannter, 
fehr gut unterrichteter Verfaffer meines Erachtens um die Mitte des zehnten 
Sahrhunderts ſchrieb. Derſelbe melvet:?) „von Carl dem Großen bis auf 
Kaijer Ludwig IL, Lothar Eohn, hatten die Dinge in Rom folgende Geftalt: 
alle größeren Römer — und zwar fowohl Bilchöfe ald Laien — waren Bas 
fallen Chomines) des Kaiſers, auch das gemeine Volk mußte dem Kaifer den 
Eid der Treue leiften. Stets weilte ein Faiferliher Sendbote in der Stadt, um 


‘) Ibid.: fiat electio pontificis canonice et Juste. :) Berg IH, 720 unten fig. 


Siebtes Buch. Gap. 6. Umtriebe gegen päbftliche Selbſtaͤndigkeit. Geſetze Lothars v. 824. 4110 


Streitigkeiten zu ſchlichten. Derfelbe wohnte im St. Petersſchloſſe, (d. h. im 
Batifan, der im Mittelalter neben ver alten, heute neben der neuen 
Peteröfirche fteht), täglich empfing er feftgefegte Lieferungen aus dem Palafte 
(aus der zu Rom errichteten Taiferlihen Kammer). Reichten dieſelben nicht 
aus, jo mußten gewifle Klöfter und päbftlihe Patrimonien das Fehlende ers 
gänzen. “ 

„Groß war die Gewalt deſſelben. Wenn irgend ein Mann aus dem ges 
meinen Bolfe ſich durch einen Spruch des Stadigerichts verlegt glaubte, und 
nun zum Sendboten lief, die Füße defjelben umſchlang und ſchrie, ich verlange 
guted Recht, jo rief der Senpbote die Römer zufammen und ſprach zu ihnen: 
bei der Treue, die Ihr dem Kaiſer fchuldet, mahne ih Euch, diefem Manne 
Recht zu ſchaffen. Nie blieb dieß ohne Wirkung, Feiner wagte nad Rechts 
oder Links abzuweichen, felbft wenn es die nÄächften Verwandten des PBabftes 
waren, die das Unrecht verübt hatten, Über welches ein Mann aus dem Volfe 
Beſchwerde führte. Oft wurden Gerichtöfigungen nicht im Palaſte des Pabſts, 
jondern auf einer Malftätte unweit des Laterand an einem Drte gehalten, 
welcher (vermuthlih nad einer Bilpfäule der den Romulus ſäugenden Wölfin) 
„zur Wölfin, der Mutter des römifchen Volks“, hieß. Won den gemeinen 
Bußen, welche Verbrecher bezahlen mußten, empfing die eine Hälfte der kaiſer⸗ 
liche, die andere der päbſtliche Sendbote. War eine Klage dagegen von folder 
Art, daß Gütereinziehung darauf ftand (d. h. wenn es fih um Hodverrath 
handelte), jo erhielt die päbftlihe Kammer feinen Antheil an der Buße, es ſei 
denn daß eine Fallerlihe Schenfung auf die Hälfte zu Gunften des Pabftes 
verzichtete. * 

Der Unbekannte fügt im Allgemeinen: die bejchriebenen Zuftände hätten 
gedauert von Carl des großen Zeiten bis zur Regierung des zweiten Ludwig. 
Er begeht hierin eine Fleine Ungenauigkeit. Carl der Große bereitete zwar 
die Unterbrüdung des Stuhles Petri vor, wahrte aber forgfältig den Schein: 
er durch die Geſetzgebung Lothar vom Jahre 824 trat die Gewalt nadt 
bervor. In allem Uehrigen ift der Unbekannte genau. Als Herr waltete zu 
Rom der Kaiſer oder vielmehr in deſſen Namen ver Faiferlihe Sendbote. 
Alle höher geftellten Römer, d. h. Beamte und Nusnießer von Kirchengütern 
„— und zwar fowohl Bilchöfe als Laien — waren ihm zu Vaſallendienſt vers 
pflihtet.. Man fieht jet, daß ich die Worte des Geſetzes hi qui cunctis 
praeesse debent richtig erklärt habe. Großen Gehalt aus Kammergütern, 
Klöftern und päbftliden Patrimonien bezog der kaiſerliche Sendbote. Außer 
ihm war aber noch, entiprechenn dem Inhalt des lothariſchen Geſetzes, ein 
zweiter, ein päbftlicher, vorhanden, ver jedoch, ebenfo wie im Geſetz, eine pein- 
liche Rolle neben dem glänzenden Genoſſen fpielte. 

Gerichte gab es in Rom nach der Darflellung des Unbefannten breierlei: 
ein niederes für das Volk — legale jadicium, Stabtgeriht genannt, zwei 


120 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


höhere und zwar das eine für päbftlide Sachen, das andere für Faiferlide 
Bafallen. Das höhere päbftlihe wurde im Palaſte des Pabftes gehatten, 
das höhere kaiſerliche vielleiht mandmal in der Wohnung des Senbooten 
Oberftatthalterd, gewöhnlih aber auf der Malftätte zur Wölfin. Siserlic 
lagen der Wahl dieſes Ortes Hintergedanfen zu Grunde. 

Man muß wiſſen, daß nad den Ueberlieferungen des früheren Mittels 
alters, und gemäß den Borftellungen der Carolinger, Sadfen und Salier Die 
Wölfin, welhe Romulus fäugte, keineswegs eine Nährmutter der Republik, 
fondern eine kaiſerliche Amme war. Sie wollten und wußten nichts von der 
Herrihaft des Senats, des Volks und der Eonjuln. Erft im eilften Jahr: 
bundert, während Hildebrand ald Cardinal oder Pabft die Kirche lenkte, ber 
gann das Gedächtniß der Freiheit und der Tage ded Ruhms aufgefriicht zu 
werden. Die Malftätte zur Wölfin hatte den Zwed, Petri Statthalter 
einzutränfen, daß der Wolf, d. 5. der carolingische Kaiſer, Herr und Erbe von 
Rom ſei. Gewiffermaßen lag eine heimische Drohung in der Sadıe. 

Von den Bußen, welde das Stadtgericht und das höhere päbftlihe er 
fannte, empfing je ver Ffaiferlihe und der päbftlihe Sendbote die Hälfte. 
Anders verhielt es fih mit den Gelvftrafen in Sachen des Hochverrathe. 
Sie verblieben ausjchließlih dem Kaiſer, und nur ald Almofen Fonnte ver 
Pabſt etwas aus. diefen Nusungen erhalten. Warum jo? Abermal, um an 
den Tag zu legen, daß nicht der Pabſt, fondern der Kaifer Herr und Ge 
bieter in Rom fei. 

Nachdem Lothar durch feine Geſetze die neue Ordnung vollendet hatte, 
fonnte cin Recht, das Petri Stuhl feit zwei bis drei Jahrhunderten übte — 
das Recht des Kriegsherrn — nicht mehr beftehen. Wie ich früher gezeigt babe, 
warb Gregor I. Eolvaten, beftellte Dberfte, und ebenjo hielten es bis auf 
die fränfifchen Zeiten herab feine Nachfolger. Die päbftliden Oberften trugen 
den byzantinischen Titel magistri militum. Wohlan noch im Jahre 823 wird 
ein jolher erwähnt. „Pabſt Paſchalis,“ jagt‘) Einhard, „fandte den Biſchof 
Johann, den Bibliothekar Eergius, den Subdiafon Quirinus und Leo feinen 
magister militum an den faiferlihen Hof ab.” In den nädften 20 Jahren 
aber ift nicht mehr von römischen Soldoberften die Rede. Wie konnte Dieß 
auh anders fein! Mit dem Senbboten d. b. dem Sberftatthalter Lothars 
zog fränkiſches Vaſallenweſen in Rom ein. Seit der Schwur geleiftet worden, 
übte diefer Stellvertreter des Kaiſers die Befugniß, nad Gutdünken die waffen 
fähigen Römer zum Dienfte aufzubicten. 

Allem Anſcheine nad hatte derjelbe außerdem eine Kleine fränfifhe Scara 
oder Echaar?) um fih, deren Mitglieder ihm zugleih als Schergen oder Ge⸗ 
rihtövollzieher dienten. Bür fchwierige und gefährliche Säle aber ftand in ber 








ı) Berg L, 211. 2) Vergl. Gfroͤrer, Garolinger 11. 164 fig. 180 fig. 


Siebtes Bud. Cap. B. Umtriebe gegen paͤbſtliche Selbſtaͤndigkeit. Geſetze Lothars v. 824. 1921 


Nähe — zu Spoleto nämlihd — ein größeres, fchlagfertiges Heer bereit. 
Denn bei allen ſchönen Worten, die Lothar in feinen Geſetzen verſchweudete, 
hatte er nicht vergeflen, daß, was in Rom zugerüftet worden, auf lauter Ges 
walt beruhte. Ich laſſe zunächft wieder den Unbekannten reden. !) 

„Wenn ein Biſchof oder ein römifcher Richter in Ungnade beim Kaiſer 
Rel, und es die Umſtände geftatteten, daß der Kaifer fid) felbft nah Rom 
erhob, jo Fam er in eigener Perſon; wo aber nicht, fo ward der Herzog von 
Spoleto aufgeboten, der verhaftete den Schuldigen und führte ihn ab in bie 
Berbannung. Sofort legte man bis auf Weiteres das Faiferliche Siegel an 
das Haus des Geftürzten, damit derfelbe, wenn er je wieder zu Gnaden ge- 
lange, feine Habe unverfehrt finde. Verfügte jedoch der Kaifer anders, fo 
wurden bie beweglihen Güter des Verdammten unter die Soldaten vers 
teilt. Erging in peinlihen Anklagen ein Urtheil, das den Schuldigen in die 
Hand des Richters gab Cd. h. welches dem Richter geftattete, nach eigenem 
Ermeffen Hinrihtung oder andere fchwere Strafen zu verhängen), uud rief 
aun der Schuldige die Gnade des Kaiferd an, fo fchidte ver Kaiſer einen 
beſonderen Bevollmächtigten nah Rom, um die Sache von Neuem zu unters 
Inhen. Band der Bevollmädtigte das frühere Verfahren in Ordnung, fo ver- 
fiel der Echuldige wirklich der Gewalt des (anfänglichen) Richters.“ 

Abermal begegnen wir hier dem Beftreben, zu verhindern, daß der kaiſer⸗ 
liche Sendbote verhaßt in Rom werde, wobei freilih noch die Abſicht mitge⸗ 
wirft haben mag, feine Gewalt nicht allzuhoch wachen zu laffen. Wider vors 
nehme und mächtige Männer, von denen zu beforgen ftand, daß fie Gegen» 
wehr leiften, ſchritt er nicht felbft ein, ſondern in folhen Fällen wurbe- der 
Epoletiner Herzog aufgeboten, welcher gleihlam der geborne Zuchtmeifter des 
Babfted und des römiichen Volks war. Auch von Richtern gefälte Todes» 
Arafen vollzog der Senbbote nicht, fondern den in folder Weile Verurtheilten 
hand die Zuflucht an die Gnade des Kaiſers offen, der dann durch befondere 
Bevollmäcdtigte eine neue Unterfuchung vornehmen ließ. Im Uebrigen ers 
ſcheint das Verfahren in Sachen hoher Beamten, dad der Unbekannte bes 
ſchreibt, willfürlich genug. 

Richt von Verbrechen derjelben ift die Rede, fondern nur von Faiferlidher 
Gnade oder Ungnade. Und da ed häufig vorgefommen fein muß, daß wer 
heute geftürgt ward, morgen wieder in die Höhe klomm, beftand für ſolche Bälle 
eine eigenthümliche Einrihtung. Mean verfiegelte die Häufer der Gefallenen, 
damit fie bei etwaiger Wiederberftellung ihre Habe unverjehrt antreffen. Nur 
wenn der Kaiſer erflärt hatte, daß er dem Abgeſetzten nie mehr zu verzeihen 
gedenfe, wurde das Ciegel abgenommen und das bewegliche Eigen des 
bürgerlih Todten unter die Soldaten vertheil. Unter diefen Soldaten kann 


) Berg IH, 721 oben. 


122 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


meined Erachtens nicht das Heer des Epoletiner Herzogs, der, wann die 
kaiſerliche Enticheidung zu Rom anlangte, längft wieder in feinem Lehen weilte, 
fondern müflen die Schaarmänner des Faiferliden Sendboten oder Öberftatt- 
balterd von Rom verftanden werden. 

Macht und Selbftitändigfeit De8 Stuhled Petri war durd die Sagungen 
von 824 vernichtet, dennoch trieb Lothar die Heuchelei biß zu dem PBunfte, 
in dem Geſetze felbft fo zu ſprechen, als feien die Verhältniſſe der Päbfte die 
alten geblieben. Außer der Klaufel in der Schwurformel, wo es heißt: vor: 
behaltlih der Treue, die wir dem Pabſte Schulden, find zwei befondere Ab⸗ 
fchnitte diefem Spiele gewidmet: Artifel 1. „Wir haben beichloffen, daß Alk, 
welche unter dem bejonderen Schuke des Herrn Apoftolifus oder unter Unſerem 
eigenen ftehen, ſolchen Schutzes unverbrüchlic genießen follen. Wer zuwiber 
handelt, der wife, daß er fein Leben verwirft. Auch ift Unfer Wille, daß 
die Römer in Allem, was zu Rechte befteht, ſowohl dem Herm Apoftolifus 
ſelbſt, al8 den von ihm beftellten Herzogen und Richtern pünftlihen Gehorjam 
leiften.” Artifel 9. „Schließlih ermahnen Wir alle zufammen und jeden für 
fih, daß fie, dafern fie die Gnade Gotted und die Unfrige zu bewahren wüns 
hen, dem Herrn Apoftolifus ſtets Gehorfam und Ehrfurcht erweiſen.“ Lo⸗ 
thar I. jchlägt, wie man fteht, den Predigerton an, und zeigt, daß .er der 
Achte Sohn des Vaters war, der die Urkunde von 817 ausftellte. 

Noch enthält das Gele vom Jahre 824 zwei weitere Abfchnitte, einen, 
welcher das Volk von den Pabſtwahlen ausſchließt, und einen zweiten, welcer 
das römifhe Recht beichränft oder vielmehr abzufhaffen ſtrebt. Artifel 3. 
„Wir befehlen, daß fein Unberechtigter, fei er freien over hörigen Standes, 
an den Pabftwahlen Theil nehme, fondern nur Die follen fiimmen, welchen 
alte Herfommen gemäß den Sapungen der h. Väter folche Befugniß verlieh. 
Wer hiegegen handelt, büßt mit Verbannung.” Artikel 5. „Wir wollen, 
daß jeder Römer‘) befragt werde, nach welchem Geſetze er leben wolle. Die 
ausgejprochene Wahl ift enticheidend für alle Zukunft: ein Seglicher, ſei er 
hody oder niedrig geboren, ein Beamter, ein Richter, ein Herzog, oder ein 
Mann aus dem Volke, wird, dafern er Unrecht begeht, nad dem Geſetze, das 
er genannt hat, gemäß Unferen und des Pabfted Vorfchriften gerichtet werben.“ 

Die Abfaffung des dritten Artifeld verräth, daß der Geſetzgeber ein 
böfes Gewiſſen hatte oder eine fchreiende Gewaltthat zu verüben innerlich über: 
zeugt war. Er jchließt eine Klaſſe Menſchen — und zwar cine zahlreihe — 
vom Wahlreht aus, aber er fagt nicht, welche ausgeichloffen fein follen. 
Deögleihen wagt er nicht, die Verordnung beim Namen zu nennen, die er 
doch ald Norm aufftelt. Seit alter Zeit wurden die Päbſte vom römiſchen 
Volke d. b. von allen wirflihen Gemeindegenofien, Elerifern und Laien, Ar 


9) Woͤrtlich: cunctus populus romanus, 


Siebies Buch. Gay. 6. Umtriebe gegen päbftliche Selbſtaͤndigkeit. Geſetze Lothars v. 824. 193 


men und Reihen, Hohen und Nichrigen, Beamten und Nichtbeamten gewählt. 
In Hällen bejonderer Aufregung, wo Volksenthuſiasmus Wahlen entjchied, 
ftimmten wohl auch Hörige mit. Diefe allgemeine Theilnahme des Volks 
hat bewirkt, daß die Würde des Pabſtthums manden von böswilligen Herr: 
ſchern gelegten Sclingen entging; denn nicht blos Inftinkt, fondern Rüdficht 
auf das Brod trieb die Menge, bei Pabftwahlen dem Rathe vernünftiger 
Glerifer zu folgen, weil die römifche Kirche es war, welde das Volk der 
Stadt nührte. Päbfte, wie Hadrian J., wie Leo III., wie Paſchalis I. ges 
fielen dem fränfiihen Hofe nit. Dennoch famen fie hinauf, dennoch hielten 
fie fid) oben, und .zwar durch ‚ven Beiftand der nämlihen Menge. 

Aber bei der Wahl des Eugenius gewann laut dem Zeugniffe Einhards 
der Adel die Oberhand, und der dritte Artifel hat den Zweck, diefen Sieg zu 
verewigen, das Bolf für immer von den Pabſtwahlen auszufcließen. Mit 
der Verordnung oder der herfümmlihen Uebung, auf welche Lothar hinweist, 
iR ohne Frage die 123jte Novelle‘) Juſtinians gemeint, welche bifchöfliche 
Bahlen dem Clerus und dem Adel vorbehält. Ueber die Reihenfolge der 
Paͤbſte follte hinfort außer den römiſchen Elerus, den man gar nicht aus 
Ihließen konnte, und unter dem fi durch den Faiferlihen Einfluß räudige 
Echaafe genug befanden, der Adel enticheiven, das heißt eine Genoſſenſchaft, 
welche aus Menſchen beftand, die entweder fchon Faiferlihe Vaſallen zu fein 
fh brüfteten oder es demnähft — und zwar auf Koften des Kirchenguts — 
ju werben hofften. Geſchehen war, was der Welterlöfer im Evangelium mit 
den Morten ausdrückt: „Räuber reißen dad Himmelreih an fi.” 

Richt minder verberblih ift der fünfte Artikel. Mit Ausnahme der 
Streden, wo die Langobarven herrichten, hatte in Italien bis auf die Zeiten 
fränkiſcher Eroberung herab das alte römijche Recht gegolten. Sept ftellte es 
kothar den Bewohnern Rome frei, ein anderes, nämlich eines ver vielen im 
fränkischen Reiche eingeführten Rechte, wie das falifche, ripuarifche, bairifche, 
alemanniſche, langobarviiche zu wählen. Der anſcheinenden Freiheit wurde 
aber zugleihd — obwohl verdedt — ein gutes Stüd Antrieb oder, wenn man 
will, Nöthigung beigefügt, nicht unter römiſchem Rechte zu bleiben. Denn 
wenn ein Kaiſer, der jelbft nach ripuarifhem Rechte lebte und noch dazu bei 
einem Anlafle, wo er romaniſchen Einrichtungen Krieg erklärte, zu Römern 
ſprach, ich überlaffe es eurer freien Wahl, ob Ihr fürder nad Meinem Rechte 
euch bequemen, ober unter Eurem bleiben wollet: jo heißt dieß jo viel ale: 
wer meine Gnade begehrt, thue, wie ich thue. 

Sodann wünſchten die römiſchen Adeligen, denen vorzugsweiſe der fünfte 
Artikel ald Köder bingeworfen war, nichts fo ſehr als fränfifche Lehenträger 
in fo weiten Umfange als möglich zu werden, zu Erfüllung dieſes Wunſches 





2) Sfrörer, Kirchengeſch. III, 731. 


124 Pabſt Gregorlius VII. und fein Zeitalter. 


aber bahnte bereitwillige Anerkennung des Lehenrechts, aljo nicht des römis 
chen, fondern des langobardiſchen, faliihen eine Straße. Der Senbbote 
Oberftattbalter, der zu Rom des Kaiſers Stelle vertrat, die Grafen, welde 
der Hof von Zeit zu Zeit ald Spezialbevollmädtigte nah Rom fandte, ricd- 
teten und lebten nach fränkiſchem Recht. Wenn römiſche Adelige ſolchen — 
je nady Umſtäͤnden — Gönnern oder Zuchtmeiftern gegenüber ihr eigenes Ges 
jeg behalten wollten, verftanden ſie wahrlich die Kunft nicht, Höheren den 
Hof zu maden: regis ad exemplum totus componitur orbis. 

Uebervieß kam nod ein befondered — und zwar mächtiges — Reizmittel 
hinzu, welches Römer verführen mußte, fi von ihrer väterlihen Geſetzgebung 
loszuſagen. Das römiſche Recht ift, was den Schug des Eigenthums bes 
trifft, ein Wunderwerf der Eultur, es ift — um mit Monteöquien zu reden, 
geichriebene Gerechtigkeit, gejchricbene Vernunft. Das fchnurgerade Gegentheil 
gilt aber in der nämlichen Beziehung von der Salifa und aud von der Lango⸗ 
bardika. Dieſe Bolfsrechte gaben, wie feiner Zeit an vielen Beifpielen ges 
zeigt werden wird, das Eigenthum der Romanen den germanifchen Herren 
Preis, fie warfen das Echwert des Brennus in die Wagfchale, fie Donnerten 
den Unterworfenen das Vae victis entgegen. Vorerſt bemerfe ich, daß es fid 
hauptjächlih um die Lehre von der Verjährung handelte. Wer daher auf 
Koften Untervrüdter fi bereichern wollte, der that wohl, ein Salier zu wer: 
den. Jene römijchen Adeligen hegten folche Gelüfte! Alfo Auflommen und 
Fortgang der Formel: ego N., qui professus sum lege vivere salica. 

MWohlgefinnte Cleriker erkannten gleih Anfangs die volle Bedeutung des 
Schlags, den Lothar geführt hatte. Erzbifhof Bernhard von Vienne muß, 
vielleicht im Jahre nach Veröffentlichung der lotharifhen Geſetze, vielleicht ein 
und zwei Jahre fpäter, bei Pabft Eugenius angefragt haben, ob die römifchen 
Vorſchriften über Verjährung noch Giltigkeit hätten. Eugenius antwortete‘) 
bejahend und fogar erweiternd: „in Vermächtnißſachen und ragen, die ben 
Befig kirchlicher Güter betreffen, gelte die Außerfte vom römifchen Recht feſt⸗ 
gejegte Frift von AO Jahren, mit Ausſchluß der 20 und der 30 Jahre.” 
Meines Erachtens iſt die päbftliche Enticheidung von dem Erzbiichofe herauss- 
gefordert worden, weil er Mißtrauen hegte, daß Eugenius, als Pabft ein 
Geſchöpf des fränfifhen Hofes, in diefer unendlib wichtigen Sache unwür⸗ 
dige Nachgiebigfeit gegen feine Untervrüder — Beſchützer bethätigen werde. 
Doch beftand Eugenius die Probe. Die folgenden Päbfte haben nicht er 
mangelt, was in ihren Kräften ftand, für Aufrechthaltung der lex romana 
zu thun. Doch richteten ihre Bemühungen lange Zeit nicht viel aus, und 
viele Römer fielen zu fremdem Rechte ab. 

Um 847 vrüdt Pabſt Leo IV. in einem Schreiben?) an Kaijer Lothar 


1) Zaffs, reg. Pontif. Nr. 1948. 2) Ibid. Nr. 1973. 


Eiebied Bud. Gap. 6. Umtriebe gegen pähftliche Selbfländigfeit. Geſetze Lothars v. 824. 125 


ein Erftaunen, d. 5. jeinen Unwillen darüber aus, daß der Kaifer in der 
Sache dreier römiſchen Verbrecher, die doch in Anwefenheit ver kaiſerlichen 
Sendboten gemäß dem römifchen Geſetze zum Tode verurtheilt worden feien, 
ine neue Unterſuchung angeorbnet babe. Wie man fieht, hatten die drei fidh 
um römischen Rechte befannt. Andererfeits bewies der Kaiſer noch immer Dies 
elbe Abneigung gegen dieſes Recht, welche aus den Erlaffen von 824 hervors 
ont. Der nämlihe Pabſt fagt um 850 in einem an den Grafen Wido ge: 
richteten Briefe:') „völlig unwürdig iſt ed und für die fommenven Geſchlechter 
verderblih, daß das glosreihe Beleg, das fo viele Ältere Kaifer in Ehren 
hielten, nicht8 mehr gelten fol.” Nur dic Romana kann gemeint fein. Abers 
mal jchreibt?) Leo IV. an einen Erzbiichof: „bewahrt muß werben, was bie 
Borfahren, fei ed in Form der 5. Canones, fei es mittelft weltlicher Geſetze 
feftgeftellt haben.” 
Bis zum Schluſſe des zehnten Jahrhunderts dauerte im Kirchenftaate ber 
Kampf um die Giltigfeit des römischen Rechtes fort. Doc verlor die Ro⸗ 
manı mehr und mehr Boden, und fchon fchien ihr Untergang entfchieden. 
Ich ſetze als befannt *) voraus, daß Pabſt Gregorius V. Anfehen und 
Giltigfeit der Romana herzuftellen verjuchte, aber nicht durchdrang. Selbft 
höhere Geiftlihe, ja ganze Klöfter, wie das im Kirchenftaat gelegene von 
Farfa, befannten fi zum langobardiſchen Geſetze. Allein zu Anfang des 
äilften Jahrhunderts erfolgte ein Umſchwung: Gerbert ald Abt und doppelter 
Erzbifhof von Rheims und Ravenna ein Verräther der Kirche, aber ald Pabft 
Eyivefter II. bewunderungswürdiger Geſchäftsmann, bereitete!) den Sieg der 
Romana dur einige Fühne Maßregeln vor, und es war allem Anfcheine nach 
eine Nachwirkung feiner Thaten, daß Kaiſer Conrad Il. dad Geſetz vom 
Jahre 1038 erließ,’) laut welchem hinfort im Umkreiſe des römifchen Gebiete 
alle gerichtlichen Händel nach römiſchem Rechte entfchieden werden mußten. 
Etwas anders, doch ähnlich, verlief die Sade im übrigen Stalien. 
Echon Carl der Große und fein Sohn Pippin, der Oberftatthalter Staliens, 
hatten verorbnet,®) daß die Germanen, welde fi in der apenninifhen Halb⸗ 
inſel nieverließen, verlangen durften, in der neuen Heimath nad ihrem ange: 
bornen Geſetze, aljo Ealier nach faliihem, Ripuarier nad) ripuariichem, Baiern, 
Memannen, Burgunder nad bairiſchem, alemanniſchem, burgundiſchem Ges 
Ihe gerichtet zu werden. Sicherlich geichah es nicht ohne Einfluß der lotha- 
richen Erlafje des Jahres 824, daß von dieſer Älteren Beftimmung ein ver: 
Iäwenderifcher Gebrauch gemacht wurde. Seit der zweiten Hälfte des neunten 
Jahrhunderts fommen Beifpiele vor,”) daß in gerichtlichen Urkunden den Namen 
aufgeführter PBerfonen der Beifap zugefügt wird, der und der fei ein Franke, 
1) Ibid. Nr. 1997. 2) Ibid. Nr. 1998. 3) Die Beweile bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. 


UI, 1504 fig. *) Daf. ©. 1512 fig. 6) Daf. IV, 332. °) Muratori, antiguit. 
Ial. II, 237 fl. 7) Daf. ©. 240 fg. | 


126 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


ein Langobarde, ein Baier, ein Alemanne Mit gutem Fug vermuthet‘) 
Muratori, der Beilag babe den Zwed, das Geſetz zu bezeichnen, unter dem 
ein jeder ſtehe. Später, d. h. vom Ende des zehnten bis zum zwölften Jahr; 
hundert häufen?) fid die Fälle, daß Vornehme und Geringe, entiprechend der 
lothariſchen Vorſchrift, förmlich eines der vielen giltigen Geſetzbücher, das rös 
miſche, langobardiſche, ripuarliche, alemannifche, bairifche befennen. 

Es fonnte nicht fehlen, daß diefer Gebrauch die politiihe Zerflüftung 
Staliend beförderte, die Intereſſen der verſchiedenen Stände theilte, das ge 
meinfame Zufammenwirfen Vieler oder gar Aller hintertrieb. Einzelne Päbſte, 
patriotifch gefinnte Laien und Cleriker, die das Uebel durchſchauten, arbeiteten 
auf allgemeine Einführung des römifchen Rechts hin. Außer Lanfranf, deſſen 
Beftrebungen früher”) erwähnt worden find, muß die Großgräfin Mathilde 
von Ganofja genannt werden, die, wie ich unten zeigen werde, nachdrücklich 
für die Romana wirkte. Den Ausichlag gaben die Waffen der langobardiſchen 
Bürgerbeere : fie haben den endlichen Sieg des römiſchen Rechts erſtritten, 
das eines ihrer Schladhtrufe war. 

Die Geſchichte des Kirchenftaatd iſt von den Anfängen feiner Entftehung 
bie zu der von Lothar verfuchten Zertrümmerung vor unjerem Blicke vorüber: 
gegangen. Carl der Große hat fein dem Pabfte Hadrian I. gegebened Wort 
nicht gelöst, da er die Echenfung von 773 nur zum Fleinften Theile vollzog, 
und unverfenndar auf das Ziel losftrebte, die Selbfiftändigfeit des Stuhles 
Petri in dem Gebiete, wo der Pabft wirklih Herr war, zu untergraben. 
Doc ‚vermied er offene Anwendung von Gewalt und -mahrte den Schein. 
Trotz der höflichen, ja unterwürfigen Sprache, welche Hadrian I. im Briefs 
wechjel mit Earl führt, fieht man deutlich, daß Mißtrauen, entitanden aus 
Meinungsverfchiedenheit über irgend welche bochwichtige Angelegenheit, zwiſchen 
dem Pabſte und dem Franfenfönig herrſchte. 

Wer, unbeirrt von den rofigen Worten der fränkiſchen Chroniften, die 
eigentliche und nadte Geſchichte Carls erforfcht, fann nicht im Zweifel fein 
über den geheimen Grund diefes Zwieſpalts. Seit den 80er Jahren des 
achten Zahrhunderts arbeitete) der Franke auf Errichtung eines Kaiſerthums 
bin und erreichte doch das erjehnte Ziel nicht, feit den 90er Jahren ſprach 
und handelte er als Kaiſer und war es doch nicht. Warum? offenbar def 
bald, weil Derjenige, welcher allein jenen Wunſch zu verwirklihen vermochte, 
weil Pabſt Hadrian I. beharrlih die allerdings für das Wohl der Ehriften- 
beit bevenflihe Gabe verweigerte. Hadrian ftarb 795 und hatte Leo IH. 
zum Nachfolger. Abermal ftand e8 fünf Jahre an’ bis zu jenem Akte in der 
Peterskirche, da alles Bolf rief: „Heil unferem Kaiſer Carol,” während er jelbft 








1) Daf. ©. 240. 2) Daf. u. Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 333 unten fig. 3) 93. IL 
©. 272. 4) Sfrörer, Kirch. Geſch. II, 618 flg. 


GSiebtes Buch. Gap. 6. we: gegen päbftliche Selbſtaͤndigkeit. Geſetze Lothars v. 824. 127 


sabher ausiprengte, wider feinen Willen, ja ohne fein Borwifien habe ihm 
Babft Leo III. die Kaiferfrone aufgeſetzt. 

In Wahrheit ift diefe Krönung dem Pabſte nur durd eine Reihe halb 
biplomatifcher , halb militärischer Staatöftreihe abgepreßt worden.) Diefe 
Thatjachen weljen darauf hin, daß auch Leo III. gleih Hadrian I. längere 
Zeit Die Regel befolgte, verdedte Einflüfterungen des fränfiihen Herrichere 
nicht zu verftehen, offene Anträge nicht zu genehmigen. Meines Erachtens 
war es das eben bejchriebene Berfahren zweier Päbfte, was in der Seele 
des Pippiniven Mißſtimmung gegen Petri Stuhl erzeugt hat. 

Doc bewahrte der Vater, wie fchon bemerkt worden, den Schein, aber 
niht mehr der Eohn, Ludwig I., welchen Schmeichler den Frommen nannten. 
Diefer Schwädling, Sklave feiner zweiten Gemahlin, Zertrümmerer des vom 
Bater gegründeten Reichs, glaubte die Selbftftändigfeit der römischen Mutters 
firhe vernichten und durch Unterbrüdung des Pabſtes ftarfen Geift, Auf 
färung, Breiheit des Bid beurfunden zu müflen. Den Borgang Ludwigs 
überboten noch der Eohn Lothar und der Enfel Ludwig I. Als wären bie 
Pähfte ihre Todfeinde, bebrängten ſie diefelben, und das zu einer Zeit, da 
ihre wirflihe Gegnerin, die Vaſallenmacht, ihnen über dem Kopf zufammen- 
wuchs. Ich wiederhole eine früher gemachte Bemerfung : verzogene Erben, 
welhen Schmeichelei den Wahn unbejchränfter Herrfchergewalt einträufelte, 
find ſtets zum Kampfe gegen die Kirche aufgelegt. Unerträglich fcheint es ihnen, 
auf Grundjäge und Lehren zu ftoßen, die, obgleich ohne Waffen, ald welde 
nach der ſtillſchweigenden Borausfegung Jener das Maaß des Rechts find, 
Anerkennung fordern: „bin ich nit Herr über Stadt und Land, und doch 
erfühnt fih der und jener Priefter, einen andern Willen zu haben, als ich.“ 
Mit ausgezeichneten Fürſten dagegen, welde eine harte Jugend und bie 
Schule des Lebens für ihren Fünftigen Beruf geftählt hat, wie Heinrih II. 
von Deutichland, wie Wilhelm I., der Eroberer von England, wußte Petri 
Etuhl ſich gewöhnlich im Frieden zu verftändigen. 

Roc verdient ein wichtiger Punkt Erwägung. Zu Anfang ded neunten 
Jahrhundert wußte alle Welt, daß die Schenkung Carls von 773 eine Täufhung 
fi Und doch ging Carls Eohu, Ludwig der Sromme, noch weiter, ald jein 
Bater, indem er mittelft der Urkunde von 817 dem h. Stuhle eine Reihe 
Linder (Calabrien, Sicilien, Sardinien) zuſprach, welde er jelbft nicht bejaß, 
und auf welche, wie Viele behaupten, auch Petri Statthalter Fein Recht hatten. 
Hundertfünfundvierzig Jahre fpäter machte der Sachſe Otto J., und abermal nad 
8 Jahren machte Kaifer Heinrich II. der römischen Kirche Ähnliche Zuficheruhgen. 
Ver, wie der Berfaffer vorliegenden Werks, die Acchtheit der drei Schenkungs⸗ 
urfunden von 817, 962 und 1020 fefthält, wird und fann nicht in Abrede 


') Ibid. ©. 668 flg. 





128 Pabſt Gregorius VII. und fein Site 


ziehen, daß die drei ebengenannten Kaiſer nicht ohne Zuthun der Pähfte oder 
vielmehr auf deren auddrüdlicdes Verlangen bin die fragliden Schenkungen 
audgefertigt haben. Demnach fcheint auf drei Statthalter Petri (Paſchalis J., 
Johann XII., Benedikt VIII.) der Vorwurf zu fallen, daß fie troß der Ent 
täufhung, welche Habrian I. und Leo III. erleben mußten, fortfuhren, nad 
Wolken zu haſchen. Allein die Sache verhält fi anders. 

Es war ein bebenfliher Schritt, den Gregor H. that, als er, damals 
noch erzwungener Unterthan des byzantinifchen Throns, fih mit Carl Martel 
einzulafien begann. Ehe ein förmlicher Abſchluß zu Stande fam, entzog Bafi⸗ 
leus Leo der Saurier, aus Rache für die verfuchte Unterhandlung mit dem 
Franken, Petri Stuhle die reichen Befigungen in Calabrien, Illyrien, Sieilien 
und wahrjcheinlih auch in Earbinien. Diefe That brachte keineswegs die 
Wirkung hervor, welche der byzantiniſche Hof erwarten mochte, fie fchredte 
Gregors II. Nachfolger nicht ab, diefelben einigten ſich wirklidh mit den Franken. 
Ueber die Verhandlungen felbft aber, welche in diefer Sache gepflogen worben 
find, befigen wir feine Nachrichten, fondern wir fennen blos etlihe Haupt 
ergebniffe. Bezüglich der Einzelnheiten ift man daher auf Schlüffe befchränft. 

Die Geſchichte vieler Staatöverträge beweist, daß Mächte, die fi in 
einer Ähnlichen Lage befinden, wie jene Päbfte, welche zwiſchen 731 — 780 
Petri Stuhl einnahmen, bei Abſchluß gefährlicher Bündniſſe vorfichtig vers 
fahren, d. h. daß fie von ihren Verbündeten entweder anderweitigen Erfah 
für die Berlufte, welde wegen bed neuen Verhältniſſes drohen, oder, falls 
diefer anderweitige Erjag nicht geleiftet würde, Gewähr der Wiedereinfegung 
in den früheren Befisftand ausbedingen. Eoliten Petri Statthalter diefe alls 
tägliche Vorſicht nicht beobachtet haben? Gewiß unterliegen fie dieſelbe nicht. 
Hören wir nachweisbare Thatſachen. 

Das Pabſtbuch meldet:) „als Pabſt Stephan III. die Reife nad Francien 
gemacht hatte, erklaͤrte der Carlinger Pippin feine Bereitwilligkeit, den früheren 
Uebereinkünften gemäß?) dad Erarchat Ravenna zu erobern und an Petri 
Stuhl zu übergeben.” Das Erarhat war bis vor Kurzem byzantiniſch ges 
weien, und ohne Zweifel forderte e8 der Pabft ald Erſatz für die neulich durch 
den griehifchen Hof entriffenen Befitungen, obgleich das Exarchat für fi 
allein den erlittenen Echaven bei Weitem nicht dedte. Pippin hielt, fo weht 
er vermochte, Wort, Carl Pippin’d Cohn aber vollendete das Werk des 
Vaters. Nachdem er das Langobardenreih aufgelöst hatte, ftellte er jene 
Schenfungsurfunde aus, laut welcher er dem römiſchen Stuhle die Infel Cor 
fifa, auf dem itafifhen Feſtlande die Linie von Luna bis an die Etſch, dan 
Benetien, Iſtrien, den Erarhat und im Süden die langobardiſchen Herzogs 
thümer Spoleto und Benevent zufprad. | 


-— 


') Wuratorj, script. II, a. 188, d. ) Ibid. 167, a. unten. 


Eiebtes Buch. Cap. 6. dt: gegen paͤbſtliche Eelbftändigfeit. Geſetze Lolhare v.824. 129 


Auf welche Rechtstitel geftüßt, werden nun die Pähfte von dem Franken 
Abtretung diefer Gebiete begehrt haben? ſicherlich als Entichädigung für die 
theild von den Byzantinern, theild von den langobartifchen Königen oder 
Herzogen entrifjenen altrömiſchen Befigungen in Mittelitalien, Calabrien, 
Illyfien, ſowie auf Sardinien und Eicilien. Obgleib Carl ver Große bald 
genug durch die That zeigte, daß er nicht gefonnen fei, den Vertrag von 773 
pünktlich zu halten, konnten die Päbſte, deren Pontififat in feine fpätere 
Zeiten fällt — Hadrian I. und Leo III. — doc noch immer einige Hoffnung 
begen, daß günftige Umftände ihn zu gewifienhafter Löſung feines Worte bes 
fimmen dürften. Und fiehe, jo lange diefe Hoffnung möglih war, griffen die 
Pähfte nicht auf jene zweite Grundlage der feit 731 mit den Garlingern ans 
gefnüpften Unterhandlungen, nämlich auf vie Wiedereinfegung in den früheren 
Dchipftand, zurüd. Weder in den Echreiben, welche Hadrian, noch in denen, 
welhe Leo III. mit Carl dem Großen wechſelte, ift irgend von @alabrien, 
Sardinien, Eicilien die Rede. 

Eine Aenderung trat ein nad dem Jahre 814. Wie ich früher gezeigt 
babe, gelang es Pafchalis T., den Nachfolger des Großen Earl zu Erneuerung 
er alten Verträge zu bewegen. Mittelſt der Urkunde von 817 erklärte Lud— 
wig der Fromme vorneweg, daß er bezüglich Spoleto's und der Linie von Luna 
das von feinem Bater eingehaltene Verfahren beobachten, d. h. an die römische 
Kirche ftatt Land und Leuten nur gewiſſe Renten abliefern werde, Dagegen 
verbieß er dem Etuhle Petri Eicilien, Sardinien, Calabrien — mit andern 
Worten: er übernahm die DObliegenheit, den alten päbitliben Befiß vor 730 
herzuſtellen. Abermal kann fein Zweifel fein, daß der fränkische Kaifer auf 
Andringen des Pabſtes dieſe Anerbietungen gemacht hat. Der Pabſt aber 
mußte fo handeln, wie er gehandelt hat. Jedes Kirhenhaupt, jeder Biſchof 
iR vermöge feines Prieſtereids verpflichtet, Fein rechtliche Mittel unverfucht zu 
laffen, damit Eigenthum und Nubungen feiner Kirche ungefhmälert erhalten 
oder im Falle eined DBerluftes wieder beigebracht werden. Nachdem daher 
Ludwig der Fromme den pünftlihen Vollzug der Urkunde von 773 abgewiefen 
hatte, blieb dem erſten Pafchalid nichts übrig, ald vermöge jener zweiten 
Grundlage Wiedereinſetzung in Calabrien, Eicilien, Eardinien, Provinzen, 
welche von den Zeiten Gregors I. bis über den Beginn des achten Jahrs 
hunderts hinaus im Befige des h. Stuhls geweſen waren, zu begehren. 

Andertbalb und zwei Jahrhunderte nah Paſchalis I. ſchloſſen der Sachſe 
Dtto I. und dann Heinrich IT., beide als Rechtsnachfolger Eurld des Großen 
und Ludwigs des Frommen, mit den Päbften ihrer Zeit ähnliche Verträge, 
wie der von 817. Da die Verhältniffe fich weſentlich nicht geändert hatten, 
deutlich geſprochen, da der durch die Schenkung von 773 verheißene anders 
weitige Erjag nicht geleiftet war, verlangten Johann XII. und Benedikt VIIL 
abermal Wiederherftellung des früheren Beſitzes, oder was daſſelbe, Gala- 

@frörer, Go Vregerius vl. Br. v. 9 


130. Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitaligg. 


brien, Sardinien, Sicilien. Man flieht nun, die Borausfegung einer doppel⸗ 
ten Orundlage der feit 731 zwiſchen der römifchen Curie und dem fränfijchen 
Hofe gepflogenen Unterhandlungen erflärt Alles. Eben diefe Vorausfegung aber 
kann aus anderweitigen ftarfen Gründen nicht zurüdgewielen werben. 

Die Urkunden von 962 und 1020 find fo wenig vollzogen worden, ale 
die von 773 und von 817. Gleihwohl wäre ed ein Irrthum zu wähnen, 
daß, nachdem die Erfolglofigfeit offenbar geworben, bie betreffenden Päbſte 
einen Fehler begiengen, indem fie abermal Bergebliches erfirebten. Sie bes 
ftanden einfadh auf ihrem guten Rechte, und nit ohne Bug: die römijde 
Kirche hat einen langen Athem, fie ftirbt nicht, fle kann daher zuwarten, bie 
ihre Zeiten kommen. Früher oder fpäter — aber einmal gewiß — breden 
diefe Tage an. 


Ziebtes Capitel. 


Weitere Schickſale des Kirchenſtaats in ben Jahren 827 bis 891. Paäbſte Balentin, ber 
nach wenigen Tagen flirbt, Gregor IV. (827— 844), unter dem bie Einheit des Franken⸗ 
reichs fich aufldst, Sergius II. (844—847), Leo IV. (Erbauer der Leoftabt) (847 —855), 
Benedikt III. (855— 858), Nikolaus I. der neue Elias (858—867), Hadrian IL 
(867—872), Johann VIII. (872—882), Marinus I. (882—884), Habrian II. 
(884— 885), Stephan VI. (885—891). Weltliche Herren auf der apenninifchen Halb» 
infel._ In dem Maße, wie die Macht der Garlinger, denen bei Auflöfung bes fraͤnkiſchen 
Weltreichs Italien zufiel, durch Erbtheilungen zufammenfhwindet, wächst der Drud, 
den fie auf den Kirchenftaat üben; denn da fie, obgleich ſchwach geworben, den kaiſer⸗ 
lichen Titel fortführen, koͤnnen fie bie Gewalt, zu weldyer fie ſich durch den leeren 
Namen berechtigt glauben, nur auf Koften geiftliden Guts behaupten. Tyrannei bes 
carlingifhen Kaifere Ludwig IL. Nachdem er 875 ohne männliche Erben geftorben, 
wendet Pabſt Johann VIII. die Krone Carls des Großen dem Neuftrier Carl dem 
Kahlen zu, der durch das gefährliche Geſchenk zu Grunde gerichtet wird. Nunmehr 
bemächtigen ſich bie deutfchen Garlinger, Söhne Ludwigs des Deutichen, mit Gewalt 
bes italienifchen Kaiſerthums. Der Schlimmfle unter ihnen, Carl der Dide, welder 
Petri Statthalter gröber als irgend ein früherer Herrfcher mißhanbelt und auf kurze 
Zeit die inheit der Monarchie Carls des Großen herftellt. Schergendienfte , melde 
ihm bie Herzoge von Spoleto leiften. Earl der Die durch die deutſchen Stände ge: 
flürzt. Großartiger Entwurf, die Hauptreiche des Abendlandes unter eine Reihe von 
Nationalkönigen zu theilen. Neben Arnulf, der zum Nachfolger Carls des Diden in 
Deutichland erhoben worden, follen ber Spoletiner Herzog Wido die Krone Neufter, ber 
Sriauler Bernharb die Krone Lombarbien erhalten. Wido verzichtet dem Plane gemäß 
auf die mittelitalienifchen Städte, welche er der römifchen Kirche geraubt hatte, und geht 
nach Branfreih. Treulofigkeit Arnulſs, des deutſchen Könige. Da Wido in Neuftrien 
nicht burchzubringen vermag, fehrt er in die Heimath zurüd, befiegt Berngar von Friaul. 
SItalienifches Kaiſerthum Wido's und feines Sohnes Lambert. Das Uebel ärger als je. 


Einhard erzählt: ) „im Auguft 827 farb Pabft Eugentus, worauf bie 
Römer den Diakon Valentin zum Nachfolger wählten und fofort einfeßten; 


1) Berg I, 216. 


Siebtes. Buch. Say. 7. Geichichte des Kirchenflaats von 827—891. 131 


aber der Eingejegte lebte Faum einen Monat. Nachdem auch er geftorben war, 
wurde Gregorius zum Pahfte erforen, jedoch nicht eher eingelegt, bis ein kai⸗ 
jerliber Bevollmädtigter fi) zu Rom eingefunden, die Wahl geprüft (und 
gutgeheißen) hatte.“ Daſſelbe berichtet‘) der Lebensbeſchreiber Ludwigs des 
Frommen, welcher jedod ausdrüdlih beifügt, daß der Kaifer die Erwählung 
Bregorius IV. beftätigte. Durch das Lothar'ſche Geſetz war drei Jahre früher 
angeordnet worden, jeder neue Pabft müffe, che er Petri Etuhl befteige, dem 
Kaijer einen Huldigungseid ablegen. Auf diefen Eid, ald eine Sache die ſich 
von felbft verftand, nimmt weder Chronift Einhard noch der Biograph Bezug, 
und nicht der mindefte Grund ift vorhanden, zu bezweifeln, daß Valentin oder 
Öregor IV. denjelben abgelegt hätten. Sicherlich haben Beide geſchworen. 

Verſchieden von dem Eide dagegen war daß faiferlihe Beftätigungsredht 
nah erfolgter Pabftwahl. Aus der Darftelung Einhards und des Biographen 
erhellt, daß daffelbe auf Valentin nit, wohl aber auf Gregors IV. Wahl 
angewendet worden if. Warum der Unterfhied ? Die Urfunde Ludwigs I. 
vom Jahre 817 fchrieb vor, daß auf die Wahl nur dann unmittelbar die 
Einjegung folgen dürfe, wenn erftere einftimmig geweſen fe. Man muß alſo 
vorausjegen, daß Valentin von allen Römern erforen ward, denn fonft hätte 
der Hof auf fein Recht der Beflätigung gewiß nicht verzichtet. Nun gab es 
in Rom, damald wie früher und fpäter, zwei weit auseinander ftrebende Par⸗ 
theien, die clerifale und die adelige. Dieſe beiden hatten fih alfo über bie 
Perfon Balentind vereinigt. Wiederholte Erfahrungen aber zeigen, daß jolche® 
nur ausnahmsweiſe und als Audfunftmittel eines unüberjehbaren Streits ges 
hab, und daß dann die Wahl ſtets auf Männer fiel, von denen feine von 
beiden PBartheien etwas fürdtete oder erwartete. Ich denke, Valentin ift ein 
alter Herr und von folder Gemüthsart gewejen, die Niemanden Hoffnungen 
oder Beſorgniſſe einflößte. Dieje Annahme wird durch den fchnellen Tod des 
Reugewählten beftätigt: Valentin fcheint auf Petri Stuhl eingeihlummert zu 
jein. Anders verhielt es fi mit feinem Nachfolger Gregor IV. Der Hof 
und feine Parthei traute demfelben nur halb, darım ließ man ihn durd bie 
Hechel des Beftätigungsdrechted laufen. 

Unter Gregors IV. 17jährigem Pontifitate brach der fränfiiche Bürgers 
frieg aus, ging die Zertrümmerung des carolingifhen Weltreih& vor fi. 
Gregor IV. hielt bei diefem Sturme die Richtung ein, welde ihm Rüdficht 
auf dad Wohl des h. Stuhles vorſchrieb. Wenn dad Reich getheilt, wenn 
folglih Lothar nah dem wohl befannten Plane der jüngeren Söhne 
Ludwigs des Frommen auf Italien und ein Stüd über den Alpen beſchränkt 
ward, fonnte man mit Sicherheit voraudjehen, daß der Theillönig — denn 
obgleich ber Kaiferliche Name fortbeftand, hörte Lothar durch die Thellung auf, 


*) Berb II, 631 oben. 


132 Pabſt Gregorius VII. und fein geital 


wahrer Kaiſer zu fein — noch eiferfüchtiger als ſonſt auf den Kirchenſtaat 
drüden — herabgefommene Herren find die fchlimmften Gebieter — und über 
dieß Verfuche machen werde, Petri Etatthalter zu Ausführung politifcher gegen 
feine Brüder gerichteter Plane zu mißbrauden. Gregor IV. reiöte in eigener 
Perſon über die Alpen, griff in den’ Bruderkampf ein und that, was in feinen 
Kräften ftand, um die Einheit zu retten,‘) aber vergeblih: die Schlacht von 
Fontanet und ihre Frucht, der Staatövertrag von Verdun, entſchied wider 
Lothar. Gregor IV. ftarb?) im erften Jahre nach Auflöfung des Reihe — 
Sanuar 844. 

Der Hoffnung fi Hingebend, daß Lothar, durch feine Brüder in bie 
Enge getrieben, Mittelitalien nicht wie fonft beauffihtigen könne, verfuchten 
es jegt die Römer, das Joch der carolingiſchen Geſetze von 817 und 824 
abzufchütteln, wählten den Archipresbyter Sergius zum Nachfolger und ſetzten 
ihn fofort ein, ohne die kaiſerliche Beftätigung abzuwarten. Alsbald erfchien 
Lothars Erftgeborner Ludwig IL mit Heeresmacht vor Rom, verwäüftete die 
Umgegend und fchrieb?) dem Pabfte folgende Bedingungen des Friedens vor: 
1) die Römer geloben, nie mehr ohne Beftätigung des Kaiſers einen Pabſt 
einzujegen; 2) Sergius krönt den Erftgebornen Lothars zum Könige Lombar⸗ 
diens; 3) die Stadt Rom und der Pabft leiftet dem jungen Könige den Eid . 
ber Treue; 4) Sergius ertheilt dem Begleiter des Könige, Bilchofe Droge 
von Mep, einem unächten Earlinger, gewifje geiftliche Vollmachten, die darauf 
berechnet waren, den Vertrag von Verdun umzuftoßen und. zu Qunften Lothars 
die Reichdeinheit wieder herzuftellen. 

Nothgedrungen bewilligte Sergius die zwei erften Punkte fammt dem 
vierten, aber dem dritten ſetzte er unüberwindliche Entfchloffenheit entgegen, und 
dad mit Recht. Nach der biäherigen Uebung hatten nur Kaifer den Hub 
digungseid von Päbften gefordert, und fonnten ihn fordern; Kaiſer aber if, 
wer über ein Weltreich gebietet. Ludwig II, Lothars Sohn, dagegen war, 
obgleich er fpäter den faiferlihen Namen fich beilegte, nichts weiter als ein 
König und zwar ein Eleiner, denn die überalpifchen Länder, welche fein Bater 
noch beſaß, mußte er voraugfihtlih an die jüngeren Söhne Lothars abtreten 
und hat fie wirklich abgetreten. Nichts blieb ihm daher als Italien und aud 
biefed faum zur Hälfte Denn über die Sühfpige herrichte Byzanz, im Hers 
zogthum Benevent griffen die Saracenen um fi, andere Streden waren in 
den Händen übermächtiger Vaſallen. Durch den geforderten Eid hätte fidh 
daher Petri Stuhl zu ewiger Knechtfchaft unter die Gewalt eines herabges 
fommenen Bürftenhaufes ernievrigt, das felbft kaum feine zahlreichen Gegner 
abzuwehren vermochte. Die Zeftigfeit des Pabftes flegte. Nur dazu verſtand 


3) Sfrörer, Kirch. Geſch. III, 765 fig. 2) Daf. ©. 962. 


— — — 


Siebtes Bud. Gap. 7. Geſchichte des Kirchenſtaats von 827-891. 133 


ih Eergius, den Eid an Lothar zu erneuern. Für die Zukunft, d. h. für die 
Zeit nad) Lothars Tode, wollte er freie Hand haben.) 

Ueberwunden durch die Standhaftigfeit des Pabfted Sergius, gab Ludwig Il. 
im dritten Punkte nad, der Plan bezüglih Drogo's kam nicht zur Ausführung, 
weil die andern Carolinger den zugedachten Hieb ablenften. Dagegen ging 
unter dem SBontififate des Sergius im Eden eine Dracenfaat auf, welde 
gleichfalls Lothar I. und fein Vater ausgeftrent hatten. In Folge der bereits 
eingeleiteten Zertrümmerung des Herzogthums Benevent geihah es, daß bie 
apulifhen Saracenen wie ein verheerender Strom ſich über Mittelitalien ers 
goſſen. Im Sommer 846 jchifften”) fie mit einer ftarfen Flotte die Tiber 
hinauf, plünderten die Petersfirche, die Damals noch außerhalb der Stadtmauern 
fand, und fchleppten jogar den Altar über dem Grabmale der Apoftel fort. 
Mitten unter diefen Greueln, im Jahre 847, farb’) Sergius II. nad dreis 
jähriger Berwaltung. 

Die Römer wählten jofort den Diafon Leo IV. zum Nachfolger, wars 
teten jedoch volle drei Monate mit der Einjegung, bis die kaiſerliche Beftä- 
tigung eintreffe. Als diefe nicht Fam, erfolgte zwar die Weihe, aber fo, daß 
das kaiſerliche Beftätigungdrecht ausprüdlich vorbehalten ward. Die Anfälle 
der Saracenen brachten wenigftend etwas Gutes. Dem Kaifer Lothar zu Trotz 
erhielt Petri Stuhl durch die Macht der Umftände das durch die Geſetze von 
824 verlorne Kriegörecht wieder. Schon Sergius hatte zur Vertheidigung Rome 
Echaaren von Friefen und Sachſen in feinen Sold genommen. Die Verwaltung 
Leo's IV. war vorzugsweiſe eine kriegeriſche. Er erbaute als Bollwerk für 
den Batifan und die Peteröfirche die Leoftadt, umgab fie mit Mauern, bes 
feftigte Porto (Oſtia) und viele andere Orte. Derfelbe Pabft bradte ein 
Schutz⸗ und Trugbündniß mehrerer fühitalienifchen Seeftädte mit Petri Stuhle 
in Stande. Die Bürgerfchaften von Amalfi, Neapel, Gueta ließen ihre Schiffe 
zu den päbftlichen ftoßen und im Sommer 849 erftritten die vereinigten Flotten 
auf der Höhe von Dftia einen namhaften Sieg über die Saracenen.) Wie 
unter folchen Verhältniffen nicht anders erwartet werben fonnte, kommt in 
Leo's IV. Tagen auch wieder ein päbftlicher magister militum zum Borfcdein. *) 

Aber troß diefer glüdlichen Erfolge faßen Lothar und deſſen Sohn Ludwig IL. 
bart auf dem Raden des Pabſtes. Chronift Prudentius meldet: „Leo IV. 
nahm im Frühling 850 Lothars Sohn Ludwig II. ehrenvoll auf und falbte 
ihn zum — Kaifer.“ Daß der Babft dieß nur gezwungen gethan haben Fann, 
erhellt auß Dem, was ich oben ſagte. Wie wäre ed auch möglih, daß ein 
Pabſt von den Eigenſchaften Leo's IV. die Folgen der Fatferlihen Herrſchaft 
eines ſolchen Fleinen Fürften nicht vorherfah. Hören wir, was der namens 


*) Tid. ©. 963 fü. ) Daf. ©. 965. 5 Ibid. ©. 966. *) Ibid. ©. 907. 
%) Jaffö rogest. Pontific. ©. 235. ad annum 855. °) Ad a. 850. Perg I, 445 oben. 


134 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


loſe, aber gut unterrichtete Verfaſſer des Büchleins über die Gewalt der Kaifer 
bezüglich der Verhältniffe zwifchen Kaifer Ludwig IL und Petri Stuhle bes 
richtet:) „da Ludwig (nicht wie die älteren Kaifer, die jenfeit der Alpen 
tbronten) in Italien feinen Wohnſitz aufſchlug, warb er ein gar naher 
Nachbar Roms;?) auch übte er in dieſer Stadt größere Gewalt als feine Vor⸗ 
gänger. Denn er hatte ftets einen Rath geftrenger”) Römer um ſich, welche 
die alten Befugniſſe der Kaifer fannten, und ihrem Herrn einflüfterten, alle 
Mechte, die ihm zuftünden, geltend zu machen. Und wahrlid, Ludwig würde 
diefen Rath befolgt haben, hätte ihn nicht Ehrfurdt vor den feligen Apofteln 
zurückgehalten.“ Getroffen! er ift ed. Wie lebendig wirb hier das Gebaren 
der römifchen Vaſallen geſchildert. Zugleich fieht man jest, warum der Spo- 
letiner Wido die 50,000 Goldſtücke, welche ver betrogene Sigenolf zahlen 


mußte, nad Rom trug.) Denn die Etadt war der gewöhnliche Aufenthalt 


des Kaiſers Ludwig II. und feines fürtrefflihen Reichsraths. 


Wenn Ludwig nicht fo weit in Thaten der Gewalt voranſchritt, al bie : 
„Geſtrengen“) riethen, fo hat jedenfalls Pabft Leo IV. einen Theil des 


Ruhms diefer erzwungenen Unterlafjung anzuſprechen. Den muthigften Wider 
ftand ſetzte er heimlichen und offenen Gelüften des Carlingers entgegen. Leo 


war ed, der, wie oben gezeigt worden, das Anjehen der Romana, obwohl : 
vergeblich, wieder herzuftellen ftrebte.) Durch, Leo IV. fam ferner eine Bers | 
änderung im römifchen Ganzleiftyle auf, welche tiefe Abfichten verräth. Yrübere 
Väbfte hatten, wenn fie an Kaiſer oder an andere mächtige Bürften fchrieben, . 


in den betreffenden Briefen gewöhnlih den Namen der Empfänger vorangeftell 
und den ihrigen folgen laſſen. Leo IV. fchaffte”) den biöherigen Gebraud 


ab: in allen Schreiben, die er ausfertigte, fteht der Namen des Pabftes voran, : 


au gibt er den Fürften, an die er fchreibt, nicht mehr den fonft üblichen 


Titel Dominus. Leo's Nachfolger haben diefe Aenderung beibehalten, durch 
die er ambdeutete, daß er Petri Statthalterfchaft als die höchfte Würbe der | 


Welt betrachte, und nicht mehr geſonnen fei, irgend einen Oberherrn an 
juerfennen. " 
Zulegt müſſen die „geftrengen” Rathgeber Ludwigs über dem Plane ge 
brütet haben, Leo IV. zu ermorden. . Das Bruchſtück eines Schreibens?) iſt 
auf und gefommen, worin er Ludwig II. beihwört, zwei Männer, Petrus 
und Adrian, nit nah Rom zu ſchicken, denn wenn fie fämen, ſei es um 
fein Leben geſchehen.“ Mas blieb dem Pabſte unter ſolchen Umftänden Anderes 
übrig, ald bei dem natürlichen Feinde der weftrömifchen Kaiſer, beim Hofe 


9) Berg IL, 721. !) Vioinior factus est Romae. 2) Habens strenuos viros 
ojus urbis — die Adeligen Lothard vom Jahre 824 find gemeint. 4) Oben ©. 76. 
%) Das Wort strenuus ward feit dem 9. Jahrhundert vorzugsweife zu Bezeichnung gräflidher 
Amtsführung gebraucht. Gfroͤrer, Garolinger II, 493, Note 2. *) Siehe oben ©. 124 flg. 
Y) frörer, Kirch. Geſch. III, 974. °*) Jaffé Nr. 1974. 


Eiebie Bud. Gap. 7. Geſchichte des Kirchenftaats von 827—891. 135 


von Gonftantinopel, Hülfe zu ſuchen! Dieß ift geichehen.‘) Leo IV. unters 
handelte mit den Griechen heimlich wegen eines Bündniffes, doch ohne ficht- 
lihen Erfolg. Der Verfaſſer des Pabftbuches erzählt:') „auf die Nachricht, 
bag zu Rom eine Verfhwörung mit den Griechen im Werfe fei, eilte Kaiſer 
Ludwig IL wie ein Wüthender nad Rom, aber nichts konnte beiviefen werden, 
weßhalb Ludwig wieder im Frieden abzog.“ Kurz darauf, im Juli 855, 
farb!) Pabſt Leo IV. 

Alsbald entftand Partheiung. Der Clerus und die Firchlih Gefinnten 
wählten den Römer Benebift, der Adel oder vie Faiferlihen Vaſallen warfen 
ein Gefhöpf Ludwigs II., Anaftaflus, zum Gegenpabfte auf, der mit Hülfe 
fränfijcher Waffen die Stadt in feine Gewalt brachte, Benedikt gefangen nahm 
und mit Schlägen mißhandelte. Dennoch fonnte fi der Eingedrungene nicht 
halten. Das Volk blieb Benedikt treu, und bewirkte durch feinen Widerftand, 
daß der faiferlihe Sendbote den Gegenpabft aufopfern, Benepift III. anerkennen 
mußte. Ausdrücklich wird gelagt, die Anhänger ded Geftürzten feien zu Bes 
nebift übergegangen, weiter wird angedeutet, der neue Pabft habe die Unters 
bandlungen feines Vorgängers mit dem griechiſchen Hofe fortgeſetzt, und Ges 
Ihenfe von dort her empfangen. Vermuthlich find dieſe Gefchenfe es gewefen, 
welhe Benedikt in Stand jegten, die Partheigänger feines Gegners zum Uebers 
tritt gu bewegen. Im Uebrigen fleht man, daß die Macht des italienifchen 
Garolingers Ludwig II. rafh abnahm.?) Benedikt ftarb’) im April 858. 

Run beftieg der größte Pabft des neunten Jahrhunderts, Nifolaus 1., 
Petri Stuhl. Trotz dem Verfalle der weltlichen Befigungen des Apoftelfürften, 
den Nikolaus nicht aufzuhalten vermochte, übte derjelbe ein geiftliches Anjehen, 
wie, mit Ausnahme Gregors I., fein Pabft vor ihm. in jüngerer Zeitges 
nofje, Abt Regino von Prüm, fchreibt:*) „jeit den Tagen des erften Bregorius 
ſaß fein Hohenpriefter auf Petri Stuhle, der mit Nifolaus verglichen zu werben 
verdient. Könige und Tyrannen hat er bezähmt, und wie ein oberfter Ger 
bieter beherricht, frommen Prieftern war er ein Vater, gewifjenlofen fchredlic, 
jo daß man mit Recht fagen fann: ein Elias jeiin ihm erftanden.”“ 

Furcht vor der öffentlihen Meinung, die entichievden auf Seiten des 
Pabſtes ftand, nmöthigte den Kaiſer, die Abneigung, weldhe er gegen Nifolaus 
begte, zu verbergen. Eben dieſelbe hatte gleich nad Erhebung des Pabſts zur 
Folge, daß der Barlinger die Maske der Liche, der Bewunderung für Rikolaus 
vornahm. Wenige Tage ehe Benevift III. ftarb, war Ludwig aus Rom ab⸗ 
gereidt. Auf die Nachricht von feinem Tode eilte er dahin zurüd, fand aber 
Nikolaus L bereits gewählt. Sofort geihah etwas, was bisher noch nie 
gejchehen: Nikolaus wurde in Beiſein des Kaiſers gekrönt. Diefer At, 


% Gfeörer, Kirch. Befch. II, 974 fig. *) Ibid. ©. 979 fi. 5 Jaffé ©. 236. 
%) Berg 1, 579. - 


136 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


welcher von Nun an im Brauche blieb, war eine Vervollſtaͤndigung Deflen, was 
Leo IV. durch den veränderten Canzleiftyl angedeutet hatte: die Krönung follte 
der Welt zeigen, daß Petri Etatthalter au in Außerem Range Königen und 
Kaifern gleihitchen. Zwiſchen Nifolaus und Ludwig müffen bei diefem Aulaſſe 
geheime Verhandlungen ftattgefunden haben, deren Ergebniffe wir nicht Fennen. 
Unter lauten Berfiherungen der Freundſchaft fchied damals der Kaifer von 
Ritolaus. ') 

Da Ludwig II. die geijtlihe Macht des Pabftes nicht anzutaften wagte, 
rächte er fih durd Angriffe auf Das Eigentbum der römiſchen Kirche. Die 
Erzbiihöfe von Ravenna waren chedem, wie wir wiffen, Nebenbubler ver Päbfte 
geweſen, bis die Schenfungen Pippins und Carls das Erardat fammt dem bors 
tigen Erzftuhle der weltherrliden Hoheit des Apoftelfürften unterwarfen. Plötz⸗ 
(ih empörte fi der pamalige Erzbichof Johann von Ravenna gegen Rifolaus I., 
ward aber von diefem zu Paaren getrieben, obgleich ihn Ludwig mit Soldaten 
und Geld unterftügte.) Unverfennbar ift, daß der Kaiſer die alte Eiferjudt 
wieder angefacht Hatte, um dem Pabſte einen zugleich geiftlihen und weltlichen 
MWiderfacher auf den Naden zu laden. Aber Ludwig war nit im Stande 
geweſen, den Ehügling gegen die geiftige Ucberlegenheit des Römers zu halten. 
Spätere italienijhe Kuijer ahmten, wie wir fehen werden, dad von dem Caro⸗ 
linger gegebene Beifpiel bezüglih Ravenna’d, nad. Ueberdieß führte Ludwig 
felbft nody andere ähnliche Etreihe gegen den Kirchenftaat, und zwar Streiche, 
welche trafen. 

Der Berfajfer ded Büchleins von der Gewalt der Kaljer über die Stadt 
Rom möge wieder reden. Nah den früher angeführten Sägen fährt”) ders 
ſelbe fort: „zur Strafe dafür, daß Pabft Nikolaus, voll Neid über das 
unbedingte Vertrauen, welded Erzbiihof Johann von Ravenna am Failer- 
lien Hofe genoß, denjelben abjegen wollte, verringerte Zudwig IL. den römiſchen 
Befig, vertheilte Die pübftlichen Lehen in der Pentapolis unter feine @etreue, 
verbot der ganzen Provinz, mit Ausnahme der Schiffe, welde fie dem Stuhle 
Petri liefern mußte, irgendwelde Eteuern an die apoftoliihe Kammer zu 
entrichten. Auch in Campanien entzog er dem Pabfte mehrere Güter, welde 
gleichfalls an Eaiferlihe Oetreue vergeben wurden. Ueberhaupt floß Letzteren 
großer Gewinn aus dem Etreite zwiſchen Kaifer und Pabſt zu.” Der Ans 
fang zur Zertrümmerung des Klirhenftaatd war gemadt. Nikolaus I. ftarb*) 
den 13. Nov. 867. 

Alle Segel jpannte die kaiſerliche Regierung auf, um einen ihr genehmen 
Nachfolger zu erzeugen. Von Ludwig II. beordert, brady der Epoletiner Herzog 
Lambert I. mit Heeresmacht in Rom ein und Ängftigte die Bürgerfchaft. 


1) Die Belege bei Sfrörer, Garolinger I, 294 flg. 3) Ibid. ©. 295 fig. 3) Berg 
us, 721, Mitte. %) Zuffe, reg. Pontif. ©, 254. 


Siebtes Bud. Cap. 7. Geſchichte des Kirchenſtaats von 827-891. 137 


Während der Anweſenheit dieſes Zuchtmeifters ging die Wahl vor fi und 
fiel auf einen Bewerber, Hadrian IL, welchen allerdings Kaifer Ludwig Damals 
triftige Gründe Hatte, als feinen Partheigänger zu betrachten. Der Verfaſſer 
jened Büchleins erzählt :') Ludwig II. babe nad den oben erwähnten Ges 
waltftreihen wider den Befig der Kirche gemäß dem Rathe der „römiſchen 
Fürften® in der Stadt Rom zu Beauffihtigung des Pabſts Nikolaus eine 
befondere Behörde eingejeßt, an deren Spitze der Biſchof Arfenius, ehemals 
Legat des römiſchen Stuhls,?) geftellt worden ſei. 

Nun eben diefer Arjenius jpielte anfangs unter dem durd das Schwert 
des Spoletinerd erhobenen Nachfolger die erſte Rolle. Bibliothekar Anaſta⸗ 
fius fchrieb *) gegen Ende des Jahrs 867 an den Erzbiihof Ado von 
Bienne: „unfer neuer Pabft Hadrian ift zwar ein rechtichaffener Hirte, aber 
leider folgt er den Einflüfterungen des Biſchofs Arfenius, der, weil er von 
Kifolaus beleidigt worden, zum Kaiſer hält.“ 

Nikolaus I. hatte zum Schreden des Kaiferd Ludwig IL. Maßregeln 
wider die eingerifjiene Priefterehe ergriffen, welches Juftitut befanntlih ein faſt 
unfehlbare® Mittel ift, den Zufammenhang des Elerus zu zerreißen, die Kirche 
von der weltlihen Gewalt abhängig zu mahen. Der neue Pabſt Hadrian 
dagegen war ehebem verheirathet gewefen, ja, ald er Betri Stuhl beftieg, lebte 
nit bloß eine Tochter aus feiner Ehe, ſondern auch die Gemahlin jelber. 
Von einem ſolchen Haupte brauchte man, fo ſchien es, feine Angriffe auf bie 
Briefterehe zu befürchten. Man fiebt daher, daß Kalfer Ludwig und feine 
„Geſtrengen“ wußten, warum fie gerade Hadrian und feinen Andern auf Petri 
Stuhl erhoben. 

Andererſeits arbeiteten Freunde der Kirche den Abfichten des Carlingers 
entgegen. Das Pabſibuch meldet:*) „ein Gerücht hatte ſich verbreitet, daß 
Hadrian IL mit dem Plane umgehe, die Verfügungen feines Vorgängers 
Kifolaus umzuftoßen. Deßhalb liefen faft aus allen Bisthümern des Abends 
lande® Briefe ein, welche den neuen Pabſt beſchworen, der wahren Lehre treu 
in bleiben.” Die Stimme der Ehriftenheit vermochte mehr über Hadrian IL, 
ald Angft vor dem Zorne Ludwigs IL Nach einigen Schwanfungen lenkte er 
in die Bahn feine® Vorgängers ein, vermied ‚zwar fühne Schritte, bat aber 

. Im Ganzen bis zu feinem Tode, der gegen Ausgang des Jahres 872 eins 
Jmat,?) loöblich regiert. 

Zu Hadrians Nachfolger ward Johann VIII. gewählt und den 14. Des 
jember 872 eingefegt.) Die überaus vürftigen Quellen ſchweigen darüber, ob 
die Römer vor der Einfegung die Genehmigung des Kaijers eingeholt hätten 


‘) Berg II, 721, Mitte. *) Wirklich war er 865 unter Nikolaus päbftlicher Ges 
fendter in Ballien and Deutfchland geweſen. Bfrörer, Kirch. Geſch. ILL, 996 flg. *) Daf. 
N &. 1045. %) Def. ©. 1046 fig. s, JZaffé ©. 260. e) Gfrörer, Kir. Geſch. 


Im ana 


138 Pabſt Gregorius VOL. und fein Zeitalter. 


oder nicht. Bei dem Mangel an Zeugniffen muß man die Wahrheit dur 
Schlüffe ermitteln. Johann VIII. kann nicht wider den ausgeſprochenen 
Willen des Carolingers erhoben worden fein, denn er leiftete dem Kaiſer, kurz 
nachdem er Petri Stuhl beftiegen, einen wichtigen Dienft,") welder auf beiden 
Ceiten geneigte Gefinnungen vorauszufegen nöthigt. Gleichwohl treten Epuren 
hervor, daß Ludwig bald Mißtrauen gegen den neuen Pabft hegte. Denn 
unter dem 29. Januar 874 fchreibt?) Johann VIII. an den Kaiſer: „die Be 
ſchuldigung, als habe er mit Unrecht dem Erzftuhle von Ravenna gewiſſe 
namentlich aufgeführte Klöfter und Ländereien entriffen, ermangele jeglichen 
Grundes, da die fraglichen Güter altes Eigenthbum des Apoftelfürften feien.* 
Hieraus erhellt, daß Klagen von Seiten des Erzbiichofs zu Ravenna am fais 
ſerlichen Hofe eingelaufen waren und daß der alte Streit zwifchen Rom und 
Ravenna wieder begonnen hatte, was ficherlich nicht ohne Zuthun Ludwigs geſchah. 

Johann führte fein hohes Amt im Sinne des Pabfted Nifolaus I. und 
kirchlicher Breiheit, weßhalb ihm Ludwig IL mehr und mehr Eteine in den 
Weg warf. Im Uebrigen war das neue PBontififat ein ftürmevolled. Im 
Auguft 875, dem dritten Jahre Johannes, ftarb’) Kaifer Ludwig IL. ohne 
männlibe Nahfommen, worauf der PBabft die erledigte Kaiferfrone — nicht 
ohne Bedingungen — dem neuftriihen Earolinger, Carl dem Kahlen, jüng- 
ſtem Sohne Ludwigd des Frommen, zumandte. Noch war berjelbe nicht ver: 
blihen, als der deutihe Earolinger Carlmann die Herrihaft über Italien an 
fih riß und nad) dem Kaiſerthum angelte. Nachdem auch diefer im Mär 880 
mit Tod abgegangen,*) trat der jüngere Bruder, Carl ver Dide, in Carlo: 
mannd Fußtapfen und nöthigte im Frühling 881 den Pabft mit Gewalt, ihm 
die Kaijerfrone aufzufepen. °) 

Sowohl der Neuftrier Carl ver Kahle, als die beiden veutichen Gar- 
linger, Carlmann und Carl der Dide, haben, nur in diefem einzigen Punfte 
einmüthig, die SpoletinerzHerzoge Lambert I., deſſen Sohn Wido III, fowie 
des erfteren Bruder Wido II. als Werkzeuge gebraucht, theild um den Pabſt 
nach erfolgter Krönung im Gehorſam zu erhalten und die eingegangenen Ber: 
bindlichfeiten abzuſchütteln, theils um ihm andere Forderungen abzupreſſen. 

Im Allgemeinen fann man fagen, daß von fümmtlichen Carlingern feiner 
jo plump und barbarifch gegen Petri Stuhl verfuhr, als der dide Carl. Nicht 
zufrieden, Johann VIII den räuberiſchen Fäuſten der Spoletiner preisgegeben 
zu haben, durdriß er, fo viel an ihm war, die kirchliche Drganifation Stas 
liend, nur danıit die von ihm mit grimmigem Haffe verfolgte Unabhängigfeit 
Roms aufhöre. Auf kaiferlihen Schuß pochend, fündigte*) Erzbiihof Romanus 
von Ravenna dem Pabfte fowohl den weltlichen als den geiftlihen Gehorfam 

1) Die Belege bei &frörer Garolinger IL, 89 flg. *) Jaffé Nr. 2245. *) Muratori, 


annali d’Italia ad a. 875. *) Böhmer, Regeſten der Garolinger ©. 90. 6) Ibid. ©. 95. 
°) Jaffe Nr. 2569-2572. 2574. 2576. 2598 und Gfrörer, Kirch. Weich. III, 1124. 


Siebtes Bud. Gap. 7. Geſchichte des Kirchenſtaais von 827—BH1. 139 


Auf. Im feiner Bedrängniß griff Johann VIII. zulegt zu dem Mittel, wider 
Romanus den Bann zu fchleudern, allein er konnte denſelben nicht aufrecht 
halten. Aehnliches geihah in Lombardien. Bon Carl dem Dicken gewonnen, 
tropte Erzbiſchof Ansbert von Mailand den Bitten, den Befehlen, den Dro- 
ungen des Pabſtes. Vergeblich verhängte Johann erft das Urtheil der Ab- 
jegung, dann den Kirchenbann über den Schuldigen. Durd Barl den Diden 
genöthigt, mußte er beides zurücknehmen.) Gegen Ausgang des Jahres 882 
wurde der unglüdlie Pabft zu Rom unter Umftänden ermordet, die es wahrs 
Iheinfih machen, daß der Mörder ſich des kaiſerlichen Schutzes verfichert glaubte. ?) 

Auf Johann VIII. folgten ald Päbfte erft Marinus, dann Hadrian IIL, 
beide Geſchöpfe des Kaiſers Carl des Diden.) Sener nahm Petri Stuhl 
von 883— 884, dieſer gleihfalld nur kurze Zeit, bis zur zweiten Hälfte des 
Jahre 885 ein.) In das Pontififat des Lepteren fällt Die Wiedervereinigung 
des gefammten carolingiihen Weltreih&, ein Ereigniß, welches bedeutenden 
Einfluß auf das Schickſal des genannten Pabftes übte. Carl der Dide, troß 
der Ausdehnung der Länder, von denen er den Namen trug, faft madhtloß, 
hatte feine rechtmäßigen Kinder, fondern nur einen natürlichen Sohn Bernhard, 
defien Bollbürtigfeit er anerkannt wünſchte, um ihn zum Erben einzufegen. 
Hiezu bedurfte er der Hülfe des Statthalterd Petri und lud deßhalb Hadrian III. 
gu ſich nah Deutichland ein. _ Der Pabſt erklärte feine Bereitwilligfeit, dem 
Rufe zu folgen, ftelte jedoch die Gegenbedingung, daß Earl der Die für fid 
und feine Nachfolger auf jede Einmiſchung in Fünftige Pabftwahlen verzichte, 
was der Kaiſer bewilligt haben muß. Hadrian III. trat die Reife über die 
Alpen an, ftarb aber unterwegs in Lombarbien, ohme fein dem Kaiſer ges 
gebened Beriprechen gelöst zu haben. ®) 

Nah Hadriand Tode wählten die Römer den Cleriker Stephan VI. zum 
Nachfolger und fepten ihn ein, ohne auf die Einwilligung des deutichen Hofes 
u warten. Als Earl der Die hievon Kunde erhielt, ſchickte er feinen Kanzler 
nady Stalien mit dem Befehl, die Wahl umzuſtoßen und Stephan abzufehen. 
Aber der Kanzler richtete nichts aus, denn die Römer legten mit Brief und 
Siegel dar, daß ihr Berfahren vem Rechte gemäß ſei. So berichten Quellen, 
welche allerdings über die Testen Jahre Carls des Diden dürftig fließen. 
Ihre Ausfage hat ohne Zweifel folgenden Sinn: geftüst auf die vom Kaifer 
ausgeftellte Befreiungsurfunde hatten die Römer unmittelbar nah der Wahl 
die Einfeßung vorgenommen, allein der Garlinger focht die Gültigkeit der 
Urfunde — allem Anſchein nad) aus folgendem Grunde — an: weil Hadrian 
den ausbebungenen Gegendienſt micht geleiftet, das heißt nicht durchgeſetzt habe, 


1) Jaffé Nr. 2449. 2472. 2473. 2488. 2489. Dann ibid. ©. 283, Mitte u. unten. 
Beiter Rr. 2512. 2513. 2523. 2550, fowie ©frörer a. a. DO. DI, 11191123. *) Gfroͤrer 
IT, 1125 u. 1133 flg. 9) Ibid. 1134 fig. 2) Jaffs ©. 292 fie. -°) Die Beweife 
bi Bfrörer, Garolinger II, 2689 flg. 


140 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


daß die Vollbürtigfeit des Baftards Bernhard anerfannt ward, Fönne aud) 
die von ihm, dem Kaifer, übernommene Verbindlichkeit nicht zu Rechte beftehen. 
Gleichwohl drang der Faljerlihe Kanzler mit feiner Einrede nicht dur, weil 
die Römer ſchwarz auf weiß bewiejen, daß Carl ver Dide, ald er die frag: 
liche Urkunde unterzeichnete, nur die Reife des Pabſts und feine Bereitwillig: 
feit, das Verſprochene zu thun, gefordert, nicht aber den möglidhen Fall ſeines 
ichnellen Todes voraudgelehen habe. ') 

Stephan VL blieb Pabft und furz darauf erfolgte dieſſeits der Alpen ein 
jeit längerer Zeit vorbereiteter Schlag, nämlid der Sturz des letzten Achten 
deutſchen Garolingers, Carls des Diden. In geheimem Einverfändniffe mit 
dem Pabſte, dem Erzbiichofe Fulco von Rheims und vielen andern SBerjonen 
hohen Rangs, febten die deutihen Stände gegen Ausgang des Jahre 887 
den diden Carl ab und erhoben den KärnthnersHerzog Arnulf, einen natür⸗ 
lihen Sohn des Garolingers Carlmann und alfo Neffen des geftürzten Kai- 
fers, unter dem Vorbehalte auf den Thron, daß er mit Deutichland fich be 
gnüge und die übrigen Länder des von Earl dem Diden dur eine Reihe von 
Verbrechen vereinigten Weltreichs andern Fürſten überlaffe. 

Seit einem Menfchenalter war der Dceident ins tieffte Elend geftürzt 
worden, weil die Garolinger, welde fich fraft des Vertrags von Verdun in 
die Bruchftüde des Weltreichs getheilt hatten, von dem Wunſche fortgerifien, 
die Madıt ihres Ahns herzuftellen, unaufhörlich wider einander wütheten, die 
Normannen herbeiriefen, ihre Unterthanen gegenfeitig dem Schwerte preisgaben, 
Verrath auf Verrat häuften. Damit die Welt zur Ruhe gelange, faßten 
Deutichlande Stände den Gedanken, die leitenden Ideen des Verduner Vers 
trags zu verwirklichen, die natürlichen Gränzen der Länder und Nationen bers 
zuftellen, jeglihem der Hauptvölfer, weldhe das ehemalige Weltreidh umſchloß, 
feine befondere Obrigkeit zu geben. Dad große Werf würde gelungen fein, 
hätte nicht die Ehrfuht Arnulf, und die Eigenmädtigfeit eined der Ahnen 
des Gapetingerhaufes die Verwirrung zurüdgeführt.?) 

Außer Arnulf waren fünf Fürften auderfehen, Nationalfönige zu werden: 
nämlich zwei Italiener, Berngar, Herzog von Friaul, Wido II., Herzog von 
Spoleto, ein Burgunder, der Welfe Conrad, ein Aquitanier, Ramnoff, ein 
PBrovenzale, Ludwig, Bojo’d Sohn. Oben?) ift die Geſchichte des Haufes von 
Friaul entwidelt und gezeigt worden, daß ed mit dem carlingiihen Stamme 
durd Verſchwägerung zujanımenhieng und über ein anjehnliches Gebiet, Venetien 
und Iſtrien, herrſchte. Begreiflich erjcheint daher, daß man jeht, da es fid 
darum handelte, neue Throne zu gründen, den Friauler bevorzugte. ber 
warum wurde bei einem Plane, der vorzugsweile von Geiftlihen ausging, 
der Epoletiner, Todfeind der römiſchen Kirche, bedacht, und zwar hochbedacht? 


— 


1) Ibid. ©. 271 fig. ) Die Beweife daſelbſt IL, 287 fig. 2) Oben ©. 54 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 7. Geihichte des Kirchenftaats von 827—891. 141 


3h habe früher die Klagen erwähnt, welche Pabft Johann VIII. über bie 
unausgefegten Gewaltihaten der Spoletiner Lambert I, Wido IL, Wido IIL 
erhob. Bleibt noch übrig, nadhzuweifen, worin dieſe NRäubereien beftanden. 

Eine Urkunde‘) vom Jahre 887 liegt wor, welche die Gebiete befchreibt, 
die genau zu der Zeit, da Carl der Dide geftürzt ward, und furz ehe die 
neue Ordnung der Dinge beginnen follte, zum Herzogthum Spoleto gehörten. 
Als Beftandtheile deffelben führt das Pergament auf: die Bisthümer Fermo, 
Spoleto, Camerino, Ascoli, Teramo, dann Nocera, Ancona, Sinigaglia, Yano, 
Peſaro, Rumana, Oſimo, Perugia, Rieti, Cagli, Urbino, Borli und ein 
weiteres, deſſen Name verichrieben?) if, aber nach meiner Ueberzeugung Todi 
lautet. Wer war in den Tagen Carls des Großen und Ludwigs des Frons 
men Grundherr der lestgenannten dreizehn Bisthümer geweſen? Erweislich®) 
Petri Stuhl. Daraus folgt, daß zwilchen 840 und 887 die Spoletiner Herzoge 
diefed weite Gebiet, den Kern des Patrimoniumd Petri, dem rechtmäßigen 
Eigenthümer entriffen und dadurch die von dem italiihen Kaiſer Ludwig IL 
begonnene Zertrümmerung des Kirchenftaats vollendet hatten. 

Nicht blos im Allgemeinen klagt Pabft Johann VIIL über Gewaltthaten, 
er erwähnt zuweilen einzelne Thatfadyen. Unter dem 23. Juni 880 fchreibt*) - 
er an Carl den Diden: „Ihr habt mich mit der Verheißung vertröftet, daß 
Eure Markgrafen angewiefen ſeien, Uns und die Kirche zu ſchützen, aber all 
dieß mügt nichts, denn Eure Markgrafen haben die Mannen Unferer eige 
nen Städte und Gebiete zu ihrem unausgefegten Dienfte verpflichtet, und 
hindern fie, Uns irgend etwas zu leiften.” Zweifelsohne find vorzugsweiſe 
bie zwei Faiferlichen Bafallen von Epoleto und Camerino gemeint, welche man 
nit blos Herzoge, jondern auch Markgrafen nannte, und die letzteres in der 
That als Wächter gegen die Gränzen des Kirchenftantes waren. Abermal 
führt Johann VIII in einem Schreiben‘) an Kaifer Earl den Dielen im 
Frühling 882 Beichwerbe, daß beide Markgrafen Wido (Wido IL und III.) 
auch micht eine einzige der geraubten Städte zurüdgegeben hätten. Diejelbe 
Klage wiederholt er in einem gleichzeitigen Briefe‘) an die Kaiferin Richardis, 
worin es heißt: „ver Kaifer hat weder felbft Uns irgend welchen Schuß ans 
gedeihen laſſen, noch auch die Räuber, die Und Unfere Städte weggenommen 
haben, genötbigt, den Raub herauszugeben.” 

Die Frage drängt fih auf, ob die Epoletiner jene Griffe durdaus im 
geheimen Auftrage des Kaiſers oder theilweife wider deſſen Willen auf eigene 
Fauſt thaten? Ziemlich deutlich bezeichnet Johann VIII. den Kaifer als eigents 
lihen Urheber des verlbten Unrehts. Aber ſolchen Umfang gewann zuletzt 
der Raub, daß man dem diden Earl allen Berftand abſprechen müßte, wenn 

ı) Muratori, antiq. Ital. I, 67. 2) Lodonensis flatt Todonenais. 2) Giche 


oben ©. 89 fig. °) Zaffé Nr. 2539: homines de civitatibus et propriis finibus nostris 
in assiduo servitio habent. ) Ibid, Mr. 2601. 6) Ibid. Nr. 2602. 


142 Pabſt Eregorius VIL und fein Zeitalter. 


er dad unmäßige Anfchwellen ver Macht des Bafallen von Spoleto gerne ges 
fehen hätte. In der That erkannte er fpäter feinen Irrtum. Deutſche Chro⸗ 
nifen berichten, ‘) daß Kaifer Earl der Dicke im Sommer 883 auf einem lom- 
bardiſchen Reichstage eine Anklage wegen Hochverraths gegen Wido IL von 
Spoleto erhob und die Lehen, welche er und andere Berurtheilte zum Theil 
von ihren Ahnen ber befaßen, unter Männer niederen Range vertbeilte. Er 
wollte, wie man fieht, nur noch kleine Bafallen in Stallen dulden; aber «6 
war zu ſpät. Mit Maffengewalt behauptete Wido Lehen und Raub, und 
Carl mußte im Frühling 885 den Epoletiner zu Gnaden annchmen.?) 

In der Natur lag ed, daß die Päbſte unter den obwaltenden Umftänden 
wünſchten, dad von Wido geraubte Eigenthum der Kirche zurüdzuziehen. Run 
eben dieſe Wiederherftelung bildete einen wefentlihen Theil des Planes von 
888. Wido II. war zum Könige nicht Italiens, fondern Neuftriens beftimmt, 
als Preis der Krone aber, die ihm winkte, follte er die entriffenen Städte 
an Petri Stuhl zurüdgeben. Das italienische Reich dagegen hatten bie 
Urheber des Entwurfes dem Friauler Berngar zugedadt. Anfangs fchien 
Alles gut zu gehen. Ein Hauptzeuge meldet:) „noch vor dem Eturze Carls 
des Diden beihworen Wido von Spoleto und Berngar einen Bertrag des 
Inhalts, daß jener nad Carls Tode Neuftrien, dieſer Italien erhalten folk, 
und daß ſich beide zu dieſem Zwecke gegenjeitig Beiftand leiften würben ;“ 
und dann weiter:*) „auf die Nachricht vom Sturze des Barolingers eilte Wido 
nah Rom, wo ihn Pabſt Stephan VL, ohne erft die Weſtfranken zu fragen, 
zum Könige von Neuftrien jalbte.“ 

In der That verließ der Spoletiner fofort feine Heimath, zog mit feinen 
Dienftleuten über die Alpen nah Gallien, und fand dort eine nicht unbebeus 
tende Parthei, an deren Spike Erzbilchof Fulko von Rheims ftand, welcher laut 
einer Stelle®) in den Briefen des Pabftes Stephan VL ein Verwandter Wido's 
war. Andererſeits wurde Berngar von Friaul im Frühling 888 zu Pavia 
dur den Mailänder Erzbifhof Ansbert zum Könige Lombardiend gekrönt und 
empfing die Huldigung der Stände. 

Allein jept erfolgte ein Gegenftoß in Gallien. Zwar wählte die Parthei 
Fulfo’d im Frühjahr 888 den Epoletiner zum Könige Neuftriend, allein bie 
Mehrzahl der Franzoſen wollte nichts von einem Herrſcher wiſſen, den bad 
Ausland ſchickte. Während Fulko's Verbündete zu Langred mit Wido tagten, 
verfammelten fi) die Gegner zu Eompiegne und erforen Obo, den Sohn Ro⸗ 
bertö des EStarfen,®) zum Gebieter der Franzoſen, worauf Erzbiihof Walter 
von Send dem Gewählten die Weihe mit dem h. Dele ertheilte. Noch 
Ihlimmer für Wido war, daß König Arnulf den Neuftrier Odo anerkannte, 


— — — 


) Efroͤrer, Carol. II, 254. 2) Daſ. S. 260. 2) Daſ. ©. 297. 8) Daſ. 
©. 208. ) Jaffé Nr. 20268. °) Siehe Bd. II, ©. 144. 





Siebtes Bud. Gap. 7. Geſchichte des Kirchenflants von 827—891. 143 


als diefer am deutſchen Hoflager erfchien und der deutſchen Krone öffentlich 
huldigte. Arnulf bat durch dieſen Aft die mit den Ständen feines Reiches 
getroffenen Werabredungen gebrochen und das Mißlingen der beabfichtigten 
Beruhigung des Abendlandes vorbereitet. Ehrſucht trieb ihn, die Yürften, 
welche vermöge jened Vertrags zu Königen auderfehen waren, miteinander 
m verfeinden, damit fie fi) gegenfeitig aufreiben und damit zulegt ihm ver 
ganze Nachlaß zufall. Seine nächſte Abficht wurde erreicht. 

Wider die Einftimmigfeit des deutſchen Hofes und der täglich wachienden 
Barthei Odo's wagte der Epoletiner Wido IT. feinen Kampf, ſondern ließ feine 
franzöfiiche Krone im Stich, Fehrte mit feinem Heere über die Alpen zurüd 
und flürzte auf den neuen König Lombardiens Berngar los, um ihm das 
eben gewonnene Reich zu entreißen. Zwei Treffen wurden geliefert, das eine 
blieb, wie ed fcheint, unentjchieden, aber im zweiten gewann Wido den Sieg. 
Sein Gegner Berngar entwid aus Italien und fuchte Zuflucht beim deutfchen 
Könige Amulf, der den Friauler mit offenen Armen empfing, um ihn jpäter 
als Werkzeug zu Erreichung feiner Zwede gegen Wido zu verwenden. Der 
Epoletiner berief fofort im Frühling 889 nad Pavia einen Landtag, der ihn 
um Könige Lombardiens Frönte. 

Die Berbandlungen der In Pavia verfammelten geiftlihen Stände oder 
der Biſchöfe Lombardiend find auf und gefommen. Shr erfter Schluß Tautet:*) 
„unfere Mutter, die 5. römiſche Kirche, fol wieder in den Beſitzſtand, Die 
Achte und Ehren bergeftellt werben, wie fie, foldhe unter den Älteren und 
neueren Kalfern und Königen genoß.“ Ohne Frage iſt diefer Artifel darauf 
berechnet, den Pabſt darüber zu beruhigen, daß Wido die Städte des Kirchen, 
ſtaats, die er früher an fich geriffen, aber vor dem Zuge nah Neuftrien hers 
ausgegeben hatte, nicht mehr zurüdfordern werde. Die Biſchöfe Lombardiens 
begten, wie man fieht, gute Gefinnungen. Aber eine andere Frage war, ob 
Wido entichloffen fei, die von jenen gegebenen VBertröftungen zu verwirflichen. 

Er hat e8 nicht gethan! Sn weltlichen Geſetzen, die er auf demjelben 
Landtage erließ, legte?) er fih den Titel Kaiſer bei, und muß feitvem Allem 
aufgeboten haben, um Pabft Stephan zu zwingen, daß aus diefem Titel eine 
Wahrheit werde. Letzteres gelang ihm, doch erft nad Verfluß eines Jahres. 
Die Berzögerung beweist meined Erachtens, daß Petri Statthalter nicht guts 
willig Das gewährt hat, was der Spoletiner verlangte. Im Februar 891 
geſchah es, daß Pabft Stephan VI. den ehemaligen Herzog von Spoleto, und 
jeit 889 König von Lombardien, zum Kaiſer falbte, ein Aft, welcder vollends 
die legten Trümmer der Berabredungen von 887 umftieß. In welchem Sinne 
Wido IL die neue Würde verftand, erhellt aus einer Bleibulle, die der erften 
von ihm am Tage der Krönung auögeftellten Urkunde angehängt if. Die 


2) Berg, leg. I, 555. *°) Gfroͤrer, Garolinger II, 309. 


144 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


jelbe trägt auf der einen Seite die Umſchrift: Wido imperator augustus, 
auf der anderen die verhängnißvollen Worte renovatio imperii Francorum. 
Der Epoletiner gab hiemit die Abficht fund, das Weltreih Carls des Großen 
herzuftellen. ') 

Keine der vorhandenen Quellen, die im Ganzen fehr mager find, ſagt 
ausdrüdlih, weder daß Wido, ehe er nad Francien ging, die entriffenen 
Städte fammt dem alten Herzogthum Spoleto an Petri Stuhl abtrat, nod 
daß er Beides, zum König und Kaiſer erhoben, wieder an ſich zog, noch end: 
ih daß Pabft Stephan VI. ihn nur gezwungen gekrönt bat. Gleichwohl 
ftehen diefe drei Punkte feft, und zwar der erfte nicht blos, weil es ſonſt un 
begreiflih wäre, daß Pabft Stephan fo viel Mühe aufwandte, um den Epole 
tiner nad Francien zu befördern — Stephan muß hiedurch etwas gewonnen 
haben, — jondern auch weil der angeführte Schluß von Pavia zu der frags 
lihen Borausfegung nötbigt; der zweite, weil Wido ohne Wiederergreifung 
ſeines ehemaligen Beſitzes gar nicht im Stande geweſen fein würde, die aus 
Stephans Hand empfangene Krone zu behaupten, — nit mit Nichts Tann 
man den Kaiſer fpielen; — der dritte, weil die Nachricht?) auf und gefommen 
ft, daß im Jahre 890, alſo vor der Krönung Wido's, von Seiten des 
Pabftes die dringende Aufforderung an den deutſchen König Arnulf erging, nad 
Nom zu ziehen und das italieniſche Reih, das von ſchlechten Ehriften 
bedrängt werde, zu ordnen. Unter den fchlechten Ehriften, welche Stalien 
unterbrüdten, fann nur Wido und feine Anhang gemeint fein. Wan fieht 
daher: erfllih daß Petri Stuhl ſchwere Verfolgung durch Wido erlitten hatte, 
zweitend daß der Aft, Eraft deſſen Stephan den gehaßten Spoletiner zum 
Kaifer Erönte, Fein freiwilliger war. Niemand leiftet aus eigenem Antriebe 
feinen Unterdrüdern Borfchub. 

Arnulf folgte dem damaligen Rufe des Pabſtes nicht. Ueber die Gründe, 
warum er Solches unterließ, fchweigen die Chronifen, aber man kann fie mit 
genügender Sicherheit errathen. Carl der Dide ift, wie ich oben zeigte, haupt, 
ſaͤchlich deßhalb geftürzt worden, weil Deutſchlands Stände verlangten, daß 
ihr König im eigenen Reich bleibe und ſich nicht in die Angelegenheiten anderer 
Länder, namentlich in die italienifchen, einmifche. Denfelben Widerwillen haben 
fie, wie wir unten fehen werden, fpäter gegen Römerzüge an den Tag ge 
legt. Im Jahre 890 muß Dafjelbe der Kal geweien fein. Amulf Tonnte 
darum nicht dem Pabfte zu Hülfe eilen, weil Die, welde damals mächtiger 
waren, ald er, nämlih Germaniend Stände, Nein fagten. 


') Daſ. ©. 321. 5 Perg L 407. 


id u En = EL 2 en ei 


Siebtes Bud. Gap. 8. Schidfale des Kirchenſtaats zwifchen 891—905. 145 


Achtes Capitel. 


Der Kirchenftaat in den Jahren 881— 905. Päbſte Formoſus (891—896) ; Bonifarius VI., 
der in Kurzem weichen muß; Stephan VII. (896— 897) im Kerfer ermordet; Romanus, 
der nach 4 Monaten, Theodor II., der nach 20 Tagen flirbt; Johann IX. (8%8— 900); 
Benedikt IV. (900— 903); Leo V., ber Betri Stuhl nur zwei Monate einnimmt; Chriſto⸗ 
phorus (903— 904), wird im Januar 904 abgelegt; Eergius III. (904— 911), das 
eremal im Nov. 897 erhoben, 898 verbrängt, 904 gewaltfam zurüdgeführt. Greuel 
wider bie Leiche des Formoſus. Die drei Syfleme bezüglich des Kaiſerthums: fremde, 
aus den Ländern über den Alpen ſtammende, oder in Stalien anfäßige Fürſten als Obers 
berren einzuſetzen, oder endlich gar feinen Kaifer zu wählen, und die Schußvogtei über 
die römifche Kirche den Königen Lombarbiend zu übertragen. Nachdem beide letztere 
ſich als unerträglich erprobt hatten, greift Pabſt Formofus auf das erfle Syſtem zurüd, 
Kurzed und unrühmliched Kaiſerthum des deutichen Königs Arnulf. Berngar von Briaul 
fommt wieder zu Kräften. Beginn ber politiichen Laufbahn des tusciihen Haufes. 
Kaifer Lambert, Wido's Sohn, wird bald nach dem Tode Arnulfs ermordet, worauf 
der Brovenzale Ludwig bie Kaiferfrone empfängt, aber fie nicht zu behaupten vermag. 
Berngar von Friaul Herr im oberen, Adalbert von Tuscien im mittleren Italien. Rom 
und ber Kirchenflaat geräth unter dad Joch der zu üppiger Blüthe gebeihenden Adelsmacht. 


Pabſt Stephan VI. überlebte die Krönung Wido's nur um einige Monate: 
er ftarb') im Herbfte 891. Bezüglich des Kaiſerthums herrfchten bis das 
bin drei verjchiedene Syſteme. Die älteren Kaiſer — Earl der Große, Lud⸗ 
wig der Fromme, Lothar I. — hausten gewöhnlich über den Bergen. Auf 
Lothar folgte jein Sohn Ludwig II., der zwar fein Herrſcherrecht auf fräns 
fiichen Befis, auf fränkiſche Abftammung gründete, aber feinen Wohnfig in Itas 
lien aufſchlug. Die älteren Erfahrungen, weldye mehrere Päbfte des neunten 
Sabrhunderts unter Ludwigs II. Ecepter machten, fchienen den Grundſatz zu 
rechtfertigen, daß es für Petri Etuhl ſchlimme Früchte trage, wenn die Kaiſer⸗ 
frone Fürften zu Theil werde, die, um mit dem Berfaffer des Büchleins über 
die Gewalt der Imperatoren zu reben, nahe Nachbarn Roms ſeien, d. h. in 
Stalien jelber thronen. Ohne Zweifel geſchah es aus diefem Grunde, daß Pabft 
Johann VIII. nad Ludwigs II. Tode die Kaiſerkrone zweien überalpiichen Herren, 
erſt Earl dem Kahlen, dann Earl dem Diden zumandte. Er war, wie man 
ficht, von dem Enfteme einheimischer Kaiſer auf das ältere überalpifcher 
zurüdgefommen. Allein Carl der Dide verübte fo fchreiende Gewaltthaten wider 
Petri Stuhl, mißhandelte die Statthalter des Apoftelfürften dergeftalt, daß 
auf neue Heilmittel gejonnen werben mußte. 

Stephan VL ftellte ein dritted Syftem auf, zu deſſen Verwirklichung ihm, 
wie oben gezeigt worden, Germaniens Stände die Hand boten. Grundzüge 
befielben waren: Fein Kaiſerthum mehr, dagegen fol Lombardien einem eins 


1) &fröver, Garolinger II, 322. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Bd. V. 10 


146 Babft Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


heimischen Könige zufallen, der verpflichtet wird, die römijche Kirche zu ſchüten. 
Nach ſehr kurzem Beftand warb aud diefes dritte Syſtem durd bie Ehrſucht 
des capetingifchen Ahnherrn Odo und durch den Treubruch Arnulfe umge 
ftoßen. Aus der lombardiſchen Krone des Friaulers Berngar wuchs und zwar 
durch lauter naturgemäße Uebergänge ein italieniſches Kaiſerthum des Spoles 
tinerd Wido hervor, und der römishe Stuhl machte fefort die Erfahrung, 
daß von den drei Bahnen, die Angelegenheiten der Mutterlirhe nah Außen 
zu regeln, die legte durch Stephan eingefchlagene die gefährlichfte fei, weil fie 
den Paͤbſten einen bepurpurten Zwingherrn auf den Naden lud, der nur auf 
Koften des Kirchenguts feine wanfende, vom Ins und Auslande beftrittene 
Macht friften konnte. Auch der neue Zuftand war unerträglich geworden! Was 
follte man nun thun! 

Wie? wenn ed gelang, dem Stuhle Petri einen Landbeſitz zu verfchaffen, 
groß genug, um aus den Einfünften deſſelben ein Soldheer aufzurichten, das 
fowohl innere Feinde nieverzuhalten, als den Anmaßungen auswärtiger Herr 
fcher, deutfcher, franzöfifcher und etwa fpanifcher Könige, Schranfen zu fleden 
vermodte. Würde nicht durch dieſes einfahe Mittel die Unabhängigkeit der 
römischen Kirche für immer befeftigt worden fein? Vielleicht, doch unfehlbar nur 
zum Nachtheile der höchſten Pflichten des Pabſtthums! Als Pabft Hadrian L 
den großen Earl bewog, dem heiligen Stuhle ganz Iftrien, Venetien, den 
Erardhat, die Pentapolis, ganz Tuscien von der Linie bei Luna an, dann 
Umbrien, Sabinum, ferner gang Benevent, d. h. mit Ausnahme des eigents 
lichen, vom Po, der Lunalinie, den Alpen und der Etſch begränzten Lombars 
diens, ſowie mit Ausnahme der griechiihen Süpipige, das übrige Italien zum 
ſchenken, fchwebte ihm etwas wie der chen entwidelte Gedanfe vor. Daffelbe 
gilt von den fpäteren Päbften, welche eine Erneuerung der carolingifhen Zus 
jagen veranlaßten. Allein der Allmächtige hat die Verwirklichung diefes Planes 
nicht gewollt, nie und unter Feinerlei Verhaͤltniſſen ift derſelbe auch nur ans 
nähernd vollzogen worden! 

Das ewig unvereinbare Widerfpiel chriftlichen Kirchenregiments iſt das 
Kalifat. Nie und nad feiner der beiden möglichen Seiten hin fol Letzteres in 
der katholiſchen Welt Eingang finden, weder darf das Königthum die geifls 
liche Gewalt, noch umgekehrt darf das Pabſtthum den eigenthümlichen Wir 
kungskreis weltlicher Obrigfeit auffaugen. Wären die Päbſte im neunten 
Jahrhundert mächtig genug durch Landbefig geworden, um im Nothfalle mit 


Waffengewalt abgeneigten oder ehrfüchtigen Fürften trogen zu fönnen, fo würde 


bieß zur Folge gehabt haben, daß in Kurzem ihre geiftlihe Macht genau nur 


jo weit fi erftredte, al& ihr weltliher Arm reichte — folglich wäre die Eins ' 


heit der Kirche zerrifien worden. Dagegen wenn fie e8 gar verjucht hätten, geiſt⸗ 
Iihen Gehorſam mit Gewalt zu erzwingen, d. bh. die Bahn von Eroberem 
einzu ſchlagen, dann gab es keine Nachfolge Chriſti und der Apoſtel mehr. 


“ 


Eichted Buch. Gap. 8. Schickſale des Kirchenſtaats zwifchen 891—905. 147 


Petri Stuhl ift Fein Rubepolfter behaglichen Genuſſes, fondern ein Lager des 
Kampfes, harter Pflichterfüllung. 

Vollends nach dem Tode Stephans VI. konnte gar nicht an Ausdehnung 
paͤbſtlicher Befugniſſe, ſondern nur an Rettung übriger Trümmer gedacht wer⸗ 
ven Man mußte nothgedrungen zu dem carolingifhen Syſtem überalpiſcher 
Kaifer zurüdfehren. Daß man diefe Nothwenpigfeit erkannte, bewies die 
nächte Wahl. Als vor jechzehn Jahren Pabft Sohann VIII. den Neuftrier 
Barl den Kahlen an Weihnachten 875 zum Kaiſer Erönte, ‚war zu Rom im ' 
Frühling 776 eine Verſchwörung angezettelt worden, an deren Epige der das 
malige Bifchof von Porto Formoſus fand. Die Unzufricdenen beabfichtigten 
nichts Geringeres, als Pabſt und Kaifer abzufegen, an der Stelle Johanns VII. 
Formoſus zum Statthalter Petri, anftatt Carls des Kahlen den deutſchen 
Garolinger Carlmann zum Kaifer zu erheben. Allein der rechtmäßige Pabft 


- Johann VIII. gewann die Oberhand über die DVerfchwörer, vertrieb fie aus 


————.-— 


non EEE — — — 


ter Stadt, ſelbſt aus Italien, und verhängte den Bann über Formoſus und 
defien Anhang.) Zwei Jahre fpäter wiederholten fih ähnliche Scenen. Mit 
Gewalt führte der Spoletiner Lambert im Frühling 878 den gebaunten For⸗ 
mofus zurück und verfuchte ed zum zweitenmal, ihn zum Pabſte aufzuwerfen, 
doh wiederum ohne Erfolg, Mit feinem Schüsling mußte Lambert die Stadt 
räumen?) NAbermal vier Jahre fpäter, da Marinus nah Johanns Tode 
Betri Stuhl beftieg, hatte Kaifer Carl der Die die Bedingung geftellt, daß 
Formoſus begnadigt werde. Der neue Pabft bewilligte dieſes Anfinnen, ents 
laftete nicht nur den Flüchtling vom Banne, fondern ertheilte ihm auch bie 
Erlaubniß, in Rom felbft zu wohnen. °) 

Wohlan auf eben diefen Formoſus, den erprobten Ghibellinen over Parthei⸗ 
gänger der deutihen Carolinger, fiel 891 nad) dem Tode Stephans VL bie 
Wahl*) und zwar offenbar deßhalb, weil die Römer fühlten, dag nur mit 
Hülfe des deutichen Könige Arnulf die Schlingen durdriffen werden fünnen, 
welche der Spoletiner Wido als italienischer Kaifer und „Erneuerer ded Reichs 
der Franken“ gegen Beſitz und Freiheit der apoftoliihen Kirche geſchürzt hatte. 
Obgleich die dürftigen Quellen fhweigen, fann man um fo weniger bezweis 
fen, daß der neue Pabſt fofort mit Arnulf fih in Verbindung ſetzte, da 
Kaifer Wido kurz nad Erhebung des Formoſus Mapregeln ergriff, welde auf 
Abwehr eines fremden Gegners binzielten. Im Brühling 892 mußte näms 
ih Pabſt Formofus den Sohn Wido's, Lambert II., zum Mitkaiſer krönen. 
Daß diefer Akt, der die wanfende Macht Wido's ftärfen und dem Statthalter 
Petri auch für eine fernere Zukunft die Hände binden follte, was Formoſus 
betrifft, ein erzwungener war, fpringt in die Augen. 


1) &frörer, Garolinger II, 138 flg. 7) Daf. ©. 183 unten fig. 3) Daf. ©. 253. 


) Safe ©. 298 unten. 
10* 


148 Pabſt Bregorius VIL und fein Seitalter. 


Die wahre Meinung des Pabftes tritt in den vorhandenen Quellen feit 
893 hervor. Ein bairifcher Ehronift erzählt‘) zum genannten Jahre: „begleitet 
von mehreren italienischen Großen, erfchienen am deutfchen Hoflager zu Regens⸗ 
burg päbftliche Geſandte, welche baten, Arnulf möge über die Alpen ziehen 
und das langobardifhe Reich, wie die römifhe Kirche, von der Tyrannei 
Wido's befreien.” Der König verfprab Hülfe und hielt Wort. Nad dem 
Neujahr 894 rüdte er in Italien ein, aber nur das Aufgebot Alamanniens, 
nicht das der andern deutſchen Herzogthümer folgte ihm. Das Eleine Heer ers 
ftürmte Bergamo und nahm den dortigen Grafen Ambrofius, der im Dienfte 
des Kaiſers Wido die Etadt vertheidigt hatte, gefangen. Auf Befehl Ar- 
nulfs wurde der Graf gehenft. Erſchreckt durch Bergamo's Schiefal, über: 
fandten die größeren Städte Lombardiens, namentlihb Mailand und Pavia, 
ihre Echlüflel, auch viele höhere Vaſallen des obern und mittlern Italiens er 
fhienen und huldigten. Unter Lebteren war Einer, den wir ind Auge 
faffen müffen. 

Ich habe an einem andern Orte?) die Reihenfolge des Dynaftenhaufes, 
das feit den Zeiten Carls des Großen erft Lucca, dann einen guten Theil 
von Tuscien beherrichte und bald den marfgräflihen, bald den herzoglichen 
Titel fich beilegte, bi8 auf Bonifacius II. herabgeführt. Man kennt das Jahr 
nicht, in welchem Bonifacius IT. ftarb, aber feit 847 erfcheint’) urkundlich 
ale Nachfolger deſſelben und als Herzog oder Marfgraf von LuccasTußcien 
fein Eohn Adalbert J. Diefer fpielte eine ähnlihe Rolle, wie der Spoletiner 
Herzog Lambert. Gleich ihm leiftete er den deutſchen Carolingern Schergen 
bienfte gegen Petri Statthalter und den Kirchenſtaat. Als der Spoletiner 
878 Rom überflel, den Pabft Johann VIII. gefangen nahm und die Ein 
wohner der Stadt nöthigte, dem Könige Carlmann zu huldigen,) that er 
dieß im Verein mit dem tusciihen Markgrafen Adalbert,°) weßhalb Johann 
über Beide den Bann verhängte. °) 

Allein während Lambert im Ungehorfam gegen den Apoftelfürften un 
unter dem Fluche der Kirche verharrte, leiftete Adalbert, wie es fcheint, dem 
Pabſte Genugthuung. Gewiß ift, daß ihn Johann VIII. um 880 vom Bannı 
wieder losſprach.“ Adalbert I. farb”) um 890. Aus einer Urkunde vom 
Sabre 884 erhellt, daß feine Gemahlin Rotildis hieß, eine Schweiter Lam 
bert8 von Epoleto und ded nachmaligen Kaiſers Wido war, ſowie daß Adal⸗ 
bert aus biefer Ehe zwei Söhne, Adalbert II., der dem Bater im Herog 
thume Lucca⸗Tuscien folgte, und Bonifacius hinterließ.) 

Eben diefer Adalbert II., von weldem unten mehr die Rede fein wir, 
fand fih 894 mit feinem Bruder Bonifacius im Lager Arnulf ein und 

1) Gfroͤrer Carolinger II. ©. 335. 2) Oben ©. 53. 3) Muratori, annali d’Italis 


ad a. 847 u. 884. 4) Siehe oben ©. 60. 6) Jaffé S. 271, Mitte, nebſt Nr. 2352. 
6) Ibid. Nr. 2552. ) Muratori, annali d'Italia ad a. 890. °) Ibid. ada. 878. 879 u. SH. 


Siebtes Bud. Gap. 8. Echidſale des Kirchenftaats zwiſchen 894-905. 149 


erfannte deutſche Hoheit an. Doc nicht lange dauerte das gute Verhältniß. 
Weil der König, ftatt die Verfprehungen zu erfüllen, durch die er die Staliener 
an fi gelodt hatte, jein Wort brah und Mehrere, die ihre Unzufriedenheit 
laut ausſprachen, verhaften ließ, griffen die Webrigen zu den Waffen und 
nöthigten Arnulf, die Gefangenen herauszugeben. Adalbert aber und Bonifacius 
verließen trogig das Fönigliche Hoflager und fielen, laut Ausſage der bairifchen 
Ehronif, von Arnulf ab. Letzterer wollte die Flüchtigen verfolgen und bis 
Rom vordringen, allein ald das deutſche Heer in Piacenza angelangt war, 
verweigerte es weiteren Felddienſt und nöthigte den König zum Rückzuge in 
die Heimath. 

Abermal ftoßen wir bier auf ein Beifpiel des Widerwillend, den nicht 
nur die höheren Stände Deutſchlands, Bilchöfe und Grafen, ſondern aud 
Volk und Heer gegen Römerzüge und Einmifhung in die Angelegenheiten 
Stalien® begten. Im Januar 894 hatte Arnulf Italien betreten. Der Rüds 
jug erfolgte um Oftern, dad 894 auf den 14. April fill. Wie man ficht, waren 
jeit dem Einmarfche drei Monate abgelaufen, genau die Frift des Waffendienftes, 
u welchem das alte Bapitularienreht den Heerbann verpflichtete. Das alas 
mannifche Aufgebot fonnte daher mit gutem Fuge feine Abneigung, länger zu 
bienen, geltend machen.) 

Obwohl er gezwungen umfehren mußte, verzichtete der König keineswegs 
auf die Herrſchaft über das obere Italien, vielmehr ließ er, wie es fcheint, 
als feinen Statthalter über Lombardien den Friauler Berngar zurüd. Oben?) 
wurde gemelvet, daß dieſer Fürft in Folge der Vortheile, welche jein Neben» 
buhler Wido 889 erftritt, nad Deutichland zu Arnulf entfloh und dort gute 
Aufnahme fand. Doch lag zwifchen dem legten Siege Wido's und der Flucht 
Derngard ein Kleiner Zwilchenraum. Urkundlich erfcheint‘) Berngar während 
der Jahre 889 und 890 als Herr zu Verona und Cremona, aber aus den 
folgenden Jahren 891 und 892 fehlt jeder Beweis feined Aufenthalts jen⸗ 
feitö der Alpen. Damald muß ed gefchehen fein, daß er, vor Wido's Ueber⸗ 
macht weichend, in Baiern Zuflucht fuchte. 

Sm Jahre 893 dagegen, da der Streit zwiſchen Wido und Formoſus 
ausgebrochen war, fehrte er in die Heimath zurüd, fam im Herbfte laut dem 
Zeugniffe*) Liutprands mit den römiſchen Gefandten zum zweitenmale an ben 
deutichen Hof heraus, half ihnen den König gewinnen, eilte dann wieder nad) 
Stalien, weilte im November 893 zu Verona, wo er eine Scheukungsurkunde 
andftellte, und Teiftete dem deutſchen Könige, nachdem verjelbe im Januar 894 
die Alpen überjchritten hatte, Vorſchub. Zum Dank für diefe Dienfte ſcheint 
ihn Arnulf zum Statthalter über Lombardien eingefegt zu haben. Gewiß if, 


*) Sfrörer, Garolinger II, 336—338. 2) ©, 143. ) Böhmer, regest. Carol. 
Nr. 1291 fig. 2) Gfroͤrer, Garolinger II, 337. 


150 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


daß Berngar im Dezember 894 zu Mailand einen Scenfungöbrief unter: 
zeichnet bat.) 

Um dieſelbe Zeit trat ein Ereigniß ein, das für Amulf und Berngar 
gleich günftig war. Gegen Ausgang des Jahres 894 flarb?) Kaiſer Wido 
an einer Krankheit. Indeß hörte damit die Herrfchaft feines Hauſes nicht auf. 
Er hinterließ nämlich nicht nur jenen Sohn Lambert, ver, wie wir willen, 
von Pabſt Kormofus 892 zum Mitkaiſer gekrönt worden war, jondern auch 
eine Wittwe Angiltrud, die eine reiche Erbin und ehrgeizig geweſen jein muß. 
Dur Urfunde) vom 21. Februar 891, dem Tage feiner Kaiſerkrönung, 
hatte ihr Wido das freie Verfügungsrecht über alle ihre Befitungen bes 
ftätigt.. Angiltrud fpielte ſeitdem eine lärmendere Rolle, als ihr Sohn, 
Kaifer Lambert. 

Zeichen allgemeiner Unzufriedenheit wurben laut, als der deutſche König 
im Sommer 894 von dem verunglüdten Zug zurüdfehrte, den er wider die 
öffentlihe Meinung unternommen hatte. Um dieſen böſen Geiſt zu bannen, 
zugleih um eine zweite Romfahrt anzubahnen, berief Arnulf im Mai 895 eine 
Reichsſynode nach Tribur, wo er dem deutſchen Clerus außerorventlihe Zuges 
fländniffe und Rechte einräumte.) Das Mittel wirkte: „im Herbfte defielben 
Jahres erihien an dem deutſchen Hofe eine Geſandtſchaft des Pabſtes Yors 
moſus, welche die dringende Bitte wieberholte, der König möge nad Rom 
fommen. Arnulf beſchloß im Einflange mit feinen Biſchöfen, ben 
Wunſch ded Pabſtes zu erfüllen.” So berictet®) die bairiihe Chronik. 

Nie oder fehr felten wird won deutfchen Chroniften bemerft, daß unfere 
Könige oder Kaiſer Römerzüge auf den Rath der Bifchöfe angetreten hätten. 
Die Zuftimmung diefes Etandes verdient um fo fhärfer betont zu werben, weil 
kurz vorher bei dem lombarvifchen Unternehmen Arnulf eine ganz andere 
Stimmung fund geworden war. Da dießmal die hohe Geiftlichfeit Germa⸗ 
niens jo vernehmlich mitſprach, ift man zu dem Schluffe berechtigt, daß es 
ih — wenn anders Arnulf Wort hielt — darum handelte, dem Pabſte 
gründlih zu Helfen, oder — was hiemit gleihbereutend — die Bedränger 
des Kirchenftaates zu Paaren zu treiben. 

Im Oktober 895 bot Arnulf die Alemannen und Franken zum Heeres⸗ 
zuge auf. Das Erfte, was er, in Lombardien angefommen, vornahm, war, 
daß er fih — wahrſcheinlich durch Verrath — der Berfon Berngare bemäch⸗ 
tigte, der in der legten Zeit einen guten Theil des oberen. Staliend in jelne 
Gewalt gebracht haben muß, und ihn als Staatögefangenen über die Alpen 
abführen ließ. Mag Berngar als Statthalter Amulfs oder auf eigene Fauſt 
in feinem ehemaligen Reihe gewaltet haben, gleichviel der deutſche König und 


— — — —⸗ 


*) Böhmer a. a. O. Nr. 1298. ?) Man fehe Duratori, annali d'Italia ad a. 894. 
2) Böhmer a. a. D. Nr. 1270. %) Den Nachweis im Einzelnen bei Gfroͤrer, Garolinger 
II, 345 fig. ) Daf. ©. 860, 


pP; en ET — un — .- p 


Siebtes Bud. Gap. 8. Schidſale des Kirchenftaats Iwiſchen 891—905. 151 


vorausfihtlih Kaiſer wollte alleiniger Herr in Italien fein. Zu diefem Bes 
hufe übertrug er die Verwaltung der oberen Länder zweien untergeorbneten 
Beamten: WValtfred wurde zum Grafen in Friaul, Magnifred zum Grafen 
über Mailand beftellt.‘) 

Nachdem das deutihe Heer den Po erreicht hatte, theilte es der König 
in zwei Haufen. Die Alamannen erhielten Befehl, über Bologna nad los 
tenz vorzubringen. Arnulf jelbft wandte ſich mit den Franken über den Apennin 
nah Luna an der tusciichen Küfte, wo er Weihnachten feierte. Während er 
dort weilte, Tiefen jchlimme Nachrichten ein: Berngar war aus der Haft ent- 
wiſcht, nad Italien zurüdgefehrt und hatte mit denn Marfgrafen Adalbert II. 
von LuccasTudcien ein Bündniß abgejchloffen. Weiter erfuhr man, daß die 
Etadt Rom von der Wittwe Wido's, Angiltrud, im Namen ihres Sohnes 
Lambert bejegt worden fei. 

Unverfennbar ift, jämmtliche italienifche Partheien, fonft vol Haß wider 
einander, hatten fi) gegen den beutichen König vereinigt, zum deutlichen Bes 
weis, daß fie dießmal einen jchweren Schlag von feiner Seite befürchteten. 
Ehe Berngar loskam, ſah Arnulf in dem Tuscier Adalbert den gefährlichften 
Gegner: die Theilung ded Heeres war wider ihn gerichtet, Die beiden Haufen 
follten ihn auf zwei Seiten faflen und zu Ylorenz im Herzen Tusciens wieder 
jujammenftoßen. ber die Flucht des Friaulerd änderte den Stand der Dinge, 
fie ftellte den Rüden des deutſchen Heeres bloß. Nur ein rafcher und muthiger 
Entſchluß fonnte in diefer Lage Rettung bringen. 

Arnulf zeigte Muth, er eilte auf Rom los, hielt vor den Mauern der 
Stadt eine Anrede an fein Heer und rüftete fih zum Sturme. Angiltrud 
wartete denfelben nicht ab, fondern entfloh nah Spoleto hinüber. Begleitet 
von dem Senat und den Zünften fam Pabſt Formoſus heraus und empfing 
feinen Befteier an der milvifchen Brüde. An einem der nächſten Tage — 
wahrfcheinlich den 25. April 896 — wurde Arnulf von Formoſus zum Kaiſer 
gekrönt. Der bariſche Chronift bat den Huldigungseld aufbewahrt, den 
die Römer damald ablegen mußten. Sie ſchwuren, unbejchadet ihrer eigenen 
Rechte und Ehren und unter Vorbehalt ihrer Verpflichtungen gegen ven Pabft, 
dem neuen Kaiſer hold und treu zu fein, nie zu feinem Nachtheile Verbin- 
dungen mit irgend Jemand einzugehen, namentlih nie mehr Lambert ober 
deſſen Mutter Angiltrud in die Stadt aufzunehmen. Der Kaifer bat, wie 
man ſieht, obgleich er die Lehenshoheit über Rom fefthielt, beftimmte Rechte 
nicht mur des Pabſtes, fondern auch des Volks d. h. des Adels anerkannt. 
Sonft fheint vom Pabſte ausbedungen worden zu fein, daß Arnulfs Aufent- 


halt kurz daure. 
Wirklich räumte der Kaiſer am 15. Tage feiner Ankunft die Stadt. 


*) Tbid. fig. 


152 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Während defjen waren zwei Häupter des römijhen Senats, Eonftantin und 
Etephanus, als Mitjduldige der Angiltrud auf Hochverrath angeklagt worden. 
Beim Abzuge nahm fie das Heer mit und brachte fie nad) Deutſchland hinaus. 
Sn Rom blieb eine Eleine deutſche Beſatzung — offenbar zum Schutze des 
Pabſtes zurück. Zunähft wandte fih Arnulf gegen Epoleto, um diefe Stadt 
zu erobern, allein es gelang ihm nicht. Der bairische Ehronift ſagt:) „Arnulf 
rüdte vor Spolcto, allein ein heftiges Kopfweh, von dem er ergriffen ward, 
beftimmte den Kaifer zu eiliger Rüdfehr in die Heimath.“ 

Liutprand behauptet, Angiltrud habe dem deutſchen Herrſcher Gift bei 
bringen laſſen, das die Wirkung beſaß, den Verſtand zu verwirren. Auch 
der bairishe Chronift geftcht ein, daß Arnulf feitvem an einem Uebel litt, von 
dem er nie mehr genas. 

Warum ift Arnulf von Rom auf ESpoleto gezogen? Meines Erachtens 
deßhalb, weil er vermöge der neulich mit dem Pabſte und früher mit ben 
deutihen Etänden getroffenen Webereinfunft Stadt fammt Herzogthum Spoleto 
an die römische Kirche übergeben wollte Drehten fi ja um den Beſitz dieſes 
Gebiets faft alle Unterhandlungen, vie feit dem Sturze Carld des Diden 
zwiſchen Deutichland und dem h. Stuhle gepflogen worden waren. ‘Der weis 
tere Rüdzug des Heeres muß ein eiliger gewelen fein; im Juni 896 fland 
der Kaifer bereit wieder auf deutſchem Boden. !) 

Schwer mußte Arnulf für den unglüdlihen Ausgang des Römerzuged 
von 895 büßen. Die Adtung vor ihm war dahin, peinlid verfloffen die 
drei nod übrigen Jahre feines Lebend. Noch mehr litt der Pabſt. Denn 
hinter dem Rüden der Deutſchen ftürzten die Pfeiler der Ordnung, welde 
Arnulf zu gründen begonnen hatte, zufammen. Nacd dem Abzuge des Heeres 
brachen Berngar und Lambert hervor und theilten fih durd Vertrag in dus 
obere Stalien. 

Zu feinem urſprünglichen Herzogthum Friaul bin, das von Iſtrien bie 
zur Erich reichte, erhielt Berngar die Strede von der Erich zur Adda, welde 
die großen Städte Mantua, Cremona, Brescia, Bergamo umfaßte. Der Reft 
Lombardiens fiel dem italienischen Kuaifer Lambert, Wido's Eohne, zu. Beide 
nahmen an den von Arnulf eingefehten Beamten Rache. Berngar brachte den 
Grafen Waltfred zum alle, der Verona ald Vaſalle Arnulf tapfer ver 
theidigte. Zu Mailand ließ Lambert den Grafen Magnifred hinrichten, dem 
Eohne und Eidam cebendefjelben die Augen ausftehen. Außer dem lombar⸗ 
diſchen Antheile, den er davon trug, deckte Lambert die Fauft auf das mittlere 
Stalien, namentlih auf Rom, wo er zur Etrafe für den mißglüdten Verſuch, 
dad Epoletiner Joh abzufcütteln, wie ein Tyrann wüthete. Kurz nad) dem 
Abzuge Arnulfs verſchied Pabft Formoſus, vielleicht auf gewaltfame Weiſe. 


*) Sfrörer, Garolinger IL, 361 fig. 


Siebtes Buch. Gap. 8. Schickſale des Kirchenſtaais zwilchen 891—905. 153 


er Streit über die drei Eyfteme dauerte feitvem unter dem römifchen Clerus 
Stillen fort, aber längere Zeit übte er feinen Einfluß auf das Reben, denn 
e eiſerne Kauft drüdte jede freie Meinung nieder. 

Greuliche Dinge gingen zu Rom vor. Ein Pabft um den andern wurde 
handelt, zu entehrenden Zugeſtändniſſen genöthigt, geftürzt, ermordet. Nach 
n Tode des Formoſus wählten‘) die Römer Bonifacius VI. zu Betri Etatts 
ter, aber nur fünfgchn Tage vermodhte er feine Würde zu behaupten. Durch 
en Volksaufſtand erhoben, erlag er, wie es jcheint, den Etreihen Lam⸗ 
16. Sein Nachfolger Stephan VII. erfaunte Anfangs noch den deutichen 
üjer Arnulf an, aber nachdem Lambert vollende das obere und mittlere 
alien an fi gerifien, mußte der neue Pabſt etwas verrichten, was aller 
elt verrieth, daß er ein Sklave des italienifchen Kaiferd war. 

Zu Anfang des Jahre 897 ließ Stephan VII. die Leiche feined zweiten 
rgängerd Formoſus aus dem Grabe herausnchinen, mit biſchöflichen Ges 
indern befleiden und auf einen Stuhl jegen. Eine Eynode wurde um den 
dten verfammelt und demjelben ein Diafon zum Sachwalter beftellt. Stephan 
vete die Leiche mit den Worten an: warum haft du, da du doch Biſchof 
a Borto wareft, durch [chändlihen Ehrgeiz verbleudet, den allgemeinen Stuhl 

dich gerifien? Der Diakon ſuchte den Todten zu vertheidigen, warb aber 

3 überwielen zum Schweigen gebradt. Nun gab Stephan Befehl, die Leiche 
entfleiden, ihr die drei Finger, mit welchen Formoſus den Segen ertheilt 
tte, abzubauen und den Körper in die Tiber zu werfen. Dieß gethan, ers 
iste er alle von Formoſus vorgenommenen Weihen für ungiltig. Der Akt 
tte den Zwed, nit nur Formoſus felbft, fondern auch feinen Verbündeten, 
a deutichen Kaiſer Arnulf, zu bejhimpfen. Mit Händen fann man greifen, 
ß das ganze Epiel von Lambert, dem Nebenbuhler Armulfs, ausging. 

Richt ungeftraft bat fih Stephan VII zum Werkzeug des Spoletiners 
rgegeben.”) Im der zweiten Hälfte des Jahres 897 ward er von Römern 
erfallen, ind Gefängniß geworfen, erdroſſelt. Es gab alfo zu Rom nod 
ute, welcde der Tyrannei Lamberts entgegenzutreten wagten. Diefelbe Parthei, 
the Stephan geftürzt hatte, erhob die zwei nächſten Päbſte Romanus und 
heodor, aber die Herrichaft beider dauerte überaus furz, nur vier Monate 
hm Romanus Petri Stuhl ein, Theodor gar nur zwanzig Tage. Warum 
sterer fo ſchnell endete, ift Elar. Theodor hatte den Muth gehabt, das An- 
nfen des von Stephan beihimpften Formoſus herzuftellen und feinen Weihen 
re Rechtokraft zurüdzugeben. Nach Theodors Sturze Fam es zu offenem Kampfe. 
ie Scildträger Lambertd erzwangen die Wahl ded Presbyterd Sergius, 
ver die Anhänger kirchlicher Freiheit trieben denfelben zur Stadt hinaus und 
boben Johann IX. auf Petri Stuhl. 


*) Gfroͤrer, Garolinger IL, 863 unten fd. Daſ. ©. 377 unten fig. 


154 Babk Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Daß zu Rom clerifaled Feuer wieder aufloderte, bieng mit gewiſſen Er- 
eigniffen zufammen, die draußen vorgingen. Lambert drüdte nicht blos auf 
Rom, fondern auch auf das mittlere Stalin. Dort aber lebte ein Yürft, 
defien Macht ſelbſt Arnulf gefürchtet hatte — Markgraf Adalbert IL. von 
ZuccasTudcien. Diefer fand ed in die Länge unerträglich, an dem Triumph⸗ 
wagen eined jungen, unerfahrnen, üppigen Emporfömmlings zu ziehen, griff 
gegen Lambert zu den Waffen, rüdte ind Feld, warb aber zwilhen Parma 
und Piacenza von dem Kaiſer überfallen, gefchlagen und gefangen genommen. 
Dieß geihah‘) um die Mitte des Jahre 898. Ungefähr ebenfo lange, ale 
der verfuchte Aufftand des Markgrafen, dauerte zu Rom der Kampf‘ gegen bie 
firhlihe Tyrannei Lamberts, und der Sieg des Kaiferd wirkte fichtlih auf 
das Verfahren des neuen Pabſts zurüd, welcher, wie wir fahen, den Freunden 
der Breiheit feine Erhebung verdankte. 

Johann IX, verſuchte ed, einen mittleren Weg einzufchlagen, der beide 
Partheien befriedigen follte. Er verfammelte zu Rom eine Synode, weldhe fol: 
gende Beichlüffe faßte: der erfte Canon verdammte den an der Leiche dead 
Formoſus verübten Greuel; der vierte ertheilte den von Formoſus vorgenom- 
menen Weihen gefeglihe Kraft, und verorbnete, daß die von ihm eingefehten 
Glerifer, welche audgetrieben worden waren, ihre Pfründen wieder erlangen 
follten; der fiebte befahl, die Akten des Eoncild, das Stephan VII gegen 
Formoſus hielt, zu verbrennen. Der achte und neunte jchleuderte den Bann 
wider Sergius und feine Anhänger, fowie gegen Diejenigen, durd deren Hände 
die Leiche verlegt worden war. Diefe Beichlüffe lauteten, wie man ficht, zu 
Gunſten der Kirdhlichgefinnten. 

Allein die übrigen hatten eine andere Richtung. ‚Der dritte Canon bes 
fagt: „der ſelige Formoſus ift um feiner Verdienfte willen, und weil dad Wohl 
der Kirche es forderte, vom Bisthum Oſtia auf Petri Stuhl erhoben worden, 
aber Niemand unterftche fih, mit Berufung auf diefen Vorgang nad) höheren 
Aemtern zu fireben.” Der fünfte Canon fchreibt vor, daß Jeder bei der Kirche 
bleibe, an welcher er die Weihe empfing; der zweite verfündigt allen hoben 
und niedern Geiftlihen, die an der Synode unter Stephan VII. Theil ge 
nommen, DBerzeihung, dafern fie erflären, daß fie Neue fühlen. Zwei weitere 
Beichlüffe betrafen Den, welder ſich damals den Schugherrn der römijchen 
Kirche nennen ließ. 

Der jehste Canon beftimmt: „aus Eingebung des h. Geiſtes verorbnen 
Wir, daß die Krönung unfered geiftlihen Sohnes und fürtrefflichften Herrn, 
des Kaifers Lambert, für alle Zeiten beftätigt, die barbariiche und erſchlichene 
Ernennung (Arnulf ift gemeint) dagegen ungültig fein ſolle.“ Der zehnte 
Canon lautet: „die heilige römijche Kirche leidet nah dem Tode eined Ober 


— — — — — 


ı) Muratori, annali d'Italia ad a. 898. 


Siebtes Bud. Gap. 8. Schickſale des Kirchenſtaais zwiſchen 891—905. 155 


birten häufig deßhalb Gewalt, weil die Nachfolger geweiht werben, ehe der 
Kaifer benachrichtigt iſt, worurd es geſchieht, daß feine Gefandte weder ben 
Kirchengefegen gemäß der Weihe anmohnen, noch den Ausichweifungen der 
Menge feuern Finnen. Wir verorpnen daher: jede Fünftige Wahl foll von 
den Bifchöfen und dem Clerus gemäß den Vorſchlägen des Senats und Volks") 
vorgenommen, der Gewählte aber fofort nur im Beiſein der kaiſerlichen Ges 
fandten geweiht werden. Auch erfühne fih Niemand, bei ſolchem Anlaſſe 
Eidſchwüre oder ungefegliche Verſprechungen zu erprefien, damit weder bie 
Kirche Aergerniß, nody die Ehrfurdt vor dem Kaiſer Abbruch erleide.“ Letztere 
Beftimmung ff, wie man fieht, ein ſchwacher Berfud, den Kaiſer zu hindern, 
daß cr an die Betätigung neuer Wahlen außerordentlihe Bedingungen knüpfe. 
Eonft wurden ihm alle Rechte bewilligt, welche je die älteren fränkischen Katjer 
geübt hatten. ”) 

Dennoch genügten vie von Johann IX. gebrachten Opfer dem Spoletiner 
niht. Er zwang den Pabft, eine Synode nad Ravenna auszufchreiben, auf 
welcher Lambert perfönlich erfhien. Hier jchrieb der Letztere eine Reihe Geſetze?) 
vor, die jo abgefaßt find, ald ob Pabft und Clerus um ihre Genehmigung 
gebeten hätten. Sch hebe die wichtigften hervor: „in Zukunft darf Fein Römer 
geiftlihen oder weltlichen Standed, welder, fei ed aus freien Stüden over 
nothgedrungen, feine Zuflucht zu Faiferliher Majeftät nimmt, daran gehindert 
oder an feinen Gütern beeinträchtigt werden, bis der Kaifer oder deſſen Ber 
vollmächtigte die Sache entichieden haben.” Weiter wird der Kaiſer angefleht, 
„dic römische Kirche bei den von Älteren Herrichern ertheilten Freiheiten zu ers 
halten, die Beichlüffe der lebten römiſchen Synode zu beftätigen, wegen ber 
unerhörten Frevel, Räubereien, Brandftiftungen, die faum zuvor im römls 
ihen Gebiete vorgefallen, eine Unterſuchung anzuordnen, den zwilchen 
feinem glorreihen Vater Wido und der römiihen Kirche abgejchloffenen Vers 
trag, der in Bezug auf viele (zum Patrimonium Petri gehörige) Orte 
ſchwer verlegt worden, zu erneuern, desgleichen die ebendemjelben ents 
riffenen Landgüter, Bachthöfe, Bauernwirthbihaften und Städte, 
die man wider das Recht ald Lehen an Vaſallen vertheilt habe, 
zurüdzugeben, endlih Maßregeln zu treffen, damit gewiffe unerlaubte 
Berbindungen, dergleihen Römer, Langobarven und Franken häufig wider 
Kaiſer und Pabſt eingegangen hätten, nicht mehr vorkämen.““) 

Bezügli der Beichlüffe oder Geſetze von Ravenna müffen, außer dem 
Inhalt, Drt und Form beachtet werden. Nicht zu Rom, fondern zu Ravenna 
fand die Berfammlung ftatt. Warum? Offenbar deßhalb, weil der Stuhl von 
Ravenna ein alter Nebenbuhler des römifchen war, und weil ed deßhalb den 

2) Ueber den Sinn der Worte expetente senatu et populo werde ich mich unten erklären. 


?) Gfroͤrer, Garolinger II, 378. 2) Perg, leg. I, 562 fig. 2) Gfroͤrer, Garolinger 
U, 380. 


156 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Hochmuth des Spoletiners kitzelte, Petri Statthalter im Angefiht des geift- 
lichen Gegners zu befchimpfen. Gleich älteren Kaiſern bat Lambert die Eifer 
ſucht der Ravennaten für feine Zwede ausdgebeutet, aber er that noch etwas 
Anderes, was meines Wiſſens Fein Gewalthaber vor noh nad ihm wagte: 
er zwang den Pabft, Geſetze zu erbetteln, als wären fie dem Etuhle Petri 
günftig, während fie doch eine maßlofe Ausdehnung kaiſerlicher Gewalt verfügten. 

Der erfte oben angeführte Artifel entzieht dem Pabfte die Gerichtsbarkeit 
über Rom, geftattet jedem Ungufriedenen, Händel mit Petri Statthalter anzu 
fangen und dod muß Johann darum bitten. Ebenjo verhält es ſich mit der 


erflehten Beftätigung der Befchlüffe des legten römifchen Concils. Selbft dad - 


Recht, Kirchenverfammlungen zu halten, wird dem Pabfte verfümmert: er fol 
vorher die Erlaubniß dazu und nachher die Genehmigung -von Eeiten des 
fatjerlihen Hofes einholen. 

Andererjeitd geben die Beſchlüſſe erwünjchten Aufichluß über gewiſſe Er- 
eignife, von welchen bie elenden Chroniken jchweigen. Ein Vertrag war und 
zwar meines Erachtens entweder [hen 888 oder vor der Kalferfrönung Wido's 
zwifchen ihm und der römischen Kirche abgefchloffen worden, ein Vertrag, kraft 
defien ſich Wido anheifhig machte, gewiſſe Orte — unter denen ich folde 
verftehe, die laut der früher angeführten Urkunde von 887 dem Stuhle Petri 
durh Herzog Lambert I. entriffen worden waren — an den rechtmäßigen 
Eigenthümer zurüdzugeben. Zugleich fieht man aber, daß Kaiſer Wido eben⸗ 
jo wenig Wort hielt, ald Carl der Große, Ludwig der Fromme und andere 
Garolinger. Der weitere Eag, welcher von vertheilten Lehen handelt, braudt 
Ausdrüde,‘) die jehr häufig in den römifhen Pachtbüchern vorfommen. Id 
dlaube daher, daß er auf die an den von Rom audlaufenden Heerftraßen ges 
legenen Gütermaſſen bezogen werden muß, welche der Stadtadel, die Schild⸗ 
fnappen des zum Kaiſer aufgefchraubten Epoletiners, mit defien hoher Bewilligung 
dem Stuhle Petri abgepreßt hatten. 

Endlich gefteht die Urkunde ein, daß der Reife Johanns IX. nad Ras 
venna die gröbften Gewaltthaten, Räubereien, Brandftiftungen vorangingen. 
Diefe Greuel find ohne Zweifel der Hebel gewefen, mit weldem man den 
Pabft zur Reife nad Ravenna zwang, um dort das Wergfte zu erbulven. 
Bon allen Tyrannen, welde je Petri Stuhl unterbrüdten, waren ſtets bie 
einheimifchen, die, weldhe man ehemald (und neuerdings wieder) Schwerter 
Staliend nannte, die Ichlimmften. 

Nah den Schlägen von Ravenna triumphirte Lambert nicht mehr lange. 
Unfraut wächst nit in den Himmel hinein, fondern es verdorrt oder wir 
abgehauen. Der junge Menſch fiel im Spätherbft 898 ald Opfer der Rache. 
Während er nad) feiner Gewohnheit im Yorfte von Marengo jagte, erſchlug 


1) A. a. O.: patrimonia, sen suburbana, atque massae et coloniciae. 


rn 50 _..____ 


ammmin. - » 


— —R 


Siebtes Buch. Gap. 8. Schickſale des Kirchenflaats zwifchen 891—905. 157 


a Hugo, der Sohn des Grafen Magnifred von Mailand, welcher nad Arnulfs 
bug aus Italien auf Lamberts Befehl hingerichtet worden war. Berngar 
bte den größten Theil vom Nachlaffe des getödeten Kaiſers; Pavia, Lams 
td Königsburg und faft die Hälfte Italiens fiel ihm zu. Doc, beftätigte 
rfelbe durch Urkunde vom 1. Dezember 898 der Wittwe Wido's und Mutter 
mbertd Angiltrud alle ihre Befigungen, indem er ihr Treue verhieß, wie 
ı Sreund dem Freunde. Andererſeits gab Berngar den gefangenen Marks 
afen von Lucca⸗Tuscien, Adalbert II., frei,') der bald die zweite Rolle nad 
m Friauler ſpielte. Wenn die römische Kirche durh den Tod Lamberts 
wann, jo verlor fie durch Adalbertd Befreiung, denn der Tuscier hat einige 
ihre |päter noch größeres Unrecht am Stuhle Petri verübt, als Lambert 
gethan. 

Nicht lange blieb Italien ohne Kaifer, doch war es nicht mehr ein Ein, 
imifcher, fonvern ein fremder, der die Krone Carls des Großen davon trug. 
hronift Ziutprand macht die richtige Bemerfung: „ſtets liebten ed die Stas 
ner, zwei Herren einzufegen, damit der Eine durd Furcht vor dem Andern 
ı Zaume gehalten werde.” Vorzugsweiſe waren es die Bäbfte, welche dieſe 
egel befolgten, weil ihre Unabhängigkeit verloren gehen mußte, wenn ganz 
alien einem Herrſcher gehorcht hätte Im Sommer 900 wurde Ludwig, 
oſo's Eohn, König der Provence, einer der Fürften, welche durch den Sturz 
ld des Diden und die Verhandlungen von 888 Throne erlangten, nad 
alien berufen. Mehrere Zeugen fagen aus: unzufrieden über Berngar habe 
tarfgraf Adalbert von Tusdcien den Provenzalen, feinen Verwandten, zum 
ıge nad) Lombardien veranlaßt, und fein Zweifel fann fein, daß dieſes Zeugniß 
r Wahrheit gemäß ift, denn der Tuscier jpielte?) bei Ludwigs Erwählung 
m Könige Italiens eine Hauptrolle. Immerhin weist Duratori mit guten 
ründen nad, daß außer Adalbert auch Pabſt Johann IX. thätig war, den 
rovenzalen zu dem italienischen Unternehmen zu beivegen. 

Doc erlebte der Pabft die Ankunft Ludwigs nicht mehr. Johann ftarb 
imlih im Juli 900. Zu feinem Nachfolger wurde Benebift IV. gewählt. 
a die Adelöparthei zu Rom durch den Tod ihres Schußherrn Lambert ges 
mütbhigt worden fein muß, da ferner der neue Pabſt unverkennbar im Sinne 
r Kirchenfreiheit handelte, ift fo viel als gewiß, daß Benedikt den Bertheis 
gern der Unabhängigkeit des Stuhles Petri feine Erhebung verbanfte. Bald 
wauf langte Ludwig, Boſo's Cohn, in Lombardien an, errang einen Sieg 
er Berngar, und ward zu Pavia im Dftober 900 zum Könige Italiens 
frönt. Nah dem Neujahr 901 erſchien er zu Rom, empfieng aus Bene» 
6 IV. Händen die Kaiferfrone.) Dan weiß nit viel mehr von der 


*) Sfrörer, Carolinger II, 381. °) Böhmer, zegest. Carol. Mr. 1456. 5 Gfröter, 
arol. II, 397. 


158 Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


Geſchichte Benedikts IV., ald daß er um die Mitte des Jahres 903 nac 
dreijährigem Pontifikate ftarb.‘) 

est brachen neue Kämpfe in Rom über die Pabftwahl aus. Zunäch 
beftieg Petri Etuhl Leo V., der aber ſchon nad weniger als zwei Monate: 
durch den Presbyter Chriftophorus verdrängt ward. Da Ehriftoph ein hal 
Jahr fpäter einem Nebenbuhler weichen mußte, der unzweifelhaft ein Geſchöp 
der Adeligen Roms war, da folglih Chriftoph jelbft allem Auſchein nad) de 
Gegenparthei des Adels, d. h. den Kirchlichgefinnten angehörte, da enblid 
ebenderjelbe feinen Vorgänger Leo V. geſtürzt hat, fo ift man meines Erach 
tens berechtigt, den Echluß zu ziehen, daß Leo's Erwählung von dem |polc 
tiniihen Anhang ausgegangen ſei. Wahrſcheinlich hiengen die erneuerten Strei 
tigfeiten mit den Scidjalen des provenzaliihen Kaiferd Ludwig zuſammen 
Nicht lange Fonnte nämlich derfelbe fi in Stalien halten. Liutprand erzählt,? 
daß Boſo's Sohn, von Berngar gefchlagen, einen Eid ſchwören mußte, Ita 
lien für immer zu verlaſſen, und hierauf nach der Provence zurüdfchrte. 

Dieß fann nur in der zweiten Hälfte des Jahre 902 geichehen jein 
denn die auf und gekommenen Urkunden des Provenzalen, melde in den Zeit 
raum von Mitte Dftober 901 bis zum Mai 902 fallen, find ohne Ausnahm 
in italiihen Städten ausgefertigt, wogegen die folgenden vom November 90: 
bis gegen Ende des Jahres 904 provenzalifhe Orte der Ausftellung tragen 
Man fieht, daß die Firhlichgefinnten Römer, weldhe in Benedilts Tagen ber 
Schup des Provenzalen genoſſen, feit feiner gewaltfamen Entfernung feim 
Hülfe mehr von ihm erwarten durften. Ungehindert fonnte die Adelsparthe 
das Haupt erheben. 

Ich habe fchon bemerft, daß der Kirchenpabft Chriſtoph, Sieger übe 
feinen Borgänger Leo V., durd einen Nebenbuhler vom Stuhle Petri binab: 
geftoßen wurde. Diejer Nebenbubler war derſelbe Sergius, welden der roͤmiſch 
Adel 898 erhoben, aber Johann IX. vertrieben hatte.) Seit feiner Fluch 
aus Rom weilte Eergius in Tuscien unter den Fittigen des Marfgrafer 
Adalbert, der ihn auch im Januar 904 mit Waffengewalt zurüdführte unt 
zum Pabſt einfeßte.*) 

Sergius, ſchon früher ein Geſchöpf des Adels, gerieth ſeitdem ganz in 
die Gewalt dieſes Standed. Denn auch Markgraf Adalbert, dem er fein 
Würde verbankte, hieng eng mit den „Geftrengen“ Roms zufammen. € 
vereinigte fih Alles, um das Pabftthum wie einen gefefjelten Gegner ven 
Oroßvafallen des Kirchenftaats in die Hände zu liefern. Im zweiten Zahre 
des Sergius trat übervieß ein Ereigniß ein, welches die Weberbleibfel kaiſer⸗ 
licher Gewalt, die font, wenn fie auch für ſich ſchwer auf den Päbften laſtete, 


— — — 


) Daſ. ©. 418. ?) Daſ. ©. 397 unten flg. 2) Oben ©. 153. * Gfroͤrer, 
Garolinger II, 419. 





ne 5 U 


17 —— 





Siebtes Buch. Cap. 9. Weſen und Urſachen roͤmiſcher Adeléherrſchaft. 159 


doch dem allzuſtarken Anſchwellen der kleinen Tyrannen Schranken ſetzte, vollends 
vernichtet hat. 

Nachdem nämlich der Provenzale Ludwig, wie ich oben zeigte, durch des 
Friaulers Berngar überlegene Waffen aus Stalin vertrieben worden war, 
blieb er blo8 bis gegen Ende des Jahrs 904 in der Heimath. Mehrere 
Fürflen des obern Italiens, nanentlih Adalbert von Lucca⸗Tuscien, eiferfüchtig 
geworden über die wachſende Macht des Friaulers, riefen den Verdrängten 
abermal nach der apenninischen Halbinjel. Ohne feines im Jahre 902 abges 
legten Eides zu gedenken, folgte Ludwig zum Zweitenmale der Einladung zmeis 
teutiger Breunde, z0g im Frühling 905 mit Heeresmadt nad) Lombardien, 
ſchlug Berugar, eroberte die Königsftädte Pavia und Verona. ) Doc ifl 
Berngar keineswegs ganz aus Lombardien vertrieben worden, ') im Gegentheil 
erhellt aus Urkunden, daß er vom Frühling bis zum Sommer 905 Herr in 
mehreren Städten Lombardiens blieb.) Aber ſchwer beengt fühlte er ſich durch 
die Fortſchritte des Gegners und weil dem fo war, fuchte er im benachbarten 
Baien Hülfe, die er wirflic fand. Ludwig hielt im Sommer 905 zu Verona 
Hof, unbejorgt über mögliche Gefahren. 

Ploͤtzlich brach Berngar, welcher Einverftänpniffe mit Einwohnern Verona's 
angefnüpft hatte und durch bairiſchen Zuzug verftärft war, bei Nadıt in die 
Stadt ein, überrumpelte den Gegner und ließ Ihm zur Sicherheit gegen fünfs 
tige Erneuerung der Herrichaft die Augen ausftehen. Der geblendete Pros 
venzale kehrte in fein Heimathland zurüd, den Kaifertitel hat er zwar bis zu 
ſeinem um 924 erfolgten Tode fortgeführt, aber den Boden Italiens betrat 
er nicht mehr, noch übte er dort irgendwelche Hoheit. Seitdem beherrichte 
Berngar ohne Nebenbuhler Lombardien, Tuscien gehorchte ebenſo dem Mark⸗ 
grafen Adalbert, in Rom aber und In den Trlimmern des Kirchenftaats bildete 
fih eine fürchterliche Adelsherrſchaft aus. | 


Henntes Capitel. 


Urfunblicher Nachweis, daß und wie die Adeligen Roms auf dem Wege, welchen Kaifer Lothar 
burch die Geſetze von 824 angebahnt hatte, das Grundeigentum des Apoftelfürften an 
fi riſſen. Ebendieſelben geben durch Errichtung eines Senats oder Stabtregiments 
ihrer angemaßten Gewalt Dauer und fefte Beftalt. Die älteren Namen von Aemtern 
sder Behörden: Senat, Gonfuln, Richter, Herzoge (duces), Tabellionen, erhalten eine 
neue Bedeutung. Rachweisbare Häupter der Gapitangefchlechter: Theophylaft und feine 
Sippſchaft; Erescentius, muthmaßlicher Ahnherr der fpäteren Grescentier; Alberich I., 
Gründer ded Haufe Tusculum. 


SH muß, um Das, was nunmehr entwidelt werden fol, begreiflic 
mmachen, in frühere Zeiten zurüdgreifen. Wie oben gezeigt worden, brauchten 


) Berg IL, 295. 5 Gfroͤrer, Garolinger II, 417 unten fig. 


160 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


fhon Carl der Große und Ludwig der Fromme den römiſchen Adel als ges 
Ichloffene Kafte, um die Päbſte nieverzuhalten, worauf dann Lothars L Geſetze 
von 824 diefem Getriebe die legte Vollendung gaben, fofern die Pabftwahl 
den „Beitrengen” in die Hände gefpielt und eine breite Bahn eröffnet ward, 
um die Pabftwähler auf Koften des Etuhles Petri mit Kirhengut auszu⸗ 
ftatten. Ledterer Theil des Plans ward während der fürmifchen Verwaltung 
Johanns VII. in weitem Umfange verwirklicht. 

Der ebengenannte Pabft hielt im Sommer 877 zu Ravenna eine Synode, 
welche unter Anderem!) folgende Beichlüffe faßte: „wer fich jest und in Zu, 
funft unterfteht, die Patrimonien der h. römiſchen Kirche ‚ als da find das 
‚Appifche, das Labicaniiche, dad Campaniſche, dad von Tivoli und Ehieti (im 
heutigen Neapel unweit Pescara und Drtona), die beiden von Sabinum und 
Tuscien, die Säulenhalle des h. Peter, die römiſche Münze, die päbftlichen 
Rentämter,?) das Tiberufer, Oftia und die Häfen, welche zufammen das be 
fondere Kammergut des Palaſtes im Lateran bilden und für die perfönlichen 
Ausgaben der Päbfte beftimmt find, unter irgendwelchem Vorwande, fei es als 
Lehen oder in anderer Form, an ſich zu reißen, der fei verflucht.“ 

Dann weiter:) „wenn Jemand ed wagt, auf Bauernhöfe oder Colonen 
folder römiſchen Patrimonien, welde noch an Niemand vergeben find, zum 
eigenen Vortheil Lehenbriefe ober andere Beftgtitel auszumirfen, oder einem 
Andern zu verhelfen, daß er foldhe empfängt, dem ſoll e8 ergehen wie dem 
Ananiad und der Saphira.” Und abermal:*) „Eraft der Und vom Apoſtel⸗ 
fürften übertragenen Bollmadt befehlen und verorbnen Wir: Urkunden und 
Befistitel, welche zum Vortheil irgend eines Menſchen, gehöre er einem Etande 
oder einer Nation an, welche es fei, über Klöfter, Höfe, Maffen, Herrenhäufer in 
den Bezirfen Ravenna, Pentapolis, Yemilia, im römifchen oder langobardiſchen 
Tuscien, oder in irgend einem andern zum Patrimonium der römifchen Kirche 
gehörigen Gebiete, fei e& in der Form von Lehen, ®) oder in irgend einer 
andern audgeftellt wurden, find null und nichtig.” 

Aus diefen inhaltichweren Beichlüffen erhellen mehrere Thatſachen: 1) neben 
dem allgemeinen Kirhenvermögen, aus dem die Berürfniffe des Gemein— 
wefens beftritten wurden, gab es ein befonderes Kammergut‘) des Pabſtes, 
das man das Lateranenfifhe nannte und deſſen Einfünfte für die perjönlichen 
Ausgaben des Statthalters Petri beftimmt waren; 2) viele Stüde des allge: 
meinen SKirchenvermögensd waren ſchon feit längerer Zeit mittelft Lehenbriefe 
oder Padhtungsverträge ausgegeben, weldhe Johann VIII. laut dem 16. Ganon 
nicht mehr zu widerrufen für möglich hielt; 3) derſelbe Pabft fpricht zwar im 
15. und 17. Canon fo, als bejchränfe fih feine Abfiht darauf, Fünftige 

*) Manſi XVII, 339. Nro. 15. ?) Ordinaria et actionarica publica, man fehe bie 


Worte actionaricum und ordinarius bei Du Gange. ) Ibid. ©. 340. Rr. 16, *) Ibid. 
Mr. 17.  °) Beneficiali more. °) Daflelbe beftand fchon unter Leo IIL.; f. o. ©. 106 u. 113. 


Siebtes Bad. Gap. 9. Wefen und Urſachen römifcher Adelsherrſchaft. 161 


Eingriffe forwohl in das allgemeine Kirchenvermögen, als in das befondere 
Kammergut des Lateranpalaftes unmöglich zu maden; allein gewichtige Gründe 
rathen zu der Annahme, daß dieß nichts weiter als eine fchonende Ausdrudds 
weile war, die den Zwed hatte, bereits geſchehene, aber vielleiht noch 
nicht rechtöfräftig gewordene, NRäubereien zu hintertreiben. 

Wo in der Welt wird ein Fürft, der fih dur feinen mächtigen Gegner 
bewältigt weiß, in einer öffentlichen Afte jagen, ich werde nicht leiden, daß 
man mir fünftig mein Gut wegnimmt, fondern die Räuber verfolgen! ine 
ſolche Unduldſamkeit gegen Diebe verfteht fih von felber und unbedrohte 
Machthaber ſetzen überall voraus, daß Niemand ed wage, Ihr Eigenthum an» 
zutaften. Wenn gleihwohl Pabft Johann VIII. jene Sätze ausſprach, fo 
muß man fließen, daß er es that, weil bereits viele Eingriffe gejchehen 
waren, und weil er bie Wiederholung neuer, die er verhindern wolle, vor: 
ausſah. Eodann erflärt der Pabft Urkunden, Befiptitel, Lehenbriefe, die auf 
irgend ein Stüd des allgemeinen oder bejondern Kirchenguts zu Gunſten eines 
Dritten audgeftellt wurden, für null und nichtig. Nun behaupte ich; wer 
tremdes Eigenthum nicht einfach raubt, fondern fi einen Rechtötitel dafür 
ausfertigen läßt, der wird — denn er handelt nicht wie ein Wolf, fondern 
wie ein Fuchs — dafür forgen, daß der Titel nad Möglichkeit dem Geſetze ger 
nüge. In rechtögültiger Weife konnte aber nur der Pabft Kirchengut an Dritte 
vergeben. Folglich ift wahrſcheinlich, daß die vorfihtigen Räuber nit erman- 
gelt haben, ihren Titeln eine päbftlihe Einwilligung oder Unterfchrift zu vers 
ihaffen. Aber diefe Unterfchriften waren feine Achten, denn der Pabſt vers 
wirft fie ja. Dennoch waren fie Unterfchriften! Mas fol man denken? das, 
was ſich beinahe von ſelbſt verfteht, nämlich daß fie erzwungen waren! 

Jetzt wird alled Uebrige Far. Pabſt Johann VIII. hielt die Synode 
von Ravenna unterwegd, da er eben die Reife nah Lombardien angetreten 
hatte, um mit Garl dem Kahlen zufammenzutreffen; er hielt fie in einem 
Zahre,‘) da der Spoletiner Lambert fürdterlihe Bedrückungen gegen die römilche 
Kirche verübte. Schon damals arbeitete Lambert I. auf das Ziel hin, das 
fein Bruder Wido II. im Jahre 891 glücklich erreichte: er wollte Herr über 
Rom werden und fich felber dadurch den Weg zum Kaiſerthum bahnen. Wie 
mußte man ed unter den Verhältniffen des neunten Sahrhundertd angreifen, 
um Roms Herrfchaft zu erlangen? Das ficherfte Mittel beftand darin, wenn 
Der, welcher ſolche Plane hegte, den Pabſt zwang, durd) Austheilung von 
Kirhengütern an römifche Adelige dem künftigen SKaifer eine feſte Parthei zu 
verfchaffen. 

Die Bertheilung fittete nämlich ein ungerreißlihes Band zwijchen den 
Beichenkten und Dem, ver ihnen die Schenfung in die Tafche trieb. Wer 


1) Siehe oben ©. 89. 
Bfrörer, Pabſt Gregorius vIL DB. V. 11 


162 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


ein hübfches Gut inne hat, gleichviel ob geſtohlenes ober rechtlich erworbenes, 
der will dafjelbe befanntlich behalten. Behaupten konnten aber die befchenften 
Adeligen Roms das Gefchenkte nur dann, wenn fie dem Gönner halfen, den 
Pabſt ald den rechtmäßigen Herm der Güter, welche er nothgedrungen hatte 
vertheilen müffen, unter dem Daumen zn halten. Denn fobald derfelbe je wieber 
feine Freiheit errang, war vorauszuſehen, daß er nach feinem Eigenthum greifen, 
aljo die abgenöthigten Schenkungen umſtoßen werbe. 

Nun hat Lambert wirklich feit 876 den römiſchen Adel gewonnen und dadurch 
die Herrfchaft über Rom erlangt, folglich muß er wirflih Pabft Johann VIIL 
genöthigt haben, Kirhengut in Form von Lehen, Pachtungen u. dergl. an den 
Adel ausaugeben. Da jedoh im Sommer 877 die Nachricht einlief, daß 
Kaiſer Carl der Kahle mit Heeresmacht zum Schuge der römiſchen Kirche 
herannahe, faßte der Pabſt Muth, einen Schlag gegen die erzwungenen Schen⸗ 
fungen und die ihm aufgedrungenen Vafallen zu führen. Die wahre Abfidt 
der Beichlüffe von 877 geht dahin, der Welt fund zu thun, daß er die in 
füngfter Vergangenheit ihm abgerungenen Lehenbriefe widerrufe, ſolche, Die man 
ihm etwa fünftig abprefien würde, zum Voraus für nichtig erkläre. Indeſſen 
rieth Klugheit dem Pabfte, bis zu einem gewifien Grade den Schein zu wahren. 
Er durfte nicht offen fagen: die Freiheit des Willens iſt mir entzogen, man 
bat mir Gewalt augethan, weil jonft Gefahr drohte, daß auch in niederen 
Kreifen Böswillige das Beilpiel des Faiferlichen Statthalterd Lambert nachahmen. 
Aus diefem Grunde wählte er die fchonende Form. 

Sei dem wie ihm wolle, mögen die Sapungen von Ravenna nur fünf 
tige Beraubungen des Kirchenguts, oder — nad) meinem Dafürhalten — zu 
gleih auch folde, die der jüngften Vergangenheit angehörten, im Auge haben, 
gewiß ift, daß dieſe Beichlüffe felbft fo viel als nichts frucdhteten. Denn 
nachdem Carl der Kahle, auf deſſen Beiftand zur Zeit der Reife nah Ras 
venna Johann VIII. feine Teste Hoffnung feßte, im Dftober 877 vergiftet 
worden war, verfuhren Lambert und feine Nachfolger, die beiden Wido, als 
Schergen Carlmanns und Carls des Dicken, in einer Weife gegen den Statt 
halter Betr, welche die früheren Breuel.überbot.‘) Enthält doch das Echreiden, ’) 
das Johann VIII. wenige Wochen vor feinem Tode an Carl den Diden 
richtete, einen wahren Angftruf, den Wuthmenſchen (rabia) Wido aus den 
römifchen Gränzen zu entfernen. 

Aber auch nad dem Tode Johanns VII. und unter den folgenden 
Päbften bis 898 "find die der römifchen Kirche entriffenen Güter nicht zurüd- 
gegeben worden. Denn aus den Gefepen, welche Lambert IL, Wido's IL 
Sohn, 898 auf dem Reichstage zu Ravenna erließ, gebt hervor, erſtlich daß 
Lambert die ehemals zum päbftlichen Gebiet gehörigen Bisthümer, weldye das 





1) Oben ©. 60. ) Jaffo Nr. 2612. 


Siebtes Bud. Gay. 9. Werfen unb Urfachen roͤmiſcher Adelsherrfchaft. 163 


Haus von Spoleto erweislich feit 887 befaß, troß den Verſprechungen bes 
Kaiferd Wido, jeined Vaters, nicht zurüderftattet hatte, und zweitens daß bie 
um Rom gelegenen Landgüter') und Herrfchaften noch immer in der Gewalt 
aufgedrungener Bafallen fih befanden. 

Hafen wir die Scheinlehen des römischen Adels ind Auge. Der fünfs 
iehnte Schluß der Ravennatifchen Synode von 877 erwähnt die nämlidhen 
nach den großen römifchen Heerftraßen oder nah den alten Provinzen benannten 
Patrimonien, die in den päbftlihen Pachtbüchern feit den Zeiten Gregors 1. 
vorfommen.?) Je näher letztere der Hauptftadt Tagen, defto mehr müſſen fie 
die Begierden der „Geſtrengen“ gereizt haben, was natürlich ift, denn wenn bie 
Herren unweit Rom auf dem Latinerberg, in Tusculum, Fraccati, Albano, 
Aricia, Belletri oder zu Tivoli und in den umliegenden Orten des Gebirge 
und der Ebene faßen, waren fie im Stande, jeden Augenblid in Rom zu ers 
Iheinen, dort die von dem fremden Gönner aufgetragenen Geſchäfte wider den 
Pabft zu betreiben und folglich Gunſt zu verdienen. 

Doch Landgüter genügten den Geftrengen nicht mehr, ſie angelten, wie 
man aus dem eben genannten Canon erfieht, noch nad andern Nutzungen. 
Als folhe werden aufgeführt: 1) päbftlihe Nents und Gerichtsämter. Das 
it in der Ordnung Wer einmal ein Amt der Art Eraft Lehenrecht, d. b. in 
erbliher Weile inne bat, der muß ein Dummfopf oder ein halber Engel jein, 
wenn er nicht über Kurz oder Lang den Grund und Boden, den dad Amt 
unter fi} begreift, in feine Gewalt befommt. 2) Die römische Münzftätte : 
abermals ein fetter Biffen! Wer die Münze zu Lehen trägt, der fann — und 
mar auf den Namen des Pabſtes hin — ftatt guten Geldes fchlechtes jchlagen 
und den leichten Gewinn. in die Tafche fteden. 

3) Die ripa oder das Tiberufer; bei den Ufern des Stromed waren 
erftlich innerhalb der Stadt Waarennieberlagen, zweitens draußen bi6 zur Düns 
dung Ind Meer Leinpfade, auf welhen Büffel und Roſſe die fremden Waaren, 
die in Laftichiffen den Strom binauffuhren, herbeilchleppten. Von den Nieders 
lagen, wie von den Leinpfaden, fonnte man Zölle erheben. 4) die Hafenftabt 
(Porto) fammt Dftia; auch hier handelte es fih von Erträgnifien des Ber; 
kehrs, d. h. von Zöllen. 5) Die Eäulenhalle?) des h. Peter. Diele Halle 
war der Hirchlihe, militäriſche und wohl aud finanzielle Mittelpunkt Roms. 
Das Pabſtbuch erzählt) zur Geſchichte Nikolaus I. (858 —867): unzählige 
Kranfe, Lahme, Blinde, deßgleihen Taufende reuiger Verbrecher feien dort 
wufammengeftrömt, jene, um durch die Yürbitte des Apoftelfürften ihre Geſund⸗ 
beit, diefe, um Entfühnung von Schuld zu erlangen. In den falifchen Zeiten 
erjcheint die Herrſchaft über Rom wiederholt durch den Befig der Säulenhalle 


1) Suburbana, massae unb coloniciae. 2) Oben ©. 22 fig. 5) Porticus aanoti 


Petri. *) Edit. Vignoli III, 208 unten. 
11° 


164 - Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


des h. Peters bedingt: „im Jahre 1083 erftürmte‘) Heinrich IV. die Halle, 
verbrannte fie großen Theild und fepte nun Wibert zum Gegenpabft ein.“ 
Weiter heißt ed:?) „Heinrich IV. fchlug 1087 ein Lager außerhalb der Halle 
auf und eroberte in Kurzem den Peterdom“ und abermal:") „die Römer vers 
trieben 1111 das deutsche Heer Heinrichs V. faft gänzlid aus der Säulen; 
halle des bh. Petrus." Enpli befand fi in der Nähe derfelben Halle das 
päbftlide Schagamt und die Münze. Docd kann ich die Beweiſe hiefür erft 
an einem fpäteren Orte liefern. 

Nun if es Zeit, Drganifation und Perfönlichkeit der „Geſtrengen“ zu 
erforfhen. Die bairiihe Chronik erzählt‘) zum Jahre 896: „ale Kaifer Ars 
nulf nach erfolgter Krönung wieder aus Rom abzog, nahm er zwei Römer, 
Conftantin und Stephan, welde die erfien des Senates waren,®) ale 
Staatögefangene mit nad Baiern, dieweil fie die Stadt der Wittwe Wido's IL 
Angiltrud, in die Hände gejpielt hatten.” Die genannten Zwei gehörten erfts 
lich der jpoletinifhen Parthei an, zweitend fie waren Mitglieder einer Stadt: 
behörde, weldhe Rum regierte, und zwar vornehme, d. h. ohne Zweifel adelige 
Mitglieder. Wir wollen und Lebtered vorerfi merken. Es gibt feine befjere 
Gelegenheit, den Adel einer großen Stadt fennen zu lernen, als feftliche Auf 
zuge, Krönungen und dergleihen, wo Alles, was zu glänzen berechtigt if, 
fih vorzudrängen pflegt. 

Eine folhe „Hochzit“ 9) fand im Bebruar 901 ftatt, da der Provenzale 
Ludwig aus den Händen des Pabftes Benedikt IV. die Kaiſerkrone empfing. 
Diefer Akt paßt darum befonderd gut für unfern Zwed, weil der Adel Rome 
um jene Zeit in den Honig» und Wonnemonat feiner Blüthe getreten war. An 
einem der nächften Tage hielten der Pabſt und der. neue Kaifer in der großen 
Laube des Palafted am Petersdome, einen Gerihtstag,") beide umgeben 
von Bilhöfen des römiſchen Dufats, Langobardiens, Tusciend, umgeben von 
den Herzogen und Grafen des Reiches, umgeben von den übrigen Fürſten, 
umgeben von den Richtern. Als Biichöfe Romaniend werden aufgeführt: Beter, 
Sylveſter, Urfus, Leo, Romanus, Johannes, Allo, Bonofus, Gregor, ein zweiter 
Romanus, Cosmas, ein zweiter Gregor; ald Bilchöfe (Tuschens und Lombar: 
diend) Adalbert von Luna, Adalbert von Bergamo, Eberhard von Piacenza, 
Garibald von Novara, Helbing von Parma, Hildegard von Lodi, Arding von 
Brescia, Grafulf von Florenz, Albinus von Bolterra, Peter von Arezzo, 
Erald von Fieſole, Afterius von Piftoja ; als Faiferliche Reichsgrafen Aldhelm, 
Rotbald, Gotfried; als römische Richter Stephanus, Theophylaftus, Gre⸗ 
gorius,*) Gratianus, Aprianus, Theodorus, Leo, Grescentius, Benebikt, Jos 


1) Berk VII, 739 oben. 2) Ibid. ©. 749 unten. 2) Ibid. ©. 780. ) Perg 
I, 412. ) Qui majores inter senatum erant. 6) Ich brauche das Wort im Sinne 
des Nibelungenliebs. ) Manfl XVII, 240 unten fig. %) Un ibn reiht ſich ein vers 
ſchriebener Name, in welchem wohl dad Wort Nomenclator fledt. 


Siebtes Bud. Gap. 9. Weſen und Urfachen römifcher Adelsherrſchaft. 165 


hannes, Anaftafiud. Run folgen noch kaiſerliche Richter und Notare, deren 
Ramen genannt find, fowie andere ungenannte Vornehme. 

Ich werde unten zeigen, daß die Reihe der römiſchen Stadtrichter lauter 
Adelige oder Angehörige des Standes umſchließt, mit dem wir es bier zu thun 
haben. Vorerſt muß eine andere Frage gelöst werden. Die carlingifchen 
Kaifer und ihre italienischen Nachfolger hatten eines beftimmten Zweded wegen 
den römischen Adel in eine geichloffene Körperfchaft verwandelt, nämlich damit 
verfelbe ihnen helfe, die Herrichaft über die Stadt Rom und den Kirchenftaat 
den Statthaltern Petri zu entwinden und namentlich die fünftigen Pabftwahlen 
im Sinne der fremden Gebieter zu lenken. Nun war zu ſolchem Behufe eine 
ffte Organiſation nöthig, weil ſonſt Gefahr entftand, daß die Faiferlichen 
Verfzeuge, von perjönlihem Ehrgeiz fortgeriffen, in entgegengefeßten Rich—⸗ 
tungen vwoirften, d. h. ſich felbft gegenfeitig hinverten. Zu Rom aber gab es 
in alten Zeiten eine ſolche Organiſation weltberühmter Art, eine Drganifation, 
deren Ramen jedes Kind auf der Gaſſe gehört hatte — den Senat. Ich 
lage, hohe Wahrfcheinlichkeit Ipricht dafür, daß feit der Zeit, da die Adeligen 
vem Pabfte zum Trog Macht über die Stadt erhielten, Nume und Anftalt 
des Senats erneuert worden ft. 

Diefe Vorausfegung wird durch die That beftätigt. Indeß muß man 
bei Führung des Beweiſes Borficht anwenden. Die mittelalterlihen Chro⸗ 
niften fchrieben befanntlich in einer Sprache, die fie in der Schule aus Älteren 
römischen Glaffifern erlernt hatten, nämlich in Latein. Kaum findet fidh ein 
folder @laffiker, der nicht den Ausdrud Senat enthielt. Aber dieſes Wort ges 
hört zu denen, welche leicht, befonderd von ungeübten Schriftftelern, in einem 
ſchillernden ungeeigneten Einne gebraudht werden, jofern fle ed auf neuere Ber 
hältniffie anwenden, die dem alten und hiftoriichen Begriffe des Senats nur 
halb oder gar nicht entiprechen. Beiſpiele ſolchen Gebrauches kommen in der 
That häufig vor. 

Einhard erzählt") zum Jahre 777: „Volk und Senat des treulofen 
fähflihen Stammes habe Heuchelei gegen Carl den Großen geübt." Dffen- 
bar beftand feine Einrichtung bei den Sachſen, welche dem römijhen Senate 
gli. Geeigneter drüden andere Ehroniften Das aus, was Einhard meint, 
indem fie von Häuptlingen (capitanei) der Sachen reden.”) Ebenſo wie mit 
dem Sage bei Einhard verhält es ſich mit einer Stelle der Ehronif von Moiſſac, 
wo gemeldet wird:’) „an Weihnachten 800 ſetzte Pabſt Leo III., umgeben von 
der Rathöverfammlung der Bilchöfe, umgeben von dem ganzen Senat der 
Sranfen und der Römer, dem großen Carl die Kaijerfrone auf dad Haupt.“ 
Da bier ein fränfifcher Senat neben einem römiſchen auftritt, ift deutlich zu 


%) Berg L, 157 unten. 2) Ibid. ©. 14. ad a. 798 u. ©. 37 ad eundem annum. 
3) Berg 1, 805. 


166 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


fehen, daß das Wort im einen wie im andern Falle einen erborgten Sinn hat. 
Gleicherweiſe erwähnt der Zeitgenofje Angilbert in feinem Lobgevicht auf Carl 
den Großen wiederholt‘) einen Senat der Franken, der den Kaifer im Reiche: 
rathe, ja fogar auf der Jagd umgab. 

Auch im caroliniihen Briefwechſel, fowie im Pabſtbuche, ift zum achten 
und neunten Jahrhundert häufig von einem römifchen Senate die Rede, aber 
bei forgfältiger Unterfuchung der betreffenden Stellen?) ergibt fi theild, daß 
an Orten, wo der Senat, wenn er vorhanden geweſen wäre, nothwendig er- 
wähnt werden müßte, bedenkliches Stillſchweigen über ihn herrſcht, theils daß 
der Name, wo er wirklich vorfommt, ein prächtiger Ausdrud für Das ift, was 
fonft mit den Worten proceres, optimates, principes, primates bezeichnet wird. 

Allerdings finden fih Im Pabſtbuche einzelne Säge, welche darauf hin- 
gubeuten jcheinen, daß feit der Mitte des neunten Jahrhunderts ein wirklicher 
Senat zu Rom eingerichtet war, allein bei der unläugbaren mißbräudlicen 
Anwendung, melde das nämliche Buch jonft von dem Ausdrucke senatus macht, 
fann man fie nicht betonen. Ich glaube daher, Stellen, wie die bezeichneten, 
feine Beweiskraft beilegen zu bürfen. 

Es gibt jedoch andere, die [chwerer ind Gewicht fallen. Sn den ſpä— 
teren Jahren des Pabſtes Johann VIIL ift ein tiefer Eingriff In das Grund- 
vermögen des Apoftelfürften gefchehen. Berner fteht aus andern Gründen fe, 
daß der römiiche Adel, dem hauptſächlich die geraubten Güter zufielen, um 
diefelbe Zeit eine eigenthümliche, zum Bortheil der fremden Herricher berechnete 
Gliederung erhalten hat. Wenn cd in deutihen Quellen zum Jahre 875 
heißt::*) „Earl der Kahle, König von Frankreich, hat den ganzen Senat bed 
römiſchen Bolfd mit großen Summen in der Weile des alten Rumidiers Zus 
gurtha beftochen, und dadurch zu Wege gebracht, daß Pabſt Johann VIL. 
dem Neuftrier die Kaiferfrone auffegte;“ oder wenn ein anderer deutſcher 
Ehronift zum Jahre 881 melvet:*) „Carl der Dide fam nah Rom, ward 
bort vom Pabſte Johann VII. und dem Senate der Römer ehrenvoll 
aufgenommen, auch auf ruhmvolle Weife zum Kaiſer gewählt:” fo kann man 
faum mehr an einen erborgten Begriff des Wortes denfen. Denn der Senat 
handelt in beiden Fällen wie eine mächtige Körperichaft, welche hohe politiſche 
Fragen enticheidet, einen Pabft beherricht, zwei Kaifer zeugt; kurz der Senat 
amtet bier wie eine Behörde. 

Ferner ift oben gezeigt worden, daß der italienifche Kaifer Lambert, 
Wido's Sohn, im Jahre 898 — und zwar mittelft des sömifchen Adels — 
tyranniſche Gewalt gegen Petri Stuhl übte. Nun drüdt’) das ravennatiſche 
Geſetz vom genannten Jahre den Satz: „jedem Römer ſolle es frei fteben, 

) Berg II, ©. 395, Bere 99 u. ©. 397, V. 208. *) Gefammelt und erläutert 


von Hegel, Geſchichte ter Gtäbteverfaflung von Italien I, 276 unten fig. 2) Bere I, 389. 
4) Ibid. I, 592 oben. ®) Leg. I, 583. Rr. 2, 


Siebtes Bud. Gap. 9. Weſen und Urfachen römifcher Adelsherrſchaft. 167 


beim Kaifer Recht wider den Pabft zu fuchen,” mit den Worten aus: „wenn 
ein Römer, fei er wer er wolle, geböre er dem Elerus, dem Senate oder 
jedem anderen Stande an, fih an kaiſerliche Majeftät wendet“ u. f.w. Des—⸗ 
gleihen beftimmt‘) die oben?) erwähnte römiſche Synode vom nämlichen Jahre, 
welhe der Berfammlung von Ravenna voranging und vom Einfluffe Lamberts 
beherrfcht war: „fünftig ſollen Pähfte auf den Vorſchlag des Senats und des 
Volks von dem gefammten Elerus alſo gewählt werben, daß der Gewählte 
ſofort in Anmefenheit der Falferlihen Gefandten die Weihe empfängt.“ 

Die Lothar’jihen Geſetze von 824 hatten die Wahl der Päbſte dem Volfe 
entzogen und in die Hände des Clerus und Adels niedergelegt. Hier da- 
gegen erhält der Elerus fcheinbar allein das Wahlrecht. Aber wie? der Senat 
und das Volk fchlagen mehrere oder vielleicht gar nur einen vor. Im erften 
Falle darf der Elerus aus der Zahl der Vorgefchlagenen Einen, im andern 
Falle muß er den Borgefchlagenen wählen. Das Wahlreht des Clerus ift 
u einer bloßen Förmlichkeit herabgefunten, Macht und Wefen liegt in den 
Händen des Senats und ded Volle. Nun frage ih: warum wird bier der 
Ausdruck Senat gebraudt, warum fpricht die Gefeggebung nicht mehr wie 
vor 80 Jahren vom Abel? Wie verhalten fih die Begriffe Senat und 
Adel zu einander? Der Senat befteht aus Adeligen, infofern fallen beide 
Worte zufammen. Aber ed fommt noch etwas hinzu: der Senat ift die zu 
einer regierenden Behörde, zum Stadtrathe gegliederte, Adelöförperfchaft. 

Roh von einer andern Seite her fommt man auf dafjelbe Ergebniß. 
Mährend Kaifer Lothar die dem Stuhle Petri ergebene Menge von ven Pabft- 
wahlen ausichloß, räumte das Geſetz von 898 dem nämlichen Volke jcheins 
bar namhaften Einfluß auf die Zeugung der Päbfte ein. Darf man aber 
annehmen, daß Kaiſer Lambert, der wie ein Tyrann herrichte, dem großen Haufen 
eine nicht ungefährlihde Macht ernftlich zurüdgegeben habe? Gewiß nicht. 
In dem Sape expetente senatu et populo hat die zweite Hälfte fo gut als 
feinen Sinn, fie ift nur darauf berechnet, Unfundigen Sand in die Augen zu 
fireuen. Jedoch nur dann verhält fih die Cache fo, wenn der Senat nicht ein 
bloße8 Nebeneinander von Vornehmen, fondern eine geregelte, mit dem Stadts 
regiment betraute, Behörde war. Als ſolche hatte er das Heft in den Händen, 
fonnte anordnen, was ihm beliebte: der gemeine Mann mußte thun, ftimmen, 
wählen, wie und wen bie Herren vorfchrieben. 

Beim Lichte beſehen, fpielte die roͤmiſche Verordnung von 898 das Redt, 
Päpfte zu wählen, ganz in die Hände des Senats, oder beffer, fie gab bafjelbe 
in die Hände des Taiferlihen Hofes; denn vom Kaiſer in den Stabtrath aufs 
genommen und den Päbften zu Trop mit Kirchengut ausgeftattet, beſetzten die 
Adeligen in Erlevigungsfällen Petri Stuhl nad den Winfen des Oberherm, 


) Maufi XVII, 225. Nr. 10. 9) ©. 184 fig. 


168 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Gleichwohl follte der Schein gewahrt werden. Hätte Lambert offen gefagt: 
Pabſt wird in Zufunft fein, wen ich dazu ernenne, fo wire dieß felbft nad 
dem Gefühle des Spoletinerd ein wenig hart geweſen. Er ſchob daher Werf- 
zeuge voran, auf die er fi fo ficher verlaffen Fonnte, als auf die eigenen 
Hände. Ja er ging in der Heucdelei noch weiter: er fügte dem Senat das 
Volk bei, das unter den voraudgejegten Verhältniffen eine Nulle war. Sekt 
fonnte er — der unbeichränfte Herr — fi gar noch mit dem Ruhme brüften, 
die alte Freiheit ver Pabftwahlen bergeftellt zu haben. 

Im Angefihte diefer Thatfahen fann man faum mehr bezweifeln, daß 
gegen Ende des neunten Jahrhunderts ein förmlicher Senat zu Rom beftant. 
Ueberbieß ift eine Gegenprobe möglid. Gab es wirklich einen Senat, fo 
müffen in vdemfelben Etufen, oder ein Oben nnd ein Unten geweſen fein, denn 
eine Rathöverfammlung ohne Häupter und Vorfteher und wieder ohne ge 
wöhnlihe Mitglieder wäre ein Unding. Sodann läßt fih im Fall ver Be 
jahung die Vorausfegung nicht abweiſen, daß die Häupter des Senats Eon 
fuln genannt worden feien, denn in einer Stadt, wie Rom, wo faft jeber 
alte Stein an Confuln und Senat zugleih erinnerte, Fonnten die Gonfuln 
faum ohne Senat und hinwiederum der Senat faum ohne Confuln aufleben. 
Falls nun wirklich zugleih mit dem Senate Confuln zum Vorſchein fommen 
follten, nöthigt der gefunde Menjchenverftand einzuräumen, daß der römijce 
Senat fein leerer Name war. 

MWohlan, zugleich mit dem regierenden Senate find erftlich Vorſteher da, 
welche die Körperfchaft leiten. Meldet‘) nicht der bairifhe Chroniſt, daß die 
zwei römischen Vornehmen, welde Kaiſer Arnulf 896 nad) Baiern als Staats⸗ 
gefangene abführen ließ, Aelteſte d. h. Häupter, Xenfer des Senats gewefen 
fein! Es gab alfo im Schooße ded damaligen Senats oder Etadtrathd 
Sole, welche den Vorrang vor den gewöhnlichen Mitgliedern befaßen. Zwei⸗ 
tens eben diefe Vorfteher führen um die nämlihe Zeit den Titel Confuln. 
Zwar muß aud hier Vorficht angewendet, müfjen die Zeiten unterfchieden werben. 

Sm Jahre 541 hat Kaiſer Zuftinian das alte Confulat, in der Geftalt, 
wie es feit Auguftus beftand, für das oftrömifche Reich aufgehoben.) Gleich 
wohl werden auf mehreren PBunften Italiens, namentlih zu Rom, zu Ras 
venna, zu Neapel, zu Gaeta, nod) immer bi8 um 800 einzelne Männer er 
wähnt, die den Namen Confuln tragen. Zu Ende des fiebten und im An- 
fange des achten Jahrhunderts nahmen?) an Pabftwahlen neben der Geiftlid- 
feit und dem gefammten Bolfe „erlauchte“ Confuln, „glorreihe” Richter Theil. 
Pabſt Honorius I., der von 625 bis 638 auf Petri Stuhle ſaß, hatte den 
Eonful Petronius zum Vater. Auf der SKirdyenverfammlung, welche Pabſt 
Oregor II. 732 gegen die Bilderftürmer hielt, erfchienen neben anderen welt 


) Siehe oben ©. 164. 2) Segel a. a. ©. I, 806. Daſ. ©. 308 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 9. Weſen und Urfachen römifcher Adeléherrſchafi. 169 


lichen Großen Bonfuln. Bon Pabſt Zacharias gebeten, gab der Langobarvens 
finig Liutprand Gefangene aus dem römiſchen Dufat und aus Ravenna frei; 
unter leßteren befanden fi vier Gonfuln. Pabſt Hadrians I. Vater war 
früher Conful und Dur (Herzog) geweſen, ftieg aber fpäter zu der Würde 
eines päbftlichen SBrimicerius auf. Ebenſo empfängt Theodor, der Neffe des 
nämlichen Pabſtes, den Doppeltitel Conful und Dur.) 

Meines Erachtens erfcheint das Wort in den angeführten Fällen als eine 
bloße Auszeichnung der Ehre, die man aus Rüdficht auf die Vergangenheit, 
oder um der Eitelfeit päbftliher Beamten zu jchmeicheln, beibehielt, ungefähr 
wie ed heutzutage in Stalien und anderer Orten Herzoge, Marfgrafen und 


Grafen gibt, die Fein Herzogthum, Feine Marfe oder Grafſchaft, oft feinen 
Schuhbreit Land inne haben Kurz es verhält fih mit ven in obigen 


Stellen genannten Conſuln, wie mit dem römifchen Senate vor den Zeiten 
Lothars des Erften. 

Ravenna ftand bis zur Aufhebung des Exarchats unter den byzantinifchen 
Herrfhern oder unter den von ihnen eingefegten Oberftatthaltern. Rom ge⸗ 
horchte bis gegen die Zeiten Lothars den Päbften, und jene Mitglieder bes 
Senats, jene Eonfuln und Herzoge befaßen Feine felbfiftändige Gewalt, ſon⸗ 
den nur die, welche ihnen der gute Wille dort des byzantiniſchen Kaifers, 
bier des Pabſtes, und zwar widerruflich, übertrug. 

Aber ganz andere Conſuln, ald diefe älteren, tauchen gegen Ende des 
neunten Jahrhunderts auf; fie flehen an der Epige des Genate, der das 
Heft des Regiments zu Rom in Händen hat, fie beherrihen die Stadt und 
ven Kirchenftaat, fie fegen Päbfte nad) Gutvünfen ein und ab, fie trogen den 
Königen Italiens und vergeben zulegt die Tiare an ihre ehelichen und unehes 
fihen Kinder. Den Beweis werde ih unten führen, vorerft fomme ih auf 
die eilf oder zwölf römifchen Richter der Urkunde von 901 zurüd. 

Ueber einige der in dem Aftenftüde genannten find weitere Nachrichten 
vorhanden, namentlich über den zweiten in der Reihe, über Theophylaft. Wie 
unten aueführlich gezeigt werden fol, hat Pabft Johann X. im Jahre 916 
den Friauler Berngar zum Kaiſer gekrönt. Die Ceremonie befchrieb ein ita⸗ 
lienifcher Dichter, der jedenfalls Zeitgenoffe, wahrſcheinlich fogar Augenzeuge 
war. Dem Gerichte felbft find Gloſſen beigefügt, die in die Zeit des Dichter 
binaufreichen , vielleicht fogar von feiner eigenen Hand herrühren.?) Der Dichter 
erzählt, vor der Kaiſerkrönung hätten an Berngar zwei der vornehmften Jüng⸗ 
linge Roms, der eine ein Bruder des Pabſtes, der andere Eohn des Eon- 
ſuls, die Beremonie des Fußfuffes vollzogen.) Hiezu fügt die Gloſſe bei: 
„diefer Conſul der Römer hieß Theophylakt.“ 

Daß der bier genannte Theophylaft eine und diejelbe Perſon ſei mit 


%) Daf. S. 306 fi. 5 Perh, seript. IV, 190. 5 Ibid. S. 209, ®. 123 flg. 


170 Babft Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


dem in der Urkunde von 901 erwähnten, ift keineswegs gewiß, aber doch fehr 
wahrjcheinlih, da außer der Gleichheit ded Namens aud die hohe Stellung 
des Einen wie ded Anden dafür fpriht. Die Einerleiheit Beider voraudge: 
jet, wäre Theophylaft, der 901 bloß das Nichteramt — bereits eine anjchn- 
lihe Würde — befleidete, fpäter zum Conſul und zum erften weltliben Ma: 
giftrat der Stadt vorgerüdt; denn aus der Rolle, die der Eohn bei ter 
Krönung 'jpielte, geht hervor, daß der Vater die nächſte Stelle nad dem 
Pabſte einnahm. Weder der Dichter noch der Glofjator fügt, wie der Sohn 
Theophylafts hieß. Aber gute Gründe find vorhanden, welche zu ber An- 
nahme berechtigen, daß er denfelben Namen, wie der Vater, trug. Denn in 
Urfunden‘) aus den Jahren 927 und 942 wird ein Conſul Theophylakt cr- 
wähnt, der allem Anjcheine nad ein Sohn des PVorgenannten war, da in 
den größeren römifchen Bamilien der Name des Vaters häufig auf einen ber 
Eöhne überging. 

Nicht nur einen Sohn, fondern auch Töchter hatte der römijche Conſul 
Theophylaft von 916, und zwar zwei berüchtigte. Allein ehe ich von ihnen 
rede, tft nöthig, auf zwei Perfonen zurüdzugreifen, die und von früher ber 
befannt find. Oben wurde erzählt, daß Angiltrud, die Wittwe des Kaiſers 
Wido, im Namen ihres Sohnes Lambert Rom 896 gegen Amulf beſetzte, 
und weiter, daß ihr nach dem Tode ihres Sohnes Lambert König Berngar von 
Stalien Fraft eined Vertrags gute Behandlung verhieß. Der Friauler bat, 
wie es fcheint, Wort gehalten, denn laut einer Urkunde?) bewohnte Angiltrud 
noch im Jahre 900 das Herzogthum Spoleto und war Herrin dafelbft. Aber 
fie blieb e& nicht mehr lange. Zehn Jahre fpäter — 910 hatte Camerino 
bereitö zum zweitenmale den Beſitzer gewechfelt und war aus den Händen eines 
Ungenannten in die des Neulings Alberich übergegangen, der feinen Bors 
gänger erſchlagen haben muß. 

AN dieß erhellt aus einer Etelle’) des Lobgedichts auf König Berngar, 
welche andeutet, daß ein von Haus aus armer Glüdsfoldat Alberih um 889 
für den nachmaligen Kalfer, damaligen König Wido, an der Epige von 
1000 Bewafneten gegen Berngar focht, weiter daß ebenderſelbe eine gläns 
zende Heirath ſchloß und durch Ermordung eines ehemaligen Waffenbruders 
Markgraf von Eanerino wurde. Als Markgraf erfcheint Alberich urkundlich 
zuerft im Jahre 910. Auch feine Heirath Fennen wir näher. 

Benedikt, Möndh im Klofter St. Andrea auf dem Berge Sorafte, der 
in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts eine Chronik verfaßte, ers 
zählt:*) „Markgraf Alberich, ein fchöner Mann, nahm eine vornehme Römerin, 
. die Tochter Theophylafts, zum Weibe, doch war fie Anfangs nicht feine 
9) Muratori, antiquit. Ital. V, 774, obere Mitte u. 773, Mitte. *) Muratori, annali 


d’Italia ad a. 900 sub finem. °) Berk IV, 196 unten flg., womit zu vergleichen Mus 
zatori ad a. 910. “) Berg III, 714. 


Siebtes Bud. Gap. 9. Weſen und Urfachen römifcher Adelsherrſchaft. 171 


a, fondern nur durd ein unerlaubted Berhältnig mit ihm verbunden. 
de gebar ihm einen Eohn, der den Namen ded Vaters erhielt." Wie 
eint, will der Mönd, der unglaublih ſchlecht latein fchreibt, jagen, daß 
ch zuerſt die Tochter Theophylakts jchwängerte und erft nachher ſich 
ch mit ihr vermählte, in welder Ehe fie ihm dann den zweiten Al- 
gebar. 

daut andern Nachrichten hieß die Gemahlin Alberichs Marocia, war eine 
r der Theodora und hatte eine der Mutter gleichnamige Schwefter, die 
em Zeugniffe des Biſchofs Liutprand von Eremona, von deſſen Glaub» 
gkeit ich unten handeln werde, ebenjo wie Marvcia und die Mutter eine 
Hure geweſen fein fol. Vollkommen feft aber ftcht,') daß Marocia 
Zelt mit zwei Söhnen bejchenfte, mit einem unehelichen,. genannt Johann, 
31 Petri Stuhl beftieg, und mit einem ehelichen, Alberih IL, der ein 
Alberichs J, Markgrafen vor Camerino, war. Lepterer bat aljo in 
amilie des Conſuls Theophylakt hineingeheirathet, und man begreift, 
in Schwiegerfohn, wie Alberih, der über eine Marfgrafihaft ver- 
. geeignet war, Macht und Anfehen des Haufes zu fteigern, dem ber 
il vorftand. 

Außer Alberih muß Theophylaft noch einen andern Verbündeten gehabt 
‚ den wir fennen. Wie oben?) bemerkt worden, berichtet der Biſchof 
Sremona, daß Pabft Sergius III. im Jahre 904 durch den Markgrafen 
ert von Lucca⸗Tuscien zurüdgeführt und auf Petri Stuhl erhoben worven 
Zwar ift Ziutprand ber einzige Chronift, der hiefür einfteht, allein bei 
Mißtrauen, das er fonft verdient, kann man meines Erachtens obige 
icht nicht in Zweifel ziehen. Denn auch nad andern vollfommen bes 
igten Zeugniffen?) lebte Sergius, che er zurüdfehrte, ſieben Jahre in 
zerbannung und aß fremdes Brod. Iſt ed nun nicht an ſich wahrjchein- 
daß ein mächtiger Fürſt in der Nähe, wie Adalbert von Lucca⸗Tuscien, 
vährend diefer Zeit Schu gewährte und ihm fpäter zur Wiederherftelung 
If! Hat ihn aber der Tuscier eingejegt, ſo kann dieß nur im Einflange 
em zu Rom herjchenden Adel, namentlich mit dem Haufe Theophylafts, 
ben fein. 

Denn nicht nur verlief das Pontififat des Sergius verhältnigmäßig ruhig 
yauerte um ein Merkliches länger, als das feiner nächften Vorgänger und 
olger — was ein gutes Einvernehmen mit den „Geſtrengen“ vorausjeßt, 
m ein Gerücht, das zwar, wie ich unten zeigen werde, lügenhaft if, 
doch irgend eines thatſächlichen Grundes kaum entbehren kann, beſchul⸗ 
ihn ſehr vertrauter Verhältniſſe zu dem Haufe des Theophylaktus. 
kommt noch, daß Marocia nach dem Tode ihres erſten Gemahles 


) Ibid. ©. 297, Mitte. 313 gegen oben. ) ©. 158. 5 Pagi, breviariam II, ä 
. 199. 


172 Pabſt Gregorius VIL und fein geitalter. 


Alberich in zweiter Ehe den Sohn Adalberts, Wido von Tuscien, heirathete. 
Hievon unten. 

Ohne Frage war das Haus Theophylakts zwiſchen 900 und 920 das 
glängenpfte der Stadt Rom. Ein unnadhahmlicher Zug bürgt biefür, ein Zug, 
welcher der Natur felbft abgelaufcht if. Der oben erwähnte Mönch Benebift 
erzählt von fchredlihen Naturerjcheinungen, die im Jahre 921 fick ereignet 
hätten. „In der Nähe der Stadt Rom,” fagt‘) er, „fielen Steine vom 
Himmel, aud zu Narni, und zwar jo große, daß man glauben muß, bie 
Hölle habe fie ausgefpien. Einer diefer Steine ftürzte in den Bach bei Narni, 
und berjelbe hat einen ſolchen Umfang, daß er bi8 auf den heutigen Tag eine 
Elle body über dad Waſſer emporragt. Auch feurige Ballen fuhren über Rom 
bin, die beinahe die Erde berührten. inige plazten wirflid neben dem 
Haufe des Theophylaftus, andere in der Nähe der Kirche zu den 
h. Apofteln Jakobus und Philippus.“ 

Der Ehronift fpricht hier in einer Weiſe von dem Palafte Theopbylafts, 
daß man wohl fieht, derfelbe fei jedem Kinde bekannt geweien, etwa wie che 
mals die Yuggerei zu Augsburg, oder heutzutage dad Haus des unermeßlichen 
SJudenbarond dort zu Frankfurt am Main. Das beweist viel. 

Neben Theophylakt führt das Pergament von 901 zehn andere Standed- 
genofien auf. Auch bezüglich ihrer muß meines Erachtens die Urkunde als 
Stammmütterchen des römifchen Fürſtenthums betrachtet werden. Außer Theo 
phylaft und den Tusculanern, von denen fpäter die Rede fein wird, fpielte 
feit dem Anfange des 10. Jahrhunderts ein drittes römiſches Geſchlecht eine 
hervorragende Rolle, nämlidy das der Grescentier, und zwar hat letzteres erweis⸗ 
ih?) die Eigenthümlichkeit, daß der nämlihe Name — Crescentius — fich feld 
wiederholt. Je nun! der Crescentius, welcher unter den eilf römischen Richtern 
zum Vorſchein kommt, ift ficherlich einer der Ahnherren des Hauſes geweſen. 

Die Eilf werden als römifche Richter bezeichnet. Ich denke, das koͤmmt 
daher, weil die „Geftrengen“ feit dem Augenblicke, da fie die Gewalt ihres 
Standes feſt begründeten, nicht ermangelt haben, das Stadtregiment In ben 
Bereich des Senated zu ziehen, welcher die Behörde war, in der fie jelber 
faßen, und durd die fie den Pabſt, die Stadt, den Kirchenftaat beherrjchten. 
War vieleiht Rom und der Kirdyenftaat um 900 in eine Anzahl von Bejir⸗ 
fen eingetheilt, deren jedem ein Senator mit dem Titel eined Richters vor: 
ftand? Jedenfalls umſchloß der Senat nod die Stufe von Eonfuln, die ohne 
Zweifel den bloßen Richtern an Rang vorgingen. 

Sonft fommen nod andere bevorzugte Klaffen zum Vorſchein, namentlid 
die der Herzoge oder duces. In welhem Berhältniß ftanden nun biefelben 
zu einander ? 


4) Berg II, 715. 2) Hievon wird fpäter die Rede fein. 


Siebies Buch. Gap. 9. Weſen und Urfachen römifcher Adelsherrſchaft. 173 


Sn feiner Sammlung der Alterthümer Italiens theilt) Muratori Auss 
e von Urkunden ded Klofters zu Subiaco mit, die meift dem zehnten Jahr⸗ 
dert angehören. Ich reihe die wichtigeren Ergebnifje derſelben nach ver 
tfolge zufanımen. I. Neuntes Zahrhundert. Unter Pabſt Gregor IV. und 
ben Zeiten der Kaiſer Ludwig I. und Lothar I. (827—844) wird erwähnt?) 
Conful Petrus und ein Conful Johann, welder letztere zugleih Notar 
bellio) if. Unter dem Pabfte Leo IV. (847—855) fommen vor: Ana⸗ 
ins „im Namen Gottes Bonful und Berrechner des Benjus der Stabt 
m,“ und abermal!) Nikolaus, Bavarus, Petrus, Leo und Romanus, 
: fünf Gonfuln und Herzoge. Unter Pabit Benebift III. (855 —858) 
pin „Conſul, Herzog und Kammerherr,“s) Andreas „in Gotted Namen 
cher Herzog”, Euftafius und Peter, jeder mit dem Titel Conful und 
zog. Unter Nikolaus I. (8358— 867) ein Xeo®) der „erlauchtefte Gonful und 
rzog“, ein zweiter Leo Conful und Herzog. Unter Pabſt Stephan VII. 
6—897) Hadrian®) Conſul und Herzog, Sergius ebenjo, Oratian „in 
tteds Ramen Conſul und Herzog”, Leo Conſul und Herzog, „Arnulf in 
tted Namen Conſul und Herzog” ; abermal’) Fauſtus Conſul und Notar 
bellio) der Stadt Rom, Peter Conful und Herzog, Leo Eonful und Notar 
' Stadt Rom, Peter Conful, Benedikt Eonful. 

D. Zehntes Jahrhundert. Unter Pabft Sergius III. (904—911) hält?) 
Tivoli einen Gerichtstag der erlauchteſte Graf Hadrian mit 6 Richtern. 
ter Pabſt Anaftafius III. (911—913) fchenft?) Domnina, Witte weiland 
Herzogs Hadrian, dem fürtrefflihften Conful und Herzog Johannes ges 
de Güter. Als Zeugen unterjchreiben Campulus, Herzog und Eidam der 
mnina, Benedikt Conſul und Notar der Stadt Rom, ein zweiter Benedikt 
nful und Herzog, Johannes der fürtrefflichfte Conful und Herzog, dann 
h Romanud, Leo, Johann, jeder mit dem Titel Conful und Herzog. 
ter Pabſt Johann X. (914— 928) ald Zeugen!‘) Theophylaft, Paul, Gras 
na, jeder Conful und Herzog, dann ein Leo Conful und Notar der Stabt 
m; abermal'‘) zwei Zeugen, Johann und Rabulf, Herzoge; deögleihen‘”) 
rgius und Rodeland, Conjuln und Herzoge. 

Unter Johann XI. (931—936) als Zeugen‘’) Stephan, Benedikt, Roſeus, 
ı zweiter Etephan, alle vier Confuln und Herzoge; unter Leo VII. (936 
939) als Zeuge Johann, Conſul und Herzog; abermal'*) ald Zeugen Bofo, 
irtrefflichfter Gonful und Herzog, Sohn weiland des Herzogs Theodor”, dann 
folaus und Syivefter, jeder Conjul und Herzog. Unter Pabſt Stephan IX.‘*) 


N) Antiquit. Ital- V, 769. 3) Ibid. ©. 771. 2) Ibid. ©. 769: consul et magister 
wi urbis Romae. *%) Did. ©. 770. ®) Ibid. S. 771 unten: consul et dux atque 
darius. °) Ibid. ©. 770. 7) Ibid. ©. 771 unten fi. °) Ibid. ©. 773. 9 Ibid. 
72. Mid. ©. 771. *) Tbid. ©. 772. 9) Ibid. ©. 774. *7) Ibid. ©. 771. 
Ibid. ©. 772. 18) Daß Stephan IX. und nicht VIIL gemeint ift, folgt aus ber In 


174 Babft Gregorius VIL und fein Seitalter. 


(939— 942) reist Abt Leo von Subiaco nad Rom, um einen Rechtshandel 
im Gerichtöhofe des Herrn Alberich II., des glorreihen Fürften von Rom, vor 
den Erlauchten (optimates) zu betreiben; der Verhandlung wohnen an, außer 
mehreren hohen päbftlichen Beamten, Georg, Herzog, mit dem Beinamen Ganna- 
para, Hadrian Herzog, Theophylakt Eonful, Johann Conful und Herzog, 
Georg Eonful und Herzog, Eine fehr belehrende Urkunde. ‘) 

Unter Pabſt Agapetus II. (946—955) madıt?) die demüthige Magd 
Gottes Marocia — fie war nämlich in ihren alten Tagen Nonne geworden — 
eine fromme Stiftung ; ald Zeugen unterjchreiben Johann, Conſul, Demetrius 
und Theodor, edle Männer. Desgleichen ſchenkt) Benedikt „im Namen Gottes 
Conful und Herzog“ an das Klofter Subiaco gewiffe Güter; ald Zeuge wird 
genaunt Georg, Eonful und Herzog. Unter Pabft Johann XI. (955—963) 
ftiftet*) Gratian, „im Namen Gottes Eonful und Herzog“, Ländereien, die vor 
den Mauern Roms gelegen find; als Zeuge erfcheint ein Eylvefter, „in Gottes 
Namen Eonful und Herzog“ ; in zwei andern Urkunden aus der Zeit deſſelben 
Pabſtes wird erwähnt") die erlauctefte Frau Marocia, Senatorin aller Römer. 

Unter Pabſt Johann XIIL (965 —972) treten‘) ald Zeugen auf: Gras 
tian, Conful und Herzog, neben den zwei edlen Herren Peter und Marinus; 
deögleihen”) ein Herzog Johann, ferner wird genannt?) Gratian, Herzog 
und Graf der Stadt Tivoli. Unter Pabſt Benebift VI. (972—974) fommt*) 
zum Vorſchein Johann, Presbyter und Herzog des Schloſſes Albano. 
Unter Pabſt Benedikt VII. (974—983) verfchenft!) Peter, ſehr erlauchter 
Conſul und Herzog, ein Haus; desgleichen beichnt'‘) Abt Benedikt von 
Subiaco den fürtrefflihften Herrn SIohann, Sohn des Herzogs Demetrius, 
mit einer Burg; ferner wird enwähnt!?) Herr Johann, Preöbyter und Mönd 
zu Subiaco, ehemald® Herzog des Scloffes Albanoz endlich vergabt‘‘) 
Demetrius, Conſul und Herzog, im Namen feiner Muhme, der ſehr edlen Frau 
Marocia feligen Gedächtniſſes, (fie ift geftorben), ein Stud Land. Als Zeuge 
unterfchreibt Gregor, Conſul und Herzog. Unter Johann XV. (985—996) 
wird urfundlich genannt '*) Johann, Präfeft der Stadt Rom und Graf Reinhard. 

Aus der erfien Hälfte des eilften Jahrhunderte, unter Pabſt Sergius IV. 
(1009—1012) ftiften‘®) die Brüder Johann und Crescentius, „von Gottes 
Gnaden erlaudhte Grafen”, Söhne weiland des feligen Grafen Benedikt, für 
das Seelenheil ihres Waters und ihrer Mutter, der erlaudten Gräfin 
Theodoranda, gewifie Güter bei Pränefte. Unter Pabſt Benedikt IX. (1033 
bis 1048) vergaben '*) Crescentius, Präfekt der Stadt Rom, ferner Söhne 
defielben verſchiedene Güter. 


ı) Ibid. ©. 771. 2) Ibid. ©. 772 unten fig. 2) Ibid. ©. 774. °) Jbid. 
©7790. °)Ibid ©. 771u773. 9) Ibid. ©. 770. )Ibid. S. 771. 9) Lid. 
©. 773. *) Ibid. ©. 774. 9) Ibid. ©. 772. 11) Ibid. ©. 770. 19) Ibid. 
© 771. 7 Ibid. ©7793. 4) Ibid. S. 771. *Y)Ibid ©. 774. 9) bi. €. 709. 


BHrr 


Siebted Bud. Gap. 9. Weſen und Urfachen römifcher Adelsherrſchaft. 175 


Folgende Bemerkungen drängen fi auf: wenn einer zugleich Conſul und 
Herzog ft, fieht ohne Ausnahme der Titel Eonful voran. Meined Erachtens 
muß man hieraus den Schluß ziehen, daß in der Meinung des Zeitalterd der 
Name Conſul mehr galt, ald der Titel Herzog. Manche werben erwähnt, 
tie blos Eonfuln find, aber in der Regel ift das Bonfulat verbunden ents 
weder mit der Würbe des tabellio oder mit der des Herzogs. Der Ausdruck 
tabellio ftammt ab von der verkleinerten Form des Worts tabula, tabella 
oder tabellum, welches die öffentlihen Urkunden, Schenkungs- und Güters 
bücher bezeichnet, die in Städten, welche eine felbftftändige Verwaltung haben, 
überall einen befonvern Zweig der letztern bilden und der Vorſorge bejonderer 
Beamten, Archivare oder Regiftratoren zugewiejen werden. in ſolcher Bes 
amter bieß Tabellio, fein Geſchäft beftand darin, Lrfunden der genannten Art 
abzufaffen und aufzubewahren. In der That heißt‘) e8 am Schluffe einer 
ver oben erwähnten Urkunden, fie fei ausgefertigt worden durch den Tas 
bellio Silo. 

Folglih gab es unter den römischen Gonfuln des zehnten Jahrhunderts 
jolhe, welche mit dem ftäptifchen Archive nichts zu fchaffen hatten, und wies 
derum Andere, denen der Zutritt zu demjelben offen ftand, ever die, wie ih 
glaube, die Dberaufficht über dieſe Anftalt führten. Berner bei Weitem nicht 
alle vornehmen Römer waren Conſuln; denn wiederholt fommen edle Männer 
ald Zeugen vor, die den Titel Conful nicht empfangen. Endlich gleichwie 
Conſuln erwähnt werben, die nichts als Eonfuln find, fo treten auch Herzoge 
auf, die nicht zugleich einen andern Titel erhalten; doch iſt diefer all jelten. 

Mas befagt nun der Begriff „Conſul“? Die Geihichte des Worte, 
das Ergebniß der mitgetheilten Urkunden, die enge Verbindung des Conſulats 
mit dem Amt der Tabellionen, welche überall ver ftättifchen Verwaltung zus 
getheilt find, läßt meined Erachtens feine andere Erflärung zu, als diefe: 
Gonful war im fiebten und achten und noch In der erften Hälfte des neunten 
Jahrhunderts ein Ehrentitel höherer päbftlicher Verwalter. Aber feit der Zeit, 
da der römiſche Adel auf Koften des Kirchenguts felbftftändige Macht, felbft- 
Händigen Befip au erringen wußte, bezeichnet der Ausprud Mitglieder und 
war bevorzugte, leitende Mitglieder der ftäptiichen Behörde, welche Rom bes 
herrſchte, den Stuhl Petri erniedrigte, die Pabſtwahlen nah ihrem Wohlge⸗ 
fallen lenkte. Außer den Eonfuln faßen im römifchen Senate noch Richter und 
allem Anſcheine nad mehrere untergeorbnete Beamte; den Vorrang aber 
müſſen die Conſuln gehabt haben, da die Stellung, welche Theophylaft 916 
ald Conſul bei der SKaiferfrönung Berngars einnahm, diejenige überragte, 
welche er fünfzehn Jahre früher als einer der eilf Richter inne hatte. 

Die Zahl der Eonfuln vermag ih aus den mir zugänglichen Quellen 


N) Ibid. ©. 770 oben. 


176 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


nicht zu beflimmen, doch fteht feft, daß fie beträchtlich war, und fich nicht auf 
die Zweiheit ver republifanifchen und altkaiſerlichen Zeiten befchränfte. Denn 
während der Ffurzen Verwaltung des Pabſts Stephan VII., die faum ein 
Jahr dauerte, fommen nicht weniger als neun verfchiedene Conſuln zum Bors 
fchein, desgleichen führt eine einzige, in den Tagen des Pabſtes Anaftafius III. 
ausgeftellte Urkunde fieben Conſuln neben einander auf. Da immer new 
Namen vorlommen, muß ein rafher Wechſel im Conſulat fluttgefunden 
haben. Wirklich führt‘) die überaus wichtige Verzichturfunde Leo's VIIL, 
von der fpäter vielfach die Rede fein wird, einen Erconful Fauſtinus auf. 

Bleibt übrig, den Begriff von dux oder Herzog zu beftimmen. Allem 
Anjcheine nah war das Wort urfprünglic ein prächtiger Name für Das, was 
bei den Langobarden Gastaldus, bei den Sranfen actor, agens hieß. Berwalter, 
Amtleute der ehemaligen päbftlihen Güter find gemeint. Die Duces haben fid 
in den Geſchäftskreis eingedrängt, welchen in den Zeiten Gregors I. Beamte 
geiftlihen Standes, Regionarii, Defenfores, Notare, Eubdiafone beforgten. 
Wie oben?) gezeigt worden, finden fih ſchon im adten Jahrhundert Spuren, 
daß die päbftlihen Etatthalter oder Amtleute in den Städten oder Gutd- 
theilen, welche den SKirchenftaat bildeten, Duced genannt wurden. Bon alten 
Zelten ber bis auf den heutigen Tag lieben die Staliener, noch mehr als bieß 
bei den Deutichen jeit dem Untergang unferer Nationalmadıt der Fall ift, den 
Luxus von Titeln. Wie viele principi, duchi, marchesi, conti, baroni laufen 
auf den Straßen der Stadt Rom herum! 

Daß die Herzoge und auch die consules urfprünglid Verwalter päbft- 
licher SPatrimonien waren, erhellt auß mehreren Urkunden.) Im Sabre 841 
ift ein Gregor Conful und Rektor des pübftlichen Patrimoniums bei Gaeta. 
Unter eo IV. wird ein Mercurius, Eonful, Herzog und Reftor des Patri⸗ 
moniums Traetto (am Ausfluffe des Garigliano im römifchen Campanien), 
erwähnt. Derſelbe Mercurius veredelt zchn Jahre ſpäter unter Pabft Nife- 
laus I. feinen Titel in merkwürdiger Weiſe, denn nun unterjchreibt er fid 
Mercurius, fürtrefflichfter Conful und Herzog des Patrimoniums Traetto. 

Anfangs hießen die Herren Conſuln und Rektoren diefed und jenes Guts; 
nachher wird das ftattlihe Wort Herzog eingefügt, aber doch der Titel Rektor 
beibehalten, welder von wirkliher Bedeutung ift, weil er anzeigt, daß die 
Herren nicht auf eigenem, ſondern auf fremdem Grunde fiten. Später gewinnt 
der dux den Sieg über den Rektor, welcher gänzlic) weichen muß, und nur 
das Wort Patrimonium verräth noch, daß der durchlauchtigſte Herzog das 
Gut eines Andern, nämlich des Pabſtes, verwaltet. Die dritte und letzte 
Abhäutung beftand darin, daß auch der Belag Patrimonium wegbleibt, und 


— . — — 


1) Berk, leg. I. b. ©. 170. ) ©. 116. 2) Nachgewiefen von Hegel, Staͤdte⸗ 
Verfaffung I, 310, Noten. 


Siebtes Bud. Cap. 9. Wefen und Urfachen römifcher Adelsherrſchaft. 177 


daß fi der Herzog zum Erbherrn feines ehemaligen Amtsbezirk aufwirft. 
Diefe Wendung nahmen die Dinge feit den fpäteren Jahren des Pabſts 
Johann VIII. und in Folge der Dienfte, welche der Epoletiner Lambert dem 
römifchen Adel leiſtete. 

Zugleich geht noch eine andere Aenderung vor ſich. Die römiſchen Ses 
natoren, urfprünglid Beamtenföhne, und Ritter der Feder, verwandeln fih in 
„Beftrenge”, werben Helden des Echwerts, ſchlagen an die bewehrte Seite, 
wenn ein Hinterfafle nicht gehorchen will, und find, wie es unter foldhen Um⸗ 
Händen nicht ander& fein fann, vos Allem darauf bedacht, Burgen auf den 
geraubten Kammergütern zu erbauen, damit fie, wenn etwa ein Pabſt fein 
Eigenthum wieder an fih ziehen will, mit Gewalt Wiverftand leiften Fönnen. 

Abermals gibt hierüber eine der oben mitgetheilten Urkunden des Kloftere 
Eubiaco Aufihluß. Jener Johann, den man, wie e& fcheint, um feinen un- 
ruhigen Ehrgeiz zu zügeln, in die Kutte ftedte, wird Herzog genannt, weil er 
das Schloß Albano (das zum Patrimonium Appia gehörte) von feinem Vater 
ererbt hatte. Auch die andern Herzoge befaßen ficherlih ihre Burgen: die 
Maſſe roher Thürme, die man heute noch weithin über die römiihe Cams 
pagna zerftreut findet, ſtammt aus den Tagen der Adelsherrſchaft. Ich bin 
überzeugt, daß um dieſelbe Zeit, da der römifche Adel die Weder mit dem 
Schwerte vertaufchte, der langobardiihe Schnurrs und Knebelbart zu den fonft 
glatt rafirten Römern gewandert ift.') 

War ein römifcher Adeliger Herzog geworden, das heißt, hatte er den 
feften, dauernden Befig ehemaliger päbftlicher Landgüter erlangt, jo fiel es ihm 
nicht fchwer, fofern er ernſtlich darnach ftrebte, in den römiſchen Senat 
aufgenommen zu werden und alfo die die Laufbahn von Richtern, Confuln ein» 
zuſchlagen. Daher die häufige Verbindung der Titel Conful und Herzog. Daß 
die Gonfuln nicht felten zugleich Tabellioned waren, erflärt ſich aus der Eigen⸗ 
thümlichkeit des römischen Gemeinweſens. Bei uns ift das Archivamt feines 
von den höheren, anders verhielt es fi während des neunten, zehnten und 
der erften Hälfte des eilften Jahrhunderts im Kirchenſtaat. Aller adelige 
Befitz beruhte) auf Schenfungsurfunden, die den rechtmäßigen Eigenthümern, 
den Päbften, entweder durd Betrug oder Gewalt abpreßt waren. Darum 
beeiferten fich die Häupter der „Geftrengen,” den pergamentenen Schaß, ber 
gleihfam die Seele des Staates enthielt, unter ihre eigene Obhut zu befommen. 

Im Uebrigen verlief fein volled Jahrhundert, jo mußte der Titel dux 
vor einem andern weichen, den die römijchen Adeligen für vornehmer hielten, 
der aber nicht, wie dux, aus den Ueberbleibjeln des byzantiniichrömifchen Kaiſer⸗ 
thums, fondern aus den deutfchen Wäldern ſtammte. Die Herrſchaft der wäljchen 


) Man vergl. Muratori, antiq. Ital. II, 297 flg. ») Beifpiele genug werben unten 
vorlommen. 


Ofrörer, BabR Gregorins Vu. Bi. V. 12 


178 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


und deutfchen Earlinger ließ Spuren in den täglichen Gebräudhen des Kirchen- 
ftaats zurüd. Wie zu den Zeiten des Pabfted Benebift IIL unter den römis 

ſchen Conſuln und Herzogen ein Bippin auftaucht, fo fommt während Kaiſer 
Arnulfs kurzer Herrfchaft ein römijcher Arnulf, „im Namen Gottes Eonful und 
Herzog,” zum Vorſchein. Ich denfe, jener dürfte zu Ehren der wäljchen, dieſer 
aus Schmeichelei für die deutichen Earlinger fo genannt worden fein. Denn 
fonft findet man durchaus lateinifshe Namen bei den „Geftrengen“. 

Einige Jahre fpäter wird zu Tivoli ein Graf Hadrian erwähnt, der 
aber unter dem nächſten Pontififat wieder den römischen Titel dux empfängt. 
Das war meines Erachtens der erfte oder einer der erften Verſuche, die deutjche 
Grafſchaft auf römiſchem Boden einzubürgern. Nach weiteren 50 Jahren, jeit 
der Sachſe Dtto L feine Gewaltherrichaft über Rom aufgerichtet hat, gewinnt 
der Graf die Oberhand über den dux. Un 970 legt fi jener Gratian den 
Titel Herzog und Graf von Tivoli bei, und zu Ende des zehnten Jahrhunderts 
wollen die mädhtigften römifchen Herren nicht mehr Herzoge, jondern Grafen 
heißen. Stattlidher dünft e8 ihnen, wie ein deutjcher Graf über Land und 
Leute zu walten, als einen urjprünglih römischen Titel fortzuführen, der jo 
manche theils bettelhafte — wie viele und arme Abentheurer nannten ſich 
duchi! — theils räuberifche Erinnerungen nacfchleppte. Ich werde unten am 
gehörigen Drte auf die Veränderungen im Stabtregiment zurüdfommen, deren 
Abbild dieſer Titelwechſel war. 

Im Einzelnen ift nunmehr nachgewiefen, wie Petri Statthalter gegen Ende 
des neunten Sahrhundertd ausgedehnten Landbeſitz und die Herrichaft über 
Rom durd eine NRotte von Menfchen verloren, welde urfprünglih ihre Be: 
amten waren, und welde, um den Raub zu behaupten, ein eigenthümlichee 
. Stadtregiment in der Form eines Senats gründeten. Ueber den Sinn de 
Bannd, den Johann VIII. zu Ravenna im Auguſt 877 nicht nur den Räw 
bern einzelner Grundſtücke und Pachthöfe, jondern aud Denjenigen androhte, 
welche Verwaltungen und Rentämter an fid reißen, kann fein Zweifel mehr 
fein. Letzterer Fluch galt den Ahnherren over Vorfahren der zahlloſen Duces 
des zehnten Jahrhunderts. Wer jollte e8 aber glauben, daß nur ein einziger 
Zeuge vorhanden ift, der rund und nett Das bejchreibt, was im SKirchenftaate 
vorging! 

Ich habe an einem andern Orte gezeigt, daß Bilchof Bonizo von Sutri, 
Zeitgenoffe und Anhänger Gregord VU., trefflihe Nachrichten über die ita- 
lieniſchen Zuftände des eilften Jahrhunderts mittheilt. Derſelbe Bilchof vers 
faßte eine kurze Ueberſicht) der Pabftgefchichte des zehnten Seculums, in welcher 
ed unter Anderem beißt: „unter Pabſt Johann CIX.) (898—900) haben 


—— 





1) Nova Patrum bibliotheca. Tomus septimus, Pars III, 45. Romae 1854. 4to. Jo- 
bannis temporibus romani capitanei patriciatus sibi tyrannidem vindicaverunt. 


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Siebtes Bud. Gap. 10. Rom von 905—928. Das Hurenregiment eine Lüge. 179 


bie römifchen Capitane (Großvaſallen) ein tyrannifches Fürſtenthum aufge 
richtet.“ Wie viel beffer hätten Liutprand und Andere gethan, gleich Bonizo 
in den Kern der Sache einzubringen, ftatt Worte zu drechſeln und. Lügen in 
die Welt zu verbreiten. 


Behntes Capitel. 


Rem und der Kirchenſtaat während der Jahre 905—928. Päbſte Sergius III. (904—911), 
Anaflafins III. (911— 913), Lando (913. 914), Johann X. (914—928). Das foge: 
nannte Hurenregiment ein Gewebe dummer und nichtönugiger Lügen. Der Berfafler 
bes Büchleins von der Gewalt der Kaifer. Schriftflelleriicher Charakter des Bilchofs 
von Gremona. Johann X., ein Bruder des Markgrafen Alberih I. von Spoletos 
Camerino und Sprofle des Tusculaner Haufes, wird den Kirchengeleßen zuwider durch 
die römilchen Adeligen auf Petri Stuhl erhoben, ergreift aber fogleich Parthei gegen 
feine Sönner und arbeitet für Befreiung der Kirche. Im Mär, 916 kroͤnt er den 
Briauler Berngar zum Kaifer gegen die Bedingung, daß alles dem Apoftelfürften ents 
riffene Gut wieverhergeftellt werde, bildet dann ein mächtiged Bünbnig wider bie am 
Barigliano angefiebelten Saracenen und befiegt fie. Kurz darauf fchlagen die Broßs 
vofallen des oberen und mittleren Staliend gegen den neuen Kaiſer los. Berngar 
unterliegt. Der Burgunder Rudolf und nach ihm ber Provenzale Hugo, Könige Loms 
bardiens. Auch in Rom brechen Heftige Kämpfe aus. Bon feiner Gemahlin Marocia 
verführt, empört ſich Alberich I. gegen den Pabſt, feinen Bruder, der aber mit Hilfe 
des Volks den Empoͤrer aus der Stadt vertreibt. Alberich ruft die Ungarn herbei, 
nimmt Rom wieder ein, fällt aber im Gefechte. Seine Wittwe Marocia heirathet in 
weiter Ehe ben jungen Marfgrafen von Lucca Tuscien, Wido, zettelt eine Verſchwoͤrung 
gegen ben Pabſt an, nimmt ihn gefangen und läßt ihn 929 erdroſſeln. Andeutung daß 
Johann X. dem h. Stuhl die Firchliche Hoheit über Dalmatien und Groatien erwarb 
und einen merkwürdigen Umfchwung im griechifchen Morgenland anbahnte. Johann X., 
den Liutprand verläftert hat, war ohne Frage der größte Pabſt des 10. Jahrhunderts. 
Urſachen, warum feine Geſchichte frühe verfälfcht wurde. 


Die Bergewaltigung, welche Petri Stuhl durch die Eapitane erfuhr, ges 
reiht der Mutterfirhe mit Nichten zur Unehre; denn der tapferfte Widerftand 
if, wie ich unten zeigen werbe, den Raͤubern entgegengejeht worden und mehrere 
Paͤbſte haben ihr Blut für die gute Sache geopfert. Gleihwohl wurde aus 
diefem Anlafje die Metropole der Ehriftenheit durch einen Teichtfinnigen Schrift 
fteller ſchaͤndlich verläunidet. 

Obgleich die Padftgefchichte einem fortwährennen Martyrium gleicht, kann 
man doc mit gutem Fuge fagen: nie, weder unter den heidnifchen Kaiſern, 
noch unter den Byzantinern, noch unter den Garlingern, Salien, Staufen, 
noch während der Gefangenſchaft zu Avignon, nod endlich feit den Zeiten der 
Kirchenſpaltung des ſechzehnten Jahrhunderts, erfuhr Petri Stuhl fo empörende 
Mißhandlung, als durch die Bapitane Rome. Daher ift e8 in der Ordnung, 
daß, nachdem dad Regiment der „Beftrengen“ eines bi zwei Menjcenalter 


gedauert hatte, Schriftfteller aufftanden, welche im Vergleidh mit Dem, was 
12° 


180 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


die Capitane fi erlaubten, vie ehemalige Gewalt fremder Kaffer über Rom 
nicht blos erträglih, fondern fogar löblih fanden und auf deren Wiederher⸗ 
fiellung, als das einzige Mittel, dem Uebermuth der Gapitane zu fteuern, 
hinarbeiteten. 

Sn diefem Sinne ſchrieb') der Verfaſſer des mehrfach erwähnten Büch— 
leins, das von kaiſerlicher Herrihaft über Rom handelt. Die Abfafjung fält 
gegen die Mitte des zehnten Jahrhunderts. Am Schluffe heißt‘) es: „feit 
dem Tode Carls des SKahlen ift es keinem der folgenden Kaifer oder Könige 
gelungen, das volle Recht, das der große Carl zu Rom übte, berzuftellen, 
weil ihnen entweder die für ein ſolches Unternehmen erforderlihe Macht oder 
Klugheit fehlte. Folge davon war, daß unausgejegte Kämpfe ohne Entſcheidung, 
Mord, Raub, Angeberei das Reich zerrütteten.” Deutlich fieht man: der Ber; 
faffer hatte die italienischen Kaijer Wido, Lambert, Berngar, die Könige Ludwig 
den Provenzalen, Hugo, vielleiht fogar Berngar von Jvrea hinter fi), aber 
die durd den Sachſen Otto vollbrachte Herftellung carolingifher Gewalt hat . 
er nicht erlebt. Denn Dtto I. herrſchte weit ftraffer über Rom, ald der Judith 
Sohn, Earl der Kahle. Das Bud muß daher zwilchen 930 und 955 ges 
ichrieben fein, da Viele an Berufung eines fremden Erben der Krone Carls 
des Großen dachten. Den Berfaffer jelbft halte ih für einen Ehrenmann, ver 
in feiner Weife das Gute wollte. Wenn man nur zwiſchen Vafallenregiment 
und Kaiferherrichaft zu wählen hatte, verdiente legtere allerdingd den Vorzug. 

Etwa zehn Sahre nad dem Unbekannten ſchilderte Liutprand die Ges 
ſchichte feiner Zeit. In Lombarbien um 920 geboren, erhielt er durch feinen 
Stiefvater, der reih war, eine forgfältige Erziehung, wurde um 946 Ges 
heimfchreiber des italienischen Königs Berngar II. (von Jvrea), lernte in dieſem 
Amte die Welt und die großen Geſchäfte fennen, übernahm im Auftrage feines 
Gebieters 948 eine Geſandtſchaft an den byzantiniſchen Hof nad Conſtan⸗ 
tinopel, wo er die griechiſche Sprache erlernte. Seine Rüdfehr aus dem Orient 
nah Stalien fiel jo ziemlih mit dem erften italienischen Feldzuge Otto's zus 
ſammen. Da Liutprand fofort mit Berngar brad und nad Deutſchland floh, 
drängt fih die Bermuthung auf, daß er von König Dtto I., dem viel daran 
liegen mußte, geſchickte und namentlih in die Geheimniffe Berngars einge: 
weihte Italiener in feine Dienfte zu ziehen, verlodt worden ſei. 

Seit 956 lebte er am ſächſiſchen Hofe; eben dort begann er 958 fein Ge⸗ 
ſchichtwerk, die legte Hand legte er an daſſelbe um 963, nachdem Dtto bereits 
zum Kaiſer gefrönt war. Indeß blieb das Werk unvollendet.) Liutprand 
befaß mehr Kenntniß als vie Mönde, welche damals gewöhnlich Chroniken 
abfaßten, er war ferner ein Gefchäftsmann, der die Welt nicht blos aus Büchern 
fannte, er weiß überdieß gut zu fchreiben, im Ganzen anmuthig zu erzählen. 


1) Berk II, 722. 2 Perg LIT, 264 fig. 


Siebtes Buch. Gap. 10. Rom von 905—928. Das Hurenregiment eine Lüge. 181 


Einen bejondern, freilich zufälligen, Werth verleiht feiner Arbeit der Umftand, 
daß das zehnte Jahrhundert eben einen Weberflug an Chroniken beſitzt. 
Gleichwohl leidet das Werk an mefentlihen Mängeln. 

Einmal madte er fi fein Gefchäft leicht. Vielfach werben, befunders die 
Ateren Theile feiner Erzählung, die mit 893 beginnt, durd Urkunden wider: 
legt. Wenn es ihm aud in Deutjchland, wo er, wie ih fagte, die erften 
Bücher niederfchrieb, an Hülfsmitteln gebrach, fo hätte er doch nachher in 
Italien die gröbften Fehler gegen die Zeitrehuung und andere Berftöße vers 
befiern Fönnen und follen. Für's Zweite ift er ein eitler Gecke. Zu feiner 
Zeit herrſchte an deutſchen und italienifhen Höfen die Eitte noch nit, daß 
die befternten Herren, um zu zeigen, daß fie beffer feien, al& die Landeseinge⸗ 
bornen, franzöfifh radbrehten. Immerhin griff der Biihof von Cremona 
— Otto 1. hat ihn 964 auf den genannten Stuhl erhoben — der Kinderel 
des 17. und 18. Jahrhunderts vor. Mitten unter Lateinern und Deutichen, 
bie fein Wort byzantiniſch verftanden, prunkt er mit feiner Kenntniß der gries 
chiſchen Sprade, fügt ganze griechiſche Sätze in ſein Geſchichtwerk ein, die er 
zuerſt mit griedifchen, dann mit lateinischen Buchftaben wiedergibt, zuleßt ins 
Lateiniſche überſetzt. Wie wohl muß es ihm gethan haben, diefe feltene, aber 
unnüge Yertigfeit vor der Welt auszuframen! Auch darin verräth er den 
Höfling, daß er das Anefvotenerzählen liebt. ‘) 

Roh widerlicheren Eindrud als feine Eitelfeit macht der lüfterne Ton, in 
welhem er — ein Elerifer — von geichlechtlihen Verhältniffen redet, und 
nach Gelegenheit haſcht, Ausflüge in dieſes Gebiet zu veranftalten. Keuſchheit 
kann feine ftarfe Seite nicht geweſen ſein, weder in Gedanken, noch in Werken. 
Endlich mißbraucht Liutprand in einem ſehr wichtigen Punkte die Geſchichte 
als Hebel der Schmeichelei. Daß Otto J., zum Kaiſer geworden, die Päbſte 
ärger bedrücken werde, als es je Lothar J., Ludwig IL oder Carl der Dicke 
gethan, konnte der Lombarde freilich um 958, da er Hand ans Werk legte, 
vier Jahre vor der That nicht wiſſen. Aber der Ton, welcher am ſächſiſchen 
Hofe, namentlich in Bezug auf die Kirche und den päbftlihen Stuhl, herrſchte, 
muß von der Art geweien fein, daß der fcharffichtige Italiener das Fünftige 
Gebahren feines Herrn vorausſah. 

Genau wie hundert Jahre fpäter der Salier Heinrih II. ift Otto L 


) 3 fehe Lintprand vor mir, wie er gleich einem reich geworbenen Wiener Empor: 
Kömmling fämmtliche Finger feiner beiden Hände mit funfelnden Ringen gefhmüdt trägt, 
und wenn das Tabakfchnupfen damals ſchon eingeführt gewefen wäre, würbe ficherlich ber 
Bers von ihm gelten: 

Des Hofes Sold 
es fpielt Bon lauterem Gold, 
Durch die Fingerlein Die ſchwere 
Spig und fein Tabatiere. 


182 Pabſt Bregorins VII. und fein Seitalter. 


in Stalien als Kirchenverbeſſerer aufgetreten. Es paßte in feine Abfichten, wenn 
der italienifhe Elerus, wenn insbefondere Petri Stuhl ſchlecht gemacht, ale 
grundverdorben hingeftellt ward. Der ehemalige Geheimſchreiber Berngars 
merkte fich diefe Eigenheit des neuen Herrn, und huldigte ihr in einem Umfange, 
der nicht etwa blos das religiöfe Vorurtheil, nein, der den gefunden Menfcen: 
verftand beleidigt. Beide, der Lombarde Liutprand und der unbefannte Verfafler 
jenes Büchleins, ergriffen die Feder, um die Wiederherftellung Faiferlicher Gewalt 
über Rom zu empfehlen, aber Lepterer that ed, weil er in ihr das einzige 
möglihe Mittel ſah, die Wirthichaft der Capitane zu vernichten, welde er 
mit Recht für einen Schanpfled hielt; ter Biſchof von Eremona dagegen wollte 
die Kirhe und Petri Statthalter dem Sachſen gebunden überliefern. 

Ich theile Die Hauptſtelle Liutprands mit, welche feit Jahrhunderten ge⸗ 
braucht worden ift, ein hiſtoriſches Zerrbild zu verewigen, dad man mit dem 
Namen des römifchen Hurenregiments belegte. Er erzählt‘) im Wefentlichen 
Folgendes: (nah Anfang des zehnten Jahrhunderts) „herrfchten über Rom 
drei Weibsſtücke, die unverjhämte Hure Theodora, ſowie deren Töchter Marocia 
und Theodora, die an Geilheit der Mutter nichts nachgaben. Die eine der 
Töchter, Marocia, ward von Pabft Sergius III. gejhwängert und gebar 
einen Sohn Namens Johann, der in der Folge Petri Stuhl beftieg, ein 
zweites Kind befam Marocia von dem Markgrafen Alberih, und zwar abers 
mals einen Eohn, der den Namen Alberich erhielt und nachher das römifce 
Fürftenthum ſich anmaßte. Zu derfelben Zeit faß auf dem Eriftuhle zu Ra- 
venna Metropolit Peter, der häufige Geſandtſchaften nah Rom an den Pabit 
ſchickte, und zu dieſem Zwede die Dienfte eiyed Elerifers Johannes gebrauchte, 
der ein bildſchöner Mann war. Ihn ſah die obengenannte unverfhämte Hure 
Theodora, entbrannte in geiler Luft und zwang Johannes, mit ihr zu huren. 
Zum Danke dafür machte fie ihn erft zum Bifchofe von Bologna, dann zum 
Erzbifchofe von Ravenna, bald darauf erhob fie Johannes, da fie die hundert 
Stunden Entfernung zwiſchen ihr und dem füßen Buhlen nicht ertragen konnte, 
auf Petri Stuhl.“ 

So Liutprand. Kein Wort jagt er von der Familie oder dem Manne 
der älteren Theodora. Waters und verbindungslos, wie aus der Erbe her: 
ausgequollen, stehen die drei Huren da. Zwei Erflärungen dieſes fehr be⸗ 
denklichen Stillſchweigens find möglich: entweder fchwieg er, weil er nichts von 
den Verhältniffen der drei Weiber wußte, was von feiner Leichtfertigfeit 
zeugen würde; oder ſchwieg er, weil er, wie ich vermuthe, den lächerlichen 
Eindrud, den feine Schnurre, die er für wigig hielt, hervorbringen ſollte, nicht 
durch Beiwerk ftören wollte, fintemalen dann durdgeblidt hätte, daß die drei 
Weiber nicht durch ihren Körper, fondern dur Bamilieneinfluß Rom beberfchten. 


!) Berg III, 297. 


Siebtes Band. Gap. 10. Rom von 905—928. Das Hurenregiment eine Lüge. 183 


Weltbefannt ift, daß es nirgends in großen Städten an zünftigen und 
unzünftigen Dirnen gebricht, aber wo, frage ich, gibt es vaterlofe, aus ber 
Erde hervorgewachfene Huren, welche einen ganzen Staat beherrihen, welde 
nad Gutdünken Fürften, Päbſte, Bifchöfe ein- und abfegen und ihre Lieb- 
baber mit fultanifcher Breigebigfeit belohnen! Wäre die ältere Theodora eine 
Königin geweien wie Lisbeth von England, oder eine Kaiferin wie Catharina II. 
von Rußland, fo fünnte man folde Dinge noch anhören, aber dann müßte 
Yutprand doch etwas von dem Stande und der Eippfchaft feiner Theodora 
jagen oder wiſſen. | 

Sodann foll die faubere Mutter mit den beiden Töchtern das geſchilderte 
Weſen getrieben haben zu einer Zeit, da ermeislih Rom unter Adelsherr⸗ 
ihaft ftand, einer Regierungsform, welche eigennügigfte Selbftfucht der herr⸗ 
Ihenden Claſſe im Gefolge hat. In der Natur der Dinge lag es, daß Die 
„Geſtrengen“ in Alles ſelbſt hineinrebeten, namentlich bei Befegung des Stuhles 
Petri mitfpraden, und das Heft der Gewalt keineswegs den drei verliebten 
Weibern überließen. Kurz, es find erträumte Zuftände, die und Liutprand 
vorführt. So ftellen fih Kammerjungfern, die an die Allmacht der Liebe 
glauben, und der gemeinfte römiſche Pöbel — bei dem Anjpielungen auf den 
von Liutprand befchriebenen Naturtrieb das zweite Wort find — die Welt vor, 
in der Wirflichkeit aber gehen die Dinge anders. Stabtflatfchereien, Pas⸗ 
quinaden waren die Quelle, aus welcher Liutprand obige Erzählung jchöpfte. 
Eo viel über einen Punkt. 

Gehen wir zu einem zweiten über. Sergius III., mit welhem Marocia 
gehurt haben foll, ftand der roͤmiſchen Kirche von 90A— 911 vor. Zwiſchen 
904 und 911 hat Marocia laut den Worten Liutprands ein Kind geboren; 
daraus muß man den Schluß zichen, daß fie um 911 zum Mindeften achtzehn 
Jahre zählte. Auf Pabſt Sergius folgte‘) bis 913 Anaftafius III., bis 914 
Lando ; im Mai 914 aber gefchah es, daß der von Liutprand erwähnte Ra- 
vennate Johann Petri Stuhl beftieg. Und nun, nachdem die Tochter Marocia 
bereitö zwei, ober doch zum Mindeften ein Kind aufgeipart hat, fängt wieder 
die Mutter, die alte Theodora — deutlich bezeichnet Liutprand durch die ges 
wählten Beiworte diefe und nicht die gleichnamige Tochter — zu huren und 
zwar mit einem Pabfte zu huren an. Und dod war bie hiſtoriſche Theodora 
um jene Zeit erweislih Mutter von drei erwachfenen Kindern, nämlidy zweier 
Töchter, Theodora und Marocia, von denen die Leptere ihre Mutter jchon feit 
wenigftens drei Jahren zur Großmutter gemacht hatte, ſowie jened ungenannten 
Sohns, der bei der Kaiferfrönung Berngars 916 im Berein mit dem Bruder 
des Pabſtes die Stadt Rom vertrat, und doch muß fie damald mindeftens SO 
Jahre gezählt haben, und doch iſt eine ausgemachte Thatjache, daß die Römes 


1) Jaffo, regesta ©. 309 fig. 


184 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitafter. 


rinnen frühe verblühen, d. h. aufhören, körperlich zu lieben oder gelieb 
werben. Ohe, jam satis est. 

Ob Liutprand felbft an die Wahrheit Defjen, was er zum Belten ; 
geglaubt hat? Meines Erachtens, innerlih nicht. Dennoch Fonnte er 
nicht entfchließen, das fchmugige Mährlein zu verbeißen, nämlich weil er wı 
daß feinem hohen Gebicter Eirchenfeindlihe Anefooten um fo befjer behan 
je mehr fie von weftphätifher Eichelmaft trofen. Der Lombarde hat offeı 
die Lefewelt nah dem ſächſiſchen Hofe gemeſſen, von deſſen „Bäuerlich! 
der eigene Enfel Otto's IL, Dtto IIT., Zeugniß ablegt.*) 

Mit den oben entwidelten Gründen fol blos dieß bewieſen werben, 
die Ausſagen Liutprands wenig Gewicht haben und das beweifen fie «a 
Schriftftellernden Juden zu Trotz. Die Mahrheit felbft muß man aus älte 
womöglich gleichzeitigen Zeugniffen, und Urfunden ermitteln. 

Wie früher bemerkt worden, ift wenig über die Geſchichte des Pat 
GSergius III. befannt, doch gerade genug, um ihn von der aufgedrung: 
Vaterfchaft zu befreien. Der Eohn, den ihm LUutprand zufchreibt, Johe 
der wirflih 931 Petri Stuhl beftieg, hat eine bemerfenswerthe Eigenfi 
an fih. Kein gleichzeitiger Schriftfteler nennt feinen Vater, fondern ftets ı 
er als Eohn der Marocia oder ald Bruder Alberichs IL. angeführt.?) Rätl 
was find das für Kinder, über deren Väter Jedermann fchweigt? Antn 
Baftarde! Johannes war alfo ein unehliber Eohn, aber nicht des Pal 
Cergius, fondern ded Markgrafen Alberih von Camerino. Denn erftlich 
der Mönch Benedikt, wie früher gezeigt worden, zu verftchen, daß Marı 
ehe fie heirathete, von Alberih geſchwängert worden tft, zweitens bezeid 
ebenderfelbe an einer anderen Etelle, von der ich fpäter handeln werde, 
nachmaligen Pabſt Johann XI. als cinen Eohn Alberichs. Sergius 
ſtarby im Herbft 911. 

Die zwei nächſtfolgenden Päbfte hießen Anaftafius IIL. und Lande. B 
segierten furze Zeit, Anaftafius zwei Jahre und einige Monate, Lando | 
ſechs Monate. Mit Redt fragt man: woher dieſer rafche Wechfel ? 
früher Tod kann möglicher Weile ein Werf der Kunft oder der Natur gem 
fein. Im erfteren Fall wären fie dur die Eapitane gewaltſam befe 
worden, und zwar vermuthlich darum, weil Letztere Urſache zu haben glauf 
der Kolgfamfeit Beier zu mißtrauen. Im zweiten Balle müßte man annehr 
daß fie als abgewelfte, gebrechliche Greiſe auf Petri Stuhl befördert wo: 


ı) Im Briefe an Gerbert saxonica rusticitas, Ofrorer, Kirch. Gefch. IT, 1 
2) Flodoard ad a. 933. Perg III, 381: Johannes papa, filius Mariae, quae et Maı 
dicitur. ld. ad a. 936: Johannes papa, frater Alberici ibid. 383. Gedicht von den Pät 
Muratori, script. II, 2. ©. 324: Johannes natus Patriciae (id est Marociae). s 5 
zogest. ©. 309. 


Eiebted Buch. Cap. 10. Rom von 905—928. Das Hurenregiment eine Lüge. 185 


find, und alfo vorausfichtlich Fein langes Leben zu erwarten hatten. Im einen 
wie im andern Falle ift man zu dem Scluffe berechtigt, daß ver Clerus noch 
immer den Capitanen Widerftand leiftete, weßhalb diefe auf Grgenmittel fannen. 
Auch was nad Lando's Tode geihah, ſpricht für diefe Vermuthung. 

Sept wurde der Ravennate Johann X. Pabſt. Laut den oben anges 
führten Zeugnifie Liutprands ſoll Johann ſchnell hintereinander durch die Künfte 
der Älteren Theovora das Bisthum Bologna mit dem Erzftifte Ravenna, diejes 
mit Petri Stuhl vertaufcht haben. Urkunden beweilen, daß diefe Angabe an 
wejentlihen Mängeln leidet. Erftend ſchwebt die Behauptung, daß Johann 
je Bilchof zu Bologna gewefen jei, in der Luft, deun fie fann mit feinem 
andern Zeugniß belegt werden. Zweitens ift es falich, daß vor Johann ein 
Erzbiihof Petrus zu Ravenna thronte. Der Vorgänger Johanns X. auf dem 
ebengenannten Stuble hieß gleih ihm Johannes und nicht Petrus. Drittens 
tand Johann X. der Kirche von Ravenna nicht, wie Liutprand verfichert, 
furze Zeit, fondern volle neun Jahre, von 905— 914, vor. Endlih erhellt aus 
Ravennatifchen Pergamenten, daß Johann zu Ravenna als gewiljenhafter Hirte 
wirfte, namentlih das Gut jeiner Kirche forgfältig zu wahren und gegen Räuber 
zu vertheidigen ftrebte.‘) 

Die nächte Frage betrifft Johannes perjönliche Verhältniffe. Welcher Zus 
milie gehörte er an? Zwei verichiedene Zeugnifje liegen in diefer Richtung 
vor, die fehr gut übereinftimmen, obgleih fie dur ein volles Jahrhundert von 
einander getrennt find. Der Mönd Benedift erzählt:”) „nachdem Johann X. 
geftorben war, erhob die Yürftin Marocia auf den erledigten Stuhl einen 
Blutsverwandten des vorigen Pabfted, welhem zu Ehren der neue Etatthalter 
Petri auch den Namen Johann XL. empfieng.” Der Ausdruck Blutsverwandter 
kann faum etwas andered ald Neffe befagen. Der jüngere Johann war alfo 
entweder ein Bruders oder cin Schweiterjohn des älteren oder zehnten Johgunes, 
und zwar nothwendig ein Bruderſohn; denn mit dürren Worten jagt BB ein 
Zeuge, den wir bereits als tüchtigen Kenner ber Pabſtgeſchichte des zehnten 
Jahrhunderts erprobt haben. 

Biſchof Bonizo nennt’) in der oben erwähnten Ueberſicht Johann X. 
einen Bruder des älteren Alberich. Der nämlihe Schriftſteller fügt noch eine 
andere gleich danfenswerthe Nachricht bei, nämlih daß ſchon Johann IX., dann 
weiter Johann X., ſowie Johann XII. und Alberich der Jüngere Tusculaner 
geweſen feien. Meines Erachtens gibt es Feine andere Erflärung diefes Sapes, 
ald die, daß die genannten Päbfte und Fürften dem Stamme der Tusculaner 


’) Die Beweife findet man in der trefflichen Abhandlung eines Ungenannten bei 
Kopp, Befchichtblätter aus der Echweiz I, 214 fig. 3) Perg III, 714 unten. 3) Nova 
patrum bibliotheca, tomus septimus, pars III, 45: Johannes X., frater majoris Alberici. 


186 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


Grafen angehörten, welde in der erften Hälfte des eilften Jahrhunderts eine 
fo laute Rolle zu Rom geſpielt haben. 

Damit fällt Licht auf einen der dunfelften Punkte des Zeitraums der römijchen 
Adelsherrſchaft. Sicherlich beſaß der Biſchof von Eutri genaue Kunde über die 
Geſchichte eined Geſchlechtes, das die Gregorianer, zu deren Partei Bonizo 
jelbft hielt, mit größter Entichlofjenheit befämpften. Man fann aljo nicht bir 
zweifeln: der Stammbaum ded Hauſes von Tusculum reicht bis ind neunte 
SZahrhundert hinauf- und der unbefannte Vater Alberihe I. und Johanns X. 
muß als einer der Ahnherren deſſelben betrachtet werden. Denn da Bonizo 
den Fürften Albericy II. und den Pabft Johannes XII, die nach der Kunkelſeite 
Hin durch ihre Mutter oder Großmutter Marocia von Theophylaft abſtammten, 

zugleich mit Johann X., der mit Theophylakts Haufe nicht blutsverwandt, 
fondern nur durch feinen Bruder Alberich verfhwägert war, Tusculaner nennt, 
folgt, daß die Erftgenannten nicht von der Kunfels, fondern von der Schwert- 
feite her dem genannten Geſchlechte angehört haben. 

Eine andere Frage aber ift, ob Alberichs L und Johanns X. Vater 
bereitö die Herrſchaft Tusculum beſaß, oder gar den Grafentitel von derjelben 
führte? Ich will, was ich meine, durd ein Beiſpiel erläutern. Recht gut 
und ohne den Vorwurf des Unverftandes zu verdienen, könnte ein beutjcher 
Ehronift aus den Zeiten des Hohenftaufers Friedrich I. zum zehnten over 
eilften Jahrhundert von Wittelsbachern reden, obgleich dieſes Geſchlecht erft im 
zwölften die Burg Wittelsbach und den großen Landbefig, der ihm ſeitdem 
Glanz verlieh, erlangt bat: er würde eben im angegebenen Falle die Ahnen 
Derer meinen, welde in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts den 
Namen Witteldbacher trugen. In gleihem Sinne mag Bonizo von Tus- 
culanern zu den Zeiten Arnulf und Ludwigs ded Kindes fprehen. Und ic 
glauſte daß die Sache ſich wirflid fo verhält. Denn da um 900 der Titel 
Com und Herzog alltäglich, der Orafenname dagegen unter Römern cine 
feltene Ausnahme war, da ferner in den päbftlichen Urkunden des fraglichen 
Zeitraums nirgend ein patrimonium, fundus, massa oder Dufat von Tus⸗ 
fulum erwähnt wird, ift ed wahrfceinlih, daß die Vorfahren Derer, welde 
man im eilften Jahrhundert Tusfulaner nannte, die Grafſchaft oder den 
Gutsverband Tuskulum⸗Frascati zwilchen 900 und 914 noch nicht inne 
hatten. Ueber ven Zeitpunkt, wann fie zu diefem Titel und Beſitz gelangt fein 
dürften, wird unten gehandelt werben. 

Johann X. entiproßte demnach einem Geichlehte, das im Jahre 898 
der Kirche bereits einen Pabſt und zwar einen tüchtigen Pabft geliefert hatte, 
dad weiter unter den römijchen Adeligen einen nicht unbebeutenden Rang eins 
nahm. Kerner nicht durch den Clerus if er auf Petri Stuhl erhoben worden. 
Als im Jahre 891 Formoſus vom Stuhle Porto weg das Pabſtthum erlangte, 
entftand großer Lärm darüber und mehrere roͤmiſche Synoden haben in den 


Eichted Buch. Gap. 10. Rom von 905—928. Das Burenregiment eine Lüge. 187 


nähften Jahren den Fluch darauf gefept, wenn je wieder Einer Achnfiches 
wage. Kaum ift denkbar, daß der römifche Eleruß fo vergeßlich oder leicht: 
finnig gewefen fein follte, um von diefer Satzung nad wenigen Sahren ab- 
zuweichen. Das heißt nun, der Clerus hat aller Wahrſcheinlichkeit nach 
Johann X. nicht zum Pabſte gewählt, denn Alberichs Bruder vertaufchte ja, 
gerade wie Formoſus, einen niedern Stuhl — den von Ravenna — mit dem 
böcften der Ehriftenheit — mit dem römifcen. , 

Sn der That find alle Quellen — nicht nur Liutprand, fondern viele 
und zum Theil gewichtige Stimmen, ') darüber einig, daß Johann X. den Kirchen- 
gejegen zu Troß, oder wider fie, Pabſt wurde. Wer hat ihn nun emporges 
tragen auf des Apoftelfürften Sig? Hierüber liegt ein Zeugniß vor, das an 
Glaubwürdigkeit feines leihen fuht. Eine Lifte von Päbiten des neunten 
und zehnten Jahrhunderts ift auf und gefommen, die mit dem Jahre 931 
Ihließt und von einem Zeitgenofien Johanns X. herrühren muß. In ders 
jelben heißt?) ed: „Johann, Erzbiichof der Kirche zu Ravenna, hefticg, berufen 
von den Häuptlingen der Stadt Rom, wider die Kirchengefege und 
ald Anmaßer Petri Stuhl.“ 

Hier ſpricht einer aus der Zahl derjenigen Cleriker, welche beharrlich bie 
Geſetze der Kirhe Roms vertheidigten, und troß der großen Verdienſte, welche 
ih Johann X. um Petri Stuhl erwarb, ihm nie die Art und Weiſe feiner 
Erhebung verziehen. ine Rotte Adeliger berrichte damals über Rom, nur 
fie und Niemand fonft faun Johann X. befördert haben. Wie dumm und 
abgefhmadt ericheint daneben das Liutprand'ſche Geſchwätz von der Gewalt, 
weldhe die drei Huren geübt haben follen! Warum aber ift ed geichehen, daß 
fih die „Beftrengen” für Beförderung des Raveımaten abmühten? Sicherlich 
dachten fie füir den eigenen Vortheil zu forgen. Johann hatte, wie wir wifien, 
einen Bruder Alberich, der erweislich jeit 910 Markgraf von Mt. 






war und folglich unter den römiſchen Vafallen eine hervorragende Ro elt 
haben muß. Daß dieſem Alberich der Gedankte einleuchtete, ſeinen Bruder 
zum Pabſt zu machen, iſt ſelbſtverſtändlich, da er ſich mit der Hoffnung ſchmeicheln 
durfte, daß es ihm gelingen werde, mit Johanns Hülfe ſein Hab und Gut 
Hattlih zu mehren. Wer den Pabft zum Bruder, Better, Oheim hat, fährt 
in Rom gewöhnlid — gut. 

Indeß, da jener Zeuge nicht von einem Häuptling, fondern von Häupts- 





) Nachgewiefen in dem erwähnten Aufſatz „Geſchichtblätter aus der Schweiz” I, 291 fig. 
Der Berfafler dieſes Aufſatzes vereinigt drei der würbigften Gigenfchaften: @elchrfamfeit, 
Sharffinn und Meblichkeit. 2) Berk III, 199 unten: Johannes archiepiscopus ravennatis 
orciesiae, invitatud a primatibus romanae urbis, contra instituta canonum agens, romanas 
veciesiae invasor factus est. Wahrli man Fünnte auf den Gedanken gerathen, bie Bors 
khung felbR habe dieſes koſtbare Zeugniß erhalten, um das Liutprand'ſche Lügengemebe zu 
ierhören ! 


188 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


lingen (in der Mehrzahl) ſpricht und auch nod aus vielen fonftigen Oründen 
it anzunehmen, daß nicht blos Alberich, ſondern mit ihm mande Standes: 
genofjen, andere Vafallen, für Johanns Berufung arbeiteten. Warum thaten 
fie dieß? Wie oben gezeigt worben, find Anzeigen vorhanden, daß eine ent: 
ichloffene Parthei unter dem Clerus nody immer fortfuhr, die Rechte der Kirche 
gegen Anmaßer aller Art zu vertheidigen, und daß folglich die „Geſtrengen“ 
fih der Herrihaft über Rom feinedwegs verfihert wußten. Sie rechneten 
ohne Zweifel fo: wenn der Ravennate Johann, Bein von unferem Bein, Fleiſch 
von unferem Bleiih, der Eohn eines Vafallen, der Bruder des Markgrafen von 
Gamerino, Pabſt wird, kann er gegen Uns um fo weniger etwas unternehmen, 
da er wider die Kirchengefege emporgeftiegen, und deßhalb gemöthigt ift, ſich 
auf den Adel wider den Haß des Clerus zu ftüßen. 

Sie haben fi bitter getäufcht, diefe Rechner; denn der Tusculaner Johann 
regierte nicht ald Gehülfe der „Seftrengen,” jondern als Kirhenpabft. Ich komme 
zunächſt auf feine Einfegung zurüd. Jene Klagen über Verlegung der Canones 
find thatfächlih begründet, aber dennoch unverftändig. Der Idealismus bat 
fein gutes Recht, jedvoh nur am gehörigen Orte. Konnte man zu Rom das 
mals von fanoniihen Wahlen reden? Nimmermehr! Nicht Kirchenrecht galt, 
fondern Stadt und Stuhl war unter brutale Gewalt gebeugt. Nichts half es, 
Räubern gegenüber auf gejchriebene Eagungen hinzuweiſen; nur durch Die 
That konnte man ihnen Boden abringen. Sicherlich haben manche der beften 
und erleuchtetften Clerifer Roms, ftatt über Unabwendbared zu Flagen, ges 
handelt und Das verfuht, was nad der Lage der Verhältnifie möglid war, 
und ed ift ihnen wirklich gelungen. 

Gibt's ein erhebenderes Schauſpiel, als die Bekehrung des Nordens im 
zehnten und eilften Jahrhundert! Durch wen ander aber ward biefelbe ind 
Werk geſetzt, ald hauptſächlich durch Söhne von Seefönigen, durd die Odin: 
kare 4die beiden Dlafe, welche der engliſche Elerus oder die aus dem Feſt⸗ 
lande eingewanderten Sendboten des Evangeliums zu Bilhöfen oder Soldaten 
der Kirche herangebilvet hatten, und welche wirklich für den Glauben nachher 
ihr Leben opferten. Wohlan! Aehnliches geihah damals in Rom. Nachdem 
alle Anftrengungen, um mit den eigenen Kräften der Parthei die Freiheit des 
apoftoliihen Stuhles zu retten, ohne Erfolg geblieben waren, gewannen die 
Bertheidiger der Kirche im Lager der Feinde einen unfhägbaren Bundesge⸗ 
noffen. Der Tusculaner Johann, durch die Standesgenoſſen feines Bruders 
erhoben, fiel alsbald von vdenfelben ab und verfocht im Bunde ınit dem 
treuen Clerus die Rechte der Kirche mit ſolchem Nachdruck, daß er feinen ehe: 
maligen Gönnern Schreden eingejagt haben muß. 

Johann's MWeihe fallt!) in die Mitte Mai 914. Faſt zwei Jahre päter, 


1) Jaffoé ©. 810. 


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— — 
— — — 


Siebtes Bud. Gap. 10. Rem von 905— 928. Tas Hurenregiment eine Lüge. 189 


im März) 916, vollbrachte er etwas, was offenbar längerer Vorberei⸗ 
tungen bedurfte, die meined Erachtens bis in die Anfänge von Johann's 
Pontififat hinaufreihen. Eeit der Blenvung des Provenzalen Ludwig amtete 
fein Kaifer mehr im Abendlande, über Lombardien aber herrichte ohne Nebens 
buhler der Friauler Berngar. Plöglih wird diefer von Pabſt Johann X. 
nah Rom eingeladen und dort den 24. März 916 zum Kaiſer gefrönt. Die 
öehlichfeiten vor und nach der Krönung beichrich der mehrfah erwähnte uns 
befannte, aber gleichzeitige Dichter. 

Ich hebe auß feiner Schilderung folgende Punkte?) hervor: „auf die Kunde, 
daß der fünftige Kaifer nahe, ftrömte der Eenat und dad Volf, die Innungen 
ver einheimifchen, wie der fremven in Rom feßhaften Nationen, Griechen, 
Sachſen, Franken, Lieder fingend und ven Nahenden in ihren Zungen vers 
herrlihend, vor die Mauern hinaus. Die lebten im Zuge waren einige der 
rornehmften Römer, von denen zwei, der Bruder des Pabfted (ich werde 
unten zeigen, daß aller Wahrfcheinlichfeit nach Alberich gemeint ift), und ber 
Eohn des Conſuls Theophylaft dem Fünftigen Kaifer Die Huldigung des Fuß⸗ 
luſſes darbrachten. Nun ritt Berngar in die Etadt hinein nady der Peterss 
firde, auf deren marmornen Treppen ihn der Pabft erwartete. Berngar 
ſchwang fih herab vom Roſſe und ſtieg die Etufen hinau, auf der andern 
Seite kam der Pabft herab: eins Umarmung erfolgte. Beide traten in den 
Dom, deſſen Thore fofort verfchloffen und nicht eher wieder geöffnet wurden, 
bis Berngar einen Schwur abgelegt hatte, daß er, zum Kaifer gefrönt, den 
römifhen Stuhl in den Beſitz aller und jeder Güter herftellen 
werde, Die demſelben durch ältere Herrſcher geſchenkt worden.” 

„Am näcften Fefttage fand die Krönung ftatt, nah dem Afte wurde vor 
allem Volke die Urkunde verlefen, kraft welcher der neue Kaiſer dem Statts 
halter Betri alle von früheren Raifern vergabten Befigungen beftätigte.” Aus⸗ 


‚ tüdlih fügt’) der Dichter bei, Solches ſei geihehen, damit Jedermann den 


..; fulbvollen Willen des Kaifers kenne, und damit fein Räuber in Zufunft ſich 
.; freche, Hand an Kirchenland zu legen. 


Ohne Frage hat Pabſt Johann die Krönung des Friaulers hauptjächlic 
in der Abſicht vorgenommen, um den Räubern des Kirchenguts, alſo insbe⸗ 


ſondere dem römifchen Adel, Schrecken einzujagen und die Wiederherſtellung 
des Batrimoniums Petri anzubahnen. Zunächft aber folgte auf die Krönung 


Berngars ein Friegerifches Unternehmen gegen einen auswärtigen Beind. Seit 


. der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts hatten fih die afrikanischen Sara» 


1) Vergl. Zafld, reg. ©. 310. Böhmer, reg. Car. ©. 127. :) Berk IV, 208 fig. 
) Iid. ©. 210, Vers 191. 192: 

Caesare quo norint omnes data munera, praedo 

Ulterius paveat sacras sibi sumere terras. 
Dentlich tritt hervor, daß der Verfaſſer des Berichts ein wohlunterrichteter Zeitgenoſſe iſt. 


190 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


cenen am Garigliano feitgefeht, ftarfe Verſchanzungen dort angelegt und aı 
das Binnenland bis nad Aquino, ja bis Narni hin, in ihre Gewalt gebrad 
Der Pabſt beichloß fie zu vertreiben, und brachte zu diefem Zwede ein mär 
tiged Bündniß zu Stande.) 

Der byzantiniſche Kaifer lieferte eine Flotte, der Fürft Landolf von Ber 
vent, Markgraf Alberih von Camerino und Spoleto, Gregor, Herzog v 
Neapel, Johann, Herzog von Gaeta, und einige kleinere Herren, ftelten jet 
Eoldaten.?) Keine der vorhandenen Quellen erwähnt den Kaifer Berng 
oder irgend welche Hülfe, die er geleiftet hätte. Allem Anjcheine nah w 
gleih nah der Krönung der Krieg in SOberitalien ausgebrochen, weßha 
Berngar, dort überflüffig beichäftigt, auch beim beften Willen nichts für d 
Bund thun konnte. Pabſt Johann X. erfchien in eigener Perjon beim vı 
einigten Heere, das einen herrlihen Sieg im Auguft 916 erfocht und I 
Sararenen aus ampanien vertrieb. 

Unter den neuerdings von Floß veröffentlichten Aftenftüden findet ſich ei 
Bulle, in welcher Johann X. dem Cöllner Erzbifhofe Hermann Nachricht üb 
den Sieg am Garigliano und deſſen Folgen gibt. „Mit Gottes guädiger Hülfe 
fchreibt*) er, „find durch meinen Arm die Saracenen, welche fi feit 60 Jahr 
im Lande feftgefebt hatten, ausgetrieben worden. Sc) jelber habe das Schwe 
gezogen und zwei Gefechte gegen den Feind geliefert. Viele gefangene Chriſte 
die in Banden der Heiden waren, find befreit, in den wieder aufgerichtett 
Kirchen ertönt täglih dad Lob des Allmädtigen. Ganz Italien jubelt.” 

Ruhmgefrönt fehrte der Pabft nad) Rom zurüd, der Beweis war g 
liefert, daß er nöthigenfals mit Waffengewalt Feinde bewältigen fönne. D 
Räuber des Kirchenguts hatten daher Urfache, zu zittern. Dennoch findet fü 
feine Epur, daß in diefer Richtung Etwas gefchehen wäre. Dagegen höre 
wir von fchweren Kämpfen, welche der von Johann gefrönte Kaifer Bernge 
beftand. Doc find die Nachrichten verworren. 

Ziutprand erzählt:*) „um diefe Zeit (d. h. nad dem Siege am Gaı 
gliano) farb Herzog Adalbert von Lucca-Tuscien, worauf Berngar das Hero 
thum an den erftgeborenen Sohn des BVerftorbenen, Wido, verlieh.“ Ab 
nicht lange blieb der neue Herzog in gutem Einvernehmen mit dem Kalle 
Der Biſchof von Cremona führt nämlich fort: „Berngar ließ Wido ſam 
feiner Mutter Bertha verhaften und zu Mantua einthürmen; alein die 8 
fallen Bertha's überlieferten die ihr gehörigen Städte und Sclöffer nid 
ſondern vertheibigten diefelben mit ſolchem Naddrud, daß Berngar genöthl 
ward, beide Gefangene wieder freizugeben.” 





‘) Ber& III, 298 u. 714. ?) Pers III, 175. 298. 714 u. VII, 616 unten. Iatı 
Liutprand ausprüdlich die Theilnahme der Spoletiner am Kampfe hervorhebt, gibt er mein 
Erachtens zu verftehen, daß Alberih auch Spoleto befaß. ?) Floss Leonis papae VI 
privilegium ©. 106. *) Perg III, 298. 


Eiebted Bud. Cap. 10. Rom von 905—928. Das Hurentegiment eine Lüge. 191 


Nirgends wird das Todesjahr Adalbertd angegeben, und Liutprand iſt 
jo nachläffig in feinen Zeitbeftimmungen, daß die Etelle, an welder er vom 
Tode des Herzogs Ipricht, nämlih nad Erwähnung des Siegs am Garigliano, 
keineswegs ald Beweis gebraudt werten kann. Immerhin wäre es möglich, 
daß Adalbert fchon vor dem Siege und im Jahre der Kaiſerkrönung Berngars, 
welhe Liutprand nicht fennt, mit, Tod abgegangen if. Die Händel zwilchen 
Berngar und Wido, deren Urſache Liutprand gleihfalld mit Stillſchweigen 
übergeht, fcheinen bald nachdem Letzterer ind väterliche Erbe eingefegt worden 
war, ausgebroden zu fein. Solche Streitigkeiten führen gewöhnlih zum 
Kriege. In der That erhoben fi die Vaſallen Bertha’8 und Wido's für 
ihre gefangenen Gebieter gegen Berngar, leifteten entichloffenen Widerſtand 
und nöthigten zuleßt den Sailer, Bertha fammt ihrem Sohne in Freiheit 
wu jeßen. 

Nah den Händeln zwiſchen Berngar und dem tusciihen Haufe läßt 


. Rutprand eine Empörung in Lombardien ausbrehen, welche erweislid vier 


Juhre, von 921 bis 924, dauerte. Daraus folgt, daß der tusciſche Streit 
vor 920 fällt, und möglichers, ja ſogar wahrjcheinlicherweile kurz nad) der 
Kaiſerkrönung Berngars begann. 

Bezüglich der andern Begebenheit berichtet‘) der Biſchof von Cremona: 
„Adalbert, Markgraf von Ivrea, Schwiegerfohn des Königs (Berngar’d nims 
ih, den Liutprand fortwährend König nennt, obgleich er zum Kaiſer gekrönt 
war), Pfalzgraf Odelrich aus ſchwäbiſchem Etamme, Gidlebert, ein reicher 
und mächtiger Graf, Lambert, Erzbiihof von Mailand, und mehrere andere 
Bürften Italiens verſchworen fih gegen Berngar. Diefer erhielt jedoch Kunde 
von Dem, was im Werfe war, rief die Ungarn zu Hülfe, tie eben einen 
Einfall nah Stalien gemadt hatten, und fchidte fie den Verfchworenen auf 
den Hald. Letztere wurden überfullen. Pfalzgraf Odelri blieb nady tapferer 
Gegenwehr im Kampfe, Adalbert und Gislebert geriethen in Gefangenſchaft. 
Erferer entkam durd Lift, den Anvdern überlieferten die Ungarn halb nadt und 
wohl zerbläut in die Hände des Königs Berngar, der ihm verzich. Doch Gis⸗ 
lebert erwies hiefür ſchlechten Dank, denn er eilte unverzüglich nad) dem bes 
nahbarten Burgund, forderte den dortigen König Rutolf auf, fih des itas 
lieniſchen Reiches zu bemächtigen, und fand mit feinem Antrage Gehör. Der 
Burgunder Rudolf zog mit Heeresmacht über die Alpen: Schlachten wurden 
wilden ihm und Berngar' geliefert, zulegt unterlag Berngar, und der Bur⸗ 
gunder beherrichte drei Jahre lang den größten Theil Lombardiens, alſo daß 
dem Sriauler nur Verona blieb. Und auch diefe Etadt follte er nicht bes 
halten, denn er warb dort dur einen verrätheriihen Bafallen, Namens 
Slambert, erfchlagen.” 

. u | e 
1) Ibid. flg. 





192 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Die Grundzüge der Erzählung Liutprande find wahr. Flodoard 
Rheims, der trefilihe Chronift, meldet‘) zum Sahre 922: „nachdem 
Großen Lombardiens ihren König Berngar wegen harter Herrichaft abge 
hatten, erhoben fie den Burgunter Rudolf auf den Thron; doch al 
braden die Ungarn, von Berngar gerufen, in Italien ein, nahmen 
Städte und verheerten weithin das Land.” Abermal?) zum Jahre | 
„der Burgunder Rudolf, den die Lombarden anftatt Berngars auf den T 
erhoben, lieferte Lepterem eine Schlabt, in welder 1500 Streiter gebl 
fein follen und Rudolf den Sieg errang.” Endlich) zum Jahre 924: 
Antrieb des von den Langobarden abgefegten Berngar verheerten die Un 
Stalien, verbrannten Pavia und zogen dann nad) Gallien hinüber. Dort 
ſich ihnen Rudolf, König von Italien und Burgund, entgegen, und erf 
viele der Eingedrungenen. Während dieß in Gallien vorging, wurde 9 
gar, der fidh wieder des Reichs bemädhtigt hatte, von den Eeinigen ermor 

Auch Flodoards Zeugniß bedarf etlicher Berichtigungen. Eine unter 
4. Februar 922 ausgeftellte Urkunde?) ift vorhanden, kraft weldher Rudol 
König Italiend dem Bilchofe von Parma gewiſſe Befitungen beftätigte. 
der Heeredzug über die Alpen, dann der Kampf wider Berngar und en 
die Einjegung des neuen Königs nothwendig geraume Zeit erforderte, 
man annehmen, daß der Burgunder ſchon 921 von den Unzufriedenen 
Lombardien berufen worden und ebendahin aufgebrochen war. 

Zwei weitere lombarbiiche Urkunden Rudolfs vom Jahre 922, die 
audgefertigt unter dem 3., die andere unter dem 8. Dezember, liegen 
Dom Jahre 923 befigen wir feine Urfunden ebendeſſelben, wohl aber 
vom Jahre 924, die fih auf die Monate Februar bis November vertheile 
und zwar find die drei legten in der Stadt Verona audgefertigt, welche 
dem Zeugniſſe Liutprands bei dem Schiffbruche, den Berngar erlitt, ihm « 
treu geblieben ift. 

Rudolfs italienifche Urkunden gewähren im Verein mit ven Aus 
Liutprands und Flodoards folgendes Bild der lombardiſchen Zuftände 
Sahre 921 Empörung mehrerer Großen wider Berngar; der Bedrohte 
bie Ungarn zu Hülfe, welde die Verfchworenen überfallen, zum Theil ni 
machen; aber noch im Spätherbfte deſſelben Jahres verleitet Gislebert 
Burgunder Rudolf zu einem Einfalle nah Italien. Rudolf erfcheint, bi 
Berngar und wird, vielleiht no im Dezember 921, zum Könige gef 
gleihwohl behauptet Berngar die Stadt Verona und wohl auch fein Sta 
land Friaul. Abermal ruft er die Ungarn herbei. Im Jahre 922 blieb 
dolf Meifter zu Pavia, der Königsftadt; aber das folgende Jahr, aus wel 


—— 


») Perg III, 370. =) Til. ©. 373. 2) Tbid. u. ©. 374 oben. 9) 88 
segest. Carol. Nr. 1490. ) Ibid. Nr. 1491—1498. 





en sets u. J 


Siebtes Bud. Cap. 10. Rom von 905—928. Das Hurenregiment eine Lüge. 193 


feine Urkunde vorhanden, muß vol harter Kämpfe zwilchen ihm und Berngar 
geweien fein. Wirklich gedenken beide Chroniften diefer Kämpfe. Zuletzt 
fegte Rudolf, verfolgte 924 die Ungarn nad dem ſüdlichen Franfreih und 
hielt, als er zurüdfam, Hof zu Verona, woraus ih den Schluß ziehe, daß, 
ald dieß geihah, Berngar bereitd getöbtet war. 

Weiter wiſſen wir, daß der lombardiſchen Empörung, welde mit ihren 
Folgen bis 924 dauerte, der tuscifche Krieg voranging. Da während deſſelben 
nicht eine oder die andere, fondern mehrere von Bertha's und Wido's Bas 
jallen beſetzte Städte und Schlöffer vergeblich belagert wurden, und da ber 
kraftvolle Widerftand, auf den Berngar ftieß, ihn möthigte, die Gefangenen 
frei zu lafjen, kann der tusciſche Kampf feine Heine Arbeit gewefen fein, fons 
den muß längere Zeit gedauert haben. Allem Anjcheine nach rüden daher 
die Anfänge deſſelben bis gegen die Kaiſerkrönung Berngar’s hinauf. 

In eben dieſem Ereigniffe fehe ih die Urſache fowohl des tusciſchen 
Kriege, als der Iombarbiihen Empörung. Schon an fich verrieth der Akt, 
daß Berngar fchroffer und Fräftiger als früher, und zwar im Bunde mit dem’ 
Pabfte, über Italien zu herrſchen gedenke. Zum Ueberfluß erfahren wir noch, 
daß der neue Kaifer vermöge des mit Johann X. abgejchloffenen Vertrags 
ih verbindlich gemacht hatte, der römischen Kirche die von fämmtlichen älteren 
Herrſchern verliehenen Güter zurückzugeben, d. h. den Befisftand von halb 
Stalien zu Ändern. Was ift natürliher, ald daß die großen Vaſallen, ind» 
beiondere der am nächften bedrohte Herzog von LuccasTuscien, dann bie 
Lombarden zu den Waffen wider Berngar griffen. Und zwar müflen bie 
Unruhen ſchon 916 ihren Anfang genonmen haben, weil nur unter diefer 
Borausfegung die Nichtbetheiligung des neuen Kaijerd an dem Bunde gegen 


die Saracgnen des untern Italiens begreiflich erſcheint. 


Iſt diefe Darftelung des Zufammenhangs der damaligen Berhältniffe 


rihtig, Fo Fonnte es nicht fehlen, daß nächſt dem Kaiſer Berngar auch fein 


ia 138 <A 


- lı 
aut 


I 


Berbündeter, Pabft Johann X., von der Unzufriedenheit großer und Eleiner 
Bafallen betroffen ward. In der That finden fi Anzeigen bievon. Durch 
Bulle‘) vom März 921 tritt Pabft Johann X. in befremvender Weile auf 


: ewige Zeiten ausgedehnte Rändereien an den Erzftuhl von Ravenna ab: „Wir 
‚ atäußern aus dem Beflge der römiſchen Kirche und treten für immer an den 


Stuhl von. Ravenna ab die ganze Gutsmaffe Campilion, gelegen zwiſchen 
Eh und Po, mit allen dazu gehörenden Grundftüden, Rechten, Jagden, 
diſchereien; desgleihen die ganze Gutsmaſſe Fiscalia, gelegen im Gebiete 
von Ferrara.” 

Iſt es glaublih, dag ein hochgeſinnter Pabft, wie Johann X., freiwillig 
das But feiner überbieß verarmten Kirche verſchleudert habe? Nimmermehr: 


9 Jaffé Nr. 2730. 
Ofsörer, Pabſt Gregorius vu, Br. V. 13 


194 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


er muß gezwungen worden fein! Viele Beiſpiele kommen vor, daß Ge 
welche Streiche wider Petri Statthalter führen wollten, die Erzbiſchöfe 
Ravenna als Schildträger voranſchoben. Aehnliches wird damals vorgegc 
fein. Die Vermuthung drängt ſich auf, Johann X. habe den Ravenn 
welcher durch Feinde des Pabſtes aufgereizt worden, mittel jener Abtr 
zu beſchwichtigen geſucht. 

Außerdem war Rom um dieſelbe Zeit Schauplatz anderer Kämpfe, 
haben wir abermals nur ärmliche, verſtümmelte Nachrichten. Mönd | 
dikt erzählt:‘) „nach dem Siege am Garigliano brady Streit zwifchen Ma 
und dem Pabfte Johann X. aus, alfo daß alles Volk fih in zwei Barı 
theilte. Der Pabft hatte einen Bruder, der Markgraf war und ‘Beter 
Das Volk vertrieb diefen aus der Stadt, worauf Petrus eine Yeftun 
Drta anlegte und die Ungarn zu Hülfe rief, weldhe ganz Tuscien mit | 
und Schwert verheerten. Mit ihrem Beiftand erzwang Petrus Eintri 
die Stadt Rom, allein nachdem die Ungarn wieder abgezogen waren, erl 
fi) die Römer wider den Markgrafen, erftlürmten den lateranenfiihen P 
wo er weilte, und erfchlugen ihn.“ 

Diefer Bericht ift in einem wefentlihen Punkte ſinnlos. Anfangı 
Scheint Marocia als die, welche dem Pabſte entgegenfteht, dann übernimm 
Rolle ein Bruder des Pabſtes, ohne daß man begreifen fann, wie 
warum? Die Römer, welde den Markgrafen aus der Stadt verjagen, 
jo gewiß Freunde und Vorkämpfer des Pabſtes, ald der Markgraf fein 
war. Berner wer wird glauben, daß der Pabſt, fei ed auf eigene Fau 
ed dur eine Mittelsperfon, das heidniiche Raubvolf der Ungarn gegen 
herbeirief, fondern das muß dem Pabſte zu Trotz geſchehen fein. 

Aber warum beging Zohann’8 Bruder diefe Greuel? Je nuy, Die 
Änderung eined Namens macht alles Har. Johann hatte wirklich einen Bi 
der Markgraf war und fi in der Rage befand, bei allen Händeln nadı 9 
die Parthei Marocia's vertreten zu müffen, weil er nämlich ihr Gemahl 
Doch diefer Bruder hieß nicht Petrus, fondern Alberih. Unverfennba 
der Mönd den Markgrafen Alberih mit einem zweiten Bruder des Pı 
verwechſelt, der aud laut Liutprands Zeugnig Petrus hieß, aber dem 
während der Straßenfämpfe zu Rom treu blieb und zugleih mit ihm gı 
und getödtet ward.”) Außer der inneren Nothwendigfeit wird die Bern 
lung aud durch Zeugniffe feftgeftelt. Martin der Pole und Ptolemäut 
Lucca, zwei Chroniften des fpäteren Mittelalters, die aber häufig gute 
für und verlorne Quellen benügten, erzählen”) genau Dafjelbe, was Be 
über Peter berichtet, vom Markgrafen Alberich. 

Diefer war demnach, verführt durch feine Gemahlin Marocla, in 


*) Berk II, 714. 9) Ibid. ©. 312. =) Muratori, aunali d'Italia ad a. 


17) Oud. Gap. 10. Rom von 905—928. Das Hurenregiment eine Lüge. 195 


treit mit Johann X. gerathen. Was wird der Gegenſtand des Haders 
ein? Gicherlih Mein und Dein! Ich denke, der Markgraf von Eamerino 
leto hatte, pochend auf die am Garigliano geleifteten Dienfte, einen 
ifenden Lohn, die halbe Campagna oder die nadhmalige Grafichaft 
n, begehrt. Das wollte und durfte der Pabſt nicht dulden, alfo 
Alberih mußte aus der Stadt weichen, befeftigte einen benachbarten 
mie das von Berngar gegebene Belipiel nah, zog die Ungarn ins 
zwang mit ihrer Hülfe die Wiederaufnahme in die Etadt, warb aber 
tfernung ber fremden Helfer von den Römern, d. h. von der Parthei 
ſtes, im ermeuerten Kampfe erichlagen. 
ı Zaufe der Streitigkeiten mit Johann X. wird e8 geichehen fein, daß 
den Erzbiihof Honeftus von Ravenna gegen Petri Statthalter aufs 
»eßhalb denn Johann X. fi) genöthigt fah, vie oben erwähnte Maß⸗ 
r Befriedigung des Ravennaten zu ergreifen. Die Ermordung Alberiche 
ven das Jahr 925, denn kurz darauf fchließt, wie unten gezeigt werben 
ne Wittwe Marocia eine zweite Ehe. 
yei Jahre nad dem Tode des Kaiferd Berngar erhielt Italien, und 
ermal in der Perfon eines fremden Herrn, einen neuen König. Flodoard 
eims berichtet?) zum Jahre 926: „Hugo, der Bertha Eohn, ward 
; zum König über Italien eingejegt, nachdem vorher der Burgunder 
der fi zum Gebieter aufgeworfen hatte, aus dem Lande vertrieben 
fen Schwiegervater, der Alamannenherzog Burfard, der mit einem 
yeranzog, um dem Eidam zu helfen, durch die Söhne der Bertha ges 
dorden war.“ 
m diefe Worte zu erflären, muß ich ein wenig zurüdgreifen. Oben ?) 
erzählt, daß der Provenzale Ludwig feit feiner Blendung in die Hei⸗ 
srüdfehrte, und obgleich er den Kaiſertitel fortführte, Italiens Boden 
ehr betrat. Kurz darauf taucht am provenzaliihen Hofe ein Günftling 
r den gebfendeten Fürften umgarnte und zulebt beerbte. “Derjelbe hieß 
and war ein Sohn des Grafen Teutbald von Arled und der Bertha, 
gten Tochter des Lotharingiichen Garlingerd Lothar IL und ber Kebie 
ıda. 
'ach dem frühen Tode Teutbalds fchloß Bertha eine zweite Ehe mit 
tarfgrafen Adalbert II. von RuccasTuscien, dem fie zwei Söhne, den 
mwähnten Wido und Lambert, gebar. Graf Hugo von Arled und bie 
Tuscier waren demnach Stiefbrüder. Hugo machte feiner Sippichaft 
Liutprand ſchildert) ihn als ein Mufter von Verfchlagenheit, Heuchelei 
zolluſt. In einer Urfunde*) vom Jahre 909 nennt ihn der geblendete 
Berk III, 376 unten. 2) ©. 159. 2) Berk III, 306. *) Die Belege bei 
Garolinger II, 398 fig. 
13° 


196 Babft Gregorius VI. und fein Seltalter. 


Ludwig feinen allertheuerften Better. Und allerdings theuer genug Tam er | 
dem Haufe Ludwigs zu ftehen, denn obwohl derfelbe bei feinem um 924 er⸗ 
folgten Tode einen Sohn, Carl Eonftantin genannt, hinterließ, erfcheint ei ’ 
feit 926 Hugo als eigentlicher Herr der Provence. 

Die Italiener hatten den Burgunder Rudolf fat. Laut dem Berichte) ; i 
Liutprande lud Erzbilchof Lambert von Mailand im Einflange mit den andern ı 
Großen des Landes Hugo ein, nad) Italien zu fommen, Rudolf zu vertreiben ; 
und fi des Reiches zu bemächtigen. Beſonders thätig hiebei müflen bie - 
Stiefbrüder Hugo's, Wido und Lambert, gewefen fein; denn durch ihre Hände 
fiel ja der Alamanne Burfard, der Schwiegervater und Helfer Rudolfe. 
Natürlich! fie wollten Italien unter Mitglieder der eigenen Familie vertheilen, : 
denn fie rechneten, wenn der Stiefbruder Herr Lombardiens fei, werde ihnen | 
jelbft Mittelitalien nicht entgehen. 

Allein ein Dritter, der Pabft, durchkreuzte den eigennügigen Plan. Lint , 
prand erzählt: „ald Hugo, aus der Provence nad Tuscien fchiffend, m: 
Piſa landete, erjchienen Gefandte des Pabfted vor ihm. Bald darauf Hiek | 
Johann X. perfönlih mit Hugo, — der indeß Anfangs Juli 926 in Pavia 
zum König Lombarbiend erhoben worden war,’) eine Zujammenfunft in, 
Mantua und fchloß dort ein Bündniß mit demfelben.” Zwar fchweigen bie ; 
Quellen über den Inhalt des Vertrags, dennod kann man einen der Punkte | 
mit hoher Wahricheinlichfeit nachweilen. Alberich I war, wie wir wiſſen, 
Markgraf von Spoleto und Camerino gewejen, aber fein gleihnamiger Sohn 
folgte dem Vater nicht in diefem überaus wichtigen Lehen. Vielmehr erjcheint‘) 
feit dem Tode Alberichs I. ein Fremdling Thetbald, den Hugo feinen Vetter 
nennt, ald Marfgraf von Epoleto und Camerino: er muß durd den neuen 
König eingefegt worden fein. 

Gewiß gab ed Niemand in der weiten Welt, der fo viel Urjadhe hatte, 
als Pabſt Johann, dahin zu arbeiten, daß das furdtbare, von Alberich und 
Marocia gegründete Haus dur Theilung gejchwädht werde. Denn wenn 
daſſelbe nur ein Menfchenalter länger beftand, war ed um Hoheit und Frei⸗ 
heit des Stuhled Petri gefchehen. Kaum kann man unter diefen Umftänben 
bezweifeln, daß e8 Johann X. geweſen ift, der den neuen König beftimmt 
bat, über Spoleto und Camerino zu Gunften eines Andern zu verfügen. 
Auch die Gegenprobe fehlt nicht. Die ganze Wuth der Marocia und ihres 
Gelichters erjheint ſeitdem gegen den Pabft entfeflelt. 

Zwei wichtige Schritte that fie, gleichmäßig wider Johann X. gerichtet. 
Erſtens ſchloß fie bald nah dem Tode ihres erſten Mannes Alberich eine 
zweite Ehe — mit dem jungen Markgrafen von RuccasTuscien, Wido, dem 


) Berk IH, 308. ) Ibid. ©. 306. 3) Böhmer, regest. Carol. ©. 129. 
%) Perg III, 317 u. 328, 


we Bud. Gay. 10. Mom von 905—928. Das Gurentegiment eine Lüge. 197 


Adalberis und der Bertha, dem Stiefbruder des Königs Hugo. Uns 
ar zielte dieſe Heirath dahin, die durch Entfremdung des Herzogthume 
gefährdete Macht des Haufes wieder zu ftärfen: Lucca⸗Tuscien follte 
ih für jenes dienen. Für's zweite ſtellten Marocia und Wido dem 
Schlingen über Schlingen. Der Tuscier zog heimlich viele feiner 
ıte in die Stadt. Schon feit längerer Zeit muß die Engelöburg im Bes 
Haufes der Marocia geweſen fein, obgleich fie in den elenden Ehros 
% nach Wido's Ton ald Herrin dieſes Schloſſes erfcheint,‘) das für 
mbar galt. In demjelden Fonnte eine große Echaar, ohne Aufſehen 
en, untergebracht werden. 
T Anſchlag gelang.) Eines Tags überficlen Wido's Soldaten den 
md defien Bruder Petrus. Lepterer wurde vor Johann's X. Augen 
, er felbft verhaftet und in SKerfer geworfen. Johann endete als 
ner — wie es ſcheint — durch Erdroſſelung. Die Verhaftung des 
fallt vieleicht no ind Jahr 9283, den Tod verfept Flodoard, ver 
wbige Ghronift, ind Jahr 929, ebenfo ein Augenzeuge, Berfafler 
yer erwähnten Verzeichniſſes mehrerer Päbfte des neunten und zehnten 
iderts. 
nen ſolchen Ausgang nahm der von Liutprand verläumdete Tusculaner 
In Wahrheit hat dieſer hochgeſinnte Kirchenfürſt ſeiner Pflicht Alles, 
nd Genuß, die Rückſicht auf die eigene Sippſchaft, zuletzt das Leben 
pfer gebracht. Ebenderſelbe hat dem Etuhle Petri die firchlihe Ober⸗ 
iber Dalmatien und Croatien erworben, hat ferner einen ewig denk⸗ 
n Umſchwung im byzantinischen Dften angebahnt, welder mehrmale 
ıge auf den Punkt trieb, daß der Sturz kaiſerlicher Defpotie und der 
zmiſchen Kirchenrehts, lateiniſchen Belenntniffes, unvermeidlich fchien. 
ann man beide legteren Punkte nur durch genaues Eingehen auf bie 
geichichte des Oſtens erweiſen. Ohne Frage war Johann der größte 
des zehnten Jahrhunderts. 
eine Thaten und Leiden bilden eine jchwere Anklage gegen die Adeld- 
ft, welche jeit den Tagen des Sergius III. auf Rom laftete. Rieder 
e Hiftorifer ſchmeicheln der Gewalt, und dieſe befand ſich bis 962 in den 
ı der Rachfommen Marocia’s, jpäter in denen Otto's L von Deutſch⸗ 
Daher kommt e8 meines Erachtens, daß Johann's Geſchichte frühe 
und entftellt ward. Liutprand, der aus Speicdhellederei gegen den 
n Dito Petri Stuhl erniedrigt, jpriht nur dann von Johann, wenn 
nd eine Schmuggeichichte anbringen will. Nichts jagt er davon, daß 
b ein Bruder Johannes war, nichts, daß der‘ Spoletiner fi mit 
ia vermählt Hatte, obgleih er zugeftchen muß, daß Marocia Mutter 





Did. ©. 313 u. 715 unten. ”) Ibid. ©. 175 (ad a. 928). 199. 312. 714. 


198 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


eines rechtmäßigen Sohnes (Alberichs IL.) durch Alberic wurde, nicht, gar 
nicht8 meldet er von den Kämpfen, welde Alberichs Sturz herbeiführten. 
Und doch lagen diefe Ereignifie faum 30 Jahre hinter ihm, und als Knabe 
hatte er fie jelbft erlebt. Nur niedrige Berechnung fann ihm den Mund ver- 
ichloffen haben, da der Rheimfer Flodoard, der doc, einige hundert Stunden 
entfernt vom Scauplage in Neuftrien lebte, bezüglich der wichtigften Punkte 
die Wahrheit erfuhr und der Nachwelt überlieferte! 

Auch der andere italienifhe Hauptzeuge, Mönch Benedikt vom Et. An 
dreas⸗Kloſter, ift nicht viel beſſer unterrichtet, obgleich diefer nicht lügen will, 
fondern aus Unverftand färbt. Zwar folgt aus feinen Angaben, daß Jos 
hann X. ein Bruder Alberih8 war, dennoch wußte er dieß nicht, jondern er 
verwechfelt in der enticheidenden Stelle, wo von den Bartheifämpfen zu Rom 
die Rede ift, Alberih I. mit dem jüngeren Bruder Petrus. 

Nur durch den Haß einer mächtigen Körperfchaft, des römiſchen Adels, 
fann es gefchehen fein, daß Johanns X. Geſchichte fo ſchnell in Dunfel gehüllt 
ward. Durch Beiziehung aller vorhandenen Quellen iſt es mir gelungen, 
einige Punkte aufzuklären. Gleihwohl bleibt unfere Kenntniß eine lüdenhafte, 
unvolftändige. 

Schließlich will ih an zwei Beiſpielen zeigen, wie unzuverläfftg die Zoten 
find, welde Liutprand auftiſcht. Faſt alle Frauen, die er in feiner Geſchichte 
erwähnt, ftelt er gleih Marocia ald Huren hin und das häufig in einer 
Weiſe, daß er fich felbft auf den Mund ſchlägt. Nachdem er den Tod des 
Markgrafen Woalbert von LuccasTuscten berichtet hat, fährt‘) er fort, Adal⸗ 
berts Wittwe, Bertha, habe hauptſächlich durch ihre YBuhlerfünfte die Herrs 
ſchaft nah dem Tode des Mannes behauptet. Und doch zählte Bertha das 
mals gegen 70 Jahre, denn ihr Vater, König Lothar IL. von Lothringen, 
war jchon 860 geftorben.?) Ebenſo wie die Mutter, behandelt er die Tochter 
‚ Ermengarda, vermählte Marfgräfin von Ivrea. Wenn man den Biſchof von 
Eremona hoͤrt,) beherrfchte dieſe Ermengard daram halb Italien, weil fie 
ſich ohne Unterichied Allen, nicht bloß den Vornehmen, fondern aud dem ges 
meinen Pöbel preisgab. Weibliche Gunftbegeugumgen, die in folder Weile 
verſchwendet werden, verlieren befanntlih allen Werth, und nur ein Menidh, 
der eine ganz verborbene, ſchmutzige Phantafie hat, kann in der Weife Liut- 
prands reden. 

Roh muß eine That des Pabſtes Joham X. erwähnt werben, welde 
zur Folge hatte, daß die Sippſchaft der Marocia, deren Streichen er erlag, 
nad einem Menfchenalter zur Rechenichaft gezogen ward. Im Verein mit 
dem deutſchen Könige Conrad J. rüftete*) er 916 die Kirchenverfammiung von 


') Perg II, 288. 5 Perg I, 482. 5 Ibid. IH, 304 unten ſig. 9) Gfrörer, 
Gurelinger II, 482 fig. 


Gichtes Bud. Gap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928—945. Anfänge bes Fürften Alberich II. 199 


Hohenaltheim zu, welche den Bann Über die hochverrätherifchen Großen, die 
das deutſche Reich zerreißen wollten, verhängt und mehrere der Schulpigften 
jermalmt bat. Wäre dieß nicht geichehen, jo würde der Sachſe Dtto I. nie 
die nöthige Macht erlangt haben, um das Kaiferthum zu erneuern und Maros 
cia's Geſchlecht zu züchtigen. Johanns X. Blick durchdrang, wie es fcheint, 
die Zufunft, er half die deutſche Nation wiederherftellen, damit von dort ein 
Rächer Fomme, der den ungetreuen Bafallen Roms den Kopf zurechtfege. 


Eilftes Capitel. 


Rad dem Sturze Johanns X. waren Marocia und ihr zweiter Gemahl Wido von Tuscien 
unbefchränfte Bebieter in Rom und dem Kirchenflaate und ſetzten die Päbfte Leo VI. 
(Iuli 928 bis Februar 929), Stephan VIII. (929—931), endlich Johann XI., den 
eigenen unehelihen Sohn Marocia’® — ein. Allein um 930 flarb Wido, Marociend 
jweiter Gemahl, worauf Hugo, König von Italien, die Marke Tuscien an Lambert, den 
Bruder Wido's, verlieh. Weil ihr auf ſolche Weile die Hersfchaft über dieſe fchöne 
Marke entfchlüpfte, ſchloß Marocia, um ihre wanfende Gewalt zu flärken, eine britte 
Ehe mit König Hugo von Italien. Bald entftand Streit zwifchen dieſem und Albe⸗ 
ri IL, dem Sohne Marocia’8 aus erfter Ehe. Alberich II. verjagt feinen Stiefvater 
aus der Stadt, wird vom Bolf zum Fürſten von Rom erhoben und hält feitvem feine 
Rutter Narocia, wie feinen Bruder, den Pabſt Johann XI., gefangen. Trotz wach⸗ 
fender, faft jedes Jahr wiederkehrender Angriffe Hugo’d weiß Alberich II. das römifche 
Fürſtenthum bis 945 zu behaupten. Diele ehemalige Anhänger Hugo’s, namentlich die 
von ihm in Spoleto, Gamerino und Tuscien eingefeßten Großvaſallen, gehen zu Alberich 
über, der dieſe Ueberläufer fammt vielen Andern in räthfelhafter Weife zu gewinnen 
weiß. Als er endlich 945 in ſchwerſtes Gedraͤnge gerieth, fchaffte ihm der Einfall des 
Markgrafen Berngar von Sorea Luft. Anfänge des Haufes Ivrea. Die Saracenen 
von Brarinetum und ihr Lager im heutigen Wallis. Mit einem Fleinen Heere bricht 
Markgraf Berngar aus Deutſchland, wohin er vor 7 Jahren geflohen war, ind obere 
Stalien ein. Die Anhänger und ehemaligen Rampfgenofien Hugo’s, meift geborne Bur⸗ 
gunder, bie er reichlich mit Lehen ausgeftattet hatte, fallen von ihm ab und erzwingen, 
daß bie Krone Stalien unter brei, Hugo, feinen Sohn Lothar, den er längft zum Mit⸗ 
tegenten angenommen, und enblich Berngar getheilt wird. Geheime Beweggründe biefer 
Maßregel. Berngar nöthigt Hugo, Frieden mit dem Fürften Alberich IL. zu fchliegen, 
wobei aber Leßterer ein ſchweres Opfer zu bringen bat. Alberich muß nemlich die 
Landſchaft Sabinum an ein Geſchoͤpf Berngars abtreten. Diefe Abtretung verbreitet 
Licht über die Springfedern der Macht Alberichd. Hugo entweicht aus Italien und flirbt. 


Nach Ermordung Johanns X. lag Rom und der Kirchenftaat zu den 
Füßen der Marocia und ihres zweiten Gemahls, des Tuscierd Wide. Zwei 
Pabſte von kurzer Dauer und befchränfter Wirffamfeit, Leo VL und Stephan VIII., 
nahmen Petri Stuhl ein: jener regierte die Kirche nur fieben Monate — etwa 
vom Juli 928 bi8 Februar 929, diefer etwas über zwei Jahre.) Sie feinen 
abgelebte Herren und Rüdenbüßer oder Geſchoͤpfe der Marocia geweſen zu fein. 


9) Die Belege bei Jaffé, rogest. ©. 312 fig. 


200 Pabſt Eregorius VIL und fein Seitalter. 


Aber ein Todesfall veränderte den Stand der Dinge Um 930 — man 
kennt‘) das Jahr nicht genau — farb Wide, der zweite Gemahl Marocia's, 
worauf König Hugo das Herzogthum Lucca⸗Tuscien an den jüngeren Bruder 
des Berftorbenen, an Lambert verlieh.) Damit war Macht und Einfluß der 
Marocia bloßgeftellt. Da fie wohl wußte, daß der Haß Roms und der halben 
Welt auf ihr Laftete, fuchte fie fih zu flärfen und griff zu einem Mittel, das 
die Zufunft ihres eigenen mit Alberih I. erzeugten Sohnes, Alberichs IL, 
bedrohte. 

Laut dem einftimmigen Zeugniffe”) des Cremoneſer Biſchofs und des 
Moͤnchs Benedikt, bot fie ihre Hand dem neuen Könige von Italien, Hugo, 
der ohne Bedenken zugriff, obgleich der frühere Gemahl Marociend, Wide, 
Stiefbruder des Königs geweien war. Im Befite der Wittwe befand fih — 
ohne Zweifel ſchon feit den Zeiten ihrer zwei früheren Männer Alberic I. und 
Wide — die Engeldburg ; dorthin berief fie den Provenzalen und feierte dic 
VBermählung mit ihm. Seinem fonftigen Charakter gemäß fpricht Liutprand 
aus Anlaß diefer Ehe zwiſchen einer bejahrten zweifachen Wittwe umd einem 
MWüftling, welche baarer Eigennug ſchloß, von erjehnten Umarmungen, deren 
Hugo theilhaftig geworben fei. 

Der Provenzale hatte allerdings guten Grund, auf die Anträge der Rö⸗ 
merin einzugehen. Die Grundfäulen feiner Macht wanften. Flodoard be; 
richtet *) zum Jahre 928, Hugo habe ein gutes Stüd feines füngalliichen 
Erblandes, nämlih Stadt und Umgegend von Vienne, an Odo, den Sohn 
des mächtigen Grafen Heribert von Vermandois, abgetreten. Sicherlich that 
er dieß, um Heribertd Schuß gegen den vertriebenen Burgunder Rudolf I. 
zu gewinnen, welcher noch immer die verlorne Krone Italiens nicht verwinden 
fonnte und in Hugo einen glüdlihen Nebenbuhler beneivete. Berner iſt ges 
wiß, daß der Provenzale entweder im nämlichen Jahre oder einige Zeit jpäter 
berjelben Befürdtung wegen noch ein weit größeres Opfer brachte. 

Ziutprand erzählt: „weil die Lombarden, überbrüffig geworben ber 
Herrihaft Hugo's, Miene machten, den Burgunder Rudolf abermal ind Land 
zu rufen, jchidte Hugo an Letzteren Gefandte und ſchloß mit ihm einen Bers 
trag, fraft deſſen Hugo alle Lande jenfeitd der Alpen, die er vor der Ueber- 
nahme des italienischen Reiches bejehen hatte, an den Burgunder unter der 
Bedingung übergab, daß vieler fich verbinplihd mache, nie mehr den Boden 
Staliens zu betreten." Liutprand beftimmt die Zeit diefer wichtigen Uebereins 
funft nicht, auch iſt es nicht möglich, feine Nachläffigkeit durch andere Zeugs 
niffe zu ergänzen, da außer ihm fein Chronift den Vertrag erwähnt. Gleich» 
wohl fteht Die Thatfache feft: die Provence, der Nachlaß des geblenveten Kai⸗ 


1) Muratori, annali d'Italia ad a. 929. ) Perg II, 312. 9) Ibid. ©. 312 
lpppte: fig. 715 unten fd. *) Ibid. S. 3786. ) Ibid. ©. 314. 


Siebtes Buch. Eap. 11. Der Kirchenſtaat v. 923— 945. Anfänge des Fürften Alberih IL 201 


ſers Ludwig, welcher fterbend Hugo zum Reichöverwefer und Vormünder feines 
Eohned Carl Conftantin eingeſetzt hatte, ging ſeitdem in den Beſitz des Burs 
gunderd Rudolf und feiner Erben über, ward mit den Älteren Befigungen des 
legteren Hauſes vereinigt und gelangte jpäter durch den Sachſen Heinrich IL, 
und deſſen falifhe Nachfolger an die deutiche Kaiferfrone. t) 

Dieweil Hugo zur Zeit, da Marocia ihm ihre Hand bot, Vienne jchon 
aufgegeben hatte und jedenfalld den nahen Verluft der übrigen Provence voraus» 
ſehen mußte, ift fehr begreiflih, daß er die Anträge nicht zurüdwied. Wollen 
Werth erhielt jenoh für ihn die Vermählung mit der Römerin nur dann, 
wenn ihr ganzer Beſitz ihm zufiel. Allein diefem vorausfichtlihen Wunfche des 
Provenzalen ftand der Sohn Alberih II. entgegen, den Marocia in erfter Ehe 
mit dem gleichnamigen Marfgrafen von Epoleto und Camerino geboren hatte, 
und der, wie fih unten ergeben wird, damals bereits in einen Theil feines 
väterlichen Erbes eingetreten gewejen fein muß. Fürſten vom Charafter des 
Königs Hugo pflegen ſolche Hinderniffe ehrfüchtiger Abfihten, wenn fie im 
Guten nit weihen, mit Gewalt zu befeitigen. Man flieht daher, daß 
Marocia dur die Verbindung mit Hugo den eigenen Sohn dringender Ge⸗ 
fahr ausſetzte. 

Laut dem Berichte?) Liutprands ließ Hugo, als er nad Rom zur Hoch⸗ 
jeit zog, unterwegs dad Heer, das ihn begleitete, zurüd und betrat die Stadt 
nur mit wenigen Begleitern. Dieß jcheint darauf hinzudeuten, daß Alberich IL., 
der die neue Ehe der Mutter unmöglich gerne fehen konnte, durch irgend wels 
den Bertrag den Stiefvater gebunden und ihn gehindert hat, mit bewaffneter 
Naht in Rom einzuziehen. Die Bermählung muß vor 933, d. h. im 
Jahre 932 oder vielleicht fchon 931 ftattgefunden haben: denn Flodoard bes 
rihtet?) zu Anfang des Jahres 933, franzöfifche Elerifer, die eben aus Rom 
nad Rheims zurüdfamen, hätten die Nachricht überbradht, daß Hugo von 
ſeinem Stieffohne Alberich aus Rom vertrieben worden ſei. 

Anfangs fchienen die Dinge fih günftig für die römiſche Fürſtin und 
ihren dritten Gemahl zu geftalten. Der ältere Sohn Marocia's, jener Bas 
fard Johann, den fle vor ihrer erften Ehe mit dem Marfgrafen Alberid I. 
diefem geboren hatte, wart) laut der Ausfage des Mönchs Benedikt und des 
Bischofs Liutprand gleich nah dem Tode Stephand VIII. — und zwar durch 
den Einfluß der Mutter — Pabſt geworden. Da Stephan gegen den März 931 
Rarb,*) fo fällt Johanns XI. Erhebung allem Anſcheine nach Ende März ober 
in den folgenden Monat ded genannten Jahres. Hieraus erhellt, daß, als 
König Hugo den Ehebund mit Marocia ſchloß, fein Stiefiohn Johann Petr 
Stuhl bereits inne hatte, was, da Johann XI. von der Mutter und demnach 


9 @frörer, Garolinger II, 399. Art de vörifier les dates II, 430. 2?) Berg IH, 313. 
%) Ibid. ©. 881, Mitte *) Ibid. ©. 312 m. 714. 0) Zaffé ©. 819. 


202 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


auch von deren Gemahl abhing, feine geringe Machterweiterung verhleß: ein 
König von Italien, der durch enge Bamilienbande über den Pabſt verfügt, 
fann weit gehen. 

Um dieſelbe Zeit erlangte Hugo noch zwei andere Vortheile: es gelang 
ihm, durchzuſetzen, daß fein ältefter Schn aus der erften Ehe, Lothar, als 
Mitherricher des Vaters anerfannt ward, was laut einer Urkunde‘) im Mai 931 
geihah. Die Zukunft der Dynaftie fchien daher gefihert. Gemeinſchaftlich Haben 
feitvem Bater und Sohn, bis Hugo nothgebrungen Stalien verlaflen mußte, 
alle Akten der Regierung ausgeſtellt. Zugleih bradte Hugo die wichtige 
Markgrafihaft Lucca⸗Tuscien in die Hände eines Mannes, auf den er ficherer 
vertrauen fonnte, als auf den bisherigen Befiger. 

Dben murbe berichtet, daß nad dem Tode Wido's, welcher der zweite 
Gemahl Marocia's war, fein jüngerer Bruder Lambert das ebengenannte Ge; 
biet erbte. Obgleich durd die gemeinfame Mutter Bertha ein Stiefbruder des 
neuen Königs von Stalien, ging Zambert, pochend auf den Beſitz der ausge⸗ 
dehnten Marke, vie feit mehr als einem Jahrhunderte erbli feiner Familie 
gehörte, feinen eigenen Weg und verjchmähte es, den Zweden des Eöniglichen 
Stiefbruders zu dienen. Daher Mißtrauen zwifchen Beiden. Liutprand er- 
zählt:?) „nad mehreren mißglüdten Verſuchen, Lambert heimlich zu beſei⸗ 
- tigen, ließ Hugo benfelben gewaltfam verhaften und blenden.“ Der Unglüd- 

liche überlebte die Mißhandlung um viele Jahre und ftarb,”) wie es fcheint, 
als Gefangener erſt nach 960. Nachdem der letzte Erbe des alten Hauſes 
Lucca⸗Tuscien auf ſolche Weiſe aus feinem Fürſtenthum vertrieben war, ver⸗ 
lieh der König daſſelbe an ſeinen natürlichen Bruder Boſo, auf deſſen unbe⸗ 
dingte Dankbarkeit Hugo rechnen zu können glaubte. Seit 932 erſcheint Boſo 
urfundlich*) als Herr von Tuscien. 

Wie man fieht, find die Vermählung Hugo's mit Marocia, die Erhebung 
Lothar's zum Mitregenten, die Verdrängung Lamberts und die Beförderung 
Boſo's gleichzeitige Ereigniffe und hängen ohne Frage enge zufammen. Beide 
letztere follten die mit Marociend Hand errungene Herrichaft über Rom und 
Mittelitalien befeftigen. Die Anfänge verfprachen guten Fortgang, aber ber 
Schein täufchte. 

Jener Alberih II., Marocia's rechtmäßiger Sohn, deſſen Zufunft, wie 
ich bereits andeutete, durch Hugo bloßgeſtellt war, vertrieb den aufgedrungenen 
Stiefvater aus Rom, nahm die Mutter und auch ſeinen älteren Bruder, den 
Pabſt Johann XL, gefangen, warf ſich zum Fürſten des Kirchenſtaats auf, 
und behauptete die angemaßte Gewalt in den folgenden Jahren glücklich gegen 
wiederholte Angriffe des Königs von Italien. Zwei gleichzeitige Chroniften, 


— Böhmer, regest. Carol. ©. 130. 3) Berg III, 314. 3), Ibid. ©. 298 (antap. 
56). %) Muratori, annali d'Italia ad a. 931. 


Siebtes Buch. Gap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928945. Anfänge bes Fürften Alberich U. 209 


die unabhängig von einander jchrieben, Liutprand und Mönd Benebift, bes 
zeugen dieſes Ereigniß, und auch der völlig zuverläffige Flodoard ſtimmt bei. 
Der Erftere erzählt: ) „weil Köuig Hugo Im Uebermuth dem Stiefſohne Alberich 
eine Ohrfeige gab, zettelte biefer eine Verſchwörung mit vornehmen Römern 
an, ward von Ihnen zum Fürften der Stadt gewählt, und verjagte mit ihrer 
Hülfe Hugo aus der Engelöburg.” Laut der Ausfage?) des Mönds war 
ver Anlaß des Streits ein anderer, aber der Verlauf derſelbe: weil Hugo 
ſeinem Stiefſohn nad dem Leben trachtete, rief Alberich IL die Einwohner der 
Stadt zu den Waffen, warb zum Fürften aller Römer erhoben, und nöthigte 
den König, nach Lombarbien zu entfliehen. 

Aus der früher angeführten Stelle des Rheimfer Ehroniften geht hervor, 
daß Die Vertreibung Hugo's aus Rom fpäteftens in den Herbft 932 fällt. 
Dafür, daß Alberich jeitdem den Titel Fürſt von Rom annahm, treten nod) 
andere Denkmäler ein. Die oben’) erwähnte Urkunde des Kloftere Sublaco 
aus den Zeiten des Pabſts Stephan IX. (939—942) nennt ihn den glors . 
rihen Fürſten (von Rom) und liefert zugleih den Beweis, daß Alberich als 
ſolcher in feinem Palaſte Gerichtsftgungen hielt, denen die höchften pähftlichen 
Beamten und der Adel Roms anmohnten, und in welden bie wichtigften 
Rechtshändel entichieden wurden. 

Sicherlich würde Alberich II. nicht im Stande geweſen fein, ein folde 
Rolle gegenüber der Mutter Marocia und ihrem dritten Gemahl, dem italients 
hen Könige Hugo, zu fpielen, hätte er nicht von feinem gleichnamigen Vater 
eine bedeutende Macht ererbt. Nun war es die Belehnung mit der Marks 
graffchaft Spoleto und Eamerino gewefen, was den Grund zur Größe des 
erfien Alberich legte. Dieſes Fürſtenthum ging aber, wie wir willen, nad) 
Alberih8 Tode nicht an deſſen Sohn über, fondern wurde von König Hugo 
an einen feiner Neffen Namens Teutbald verliehen. In anderer Weiſe muß 
daher Alberih IL zum Befige von Hülfsmitteln gelangt fein, die es ihm 
möglich machten, den Stiefvater aus Rom zu verjagen und dem Könige Ita 
liens Jahre lang zu trogen. Da der Vater des neuen Yürften, Alberich J., 
fiherlich die lange Herrichaft, die er zu Rom übte, benügt hat, um im Kirchen, 
ſtaate felber Güter zu erwerben, da ferner fowohl der Vater als der Sohn 
von tüchtigen Zeugen Tuskulaner genannt werden, fo brängt fih die Ver⸗ 
muthung auf, daß Alberich I. zwifchen 914 und 925 die Grafihaft Tusculum 
an fi gebracht, und daß nad) des Vaters Tode der gleichnamige Sohn dies 
felbe ererbt habe. 

Allein eine Graffhaft wie Tusculum, — felbft wenn fie den ganzen 
Latinerberg umfaßt hätte — genügt nicht, um die Macht zu erklären, welche 
Alberich entwidelte. Richt eine Grafſchaft, ſondern Schäge einer Provinz, viel 


ı) Berg II, 818. 5 Ind. ©. 716 oben. 6. 178. . Mi 


204 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


leicht eines Reichs, müffen zu feiner Verfügung geftanden haben. Hier 
Räthſel zu löfen, welches fpäter am geeigneten Drte enthüllt werben | 

Hugo ſetzte alle verfügbaren Mittel ver Lift und Gewalt gege 
Stieflohn in Bewegung Der Biſchof von Eremona meldet:') „entſch 
Rache an Alberich zu nehmen, jammelte König Hugo ein Heer, und 
vor Ron; allein obgleih er die Umgegend weithin verwüftete und die 
täglich angriff, vermochte er fie nicht zu erobern.” Solches geſchah zuerfi 
denn zu diefem Jahre berichtet?) Flodoard, daß Hugo (vergeblih) Ro 
lagerte. Der Kampf dauerte in den nächſten Jahren fort, und zwar mit 
ungünftigem Erfolg für die Waffen des Könige. Der Rheimſer Chror 
zählt”) weiter zum Jahre 936: „nachdem König Hugo von Neuem R 
nehmen verſucht, aber durch Hunger und Seuchen, die unter den I 
feines Heeres ausbrachen, anfehnliche Verluſte erlitten hatte, fchloß « 
Alberih einen Friedensvertrag, kraft deſſen er die Belagerung aufhob, ur 
feiner Töchter mit dem Fürften von Rom vermählte.“ 

Auch Liutprand erwähnt‘) diefen Vertrag und die Heirath Alberid 
Hugo's Tochter — welche laut feiner Ausfage Alda hieß — behauptet 
daß Hugo nicht ernftlih den Frieden gewollt, fondern in trügerifcher ! 
unterhandelt habe. Allein der Bifchof von Cremona ift im Irrthum; 
wird gezeigt werden, erftlih daß ein berühmtes Kirchenhaupt aus Bı 
damals eine aufrichtig gemeinte Ausjöhnung zwifchen beiden Fürften verm 
zweitens daß Hugo nicht blo8 dem Gegner Vortheile einräumte, fonderı 
ſeinerſeits Zugeftänpniffe erhielt, die erfüllt worden find. 

Immerhin brad in Kurzem neuer Streit zwilchen Hugo und Alber 
aus. Eine Urkundet) vom Jahre 941 beweist, daß König Hugo 
Rom lagerte. Diefed Lager war ohne Zweifel gegen Alberich gerichtet 
Flodoard meldet’) zum folgenden Jahre 942, der bereit erwähnte b 
diſche Cleriker habe fich abgemüht, die Eintracht zwifchen König Hug 
dem römifchen Patrizier Alberidy wieder herzuftellen. Beide lagen al 
jene Zeit im Kampfe mit einander. Auch hat der Vermittler feinen Zwe 
weder gar nicht oder nur unvollfommen erreicht; denn laut Ausjage®) de 
Zeugen kam erft im Jahre 946 — furz che Hugo für immer aus X 
vertrieben ward — eine gründliche Ausdgleihung zwilchen ihm und A 
zu Stande. 

Auch Liutprand bezeugt, daß feit dem Vertrage von 936 Niberid 
Hugo fi ohne Unterlaß befehdeten. „Alljährlich,“ fagt”) er, „griff Hug 
Hürften Alberih an, verheerte das Land mit Feuer und Schwert, und | 
außer Rom, das Alberich behauptete, fämmtliche Städte (des Kirchen! 


*) Berg III, 316. 9 Ibid. ©. 381 unten. ) Ibid. ©. 383. *) M 
annali d'Italia ad a. 941. °) Berk II, 389. ) Ibid. ©. 393. ) Ibid. ( 


Siebtes Buch. Gap. 11. Der Kirchenſtaat von 928—945. Anfänge des Fürften Alberich U. 205 


in feine Gewalt. Selbft Rom würde er zuletzt, ſei es durch Waffen, fei es 
durch Beftehung, errungen haben, hätte nicht die göttliche Vorfehung Hugo's 
Anftrengungen vereitelt.” An einer andern Etelle fügt‘) er bei: „alle unzus 
friedenen Bafallen Italiens, die mit dem Könige zerfielen, entflohen in ver 
Regel zu Alberih II. und wurden von ihm mit offenen Armen aufgenommen. * 
Diefe Bemerkung erklärt theilweife den erfolgreihen Widerſtand des römifchen 
Fürſten. Ober⸗ und Mittelitalien war zwifchen ihm und König Hugo getheilt. 

Während feit der Mitte des neunten Jahrhunderts die Pähfte, welche 
toh damals eine anfehnlihe Macht bejaßen, den fpäteren Garolingern und 
ihren Nachfolgern gegenüber mehr und mehr Boden verloren, während ber 
heilige Stuhl zulegt durch den einheimiſchen Adel unerträglide Demüthigungen 
erfuhr, vermochte ein Fleiner Fürſt, der fih zum Herrn Roms aufgeworfen, 
niht nur der Macht des Königs von Italien zu trogen, fondern auch zugleich 
— wie unten gezeigt werden fol — die Statthalter Petri, feine Untertbanen, 
im Gehorfam zu erhalten. Warum gelang ihm dieß ? 

Alle jene Purpurträger, die gleih Hugo aus den Ländern über ben 
Alpen nah Italien famen, find von unzufriedenen einheimifchen Großen in 
der Abſicht gerufen worden, fie ald Werkzeuge der Rache gegen ehemalige 
Etandeögenoffen, die übermädhtig geworden waren, zu gebrauchen: nicht das 
Bedürfniß innerlider Ordnung, ſondern oligarchiſche Gelüfte nach Ungebundenheit 
haben ihnen den Weg auf Italiens Thron gebahnt. Eobald fie nad volls 
endetem Sturze Derer, gegen welche man fie herbefchieden hatte, für ſich felbft 
u arbeiten begannen, erhob fi Alles wider fie, denn die italienischen Ade⸗ 
ligen wollten Feinen Gebieter über ſich fehen, fondern auf eigene Fauſt — jede 
in feinem Kreiſe — unabhängige Herren werben. 

Auch dem Südfranzoſen Hugo erging es nicht beſſer. Für Befeftigung 
eines Königthums hat er vielleicht größere Anftrengungen gemacht, als irgend 
einer feiner Vorgänger auf dem Throne Italiens. Indem er feine provens 
zaliſchen Befigungen, oder vielmehr das Gebiet, über das er von dem geblendeten 
Ludwig zum Regenten eingefegt worden war, an den Burgunder Rudolf II 
und an den Grafen von Vermandois abtrat, verbrannte er gleihjam die Schiffe 
hinter fi, jo daß ihm feitvem nur die Wahl blieb, in Stalien groß zu wachſen, 
oder unterzugehen. Allein je entichloffener er die italienische Krone fefthielt, 
um fo bartnädiger war der Widerftand, den ihm der Ehrgeiz des hohen ein, 
heimifchen Adels entgegenfegte. Liutprands Verf ift voll von Beilpielen 
ſolcher Ränte. 

Unter Anderem erzählt er: „in Pavia, der lombardiſchen Königsftabt, 
wo auch Hugo gewöhnlich Hof hielt,”) verfhworen fi zwei Grafen, Walpert 
und Eberhard mit dem Beinamen Gezo, beide mädhtig durch Geld, verwandt, 


*) Jbid. ©. 816. 2) Man vergl. bie Urkunden bei Böhmer, regest. Carol. ©. 129 flg. 


206 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


ſchaftliche Verbindungen und Grundbeſitz, wider ihn. Der König erhielt 
Nachricht von Dem, was im Werke war, verließ die Stadt, fammelte Bes 
waffnete, und überfiel die Unzufriedenen: Walpert wurde hingerichtet, Gezo 
graufam verftümmelt — er verlor das Augenlicht ſammt der Zunge — bie 
Güter des Einen wie des Andern nahm der föniglihe Schatz In Beſchlag.“ 
Ziutprand jchließt‘) feinen Bericht mit den Worten: „ſeitdem wuchs nicht nur 
zu Pavia, fondern innerhalb des ganzen Reiches Stallen die Furcht vor Hugo, 
fie wagten nicht mehr ihn zu mißachten, wie fle den früheren Königen es 
gethan, jondern hielten ihn in Ehren.” Die Vorgänge zu Pavia fallen, wie 
es fcheint, in die Anfänge der Regierung Hugo’, etwa in das Jahr?) 931 
oder 932. Nicht nachhaltig wirkte die Beftrafung der fchuldigen Paveſen: 
neue Empörungen brachen in 2ombarbien aus. 

Biele geiftlihe und weltlide Herren aus Franfreih und Deutichland 

waren, feit Hugo die Krone von Stalien trug, an feinen Hof geftrömt, um 
in Lombardien ihr Glück zu verfuhen. Zu dieſen Fremdlingen gehörten bie 
zwei Flamaͤnder Hilduin, ehemals Biſchof von Lüttich, aber von feinem Stuhle 
vertrieben, ein Verwandter Hugo's, und der Mönd Ratherius, der den ges 
ſtürzten Biſchof begleitete und in der Folge als Schriftfteller fi) einen Ramen 
erwarb. Hugo bedachte Hilduin mit dem Bistum Verona und nachdem bald 
darauf die Metropole Mailand dur den Tod des Erzbiihofs Lambert ers 
ledigt worden war, beförberte er den Vlämen auf diefen Erzſtuhl. An die 
Stelle Hilduins trat zu Verona der Mönd Ratherius; Graf der nämlichen 
Stadt war, gleihfall8 durch Hugo eingefegt, Milo. 
» Beide, Bilchof Ratberius und der Graf, bewiefen dem Könige ſchlechten 
Dank. Bon ihnen herbeigerufen, brach der bairiſche Herzog Amulf gegen 934 
in Lombarbien ein, um Hugo vom Throne zu floßen, und nahm wirflid 
Verona, vermochte jedoch nicht die Eroberung zu behaupten, denn der König 
eilte herbei und trieb den Baier zurüd. Ratherius büßte mit Abfegung, aber 
den mächtigen Grafen wagte der König nicht zu beftrafen.) Kurz darauf 
— vielleicht um diefelbe Zeit — begannen die langjährigen Händel Hugo’s 
mit dem Markgrafen von Ivrea, auf den ich unten zurüdfommen werde. So 
fanden während Hugo’8 Regierung die Dinge in Lombardien. 

Auf noch größere Schwierigkeiten ftieß der König in Mittelitalien. Alle 
anderen Könige, die nad) fefter Herrfchaft über die dortige Gegend ftrebten, 
haben zunächſt Rom und Petri Stuhl in ihre Gewalt zu bringen geſucht. Das 
gewöhnliche Werkzeug päbftlicher Abhängigkeit waren die Fürſtenthümer Luccas 
Tuscien und Epoleto-&amerino, weldye, wie oben gezeigt worden, der Franke 
Carl ſcheinbar der römischen Kirche gefchenkt, in der That aber In abgejons 


t) Berg III, 312. 2) So urtheilt auch Muratori, ber fie ins Jahr 930 verfept; 
annali d'Italia ad bunc annum. ?) Berk III, 312 u. 314. 


Siebtes Buch. Gap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928-945. Anfänge bes Fürften Alberi IL 207 


verte Lehen verwandelt Hatte, deren Träger den geheimen Auftrag erhielten, 
die Päbfte zu überwachen, ihre freie Bewegung zu hemmen. 

Keineswegs fehlte ed dem Könige Hugo an gutem Willen, in dieſer 
Hinfiht das Beiſpiel Carls und fpäterer Herrſcher nachzuahmen: unabläffig 
war feine Aufmerkfamfeit den beiden Fürftenthümern zugewendet, wiederholt 
vergab er das eine wie das andere an nahe Verwandte, Söhne, Günftlinge, 
furz an foldhe, auf deren Anhänglichfeit er rechnete. Aber das Mittel fruchtete 
niht, weil die Erhobenen, vom Schwindel der Selbfiherrlichfeit fortgerifien, Die 
gleiche Bahn einfchlugen, wie Alberich IT. zu Rom, wie Milo zu DBerona, 
Walpert und Gezo zu Pavia, Berngar und Adalbert zu Jvrea. 

Ich babe oben gezeigt, daß König Hugo 931 den legten Sprofien des 
alten Grafenhauſes von Lucca, Lambert, der fein Stiefbruder war, gewaltiam 
abfegte, blenden ließ und das auf foldye Weife erledigte Lehen einem Manne, 
ver ihm Alles verbanfte, Bofo, verlieh. Dennoch blieb Bofo dem Könige, 
ſeinem natürlihen Bruder, nicht treu, ſondern verrieth ihn. Liutprand ber 
hauptet,) Willa, ein böfes und herrfchfüchtiges Weib, die Gemahlin Boſo's, 
babe dieſen ihren Mann zum Abfalle verleitet, König Hugo ſei jeboch, von 
d0f0’8 Anichlägen unterrichtet, zuvorgefommen: der Verräther warb verhaftet, 
u immerwährendem Gefängniß verbammt, feine Gemahlin Willa nah Burs 
gund verbannt. Boſo's Sturz fällt laut Flodoards Zeugniß ins Jahr 936. 

Die Art, in welcher der Rheimfer Ehronift dieſes Ereigniß erzählt, deutet, 
meines Erachtens, darauf hin, daß Bofo mit dem Hauptfeinde Hugo’s, mit 
Aberih von Rom, fih in eine hochverrätherifche Verbindung eingelafien hatte. 
Denn unmittelbar nad Erwähnung des Friedensvertrags, den der König 936 
mit Alberich ſchloß, Fährt?) Flodoard fort: „um diefelbe Zeit ließ Hugo feinen 
Bruder Bofo fefinehmen und in Kerker werfen, angeblih, weil ihm Nachricht 
wgefommen war, daß Bofo ihn zu fürgen verſuchte.“ Das fieht jo aus, ale 
be Alberih bei Abſchluß der Webereinkunft feinen bisherigen Verbündeten 
doſo aufgeopfert. Nach Beleitigung des Verrätherd erhob’) König Hugo 
einen feiner vielen Baftarde, Hubert, Sohn der Kebje Wandelmoda, zum 
Herzog oder Markgrafen von Lucca⸗Tuscien. 

Hubert blieb dem Vater treu und ward deßhalb von ihm, wie ih unten 
jigen werde, reichlich belohnt. Dennoch vermochte der neue Herzog nicht dem 
Könige zum endlichen Siege über Alberich zu verhelfen und zwar allen Anzeigen 
nad darum nicht, weil mächtige Nachbarn, die zwilchen ihm und Rom jaßen, 
Hubert daran hinderten. 

Der Leſer möge fi erinnern, daß König Hugo die vereinigte Marke 
Epoleto-Bamerino, welche Alberih I. inne hatte, offenbar nicht ohne Zuthun 


ı) Berg III, 318. 3) Ibid. ©. 383 unten. 2) Ibid. &. 306 unten, vergl. mit 4 
den Urkunden bei Muratori, annali d’Italia ad a. 936 u. 941. 


m 


208 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


des Pabſts Johann X. an feinen Neffen Theutbald verlieh. Diefer Neffe fcheint 
die Gunſt feines Dheimd bewahrt und Ihm gute Dienfte geleiftet zu haben. 
Laut dem Zeugnifje‘) Liutprands zog er mit einem Heere dem Fürften Landulf 
von Benevent gegen die Griechen zu Hülfe und erftritt einen namhaften Sieg. 
Die Bermuthung drängt fib auf, daß Theutbald die Waffen im Auftrage des 
Königs ergriff, der, wie es jcheint, durch Beihügung der Beneventer feinen 
Einfluß über Süpitalien ausdehnen wollte. Aber Theutbald farb um 935, 
denn im folgenden Jahre?) batte er bereitd einen Nachfolger, ver einer lom⸗ 
bardiſchen Familie angehörte. Diefen Nachfolger, entnahm der König — wie 
ich glaube, nothgebrungen — aus einem Haufe, daß jeitvem eine große Rolle 
geipielt hat. 

Ich muß ein wenig zurüdgreifen. Seit den Ereignifien von 888, ba 
die von Carl dem Dicken wiederhergeftellte Carlinger Monarchie für immer 
zufammenfiel und im Süden Germaniens die beiden Theilreihe Burgund und 
Stalien entftanden, von welchen erfteres dad Land zwifchen Jura und Alpen, 
das heutige Savoyen, die weitlihen Theile der Schweiz bis zur Aare ums 
faßte, war die Strede des Hochgebirgs, die ſich vom Gotthard bis gegen 
den Monte Viſo binzieht, zur Gränze zwilchen den beiden genannten Etaaten 
geworben. Und zwar hatten die Könige Italiens, Berngar von Friaul, Wido, 
Lambert, Urfache, ihren nörvlihen Nachbar zu fürchten, denn fchon der Burs 
gunder Rudolf L, noch mehr aber fein gleichnamiger Sohn angelten nad 
der Krone Lombarviend. Die Herricher des letzteren Landes fahen fich daher 
genöthigt, die gefährdeten Zugänge ihres Reichs in der damals üblichen Weiſe, 
d. h. durd Errichtung einer Marfgrafichaft, zu verwahren. 

Kein Ort paßte befjer hiezu, ald die am Fuße des Gebirgs gelegene 
Stadt Jvrea, von der aus vier Hauptpäffe, die Alpenftraßen über den Mont 
Genis, den Bernhard, den Simplon und den Gotthard, überwacht werben 
konnten. In der That erfcheint jeit Ende des neunten Jahrhunderts, genauer 
geiprochen feit dem Sturze Earld des Dicken, Jvrea ald Mittelpunft einer 
mächtigen Marke auf Italiens Nordgränze gegen Burgund. Zum Jahre 894 
berichtet) der Mönd von Fuld Folgendes: „ald der deutſche König Arnulf 
von dem erſten (verunglüdten) Zuge nah Stalien zurüdfehrte, wandte er fidy 
gegen Jvrea und bie dortigen durch ein ftarfed Schloß geſchützten Klaufen, 
weldhe Andfer, Graf des italienischen Kaiſers Wido, mit Eoldaten bejept hielt, 
bie ihm Rudolf J. von Hochburgund zugeichidt hatte, um dem deutſchen 
Heere den Rückzug durd die dortigen Alpen zu verwehren.” Auch der Bifchof 
von Eremona erzählt‘) Aehnliches, nennt jedoch den Befehlshaber der Gränz⸗ 
burg mit Veränderung eines Buchſtabens Ansfarius und gibt ihm — gewiß 
richtig — den Titel Marfgraf. 


9) Perg II, 317. uUrkunde bei Muratori, annali d'Italia ad a. 935, vergl. mit 
erh II, 328, Mitte. 5 Perh I, 410. *) Berk LIL 284 oben. 


Eichtes Buch. Gap. 11. Der Kirchenflaat v. 928— 945. Anfänge des Fürften Alberich II. 309 


Roh vor Ende des neunten Jahrhunderts verfchwindet Anskar aus ber 
Geſchichte — er muß mit Tod abgegangen fein —. Als Markgraf von Jvrea 
aber erfcheint nunmehr Adalbert, der in einer oberitalienifchen Urkunde‘) vom 
Jahre 902 ein Sohn Anskars genannt wird. Der Name des Baters blieb 
längere Zeit in der Familie Wie wir fogleih fehen werden, nannte Adalbert 
einen zweitgebornen Sohn, einem weit verbreiteten Gebraudye gemäß, nach dem 
Großvater Anskar. 

Liutprand berichtet Vieles von dem neuen Markgrafen, den er gegen An⸗ 
fang des zehnten Jahrhunderts zum Erftenmale erwähnt.) Adalbert muß 
aniehnlihe Macht von feinem Vater ererbt haben, denn Berngar von Friaul, 
kit vem Tode der Kaiſer Wido und Lambert unbeftrittener Herr von Italien, 
fand für gut, dem Marfgrafen feine Tochter Giſela zur Gemahlin zu geben. 
In diefer Verbindung gebar Gifela ihrem Manne einen Sohn, der nad dem 
mütterlichen Großvater den Namen Berngar erhielt, und 950 nad Verdraͤn⸗ 
gung Hugo's und des Mitregenten Lothar die Krone Italiens errang. Der 
Iwed, wegen deſſen der Friauler Berngar den jungen Markgrafen durch Yas 
milienbande in feinen Kreis zog, ward nicht erreicht: Adalbert fiel Nn dem 
finiglihen Schwiegervater ab, und ftellte fih an die Spike der ungufriedenen 
Broßen, welche im Jahre 900 den Provenzalen Ludwig, der nachher geblenvet 
worden iſt, nach Stalien beriefen.) Obgleich im Februar 901 von Pabft 
Benedift IV. zum Kaiſer gekrönt, konnte der Provenzale nur kurze Zeit feine 


- Stellung behaupten. Der Friauler gewann, wie wir willen, die Oberhand 


über ihn und vertrieb den Gegner zum erftenmale im Jahre 902, zum zwei⸗ 


tenmale im Sommer 905 — und zwar dießmal für immer — aus der 


apenninifchen Halbiniel. 

Der Sturz des Provenzalen Hat jedvoh dem Marfgrafen von Ivrea feinen 
weientlihen Schaden gebracht: er behielt fein Lehen, vermuthlid weil ver 
Sriauler fih zu ſchwach fühlte, den ungetreuen Eidam. ernftlih zu züchtigen. 
Allem Anfcheine nach vermochte Adalbert von Jvrea dem Könige um jo fiherer 
wu troßen, weil er, wie es fcheint, vor 910 durd eine zweite Heirath einen 
gefürchteten Verbündeten gewann. Nicht ange dauerte nämlid die Ehe Adal⸗ 
bertö und Giſela's. Nachdem Leptere frühzeitig geftorben war, freite ver Wittwer 
um vie Hand der Tuscierin Ermengarda, welche Bertha, die Mutter des 
nahmaligen Könige Hugo, in zweiter Ehe dem gleichnamigen Markgrafen 
Adalbert von LuccasTuscien geboren hatte. Ermengarda wurde des Joreers 
Weib und zeugte mit ihm einen Sohn”) Anskar, der alfo der Stiefbruder des 
oben erwähnten, aus der erften Ehe mit Gifela ftammenden Berngar war. 
Im Bunde mit dem neuen Schwäher empörte*) fi der Markgraf von Ivrea 


‘) Historiae patriae monnmenta. Chartae, tomus I, ©. 103, Rr. 61. 5 Per III. 
294 unten. ”) Tbid. ©. 298 unten. *%) Ibid. ©. 304 unten. 
Ofrörer, YabR Gregerius vi Br. V. 14 


210 Pabſt Eregorins VII. und fein Seitalter. v 


zum zweitenmale um 919 gegen den Friauler Berngar, ohne daß ihn bieler 
* zu- bewältigen vermochte. 

Adalbert von Jorea hat allem Anfcheine nah den König und Kaiſer 
Berngar überlebt, aber nicht lange. Liutprand erwähnt‘) den Tod des Marf- 
grafen, doch ohne die Zeit zu beftimmen. Aus einer lombarbifchen Urkunde?) 
vom Juli 929, Fraft welcher König Hugo auf Bitten feiner Schwefter Er- 
mengarda eine von weiland dem glorreihen Markgrafen Adalbert an das Klofter 
Novalefa gemachte Schenkung beftätigt, geht hervor, daß Adalbert von Jvrea 
vor dem genannten Monate das Zeitliche fegnete. 

Biſchof Liutprand entwirft von dem Charakter des Geftorbenen ein be 
Ichrendes Bild. „Adalbert,“ jagt”) er, „war während feiner Jugend ges 
wiffenhaft in Erfülung hriftlicher Pflichten und überaus wohlthätig gewefen, 
aber mit den fortichreitenden Jahren wurbe er hart und habgierig: Niemanden 
bielt er Wort und ſchwer laftete feine Kauft auf den Nachbarn." “Diele 
Schilderung gilt nicht blos von dem Jvreer Markgrafen, fondern von vielen 
andern „Standeögenofien. Die Unficherheit italienifcher Zuftände, und ihre 
natüı Folge, die Selbftfuht der Großen, welche einen Krieg Aller gegen 
Alle erjeugte und es zur Bein macht, ven Faden der Gefchichte jener Zeit zu 
entwirren, verwandelte felbft foldhe Herren, die von Natur gut geartet waren, 
in Tyrannen. 

Nach Adalderts Tode führte die Wittwe Ermengarda gemeinfchaftli mit 
ihren Söhnen Berngar und Anskar die Verwaltung der Marfgrafichaft und 
übte auch über die Gränzen vderfelben hinaus merkliden Einfluß. Wenn man 
Liutprand hört,*) beberrfchte fie ganz Italien durch ihre körperlichen Reize, 
indem fie ſich ohne Unterfchied Vornehmen und Geringen preidgegeben haben 
fol. Dieß ift, wie ſchon an einem andern Drte bemerkt worden, eine bands 
greifliche Klatfcherei, wohl aber verdient die weitere Andeutung Liutprande 
Glauben, daß Ermengarda nicht wenig zu Erhebung Hugo's, Ihres Stief- 
bruders, auf den italienischen Thron beitrug. Bei der nämlichen Gelegenheit 
mag fle dem neuen Könige Verſprechungen zu Gunften ihrer beiden Söhne 
Berngar und Andfar, oder wenigftend eines verjelben, abgenommen haben. 
Die Zeit, diefe Zufagen zu erfüllen, fam im Jahre 935. 

Durch den früher erwähnten Tod jenes Theutbald war das Lehen Spoleto; 
Eamerino erledigt. König Hugo vergab es an Ermengardens füngeren Sohn 
Andfar, feinen Neffen, aber nur mit innerem Widerſtreben that er dieß. 
Ziutprand behauptet,°) der König habe, der Ehrſucht Anskars mißtrauend, 
ihn blos darum befärbert, weil er fih den läftigen Mahner vom Halſe ſchaffen 
wollte Vielleicht geihah um die nämliche Zeit, was der Ehronift von Eres 


— — — 





) Did. ©. 304 unten. 2) Histerise Patrise Monumenta Chart. I, ©. 135. Rr. 81. 
2) Berg III, 295 oben. *) Ibid. © 304 unten fl. °) Ibid. ©. 328. 


Siebtes Yu. Gap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928—945. Anfänge des Fürften Miberich IL. 211 


mona an einem anderen Orte‘) erzählt, nämlih daß der König Anskars 
Bruder, Berngar, den jungen Markgrafen von Jvrea, mit einer feiner Richten, 
Villa, der Tochter Boſo's, des Föniglihen Halbbruders und feit 931 Herzogs 
von Lucca⸗Tuscien, vermählte. Unzweifelbaft ging die Abfiht des Könige 
dahin, beide Brüder an die Sache des Thrones zu fefleln: ſie fchlug jedoch 
fehl. _ Sowohl Anskar ald Berngar empörten fi, das Beifpiel ihres Vaters 
nahahmend, gegen Hugo, und zwar, wie ed fcheint, Anskar zuerft. 

Urfundlih?) wird feit dem Sommer 935 am Hofe Hugo's ein Günſt⸗ 
ling Namens Sarlio erwähnt, der das einflußreihe Amt eines Pfalzgrafen 
befleivete. Eben diefen Sarlio brauchte der König ald Werkjeug, um ven 
ungetreuen Andfar zu züchtigen. Liutprand meldet:”) „weil Ansfar feit feiner 
Belehnung mit Spoleto auf Abfall fann, fchidte der König den gebornen 
Burgunder Sarlio mit einem Heere wider ihn aus: ed Fam zu einem harts . 
nädigen Treffen, in welchem Anskar befiegt und erfchlagen ward, worauf der 
König die erledigte Marke an den Sieger Sarlio übertrug.” 

Laut einem glaubwürdigen Zeugniffe”) fällt Anskar's Tod in das Jahr 940. 
Aber auch Sarlio machte es nicht befier als fein Vorgänger. Big, Ehronif 
von Farfa berichtet) — allerdings mit verfchievenen falichen Zufägen — daß 
König Hugo wider Earlio zu Felde zog, ihn überwand und nöthigte, Mönd, 
zu werden. Gewiß ift jedenfalls, daß Sarlio 944 die Marfe nit mehr vers 
waltete, fondern durch einen Nachfolger, der Hugo's volle Gunſt genoß, erfeht war. 

Blicken wir zurüd: während Hugo jenen langwierigen Kampf gegen den 
Fürſten Alberih von Rom befand, verrathen drei Großvalallen, erft Bofo, 
Hugo's natürliher Bruder, Herzog von Lucca⸗Tuscien, dann Andfar, Hugo’s 
Neffe, Markgraf von Spoletos@amerino, dann deſſen Nachfolger Sarlio den 
König, und diefer iſt genöthigt, fie mit Waffengewalt zu befeitigen. Berner 
die Gebiete, welche diefe untreue Beamte verwalteten, nehmen die Mitte zwilchen 
Lombardien, dem Stübpunfte der föniglihen Macht Hugo's, und zwiſchen Rom, 
dem damaligen Ziele feiner Beftrebungen, ein. Rur wenn die Marken Tus⸗ 
cien und Spoleto ihm ernftlihen Beiftand leifteten, hätte er Alberich zu übers 
wältigen vermocht, ihr Abfall verrammelte ihm den Weg nah Rom. Kaum 
fann man bei diefem Sachverhalt zweifeln, daß Anskar und Sarlio jo gut ale 
Dojo. von Alberih gewonnen worden waren. Bezlglic des Lepteren gibt 
dieß der Ehronift von Rheims vdeutlich zu verftehen,®) aud bei den beiden 
Andern wird Dafielbe der Fall geweien fein. Und nunmehr empfangen bie 
Schwankungen des Streits zwilchen Alberih und Hugo und im Allgemeinen 
die römischen Borgänge das gehörige Licht. 

Erftlihd Hugo mußte nothgedrungen 936 Frieden mit Alberich fließen, 


') Berg II, 317. °) Muratori, annali d'Italia ad a. 935. *) Berk III, 328 fg. 

%) Muratori, script. rer. ital. II, b. ©. 295 unten. *) Ibid. ©. 475. %) Berg LIT, 

383 unten. . 
414° 


212 Pabſt Eregorins VII. und fein Seitalter. 4 


weil um 935 Bofo zur roͤmiſchen Parthei übergetreten war, und weil der eben 
eingefegte Anskar gleichfalls eine Empörung vorbereitete. Zweitens, obgleich 
jener Hubert, ven Hugo nad Boſo's Sturze zum Herzoge von Tuscien eins 
gefegt hatte, feinem Königlichen Vater Treue bewahrte, Fonnte Alberih doc 
nicht zum Falle gebracht werden, und zwar darum nicht, weil von 936— 940 
Anskar, von 940—943 Sarlio insgeheim oder offen der Sade des Roͤmers 
Vorſchub leifteten! Zwiſchen Tuscien, dem Lehen des mit feinem Vater ver- 
bündeten Hubert, und zwiſchen Rom lag die Marfe Spoleto-Camerino, die der 
König erft zum Gehorfam zurüdführen mußte, ehe er den Tusculaner zu uns 
terwerfen vermochte. Zugleich fieht man jetzt, welchen Umfang die Partheiungen 
in Stallen erlangt Hatten, und wie ftarf die Stellung Alberichs geworden 
war. Bojo und Anskar find die nächften Anverwandten des Königs, gleich 
wohl tragen fie kein Bedenken, ihm den Rüden zu ehren und zu dem Römer 
überzutreten, fie hegen die Ueberzeugung, daß, wer zu Alberich halte, auf dem 
Wege jel, der zu jelbftherrliher Gewalt, damals dem Ziele aller ehrfüchtigen 


Großen Staliens, führe. | 
Ihen Mitteln mag e8 dem römilchen Fürften gelungen fein, jo 
viele Werkzeuge feines Gegners, des Könige, zu verführen! Als Bofo abficl, 


war die Macht Hugo's noch ziemlih neu, und es ift immerhin begreiflich, 
baß der Herzog von Tuscien auf den Gedanken gerieth, fi feinem Föniglichen 
Halbdruder zu Trog zum unabhängigen Herm des ertheilten Großlehens 
aufzuwerfen. Aehnliches gilt von Anskar. Außer Alberih hat der Jvreer 
Berngar, Anskars Bruder, dieſen angetrieben, mit Hugo zu breden, und 
folglich den Einflüfterungen des Erfteren Vorſchub geleifte. Aber daß auch 
Sarlio nad ſolchen Vorgängen, und nachdem Hugo's Königthum ſchon tiefe 
Wurzeln geichlagen hatte, faft feit dem Augenblide feiner Erhebung auf die 
Stimme Alberich's horchte und feinen Mohlthäter Hugo, der ihn aus dem 
Staube hervorgezogen, verrieth, klingt faft fabelhaft. Abermal if hier ein 
Räthſel, das ich unten löfen werde. 

Sit, was eben über den Zufammenhang italienifcher Verhältniſſe entwidelt 
worben, richtig, jo läßt fi die Voransjegung nicht abweiſen, daß König 
Hugo — wenn er anders feinen Vortheil verftand — auf den Gedanken ge⸗ 
rathen mußte, nad Sarlio's Sturz die erledigte Marke Spoleto-Eamerino feinem 
natürlichen Sohne Hubert, als dem einzigen, der ihm unverbrücdlihe Treue 
bewahrt hatte, anzuvertrauen, und durd Vereinigung der Marke mit dem 
Herzogthum Tuscien einen unwiderſtehlichen Keil wider Alberich zu bilden. 
Genau ebendieß hat Hugo gethan: unjere Darftellung wird alfo durch die 
hat beftätigt. Hubert, im Jahre 935 zum Herzog von Tuscien erhoben, 
empfängt‘) feit 941 den Titel föniglicher Pfalggraf, welches Amt ihm Hugo 


— — — — * 


1) Muratori, annali d'Italia ad a. 941. 






Gichtes Bud. Cap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928—945. Anfänge des Fürſten Alberich 11. 243 


zur Belohnung der biöherigen Dienfte ertheilt haben mag. Sodann erhellt 
aus einer Urkunde,) daß ebenderjelbe Hubert 944 — nad der Abfegung 
Sarlio’8 — auch die Markgrafſchaft Camerino befaß. 

Ohne Zweifel war diefe Beförderung gegen Alberich gerichtet: fie trug 
ihre Früchte! Erinnern wir und, daß laut dem früher angeführten Zeugnifie 
Liutprand's Hugo zulegt alle Orte des Kirchenſtaats — mit einziger Aus» 
nahme der Statt Rom — eroberte. Dieſe außerordentlihen Bortheile muß 
ber König in Bolge der Erhebung Hubert’8 zum Gebieter von Spoletos&ame- 
rino und der vollbradhten Vereinigung ded Herzogthums Tuscien mit ver 
Marke erlangt haben. Daran, daß er nicht aud) vollends Rom überwältigte, 
ward er allem Anicheine nah nur durch ein Gewitter verhindert, dad von 
Jorea ber gegen ihn aufftieg, Hugo's Dynaftie entwurzelte, eine neue Ers 
Ihütterung Italiens veranlaßte und endlih dem Sachſen Otto I. den Weg 
nad Italien und zur Kaiferfrone bahnte. 

Kraft der früher mitgetheilten Ausfage Liutprand’s hat Anstar ſeit ſeiner 
Einſetzung zum Marfgrafen von Spoleto, alſo ſeit 935, Ränfe gegen ven 
König geiponnen. Weiter deutet Liutprand an, daß Anskar im Dunde mit 
dem Soreer Markgrafen ftand, daß aber beide Brüder in verſchiedener Weiſe 
verfuhren. „Berngar,“ jagt”) der Biſchof von Cremona, „liebte es, im Ge⸗ 
heimen fein Weſen zu treiben, und verhüllte feine Abfichten, Anskar dagegen 
war verwegen.“ Zum vollen Bruce zwiſchen dem Könige und dem älteren 
Bruder vom Sorea kam es allen Anzeigen nad erft, nachdem der jüngere bes 
reitd die Waffen ergriffen hatte, vieleicht ſchon durch Sarlio oder Hubert 
umgarnt war, alfo erft gegen 938 oder 939. Den Anlaß dazu erzählt”) 
Ziutprand folgendermaßen: „König Hugo hatte vernommen, daß Marfgraf 
Berngar, Anskar's Bruder, mit einer Schilderhebung umgehe; er verbarg feinen 
Zorn, erheuchelte wohlwollende Sefinnungen für venfelben, und lud ihn an 
feinen Hof. Des Königs wahre Abficht war, den Marfgrafen, wenn er fid 
eingefunden haben würde, feftzunehmen und ihm die Augen ausftechen zu lafjen. 
Allein Hugo’d Sohn und Mitregent Lothar, der damald noch ein unmünbdiger 
Knabe war, faßte, als er von dem Borhaben Nachricht erhielt, Mitleiven mit 
dem Markgrafen und warnte ihn durch einen heimlich abgejchidten Boten.“ 

„Der gutmüthige Prinz,“ fährt der Ehronift fort, „ahnte nicht, daß er fich 
durch feine Übel angebrachte Milde felbft das Verberben bereite. Auf bie 
Warnung bin floh Berngar über die Alpen nad Deutichland, wohin ihm auch 
feine Gemahlin Willa, obgleich hoch ſchwanger, auf gefährlichen Pfaden folgte. 
Der Flüchtling begab fich erft zum Herzoge Hermann von Schwaben, dann, 
von diefem geleitet, an den Hof des deutſchen Königs Otto I., der ihn ehrenvoll 
empfieng. Auf die Kunde hievon fchidte König Hugo Gefandte an Dtto und 


9) Idem ad a. 944. ) Berg IIL, 328. 3) Ibid. ©. 329 unten fig. 


214 Pabſt Gregorins VIL und fein Beitalier. 


bot hohe Summen, wenn ber deutſche Herrfcher den Markgrafen ausliefern 
oder ihm wenigftend Hülfe verfagen würde. Allein Otto wied die Anträge 
des Stalienerd evelmüthig zurüd.” 

Um der fpäteren Ereignifje willen ift e8 wichtig, die Zeit ver Blut 
Berngar’s zu beſtimmen. Gewiſſe Ereigniffe auf dem Mittelmeere und auf den 
Alpen gewähren einen Anhaltspunft. Laut dem Berichte‘) Liutprands hatte 
König Hugo ſchon im Anfange feiner Regierung, „begierig Freunde zu ges 
winnen“, den Vater des nachmaligen Bilchofs von Gremona als feinen Ge⸗ 
fandten nach Eonftantinopel geſchickt, der bei vem 919 erhobenen Kaifer Romanus 
Lecapenus gute Aufnahme fand. Mehrere Jahre fpäter erneuerte Hugo eines 
militärischen Zweded wegen die Verbindung. Seit dem Ende des neunten 
Jahrhunderts war der provenzaliihe Küſtenort Garde⸗Frainet (Fraxinetum) 
unweit Frejus in die Gewalt eines Haufens ſpaniſcher Saracenen gerathen, ?) 
welche Schlöffer auf den benachbarten Höhen anlegten und von ihren Schlupf» 
winfeln aus Land und Meer unfiher machten. Bald durchſtreiften fie weithin 
das Gebirg, plünderten ober erjchlugen die Pilger, welche durch die Päfle nad 
Rom odeg andern heiligen Orten wallten. 

Zum Sahre 933 meldet’) Flodoard: „faracenifche Räuber haben die 
Uebergänge der Alpen inne, und verbeeren die Orte.” Bor allen andern 
Fürften fam es dem Könige Italiens zu, dem Greuel zu fleuern, aber dieß 
konnte nur vermittelft einer Flotte vollbradyt werben, welche damals außer den 
Griechen Fein chriftlicher Staat befaß. Hugo wandte ſich nad Konftantinopel 
an Kaijer Romanus und bat um Schiffe.) Der Grieche verhieß die begehrte 
Hülfe, doch unter der Beringung, daß Hugo eine feiner Töchter mit einem 
griechiſchen Prinzen vermähle. 

Wirklich ward die Heirath befchloffen und der byzantinifche Hof ſandte 
die bedungene Flotte. Diefelbe griff Yrainet zur See an und verbrannte im 
Hafen die ſaraceniſchen Raubfchiffe mit griechifhem Feuer; zu gleicher Zeit 
rüdte König Hugo der getroffenen Verabredung gemäß auf der Landjcite 
gegen das Raubneft vor und trieb die eingefchloffenen Saracenen fo in bie 
Enge, daß fie fih unfehldar hätten ergeben müflen, wenn es nämlich dem 
Könige Ernft damit geweſen wäre.) Aber er wollte nicht. 

Dieß hieng laut Liutprands Verfiherung fo zufammen: eben war Berngar 
nah Deutichland entflohen; da nun der König fürdhtete, daß der Klüchtling 
mit deutſcher Hülfe nad Stalien herüberfommen möchte, ließ er fi mit den 
eingeichlofjenen Saracenen in Unterhandlungen ein und geftattete ihnen freien 
Abzug unter der Bedingung, daß fie die Höhen der Alpen, welche Italien 
von Alamannien jcheiden, befegen, und dem Markgrafen von Jvrea, wenn er 


— nn — — — — 


%) Pertz II, 306 unten flg. 2) Ibid. ©. 275. ?) Ibid. ©. 381. %) Ibid. 
©. 329 unten. 9) Ibid. ©. 331. 


Eiebtes Buch. Cap. 11. Der Kirchenftaat v. 928945. Anfänge des Fürſten Miberih IL 215 


etwa mit einem Heere aus Deutihland nahe, den Uebergang verwehren follten. 
Die griechiſche Flotte ward nah Hauſe zurückgeſchickt, die Saracenen aber er⸗ 
füllten pünftlih ihre Zufage. „Unzählige Pilger,” ruft Liutprand aus, „bie 
zu den Heiligthümern in Stalien ziehen wollten, haben durch die Fäuſte diefer 
vom Könige Italiend gefhügten Räuber Leben und Eigenthbum verloren.“ 

Run weiter! Zum Jahre 940 berichtet‘) Flodoard: „Schaaren von über: 
jeeifchen und aud von galliihen Wallfahrern, die Rom zu befuchen gedachten, 
fehrten um, nachdem Mande aus ihrer Mitte von den Saracenen erfchlagen 
worden waren, denn Niemand konnte damals die Alpen überjchreiten, weil 
diefe Räuber, welde das Kloſter St. Moriz beicht hielten, den Weber: 
gang verweigerten.” Et. Moriz — im heutigen Wallis — beherricht drei 
der Päfje, durch welhe man aus veutihen Landen nach Italien gelangt, den 
Bernhard, den Simplon, den Gotthard. Noch mehr, eine unter dem 8. April 940 
ausgeftellte Urkunde?) ift auf uns gekommen, fraft welcher König Otto I. von 
Deutihland dem Biſchof Waldo von Chur Schadenerjag für die in feinem - 
Eprengel von den Earacenın angerichteten Verwüftungen leiftete.) Im Bis⸗ 
thum Chur lag nämlich ciner der Hauptpäfle, die aus Alamannien nad Welſch⸗ 
Iand führen, der Gotthard. 

Unverfennbar iſt es, daß jowohl Flodoard, als die Urfunde Zeugniß über 
die natürlichen Früchte des zwiſchen den Saracenen und dem Könige Hugo 
abgefchloffenen Vertrags ablegen. Die Belagerung von GardeFrainet ging 
aljo der fpäteftens im Frühjahr 940 erfolgten Belegung der deutichen Alpen- 
fraßen, und zwar um mehrere Monate, voran. Denn die Saracenen brauchten 
längere Zeit, um nad) dem Abzuge aus der belagerten Fefte fi in den Haupt⸗ 
übergängen der deutſchen Schweiz feftzufepen. Die Belagerung fällt alfo min» 
deften® ind Jahr 939, und abermal ging ihr laut Liutprands deutlichen Worten 
die Flucht Berngars voran, welche demnach fpäteftens im Sommer 939, wahrs 
ſcheinlich ſchon 938, ftattfand. 

Roh ein anderer Punft muß ind Auge gefaßt werden. Wer wird 
glauben, daß Berngar fi an den deutichen Hof gewendet hätte, wäre er 
nicht zum Voraus verfichert gewefen, dort günftige Aufnahme zu finden. Richt 
ind Blaue hinein fuchen geftürgte Mächtige bei dem oder jenem fremden Herrs 
her Schutz. Eicherli hatte der Jvreer, ſeit Jahren durch Hugo bedroht, 
Ihon früher Verbindungen in Deutichland angefnüpft und wußte, daß König 
Otto fein Freund des italieniſchen Gebieters fei, jedenfalls ihn Den Mark⸗ 
grafen) nicht preiögeben werde. Gut ſtimmt Das, was jpäter geihah, mit 
diefer durch die Umftände aufgeprungenen Borausfegung überein. Gegen fieben 
Jahre dauerte Berngars unfreiwilliger Aufenthalt in Deutichland, unzweifelhaft 
länger, als er jelbft wünfchte. „Well andere Unternehmungen die Kräfte dee 


’) Ibid. ©. 388 oben. 5 @ichhorn, episcop. Curiens. Docum. 23. *) Berg III, 322. 


216 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Königs Dtto in Auſpruch nahmen,“ jagt‘) Liutprand, „Eonnte er dem Marl: 
grafen die erbetene Hülfe nicht gewähren.” Aber auch Hugo von Italien ver: 
mochte nicht durdgufegen, daß der Sachſe den Ylüchtling fortwied ober gar 
auslieferte, obgleich er aljährlih Taut der Verfiherung‘) deſſelben Zeugen be- 
deutende Summen an den deutihen Hof bezahlte. 

Während diefer Jahre der Verbannung gingen in Italien drei Afte vor, 
welche den Flüchtling hart trafen, erftend der Sturz feines Bruders Anskar, 
zweitens die Abjegung Sarlio's, durd welchen Andfar befiegt worden war, und 
endlich drittens die Vereinigung der Marke Spoleto mit Tuscien. Lebteree 
Ereigniß, dem Anjcheine nad niederfchmetternd für Berngar, gab gleihwohl 
feinen Angelegenheiten eine günftige Wendung In der Drdnung iſt, daß 
Anskar, nahdem ihm durch Berngar's Vertreibung die befte Stütze entzogen 
worden, fi nicht mehr halten Fonnte. Andererſeits brachte Anskar's Stun 
den König doch nicht viel weiter, weil der neue Marfgraf Sarlio in Kurzem 
denſelben Weg einfchlug wie er, das heißt, zur Barthei des Römersd Alberic 
übertrat. Erft nahdem Hugo Sarlio wieder abgefegt und die mit dem Herzog⸗ 
thum vereinigte Marfe Spoleto in Huberts zuverläffige Hände niedergelegt hatte, 
durfte er fih Hoffnung maden, das Ziel langwieriger Anftrengungen zu er: 
reihen, Rom, den Mittelpunkt aller ihm feinpfeligen Kräfte, in feine Ges 
walt zu bringen. Wirklich wurde damals Alberich, wie wir ſahen, aufs 
Heußerfte gebracht. 

Wäre es nun dem Könige gelungen, denſelben gänzlih zu fällen, fo 
würde er ohne Zweifel Meifter über feine übrigen Gegner, die nah Unger 
bundenheit dürftenden Kleinen Herren in Italien geworben fein. Aber eben die 
Befürdtung, daß dieß geſchehen Fünnte, 309 einen Sturm wider Hugo zu 
fammen und ftellte die fcheinbar verlorne Sache des Flüchtlings Berngar wieder 
ber. Jetzt jo wenig als früher wollte der unbotmäßige Adel Italiens einen 
Gebieter dulden. Derfelbe ergriff feine Maßregeln, um Hugo's angejchwollene 
Macht zu befchneiden. Der MWendepunft trat ein. 

Liutprand berichtet‘) weiter: „da Berngar gewahrte, daß der beutiche 
König Dtto ihm ein Heer entweder nicht geben wollte oder nicht geben fonnte, 
beihloß er, mit eigenen Mitteln dad Wagſtück zu unternehmen. Ein Dienfts 
mann, welder ihn bei der Flucht aus Italien nach Deutichland begleitet hatte, 
Namend Amadeus, war es, der ihm diefen Rath ertheilte. Amadeus ſprach 
nänlich eined Tags zu feinem Gebieter: durch ganz Italien wird Hugo's 
harte Herrſchaft täglih mehr verhaßt, weil er nur Baftarde, Söhne feiner 
vielen Kebfen, oder burgundifche Abentheurer zu allen wichtigen Aemtern ber 
fördert und die eingebornen Herren entweder des Landes verweidt oder doch 
aus ihrem Beſitze verdrängt. (Anfpielung auf den Sturz der alten Häujer 


4) Berk III, 332. 


Giebted Buch. Gap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928— 945. Anfänge bed Fürften Alberich 11. 947 


von Lucca und Spoleto, auf die Verbannung Berngard und auf die Bes 
vrängung des Fürſten Alberih von Rom.) Wenn die Staliener gleihwohl 
fih nicht gegen den Gehaßten auflehnen, jo geſchieht Solches bloß darum, 
weil ed ihnen an einem tüchtigen Haupte gebricht, das fie ihm entgegenjeßen 
fonnten. Dieſes Haupt jeid Ihr. Ich will verkleidet ald Euer Kundſchafter 
nah Italien hinüber reifen, Bericht über die Lage der Dinge einziehen und 
die Gemüther auf Eure Anfunft vorbereiten. * _ 

So geihah es aud. Amadeus ging hinüber über die Alpen, durchzog 
dad Land von einem Ende zum andern unter verfchiedenen Masken, obgleich 
Hugo etwas wie eine heutige Polizei eingerichtet hatte, welche die Gränzen 
und alle Berbächtigen überwacte. Viele Mächtige und Vornehme wurden von 
dem Kundichafter gewonnen, der glüdlich zurüdfehrte. „Sofort brach!“) Berngar 
— aber nur mit einem Eleinen Geleite von Bewafineten — im Frühling 945 
durh das Vintsgau nah Lombardien auf und warb daſelbſt als heißerjehnter 
Retter empfangen.“ 

Ich muß bier den Faden der Erzählung unterbrechen. Einige Jahre 
ipäter, ald König Dtto, wie wir unten fehen werden, mittelft feines Bruders 
Heinrich ein Stüd Italiens abriß, bat er durch die That gezeigt, daß es ihm 
weder an Macht, nody an gutem Willen fehlte, fi) in die Angelegenheiten des 
Rahbarlandes zu milhen. Da er gleihwohl dem flüchtigen Markgrafen die 
erbetenen Streitfräfte nicht gewährte, muß man den Schluß ziehen, daß er 
fine Luft in fich verjpürte, dem Jvreer zu Gründung einer neuen “Dynaftie 
die Hand zu reichen. Andererſeits hinderte er Berngar an dem Einfalle nad) 
Italien nicht, was ficherlih, wenn er nur wollte, in feiner Macht ftand, 
denn nimmermehr hätte der Flüchtling ohne Erlaubniß des deutſchen Herrſchers 
Dtto auf deutihem Boden ein, wenn aud nur Feines, Heer ſammeln und 
nah Lombardien führen fünnen. Daraus folgt denn, daß Dtto’8 wahre Ab- 
fiht dahin ging, Stalien durd den Kampf zweier ſchwachen Gegenfönige zu 
verwirren und für das Joch eines fremden Gebieterd reif zu machen. “Diele 
Annahme wird durd die jpäteren Ereigniffe beftätig. Schon 945 bereitete 
der Sachſe Otto Das vor, was er 950 und 951 vergeblich verfuchte, aber 
961 auszuführen begann. 

Nach den oben angeführten Worten des Kundſchafters jollte man fchlies 
fen, daß es die von Hugo untervrüdte Parthei, d. h. das eingebome Bolt 
oder die noch übrigen Kleinen italieniichen Befiger gewejen ſeien, welde dem 
Marigrafen von Ivrea nad feiner Ankunft auf lombardiſchem Boden zuflelen. 
Aber dad Gegentheil geſchah. Als die Erften verließen burgundiiche Herren 
des Könige Sache. Manaſſes, Erzbiichof von Arles, ein Verwandter Hugo’s, 
den diejer nad) Stalien berufen, mit den reichen Einkünften der Stühle Verona, 


ı) Ibid. ©. 334. 


218 Pabſt Gregorins VIL und fein Seitalter. 


Trient, Mantua ausgeftattet und überdieß zum DMarfgrafen des Tyroler Gränz- 
gebietö oder der Bezirke von Verona und Trient erhoben hatte,') Metropolit 
Arderih von Mailand, die Biſchöfe Wido von Modena, Boſo von Piacenza, 
ein Baftard des Königs, Liutprand von Pavia, lauter Geſchöpfe Hugo's und 
von ihm mit Ehren überhäuft, gingen zu dem Gegner über oder machten doch 
nach furzem Bedenken mit ihm ihren Frieden.?) 

Diefen Undankbaren ſchloß fih ein Staltener, jener Graf Milo von 
Berona, an, der, wie wir wiſſen,) ſchon früher eine Empörung wider Hugo 
verfucht hatte und feitdem vielfach verfolgt, und wie es fcheint, durch feinen 
Borgefegten, den Bilhof-Marfgrafen Manafjes, überwaht worden war. 
Berngar zahlte die Abgefallenen mit Verſprechungen, theilmeile mit Aemtern. 
Wido von Modena erhielt die fette Abtei Nonantola. Zwei andere, Waldo 
und Hadelard, wurden mit den erledigten Bisthümern Como und Reggio be: 
dacht. Nur gegen einen Einzigen, den Bilchof Joſeph von Brescia, einen 
Ehrenmann, der dem Könige den Eid der Treue bewahren wollte, brauchte 
Berngar Strenge zu zeigen: er feste ihn ab und erhob an feiner Statt einen 
gewiflen Antonius. 

Was war die wahre Triebfever des jchmählichen an Hugo verübten Ber: 
raths? Sicherlih nit etwa blos die Befürdtung, daß, wenn fie ihrem 
Bönner treu blieben, Berngar mit Hülfe des Bold und der wenigen italie- 
niſchen Vaſallen fie ſelbſt ſammt dem Könige ftürgen würde. Denn der 
Markgraf beſaß nur unbedeutende Hülfsmittel, und trotz des Druds, der auf 
dem Lande laftete, hatte ſeit Jahren, außer Alberih, Fein Staliener gewagt, 
das Haupt wider Hugo zu erheben. Wenn daher die burgundiiche Parthei 
fi) um den König fchaarte, der damals auf der Höhe feiner Macht und im 
Begriffe ftand, Rom vollends zu überwältigen, würde der eingebrungene Mark; 
graf unfehlbar erlegen fein. 

Die Verräther erwogen vielmehr, daß für ihre Zwede eine ſchwache, ges 
theilte Regierung, eine ſolche, welche fie furz darauf einfepten, weit erfprieß- 
licher fei, als ein Fräftiges Königthum, das Hugo, zum legten Schlage gegen 
Alberich gerüftet, zu begründen im beften Zuge war. Daß fie fo dachten, 
daflır liefern die nächften Ereigniffe den Beweis. Ein und, verjelbe Geiſt ſelbſt⸗ 
herrlihen Schwindels erfüllte, wie die italienifchen Großen, jo die aus Bur⸗ 
gund eingewanderten Glüdsjäger. 

Menden wir und zu Hugo: auf die Nachricht vom Einmarſche Berngars 
fammelte*) er ein Heer, rüdte vor das dem Stuhle von Modena gehörige 
Schloß Bignola, das Biſchof Wido kanm zuvor an Berngar überliefert hatte, 
und belagerte daſſelbe. Allein ald er vernahm, daß auch Erzbiichof Arderich 
abgefallen fei, den Markgrafen nah Mailand berufen babe, und daß daſelbſt 


1) Ibid. ©. 316. 2) Ibid. ©. 334 unten fl. °) Oben ©. 206. *) Berg ILL, 335. 


) Buch. Cap. 11. Der airchenſtaat v. 928—945. Anfaͤnge des Fürſten Alberich U. 210 


roßen Lombardiens ſich verſammeln, ſtand er ab von der Belagerung, 
e nach Pavia, der Königsſtadt, um. Die eigene Sache verloren gebend, 
er wenigſtens die Zukunft ſeines Sohnes und Mitregenten zu retten. 
Richt derſelbe Haß, wie auf dem Vater, laſtete auf Lothar, dem Mits 
em Hugo's, der damals, obgleich jeit 931 mit dem Föniglidhen Titel ges 
et, kaum die Jahre der Mündigkeit erreicht hatte. Von Pavia aus 
Hugo dielen Lothar nah Mailand hinüber, um dort zu verjuchen, was 
ve Liebe für einen jchuldlofen Thronerben, oder wenigſtens was Mits 
vermöge, er felbft aber rüftete fid zur Abreife in feine burgundifche 
ıth und war entichloffen, ale feine Schäge mit fich zu nehmen. Bes 
des lepteren Punktes find jedoch Flodoard und Liutprand, die beiden 
zeugen, nicht recht im Einklange. Laut der Wusfage‘) des Rheimjer 
iſten wurde Hugo 945 aus dem Reiche oder vielleiht nur vom Throne 
zen, im folgenden Jahre — 946 — wieder eingefegt. Die Worte des 
fd von Eremona dagegen lauten jo, ald habe Hugo 945 Italien bios 
ſen wollen, fei aber nidyt wirklich abgereist. Darin jedoch flimmen Beide 
n, daß die Staliener den Vater Lothars nad) dem anfänglichen Abfall 
r ald Herrn und König anerfannten. 
Die Vorgänge zu Mailand offenbarten, daß Hugo die italienischen Kö⸗ 
ähler, feine langjährigen Unterthanen, richtig beurtheilte, da er den Sohn 
erziehen ließ. In der Hauptfirdye der Heiligen SProtaflus und Servafius 
as Kreuz bingeftredt, flehte Lothar, daß man feiner und feines Waters 
n möchte. Und fiche, nicht nur die anwejenden Herren italieniichen Bluts, 
n auch jene verrätheriichen Burgunder erhörten — wie Liutprand vers 
— „aus lauterem Mitleiven” die Bitte des Jünglings und erklärten 
ereit, nicht nur ihm die Krone zu belafien, ſondern auch feinen Vater 
r auf den Thron zu feßen, allein wohl bemerkt Beides unter der Ber 
ng, daß die bißherige Zweiheit zu einem Kleeblatt werde, deutich ger 
en, daß in den Föniglichen Bund, ald Dritter, Berngar von Sorea, der 
des Jahres, eintrete, doc Lepterer ohne den Schmud des Föniglichen 
md. Der leere Echein blicb Hugo und feinem Sohne vorbehalten. 
Das Werk kam zu Stande: Boten wurden hinter Hugo bergeichidt, die 
urüdriefen. Wie früher, führte Lothar den Königstitel bis zu feinem im 
mber 950 erfolgten Tode for. Auch Hugo, der 947 ftarb, behielt ihn 
Mens bis über die Mitte des Jahre 946 hinaus. Dieß bezeugen nicht 
Sloboard und verdeckt Liutprand,?) fondern auch eine im Juli des ge 
em Jahres ausgeftellte Iombarbiiche Urkunde,?) welche ihn als König erw 
t Die eigentlihe Bewalt aber oder der Nerv der Geſchäfte lag”) 





) Berg ILL, 392 u. 393, 3) Ibid. ©. 335 gegen unten. 3) Muratori, annali 
a ad a. 946, ’ 


220 Pabſt Gregorius VII. und feln Seitalter. 


in den Händen des Dritten, Berngars, obgleih er blos Marfgraf von 
Jorea hieß. j 

Liutprand behauptet‘) in allem Ernft, das Spiel der Dreiheit jei auf 
den argliftigen Rath Berngar's beliebt worben, der daburd habe verhindern 
wollen, daß Hugo fein Vorhaben ausführe, d. h. mit den aufgeflapelten 
großen Schäben, nad) weldhen der Markgraf angelte, Italien verlaffe. ‘Das 
find Narrenpofien. In der Wahlverfammlung dort zu Mailand Hatte nicht 
Berngar, jondern hatten die hohen Vaſallen Staliend das große Wort, und 
fie entichieden nad) ihrem Standesvortheil. Auch wäre das Mittel, das der 
Jvreer laut Liutprands Zeugniß angewendet haben foll, ein widerfinniges ger 
weien: es konnte nicht zu dem beabfichtigten Ziele führen und hat wirklich 
nicht dazu geführt. Der Bilhof von Eremona berichtet?) ſelbſt: „als Huge 
gewahrte, daß er die Oberhand Über Berngar nicht mehr gewinnen fönne, 
überließ er feinen Sohn Lothar der Ehrlichkeit des Jvreers und kehrte mit 
allen feinen Schägen in fein Helmathland, die Provence, zurüd. “Dort ging 
er mit dem Plane um, ein Heer zu fammeln, mit weldhem er Berngar gu 
ftürgen hoffte; aber er konnte fein Vorhaben nicht ausführen, weil ihn der 
Tod überrajchte.“ 

Bald nach feiner Ankunft in der Provence farb nämlich König Hugo, 
einer Nichte Bertha, der Wittwe des Grafen Bofo von Arles, fein baares 
Vermögen und gewiſſe Allode binterlaffend. Nach den Zeitbeftimmungen einer 
italieniſchen Ehronit®), die jedoch nicht ganz zuverläfftg iſt, fällt Hugo's Tod 
in den April des Jahres 947. Als er den früher‘) erwähnten Staatsvertrag 
ſchloß, kraft deſſen er’ das ehemalige Reich des blinden Könige Ludwig an 
die Krone Burgund abtrat, ſcheint er fich die Rückkehr in die Provence vors 
behalten zu haben, wo er nad andern Nachrichten‘) fortwährend Privatgüter 
befaß, welche gleichfalls feine Nichte, die oben erwähnte Bertha von Arles, 
erbte. Nichtödeftoweniger Ift gewiß, daß das um 930 abgetretene Gebiet 
bei Burgund verblieb, wie denn auch, Iaut Liutprands Ausfage, der fterbende 
König in feinem Teflament nicht über Land und Leute, fondern blos über 
baares Geld oder Allov verfügte. 

Nicht angebliche Schlauheit Berngars, fondern die Selbſtſucht des italie⸗ 
nifchen Herrenflandes hat zu Mailand die Krone dreifach gefpalten. Seit 
Sahren arbeitete diefe Ariftofratie darauf hin, die Töniglihe Macht zu zer⸗ 
brödeln, und jept war ein unübertreffliches Mittel für Befriedigung foldher 
Wünfche gefunden. In der That, was ift geeigneter, ein Land in bobenlofe 
Unordnung zu ſtürzen und unbändiger Adelsherrſchaft Thür und Angel zu 
öffnen, als ein dreiipaltiges Regiment, ein Zuftand, wo ſich zwei oder viele 

1) Berg III, 335 gegen unten. °) Ibid. ©. 336. 2?) Muratori, script. rer. italie. 


1V, 148. 9) Oben ©. 200 flg. *) Urkunde vom Jahre 960 bei Dom Baiffete, histoire 
du Languedoc (neue Ausgabe, Tonloufe 1841). Vol. II. preures. Nr. 49, ©. 434. 





„ Gay. 11. Der Kirchenſtaat v. 928— 945. Anfänge des Jürſten Aiberich II. 221 


Bleichberechtigte, zwei niedergehende und eine auffirebende Sonne, 
fig ber Staatögewalt reißen. Eine Jubelzeit brach für das Wachs» 
ifcher Zaunfönige an. Wie ich unten zeigen werbe, feimte unter 
e der dreiipaltigen Krone eine ganze Brut neuer Yürftlein empor, 
eine laute Rolle jpielten. 

inmarſch Berngars in Lombarbien und der Sturz des Könige Hugo 
ıhr 945. Dieß bezeugt einerſeits Flodoard, andererjeits eine unter 
prit 945 zu Pavia ausgeflellte Urkunde,‘) kraft welcher fi Berns 
rahm, eine ältere Schenkung des Könige Hugo zu beftätigen. Ob⸗ 
unge Lothar nad) der Entfernung feines Vater gänzlidh den LUms 
Ivreers preißgegeben fchien, fand er doch Freunde oder Rathgeber, 
feine Sicherheit arbeiteten. Mehrere Maßregeln wurden getroffen, 
Zwed hatten, feine wanfende Macht zu befefligen. Die wichtigfte 
in, daß man ihn mit einer SKönigstochter vermählte. 

Rudolf II. von Burgund, der durch jenen Staatövertrag mit Hugo 
utende Vergrößerung feines Reiches erlangt hatte und im Jahre 937 
ar,”) hinterließ eine Wittwe Bertha und außer einem Sohne Con, 
le Krone erbte, eine Tochter Adelheid, die damals ein Kind von 
n war. Alsbald warf König Hugo von Stalien ehrſüchtige Blicke 
ttwe und die Tochter: er heirathete die erflere und verlobte bie 
feinem gleihfalls nody unmündigen Sohne und Mitregenten Lothar. 
dem 12. Dezember 937 ausgeftellte Urfunde*) ift vorhanden, kraft 
Bräutigam Lothar feiner Zufünftigen großes Gut — im Ganzen 
ernhoͤfe — ald Morgengabe verfchrieb. An eine Vermählung konnte 
ꝛi ber unreifen Jugend beider Derlobten um jene Zeit noch nicht 
den. Die Ehe des Vaters mit der Wittwe dagegen warb volls 
erregte nicht geringen Anftoß. 

war Hugo's erſte Gemahlin Alda, welde ihm Lothar gebar, mit 
angen, aber noch lebte die Römerin Marocia, die er förmlih ger 
te. Bürften vom Charakter Hugo's ſetzten fih im zehnten Jahr⸗ 
er die kirchliche Geſetzgebung weg. Dabei behandelte der König die 
Wittwe nicht als eine Gemahlin, fondern fränfte fie, indem er nad) 
yohnheit mit andern Weibern ſich beluſtigte. Bel dieſer Gelegen⸗ 
') Liutprand von Hugo's Liederlichkeit. Er hielt eine Menge Kebſen, 
er bejonders drei, Pezola, von Haus aus eine Sklavin, Roza, 
3 auf feinen Befehl enthaupteten®) Paveſen Walpert, und die Roͤ⸗ 
hania bevorzugte. Alle drei jehten Kinder in die Welt, die jedoch, 
ande boshafter Bemerfung, nit Hugo allein gezeugt haben fol. 


‚oschi storia di Nonantula I, 117. (Juhrbücher des dentfchen Reiche I, b. ©. 60). 
17. 7) Böhmer, regest. Carol. Nr. 1400. ) Berg III, 319. ) Oben 


222 Pabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


Sie feinen gewöhnlich zufammen um ihres Eultans Perſon geweſen zu fein, 
lebten aber wie Hunde und Katzen unter einander: das Bolf nannte fpottweiie 
die erfte des Könige Venus, die zweite feine Juno, die dritte feine Semele. 
Der faraceniihe Harem fand, wie man ſieht, in Italien jo gut Anflang, als 
in Spanien und Gallien. 

Bon felbft verfteht es fih, daß Hugo die Doppelheiratb aus eigens 
nüßiger Berechnung eingeleitet hat. König Conrad von Burgund, der Bertha 
Cohn und der Adelheid Bruder, war ein gar ſchwacher Herr, deſſen übel 
begründete Gewalt die Begierden mehr als eined Nachbars reiste. Sicherlich 
hegte Hugo, ald er die Wittwe freiete und die Stieftochter mit feinem Sohne 
verlobte, Erbihaftsgelüfte, und das von ihm fo häufig und zum Aergemiß 
feiner Iombarbifchen Unterthanen angewandte Mittel, Burgunder maſſenweiſe 
nah Stalien zu ziehen und dort mit großen und Fleinen Lehen auszuftatten, 
zielte darauf ab, eine Parthei in Burgund zu gewinnen, deren Koften bie 
Staliener tragen mußten. 

Zum Unglück für Hugo hing ein anderer Fürft, der viel größere Macht 
befaß, ald’er, gleihen Gedanfen nad. Diefer Andere war der deutiche König 
Otto L Flodoard von Rheims berichtet‘) zum Jahre 940: „Otto von Sachſen 
hatte jchon vor einiger Zeit zu Wege gebracht, daß Conrad von Burgund, 
der Sohn Rudolf IL, verrätherifcher Weiſe feftgenommen und ihm überliefert 
ward; mit dieſem feinem Gefangenen brad Otto 940 in Burgund ein.“ 
Den Zweck des Marſches bezeichnet der jächflihe Mind Widukind, indem er 
erzaͤhlt:) „nicht zufrieden mit feinem Erbreiche, überzog Otto I. Burgund 
und nöthigte den dortigen König, fc) deutfcher Hoheit zu unterwerfen.“ Dieſer 
Gewaltftreih hat den erften Grund zu Bereinigung Burgunds mit der deutſchen 
Krone gelegt, die jedoch erft hundert Jahre fpäter, nad dem Ausſterben des 
von Rudolf I. gegründeten Haufes, unter Kaiſer Conrad II. zur vollendeten 
Thatſache wurde. Allein fchon zwifchen 930 und 940, da der burgundiſche 
Königeftamm noch blühte, angelten zwei Bewerber, Dtto L und der Italiener 
Hugo, nad) dem fremden Erbe. 

Erft zehn Jahre nad der 937 gejchehenen Berlobung Lothard mit Wels 
heid erfolgte die Vermählung. Ein jüngerer und wohl unterrichteter Zeit⸗ 
genofje, Abt Obilo von Clugny, meldet:*) „16 Jahre zählte Adelheid, ale 
fie den Ehebund mit König Lothar von Stalien ſchloß, drei Jahre fpäte 
ward fie dur den frühen Tod ihres Gemahles Wittwe.” Lothar ftarb, wir 
ih unten zeigen werde, im November 950 zu Turin, die Trauung muß allı 
im Laufe des Jahres 947 ftattgefunden haben. Bon Berngar graufam ver 
folgt, rief Adelheid Furz nad Lothar's Ende den Schub des deutſchen König: 
Otto I. an und bald darauf ging die junge Wittwe mit dem alten Wittwe 


— — — 


) Berk III, 387, Mitte. *) Ibid. ©. 447. 2) Per IV, 638, Mitte. 


Eichted Bud. Gap. 11. Der Kirchenſtaat v. 928--945. Anfänge bes Fürſten Alberih I. 223 


eine zweite Ehe ein. Ich glaube, man ift berechtigt, hieraus den Schluß zu 
ziehen, daß die, weldhe 947, zwei Jahre nad den oben gejchilverten Ereig⸗ 
niffen in Lombarbien, den Vollzug der Verlobung betrieben, von der Abficht 
geleitet waren, dem fchwer bebrängten Lothar zugleich mit der Hand Adelheids 
eine nachhaltige Stüge in der Perſon Otto's I. zu verjchaffen, der damals, 
wie wir ſahen, eine gewilje Oberherrlichfeit über die Heimath der Adelheid 
und ihren Bruder, den König Conrad, übte. 

Roh andere Ähnliche Beftrebungen der Freunde Lothar's treten hervor. 
Liutprand erzählt: ) „von Seiten ded (um jene Zeit erhobenen) griechiichen 
Kaiſers Bonftantin liefen am Hoflager Berngar's Briefe ein, welche lebhafte 
Beforgniffe für die Sicherheit Lothar's an den Tag legten und den Joreer ers 
mahnten, feine Pflichten als Vormund des jungen Königs pünftlih zu ers 
füllen. Diefe verdedten Vorwürfe machten foldyen Eindruck auf den Markgrafen, 
daß er eine eigene Geſandtſchaft nach Gonftantinopel zu ſchicken beſchloß. Da 
er aber die Ausgaben der Botſchaft fcheute, lich er meinen Stiefvater rufen 
und bewog denjelben, mid — den nachmaligen Bilchof von Cremona — auf 
eigene Koften zu der Reife auszurüften.” Liutprand befchreibt jofort feine Ge⸗ 
ſandtſchaft und die Herrlichfeiten, die er in der byzantinischen Hauptftadt fah. 
Sicherlich hätte der griechiiche Kaiſer nicht in ſolchem Sinne an Berngar 
geichrieben, wäre er nicht unter der Hand von Lothar's Rathgebern aufges 
forest worden, ſich ihre® ®ebieterd anzunehmen. Mit andern Worten, der 
Schuß des griehiihen Hofes muß vorher von den Bertrauten des Sangen 
Könige angerufen worden fein. 

Aber weder die Furcht vor Otto noch die Verwendungen des byzantiniſchen 
Herrſchers hielten den Markgrafen von Jvrea ab, das begonnene Werk zu 
vollenden. Noch einmal wiederholt Liutprand bei diefer Gelegenheit, Berngar 
fei wahrer Herr über Italien geweſen, und Lothar habe nur den koͤniglichen 
Kamen getragen. Der unglüdlihe Prinz hat dieß ſelbſt anerfannt: eine Urs 
hunde?) vom 18. Mai 948 ift vorhanden, in welcher Lothar den Markgrafen 
Berngar ald Mittheilhaber ver höchften Gewalt bezeichnet. Daß derjelbe noch 
mehr als Theilhaber war, bewies er felbft dur die That. Nah der Um- 
wälzung von 945 durften, wie oben gezeigt worden, faft alle Großen, nament⸗ 
ib die Burgunder, die zu Berngar übergingen, ihre Lehen behalten: mit 
Einem jedoch wurde eine Ausnahme gemacht, nämlich mit demjenigen, der 
allein in früheren Zeiten wirkliche Treue gegen Hugo’ Haus bewährt hatte. 
Ich meine den Baftard Hubert, der feit 944 die Marke Spoleto mit dem ſchon 
fraher übertragenen Herzogtum Tuscien vereinigte. 

Rur bis 945 blieb Hubert Markgraf von Spoleto, feit 945 oder genauer 
feit der Zeit, da Berngar's Gewalt begann, erfcheinen zwei andere, Bonis 


— — — — 


9) Berg III, 337. Boͤhmer, regest. Carol, Nr. 1426. 


224 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


factus und Theutbald, Vater und Sohn, mit der Marfe Spoleto und Camerino 
belehnt.‘) Ueber die Perfönlichkeit viefed Bonifactus gibt Liutprand Nach⸗ 
richten. Um's Jahr 890 Spricht?) er von der glänzenden Waffenthat eines 
Edelmannes, Namend Hubald, welcher der Vater des Bonifacius geweſen 
fei, der jpäter (um 946) die Markgrafihaft Spoleto und Camerino erlangte. 
Und abermals berichtet’) er, daß König Rudolf IL von Burgund etwa gegen 
das Jahr 920, vermuthlih um fih den Weg-auf den Thron Italiens zu 
bahnen, feine Schwefter Waldrada mit Bonifacius, dem nachmaligen Marks 
grafen von Spoleto-@amerino, vermählt habe. Endlich erklärt) eine alte 
Lifte der Aebte von Farfa den oben erwähnten Theutbald für einen Sohn 
des Bonifacius. 

Kaum kann man bezweifeln, daß Berngar es geweſen iſt, der Hubert aus 
Spoleto verdraͤngte und zweitens, daß er dieß darum that, um das Fönigliche 
Haus durd Entfernung eines erprobten Anhängers zu ſchwächen. Aber gan 
drang der Foreer nicht durd. Wenn auch Hubert Spoleto und Gamerino her» 
ausgeben mußte, durfte er doc fein älteres Herzogthum Tuscien bebalten. 
Eine im Jahre 952 zu Lucca ausdgeftellte Urkunde‘) führt ihn als Herm in 
Tuscien auf und biemit flimmt eine Stelle®) der Ehronif des Mönchs Bene: 
bift überein, welche andeutet, daß Hubert erft um 961 but König Dito aus 
Stalien vertrieben worden jei. 

Rad in anderer Hinficht erfuhr Hubert troß des Opfers, das er bringen 

fchonende Behandlung. Bonifacius, der 946 Spoleto und Bas 
merin davon trug, war laut dem Zeugnifje’) Peters Damiani der Schwie⸗ 
gervater Huberts, die Marfe blieb daher gewiffermaßen in der Familie. Allen 
Anſcheine nah hatte der Einfluß bes Hofes, oder die dem jungen Könige 
har anhängliche Parthei, Vorforge getroffen, daß Berngar den natürlichen 

Hugo's wohl fränfen und dämpfen, aber beim beſten Willen doch nidt 
erbräden konnte. 

Zur nämlihen Zeit traf das Fönigliche Haus von derfelben Seite ber 
eine zweite Demüthigung. Ohne Frage war Fürft Alberih von Rom unter 
allen Gegnern, mit denen der Provenzale Hugo feit dem Antritte feiner Re 
gierung im Streite Tag, der gefährlichfte, hartnädigfte; oben aber iſt gezeigt 
worden, dag Hugo um 945 auf dem Punkte ftand, denſelben völlig zu über 
wältigen. Allein im Sabre 946 mußte er mit dem Sohne der Marocia 
Frieden fchließen; ich fage wohlbedacht, er mußte, denn undenkbar iſt, daß er 
dieß aus eigenem Antriebe gethan haben ſollte. Ausdrücklich bezeugt®) Flo⸗ 
board, der fragliche Vertrag fei zwiſchen Hugo und Alberich unterhandelt worden. 








1) Berk XI, 588 u. Muratorl, annali d’Italia ad a. 946. :) Berk IIT, 281, Mitte 
3) Ibid. &. 300. 9) Berk XI, 587, Mitte. 8) Muratori, annal. d’Ital. ad a. 952. 
°) Berg III, 718 oben. ?) Opera Petri Damiani. Paris 1642. Fol. Pars III, 381, b. 
°) Perg III, 393 Mitte, 


ESiebtes Bu. Gap. 12. Das Eabinum u. die Grafſchaft Rieti. Tob des Könige Lothar. 225 


Nun Hatte, wie wir willen, Hugo im Jahre 946 fo viel als nichts "mehr zu 
befehlen, und wenn er dennody ein fcheinbar Fönigliches Vorrecht ausübte, fo 
brängt fi die Vermuthung auf, daß ihm diefe Rolle von einem Dritten aufs 
genöthigt war. 

Nur Berngar fann der Dritte gewejen fein. Natürlich! feine Rachgier 
figelte e6, dem Könige dadurch, daß er ihn zur Abfindung mit dem fo lange 
befämpften Feinde zwang, einen Dolchſtich zu verfegen. Zugleih ſchuldete er 
dem Bürften von Rom, der durch feinen bartnädigen Widerftand gegen Hugo 
dad Meifte zum jegigen Umfchwung der Dinge beigetragen hatte, gewiſſe 
Rüdfihten. Gleihwohl vergaß er den eigenen Bortheil nidt. Denn nuns 
mehr, da ihm nahe Ausfichten auf Erwerbung der Krone winften, betrachtete 
er Alberichs Stellung mit andern Augen ald früher, da er gleih ihm bie 
Eelbftherrlichfeit des hohen Adeld gegen König Hugo verfocht. Alberich mußte 
ven Frieden, welder ihm 946 im Namen Hugo’d bewilligt ward, um ein 
empfindliche Opfer erfaufen. 


DBiwölftes Capitel. 


Lage und Bränzen des Sabinums. Diefe Lanbfchaft gehörte bis zur Mitte des 9. Jahr⸗ 
hunbertö dem Stuhle Petri an, warb dann von den Spoletaner Markgrafen verfchlungen, 
bid ed Johann X. gelang, fie wieder an bie Kirche zu bringen. Allein nach dem Sturze 
des Pabſts dedte Alberich II. die Hand auf das Sabinum und brauchte es ald Köber, 
um Anhänger Hugo’ zu verführen, indem er ihnen die Verwaltung ber Laubfihaft, 
obwohl nur anf etliche Jahre, übertrug. Weil der Beſitz des Sabinums dem Würften 
von Rom fo merklichen Nupen brachte, erzwang Berngar, daß Alberich baffelbe im 
Frieden von 946 Theobald, einem nahen Verwandten deg Ipreerd, zufagen mußte. 
Geſchichte der Srafenhäufer von Rieti und vom Marfenland, die gleichfalls mit Alberich 
gemeine Sache machten. Durch die Maßregel, betreffend dad Sabinum, hatte Berngar 
verrathen, daß er gute Luft fühle, die Rolle Hugo’s wider Alberich aufzunehmen; aber 
während ex dem römischen Fürſten Schlingen legte, warf ein Mächtigerer, König Ofto J. 
von Denifchland, das Netz über ihn felber. Lothar, Hugo's Sohn, vermählt mit Adelheid 
von Burgund, wird durch den Jvreer Berngar vergiftet. Berngar und fein Sohn Adal⸗ 
bert als Mitregent zu Königen Italiend gekrönt. Mißhandlungen der Wittwe Adelheid, 
fie entweicht aus dem Kerfer und ruft König Otto's I. Hilfe an. Als biefer nach 
Ztalien zu ziehen und das Kaiſerthum Carls des Großen zu erneuern ſich anſchickte, 
erhoben fi die beutfchen Stände unter der Leitung des Mainzer Erzbiſchofo Friedrich, 
wie ein Mann, gegen ihm. Die ganze Nation verabfcheute den Plan, Garold Schatten 
heraufzubeſchwoͤren. Otto L vermählt ſich mit Adelheid, muß aber in ben nächften 
Jahren auf den Römerzug verzichten. Erſt nachdem es ihm gelungen, durch gewaltſame 
Naßregeln den Geiſt des beutfchen Clerus niebergubrüden, drang er durch. 


Ich bin hiemit an einen Punkt gelangt, wo «8 mir möglich wirb, nicht 
mr das Verſtäͤndniß fpäterer Ereigniffe vorzubereiten, fondern zugleich ben 
Schleier, der über gewiſſen älteren, oben als räthielhaft bezeichneten, Vor⸗ 
gingen Tiegen blieb, wenigſtens theilweiſe zu lüften. 

\ Ofrörer, Pabſt Gregorius vi. Br. v. 15 


226 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Jeder Kenner des Alterthums weiß, daß in der Nähe Roms eine Land- 
fchaft Tag, welche den Namen Sabinum trug Auch im Mittelalter blieb das 
Sabinum eine eigene Provinz, fo ziemlih mit denfelben Gränzen wie ehemals. 
Man begriff‘) nämlich unter diefem Namen das Gebiet zwifchen den Flüſſen 
Teverone (Anio) im Süden, der Tiber im Welten, ver Rera im Norven, dem 
Turano gen Dften. Daffelbe bildete ein Tängliches Viereck, gebehnt in ver 
Richtung von Süden nad) Norden, ſchmal von Oſten nad Welten, das nahezu 
den Bränzen der heutigen Delegation Rieti entfprad). 

In einem feiner Briefe?) an Carl den Großen erklärt Pabft Hadrian I., 
das Sabtnum ſei eine der Alteften Befigungen des heiligen Stuhles, aber von 
den Langobarden abgeriffen worden. Berner fteht feft, daß Carl der Große 
die Landſchaft ven Bevollmächtigten Hadrians übergeben ließ, doch geſchah?) 
dieß allem Anfcheine nach nicht, ohne daß einige — wierwohl im Ganzen uns 
bedeutende — Stüde abgelöst und zu der Grafſchaft Rieti gefchlagen wourben. 
Im Zahre 817, da der mehrfach erwähnte”) Vertrag zwiſchen Ludwig dem 
Frommen und Petri Stuhl zum Abſchluß gedieh, befand fi dad Sabinum im 
Befipe der Päbfte,') aber die jpäteren Statthalter Petri vermochten denfelben 
nicht zu behaupten: vielmehr ward die Landfchaft gleih fo vielem anderen 
roͤmiſchen Kirchengut von den Spoletaner Herzogen verfchlungen. Hierauf weifen 
die Drehungen“) hin, welche Pabft Johann VIII. auf der Ravennatifchen 

obe„non 877 wider Anmaßer bed Sabinums ausſprach. Nachmals ging 

Handſchaft an den Stifter des Tusculaner Haufes, Alberih I., als 

Atonachfolger der Epoletaner, über. Denn zwei Urkunden‘) des fabis 

* — Kloſters Farfa, welche in ven Jahren 911 und 914, alfo zu einer 
Zeit ausgeftellt find, da Alberih I. Tängft den Titel Herzog Markgraf von 
Spoleto-Eamerino trug,®) führen eben venfelben als Grafen auf, was fid 
wur guf die häufig mit Spoleto verbundene Grafihaft Sabinum beziehen ann. 
llein zwiſchen 916 und 939 ging eine doppelte Aenderung vor. Doch 
ehe ih weiter erzähle, muß ich einer Anftalt gevenfen, welcher wir bie 
Kenntniß der Thatſachen, von denen im Bolgenden die Rede fein wird, vers 
danken. Im Sabinum, auf einem Afutianus genannten Hügel, unweit dem 
pen Farfa, von dem es feinen Namen empfing, liegt das langobardiſche, 
gegen Ende des fiebten Jahrhunderts gegründete”) Stift zu unferer lieben Frauen 
bei Farfa. Dieſes Klofter hat einen Schag von Urkunden aufbewahrt, melde, 
bis ins achte Jahrhundert zurüdreichend, wunderbares Licht über die Geſchichte 
des Kirchenftaates Werbreiten, zugänglic aber für un® Andere wurden befagte 
Denkmaler durch die gründliche Arbeit des Eifterzienferabts Yatteschl, welcher 
Schritt für Schritt, auf Urkunden geftügt, die Reihenfolge der Herzoge und 

9) Muratori, script. rer. ital.’X, Vorſtück 229 fig. ?) Die Belege bei Genni, monum. 
dom. pontific. I, 314 flg. IL 127. ?) Oben ©. 82 u. 92 fig. +) Oben ©. 160. 
*) Fatteshl ©. 298 fig. Nr. 5B u. 59. 9) Oben ©. 170. ) Berk XI, 519. 






Eiebted Bud. Gap. 12. Das Eabinum u. die Grafſchaft Rieti. Tod des Königs Lothar. 2297 


Markgrafen von Spoletos@amerino, wie ber Statthalter des Sabinums, her 
ſtellte.) 

Klare, zufammenhängende Beweiſe liegen vor, daß im Sabinum feit 939 
eine befondere Verwaltung beftand, in deren Akten nie Kaiſer oder Könige, 
dagegen ſtets die Namen des jeweild regierenden Pabſtes, und nad ihm bie 
Bifhöfe von Sabinum, fodann Beamte erwähnt werden, deren Titel für 
päbftlihen Dienft zeugt. Cie heißen nämlich?) rectores territorii sabinensis, 
d. h. päbftlihe Gutöverwalter der Landſchaft Sabinum. Folgli muß inners 
balb ded angegebenen Zeitraumd das Sabinum an die päbftlidhe Kammer jet 
cd in Wahrheit, fei ed zum Schein, zurüderftattet worven fein. Ferner erhellt 
aus Thatjachen, die ich fofort nachweiſen werde, daß ſchon vor 939, nemlid) 
zwiſchen 925 und 928 Petri Stuhl wirkliche Herrfchaft über dad Sabinum übte. 
Wer hat nun diefen Umſchwung bewerfftelligt ? Offenbar ein ‘Babft und zwar 
nothwendig ein folder, ber felbftftändig war und den Plan verfolgte, has 
zerfplitterte Eigenthum der Kirche wieder zu fammeln. Das Alles paßt einzig 
auf Johann X.: er wird, ja muß es gewefen fein, der das Sabinum wieder 
an den h. Stuhl bradıte. 

Mährend feines Pontififatd famen zwei Anlüffe vor, welche zu der Bors 
ausfeßung berechtigen, daß er die Sache anregte. Einmal hat Johann X. 
916 aus Gelegenheit der Krönung ded Yriauler Berngar von dem neuen 
Katfer die Zufiherung empfangen, für Wiederherftellung aller dem h. Stuhle 
entriffenen Güter Sorge zu tragen. Raum ift zu bezweifeln, daß damals auch 
vom Sabinum die Rede war, doc kann die augenblidliche Erftattung der Land⸗ 
ſchaft nicht wohl befchloffen worden fein. Denn da Pabſt Johann X. mit 
jeinem Bruder Alberich J. dem Markgrafen der ausgedehnten Gebiete von 
Spoleto-&amerino, denen urfundlih bis 914 das Sabinum einverleibt war, 
während ver nädften Jahre in gutem Einvernehmen blieb, und da bieß 
gewiß nicht der Fall geweien fein würde, wenn der Pabft ſchon 916 unver 
weilte Herausgabe des Sabinume, die ner auf Koften ded Bruders geichehen 
mochte, geforvert hätte, glaube ich nicht, daß bei jenem Anlaß mehr als eine 
fünftige Wiederherftellung — etwa nad) Alberih8 I. Tode — von Johann X. 
verlangt worden ift. 

Zweitens ſchloß der ebengenannte Babft, wie oben’) gezeigt worven, 926 
mit Hugo, dem neuen Könige Italiens, zu Mantua einen Vertrag ab, und 
furz darauf verlich derſelbe König die Marken Spoletos&amerino, die durch 
ven im Jahr zuvor eingetretenen Tod Alberichs I. erledigt worden waren, 
nicht an des Berftorbenen gleihnamigen Sohn, fondern an Teuzo, einen Bers 
wandten des Föniglihen Hauſes. Wenn je ſonſt, war bei diefem Wechjel der 
Herrichaft die rechte Zeit gekommen, um der römiichen Kirche ihr Gigenthum 

1) Memorie riguardanti la serie dei duchi eto. Camerino 1801. 4to. 3) Ibid. 


©. 249 fg. ) 6. 196. 
5 o 


228 | Babft Eregorins VIL und fein Zeitalter. 


wieder zu verfchaffen. Da nun die Päbfte nah Johann als Grundherren des 
Sabinums erjcheinen, darf man zuverfichtlich behaupten: im Jahre 926 und vor 
Einfegung Teuzo's fei ed gefchehen, daß die Landſchaft vom bisherigen Berband 
mit Spoleto-@amerino abgelöst und dem h. Stuhle zurüdgegeben wurbe. 

Allein weder Pabft Johann X., nody auch Petri Etuhl vermochten den 
vollen Befig des Sabinums zu behanpten. Nah Ermordung Johannes X. 
dedten, wie wir wiffen,‘) Marocia und ihr zweiter Gemahl Wido die Hand 
auf den Nachlaß des Getödteten, ja auf den ganzen Kirchenſtaat. Dennoch 
gelangte das Sabinum damals nicht an die Mutter, fondern an ihren Sohn 
erfter Che, Alberih IL. Denn einmal erjcheint derfelbe nad dem Tode feines 
Baterd ald ein mächtiger Herr. Wie oben?) gezeigt worden, machte Al⸗ 
berich II. vor der dritten Vermählung Marocia's mit Hugo von Italien zur 
Beingung, daß der König nicht mit einem Heere, jondern nur mit wenigen 
EA Rom kommen dürfe, und vertrieb überbieß den verhaßten 

ater kurz darauf aus der Stadt. Ein ſolches Verfahren ſetzt bedeutende 
Mittel voraus, die der junge Fürſt nur durch Eintritt in das freie Erbe feines 
Vaters Alberich I. erlangt haben kann. Zum freien Erbe Alberichs L gehörte aber 
keineswegs das Großlehen Spoletos@amerino, denn dafjelbe blieb, wie früher’) 
gezeigt worden, feit 926 in der Gewalt fremder Vafallen des Könige Hugo. 
Folglich muß man annehmen, daß vie Macht, welche Alberich IL ſeit dem 
Tode feined Vaters entwidelte, wejentlih auf dem Sabinum und einigen 
andern im Kirkhenftaat gelegenen Gütern beruhte, welche Alberich I. hinterließ. 

Zweitens berichtet!) Riutprand von Verona, daß feit Ausbruch des Kriegs 
von 933 viele unzufriedene Vaſallen, die von König Hugo abflelen, zu 
Alberih IL. flohen und bei ihm gute Aufnahme fanden. Das heißt aber fo 
viel, als Alberih IL habe die Flüchtlinge mit Lehen ausgeftatte. Denn jene 
Eifenfäufte, welche nad Italien ftrömten, um ihr Glück zu verfuchen, lichen 
Ah. nicht mit Titeln oder kahlen Verkißftungen abipeifen, fondern wollten Geld 
und Gut fehen. Demnach drängt-fih abermal die Vorausfegung auf, daß 
Alberich über anfehnliche Lehen verfügte. Endlich wird drittens ausdrüdlich bes 
zeugt, daß Alberich II. insbefondere dad Eabinum verwendete, um von Hugo 
llene Flüchtlinge zu belohnen. Folglich war die Landſchaft thatſaäͤchlich 
fibe des zweiten Tusculaner Fürften. 

Allein obgleih Alberich IL die Landſchaft dem, wahren Eigenthümer, 
Petri Stable, widerrechtlich entzogen hatte, hütete “nd wohl, dieß offen 
einzugeftehen, fonbern nahm die Masfe vor, als ſei Alles in guter Ordnung: 
die Urkunden des Sabinumsd wurden auf den Namen der Päbfte als eigent⸗ 
licher Oberlehensherrn ausgeſtellt. Diefe Heuchelei aber übte Albeihh hands 
greiflich deßhalb, weil Rüdfihkauf das gute. Recht des h. Stuhls und die Scheue 


ı) Oben ©. 199. 3) Daf. ©. 201. 3) Daf. ©. 207 fig. %) Dal. ©. 2085 
und Perg III, 316, 








Siebtes Bud; Cap. 12. Das Eabinum u. die Graſſchaft Rieti. Tob des Königs Lothar. 220 


vor dem Gerede der Menfhen ihn dazu nöthigte. intenmalen alle Welt 
wußte, daß das Sabinum, wie jeit alter Zeit, fo erft neulich vor 10—12 Jahren 
wohl erworbened Cigenthum des Apoftelfürften geweſen ſei, gebahrten fich 
Alberid IL und die von ihm eingejegten Lehenträger fo, als ob dieß auch 
jegt noch der Fall wäre. Die Form der fraglihen Urfunden liefert daher 
einen legten Beweis, daß Pabft Johann X. in dem vollen, oben entwidelten 
Maaße die Landſchaft beſeſſen hatte. 

Jetzt iſt es Zeit, Zeugen abzuhören. Der Chroniſt von Farfa ſchreibt:) 
„die Matrone Theoderanda, Tochter des römiſchen Conſuls Gratian, ſchenkte 
einſt zum Seelenheile ihres Gemahls, des gebornen Franken Ingebald, wel 
chem Alberich, Fürſt von Rom, die Grafſchaft im Sabinum ve 
lichen hatte, unferem Klofter dad Schloß Buceiniano.” Die Zeit ver 
Schenkung beftimmt der Mönch nicht, er fannte fie wohl felbft nicht, wie er 
denn aud fonft einige Feine Verſtöße begeht. Aber die Lüde wird ergänzt 
dur eine Urfunde vom Sept. 939, welche gleichfalls Fatteschl In feinem treff⸗ 
lichen Buche?) mittheilt. Letztere lautet jo: „in Namen unſeres Erloͤſers Jeſu 
Chriſti zu den Zeiten des engelgleichen Pabſts Stephans (IX.), ſowie des 
Biſchofs (von Sabinum) Gregor, unter der Verwaltung Ingebalds des Her⸗ 
zogs, der da iſt Rektor der Landſchaft Sabinum, im Monat September Römer 
Zinszahl XIII. (Jahr 939) ging vor, was folgt: Ich, Ingebald, aus fräns 
fiihem Geſchlechte, Sohn des verftorbenen’) Ingelbert, und Ich, Theoderanda, 
Ingebald's Gemahlin, Tochter Gratiand aus der Stadt Rom, Wir ſchenken 
zujammen für unjer Seelenheil dem Kloſter Farfa die Burg Bucciniano.“ 

Alſo Ingebald ſtammte nit aus Italien, fondern war aus Yrancien 
eingewander. Das Wort Francigena bezeichnet in der Sprache jener Zeit 
Cole, welde in den durd Germanen gegründeten und nachher von dem 
großen Carl zu einer Monarchie vereinigten Staaten geboren find, aljo fowohl 
eigentliche Deutiche, als wäljche Franken, Franzoſen und Burgunder. Da 
laut übereinftimmender Audfage der Quellen vorzugsweiſe Burgunder es waren, 
welde an den Hof Hugo's firömten, möchte ich Ingebald für einen Burs 
gunder halten, und hierauf weist auch die Form des Namens bin, die in 
Burgund häufig, in Deutfchland jelten if. 

Zweitens, ſchwerlich ift Ingebald nad) Italien gezogen, um in des draußen 
faum befannten Roͤmers Alberich Dienfte zu treten, ſondern vielmehr, um 
unter Hugo's ahnen, fein Glück zu verſuchen. Ingebald gehörte demnach zu 
den Bielen, die mit dem Könige brachen, nad Rom flohen und dort ehrenvolle 
Aufnahme fanden. Drittens, er muß ein tapferer Haudegen, und vermuthlich 
aud) auch dager einer anſehnlichen Schaar von Knappen geweſen ſein. Dieß folgt 

1) Sech XI, 541 gegen unten: Ingebaldus Francigena. *) Memogie dei duchi &. 249 


299. ) Wortlich cujusdam. Die römifchen Urkunden brauchen das Adjektiv quidam im 
Sinne des Abverbinms quondam weiland. 


230 Baht Gregorins VII. und fein Seitalter. 
e | 


aus den Kelzmitteln, welche der römifche Fürft anwandte, um den Fremdling 
feftzuhalten. Denn nicht nur vermählte Alberih den Burgunder mit einer vor- 
nehmen Römerin — damit der Vogel nicht mehr davon fliege — fondern er 
verlieh ihm aud dad Großlehen Sabinum, ja er gab fogar noch den Her- 
zogötttel in Kauf, was freilich nicht viel befagen wollte, da es dazumal in 
Rom duces und consules zu Dutzenden gab. Biertens, obgleich Alberich über 
das Sabinum wie über volled Eigenthum verfügt, weiß er doch den Schein 
zu wahren: zu Anfang der Urkunde glänzt der Pabft ald Landesherr, fie ift 
anf feinen Namen auögeftelt. Der Titel verbleibt dem Statthalter Petri, die 
ht Aber befigt Alberich. 

E Nicht lange dauerte die fabinifche Herrlichkeit des Franken Ingebald, fchon 
fa nächften Jahre nahm ein Anderer feine Stelle ein. Der ſchnelle Wechſel 
üßrte vielleicht daher, weil Ingebald in den wüthenden Kämpfen, die damals 
ee Jahr Rom zwiſchen Alberih und König Hugo geliefert wurben, 

en fein mag. Jedenfalls wirkte jedoch bei ähnlichen Belehnungen, die 
fpäter vorfamen, eine andere Urfache mit. Bon den acht verſchiedenen Rek⸗ 
toren, die während Alberichs Regiment einander im Sabinum ablösten, ift 
mit Ausnahme des einzigen Teuzo, der, wie ich unten zeigen werde, dem römis 
ſchen Fürſten durch überlegene Gewalt aufgenöthigt wurde, feiner länger als 
hoͤchſtens zwei bis drei Jahre im Amte geblieben. Das deutet darauf bin, 
daß der häufige Wechſel planmäßig war. Offenbar hat Alberi das Sabinum 
nur auf gemeflene Zeit verliehen und auch ſonſt Vorforge getroffen, damit bie 
Günftlinge nicht Ihm daſſelbe Schidjal bereiten konnten, das Bafallen damals 
faft überall ihren Senioren bereiteten. Das befte Mittel, Verräther ferne zu 
halten, if, wenn man den Verrath unmöglich macht. 

Wer folgte nun im Sabinum auf den Franken Ingebald ? Ein Herr, 
defien Namen wir nicht Fennen, der aber ein Marfgraf war. Die betreffende 
Urfunde!) lautet: „zu den Zeiten des Pabſtes Stephan IX. im Aprilmonat, 
Hömer Zinszahl 13 Cd. h. im April 940), da wir zu @erichte faßen, ich, Roccio, 
Stellvertreter des Marfgrafen...... (der Name ift unleferli oder ausgefragt), 
der das Comitat Sabinum verwaltet”), und mit mir die Vizthume Hubert, 
Sranfo u. |. w.“ Weit und breit gab ed damald um Rom feinen Marks 
grafen, als den von Spoletos@amerino. Diefer Marke aber ftand damals 
Anskar, Bruder des Jvreers Berngar, vor. Ich ſage: Anskar lautete der 
ausgefallene Name. Daß dem fo war, wird aus dem Folgenden Har werben. 

Auch der Ramenlofe behauptete das Sabinum nicht über ein Jahr. An 
feine Stelle trat 941 abermal ein Markgraf, jedoch ein folcher, deffen Namen 
und Perjönlichleit wir kennen. Urfunde:*) „zu den Zeiten des breit feligen 
und engelgleihen Pabſts Stephan IX., fowie des Biſchofs (im Sabinum) 







9 Fatteschi ©. 249. 9) Marchio et rector comitatus sabinensis. 8) Did. 


Siebtes Bud. Cap. 12. Das Sabintm u. die Graſſchaft Rieti. Tod des Königs Rothar. 231 


Gregorius, unter der Verwaltung des Marfgrafen Sarlio, der da iſt Reftor 
ver Landihaft Sabinum.* Siehe da! mit einem Schlage fAt Licht auf die 
Haupturſache, weßhalb Anskar und Sarlio hinter einander von König Hugo 
abficlen. Der Römer Alberich II. hatte Beide dadurch verführt, daß er ihnen 
die Lodipeife des Sabinums in den Mund ftedte. Auch ihr fchnelles Abtreten 
it erflärt. Wir wiffen ja, daß Beide in Kurzem der Rache des verratbenen 
Könige Hugo zum Opfer fielen. 

Seitdem erfcheint dad Eabinum unter Verwaltung von Männern, die 
nicht mehr Markgrafen von Spoleto find, aber deren Berföntlichkeit eine neue 
Seite der vielgeftaltigen Thätigfeit des Römers Alberich aufdeckt. Der 
Rektor Heißt Joſef unb trägt den Titel Herzog. Urfunde:') „zu den 83 
des Herrn Pabſts Stephan IX. und des Biſchofs Gregor von Sabinum M 
Novembermonat Römer Zindzahl 15 (Nov. 941) unter Verwaltung des Her⸗ 
3098 Joſef, der da ift Rektor der Landſchaft Sabinum.* Ich werde unten 
zeigen, daß Sofef, che er das Sabinum erhielt, Graf oder fo etwas im be 
nachbarten Rieti geweien war und dem Könige Hugo gegenüber ganz dieſelbe 
Rolle fpichte, wie Bürft Alberih von Rom. Gemeinſchaftlicher Bortheil hat 
Beide zufammengeführt. 

Schon im Jahre 943 iſt ein neuer Wechfel eingetreten. Das Sabinum 
befindet fih in den Händen eined Herzogs, der Rainer heißt. Urkunde:) 
„au den Zeiten des Herrn Pabſtes SRarinus II. (942—946) und des Biſchofs 
Gregorius, unter der Verwaltung des Herzogs Rainer, der da ift Rektor der 
Landihaft Sabinum.* Die Beftimmung der Perjönlichfeit ded Herzogs Rainer 
ift ſchwierig: ich behalte mir vor, unten die Gründe zu entwideln, warum ich 
ihn für einen Sohn des vorgenannten Joſephs halte. Wie lange Rainer die 
Verwaltung des Sabinum behielt, wiſſen wir nicht, da nur eine einzige Urkunde 
von ihm vorliegt. Erft 947 kommt ein Anderer an feiner Stelle zum Vor⸗ 
fchein, der Azzo hieß und Graf genannt wird. Urfunde:') „zu den Zeiten bes 
Herm Pabſtes Agapetus II. (946—955) und des Biſchofs Anaftafius en 
Eabinum im Dezembermonat Römer Zinszahl I (Dezember 947) unter ber 
Verwaltung des Grafen Azzo, der da ift Rektor der Landſchaft Sabinum.“ 
Ayo gehörte allem Anfcheine nach dem Stamme der Örafen des Marjeulandes an. 

Bald darauf wurde Azzo durch einen Fünften verdrängt, und zwar burd) 
einen ſolchen, der nicht mehr bloß dem römischen Fürften Alberich, ſondern 
einem Mächtigern, wenn nicht ausfchließlich, fo doch nebenbei feine. Krhebung 
verbanfte. Aus mehreren Urkunden, ‘) die von 948—953 reichen, erhellt, daß 
durch volle ſechs Jahre, von 948 bis gegen 954 — weit länger ald irgend 
einer feiner Borgänger — Teuzo ald Rektor das Sabinum verwaltgte. Diefer 
Beamte wird in den nämlichen Urkunden bald Graf, bafd Herzog genannt.’) 





1) Ibid. ©. 250. 2) Perg XI, 537 gegen oben. 


232 Pabſt Bregorius VII. und fein Seitalter. 


Der Name Teuzo ift die italienische Verkürzung des Worts Theobald. Schon 
aus diefem einen Grunde erjcheint es rathfam, den neuen Rektor des Sabinums 
für eine und dieſelbe Perfon mit Theobald, dem Eohne des Bonifacius, zu 
erflären, der 946 zugleich mit feinem Vater durch einen Gewaltftreich Berngars, 
des eigentlihen Gebieters über Italien, die Marken Spoleto-Camerino erhielt, 
aus denen Hugo's natürliher Sohn Hubert weichen mußte. 

Außerdem fommt nod) ein ausdrüdliches Zeugniß hinzu. Der Ehronift von 
Farfa meldet,')‘ daß um 950 Markgraf Theobuld der Landſchaft Sabinum 
vorftand. Den Titel Markgraf empfängt er bier ald Dlitregent feines Vaters 
in den Marken Eyoleto und Camerino. Gewiß fand der Römer Alberich 

„wenig Behagen daran, daß ihm ein Geihöpf Berngars auf die Naſe gefegt 
ward. Teuzo's oder Theobalds Beförderung nad Sabinum war dad Opfer, 
um welches Marociens Eohn den Frieden von 946 erfaufen mußte. 

Ich werde fpäter am gehörigen Drte auf die Reihenfolge der Verwalter 
des Sabinerlandes zurückkommen. 

Die Urfunden von Farfa hellen nicht blos die Geſchichte des Sabinume 
auf, fie geben im Verein mit andern Quellen Aufihluß über die Verhältniſſe 
gewiſſer benachbarter Dynaften, die fid) in gleicher Lage wie Alberich befanden. 
Als König Italiens ſprach der Provenzale Hugo die Herridhaft, wie über 
Rom, fo über andere Mitglieder des italienischen Fürftenftandes an. Unter 
diefen aber gab es einige, welche ebenjowenig ald Alberih Luft in ſich vers 
fpürten, den Geboten ded Königs zu gehorchen, zugleich aber durch die Fehde 
zwiſchen Hugo und dem römiſchen Fürften dergeftalt gededt waren, daß ihnen 
der König, fo lange Alberih aufrecht ftand, nicht beizufommen vermochte. 
Letzteres gilt insbefondere von den Grafenhäufern zu Rieti und des Marſen⸗ 
Innded. Wer von Norden, von Lombardien — was bei Hugo der Kal — 
gegen Mittelitalten rücdte, konnte Stadt und Gebiet Rieti erft dann in feine 
Gewalt bringen, wenn er fih vorher der Landſchaft Sabinum bemeiftert 
hatte: mit andern Worten, Ricti war durch die vorliegenden Gebicte des 
Sabinumsd und des fogenannten römiſchen Dufatd wie dur ein Bollwerk 
gegen Angriffe Hugo’s geſchirmt. Ebenſo verhält es fih mit der marſiſchen 
Grafſchaft, deren räumlichen Begriff ih unten entwideln werde Gemein⸗ 
Ihaftliher WVortheil verband daher die Grafen von Rieti und des Marfens 
landes mit dem römifchen Bürften zu gemeinihaftlidem Widerſtand. 

Ich beginne mit Rieti. Aus einer Stelle der Chronif von Farfa erhellt, 
dag um die Mitte des neunten Jahrhunderts eine befondere Grafſchaft Rieti 
beftand. Mer war nun zu den Tagen Alberih8 des Erften und Zweiten Graf 
dorten? Mönd Benedikt vom Berge Eorafte, der Zeitgenofjfe, erzählt:°) 
„abermal kamen die Ungarn nad Rom, worauf zwifchen den Einwohnern ber 


— — — 


1) Berg 2 xl, 537 gegen oben. 2) Pertz XI, 535, Mitte: in comitatı reoatino. 
*) Perg II, 714. 


Siebtes Bud. Cap. 12. Das Eabinum u. die Srafichaft Rieti. Tod dee Königs Lothar. 233 


Etabt, welde vor die Thore herausrüdten, und den Barbaren fi ein Ke⸗ 
fecht entſpann, in weldem viele Römer erjchlagen wurden. Weiter —2 — 
die Ungarn nad Rieti, aber dort erging es ihnen ſchlecht, denn der Lango⸗ 
barde Zofeph brach mit einer großen Schaar feiner Landsleute aus Rieti her⸗ 
vor und fchlug die Räuber auf’8 Haupt.” Weber die Zeit, wann dieß ges 
hab, fagt der Ehronift nichts, allein die Stellung, welde ver Bericht in 
ver Chronik einnimmt, deutet darauf bin, daß der ungarische Angriff in bie 
Zeit zwiſchen 930 bis 940 fällt. Nun jprechen‘) wirklich mehrere italienifche 
und deutſche Quellen zum Jahre 937 von einem Streifzuge der Ungarn, der 
ſich bis in den Süden der Halbinfel erftredt habe. 

Dffenbar handelte Joſeph als Herr oder Befehlshaber der Stadt RielßE, 
Da er weiter ein Rangobarde genannt wird und langobardiſche Schaaren ans 
führte, drängt fich die Vermuthung auf, daß er aus dem Pogebiet nach Mittels 
italien eingewandert jel. Ueber die Zeit, wann Solches geihah, gibt Ans 
deutung eine Urkunde?) vom Zahre 920, in welder Godfried Graf zu Rieti, 
Eohn Joſephs, ald Vaſalle des Kaiſers Berngar aufgeführt wird. Demnach 
Iheint ſchon Berngar einzelnen Landsleuten, ald Stügen feiner Macht, Grafr 
haften in ver Nähe von Rom ertheilt zu haben. 

Die Trage, wie lange Joſeph feine dortige Stellung behauptete, Tann 
aus Mangel an Nachrichten nicht entjchieden werden. Dagegen ift gewiß, 
daB zu Rieti ein angefehenes, von gipem Joſeph abſtammendes Geſchlecht, 
in welchem ſich beſtimmte Namen olen, bis in's eilfte Jahrhundert 
hinein fortgedauert bat. Urfunde’) vom Jahre 982: zu Rieti halten der Bis 
Ihof von Pavia, Peter in der Eigenſchaft eines Faiferlihen Bevollmädtigten, 
und Teudinus, Graf der Stadt, ein Geriht. Demijelben wohnen außer den 
Richtern benadhbarter Drte an: die Evelleute Rainer, Atto, Godfried, leibs 
lihde Brüder und Söhne des verftorbenen Joſeph. Urfundet) vom 
Jahre 1000: abermal hält Graf Teudinus Gericht zu Rieti, unter den Beis 
figern werben genannt die Evelleute Rainer, Sinvebald und Godfried, Söfße 
des verftorbenen Joſeph. Um, diefelbe Zeit Fommt‘) ein Dctavian, of eph's 
Sohn, vor, der mit Rogata, einer Erbtochter des Crescentiſchen Hauſes vers 
mählt iſt, und von dem urkundlich bezeugt‘) wird, daß feine Eigengüter im 
Bebiete von Nieti lagen. Neben dieſem Octavian taucht”) ein Rainer, 
Joſeph's Sohn, auf, der von 1003 bis 1006 das Sabinum verwaltete,®) 
Ipäter Herzog in Tuscien wurde und, wie ich an feinem Orte zeigen werde, 
aler Wahricheinlichkeit nad ein Bruder des vorgenannten Octavian war. 

Der Name Joſeph gehört zu den Seltenheiten im mittleren Italien, nas 


) Maratori, annali d'Italia ad a. 937. N) Batteshi ©. 227 unten flg. - °) Yats 
tdi ©. 304. % Daſ. ©. 311. ) Daf. ©. 313. %) Den Beweis aus einer 
Echrift Galetti's in deu Jahrbüchern bes deutfchen Reichs II, b. ©. 225 unten fd. 7) Berk 
VI, 644. 5) Fatteschi ©. 254. 


234 Pabſt Gregorius VIL und fein geitalter. 







ich unter Wen Großen, wie Jeder fih Überzeugen wird, der die Quellen 
Geſchichte dieſes Landes durchforſcht. Um fo zuverfichtlicher fpreche id 
das Recht an, den Bertheidiger Rieti's gegen die Ungarn für eine und bic- 
jelbe Perſon mit demjenigen Joſeph zu erflären, den Fürſt Alberich 941 zum 
Landvogt im Sabinum einſetzte. Da die Zeitentfernung nicht geftattet, alle 
die zulegt genannten, Rainer, Octavian und Andere, welde ald Söhne Joſeph's 
aufgeführt werden, zu dem Landvogt des Sabinums und Vertheidiger Rieti's 
in das Verhaͤltniß von Söhnen zu feßen, da andererfeits im Mittelafter ver 
Gebrauch herrichte, daß Enkel meift die Ramen der Großväter erhielten, jo 

ih den Rainer, der 943 nad) dem Rüdtritt Joſeph's die Verwaltung 
8 Sabinums übernahm, für einen Eohn, den Pater des fpäteren Rainer, 
ſewie Octavians, des Gemahls der Erescentierin, für einen gleichnamigen 
Enkel des erften Joſeph. 

Wenden wir und nad dem Marfenlandee Die Graffhaft der Marfen 
begriff) das Land um den Belaner See, der bei den Alten lacus fucinus 
hieß, und gränzte gegen Nordoſten an das Sabinum. Auch hier war es ein 
Fremder, der während der Kämpfe zwifchen König Hugo und Alberich IL 
eine neue Dynaftie gründete. Leo von Montecaffino fchreibt:?) „mit König 
Hugo fam nad) Stalien der Burrgundergraf Azzo, Oheim des berühmten Berard, 
welcher den Beinamen des Yranfen trägt und Stammvater der Grafen des 
Marjenlandes geworden iſt.“ nun dem Burgunder zu dem Beflge 
verholfen ? König Hugo oder Fürſt Merich? Offenbar der Leptere: die Macht 
Hugo's reichte nicht über die Linie von Rom und der Gebirge ded Sabinums 
hinaus. Wer jenſeits Glück machen wollte, gelangte nur dann zum Ziele, wenn er 
mit Alberich ſich gut ftellte. Gleich dem Franken Ingebald, fcheinen and) die Bur- 
gunder Azzo und Berard von Hugo zum Fürften Alberich abgefallen zu fein. 

Azzo, der, wie oben gezeigt worden, 947 nad dem Rüdtritte Rainer’s 
die Landvogtei im Sabinum übernahm, war meined Erachtens cine Perſon 
Gilt dem Oheim Berards, des Stammvaterd der Marjengrafen, und ferner 
Berard, der nach Entfernung Teuzo's 954 aus Alberih8 Händen die näm⸗ 
lihe Landvogtei empfing,”) war eine Perſon mit dem Neffen Azzo's. Berard 
der Stammvater hinterließ einen Sohn Rainald, der im Jahre 1000 eine 
Schenkung‘) an das Kloſter Montecaffino machte, welche mit den Worten be: 
ginnt: „ih Rainald, Graf im Marfenland, Eohn Berard's, der aus dem 
Volke der Franken ftammte und gleihfall8 Graf war.” Am gehörigen Orte 
fol gezeigt werden, wie Berarb und Rainald, großgewachſen durch den 
Schuß Alberichs, almählig im Kirchenftaate jelber Fuß faßten und ſich in den 
fpäteren Partheikaͤmpfen zwiſchen Tusculanern und Erescentiern bervorthaten. 


— — — — — — 


1) Muratori, script. rer. X, Vorſtück 253, vergl. Pertz VII, 590 gegen unten. *°) Berg 
vu, 623. 2) Batteshi ©. 250 unten flg. *) Wattola, access. ad histor. cassin. I, 101. 


Siebtes Buch. Gap. 12. Das Eabinum u. die Grafſchaft Rieti. Tod des Königs Lothar. 235 


Schließen wir: die fremden Abentheurer, welde bei Alberich hin 4 
juchten und fanden, haben eine ähnliche Rolle gefpielt, wie 60 Jahre pi 
die nad Apulien eingewandberten Rormannen der Seine, und hauptfächlich 
durch ihren Beiftand ift es gefchehen, daß der römifhe Yürft den Angriffen 
Hugo's zu trogen vermochte. Nun zurüd an den italienifchen Hof. 

Während der Jvreer Berngar dem Römer Alberih durch Beförderung 
Teuzo's eine Schlinge legte, warf über ihn felber ein Mächtigerer, König 
Otto L von Deutichland, das Netz. Seit Anfang feiner Regierung arbeitete 
diefer gewaltige Herricher darauf hin, die Stammesherzogthümer, welche, unter 
den jpäteren Garlingern aufgefommen, der Einheit des Reichs weſentliche Ges 
fahr drohten, entweder ganz abzufchaffen over doch an Mitglieder des Fönig- 
lichen Haufed zu vergeben. Dieß gelang ihm Schritt für Schritt. Gegen 
Ausgang des Jahres 945 ftarb der bairijche Herzog Berthold aus dem Geſchlechte 
der Arnulfiven, das feit dem Ende des neunten Jahrhunderts Baiern fo gut 
ald erblich beherrſchte. Obgleich der Verblichene einen Eohn hinterließ, ver 
lieh Otto, wie an einem andern Drte‘) gezeigt worden, das Herzogthum nicht 
an diefen, jondern an feinen eigenen Bruder Heinrich, jedoch nur gegen bie 
Bedingung, daß Heinrih den von Otto L längft beichloffenen Zug nad Ita⸗ 
lien unterftüge und zunächft die oberitaliihe Stadt Aquileja befepe. Heinrich 
vollzog beide Aufträge, und bald fam Gelegenheit zu weiterer Einmiſchung in 
die Angelegenheiten des Nachbarlandes. 

Ausgangs November 950 ftarb?) zu Turin König Lothar von Italien 
plöglicdy weg. Zwei gleichzeitige Schriftfteller, Ylodoard und Liutprand, geben?) 
u verfichen, daß er durch Berngar vergiftet worden ſei. Wirklich verlich der 
bisherige Markgraf von Jorea durch zwei auffallende Handlungen diefem Ges 
ruht einen hohen Grad von Wahricheinlichkeit: erftend brachte er zu Wege, 
daß er, und zwar nicht für ſich allein, fondern zugleich mit feinem Sohne 
Adalbert — Berngar ahmte hierin das von Hugo gegebene Beijpiel nad), 
der gleichfalls feinen Sohn Lothar zum Mitregenten annahm — wenige 
Wochen nach Lothar’8 Tode in der Koͤnigsſtadt Pavia auf den Thron Ita⸗ 
liens erhoben ward; fürs Zweite mißhandelten er und feine Gemahlin Willa 
die Wittwe Lothar's auf jchmähliche Weife. Die Parthei, welche während 
ver legten fünf Jahre Lothar anhing, jcheint nach feinem Tode vie verwitt⸗ 
werte Königin als ihr Haupt verehrt‘) zu haben. Adelheid war daher gefährs 
lich für Berngar, da fie entweder felbft ihm entgegentreten oder in zweiter 
Ehe fi mit irgend einem Großen verbinden konnte. 

Aus diefen und ähnlichen Gründen beihloß Berngar, die Wittwe uns 
ſchädlich zu machen, fei ed, daß er fie lebenslänglich in Kerker werfen oder 


) Sr. I, ©. 361. 3) Die Beweife bei Muratori, annali d'Italia ad a. 950. 
*) Diep vente EWidufind II, 7. Perg II, 452 an. 


L 


36 Bob Eregorius VN. uud fein Zeitalter. 







Itfam mit feinem Sohne und Mitregenten vermählen wollte — die Quellen 
über Die Abfichten Berngar’s nicht einig.) Laut glaubwürbigen Zeug: 
niffen?) wurde Adelheid auf feinen Befehl zu Como gegen Ende April 951 
verhaftet und in harter Gefangenſchaft gehalten. Aus dieſer verzweifelten 
Lage entrann fie im September defielben Jahres auf räthjelhafte Weile. 

Noch im Laufe des zehnten Jahrhunderts ift die Geſchichte der Gefangen: 
ihaft Adelheids mit Fabeln ausgejhmüdt worden. Ich laſſe zunächſt einen 
Zeitgenofien, den Abt Odilo von Clugny, reden, welder, was er erzählt, 
aus dem eigenen Munde der ehemaligen Königin von Italien und fpäteren 
Kaijerin vernommen haben dürfte. Er berichtet:”) „nach dem Tode Lothar’ 
riß. ein Anmaßer, Berngar genannt, vermählt mit einer boͤſen Frau, bie 
Willa hieß, das italienische Neid an fi. Beide nahmen die unfchuldige 
Wittwe gefangen, thaten ihr viel Leid an, zerriffen ihre Haupthaare, ſchlugen 
fie mit Fäuften und jperrten fie zulegt nur mit einer Dienerin in einen furdt- 
baren Kerfer ein. Aus diefer Roth ward Adelheid durd Gottes Hülfe be 
freit, fie verftedte fi, während eined Tags und einer Naht im Schilfe 
eined Sumpfed unweit Mantua, wo ein ijcher ihren Hunger mit etlichen 
Fiſchen ſtillte. Auf einmal kam der Elerifer, welcher Adelheid aus dem Kerfer 
befreit und fie auf der Flucht begleitet hatte, und meldete, daß ein Haufe 
Bewaffneter nahe, welche fi aufgemacht hätten, die junge Königin zu be 
freien. Wirklich erfchienen diefelben, nahmen Adelheid in ihre Mitte und ger 
leiteten fie auf eine unbezwingbare Burg, wo file in Sicherheit war.“ 

Odilo gibt feinem Berichte eine wunderhafte Färbung, doch fieht man, 
daß es ein Glerifer war, der Adelheid aus dem Kerker befreite, daß eben 
derjelbe eine Schaar Bewaffneter zur Rettung aufbot, und daß der Anführer 
berjelben fie auf irgend ein Schloß brachte. Genauere Nachrichten ertheilt eine 
aud in anderer Hinficht wichtige Duelle aus dem Anfang des zwölften Jahr: 
hunderts, die zwar gleichfalls nicht ohne fabelhafte Zuſätze if, aber in Ihren 
Hauptzügen theild durch die eben angeführte Stelle Odilo's, theild durd Urs 
funden beftätigt wird. Um 1112 befchrieb Domnizo, Gapellan der Groß⸗ 
gräfin Mathilde, das Leben diefer feiner Gebieterin. Plangemäß ſpricht er 
in feinem Büchlein auch von der Flucht der Königin Adelheid. Denn ihr Retter 
war Azzo, Ahnherr des Mathildiihen Hauſes, und die Burg, wo die Ges 
rettete Aufnahme fand, hieß Canoſſa. | 

Folgendes) erfahren wir aus Domnizo’d Aufzeihnungen: „in König 
Hugo's Tagen wanderte ein fremder Ritter, Sigfried, nad Lombardien ein 
und ließ fih in der Grafſchaft Lucca nieder. Sigfried hinterließ drei Söhne: 
Sigfried IL., Gerhard und Atto oder Azzo. Die beiden Erſteren ſiedelten 


1) Muratori, anali d’Italia ad a. 951. ?) Berk III, 745 fammt Note. 2) Berg 


IV, 638 unten flg. passim. *) Vita Mathildis cap. 2. Muratori, script. rer. italic. V, 
san. 245 flg. 


ꝛbtes Buch. Gap. 12. Das Sabinum u. die Grafſchaft Mieti. Tob des Könige Lothar. 237 


in Barma an und gründeten dort zwei anfehnliche Geſchlechter: das MB 
tjche amd das Baratinifche. Der Dritte, Azzo, ging ind Gebiet von Reggio 
b erhielt vom dortigen Stuhle die Burg Canoſſa zu LXehen,‘) deren von 
ıtar fefte Lage er durch ftarfe Thürme vervollfommnete.” Derſelbe faß auf 
moſſa, ald Adelheid durch Berngar in jenen Kerker geworfen ward, welder 
ch Domnizo's Darftelung im Umkreiſe eines Schloſſes am Gardaſee lag. 
Ber der Dienerin, welche auch Odilo erwähnt, befand ſich bei der gefangenen 
migin ein Glerifer, Namens Martin, der die Mauern des Thurmes durchs 
bh, der Königin und ihrer Zofe Männerkleiver verfchaffte und mit beiden 
auen bei Radıt bi8 an die Sümpfe von Mantua entfloh, über welche er 
mit Hülfe eines Faͤhrmanns ſetzte. Dann eilte Martin voraus zum Bis 
ofe Adalhard von Reggio, erftattete Bericht über den Erfolg der Flucht 
d begehrte weitere Hülfe. Im NAuftrage des Biſchofs zog fofort Ritter 
so von Ganofia herbei und führte die gerettete Königin auf feine uneins 
bmbare Burg. 

Ohne Frage hat der Bilchof von Reggio noch größeren Antheil an der 
ucht Apelheidens gehabt, als Domnizo zugibt, und das Werk zugerüftet, 
vem er dem @lerifer, der, wie es fcheint, früher in feinen Dienften ftand, 
: nöthigen Mittel lieferte. Faſt mit ebenfo vielen Worten behauptet dieß 
je Zeugin, welde faft ein halbes Jahrhundert vor Odilo lebte, die Ronne 
roswitha von Gandersheim, in ihrem Gedicht?) über die Thaten Otto's I. 
eines Erachtens war Adalhard, den auch Urfunden erwähnen,’) Einer von 
nen, welche feit Einfegung des dreifpaltigen Regiments Parthei für Lothar 
hmen. But flimmt hiezu, daß er im Jahre der Ummwälzung ſelbſt — 
3 — den Stuhl von Reggio beſtieg,“) den er wohl dem MWohlwollen Lo, 
ws verdanftee Daſſelbe gilt, denke ih, auch von dem Nitter Azzo. 
ännern, die fi) noch nicht erprobt haben, traut man fo gefährliche “Dinge, 
e die Beihügung einer verfolgten Königin gegen die Grauſamkeit eines 
ichtigen Iyrannen, nicht an. Ich fehe in Azzo einen der vielen Empors 
mmlinge, die fich feit 945 durch kühnes Anfchließen an die Sache Lothar's, 
er umgekehrt des Gegenkoͤnigs Berngar, eine Stellung erwarben. 

Keine der vorhandenen Quellen meldet, daß Adelheid von Canoſſa aus 
e Hülfe des deutihen Könige Otto anrief, doch iſt dich aus inneren 
ründen wahrſcheinlich. Jedenfalls mußte Dito von Dem, was in Lombars 
m vorgegangen, bald Kunde erhalten. Er war dur den im Januar 946 
tolgten?) Tod feiner erften Gemahlin, ver angelfächfiihen Fürſtin Editha, 
Kittiwer geworben und konnte daher frei über feine Hand verfügen. Unvers 
eilt faßte er den Entihluß, nah Stalien zu ziehen, Adelheid zu befreien, 

t) Ibid. ©. 347 unten nennt Bifchof Adalhard v. Reggio Azzo feinen Bafallen : Atto 


mas miles. 7) Berk IV, 329. 2) Muratori, script. rer. italic. V, 347, Rote 38. 
Perg III, 449 oben, 744 Mitte. 


I 


238 Pabſt Uregorius VII. und fein Zeilalier. 


siehelichen und überbieß die Kalferfrone in Rom zu holen. Uber der Aus 
führung dieſes Unternehmens, an das er fofort Hand legte, thürmten id 
Schwierigkeiten entgegen, die unentwirrbar für eben find, ber nicht ben 
Schlüſſel der Reichsgeſchichte zu finden weiß. 

Während der König mit den Ständen über den bevorfiehenden Kriege 
ug berieth, brach fein einziger Sohn aus der Ehe mit Editha, Liudolf, feit 
947 Herzog in Schwaben und bereitd von den Reihsfürften als Thronfolger 
anerfannt,*) ohne Erlaubniß des Vaters, ja wider deſſen Willen, in Lombars 
dien ein, nahm einige Städte, warb aber durd geheime Gegenmaßregeln bes 
Herzogs Heinrih von Baiern, der in vollem Einflange mit feinem Föniglicden 
Bruder handelte, gehindert, weitere Kortfchritte zu machen. 

Dann im Herbfte 951 erſchien Dtto felbft mit einem großen Heere im 
oberen Italien. Viele mit Berngar unzufrievene Lombarden gingen zu ihm über, 
die Hauptfläbte Pavia und Mailand erkannten ihn ald ihren Herm an. Otto 
ließ in leßterer Stadt Münzen mit feinem Namen fchlagen und legte fi in 
zwei Urfunven vom Öftober 951 venfelben Titel bei, mit welddem Garl der 
Große feine italienische Rolle begonnen hatte: „König der Franken und der 
Langobarben.” Bon Pavia aus ließ er Adelheid aus Canoſſa abholen und 
vermählte fih vor Weihnachten 951 mit der 2Ojährigen Wittwe. Nach dem 
Reujahr 952 ſchickte er eine Gefandtichaft an Petri Statthalter, um, wie Flo⸗ 
board meldet, wegen feiner Aufnahme in Rom, over die Sache beim wahren 
Namen genannt, wegen der Kaiferfrönung zu unterhandeln. Allein aus Rom 
fam?) eine verneinende Antwort. 

Nicht blos dieſer Gegenfchlag, fondern noch andere, dringendere Gründe 
beftimmten des Königs weiteres Verfahren. Unverrichteter Dinge fehrte er 
mit der neuen Gemahlin im Februar 952 nad Deutichland heim, ließ jedoch 
feinen Eidam, den Herzog Conrad von Franken, ald Statthalter in Pavia zurüd. 
Leptere Maßregel beweist, daß der König die lombarbifche Krone zu behaupten 
gedachte. Doc in Kurzem ſchloß Conrad Frieden mit Berngar, worauf Beide 
— zu Berngar gefellte fih noch fein Sohn und Mitregent Adalbert — nad 
Deutichland heraus reisten zu dem Könige, der damals in Magdeburg Hof 
hielt. Drei Tage lang weigerte fi Otto, Berngar zu empfangen. Nun ging 
vollends auch Herzog Conrad zu der Gegenparthei über, die eben Bors 
bereitungen zu einem Aufſtande traf. 

Hiedurch, wie e8 fcheint, gefchredt, gab Dtto I. nad, aber nicht ganz. 
Im Auguft 952 verfammelte er einen Reichstag zu Augsburg, vor weldhem 
er Berngar ald König von Lombarbien anerfannte, wogegen biefer dem dent⸗ 
ſchen Herrfcher den Bafallen» Eid leiſten und überdieß die Marke Aquileja 
ſammt Verona förmlih an Heinrih von Baiern abtreten mußte. Jehtt brach 


i) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. II, 1222. *) Ebenfo ibid. ©. 1227 fig. 


ebies Buch. Gap. 12. Das Eabinum u. die Graffchaft Rieti. Tod des Königs Lothar. 239 


Feuer los, das längft im Verborgenen glühte: fämmtliche deutſche Stämme, 

| Nusnahme eines Theils der Sachſen, felbft die nächſten Anverwandten 
t0’6, Liutolf der Thronerbe, Conrad von Franken, Dtto’d Eidam — nur, 
ini von Baiern blieb der Krone treu, ward aber deßhalb von den 
iern verlaflen — faft der ganze Clerus, ein fähiges Haupt, Erzbiſchof 
edrih von Mainz an der Epibe, empörten fid) gegen den König. Bis 955 
seite der Bürgerkrieg, in welchen ſich zulegt auch die Ungarn miſchten, und 
e nach unfäglihen Anftrengungen ward Dtto ded Widerſtandes Meifter, 
iegte die Ungarn, fchlug die Aufftändifchen nieder, fegte die beiden Herzoge 
tolf und Gonrad ab, übergab Schwaben an Burdard, einen eingeborenen 
elmann. Franken behielt er für ſich. 

Woher die furchtbare Bewegung? Daher, weil Deutſchlands weltliche 
d geiftliche Fürften, beſonders lebtere, den ‘Blan der Erneuerung des Kaiſer⸗ 
md verabjcheuten, auf welches Ziel Dtto I. feit dem Anfange feiner Regie 
ng verdedt, von dem Jahre 950 an unverhüllt, losſteuerte. Schon im 
ihre 888 hatten unfere Stände nad) dem Sturze Carls des Diden ald Regel 
sgeſprochen, daß Deutichlands Könige hinfort in ihrem Erbreiche bleiben 
d darauf verzichten follten, den Schatten Carls des Großen beraufzube- 
wören. Sept wurde der nämlihe Grundſatz wieder geltend gemacht und 
ar unter der Leitung des Erzbiſchofs Friedrich von Mainz, eines der wür⸗ 
ften PBrälaten, welche auf dem Stuhle des bi. Bonifacius faßen. Man kann 
en, daß die gefammte Nation auf Eeiten des Erzbiihofs ſtand. Ein Zeit, 
ıfle ſchreibt:) „alle mit dem Könige Unzufriedene erhoben die Tugenden 
Erzbiſchofs bis in den Himmel und redhtfertigten den Aufſtand burd die 
hauptung : eine Sade, für welche ein folder Dann fi erkläre, müſſe gut 
d Löblich fein.” Zu den Unzufrievenen aber gehörte laut dem ausbrüdlichen 
ngeftändniß?) des Mönchs Widukind die unendliche Mehrzahl der Deutichen, 
: Maffe der Nation. 

Ziutolf und Gonrad handelten unter Friedrichs Einfluß. Der Zug, wel 
n Erfterer im Sommer 951 wider Otto's Wiffen und Willen unternahm, 
tte offenbar den Zwed, dur jchnelles Einfchreiten wider Berngar dem 
utfchen Könige den Vorwand eines Römerzuges zu entziehen, weßhalb aud) 
einrih von Baiern, Otto's einziger DBertrauter, dem Schwabenherzoge aus 
räften entgegenarbeitete. Als gleihwohl Otto die Eroberung Lombardiens 
wang, ald er trog der abichlägigen Antwort, die aus Rom einlief, Die 
eme Krone — gleichſam das Unterpfand der faiferlihden — zu behaupten 
h anjchidte, den von Conrad mit Berngar abgefchloffenen Vertrag zurüdzus 
eiſen Miene machte, als er endlich, obgleih durch den Abfall Conrads ges 
wet, dem Soreer zu Augsburg Bedingungen ftellte, die den Erzbiſchof 


*) Daf. ©. 1236. °) Daf. ©. 1231. 


240 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Friedrich und feine Freunde nicht befriedigten, und durch die erzwungene Ab» 
tretung der Marfe Aquileja deutlich die Abfiht verrieth, fih für kommende 
«Fälle die Bahn nah Rom offen zu halten: brach jener allgemeine Sturm los. 

Rah Beflegung des Aufſtandes fam Dtto auf feinen Plan zurüd, aber 
auszuführen vermodhte er denſelben erft, nachdem er durch eine Reihe Gewalt» 
ftreihe den Geiſt des deutſchen Clerus niedergebrüdt, ich möchte fagen ges 
faͤlſcht, die wichtigften Stühle des Reiches lauter Geſchöpfen des Hofes über; 
liefert hatte. Im Jahre 954 ftarb Erzbifchof Wigfred von Ein: zum Nach⸗ 
folger ſetzte Dtto feinen eigenen Bruder Bruno ein, dem er zugleich das 
Herzogthum Lothringen verlich. Etliche Monate nachher, im Herbft 954, ging 
Metropolit Friedrih mit Tod ab, worauf der König den Stuhl des HL Bonis 
facius an feinen Baftard Wilhelm, den Sohn einer flavifchen Kebſe, vergab. 
Übermal zwei Jahre fpäter, erhob er auf den dritten und legten Erzſtuhl bee 
weftlihen Deutfchlande, auf ben von Trier, einen feiner Better, Heinrich.‘) 
Jet da Werkzeuge, die thun mußten, was er wollte, ſich in bie erften 
geiftlichden Würden Germaniens getheilt hatten, Fonnte der König ungefcheut 
voranfchreiten. 

Beweiſen diefe Maßregeln nicht fonnenflar, daß Erzbiſchof Friedrich, als 
er 951 der Erneuerung des Kaiſerthums entgegentrat, im Sinne feined ganzen 
Standes und ald Vorkämpfer deſſelben handelte? Die deutichen Kirchenhäupter 
de8 zehnten Jahrhunderts ſahen voraus, was feitdem wirklich geihah: vie 
unheilbare Wunde, welche jenes Trugbild von Kaiſermacht der Einheit und 
Wohlfahrt Deutichlands fchlagen mußte. Wenden wir und wieder über Die Alpen. 

Das mühlam aus Tüdenhaften Quellen zufammengefügte Bild, ver poli⸗ 
tiichen Zuftände Italiens während der Jahre 930 bis 950 if, fo weit es 
möglih war, vollendet. Ich mußte diefen langen Umweg einfchlagen, weil 
nur jo eine Erfcheinung .erflärt werben kann, die fonft einzig in ber Kirchen, 
geihichte dafteht, nämlih daß ein Laie ed vermochte, faft während eines ganzen 
Menfchenalters Petri Etatthalter zu erniedrigen und doc die geiftliche 
Gewalt derfelben aufredht zu halten. Alberich wäre längft zu Paaren ges 
trieben, das Pabſtthum eines Serfermeifters, der ihm auf dem Naden faß 
und darum doppelt laͤſtig fiel, entledigt worden, hätten nicht die Unabhängig 
feitögelüfte der Markgrafen von Spoleto und theilweife der Herzoge von Tus⸗ 
cien, dann die Rolle, welche Berngar von SJorea fpielte, endlih die gegen 
Hugo gerichteten Ränfe des deutſchen Hofes den wachſenden Berlegenbeiten 
des Sohnes der Marocia ftetd wieder Luft gemacht. Faſſen wir jetzt die Stadt 
Rom Ind Auge, deren inneren Verhältniſſe feit dem Augenblide, da Alberich 
den aufgebrungenen Etiefvater zu entweichen nöthigte, unferem Blide ent 
ſchwanden. 





) Die Deweiſe daſ. ©. 1234 ſlg. 


Siebtes Bud. Gap. 13. Alberichs II. Stellung zu den Päbſten feiner Zeit. Er ſtirbt. Q41 


Breizehntes Capitel. 


Geiſtliche Geſchichte des Kirchenflaats während der Zeit ba Alberichs II. weltliches Fürſten⸗ 
thum dauerte. Alberich hält feine Mutter Marocia und feinen Bruder, ben Pabſt 
Johann XI., gefangen, und wacht forgfältig darüber, daß auch bie Nachfolger Johannes XI. 
nichts ohne feinen Willen thun. Nachrichten über die Familie Marocia's. So hart 
bad Joch war, welches der Fürft von Rom auf den Naden der Statthalter Petri 
Ind, litt dennoch die priefterliche Macht des heil. Stuhles feinen Abbruch. Das kam 
baber, weil erftlich der zweite Abt von Elugny, Dbo, den Päbften in der Zeit ſchwerſter 
Berrängniß ald Retter und Schüßer nahte, und bie Dinge vorbereitete, die mehr als 
100 Jahre fpäter Bregorius VII. ine Werk ſetzte; zweitens weil Wiberich II. felber, 
unter dem Binflufle der Glugniacenfer, Klöfter und Firchlide Zucht wieder herftellte, 
überhaupt gegen Außen in der Weife eines erleuchteten Pabſtes verfuhr. Päbfte Jos 
hann XI., Alberich8 älterer Bruder (931 — 936), Leo VII. (936—939), Stephan IX. 
(939— 942), Marinus TI. (942 —946), Agapetus II. (946— 955). Troß aller Gewalts 
thaten des Fürften Alberich dauerten die clerifalen, auf Befreiung der Kirche gerichs 
teten Beftrebungen ungeſchwaͤcht fort ; auch übten fremde Könige — vor allem Otto I. 
von Deutſchland — in Rom Einfluß. Agapet II. war es gelungen, ein gutes Maß 
von Selbfifländigfeit zu erringen, ald Fürſt Alberich II. 954 flarb. 


Liutprand behauptet,‘ Alberih II. habe (um 932) mit König Hugo 
auch die eigene Mutter Marocia aus der Stadt vertrieben, feinem Bruder 
Johann XL dagegen die päbftliche Würde gelaffen. Andererfeitö meldet‘) 
Flodoard in der Chronik, daß Alberih II. nad Verjagung Hugo's die 
Mutter fammt dem Bruder gefangen hielt. In dem Bruchftüd über die Päbfte 
fügt‘) der Rheimfer Gefchichtfchreiber bei, Johann XI fei während feiner 
übrigen Lebenszeit Gefangener des jüngeren Bruders geblieben, in der Art 
jedoch, daß der Pabft rein priefterlihe Handlungen verrichten durfte. “Die 
Abweichung in den Ausfagen beider Zeugen iſt unbedeutend: möglicher Weile 
fann Alberih die Mutter erft eingefperrt, und dann aus Rom fortgefchidkt 
haben, oder auch umgefehrt. ine politifche Role hat fie ſeitdem nicht mehr 
geipielt, doh hört man noch von ihr. 

Aus einer zu Nepe im Jahre 945 audgeftellten Urkunde?) erhellt, daß 
fie damals im Klofter war. Zugleich wird im nämlichen Pergament ihre Sipps 
haft befchrieben: als ihre Kinder treten auf außer Alberih IL, Sergius, 
Biſchof von Nepe, Conftantin, ein Laie, betitelt „erlauchter Herr”, Bertha, 
eine Stiefichwefter diefer Vorgenannten. Auch die Schwefter Marocia’8, jene 
von Liutprand erwähnte Theodora, ſammt deren Töchtern kommt in der Urs 
kunde zum Borichein: eine der letztern heißt — ohne Zweifel der mächtigen 
Muhme zu Ehren — Marocia, die andere Stephanie. Es gab aljo damals 
im Tusceulaner Haufe zwei Marocien, Muhme und Nichte. 


1) Die Belege baf. ©. 1200. ?) Marini papiri diplomatici ©. 155 flg- 
Gfrörer, BabR Gregorius vIL. DB. V. 16 


242 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


Drei weitere Urkunden gevenfen einer Marocia, die meines Eradte 
biefelbe ift mit der Mutter Alberichs: eine 1) ausgeftelt im Jahre 952, dı 
fchöten des Pabſtes Agapet IT., Römerzindzahl”) 10, Fraft welcher Maroc 
bie demüthige Magd Gottes, — d. h. Nonne — eine Schenfung an d 
Klofter Subiaco macht; eine zweite) vom Jahre 959, dem vierten des Pabfi 
Sohann XII, Römerzingzahl?) 3, worin Marocia, „Senatorin aller Römen 
demfelben Klofter etwas vergabt; endlich führt noch eine dritte*) vom Jahre IE 
dem fechsten des Pabſts Johann, Römerzinszahl) A, Marocia die fürtrı 
lichfte Frau und Senatorin auf. Recht gut kann Marocia, Alberichs Mut 
und Großmutter des Pabſts Johann XIL, bis über 960 hinaus gelebt hab 
Daß dieß wirklich der Fall war, fcheint fogar aus einer Stelle") der Chro 
des Mönche Benedikt zu erhellen, die freilich wegen der barbarifhen Spra 
zweifelhafter Deutung iſt. 

Sn zwei weiteren Urfunden des Klofters zu Sublacum kommt aberr 
eine Marocia vor, die ich für die Nichte der Älteren und Tochter der Theod: 
halte. Durch Akte) vom Sahre 979, dem eilften des Kaiſers Dito ] 
Römerzingzahl?) 7, vergabt Demetrius, Conſul und Herzog, im Ramen fei 
nahen Verwandten, ver fehr edlen Frau Marocla, welde feligen Gedächtniſ 
genannt wird, alſo geftorben ift, gewiſſe Ländereien an das Klofter Subia 
Sodann erwähnt eine Handvefte”) vom Jahre 981 „ven erlaudten He 
Gregor, Sohn der Senatorin Marocia und Laienabt der Klöfter St. Andrı 
und Sancta Luca.” Mutter dieſes Abtes Gregor kann nicht wohl die Alı 
Marocia geweſen fein, da in der Urkunde von Nepe, welche ihre Nachkomm 
ſchaft fchildert, ein Gregor als ihr Sohn aufgeführt wird. Daſſelbe 
meines Erachtens von der Alte des Jahres 979. Hiezu fommt, daß in bei 
lesteren Pergamenten der fraglichen Frau befcheidenere Titel ertheilt wert 
als dieß in den früheren ver Fall tft, welche fih auf Alberihs II. Mu 
beziehen. Man muß meines Erachtens aus diefen Gründen auf die Ri 
oder die jüngere Marocia fchließen. Späterer Berwidlungen wegen wird 
gut fein, daß der Lefer die hier zufammengeftellten Mitglieder des Haufes 
Marocia im Gedächtniß behalte. 

Die Frage drängt fih auf, warum Alberih IL. den Pabft Johann 2 
der doch fein Teibliher Bruder war, in beftändiger Gefangenichaft hielt : 
ihn nur als Priefter amten ließ.) Ohne Zweifel gejchah ed deßhalb, weil 
ihm mißtraute, genauer gefprochen, weil er argmwöhnte, daß Johann 2 
wenn er freie Hand hätte, e8 verfuchen fönnte, die Unabhängigkeit des Stut 
Petri herzuftellen, die Ketten abzufchütteln, und mit Solchen zufammen zu wir 


*) Muratori, antig. Ital. V, 772 unten im Auszuge. 2) Diefe Beflimmungen 
richtig. 2) Ibid. ©. 771, Mitte, ebenfo. *%) Ibid. ©. 773 oben. *) Bere II,‘ 
Mitte: una de nobilibus romanis, cujus nomine superest, Theophylacti fi °) ! 
ratori a, a. D. ©. 773. N Ibid. ©. 772. 


N 


Siebtes Buch. Eap. 13. Alberichs II. Stellung zu den Paͤbſten feiner Zeit. Er ſtirbt. 243 


weihe für den gleichen Zweck arbeiteten. Das Verfahren des Fürften beweist 
alfo, daß die und von früher her befannten, auf Befreiung der Kirche gerich« 
teten Beftrebungen während der pähftlichen Verwaltung Johanns XT. unges 
ſchwaächt fortdauerten: Bande der Verwandtichaft waren fein Hinderniß für fie. 
Faſt unmöglich ift ed, daß cin Pabft die Kirche förmlich verrathe. Sei er aud 
von Haufe noch jo verborben, oder noch fo fehr Durch Ältere Verpflichtungen in 
bie Feſſeln weltlicher Gewalten verftridt: der Geiſt des Inſtituts, das mittelft 
taufend vwerborgener Fäden auf ihn einmirft, hält ihn von einem folcden 
Frevel zurüd. Obgleich von Geburt ein Baftard, obgleich der verruchten Mas 
rocia Sohn, obgleich Bruder des Tyrannen von Rom, hat Johann XI, der 
Natur, der Mutter, dem Bruder zu Trotz, ald Pabft gehanbelt. 

Wie ihm, fo erging es feinen vier Nachfolgern, Leo VIL, Stephan IX., 
Marinus II., Agapet II., welche während der Herrihaft Alberichs Petri 
Stuhl einnahmen. Nur bezüglich geiftlicher Verrichtungen frei, waren fie fonft 
fo gut als Gefangene des römifchen Fürſten. Flodoard von Rheims gibt‘) 
zu verftehen, daß Pabſt Leo VII., den er felber perfönlich kennen lernte, einzig 
barum erhoben ward, weil diefer Cleriker, gleichgültig gegen irdiſche Größe, 
bios an den Himmel dachte. Vom zweiten Nachfolger Leo's VIL., von Mas 
rinus IL. fagt?) der Mönd Benedikt: „nie babe er ohne ausprüdlichen Befehl 
des Kürften Alberich gewagt irgend etwas zu thun.” Im Allgemeinen meldet*) 
Liutprand, daß „Alberich, feit er fih das römifche Fürftenthum angemaßt hatte, 
den Herm Pabſt wie einen Hausfklaven im Zimmer eingefchloffen hielt”. 

Unter weldher Form herrfchte der Gewaltige über Rom, den Kirchenftaat 
und Petri Stuhl? Unter venfelben, trüber Erinnerung der republifantfchen 
Zeiten Roms abgeborgten Namen, die feit dem Ende des neunten Jahrhun⸗ 
dertö durch das Adelsregiment auffamen. Schon Alberih8 Mutter empfängt 
während der Höhe ihrer Macht in Chroniken wie in Urfunden die Titel: ers 
Inuchtefte Frau, *) Patrizierin, ) Senatorin, %) oder noch fräftiger, Senatorin 
aller Römer. Letzterer Ausdruck verdient Beachtung: es gab zu Rom nad) 
damaligem Sprachgebraud viele Senatoren, aber nur eine einzige — die 
Fürſtin Marocia — welche Senatorin aller Römer war. Man fühlt, daß 
aus der ariftofratifchen Verpuppung eine Monarchie herausfchlüpfen will. Mit 
denfelben Titeln wird Alberich II. von Andern gefhmüdt oder ſchmückt fi 
ſelber. Flodoard von Rheims nennt”) ihn gewöhnlich römiſchen Patricier, 
ebenfo der Ehronift von Salerno.?) Mönd Benedikt braucht?) den Ausdruck: 
„Aberich, Fürſt der Römer, oder auch Fürft aller Römer.” In der zu Nepe 945 


9) Muratori. script. rer. ital. III, b. ©. 324, Mitte flg. ?) Perk III, 716 oben. 

) Ibid. ©. 361 gegen unten. ) Die ©. 242. angeführten Urkunden des Kloſters Subiaco. 

) Din S. 184 Role 2. 6) Außer den genannten Urkunden vergl. man bie Chronik bes 

Mine Benedikt, welchet Marocia (Per IIT, 714) mit ben Worten domna senatrix Des 

jeicänet. 7) Bere III, 389. 393. 403. °) Ibid. ©. 653. 9 Tbid. ©. 715. 716. 
16° 


244 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


ausgefteliten Urkunde tritt Alberich alfo redend auf: „Wir Alberih, von Gottes 
Gnaden demüthiger Fürft und Senator aller Römer”. 

Trotz dieſen verfchieden lautenden Zeugnifien glaube ih, daß ihm unter 
den angeführten Titeln derjenige eines römifchen Patriziers der Tiebfte war. 
Man wird zugeben, daß in Denfmünzen, welche auf große Herren geichlagen 
werben, Schmeichelei gewöhnlich den höchften Flug nimmt, und Das jagt, was 
den Gefeierten am meiften gefällt. Wohlan eine Münze Alberichs — unter 
zwei vorhandenen die Ältere — iſt auf und gefommen:') die Borberjeite hat 
pie Umfchrift Albericus, in der Mitte das Monogramm patricius. Die Rück⸗ 
feite trägt fein Bruſtbild. Biſchof Liutprand durchbricht die Fünftlihe Hülle, 
und Spricht nicht im römischen Kanzleiftyl, fondern aus dem gefunden Menſchen⸗ 
verftand heraus, wenn er Alberih als Monarchen Hinftellt.) Durch einen 
Aft verrieth Alberich ſelbſt die Abficht, den republifaniichen Flitter demnächſt 
zur Seite zu werfen: er gab nämlich feinem einzigen Sohn den Ramen Detas 
vian, eine Wahl, welcher offenbar der Gedanke zu Grunde liegt, daß in naher 
Zufunft das confularifche Spiel aufhören und ein felbftherrliches Regiment, mie 
das Zulius Cäſars und feines Neffen Octavianus Auguftus, beginnen folle. 

Im Uebrigen wandte Alberih die nämlichen Hebel-an, um die anges 
maßte Gewalt zu behaupten, weldhe Andere, die in gleiher Lage find, ge 
wöhnlich in Bewegung feten: Waffen und das richterlihe Amt. Soldaten 
muß er in Hülle und Fülle gehalten haben, denn faft beftändig führte er 
Krieg. Daß und in welchem Umfange er fih des Gerichtsweſens bemäch⸗ 
tigte, erhellt aus einer merkwürdigen Urfunde vom 17. Auguft 939, von 
welcher früher Muratori einen furzen Auszug mitgetheilt hatte, die aber neuers 
dings ganz veröffentlihtt) worden if. 

Ein Rechtöftreit war zwiſchen dem Abte des Kloſters zum h. Benedikt 
in Subiaco einers und zwiſchen Demetrius, Petrus, einem zweiten Petrus 
und Leo, Einwohnern der Stadt Tivoli andererfeits, über den Beſitz gewiſſer 
Orundftüde ausgebrochen. Auf eine Ladung Alberich, „des glorreichen Fürſten“, 
erfhienen Kläger und Beklagte in des Fürften Hofe (Palafte), der neben ver 
Kirche zu den heiligen Apofteln lag. Hier waren die vornehmften Hofbeamten 
des Pabſts und viele römifche Adelige aus dem Laienftande ald Gerichtsbei⸗ 
fiber verfammelt und ſollten in Anweſenheit und unter perfönlicher Zeitung des 
glorreihen Fürſten ein Urtheil fällen. 

Genau auf derfelben Stelle, oder beffer, in demfelben Palaſte, wo das 
mals Alberih Hof hielt, hausten im zweiten Jahrzehnt des eilften Jahr⸗ 
hunderts, nachdem der Name Grafen von Tusculum in allgemeinen Gebrauch, 


. ') Memorie di Torino seconda serie VII, b. 177. 2) Berk III, ©. 328: Albericus 
romanae civitatis monarchiam obtinebat. %) Antiguit. Ital. V, 773. 9) W. Gieſebrecht, 
Ba Geſchichte der deutſchen Raiferzeit I, 818. 


vi. a ⏑ 


Siebtes Buch. Gap. 13. Alberich II. Stellung zu ven Pähften feiner Zeit. Er flirbt. 245 


gefommen, eben diefe Grafen:') ein neuer Fingerzeig, daß die Alberiche und 
die Tusculaner Grafen fi) verhalten wie Haupt und Glieder, wie Ahnherren 
und Enkel, oder daß fie einer und derſelben Sippfhaft angehören. 

Pabft Johann XL und feine vier nächſten Nachfolger find alfo Gefangene 
eined Laienfürften — und zwar eines tyranniſchen — geweien. Dennoch — 
wer jollte e8 glauben — haben diefe fünf Statthalter Petri auf die Reiche der 
Ehriftenheit einen ebenfo ungehinvderten Einfluß geiftlicher Art geübt, als irgend 
frühere Vorgänger. Später fommen in der Kirchengeſchichte Beiſpiele vor, 
dag abendländiiche Nationen Päbften, die unter das Jod von Laien gerathen 
waren, ald Unfreien, ven Gehorſam verfagten: nichts der Art geſchah zwilchen 
930 und 954. Diefe eine Thatſache nöthigt zu dem Schluffe, daß damals 
außerordentlihe Umftände eingetreten jein müflen, welche die von Alberich 
gehandhabte Gewalt innerhalb gewiſſer Schranken zurückhielten, das geijtliche 
Anjehen des Stuhl Petri wahrtn. Wir find im Stande, den Schleier des 
angebeuteten Geheimnifjes zu lüften. 

Unzweifelhaft fe fteht, daß die Firliche Bewegung des eilften Jahr⸗ 
bunderts von den Kloftermauern Clugny's ausging. Wohlan, dafjelbe Stift 
hat ſchon feit 931 mächtig auf die römiſche Kirche eingewirft, iſt durch fein 
jweited Haupt den Päbften während der Gewaltherrjchaft Alberichs IL ſchützend 
zur Seite geftanden. Im Jahr 910 geſchah es, daß unter Mithülfe des 
Herzogs Wilhelm von Aquitanien das Klofter Clugny durd den Abt Berno 
gegründet ward.) In dem Stiftungsbriefe heißt es: „die Mönche follen frei 
und unabhängig von jeder weltlichen over geiftlihen Einmiſchung eines Biſchofs, 
eined Clerikers, eines Könige, Herzogs, Bürften, Grafen, nur dem Stuhle 
Petri unterworfen, für das Wohl aller Ehriften, der Verftorbenen, der Lebens 
den, der Künftigen, arbeiten und den katholiſchen Glauben erhalten.” 

Im Jahre 927, nad) dem Tode Berno's, und von dieſem zum Nach⸗ 
folger und Abte eingefegt, übernahm die Leitung des Stifts der Neuftrier 
Ddo, ein außerorventliher Mann, welcher die neue Clugniacenſer⸗Regel ſchuf, 
der Anftalt ihre ‚Richtung vorzeichnete, und von prophetifchem Geiſte erfüllt, 
Das in der Stille und von Weitem her anbahnte, was Gregor VII. mehr 
ald ein Jahrhundert fpäter ind Werf geſetzt hat. 

Man findet Odo in vielfahen Beziehungen zu Mächtigen feiner Zeit, 
namentlidy zu Hugo, dem Könige Staliend. Meined Erachtens hat der Abt 
die Gunſt des Letzteren hauptſaͤchlich deßhalb gefucht, weil er durd ihn Eins 
gang im Batifan zu gewinnen trachtete, was ihm auch feit 931, dem muth⸗ 
maßlihen Jahre der Bermählung Hugo’d mit Maroca, gelang. Ich gebe 
zunächſt Auszüge aus einer Reihe päbftliher Schreiben. Im März 931, kurz 


sy Dieß ergibt fi aus einer Urkunde vom 23. Mai 1013, abgedruckt bei @alletti del 
restarazio della s. chies. rom. ©. 14. :) Die Belege für dieß und das Folgende bei 


' Gfröger, Kirch. Geſch. III, 1334 fig. 


n 


246 Pabſt Eregorins VIL und fein Zeitalter. 


nach feiner Erhebung auf Petri Stuhl, beftätigt‘) Johann XL auf Bitten 


des Abts Odo, Freiheiten und Beſitz des Kloſters Elugny. Unter dem 25. Juni 


ſpricht?) er demfelben Abt auf Bitten Hugo's, des glorreichften Königs, den 
Beſitz einer Heinen Abtei zu. 

Pabſt Leo VI, Johanns XI. Nachfolger, der Petri Stuhl von 936 
bis 939 einnahm, bekräftigte durch zwei Bullen’) vom Jahre 937, und durch 
eine dritte) ohne Drt und Zahl — in letzterer auf Bitten des glorreichen 
Könige Hugo und feines Sohnes Lothar — dem Abte Odo und deſſen Nach—⸗ 
folgern den Beſitz gewiſſer Landgüter. Durch Bulle‘) vom Januar 938 ges 
währleiftet derjelbe Pabft „auf Bitte des Abts Odo und aus Liebe für die 
Könige Hugo und Lothar” fämmtliche Befigungen und Freiheiten des Stifte 
Elugny. Durd einen weiteren Erlaß°) vom 9. deſſelben Monats und Jahres 
bieß Pabft Leo VII. die neue Regel, welche Abt Odo kaum zuvor im Klofter 
Fleury eingeführt hatte, gut und beftätigte zugleich Fleury's Rechte und Eigen» 
thbum. Wie aus legterer Akte erhellt, beförverte Petri Statthalter eine der 
hervorragenden Beftrebungen des Oberabts von Clugny, welde dahin zielte, 
nicht nur Die eigene Gemeinde, fondern den ganzen Möndftand umzuformen, 
und anderweitige Klöfter unter die Auffiht von Clugny zu ftellen. 

Stephan IX., der auf Leo VIL folgte, fchlug, wie ih unten zeigen 
werde, andere Bahnen ein, als jeine beiden Vorgänger, und fein Beweis liegt 
vor, daß er mit dem Abte von Clugny Verkehr gepflogen hätte. Diefer Pabſt 
ftarb”) im Herbfte 942 faft zu gleicher Zeit?) mit Odo von Clugny. Letzterer 
Todesfall unterbrady auf einige Zeit die Verbindung zwifchen Rom und dem 
burgundiſchen Stifte, aber fpätere Aebte nahmen fie, wie ih am gehörigen 
Drte zeigen werde, erfolgreich wieder auf. 

Nicht blos auf die vorgenannten Päbfte, und auf den König Hugo von 
Stalien, nein auch auf Alberich jelber hat Abt Odo mächtig eingewirkt. Was 
faum wmöglidy fcheint, geichah: der jüngere Sohn Marocia’8, Unterbrüder des 
h. Stuhles, glüdliher Soldat, Tangjähriger Gegenfämpfer Hugo's, ift und 
zwar nicht aus augenblidlicher Laune, jondern ftanphaft und mit Nachdruck, 
als Reformator des Mönchthums aufgetreten. Zwei Gewährsmänner, beide 
gleidy zuverläjfig, beurfunden dieſe Thatſache. 

In barbarifhem Latein erzählz“) Chronift Benedikt, wie Alberich, — 
„vom Geifte Gottes erleuchtet” — eine Menge Klöfter im Kirchenftaate, Die 
durch Einfälle der Saracenen zerftört oder durch Gier ungeredhter Laien ber: 
abgebradht waren, wiederherftellte, Rüdgabe der geraubten Güter erzwang, füı 
Zudt und Ordnung forgte, Kirchen erbaute oder ſchmückte. Aehnliches be: 
sihtet Abt Hugo von Yarfa, erwähnt aber zugleidy einen Dann, der dem 


) Zaffd, regest. Nr. 2744. 5) Ibid. Nr. 2747. 3) Ibid. Mr. 2754 u. 2755 
4) Ibid. Nr. 2764. ®) Ibid. Nr. 2759. 6) Ibid. Nr. 2760. ) Zaffo ©. 316 
9 Perg I, 389. 9) Perg IN, 716. 


ve 
Siebtes Bud. Cap. 13. Alberichs IL. Etellung zu den Paͤbſten feiner Zeit. Er ſtirbt. 247 


Sohne der Marocia bei dem Werke half. „Der glorreihe Fürft von Rom, 
Alberich. fagt er,) „beſchloß, in allen Klöftern feines Gebiets (des Kirchen⸗ 
ſtaats) Regel und Ordnung, die feit den Einfällen der Saracenen gefunfen 
war, wieder aufzurichten. Zu diefem Zwecke berief er aus Gallien den heis 
ligen Abt Odo, der damald dem Stifte Elugny vorftand, erhob ihn zum 
Arhimandriten über alle um Rom gelegenen Klöfter, ja er trat ihm das Haus 
auf dem Aventin ab, in welchem Alberich jelbft geboren war, und das mun 
Abt Ddo zum Sitze einer Mönchögemeinde umjchuf.“ 

Im Folgenden zählt der Ehronift eine Reihe Klöfter in und um Rom 
auf, welde der Abt von Clugny damald umgeftaltete oder new gründete, 
Unter denfelben wird St. Paul,“) wo etwas über hundert Jahre jpäter Hilde⸗ 
brand (Gregor VII) als Abt auftrat, St. Lorenzo außerhalb der Mauern, 
Santa Agnefe an der Numentanifhen Brüde, Farfa im Sabinerland, endlich 
ſelbft das Mutterftift des Benediktinerorvend, MontesBajfino, genaunt. 

Unzweifelhaft Tag dem reformatorischen Eifer des römijchen Zürften ges 
funde politiiche Berechnung zu Grunde: er fühlte, daß er, um den Haß, welder 
ihn wohlverdient wegen Bergewaltigung des Stuhles Petri traf, fo viel als 
möglich zu entwaffnen, und zugleich feine eigene Zukunft zu fihern, nad Außen 
in Sinne eined erleuchteten Pabſts handeln müffe. 

Noch find einzelne Akte der fünf Päbfte aufzuführen, welche während 
der Herrichaft Alberichs Petri Stuhl einnahmen. Nur eine größere Maßs 
regel Johanns XL wird berichte. Der Byzantiner Romanus Lecapenus, 
welcher durch feine Tapferfeit vom gemeinen Soldaten zu den hoͤchſten Würden 
im Etaate fi aufgeſchwungen?) und 919 als Mitregent Eonftantind VL den 
Thron von Eonftantinopel beftiegen hatte, befchloß 933, feinen eigenen Sohn 
Theophylaftus, damals einen jechzehnjährigen Knaben, auf den Patriarchen» 
fuhl ver griechifchen Hauptftadt zu erheben. Da er jedoch gegen die doppelt 
ungeſegliche Maßregel Widerſtand des einheimifchen Clerus befürditete, wandte 
er fi) nach Rom und bewog Pabft Johann XI — Liutprand fagt,*) mittelft 
großer Summen, die Romanus nicht an Johann felbft, fondern an befjen 
Bruder, den Fürften Alberich, bezahlt habe — dem neuen Patriarchen Weihe 
und Pallium zu erteilen. Dem geichah fo: ven 2. Februar 933 ward Theophys 
Iaft durch pähftliche Legaten, die fi in Eonftantinopel eingefunden hatten, ges 
weiht.) Dieſes Berfahren läßt allerdings verfchiedene Deutungen zu, — 
nmab da bylaft nachher feine Würde dur ein ausjchweifendes Leben 
ſthändete. — Gleichwohl ift gewiß, daß Pabſt Johann XI. etwas erreichte, 
was früher und fpäter byzantiniſche Kaiſer und Patriarchen beharrlich vers 


1) Berk XI, 5386. ?) Extra muros auf der Gübfeite der Stadt bei ber Baſilika gleichen 
Namens. 5) Ber II, 307. °) Ibid. ©. 361 gegen unten. 6) Sfrörer, Kirch. 
Gef. III, 307 fig. 


— 


248 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


weigert haben, nämlich die feierliche Anerkennung der geiftlihen Oberhoheit 
des römiichen Stuhls über die anatolifche Kirche. 

Der nächſte Pabft, jener Leo VIL, von dem Flodoard meldet, daß er, 
‚nur mit Gedanken an die Ewigfeit bejchäftigt, wider feinen Willen Petri 
Stuhl beftiegen habe, befräftigte feinen Eifer für Wiederherftelung der Kirchens 

t durch die That. Zwei Bullen zeugen hiefür: vie erfte, ausgeftellt im 

ar 938, ift an den Ahnherrn des capetingifchen Haufed, Hugo der Großen, 
gerichtet,‘) der nad damaliger Sitte zugleih Laienabt ded Martinftifts zu 
Tours war, und befagt: „mit Schmerz habe der h. Vater vernommen, daß 
Beſuche von Weibern in dem genannten Klofter zugelafien würden“. Leo VIL 
befiehlt weiter, dieſem ſchmählichen Mißbrauche Einhalt zu thun und bedroht 
ſowohl die Frauen, welde troß des Verbots das Klofter bejuchen, als die 
Männer, welche fie aufnehmen würden, mit dem Banne. 

Eine noch deutlihere Sprache führt das zweite Schreiben,?) das bie 
Aufichrift trägt an die Metropoliten Wido von yon, Artold von Rheims und 
viele andere Bilchöfe Galliend. Dafjelbe enthält im ingange die Worte: 
„Wir leben in hochgefährlihen Zeiten, die Liebe ift erfaltet und Bosheit hat 
jo überhand genommen, daß die Religion vom Unfraut überwudert wird“: 
um fo dringender fühle der 5. Vater die Pflicht, dem Böfen, fo weit es in 
jeinen Kräften ftehe, entgegen zu arbeiten. Folgt nun eine Beftätigung ver 
verbefierten Zucht, welche der ehrwürdige Abt Odo (von Elugny) neulich im 
Klofter Fleury eingeführt habe. | 

Auch in die politiſchen Ereigniffe feiner Zeit griff Pabft Leo VIL mächtig 
ein, woraus erhellt, daß obiger Satz Flodoards wejentlihen Einfchränfungen 
unterliegt. Ein Elugniacenfer Mönch Johann, Schüler Odo's, hat das Leben 
diefed feines Meifterd und Abts ald Augenzeuge bejchrieben. Derfelbe er, 
zähle”) unter Anderem: „Pabſt Leo berief und (d. h. den Abt fammt dem 
Mönd Johann) nah Stalien, damit wir es verſuchen möchten, eine Aus⸗ 
jöhnung zwiſchen Hugo, dem Könige Italiens, und dem Fürften Alberih von 
Rom zu bewerfftelligen.” Weiter unten heißt es: „da Hugo um jene Zeit 
die Stadt Rom belagerte, reidte der Abt zwiſchen beiden Lagern bin und 
ber, da und dort Verföhnung predigend und Allem aufbietend, die Wuth des 
Königs zu befchwichtigen, und die Stadt zu befreien.“ Ohne Zweifel fpielt 
ber Mönd auf die Ereigniffe des Jahre 936 an, da König Hugo, laut der 
Ausfage Flodoards, dem’ auch Liutprand zuftimmt, Rom belagerte, zulegt aber 
fh zu Abſchluß eines Vertrags verftand, und als Unterpfanb des Friedens 
dem Fürften Alberich feine Tochter Alda zur Gemahlin gab.) Der Zweck, 
wegen befien Leo VIL den Abt nad Italien beſchieden hatte, iſt alſo erreicht 


1) Zaffe Nr. 2758. *) Ibid. Mr. 2762. °) Mabillon, acta ordin. 8. Bened. V, 
165 fl. ©) Oben ©. 204. | 


= 
Siebtes Bach. Gap. 13. Alberichs II. Stellung zu den Päbften feiner Zeit. Er firbt. 949 


worden. Run babe ich bereitd oben darauf hingedeutet, wie unwahrſcheinlich 
es jei, daß der König damals blos Zugeftändniffe machte und nicht auch feiner 
ſeits Vortheile erhielt. 

Die Lücke des Berichts, den die Chroniken erſtatten, wird durch Leo's VII. 
Briefwechſel ausgefüllt. Die Feindſchaft zwiſchen Hugo und dem Markgrafen 
Berngar von JIvrea reichte allem Anſchein nach ſchon in die Zeit der Erhebung 
Leo's VIL, vielleicht noch weiter hinauf, aber zum förmlichen Bruche kam es 
et um 939, da Berngar, wie oben‘) gezeigt worden, nad) Deutfchland bins 
über entfloh, und bei König Dtto erwünjchte Aufnahme fand. Rad dem ges 
wöhnlihen Weltlaufe ift nichts Anderes zu erwarten, als daß Hugo in dem 
Sachen einen Feind fah und auf Maßregeln fanu, einer Einmiſchung deſſelben 
vorzubeugen. 

Das in folden Fällen gewöhnlid angewandte und ficherfte Mittel beftand 
darin, dem Gegner Schwierigfeiten am eigenen Heerde zu bereiten, bie ihn 
hinderten, fei es einen Einfall Berngard zu unterftügen, fei es felber nad) 
Jtalien zu ziehen. Nun eben diefen Dienft hat Fürft Alberih durch fein 
Verfzeug, den Pabit Leo VII, — wie ic glaube ald Gegengabe für dem 
Srieden von 936 — dem Könige Hugo von Italien geleiftet. 

Herzog Arnulf von Baiern, ein alter Widerſacher des fächflihen Hauſes, 
war Mitte Juli 937 mit Tod abgegangen, worauf des Verftorbenen erfige- 
borener Sohn Eberhard, ohne König Dtto J. zu befragen, das erledigte Herzog. 
thum an fih riß.”) Dieſe That war jo viel als offene Empörung gegen 
die Krone und dabei ein gewagtes Unternehmen: denn auf Seiten des Könige 
fanden die meiften Bilchöfe Baiernd, namentlih der Metropolit von Salzburg. 
Wenn Herzog Eberhard wider dieje vorausfihtlien Verbündeten des Hofs 
kinen Anhang unter dem übrigen hohen Elerus jeined Landes gewann, ſchien 
er verloren. 

Sn der That warf der Herzog feine Augen auf den Biſchof Gerhard 
von Paſſau⸗Lorch, der längft, Salzburg zu Trog, nad der Metropolitanwürde 
frebte und für den Preis der Befriedigung feines Wunſches den Künften 
berzoglicher Verführung freien Epielraum verhieß: Eberhard gewann wirklich 
den Pafjauer und zwar mit Hülfe des Pabſtes. Zwei Bullen fommen in 
Betracht, die beide kein Jahr tragen und deren Zeit daher im Allgemeinen 
me dahin befiimmt werben kann, daß fie zwiſchen die zweite Hälfte des 
Jahre, 037, da Eberhard Herzog in Baiern wurde und zwiſchen 939 als dem 
Todes ſaͤhre des Mabftes fallen. 

Die erſte,) an. den Erzbiſchof Gerhard von Paſſau⸗Lorch gerichtet, 
beehrt denſelben mit dem Palium und zugleih mit einer Anweiſung, viefes 


)@.213f. °) Die Belege aus ben Quellen bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. W, 1204 fig. 
| ) Jafs Ar. 27857. 


250 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Unserpfand erzbifchöflicher Würde auf kanoniſche Weiſe anzuwenden. Die 
zweite‘) bat die Ueberſchrift an die Biſchöfe Egilolf von Sakburg, ſowie 
an gewifle andere bairifhe, alamaniſche, lothringiſche Kirchenhäupter, und 
handelt zunächft von verjchiedenen fchweren Mißbräuchen, wie 5. B. der Priefter- 

, die laut dem Berichte des Erzbiſchofs Gerhard, der neulih Rom beſucht 

‚ in Baiern eingeriffen feien. Dann kündigt der Pabft den zu Eingang 
genannten Bilchöfen an, daß er hiemit Gerhard zum apoflolifchen Stellver 
„treter für Germanien ernenne, und fließt endlich mit der Bemerfung: Herzog 
"Eberhard von Baiern fei beauftragt, diefe Anordnung in Vollzug zu fegen. 

Handgreiflih erhellt aus letzterem Sage, daß der Pabft zu Gunften des 
batrifchen Herzogs eine Maßregel getroffen bat, welche vie feit Carls des 
Großen Tagen beftchende Metropolitanhohelt Salzburgs umſtieß. Nur durch 
Alberich II. gezwungen, der feinerfeitö Verbindlichfeiten gegen König Hugo von 
Stalien, den Feind Berngard und feined Beſchützers Dtto erfüllen mußte, kann 
Leo VII. einen folhen Schritt gethan haben. 

BVerbält fih die Sache in Wahrheit fo, dann ift anzunehmen, daß König 
Dtto von Nun an Borjorge traf, der Wiederholung ähnlicher Schläge von 
römifcher Seite her vorzubeugen. Der Erfolg entfpricht diefer Vorausſetzung. 
Pabſt Leo VIL ftarb?) um die Mitte des Jahre 939. Zwei Zeugen, Martin 
der Pole, der, obgleich verhältnigmäßig jung, häufig aus guten, für uns vers 
lornen Quellen jchöpfte, und ein altes Pabſibuch, das Cardinal Barontus 
benüste, jagen’) aud, der Nachfolger Leo's VII, Stephan IX, ſei durch den 
Einfluß des deutichen Könige Dito I. auf Petri Stuhl erhoben worden. 

Kaum Iäßt fi denken, daß diefe Nachricht, welche beim erften Anblick faft 
unmöglich erfcheint, grundlos oder erdichtet fei: ich halte ed für widerfinnig, 
fie zurückzuweiſen. Nun war damals allerdings Otto nirgends Herr über 
den Alpen, weder im obern, noch im mittleren Stalien, wohl aber bejaß er 
ein Mittel, mit dem man in weite Ferne und ficher wirfen kann, nämlich 
Geld. Der goldne Schlüffel wird, denfe ich, von ihm angewandt worden jein. 
Wirklich bewies der neue Pabft während feiner furzen Amtsführung eine 
merfliche Ergebenheit für König Dtto I. und feine Plane, obgleich er mitunter 
auch entgegengefegten Antrieben folgte. Letzteres ift jedech im der Ordnung; bei 
der Unficherheit feiner Lage mußte Stephan IX. auf die Stimme Vieler hören. 

Seit den letzten Zeiten Carls des Einfältigen berichte im Reiche Reufter 
gräuliche Verwirrung. Graf Heribert von Vermandois, ein agbändigerBnfalle, 
hatte erzwungen, daß fein Sohn Hugo, ein fünfjähriger Knabe, 925 nad dem 
Tode des Metropoliten Seulf zum Erzbiſchof von Rheims gewählt werben 
mußte.) Später wandte ſich derſelbe nach Rom an den damaligen Pabft 


4) Ibid. Nr. 2767. 2) Yafls, regest. ©. 816. 2) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. 
” Gef. MI, 1207. ) Ebenfo ©. 1208 fig. und Bd. III. vorliegenden Werke, 145. 


Siebtes Buch. Cap. 13. Alberichs II. Stellung zu den Päbften feiner Zeit. Er ſtirbt. 251 


Johann X., um Beftätigung der Wahl bittend, weldhe Johann X. wirklich 
gewährte, jedoch die Bedingung beifügend, daß bis zur Volljährigkeit des 
Knaben ein tüchtiger Stellvertreter dad Erzbisthum verwalte. inige Jahre 
jpäter, 931, zerfiel Heribert mit dem Gegenfönige Carls des Einfältigen, mit 
Rudolf von Burgund, welcher Rheims eroberte, die Wahl des Knaben Hugo 
umftieß und einen Mönd Artold zum Metropoliten wählen ließ, welche Wahl 
dann Pabft Johann XI. gleichfalls beſtätigte. Es gab alſo jetzt zwei von 
Rom anerfannte Rheimfer Erzbifchöfe, und in Kurzem wurde diefer Zwieſpalt 
um Angelpunkt, um den fich die politischen Geſchicke Neuftriens drehten. 

Nach dem Tode Rudolf von Burgund beriefen die neuftriichen Reichs⸗ 
tände den Sohn Carls des Einfältigen, Ludwig, ber fi mit feiner Mutter 
nah England geflüchtet hatte und von diefem Aufenthalt den Beinamen des 
leberfeeiichen erhielt, nach Frankreich herüber und festen ihm die Krone auf. 
Da aber der neue König fofort die Abficht an den Tag legte, felber zu herrichen 
und den Raden der trogigen Bajallen zu beugen, gerieth er in Streit mit 
dem hohen Adel Neuftriend, namentlich mit Heribert von Vermandois und 
mit dem Ahnherrn der Gapetinger, Herzog Hugo von Francien, welche fidh 
mit einander gegen die Krone verbanden. 

Ludwig erfannte blos Artold als Erzbifchof von Rheims an und verwarf 
vie Wahl des Knaben, welche der Vater mit aller Macht zu vertheidigen forts 
fuhr. Deßhalb fchleuderte Artold, auf des Könige geheimes Betreiben, ben 
Dann gegen Heribert, und ward von Ludwig für diefen gefährlichen Dienſt 
belohnt. Allein ſeitdem trieben die verſchwornen Barone den Ueberſeeiſchen fo 
in die Enge, daß er fid dem deutſchen Herricher Otto I. in die Arme werfen 
mußte. Der Sachſe, entichloffen, Frankreich durch innere Spaltungen zu unters 
jochen, beutete in dieſem Sinne die Verlegenheiten des Nachbars aus und gab 
ihm als Unterpfand der Abhängigkeit im Jahre 939 feine Schwehter Gerberga 
um Weibe. ') 

So ftanden die Dinge in Franfreih, als Stephan IX. dad Pabftthum 
erlangte. Unverweilt warb er In die Rheimjer Händel bineingezogen und 
imar in zwei entgegengefeßten Richtungen. Bon Heribert beftürmt und vielleicht 
durch Alberich gezwungen, den jener mit Geld gewonnen baben mag, über⸗ 
ſchickte?) Stephan 942 das Pallium an Hugo, Heridertd Sohn. Dieſer Mitt 
enthielt eine förmliche Anerkennung der 925 erfolgten Wahl und war ohne 
frage gegen den König Ludwig den Ueberſeeiſchen und feinen veutichen Schuß» 
bern Otto L gerichtet. 

Allein zur nämlichen Zeit traf Stephan zu Gunften Ludwigs und folglich 
mittelbar für WE Abſichten des deutſchen Hofes eine kühne Anordnung. In 
mei Bullen bedrohte er nämlich ſaͤmmtliche Große Neuſtriens mit dem Banne, 


9 Daf. S. 1211. *) Perh II, 389. 


252 Pabſt Sregorins .VIL und fein Zeitalter. 


wenn fie fi nicht ungefäumt ihrem Könige Ludwig unterwerfen, und inner 
halb kurzer Friſt eine Geſandſchaft nad Rom fchiden würden, welche mit ven 
nöthigen Vollmachten verjehen jei, um dort den Streit beigulegen. . Meines 
Erachtens wollte der Pabft durch einen Vermittlungsaft, der jedem Theile ein 
Zugeflänpniß einräumte, die Partheien verföhnen, doch fruchtete die Maßregel 
nichts: der Kampf dauerte in Neuftrien for. Kurz darauf muß das Ges 
heimniß, daß Pabft Stephan mit dem deutichen Hofe in Verbindung ſtehe, 
verratben worben fein. Die Duelle, welche Baronius benützte und auch Martin 
der Pole melden, Stephan fei auf Anftiften Alberih6 von römiichen Empö- 
tern jo graujam verſtümmelt worben, daß er nicht mehr wagen fonnte, fid 
öffentlich zu zeigen. Pabſt Stephan IX. farb im Herbfte 942. 

Diefe Thatſachen find nicht der einzige Beleg dafür, daß König Dito I. 
um jene Zeit in Italien verborgened Spiel trieb. Wiederholt habe ich auf 
die Schrift von der Gewalt der Kaiſer über Rom bingewiefen, veren Bers 
fafjer man nicht fennt. Sie erregte feit ihrem Erfcheinen mehr ald gewöhn- 
liches Aufiehen, denn noch im Laufe des zehnten Jahrhunderts haben fie nicht 
wur ein Ehronift, Mönd Benedikt aus dem Klofter auf dem SoraftesBerg, 
fondern auch ein deuticher Kalfer — Otto III. und zwar letzterer in aufs 
fallender Weile — ausgejchrieben oder ald Zeugen aufgeführt.) Wie ich 
früher bemerkte, ift fie allen Anzeigen nad um die Mitte des zehnten Jahr⸗ 

t8- and Licht getreten, und nur Dtto I. kann es geweſen fein, der den 
—— Urheber zum Schreiben bewog, um die öffentliche, Meinung für 
den Plan der Wiederherftellung des Kaiſerthums zu gewinnen. 

Auf Stephan IX. folgte Marinus IL, welcher Petri Stuhl vier Jahre bis 
gegen den Aprilmonat 946 einnahm. Die von Baronius benügte alte Quelle 
berichtet, ) Marinus habe, zurüdgezogen von den Welthändeln, nur mit geift- 
lihen Dingen, mit Berbefjerung der Kirhenzudt, mit Ermahnungen zum 
Frieden ſich befchäftigt. Die vorhandenen Akten des Pabſts gewähren ein 
Bild, das nur zum Theil im Einflange mit diefer Ausfage ſteht. Sechs von 
den gefammelten Bullen des Marinus beftätigen?) den Befig Firchlicher Anftalten; 
eine. fiebte bedroht den Biſchof Sico von Capua mit dem Banne, weil er bie 
Regeln kirchlicher Zudt verlegt hatte; aber durch eine achte griff Marinus 
tief In die großen Angelegenheiten des Abendlands ein. Mittelſt Erlaſſes) 
vorne Jahre 946, dem legten ſeines Lebens, beftellte er nämlich den Erzbifchof 
Friedrih von Mainz zum apoftoliichen Stellvertreter und Legaten für ganz 
Bermanien mit dem anßerordentlihen Vorrechte, jeden, wer es auch ſei — 
d b. felbſt den König — der vom Pfade der Gerechtigkeit abweiche, zu 






ı) Mau vergl. Jahrbücher des beutfchen Reichs IL, b. 233 fig. 3 Gfrorer, Kirch. 
Geſch. II, 1200. *) Jafféô Mr. 2774-2779. ) Ibid. Nr. 2782. | 


Siebtes Buch. Gap. 13. Ulberichs IL. Stellung zu den Päbfen feiner Zeit. Er ſirbt. 233 


warnen, zu ftrafen, vor Gericht zu laden, und zu dieſem Zwecke aus eigener 
Nachtvollkommenheit Synoden zu verfammeln. 

Dieſer Erzbiſchof Friedrich ift, fo Tange er lebte, ven ehrflchtigen Planen 
des Sachſen Otto unerfchütterlich entgegengetreten. Brauch’ ich noch zu fagen, 
daß die letztgenannte Bulle trefflih zu Dem flimmt, was obige Quellen über 
ven Borgänger des Marinus melden! Nachdem Pabft Stephan IX. für feine 
Hingebung an den deutſchen Hof mit dem Tode gebüßt hatte, blieb dem Rad» 
folger feine andere Wahl übrig, als fich entweder auf dad Amt der Predigt 
m beichränfen — vestigia terrent —, oder doch, wenn er in den Welthäns 
deln mitfprechen wollte, gegen den König Dtto I. zu vwirfen. 

Der nächfte Pabſt, Agapetus II., gleich nad dem Tode des Marinus 
im April 946 geweiht,‘ handelte wieder unter deutſchem Einfluß, doc nicht 
ohne Schwanfungen, welche das Werk Alberich8 IT. geweſen fein müflen. Mit 
Gewalt hatte Heribert von Vermandois feinen Sohn Hugo zu Rheims eins 
giebt. Nach dem Tod des Erfteren verfuchte es König Ludwig 943, Rheims 
m erobern und den Sohn des Berftorbenen zu vertreiben, warb aber zurüds. 
geichlagen. Seht rief der Neuftrier den deutfchen König Dtto zu Hülfe, der 946 
mit Heeresmadht in Frankreich einbrach, Rheims belagerte und erftürmte, Hugo 
verjagte, und Artold ftatt feiner auf den erzbifchöflihen Stuhl erhob. 

Kurz vor diefer Belagerung, oder während derſelben geihah es, daß 
Pabſt Agapet an die Erzbifchöfe Friederih von Mainz und Robert von Trier 
in Schreiben erließ, Fraft deſſen er fie ermächtigte, Artold einzufegen. REG 
ber Eroberung von Rheims und nach erfolgter Erhebung Artolds lud Robert 
von Trier den vertriebenen Hugo vor eine Synode nady Verdun. Der Gelas 
dene erfchien nicht, fondern wandte fih nah Rom an den Pabſt, Dafjelbe that 
aber auch die Parthei Artolds, und merkwürdiger Weife fanden beide Theile 
Gehör, obgleich fie Entgegengefegtes verlangten. Agapet erließ an Hugo eine 
Bulle, Eraft welcher er ihn für den rechtmäßigen Erzbifhof von Rheims er, 
ffärte. Allein zu gleicher Zeit richtete derſelbe Pabft an die Feinde und Freunde 
des überſeeiſchen Ludwig Schreiben, in welchen er erflere mit dem Banne bes 
drohte, Die letzteren zur Beftändigfeit in der Treue ermahnte. Der Pabft ging 
noch weiter: er fchidte 948 den Bilhof von Bomarzo, Marinus, feinen Bis 
biothefar,”) über die Alpen, um die Streitfache zwiichen Hugo und Artold — 
im Einflange mit dem deutfhen Könige Dito — von Neuem gu 
unterfuchen und kraft apoftolifcher Vollmacht zu entfcheiden. - 

Diefe verſchiedenen Akte”) des Pabſts widerfprechen fi fo fchnurgerabe, 
dag nur eine Erklärung möglich iſt, nämlich die: durch fremde Gewalt, durch 
Alberich IL namlich⸗ ſei Agapet zu Dem gezwungen worden, was er zu Gunſten 


1) Daſ. ©. 318. Daſ. ©. 317 unten. 2) Daf. Nr. 2783. 2788 — 90. 
2296. 2797. 


254 Pabſt Gregorins VIL. und fein Zeitalter. 


Hugo's verfügte Denn daß er perfönlih auf die deutſche Seite hinüber 
neigte, alfo Artoldo Sache bevorzugte, erhellt aus dem Erfolge. Der römiice 
Legat Marinus berief in der Angelegenheit des neuftrifhen Metropoliten 
Hugo nad der deutſchen Stadt Ingelheim 948 eine Synode, auf welder 
Artold vollſtaͤndigen Sieg errang. Außer vielen deutſchen und etlichen frans 
zöfiſchen Kirchenhäuptern erfchienen daſelbſt die beiden Könige von Deutſchland 
und Neuftrien, Otto L und Ludwig der Ueberfeeifche. Letzterer fpielte bei dieſer 
Gelegenheit eine Fläglihe Rolle, als Bafall der deutfchen Krone fland er vor 
der Welt da, aud war es ein deutſches Heer, das bie Beſchlüſſe von Ingels 
heim vollzog und mit Waffengewalt den Ueberſeeiſchen in fein Reich zurüd- 
führte. Pabſt Agapetus aber hat 949 auf einer römijchen Kirchenverfammlung 
Alles, was zu Ingelheim geichehen, beftätigt.') 

Ebenfo willig wie jenſeits des Rheines förderte der Pabft Otto's L Ab⸗ 
fihten im eigentlichen Deutfchland. Man erinnere fi, daß der deutſche König 
945, uach dem Tode des Arnulfiven Berthold, feinen eigenen Bruder Heinric 
zum Herzoge in Baiern eingefegt hatte: aber der ganze Volksſtamm, auch der 
Glerus, widerfirebte dem aufgenrungenen Sachen.) Namentlich muß Erz: 
biſchof Herold von Salzburg ein Gegner des neuen Herzogs gewefen fein, 
denn biefer ließ ihm 954, nach Bezwingung des früher erwähnten großen Aufs 
ſtands, beide Augen ausftehen.?) König Dtto wandte firdlihe Mittel an, 
um den Salzburger tn Butem zu beſchwichtigen. Die befondere Gunft des 
es genoß um jene Zeit Abt Hadamar von Fuld, der als Tobfeind des 
@inzer Erzbifchofs Friedrich bezeichnet wird.) Diefen fandte Dito nad 
Rom, und fiche Abt Hadamar brachte 948 eine an den Erzbiihof Gerhard 
von Paſſau⸗Lorch gerichtete Bulle’) zurüd, kraft welcher Pabft Agapet II. 
den oben beichriebenen Erlaß feines Borgängerd Leo VII. dahin abänderte, 
daß hinfort die Metropolitanhobeit zwiſchen Salzburg und Paſſau getheilt 
fein, das weftlihe Pannonien, Slavien, Mähren und Avarenland unter dem 
Stuhle zu Paſſau ftehen, das eigentlihe Baiern unter Salzburg verblei: 
ben follte. 

Ein Stillſtand trat in der Dienfifertigfeit des Pabſts gegenüber dem 
beutichen Hofe mit dem Jahre 951 ein, da Otto I. den erften Zug nad) Lom⸗ 
bafdien unternahm. Wie oben gezeigt worden, verbat fih Agapet den zuges 
dachten Beſuch des Königs in Rom: ohne Zweifel hat er dieß von Alberich 
gezwungen gethaͤn. Gleſch nachher kehrte das alte gute Einvernehmen zurüd. 
Durch Bulle*) vom Jahre 955 ertheilte Agapet dem neuen Erzbifchofe Wilhelm 
. von Mainz viefelben außerorventlihen Vorrechte, welche Marinus 946 dem 
Borgänger Wilhelms, Sriederich, verliehen hatte. Wilhelm wqr, wie wir willen, 









1) Sfrörer, Kirch Weich. III, 1212 fig. 2) Daf. ©. 1222 fig. 3) Dal. S. 1234. 
8) Daf. ©. 1224. 0) Jaffé Mr. 2795. ) Ibid. Nr. 2815. 


Siebtes Bud. Gap. 13. Alberichs II. Stellung zu den Pabſten feiner Zeit. Er ſtirbt. 95% 


bes Könige Baſtard und — williges Werkzeug. Die Bulle von 955 lief daher 
auf Das Gegentheil von Dem hinaus, was 10 Jahre früher Marinus beab- 
ſichtigte. Agapet that noch mehr für Otto: durch einen Erlaß,‘) der wohl in 
feine legten Zeiten fällt, gab er dem deutichen Herrfcher Vollmacht, Bisthlimer 
m ordnen, wo und wie es ihm beliebe. Nie hat ein anderer germantfcher 
König oder Kaiſer von einem Pabfte ein ſolches Zugeftänpniß erlangt. Zus 
nächft bezog fih wohl die Urkunde auf die neuen Bisthümer an der Slaven⸗ 
gränze, wie Magdeburg, Zeiz, Meißen, Merfeburg, welche Dtto um jene Zeit 
u errichten gedachte und nachher wirflich errichtet hat. Aber die Worte find 
ſo geftellt, daß Otto auch mit den alten, längft beftehenden Bisthümern des 
Reihe nah Belieben fchalten Fonnte. 

Unglaublih ift es, daß Pabft Agapet dem deutfchen Könige fo unerhörte 
Befälligfeiten ohne entſprechende Gegenleiftungen erwiefen haben follte. Irgend 
ein großer Plan muß im Werke gewefen fein, zu deſſen Unterftügung ſich der 
veutfche König verpflichtet hatte: man kann nur an die Befreiung Roms und 
des h. Stuhles vom Joche Alberichs denken. In der That gingen zu Rom 
um 954 Dinge vor, durch welche diefe Vorausſetzung beftätigt wird. Leiber 
fennen wir fle blos durd die Ausfage des Mönche Benedikt, der jo bar⸗ 
bariſch ſchreibt, daß es oft ſchwer wird, den Sinn feiner Worte zu errathen. 

Derfelde erzählt: „die Biſchöͤfe Marinus — von Bomarzo, des Pabſtes 
Bibliothekar, und Benedikt, ſowie viele andere Römer, zettelten eine Verſchwoͤ⸗ 
rung an zu dem Iwede, ven Fürften Alberich zu ermorden. Selbft mehrere ber 
Schweftern des Fürften waren im Geheimniffe, aber eine verrieth den Plan 
ihrem Bruder, worauf Alberich die Schufdigen ergreifen, die Einen in Kerker 
werfen, Andere durch den Henker auspeitichen, wieder Andere enthaupten ließ.“ 
Den Pabft nennt ver Chronift nicht ald Genoſſen der Verſchwörung. Ras 
türlih! große Herren greifen in folchen Fällen nicht perjönlih ein, ſondern 
Ihieben Diener voran. Allein die enge Verbindung, in welder Agapet mit 
dem Haupte der Verfchiworenen, feinem Bibliothefar und Bertrauten Marinus 
fand, berechtigt zu der Annahme, daß er dem Plane nicht fremd geweſen fel. 
Dieß zugegeben, muß man den Schluß ziehen, daß fih der Pabſt nicht ohne 
Zufagen mächtiger Hilfe in ein fo gefährliches Unternehmen eingelaffen hat. 
Sicherlich find Verabredungen mit dem deutſchen Hofe getroffen worden: wäre 
ver Streich gegen Alberich gelungen, fo winde, denke ich, Mgapet unverweilt 
ven Sachen nad Rom gerufen haben. 

Rod, eine zweite Thatfache theilt der Chronift mit. „Alberich,“ jagt er, 
hatte bis dahin nur mit Kebſen gelebt, deren eine ihm feinen einzigen Sohn 
und Nachfolger Octavian gebar, aber etwa zur Zeit der oben geſchilderten 
Verſchwörung befchloß er, um die Hand einer Tochter des kaiſerlichen Hauſes 


') Ibid. Mr. 2820. ) Berk III, 717. 


256 Vabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


von Eonftantinopel zu freien, und fchidte zu dieſem Zwede an den byzantinifchen 
Hof eine Geſandiſchaft, welche dort günftiges Gehör fand. Schon waren alle 
Vorbereitungen für die nahe Vermählung beendigt, fchon der weibliche Hofftaat 
für die Künftige, beftehend aus den ebelften Jungfrauen Roms und des nahen 
Sabinerlands"), eingerichtet, als eine jähe Krankheit den Fürſten wegraffte.“ 

Mönd Benedikt weiß nichts von Alta, der Tochter des Könige Hugo, 
welche Niberih laut dem Zeugniffe Flodoards um 936 ehelichte. Dennoch 
glaube ih, daß er die Wahrheit jagt. Alta fann 954 verftorben geweſen 
fein, ebenſo möglich ift, daß fie Alberich, feit der Streit mit ihrem Bater 
wieder ausbrah und immer bitterer wurde, im Unmuthe verftoßen hatte. 
Mit dem Mönche halte ih Octavian für den Sohn einer Kebfe. Bel ber 
ſchwierigen Stellung, in welche Alberih durch den Widerftand des Pabſtes 
Agapetus und die Umtriebe des deutſchen Königs gerieth, fuchte er fi durch 
eine griechifche Heirath zu flärfen: er ahmte hierin fremdes Beiſpiel nad). 
Faſt alle Machthaber, die im Laufe des zehnten Jahrhunderts über Italien 
berrichten, König Hugo, deſſen Sohn Lothar, dann der Gegner diefer beiden, 
Berngar von Joreaq, endlich Alberich, haben in Eonftantinopel eine Stüge geſucht. 

Man ficht, die Gewaltherrfchaft des tusculanifhen Haufe über Rom 
war um 954 erjchüttert, dieweil das alte Streben des römifdhen @lerus nad) 
Unabhängigkeit fort und fort wirfte, und almählig Alberichs IL Stellung, wie 
Waffertropfen den Stein aushöhlen, untergrub. Doc, treten merkliche Früchte 
diefer Einflüfle erft Furz vor dem Tode Alberichs und unmittelbar nachher 
hervor. Keine Spur zeigt fi, daß die Päbfte, weldhe von 931—946 Petri 
Stuhl einnahmen, alfo Johann XI., Leo VII, Stephan IX., Marinus II. 
jelbftändig Verfügungen über römiſches Kirchenvermögen getroffen hätten. Auch 
von den früheren Jahren Agapets IL. gilt dieß. in wohlunterrichteter Zeits 
genofje,?) jener Abt, der dad Leben des von Otto I. nad) Cordova gefandten 
Goͤrzer Möndhe Johann beichrieb, erzählt: „Pabft Agapet hat um 950 den 
Entſchluß gefaßt, das Klofter St. Paul mit Hilfe des Fürften Alberich 
berzuftellen” —. Der Berfaffer nennt, gleich andern Quellen, bei diefer Gelegenheit 
Alberih einen König. Agapet fonnte alfo ohne Einwilligung Alberichs feine 
tirlihe Ausgabe machen. Allein gegen 954 trat eine Aenverung ein. 

Als Zeugen elle‘) ic) abermal eine Münze — die zweite und jüngere 
unter den beiden vorhandenen: auf der Borberfeite ſieht man die Umfchrift 
Alderih, innen das Monogramm St. Peters, auf der Rüdfeite das Bild des 
Pabfled Agapetus, gefhmüdt mit dem Ecepter in Kreuzesform und mit den 
Schlüffeln des Himmels. Die Umſchrift lautet Agapetus papa. Als dieſe 
Münze geichlagen ward, hatte Pabft Agapetus offenbar eine gleichberechtigte 


2) Deutlich tritt Hier hervor, daß Alberich Herr im Sabinum war. 2) Berk IV, 352. 
5) Memorie di Torino seconda ser. VII, b. 177. 


Siebtes Buch. Gap. 13. Alberichs II. Stellung zu ven Päbſten feiner Zeit. Er ſtirbt. 257 


Stellung neben Alberih errungen. Bald darauf handelte ebenderſelbe ale 
yerr des Patrimoniums Petri. Das Bruchſtück einer Urkunde‘) liegt vor, 
taft welcher Agapet mit einem Ungenannten einen Pachtvertrag über die 
Jurg Eivitella ſammt Zubehör fowie über einen Tiberhafen abichloß. ine 
eitbeftimmung ift nicht beigefügt, meined Erachtens fällt die Urkunde in die 
eit nad dem Tode NAlberiche. 

Alberichs fcharffichtiger Geift durchichaute Die wahre Lage der Dinge: er 
griff außerordentliche Maßregeln, um die bevrohte Zukunft feines Sohnes zu 
bern. Doc erftattet der einzige vorhandene Zeuge, Mönch Benedikt, von den- 
(ben einen nur unvollftändigen Bericht, wenn er erzählt:”) „als der Fürft 
on Rom fein Ende nahe fühlte, befchied er die Adeligen Roms vor fein Lager und 
ahm ihnen einen Eid ab, daß fie nach Agapetd Tod feinen Sohn und Erben 
Xtavian zum Pabite wählen würden.” Ich werde unten zeigen, daß Alberich 
ir den gleichen Zwed noch andere, Fräftigere Hebel in Bewegung gefegt bat. 

Dhne Frage gehört diefer Römer zu den ausgezeichneten Männern des 
hinten Jahrhundert, Schließlih habe ih noch einen wichtigen Punft aus 
en Anfängen feiner öffentlichen Wirffamfeit aufzuhellen. Alberichs politifche 
tolle begann damit, daß er — damals ein Jüngling — feinen Stiefoater 
jugo, den anerkannten König Italiens, aus Rom vertrieb und fich felber 
m Herrn der Stadt und des Kirchenſtaats aufwarf. Gewiß war dieß ein 
hwieriged Unternehmen, da Alberich nicht nur den aufgedrungenen Provens 
len, jondern audy die eigene Mutter — ein fürdhterliches Weib — bekämpfen 
ußte.e Mag der junge Fürft noch fo viel Beſitzungen von feinem gleich⸗ 
migen Bater geerbt haben: ein ſolches Werk Eonnte er blos mit Hülfe einer 
ößeren fremden Macht vollbringen. 

Mehrfach wurde oben angedeutet, daß die Baſileis des Oſtens um jene 
it ihre Hände in die inneren Angelegenheiten Jtaliend miſchten. Wenn je 
nft hatten viefefben guten Grund, gegen die Heirath Hugo's mit Marocia 
wufchreiten; denn wäre ed dem Provenzalen gelungen, durch Befeftigung 
ner Herrſchaft über Rom die Krone Staliend zu einer vollen Wahrheit 

maden, jo würden in Kurzem die byzantinischen Beflgungen im Süden 
r Halbinfel ſchlimm bedroht geweien fein. Ju folhen Fällen brauchte der 
iechiſche Hof ftatt eiferner Waffen gewöhnlih den goldenen Schlüſſel, 
ährend andererſeits eben dieſer Hebel vorzugsweife geeignet war, den 
ngen Alberih in Stand zu feben, daß er das verrichten konnte, was 
wirklich that, nämlich daß er eine Parthei unter den Römern zu werben 
mochte, mit deren Beiftand er den Stiefvater, Rom zu räumen, ges 


üthigt hat. 


1) Zaffe Nr. 2814. ) Pers II. 717. 
Ofrörer, Vabſt Bregorius vi DB. V. 17 


258 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Mohlan! Belege find vorhanden, Taut welchen zwiſchen 932 und 933 
viel griechiſches Gold nah Rom wanderte. Die Vertreibung Hugo's aus 
Nom fat) an das Ende des Jahres 932 oder in den Anfang des folgenden. 
Genau um diefelbe Zeit ſchwebten ebentafelbft Die wegen Erhebung des kaiſer⸗ 
lihen Prinzen Theophylaftus auf den Patriarchenftuhl des Oſtens eingeleiteten 
Unterhantlungen, in Bolge welcher Baſileus Romanus Lecapenus für Die pähft- 
liche Anerkennung feines Sohns eine fehr große Summe — und zwar laut 
der Ausfage?) Liutprands nicht an den Pabſt, fondern an deſſen Stiefbruber, 
den Fürſten Alberih II., entrichtet... Ohne Zweifel war es dieſe Zahlung, 
welche dem jungen Tusculaner die nöthigen Mittel lieferte, um ven italie 
nifhen König aus der Weltmetropole zu verdrängen und mit Erfolg den Krieg 
wider ihn zu eröffnen. Seitdem blieb Alberih II. in gutem Einvernehmen 
mit dem byzantinischen Hofe. Beweis dafür die Heirathsanträge, die er um 
953 zu Conftantinopel ftellte; denn regierende Häupter thun Dinge der Art 
nie, wenn fie nicht der geneigten Gefinnung des andern Theils verfichert find. 

Auch an einem griechiſchen Zeugniffe regen Verkehrs zwiſchen Rom un 
Gonftantinopel fehlt ed nicht. Baſileus Conftantin der Purpurgeborne , der 
von 911 bis 959, meift unter Vormundſchaft des obgenannten Romanus 
Lecapenus, am Bosporus thronte — cin gar faumfeliger Herr, hat, auf dem 
Throne fchriftftellernd, ein weitläuftiges Buch binterlaffen, das von den Ger 
bräuden und der Ordnung des byzantinifchen Hofes handelt, und, obmohl an 
fi geiftlos, in gefchichtliher Hinficht ein ınerfwürdiges Denfmal ift, weil « 
Aufihluß über die geheime Politif des Oftreihe gibt. Das Buch enthält 
unter Anderem die Titulaturen der meiften Fleinen und großen Gewalthaber 
des Oſtens und Weſtens, mit welchen die Bafileis Verbindungen unterhielten. 
Eine Stelle’) Tautet fo: „die Faiferlihen Schreiben, welde an den Fürſten 
von Rom ausgehen, werben mit einem Golpfiegel, zwei Solidi ſchwer, ver: 
fehen. Die Ueberfchrift ift: Konftantinus und Romanus, bie großmächtigften 
Kaifer der Römer in Ehriftus, dem Gotte, an den viel berühmten Fürften 
von Rom." Nothwendig bezieht ſich dieß auf Alberih, denn nur er war und 
bieß Fürft von Rom. Hätte nun der byzantiniſche Hof nicht häufige Schreiben 
mit ihm gewechjelt, jo würbe Alberich's Titel gewiß nicht in dem Ceremonial- 
buche des Purpurgebomen vorkommen. 

Nah Eonftantind Tode — unter dem deutichen Kalfer Otto I. um 
feinen Nachfolgern — treten Wechfelbeziehungen zwiſchen Conftantinopel und 
Stalien immer deutliher — nicht felten in gewaltfamer Welfe — hervor, vorerft 


1) Oben ©. 201. 2?) Daf. ©. 247. ?) Constantinus Porphyrogen. opp. editio 
bonnens. I, 689: eis zöv nolyxıy 'Pauns. Kuvsavıivos xal Pouavös — zupüs Tor 
Ivdokoreroy' nolyxına ‘Pouns. 


Siebtes Bud. Cap. 14. Alberichs TI. Sohn wird Pabſt. Otto's I. Römerzug von 961. 250 


aber möge das Gefagte genügen, um gewiffe Ereigniffe, bezüglich deren ich 
oben?) genauere Aufklärung verhieß, in's gehörige Licht zu ftellen. 

Alberih ftarb?) im Laufe des Jahres 954. Pabſt Agapet überlebte") ihn 
etwa um ein Sahr: fein Tod Fällt in den November 955. Beiläufig fol 
noch bemerft werden, daß Agapet die Verbindung des Stuhles Petri mit 
Clugny, die — fo weit Die vorhandenen Quellen reihen — unter den Päbften 
Stephan IX. und Marinus IT. abgebrochen geweſen war, wieder anfnüpfte. Auf 
Abt Odo, der wie ich früher zeigte, 942 ftarb, war Aimardus gefolgt.) 
Entfpredhend der Bitte dieſes Aimardus, beftätigte Agapet durd Bulle’) vom 
März 949 Güter und Rechte des Stifts Clugny. 


Bierzehntes Capitel. 


Rathſelhafter Zug, den Otto's L Sohn aus erfler Ehe, Liubolf der abgefehte Herzog von 
Schwaben, 956 nach Italien antritt. Geheime Gründe deflelben. Nachdem Agapet im 
Spätherbfte 955 mit Tod abgegangen war, warb Octavian, bes verftorbenen Alberichs IT. 
einziger Sohn und Erbe, ein verzogener Prinz und junger Wüſtling, zum Nachfolger, 
und zwar burh Wahl, erhoben. Urfachen, warum bieß wider den Willen bes Clerus 
und bed Adels gelang. Sterbend hatte Alberich II. die Geſetze Lothars vom Jahre 824 
abgefchafft und dem großen Haufen das Wahlrecht ertheilt. Rom im Jahre 955 Wiege 
italienifcher Gemeindefreiheit. Detavian nimmt — als erſtes Beifpiel — ben Pabſt⸗ 
namen Johann XII. an. Sein Feldzug gegen Benevent, welcher einen Kampf zwifchen 
ihm und dem Könige Berngar von Stalien, fo wie bie Abſetzung verfchiebener hoher 
Lehenträger herbeiführte. Im äußerften Gebränge ruft Johann XII. den König Otto J. 
zu Hilfe. Diefer bricht fofort — im Spätherbfie 961 — mit einem großen Heere 
nad Stalien auf. 


Ehe die Folgen geihildert werden können, welche Alberichs Tod nach fich zog, 
ift nöthig, nachzuholen, was indeß auf andern Punkten, in Italien und Deuffchland, 
gefchehen war. Der Fortſetzer Regino's berichtet‘) zum Jahre 952: „nad der Rück⸗ 
fehr von dem Augsburger Reichdtage, wo er der deutſchen Krone Huldigung 
leiten mußte, verfolgte Berngar in graufamer Weife Bifhöfe, Grafen und 
andere Große Italiens, und zog fi den Haß Aller zu." Wie man ficht, bes 
fümmerte der Lombarde fi um die in Augsburg eingegangenen Verpflichtungen 
nichts und behandelte die hohen Vaſallen als Verräther, die ihm 951 durch 
ihren Abfall das deutihe Joch auf den Hals gelaven hätten. Indeß Tann 
von Denen, welde feine Rache traf, nur Einer namhaft gemacht werden. Doms 
nizo, Biograph der Broßgräfin Mathilde, fpriht,”) obgleih mit Beifügung 


ı) ©. 203 fig. 9) Muratori, annali d’Italia ad a. 954. ) Jaffé ©. 320. 
&) Gfrörer, Kirch. Geſch. DW, 1338. *) Jaffs Rr. 270. 0) Berp 1,62. 7) Mu 
ratori, script. ital. V, 348. 
17° 


260 Pabſt Gregorius VII. und fein’ Seitalter. 


fabelhafter Züge, von einer vierthalbjährigen Belagerung, welche Canoſſa, die 
Burg Azzo's, dur den König Berngar erfand. Meines Erachtens liegt Fein 
Grund vor, diefe Angabe zu verwerfen. Angenommen, daß die Berennung 
Canoſſa's im Herbfte 952 begann, dauerte fie bid ind Jahr 956 hinein. Bern 
gar richtete nichtd gegen die unbezwingbare, mit Lebensmitteln wohlverfebene 
Veſte aus, und zulegt erfchien ein mächtiger Gegner des Königs, der abges 
feste Herzog von Schwaben, Liudolf, deſſen Anfunft den Italiener nöthigte, 
feine Streitfräfte anderswohin zu wenden. 

Ueber die Anläſſe des zweiten Zuge, den Lintold nad) Lombardien machte, 
herrfcht Widerftreit unter den Quellen. Der Fortſetzer Regino’3 meldet‘) zum 
Jahre 956: „Liudolf ſei gefchidt worden, um der tyrannifchen Regierung 
Berngars ein Ende zu machen.” Aehnliches erzählt”) die Nonne Hrosvitha, 
welche zu verftehen gibt, König Dtto babe feinen Sohn — wohl ald Ent 
Ihädigung für das entzogene Herzogthum Schwaben — auf die Herricaft 
über Italien, alfo auf den Thron Berngare, angewiefen. Roc ein dritter Zeit 
genofje und zwar ein Zeuge von hohem Gewicht, Rotger, Verfaffer der Lebens⸗ 
geichichte des Metropoliten-Erzherzoge und königlichen Bruders Bruno von 
Eölln-Lothringen, ftimmt bei. Nach feiner Behauptung‘) hatte Bruno bald nad 
ber fiegreihen Schlacht auf dem Lechfelde wider die Ungarn eine Zufammen; 
funft mit Liudolf in der Stadt Bonn, bewog dort den Neffen zu rüdhaltlofer 
Unterwerfung unter den Willen des Vaters und veranlaßte mın König Otto, 
dem reuigen Sohn die Herrichaft Italiens zu übertragen. 

Ganz anders dagegen lauten die Berichte ded Mönchs Widufind und 
des Merfeburger Biſchofs, welche an Glaubwürdigfeit feinem andern Chro⸗ 
niften der Zeiten Otto's I. nachftehen. Jener fchreibt:*) „entichloffen, feinen 
Freunden die Treue zu bewahren, verließ Liudolf, Ottos Eohn, das Bater- 
land und zog mit ihnen hinüber nah Stalien.” Unter den Freunden, denen 
der Königsfohn treu bleiben wollte, kann Widufind nur die alten Anhänger von 
952 verftehen, mit deren Hilfe Liudolf die große Empörung zugerüftet hatte, 
und von denen ihn fein Föniglicher Vater vergeblich loszutrennen fi abmühte. 
Demnach ift Liudolf 956 von Neuem in das Neg der Feinde Dtto’8 gerathen. 
Was der Mönd von Eorvey noch einigermaßen verhüllt, ſpricht) Biſchof Thiet- 
mar offen aus: „durch den Rath böfer Menfchen verführt, lehnte fich Liudolf 
abermal gegen den Vater auf, und zog nad Stalien, wo er im folgenden 
Jahre ſtarb.“ 

Wem joll man glauben? Ich denke die Einen wie die Andern haben bie 
zu einem gewiſſen Grade Recht, zobgleih die zwei erfigenannten Zeugen uns 


') Berk I, 623. ) Berk IV, 333 umten flg. 3) Ibid. ©. 268 unten. ) Berp 
III, 461 unten. *) Ibid. ©. 747, Mitte. 


Siebtes Buch. Gap. 14. Alberichs II. Sohn wird Pabſt. Otto's I. Römerzug von 961. 261 


jmeifelhaft höfiſche Romantik treiben. Rotger ftellt den Königsfohn Liudolf 
ald einen zwar auf Abwege gerathenen, aber an fich gefühlvollen, edelgefinnten 
Süngling, den Biſchof⸗Erzherzog als einen väterlichen, überaus wohlwollenden 
Dheim, den alten König als ein Mufter jeder Tugend bin, während Liudolf 
in Bahrheit ein verzogener Higfopf, ein Empörer und Mitverfchworener der 
Ungarn, während der Erzbiſchof Bruno ein vollendeter Hofmann und Fürften- 
diener war, während endlich der hiftorifhe König Dtto feiner Ehrſucht jede 
Rüdficht der Kamille oder des öffentlihen Wohles aufopferte. 

Die Nonne Hroßvitha ift ein füßes Geſchöpf, fie fieht die Welt und 
Otto's Thaten in rofigem Xichte, dennoch hat fie meines Erachtens über bie 
Gründe der zweiten von Liudolf unternommenen Heerfahrt Dinge gejagt, die 
in hoben Kreifen wenig Anklang fanden, denn in der einzigen vorhandenen 
alten Handichrift fehlen die betreffenden Stellen, und ich vermuthe, daß Dies 
telben in gleicher Weife verſchwanden, wie die an einem andern Oıte erwähnten‘) 
Lücken in den Ehronifen Regino's und von Cambray entftanden find. Was 
endlich Regino's Fortſetzer betrifft, fo begnügt er fich, den thatjächlichen Erfolg 
zu berichten. Unzweifelhaft ift, daß Liudolf nah Stalien ging, um der Herr: 
haft Berngars cin Ende zu machen. Wer ihn aber borthin geſchickt habe, 
das hütet ſich der Kortjeger genauer zu beftimmen. Er jagt”) blos: „Liudolf 
ward nad Italien geſchickt“, aber nicht, von Wem ? 

Was wollte Liudolf, was waren weiter die wahren Abfichten ſeines 
Baterd und zwar in zweifacher Hinficht, erftlich bezüglid, feines Sohnes Liudolf 
und zweitens bezüglich Italiens und des ungetreuen Bafallen Berngar? Wegen 
ver Empörung des Jahre 953 und wegen Herbeiziehung der Ungarn wohls 
verdienter Weiſe des Herzogthums Schwaben entfegt, fand Liudolf ohne Zweifel 
einen ſolchen Zuftand unerträglich, und fehnte ſich wieder nach dem Befige von 
Land und Leuten. Diefelbe Gefinnung darf man feinen alten Spießgefellen 
zutrauen, die, weil fie in den Eturz Ihres Hauptes verwidelt waren, jebt, 
nah Berwirfung ihrer Lehen, darbten. Die Untreue Berngard bot einen 
prächtigen Anlaß, zudem verbieß die Verlegenheit, in welcher fih aus unten 
anzuführenden Gründen der Hof wegen Züctigung des Jvreers befand, 
E:traflofigfeit eines felbft ohne ausdrückliche königliche Zuſtimmung verfuchten 
Einfalls in Lombardien. Dftv I. hatte daher nicht nothwendig, jeinen 
Sohn zu dem Unternehmen auzufeuern: Liudolf ging von felbfl, ohne fremden 
Antrieb. 

Die zweite Frage betreffend, meldet”) Flodoard, daß fchon 953, da Adels 
bein dem Könige Dtto ihren erften Sohn geboren hatte, dad Gerücht umlief, 
Dito werde, mit Ausichluß Liudolfs, der früher nicht nur vom Vater, ſondern 


1) Band I, 542 ued Bfrörer, Barolinger IL, 492 flg. °) Perb I, 623. 5) Perk 
III, 401 unten. 


262 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


auch von den Reichsſtänden als Thronerbe anerkannt worden war, ben Erſt⸗ 
gebornen der zweiten Ehe zum Nachfolger einfegen: eine Behauptung, welde 
nachher der deutſche Kaiſer Otto durch die That befräftigte. Seit diefe Abficht 
des Vaters feſt ftand, war Liudolf eine brennende Wunde für ihn geworben. 
Nachdem ebenderjelbe vollends durd Theilnahme an dem Aufftande von 953 
und durch Herbeirufung der Ungarn das Verbrechen des Hochverraths begangen 
hatte, mußte er dem Könige wie ein Echandfled erjcheinen, den zu befeitigen 
Dtto bei feinem Charakter fi fein Gewiſſen machte, zumal wenn zugleich auf 
dem nämlichen Wege andere Zwede des Königs erreicht werden mochten. Und 
legtered war wirflid der Fall, ich fomme hiemit auf den dritten Punkt. 

Otto I. glühte vor Begierde, den Angriff auf Italien zu erneuern, das 
Land zu erobern, in Rom die Kaiferfrone zu erwerben. Allein die öffentliche 
Meinung Germaniend und der auf fie geftügte Widerfpruh der Reichsſtände 
legte den Wünſchen des Königs faft unüberfteiglihe Schwierigkeiten in den 
Weg. Nur unter der einen Bedingung Fonnte er hoffen, die Einwilligung 
der hohen Geiftlichfeit und der Laienfürften zu einer Romfahrt zu erlangen, 
wenn ihn der Pabſt rief. Wie nun? wenn der verlorme Liudolf in Stalien 
einbrad, dad Schwert gegen Berngar zog, denſelben entthronte, durfte dann 
nicht mit Wahrſcheinlichkeit erwartet werden, daß der Pabſt in der Mitte 
zwiſchen Hammer und Amboß, von der einen oder andern Seite gedrängt, bei 
Dtto Hilfe juhe? Eine unverbrühlihe Maßregel der Vorſicht aber hatte der 
Vater in diefem Yale einzuhalten: auf eigene Yauft, ja wo möglih in Uns 
frieden mit dem Könige, mußte der ehemalige Herzog binüberziehen, damit fein 
Menſch jagen fünne, das Unternehmen ſei durch Dtto felbft veranlaßt worden. 
Denn jonft würden die Stände ſich gegen den König erhoben haben. 

Nun ward von jeher und wird an Höfen die Kunft geübt, Gegner als 
Werkzeuge zu brauchen, fie zu veranlaffen, vaß fie ſcheinbar freiwillig Dinge 
verrichten, welche nicht den Thätern, fondern den hohen Herren, die das Spiel 
zurüften, Vortheil bringen follen. Eben dies war meines Erachtens in vors 
liegender Berwidlung der Fall, und Bruno von Eölln, des Königs rechte 
Hand, wird es gewelen fein, der die Karten miſchte. Liudolf glaubte zu 
jchieben und ward felbft geſchoben, Ehrjucht, Leidenſchaft trieb ihn nach Italien 
und doch nügte er fi für des Vaters Zwecke dafelbft ab. Widukind und 
Zhietmar melden, was vom Standpunfte des Sohns, die andern drei bes 
sihten, wad vom Standpunkte des Vaters wahr ift. 

Diefe Darftellung wird vorausfihtlih Solchen nicht gefallen, welde 
wähnen, Otto I. habe, unbefümmert um den Willen des Papftes und der 
deutſchen weltliden und geiftlichen Großen, als unbejchränfter Herr gehandelt, 
er jei im Jahre 951 und 961 nach Stalien gejogen, in der Zwiſchenzeit dieſ⸗ 
ſeits der Alpen geblieben, Beides aus dem einfachen Grunde, weil es ihm 


Hebtes Buch. Gap. 14. Alberiche II. Sohn wird Pabſt. Dito’8 I. Römerzug von 961. 263 


und nicht anders beliebte! Diejenigen, welche fo urtheilen, find im Irrthum 
d haben feinen Begriff vom Wefen mittelalterlicher Regierungen. 

Unmittelbar nachdem Otto in Lombardien ſich mit der von ihm geretteten 
ittwe Adelheid vermählt hatte, ſchickte er Geſandte nah Rom, um dort 
ifnahme zu begehren: jowie aber eine verneinende Antwort von Seiten 
3 Pabſtes Agapet eintraf, Fehrte der König nad) der Heimath um. Während 
r folgenden neun Jahre mied er Stalien, ließ aber gefchehen, daß jein Sohn 
wolf hinũberzog, ja er unterftügte heimlich diefed Unternehmen. Mit dem 
ıgenblide jedoch, da ihn Alberih8 II. Cohn, Johann XIL rief, brach er 
gefäumt auf. Roc mehr, wie ic oben nachwies, hat der deutiche König 
ne Opfer, feine Anftrengungen geipart, Agapet zu gewinnen. Der Zwed, 
:gen defjen er Soldes that, kann nur der gewefen fein, den Pabſt zu bes 
gen, daß er fih mit ihm über die Kaiſerkrone verſtändige. Auch gegens 
er Johann XII., dem Nachfolger Agapeis, hielt Dtto das gleihe Ders 
bren ein. 

Im Epätherbfte‘) 955, oder im folgenden Jahre — alfo jedenfalls 
äbrend ver Amtsführung Johanns XIL — trat der Benediftiner Johann 
m Görz jene Geſandtſchaft nad Cordova an, welche vorzugöweife Italien, 
om, im Auge hatte. Die Aufgabe des Mönchs befand?) darin, beim Ka⸗ 
en Abderrahman III. auszuwirken, daß den Raubzügen ſpaniſcher Sara- 
nen nach den Küften Italiens Einhalt gejchehe unb weiter allem Anfcheine 
ich, daß der Kalife feinen chriftlihen Unterthanen freien Verkehr mit 
etri Statthalter bewillige. Warum anders, als der Kaljerfrone wegen, 
ird der Sachſe Dtto fi abgemüht haben, dem Pabſte in weiter Berne ſolche 
ienfte zu leiften! 

Die angeführten Thatſachen lafjen meines Erachtens feinen Zweifel dar⸗ 
ver zu, daß König Otto nur dann einen Römerzug anzutreten vermochte, 
enn der Pabft ihn rief, weil fonft die deutſchen Stände unfehlbar ihre 
Ritwirfung verweigert haben würden. 

Sämmtlihe Quellen find darüber einig, daß Liudolfs Mari nach Lom⸗ 
dien ind Jahr 956 fällt, aber über feine dortigen Thaten eilen fie kurz 
imweg. Die Chronik von Einfieveln meldet,” Liudolf habe den König Bern- 
ar fammt deſſen Eohn Adalbert gefchlagen und in Folge diefed Siege Pavia 
nommen. Zum folgenden Jahre fügt fie dann bei, daß Liudolf nad weis 
en Siegen das italiſche Neich in feine Gewalt brachte. Andere Ehroniften 
1gen*) im Allgemeinen, ganz Italien oder faft das ganze Land ſei von Liu⸗ 
elf erobert worben. Nur furz dauerte die Freude. Den 6. September 957 


1) Bfrörer, Kirch. Geſch. IL, 1595 flg. Note 2. 2) Daf. ©. 1601 fig. u. Bb. IV. 
liegenden Werts ©. 286 fl. >) Per II, 142. +) Ibid. ©. 58. 69. 404 oben, 


264 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


ftarb') Liudolf zu Piomba im Gebiet von Novara, wie die St. Gallener Jahrs 
bücher behaupten,?) an einem Fieber, laut einem Gerüchte, das der Mailänder 
Ehronift Arnulf aufbewahrte,) an Gift, welches ihm die Lombarden (oder 
Berngar) beigebracht haben jollen. 

Sein mißlungener Heerzug hat nicht augenfällig, vielleicht aber doch 
mittelbar, Otto's I Zwecke gefördert. Wir müſſen und wieder nad Rom 
wenden. Gleich nad dem Tode Alberich& IL. hatte fein Eohn Octavian den 
weltlichen Nachlaß des Vaters, d. h. das römijche Fürftenthum, geerbt. %los 
board fchreibt*) zum Jahre 954: „nachdem Alberih, Patricier der Römer, 
mit Tod abgegangen war, erlangte fein Sohn Octavian, ein zum Elerifer 
erzogener Züngling, das römifhe Fürſtenthum.“ Ungefähr dafjelbe meldet*) 
Mönch Benedikt. Unzweifelhaft erjcheint bier Octavian als einziger Sohn 
und Erbe des Verftorbenen. Denn wenn ein Cleriker den ganzen Nachlaß 
des verftorbenen Vaters erhält, jo ift Far, daß den Erblaffer feine anderen 
Kinder überlebt haben Fünnen. In der That werben in feiner mir zugäng- 
lien Duelle außer Octavian weitere Söhne Alberih6 erwähnt. Seitenvers 
wandte haben, wie ich jpäter zeigen werbe, in ebenbürtiger Weile das tus- 
eulanifhe Geſchlecht fortgepflanzt. 

Daß Octavian einziger Eohn war, fchließe ih auch noch aus anderen 
Gründen. Mönd Benedift führt fort: „Alberichs Sohn führte einen Lebene- 
wandel wie ein Heide, Religion und Wiſſenſchaft verabjcheute er und am 
Nichts hatte er Breude, ald an der Jagd, am Umgang mit lodern Weibern 
und an der Gefellichaft lärmender Jünglinge. Der Geilheit fröhnte er fo, daß 
ih es faum ausſprechen kann.“ Dieje Schilderung ſtimmt genau mit den An⸗ 
lagen überein, welche etlihe Jahre jpäter, wie unten dargethban werben fol, 
eine römiſche SKirchenverfammlung wider Johann XII. erhob, fie muß daher 
wahr fein. 

Nun fage ich: längſt hatte Alberich die Nothwendigkeit erfannt, die geift- 
lihe Gewalt in Rom mit der weltlihen zu vereinigen. Zu diefem Zwed gab 
er feinem Eohne eine geijtlihe Erziehung. Wenn gleihwohl Detavian jchr 
ſchlimme Gewohnheiten annahm, fo folgt, daß man dem Jungen die Zügel 
Ichießen ließ: derſelbe ift verhätichelt worden, was gewöhnlich bei einzigen 
Kindern geichieht. Co außerordentlihe Einfiht und Willensftärfe auch fonft 
Aberi II. zeigte, war er, der Vater des einzigen Eohnes, zu [hwad, den 
Liebling zu meiftern, ihn ftreng zu halten. 

Der Wunſch, weldhen Alberih, laut dem Zeugniffe des Möndhs Bene⸗ 
bift, fterbend ausgeſprochen hatte, ging in Erfüllung: Octavian wurde nad 


1) Die Beweife Jahrbücher des deutfchen Reichs I, c. ©. 60. ) Berk I, 79. 
u) Fey VOL, 8. ) Perg DIL, 403. ®) Ibid. ©. 717, Mitte, 


Siebtes Buch. Gap. 14. Alberichs II. Eohn wird Pabſt. Oito's I. Römerzug von 951. 965 


japet® Tode Pabſt, behielt aber als folder feinen bisherigen Ramen nicht 
i, fondern legte ſich — das erfte Beiſpiel eines folchen Wechſels in der 
abſtgeſchichte — den clerifalen Namen Sohannes XII. bei.) Kin altes 
utſches Verzeichniß der Statthalter Petri braucht von dem neuen Pabſte, 
ereinftimmend mit der Ausſage Bonizo’8,?) den Ausdrud,”) „Johann der 
usculaner, Alberih8 Sohn.” Abermal ein Beweis, daß die Sippichaft 
r fpäteren Tusculaner Grafen mit den beiden Alberih zufammenhängt. 

Zunächſt müfjen drei Fragen beantwortet werden: erfilih wie hat Octa⸗ 
ın oder Johann XI. das Pabftthum erlangt? Beide Hauptzeugen, jowohl 
odoard ald Mönd Benebift, deuten an, daß er durh die Wahl der 
mer Petri Stuhl beftiegen habe. In der That kann dieß gar nicht zweifels 
ft fein, denn von jeher wurden die Päbfte durch Wahlen, fei es durch 
aftlihe, ſei es durch jcheinbare, gezeugt. Zweitens fragt es fidh: wer, 
h. welde Klafjen von Römern wählten bis zum Tode Alberih& II. in 
rfedigungsfällen? und drittend durd wen oder durch welche Klaſſen wurde 
ohann XII. gewählt? 

Was die zweite diefer ragen betrifft, fo findet fi fein Zemgniß, 
8 das von Kaiſer Lothar im Jahre 824 eingeführte Geſetz,“) kraft defien 
nfort mit Ausschluß des gemeinen Volks nur der Adel und der Clerus 
äbfte wählen durfte, bis gegen Ende der Tage Alberichs förmlich abges 
ſafft worden wäre. Bielmehr find alle Päbfte des zehnten Jahrhunderts bis 
gen 930 vorzugsweiſe vom Adel gewählt worden. Verwickelter ift die Bes 
twortung der britten Frage: aus der Berpflihtung, welche Alberich kurz 
r feinem Tode, laut dem Berichte Benevifts, den romiſchen Adeligen abs 
ben, erhellt immerhin, daß er ein Wahlrecht des Adels anerkannte, aber 
neöwegs folgt daraus, daß er blos den Mdeligen und nit aud Andern 
e Befugniß verliehen hat, bei der näcften Wahl, die nad dem Tode des 
zapetus eintreten mußte, mitzuwirfen. 

Dagegen behaupte ih: unabweisbare Thatſachen, welche id fpäter am 
börigen Drte entwideln werde, bürgen dafür, daß nad dem Tode Agapets, 
id zwar in Folge von Anordnungen, welche Alberic IL. vor feinem Tode 
troffen hatte, anftatt der Lothar'ſchen Wahlordnung eine andere zur Geltung 
m. Vorerſt gebe ich Folgendes zu bedenken: Alberichs IT. unzweifelhafte 
bfichten zielten dahin, durch Vereinigung geiftliher und weltliher Gewalt in 
n Händen des jungen Octavian die wanfende Macht feines Hauſes, welde 
nerfeitö durch die unabläſſige Thätigkeit jener clerifalen Parthei, die auf Bes 
rung des Stuhls Petri vom Joche des römifchen Fürſtenthums hinarbeitete, 


2) Man fehe Sfrörer, Kirch. Geſch. III, 1236 fig. ?) Bibliotheca Patrum nora. 
m. sept., para III, ,6. ?) Perg III, 219, Mitte ) Eiche oben ©. 122 fg. 


266 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


andererjeitö durch die Raͤnke des deutſchen Könige Otto und wohl auch des 
Zangobarden Bernyar erjchüttert war, für immer zu befeftigen. Iſt es num 
irgend glaublih, daß der römilhe Clerus zu Berwirklichung biefes ‘Planes 
hilfreiche Hand geboten, daß er allen kanoniſchen Vorfchriften zu Trop einen 
Baftard, einen unbärtigen Jungen,‘) einen Hurer und Jäger, den Sohn des 
Tyrannen, defjen unerbittliches Regiment feit 20 Jahren auf Rom laftete, 
zum Pabſte gewählt babe, und dieß zu einer Zeit, da die Kauft im Grabe 
moderte, welde bis 954 die Geißel geihwungen, die freie Aeußerung jeder 
Oppoſition mit Gewalt unterbrüdt hatte. Nimmermehr! 

Ebenſo wenig ald der Clerus, Eonnte der römische Adel von dem Plane, 
Alberichs IL Sohn auf Petri Stuhl zu erheben, "erbaut fein. Warum hat diefer 
Stand über ein Jahrhundert lang ſich abgemüht, die päbftliche Gewalt zu ers 
niedrigen? Ohne Zweifel deßhalb, weil vie Herren erwogen, daß dieß ber 
fhnurgerade Weg ſei, um der Kirche ein Gut um das andere zu entwenden, 
den Raub in Erblehen, ja in adeliges Allod zu verwandeln. Wenn fie das 
gegen Detavian zum Pabſte wählten, mußten fie gewärtig fen, daß die cleris 
tale Barthei, deren Einwirkungen auf den neuen Statthalter Petri Jene gar 
nicht fern zu halten vermochten, demfelben fo lange zufegen werde, bis er bie 
von feinem Vater ererbte Macht dazu anwende, das dem heiligen Stuble 
entrifjene Eigenthum von den Räubern zurüdzufordern. Aus alter Erfahrung 
wußte Roms weltliher Adel, daß jeder Pabſt, auch ein fleiſchlich geftunter, 
unwürbiger, doch am Ende thue, was der Vortheil feines Etuhles vorjchrieb. 
Die hochgebornen Wähler hätten daher im voransgefegten Balle, um mit dem 
Sprihworte zu reden, das eigene Bell auf den Marft getragen. 

ALS Alberich II. das römische Fürſtenthum und die Herrſchaft über Petri 
Stuhl an fid riß, erfannte er alsbald die Nothwendigkeit, den eigenen Bruder 
Johann XL deßhalb, weil er Pabft war, unter Schloß und Riegel zu halten, 
und bie ehemaligen Standesgenoſſen und Mitſchuldigen Alberichs jollten nicht 
eingefeben haben, daß das politifche Einmaleins ihnen verbiete, den Cohn 
und Erben der Macht Alberichs zum Statthalter Petri und folglich zum 
Wächter des Kirchenguts einzufegen! Nimmermehr: die Ariftofratie handelt 
nicht wie kopfloſe Demagogen, fie kennt faft unter allen Umſtaͤnden ihren Bors 
theil und rechnet haarſcharf. 

Es gab nur ein einziges Mittel, diefen widerftrebenden Hintergedanfen 
bed Elerus und Adels gegenüber die Erhebung Octavians durchzufegen und 
für die Zukunft zu fihern. Daffelbe beftand darin, daß man die Wahlord⸗ 
nung, welde vor Erlafjung des Lotharfichen Geſetzes in Kraft geweien, 
wiederherftellte, mit andern Worten, daß man der Maffe römijcher Bürger 


Roh im Jahre 963 bezeichnete Kaifer Otto J. den Tusculaner Johann XII als einen 
ꝓuor. Verp 11, 341. 


Gay. 14. Mlberiips 11. Eohn wirt Pabſt. Otte’ I. Mömerzug von 961. 267 


rüdgab, neben dem Adel und Clerus bei Erwählung der Pähfte 
Diefer vielköpfige Haufe übertraf an Zahl die beiden andern 
Beitem, er fonnte und mußte aljo den Ausſchlag geben. &ben- 
‚ unbefümmert um Kirchengefepe, wie um die eigennüßigen Trieb» 
ugter Geſchlechter, in politiichen Dingen gleich einer Heerde einzig 
ı der gnädigften Herrichaft, welche, jeit fie über Rom gebot, 
ang batte übernehmen müfjen, den Stapdtpöbel zu füttern. 
bat eben diefes Mittel angewindet. Daß er dem Adel jenee 
ibnahm, gefhah nur darum, weil er nichts irgend Zweckdien⸗ 
nen wollte. Als ein welterfahrener Mann, der wenig Gewicht 
snehmer legt, hatte er für den fehr wahrfcheinlihen Hall, daß 
ren Schwur nicht halten, dad Röthige vorbereitet, um dennoch 
ig des Sohnes ficher zu ftellen. Ich werde fpäter den Bes 
daß nah dem Tode Agapets zu Rom eine neue Staats⸗ 
nit monarchiſcher Epipe gegen Oben, mit demofratiiher Grund» 
iten fertig daftand, und daß dieſer Aenderung entiprechend neue 
rfeimten. Das Jahr 955 war die Wiege italieniſcher Gemälde 


enige Handlungen des Pabſtes Johann XI. find aus der Zeit 
. Römerzug der Nachwelt überliefert worden. Bezüglich feiner 
Liudolf während defjen kurzer Herrichaft erfahren wir nichts, das 
') die gleichzeitige Chronif von Salerno, daß Octavian⸗Johann 
gegen die Herzoge Pandulf und Landulf von Benevent unters 
biefem Zwede jammelte der junge Pabſt nicht nur ein anſehn⸗ 
aus feinem eigenen Gebiete, fondern bot auch Hülfötruppen der 
r und der Tus cier auf. Zum Blutvergießen fam es nicht, denn 
ward durch einen Vertrag beigelegt, welchen Yürft Gifulf von 
an die Beneventer herbeigerufen hatten, zu Terracina mit dem 
loß. 

wird Johann⸗Octavian zu den Waffen gegriffen haben? Allem 
ıh, um die Patrimonien, welche im Laufe der Zeiten von den 
r Herzogen dem Stuhle Petri entriffen worden waren, zurückzu⸗ 
trat demnad als Vertheidiger und Mehrer des Kirchenguts auf. 
8 Feldzugs beftimmt der Ehronift nicht, man kann zunäaͤchſt nur 
a, daß derſelbe zwilchen den Herbft 955, da Johann XII. Petri 
, und zwilchen 960 fällt, da der nämliche Pabſt den deutichen König 
rief. Denn einige Sätze weiter unten erwähnt der Chroniſt von 
to's Einfall in Stalien. 

en Aufichluß über die von dem Salernitaner erzählten Begebens 


DI, 563. 


268 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


heiten geben die Urkunden von Farfa. Eine Akte) Tiegt vor, welche darauf 
bindeutet, daß Markgraf Bonifacius nur bis zum Jahre 953 gemeinihaftlid 
mit feinem Sohne Theutbald den beiden Marfen Spoleto und Camerino vors 
fand. Seitdem erjcheint der Sohn Theutbald als alleiniger Markgraf⸗Herzog 
von SpoletosEamerine. Das heißt ohne Zweifel jo viel als, Bonifarius war 
953 mit Tod abgegangen. In demjelben Jahre aber, da Theutbald den 
alleinigen Beſitz der Marken erhielt, verlor er die Landvogtei im Sabinum. 
Die Urkunden von Farfa weifen nach,“) daß im Jahre 954 Berard, daß 
weiter im Jahre 956 der Römer Leo, beide unter dem Titel von Herzogen, 
das Sabinerland verwalteten. 

Der Rüdtritt Theutbalds von der Landvogtei kann möglichermweife aus 
zwei entgegengejegten Gründen erfolgt fein: entweder, weil ihn Alberich, der 
953 noch lebte, mit Gewalt vertrieb, over weil ein Bertrag beftand, vers 
möge defien Theutbald nur jo lange das Sabinum behalten durfte, bis er 
durch den Tod feines Vaters zum alleinigen Beſitz der beiden Marken ger 
langen würde. 

MOffenbar war Lepteres der Fall, da Beide, Theutbald und Alberichs 
Sohn Johann⸗Octavian, nah dem Nüdtritte des Erfteren, in gutem Einver- 
nehmen flanden. Ums Jahr 9583 ericheint”) nämlich Theutbald zum zweiten 
male als Landvogt des Sabinums. Dieje Wiedereinfegung hängt ohne Frage 
mit dem beneventanifchen Feldzuge zufammen: weil Johann⸗Octavian die Hülfe 
des Nachbars bedurfte, gab er ihm das Sabinum zurüd. Seinerjeits führte 
Theutbald dem Pabfte als Gegenleiftung die jpoletaner Hülfstruppen zu, deren 
der Mönd von Salerno gedentt. 

Unmoͤglich fonnte das Bündniß, das Theutbald mit dem Sohne Alberichs 
ſchloß, dem italienischen Hofe gefallen. Denn nicht dazu hatte König Bern- 
gar die Marken Epoleto und Camerino an Bonifacius und Theutbald vers 
lieben, damit fie dem Römer helfen, fondern im Gegentheil, damit fie das 
tusculaniſche Haus überwadhen, im Schache halten. In der That erfahren 
wir, daß der König dem Spoletaner nicht etwa bloß grollte, jondern daß er 
das Schwert gegen ihn zog, oder vielmehr durch einen Dritten ziehen Tieß. 
Berngar von Ivrea hatte außer feinem Mitregenten Adalbert noch zwei ans 
dere Söhne, Cuno, der urfundlih*) und dann bei Liutprand vorfommt, und 
Wido, welcher auch von andern Ehroniften erwähnt‘) wird. 

Eben diefem Wido, welcher den Titel Markgraf empfängt, ohne daß ee 
möglih wäre, feine Marke zu beftinmen, ertheilte König Berngar laut dem 
Zeugniſſe eines gleichzeitigen, wohlunterrichteten Venetianer Ehroniften‘®) um 959 


9) Fatteschi ©. 91 fig. N Ibid. S. 250 unten. 3) Ibid. ©. 251. 53.8. 
Böhmer, regesta ab annis 911—1313. Nr. 275. »), 3.3. Ber I, 625 u. 627. ad 
—— “nos 962 u. 065. °) Bei Berk VII, S. 24 unten fig. 


. Gap. 14. Alberichs II. Sohn wird Pabſt. Otto’ T. Römerzug von 961. 260 


‚ die vereinigte Marke Spoletos&amerino zu bewältigen. Allem 
ıh führte Berngars Sohn die Sache aus. Denn in einem alten 
‚*) das der Ehronif von Farfa vorangeflelt if, wird unmittelbar 
Iimerzuge Dtto’8 I. nicht mehr Theobald, fondern Thrafimond ale 
: Spoleto erwähnt. Jener Zug Wido's muß dem Spoletaner 
golten haben und feine Verdrängung durch Thrafimend wird die 
rt geweien fein, daß Theobald den Abfichten Berngars zuwider 
he mit Pabſt Octavian⸗Johann gemacht hatte. 
hnliche Aenderung ging um biefelbe Zeit im Herzogthum Tuscien 
Alberichs II. Sohn, gemäß der Behauptung des Ehroniften von 
ußer jpoletanifchen Hülfstruppen auch tusciiche im Feldzuge gegen 
rıwendete, jo Fönnen leßtere nur durch Hubert geftellt worden fein, 
oben?) zeigte, obgleich er 946 Spoleto und Camerino an Boni» 
defien Sohn Theobald abgeben mußte, doch bis gegen 960 das 
Tuscien beibehielt. Allein im Jahre 961 war dieſer Hubert 
ır nicht mehr Herr in Tuscien oder wenigftend hatte er bie Ges 
em Anderen, nämlich mit feinem Eohne Hugo, tbeilen müffen. In einer 
vom Mai 961 — einer der legten, die er ausſtellte — bezeichnet 
ngar als Herzog von Tuscien den ebengenannten Hugo, von dem 
Sdruf „unfer Getreuer” gebraucht. Daß aber Hugo ein Sohn 
ar, fteht vollfommen feft.*) 
ch befaß im angegebenen Jahre ſtatt des Vaters der Sohn das 
ı Zuscien, und zwar nicht darum, weil Hubert geflorben oder etwa 
ıglüdt war; denn Mönch Benevift bezeugt,‘) daß Dtto I. aus 
Römerzugs den Markgrafen Hubert aus Italien verbannte, und 
Zeugniffe des Zeitgenoffen ftimmt Peter Damiani überein, wel 
:,9) Hubert, der Vater des tusciihen Markgrafen Hugo, ſei in 
ei Dtto I. gefallen und nady Ungarn entflohen. Demnach war es 
ngar, der nad 960 dem Vater Hugo's das Lehen entzog. “Der 
T, warum dieß gefhah, wird derſelbe gewejen fein, wegen deſſen 
bald um viefelbe Zeit weichen mußte. König Berngar wollte, 
den Tuscier für das Bündnig mit Octavian⸗Johann züchtigen. Da 
Ne mächtige Familie auf's Aeußerſte zu treiben nicht räthlich erach⸗ 
igte er ſich damit, anftatt des Vaters den Sohn einzujegen. 
blos folche mittelbare Spuren von Feindihaft Berngard gegen 
IL find vorhanden, fondern aus andern unzmweideutigen Beweiſen 
B der König den Pabſt kurz vor 960 ſchwer verfolgt bat. Mönd 


tatori, script. rer. ital. II, b. ©. 304. ) ©. 224. ”) Böhmer, rogest. 
1441. *) Beweiſe, gefammelt in den Jahrbüchern des beutfchen Reichs IL, b. 
®) Berg III, 718 oben. ®) Opp. edit. Par. Pars III, 381, b. unten. 


270 Boabſt Gregerins VIL und fein Seilalter. 


Benedikt erzählt:) (no bevor Johann XII. durch eine förmliche Geſandtſchaft 
den deutichen König zu Hülfe rief) „ſchickten zwei hohe Beamte des pähftlichen 
Hofes, der oberfle Kanzlift (protoserinius) Azzo und der Cardinal⸗Diakon 
Johannes hinter dem Rüden des Pabſtes Boten nad Deutſchland hinaus 
und forderten Dtto auf, Stalien zu erobern, das römifce Kaiferthum zu über 
nehmen. Allein der Pabft erfuhr dieß und verhängte harte Strafe über Beide, 
auf feinen Befehl wurde dem Kanzliften Azzo die Hand abgehauen, mit welder 
er den Brief an Dtto gefchrieben hatte, dem Diakon Johannes aber die Rafe 
abgeichnitten. * 

Diefe Nachricht fcheint beim erften Anblid unmöglih, denn die zuvers 
läffigften Zeitgenofien fagen?) aus: W330 der Kanzlift und Johann der Car⸗ 
dinal⸗Diakon feien 960 vom Pabſte nad Deutfchland gejendet worben, um 
König Dtto nad Italien zu rufen. Wer wird glauben, daß Johann Solche, 
die er graufam verftümmelt hatte, zu einer Gefanbtichaft verwendete! Dennoch 
bat Mönch Benedikt, was die Thatfache betrifft, Recht, und nur bezüglich ber 
Zeit if er im Irrthum. Auch Liutprand meldet,’) aufs Wort mit Benebikt 
übßereinftimmend, Pabft Johann habe von den beiden hohen Beamten — 
Kanzlift Ayo und Cardinal⸗Diakon Johann — dem erfteren die rechte Hand, 
dem zweiten Zunge, zwei Finger und die Nafe abfchneiden laſſen. Sodann 
wurde auf der franzöflihen Nationalſynode, welche im Juni 991 zu Rheimso 
zufammentrat, bervorgehoben,*) daß Octavian nad Vertreibung des Gegen: 
pabſts Leo aus Rom, d. h. im Frühling 964, den Carbinal-Diafon Johann 
an Nafe, rechter Hand und Zunge verftümmelte. 

Die Thatſache fteht alfo feft, und nur darin bedarf Benedikts Ausſage 
ber Berichtigung, daß die beiden Beamten nicht ſchon vor ihrer Geſandtſchaft 
nah Deutſchland, fondern erft fpäter jene Mißhandlung erfuhren. Hingegen 
liegt fein Grund vor, Die von Benedikt angegebene Urfadhe der Beftrafung 
zu läugnen. Octavian zog fie zur Rechenſchaft, weil er Kenntniß erhielt, daß 
fie ihn mehrere Jahre früher verrathen, d. h. hinter feinem Rüden mit dem 
deutichen Hofe unterhandelt hatten. Dieß zugegeben, erhellen aus dem Zeug- 
niffe des Mönche zwei fehr wichtige Punkte: erftlih König Otto trieb ſchon 
vor 960 in Rom ein geheimes Spiel, welches darauf berechnet war, den Pabſt 
zu veranlaffen, daß er deutſche Hülfe begehre; zmweitend Detavian wollte Ans 
fangs nichts von Berufung des deutichen Königs hören. 

Diefes innerlichen Widerſtrebens unerachtet entjchloß ſich dennoch der Pabſt 
im Jahre 960 eine Gefandtihaft an Dtto zu fchiden. Offenbar müflen es 
fehr ernfte Berlegenheiten gewejen fein, welche Octavian bewogen, den fauern, 
lange vermiedenen Schritt zu thun. Regino's Fortſetzer bezeichnet?) als Zwed 


— — — — — 


i) Berk I, 717. 5 Perh I, 624. II, 340. 5 Perh III, 346. 0) Ibid, 
=, 672, Mitte. ) Per I, 624. 


Siebtes Bud. Cap. 14. Alberichs IT. Sohn wird Pabſt. Otto's I. Römerzug von 961. 271 


ter Gefandtfchaft, den Schutz Otto's gegen Pie Tyrannei Berngard anzu⸗ 
fiehen. Im Einflange hiemit erzählt‘) Liutprand: „weil Berngar unerträg- 
liche Verfolgung über die römifche Kirche verhängte, rief Pabft Johann XIT. 
die Hülfe des deutſchen Königs an.” Worin beftand nun Berngars Tyrannei? 
Die beiden eben aufgeführten Zeugen bleiben bei allgemeinen Redensarten 
fiehen. Ein dritter jedoch, ein fonft unbefannter Sachſe, der jedoch Zeitgenoffe 
war, gibt genauere Nachrichten: „von Habſucht geblendet,” fagt?) er, „trat 
König Berngar Recht und Gerechtigfeit mit Füßen, und riß felbft Stüde vom 
Gebiete des h. Petrus ab.” Alſo der Ioreer hat den Kirchenſtaat angetaftet! 
Aber welde Theile defielben waren es, die Berngar raubte ? 

Nahe liegt ed, an Ravenna und die fogenannte Pentapolid zu denken. 
Wahr ift, Regino’8 Fortſetzer meldet) zum Jahre 967: Kaiſer Otto habe an 
den h. Stuhl Stadt und Gebiet von Ravenna fammt mehreren andern Stüden, bie 
vor langer Zeit römiſchen Päbſten entzogen worden, zurüdgegeben. Pabſt 
Johann bejaß alfo vor der Ankunft Otto's in Italien Ravenna und die Pen- 
tapolis nicht. Allein man bemerfe wohl, der Ehronift fagt ausdrücklich, dieſe 
Bebietötheile feien ſchon von lange her abgeriffen geweien. Deutlicher wird 
diefe Zeitdauer durch eine Bulle!) des Pabſtes Gregorius V. vom 28. April 998 
beftimmt, wo ed heißt, Ravenna fammt vielen namentlih aufgeführten Gütern 
dortiger Gegend feien feit hundert Sahren dem Kirchenftaate entfrembet und 
in den ruhigen Beſitz der Ravennatifhen Metropoliten übergegangen. Folglich 
fann Berngar 960 Ravenna und die Pentapolis dem h. Stuhle nicht weg» 
genommen haben, denn jchon feit dem Anfange des zehnten Jahrhunderts bes 
fanden ſich diefe Gebietötheile nicht mehr in römifhen Händen. 

Man fieht: obige Worte des unbekannten Sachſen fünnen nur dahin 
verftanden werben, daß König Berngar nicht etwa an entfernte Befigungen, 
welche der römifche Stuhl längft verloren hatte, fondern an nahe, in der Gegend 
von Rom felbft befindliche, Hand legte. Mit diefer Vorausfegung ſtimmen nun 
wei weitere Zeugniffe harmonifch überein. In feinem Berichte über die Ges 
ſandtſchaft nach Eonflantinopel behauptet’) Liutprand, dem byzantinifchen Kaiſer 
Nicephorus ind Angefiht gefagt zu haben: „habt Ihr Griechen je den ber 
brängten Päbften Hülfe geleiftet? wo waret Ihr als König Adalbert (Berns 
gard Sohn und Mitregent) die Kirchen der Apoftel plünderte.“ Dieß deutet 
darauf bin, daß Adalbert bis Rom vorgebrungen war und allem Anſcheine 
nach felbft die vor der Stadtmauer gelegene Kirche St. Paul ausgeraubt hatte. 

Zu gleicher Zeit verfchwindet jede Spur einer päbftlihen Verwaltung im 
Sabinum. Aus den Jahren 959—967 iſt feine Akte vorhanden, weldhe dort 
einen Beamten des Stuhles Petri aufwiefe.) Der ganze Kirchenftaat (mit 


) Berk III, 340. !) Berk IV, 248, b. ?) Berk I, 628 unten: multis retro 
tsmposibus ablats. %) Zaffo Nr, 2971. ) Berk M, 348. ©) Fatteschi, ©. 281. 





272 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


alleiniger Ausnahme ver Stadt Rom) muß In die Gewalt der wüthenden 
Könige gerathen fein. 

Wie gegen den Babft jo verfuhr Berngar auch gegen andere geiftliche 
und weltlihe Große Italiens, wider Bifchöfe, Fürſten, Grafen. Viele litten 
dur) die Ausbrüche feines Zorne. Die Ehronif von Salerno fchreibt:') „weil 
König Berngar fein Volt graufam beherrfchte und die Unterthanen auf vers 
ſchiedene Weife peinigte, fchickten die Lombarden heimlih Geſandte an Dtto I. 
von Deutfchland.” Ebenfo berichten?) Liutprand und der Fortſetzer Regino's, 
„daß italienische Bilchöfe und weltliche Fürften, welche fih an den fächfiichen 
Hof geflüchtet hatten, dort Klagen über Berngard unerträglihe Tyrannei 
erhoben.“ 

Ein Brief’) des Biſchofs Dtto von Vercelli ift auf und gefommen, ber 
in die Zeit um 960 fällt, und aus weldem hervorgeht, daß Berngar und 
fein Mitregent Adalbert, den Angriff eines Feindes — d. 5. Otto's — vors 
herſehend, fih nicht mit dem bloßen Gelöbniß der Treue von Eeiten der 
Kirchenhäupter begnügten, jondern Geißeln von denfelben verlangten. Andere, 
gegen welche die Könige beſonders ftarfen Verdacht hegten, wie den Metro⸗ 
politen Waldpert von Mailand und den Biſchof Lando von Como, wollten 
fie am Kopfe nehmen, doch leptere kamen zuvor und flohen nach Dentichland. 

Beide Könige handelten offenbar wie Bürften, welche Beweiſe in Händen 
haben, daß ein fremder Herrſcher unter ihren Untertanen PBarthei mache. 
Allerdings hatten in Folge der Huldigung, melde Berngar 952 zu Augsbuig 
leiftete, Italiens Große ein gewiſſes Recht, bei Dtto Klage zu führen, ſowie 
auch diefem Eraft verfelben Verwidlung die Befugniß zuftand, das Betragen 
feines hoben Vaſallen zu überwachen. Immerhin aber ift Far, daß der deutſche 
König von Weitem ber Zurüftungen getroffen hat, welche den Römerzug her: 
beiführen mußten. 

Das harte Regiment Berngard wird wohl mit dem Ausgange des Lius 
dolPichen Unternehmens zufammenhängen. Weil beide lombardifche Könige die 
Erfahrung gemacht hatten, daß ihre geiftlihen und weltlihen Vaſallen ohne 
Bedenken zu Liudolf übergingen, weil fie ferner merkten, daß ebendiefelben 
auh nad dem Tode Liudolfs den Einflüfterungen feines Vaters ihr Ohr 
liehen, berrichten fie mit eiferner Ruthe. 

Außer den bereitd erwähnten vornehmen Italienern, die als römijche Ge⸗ 
fandte — wie der Banzlift Azzo und der Cardinal⸗Diakon Johann — oder 
als Flüchtlinge — wie Walpert von Mailand, Lando von Como — an den 
deutfchen Hof famen, wird noch ein weltlicher Fürſt, Marfgraf Otbert, ges 
nannt.?) In dieſem Dibert lernen wir nähft dem Ritter Azzo von Canoſſa 
einen zweiten der Emporkömmlinge kennen, welche das dreifpaltige Regiment 


) Berg II, 583. 2) Berk I, 624 u. III, 340. 2) D’Achery, specileg. I, 441. 


Siebte® Buch. Gap. 15. Verfahren des Kaiſers Dito I. gegen Pabſt Dctavian-Johann XI. 973 


on 946 — 950 großgezogen hatte. Sch werde unten an paflendem Orte 
Beitered von Otbert fagen. 

Der Ruf nad Rom glih einer Gabe, welde der Empfangendre — 
tönig Otto — auf's Heftigfle begehrte, und deren Gefahren andererſeits ber 
zeber — Pabſt Octavian-Johann — wie aus den oben entwidelten Thats 
ıhen erhellt, jehr wohl erwog. In der menſchlichen Natur liegt es, daß bei 
chen Fällen der Geber Vorfiht anwendet und hohe Bedingungen ftellt, fowie 
aß der Empfangende goldene Berge verſpricht. Worte koſten Richt. Wir 
erden dieſen Sag durd den Erfolg beftätigt finden. 

Nach Ankunft der Geſandten blieb Otto nur fo lange in Deutfchlanp ale 
ötbig war, um ein Heer auszurüften, feinen gleichnamigen Sohn — Otto IL. — 
us der Ehe mit Adelheid zum König und Nachfolger Erönen zu laffen, und 
ir die Dauer feiner Abweſenheit die Reichöregierung zu ordnen. Dann im 
herbſte 961 brach er nad) Italien auf, umgeben von unüberfehbaren Echaaren 
eutfcher Bafallen und unterjochter Wenden.) Der Schatten Carls des Großen 
hritt wieder — ein aus dem Grabe heraufbeichworened Geſpenſt — durch 
ie Welt. 


Sünfzehntes Capitel. 


sobald Dito I. im Spätherbfte 1061 auf italifgem Boden erfheint, fallen bie Lombarden 
von Berngar ab, ber mit feiner Familie Schub in Feſtungen ſucht. Otto I. ſchwoͤrt 
dem Pabſte einen Eid, wird zum Kaifer gekrönt und befräftigt num bie früher eidlich 
übernommenen Pflichten durch die Urkunde vom 13. Februar 962, welche Acht if. Der 
uene Kaifer verläßt Rom bald wieder, verfeßt aber den Pabſt durch Fünftlihe Mittel 
in die Lage, von ihm abfallen zu müflen. Ausbruch bes GStreitd. Johann ZIL von 
einer Synode abgeſeht. An feiner Stelle erhebt Kaifer Dito Leo VIII. auf Petri 
Stuhl. Berngar wird gefangen. 


Die Chronik von Salerno berichtet) — und zwar nad meinem Gefühl 
it Benügung einer Urkunde, deren Worte fie zum Theil auszieht: „mit 
nem großen Heere — Einige fagen, es jei 60,000 Dann ſtark gewejen — 
fehte König Adalbert, Berngars Sohn, die Etfchflaufen, um dem Könige 
to den Eintritt in Stalien zu vermehren. Nachdem aber das italieniiche 
yeer einen Tag und eine Nacht die Päſſe bewacht hatte, erhoben fich nicht 
enige Grafen Moalberts und Sprachen alfo zu ihrem Gebieter: wir müflen 
ud bitten, Herr König, zu Eurem Vater nach Pavia zu gehen und ihm zu 
flären, daß er die Krone Italiens nieverlege und in Eure Hände überants 
orte, weil wir Anden entichlofien find, feine Herrichaft nicht länger zu 
ilden. Erfüllt Berngar unfer Begehren, jo werben wir mit allen Kräften 
w Euch fechten, wo nicht, jo fteden wir das Schwert in die Scheide und 


s) Berg IIL, 7172. 5 Berk III 553 unten fig. 
Gfrörer, BabR Gregorius VIL Bd. v. 18 


274 Vabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


iiberlaffen Italien dem deutſchen Herrfcher. Denn wir find der Graufamfeiten 
Berngars und feiner Gemahlin fatt. Auf diefen Beſcheid der Bafallen hin 
reiste Adalbert nah Pavia und that alles Mögliche, um dad Berlangen der 
Grafen durdzufegen. Wirklich zeigte Berngar Luft nachzugeben, aber bie 
Königin Willa wollte nicht. Deßhalb kehrte Adalbert unverrichteter Dinge 
nad den Klaufen zurüd. Als nun die Grafen vernahmen, was vorgegangen, 
geriethen fie in Zorn und wandten um, das ganze Heer löste fi auf.“ 

Trefflich fiimmt hiemit der Fortfeger Regino's überein, laut deſſen Zeugs 
niſſe) Dtto ohne Schwertftreich die Königsftant Pavia und ganz Italien nahm. 
„Die Biſchöfe und Grafen,” fagt er, „feien dem deutſchen Herrfcher jubelnd 
entgegengezogen. König Berngar aber, feine Gemahlin Willa und ihre Söhne 
hätten, an der Möglichkeit des Widerſtands im offenen Felde verzweifelud, 
hinter den Mauern unzugänglicer Schlöffer Schug und Sicherheit geſucht.“ 
Man fieht, die italienischen Bafallen waren zum Boraus von Otto gewonnen, 
Verrath hat ihm den Weg gebahnt. 

Weiter meldet‘) der Fortfeger Regino’s, daß Otto von Pavia aus ben 
Fulder Abt Hatte nad Rom voranfendete, angeblih um Quartier für den 
König oder Fünftigen Kaiſer zu beftellen. Doc Hatte hatte noch andere Aufs 
träge, und zwar geheime, welde wir durch eine Urkunde?) kennen lernen, 
laut welcher der deutſche König vor feiner Ankunft in Rom und folglid aus 
der Gerne zu Gunſten des Pabſtes Johann XII. einen Eid folgenden weſent⸗ 
lichen Inhalts fhwor: „er werde erftlich, wenn er mit Gottes Hülfe nad Rom 
fomme, ftet8 die h. römifche Kirche und deren Haupt, den Pabft, erhöhen; 
zweitens nie etwas wider deffen Sicherheit, Wohl oder Ehre thun; drittens 
namentlich zu Rom ohne des Pabſtes Erlaubniß nie Gericht halten oder irgend 
Etwas verfügen, was Rom oder die Römer betreffe; viertend alle verlornen 
Befigungen des heiligen Stuhls unverweigerlih dem Pabfte zurückgeben, for 
bald fie in Otto's Gewalt gelangt fein würden; er werbe endlich fünfteng, 
jobald er das langobardiſche Reich einem Andern übergebe, dafür Sorge tra 
gen, daß diefer Andere ſchwören müſſe, ſtets des Pabftes Helfer zu ſein.“ 
Ale Punkte dieſes Schwures entiprehen genau den damaligen Umftänden. 
Gerade fo mußte Johann⸗Octavian handeln, wenn er anders nicht das jchlimme 
Joch Berngars mit dem noch fchlimmeren des Sachſen vertaufchen wollte, 
Hiezu kommt, daß eine Yeußerung, welche Liutprand, der Augenzeuge, jeinem 
Helden, dem Kaifer Otto J. in Mund Iegt,’) den Hauptinhalt obigen Eides 
beftätigt. Bei ſolchem Sachverhalt erjcheinen daher die Einwürfe, welde 
neuerdings gegen die Aechtheit des Schwures erhoben worden find, ale kindiſch. 

Im Januar 962 zog König Otto von Pavia auf Rom, wo er gläns 


') Berb I, 624. ) Die Beweife für dieß und das Kolgende in Gfroͤrer, Kirch. 
Geſch. III, 1242 fd. Siehe unten ©. 281. 


Siebtes Bud. Gap. 15. Berfahren d. Kaiſers Dito I. gegen Pabſt Octavian Johann XII. 27% 


zend empfangen und den 2. Februar zum Kaiſer gefalbt ward. Nah ers 
folgter Krönung wiederholte er perfönlih den Eid und flellte ferner eine Urs 
funde aus, welche die allgemein gehaltenen Ausbrüde des Schwures bezüglich 
der Schenfungen im Einzelnen erläuterte. Kraft diefer zweiten Akte wurden 
alle früher von Pippin, Carls Pater, von Earl dem Großen felbft, ſowie 
von deſſen Sohne Ludwig dem Frommen Fraft des Pergaments vom Jahre 817 
gemachten Bergabungen wiederholt und beftätigt. Alles, worauf Petri Statt> 
halter je feit der Mitte des achten Jahrhunderts Anſprüche machten: Vene⸗ 
tien, Sftrien, die Linie von Luna bi8 Monfelice (wozu noch St. Eriftina un 
weit Pavia gefügt wird), der Erarchat von Ravenna fammt PBentapolis, ein 
guter Theil von Umbrien und Picenum, die Herzogthlimer Tuscien und Spo⸗ 
leto, Sabinum, der alte Dufat von Rom, das altpäbftlihe Gampanien, 
überbieß die Herrſchaften Neapel, Benevent, Ober⸗ und Niedercalabrien, auch 
die Inſeln Corfica und Sicilien — Sardinien ift vergeffen, und neben Sici⸗ 
lien fteht die vorfihtige Bemerkung: „wenn anders diefes Eiland in die Ge⸗ 
walt des Kalferd geräth“ — fammt und ſonders fol laut Dito’d Worten dem 
h. Etuhle zufallen. 

Gleichwohl enthält das Pergament etlihe Klaujeln, welche bedenkliche 
Hintergedanfen verrathen. Erftli bedingt Dtto, daß troß der verfprocdenen 
Vebergabe Spoleto’d und Tusciens feine kaiſerliche Oberhoheit über beide 
Herzogthlimer ungeſchwächt gewahrt bleibe. Doc ift ein Satz eingefügt, wel⸗ 
der meined Erachtens einige Ausnahmen bezüglich letterer Beftimmung feſt⸗ 
jest. Während nämlich Otto die Schenkungen feiner carolingiſchen Vorgänger 
ale Kaifer, d. h. im Namen des Reichs beftätigt, erklärt er, daß er um 
yerfönlicher Zwecke willen oder für das eigene Seelenheil, jowie zum ewigen 
Frommen feines Sohnes und feiner übrigen Verwandten, vie fleben Orte 
Reate (Rieti), Amiternum, Burcone, Nurſta (jetzt Norcia), Valva,!) das 
Marfenland und Terrane (jebt Teramo) an den h. Peter vergabe. Die ſechs 
erfigenannten liegen?) innerhalb oder in der Nähe der Gränzen des von 947 
bis 953 mit Spoleto vereinigten Sabinume, der fiebente, wie auch die Ur- 
funde ausdrücklich hervorhebt, liegt‘) anderswo, nämlid im alten Picenum. 

Zweiten® behält das Aftenftüd die volle Gültigkeit der Geſetze vor, welche 
Lothar I., Ludwigs des Frommen Sohn, im Jahre 824 dem Pabſte Eus 
genius aufgehalst hatte.) Wie im der erften Hälfte des neunten Jahrhun- 
dertö follte alfo binfort nur @lerus und Adel mit Ausſchluß des Volkes 
Pabſte zeugen, follten alle Beamten und Diener des h. Stuhle in des Kais 
ſers Eid verpflichtet werben, follten ftehende kaiſerliche Sendboten zu Rom 


3) Ein Drt unweit Sulmona, von dem die Bifchöfe diefer Iehteren Stadt auch ben 
Titel episcopi valvenszes führten. Siehe Ferrarius lexicon geographicum. Paris 1670. II, 305, a. 
3) Zorbiger, alte Geographie IL, 638. 642. 639. 643. 2) Ibid. ©. 630. *) Siehe 


oben ©. 114 fig. 
18° 


276 Pabſt Gregorius VIL und fein Seltalter. 


das große Wort führen, follte die Hoheit über Rom und den Kirchenftaat mır 
dem Scheine nach dem Pabſte, in der That dem Sachſen Otto und feinen Nach—⸗ 
folgern zuſtehen. Wenn es nad den Beftimmungen der Urkunde ging, wurden 
Petri Statthalter in die fhlimmften Zeiten carolingifchen Joches zurückgeworfen, 
and Johann XII. mußte wieder von Vorne anfangen, den Stein des Syftphus 
tiber abjchüfftge Berge binaufzuwälgen. 

Einen dritten Hintergedanfen finde ih am Schluſſe der Urfunde anges 
deutet. Diefelbe ift ausgefertigt unter dem 13. Tage des Februars!) 962, ale 
im 27. Jahre der kaiſerlichen Regierung des unbefiegbaren Kalfers Otto. 
Die koͤnigliche Herrihaft ded Sachſen begann mit dem 1. Yuguft 936, der 
13. Zebruar 962 fällt demnach nicht ins 27., fondern in das 26. Jahr feines 
Koͤnigthums. Gleicherweiſe gehört derfelbe Tag niht dem 27., fondem dem 
erften Jahre feines Kaiſerthums an, denn er war an Lichtmeß 962 zum Kaiſer 
gekrönt worden. Die Urkunde macht fi alfo eines auffallenden Verſtoßes 
gegen die Zeitrechnung ſchuldig, aus welchem Fehler denn auch neuere Gritifer 
nicht ermangelt haben, eine Hauptwaffe gegen die Aechtheit der Alte zu bes 
reiten. Ich bin anderer Meinung. 

Der 13. Februar 962 verlief, wie gefagt, im erſten der faiferliden und 
im 26. der Föniglichen Regierung Otto's. Wenn man aber beide Epochen 
unter eine Ziffer bringt — was allerdings gegen die Regeln der Mathematik 
fireitet, aber keineswegs gegen die geheimen Abfichten Otto's — fo kommt 
die Summe 27 heraus, denn 26-1 gibt befanntlih 27. Indem der deutſche 
Herricher diefe höchſt feltfame Rechnung wählte, hieß Solches jo viel, als ob 
er den Anhängern des Pabftes erflärt hätte: Wollet Ihr Römer durchaus 
mit meiner Kaiferfrönung eine neue Epoche beginnen, fo wiffet, daß ih dann 
heute im 27. Jahre meiner Herrichaft bin; denn das Kaiſerthum habe ich nur 
dem Scheine nah durch Euer Del erlangt, von Rechtswegen befaß ich es 
ſchon feit dem Auguft 936 durch meine Geburt als König der Deutichen und 
ale Rechtsnachfolger des großen Carl, deſſen Beſitz und, Herrfchaften auf 
mid und mein Geſchlecht unverfürzt übergegangen fint. 

In der That erhellt, wie unten gezeigt werden fol, aus fpäteren Maaß- 
regeln Otto's, daß er das Kaiſerthum als ein Erbgut betrachtete, das unzer- 
trennlich der deutſchen Krone anhänge. 

Endlich viertend hat Dtto für die fehr zweifelhaften Wohlthaten der Ur- 
funde dem Pabfte ein Zugeftändniß abgenöthigt, das offenbar darauf berechnet 
war, dem Sohne Alberichs eine Falle zu bereiten. Die zwei Hauptzeugen, 
Liutprand und der Fortſetzer Regino's, fprechen von feften Verpflichtungen, 
welde Johann gegen Otto eingehen mußte; doch ſtimmen fie in den Worten 


a —— — — 


*) 13 die mensis Fobruarii. Der Tag iſt, wie man ſieht, und zwar ohne Zweifel ab: 
fichtlich, nach deutſcher Weife und nicht nach römifchem Kalender berechnet. 


Siebtes Bu. Cap. 15. Berfahren d. Kaiferd Otto. gegen Pabſt Octavian⸗Fohann XII. 277 


nicht ganz überein. Der Hortjeger fagt,') Johann habe verfprochen, während 
jeine® ganzen Lebens nie von Dtto abzufallen. Der Biſchof von Eremona 
dagegen berichtet,?) daß der Pabſt und mit ihm als Eiveshelfer alle Vor⸗ 
nehme der Stadt Rom über dem Grabmale des Apoftelfürften Petrus einen 
Schwur ablegten, nie mit Berngar und deſſen Mitregenten ein Bündniß eins 
zugeben. Ich denfe, unter dem Worte Abfall, das Jener braucht, iſt nament⸗ 
lid ein Bündniß mit Berngar gemeint. | | 

Man darf daher die Faſſung Liutprande als genau betradten. Nun 
hatte Detaviansohann im Jahre zuvor völlig mit Berngar gebrochen, und 
der Pabft war ohne Frage der wahre Urheber der von Dtto unternommenen 
Heerfahrt. Wenn gleihwohl der neue Kaifer in naher oder ferner Zukunft 
cin Einverftändniß Johanns XII. mit Berngar für wahrfcheintich hielt, fo ſetzte 
er offenbar voraus, daß der Pabſt, fobald ihm die Augen aufgingen, mit den 
Maßregeln feines Faiferlihen Schutzherrn unzufrieden fein, und deßhalb lieber 
mit dem alten Gegner fi verfühnen werde. Obige Thatſache zeugt alfo vers 
ftedt gegen Otto's Abfichten. 

Da es feit 1517 viele Leute gibt, welde Petri Stuhl für eine gemein, 
Ihädliche, widerwärtige, ja manchmal. gar für eine kohlſchwarze Anftalt halten, 
welcher ein gefinnungstüchtiger Mann jeden Biffen Brod und jede Hufe Landes 
wegftreiten müfje: ald haben neuerdings etliche Berliner Critiker die Urkunde’) 
vom 13. Februar 962 für ein lügenhaftes Machwerk römifcher Fälſcher ers 
Härt. Ich entgegne einfach: hätte die päbftlihe Parthei dad Pergament ges 
ſchmiedet, fo träfe fie der Vorwurf unfäglicher Dummheit, weil der Schreiber, 
defien fie fich bebiente, die Geſetzgebung Lothars vom Jahre 824 hereinzog, 
eine Geſetzgebung, welde Petri Statthaltern ein unerträgliched Joch auferlegt 
hatte, eine Geſetzgebung ferner, welche, auf vorliegenden Ball angewandt, 
alle im Eingange der Urkunde aufgezählten Schenkungen der Willfür des neuen 
Kaiferd unterftellte, d. h. thatfächlich wieder aufhob. Nicht päbftliche Faͤlſcher 
fönnen Dtto’8 Handvefte erfonnen haben, weil fonft fiherlih Nichts von den 
Gefetzen Lothars darin ftünde, aber auch nicht Faiferlich gefinnte Lügenſchmiede, 
weil dann dem Pabfte nicht eine lange Reihe ſtattlicher Erwerbungen in Aus⸗ 
ficht geftellt fein würde. Sie ift alfo Acht, was ſchon aus ber einen unbes 
frreitbaren Thatſache erhellt, daß ihr weſentlicher Inhalt nur die Worte des 
Schwurs genauer beftimmt. 

Dtto braucht in der Urkunde von den 7 Orten, welche er der römijchen 
Kirche nicht als Reichsoberhaupt, fondern aus perfönlihen Gründen des Heils 
feiner Seele vergabt, den Ausdrud:*) „fie ſeien Stüde feines eigenen Reiches. * 
Daraus muß man meines Erachtens den Schluß ziehen, daß er die fraglichen 


ı) Bell, 625. ) Berk III, 340. ) Abgebrudt if fie Berk, log. IL, b. 
©. 164 fl. ) De proprio mostro regno civitates etc. * | 


2783 Babft Eregorius VIL und fein Zeitalter. 


Städte vor der Schenfung erobert, d. h. dem vertriebenen König Berngar abge 
nommen hatte. Folglich war früher das Sabinum durch Berngar oder deſſen 
Beamte dem Kirchenftaate entriffen worden. Wir erhalten aljo eine neue Bes 
Rätigung Deſſen, was wir aus andern Quellen wilfen.) Ich möchte die 
Bermuthung wagen, daß die ficben Orte das einzige ernftliche, wejenhafte Ge: 
ſchenk fein follten, mit welchem Otto den Pabſt abzuſpeiſen gedachte. 

Nicht 6108 das Sabinum hatte der deutiche Herricher vor feinem Marſch 
auf Rom befcgt, fondern auch die Herrichaften Tuscien, Spoleto, Camerino 
an fi gezogen. Mönd Benedikt vom Berg Sorafte gibt zu verftehen,?) dab 
zugleih mit den beiden Königen Berngar und Adalbert auch die Marfgrafen 
entjegt und außer Landes vertrieben worden ſeien. Er braudt die Mehrzahl 
— imarchiones — und nennt doch blos einen Einzigen — ben alten Hubert, 
Vater des noch im Jahre 961 von Berngar erhobenen Hugo. Wenn man 
die gewählte grammatiihe Form als Mißbraud auf Rechnung der unglaub; 
fi barbarifhen Sprache des Mönchs bringen wollte, ift nichtödeftoweniger 
gewiß, daß zugleih mit Hubert aud) die beiden neulih von Berngar einge 
festen Markgrafen Hugo und Thrafimund den Bündel fchnüren mußten. Denn 
bi8 967 — aljo volle fünf Jahre nad: der Kailerfrönung — zeigt ſich Feine 
Epur der Anweſenheit von Marfgrafen in Spoleto, Camerino oder Tuscien. 

Daß aber die alten, von Berngar erhobenen‘ Lehenträger verſchwanden, 
iR in der Orbnung Als König Otto I auf Rom zog, hatte er bereits 
eidlih dem Pabſte die Wiederherftelung ſämmtlichen Kirchenguts gelobt; bie 
Klugheit rieth ihm daher, ehe er die Kaijerfrone von Johann⸗Octavian ems 
fing, den Schein anzunehmen, al& jei er bereit, jeden Punkt feines Schwurs 
gewiffenhaft zu erfüllen, namentlidy aber die Herzogthümer Spoleto, Camerino, 
Tuscien, auf welde der Pabſt, und zwar mit Recht, großes Gewicht legte, 
unverweigerlih herauszugeben. Diefer Schein fonnte nur dann erfünftelt 
werden, wenn er damit anfing, die drei Marfgrafen fammt und ſonders 
fortzujagen. 

Laut der Ausſage) zuverläffiger Quellen war es der zweite Februar 
oder Lichtmeßtag 962, an weldem Dtto I. aus Johannes XII. Händen bie 
Kaiferkrone erhielt. Erft eilf Tage fpäter — unter dem 13. Februar — wurde 
die Urkunde ausgeftellt, welche Die Gegenleiftung formulirte, die Dtto für die 
Krone darbrachte. Nun ift ed, wie alle Welt weiß, bei Gejchäften, gleich 
demjenigen, welches Dtto um jene Zeit zu Rom betrieb, gewöhnlih, daß ber 
Käufer den Preis in dem Augenblide bezahlt, da er die Waare in Empfang 
nimmt. Die Unterlaffung dieſer Regel fcheint daher zu beweifen, entweder 
dag Johann⸗Octavian unbedingtes Zutrauen in die Redlichkeit Otto's ſetzte 
— was geradezu den früheren Handlungen des Pabſtes widerſpräche — 
—ñ— * 

) Oben ©. 269 fl. *) Per II, 718 oben. 9 Jaffs, regent. Pontif. ©. 322. 


Siebtes Bud. Cap. 15. Berfahren d. Kaifers Otto J. gegen Pabſt Octavian⸗Johann x. 279 


oder daß bereitd Meinungsverichiedenheit zwiſchen Pabſt und Kaijer ausges 
broden war, und daß Otto I. durd Drohungen oder Lift Johann XII. übers 
rumpelt batte. 

Für böſe Stimmung der beiden Hauptbetheiligten zeugt noch ein anderer 
nicht unwichtiger Umftand. Kine alte gleichzeitige Nachricht meldet,) daß 
Dtto I. mit feiner Gemahlin Adelheid — fie war während des erfien Römer⸗ 
zuges jeine bleibende Gefährtin — Freitag den 31. Januar gu Rom einzog, 
14 Tage dajelbft blieb und den 14. Februar — am St. Valentius⸗Tag — 
den Rüdweg antrat.) Die Abreife fiel alfo auf den Tag nad Ausftellung 
der vieldeutigen Schenfungsurfunde, und der kurze Aufenthalt läßt nicht viel 
Liebes erwarten. In der That hutte Dito triftige Gründe, zeitig aus Dem 
Weg zu gehen: er mußte die öffentlihe Meinung in Deutſchland ſchonen, 
welhe wenig Yreude über die Erneuerung ded Kaiſerthums verrieth und des 
Kalferd Schritte zu Rom argwöhniſch überwacte. Nur wenn er ſchnell Die 
Weltmetropole verließ, konnte er mit einigem Scheine von Wahrheit vors 
ihügen, daß die böſe Saat, welche nach feiner Entfernung aufſchoß, nicht von 
ihm ausgeſtreut worden jet. 

Der Kaijer begab’) fi nad Tuscien, von da nad Lombardien. Das 
mald legte er den Grund zu dem fpäter allgemein durchgeführten Syſtem, 
die Bisthümer mit dem Grafenbann auszuftatten. Der erfte, welcder folder 
Gnade gewürdigt wurde, war Humbert von Parma, die betreffende Urs 
kunde’) ift unter vem 13. März 962 ausgeſtellt. Ich kann von diefer übers 
aus wichtigen Maßregel erft unten im Zufammenhang mit andern verwandten 
Anordnungen handeln. Um die nämliche Zeit ward auch der Staliener Liut⸗ 
prand für die bisherigen Dienfte belohnt und zu neuen angefeuert: er em⸗ 
pfing vom Kaiſer das Bisthum Cremona.“) Sonft befchäftigte ſich Otto das 
mit, die Ueberbleibjel der Macht Berngars vollends niederzufchlagen. 

Die Mitglieder des geftürgten Haufed hatten fich getrennt: König Bern 
gar hielt mit Streitkräften, die er von verſchiedenen Seiten her zuſammen⸗ 
gerafit hatte, die Burg St. Leo im Gebiet von Urbino bejegt. Seine Ger 
mablin, die Königin Willa, vertheidigte das Schloß St. Giulio auf einer 
Sinfel des Orta⸗Sees nördlid von Novara. Auch die beiden Söhne, Adalbert, 
Mitregent des Vaters, und Wido, der jonft ein Markgraf genannt wird, fuhren 
fort, Widerftand zu leiften, ihre Stüßpunfte waren die Beftungen Garda, am 
See gleihen Namens, Travaglio, wahrjcheinlih im Gebirg unweit des Lago 
Maggiore, und eine Infel im Comerſee.“) 

Rachdem Dtto Oftern 962 in Pavia gefeiert hatte, rüdte er zunächſt 


— 


3) Berg II, 718, Note 18. 2) Diefe Angaben flimmen aufs Wort mit dem Kalender 
überein , de vörifier les dates I, table chronologique ©. 20 u..Tat ©. 21. .?) Die 
Belege bei Wfrörer, Kirch. Gefch. IU, 1245. *) Perg I, 625. 


280 PabR_Gregorins VIL und fein Zeitalter, 


gegen die Königin Wille ind Feld, die er für die gefährlichfte Gegnerin ges 
halten zu haben ſcheint. Die Ausgänge des Ortaſees wurben befeht, die Werte 
des Schlofjes mit Echleudern und anderem groben Geihüg beſtürmt. Erf 
nach eimonatlicher Belagerung ergab fih Willa gegen freien Abzug, eilte 
aber fogleidh zu ihrem Gemahl nad St. Leo und feuerte denfelben zur Borts 
fegung des Kampfes an. Im Herbfte ging Dtto nad) Pavia zurüd, wo er 
den Winter über bis Oſtern 963 Hof bielt. Unter den weltlihen und geiſt⸗ 
lien Großen, die ihm dort aufwarteten, erſcheint urkundlich Otbert, ohne 
Frage derfelbe, welcher im Verein mit dem römiſchen Kanzler Azzo und bem 
Garbinal Johann im Jahre 961 den deutſchen König aufgefordert hatte, 
Berngar zu ſtürzen und das Kaiſerthum herzuftellen. Er muß ſeitdem hohe 
Gnaden bei Dito erlangt haben, denn aus Pergamenten‘) erhellt, daß er 
von 962 an im Palaſte zu Pavia das wichtige Amt eines Pfalzgrafen 
beffeivete. 

Während des Winters von 962 auf 963 geſchah es, daß das Zerwürf⸗ 
niß zwiſchen dem Pabſte und Kaifer, das ohne Zweifel feit dem Bebruar 962 
— doch in der Stille — beftand, laut zu werden begann. Liutprand fagt:*) 
mauf die Nachricht, daß Octavian⸗Johann geheime Unterhandlungen mit dem 
geftürgten Berngar betreibe, ſchidte der Kaifer Späper nad Rom, um Kunds 
ſchaft über die dortige Stimmung einzugiehen.“ Der Cremoneſer Biſchof 
fährt fort, von dieſen Spähern feien Berichte eingelaufen, welde ohne Zweifel 
zu Pavia gefielen. Diefelben ſchrieben: durch geſchlechtliche Ausſchweifungen, 
die alles Maaß überſteigen, ſei der Pabſt ein Gegenſtand des Abſcheus für 
die ewige Stadt geworden. Doch zeigte Otto, laut der Verſicherung Liut⸗ 
prands, feine Schadenfreude, ſondern im Gegentheil äußerte er gegen feine 
Umgebung: „der Pabſt iſt noch ein halbes Kind, das ſich verführen läßt, das 
Beiſpiel rechtſchaffener Männer wird ihn beffern. Ich werbe demnächſt gegen 
Berngar vor St. Leo ziehen und ihn vernichten. Dann gedenke ich nad) Rom 
zu gehen und ven Pabft väterlih zu ermahnen. Ich zweifle feinen Augen⸗ 
blick, daß er, wenn nicht aus erwachter Tugend, jo doch aus Schaam, fein 
Betragen bereuen und ein tadellojer Mann werden wird.“ Welch' chriſt⸗ 
liche Worte! 

Bald erhielt der Kaifer gerichtliche Berweile Defien, was er Schuld oder 
Untreue Octavians nannte. Bier verſchiedene Geſandte waren im Kaufe des 
Winters vom Pabſt ausgeſchidtt worden:*) der Biſchof Leo und Gardinal 
Diakon Johann nad) Eonftantinopel, um beim griechiſchen Hofe Hülfe gegen 
die Tyrannei Otto's zu ſuchen, zwei andere, Salek, von Geburt ein Bulgare, 
aber in Ungarn erzogen, welcher das volle Vertrauen Octavians genoß, und 


*) Muratorl, antichitd ostensi I, 139 fig. *) Perg IL, 840 anten 
PH Be 9 Pi 


Siebtes Bud. Gap. 15. Verfahren d. Kaiſers Otto J. gegen Babft OctaviansJohann XIL 981 


Zahäus, Taut der Behauptung Liutprands ein Schuft, den der Pabft kaum 
zuvor, und zwar wider die Kirchengeſetze, zum Bilchofe von Genzano auf dem 
Latinerberg erhoben hatte, nad Ungarn, um diefen Erbfeind des deutſchen 
Volks zu einem Einfall in Germanien zu reizen. Sei es daß die Gefanbten, 
durh Otto's Geld gewonnen, jelbft nicht reinen Mund hielten, ſei es daß 
ihre Aufträge von Andern verrathen wurden: alle vier zufammen fielen zw 
Capua in die Hände der Soldaten Otto's, und man fand bei ihnen päbſt⸗ 
liche, mit Bleibullen verjehene Briefe, weldhe Johann⸗Octavian's Abſichten 
außer Zweifel jeßten. 

Warum nun biefe bittere Yeindfeligfeit des Pabſtes gegen einen Kater, 
ver ihm doch laut obiger Urkunde fo unermeßlihes Gut gefchenft hatte? Liuts 
prand lüftet jelbft ven Schleier, indem er fagt:') Klagen ſeien von Octavian 
erhoben worden, daß Otto alle Berngar abgenommenen, von Rechtswegen 
der römischen Kirche zugehörenden Befigungen, ftatt fie an den wahren Herrn 
wrüdzugeben, für fih behalte und die Hinterfaffen derjelben in Faiferliche 
Pflichten genommen habe. Diejes Eingeftändniß Liutprand’s nöthigt, — wohls 
gemerft — auf eine vorangegangene Schenfung zu fchließen. Der Bilchof von 
Gremona erfennt alſo verdedt die Aechtheit der Urfunde vom 13. Februar 962, 
über die er fonft beharrlich jchweigt, an. Auch muß die Klage Octavians 
begründet gewejen fein. Zwar wirft Liutprand eine Bemerfung bin, aus 
welcher zu erhellen fcheint, daß Dtto wirklich feinen Schwur erfüllte und der 
Kirhe ihr Eigenthum zurüdgab. Denn er jagt, „nicht bloß ſtellte Dtto die 
Kirhe in den Beſitz des Eigenen ber, fondern er ehrte fie auch durch uners 
meßliche Geſchenke an Gold, Silber und Evelfteinen.“ 

Allein erftli find die von ihm gewählten Worte?) des erften Satzes fo 
auf Schrauben geftellt, daß fie möglidherweile dad Gegentheil von Dem bes 
deuten können, was er zu fagen fcheint. Für's Zweite hebt der zweite Sag 
gewoifjermaßen den erften auf: wenn Otto die römifche Kirche mit unermeßs 
liden Geſchenken an Gold und Kleinodien ehrte, jo drängt fih die Ders 
muthung auf, daß dieſe metalliihen Schäge ein Erjag, eine Abfindung für 
die wirflih unermeßlichen Ländereien fein follten, die er dem Vertrage zuwider 
nit herausgab. 

Endlich — und dieß ift entfcheidend — weiß Fein anderer Ehronift ein 





2) Ibid. ©. 341. 2) Merk III, 340 gegen unten : solum propria non röstituit, verum 
etiam ingentibus gemmarum, auri argentique muneribus bonoravit. 2iutprand war — bad 
verrathen feine Schriften — ein guter Lateiner. Nun befagt, fireng genommen, ber Gap 
wlam propria non restitnit: (Dtto Fam fonft jeinen Verſprechungen nad) „nur das Gut gab 
er nicht zurüd”, allein das etiam im fulgenden Zap räth anzunehmen, daß ber Chronik 
Otio's nur mißbräudhlich im erfien Sat die Umftellung solum propria non restituit flatt des 
tihtigen non golum propria restituit, was dem Sinne nach ſehr verſchieden if, angewendet 
habe. Der Wachs macht nach zwei Geiten Fronte! 


2 i PabR Gregerias VIL. und fin Sellin . 


Wort davon, daß Dito zwiſchen 962 und 966 Petri Stuhl in ven Beſij 
verlorner Güter wieberhergeftellt Habe, während ver Fortſeher Regino's pfliht 
lich meldet, daß im Jahre 967 eine Rüdgabe des Gebiets von Ravenna und 
ver Pöntapolis erfolgt fei. Ich glaube nicht, daß Liutprand ganz lügt — 
bavor hütete.er ſich — aber ebenfo wenig fagt er die volle Wahrheit. Meines 
Erachtens beſchränkte fid) die von Dito 962 vorgenommene Herſtellung auf 
die Uebergabe der ficben Orte, welde der neue Kaiſer kraft der Urkunde als 
perjönlihes Geſchent dem h. Etuhle geopfert hatte. Ich werde unten auf 
dieſen Punkt zurüdtommen. 

Nach Dftern 963 rüdte‘) Otto mit Heeresmacht von Pavia aus über 
Ravenna vor das Schloß Et. Leo, in weldem König Berngar und feine 
Gemahlin Wila lagen. Den ganzen Sommer über dauerte die Belagerung. 
Gleichwohl verfügte Dtto damals über bedeutende Streitkräfte, denn als er im 
Herbfte des nämlichen Jahres nad) Rom abſchwenlte, ohne das Schloß ge: 
nommen zu haben, ließ er vor demfelben eine Abtheilung feines Heeres zurüch 
die ſtark genug war, um im Winter St. Leo zu bewältigen, und doch nahe 
er zugleich eine zweite größere Abtheilung mit ſich, welche bie vereinigte Mach 
des Pabſtes und des Mitregenten, Königs Adalbert, überwand, beide in biı 
Blucht trieb, Rom eroberte und eine neue Pabftwahl erzwang. Das Lageı 
vor St. Leo birgt Gcheimnifje, welche unten enthüllt werden follen. 

Die Nachricht, daß feine vier nach Eonftantinopel und Ungarn beftimmter 
Botſchafter in die Hände der Kaiferlihen gefallen feien, hatte den Pabſt un 
ruhig gemacht, er ſchidte daher eine Gefandtihaft zu Dito vor St. Leo, un 
demſelben erſtlich zu erflären, daß die vier Gefangenen Feine päbftlihen Bot 
ſchafter, fondern Verräther ſeien, welche die bei ihnen gefundenen Briefe ge 
ſchmiedet hätten, damit der Schein auf Octavian-Johann falle, als wolle e 
den Kalfer verraten; zweitens um Beſchwerde zu führen, daß Dito feineı 
Eid bezüglich des Kirhenguts nicht erfülle. Der Kaifer ertheilte auf beit 
Bunkte eine höhnifche und doch ausweichende Antwort: „jene vier Botſchafte 
lenne er nicht, nur fo vicl wiſſe er, daß fie mit Achten päbftlichen Briefei 
feinen Sofvaten in die Hände gefallen fein. Auch der zweite Vorwurf er 
mangle jeder Begründung, im Gegentheil denfe er fo ernftlih an Erfüllun 
feines Verſprechens, daß er gegenwärtige Belagerung des Schloſſes St. Le 
einzig und allein darum unternommen habe, um es der römijchen Kirche z 
überliefern.“ 

Otto begnügte fi nicht, mit ſchönen Worten um ſich zu werfen, fon 
dern er handelte. Zu der Geſandtſchaft, die Ind Lager vor St. Leo fam 
hatte der Pabſt den Kanzler Leo und einen der erften Adeligen Roms, De 
metrius, auserſehen. Beide lamen als Diener Octavians, aber fie ginge 





) Berg Ul, 341 vergl. mit I, 626. * 


Eihied Buch. Gap. 15. Verfahren d. Kaiſers Otto J. gegen Pabſt Octavian⸗Johann XII. 983 


at mehr als ſolche fort, und zwar darum nicht, weil Kaifer Dtto fie 
auf leine Seite herüberzog, mit andern Worten, weil er fie zum Abfalle vom 
Babe verleitete. Liutprand meldet felbft, daß der nämliche Leo, welcher fidh 
nmald im kaiſerlichen Lager einfand, etlihe Monate fpäter durch Otto auf 
Ketri Stuhl erhoben ward. Ebenjo erhellt aus feiner eigenen Darftellung, daß 
«d Amtogenoſſe Demetrius auf der römifchen Synode vom Herbie 963 
kinen Gebieter Johann XII. ftürzen half. 

Mit Dem oben gefchilderten Beſcheide ſchickte Otto die beiven Römer an 
den Pabſt zurüd, aber er gejellte denſelben zwei Begleiter bei, nämlich bie 
Biihofe Landwart von Minden und Liutprand von Bremona — man fieht 
hieraus, wie vollfommen der Gejchichtichreiber Otto's Bertrauen genoß und 
deſſen Geheimniſſe kannte —. Mitgegeben aber wurden diefelben angeblid, das 
mit fie dur ihre Ausſage die der beiden Römer befräftigen möchten. Hins 
wiederum erhielten aud die zwei kaiſerlichen Biſchöfe ein Geleit, beftehend in 
einer Abtheilung von Soldaten. Die Aufgabe diefer handfeften Reijegenofien, 
lo behauptet abermal Liutprand, ſei geweien, für den Fall, daß Pabft Jos 
hann⸗Octavian den doppelten Berichten der zwei Römer und der zwei Kaifers 
lihen nicht glaube, die Worte derfelben durch das Gottesurtheil eines gerichte 
lihen Zweifampfs außer Zweifel zu ſetzen. 

Die deutihen Bifhöfe fanden zu Rom beim Pabfte eine überaus froftige 
und fchlimme Aufnahme, auch von dem angebotenen Beweis durch die Fäuſte 
der mitgebradhten deutſchen Soldaten wollte Johann⸗Octavian nichts hören. 
Doch jagt Liutprand nicht, daß die Bilchöfe umfehrten, fie müflen aljo ges 
blieben fein. Seine weitere Schilderung iſt in prädtige, bochromantijche, 
mit mythologiſchem Flitter gezierte Redensarten eingehülltz er fpriht von ben 
kigen Etrahlen des Phöbus und dem glühenden Geftirn des Krebſes, die 
wiammenwirfend ven Kaiſer von einem fchnellen Marich auf Rom abbhielten, 
und preist dann das ſüße Geftirn der Jungfrau und die milden Herbftlüfte, 
die ed brachte, weil fie dem Kaifer geftattet hätten, wirflih vor Rom zu 
rüden. Durch dieſes Geſchwätz wird die alte Erfahrung beftätigt, daß, wer 
mitten in der Erzählung profaifcher Dinge den romantischen Ton anfchlägt, 
entweder ein Dummfopf ift oder auf Betrug finnt. 

Im Uebrigen ergibt fid) aus Liutprand’8 Flaren Worten, daß während der 
Anwejenheit der zwei jo übel empfangenen kaiſerlichen Bijchöfe folgende Dinge zu 
Rom vorgingen: erſtlich empoͤrte) ſich der größere Theil des roͤmiſchen Stadts 
adeld gegen den Pabft und befegte ihm zu Trotz die Et. Paulsburg. Zwei⸗ 
tend hiedurch in Verzweiflung getrieben, that Octavian-Johann Etwas, was 
er biöher ängſtlich vermieden hatte, er lud nämlich Adalbert, Berngar’s Sohn 


— — 





) Berk II, 842: major Romanorum pars optimatium sancti Pauli oastellum invasit, 
sanetumque imperatorem, obsidibus etlam datis, invitarit. 


084 Vabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


und Mitregenten, nad Rom ein und machte mit ihn gemeine Sache. Und 
nicht mit leeren Händen kann Adalbert gefommen fein, jondern er muß Sol 
daten — wahrjcheinlihd Saracenen — mit fi gebracht haben, denn fofort 
wurden die adeligen Empörer in St. Paul belagert und riefen, in die Enge 
getrieben, Otto's L Hülfe an, dem fie fogar Geißeln ftellten. Drittens lieh 
nunmehr der Kaifer das bisherige Zaudern fahren, brach aus dem Lager vor 
©t. Leo auf, eilte nah Rom, nahm die Stadt, feste Johann XIL ab und 
erhob an feiner Statt den biöherigen Kanzler Leo auf Petri Stuhl. Er hatte 
endlich das Ziel erreicht, auf das er feit faft zwei Jahren loöfteuerte. 

Ich muß meine Behauptung beweifen. Offenbar war die lange Un 
thaͤtigkeit, welcher fih Dito fcheinbar von der Mitte Yebruar 962 bis zum 
Herbfte 963 bingab, darauf berechnet, Pabſt Johann zu verleiten, daß cı 
unzweifelhaft, weltfundig, handgreiflih, mit dem Kaifer brede. Der Brud 
erhielt aber die gewünjchte gerichtlihe Kraft nur dann, wenn Octavian, den 
Worten der Huldigung vom Bebruar 962 zuwider, mit Berngar oder Adal⸗ 
bert anfnüpfte, den Einen oder den Andern nah Rom rief. Im Laufe des 
Jahres 962 machte fih Dtto, als wenn ihn das mittlere Italien nichts am 
ginge, in dem fernen Alpengebiet am Lago Magglore zu ſchaffen. Wirklich 
Ihöpfte Johann XI. Muth und ſandte jene Boten aus, welche jedoch in die 
Hände der Kaiſerlichen fielen. Das genügte dem deutichen Herricher nod 
nicht. Otto rüdte im Sommer vor St. Leo, das immerhin gegen 80 Stun 
den von Rom entfernt iſt. 

Hätte nun der Kaiſer dieſes Schloß, jo wie er es offenbar vermochte, 
im Sturm genommen, was würde die Folge geweſen fein? Ohne Zweifel 
dieß, daß Detavian es nicht wagte, die Masfe gegenüber einem Yeinde, ter 
feine Macht eben erprobt hatte, abzuwerfen. Alſo rieth dem Kaifer Klugheit, 
fih zu ſtellen, als jei er unvermögend, mit Berngard zujammengelaufenen 
Soldaten fertig zu werden. Wirklich harrte er vor dem elenden Nefte ben 
ganzen Eommer aus, troß den heißen Strahlen des Phöbus. Immerhin that 
Detavian den von Dtto jo heiß erjehnten Schritt nidt, und zwar darum, 
weil er an die vorgeipiegelte Unmacht nicht glaubte. 

Nun wurde eine dritte Schraube angejegt. Sene beiden Bilchöfe, die 
unter fo läderlihem Vorwand nad Rom famen, hatten den Auftrag, Parthei 
unter dem Adel zu machen, und damit diefer um jo eher vorichreite, gefellte 
man ihnen einen Haufen deutſcher Waffenfnechte bei. Es gelang: ber rös 
mifche Herrenftand, der nunmehr faft 60 Jahre mit Octaviand Bater und 
Großvater in engem Bunde gegen Petri Etuhl ftand, erhob fi wider den 
Eohn und Enkel, welcher jelber Pabt war. Warum? Ich fehe den Schlüffel 
des Rathſels in den oben erwähnten Sägen der Dttonifchen Urfunde von 
962, welche befagen, daß Hinfort, wie in den Zeiten Lothars L, bei Erledi⸗ 
gung des Etuhled Petri nur der Adel über die Wahl zu entſcheiden habe. 


Siebtes Buch. Gap. 15. Verfahren d. Kaiſers Otto I. gegen Pabſt OctaviansJohann XII. 285 


Bis zum Tode Alberichs I. hatte der Herrenftand im Verein mit Mas 
rocia, jeit Alberichs II. Erhebung zum Fürften hatte dieſer — doch fhwerlich ohne 
Beiziehung der Ariftofratie — Päbfte gezeugt. Aber im Sahre 955, bei 
Erhebung Octavians war, wie ich unten zeigen werbe, eine andere Ordnung 
eingeführt worden. Seitdem übte das gemeine Volk Roms einen überwiegenden 
Einfluß, wie auf die Pabftwahl, fo auf die übrigen öffentlichen Angelegen⸗ 
beiten, und Octavian⸗Johann zeigte ſich entfchloffen, dieſe neue Einrichtung 
aufrecht zu halten. “Die adeligen Herren hatten alfo guten Grund, zu Gunſten 
des Kaiſers, der Petri Stuhl fammt dem Kirchengut in ihre Hände zu geben 
verhieß, wider Octavian, der auf den gehaßten Pöbel fih fügte, die Waffen 
m ergreifen. 

Was den nächftfolgenden Aft betrifft, fo deutet der Kortfeper Regino's an, 
daß Octavian⸗Johann durch befondere Umftände veranlaßt worden fein muß, 
auf das Tänaft angebotene Bündni mit Adalbert Berngars Sohne einzus 
gehen. „Adalbert,“ ſagt) er, „Ichweifte unftet überall herum, zog jeden an 
fih, der ihm zulief, ging unter Anderem nad Corſika, um dort Hilfe zu fuchen. 
Auh dem römiihen Pabfte machte er vielfache Anträge, daß er fi mit ihm 
verbinden möge.” Demnach hatte Sohann frühere Anerbietungen des ger 
fürzten Königs zurückgewieſen. Weber die Reifen Adalberts gibt Liutprand 
genauere Auskunft, indem er meldet: ) „die Uebermaht des heiligen 
Kaiſers Dtto hatte Adelbert, den Verderber der Kirche und ehemaligen Vers 
folger des Pabſtes Johann XII., in ſolchen Schreden verfeht, daß er aus 
Italien entwich, nad) Garde⸗Frainet (in der Provence) floh, und fi den Sa⸗ 
racenen in die Arme warf.” Dann weiter unten: „auf eine Einladung, 
welche Pabft Johann XII. (nah Empörung des Adels) an ihn ergehen ließ, 
eilte Adalbert von Garde⸗Frainet nad Civita⸗Vecchia, von da weiter auf 
Rom, wo ihn der Pabft ehrenvoll empfing.” 

Und nun nach Adalberts Ankunft erfolgte, laut Liutprands Darftellung, der 
Angriff auf die in der Paulsburg verfchanzten Adeligen. Natürlih! Hätte der 
Lombarde Feine Bewaffneten bei fich gehabt, jo würde JohannsOctavian den 
für ihn fo gefährlihen Bund mit dem Gebannten nicht abgeichloffen haben. 
Sagt ja doch Regino's Fortfeger, daß Adalbert alle möglichen Abenteurer in 
feine Dienfte nahm. Unter Denen, welche mit ihm famen, waren ficherlich 
auch Turbane. Denn für nichts blieb Adalbert gewiß nicht jo Tange bei den 
Saracenen der Provence und der nahen Inſeln. Zu bemerfen ift nämlich, 
daß der von Liutprand allein hervorgehobene Beſuch zu Garde Frainet das 
von Regino's Kortjeger wie auch von der falernitanifhen Ehronif”) bezeugte 
Berweilen Adelberts auf der Inſel Corſika nicht ausſchließt. Denn letztere 


) Berg 1, 625. 5 Berk III, 340 u. 342. °) Perk III, 554. 


286 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Inſel befand ſich damals jo gut als der provençaliſche Hafenplag in der Gewalt 
der Saracenen. 

Kaum hatten die im Schloß von St. Paul durch die Mannſchaften 
bed Pabfts und des jungen Königs bebrängten Empörer den Kaiſer zu Hilfe 
gerufen, als diefer aus dem Lager von St. Leo (mo jedoch eine Abtheilung des 
Heered, um das begonnene Werk fortzuführen, zurüdblieb) aufbrach und im 
September oder Anfangs October vor Rom rüdte. Sogleich entflohen Adal⸗ 
bert und der Pabſt — letzterer nicht ohne den St. Peters:Schag mit fich zu 
nehmen‘) — aus der Stadt. Regino's Fortfeper, obgleich er zu Gunſten bes 
Hofes die Feder führt, gefteht ein, daß in Rom trotz der Flucht des Pabſts 
fortwährend eine Parthei zu ihm hielt, aber doch gerathen fand, für ben 
Augenblick ihre wahre Meinung zu verbergen. 

Sowohl die Abgeneigten, als die Anhänger des Kaiſers bereiteten Ihm 
einen prächtigen Empfang. Indeß forderte Dtto, ehe er weiterfchritt, eine 
Vorbedingung, die ih mit Liutprands Worten?) wiedergebe: „die Bürgerfchaft 
Roms ſchwur dem Kaiſer von Neuem Treue, indem fie dem früheren Eive 
bie weitere Beftimmung beifügte, nie würde fie fürder einen Pabſt wählen 
oder weihen, ohne daß der großmädhtige Kaiſer Dito und deſſen gleichnamiger 
Sohn König Otto die Vorwahl getroffen, und hernach dem von den Römern 
wirflih Gewählten die Betätigung ertheilt hätten.” Das heißt ohne Frage: 
in Fällen der Erledigung des Stuhles Petri werde erft der Kaiſer ben 
wählen, der ihm behage; wann Ihro kaiſerliche Majeſtaͤt dann ſolche Wahl 
getroffen, fo fiehe es dem Volke frei, ven vom Kaiſer Gewählten auch zu 
wählen, oder vielleicht zu verwerfen. In feinem Kalle aber dürfe ein von 
den Römern Erforner Petri Stuhl befteigen, er habe denn zuvor die kaiſer⸗ 
liche Beftätigung erlangt. 

Das war ed, was Dtto längft wollte. Die Urkunde vom 13. Februar 962 
hatte verfügt, 1) die Erwählung eines Pabſts darf mur genau in der von 
den h. Canones vorgefchriebenen Weife geichehen (gefchieht fie anders, fo hat 
fie feine Gültigkeit). 2) Der Gewählte kann erft dann geweiht und auf 
Petri Stuhl eingefegt werden, wenn er vorher in Gegenwart der Faiferlichen 
Sendboten den Huldigungseid abgelegt hat, den einft in Carls des Großen 
Tagen Leo ILL freiwillig dem Throne fhwor. 3) Zur Pabftwahl find bloß 
die Mitglieder des höheren römijchen Clerus und der Stadtadel beredtigt; 
ausbrüdlich wird der große Haufe römifcher Breien und der Halbfreien davon 
ausgefchloffen. 4) Stets find Faiferlide Senpboten in Rom anweſend, aber 
feiner derſelben fol fi} bei ſchwerer Strafe unterftehen, irgend welchen Einfluß 
auf die Wahlen zu üben. 

Diefe Wahlordnung war allerdings günftig für den Kaifer, weil fie ihm 


—— — — — 


*) Berg I, 628. *) Perg IIL 342. 


Siebtes Bud. Gap. 15. Berfahren d. Kaifers Otto I. gegen Pabſt Octavian-Johann XTI. 287 


erſtlich ſtillſchweigend die Befugniß einräumte, Rechenſchaft darüber zn fordern, 
ob eine Wahl völlig den Canones gemäß geweſen ſei; weil fie zweitens die 
Zeugung der Päbfte großentheils in die Hände einer Claſſe niederlegte, welche 
vom kaiſerlichen Throne durch die zwei ftarfen Triebfedern der Furcht und 
Hoffnung abhängig war — denn nur durch die Gnade des Kaiſers Fonnte der 
römiſche Stadtadel Lehen erwerben — ; weil fie drittens den Gewählten verpflich⸗ 
tete, dem Herrfcher einen Huldigungseid zu Ieiften, der läftig genug geweien 
fein muß, da ſowohl Otto I. als Heinrich IL, (welcher letztere Die Urkunde 
ſeines Vorgängers ermeuerte) nicht für gut befunden haben, Leos III. Schwur 
m veröffentlihen. Gleihwohl kann man faum leugnen, daß mit der Verord⸗ 
nung vom 13. Februar 962 eine freie Pabftwahl noch immer zu den Mögs 
lihfeiten gehörte. Anders verhielt es fih mit der Verpflichtung, welde das 
römifche Volk im Herbfte 963 einging. Diefer Schwur überlieferte Petri 
Stuhl, gefeffelt und gebunden, wie einen Sklaven, der Wilfür des kaiſer⸗ 
lichen Herm. 

Nunmehr verfammelte Otto eine große Synode zu Rom, anwelder vier vers 
ſchiedene Elaffen von Menfchen Theil nahmen:') 1) Biichöfe und Erzbifchöfe 
aus Deutihland und Stalten, 2) die Barbinals Priefter und Diafone der 
Pfarrkirchen Roms fammt den geiftlihen Mitgliedern des päbftlihen Hofs 
ſtaates, 3) zwölf Angehörige des römifchen hohen Adels, 4) ein Vertreter 
des gemeinen roͤmiſchen Volks und zwar lebterer mit der gefammten römijchen 
Stabtwehr, als deren Befehlshaber er unzweifelhaft erfcheint. 

Was die erfte Elafje betrifft, fo waren außer den Metropoliten von 
Aquileja, Ravenna, Mailand oder deren Stellvertretem und außer den deutſchen 
Kirchenhäuptern von HamburgsBremen, Minden, Speier gegen 40 Bilchöfe 
aus allen Theilen Italiens, von den Alpen im Norden bis zur griechiſch⸗ 
faracenifchen Gränze im Süden, zugegen. Eine folde Maſſe Prälaten Tann 
man nicht in wenigen Tagen berufen, fondern es bedarf geraumer Zeit, um 
fie aufzumahnen und zu verfammeln. Folglich ift Mar, daß Kaifer Otto die 
fragliche Synode von Weiten her vorbereitet hat, während doch Liutprand bie 
Sache fo darftellt, als habe der deutfche Herricher alles, was er that, gethan, um 
bie ungerechten Handlungen des Papſtes Johann XII, die jener nicht voraus⸗ 
ſehen konnte, abzuwehren. 

Die zweite Claſſe gibt einen Begriff von den Titeln der Cardinalkirchen 
Roms, ſowie vom päbſtlichen Hofſtaate. Die erwähnten Titel find: St. Bal⸗ 
bina, Anaftafta, St. Damafus, Chryfogonus, Equitius, Pammachius, Calixtus, 
Sirtus, die vier gefrönten Märtyrerinnen Sancta Sufanna, Cecilia, Lucina, 
Sabina. Als Mitglieder des päbftlihen Hofftantd werben aufgezählt ein Pri⸗ 
miceriud, ein Secundicerius, ein Amminiculator, ein Schagmeifter (arcarius), ein 


‘) Berg IIL, 344. 


288 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


Primicerius oder Vorſtand der Defenforen, ein Zahlmeifter (saccellarius), ein 
Primicerius oder Vorſtand der Singſchule, ein Archiakolythe, viele Kanzliften 
(seriniari), Subdiacone, dann Oblationarii, Subdiakone, Subpulmentaril, 
Alolythen und Regionarii. Die Ramen ver alten Aemter aus Pabſt Gregors 1. 
Zeiten beftanden fort. 

Aus der dritten Claſſe verdient befondere Beachtung Erescentius mit dem 
Beinamen zum marmornen Roffe. Ich werde fpäter mehr von ihm berichten. 
Bon den aufgeführten Mitgliedern des römifchen Herrenftands tragen mehrere 
Beinamen, die meined Erachtens von Befigungen oder Stammhäufern herrühren: 
Stephan on Imiza, Johann von Mizina, Leo von Cazunuli, Peter von Canna⸗ 

Auch jener Demetrius, der zugleich mit dem Kanzler Leo im kaiſerlichen 
er vor St. Leo als päbftliher Geſandter erfchien, fehlt nicht, er erhält 
den Beinamen Meliofi, den ich nicht zu erflären weiß. 

Eine römifche Urkunde‘) vom 28. Juli 966 erwähnt nebft andern des 
ligen Beter von Gannapara, Johann von Mizina, Theodor, Sohn der Rufina ; 
unter dieſen ift höchſtwahrſcheinlich der erfigenannte eine SPBerfon mit dem von 
Ziutprand genannten, mit den beiden andern bürfte es ſich ebenſo verhalten, 
obgleich der Titel bei Liutprand etwas anders lautet, nämlih Johann zuges 
nannt Mizina und Theodor von Rufina. In einer zweiten, jchon früher 
von und benügten Urkunde?) aus dem Jahr 939 kommt ein Herzog Georgius 
sum Borfchein, der genannt wird „Georg von Cannapara“. Meines Erach⸗ 
tens gehörte dieſer Georg demfelben Haufe an, wie obiger Peter. Die roͤ⸗ 
mifchen Großen gaben fih, wie man fteht, fchon vor der Mitte des zehnten 
Jahrhunderts Beinamen nad ihren Stammfigen. 

Als den wichtigften unter allen Theilnehmern der Synode betrachte ich 
den, welden Liutprand in letzter Linie mit den Worten‘) aufführt: „von 
Selten des gemeinen Volks und zwar mit der ganzen römiſchen Miliz wohnte 
der Berfammlung an Peter, welder aud das Kaiſerchen genannt wird.“ 
Wir lernen diefen Peter noch aus einer zweiten Quelle fennen, nämlid aus 
der obgenannten Urkunde vom Jahre 966, Taut welcher er einen Rechtöftreit 
gegen den Lalenabt Georg von Subiaco führte, und unter vier verichiedenen 
Namen auftritt, nämlich erftens ale imperium (Kaiſerthum), dann al® imperius 
(wohl barbariſche Form für imperium), dann ald imperio (nad) italifcher 
Mundart), endlich als Peter, der zugenannt ift imperio. Dieſe verſchiedenen 
Benennungen rühren nach meinem’ Gefühl daher, weil die adeligen Herren, 
bie in dem fraglichen Handel fiegten, damals nad erfolgter Niederlage der 
Volksparthei, ihren Spott mit den „Kaiferchen“ trieben. 

Im Uebrigen erhellt unzweifelhaft aus Liutprands Worten: erftlid daß 

1) Abgebrudt bei Wil. Gieſebrecht, deutſche Kaifer I, 822. 2) Ibid. ©. 818. 


2) Berk ILL, 342: ex plebe Petrus, qui et imperiola est dictus, adstitit cum omni Boma- 
pram milidia. - 


Siebtes Bu. Gap. 15. Verfahren d. Kaifers Otto J. gegen Pabſt Octavian- Johann XI. 289 


im Jahre 963 das gemeine Volk von Rom, oder wenn man fo fagen will, 
daß der römiſche Pöbel in den wichtigften Angelegenheiten des Kirchenſtaats, 
wie die Abjegung eines Pabſtes, mitzuſprechen hatte; 2) daß es Magiftrate 
oder Vorfteher dieſes Poͤbels gab; 3) daß Peter, Kaiferhen genannt, ents 
weder Haupt des gemeinen Volks oder wenigftens einer der vornehmften unter 
ten Bolföbeamten war; A) daß er den Befehl über die Stabtwchr führte. 
Unfeugbar iſt, ein merfliher Wechfel hatte in der römifchen Stadtverfaffung 
fih ereignet, etwas, das einer Demofratie glich, war eingeführt worden. Wir 
werben bald auf weitere Beweiſe derfelben Thatſache ftoßen. 

„Ziefed Schweigen herrichte in der Verſammlung“ — fo berichtet Liut- 
prand — „al& der heilige Kaiſer fih erhob und alfo zu reden begann: „wait 
Beiremden ehe ih, daß Einer — Pabſt Johann — unter den bier vers 
jammelten heiligen Bätern fehlt. Was iſt ver Grund, daß er fi nicht 
eingefunden bat? Nun brah ein Strom allgemeiner Verwünfchungen gegen 
den Pabft los, ausgeftoßen von den römiſchen Biſchöfen, den Carbinalpres; 
botern, den Diafonen. und von dem gefammten‘) Haufen.” Den Baden der 
Erzählung unterbredend, bemerfe ih, daß laut Liutprands eigenen Worten 
nicht das Kaiferhen allein als Vertreter der gemeinen Römer dem Aft ans 
wohnte. Denn der gelammte Pöbel fchrie ja mit. Da er nun Eingangs im 
Berzeichniffe der Anmefenden außer dem „Kaiſerchen“ und neben ihm nur bie 
Stadtwehr als eine Gemeinſchaft folder namhaft macht, die möglicher Weife 
zu den Plebejern gerechnet werben können, fo folgt, daß die lehtgenannten 
Schreier Stadtſoldaten waren, und weiter, daß die Bürgerwehr aus den nies 
deren @laflen römiſcher Freien befand. Liutprand fchreibt weiter: „abermal 
erhob fi der Kaiſer und verlangte, die Klagen follten einzeln worgebracht 
werden und die Kläger fih nennen. Hierauf traten viele Cardinäle, Diafone, 
niebere Glerifer auf und bezüchtigten den Pabſt der Blutfchande, der Hurerel, 
des Morde, der Oraufamfeit, fchwerer Verlegung der Klirchengebote, heidniſchen 
Aberglaubens, frecher Läfterung der chriftlichen Religion.” 

Dtto fand für gut, dieſen Beichuldigungen den Schein der Mäßigung 
und Borficht entgegenzufegen. „Da er mit den Römern nicht fertig (Latein) 
iprechen Eonnte,” fährt unfer Chronift fort, „beauftragte er den Biſchof Liut- 
prand, der Berfammlung Folgendes mitzutheilen: der Kaifer weiß, daß bie 
Welt es liebt, Männer, die hohe Aemter befleiven, in den Staub herabzus 
jiehen. Bei Allem was heilig, bei dem Allwiffenden, dem nichts verborgen 
bleibt, bei der ſeligſten Gotteögebärerin und unbefledten Jungfrau Marla, bei 
den unfegäisbaren Gebeinen des Apoftelfürften Petrus, in deſſen Kirche Wir 
verfammelt find, beihwört er Euch, ‚nichtd gegen den Pabſt auszufagen, was 
Ihr nicht felbft mit eigenen Ohren und Augen wahrgenommen habt. Nber- 


1) Tune romani pontifices et cardinales etc. cum unirersa plebe dixerunt. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vu. Br. V, 19 


290 abſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


mal befräftigten die Biſchöfe, Die Diakone, der übrige Clerus und das ge 
fammte anmejende Volk Roms‘) bie früher vorgebraden Klagen 
wie mit einer Stimme.” 

Sept erließ der Kaifer an den abweſenden Pabſt ein Schreiben, das 
Liutprand, ohne Zweifel aus der Urfchrift, mittheilt. Der wejentlihe Inhalt 
lautet fo: „Wir Otto, von Gotted Gnaden Kaifer, mit den Erzbiſchöfen und 
Bilchöfen Liguriend, Tusciens, Sachſens, Franciens, in unferem Herm Jeſu 
Chriſto an den Pabſt Johann! Da Wir neulih im Dienfte Gottes nad 
Rom kamen und Eure Eöhne, die Kirchenhäupter Roms, die Cardinal⸗Pres⸗ 
byter und Diafone, fowie au die gefammte Volfögemeinde?) bes 
frggten, was die Urfache fei, daß Ihr es verſchmähtet, Und, den Vertheis 
diger der Kirche und Eurer Perfon, zu fehen, wurden gar fchmählice 
und ſchmutzige Dinge über Euch ausgeſagt, die jelbft den niebrigften Poſſen⸗ 
reißern Schande machen würden.” Bolgen nun einzelne der bereitö oben mits 
getheilten Anflagen. Dann beißt es weiter: „verohalben fordern Wir Eud 
auf, eilends nah Rom zu reilen und Euch wider ſolche Beichuldigungen zu 
reinigen. Solltet Ihr-etwa fürchten, die Volksmenge Fönnte ihre Wuth an 
Euch auslafjen, jo geben Wir Euch hiemit Unfer kaiſerliches Wort, dag Euch 
nichts geſchehen fol wiber den Inhalt der heiligen Canones. Gegeben den 
6. Rovember (963).“ 

Auf dieſe Zufchrift antwortete Alberichs II. Sohn mit lakoniſcher Kürze: 
„Johann Pabft, Knecht der Knechte Gottes, an alle Biſchöfe. Wir haben 
vernommen, daß Ihr einen andern Pabft einfegen wollet. Wenn Ihr dieß 
thut, verfluh ih Euh by") Gott dem Allmäctigen, und Ihr follet Feine 
Erlaubnig mehr haben, Niemanden zu weihen und irgendwo cine Meffe zu 
leſen.“ Sogleich wird fi ergeben, daß Liutprand abfihtlih die Eprachfehler 
Johanns beigebracht hat: er will ihn als einen Menſchen ohne Bildung vers 
höhnen. Im Uebrigen traf Alberichs II. Eohn den Nagel auf den Kopf. Dus 
Dichten und Trachten Ottos war Darauf gerichtet, Johann abjuſchen, doch 
nur für den Fall, daß er nicht zu Kreuze krieche. 

Nah Empfang der päbftlidien Antwort ftand es volle 16 Tage an, bis 
ein weiterer Schritt geſchah. Unſchlüſſigkeit muß im faiferlihen Rathe, 
Echreden unter den italienischen Biſchöfen der Ottoniſchen Parthei geherrict 
haben. Ohne Zweifel beforgten Lestere, daß Johanns Fluch fräftiger wirfen 
fönute, als des Sachſen Schutz. Der Kaifer wartete auf Zuzug fremder 
Helfer. Liutprand erzählt*) weiter: „erſt nachdem aus Lothringen Erzbiſchof 
Helnrich von Trier (des Kaiſers Vetter“), aus den Provinzen Aemilia und 





) wia. ©. 343: et cunctus Romanorum populus. ?) Insuper et universam plebem. 
Der Kaifer bekennt alfo felbft, daß in ber Synode, welche Gericht über ben Pabſt hielt, das 
niebrige Volk Roms vertreten war. ) Da Deum omnipotentem Italianismus da Die. 
*%) Berg III, 344. ®) Oben ©. 240. 


Eichted Buch. Gap. 15. Verfahren d. Kaifere Otto I. gegen Pabſt Octavians Johann XIL. 291 


Ligurien die Blfchöfe Wido von Modena (Dtto’8 I. Erzfanzlert) durch Stalien), 
Gezo von Tortona und Sigulf von Piacenza zu Rom eingetroffen waren, 
wurde Johanns XII. letztes Echreiben in einer neuerdings veranftalteten Eigung 
der Synode verfefen, und eine Gegenerklärung abgefaßt. 

Auch dieſes Echreiben theilt Lintprand aus der Urſchrift mit. Ich benmäge 
mich abermal, den wejentlihen Inhalt anzugeben. Die verfammelten Bifchöfe 
machen dem abweſenden Pabfte Vorwürfe darüber, daß er, obgleich in geſetz⸗ 
iiber Weiſe vor die Synode gerufen, nicht gefommen fei und auch feine Ents 
ihuldigung feines Ausbleibens überfchidt habe; fie filgen ihn ferner wegen ber 
grammatifaliihen Fehler in obigem Briefe aus; fie führen ihm endlich zu 
Gemüth, daß es ihm, wenn er auf dieſe legte Ladung hin abermal nicht ers 
heine, ‚fchleht gehen ſolle. Diefe Afte ift ausgefertigt unter dem 22. Ros 
vember (963). 

Der Pabſt muß, ald der Briefwechfel zwiſchen ihm und der Synode bes 
gann, in irgend einem Orte an der Tiber — ich denke zu Oſtia, wo eine 
Flotte Adalberts ihm Schu gewähren mochte, geweilt haben. Denn Liutprand 
jagt, die Boten, welde ihm das Schreiben vom 22. überbringen follten, 
hätten fih an die Tiber begeben, um ihn aufzuſuchen, aber Johann XL. nicht 
mehr dafelbft gefunden. Er war unfihtbar geworben, die ausgefenbeten Boten 
brachten den Brief uneröffnet an die Eynode zurüd, die nun zum dritten 
Male verfammelt wurde. Hier trat endlih Otto ſelbſt als Anfläger wider 
Johann XI. auf, bob aber nur folgende Punkte hervor: Johann habe den 
mit dem Kaiſer abgeichloffenen und befhworenen Vertrag gebrochen, gemeine 
Sache mit dem gebannten Adalbert gemacht, eine Empörung angezettelt, und 
fei im Angefiht des Faiferlihen Heeres in Waffenrüftung erjchienen. Auf 
diefe Anflagen geftügt, forderte er die Eynode auf, ein Urtheil zu fällen. 

„Und nun“ — fo berichtet Riutprand weiter — „entſchieden die vers 
ſammelten römischen Bifchöfe, der übrige Clerus und das ganze Bolf:?) 
eine unerhörte Wunde müfle "durch ein unerhörtes Heilmittel ausgebrannt 
werben, der Kailer möge jened Ungeheuer, das jo viel Schlimmes angerichtet, 
ausftogen und einen andern Pabft einfegen.” Nachdem Otto feine Zuftimmung 
gegeben hatte, erklärte das Concil Johann für abgelegt und erfor an feiner 
Statt den Erzfanzler Leo zum Etatthalter Petri. Cofort führten fie den Neus 
gewählten, dem Herfommen gemäß, unter Hymnengejang in den Lateran, von 
tort fpäter in den Petersdom, wo Pabſt Leo VILL die kirchliche Weihe und 
bie Huldigung der Römer empfing. 

Die Wahl erfolgte?) den 4. Dezember 963, die Einweihung wird Eonn- 


*) SRuratori, annali d’Ital. ad a. 965. 2) Berk UI, 845 et cunotus populus. 
) Zaffe, regest. ©. 324. 
19° 


292 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


tag den 6. Dezember vor fih gegangen fein. Zur Zeit, bar „oie Sonne in 
das Zeichen der Jungfrau trat, alſo im September 963, war Dito aus dem 
Lager vor Et. Leo aufgebrohen und vor Rom gerüdt, die Verhandlungen 
mit Pabſt Sohann XII haben alfo faft drei Monate gedauert. Und dod 
befaß”er die nöthigen Mittel der Gewalt, um den Sohn Alberichs nad) Gut: 
dünken niederzufchlagen. Folglich kann nicht Unmacht, nod Mangel an Be 
reitwilligfeit von Seiten der Synode Grund des Zögernd gewefen fein. 
Meines Erachtens hätte Otto geme den Pahft durch Schrecken dahin gebract, 
daß er die Beringungen annahm, welche der Kaiſer ihm vorzufchreiben ges 
dachte, in welhem Yale Johann XII. ohne Zweifel feine Würde behalten 
haben würde. 

Co fehr ver Sachſe alle Sabungen des Rechts und der Kirche verlebte, 
graute ihm body davor, einen Pabſt in folder Weiſe, wie e8 nachher wirklich 
wegen Johanns Standhaftigfeit geihah, abzuſetzen: er ſah gewiſſe fchlimme 
Folgen voraus, die auch eintraten. Die langjame Belagerung der Schlöſſer 
St. Leo und Garda hatte denfelben Zweck. Der Wunſch, feine Verbündeten, 
Berugar und Adalbert, zu retten, ſollte als Schraube dienen, und die Rad 
giebigfeit Johanns erzwingen. Denn faum ift die Abfegung über den Sohn 
Alberichs II. verhängt, fo fallen beide Feſtungen, Garda noch im Jahre 963, 
St. Leo zu Anfang des folgenden.‘) In lehterem mußten fih Berngar und 
feine Gemahlin Wille ‚ergeben. Beide wurden ald Staatögefangene nach Baiem 
abgeführt,?) wo Berngar 966 ſtarb und mit Föniglihem Pomp zu Bamberg 
begraben ward. Wille überlebte ihn, wie es Scheint, nicht lange, und nahm, 
ehe fie ftarb, den Schiefer. 

Kaum iſt nöthig, über dad Verfahren Otto's I. etwas zu jagen; es 
richtet fi jelber. Unleugbar war Johann XII. ein verzogener, des Pabft- 
thums unwürdiger Süngling, weldhen Gewalt auf Petri Stuhl hob. Aber 
nicht dem Sachſen Dtto fam es zu, denfelben wegen Unfittlichfeit zur Rechen: 
haft zu ziehen, denn als Dito fi mit Alberih8 Sohne einließ, ihm Eide 
ſchwor und Eide empfing, war Octavian derſelbe Menſch wie fpäter. Otto 
hat den Heiligen geipielt, nur um eigenen Meineid zu befhönigen. Wahrlich, 
gräuliche Heuchelei ward damals getrieben von dem Sadfen Dtto, und — 
ich füge bei — von dem Lombarden Liutprand, der fich nicht fhämt, das Ge⸗ 
bahren feines Herrn heilig zu ſprechen. 

Abermal fteht dem Berichte Liutprands das Zeugniß des Fortfegers der 
Chronif Regino’d zur Seite, und zwar meldet Ießterer etwas ausdrüdlic, 
was freilihd — obwohl nicht ganz fo Har — aud aus den Worten Feb er: 
fteren erhellt: nämlich daß Pabft Leo VIIL, außer durd die Stimme der Otto: 
nianifhen Biſchöfe und Garbinäle, insbefondere vom gemeinen Volke Rome 





1) Peru I, 6286. 3) Ibid. ©. 626 u. 628. 


Siebtes Bud. Gap. 18. Leo VIII. wird Pabſt. Aechtheit feiner Eakungen. 263 


gewählt worden iſt.) Wir find im Etand, die Zeit der Einführung dieſer 
Wahlart genau zu beftimmen. 

Bor dem Tode Alberihs IL. fand laut den früher?) nachgewieſenen 
Thatfahen das mehr ald Hundertjährige Herfommen in Geltung, vermöge 
deſſen nur Clerus und Adel das Recht der Babftwahl übten. Dagegen fleben 
Jahre fpäter, als Otto den Römerzug antrat, befaß das gemeine Volk Übers 
wiegenden Einfluß auf Bejegung des römischen Stuhls, wie überhaupt auf 
wichtige Staatdangelegenheiten. Denn Dtto findet für gut, Eraft der Urfunde 
vom 13. Februar 962 die Volkswahl abzujhaffen, und geftügt auf das Geſetz 
Lothars I. vom Jahre 824 dem Adel die Zeugung der Päbjte in die Hände 
zu ſpielen. Folglih muß jene Ordnung zwiſchen 954 — dem Todesjahr 
Alberichs IL. und zwiſchen 962 — und war höcfter Wahrfceinlichfeit nach 
aus Anlaß der beichlofenen Bereinigung geiftliher und weltlicher Gewalt, 
oder — was hiemif gleihbedeutend ift, zum Zwecke der Erhebung des bis: 
berigen Bürften Octavian auf Petri Stuhl ind Leben getreten fein. 

Allein nahdem Otto kraft ded Schwures, den ihn die Römer im Herbfte 
963 Teifteten, Herr des Pabſtthums geworden war, ließ er die Forderung ber 
Urfunde von 962 fallen und duldete nicht nur bei der Wahl, die auf bie 
Abfegung Johanns XII. folgte, fondern — wie fi unten ergeben wird — 
auch bei zweien jpäteren Bejegungen des heil. Stuhle, die ſeit 954 zu Recht 
beftchende Einmifchung des gemeinen Volke. Begreiflich if, daß er jo handelte. 
Seit er dad Recht beſaß, nah Gutdünken Päbfte zu zeugen, konnte es ihm 
an ſich gleichgültig fein, ob vie von ihm ausgegangene Ernennung hintendrein 
ter Adel, die Elerifei und die Gemeinde, oder ob fie bloß der erft- und zweit⸗ 
genannte Stand durch einen Schein von Nachwahl befräftigte. Prächtiger 
aber und großmüthiger jah ed aus, wenn er aud die Menge beizog. 


Sechszehntes Capitel. 


Bedingungen, welche Kaifer Otto feinem Gefchöpfe, dem Pabſte Leo VIII. auferlegte. Ders 
felbe muß feinem kaiſerlichen Gebieter das Recht, nach Gutdünken Päbfte und Biſchoͤfe 
einzufegen, fo wie faft das ganze Grundeigenthum der römifchen Kirche auf ewige 
Zeiten zufprechen. Ausführlicher Beweis für Hechtheit der Leonifchen Sapungen. Demos 
Eratifche Einrichtungen in Rom. Zufchrift des Bifchofs Ratherius von Verona an den 
kaiſerlichen Unterfanzler Ambrofius. 


Alle Gewaltthaten, welche Dtto I. im Herbfte des Jahres 963 verübte, 
zielten darauf ab, das Pabſtthum unter feine Kauft zu befommen. Diefes Ziel 
hatte er jedoch nur zur einen Hälfte durch jenen Schwur der Römer erreicht. 
Um gang durdjzufegen, was er wollte, mußte er zuwege bringen, daß eim 


1) Did. ©. 625 unten flg.: plebs romana Leonem — elegit. 2) Oben ©. 263 fig. 


294 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


Pabſt das von dem Clerus, den Großen, dem Pöbel beiwilligte Zugeftändr 
förmlih und unwiderruflich durch feine Zuftimmung beftätigte. Konnte nı 
jener Leo, den nur die ſchützende Hand Otto's auf feinem wankenden Etut 
hielt, dem Brodherrn irgend enwas Menjchenmögliches verfagen? Nimmermeh 
Man ift daher berechtigt, aus den von Liutprand bezeugten Thatſachen d 
Schluß zu ziehen, daß Dtto fofort Maßregeln ergriffen haben dürfte, um t 
andere Hälfte des Werks zu ergänzen. In der That ijt eine Urfunde‘) a 
und gekommen, laut welher Pabſt Leo kurz nad) feiner Einfegung nicht n 
ben Eid der Römer vom Herbft beftätigte und zum Kirchengeſetz erhob, fo: 
dern dem Kaiſer auch noch andere wichtige Rechte verlieh. 
.  Diefelbe befagt ihrem weientlihen Inhalte nach: „auf die demüthige Bir 
des Kaiſers Dito hat Pabft Leo VIIL in der Kirche zum Lateran ein Gonc 
verfammelt, welchem vicle Bichöfe und Aebte, außerdem Richter und Recht: 
gelehrte,?) Leute aller Stände, ſowohl Elerifer ald Lafen, auch Männı 
aus ſämmtlichen Regionen der Stadt?) anwohnten. Mit Zuftimmun 
diefer Berfammlung wurde Folgendes beſchloſſen: gleihwie der felige Pab 
Adrian, deifen Wandel Niemand antaften kann, dem glorreichfie 
Herm Carl, König der Franken und Langobarden auch Patricier der Röme 
die Würde des Patriciats und die Befegung des apoftoliihen Stuhls, ſow 
auch der andern Bisthümer, verliehen hat, alfo verleihen, beftätigen und bi 
Fräftigen Wir Pabſt Leo, Knecht der Knechte Gottes, mit Zuftimmung alle 
Dbgenannten dem Herrn Ötto, feines Namens dem Erften, Könige von Deutfd 
land, unſerem vielgellebten geiftlichen Eohne, und feinen Nadfolgern im Neid 
Stalien auf ewige Zelten die DBefugniß, 1) fich jeldft einen Nachfolger 3 
ernennen, 2) ven römiſchen Stuhl zu bejeßen, und demgemäß 3) Erzbifchöl 
und Bifchöfe zu erheben, jo zwar, daß Iegtere die Einfegung nur von ihn 
die Weihe dagegen von Denen empfangen, die hiezu tauglich erachtet werbei 
Dod ſoll in Icgterer Beziehung die Ausnahme ftattfinden, daß fowohl der Pab 
als einzelne Erzbifchöfe, denen der Kaifer ſolches bewilligt, kraft diefer Bı 
willigung Weihen (an Euffragane) ertheilen mögen. Niemand, weß geif 
lihen oder weltlihen Grades er auch fei, unterftche ſich fürder, einen König 
Patricius oder Pabft zu wählen, noch irgend einen Bifchof einzufegen ode 
aus eigener Macht zu weihen, fondern alle dieſe Hoheitsrechte ftehen fürde 
nur dem Könige des römilchen (Kaiſer⸗) Reiches zu, doch darf fein Geld fü 
Ausübung bejagter Rechte gefordert noch bezahlt werden. Abermal ſei es g« 
jant, er allein ift König und Patricius.“ Yolgen die gewöhnlichen Stra| 
aütrohungen gegen Solche, welche dieſe Satzungen übertreten würden. 

Otto hat demnach durch die Urkunde Leo's VIIL erſtens die Befugni 


EL Ders. leg. IL, b. &. 167. ») Judices ac legis doctores. °%) Praesentibt 
"6 singulis regionibus hujus almae urbis Romao. 


Siebtes Buch. Cap. 160. Leo VII. wird Pabfl. Aechtheit feiner Sapungen. 205 


erlangt, ſich felbft einen Nachfolger zu ſetzen. Diefes Recht übte der deutfche 
König, genau befehen, jhon vor dem Römerzuge. Mönch Widufind berichtet, ') 
„daß Dtto nah dem im Januar 946 eingetretenen Tod feiner erſten Ges 
mahlin, der Angelfähfin Editha, den einzigen Sohn derſelben, Liudolf, in 
Form eines letzten Willens zum Nachfolger beftimmte.” Ebenſo meldet”) 
&utprand, „Otto bat 961 unmittelbar vor dem Römerzug feinen gleich 
namigen Sohn (aus der zweiten Ehe mit Adelheid), obgleich derſelbe noch 
unmündig war, außerordentlicher Weile zum Könige beftellt.” Zwar ließ 
Dtto in beiden Fällen feine eigenmächtige Ernennung durch eine nachfolgende 
Wahl Der Etände befräftigen,’) allein die Mitwirkung der letzteren konnte 
auh nad Vollzug des Leoniſchen Geſetzes von 964 in Kraft bleiben, deun 
jo gut Dtto I. e8 duldete, daß die römifche Gemeinde Päbfte, die er eruannt 
hatte, durch eine Nachwahl guthieß, ebenſo gut konnte er den deutſchen 
Ständen eine Königswahl, die feine Befehle unterthänigſt vollzog, uachſehen. 
Nur fanf letztere vollends zu einer Iceren Bormalität herab, weil Germaniens 
Stände, wenn fic fih erfühnt hätten, nad Verfündigung der päbſtlichen Ur⸗ 
funde einen Andern, ald den vom Könige Vorgeſchriebenen, zum Nachfolger 
“zu beftellen, mit der Kirche in Widerſpruch gerathen, folglich Ketzer geworben 
fein würden. Man fieht, etwas vom Geifte des Mosfowiten Peter J. lebte 
in dem Sachſen Otto. 

Zweitens erhielt der deutſche König — nicht der Kaiſer, denn man 
ſetze ſtatt des Wortes König das andere Kaiſer, fo iſt ein einfültiger Zirkel 
im Beweiſe vorhanden — und zwar für ewige Zeiten das Recht, den päbft- 
lihen Stuhl nach Gutdünken — und ohne daß irgend eine Behörde dyr Welt 
dreinfprechen durfte — zu befeßen. Eben dieſes Recht hatte, wie bie. Urs 
funde ganz richtig bemerkt, ſchon Earl der Große — nur nit auf fo 
plumpe Welle, wie Dtto I. — geübt; *) noch mehr, etlihe Monate, ehe 
Leo VIIL obige Eynode in den Lateran berief, war ed dem Sachſen ges 
lungen, die Römer zu beftimmen, daß fie ihm dieſelbe Vollmacht, die jegt der 
Pabſt Fraft apoftolifcher Gewalt beftätigte, zugeftanden. Allein die päbftlihe 
Beftätigung muß als unerläßliche Ergänzung des andern Akts betrachtet werben ; 
denn ein Thor müßte Otto gewejen fein, wenn er Das, was er den Römern 
gleihfam im Sturm abpreßte, nicht hintendrein durch feierlihe Zuſtimmung 
bed Pabſts rechtöfräftig machen ließ. 

Drittens zog die Beſetzung des Etuhles Petri noch eine weitere Befugniß 
nad) fich, nämlich das Recht der Krone, Erzbifhöfe und Biſchöfe ebenſe will⸗ 


1) Berk III, 451 oben: post excessum Edithis reginae — filium suum Liudulfum, 
facto testamento, crearvit regem post se. :) Perg III, 340, Mitte: flium suum sibi 
aequirocum contra morem puerilibus in annis regem constituen. ?) Die Beweife 
gefammelt, Jahrbücher des deutſchen Reichs I, b. ©. 64. und I, c. ©. 82. %) Siehe 
oben ©. 39 fig. ' 


296 Pabſt Gregorius VIL. und fein Malier. 


fürlich zu zeugen, als fett 963 Päbfte dur Otto I. gezeugt wurden. Weld 
ein Flaffender Widerſpruch wäre es gewejen, wenn der deutſche König zwar 
den höchften Geiſtlichen der Ehriftenheit — den Pabſt — kraft unbefchränfter 
Machtvollkommenheit ernennen, aber Metropoliten und gar einfache Bilchöfe, 
die dodh an Würde tief unter dem Pabſte ftanden, nicht ernennen burfte!! 

Auch durch diefen dritten Artifel gewann der Sadfe nicht viel mehr als 
die kirchliche Beſtätigung einer Praxis, die ſchon vor zweihundert Jahren der 
große Earl, und die weiter Otto I. jelbft bereitö vor dem Römerzug ausgeübt 
hatte. Won jeher wurden in der fränfiihen Kirche ſowohl unter den Meros 
wingern ald unter den Earlingern Biſchöfe gewählt, gleibwohl wußten ſowohl 
ie als diefe Mittel zu finden, daß etwaige Wahlen nur auf Eolde fielen, 

He ihnen behagten; mit andern Worten, die Wahl ift mit wenigen Aus- 
nahmen eine Epiegelfechterei gewejen.‘) Auch unter den deutjchen Herrichern 
aus°dem jähfiihen Stamme blieb das Ding in gleihem Gange. 

Sa das fraglihe Herfommen war jogar im erften Drittel des zehnten 
Jahrhunderts durd eine Entſcheidung des Stuhles Petri beftätigt worden. 
Denn ald um jene Zeit mehrere große Vaſallen fih das Recht anmaßten, 
die Bisthümer ihrer Gebiete zu beſetzen, hatte Pabft Johann X. 921 in 
43) “Edreiben?) an den Metropoliten Herrmann von Köln den Grundſatz 

ppeochen: „Niemand kann Cierifern einen Stuhl ertheilen, als nur der 

Shin, dem das Ecepter durch Gottes Gnade anvertraut iſt.“ 

Allein trog allem dem fteht feft, daß jene dritte Befugniß, welde fid 
Dtto durch fein Gefchöpf Leo VIIL zuſprechen ließ, wohl erworbenen Rechten 
Anderer Abbrud that. Denn nicht nur von mehreren Vorgängern Oito's 
auf dem deutſchen Throne, fondern auch von ihm ſelbſt war kraft bejonverer 
Urfunden einzelnen Stühlen freie Biſchofswahl zugefihert worden, welde jest 
durch obige Entiheidung des Pabſts Leo VIIL umgeftoßen ward. Auch 
gab das Herfommen den betreffenden Kirchenhäuptern ein faft unfehlbares 
Mittel an die Hand, ihr gefränftes Recht zu wahren: ein vom Hofe er- 
nannter Biſchof fonnte nur dann Beſitz von feinem Stuhle nehmen, wenn 
der Metropolit des Eprengeld, welchem das fragliche Bisthum angehörte, dem 
Emannten die Weihe ertheilt hatte. Ebenfo konnte ein auf gleihe Weiſe ers 
nannter Wetropolit nur dann auf gejeglihe Weije fein Amt antreten, wenn 
die Suffragane des betreffenden Erzftifts feiner Einweihung anwohnten und 
ihm die kirchliche Huldigung leifteten. Wie nun? wenn die Suffragane oder 
ber. ;WRetropolite ihre Nichtanerfennung eines aufgedrungenen Biſchofs oder 
Erzbſiſchofs dadurch befräftigten, daß im einen Falle die Euffragane ihre Ans 
wejenheit bei der Weihe, im andern der Metropolite die Weihe jelbft verfagten ? 






— 


*) Die Belege bei GOfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 608 fig. u. 717. 2) Jaffs, regest. 
Ponsit. Ar. 2731. 


Eichted Buch. Gap. 16. Leo VIU. wird Pabſt. Aechtheit feiner Sapungen. 2097 


Sehr gut faßte Otto diefe Möglichkeit ind Auge, und beugte ihr durch 
einen Gewaltftreich vor. Denn es heißt ja in Leo's VIIL Urkunde: „Biſchoͤfe 
und Erzbifchöfe follen die weltlihe Belehnung nur vom Könige, die geiftliche 
Weihe aber von jeglichem, der dazu tauglich ſe — undecungue pertinuerit — 
d. h. unzweifelhaft von Denjenigen, welde der König damit beauftragen 
würde — empfangen“. Mochten daher Biſchöfe oder Metropoliten eines Stifte, 
dem dur fönigliche Urkunde Wahlfreiheit verbrieft war, noch fo entichlofjen 
die oben beichriebenen Hebel des Widerjtunds gegen einen vom Hof aufges 
drungenen Günjtling in Bewegung fegen, jo hatte ver König oder Kaifer 
dennoch gewonnenes Epiel. Denn Eraft päbftlicder Einräumung ftand ihm das 
Recht zu, nah Gutdünfen neu ernannte Bilchöfe oder Erzbiſchöfe von irgend 
welhem beliebigen Würdenträger weihen und einjegen zu laſſen. Wenn aud 
der oder jener Biſchof oder Erzbifchof des deutſchen Reichs einen ſolchen Aufs 
trag verijchmähte, jo gab cd am Hofe unfehlbar irgend einen willigen Diener, 
der treugehorfamft des Königs Verlangen vollitredte. 

Noch ein weiterer Umftand fommt in Betradt. Otto fühlte, daß leptere 
Befugniß, welde in der That einen fehr wichtigen Theil des beftehenden 
Kirchenrechtd umftieß, ihm den Haß der Metropoliten zuziehen müfje, da fie 
mit dem Verluſte des fonft ftetd aufrecht erhaltenen Vorrechts bedroht waren, 
Euffraganen ihrer Erzftifte die Weihen zu ertheilen. Er öffnete deßhalb, um 
tiefen Haß zu entwafhnen, eine Hinterthüre mittelft ded Nachſatzes: eine Auss 
nahme — nämlidy von der fonjt zum Grundjag erhobenen Berechtigung des 
Könige, neu ernannte Kirchenhäupter dur beliebige Bevollmächtigte —— 
ſetzen — ſolle bezüglich des Pabſtes und gewiſſer Erzbiſchöfe ſtattſtuden köntm, 
ſofern der König dem Einen oder den Andern aus beſonderer Gnade das 
Privilegium ertheile, mit Ausſchluß jedes Andern, neuernannte Suffragane 
weihen zu dürfen. 

Dem Pabſte, wie den deutichen und italienifchen Metropoliten des Kaiſer⸗ 
reichs ift die Verlängerung der ſchon früher zugeftandenen, oder die Erwer⸗ 
bung neuer Privilegien in Ausficht geftellt, verfteht fi jevod nur dann, wenn 
fie fich durch Fügſamkeit folder Gnade würdig erweifen. 

Im Uebrigen enthält der Nachſatz, obgleih dem Scheine nad günftiy, 
eine wahre Beichimpfung des Stuhles Petri. Die weltliche Herrichaft der 
Täbfte beruhte wejentlih darauf, daß nur fie alle Bifchöfe des Gebiets, das 
zujammen den Klirchenftaat bildete, zu weihen befugt waren. Mit gutem Grunde 
fann man fagen, daß dieſes Vorrecht gleich einem unzerreißlichen Bande den 
Güterbefig der römiſchen Kirche zufammenhiel. Indem der Kaiſer Miene 
machte, aus perſönlichen Rüdfichten feinem Geſchöpfe Leo dafjelbe zu belaffen, 
befannte er offen vor aller Welt, daß nicht mehr der Pabſt, ſondern daß er, 
der Kaifer, Herr des Kirchenſtaats ſey. Der legte Schein von Unabhängig. 
keit ded Stuhles Petri war vernichtet. 


298 Pabſt Gregorius VII. und fein Rheitalter. 


Wer fann läugnen, daß die Leonifche Urkunde genau Das ausjprict, 
was Otto, ‚nachdem er im Herbfte den Einwohnern Roms die oben geſchil⸗ 
derten und von Liutprand brzeugten Zugeſtändniſſe abgepreßt hatte, nothwendig 
von feinem Geſchoͤpfe, dem Pabſte, fordern mußte! Dieſe Urkunde beweist 
daher jelber ihre Mechtheit. In der That geben neuere Gritifer zu, alles 
was in der Urkunde ftehe, fei Acht und unzweifelhaft; dennoch greifen fie aus 
Gründen der Form das Pergament an. Berg findet es bedenklich, erftens 
daß Pabft Leo alle jene Befugniffe dem deutſchen Könige Dtto, fowie feinen 
Nachfolgern und nicht dem Kaiſer Otto verleihe; zweitens daß Leo VILI. in 
jo feltfamer Weiſe von feinem Borgänger Hadrian fpreche, und ihn einen 
rechtſchaffenen Mann nenne, da doch nad Fatholiicher Vorausſetzung fich die 
Sittenreinheit Hadriand, wie jedes andern Pabſtes, von ſelber verftehe. 

Ich erwiedere auf den erften Punkt: unzweifelhaft ging Otto's Abfict 
dahin, das Kaiſerthum ſammt allen den unermeßlihen Rechten, die er aus 
ihm ableitete, für alle Zufunft in ein Anhängfel der deutſchen Krone zu ver: 
wandeln. Nun erlangten Deutſchlands Könige ihre Würde theild durch Ge 
burt, theild nad dem neuen von Dtto aufgeftellten Staatsrechte durch Er 
nennung des Vorgängers, und zwar Ichtered vom Jahre 963 an gerechnet. 
Kaljer aber wurden bie Könige erft dann, wann ihnen der Pabſt die Krone 
auffeßte, wie denn Otto J. feinen gleihnamigen Eohn durch Pabſt Johann XII. 
und fodann biefer feinen Erben Dtto IH. durch einen der fpäteren Päbſte 
zum Kaiſer frönen ließ. Hätte nun Otto I. feine Einwilligung dazu gegeben, 
daß die von Pertz beliebte Formel Kaijer ftatt König in die Urkunde aufge 
nömmen werde, jo würde er wie ein Gimpel verfahren fein, weil dann feine 
Rachfolger, die er doch zu Erbherren des Kaiſerthums machen wollte, in ben 
Vollgenuß der Rechte ihres Ahnherrn erſt dann eingetreten wären, wenn 
Leo VIII. oder irgend einer der jpäteren Päbfte ihnen die Kaiſerweihe ertheilt 
haben würde. Ein Kind ficht, daß in diefem Falle durd eine weit geöffnete 
Hinterthüre den Statthaltern Petri ein Recht zugefloffien wäre, das Otto I. 
für alle Zukunft abſchneiden wollte: nämlid das Recht, Bedingungen an bie 
Kaijerweihe zu nüpfen, Die bei nächſter Oelegenheit zum Umſturze des von 
Dtto L aufgeführten Gebäudes benügt werden mochten. 

Biel gefcheidter handelte Otto Durch die Faſſung, bie er vorjchrieb, 
wurden Deutſchlands fünftige Könige kraft Geburtrechts in den Beſitz der 
anzen Macht des Kaiſerthums geſetzt, welches, wie ich bereits jagte, ein 

hhängfel der deutfhen Krone bildete. Dem Pabft ftand ſeitdem nur der 
Schein einer Weihe zu. Daß ebenderjelbe aber diefen Schein nie verweigern 
fonnte, dafür forgte die Macht, weldye mittelft der wörtlichen Fafſung des 
Textes Deutſchlands Königen in alle Zufunft durch Leo VIIL zugefproden 
ward. Wahrlich der erfte Eimwurf des Herrn Perg iſt klaͤglich. 

Bezüglih des zweiten bemerfe ih: Beweiſe liegen vor, daß von den 


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Eiebtes Buch. Gap. 16. Leo VIII. wirb Pabſt. Uechtheit feiner Sapungen. 299 


Zeiten Garld des Großen an bis herab auf Gregor VII zu Rom ſtets und 
unter allen Umftänden cine Parthei beftand, welche die Freiheit der Kirche 
vertheidigte. Was werden dieſe Elerifer zu dem Verfahren des Faiferlichen 
Knchte Leo VIIT. gelagt haben? Gewiß tabelten fle dafjelbe, und ftellten 
den Pabſt ald Das hin, was er in Wahrheit war, al& einen Verräther. Nun 
auf ebenjolhe Vorwürfe nimmt Leo in obiger Stelle Rüdfiht: er ſucht fi 
zu entjchuldigen, er deutet an, daß er den Umſtänden weiche, und nichts thue, 
was nicht aud andere Päbſte in ähnlichen Berhältniffen gethan hätten, 
namentlih Hadrian I., über den doch jene ftrengen Tadler den Stab zu 
brechen nicht wagten. Was Herr Perg ald cin Merkmal der Bälfchung bes 
trachtet wiſſen will, ijt im Gegentheil ein Fingerzeig der Aechtheit. 

Scharf betont die Urkunde, Daß die Beſchlüſſe der Synode von Allen, 
namentlich aber von der Volfdgemeinde, gebilligt worden fein. Es heißt:) 
„wir haben Solches verhandelt in Anweſenheit jämmtlicher Regionen ber 
Stadt und unter Beizichung aller Etände, jowohl des Clerus ald aud des 
Volkes.“ Ausdrücklich wird, wie man fieht, behauptet, die ganze Stadt habe 
Theil an den Beſchlüſſen genommen, und Doch ift es geradezu undenkbar, daß 
die erwachſene männliche Bevölkerung Raum im Lateran fand. Sa, aber es 
gibt eine Deutung, welche dieſe Gegenjäge ausgleicht, mittelft der Annahme, 
daß wenn auch nicht das ganze Volf ſich eingefunden hatte, doch ebendaſſelbe 
durch gejeglihe Stimmführer, d. h. durd feine Vertreter, mitwirfte. Und biefe 
Drutung wird durch eine Handſchrift gerechtfertigt, welche dem Tert der 
Urfunde die Morte beifügt:?) „anwejend bei der Verhandlung waren: bie 
Eenatoren, die Proconjuln, die Regionarien, die Innungen (schola) ber 
Grieben, der Araber, der Juden und Mitglieder aus den Hanptleuten 
aller Baffen.“ 

Bekannt iſt, daß die zu Rom anfäßigen Bremden in Schulen d. 5. In⸗ 
nungen eingetheilt waren. Häufig werden scholae peregrinorum, der Sranfen, 
der Griechen, der Sachſen, der Langobarden erwähnt.) Dieſelbe Eintheilung 
befand auch für die verſchiedenen Handwerfe: Schulen der Gondelführer, der 
Bäder, der Kaufleute, der Fiſcher, der Schuſter fommen®) urkundlih vor. 
Juden und Griedyen gab es von jeher zu Nom, dafür aber, daß aud Cara: 
cenen dort anfäßig waren, ijt mir außer obiger Stelle fonft fein. Beleg be⸗ 
fannt. Gleihwohl finde ih die Angabe glaubwürdig: im Laufe des zehnten 
Jahrhunderts haben, wie ich früher zeigte, die Earacenen ihre Herrſchaft bie 
in die Nähe der ewigen Stadt ausgebreitet, und wohlverftandener Vortheil 
Ichrieb dem Fürften Roms, Alberich II., vor, Dafjelbe zu thun, was in gleicher 


) Praesentibus omnibus e& singulis regionibus hujus almae urbis Romae a6 ex omnibus 
ordinibus cleri ac populi asserestibus et confirmantibus. ) Berk, leg. II, b. S. 168 oben, 
Rote g.: regionarii, schola Graecorum, Arabum, Judaeorum et de majoribus omnium pla- 
tearum. 2) Beweiſe gefammelt bei Hegel, Stäbteverfafiung in Italien I, 255 fig. 





300 Sr VII. und fein Zeitalter. 

Lage Baftiliend Könige thaten, nämlich Ylüchtlinge jenes Volks, die man 
gut ald Soldaten brauchen fonnte, auf feinem Gebiet, ja in Rom felbft an- 
zuſiedeln. Doch dürfte diefen Fremdlingen als Unterpfand der Treue die 
Zaufe auferlegt worden fein. 

Unzweifelhaft erhellt aus den angeführten Worten: erftlih daß Rom um 
964 politiſch in NReglönen, 2) daß die Regionen in Gaſſen eingetheilt waren, 
drittens daß den Regionen Hauptleute als demofratiihe Obrigkeit vorftanden. 
Wir werden weiter unten auf weitere Beweiſe derjelben Einrihtung ftoßen. 

Noch ift zu bemerken, daß Floß neuerdings mit anderen kirchlichen Denfs 
mälern, die er in einer Trierer Handſchrift fand, ein Aftenftüd‘) veröffent 
lichte, kraft deſſen Pabft Leo VIIL Daſſelbe, was obige Urfunde furz beſagt, 
weitläuftig und offenbar für theologiich gebildete und bibelfefte Leſer ausführt. 
Meines Erachtens hat Kaifer Dtto I. Bedacht genommen, die Vorrechte, die 
er’dem PBabfte, feinem Gefchöpfe, abpreßte, doppelt ausfertigen zu laſſen, fo 
daß die eine Faſſung ausgeſchmückt mit bibliſchen und kirchenrechtlichen Ber 
weiſen für Theologen, die andere furze für die Weltleute beftimmt war. Ich 
balte die eine wie die andere für Act. 

Leo VIII. bat das Pabſtthum, wie einen gefefjelten Gefangenen, dem 
Sachfen Otto überliefert. Es ift Zeit, daß wir feine Perfönlichkeit ins Auge 
-fafien. „Leo VIII.,“ meldet?) eine alte Quelle, „geboren zu Rom in der 
Region, welche Berg der Juweliere genannt wird, hatte zum Vater einen ge 
wiflen Johannes, der gleih dem Sohne die Würde eines päbftlihen Kanzlers 
bekleidete.” Der neue Pabft ſtammte, wie man fieht, aus einer jener Schreibers 
familien, denen es im Laufe des neunten und zehnten Jahrhunderts gelang, 
ſich zu Wöeligen aufzuwerfen. Sodann muß man willen, daß dieſe Herren 
während des Regiments ver beiden Alberiche die päbſtlichen Hofämter, die 
von Rehtöwegen zu durch Cleriker befleivet werben konnten, ald Erblehen 
an fich riſſen ihren Söhnen vermachten, denn viele der päbſtlichen Hof 
beamten waren verheirathet.) Wahrfcheinlih wird auch Leo im gleichen Falle 
geweſen ſein; gewiß aber iſt, daß er bis zum Augenblicke, da man ihn auf 
Petri Stuhl erhob, dem Laienſtande angehörte), denn an einem und dem⸗ 
jelben Tage erhielt er hintereinander die Weihen eined Vorleſers, Thürhüters, 
Diakons, Preshyters, Biſchofs, Pabſtes. Natürlich! ein ſolcher Pontifer, der 


— — — — — 


1) Leonis privilegium €. 147 flo. ?) Eccard. corpus hist. med, aeri II, 1639. 
2) Man vergl. 3.3. die Urkunden bei Wuratori, antiq. Ital. V, 769: tempore Johannis X. 
papae (914—928) Sergius Deo amabilis primicerius sanctae sedis apostolicae et Agatha, 
nobilissima femina, jugales. Dann weiter tempore Marini II. papae (942-946) Adrianus 
seriniarius et Maria jugales. Gbendaf. ©. 771: tempore Agapeti papae (946955): 
Rosa, filla Theophylacti, reverendissimi acolythi sanctae romanae ecclesiae et prioris 
scholae confessionis 8. Petri. *%) Tieß erhellt aus den Akten ber Synobe von 964 bei 
Manfi XVIU, 472. 


Pa 


Y 


Siebtes Buch. Gap. 16. Leo VII. wirb Dat, We jt it ſeiner Sazungen 301 


gleichſam nur durch die Gnade Otto's athmete, mußte thun, was der Ge⸗ 
bieter befahl. 

Die eine Hälfte der Verpflichtungen, welche Otto I. durch den Eidſchwur 
von 961 übernommen hatte, war durch die ftattlihe Urkunde Leo's VIIT. 
glüdlich weggeräumt. Aber noch fand die andere aufrecht, nämlich die Schen- 
fung vom 13. Februar 962. Sollte er auf halbem Wege angehalten haben ? 
Gewiß ift dieß bei feinem Charakter unwahrſcheinlich. So gut er Leo VIII. 
wang, auf die Rechte des Pabſtthums zu verzichten, eben fo gut fonnte er 
ihn nötbigen, die Echenfung von 962 den unmwilligeh Geber zurüdzuerftatten. 
Der Kaifer hat das Lebtere wirklich gethan. 

Der Fortſetzer Regino’s, ein Ehronift, welcher zwar nicht die volle Wahr- 
heit fagt — denn er verfchweigi Vieles aus Rückſicht auf den Hof — aber im 
Uebrigen vortrefflih unterrichtet iſt, erzählt‘) zum Sahre 964: „Otto ords 
nete das Herzogthum Spoleto und Camerino“. Was fol dieß heißen? Ich 
venfe, fo viel: nachdem der Kaiſer ſchon 961 und 963 das ganze Reich Itallen 
erobert hatte, ergriff er 964 gewiſſe Maßregeln, weldhe darauf abzielten, die 
fünftigen DVerhältniffe des befagten Herzogthums zu regeln, d. h. bafjelbe für 
immer in Befig zu nehmen. Letzteres Fonnte aber nicht ohne eine vorläufige 
Uebereinkunft mit dem römiſchen Stuhle gefchehen, da Spoleto-@amerino einen 
Theil der Schenkung von 962 ausmadhte. 

Mit Anwendung des nämlichen Ausdrudes meldet?) zweitens der Mond 
Benebift vom Berge Eorafte: (nad der Erhebung des Pabſts Leo VIIL) 
„ordnete Otto in der Kirche des Apoftelfürften ganz Tuscien und Pentapolis, 
übertrug dem Pabſte.... und fehrte über die Berge heim.” Unverfenn- 
bar fpricht der Moͤnch von einem ähnlichen Geſchäfte, wie das, deflen ber 
Fortfeger gedenft; allein Benedikt äußert fih in fo barbarlicher Weiſe, daß 
man den Sinn feiner Worte errathen muß. Will er etwa fagen, Otto habe 
auf einer Synode, die im St. Petersdome zufammentrat, bezüglich Tusciens 
und der Pentapolis gewiſſe Anordnungen getroffen, die darauf abzielten, beide 
Provinzen dem Stuhle Petri abzutreten, habe Solches dam wirklich bewerk⸗ 
Refigt und fei hierauf über die Berge zurüdgefehrt? Allein wenn bieß die 
Meinung des Mönchs iſt, jagt er eine Unwahrhelt, denn der völlig glaub⸗ 
würbige Fortſetzer Regino's bezeugt,*) daß der Kaifer erft im Jahre 967 dem 
päbſtlichen Stuhle Stadt und Gebiet Ravenna fammt vielen andern Beſitzungen 
jurüdgab. 

Da Benedikt fonft nie wifjentlih Thatfachen entftellt und feit etwa 940 
lauter felbfterlebte Dinge berichtet, fcheint es gerathen, feinen Worten eine 
andere Deutung zu geben. Offenbar hatte er eine nur trübe Kunde von Dem, 

1) Berg L, 626: Spoletanem ducatum et Camerinum ordinaturus exirit. 2) Pertz 


M. 718: ordinata Tuscia et Pentapolim finibus in ecclesia apostolorum principis et Leoni 
Papa concessit, in Gallia est reversus. 2) Berk I, 628 unten. 





302 VL und fein Seitalter. 


was nach der Erhebung Leo's VIII. zu Rom vorging, wie überhaupt von 
den allgemeinen Berhältniffen ded Abendlandes. Er ftelt fi 3. B. vor, gleich 
hinter dem römijchen Gebiete, das für ihn Nabel der Erde ift, beginne das 
mächtige überalpifche Reid Otto's, dad er Gallien nennt, und wohin, wie er 
glaubte, fi der Kaiſer zurückzog, während verfelbe duch erft im zweiten Jahre 
nach der Einfegung Levs VIII. — nämlich 965 — über die Alpen zurüd- 
fehrte. Sodann muß er gehört haben, daß Otto auf einer römischen Eynode 
die Berhältniffe der Provinzen Tuscien und Pentapolis regelte, bildete fid 
jedoch faͤlſchlich ein, daß der Kaifer entweder beide Landfchaften oder einen 
Theil derjelben dem Pabfte übergab, und dann den Rüdzug antrat. Bon 
feinem ganzen Berichte hält nur, wie bereitS bemerkt worven, die Thatjade 
ded Ordnens und der Ort Stich, wo folhes.gefchah, das Uebrige iſt Dunſt. 

Eine auf und gefommene Urfunde‘) gibt Auskunft, in welchem Sinne 
DÄB: Ordnen der Provinzen Spoleto-Camerino, Tuscien und Pentapolis ge: 
meint gewejen ſei. Dieſes Pergament befagt: „auf einer Synode über dem 
Grabmale. des Apoftelfürften — alfo im Petersdome — in Anwefenheit und 
unter ausbrüdlicher Zuftimmung der Cardinäle, des Clerus und der Ein 
wohnerfhaft Rome — fo zwar, daß alle weltlihen Stände, insbeſondere 
aber fänmtlihe Regionen der Stadt mitwirften, — habe Pabſt Leo VIII. für 
ewige Zeiten an Kaiſer Otto I. und deſſen Gemahlin Adelheid Alles abgetreten, 
was je dur den Franken Earl und deſſen Vater Pippin, fowie durch den 
alten Kaifer Juftinian und den Langobardenkönig Aribert dem römischen Etuhle 
geſchenkt worden ſei“. Eofort werden fehr viele Orte, Gebiete, Landſchaften 
namentlich aufgezählt. Allein ed genügt, wenn ich die allgemeinen Umrifje der 
Abtretung angebe: die Linie von Luna bis Monfelice, Mantua, die Inſel 
Corfifa, die Eilande, Venetiens, das Herzogthum Iftrien, die Landſchaft Dal: 
matien, das Earchat Ravenna, Pentapolis, die Herzogthümer Rimini und 
Perugia, die von' Spoleto und Camerino, das römifhe Tuscien und Cum: 
panten, das Sabinerland, die Provinzen Eapitanata, Apnlien, Galabrien, Bari, 
Sarent, die Hesgogthümer Benevent, Neapel, die Infel Sardinien, fammt 
mehreren kleineren. 

Mahr ift es: viele Sätze finden fih in der Urkunde, welche Verdacht 
erregen, weßhalb denn auch ausgezeichnete ®elehrte, wie Cardinal Baronius 
und der Eritifer Pagi, fie für ein Machwerk fpäterer Zeiten erklärt haben. 
Dennoch behaupte ich, geftügt auf die gewichtigften Gründe, ihre Aechtheit, ob 
ich gleich zugebe, daß im Laufe der Zeit manche ungeeignete Stoffe eingefchlichen 
find. Denn fo wenig al& die Urſchriften der übrigen Etaatsaften Otto's aus 
den Jahren 961—67 ift die eigene pähftlihe Handvefte von 964 erhalten 
worden, jondern wir befigen nur Abſchriften und zwar mangelhafte, nad) 





*) Berk, leg. IL, b. ©. 168 fig. 





Bud. Gap. 16. Leo VIII. wird Pabſt. Wechibeit feiner Satzungen. 303 


durch garftige Echreibfehler entftelt find und in einzelnen weſent⸗ 
n von einander abweichen. Die Frage ver Aechtheit oder Uns 
3 päbftlihen Afts hat folhe Bereutung für das Verſtändniß der 
Kirchengeſchichte, Daß ich es für meine Pflicht halte, vor dem 
jerichte der 2efer die Gründe und Gegengrände abzumägen. 
madt') Baronius geltend, daß Zeit und Drt des Pergaments 
n einer Abjchrift (nicht in andern) heißt?) es nämlich: die Syn⸗ 
:Iher angeblich Leo alles Gut der römiichen Kirche an den Kaifer 
ftattgefunden im Palafte zum Lateran den 19. April, im zweiten 
desgleihen im zweiten des Kaiſers Otto, Römerzinszahl 6. 
dings Unſinn, denn das zweite Jahr Otto's verlief vom 2. Fe⸗ 
is zum gleihen Tage 964, das zweite Jahr Leo's dagegen vom 
964 bis zum gleichen Tage des folgenden. Römerzinszahl 6 
September 963 bis 964. Folglich ſteckt zuförverfi im Sabre 
in Fehler, ftatt im zweiten follte es im erften heißen. 
r Monat ift falfh, denn aus Regimo’s fortgefehter Chronik er, 
ſtaiſer Otto im Januar 964 Rom verlich, und erft Ende Juni 
Daffelbe gilt vom Drte. Denn der eigene Tert des Pergas 
an, daß die fraglihe Eynode nicht im Lateran, fondern im Bes 
dem Grabmale des Apoftelfürften zufammentrat. Diefer Gegen» 
ftarf und Doch beweist er nichte. Denn nur einzelne Abfchriften 
ı und Ort, andere nicht, und der mögliche, ja fogar wahrſcheinliche 
Abfchreibere kann dem Anſehen des Driginals feinen Ein» 


8 hebt‘) Anton Pagi hervor, daß Leo in ver Urkunde ganze Ränder, 
t dem Etuhle Petri, fondern andern und zwar mächtigen Befipern 
: Dalmatien, Sftrien, Galabrien, an den beutfchen Kaiſer vers 
fei, meint er, unmöglid. Ich entgegne: ob die römifche Kirche 
en fraglichen Landſchaften Eigenthum befaß oder nicht befaß, kommt 
acht, ſondern nur dieß fragt fi, ob fie gegründete Anſprüche auf 
hatte, Anfprüche, die ſich der Kaifer abtreten Taffen konnte, und 
Hand ein ganz andered Gewicht empfingen, da er Über Lanzen 
verfügte, mit denen er ein bloßed Recht in cine Thatfache zu vers 
nochte. Dieje Frage aber muß bejaht werden. Garl der Große, 
Kromme, Barl der Kahle, neuerdings auch Otto L durch die 
om 13. Februar, haben Iftrien fammt Benetien der roͤmiſchen 
wochen, was aber Dalmatien oder Illyrikum betrifft, fo ift welts 
Petri Stuhl erweislich feit Gregor I. Zeiten ein anfehnliches 


s eccles. Ausgabe von Lucca 1744, Vol. XVI, 150 flg. 2) Berg, leg. 
Rote f. 2) Pertz I, 626. 


304 Pabſt Eregorius VIL und fein Zeitalter. 


Batrimonium in Illyrikum oder Dalmatien befaß, das erft im Laufe des by: 
zantinifchen Bilverflurms dem rechtmäßigen Eigenthümer entriffen worben if.) 

Diefen Raub hatten, wenn auch nicht Petri Statthalter, fo doch die Gb 
ihäftsleute Otto's J. welche im Trüben fiichen wollten, nicht vergefien. Denn 
da Biſchof Liuprand 968 als Faiferliber Gefandter zu Conftantinopel weilte, 
fagte?) er, laut feiner eigenen Perficheruna, tem byzantinifhen Herrſcher Ri 
cephorus Fokas in den Bart hinein: „einige der heiligften Päbfte find von 
Euch Griechen verbannt”), andere fo ausgeraubt worden, daß fie faum mehr 
ihr Leben friften Fonnten.” Kurz jene, Calabrien und Dalmatien betreffenden 
Sätze find gegen Byzanz gerichtet und zeugen für die Aechtheit, keineswegs 
für dad Gegentheil. 

Drittens behauptet Pagi, die Urkunde brauche Ausbrüde, welche im 
zehnten Jahrhundert unbefannt waren und folglih die Hand eines Fälfchers 
verratben. Als folche bezeichnet er die Worte „Herzogthum” Ferrara, das 
erft weit fpäter von den Pähften errichtet worden jet, „Inſeln Venetiens,“ 
und endlich die Provinz Papitanata,“ eine Benennung, die — fo ſchreibt 
Pagi — erft 200 Jahre nah Otto I. in Gebrauch fam. Weit gefehlt! Schon 
im Garolinifchen Briefwechſel wird das Herzogthum Yerrara von Pabft Has 
drian erwähnt. *) 

Berüglih des zweiten Worts ſprechen allerdings die älteren Schenkungen 
von einer Provinz Venetien, und nicht von Inſeln. Vortrefflih! aber auf 
eben dieſen Inſeln beftand ein Gemeinweſen, das gerade im Zeitalter Dtto’8 
zu folder Blüthe gelangte, ſolche Macht entwidelte, daß Beides theild bie 
Begierden, theils gewifle Beforgniffe des Sachſen erregte. Um den Benetias 
nern beizufommen, bielt er es für Flug, wenn er fih Hab und Gut derſelben 
mit Berufung auf die fchon von Carl dem Großen ausgefproddene Schenfung 
ves ganzen Landes DVenetien, zu dem auch die Infeln gehörten, durch Pabſt 
Leo VIIT. abtreten laſſe. Weil die Stadt des h. Markus drüben neuerbinge 
ein Juwel geworben war, flieht er ab vom Feſtlande, das er großentheils fchon 
bejaß, und greift; nad den Inſeln, die fich feiner Herrfchaft erwehrten. Dem 
nach zeugt dad Wort insulae Venetiarum für Otto's I. Zeitalter. 

Eben fo wenig Grund hat die Beftreitung des Ausdrucks capitanata für 
einen Theil Apuliend. Romuald, Erzbifchof von Ealerno, der in der erflen 
Hälfte des zmölften Jahrhunderts blühte, fchreibt”) in feiner Chronik: „um 
1012 ſchickte der Hof von Conftantinopel einen neuen Oberftatthalter Namens 
Bujanus, der den Amtstitel Catapanus flihrte, nach dem griechifchen Stalien. 
Diefer Catapan baute viele zerftörte Orte wieder auf, und nach feinem (Amts⸗) 
Ramen wird felbige Provinz noch heute Gatipania genannt.” Romuald drüdt 


') Oben ©. 36. 5 Perb IIL 348. ) Oben ©. 36. *) Gemni I, 321: 
ducatus Ferrarise. *) Muratori, seript. rer. italic. VII, 166 fig. 


Siebte® Buch. Gap. 16. Leo VIII. wird Pabſt. Hechiheit feiner Satzungen. 305 


fib verkehrt aus. Im italienifhen Wortſchatze gibt es feinen Katapan, wohl 
aber Bapitane. Das griechifche Catepania nad ihrer Sprache modelnd, fagten 
daher vie Italiener ftatt Catipania: Eapitania oder Capitanata. Daß dieß 
der Sinn fei, erhellt‘) aus folgender Stelle Leo's von Oftla, der ein halbes 
Jahrhundert früher lebte al Romuald, und dem Zeitalter Gregor VII. ans 
gehört: „mißbräuchlich jagen die Staliener Capitanata, die wahre Borm lautet 
Satapanata und ſtammt ab von dem Amtönamen Catapan.“ Alfo zu den 
Zeiten Leo's, d. b. im elften Jahrhundert, war das Wort Kapitanata als Bes 
zeichnung ber griechiihen Lande in Süditalien gäng und gäbe. Die nächſte 
Ftage ift: wann begannen die byzantiniſchen Katfer Statthalter mit dem Namen 
Katepane — oder damit ich das Achte griehifhe Wort brauche, Katepano 
(Karenaso) über Provinzen zu ſetzen? 

Antwort: erweislih fchon in den Zeiten Carls des Großen. Der Forts 
jeher ded Theophanes erwähnt?) zum Jahre 836 einen Landeshauptmann von 
PBaphlagonien (xarenarn ss IlnyAayorias). Gonftantin, der Purpurgeborne, 
welcher ein halbes Menſchenalter vor Otto's I, Kaiſerkrönung fchrieb, ſagt,) 
es ſei alter Gebrauch geweien, daß die Byzantiniſchen Baflleis SKatepano 
als Hauptleute über den Stamm der Mardaiten beftellten. Ebenderſelbe 
meldet,*) daß über diejenige Abtheilung der Leibwache, welche man die kaiſer⸗ 
lihe nannte, ein Oberſt mit dem Titel Karenaro den Befehl hatte. Man 
fieht daher, das Wort Tief bei ven Griechen des neunten und zehnten Jahr⸗ 
hundert ald ein alltägliches um. Das Sahr, in welchem die griedhiichen 
Statthalter von Apulien zuerft diefen Titel erhielten, kann man nicht beftimmen. 
Gleichwohl ift gewiß, daß er fchon im zehnten Jahrhundert üblih war. Denn 
Muratori theilt®) eine Urfunde vom Jahre 1000 mit, Taut welder Gregor 
— feit 999 byzantiniſcher Landvogt über Unteritalien®) — fich felber Karenaro 
Tg Tradıas nennt. 

Schon 100 Jahre vor ihm mögen feine Vorgänger. den gleichen Namen 
geführt haben, und es ift daher dem gewöhnlichen Kaufe der Dinge gemäß, 
daß Staliener von den griechiichen Provinzen ihres Landes den Ausdruck Cati⸗ 
pania oder — mundgerecht mmögeiprohen — Capitanata brauchten. Letzterer 
Einwurf hat, wie man fieht, fein Gewicht. 

Viertend wendet A. Pagi ein: die unfundige Hand eines Fälſchers vers 
rathe fih in dem Cape, wo es heißt, der Pabft trete an Otto alles das ab, 
was ehedem dem heiligen Stuhle von dem oftrömifchen Kaiſer Juſtinian und 
von dem Langobardenfönige Aribert geſchenkt worden ſei. „Denn,“ fo fchreibt 
Pagi weiter, „feine Quelle berichte etwas von ſolchen Schenfungen.“ Ic 
entgegne hierauf: unfere Kenntniß der Geſchichte Juftinians und der älteren 


2) Verb VII, 661 oben. ?) Theophanes contin. ed. Becker. Bonnae 1838. ©. 123. 
) Constant. porphyrog. opp. edit. bonnens. III, 228 unten flg. *) Ibid. I, 6. °%) Anti 
guit. Ital. L, 337 flg. 20) Pertz V, 56, b. unten. 
Gfrörer, BabR Gregerius vu. 20, V, 0 


* 


306 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Langobardenkönige iſt fo lückenhaft, daß ein vorfichtiger Hiftorifer nie aus dem 
Mangel an Nachrichten auf Unmöglichkeiten fchließen wird. Allein ein ſolches 
Verfahren verdient doppelten Tadel, fobald es Klaren, auf und gefommenen, 
Zeugniffen widerſpricht. Dieß ift hier der Fall. 

Paul!) der Langobarde und das Pabſtbuch) berichten, wie ſchon früher 
gezeigt worden, einftimmig, Aribert der Langobardenfönig habe das Patri⸗ 
monium ber cottifchen Alpen, das längft der römiichen Kirche entriffen geweſen, 
‘an den h. Stuhl wiebererftattet und zu dieſem Behufe einen in goldenen Buch⸗ 
ftaben abgefaßten Schenfungsbrief nah Rom überſendet. Nach Muratori's 
Berehnung‘) geihah Soldes um's Jahr 707. 

Mas Juſtinian betrifft, fo gebe ich Folgendes zu erwägen: die roͤmiſche 
Kirche befaß in Gregor's I. Tagen ein ausgedehntes, und wenn aud nict 
ganz felbfiftänpiges, doch mit vielen Hoheitsrechten ausgeftatteted Gebiet. 
Den Zeiten des ebengenannten Pabſtes ging aber ein furdtbarer und Tang- 
jähriger Krieg zwifchen den Byzantinern und den Oftgothen voran. Nach blu 
tigen Kämpfen und mit eheuren Unfoften haben Juſtinians berühmte 
Feldherrn Beliſar und — wie das übrige Italien, ſo insbeſondere den 
Kirchenſtaat erobert. Zweitens lag es nicht im Charakter der Byzantiner, 
Das, was ſie Andern, d. h. den Gothen mit dem Schwerte abgenommen, an 
Dritte zu verſchenken. Gleichwohl erſcheint Roms Kirche in Gregors J. Tagen 
als unermeßlich reiche Beſitzerin, und kein Schatten von Beweis zeigt ſich, 
daß es unter feinen mäcften Vorgängern anders geweſen wäre. Hieraus 
folgt aber — nämlich für Die, welche etwas von Politik und Geſchichte ver: 
ftehen, — mit völliger Eicherheit, daß dem Gothenfriege, der Italien aus 
germanifchem Befige in byzantinifche Gewalt brachte, irgend eine Ueberein⸗ 
funft zwiſchen Rom und Byzanz vorangegangen fein muß, eine Webereinfunft 
fage ih, welde der römischen Kirche unter der Bedingung geiftliher Hülfe, 
im Balle der befchloffene Kampf glücklich ende, felbftftändigen Beſitz verhieß. 

Run wiffen‘) wir in der That, daß Zuftinian im Namen feines kaiſer⸗ 
lihen Oheims Juftin 519 mit dem damaligen Pabſte Hormisdas einen Bers 
trag fchloß, welcher der römifchen Kirde große Vortheile bot, und? — id 
füge bei — den Untergang des oftgothiihen Wolfe vorbereitet hat. Außer: 
dem liegen Anzeigen vor, daß neben befagtem Vertrage, welcher feiner Natur 
nad der Deffentlichfeit nicht entzogen werben fonnte, geheime Unterhandlungen 
herliefen, die dem Nachfolger des Hormistas, Pabft Johannes I., von Seiten 
bes oſtgothiſchen Königs Theodoric eine Anklage wegen Hochverraths zugogen 
und auch wirflih deffen Tod im Gefängniß herbeiführten.?) Daß nun dieſe 
Verhandlungen auch die Frage Fünftigen Befiges nach vollendetem Siege bes 


ı) Gesta Langobard. VI, 28 bei Muratori, seript. ital. I, a. ©. 499. 2) Ibid. 
III, a. ©. 151, zweite Spalte. 3) Annali d’Italia ad h. a. % Den Nachweis bei 
Ofrörer, Kirch. Geſch, IL, 861 fig. . 


Bud. Gap. 10. Seo VIIL wirb PabR. Ueqtheit feiner Gapungen. AUF 


z wird Kelner, der die Welt kennt, Zweifel hegen. Kurz bie 
t offenbarem Unrecht angefochtenen Worte der Leonifchen Urs 
das Gegentheil von Dem, was er bemeifen will, nämlich eine 
rer Geſchichte, wie fie fi damals nur bei Eingeweihten finden 
er bei Fälfchern vorfommt. 
em den flärffien Einwurf gegen die Acchtheit des Pergament 
Cardinal Baronius, indem er zu zeigen fucht, daß alle Namen 
velhe die Beichlüfle der Synode unterſchrieben, falſch feien. 
anf der Synode von 963, melde über Johann XIL richtete, 
handlungen Liutprand mittheilt, und hinwiederum auf der zweiten 
Beichlüffe in ver Verzichtslirfunde Leo's VIII. vorliegen, waren 
n Stühle, Cardinalkirchen, theilmeife auch weltlichen Behörben 

bob lauten die Namen derjenigen, welche in letzterer ale 
er Stühle, Kirchen und Behörden zum Vorſchein fommen, ganz 
ie von Liutprand aufgeführten. Zweitens tft undenkbar, daß 
feinen Zeitraums, ber zwiſchen der erften und zweiten Synode 
e Nachfolger an die Stelle von Vorgängern getreten fein follten; 
r Namen läßt fi alfo nicht aus einem Wechſel des Amtes ers 
ı8 kann und darf nicht geläugnet werben, daß nur die von Liuts 
en Ramen, laut alten Berzeichniffen und anderen Quellen, in 
Bifhöfen, Cardinälen oder Prieftern derjenigen Stühle und 
Srten, welche auf beiden Synoden gleihmäßig in den Unter 
nmen. Diejenigen, welche das zweite Aftenftüd im Ramen von 
ven u. ſ. w. unterfchrieben, waren daher nicht wirkliche Bifchöfe, 
inäle u. f. w. Aber folgt hieraus die Thatſache, daß eine 
legt? Mit Nichten! Ich getraue mir, das Gegentheil darzuthun. 
e Synode Leo's VIII. das ganze römifche Kirhengut — oder 
ganze — an den Sachſen Dtto abtrat, beging fie das Vers 
ochverraths wider den Apoftelfürften. Diejenigen, welde dazu 
nten von Rechtswegen Galgen und Rad, denn fie hatten bie 
‚ den h. Stuhl um Eelbfiftändigfeit, Ehre, Hab und Gut zu 
b war e8 nichts weniger als unwahrfcheinlih, daß die Eduls 
der wohlverbienten Etrafe verfielen. Beim nächſten Umjchwunge 
e mußten fie gemwärtig fein, zur Rechenſchaft gezogen zu werden. 
daß fie nur gezwungen Das gethan hätten, was fie thaten, 
t gerettet haben, obgleich nicht zu zweifeln ift, daß bei Weitem 
beilnehmer der Wahrheit gemäß fih mit Zwang entichulbigen 
enn jeder freie Mann, fei er Cleriker over Late, muß für feine 
ten. 

hat der Sachſe Dtto die Außerftien Mittel angewandt, mit 


and gedroht, ehe er jene Synode zufammenbrachte und bie Abs 
20° 


u Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


faffung der Urfunde ertrogte. Mas werden nun in folhen Fällen B fchöfe, 
Gardinäle, höhere Beamte des roͤmiſchen Stuhle thun? Sie werden Nichte um 
verfucht laffen, um wenigſtens dieß zu bewirken, daß fle bie verderblichen Ber 
fchfüffe nicht mit eigener Hand unterzeichnen müfjen; mit andern Worten, fe 
werden Stellvertreter — unter welchem Borwand ed auch fet, fchiden. Mel⸗ 
ned Erachtens hatte Dtto feinen Grund, ven DVerzweifelten diefe Hinterthäre 
zu fchließen. Denn die Urkunde genügte für feine Zwecke, auch wenn fie flatt 
von wirflihen Bifchöfen und Cardinälen durch bloße Stellvertreter derſelben 
unterzeichnet war. Nur mußten erftlich Lebtere Vollmachten vorweifen,, und 
zweitens durfte der Pabft fich nicht entziehen. Leo VIII. aber fonnte dieß nicht, 
war er ja doch mit Leib und Eeele dem Sachſen verfehmt. 

Und nun möge die Urkunde felbft Zeugniß darüber ablegen, daß fie nicht 
von wirklichen Würbeträgern, jondern von Stellvertretern unterzeichnet If. Vor⸗ 
her muß jedoch ein Wort fiber Fritiiche Bearbeitung der Berzicht-Urfunde 
gefagt werden. Merk legte feiner- Ausgabe zwei Hanbfchriften zu Grund, bes 
ging aber hiebei zwei feltfame Irrthümer, fofern er erftlih in dem weſent—⸗ 
‚lichen Punfte der Unterſchriften, wilffürlih von beiden Pergamenten abweis 
hend, nad) feinem Gutbünfen einen eigenen Tert ſchuf; zweitens fofern er im 
Uebrigen derjenigen Handichrift, welche ohne Frage die ſchlechtere iſt, den 
Borzug gab, und die andere, merflih genauere, vernacdhläffigte. 

Die ſchlechtere Handſchrift theilt die Namen Derer, welche die Afte unters 
zeichneten, in nachftchender Reihe mit: „@itonatus, Erzbiihof von Cagliari, 
Euftahius, Bilhof von Albano, Georg, Bilhof von Porto, Marcian, Bi 
Ihof von Narni, Gerhard von Caſtrum, Gregor von Todi, ferner Andreas, 
Sabinianus, Damianus, Biſchöfe genannter, aber unrichtig gefchriebener Orte. 
Sofort fommen Gardinäle römischer Mfarrfirhen, dann wieder Bifchöfe, zus 
(legt Laien hohen und niederen Etandes. 

Das befjere Pergament beginnt mit einem Erzbiſchofe, wobei es die 
Formel braudt: „Erzbiihof von Cagliari, Biſchof Citonatus.“ Folgen dann 
lauter Biſchöfe und am Schluſſe Der Reihe der Sag: „dieß find die Namen 
der Erzbiihöfe und Biſchöfe, welche dem Akte beigewohnt haben.” Hierauf 
unterfchreiben die Cardinäle römifcher Bfarrfirhen, nach ihnen die hohen unt 
niederen Laien. 

Anders Herr Perg in feiner, wie er felbft gefteht, nad eigenem Dafür: 
halten gefertigten Reihe der Unterſchriften. Voran ftelt er fünf Biſchöft 
(von Albano, Porto, Pränefte, Oftia, Tibur). Diejen fünf fchließt er aı 
ſechs Cardinäle. Nah den Earbinälen fommen Erzbiſchof Eitonatus vor 
Cagliari und zehn Bifchöfe, zuletzt die Laien. 

Nun widerftreitet aber die von Pers beliebte Ordnung nicht nur beiben 
Handidriften, jondern fie ift an fih falſh. Aber auch das von ihm fonf 
porgezogene ‘Pergament irrt, indem es hinter den Carbinälen wieder Bilhöfi 


ad. Gay. 16. Leo VIII. wird Pabſt. Uechtheit feiner Satzungen. — 


ın bis gegen Ende des cilften Jahrhunderts beftand in der 
e als unverbrühlihe Regel, daß bei Eynoden in erfter Reihe 
‚ in zweiter die Bilchöfe, in dritter die Cardinal⸗Diakone und 
ter, damald bloße Pfarrer der Hauptfirhen Roms, unters 
gebe Belege aus dem fiebten, dem achten, dem neunten, dem 
ilften Jahrhundert. 
oden, welche Pabſt Gregorius I. (590—604) berief, unters 
der Pabſt, dann der Erzbiihof von Ravenna, drittens die 
riechiſchen und römifchen Staliens, viertens die römischen Pfarrer 
Die Beichlüffe einer römiſchen Kirchenverfammlung, welche 
18 745 im Lateran hielt, unterzeichneten?) erft der Pabſt, bier 
fe des Kirchenſtaats, zulcht die Gardindle. Im November 826 
3abft Eugen II. ein Eoncil zu Rom, deſſen NAften guerft ber 
8 der Erzbiihof von Ravenna, als Dritte viele Bifchöfe Stallens, 
‚arbinalsPresbyter, fünftens die Diafone Roms unterfchrieben. ®) 
grältig ift die Rangordnung auf der römifchen Synode einges 
‚ weldye Kaiſer Dtto I. im Ecptember 963 (drei Monate vor der 
eo's VIIL) gegen Johann XIL zujammenrief. Zuerſt flimmten 
eben*) der Patriarh von Aquileja (und zwar diefer durch einen 
‚ dann die Erzbifchöfe Lombardiens, Romaniens, Sachſens, 
Biihöfe, nad ihnen die Gardinäle, zulegt Laien hohen und nies 
6. Derfelbe Gebraud dauerte bis tief in's eilfte Jahrhundert 
ıer Kirhenverfammlung z. B., welcher Johann XIX. 1027 im 
16, ftehen?) voran die Bilchöfe des Kirchenftaatd, folgen dann 
ne, die Diafone, andere Cardinäle, weltliche Beamte des h. Stuhls, 
Capitane Roms. 
ihrend Herr Pertz ganz von der Wahrheit abirrt, während weiter 
ent, das ich als das fchlechtere bezeichnete, einen weientlichen 
ht, empfiehlt fi jene andere Handjchrift dadurch, daß fie in 
ng mit dem firchlihen Herfommen ſteht. Dieß ift nicht ihr ein- 
Ich behalte mir vor, an pafiendem Orte nachzuweiſen, daß 
ndichrift, und nur fie, Aufichluß über die vom Fürften Alberich I. 
md von jeinem Eohn Octavian-Johann XIL beibehaltene Vers 
MWeltmetropole gibt, ja daß auf ihr, wie auf einem Grundſtein, 
ohie des mittelalterlihen Roms ruht. 
i! das nämlihe unihägbare Aktenſtück eröffnet die Reihe der 
ı mit der Formel „Erzbiihof von Cagliari, Biſchof Citonatus.“ 
Einer zugleich Biſchof und Erzbiſchof fein? Er kann es, aber nur 
3regorii I. editio Maurina. Paris 1705. Vol. IL 1291 fig. 2) Manfi XIL, 
) Berg, leg. II, b. ©. 14. ) Berg, script. II, 342. °) Marini papiri 
14. 


5 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


in dem einen Falle, wenn der Bifchof vor einer Synode einen Erzbiſchof vers 
tritt. Oft haben in folder Weiſe Biſchöfe, ja Presbyter oder Diafone für 
Enbiichöfe geftimmt und dann den Leptern gebührenden Rang eingenommen.') 
Der fonft unbefannte Biſchof Citonatus oder Ciconatus war unverkennbar auf 
der römiſchen Synode, welche den Kirchenſtaat an Kaiſer Otto I. verrieth, 
Stellvertreter des zwar einberufenen, aber nicht perfönlich erfchienenen Erz⸗ 
biſchofs von Cagliari. 

Richt umfonft beginnt die Reihenfolge der unterfchriebenen Cleriker mit 
einem anfcheinend jo feltiamen Sage: „Erzbifhof von Cagliari, Biſchof Cito⸗ 
natus.” Das ift ein Yingerzeig, daß auch die andern Genannten Stellver- 
treter gewefen find. Der von Baronius entwidelte Haupteinwurf bat, wie 
man fieht, fein Gewicht mehr. 

Sept iſt es Zeit, die Gründe für die Aechtheit vorzubringen. Ange⸗ 
nommen, daß die Urkunde gefchmiedet wäre, Eönnte dieß nur durch Anhänger 
der fatferlihen PBarthei etwa gegen Ende des eilften Jahrhunderts, und zwar 
in der Abficht gejchehen fein, den Eid Otto's I. vom Jahr 961 und das 
Pergament vom 13. Februar 962, Fraft deren er der römifchen Kirche übers 
reichen Befig verheißen hatte, zu entfräften. Faſt alle Beftreiter der Aecht⸗ 
heit geben dieß offen oder ftillichweigenn zu. Run fage ih: im vorausgefepten 
Falle würde der theoretiiche Yeind, der die Weder führte, das was Parthei⸗ 
fchreiber in ſolchen Fällen unfehlbar thun, gethan, nämlich dem Pabfte nicht 
bloß neun Zehntheile feines Befiges, fondern alles zufammen mit Haut und 
Haar abgedichtet haben. Denn es foftete ja nur ein Tröpfchen Dinte und 
etlihe Echriftzüge weiter, um den eingebilveten Raub zu vollenden. 

Allein während die Leoniſche Afte mit peinliher Genauigkeit Stadt um 
Stadt, Burg un Burg aufzählt, ſchweigt ſie gänzlih von dem fetteften 
Biffen, von der Metropole Rom und dem römiichen Dufat, von dem Latiners 
berg, von Zusculum, Albano, Aricia, Velletri, fchweigt fie endlich von ſaͤmmt⸗ 
lihen fieben Orten, welde Otto fraft der Urkunde vom 13. Februar 962 
aus perjönlihen Rüdfihten, d. h. um des Heiles feiner Seele willen, dem 
h. Etuhle vergabt hatte. Diefes Maaßhalten neben größter Gier beweist, 
daß die Afte nicht von einem Bäljcher erdichtet, fondern von einem Herricer 
ertrogt ift, der bei aller Härte doch die politiiche Nothwendigkeit erfannte, den 
Pabft nicht ganz zum Bettler zu machen, und ven weiter Schaam jurüdhielt, 
aud die freiwillige Schenfung vom 13. Bebruar 962 anzutaften. 

Ich komme an einen zweiten Grund. Wir find in den verjchiedenen 
Quellen, deutichen und italienischen, auf vielfahe Epuren einer neuen halb 
demofratiihen Verfaſſung geftoßen, die um 954 in ven letzten Zeiten Als 

*) Man vergl. 3. B. Perk IH, 342: sederunt cum imperatore archiepiscopi — pro 


„am. Ingelfredo aquilejensi patriarcha — quem languor repente exortus arripuerat, Rodulfus 
CODES, 


v⸗ 


Siebtes Bud. Gap. 16. Leo VIII. wird Pabſt. Aechtheit feiner Satzungen. 311 


berichs IL. zu Rom eingeführt worden fein muß. Wohlan, in der Leonifchen 
Akte findet fi der Bauftoff, welcher nöthig ift, um das Bild der fraglichen 
Berfaffung zu ergänzen. Sie füllt die Lüden aus, welche die andern Berichte 
übrig ließen. Run bat eben diefe Verfaſſung nur zwölf Jahre gedauert, 
und bloß ein Zeitgenofje ihres jo kurzen Beftandes fonnte die damaligen Vers 
hältniffe naturgetreu zeichnen. Einem Späteren, Deutichen oder Italiener, der 
wm Ende des eilften Jahrhunderts lebte, wäre es platterdingd unmöglich ges 
weſen, in fo anſchaulicher Weile das markige Triebwerk vergangener Zeiten 
hberaufzubefhwören. Die Leonifche Akte muß alfo zwilhen 960 und 967 ab» 
gefaßt, mit andern Worten, fie muß ächt fein. 

Nah den oben erwähnten Elerifern wurde die Akte von vielen Laien 
unterjchrieben. Leider find die Namen durd Schreibfehler entftellt, auch weichen 
abermal beide Handichriften in der Reihenfolge von einander ab. Die zweite 
Handſchrift ſchickt die Worte voraus: (nad den Clerifern) „haben unterzeichnet 
alle Zünfte‘) Roms, dann die Kanzliften, dann die Offiziere?) der höheren 
Klaffen und des gemeinen Volks.“ Den Reigen eröffnet in beiden Handſchriften 
Sauftinus, Haupt ded Senats, dann folgen einzeln genannte Stimmführer 
mehrerer Paläfte, wie des Soſorianiſchen, Vatikaniſchen, Palatiniſchen, des 
Bireus, des Thurms an der Milviihen Brüde, der trajanifchen Form. Zwei 
ver Stimmführer erhalten ven Titel Confuln. 

Hierauf unterzeihnen namentlih aufgeführte Vertreter der großen von 
Rom auslaufenden Heerftraßen: der viae Claudia, Salaria, Aurelia, Mamer- 
tina, Ardeatium, Flaminia, Portuensis, Latina, Appia, Tiburtina und des 
Schlächterbezirfd der Livia; fommen dann ungenannte Vertreter der Stadts 
regionen, welche leßtere folgende Namen tragen: regio Vicus patricii, caput 
Tauri, clivi argentarii, ad duos montes, regio octava sub Capitolio, regio 
liberatica (aud) Sicinnii), regio Fundana, Via lata, Celii montis, regio 
prima Aventini, regio urbis Ravennae, regio ad gallinas albas, regio 
horrea, regio secunda Mamertini, regio secus portam Metronii. 

Seit dem Ende des dritten Jahrhunderts finden ſich Beweiſe, daß die 
großen, meift auf Bogen ruhenden Baumwerfe, welde der Welthauptftadt das 
nöthige Waſſer zuführten, den Namen formae empfingen. Die gleihe Bes 
deutung hat dad Wort aud in dem Sage forma trajana.. Häufig werben 
die verfchievenen Wafferleitungen oder formae der Stadt Rom in dem Pabſt⸗ 
buche erwähnt.) 

Schon die früher*) angeführte Etelle aus der erften Urfunde Leo's VIIL 
deutet darauf hin, daß die Volksgemeinde bei den öffentlihen Verhandlungen 
durch Vorfteher der Stadtregionen vertreten war. Aus den Unterjchriften der 
y Perp, leg. D, b. ©. 170: omnes scholae romanae. ?) Satellarii ex omni ordine 


romanensi et minoris populi romani. 3) Man vergl. die neueftle Ausgabe von Du Gange’6 
Gloffartum sub voce forma Nr. 11. 4) Dben ©. 299, 


Ein. 


312 Pabſt Gregorius VE. und fein Zeitalter. 


zweiten Alte erhellt meined Erachtens, daß dieſe Vorſteher Plebejer geweſen 
find, denn während fonft alle andern Stimmführer aus dem Laienftande na» 
mentli aufgeführt werden, ift dieß nur mit den Boten der Regionen nidyt 
der Yall, und zwar vermuthlid darum nicht, weil fie dem großen Haufen 
angehörten, weßhalb man es nit der Mühe werth hielt, fie einzeln unters 
Ichreiben zu laſſen. 

Einen höhern Rang, als die Vertreter der Regionen, nahmen die ber 
alten Heerftraßen ein: leßtere werden namentlich aufgeführt und befanden 
ohne Zweifel aus Mitgliedern ded Stadtadeld. Vermuthlich erftredte fich ihre 
Gewalt über die Mauern Roms hinaus, da ihnen allem Anjcheine nad die 
Sorge für Sicherheit der nad der Weltmetropole führenden Heerftraßen oblag. 

Die Stimmführer fowohl der ‘Paläfte und der Heerftraßen als der Res 
gionen waren zum Kriegödienfte verpflichtet, denn die zweite Handſchrift faßt 
alle unter dem Gejammtbegriff Offiziere der Romanenfer (d. h. der vornehmen 
Römer) wie ded gemeinen Haufend zufammen. Ich denke, die auf ber 
Eynode anmwefenden und abftimmenvden Vertreter der plebs waren entweder 
aus jenen (majores platearum) Hauptleuten der Gaſſen, in welche laut der 
erften Urkunde Leo's VIII. die Regionen zerfielen, ausgezogen oder gleichbes 
deutend mit ihnen. 

Beſondere Aufmerkſamkeit verdienen die in der Afte aufgezäblten Stadt: 
Regionen. Bekanntlich hat Kaiſer Auguftus Rom in 14 Regionen abge⸗ 
theilt. Diefe feine Einrichtung blieb, was die Zahl betrifft, eine kurze Aus⸗ 
nahme abgerechnet, ganz bis auf den heutigen Tag, bezüglich der Dertlichfeit 
mehr als zur Hälfte aufrecht. Aber nicht ebenjo verhält es fi mit den 
Namen. Diefelben haben vielfach gewechſelt. Unter Denen, welde die Afte 
Leo's VIII. erwähnt, bewahrten blos vier ganz oder theilweile die alte Form. 
Nun werde ich fpäter an geeignetem Orte darthun, erftlih daß zwiſchen 954 
und 966 die Regionen richtig fo hießen, wie fie die zweite, beſſere Handichrift 
nennt; zweitens daß im Jahre 967 ein leichter, feit 1046 ein durchgreifender 
Wechſel bezüglich der Eintheilung und Bezeichnung römischer Stadtregionen eintrat. 
Die in der Urkunde aufgeführten Namen ftimmen demnach mit dem aus andern 
Quellen nadhweisbaren Sprachgebraud überein. Dieß ift aber ein ſchlagendes 
Merkmal der Aechtheit. Nie würde ein Bälfcher, der nah dem Dafürhalten 
jener Gritifer am Ende des eilften Jahrhunderts gelebt haben fol, im Stande 
gewejen fein, die Achten Namen des zehnten Säkulums zu ermitteln. 

Zunähft muß ih auf eine früher gemachte Bemerkung zurüdfommen. 
Laut Liutprande Zeugniß wies Otto I. im Sommer 963 den von Pabft Jos 
bannes XIL erhobenen Vorwurf, der Kaifer behalte wider den 961 ges 
fhworenen Eid die eroberten Befigungen der römifchen Kirche für fih, ale 
verlaͤumderiſch zurüd. Folglich nahm er damald noch den Schein an, feinen 
Schwur erfüllen zu wollen. Hieraus mug man den Schluß ziehen, daß Dtto 


Siebtes Bud. Gap. 16. Leo VIIL wird Pabſt. Aechtheit feiner Satzungen. 313 | 


um jene Zeit dad der römijchen Kirche verſprochene Gut noch nicht foͤrmlich, 
dad heißt dauernd oder für immer, in Befit genommen hatte Denn jonft 
wäre ja die Entichuldigung, mit welcher er die pübftlihen Gefandten im Lager 
vor St. Leo abipeiste, eine gar zu plumpe und handgreifliche Lüge gewejen. 

Aber nah Einjegung feines Geſchöpfs, des Pabſtes Leo VIII., verfuhr 
Dtto anderd. Jetzt geihah, was Regino's Fortjeger und der Mönd Benedikt 
gleichmäßig mit den Worten bezeichnen: Dtto babe die Marken Spoleto und 
Gamerino, das Herzogtum Tuscien und die Provinz PBentapoli geordnet. 
Die kann unmöglid etwas anders heißen, als daß der Kaifer nunmehr bes 
jagte Landichaften in rechtöfräftiger Weife an fih zog. Hieraus aber folgt 
weiter, daß zwilchen dem Dezember 963, da er Johann entfehte, und der 
Mitte Januars 964, da er laut der Ausjage des Fortſetzers nad Spoleto 
ch begab, irgend ein Ereigniß eingetreten ift, das ihn der Bedenklichkeiten 
enthob, die er noch im vorhergehenden Herbite hegte. Dieſes Ereigniß kann 
nur die Abfafjung der Urfunde fein, kraft deren der neue Pabit faft alles 
Eigenthbum, und jedenfalls alle Anſprüche feined Stuhles dem Kaiſer preis⸗ 
gab. Bon diefem Augenblide an hinvderte den Sachſen fein Außerer Rechts⸗ 
grund mehr, zuzugreifen, jo weit feine Macht reichte. 

Man fieht nun, außer den ftärfften inneren Gründen legen zwei gut 
unterrichtete und von einander unabhängige Zeitgenofien für die Aechtheit der 
Afte Leo's VIII. mittelbare Zeugniß ab. Hiezu kommt noch, daß zwei, 
allerdings jpätere Schriftfteller, die aber eine gemeinfame ältere, vielleicht 
gleichzeitige, Duelle benüßten, offen die Schenkung Leo's anerfennen. Im 
vierzehnten Jahrhundert trug der Abt Amalrih, zugleih päftliher Kaplan, 
aus vielen Chroniken, die er gefammelt hatte, ein Leben der Päbfte von 
Petrus bis nad Anfang des vierzehnten Jahrhunderts zufammen. “Derfelbe 
ſchreibt:) „alle Schenkungen, welde in früheren Zeiten durch den römijchen 
Kaifer Juſtinian, durch den Langobardenfönig Aribert, durch die Franken 
Pippin und Earl, der römijchen Kirche gewidmet worden waren, trat Pabſt 
Leo VI. mit Einwilligung der Garbinäle, der Bilchöfe, ded gefammten 
Clerus, ded ganzen römischen Volfs, an Kaifer Dtto I. ab.” 

Das Nämliche jagt?) in den gleihen Worten Bifhof Sighard von Eres 
mona, der nur hundert Jahre nad Gregor VII. blühte. Nimmermehr würde 
der verftändige Gremonefe fo geichrieben haben, wäre nicht in feinen Tagen 
die Meberlieferung verbreitet gewejen, daß allerdings Pabſt Xeo VII. Hab 
und Gut der Kirche dem deutichen Kaiſer preisgegeben hatte. 

Noch mehr! ein Zeitgenofie tft vorhanden, der unter dem Eindrude des 
Leoniſchen Geſetzes von 963 fchrieb und wenn aud nicht mit dürren Worten, 
fo doch fehr vernehmlih auf den von Otto I. damald verübten Kirchenraub 


) Muratori, seript. ital. II, b. ©. 329 unten fly. ) Idem ibid. VAL, 584 oben, 


314 Babh Gregorius VIL, und fein Seitalter. 


anfpielt. Anderöwo wurde bemerkt‘), daß König Hugo von Stalien einen 
aus Deutich»Lothringen gebürtigen Möndh Namens Ratherius zum Bilchofe 
von Verona erhob. Ratherius vermochte jeine hohe Stelle nicht lange zu ber 
haupten. Wiederholt mußte er weichen und trieb ſich als Flüchtling in Deutſch⸗ 
land herum, allein während des Römerzugs vom Spätherbfte 961 ſetzte?) 
ihn Otto wieder gewaltfam zu Verona ein. 

Diefer Gnadenaft bat ihm ein hartes Polſter bereitet, deſſen Stacheln 
durch gewiſſe Tugenden des Mannes, die zu feiner Rolle nicht paßten, ver- 
mehrt wurden. Hätte fih Ratherius darauf bejchränft, feiner Heerde gegen- 
über den Fürftenfnecht zu |pielen, jo würde er beijer weggefommen fein. Aber 
er wollte nebenbei die Pflichten eines guten @lerifers erfüllen, die gefunfene 
Zucht herftellen, Mißbräuche abſchaffen, was ihm den Haß vieler nichtönugigen, 
aber fehr gefährlichen Gegner zuzog. 

In den Jahren 964 und 965 hatten ihn feine Widerfacher jo gründlich 
beim Kaiſer verläumdet, daß Ratherius Abfegung befürchtete. In feiner Noth 
ergriff er ein abſonderliches Mittel, dad genaue Kenntniß des ſaächſiſchen Hofes 
verräth. Er überfandte nämli unter dem Titel?) „Schilderung der Beichaffen- 
heit eines gewilfen Jemands“ an den kaiſerlichen Bicefanzler Ambrofius eine 
Schrift, welche ihn rechtfertigen jollte, dem Scheine nad) aber einen ganz ans 
dern Zwed hatte. Der Aufſatz ift nämlid ein Sündenbefenntniß, freilich ein 
Bekenntniß folder Sünden, welde darthun, daß der „Jemand“ einzig zu einem 
faiferlichen Biſchof im unterjochten Italien paſſe. 

Ich gebe einige Proben:*) „ver Pialmift jagt: Feiner ift auf Erden, der 
Butes thue, ausgenommen Einer CP. XIII. 3). Ic weiß wohl, daß man 
den Einen Guten auf Gott beziehen muß, gleihwohl behaupte ih: unjer 
Kaifer ift gemeint, denn der allein handelt rechtichaffen.” Folgt nun ein 
Strom grober Schmeicheleien auf angeblihe oder wirflihe Tugenden Otto's. 
Dann an einer zweiten‘) Stelle: „der Jemand ift cin eigener Kaug: er haft 
den Reihthum, wenn ihm ein Armer etwas bringt, erklärt er ihn für einen 
Narren, daß er das Geſchenk nicht für fich behalten habe. Bettelarm will er 
fierben und ungejcheut behauptet er, daß alles Kirchengut von Rechts— 
wegen den Königen zugejproden worden jei.” Nach diefen Worten 


ı) Oben ©. 206. ?) Ratherüi opp. edid. fratres Ballerini. Veronae 1765. Fol. 
Vorrede ©. 107 fig. 3) Qualitatis conjectura cujusdam, ibid. Tert S. 373 fig. 
%) Wörtlig: „quem unum cum ipsum caput bonorum cum membris aliquibus suis 
Deum intelligere promtum sit esse, pro raritate tamen nostratium ad illum pertinentium 
onum, specialiter unum hic expressum aestimare valeremus utinam imperatorem hodierni 
temporis gloriosissimum etc., ibid. Tert ©. 396. 6) Ibid. Tert ©. 385: munera non 
diligit. Si pauper ei quidlibet offert, eum stultum adpellat. Mavult indigere, quam 
abundantius aliquid cogatur tribuere, in hoc seculo omnia dilapidare, quam post mortem 
suam abundanti alicui de ejus contingat bonis gaudere, — divitias episcoporum in jus redactas 

zuorito regum (defendit). Audiant igitur reges, cogitent cujusmodi tali referant gratias. 


Siebtes Buch. Cap. 17. Aufruhr in Rom. Otto I. muß die Stadt verlaffen, fiegt aber zulegt. 315 


fügt Ratherius, offenbar im Gefühl, daß er etwas jehr Bedenkliches, vielleicht 
feine eigene Zukunft bedrohendes gejagt habe, den Sa bei: „darum Ihr 
Könige! erwäget wohl, welhen Dank Ihr einem ſolchen Manne ſchuldet.“ 

Aus erfterem Sage erhellt, daß der jächfiihe Hof fauftdide Schmeicheleien 
liebte, und daß dort die Meinung herrichte, zu einem Biſchofe taugen nur 
Solche, die in dem Kaiſer einen Erdengott verehren. Der zweite und dritte 
Cap aber legt unabweisbares Zeugniß darüber ab, daß Otto durd einen hands 
greiflichen Aft der Welt die Lehre eingefhärft haben muß: „alles Kirchengut 
jei von Rechtswegen kaiſerliches Eigenthum.“ Denn fonft würde Ratherius 
nimmermehr Dinge fagen, die im Munde eines Biſchofs nicht etwa bloß 
niederträchtige Gefinnung verrathen, fondern außerdem ein vollendeted Ver⸗ 
brechen wider die chriftlihe Kirche find. 

Run ift „die Beichaffenheit des Jemand“ um 966') unter dem nod) 
friihen Eindrude der Leoniſchen Sayungen gefchrieben. Das genügt, denke 
ih. Wer im Angefichte aller diefer Thatſachen jetzt nody die Aechtheit der 
Urfunde von 963 läugnen will, dem begehre ich den Staaren nicht zu ſtechen! 


Siebzehntes Eapitel. 


Die an der römifchen Kirche von Dtto 1. verübten Gewaltthaten erzeugen unter dem beutfchen 
Heere foldye Erbitterung, daß der Kaiſer vor Weihnachten 1063 die ganze Lehenmanns 
[haft in die Heimath entlaffen muß. Nur die Leibwachen und einzelne Vertraute bleiben 
bei ihm zu Rom. Aufſtand der Römer; fie werben niebergefchmettert. Gleichwohl 
nöthigt der Anzug des Königs Adalbert (ded Sohnes von Berngar) den Kaifer, bie 
Metropole zu räumen. Pabſt Johann XU., Alberihe U. Sohn, fommt wieder nadh 
Rom und nimmt Rache an feinen Gegnern, doch entrinnt ihm Leo VIII. und findet 
Schutz im faiferlihen Lager. Ermordung Johanns XL. im Mai 964. Nachdem Otto 
Berflärkungen aus Deutfchland, die ihm fein Bruder Bruno von Gölln ſchickte, an fi 
gezogen Hatte, erobert er Rom im Sommer 964, hält Gericht über den von den Römern 
wider feinen Willen zum Pabſt eingefepten Benedikt V., erhebt Leo VILL wieder auf 
Petri Stuhl und fehrt zu Anfang des Jahre 965 in die Heimath, nach vierjähriger 
Abweienheit, zurüd. Seuchen im Heere. Anzeigen, daß ber höhere deutſche Glerus 
muthig die von Otto dur das Leonifche Geſetz angetaftete Wahlfreiheit verfocht. 
Geheime Brände, weßhalb die Reichs⸗Chroniken zwifchen 964 und 967 verftummen. 


Empörend find die Gewaltftreiche, weldhe Dtto von 961—964 in Ita⸗ 
lien, in Rom verübte, aber noch härteren Tadel verdient der Hohn, den er 
gegen das Ehriftenthum an den Tag legte. Sobald Petri Stuhl ihm gegens 
über Rechte anfpricht, behandelt er die fatholifche Lehre als eine Babel, um 
die fit) Fürſten nichts zu befümmern brauchen. Jedes Mittel iſt ihm genehm, 
Johann ZU. zu ftürzen, einen willenlofen Sklaven in der Perſon Leo's auf 
Petri Stuhl zu erheben. Aber mit dem Augenblide, da er lepteren dazu 





2) Ibid. Vorrede ©. 136 fig. 


316 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


brauchen kann, der deutichen Kirche Ketten zu bereiten, die freie Wahl der 
Biſchoͤfe zu vernichten, den Byzantinern Hallen zu legen, den Apoftelfürften 
ſelbſt auszuplündern, erfennt er willig feinem päbftlihen Werkzeuge eine über: 
irdiſche Gewalt zu. Bon Dtto gegängelt, muß fi Leo VIII gebahren, als 
hätte ihm der Ewige eine willfürliche, fchranfenlofe Gewalt über Erde und 
Himmel verlichen.. Wahrlich die byzantiniiche Staatsfunft fand am deutſchen 
Hofe gelehrige Schüler, geraume Zeit che die Griechin Theophano in das kö⸗ 
niglihe Haus Sachſens fi vermählt hat ! 

Solite dad deutihe Heer, das viele geiftlihe Vaſallen zählte, zu allen 
‚diefen Greueln ftille gejchwiegen haben? O nein! Nachdem Liutprand die 
Einfegung Leo's VIII. berichtet hat, fährt‘) er alfo fort: „pa der aller 
beiligfte Kaijer?) die Hoffnung hegte, nur mit wenigem Gefolge Rom 
behaupten zu fünnen, gab er, damit das römiſche Vol nicht durch Einlagerung 
des gefammten Heeres beläftigt würde, Bielen Erlaubniß nad Haufe zu- 
rüdzufehren.“ Alſo der Katjer entließ dad Heer, nur mit Wenigen in Rom 
zurüdbleibend. 

Man vermag naczumelfen, wer diefe Wenigen waren. In dem Geſandt⸗ 
ſchaftsberichte, den Liutprand 5 Jahre ſpäter von Eonftantinopel aus erftattete, 
findet fi folgende Stelle:*) „die griechiſchen Heere find, obgleih an Zahl 
nicht ſchwach, jo erbärmlih und übel zufammengejeht, daß ed — ich wage 
fühn diefe Behauptung auszufprehen — Euch nicht ſchwer werden wird, auch 
nur mit Euren Bierhundert die ganze Macht der Byzantiner aus dem Felde 
zu fchlagen.” Diefe Vierhunvert, die der Cremoneſer Bilhof von dem deut- 
ſchen Lehensheere unterjcheipet, bildeten die Leibiwache des Kaiſers. Alſo mit 
den Vierhundert und vielleicht mit einigen wenigen andern Günftlingen blieb 
Dtto damals in Rom zurüd, das Lehenheer aber trat den Heimmarſch an. 

Gleich darauf bricht eine doppelte Empörung in Rom aus, eine Empö- 
rung , die das pähftlihe Werkzeug des Kaiſers verjagt, Otto ſelbſt nüthigt, 
die Stadt auf faft 6 Monate zu räumen. Ich frage, gibt es nicht unter 
allen Verhaͤltniſſen gewiſſe Vorzeichen nahender Aufftände? Gewiß gibt ee 
ſolche. Alſo Fonnte Dtto, einem Herrſcher von durddringendem Verſtand, und 
feiner Umgebung nicht verborgen bfeiben, daß «8 gefährlih für ihn ſei, ge: 
genüber der wöüthenden Aufregung, die zu Ron berrichte, feine Streit: 
macht aufzulöfen. Und wenn er dieß dennoch that, wenn er das Lehenheer 
entließ, muß man nothwendig den Schluß ziehen, daß er nicht freiwillig, 
ſondern durd Soldaten und Hauptleute aufs Acußerfte getrieben, den Urlaub 
gewährt hat. 

Unläugbar ift es, die deutfche Lehensmannſchaft hatte, empört über bie 
vom Kalfer in den legten Tagen an Petri Stuhl verübten Gewaltftreiche die 





) Perg II, 345. *) Ibid. aauctissimus imperator. Bid. ©. 353, Mitte. 


Siebtes Buch. Gap. 17. Aufruhr in Rom. Otto I. muß die Stadt verlaffen, flegt aber zulegt. 317 


Schaftlege erzwungen. Unſere Landsleute müſſen gedroht haben, die geichän, 
beten Fahnen zu zerreißen, die Lanzen an Roms Mauern entzwei zu fchlagen, 
bie Schwerter zu zerbrehen, wenn man fie nicht augenblidlih ziehen laſſe. 
In der That wären fie ehrlo® geweſen, wenn fie nicht jo handelten. Unten 
wirb fich ergeben, daß dieſe Vorausfegungen durch ſpätere Ereignifie flattlich 
befräftigt werben. 

Wetter berichtet Liutprand: „kaum erfuhr Johann⸗Octavian, daß bie 
Maſſe des deutihen Heeres abgezogen ſei, ald er durch heimliche Boten den 
Römern ale Schäße der Kirhen Roms verhieß, wenn fie über den Kaiſer 
und feinen Pabſt herfallen, beide ermorden würden. Theils durch die Klein» 
beit der Streitfräfte Otto's ermuthigt, theils gefödert durch das vorgehaltene 
Bold, griffen die Römer zu den Waffen, und verrammelten die Tiberbrücke 
an ber Engelöburg mit aufgefahrenen Laftwägen. Allein kühn rüdte ihnen 
der Kaiſer mit feinen wenigen, jedoch überaus tapferen, Soldaten entgegen, 
und dieſe richteten ein furchtbares Blutbad an. Nicht Schlupfwinfel , nicht 
Körbe (die man von den Mauern hinabließ), felbft nicht Flucht in die Cloaken 
Der Stadt vermochten die Empörer zu retten. Die Straßen, die Häufer lagen 
vol Leihen und die ganze Bevölferung wäre erlegen, hätte nicht der Kaiſer 
Dem Morden Einhalt befohlen. Die Ueberlebenden mußten Geißeln ftellen, aber 
bafd darauf flehte Pabft Leo VIII. Eniefällig den SKaifer, daß er die Geißeln 
freigebe, indem er beiflgte, er jelbft traue der Neue feiner Römer, und wolle 
ruhig unter ihnen bleiben. Otto bewilligte die Bitte des Pabſts, obgleich er 
Das vorausfah, was nachher wirklich eintraf. Wie ein Lamm unter den 
Mölfen, alfo ließ er 2eo VII. in Rom zurüd, brach auf, und rüdte gen 
Spoleto, denn er hatte gehört, daß Adalbert, Berngare Sohn, nahe.“ 

Mer fieht nicht, daß Liutprands Bericht auf Schrauben geftelt und uns 
natürlich iſt, daß er färbt, dreht, Vieles verbirgt. Zunächſt muß die Zeit bes 
ftimmt werden, was mit Hülfe der fortgefehten Chronif Regino's leicht ges 
ihehen kann. Diefelbe meldet:') „Weihnachten 963 (nad heutiger Rechnung) 
feierte der Kalfer zu Rom. Um viefelbe Zelt ward das Schloß St. Leo er: 
obert, der gefangene Berngar mit feiner Gemahlin Willa nah Baiern ab» 
geführt. Die Römer aber zettelten eine Verſchwoͤrung an, welcher auch meh⸗ 
rere Burgherren außerhalb der Mauern Rome beitraten. Aber das Geheim⸗ 
niß fam heraus und am nämlihen Tage, da die Verfchworenen den Kaiſer 
ermorden wollten — nämlich den 3. Januar — fiel Otto I. mit feinem an Zahl 
Ihwacen Gefolge über fie her und erichlug Viele innerhalb der Stadtmauern. 
Am folgenden Tage — den 4. Januar — erſchienen die Römer, ſtellten 
hundert Geißeln, und erneuerten über dem Grabmale des Apoftelfürften den 
Schmwur der Treue gegen den Kaiſer und den Pabſt. Noch eine volle Woche 





) Perg I, 628, 


318 Vabſt Gregorius VOL und fein Zeitalter. 


bfieb Dtto feitvem in Rom — alſo bis zum 11. oder 12. Januar 964 — 
dann z0g er nad Spoleto aus, nachdem er zuvor auf Bitten des Pabſts bie 
Geißeln freigegeben hatte.” So Regino's Kortfeper. 

Jetzt find wir im Stande, ein zufammenhängendes Bild der damaligen 
Ereigniſſe au entwerfen. Der Kortfeger fagt Fein Wort von Entlafjung des 
Heeres, allein er kannte fie gleihmwohl, denn die hingeworfene Bemerfung, 
der Kaiſer habe fih nur mit ſehr Wenigen zu Nom befunden, nötbiat, bie 
Verabſchiedung vorauszufegen. Abermal erficeht man hieraus, wie höfiſch bie 
Berichte der deutichen Quellen abaefaßt find und wie forafältig man fie wägnen 
muß. Der Fortfeger verſchweigt die Thatfahe der Schaftlege gänzlich, Liut⸗ 
prand verfchweigt weniaftens die wahre Urſache verfelben. Kerner ift ungmweis 
felhaft, daß die Schaftlege vor Weihnachten 963 erfolgte. Denn von biefem 
Feſte bis zum 3. Januar, an welchem der Aufftand losbrach, verliefen nur 
eun Tage: offenbar zu kurze Zeit, um eine Bewegung, an der Viele Theil 
nahmen, vorzubereiten. Offen geſteht Liutprand, daß die Entlafjung ded Heeres 
e6 war, was den Römern Muth machte, Toszufchlagen : folglich ift der Plan 
des Aufftandes erft nach der Schaftlege entworfen worden. Zur Vorbereitung 
beburften aber die BVerfchwornen immerhin gehen bis fünfzehn Tage. Alſo 
fiel die Echaftlege nothwendig In die Zeit vor Weihnachten 963. 

Hinwiederum müfen der Scaftlege Dinge vorangegangen fein, welde 
bie Unzufriedenheit des deutſchen Heeres erregten: denn fonft wäre fie jelbft 
unbegreiflib. Nur wer die Aechtheit der beiden Leoniichen Afte anerkennt, 
vermag die Vorgänge in Rom zu erflären. Ein neuer Beweis für die Wahr: 
beit diefer Urkunden tritt uns daher entgegen. Liutprand verſchweigt, Daß 
außer. der ſtädtiſchen Bevölkerung auch Solche, die nicht in der Stadt wohnten, 
für die Empörung aewaffnet haben. Der Kortfeger nennt Burgherren, castel- 
lani. Was wir aus andern Quellen wiſſen,) wird durch feine Ausſage bes 
fätigt, nämlich daß die Burgen, welche Rom in mehreren Kreifen umgeben 
und deren Mauern man heute noch flieht, guten Theil im Laufe des zehnten 
Jahrhunderts erbaut worden find. Auf dieſen Burgen faßen ohne Yrage 
Adelige, oder wie es in der zweiten Afte Leo's VIII. heißt, Romanenfer. Ein 
Theil diefes Standes war demnach neuerbingd von Dtto abgefallen, denn noch 
im Sommer 963 hatte laut Liutprands Zeugniß der Herrenftand Roms im 
Bunde mit Otto I. dem Pabſte Johann XII. au Trog die Paulsburg beſetzt. 
Barum wird nun diefe Barthel dem Kaiſer ven Rüden gefehrt haben? Offenbar 
darum, weil fie, obgleich dem Pabſte und der in Rom eingeführten Demo» 
kratie abgeneigt, doch nicht billigte, daß Dtto fo weit ging, als er in ber 
legten Zeit vorangefchritten fein muß. Alfo auch hier ftoßen wir auf ſichtliche 
Spuren der Leoniſchen Afte. 

— — 


ben S. 177. 


ebtes Buch. Gap. 17. Aufruhr in Rom. Otto I. muß bie Stabt verlaffen, fiegt aber zuletzt. 319 


Während Liutprand von Mitwirkung der Eaftellane oder Barone ſchweigt, 
jellt gleichwohl aus feinem Berichte, daß etwas der Art fich zugetragen bat. 
Re Römer”, fagt er, „verrammelten mit Laſtwagen die Tiberbrüde.” Allem 
feine nach lagen der Kaiſer, fein Gefolge und die Vierhundert im Gaftell 
. Angelo und in der angränzenden Leoſtadt, die Verſchworenen aber fchnitten 

Verbindung diefed Bezirks mit der Altftadt darum ab, damit die Barone 
t ihren Bahnen ungehindert in die Mauern ver öftlihen Bezirke ein, 
ben Fonnten. 

Die weiteren Behauptungen des Cremoneſer Biichofs find lächerlich. 
ie? der Kaiſer fol aus bloßem Erbarmen die Geißel losgelaſſen, fol aus 
tem Entichlufe Rom geräumt haben und noch dazu, während er, laut 
ıtprands eigenem Eingeſtändniſſe, vorherſah, was daraus entfichen würde. 
edat Judaeus Apella, non Ego. Nur ein Eaß iſt in dem betreffenden 
weile des Berichts wahr, nämlich die Worte: Adalbert rüdte gegen Spo⸗ 
o heran. 

Allerdings war der Aufftand vom 3. Januar innerhalb der Mauern 
oms niedergeichlagen worben, aber kurz darauf vernahm der Kaifer, daß 
ıußen das Feuer fortglühe, daß das Waffenhaupt der ganzen damaligen 
ewegung, König Adalbert, mit überlegenen Streitkräften — wie ich |päter 
gen werde, beftanden feine Truppen aus Griechen und Saracenen — bers 
ziehe. Unter dieſen Umftänden blieb dem Kaiſer nichts übrig, als alle vers 
jbaren Soldaten zufammenzuraffen, dem Beind entgegen zu führen, und folglich 
m zu räumen. Diele Räumung nöthigte ihn aber weiter zu Entlafjung 
r Geißeln, denn hätte er dieß nicht gethan, ſondern die Geißeln mit fid 
rtgefchleppt, fo würde der Pabft, der, um nicht Alles preiszugeben, in Rom 
iben mußte, unfehlbar den Mefferfiihen der Angehörigen jener Geißeln 
egen fein. 

Ueber die weitern Vorgänge möge wieder Liutprand berichten:‘) „nach⸗ 
n Kaifer Otto die Stadt Rom verlaffen hatte, beredeten die Weiber, mit 
nen der jogenannte Pabſt Johann XII. feinen Lüften zu fröhnen pflegte — 
d ed waren ihre viele und gar vornehme — die römische Menge, daß fie 
n von Bott eingefegten und vom Volke felbft erwählten Pabſt Leo VIII. vers 
je und gedachten Johann in die Stadt aufnehme. Alſo geihah es auch. 
ır mit wenigen Begleitern entrann Leo den Fäuften der Mörder, und ges 
igte unter des Allmächtigen Schuge nah Spoleto in das Lager des gotts 
ligften?) Kaiſers. Seitdem wüthete Octavian entfeplih gegen mehrere 
ırdinäle, ließ dem Einen — Johann war er genannt — die rechte Hand, 
n Andern — Azo dem Canzler — die Zunge, zwei Finger, ſammt ver 
ıfe abſchneiden. Auf die Kunde bievon beſchloß Dtto I. nah Rom zurüds 


*) Berg II, 345 unfig fl. ) Ibid. piissimi Ottonis impexatoris. 


320 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


zukehren, erfannte jedoch die Nothwendigkeit, vorerft wieder fein Heer in 
Stand zu ſetzen. Allein noch ehe der Heilige Kaifer neue Truppen an 
fih zu ziehen vermodte, offenbarte der Allmächtige durch die That, wie 
rechtmäßig Johannes von den Bilhöfen und von der ganzen römiſchen 
Bolfögemeinde‘) abgefegt, und wie unrechtmäßig er hernadh wieder in 
die Stadt aufgenommen worden fe. Denn während der ebengenannte Pabft 
eint bei Nacht heimlich außerhalb der Mauern Roms fib mit ter Yrau 
eines gewiflen Mannes ergöste, fchlug ihn der Teufel alfo auf beide Schläfe, 
daß er am achten Tage ded Tores verblih. Nah dem Verſcheiden Octavians 
wählten alle Römer, uneingedenk des dem heiligen Kaifer geichworenen Eides, 
den Cardinal⸗Diakon Benedikt zum Pabfte und legten einen Schwur ab, daß 
fie den Gewählten nie verlafien, fondern ihn mit allen Kräften wider des 
Kaiſers Macht vertheidigen würden. Sept rüdte Otto vor Rom und begann 
die Belagerung.” 

Miederholt gefteht Liuprand, daß Otto im Krühling 964 fo gut ale 
fein Heer mehr hatte, daß er erſt ein neues fammeln mußte, und daß biefer 
Mangel die wahre Urſache war, weßhalb er nicht früher gegen Johann XII. 
und nachher gegen Benebift V. Gewalt brauchte. Woher bezog der Katfer 
die neuen Streitfräfte? ine gute Duelle gibt hierüber Aufſchluß. Rotger, 
Berfafler der Lebensgeichichte des Erzbiichofs Erzherzogs Bruno von Köln, ein 
wohl unterrichteter Zeltgenofje, der aber noch mehr als Regino's Fortſetzer 
feine Feder in Rofenwafler taucht, meldet?) Folgendes: „ver hochverehrte, mit 
unglaublicher Frömmigkeit geſegnete Hirte und Erabifhof Bruno von Köln 
ſchickte, weil er nicht felbft nach Stalien gehen Fonnte, feinem Bruder und 
Herm, dem Kaifer Dtto, Hülfdtruppen zu, beftehend aus ſchwer bewaffneten 
Lothringern. Diefe Mannfchaft führte Herzog Gottfried, welchen Bruno felbft 
auferzogen hatte, ein gar weifer und andächtiger (religiosus) Herr, Liebhaber 
des Friedens, Thäter der Gerechtigfeit und dem Kaifer um jene Zeit uns 
bedingt ergeben.) Aber furz darauf farb beſagter Herzog Gottfried, von 
einem Fieber ergriffen, und wir zweifeln nicht, daß feine Seele, ohne das 
Fegfeuer gefoftet zu haben, in den Himmel einging.“ 

Der Tod Gottfried fällt, laut dem Zengniffe*) der fortgefesten Ehronif 
Regino’s, in den Herbft 964, man muß daher den Schluß ziehen, daß ber 
felige Gottfried jene lothringifhe Mannſchaft nicht lange vorher, d. h. etwa 
im Frühling. des nämlichen Jahres dem Kaiſer zugeführt hat. 

Mit Hülfe anderer Quellen fann man die Zeit noch genauer beftimmen. 
Der Ausfage des Fortſetzers zu Kolge verließ Otto Rom am 12. Jan. 964, 
in die eroberte Stadt aber z0g er wieder ein‘) den 23. Juni deſſelben Jahres. 


— — — — — 


1) Ab episcopis et omni plebe repudiatus. ibid. ©. 346. 2) Bere IV, 270 unten. 
®) Imperatori per id tempus ad votum seorviens. *) Berg 1,627. °) Ibid. ©. 626. 


Siebtes Buch. Gap. 17. Aufruhr in Rom. Otto J. muß die Stadt verlaflen, fiegt aber zuleht. 324 


Rechnet man für die Belagerung etwa drei Wochen ab, fo verliefen von der 
erzwungenen Entlafjung des Heered bis zum Angriffe auf Rom faft feche, 
feit der Räumung Roms faft fünf Monate. Berner deutet Liutprand an, daß 
Dtto die aus Deutichland fommenden Etreitfräfte nody nicht an fich gezogen 
hatte, als „der Teufel” den Pabft Johannes auf beide Echläfe ſchlug. Nun 
meldet ') der Fortſetzer, daß Pabft Johann XII. den 14. Mat ftarb. An 
biefem Tag war alfo Herzog Gottfried noch nicht eingetroffen, aber bald 
nachher muß er gekommen jein, da der Kaiſer gegen Ende Mai nach erfolgter 
Bereinigung feiner Schaaren vor Rom zog. 

Sogleih nachdem er gezwungen worden, dad Heer zu verabfchieden, wird 
Dtto alle in Deutfchland verfügbaren Soldaten, namentlid die feines Brus 
vers, des Erzbifhofs von Köln, aufgeboten haben. Die Zeit trifft zu: eine 
Schaar jchwerer Reiterei bedarf etwa 4—5 Monate, um für einen langen 
Marſch ausgerüftet zu werden und aus der Gegend von Köln bis in die 
Nähe von Rom zu gelangen. 

Im Uebrigen beweist die Aufmahnung der Fölniihen Mannſchaft, daß 
der Kaiſer in fchwerfter Bedrängniß fi befand. Denn mit eben den Truppen, 
die Gottfried nad) Italien führte, Hatte der Erzbifchof-Erzherzog in den lebten 
Jahren halb Reuftrien unter deutſche Botmäßigfeit gebracht.) Man flieht 
daher, daß Dtto die Weſtgränze des Reichs entblößen mußte, um die Ge 
hamifchten aus Lothringen Über den Alpen verwenden zu fünnen. So etwas 
thut ein kluger Herricher nur dann, wenn andere Hülfsmittel verfagen. Offenbar 
herrſchte in Deutichland tiefe Mißſtimmung gegen den Kaifer, und in Yolge 
davon muß ihm von Eeiten der nächftgelegenen oder füblichen Provinzen des 
Reichs, Alamanniend und Baiernd, Zuzug verweigert worden fein. 

Liutprand verlangt, die Lefer follen ihm aufs Wort glauben, daß ber 
allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde aus Liebe zu dem gottjeligften 
Kaifer Dtto I. den Fürften der Hölle beauftragt habe, Pabft Johann XII 
zur Etrafe für feine Sünden mittelft eines doppelten Schlags auf beide 
Schläfe aus der Zeitlichfeit jählings abzurufen. Doc verräth ſich hiebei der 
Schalk, fofern er es nicht unterläßt, beizufügen, wie der Schwarze dem Srevler 
beifommen fonnte. Hätte Johann in Rom felbft feine Gelüfte befriedigt, fo 
würde er fchwerlih mit dem Tode gebüßt haben, denn In Rom war er Herr. 
Aber er wagte fi vor Rom hinaus, und zwar bei Nadıt, die befanntlid 
Niemande Freund iſt. 

Man wird dem Tusculaner, denke ich, um ihn hinauszuloden, den Genuß 
einer fhönen Frau vorgefpiegelt haben. Johann ging in die Kalle und — war 
verloren. Denn draußen gebot nicht mehr er, fondern ded Kaiſer Gold oder 
Macht. Meines Erachtens fand der Teufel, ver Johann fchlug, in des 


1) Ibid. ©. 626. 7) Eiche Br. I, 57 fig. 
Bfrörer, Pabſt Bregorius vu, Br. V. 21 


> 


3922 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Sachſen Dtto Sold und nicht wenig beftärft mich in dieſem Verdacht die ver⸗ 
fiohlene Weife, in weldher Regino's Kortjeger über den Tod Johanns weg. 
ſchlüpft. Nur die paar Worte wirft er hin „Johann gefegnete am 14. Mai 
die Zeitlichkeit.“ 

Wenn Wutprand ed dem Tone, den er ald kaiſerlicher Hofhiftoriograph 
anfchlagen mußte, angemefjen fand, ald Gegenſatz der gottjeligen Geftalt feines 
Herm, den Teufel herbeizuziehen, jo zwang ihn doch nichts, die näheren Um⸗ 
fände, namentlih den Sa nocte quadam und extra Romam beizufügen. 
Se mehr man Diefe und Ähnliche Etellen erwägt, defto ftärfer drängt ſich die 
Vermuthung auf, daß Liutprand, um feine Meifterichaft zu zeigen und zugleich 
um gefcheiten Leſern gegenüber ven Vorwurf der Lügenhaftigfeit von fih ab» 
zuwälzen, mitten unter Redensarten, zu welchen ifn feine Rolle nöthigte, ab» 
fihtlih Säße einmifchte, weldhe den wahren Zufammenhang verrathen. Andere 
mittelalterlihe Schriftfteller haben, wiewohl in edlerer Weife, aͤhnliche Kunſt⸗ 
griffe angewendet. Für Köpfe, welche recht zu ſchreiben und recht zu leſen 
wifien, gibt es feine Cenſur, und wenn neuere Berliner Eritifer aus der 
Schule des Herrn Perg die Worte des Cremonefer Biſchofs ſtets buchſtäblich 
nehmen, oder gar weiter ausfchmüden, fo ift dieß nur bis zu einem gewiſſen 
Grade Liutprands Schuld. 

Die Chronik von Farfa meldet:) „nachdem Pabſt Johannes XII. geſtorben 
war, ſchickten die Römer eine Geſandtſchaft an den Kaiſer nach Rieti, um 
ihm den Tod Johanns anzuzeigen und ihn zu bitten, daß er feine Einwil« 
ligung zur Wahl des Cardinal⸗Diakons Benedikt gebe. Allein die Geſandten 
richteten nichtd aus, worauf die Römer wider des Kaifers Willen Benedikt 
erwählten. Dieß feßte den Kaiſer in Wuth, von allen Eeiten umringte er 
die Stadt, fchnitt jede Zufuhr ab, wodurch drinnen folde Hungersnoth ent: 
fand, daß der Scheffel des ſchlechteſten Mehls um 30 Denare verkauft ward.“ 
Man ficht, die Römer erkannten die von Garl dem Großen eingeführte, und 
von Dtto felbft in der Urkunde vom 13. Febr. 962 gebilligte Wahlordnung 
an, fraft welcher dem Kaifer das Recht zuftand, daß man vor der Wahl feine 
Zuftimmung einholte. Aber Dtto verwarf das Anerbieten, da er auf den 
dur die erfte Akte Leo's VIII. ihm eingeräumten Befugniffen beftehen zu 
müfjen vermeinte. in altes Pabftbuh?) theilt ungefähr diejelben Nachrichten 
mit, fügt aber bei, Dtto habe gegen die Gefandten geäußert: „eher will Ich 
mein kaiſerliches Schwert zerbrechen, als auf die Wiederherſtellung Leo's 
verzichten.“ 

Ueber die Abſtammung Benedikts finde id) nichts aufgezeichnet, dagegen 
ftimmen ) Die Alteften und beften Quellen überein, daß er mafellofen Rufes 


— — {oo 





1) Pertz XI, 559 oben. 2) Muratori, script. ital. III, b. S. 328. 2) Berg III, 
672, Mitte. 718, Mitte. 752, untere Mitte. VIL 309, 


Siebtes Bud. Cap. 17. Aufruhr in Rom. Dtto I. muß bie Stadt verlaffen, flegt aber juleht. 323 


genoß und wegen feiner Gelehrfamfeit ven Beinamen „Grammatiker“ führte. 
Dffenbar Haben die Römer, entichlofien die Freiheit der Kirche zu wahren, 
der Willfür Otto's einen ber beften Prälaten entgegengeftellt. Der Fortſetzer 
Regino's berichtet, *) daß Benedikt V. während der Belagerung die Mauern 
Roms beftieg, die Streiter zur Tapferkeit ermahnte, und von ben Zinnen 
herab Kaifer Dtto und fein Heer mit dem Kirchenbann bedrobte. Alles 
nügte nichts: dur Hunger aufs Aeußerfte getrieben, mußten die Römer ihre 
Stadt und ihren Pabſt in die Gewalt des Kaiſers überliefern. 

Dtto hielt den 23. Juni 964 feinen Einzug, und verfammelte, wie es 
ſcheint, fogleich eine große Synode, deren Wirfen abermal Liutprand befchreibt. ?) 
Eine zwiſchen dem Kaiſer und feinem Pabſt Leo abgefartete Poſſe wurde aufs 
geführt. „Benebift V. befannte fih ſchuldig, den feinem päbſtlichen @ebieter 
Herrn Leo, bei defien Erhebung er felbft mitgewirkt hatte, gefchiworenen Eid 
freventlich gebrodhen zu haben, Herr Leo dagegen verurtheilte den Widerpabft 
zur Abſetzung und zur Verbannung nad Deutihland. Der Kaifer Otto aber“ 
— fo berichtet Liutprand — „vergoß Thränen des Mitleids und der Rüh⸗ 
rung über das graufe Schidjal Benedikts.“ 

Liutprand leitet die Verhandlungen mit den Worten ein: „in der Kirche 
zum 2ateran faßen wieder Herr Leo, der höchſte und allgemeine Pabſt, der 
he il ig fte Kaiſer Dtto, und mit ihnen Erzbiſchoͤfe, Biſchöfe, Presbyter, Dias 
fone aus Rom, aus Italien, aus Lothringen, aus Sachſen, ſowie der ges 
ſammte römiſche Pobel.) Die Namen der Anweſenden werden unten 
beigefügt werden. 

Aus letzteren Worten erhellt, erſtlich daß — genau wie die beiden Akte 
Leo's und andere gleichzeitige Quellen angeben — Vertreter des großen roͤ⸗ 
miſchen Haufens den wichtigſten Staatsgeſchäften anwohnten und mitſtimmten; 
2) daß der Cremoneſer Biſchof ſeiner Geſchichte Otto's Synodalprotokolle zu 
Grunde legte, die offenbar dieſelbe Form hatten, wie die beiden Leoniſchen 
Urkunden, welche neuere Critiker als unächt anfechten. 

Noch eine dritte Thatſache verdient Erwägung. Während Liutprand aus—⸗ 
brüdlih fagt, die Namen der Anweſenden follen unten beigefügt werden, und 
alfo feine Abſicht außer Zweifel feßt, die Geſchichte Otto's wenigftensd bie zum 
Schluß der römiſchen Synode vom Sommer 964 fortzuführen, geichieht dieß 
nicht, fondern mitten auf einer Seite und im Anfang einer Zeile bricht ber 
Münchner Coder ab, aud welchem alle übrigen geflofjen find. Diefer Münds 
ner Codes aber war die eigene Handſchrift Liutprande. 

Wie fol man fih das Räthjel erklären? Meine Anficht geht dahin, daß 
ber Biſchof von Cremona darum mitten in einer Zelle abbrach, weil jein 
Herr, der Kaifer Dtto, dem er das Nievergeichriebene vorzulefen pflegte, ihm 


*) Berg I, 626. *) Berk III, 346. *) Ibid. omnique Romanorum plebe. 
a° 


394 Pabſt Bregorins VII. und fein Settalter. 


zu verftehen gab, es fei jet des Gefchriebfeld genug. Der rothe Dito wollte 
nämlich nicht, daß das Gedächtniß feiner fpäteren italieniſchen Thaten, ſelbſt 
in der verzuckerten Form, welche der Rebefünftler von Cremona aushedte, ver 
Nachwelt überliefert werde. Fürſten, wie Tiberlus, Caligula, Nero, Dtto I. 
lieben das Geſchlecht der Hiftorifer nicht. 

Eritifer, welche etwa die eben ausgefprochene Meinung der Willfür ober 
des mißbraudten Scharffinns bezüchtigen, erſuche ich, folgende Fragen zu bes 
antworten: 1) warum ber Fortſetzer Regino's, der nächſt Liutprand die beften 
Nachrichten über die italiihen Verhältniſſe beibringt, mit dem Jahre 967 
endet? 2) warım ber ſächſiſche Mönch Widufind feine ausführliche Geſchichte 
Dtto’8 mit dem gleihen Jahre fchlteßt: denn was er fpäter unter dem Titel 
„Fortſetzung“ beifügte, iſt ein farblofer Ueberblid, und — wohl verftan- 
den — erft nah Otto's Tode, angefchiftet; 3) warum jelbft der Mönd 
Benedikt vom Berge Sorafte feine Ehronif nur bis ungefähr zum gleidhen‘) 
Zeitpunfte fortführt? A) warum überhaupt fein Zeitgenofje eine ausführliche 
Geſchichte Otto's, die bis zu feinem Tode reicht, verfaßt hat? Im Uebrigen 
zeigt der Augenſchein, daß fowohl Liutprand und Widukind, als der Fortſetzer 
Regino's, und der Biograph des Erzbifchofs Bruno, Hofchroniften waren, ober 
um in vornehmer Sprache zu reden, die Gunft des Kaiſers und der Frauen 
des herrfchenden Hauſes genoffen oder erftrebten. 

Rah Abhaltung der Synode, welche über Benedikt V. den Stab brad, 
feierte Dito zu Rom das Johannis⸗ und das kurz darauf folgende Peters 
und PaulsFeft, dann trat er den Rüdzug nach der Helmath an, die er feit 
drei Jahren nicht mehr gefehen hatte. Als Etaatsgefangenen führte der Kaifer 
den abgefegten Benedikt mit fih. Während des Marfches brach eine ent: 
jegliche Seuche im Heere aus. Viele, welche Morgens gefund aufftanden, 
waren Abends Leichen. Unter den vornehmen Opfern zählt Regino's Yorts 
feßer den Erzbifhof Heinrih von Trier — des Kaifers Verwandten, den Abt 
Gerrik von Weiffenburg und den Lothringer Herzog Gottfried auf. Der näm— 
lihe Chronift deutet?) Teife an, daß dieſe Peſtilenz ein göttliched Strafgericht 
geweſen ſei. Ebendieß fpriht Bifhof Dietmar von Merfeburg mit bürren 
Worten aus.) Die Zeitgenoffen und deren Eöhne waren, wie man ficht, 
überzeugt, daß zu Rom unter Otto greuliche Dinge, d. h. ſolche, wie ich fie, 
auf Achte Urfunden geftügt, gefchilvert habe, verübt worden waren. 

Im Herbfte 964 erluftigte ſich Otto auf liguriſchem Boden mit der 
Jagd. Weihnachten feierte er zu Pavia, von da zog er nad dem Reujahr 
965 über die Alpen. Der gefangene Pabſt wurde dem Hamburger Erzbiichof 
zur ehrenvollen Haft übergeben. Er ift in der Elbeſtadt — laut dem Zeugnifie*) 


') Man vergl. Berk IN, 718 u. 719.  ?) Berk I, 627. 5 Berk III, 754 unten. 
A⸗ Perk VI, 309. 


Siebtes Bud. Cap. 17. Aufruhr in Rom. Otto I. muß die Stabt verlaffen, fiegt aber zulept. 325 


Adams von Bremen, ein heiliged Leben führend und Andere zu gutem 
Bandel ermahnend — um Mitiommer 965 geftorben. Zu Folge den füßen 
Worten‘) Rotgerd jowie ded Trierer Mönche, der Regino's Chronik fortjegte, 
bereiteten die Erzbifchöfe Wilhelm von Mainz und Bruno von Köln, jener 
Baftard, diefer Bruder Otto's, dem rüdfehrenden Kaifer einen überaus prächs 
tigen Empfang. Der übrige deutfche Clerus aber hat furz darauf mittelft einer 
Reihe wichtiger Handlungen an den Tag gelegt, daß er über des Kaiſers 
Verfahren und Abfichten wenig Freude fühlte. 

Durch raſch aufeinander folgende Todesfälle wurden vier der wichtigſten 
Stühle des Reichs erledigt.) Biſchof Adalbert von Meg war ſchon 962 
verſchieden. Heinrih von Trier, des Kaiſers Better, ftarb, wie ich oben 
fagte, an der Seude vom Sommer 964. Ein Jahr fpäter, im Oktober 965, 
folgte ihm Bruno von Köln, des Kaiſers Bruder, ind Grab. Abermal drei 
Jahre nachher endete der Mainzer Erzbifchof Wilhelm, Otto's Baftard. Wenn 
es nad der vor einem Jahrzehent von Dtto eingeführten Prarid ging, oder 
gar wenn die Vollmachten, welde fih neulih der Kaljer zu Rom durd 
Leo's VII. erfte Afte hatte einräumen laflen, aufrecht blieben, jo fonnten die 
erledigten Würden faum Andern, als Prinzen, Verwandten des herrichenven 
Hauſes, bevorzugten Hofgünſtlingen, zufallen. Aber es ging nicht ſo; der 
Kaiſer mußte ſich begnügen, das Bisthum Med — das unbedeutendſte unter 
den vier erledigten — einem feiner Verwandten zu übergeben. Die beiden Erz⸗ 
ſtühle von Trier und Köln beftiegen Clerifer niederen Ranges, jenen Theo⸗ 
torich, bisher Diakon der Trierer Kirche, dieſen Folfmar, früher Domprobft 
und Güterverwalter ded Kölner Eraftifts. Die Mainzer Metropole aber 
wurde gemäß der von dem h. Bonifacius überlieferten Satzung, daß je der 
jweite oder dritte feiner Fünftigen Nachfolger der Schule von Fuld angehoͤren 
ſolle,) dem Abte von Fuld, Hatto II. zu Theil. 

Schon nad zweijähriger Amtsführung — im Juli 967 — ſtarb der eben 
erwähnte Folkmar von Köln und nun wählte Elerus und Gemeinde ein, 
ftimmig, aber wider den Willen des Kaifers Dtto J., den ſächſiſchen 
Glerifer Gero aus einem marfgräflihen Haufe zum Nachfolger. Dietmar 
von Merjeburg berichtet), nur wie durch ein göttlihe® Wunder fei Kaiſer 
Otto I. zuletzt vermocht worden, der Kölner Wahl feine Zuftimmung zu geben. 

Man fieht, der deutſche Elerus wagte auf verjchiedenen Punkten ents 
ſchloſſenen Kampf, um die von Kaiſer bedrohte Wahlfreiheit der Stühle zu 
wahren und drang durch. Aus diefen Thatfachen erhellt, daß der näms 
lihe Stand die erſte Akte Leo's VIIL, welche gewiffe Eritifer ald ein unters 


1) Perß 7, 627 u. IV, 271. 2) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1262 fig. 
2) Die Belege daf. IV, 339 unten flg. *) Berk III, 751. 


326 Pabſt Bregorind VII. und fein Zeitalter. 


ſchobenes Machwerk vom Ende des eilften Jahrhunderte ausgeben, als ächt 
oder als hiftorifh wahr betrachtete, aber auch die rechtliche Giltigkeit derſelben 


beftritt. 


Adhtzehntes Kapitel. 


Im Frühling 965 ſtirbt Pabſt Leo VII, fei es gewaltfam, fei es auf natürlichem Wege. 
Erf im October wirb kraft einer Uebereinkunft zwifchen Otto J. der damals in Deutfchs 
land weilte, und den Römern Johann XII. zum Nachfolger erhoben. Weil Johann XII. 
herrifch und nicht, wie es der Wahlvertrag vorfchrieb, fich benahm, vertrieben ihm die 
Römer. Otto I. zieht 966 zum brittenmal nach Italien, um bie Feinde Johanns XIL. zu 
züchtigen. Fürchterliches Strafgericht, das über die Römer ergeht. Die von Alberich 1. 
eingeführte demokratiſche Derfaflung der ewigen Stabt ausführlich befchrichen. Die 
römifche Stabtwehr und ihre politifchen Rechte, Senat, Conſuln, der Präfelt. Alberich IL, 
ein großer Staatsmann. 


Nicht lange durfte Kaifer Dito der Ruhe in Deutfchland pflegen. Dinge, 
die hinter feinem Rüden in Italien vorgingen, trieben ihn fchon 966 über die 
Alpen zurüd. Ich beginne mit Rom. Im Frühling 965 — wie es ſcheint 
Mitte März‘) — ftarb der Faiferlihe Pabft Leo VII. Ob er etwa ein ges 
waltſames Ende nahm, erfahren wir nicht. Ueber die näcdhften Vorgänge bes 
richtet?) der Fortſetzer Regino's Folgendes: „die Römer fchidten den Kanzler 
Azzo und den Bilhof von Eutri, Marinus, als Gefandte an den Kaijer nad 
Sachſen, um ihn zu erſuchen, daß er denjenigen zum Pabſte ernennen möge, 
der ihm beliebe. Ehrenvoll wurden die Gefandten empfangen, und bald wieder 
entlaffen. Auf der Rüdreife begleiteten fie als kaiſerliche Bevollmächtigte die 
Biihöfe Diger von Speier und Liuzo (die deutſche Verkürzung für Liutprand) 
von Gremona, um Otto's Willen zu vollfireden. In Anwefenheit diefer Ber 
vollmädtigten ward von der ganzen römijhen WVolfdgemeinde?) 
Johann, bis dahin Biſchof der Kirche in Narni, zum Nachfolger gewählt, und 
unverweilt auf Petri Stuhl eingejegt.“ 

Wäre diefe Darftelung durdaus richtig, fo würde folgen, daß die Römer 
fh ohne Widerftand das durch die erfte Akte Leo's auferlegte Joch unbe, 
Ichränfter Faiferlicher Ernennung der Päbfte gefallen ließen. Allein eine andere 
Nachricht, die ich für zuverläfftg halte, gibt zu verftehen, daß die Geſandten 
wenigftend einen Verſuch machten, etwas, wie Wahlfreiheit, herauszuſchlagen. 
Adam von Bremen deutet *) nämlich an, Die römifchen Legaten feien beaufs 
tragt gewejen, Wiedereinfegung ded gefangenen Benedift, der zu Hamburg 
weilte, in Vorſchlag zu bringen. Jedenfalls beweist der Erfolg, daß die Gr 
ſandten in legterer Hinfiht nichts ausrichteten. Auch die übrigen Angaben 


1) Jaffé, regest. Pontif. ©. 324 unten. 2) Perg I, 628. 9) Tune ab omni 
plebe romana Jobannes eligiter. *%) Berg VII, 308. 


Siebtes Bud. Cap. 18. Johann XIN. Pabſt. Roͤmiſches Etrafgeriht von 967. 327 


des Fortſetzers find nur mit Einihränfungen wahr. Der Zeitgenoffe, Biſchof 
Rather von Verona fchreibt,‘) Otto fei c8 geweſen, der den Pabft Johann XIII. 
zeugte, gleihwohl habe eine Wahl ftattgefunden. in altes Pabſtbuch aber 
meldet,') alle Römer vom geringften bis zum vornehmften hätten Johanı eins 
müthig gewählt. Allein die Erhebung des Gewählten ging‘) erft Anfangs Of 
tober 965 vor ſich. Folglich verliefen vom Tode Leo's VILL, der, wie ich 
lagte, im März ftarb, bis zu neuer Beſetzung des Stuhled Petri mehr ale 
ſechs Monate. Nimmt man an, daß über der Hin- und Herreife der Ges 
fandten zwei Monate verftrichen, fo bleibt immer noch eine Verzögerung von 
vier Monaten zu erflären übrig. Unverfennbar ift, die Wahl hatte ihre Hafen, 
die man in der That nachweifen fann. 

Regino's Fortjeger erzählt?) weiter zum Jahre 965: „unzufriedene Loms 
barden empörten ſich nach gewohnter Weiſe gegen die deutſche Oberherrichaft 
und riefen den König Adalbert, Berngars Sohn — wie e8 fcheint aus Cor⸗ 
fa — nad Italien zurüd.” Ebenderfelbe Ehronift deutet an, daß aud die Bis 
jhöfe Wido von Modena, den der SKaifer früher zu feinem Kanzler durch 
Italien ernannt hatte, ſowie Eigulf von Piacenza in die Verſchwörung vers 
widelt waren. 

Durch raſches Handeln beſchloß Dtto I. den Sturm im Keime zu ers 
ftiden: er jchidte den Herzog Burfhart von Schwaben mit Heeresmacht nad) 
Lombardien, der die Empörer auffuchte und ſchlug. Am Po kam es zu einem 
Treffen, in weldem Adalbert eine Nieverlage erlitt, fein Bruder Wido fiel. 
Mit den entronnenen Anhängern warf fid) Adalbert in das lombardiſche Hoch» 
gebirg. Das Merjeburger Todtenbuch?) läßt Wido den 25. Juni 965 vers 
iheiden; an diefem Tage muß alſo das Treffen geliefert worden fein. Sieg⸗ 
reich kehrte Burfhart nach Deutichland zurüd und erftattete dem Kaiſer Bericht. 

Die lombarviihe Empörung fann nicht ohne Einfluß auf Verzögerung 
der Pabftwahl geweien fein, denn aus dem Folgenden wird fich ergeben, daß 
Berngar zu Rom geheime oder offene Freunde zählte. Erft nah Burkharts 
Siege fam dad Werk in ordentlichen Gang, aber auch fo foftete es dem Cre—⸗ 
monefer Liutprand, deffen Umtriebe ich unten aufvedten werbe, ſchwere Mühe; 
denn er hatte nicht, wie Otto vor zwei Jahren, ein Heer bei fich, mit deflen 
Hülfe er Wiberftrebende knebeln fonnte, fondern er mußte Lift anwenden, ba 
und dort nachgeben, beihwagen, mit ſchönen Worten zahlen. Johanns XIIL 
Erhebung war, wie am gehörigen Drte gezeigt werben fol, eine Frucht müh⸗ 
feliger Auögleihung zweier weit auseinander gehender Partheien, und folde 
Geſchaͤfte brauchen Zeit. . 

Dennoch dauerte der fünftliche Friede blos dritthalb Monate. Eines Tage 


9 JZaffsé a. a. O. ©. 326. 2) Berk 1, 627. °) Jahrbücher des deutfchen Reichs 
L e. 114. 


328 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


warb der Pabft verhaftet, mißhandelt, eingeferfert, dann als Gefangener fort- 
geführt. Den Anlaß zu diefem Umfhwung fchildert‘) Regino's Fortſetzer jo: 
„weil Johann XIIL die Hauptleute (majores) der Römer mit einer Härte 
behandelte, die nicht zu verantworten war (d. h. die dem abgefchloffenen Ber: 
gleich zuwiderlief), wurden fie ihm topfeind: plößlic ergriffen der Stadts 
präfeft und ein gewiſſer Rodfred den Pabft, vertrieben ihn aus der Stadt 
und fperrten ihn irgendwo in Campanien ein.” Ausführlihere Nachrichten 
gibt?) der Mönd Benedikt: „nah ihrer böfen Gewohnheit überflelen vie 
Römer den Pabſte im Palafte zum Lateran. Einige fchlugen ihn auf das Haupt, 
Andere verjegten ihm Badenftreiche, wieder Andere zerbläuten ihm den Rüden 
mit Fäuften. Eo ward er fortgeftoßen und irgendwo in Campanien eingethürmt.“ 

Der Fortſetzer begnügt fi, wie man fieht, die Urheber der That nams 
haft zu machen, während der Mönch aud die Werkzeuge fpielen läßt. Beide 
zujammen, die Urheber und die Werkzeuge, führt ein dritter Zeuge auf"), ins 
dem er zugleich noch andere Zufäße beifügt: „nachdem Johann XIII. Petri 
Etuhl zwei Monate und ſechzehn Tage eingenommen hatte, warb er ergriffen 
von Kodfred dem Grafen, von Peter dem Stadtpräfeften, fowie von dem 
roͤmiſchen Volk und nah Gampanien in die Verbannung abgeführt.” Rod- 
fred, den auch der Bortjeger nennt, war alfo ein Graf, der Stabtpräfeft hieß 
Beter, die That felbft ereignete fi Mitte Dezember. Denn Johann XIIL ifl, 
wie wir wiflen, den 1. Oftober geweiht und eingelegt worden. 

Als eigentlihe Anftifter des Verbrechens werden bezeichnet drei verſchie⸗ 
dene, theild Männer, theild Klaffen: erftens (Graf) Rodfred, zweitens Stadt 
präfelt (Peter), drittend Beamte, die den Titel majores (Stadthauptleute) 
empfangen. Bon Wictigfeit ift es, letztere genauer kennen zu lernen. 
Ein vierter Zeuge ertheilt Aufſchluß. Aus Hanpfchriften des Patifans hat 
Muratori eine meined Erachtens gleichzeitige Geſchichte Johann's XIII. vers 
Öffentliht, welche Folgendes meldet:*) „Ropfred, ein Graf aus Kampanien, 
und Peter, der Etadtpräfekt, ergriffen mit Hülfe der Häupter des gemeinen 
Volks, weldhe man Defarconed nennt, den Pabſt und fchleppten ihn erft in 
die Engelöburg, dann zogen fie ihn wieder hervor und ſchickten ihn nah Cam⸗ 
panien in die Verbannung.” Alſo mit den beiden Hauptverſchworenen haben 
bei Abfegung des Pabſts Johann XIIL demofratiihe, dem Pöbel vorgefepte 
Beamte zufammengewirft, welche Defarconen hießen. 

Dieſes Wort iſt griebifhen Urfprungs und befagt Zehnherren. Rabe 
liegt die Vermuthung, daß der Titel darım gegeben worden fei, weil bie 
Dekarconen zuſammen ein Collegium von Zchn bildeten. Aber dem war 
nit jo. Denn der nämlide Biograph bei Muratori berichtet, daß Kaifer 


1) Berk I, 628. ) Berk M, 719. ) Catalogus paparam, bei Eccard, oorp. 
bist. med. aevi II, 1640 oben. *) Script. ital. IH, b. ©. 330 unten flg. 


Bay. 16. Sohann XII. Pabſt. Romiſches Strafgericht von 967. 329 


67 nah Rom kam und die Urheber der Verfchwörung wider 
ur Rechenfchaft zog, zwölf aus der Zahl der Defarconi aufs 
olglih gab es jedenfalls mehr als zwölf Defarconi in Rom. 
er Biograph von Dekarconi redet, braucht, wie fchon bemerkt 
ortfeger Regino’d von ebendenjelben den Ausdruck majores 
3 war ohne Zweifel die lateinifche Bezeichnung des Amts, als 
öpfend kann fie jedoch nicht betrachtet werden, weil es Ihr 
nhalte fehlt. Major beißt im Allgemeinen ein Borgefchter, 
r die Defarconi über etwas Beftimmtes, über Yahnen von 
Stabttheile, Reihen von Häufern, Straßen, Paläfte oder ähn- 
st geweien fein. Das nöthige Licht gibt die erfle Urkunde 
a Dezember 963, wo ald Vertreter oder Häupter des roͤmi⸗ 
jores platearum, Gaſſenhauptleute, aufgezählt werden. Wir 
on allgemeinen Titel ſammt der von dem Fortſetzer Regino's 
ıber unentbehrlichen Befonderheit. "Majores platearum, Gaflen- 
der lateiniihe Name für Defarconi geweſen fein. 

de gezeigt, daß die Etadt Rom von den Zeiten Auguſts an 
den heutigen Tag in eine gewiſſe Anzahl von Regionen oder 
yeilt geweſen if. Sollten tie Gaffen, denen die Dekarconi 
rt auf die Regionen zielen, oder ein anderer, volfömäßiger 
{ben jein? Ohne Zweifel verhielt fih die Sade fo. Denn 
te Urkunde Leo's VIII Hauptleute der Gafjen erwähnt, Ichweigt 
nde defielben Pabſtes von Gaſſen, führt aber an ihrer Statt 
tegionen Romd und zwar 15 auf. Run wird far, warum 
hte des Biographen Otto zwölf aus der Zahl der Defarconen 
auptleute mit dem Strang beftrafen konnte: es waren ihrer 
‚ von denen zwei‘) oder drei dem Tod entgingen, 

fomit auf einen erften, aber deutlichen Beweis gefloßen, vaß 
3 der Berfafjung Roms, welde Fürſt Alberich IL eingerichtet 
le ſpielten. Zunächft drängt fi die Frage auf: warum die 
egionensHauptleute, neben dem lateinifchen majores platearum, 
es jcheint, vorzugsweile einen griechiſchen Titel trugen? 
,‚ ein feiner Menfchenfenner, Alberich II., Urheber der Bers 
: von 954 bis 967 zu Rom beftand, hut dieß abfichtli fo 
Die tägliche Erfahrung lehrt, daß verjunfene, herabgefommene 
Nichts fo ſehr ergögen, ald an fremden Titeln, die vornehm 
reihlih und fruchtbringend find z. B. die heutigen Deutfchen 
shmude gefegnet: Minifter, Generale, Direktoren, Altuare, 
Referendarii, Commifjarii, Ingenieure, Techniker, Injpektoren, 


feger fagt (Perk I, 628) dreizehn feien gehenkt worden, 


330 Babft Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Profefioren, Juſtitiarii, Notare, Erpeditoren u. ſ. w. Ebenſo erging es den 
Römern des zehnten Jahrhunderte. Das Wort major will im Stalienifchen 
— bei und iſt es ſchoͤn — fo viel als nichts befagen; denn es Tann Einer 
aus ganz gemeinen Gründen größer ald der Nachbar fein, während ficherlic 
die Yrau eines Gaſſenhauptmanns ſich nicht wenig gefchmeichelt fühlte, wenn 
man fie flatt Majoressa — donna decarcona nannte. Um die nämlidhe Zeit 
fagten die Römer protoscriniarius, auch gab ed im päbftliden Hofftaat ge 
wiſſe niedere Beamte, welde den Titel cacaburii und Colossaei erhielten.‘) 
Klingt das nicht ftattlich ? 

Nicht lange blieb?) Johannes XIII. in dem campanifchen Kerfer (viel, 
leicht auf einer Burg des Grafen Rodfred). Er fand Gelegenheit zu entwei- 
hen und floh nun nad Capua zu dem Fürften Pandulf. Hier fand er gute 
Aufnahme, aber nicht ohne daß ihm Gegendienfte abgefordert wurden. Zwei 
Ehronifen melden,?) Soha# XIII. habe damals die Stadt Capua vom bloßen 
Bisthum zur Metropole erBöben, zum erften Metropoliten aber den Bruber 
des Fürften Pandulf, Johann, eingefebt. Gleihwohl war es nicht Pandulf, 
fonbern der deutſche Kaifer, der dem vertriebenen Pabfte wieder zur Rüd- 
Sehr verhalf. 

Begreiflih iſt, daß Otto I. nad folhen Ereigniffen in Lombarbien und 
Mittelitalien den Entſchluß faßte, ſelbſt nad Stalierr zu ziehen. “Denn wenn 
er dieß unterließ, brobte das feit 962 aufgeführte Werf wieder einzuflürzen. 
Nachdem er an Mariä Himmelfahrt 966 einen Reichstag zu Worms gehalten, 
brach er Ende Auguft über Chur nad Italien auf. Beftrafung der Anhänger 
Adalberts bezeichnete feinen Eintritt in Lombardien. Biſchof Sigulf von Pia- 
cenza und mehrere vornehme Laien wurden verhaftet und nad Sachſen oder 
Franken abgeführt. Das gleihe Schikjal hatte ſchon im Jahre zuvor den Bi: 
ſchof Wido von Modena betroffen. ®) 

Sobald die Römer hörten, daß Dttv nahe, verloren fie den Muth, 
riefen Johann XI. aus der Verbannung zurück und empfingen ihn mit 
Hymnen und Lobliedern. Nod ein anderer Umftand beförderte die Wieder 
berftellung des Flüchtlinge. Jene vatifanifhe Handſchrift meldet,*) währenv 
des Pabſtes Abweſenheit fei defjen Hauptgegner Graf Rodfred ſammt feinem 
Eohne von Johann, dem Eohne des Erescentius, erjchlagen worden. Ich 
werde am gehörigen Drte von dieſem Grescentier, der offenbar zugleich die 
Gunſt des Kaiferd und des Pabſtes verdienen wollte, Weitered berichten. 

Merkwürdig ift, was der Mönch Benedikt über die Vorgänge während 
der erften Wochen nad) der Rückkehr Johanns XIII. erzählt:*) „nad feinem 
Einzuge in Rom hielt der Pabft zuerft Hohamt im St. Petersdome und ers 


1) Segel, Stäbteverfaflung von Stalien I, 255 flg. 2) Die Belege bei Jaffe, reg. 
©. 328. ?) Berk I, 627. 628. *%) Muratori, script. ital. III, b. S. 330 unten flg. 
“Perg III, 719. 


Eiebted Bud. Say. 18. Johann XII. Pabfl. Römisches Ektrafgericht von 96%. 331 


bob fih dann nad dem Palafte im Lateran. Seitdem begrüßte er das Bolf 
häufig und veranftaltete Schmaufereien für daſſelbe. Ich glaube, er that 
Solches, die Rachegedanken, die er hegte, zu verhüllen; denn gleich nad 
jeiner Bertreibung hatte er heimlich Boten an den Kaiſer geichidt, daß Otto 
fommen und die Römer zur Rechenſchaft ziehen möge.” Während der Ber 
bannung des Pabftd waren 10 Donate und 28 Tage verlaufen.) Da ihn 
die Verſchworenen am 16. Dezember 965 überfielen, folgt, daß Johann vor 
der Mitte Rovemberd 966 zurüdfehrte. Genau ftimmt die Ausfage des Pabft- 
buches mit den Angaben des Minds überein. 

Gegen Weihnachten 966 erfhien Otto J. ſelbſt in Rom: alsbald hörten 
die Schmaufereien auf und ein anderes Werf begann. Der Kaiſer orbnete?) 
cin fürchterliches Strafgeriht an, und zwar wüthete er gegen Todte, wie 
gegen Lebende. Graf Rodfred war, wie ich oben fagte, ſchon im Herbfte 
erfchlagen worden, ein anderer Mitverfchworener, des Kammerherr*) Stephanus, 
gleihfall8 vor der Ankunft des Kaiſers geftorben. Otto gebot, die Leichen 
Beider aus geweihter Erde herauszureißen und anderdwo zu verfcharren. 
Mehrere Eonfuln der Römer wurden in die Verbannung nah Sadfen abs 
geführt, zwölf oder dreizehn aus den Defarconen oder Regionenhauptleuten 
endeten am Galgen. Den gefangenen Etadtpräfeften Peter überlieferte der 
Kaiſer ven Händen des Pabftes, der dem Unglüdlichen ein böſes Loos bereitete. 
Erft raufte man ihm den Bart aus, dann ward er mit den Haaren an dem 
Roſſe Eonftantind, von dem fpäter die Rede fein wird, aufgehenft, hierauf 
nadt und rüdlings auf einen Ejel geſetzt, durd die Stadt getrieben, gegeißelt, 
verhöhnt, eingethlirmt und zulegt über die Alpen fortgefchleppt. 

Mieder Andere müfjen mit dem Schwerte hingerichtet oder mit Aus⸗ 
reißung der Augen beftraft worden fein. Denn als Liutprand im Sommer 968 
in der Eigenſchaft eines Faiferlihen Geſandten nad Conftantinopel fam, em⸗ 
pfing*) ihn der Byzantiner Nicephorus mit den Worten: „hat nicht bein 
Herr viele Römer mit dem Schwert hingerichtet oder gehenft, Andere ges 
blendet, wieder Andere in die Verbannung geſchickt?“ 

Ein ſolches Ende nahm die beftehende Verfaſſung Roms, nachdem fie 
ctwas über zehn Jahre gedauert hatte. Sept ift es Zeit, dieſe politifche 
Schöpfung in's Auge zu faffen. Wir haben im Berlaufe der Erzählung viele 
Epuren entdedt, welche feinen Zweifel über die Einführung demokratiſcher 
Formen zulaffen, auch ftellte fih mit hoher Wahrſcheinlichkeit heraus,) daß 
fie in den legten Zeiten Alberichs IL. — und vor der Erhebung feines Sohnes 
Octavian auf Petri Stuhl — ihren Anfang nahm. Damals fühlte fi der 
alte Fürft doppelt bevrängt, einmal von Außen durd König Berngar, dann 


1) Muratori a. a. O. III, b. 330 u. 332. 2) Ibid. und Berk 1, 628. *) Vertig 
rius. %) Perg III, 348 oben. 6) Oben ©. 293. 


% 


9339 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


im Innern von Seiten der clerifalen Parthei, welche fortwährend darauf hin⸗ 
arbeitete, dad von dem Haufe Tusculum der römifchen Kirche auferlegte Joch 
zu brechen. Damit leßtere Gefahr abgewendet werde — fie war allerbinge 
die dringendſte — entſchloß fih Alberih, die geiftlihe und weltlide Gewalt 
zu Gunſten feines Sohnes zu vereinigen, mit andern Worten, den jungen 
Octavian, der kraft Erbrecht im weltlichen Fürſtenthum dem Vater folgte, zus 
gleih zum Pabfte wählen zu lafjen. 

Allein dieß war aus mehreren Gründen ein jchwieriges Werl. Cinmal 
übte — wie früher gezeigt worden — bis gegen 954 der römijche Stabtadel die 
Befugniß aus, bei Beſetzung des Stuhles Petri mitzufprehen. Von diejem 
Stande aber ließ fih faum erwarten, daß er zu Erhebung des Bringen mitwirfe, 
da mit Sicherheit vorauszufehen war, daß Octavian, zum Pabſt gewählt und 
folglih unter den unabwendbaren Einfluß des Clerus geftellt, früher oder 
fpäter die vom Adel gera Kirchengüter zurüdfordern werde. Noch eine 
andere Klippe drohte. Haf® Alberich nicht triftigen Grund, zu fürchten, daß 
gegen feinen zum Pabft eingejegten Sohn irgend ein ehrgeiziges Haupt des 
Stadtadeld dieſelbe Rolle jpiele, die vom Haufe Tusculum mit glänzenden 
Erfolg gegen frühere Päbfte durchgeführt worden war? MWahrlid nicht wenig 
Muth und Berftand gehörte dazu, um beide Klippen zu umjciffen. 

Alberich's Scarffinn entdedte den Nriadnefaden, der aus dem Labyrinthe 
hinaus führte. Die Ältere Geichichte des Stuhles Petri lieferte brauchbare 
Vorbilder. Ehe der junge Kaiſer Lothar durch das Gefep vom Jahre 824 
die Adeldherrfchaft in Rom gründete, genoß dort das Volk einen weſentlichen 
Antheil an Entſcheidung der großen Geichäfte, namentlid an den Babftwahlen, 
und Leo III. ſammt feinen nädten Nadyfolgern hatte die Menge, wie an 
einem andern Orte gezeigt worden,‘) wiederholt und mit Glück benützt, die 
Parthei des Adels, Die ſchon vor 824 fih als Werkzeug des Faiferlichen 
Hofes gebrauchen ließ, zu Paaren zu treiben, 

Alberich ftellte jegt diefe Art von Demofratie her, er gab vor Allem das 
Wahlrecht dem großen Haufen zurüd, der ſchon 955 nad dem Tode Agapets 
bei Erwählung Johann's XII. dem Adel zu Trog den Ausihlag gegeben 
haben muß. Zu gleicher Zeit aber verbefjerte Alberih II. die ehemaligen 
Formen der Volföherrichaft, wobei ihm die Macht feines Hauſes Mittel an 
die Hand gab. Unter den Titeln, die er führte, wird Keiner fo jharf bes 
tont, als ver eines römischen Fürften, eines römiſchen Monarden. Diejer 
Titel weist offenbar darauf hin, daß die Maſſe römischer Bevölferung von 
ihm abbing, daß mit wenigen Ausnahmen in allen Innern Angelegenheiten 
der Stadt nur er zu befehlen hatte. Nachdem dur die Wahl Johann's XL. 





) Daf. ©. 108 fig. 


Siebtes Buch. Gay. 18. Johann XIH. Pabſt. Römiſches Gtrafgericht von 967. 939 


weltliche und geiftlihe Macht des tusculaniſchen Haufes auch äußerlich vollends 
vereinigt worden, mußte Solches in noch höherem Grade der Fall fein. 

Ich will meine Meinung durd eine Urkunde verdeutlihen. Mittelft 
Bullet) vom 1. Auauft 1018 beftätigte Pabft Benedikt VITI. ſämmtliche Bes 
figungen und Rechte des Stuhles von Porto an der Tibermünbung, verlieh 
den dortigen Bifchöfen die Ernennung des Baftalden oder Rentamtmanns, und 
ermächtigte fie überbieß, aus den Einwohnern des Orts vier, nämlich zwei 
Fiſcher und zwei Echreiber, in der Art auszuwählen, daß die Auderlefenen 
hinfort nur dem Bisthum Dienfte zu leiften, nur ihm Abgaben zu ents 
richten hätten. 

Nun fange ich, ebenfo wie diefe vier Portenjer find fäümmtliche SPlebejer 
Roms dem Haufe Tusenlum unterthan geweien. Aus den früher erörterten 
Leoniſchen Akten erhellt, daß, nachdem die Volfövertretung in Rom eingeführt 
worden war, auch etlihe Adelige der Stadt bei Gerichtöverhandlungen und 
Wahlen Stimmen abgaben. Aber ed waren ihrer nur wenige und nur Solde, 
die irgend einen der größeren Paläfte, fei es als Eigenthümer, ſei ed ale 
Lehenträger des tusculaniihen Haufes, bewohnten.) Die übrigen Adeligen 
vertraten bei jenen Zufammenfünften nicht die Stadt, fondern die von Rom 
auslaufenden Heerftraßen oder die nähere und entferntere Umgebung. 

Jedenfalls iſt ungmwelfelhaft, daß bei Gelegenheiten, wo den Tusculanern 
daran lag, ihren Willen durchzuſetzen und etwaige Gegenftrebungen zu vers 
eiteln, namentlih aber bei Pabftwahlen, die Mehrzahl der Stimmen dem 
Volke zuftand. Denn bezüglich fämmtlicher Pabftwahlen, die während des 
Beftandes der demofratiihen Verfaffung ftattfanden, wird ausbrüdlich hervor- 
aehoben, daß die ganze römische Volfsgemeinde abgeftimmt habe. Eben biefe 
Maſſe aber hing aus den oben angegebenen Gründen von den Tusculanern 
ab. Eine Erwählung der Statthalter Petri durch das Volk wollte, wie man 
fieht, ebenfo viel befagen, als wenn das jeweilige Haupt des Haufes ſelbſt 
einen Pabft eingefegt hätte. Durch gehen bis zwölf Taufend unterthänige Mäuler 
oder Hände ließ der fürftliche Gebieter feinen Willen volftreden. 

Freilich hätten diefe vielen Mäuler und Hände, fei es dur Dritte ver 
führt, ſei es aus perfönlicher Raubluft, auf den Gedanken gerathen Fönnen, 
dann und wann ihrem eigenen Kopfe zu folgen. Allein gewiſſe Maßregeln, 
die ih oben ald von Alberich erfonnene Verbefferungen des Älteren demokra⸗ 
tiichen Syſtems bezeichnete, forgten dafür, daß die Menge ihrem Brod⸗ und 
Leibherrn treu blieb, und zweitens, daß ihre Fäufte, wenn ed Noth that, 
gegen Die gebraucht werben mochten, welche es etwa verjuchten, die politiichen 
Kreife des Hauſes Tusculum zu durchkreuzen. Das gemeine Volt Rome 


') Marini papiri diplom. ©, 68. Nr. 42. °) Berk, leg. IL. b. S. 170: Lacianus 
de forma Trajana, Paulus de templo palatii, Johannes consul de palatio sosortanensi, 
Amatius consul de palatio vaticano, - 


334 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


erhielt eine militäriiche Gliederung. Ich habe oben Thatfachen dargelegt, aus 
welchen fich ergibt, daß die römiihe Stadtwehr, welde laut dem Zeugnifie 
Liutprands unter dem Befehle des fogenannten Kaiferhens Peter dem Gericht 
über Johann⸗MOctavian anwohnte, aus Plebejern beftand. Ebenfo unzweibeutig 
iſt die Stelle in der zweiten Afte Leo's, wo es heißt, auf der Eynobe, welde 
Leo VIII. im Dezember 963 berief, um das Kirchengut dem Kaiſer zu übers 
liefern, hätten Offiziere aller Stände, der Romanenfer und des gemeinen Volks, 
abgeftimnt. Die Romanenfer oder die Mitglieder des auf dem Lande ans 
fäffigen Stadtadeld waren längft dem Stuhle Petri zum Kriegsdienſte vers 
pflitet, durch Alberich's Einrichtungen fam zu dieſer Körperihaft Die aus 
Blebeiern zufammengefegte Stadtwehr hinzu. 

Seele aller kriegeriſchen Einrichtungen find die Stufen des Befehls. 
Alberich hat nicht verfäumt, dieſem Zweige des Dienfted die gehörige Auf: 
merkſamkeit zu fchenfen: der zu einem Stadtheer gegliederte Pöbel fand unter 
fünfzehn Regionen » Hauptleuten, weldhe allem Anfceine nad zugleich als 
bürgerlihe Beamte die Verwaltung der fünfzehn Regionen leiteten. Den 
Oberbefehl über die gefammte Stadtwehr führte der Plebejer Peter mit dem 
Beinamen Kaiſerchen. Meine Anficht ift, daß diefer Beiname ein Hohn auf 
altfränfifche Erinnerungen war. Alberich II. und deffen Sohn Johann» Detavian 
wollten damit jagen: Wir find mehr als die ehemaligen carolingifhen Kaiſer, 
oder als der Sachſe Otto (deffen Adficht, fih zum Kaifer aufzuwerfen, ſicherlich 
ſchon Alberich IT. ahnte), Wir find mehr als fie, denn Wir haben ein Kais 
ferben in unferem Dienft. 

Bollendet und zugleih mit einer ſchneidenden Spige ausgerüftet warb 
Alberichs Organifation durch Erneuerung eines älteren Amtes, das wahr: 
Iheinlich feit 160 Sahren geruht hatte. Ich ſetze die doppelte Entwidlung, 
welche die römische Würde der Präfektur erft unter Auguſt und feinen näcften 
Nachfolgern, dann wieder durch Diokletian und Gonftantin den Großen er: 
bielt, als befannt voraus. Präfekten der zweiten Schichte kommen unter 
Pabſt Gregorius J. zu Rom vor. Der Biograph diefes Pabſtes erzählt: ') 
„Bermanus, damaliger Präfekt ver Stadt Rom, habe dad an den byzanti- 
nischen Kaifer gerichtete Schreiben, Fraft deſſen Gregor I. die auf Ihn gefallene 
Pabſtwahl ablehnte, aufgefangen und zurüdbehalten.” Gregor ſelbſt erwähnt‘) 
in der Brieffammlung einen Stadtpräfeften Johannes. Dieſe Präfeften ſtanden 
unverfenubar in des byzantiniſchen Kaiſers Dienften. 

Allein gegen Enve des achten Jahrhunderts, nachdem der völlige Bruch 
des h. Etubles mit Byzanz erfolgt, das Schupverhältniß mit den Carolin- 
gern angefnüpft war, findet man zu Rom vom Pabft eingefepte, ihm vers 


*) Die Belege bei Hegel, Stäbteverfaflung Italiens I, 177. 


Buch. Gap. 18. Johann XII. Pabſt. Roͤmiſches Strafgericht von 967. 335 


zräfekten. Der Berfaffer des Pabſtbuchs berichtet, ') „daß Hadrian I. 
r feines Vorgängers Eergius zu ergreifen befahl, und fie dann in 
des Stadtpräfeften übergab, damit diefer ein peinlihes Verfahren 
Uebelthäter einleite.” Dem päbftliben Stabtpräfeften ftand, wie 
der Blutbann zu. Seitdem ift faft durch zwei Jahrhunderte nicht 
jolhen PBräfekten die Rede. Natürlich! denn feit Leo's II. Pons 
n erft die Sendboten der fränfiihen Carolinger, und dann nad 
der Adelsherrſchaft über Rom die Stabtherren und endlih das 
Alberih8 den Blutbann geübt. 
gen mit dem Augenblide, da Alberih II. die geiftlihe und welt 
t zu vereinigen befchloß, war eine Aenderung nöthig. Kür Johann» 
der neben dem weltlichen Fürſtenthum die pähftliche Krone beſaß, 
ich nicht mehr, im eigenen Namen Hinritungen anzuordnen. Denn 
nntlih alter Grundſatz, daß die Kirche Fein Blut vergießt. 
wurde die Präfektur wieder ins Leben gerufen und einem hohen 
invertraut, der — das verfteht fi von ſelbſt — in Abhängigfeit 
Pabſte fund. Wann tauht nun die erneuerte Präfektur zum 
auf? In einer Urfunde?) vom 25. März 955, kraft welcher Pabft 
— im Jahre nad Alberichs II. Tode und etwa 7 Monate ehe er jelbft 
die Güter des römischen Klofters zum h. Stephan beftätigt und 
den Präfeften Theodor nennt. Folglich iſt es nicht Johann⸗Octa⸗ 
ern entweder Pabft Agapet oder Alberih II. geweien, der das 
Präfeften wiederherſtellte. 
Iaube faum die Bemerkung nöthig, daß aus andern Gründen nur 
Hal angenommen werden fanı. Warum aber wird Alberich die 
:meuert haben? Offenbar deßhalb, damit fie die Erhebung ſeines 
tavian auf Petri Etuhl vorbereite und zugleih den demofratifchen 
jen, die er traf, als Echlußftein diene. Die Einfegung eined Bes 
im Dienfte des Pabſts über Beil, Galgen und Rad verfügte, 
vohlverftändliches Merkzeihen fowohl für Pilebejer, welche die ers 
iheiten mit Undanf lohnen, als für Adelige, die ed wagen würden, 
en ded Pabftes-Fürften entgegenzutreten. 
end der Blüthe des adeligen Regiments über Rom, welde der 
en Gewalt des tusculaniſchen Haufes voranging, hatten, wie früher 
rden, die Etadtjunfer in Form eines ariftofratiichen Senats regiert. 
ve nun jegt aus diefer Anftalt? Gemäß dem gewohnten Gange 
* Dinge ſcheint es räthlich, vorauszufegen, daß Alberih U. nad 
} der demofratiichen Formen den Eenat nicht ganz zur Seite fchieben 


— 


atori III, a. 181, zweite Spalte. 2) Marini papiri diplom. Rr. 28, Geile 88, 


. 


336 | Pabſt Gregorius VI. und fein Seitalter. 


fonnte, zugleich aber auch, daß er Maßregeln getroffen haben wird, um bie 
fortbeftehende Koͤrperſchaft einzufchränfen. Denn hätte er fie ganz aufgehoben, 
fo wäre tödtlihe Verfeindung des Adels, hätte er fie nicht geftugt, jo würde 
verberblicher Zwieſpalt zwiſchen den ariftofratiihen Nechten des Adeld und 
den demofratifhen des Volks unausbleibliche Folge geweien ſein. In folden 
Verlegenheiten helfen fi gewandte Männer gewöhnlih damit, daß fie ben 
Schein unzuläſſig geworbdener Anftalten fortbeftehen laſſen, das Weſen aber 
vernichten. ° 

In der That entfprechen diefen Annahmen die aus den Zeiten der demos 
Fratiichen Berfaffung auf uns gefommenen Denfmäler. In den beiden Aften 
Leo's werben erwähnt: 1) senatores') im Allgemeinen; 2) ebenſo procon- 
sules; 3) Kauftinus,?) Haupt des Senats; A) zwei ungenannte Erconjuln; 
5) ein ungenannter Protribun; 6) zwei wirflihe Gonfuln, Johannes, ber 
feinen Stk im ſeſſorianiſchen Palaft hat, und Amatus, der im Batifan haust. 

Meine Anficht bezüglich diefer Aemter ift folgende: erftlich wo ein Haupt 
des Senats erwähnt wird, muß man vorausfeßen, daß ein Senat als wirt 
liche Körperfchaft beftehtz zweitens die Worte Proconful und Erconſul find 
ohne Zweifel gleichbedeutend, der Ausdruck bezeichnet foldhe, die früher Eon- 
fuln waren, aber es jetzt nicht mehr find; drittens den naturgemäßen Ge⸗ 
genſatz von Exrconful bilden die in fehster Stufe namhaft gemachten Eonfuln; 
fie find wirklich im Amt, während die Andern es früher waren. Das ons 
fulat beftand demnach während der demofratiihen Berfaffung fort und zwar 
allem Anfchein nach als eine jährlich wechfelnde Würde. Meines Erachtens 
befchränfte fich viertes die Zahl der Conſuln auf zwei, denn die zweite Afte 
Leo's nennt nur zwei, während fie bei dem fichtlichen Beftreben darzuthun, 
daß alle Behörden Roms an den franlihen Befchlüffen Theil nahmen, zweis 
fellos noch andere aufgeführt hätte, wenn mehrere vorhanden geweſen wären. 
Auch die oben angezogene Stelle ver Gefchichte Johannes XIII., Taut mwelcer 
Dtto römifche Conſuln über die Alpen verbannte, ftimmt zu, fofern fie bes 
weist, daß damals in Rom mehr ald ein wirffiher Conſul amtete. 

Der Batifan, in welchem Conſul Amatus hauste, liegt befanntlih am 
Nordweſtende der Leoftadt. Betreffend die Lage des andern Palafted erzählt”) 
der Verfaffer des Pabſtbuches: „Kaiſer Conftantin der Große erbaute im 
Umfreife des Sefforianifhen Palaftes eine Kirche, in welcher er Stüde 
des wahren Kreuzes niederlegte, und darnach die neue Kirche benannte, welde 
noch jegt den Beinamen zum 5. Kreuze (von Serufalem) trägt.“ Diele 
nämlihe Stelle ſchrieb Beda der Ehrwürbige in feiner Kirchengeſchichte, und 
binwiederum, dem Angelfachfen folgend, Abt Hugo von Flavigny in ber 


‘) Berk, leg. U, b. ©. 168: bis actis interfuere senatores, proconsules. ?) Ibid. 
©. 170: caput Senatus. 2) In vita Silvestri I. papae bei Muratori III, a. ©. 108, 
zweite Spalte. 


Siebtes Bud. Gay. 18. Johann IM. Pabfl. Roͤmiſches Strafgericht von 967. 337 


Chronit!) aus. Beide Iehtere nennen aber den Palaft, in deſſen Umfreife 
die Kirche zum h. Kreuz errichtet ward, nicht mehr den Seſſorianiſchen, fondern 
den Sororianifhen. Unverfennbar if, daß Beda und Hugo biefelbe Kirche 
meinen, welde das Pabſtbuch als Sefjorianifche, die Akte Leo's VIII. aber 
als die Soforitanische bezeichnen. Zwiſchen dem vierten, dem achten und dem 
zwölften Jahrhundert war der Name mehrfach verfegert worden. 

Heute heißt fie Santa Croce in Gerufalemme und fie Tiegt auf dem öſt⸗ 
lichen Ende der eigentliden oder der Altftabt, unmelt dem Lateran und der 
ehemaligen porta Asinaria, jet porta S. Giovanni genannt, welche von Rom 
nah Neapel, Frascati, Albano und Belletri führt.) Der bekannte römifche 
Alterthumsforfcher Nibby meint ?), der fragliche Palaft fei urfprünglih darum 
sessorium genannt worden, weil er eine für bürgerliche Rechtshändel beftimmte 
Bafllifa war. Im Uebrigen erfieht man, daß der in der Leoniſchen Akte 
erwähnte Gonful Johann am Dftende Roms feinen Sig hatte, Amatus dagegen 
am Weſtende, was abermal auf eine Zweihelt von Conſuln Hindeutet. 

Dbgleih während der 12—13 Jahre, da die demofratifche Verfaffung 
Alberichs II. dauerte, ein Senat, ein Haupt des Senats, wirflihe Conſuln — 
allem Anfcheine nah mit jährlibem Wedel des Amts — und Proconfularen 
befanden, war doch der Nero der Gewalt in den Händen des Volks, oder 
vielmehr, unter der Maske einer Demofratie und dur das Volk, in den 
Händen des Haufes Tusculum. Diefes Volk hat die Wahl Johannes XU., 
dann der Faiferlihen Macht zu Troß die Benedikts V. entfchieden und nur 
gegen bedeutende Zugeftändniffe, melde, wie ich unten zeigen werde, Otto 
bewilligen mußte, die längere Zeit beanftanvete Erhebung Johannes XIII. guts 
geheißen. So wenig auch der deutfche Kaiſer an der römiihen Demofratie 
MWohlgefallen trug, erkannte er doch die Macht derfelben in foferne an, ale 
er die fchweren Opfer, die er feinem Gefchöpfe Leo VII. abpreßte, unter 
Mitwirkung des Volks fi zufprehen lief. WIN man die Sachen beim 
wahren Namen nennen, jo muß man fagen, daß er verftecdt die Beftätigung 
des Volks für die Leoniſchen Akte einholte. 

Unverfennbar Teiftete die demokratiſche Verfaſſung von 954 dem tus⸗ 
culaniſchen Haufe wichtige Dienfte und die Zwecke, welche Alberih II. bei 
Einführung derfelben beabfichtigte, find wirklich erreicht worden. rftaunen 
muß man über bie Kraft des Widerftandes, den SJohann-Octavian gegen 
Dtto entwidelte. Warum vermochte er Solches? Liutprand fucht die Wahrheit 
zu verhüllen, indem er behauptet, die vielen vornehmen Damen, mit welchen 
Octavian jein Weſen trieb, hätten Alles für ihn gethan. Das find Narren, 
pofien, an allen Höfen gibt es Weiberhelven und doch richten fie nichts aus, 


’) Perg, script. VIII, 298 unten: fecit et basilicam in palatio Sororlano. 5) Dlatner 
und Bunfen, Beichreibung der Stabt Rom II, a. ©. 565. 
Bfrörer, Pabſt Gregorius vi. Bd. V. 22 


338 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Anders ſtellt fih die Sache heraus, wenn man nicht auf die Worte der 
Schmeichler Dtto’8 horcht, fondern auf die Hand des Gebieterd fieht. Der 
Katfer kramte auf der Synode vom Nov. 963 den geheimften Schmuß der 
Haushaltung Octavians in Anmwefenheit der Vertreter des großen Haufens 
aus. Warum that er dieß? Offenbar deßhalb, weil er den Pabſt in den 
Augen des Volks erniedrigen wollte, deſſen Ergebenheit er für eine gefährliche 
Stütze des tusculanifchen Haufes hielt. Der Pöbel follte dadurch von Octa⸗ 
vian losgeriſſen werben: es ift ihm aber nicht gelungen. Die Anhänglichkeit 
der Menge war ed, was Johann⸗-Octavian in Stand fegte, jene Rolle zu 
ſpielen. 

Auch nach Johanns XII. gewaltſamem Tode dauerte der Zauber fort. 
Nicht eingeſchüchtert durch Otto's Macht, erhebt die Menge ihm zu Trotz den 
Cleriker Benedikt, beſteigt Roms Mauern und vertheidigt die Stadt mit rühm⸗ 
licher Entſchloſſenheit, bis das Naturgeſetz des Hungers Halt gebietet. Der 
Mehrzahl nach mögen die Plebejer Roms, jeder für ſich betrachtet, Wichte 
geweien fein, aber weil eine geſellſchaftliche Idee, die Frucht der Gedanken 
eines ausgezeichneten Mannes, fte bejeelte, handelten fie zufammen als eine 
ftarfe Körperichaft. 

Ja die demofratifhe Verfaffung Roms beftand noch eine dritte Probe. 
Detavian war tobt, Benedikt einem tragifchen Geſchick erlegen. Uber ein 
Dritter, der Stadtpräfeft Peter, übernimmt die Aufgabe, Alberichs IL Hinter 
laſſenſchaft aufrecht zu halten. Peter jchließt einen Wahlvertrag mit Johann XIII., 
und zieht ihn nachher, als derjelbe fein Wort bricht, zur Rechenſchaft. Sämmt⸗ 
lihe Gaflenhauptleute Roms aber bewegen fid auf des Präfeften Winf wie 
ein Mann und vollftreden feine Befehle. Hiebei hat ſich bewährt, wie Flug 
die Präfektur als Ergänzung der demokratiſchen Formen beredhnet war. Wer 
den Kräften des großen Haufens einen freien Spielraum eröffnet, muß zugleid 
eine Behörde jchaffen, welche mit audgiebiger Strafgewalt ausgerüftet if, und 
dadurch den Demos hindern Fann, in vichiiches Weſen auszuarten. Der ges 
meine Mann haft den Vorgefegten, ver hart ftraft, darum doc nicht, ſobald 
nur das Strafverfahren ein gerechtes ift; ja er wird den ftrengen Gebieter 
lieben und fih für ihn fchlagen, wenn diefer ohne Wanken verrichtet, was 
fein muß. Man fann mit gutem Fuge fagen, daß Otto I. und fein Geichöpf 
Sohann XIII. durd die Rache, die fie an Peter nahmen, in vollem Maße 
die Richtigkeit des Gedankens anerfannt haben, welcher Alberid IL bei Er 
neuerung der Präfektur leitete. 

Das ift ein großes Lob für Alberihd. So regieren, daß man für fid 
den Genuß behält, Anderen die Laft auflegt, daß man mit ben erhobenen 
Steuergeldern willenlofe Werkzeuge der Gewalt befolvet, im Uebrigen zu Dem, 
was bie Mehrheit der Vernünftigen will, beharrlih Nein fagt, die Menſchen 
trennt und taͤuſcht, Eenfur einführt, jede Bewegung hemmt: dazu gehört blut⸗ 


Siebtes Bud. Gap. 18. Johann XII. Pabſt. Mömifches Strafgericht von 967. 339 


wenig Berftand. Aber wer bie Kunft übt, für ſelbſterdachte Zwecke die fitt- 
lihen und geiftigen Zriebe, die in den Völkern jchlummern, und deren Wech⸗ 
jelfpiel die Geſchichte unſeres Geſchlechts bildet, alfo in neue Bahnen hinein 
zulenfen, daß Feuer und Geift aufglüht, daß ein naturwüchſiges Leben entfteht, 
der verdient den Namen Staatsmann. 

Allerdings war Alberih ein Tyrann gegen Petri Stuhl, doch man barf 
nicht vergefien, daß ihn die Eigenthümlichkeit einer ererbten Stellung, ber 
Nachlaß feined Vaters, zu diefer Rolle noͤthigte. Im Mebrigen bat er mit 
feiner Perfon bezahlt, hat nicht blos als Kriegshaupt den gleichzeitigen Kö- 
nigen Italiens mit Muth und Glüd die Stine geboten, fondern — was nod) 
viel mehr — er hat als Geſetzgeber eine geiftvolle Schöpfung ind Leben gerufen. 

Die Berfafjung, welde er einführte, hatte zwei Hauptgegner: erftens . 
den alten Stadtadel, der ſich durch die herrihende Demofratie eingefhnürt 
fühlte. So künſtlich Liutprand die Wahrheit zu verhüllen fucht, muß er doch 
eingeftehen, daß mit dem Augenblide, da Dtto L die Hebel in Bewegung zu 
jegen begann, welche den Sturz Octavians herbeiführten, der ſtädtiſche Abel 
unverweilt Barthei für den deutichen Oberherrn ergriff, und zum Verderben 
des Pabſts die Paulsburg beſetzte. Die nämlichen Neigungen verrieth der Adel 
bei Ausbruch der Verihwörung gegen Johann XII. Als Theilnehmer an 
dem Yufflande werden außer den Gaffenhauptleuten und ihrem Vorſtande, dem 
Präfekten Peter, ein einziger Graf aus Campanien, der ficherlidh perjönliche 
Zmede verfolgte, weiter ein einziger päbftliher Hofbeamte, der Beftiarius 
oder Kammerherr Stephan, und dann noch die Eonfuln aufgeführt. Letztere 
fonnten fih, aud wenn fie gewollt hätten, der Bewegung kaum entziehen, 
weil fie durch die Präfeften und die Gaſſenhauptleute fortgerifjen worden 
wären. Dagegen hebt das Pabſtbuch ausdrücklich hervor, daß ein Cencius 
ven Campaniſchen Grafen Rofred erfchlug, welcher nächft Beter an der Spitze 
der Bewegung ftand. Diejer Cencius aber muß mächtigen Anhang unter dem 
Stadtadel befefien haben, denn er erjcheint ſeitdem ald Haupt des römijchen 
Herrenſtandes. 

Obgleich der demokratiſchen Verfaſſung abgeneigt, hätte der Adel für 
ſich allein nicht vermocht, dieſelbe zu ſtürzen. Allein ein zweiter, mächtigerer 
Gegner kam hinzu: der deutſche Kaiſer Otto. Daß dieſer die römiſche De⸗ 
mokratie verabſcheute, hat er durch das Blutgericht von Weihnachten 966 bes 
wieſen. Er war ed auch, der in geheimem Einverſtändniſſe mit Pabſt Jo⸗ 
hann XII. die Ereigniſſe zurüſtete, welche in nächſter Folge die Empörung 
der Römer, in weiterer den Untergang der Volksherrſchaft veranlaßten. 

Wir müſſen jegt die Perfönlichkeit des neuen Pabftes ins Auge faflen. 
Das Pabſtbuch fagt:') „Johann, ein geborner Römer, und ehe er Babft wurde, 


) Muratori, script. ital. III, b. 330. 331. 
22° 


340 Fer Gregorius VII. und fein Seltalter. 


Biſchof von Narni, war der Sohn eines gleichnamigen Vaters, der eben fo 
wie der Sohn ein Bisthum befeffen hatte.” Zu einem Kalferpabfte taugte 
vorzugsweife ein Biſchof, der einen andern Bifchof feinen Bater nannte. Bon 
einem folden ftand nicht zu befürdten, daß er fih für firenges Kirchenrecht 
ereifern werbe, denn feine Geburt war fa ein Verftoß gegen daſſelbe. Rod 
andere Eigenfchaften empfahlen ihn dem’ deutſchen Hof: auf der Lifte der 
Bilchöfe, die der Synode anmwohnten, welche die Abfegung über Johann XII. 
verhängte, erfcheint auch der Namet) Johann von Narni. Ja, Johann von 
Narni unterzeichnete nicht blos die Akten, fondern er trat überdies perfänlid 
ald Anfläger wider den Tusculaner Octavian auf.) Indeß genügte es noch 
nicht, daß diefer Bewerber dem Kaiſer gefiel, auch die Römer rebeten bei der 
Wahl von 965 mit, die, wie wir wiſſen, langwierig und nicht von Waffen: 
gewalt unterftüßt war. 

Was hat nun die Römer — d. h. die Demofratie und deren Haupt, 
den Stadtpäfeften — beftimmt, in die Erhebung des Biſchofs von Narni eins 
zuwilligen. Vielleicht Familienrückſichte! Johann wird, denke ich, einem 
mächtigen Geſchlechte römifchen Adels angehört haben, denn nur foldhe vers 
mochten um jene Zeit den erblihen Beftb von Bisthümern an ſich am reißen. 
Vielleicht war feine Sippfchaft gar durch Verſchwägerung dem berrfchenven 
Haufe von Tusculum verwandt. Denn wir wiffen ja, daß Alberich IT. feine 
nächften Angehörigen mit Stühlen oder Abteien bedachte. Sein leiblicher Bruder 
war Biſchof von Nepe,) einer feiner Vettern, Gregor, der jüngeren Marocia 
Sohn, war Abt des Klofters St. Andreas. *) 

Jedenfalls hat Johann v. Narnt noch durch andere, gewichtigere Hebel 
die Einwilligung der Römer zur Wahl erlangt. Wie ich früher zeigte, deutet 
Regino's Fortfeger darauf hin, daß die Gönner Johanns mit den Römern 
einen Wahlvertrag eingingen, der fih auf die Rechte des römiſchen VPolks 
bezog, d. h. ohne Zweifel die ungefchmälerte Fortdauer der Demofratie von 
Seiten des vorgefchlagenen Bewerbers gewährleiſtete. Weil die Römer wußten, 
daß Kaiſer Otto der beftehenden Berfaffung gram war, fanden fie für qut, 
an den” begehrten Beiftand ihrer Stimmen die Beringung zu Fnüpfen, daß 
der Pabſt für fih und zugleich im Namen feines kaiſerlichen Beſchützers bie 
von Alberich errichtete Demofratie verbürge. 

Vielleicht haben fle noch weiter begehrt, daß Otto Die biäher zurüdbehal: 
tenen Güter der römifchen Kirche herausgebe, und alfo die zweite Akte Leo's VII. 
fallen laſſe. Dieß ift wahrfcheinlich, theild weil, wenn der Kaffer an dem 
Wortlaute der Akte feſthielt, unabwendbar Verarmung des Stuhles Petri 
und in natürlicher Folge bievon auch des römifhen Volks eintreten mußte, 





‘) Perg III, 342, Mitte.  *) Ibid. ©. 343. °) Oben S. 241. *) Ibid. vergl. 
mit Muratori, antig. Ital. V, 772, 


a 


Siebtes Buch. Gap. 18. Johann XII. Pabſt. Mömifches Strafgericht von 967. 341 


theil8 weil Johanns XII. Erhebung wirklih, wie wir unten jehen werben, 
die Wieverherftelung der Kirche in einen Theil ihres Beſitzes herbeiführte. 
Doh urkundliche Beweiſe liegen nicht vor, die Frage mag daher auf fid 
beruhen. Genug, nad langwierigen Verhandlungen fam endlih eine Vereins 
barung der Partheien zu Stande und einftimmig ward Johann XIII. von der 
geſammten Volksgemeinde zum Pabſt erforen. 

Aber kaum auf Petri Stuhl erhoben, brach der neue Pabſt den Wahls 
vertrag. Der Chronift jagt: ') „jogleih nahm Johann gegen die Hauptleute 
des Volks einen höhern Ton an, als ihm (vermöge der getroffenen Bereins 
barung) zuftand.” Die Wirkungen des Wortbruchs, welche fi vorausjehen 
liegen, habe ich oben geſchildert. Zunächſt müfjen etlihe Fragen beantwortet 


‚, werden: iſt e8 denkbar, daß Johann die Empörung Roms herausforderte, 


ohne vorher in bündigfter Weife des kaiſerlichen Schutzes gegen die Früchte 
ſeiner That verfihert zu fein? Ich halte dies für unmöglid. Auch iſt ein 
Zeuge des Gegentheild vorhanden. Berichtet nicht der Mönd Benedikt, daß 
Johann heimlich Boten an den Kaifer nah Sachſen ſchickte und ihn zu Hülfe 
rief. Dies ſcheint kurz vor der Verhaftung gejchehen zu fein, und weist 
darauf bin, daß ihm für den Ball, wenn der Vertragsbrud eine Empörung 
nach fich ziehe, Eaiferlicher Beiftand verheißen worden war. 

Gehen wir zu einem andern Bunfte über. Die demofratifche Verfaflung 
Roms hatte fi) nicht nur als eine Stüge des tusculanischen Haufes, jondern 
auh als ein Bollwerk für die Freiheit der Kirche erprobt. Mag man nod 
jo gering von Johann XIII. denken, immerhin wäre ed widerfinnig, anzuneh⸗ 
men, daß nicht aud) er ein freier Pabft zu fein wünſchte. Aljo jchrieb ihm 
Rüdfiht auf den eigenen Vortheil vor, jene Verfaſſung zu bewahren, fie für 
den gleihen Zwed, den das tusculanifhe Haus erftrebt hatte, zu benügen. 
Wenn er nichtövefloweniger dem Kaifer das Werk Alberichs IL zerftören half, 
fo find nur zwei Möglichkeiten der Erklärung diefer That vorhanden — ents 
weder daß er nicht bei gefunden Sinnen war, eine Annahme, die durch nichts 
berechtigt wird, oder daß er um den Preis der Zerftörung jener Bormen ein 
hoͤheres Gut zu erwerben tradhtete. 

Die roͤmiſche Kirche war durd die Treulofigfeit Otto's nicht etwa blos 
um Hoffnungen, fondern um wirklichen Befig gebracht worden, und drohte, 
wenn es weiter fo fortging, in völlige Mittellofigfeit zu verfinfen. Johann XII. 
muß bei den Verhandlungen, die im Sommer 966 wegen der Wahl ftatt- 
fanden, vorgeftellt haben, daß wenn der Kaijer nicht die Verſprechungen von 
961 erfülle, weder er felbft, noch irgend ein fünftiger Pabſt fi halten fünne; 
er muß weiter erflärt haben, daß er um den Preis der Rüdgabe des vors 


enthaltenen Kirchenguts bereit fei, die dem Hofe verhaßte Verfaſſung Rome 


) Berg I, 628. 


342 Bad Gregorins VIL und ſein geitalter. 


fallen zu laffen, den Sturz derſelben einzuleiten. Daß Johann von Narni 
wirklich diefe Bedingung geftellt, und daß Liutprand, des Kaiſers Botfchafter, 
fie wirklich in feines Herrn Namen gut geheißen bat, wirb durch den bün- 
digften Zeugen — den Erfolg — außer Zweifel gejegt. 


WMennzehntes Lapitel. 


Geheime Befchichte der roͤmiſchen Borgänge von 966. Im Ginverftänbniffe mit Dtto I. 
hatte Pabſt Johann XII. die Römer zum Aufruhr gereizt, damit der Kaifer einen Bors 
wand befomme, die demofratifche Verfaflung Roms zu vernichten. Seiner Seits opferle 
der Pabft diefe Verfaflung gegen das Verfprechen auf, das ihm der Kaifer gab, das 
roͤmiſche Kirchengut, entfprecdend ber Urkunde vom Februar 962, herftellen zu wollen. 
Johann XIII. wird betrogen. Deutſches Lehenwefen im Kicchenflaat und Wieberaufrichs 
tung der Adelsherrſchaft. Das Haus der Gredcentier, die Marken Spoleto und Games 
rino an Pandulf, den Gifenfopf, verliehen. Andere auffeimende Bafallengefchlechter. 


Dtto war, wie ich früher jagte, um Weihnachten 966 in Rom enges 
troffen, und hatte zunähft das Blutgericht gegen die Demokraten angeordnet. 
Seitdem wurden an verſchiedenen Orten Synoden gehalten, die erfte zu Rom 
im Sanuar 967. Ihre Verhandlungen fennen wir blos durch eine Urkunde‘) 
des Kaiſers Otto, kraft welcher er jämmtlihen Beſitz des Kloſters von Su- 
biaco beftätigte. In derfelben findet fi unter Anderem folgende Stelle: 
„neulich haben Wir (ver Kaifer fpricht in eigener Perfon) einer Synode zu 
Rom angewohnt, auf welcher außer dem Pabſte, Herrn Johann XIII., der 
Erzbifchof von Ravenna und viele Biſchöfe aus Romanien, aus Stalien und 
aus unſerem lombarbifchen Reiche erjchienen find.” Die Gründe, warum der 
Ravennate damals zu Rom fi einfand, werden fogleih and Licht fommen: 
e8 handelte fih für ihn um Sein oder Nichtfein. 

Später, d. h. im Februar 967, brach der Kaiſer mit dem Pabfte aus 
Rom auf und zog über Spoleto nah Ravenna, wo beide das Oſterfeſt be 
gingen.?) In Ravenna wurde jofort eine zweite große Synode verjammelt, 
und bier geſchah, was der Kortjeger Regino's mit den Worten meldet: ?) 
„Kalter Dtto erfann?) auf der Synode zu Ravenna Vieles zum Wohle 
der heiligen Kirche, auch gab er an Pabſt Johann Stadt und Gebiet Ras 
venna, fowie fehr viele Güter zurüd,*) welche feit Tangen Jahren den römi⸗ 
Ihen Päbften entriffen worden waren.” Der Sachſe, fonft farg und eigen, 
nügig, ift auf einmal — fo fheint ed — großmüthig wie Alerander 
der Macedone geworden ! 

Aus den Worten des Chroniften erhellt, daß Otto damald auf die 

9) Muratori, antig. Ital. V, 465 flg. 2) Berk I, 628 unten. 2) Multa ad utili- 


tatem sanctae ecclesiae adinvenit. *) Aliaque complura, multis retro temporibus 
ıanis pontifieibus ablata. 


Siebtes Buch. Cap. 19. Johann XII. v. Otto I. getäufcht. Lehenweſen im Kirchenflaate. 343 


Schenkungen Carls des Großen und etwa anderer, noch älterer, Herricher zus 
rückgriff. Denn die Ausdrüde multis retro temporibus laffen nur diefe Deutung 
zu. Auch weitere Beweife liegen vor. Auf der nämlihen Synode von Ras 


venna beftätigte‘) Johann fämmtlichen Befig des Stuhles von Ferrara: „Alles 
was je frühere Statthalter Petri, namentlih Bitalianus (657—672), Has 
drian I., Leo III. von den Zeiten Gonftantins des Großen bi8 herab auf 
den Franken Carl den Großen vergabt hätten, folle zu vollem Rechte beſtehen.“ 
Natürlih! da Kalfer Otto die Schenkungen feiner glorreihen Vorgänger für 
bindend erklärt hatte, mußte feinerfeitd Johann XIIL diefelbe Regel bezüglich 
der Vergabungen älterer Päbfte anerkennen. 

Auch über die Form, in welcher Pabſt Johann Stadt und Gebiet Ras 
venna erhielt, gibt legtere Bulle Aufihluß. Johann fpriht darin von uns 
jerem Herzogthbum Ravenna und unferer Grafſchaft Ferrara.) Mit 
dem Titel Herzogtbum und Grafihaft muß ihm Ravenna, Berrara, fammt 
andern feit alten Zeiten dazu gehörigen Städten, wie Faenza,) überwiejen 
worden jein. 

Zunädft fragt es fih, welche Ländereien Regino's Bortfeger mit dem 
Ausprude „und fehr viele andere, den Päbſten in alten Zeiten entriffene 
Güter” meine? Bei dem großartigen Anlaufe, den Dtto dießmal im Schenten 
nahm, jcheint es räthlich, an fämmtliche einft von Carl dem Großen vers 
gabte oder vielmehr verheißene Gebiete zu denken. Alles was einft Carl 
der Große verfprochen hatte, ſollte jegt zur Wahrheit werden. Doc liegen, 
wie unten erhellen wird, nur für dad Sabinum, fowie für Camerino und 
Spoleto Beweije vor. Prachtig hat jedenfalls die Schenfung von Ravenna 
gelautet, denn der deutſche Chronift fügt den oben mitgetheilten Sägen 
den weiteren bei: „vol Freude fehrte Pabft Johann XII. aus Ravenna 
nah Rom zurück.“ 

Aber dem Worte eniſprach nicht die That. Johann XIII. iſt nicht minder 
als feine Vorgänger aus den Zeiten der Carolinger getäufcht worden. Erſtens 
ergibt fi aus einer Urkunde,“) daß Kaifer Otto L vor 970, aljo etwa feit 
967, zu Ravenna einen Palaft für fih erbauen ließ. Deutet diefe Maßregel 
nicht auf die Abficht hin, der angebliden Schenkung zu Trop Herr in Ras 
venna zu bleiben! In der That macht Muratori Miene, ven Palaſt als 
Beweis zu brauchen, daß die Echenfung vom Jahre 967 unädht jet, und daß 
Regino's Fortfeger eine Unwahrheit berichtet habe. Muratori hat Recht und 
Unredt. Die Aufführung des Palaftes beweist nicht jowohl was der ita⸗ 
lieniſche Gelehrte daraus folgern möchte, jondern vielmehr von zweien Dingen 
eines: entweder, daß Otto Ravenna gar nicht verfchenft, oder aber daß er, 


2) Manfl XIX, 1 fig. 2) Infra nostram ducatum et comitatum ferrariensem, und 
weiter unten: infra totum ducatum atque comitatum et episcopatum nostrum ferrarieusem. 
5) Eiche ibid. ©. 4 oben. *) Bei Muratori, annali d'Italia ad a. 970. 


34 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


wenn bie Schenfung wirflih geihah, den Pabft betrogen hat. Nun tritt 
für die Wirklichkeit der Schenfung außer dem zuverläffigen Zeugniffe des Forts 
fegers, auch die oben erwähnte BeftätigungssBulle für Ferrara ein, kraft 
welcher Babft Johann Ravenna und Ferrara „unfer Herzogthbum, unjere 
Grafihaft” nennt. Folglich muß nothwendig der zweite Kal angenommen werden. 

Ueberdieß kommt die Ausjage eined zweiten, aber um ein Menicens 
alter fpäteren, Zeugen in Betradt. Durch Urkunde‘) vom 28. April 998 
verſchenkte Pabſt Gregor V. an Gerbert, ehemaligen Metropoliten von Rheims, 
jegigen Erzbiihof von Ravenna, legtere Stadt, ſammt Mauern, Zöllen, Eins 
fünften für den Fall, daß die Kaiferin Wittwe Adelheid — Otto's L 
Gemahlin — vor Gerbert fterben follte. Adelheid hatte nämlid Ravenna 
inne, dieweil ihr diefe Stadt zum Witthum angewiefen worden war. Wer 
fieht nun nicht, daß einer und derſelbe Ort nicht zugleich päbftlihes und kai⸗ 
ferlihes Eigenthum fein konnte. Wenn es hoch fam, hat durch die Schenkung 
von 967 Pabſt Johann XIIL etliche Renten aus dem Gebicte von Ravenna 
davon getragen. 

Was die andern „vielen, an den Pabſt zurüderftatteten Güter“ betrifft, 
jo muß zunächft ein jüngerer Zeitgenofje abgehört werden. “Der Chronik von 
Farfa ift ein Aufjah eingefügt, welchen Hugo, feit 998 Abt des genannten 
Klofterd, verfaßte, und in welchem er über die Geſchichte feiner nädften Vor⸗ 
gänger Bericht erftatte. Hier heißt”) es unter Anderem: „nachdem Johann, 
weldher genannt wird der ältere, das Pabſtthum erlangt hatte, erhob er einen 
feiner Neffen, Benedikt, zu hohen Ehren, vermählte ihn mit Theodoranda, einer 
ſehr edlen Frau und der Tochter des Crescentius, welcher den Beinamen 
vom marmornen Roſſe trug, und verlieh dem Neffen die Srafihaft Sabinum 
ſammt einigen andern.“ 

Stellen wir vorerft die Perſönlichkeit des Pabſtes feft, der jo viel für 
feinen Neffen that. Die Ehronif unterjcheidet ihn durch den Beinamen des 
Helteren von andern gleichnamigen, jüngeren Päbſten. Außer Johann XII. 
nahmen zwilchen 970 und dem Echluffe des zehnten Jahrhunderts Johann XIV. 
(983— 984) und Johann XV. (985— 996) Petri Stuhl ein. Auf einen 
nod Älteren Pabſt, der denſelben Namen trug, wie Johann XI. oder XII., 
das von Hugo Erzählte zu beziehen, geftattet die Natur des fraglichen Aufs 
faged nit. Demnach Ffönnte unter dem älteren Johann der dreizgehnte bis 
fünfgehnte oder endlich möglicherweile auch ein fpäterer gemeint fein, os 
fern nämlidy der Berfaffer jener Heinen Schrift, die um 1012 aufgejegt ift, 
als jüngeren Johann fih einen der gleichnamigen Pähfte aus dem erften 
Zehntel des eilften Jahrhunderts, nämlich den fiebzehnten, der 1003, oder 
ben achtzehnten, der von 1003 — 1009 Petri Statthalter war, denken mochte. 


1) Manfi XIX, 201, 2) Berk XI, 540. 


&ted Euch. Gap. 19. Johann XII. v. Otto 1. getäufcht. Lehenweſen im Kirchenſtaate. 345 


In der That nehmen die Herausgeber der Pertz'ſchen Sammlung den 
iten Hal an, indem fie die Verleihung der Grafihaft Sabinum unter das 
hr 985 und folglid in die Zeiten Johann’ XV. einreihben. Allein dieſe 
rausjegung ift aus anderen Gründen unftattbaf. Denn im nämlichen 
jriftchen wird weiter berichtet,') daß ein Eohn aus der Ehe Benedikts mit 
:odoranda zwilchen 990 und 995 eine Scenfung an das Klofter Yarfa 
hte. Run weiß Jedermann, daß nur Volljährige oder Mündige über 
enthum zu verfügen berechtigt find. Hat daher der Sohn Benedikt und 
:odoranda’8 wirklid die Schenfung gemacht, — woran nicht zu zweifeln ift, 
jo folgt, daß die Ehe, welder er entiproßte, vor das Jahr 985 verjept 
den muß, aljo aus den oben entwidelten Gründen in die Zeiten Ios 
ns XIII. fallt. 

Der dreizehnte Johann war es alſo, der ſeinen Neffen Benedikt erſtlich 
das Haus der Crescentier vermählte und zweitens mit Sabinum belehnte. 
bt nur wegen dieſer Stelle, ſondern auch wegen der jpäteren Ereigniſſe 
yient das Geſchlecht der Erescentier volle Beachtung. Liutprand berichtet, ?) 
‚ ber römijhen Eynode vom November 963, welde den Stab über 
bſt Johann⸗Octavian brach, neben andern vornehmen Laien „Crescentius 
ı marmornen Roſſe“ anmwohnte. Zweitens erzählt’) wie ſchon früher bes 
ft worden, das Pabſtbuch, daß 966 Johann, des Erescentius Sohn, den 
uptgegner Johanns XIII. Rofred, Grafen aus Campanien, erjchlug. 
ndaflelbe jagt*) faft mit den nämlidhen Worten Herrmann der Lahme in 
er Chronif. Drittens meldet’) das Pabſtbuch weiter, daß im Jahre 974 
cius (gleichbedeutend mit Erescentius), der Theodora Sohn, den Pabft 
tedift VI. gewaltſam von SBetri Stuhle herabftieß und erdroſſeln ließ. 
rtend hat Cardinal Baronius in feiner Kirchengeichichte eine alte fteinerne, 
Berjen abgefaßte Grabſchrift veröffentliht, welche ausſagt,) daß ven 
Juli 984 der erlaucdte Römer und Großherzog Erescentius, hochgeboren 
Seiten der Mutter, welche Theodora, wie von Seiten des Baters, wels 
Johann hieß, mit Tod abgegangen jel. 

Was fol der Titel Großherzog bejagen? Hierüber gibt die früher er- 
nte Bulle Beicheid, kraft welder Pabſt Johann XIU. zu Ravenna im 
bling 967 Rechte und Beſitzungen des Bisthums Ferrara beftätigte. Unter 
jenigen, welde diefe Urkunde durch ihre Unterjchrift befräftigten, erfcheint 





1) Ibid. ©. 541. ) Berg III, 342. 2) Muratori II, b. ©. 331 oben. 
ers V, 116. °) Muratori a. a. D. ©. 332., ebenfo die Chronik von Farfa, Berg 
>73. °) Ad a. 996, Ausgabe von Lucca XVI, 348, b. 

Corpore hic recubat Crescentius inclytus ecce, 

Eximius civis Romanus, dux quoque magnus; 

Ex magnis magna proles generatur et alta, 

Johaune patre, Theodora matre nitescens, 


346 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gleich Hinter den anweſenden Bifchöfen „Johannes, Herzog der Stadt Rom, 
welcher au den Zunamen Srummbein (Gambaruto-Gambarotta) führt.“ ') 
Das Beiwort „Groß“, mit welchem die Grabfchrift die herzogliche Würde des 
Grescentius ausjchmüdt, deutet darauf bin, daß verfelbe in einem Orte erften 
Ranges, aljo ohne Zweifel in der Stadt Rom, Herzog geweſen fein muß. 
Run ebendieß jagt die Urkunde mit Flaren Worten von Sohannes aus. 

Wird ed nun innerhalb weniger Jahre zwei verſchiedene Großherzoge in 
Rom gegeben haben? Gewiß iſt dieß unwahrfcheinlih. Nun dann folgt, daß 
Derfelbe, der im Jahre 967 das Herzogthum befaß und 984 als Großherzog 
farb, zwei, Namen, Crescentius und Sohannes, trug und bald mit dem 
einen, bald mit dem andern bezeichnet ward. 

Daß die Sache fi wirklich fo verhalte, ſetzen andere Zeugniffe außer 
Zweifel. Der im Jahre 984 verftorbene Erescentius hinterließ einen Sohn, 
welcher, wie der Bater, bald einfach Crescentius heißt,“ bald den doppelten 
Ramen Johann Erescentius empfängt”) und im Jahre 998 auf Befehl 
Dtto’8 III. enthauptet ward. Noch mehr! eine Urkunde vom 2. Januar 986 
gibt zu verfichen,*) daß gleich dem 998 enthaupteten Sohne auch der (im 
Jahre 984 verfiorbene) Vater ven Doppelnamen Johann Erescentins führte. 

Das Rämlihe, was von dem Enfel und dem Bater, gilt drittens auch 
von dem Ahn. Denn der 984 verblichene Großherzog Johann Erescentius wird 
laut den oben angeführten Stellen bald ald Sohn Theodora's und Johanns, 
bald wieder als Sohn eined Grescentius bezeichnet, folglih ift Far, daß auch 
der Großvater Gredcentius geheißen haben muß. Die Sade iſt leicht zu er- 
Hären: Grescentius war offenbar ein Stammname, den fi) die Erfigebornen 
des Hauſes neben dem in der Taufe empfangenen beizulegen pflegten. Treffs 
ih ftimmt hiezu, daß faft drei Jahrhunderte lang in Rom Crescentier over 
Gencier al8 Mitglieder eines und defjelben Geſchlechts vorfommen. 

Ein weiterer Punkt muß erklärt werden: die Bezeihnung „vom mars 
mornen Roſſe“ (a caballo marmoreo), welde jomohl Liutprant, ald Abt Hugo 
anwendet. Da nit nur Johann Erescentius III., jondern auch Theodoranda, 
feine mit Benedikt, dem Neften des Pabſts Johann XIII, vermählte Tochter 
und zwar letztere urlundlich“) mit dem nämlihen Merkmal aufgeführt wird, 
bin ih der Anfiht, daß das Wort von dem Palafte herrührt, weldyen das 
Geſchlecht zu Rom bewohnte. In ver Nähe des Haufes der Erescentier ſtand 
nad) meinem Erachten ein marmorned Roß. Das alte Rom war voll von 
ſolchen Bildſäulen, und mehrere haben ſich bis auf den heutigen Tag er- 
halten. Ich erinnere daran, daß im Laufe des zehnten Jahrhunderts mehrfach 
das Roß Conftantind erwähnt wird. °) 

1) Manfi XIX, 3. *) Berg ILL, 691 unten. 74. 91. 689. 693. 694. 776. ) Ber 


vo, 31. %) Gattula histor. Casin. I, 115. Johannes Crescentio filius. d) Betrint, 
zasmorie pronestine ©. 107. o) Oben ©. 331. 





Siebtes Buch. Gap. 19. Johann XII. v. Otto I. getäufcht. Lehenweien im Kirchenſtaate. 347 


Die Erescentier beſaßen aljo zu Rom einen Palaſt, der in die Volks, 
ſprache überging und dazu diente, das Gefchlecht zu bezeichnen. Nun das if 
nicht das erfte Beiſpiel, drei andere find und aufgeftoßen: erftens das Haus') 
Theophylafts, des Vaters der älteren Marocia, zweitens das Ältere, auf dem 
Aventin gelegene Haus der TZusculaner, ?) drittens der neue Palaft ebenverfelben, 
unweit der Kirche zu den h. Apofteln.®) Ueberall, wo, wie zu Rom, feit dem 
neunten Jahrhundert eine mächtige Ariftofratie Beftand gewann, bleiben folche 
Erſcheinungen nicht aus. 

Wir kennen jetzt drei Hauptglieder des Geſchlechts der Crescentier, die 
ih rüdwärts zähle: erſtens den Enkel Crescentius oder Johann Crescentius, 
der 998 enthauptet ward, zweitens den Vater Johann oder Crescentius oder 
Johann Crescentius, der 984 als Großherzog von Rom ſtarb, drittens den 
Großvater, bald Johann, bald Crescentius, aber auch Johann Crescentius 
genannt, von deſſen Lebensgeſchichte wir nichts Weiteres wiſſen, als daß er 
in jener Grabſchrift dem höchſten Adel Roms zugerechnet wird und mit Theo⸗ 
dora, einer Frau gleichfalls von hohem Adel, ſich vermählt hatte.) Wer 
war nun der Vater des letztern Crescentius? Zu Beantwortung dieſer Frage 
fehlt e8 — jo weit ich Die Denkmäler jener Zeit fenne — an Elaren Zeugs 
niffen. Doc bietet ſich eine wohl begründete Vermuthung dar. 

Die Urkunde vom Bebruar 901, welde faft Mann für Mann die rör 
miihen Vornehmen vorführt, und die id) daher früher ald Stammmütterchen des 
römiſchen Adels bezeichnete,*) erwähnt unter den eilf Herren, welde deu 
faiferlichen Hofrichtern an Rang vorgehen, einen Crescentius. Dieſer wird, 
denke ih, Vater des mit Theodora vermählten Johann Grescentius gewejen 
fein. Jedenfalls erjcheint er als erfter urkundlich befannter Ahnherr des Ges 
ſchlechts der Crescentier, das demnach in das neunte Jahrhundert und in 
die fpäteren carolingiihen Zeiten hinaufreicht. Ich erlaube mir, ihn als den 


ı) Oben ©. 172. 2) Daf. ©. 244 u. 247. y Seftügt auf die Grabſchrift erflärt 
Roger Wilmans (Jahrbücher des deutfchen Reichs IL, b. S. 222) den Großherzog Johann 
Grescentins für einen Sohn der Liutprand’fchen Hure Theodora und ded Pabfled Johann X. 
Allein viele und gewichtige Gründe flehen diefem infall entgegen. Grflend gab ed in Rom 
ohne Zweifel eine Legion von Johann und Theobora, und ficherlich auch nicht wenige vers 
ehelichte Paare Johann und Theodora, wie heut zu Tage Hanfen und Greten. Jener Schluß 
fhwebt daher in der Luft. Zweitens ifl, wie ich oben nachwies, der Vater des Großherzogs 
ein Grescentier und fein Tusculaner gewefen. Drittens erfcheint der Großherzog felbfi ale . 
ein Gredcentier, während er, wenn er vom Pabſte Johann X., einem Tusculaner, abflammte, 
gleichfalls ein Tusculaner fein müßte. Viertens wäre ber Großherzog im voraudgefepten 
Falle ein doppeltes Hurenfind, da doch die Grabfchrift feine hohe Geburt von Kunfels und 
Schwert⸗Seite feiert. Fünftens wiberftreitet e8 dem gefunden Menfchenverflande, daß eine 
Grabſchrift, die in einer Kirche fland, und überdieß eine ausgeprägte clerifale Farbe trägt, 
ben Vater des Eroßherzogs nennen würde, ‚wenn biefer Vater ein — Pabſt geweſen wäre 1 

%) Nen ©. 172. 


348 Ä Pabſt Gregorius VIL nnd fein Seltalter. 


erften, den Gemahl der Theodora ald den zweiten, den 984 verftorbenen 
Großherzog als den dritten, den 998 enthaupteten PBatrizier Roms als den 
vierten Grescentier zu reiben. 

Die eben bezüglich der Erescentiichen Sippſchaft erhobenen Thatſachen 
verbreiten zugleich Licht über die geheimen Gründe der Ehe, welche Benedikt, 
der Neffe des Pabſtes Johann KILL, mit Theodoranda, der Tochter des dritten 
Grescentius, ſchloß. Diefer Erescentius war um Dftern 967 erweislich Herzog 
von Rom, d. h. er bejaß eine ariftofratiihe Gewalt, die fi mit der demo⸗ 
kratiſchen Verfaſſung, welche bis zum Blutgerichte von Weihnachten 966 oder 
wenigftend bis zur Rückkehr Johann's XIII. bejtand, nimmermehr vertragen 
haben würde. Da er laut dem Zeugniffe des Pabſtbuches den Hauptgegner 
Johannes XII, Grafen Rofred, im Sommer 966 erſchlug und durch Diele 
verwegene That der Sache zugleich des Kaiſers, wie des Pabſtes, weſent⸗ 
liche Dienfte leiftete, vrängt fh die Vermuthung auf, daß Otto I. nad) jei- 
ner Ankunft in Rom ihn zum Herzoge über die Stadt eingejegt habe. Die 
Ernennung hatte eine doppelte Sekte: erſtlich paßte fie zu des Kaiſers ge 
heimen Abfichten, die, wie ſich unten ergeben wird, dahin zielten, flatt der 
niedergeichlagenen Demokratie, mittelft welcher das tusculaniihe Haus Herr 
des Kirchenftants geworden war, eine vieltöpfige Adelsherrſchaft herzuftellen, 
die den deutſchen Herricher in Stand jepte, den Einen durch den Anden 
zu fefleln und vor Allem Petri Statthalter nach Belieben unter dem Joche 
zu halten. Andererſeits leuchtet von jelbft ein, daß ein römiſcher Herzog 
nimmermehr dem SBabfte gefallen konnte. Da gleihwohl Dtto damald auf 
gutem Fuße mit Johann XIL. ftand, wird man irgend welche Vorjpiegelungen 
gebraudt haben, um die Maßregel zu empfehlen. 

Sicherlich ift durd das DBlutgericht wider die Plebejer Roms nit nur 
der Kaiſer, jondern auch der Pabft beim römiſchen Volke verhaßt geworden. 
So lange ein deutſches Heer in Rom ftand, mochte fi Johann ALL. über den 
Haß der Menge wegjegen, aber nicht mehr, wenn die fremden Helfer ab- 
zogen. Für ſolche Fälle bedurfte er einheimijcher Beijhüger, wozu wider ‘Demo> 
traten nur mächtige Adelige taugten. Mittelſt diejer und ähnlicher Vorftel- 
lungen bat man, denke ich, durchgefeßt, daß Johann XIII. die Einjegung 
eines römiſchen Großherzogs guthieß, welcher ihm — das verfteht fi von 
ſelbſt — den Eid der Treue leiſtete. 

Smmerhin genügte ein einziger Vaſalle noch nicht. Sei es aus eigenem 
Antriebe, ſei es gleichfalls vom Kaifer überredet, entihloß ſich Pabſt Ios 
hann XIU., das Sabinum, welches ohne Zweifel zu den Landſchaften ges 
hörte, die Otto 967 an die römische Kirche zurüderftattet hatte, einem feiner 
Berwandten, dem Neffen Benedikt, ald Lehen zu überlaffen. Damit ferner 
Verſchwägerung ein Band der Einheit um das wieberhergeftellte Adcleregiment 
jblinge, und damit Beide, Eidam und Schwäher, in der Treue gegen Jos 


Siebtes Bud. Gap. 19. Johann XIII. v. Dito I. getäufcht. Lehenwefen im Kirchenflante. 349 


hann XTII. verbarren, fam — fo denke ih mir den Zufammenhang — 
jene Heirath des pähftliben Neffen mit der Tochter des mächtigen Herzogs 
von Rom zu Stande. 

Sohann XI. ging noch weiter. Aus einer Urkunde") erhellt, daß bie 
Mutter des eben erwähnten Benedift Stephanta hieß und den Titel Senatorin 
führte. Kraft einer zweiten Urfunde?) vom Sahre 969 oder 970 verlieh Pabft 
Johann XM. an eben diefe Etephania, ſowie an ihre Kinder und Entel, 
fo lange fie leben würden, Stadt und Gebiet Paläftrina (Präneſte) fammt 
Finfünften, Steuern, Zöllen u. f. w. gegen einen jährlichen Pachtſchilling von 
10 Goldſtücken, fo zwar, dafß nach dem Tode der Mutter, der Söhne und 
der Enkel Das Lehen an die päbftlihe Kammer zurückfallen ſollte. Da Benes 
dikt als Neffe Johanns XTIT. bezeichnet wird, fo folat entweder, daß Ste 
phanta eine Schwefter des Pabſtes, ober daß Benedikts unbefannter Vater 
ein Bruder ebenveffelben geweſen iſt. Erſteres war der Kal: denn die Chronif 
von Karfı nennt?) Johann XIII. einen avunculus, d. h. Mutterbruber des 
Sabinenſers Benedikt. Man flieht, der Pabſt hat, vermuthlih um deſto 
fräfttaern Schub ſowohl gegen die römtihen Demofraten, als gegen ven 
Großherzog Erescentius zu gewinnen, reichlich für feine Neffen und Vettern 
aeforat. 

Außer den anaeflihrten find zwei weitere Belege ansgebehnter Verlei⸗ 
hungen ehemaligen römiſchen Kirchenguts an Mitaliever des Herrenftandes 
vorhanden. Eine Ecenfunasurfunde vom 20. Mär 971, dem fechsten bes 
Pabſts Johann XII., unterichrieben*) al8 Zeugen Amizzo, Biſchof von Ti⸗ 
voli, und Gratian, Herzog und Graf der Stadt Tivoli, letzterer zugleich als 
Stellvertreter des Pabſts Johann XII. Ach habe an einem andern Orte 
aezeiat, I daß ſchon 911 ein Graf Adrian von Tivoli vorkommt, jetzt nad 
60 Fahren taucht in der Perfon Gratians ein neuer Graf derſelben Stabt 
empor. Aber nicht Tange behielt Gratian die Graffchaft, noch gelangte Teßtere 
an feine Erben. Unter den Zeugen, welche eine Echenfungsurfunde vom Jahre 
983 unterzeichneten, wirb aenannt®) ein Berard, erlauchter Graf von Tivoli. 

Näheres über die Perlönlichfeit Berards erfahren wir aus einer britten 
Urfunde”) vom Jahre 1000, Fraft welcher Graf Rainald, Sohn weiland des 
Grafen Berard, der da war ein Franke und aus dem Stamme ber 
Aranfen, an das Klofter Subiaco eine Schenkung machte. Bel Wiedereins 
führung der Adelsherrſchaft im Kirchenftaate hatte zuerft Gratian, ein geborner 


1) Bei Petrini, memor. prenest. ©. 106 flg. ?) Marini, papiri diplomat. Mr. 32. 
?) Berg XI, 540 gegen unten. ) Muratori, antiq. Ital. V, 773. >) Oben ©. 173. 
6) Muratori, antiqg. Ital. I, 382. N Ibid. V, 773: Rainaldus comes fillus quondam 
Berardi comitis, qui fuit Francus ex natione Francorum. Es gab nemlich Franken im 
Stalien, die doch nicht geborne Sproſſen des fränfifchen Stammes waren, das heißt Abkoͤmm⸗ 
linge älterer fraͤnliſcher Cinwanderer. Der Iepte Sab bezeichnet den gebornen Wranten. 


350 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


Romane, Sprößling einer jener alten Schreiberfamilien, die Grafihaft Tivoli 
inne, aber bald verbrängten ihn aus dem Beflge zwei gebome Kranken, bie 
dur Otto I. oder II. auf italieniſchem Boden angefiedelt worden fein müſſen. 

Ich müßte Del und Mühe, die ich auf vorliegende Geſchichte verwandte, 
verſchwendet erachten, wäre es mir nicht gelungen, feftzuftellen, erftlich daß 
die Gebiete von Spoleto und Gamerino einen rechtmäßigen und weſentlichen 
Theil des alten päbftlichen Beſitzes bildeten, zweitens daß ohne bie Vormauer 
biefer beiden Marken die Selbfifländigfeit des Kirchenftaatd gar nicht bes 
hauptet werben konnte. Wohlan, in vemjelben Jahre, da er fcheinbar fo 
viel Eigentum an die römiſche Kirche zurüdgab, hat Kaiſer Otto I. auch über 
Spoleto und Gamerino verfügt, aber zu Gunften nicht des Pabfted Johann XII, 
fondern eines Dritten. 

Nach dem Tode Landulfs IL, Erbheren der vereinigten Fürftenthümer 
Benevent und Capua, folgten‘) ihm 961 feine beiden Söhne, Pandulf, ges 
nannt Eifenfopf, fchon feit 944 Mitregent des Vaters, und Lanbulf II. Wie 
ich oben?) gezeigt habe, war der ältere der beiden Brüber, welcher zu Capua 
ſaß, im Frühling 966 in enge Verbindung mit Pabft Johann XIIL gerathen, 
als diefer, vor den roͤmiſchen Demokraten fliehend, zu Capua Schug fuchte 
und fand. Vielleicht hat der Eifenfopf fchon damals mit dem Pabfte ein 
Bündniß gefchlofien, welches erfter Anlaß geworben fein mag, daß Panbulf 
ein Jahr jpäter zum Beſitze der Marken Spoleto und Eamerino gelangte. 

Nichts deſto weniger ſteht feſt, daß der Eapuaner diefelben aus den 
Händen nicht des Pabftes, fondern des Kaifers empfieng. Mehrere Urkunden’) 
liegen vor, laut welchen Pandulf feit dem Jahre 967 das Herzogthum Spo: 
leto fowie die Marke Camerino, und zwar als Bafalle des Kaiſers Dtto J., 
inne hatte. Da Dtto es feit 963 — offenbar aus Rüdficht auf die Schen— 
fungsurfunde vom 13. Febr. 962 — vermied, Spoleto und Camerino an 
einen Andern zu verleihen, da er ferner im Frühling 967 einen fo gewaltigen 
Anlauf nahm, der Kirche zu geben, was der Kirche war, muß man voraus 
jegen, daß die Belchnung Pandulfs nur mit Einwilligung des Pabftes 
Sohann XII. erfolgt fei, zum Minveften ift anzunehmen, daß Otto dem 
Capuaner aus Anlaß der Belchnung die Pflicht auferlegte, nöthigen Balls 
den Pabſt gegen einheimifche oder auswärtige Gegner zu vertheidigen. Gleich— 
wohl findet ſich Feine beſtimmte Spur eines wirflihen VBafallenverhältniffes, 
das Pandulf damals gegen Petri Stuhl eingegangen hätte. 

Sei dem wie ihm wolle, vom faiferlihen Standpunfte die Dinge be: 
trachtet, war die Belehnung des Capuaners ein Meifterftüd. Durch diefelbe 
gewann Otto erftlih einen flarfen und zuverläffigen Bundesgenoſſen wider 


I Berg I, 175 fg. 9) ©. 330. ») Muratori, antig. Ital. I, 286. Dann 
soript. I, b. 441 fig. II, b. ©. 964. 962. 982. 


Giebte® Buch. Gap. 19. Johann XIL. v. Otto I. getäufcht. Lehenweſen im Kirchenſtaate. 351 


ben Thron von Conſtantinopel. Doch kann ich hierüber erſt unten genaueren 
Bericht erfiatten, wenn der Gang der Ereigniffe mich auf die griehiihe Ges 
ſandtſchaft Liutprands führen wird. Zweitens verhieß dad Verhältnig, das 
Pandulf im Frühling 967 einging, nützliche Dienfte bezüglid des Kirchen⸗ 
ſtaats. Sicherlich mißtraute Otto den römijchen Adeligen, die er feit 967 
auf Koften des Stuhles Petri mit Land und Leuten auszuftatten begann. 
Denn er mußte fürdten, daß diefe Menfchen die übertragene Madıt, nicht um 
den Pabft zu überwachen, anwenden, fonvdern zum Zwede eigener DVergrös 
erung mißbrauhen werden. Wagten fie Lebtered, dann war Pandulf ale 
Herr Spoleto’8, Camerino's, Capua's und Benevent's, eines Gebiets, das Rom 
in vier Richtungen umflammerte, wie gemacht dazu, die Ungetreuen jo ein» 
zufchnüren, daß ihnen Hören und Sehen verging. Andererſeits erjcheint Otto 
gegen mögliche Untreue des Capuaners dadurch geſichert, weil Pandulf ſtets 
unter allen Umftänden deutſche Hülfe gegen die Griechen, welche ſeit 967 
jeine Zodfeinde geworden waren, beburfte und folglid dem Kaijer hold 
bleiben mußte. 

Pochend auf Otto's unfehlbaren Schup hat der Capuaner wider fein 
cigened Fleiſch und Blut jchlimme Dinge unternommen. Ums Jahr 968 
ftarb Landulf III, Pandulfs Bruder und Mitregent. Obgleich der Verftorbene 
Söhne hinterließ, ift feiner verjelben in das Erbe eingetreten, weil der Oheim 
Pandulf, der Eifenfopf, die Neffen verjagte, fi des Geſammtfürſtenthums 
bemädtigte und fofort feinen eigenen Sohn Landulf IV. zum Mitregenten 
annahm. Nur verdedt und wol Angft vor geheimer Rache ihres Freimuths 
geftehen‘) die langobardiſchen Ehroniften Süpitaliend den begangenen Greuel 
ein. Aber der deutiche Kaifer billigte nicht nur die That, fondern nöthigte 
auh den Pabſt Johann XIII, das Gleiche zu thun. 

Die Aften?) einer zu Rom unter dem 20. Mai 969 gehaltenen Synode 
jind auf und gekommen, laut welchen Pabſt Johann XIIL, in Anweſenheit und 
auf Andringen’) des allergnädigften Kaifers Dtto, fowie auf Bitten Pan⸗ 
tulfs, des Fürften der Etädte Benevent und Capua, auch Herzogs und Marks 
grafen von Epoleto und Gamerino, endlid auf Bitten feines Sohnes Landulf, 
des fürtrefflihften Fürften, den Stuhl von Bencvent zu einer Metropole erhob, 
und ihr zehn Suffraganbisthümer unterorpnete. Ich brauche kaum zu bemerken, 
daß diefe Maßregel darauf berechnet war, die Herrichaft des Anmaßers Pandulf 
über das Fürſtenthum Benevent, das bisher fein Bruder Landulf beſeſſen 
hatte, kirchlich zu befeftigen. 

Worauf liefen nun die eben befchricbenen, bezüglich des römischen Kirchen- 
guts getroffenen Maßregeln hinaus? Darauf daß Kaifer Dtto I. gewaltjam 


») Berg IIL, 176 und 554 gegen unten. 2) Jaffé, regest. Pontific. Nr. 2866, 
2) Hortstu benigno ipsius Domini, clementissimi imperatoris augusti. 


952 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


das zehnte Jahrhundert In das neunte zurückwerfen, daß er die Zeiten be 
Lamberte und Wido wieberherftelen wollte. Unter dem Scheine, für die per 
fönlide Sicherheit Johanns XII. zu forgen, verfnedhtete er den Pabfl 
Kein ganzes Menfchenalter verlief, fo wurde Johann XII. als ein Ber 
fhwenber verfchrieen, welder das Eigenthum des Stuhles Petri an Ber 
wandte verfchleudert habe. Kaiſer — Otto III. — und Pabſt — Sylvefter II. — 
waren e8, weldhe, wie ich unten nachweiſen werde, dieſe Anflagen gegeı 
Sobann XIIL erhoben. Doch kam um biefelbe Zeit an das Tageslicht, dal 
Sohann nicht aus eigener Schuld fo handelte, fondern von einem Mächtigen 
überliftet worden iſt. 

Hoͤfler hat eine Bulle veröffentlicht,‘) kraft welcher der ebengenannt 
Pabft Sylvefter II. den deutſchen Kaiſer in drohendem Tone aufforverte, dir 
Güter im Sabinum, weldhe der römiihen Kirche gehörten, unverweigerlih ar 
die Eigenthümerin zurüdzugeben. Da, voie unten gezeigt werben fol, die Kinder 
aus der Ehe Benedikts und der Theodoranda das Lehen ihres Vaters bie 
zum Schluſſe des zehnten Sahrhunderts behauptet haben, gibt die fraglich 
Bulle zu verfiehen, daß das Sabinum nicht von Johann XIII. verfchleudert, 
fondern durch Lift oder Gewalt Otto's I. ver römtfchen Kirche entzogen 
worben jet. 

Die Belehnungen des Jahres 967 und ver folgenden hatten noch einen 
andern Sinn: fie bemeifen, daß Dtto I. darauf Hinarbeitete, tie Formen bed 
Iangobarbifchen Lehenweſens in den Kirchenflaat zu verpflanen. Schon 911 
fommt auf römtfhem Boden zu Tivoli ein Graf in deutiher Weiſe — jeneı 
Adrian — vor, allein verfelbe flieht vereinzelt da. Immerhin bin ich ver Mei: 
nung, daß diefe Grafichaft eine Nachwirkung der Zeiten Arnulfs, des vor: 
legten deutfchen Carlingers, war. 

Otto I. dagegen feßte ins Werk, was Arnulf nur ſchwach verfucht hatte. 
Nicht umfonft legte fi Crescentius III. zu feinem herzoglihen Titel dae 
Beiwort „Groß“ bei. Daffelbe follte andeuten, daß fein Dufat über Rom 
fein bygantinifches mehr, fondern ein Herzogthum in deutihem Sinne fei. 
Ebenfo verhält e8 fich meines Erachtens mit den Lehen Spoleto und Eame: 
rino, welche der ſüditalieniſche Kombarde Pandulf erhielt, ſowie mit den Graf: 
Ihaften Tivoli und Sabinum, welde wir in den Händen Gratians und feine: 
deutfchen Nachfolger Berard und Rainald, oder Im Haufe Benedikts und dei 
Theodoranda fanden. Und wenn Pabſt Johann XIII. mit feiner Schwefter, 
der Senatorin Stephanta, fowie mit deren Kindern eine Uebereinkunft be: 
züglich Praͤneſte's ſchloß, die offenbar noch die Älteren Kormen eines romanifchen 
Pachtvertrags trägt, fo läßt dieß eine doppelte Erflärung zu: entweder wollte 
er den Angehörigen feiner Schwefter befonvere Vortheile zumenden, oder fühlte 


— — — 


9 Dentfche Päbfle I, 330, 





Siebtes Buch. Gap. 20. Italieniſche Großvaſallen. A. die Markgrafen von Eſte. 353 


er ein gewiſſes Grauen vor deutſchem Lehenweſen. WBielleiht war Beides 
ver Fall. 

Als Johann XI. feine Einwilligung zum Sturze der demofratifchen 
Berfaffung Roms gab, hoffte er für dieſes Opfer den Güterbeflg des h. Stuhles 
wieberherzuftellen. Aber in Wahrheit hat er um den “Preis der Zerflörung 
einer Anftalt, die ihm fo gut als feinen Vorgängern zum Bollwerk dienen 
fonnte, Knechtſchaft eingetaufcht. Die in Rom zuerſt gegründete Gemeinde 
freiheit ging deßhalb doch nicht verloren. Sie warb dadurch gerettet, daß andere 
weniger bebrängte Städte ihre Fortbildung übernahmen. 

Aber auch Otto felber hat das Seinige geihan, daß die Demofratte, 
welche er zu Rom nieberfchmetterte, im übrigen Stalien Wurzeln trieb. Merk 
würbige Fügung! Der fächfiihe Herrſcher, Zwingherr des Stuhles Petri, 
Zerftörer römischer Volksherrſchaft, freute mittelft einer Reihe geſetzgeberiſcher 
Akte, deren meifterhafte Zurüftung Staunen erregt, Samenförner aus, denen 
als reife Frucht republifanifcher Geiſt durch ganz Italien und Freiheit ver 
römischen Kirche entkeimte. — Doc wirkte er alles dieß unbewußt und ohne 
ſolche Folgen zu wollen. 

Ih muß zunädft, um Das ind gehörige Licht zu fegen, was mir zu 
fagen obliegt, in eine frühere Zeit zurüdgreifen und die Geſchichte von vier 
großen italienischen Vaſallenhäuſern hereinziehen. 


Bwanzigfies Capitel. 


Dtto, Zerflörer der demokratiſchen Berfaflung Roms, bricht — doch ohne es felbft zu wollen 
oder zu ahnen — mittel einer Reihe gefeßgeberifcher Akte, welche Bewunderung vers 
dienen, dem republifanifchen Geiſte durch das obere und mittlere Italien, fo wie kirch⸗ 
licher Freiheit weite Bahnen. Der nächfte und erſte Beweis für biefe Thatſache muß 
mittelſt der Geſchichte von vier größeren Dafallengefchlechtern 1) des von Eſte, 2) bes 
von Turin, 3) des von Montferrat, 4) des von Canoſſa geführt werben. A. Das 
Haus Eſte. Obgleich die Eftenfer den markgräflichen Titel führten und fehr große 
Güter beſaßen, erlangten fie nie eine gefchloflene Marke. 


Die politifche Eintheilung, welde Earl der Große dem Reihe Italien 
gab, bewährte ſich nicht, fondern wurde Duelle vieler und ſchwerer Uebel für 
das Land, und zwar hauptfächlich darum, weil die Verwaltungsbezirke, die 
Carl ſchuf, zu groß waren und in Folge deſſen den vorgeſetzten Beamten 
zugleich Anreiz und die nöthige Macht verliehen, nad) felbftändiger Herrſchaft 
zu fireben. Faßt man die Zuftände Italiens während der zweiten Hälfte 
des neunten und der erften des zehnten Jahrhunderts auf den Fürzeften Aus» 
drud zufammen, fo ftellt ſich folgendes Bild heraus: die großen Vaſallen 
arbeiten unaufhörlich und meift mit Erfolg darauf hin, ihre geſetzlichen Lehen, 
herren zu untergraben. Hat aber Einer durch Verrath die Krone errungen, \n 

Blrörer, Pabſt Gregorius VI. BP. V. 73 


354 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


muß er feinerfeitö alle Kräfte aufbieten, um zu verhindern, daß ungetrene 
Großbeamte ihm daſſelbe Echidjal bereiten, das er felbf feinem ehemaligen 
Gebieter bereitete. Die meiften Könige Italiens, fowohl einheimifche als 
fremde, wurden durch diefe Sifyphuss Arbeit abgenügt, erfchöpft, zu Orunde 
gerichtet. Kurz ed war ein ewiger Krieg der Könige gegen die Bafallen und 
umgefehrt, an dem ſich die Geſchichte Italiens fortſpann. 

Dennoch iſt ein Iangfamer aber flätiger Fortſchritt der königlichen Gewalt 
unverfenndbar. Dem Burgunder Hugo, einem Yürften von merklicher That 
fraft, gelang es allmählig, die größeren Bafallenhäufer eines um das andere, 
das von LuccasTuscien, die Herrn von Spoleto und Camerino aufzufaugen, 
und wenn er auch den gefährlichften unter allen feinen Gegnern, den Tus⸗ 
culaner Alberih IL, Dynaften zu Rom und im Kirchenftaate, nicht gänzlich zu 
zerreiben vermochte, fo hat er doch denfelben fo in die Enge getrieben, daß 
Hugo's Nachfolger der Ioreer Berngar vollends ohne E-chwierigfeit mit 
Alberih8 Sohne Johann⸗Octavian fertig geworden fein würde, wäre nit 
die fremde Einmiihung des Sachſen Dtto erfolg. Nur auf der Norbfeite 
gegen die Alpen bin erlitt Hugo Niederlagen und ward zulegt durch den 
Markgrafen von Ivrea geftürzt. 

Nah kurzem Schwanfen nahm jedoch Hugo’d Befieger Berngar das 
Verfahren feines Vorgängers wieder auf, und wahr ift e8, der Jvreer befand 
fi verhältnigmäßig in einer günftigeren Lage, ald ehevdem Hugo. Denn wäh: 
rend diefem Berngar mit der ganzen Macht feines Haufed entgegenarbeitete, 
ftand dem Jvreer, nachdem er Hugo niedergeworfen und die Krone Italiens 
auf fein Haupt gefegt hatte, mit Ausnahme des einzigen Tusculanerd Octa— 
vian, deſſen Erbmadıt, wie ich fagte, fchon in Alberih8 II. Tagen fi zum 
Sinken neigte, fein größerer Vaſalle mehr entgegen. Um 959 begann er 
wider Octavian die oben gefcilderten Schläge zu führen, welde das von 
Hugo glüdlih unternommene Werk vollenden follten. 

Hätte er fein Vorhaben Ins Werk gefept, fo wäre Italien in ein 
einheitliches Reich verwandelt, aber auch — was aus vielen Gründen uns 
möglid — Macht und Selbfiftändigfeit des Etuhles Petri vernichtet worden. 

Obgleich Gegner, haben der Burgunder Hugo und der Joreer Berngar 
ein und dafjelbe Garn gefponnen. Ihr gemeinfchaftliches Streben ging dahin, 
jede größere Vaſallenmacht zu zerfchmettern, und durch Huge Einrichtungen 
Borforge zu treffen, daß in Zufunft feine mehr emporfomme. 

Aber zwiſchen der Befiegung Hugo's auf dem Schlachtfeld und zwiſchen 
dem Yugenblide, da Berngar die reifen Früchte des Sieges pflüden durfte, 
liegt, wie ich früher zeigte, ein vierjähriger Zeitraum zwieſpaltigen Regiments, 
während deſſen Berngar, wohl oder übel wollend, die Fönigliche Gewalt mit 
Hugo's Sohne Lothar theilen mußte. 

Genau im Verlaufe dieſer Spanne Zeit legten etliche italieniihe Em⸗ 


Siebtes Buch. Gap. 20. Italieniſche Großvafallen. A. bie Markgrafen von Eſte. 358 


orfömmlinge den erften Grund zu einer Macht, welche fhnurftrads den fonft 
Renergiſch eingehaltenen Regeln der Regierung fowohl des burgundfifchen 
[6 des Ivreer Haufes zumiderlief, und welche — allerdings langfam und 
nter Hinderniffen, mit denen in früheren Zeiten aufftrebenden Dynaften nie 
ı kämpfen hatten — eine Höhe erreichte, die nach zwei bis drei Menſchen— 
tern weithin fihtbar wurde. Das obere und mit Ausnahme bed Kirchen⸗ 
ıat® auch das mittlere Jtalten wimmelte um 950 von Fleinen Grafen, die 
den Chroniken felten oder nie, wohl aber in den Urkunden zum Borfchein 
mmen. Den Uebergang von biefen Hleineren Grafen zu größeren Dynaften 
Idete eine Mittelftufe, welche in Erringung der Marfgrafenwürde beftund. 

Bier Geichlehter haben im angegebenen Zeitraum oder während der 
ijerlihen Regierung des erften Dtto diefe Diittelftufe erftiegen, nämlich bie 
äuſer 1) von Efte, 2) von Turin, 3) von Montferrat, 4) von Canoffa. 
achdem ich früher, wie es der Lauf der Begebenheiten vorfchrieb, das eine 
er das andere einzeln erwähnt habe, muß ich jebt im Zufammenhang von 
Ien vier handeln. 

Die Bezeihnung Efte als Gefammtname des Haufes wird erft im 
ölften Jahrhundert gebräudhlich, und zum erftenmale durd ein Pergament‘) 
om Dftober 1184 beurfundet, Eraft deffen der Hohenftaufe, Kaifer Sriedrich J., 
e Lehen des Markgrafen Obizo von „Heft“ beftätigte. Efte iſt der Name 
ner Stadt, die heute noch fteht, bei den alten Römern Atefte hieß und etwa 
oölf Meilen fürlih von Padua und faum vier von Monfelice entfernt liegt, 
elher letztere Drt in den Schenfungsbriefen Carld des Großen mehrfad 
wähnt wird. Unzweifelhaft gehörte Efte dem Umkreiſe des weiten Gebiets 
1, dad Pippins erlauchter Sohn dem Pabſte Habrian I. wiederholt zufagte, 
er nie in Wahrheit abgetreten hat. Obgleich der Ort ald Stammname 
rhältuigmäßig fpät vorfommt, kennt man die Vorfahren des in obiger 
rkunde erwähnten Eftenfers bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts hinauf 
zweifelhaft. Auch fteht feft, daß dieſelben die Stadt Efte jedenfalls im 
ften, wahrfcheinlich bereits im zehnten Jahrhundet bejaßen. 

ALS Altefter Eftenfer, der eine politifche Rolle fpielte, erjheint Markgraf 
tbert L_ Zwar wird in einer Urfunde?) vom Jahre 1011 ein Vater Otberts I. 
fgeführt, der Adalbert hieß und gleichfalls den Titel Marfgraf empfängt. 
Nein man weiß fonft von dieſem Ahn lediglich nichts, und Ich halte es daher 
r befler, von ihm abzufehen. Wie früher) gezeigt worden, geht aus zus 
släffigen Zeugniffen hervor, daß Markgraf Otbert J. im Jahre 951 das 
ertrauen des Königs Berngar befaß, fowie daß er neun Jahre fpäter mit 
dern italieniſchen Großen an den deutſchen Hof fi begab, und Otto zum 


*) Muratori, antichitä estensi I, S. 35 unten fig. Marchio Obizo de Hest (pro Este). 
Ibid. ©. 194 fig. n Oben S. 280, 
3° 


956 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. - 


Angriff auf Lombardien beſtimmte. Er war alfo ein töbtlidher Gegner des 
Königs von Stalien, feines ehemaligen Gönners, geworben. 

Settvem hatte fih Markgraf Dibert wiederholter und weienhafter Be 
welfe der Huld des neuen Kaiſers Otto zu erfreuen. Laut einer Urfunde‘) 
vom Sept. 962 amtete er als Pfalzgraf im kaiſerlichen Palafte zu Pavia, 
ebenfo laut einer zweiten ) vom Jahre 964. Desgleichen erfcheint er lauf 
einer dritten”) vom Auguſt 964 als Richter zu Lucca in Anweſenheit bes 
Kaiſers, eine vierte Urkunde*) theilt Urtheile mit, welche er 967 zu Volterra 
in Tuscien fällte. Laut einer fünften") richtete er 970 — ftetd mit dem dop: 
pelten Titel eines Mark- und Pfalzgrafen — zu Ehiaffo In Toscana. Aut 
einer ſechsten) vom Jahre 972 geht hervor, daß Ihm Kaiſer Dtto bie Laien: 
abtei des Columbanftifted zu Bobbio in Ligurien ibertragen hatte, und dal 
er in dortiger Gegend über viele Vaſallen verfügte. 

Tag und Jahr, da Dtbert I. ftarb, ift unbekannt, doch weiß”) man, bai 
er 975 nicht mehr lebte, er muß demnach zwiſchen 972 und 975 mit To! 
abgegangen fein. Otbert I. Binterließ mehrere Söhne, worunter ald Stamm 
halter den gleihnamigen Dibert IT. Diefelben führten, ebenfo wie ihr Bater 
den Titel Markgrafen.) Zwei Urkunden geben Auffhluß über bie perfün 
lichen Verhältniffe Otberts IT.: die eine®) vom Sahre 994, aut welder cı 
zu Lavagna marfgrüfliches Gericht haltend, in einer Streitfahe zu Gunſtel 
des Klofters St. Fruttuoſo entfchlen; Die zweite”) vom Jahre 996, fraf 
welcher er ſich verpflichtete, nie mehr auf vier genannte Dörfer, welche der 
Stuhle von Luna gehörten, Anfprüche zu erheben. Das in der erflgenannte 
Urfunde erwähnte Lavagna liegt an der genueflihen Meeresküfte, etlic 
Stunden ſüdlich von Genua, daher ift far, daß Dtbert IT. in eben dieſer Gegen 
marfgräfliche Rechte ausübte. Sodann geht aus dem zweiten Pergament hervo 
daß Otbert II. im Küftengebiet von Luna, das heute noch, nachdem die Stal 
längft zerftört worden, Lunigiang heißt, '%) Güter befaß. 

Ebenderſelbe Dtbert IT. gründete't) um 1006 das Kloſter S. Giovan 
di Vicolo im Gebiete von Piacenza. Weiter weiß man, daß er zur Parth 
des Gegenfönigs Harduin von Stalien hielt, deßhalb beim deutſchen Kaif 
Heinrih TI. In Ungnade fiel, 1014 zum Verluſte feines Vermögens veru 
theift, aber fpäter wieder begnabigt ward. Ich werde bievon unten am g 
hörigen Orte berichten. Otbert IT., von dem feit 1014 nicht weiter die Rei 
ft — er muß bald nachher geftorben fein — hinterließ zum Mindeſt 
drei Söhne: nämlih 1) Adalbert oder Azzo J. 2) Hugo, 3) abermal ein 
Adalbert, der aber zuweilen in verkleinerter Form Alberto oder Azelino genan 


ı)" Muratori, antichitä estensi I, 139. 2) Ibid. seq. 3) Ibid. ©. 143 fl 
%) Ibid. S. 145. ) Ibid. ©. 147. ®) Ibid. S. 149 fig. N) Muratori, ann: 
d’Italia ad a. 972. *) Muratori, antich. estens. I, 133 unten flg. ®) Ibid. S. 13 
10) Ipid. ©, 166 unten fig. 11) Tbid. ©. 118,' 


Siebtes Bud. Gap. 20. Italienische Srofvafallen. A. die Markgrafen von Eſte. 357 


wird; ſodann eine Tochter Bertha, die mit Odelreih, dem Markgrafen von 
Zurin, vermäblt ward.) Alle drei genannten Brüder legten fih ) gleich 
ihrem Bater und Ahn den Titel Markgrafen bei. Viele Urfunven zeugen von 
ihrer Macht und ihrem Reichthum. 

Ich beginne mit den beiden erfteren, mit Hugo und Azzo. Im Jahre 1013 
wohnten die Markgrafen Adalbert (Azzo) und Hugo einer Gerichtöfigung ’) 
an, welde der Herzog von Kärnthen und Marfgraf von Trevijo unweit 
Berona veranftaltete.e Im nämlihen Jahre hielten beide felbft Gericht *) zu 
Monjelice und fälten ein Urtheil gegen das Klofter Vangadizza. Kraft einer 
dritten Urkunde ®) vom Jahre 1029 erfaufte Markgraf Hugo, Otberts des 
Markgrafen Sohn, von dem Diakon Gerhard um die Summe von 2000 Pfund 
Silber eine in genannten Drten befindliche Gütermafje, die nicht weniger ale 
20,000 Jaucherte Landes umfaßte. Im nämlichen Jahre vergabte®) derſelbe 
Markgraf Hugo, Dtbertd Sohn, an die Domlirhe von Piacenza gewifie 
Zehnten. Kurz darauf muß er dad Klofter Pompoſa (bei Ferrara) beſchenkt 
haben. Der Widmungsbrief jelbft iſt nicht mehr vorhanden, wohl aber eine 
Urkunde’) des Saliers Heintih II. vom Jahre 1045, in welder die Schen- 
fung erwähnt wird. | 

Markgraf Hugo war vermählt, denn in dem zu Gunſten der Domkirche 
von Piacenza audgeftellten Briefe von 1029 fagt er, daß er die Schenfung 
für fein eigenes und feiner mit Namen nicht genannten Gattin Seelenheil 
made. Ein älterer Beweis für die VBermählung Hugo's ald vom Jahre 1029 
liegt nicht vor. 

Aud Markgraf Wo I., Hugo's Bruder, lebte in der Ehe, und zwar 
fennt man nicht nur den Namen feiner Gemahlin, fondern kann auch darthun, 
daß er jchon gegen 996 geheirathet hat. Laut Urkunde ®) vom Jahre 1011 
erfaufte Gräfin Adela, Gemahlin des Markgrafen Azzo, aus ihrem Eigen von 
dem Diakon Donnino um die Summe von 120 Pfund, jedes zu 240 Des 
naren gerechnet, mehrere in der Grafſchaft Brescia gelegene Ländereien. Ein 
Jahr fpäter machte dieſelbe Gräfin Adela mit Einwilligung ihres Gemahles 
Azzo und ihres Schwiegervater Otbert eine Schenkung °) an den Stuhl von 
Eremona. Letzterer Widmung ift zugleich die Nachricht beigefügt, daß Adela 
fraft Geburt zum Saliſchen Geſetze fi befannte, aber um ihres Gemahles 
willen zum langobarbifchen überging. Noch möge bemerkt werben, baß jener 
Diakon Donnino im Jahre 1012 vollends den Meft feiner im Comitate 
Brescia gelegenen Güter gemeinihaftlih an die Brüder- Markgrafen Azzo und 
Hugo, Söhne des Markgrafen Dtbert, verkaufte. '°) 


2) Die urkundlichen Beweife bei Muratori, antichitd estensi I, 103 flg,, fo wie hist. 
patz. monum. Chartae I, 479. 2) Muratori a. a. O. I, 85—97. 2) Daf. I, 86. 
%) Daf. ©. 88. 6) Ibid. S. 90. °) Ibid. S. 91 unten flg. ) Ibid. ©. 93 unten flq, 
°) Ibid. ©.119. YTid 6121. 0 Did. ©. 123, 


358. Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


Die urkundlihen Belege für den Eheftand Azzo's gehören, wie man 
fieht, den Jahren 1011 und 1012 an. Aber noch iſt ein weiterer Beweis 
vorhanden, der feine Vermählung bis ind Jahr 996 hinaufrückt. Azzo I. 
hinterließ nämlich, wie unten gezeigt werden fol, einen rechtmäßigen Sohn 
Azzo I., der um 996 geboren ward. Daß Azzo I. früher als feine andem 
Brüder heirathete, ift in der Orbnung Denn er wird in allen Urkunden 
vor den letztern genannt, erſcheint alfo unzweifelhaft als ver Erftgeborene 
Dtbertö II. . 

Ich komme an den dritten Bruder, an Adalbert Azzelino. Durch Urfunde 
vom 10. Juni 1033 gründeten er und feine Gemahlin gemeinfchaftlih bie 
Abtei Santı Marta di Caftiglione, welche in dem zum heutigen Herzogthum 
Parma gehörigen Bisthum Borgo di Santo Donnino liegt. Die Eingangsworte 
des Stiftungsbriefes‘) lauten: „ih, Markgraf Adalbert, Sohn des Markgrafen 
Dtbert, und id, Adelheid, Gemahlin Apalberts, Tochter des Grafen Boſo, 
die ich meiner Abſtammung nad) unter dem alamannifchen Geſetze ſtehe, aber 
meinem Manne zu lieb das langobardiſche Recht erwählt habe, Ichenfen“ u. f. w. 
Weiter unten find im Allgemeinen Erben und Söhne ihrer Ehe erwähnt. 
Die Ausftattung, welche beide dem neuen Stifte widmeten, verbient eine 
fönigliche genannt zu werden. Ste überweifen nämlid dem Klofter Zchnten 
aus einer Mafle genannter Güter, die fih über die Städte Pavia, Mailand, 
Tortona, Piacenza, Genua, Luna, fowie über die Grafſchaften Pavia, Mais 
land, Como, Bergamo, Brescia, Verona, Tortona, Acqui, Alba, Piacenza, 
Parma, Reggio, Modena, Luna, Genua, Bolterra, Arezzo erftredten. 

Markgraf DOtbert IL. hatte demnach einen Sohn Adalbert, fonft urkundlich 
auch A330 genannt,?) der vermählt war mit Adela, er hatte weiter einen Eohn 
Adalbert, der in der Ehe Ichte mit Adelheid. Die Namen der beiden Frauen 
find kaum verfchieden, die Vermuthung fcheint fi daher aufzubrängen, daß 
eine und dieſelbe Gemahlin, ein und derſelbe Gemahl gemeint fei. Allein diefe 
Vorausſetzung kann nicht beftehen, weil Adela, die Gattin Azzo's, unter fali- 
fhem, dagegen Adelheid, Adalberts Gemahlin, unter alamannifhem Geſetze 
geboren ift, was einen grundwefentlichen Unterfchied begründet. Ein guter 
Theil des italiihen Adels lebte, namentlih feit den Zeiten des aus Burs 
gund herübergefommenen Könige Hugo, nad faliihem Rechte, während Bei⸗ 
fpiele der Geltung des alamanniſchen Geſetzes in Italien felten vorfommen. 
Darum ift wahrfcheinlih, daß Adelheid aus Deutjchland in das Kirchenland 
einwanderte. 

Gleich der Salierin Adela und der Alamannin Adelheid müſſen auch 
Adalbert Azzo und Adalbert wohl unterjchieden und folglich als zwei Söhne 
Otberts IL betrachtet werben, denn einmal berrfchte im Otbert'ſchen Stamme 


) Daf. ©. 98. ») Ibid. ©. 83 unten. 


Siebtes Bu. Cap. 20. Staltenifche Großvafallen. A. die Markgrafen von Eſte. 359 


ver Gebrauch, daß Brüder den nämlihen Namen Adalbert trugen. Dtbert L, 
vr Bater Otberts II., hatte zwei Söhne, die beide urfundlih ) Adalbert 
Veßen. Man unterſchied den jüngeren von dem älteren durch die Verklei⸗ 
rung Alberto oder auch Obizo. Genau Daſſelbe war auch mit den beiden 
dgenannten Söhnen Otberts IL, den Brüdern Hugo’s, der Fall. Denn laut 
iner Stelle des Ehroniften Thietmar von Merfeburg, die jedoch erft an einem 
andern Orte genügend erläutert werden kann, hatte Graf Otbert II. drei 
Söhne, Hug, Heil (d. h. Azzo) und Ezelino. Beide legtere hießen Adalbert, 
o aber, daß der jüngere von dem älteren durch die Verfleinerungsform unters 
chieden wurde. 

Gleichfalls für einen andern Ort behalte ih mir vor, nachzuweiſen, daß 
Dtbert IL allem Anjcheine nah außer Azzo, Hugo und Ezelin noch einen 
ierten Sohn, Wido, hinterließ. Man kennt das Todesjahr der Brüder 
licht. Much werden feine Söhne Hugo's, Ezelin's oder Wido's nament⸗ 
ih aufgeführt, obgleich Gründe, die ich jpäter entwideln werde, faum daran 
weifeln laſſen, daß die genannten drei Nachkommen erzielten. Dagegen 
teht urkundlich”) feſt, daB Moalbert Azzo I. einen Eohn hinterließ, der 
benfo wie der Vater (Adalbert Azzo II.) hieß und wie der Vater, 
Sroßvater und Ahn den Titel Markgraf führte. Adalbert Azzo IL, durch 
eine Gemahlin, die Welfin Eunigunda, Yortpflanger des deutſchen Welfen⸗ 
tamımes, iſt laut dem Zeugnifie‘) des Chroniften Bernold von Bonftanz erft 
1097, mehr als bundertjährig, geftorben: er war alſo um 996 geboren. 
Bielfach hat derfelbe in die Geichichte feiner Zeit, Deutſchlands, Italiens, 
Frankreichs und namentlih audy des Pabſtes Bregorius VII. eingegriffen. 
Ich werde anderswo mehr von ihm berichten. 

Bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts waren ale Marken, ſowohl 
mf deutſchem als auf italiihem Boden, fefte, unverrüdte und darum genau 
sachweisbare Bezirke, wie Iftrien, Verona, Jvrea, Ligurien, Spoleto, Ca⸗ 
nerino, oder in Deutſchland Oſtrich, Steiermarf. Daher drängt ſich die 
Frage auf, wo die Marken lagen, von denen Otbert I., jowie feine Söhne, 
intel, Urenfel, Otbert II., Adalbert I., Adalbert Azzo J., Hugo, endlich 
Mdalbert Azzo II. ihren Titel trugen? Muratori, ohne Frage der gründlichfte 
ınter allen Kennern ver mittelalterlihen Geſchichte Italiens, erklärt!) offen, 
aß er auf diefe Frage Feine Antwort zu geben wiſſe. An einer andern Stelle 
agt‘) er bezüglich defjelben Gegenſtandes: „nur zwei Erklärungen ſcheinen mir 
nöglich, entweder daß die größeren Marken von ehemald in viele Kleine zers 
lagen waren, ober daß Kaifer Otto I. den großen Örundeigenthümern Itas 


t) Ibid. ©. 188 und 198. 2) Tbid, ©. 81 flg. 83 fig. %) Perß V, 468. 
}) Annali d'Italia ad a. 960. 6) Ibid. ad a. 989, 





360 Pabſt Sregorius VIL und fein Zeitalter. 


liens, die in verjchiedenen Gegenden Güter und Burgen befaßen, den mark 
gräflihen Titel und marfgräflihe Rechte zugeftanden hatte.” 

Meines Erachtens ftreift lehtere Annahme nahe an die Wahrheit bin. 
Zunächſt müflen zwei Borfragen beantwortet werben: erftend welche perjönliche 
Titel führten die oben aufgezählten Eftenfer außer dem marfgräflidden, ber 
allen gemeinfam iſt; zweitens, wo lagen ihre Güter? Otbert L war, wie 
ih oben aus Urkunden gezeigt habe, kaiſerlicher Pfalzgraf zu Pavia, allein 
feine Spur ift vorhanden, daß dieſe Würde auf feine Nachkommen überging. 
Sodann wird in einer Urkunde‘) vom Jahre 1050 Otbert's L Enfel, Adal⸗ 
bert Azzo I., fowie auch deſſen Sohn und des erfteren Urenfel, Albert 
Ayo IL, als Graf in Luna bezeichnet. Endlich empfängt Hugo, Albert 
Azzo's L Bruder, in der GStiftungsurfunde?) des Kloſters Gaftiglione vom 
Sabre 1033 den Titel Markgraf und Graf des Comitats Tortona. 

Was die Hausgüter betrifft, fo ift ein unſchätzbares Pergament vors 
handen, welches hierüber erwünfchten Aufichluß gibt. Durd Urkunde?) vom 
Sabre 1077 beftätigte der deutſche Salter Heinrih IV. dem Sohne Azzos IL 
aus zweiter Ehe mit Garſendis, nachfolgenden Befig: in der Grafidaft Gar 
vello*) vier genannte Drte, fammt dem Grafenredhte über den ganzen 
Bezirk und der Artmannie Cd. h. fammt dem Befehl über die freien, heer⸗ 
pflichtigen Inſaſſen), fowie zwei Abtelen, worunter Vangadizza;“) in ver 
Brafihaft Papua 20 genannte Höfe, Dörfer oder Städte, unter legtern 
Efte; in der Grafihaft Ferrara fünf genannte Orte; in der Grafihaft Vi⸗ 
cenza drei ebenjo; in der Grafihaft Berona zwei; in der Grafſchaft 
Brescia ebenjo vier; in der Orafihaft Eremona einen; in der Grafſchaft 
Barma ebenfo adıt; in der Grafſchaft Luna ebenfo 22; in den Grafichaften 
Arezzo, Lucca, Piſa alles nad dem Namen Otbert's geheißene Land;*) 
in der Grafihaft Piacenza drei genannte Orte; in der Grafihaft Modena 
drei ebenſo; in der Grafihaft Tortona ebenfo drei Orte. Am Schluſſe heißt 
ed: „den genannten Söhnen (zweiter Ehe) folle überdieß zufallen alles Andere, 
was ihr Vater, Azzo II, rechtmäßig befigt.* 

Die aufgeführten Güter lagen, wie man fieht, in fünfzehn verjchiedenen 
Grafſchaften und erftredten fi vom Fuße der Alpen bis hinunter nach Arezzo. 
Aber fehr viel fehlte, daß fie ein geſchloſſenes Ganzes gebildet hätten. Nur 
in dem einzigen Bezirfe Gavello erhielten die Söhne zweiter Ehe das Comitat 


') Muratori, antichitä estensi I, 83 unten: ego Albertus qui et Azzo, marchio et 
comes iunensis comitatus, filius bonae memoriae Alberti, qui aimiliter Azzo marchio et comes. 
2) Ibid. ©. 98: Ugo marchio et comes hujus comitatus tertonensis. 3) Tbid. ©. 41. 
4) An der untern Etſch bei Adria, man fehe Muratori, script. ital. X, VBorflüd 165. *) Ueber 
ihre Lage vergl. man Mabillon, annales Bened. IV, 681. , A. a. O. ©. 4; omnem 
terram, quao Obertenga vocatur. Hievon unten. 


Siebtes Buch. Cap. 20, Italieniſche Grofvafallen. A. die Markgrafen von Eſte. 361 


oder bie vollen Grafenrechte, in den übrigen Graffchaften dagegen blos ba 
und Dort zerfizeute Höfe oder Orte. 

Für's Zweite umfaßte die den Söhnen zweiter Ehe zugefchiedene Ab⸗ 
findung bei Weiten nicht das ganze Eftenfiihe Hausgut. Ausdrücklich heißt 
ed ja, daß ihnen zufallen folle, was der Vater jonft rechtmäßig beſitze. Bes 
lege find vorhanden, mittelft welcher man einen Rüdichluß auf dieſes übrige 
Eigenthum Azzo's machen fann. In der Stiftungsurfunde des Klofterd Eaftis 
glione vom Jahre 1033 hatte Azzo's IL gleichnamiger Vater Adalbert Azzo I. 
mit feiner Gemahlin Adelheid, wie oben gezeigt worden, außer den von Heins 
reich IV. erwähnten Gütern, noch über Zehnten aus Befigungen innerhalb der 
Städte Bavia, Mailand, Piacenza, Luna, Genua, jowie über Zehnten aus 
den Landgrafichaften Pavia, Mailand, Como, Bergamo, Verona, Acqui, Alba, 
Reggio, Genua, Bolterra verfügt. Da fein anderer Sohn Azzo's I. außer 
dem gleichnamigen Azzo II. erwähnt wird, und da nad dem gewöhnlichen 
Laufe der Dinge die ganze Berlafjenfchaft deſſelben faum anders als an den 
einzigen Erben gelangen konnte, ftellt fi mit hoher Wahrjcheinlichfeit heraus, 
daß das übrige, in der Urkunde Heinrich's erwähnte Vermögen Azzo's nas 
mentlih die Güter begriff, deren Zehnten Azzo L am jenes Klofter ver- 
gabt hatte. | 

Möglicherweife könnte das Hausgut vor Azzo's L Zeiten nod größer ges 
weien fein. Aus den oben mitgetheilten Urkunden des Jahres 1029 und 
der folgenden erhellt nämlich, daß Azzo's I. Bruder, Hugo, der gleich dieſem 
vermählt war, felbftändiges Eigenthum beſaß. Folglich muß nad dem Tode 
ihre Vaters Otbert II. eine Erbtheifung ftattgefunden haben. Run fönnte 
freilich, da fein Sohn Hugo’d erwähnt wird, fein Nachlaß an Azzo L und 
durch dieſen an Azzo II. gefallen fein, aber gewiß ift dieß keineswegs. 
Wenn ed aber nicht geichah, folgt, daß der Großvater Dtbert IL noch reicher 
war als der Enfel Ayo IL. 

Unabweisbare Thatſachen drängen, wie man fieht, auf die Annahme hin, 
bag der Stifter des Eftenflichen Geſchlechts Dibert L ein ungeheure Grund⸗ 
vermögen erworben bat. Zugleih gibt die Urkunde vom Jahre 1077 einen 
deutlichen Fingerzeig über ven Punkt, von welchem Otbert's Größe ausging. 
Sie erwähnt ein innerhalb der Stadt Arezzo, jowie in den Grafſchaften 
Lucca und Pifa gelegenes Eigenthum, das den Namen Otbert's Land, terra 
Obertenga, trage. 

Diefer Rame erhielt fi bis in's flebzehnte Jahrhundert. Laut dem Zeugs 
niſſe eines Älteren italienischen Schriftfteller8, defien Worte Muratori anführt, ‘) 
nannte das Volk ein ausgedehntes Gelände von Arezzo gegen Norden „arts 
graf Dtber!d Klauſen.“ So gut das Land Lotharingien nad) dem Gründer 


‘) Ibid. I, 186. 


362 Pabſt Eregorine VII. und fein geitalter. 


dieſes Reiches Lothar I., Ludwigs des Frommen Sohne, oder auf deutſchem 
Boden die Bertholdsbar nach dem alamanniſchen Herzogsſohne Berthold, dem 
Gründer dieſes abgefonderten Fürſtenthums, genannt worden tft, ebenfo gut 
muß — wie ſchon Muratori mit einer Reihe hiſtoriſcher Belege nachgewieſen 
hat!) — Otbert's Land feinen Namen von dem Stifter Dtbert’jcher Größe 
und des eftenfiihen Gejchledits empfangen haben. Ohne Zweifel entwidelte 
fi Otbert's Wachsſsthum mit dem Augenblide, da er jene weite Strede von 
Arezzo gegen Piſa und Lucca bin fein Eigenthum nennen konnte. 

Run war Dtbert im Jahre 951 fchon ein gemaditer Mann, hieß Mart- 
graf und erfreute ſich der Gewogenheit des italiichen Königs Berngar, wie aus 
einer Urfunde ) vom Januar 951 erhellt. Demnach tft wahricheinlih, daß 
die Verleihung des Otbert's⸗Landes an ihn dem Jahre 951 voranging, wäh, 
rend antererfeitd nicht bezweifelt werben farm, daß er eben dieſe Belehnung 
derjelben Gunft Berngar's verdankte, die er 951 fichtlih genoß. Vergegen⸗ 
wärtigen wir und jeßt die Ereigniffe, die furz vor 951 ftattfanden. Wie ic 
früher‘) nachwies, hatte der treuefte Anhänger des burgundifchen Haufes, 
Hubert, Baftard des Königs Hugo, außer dem Herzogthum LuccasTuscien, 
das er ſchon früher bejaß, bis gegen 946 auch noch die beiden Marten Spo- 
leto und Gamerino inne. Mit dem Augenblide jedoch, da nad) Hugo's Sturze 
das dreiipaltige Regiment gegründet ward, wußte Berngar von JIvrea durch⸗ 
ufegen, daß Hubert die beiden Marken herausgeben mußte. Dagegen ver 
mochte der Jvreer nicht, dem Gehaßten aud vollends das Herzogthum zu ent- 
reißen, weil der Anhang Lothars in diefer Richtung dem JIvreer Gränzen 
ſteckte: Hubert blieb, wie wir willen, Herzog von Tuscien bis zum Römer: 
zug Otto's. Sollte nun König Berngar auf halbem Wege ftehen geblieben 
fein und nicht vielmehr durch geheime Echlingen Hubert einzufchnüren ver: 
ſucht haben? 

Gewiß that er Lebtered. Fürſten können Großvafallen, gegen welde fie 
-Mißtrauen hegen, nicht beſſer beifommen, als wenn fie denjelben läftige Geg⸗ 
ner als Wächter auf den Naden oder vor die Thüre fepen. Ich fage: bie 
Belehnung des eſtenſiſchen Ahnherrn mit dem fogenannten Dtbertölande, welde 
ohne Frage Berngar’s Werf war, hatte den Zwed, Hubert, den Herzog von 
Tuscien, in die Enge zu treiben; denn das Otbertsland durchriß vermöge der 
Beichreibung, welche die oben erwähnte Urkunde liefert, den Zuſammenhang 
des Herzogthums Tuscien, da es im Süden bis Arezzo, im Norden bis Lucca, 
im Weften bis Pifa auslief. 

Unzweifelhaft fcheint e8 mir, daß Markgraf Dibert feine politiiche Lauf: 
bahn als Schildknappe des Jvreers Berngar gegen Herzog Hubert anges 
treten hat. 


) Ibid. ©. 184— 202. ») Böhmer, regest. Carol. Ar. 1431. *) Oben ©. 223 fig. 


Siebtes Bad. Cap. 20. Italieniſche Großvaſallen. A. die Markgrafen von Eſte. 969 


Der nämlihe Otbert war um 960, wie oben gezeigt worden, töbtlich 
mit feinem früheren Gönner verfeindet. Auch auf die Urfachen des Bruchs 
werfen die eftenfiichen Urkunden einiges Licht. Kraft deffelben Pergaments, *) 
welches zum erftenmal den Bamiliennamen Efte erwähnt, belehnte der Hohen⸗ 
ftaufe Friedrich J. im Jahre 1184 den Marfgrafen Obizo von Efte, einen 
Enfel Azzo's II., mit der Marke Genua und mit der Marfe Mailand, fowie 
mit fämmtlihem ehemaligen Eigenthum Azzo's II. Der Tert fagt nicht aus⸗ 
drücklich: zu Dem, was Azzo einft bejaß, hätten aud die Marken Genua und 
Mailand gehört, doch liegt dieß wahrfcheinlich in den Worten. 

Aus einem andern Altenftüde dagegen geht hervor, daß leßtere Deutung 
allerdings die richtige ff. Ein alter Seitenzweig des eftenfiihen Hauſes 
waren, wie Muratori überzeugend nachgewieſen hat,?) die Malafpina, weldye 
ohne Frage durch irgend ein unbekanntes Yamilienglied von Dtbert IL. abs 
ftammten. Wohlan! mittelft Urfunde*) vom Jahre 1164 beftätigte Kaiſer Frie⸗ 
drich I. dem Markgrafen Obizo Malajpina den Beſitz alles Defjen, was feine 
Vorfahren rechtmäßig in der Marke Genua oder in dem dortigen Erzbisthum 
inne hatten, namentli die Hälfte von Lavagna. 

Iſt die Ausfage diefer beiden Urkunden begründet, jo haben einft Die 
Ahnherren der Eftenfer tiber Matland und Genua Machtbefugnifſe gelibt, welche 
Kaifer Friedrich der Rothhart, der die um jene Zeit ihm läftig gewordenen 
Freiftaaten Genua und Mailand herabdrüden wollte, als ein wohlerworbenes 
Recht auf zwei nad den beiden Städten genannten Marken binzuftellen räthlich 
findet. Und gewiß liegt ein guter Funke Wahrheit obigen Behauptungen zu 
Grunde. Denn nicht nur verfügt Einer der Söhne Otbert's IL, Ezzelino, 
1033 in dem Schenfungsbrief an das Kloſter Caftiglione über Zehnten aus 
Befigungen innerhalb der Mauern Mailands und Genua’s, d. h. meines Er 
achtens aus Zinshäufern, die in beiden Städten lagen, fondern Muratort 
tbeift auch zwei Urfunden*) aus den Jahren 1028 und 1033 mit, Taut wel 
hen Azzo I., der Erfigeborne Otbert's II., neben dem marfgräflien Titel 
den eined Grafen von Mailand führte, ferner einen eigenen Palaſt in ver 
Stadt hatte und endlich in demfelben Grafengericht hielt. 

Wae Genua betrifft, fo beweist die Gerichtsflgung, welde Markgraf 
Dtbert II. laut der Urkunde von 994 zu Lavagna veranftaltete,®) daß der 
zweite, genauer befannte Eftenjer wenigftens in der Nähe der Tigurifchen 
Hauptftadt Gerichtsbarkeit beſaß. Ebenderjelbe erſcheint in der nämlichen Urs 
funde als alleiniger Gerichtsherr zu Lavagna, woraus hervorzugehen cheint, 
daß ein Anrecht auf die Hälfte dieſes Ortes, welches Friedrich der Roth⸗ 
bart den Malafpina zuſprach, erft nach dem Tode Otbert's II. durch irgend 


ı) Muratori, antichitä estensi I, 36 oben. ) Did. ©. 154 fig. %) Tbid, ©. 181, 
4) Ibid. ©. 37. °) Siehe oben ©. 3586. 


364 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


welche Erbtheilung entftanden fein fann. Wir wollen uns dieſen Zinger 
jeig merfen. 

Der Titel Markgraf, den die Eftenfer führten, reicht bi8 zum Ahnherrn 
Otbert I. folglih bis in ein Zeitalter hinauf, da die Marten nod in ver 
Regel fefte Bezirke waren. Mit hoher Wahricheinlichfeit darf man annehmen, 
daß auch Dtbert I. eine ſolche zu erlangen und auf feine Nachkommen zu ver 
erben wünjchte, und wenn dieß, wie nicht zu gweifeln, der Fall war, jo 
fann man nur an Ligurien oder an eine Marf Genua denken. Denn nicht nur 
bildete Ligurien als Küftengebiet wirklih eine Marke im alten Sinne des 
Worts, ſondern Kaijer Friederich I. erkennt ja ausdrücklich an, daß die Mala- 
fpina von ihren Borfahren ber Anſprüche auf gewiſſe Theile einer Mart 
Genua hatten, und ebenverfelbe beftätigte gleichmäßig dem Eſtenſer Obizo 
Rechte auf Marken von Genua und Mailand. 

Allein obgleich alle Eftenjer von Dtbert I. bis auf das zwölfte Jahrhun⸗ 
dert herab Markgrafen heißen, wird bocd bis auf Obizo Keinem der Titel 
einer beftimmten Marke, wie Genua oder auch Mailand, beigelegt. Meines 
Erachtens muß man hieraus den Schluß ziehen, daß die Älteren Eftenjer, na; 
mentlich aber der Stammberr Otbert L., bei ihrem Beftreben, eine fefte Marke 
u erlangen, auf unüberwindlihe Schwierigfeiten geftoßen find. Das Wei⸗ 
tere kann ich erſt unten entwideln. 

Roc ein zweiter Schluß drängt fih auf. Markgraf Otbert L und jeine 
nächften Nachfolger befaßen eine Gütermafje, die fo groß war, daß fie ſicher⸗ 
(ih einem italienischen Yürften ihrer Zeit an Macht oder Reichthum nad: 
ftanden. Allein dieſes Grundvermögen Bing nirgends zufammen, fondern glid 
Snfeln, die über nicht weniger ale 25 Grafichaften und fünf der größeren 
Städte Italiens zerftreut waren. Nun liegt e8 in der menſchlichen Natur, 
daß Dynaften um fo eifriger ihr Gebiet abzurunden ſuchen, je mächtiger fie 
find. Wenn gleihwohl die Eftenfer dieſes unzweifelhaft von ihnen erfirebte 
Biel nicht zu erreichen vermodten, jo läßt fi Solches nur unter der einen 
Vorausfepung befriedigend erklären, daß Hindernifje eingetreten fein müflen, 
welche jede größere Abrundung unmöglih machen. 

Ich gehe zum zweiten der oben erwähnten Käufer, zu dem von Turin, über. 


Siebtes Buch. Gay. 21. Das marfgräfliche Haus von Turin. Grfigeburtreht. 365 


Einundzwanzigfles Capitel. 


Das Hans von Turin. Markarafen Arboin I. II. TIL, der erfle und zweite Maginfreb. 
Mit größter Anftrengung feht der letztgenannte Markgraf ein Familienſtatut durch, 
welches Untheilbarkeit des Hausguts und Erfigeburtrecht verfügt. Allein obgleich bie 
Turiner unermeßliche Ländereien erworben haben, ift es ihnen nicht gelungen, ihren Beflk 
abzurunben ober in ein gefchloflenes @ebiet zu verwandeln. 


Die ältere Marf IJvrea — um 982 nad dem Tode des jüngeren Könige 
Adalbert entfland nämlich, wie fpäter gezeigt werben fol, eine neue Fleinere, 
— oder genauer geſprochen diejenige, aus welcher Berngar und Adalbert, von 
- 950-961 Könige Italiens, hervorgingen, war ein ausgebehntes Gebiet, das 
unter Anderem auch die Grafſchaft Turin umfaßte. Einer zu Turin Ende 
Februar 929 audgeftellten Urfunde,*) kraft welcher Markgraf Adalbert, Vater 
des nachmaligen Königs Berngar, dem Kloſter St. Andrea zu Turin gewifie 
Süter ſchenkte, fügte der Notar, der fie fchrieb, die Worte bei: „ich, Notar 
Johann, Habe diefe Afte mit Einvoilligung des Königs Hugo für unfern 
Brafen Adalbert abgefaßt.” Indem der Schreiber, der ohne Zweifel in 
Turin anfäffle war, Adalbert unfern Grafen nennt, gibt er zu verftehen, 
daß Markgraf Adalbert zugleihb Graf von Turin war. Man hat feinen 
Grund, zu bezweifeln, daß Berngar mit den andern Gütern und Zehen feines 
Baters auch die Grafſchaft Turin erbte. Aber nachdem die glänzende Laufs 
bahn des Letztern begonnen, verblieb Turin nicht mehr lange in unmittelbarem 
Beſitze des Hauſes Sorea. 

Unweit Turin, im Thale von Sufa am Fuße des Montcenis, Tiegt das 
im Sahre 726 gegründete Klofter Novalefe, das um 916 von den Saracenen 
zerfiört, aber im Sahre 1000 wieberhergeftellt worben if.) Aus biefem 
Kloſter befigen wir eine merkwürbige Chronif, das Werk eines vornehmen 
Möndhe, welche neben vielen Volksſagen und Fabeln banfeswerthe Nach⸗ 
richten über den an Geſchichtsquellen fonft armen Nordweſten Italiens der 
Nachwelt erhalten hat. 

Unter Anderem erzählt”) befagter Mind: „einft kamen zwei Brüber, 
Roger und Arboin, die mur einen einzigen Diener mit fich brachten, aus einem 
armen, unfruchtibaren und bergigten Lande nad Stalien. Beide wurden bort 
reich und mädtig. Zuerſt erlangte Roger eine Grafſchaft, dann auch Arboin, 
Ießterer, indem er die Wittwe eines Grafen, in deſſen Dienfte er getreten 
war, ehelichte und nun von König Hugo, deſſen Gunft er gewonnen hatte, 
als Nachfolger beflätigt wurde. Mit der Wittwe zeugte Arboin zwei Söhne, 
deren Erfigeborner dem Ohelm zu Ehren den Namen Roger, deren zweiter 


*) Histor. patr. monument. chartae I, 133. Nr. 79. 2) Berk VII, 73. °) Ihid, 
©. 112, (ib. V, 8.) 


366 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


nach dem Bater ven Namen Arvoin empfing. Der lehtgenannte wurde fpäter 
Vater des (Markgrafen) Magnifred.” Weiter unten ertheilt‘) derſelbe Chro⸗ 
nift dem gleichnamigen Sohne des angeblihen Grafen Ardoin und Vater 
Magnifreds wiederholt den Beinamen Glabrio (Kahlkopf). 

Unverfennbar war es die Volfsfage, aus welcher der Mönd) feine Ans 
gaben ſchoöpfte. Wie ih an einem andern Orte?) gezeigt habe, find viele 
Burgunder ihrem Landsmann, dem Könige Hugo, nad Italien gefolgt und 
haben dort, vom Könige begünftigt, zum Theil die wichtigften Aemter des 
italiihen Reichs errungen. Die Volksfage fieht ab von diefer natürlichen Ur 
ſache des fchnellen Wachstums der Burgunder und fabelt, daß ein unbegreifs 
liches Glück gewiffen Fremdlingen, die aus einem armen fteinigten Lande nad 
Stalien einwanderten, in der neuen Heimath zu Theil geworben fe. IK 
möchte nicht in Zweifel ziehen, daß mit den Hunderten oder Taufenden ans 
derer Burgunder, die an Hugo’ Hofe Brod und Ehre fuchten, auch die Brüder 
Roger und Arboin I. nah Stalien gefommen find, aber ob Beide fofort in 
der von dem Mönche befchriebenen Weife Graffchaften davon getragen haben, 
ift eine andere Frage, fie könnten auch mit geringeren Lehen abgefunden worden 
fein. Befanntlich liebt e8 die Cage, den Mund vol zu nehmen, goldene Berge, 
Millionen, Fürftenthümer, Grafihaften, Kronen an ihre Helden zu verſchwenden. 

Gewiß if, daß die beglaubigte Geſchichte den Kahlkopf Ardoin nicht ale 
den Sohn eines Grafen beginnen läßt, fondern ihn uns als gemadten Mann 
und zwar ald Marfgrafen von Turin vorführt. Fürchterlich muß das nord⸗ 
weftlihe Italien um 940 dur die Earacenen, die von Nizza und Garde: 
Frainet aus das Land faft regelmäßig mit Mord, Raub und Brand heim; 
fudten, verwüftet gewefen fein. Der Mönd von Novalefe berichtet,) König 
Berngar habe einft Befehl ausgehen laffen, die Einwohner ganzer Grafſchaften 
follten gemeinfam Jagd auf die Wölfe machen, welche, ſchaarenweiſe durch die 
mit wilden Bäumen bewachfenen Gefilve ftreifend, die Sicherheit der Wege 
und des Reiſens vernichtet hatten. Er fügt ſodann bei, der König ſei nicht 
wenig erfreut gewefen, als die Köpfe von vielen dieſer ſchädlichen Raubthiere 
abgeliefert wurden. 

Das gleiche Schickſal der Verheerung traf auch das fchöne Thal von Eufa: 
ungejchügt, weil von den Einwohnern verlaffen, und unbebaut lag es da. In 
diefem Zuftand brachte Markgraf Arboin die Landfchaft in feine Gewalt, doc 
nicht mit gutem Zuge; denn fle gehörte den Mönchen von Navaleſe, die jeit 
der Zerftörung ihres Kloſters durch die Saracenen hinter die Mauern Turins 
in das Stift St. Andrea geflohen waren. „Der mädtige Markgraf,” fagt der 
Chroniſt,) „nahm das Thal von Eufa in feinen Beſitz und entriß es und.“ 


— — — — — 


*) Tbid. ©. 113 u. 116. ») Oben ©. 206. 216 fig. 2) Perg VII, ©. 114. 
) Did. ©. 118, 


Siebtes Buch. Gap. 21. Das marfgräfliche Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 36% 


Indeß begnügte fih Arboin keineswegs mit dem Thale, er wußte fi 
auch noch die Zufluchtflätte zu verfchaffen, wo bie Befiger des Thales weilten. 
Im Jahre 925 hatte Markgraf Adalbert, Könige Berngar Bater, in dem 
Orte Breme, der unweit der Einmündung des Seftafluffes in den Po liegt, 
eine Abtei errichtet und den geflüchteten Möncen von Novalefa übergeben. *) 
Auch dieſes zweite Stift erwarb Marfgraf Arboin mit Lift, indem er von 
Seiten des jungen Königs Lothar eine Urkunde erfchlich oder ertrogte, welche 
ihn zum Lalenabt von Breme ernannte. Der Möndy fährt?) fort: „Mars 
graf Ardoin, der Kahlfopf, welder wegen feiner Gier nad fremdem Eigen 
thum ein Wolf genannt zu werden verdient, erlangte einen Schenfungsbrief, 
der ihn zum Herrn unferer Abtei Breme machte. Doch nicht ungeftraft bat 
der junge König diefed Unrecht verübt, denn wenige Tage, nachdem er bie 
Schrift unterzeichnet hatte, ftarb er eines jähen Todes.” 

Da König Lothar den 22. November 950 verfchied, jo folgt — wenn 
anders der Ehronift die Wahrheit meldet, — daß Arboin im November des 
genannten Jahre Breme davongetragen, nicht lange zuvor das Thal von 
Suſa befegt und vielleiht aud den Marfgrafentitel errungen hat. Warum 
ftrömten auf Ardoins Haupt foldhe Gnadenbezeugungen von Seiten des Könige? 
Rah den Regeln hiftoriiher Beurtheilung find zwei verfchiedene Erklärungen 
möglich: entweder wollte Lothar den Marfgrafen durch die BVortheile, die er 
ihm verfhaffte, zum Bundesgenoſſen gegen den Jvreer Berngar gewinnen, 
oder zweitens kann es Berngar felbft geweſen fein, der den jungen König 
zur Rahfiht gegen die Gewaltthätigfeiten de8 Markgrafen in der Abſicht 
nöthigte, diefen mächtigen Vafallen auf Koften der Mönde von Breme nod) 
fefter an feine Parthei zu fefleln. 

Ereigniffe, die laut dem Berichte des Moͤnchs kurz darauf eintrafen, vers 
leihen der Iegteren Annahme überwiegende MWahrfcheinlichkeit. Der Chroniſt 
meldet) nämlich weiter, daß, als Berngar nad dem Tode Lothars die Wittwe 
defielben Adelheid In dem Schloffe Canofja belagerte, Ardoin der Kahlfopf 
mit dem neuen Könige vor die Burg gezogen ſei. Wäre der Markgraf nicht 
von Berngar gewonnen gewefen, fo. würde er bemjelben fchwerlich diefen 
Dienft gegen die Wittwe geleiftet haben. ' 

Sind nun die Ausfagen des Mönchs wahr? Ihren Grundzügen nad 
ohne Zweifel! Der Chronik felbft ift ein amtliches Aktenſtück eingefügt, be- 
ſtehend in einer Klagſchrift,) weldhe Abt Piligrim von Breme, wie es in 
dem Texte beißt, „nad der legten Rückkehr des Kaiſers Otto in die deutſche 
Heimath“, an den Pabſt Johann XIII. richtete. Der Abt ſchildert darin die 
Unbill, welche Markgraf Ardoin dem Kloſter zugefügt hatte. „Was die 


) Ibid. ©. 73, Rote 3. ) Ibid. ©. 115. 2) Ibid. ©. 113, *) Ibid. 
©. 122 flg. 


968 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Großmuth Adalberts von Foren und anderer frommen Geber uns gewidmet, 
das raubte und faft Alles Markgraf Arvoin, der reißende Wolf. Derfelbe 
behauptet zwar, eine Urfunde in Händen zu haben, die ihm das Eigenthum 
unferes Kloſters überantworte. Doc fie iſt erfchlihen. Sei es durch Ber 
ſprechungen des graufamen Herzogs Ardoin umfiridt, fei es durd feine Dros 
hungen eingefchüchtert, verlieh ihm der junge König Lothar — ohne daß wir 
ſelbſt oder irgend ein anderer von den hohen Würdenträgern Italiens etwas 
davon wußten — heimli einen Schenkungsbrief, weldyer die Urfadhe aller 
unferer Leiden geworben iſt.“ 

Der Abt fchildert fofort die Schritte, die er früher gethan, um das Ned 
feines Klofters zu wahren. „Als der huldvolle Kaiſer Dtto nah Stalien 
kam, wandten Wir und an feine Gemahlin Adelheid, ihren Schug anrufend, 
und wirflih gebot der. Kalfer die Urkunde Ardoins in Anwefenheit aller 
Fürften zu verbrennen, ließ eine andere auffeßen und bedrohte darin den 
suchlofen Herzog mit fchwerer Strafe, wenn er je wieder ſich unterſtehen 
würde, unfer Eigenthum anzutaften. Aber diefe Maßregeln vermochten nur 
auf Furze Zeit die Wuth des Räuberd zu zügeln; denn nachdem ber gnäs 
digfte Kaiſer in fein Heimathland zuridgefehrt war, fiel der Marfgraf 
alsbald über uns ber, entriß und, was Dtto I. ihm zurückzugeben befohlen 
"hatte und raubte noch vieles Andere dazu, was wir fonft befaßen; denn er 
war wie rafend darlıber, daß wir es gewagt, Hülfe beim Faiferlichen Throne 
zu ſuchen. Zulept erftattete er uns einen Fleinen Theil des Geraubten, er 
preßte aber dafür von unferem Abte das Verfprechen, daß er nie mehr in foldyen 
Dingen fih an den Kaiſer wenden wolle.” 

Schließlich Tegen die Mönche dem Pabſte die doppelte Bitte ans Herz, 
erfilih unverweilt genauen Beriht an den Kaiſer über diefe Dinge nad 
Deutichland zu erflatten, und zweitens den Grafen Ardoin mit dem Banne 
zu bedrohen, wenn er nicht unverzüglich da8 Geraubte heraußgebe. 

Wann tft diefe Bittfchrift abgefaßt worden? Die in ihr felbft enthaltenen 
Worte „nad der Rückkehr des Kaiſers“ Taffen eine doppelte Deutung zu, da 
Otto als Kaifer zweimal aus Italien nad Deutſchland heimfehrte: das 
erftemal im Januar 965,9 das zweitemal?) im Auguſt 972, nicht ganz ein 
Jahr vor feinem Tode. Die Ieptere Rückkehr Tann aber nicht gemeint fein, 
denn erftens hat Pabft Johann XIII. unter dem 21. April 972 — alle 
etwa vier Monate vor der zweiten Abreife des Kaiſers — einen Schupbrief?) 
für das Klofter Breme erlaffen, auf den ſich die Mönche, wäre derfelbe vorher 
ausgeftellt gewefen, faft nothwendig in ihrer Klagichrift beziehen mußten, was 
doch nit der Kal if. 





) Böhmer, regest. Reg. a Conrado I. etc. Nr. 282 fig. ) Tbid. Rr. 390 fig. 
%) Jaffö, rogest. Pontiic. Mr. 2882. 


Siebtes Buch. Gap. 21. Das markgräfliche Haus von Turin. Grftgeburtreht. 369 


Fürs zweite verliefen laut den Worten der Klagſchrift zwifchen ihrer 
Abfafiung und der vorangegangenen Heimfehr des Kaiſers mehrere Ereigs 
niffe: ald die Austreibung der Moͤnche aus ihrem fämmtliden Eigenthum, 
dann die Rüderftattung eines Heinen Theild, endlih der Abſchluß des Vers 
gleih8, der dem Abte Stillihweigen auferlegte. Meines Erachtens wurden, 
um ſolche Geſchäfte abzumachen, mindeſtens etlihe Monate erfordert. Nun 
farb aber Pabft Johann XIIL wenige Wochen nad der zweiten Heimfahrt 
des Kaiſers, den 6. September 972. Daraus folgt, daß die Mönde von 
Breme, wenn fie nach der zweiten Reife Otto's hätten Hagen wollen, gar 
nicht mehr Zeit gefunden haben würden, fih an den Pabſt Sohann XII. 
ju wenden. 

Die Schrift ift ohne Zweifel nad) der erften Rüdreife Otto's aufgeſetzt 
worden, und zwar zu der Zeit, da der Kaiſer in Deutichland weilte und Pabſt 
Johann XI. wirflih auf Petri Stuhl faß, oder ald Petri Statthalter ams 
tete. _ Denn hätte der Kalfer damals in Stalien und nicht in Deutichland 
geweilt, jo würden die Mönche von Breme unmittelbar von ihm Schuß ers 
beten haben, und wäre Johann XII. nicht im Befige feiner vollen Amtöges 
walt gewelen, jo hätten fie vergeblich feine Hülfe angerufen. Pabft Johann XIIL 
nahm aber zu Anfang feines Pontifikats, wie wir wiflen, Petri Stuhl nur 
vom 1. Oktober bi8 Mitte Dezember 965 ein, dann wurde er aus Rom ver- 
trieben und fehrte erft nach der zweiten italienifchen Heerfahrt Otto's in die 
Metropole zurüd. Die Abfaffung der Bittfchrift fällt aus diefen Gründen 
in die Zeit vom 1. Dftober bi8 Ende Dezember 965. 

Mit drei verfchiedenen Titeln belegen die Mönche in ihrer Klagſchrift 
Arboin, indem fie ihn bald Markgraf, bald einen graufamen Herzog, bald 
wieder einen bloßen Grafen nennen. Der Wedhfel ift offenbar abfichtlih und 
verbirgt Hintergedanfen. Meines Erachtens wollen fie fagen, Arboin fei 
eigentlih nur ein Graf und führe mißbräudlih den Marktitel, dabei verrathe 
er aber durd feine Handlungen, daß kaum herzogliche Gewalt feinem Ehrgeiz 
genüge. In der That kann man nachweiſen, daß er neben der Grafſchaft 
Turin an zufammenhängenden Gutömaffen nur über das Thal von Suja 
verfügte, und wie andern aufftrebenven Dynaften jener Zeit wird ihm ber 
Titel Markgraf nur darum bewilligt worben fein, weil er außerhalb feines 
eigentlichen Gebiet da und dort, fei es durch Heirath, Kauf oder Lift, eins 
zelne zerftreute Städte, Höfe oder Weiler erworben hatte. 

Aus dem Verfahren des Kaiſers erhellt, daß er gerne die Gelegenheit 
ergriff, um Uebermuthige, wie Arboin von Turin, zu dämpfen. Auch hat 
allem Anfcheine nah die Klagfchrift der Mönche gefruchtet. Kurz ehe Dtto 
Stalien zum zweitenmale und für immer verließ, wandte fih Abt Piligrim 
von Breme, wie ed fcheint von der Beforgniß geleitet, daß Ardoin neue Ein, 
ariffe in das Eigenthum des Stifts machen könnte, mit der Bitte an ven m 

Ofröser, Babk Gregorius VL BD, V. 24 


370 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Nom anweſenden Bifchof Theoderih von Metz, dem Klofter einen päbftlichen 
Schupbrief auszuwirken. Johann XII. entſprach dieſem Wunſche. Durd 
die oben erwähnte Bulle vom 21. April 972 ſtellte er fämmtliche Beſitzungen 
der Abtei Breme, namentlih das Andreasflofter zu Turin und die andern 
einft von dem Jvreer Markgrafen Adalbert gemachten Schenfungen, unter ben 
Schirm des Apoftelfürften, und bedrohte jeden , weß Standes er auch fei, 
der zuwider handeln würde, mit unnadhfihtlihem Kirchenbann. Diefed Mittel 
muß die beabfichtigte Wirkung hervorgebracht haben. Keine Spur findet fid, 
daß Arboin durch neuen Raub die Ahndung der Kirche herausgeforbert Hätte, 

Die Zeit feines Todes iſt unbekannt, er mag zwiſchen 973 und 990 
geftorben fein. Mehrere Söhne überlebten ihn: ver anfehnlihfte unter den 
felben — vermuthlih zugleih Erftgeborner — war Maginfred, den der 
Mönd von Novalefe, von den andern fchweigend, vorzugsweiſe ald Sprofien 
Ardoins aufführt.) Bezüglich dieſes Maginfred ift eine merfwürbige Urkunde?) 
auf uns gekommen, laut welcher Kalfer Dtto II. unter dem 31. Juli 1001 
verfügte, wie folgt: „zur Belohnung der treuen Dienfte, die er un geleiftet, 
beftätigen Wir dem Markgrafen Maginfred Eraft kaiſerlicher Machtvollkommen⸗ 
heit den Befib des dritten Theile von St. Stephano, von Caftiglione 
und Camuli, des dritten Theile von den Thälern Sufa, Oulx, Bar- 
donnehe u. |. w., des dritten Theile von Agatha u. f. w., des drit- 
ten Theile von Turin und der umliegenden Ebene.” 

Noch viele andere Drte find in dem Pergamente namhaft gemacht, welche 
Maginfred entweder ganz — jedoch als Stüde eines ihm zugefallenen Dritteld — 
oder dem dritten Theile nach beftätigt erhielt. Würde es gelingen, alle in 
der Urfunde genannten Orte zu beftimmen — was mir hier in Sreiburg nicht 
möglih if, und nur mit den Hülfsmitteln, die ſich zu Turin finden, geichehen 
fann?) — fo befäme man ein vollftändiges Bild des Erbe, das Ardoin der 
Kahlkopf feinen Söhnen hinterließ. 

Indeß fieht man auch ohne genaueren Nachweis fo viel, daß Stadt und 
Umgegend von Turin — d. h. die dortige Grafihaft ſammt den Thälern 
am Fuße des Mont Genevre, des Mont⸗Cenis und des BernhardsBerged — 
den Grundftod der Befigungen Ardoins bildete, daß aber ald Anhängjel zu den⸗ 
jelben noch einzelne entfernte Drte wie Camogli gehörten, dad in ver foges 
nannten Riviera di Levante, oder am öfllichen Geftade ded Golfs von Genua 
liegt.) Gleih den Häufern von Efte und Montferrat hatte auch Arboin 
außer feiner eigentlihen Grafſchaft Turin entfernte Befigungen auf dem Boden 
anderer Gomitate erworben. 


Unverfennbar ift, die Urkunde vom 31. Juli 1001 befchreibt eine breis 
*) Ber VII, 112: hio (Ardoinus Glabrio) Magnifredum genuit. ?) Histor. patr. 


monum. Chartae I, 345 flg. 3) Reider haben bie Herausgeber ber Monumenta Patriae 
für bie Beographie fo viel als nichts gethan. *) Ibid. ©. 1335, Rote 1. 


Siebtes Buy. Gap. 21. Das markgräflide Haus von Turin, Grfgeburtreht. 371 


fache Erbiheilung des von Arboin dem Kahlkopf binterlaffenen Vermögens. 
Folglich müſſen denfelben drei Söhne — nämlich außer Manfred oder Mas 
ginfred noch zwei andere — überlebt haben. Genau derſelbe Eachverhalt ergibt 
fi aud einer zweiten Urkunde vom 9. Juli 1029, auf die ich unten zurück⸗ 
fommen werde. Laut berfelben‘!) hatte Maginfreb IT., des vorgenannten Sohn 
und Enkel Arvoind des Kahlkopfs, zwei väterlihe Oheime oder Vatersbrüber, 
von denen der eine, wie ber Ahnherr Arboin II., der andere Oddo hieß. 
Diefe beiden find es alfo geweien, welche mit Maginfreb I. in der durch das 
Pergament vom 31. Juli 1001 angeveuteten Weile das Erbe ihres Vaters 
Arboind I. unter fi vertbeilten. 

Aud die Ehronif von Novalefe gibt einige Nachrichten über die Verhäfts 
nifje der drei Brüder. Erſtens meldet?) fie, daß einer der Söhne Ardoins 
des Kahlkopfes ſich mit einer ungenannten Tochter Azzo's von Canoſſa, den 
wir als Ahnherrn der Großgräfin Mathilde fennen, vermähltee Da ber 
Mönd, ehe er von diefer Ehe fpriht, nur Magiufred ald Sohn Ardoins er; 
wähnte, darf man mit einigem Grund annehmen, daß Muginfred ed war, 
ber die Tochter Azzo's zum Weibe hatte. Zweitens führt”) dieſelbe Chronik 
einen Markgrafen Oddo auf, der offenbar zu gleicher Zeit und im gleichen 
Land mit Maginfred L oder II. Ichte. Drittens gibt fie zu verſtehen,) daß 
biefer Markgraf Oddo einen Sohn Namens Arboin III. zeugte. Auch biemit 
fimmt die Urkunde vom Juli 1029 überein, indem fie außer den beiden bes 
reit8 genannten Oheimen Maginfreds II., Oddo und Ardoin IL, nod einen 
Better defielben nennt, der Ardoin IIL bieß, und alfo nur der Sohn Ars 
boin® II. oder Oddo's gewefen fein fann. Bei diefem Einflang beider 
Duellen wäre es unftatthaft, zweifeln zu wollen, daß der von der Chronik 
erwähnte Markgraf Oddo wirklich der in der Urkunde genannte Oheim des 
zweiten Maginfred oder Bruder des erften Maginfred war, und ferner daß 
der vom Mönche angeführte Ardoin Oddo's Sohn mit dem gleichnamigen 
in der Urkunde erwähnten Vetter Maginfreds II. zufammenfällt. 

In der Geſchichte des Haufes Efle haben wir gleichfalls die Erfahrung 
gemacht, daß nad dem Tode der Ahnherrn und ebenjo in den ſpätern Ge⸗ 
ſchlechtsfolgen die binterlaffenen Söhne das Erbe ihrer Väter teilten. Weiter 
aber liefert die Urkunde vom 31. Zuli 1001 einen Beweis, daß dieſe Erbs 
theilungen nicht ohne Zuthun der deutfchen Reichsoberhäupter erfolgten. Kaiſer 
Dtto IIL, des erſten Enkel, beftätigte dur das fraglihe Pergament bie 
Theilung der von Arboin L, dem Kablfopf, binterlaffenen Güter. Hiezu 
glaubte er fih ohne Zweifel durch das beftehende Staatsrecht befugt. 

Die Verlaffenfchaft Ardoins I. befland nothivendig entweder aus Lehen 
*) Ibid. ©. 479 u. 482. ®) Berk VII, 113 (cap. 11.): hoo ideo fecit Ardoinus, 


ob id quia Atto socer erat filii sui. %) Ibid. ©. 117. *) LBid. ©. 125. cap. 9. vergl. 
mit ©. 117. cap. 29, 


— 


24° 


372 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


oder aus Allod: war das Erftere der Kal, fo kam ed unzweifelhaft dem 
Kaiſer zu, ein Wort mitzufprehen, ob die Söhne eined Lehenträgers in das 
väterliche Erbe eintreten dürfen ober nicht. Aber auch im zweiten Falle, 
wenn nämlich der Nachlaß Ardoins lauter Allod geweſen wäre — was libris 
gend Kaum denkbar — würden bie deutſchen Kaifer die Entſcheidung der 
wichtigen Frage, ob eine ganze Gutsmaffe, die wegen ihrer Größe den Ehren 
titel Marke empfing, einem einzigen Sohne mit Ausſchluß der andern vorbes 
halten bleiben over gleihmäßig unter alle Erben getheilt werben folle, vor 
ihren Richterſtuhl gezogen haben. 

Die Urkunde vom 31. Zuli 1001 enthält außer den bereits mitgetheilten 
Sägen noch einige andere, weldhe Beachtung verdienen. Nachdem fie die ein, 
zelnen Stüde der Erbmaffe aufgezählt und die Theilung beftätigt hat, fügt‘) 
fie bei: „Maginfred folle Hinfort das Recht genießen, über dad ihm zuge 
fallene Drittel nach freieftem Ermeffen zu verfügen, ed zu vertaufchen, zu 
verfchenten, zu verkaufen, kurz wilfürlih damit zu machen, was ihm beliebe.“ 
Ungefähr die nämlichen Befugniffe haben die Könige Hugo und Lothar von 
Italien und nach ihnen Kaiſer Dtto I. in gleihen Schenkungsbriefen, von 
denen unten die Rede fein wird, dem Markgrafen Aledram zu Montferrat 
verliehen. Warum bewiefen dieſe Herrfcher fo große Willfährigfeit gegen et- 
waige Sultansgelüfte ihrer Bafallen? Das bewilligte Zugeſtändniß follte 
meined Erachtens zugleich eine Belohnung dafür fein, daß größere Lehenträger 
die Einmifhung des Hofs in Erbihaftsfragen geduldig hinnahmen, und ein 
Anreiz, möglich ausgedehnten Gebraud von dem verliehenen Recht freiefter 
Verfügung über das zugefprochene Eigenthum zu machen. Wenn Dynaften, 
die mit ſolchen fcheinbaren Gnadenbriefen auögeftattet waren, den Einge⸗ 
bungen augenblidliher Xeivenfchaft folgend, ihr Hab und Gut verpraßten, 
verjchenften, verfauften, dann konnte eine gefchloffene und darum den Herr⸗ 
ſchern gefährliche Erbariftofratie nicht auffommen. 

Wir lernen hier einen der größeren Hebel kennen, den bie Dttonen und 
ihre Vorgänger in Bewegung fegten, um die Gefahren zu befeitigen, die aus 
der unabweisbar gewordenen Erblichkeit der Lehen entfpringen mochten. Unter 
dem ftillen Vorbehalte, daß Feine fefte Erbmacht in den Dynaftengeichlechtern 
fih anhäufe, oder was hiemit gleichdeutend, daß fein Erfigeburtredt auf 
feime, geflatteten fie den Vafallen, mit den ehemaligen Lehen zu verfahren, 
wie den „geftrengen Herren” beliebte. 

Allein das Turiner Haus machte von der ertheilten Befugniß einen 
ganz andern Gebraud, ald der deutiche Kaiferhof erwartete. Außerordentliche 
Dinge gingen im Innern der ebengenannten Dynoftie vor, Dinge, die man 


*) Histor. patr. monum. Chartae I, 346: sit ei libera facultas, tenendi, oommutandi, 
alienandi, donandi, vendendi, vel quidquid ejus decrererit voluntas, faciendi. 


Siebtes Buch. Gap. 21. Das markgräflide Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 373 


mühfam aus zerfireuten Quellen zufammenfuchen muß. Das Tovesjahr Man» 
freds L ift unbefannt, doch fteht feft, daß er längere over fürzere Zeit vor 1008 
farb, denn im genannten Jahre hatte bereitd fein Sohn und Nachfolger 
Manfred IL, auch Odolrich genannt, die Würde des Baterd inne. Ich theile 
zuerft den Bericht des Mailänder Ehroniften Arnulf mit, dann die Ausfagen 
anderer Quellen und laſſe zulegt Urkunden reden. 

Amulf, fat Zeitgenoffe — er fchrieb um 1070 — erzählt: „nachdem 
Heinrich IL von Deutihland feinen Gegenkönig in Lombardien Hartwig von 
Jorea befiegt hatte, flohen die meiften Anhänger des Beftegten. Unter diejen 
Hlüchtigen war auch der Biſchof (Peter) von Afti, ver von da bis zu feinem 
Tod in Mailand unter dem Schutze des dortigen Erzbifhofs Arnulf ſich vers 
borgen bielt. Kaum war diefer Peter aus feinem Sprengel entwichen, jo 
verlieh Kaijer Heinrih II. das Bisthum Afti als erledigtes geiftliches Lehen 
an Alderih, den Bruder ded Markgrafen Manfred. Allein Erzbifhof Arnulf 
(zu deſſen Metropolitaniprengel Afti gehörte) ſah in dieſer Maßregel eine Vers 
legung feiner Rechte und verbot deßhalb die Einweihung Alderichs. Nun 
eilte diefer, pochend auf feine eigene und feines Bruders des Markgrafen 
Macht, nah Rom, und wußte dort durchzuſetzen, daß ihm der Pabft felbft 
die Weihe ertheiltee Hierüber gerieth Erzbiſchof Arnulf in heftigen Zorn, 
verfammelte zu Mailand eine Synode, welde den Bann gegen Alderich 
Ichleuderte, zog dann in Gemeinfchaft feiner Suffragane mit einem großen 
Heere vor Afti, das Biſchof Alderih und fein Bruder der Markgraf Manfred 
befept hielten, und belagerte die Stadt fo lange, bis Beide fi ergaben. 
Arnulf fchrieb folgende Bedingungen vor: ſie follten drei Meilen vor Mailand 
fih einfinden, und von da mit nadten Füßen, der Markgraf einen Hund, der 
Biſchof ein Evangelienbud tragend, bis zur Kirche des h. Ambroftus gehen, 
und dort angefommen, öffentlih vor allem Volke ein Sündenbefenntniß ab» 
legen. So geihah es auch. Der Markgraf zahlte überbieß eine ſchwere Buße 
in Gold, der Biſchof aber mußte feinen Hirtenftab auf den Altar des 5. Am⸗ 
brofius niederlegen, empfieng ihn jedoch dann als Zeichen der Ausjähnung 
aus den Händen des Metropoliten Arnulf zutüd.“ 

Der Mailänder Ehronift ſchmückt, indem er Obiges erzählt, den deutichen 
Herrfcher Heinrih IL mit dem Titel Kalfer, was Heinrich erft durch den 
Krönungsaft vom 1. Kebr. 1014 geworben if.?) Hätte daher der Ehronift 
buchftäblih Recht, fo Könnte die Einjegung Alderichs erft nach dem Februar 
des genannten Jahres erfolgt fein. Allein der Mailänder ift im Irrthum, 
fowohl Ughelli”) als Giulini*) weifen nach, daß Alverih ſchon 1008 das Bis, 
tbum von Afti erlangt hat; zum Ueberfluß ift eine Urkunde‘) vorhanden, laut 


1) Berg VII, 11. ») Böhmer, regest. ©. 57. 3) Muratori, annali d'Italia ad 
a. 1016. 4) Memorie di Milano III, 62. 6) Monum. patr. hist, Chartae I, 30%, 


374 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


welchet Alverih im Sabre 1009 als Biſchof von Afi Güter vertaufchte. 
Folglih war Heinrich IL, als die oben erzählten Dinge vorgingen, noch nicht 
Kaifer, fondern blos König von Deutſchland und Lombardien. 

Der Name des Biſchofs wird verfchieden, bald Alverih, bald Alrid,‘) 
bald, wie 3. B. von Mailänder Ehroniften, Olderich geichrieben. Urkundlich 
fieht feft, wie unten gezeigt werden fol, daß er ein Bruder des Markgrafen 
Manfred IL, ein Eohn des erſten Manfred, ein Enfel Ardoins des Kahl⸗ 
fopfes war. Manfred IL felbft, der Bruder des Biſchofs, erjcheint umwels 
felhaft in der Erzählung als regterender Herr. Nirgends ift von dem Vater 
die Rede, der offenbar damals bereitd das Zeitliche gejegnet hatte. 

Warım widerfegte fi) der Mailänder Metropolit mit folder Energie 
der Erhebung Alderichs? Ich fage kurz meine Meinung, die id unten zu ers 
härten mir vorbehalte: Arnulf fürchtete — und wie der Erfolg beweist, nicht 
mit Unreht — daß der Stuhl von Afti, einmal einem Mitglieve des Turiner 
Hauſes übergeben, für immer ver Hoheit des Mailänder Erzſtifts entrüdt 
werde und fid in ein Hausgut des Ardoinſchen Geſchlechtes verwandle. 

Nunmehr müflen wir die Geſchichte von 17 Jahren überfjpringen. Kaifer 
Heiurich IL, der Wiederherfteller des Reihe, war geftorben. Geängftigt durch 
die Macht, welche er gegründet, fuchte halb Europa zu verhindern, daß das 
lombardiſche Reich und mit ihm das Kaiſerthum an feinen Nachfolger Conrad II. 
gelange. Eine mächtige Barthei in Lombarbien bot dem Aquitanier Wilhelm V. 
für fid oder feinen Sohn die eijerne Krone an. Wilhelm reiste ſelbſt nad 
Sberitalien, erkundete ven Stand der Dinge und — trat zurüd. 

Im Srühling 1025 richtete er an den „erlauchteften” Markgrafen Magin- 
fred und an deſſen „hochvernünftige” Gemahlin Bertha einen Brief, ’) in 
weldhem er Erfteren beſchwor, Allem aufzubieten, damit die Lombarden auf 
die Wahl feines Sohnes verzihten. In einem zweiten Schreiben ’) an den 
Biſchof Leo von Vercelli gibt er zu verftehen, der „uge” Markgraf Magins 
fred und deſſen Bruder, Biſchof Alrich, habe die Gründe feines freiwilligen 
Rücktritts vollfoinmen gebilligt. 

Dffendar behandelte der Aquitanier in beiden Schreiben den Markgrafen 
nicht blos als einen jehr fähigen EtuatSmann, fondern auch als einen der 
mächtigften. Männer Lombardiens. Verträgt fih nun dieſe Macht, welche wir 
vorauszujegen genöthigt find, mit der Annahme, daß die Theilung von 1001 
fortbeftand? Run und nimmermehr! Iegtere muß aufgehoben gewejen fein, 
und in der That war fie nicht mehr vorhanden. . Der Clugniacenfer Rudolf 
mit dem Beinamen des Kahlkopfs berichtet:) (um 1027) „breitete fih die 
Keperei der Manichäer weit und breit in Lombardien aus, namentlid wohnte 


‘) Did. 1,1649. 2) Bouquet, recueil. X, 483 unten fig. °) Ibid. ©. 484 unten flg. 
9 Ibid. ©. 46. 


Siebtes Buch. Cap. 21. Das marfgräflihe Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 375 


eine Maſſe diefer Ketzer im Schloſſe Monteforte, das zum Sprengel von 
Afi gehört. Dergebli wandte Manfred, der „weilefte” unter den Marks 
grafen,, fowie defien Bruder, Biſchof Alrih von Aſti, desgleichen auch bie 
übrigen Markgrafen und SKirchenhäupter Waffengewalt wider biejelben an, 
denn obgleich Einige gefangen und weil fie hartnädig im Irrthum verbarrten, 
lebendig verbrannt wurden, nahm Zahl und Eifer der Ketzer doch nit ab.“ 

Auch hier erfcheint Manfred ald einer der mächtigften Fürften Lombar⸗ 
diend. Allein da neben ihm andere Markgrafen erwähnt werben, könnte man 
auf den Gedanken gerathen, als habe es zu Turin außer Manfred I. noch 
andere regierende Markgrafen gegeben. Dieje Erklärung tft möglich, jedoch 
feineswegs nothwendig, weil in Lombardien mehrere andere Häufer, 3. B. das 
Eftenfiiche, das Alevrams, das von Canoſſa, den marfgräflihen Titel führten, 
und weil, wie fid unten ergeben wird, die Brüder und Vettern Manfreds 
zwar Markgrafen hießen, aber Feine markgräflihe Gewalt befaßen. Abgeſehen 
bievon erhellt aus weiteren Gründen, daß die fraglidhe Deutung nicht bes 
ftehen Tann. 

Die Ehronif von Novaleje meldet:) (um 1032) „übertrug Kaiſer Conrad II. 
unfere Abtei dem Biſchof Alberih von Como. Alberich nahm fogleih von 
dem Klofter Befig, da er aber gewahrte, daß außer dem bisherigen Abte, der 
ausgetrieben werben follte, auch viele Mönche ſich widerſetzten, eilte er nad 
Zurin, unterhandelte dajelbft mit dem Markgrafen Manfred, fowie mit deſſen 
Bruder, dem Bilchofe Aldrich von Afti, und brachte dur hohe Summen, die 
er bot, zu Wege, daß der Marfgraf veripradh, den widerjpenftigen Abt zu 
entfernen. So geihah ed aud: mit einem ftarfen Haufen Soldaten aus⸗ 
rüdend, erzwang Manfred wider den Willen der Bürger, weldye den bis—⸗ 
berigen Abt beibehalten willen wollten, die Gefangennehmung deſſelben.“ 

Meines Erachtens beweist diefer Vorfall, daß Manfred alleiniger Herr 
in Turin war, und ausfchließlid die Gerichtöbarfeit nicht nur über diefe Stadt, 
iondern auch über dad Thal von Suſa übte. Auch Muratori?) und der Pie 
montefe STerraneo, ') Verfaſſer eines trefflichen Werks über die Marfgräfin 
Adelheid von Turin, find gleicher Anficht. 

Die durch Otto's III. Urkunde vom Juli 1001 beftätigte dreifache Spals 
tung der marfgräflihen Gewalt über Turin beftand alfo nicht mehr. Bezüglich) 
der Art und Weiſe, wie fie abgeſchafft worden fein mag, gibt dieſelbe Ehronif 
von Rovalefe einige Andeutungen. Der Mönch jchreibt, *) leider ohne die 
Zeit genauer zu beftimmen, (in den Tagen ded Abts Gero) „geihah es, daß 
Markgraf Oddo, angeweht vom Haude, der aus der Höhe ſtammt, unjer 
Kloftereigenthum herrlich mehrte. Den Spuren der Apoftel folgend, gab naͤmlich 


1) Berg VII, 124 unten fig. 2) Annali d’Italia ad a. 1030. ) Berg VIE 
117. cap. 29. 


376 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Oddo feine irbifhen Güter bin, um den Himmel zu gewinnen: er bat’ uns 
den fchönen und großen Drt Pollenza geſchenkt.“ Weiter unten fagt ‘) ber 
Ehronift: „Markgraf Oddo, welcher Pollenza an das Stift Novaleſe vers 
gabte, beſaß einen Sohn, der Arboin hieß und gleihfalls Markgraf ger 
nannt wird.” 

Wir kennen diefen Markgrafen Oddo, Vater Arboins II., er iſt der in 
‚der Urkunde von 1029 erwähnte Oheim Manfreds II. und Bruder Mans 
ffeds J., der, wie ich oben zeigte, mit diefem und dem andern Bruder Ar 
doin IL ſich in den Nachlaß Ardoins des Kahlfopfs getheilt hatte. Abt Gezo, 
in deffen Tagen die Echenfung geſchah, ftand?) von 998 bis gegen 1014 den 
vereinigten Klöftern Novalefe und Breme vor. Pollenza, das gefchenfte Gut, 
einft ein berühmtes Municipium der alten Römer, lag am Einfluß der Stura 
in den Tanaro, unweit den heutigen Städten Cherasco und Alba, iſt aber 
am Ende des Mittelalters zerftört worden.“) 

Markgraf Oddo, der Bruder Manfreds J., der durch die Erbtheilung ein 
Drittel vom Nachlaſſe Ardoins und mit demfelben die Stadt Pollenza empfteng, 
hat alfo um des Helles feiner Seele willen ſich aller irdiſchen Befigungen 
entäußert. Aber nicht die Kirche allein war es, die fein Erbe erhielt, fondern 
ein Stüd defjelben, und zwar offenbar ein gutes, muß dem erflgeborenen 
Bruder des Scenfers, Manfred I. oder vielmehr deſſen Sohne Manfred II. 
demfelben, der Afti für Aldrich eroberte und in der von dem Rovalefer Mönd) 
erzählten Begebenheit als alleiniger Herr von Turin erfcheint, zugefallen fein. 
Denn der Ehronift berichtet) weiter, daß während eined Zeitraums, den er 
nicht beftimmt, Arboin IIL, Oddo's Sohn, in böfer Fehde mit feinem Better 
Manfred IL. lebte. 

Was wird die Urſache dieſer Feindſchaft geweſen fein? Ich denfe, ein 
Streit über Mein und Dein. Ardoin grolte, weil er fih dur Manfred, der 
ſeit 1030 das ganze Bamiliengut in Händen hat, benachtheiligt glaubte. Wohl 
oder übel wollend werden wir durch die angeführten Thatjachen zu der Ans 
nahme hingetrieben, daß Markgraf Oddo, ein Stüd ſeines Erbgutes der Kirche, 
den Reft dem Hauptftamme feines Hauſes überlaſſend, ins Klofter ging, und 
dag ein Kamilienvertrag abgeichloffen worden ift, welcher für Fünftige Zeiten 
bie Untheilbarfeit der Ardoin'ſchen Marke feftftellte, wie denn auch dieſelbe feit- 
dem in einer Hand vereinigt blieb. 

Und nun ift ed Zeit, Urkunden abzuhören. Durd Vertrag‘) vom 6. Juni 
1021 verfaufen Markgraf Odolrih, auch Maginfred genannt, Sohn des gleiche 
namigen Marfgrafen, fowie deſſen Gemahlin Berta, Tochter weiland des 


1) Ibid. ©. 125. cap. 9. 2) Ibid. ©. 133, 3) Borbiger, alte Geographie IL, 550 
und $errarius, lexicon geographicum II, 73. ) A. a. O. Berk VII, 125. cap. 9: illo 
namque tempore magna persecutio erat inter Ardoinum et Maginfredum. ) Hist. patr. 
monum. Chartae I, 432 flg. 


Siebtes Bund. Cap. 21. Das markgräflihe Haus von Turin. rfigeburtreht. 377 


arfgrafen Dibert, an den Richter des kaiſerlichen Palaſtes Agifren, als Ber 
Imädtigten des Presbyterd Sigifred, für die Summe von hundert taus 
id Pfunden vollwichtiger Denare alles und jedes Eigenthbum, das fie in 
ı Grafichaften Parma, Piacenza, Pavia, Tortona, Vercelli, Aqui, Aſti, 
rea, Turin, Auriate, Alba, Avogena, Albenga, Bentimiglia bejaßen, im 
mzen geſchätzt auf einen Flächenraum von taufendmal taufend Jaucherten 
ides, fammt Allem was darauf fteht, Stäbten, Dörfern, Wellern, Burgen, 
rchen u. |. w. Zwei der genannten Comitate machen Schwierigkeit, nämlich 
riate oder Dreade und Avogena. Das erftere Wort kommt‘) auch in der 
ronit von Novalefe vor, und die von dem Herausgeber beigefügte Note 
ıtet an, daß diefe Grafichaft diefjeits des Po, d. h. auf dem linken Ufer 
. Sn der Abhandlung über die mittelalterliche Geographie Italiens, welche 
uratori dem zehnten Bande feiner großen Sammlung einverleibt hat, wird 
uptet,2) daß die alte Stadt Auriatum jetzt Roccavione heiße. Wenig Rath 
iß ich bezüglich des andern Ortes. Die Ältefte Benetianer Chronik führt 
en Biſchof Aaron auf, deſſen Bisthum mit dem Worte avonciensis bes 
det”) wird, und Perg vermuthet,’) daß Auronzo unweit Cadore am Fuße 
Friauler Alpen gemeint ſei. Ohne Frage haben die Worte avonciensis, 
) avogenensis, wie die Urkunde ſchreibt, Aehnlichkeit. Doch geftehe ih, daß 
ch dieſe Erklärung nicht befriedigt, und zwar darum nicht, weil die Ramen 
- Städte, die neben Avogena aufgeführt find, Alba, Albenga, Bentimiglia 
f eine Lage am Golfe von Genua oder unweit des dortigen Geftade bins 
iſen. Sollte vielleicht in dem Worte eine Zuſammenſetzung mit Genua 
borgen fein! 

Sei dem, wie ihm wolle, Har ift erfllih, daß das Haus von Turin im 
bre 1021 ein ungeheured Grundvermögen befaß — «8 wird damals kaum 
en zweiten Fürften in Stalien gegeben haben, der eine Million Jaucherte 
ades ſein Eigenthum nennen fonnte — fodann aber zweitens, daß diefe Güter, 
fje nit zufammenhing, fondern weithin über Lombarvien und Ligurien zer- 
ut lag. Es verhielt ſich mit den Befigungen der Ardoin'ſchen Sippichaft 
au fo, wie mit denen der Eftenfer und der Markgrafen von Montferrat. 
glei haben wir bier den früher verfprochenen handgreiflichen Beweis, daß 
e Zurin und das Thal von Suja einen feften Kern des Ardoin'ſchen Haus⸗ 
t8 bildete. 

Der angeblihe Käufer zahlt eine Kaufſumme, von deren Höhe mir im 
beren Mittelalter fein zweites Beifpiel befannt ift: nämlid 100,000 Pfunde 
Iwichtiger Denare. Aus einer eftenfifchen Urkunde‘) vom Jahre 1011 ers 
lt, daß ein vollwichtiges Pfund Silber 240 Denare, oder was biemit 





%) Berk VII, 112. cap. 8. *) Script. ital. X, Borflüd 110. *) Berg VII, 14 u. 44. 
Nuratori, antichitä estensi ©. 119: pro unaquaque libra ducenti quadraginte Asmarıı, 


378. Pabſt Sregorius VIL. und fein Zeitalter. 


gleichbedeutend 20 Schillinge, jeden zu 12 Denaren, enthielt. Das alte 
wohl befannte Standart Pfund Carls des Großen iſt gemeint. Hunberttau- 
fend Pfunde find glei 24,000,000 Denaren oder zwei Millionen Schillingen. 
Diefe hinwiederum ftellen, vermöge der Berechnung, die id) an einem andern 
Drte erhärtet habe,“) an Metallgehalt 4,000,000 Gulden, ſowie — da Stas 
lien um 1020 fiherlih an Reichthum dem normanniihen England nicht nach⸗ 
fand — an heutigem Geldwerth 20 Millionen Gulden dar. 

So wenig ald heutzutage irgendwo in der Welt, gab es damals in 
Stalien einen Presbyter, der eine jo enorme Summe baaren Geldes befaf. 
Alſo muß man ſchon aus diefem einen Grunde annehmen, daß Pfarrer Si- 
gifred ein Strohmann war, mit andern Worten, daß er im geheimen Auf— 
trage eines Dritten den Kauf eingeleitet hatte Auch der Text der Urkunde 
gibt dieß deutlich genug zu verftchen, denn es heißt”) welter unten: „für den 
befagten Kaufpreis kannſt du mein Eigenthum für dich behalten, oder einem 
Anderen, der dir beliebt, übergeben.“ 

Wer wird der unbefannte Dritte geweſen fein? Jedenfalls einer ver 
mächtigften Fürſten Europa's, denn nur ein foldher vermochte über fo viele 
Millionen zu verfügen. Meines Erachtens fann man an zwei denken: näm- 
ih erftend an den Herzog Wilhelm V. von Aquitanien und Poitou, und 
zweitens an König Robert II. von Sranfreih. Ich nenne jenen, weil Wil 
heim nad) dem Tode Kaifer Heinrichs II. eine Zeit lang Luſt zeigte,”) die 
lombardiſche Krone, welche ihm die Großen des Landes anboten, nicht zurüd- 
zuweifen. Wenn ein fo Fluges Haupt, wie er, jo handelt, darf man voraus: 
fegen, daß er vorher Maßregeln getroffen hatte, um dauernden Einfluß in 
Lombardien zu gewinnen. Zweitens weil Wilhelm den Marfgrafen Maginfrev 
in den früher angeführten Briefen als einen wohl erprobten und treuen Freund 
bezeichnet. *) 

Doch ſcheint es mir pafjender, auf König Robert oder etwa deſſen Sohn 
und Mitregenten Hugo zu rathen. Meine Gründe find erfilih, weil die 
Lombarben,’) ehe fie fih an den Aquitanier wandten, Schritte thaten, um 
die eiferne Krone dem franzöftichen Könige zu Füßen zu legen. Diefe That 
fache fept voraus, daß längft mander Bote, mander Brief, wohl aud mancher 
Geldſack von Paris aus nad) den Burgen Lombardiens gewandert war. Zweis 
tens weil König Robert und Jahr 1016 nad Stalien und nad Rom eine 
Reife gemacht hat, welche ohne Frage den Zwed verfolgte, die damals von 
Kaiſer Heinrich IL. eifrig betriebene Vereinigung Burgund mit dem beutichen 
Keich zu hintertreiben.) Wahrlich Fein Fräftigeres Mittel gab es für Er- 
reihung diefer Abficht, ald wenn die Krone Sranfreid ein ausgedehntes Fürs 

1) Band III, 836 fig. 2) A. a. O. ©. 433: super isto pretio in tus, Sigifrede, aut 


eui tu dederis vel habere statueris, persistat potestate, proprietario juro. ?) Die Belege 
bei Bfrörer, Rich. Geſch. IV, 228 fig. %) Bouquet X, 483 fig. 6) Op. IV, 10%. 


Siebtes Buch. Gap. 21. Das markgräflihe Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 970 


ſtenthum auf der jüblichen Gränze Burgund erwarb, da folde Erwerbung 
den Zufammenhang Staliend mit Burgund durchſchnitt und frangöfiichen Um⸗ 
trieben dieſſeits und jenſeits der Alpen ein weites Thor öffnete. Entſcheidend 
aber jcheint mir eine dritte Thatſache. 

Das berühmte, im Sprengel von Iwrea gelegene Stift Yructuarla, von 
dem im zweiten Bande vorliegenden Werks vielfadh die Rede war, ift im 
Jahre 1003 unter thätiger Mitwirkung des damaligen Königs von Italien, 
ehemaligen Markgrafen zu Iwrea, Ardoin, welder von den gleichnamigen 
fürften Turins forgfältig unterfchieven werden muß, dur den Abt Wilhelm 
von Dijon und feine Brüder Godfried, Nithard und Robert gegründet worven.*) 
Kein Mittel ließ der Abt unverfucht, um für alle Zufunft die völlige Unab⸗ 
hängigfeit des geliebten Kloſters von jeder geiftlihen oder weltlichen Dberger 
walt zu fihern. Unter Anderem fertigte er eine Urfunde aus, welde in fehr 
feierlicher Weiſe die Freiheit Fructuaria's feftzuftellen ftrebte. Diefe Urfunde?) 
wurbe auf fein Betreiben durch viele Mönche und Aebte Burgunds — wors 
unter Odilo von Elugny — dann durch eine Reihe burgundifcher, neuftrifcher, 
normannijcher Biſchoͤfe, endlich durch die — franzöftichen Könige Robert und 
feinen Sohn und Mitregenten Hugo unterzeichnet. 

Was follen diefe Unterfchriften befagen? ohne Zweifel dieß, daß Die, 
welche ihre Namen beifügten, fih der Verpflichtung unterzogen, nicht nur bie 
Willensmeinung ded Schenferd zu bezeugen, jondern auch für fie Gewähr zu 
leiften und, wo es nothwendig fein follte, dieſelbe aufrecht zu halten. Nun 
lag, wie id fagte, das Klofter Fructuaria im Sprengel von Jvrea, folglich 
Im Reihe Lombarbien, das nicht unter neuftrifcher, jondern unter deutſcher 
Hoheit ſtand. Dean flieht daher, König Robert hat fi erfühnt, Anftalten, 
die dem deutſchen Scepter unterworfen waren, feinen Schuß zu gewähren. 

Weder Ort nod Jahr und Tag iſt in der Urfunde angegeben, doch kann 
man ihre Zeit annähernd beftimmen. Im Jahre 1017 geihah es,) daß 
König Robert, der zweite Capetinger, feinen Sohn Hugo zum Mitregenten 
annahm, acht Jahre fpäter aber — 1025 — ftarb’) der junge Mitköntg, 
noch vor feinem Bater. Folglich ift obige Urkunde zwiſchen 1017 und 1025 
ausgeftellt, fie Fällt alfo ungefähr in diefelbe Zeit, da Markgraf Maginfred IT. 
damit umging, ‚all fein Hab und Gut an einen fehr mächtigen und reihen 
Fürften zu verfaufen. Ich denke, diefe Thatfachen reden für fich felber. 

Man begreift, daß unter ſolchen Umftänden der Plan Maginfreds IL. nad 
einer Seite bin, d. h. am deutſchen Hof, nicht geringes Mipfallen, ja ernſt⸗ 
lihe Beſorgniſſe erregen mußte. Nur mit Widerwillen gehorchte Lombarbien 
dem deutichen Scepter, und wie dann? wenn gar vollends der Gapetinger 
oder einer feiner größten Vaſallen durch Ankauf jenes Fürſtenthums ſich dort 


*%) 9b. II, 120. °) Hist. patr. monum. Chartae I, 414 fd. °) Wr. IV, 102 In. 


"380 VPabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


einniftete. Dennoch fonnte Kaifer Heinrich IL rechtliher Weiſe den Berfauf 
nicht hindern, denn fein Vorgänger auf dem Throne, Otto IIL, hatte ja dem 
gleihnamigen Vater Maginfreds IL durch jenes Pergament vom Juli 1001 
volle, uneingejchränfte Freiheit verliehen, mit feinem Eigenthum zu machen, 
was ihm beliebe, 28 unbedingt zu verfaufen, wann und an wen er wolle. 

Andererſeits erhellt au8 der Urkunde felbft, daß Maginfred IL, als er 
fie auöftellte, fi wohl bewußt war, da und dort nicht wenig anzuftoßen. 
Diefelbe ift mit merfwürbiger Vorfiht abgefaßt. Im Eingang heißt es: „id 
Bertha, Maginfreds Gemahlin, befenne, daß, was mein Mann und Mund» 
wald thut, mit meiner freieften Einwilligung geichieht; auch meine nädhften 
Verwandten, ald mein Bruder Adalbert und deſſen Sohn Albert, mein Neffe, 
haben ihre Einwilligung gegeben und bezeugen, daß mid mein Mann Feines» 
wegs gezwungen hat, den Berfauf gut zu heißen.“ Das iſt unverkennbar 
darauf berechnet, den Einwand abzufchneiden, ald mangle die gefeglihe Zu 
fimmung der Frau und ihrer nächſten Stammverwandten. Ebenſo find aufs 
Sorgfältigfte die vom ſaliſchen Gefepe, zu dem das Haus von Turin ſich bes 
fannte, vorgefchriebenen Formen und Sinnbilder: Mefjer, Spahn, Handſchuh, 
Wajen, Erde, Baumsweig beobachtet. 

Die Alte des Verkaufs vom 6. Juni 1021 ift nicht vollzogen worben: 
Maginfred behielt all fein Grundeigenthum und heute noch thronen feine 
Sprofien nach der Kunfelfeite im Königsfhloffe zu Turin. Sollten die Kauf- 
Verhandlungen zwecklos gewefen jein? Gewiß niht! Ich behaupte, fie waren 
darauf berechnet, nach zwei Seiten hin, fowohl den eigenen Seitenverwandten 
als dem deutichen Kaijer, Heinrih IL, dad Zugeftändniß abzuprefien, daß 
das gefammte Vermögen des Turiner Haufe zu einem untheilbaren Ganzen 
gemacht, und zugleih in demſelben ein Erftgeburtreht eingeführt werde. 

Wenn Maginfred fein Eigenthum verkaufte, konnten die Verwandten voraus 
jeben, daß fie dann einen Nachbar und rechtlichen Mitbefiger befommen würden, 
der ihnen böfe Händel bereite, fie hatten daher guten Grund, fih den Bes 
dingungen, welde Maginfred ftellte, als dem Fleineren unter zweien Uebeln 
zu unterwerfen. In noch höherem Grade gilt dieß von deutſchen Kaiſer. 
Die gefährbetfie Gränzftrede des norbweftlihen Italiens in frangöfljhe Hände 
- übergleiten zu fehen, war für ihn ein unerträglicher Gedanke. Das Mittel 
hat gefruchtet: fowohl Heinrich II. ald die Seitenverwandten jagten Ja, und 
Maginfreds Abfichten wurden erreicht. Ich muß dieß jegt beweilen. 

Eine Reihe von Schenkungsbriefen für geiftlihe Stifte, welche Markgraf 
Maginfred II. planmäßig und mit tiefen Hintergedanfen in den Jahren 1028 
und 1029 gründete, find auf und gefommen. Unter dem 28. Mai 1028 
errichteten!) er und feine Gemahlin Bertha ein Frauenkloſter zu Garamagna 


) Mon. patz. Chartae I, 463 fig. 





Siebtes Bud. Gap. 21. Das marfgräfliche Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 381 


(unweit Afti) zu dem Zmede, daß Die Nonnen daſelbſt Tag und Nacht für das 
Seelenheil des Stiftere Manfred, der Stifterin Bertha und ebenfo für den Bi⸗ 
hof Alrih von Afti, den Bruder von Maginfred, für den Marfgrafen Apalbert 
Azzo, des Stifterd Schwager, für die Söhne und Töchter der Vorgenannten, 
für alle andern Verwandten und Angehörigen des Hauſes von Turin beten. 
Folgende weitere Beftimmungen find beigefügt: „das Klofter fol für alle Zus 
kunft unabhängig fein von jeder geiftliden oder weltlihen Gewalt. Die 
Kloftervogtei gehört dem Stifter und der Stifterin, fo fange beide leben ober 
fo Tange eines von beiden lebt. Nach dem Tode Beider gebührt fie dem Als 
teten, im Halle diefer ftirbt, dem zweit⸗, drittälteften Sohne, Enkel, Urenfel 
bis ins fünfte Glied. Sind die männlihen Erben in gerader Linie ausge⸗ 
forben, fo fällt die Vogtei Dem zu, welcher der ältefte des ganzen Haufes 
it, je nah dem nähern Verwandtſchaftsgrade.“ 

Achnliche Vorſchriften gibt die Urfunde über Einfegung der Abtiffin. 
Hinterläßt der Stifter Töchter, Enkelinnen, Urenfelinnen u. |. w., die vers 
möge ihrer perfönlichen Eigenjchaften fähig find, einem Klofter vorzuftehen, 
jo fol fletö die Ältefte des nächften Grades die Würde der Abtiffin erlangen. 
Roh muß bemerft werden, daß Maginfred unter Anderem an das genannte 
Srauenklofter gewifie Güter verfchenfte, die er zu Pollenza beſaß. Folglich 
kann Markgraf Oddo, Maginfreds IL. Oheim, nit, wie die Chronif von 
Novalefe anzubeuten jcheint, ganz Pollenza an das Klofter Breme verfchentt 
haben, fondern ein Theil des Orts gehörte dem Haupte des Turiner Hauſes. 

Unter dem 1. Juli des nämlichen Jahres vergabten‘) Biſchof Alrih von 
Ai, deſſen Bruder Marfgraf Maginfred II. und feine Gemahlin Bertha an 
drei verſchiedene Eanonifatftifte zu Turin die Hälfte eines großen Hofes unter 
dem Bebing, daß befagte Canoniker unabläffig für die Stifter, für ihre Eltern 
und Ahnen, für ihre Brüder und Schweftern, für ihre Angehörigen und 
Blutsverwandten, feien diefelben am Leben oder tobt, beten. Weiter verorb» 
neten fie, daß Fein Cleriker oder Laie fich irgend welche Gewalt tiber befagte 
Schenfung anmaße. Würde Solches dennoch gefchehen, fo folle befagte 
Hälfte an die drei Stifter zufammen, oder an Den, der von ihnen bie beiden 
Andern überlebe, nad dem Tode aller drei an den nächſten Verwandten für 
jo Tange zurüdfallen, bis fener Anmaßung gefteuert fel. 

Am nämlihen Tage machten?) diefelden drei Stifter eine Schenkung an 
das Ganonifat zum h. Erlöfer in Turin unter den gleihen Beringungen, 
nämlich 1) daß bejagte Canoniker unabläffig für die drei Geber, für deren 
Eltern und Ahnen, für deren Brüder und Schweftern, fowie für die andern 
Anverwandten des Haufes beten, 2) daß die Schenkung, fobald ein Frem⸗ 
der ungefeplihen Einfluß üben will, an die drei Stifter, ober den Ueber⸗ 


*) Iid. ©. 470 fg. ) Ibid. ©. 472 fig. 


382 Pabſt Gregorius VE. und fein Zeitalter. 


lebenden unter ihnen, und nad deren Tode an den nächſten Verwandten fo 
lange zurüdfalle, bi8 die fremde Gewalt abgewenbet fei. 

Abermal fchenkten‘) diefelben Geber unter dem 12. Mai 1029 an bie 
ebengenannten Ganonifer ein Gut fammt Schloß, mit dem Vorbehalt, daß im 
Falle fremder Einmifhung Gut fammt Schloß an die Geber, oder nad) deren 
Tod an den nächſten Verwandten zurüdfalle. Endlich unter dem 9. Juli 1029 
gründeten?) Alrich, Biſchof von Afti, Markgraf Maginfred, des Vorigen Bruber, 
Bertha, weiland des Markgrafen Albert Tochter, Maginfrede Gemahlin, ein 
Mannsflofter zu Sufa unter nachftehenden Bedingungen: „erftend die beſchenk⸗ 
ten Möndhe follen unabläffig Tag und Nacht beten für die drei Stifter, für 
deren Bäter und Mütter, Söhne und Töchter, Insbefondere für Arboin (den 
Kahlkopf), Maginfreds und Alrichs Großvater, für den Markgrafen Adalbert 
(Azzo) Bertha's Bruder, für die Brüder der beiden erfigenannten Schenfer, 
nämlich für Oddo, Atto, Hugo, Wido, für die väterlihen Oheime ebenders 
felben, genannt Arboin und Oddo, für deren Vetter Ardoin, für die weiblis 
hen Oheime, Muhmen, Großmütter, endlich für alle Mitglieder des Geſchlechts. 
Zweitens zum erften Abte des Klofterd wird von den Schenfern der Mönd) 
Dominifus beftellt. Drittens fein Bifchof, Tein Cleriker, Tein Rate, auch der 
Kaiſer nicht, darf fi in die Angelegenheiten des Klofterd mifchen, ſondern 
dafjelbe ſoll vollfommen unabhängig fein. Viertens fo lange die drei Schenfer 
am Leben find, fteht ihnen gemeinfchaftlih, wenn einer oder zwei von ihnen 
fterben, ſteht dem Ueberlebenden das Recht der Vogtei und der Ernennung 
des Abts zu. Nah dem Tode des Schenfers geht dieß Recht an den Altes 
fien Sohn, wenn biefer ftirbt, an den zweitälteften und fo fort über. Sind 
feine Söhne mehr am Leben, wohl aber Enfel oder Urenfel, fo treten biefe 
in gleicher Weife mit fteter Bevorzugung des Xelteften ein. Iſt der Manns: 
ſtamm audgeftorben , fo wird dieſelbe Befugniß in gleiher Ordnung den 
Söhnen, Enfeln u. |. w. der weiblichen Linie zu Theil. Fünftens wagt ir⸗ 
gend Jemand, weß Standes er auch fei, ſich wider die Worte unferer Ber: 
fügung Gewalt über das Kloſter anzumaßen, fo fällt das gefchenfte Gut 
fammt und ſonders an Denjenigen, der zur Zeit, da ſolches gefchieht, der 
nächftältefte des Haufes if, für fo lange zurüd, bis die fremde Gewalt ab» 
gewendet fein wird.“ 

Man bemerfe: während die legte Urkunde faft alle Mitglieder des Ar: 
doin ſchen Geichlehts, den Großvater und Stifter, Arboin den Kahllopf, die 
väterlihen Oheime Oddo und Ardoin II., die Brüder Manfreds II. und Als 
richs, Oddo, Atto, Hugo, Wido, den Schwager Adalbert Azzo, den Vetter 
Arboin III. namentlich aufführt, ift dieß mit dem eigenen Vater Manfreds II. 
und Alrihs, mit Manfred I., nicht der Kal. Ohne Zweifel fprechen die 


9 Did. ©. 477 fl. 9) Til. 6, 4m. 


Siebtes Bud. Gap. 21. Das marfgräflige Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 383 


Schenker hieburch eine leiſe Mißbilligung der Thaten ihres Baters aus. Weß⸗ 
balb ? Ich denke darum, weil fie die Theilung des Hausguts, welche durch 
ihn oder unter feiner Mitwirfung geihah, nicht vergeflen Fonnten. Eben 
diefen von dem Vater begangenen Fehler gut zu machen, iſt der Grundgebanke 
aller oben angeführten Schenfungsurfunden. | 

In denfelben tritt Manfred IL. unverfennbar ald Haupt der ganzen Bas 
milie auf. Die kirchlichen Stiftungen, die er macht, bedingen ſtets, daß Mönche 
und Ronnen nicht blos für Vorfahren und Nachkommen des Stifterd In ges 
aber Linie, fondern auch für die Seitenverwandten beten: er betrachtet e8 ale 
feine Obliegenheit, für das Seelenheil ſämmtlicher Mitglieder des Haufes 
zweckdienliche Maßregeln zu treffen. Zweitens führt er für die Zufunft ein 
Recht des Aeclteften in der Welfe ein, daß deſſen Genuß auch Seitenlinien 
zufallen Tann. Denn zwar find die in obigen Urfunden feftgefegten Vogteien 
zunächſt den Nachkommen Manfreds in gerader Linie vorbehalten, aber jobald 
feine ſolche mehr leben, geht das Vorrecht des Samilienälteften auf den nächſten 
Seitenverwanbten über. Aehnliche Verfügungen fanden‘) wir dieſſeits der 
Alpen in den Häufern von Worms, von NahensTomberg und Habsburg, Ber- 
fügungen, weldje dort die Untheilbarfeit des Stammgutd und ein Erftgeburt- 
recht vorbereiteten. Ich bin überzeugt, daß Manfred II. von Turin dieſe Bei⸗ 
ſpiele benügt hat, aber er firebte unummundener und offener, al& feine deutſchen 
Vorgänger, auf das den Einen wie den Andern gemeinfchaftliche Ziel los. 

Drittens verfolgte Manfred bei feinen kirchlichen Stiftungen einen Neben⸗ 
zweck, der darin beftand, Söhne und Töchter des herrſchenden Geſchlechts von 
Turin mit bereit gehaltenen Abtelen zu verforgen. Bei Stiftung des Frauen⸗ 
kloſters tritt dieſe Abficht unverhüllt hervor: „wenn Wir eine Tochter, eine 
Enkelin, Urenkelin binterlaffen, welche die perfönlihen Elgenſchaften befigt, 
um einem Klofter vorzuftehen, fol dieſelbe das erfte Recht auf die Würde ber 
Abtiifin Haben.” Aber auch mit dem Mannsfofter zu Sufa verhält es ſich 
ebenfo. Da der Familienältefte zugleich die Vogtei ausübt und den Abt ers 
nennt, wird er — das verfteht ſich von ſelbſt — mit diefer Würde vorzugs⸗ 
weile Verwandte bevenfen, wenn er nämlich ſolche hat, deren kloͤſterliche Vers 
forgung er dem Vortheile des Gefammthaufes angemeffen findet. Dan fieht: 
die Kutte und der Schleier if zum Boraus einzelnen Sproffen der Familie 
als Erbtheil ausgeſetzt, und der ſcharfſichtige Geift Manfreds hat alle die Zus 
rüftungen geſchaffen, welche unumgänglid nöthig find, um in großen Ges 
ſchlechtern Untheilbarfeit des Stammguts und Erfigeburt aufrecht zu halten. 

Biertend nimmt Manfred die Miene an, als lege er in Uebereinftimmung 
mit den Grundfägen der gregorianiſchen Parthei, die damals im erften Aufs 
ſchwunge begriffen war, das größte Gewicht darauf, dad Klofter von jedem 


‘) Bb. I, 250. 85 fig. 332. 


984 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


fremden Einfluffe zu befreien. Allein die That firaft das Lüge, was der Mund 
des Markgrafen ſpricht oder fein Notar niederſchreibt. Wahr if es: Mans 
fred fuchte mit merkwürdigem Eifer die Firchlichen Anftalten feines Gebiets 
jeder Einmifhung eines Dritten, auch der rechtmäßigen und geſetzlichen des 
Biſchofs und der unabwenbbaren des Kaiſers, zu entziehen, aber er that dieß 
blos darım, damit er der einzige Herr, wie über bie Laien feines Landes, 
fo auch über @lerifer und Mönche ſei. 

Zu diefem Zwede hielt er faft Jedem der widhtigften, bereits beftehenven 
Stifte ein gutes Stud Land hin, flets unter Vorbehalt, daß Feine fremde, 
d. 5. nicht feinem Gebiet angehörige Behörde Einfluß übe: zeigt fi ein 
Schatten fremder Einwirkung, fo hat Manfred oder haben feine Erben, bie 
jebesmaligen YBamilienälteften, das Recht, jene Schenkungen zurüdzuziehen. 
Die Kirhe war für Manfred — und ich füge bei, für fein ganzes Geſchlecht 
— sur ein Mittel, ein politiiches Werkzeug fortwährennen Wachsſsthums ber 
Arboin’ichen Sippſchaft. 

Blos mittel Anordnung der Gebete für fämmtliche Mitglieder des Haufes 
trat offen hervor, daß Manfred aud über die Seitenverwanbten gewiſſe 
Herrenrechte anſprach. Andere Nachrichten geben weiteren Aufihluß, indem 
fie zugleich Licht über die Mittel verbreiten, mit welchen Manfred die Brüder, 
die Oheime, die Vettern feinem Plane dienftbar gemacht hat. Das Klofter 
mußte ihm biebei Hilfreiche Hand Ieiften. Die zwei väterlihen Oheime Man, 
freds hießen Oddo und Ardoin I. Ich Habe oben die Stelle der Chronik 
von Novaleje erklärt, laut welcher Oddo plöplich der Welt entfagte, fein Gut 
bingab, Pollenza an das vereinigte Stift NovalefesBreme ſchenkte: d. h. ohne 
Zweifel, er it Mönd geworden. Aber richt ganz Pollenza gelangte in ven 
Beſitz des Klofterd, denn wir fahen ja, daß Manfred in der Stiftungsurs 
funde vom 28. Mai 1028 über einen Theil von PBollenza verfügte. 

Allem Anſcheine nad war ein gutes Stüd des Grundeigenthums, auf das 
der väterlihe Oheim verzichtete, dem Neffen Manfred II. zugefallen. Ebendieß 
erhellt au aus dem Verfahren des Sohnes Ardoin III., den Oddo in der 
Welt zurüdließ. Wie früher gezeigt worden, fagt der Ehronift von Rovalefe: 
„Markgraf Ardoin, Oddo's Sohn, lebte in böfer Fehde mit dem Markgrafen 
Manfred II.,“ d. 5. Ardoin glaubte, durch den Vetter übervortheilt worden 
zu fein. Aber der Streit dauerte nicht immer fort, denn in der Haupt: 
urtunde vom 9. Juli 1029, wo er ausbrüdlich Gebete für den Better Ar- 
doin II. fordert, behandelt er venfelben als einen Verſöhnten, Gehorfamen, 
Unterwürfigen. 

Ein Pergament‘) vom Jahre 1026 ift vorhanden, Fraft deſſen Conrad II. 
König von Deutihland und Lombardien — er war noch nidt Kalfer — 


) Monum. patz. Chartao I, 453. 


Siebtes Bud. Cap. 21. Das markgräflide Haus von Turin. Erſtgeburtrecht. 98% 


zweien Brüdern, Bofo und Wide, Söhnen des Markgrafen Arboin, den Bes 
fig aller Güter, welche fie ererbt oder erworben hatten, namentlih Käufer zu 
Turin und zu Afti, das Schloß von Eufa, fowie mehrere Drittheile oder Hälften 
an Dörfern, Höfen u. |. w. beftätigt. Der Eab iſt weiter beigefügt: „fein 
Erzbifchof, Fein Biſchof, fein Markgraf oder Graf folle fich unterſtehen⸗ 
vorgenanntem Bofo oder feinen Erben irgend ein ſolches Gut firkttig zu machen. * 
Diefe Formel ift zwar eine gewöhnliche, aber ich vermuthe, daß fie bier einen 
befonden Sinn hat, und daß der Nachdruck auf das Wort Marfgraf gelegt 
werben muß. Meines Erachtens enthält fie eine Drohung gegen Manfred IL, 
Markgrafen von Turin. Die aufgeführten Güter laſſen feinen Zweifel var 
über zu, daß der in obiger Urkunde erwähnte Ardoin und feine Söhne 
dem Turiner Geſchlechte angehörten, dagegen ift die Perjönlichfeit Ardoins 
firittig, möglicherweife kann der väterlihe Oheim Manfreds II. oder der gleich» 
namige Better gemeint fein. Im einen, wie im andern Balle, erhellt nad 
meinem Gefühl aus der Urkunde Conrads II. erfilih daß, wenn auch Ars 
doin, der Oheim, oder Arboin, der Better Manfreds, den Planen des Letz⸗ 
tern beigetreten war, doch Söhne, welche der Oheim oder der Better hatte, 
eine felbftändige Stellung behaupten wollten, und zweitens, daß der deutſche 
König diefem Streben — aus begreifliden Gründen — Vorſchub leiftete. 

Indeß hat diefer ftumme Kampf gegen Manfreds Entwürfe feinen langen 
Athem gehabt. Während Conrads Handvefte den Beſitz zweier Söhne Ars 
doins, ſowohl den Boſo's, als den Wido's beftätigt, ft nur von Erben 
Boſo's, nicht aber von Kindern Wido's "die Rede, woraus man meines Er⸗ 
achtens den Schluß ziehen muß, daß Wido nicht in der Ehe lebte, was 
ihwerli ohne Zuthun des Qurinerd unterblieb. Berner weiſen deutliche 
Spuren darauf hin, daß zuletzt auch Boſo's Geſchlecht in die Schlingen Mans 
freds gerieth. Aus der zweiten Hälfte des eilften Jahrhunderts führt die im 
Ganzen fo reihe Turiner Urkundenfammlung nirgends mehr Nachkommen Ars 
doins oder Bofo’s, Überhaupt Feine Seitenverwandte des Turiner Hauſes auf. 
Leßteres fleht feit 1036, wie fpäter nacdhgewiefen werben fol, auf den vier 
Augen zweier Erbtöhter Emilia und Adelheid. Abermal ein Menfchenalter 
ſpaͤter ſteht es einzig und allein auf den allerdings zahlreichen Kindern ber 
Adelheid. Noch muß ich bemerken, daß Conrads II. Pergament, das Ardoin, 
ven Bater Boſo's und Wido's, als Markgrafen bezeichnet, Teinem von den 
Söhnen einen Titel gibt. Sie werben einfach Bofo und Wido genannt, Ihre 
Berechtigung auf die marfgräflihe Würde war, fo fcheint es, erlofchen. 

Die vier Brüder Manfrede II., welche die Urkunde vom 9. Juli 1029 
nambaft macht, hießen Oddo, Atto, Hugo, Wide. Ich vermuthe, daß zwei 
biefer Ramen Oddo und Wido aus der Schwertfelte des Geſchlechto, bie 
beiven andern Atto und Hugo aus der Kunfelfeite, d. 5. dem eſteniiſchen Hauſe 

Gfrörer, BabR Gregorius VII. Bb. v. 


386 Pabſt Gregorins VIL und fein Beltalker. 


entlehnt find.) Einer von den Vieren fommt meines Erachtens — und zwar 
unter merfwürbigen Umftänden — in der Ehronit von NRovalefe vor. Der 
Mönch erzählt:?) „Abt Gezo (geftorben um 1014) befuchte einft den unferem 
Klofter gehörigen Hof Stupinnigt (unweit Turin). Plotzlich kam Markgraf 
Wido herbei, wie ein wüthenvder Löwe, und fcheute fih nicht, den Abt durch 
das Gefinde aus dem Haufe hinaus werfen zu Taffen. — Nicht ungeftraft 
that dieß Wido, während er bald darauf zu Tiiche ſaß, fchlug ihn der Teufel 
(d. h. meines Erachtens rührte ihn der Schlag), alfo daß Markgraf Wide, 
ohne die Sterbfaframente empfangen zu haben, verſchied. Warum war Wido 
fo erbost auf den Abt? Ich denke darum, weil die Mönde mit fo vielen 
Gütern durd, feinen Bruder Manfred bedacht wurden, er felbft aber das bes 
fondere Erbe, das er forderte, nicht empfing, fondern gar nach Manfrebe IT. 
Willen ins Klofter treten follte. Diefe Erflärung dünkt mir die wahrfcheins 
lichſte, mögen Andere eine beflere geben. 

Wären auch die bisher entwidelten, gewiß flarfen puren nicht: eine 
Thatſache ſteht fe, welche den unwiderleglichen Beweis liefert, daß Markgraf 
Manfred II. oberherrlihde Gewalt über ſämmtliche Mitglieder der Familie nnd 
das ganze Stammvermögen übte. Wie oben gezeigt worden, hatte Manfreds 
Bruder Alrih im Jahre 1008 das Bisthum Afti erlangt. Bilchöfe waren 
damals, was ſie heute noch find, geiftliche Fürften, hochfreie Männer. Allen 
Alrich von Afti mußte auf einen Theil feiner Freiheit verzichten. 

Am Sahre 1024 gründete er ein Canonikatſtift, dem er den Zehnten aller 
Güter widmete, die er in der Stadt und in dem Gebiete von Afti eigenthüm⸗ 
ih befaß. Die betreffende Ecenfungsurfunde?) tft von 16 Geiftlihen der 
Stadt Aſti unterfchrieben. Mitten unter dieſen Elerifern fteht auch der Name 
Manfreds und feiner Gemahlin Bertha und zwar mit dem merkwürdigen Beis 
fab:*) „Markgraf Manfred hat mit feiner Gemahlin Bertha vorliegende Schen- 
fung gutgebeißen und beftätigt.“ Alſo Alrich von Aftt, obaleih ein Bis 
ſchof oder Kirchenfürft, Fonnte ohne die Beſtätigung feines Bruders, des 
Markgrafen Manfred, nichts verfchenfen. Bon felbft verfteht es fih, daß 
dieß noch vielmehr von den Laien der Familie alt. 

Meines Erachtens verlich das beftehende Hausgeſetz, außer der oberften 
Aufficht Über das ganze Vermögen des Stammes, dem Marfarafen von Turin 
noch das weitere Recht, daß fein Mitglied der Familie ohne feine Einwilli⸗ 
gung eine Ehe eingehen durfte. Ich fchließe dDieß aus mehren Gründen. Erſt⸗ 
ih find Heirathen ein Aft, welcher nad dem gewöhnlichen Laufe der Dinge 
Theilung des Stammvermögens herbeiführt. Da nun im Haufe von Turin 
die Einheit des Guts mit größter Sorgfalt gewahrt wurbe, drängt ſich bie 


— — — — 


5) Berk VII, 117 fig. cap. 31. ) Monum. patr. hist. Chartae I, 441 fig. *) Magni- 
fredus marschio cum uxore sua Berta laudarvit et eonfirmarit. 


Siebtes Bud. Cap. 21. Das markgraͤfliche Hans von Turin. Erſtgeburtrecht. 387 


Vermuthung auf, daß jenes Familienſtatut Vorkehr gegen nachtheilige Folgen, 
die aus den Ehen der Mitglieder des Geſchlechts erwachſen mochten, getroffen 
habe. Dieß heißt aber, das Hausgeſetz hat aller Wahrſcheinlichkeit nach be⸗ 
ſagte Ehen von der Einwilligung des Familienälteſten abhängig gemacht. 
Gerner if, wie ich oben zeigte, Thatſache, daß die zu Anfang des eilften 
Jahrhunderts ſehr zahlreihe Familie von Turin nah der Mitte deſſelben 
Zeitraums auf wenige Augen berabfanf. Ohne Frage war Ehelofigfeit Urs 
ſache bievon, denn die Schenkungen Manfreds beweifen ja, daß er jebige und 
fünftige Mitglieder des Gefchlehts, und zwar weibliche wie männliche, zu er- 
jwungener Ehelofigkeit, d. h. zum Eintritt ind Kloſter beftimmt hatte. 

Noch ein weiterer Beleg — jedoch ein mittelbarer — fommt hinzu. 
Manfred IL hinterließ, wie ich fpäter nachweifen werde, Teine Söhne, wohl 
aber zwei Erbtöchter, Emilia und Adelheid. Don dieſen wurde Lebtere an 
einen Stiefiohn des Kaiſers Conrad II., den Herzog Heriman von Schwaben, 
welchem genannter Kaffer nah Manfreds Tode fogar das ganze Gebiet der 
Ardoine zuwies, die Erftere wurde an einen andern Fürſten — jedoch ohne 
Trage zum BVortheil des Kaiſers — vermählt. Hinwiederum gebar Adelheid in 
dritter Ehe mit Oddo von Savoien neben vielen andern Kindern eine Erbtodhter 
Bertha, welche Kaiſer Heinrich III. als ein unmünbiges Kind mit feinem un- 
mänbigen Sohne Heinrich IV. verlobte. Diefes Verloͤbniß if, wie wir wiſſen, 
den größten Schwierigkeiten zu Trog vollzogen und zur Ehe geworben. Yolgt 
nicht aus dieſen Thatfachen mit hoher Wahrfcheinlichkeit, daß Katfer Heinrich II. 
in defien Zeiten die Einführung des Turiner Hausgefepes fällt, ſich und feinen 
Rachfolgern das Recht vorbehalten haben muß, bei Verheirathung der Erb» 
töchter von Turin ein Wort, und zwar ein gewichtiges Wort, mitzufprechen. 
Solchen Vorbehalt aber Tann der Kaiſer faum aus einem andern Anlafje ges 
macht haben, als da ihm Manfred zumuthete, jenes Hausgeſetz anzuerkennen. 
Meines Erachtens ſprach der deutſche Kaiſer pamals zu dem Stallener: wenn 
du Herr der Ehen deiner Stammfippen fein willft, fo verlange ich kraft 
Staatsrehts die Mitverfügung über die Hände deiner Töchter und Söhne. 
Heinrich IL. hätte die Würde des Reiches und feiner Krone verlegt, wenn er 
nicht fo fprad). 

Nunmehr wird begreiflih,, warım ber Clugniacenſer Rudolf der Kahl⸗ 
kopf den Turiner Manfred nicht nur den reichſten, ſondern auch den klügſten 
aller Markgrafen nennt, ) womit gewiſſe Aeußerungen?) in den Briefen des 
Herzogs Wilhelm V. von Poitou übereinfiimmen. Ein feinerer Kopf bat in 
der erften Hälfte des eilften Jahrhunderts nicht gelebt. 

Ob ih gleich fpäter auf das marfgräflihe Haus von Turin zurück⸗ 


*) Bonquet X, 45: Mainfredus, marchionum pradentissimus. Ibid. ©. 46: Mainfredus, 
marchionum ditissimus. 3) Ibid. &. 483: Magnifredo marchioni olarissimo es uxori zuss 


Bestae prudentisaimae und ebenbaf. S. 481 oben: prudens marchio Magnitredns. 
2° 


988 Pabſt Gregorius VIL und fein geitaller. 


kommen werde, muß ich hier, damit das Charakterbild des Arboin’ichen Ge⸗ 
ſchlechts die nöthige Rundung empfange, noch einige Züge beifügen. Im 
Sahre 1035 brach in Mailand der Krieg über die Gemeindefreihelt aus, welche 
ſchnell mit der Kirchenfreiheit zuſammenwuchs und deßhalb von Pabſt Gre⸗ 
goriusy VI. mit beſtem Fuge hoͤchlich begünſtigt wurde. Biſchof Alrich von 
Aſti, obwohl ſonſt, wie wir wiſſen, fein Freund des Mailänder Erzſtuhles, 
zog alsbald den Gegnern der Gemeinde zu Hülfe und focht in dem blutigen 
Treffen, dad — wahrfcheinlih Im Sommer 1036 — zwiſchen Lodi und Mais 
Iand fi entipann. In diefer Schlaht iſt Manfrede Bruder — gegen die 
Kirchengefege mit dem Schwert in der Kauft — und als Belämpfer der bür⸗ 
gerlihen Freiheit gefallen.) 

Sch habe an einem andern DOrte ?) Anfänge und Wahsthum des Mais 
ander Bundes der Pataria befchrieben. Ruhig fah die mächtige Marfgräfin 
Adelheid, Manfreds II. Erbtodher und unferes Kaiſers Heinrih IV. Schwies 
germutter, ruhig, fage ich, fah fie zu, fo Tange fi die Bewegung auf Mais 
land und die umliegenden Bisthümer befchränfte Aber mit dem Augenblide, 
da der Bund nah Afti vordrang, bot die Marfgräfin alle ihre Mannen auf, 
rüdte vor die Stabt und nahm fie im Sturme.*) 

Zehen Jahre fpäter, da Kalfer Heinrih IV. im tiefften Unglüde ſaß 
und mitten im Winter hülflos mit feiner hülfloſen Gemahlin über die Alpen 
ziehen mußte, beutefe dieſelbe Marfgräfin in ſolchem Maße die Gelegenheit 
aus, daß fie als Preis des freien Paſſes dem rechtmäßigen Oberhaupte unferer 
Nation, der dod ihr Schwiegerjohn und Vater ihrer Enfel war, eine überaus 
wichtige Gebietövergrößerung abzuprefien fi erfühnte. Und worin beftand 
das, was fie begehrte ? Nicht in Landgütern, nicht in Höfen, Dörfern, Städten, 
aud nit in Graffchaften, nein, fondern in fünf ihr wohlgelegenen Bi 8; 
thümern des oberen Italiens.) Unten wird klar nachgewieſen werden, was 
in vorliegender Stele das Wort Bistum befagt. Hier nur fovtel: Hätte 
Aoelheid erlangt, was fie wollte, fo würde fie zugleih vollfommene Herrin 
über die betreffenden fünf Biſchöfe geworben fein. 

Man fieht, das Haus von Turin erfcheint je nach Umftänden als das, 
was man vor fieben Jahren im badiſchen Lande mit dem Worte „Ultramontan“ 
bezeichnete. Dafjelbe gründete — obgleich mit fehr weltlichen Hintergedanfen — 
anſehnliche Klöfter und legte in den Stiftungsbriefen gar andädtige Geſin⸗ 
nungen an den Tag. Aber fowie fein Vortheil mit der Kirche in Widerſtreit 
gerieth, bethätigte es bittere Feindſchaft gegen kirchliche und bürgerliche Freiheit. 


1) Die Belege in Sfrörer, Kirch. Geſch. IV, 323. *°) Band I, 566 fi. °) Band IL, 
230 flg. *) Pertz V, 256 oben, ich feße Lamberts eigene Worte ber: Adelheidis et 
ülius ejus Amedeus — transitum per terminos suos alias Heinrico concedere nolebant, nisi 
guinque Italiao episcopatus, possessionibus suis contiguos eis redimendi itineris pretium 
tradorot. 


Siebtes Buch. Gap. 22. Die markgräflichen Häufer von Montferrat und Canoſſa. 389 


Der Berfaffer vorliegenden Werkes ift der Anficht, daß die wefentlihe Ges 
(dichte ganzer Dynaftien in den Ahnberren vorgebilvet, gleihjam befaßt ſei. 
Wie an eine Erbfünde glaubt derfelbe auh an ein Erbe von Grundanſchau⸗ 
ungen, Richtungen innerhalb gewiſſer Häuſer. Es gibt gejegnete Herrichers 
gefchlechter, e8 gibt aber aud andere. Meines Erachtens wurzelt Das, was 
nemerbings im farbifchen Reiche gefchieht, in den Keimen, weldye ebendaſelbſt 
im eilften Jahrhundert ausgeftreut worden find! 

Gegen Süpoften gränzte das Gebiet von Turin an den Stammfig und - 
den Kern der Güter des dritten unter den vier oben erwähnten Häufern, nämlich 
des von Montferrat. 


Bweinndzwanzigfies Capitel. 


Die Hänfer Montferrat und Canoſſa. Das erftere gelangt trop großer Anftrengungen fo 
wenig zum Beſitz einer geichlofienen Marke, als bie Dynaſten von Eſte und Turin. 
Bonifacius von Ganofja, Markgraf und Herzog, wirb zwar Herr eines großen zufams 
menhängenden Gebiet, aber nicht zum dauernden Vortheil feines eigenen Geſchlechto, 
fondern anderer Mächte. 


Eine Urkunde ) aus dem Jahre 934 liegt vor, Fraft welcher König 
Hugo von Italien fammt feinem Mitregenten Lothar an den Grafen Aledram 
den im Gomitat Aqui gwifchen den Flüſſen Stura und Appista gelegenen 
Hof Oriola als völlig freies Eigenthum verfchenfte. Abermal vergaben?) dies 
jelben Könige im Jahre 938 dem nämlichen Grafen ein Gut, genannt Forum, 
gelegen am Tanaro, mit freieftem Eigenthumsrecht. Zwanzig bis dreißig 
Jahre fpäter kommt der gleihe Name in der gleihen Gegend wieberholt vor. 

Durch Stiftungsbrief vom Auguft 961 gründeten?) Marfgraf Alevram, 
Sohn eines Grafen Wilhelm, der als noch lebend erwähnt wird, und Ale⸗ 
drams Gemahlin Gerberga, Tochter des Königs Berngar von Italien, das 
Kofter Graſſano im Sprengel von Vercelli. Zweitens verfchenfte Katfer Otto J. 
dur Urkunde ) vom 23. März 967 an den Marfgrafen Aledram eine 
Reihe von fünfzehn genannten Höfen, welche gelegen find zwifchen den Flüſſen 
Tanaro, Orba und dem Meere, als vollfommen freied Eigenthum; zugleich 
beftätigte er demfelben alle Güter, welche Aledram in verfchiedenen*) Theilen 
des Reiches Italien, namentlih aber in den Grafidaften Maut, Savona, 
AR, Montferrat, Turin, VBerceli, Parma und Cremona von feinen Bors 
fahren ererbt, oder felbft erworben hat, oder jpäter erwerben wird. 

Die nächſte Frage ift: ob der Graf Aledram aus den Jahren 934 
und 938 eine und diefelbe Perjon fei mit dem gleichnamigen Marfgrafen, der 

2) Histor. patz. monum. Chartae I, 138 unten. 2) Muratori, annali d'Italia ad 


a. 961. #) Histor. patr. monum. Chartae I, 217 flg. *) Per diveraa loca \nfira 
italicum reguum conjacentes proprietates. 


3090 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


27—31 Jahre jpäter erwähnt wird? Die Zeit macht Feine Schwierigfeit, 
denn Aledram kann als junger Dann die Graffchaft erlangt haben. Andere 
Gründe rathen, Einerleiheit anzunehmen, denn der Graf und der Markgraf 
erjcheinen in derfelben Gegend begütert und gewiß ift ed umdahrfcheinlidh, daß 
im Laufe von dreißig Jahren innerhalb eines bejchränkten Raumes zwei vers 
ſchiedene Aledram in hoher Stellung lebten, zumal da die fonft von ſelbſt Rd 
empfehlende Vorausjegung, daß der Markgraf ein Sohn des dreißig Jahre 
früher auftretenden Grafen geweſen ſei, durch die Worte der Urfunde von 961 
ausgeichloffen wird, laut welden der Vater des Markgrafen nicht wie dieſer 
Aledram, fondern Wilhelm hieß. 

Die Gleichheit der Perjon vorausgeſetzt, geben obige Urkunden erwünſchten 
Aufihluß über die Geſchichte Aledrams. Derjelbe begann als einfacher Graf, 
errang allmählich die Gunft der Könige Hugo und Lothar, von denen er Ger 
Ichenfe empfieng. Wahrjcheinli hat er fpäter zum Sturze Hugo’d mitgewirkt, 
denn die Hand der Tochter des Gegenfünigd Berngar, welche Aledram davon 
trug, berechtigt, auf wichtige Dienfte zu jchließen, welche von Aledram dem 
Jvreer geleiftet worden jein müfjen. 

Zugleih mit der Königstochter wird er wohl den Marfgrafentitel er- 
ſchwungen haben. Allein trog diefer Standeserhöhung forgten fowohl König 
Berngar als defien Gegner Kaiſer Otto L dafür, daß Aledram feinen zus 
fammenhängenden Befig zu erwerben vermochte. Ausbrüdlich hebt die Urkunde 
vom Jahre 967 hervor, daß Aledrams Güter an verjchiedenen Orten, darunter 
auch in der Graffhaft Montferrat zerftreut Tagen. Bon lebterem Comitat 
erhielt ein Hauptzweig der durch Aledram gegründeten Dynaftie jeinen Namen. 
Mäumlich bezeichnet das Wort eine fünöftlih von Turin gelegene Hügelreibe, 
in deren Mitte fih nachmals ein berühmtes Camaldulenfer Stift erhob. ") 

Das Todesjahr Aledrams ift unbefannt, er mag um 970 geftorben fein. 
Die Geſchichte feiner Nachfolger war früher mit cimmeriſchem Dunfel bededt, 
bis einige neuere Gelehrte, wie Durandi,?) Muletti?) und Gazzera, denen 
ih folge, dur mühfame Nachforfhungen Licht in das Chaos bradten. 

Nicht ohne Grund geihah ed, daß ſowohl die lombardiſchen Könige 
Hugo und Lothar, als auch Kaiſer Otto I. dem Markgrafen Aledram die 
freiefte Verfügung über das erworbene Eigenthum zuſprachen. Nah Aledrams 
Tode fand eine Erbtheilung ftatt, Fraft welcher ſich das durd ihn begründete 
Haus in zwei Hauptzweige fpaltete, von denen der eine im Laufe des elften 
Jahrhunderts den Titel Montferrat annahm, während der andere nad) kurzer 


ı) Provana studj sopra Ardoino, abgedrudt in ben memorie storiche della academia 
di Torino, seconda serie Vol. VII. &.147. 2) Piemonte cispadano e traspadano 2 vol. 4to. 
2) Memorie storico-diplomatiche appartenenti alla città ed ai marchesi di Saluzzo 1829 flg. 
&) Memorie storiche di Torino Band 87. 


Siebtes Und. Cap. 22. Die markgraͤflichen Häufer von Montferrat und Ganofla. 391 


aber prädtiger Blüthe vor der Mitte des zwölften Säculums in nicht weni⸗ 
ger als acht Nebenlinien zerfiel. 

Zwei lebende Söhne Aledrams werden in der oben angezogenen Stifs 
tungs-Urfunde‘) des Klofterd Graſſano vom Jahre 961 genannt. Sie heißen 
Anfelm und Oddo. Ich beginne mit leßterem. Oddo, Aledrams Sproffe, hat 
fi) verehelicht, doch Fennt man weder den Namen feiner Gemahlin noch ihr 
Geſchlecht. Dagegen fteht feit, daß er zwei Söhne, Wilhelm und Riprand 
zeugte, die in einem Stiftungsbriefe?) vom Jahre 991, und wiederum in einer 
Urfunde®) des deutſchen Kaiſers Heinrich IL vom Jahre 1014 zum Vorfchein 
fommen. Ueber die Schidjale Riprands ift nichts ſicheres befannt, wohl aber 
meldet*) ein glaubwürdiger Zeuge, daß der andere Bruder, Markgraf Wil 
beim, eine Gemahlin ehelichte, weldhe Uvaza hieß. Diefer Wilhelm L wird 
zum leßtenmale im Jahre 1027 erwähnt.*) 

Aus feiner Ehe mit Uvaza oder vielleiht einer andern (meiten oder 
erften) Gemahlin müfjen zum mindeften zwei Söhne hervorgegangen fein: 
nämlich Heinrich, welder vor®) 1042 fih mit der Erbtochter des Turiner 
Haufes Adelheid, damals Finderlojer Wittwe des ſchwaͤbiſchen Herzogs He 
rimann, vermählte, aber bald darauf ftarb, ohne mit ihr Nachkommen gezeugt 
zu haben, und zweitende Oddo II., der den Namen feines Großvaters ers 
neuerte, und den Hauptzweig fortpflanzte. 

Diefer Oddo IL erfcheint ald der erfte Nachkomme des Ahnherrn Ales 
dram, der fih — in einer Urfunde”) von 1040 — den Til Markgraf von 
Montferrat beilegte. Als der zweite führte den nämlichen Titel Oddo's II. 
Enfel Rainer, der bis ins zwölfte Jahrhundert hinein lebte.) Seitdem bat 
das Haus von Montferrat dur rühmliche Thaten fowohl im Abends als im 
Morgenlande hoben Ruhm erlangt. 

Wenden wir und zum erften der oben genannten Söhne Aledrams, zu 
Anſelm. Derfelbe vermählte ſich mit Gisla, einer Tochter des Eſtenſers 
Adalbert”), erzeugte in diefer Ehe drei nachweisbare Söhne: die Marfgrafen 
Anfelm II, Otbert und Hugo, welder Legtere Anfangs für den Kirchendienft 
beftimmt war, aber fpäter doc als Laie'®) erſcheint. Anſelm IL. farb gegen 
1010. Ich finde feine Nachricht darüber, ob Dtbert, Anjelms II. Bruder, 
eine eheliche Verbindung ſchloß. Gewiß aber ift, daß Anjelm II., jeines gleich⸗ 
namigen Vaters Nachfolger, ſich in erfter Ehe mit Judith, der Tochter eines 
ionft unbefannten Markgrafen Heinrich, in zweiter Ehe mit der Eftenferin 
Adela vermählte, die ihn um viele Jahre überlebt hat.'*) 


1) Text abgebrudt bei Muletti I, 295 flg. 2) Ibid. ©. 320 fd. °) Ibid. ©. 336. 
2) Ibid. ©. 200. 6) Ibid. ©. 367. 6) Ibid. ©. 195 flg. 200 fig. ”) Ibid. 
©. 368 fig. und ibid. Note 2. °%) Hist. patr. monum. Chartae I, 737 unten flg. 
9) Gazzera discorso etc. im 37 Bande der memorie storiche di Torino 1834. ©. 63 fig. 
°°) Ibid. ©. 62 fig. *“) Ibid. ©. 60 u. 65. 


392 . ZBabR Gregorius VIL und fein Seitalter. 


In diefen Ehen zeugte er drei urfundlich befannte Söhne: Theoddo, vers 
fürgt auch Theto oder Oddo genannt, Anfelm III. und Otbert I. Abermal 
wird nicht gemeldet, ob die beiden jüngeren Söhne geheirathet haben, das 
Stillſchweigen ſcheint anzudeuten, daß fie ehelos blieben. Der Erftgeborne 
dagegen Theoddo oder Oddo pflanzte das Geſchlecht fort und erfcheint als Mark⸗ 
graf und Haupt des Haufes, nachdem fein Vater Anfelm IL vor 1027 mit 
Tod abgegangen war. Eine Urkunde‘) vom 7. Mai 1027, kraft welder 
Theddo die von ihm erbaute Kirche zu Wafto mit Gütern bejchenfte, bezeich- 
net feinen Bater Anjelm II. als einen Todten. 

Theoddo fchloß zwei Ehen, und zwar die erfte mit einer Königstochter. 
Der Ehevertrag iſt auf und gefommen. Durch Urkunde?) vom 24. Febr. 1030, 
die im Feldlager vor Titel (Tibiscum, einer unweit Temeswar und dem Aus⸗ 
fluffe der Theiß in die Donau gelegenen alten Römerftadt) ausgeftellt if, 
übergibt König Stephan I. von Ungarn in Anmwefenheit vieler Bornehmen 
feine Schwefter, die Jungfrau Theodolinda, vem Markgrafen von Ligu⸗ 
rien Theoddo, einem Sohne des liguriihen Markgrafen Anfjelm, zur Gemah⸗ 
In. Die Bedingungen lauten: „Theodolinda verjpricht eidlih, während der 
Abweſenheit ihres Gemahld, des Herrn Theoddo, nie einen Mann, außer 
derjelbe ſei im erften oder zweiten Grabe mit ihr blutsverwandt, in ihrem 
Haufe zu beherbergen, dagegen macht fich feinerfeitö Herr Theoddo verbindlich, 
auf Reifen zu Wafler und zu Land nie mehr als eine einzige Beiichläferin 
mit fi zu führen, auch feinen natürlihen Söhnen nicht über 50 Pfund Silber 
zu hinterlaſſen.“ 

Der Marfgraf ftrebte, wie man flieht, nad hohen Dingen: durch Bers 
bindung mit einem Königshaufe fuchte er einen Rüdhalt gegen möglide Zus 
muthungen der deutſchen Kaiſer. Aus dem Titel Markgraf von Ligurien, den 
ihm die ungariſche Urkunde ertheilt, darf man, glaube ih, keineswegs den 
Schluß ziehen, daß er auch in feinem Vaterland Italien den gleihen Titel 
zu führen berechtigt war. Nirgend in deutichen oder italienischen Pergamenten 
werben er oder feine Ahnen oder feine Söhne nad) Ligurien benannt. Er 
legte fih — jo fcheint e8 mir — in Ungarn eine Würde bei, die er zu erw 
langen wünſchte, aber die der deutihe Hof keineswegs anerkannt bat. Die 
geftellten Ehebedingungen zeugen von tiefem Verfall häuslicher Sittlichfeit. 

Eine Nachricht,“ welche Glauben verdient, da fie theilwelfe durch Urs 
funden’) beftätigt wird, meldet, daß Markgraf Theoddo in der Verbindung 
mit der Ungarin zwei Söhne, Anjelm IV. und Manfred, beide Marfgrafen 
genannt, zeugte, und weiter, daß er nad) dem Tode Theodolinda's eine zweite 
Ehe mit Helena, der Tochter ded Grafen von Bentimiglia fchloß, welche ihm 
einen dritten Sohn, Bonifacius, gebar. Berner ift eine Handvefte!) vom Mat 


1) Ibid. ©. 59. 2) Ibid. ©. 59 fig. 3) Ibid. ©. 61. *) Ibid. ©. 60. 


Gichtes Bud. Gap. 22. Die markgraͤflichen Häufer von Montferrat und Canoſſa. 303 


1059 auf und gekommen, laut welder Markgraf Theoddo, Anfelms Sohn, 
im Schloß Ceva Schenfungen an zwei Klöfter machte. Weitere Akten aus 
ver Lebensgejhichte Theoddo's find nicht befannt, er mag bald nad 1059 
geftorben fein. 

Nah dem Tode des Waters erjcheinen die beiden älteften Söhne aus 
erfter Ehe, Anjelm IV. und Manfred, als verlobt oder vermählt, nicht aber 
Bonifacius der dritte Bruder. Doc änderte fih dies bald. Im Jahre 1079 
wurben bie zwei Brüder erfter Ehe, Anſelm IV. und Manfred, wie es fcheint 
aus Anlaß einer Fehde, erjchlagen, worauf der jüngfte Bruder Bonifacius, 
Sohn der Gräfin von Bentimiglia, die Gemahlin oder Verlobte Anjelms zum 
Weibe nahm. Diefe That widerftritt den Gefegen der Kirche, deßhalb fchritt 
Pabſt Gregorius VIL ein. Er richtete unter dem 3. November 1079 an 
die Bilhöfe von Turin und Afti, jowie an den Erwählten von Aqui eine 
Bulle, worin es unter Anderem heißt: „Wir haben hören müflen, daß Marks 
graf Bonifacius, ein Bruder Manfrede und Anjelms, die neulich erſchlagen 
worden find, ſich erfühnt hat, die Berlobte Anjelmsd zum Weibe zu nehmen.“ 
Der Pabſt befiehlt jofort den genannten Kirchenhäuptern, diefe unrechtmäßige 
Ehe zu trennen, oder ven Markgrafen Bonifacius, wenn er fi wiberfegen 
würde, mit dem Banne zu beftrafen. 

Warum wendet ſich Gregor VIL gerade an die Biſchoͤfe von Turin, 
Afi, Acqui? Offenbar deßhalb, weil die Befigungen des Aledram'ſchen Stammes 
vorzugsweiſe in ihren Sprengeln lagen: fie waren daher die geiflihen Bors 
gejeßten ded Markgrafen Bonifacius. Keine Nachricht liegt vor, ob Bonifas 
cius der Warnung Folge leiftete, doch iſt ed wahricheinlic. 

Er hat zum Mindeften drei weitere Ehen gejchlofien,?) worunter eine mit 
Alica, einer Enfelin der mächtigen Marfgräfin von Turin, Adelheid. Alica 
fammte nämlih ab von ‘Beter, dem Erftgebornen der ebengenannten Marks 
gräfin, der aber vor der Mutter farb") und von der Gräfin Agnes, der Tochter 
eines Grafen Wilhelm. Mit Alica zeugte Bonifacius mehrere Söhne, und 
gründete überdies auf ihre Geburtrechte eine wichtige Erweiterung feines 
Gebiets. Kaum war nämlid die alte Marfgräfin Adelheid, Großmutter der 
Gemahlin des Bonifacius, gegen Ausgang des Jahres 1091 mit Tod abges 
gangen,*) als befugte und unbefugte Erben auf ihren Nachlaß die Hände 
dedten. Won der einen Seite überflel?) Conrad, Sohn des deutſchen Kaifers 
Heinrih IV. und der Bertha, die Güter feiner Großmutter, von der andern 
erhob Markgraf Bonifacius Waffen,’) um ein möglid großes Stüd für fi 
abzureißen. 

Daß Lebterer feinen Zwed erreichte, erhellt erftlih aus dem welitläufs 


) Jaffé, regest. Nr. 3874. ) Gazzera a. a. O. ©. 50. 2) Man vergl. hist, 
patr. monumenta. Chartae I, 660 u. 665. *) Berg V, 453. ) Daſ. ©. AbA, 


394 Pabſt Gregorins VIL und fein Seitalter. 


tigen Orundvermögen, das er feinen Söhnen hinterließ, ſowie zweiten® aus 
den fchweren Einbußen, welche die männlichen Erben der Marfgräfin Adelheid 
erlitten. Auf der italieniihen Seite ihrer Befitungen iſt ihnen nichts als vie 
Grafihaft Turin und das Thal von Suſa geblieben.‘ 

Aus den Zeiten nad) dem Anfange des Zuriner Erbfolgefriege bis gegen 
das Jahr 1130 hin liegen drei Urfunden vor, welche über die Wirffamteit 
ded Markgrafen Bonifacius Zeugniß ablegen. Im Jahre 1097 madte”) er 
im Vereine mit einem Neffen Henri, dem Sohne feines 1079 getöbteten 
Bruders Manfred, eine anfehnlihe Schenfung an ein Eanonifatfift; im Jahre 
1125 ſetzte) er jeinen legten Willen auf, von dem unten die Rede fein 
wird; abermal drei Jahre jpäter — 1128 — unterjchrieb*) er eine durch 
den Biſchof Oddo von Albenga errichtete Kirchenftiftung. Diefe Unterfchrift 
it der legte befannte Akt des Markgrafen Bonifacius: er fcheint um 1130, 
etwa im 80. Kebensjahre — geftorben zu fein. 
| Kraft des Teftaments vom Sahre 1125 vermachte der Markgraf fein 
gefammted Vermögen, mit Ausſchluß des Erftgebornen, der gleich dem Vater 
Bonifarius bieß und von ihm enterbt ward,®) ungetbeilt an fleben andere 
Söhne. Bis 1142 verwalteten‘) dieſe fieben Brüder gemeinſchaftlich das 
väterlihe But, aber im genannten Jahre nahmen fie eine Erbtheilung vor, 
welche zur Folge hatte, daß die Zahl der aus Aledrams Stamme beroorges 
wacjenen Marfgrafenthümer auf nicht weniger als neun flieg. Der gleich⸗ 
namige Erfigeborne des Bonifacius, obgleih vom Vater enterbt, behauptete*) 
unter dem Titel Markgraf das Gebiet von Incifa bei Afti,”) und pflanzte 
feinen Stamm fort. Kraft des väterlihen Teſtaments und der Erbtheilung 
von 1142 erhielt,‘) als der erfte unter den 7 Brüdern, Manfred die Marf- 
grafihaft Saluzzo, der zweite, Wilhelm, die Marf Busca mit dem Schlofie 
gleichen Namens und vielen Ländereien zwifchen den Flüffen Grana, Macra, 
Pellice, Chiſone und Vraita; der dritte, Hugo, Schloß und Gebiet Erave- 
fana, der vierte, Anjelm V., ebenjo Schloß und Gebiet Ceva; der fünfte, 
Bonifacius, zum Unterfhied von dem Erfigebornen der jüngere genannt, 
ebenſo Schloß und Gebiet Eortemiglia; der feste, Heinrich, mit dem Beis 
namen von Wafto, die Orte Savona, Wado, Waſto, Lovagniola; der flebte, 
Dodo, ebenfo Schloß und Gebiet Loreto. 

Die genannten Theilberrichaften erftredten fih — wiewohl zerftreut — 
von dem weftlihen Saume des genuefiihen Golfs über die fruchtbaren Thäler 
des Tanaro und der Bormida bis zu den Quellen des Po und hinauf bie 
zum Fuße der Alpen.) Daß ihre Befiger fammt und fonders den Titel 
„Marfgrafen“ fortführten, habe ich bereits bemerkt. Als neunte Markgraf: 





%) Gazzera a. a. O. ©. BU. ) Ibid. ©. 56. 2) Ibid. ©. 58 u. 50. *) Ibid. 
©. 53. 6) Ibid. ©. 50. *) Ibid. ©. 51 fig. u. 111. N) Ibid. ©. 112, ®) Ibid. 
©. 4. 


Siebtes Bund. Gap. 22. Die markgräflicden Käufer von Nontferrat und Ganofi.. 395 


haft Tam noch die von Montferrat hinzu, welde dem älteren Zweige gehörte, 
ber fi, wie oben gezeigt worden, fchon gegen Ende des zehnten Jahrhunderte 
abgefondert hatte. ') 

Unläugbar tft: nie hätte Markgraf Bonifacius über fo ausgebehnte Bes 
fiäungen verfügen können, welche genligten, um acht Linien zu gründen, wäre 
ihm nicht ein guter Theil des Nachlaſſes der übermächtigen Markgräfin Adel⸗ 
beid von Turin zugefallen. Andererſeits fpringt in die Augen, daß derſelbe 
Bonifacius ohne Einwilligung des faliihen Hofes nimmermehr im Stande 
geweſen fein würde, ven Raub zu behaupten. Da nun der lebte Wille, Traft 
deſſen er fieben Söhne zu gleichmäßigen Erben einfebte und hinwiederum bie 
Erbtheilung von 1142, welche faft notbwendig aus erflerem Afte entiprang, 
dem kaiſerlichen Vortheil höchlich zufagte, ift man berechtigt den Schluß zu 
sieben, daß Teftament und Erbtheilung der Preis gewejen ift, um den Deutſch⸗ 
lands Beherrſcher zu den Gewaltthätigfeiten fchwiegen, welche Bonifacius an 
dem Mannsftamme der Markgräfin Adelheid verübt. Mit einem Schlage 
wurden zwei wichtige Staatszwecke erreicht, die übermäßig angeichwollene Madıt 
de Turiner Haufes geftugt, und die Erben des Siegerd durch Theilung feiner 
Errungenſchaft zu einer unbeveutenden Stellung herabgebrüdt. Die deutſchen 
Safier und ihre ſchwäbiſchen Nachfolger verftanden fih auf Die Künfte ver 
Herrſchaft! 

Die Häufer von Eſte, Turin, Montferrat keimten ohne Frage in dem 
Zeitraume jenes zwieſpaltigen Königthums von 946—950, verbankten aber die 
Anfänge ihrer Macht nicht dem Burgunder Lothar, Hugo's Sohne, jondern 
dem Gegenfünige Berngar von Jvrea. Anders verhält es fich mit dem vier 
ten der früher genannten Dynaftengefchlechter, mit dem von Canoſſa, zu welchem 
ih übergehe. Die erfte befannte That des Ahnherrn von Canoſſa, Ritters 
Azzo, if, daß er Apelbeid, die von König Berngar verfolgte Wittwe des ges 
mordeten Lothar, in feine Burg Eanofja aufnahm und zu ihren Gunften eine 
langwierige Belagerung aushielt.) Da Azzo der Wittwe einen jo weſent⸗ 
Iihen und für ihm felbft gefährlichen Dienft leiftete, iR man zu dem Schluſſe 
befugt, daß König Lothar zuvor dem Ritter bedeutende Gnadenbezeugungen 
erwiefen und ihm die nöthigen Mittel der Macht verichafft habe, um Das für 
Adelheid thun zu können, was er wirklih that. Während Berngar fi durch 
Beiziehung kühner Vaſallen, wie Otbert, Ardoin, Aledram und Anderer, 
deren Gedächtniß dahin ſchwand, zu ſtärken ſuchte, muß Lothar den Ritter 
von Ganofja gewonnen haben. 

Die Wittwe, welche Leben und vieleicht Ehre dem Schloßherrn von Ca⸗ 
noſſa verbanfte, wurde die Gemahlin des Sachſen Otto und nachher römiſch⸗ 
dentfche Kaiſerin. Begreiflich ift, daß fie ihren Retter nicht vergaß. Schon 


*) Ibid. ©. 53. 5) Giche oben ©. 260, 


396 BVabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. - 


vor Dito’8 I. Zuge nad Rom erlangte Azzo eine Standederhöhung, vielleicht 
in Folge der kurzen Herrichaft, welche Otto's I. fiegreiher Sohn Lintold über 
Stalien übte. Eine Urkunde‘) vom Jahre 958 liegt vor, laut welder Graf 
Adalbert auch Atto genannt, Sohn Siegfriede aus dem Gomitate von Lucca, 
gewiſſe Güter erkauft. Der Vater Azzo's hieß, wie früher?) gezeigt worden, 
Siegefried und wohnte im Comitat von Lucca; folglih muß Azzo von Canoſſa 
gemeint jein, und man fieht, daß er zwiſchen 950 und 958 Graf geworben 
war, obgleih die Lage feiner Grafichaft aus der Urkunde nicht ermittelt 
werden fann. 

Nach Erhebung Otto's J. auf den Kaiſerthron brach eine Zeit der Ernte 
für Azzo an. Donnizo fingt") in dem Leben der Großgräfin Mathilde: „ber 
Kaiſer flattete Azzo mit hohen und wichtigen Lehen aus und gab ihm einige 
Grafſchaften. Denn wahrlich nicht zu verwundern ift ed, daß er Den aus 
zeichnete, dem er gewifiermaßen das Kaiſerthum verbanfte.” Zwei Urtunden*) 
aus den Jahren 964 und 967 liefern den Beweis, daß er die mit einander 
wufammenhängenden Grafichaften Lucca und Modena von Otto I. erlangt 
haben muß. In Akten,‘ welche Azzo's Sohn, Theodald, ausſtellte, von 
dem ſogleich die Rede fein wird, erhält Azzo überdieß den Titel „Markgraf.“ 

Bermählt?) war er mit Hildegard, deren Gelchleht man nicht genauer 
fennt. Sie gebar") ihm drei Söhne: Rudolf, der vor dem Bater farb, 
Gotfred, der in den geiftlihen Stand trat und den Stuhl von Brescia bes 
flieg, endlich Theodald, der das Gefchlecht fortpflanzte.e Zum Voraus will 
ih bemerken, daß aud einer der Söhne Theodalds Cleriker und Bifchof 
wurde. Ohne Zweifel geihah Solches abfihtlih, nämlih um durch Ehe⸗ 
lofigfeit der Nachgebornen das Stammgut des Haufes hübſch beifammen zu 
behalten. ° Die legte bekannte Alte Azzo's, des Ahnherrn von Canofja, ges 
bört®) dem Jahre 981 an: kurz darauf jcheint er mit Tod abgegangen zu fein.) 

Sofort trat Theodald in das väterlibe Erbe ein und vermehrte dafjelbe 
ſtattlich. Donnizo meldet:*) „Theodald gewann großes Gut, war beliebt bei 
den Kaljern, und aud vom Pabite erlangte er die Herrichaft über Ferrara.“ 
In einer Urkunde”) vom Jahre 989 wird Theodald Markgraf und zugleich 
Graf von Modena, in einer zweiten®) vom Jahre 1001 wird er Markgraf 
und Graf von Reggio genannt, woraus erfichtlid ift, daß er beide Comitate 
feines Vaters geerbt hatte. Ebenderſelbe juchte, wo es irgend anging, fi 
auf Koften des Clerus zu vergrößern. Im Jahre 993 hielt Herzog Heinrich 
von Baiern und Kärnthen, auch Markgraf von Friaul, einen Gerichtötag zu 
Berona. Hier brachte) der Biſchof Otbert von Verona eine Klage gegen 


*) Muratori, antig. Ital. IL, 777 fig. ) Oben ©. 236. ’) Muratori, script. 
Ital. V, 349, b. unten. *) Ibid. Note 70 und antig. Ital. I, 406 flg. ) A. a. O. 
script. Ital. V, 350, b. %) Muratori, annali d’Italia ad a. 978. ?) Muratori, annali 
d'Italia ad a. 98R, °) Idem antiguit. Ital. I, 407. *) Idem annali d'Italia ad a. 993, 


Siebtes Bud. Gap. 22. Die markgräflichen Häufer von Montferrat und Canoſſa. 39% 


den Markgrafen Theodald wegen Kirchenraubs vor. Da der Markgraf, obs 
gleich vorgeladen, nicht erichien, erfannte der Herzog den Gegenfland des 
Streits ohne Weiteres dem Kläger zu. 

Die weiteren Thaten Theodalds und feines Sohnes Bonifacius gehören 
der Geſchichte Italiens an, in welche Beide tief und mächtig eingriffen. Doch 
muß bier Einiges über ihre Perfönlichkeit gefagt werden. Theodalds Wemahlin 
hieß‘) Willa, welche Donnizo mit dem Titel einer „Herzogin“ fchmüdt. Ueber 
das Geſchlecht, aus welchem fie ftammte, find Feine fihere Nachrichten vors 
banden.?) Diefer Ehe entiproßten‘) drei Söhne: Theodald II., der Elerifer 
wurde und mit der Zeit das Bisthum Arezzo erlangte, Bonifacius, Stamms 
halter des Geſchlechts, dann ein jüngerer Bruber Conrad. „ALS die zwei 
legtern zu reifen Jahren gelangt waren,” fährt”) Donnizo fort, „verfuchten 
es feinblich gefinnte, lombardiſche Grafen, den Einen mit dem Andern zu ents 
zweien. Doc die brüberliche Liebe Beider überwand die Verfuhung. Nun 
boten biefelben Lombarven dem jüngeren Bruder eine Gemahlin aus ihrem 
Geſchlecht an: Tebterem Reize vermochte derfelbe nicht zu widerſtehen. Ohne 
daß Bonifacius feine Einwilligung gegeben hatte, ging Conrad mit einigen 
Dienern bin, um die Langobardin zu freien. Docd ward er bald inne, daß 
die Langobarden es nicht gut mit ihm meinten, er gab die Heirath auf, kehrte 
zurüd und verfähnte fih mit Bonifacius.“ 

Deutlich erhellt aus dieſen merfwürbigen Worten, daß vermöge geheimer 
Hausverträge-in aufftrebenden Vaſallengeſchlechtern die jüngeren Brüder nicht 
ohne Erlaubniß des Stammhauptes, welche Würde damals Bonifacius befaß, 
Ehen ſchließen durften. Das war offenbar darauf berechnet, ein Erftgeburts 
reht anzubahnen. Damit das Stammgut nicht dur Theilungen verringert 
werde, follten die Nacdhgebornen ehelos bleiben. Donnizo erwähnt‘) noch eine 
andere Thatſache, die auf Daffelbe hinausläuft: „ale Markgraf Theodald fein 
Ende nahe fühlte, verfügte er, daß Bontfacius Haupt des Haufes fein, 
aber einen milden Gebrauch von diefem Rechte machen ſollte.“ Was wir 
aus den Akten der Häufer von Turin und Montferrat errathen mußten, tritt 
bier offen hervor. 

Das Todesjahr Theodalds I. ift unbefannt. Mit Muratori®) nehme 
id an, daß er nad 1012 verfchieden fei. Schon bei Lebzeiten des Vaters 
Ipielte Bonifacius eine Rolle. Aus einer Schenfungsurfunde‘) erhellt, daß 


Ua. D. script. Ital. V, 350, b. 3) Idem annali d’Italia ad a. 1003. ) Mus 
tatori, seript. Ital. V, 351, b. %) Ibid. ©. 351, a. Meines Brachtens können bie drei Verſe 
nam pater ipsorum moriens benedixit eorum 
personas, post se prascepit, major ut esset 
natus dilectus Bonifacius atque modestus. 
feinen anbern als ben eben im Texte bezeichneten Sinn haben. 6) Annali d'Italia ad 
». 1012, ®) Id. ibid. ad a. 1004, 





398 | Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


er im Jahre 1004 Herr von Mantua war, welde Stadt ihm ohne Zweifel 
ber deutſche König Heinrich II. während ber Thronftreitigfeiten gegen den Lan⸗ 
gobarden Arboin, von welchen fpäter die Rede fein wird, geſchenkt hatte, 
Später erfcheint er lange Zeit als italieniſches Waffenhaupt der Faiferlichen 
Parthei und gewann in diefer Stellung unermeßlihe Güter. Sein Bruder 
Eontad Farb!) 1030 unvermählt, alfo auch ohne Erben. 

Bonifactus Schloß zwei Ehen: die erfte mit Richildis, der Tochter eines 
ttalieniihen Pfalzgrafen, d. b. kaiſerlichen Hofrichters Giſilbert,) welde urs 
fundlih von 1017 bis 1034 als feine Gemahlin erwähnt”) wird. Richildis 
farb nad 1034, ohne Kinder zu hinterlaffen.) In zweiter Ehe vermählte 
fi) Bonifactus um 1036 mit einer Sungfrau, die aus einem ber cbelften 
Geſchlechter Deutſchlands ſtammte, nämlich mit Beatrix, der Tochter des 
Herzogs Friedrich von Lothringen. °) 

Unerhört war ed, daß ein Staliener, von Geburt Untertban der deuts 
- [hen Krone und nicht hochfreier Inſaſſe des Reichs, in eine der mädhtigften 
Familien Germaniens hinein heirathen durfte. Der Pomp, mit weldem 
Bonifacius, laut dem Zeugniſſe) Donnizo’s, feine zweite Bermählung feierte, 
beweist zur ©enüge, daß er felbft unermeßlihen Werth auf diefelbe legte. 
Als er gen Lothringen zog, um die Braut zu holen, waren feine und feiner 
Begleiter Roſſe ftatt mit Eifen mit Silber befchlagen. Mathilde brachte ihm 
als Morgengabe anjehnliche Ländereien in der Gegend von Web zu, die auf 
die Großgräfin Mathilde vererbten. 

Nach Italien mit der jungen Gemahlin zurüdgelommen, hielt er zur 
Geier der Hochzeit drei Monate lang offenen Hof zu Marego im Gebiet von 
Mantua. Aus den Brunnen fprang Wein für die durftige Menge, die herr; 
ſchaftlichen Tafeln ftrogten von golpnen und filbernen Gefäßen. Schauſpieler, 
Muſiker, Sänger, welche reichlichen Lohn vom Herzoge empfingen — denn 
Bonifacius war damals ſeit mehreren Jahren zum Herzoge aufgeftiegen — 
ergögten die Gäͤſte. Die Ehe des Italieners mit der deutſchen Edelfrau If 
dur die große Tochter Mathilde, welche diefer Verbindung entfproßte, ein 
weltgefhichtliches Ereigniß geworben. 


1) Id. script. Ital. V. 352, a. 2) Id. antichitä estensi I, 55 flg. 2) Id. antiguit. 
Ital. II, 127. 297. I, 15. 509. *) Id. script. Ital. V, 351, b. °) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. 
IV, 309 fig. %) Muratori, script. Ital. V, 353. 


Siebtes Buch. Cap. 23. Mittel, wodurch Otto J. Anfchwellen gefchloffener Gebiete verhindert. 399 


Dreiundzwanzigſtes Capitel. 


Geheime Urſachen, welche verhinderten, daß bie vier großen markgraͤflichen Häͤuſer Ita⸗ 
liens ebenſo wenig als viele andere kleinere geſchloſſene Herrſchaften erwarben. Schon 
ältere Könige hatten da und dort den Grafenbann ber größeren Stäbte an Bi—⸗ 
ſchoͤſe verliehen, besgleichen trafen die Könige Berngar und Adalbert Borkehr, daß 
bie Handelsſtadt Genua von marfgräflicher Gerichtobarkeit befreit ward. Diefe Vor⸗ 
Hänge erweiterte Otto zu einem wohldurchdachten Syſtem. Zwiſchen 962 und 964 Hat 
er ein allgemeines, für ganz Italien gültiges Geſetz erlaflen,, welches abeligen Laien 
verbot, Rirchenland zu pachten, ober Gerichtöbarfeit über geiftliche Grundholden zu 
üben. Das Geſetz felbft ift nicht mehr vorhanden, weil eine fpätere Hand bie Abs 
ſchriften zerfiörte, gleichwohl Fennt man feinen Inhalt theilmweife aus einzelnen Druch⸗ 
Rüden. Die Wirkung war eine weitverbreitete Bewegung unter den Unfreien, weldge 
jegt, nachdem fie von dem Soche abeliger Bafallen erlöst waren, volle Freiheit zu 
erringen firebten. Solchen Umfang hatte das entzündete Weuer erlangt, daß Katfer 
Otto J. während feines zweiten Aufenthalts in Mittelitalien ein Edikt verfünbigte, welches 
für immer den Hörigen die Hoffnung ber Freiheit entzog und fle zu Bezahlung eines 
jährlichen Kopfgelds verpflichtete. (Bine Frucht des verborgenen Geſetzes war bie polls 
tiſche Nothwendigkeit, früher ober fpäter alle Bifchöfe mit dem Grafenbann ihrer Stäbte 
zu betrauen. Doch haben Dtto I. und feine nächften Nachfolger nur allmählig vie 
Babe ertheilt, fo jebodh, daß es am Ende des 11. Jahrhundert im ganzen Kaifers 
reiche kaum ein Biethum mehr gab, das nicht den Grafenbann befeflen hätte. Otto 
erließ das verborgene Geſetz in doppelter Abficht: erftlich um Mergrößerung weltlicher 
Fürften auf Koſten des Kirchenguts unmsalich zu machen, zweitens um bie Bifchöfe tm 
Steuerbeamte der Krone zu verwandeln. Die erfle Abſicht ging in Erfüllung, aber 
nicht bie zweite. Ohne es zu wollen, iſt Raifer Otto I. Urheber der bürgerlichen Freiheit 
Italiens geworben. 


Wir haben den Kreis der italieniſchen Herrengeſchlechter durchlaufen, 
welche in den Jahren 946—950 emvorfeimten und nachher im Laufe des 
eilften Jahrhunderts hervorragenden Einfluß auf die Entwidlung der Kirche 
und der apenniniſchen Halbinfel übten. Alle vier führten den marfgräflichen 
Titel, doch befaß Feines derfelben eine wirkliche Marke im wahren Sinne des 
Worts, und unzweifelhaft ift, daß der Name Markgraf als ein bloßer Ehren 
titel betrachtet werden muß, den die Kaiſer over Könige folhen Großvaſallen 
verliehen, die außer einer oder auch zweien Graffchaften vereinzelnte Güter in 
andern oft weit entfernten Gegenden erwarben. Ferner haben die vier Ges 
ſchlechter unfäglice Lift, Geiſteskraft, Trotz, Gewalt, felbft Verbrechen aufe 
gewendet, um abgerundete, gefchloffene Gebiete zu erlangen, allein Solches 
glüdte nur dem einzigen Haufe von Canoſſa, und auch diefem nur auf kurze 
Zeit: die Andern mühten ſich vergeblich ab. Abermal behaupte ih: es muß 
ein Hebel der ftärkften Art gewefen fein, ver ſolche Beftrebungen vereitelte. 
Nunmehr liegt mir ob, denfelben zu enthüllen. 

Der Scharffinn des veutfchen Kaiſers Otto hat den Zauber aufgefimden, 
doch that er nicht Alles allein. Andere, namentlich König Berngar von Sur 


400 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


lien, waren ihm mit ähnlichen Gedanken vorangegangen, welde meines Er, 
achtens nicht ohne Einwirkung auf Otto's Entwürfe blieben. Eine Urfunde‘) 
der Könige Berngar und Adalbert, auögeftellt zu Pavia unter vem 18. Juli 958, 
iſt auf und gefommen, deren weſentlicher Inhalt fo Tautet: „auf den Antrag 
unferes Getreuen Hebo beftätigen Wir fämmtlihen Einwohnern der Stadt 
"Genua den freien, ungeftörten Befig aller und jeder Güter, die fie in irgend 
welcher rechtlichen Weiſe, durch Lehenbrief, Erbe, Kauf, eigenen Erwerb inne 
haben. Nur das Gewohnheitsrecht) (das herkoͤmmliche Stadtrecht) fol inner 
bald Genua's Mauern gelten. Weiter verorpnen Wir, vaß fein Herzog, 
Markgraf, Graf, Vizthum, Schultheiß, Zehner, oder irgend welche andere 
obrigfeitliche Perfon fich unterftehe, Fraft Amtsgewalt das Haus eines Stabts 
bürgers zu betreten oder irgend welche Leiftungen zu fordern.” u. |. w. 

Kein Zweifel kann fein, daß der Grundgedanke des Erlafjes dahin zielt, die 
Seeftabt Genua gänzlih der Obergewalt jener germaniſchen Mittelbehörben, 
die unter dem Namen Grafen, Herzoge, Markgrafen amteten, zu entziehen 
und fie in eine felbfländige, nur unter dem Schuße der Krone fiehende, Ge⸗ 
meinde zu verwandeln. Ebo, auf deſſen Antrag bie beiven Könige ſich be⸗ 
ziehen, wird einer der vom Wolfe gewählten Borfteher gewefen fein, und 
wenn das Geſet aufrecht blieb, fo hatten hinfort nur Männer gleicher Art 
wie er in Genua zu befehlen. Die Norm aber, nad ver fie fi richten 
mußten, war das herfömmliche ober das Stadtrecht. 

Dur die Freiheiten und Befugniffe, welche beide Könige den Genuefen 
verliehen, fam ohne Frage ein Anderer, oder kamen vielleicht auch mehrere 
Andere zu kur. Wer waren dieſe Andern oder biefer Andere, deren biöherige 
Macht über Genua durch den königlichen Erlaß eingefchränft oder vielmehr 
aufgehoben worden ift? Hatte Genua bis dahin einen eigenen Grafen, der 
etwa unter einem Mario oder Herzog ftand? Aus den Worten der Urkunde 
felbft kann man dieß nicht folgern, denn der betreffende Sap, welcher einen 
Herzog, Markgrafen, Grafen, Bizthum u. |. w. erwähnt, ift eine allgemeine 
Formel, die in taufend Urkunden wiederholt wird. 

Aber aus andern Quellen”) wiffen wir, daß allerdings Dtbert I., Ahn⸗ 
herr des Eftenfer Hauſes, marfgräfliche Rechte in der Stadt oder in der Um; 
gegend von Genua übte, und daß er vielleicht zuerft wegen diefer Befugniffe 
den Titel Markgraf gewann. Ebenderſelbe war früher dem König Berngar 
hold und treu gewefen, und hatte, wie aus der Urfunde*) vom 23. Januar 951 
erhellt, die Gunſt feines Gebieters genoffen. Aber im Jahre 960 ging er 
hin nad) Deutſchland und forberte den Sachſen Otto I. auf, Berngar zu ent» 
ihronen. Zwiſchen der einftigen Treue Otberts und zwiſchen dem Berrathe 


) Notices et extraits des manuscripts du Roy. Vol. XI. ©. 2 fig. 5 Quae secun- 
dum oonsuetudisem illorum tenent. 2) Dben ©. 356. 363, *) Eiche oben ©. 362. 


Siebtes Buch. Gap. 23. Mittel, wodurch Otto J. Anſchwellen gefchloffener Bebieteverhfubert. 401 


von 960 Tiegt, wie man fleht, eine Maßregel des italienifchen Könige, durch 
welche Lepterer dem Eftenfer Ahnherrn alle Hoffnung benahm, je feine marfgräf- 
lihe Würde über die Stadt Genua auszudehnen, welde Otbert bereits als 
gute Beute betrachtet haben wird. Ich behaupte mit Zuverfiht: der Erlaß 
vom 18. Juli 958, kraft deffen die liguriſche Hauptſtadt das Recht einer 
felbftftäindigen Gemeinde erlangte, tft Hauptgrund oder wenigftens einer ver 
entfcheivenden Gründe geweſen, warum Dtbert I. von Berngar abfiel. 

Keine Belege dafür find vorhanden, daß der lombardiſche König Daffelbe, 
was er bezüglidh Genua's anordnete, auch in andern Städten durchſetzte oder 
durchzufegen beabfichtigte. Mit andern Worten, wir find nicht im Stande, bie 
Frage zu entichelden, ob es ein Syſtem war, das er ins Leben einführen 
wollte, doch fcheint mir dieß wahrſcheinlich. Wenn er aber wirflich gleich 
Genua aud die andern größeren Gemeinden des Reichs von marfgräflicher, 
berzoglicher oder gräflicher Gewalt befreit hätte, ift Flar, daß dann nie mehr 
ein geſchloſſenes Yürftengebiet gedeihen fonnt.e Denn feit alter Zeit reihte 
fi in Stalien, namentlih im oberen, oder in Lombardien, Stadt an Stabt. 
Zu freien Körperfchaften erhoben, würden biefelben den Zufammenhang fürft- 
liher Herrſchaft durdriffen, folglich das Auffommen fogenannter Landeshoheit 
unmöglih gemacht haben. 

Andererſeits glaube ich nicht, daß das von Berngar verfuchte Mittel, die 
Bürgerfhaften der Städte für fich allein dem Wachsthum der Vafallengewalt 
als Damm entgegenzuwerfen, je zu dem ermwünfchten Ziele geführt hätte. Eine 
beglaubigte Thatſache foll als Beleg meines Sages dienen: während ſchon 
im erften Drittel des eilften Jahrhunderts einige, im zweiten Drittel mehrere 
Städte Italiens ſich zu freien Gemeinden aufſchwangen, geichah dieß zu Genua, 
wo doch die Bürgerfhaft ſchon 958 in Geſtalt obigen Erlaſſes fo koſtbare 
Rechte erlangte, erft gegen das Jahr‘) 1099. Nur wenn eine Macht beiges 
jogen ward, die neben dem vielföpfigen Haufen, oder ftatt defjelben, mit gutem 
Willen, mit höherer Auftorität und mit hellem Berftande — drei en, 
welche die Welt überwinden — für das ſtädtiſche Wohl arbeitete, Fonmte das 
beabfichtigte Werk gelingen. Eine folhe Macht war das Bisthum, und nur 
das Bisthum. Wohlan! den eben angedeuteten Weg fchlug der deutſche Kaiſer 
Otto I. ein. 

Bereitd unter den Älteren Carolingern geihah es häufig, daß Faiferliche 
oder königliche Schirmbriefe allen weltlihen Beamten, Grafen und Andern den 
Eintritt in geiftliches Eigenthum unterfagten und Biſchöfen oder Febten aup- 
fchließliche Gerichtsbarkeit über die ihnen gehörigen Beflgungen und Grund» 
hoſden übertrugen. Aber folhe Verordnungen änderten den Zuftand der Stäbte, 
in welchen Stühle oder Abteien beftanden, nicht wefentlid; denn neben Kirch» 


*) Den Beweis bei Carl Hegel, Befchichte der StädtesBerfaflung von Zigfien TIL, 178 In. 
Bfrörer, Pabſt Gregorius vr Sd. V, 8 


#02 _” Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


leuten wohnten gewöhnlich Freie, ober Hinterfaffen .dver Krone und anderer 
weltlichen Herren, welche aud nad Ertheilung der kirchlichen Immunität unter 
ihren herkömmlichen Richtern verblieben. Gegen Enve des neunten Jahrhunderts 
fommen, und zwar zuerft in Stalien, Beiſpiele vor, daß einzelne Herricher 
Biichöfen oder Aebten den Grafenbann und fomit die Gerichtsbarkeit über 
ganze Städte oder Bezirke verliehen. 

Durd Urkunde‘) vom 22. April 883 vergabte Kalfer Carl der Dide dem 
te von Bobbio die dortige Grafſchaft; desgleichen fprah König Berngar I. 
(von Friaul) durh Urkunde?) vom 24. Mai 904 dem Biſchofe Adalbert von 
Bergamo die Föniglihe Gerichtsbarkeit über dieſe Stadt zu. 

Bald ftößt man auch diefjeitS der Alpen auf gleihe Maßregeln. Durch 
Schirmbrief”) vom 5. Februar 898 ſchenkte Kaiſer Arnulfe Sohn, Zwentibolv 
von Lothringen, dem Trierer Etuhle Grafenrechte. Dreißig Jahre fpäter, 
durch Pergament‘) vom 28. Dezember 928, überantwortete König Heinrich L 
von Deutihland dem Bisthum Toul den Grafenbann und die Herrſchaft dor- 


tiger Stadt. Wären Befrelungen der Art überall oder aud nur an vielen 


Orten durchgeführt worden, fo müßten fie ähnlihe Wirkungen hervorgebradt 
haben, wie die, welde ſich feit 962 in Italien fühlbar machen. Aber es 
waren vereinzelte Afte, die deßhalb ohne merkliche Folgen blieben. 

Dtto I. hat Das, was feine Vorgänger da und dort thaten, zu einem 
Syſtem umgebilvet. Anderöwo°) wurde bemerkt, daß der Sachſe um 962 den 
Bilhöfen Grafenrechte zu verleihen begann. Durch Urfunde*) vom 13. März 962 
Ichenfte er dem Biſchofe Humbert von Parma die Herrfchaft über diefe Stadt 
nebft Umgegend auf drei Meilen in die Runde; desgleichen verlieh”) derfelbe 
Kaiſer dem Stuhle von Lodi nicht blos gräflide, fondern fogar pfalggräfliche 
Rechte über genannte Stadt und einen Umfreis von ficben Meilen. Berner 
erhielt?) der Stuhl von Cremona durch ein Pergament Otto's I., deſſen Zeit 
nit genau beftimmt werden kann — meined Erachtens gehört ed dem 
Jahre 962 oder 963 an — den Grafenbann über genannte Stabt und bie 
Umgkyend bis auf fieben Meilen in die Runde. 

Früher glaubte ih, daß Otto I., obgleich häufiger als feine Vorgänger, 
bloß einzelnen Kirhenhäuptern ſolche Rechte eingeräumt habe. Dod dem ift 
nicht fo. Allgemeine Maßregeln oder Geſetze müflen von ihm erlaſſen worven 


*) Böhmer, regest. Carol. Nr. 956. 3) Ibid. Nr. 1328. 5) Did. Nr. 1166. 
*%).Böhmer, regesta regum a Conrado I, Nr. 50. °) Oben ©.279. °) Böhmer a. a. O. 
Mr. 256. °) Ughelli Ital. sacr. IV, 660: Reggio dagegen barf nicht gu den Gtäbten 
gerechnet werben, in denen ber Bifchof die Regalien übte, obgleich die Urkunde bei Böhmer 
Mr. 259 bei oberflaͤchlicher Beurtheilung dahin zu lauten feheint. Denn das Haus von 
Ganofla behauptete, wie früher gezeigt worben, von Azzo bis auf Mathilde herab, die Graf⸗ 
haft Reggio. Man vergl. auch Hegel, Geſchichte der Städteverfaſſung in Stalien II, 73. 
°) Man fehe Buratori, antig. Ital, VI, 62 unten fig. 


echtes Buch. Cap. 23. Mittel, wodurch DitoL Anſchwellen geſchloſſener Gebiete verbiubert. 403 


m, die ſich auf fämmtlihe Stühle Italiens bezogen, Geſetze, ſage ich, deren 
ext Partheigeiſt ſpäter zu beſeitigen wußte, und die wir nur aus einzelnen 
ruchſtücken oder auch durch ihre Wirkungen kennen lernen. Zwingende 
rũnde, dieß anzunehmen, find vorhanden. 

Im Lager vor Et. Leo beſtätigte der genannte Kaiſer durch Lrfunde‘) 
m 10. Mai 963 alle Rechte und Befigungen der Domherren von Arezzo. 
titten im Texte findet fich folgender Satz: „weil in Tuscien die böfe Ges 
ohnheit herrſcht, daß Leute, welche Kirchenland auf Pachtbriefe empfingen, nach⸗ 
r den bedungenen Zind abzutragen verweigern: als befehlen Wir und vers 
dnen ernflih, fein Biſchof, Fein Domherr unterfiche fih, Kirchenland an 
ndere, ald an Bauern auszugeben, welche die fhuldigen Gilten unverweigers 
h entrichten.” Alſo in einer ganzen Provinz (und zwar nächſt Langobarbien, 
r größten Italiens) war ein Mißbrauch eingeriffen, den der Kaiſer aus⸗ 
tten wollte. Nun bezicht fih die fragliche Urkunde bloß auf die Canoniker 
n Arezzo. Gleichwohl braucht Dtto allgemeine Ausprüde, die Vielen eine 
erpflichtung auferlegen: „fein Biſchof, fein Canoniker unterſtehe ſich“ u. f. w. 

Wie foll man ſich dieß erflären? ich fage: ein Gele muß vorangegangen 
n, dad die ganze Provinz band, und auf das Dtto hier in dem befondern, 
r Arezzo beftimmten Erlaffe Rüdficht nimmt. Gegen wen war aber dieſes 
Kt mehr vorhandene Geſetz gerichtet? Ohne Frage gegen den Adel, gegen 
tarfgrafen, Grafen, Bizthume und andere höhere Beamte, in Summa gegen 
n Herrenftand, welcher den Pachtungen kirchlicher Ländereien, die er, wie 
ten gezeigt werben fol, auf gewille Artikel der Salifa oder Langobars 
a geftüßt, gewaltfam in Eigenthum verwandelte, den größten Theil feines 
rundvermögens verdankte. Wohlan! indem das fragliche Geſetz Adelige für 
: Bufunft von Kirchenpachtungen ausfchloß, untergrub es zugleich die Ges 
htsbarkeit derfelben über die Mittelpunfte geiftlihen Befiged, dv. h. über 
tühle und Abtelen, und machte die Verleihung des Grafenbanns an die Bis 
öfe zu einer Nothwendigkeit. Zmeifel, die etwa noch gegen die Gültig⸗ 
t diefer meiner Behauptung obwalten, follen tiefer unten zur Genüge ger 
ent werden. 

Noch mehr: ein Edikt“) Otto's L iſt auf und gefommen, deſſen Drt 
d Zahr die Handſchriften nicht angeben. Der wefentlihe Inhalt lautet jo: 
ie geiftlichen und weltlichen Fürften Unferes Reiches, Fleine und große, arme 
d reiche, Hagen unaufhörlich bei Uns, daß fie die ſchuldigen Zinfe von ihren 
drigen nicht erlangen Fönnen. Einzelne Hörige geben fich lügenhafter Weiſe 
e frei aus, weil ihre Herren das Recht, welches ihnen zufteht, nicht mit 
rief und Siegel zu beweifen vermögen. Andere maßeg ſich diefelbe Eigen, 
aft an, weil ihre Gebieter, durch Abweſenheit Geſchäfte verhindert, 


) Ibid. III, 183 unten fl. *) Perg, leg. IL, a. ©. 34, . 
> 78° 


404 4 Vabſt Gregorius VI. und fein Zeitalter. 


längere ober kuͤrzere Zeit keine Zinſe oder Frohnden eintrieben. Auf dieſe 
Unterlaſſung pochend, behaupten ſie, freie Leute zu ſein.“ 

„Darum verordnen Wir, wie folgt: erſtens wenn ein Hoͤriger aus un 
gerechter Begierde freien Stand vorſchützt, foll dem Herrn die Befugniß zu 
fichen, fein Recht über den Hörigen je nad; feinem Ermefjen in eigener Perſon 
ober durch einen Stellvertreter mittelft gerichtlichen Zweikampfs zu erhärten. 
Der beflagte Hörige aber darf nur dann einen Kämpfer aufftellen, wenn 
Alter oder Krankheit ihn hindert, felbft zu Fämpfen. Zweitens damit in Zw 
Funft kein Höriger mehr ſich erfrehe, auf die unterlaffene Einforberung des 
Kopfgelds einen Beweis angeblicher Freiheit zu gründen, muß fernerhin Jeber 
als Zeichen der Knechtichaft auf den 1. Dezember einen vollwichtigen Denar, fei 
ed an den Herm felbft, fei es an deſſen Bevollmächtigte, entrichten. Drittens bie 
Söhne und Töchter von Hörigen follen vom 25. Lebensjahre an das näm- 
liche Kopfgeld bezahlen. Unterbleibt die Einziehung fürzere oder längere Zeit, 
fo kann doch nie hieraus ein Anſpruch auf Freiheit abgeleitet werden. Bier: 
tens jeder Hörige von Kirchen, der dieſem unferem Gebote zuwiderhandelt, 
wird mit dem Verlufte der Hälfte feines Eigenthums gebüßt und bleibt Sklave. 
Nie ſoll ein Höriger frei werben, auch nicht, wenn fein Biſchof ihm einen 
Freibrief ertheil. Denn Unfer ernftliher Wille und Befehl iſt, daß Sklaven 
ſtets Sklaven bleiben, und daß Solche, weldhe auf irgend eine Welfe reis 
beit erſchlichen, in den Stand der Knechtſchaft zurüdfallen.* 

Im Eingang ift nicht blos von geiftlihen, fondern auch von weltlichen 
Mitgliedern des Herrenftandes die Rede, welche Klage über die Widerfpenftig: 
feit der Hörigen eingereicht hätten. Demnach follte man meinen, Grafen, 
Markgrafen, Herzoge habe ver Schuh an gleicher Stelle gedrüdt, wie Bir 
Ichöfe, Nebte, Domherren und Pfarrer. Aber wer wird glauben, daß jene 
fi an den deutfhen Kaifer wandten, um Rectöhilfe gegen ihre Leibeigenen 
zu finden? Wahrlich fie wußten, wie man wiberfpenftige Sklaven ohne fatfers 
lihen Beiftand einfah mit der Beitfche, der Kette, Im Nothfall mit dem Beil 
zum Gehorfam bringen fünne. Dagegen Cleriker, hohe und niedere, fonnten 
vermöge ihres Berufs die angedeuteten Mittel nicht anwenden. Auf fie muß 
daher Otto's I. Edikt vorzugsweiſe bezogen werben. 

Daß dem wirflih fo fei, erhellt theils aus derjenigen Beſtimmung des 
erften Artifelö, welde dem Herrn des fäumigen Hörigen die Befugniß ein- 
räumt, die Unfreiheit ftarrföpfiger Leibeigenen nad Gutdünken in eigener 
Perfon oder durch einen Stellvertreter mittelft gerichtlihen Zweifampfs zu er: 
weilen. Denn diefe Wahl ftand kraft eines andern Ottoniſchen Gefeges, von 
dem unten die Rebe fein wird, nur den Vögten der Kirche zu. — Theil er- 
heilt es noch deutlicher aus dem vierten Artikel, der einzig und allein Hörige 
bed Clerus erwähnt. Hiezu fommt noch, daß ein Ebift Otto's IIL vom 


Siebtes Buch. Cap. 23. Mittel, wodurch Otto I. Anfchwellen gefchloflener Gebiete verhindert. 405 


Jahre‘) 998, das ungefähr denſelben Zwed verfolgt, nur von Kirchen» 
gütern handelt. 

Meines Erachtens find in der Einleitung des kaiſerlichen Mandate 
Laienfürften nur Wohlftands halber genannt, damit nicht der Schein entftehe, 
ald wolle Dtto einzig für das ungefchmälerte Befigrecht der Geiftlichkeit forgen. 
Außerdem mochte e8 mandmal gefchehen, daß da und dort Gutshörige Mitt 
wen oder minderjährigen Erben weltliher Großen die ſchuldigen Zinfe und 
Leiftungen verjagten. Ohne Zweifel lag es in ded Kaiſers Abficht, neben 
dem Glerus auch ſolchen Unmündigen Rehtsihub zu gewähren. 

Zu bemerken ift, daß der erfte Artikel obigen Geſetzes auf ein anderes 
Bezug nimmt, das erweislich im Dftober 967 gegeben ward.?) Jenes iſt 
folglich jünger als dieſes, und es fält, da Dito I. im Auguft 972 Italien 
für immer verließ, nothwendig zwilchen den Sommer 972 und den Herbft 967. 

Alſo um 970 ſchwellten Fühne Hoffnungen der Freiheit Herzen und Köpfe 
der hörigen Bevölkerung Staliend. Die Leibeigenen rüttelten an ihren Ketten, 
fie wollten ihre eigenen Herren werden, nicht mehr Kopfgeld bezahlen, noch 
ungemefjene Frohnden Teiften. Bis über den Anfang des eilften Jahrhunderts 
hinaus loderte daffelbe Feuer fort. Ein merkwürdiger Brief des Biſchofs Leo 
von Vercelli ift auf und gefommen,*) welder zeigt, daß Tauſende über: dem 
Gedanfen brüteten, die Freiheit durch Kauf, durch Lift, durch Güte, durch 
Gewalt, kurz durch irgend ein menfchenmögliches Mittel zu erlangen. Woher 
nun diefe Beftrebungen ? Ein wichtiges politifches, die Sklavenwelt betreffen, 
des Ereigniß, und zwar ein foldyes, das der kaiſerlichen Regierung Otto's I. 
angehört, muß fie hervorgerufen haben. 

So weit ich fehe, fann nur an jenes geheimnißvolle Grundgeſetz gedacht 
werben, defien Tert wir nicht mehr befiten, und durch welches Otto L jämmts- 
liches Kirchengut (dad wohl die Hälfte vom Grund und Boden Italiens um⸗ 
faßte), der Verwaltung und Gerichtsbarkeit freier Laien entzog und unter un» 
mittelbare Auffiht des Clerus, der Bilchöfe, Achte, Domberren, Pfarrer, 
Hülfsgeiftlihen ftelte.e So Tange Laien den Kirchenhörigen Recht ſprachen 
und Zinfe von ihnen eintrieben, blühte für dieſe Feine Ausſicht des Beſſer⸗ 
werdend. Aber mit dem Augenblide, da Cleriker die Verwaltung übernahmen, 
ja fogar übernehmen mußten, änderte fi die Lage der Dinge. 

Der Anftoß zu Allen, was ſeit dem erften Sahrhundert unferer Zeit 
tehnung für Milderung des Looſes der niederen Klaſſen geihah, ift vom 
chriſtlichen Clerus ausgegangen,*) wenn auch bei der Ausführung einzelne 
ausgezeichnete Herrjcher, wie Earl der Große, wie der Normanne Wilhelm, 
Eroberer von England, wie gewiſſe ſpaniſche Könige, halfen. Namentlich hat 
— 5 Mid. IL,a. 6.37. Did. ©. 32 unten ſtlg. *) Memorie storiche di Torino. 


Serie seconda. Tom. VII, 342. 2) Sch werde dieß in meiner Gefchichte der germanliken 
Boltöreihte gründlich beweiſen. 


u 
406 Pabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


unter den Mitgliedern. des Mönchftandes ein unausgefepter Kampf wider bie 
Sflaverei vom vierten Jahrhundert bi8 auf die ſpaniſchen Ordensleute herab 
fortgebauert,, weldhe Gelee zum Schupe der Neger auf den Pflanzungen der 
neuen Welt ergangen. 

Nachdem der Clerus durch Kaiferreht ermächtigt, ja gemöthigt worden 
war, das Gut der Kirche ſelbſt zu bewirthichaften, durfte der italieniſche 
Dauer mit gutem Bug vorausfegen, daß für ihn der Morgen graue, daß die 
Zeit des Schindend und Drängens abgelaufen jei. Denn wenn es auch unter 
den geiftlihen Herren einzelne Hartherzige gab, ward doch der ganze Stand in 
eine entgegengeſetzte Richtung durch die Duelle bineingetrieben, auf welche 
derjelbe feine Lehre und fein Anfehen gründete, nämlid durd das Evangelium 
Jeſu Chrifti, das, wie St. Paulus fchreibt, nicht ift ein Geſetz der Knecht⸗ 
ſchaft, jondern ein Geſetz der Milde, Gerechtigfeit, Liebe, Wahrheit, ein, Bes 
ſetz, das die Bekenner des Welterlöfers frei macht. Wie es in folhen Fällen 
ſtets geichieht, wartete der Fröhner nicht ab, bis die Frucht fraft natürlicher 
Reife vom Baume fiel, fondern er griff vor, tropte, verweigerte Gilten und 
Zinfen veranlaßte dadurch Einmiſchung der Faiferlihen Strafgewalt, die 
jedoch im Ganzen wenig fruchtete. Die Dinge nahmen ihren nothwendigen 
Beriauf. | 

Um 968 —969 war das auf Befreiung ded gemeinen Mannes abzies 
Iende Getriebe in vollem Zuge. Sicherlich aber gehörte einige Zeit dazu, bis 
die Gewäfler von ihrem erften Urfprung an zu folder Größe anſchwollen. 
D. h. man muß annehmen, daß das Geſetz, welches die Hörigen zurüdiwerfen 
wollte, und welched gegen 970 gegeben wurde, um mehrere Jahre nach dem 
andern erjchien, das die Hoffnungen der Leibeigenen hervorgerufen und das 
durch ihre Widerfpenftigfeit veranlaßt hat. Nun war Dtto zuerft im Herbſte 
961 ald Herr nad Rom gezogen, im Winter 965 über die Alpen zurüdges 
fehrt, im Winter von 966 auf 967 zum zweitenmale nach Italien gefommen. 
Als er dort eintraf, traten bereitö die Yolgen der Sflavenbewegung fühlbar 
hervor. Demnach gehört aller Wahrjcheinlichkeit nach der politifche Aft, wel 
her den Stand der Hörigen jo mächtig aufregte, dem erften Aufenthalte des 
Kaifers in Italien an. Derfelbe fällt aljo in die nämliche Zeit, da Otto I., 
wie oben gezeigt worden, jened den Ausſchluß des Adels von Bewirthſchaf⸗ 
tung kirchlicher Güter anordnende Edikt erließ, das ohne Frage mit dem 
nit mehr vorhandenen Akte zuſammenhing. Man fieht: die Richtung meh» 
terer Spuren läuft concentrifh zuſammen. 

Drittens liefert, waͤs ich fpäter im Einzelnen darzuthun mir vorbehalte, 
die Geſchichte des Königs Ardoin von Jvrea einen Beweis dafür, daß einer 
der ſächſtſchen Dttonen eine allgemeine Verfügung getroffen haben muß, welche 
den Kirchenhäuptern Befreiung von allen Eingriffen gräfliher und marfgräfs 
licher Gewalt In ficyere Ausſicht ftellte Schon als Markgraf und mehrere 


Siebtes Buch. Cap.23. Mittel, wodurch Otto J. Anfchwellen gefchloffener Gebiete verhindert. 407 


Jahre vor ſeiner Erhebung auf den Thron Lombardiens begann der ebenge⸗ 
nannte Ardoin einen hartnäckigen Kampf gegen die Biſchöfe des oberen Ita⸗ 
liens, den er nachher als König fortjegte. Unverkennbar ging feine Abſicht 
dahin, Die Häupter der Kirche gewaltiam in den Zuftand zurüdzutreiben, in 
welchem fie ſich vor den Zeiten Otto's I. befanden. 

Zwiſchen den Jahren 996 und 998 leiſteten ihm die Bilchöfe von Bers 
celli und Jvrea entſchloſſenen, aber nicht mit Erfolg gefrönten, Widerſtayd, 
denn der Eine ward ermordet, der Andere vertrieben. Nun tft die Vorauss 
ſetzung unabweisbar, daß beide Prälaten gute Rechtsgründe hatten, auf die 
fie fih flüßten, wie denn nicht nur der Kaiſer, fondern auch der Pabſt ihrer 
Sache fpäter zu Hülfe fam. Diefen Rechtsboden aber bildeten nicht etwa bes 
ſondere Schirmbriefe, durch welche dem Einen oder dem Andern die Gerichts» 
barfeit über die betreffenden Städte zugeiprodhen worden wäre, denn erft nad) 
Ergerdung des Bilhofd Petrus von’ Vercelli und nah Beendigung bes 
Streits erhielt‘) durch Urkunde vom 7. Oktober 999 der Stuhl von Vercelli 
die Herrſchaft über dieje Stadt und die benachbarte Grafihaft St. Agatha, 
das andere Bisthum aber durch Urkunde‘) vom 9. Juli 1000 den Brafenbann 
über Jvrea und Umgegend, drei Meilen in die Runde, Demnadranf man 
annehmen, daß beide Bijchöfe während des Kampfes gegen den Unterbrüder 
ihre Rechte auf allgemeine Verfügungen der Katjer gegründet haben. 

Endlich fehlt e8 — fo färglich auch die Duellen der Geſchichte Otto's L feit 
defien zweitem Römerzuge fließen — doch nidyt ganz an Zeugnifjen über bie 
geſetzgeberiſche Thätigkeit des Kaiſers. Der Mönch Benedikt vom Berg Soralte 
— wie wir wiffen, ein Augenzeuge, — fchreibt?) in jeiner barbarifhen Weiſe: 
„Kaiſer Dito hatte einen gleihnamigen Eohn gezengt, der durch den Pabft 
(Johann XIII.) gekrönt und vom Vater zum Mitregenten angenommen ward 
Beide Dttonen erließen ein neues Geſetz, das roͤmiſches und langobardiſches 
Recht mit einander verjchmolz und in die langobardiſche Sammlung einges 
fügt werden mußte.“ Der Mönch fpricht wie die Sphinr oder die Pythia 
von Delphi. PR 

Bis jetzt find zwei gemeinichaftliche Edikte der Dttonen bekannt: erſtens 
das Geſetz vom Oktober 967, das fowohl für Romanen als für Rangobarben, 
oder für alle Einwohner des italieniichen Reichs, den Zweilampf ad legtes 
Mittel des gerichtlichen Beweiſes vorſchreibt — ich werde hievon unten han⸗ 
dein —; zweitens das um einige Zeit fpätere, oben mitgetheilte Geſeßz, das 


1) Böhmer, regesta a Conrado rege Mr. 845 u. Memor. storiche di Torino, segpnda 
serie. Tom. V, 349. *) Berk IH, 718 unten. Ich fege feine eigenen Worte ber: gemuit 
autem isdem imperator Otto Saxone, ab amore sui nominis Otto vocatur ine. Coro- „ 
natum est autem hisdem Otto secondo a summo pontifice et sociatum est um patris 
sui. Fecerunt autem hisdem imperatoris legem, et conclusit in legibus romanam legem «6 


langobardiam, et in edictis Langobardorum affigi praecepit. 


die Befreiung von Hörigen für alle Zukunft verbietet. Die Worte Benebifts 
paffen ziemlih gut auf das erfte diefer Geſetze, aber doch haben fie nad 
meinem Erachten einen weiteren Umfang, der noch andere nidht mehr vor 
handene Afte begreift. 

Faffen wir das Ergebniß unjerer Unterfuhung zufammen: außer dem 
Gefege über die Hörigen der Kirche, das unzweifelhaft eine Folge des Aus⸗ 
ſchluſſes adeliger Laien von Pachtung firdlicher Güter war, und außer 
dem Edikte über den Zweifampf hat Otto L zum Minveften eine britte, bie 
jegt nicht aufgefundene allgemeine Verfügung erlaffen, welche das Kirchengut 
dem Einfluffe der Laiengewalt entzog und die Ertheilung des Grafenbanns 
an die Bilchöfe zu einer politiichen Nothwendigkeit machte, 

Selbft wenn diefer geheimnißvolle Aft nur die in der Urfunde vom 
19. Mai 963 erwähnten Beftimmungen enthalten hätte, würde er doch, obs 
gleih auf längeren Umwegen, zum angedeuteten Ziele geführt haben. Te 
ernfilih und mit Verftand will, daß Laien fein geiftlihed Gut pachten, 
fann auch nicht dulden, daß ebendiejelben in irgend welcher Weile Gerichtsbar⸗ 
feit über Kirchenland üben, weil in legterem Fall unfehlbar durd die Hintere 
Thüre wer Hereingelommen fein würde, was durch die vordere hinausbe⸗ 
fördert war. Hatte man aber einmal den adeligen Herren das eine wie das 
andere Recht entzogen, jo blieb in die Länge nichts mehr übrig, ald die 
Grafen und Markgrafen gänzlih aus den biihöflihen Wohnſitzen hinauszu⸗ 
ſchaffen und fie zu nöthigen, daß fie den Bilchöfen gänzlich das Feld räumten, 
da fonft in den genannten Städten zwiſchen Bilchöfen und Grafen, zweien 
Oewalten, welche jener Akt zu Todfeinden machte, ein unüberjehbarer Streit 
entftehen mußte, der in die Länge unfehlbar das Reich zerüttet haben würde. 

. Dem ſei wie ihm wolle, feit ftehbt, daß Kaifer Dtto I. dur das vers 
borgene Gejeg die Ertheilung ded Orafenbanns an die Bifchöfe zwar vorbes 
reitet, aber Feineöwegs jofort ind Werk gefegt hat. Den Vollzug behielt er 
der Zufunft vor. Verſchiedene Fälle Eonnten eintreten: wenn der Bifchof 
diefer und jener Stadt alled Menjchenmöglihe that, um des Kaiſers Gunft 
au verdienen, der Graf aber nicht dieſelbe Willfährigkeit bewies, nun dann 
erhielt der Zügfame die Föftlihe Gabe — jo ging es in Parma, Lodi, Eres 
mona. * Zweitens wenn der Graf jih um die Gnade des Hofes abmühte, 
der Biſchof aber nicht, jo blieb jener bis auf Weiteres im Beſitze des Stadt- 
banned. Endlich drittens wenn beide an Eifer es nicht fehlen ließen, fo ent- 
Ichied, denke ich, der geringere oder höhere Grad bethätigter Dienftbefliffen- 
heit, ob der Bilchof den Bann befam oder der Graf ebenvenfelben länger bes 
halten durfte Mochte die Sache fi in ver einen oder andern Weiſe ent 
wideln, immerhin genoß der Kaifer den unermeßlihen Vortheile des divide 
et impera. 

Die bis jegt urkundlich nachweisbaren Verleihungen des Grafenbanns 


408 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 





Siebtes Buch. Cap. 23. Mittel, wodurch Otto I. Anſchwellen gefchloffener @ebieteverhindert. 409 


an italiſche Bisthümer oder große Abteien find, außer den drei bereits ers. 
wähnten, in folgender Reihe vor fi gegangen: durch Urkunde‘) vom 25. Juli 
972 an die Abtei Bobbio; durdy Brief?) vom 17. April 978 an den Stuhl 
von Acqui; durh*PBergament‘) vom 17. Zuli 997 an den Stuhl von Pia- 
cenza; durh Urkunde!) vom 7. October 999 an das Bisthum Vercelli; 
durch Urfunde*) vom 9. Juli 1000 an den Stuhl von Jorea. 

Zu bemerfen ift übrigens, daß die Belege mancher, ja vielleicht vieler 
Berleihungen entweder verloren, oder noch nicht and Tageslicht gezogen find. 
Auch mag ed nicht jelten gejchehen fein, daß einzelne Kirchenhäupter ohne 
faiferlihe Briefe, blos durd die Macht der Umftände begünftigt, Hoheitsrechte 
über ihre Städte erwarben. So fann man 3. B. genügend darthun, daß 
Mailands Erzbiichöfe zwiſchen 979 und 998 etwas wie den Grafenbann er- 
langt haben, aber eine kaiſerliche Ausfertigung fehl.) Das in Italien auss ' 
geblihete Syſtem faßte ſchnuell auch dieſſeits der Alpen auf deutihem Boden 
Wurzel. Zwiſchen 960 und 1000 ift der Grafenbann einer ganzen Reihe 
deutjcher Stühle bewilligt worden.) Ja aus einem Zeugniffe, das meines 
Wiſſens noch Niemand benügt hat, und dad ich unten an paflendem Orte 
anzuführen mir vorbehalte, geht hervor, daß gegen Ende des eilften Jahr, 
bunderts, mit Ausnahme einiger wenigen Stühle, weldye übermächtige Vafallen, 
wie das Haus von Turin, in Knechtſchaft hielten, ale Bisſsthümer durch bie 
weiten Granzen des deutichen Kaiſerreichs die Negalien und fomit aud den 
Grafenbann befaßen. 

Und nun nachdem wir dur mühjame Unterfuchungen feften Boden ges 
wonnen, fomme ich an eine Frage von hoher Bedeutung: warum hat Kalfer 
Dtto I. das verborgene Gejeg, ſammt ven andern, die mit Ihm zufammens 
hängen, erlafjen? Zwei Hauptabfichten fünnen nachgewiejen werben. Erſtens 
wollte er dadurd das Anjchwellen ausgedehnter Bafallenftaaten innerhalb der 
Halbinfel, und die hievon unzertrennlihe Folge, Errichtung eines befondern 
von Einheimijchen beherrjchten Reiches Italien für alle Zufunft abjchneiven. 
Diefer Zweck ift wirklich erreiht worden. Die Freiheit des italiſchen Bis⸗ 
thums hat, weil fie ſich infelartig über das ganze Land verziveigte, den Zus 
jammenhang größerer landesherrlicher Gebiete unmöglich gemacht. Keine Rieſen⸗ 
pinie wuchs auf italiiher Erde in den Himmel hinein, und man fann mit 
gutem Fuge behaupten: Ardoin von Ivrea, der Kirchenräuber und leßte 
König von Italien, der [hmählih genug endete, ift vorzugsweile durch das 
verborgene Geſetz Otto's geftürzt worden. 

Ich gehe weiter und fage: dieſes Gefeg wirft noch heute. Nie, nie wird 
der PBiemontefe König von Italien werden, denn gewänne er Welſchlands 


1) Böhmer, regesta a Conrado rege Nr. 388. ) Ibid. Nr. 531. *) Ibid. Nr. 798. 
6) Eiche oben ©. 407. °) Bfrörer, Kirch. Geſch. IV, 315 fl. 9) Yhid, DIE, ARM, 


| ® 
40 | Mair Gregorins VII. und fein, Seitalter. 
Krone, fo würde er unfehlbar im großen Maaßftabe thun, was er ſeit meh 
teren Jahren am dürren Holge verſuchte. Damit ihm die Hörner in die Dide 
und Länge wachſen, müßte er das Mark der Bisthümer verzehren, aber 
joldhes gelingt — aus vielen Gründen — höchſtens für eine Spanne Zeit. 

Zweitens verfolgte Kaifer Dtto nody einen andern Zweck, der nicht Lob, 
fondern Tadel verdient. Der vierte Artikel des SflavensEvifts nimmt den 
Leibeigenen jede Hoffnung der Freiheit. Diefe Sapung widerftreitet den 
Rechten der Menichlichfeit wie der Kirche. Hunderttaujende von Hörigen find 
durch die Teftamente frommer Geiftlihen und Laien zur Freiheit gelangt, und 
die Lehrer oder Häupter der Fatholiichen Kirche haben nicht geruht, bis die 
eigentlihe Sklaverei im recdhtgläubigen Abendland abgefhafft war.) Der 
eigene Tert des Edikts legt Zeugniß für diefe Thatfahe ab. Die Unfreien, 
von welden es handelt, find feine Sklaven im alten und vollen Sinne bee 
Worte mehr,?) fondern Halbfreie: der Kaifer fegt ja voraus, daß fie ohne Ki 
nahme Eigenthum befißen, mit deſſen Verluſt er fie bevroht. 

Nur Eigennug konnte eine ſolche Beitimmung eingeben, welde dem 
Evangelium Hohn ſpricht. In der That verhielt fih die Sade fo. Der 
zweite Artikel defjelben Edikts verpflichtet jeden Hörigen, auf den 1. Dezem: 
ber einen Denar Kopfgelo zu entrichten. Nun zielten Otto's Abfichten dahin, 
diefe Denare in feine Kafjen zu leiten, und damit die Summe groß werde, 
verbot er für alle Zukunft Befreiung der Sklaven. Denn mit jedem Freibrie 
entging dem Kronſchatze alljährlich ein Denar. 

Als eriter Zeuge möge ein Edikt abgehört werden, dad Otto's I. gleich: 
namiger Enfel unter dem 20. September 998 veröffentlichte. Der jung: 
Kaifer unterfagt hier die Mebertragung geiftlicher Güter an Laien, fei es durd 
Verkauf, ſei ed dur Lehenvertrag oder durch Pacht. Als Grund feine 
Gebots aber führt er an, weil durch folde Mebertragungen die der Kron 
gebührenden Einfünfte erlöſchen.) Hieraus erhellt, erftlih daß Kirchengüten 
eine Steuer an die faiferlihe Kammer entrichteten, und zweitens daß adeliget 
Grundeigenthum nicht zu derjelben Laft verpflichtet war. Denn hätten aud 
freie Laien, welche Kirchenland erwarben, die gleiche Auflage bezahlt, fo konnt 
ed dem Kaiſer gleichgültig jein, ob chemalige geiftlihe Güter von Laien ode 
Elerifern bewirthichaftet wurden. Durch das ganze Mittelalter hindurd 
fteuerte der Freie mit Kriegsdienſt oder Blut, und nicht mit Geld. 

Man kann einwenden, das Geſetz vom 20. September 998 beweife mı 
für die Zeiten Otto's III, nicht für die feines Großvaters. Gut! es gib 


) Ich werde bieß aufs Bündigſte in meiner Geſchichte der germanifchen Vollörechte be 
weifen. ?) Reine mancipia. 2) Berg, leg. II, a. ©. 37: quia status ecclesiarum De 
annullatur, nostraque imprrialis majestas non minus patitur detrimentum, dum subditi nobi 
(die Cleriker nemlich, welchen bie fraglichen Güter ehedem gehörten) debita non possunt ex 
hibere obsegula, 


Siebtes Bud. Cap.23. Mittel, wodurch Otto J. Anfchwellen gefchtoffener Gebiete verhindert. 411 


noch andere Belege. Biſchof Liutprand erzählt‘) in dem Geſandtſchaftsbe⸗ 
richte, den er an Otto L erftattete, unter Anderem Folgendes: „in ganz Ortes 
henland habe ich Feine Bijchöfe getroffen, die wahre Gaftfreiheit üben. Dies 
felben find arm und reidy; reich nämlich an Gold, von dem ihr Sedel ftropt, 
arm an Hausrath und Gefinde. Allein figen fie am karg beftellten Tiich, 
verzehren allein ein Stück Schiffszwieback, jchlürfen allein elenden Wein aus 
fleinem Glaſe; fie gehen felbft auf den Markt und kaufen dort ein, find ihre 
eigenen Thürhüter, Köche, Ejelötreiber. — Ihr Geiz rührt daher, weil ihre 
Stühle dem Kaifer zinspflichtig find. Der Biſchof von Leufate hat mich verfichert, 
feine Kirche müſſe jährlid an Nicephorus Phokas (den damaligen Herrfcher zu 
Gonftantinopel) hundert Golddenare entrihten. Die andern Bifchöfe zahlen 
mehr oder weniger, je nach ihren Kräften. Daß dieß eine verdammliche Eins 
richtung fei, beweist die Geſchichte des Batriarchen Joſeph, denn da derſelbe 
zur Zeit der Hungersnoth ganz Aegyptenland für Pharao erfaufte, befreite 
er nur das Land der Prieſter vom Zins.“ 

MWarım hat der jchlaue Lombarde gerade diefe Saite berührt ? Meines 
Erachtens darım, weil er wußte, daß jolde Töne dem deutichen Gebieter bes 
hagten. Zugleih aber fügte er, um den biſchöflichen Anftand zu wahren, den 
aus der Geſchichte Joſeph's entlehnten Tadel bei, der freilich an ſich zweideutig 
genug if, da man auf denjelben ven Schluß gründen fann, daß nur eim 
aͤgyptiſches Vorbild, nicht aber ein kirchlicher Banon, oder ein weltliche Geſetz 
den deutfchen Kaiſer hindern möge, Schooß und Steuer vom Blerus zu fors 
dern. Welch ein durdhtriebener Schalf war diefer Lombarde! 

Otto hat wirflih die Biſchöfe Italiens nah byzantinifhem Vorgange 
zu Eteuereintreibern erniedrigt. in und daſſelbe Zeugniß ftellt nicht blos die 
Thatfache, fondern aud die Höhe der Summe fefl. Ein ausgezeichneter deut⸗ 
ſcher Glerifer, der die ever wie wenige führte, um 1170 fchrieb, und offen, 
bar die geheimen Akten der Mainzer Reichöfanzlei gefannt bat, meldet:?) 
„während der Minverjährigfeit Otto's III., da Erzbiſchof Willigis von Mainz 
Reichsverweſer war, gingen als Tribut Lombardiens jährlich ein zwölfhundert 
Pfunde lauteren Goldes.“ Klar ift erftens, daß dieſer Tribut nur durch Otto L., 
welcher Stalien der deutfchen Krone erwarb, eingeführt worden fein kann, 
zweitens daß, da vermöge des oben angeführten Ediktes vom September 998 
der Laienadel feine Steuern für fich over feine Güter entrichtete, geiftliches 
Grundeigenthum es gewefen ift, dad die Summe abwarf, Meines Erachtens 
war der Tribut dad Erträgniß des Kopfgeldes, das alle Kirchenhörigen von 
25 Jahren und darüber mit je einem Denar zu zahlen genöthigt wurden. 

Nahe liegt es, auf obige Summe eine Berechnung der Volkszahl Lan⸗ 
gobardiens zu gründen. Zwölfhunvert Pfund Gold find Taut den Zeugnifjen, 





*) Perg II, 362. *) Martyrium Arnoldi bei Böhmer, fonten III, I26, 


412 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


die ih an einem andern Orte!) nachwies, gleih 12,000 Pfund Silbers; dad 
Pfund Silber enthält 20 Scillinge, jeden zu 12 Denaren, oder 240 voll 
wichtige Denare.?) Zwölftauſend Pfund Silber ergeben alfo 2,880,000 Denare, 
oder — was hiemit im voraudgefegten Falle gleichbedeutend — eben jo viele 
männliche und weibliche Zeibeigene über 25 Jahre, welche Kopfgeld entrichteten. 
Allein dieſe Schätzung ift unficher, weil das genannte Einfommen höchſt wahrs 
jcheinli nicht blos aus der Kopffteuer, jondern noch aus andern Duellen, 
ald da find:*) Zölle zu Wafler und zu Land, Nachlaß Solcher, die ohne Erben 
ftarben, eingegogene Güter Geädhteter u. ſ. w. floß. 


Vierundzwanzigſtes Capitel. 


Nachweis der Mittelſtuſen, durch welche Ertheilung des Grafenbanns an Bifchöfe bürgerliche 
Freiheit herbeiführte. Herr der Stadt geworben, bemühte fich der Bifchof, feinen Gig 
zu befefligen, ex rief zweitens die Lehenleute feines Stuhls in die Stadt herein. Der 
Vassus warb zum Valvassor. Bald zeigte es fich, daß die Lehenmannfchaft zum Dienfte 
ber Stadt nicht genügte; man mußte die Romanen beiziehen, ihnen die Wehr in die Hand 
geben. Raum war dieß gefchehen, fo verlangten die Romanen, dad Schwert ſchwingend, 
Antheil am GStabtregiment. Hiemit begann zugleich der Kampf ded Vernunftrechts, der 
Romana, gegen zwei, Eigenthum zerflösende, Drachen, Salifa und Langobarbica, die 
allmälig nievergerungen wurden. | 


Wenn ein Biſchof den Grafenbann über feine Stadt wirklich erlangt 
oder doch zu erlangen fichere Ausficht hatte, was wird fein erfted Augenmerf 
gewejen fein? Ohne Zweifel dieß, daß er Maßregeln für militäriihe Sicher⸗ 
heit ſeines Wohnfiges ergriff, die in der That um fo nöthiger waren, da er 
fi) nicht darüber täufchen fonnte, daß die hohen weltlichen Vaſallen, auf 
deren Koften er felbft vorwärts gefommen, ihm und feinem ganzen Stande 
mehr als früher grollten. Die Sicherheit der Städte wird bedingt durch 
Mauern, Schanzen, Thürme, kurz dur Befeftigungswerfe. Schon im neunten 
Jahrhundert galt es vorzugsweife für Pflicht der Bifchöfe, ihre Städte in 
gutem Vertheivigungsftande zu erhalten. Eine alte Handfhrift rühmt*) im 
ihönen lateiniſchen Verſen, daß Biſchof Leutwin von Modena, der 898 ftarb, 
diefe Stadt, nicht gegen die eigenen Herren (die Kaifer Wido und Lambert), 
jondern wider den Anfall auswärtiger Feinde durh Mauern, Wälle und 
Thore ſchirmte. 

Leutwins Sorgfalt hat gefruchtet, hat in ſeinen Untergebenen ähnlichen 
Eifer erweckt. Gegen das Jahr 924 belagerten Hunnenſchwaͤrme (Magyaren) 
Modena. Damals dichteten, um die Vertheidiger der Stadt wader zu er⸗ 


) Band III, 636 fig. 2) Oben S. 377 fig. 3) Bergl. Bd. I, 508. ı) Mus 
vatori, antig. Ital. I, 21 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 24. Früchte des an das Bisthum verlichenen Grafenbanns. 413 


halten, modeneſiſche Cleriker ein feuriges Kriegslied, das auf uns gekommen 
it, und von Muratori veröffentlicht wurde. Im lateiniſchen Urterte) lauten 
die leßten Strophen fo: 

Fortis juventus, virtus audax bellica ! 

Vestra per muros audiantur carmina, 

Et sit in armis alterna vigilia. 

Ne fraus hostilis haec invadat moenia, 

Resultet echo comes: eja vigila! 

Per muros eja! dicat echo, vigila. 


In der hüpfenden, funfenfprühenden Weiſe des eilften Jahrhunderts über: 
feßt, möchte dieß auf dentſch ungefähr fo lauten: 

D junge Landesfraft, nun halt dich brav! 
Mit Mächterruf und Keldgefchrei verfcheuch den Schlaf, 
Und mad die Rund 

Zu jeder Stund 

Um Thor und Thurm. 

Der Feind ift Flug 

Und fchleicht mit Trug 

Heran zum Sturm. 

Von Wal und Mauer fehalle 

Dein Halt! Wer ba ? 

Das Echo wieberhalle 

Eja vigila. 

Weiter wird gemelvet,?) daß Metropolit Ansbert von Mailand um 880 
die zerftörten Mauern der Hauptftabt Lombardiens wiederherftelltee Zus 
weilen verliehen die lombardiſchen Könige In der erften Hälfte des zehnten 
Sahrhunderts zum nämlihen Zwecke befondere Urkunden. So ermächtigte 
Berngar I. von Friaul den Bilchof Adalbert und die Bürger der Stadt 
Bergamo durch Brief?) vom 24. Mai 904, die zerfallenen Reftungswerfe auf 
zubauen. Ebenſo geftattete derfelbe König dem Biſchof Peter von Reggio 
dur Pergament!) vom Sahre 911 die Errichtung eines Caſtells. 

Solche Belfpiele fommen fchon in der vorfächfifchen Zeit vor. Häufiger 
aber und planmäßig geſchah NAehnliches nach der Kalferfrönung Otto's 1. 
Innerhalb der Jahre 964—969 verlich dieſer Herriher den Biſchöfen 
Gauzlin von Padua und Rozo von Aftt die urkundliche Befugniß,) Schanzen, 
Thürme, Gräben, Wälle, Mauern aufzuführen. Diele Andere, von denen die 
Geſchichte fchweigt, Haben daſſelbe Recht entwerer erlangt, oder ſich heraus⸗ 
genommen. Denn während Italiens biſchöfliche Städte fonft demüthig ges- 
horchten und feine politiiche Role fpielten, erfcheinen ſie feit dem Anfange des 
eilften Jahrhunderts ald bewehrt. 


*) Antigquit. Ital. III, 709. 3) Jbid. II, 463. °) Böhmer, regest. Carol. Rr. 1325. 
*) Ibid. Rr. 1344. 6) Muratori, antig. Ita), II, 466. 


414 Vabſt Gregorius VIL. und fein Beltalter, 


Die Bürgerichaften von Lucca, Piſa, Ravenna, Barma, Pavia fochten 
Fehden gegen einander aus, oder troßten den beutfchen Königen,‘) und aus dem 
Sabre 1036 befigen wir eine ausführliche Beichreibung ver Werke Mailands. 
Den Umfang der Etadtmauern Erönten nicht weniger als 310 Thürme, welde 
einander fo nahe fanden, daß die Wächter von einem zum andern fidh zus 
rufen fonnten. Ueberdieß waren die verjchiedenen Ausgänge durch Haupt- 
thürme und Hornwerfe verwahrt.) Mit den anderen größeren Städten Lom⸗ 
bardiens kann es nicht fchlechter beftellt geweien fein. Denn fonft hätten 
Piſa, Lucca, Ravenna Feine Fehden zu führen, nod Pavia den deutichen Koͤ⸗ 
nigen zu troßen vermodht. 

Aber Mauern aus Stein und MWälle von aufgefchütteter Erde genügten 
nicht, um die Städte zu fchirmen, tapfere Männer wurven erfordert, welche 
die Schanzen beſetzten, das Schwert, die Lanze, bie verſchiedenen Arten bed 
mittelalterlihen Gefchüges handhabten. Woher nahmen nun Die zu Herren 
der Stadt gewordenen Bifchöfe dieſe Vertheidiger? Von jeher hielten deutiche 
wie italienische Kirchenhäupter Wehrvaſallen in ihrem Dienfte,”) die von den 
Königen oder Kaiſern aufgerufen, mit dem Bifchofe oder für denſelben ins 
Feld rüden mußten. 

Durch das von Dtto I. erlaffene Verbot der Verpachtung Firchlicher 
Ländereien an Adelige hörte die Belehnung von Wehrvafallen nicht auf, noch 
ward fie befchränft; fondern im Gegentheil nahın fie, wie ich fpäter zeigen 
werde — und zwar in Folge bilichöfliher Macht — überhand. Eben die: 
felben Vaſallen wurden, feit die Bilchöfe den Grafenbann erlangt und ihre 
Mohnfige mit Werfen umgeben hatten, in die Städse gerufen. Es hieß: ziehet 
herein, vertheidigt euren bifchöflihen Lehensheren, ober vielmehr — nad 
mittelalterliher Borftelungsweife — deſſen Patron, den Stabtheiligen, ver 
Euch nährt. 

Dafür, daß die Sache im Wefentlihen diefe Entwidlung durchlief, bürgt 
ein Wort, das im eilften Jahrhundert, und nicht früher, zum Vorſchein fonımt. 
Der lombardiſche Ehronift Arnulf: ſpricht) zum Jahr 1030 von Mailänder 
Balvafforen, und erflärt den Ausprud durch milites urbis, d. h. Soldaten 
der Stadt. Gewiß hat er Recht. Das Wort verbreitete fih in Kurzem durch 
das ganze Abendland und nahm’) verichievene Bedeutungen an, aber die 
erite und urfprüngliche war ohne Zweifel die: ein Vaſalle oder Soldat, ver 
vorzugsweiſe innerhalb des Walled dient, und die Stadt vertheidigen fol. 
Diele Vafallen, deren Lehengüter jegt wie auch fpäter noch im Lande zer- 
ftreut lagen, wurden durch die neue Kriegsordnung genöthigt, .in Zeiten ber 


2) Bfrörer, Kirch. Geſch. IV, 317. 2) Daf. ©. 314 flo. 2) Man vergl. Bfrörer, 
Kirch. Geſch. III, 1412. *) Berg VIII, 14 und GEfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 315. Mote 2. 
%) Man fehe Du Gange sub rooo Varassor, 


Siebtes Buch. Gap. 24. Früchte bes an das Biothum verliehenen Grafenbanns. 415 


Fehde innerhalb der Mauern des bifchöflihen Siges zu dienen. Sie hatten 
fih in Stabtfoldaten verwandelt. 

Im Jahre 1044 erließ Adalgar, Kanzler des deutſchen Saliers Hein⸗ 
rih IIL, ein Mahnfchreiben, t) gerichtet „an alle Soldaten, Valvafforen und das 
ganze Volf, das im Bisthum oder der Graffchaft Eremona wohnt, fowie 
an jämmtlihe Bürger der genannten Etadt, große und fleine.” Mit dem 
Namen „Bürger? werben die Stadtbewohner bezeichnet, die Valvaſſoren das 
gegen hausten im Bisthum, oder — was hiemit qleichbeveutend — In der Grafs 
Ihaft — denn der Biſchof von Gremona hatte Tängft die gräflichen Rechte 
erlangt — d. 5. fie faßen auf dem Lande herum; gleibwohl waren fie Balvaf- 
joren, oder vorzugsweife zum Dienfte in der Stadt verpflichtet. Wie zu 
Mailand und Cremona geftalteten fih die Dinge auch in anderen größeren 
bifchöflihen Gemeinden. 

Die Ertheilung des Grafenbanns an die Bifchöfe und die Befeftigung 
der Städte zog noch eine dritte, wichtigere Folge nah fih. Hätten die Kir 
chenhäupter nur Balvafforen, d. h. mit Lehengenuß ausgeftattete und abelige 
Soldaten dazu verwendet, die Mauern ihrer Wohnfige zu vertheidigen, ober 
bie ſtädtiſchen Heere, die erweislich feit Anfang des eilften Jahrhunderts im 
Felde erjchienen, zu bilden, fo wären ihre Einfünfte — wenn aud) an ſich noch 
jo bedeutend — durch diefen Aufwand verfchlungen worden und nichts würde 
für den Unterhalt des Elerus, der Armen, für den Gottesdienſt und andere 
kirchliche Zwede übrig geblieben fein. 

Um die Werfe von Mailand aud nur nothrürftig zu befehen, wurden 
einige taufend Mann erfordert.) Für andere Städte muß man ein ähnliches 
Berhältniß annehmen. Unmoͤglich war es, fo viele bezahlte Streiter zu vers 
forgen. Die Roth drängte, unbezahlte, d. h. romaniſche Stabtbewohner, einen 
Stand, der bisher zwifchen Freiheit und Knechtſchaft ſchwankte, beizuziehen. 

Dieß iſt wirklich gefchehen: die Romanen der Städte, ehemals Unter- 
thanen und feiner politifchen Rechte theilhaftig, find bewehrt worden. Die 
Neuerung aber brachte diefelben Wirkungen hervor, die fie erweislich überall 
im alten Griechenland’) und in Rom, wie im heutigen Europa — bier durd) 
Einführung allgemeiner Eonfcription — erzeugte: nämlich daß der bewehrte Haufe 
nicht mehr in die Länge duldet, was der unbewehrte durch Jahrhunderte ſich 
hatte gefallen lafjen müfjen. Waffen maffenweife und für die Dauer Sklaven, 
Hörigen, Fröhnern, Halbfreien, unberechtigten Freien in die Hände gegeben, 
machen über kurz oder lang, aber unfehlbar, die Unfreien frei, die unberech⸗ 
tigten Freien berechtigt. 

Aus Mangel an ausreichenden Quellen fann man den Yortgang der 


1) Wuraiori, antiq. Ital. VI, 53 unten fig. ) @frörer, Kirch. Geſch. IV, 347 unten fig. 
2) Man fche Gfroͤrer, Urgefchichte II, 433, J 


416 Vabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


ftädtiihen Bewegung in Stalien nicht mehr Schritt für Schritt nachweiſen, 
obgleih das Refultat im Großen vollfommen feft fieht. Doc find einzelne 
abgeriffene Nachriibten vorhanden. Unfer König Heinrih IT. war um ben 
Frühlingsanfang 1004 mit Heeresmaht in Lombarbien eingebrochen, batte 
die Krönung zu Mailand erzwungen, die Hauptftadt Pavia eingenommen. 
Plöglih in der Nacht ftlirmten die Bürger gegen das Schloß, wo unfer 
König wohnte, und brachten ihn in große Gefahr, da nur ein mäßiges Gefolge 
in feiner Rähe weilte. .Erft des Morgens drang das draußen Tagernde Heer 
ein und ftellte mit der Schärfe des Schwert Ruhe und Gchorfam her. Zwei 
Zeitgenoffen‘) fagen einftimmiq aus, daß e8 Plebejer waren, die gegen dad 
Oberhaupt des deutſchen Reichs und feine Schaaren focten. 

In demfelben Jahre, da dieß im Pogebiet geſchah, rüdten, laut einer 
Chronik,) die vollen Glauben verdient, die Bürgerfchaften von Lucca und 
Piſa wider einander ins Feld und ftritten fo, daß Piſa obflegte. Aber nicht 
bloß zu Lande thaten fich die Pifaner hervor, fonvern auch zur See und zwar 
meift im Bunde mit Genuefen. Diefelbe Chronik berichtet?) zum Jahre 1006: 
„bie Pifaner fämpften wider die Saracenen und gewannen mit Hülfe Gottes 
einen Sieg auf den Tag des h. Sirtus“ (am 6. Augufl). Weiter zum 
Sahre 1006: „die Pifaner und Genuefen lieferten eine Schlacht wider den 
(andaluſiſchen Emir) Mugehid und überwanden denſelben.“ Abermal zum 
Jahre 1017: „die Piſaner und Genueſen fuhren aus wider Mugehid, der 
ſich nach Sardinien zurückgezogen hatte, und vertrieben ihn aus der Inſel.“ 
Daß der Chroniſt die volle Wahrheit berichtet, kann man aus ſaraceniſchen 
Quellen darthun, deren Ausſagen harmoniſch mit den chriſtlichen lauten.) 

Im Jahre 1026 trotzte) die Stadt Pavia der ganzen Macht des neu— 
gewählten deutſchen Königs Conrad TT., und unverrichteter Dinge mußte der: 
felbe abziehen, nachdem ein Sturm mißglüdt war. Conrad rüdte nım 
nah Ravenna. Die Stadt öffnete ihm ihre Tihore, aber drinnen ward eine 
Verſchwörung angezettelt, welche ähnliche Scenen veranlaßte, wie die, melde 
22 Jahre früher zu Pavia vorgingen. Bei Nacht überficl dad Volk den 
Theil des Heeres, der mit dem Könige in der Stadt lag: viele unferer Leute 
wurden umgebracht, und der Kampf fchwanfte, bis die draußen Gelagerten 
gewaltfam hereinbrachen und nun gegen die Empörer wütheten. Am andern 
Tage mußten die Ravennaten, welche am Leben geblieben waren, baarfuß im 
Büßergewand, das bloße Schwert am Halfe hängend, „wie es ihr Geſet 
für befiegte Bürger‘) vorfchrieb”, vor Conrad erfcheinen. Weberwundene 
Bafallen oder Adelige wurden nicht auf diefe Weiſe behandelt. Der beutiche 


— — — — — 


*) Berk III, 806 u. IV, 693 oben. ) Muratori, script. ital. VI, 107. ?) Siehe 
3. IV, ©. 262. 9 Berk XI, 264. *) Wippo ibid. ©. 265: ut lex eorum prae- 
cipit victis civibus. 


Siebtes Bud. Gap. 24. Früchte des an das Bisthum verlichenen Orafenbannd. 417 


Geihichtichreiber deutet an, daß die Befiegten den fogenannten britten Stande 
angehörten, der feit einem Menfchenalter ſich auszubilden begonnen hatte. 

Eilf Jahre fpäter erfuhr Conrad II. — damals längft Kaiſer — gleichen 
MWiderftand zu Parma. Während er das Weihnachtfeft 1037 vafelbft feierte, 
entipann fi ein Aufruhr der „Bürger“, welche unter Anderen den Truchfeß 
des Kaiſers erfchlugen. Das deutiche Heer wandte außer dem Schwert aud) 
die Macht des Feuers an, um die Unruhftifter zu güchtigen, und nachdem 
bie Empörung erfiidt war, gab Conrad Befehl, einen großen Theil der Rings 
mauern niederzureißen.‘) Conrad wußte, was er that: in den Mauern lag die 
Kraft des bürgerliden Elements, das ihn befämpfte. 

Wie wir fahen, bemerfen die Quellen meift ausdrücklich, daß ed Bürger 
waren, die ſolche Kämpfe entweder für die eine Stadt gegen die andere, oder 
gegen die Sarazenen, oder endlich gegen Deutſchlands Könige beftanden. 
Bezahlt Fönnen fie für ihre MWaffendienfte nicht geweſen fein — denn wie 
hätten die Gemeinden oder die betreffenden Bilchöfe fo viel Geld aufzutreiben 
vermocht! Aber eben fo gewiß ift, daß diefe bürgerlichen Streiter gewifje po⸗ 
litifche Rechte oder irgend welchen Antheil am Stabtregiment genofjen. Denn 
Knechte, Sklaven, rechtloje Menſchen jchlagen fih nirgends in der Welt mit 
folder Ausdauer. 

Auch an beftimmten Zeugniffen fehlt ed nicht ganz Mit Berufung auf 
eine alte Hanbjchrift des lombardiſchen Geſetzes behauptet?) Yiorentini, einer 
der verdienteften Geſchichtſchreiber Italiens, daß die Bürger von Lucca in den 
Zeiten des Markgrafen Bonifacius von Canofja und feiner Vorgänger bie 
Befugniß ausübten, Schöffen oder Stadtrichter aus ihrer Mitte nach eigenem 
Ermeffen zu wählen. Ebenfo wiſſen wir, daß die ftäbtifchen Freiheiten der 
Genuefen mit dem früher‘) erwähnten Gnabenbriefe der Könige Berngar II. 
und Adalbert vom 18. Juli 958 ihren Anfang nahmen. 

Durch die angeführten Thatfachen nun wird man meines Erachtens ges 
nötbigt, ven Schluß zu ziehen, daß die Bilchöfe, welche zwilchen 962 und 
1050 allmählig Herrihaft und Grafenbann über die Städte Italiens er: 
langten, gutwillig entweder felbft den Bürgern gewiffe Rechte verliehen, ober 
denfelben die etwa von Andern ertheilten Gerechtfame vergönnt haben. Doch 
nicht überall fchritt das Werk ſtädtiſcher Freiheit in Gutem fort, namentli 
nicht zu Mailand, welches man die Königin Lombarbiend nennen darf. Dort 
hat der dritte Stand, vom Erzbifchofe Heribert, oder aud ſchon von einem 
feiner Vorgänger zum Kriegsdienft verpflichtet, weniger dem genannten Me 
tropoliten al8 dem Adel, ven Heribert fchonen mußte, zu Trotz, gewilje jehr 
wichtige Freiheiten mit Schwert und Kolbe erftritten. 


4) Idem ibid. XI, 273. vergl. mit III, 101 unten fig. 3) Memorie della Gran- 
Contessa Matilda. Seconda edizione I, 454. 7), Dben S. 400. 
Gfrörer, Pabſt SGregoriug vis, Bd, v. [A| 


418 Pabſt Gregorius VIL und fein Seltalter. 


Am Sahre 1035 begann die Bewegung der Heinen Bafallen Oberita- 
liens, welche Erblichkeit ihrer Lehen begehrten.) An die adeligen Lehen⸗Leute 
Mailands fchloßen ſich viele Unzufriedene nicht freien Standes?) an, die aber 
wie jene.der Stadt und dem Stuhle Kriegspienfte leifteten. Letztere müſſen 
nothwendig geborene Romanen geweſen fein. Man kann ihren Stand nod 
genauer beftimmen. “Der lombardiſche Ehronift Landulf theilt?) die Bevölle⸗ 
rung des Mailänder Etadts und Landgebiets ein erftend in Bauern ober 
Landwirthe, zweitens in Viehzüchter, drittens in Gewerbsleute. Da die biäher 
unfreien Mitverſchwornen der Valvaſſoren nad den Ausfagen der verſchiede⸗ 
nen Zeugen des Aufftands in der Stadt wohnten, gehörten fie ohne Frage 
der dritten Glafie an, oder waren Gewerbsleute. 

An Erblichfeit der Lehen können fie nicht gedacht haben, aus dem ein- 
fahen Grunde, weil fie feine trugen. Der Mönd von St. Gallen, ein wohls 
unterrichteter Zeitgenofie, läßt Feinen Zweifel über ihre Abfihten. „Die uns 
freien Theilnehmer der Verſchwoͤrung,“ fagt?) er, „wollten felbft unter fid 
Nichter, Geſetze und Rechte aufftellen.“ Das heißt, fie verlangten Antheil am 
Stadtregiment, oder Einfegung gewiffer Behörden, welche die reiheit der 
Romanen wahren follten. 

Die Empörung der Bafallen nahm allmählig eine fo gefährliche Geſtalt 
an, daß Kaifer Conrad, um den mächtigften Theil der Unzufriedenen zu be 
ſchwichtigen, 1037 im Lager vor Mailand, welche Stadt er nicht zu bezwingen 
vermochte, das berühmte Geſetz erließ, das die Erblichfeit der Fleinen wie ber 
großen Lehen für immer feflftellte.) Die adeligen Bafallen hatten ihren 
Zwed erreicht: aber nicht fo die bürgerlichen Wehrmänner. Jedoch 7 Jahre 
fpäter gelangten aud fie zum erwünfchten Ziele. Weil die adeligen Balvafs 
foren, ftolg über die errungenen Privilegien, das Volk mißhandelten, wurden 
fie von leßterem — ed muß fi, wie man fieht, wohl auf den Gebrauch der 
Waffen verftanden haben — überwältigt und aus der Stabt verjagt. Hier 
aus entftand eine zweijährige Fehde des Adels gegen die Bürgerſchaft. Ber 
geblich belagerte erfterer die Etadt, er richtete nichts aus. Zuletzt vermittelte, 
offenbar in geheimem Einverftändniffe mit Erzbifhof Heribert — Capitan 
Lanzo, Borgänger des glorreichen Erlembald, einen Friedensvertrag, kraft deffen 
der Streit des Volks mit dem Adel ausgeglichen, und die firchliche wie bie polis 
tiihe Verfaffung Mailands abgeändert wurde. Worin beftand die Verän⸗ 
derung? Darin, daß nunmehr die Volfsgemeinde als dritter Stand an Er 
wählung der Erzbiſchöfe und an andern wichtigen Geſchäften Theil nahm.) 
Macht und Herrlichkeit Mailands hat dadurd nicht wenig gewonnen. Beleg 
ber fiegreihe Kampf gegen die Nebenbuhlerin Pavia. 


— — — — 


) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. IV, 311 fie. ) Verb I, 83 unten fi. 2) Perg VIIL 
63 oben: mercatores, rustici, aratores, babaulci. *) Gfrörer, Kirch. Seid. IV, 375 fig. 
) Ibid. ©, 378, 


Siebtes Buch. Gap. 24. Früchte des an das Bisthum verlichenen Grafenbanns. A410 


Ih laſſe den Chroniften Arnulf reden:) „(um 1059) brach Fehde zwi⸗ 
hen den Mailändern und denen von Pavia aus. Beide Städte waren näm⸗ 
ih volfreih und überragten alle übrigen Lombarbiend. Doch befaß in den 
Augen der meiften Menihen Mailand den Borzug vor Pavia. Und da ihre 
Bebiete an einander ftießen, wollte Feine von beiden der andern weichen. 
Daraus entflanden NRäubereien und häufige Einbrüche längs den Grängen. 
Sintemalen biebei die Pavelen den Kürzeren zogen, warben fie für Geld fremde 
?egionen und fielen in dad Mailänder Gebiet ein. Die Mailänder aber, ob» 
jleih ein Theil ihrer Mannjchaft damals unter Anführung des Erzbifchofe 
inderöwo focht, riefen die von Lodi zu Hülfe und zogen muthig ins Feld. 
88 fam zur Schlacht: in gefchlofienen Echaaren, mit wehenven Bahnen, drangen 
reide Theile auf einander Ios. Nach wüthendem Zufammenftoßen mußten bie 
on Pavia weichen, die Mailänder aber jagten hinter ihnen her, und obgleich) 
en Flüchtigen eine Legion fremder Söldner zu Hülfe fam, wurde auch dieſe 
jeworfen, und unter den abeligen Reitern ein großes Blutbad angerichtet. 
Doch erlitten ihrerfeitd die fiegreihen Mailänder nicht geringen Verluſt. 
Lodtenfeld Heißt der Ort, wo ſolches geſchah.“ 

Dieſes Treffen zwiſchen den beiden vornehmfien Gemeinden Lombarbiens 
iel auf den 23. Mai 1061, zur Zeit der Minderjährigfeit unjeres Könige 
deinrih IV. Arnulf, der e8 fo lebhaft befchreibt, war Ariftofrat und Eleris 
er,) gleichwohl geht ihm ver Ruhm feiner Vaterſtadt über Alles, und mit 
nnerlihen Behagen fchilvert er die wehenden Fahnen, bie feftgeichlofjienen 
Schlachtreihen, und wie das ſtädtiſche Fußvolf, das fih zu Ehren bes 
. Ambrofius fchlug, den berittenen Adel, der für Solo focht, zufammenhant. 

Um die Zeit der Schlacht auf dem Todtenfeld begann die Pataria. 
Diefer Bund impfte dadurch, daß er fih an die Gregorianiſche Bewegung 
nſchloß, fittlihes Keuer, Weisheit und vor Allem großartigen Zufammenbhang 
em Wachsthum fläptifcher Freiheit ein, was die Haupturſache war, daß bie 
Städte zum Scupe theild ihrer eigenen Mechte, theild der Kirche fich einten 
ber die berühmte liga lombardica ſchloßen. Mit dem Anfange des zwölften 
kahrhunderts erfcheint die Verfaſſung Mailande als vollendet, die Gemeinde 
at. — fogar dem Erzbifchofe gegenüber — Selbftändigfeit erlangt. Zeichen 
nd gleihfam Siegel folder Vollendung ift eine neue DObrigfeit, nämlich das 
ionfulat. Und fo war es nicht nur in Mailand, fondern aud in andern 
Städten Staliens, ja bes Fatholiichen Abendlandes. Ueberall, wo Confuln 
uftauchen, bat Gemeindefreiheit feften Boden errungen.) 

Woher ift nun Namen und Amt der Eonfuln nah den Städten Lom⸗ 


1) Berk VIII, 18 (cap. 8). 2) Ibid. ©. 1 unten flg. %) Der Kürze wegen bes 
ufe ich mich auf Hegel, Geſchichte der Etäbteverfafiung Italiens II, 161 flg., der wenigſtens 
ine Mafle Belegſtellen fammelt, obgleich er keinen Begriff vom wahren Sufammenhang ber 
Yinge Bat. 

77° 


420 VPabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


barbiens, Tuschens, der Romagna gefommen? Etwa aus dem alten heit, 
nifchen Rom? Haben vielleicht die Plebejer Mailands den Livius oder Flornd 
gelefen, oder ſich bei Geiftlihen Raths erholt, welche über dieſen alten Claſſi⸗ 
fern brüteten? Gewiß nicht! man war im Mittelalter nicht buchgelehrt, wie 
jest, noch wirkten fchufmeifterliche Hirngefpinnfte, wie heutzutage, auf das 
Volksleben ein. Das Confulat Lombardiens ftammte allerdings aus Rom, 
aber nicht aus dem heidniſchen, fondern aus dem chriftlichen, nicht aus dem 
Romulifſchen oder Eiceronianiichen, fondern aus dem Rom Alberichs und der 
von ihm eingerichteten demokratiſchen Stadtverfaſſung. 

Sm Jahre 967, demfelben, da letztere nievergejchlagen ward, erfcheinen 

die römischen Conſuln als wahre Häupter der Gemeinde (capi del popolo); 
denn Kaifer Otto L läßt fie als Hauptichuldige der Volksbewegung nad 
Sadfen abführen.) Die römifchen Confuln nahmen alfo damals ungefähr 
dieſelbe Stellung ein, welche die fpäteren Gonfuln der freien biſchöflichen Städte 
ausfülten. Berner muß man erwägen, erftlih daß Name und Ehre röms 
fher Confuln auch nad dem Sturze der Berfaffung Alberichs — wie wir . 
unten fehen werben — fortvauerte, und zweitens daß St. Peters irdiſcher 
Sig der Stadt des Evangeliums gleicht, von welcher geichrieben ftehet: fie 
liege auf einem hoben Berg, der Jedermann in die Augen falle. 
Diieß vorausgeſchickt, frage ih, wie e8 komme, daß im Laufe des eilften 
Jahrhunderts auf gallifhem, normannifhem, engliihem, ja jogar auf pw 
nifhem Boden Diefelben, die fih fonft Grafen over Herzoge nannten und es 
auch in der That waren, plöglib den Titel „consules“ empfangen?”) Ih 
benfe die Urſache war, weil der in der chriftlihen Weltmetropole üblihe Name 
Conſul den großen Herrn und ihren Hofclerifern und Notaren oder Ehroniften 
befjer gefiel, als der altwäterlihe comes und dux? Se nun, gleihwie Arifto; 
fraten durch halb Europa fih das römische Wort forgfältig merften, jo machten 
ed audy die mittelalterliben Demofraten, und wahrlih, fie haben von dem: 
jelben einen vernünftigen Gebrauch gemacht. 

Hier zugleich der oben veriprochene Beweis, daß Alberihd großer Gr 
danfe, obgleich er zu Rom unterlag, doch nicht zu Grunde ging, fondern in 
ein anderes und tauglicheres Gefäß niedergelegt ward. Alberichs Verfaſſung 
hatte etwas Künftlihes, Gemachtes an ſich. Gemeindefreiheit ſoll nicht in 
das Wolf hineingebrechfelt werden, ſondern aus demjelben herausfeimen. Ein 
folhes natürliches Gewächs war die von der Kirche gebilligte, mit ihrem 
Segen audgerliftete, an clerifale, wie an militärifhe Zucht und Ordnung ges 
wöhnte Demofratie Lombardiens, welche nur Unverftand mit Ochlofratie zus 


ı) Siehe oben ©. 331. 2) Man fehe die von Du Gange sub voce consul geſam⸗ 


melten Stellen, fo wie die Belege, welche in den früheren Bänden vorliegenden Werks 
zerfiteut find, 


Siebtes Buch. Gap. 24. Früchte des an das Bisthum verlichenen Grafenbanns. 421 


ſammenwerfen kann, einem Unfraut, dad Beidem, deig Chriſtenthum und der 
gefunden Vernunft, ein Greuel ift. 

Gehen wir über zu einer dritten Srucht der ftädtiichen Ringmauern, und 
der Uebertragung des Grafenbanns an die Biſchöfe. Durd fie ift der Sieg 
des römiſchen Nechtd oder der jogenannten romana über ihre in einer wid 
tigen Hinficht ruchloſen und ſchmählichen Nebenbuhlerinnen, die Lombardica und 
die Salica, vorbereitet worden. Die Verordnung‘) vom Jahre 824, fraft 
welcher Kaiſer Lothar I. allen Römern freie Wahl ließ, nach römiſchem oder 
germaniſchem Geſetze zu leben, hat auf mehr ald zwei Jahrhunderte und weit 
über die Gränzen des Kirchenftaatd hinaus gewirft.e Seitdem blieben dem 
roͤmiſchen Rechte treu erſtens die Städte, hauptſächlich wegen ihrer Verbin. 
dung mit der Kirche, zweitens viele Kleine Eigenthümer, die keine Rolle ſpielen 
wollten oder fonnten. In der Turiner UrfundensSammlung wird häufig aus 
Gelegenheit von Scenfungen oder Verträgen bemerkt, daß Die, welche fie 
machten over fchloßen, fih zum römifchen Rechte bekannten. 

Ich will einige Beiſpiele anführen. Urkunde?) vom 28. Mai 1010: 
„Wir Johann und Albergo, jowie Wir Johann und Sigelbertha, Cheleute, 
die Wir unjerer Abſtammung gemäß nad römiſchem Rechte leben, haben vers 
fauft* u.j.w. Urkunde‘) vom 11. März 1017: „Wir Johann und Rudolf, 
Brüder, Söhne der Eeljus, die Wir fraft Geburt nad römischen Rechte Ichen, 
tauschen mit dem Bilchofe Alrih von Afti folgende Güter“ u. ſ. w. Urfunde*) 
vom 26. Mai 1018: „Eonftautin, Regerto’d Sohn, der feiner Abftammung 
gemäß fich zum römifchen Rechte befennt, vertaufcht gegen den Biſchof Alrich“ 
u. ſ. w. Ebenſo unterfchrieben‘) eine Schenkung des Turiner Haufes vom 
9. Zuli 1029 al8 Zeugen zwei Evelleute, Johann und Dee, beide nad) 
römishem Rechte lebend. 

Ferner ftanden unter römischem Recht die Kirche und mit wenigen Auds 
nahmen Die, welche zu ihr gehörten, namentlid ihre Häupter, die Biichöfe, 
mochten dieſelben aus romanishem oder germaniihem Blute ftammen. Mans 
hen hohen Elerifern deutſcher oder Tangobardifcher Sippe muß es fauer genug ges 
worden fein, zum romanifchen Geſetz, das läftige Pflichten auferlegte, über- 
zugeben, aber die Kirche war in diefem Punkte unerbittlih, und — man 
muß es bekennen — fie hatten gute Gründe für ſolche Beftigfeit. Zu Denen, 
welche die romana als eine Bürde des geiftlihen Amtes betrachteten, gehörte 
offenbar Biſchof Alrih von Aſti, Bruder des Zuriner Markgrafen Main- 
fred II. In dem ebenerwähnten Schenfungsbrief?) vom 9. Juli 1029 heißt 
ed: „ih Alrih, ein Salier von Geburt, lebe gegenwärtig wegen ver bifchöfs 
lichen Würde, die ich erlangte, nad römiihem Rechte, obgleid ich vermöge 


1) Oben ©. 122 fig. ) Histor. patr. monum. Chart. I, 382. 2) Did. ©. 411. 
%) Ibid. ©, 424. °) Ibid. ©. 484, obere Mitte. °) Ibid. ©. 483 unten, 


422 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


meiner Abftammung eig, Salier bin” (unter ver Salika ftehe). Diefe Worte 
befunden nad meinem Gefühl wenig Anhänglichfeit an die romana. 

Die großen Geſchlechter Staliend dagegen, diejenigen, welde wir im 
Befibe ausgedehnter Gütermaffen fanden, und deren Wirkfamfeit in den Ehre 
nifen hervortritt, wie die Eftenfer, die von Canoſſa, Montferrat, Turin, und 
Andere befannten fih obne Ausnahme zum lombardiſchen oder dem ſaliſchen 
Rechte. Solches hatte allerdings einen natürliden Grund: denn fie ſtammten 
fammt und fonder® nit aus altitaliihem, fondern aus langobarbifchem, bur 
gundiſchem, alamanijchem, fräntifhem, alfo aus germaniihem Blute. leid» 
wohl war die Geburt nicht die einzige, noch aud die enticheidende Urſache 
ihrer fcheinbaren Hingebung für altsdeutihes Recht, jondern vielmehr Liebten 
und begten fie dafjelbe al8 eine Milchkuh, die ihnen, wie unten gezeigt werben 
fol, unjäglihe Vortheile verjchaffte. Außerdem Fam noch die Standedmeinung 
binzu, weldye eine folde Herrihaft übte, daß derjenige Adelige für entehrt, 
für einen Schandfleck der Genoſſenſchaft gegolten hätte, der vom langobars 
diſchen oder ſaliſchen Rechte zum romanijchen übergegangen jein würde. 

Die Großgräfin Mathilde, des Bonifacius Tochter, nah meinem Er— 
meflen die auögezeichnetfte Frau des eilften Jahrhunderts, hat nichts verfäumt, 
den Sieg des römiichen Rechts zu befördern und die Gleichheit vor dem Ge— 
jege in Stalien herzuſtellen. Dennoch blieb fie für ihre Perfon unter benz 
fremden Rechte, und das Einzige, was fie in diefer Hinſicht that, beichränfte 
fi) darauf, daß fie, von Geburt Langobardin, nad ihrer Vermählung mit 
Gotfried, dem jüngeren von Lothringen, gemäß einer damals häufigen Sitte 
dem Manne zu Lieb unter ſaliſches Recht fich ftellte. Urkunde!) vom Sep 
tember 1079: „ih Mathilde, Marfgräfin und Herzogin, des Bonitacius Tochter, 
die ich vermöge meiner Abſtammung nad langobardiihem Rechte lebte, bin 
wegen meines Mannes, des verftorbenen Gotfried, zum jaliihen Gefege übers 
gegangen.” 

Anderd aber geftalteten fi allmählig die Dinge durch die ftummen, jedoch 
fihern Nachwirkungen ded an die Bifchöfe ertheilten Grafenbanns. Jept 
konnten die Kirchenhäupter ihren Vaſallen und überhaupt den Woeligen, die 
aus irgend einem Grunde die Gunft des Clerus fuchten, erklären: Wir Andern 
leben nach römijhem Rechte und wollen, daß aud unfere LXehenleute fih zu 
dem nämlichen Geſetze bequemen. Gewiß ift, daß während des Zeitraums, 
da der Grafenbann an die Etühle gelangte, außerordentlihe und mit Erfolg 
gefrönte Anftrengungen gemadt worden find, welde den Sieg der Romana 
bezwedten und wirflih Schritt für Schritt, obwohl nur langjam, herbeigeführt 
haben. Pabft Sylveſter IL, der vom April 999 bis zum Mai 1003 Petri 
Stuhl eimmahm, hat, wie ich unten zeigen werde, einen großartigen Wurf 





*) Siorentini, Matilda docum. ©. 7. 


Siebtes Buch. Cap. 24. Früchte des an das Bisthum verliehenen Grafenbannd. 423 


zewagt, um nicht nur Stalien, fondern die ganze katholiſche Welt dem Ges 
etzbuche Juſtinians zu unterwerfen. 

Ein Menjchenalter jpäter mußte Kaijer Conrad IL, von der öffentlichen 
Meinung gedrängt, das Mandat erlaflen,‘) weldes verfügte, daß für vie 
Zufunft im ganzen Kirchenftaate bei Streitigkeiten zwiſchen Solcdhen, die nach 
erſchiedenem, d. h. der Eine nach römifchem, der Andere nad langobardiichem 
Rechte, lebten, nur die Romana enticheide. Um die nämliche Zeit fommen bie 
rſten fihern Beweife des Borhandenjeind förmlicher Schulen für römifches 
Recht in Lombarbien zum Borjchein.?) Berner weiß man, daß im Laufe des 
ilften Jahrhunderts die Urkunden einzelner lombardiſcher Städte, namentlich 
ie von Modena, nur ausnahmsweiſe und felten Befenner des langobarbifchen 
ſtechts erwähnen, während die unendliche Mehrzahl auf die Grundlage ver 
omana auögeftellt ift.) Noch mehr! zur Zeit der Gregorianiſchen Bewegung 
var vieleicht Fein Theil des ulten Römerreichs der Kirche jo vollfommen ers 
eben, als die Provence und Languedoc oder das fünlihe Frankreich. Run 
ben in biefen Landſchaften verſchwand zwiſchen 1020—1090 das früher 
ort in Geftalt der Gothifa geltende deutſche Recht, und die Romana gewann 
usſchließliche Herrichaft.*) 

Im zwölften Jahrhundert fand felbft der Hobenftaufe Friedrich I. Bes 
agen am römischen Recht. Immerhin waren es nicht fowohl die in den Pan⸗ 
eften und dem oder vorgetragenen Grundfäge über Mein und Dein, oder 
ie Sicherheit des Beſitzes, die ihm gefielen, als die, unbejchränfter Fürſten⸗ 
ewalt fo günftigen Beflimmungen der Novellen Juſtinians. Aber nicht wegen 
iefer, fondern trog ihnen und um das Eigenthum zu jchirmen, hatte die Kirche 
on jeher die Romana feftgehalten. Den gehäuften Angriffen der eben bes 
hriebenen Art erlag zulegt die Lombardika. Doch ift fie nicht etwa, jo wie 
e es verdiente, gleich einer Verbrecherin durch Faiferlihen Befehl nah Urs 
yeil und Recht abgethan worden, jondern aus Altersſchwäche, langſam ohne 
sang und Klang, verſchied fie.) Ebenſo erging es in Italien ihrer Ge⸗ 
offin der Salifa. Und nun erft war ehrliches Beſitzrecht gegen die geheimen, 
uch Jahrhunderte getriebenen Greuel, die ih am gehörigen Orte aufdeden 
erde, geſchirmt. 

Im Uebrigen ift der Anftoß zum Siege des römiſchen Rechts nicht blos 
eßhalb von Rom ausgegangen, weil dort Petri Stuhl aufgerichtet fleht, der 
ets dieſes koſtbare Erbe der Ahnen vertheidigte; fondern auch fofern in der 
vigen Stadt die äußeren Hülfsmittel der Romana, gleihjam ihre Rüſt⸗ 
ımmer, nämlich Rechtsſchulen und gefchlofjene Corporationen von Rechtsge⸗ 


1) Berk, leg. II, a. ©. 40. ) &frörer, Kirch. Geſch. IV, 633. 3) Muratori, 
ıtig. Ital. II, 276. *%) Vaiſſete, histoire de Languedoc (neue Ausgabe) III, 228 fig. 
Muraiori, antig. Ital. II, 285 flg. u. Script. rer. ital. I, b. ©. 3 fig. 


424 Vabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Iehrten fich erhielten. In der Urkunde Pabft Leo's VIII. vom 6. Dezember 963, 
welhe Pertz ungerechter Weife tödten will, heißt‘) es: „unſern Beſchluß 
haben nicht nur die anweſenden Bilchöfe und Aebte, ſondern auch die einbe⸗ 
rufenen Richter und Lehrer des Rechts gutgeheißen.“ Deutlich erhellt 
aus diefen Worten, erftlih daß es zu Rom eine Rechtsſchule, und zweitens 
daß es ebendaſelbſt eine Genoſſenſchaft von Juriften gab, weldhe die Pähfte 
in wichtigen Fällen zu Rathe zogen. Lange vor der eigentlichen Rota beftand 
zu Rom eine andere, ungenannte. 

So viel über den einen Haupttheil gefeßgeberifcher Thätigkeit, welde 
Kaiſer Dtto I. während der Jahre 962 bis 967 auf italienifchem Boden ents 
widelte. Unbeftreitbar ift: dieſer Herricher, der gegen die Kirche wie ein 
Tyrann verfuhr, bat, ohne es zu wollen oder zu ahnen, der bürgerlichen 
Freiheit, und zwar der rechtmäßigen, ihre Pflichten erfüllenden, mit ver Kirche 
Segen ausgerüfteten, eine breite Gaſſe geöffnet. Co weile regiert ver Als 
mächtige die Welt, daß häufig aus Böſem Gutes, aus Jammer Heil und 
Stud erblüht. 


Sünfundzwanzigfles Capitel, 


Da6 Belek vom 29. October 967. Gntwidlung der in ihm enthaltenen Rechts-⸗Begriffe. 
Deutliche Spuren, daß eine verbrecherifche Hand viele von Dtto I. zum Wohle Italiens 
erlaffene Edikte zerfört bat. Die Berfährungsfriften der Salika und Langobarbifa. 
Mährend Adelige, die von geiftlicden Anflalten wegen ungerechten Befipes beklagt find, 
in eigener Perſon fechten muflen, erlangt ber Glerus das Recht, alle Streitigkeiten über 
Mein und Dein durch gewerbmäßige Känpen auöfechten zu laflen. 


Ich wende mid zu einem dritten Gelege Otto's J., deſſen Ort, Zeit 
und Umftände man genauer fennt. Scheinbar behandelt es einen ganz andern 
Gegenftand, als die oben erläuterten, und doch wird fich berausftellen, daß 
ed enge mit legtern zufammenhängt und zugleich Licht über die innern Schäden 
der italienifchen Geſellſchaft verbreitet. ü 

Kaiſer Otto I. hatte im Frühling 967 feinen gleihnamigen Sohn und 
Mitregenten nah Italien berufen. Nachdem derfelbe angekommen, hielten 
Beide, Vater und Sohn, einen Reichdtag unfern Verona, wo Verhandlungen 
beendigt wurden, in deren Folge die Herricher eine merfwürbige Norm über 
ftrittiged Eigenthum aufftelten. Die Eingangsworte?) des Geſetzes lauten: 
„leit alter Zeit kam die Gewohnheit auf, daß, wenn eine Urfunde, welde 
fih auf Eigenthum bezog, bei gerichtlichen Streitigkeiten vom ©egenpart für 
unädt erklärt ward, derjenige Theil, welcher die Lrfunde vorwies, die Hand 


*) Ber, leg. IL, b. ©. 167: viris catholicis episcopis et abbatibus, insuper jadi- 
gibus ac legis doctoribus promulgantibus. ?) Pers, leg. IL, a. ©. 32 fig. 


Siebtes Buch. Kap. 26. Das Geſetz vom 29. October 967. 425 


auf das Evangelium legen und fo die Aechtheit befchwören durfte, worauf die 
Richter Dem, der den Eid abgelegt hatte, das Eigenthum zufpradhen. Auf 
jiefe Weiſe entſtand in Stalien der ruchloſe und unerträgliche Mißbrauch, daß 
?eute, welhe Gott nicht fürdten, durch Meineid "unter dem Scheine des 
Rechts Hab und Gut erwarben. Zur Zeit, da der gottesfürdtige König 
Dtto von Pabſt Johann zum SKaifer gejalbt ward, hielt der genannte Pabſt 
ine Synode, vor weldher die Fürſten Staliend den Antrag einbrachten, daß 
yer heilige Kaifer durd Abänderung der Geſetze jenen Greuel abfchaffen möge, 
raft deſſen Ungerechte und Webelthäter, während fie dem Fleiſche nad reich 
verben, ihr Seelenheil verſcherzen. Indeſſen befchloffen der Pabft und der 
yottfeligfte Kaifer gemeinſchaftlich, daß die Sache verſchoben werden folle, 
is demnächſt eine neue Synode zu Ravenna zufammentreten würde. Über 
uch dort fam es zu feiner Enticheidung, weil mehrere Große von der Ders 
ammlung weggeblieben waren, und abermal vertagte man bie Frage bis zur 
Ankunft des jüngeren Dtto und des Königs Conrad von Burgund, welde 
ammt allen Großen Italiens nah Verona zu einem Reichstage beſchieden 
varen. Da nun dafelbit abermal ernfte und wiederholte Anfinnen vor das 
Ohr des Kaiferd gelangten, daß er durch Aenderung des beftehenden Rechts 
enen Greuel für immer ausrotten möge, bat er mit Zuftimmung Aller fols 
jſendes Geſetz erlaffen.“ 

Ich halte es für paſſend, zunächſt die Eingangsworte zu erklären, welche 
vegen offenbarer Verderbniß des Tertes nicht ohne Schwierigkeit ſind. In 
ver Reihe der Vorverhandlungen, welche dem Geſetz vorangingen, wird zuerſt 
inzweideutig die Kaiſerkrönung Otto's I. und eine Synode erwähnt, welche 
er damalige Pabft Johann hielt. Der Pabſt aber, der unjern König Dtto J. 
um Kaiſer frönte und die fragliche Berfammlung berief, war befanntlidy Jos 
annsDctavian, feines päbftlihen Namens der zwölfte, und beide Afte fallen 
n den Februar des Jahres 962. Im nächften Sage aber iſt davon bie 
Rede, daß die Sache mit Einwilligung des Pabſtes und des gottfeligfien 
daiſers auf die Synode verjhoben worden fei, die furz darauf!) in Ra 
enna zufammentrat. 

Rad dem Flaren Wortfinne muß man den Schluß ziehen, daß berfelbe 
Pabft Johann XII., der Otto frönte und 1062 die Synode zu Rom hielt, 
ch feine Einwilligung zum Verſchub gab und die zweite Verfammlung in 
Ravenna veranftultete. Allein nie bat Pabſt Johann XII. zu Ravenna mit 
em Kaiſer getagt, wohl aber gilt dieß von Johann⸗Octavians drittem und 
leihnamigem Nachfolger, dem dreigchnten Zohann.”) Daß diefer im zweiten 
Sage wirflid gemeint fei, erhellt nicht nur aus dem Thatbeftand der Synode 


— — 





*) Quae parra post intercapedine habita est Rarvennae. 7) Man vergl. Jafid, 
sgest. I, 327. 


426 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


von Ravenna, ſondern auch aus den eigenen Worten des Edikts. Denn in 
den naͤchſten Sägen wird unzweifelhaft vorausgeſetzt, daß der Pabſt, welder 
die Einwilligung zum Verſchube gab, eine und diefelbe Perfon mit demjenigen 
war, unter welchem das Edikt vom 29. Dftober 967 erlafien worden if. 
Damals ſaß aber befanntlid Johann XIII. auf Petri Stuhle. 

Noch ein zweiter Verſtoß gegen die Wahrheit liegt in dem angeführten 
Terte. Zwiſchen der Krönung Otto's I. und der Synode von Ravenna, 
welche im April 967 gehalten worden ift, verlief nicht eine Heine Zeit, ſon⸗ 
dern verliefen 5 Jahre. Da es unmöglich iſt, daß die Achte Faſſung eines 
Geſetzes ſolche Behler gegen weltbefaunte Thatſachen begeht, fo drängt fid 
die Annahme auf, daß der Text verborben ſei. Ebendieß behaupten auch 
Muratori und Pers.) Ein ganzer Sap ift ausgefallen, welder offenbar bes 
fagte, daß die Sache unter Johann XII. zwar angeregt wurbe, jedoch nicht 
zur Entſcheidung fam, daß aber jpäter Johann⸗Octavians dritter Radyfolger 
Johann XIII. die Frage wieder aufnahm. Dieſe Verderbniß des Tertes ver 
Ottoniſchen Edikte ift, wie wir fehen werben, nicht die einzige. 

Ueber die Abihaffung des im Eingange erwähnten Greueld wurde laut dem 
eigenen Eingeftänpniß des Geſetzgebers volle fünf Jahre verhandelt, che das 
Edikt zur Reife gedich, und immer neue Schwierigfeiten thürmten ſich der 
Entſcheidung entgegen. Jedermann fieht, daß dieß für hohe Wichtigkeit dee 
Begenftandes zeugt. Im der That deutet auch der Tert felbft darauf Bin, 
daß die Großen von ganz Stalien dabei — in verfchiedener Richtung — betheis 
ligt waren und in nicht geringe Aufregung verjegt worden fein müſſen. 

Bei Fragen der Art geichieht es ſtets, daß Partheien und Verſchieden⸗ 
beiten der Intereſſen hervortreten, oder daß ein Theil will, der andere nicht 
will. Mit höcfter Wahrfcheinlichkeit fann man vermuthen, die Yorderungen 
der zwei Hauptflaffen des Fürſtenthums, nämlid des weltlichen und geift- 
lichen, jeien bier wider einander geftoßen. Allein offen fagt dieß ver Tert 
nicht, jondern er fpriht nur im Allgemeinen von proceres Italiae, von cuncti 
convenientes und consentientes. 

Doc gibt er im erften Sage des Eingangs eine Andeutung, bie jedoch, 
wie fi unten ergeben wird, auf eine falfche Fährte leitet. “Der fraglide 
Sag ift fo abgefaßt, daß Jedermann auf den Gedanfen gerathen muß, ter 
Geſetzgeber wolle geiftlihe Erbfchleicherei mittelft erbichteter Schenkungsurkunden 
unmöglib machen. Wenn nun aber flare Thatſachen beweijen follten, daß 
das Edikt keineswegs geijtlihe Erbichleicherei, fondern im Gegentheil Kirchen: 
raub großer Laien verhindern will und wirflid verhindert, fo tft nur eine 
Erklärung denkbar, nämlich die, daß der Geſetzgeber durd einige wohlge, 
fällige Redensarten die Wuth eined mächtigen Standes, der fich tödtlich ges 


) A. aD. leg. II, a. ©. 32. Note *, 


Siebtes Bud. Gap. 25. Das Geſetz vom 20. October 967. 427 


troffen fühlte, einigermaßen zu befänftigen, gleichfam ein wenig Honig über 
eine gallenbittere Latwerge zu ftreichen beabfichtigte. .Der Text möge enticheiden. 

Der erfte Artikel des Edikts lautet: „wenn gerichtlicher Streit über Lands 
güter entſteht und entweder beide Theile oder auch nur ein Theil Urkunden 
als Beweiſe des Befigrechtes vorlegen, jo foll Zweikampf enticheiden, fobald 
der Theil, welcher eine vorgelegte Urkunde für falſch erklärt, fi zum Kampfe 
verſteht. Wo aber nit (d. h. wenn der fragliche Theil den Kampf vers 
weigert), jo foll nad den vorangegangenen Kapiteln verfahren werben. **) 
Ungweifelhaft beruft fich bier" der Geſetzgeber auf ein anderweitiges und zwar 
allem Anfcheine nad von ihm jelbit erlaffenes Edikt, welches das gerichtliche 
Borichreiten beim Beweiſe mittelft beftrittener Urfunden regelte. Allein das 
Edikt, auf das Otto Bezug nimmt, ift nirgends mehr vorhanden. Wir haben 
alfo hier einen zweiten handgreiflichen Beleg, daß Ottoniſche Geſetze gewaltiam 
unterbrüdt, ja vernichtet worden find. ine mächtige Kauft muß es gewefen 
fein, die Soldyes zu vollbringen vermochte, die Kauft eines Gewaltigen, 
ver fi allem Anjcheine nach zur Aufgabe gejegt hatte, Otto's Geſetzgebung 
gänzlich umguftoßen. Ich ſage zum Voraus: König Ardoin von Jvrea war 
der Thaͤter. 

Artikel 2: „gerichtlihe Händel, betreffend Kirchenjachen, werden durch 
Beiftände (per advocatos Bögte) betrieben.“ Artikel 3: „wenn ein gerichts 
licher Streit über Einjegung in ein Lehen entfteht, muß berjelbe durch Zwei⸗ 
fampf entichieden werten.” Wer gab Lehen aus? Sch behaupte drei vers 
ihiedene Gewalten: erftend die Krone, zweitens die Kirche, drittend das 
weltliche Fürſtenthum, denn jeder Fürſt, jede große Kirche hatte Vaſallen. 
Nun fragt es fih, ob fraft des dritten Artikels auch der Kaiſer fi bei 
Streitigkeiten über Belehnung dein Zweifampfe unterziehen mußte? Die Worte 
icheinen fo zu lauten. Dennoch ift der Sinn ein anderer. Denn der zehnte 
Artifel, der die Claſſen aufzählt, welche durch Stellvertreter einen gerichtlichen 
Zweikampf ausfechten durften, jchweigt vom Könige oder Kaiſer und zwar 
offenbar darım, weil er gar nicht belangt werben fonnte. 

Artikel A: „wenn Einer in eigener Perſon oder durch Vermittlung eines 
Andern irgend ein Gut einem Dritten zum Aufheben anvertraut, und dieſer 
Dritte läugnet aus Habjuht den Empfang weg, fo enticheidet Zweikampf, 
fobald der Werth des anvertrauten Guts zwanzig Scillinge erreicht." Art. 5: 
„über die beftrittene Wahrheit von Diebftahl oder Raub enticheidet gleichfalls 
bei einem Werth von ſechs Scdillingen und darüber die Klinge.” Artikel 6: 
„wenn Jemand behauptet, eine Urkunde, die fi) auf Grundeigenthum bezieht, 
fet ihm mit Anwendung von Gewalt abgepreßt worben, fo bat er den Bes 
weis mit der Klinge zu führen.” 


2) Seeundum priora capitula determinetur. 


428 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Artikel 7: „wenn Jemand ein Pferd oder ſonſt ein Thier als fein 
Eigentbum in der Hand eines Andern erfennt, und diefer Andere ſich bereit 
erflärt, Bürgichaft (des Ericheinens vor Bericht) zu leiften, fo fol bejagter 
Andere auf der Stelle fhwören, daß er einen beftimmten Bürgen ftelle, und 
fogleidhy mit Dem, der fein Eigenthumsrecht anfpricht, zu dem Bürgen gehen. 
Falls der Erfte und der Zweite, welchen der Verdächtige genannt hat, die 
Bürgichaft verweigert, darf der Verdächtigte nur noch einen Dritten nennen. 
Auch fol er den Bürgen nicht in mehr als drei Grafſchaften auffudhen (und 
dadurch den Kläger weiter herumziehen). Vermag der Berbächtigte eine 
Bürgichaft in der angegebenen Weiſe nicht zu leiften, fo verliert er die be 
firittene Sache und muß überdieß die gefeglihe Buße — wegen Borent: 
haltung fremden Guts — entrichten.” Diefer Artikel lautet faft aufs Wort 
wie gewifle Gefege des Eroberers Wilhelm. 

Artikel 8. „Kein Late, mit einziger Ausnahme der Grafen, doch aud 
diefe nur in Eirchlichen Angelegenheiten‘) — darf einen gerichtlichen Zweikampf 
dur Stellvertreter ausfechten.” Der Ausdruck in der Klaufel iſt nadhläffig. 
Gleichwohl kann der Sinn blos dieſer fein: Grafen find nur dann ermächtigt, 
einen gerichtlichen Zweikampf durch Stellvertreter auszufechten, wenn fie für 
Kircheneigenthum einftehen, d. h. wenn und fofern fie Kirchenvdgte, geſetzliche 
Vertreter irgend eines Stifts find. 

Artikel 9: „jeder Einwohner unfered Reiches Stalien, mag er fi zur 
Pomana oder zu einem anderen Rechte befennen, hat vorliegende unjere Bes 
ftimmungen bezüglich ded Zweifampfes einzuhalten. Eine Ausnahme findet 
nur dann ftatt, wenn Einer wegen unmündiger Jugend oder wegen abge: 
welften Alters unfähig zu fechten if. Im diefen beiden Fällen ift ein Stell 
vertreter geftattet, indeß wenn Solches geſchieht, fteht auch dem andern Theile 
das Recht der Stellvertretung zu.” Artikel 10: „Außerdem dürfen Kirchen, 
Grafen, Wittwen ihre Streitigfeiten in der von Uns beftimmten Weife durch 
Stellvertreter ausfechten. Doch follen die Stellvertreter dem gleihen Stande 
angehören, wie der, gegen welchen fie Fämpfen.”) Alle andern freigebornen 
Inſaſſen unferes Reiches Italien müfjen felber für ihre Sache mit der Klinge 
einftehen. . 

An ſich ift Elar, daß die Berechtigung der Grafen, Stellvertreter zu er: 
nennen, durch die Worte des achten Artifeld befchränft wird. Weber die Bes 
deutung des Ausdrucks consimilis bemerfe id, daß meines Eradıtens der Ge. 
feßgeber vorjchreibt, wenn ber in einen gerichtlichen Streit verwidelte Laie 
oder Blerifer von Geburt aus adeligen oder bürgerlichen, gemeinsfreien Stan- 
des feie, jo müfle auch der aufgeftellte Fechter adelig oder bürgerlich fein. 


') In solis ecclesiasticis rebus. 3) Wörtlid per consimiles advocatos pugna 
dirimant, 


Siebtes Buch. Gap. 25. Das Geſetz vom 29. October 967. 429 


Nach mittelalterlihem Rechte Fonnten nur Gleichartige — pares — für und 
wider einander einftehen. 

Der eilfte und letzte Artikel greift in ein anderes Gebiet über: „Wir 
verbieten in allewege, daß die Söhne von Diafonen, Presbytern, Bifchöfen, 
je Notare, Echultheißen, Grafen, Richter werden.” Wer ſo — wie Dtto 
bier thut, — PBriefterfinder für ehrlos erflärt, — denn dieß ift der Sinn des 
Artikels — von Dem muß man voraudfepen, daß er das priefterliche Gölibat 
durch Geſetze eingefchärft, verehelichte Beiftlihe oder das Concubinat der 
Prieſter mit Strafen bedroht habe. Allein feine Spur eines ſolchen Ottonifchen 
Geſetzes ift mehr vorhanden. Abermal ftoßen wir auf die Fährte einer Ratte, 
welche die zum Wohle Italiens erlaffenen Geſetze unſers Herrn und Kaiſers 
Dtto I. anfraß, eines Maulwurfs, der fie zernagte! 

Alle felbftändigen Staliener wurden, wie man fieht, durch Otto vers 
pflichtet, ihre gerichtlichen Streitigkeiten in eigener Perſon auszufechten. Eine 
Ausnahme geftattet das Geſetz erftllih nur für Die, welde von Natur uns 
fähig zum echten find, nämlich für Unmündige, reife, Wittwen, und zwei⸗ 
tens für den geiftlihen Etand, fowie für diejenigen Beamten, welden e8 zus 
fommt, clerifales Eigentbum und Recht vor dem Richter zu vertheidigen. 
Bon ſelbſt verſteht es fi, daß es ein höchſt koſtbarer und gewiß viel beneis 
deter Vorzug war, weldhen Dtto der Elerifei einräumt. Schon aus dieſem 
einen Punkte erhellt, daß das fragliche Edikt — mögen die Eingangsworte 
lauten, wie fie wollen — zu Gunſten der Kirche gegeben worden ift. 

Vermöge deflelben ftellte Dito den Beweis des Befſitzrechtes einzig und 
allein auf die Klinge und ftieß die Beftimmungen der Romana über dieſe 
Materie, von denen vorzugöweife ver berühmte Ausfpruh Montesquieu’s 
gilt: das römische Recht ſei gefchriebene Vernunft, fcheinbar wie ein Barbare 
um. Der erfte Eindrud, den Otto's Edikt vom 29. Dftober 967 auf den 
Leſer macht, wird ficherlich der fein: ein rohere®, gemeineres, unzwedmäßigeres 
Geſetz ſei auf Erven nie erlaffen worden. Gab es feine anderen Mittel, bei 
Beftreitung von Urkunden die Wahrheit feftzuftellen!! Konnte er nicht befehlen, 
daß jeder Lehnbrief von einigem Belang, jede größere Schenfung von einem 
der zahlreihen Hofrichter Italiens beglaubigt, und daß beglaubigte Abfchriften 
in ven Pfalzen, die in vielen Städten Staliens befanden, aufbewahrt wers 
den? und fchnitt diefe einfache Vorfichtömaßregel nicht die meiften Bälle der 
UrkundensBeftreitung ab? Noch mehr! fonnenflar ift, daß Otto's I. Geſetz 
jeden Räuber, der vermöge feiner Fertigkeit und flarfer Sehnen Andere 
nieberzuftechen vermochte, ermuthigen mußte, korperlich⸗ſchwache Nachbarn in 
ungerechte Prozeſſe zu verwideln. Wer wird es Iäugnen, das Geſez iſt 
barbariſch. 

Gleichwohl war Der, welcher es erließ, kein Barbare, ſondern hat im 
Gegentheil durch fein Edikt eine Verſtandesſchärfe bewährt, die wid N Ders 


430 Pabſt Sregorins VII. und fein Seitalter. 


wunberung für ven Mann erfüllt, der einft Katfer und höchſte Obrigkeit um 
ferer Nation war. Otto wählte zwiſchen zweien unumgänglichen Uebeln das 
fleinere: unter den damaligen Umftänden hätte er, um jenen Mißbrauch gründ⸗ 
lich zu befeitigen, die Lombardika und Salika abfchaffen müflen, was aber 
eine unüberjehbare Zerrüttung des Beſitzſtandes durch ganz Italien herbeiges 
führt haben würde. Darum zog es der deutiche Kaiſer vor, bie giftigften 
Geſchwüre der Lombarbifa dur ein Heilmittel, das fie. felber bot, gleichjam 
aus dem Fleiſch herauszubrennen. 

Die Natur des Gegenftandes nöthigt mid, in die verborgenften Irr⸗ 
gänge mittelalterlicher Rabuliftif einzubringen. Allein ich betrete hiemit ein Ges 
biet, das noch feiner der vielen neueren Schriftfteller, welche die Welt über 
die NRechtözuftände unferer Ahnen zu belehren fi herausnahmen, aud nur 
mit einem Finger berührt bat. Ich bitte um Aufmerkſamkeit. 

Dadurch, daß neben der Romana, weldhe für die unendliche Mehrzahl 
der Einwohner Staliens in Geltung blieb, die Lombarbifa eingeführt wurbe, 
bat der Befipftand in der apenninifchen Halbinjel einen fürdterlihen Stoß ers 
litten, und bie Unficherheit wuchs noch mehr durd das Edikt des Kaiſers 
Lothar L., das freien Romanen nad eigenem Ermeflen romaniſches oder alt 
deutſches Recht zu wählen geftattete. 

Im Allgemeinen fann man fagen, daß es in fämmtlichen Provinzen des 
alten römifchen Reihe, wo ſich Germanen dauernd angefievelt hatten, für 
Romanen gegen Romanen nur einen einigermaßen ausreichenden Rechtsſchut 
des Beſitzes gab, nämlich den, melden die römijche Lehre von der praescriptio 
oder der Verjährung bot. Die Romana jchreibt befanntlih vor: wer barzus 
tbun vermöge, daß er ein Grundftüd je nah Umftänden zehn, zwanzig, dreißig 
Jahre inne hatte, müſſe als rechtmäßiger Beſitzer betrachtet werden. “Doc 
begnügt fie fich keineswegs mit dem Nachweis der Jahre, fie verlangt 
weiter, daß der thatlächlihe Beſitzer einen geſetzlichen Titel Ceine gerichtliche 
Kaufds oder Erwerbsurfunde) und überbieß redliche Abficht, bona fides, erhärte. 

Da letztere Bedingung in das unfichtbare Gebiet des Innern Menjchen 
— den Bereih der Theologie — überfpielt, und da andererjeitd eine vers 
nünftige Geſetzgebung nur mit fihtbaren Handlungen zu ſchaffen haben kann, 
it anzunehmen, daß unter bona fides in die Sinne fallende greifbare Afte 
verftanden werden, welde den Echluß auf redliche Abficht begründen. Ein 
folder Aft ift unter Anderem die Zahlungsfählgfeit. Denn wenn ein Menid 
ohne Vermögen, wie 3. B. der württembergifhe Schäfer Fraſch, eine Herr: 
Ihaft für anderthalb Millionen kauft, und es fi) nachher herausftellt, daß er 
feinen rothen Heller beſitzt, fo hat ein folcher Käufer nicht bona, fondern 
mala fide gefauft, ift ein Echwindler, und verdient dad Zuchthaus. In die 
Augen jpringt, daß die beiden Bedingungen des justus titulus und der bona 


Siebtes Bud. Gap. 25. Das Geſetz vom 29. October 967. 431 


fides von Selten des Geſetzgebers hohen Einn für Gerechtigkeit befunden und 
zugleich dem Beſitz einen ausgiebigen Schutz gewährten. 

Aber nad Niederlaffung der Langobarden in Stalien beftand ‚ver Rechts⸗ 
ſchuß Des justus titulus und der bona fides felhft für den Verkehr von Ros 
manen gegen Romanen nicht mehr, und nur die nadten zwanzig oder dreißig 
Jahre waren noch aufrebt. Den Beweis entnehme ich aus gerichtlichen 
Handlungen derjenigen Romanen, melde ermweislich die vornehmfte Stellung 
im Abendlande behaupteten: der Stellvertreter des Apoftelfürften Petrus. 

Anderdwot) wurde bemerkt, daß Bruchftüde päbftlicher Pachtbücher vom 
fiebten Jahrhundert an auf uns gekommen find. Obgleich einzelne Statthalter 
Petri unter verfchiedenen Bedingungen Güter an Romanen gegen Zins aus» 
gaben, kann man ald Megel annehmen, daß, wenn es vornehme und mäd 
tige Laien waren, die fib um Pachtungen von Kirchenland gegen Zins ober 
Dienfte bewarben, eine beftimmte Frift feftgefegt zu werden pflegte. Zwiſchen 
715 und 731 verpachtete?) Pabft Gregor II. an den Tribunen Anntolius 
auf 28 Jahre gegen Zins gewiſſe Grundftüde im Gebiete von Anagni, ebenfo 
berjelbe gegen Zins von 109 Golbftüden auf 29 Jahre die Infel Capri an 
den Conful Theodor.) Zwiſchen 741 und 752 verpactetet) Pabft Za- 
charias gewiſſe Kirchengüter auf 29 Jahre an den Soldaten, d. h. Ritter 
Aftus. Ein weiteres Beiſpiel aus Oberitalien und der erften Hälfte des 
eilften Jahrhunderts möge beigefügt werden. Mittelft Briefs“) vom 19. Auguft 
1029 verpachtete Bifchof Alrih von Afti an die Eheleute Abellio und Amal- 
trud gegen feften Zins auf 29 Jahre ein Schloß fammt Zubehör. Meines 
Erachtens erhellt aus den angeführten Thatſachen, erftens daß Verpachtung 
von Kirchengütern auf 28—29 Jahre ein weit verbreiteter Gebrauch war, 
und zweitens daß fie in irgend einer verftedten Beziehung zu den 30 Jahren 
der Romana fleht. 

Es gab aber neben der 30jährigen, wie ich oben fagte, nod eine 
29jäährige Weife der Präfeription. Auch die Wirkfamfeit dieſer Form tritt in 
einzelnen kirchlichen Pergamenten hervor. Mittelſt Akte) vom Jahre 870 
selehnte der Laienabt Radulf von St. Maurice (im heutigen Wallis) die 
Kaiferin Engelberga mit gewiffen in Tuscien gelegenen Gütern, die dem ges 
nannten burgundiſchen Stifte gehörten, gegen einen Zins von 15 Scillingen 
auf 19 Jahre. Die Eingangsworte Tauten: „alte Sapungen ſchreiben vor, 
dag Kirhengüter an bürftige Laien gegen Zins dann gültig auögelichen wers 
den dürfen, wenn erftlih das betreffende Kirchenhaupt (mit Zuftimmung der 
ihm beis oder untergeordneten Cleriker) einwilligt, zweitens wenn der Lehen, 
brief nur auf 19 Jahre lautet, drittens wenn nad Verfluß dieſer Friſt ents- 


2) Oben S. 22 fl. °) Zaffe Nr. 1678. *) Ibid. Nr. 1704. ) Ibid. Rr. 1762. 
°) Histor. patriae monum. Chartae I, 484 unten. *) Ruratori, antiq. Iral. II, AU6 Tg, 


432 .  Mabh Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


weder ber Brief erneuert wird oder das ausgelehnte Grundftück an den eigent- 
lihen Eigenthümer (die Kirche) zurüdfällt. Demgemäß übergebe ich Abt von 
St. Moriz auf Deine Bitte, erlauchteſte Kaiferin Engelberga, die unferem 
Klofter gehörigen tusciſchen Drte Paterno und Aciana mit Einwilligung 
fämmtlicher Brüder unferes Stifts an Dich gegen einen Zind von 15 Sdil 
fingen auf 19 Jahre.” Am Scluffe fteht der bemerfenswerthe Vorbehalt: 
die Stipulation folle gelten (stipulatione subnexa), den ich unten erflären werte. 

Alſo förmlihe Geſetze — und zwar allem Anfcheine nach kirchliche — 
beftimmten, daß geiftlihes Gut nur unter den erwähnten Bedingungen auß: 
gegeben werden durfte. Indeſſen ift nicht anzunehmen, daß das fraglice 
Gewohnheitsreht fo ausſchließlich lautete, al8 obige Urkunde andeutet. Biel 
mehr muß es geftattet gewefen fein, je nach den Verhältnifien die Pachtungd: 
zeit auch auf 29 Yahre feftzufeßen, denn jonft hätten weder Die obgenannten 
Päbſte, noch auch der Biſchof Alrich von Afti jene Verträge abichließen können. 
In der That befagen die Eingaugsworte einer Urkunde,') Eraft welcher ber 
Ealier Conrad II. einen Pachtbrief beftätigte: es ſei ein alte durch die 
beftehenden Geſetze beftätigtes Herkommen, kirchliche Pachtungen auf 29 Jahre 
zu verleihen. 

Warum iſt nun die Frift von 19 oder 28 bis 29 Jahren vorgefchrieben 
worden? Offenbar weil der Gejeßgeber von der Anfiht ausging, jedes Pacht⸗ 
gut fei für den eigentlichen Befiger verloren, fobald der Pächter durch Zeugen- 
eide den Beweis führen Fönne, daß dafjelbe feit 20 oder 30 Jahren nach dem 
beftehenden Ortsrecht in feinen Händen fich befinde. An Vorfihtsinaßregeln, 
das Eigenthumsrecht über ausgeliehene Güter unter allen Umftänden zu wahren, 
hat ed nicht gefehlt. Unzähligen Urfunden, welche Orundvermögen, fei es für 
immer dur Scenfung oder Berfauf, ſei es für eine gemefjene Zeit, durd 
Padıt oder Lehen auf einen Andern übertragen, ift am Ende die Clauſel beis 
gefügt:?) stipulatione subnixa (subnexa). Der Augenfchein Ichrt, daß die No 
tare bier der Kürze oder vielmehr ihrer Bequemlichkeit wegen nähere Beftim- 
mungen über die Art der Stipulation weggelaffen haben, auch fann man bie 
Lücke ausfüllen. 

Ein unter Ludwig dem Frommen ausgeftellted Pergament enthält am 
Schluſſe die Formel:) „mit Beifügung der Etipulation, welche die Feſtig— 
keit aller Urkunden fichert.” Andere Handveften nennen das Kind beim 
wahren Namen: die zwei leges aquiliana und arcadiana find gemeint, welde 
die Haupteinreden gegen die buchftäbliche Gültigfeit von Pachtverträgen ab- 
fchnitten, oder um mit Eujacius zu reden, die Kraft des Vertrags flet ers 
neuerten, folglidd — was für obigen Fall der Angelpunft war — die Verjährung 

1) Bei Du Bange neue Ausgabe IV, 92, dritte Spalte: ex chartulario ecclesiae Vien- 


nensis. 3) Daf. sub voce stipulatio. 3) Ibid. neue Audgabe VI, 367, erfte Spalte flg.: 
stipulatione subniza, quae omnium cartarum firmitatem aocommodat. 


Siebtes Buch, Gap. 25. Das Belek vom 29, October 967. 433 


ausſchloſſen.) Desgleihen vergaß man nicht, bei Ausfertigung von Pacht⸗ 
verträgen (libelli) zwei aleichlautenve Briefe zu fchreiben, von welden den 
einen der Pachtherr, den andern der Pächter erbielt.?) 

Altes half nichts: Güter die auf längere Zeit ald auf 19 oder 29 Jahre 
ausgegeben waren, gingen unfehlbar in ven Beſitz des urjprünglichen Pächters 
über, und bald auch überhaupt faft alle an Adelige verpachtete Ländereien. Richt 
mur der Schuß der bona fides und des justus titulus ſchwand, fondern Kürze 
ter Verjährungss&riften zerftörte jede Sicherheit. Als Zeugen ftelle ich einen 
Pabſt und einen Kaiſer. 

Dtto T. ſagt in der mehrerwähnten") 963 zu Ounften der Domherren von 
Arezzo erlaffenen Urkunde: „in Tuscien ift die böfe Gewohnheit eingerifien, 
daß Edelleute, die eine Firchlihe Pachtung erlangt haben, nie oder faft niemal 
den bedungenen Zins entrichten.” Diefer Mißbrauch kam aber nicht erft im 
zehnten Säculum, no in Tuscien auf, fondern er befland fchon im achten 
Sahrhundert, und faft durch ganz Italien. Im Jahre 790 fchreibt") Pabſt 
Hadrian I. an den Kranfenfönig Carl: „durch Simonie geräth das beweg⸗ 
fihe und unbewegliche Eigenthum der Kirchen in große Gefahr, nit nur das 
vorhandene Silber und Gold geht verloren, fonvern fie hat auch zur Folge, 
daß das Grundvermögen der Stifte auf PBachtbriefe ausgegeben, und dadurch 
der Kirche, wie der Augenſchein zeigt, entfrembet wird.” 

Wie Fonnte das Uebel bis zu folder Höhe anfchwellen? Hauptur- 
fache war die Zerrifienheit des Rechts auf der Halbinfel. Wie oben gezeigt 
worden, befannten fich viele Inſaſſen des italifchen Reihe nicht zur Romana, 
fondern zur Lombardika, Salika, Alamannika, ja au noch zu andern alt- 
beutfchen Volförechten. Im Durchſchnitt fann man annehmen, daß die große 
Mehrheit des Adels, alfo gerade die Klaffe, welche vorzugsweiſe im Stande 
war, die Gunft der Umftände für Erlangung kirchlicher Pachtungen auszu⸗ 
beuten, unter der Lombardifa, daß weiter ein Feiner aber ſehr mächtiger Theil . 
berfelben Körperfchaft unter der Salika ſtand. Die Lombarbifa aber und bie 
Salika weiß nichts vom Rechtsſchutze des geſetzlichen Erwerbtitels oder der 
reblichen Abſicht, überdieß ſetzt die eine eine fürchterlich kurze Verjährungsfrift, 
die andere verfucht e8 wenigftens, eine um nicht viel längere einzufhmuggeln. 

Bermöge einer verhängnißvollen Auslegung des Artikels,“) der die Ueber⸗ 


— — 


1) Man vergl. außer Du Gange a. a. O. Neugart, cod. diplomat. Alam. I, 21. Note p. 
and Barbeflus, diplomata etc. II, 394. 2) Pachtbrief des Aftenfer Biſchofs Alrich vom 
19. Yug. 1029. histor. patr. monum. Chartae I, 485: unde duo libelli uno tenore seripti 
sunt. ”) Oben ©. 403. *) Genni I, 518: ut aurum et argentum jam non habea- 
zus, et ipsae res ecolesiarum per emphyteuses manu conscriptas ezistant allenatae. 
) Banciani IL, 89: si quis super alterum in villa migrare voluerit et. Man Tann bie 
solle Tragweite bed Gegenſtandes, den ich hier blos berühre, nur im Sufammenhang vieler 
mberen Thatfachen ermeflen. Cine ſolche ausführliche Darftellung behelte ich meiner Ge⸗ 
chichte der germaniſchen Volkorechte vor. 
@frörer, BabR Orsgesiss vu. BD. v. 28 


r 


434 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitaller. 


fchrift de migrantibus trägt, wurde in tie Salifa der Grundfag hineinger ? 
dentet, daß jeder, der irgend ein Gut während eines Jahres, eines Monate, 
eined Tages inne hatte, rechtmäßiger Befiger ſei, und nicht mehr wegen ww 1 
rechten Erwerbs, oder um in der fränfifchen Gerichtöfprache zu reden, auf ı 
Befigentäußerung de dissasina — belangt werden fünne. Mit gutem Fuge 
darf man fagen: auf diefer Sapung ruht der Fluch der halben roömiſchen 
Welt. Erſt Kaifer Friedrich II. fchaffte dieſelbe offen — doch auch er mur 
für fein normannifches Erbreiih — ab. 

Im dritten Buche der Grundverfafjung für Sichlien und Neapel, dem 
32. Kapitel, dem 1. Abfchnitte heißt‘) es: „das greulidhe und unmenid- 
liche Beleg, das in gewifien Theilen unferes Reiches bezüglich der Berjäh- 
rung beſteht, ift biemit niedergefchlagen. Die Friſt eines Jahres, Monate, 
Tags und einer Stunde, welche die Folge hatte, daß jeder Befiger fein Eigen 
thum verlieren fonnte und der Franke, d. b. Salier, der e8 an fi ge 
riſſen, nicht auf Befigentäußerung verflagt werden durfte, gilt nicht mehr, 
fondern an ihre Stelle treten die Beftimmungen des gemeinen Rechts (com- 
munis, id est romani juris), bezüglid der 10, 20, 30 Jahre, mit Borbehalt 
des gefeblihen Titeld und der reblichen Abſicht.“ 

Die Mißbräuche, die bier Kaiſer Friederich UI. ſchildert, wucherten ſchon 
700 Jahre vor ihm, feit dem Augenblide, da Chlodwigs Franken fi, wie 
eine Heerde gieriger Wölfe, über Gallien verbreiteten. Kam ein fränfijcher 
Hauptmann mit 10—15 Knappen in ein Dorf, wo er ein römiſches Land» 
gut fah, das ihm wohl gefiel, fo brach er hinein, nahm den Befiger am Kopf, 
warf ihn 396 Tage lang in ein Loc, dann ließ er ihn laufen, gab ihm etwa 
noch einen Fußtritt und fprady: fo, geb’ hin und Flage wo du wit, dein ehe⸗ 
maliges Gut ift fraft falifchen Rechtes mein, denn ich beihwöre mit hundert 
Händen, daß ich dafjelbe feit Jahr und Tag inne habe. In diefer Weile 
geſchah es, daß die Franken Chlodwigs durd ganz Gallien die fchönften 
Güter an ſich brachten, obgleich der Eroberer Das, was vor ihm Burgunder 
und Gothen thaten, nicht nachgemacht, d. h. die romaniſchen Befiger nicht 
gezwungen bat, an feine Leute einen gejeglich beftimmten Theil ihres Eigen» 
thums abzutreten. Die Normannen der Seinemündungen, die im elften Jahr⸗ 
hundert mit jaliihem Rechte nad Apulien einwanderten, verjuchten dort bie 
nämlide Praxis, bis ihnen Kaiſer Brievrih II. für immer das Hand» 
werf legte. 

Die Lombardifa ift nicht fo begehrlihb und plump, wie ihre nieberrheis 
nifhe Schwefter, doc fehlt es auh ihr an Tücke nicht. Das Geſetz, das 
König Rothar im Jahre Ehrifti 643 erließ, beftimmt?) Artifel 231: „wann 


—— — — — — 


) Canciani I, 366: daram ac diram consuetudinem atque iniguam — silere praeci- 
pimus. ) Ganriani I, 88, a, 


Siebtes Buch. Gap. 25. Das Geſetz vom 29. October 967. 435 


Einer einen Andern wegen beweglichen oder unbeweglichen Beſitzes belangt, 
Iprechend, der Andere habe den Gegenftand der Klage nicht mit Recht inne, 
ſoll es alfo gehalten werden: hat der Befigende das Gut volle fünf Jahre 
inne, jo ſchwört er entweder einfach die Klage ab, oder beweist er fein Recht 
dur die Klinge.” Dieſe Verfügung, welde mächtigen Räubern, die fünf 
Jahre lang Klagen Beraubter mit Gewalt oder Lift zu Hintertreiben wußten, 
eine prächtige Erndte eröffnete, muß Greuel ohne Zahl veranlaßt haben, dein 
die folgenden Herrſcher der Langobarden mühten fi nicht wenig ab, Rothare 
Vorſchrift einzufchränfen oder abzuſchaffen. 

König Grimoald verorpnete‘) im Sabre 668: „wenn Giner 30 Sahre 
lang Häufer, Gefinde, Landgüter alfo inne hatte, daß fein Beſitz Tandfundig 
ft, fo dürfen ſolche, die fein Beſitzrecht gerichtlich angreifen, Ihn nad Ver⸗ 
Tuß von 30 Jahren nicht mehr vor die Klinge fordern; fondern er ift befugt, 
ie Klage einfach je nah dem Werthe abzufhwören.” Zum Verftändniß Ich» 
eren Saped muß man wiffen, daß die Lombarbifa gleich andern germanifchen 
Bolförechten je nad) dem höheren Werthe des firittigen Gegenſtands mehr 
Bände von Eidcöhelfern forderte. Im Uebrigen ſetzt König Orimoald un« 
yerfennbar voraus, daß der dreißigjährige Beflg, den er im Auge hat, nicht 
nit rechten Dingen erworben fe. Der Streit mußte einmal aufhören. 

Doch machte Grimoald im PVergleih mit Rothar der Gerechtigkeit eine 
woße Einräumung. Während nad der Sapung des Erſtern ein Räuber 
bon nah 5 Jahren unbefchrienen Genuſſes fein Schäfhen ins Trodene 
ringt, kann laut der Berfügüung des Leptern unrechtmäßige Befigergreifung 
9 Jahre lang auf Eid und Schwert belangt werben. 

Um einen bedeutenden Echritt weiter näherte fi) dem Rechte der Natur 
mb der Romana König Liutprand, indem er 724 verfügte:?) „wenn Einer 
ine Urkunde, welche Befigrecht bewies, inne hatte, und er verlor biefelbe 
ıchher, fo darf er nach vollendetem breißigjährigen Befibe des Guts (auf 
a8 ſich die verlorene Urkunde bezog), nicht mehr von einem Andern mit Bes 
ufung auf eine entgegengefeßte Handvefte belangt werden; fondern der Bes 
iger, der das Gut 30 Jahre inne hat, fol ungefährbet im Beſitze bleiben, 
intemalen unfer Vorgänger, der glorreihe König Grimoald, 30 Jahre für 
mmer ald Norm feftgefegt hat. So lange aber die Dauer des Befiges 
olle 30 Jahre noch nicht erreicht, mag ein Kläger allerdings Gegenurfunden 
vorbringen.“ 

Dieſer Artikel lenkt bereits auf die Bahn des justus titulus der Ro⸗ 
ana ein, bewilligt aber, offenbar um die, welde ein unlauberes Ges 
biſſen hatten, zu beruhigen, dad Zugeftändniß, daß ohne Weiteres nad 
0 Zahren die Ausrede zufälligen Verlufts einer betreffenden Handveſte ſtatt⸗ 


‘) Ibid. ©, 99, d. cap. 4. )Ibid. ©. 113, a. cap. 1. 
28° 


436 Pabſt Gregorius VII. und fein Seltalter. 


haft fein ſollte. Der wegen ungerechten Beſitzes Belangte brauchte im aw 
gegebenen Fall bloß nachzuweiſen, daß er bie Urkunde, welde er verloren 
zu haben behauptete, in früherer Zeit Andern gezeigt habe, was bei dem ge 
werbmäßigen Meineid, der in Ländern germaniihen Rechts betrieben wart, 
nicht ſchwer fiel. 

Erft gegen Ende des langobardiſchen Reichs treten Beftrebungen hervor, 
vorzugsweiſe geiftlihes Eigenthum zu ſchützen. König Aftulf fchreibt‘) im 
Sahre 754 vor: „wenn ein Lombarbe irgend welches Gut 30 Jahre lang |: 
Iandfundig befeffen hat, kann er von geiftlichen Anftalten nit mehr wegen 
ungerechten Erwerbs belangt werden. Die gleiche Beftimmung gilt zu Gunften 
der Geiftlichfeit gegen langobardiſche Kläger.” Endlich nad dem Sturge des 
Tegten einheimiſchen Fürften Defiderius, gebot Pippin, Garld des Großen Sohn, | | 
als König Statthalter des Langobardenreichs, wie folgt:”) „frommen Anftalten | | 
gegenüber find in Streitigkeiten über Beſitz die Einreven der 10, der 20, der | 
30 Jahre unzulaͤſſig. Erft wenn geiftlihes Gut 40 Jahre in den Händen 
eines Laien fich befunden hat, Fann der Elerus nicht mehr auf Entäuße 
rung klagen.“ 

Aus den Urkunden, die ich unten anführen werde, geht hervor, daß 
Solche, welche auf Koften der Kirche Land und Leute an ſich zu bringen firebten, 
gewöhnlich die AO Jahre Pippins zur Grundlage ihrer Umtriebe wählten. 
Wenn nun ein Laie, der fih zur Langobarbifa befannte, zu Wege gebradt 
batte, daß irgend ein geiftlihes Gut, fei es durch Pachtverträge gegen Zin, 
ſei es mittelft anderer Künfte 39 Jahre lang landfundig unter feinen oder 
feiner nädften Erben Handen verblieb, fo behielt er im vierzigften den 
Pachtſchilling zurüd, und den geiftlihen Pachtherren wurde zu verftehen ge: 
geben, daß fie, wenn fie weiteren Zins anfpräcen, fich an die Gerichte wenden 
möchten. Klagten Diefelben, fo erihien der Langobarde mit feinen Freunden 
und Nachbarn, als feinen Eiveshelfern oder Zeugen, welche mit ihm auf das 
Evangelienbuh oder den Reliquienfaften einen Eid des Inhalts ablegten: 
landfundig fei e8 in ihrer ganzen Gegend, daß der Beklagte N. N. mehr 
als AO Jahre das mit Unrecht beftrittene Grundftüd inne habe. 

Falls etwa die Beiftlichen einwandten, der Bellagte fei Fein Befitzer, 
fondern blos ein Pächter und habe laut Quittungen längere Zeit die Zinfe 
richtig bezahlt: jo Tachte ihnen der Langobarde ind Geficht, fprechend: unfer 
Kleinod, die Langobardifa, weiß nichts von Pacht und andern Spipfindigfeiten 
der Art, jondern blos von Beſitz. Der Beweis aber, daß ich oder mein Vater 
das Gut feit den legten 40 Jahren wirklich befaß, ift dem Geſetze gemäß durch 
den Schwur guter Männer geführt. Wollet Ihr etwa meine Eideshelfer 
des Meineids bezüchtigen!! Was aber das Schlimmfte für die geiftlichen Kläger, 





1) Ibid, ©, 147, a. Mr. 9. 2) Ibid. ©. 182 oben. Rr.%49, 





Siebtes Buch. Bap. 26. Die Lehenbriefe auf drittes Befchlecht. 437 


der lombarbijche Richter fonnte nicht anders, er mußte den Beklagten kraft 
des Geſetzes freiiprehen. Buchſtaͤblich geſchah, was das oben erläuterte Evift 
Otto's mit den Worten audvrüdt: „unter dem Scheine der Geſetze erlangen 
Die, welche Gott nicht fürdten, durch Eide, die Meineide find, fremdes Gut.“ 
Kurz in ganz legaler Form war die Kirche um ihr gutes Eigenthumsredht 
geprellt.‘) 


Sechsundzwanzigſtes Capitel. 


Die Lehenbriefe auf drittes Geſchlecht. Mittelalterlide Nabuliſtik. Prozeſſe des Kloſters 
Farfa. Indem Kaifer Otto I. dem Glerus das Recht bewilligte, durch gewerbmäßige 
Fechter Streitigkeiten über Mein und Dein abzumachen, gewährte er geiftlihem Beſih 
den einzigen, unter damaligen Umftänden möglichen Schup. Allein während er für bad 
Bistum väterlich forgte, gab er den höchften aller Bifchöfe, den Pabſt, preis. 


Vielleicht werden Mißgünftige einmwerfen, dieſe Darftelung fei zu grell. 
Ich berufe mid auf Urfunden! Die Chronif von Farfa berichtet?) aus den 
Tagen Otto’ I. und der nächſten Kaiſer Folgendes: „zur Zeit, da Pabſt 
Sohann ZIL die Grafihaft Sabinum feinem Neften Benedikt verlich,’) 
- hatten wir in Jarfa einen gewifen Johann zum Abt, der das Schloß Tri⸗ 
» bucco bejaß, aber nicht er allein, fondern zugleih mit einigen Edelleuten, die 
ibm als rohe und bösartige Menſchen viel Unluft bereiteten. Theils um den 
Beiftand des Grafen Benedikt gegen diefelben zu erlangen, theild um von 
ihm ein prächtige Evangelienbucd, das Geſchenk feines Oheims, des Pabſtso, 
zu erhalten, verfchrieb befagter Abt eines Tags feinen Antheil an Tribucco 
dem Grafen mittelft einer Urkunde der Art, welde man auf romaniſch Briefe 
des dritten Gefchlechts nennt.) Kein Menfh der Kloftergenoffenfhaft mit 
Ausnahme des Mönchs Lupo und des Canonicus Urjo wußte etwas von 
diefer Urkunde.“ Offenbar weist letzterer Sag darauf hin, daß in Klöftern 
Berträge des dritten Geſchlechts wenig Billigung fanden, weil fie den Beſitz 
der Stifte gefährdeten. 

Weiter erzählt der Ehronift: „weil der Graf fih weigerte, dad Evans 
gelienbuch abzutreten, habe Abt Johann die ſchon aufgeſetzte Urfunde nicht 
unterzeichnet noch aus den Händen gegeben, aber dad Schloß Tribucco feie 
gleichwohl durch eine an den mitbefigenden Vaſallen verübte ©ewaltthat in 
die Hände Benedikts gerathen, worauf eben derfelbe noch viele andere Güter 
des Klofters Farfa, namentlih einen Hof zum heiligen Getulius genannt, 
| weggenommen hat.” Dann fährt‘) bie Chronik fort: „doch konnte Benedikt 
i den Raub nicht behaupten. Denn nachdem der Patricier Crescentius (Bes 


1) Man verzeihe das Wort; ich weiß kein anderes, das die Sache fo bündig bezeichnete. 
y Berg XI, 540 untere Mitte. 3) Um 967, fiche oben S. 346. *) Woͤrtlich —RBX 
mod Bomani dicunt tertium genus. °) Ibid. ©. 541, 









438 Pabſt Eregorind VII. und fein Zeitalter. 


nediftö naher Berwandter) den 29. April 998 auf Befehl des Kaiſers Dtto LI. 
und des Pabſtes Gregorius V. hingerichtet worden war, gerieth Benebitt 
in Schreden, erklärte fich bereit, mit und unter Zuftimmung des Pabſts und 
Kaifers einen Vertrag abzufchließen, und übertrug uns in Folge deflen ve 
Hälfte von obengenanntem Hofe ſammt der Kirche zum 5. Getulius und 
gewiffen Bauernwirthichaften; betreffend die andere Hälfte und das Schloß 
Tribucco erboten Wir und ihm eine Urfunde des dritten Geſchlechts zu geben. 
— Wirklich ließen wir eine ſolche Akte auffegen und überfchidten fie ihm mit 
den Erſuchen, daß er fle annehmen und uns einen „Gegenſchein“ zuſenden 
möchte.) Aber Benedikt weigerte fich letzteres zu thun, während doch alle 
Gefegesverftändige wiffen, daß eine Urfunde des dritten Geſchlechts ohne 
Ausftellung eines Gegenſcheins Feine Rechtskraft hat.“ 

„Abermal verliefen einige Jahre: die Söhne des Grafen Benedikt — 
fie hießen Johann und Crescentius — fliegen von den Umftänden begünftigt 
empor, griffen um fih und raubten dem Klofter Farfa den Hof zum h. Ge⸗ 
tulius, ſammt vielen anderen Länvereiem Während defjen war ein Anderer 
Namens Wido zum Abt des Klofterd erhoben worden, und eine zweite wid» 
tige Veränderung zu Rom eingetreten: im Jahre 1012 beftieg nämlich Petri 
Stuhl Pabſt Benedikt VIIL, ver den Eöhnen des Grafen von Sabinum 
grollte, weßhalb legtere alle geraubten Schlöffer mit Ausnahme Tribucco’8 und 
Bucciniano’8 herausgeben mußten, überbieß wurde einer der Brüder, Johann 
nämlich, in Pränefte belagert. Als letzteres geſchah, kam der andere Bruder 
Grescentius nad Farfa und bat die Mönche, daß fie für den eingefchlofjenen 
Johann beten möcten, wad auch — und zwar nicht ohne Erfolg — geichah.“ 

„Nachdem Johann wirklih aus der drohenden Gefahr errettet worden 
war, gab Erescentius an ung, feinen Gelübde gemäß, die Hälfte des Hofe 
zum h. Getulius zurüd, und forberte feinen Bruder Johann auf, die Schenfung 
zu beftätigen und die andere Hälfte berzugeben. Aber diefer wollte nichts 
davon hören, indem er zurmig ausrief: Kirhenland, das id in irgend 
welher Weife, ohne Zins zu bezahlen, 30 Jahre zu behaupten 
wußte, wird mein volles Gigenthum. Ich und mein Vater haben nunmehr ven 
Hof wirflid 30 Jahre inne gehabt und feinen Zins entrichtet. Zulegt aber 
ließ fih Johann beſchwichtigen, gab nach, und unterzeichnete gleichfalls die 
Schenkung, worauf der Abt eine Urfunde des dritten Geſchlechts über die 
zweite von Johann wiedererftattete Hälfte jammt dem Schloß Tribucco aus, 
ftellte, und nun befagte Hälfte und das Schloß an Johann überantwortete.“ ?) 

An einer vierten Stelle der nämlihen Chronik voiederholt?) Abt Hugo 
von Farfa in einer amtlichen Klagſchrift diefelben Gefchichten, hebt aber noch 

2) Woͤrtlich: manibus nostris firmarimus tertium genus, et nostros direximus ad eum 


legatos, ut acciperet illud praefatus comes, et appare (ſiehe dad Wort bei Du Gange) 
ab illo firınatum nobis mandaret. ?) Ibid. ©. 541 u. 542 passim. 3) Ibid. ©. 543, 





Siebtes Bud. Bay. 26. Die Lehenbriefe anf drittes Befchlecht. 439 


ftärfer hervor, daß eine Urfunde des dritten Geſchlechts ohne das appare 
oder den Gegenſchein Feine Kraft habe, fo wie daß Edelleute gewöhnlich die 
Ausftelung des Gegenſcheins zu umgehen fuchten, weil fie überzeugt waren, 
ohne dieſe Formalität leichter volles Beſitzrecht auf das übertragene Gut zu 
erlangen. Die Urfunden des dritten Geſchlechts felbft bezeichnet‘) Abt Hugo, 
abweichend von dem fonftigen Sprachgebrauche der Ehronif von Farfa, mit 
dem Ausdrude tertiogenerum. 

Rod muß eine fünfte Stelle?) aus dem Anhange zur Chronif von Karfa 
verglichen werden. Eeit alten Zeiten gehörte der Abtei Farfa die Zelle 
Ktöfterlein) am Minio, einem Bade, der unweit Civita Vecchia ins Meer fält. 
Gleich Farfa und faft allen außer ven Mauern Roms gelegenen Klöftern 
wurde auch die Zelle von den Sarazenen zerftört. Nach erfolgter Wieberaufs 
bauung Farfa's beichloß der damalige Abt Campo die Zelle wieder herzuftellen, 
fand einen Elerifer Namens Venerandus, der zum Probfte taugte und fertigte 
demfelben eine Urkunde aus, die auf drei Mönche lautete, welche einander in der 
Probftei folgen würbden.’) „Seiner Seit gab der neue Probft Venerandus 
dem Abte einen Gegenichein. So lange Venerandus der Zelle vorftand, 
(eiftete er dem Abte und feinen Nachfolgern den Tiblihen Gehorfam und zahlte 
regelmäßig den Zins, der in der obgenannten Urkunde ausbenungen war. 
Aber die fpäteren Pröbfte der Zelle wurden läffig in Einhaltung ihrer Ver⸗ 
binvlichfeiten. Deßhalb erhob der Abt von Farfa bei dem Kaifer Otto I. eine 
Klage, in Folge deren erfterer Fraft Faiferliher Entſcheidung ald rechtlicher 
Befiger der Zelle anerfannt ward, u. |. w.“ 

Bor Wiederherftellung der Zelle hat aljo Abt Campo von Farfa zu 
Gunſten Defien, den er zum Probft auserſehen hatte, eine Urfunde abgefaßt, 
welche dieſem die Verwaltung des. Klöfterleind übertrug, aber ihn zugleich 
verpflichtete, an die Abtei Farfa, als Mutterflofter und Obereigenthümerin, 
gewiffe Dienfte und Zinfe zu leiften. ALS Unterpfand pünftlicher Erfüllung 
der übernommenen Berbinplichfeiten mußte der Probft dem Abte ein apparum 
oder einen Gegenfchein übergeben, welden ver Abt in Verwahrung nahm, 
Die Urkunde felbft, welche Venerandus empfieng, war laut den angeführten 
Morten des Tertes, auf drei Mönche ausgeftellt, welche als Vertreter der an 
Die Zelle verlichenen Befugniffe, aber auch der in Urfunde und Gegenfchein 
bemerkten Obliegenheiten — folglic ohne Zweifel zugleih als Pröbfte, einer 
dem andern folgen würden. 

Meines Erachtens laſſen diefe Säge Feine andere Deutung zu als bie, 


1) Ego cum monachis feci ei tertiogenerum de ipso castello. *) Muratori, script. 
fer. ital. II, b. ©. 498. ») Mörtlih: Campo abbas ordinarit in praedicta oella unum 
praepositum ad ipsum locum restaurandum, nomine Venerandum — et fecit ei de name- 
dieta cella libellum in tribus personis monachorum, succedentibus uno (uni) duobus — 
et apparum ipse abbas retinuit apud se. 


440 Babft Sregorius VII. und fein Seitalter. 


daß der zwiſchen Farfa und der Zelle kraft Urkunde und Gegenjchein abge 
ſchloſſene Vertrag die drei nächſten Pröbfte der Zelle zugleich berechtigte und 
verpflichtete, gewiſſe Befugnifie zu üben und ebenfo gewifle Laften zu tragen 
Daß in der Urkunde drei namentlid aufgeführte Individuen bezeichnet waren, 
welde Einer nad) dem Tode des Andern und der jüngfte zuletzt die Probſtei 
übernehmen würden, liegt nicht in den Ausbrüden des Textes. 

Und nun find wir im Stande aud den mitgetheilten Thatfachen zweds 
dienlihe Schlüffe zu ziehen. Erftlih aus den Worten, welche die Ehronit 
des Klofterd Farfa dem Grafen von Sabinum, Johann Benediftd Sohne, in 
Mund legt, geht hervor, daß adelige Laien, welde unter irgend welchen Bedin⸗ 
gungen Kirchenland empfangen hatten, die Meinung begten, fie würden nad 
vreißigjährigem Befitz des übertragenen Gutes ohne Schwierigfeit das volle 
Eigenthumsrecht erlangen, fobald man ihnen nur feine Abtragung von Zinjen 
nachweifen fünne. Zweitens im zehnten Jahrhundert war eine Weife der Ueber 
tragung von Land üblich, die mittelft Urfunden geihah, welde man Briefe 
des dritten Geſchlechts, oder dreigejchlechtige, oder fogar ohne weiteren Beifag 
drittes Gejchleht nannte. Denn einmal braucht die Chronik den Ausdrud, die 
Mönde hätten ein drittes Geſchlecht ausgefertigt. Drittens den Urkunden 
des dritten Geſchlechts fam nur dann gefeglihe Kraft zu, wenn Derjenige, 
an weldhen Land übertragen ward, dem Webertragenden einen Gegenfcein 
gab, welcher appar, appare, oder auch apparum hieß. Viertens Geiſtliche 
und Laien fonnten Land durch Urkunden des dritten Gejchlehtd gleich gut 
nehmen und geben. 

Fünftens da wiederholt und ausdrüdlich hervorgehoben wird, die Empfänger 
hätten fih aus dem Grunde gefcheut, die gefeglichen Gegenfcheine auszufertigen, 
weil fie ohne dieſelben leichter das volle Eigenthum des übertragenen Landes 
zu erlangen hofften, muß man nothgedrungen vorausſetzen, daß vermittelft 
des Gegenſcheins der Empfänger fi förmlich verpflichtete, die in der Urkunde 
für das übertragene Land ausbedungenen Laften zu tilgen. Urfunde und 
Gegenichein ergänzten fi, aus jener fonnte der Empfänger beweifen, daß 
er ein gewiſſes Recht auf das übertragene Land habe, aus dieſem erhärtete 
der Darleiher die Verbindlichfeiten des Andern. Gut ftimmt biezu eine Stelle 
der Brieffammlung Gegors VII., wo es heißt: „die Erhebung des neuen 
Pabſts fei mehreren Fürſten durd Schreiben angezeigt worden, deren Eins 
gang und Hauptinhalt glei lautete, die aber am Ende je nad Verfchiedenheit 
der Orte und Perfonen von einander abwichen“. Dieſe dem Wefen nad) gleiche 
in der Form verjchiedene Briefe werden apparia genannt.‘) Dafjelbe gilt 
von obigen Urkunden. 





) Manfi XX, 63. Nr. 4: in coeptis quidem apparibus, sed circa finem singulis epi- 
stolis juxta locorum et personarum competentiam discrepantibus. 


bies Buch. Gap. 28. Die Lehenbriefe anf drittes Geſchlecht. Adi 


ıe an einen fechöten Punkt. Unzweifelhaft ift, daß die Alte, 
Ibt Campo dem neuen Probfte die Zelle am Minio übertrug, 
, welche unter den Begriff des dritten Geſchlechts fällt. “Denn 
gibt einen Gegenſchein, was ein Hauptmerkinal der braiges 
träge iſt, da diefe ohne das appare feine Rechtskraft haben. 
‚tet der Gegenſchein den Probſt zu beftimmten Leiftungen, was 
e dreigefchlechtige Natur der Urkunde zeugt. Denn das Geſeß 
r deßhalb den Gegenſchein als Bedingung der Giltigkeit dreis 
rfunden, weil es den Empfänger ebenfo gut als den Geber 
ı wollte. Run erfahren wir aber weiter, daß der dem Probſte 
igehändigte Brief auf 3 Möndye ausgeftellt war, die einer den 
rtreter der übernommenen Rechte und Verbindlichkeiten ablöften. 
‚ wenn der Erfte ftarb, trat der Zweite und dann nach deſſen 
in die Stelle der Vorgänger ein. 

Me Licht auf die an fi etwas dunkle Bezeichnung der frag- 
ı oder Verträge. Ic behaupte, fie hießen darum dreigeſchlech⸗ 
uf drei Nadjolgen, oder wörtlich Gejchlechter lauteten. Doch 
ei die Verjchiedenheit des Standes der Betheiligten einen weſent⸗ 
ed. War der Empfänger ein Geiftlicher und folglih dem Ges 
igfeit unterworfen, jo führte die Urfunde nur den Einen Cleriker, 
Bertrag abgejchloffen ward, namentlich auf, beftimmte aber, daß 
e Andere, tie an die Stelle des Erften nad feinem Tod treten 
jleihe Verbindlichkeit übernehmen müßten. Gehörte dagegen 
dem Laienftande an, fo gieng dad übertragene Land nach dem 
ers, der den betreffenden Brief erhalten und den Gegenfchein 
e, auf den Sohn, und dann auf den Enfel über. Erſt nad 
des Enkels oder im erften Fall des dritten Clerikers erloſch 
he Verbindlichkeit der dreigeſchlechtigen Urkunde. 

ıingegebene Sinn des Worts der richtige iſt, erhellt aus anderen 
welche für diejelbe Sache deutlichere Ausdrücke brauchen. Mits 
1) die den Jahren 900, 911, 914 und 936 angehören, vers 
n Farfa an die Laien Aufonius, Urfus, Mainpert, Frameſus 
der Renten mit der Beitimmung, daß die genannten Empfänger 
en das Lehen bis auf die dritte Gefchlechtöfolge — usque ad 
stionem — behulten dürfen. Noch klarer lautet ein dreiges 
ef,?) welden Johann Abt von Caſauria 993 zu Gunſten des 
is auf die dritte Gejchlechtöfolge in tertiam generationem and» 
icklich wird beigefügt, Atto, fein Sohn und fein Enkel folle 
ießen. 

memorie di Spoleto ©. 298 flg. Rx. 57. 58. 59. 60, ) Muratorl, 
S. 984 fly. 


442 Pabſt Gregorins VIL. und fein Zeitalter. 


Zum Ueberfluß werben die gewonnenen Ergebniffe durch Thatſachen be 
Rätigt, denen noch in anderer Hinficht ausgezeichnete Bedeutung zufommt. 
Der Chronik von Farfa find zwei Urkunden einverleibt, die uns mitten in 
DIE. letzten Zeiteh des unglüdlichen Kaiſers Otto ILL. hinein verjegen. „Im April 
998 faßen‘) der Kaifer und fein Better Pabft Gregor V. zu Gericht in der 
Bafllifa zum h. Petrus. Als Kläger erjchienen Priefter eines Stifte zum 
b. Euftatius und erhoben Beichwerde gegen den Abt Hugo von Farfa, weil 
diefer ihnen zwei Kirchen, gelegen in den Bädern des Alexander Severus um 
in der neunten Region der Stadt Rom, jammt den zu beiden Kirchen ge 
börigen Gütern widerrechtlich vorenthalte. Zufälliger Weile war damals AK 
Hogo in Rom anmejend. Leo, Archidiakon des Faiferlichen Reichspalaſtes, 
der bie gerichtliche Verhandlung im Auftrage des Kaiſers leitete, befchieb ben 
Abt unverweilt her und fprad zu ihm ald Hugo fam: du folft Rede fichen 
diefen Presbytern, welche eine Klage wider did eingebradht haben. Huge 
fragte: wegen welcher Sache? Leo antwortete: wegen zweier Kirchen, die 
gelegen find in den Thermen Aleranderd. Der Abt fuhr fort: ich bitte um 
Aufihub, denn ic bin gegenwärtig nit im Stande, mein Recht zu verthei⸗ 
bigen, da ich feine mir zuftändige Richter und feinen Vogt bei mir habe“. 

„Der Archiviafon erwiederte: mit Richten! fondern ich will dir einen Bogt 
üben, der für dich rede. Der Abt ſprach: vor Allem muß ich wiſſen, ob Ihr 
mir einen römijchen oder langobardiſchen Vogt ftellen wollet. Leo fagte: einen 
römifchen font du haben! Nimmermehr rief der Abt: niemals hat mein Klofter 
unter römifchem Geſetze gelebt, ſondern ftetd unter langobardiſchem, deßwegen 
kann ich nicht dulden, daß man mir einen römiſchen Vogt zuordne. Allein 
der Archidiakon nahm feine Rüdfiht auf die Einreden Hugo's, fondern ſchrie: 
dus magft wollen oder nicht, heute wirft du nad römiſchem Geſetze gerichtet, 
ergriff den Abt an der Kaputze und nöthigte ihm nieberzufigen. Dod Hugo 
gab fidy nicht zufrieden, bot Bürgichaft an, daß er demnädft vor Gerict 
erfcheinen werde, und verlangte von Neuem Aufſchub. Endlich wurde ihm 
auf ausdrüdlichen Befehl des Kaiſers eine Frift bewilligt.“ 

„Nach einigen Tagen fand fih Hugo wirflidy mit feinem Kloftervogt und 
mit langobardiſchen Richtern in der nämlichen Gerichtöhalle ein. Wir find bereit, 
hob er an, Rede zu ftehen. Sofort richtete Archidiakon Leo im Namen ber 
anweſenden römifchen Richter die Frage an ihn: wollet Ihr euch nach römifchem 
oder langobardiſchem Recht vertheivigen? Nun erhob fid Hubert, der Vogt 
von Farfa: nad) langobardiſchem Rechte begehren Wir gerichtet zu werden, 
denn Unjer Klofter ſteht ſeit mehr als hundert Jahren unter der Langobarbifa, 
auch haben Wir Urkunden der Kaiſer bei und, die ſolches beweiſen.“ 

„Auf Befehl Leo's wurde der Parthei Hugo's geftattet, Ießteren Beweis 


2) Muratori, script. rer. ital. II, b ©. 503 fig. 505 fig. 


bied Bud. Gap. 26. Die Lehenbriefe anf britte® Geſchlecht. 449 


er Vogt legte nun eine Urkunde Lothars I. vor, kraft welcher 
in Anweſenheit des Pabſtes Paſchalis I. (817 — 824) ver⸗ 
ſtlich daß die Abtei Farfa nach langobardiſchen Rechte leben, 
fie die Vorrechte der Klöſter Luxeil, Lerins, St Maurice ges 
drittend daß der päbftlihe Stuhl feine Gerichtsbarkeit über 
lle.“ 
Urkunde hin entſchied Archidiakon Leo, als Vorſtand des vers 
ichtshofs, Hugo möge ſeine Vertheidigung nach lombardiſchem 
Aufgefordert, ſeine Klage vorzubringen, begann der Anwalt 
3: ich belange den Abt Hugo wegen zweier Kirchen, welche 
> Etifts zum h. Euftatius find. Bon den Rechtsvorfahren 
geber ift eine Urkunde des dritten Geſchlechts abgefaßt und 
men des Klofterd Farfa ausgeftellt worden mit dem Beding, 
ten zwei Kirchen Zind entrichtet werde. Die feſtgeſetzte Friſt 
en ift abgelaufen, und dody will Uns Abt Hugo den Rüdtritt 
thum ftreitig machen. Hierauf entgegnete Vogt Hubert: feit 
erzig Jahren hat unfere Abtei die Güter inne, wegen 
‚ belangt. Könnet Ihr dieß Iäugnen? Der Anwalt des Gegen⸗ 
te: wir läugnen die 40 Jahre nicht, aber wir fragen Euch: 
Büter ald wahres Eigenthum inne gehabt, oder nicht vielmcht 
87 Der Vogt von Farfa entgegnete hierauf: das langer 
eſetz ſagt fein Wort, welches mid verpflichtete, auf 
e Beſcheid zu geben. Ich ftche blos über die Zeit dve& Bes - 


jung wurde vertagt, am folgenden Eamftage trat der Berihtöhof 
en. Abermal beharrten die Partheien auf ihren früheren Er⸗ 
un befragte der Archidiakon Leo die anweſenden römijchen Richter 
ung bezüglich ded obſchwebenden Handeld. Dieſe erwiederten:: 
prucreif. Vogt Hubert, der ein Lombarde ift, ſoll jein Urtheil 
ns als Römern fteht dieß in einer Frage lombardiſchen Rechtes 
bald nahm Hubert die Lombardika in die Hand, jagend, nicht 
, jondern dieſes Geſetzbuch joll reden. Darauf lad er folgenden 
me Stiftungen find nad der Langobardika befugt, innerhalb 
- Befigrecht zu beweiſen.“ Mein hierauf begründeter Spruch 
Hubert hat mit feinen Eideöhelfern zu beichwören, daß das 
jene zwei Kirchen vierzig Jahre als Eigenthum beſeſſen hat. 
gte Archidiakon Leo die anweſenden römijchen Richter um ihre 
nftimmig erflärten fie, daß Vogt Hubert untabelhaft nad lom⸗ 
ht geurtheilt habe.” 

nmal verfuchte e8 der Anwalt des Gegenparts auf die Einrede 
üdzufommen. Aber der Vogt ſchloß ihm den Mut WL ten 


444 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


entſcheidenden Worten: die Langobardika will nicht, daß ein Kirchen 
vogt fih auf die Frage des Zinfes einlaffe; fie ſpricht blos von Be 
fid. Zuletzt bot er einen gerichtlihen Zweifampf an, ven die Presbyter zurüd⸗ 
wiefen.” Das Ende vom Lied war, daß die beiden Kirchen für immer den 
Klofter Harfa zugeſprochen wurden. Die Presbyter hatten in der gerechteften 
Sade den KHürzeren gezogen, weil die Langobarbifa nicht, wie der gefunde 
Menjcenverftand und die Romana vorfchreibt, zwiſchen bedingter Rupumg 
eines Guts und wirklichem vollem Eigenthum unterfcheivet, fjondern nur ben 
rohen handgreiflichen Beftt Eennt. | 

Richt ein volles Jahr fpäter brach ein zweiter Rechtöftreit zwiſchen dem 
nämlichen Abt Hugo von Farfa einerfeitd und andererjeitö zwiſchen dem Kloſter 
St. Eosmad und Damian in Trastevere aus. Gegenftand biefed anderen 
Handels war die oben von und erwähnte Zelle am Minio. Der Thatbeftand 
wird in einem Berichte der Chronif und in zwei eingefügten Urkunden fol 
gendermaßen bejchrieben :') über hundert Jahre hatte dad Klofter Farfa, das 
unter Iangobarbiihem Rechte ftand, die Zelle befefien. Nachdem aber legtere 
durch die Saracenen zerftört worden, übergab fie der damalige Abt Campo 
von Farfa kraft einer Urkunde des dritten Gefchlechts an den Probft Venerandus 
unter dem Bebing, daß er die zerflörten Gebäude wiederherſtelle. Bezeichnet 
Wird die fraglihe Akte, kraft welcher Abt Campo die Zelle an Benerandus 
einhändigt, „als Urkunde?) auf drei Mönche, von denen Einer dem Andem | 
folgt“; dann wieder ald ein „Pachtvertrag, der auf drei einander folgende 
Pröbfte und zwar für die Lebenszeit eines Jeden derjelben lautet“;*) enplidh*) 
als eine „Schrift dreier Perſonen“. 

Ausdrücklich hebt der Bericht hervor, daß Probſt Vencrandus für fid 
und feine zwei Nachfolger die Entrichtung eines jährlichen Zinſes übernahm, 
fowie aud) dem Abt Campo einen Gegenſchein (appare) ausſtellte. Der nämliche 
Probft Venerandus erlangte ſpäter zu feiner Probftei hin die Abtwürde in 
dem meuerbauten römischen Kloſter zu den Heiligen Cosmas und Damian, jo 
war, daß mit letzterer Abtei auch, die Probſtei vom Minio an feine zwei 
nächſten Nachfolger überging. Venerandus entrichtete pünftlih den bedungenen 
Zins, und dafjelbe thaten auch feine beiden Nachfolger. Allein nachdem die 
Friſt der drei Perfonen abgelaufen war,’) mit andern Worten, nachdem 
ein Vierter die Abtei St. Damian nebft der Probftei der Zelle erlangt hatte, 
verweigerte diefer Vierte die Fortbezahlung des Pachts. 

Run klagte Abt Hugo von Zarfa bei Kaifer Otto II. Der Kater 


*) Ruratori, seript. rer. ital. II, b. ©. 498 fig. 2) Ibid. ©. 498, Mitte: libellus 
in tribus personis monachorum, succedentibus uno duobus. 3) Ibid. ©. 500, Rote: per 
emphyteusem cartula, in tribus abbatibus, diebus vitae illorum tantum, uno post alium suc- 
oedente, *) Ibid. Text: per scriptum trium personarum. 6) Quo seripto legaliter 
oxpleto : heißt es im Text gleich Hinter den eben angeführten Worten, 


Siebtes Buch. Cap. 26. Die Lchenbriefe auf britted Geſchlecht. 448 


wies den Kläger an den damaligen Pabft Gregor V., welcher fofort beide 
bte, Gregor von Cosmas und Damian, und Hugo von Farfa, vor feinen 
hterſtuhl lud. Hier Tegte Abt Gregor von St. Damian eine Urkunde 
', Taut welcher Hugo's Vorgänger, Abt Johann von Farfa, die Zelle foͤrm⸗ 

an das Klofter zum h. Damian abgetreten haben follte.. In heftigen 
orten erflärte jedoch Abt Hugo diefe Urkunde für falih und bot mit Bes 
ung auf den erften Artifel des oben erläuterten Ottoniſchen Geſetzes vom 
.Oktober 967 den gerichtlichen Zweikampf an. 

Der Pabft aber wies den Zweikampf zurüd, entichien für Aechtheit der 
Funde und verurtheilte das Klofter Farfa zum Berlufte der Zelle. Abt Hugo 
> fich jedoch nicht zufrieden, fontern bracdte Die Sache nadı dem furz dar⸗ 
f erfolgten Tode des Pabſts von Neuem an Kaifer Otto IIT., der wirffid 
3 Urtheil Gregor's V. in unerhörter Welfe‘) umftieß und die ftrittige Zelle 
Abtei Farfa zuerfannte. | 

Kein Zweifel kann fein, daß die Probfti am Minio dur einen Bers 
a des dritten Geichlehts an Venerandus gelangt if. Nicht minder Mar 
it aus den betreffenden Sägen der zuletzt mitaetheilten Terte hervor, daß 
agter Vertrag auf eine Folge von drei Pröbften lautete. Das, was wir 
m über die Vorgänge zwiſchen dem Abt Campo von Farfa und dem Probfte 
meranbus ſagten, erfcheint folglich erwiefen. Aber noch bleibt ein Punkt 
dem zweiten Nechtöftreite ziotichen den Aebten von St. Damian und Yarfa 
nkel. Probſt Venerandus und feine beiden nächſten Nachfolger, die ebenfo, 
e er, neben der Probftei augleih die Abtwürde in St. Damian befaßen, 
ten den Zins richtig bezahlt. Erſt der Vierte verweigerte den Pacht. 

Aber ale dieß geſchah, mit andern Worten, ald der vierte Abt von 
. Damian, zugleih Probft der Zelle Minio, auf den Dritten folgte, können 
40 Sabre, nach welden laut der Rombarbifa fein Streit über Mein und 
in mehr erhoben werben durfte, noch nicht abgelaufen geweien fein. Denn 
iſt hätte weder Pabſt Gregor V. Veranlaſſung gehabt, auf die oben beichries 
ıe, von dem Abte zu St. Damtan vorgewielene Urkunde bin, dem Beklagten 
dt zu geben, noch würde Kaiſer Otto III. es über ſich vermocht haben, 
8 Urtbeil des Pabſtes zu entfräften. Denn daß Dtto III. geradezu wie ein 
wann die Haren Ausſprüche der Lombarbifa umftieß, ift unglaublid. Viel⸗ 
br muß man annehmen, daß Probft und Abt Venerandus ſammt feinen 
den nächſten Nachfolgern, auf welche der von Campo abgefchloffene Vertrag 
» drei Gefchlechter gelautet hatte, wegftarben, ehe die AO Sahre ber 
ngobarbifa ihr Ende erreichten. Und dieß führt uns in ben Kern ber 
ıche hinein. | 

Sowohl Elerifer als Laien Haben im Laufe des neunten und zehnten 


‘) Sicher, Kirch. Bei. III, 1506. 


R 


446 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Jahrhunderts Häufig Land auf Urfunden des dritten Geſchlechtes genommen 
und gegeben. Aber Laien waren hiebei im Bortheil. Denn da bei Wahlen 


zu Abteien wie zu Bisthümern gewöhnlich nur gereifte, bewährte, folglis 


auch ältere Bewerber den Borzug erhielten, kam meines Erachtens unter zehr 
Fällen faum einmal vor, daß über der Amtsführung dreier unmittelbar auf 
einander folgenden Aebte ober Biſchöfe, deren Erfter überdieß möglicherweik 
in hohem Alter, alfo kurz vor feinem muthmaßlichen Too, einen Vertrag bed 
dritten Gefchlehts eingehen mochte, volle AO Jahre verliefen. Hatte daher 
ein Late Land auf drittes Gefchleht an Aebte oder Biſchöfe verliehen, ie 
durfte er mit überwiegender Wahricheinlichfeit erwarten, daß ihm, felbft falle 
das betreffende Klofter oder Bisthum auf bleibende Befitznahme des Gelichenen 
binarbeitete, die Gelegenheit nicht entgehen werde, fein Recht vor Gericht im 
Sinne der Langobardifa geltend zu machen. 

Anders dagegen verhielt fih die Sade, von der Rüdfeite betrachtet. 
Unter hundert Fällen gefchieht e8 meines Erachtens faum einmal, daß inner 
halb 39 Jahren Vater, Sohn und Enfel wegfterben, und demnach, daß ein 
fraft Urfunde des dritten Gefchlehts an Laien ausdgegebened Gut vor bem 
angegebenen Zeitraum der dritten Hand entfinkt. Folglich Hatten Diejenigen 
Stifte, welde Ländereien in ſolcher Weife herliehen, triftigen Grund, das 
Hergelichene als verloren zu betrachten. 

Warum ftellten gleichwohl geiftlihe Anftalten fo häufig Urfunden bes 
dritten Geſchlechts aus? Thatſachen mögen reden. War cin Stuhl, eine 
Abtei dur den Tod des bisherigen Biſchofs oder Abts erledigt, jo meldeten 
fih während der unruhigſten Zeiten des neunten und zehnten Jahrhunderte 
in der Regel nicht ein Bewerber, ſondern zwei, drei, mehrere, ja manchmal 
viele. Jeder diefer Ehrgelzigen fuchte Anhang unter den Klaſſen zu gewinnen, 
welche Einfluß auf die Bejegung übten, d. h. insbejondere unter dem Stadt⸗ 
und Landadel, der überall Theil an den Bilchofswahlen nahm und in bie 
Angelegenheiten reicher Klöfter begierig feine Hände mengte. Mächtige 
Breunde gewann aber ein Bewerber nur dann, wenn er nicht mit Worten, 
fondern mit der That oder wenigftens mit Dingen, die einer That glei 
faben, bezahlte. 

Strittige Wahlen öffneten ftet8 dem Mißbrauche der Eimonie Thür und 
Angel, aber diefe Simonie bejtand gewöhnlih nicht darin, Daß der geiftliche 
Käufer baares Geld bergab — denn die Meijten hatten felbft keines ober 
wenig — ſondern fie kirrten ihre Helfershelfer aus dem Laienftande gewöhnlich 
damit, daß fie zu ihnen fpradhen: wenn ich durch Euren thätigen Beiſtand 
Abt oder Biſchof werde, fo follet Ihr als Lohn dieſes und jened Gut meines 
künftigen Klofterö oder Stuhls und zwar auf Urkunde des dritten Gejchlechts 
befommen. 

So iſt es taufenpmal ſchon im achten und nachher im neunten und gehn, 


eb Bud. Gap. 26. Die Lehenbriefe auf drittes Geſchlechh. MÄR 


rt zugegangen. Denn jchreibt nicht Pabſt Hadrian in dem 
ırten Briefe: „die Simonie hat Erbpachtimgen erzeugt, die Erb⸗ 
r brachten die Kirche um Hab und Gut." Achtzig Jahre nad 
ste der eben bejchriebene Mißbrauch troß der von ihm einge 
erten Gefeßgebung den höcften Grab im römifchen Gebiete. 
zeigen werde, waren um 1046 fämmtlide, rund um die Welt 
gene, ehemalige PBatrimonien des Apoftelfürften mittelfi Urs 
en Geſchlechts adeliges Eigenthum geworden. 
te Haupturſache der häufigen Verſchleuderung von Kirchengut 
ı des dritten Geſchlechts wird in der Chronif von Farfa bes 
Biſchof, ein Abt brauchte fchnell eine größere Summe Gelbes, 
isgaben, die er Ehren hafber gar nicht eingeftehen durfte, viel⸗ 
andern, die nicht Ichmählicher Art waren. Run wußte er, daß 
:eiche adelige Nachbar eine wohlgefüllte Kaffe befaß, aber nur 
fen, am liebften gegen Urfunden des dritten Geſchlechts, feine 
Um das Geld zu befommen, verftand ſich der bebürftige 
u dem fauren Schritt und fchloß Hinter dem Rüden des Dom, 
inter dem Rüden der Kloftergemeinde einen Bertrag auf drei 
n vollligen Darleher ab. Hat nicht jener Abt Johann von 
um dad 30 Pfund Silber werthe, goldbeſchlagene Evangelien- 
en, dad Schloß Tribucco durch ein Pergament des dritten Ger 
ı Grafen Benedikt, Neffen des Pabſtes Johann XII., über 
fein Borhaben den Mönchen des Klofterd mit Ausnahme von 
allem Anfcheine nad die Rolle von Zeugen Übernehmen follten, 
Imlicht !?) 
ine weitere Hegemutter von Urkunden des dritten Geſchlechts 
malttbat. Man muß fich die troſtloſen Zuflände des Kirchen, 
wöärtigen, die auch nad den neuen Gefepen Otto's I., und 
obgleich nur unter der Hand von ihm begünftigt, fortdauerten. 
von Farfa erzählt: „anfangs befand fih die Burg Tri⸗ 
Jänden des Abts Johann von Zarfa, den untern Theil des 
m die Edelleute Martin, deſſen Söhne und mehrere Andere 
Inne. So oft nun der Abt Reifen an entferntere Orte antrat, 
en Antheil dem befagten Martin und Genoffen zum Bewachen. 
nfhen waren über die Maßen ruchlos und räuberiſch, ufeb 
ed, daß fie während der Abweienheit des Abts von der Burg 
interhalte an die benachbarten Landſtraßen legten und bie vor⸗ 
teifenden ausplünderten. Dadurch litt der gute Leumund bes 
| da® Gerücht fich verbreitete, daß der Abt es fei, der ſolche 


= 


) ma. 6.47. 9 Pe XL, 500, 


448 VPabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Näubereien anbefohlen habe). Theils um biefen Anlaß zu böfen Nachreden 
für immer abzufchneiden, theild um jenes Foftbare Evangelienbuch au er 
werben, feste Abt Johann die Urfunde des dritten Geſchlechts auf, durd 
welche er das Schloß Tribucco an den Grafen Benerift von Sabinum gegen 
Pacht übergeben wollte. * 

Weiter unten fährt der Chronift fort: „nachdem fi die Unterbanbluma 
mit dem Abte wegen Uebergabe von Tribucco zerfchlagen hatte, verzichtete 
Graf Benedikt doch nicht auf den Plan, in anderer Weile fih Des Schloſſet 
zu bemächtigen. Eben war daſſelbe von den Mitbefibern des Abts bemalt, 
ald Benedikt diefe auf feine Burg Arces einlud: die Unbeſonnenen erfchienen 
Sofort ließ der Graf 12 der klügſten unter den geladenen Gäften feſtnehmen 
und mit eiſernen Ketten belaftet, in das unterfte Burgverließ werfen. *) Dreikia 
andere gab er erft frei, nachdem fie Löfegeld bezahlt hatten: die gefangenen 
Zwoͤlfe aber mußten alle Urkunden und Befigtitel herausgeben, dann erft fepte 
fie ver Graf in Freiheit.” So fah es gegen Ausgang des zehnten Jahr 
hunderts im Kirchenftaate, und fo ohne Zweifel audı in vielen andern Provinzen 
Staliend ans. Mas blieb am Ende höhern Geiftlihen, die ſolche Nachbar 
hatten, übrig, als Ruhe durch Austellung von Lehenbriefen des dritten Ge 
ſchlechts zu erfaufen. 

Dieß war der Stand der Dinge, welchen Dtto I. zur Zeit feiner Kater 
frönung vorfand. Die Hälfte des italienifchen Kirchenvermögens muß burd 
Briefe des dritten Geſchlechts und andere ähnliche Mittel im Beſitze räuberiſcher 
Laten geweſen fein. Nun nöthigte ihn Rückſicht auf die Sicherheit der von 
ihm gegründeten deutſchen Herrſchaft über Italien, Fräftige Maßregeln zu 
ergreifen, damit der Raub ganz oder guten Theild den Räubern entrifien 
und damit das Anichmellen großen Laienbefiged unmöglih gemacht werke. 
Was follte er thun: etwa die Lombardika, welche ohne Frage den Raub 
geiftlihen Eigenthbums begünftigte, gänzlich abichaffen und das römiſche Recht, 
welches gejegmäßig erworbene Beftgtitel verlangte, an ihre Stelle fegen? Aber 
welche unüberjehbare Verwirrung würde eine ſolche Maßregel angerichtet, 
welche Verzweiflung, welhe Wuth auf Seiten aller Edelleute lombardiſchen 
Bekenntniſſes gegen den fremden Herren hervorbeihmworen haben! Das Heil: 
mittel wäre jchlimmer geweſen, als das Uebel, dem abgeholfen werden follte. 

Dtto I. handelte Flüger: er brauchte den Buchftaben gewiffer Beftimmungen 
der Langobarbifa als Waffe wider den Geift dieſes Geſetzbuchs, das offenbar 
dahin zielte, unter einem gewiffen Scheine von Recht den größten Theil 
italieniſchen Grundbefiged in die Hände von gebornen Lombarden oder wenig: 
ſtens von Mitſchuldigen der lombardifchen Eroberung überzuſpielen. Gleich allen 


‘) Ibid. &. 540 gegen unten: quorum pradentiores duodecim capientes in ima car- 
„oris miserunt ot vinculis ferzeis religarunt, 


Siebtes Buch, Kap. 26. Die Lehenbriefe auf dritten Geſchlecht. 449 


andern altveutihen Volksrechten erfennt vie Lombardika den Grundfag des 
gerichtlihen Zweifampfd — und zwar im allerweiteften Umfange — an. 

König Rothar verordnete‘) im Jahre 643 wie folgt: „wenn Einer 
perfönlih vor dem Könige erfcheint, und einen Andern, weß Etandes auch 
derjelbe fei, wegen irgend eines Verbrechens verflagt, jo iſt e8 dem Beflagten 
geftattet, feine Unfchuld durch einen Kämpfer darzuthun.“ Und abermal?) 
eben derſelbe: „wenn Einer ein Mädchen oder eine Frau Here oder Hure 
jchilt, und der Thäter gefteht, daß er nicht blos in einem Anfalle von Zorn, 
fonvern wohl überlegt den Vorwurf ausgeiprochen habe, auch die Wahrheit 
beweifen Fönne, fo muß die Sache durd Zweikampf ausgemacht werden!” Im 
erften wie im zweiten Ball, wird unverfennbar vorausgefeht, daß der Bes 
klagte einen Kämpen ftelle, folglih einen Andern für ſich fechten laſſe. Aber 
aud von dem Kläger gilt dieß in beiden Fällen, denn fonft wäre dieſer im 
erften auf unverantwortlihe Weiſe gegenüber dem Beflagten benadhtheiligt, 
und im zweiten würde gar das weibliche Geſchlecht völlig ſchutzlos fein.“ 

Die Beftimmungen des Königs Rothar gaben, wenn man der Sade 
auf den Grund fieht, Ehre und Eigenthum der Schwachen oder Mindermäd- 
tigen ten Großen Preid. Denn je mehr Einer Geld und Gut befaß, deſto 
leichter vermochte er ftarfe und geübte Fechter in feinen Sold zu nehmen. Für 
die Urwälder Germaniens hatten ſolche Nechtögewohnheiten Sinn, weil die 
verhältnigmäßige Unfchuld der allgemeinen Zuftände neben Gleichheit ded Bes 
fited und freien Standes bewirfte, daß auch die Körperfräfte der Einzelnen 
ziemlich gleich ausgebildet wurden. Aber mit dem Augenblide, da die Lango⸗ 
barden durch gewaltfame Anflevlung auf italiſchem Boden in den Genuß ber 
Vorzüge und böfen Früchte altromanifcher Gefittung, namentli der ungleichen 
Bertbeilung von Haben und Eollen, eintraten, wurde der alte, Im Vaterland 
anwenbbare Brauch zur fchretenden Ungerechtigkeit. 

Dtto I. behielt vermöge des Geſetzes vom Herbfte 967 den gerichtlichen 
Zweikampf bei, aber er Fnüpfte daran zwei für Laien ſehr bedenkliche Bes 
Dingungen, welche lombardiſches Herfommen in wefentlihen Punkten abänderten. 
Er gebot erfilih, daß in allen Rechtshändeln zwiſchen Geiftlihen und Laien 
nur Erftere befugt fein follen, Kämpen aufzuftellen, daß dagegen Laien männ- 
lichen Geſchlechts, wenn anders nicht Unfähigfeit wegen unmündiger Jugend 
oder Greifenalters vorliege, für fich felber fämpfen müffen; er verfügte zweitens, 
daß in denſelben Streitigkeiten die Ausrede der Verjährung gar Feine Giltig⸗ 
feit habe. Nirgend fagt das Dttonifche Gefek ein Wort von den 10, 20, 30, 
40 Jahren üblicher Präfeription, und es ift unzweifelhaft, daß laut dem Buch⸗ 
Raben deffelben jedes Stift Räuber auch nad hundert Jahren der Anmaßung 
vor die Klinge fordern Fonnte. 





*) Ganelani, leges Barbarorum I, 64. Nr. 9. ) Tbid. ©. 79 fla. Nr. 188. 
Bfrörer, BabR Vregorius vi. Bd. v. 79 


450 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Welche Folgen hatte nun die Ottoniſche Gefepgebung ? Ohne Zweifel bie 
felben,, die ich an einem andern‘) Orte begüglic des Stadtfechters von Les 
nachwies. Die Bifchöfe, die Aebte Italiens ftellten gewerbmäßige Kämprı 
auf. Und welde Leute wählten fie zu ſolchem Geſchäfte? Sicherlich die ge 
wandteſten, Fräftigften, fchlagfertigften Burfche, die man vom einen Ende de 
Halbinfel zum andern auftreiben fonnte. Dad Gejeg deutet ſelbſt an, daj 
ſich die Sache ſo verhielt, denn die Beſtimmung des zehnten Artikels, lau 
welcher der geiſtliche Fechter von gleichem Stande mit dem Gegenpart je 
muß, iſt offenbar ein Zugeſtändniß, das Otto adeliger Furcht einräumte. Dit 
von baarem Eigennutz eingegebenen Ehen, welche die Mitglieder des italieniſchn 
Herrenftandes in der Regel fchloffen, trugen diefelben Früchte, wie überal 
fonft, nämlih daß das heranwachfende Gefchlecht racitiih wurde. Schreibt?) 
doch ſchon 770 Pabſt Stephan III. an Earl den Großen: „ver hohe Adel 
Lombardiens fei ein unfauberes, herabgefommenes, verfrüppelted, ausſaͤtziges 
Geſchlecht.“ 

Deßhalb entſetzten ſich nun die Lombardiſchen Herren vor dem Gedanken, 
mit naturkräftigen Bauernburſchen, welche der Clerus als ſeine Fechter auf 
ſtellen durfte, fechten zu müſſen und ſie verlangten, die geiſtlichen Kämpen 
ſollten wenigſtens dem gleichen Stand mit ihnen ſelber angehören. Aber das 
erſonnene Gegenmittel fruchtete wenig; denn nichts hinderte die Biſchöfe und 
Aebte Italiens, arme aber handfeſte Adelige aus Deutſchland zu verſchreiben 
und als geiſtliche Fechter in ihre Dienſte zu nehmen. Vermuthlich haben nicht 
wenige der deutſchen Adeligen, die während unſeres Zeitraums In italieniſchen 
Urfunden zum Vorſchein fommen, ald Fechter und Kirchenvögte ihre Laufbahn 
begonnen. Die Einen wie die Andern, adelige oder nicht adelige Kämpen, 
räumten nad Gebühr unter den langobardiihen NRäubern auf. Wenn ein 
Solcher ein Kirchengut widerrechtlih in feine Gewalt gebracht hatte, und die 
Wiedererftattung verweigerte, jo hieß es: Herr Sunfer! vor die Klinge, und 
fhnel wurde dann das Recht aufgeklärt. Gin wohlgezielter Hieb auf ven - 
Schädel, ein Kernftid in die Lunge oder in das Herz, den der firchliche Fechter 
führte — und der Proceß war zu Ende, der Urheber des Raubs zahm md : 
ſtumm für immer. 

Daß Otto's I. Geſetz die eben geſchilderte Wirkung in reichlidem Maße 
bervorbradhte, erhellt aus vielen Thatfahen. Einmal hatte der erfte Artikel 
verfügt, daß in gerichtlichen Streitigfeiten über Mein und Dein, die mit Be 
rufung auf Urfunden geführt würden, Zweikampf nur dann eintreten folk, 
wenn der Theil, welder eine Urkunde für falſch erkläre, fih zum Kampfe 
freiwillig verſtehe. Aber anders lautet ein, gleichfalls von Otto L um vier 
Jahre jpäter — 971 — erlaffenes Zufag-Evift, welches beſtimmte: ) „in 








) Band IV, 405. °) Genni, monum. dom. Pontif. 1,283. ?) Berk, leg. IL,a. ©. 3. 


Eiebted Buch. Gap. 26. Die Lehendriefe anf drittes Geſchlecht. 451 


allen Streitigkeiten über Landbeſitz, die zwiſchen Kirchen und Laien — ſeien 
Iegtere Adelige oder Dienftleute, — entftünden, müffe die Klinge entfcheiden.“ 
Was das Edikt von 967 noch dem freien Willen anheimftellte, machte das 
zweite zum Zwang. Deutlich fieht man: der ſächſiſche Herrfher hatte ers 
fannt, daß die rechte Saite angeſchlagen worden, aber aud, daß es nöthig 
fei, den Ton zu verftärfen. 

Zweitens, 27 Jahre fpäter — unter dem 20. Septbr. 998 — erließ 
Dtto III. ein Ähnliches Geſetzy)y wie das feines Großvaters. Aber in jenem 
ift nicht mehr blos von trüglihen Pachtungen, fondern nebenbei von Wehr 
verträgen die Rede, welche gleichfalls bewirften, daß geiftlihe Vaſallen (nicht 
Pächter) ihre Lehen in erbliches Eigenthum verwandelten. Vom Mißbraude 
der Verjährung, auf welchen die Verordnung Dtto’8 I. hinveutet, fchweigt 
das Edikt ded dritten Otto ganz. Dieß beweift, daß hinterliftige Pachtungen 
gegen Ende des zehnten Jahrhunderts feltener zu werden anflengen, und daß 
an ihre Stelle allmählig Wehrverträge traten, was mit dem politifchen Wachs⸗ 
thume des Bisthums und der Städte zufammenhieng. Ich werde darauf unten 
am geeigneten Drte zurüdfommen. 

Drittens furz darauf — um 1000 — unternahm Pabſt Syivefter II. 
den fühnen Verſuch, das römiſche Recht als allein gültige Norm nicht etwa 
blos im Kirchenftaate oder in Italien, nein, fondern im gefammten Kaiſerreich 
einzuführen, was abermal nicht möglich gewefen wäre, hätte nicht bereit bie 
Lombarbifa ihren Stachel verloren gehabt. Viertens nad weiteren AO Jahren 
fanden die Dinge fo, daß Kaiſer Conrad II. die Giltigfeit der Lombarbifa 
im ganzen Kirchenftaat für immer niederfchlug, indem er durch das Geſetz) 
vom Jahre 1038 anorbuete, alle gerichtlichen Streitigkeiten zwijchen Romancn 
und Langobarden follten hinfort nicht nur in Rom felbft, ſondern aud im 
ganzen Gebiete nur nady der Romana gejchlichtet werben. 

Endlih aus dem Anfange des zwölften Jahrhunderts ift eine Urkunde) 
auf uns gefommen, welche von einem merfwürbigen Umfchwunge des Rechts⸗ 
ſtandes, verglichen mit den Zeiten Otto's I., zeugt. Im April 1103 bielt 
die Sroßgräef Mathilde gemeinihaftlih mit den „Hofrichtern Alvderih und 
Hubald von Carpineta eine Gerichtöfigung unweit Lucca. Da erſchien Biſchof 
Rangerius von Lucca und erhob Klage, daß Benno und einige andere Bas 
fallen, welche von feiner Domlirhe das Dorf Meonana zu Lehen trugen, 
feit mehr als 20 Sahren den fchuldigen Zins nicht bezahlt hätten. Die ans 
wefenden Richter erflärten hierauf, daß fie außer Standes ſeien, über dieſe 
Klage zu erkennen. 

Dagegen forberten eben biefelben, fowie auch die Großgräfin Mathilve, 
den Biſchof auf, einen neuen Lehenaft bezüglid ded genannten Dorfes vorzus 


*ı) Ibid. ©. 37, ) Ibid. ©. 40. ?) Fiorentini Mathilda, Urtundeakaund &. &%, 
79° 


452 Pabſt Gregorius VII. nnd fein Zeitalter. 


nchmen. Und fo gefhah es: Rangerius fertigte einen neuen Lehenbrief aus, 
fraft deffen er Benno und Genofjen abermal belchnte. Die Belehnten aber 
mußten fi verbindlih maden, insfünftig den Lehenszins alljährlidy auf den 
Tag hin zu entrichten. Außerdem beftimmte der Vertrag, daß die Belehnten, 
wenn fie ſelbſt nur ein einziges Mal mit dem Zinfe im Rückſtande blieben, 
nicht nur jedes Recht auf das Dorf verlieren, fondern aud noch eine ſchwere 
Geldſtrafe zahlen follten. 

Ueber die Klage bezüglich der rüdftändigen Zinfe zu erkennen, haben bie 
Richter ohne Zweifel deßhalb verweigert, weil der Biſchof durch feine Saum 
feligfeit fchuld war, daß eine Verjährung entftand, gegen welche Die beſtehen⸗ 
den Geſetze Feine Hülfe boten. Aber dieſe Verführung traf bloß die Frage 
des Zinſes, keineswegs gab fie, fo wie es im zehnten Jahrhundert der Yall 
gewejen fein würde, das oberlehenherrlidhe Recht auf das Gut preis, oder 
machte au nur dafjelbe zu einem Gegenftand des Streits. Einfache Er: 
neuerung des Lehenbriefd genügte, um die Sache wieder ind geſetzliche Bes 
leife zu bringen. 

Man ficht: eine unermeßliche Aenderung war im’ Vergleiche mit den 
rechtlichen Zuftänden der Dttonifhen Zeiten eingetreten. Zwar liegt allerdings 
‘die Vermuthung nahe, daß es der Einfluß der Großgräfin Mathilde geweſen 
fein dürfte, welcher bier fo ſchnell und leicht der natürlichen Gerechtigkeit den 
Sieg verſchaffte. Allein dem ift nicht fo: nicht nur im Gebiete von Lucca, 
fondern auch im übrigen Italien jchlief die Lombarbifa allmählig ein, im drei⸗ 
zehnten Jahrhundert erfcheint fie ala eine Todte. Sehr natürlich! feit Nieman 
mehr widerrectlihen Gewinn aus ihr ziehen Fonnte, verzichtete felbft der Adel 
darauf, für die Lombardika zu Ihwärmen oder fie zu vertheidigen. 

Meine Unterfuhung ift zu Ende, fie hat den bündigen Beweis geliefert, 
daß tie Geſetze, welche Kaifer Otto I. während feines erften und zweiten 
Aufenthalts in Italten erließ, enge zufammenhängen, und zugleih, um mit 
dem Sprühmort zu reden, daß fie den Nagel auf den Kopf trafen. Seine 
Anficht zielte dahin, das geiftlihe Eigenthum zu ſchützen, Bisthümer und Städte 
jedem Einfluffe der Laienfürften zu entziehen, dadurch Behand und Wade: 
thum gefichloffener Iandesherrliher Gebiete unmöglich zu machen, und in weis 
terer Berne die deutſche Herrfchaft über Stalien zu fichern. 

Unfer Herr und Gebieter, Kaiſer Dtto I., hat das fchwierige Werf ver 
Geſetzgebung wie ein Meifter gehandhabt und feinen Zweck crreiht. Das 
Beſte that dabei der Degen, den er dem gewerbsmäßigen Fechter in die Hand 
gab. Durd diefes Eifen ift lombardiſche Begehrlichkeit zu Paaren getrieben, 
Dernunft und Romana Herrin über die Lombardika, und in weiterer Folge 
bie Blüthe italifchen Städteweſens herbeigeführt worden. Italien hat, alles 
genau abgewogen, durch die Macht der dentſchen Kaifer, fo hart dieſelbe aud 
oft auf dem Naden des Adels und der Gemeinden laftete, nicht verloren, 





Siebtes Buch. Kap. 26. Die Lehenbriefe auf drittes Geſchlecht. 453 


jondern gewonnen. Faſt mit dem Augenblide, da bei und das Kaiferthum 
niederjanf, famen drüben Tyrannen auf, und begann jener Schlummer, deſſen 
Zauber zu löfen heut zu Tage viele Befchwörer, aber nicht mit Verſtand, ſich 
abmühen. Ich begreife recht gut, warum Staliens größter Schriftfteller, 
Dante Alighieri, ein Ghibelline war ! 

Nur in einem Punkte wurde Dtto den Grundfäßen, die er jonft überall 
befolgte, untreu, nämlich bezüglih des Kirchenftaate. Kein Menich fonnte 
zweifeln, nody zweifelte auch irgend jemand, daß das Gebiet, weldes ich 
eben bezeichnete, von Rechtswegen dem Apoftelfürften gehörte. Die Kirche 
aber ftand ſammt allem ihrem Eigenthum unter der Romana. Nun hatte 
allerdings Kaiſer Lothar I. im Jahre 824 angeorbnet, daß jeder Römer bes 
fugt fein folle, nad Gutdünken römiſches oder deutſches Recht zu wählen. 
Allein unzweifelhaft konnte Otto I dieſes ungerechte Gele ebenfo gut aufs 
heben, als Soldyes 1038 durch Conrad IL. geihah, oder ebenjo gut als 
Otto L jelbft manche weſentliche Beftimmungen der Lombardika abäuberte. 
Abfichtlih unterließ er ed. Die durch dad Walten der Rombarbifa verans 
laßte Rechtlofigfeit follte im übrigen Italien aufhören, aber im Kirchenftaate 
fortdauern. Damit dieß gelinge, verleitete er fogar den Pabſt zu Mißgriffen. 

Die oben‘) mitgetheilte Akte, kraft welder Johann XI. Stadt und 
Gebiet von Pränefte um 970 an die Senatorin Stephania gegen Jahreszins 
übergab, war ohne Trage eine Urfunde des dritten Geſchlechtes, denn die 
Scenfung lautete auf Stephanta, auf deren Söhne, und drittend auf deren 
Entel, alfo auf drei Geſchlechtsfolgen. Wenn daher ein Enfel der Stephania 
das AO. Jahr nad) Ausftellung obiger Urkunde, oder in riftliher Zeitrech⸗ 
nung ausgeprüdt, dad Jahr 1010 überlebte, fo war nad dem Buchſtaben 
des Iombarbifchen Rechts Pränefte fammt Zubehör auf immer für Petri Stuhl 
verloren. Wer wird aber zweifeln, daß die Söhne und Enfel der Stephania 
das Banner der Lombarbifa aufgeftedt haben! 

Mußte nun nicht die unüberlegte oder gewaltiam abgepreßte That des 
Pabſtes Erwerbgier und Raubluft anderer römiſchen Großen beflügeln? Uns 
beftreitbar if, daß die überwiegende Mehrzahl der Legteren, ja vielleicht alle, 
zum lombarbifchen Rechte fih befannten. Denn ald Kaiſer Conrad IL das 
Geſetz von 1038 erließ, glaubte er der Kirche ein wichtiges Zugeftänpniß zu 
machen, und auch der damalige Pabſt hegte die Ueberzeugung, etwas Großes 
erlangt zu haben. Beides aber würde nicht der Kal geweſen fein, Hätte 
niht der größte Theil des römifchen Adels nad der Langobardika gelebt. 
Ebenſo erhellt aus den früher angeführten Urkunden Otto's IIL, daß nicht 
bloß viele Laien, fondern fogar einzelne Klöfter des Kirchenftaats der Lom⸗ 
bardifa folgten. Und mit weld ftiefoäterliher Partheilichkeit hat Dtto III. 





) S. 351. 


454 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


felber die Romana beeinträchtigt, und dagegen die Lombarbifa gehätichelt! 
Es war der Geift feines Ahns, der den dritten Dtto trieb.” Während ber 
erfte Dtto Bisthümer und Städte im übrigen Stalien flärfte, wollte er, daß 
das Pabſtthum ſchwach und baufällig bleibe. Damit diefes Ziel erreict 
werde, lud er Petri Statthaltern die Gier römiſcher Barone und vie ſchaͤrf⸗ 
fin Kanten des lombardiſchen Geſetzbuchs, gleih Schröpftöpfen, auf den 
Naden. 


Siebenundzwanzigfies Capitel. 


Des Kirchenflaats und bed Kaiſers Dito I. Berhältnifle zum byzantinifchen Reihe. Biſcheſ 
Liutprand reist 968 als kaiſerlicher Sefandter nach Gonftantinopel, erreicht aber feinen 
Zweck, die Hand einer griechifchen Prinzeffiu für den jungen König Otto IL zu erbitien, 
nicht. Dennoch kommt bie Che 971 zu Staude. Otto's L KRückkehr nach Deutichlen. 


Sch wende mid zum dritten Akte der italieniichen Geſchichte Otto's J. 
und ded von ihm eingejehten Pabſtes Johanns XIII. Im Sommer 967 
hatte‘) der Kaifer, wie oben gezeigt worden, feinen gleichnamigen Sohn und 
Mitregenten, Dtto IL, zu fih nad Italien beſchieden. Der junge König 
ſollte dort nicht nur zum Kaifer gekrönt und in die Künfte italientfcher Herr 
fchaft eingeweiht, ſondern auch mit einer ſtandesmäßigen Gemahlin ausgeftattet 
werden. Nachbarn im ſüdlichen Stalten und folglih gewiffermaßen Feinde 
Dtto’8 I. waren zwei Mächte: die Earacenen, welde von Sicilien aus die 
gegenüberliegenden Küſten der Halbinjel weit und breit verheerten, zweitens 
die Byzantiner, weldhe Apulien und Calabrien theils thatfählih, theils dem 
Namen nad befaßen. 

Der deutſche Kaifer hoffte feine Herrſchaft über das mittlere und obere 
Stalien zu befeftigen, wenn er ein nachhaltiges Bündniß mit dem Hofe von 
Conſtantinopel jchlöffe, und als Unterpfand defjelben feinen Thronfolger mit 
einer griechifchen Kaifertochter vermählte. Doch nicht blos Gründe ded Staats- 
vortheils, fondern nod andere Erwägungen wirften auf den Heirathplan ein. 
Theild die Aufnahme, welche Liutprand 968 in Conftantinopel als Fatjerlicher 
Botichafter fand, theild Das, was feit Bermählung Dito’8 mit Theophano in 
Deutichland und Italien vorging, liefert den Beweis, daß Dtto den fonders 
baren Gedanfen hegte, dur Verbindung ded Sohnes mit einer hocdhgebornen 
Griechin feinem Geſchlechte einen gewiffen Glanz zu verichaffen, an dem «8 
demfelben, nach feiner (des Kaifers) Anficht mangelte. 

Noh im Sommer 967 wurden Unterhandfungen mit Conftantinopel wegen 
befagter Ehe angeknüpft. Ein Benetianer Namend Dominicus ging ale 
Otto's Geſandter nad) dem Oſten ab, um dort für den füngeren Otto bie 


— Berg I, 620. 





bi < 
&. Gap. 27. Lintprands gefandtichaftlicde Meife nach Gonflantinopel. 455 


iechin Theophano, einer Tochter des verftorbenen Kaiſers Ro⸗ 
tieftochter de damaligen Herrfchers Ricephorus, zu begehren.‘) 
efielben Jahres erſchien der junge König von Deutfchland auf 
Joden, traf mit dem Vater in Verona zufammen, und wohnte 
eihötage an, auf welchem der alte Kaiſer das oben mitgetheilte 
: Zweifampf erließ. Bater und Sohn zogen weiter nad) Nom, 
ın Weihnachten 967 von Pabft Johann XII. zum Mitkalfer 
) 
war der kaiſerliche Botſchafter aus Conſtantinopel zurückgekom⸗ 
e einen Korb mitgebracht. Deßhalb beſchloß Otto J. einen 
is griechiſche Apulien und Calabrien, um den Byzantiner Ni⸗ 
eder durch glückliche Waffen zur Nachgiebigkeit zu nöthigen ober 
winzen wegzunchmen. Im Bunde mit dem Beneventaner-Herzog 
Eifenfopf, von deſſen Verhäftniffen zur deutſchen Krone unten 
wird, brach er um den Frühlings-Anfang 968 in das grichiiche 
nd belagerte die Hauptftadt diefer Landſchaft Bart, vermochte 
: zu nehnien, da fie zu Waſſer und zu Land von den Griechen 
rde, denen der deutfche Herriher wegen Mangeld einer Flotte 
ı fonnte. °) 

teter Dinge mußte Otto umfehren, änderte nun feinen Plan, 
terfuche zurückkommend, und fchidte zu dieſem Zwede den Biſchof 
nad Gonftantinopel. Der Bericht,*) melden Liutprand nachher in 
n den deutſchen Kaifer, deſſen Gemahlin und Sohn gerichteten 
tete, dft eine Föftlihe Quelle, die nicht nur über die Stellung 
iferhöfe zu einander, fondern auch über die Lage der Dinge im 
erwünſchtes Licht verbreitet. 

uni 968 langte Liutprand — fo erzählt er felber — vor dem goldenen 
ftantinopel an, ward aber nicht fofort eingelaffen, ſondern der 
deutfchen Kaifer8 mußte mit feinen Begleitern bis zur eilften 
firömendem Regen warten. Endlich kam Befehl, fie follten 
fen abfteigen, und zu Fuß nad dem Marmorpalafte, einem 
en Gebäude, das weder gegen Hitze noch gegen Kälte Schuß 
der ihnen zugedachten Herberge, wandern. Den 6. Juni Sonns 
g der Bruder des byzantinifchen Kaiſers, Leo, Europalat (Hof- 
Logothet (Kanzler), den Biſchof von Eremona. 
gab es Streit über Förmlichkeiten. Der Griehe wollte dem 
{cher den Titel, welcher in byzantiniſcher Kanzleiſprache „Kaiſer“ 
y Baoslevg nicht gewähren, fondern brauchte von Otto den Aus⸗ 


629 vergl. mit Perg III, 354 oben. 2) Berk VI, 620. 3) Pers 
(Nr. 11). 554 (Mr. 170, doch verwirrt Hier der Salernitaner bie Zeiten) ; 
d a. 969. %) Berg TIL, 347 fig. 


er 


456 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


drud rex, der im Griechiſchen einen verächtlihen Nebenbegriff hatte und Fleinen 
Barbarenfönigen, wie 3. B. den Häuptlingen der Bulgaren, Groaten u. ſ. w. 
ertheilt an werden pflegte. Denn auf die Erinnerungen des alten Rome pe 
hend, behaupteten Die, welde auf dem Throne von Neu⸗Rom faßen, alleinige 
Herren und Kaifer zu fein. Ueberhaupt behandelten fowohl bei diefem An 
. Iaffe wie bei fpäteren die Wortführer des tief gejunfenen und nichtswürdigen 
Volfs der Griechen das Oberhaupt des deutihen Reichs als einen Empor 
fümmling oder gar al8 einen glüdlihen Räuberhauptmann, ver dur Zufall 
. eine das’ gewöhnlihde Maß überfteigende Macht erlangt habe. Jener %o 
war 3. B. unverfhämt genug, die Beglaubigungsfchreiben, welche Liutpram 
überbrachte, nicht jelbft entgegenzunehmen, fondern ihm zu bedeuten, daß er 
fie durd) den Dragoman überreichen jole. Mit Byzantinern gehörig zu um 
terhandeln, haben die Franken erft in den Kreuzzügen gelernt, wo fie fih 
überzeugten, daß man am leichteften zurecht fomme, wenn man denfelben ent 
weder die Peitſche oder das Schwert in der Fauſt zeige. 

Den 7. Zuni — am Pfingfifefte — ward Liutprand dem, byzantinifchen 
Kaifer Niccphorus in dem jogenannten Krönmmgspalafte vorgeftelt. Er möge 
nun felber reden: „Nicephorus,“ fchreibt‘) der Cremoneſer Biſchof, „it ein 
wahres Ungethüm, ein Zwerg mit didem Kopf, mit Maulwurfsaugen,, mit 
breitem, dichten, halbgrauem Bart, mit kurzem Hals, langen ftruppigen Haaren, 
mit der Gefihtöfarbe eines Mohren, Summa Summarum eine Mißgeftalt, 
der ih Nachts um die zwölfte Stunde nicht begegnen möchte. Er bat einen 
Schmeerbaud, dürren Steiß, unverhältmmiß lange Hüften, aber winzige Beine 
und Füße. Bekleidet war er mit einem alten, abgefchoffenen Prachtgewande 
und trug Schuhe nah dem Schnitt der Stadt Eicyon.” 

Auf dieſe boshafte Schilderung, welche einer Garifatur gleichficht, wie 
ein Ei dem andern, folgen etlihe EAße, die im Munde eines Biſchofs und 
faiferlichen Geſandten mehr als feltfam Flingen. „OD meine gnädigften Herren 
und Kaiſer,“ ruft er aus, „immer babe ich Euch ſchön an Geftalt, fchmud, 
mächtig, gütig, tugendreich erfunden; aber nie traten mir die Vorzüge des 
Leibes und der Eeele, deren Ihr Euch erfreuet, fo lebendig vor den Sinn, 
al8 in dem Augenblide, da ich diefen Nicephorus vor mir ſah.“ Fauſtdicke 
Schmeicheleien! Am ſächſiſchen Hof muß attiſches Salz unbefannt geweſen fein, 
jonft hätte der Rombarde es nicht gewagt, ſolche Farben aufzutragen. 

Mit groben Worten fuhr der Byzantiner den deutfchen Gefandten an: 
„Meine Abfiht war, did gnädig ud mit Auszeihnung zu behandeln, aber 
das Betragen deines Gebieterd macht Mir dich unmöglih. Hat dein Herr 
nicht mit ungerechter Gewaltthat die Stadt Rom fih angemaßt, hat er nicht 
den Königen Berngar und Adalbert nach dem Leben geftrebt, hat er nicht 


) Berk II, 347, 


sch. Gap. 27. Lintprands gefandifchaftliche Reiſe nach Conſtantinopel. A457 


enthauptet, gehenkt, geblendet oder verbannt, bat er nidt ans 
unfered Reihe mit Mord und Brand heimgefuht. Und nun 
jein böje8 Vorhaben mißlungen, jchidt er did, den Anſtifter 
‚limmen Thaten, unter dem Borwande des Friedens hieher, um 
ten, was bei und vorgeht.” 
d entgegnete hierauf, laut feiner eigenen Verſicherung: „wahrlid 
berichtet. Keineswegs hat mein Gebieter die Stadt Rom uns 
tyranniſcher Weile an ſich gebracht, ſondern im Gegentheil if 
daß er fie von der Gewalt eines Tyrannen, nein, nit eine®, 
Tyrannen befreite. Denn herrichten nicht Weiberfnedhte, ja, 
Wahrheit zu fagen, herrichten nicht Huren über Rom? Wahrlid 
deine und deiner Vorgänger Madıt, die fih römiſche Kaiſer 
und es doc nicht find, geichlummert haben. Denn wenn fie 
1, wenn fie nicht bloß dem Namen nad, fondern in der That 
warum duldeten fie dann, daß Rom fo lange in der Hand 
eb? Sind nicht einige der heiligften Päbſte früherer Zeiten von 
Kaifern verjagt, andere jo bevrängt worden, daß ihnen faum 
ftigen Unterhalts, nicht aber für Werke der Wohlthätigfeit 
Schrieb nicht Adalbert an deine Vorgänger Romanus und 
enrührige Briefe! Hat nicht ebenderjelbe die Kirchen der Apoftel 
And als ſolche Dinge zu Rom gefhahen, war ed da etwa ein 
em Unrecht Einhalt that, nein! mein Gebieter war es, der Diele 
illen über fih nahm. Won den Außerften Enden der Erde eilte 
Rom, ftrafte die Mebelthäter, gab den Statthaltern des 
en all ihr But, alle ihre Ehren zuräd. Und wenn er 
Römer, die fih an ihm jelbft wie an dem Pabſte vergriffen 
‚ hängen, erwürgen ließ oder in die Verbannung fchidte, fo 
nur vollitredt, was Rechtens war, und was die Geſetze der 
Suftinians , Valentinians und des großen Theodoſius vors 
1. m 
tergedanfen, welche den hiftorifchen Ausarbeitungen des Biſchofs 
zu Grunde liegen, treten bier nadt hervor: „Huren herrſchten 
r Sadje Otto aber hat wie ein Heiliger gehandelt, ift von 
r Erde nah Rom geeilt, blos um gerade zu maden, was dort 
fen war.” Natürlich, es beburfte einer ftarfen Folie, um die 
ye Dtto wirflih in Rom verridtete, in ein günſtiges Licht zu 
Bahrheit aber verhält es fi mit der von Liutprand fo oft ges 
igfeit des allerheiligften Kaiferd Otto gerade fo wie mit dem 
zmiſchen Hurenregiment. Das eine ift jo erlogen, als das andere. 
Shmad, daß Partheigeift viele Menfchenalter lang die Geſchichte 
tahrhunderts nad dem Leiften zufchnitt, den Liutprand In volaER 


458 Pabſt Gregorius vo. und fein Seitalter. 


Sägen aufgeftellt hatte. „Trau ihnen nicht,“ läßt Schiller einen feiner Helben 
fagen, „trau ihnen nicht, denn fie haben einen Zweck.“ Dieſer Ausſprud, 
vielleicht der gefcheibtefte, weldyer der Fever des ſchwäbiſchen Dichters entflef, . 
verbient vorzugsweife bei Benütung des Lombarden Liutprand berüdkfichtigt 
zu werben, deſſen trügliche Abfichten felbft ein blödes Auge entveden Tann. 

Weiter erzählt der Eremonefe, wie er dem Byzantiner gewiſſe Vortheile, 
die jedoch nicht näher angegeben find, geboten habe, wenn Ricephorus in die 
vorgeichlagene Heirath einwillige. Der Grieche verfchob die Antwort unter 
dem Borwande, der Beier des Pfingfifeftes anmwohnen zu müffen. Eben bes 
gann der Feſtzug, den fofort Liutprand beichreibt. Längs beiden Selten ber 
Straße, welde von dem Kaiſerpalaſte nach der Sophienfirche führte, waren 
Handwerker und andere gemeine Leute als Hede aufgeftellt, bewaffnet mit 
Heinen Schilven und elenden Spießen. (Man ſieht hieraus, daß die Haupt 
fladt des Oſtens eine aus Klein⸗Bürgern zufammengefegte Stadtwehr beſaß, 
die bei größeren Feftlichfeiten Spalier für den Hof bildete — tout comme chez 
nous). Die Mafje derer, weldhe im Beftzuge gingen, lief aus Ehrfurcht vor 
dem Katjer baarfuß einher, und auch die Herren des Hofes trugen fchlecte 
alte Mäntel, nur Ricephorus allein war mit Gold und Edelſteinen geichmüdt, 
aber er ftedte, laut der Behauptung Liutprands , wie ein Yäßchen in ben 
prächtigen, für edlere Geftalten ehemaliger Herricher zugeichnittenen Gewändern. 

„Als das Ungethüm,“ fährt der mittelalterliche Diplomat fort, „in bie 
Kirche hereingewadelt fam, ftimmten die Kirchenfänger den Hymnus an: fick 
der Morgenftern erfcheint, der Aurora Eohn verbunfelt durd feinen Glanz 
des Himmels Licht; ſchauet an Nicephorus, den Herricher, den bleiben Tod 
der Saracenen. Viele Jahre unferem Herm und Kaiſer, Ihr Nationen der 
Erde, betet ihn an, Ihr Völfer, beuget euren Naden dem mächtigen Fürſten.“ 
Folgt nun ald romaniſches Waſſer auf dieſe Kohlengluth byzantiniſcher 
Kriecherei eine Reihe der gemeinften Echimpfwörter, die der Biſchof von Cre⸗ 
mona über Nicephorus audgießt, und die meines Erachtens verrathen, daß 
er fi troß feiner clerifalen Gelübde mit Weibern gemeinfter Art viel abs 
gegeben hat. 

Am nämlihen Pfingfifefte wurde Liutprand — doch nur er für fid 
allein, keiner feiner Begleiter erfreute fi) der gleichen Ehre — zur kaiſerlichen 
Tafel gezogen. Er klagt hiebei über zwei Dinge: einmal daß man ihm erft 
den 15. Platz unter dem Kaiſer anwies und ihm nicht einmal ein Tiſchtuch 
gab, und zweitend daß die meiften Speiſen In Del, Fett oder gar In ranziger 
Fiſchlake ſchwammen. Liutprand fcheint weftphälifchen Speck nicht geliebt zu 
haben. Nicephorus geruhte, ſich während der Tafel mit dem Bifchofe über 
das deutiche Kriegsweſen zu unterhalten, das fchlecht genug wegfam. 

„Die Keute deines Herrn,” ſprach der Kappadocier, „verftehen nicht, zu 
Fuß zu fechten, und auch zu Pferde taugen fie nichts. Die Größe der 





&. Gap. 27. Lintprands geſandiſchaftliche Keiſe nach Conſtantinopel. 489 


Schwere der Panzer, die Länge der Schwerter, die Wucht der 
fie bei beiden Kampfarten. Noch ein anderes Gebreſten, fügte 
zu, macht fie unbrauchbar zum Krieg: ihre Gefräßigkeit. Der 
: Gott eured Volks, ihr Muth Trunfenheit, ihre Tapferkeit 
ald der Uebel ärgſtes fürchten fie, nicht ſtets den Wanſt voll, 
nen oder nüchtern bleiben zu müſſen. Außerdem befigt bein 
emadt. Nur ich habe Schiffe, und wahrlich mit meiner Flotte 
ngreifen, will feine Seepläge zerftören, will die Orte, welde 
gen, in Trümmer verwandeln. Auch zu Land Tann er mir 
ringfügigfeit feiner Streitfräfte feinen Widerſtand leiten. Hatte 
y Cbeim Angriff auf Bart) jein Weib und feinen Sohn ſammt 
sere, über das er verfügte, Sachſen, Schwaben, Baiern, Wälfche 
doch vermocdten alle zufammen nit das Feine Stäbtel zu 
e wird er erft gegen mich beftehen, wenn ich mit fo vielen 
) Sterne am Himmel oder Wogen auf flürmifcher See find, 
üde.* 
fichte ded unermeßlichen Pöbeld, der die Hauptſtadt des Oftene 
Nicephorus Bari ein kleines Etädtel. Im Uebrigen hat fein 
einer Seite hin Werth, Getroffen, er ift ed: leibhaftig fleht 
yeutihe Ritter des Mittelalters, vom Wirbel bis zur Zche mit 
und mit blinder Wuth, wie ein Nafender, auf die Feinde feines 
rmend. Und wenn ein folder Dann für drei griechiſche Hunger⸗ 
trinkt, jo finde ich dieß in der Natur begründet. Nicephorus 
a tedesca fennen gelernt, eine Eigenihaft, welche Schriftfteller 
ı vom erften zum ficbzehnten Jahrhundert herab feiern, bis zus 
ſes Ichte Erbe der Ahnen vor dem Hahnenjchrei dahinſchwand 
einziger Weg der Auszeichnung der Gaͤnſekiel übrig blieb. 
Juni bis zum 2, Oktober 968 wurde Ziutprand unter fteten 
n und Entbehrungen zu Konftantinopel hingehalten, oder deutſch 
n NRarrenfeil herumgezogen. Es wäre unnüg, dieſe Jäͤmmerlich⸗ 
erholen. Indeß muß ich noch einige Punkte aus feinem Berichte 
Nicephorus machte) fich erbötig, die Hand der Theophano zu 
enn Dtto fogleih Ravenna und Rom jammt dem zu beiden 
gehörigen Gebiete an das Oſtreich abtrete, er erklärte fich zwei⸗ 
ı Bündniffe ohne Heirath bereit, wenn der deutſche Herricher Rom 
) weiter die beiden Fürften von Capua und Benevent, die einft 
norgenländifchen Kaiſer gewejen, jegt aber Rebellen feien, in den 
nd herſtelle. Dieſe Bedingungen legte Leo, der Bruder des by⸗ 
herrſchers, dem Biſchofe vor. 


I, 380. 


460 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Einige Tage ſpäter vernahm cbendiefelben Liutprand aus des Kappa⸗ 
dorierd eigenem Munde. „Die Fürften von Gapua und Benevent,“ fprad‘) 
Nicephorus, „waren ehemals meine Sklaven; dein Herr bat fie abipenfiy 
gemadt. Gibt er fie nicht zurüd, jo kann von Freundſchaft zwiſchen md 


nicht die Rede fein. Sie felbft wünjcen, in das frühere Verhältniß wie |. 


einzutreten, aber ih mag nichts von heimlichen Anerbietungen hören, dem 
fie follen zu ihrem Schaden erfahren, wie gefährlih es ſei, wenn Sklaven 
ausbrechen und ihren Herren entlaufen. Wahrlich befier iſt es für deinen 
Gebieter, er gibt die Ausreißer gutwillig zurüd, ald er wartet, bi ich bie 
jelben hole. Denn bei Gott, ih habe meinen Soldaten bereits Befehl ertbeilt, 
den beiden Rebellen einzutränfen, was es heiße, wenn ein Höriger feinen 
Herrn betrügen will. * 

Es ift nicht etwa bloß der Geift des von jeher auf byzantinifcher Erde 
einheimiſchen despotiſchen Regiments, nein, es ift zugleich die ftille Einwirkung 
des morgenländiihen Islam, die hier aus dem Munde des byzantinifcyen 
Herrſchers hervortönt. Nicephorus wagt ed, Bürften des deutſchen Kaljer- 
reih®, geborne Langobarden, Herren germaniihen Bluts, in den ftärffien 
Ausprüden ald Sklaven zu bezeichnen. Für Mameluden und Byzantiner mag 
das angehen, aber gegen einen fatholiichen Biſchof fo zu reden, heißt dem 
Abendlande in's Angeficht Ichlagen. 

Zwar der große alte Römer Tacitus erflärt Herrichaft und Freiheit für 
unvereinbare Dinge. Jedoch die apoſtoliſche roͤmiſche Kirche hat dieſe Gegen 
füge überwunden. Das eigenfte Weſen abendländiſcher Eultur enthüllent, 
ſchreibt?) Pabſt Gregorius I. an den Exconſul Leontius: „zwiſchen den Königen 
von Barbaren und einem römijchsfatholiihen Kaifer findet der Unterjchied ftatt, 
daß jene Herren von Sklaven find, ein römiſch-katholiſcher Kaifer dagegen 
“ über Freie gebietet.“ 

Im Uebrigen legt Nicephorus Zeugniß über eine Maßregel ab, die 
abermal die Meifterichaft bekundet, welche Dtto in politiihen ragen beſaß. 
Weil Deutſchlands geiftlihe und weltlihe Stände Otto's Walten in Stalin 
verabjcheuten und ihn deßhalb nicht gehörig unterftügten, waren feine Etreit- 
fräfte unbedeutend. Lift mußte daher aushelfen. Es war der byzantinijchen 
Regierung in der Jegten Zelt gelungen, die zwei wichtigen Fürſtenthümer Benes 
vent und Capua von fih abhängig zu maden. Otto's Klugheit durdrip 
dieſes Berhältniß, er 309 den Eiſenkopf Pandulf auf feine Seite herüber und 
befohnte ihn für feinen Mebertritt dur Einräumung der Marken Spoleto und 
Gamerino, welche der Beneventaner, wie ih oben?) zeigte, zu feinem Fürften 
thum bin erhielt. Mit einem Schlage erreichte dadurch der deutſche Herrſcher 

1) Ibid. ©. 352 unten. N) Jaffé, regesta pontific. rom. Nr. 1336: hoc enim inter 


zoges gentium et imperatores Romanorum distat: quia reges gentium domini serrorum 
sunt, imperator vero Romanorum döminus liberorum. 2) ©. 352, 


N — u 2; [7 


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Siebtes Buch. Gap. 27. Liutprands gefandtfchaftliche Reife nach Sonflantinopel. 461 


zwei große Vortheile: erftlih gewann er einen völlig zuverläffigen Bundes⸗ 
nenofien gegen die Griehen, und zweitens einen trefflihen Wächter des 
Pabſts und der etwaigen Neuerungen, die im Kirchenftaat vorgehen mochten. 

Nur durch deutſche Hülfe fonnte fih der Beneventaner gegen feinen ges 
fährlihen Nachbar, den griehiichen Catapan, behaupten. Pandulf mußte daher 
nothgedrungen dem ſächfiſchen Haufe treu bleiben, aus demſelben Grunde 
taugte er auch zum Serfermeifter des Etuhles Petri. In der That werben 
wir unten fehen, daß Pandulf, fo Tange er lebte, felbft nach Entfernung ber 
beiden Dttonen, der Atlas war, der das Gewölbe deutiher Herrichaft über 
Stalten trug. 

Da Liutprand, gebunden dur die von Otto I. ihm ertheilten Ver⸗ 
haltungsreneln, nicht auf die Vorfchläge der Byzantiner einging, rüftete ſich 
Nicephorus zu Erneuerung des Kriege. Der Biſchof von Cremona erftattet 
feinem Herm Bericht über die Streitfräfte des morgenländifchen Herrichere. 
„Ein Gefandter des Königs Adalbert, mit Namen Grimizo,” fchreibt‘) Liuts 
prand, „befindet ſich hier in Eonftantinopel. Neulich beſchied denfelben Nice 
phorus zu fi und Fünbigte Ihm an, daß er demnädft mit ber gewünfchten 
Hülfe nad) der Heimath zurüdtehren könne. Der byzantinifche Hof hat näms 
lich ein aus verfchiedenen Nationen zuſammengeſetztes Solpheer in Bereitfchaft, 
über weldes ein Berfchnittener den Befehl führen wird, ſowie eine Kriegs⸗ 
flotte, die aus 24 griechiſchen Fahrzeugen, welche man hier Chelandia nennt, 
ferner aus zwei galliichen und ebenfo vielen ruffiihen Schiffen befteht. — König 
Adalbert hat neulih nach Eonftantinopel gemeldet, daß er an der Spibe von 
8000 Schwerbewaffneten ſtehe, auch um Sold für dieſe feine Truppen ger 
beten, welche, mit den Griechen vereint, ohne Mühe die Deutichen aus Stallen 
vertreiben würden.” 

Weiter unten fährt Liutprand fort: „auf die Meltung Adalberts vers 
fügte Nicephorus, daß, wenn der abgeſetzte Lombardenkönig wirflih 7000 — 
8000 Geharniſchte aufbringe, das gewünſchte Geld ihm ausgezahlt werden möge. 
Doch dürfe Adalbert in diefem Falle ven Befehl nicht übernehmen, fondern 
fatt des Königs folle fein Bruder Euno das Heer befehligen, und während 
defien müſſe Adalbert als Geißel in Bart zurlidigehalten werben, bis Cuno 
gefiegt babe. Sollte aber Adalbert fein Wort nicht halten oder die 8000 Mann 
nicht flellen, dann ift jener Hämling beauftragt, ihn als einen Lügner den 
Deutſchen auszuliefern. “ 

Man fteht: der griechifhe Hof heate Mißtrauen gegen den Lombarden 
Adalbert. Ganz leer fönnen feine Verheißungen nicht gewefen fein, denn fonft 
würde Nicephorus feine Flotte zu feiner Unterftüßung ausgerüftet, noch eine 
anfehnlihe Summe Geldes — wenn aud bedingt — für ihn befiimmt haben, 


°) erh II, 383, 


462 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Wie vermocdte aber Adalbert im fiebten Jahre, nachdem er vom Threm 
Italiens herabgeſtürzt worden, als friegführende Macht aufzutreten? Une 
dem Kalfer Otto und dem Byzantiner Nicephorus erfcheinen Damals nur ned 
Saracenen als gebietende Herren in Italien. Wiederholt fanden wir zwikha 
961—966 den Lombarven in Verbindung mit den Saracenen zu Garde⸗Fraine 
und auf der Inſel Corfifa, die beide den Kalifen von Cordova als ihre 
Herm anerfannten. Eben diefe — oder die afrifaniihen Moslemim anf Ei 
eilten — haben ihm meines Erachtens auch im Jahre 968 Vorſchub geleifet 
Sicherlih war es den Saracenen ebenfo unangenehm als den Griechen, daj 
Dtto I. fih in Stalien feſtſetzte. inen folhen Nachbar wollten weder bk 
Einen noch die Andern dulden. 

Liutprands Bericht verbreitet noch über eine andere Thatfache einiges 
Licht. Zu der griechiſchen Kriegsflotte waren zwei franzöflihe und amei nıl 
ſiſche Orlogſchiffe geſtoßen. Die Waräger Nordflaviens vienten bäufig ben 
byzantiniſchen Katfern zu Wafler oder zu Land als Sölpner. Die Vermuthung 
‚drängt fi daher auf, daß die Abſendung der zwei ruſſiſchen Schiffe fein 
politiiche Gedanken, fondern nur Begierde, Geld zu verbienen, zur Triebfeber 
hatte. Uber das Gleiche läßt ſich bezüglich der zwei franzöfiichen Schiffe 
nicht vorausfepen. 

Gar feine Beifpiele kommen fonft vor, daß Neuftrier als Seeleute grie: 
chiſchen Eold nahmen. Deßhalb bleibt nur die eine Deutung übrig: ein weh 
öftliber Bund wider die deutſche Herrſchaft über Italien fei damals im Werte 
geroefen. In der That hatten Neuftriend Könige Grund, fih Dem, was 
Dtto I. zu Rom wob, auf jede Weile zu witerfegen Denn das Zoch, dad 
der Sachſe der römiſchen Kirche, ald der Metropole des Abendlandes, anfer 
legte, war gegen bie politifche Freiheit der übrigen Reihe Europa's gerichtet. 
Durch Faiferlihe Ausbeutung der geiftlihen Oberhoheit, die dem Apoftelfürften 
zuftand, follten fie gefnecdhtet werben. 

Auch andere Anzeigen ftinmen zu. Auf Neuftriend Throne ſaß damald 
Lothar, der vorlegte Garolinger und Neffe Otto's L, denn feine Mutter Ger: 
berga war eine Schwefter des deutfchen Kaiſers.) Eben diefer Lothar hatte 
feinem Oheim, als derjelbe 965 aus Stalien zurüdfam, aufgewartet und bei 
rathete?) kurz darauf Emma, die Tochter der Kaiferin Adelheid aus ihrer 
erften Ehe mit Lothar, Hugo’d Eohne, dem durch Berngar gemordeten Ko: 
nige Italiens. Mit Händen kann man greifen, daß ſächſiſche Etaatsfunft 
diefe Verbindung in der Abficht ausgeheckt bat, um ven jungen Neuftrier in 
Abhängigkeit vom deutihen Haufe zu erhalten. Aber der erwünſchte Zwed 
ward nicht erreiht. „Zwiſchen dem Gebicter des deutſchen Reichs Otto II 
und dem Könige Lothar von Neuftrien,” ſchreibt') ver Franzoſe Richer, 


— — — 


*) Berg I, 627. 2) Perg I, 628 u. III, 407. 2) Perk IL, 621. 


at 








Siebtes Buch. Gap. 27. diutprands gefanbtfchaftliche Reiſe nach Conſtantinopel. 463 


„herrſchte glühender Haß.” Dieſelbe Geſinnung wird es geweſen ſein, welche 
noch in Otto's I. Tagen zwei franzoͤſiſche Schiffe ven Griechen zu Hülfe ſchickte. 

Der Lombarde Adalbert, obgleih von Nicephorus „und mittelbar aud) von 
dem Neuftrier Lothar unterftügt, richtete nichts gegen Otto I. aus, ſei «6, 
weil er die verheißenen 8000 Geharniſchten nicht aufzubringen vermochte, ſei 
ed aus andern unbefannten Gründen. Dagegen fand der Unglädlihe nad 
oft wiederholten Fühnen Berfuchen, fein Neich wieder zu gewinnen, jzuleßt 
eine Ruheftätte auf franzöflfhem Boden. Benzo, der Biſchof von Alba, ers 
zählt:) „Adalbert, ehemald König von Stalten, einer der tapferften Soldaten 
jeined Jahrhunderts, hat wüthende Kämpfe gegen Otto I. beftanden und 
bemfelben zweimal den Sieg hart beftritten. Zuletzt verjagte Ihn Otto aus 
Ztalien, aber vom Lande verdrängt, warf der Lombarde fein Banner zur 
See auf; drei Jahre lang durchfurchte er die Meere, fiel zuletzt in Ge⸗ 
fangenichaft und bejchloß fein Leben ald Fremdling zu Autun.” 
“Berg will zwar das Iateinifche Wort Augustidunum dur Augsburg am 
Lech erklären, allein dieß erlaubt der Spradgebrauh nit. Hiezu kommt, 
daß, wenn Adalbert gleich feinem Vater in Deutichland geftorben wäre, irgend 
eine deutihe Quelle, Widukind, Thietmar oder ein anderer Chroniſt etwas 
davon melden würde. Dem Beiſpiele der Normannen folgend, muß Adalbert 
zuletzt — wie es fcheint in ftetem Bunde mit Saracenen, den Corſaren des 
Südens — fi zum Seekönige aufgeworfen haben. Sein jüngerer Bruber 
Euno, den auch Liutprand in obiger Stelle erwähnt, überlebte ihn. Wir 
werben jpäter von ihm hören. 

Noch ein weiterer Satz aus dem Berichte Liutprands verdient Beachtung. 
An Mariä Himmelfahrt trafen päbftlihe Botfchafter zu Gonftantinopel ein, 
um dort daſſelbe Gefchäft zu betreiben, wegen deſſen Liutprand hergefommen 
war, nämlih um die Role von Brautwerbern für den jüngeren Dito gu . 
übernehmen. Der Biſchof von Eremona nennt?) ihre Einmifhung in jeine 
Aufgabe einen Unftern, denn er fühlte Neid darüber, daß Andere ihm einen 
fetten Biffen vor dem Munde wegnehmen wollten. Uber bald verwandelte 
ich feine Mißgunſt in Mitleid, vieleicht auch in Schadenfreude. Die päbf- 
lien Gefandten hatten nämlich Briefe Johanns XIII. mit fi gebradt, 
worin der Pabſt von dem jüngeren Otto den Ausbrud brauchte: unfer viel⸗ 
geliebter geiftlicher Sohn Dtto, großmächtiger Kaiſer der Römer. Diejer Titel 
erregte die Wuth des byzantiniſchen Hofs und bewirkte, daß man bie Ges 
fandten als Hocverräther ins Gefängniß warf. 

Ziemlich deutlich gibt Liuprand zu verftehen, daß im Grunde den rös 
miſchen Ankömmlingen Recht gefchehen fei, und daß Pabſt Johann XIII. nicht 
mit der gehörigen Klugheit gehandelt habe. Dem Byzantiner Ricephorus legt 


*) Berg XI, 6885. 2) Perk III, 357 unten, 





464 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


er unter Anberem den Eap in Mund: „es fcheine dem Pabſte gänlid a 
Berftand zu fehlen.” Nebenbei ermangelt er nicht, feinen Rath zu ertbeile, 
wie in Zufunft Johann XIII. ſich gegen ven griechiſchen Kaiſer benehmen folk. 

„Nicephorus,“ fchreibt‘) er, „iſt durch Ehebruh und Meineid auf da 
Thron von Bonftantinopel gelangt. Sintemalen dem Herm Pabfte die Pflidt 
obliegt, für das Wohl aller Chriften gu forgen, fo rathe ich, daß er an Rku 
phorus Briefe fenbe, bei deren Abfaffung der Ausſpruch des Evangelium 
beachtet werben muß: Außerli find fie gefirnißt, innerlih vol Zoptenbeim. 
Denn wenn die fraglichen Zufchriften nicht eine gefällige Außenfelte haben, 
werben fie nie in die Hände des byaantiniichen Anmaßers gelangen. Der 
Inhalt aber fol und muß gepfeffert fein: der Pabſt mag darin dem grie 
chiſchen Gewalthaber vorhalten, daß er feine rechtmäßigen Oberherrn verrathen 
babe; er fol ihn weiter vor eine Synode zu Gericht laden, und im Fall des 
Nichterfcheinens den Kirchenbann wider ihn fchleudern.“ 


[u | 


Wer hätte je nenlaubt, daß der alte Fuchs von Gremona in der Hik | 


des Dienfteifers und der Mißgunſt fo aus der Schule ſchwatzen mürbe! 
Heraus ft das Wort, welches zeigt, wozu ber ſächfiſche Herrſcher und deſſen 
Rathgeber den Stellvertreter des Apoftelfürften herabzuwürdigen gedachten. 
Wenn Petri Stuhl, fo wie es feit fieben Jahren der Fall war, in der Gewalt 
des Sacfen blieb, verwandelte fich die Kirche unfehlbar in eine Magd ber 
Deipotie, und der Pabft mußte fih bequemen, für augenblidliche Zwecke feines 
politifchen Oberherrn nicht blos Bullen zu erlaffen, fondern zu lügen. 

Unverrichteter Dinge Fehrte Yintprand gegen Ausgang des Jahres 968 
oder zu Anfang des folgenden an das kaiſerliche Hoflager nah Rom zurüd. 
Der Krieg zwiſchen Dtto I. und Nicephorus brach von Neuem aus, bob 
fennen wir aus Mangel an Nacırichten die Einzelnheiten des Kampfes nidt. 
Der Chroniſt von Salerno melvet,?) daß Otto felbft oder deutihe Schaaren 
wiererholt in Apulien, oder Calabrien einbrachen. Aktenſtücke flimmen au. 
Sn einer Urkunde,) die unter dem 18. April 969 in der Nähe von Caſ— 
fano ausgeſtellt ift, fagt Dtto I. von ſich felber, er Iagere auf der Ebene von 
Gaffano und gebe nach Kaiferrecht feinen Getreuen, den Balabrefen, Stalie 
nern, Franken, Deutichen, Geſetze und Befehle. 

In einer zweiten, um 13 Tage fpäter zu Bovino audgefertigten‘) findet 
fib die Bemerkung, daß er eben aus der Provinz Calabrien umfchre, melde 
er dem deutfchen Reiche zu unterwerfen verfucht habe. Diefe Worte deuten 
darauf hin, daß die Eroberung nicht gelungen war. Im nämlicen Jahre 
traf die deutſchen Waffen im ſüdlichen Stalfen ein merklicher Unfall. Fürſt 
Panbuff, der Eifenfopf von Kapua⸗Benevent, der während des Kaiferd Ab: 





ı) Ibid. ©. 358 unten. ?) Bere IIL, 554 flo. 2) Böhmer, regest. regum a Con- 
»ado I, Rr. 356. *) Ibid. Ar. 358, 


Siebtes Buch. Gap. 27. Liutprands gefanptfchaftliche Reiſe nach Gonflantinopel. 465 


sefenheit den Befehl führte, fiel bei einem Angriff auf Bovino in die 
Hände der Griechen und wurde ald Staatögefangener nad Eonftantinopel 
ortgefchleppt.') 

Widukind von Corvey erzählt,?) Otto habe, um eine von den Byzan⸗ 
inern begangene Treulofigfeit zu züchtigen, die deutſchen Grafen Günther 
von Meißen) und Siegfried mit einer Heeresabtheilung nad Sübitalien bes 
rdert, und fügt bei, daß beide ihren Auftrag wirklich vollftredten, Indem fie 
en Griechen eine Niederlage beibrachten, Branpfchagungen in Galabrien und 
Ipulien erhoben, und dann mit Beute reich beladen zum Kaiſer zurüdfehrten. 
(uf ſolche Raubzüge wird fih der Kampf von beiden Seiten beichränft haben: 
ein Theil vermochte den andern gründlih zu bemüthigen. Aus den Urfun- 
en®) Otto's L erhellt, daß er im Sommer 970 noch einmal, aber auch das 
:stemal, perjönlih in Apulien eindrang. 

Eine Palaftummwälzung zu Conftantinopel machte dem Streite ein Ende. 
in der Nacht vom 10. auf den 11. Dez. 969 erdolchte Johann Tzimisces, ein 
ıpferer, aber von Nicephorus zurüdgeiegter Oberft, feinen Gebieter und 
hwang ſich felbft auf den Thron.) Im Innern feines Reichs durch Par⸗ 
yeien, gegen Außen durch Bulgaren und Saracenen bedroht, fand der neue 
yerrjcher für gut, Stalien zu beruhigen. Er fchidte den gefangenen Panbulf 
ıüd und erklärte feine Bereitwilligfeit, die Hand der Griedhin Theophano 
:m jüngern Dtto zu gewähren. Im Sahre 971 fandte*) der alte Kaifer den 
irabifchof Gero von Cöln nah onftantinopel, um die Braut abzuholen. 
m April 972 wurde das Beilager zu Rom gehalten. Zugleich kroͤnte Pabſt 
ohann XIH. die junge Katferin des Abendlandes.“) 

Der zweite Aufenthalt Otto's I. in Stalien hat vom Ende des Jahres 
66 bis zum Spätfommer 972, alfo faft volle ſechs Jahre gedauert. Große 
Inzufriedenheit muß in Deutichland über die lange Entfernung des Kaiſers 
ut geworden fein. Mönd Widukind theilt®) ein Schreiben mit, das Otto I. 
m 969 an die Fürften Sachſens erließ. Der Kaifer ſpricht darin von feinen 
Berhältniffen zum griehiichen Reich und ſtellt baldige Rückkehr über die Alpen 
a Ausfiht. Meines Erachtens ging feine wahre Abficht dahin, die Gemüther 
vegen feiner Tangwierigen Abwejenheit zu befchwichtigen. Derfelbe Ehronift 
eutet*) an, Dtto I. habe zulegt die Rüdreife befchleunigt, weil die Kunde 
u feinen Ohren drang, daß die Sachſen auf Empörung fännen. Widufind 
ügt zwar in höfifhem Tone bei, er wolle nicht weiter von der Sache reden, 
veil fie nicht von Belang gewefen fei. Allein gute Gründe liegen vor, ihr 
rößere Bedeutung beigulegen, al8 der vorfichtige Chroniſt eingeftehen will. 

Im September 972 hielt nämlich der alte Kaiſer zu Ingelheim eine 


) Berk M, 554 unten fig. 3) Ibid. ©. 465. 3) Böhmer, rogest. a. a. D. 
tr. 376—379. %) Die Belege bei Sfrörer, Kir. Sei. II, 1270. °) Berg IIL, 
64 unten flg °) Ibid. ©. 466. 

Gfrörer, PabR Gregorius vu. Bo, V, N) 


466 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


vielbefuchte Reichsſynode, auf welcher alle deutſchen Erzbiihöfe mit Ausnahme 
eines Einzigen und fehr viele Biſchöfe erichienen. Hier büßte Dito J. da 
Abt von Cowey und die Abtiffin von Herford um 30 Pfund Goldes, weil 
fie dem Stuhle von Osnabrück gewiſſe Zehnten widerrechtlih entzogen hatten. 
„Auch mehrere Adelige,” heißt es in der betreffenden Urfunde,‘) „nahmen 
Theil an folder Anmaßung, weil das Gerüdt von Unjerem Tore 
das audgefprengt worden, ihnen Muth machte.“ Gewiſſe Schwie 
rigfeiten, auf welche Dito II. nad dem Abfterben feines Vaters ftieß, bingen 
nah meinem Dafürbalten gleihfal8 mit der böfen Stimmung zufammen, be 
der alte Kaifer theild durch fein Verfahren in Italien, theils durch die fange 
Abweſenheit heraufbeihworen hatte. 

Wenden wir uns noch einmal nah Stalien zurüd. Laut Urkunden’) 
war Otto I., wahrjcheinlich bereit8 auf der Rüdreife begriffen, den 1. Ang. 972 
zu Pavia; am 18. defjelben Monats befand?) er fih zu Eonftanz am Be 
denfee. Neunzehn Tage fpäter — den 6. September 972 — farb?) zu 
Rom Pabſt Johann XIII. Die Erledigung des h. Stuhles dauerte ungefähr 
fo lange ald nöthig war, um Befehle und Beftätigung des in Deutichland 
weilenden Kaiſers einzuholen, d. b. biß gegen Ende des Jahrs. Den 19. Ja⸗ 
nuar 973 empfing‘) der gewählte und beftätigte Nachfolger die Kirchliche 
Weihe. Derfelbe hieß Benedikt, unter den Päbften gleihen Ramens der 
jechöte, war zu Rom in der 8. Stadtregion unter dem Capitol geboren und 
Sohn eined Hildebrand, der Mönch geweſen fein fol. 

Daß Benedikt VI. weſentlich dem füchftfchen Haufe feine Erhebung ver- 
danfte, ift unzweifelhaft. Denn nicht nur findet fich feine Epur von Meis 
nungsverjchiedenheit zwiſchen dem alten Kaiſer und dem neuen Pabfte, fondern 
auch die Thatſache fteht feft, daß Benedikt VL, fo lange Dtto I. lebte, ruhig 
und ungefährdet Petri Stuhl einnahm, während ebenvderfelbe bald nachdem 
zu Rom die Nachricht vom Tode des Kaiſers eingelaufen war, den Streichen 
gemeinichaftliher Gegner unterlag. Offenbar hatte die Strenge, mit welder 
der „rothe?) Löwe“ die Zügel der Gewalt führte, folhen Schreden zurüdgelafien, 
daß auch nad feiner Entfernung Rom und Stalien, wenn gleich murrend, doch 
ohne Widerftand, gehorchte. 


— — — 





1) Die Belege bei Ofroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1363. :) Böhmer, regest. a. a. D, 
Mr. 390 und 391. ) Jaffèé, regest. Pontif. ©. 330. %) Ibid. ©. 331 oben. 
®) Ueber diefen Beinamen vergl. man Gfrörer, Kirch. Geſch. III, 1589. 


— 


Siebtes Bud. Gay. 28. Das Jtalienifche wird Geſchaͤftoſprache. Litteratur in Piemont. 46% 


Achtundzwanzigſtes Capitel. 


Meberblid der allgemeinen Zuflände Staliend während des Dttonifchen Kaiſerthums. Das 
Stalienifche wirb durch den Kürften Alberich II. Geſchäftoſprache. Die Literatur in dem 
Lande, das Heut zu Tage Piemont heißt. Otto's IL. Tod. 


IH halte es für paſſend, bier noch einige allgemeine Züge über bie 
Zeiten der kaiſerlichen Herrſchaft Otto's TI. beizufügen. Eeit dem Bontificate 
Agapets II., der, wie früher‘) gezeigt worden, im März 949 Rechte und 
Befigungen des Kloſters Cluguy auf Bitten des damaligen Abts Aimard 
beftätigte, bi8 zum Jahre 965 findet fih Fein Beleg befonverer Verbindung 
woifchen Petri Stuhle und ber genannten burgundifchen Abtei. Aber nun 
wird ed andere. Durch eine Bulle,) deren Jahr und Tag man nicht Fennt, 
:mpfiehlt Pabft Johann XIII. den Abt von Clugny aufs Angelegentlichfte 
einer ganzen Reihe gallifher und burgundifcher Erzbifchöfe und Biſchöfe, näm- 
ih denen von Arles, Lyon, Vienne, Clermont, Balence, Beſancon, Macon, 
Chalons, Aurerre, Avignon, Genf, Lauſanne, Viviers. 

Nicht mehr Aimard war damals Abt, fondern Majolus, deſſen Namen 
ud die Bulle anführt, der bis 965 zugleih mit dem erblindeten Aimard, 
nd von da bis 994 allein mit hohem Ruhm das Dutterflofter fammt den 
jielen olonien, die von Clugny abhingen, verwaltete.) Irgend ein großes 
Berdienft, welches fih Majolus um Petri Stuhl erworben hatte, wird Anlaß 
zeweſen fein, daß der Pabft warm für die Abtei redete So oft dringende 
Befahren den Statthaltern Petri nahten, find die Clugniacenfer ftets mit 
Hülfe bei der Hand geweſen. Wir werben dieſe Erfahrung In den nächſten 
Jahren durch merfwürbige Ereigniffe beftätigt finden. 

Zweitens fcheint mir aus mehreren Thatfachen zu erhellen, daß in dem 
Zeitraume zwifchen 930 und 970 das heutige Italieniſche als Schriftipradhe 
ih auszubilden begann. Baronius theilt*) eine alte Grabfchrift auf Pabſt 
Bregor V. mit, der 999 farb. Im derfelben wird gerühmt, Gregor habe 
rei Sprachen, Deutich, Latein und die Volksſprache, verftanden und in den, 
elben gepredigt. Alfo um 999 war das Stalienifche bereits fo üblih, daß 
elbſt Pabſte es auf der Kanzel brauchten. Dieſelbe Mundart reicht aber 
rweislih um volle vierzig Jahre — wahrfcheinlid um nocd viel mehr — 
veiter hinauf. 

Fauriel hat ein Aftenftüd veröffentlicht‘) aus welchem Folgendes erhellt: 
:in itolienifcher Mönch, Namens Gunzo, befuchte um 960 das deutſche Klofter 


— — —— — — 


1) ©. 259 dieſes Bandes. ”) Jaffé a. a. D. Nr. 2880. 3) Bfeörer, Kirch. 
Befch. IIL, 1339 fig. %) Ad annum 999. Ausgabe von Lucca 1744. Bd. XVI, 389: 
us Francigena, vulgari voce, latina, instituit populos eloguio triplici. ) Bibliothdque 
le l’&cole des chartes II, 624, 

34° 


468 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


St. Gallen, unterhielt ft mit den dortigen Mönden auf Latein und begin 
dabei einige Schniger gegen die Grammatik, weßhalb ihn die St. Galle 
foppten. Gunzo nahm dieß nicht gleichgültig hin, fondern ſchrieb einen latei⸗ 
nifhen Brief, in welchem er fi zu entichuldigen fuchte. Unter Anderen 
fagt er darin: „Ihr bürfet nicht glauben, daß ich die Grammatif nicht femme 
Nur deßhalb find Wir mehr ald Andere Verftößen ausgeſetzt, weil unfere 
Volksſprache der Tateiniichen fehr nahe kommt‘) (und alfo leicht mit der andern 
vermengt werden fann). 

Die nächſte Frage iſt: wann wurde das Stalienifche, auf Pas der Mänd 
fo deutlich Hinweist, zuerft in firchlihen Aften angewendet? Ich behaupte, 
durch Pabſt Johann⸗Octavian, den Sohn Alberih® IT. Wie früher gejzeigt 
worven, hebt Liutprand mit boshafter Schadenfreude hervor, daß Pabſt Jo 
hann XII. in jenem Briefe, kraft defien er die im Herbfte 963 zu Rom ven ' 
fammelten Bifchöfe mit dem Bann bebrohte,, flatt des Iateinifhen Saped 
excommunico vos per Deum omnipotentem das italienifhe PVorfegwort da 
(Deum omnipotentem) brauchte. Noch deutlicher tritt die nämliche Abficht in 
dem Schreiben ans Tageslicht, das diefelben bedrohten Bifchöfe an Johann XTI. 
rihteten, und das Liutprand gleichfalls mittheilt. Hier verhöhnen?) fte ibn 
deßhalb, weil er eine doppelte Werneinung hinter einander anwandte, welde 
Form befanntlih in den neuern romaniſchen Spracen ftärfer verneint, wäh 
rend fie im Lateiniſchen das Gegentheil bewirft, nämlih bejaht. Offenbar 
wollen die Bilchöfe, oder vielmehr will Rintprand, der in ihrem Auftrage das 
Schreiben abgefaßt hat, Jagen: Johann-Octavian fet fo ungebildet gewefen, 
daß er felbft in Firchlichen Urfunden fich des Stalienifchen bediente. 

Meines Erachtens würde jedoh Octavian dieſe Neuerung nicht gewagt 
haben, wären nicht mächtige Laien mit amtlihem Gebrauche der Volfsfprade 
porangegangen. Bor Johann XIT. herrichte über Kirche, Stadt und Gebiet 
von Rom fein Vater Alberich IT., von dem man faum annehmen fann, daß 
er ald Laie eine klaſſiſche Erziehung empfing, und der anbererfeit bei ber 
demofratifhen Richtung, in welde ihn die Umſtände hineintrieben , trif: 
tige Gründe hatte, dem Geiſte der Menge dadurch zu ſchmeicheln, daß 
er als Herriher die gemeine Mundart des Volks anmwandte, und dadurch zu 
Ehren bradte. 

Unlängbar ift, hervorſtechende Entwidlungen der Literatur faft aller Völker 
haben ihren Anftoß von einzelnen Staatsmännern empfangen. Schwerlid 
befäßen wir in Homer's Gedichten ein fo vollendetes Epos, hätten nicht bie 





‘) Usu nostrae vulgaris linguae, quae latinitati vicina est. ?) Pertz TIL, 344, Mitte: 
est et aliud vestris in litteris scriptum, quod non episcopum sed puerilem ineptiam de- 
ceret — ita enim scriptum erat: non habeatis licentiam, nullum ordinare. 
Nunc usque putarimus, immo vere credidimus, duo negativa unum facere dedicatirum, nisi 
tra auctoritas priscorum_sententias infirmaret Auctorum. 


Siebtes Buch. Gap. 28. Das Italieniſche wird Befchäftsfprache Litteratur in Piemont. 460 


fleinen Könige Griechenlands es ihrem Bortheil gemäß gefunden, vie Ader der 
Sänger, weldye die Thaten der Atriden verberrlichten, durdy Ehre anzufeuern. Die 
Blüthezeit der republikaniſch⸗griechiſchen Litteratur hängt mit dem Wirfen des 
Perikles zujammen, die Höhe römijcher Eultur knüpft fih an Eäfar Augufts 
Namen, die neuere italienische Litteratur, wie die neuere franzöfliche, verdankt 
jehr viel den Medizeern und dem vierzehnten Ludwig. Denn Berikles ſowohl 
ald Auguſt, die florentiniſchen Medizeer, und der zulegt genannte Capetinger 
wollten durch Begünftigung der Kunft und Wifjenfhaft ihrer Herridhaft uns 
gewöhnlichen Glanz verjchaffen. 

Aehnlich verhält es fich mit Ausbildung der Sprachen. Weil Ludwig 
der Fromme und nad ihm feine Söhne, Ludwig der Deutihe und Carl der 
Kahle, aus politiichen Gründen auf Trennung der Reichseinheit hinarbeiteten 
und deßhalb fich genöthigt jahen, den auf Vereingelung gerichteten Gelüften 
der drei Völfer, welche Carls des Großen Monarchie gewaltfam zu einem 
politiihen Ganzen vereinigt hatte, Vorſchub zu leiften, famen unter Ludwig 
dem Deutichen und Earl dem Kahlen die erften Denkmale veutfcher und 
romanijchsgalliiber Sprade zum Vorfchein. 

Noch trat damals Feine Spur hervor, daß auch die Staliener ihre Mund⸗ 
art, als eine gleichberechtigte, den Epradyen der zwei andern Hauptnationen 
des carolingiſchen Reichs entgegenzufeßen verjucht hätten. Aber Alberih II. 
nahm die Bewegung des neunten Jahrhunderts, die diefjeitd der Alpen zum 
Ausbrud Fam, jedoch drüben in Stalten ftodte, energiih auf, und führte das 
Stalienische, deſſen fi) längft das gemeine Volk bedient haben muß, in das 
Geichäftsleben ein. Denn feine eigenthümliche Stellung nöthigte ihn, durch 
jedes Mittel die Menge zu gewinnen und ihre Kräfte feinen Herricherzweden 
dienſtbar zu machen. Er.bat in diefer Richtung dieſelbe Fähigkeit bewährt, 
von der wir in andern Dingen zahlreiche Beweiſe fanden. 

Zu gleicher Zeit gieng das Stalienishe aud in die hiftorifche Litteratur 
über. Wie ich früher nachwies, endigt die Chronif des Mönchs Benebift 
vom Berge Sorafte, der unter den beiden Alberichen blühte und die Eroberung 
Roms dur Dito L erlebt hat, gegen das Jahr 968. Diefer Mond ift 
keineswegs der erfte, der von den Regeln der alten lateinifhen Orammatif ab- 
wich, denn ſchon viele Ehroniften oder Schriftfteller vor ihm jündigten viel 
fach nicht etwa blos gegen die Eprache Latiums, fondern auch gegen das 
berfömmliche Latein der Kirche. Aber mit gutem Bug kann man behaupten, 
daß er zuerfi eine Ausprudsweile anwandte, die nicht mehr lateiniſch und 
doch auch nicht eigentlich italieniſch iſt: feine Schreibart bezeichnet den Leber: 
gang vom Einen in das Andere. Dabei fteht feft, daß er der römifchen 
Schule angehörte, denn nicht mur wohnte er in der nähften Nähe Roms, 


%) Gfrörer, Garolinger I, 66 fly. 


470 Pabſt Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


fondern aud fein Augenmerk war vorzugsweiſe römihen Vorgängen uw 
gewenbet. 

Noch muß auf eine Eigenthümlichkeit geiftiger Entwidlung BHingebeitet 
werben, die damals ihren Anfang nahm. Keine Provinz Italiens bat fe 
wenige Schriftfteller erzeugt, fo Färglich bei den allgemeinen Fortfchritten ita⸗ 
lienifcher Litteratur ſich betheiligt, als die Landſchaft, welche feit dem Ende 
des Mittelalters Piemont heißt. Sicherlich find die Bewohner diefer Gegenden 
von der Natur nicht fliefmütterlicher bedacht worden, als die übrigen Staltener, 
denen Fein Menſch geiftige Anlagen abſprechen wird. Woher nun die anges 
deutete Erfcheinung? Ich glaube ihren erften Sumen nachweiſen zu Fönnen! 

Von Anfang an bat das Turiner Haus mit bleiernem Scepter geherrſcht, 
und wenn ed zuweilen Miene machte, für die Gregorianiſche Bewegung und 
die Sache der Kirche Parthei zu ergreifen — was 3. DB. zeitenweife während 
des Regiments der Gräfin Adelheid geſchah — ſchlug plöglid der Wind um, 
fobald auf der Gegenſeite mehr zu gewinnen ſchien. Diefe Art der Herrichaft 
hatte zur unausbleiblihen Yolge, daß jede Aeußerung freier Aufihten in ven 
Kreilen der Beherrichten, der Unterthanen, nievergehalten wurde. 

Klöfter waren befanntlih im Mittelalter Mittelpunfte der Eultur und 
der Wiffenfchaften, den erften Rang unter denen aber, welche dem Gebiete 
des Turiner Hauſes angehörten, nahmen die Abtelen Breme und Rovalefe‘) 
"ein. Ueber die geiftigen Zuftände des erfigenannten Etift8 mun meldet?) ein 
Schriftſteller des eilften Jahrhunderts, deſſen Name nicht genannt wird, den 
man aber errathen fann, Folgendes: „das Fapugentragende Volk beherzigt den 
Ausiprud des Evangeliums: ſeid fanft wie Die Tauben aber auch fchlau wie 
die Schlangen. Wahrlid im ganzen Reiche bin ich herum gewanbert und 
habe der Klöfter viele bejucht, aber nirgends fand ich jo durchtriebene Möndke, 
als dort zu Breme. Kein Trug iſt fein genug, fie zu fangen, und felbft eines 
Kaiſers Geſchenke weifen fie zurüd, wenn fie Hintergedanfen wittern.* 

Mit glüdlihem Ecarffinne vermuthet der piemontefiiche Gelehrte Gazzera, 
daß Niemand anders diefe Verſe niedergefchrieben hat, als der nachmalige 
Biſchof von Alba, Benzo, den wir von früher ber fennen. 

Warum haben es die Mönde von Breme jo weit in der politifchen 
Feinheit gebracht? Dffenbar deßhalb, weil ihre Stellung fie zwang, zwiſchen 
Eiern zu tanzen. Sie mußten ihre Regel, fo gut es gieng, einhalten, ten 


1) Eiche oben ©. 365 u. 367. ?) Chronic. novaliciens. appendix Per& VII, 124: 


Cueullata milicia Sed nunguam vidi aliquos 

Horruit hanc maliciam. Sie temperate callidos, 

Hi sunt columbae Alii, Ut Bremetenses monachos, 

Et serpentis discipuli. Hostili fraude anichos, (dyıxrıas) 
Nam ego regnum eircui Spernentes jugum sumere, 


Et claustra multe fricul, Quod Regis datur munere. 


Siebtes Buch. Gap. 28. Das Italienische wird Gefchäftsfprache. Litteratur in Piemont. 471 


Terifalen Schein beobadten, nebenbei ihren Vortheil wahren, ein gewiſſes 
Maag von Unabhängigkeit behaupten, anderer Seite durften ſie den Argwohn 
md die Alles beauffihtigende Herrſchſucht des geftrengen Landesherrn zu 
Zurin nicht reizen. Mer zwilchen ſolchen Gegenfägen fih bin und her zu 
chaukeln gezwungen ift, wird felten Charalktergröße entfalten, aber faft uns 
chlbar den Ruf der Schlauheit erlangen. 

Das Stift Breme bat im zehnten und eilften Jahrhundert feinen bes 
'annten Chroniften hervorgebradht, wohl aber die mit erfterem eng verbundene 
Abtei Novalefe. Und zwar wird durch den Charafter der fraglichen Ehronif 
ie Richtigkeit der eben mitgetheilten Bemerkung Benzo's beftätigt. Wahrheit 
ſt das Lebenselement der Geſchichtſchreibung, und wer wirfliben Beruf zum 
Hiftorifer befigt, wird feine Aufgabe hauptjächlid dadurch zu erfüllen fuchen, 
daß er den gefunden Denfchenverftand, die unübertrefflihe Waffe aller geiftigen 
Thätigfeit, in möglich freier Weile anwendet. Außerdem liegt es in der Natur 
ver Dinge, daß Geſchichtſchreiber jo gut als andere Schriftfteller den Wunſch 
hegen, Dielen, oder menigftend Denen, deren Beifall ehrenvoll oder lohnend 
Rt, zu gefallen. Die eigenthümliche Verwicklung aber, in der fih ein Chronift 
von Novaleſe befand, gab diefem natürlihen Wunſch eine veränderte Geftalt, 
verwandelte ihn in die unausweichliche Nothwendigkeit, Vorſorge zu treffen, 
daß nach einer wichtigen Eeite hin fein Mißfallen entftehe. 

Fürften, welche in der Weife ded Turiner Haufes berrichen, können es 
nicht ertragen, wenn Andere, al& fie felber, in die verborgenen Abfichten poli« 
tifcher Handlungen eindringen, wenn namentlih Geſchichtſchreiber den wahren, 
von den Urhebern forgfältig verhüllten, Zufammenhang der Begebenheiten aufs 
deden. Bei folhem Zwange blieb dem Ehroniften von Novaleje, wie feinen 
Nachfolgern, nur eine Weife der Erzählung übrig, die bi8 auf den heutigen 
Tag von Solchen, die der Schuh am gleichen Ort drüdt, gewöhnlich angewen- 
det wird, — nämlih dad Gebiet der Anekdote. 

Meines Erachtens gibt es drei Hauptarten der amefvotenhaften Dar- 
ellung, die man mit den Worten die „fette”, die „ſalzige“, die „Üüberzuderte“ 
bezeichnen faun. Die falgige — welche id unter den dreien für die befte ers 
achte — paßt nicht für den geiftlichen Stand, dem bis zum fünfzehnten Jahr⸗ 
hundert bei weitem die meiften Schriftfteller angehörten; fie kam daher erft zu 
der Zeit, da Laien Litteratur trieben — und in&befondere bei den Branzofen 
in Aufnahme. Noch mehr als vie falzige fcheint die fette Art dem clerifalen 
MWohlftand zu widerftreben, allein befondere Gelüfte und Anlagen Einzelner 
burchbrechen die Regel. 

Die Erfahrung liefert den Beweis, daß nicht blos niedere Cleriker, jons 
dern felbft Biſchoͤſe fih ald Chroniften des fetten Styls bebienten, wenn fols 
gende Beringungen eintraten: erftlihb wenn die Furcht vor einem mächtigen 
Hofe es unmöglich machte, die Wahrheit nadt herauszuſagen; yoritend wenn 


nn) 


472 Babft Gregorius VII. und fein Seltalter. 


der Herrfcher, der den Ton angab, eine gewifle Vorliebe für Sped hegte: 
drittens wenn ber geiftliche Schriftfieller, von dem die Rede iſt, gleiche Ne 
gungen beſaß; viertend wenn ebenberfelbe eine fo hohe Stellung einnahm, 
daß er ſich über die Regeln des Anftands und clerifaler Würde wegfepen 
fonnte. Als Beiſpiel ftelle ih den Biſchof von Cremona, Liutprand, bei dem 
alle eben erwähnten Bedingungen zufammentrafen. 

Ein Kleiner unbebeutender Mönd aus irgend welchem Klofter in ber 
Marf Turin durfte e8 — felbft natürliche Anlagen vorausgefegt — nidt 
wagen, in der falzigen Manier und noch weniger in der Liutprands zu fchreiben. 
Wollte er dennoch fchriftftellern, fo blieb ihm — als einziged Mittel — 
bie verzuderte Anefoote übrig.‘ In der That bat fi der Ehronift von Nova⸗ 
leſe diefer Schreibart bevient. Nur dann, wann Gelegenheit ſich bietet, irgend 
ein Geſchichtchen anzubringen, fpriht er — und zwar ſtets obenhin — von 
den Ardoinen und Maginfreden, und fein Menſch würde auf den Gedanken 
gerathen, daß eben diefe Herren politiiche Gebieter des Klofterd waren, in 
welchem er weilte, wenn dieß nicht durch andere Quellen außer Zweifel geftellt 
wäre. Dagegen zieht er, um die Aufmerkjamfeit des Leſers zu feſſeln, bie 
Abentheuer von gefeierten Helden herbei, denen ſeit Jahrhunderten fein 
Zahn mehr weh that, wie er denn unter Anderem die bereit von älteren 
Schriftſtellern in Verſe gebrachte Sagengefdhichte des Hunnenkoͤnigs Attila in 
feine Ehronif einflodht. | 

Hat der geiftige Zwang, den ich fchilderte, eine Zeit lang auf einem Lande 
gelaftet, und läßt fidy ein vielgereister, welterfahrner Mann daſelbſt nieder, 
der jcharffinnig genug iſt, um das geheime Triebwerk Defien, was vorgeht, zu 
durchdringen, und zugleich aus irgend welchen Gründen ald Schriftfteller wirfen 
will, fo lauft ein Soldyer Gefahr, litterarifche Ruchlofigkeit ald Banner auf 
zufteden und nur der plumpen Gewalt zu huldigen. Dieß war der Fall mit 
Benzo, der, wie er ſelbſt andeutet, die halbe Welt gejehen hatte und zus 
legt Biihof von Alba wurde. Ich bin überzeugt, daß die Nähe von Turin 
nicht ohne Einfluß auf feine eigenthümlidhe Schriftftellerei geweſen ift. 

Die piemontefiihe Schule mag gut fein, um taugliche Unteroffigtere und 
Beamte abzurihten, aber für Entwidlung der geiftigen Kräfte paßt fle nit: 
fie zieht entweder alltäglihe Waare, oder wenn die Mittellinie überfchritten 
wird, Freigeiſter wie Benzo, oder romantiihe Wortfünftler und überjchwängs 
liche Sprubdelföpfe wie Alftert. 

Kaiſer Dtto I. farb den 7. Mai 973 zu Memleben in Sadfen. Es 
ftand faum ein Jahr an, fo brady zu Rom eine Bewegung aus, weldye bie 
von ihm begründete Ordnung der Dinge umzuſtürzen drohte. 


Siebtes Buch. Gap. 29. Geſchichte des Kirchenflaatd von 972980. 473 


Hennundzwanzigfies Lapitel. 


zeſchichte des Kirchenſtaats von 972 bis 980, ober von ber Rückkehr Otto's I. aus Stalten 
bis zum Römerzuge Otto's II. Pabſt Benedikt VI., den Kaiſer Otto I. 972 einfepte, 
wird durch Großherzog Grescentius vom marmornen Rofle geflürzt und um bie Mitte des 
Jahres 974 getöbtet. Bonifacius ald Gegenpabſt. Grescentius hatte nemlich die Abficht, 
fi in der Weife Alberich8 zum Fürſten von Rom aufzuwerfen, und fland, als er das 
Verbrechen an Benebilt VI. verübte, in Verbindung mit dem byzantiniſchen Hofe und 
mehreren griechifch gefinnten Fürſten des unteren Italiens. Gegen dieſe verfocht bie 
kaiferliche Sache Pandulf der Ciſenkopf von Gapua-Spoleto-Bamerino. Als er einige 
Bortheile über feine mit Grescentius und ben Griechen verbündete Nachbarn’ errungen 
hatte, wagte der von Crescentius eingefeßte Gegenpabſt Bonifacius nicht Tänger in Rom 
zu weilen, fondern entfloh nach Gonftantinopel. Grescentius dagegen blieb. Otto IT. 
bietet da8 durch den gewaltfamen Tod Benedikts VI. erledigte Pabſtthum dem Oberabte 
von Glugny, Majolus, an, der jedoch den Antrag zurüdweist. Gründe feiner Weige⸗ 
rung. Nun erhebt Dito II. auf Petri Stuhl ben Glerifer Benebift VIL., einen ges 
bornen Tusculaner und nahen Verwandten Johann Octavians, weil ber beutfche 
Kaifer nur durch Beiziehung der noch immer anfehnlicden Macht des tuskulanifchen 
Haufes die Erescentier nieverhalten zu fönnen vermeinte. Die Amtsführung des neuen 
Pabſts, er ſtellt etliche Trümmer der Demofratie wieder ber. Anfänge des Erzbiſchofs 
Willigis von Mainz. Berhältnifle zwifchen Theophano und Adelheid. Benedikt VIL. wird 
gegen Ende des Jahres 979 durch die Grescentier aus Rom vertrieben. Nun rüſtet 
fi Otto II. wider den Willen der deutfchen Stände zu einem Römerzug. 


Epärlih und lüdenhaft find die Nachrichten über die Gefchichte des 
tirchenftaats während der Regierung des zweiten Dtto. Herrmann der Lahme 
erichtet) zum Jahre 974: „in Rom entftand eine Empörung wider Pabft 
zenedikt VI. Grescentius, der Theodora Sohn, überfiel denſelben, warf ihn 
ı die Engelöburg und ließ ihn dort erdrofieln. Da er noch lebte, wählten 
e Römer Bonifacius, den Eohn des Ferruciüs, zum Pabſte, aber diefer 
‚nnte fi nicht halten, jondern ward nad) einem Monate vertrieben und floh 
an nad onftantinopel.” Eine fpätere Quelle fügt?) bei, ver flüchtige 
fterpabft habe den Schatz des h. Petrus mit fi nach dem Dften genommen. 
ieß iſt das Wefentlihe, was wir über die damaligen Vorgänge zu Rom 
iſſen. Schlüſſe verbreiten weiteres Licht. | 

Vorerft ift fo viel ald gewiß, daß der nämliche Erescentius, den Dtto J. 
m 967 zum Großherzog von Rom erhoben hatte, an der Epige der Empörung 
and; zweitens daß er oder fein Anhang es war, der den Afterpabft erhob ; 
rittend daß Erescentius Berbindungen mit den Griechen unterhielt und auf 
we Hülfe rechnete. Denn da das Geſchoͤpf des Brescentius nah Eonftantis 
opel entfloh, alſo dort gute Aufnahme erwartete, muß man nothgebrungen 
en Schluß ziehen, daß auch fein römifcher Brodherr mit den Griechen zu⸗ 
ammenjpielte. 


*) Berg V, 116. ) Muratori I, b. 333. 


474 Pabſt Sregorius VN. und fein Seitalter. 


Andere Nachrichten ftehen hiemit im Einflang. Der Merfeburger Bilde 
Thietmar fpriht‘) davon, daß die Griechen häufige Einfälle in die dem deut 
Ihen Reiche unterworfenen Provinzen Süditaliend gemacht hätten. Obgleid 
er dieß aus Gelegenheit der lebten Regierungsjahre Otto's IT. fagt, nötbigt 
meines Erachtens der von ihm gebrauchte Ausdruck „häufige* (Einfälle) an 
zunehmen, daß der Gränzfrieg zwifchen Griechen und Lateinern ſchon geraum 
Zeit vor dem Römerzuge Otto's II. ausgebrochen war. 

Zunächſt fragt es fih: warum Grescentius gerade im Jahre 974 Tot: 
fhlug? Oben ift gezeigt worden, daß der alte Kailer Dtto I. im Mai 973 
farb. Wie mag ed gefommen fein, daß die Römer nicht ſchon in da 
erften Zeiten der neuen Regierung zu den Waffen griffen? Sonſt werden 
gerne ſolche Wechſel zu Bewegungen benügt. Allein bei forgfältiger Ermb 
gung der Umftände erhellt, daß Erescentius den Augenblid der That gut ge 
wählt hat. Ungefhwäct ging im Mai 973 die Macht feines Vaters in bie 
Hände Otto's IL über, der fchon feit Jahren Mitregent deſſelben war. ber 
im Eommer 974 begann?) ver langwierige Kampf zwiſchen Otto und feinem 
Vetter, dem Herzog Heinrih von Baiern, eine Verwicklung, welde tem 
jungen Kaiſer fchwere Berlegenheiten bereitete. Mit gutem Fuge durfte daher 
Grescentins hoffen, daß Otto IL, durd einen mächtigen Gegner in Deutid- 
land bedrängt, nicht im Stande fein werde, die vom Vater ererbte Herrſchaft 
über den Kirchenftaat zu behaupten. | 

Andererfeits hatte Kaifer Dtto I., als er für immer aus Stalien fchich, 
dafelbft einen zuverläjfigen Wächter zurüdgelafen, jenen Eifenfopf Pandulf, 
der, von Haus aus Herr zu Benevent und Capua, feit 967 auch Markgraf 
in Epoleto und Camerino, ohne Frage an der Spitze der deutſchen Parthei 
in Stalien ftand. Was fagte diefer zu dem Unternehmen des Erescentius? 
Die Ereigniffe beweilen, daß der Römer die Stellung des Eifenfopfs wohl 
in's Auge faßte, und daß der Schlag, den er wider Pabſt Benedift VL 
führte, nicht etwa blos dem Kaiſer Dtto II., fondern zugleih und zwar vor 
zugsweife dem Bencventaner galt. Grescentius und feine griechiſchen Bundes» 
genofjen wollten mit einem Streihe die deutſche Herrihaft über Italien ums 
flürgen und das Werkzeug eben diefer Herrihaft, den Beneventaner, fällen. 

Zu Neapel und zu Amalfi faßen Kleine Bürften, dort um 974 Marinus, 
hier Sergius und fein Cohn Manfo, weldhe den griechiſchen Kaifer ald Oberherm 
anerkannten, weßhalb fie auch griechiſche Titel, wie Hypatus, führten, in ihren 
Urkunden die Zeit nad) den Jahren der byzantinifhen Herrſcher berechneten. ’) 
Eben diefe Schüglinge der Griechen griff Pandulf fhon 973 an, vermochte 
aber nichts auszurichten.) Hätte er gefiegt, fo zwocifle ich jehr, ob Crescen⸗ 


1) Perg LIT, 765. ) &frörer, Kirch. Gefch. ILL, 1367. 2) Muratori, antig. Ital. 
J, 198. 195. 210. %) Perg ITI, 557 unten unb Jahrbücher bes beutfchen Reichs IL, a. 20. 








Siebtes Buch. Gap. 29. Geſchichte des Kirchenftaats von 972—H80. 475 


ius Das gewagt haben würde, was er 974 wirflih zu Rom verfuchte. 
Bald erfolgte wider den Eifenfopf ein Gegenſchlag, der fein angelegt war. 
Die Herrickaft über Salerno beſaß gleihfalls cin Feiner lombardiſcher Fürft, 
Bifulf, ein Dann von unzweifelhafter Thatkraft und Einfiht, um deſſen 
Hunſt fich vielfach die benachbarten Gewalthaber, die Griechen, der Bene- 
rentaner Pandulf, einige Pähfte, ſelbſt gumeilen Kaiſer Dtto I., bewarben, 
er jedoch bis 973 feine Unabhängigfeit zu behaupten wußte. *) 

Allein über das Verhältniß, in welchem Giſulf feit Ende des Jahres 973 
u feinen Nachbarn ftand, herrſcht Dunkel. Der ungenannte Chroniſt von 
Salerno meldet,*) Kaiſer Otto I. habe um 969 während des früher erwähnten 
tampfed gegen die Griechen das Fürſtenthum Salerno graufam verheert. 
ffenbar folgt hieraus, daß Giſulf damals mit den Byzantinern gegen ben 
eutſchen Herricher verbündet war. Auch noch im Jahre 973 erfcheint Gifulf 
18 Feind der deutihen PBarthei, denn Taut der Ausfage”) deſſelben Zeugen 
eabfichtigte Pandulf bei dem Yeldzuge, den er gegen Reapel antrat, zugleich 
a8 Gebiet von Salerno zu erobern, und nur die ftarfe Rüftung, mit wel 
yer der Salemitaner ihm entgegenrüdte, beftimmte den Eiſenkopf, auf fein 
zorhaben zu verzichten. 

Der Ehronift jagt, Pandulf fei damals unverrichteter Dinge umgefehrt, 
on einer Webereinfunft zwiſchen Beiden weiß der Mönch fein Wort. Dens 
och muß ein Vertrag oder ein Bündniß zwiſchen Gifulf und Pandulf abs 
‚efchloffen worden fein. Denn ſeitdem behandelten den Salernitaner feine 
i&herigen Freunde, die riechen Apuliens und ihre Genofien, jene kleinen 
sürften von Amalfi und Neapel, unverfennbar als einen Feind, während ihm 
ndererfeitö fein bisheriger Gegner Pandulf wichtige Dienfte Ieiftete und ihn 
us drohender Gefahr errettete. 

Atenulf II., ein Sprofie des langobarbifhen Haufes von Capua und 
zenevent, war wegen feiner Sraufamfeit, wie e8 fcheint nicht ohne Zuthun 
ines Bruders Landulf, um 933 aus Capua vertrieben worden und hatte 
eim damaligen Fürften von Salerno, Waimar, Zufluht geſucht und ges 
ınden.*) Eben viefer Atenulf IL hinterließ einen Sohn Lantulf, welcher 
feich feinem Bater im Fürftenthum Salerno lebte. Der andere Landulf 
ber, welcher feinen Bruder Atenulf II. vertreiben half, ift der Vater unſe⸗ 
8 Eiſenkopfs Pandulf geweſen. Man begreift nun, daß die Ber- 
riebenen, Bater und Sohn, den älteren Zweig, welcher ſeitdem Benevent 
nd Capua allein beherrichte, toͤdtlich haßten. Gifulf von Salerno bes 
bies der geftürzten Familie nicht geringere Aufmerfjamfeit, als einft Waimar 
ethan: er überhäufte Landulf, Atenulf's II. Sohn, mit Wohlthaten und ver 


1) Berg III, 558 fi. °) Ibid. ©. 564 gegen unten. *) Ibid. S. 867 warn IQ. 
) Ivid. ©. 551, Mitte u. 556 unten fig. 


476 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


lieh ihm anfehnliche Lehen. Gleichwohl Tieß fi eben vieler Lanbulf von 
Giſulfs Zeinden als Werkzeug der Race brauden, nachdem der Salernitaneı 
in der oben befchriebenen Weile ſich mit dem Eijeufopf verftändigt hatte. 

Landulf zettelte eine Verſchwörung in Salerno an, überfiel den YFürka 
Gifulf und deſſen Gemahlin Gemma bei Nacht, nahm Beide gefangen, 
ließ fie in einen Thurm werfen und am folgenden Tage nad) Amel 
abführen. Auf die Kunde, daß der Schlag gelungen fei, eilten die Yürke 
Marinus von Neapel und Manfo von Amalfi, die bisher nur unter der Ha) 
Landulfs Vorhaben begünftigt hatten, mit ihren Schaaren herbei, erklärt 
fi offen für den Anmaßer und halfen ihm das Werk vollenden, die mit Ge 
walt errungene Herrſchaft befeftigen.‘) Aber bald brady Streit zwiſchen Las 
dulf und feinen Söhnen aus, da Jeder den ausſchließlichen Befip des Fürſten 
thums begehrte. Hiedurch beleidigt, fielen mehrere der Mitverfchwornen von 
Landulf ab, und in Kurzem wagten auch die vielen Anhänger, bie da 
verrathene Giſulf namentlid) unter dem Glerus zählte, ihre Stimme für ik 
zu erheben. 

Die Einen wie die Anden wandten fh an den Eiſenkopf Panpuli 
Diefer erihien mit Heeresmacht vor Salerno und nahm die Stadt bra 
4. Zuni?) 974, obgleidy die Amalfitaner, Landulf's Bundesgenofien, hart 
nädigen Widerſtand leifteten. Landulf jelbft entging der Race des Siegert, 
er entflohb an denjelben Ort, wo der Afterpabft Bonifacius Schutz ſuchte, 
nämlich nach Gonftantinopel. 

Der Eijenfopf begnügte fih nit damit, den Berräther Landulf ver 
tricben und Salerno gerettet zu haben, er erzwang aud die Befreiung des 
gefangenen Giſulf und fegte ihn wieder in fein Yürftenthum ein, doch that er 
Solches nicht, ohne einen entiprechenden Lohn zu fordern. Gijulf, deſſen Er 
mit Gemma finderlod war, mußte des Eijenfopfs gleichnamigen Eohn Par 
dulf an Kindesitatt annehmen und zu feinem Erben ernennen. ®) 

Dieß die Äußeren Umrifje der Dinge, weldye laut dem Berichte der 
Ehronif von Salerno im dortigen Fürftenthum vorgingen. Der Ehronift bes 
jtimmt weder die Zeit, noch jagt er die volle Wahrheit, ſei ed daß er fie 
nicht fannte, ſei es daß er nicht Alles, was er wußte, niedergujchreiben wagte. 
Seine Darftelung muß daher ergänzt werden. Ich jage: die Verſchwörung 
Landulfs und Genofjen gegen Gifulf, jowie der Angriff des Erescentius auf 
den kaiſerlichen Pabſt Benedift VI. waren nicht nur gleichzeitige Ereigniſſe, 
jondern auch foldye, die in engem Zuſammenhang mit einander ftanden. 

Zwei Sriften der römiihen Bewegung ftehen feft: Im April 974 — 
doch ohne daß der Tag des Monats angegeben wäre — hat Pabft Bene 


— — 


») Pertz III, 558 unten. *) Der urkundliche Beleg nachgewieſen in den Jahrbüchern des 
d. R. II, ©. 21, Note 3. 2) Berk II, 211. 558 fig. u. Jahrbücher des d. RR. a. a. O. 





Siebtes Buch. Gap. 29. Gefchichte des Kirchenflaats von 972—980. 477 


pift VI. noch eine Bulle umterzeichnet,‘) er Tann alfo erft nach dem betrefs 
tenden Tage des genannten Monats geftürst worben fein. Zweitens im Laufe 
des Oktobers 974 empfing?) Benedikt VI. rechtmäßiger und von ber kaiſer⸗ 
lichen Regierung anerkannter Nachfolger die Weihe. Diefer Weihe aber 
gingen voran erftend die Mahl, zweitens langwierige Verhandlungen, und 
war nicht etwa nur zwiſchen Rom und dem kaiſerlichen Hofe, der damals 
in Sachſen weilte,” fondern auch, wie unten gezeigt werden foll, zwiſchen 
Rom, dem Katfer Otto IT. und dem Mutterftifte Clugny. 

Meines Erachtens muß man diefen Verhandlungen einen Zeitraum von 
menigftens drei Monaten zuweiſen. Bor Ende Juli kann daher die Einſetzung 
bes rechtmäßigen Nachfolgers nicht wohl zur Sprache nefommen fein. Drittens 
pen Verhandlungen über die Wahl eben dieſes Nachfolger ging abermals 
voran die Flucht des Bonifactus und fein kurzes Pabſtthum, das einen 
Monat und ſechs Tage dauerte. Demnach fällt allem Anichelne nach die ges 
mwaltfame Erhebung des Eindringlinge in den Mat 974 und währte in ben 
Juni bineln. 

Und nun nah Capua und Salerno. Wie oben nacgewiefen worden, 
geſchah es im Laufe des Jahres 973, daß Panbulf, der Eifenfopf, zuerft 
Neapel, wiewohl vergeblih, angriff, dann gegen Gifulf einen Verfuch machte, 
ber ebenfalls nicht glückte, aber doch zuletzt mit Abfchluß eines Bündniſſes 
‚wifchen Beiden endigte. Auf letzteres Ereigniß folgte Taut der Ehronif*) von 
Ealerno eine Zeit tiefer Ruhe, welche fortvauerte, bis Landulf die Verſchwoͤ⸗ 
rung gegen feinen Wohlthäter anzettelte.e Da der von dem Berräther geführte 
Schlag ohne Frage ebenfo fehr gegen Panbulf als negen Giſulf gerichtet war, 
fann man nidt annehmen, daß der Eifenfopf gezögert hat, das Echwert 
negen den Empörer zu ziehen. Nun ift urfunblich ermwielen, daß Pandulf am 
4. Juni 974 fih der Stadt Salerno bemädtigte und Lanbulf zur Flucht nad 
Gonftantinopel nöthigte.e Der an Giſulf verübte Berrath Fällt demnach — 
wenn nicht alle Anzeigen täufchen — in den Maimonat des genannten Jahres 
und {ft folglich gleichzeitig mit der römiſchen Empörung. 

Allmählig tritt Der geheime Zufammenhang hervor. Der neue Kaiſer 
des Dftens, Johann Taimisces, hatte. ſich zwar mit Otto I. verföhnt und als 
Unterpfand der Kreundfchaft dem deutichen Thronfolger die Hand der Griechin 
Theophano bewilligt. Aber das qute Einvernehmen hielt nicht lange an, im 
Sabre 974 und vielleicht fchon feit Dem Tode Dtto’8 I fanden die beiden 
Höfe wieder fo geipannt als je gegen einander, und unzweifelhaft hegte der 
Byzantiner die Abficht, das Uebergewicht der Deutfchen in Italien zu brechen 
und zu biefem Zwed einen griechiſch⸗geſinnten Pabſt auf Petri Stuhl zu erheben. 








s) Bouquet IX, 242 fla. ?) Jaffé, regest. ©. 332, 5) Böhmer, regesta a Con- 
sado I, ©. 25 fl. *) Perk III, 558 gegen oben. 


478 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Doc griff Johann Tzimisces nicht offen ein, ſondern trieb verborgemt 
Epiel, indem er Andere voranfhob. Der von Dtto L 967 zum Greofbene 
eingefegte Grescentius, mit dem Beinamen zum marmomen Roß, hatte wäh 
rend der letzten Jahre feine Macht ftattlich vermehrt und brütete unverkennbar 
über dem Gedanken, die Rolle Alberihs I. und II. zu erneuern, d. 5 fü 
zum weltlichen Herın des Kirchenſtaats aufzumwerfen. ben diefer war &, 
den der Byzantiner in Bewegung ſetzte. 


Aber dieſes Bündnig genügte noc nicht. So lange Panbulf, die Eik 


deutſcher Herrſchaft über Stalien, aufrecht ſtand, konnten die Griechen nik! 
vorwärts kommen. Mit feinem Sturze mußte daher das befchloffene Werl 
gekrönt werden. Die letzten in Salerno eingetretenen Berwidlungen br 
wirkten, daß man zwei weitere Berfonen in den Plan hineinzog. Lanball, 
der am Hofe Gifulfs Aufnahme gefunden Hatte, nährte ſicherlich längſt die 
Hoffnung, an Pandulf, den er ald den Sohn Deffen haßte, durch welde 


fein Haus enterbt worden war, Race zu nehmen, und es ift an fidh wahr - 


icheinlih, daß Gifulf dem Ylüchtling mitunter deßhalb jo großmüthigen Eh 
gewährte, weil er ihn irgend einmal gegen mögliche Umgriffe des Eifenfopfes 
brauchen zu können rechnete. 

Eo lange nun Gifulf ſich ferne von Pandulf hielt oder gar gefpannt mit 
ihm ftand, blieb Landulf ruhig. Aber mit dem YAugenblide, da der Salermitaner 
mit dem Eifenfopf Freundſchaft jchloß, glaubte er ſich von ihm verrathen unt 
fann auf Rache. Diele Stimmung benützten die Werkzeuge des bygantinifchen 
Hofes, Manfo von Amalfi und Marinus von Neapel. Gifulf ſollte geſtürzt, 
feine ganze Macht in die Hände Landulfs gebracht und vereint mit den Etreit: 
fräften der andern beiden Fürſten gegen Pandulf gerichtet werden. 

Ausdrücklich meldet die Chronik, daß auf die Kunde von der Verhaftung 
Giſulfs fogleiihd Marinus und Manjo mit ihrer Kriegsmacht nach Salemo 
eilten. Warum thaten fie dieß? Offenbar weil fie voraugfegten, daß Pandulf 
unverweilt dad Schwert wider Landulf ziehen werde. Auch berichtet eine an 
dere Quelle, daß es die Amalfitaner waren, welche Ealerno wider den Eifen- 
fopf — wiewohl vergeblid — zit vertheidigen fuchten. Pandulf fiegte über 
alle drei Gegner, und mit diefem nämlichen Augenblide war auc die Stellung 
des Gegenpabft8 Bonifacius zu Rom unhaltbar geworben. 

Das Pabſtbuch bei Muratori jagt: „da Bonifacius jah, daß er zu Rom 
nicht mehr beftehen Fönne, floh er nach Gonftantinopel.“ Hiemit deutet der 
jonft unbefannte Zeuge an, daß der Grund, warum der Gegenpabft den an 
gemaßten Stuhl Petri nicht länger zu behaupten vermochte, außerhalb Rome, 
nämlih in Epoleto und Gamerino oder aud in Capua oder Benevent, lag. 
Der Ort, wo ſowohl er felbft, als Landulf Schuß fuchten — Conftantinepel — 
beweist, daß Beide im Bunde mit dem Byzantiner ibre nunmehr mißglüdte 
Rolle zu ſpielen verfucht hatten. 


Siebtes Buch. Gap. 29. Gefchichte des Kirchenflantd von 972— 980. 419 


Ein Mitverfchworner aber floh nicht, nämlich der Großherzog Crescentius, 
denn feine Epur findet fih, daß er Rom gleichfalls verlaffen hätte. Man 
muß daher den Schluß ziehen, daß Erescentius nach dem Siege Pandulfs 
für gut fand, fid von dem Gegenpabfte, auf den die Schuld der Ermordung 
Benedikts VI. gewälgt wurde, *) zu trennen und ihn preiözugeben, daß er aber 
gleihwohl mächtig genug zu fein glaubte, um dem Beneventaner die Wage 
zu halten. In der That ift ihm Lebteres gelungen: Sohann Grescentius III. 
ftarb 984 auf feinem Bette zu Rom. 

Weiteres Licht über den Stand der Dinge verbreiten andere Nachrichten. 
Der Elugniacenfer Mönh Syrus, welder das Leben des Oberabtd Major 
[us beichrieb, meldet:) „nah dem Sturze Benedikts VI. drangen Kaifer 
Otto II. und feine Mutter Adelheid mit infländigen Bitten in den Ober- 
abt Majolus, daß er fih entfchließen möge, den verwaisten Stuhl Petri 
zu befteigen; aber ver Abt wies beharrlic den Antrag und zwar aus Des 
muth zurück.“ Kein Grund liegt vor, dieſe Ausfage in Zweifel zu ziehen, 
welche beweist, theild daß Mafolus um jene Zeit einen außerorbentlihen Ruf 
erlangt hatte, theild daß das Mutterfiift Elugny in enger Verbindung mit 
ter oberften Kircbenbehörve ftand. 

Mad wird der Grund gewefen fein, warum Otto IL gerade den Elugnias 
cenſer Abt zum Pabfte erheben wollte? Ich denke, beßhalb hat er fo ges 
hundelt, weil er erwog, daß unter den obwaltenden höchſt ſchwierigen Bers 
häftniffen nur ein Dann, den die halbe Welt als einen Heiligen verehrte, 
das Pabſtthum zu behaupten im Stande fe. Warum aber waren die Vers 
hältniffe zu Rom fo fchwierig? Ohne Zweifel deßhalb, weil Otto's IL. Vater 
Petri Stuhl verknechtet, Die, welche auf ihm faßen, um die Achtung der Völker 
gebracht und in die Unmöglichkeit verſetzt hatte, ihre hohe Pflicht zu erfüllen. 

Als geborner Fürft von Jugend auf gewöhnt, daß alle Welt ſich feinen 
Wuünſchen unterorbnete, hoffte der junge Kaiſer, die perfönlichen Tugenden des 
Abts Majolus würden den Mängeln der Stellung des Stuhles Petri ab 
helfen und die Fortdauer deutfcher Gewaltherrfhaft auf eine weitere Reihe 
von Jahren befeſtigen. Anderer Meinung dagegen war der Abt von Clugny. 
Sein ſcharfſichtiger Geiſt erkannte, daß er ſelbſt ſeinen Ruf nutzlos zu Grunde 
richten würde, wenn er als unfreier Diener des ſächſiſchen Hofs die Ober 
leitung der Kirche übernähme. Unten wird fich ergeben, daß Majolus bei 
einer felerlihen Gelegenheit den Grundfag ausſprach, das Haus der Ottonen 
möüfje auf Unterbrüdung des römischen Stuhles verzichten. 

Die Weigerung des Abts hat das gute Einvernehmen zwiſchen ihm und 
dem Kalfer nicht ganz gebrochen. Zwei Katferinnen lebten am Hofe Otto's IL, 
feine Mutter Mpelhetd, die Wittwe Otto's L, und die Griechin Theophano, 


— — 


2) Ruratori, soript. ital. II, b. 332, ?) Berk IV, 654, 


480 Babfl Eregorius VII. und fein Zeitalter. 


Otto's IT. Gemahlin. Altmählig riß die Griehin den Sohn von der Mutter 
106, man gab nämlich der alten Kaiferin unmäßige Kreigebigfeit gegen Arme 
ſchnld. Der Mönd von Quedlinburg fchreibt:') „die Kaiſerin Wittwe ftarb 
der Melt ab, jte lebte nicht für fi, fondern nur guten Werfen. Was ft 
erjhwingen fonnte, jelbft die Steuergelver, die aus dem ganzen Reiche ju 
jammenftrömten, verſchenkte fie an die Armen. Ich felbit ſah, wie fie heim 
ih in der Tracht einer Bäurin, welche fie anlegte, um weniger gehindert m 
fein, als durch das Faiferlihe Gewand, mit beiden Händen Almoſen aus 
theilte und fo fange fortfuhr, bis fie nicht mehr ſtehen konnte.“ Meines G⸗ 
achtend Inchte Adelheid, die fchwierige Stellung ihres Sohns fühlen, durt 
gehäufte Werke der Barmherzigkeit, die fie übte, den Zorn des Himmels von 
ihm abzuwenden. 

Gegen das Jahr 976 kam e8 zum Bruce zwiſchen Sohn und Mutter. 
Der Lebensbefcreiber des Abts Majolus berichtet:') „um jene Zeit zerfl 
der Kaifer mit feiner Mutter, denn man hatte fie bei ihm wegen Verfchwer 
dung der Staatögelver angefchwärzt. Steiner der Zürften, welche theilweiſe 
durch Adelheid erhoben worden, nahm das Wort für fie, denn fie fürdhteten 
fih dem Kaifer zu widerfprecen.“ In ihrer Noth ließ Adelheid den Abt 
Majolus herbeirufen; furchlos erinnerte?) diefer den Kaiſer an das Gebot ber 
h. Schrift, daß die Söhne ihre Eltern ehren follen. Der Biograph ver 
fibert: Dtto IT. habe fih mit der Mutter verföhnt, allein die wiederherge: 
ftelte Eintracht dauerte nicht lange. 

Im Jahre 978 verlicß?) Adelheid, tiefgefränft durch das lieblofe Be 
tragen ihres Kindes, den deutfhen Hof und begab fich zu ihrem Bruder dem 
König Conrad von Burgund. „Was Adelheid damals litt”, jagt?) ihr Lebene. 
befchreiber, Abt Odilo, „vermag ich nicht auszufprechen.“ Indeß muß Ma: 
jolus dem Eohne von Neuem das Gewiffen gefhärft haben. Odilo fährt”) 
fort: „Kaiſer Otto IL, Reue fühlend, ſchickte Botſchaft an den König Conrad 
von Burgund, fowie an den Abt Majolus, und befchwor beide, mit ber 
Mutter zu ihm nad Pavia zu fommen. Wirflih reisten die drei ab. Die 
Zufammenfunft fand (im Dezember 980) zu Pavia ftatt; weinend fielen 
Mutter und Sohn einander in die Arme, und vergaßen, was biöher zwiſchen 
ihnen vorgefallen. “ 

Nachdem Abt Majolus erflärt hatte, daß er Petri Etuhl nicht befteigen 
wolle, mußte der deutſche Hof für einen andern Pabſt forgen. Ein verhältmiß 
mäßig junger Zeuge, der aber vollen Glauben verdient, behauptet,’) Dtto II. 
habe zur Leitung der bevorflebenden Mahl Eenpboten nah Rom gefcidt, 
und denſelben Auftrag ertheilt, Maßregeln zu treffen, daß ein Tusculaner 


— — [| — — 


) Dal. ©. 1386 flo. 2) Die Delege dal. S. 1387. 1)J Ebenſo ibid. 
©. 1389 fly. 


. Siebtes Buch. Cap. 29. Gefchichte des Kirchenſtaats von 972—980. 481 


gemählt werde. Diefe Audfage ift wahr. Leo von Oftla, ein Chronift, der 
die Geichichte des Pabſtthums genau fennt, bezeugt,*) daß der biäherige Bifchof 
von Sutri, der im Oktober 974 als Benebift VII. zum Pabſte geweiht. wurde, 
ein Verwandter des ehemaligen Patricius von Rom, Alberihs IL, war. 

Leider iſt e8 nicht möglih, aus den vorhandenen Quellen den Grad 
der Berwandtihaft genau nachzumwelfen. Daß Benebift VII. nit etwa ein 
Bruder, noch ein Sohn Alberichs II., fondern ein entfernterer Blutsverwandter 
des Patriciers geweſen ift, folgt aus dem Ausbrude propinquus, den Leo 
braucht. Gleichwohl flieht feine Abftammung aus dem tusculanifchen Haufe 
vollfommen feft, denn außer Leo bezeichnet?) ihn noch ein zweiter Zeuge aus 
dem Klofter MontesCaffino, der Mönch Peter, als einen Tusculaner. Aber 
iwie num weiter? An einem andern Orte wurde gezeigt, daß Feine Spur von 
Söhnen vorhanden ift, die Alberich II. außer Johann, Dctavian hinterließ. Das 
gegen wiffen wir, daß der Fürft von Mom zwei Brüder, Sergius, der 940 
das Bisthum Nepe befaß, und Conftantin, den die früher erwähnte”) Urs 
funde von 945 als einen vornehmen Laien ſchildert, fowie eine Schwefter 
Bertha, und zwei Bafen, die jüngere Marozia und Theodora hatte, welche 
beide Ießtere Töchter Theodora's I. der Schwefter Marozia's L genannt 
werben. 

Moͤglicherweiſe koͤnnte Pabſt Benedikt VII. von Conſtantin dem Bruder 
oder von Bertha der Schweſter Alberichs abſtammen, oder endlich der Sohn 
einer der beiden Bafen gewefen fein. Letztere Annahme hat die meifte Wahr 
icheinlichkeit für fih. Ungweifelhaft war nämlich die jüngere Marozia vermählt, 
denn aus einem Urfundenauszuge, den Muratori mittheilt,) geht hervor, daß 
Pabſt Benedikt VIL, derſelbe Tusculaner, von dem id rede, unter dem 
9. Februar 981 den erfauchten Herrn Gregorius, Sohn der Senatorin Ma- 
rozia, zum Laienabte zweier im Kirchenftaate gelegenen Klöfter ernannt hat. 
Die Gnade, welche ihm ver Pabft erwies, fcheint auf ein Verhältniß ber 
Berwandtihaft hinzudeuten. Wie? wenn Benebift VIL. etwa der Bruder eben 
biefes Gregors war.) Sei dem wie ihm wolle, ausgemasbt iſt, daß bie 
fpäteren Tusculaner, die in der erften Hälfte des eilften Jahrhunderts Petri 
Stuhl einnahmen, Benebift VID. (1012—1024), Johann XIX. (1024—32) 
und Benedikt IX. (1032—1044) von dem Laienabte Gregorius, dem Sohne 
der jüngeren Marozia, abflammten,*) und folglich der weiblichen, durch bie 
ebengenannte Bafe Alberichs IL gegründeten Nebenlinie des tusculaniichen 
Haufes angehörten. 

Indeffen muß ih der Wahrheit zu Ehren bemerken, daß die Frage ber 
Sippſchaft des Pabſtes Benevift VIL einer weiteren Schwierigkeit unterliegt. 

) Dal. ©. 1391. 2) Berk VII, 563. Oben ©. 243. %) Antig. Ital. 
v, 772. %) Hiefür erflärt ihn wirklich Athanafius Kircher: histor. Eustachio-Mariana 
©. 74 fe. °) Man fehe den Quellen⸗Nachweis bei Berk VII, 583. 

Bfrörer, Pabſt Gregorius vi). BD, V. —X 


482 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Zwei Hauptzeugen find nämlich über den Namen feined Vaters unelnlg. 
Laut dem Berzeichnifie‘) bei Ekkard hieß der Vater Benedikts VII. Dario, 
das alte Pabſtbuch bei Muratori dagegen gibt?) ebendemfelben den Rama 
Deusdedit. 

Allerdings kommen im zehnten Jahrhundert nicht ſelten Fälle vor, daß 
eine und dieſelbe Perſon zwei Namen führte Der Gemahl der jünger 
Marozia oder ein anderer Tusculaner könnte daher zugleih Deusdedit ode 
auch Deodatus, und ald Abkürzung David genannt worden fein, allein ſicher 
ift dieß keineswegs. Bel dem Mangel hinreihender Nachrichten halte ich es 
für gerathen, an der einfachen wohl beglaubigten Thatſache feftzuhalten, das 
Pabſt Benedikt VII., der im Herbfte 974 mit Zuftimmung des Kaiſers Otto IL 
das Babftthum übernahm, ein SeitensSprofle des Haufed Tusculum gewefen iR. 

Warum beftand Otto II. darauf, daß cin Tusculaner gewählt wurde? 
Kein anderer Grund läßt fi denken, als ver: foldhes ſei darum gejchehen, 
weil der Kaiſer die Meberzeugung hegte, daß die Macht der Eredcentier allzu 
große Ausdehnung erlangt habe und nur dur Erhebung eined Tusculaners 
gedämpft werden könne. Und wirklich verhielt fit die Sache fo: ſeit dem 
Tode Dtto’8 I. übte Großherzog Erescentius jo uneingeichränfte Gewalt über 
Rom, daß er nad) Gutdünken Benedikt VI. das Geſchöpf des eben genannten 
Kalfers, zu flürgen und noch mehr, daß er, auch nachdem der von ihm aufs 
geworfene Gegenpabft hatte weichen müflen, den Anhängern der deutſchen 
Krone und insbefondere dem Beneventaner Pandulf zu Trotz die Herrſchaft 
zu behaupten vermochte. Beim Eturzge Benchifts VI. erfcheint die Engelöburg 
in den Händen des Crescentius, und auch nachher kann fie ihm nicht wohl 
entrifjen worden fein. Vermuthlich war dieß eine der Haupturfachen, warum 
weder Dtto IT., der allerdings damals jenfeitd der Alpen genug zu thun fand, 
noch Pandulf der Eifenfopf etwas gegen Erescentius unternahm. 

Nach Antritt feines erften Römerzugs hatte Dtto I. eine Reihe von Jahren 
daran gearbeitet, die feſt begründete Macht des tusculaniihen Haufes zu 
brechen, und noch 967 hielt er die Trümmer derſelben für fo gefährlich, daß 
er ed gerathen fand, die Erescentier, ohne Zweifel alte Nebenbuhler der Tu 
culaner, ald Gegengewicht wider fie mit außerordentlihen Befugniffen auszus 
ftatten. Und nun um wenige Jahre ſpäter waren leßtere der deutichen Herr 
haft über den Kopf gewachſen und Otto's I. gleihnamiger Sohn mußte 
wieder nad den Tusculanern greifen. Die Erfahrung hatte dargethan, daß 
das angewandte Heilmittel Schlimmer wirfte als das Uebel, weldes Otto 1. 
durch jene Maßregeln befeitigen wollte. Verdiente das von legterem zu Rom 
aufgethürmte Werf der Vergewaltigung, das in Kurzem auf ſolche Klippen ftieß, 
nicht den Namen eined unnatürlichen, verfehrten, verderblihen! Auch in ver 


*) Corpus historio. med. aeri II, 1640. 2) Script. rer. ital. III, b. © 334, 


Siebtes Buch. Cap. 29. Geſchichte des Kirchenflaats von 972—980. 483 


Folge ging es nicht beſſer. Wie wir unten fehen werben, drehte fi bis in 
die Mitte des eilften Jahrhunderts hinein die Gefchichte des Pabſtthums um 
den Gegenfag zwiſchen den zwei feindlichen Gefchlehtern der Tusculaner und 
der Erescentter. 

Nur Weniges ift über die Vorgänge in Italien aus der Zeit zwiſchen 
974 und 980 befannt. Fortwährende Kämpfe gegen den ungetreuen Herzog 
Heinrih von Baiern, gegen Dänen, Slaven, Ungarn, enblid wider ben 
König Lothar von Franfreih, nahmen die Kräfte des deutſchen Herricherd in 
Anſpruch. Die Ration hat ihn hiebei meift bereitwillig unterftügt. Mit einem 
Heere, das auf 30,000 Ritter, im Ganzen auf 60,000 Köpfe von Zeitges 
noſſen gefhägt wird,) rückte Otto II. im October 978 auf die Höhen des 
Montmartre vor Paris und erzwang einen Friedensvertrag, kraft deſſen Lothar 
allen Anfprüchen auf MWätfch-Lothringen entfagen mußte.) Man begreift, daß 
Dtto während folder VBerwidlungen nicht daran denfen konnte, über die Alpen 
zu ziehen. Gleichwohl gehorchte ihm — fo weit man aus einigen Urkunden?) 
Schlüffe ziehen kann — trog feiner Abweſenheit wenigſtens das obere Italien. 

Innerhalb deſſelben Zeitraums hat Pabft Benedikt VII. Folgendes ver- 
richtet: kurz nach feiner Erhebung hielt er zu Rom eine Kirchenverfammlung, 
welche den Fluch über den geflohenen Bonifacius als einen Räuber verhängte. *) 
Vermuthlich geſchah ſolches darum, weil der Pabft noch immer dem Flücht⸗ 
linge einen nicht unbeveutenden Anhang zutraute, der burd den Bann des 
Hauptes eingefchüchtert werben folte. Aus andern Akten Benedikts VII ers 
heilt, daß er bemüht war, nad mehr als einer Seite hin fid einen feften 
Rückhalt zu fihern. 

Zwei deutſche Kirchenhäupter erfreuten fich der befonderen Gunſt des 
Pabſtes: Erzbifchof Theodorich von Trier, der unter Otto L 964 erhoben, 
977 ftarb,*) dann der hochberühmte Willigis, welcher, aus niedrigem Stande 
entiproffen, durch fein Verdienſt zu den höchſten Würden der Kirche empors 
fig.) Schon Dtto I. nahm°) ihn in die Rechtskanzlei auf, und Otto II. 
beförverte ihn 975 nach dem Tode des Mainzer Metropoliten Notbert auf 
den Stuhl des h. Bonifacius. Im diefem hohen Amte hat Willigis wieder 
holt unter dem dritten Otto, wie unter deſſen Rachfolger Heinrid IL das 
Reich deutſcher Ration gerettet. 

Drei Urkunden,”) ausgeflellt unter dem 18. Januar 975, zeugen von 
dem hohen Werth, ven Benevift VII. auf die Freundſchaft des Trierer Erz 
biſchofs legte. Durch die eine beftätigte er alle Altern Mechte der Trierer 
Kirche, und verlieh an Theoderich die gleichen Auszeichnungen, welde in Ita⸗ 
lien der Erzſtuhl von Ravenna genoß: bei feierlihen Gelegenheiten möge er 

1) Die Belege bei GEfroͤrer, Kirchengefch. TIL, 1384 fig. 2) Ebenſo daf. ©. 1394. 


2) Ebenſo daſ. ©. 1393. %) Berk VMI, 169. 8) Perk III, 759 unten flg. °) Jahr⸗ 
bücher des deutſchen Reihe I, o. ©. 232. ?) Jaffs, regesta Pontiie. Nr. TABL TUR, 


au» 


484 Pabſt Gregorins VIL. und fein Zeitalter. 


auf einem PBrachtroffe reiten und das Kreuz vor ſich hertragen laſſen, and 
follen, wenn Theoderich Hochamt halte, die Cardinal⸗Presbyter ſowie die 
Diakone des Domes befugt fein, Jene Dalmatiten anzulegen, Diefe Sandalen 
u tragen. Durd die zweite nahm er das von Theoderich wiederhergeſtellte 
Trierer Klofter zum h. Martin in den befondern Schuß des apoſtoliſchen 
Stuhles. Durd die dritte endlich vergabte er an Theoverih wie auch au 
deffen Nachfolger für immer ein römifches Klofter. Der Schenfung find bie 
merfwürbigen Worte beigefügt: „ſolches fet geichehen mit freiwilliger Zuſtim⸗ 
mung der Priefler, des römilchen Clerus und der gefammten Volke— 
gemeinde.‘ 

Meines Erachtens geht aus letzterem Sage hervor, daß Pabft Benedikt VII. 
als Achter Tusculaner es verfucht hat, fo weit es möglich war, die demokra⸗ 
tifche Verfafjung der Zeiten Alberichs IL wieder herzuftellen. Andere Spuren 
deuten auf dafjelbe Ergebniß hin. Wie ich oben zeigte, mußten, als Dtto L im 
Berein mit Babft Sohann XIII. 967 die römische Demofratie vernichtete, Die das 
maligen Eonfuln in die Verbannung wandern. Aber unter Benebift VIL tauchen 
wieder neue auf, die überdieß allem Anfcheine nad nahe Verwandte des Pab⸗ 
ſtes geweſen find: nämlih im Jahre 980, ald Echenfer?), Demetrius Conſul 
und Herzog, der in dem Schenkungsébriefe felber die jüngere Marozia für feine 
Muhme erflärt und ald Zeuge Gregor Conſul und Herzog, — wahrſcheinlich 
der Bruder des Pabſtes; ebenjo”) im Jahre 979 der fehr erlauchte Eonful und 
Herzog Peter. Auch fonft empfängt‘) Gregor wiederholt zwiſchen den Jahren 
979 und 987 den Titel Conful und Herzog, oder römiſcher Senator. 

Betreffend den zweiten der obengenannten Metropoliten, überſchickte mits 
telſt Bulle) vom März 975 Pabft Benebift VII. an den neuen Erzbiſchof 
von Mainz Willigis das Pallium, und ertheilte ihm die Befugniß, in Gallien 
und Germanien nähft Petri Statthalter die zweite Rangftufe einzunehmen, 
auch demgemäß, nad Erfund der Umftänve, deutſche Könige krönen und 
Synoden berufen zu dürfen. Warum anderd wird der Tusculaner beiden 
Prälaten jolche außerordentliche Ehren erwiejen haben, als weil er in ihnen, den 
bevorzugten Rathgebern des deutſchen Hof, eine Stüge ſuchte! Noch ftärfer 
tönt dieſelbe Abfiht aus einer Bulle‘) vom 28. October 976 hervor, Kraft 
welcher Benebift VII. aus Liebe für Kaifer Otto II. und auf Bitten (feiner 
Gemahlin Theophano), der Kaiſerin fämmtlihe Rechte und Beflgungen des 
Pantaleonsflofters zu Cöln beftätigte. 

Ebenfo findet man den Pabft beftrebt, die gute Gefinnung des Ober 
abts von Clugny, Majolus, zu erhalten, dem er, wie wir fahen, gewiffer 
Maßen feine Erhebung auf Petri Stuhl verdanftee Durch Urfunde”) vom 

‘) Gratuito sacerdotum, clericorum totiusgue romanae plebis assensu. 2) Muratori, 


antig. Ital. V, 773. 2) Ibid. ©. 772. *) Perg VII, 563. Note 28. ) Zaffe, 
regost. Mr, 2897, °) Ibid. Mr. 2900. ’) Ibid. Mr. 2908. 





Siebtes Buch. Bay. 29. Geſchichte des Kirchenflaatd von 972—980. 485 


22. April 978 vergabte er an Majolus das Eiland Lerins fammt einem nah 
gelegenen Klofter unter dem Bebing, daß das Stift von Clugny jährlih an 
das Grabmal ded Apoftelfürften einen Zins von 5 Silberpfenningen entrichte. 
Ih jehe In diefen verſchiedenen Anordnungen einen Beweis zugleich ber Ges 
fahren, in denen er fchwebte, und der Gegenmaßregeln, die er zu feinem 
Schutze ergrief. Weil er fih durch Erescentius und deſſen Anhang bedroht 
wußte, richtete er, jo weit ed gieng, die Demofratie wieder auf, und verfäumte 
nichts, die angefehenften Kirhenhäupter Germaniens, den Hof felbft, forte 
das Stift Elugny in feinen Kreis zu ziehen. 

Die Regeften Benebiftö VII liefern den Beweis, daß er vom Detober 974, 
da er die päbftlihe Weihe empfieng, bis zum Hochſommer 980 zu Rom oder 
in der nächſten Nähe weilte. Aber im Auguft des legtgenannten Jahres ver- 
ließ er die Metropole und wandte fi, in der Richtung auf die Alpen zu, nad) 
Ravenna, wo er unter dem 22. Auguft eine Urkunde‘) ausgeftellt hat. Iſt 
nun dieſe Reife eine freiwillige oder erziwungene gewejen? Letzteres war der 
Hal. Der Franzoſe Richer, ein Zeitgenofie, fchreibt,”) Otto IL ſei nad 
Deendigung des Kriege gegen Frankreich — aljo 980 — über die Alpen 
gezogen und habe Rom befucht, um dort gewifle Unordnungen abzuftellen und 
Ruheſtörer zu züchtigen. Wie man fieht, hatte Richer eine dunfle Kunde, daß 
zu Rom Unruhen ausgebrochen waren. Genaueres weiß eine alte, gleichzeis 
tige Coͤlner Chronik, welche meldet,) „Pabft Benedikt VIL. ſei 981 wieder 
in die Stadt Rom aufgenommen worben.” Daraus folgt, daß irgend Jemand 
den Pabſt aus der Metropole vertrieben hatte. Wer anders foll ed geweſen 
fein, der eine ſolche Gewaltthat verüben konnte, als der römiſche Großherzog 
Gredcentius II. 

Obige Angaben erhalten eine legte Beglaubigung durch die Geſchichte 
Otto's UT. Mit gutem Fuge darf behauptet werden, daß der junge Kaiſer 
von 973 bis 980 glüdlih und ruhmvol regierte. Er felbft jagt in einer 
Schenfungsurfunde*) vom 15. October 980, kurz ehe er den Römerzug antrat: 
„Bir haben das von unferem Vater ererbte Reich nicht blos in vollem Um, 
fange bewahrt, fondern fogar vermehrt.” Auch jenfeit6 der Alpen glaubte er 
in des Baters Fußtapfen treten zu müßen, im Spätherbft 980 zog er nad) 
Stalien hinüber. Aber mit dem Yugenblide, da er der Helmath den Rüden 
fehrte, warb ihm Süd und Ruhm untreu. Man fann die Gründe nach⸗ 
weijen, warum dieß fo gieng. 


*) Ibid. Rr. 2910. 5) Perg III, 624 unten, cap. Bi. V Berg 1, 98 unten. 
6) Den Nachweis bei Efrörer, Kirch. Geſch. III, 1385. 


486 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Dreißigſtes Capitel. 


Der Römerzug Otto's II. vom Jahre 980. Da bie Häupter der deutſchen Nation bad Ber r 
haben des jungen Kaifers mißbilligten, begleitete ihn nur ein Kleines Heer über bie Alpen 
Gtrafgericht zu Rom wider die Feinde Pabſts DBenebikt VII. Gredcentius, der ehemalige 
Großherzog, muß ind Klofter gehen und ftirbt 984 als Moͤnch. Eröffnung des Krieg 
wider die Griechen in Süditalien, welche die Saracenen zu Hilfe rufen. Furchterliche 
Niederlage, welche die Unfrigen bei Gap Stilo im Juli 982 erleiben. Aus diefem Us 
lafle melden mehrere der beſten Quellenſchriftſteller, daß die Kaiferin Theophano rin 
verderblichen Ginfluß auf ihren Gemahl übte, und die Urheberin feines Ungläds war. 


Wider den Willen der geiftlihen und weltlichen Stände des deutſchen 
Reihe hat fih Otto IL. in das italifche Unternehmen geftürzt. Zwei fünger 
und wohl unterrichtete Zeitgenofjen, deren Worte ich unten anzuführen ulı 
vorbehalte, fagen aus, daß Dtto gegen die ausgeſprochene Meinung ber er 
probten Rathgeber des Thrones, auf Betreiben feiner Gemahlin der Griechin 
Theophano und des jüngeren Adels, den Krieg in Galabrien anfieng. Das 
noch gewichtigere Zeugniß der Thatſachen ſtimmt biemit überein. Kein Ber 
zeichniß der Kürften, die den Kaiſer im Herbfte 980 über die Alpen begleiteten, 
iſt auf und gefommen, wohl aber erhellt aus verfchiedenen Quellen, daß von 
hohen Clerikern zwiſchen dem November 980 und dem Ende ded Jahre 982 
folgende bei ihm waren: erftli der Biſchof Gifelher von Merjeburg, und 
zweitend der Biſchof Theoderich von Metz. 

Giſelher forderte während des Aufenthalts in Italien vom Katfer einen 
ungeheuren Preis, den er auch erhielt, nämlich feine Erhebung auf den Erz— 
ſtuhl von Magdeburg, und in Folge deſſen die Zertrümmerung des Merje 
burger Bisthums. Derfelde Gifelher jcheint es auch gewejen zu fein, der 
den Römerzug vorbereitete. Denn in einer Urfunde?) Otto's II., die ins Jahr 
979 oder in den Frühling 980 fällt, heißt es: „unſer getreuer Biſchof Giſel⸗ 
ber ift in unjerem Dienfte ald Gejandter aus Italien zurüdgelommen.“ 
Da er einen fo hoben Lohn verlangte, muß er den Dienft, welden er dem 
Kaifer leiftete, für einen großen und gefährlichen gehalten haben, was aber: 
mal auf den Widerftand der öffentlihen Meinung hinweist. 

Theoderih von Meg, einem nieverbeutichen Gefchlechte angehörig, das 
von der Kunfelfeite mit dem Kaiſerhauſe verwandt war,®) hutte feine Schule 
in Eölln unter dem Erzherzog, Erzbiihof Bruno gemacht. Im Jahre 965 er 
langte er dann, wie früher?) gezeigt worden, unter Dtto L den Etuhl von 
Meg. Auch er ließ fi die Theilnahme am Römerzuge theuer bezahlen; 
denn dafür, daß er, der Faiferlihe Günftling, zur Zertrümmerung des Merfes 


— — — — — 


*) @benfo daſ. S. 1398 fl.“ *) Daſ. ©. 1397. *) Pertz IV, 464 flg. %) Oben 
225. 


Siebtes Bach. Cap. 30. Otto's IT. Roͤmerzug von 980. 487 


burger Bisthums mitwirfte, erhielt er laut dem Zeugniffe‘) des Ehroniften 
Thietmar, der mit den Merfeburger Vorgängen aufs genauefte befannt war, 
von Gifelher die Summe von 1000 Pfund Silber. Kaum von dem veruns 
glüdten Römerzuge zurüdgefommen, verrieth er, gleich Giſelher, den unmün⸗ 
digen Erben des Kaljers, indem er zur Parthei des Herzogs Heinrich von 
Baiern übergieng, der den Knaben Dtto III. verberben wollte.) Außer 
den Kirchenhäuptern von Meg und Merſeburg müßen zu den geiftlichen Bes 
gleitern auf dem Römerzuge von 980 noch gezählt werben Biſchof Heinrich 
von Augsburg und Abt Werner von Fuld. Sener blieb’) 982 in der großen 
Schlacht gegen die Saracenen; diefer ftarb*) auf der Rüdfehr ind Baterland. 

Bon Großen aus dem Laienftande begleiteten den Kaiſer, außer vielen 
Grafen, welde Thietmar als folche bezeichnet,’) die in der Schladht von 982 
fielen, Herzog Dtto von SchwabensBalern, und ein Uto, dem der Merfe- 
burger Chroniſt gleichfalls den Titel Herzog gibt. Otto von Schwaben war 
der Sohn des im Jahre 957 geftorbenen ſächſiſchen Prinzen Liutolf, folglich 
ein leibliher Vetter des jungen Kaiſers und von ibm 973 mit der Fahne 
Alamanniend, dann 976 nad Beflegung Heinrih8 von Baiern auch noch mit 
der Fahne Baierns audgeftattet worden.*) Dankbarkeit, möglicher Weiſe bes 
fondere Berpflihtungen, die er hatte übernehmen müßen, nöthigten ibn, dem 
Katfer zu Willen zu leben. Uto gehörte dem vom Bruder des Königs Conrad L 
Gebehard gegründeten ſaliſchen Stamme an.‘) 

Das beftehende Lehenwejen hatte im früheren Mittelalter zur unaus⸗ 
bleiblihen Folge, daß Soldaten nur unter ihren Lehenherren ind Feld rüdten. 
Da der Fürften fo wenige mit dem Kaiſer auszogen, verfteht es ſich von ſelbſt, 
daß er damald nur Üiber geringe Streitkräfte verfügte Auch ein Ehronift 
fehlt nicht, der dieß ausbrüdlich bezeugt. Der Mailaͤndiſche Gefchichtfchreiber 
Arnulf fagt:”) „Dtto IL begann den Krieg in Unteritalien, obgleich er nur 
von einer geringen Zahl der Seinigen unterftüpt war. Weil aber Wenige 
ed mit Bielen in die Länge nicht aufnehmen fönnen, gefchah ed, daß er erlag.“ 

Lehenleute des Doppelherzogs Otto bildeten, wie ed fcheint, den Kern 
des Falferlihen Heeres. Denn Thietmar ſagt,) der Kaiſer babe zu Ver⸗ 
ftärfung feiner Streitkräfte Baiern und waffengeübte Alamannen an fid) ge- 
zogen. Der Doppelherzog mußte, wie man fieht, fein Beftes thun. Sonft 
rechnete der Kaiſer noch auf italieniſchen Beiftand, wähnend, daß Lombardiens 
Vaſallen die Hand dazu bieten werden, um ihrem eigenen Stande Ketten zu 
ſchmieden, welche Vorausfegung durd den Erfolg widerlegt worden if. 

Anfangs Dezember 980 war Otto IL urkundlich) zu Pavia, wo aud 


*) &frörer 8. &. III, 1409. >) Daf. ©. 1418. °) Berg IL 765. ©) Berk 
IV, 418. °) Die Beweiſe gefammelt bei Stälin, wirt. Geſch. I, 461 fig. %) Daf. 
©. 484 fg. 7) Berg VIIL®. °) Pertz III, 765. 9) Böhmer, regost. a Conrada 
rege Nr. 573. 


488 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


die oben‘) erwähnte Zufammenkunft mit feiner Mutter Adelheid, mit ven 
König Conrad von Burgund und mit dem Abt Majolus ſtattfand. Mit Red 
fagt Odilo, daß die damalige Ausföhnung zwiihen Mutter und Sohn Daue 
‚batte, obgleih die Griechin Theophano ihren Gemahl begleitete. Denn wir 
end der Name Adelheid in den Urfunden zwiſchen 976— 980 nidyt erwähnt 
wird, kommen ſeit dem 28. Dezember häufig Bewilligungen vor, die Dit 
auf Bitten feiner Mutter gewährte.)  - 

Weihnachten feierte der Kaljer zu Ravenna, demſelben Drte, wo wir 
den Pabſt ſchon im Auguft 980 fanden. Benedikt VIL jcheint daſelbſt die Ankunft 
Otto's LI. abgewartet zu haben. Jedenfalls fteht feit, daß der Pabſt er 
jeit der Zeit, da Dtto erweislih zu Rom weilte, wieder dort Akte vornahm: 
fie werden zufammen nad der Metropole gezogen fein. Oſtern, das 881 
auf den 27. März fiel, begieng der Kaiſer zu Rom. Den breißigften bed 
jelben Monats ftellte er eine Urkunde”) aus. Auch der Pabft amtete wieber. 
Sm Laufe des Diärz hielt er mit dem Kaiſer eine Eynode,*) welche Beſchlüſſe 
gegen Simonie faßte, woraus erhellt, daß Otto II. jeweils für gut fand, vor 
der Welt als Kirchenverbeſſerer aufzutreten. 

Kaum iſt es anders denkbar, ald daß damals ein Strafgericht gegen 
Die, welde Benchift zur Flucht genöthigt hatten, angeorbnet ward. Wie 
Viele dafjelbe traf, meldet Feine vorhandene Duelle; nur das Eine wiſſen wir, 
daß Erescentius III. nicht Großherzog blich, fondern ale Mönd in das Klofter 
zum heil. Bonifacius auf dem aventinifhen Hügel eintrat, wo er auch den 
7. Juli 984 ſtarb.) Dieß fieht fo aus, als habe er fein Leben um den 
Preis der Kutte erfauft. Indeß ließ er in der Welt einen Cohn zurüd, der 
nad zwei Jahren die Role des Vaters in noch ververblicherer Weiſe erneuerte. 

Während der heißen Monate begab fi der Kaiſer aufs Land in das 
Iuftige Gebirg der Abruzzen. ine Chronik melvet,‘) daß er fi bei Cedice 
einen Palaft herrihten ließ, wo er den Sommer zugebradht habe. In der 
That find zwei Urkunden vorhanden, welche Dtto IL zu Eerice im Auguft 981 
ausftellte.) Neuere?) vermuthen, daß der Ort unfern des Sees von Gelano 
lag. Krieg gegen die Griechen und die Saracenen Unteritaliend war befchloffen 
und Otto II. rüftete dort den Kampf zu. 

Ein wohl unterrichteter Zeitgenoffe, der Mönd von St. Gallen, fchreibt:*) 
„nicht zufrieden mit dem Gebiete feines Vaters, entwarf Otto II. während 
feines Aufenthalts zu Rom den Plan, Campanien, Lucanien, Calabrien, Apulien 
und alles übrige Land bis and ficiliiche Meer zu erobern, Auf die Kunde 


1) ©. 480. 3) Jahrbücher des beutfchen Reiche II, a. ©. 67, Note 2. 7) Böhmer 

a. à. D. Nr. 577. *) Jaffé, regesta ©. 334 u. Nr. 2911. °) Dieß erhellt aus der 

früher erwähnten Grabfchrift bei Baronius ad a. 996. 6) Muratori, script. rer. ital. 

il, b. 833 unten fig. ’) Böhmer, regest. Nr. 581 u. 589. *) Eiche Jahrbücher des 
—/£n Reiche IL, a. ©. 69, Note 2. 09) Pertz I, 80. ad a. 982. 


Siebtes Buch. Cap. 30. Dtto's IL. Hömerzug von 980. 489 


evon ſchickte der Kaifer von Eonftantinopel, deſſen Ecepter die genannten 
rovinzen gehorchten, Gejandte an Otto, um ihn von foldem Vorhaben abs 
mahnen. ALS dieß nichts fruchtete, fchloß der Byzantiner ein Bündniß mit 
n Saracenen Siciliend und den Sultanen Afrika's und Aegopteno gegen 
n deutſchen Herrſcher.“ 

Laut dem ausdrücklichen Zeugniſſe des Chroniſten hatte Ouo IL kein 
echt auf die Landſchaften, die er zu erobern gedachte. Wo aber das Recht 
it, findet man gewoöhnlich Vorwände. Mit welchen Gründen wird Otto 
n bevorftehenden Angriff beichönigt haben? Ein Chroniſt des eilften Jahr⸗ 
ndertö gibt‘) hierauf folgende Antwort: „behauptend, daß feine Gemahlin 
m griechiſchen Kaiſerhauſe angehöre, ſprach Otto Calabrien und Apulien 
.“ Dieß Tann feinen andern Sinn haben, als daß der Sachſe Otto IL 
8 griechiſche Italien entweder als Ausfteuer oder ald Erbtheil feiner Ge⸗ 
ıhlin begehrte. Trefflih ſtimmen hiezu andere befannte Umftände. 

Nachdem Johannes Tzimisces, der Mörder des Nicephorus, 976 ploͤtz⸗ 
b aus der Welt gejhafft worden war, nahmen zwei Söhne des Kaiſers 
»manus, Baſil IL und Conſtantin VIII., leiblidye Brüder der beutfchen 
erricherin Theophano, den griehiichen Thron ein. onftantin lebte nur dem 
ergnügen, aber Baſil II. führte das Scepter mit Fräftiger Fauſt, und dazu 
ang ihn die Noth, denn feit dem Augenblide feiner Erhebung mußte er 
t äußerſter Anftrengung feine Krone gegen zwei Empörer, Sclerus und 
hokas, vertheidigen, welche das Reich zerreißen wollten. Man fieht daher, 
ß Dtto IL den Zeitpunkt eines Anfalls auf feinen Faiferliden Schwager 
t waͤhlte. 

Da mehrere weitere Zeugen, die ich unten anführen werde, Theophano 
r die Anſtifterin des Kriegs erklären, kann man nicht bezweifeln, daß Otto 
r ihre angeblichen Rechte das Schwert gezogen hat. Run war es allerdings 
‚germanifcher Brauch, daß die Kinder von Fürften fi in den Nachlaß des 
aters theilten, denn man betrachtete Land und Leute ald ein Yamiliengut. 
lein das in Eonftantinopel herrſchende altrömiiche Staatsrecht erfannte feine 
rtrümmerung des Staats zum Behufe der Ausftattung von Söhnen oder 
r von Töchtern verfiorbener Herricher an. " 

Ein feltfamer Austauſch ift in vorliegendem Falle verfucht worden. Wäh- 
ıd die Griechin Theophano durdy ihre Ehe mit dem Sachſen Otto II. Grund» 
3e byzantiniſcher Despotie nach dem Abendlande brachte, ſollte der Oſten 
3 Gegengabe in die gefährlihfien Gewohnheiten altgermanijchen Erbredhts 
seingeriffen werben. Jever Theil trug dem andern dad Schlimmfle zu, was 
befaß. 

Wegen der geringen Stärfe des deutichen Heeres, das ihm folgte, mußte 


*) Eigebert ad a. 981. Perk VI, 362. 


490 Vabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 






der Kaifer, wie oben gezeigt worden, Staliener beiziehen. Er rechnete bau 
füchlih auf die Hülfe der Langobarden des unteren Italiens, mußte aber wer 
ber, um dieß anzubahnen, gewiſſe Maßregeln treffen. Pandulf, der 
fopf, lange Zeit die Stüge der deutichen Herricaft über Italien, wear i 
März 981 geftorben.‘) Derfelbe hinterlich laut einer Urkunde?) außer du 
Wittwe Aloara fünf Söhne: Lantulf, Pandulf, Gifulf, Landenolf und Atenefi. 
Bon diefen hatte der Erfigeborne Landulf fchon längere Zeit ale Mitregen 
feine® Vaters nit nur zu Capua und Benevent, fondern auch zu Spolete') 
gewaltet. Er ift ohne Zweifel damals von Dtto IL. beftätigt worden, den 
er und mehrere feiner Brüder leifteten Heereöfolge. Auch die beiden Aha 
Camerino und Epoleto fcheint ihm der Kaiſer übertragen zu haben. Zwe | 
bezeugt*) dieß ausdrücklich nur die unächte Chronik von Cava, deren beirky 
licher Berfafler jedoch Urkunden benüßte, die Andern nicht zu Gebote ſtanden 
Allein ein weiterer Beleg fommt noch hinzu: wie ich unten zeigen werbe, Tom 
man bündig nacdhweilen, daß Epoleto und Camerino erft nad Landulfs Tr |; 
in die Hand eines Dritten überging. Allen Anzeigen nach find die beiden lep⸗ 
genannten Lehen bis zur zweiten Hälfte des Jahres 982 im Beflge der er 
milie des Eijenfopfs geblieben. 

PBandulf, der zweite gleichnamige Eohn ebenveflelben, den Gkfuff ah 
Preis für die 974 geleiſteten) Dienfte zum Erben eingefebt hatte, und der 
nah dem 978 erfolgten Tode Giſulfs zugleih mit feinem Vater in Ealerm 
nachgefolgt war, turfte dad Fürſtenthum behalten.) Mit feinen Brüdern be 
gleitete er den deutfchen Kaiſer auf der Heerfahrt gegen die Earacenen. | 

Während Otto ſolche und Ähnlihe Zurüftungen traf, gingen zu Ron 
Dinge vor, welche beweifen, daß Pabſt Benedift VII., glei jo vielen älteren 
Paͤbſten, die deutſche Hülfe theuer bezahlt hat. Ich laffe den Merjeburge 
Ehroniften?) reden: „ven 21. Mat 981 ftarb der erfte Inhaber ver ven 
Dtto 1. gegründeten Metropole Magdeburg, Erzbiihof Adalbert. Gemeint: 
und Clerus wählte fofort zum Nachfolger den Mönch Dtrif, Vorſteher ter 
Domſchule, welcher für einen der größten Gelehrten feines Jahrhunderts galt,*) 
aber damals fih im kaiſerlichen Gefolge befand. ine Gefandtfchaft giny 
deßhalb über die Alpen ab, um dem Kaiſer den Tod Adalberts anzuzeigen, 
und Beftätigung der neuen Wahl zu erbitten.“ 

„Am Hoflager angefommen, wandten fib die Abgeorbneten an Giſelher 
von Merfeburg, als den Günftling Dtto’8 mit dem Erſuchen, ihre Sache zu 
unterfügen. Der Biſchof verfprad alle Liebe und Gute, hielt aber nict 
Wort, fondern eilte hinein zum Kaiſer, meldete den Tod Adalberts, ſtünjte 


1) Perg 11, 176 u. 202, d. unten, °) Muratori, script. II, a. ©. 304,b. °) Rax 
fehe die Urkunde bei Fatteschi, memorie di Spoleto S. 303. Nr. 66 oben. *) Man ſehe 
Jahrbücher des deutſchen Reichs IL, a. S. 71, Note 1. ») Oben ©. 476. ) Berk 
II, 211. ’) Tbid. S. 762 fig. °) Ibid. ©. 762. 


m — - m [5] mn Bab [2 





Siebtes Bud. Cap. 30. Otto's II. Römerzug von 980. 491 


ınn auf feine Knie nieder und flehte, daß ihm Otto IL zum Lohn für die 
eu geleifteten Dienfte den erledigten Erzftuhl gewähren möchte.“ Der Kaljer 
ar ſchwach genug, einzumwilligen. Da das Kirchenrecht die Verſetzung ber 
ifchöfe von einem Stuhl auf den andern verbot, wurbe, um dieſen Anftoß 
ı entfernen, die Aufhebung des Merjeburger Hochſtifts beſchloſſen, was ein 
yh Ärgeres Unrecht war. Außer dem Kaiſer mußte man aud den Pabft ger 
innen, was gleichfalld gelang. . 

Den 9. und 10. September hielt Benedikt VIL zu Rom eine Synode, ') 
ren Beſchlüſſe in zwei faft gleich lautenden Aitenftücen niedergelegt wurden. 
‚a8 eine befagt: „dem heiligen Stuhle ſei berichtet worden, wadgeftalt Kaifer 
tto L zu Merjeburg im Gebiete des Bisthums Halberſtadt ohne Einwilli- 
mg des dortigen Biſchofs Hiltiward einen Stuhl errichtet babe. Solches 
iverfpreche den alten Canones, auch fei dadurd die Kirche von Halberftadt 

geſchwächt worden, daß fie ihre frühere Würde nicht mehr aufrecht erhalten 
nne. Dieſes erwägend, und um weiteres Blutvergießen zwiſchen den feind- 
hen Stühen von Merfeburg und Halberftadt zu verhindern, haben Wir im 
inflange mit den Biichöfen, Preöbytern, Diafonen und dem gefammten 
lerus der roͤmiſchen Kirche beſchloſſen, daß der Sprengel von Merfeburg aufs 
löst, der Gebietötheil, welcher früher zu Halberftadt gehörte, an dieſes 
isthum zurüdgegeben, der Reft zwiichen Meißen und Zeiz getheilt werden folle.* 
3eiter beißt es: „fintemal der ehrwürdige Giſelher das aufgelöste Bischum 
cht durch unredhtlihe Mittel, jondern durch freie Wahl der Gemeinde erlangt 
ıt, jo wollen Wir ihm, damit er des bifchöfliden Titeld nicht verluftig gehe, 
n erledigten Erzftuhl von Magdeburg übertragen, zumal da die Söhne leg 
er Kirche im Angefiht der Synode erflärten, daß fie ihn zu ihrem Biſchofe 
wählt hätten. — Demnach ift Unfer Wille, den Biſchof Giſelher, der ſolche 
hre nicht gefucht, fondern nur der Wahl und Bitte der Gemeinde nadıge- 
ben hat, der erzbifhöflihen Kirche Magdeburgs vorzufegen und ihm das 
allium zu gewähren.“ Schließlid verordnet der Pabft, daß gegenwärtige 
rfunde fämmtlihen Metropoliten und Bilchöfen Germaniens zur Unterfchrift 
jerfendet werde. In Bezug auf die Biſchöfe braucht das Schreiben den 
usdruck, der Pabft befehle ihnen, ohne allen Widerfpruch durch Unterfchrift 
ıd mündliche Zufage gegen die Bevollmächtigten des Stuhles Petri ihre Beis 
mmung zu befräftigen. 

Kein Funke Wahrheit und Würde ift in der ganzen Bulle, nichts ale 
unf. Wie ward Benedikt VIL. vermodt, etwas zu bewilligen, das zus 
eich der Ehre des h. Stuhls und dem Wohle des deutſchen Reichs nach⸗ 
eilig war — man muß nämlich wiffen, daß die Zertrümmerung ded Merſe⸗ 
uger Stuhls den größten Unwillen durd ganz Deutſchland hervorrief.) — 





1) Zaffs, regest. Pontif. ©. 334. 2) Sfrörer, Kich. Geſch. IL, 1401 le. 


493 VPabſt Eregorius Vn. und fein Seltalter. 


Ehronift Thietmar gibt auf obige Yrage eine Antwort, die man von emm 
fatholiichen Biihofe faum erwartet hätte. „Giſelher,“ fagt er, „gelangt 
zum Ziele, weil er die Großen des Hofes, namentlich aber vie römifhen 
Richter, denen für Geld Alles feil ift, beftach.“ 

- Unverfennbar übergeht der Merjeburger bier die Haupturfache, währen 
er dem gefunden Menfchenverftand zumider untergeorbneten Kräften eine em 
ſcheidende Wirkung zufchreibt, die fie nicht hervorbringen fonnten. An wer 
bat fih Giſelher zuerft gewendet? Nach Thietmar's richtiger Darftellung an 
den Kalfer Dito II. Nachdem diefer ja gefagt, war @ifelher feiner Ga 
gewiß. Freilich mußte er erft noch die Einwilligung des Pabſtes erlangen. 
Aber konnte Benedikt VII. etwas verweigern, was der Kaiſer beftimmt fer 
derte? Nimmermehr, weil er ganz von Otto's IL Gnade abhing. Den 
Pabſt war aljo die Freiheit genommen. In ſolchen Fällen bleibt die Bemän 
lung zweideutiger Sachen gewöhnlih den Händen von niederen Werkzeugn, 
wie bier den päbftlihen Kanoniften überlafien, die fih in Rom fo gut al 
anderöwo beftechen lafien. 

Seltſam aber iſt, daß Die, welche ftetd den Berfuchen ber weltlide 
Gewalt die Kirche zu unterdrüden Beifall klatſchen, am lauteſten fchreim, 
wenn bie entwürbigte Kirche fo handelt, wie entwürbigte Mächte überl 
handeln. Im Uebrigen fieht man, daß das auf Betrieb Theophano's vurd 
ihren Gemahl Dtto nad dem Abendland verpflanzte Kirchenſyſtem ver © 
zantiner bereit ziemlich tiefe Wurzeln trieb. Hat Pabft Benedikt VIL ans 
fi) heraus den deutſchen Biſchöfen befohlen, ohne alle Widerrede die Be 
ichlüfle bezüglich Merfeburgs gutzuheißen? Gewiß nicht, denn er würde fon 
auf entjchloffenen Widerftand geftoßen fein. Sondern er madte dieſe umr 
hörte Zumuthung, weil der Kaifer es jo befohlen Hatte: sic volo, sic juben, 
stat pro ratione voluntas. 

Geradefo bielten es die byzantinischen Baflleis, welche mittelft ihre 
oberften Werfzeugs, des ‘Batriarhen von Conftantinopel, den ganzen ler 
des Oſtens gängelten. Und weil fie in folder Weife vorfuhren, gefchah eb 
daß heute noch der Türfe Herr am Bosporus if. Wer die Kirche ernicbrigt 
oder erniedrigen Hilft, ift nicht werth, ein freier Dann zu fein, fondern ver 
dient die Sklavenpeitſche, welcher er audy nicht entgehen wird. 

Und nun folgen wir dem Kaijer in’d Bell. Den 23. September 981 
befand er fih urkundlich") zu Rucera, welde Stadt am Nordſaume der grow 
Ben apuliiden Ebene liegt. Allem Anſcheine nah war er audgerüdt, um 
Apulien, fein nächftes Ziel, zu erobern. Aber bald darauf verließ er lebten 
Landihaft wieder, machte eine Schwenfung nad Weften, ging über Benevent 
nah Neapel und Salerno. Die ſüditaliſchen Chroniken jeßen und in Stand, 


) Böhmer, regest. Nr. 584 u. 588. 


Siebtes But. Gap. 30. Otio'o IL Römerzug Son 980. 493 


ig zu erflären. Die eine meldet:) „nad dem Tode des Eiſen⸗ 
ete defien Sohn Landulf nur ſechs und einen halben Monat lang 
über Benevent, dann warb er aus biefer Stadt vertrieben.“ 
Eiſenkopfs fiel?) In die erfte Hälfte des März, folglich ging bie 
u Benevent gegen Ende September vor ſich. 
e aber, welcher Landulf, (der den Beinamen des Kühnen führte) 
var fein eigener Better.) Ich habe anderswo”) erzählt, daß ber 
angs gemeinfam mit einem Bruder, der Landulf hieß, regierte, 
ı Tode defielben die Söhne, welche Landulf hinterließ, gemalt 
n Erbe vertrieb und das ganze Fürftenthum für fi allein bes 
der enterbten Söhne des verftorbenen Landulf trug den gleichen 
jein Oheim — Pandulf, und eben dieſer Pandulf, Landulfs 
s, der die obengenannte Bewegung in Benevent anſtiftete und 
Landulf, des Eiſenkopfs Sohn, aus der Stadt verjagte. Kaiſer 
ine ſolche Behandlung ſeines Vaſallen nicht ruhig hinnehmen. In 
‘er mit feinem Heere gegen Benevent und erzwang noch vor 
er Eingang in den Ort. Denn unter dem ebengenannten Tage 
Urfunde*) in der Pfalz zu Benevent aus, nachdem er ein von 
ten befuchtes Gericht dafelbft gehalten hatte. 
98 aber geihah es, daß Kaiſer Dtto II. den Eindringling 
te und Landulf, des Eiſenkopfs Sohn, wiederherftellte, ſondern 
ır in Benevent,) und diefer mußte fi mit Capua begnäigen, *) 
n Zeiten ein befonderes Fürſtenthum, fpäter mit Benevent vers 
ber von Ießterem abgelöst ward. Verſchiedene Gründe dieſes 
fen fich denken: vielleicht hat Otto nur gegen Vertrag mit Pans 
Sohne, Zulaffung in Benenent erlangt, vielleicht auch fah er 
n Thellungen im Schooße des übermädhtig gewordenen Hauſes 
innerlih gerne. Gewiß ift jedenfalls, daß eine zweite, noch ger 
wegung auf einem PBunfte weiter gegen Weſten dem deutſchen 
eit ließ, fih lange mit Benevent zu befchäftigen, fondern ihn 
yortigen Verhältniffe fo ſchnell als möglid und, fo gut es eben 
m. 
vurde berichtet, daß Manſo von Amalfi 974 im Dienfte ber 
ı Fürften Giſulf von Salerno zu verderben fuchte, aber durch 
daran gehindert ward. Sept fam Manfo auf feinen früheren 
Wie und warum dieß gefhah, darüber gibt die Feine Ehronif 
einigen Auffchluß. Diefelbe melvet:*) „einige Zeit herrſchte 
Eifenfopfs Sohn, nah dem Tode Gifulfs über Salerno, aber 


[, 202. 2) Ibid. ©. 176. intrante Martio. 2) Oben ©. 353. 
D. Nr. 586. ) Perk III, 176. 9) Ibid. ©. 209. ) ©. 478. 


494 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


dann fuchte ihn Manfo von Amalfi zu verdrängen, doch nöthigte der beutfde 
Katfer Dtto Beide, ſich mit einander zu vertragen, worauf fie gemeinfcaft 
lich die Regierung führten.” 

Da Bandulf, des Eifenfopf6 Sohn, nah dem Tode Gifulfs, der, wie 
wir wiſſen, 978 ftarb, ausfchließliher Herr von Salerno war, und da gleid- 
wohl der Amalfitgner Manſo erft gegen ihn, dann neben ihm die Gewalt er 
rang, fo folgt aus den ungefügen Worten des Berichterflatters, erftens baf 
Manſo den Gegner eine Zeitlang vertrieben hatte, zweitens daß ein Dritter 
— Sailer Dtto IL — den Amalfitaner zwang, mit Pandulf zu theilen. 

Gut ſtimmen hiezu die Urkunden Otto's II. Nachdem der Kaiſer miw 
deſtens bis zum 13. Dftober 981 zu Benevent‘') verweilt hatte, findet?) man 
ihn den 4. November 981 zu Neapel. Weil diefe Stadt dem griechiſchen 
Reiche gehorchte, folglich für Dtto eine feinvlihe war, muß er fie mit ober 


ohne Vertrag eingenommen haben. Bon Neapel rüdte er weiter auf &u | 


lerno. Aber hier öffnete man ihm nicht gutwillig die Thore, fondern er mußte 
die Aufnahme erzwingen. Zwei Urkunden’) find vorhanden, die eine vom 
5. Dezember 981, die er im Lager vor Salerno, die zweite vom 6. Januar 982, 
die er in der Stadt ſelbſt ausftellte, folglih bat er die Stadt zwiſchen em 
5. Dezember und 6. Januar erobert. Auch ein förmlicher Zeuge fehlt nid. 
Erzbiichof Romuald von Salerno berichtet*) in feiner Chronik, daß Kailer 
Dtto IT. im Jahre 981 Salerno belagerte und nahm. Sogar die Berin 
gungen der Uebergabe fann man ermitteln. Der vertriebene Pandulf, des 
Eifenkopfs Sohn, muß wiederbergeftellt worden fein: wahrfcheinlich Ieiftete er 
furz darauf dem Kaiſer Heeresfolge, was ficherlih nicht geſchehen wär, 
wenn ihn Otto IL aufgeopfert hätte. Gleichwohl behielt der Anmaßer Manfe 
einen Theil der Gewalt, denn nicht nur bezeugt dieß obige Chronik, ſondem 
auch aus Aktenftüden erhellt,) daß Manfo Herr in Salerno blieb. 

Ein dritter Grund fommt hinzu, und zwar ein Grund, der zugleich einis 
nes Licht über die geheimen Hebel der Doppelbewegung zu Salerno und zu 
Denevent verbreitet. Die Chronif von Amalfi berihtet:) „im Jahre 979 
folgte Manfo, kaiſerlich⸗(byzantiniſcher) Patricier und Anthypatus — das grie 
chiſche Wort für pronconsul — feinem verftorbenen Vater Sergius im Fürften 
thum Amalfi und befaß daſſelbe etwa über 3 Jahre. Allein im Jahre 982 
nahm Manfo’8 Bruder Dferius denfelben gefangen und bemächtigte fich ber 
Herrſchaft. Abermal ein Jahr fpäter — 983 — nachdem Oferius geftorben 
war, erhielt Manfo das Fürftenthum zurüd, und behauptete es weitere ſecht 
Sabre bis zu feinem Tode.“ 

Nicht blos aus den griechiſchen Titeln, die Manfo empfängt, onen 

1) Böhmer Nr. 587. 3) Ibid. Mr. 588. 3) Ibid. Nr. 589 x. 590. ) Nur 


tori, aeript. VII. 163. ®) Blaſio, series principum langobard. Salerni. Man ſehe Jehr 
bücher des deutſchen Meiche IL, a. ©. 73, Note 4. 0) Muratori, antiq. Ital. L, 210, 


Slebtes Bud. Gap. 30. Oito's 11. Mömerzug von 880. 495 


igen früher erwähnten Thatfachen gebt hervor, daß der Amalfis 
zantinifchen Hofe abhing. Nur mit Zuftimmung deſſelben wirb 
ih gegen Salerno gewagt haben, ebenjo gut als er nur auf 
en Hofes durch feinen Bruder verbrängt worden fein kann. 

aber ließen die Byzantiner den Fürften fallen? Offenbar deßhalb, 
um Salerno zu retten, einen Bertrag mit Dtto II. abgefchlofien 
u deſſen Barthei übergegangen war. Die Gefangennehmung 
Igte meine® Erachtens erft in der zweiten Hälfte bes Jahres 982 
Schlacht in Calabrien, welche den Griechen freie Hand über 
erſchaffte. Als jedoch Oferius gegen 983 geftorben war, ftellte 
de Hof Manfo um fo unbedenfliher wieder her, da man von 
ſelbſt kurz darauf mit Tod abging, nichts mehr zu befürchten 
da andererſeits die Einfegung Manſo's zugleih Salerno unter 
flug brachte. Denn verfelbe hat letztere Stadt noch mehrere Jahre 


e der Anftoß zu dem Unternehmen Manſo's gegen Salerno vom 
Hofe ausging, ift die Umwälzung zu Benevent das Werk der 
ſeweſen. Wie hätte auch Pandulf, Landulfs Sohn, ohne fremde 
n Angefiht des deutſchen Kaiſers einen folden Schlag führen 
einheimifchen Empörern bebrängt, verfuchte, wie wir wiſſen, 
de Herrfcher Bafil II. alles Mögliche, um den Angriff feines 
yulenfen. Da die gefandticaftlihen Unterhandlungen, deren 
n St. Gallen gedenkt, nichts fruchteten, zettelte er, um bem 
euer am eigenen Herb zu bereiten, jene Unruhen auf der Gränze 
weichen und griechiichen Gebiets an, und nahm zugleich ſiciliſche 
e Saracenen in feinen Sol. Auch Otto handelte in der Bor- 
B das Feuer zu Salerno und Benevent von Eonftantinopel her 
den jei. Denn unmittelbar, nachdem er mit Manfo ind Reine 
ffnete er mitten im Winter den Krieg. 
Januar 982 fand er, wie oben gezeigt worden, zu Salerno, 
efelben Monats befand er fi zu Matera, wo er unter bem 
82 mehrere Urkunden ausftellte.) Der Ort Matera liegt auf 
n Salerno nad Tarent öftlih von dem Fluſſe Brandano, der 
on Tarent mündet. Im Februar rüdte Otto II. auf Tarent 
Griechen befegt hatten, aber das nad kurzem Kampfe fi er- 
) Urkundlich blieb") ver Kaifer zu Tarent oder in der Nähe 
bis nad der Mitte des Maimonatd 982. Während dieſer 
lien großentheild oder ganz in die Gewalt des beutichen Heeres 


211. 2) Böhmer Nr. 602—604. vergl. mit Jahrbücher des beutichen 
122. 2) Berg III, 765. cap. 12. *) Böhmer Pr. BII—RA, 


496 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


gerathen fein. Denn die fleine Chronik von Eölin meldet,) Otto babe die 
meiften Pläge Apuliend erobert. Zu letzteren gehörte namentlid bie Haupt: 
ftadt Bari, welche laut der Ehronif?) von Caſaurea noch 983 unter Faller 
lichsdeutfcher Herrichaft ſtand, und auch nad griechiſchen Quellen") erf im 
Jahre, da Dtto ſtarb — d. h. 983 — an die Griechen zurüdfiel 

Mit Anbruch des Sommers fam es zu heftigen und hartnädigen Kaͤn⸗ 
pfen, aber nicht zwiſchen Griechen und Deutſchen, fondern zwiſchen biefen mb 
Saracenen. Die zuverläffigften Nachrichten fprechen jo, als habe es Dit 
nur mit Mohamedanern zu thun gehabt, womit auch die oben erwähnten 
Ausfagen infofern übereinftimmen, als fie melden, daß von dem Byzantiner 
Bafil II. ſaraceniſche Hülfe gegen Otto beigegogen worden war. Ueber bi 
Einzelnheiten des Kriegs fehlt es an zuverläffigen Zeugniffen, denn chen 
nach wenigen Jahren ſchmückte die Volksſage den wahren und einfachen Her 
gang mit allerlei Zuthaten aus, welche in vie Chroniken übergingen. 

Ih halte mid hauptfählih an die Jahrbücher von St. Gallen, derm 
Berfaffer berichtet, daß er felbft ſolche gefprochen habe, welche der fürchterlichen 
Niederlage entrannen, und dann an den Merjeburger Dietmar, der 8 Jahre 
vor der Schlacht in Calabrien geboren ward ,*) ale Chronift eine fo hohe 
Stellung einnahm, daß er gute Nachrichten einziehen konnte, und auch befow 
dern Anlaß hätte, dieß zu thun, da ein Mitglied feiner eigenen Familie im 
Kampfe gegen die Sararenen geblieben if. 

Thietmar unterfcheivet) nad dem Ausmarfche des Faiferlichen Heeret 
aud Tarent drei verfchiedene Treffen gegen die Saracenen. Im erften er 
ſtürmten unjere Leute eine vom Feinde befegte Stadt; im zweiten fchlugen 
fie die Gegner auf offenem Felde und tödteten viele Taufende; im dritten 
endlich erlitten fie felber eine entfegliche Niederlage. AU das fleht im gutem 
Einflange mit füpitalienifhen und andern Berichten. Bon Tarent zieht fih 
eine alte römifhe Etraße meift am Meere in der Richtung von Reggio hin. 
Auf diefer muß der Kaiſer vorgedrungen fein. An eben derſelben Tiegt, faſt 
in der Mitte zwifchen Tarent und der Südweſtſpitze Italiens, der Ort Roſ⸗ 
ſano, welchen Dtto nach den Andeutungen Thietmars eingenommen haben 
muß, denn diefer fagt‘) weiter unten, daß der Kaiſer feine Gemahlin Theophane 
und den Meter Biſchof Theoderich dafelbft während des Marſches zurüdlich. 
Auch noch ein zweiter deutfcher Zeuge melvet,”) die Kaiſerin ſei zu Roffane 
geblieben. Außer ihr befand ſich ebenpafelbft während der enticheidenven 
Schlacht laut den Aeußerungen Thietmars die Kriegsfaffe und noch, wie ich 
unten zeigen werde, die Feldkanzlei. 

Offenbar hatte Otto diefe Anordnungen getroffen, weil er vorausfah, 
) Perb I, 99 oben. ?) Muratori, script. rer. ital. II, b. ©. 835. 2) Berg 


V, 55, b. unten. *) Perk II, 724. ®) Ibid. ©. 765. °) Ibid. ©. 766. 9 Berg 
IV, 698 oben. 





Siebtes Buch. Cap. 30. Otto's II. Römerzug von 980. 497 


daß demnädft ein heißer und zweifelhafter Kampf bevorſtehe. Mitglieder ver 
faiferlihen Familie aber, Kriegsfaffen und Kanzleien wahrt man nur an Orten 
auf, welche fiher find. Folglich muß Roſſano ein fefter Platz geweſen fein. 
Mer wird nun glauben, daß die mit Byzanz verbündeten Saracenen ohne 
Widerſtand eine foldhe Beftung räumten, welche ohne Frage den Griechen ges 
hörte! Alſo ergibt fich mit hoher MWahrfceinlichfeit, daß Roflano die von 
Thietmar nicht namentlich bezeichnete Stadt war, weldye das deutſche Heer 
erftürmt hat. In der That bezeichnet die Ehronif von Cava, welde zwar 
ein ſpäteres Machwerk, aber doch meift aus Achten Quellen zufammengetragen 
if, Roffano ale Drt des erften Treffens. 

Etwa zehn deutihe Meilen ſüdlich von Roffano erhebt fi ein Vorge⸗ 
birg, das noch heute Capo delle Eolonne heißt: in der Nähe deſſelben liegt 
die Stadt Cotrone. Hier in diefer Gegend lieferte Otto II. laut zwei ita⸗ 
Iienifhen Ehronifen‘) dem Feind in offenem Felde eine Schladht, in welcher 
die Suracenen unterlagen. Der feindlihe Verluft wird von einer Handſchrift 
auf 11,000, von andern gar auf 40,000 Mann geihägt. Auch der farace 
nifche Anführer, jener Abulfafem, von dem ich an einem andern Orte?) berichtet 
babe, blieb, und ward feitvem von den Moslemim als Märtyrer verehrt. 
Mit den riftlihen Ausfagen ſtimmen arabifche überein. Nach legtern®) fällt 
der Todestag Abulfafems in den Anfang Juli 982. Kein Zweifel fann fein, 
daß das Treffen bei Eotrone daflelbe if, von welchem Thietmar ald von 
einer in offenem Felde gelieferten Schlacht fpriht, ohne den Ortsnamen 
zu nennen. 

Bon Eotrone 309 das Heer unweifelhaft weiter nad Süden der Spitze 
Italiens zu. Ungefähr zehn Tage fpäter fam es zu der dritten Schladt, in 
welcher die Unfrigen niedergefchmettert wurden. Der Mönd von St. Gallen 
fagt,*) Dtto habe eine Feine Schaar Saracenen unfern dem Meereöftrande ges 
ſehen und dieſelben fofort angegriffen, drauf felen helle Haufen der Feinde 
hervorsgebrodhen und hätten. die Mannfchaft des Kaiſers umzingelt. 

Das lautet fo, ale fei unfern Leuten ein Hinterhalt gelegt worden. 
Hiemit übereinftimmend fpriht auch Thietmar von einem unvermutheten 
Ueberfall. Faſt das ganze Heer wurde zufammengehauen oder gefangen: nur 
Wenige, worunter der Kaiſer, Herzog Dtto von Schwaben, Abt Werner von 
Fuld, entrannen. Daß der Kalfer zu Schiffe fih rettete, fagen fo ziemlich 
alle Zeugen aus. Thietmar aber gibt einen ausführlichen Bericht, der fi 
durh Zufammenhang und gefunde Vernunft empfiehlt. 

„Gewiſſe Kriegsichiffe der größten Art,“ erzählt‘) er, „heißen bei ven 


) Berg V, 55, b. unten: Pratillus chronic. IV, 318; man vergl. Jahrbücher bes 
Deutfchen Reiche II. a. ©. 76, Note 4. 2) Band IV, ©. 566. 3) ZYahrbücher des 
deutfchen Reichs a. a. O. *%) Berg 1, 80. ®) Perg III, 766. 

Bfrörer, Pabſt Gregorius vu. Br. v. 32 


498 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalier. 


Byzantinern Salandria.‘) Diefelben haben zwei Reihen Ruderbänfe auf jeder 
Seite, und find je mit 150 Seeleuten bemannt. Zwei folde Salandrien 
hielt der grichifche Kaifer ftets im Dienft und gebrauchte fie, um den Tribut 
Calabriens einzuziehen und nad) Gonftantinopel Hinüberzufchaffen. Beide hatte 
Dtto gemiethet und auf den Feldzug gegen die Saracenen mitgenommen, daslı 
fie die feindlihen Schiffe angreifen und zerftören möchten, denn fie waren 
mit griehiihen Feuer bewafinet, das man nur durch Anwendung von Gifig 
loͤſchen Tann.” 

Sch verftehe dieß jo: Otto weilte, wie oben gezeigt worden, mehrer 
Monate zu Tarent. Diefes Tarent war vou alten Zeiten ber eine befannte 
Schiffsſtation, wo meines Erachtens auch die griechiihen Ehelandien, wenn 
fie keinen Dienft hatten, zu anfern pflegten. Dort brachte fie der deutſche 
Herrfcher in feine Gewalt, ließ jedoch die Mannſchaft großentheild auf den 
felben, da nur Griechen mit jener Feuerwaffe umzugehen verftanden, und ver 
ſprach ihr guten Sold, wenn fle ihm beiftände, gegen die faracentfche Klotte 
zu fechten. Daber der Ausdruck Thietmars, Otto babe fie gemiethet, was 
feinen Sinn hat, wenn man nicht annimmt, daß die Schiffe ſelbſt vorher von 
den Deutichen genommen worben waren. Im Uebrigen vermuthe ich, daß 
Otto IL diefe großen Schiffe fammt andern Fleinen nicht nur zum Kampfe gegen 
den Feind, fondern auch dazu verwendet habe, um fein Heer mit Zebenemit- 
teln zu verforgen. Denn überall in ver Welt, wo, wie bier, Krieg an ber 
Meeresküfte geführt wird, Iefert man ftreitenden Heeren den nöthigen Berarl 
zur See, da dieſer Weg der befte, fiherfte, wohlfeiffte ift. 

Thietmar fährt fort: „als der SKalfer aus dem Kampfgewühle fliehent, 
an den Strand Fam, ſah er eines der beiden Ealandrien von Berne herſteuem. 
Auf einem Roffe, das ihm ein Jude Namens Galonymus gab, ritt er ind 
Meer hinein und rief den Sciffern zu, ihn aufzunehmen, aber der Schiffs⸗ 
meifter fuhr, ohne auf Dtto zu hören, vorüber, fei ed, daß er den deutſchen 
Kaifer nicht Fannte, jei es, daß er ihn den Feinden preisgeben wollte. In 
zwifchen ruderte das zweite Salandrion heran. Bon feinem Roſſe herabgleitend 
warf fich der Kaiſer ins Meer, Schwamm auf das Schiff zu, und ward wirk 
ih an Bord genommen." Weiter erzählt der Ehronift, wie Dtto die Mann 
Ichaft des Chelandion bewog, auf Roſſano loszuftenern, wo er ihnen reichen 
Lohn verhieß, wie aber die Griechen bereit damit umgingen, zwar den ver 
ſprochenen Preis in Roffano abzuholen, aber den Kaiſer zurüdgubehalten und 
den Feinden zu überliefern: eine Gefahr, welcher Dtto theild durch feine 
eigene Entichlofienheit, theils Durch die Treue feiner Angehörigen zu Roſſano 
entging. Er ward gerettet. 


*) Auf Griechiſch xeraydın, man fehe die von Du Gange sub voce chelandiam ges 
fammelten Stellen. 


Siebtes Bnch. Cap. 30. Otto's II. Römerzug von 980. 499 


Diefe Darftellung entipricht dem gewöhnlichen Laufe menſchlicher Dinge, 
und fie erhält überbieß Feine geringe Beglaubigung durch die Thatfache, daß 
um 1000 zu Mainz ein jüdiſches Rabbinergefchleht zum Vorſchein kommt, *) 
das den Namen Calonymus trägt. Daffelbe ftammte aber von einem Ca⸗ 
lonymus Meſchullam, der unter Dtto I. und II. zu Rucca lebte.“) Ich denke: 
Galonymus Ben Meſchullam zu Mainz hat ald Lohn für die Verbienfte, die 
fich fein Vater in der Morbichlaht und anderswo um den deutſchen Kaiſer 
erwarb, Erlaubniß erhalten, fi in der Metropole am Rheine niederzulaffen, 
der Papa aber wirb das deutſche Heer in derſelben Abfiht nad @alabrien 
begleitet haben, in welcher Geyer über Schlachtfelvern fih fammeln. Seit 
den Zeiten Aleranders des Großen ift das Judenvolf ftet bei der Hand ges 
wefen, wo ed galt, von dem Unheil anderer Leute Gewinn zu ziehen, Beute 
um Spottgeld zu erihadern, Gefangene einzuhandeln, und verfchnitten ‘oder 
ımverfchnitten ald Sklaven an Mamelufen zu verkaufen. 

Ald Ort der Niederlage Otto's bezeichnet die Chronik von Cava bie 
Stadt Squillace, die am Meeresbufen gleihen Namens fo ziemlih in ber 
Mitte zwiſchen den Vorgebirgen delle Colonne und Stile gelegen if. Ic 
glaube um fo weniger, daß der Zuſammenſtoppler befagter Ehronif in ven 
Tag hinein redet, weil Erzbiihof Romuald von Salerno behauptet, ?) 
Dtto habe bei der Stadt Stilo gefchlagen, weldhe unweit dem Dorgebirge 
gleihen Ramend und fühlih von Squillace liegt. Das calabrifhe Hochge⸗ 
birg fpringt in Form des eben genannten Caps ind Meer hinaus. Hier 
werben, denfe ich, die Saracenen gelagert haben, um dem deutſchen Heere 
das Borrüden zu verwehren, während letzteres von Squillace herzog. Was 
die Zeit betrifft, fo bezeugt Thietmar von Merfeburg, daß die Niederlage den 
13. Juli 982 erfolgte. Viele Ehroniften fiimmen Ihm bei, andere weichen®) 
um zwei oder mehrere Tage rlidwärtd oder vorwärts ab. Ich glaube, man 
muß feine Ausfage fefthalten. 

Der Berluft war entfeglih. Thietmar erwähnt von Gefallenen außer 
dem Herzoge Uto, den Ranzenträger Dtto’8 II., Richar, die Grafen Thietmar, 
Dezelin, einen zweiten Bezelin, Gebhard, Günther, Ezel; dann die Edlen 
Burchard, Dedi, Conrad ſammt unzähligen Andern, „deren Namen nur Gott 
wife.” Bon vornehmen Lombarven aus den Heinen Staaten des jühlichen 
Staliend wurden erfchlagen mehrere Söhne des Eifenfopfs, nämlich erſtens 
Landulf der Kühne, bi8 981 Doppelfürft zu Benevent und Capua, dann feit 
der lebten Umwälzung auf Capua und Spoleto befchränft, zweitens vielleicht 
Pandulf, nad dem Tode Gifulfd alleiniger Fürft zu Salerno, feit Abjchluß 
des oben erwähnten Bertrags mit dem Anmaßer Manfo Mitregent deſſelben, 


Quellen⸗Nachweis bei Gieſebrecht, Sefchichte der deutfchen Kaiſerzeit L 790. *) Mus 
tatori, script. rer. ital. VII, 163, Mitte. 2) Man fehe Perg IH, 765. Rote 59 und Jahr⸗ 
bücher des deutſchen Reiche IL, a. S. 77, Rote 2. gs 


500 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seitalter. 


drittens Mtkenulf, der in der Urkunde Aloara’d Marfgraf genannt wird, aber 
ohne daß es möglich wäre, fein Gebiet nachzuweiſen. Weiter drei Nefien 
deſſelben Hauſes, Ingulf, Wadibert und Guido von Eueffa. Aloara, des 
Eiſenkopfs Wittwe, verlor alſo hinter einander und wahrſcheinlich an einen 
Tage drei Söhne und ebenſo viele Seitenverwandte. ') 

Bald nach Anfang des eilften Jahrhunderts — um 1006 — befchrieb?) 
der Apoftel des Nordens, BrunosBonifacius, Seitenſproſſe des kaiſerlichen 
Hauſes von Sachſen, und wie Wenige eingeweiht in die Firhlichen Ideen und 
Geheimniffe jener Zeit, die Lebensgeſchichte des heil. Adalbert von Prag. 
Hier in diefem unvergleichlihen Buche kommt) er aud auf den calabrifcen 
Krieg und die Schladht bei Eap Stilo zu ſprechen: „eine unermeßliche Menge 
nadter (leichtbewaffneter) Sararenen ftürmte auf unjere Leute ein, vie Faufl 
der Helden erlahmte über dem fortgefegten Morden, und zulegt warb ihr 
Kraft durch Meberzahl gebrochen.) Vom Echwerte getroffen, fanf purpurret 
die Blüthe des Vaterlandes, die Zierde des blonden Germaniens, nieder. 
Welche Gefühle mögen in jenem Augenblide, huchherziger Jüngling, Deine Brufl 
durchbebt haben, ald du das gläubige Volf in die Hände der Saracenen 
gegeben, den Ruhm der Chriften unter den Füßen der Heiden zertreten ſaheſt“ 

Mitten in diefe Echilderung hinein fügt Bruno folgenden Sag: „damals 
erfannte Dtto fein Anrecht, daß er auf die Stimme des Weibes hörte, daß 
er den Rodungen der Unmimdigen folgte und den Rath der Alten ver 
achtet hatte.” 

Statt des höfiſchen oder furchtſamen Geredes mittelalterliber Chroniſten 
tritt und bier die volle Wahrheit, wie die Sonne aus Nebeln, entgegen. 
Bruno deutet an, daß Otto IT. den Römerzug von 980 wider den Willen 
der deutſchen Stände, der Bilhöfe und erprobten Laienhäupter antrat, daß er 
fib von den Lodungen feiner Gemahlin Theophano und junger Adeligen, bie 
nad italienishen Lehen augelten, verführen ließ, endlich daß die Griedin 
Theophano Hauptichuldige an allem Unheil war. 


*) Die Urkunde der Fürſtin Alvara vom Jahre 986 (bei Muratori, script. rer. ital. 
II, a. 305, b.) führt drei Söhne derfelben ald Berftorbene auf: Pandulf von Salerne, 
Landulf (von Capua) und Athenulf. Die Chronif von Capua ermähnt als bei Stilo gefallen 
nur Landulf und Athenulf (Perg III, 209). Gleihwohl ift gewiß, daß auch Pandulf vor 
Salerno um biefelbe Zeit mit Tod abging. Denn ein altes Berzeichnig der Fürſten von 
Gapua (Perg IIL, 210) meldet feinen Tod gleich hinter dem feined Bruders Landulf, unt 
ein zweites (ibid. ©. 211) fchmeigt nad 982 gäuzlih von ihm. Immerhin bleibt es zwei: 
felhaft ob Pandulf von Gapua in der Echladht fiel, order auf andere Meife aus der Welt 
ging. denn nur die unächte Ehronif von Cava läßt ihn ausprüdlich auf den Wahlplag enden. 
2) Die Belege bei &frörer, Kirch. Geſch. III, 1575 fig. ?) Perg IV, 598 gegen unten. 
*) (Nudorum Saracenorum) dum ultra incredibilem modum numerus increvit, caede cada- 
verum lassa dextra defecit, et bellantium heroum virtus fracta succubuit. Bruno, felb 
Eohn und Enlel germanifcher Helden, hat offenbar in feiner Jugend Sfalden-Befänge ges 
lefen. Denn ihr Geiſt tönt aus diefen Worten hervor. 


Siebtes Buch. Cap. 30. Otto's II. Römerzug von 980. 50t 


Daſſelbe was Bruno, bezeugt ein nicht minder erlauchter Zeitgenoſſe, 
Abt Odilo von Clugny, ſeit 995 Nachfolger des heil. Majolus. In ſeiner 
Lebensgeſchichte der Kaiſerin Adelheid ſchreibt') er: „nachdem Otto die Griechin 
Theophano in ſein Ehebett aufgenommen hatte, ward er durch den verlehrten 
Sinn und die noch verderblicheren Rathſchläge dieſes Weibes alſo bethört, daß 
er auf den Gedanken gerieih, das griechiſche Reich an ſich zu reißen. Er 
ſammelte von allen Seiten ein Heer, überſchritt mit demſelben die Gränzen 
(des deutſch⸗kaiſerlichen) Italiens, und nöthigte den byzantiniſchen Herrſcher 
zu einem Kampfe, der ihm ſelbſt und den Seinigen Ehre und Leben koſtete.“ 

Noch brennendere Dinge berichtet?) ein dritter Zeitgenoſſe, Mönch Alpert, 
der um 1020 jchrieb und unzweifelhaft gute Quellen benüßte: „da Otto IL 
unüberlegt und gegen die Regeln der Kriegsfunft den Feind in Balabı.n 
angriff, ward der ganze Adel des deutſchen Heeres durd das Schwert, durch 
die Sluthige der Sonne, durch brennenden Durft aufgerieben. Wie drauf 
die Kaiſerin Theophano, weldhe von ihrem Gemahl zu Roſſano zurüdgelafien 
worden war, die erfte Hunde von der Niederlage erhielt, brach fie nach der 
Weile böfer Weiber in leidenfchaftlihe Lobſprüche auf die Tapferkeit ver 
Griehen aus und fchmähte die Deutfchen, daß fie fih fo leichten Kaufes 
hätten überwinden laſſen.“ 

Weltbefannt ift, daß die Lateiner des Mittelalters in dem Griechenvolf 
ein feiges, gejunfenes, Tügenhaftes Geſchlecht ſahen, und es konnte kaum 
fehlen, daß die Byzantinerin Theophano zuweilen oder vielmehr häufig wäh- 
rend ihres Aufenthalts in Deutſchland Gelegenheit erhielt, diefe Stimmung 
fennen zu lernen. War Solches aber der Sal, jo ift bei ihrem heftigen 
Charakter nichts wahrſcheinlicher, als daß fie Verachtung mit lautem Hafle 
vergalt. Bei diefer Lage der Sache fann man meines Erachtens der Aus⸗ 
fage des Mönchs nicht mit Recht Glauben verfagen: unter den angegebenen 
Umftänden werden meifterlofe Weiber haarklein jo handeln, wie Alpert erzählt. 
Ueberdieß wird fih unten zeigen, daß fie, aus Groll gegen die Deutſchen, 
eben um jene Zeit ihren Gemahl zu dem unfinnigen Plane verleitet hat, den 
Sitz des Reihe aus Germanien nad Italien zu verlegen. 

Wie oben bemerkt worden, entfam Otto IL glüdlid nah Roſſano. Dort 
hat er noch vor Ausgang des Juli 982 eine Urkunde‘) ausfertigen laſſen, 
welde das Bisthum Fieſole betraf, und ein nichts weniger als dringendes 
Geſchäft abmahte. Bon bier reiste er weiter nad) Caſſano, das nördlich vom 
ebengenannten Orte in der Richtung auf Salerno Liegt. Auch zu Caſſano 
{ft eine Urkunde*) ausgeftellt worden. Aus beiden Thatfachen folgt meines 
Erachtens, erftend daß die Feldkanzlei, die den Kaiſer während des ganzen 





*) Berk IV, 646, a. Mitte °) Ibid. ©. 698 oben. *) Böhmer, regest. a. a. O. 
Mr. 596. 8) Jahrbücher bes deutjchen Meiches II, a. ©. 122. Nr. 201, 


502 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitaller. 


Feldzugs begleitete, mit der Katferin und dem Biſchofe Theoderich in Refem 
zurüdgeblieben war, zweitens daß die Saracenen e8 nicht gewagt haben, We 
Ueberrefte unſeres Heeres zu verfolgen. Denn auf jäher Flucht haͤtte ver 
deutfche Kaiſer ficherlih nicht daran gebadıt, feine Kanzlei in Bewegung 
zu ſetzen. 

Die Urſachen, warım feine Berfolgung ftattfand, find Leicht zw errathen 
Laut dem Zeugniffe Bruno's hatten die deutfchen Herren, die bei Stilo fochten, 
ihr Leben fo theuer als möglich, verfauft, d. h. unzählige Feinde niedergemäht. 
Auch auf Seiten der Sieger werben daher wenige übrig geblieben fein. Zw 
dem braden furz nah Abulkaſems Tode innerlide Unruhen unter den 
Saracenen Siciliend aus, da feine Erben nad unabhängiger Herrichaft firehten, 
während die Yatimiden Aegyptend die Infel unter ihrem Scepter zu er 


halten verfucdhten. 


Einunddreißigfies Capitel. 


In Kurzem gewinnt Theophano wieder den alten Einfluß auf dad Gemüth ihre Gemahls. 
Don ihr beherrfcht, befchließt Otto IL, Rache an den Griechen und Saracenen zu nehmen 
Da ihm die deutſchen Stände Mannfchaft verweigerten, verfuchte er, abweichend von 
dem Vorbild feines Vaters, ein Syftem politifcher Liebeserweifungen an Italiens Großen, 
die ihn insgeheim verhöhnten. Dtto II. hoffte nemlich mit Hilfe berfelben Apulien, 
Galabrien,, Sicilien zu erobern. Alte Spießgefellen des Lombardenkönige Berngar, 
welche Dtto I. des Landes verwiefen hatte, werden mit den wichtigſten Großlehen 
bedacht: Thrafimund erlangt Spoleto und Gamerino, Hugo, Hubertd Sohn, Tuscien: 
Euno, Berngard Sohn, wirb begnadigt. Anfänge Arboins, des nachmaligen Könige ber 
Lombarden. Kaifer Otto II. gerät auf den Gedanken, den Sitz des Reichs nach Italien 
zu verlegen. Reichstag zu DBerona im Sommer 983. Der Ravennate Johann Frönt 
en unmündigen Otto III. Kaifer Otto II. flirbt im Dez. 983 ſchnell zu Rom weg. 


Urfundlich weilte Kaifer Dtto II. am 18. Auguft 982 zu Saleruo, im 
September und October findet man ihn zu Eapua und gegen den Echluß des 
Jahres abermal zu Salerno.‘) Mag aud der Einfluß feiner Gemahlin durd 
das Unglüd bei Etilo eine Zeitlang erjchüttert gewejen fein, jo ift doch ges 
wiß, daß er bald wieder ihren Rathichlägen folgte. Er ſann auf Nichte, 
ald Rache an Griehen und Sararenen zu nehmen, und brütete jogar über 
dem Gedanfen der Eroberung Siciliens. 

Der Ehronift von St. Gallen führt?) nad den früher mitgetheilten 
Worten fort: „um die Saracenen Eiciliend zu züchtigen, wollte der Kaifer, 
bad von den Perſern am Hellespont gegebene Beifpiel nachahmend, eine 
Brüde von der Südſpitze Italiens nach der Infel binüberfchlagen, und Icztere 
auf diefem Wege in feine Gewalt bringen.” Aehnliches berichtet”) Arnulf 
von Mailand: „ganz Italien hieß es, wolle Dtto über die Wogen des 


) Böhmer a. a. DO. Nr. 597 fig. ) Berk 1, 80. ’) Berg VIII, 9. (cap. 9.) 


Siebtes Buch. Cap. 31. Otto's II. Ausgang. Alte Anhänger Berngars fommen wieder auf. 509 


Meeres nad) Sicilien hinüberführen, und fein kaiſerliches Aufgebot zum Heeres⸗ 
dienſt ergieng defhalb durch das gefammte Citaliiche) Neich.“ 

Der Mailänder Ehronift deutet an, daß Dtto IL. hauptfählih auf Beiftand 
der Italiener zählte. Natürlih! da die Deutichen ſchon 980 wenig guten 
Willen für den Römerzug bethätigt hatten, durfte er jegt, nachdem das Fleine 
Heer, das ihm freiwillig über die Alpen folgte, vernichtet war, nichts mehr 
von diejer Seite erwarten. In der That beichäftigte er fich feit der Flucht 
aus alabrien mit einer Reihe politiiher Maaßregeln, denen unverkennbar 
die Abfiht zu Grunde lag, italieniiche Große für feine Plane zu gewinnen. 

Der Tod Landulfs von Capua, welder, wie wir wiflen, in Folge des 
legten Kampfes blieb, hatte das dortige Fürftenthum erledigt. Otto vergab 
es an des Verftorbenen jüngeren Bruder Landenolf, doch in der Art, daß auch 
die Mutter Aloara, des Eifenfopfs Wittwe, Antheil an der Herrichaft ers 
hielt.‘) Allem Anfcheine nach traute der Kaiſer dem Langobarden nicht recht, 
und wollte ihn durch Beigejelung einer Mitregentin in der Treue erhalten. 
Zu gleicher Zeit wurde eine Reihe neuer Menſchen mit großen Lehen aus 
geftattet. 

An einem anderen Orte?) habe ich gezeigt, daß König Berngar von 
Italien kurz vor feinem Sturze Spoleto und Camerino dem Marfgrafen 
Theobald entzog, und ftatt deifen an einen gewiſſen Traflmund vergab, der 
jofort den damaligen Pabft Johann XL. (Octavian) im Auftrage feines 
föniglihen Gönners bedrängte. Nachdem Dtto J. 960 in Stallen eingerückt 
war, ift nirgend mehr von diefem Trafimund die Rede. Vermuthlich hatte er 
gleih dem Tuscier Hubert weichen müflen, weil der Pabft, damals in gutem 
Einvernehmen mit dem neuen Kaiſer, die Entfernung der läftigen Dränger 
aus Spoleto und Tuscien verlangte. Dagegen taudt um 970 ein Graf 
Atto auf, der ein Eohn des Marfgrafen Trafimund genannt wird. Chronift 
Lupus berichtet:) „im Jahre 972 erfocht Atto, Eohn des Marfgrafen 
Trafimund, einen großen Sieg über die Saracenen.” Die weitere Sippfchaft 
dieſes Atto, glüdlichen Kämpfers wider die Ungläubigen, lernt man aus einer 
Urkunde kennen. Mittelſt Pergament!) vom November 1011 fchentt Graf 
Trafimund, Sohn des Herzogs und Markgrafen Trafimund, für das Seelen: 
heil ſeines Großvaters, des Grafen Atto, und feiner Großmutter Adelgarba, 
fowie für das Seelenheil feines Baters Traftimund und feiner Mutter Sigels 
garda, an das Klofter zum heil. Vincentius, unweit den Quellen des Fluſſes 
Bolturno, gewifle Güter. 

Der eben erwähnte Atto, Sohn des Marfgrafen Trafimund J., hinter⸗ 
ließ alfo einen Sohn, der nad damaliger Sitte den Namen des Großvaters 


1) Perk II, 209, Mitte. ») Oben ©. 269. ») Berk V, 55, b. Mitte, 
*) Muratori, seript. rer. ital. I, b. ©. 498, 


504 Pabſt Sregorius VII. uud fein Seitalier. 


empfieng und fi gleih dem Ahn zum Marfgrafen und fogar zum Henag 
aufihwang. Von diefem nämlichen Trafimund II. ſtammt hinwiederum Ce 
Trafimund III. ab, der die Schenfung von 1011 machte. 

Wo war num Trafimund I. Markgraf und Herzog? In demjelden Ge⸗ 
biete, wo c8 fein Großvater Trafimund L geweien. Eine Urfunde‘) vom Dc- 
tober 984 liegt vor, kraft welcher Ländereien, die in dem zum Herzogthum 
Spoleto gehörigen Gebiete von Penna lagen, an das oben erwähnte Bir 
centiusklofter gejchenft werden. Ausgeftellt ift diefelbe „Im Jahre Ehrifti 984, 
Römerzinszahl 13, zu den Zeiten ded Herzogs Markgrafen Trafimund, um 
zwar im zweiten Jahre feines Herzogthums“. 

Genau jtimmt biemit eine zweite Urfunde,?) welde die Daten trägt: 
„Jahr Ehrifti 985 unter der Verwaltung des Herzogs Markgrafen Trafimunt, 
im dritten Jahre feines Herzogthums.“ Schon an fid) weist die Verbindung 
des marfgräflihen Titeld mit dem herzoglichen auf Spoleto und Camerino 
bin, denn Spoleto galt als Herzogthum, Camerino ald Marfe,”) und wenn 
ein und derjelbe Fürft das erfte wie die zweite befaß, nannte man ihn ge 
wöhnlich HerzogeMarfgraf. Aber auch aus dem Inhalte beider Urkunden 
erhellt, vaß Trafimunds Titel fi auf Epoleto und Camerino bezog. 

Da nun das zweite Jahr Trafimunde im October 984 verlief, folgt, 
daß er die zwei Lehen zwilchen dem Ende September 982 und dem gleichen 
Monat des folgenden Jahres davon getragen haben muß. Daß es Kailer 
Dtto II. war, der fie ihm verlieh, wird Niemand bezweifeln, denn nur ibm 
ftand dad Recht zu, die großen chen der italifchen Krone zu vergeben. Die 
Einjegung Traſimunds fällt demnach genau in die Zeit, da Otto II, wie 
oben gezeigt worden, eine neue Organifation Staliend vornahm. 

Wahrſcheinlich erhielt auch Tuscien um dieſelbe Friſt eine veränderte 
Einrichtung. Erinnern wir uns, daß Hugo, Huberts Sohn, in einer der 
letzten Urkunden des Königs Berngar als Getreuer deſſelben und Markgraf 
von Tuscien aufgeführt wird"), weiter daß vor Hugo fein Vater Hubert dad 
nümliche Lehen inne hatte, aber von Berngar wenn nicht ganz entfernt, jo 
doch zurüdgejegt worden‘) war, endlich daß nah Wicderheritellung des 
Kaiſerthums Hubert aus Italien weichen mußte. Denn der Mönch Benetikt 
lagt‘), Kulfer Dito habe den Marfgrafen Hubert aus der Heimath ver 
trieben, und Peter Damian fügt”) bei, der alte Marfgraf fei nach Ungam 


— — — — — 


‘) Ibid. ©. 485, vergl. mit Muratori, annali d'Italia ad a. 984. ?) Gulletti, Gabio 
antica citta di Salerno ©. 54. 2) Man vergl. 3. B. die von Muratori (annali d’Italia 
ad a. 967) angeführten Urfunden aus dem Jahre 967 Pandulfus dux (Spoleti) et marchio 
(Camerini); aus dem Jahre 968 Pandulfus princeps (beneventanus) dux (Spoleti) et mar- 
chio (Camerini), dann die Stelle bei Peter Damiani (opp. III, 381, b.): Hugo imperatori 
cessit marchiam Camerini cum Spoletano ducatu. ı) Oben ©. 269, 5) Daf. 
0) Perg III, 718 oben. ) Opp. ed. Cajetani III, 381, b. unten. 


Biebtes Buch. Cap. 31. Ottöfs I. Ausgang. Alte Anhänger Berngars fommen wieder auf. 505 


flohen. Was nad der Flucht des Vaters Im Laufe der Jahre 961 — 970 
us dem Eohne Hugo wurde, ift in tiefes Dunfel gehült. Erft 970 taucht 
erfelbe wieder auf, und zwar ald Markgraf von Tuscien. 

Muratori theilt‘) aus dem Lucchefer Archive eine Urfunde vom April 970 
nit, laut welcher zu einer gerichtliden Verhandlung, betreffend den Tauſch 
ewiffer Güter, einer Seits Markgraf Hugo, anderer Seits Biſchof Adelong 
on Lucca je einen Stellvertreter jchidte. Kein Zweifel kann fein, daß Hugo 
m angegebenen Jahre wieder ald Markgraf in Tuscien amtete. Da aber 
on 961 bi 970 fi nirgends eine Epur feiner Wirkſamkeit zeigt, muß man, 
faube ih, den Schluß ziehen, daß ihn Kaiſer Otto erft furz vorher — etwa 
n Jahre 967 oder 968 — wo mehrere andere größere Lehen vergeben 
yurden, wieder in Dienft gezogen -hatte, und daß er bis dahin derſelben 
Ingnade unterlag, die auch den Vater traf. 

Die nämlihe Erfcheinung wiederholt ſich fofort in dem noch größeren Zeits 
aum der zwilchen 970— 983 verlief. Keine Stelle einer Ehronif, fein Pergas 
sent ift vorhanden, welche während der angegebenen Jahre Hugo’d Namen 
rwähnen. Daraus folgt meines Erachtens, daß er, vom kaiſerlichen Hofe 
urüdgejcgt, und mit Mißtrauen betrachtet, bis dahin blos eine untergeorbnete 
Rolle ſpielte. 

Aber mit dem Jahre 983 ändert fih die Ecene. Fiorentini bringt?) 
in Pergament von 983 bei, laut welchem Hugo, Hubertd Sohn, Marks 
raf und gleich feinem Water nach falifhen Rechte lebend, aus dem Dunkel 
ervortritt. In den folgenten Jahren erringt ebenverjelbe eine ſtets fteigenve 
Bedeutung und ericheint zulegt ald der mächtigfte Laienfürft Italiens, dem 
eine Zeitgenoffen den Beinamen des Großen gaben. In der That war Hugo 
iner der gefährlichften Raͤnkeſchmiede, Ye ſich um Theophano drängten und 
en dritten Dtto verderben halfen. 

Nun bemerfe man: fowohl Hugo von Tuscien ald Trafimund von Spos 
eto⸗Camerino haben eine ausgeprägte Vergangenheit, fofern Beide dem Könige 
3erngar, der den Pabft und die Biſchöfe verfolgte, bereitwillige Dienfte gegen 
ie Kirche leifteten und dadurch emponftiegen. Kaifer Dtto I. hielt ſolche 
Nenjhben grundjäglih ferne von fih, weil er darauf hinaıbeitete, die deutſche 
herrſchaft über Italien auf das einheimifhe Bisthum zu fügen und zu fol 
yem Behufe Macht und Befig deſſelben theild zu befeftigen, theild zu erhöhen und 
adurch jedes Anjchwellen weltlihen Fürſtenthums unmöglid zu machen. 
Inder8 der zweite Otto. NAbfallend von der grundgejcheiten Politik feines 
Zaterd, greift er auf die ehemaligen Genoſſen des Königs Berngar zurüd, 
yelhe durch die That bewielen hatten, daß fie um den Lohn hoher Aemter 
de Laune des Herrſchers zu befriedigen bereit ſeien. Nur die Außerfte 








') Antig. Ital. VI, 240. *) Memorie di Matilda ed. Mansi I, 40% unten W 


506 Pabſt Gregorius VI. und fein Zeitalter. 


e 


Roth kann ihn zu diefem Berfahren verleitet haben. Um Solbaten zur Se \ı 


fegung des Kriegs in Calabrien zu befommen, opferte er die Zufunft auf. 
Eo viel ald gewiß ift, daß um die nämliche Zeit in der ehemaligen He 


£ 
N 


math ded Königd Berngar jener Lombarde Artoin zu marfgräflidher Gewalt ': 


gelangte, der nach Otto's III. unglüdlihem Ende die Krone Italiens an fit 
riß. Dank den Forſchungen des Piemontefen Provana, fennen wir die Fa—⸗ 
milie Ardoins ziemlich genau und willen, daß fie keineswegs mit dem Turiner 


| 


Haufe zujammenhängt, das fonft ähnliche Namen aufweist. Ardoin von 


Sorea hatte!) zwei Brüder, Amedeus und Wibert, die Beide für den Mart- 
grafen oder den nachmaligen König fohten, und eine Schweſter Peringa, 


weldhe mit dem Grafen Robert von Bolpiano vermählt war und in dieſer 


Ehe unter vielen andern Eöhnen Einen, Namens Wilhelm, gebar, der als 
Abt zu Dijon und gefeierted Haupt der firdhliben Bewegung hohen Ruhm 
erwarb‘) und auf feinen väterlihen Befigungen das Klofter Fructuaria gründete. 

Der Bater Arboins hieß Dado und wird in einer Urfunde Otto's IIL 
vom Zahre 1001 Graf genannt: Aber über die Lage feiner Grafichaft fehlt 
es an Nachrichten, indeß maht ver Ort, wo Ardoins Glüdftern aufglängte, 
es wahrſcheinlich, daß Dado innerhalb des Gebiets, welches feit dem Anfang 
des zehnten Jahrhunderts ald Familiengut der Berngare erfcheint, einen Be 
zirk verwaltet haben dürfte. So gut dad Turiner Geſchlecht im Hausdienſte 
der Berngare feine Laufbahn begann, war Dado ein gräffiher Vaſall derjelben. 

Die Gemahlin des Markgrafen Ardoin wird unter dem Namen Bertha 
in mehreren Urkunden erwähnt.) Ihre Eippichaft fennt man nicht, dagegen 
iſt urkundlich nahweisbar, daß fie zum Mindeften drei Kinder gebar, näm 
lich zwei Söhne, Dtto und Ardicino (verfleinerte Form von Ardoino) und eine 
Tochter Ichilda. Den zweiten diefer Söhne hat Arboin zu unbekannter Zeit 
mit Willa, einer Tochter ded Markgrafen Hugo von Tuscien, vermählt.) 
Hiemit floßen wir auf einen erften Beleg, daß die ehemaligen Anhänger des 
Könige Berngar, um welde gemeinfames Unglück ein Band felang, fih 
unter einander verjchwägerten. Einen zweiten Beweis derjelben Thatſache wer 
den wir fogleih finden. 

Mit dem Jahre 987 tritt Markgraf Ardoin in die beglaubigte Geſchichte 
ein, und zwar nicht al8 Eoltat, auch nit als Beamter, fondern als Pater 
und Schwäher. Durch Ecenfungsbrief?) vom 30. Ecptember 987 vergaben 
Markgraf Cuno, Sohn des weiland Königs Berngar, und Ichilda, Cuno's 
Gemahlin, Tochter des Marlgrafen Ardoin, an die Domkirche zu Vercelli ge 
wifje Güter in der Art, Daß genanntes Hocfift erft nah dem Tode der 
beiden Schenker den Beſitz antreten fol. Die beiden Eheleute find offenbar 





— 42* 


‘) Memorie di Torino, serie seconda. Tom. 7, parte 2. S. 103. 108. 336, ?) Ibid. 
S. 106. ») Ibid. ©. 108. *) Ibid. ©. 107. ) Ibid. ©. 327 fig. 


Siebtes Buch. Gap. 81. Dtto’8 II. Ausgang. Alte Anhänger Berngars kommen wieber auf. 50% 


im Anfange ihrer Laufbahn; fie haben nicht viel übrig, weßhalb beftimmt 
wird, daß die Schenkung erft nad ihrem Tode Rechtökraft erlange.e Eben» 
daſſelbe erhellt noch aus einem andern Punkte Unten heißt ed in der Ur- 
funde: „die Vergabung fei gemacht zum Seelenheile der Schenter felbft, wie 
ihrer (künftigen) Kinder und Enkel.” Sonſt werben in ähnlichen Fällen flets 
die Namen Derjenigen aufgeführt, denen das fromme Werk zu Gute fommen 
jo. Hier geichieht dieß nicht, woraus meined Erachtens folgt, daß Cuno und 
Ichilda im Augenblide der Ausftellung noch feine Kinder hatten, alfo noch 
nicht lange in der Ehe lebten. 

Markgraf Ardoin von Ivrea hat alfo vor dem Herbite 987 feine Tochter 
Ichilda mit Cuno vermählt, den wir als Vorkämpfer feines königlichen Vaters 
Berngar fowohl in Conftantinopel als in Stalien kennen lernten, und der fi 
als entſchloſſenen Gegner des ſächſiſchen Hauſes von 962 bis 970 erprobt 
hatte. Wer wird nun glauben, daß Arboin eine Verbindung, welde von 
Seiten des deutſchen Hofes faum anders ald zweideutig audgelegt werben 
fonnte, in den Anfängen feiner marfgräfliden Gewalt zu fchließen wagte ! 
Wahrlih er muß, um mit dem Sprichworte zu reden, jchon einige Zelt warm 
und in der Wolle geſeſſen fein, ehe er fo etwas unternehmen fonnte. Folg⸗ 
ih ift man genöthigt, Arboind Belehnung mit der Mark JIvrea um mehrere 
Jahre über 987 hinaufzurücken. Ste wird zur nämlichen Zeit erfolgt fein, 
da auch den zwei andern Anhängern Berngar's, dem Epoletiner Trafimund 
und dem Tuscier Hugo, die Flügel wieder wuchfen, d. h. ums Jahr 982, 
da Dtto II., um Soldaten für den Kampf gegen Saracenen und Griechen 
zufammenzubringen, den Grundjäßen der Politik feines Vaters entjagte. 

Zwei weitere, dur gute Zeugen fefgeftellte Thatſachen verbreiten ers 
wünſchtes Licht über die Geſchichte Arbeing umd des Königsſohns Cuno. Der 
Mailänder Chronift Arnulf ſchreibt:) „im Jahre 974 wurde Gobdfried, ein Ans 
hänger des deutſchen Kaiſers, zum Erzbiihof von Mailand erhoben umd 
fämpfte jofort gegen die Söhne Berngars. Bon eben diefen Söhnen fiel der 
eine, Wido, in einem Gefechte, der andere, Adalbert, unverföhnlicher als die 
übrigen, warb aus dem Lande vertrichen und ftarb ald Verbannter auf fremdem 
Boden, der dritte endlih, Cuno, ſchloß feinen Frieden mit dem Kaijer und 
ward zu Gnaden angenommen.” Sept wiſſen wir, warum @uno, obgleich 
Sohn des von Dtto I. niedergefchmetterten Lombardenkönigs Berngar, ruhig in 
Oberitalien figen und dort heirathen durfte: Die deutſche Regierung hatte ihm 
eine Berzeihungsafte ausgeftelt. Und zwar muß dieß vor 987 und nadı 974 
geicheben fein; denn Erzbiihof Godfried, der den Mailänder Stuhl 974 bes 
ſtieg, trug ſeitdem noch Waffen gegen ihn als einen Unbegnadigten, 987 aber 
war er ruhig angefledelt, vermählt, folglic genoß er kaiſerlichen Schug. 


— — 


') Pertz VIII, 9 oben. 





[2 


508 Pabſt Eregorind VIL. und fein Seitalter. 


In gleiher Lage wie uno befand ſich aber auch Arboin, der Schwiege 
vater ded Vorgenannten. Denn aus einer Urfunde vom Jahre 1011, weit 
Samuel Guichenon veröffentlit hat,) erhellt, daß Dado, Ardoin's Bate, 
ein Sohn des Königs Berngar war, jedoh allem Anjcheine nad) fein cr 
licher, fondern ein natürlicher Cohn, der aus einer leichtfinnigen Verbindung 
ftammte, welche Berngar vor den Zeiten feines Königsthums mit irgend einen 
unbefannten Mädchen eingegangen hatte. Ich werde hierauf unten an par 
jendem Orte zurüdfommen. Vorerſt jo viel: gleih Cuno kann auch Artein, 
der Enfel Berngars, nur durd einen Faiferlihen Gnadenakt die Erlaubniß zur 
Rückkehr in die Heimath und Wicdereinfegung in die Lehen feines Haufes er 
langt haben. Diefer Onadenaft aber fällt ohne Zweifel in das Jahr 98%, 
da Dtto II. laut deutlihen Zeugniſſen an flörrigen lombardiſchen Großen tat 
Syſtem politifcher Liebeserweifungen verjuchte. 

Nicht nur in Italien, jondern auch in Germanien drüben nahm Otto 983 
wichtige Belchnungen vor, die ich bier erwähnen muß, weil fie in die jp% 
teren Ereignifje eingreifen. Durd den Tod des Doppelherzoge Otto wara 
die beiden Bahnen Schwaben-Alamannien und Baiern erledigt. Der Kaifer 
vergab die ſchwäbiſche an den Ealicr Conrad, aus Gebhards Haufe, ?) Bde 
bed beim Cap Stilo gefallenen Herzogs Udo; Baiern erhielt der Armulfinger 
Heinrih, Sohn Berthold und der Wilitrud, obgleid, feine Vergangenheit ihn 
keineswegs zu einer ſolchen Gnade zu berechtigen fchien.) Im Sabre 976 
von Otto II. mit dem Herzogthum Kärnthen bedadıt, hatte er, wie ib ans 
derswo zeigte,*) furz darauf Theil an der Empörung genommen, welde ver 
gleichnamige Herzog von Baiern, Heinrich, des Kaiſers Vetter, wider dieſen 
erhob, und war zur Etrafe hiefür 978 abgejegt und verbannt worden.‘ 
Die jegige Wiederanftellung des ungetreuen Vaſallen läßt Feine antere Deu: 
tung zu, ald die, daß Otto alte Gegner feines Haufes, die er bei der in 
Deutichland herrſchenden Unzufriedenheit mit Gewalt niederhalten zu fünnen 
verzweifelte, durd Wohlthaten gewinnen wollte. Sturz dieſelben Triebfedem 
wirften bier, die ihm in Stalien bewogen, chrmaligen Anhängern Des Könige 
Berngar Lehen zu gewähren. Der neue Herzog von Baiern, verkürzt Haile 
genannt, wohnte”) bereits alö elcher dem Veroneſer Reichstag vom Juni 983 an. 

Endlich ergriff Otto II. um tie nämliche Zeit eine Maßregel von größter 
Tragweite, die nicht ſowohl zu Gunften dieſes oder jenes der neuen italifchen 
Günftlinge, ſondern zum Vortheil des ganzen italifchen Herrenſtandes berechnet 
war. Da Deutſche hiebei mitwirken mußten, iſt es nöthig, daß wir unſem 
Blick zumächft über die Alpen wenden. Der Merſeburger Chroniſt berichtet:*) 


— — — — — nn 


1) Bibliotheca sebusian. Centur. II, Nr. 10. ?) Die Beweife bei Stälin, wirtemb. 
Geſch. I, 463 fig. ) Ebenfo &frörer, Kirch. Geſch. III, 1369 fig. 1409. 3.1, 
©. 372 fly. ®) Berk, leg. II, a. ©. 36 oben: Ezilo dux Bojoariorum. °% Ge 
Il, 766 unten. 





. 


Siebtes Buch. Cap. 31. Otto's II Ausgang. Alte Anhänger Berngars fommen wieber auf. 509 


„auf die Nachricht von der ſchweren Niederlage, weldhe ver Kaiſer in Cala⸗ 
brien erlitten hatte, traten die Kürften des deutſchen Reichs zufammen und 
entwarfen gemeinfchaftlih eine Zufchrift an ihn, in welder fie ihn um bie 
Gnade baten, ihm aufwarten au dürfen. Danfbar nahm Otto II. den Ans 
trag auf und berief (für den Sommer 983) cinen Reichstag nad der Stadt 
Berona.” Thietmar fchlägt fihtlid einen höfiſchen Ton an. Ach glaube gerne, 
daß Germaniend Stände den Reichdtag verlangt haben, aber nicht, um dem 
mißleiteten Kaiſer und feiner Gemahlin, der Griechin Theophano, zu ſchmei⸗ 
cheln, fondern im Segentheil um wohlbegründete Vorftellungen zu maden oder 
um zu warnen. 

Zur feftgefegten Frift — Anfangs Juni — fanden fid die Berufenen 
an dem angewiejenen Orte ein, doch nicht bloß deutfche, ſondern auch fremde 
Herren: „Sachſen, Schwaben,') Lotha:ingier, Balern, Italiener und andere 
an Tracht und Zunge verfchietene Fürften.” Inter den Anvern, glaube ich, 
fann man nur Häuptlinge der unterthänigen Slaven aus Böhmen, Dalemins 
jien und den nordöftlihen Marfen verftchen. ine Urkunde,) die während 
des Veroneſer Reichstags entworfen wurde, zählt neben vielen ungenannten 
als Anweſende namentlich auf: ven Kaiſer, feine Mutter Adelheid, die Kai⸗ 
jerin Theophano, die Erzbifchöfe MWilligis von Mainz, Gifelher von Magdeburg, 
Edbert von Trier, die Bilchöfe Peter von Pavia, Theoderid von Mep, Peter 
von Como, Albinus von Briren, den Herzog Hezil von Baiern, den Grafen 
Otto Wilhelm. 

Die erfte Aufgabe der Verfammlung war die Erwählung eines Thron» 
folgers, denn im alten deutfchen Reiche gab es befanntlich feine Erblichfeit der 
Krone, jondern die fünftigen Könige oder Kaiſer wurden, und zwar regel 
mäßig aus dem Yamilienfreife des herrſchenden Haufes, durch bie geiftlichen 
und weltlihen Fürften gewählt. Kaifer Dtto II. zählte damals blos 28, fein 
einziger gleihnamiger Sohn, Dtto IIT., den Theophano 980 geboren hatte,”) 
zählte erft drei Jahre. Warum eilte der Kaiſer jo fehr, die Erbfolge zu re- 
gen? Zwei Gründe der Erflärung bieten fih dar: entweder ſchwebte ihm die 
Ahnung vor, daß er felbft nicht lange mehr zu leben habe, oder fah er bie 
Empörung, die wirklich kurz darauf zum Ausbruche gedieh, vorher und wollte 
den Ichlimmften Folgen derſelben durh Erhebung des Sohnes vorbeugen. 

Wirflih wurde der dreijährige Knabe dem Wunſche des Waters gemäß 
auf dem Reihötage gewählt. Aber von wem? Thietmar und der fächfifche 
Annalift fagen*) Übereinftimmend „von Allen”, was nur den Einn haben kann, 
daß fämmtlihe zu Verona amvefende Fürſten, alfo Deutſche, Staliener und 
Slaven, ihre Stimme abgaben. Wie? nachdem das Reid germanifcher Nation 

*) Perg VI, 630. Der Annalif, ein geborner Sachſe, reiht feine Stammgenoflen ale 


die erſten, räumt aber den Echwaben tie zweite Stelle ein. 2) Perg, leg. II, a. ©. 36, 
®) Berg I, 98, ) Perk II, 767 oben und VI, 630, 


[4 


510 Pabſt Gregorius VII. unt fein Zeitalter. 


mit deutihem Blute und deutſchen Echägen gegründet und über mehrere um 
liegende Länder ſiegreich audgebreitet worden, jollten Fremdlinge, bloße Unter 
tbanen der Krone, nicht vollgeborne Juſaſſen, dad Recht ausüben bei der Wahl 
von Oberhäuptern mitzuwirfen, denen die Herrihaft über das eingeborne be⸗ 
vorzugte Volk zuftand. Konnte unjeren Vaͤtern ein größerer Schimpf zuge 
fügt werden! Noch fchlimmere Dinge hatte ihnen die Griechin zugedacht. 

Thietmar fährt‘) fort: „die Erzbiichöfe Johann von Ravenna und Wil 
ligis von Mainz geleiteten den (zu Berona) gewählten Knaben, Otto II. 
nah Aachen und falbten ihn dort an Weihnachten 983 zum Könige." Seit 
ein deutfches Reich beftand, ift die Befugniß, unſere Könige zu Erönen, mr 
von den Mainzer Metropoliten, zuweilen aud von den Gölnern ausgeübt 
worden. Und jetzt darf ed ein Welſcher fih herausnehmen, bei dieſer feier 
lichen Handlung, welde die Majeftät der deutſchen Nation bedingt, Hand 
mit anzulegen! Dod nicht bloß geholfen hat dabei der Ravennate, nein, er 
hat die erfte Rolle geipielt. Drei deutſche Chroniften, worunter zwei Zeitges 
nofien, der dritte der beſte Gefchichtichreiber des Altern Germaniens — die 
Mönche von Hildesheim und Quedlinburg und Lambert von Hersfeld — 
jagen?) aus, daß nicht der Mainzer Willigis, fondern der Ravennate Johann 
e8 war, ber dem jungen Könige die Salbung ertheilte. 

Beide Handlungen, die Erwählung des Thronfolgerd durch alle Anwe: 
fenden und die Salbung durch den Ravennaten Johann, verrathen unverfenn, 
bar Hintergedanfen. Jene beweist, daß Otto oder vielmehr feine Gemahlin, 
die Kaiſerin Theophano, Italien und Deutichland zu einem gleidhartigen Ganzen 
verfchmelzen; der zweite Aft deutet darauf hin, daß eben dieſelbe Griechin ber 
ttalienifhen Hälfte den Vorzug geben, d. h. den Sitz des Reichs nah Ra 
venna, der ehemaligen Hauptitadt des Erarchats, wie der alten Gothenkönige, 
Theodorichs und feiner Nachfolger, verlegen wollte. Was Dtto III. feit 999 
verjuchte, ift fchon von feiner Mutter 983 angebahnt worden. 

Haben mun die deutihen Fürſten zu Verona foldhen hochverderblichen 
Planen feinen Wiverftand entgegengejegt? Diefe Frage fann darum nidt 
beantwortet werben, weil Alles, was wir über die dortigen Verhandlungen 
wifjen, ſich auf einige Zeilen befchränft. Durch Staatöflugheit oder Schaum 
find die damaligen Vorgänge in tiefes Dunkel gehüllt worden. Thietmar, 
der drei Jahrzehnte fpäter jchrieb, ftellt die Sade jo dar, ald hätten Johann 
von Ravenna und MWilligis die Salbung gemeinfchaftlih vorgenommen, wäh 
send der Mainzer höchſtens mitgegangen fein fann, um den Schein zu retten. 
Nur die beiden Zeitgenofien von Hildesheim und Quedlinburg fagen bezüglid 
des Akts zu Aachen die volle Wahrheit. Gewiß aber ift, daß, wenn and 
die nah Verona Berufenen ftille gefchwiegen haben, oder vielleicht durch bie 


— 


) Perg III, 767, Mitte. Did. ©. 64 u. 65 unten. 





Siebtes Buch. Gap. 31. Otto's II. Ausgang. Alte Anhänger Berngars fommen wieder auf. 511 


anweſenden Staliener überftiimmt worben find, Andere, die nicht zu Verona 
tagten, den Schimpf, der unferer Nation widerfahren war, empfanven. Diele 
geiſtliche und weltlihe Fürften Germaniens haben auf Das, was zu Verona 
und Aachen geihah, — wie wir fogleich jehen werben — mit einer gefährs 
lihen Empörung geantwortet. 

Außer der Wahl des Racfolgers kam auf dem Reichsſtage von Verona 
noch eine zweite, Venedig betreffende, Frage zur Verhandlung, eine Frage, 
welche zeigt, daß ſchon im zehnten Jahrhundert venetianifhe Staatsweisheit 
Handel und Gewerbe aus demjelben Geſichtspunkte auffaßte, wie es feit dem 
ſechszehnten Jahrhunderte Holländer und Engländer, feit Abſchluß des deutichen 
Zollvereind felbft die Großbeamten Heiner Staaten thun. Indeſſen da Vene⸗ 
dig zur Zeit der Ottonen bereits eine fo hervorragende Stellung einnahm, 
daß die Geſchichte dieſes Gemeinweſens nicht als bloßes Anhängfel des Kir- 
chenftaats behandelt werden fanı, muß die damalige Verwicklung einer bes 
ſondern Geſchichte der Lagunenſtadt vorbehalten bleiben. Hier nur fo viel: 
Theophano und ihr Gemahl hatten ea verfucht, venetiantiher Unabhängigkeit 
mittelſt griechiicher Künfte Ballen zu bereiten, aber die dortigen Häupter, weit 
flüger als beide, durchriffen mit leichter Mühe das gefchlirgte Rep. 

Die dritte Aufgabe des DVeronefer Reichstags war, dem Kaiſer Mittel 
zur Fortſetzung des Kampfs in Balabrien herzufchaffen. Ein glaubwürbiger 
Zeuge meldet:') „Otto IT. wollte zu Verona Soldaten aufbringen, damit er 
den von den Saracenen erlittenen Verluft ausmerzen könne.” Allem Anſcheine 
nach erreichte der Kaiſer dieſen Zwed nicht. Thietmar jchreibt:”) „nachdem 
die Verhandlungen zu Verona nur etliche wenige Tage gedauert hatten, kehrten 
die deutfchen Fürften in die Heimath zurüd.” Nach meinem Gefühle deutet 
bieß darauf hin, daß fie von den Vorgängen zu Verona fchlecht erbaut waren. 

Hätten fie auch guten Willen gehabt, dem Kaifer beizuftehen, jo würden 
fie doch nit im Stande geweſen fein, folhes zu vollbringen, weil theild die 
Empörung des abgefehten Baierherzogs Heinrich, theild der allgemeine Aufs 
ruhr längs der Stavengränge, der furz darauf in Folge der von Otto begans 
genen Mißgriffe losbrach, alle verfügbaren Etreitfräfte für den Dienſt bed 
Reiches in Anfpruch nahm. Eben fo wenig als die Deutfchen halfen Italiens 
Zehenträger, auf deren Mitwirkung doch Otto IL vorzugsweiſe rechnete. 
Leptere fügten überdieß, wie unten gezeigt werben foll, der Gleichgültigkeit 
Hohn bei. 

Roh muß ich bemerken, daß auf dem Reichstage zu Berona die amts 
fihe Laufbahn des Gehen Woytech — nad feinem deutfchen Namen Adals 
bert — begann, der dem Kreife ausgezeichneter Clerifer, welche für Kirchliche 
Unabhängigkeit der von den Dttonen unterjochten oder mit Unterfochung ber 


9 Bes IV, 584, Bitte. 2) Derp II, 767 oben. 


512 Baht Sregorius VII. und fein Seitalter. 


drohten Nationen auf unferer Oftgränze arbeiteten, ein glänzendes Berbih 
gab. Hierüber das Nöthige an einem andern Orte. 

Einer hat dort zu Berona mit dem deutſchen Kaifer aufrichtig geiproden 
hat ihn gewarnt, faft fo wie Echupgeifter warnen. — Diefer eine war Kt 
Oberabt von Elugnn, Majolus. Der ältefte Biograph deſſelben berictet:') 
„Abt Mafolus ergriff zu Verona beide Hände des Kaifer und ſprach, ihn 
bewegt anfchauend, die Worte: wenn du dem Rathe ded Bruders Majotet 
folgen willſt, fo wirft du fofort dahin zurüdtchren, von wo du gefomme 
bit (nach Deutſchland). Denn fet verfihert, daß Du, dafern du nah Rom 
geheſt, wohin du gehen willft, dein heimathliched Reich nicht mehr fchauen, 
fondern zu Rom ein Grab finden wirft.” Abermal eine der wenigen Stellen 
mittelalterliher Quellen, weldhe den Zufammenhang der Dinge klar aufpeden. 
Otto IL horchte nicht auf die Stimme des Abts, fondern ließ ſich von ta 
Griechin leiten, welche ihn jetzt wie früher antrich, die römiſche Kirche unter dem 
Joch zu halten und zu dem deutfchen Reiche hin den byzantinifchen Oſten zu erobern. 

Nächſt der Griechin waren es die einheimiihen Großen Italiens, welde 
In jener verhängnißvollen Zeit den deutſchen Kaifer umgarnten, denn zu ihren 
Gunſten find die eben befchricbenen Afte berechnet. Und weldhen Dank haben 
fie dem Unglücklichen abgeftattet! Gerbert, der nadhmalige Pabft Sylvefter IL, 
welcher damald in Stalien Ichte und als Geſchenk Dtto’d II. die wichtige 
Abtei Bobbio, Columbans Stift, inne hatte, fehreibt?) 983 an auswärtige 
Freunde: „o Eitten, o Zeiten, in welchem Lande lebe ih! Diefe Füchſe (Ita⸗ 
liend Große) ſchmeicheln mit dem Munde und mit dem Schwanze meinen 
Herrn, dem Kaiſer Otto I. Sie follen entweder den Palaſt verlaffen, oder 
ihre Lehenleute züchtigen, welche die Befehle des Kaiſers verachten, feinen 
Sendboten Nacftellungen bereiten und ihn felbft) einen „Ejel® ſchelten“ 
Die Pfalzen, wo der Kaifer weilte, waren, wie man fieht, voll von Ränfe 
Ihmicden, weldhe die Schwächen des Herrſchers ausbeuteten, aber für feinen 
Dienft rührten fie feinen Finger, im Gegentheil, wenn des Kaifers Boten 
famen, um Soldaten aufzumahnen, drohte ihnen Gift und Dolch. 

Abermal heißt c8 in einem zweiten Echreiben?) Gerbertd: „die italien. 
ſchen Schurken erfrehen ſich, den allerfürtrefflichften Kaifer einen ‚Eiel‘ zu 
nennen.” Mit Waffengewalt hatte Otto's II. gleichnamiger Vater Italien 
unterjoht. Ein auf folbe Weile gewonnenes Land kann nur mit gleicen 
Mitteln behauptet werben. Anders dachte Otto. Er brad mit den deutſchen 
Ständen, die zwar erbittert waren über fein verfehrted Verfahren, aber tod 
ein Intereffe mit ihm theilten und ihm wohlwollten, er brach, fage ih, mit 
biefen und warf ſich den Wälfchen in die Arme. Letztere lachten in die Fauſt, 
fanden die Phantaften des Herrn dumm, und ich fürchte, man fanıı die Rich 
tigfeit ihrer Anſicht faum widerlegen. 


) Perg IV, 655, b. Mitte. 2) Gfroͤrer, 8. G. 1,1406. ?) Qui ipsum asino coaequant. 





Siebtes Bud. Cap. 31. Otto's II. Ausgang. Alte Anhänger Berngars fommen wieder auf. 513 


Kaiſer Dtto IT. blieb urkundlich) bis zum 17. Juni 983 zu Derona, 
ſchickte) von da feine Mutter Adelheid — wie es fcheint, als Statthalterin 
des obern Italiens — nad der Königsſtadt Pavia, er felbft ging mit feiner 
Gemahlin nab dem Süden, zunähft über Mantua nah Ravenna.) Den 
24. Auguft findet man ihn urfundlih*) am Fluß Trigno, der In der heutigen 
Provinz Abruzzo citerlore des Königreich® Neapel dem adriatifchen Meere zus 
Arömt. Am 27. deffelben Monats ftellte er eine Urfunde*) unweit der Etabt 
Larino aus, die fühfih von Trigno am heutigen Kortore, dem Frento der 
alten Römer liegt. Darf man der Chronif von Gafaurea trauen, fo iſt er 
bamals 618 nach Barl®) Hinuntergegogen. Der Zweck diefer Reife kann faum 
ein anderer gewelen fein, als die Vertheinigungsanftalten in dem Grenzgebiete 
zu überwachen und die nahe Fortfegung des Kampfd wider die Griechen vors 
zubereiten. 

Im Spätherbfte wandte Dtto IT nah Rom um, vermuthlid auf bie 
Nachricht Hin, daß Pabſt Benedikt VIT. geftorben fe. Das zuverläſſigſte und 
äftefte Verzeichniß gibt®) dem Tusculaner ein Bontificat von 9 Jahren 5 Tagen. 
Da er im October 974 geweiht warb, folgt, daß fein Tod in den gleichen 
Monat ded Jahres 983 Fällt. Ausdrücklich berichtet”) der fächfifche Annafift, 
nach einer unbefannten aber unzweifelhaft quten Duelle, daß Kaiſer Dtto IL. 
ben Nachfolger Benedikts VII. eingefeht hat. Er wählte dießmal fein Mit- 
glied der größeren römiſchen Familien, fondern einen Fremdling. Der Erhos 
bene hieß Peter, war bis dahin Bifchof in Parma geweien,®) und hatte früher 
dem Kaiſer als Kanzler und Erzkanzler in Italien gedient.) Man fteht: 
Otto wollte auf Petri Stuhl einen Mann haben, der ausschließlich von ihm 
abhing. Darım ift begreiflich, Daß der neue Pabſt — er nahm den Namen 
Johann XIV. an — mit dem NAugenblide verloren war, da die Falferliche 
Stüße von feiner Seite wid. 

Die einzige auf uns gefommene Bulle!) Johanns XIV. fft unter dem 
6. Dezember 983 ausgefertigt. Tags darauf flarb Kaiſer Otto II. unver 
muthet zu Rom weg. Der Franzoſe Rider, welcher gerne mit feinen medi⸗ 
cinifchen Kenntnifien prunft, behauptet, '*) in Kolge des Genuſſes unverbaulicher 
Speifen erfranft, habe Otto Arzneien in übermäßiger Gabe genommen, und ſei 
nach wenigen Tagen an Durchfall verſchieden. Haben ihm etwa die Crescentier, 
welche den nächſten Bortheil aus feinem Tode zogen, Gift beigebradt, ober 
nagte ihm Gram über die Lage, In die er gerathen, den Nero des Lebens ab? 

Ueber Dtto’8 II. Ende berichtet?) der Merfeburger Bilchof Folgendes: 


) Böhmer, reg. Nr. 605—615. 9) Berk III, 767 oben. ı) Böhmer a. a. O. 
Ar. 818621. *%) Gieſebrecht, deutfche Kalfer I, 790. °%) Muratori, script. ital. 
II, b. &. 838. %) Eccard, oorp. histor. med. aeri IL, 1640. 7) Berk VI, 630. 
%) Berk V, 117. N) Jahrbücher des beutfchen Reihe IL, a. ©. 1185. “0, Jaffé 
Mr. 2925. 1) Merk TIT, 627 unten 7) Ibid. III, 767, ' 
Gfröoͤrer, Pabſt Gregerine vu. Bp v. X 


514 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalier. 


„auf dem Tobdtenbette verfügte der deutſche Kaiſer über feine fahrende Habe, 
die er In vier Theile theilte, den einen für die Kirche, den andern für feine 
Schmefter Mathilde, damalige NAbtiffin in Quedlinburg, den dritten für bie 
Armen, den vierten für die Soldaten beftimmend, die ihm bis zum Tode treu 
gedient hatten. Dann beichtete er in Iateinifcher Sprade dem Pabſte feine 


Emden, empfing die Losfprehung fammt den Tröftungen der Religion und 
ftarb den 7. Dezember.“ 


Achnliches erzählt‘) ein füngerer Zeuge, der manche nicht mehr vorbar- 
dene Quellen benübte, weicht aber darin von Thietmar ab, daß er als Em 
pfängerin des dritten Theils, neben der Schwefter Mathilde, die Mutter Adel⸗ 
heid nennt. Beide deuten flillfchweigend an, daß Dtto’8 Gemahlin The» 
phano, welche fi in der Umgebung des Sterbenden befand, mit Feiner Liebes⸗ 
gabe bedacht ward, fondern Teer ausging. Im letzten Augenblide fcheinen 


dem Kaiſer die Augen über den nachtheiligen Einfluß der Griechin aufgegan- 
gen zu fein. 


Bweinnddreißigſtes Capitel. 


Da nah Otto's DI. Tode der Thronfolger ein unmündiges Kind war, mußte eine Regent 
ſchaft eingefeßt werden. Gin natürliches Recht. an berfelben Theil au uchmen, hatten 
erfilich die verwittwete Kaiferin Theophano — aber ihr Charakter Aößte gerechtes Riß⸗ 
trauen ein; zweitens der Herzog Heinrich IL von Baiern als nächfler Verwandter von 
der Echwertfeite — aber er war ein Verſchwörer und überbieß Gtaatögefangener. 
Diefer nemliche Heinrich IT. reißt obne Weiteres tie Staatsgewalt an fi und bemäch⸗ 
fiat fih des Knaben Dtto TII. Diele Große aus dem Raienflande wie aus bem hoben 
Glerus ergreifen Parthei für ihn. Zu gleicher Zeit mit Heinrih I. verlangt König 
Lothar yon Frankreich, der vorletzte Barlinger, als durch feine Mutter mit dem fäd- 
ſiſchen Haufe verwandt, Antheil an ber Vormundſchaft. Bald verftländigen ſich Hein 
ri) II. und Lothar genenfeitig. Lothar entreifit dem deutſchen Reiche Lothringen. Im 
biefer ſchweren Gefahr rettet Erzbiſchof Milligie von Mainz den fintenden Etaat. Ok 
erfennt Theophano als PVormünderin an, feßt ihr aber, um fie am Boͤſen zu Kindern, 
bie Kaiferin Großmutter Adelheid und die Echwefler des verftorbenen Otto II., Abtiſſin 
Mathilde von Quedlinburg, zur Seite. Willigis beſiegt ben Herzog Heinrich II. und 
zwingt ihn, den Knaben Otto TIT. frei zu geben. Den teutfchen Rampf gegen Lofbar 
von Nenftrien leitet Erzbifchof Aralbero von Rheims, aus dem Verduner Grafenhauſe, 
welchem der Münch Gerbert beigegeben wird. Anfänge dieſes Manned. Rheims, ob: 
glei dem Namen nach neuſtriſch, ein geiftliches Fürſtenthum unter fächfiichdem Gchne. 
Don dort aus fucht Theophano, nadıdem ihr Sohn Otto III. gerettet worden, bie frau⸗ 
zöftfchen Garlinger zu verberben, zerfällt aber darüber mit Adelheid. Lothar und Ludwig 
der letzte Garlinger fterben fchnell weg. Hugo Sapet wird König. Erzbiſchof Arnulf 
von Rheims. Dezember 983 bis Sommer 988. 


Theophano blieb, ihrer Vorausſetzung nah als Reichsverweſerin im 
Namen des Sohnes, zu Rom,?) bi8 fehr ernfte Ereigniſſe fie nach Deutſch⸗ 


9 Gfrorer, Kirch. Geſch. III, 1414 flg. ) Man vergl. Perg III, 767 unten und 
ben Brief Gerbertd ad dominam Imizam bei Bouquet IX, 279 unten, 


Siebtes Bud. Gap. 32. Dtto'SITL Unmündigkeit, Willigis rettet d. Reich. Berbertö Anfänge. 51% 


land riefen. Kaum hatte Metropolit Johann von Ravenna mit dem Mainzer 
Willigis an Weihnachten 983 den unmündigen Thronfolger zu Aachen ger 
frönt, als dafelbft die Nachricht vom Ableben Otto's II. eintraf. Somit 
mußte eine Frage von hoher Bereutung entfchiepen werben, nämlich wer die 
Bormundihaft des Föniglihen Knaben übernehmen ſolle. Rad den herrichen, 
den Begriffen über das Recht der Verwandten Eonnte die Mutter faum von 
diefer Würde andgefchloffen werden. Allein gerechte Sorge für das Wohl 
des deutfchen Reiches empfahl im Angeſicht der Erfahrungen, weldie während 
der Testen Jahre gemadt worden, ein anderes Verfahren. Kaum gab e6 
unter den deutſchen Großen einen oder den andern, ber ſich freiwillig dazu 
verftanden hätte, der Verderberin des verftorbenen Kaiferd den jungen König 
und fomit die höchfte Gewalt anzuvertrauen. 

Nächſt Theophano war der zweitberechtigte Angehörige des Eaiferlichen 
Haufes Herzog Heinrih von Balern, ein Brudersfohn Otto's J. und Enfel 
des Könige Heinrichs L von Deutichland. Aber diefer Herzog Heinrich hatte 
Durch wiederholte Empörungen die Strafe des Hochverraths auf ſich geladen, 
und befand fi damald als Staatögefangener in Haft zu Utredt.) Wenn 
man ihn zum Vormünder einjepte, drohte Gefahr, daß er den Münbling, 
flatt ihn zu erziehen, in die Grube flürze, fich felbft der Regierung bemäd)s 
tige, und weiter, daß dann andere ehrgeizige Großbeamte, das von Herzog 
Heinrich gegebene Beifpiel nahahmend, ungefcheut zugreifen und Germanien 
wie ein berrenlofes Gut zerreißen. Kurz die Einheit des Reihe ftand im 
voraudgefepten Balle auf dem Spiele. | 

Herzog Heinrih wartete niht ab, bis Die, welche gejepmäßig befugt 
waren, fein Recht auf die Bormundfhaft zu prüfen, darüber erfannten: er 
fam eigenmäcdhtig zuvor. Der mit Bewadhung des Herzogs beauftragte Ut⸗ 
rechter Biſchof Folkmar, welcher den genannten Stuhl von 977 bis 990 
einnahm, führte gleih andern Follmaren aud den Namen Poppo, welder 
eine häufig übliche Verkürzung des erfteren war.) Eben diefer Follmar — 
Ehronift Thiefmar nennt ihn Poppo, was neuere Schriftfteller, die ben 
fraglihen Gebrauch nicht fannten, zu grundlofen Bermuthungen verleitete — 
gab feinen Gefangenen frei und eilte mit ihm nad @öln, wo der unmündige 
König ſeit der Krönung verweilte.) Marin, Metropolit von Cöln, machte 
ed wie Poppo-Follmar: er trat zur Parthei Heinrichs über, und lieferte das 
föniglihe Kind in des Herzogd Hände. Dem Borgange der beiden Kirchen, 
häupter folgten fofort viele andere geiftlihe und weltliche Fürften, namentlih - 
Metropolit Gtfelher von Magdeburg und Biſchof Theoderih von Mep, beide 
Iegtere ald Berräther an dem Haufe Otto's IL, das fie geholfen hatten Ins 


9) Gfrörer, Kirch. Gefch. II, 1371. 1417. 3) Den Beweis bei Peru IV, 273 fig. 
and 350, Note 21. 2) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Gefch. TIL, 1417 unten (le. 
33° 


116 " ab Gregorius VIL uab fein Zeitalter. 


Ungfüd bineinzuführen, und nun in ver Stunde der Roth preisgaben; ſodam 
Metropolit Egbert von Trier, fpäter die große Mehrzahl der Biſchöfe Sachſent 
und Balerne. ‘) 

Bon hohen Beiftliben und zwar von folden, deren Sprengel am Nie 
berrbeine Tagen und die Kaiſerſtadt Aachen umfreiöten, ift, wie man flieht, ber 
Abfall ausgegangen. Kaum läßt fich bezweifeln, daß die neulichen Vorgänge 
au Macken und die ungerechte Bevorzugung ded Ravennaten Johann, die in 
der That dad Gefühl jedes deutſchen Biſchofs Fränfen mußte, und namentlid 
die Ehre des Gölner Erzftuhle und feiner Euffragane verleßte, die zwei 
Erftgenannten zu jener politiſch verdammlichen That Hingerifien haben. Mit 
dem Magdeburger Gifelher und dem Metzer Theoterid freilich mochte es ſid 
anders verhalten. Haß Taftete auf ihnen und fie berechneten allem Anfcheine 
nach, daß fie verloren feien, wenn fie nicht den geſetzmäßigen Erben, ben fic 
verloren glaubten, verließen, und durch Berrath die Gnade des neuen Gebie⸗ 
serö erfauften. 

Die bairiſchen Biſchöfe find vielleiht darım übergegangen, weil das 
Haus Heinrichs I., welcher der Bruder Otto's I. und Bater des damaligen 
Anmaßerd war, dur lange Herrſchaft weit verzweigten Anhang in dortigen 
Bauen gewonnen hatte. Höcft auffallenn aber ift, daß auch die Kirchen⸗ 
häupter des fächfiichen Stammlandes der Ottonen zu dem Empörer bielten. 
Laut Thietmars Geftändnifien,‘) dem doch daran liegen mußte, wenn irgend 
möglich, feine Standesgenoffen weiß au walchen, haben Ipäter, als der Retter 
Germaniens, Erzbifchof Willigie von Mainz, fein Banner aufpflanzte, nur 
Laien, feine Geiftliche in Sachſen das qute Recht des Kindes vertheidigt. 

Das Vorangehen des Magteburger Giſelher — der, mochte fein Cha— 
rafter noch fo begründetem Tadel unterlicaen, vermöge feined Amtes großen 
Einfluß im Elbeland befaß, genügt nicht, um die Allgemeinheit des Abfalle 
zu erflären. Ich glaube, man iſt berechtigt, anzunehmen, daß Sadfens Bir 
ſchöfe hauptiächlih deßhalb zu Heinrich hielten, weit fie als Injaßen der Ge⸗ 
genden, wo der Fallerlihe Hof Otto's II. am häufigften weilte, überreichlide 
Gelegenheit erhielten, die Verberblichfeit des Einfluffes, den Theophano übte, 
fennen zu lernen, und deßhalb ihre Vormundſchaft gänzlich befeirigt wiſſen 
wollten, was allerdings nur durch Erhebung des bairiſchen Herzogs bewerk⸗ 
ftelligt werden mochte. Im Webrigen muß man wilfen, daß Heinrich felbft 
Ihöne Worte nicht fparte. Wiederholt verficherte?) er, daß er die Vormund⸗ 
fhaft nur zum Mohle des Mündeld verwalten werde. Um Das, was ber 
Zorn rieth, und anderer Seits die Pflicht gebot, in Einklang zu bringen, 
fteliten fih Sachſens Biſchöfe, als ob fie der Aufrichtigkeit folder Verſicherun⸗ 
gen Glauben fchenften, und machten nebenbei den Vorbehalt, Heinrib möge 


— N Berg Ul, 708. 769. ®) Werk III, 66, b. oben. 


Siebtes Buch. Kap. 32. Dtto’STIT. Unmünbfgfeit. Willigis reitet d. Meich. Gerberts Anfänge. 517 


dafür forgen, daß jie ihres dem jungen Könige geichworenen Eides entlaftet 
würden!) 

Bei diefem Stande der Dinge drohte die Empörung des Baiers für 
fih allein das Reich aus einander zu jprengen. Aber noch höher ſchwoll die 
Gefahr durch Einmiſchung eines mädtigen Nachbars, des Königs Lothar von 
Frankreich. Würen nicht die meiften Herrſcher im Mittelalter wie heute noch 
ſtets bereit, auch ohne gegründeten Anlaß Berlegenheiten fremder Staaten für 
den eigenen Bortheil auszubeuten, jo fönnte man jagen, daß frühere Mifie- 
thaten des jächfiihen Hauſes dem Neuftrier ein gewiffes Recht verliehen, zur 
geeigneten Stunde Gleiches mit Gleichem zu vergelten. 

Seit feiner Erhebung auf den fünigliden Thron Germaniens hat Dtto L 
unverfennbar darauf hingeftrebt, das carolingijche Weltreih berzuftellen. Zu 
diefem Behufe umgarnte er, wie das in Burgund herrſchende Haus, fo die 
Krone Neufter, welche damals die letzten Garolinger trugen. Unter dem 
Scheine der Freundſchaft vermählte er den König Ludwig den Veberfeeifchen 
mit feiner Schwefter Gerberga, gewann dadurch Gelegenheit, feine Hände 
in die innern Angelegenheiten des Nachbarlandes zu milden, und zog die 
wichtigften franzöfiihen Rechtöfragen vor deutſche Eynoben. ?) 

Wie der Vater verfuhr der Eohn Dtto IL gegen den Erben Ludwigs 
des Ueberfeeiichen, Lothar den vorlegten Carolinger Neuftriens. Diefer Lothar 
hatte einen jüngeren Bruder Carl, der, wie es häufig bei untergehenden Ge⸗ 
ſchlechtern geſchieht, maßlojer Selbſtſucht fröhnend, den wider daß eigene Haus 
gerichteten Planen theils einheimijcher Empörer, theild fremder Yürften willig 
fih zum Werkzeuge hingab.“) Ebendemfelben hatte Dito IL 977 das Herzog» 
thum Lothringen unter Beringungen verliehen, über welche ſich fpäter Bart ſelbſt 
in einem an den Meper Biſchof Theoderich (der dad Bermittleramt in vieler 
mehr als zweideutigen Sache übernahm) gerichteten Schreiben*) aljo äußerte: „du 
haft mich verleitet, gegen meinen königlichen Bruder Lothar das Schwert zu ziehen, 
damit unfer Haus, durch Innerlihe Zwietradht aufgerieben, zu Grunde gehe.“ 

Reben folhen Mitteln weltlicher Politik jegten Dtto I. und II. kirchliche 
Hebel zum Berberben des franzöfiihen Königftamms in Bewegung. Rheims 
war befanntlich der erfte Stuhl Neuftriens, und nur wenn der dortige Erz; 
biſchof Hand in Hand mit der Krone gieng, fonnte leztere beſtehen. Allein 
es gelang den Öttonen, diejed Rheims durh eine lange Reihe von Jahren 
dem Rachbarreiche zu entfremden und in einen Fallſtrick für Neuftrien zu vers 
wandeln. Nachdem die franzöfiihe Metropole dur den Tod des Erzbiichofs 
Artold und die Entjegung feines Gegners Hugo erledigt worden, brachte 
Otto's L Bruder, Bruno, Metropolit von Cöln und Erzherzog am Niederrhein, 
9,9. ©. 768. Deutlich verräth hier Tietmar, daß er Bilchäfe im Auge hat, ob» 


gleich er fi hütet, dieß offen einzugeftchen. 2) Sftörer, Kirch. Geſch. TIL, 1L1O Ag. 
2) Daf. ©. 1383 flg. %) Bonquet IX, 281, Mitte, 


518 Vabſt Gregorins VIL und fein Seltalter. 


zu Wege, daß ein Elerifer, den er empfahl, und der von ihm abhieng, Rament 
Odalrich, den Stuhl des heil. Rhemigius befteigen durfte.) Odalrich gieng 
969 mit Tod ab, zum Zweitenmale verfügte jept Otto L über Reuftriens 
Metropole. Auf fein Betreiben ward ein deuticher @lerifer, den die flärkften 
Bande an den fächfifchen Hof feflelten, zum Erzbifhof von Rheims erhoben:’) 
nämlih Adalbero aus dem Haufe der Etadtgrafen von Berdun,*) welches, 
ſchon früher einmal mit dem Herzogthum Brabant betraut, dieſes Großlehen 
fpäter wieder erhielt und mehrere Menfchenalter behauptete. Sowohl Adalbero, 
als jein Bruder Godfried ergriefen in dem frangöfifchsdeutfchen Krieg von 
978 offen Parthei für die Dttonen. 

Kann man fih unter folden Umftänden wundern, daß König Lothar 
auf die Kunde von Otto's Il. Ableben den Entichluß faßte, fo viel Vorteil 
als möglich) aus der Hilflofigfeit des unmündigen Thronerben zu ziehen! Wie 
einer der nächſten Anverwandten ſprach“) er die Vormundſchaft über das 
Kind an, und hiezu hatte er allerdings einen Ecein von Redt, denn Lothare 
Mutter Gerberga war eine leiblibe Echwefter Otto's L, folgli eine Groß⸗ 
tante des unmündigen Enfeld gewejen. Aber fein Menſch täufchte ſich darüber, 
daß der Neuftrier die Obhut nicht darum verlangte, um den Mündel zu retten, 
fondern um ihn zu berauben oder gar zu verderben. 

Don zwei verjchiedenen Seiten, durch ven mächtigſten einheimifchen Großen 
und dur einen fremden König bedroht, jchien das ſächſiſche Haus und mit 
ihm Macht und Einheit Germaniens verloren. Unter den hohen Lehenträgern 
aus dem Laienftande zeigten anfange nur Zwei Bereitwilligfeit, den Eingriffen 
der beiden Anmaßer entgegenzutreten: die erft 983 eingejegten Herzoge Conrad 
von Schwaben und der Arnulfinger Heinrih von Baiern zur Unterjcheidung 
von dem andern Heinrich der jüngere genannt, jedoch der eine wie der andere 
porausjichtlih nur aus eigennügigen Triebfevern. Denn da Heinrich der ältere, 
des unmündigen Otto Stammeßvetter, vor feiner Gefangennehmung das Herzog. 
thum Baiern wirflid bejeffen, nad dem ſchwäbiſchen aber geangelt hatte,°) 
mußten jowohl der Sraufe Conrad als der Arnulfide Heinrich befürdten, daß 
Sener, einmal zur höchſten Gewalt gelangt, Schwaben und Baiern an fid 
ziehen werde. Dieſe Beſorgniß bot aber keineswegs fichere Bürgichaft ihrer 
Treue für die Sache des Kindes, da es leicht gefchehen konnte, daß der aufge 
drungene Vormund durdy anderweitige Zugeftänpniffe, die er ihnen machte, 
die MWiderftrebenden gewinne Ein dritter Herzog, Bernhard von Sahſen, 
hielt, fo ſcheint es, Anfangs an fi, und ergriff erft im Frühling 984, vers 
muthli aus einem Anlaſſe, von dem unten die Rede fein wird, die Parthei 
HOtto's II. Die meiften Bifchöfe begünftigten, wie wir jahen, theild aus 


) Sfröver, Kirch. Geſch. III, 1215. *) Daf. ©. 1419. *) Eiche Br. I, ©. 63 fig. 
21 fig. *) Ofrörer a. a. O. ©. 1424. ) Daſ. ©. 1865 fig. 





lebtes Buch. Cap. 32. Otto’8 M. Unmündigkeit. Wiltigis rettet d. Neich Gerberts Anfänge. 519 


aß gegen Theophano, theild aus Schwäche, Heinrih den älteren, einige 
enige, die einen Anlauf nahmen, das Recht des Thronerben zu vertheidigen, 
ie Notfer von Lüttih, wanften‘) fpäter, gefchredt durd die Echwicrigfeiten, 
ie fih ihnen entgegenthürmten. 

Nur ein Großvaſalle Germaniens bewährte im entfcheidenden Augenblid 
nbeugjamen Muth: Erzbiſchof Wiligis von Mainz, eine Weisheit allein 
at das herrihende Haus und das Reich gerettet. Mochte die Griechin 
‚heophano in früherer Zeit noch fo große Fehler begangen haben, unter den 
bwaltenden Berhältniffen gab e8 nur einen Weg des Heild, der darin bes 
and, daß man das Recht der Mutter gegen die Anmaßungen des neuftriichen 
die des bairiihen Wetters behauptete. Den Nadıtheilen, die aus der vors 
nundſchaftlichen Gewalt der Griechin zu entftehen drohten, beugte der Scharf⸗ 
inn des Erzbiſchofs dapurd vor, daß er der Mutter Theophano die Groß⸗ 
autter Adelheid als gleichberechtigte Regentin zur Seite ſtellte. Da beide 
frauen während der Regierung Otto's II. faft immer in Hader mit cinander 
jelebt hatten, ließ ſich vorausſehen, daß der Etreit unverweilt wieder aus⸗ 
rechen werde, und wenn dieß geichah, konnte es nicht fehlen, daß die Ent; 
cheidung der großen Angelegenheiten des Reiche in die fähigften Hände, d. h. 
n die eigenen des Erzbiihofs, gerieth. Sicherlich iſt es Willigis geweſen, 
ver durchjegte, daß neben Theophano Apelheid und bald noch eine dritte 
Frau die Vormundſchaft übernahm. 

Die Dringlichkeit der Umftände nöthigte, mit einer Theilung der Arbeit 
zu beginnen: nicht zu gleicher Zeit konnte Willigis dem neuftriihen Könige 
nd dem Herzoge Heinrich die Spitze bieten. Der Erfolg zeigte, daß er den 
Kampf gegen Letzteren fich felber vorbehielt, die Leitung der überrheinifchen 
Angelegenheiten dagegen dem Rheimſer Metropoliten Adalbero übertrug, der, 
lei ein MWälichskothringer, aus den oben angeführten Gründen mit 
yem deutihen Thronerben ftand oder fiel. Zunähft wurden Maßregeln er 
jriffen, um Adalbero noch flärfer als bisher an die Sache des Kindes zu 
'efieln und feine MWiderftanpsfräfte zu mehren. Biſchof Wigfred von Verdun 
war 983 geftorben. Den erledigten Etuhl beftieg durch kaiſerliche Gunſt im 
Januar 984 ein gleihnamiger Neffe des Rheimſer Metropoliten, Adalbero, 
des Grafen Godfrieds Sohn.) Zu dreien konnte alſo dad Haupt ter 
deutſchen Parthei in Lothringen mit dem Bruder und dem Neffen den Wibers 
Rand gegen König Lothar eröffnen. 

Außerdem erhielt um dieſelbe Zeit der Rheimfer Erzbiichof einen überaus 
fähigen Gehülfen. Doc hat allem Anſcheine nicht Willigis letztern nad 
Rheims befördert. Wie unten gezeigt werben foll, find Belege vorhanden, 
paß der Fremdling, von dem die Rede ift, ehe er aus Italien nad Gallien 


') Jbid. ©. 1425. °) Did ©. 1419. 


520 VPabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. “_ 


abgieng, Unterhandlungen mit den beiden faijerlihden Frauen, mit Theophau 
und Adelheid, pflog und Berbaltungsvorichriften von ihnen empfieng. And 
bat Willigid in dem enticheidenden Jahre 984 nie unmittelbar mit dem 
Fremdling verkehrt, woraus meines Erachtens gejclojjen werden muß, daß a 
ein gewifjed Mißtrauen gegen denjelben hegte. Gleihwohl benügte Wiligis 
das hervorragende Talent des Ankömmlings, indem er ihm durch Vermittlung 
des Biſchofs Notker von Lüttich Befehle zujandte, und wohl auch Botſchaften 
von ihm annahın.‘) Wir müljen jet dieſen Dritten ind Auge fafjen. 

Gerbert ift in der jüdlihen Auvergne, unweit dem Klofter Yurillac, von 
unbefannten Eltern niedrigen Standed geboren worden.?) Ueber die Zeit, 
da er das Licht der Welt erblidte, fehlt cd an Nachrichten; aus gewidhtigen 
Gründen, die id unten zu entwideln mir vorbehalte, glaube ih, muß man 
den Schluß ziehen, daß feine Geburt wenigfteus zwiſchen 930 — 940 hinauf 
reicht. Erzogen wurde er im Klojter Aurilac, wo er nad) meinem Dafür 
halten bie zu den Jahren der Reife blieb. Später fam er nad Spanien 

Der Franzoſe Rider, der den Erzbiihof Gerbeit perjönlid fannte und 
ihm fogar feine Ehronif gewidmet hat, erzählt‘) Folgendes: „während Gerbert 
im Klofter Aurillac den Wiſſenſchaften oblag, beſuchte das Etift, um dort zu 
beten, ein Herzog aus dem öftlihen Epanien, Namend Borel. Als vieler 
die Frage des Abts, ob es in Spanien gute Lehrmeifter gebe, bejahend beant- 
wortete, erfuchte ihn Erfterer, den jungen Gerbert zum Behuf der Yortfegung 
feiner Studien mit in vie Heimath zu nehmen. Borel entiprad dem Wunſche, 
führte Gerbert nad Epanien hinüber und übergab ihn dort dem Bijcofe 
Hatto, der den jungen Franzoſen in der Mathematif unterrichten ließ. Da 
jedoch der Altwifjende beſchloſſen hatte, Gerbert nad Fraukreich zurüd zu ge 
feiten, damit er bort eine Leuchte der Wiſſenſchaft aufftede, gab Er dem vor 
genannten Biſchofe und Herzoge den Gedanken ein, des Gebetes wegen nad 
Rom zu wallfahren Wirklich reiften beide in die Weltſtadt und gefellten 
fih den jungen Menſchen als Begleiter bei." Weiter berichtet Richer, daß 
Gerbert zu Rom die Bekanntſchaft des Pabſtes Gohanns XIII.) machte und 
von ihm dem deutfchen Kaijer, Dtto J. enıpfohlen ward. 

Demnab hätte Herzog Borel des Gebetes wegen das Klofter Aurilluc 
heimgefucht, und abermal des Gebeted wegen wären der Biſchof und ter 
Herzog nad Rom gewallt, Gerbert aber jol als biutjunger Menſch, und 
blo8 des Lernens wegen nad Epanien hinüber gefommen fein. Etwas anders 
ftellt fi die Sache heraus, wenn man gewiſſe Achte auf und gefommene 
Urkunden zu Rathe zieht. Unzweifelhaft iſt, &erbert hat Tängere Zeit in 
Spanien zugebradht*) und dort die vorhandenen Schätze des Willens für feine 


— —— — —* 


+) lbid. S. 1428. 2) Die Belege bei Mabillen, annales ord. S. Bened. III, 569 fig. 
°%) Berg II], 616 unten lg. +) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1420 fig. 


Siebtes Buch. Cap. 32. Otto'sITL. Unmündigfeit. Willigis reitet d. Reich Gerberis Anfänge. 521 


weitere Ausbildung benüzt. Denn nicht nur bezeugen‘) dieß andere Ehroniften, 
die unabhängig von Richer fchrieben, fondern auch Gerberts eigene Werfe 
bürgen') dafür. Er felbft erwähnt in feinen Briefen ein von den Zahlen 
handelndes Bud) feines Lehrmeifters, des Spanier Joſef, und eine aftrologifde 
Abhandlung, welde Lupito von Barcelona aus dem Arabifchen in's Lateinifche 
überjegte. Außerdem verräth Gerbertd Anweiſung zur Geometrie Bekannt⸗ 
Schaft mit arabifchen Quellen. ') 

Ebenfo wenig kann in Abrede gezogen werben, daß Gerbert mit dem 
Murfgrafen oder Herzog Borel und dem Biſchofe Hatto von Vich die Reife 
nah Rom gemadt hat. Aber nicht des Betens wegen iſt Borel dorthin ges 
wandert, fondern um eincd andern Zwedes willen, über welchen römifche und 
ſpaniſche Akten genügenden Aufſchluß geben. Wie ic anderweitig?) gezeigt 
habe, war Borel im Jahre 967 feinem Vater Suniarius ald Markgraf von 
Barcelona gefolgt und arbeitete ſeitdem unabläffig daran, die politifche und 
kirchliche Unabhängigfeit feines Landes, das bis dahin im Lehenverband mit 
der Krone Neuftrien ftand, zu erringen. Die Marfgrafihaft hatte feine eigene 
Metropole, fjondern war dem Erziprengel von Narbonne einverleibt. Dieß 
ſollte nad Boreld Plane aufhören, der Markgraf beabfichtigte, im eigenen 
Lande ein Erzbistum zu Vich aufzurichten. Hiezu bedurfte er die Hülfe 
des damaligen Pabftes Johann XII, und allem Anſcheine nah nahm er, 
um feine Abfiht deflo leichter durdzufegen, den grundgeicheiten Mönd) Gerbert 
mit fih nah Rom. In der That erfüllte Johann XIII. den Wunſch Borels. 
Sm Sanuar 971 wurden zwei Bullen‘) zu Rom ausgefertigt: kraft der 
erften erklärte ver Pabſt, daß er die chmaligen Metropolitanrechte der von den 
Saracenen zerftörten Etadt Tarragona, gemäß der Bitte des Markgrafen 
Borel, auf Vich übertragen und den dortigen Biſchof Hatto zum Erzbiſchof 
erhoben habe; kraft der zweiten kündigte er eben dieß den Bilchöfen von Urgel, 
Barcelona und Elne an, welde in Folge der neuen Einrihtung Suffragane 
des Erzſtuhls zu Vich werden follten. 

Zwölf Jahre jpäter, nachdem Gerbert durch die Gnade Otto's IL Abt 
zu Bobbio geworden war, jchrieb*) er vom genannten Klofler aus — 983 — 
an den Trierer Erzbiſchof Egbert: „du fennft die Großmuth des Katjers, 
meines Herm, und das Wohlgefallen, das er an gelehrten Männern trägt ; 
hide daher Scholaftifer nad Italien.” Abermal nad) weiteren anderthalb 
Jahren rühmtet) fih Gerbert, zum Dienfte der Kaiſerin Theophano Redner 
(declamatores) angeworben zu haben. Ich denfe, zu ähnlichen Geſchäften, für 
welche er bier andere Gelehrte zu gewinnen juchte, wird er von Borel zu Rom 
und ohne Zweifel auch ſchon in Barcellona drüben verwendet worden jein. 


9 Efrörer, Kirch. Geſch. ILL, 1420 fig. Bd. IV, 318 fig. ) Safe, regest. 
Pontif. Rr. 2871 u. 72, %) Gfrörer, Kirch. Geſch. III, 1421, 


699 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Der Verkehr zwifchen Kirde und Etaat, die Maſſe fleiner Vaſallenhoͤfe, die 
beim Berfall ver Föniglihen Gewalt fi über das ganze Abendland ver— 
zweigten, und ihre unabweislihe Folge, ein taufendfaches Intrikenſpiel, a 
zeugte dad Bedürfniß wohlgejhulter Gejhäftsleute, die man zu Vnterhant 
lungen brauchen Eonnte. 

Verhält fih aber die Sade fo, dann ift fo viel ald gewiß, daß Bert 
von Barcelona in der Perſon Gerberts nicht einen unvergohrenen Stubenta, 
fondern einen halb vder ganz gereiften Arbeiter, der feine Tüchtigkeit bereit 
erprobt hatte, aus Yurillac mit nab Spanien hinübernahm. Richer bentu 
an, Borel fei ald Markgraf oder ald Herzog zu Aurillac erfchienen, was dic 
duhftäblih verftanden erft 967 durd den Tod feines Vaters wurde. Mbe 
Nichts hindert anzunehmen, daß der frangöfiiche Chronift den fpäteren Til 
auf frühere Zeiten überträgt, mit andern Worten, daß Borel nocd währen 
der Regierung feined Vaters und als Erbgraf jened Klofter beſucht hat. 
Dann bleiben zwifchen der muthmaßliden Ankunft Gerberts in Spanien un 
der Reife nah Rom, welde gegen 970 fällt, immerhin fünf bis ſechs Jahre |: 
für den Aufenthalt des Mönchs jenfeit der Pyrenden übrig, einen Aufens 
halt, der aus andern Gründen nicht kurz angeſetzt werben darf. 

Jedenfalls ſcheint mir unzweifelhaft, daß Gerbert, ald er mit Bontl 
und Hatto zu Rom weilte und die oben erwähnte, wichtige Angelegenheit be 
veinigen half, fchon den Ruf der Geſchäftstüchtigkeit beſaß und ein fertige 
Mann war. Denn weder führen Fürſten, wie Borel, Studenten auf koſtſpie⸗ 
ligen Reifen mit ſich in der Welt herum, noch empfangen Päbſte folche Gelb⸗ 
ichnäbel oder empfehlen fie diefelben gar Kaiſern. Darans folgt denn, va 
Gerbert 970 zum Mindeften 30 bis 40 Jahre zählte, und alfo eher vor 935 
als nachher geboren worden fein muß. Meined Erachtens geſchah es wegen. 
der Gewandtheit, die Gerbert bei den Unterhandlungen über Errichtung einer 
Metropole zu Vich bewies, daß Pabſt Johann XIIL, der, wie wir willen, 
ein Geichöpf des Failerlihen Hofs war, Borliebe für den Moͤnch faßte mt 
die Aufmerfjamfeit Otto's I. auf denjelben hinlenkte. Gerbert trat wirklich in 
des Kaiſers Dienfte, aber verdedt: er wurde nad Rheims zum Metropoliten 
Ndalbero, dem Bruder Gottfrieds von Verdun, geſchickt. 

Ohne Frage war Rheimd einer der wichtigften Poſten, weil dieſe Statt, . 
dem Namen nad der Krone Neuftrien unterthan, in der That dem benutfchen 
Kaiſer gehorchte, und weil dort alle gegen die neuſtriſchen Carlinger gerid- 
teten Intriken ſich kreuzten. Wenn je jonft wo, beburfte der deutfche Hei 
dort einen verjchlagenen Geichäftsmann, der die Karten zum Vortheil des 
ſächſiſchen Haufes mifchte und nebenbei nöthigenfalls auch den Erzbiſchof Aber 
wachte. Vor der Welt wurde die Aufgabe Gerbertd mit einem gelehrten 
Scheine zugebdedt: er übernahm die Leitung der dortigen Domſchule umb hat 
fie während einer Reihe von Jahren zu merflihem Flore gebracht. 





Siebtes Bach. Cap. 32. Otto’s TIL. Unmündigfeit. Willigis rettet d. Reich. Gerberis Anfänge. 523 


Was Nicher bezüglich ver fchulmeifterlihen Wirkſamkeit Gerberts meldet, 
fann unmöglich aus der Luft gegriffen fein. Denn jedes Kind mußte zu Rheims, 
wo Richer jelbft lebte, willen, daß der Mann, ver 991 den Erzftuhl des 
h. Rhemigius beftieg, in früheren Jahren der dortigen Schule vorftand. Auch 
find die wiflenichaftlihen Werke, welche Gerbert hinterließ, ohne Zweifel zu 
Rheims während feiner Profeſſur abgefaßt worden. 

Im Mebrigen berichtet Richer aus der früheren Gejchichte deſſelben nichts, 
als ſcholaſtiſches Zeug, das er mit peinliher Breite zu Markte bringt. Ich 
ziehe daraus den Schluß, daß Gerbert felbft fein Verhältniß zu den Ottonen 
mit dem Schleier des Geheimniſſes bevedte. Wie wird der nadhmalige Erz- 
bifchof, fofern er anders die ihm gewidmete Ehronif Richer's las, in die - 
Kauft gelacht haben über die Srrlichterei des Schreibers, über den wiſſen⸗ 
fhaftlihen Wind, den er macht, und feine derben Berftöße gegen die Reihen- 
folge der Begebenheiten. ') 

Zum jweitenmale erjcheint Gerbert um 982 auf italiihem Boden, und 
zwar, wenn man dem Zeugniffe Richer’d, der hier die Zeiten greulich vers 
wirrt, trauen darf, in Geſellſchaft feines Erzbiſchofs Adalbero.) Es war 
die Zeit, da Kaiſer Otto IL fi) wegen der Niederlage bei Cap Stilo in größ- 
tem ®edränge befand, überall Hülfe fuchte, namentlih viele Emporfömmlinge 
in feinen unmittelbaren Dienft zog. Mit gewandter Hand wußte Gerbert 
die Gunſt der Verbältniffe auszubeuten, fein Scifflein in einen anfcheinend 
prächtigen Hafen einzulootſen. Man fann bündig nachweiſen,) daß ihn 
Dtto UI. 983 zum Abt von Bobbio, der berühmten Schöpfung Columbans, 
erhob. Allein obgleich das Stift laut feiner eigenen Ausfage*) unermeßliche 
Güter in allen Theilen Italiens bejaß, hatte der neue Abt mit Nichts als 
Roth und Mangel zu kämpfen. 

Ich behalte mir vor, die Urſachen dieſer Erſcheinung unten an geeigs 
netem Orte zu entwideln. Hier nur fo viel: die Wehrvafallen, an welde 
Gerbert's Borgänger, Petroald, bei Weitem den größten Theil des Klofters 
eigenthums verpfändet, zu Lehen gegeben oder vergeudet hatte, verweigerten 
jeven Zins und mutheten ihm jogar zu, ihre Anmaßung gutzuheißen. Als 
Gerbert die Rechte ſeines Stift wahrte, verläumbeten fie ihn beim Kaiſer 
oder bei feiner Mutter Adelheid und drohten zulegt Gewalt wider ihn zu 
brauchen.) Otto's II. Tod machte vollends feine Lage unhaltbar: er vers 
fuchte es, die Hülfe des Pabſto Johann XIV. zu erlangen, bitter klagend, 
daß ihm von feiner Abtei Nichts geblieben fei, ald der Krummftab und die 
apoftoliihe Weihe, aber vergebend. Der Pabft, jelbft feine® Lebens kaum 
fiher, lonnte ihn nicht ſchützen. Da ihm um diejelbe Zeit Anträge der beiden 


2) Ind, ©. 1421, Note 4 fig. 3) Berk II, 619. 2) Sfrörer a. 0. O. ©. 1422, 
2) Bouquet IX, 272 unten: quae pars Italiae possessiones bepti Colamhanı nom continauN 


524 Bob Gregorins VIL und fein Zeitalier. 


faijerlihen rauen zufamen, weldhe ihm anderweitig einen Wirfungefreis a |; 
öffneten, verließ er, wie es jcyeint zu Anfang des Jahre 984, Stalin m | 
ging wieder nad) Rheimd. Von dort aus jchrieb‘) er an den römiihen Die |; 
ton Stephanus: „die Noth ver Zeiten bat mid zur Rüdfehr nah Gallm | 


genöthigt. Ganz Italien erihien mir wie ein Rom, wie ed aber in Rom m 
geht, das ift weltbefannt.“ 

Mehrere Briefe?) Gerberts deuten darauf hin, daß es Aufforderungen 
der beiven Kaiferinnen, Adelheid und Theophano, geweien find, weldye feinen 
Entihluß, nad Rheims zu gehen, zum Durchbruche bradten. In einem’) 
verjelben jpricht er davon, daß er im Palaſte zu Pavia, wo, wie wir wilen, 
feit dem Herbfte 983 Adelheid weilte, Beweije unwandelbarer Treue des Ery 
biſchofs Adalbero für die Sache des Föniglihen Kindes dargelegt babe. Ja 
einem andern entſchuldigt“) er fi wegen Nichtbefolgung des von Theophano 
erhaltenen Befehls, zu ihr (nah Rom) zu fommen, weil er durch ein drin 
gendes Geſchäft den 22. März 984 abgehalten worden jei. 

Roc ein weiterer Umftand fommt in Betracht. Obgleich Gerbert Bobbie 
und Stalien verlafen hatte, betrachtete er fich fortwährend als rechtmäßigen 
Abt des Stifte. Von Rheims aus fchrieb er wiederholt an die Brüder zu 
Bobbio, verwandte fi bei vornehmen Italienern für ihr Wohl, ertbeile 
jogar einem der Mönde Erlaubniß, aus dem Klofter zu treten und in 
ein anderes fi aufnehmen zu laſſen. Sicerli würde er nicht jo gehandelt 
baben, wäre ihm nicht von der kaiſerlichen Familie die Zufiherung gegeben 
worden, daß ihm — abgejehen von andern Belohnungen — die Abtei Bobbie 
bleiben jolle. 


Seit feiner Rückkehr nah Rheims erjcheint Gerbert ald Seele ver in | 


Lothringen zu Gunften Dtto’8 III. gemadten Umtriebe. Der Briefwechſel des 
faiferliden Anbangs im Weberrhein lief dur feine Hand. Die Sammlung 
ver Schreiben Gerberts, obgleich theild wegen ihrer cifferartigen Abfafjung, 
theild aus Mangel anderer Quellen Vieles dunfel bleibt, ift ein koſtbarer 
Schatz. Dan erficht aus ihr, daß ed vor 900 Jahren genau ebenfo in ber 
Welt zuging, wie heute noch: das fremde, ſeltſame Gepräge, weldes ein 
zelne Zeitabjchnitte des Mittelalterd für und Spätgeborne zu haben fcheinen, 
rührt nur daher, weil die Todten feine oder feine gemügenden Zeugnific 
binterließen. 

Bor Allem ftrebte der Faiferlihe Anhang dahin, die beiden Anmaßer, 
den Herzog Heinrich den älteren und den franzöſiſchen König Lothar, uuseln- 
ander zu halten. Und zwar fchien der Erfolg Anfangs günftig. Lothar ver 
Iprach Liebes und Gutes, er verband fi mit feinem Bruder Carl, der bie 


) &frörer, a. a. O. ©. 1423. 2) Daſ. ©. 1422. ) Epist. 37. Duchesne script. 
sor, francic. U, 798. 4) Epist. 52, ibid. ©. 801, 


N 


Sap.32. Otto’SIIL Unmändigteit. Billigis reitet d. Meich. Gerberis Anfänge. 525 


aner geweſen, Otto's M. Sache zu vertheibigen, er half fogar dam, 
lotharingiſche Große, denen Erzbiſchoß Adalbero mißtrante, ihm 
upte der Barthel Geißel der Treue ftellen nlußten.*) Laut Aeuße⸗ 
einem Briefe Gerbertd hat Adalbero hiezu den Neuftrier durch 
sicht ernſtlich gemeinte Vorſpiegelung vermocht, daß er (Lothar) 
des Kindes die vormundſchaftliche Regierung in Lothringen fühs 


ald zeigte ſich, daß auch die von Rothar ausnetheilten fchönen Worte 
ungen unelgennfißiger Freundſchaft eitel Dunft waren, darauf be, 
älteren Heinrich au nöthlaen, daß er He Mitwirkung des Neu, 
möglich hohe Zugeſtändniſſe erfaufe. Die beiden Anmaßer vers 
h nnd hielten den 1. Kebruar 984 eine Zufammenfunft zu Breiſach. 
jefponnen worden, fam kurz darauf an's Taneslicht. 

gen als Eigenthum der Krone Frankreichs zurlidfordernd, überzog 
ır Anfanas März 984 die ebenaenannte Provinz mit Krieg und 
erdun. Der dortige Graf Godfried, das Maffenhaupt der deuts 
ei, Teiftete mutbigen Mivderftand, aber Mitte März warb er bei 
M ſammt Mehreren feiner Nermandten gefangen, worauf ein un, 
falle die Stadt üiheraab. Lothar rückte nun vor Lüttich, wohln 
onnenen Eöhne Godfrieds, Herrmann und der neue Biſchof von 
afbere, geworfen hatten. Obgleich der König die Umgegend mit 
Schwert verheerte, vermochte er Lüttich ferhft nicht zu nehmen: er 
und z0a vor Rheims. 

irtige Erzbifchof gerieth durch den Andrang der Franzoſen in eine 
e, froh au Kreuz, ſchrieb an Lothar demüthige Briefe, die jedoch 
) gemeint waren. Denn um biefelbe Zeit that Gerbert Mitgliedern 
ı Partbet zu wiflen, daß fie fein Gewicht auf die neueften Hand» 
Rheimfer Erzbiſchofs Tegen follen: Alles ſei ihm durch Furcht abs 


nd dieß im Weberrheine vorging, fchlug dieſſeits der ältere Hein» 
Am Palmfert — den 16. Märı 984 — begab”) er fih nad 

berief dorthin die Tächfifchen Großen zu einer Verſammlung und 
e mit ihnen über die Beringungen, anf melde bin fie ihn ale 
mnen wollten. Bel dieſer Gelegenheit geſchah es laut Thietmar's 
3 Sachſens Biſchöfe die Forderung ſtellten, der unmündige Otto 
8 ihm geſchworenen Eides entlaſſen, damit ſie dem neuen Herrn 
Bewiſſen dienen koͤnnten. Herzog Heinrich behandelte fie als Das, 
ren, al® gewonnene Weberläufer, er ging von Magpeburg nad) 


elege bei &frörer, Kirch. Geſch. III, 1424 fla. ») Daſ. ©. 1425 flag, 1428, 
baf. ©. 1426 fig. 


526 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitaller. 


Dueblinburg, wo er Öftern feierte. Hier warb er von feinem Auhange fürs 
lich als König ausgerufen. Bei dem Huldigungsaft erfchienen außer viel 
deutfchen Herren drei vornehme Slaven, nämlih die Herzoge Mifelo von 
Bolen, Boleslam von Böhmen und der Obotritenfürſt Miſtui, die lant ber 


Ausfage Thietmar’8 dem neuen Könige den Eid leifteten, daß ſie ihm ſteu 


treulich beiftchen würben. ') 


Schon bei der Empörung von 976, die ihm die Haft zu Uiredt ww : 
zog, hatte Herzog Heinrich gemeine Sache mit dem Böhmen und dem Polen 


gemadt.?) Dur den Dritten, den Obotriten Miftui, war erft im vorigen 
Jahre Havelberg und Brandenburg erftürmt, die Hafenſtadt Hamburg bis 
auf den Grund niedergebrannt worden.) Daß fie nicht für Nichts jcht dem 
Gegenkönige Hilfeleiftung fchworen, verfteht fi von ſelber. Er muß dieſen 
Slavenfürften, die bis dahin Bafallen und Untertbanen des beutfchen Reis 
geweien, unabhängige Herrſchaft zugefihert haben. Nicht mehr im Ber 
hältnifie von Lehenleuten, fondern in dem von Bundesgenoſſen fanden fe 
feit dem Akte von Quedlinburg zur deutichen Krone. Man flieht daher: ver 
Empörer Henrib begann fein Königthum mit einem Berrathe am Reid, 
allein der böfen That folgte die Strafe auf dem Fuße. Macht und Red 
tbum der füchflfchen Großen berubte weientlih auf StavensZind und Slave 
Knechtſchaft. Ihre Zukunft war deßhalb dadurch bedroht, daß Heinrid bie 
Häupter der Slaven frei gab. Sie haben ed dem Gegenfönige nicht vergeffen. 

Um viefelbe Zeit, da Heinrih mit feinem Anhange zu Quedlinburg 
tagte, beriethen die angefehenften Laienfürſten Sachſens mit dem Mainzer 
Erzbifchofe über den Sturz des Anmaßers. Wie auf der Oſtgränze burd 
den Vertrag mit den Staven, hatte Heinrih auch auf der Weftgränze Deutid- 
land verrathen, denn fonnenflar ift, daß der Einfall Lothars mit den gleid: 
zeitigen Vorgängen in Magdeburg und Quedlinburg zufammenbing. Um ben 
Preis franzöfifher Anerfennung feines Königthums war von Heinrid 2 
tharingien dem Neuftrier preißgegeben worden. 

Allein in dem Augenblide, da der Anmaßer fein Spiel gewonnen glaubte, 
trieben Andere, welde das Recht des unmündigen Knaben vertheidigten, eine 
erfolgreiche Gegenmine. In dem Schlofſſe Affelburg — unweit Wolfenbüttel 
— verfammelten fi viele Große aus dem Lalenftande, Herzog Bernhard 
von Sacfen, Markgraf Theodorih aus der Nordmarke*) und vierzehn Edel⸗ 
leute, deren Namen Thietmar aufführt, unter ihnen der Graf und Cleriler 
Bernward, nachmaliger Bifhof von Hildesheim, dann fämmtlihe Dienftfeute 
des Stift zum h. Martin in Mainz, welche letztere Erzbifhof Willigis nad 
Affelburg beordert hatte. 


— — — — — — 


') Die Belege daſ. ©. 1426 fig. 2) Daſ. ©. 1367 fig. ) Daf. S. 1410 fig. 
) Eiche Bd. I. 169, 





9.82. Otto’SJIL Hamändigfeit. Willigis rettet d. Neich. GerbertöMnfänge. 527. 


Zernward, der damals noch Feine große Pfründe befaß, nennt 
ger Chroniſt auch nicht einen einzigen Geiſtlichen —: die fächfl 
bielten zu dem Gegenkönig Heinrich. Ausdrücklich bemerkt der⸗ 
ır, daß Mehrere, die fi zu Quedlinburg eingefunden, von dort 
yegliefen und nach Affelburg gingen. Hieraus, wie aus andern 
eht hervor, daß die Berfammlung von Affelburg zu gleicher Zeit 
nungöfeft in Quedlinburg, alfo um Oftern 984, flattfand. Im 
ren fämmtliche zu Affelburg Erſchienene bewaffnet und zum Streite 


verftand dieß, er entließ die Gaͤſte der Krönungsfeftlichkeiten 
einem flarfen Heerhaufen wider Affelburg, aber die dort Bers 
hmten feinem Beiſpiele nah und rüdten ihm entgegen. Doch 
einem Treffen, fondern zu vorläufigen Unterhandlungen, kraft 
Heinrich verbindlich machte, demnächſt auf eine Frift, welche Thiet⸗ 
ber bezeichnet, die Bedingungen zu flellen, unter welchen er ſich 
bequemen werde. In der Natur der Sache lag ed, und aud 
Frfolg bürgt dafür, daß die kaiſerliche Parthei, fobald von einer 
‚ die Rede war, auf Befreiung des Föniglichen Knaben und Aus» 
jelben in die Hände der rechtmäßigen Bormünder, d. h. der beiden 
Srauen, dringen mußte. Letztere aber befanden fi damals in Itas 
nad) Deutichland herausfamen, konnte ihnen das Kind nicht über- 
n. Daraus folgt, daß die Abreiſe der beiden Kaiferinnen aus 
eſtens damald angeregt worden ifl. 
Die Zeit genauer zu beftimmen, aber doch eng an den Bericht über 
ge zu Quedlinburg anfnüpfend, meldet?) die dortige Chronik, 
Anhang habe Boten nad Lombarvien an die Kaiferin Adelheid 
diefelbe aufgefordert, wenn ihr das Heil ihres Enkels lieb fei, 
ah Deutihland zu kommen. Ich glaube, man ft berechtigt, 
Schluß zu ziehen, daß Willigis der Großmutter die erfte Stelle 
nundfchaft zugedacht hatte. Doc wurde zugleih aud mit Theos 
handelt. Thietmar fchreibt:*) (im Laufe des Jahres) „984 reiste 
Theophano, Otto's IIL Mutter nah Pavia zu Adelheid, und 
ieſer Mebreich aufgenommen.” Weiter unten meldet‘) ebenverfelbe: 
warteten die beiden Kaiſerinnen, bis die Sache des Kindes eine 
et Wendung nahm.* Lebtere trat in Kurzem ein, und den 29. Junt . 
yeide auf deutſchem Boden den befreiten Knaben. Unten wird fi 
8 «6 von Wichtigkeit if, die Zeit zu beflimmen, zu welder Theo⸗ 
Rom abreidte. Da die Auslieferung Otto's nicht vor ‚jener erften 


rer, Kirch. Geſch. II, 1427. ) Berk III, 66. °) Ibid. ©. 767 unten. 
769 unten, 


328 Babk Gregorius VII und fein Zeitalter. 


Unterhandlung mit Heinrich, welche in den Anfang April fällt, zur Sprak 
gefommen fein fann, ta ferner ein Bote immerhin zehn Tage braudte, wm 
etwa von Mainz aus Briefihaften nah Pavia an Adelheid und nad Rom 
an Theophano zu Giberbringen, fo it faum denkbar, daß vie Griechin vor der 
Mitte April Rom verließ. 

Nah der oben erwähnten LUnterredung mit den Verbündeten von Aſſel⸗ 
burg war Heinrih, offenbar in der Hoffnung, feine. Lage zu verbefien, ia 
fein ehemaliges Herzogthum Baiern geeilt, wo alle Biſchöfe, auch mehren 
Grafen zu ihm übertraten, doch kann der Gegenfönig nicht ganz durd⸗ 
gebrungen fein, da er furz darauf. Baiern wieder verließ, und da aus den 
fpäteren GEreigniffen hervorgeht, daß der Arnuffive Heinrich fortwährend das 
ihm 983 übertragene Fahnenlehen behauptete. Begleitet von einem Theile 
des neugewonnenen bairiſchen Anhangs, 309 der Gegenkönig weiter nad Frau 
fen, und traf zu Bifenftädt unmelt Worms mit dem Mainzer Willigis und 
dem Herzoge Conrad von Schwaben zufammen, welde er kraft des ne 
lihen Vergleichs dorthin beftellt zu haben ſcheint. Vergeblich wandte er bie 
Künfte der DVerführung an. Willigis wie Conrad blieben der kaiſerlichen 
Sade treu, und nothgedrungen mußte Heinrich das eidliche Verſprechen ab 
legen, daß er Fünftigen 29. Juni den unmündigen König auf einem Ned 
tage zu Rara (wahrfcheinlih Großrohrheim im heutigen heffendarmftäptifchen 
Amte Zwingenberg) feinen nächften Berwandten einhändigen werbe.') Aus 
diefen Thatfachen erhellt meines Erachtens, daß Willigie und fein Anhang 
ihm im Weigerungsfalle mit Gewalt gedroht hatte. Die Zufammenfunft bei 
Bijenftädt mag im Mai vor fi gegangen fein. 

Zur nämlichen Zeit machte die Fatferlibe Parthei auch in Lothringen 
Bortichritte, Indem ein dritter, bisher, wie es fcheint, nicht offen bei tem 
Thronhändeln Betheiligter dem Rheimſer Erzbiihof Adalbert aus den Be 
drängniffen, von denen oben die Rede war, heraushalf. Eeit Jahren fleuerte 
der Gapetinger Hugo auf das Ziel los, die neuftriihen Carlinger zu entthros 
nen und die Krone auf fein eigened Haupt zu fegen. Einer der wichtigften 
Hebel, die er zu diefem Behufe in Bewegung fepte, beftand in Entwür— 
Digung des über Frankreich berrihenden Haufe. Richer bemerft,?) König 
Lothar habe den Frieden von 980, kraft deffen er auf den Beſitz von Welſch⸗ 
Lothringen verzihten mußte, hauptfählih darum abgefchloffen, weil er fürch⸗ 
tete, daß, wenn er den Krieg länger fortfege, Herzog Hugo Parthei für 
Otto IT. ergreifen und ihm — dem Könige — böfe Händel bereiten dürfte. 
Weiter deutet?) derfelbe Chronift an, daß in Folge des nämlidhen Friedens, 
welden franzöſiſches Ehrgefühl als eine Schmach betrachtete, die Meinung der 
Nation fih von Lothar abwandte. 


..——-. 


) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1428. 5 Berk III, 624. 





Siebtes Buch. Kap. 32. Dtto’8 III. Unmündigfeit. Willigie rettet d. Meich. Gerberte Anfänge. 529 


Da nun eben diefer König vor einigen Monaten, die Verlegenheiten des 
Kindes Otto benügend, das 980 aufgegebene Lothringen an ſich gebradt 
hatte, forderte, wie man flieht, des Capetingers Vortheil, daß Lothar womög- 
lich wieder aus dem Beſitze, der ihm die verlorne Achtung feines Volks zu ver: 
Ihaffen verhieß, verdrängt werde. Genau in dem eben entwidelten Siune 
handelte Hugo. Die Anhänger Lothars und Feinde des ottonifchen Haufeß, 
Franzoſen und Lothringer, waren übereingefommen, den 11. Mai 984 eine 
Berfammlung in Compicgne zu halten, wo, wie c& fcheint, Beichlüfle zu Be⸗ 
'eftigung frangöfifher Herrſchaft über Lothringen gefaßt werben follten. Aber 
Ye Verfammlung fam nicht zu Stande, weil plöglih die Nachricht einlief, 
Derzog Hugo von Francien rüde mit 600 Rittern heran, um bie Verſam⸗ 
nelten aufzuheben. Diefer Ueberfall muß ein Donnerftreih für die franzö⸗ 
ifhe Parthei gemweien fein. Denn in dem nämlichen Briefe, wo Gerbert die, 
den erzählte Thatſache meldet, fordert‘) er den Meter Biſchof Theoderich 
uf, eine Sache zu verlaffen, die feine Zufunft mehr habe. 

Aus einem weitern Schreiben‘) Gerberts erhellt, daß der deutiche Ge⸗ 
jenfönig Heinrich einen eigenen Gejchäftsträger in Lothringen unterhielt, und 
aß diefer fhon am 15. Mai von Dem, was zu Eompiegne gefchehen, unters 
ichtet war. Auch der Gegenfönig felbft muß ſchnell die Kunde empfangen 
‚aben, denn feine Handlungen beweifen, daß er ſich bebroht glaubte. Ploͤtz⸗ 
ich verließ er den deutſchen Boden und ging nah Böhmen zu dem Herzoge 
Boleslam, feinem alten Spießgefellen. Was er dort fpann, wird aus dem 
Erfolge Har. Der Böhme ließ nämlich den Gaft durch eine Heeredabtheilung 
ah Mügeln unweit Dresden geleiten, wo ein Haufe deutſcher Anhänger 
en Gegenkönig erwartete. Auf dem Nüdzuge machten fi die Böhmen für 
en geleifteten Dienſt bezahlt: fie überrumpelten Meißen, nahmen den dortigen 
Rarfgrafen Rikdag gefangen , vertrieben den Biſchof der Stadt, Vo'llold, 
yorauf Herzog Boleslaw fein Hoflager nad) Meißen verlegte. Man ericht 
ieraus, daß Gegenkönig Heinrich für die Hülfe, die er von Boleslaw bes 
ehrte, die ganze Marke Meißen an denfelben abgetreten hatte.‘) 

Aber den Preis des neuen Verraths am deutichen Reiche pflüdte er 
iicht. Während er mit feinen Anhängern zu Mügeln tagte, belagerte ein 
Zaufe Faiferlich gefinnter Sachſen den mit Heinrich befreundeten Grafen Wils 
elm von Weimar in eben diefer Burg. Auf die Nachricht von des Gegen» 
dnigs Anfunft zogen die Belagerer von Weimar ab, und rüdten in der Rich⸗ 
ung auf Mügeln gegen dad Schloß Sttern, in der Abfiht Heinrih anzu⸗ 
reifen. Diefer fchidte ihnen den Magdeburger Erzbischof Giſelher entgegen, 
sit dem Yuftrage, zu verfuchen, ob er den Feind nicht durch Unterhandlungen 
ntzweien koͤnne. Doc Giſelher richtete nichts aus, die Gegner erklärten, 


1) Gfrörer, Kirch. Geſch. ITT, 1430. 
Gfrörer, Bahr Uregorins vu. DB». V. 34 


530 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


wenn Heinrich nicht erftend feinen Eid erneuere, den Knaben Dito am 
29. Zuni herauszugeben, wenn er zweitens nicht augenblidlich alle in feiner |; 
Gewalt befindlichen feften Pläge, mit Ausnahme von Merfeburg, Yrofa, Bal- [' 
bei, ausliefere, habe er einen Kampf auf Leben und Tod zu erwarten |' 
Heinrib war fo gut wie übermannt, er mußte die verlangten Bebingunga | 
zugeftehen.") 

Der für die Reichsverſammlung von Rara anberaumte Tag nahte her |' 
Die kaiſerlichen Frauen und ihre nächften Angehörigen fanden fi an de |" 
Spige einer großen Zahl der nunmehr fiegreihen Anhänger des rechtmäßigen 
Herrfherhaufes ein. Der Mönd von Quedlinburg berichtet: „aus Lange 
bardien herüber famen die alte Kaiferin Adelheid, ihre Schnur, die Kailerh |j 
Theophano, ihre Tochter Mathilde (Aebtiffin in Quedlinburg’) und Gefähr 
tin ihres Bruders Otto's II. auf dem Römerzuge von 980). Begleitet von 
dem Bruder der alten Kaiferin Adelheid, dem burgundifhen König Conrat, 
fowie von vielen Fürften Staliend, Galliens, Schwahens, Franciens, Lothar 
ringiens, Sachſens, Thüringens, Staviend erfchienen die drei Frauen zu Rara.’ |" 
Ich denke, unter den Großen Gallien, das von Lothringen unterfchieden wir, 
muß man das Gefolge des Burgunderfönigd verftehen. " 

Aber was hatten italienische und ſlaviſche Häuptlinge auf einem beat |- 
ſchen Reichstage zu ſchaffen? Offenbar ftoßen wir hier auf eine zweite Irudı 
der Beichlüffe von Verona. Weil dort die hohen LXehenträger in Clavin |' 
und Stalien, bis dahin Unterthanen des Reiche, das Recht von Inſaſſen er | 
langt hatten, waren fie von den faiferlihen Frauen aufgeboten worden, welde 
Gewicht darauf legten, dem Anhange des Gegenkönigs Heinrich cine möglid 
zahlreihe Schaar von Bertheidigern ihres Haufe entgegen zu ftellen. Unten 
werden noch ftärfere Belege des angedeuteten Eachverhaltd hervortreten. 

lleber den Erfolg des Reichstags berichtet der nämlihe Mönch weite: 
„eingeſchüchtert verzichtete der Aumaßer Heinrib auf den königlichen Ramen 
fammt der Herrschaft, überlieferte das Kind Dito in die Hände der Groß 
mutter, der Mutter und der Tante Cd. h. der Aebtiffin Mathilde von Duck 
linburg), ward dafür auf die Fürbitte des Burgunders Conrad begnadigt und 
durfte in feine Heimath zurüdfehren. Triumphirend zogen hierauf die drei 
rauen mit dem Mündel nad Quedlinburg, wo die Nonnen ihnen einen 
prachtvollen Empfang bereiteten.” 

Mit unverfennbarer Abfichtlichfeit hebt der Chronift hervor, daß ve 
Knabe nicht bloß der Großmutter und Mutter, fondern auch der Tante über- 
geben ward. Das fann nur den Einn haben, daß Mathilde mit Adelheid 
und Theophano Theil an der Vormundſchaft nehmen follte. Andere That: 
ſachen, von denen ſpäter die Rede fein wird, flimmen zu. Willigis von 


') Daf. ©, 1431. 2) Perg III, 66. ) Ibid. ©. 767 u. VI, 627 unten, 





ebtes Buch. Cap. 32. Otto's 1II. Unmündigfeit. Milligie rettet d. Reich. Gerberts Anfaͤnge. 531 


'ainz fland in enger Verbindung mit Mathilde, und er ifl es ohne Zweifel 
weſen, der, um ſich jelber einen entſcheidenden Einfluß auf die Angelegen- 
ten des Reichs zu fihern, die Aebtiffin ald dritte Bormünderin den zwei 
dern beigefellt hat. 

Bezüglich der Verhältniffe des beftegten Heinrichs find drei Punkte far: 
tend daß er den gefangenen Knaben frei gab, zweitens daß er auf das 
znigthum verzichtete, drittens daß er infofern Gnade erhielt, als ihm die 
trafe des Hochverraths erlaffen ward, und als er unbeläftigt in feine Heis 
ith zurüdfehren durfte. Was ift mit dem Worte Heimath gemeint? Ohne 
veifel Baiern. Allein hier erhebt fih ein Knoten: ging Heinrich ald Her- 
j nad Baiern zurüd oder nicht ald Herzog? 

Dffenbar war lebtered der Fall, denn erft im folgenden Jahre hat, wie 
r fehen werden, der Arnulfide Heinrich die Fahne Baierns an den gleich⸗ 
migen Stammedvetter des Faiferlihen Haufes abgetreten. Wenn letzterer 
n nicht als Herzog nad Baiern ſich begab, welche Stellung follte er dann 
rt einnehmen? Allem Anfcheine nah hatte ihn die vormundfchaftliche Re⸗ 
rung für den Ball, daß der Arnulfide vor ihm fterbe, mit der Anwartichaft 
f das Herzogthum Baiern vertröftet. Allein dieß genügte demſelben nicht. 
aß er unzufrieden die NReichöverfammlung verließ, deutet der Quedlinburger 
ronift durch den Beifa an, Heinrih ſei traurig von Rara weggegangen. 
ıh flimmt hiezu die Ausſage Thietmars, Taut welcher kurz nachher der Streit 
n Neuem audbradh.') 

Vermuthlih waren e8 Ereigniffe in Lothringen und Frankreich, welde 
a geftürzten Gegenkönig ermuthigten, wieder zum Schwerte zu greifen. Nicht 
ıge dauerte der geheime Bund zwiſchen dem Herzoge Hugo Capet von 
ancien und der Faiferlihen Barthel. Aus einem Briefe!) Gerberts erhellt, 
6 am 18. Juni — eilf Tage vor Eröffnung des Reichstags in Rara — 
ugo und König Lothar eine Zufammenkunft hielten, Friede mit einander 
foffen und fi vor allem Volk umhalsten. Doc deutet Gerbert zugleich 
‚ die Verföhnung fei von Seiten Hugo's nicht ernfllich gemeint geweſen. 
a8 heißt deutſch gefprochen: weil der Eapetinger fich für den Dienft, welchen 
durch den Ueberfall bei Compiegne geleiftet hatte, nicht hinreichend belohnt 
ıubte, fuchte er mittelft des Scheins einer Annäherung an Lothar von ber 
jerlihen Regierung größere Opfer zu erpreffen. Diefe Deutung der That 
3 Capetingers wird dur den Erfolg beftätigt. 

Der Gegenkönig fchlug dieſſeits des Rheins von Neuem los, aber nicht 
mittelbar gegen die Vormünder felbft, fondern gegen ihr Werkzeug, ven 
‚nulfiden. Thietmar fchreibt:') „zwifchen den beiden Heinrihen fam es in 
stern zu heftigen Kämpfen.” Die Reihöregierung griff zu dem geeignetften 


*) Gfrörer. Kirch, Geſch. TIL, 1432, 
34° 


532 Babſt Gregorius VIL und fein Zeuauer. 


Mittel, um Balern zu beruhigen: fie flopfte nämlich dem Gapetinger da ſit 
Mund. Im September 984 farb!) einer der fchlimmften Feinde Dite’s II, 
jener treulofe Biſchof Theoderih von Meb, wie ein füngerer Zeitgenoffe wer 
ſichert,) unter Heußerungen tiefer Reue über feinen am beutichen Reiche wer 
übten Berrath. 

Als Bewerber um den erlevigten Stuhl trat ſofort ein Adalbero ai, 
Neffe des Herzogs Hugo von Francien und Sohn feiner Schwefter, der vr |i 
wittweten Herzogin Beatrir von Lothringen, welche fpäter durch Ihre zweik 
Ehe Ahnfrau des habsburgiſchen Hauſes geworben if.) Da bie Keailſern 
Adelheid die Bewerbung unterftügte, drang Adalbero durch und wurde ben 
16. Oktober 984 in das Bisthum eingeſetzt. Sichtlih wirkte biefe Ma 
regel auf den Stand der Angelegenheiten dieſſeits des Rheins zurück. MBenige 
Tage nad) der Einweihung des neuen Biſchofs fand eine zweite Jufammen 
funft der Katferlihen und der Anhänger des ehemaligen Gegenkönigs Gew 
rih zn Worms flatt. Beide Theile erfchienen bewaflne, und unter ben 
Waffen wurde unterhandel. Heinrich gelobte abermal Treue, und ellide || 
Bornehme, die biöher zu ihm gehalten, unterwarfen fih der vormunbfchaft 
lichen Regierung. 

Ein Brief!) Gerbert's liefert den Beweis, daß dieſe Annäherung ber 
Bartbheien in Deutfchland Hauptfächlich durch den Einfluß ver Schwefter Hnget 
von Francien zu Stande fam, er beglückwünſcht die Herzogin Beatrir, weil 
ihre Weisheit die Eintracht unter den Kürften bergeftellt habe, vergißt jedoch 
nicht, die Warnung beizufügen, daß man den Ergebenheits⸗Verſicherungen 
Heinrichs mißtrauen möge. Gerbert ſprach hiemit den wahren Sachverhalt 
aus: an ernftlihen Frieden war nicht zu denken, fo lange man dem Anmaßer 
nicht das Herzoathum Batern zurückgab. Die Vormünder entichloffen fid 
endlich zu dem lange vermicdenen Schritt. 

Anfangs Juli 985 ward") der ehemalige Gegenkönig zu Frankfurt mil 
der Fahne Baierns befehnt, der Arnulfide Heinrich mußte weichen, behielt je 
doch das Herzogthum Kärnthen. Und nun erft fehrte die Ruhe in den Pro 
vinzen dieſſeits des Rheines zurüd. Auch die beiden Stavenherzoge Mifeko von 
Polen und Boleslam von Böhmen erkannten die Hoheit des beutichen Reiche 
voleder an, namentlich räumte der Leptere die Stadt Meißen, wohin der ven 
triebene Bifchof Volkold zuruckkam. Durch einen feierlichen Aft that Die vor 
mundſchaftliche Regierung ven hergeftellten Frieden der Welt fund. Otto III. 
feierte Oſtern 986 zu Quedlinburg. Hier erfchlenen die vier Stammeßherzoge 
und leifteten ihrem Gebieter beim Ehrenmahle die hergebrachten Dienfte, Con⸗ 
sad von Schwaben ald Kämmerer, Bernhard von Sadjjen als Marſchall, 
bie beiden Heinrihe von Balern und Kämthen als Mundfchenf und Truch⸗ 








) Daſ. 6,1493.  °) Siehe Dd. 1,319 fig. 329. *) @frörer a, a. D. IU, 1434 flg. 


btes Buch. Kap. 32. Otto's TIL Unmündigfeit. Willigis rettet d. Reich. Berberts Anfänge. 533 


Ebenfo brachten die Herzoge von Polen und Böhmen dem föniglicyen 
nde ihre Huldigungen dar.) 

Nur längs der franzöftihen Gränze dauerten Unruhen fort. Noch immer 
tete König Lothars Groll auf dem Rheimſer Erzbiſchof Adalbero, noch 
mer befanden fi die Stadt Verdun, Graf Godfried und feine Angehörigen 
amt den ſeit dem Frühling 984 von den Neuftriern eroberten Strichen 
'haringiens in feindliher Gewalt, und aus mehreren Briefen Gerberts ers 
lt, daß von Burg zu Burg Fehden audgefochten wurden. ?) 

Ein Todesfall jedoch, der im Frühling 986 eintrat, gab auch dort dem 
itſchen Kaiſerhofe das Uebergewicht zurüd. Anfangs März ftarb König 
bar von Sranfreih, der Fräftigfte unter den legten Garlingern Neuftriens, 
en 18jährigen Sohn Ludwig und eine Wittwe Emma, Tochter der deutichen 
Aferin Adelheid aus ihrer erften Ehe mit König Lothar von Stalien, hinter⸗ 
jend. Mit ihrem Sohne übernahm Emma die Regierung. Zwei Gegner 
oben fi) fofort wider diefelbe: Herzog Carl von Nieverlothringen, der die 
bwägerin mit dem Neffen ftürgen wollte, und Hugo Capet von Francien, 
, wie wir wiffen, längft nad dem Throne ftrebte. 

In ihrer Noth warf fih Emma dem Taiferlien Hofe in die Arme und 
Ite den Rheimjer Adalbero an die Spige der Geſchäfte. Der Erzbiichof 
ft drüdt in einem Briefe jeine Breude darüber aus, daß er an dem Tage, 
Lothar ftarb, die Gunft der Königin erlangt habe. Er arbeitete alsbald 
Abſchluſſe eines Friedens zwilchen Neuftrien und Deutſchland und lud die 
liſerin Theophano ein, ihm mündlich oder fchriftli die von ihr gewünſchten 
dingungen mitzutheilen. | 

Vergeblih I Herzog Carl machte die größten Anftrengungen, um die 
utter Emma mit ihrem Sohne zu entzweien und dadurch Beide zu vers 
ben. Greuliche Mittel ergriff er zu diefem Zwede. Im Jahre 977 batte®) 
nig Lothar von Neuftrien einen jungen franzöflichen Cleriker Apalbero zum 
fchofe der Stadt Laon, wo gewöhnlich die legten Carlinger Hof hielten, 
oben. Diejer Adalbero ift der vierte Biſchof gleichen Namens, die faft 
ven einander zum Vorſchein fommen, und muß wohl unterſchieden werben 
ı dem Rheimjer Metropoliten, dem Bruder Godfrieds, von dem Verduner 
fchof, dem Sohne deffelben Godfrieds, endlich von dem Meger, dem Sohne 
- Beatrir. Da ber Laoner auch Ascelin genannt wurde, werde ich Ihn, 
; Verwirrung zu vermeiden, gewöhnlid mit legterem Namen bezeichnen. 

Nicht lange ſtand es an, fo verbreitete fi dad Gerücht, daß Ascelin 
‚ebebrecheriihem Umgang mit der Königin Emma ftche. Die nämlie Bes 
uldigung erneuerte damals Herzog Carl und wärmte zugleich die alten Ans 
gen wider den Rheimfer Metropoliten auf, daß derfelbe ſchon in Otto's IL 





2) @feöter, a. a. D. IL 1434 fig. *) Daf. ©. 1435. *) Very III, AUS, 


534 | Vabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Tagen Reuftrien an den deutfhen Hof verrathen habe und fortwährend wi 
der vormundſchaftlichen Regierung drüben einen hochverrätheriſchen Briefwehkl 1 
unterhalte. ') 

Die Einflüfterungen des Herzogs machten Einprud auf den jungen Kl, 5 
er brach mit feiner Mutter. Emma fjchättete‘) ihr Herz in einem Briefe a 
die deutiche Kaiſerin Adelheid, ihre Mutter, aus: „der erfte Schlag traf mil 
durch) den Tod meines Gemahle. Ich fepte nunmehr meine GHoffmung ai 
den Sohn, aber — er ift mein Feind geworden. Meine nächſten und thewer 
fen Angehörigen haben mid, verlafien und fuchen meine und meines Hau 
Ehre zu untergraben. Schwarze Verläumdungen find gegen den Bifcyof Aral 
bero von Laon erhoben worden, man verfolgt ihn, um mir ewige Schmaq 
zu bereiten.“ u. |. w. 

Richt nur In dee Herzogs Carl, sondern aud in des Gapetingerd Hug 
Schlingen fiel der junge übelberathene König. Im Bunde mit Lepterem faw | 
melte er ein Heer, rüdte vor Rheims und erflärte, daß er Waffengewalt a 
zuwenden gefonnen fei, wenn ber Erzbiſchof nicht als Bürgſchaft feines Er | 
ſcheinens vor Gericht Geißeln ſtelle. Wirflih gab Adalbero von Rheimns ix 
verlangte Bürgfchaft, ver König aber fchrieb auf den 27. März 987 cm 
Reichsverſammlung aus, welche über ven Metropoliten richten follte. Ded 
fam biefelbe nicht zu Stande, weil die Kaiferin Theophano ins Mittel trat 
und mit Krieg drohte, wenn Lothar ſich nicht in Gutem füge.” 

Run erfolgte ein weiterer wichtiger Echritt. Gerbert ſchreibt,) die Her 
zogin Beatrir habe ven Plan entworfen, daß am 25. Mat 987 die Königin 
Emma und ihr Sohn, König Ludwig, mit der Kaiſerin Adelheld und dem Her⸗ 
zoge Carl im Schloffe Montfaucon unfern der Gränze zufammentreffen follten, 
um wegen eines dauernden Friedens zu unterhandeln. Aber die Ausführung 
unterblieb und zwar darum, weil die Sache hinter dem Rüden der Oriecdin 
Theophano eingeleitet war, während Gerbert, der unverfennbar mit Leßterer 
im Bunde fland, Ihr und nicht der Kaiſerin Großmutter die Entſcheidung in 
die Hände zu fpielen für gut fand. Was der vertriebene Abt von Bobbio 
wollte, geſchah: eine Unterrebung des Friedens wegen wurde auf den 18. Mai 
987 anberanmt und zugleich beichloffen, daß vorher der Kaiferin Theophano 
die Bedingungen vertraulich mitgetheilt werben follten. 

Wo die Unterredung ftattfand, erfahren wir nicht, dagegen erhellt aus 
einem andern Briefe) Gerberts, daß dem Abſchluſſe eine geheime Unterredung 
zwiſchen Herzog Carl und Theophano im Palafte von Ingelheim voranging, 
wo dem Herzoge Zuficherungen, die wir nicht kennen, gemacht wurden. Viel⸗ 
leicht fiel die Unterredung mit ber Friedensverhandlung felbft zufammen und 


— — — —— — 


) GEfroͤrer, Kirch. Geſch. M. 1436 fig. ) Daſ. ©. 1437. 9) Epistol. 101. 
Tucheene II, 813. *) Epistol. 115. ibid. ©. 816, 





Siebtes Buch. Cap. 32. Otto's INT. Unmündigfeit. Willigis rettet d. Reich. Gerberts Anfänge. 535 


Ingelheim war der Ort beider. Wirflih Fam den 18. Mai der Friede zu 
Stande. Die Franzoſen gaben den Grafen Godfried frei, die Stadt Verdun 
an das deutjche Reih zurüd.‘) Doc durften fie gewiffe Güter des dortigen 
Stuhles behalten, audy Burgen in der Nähe anlegen, was auf die Abficht 
bindeutet, bei nächfter Gelegenheit den Gedanken der Eroberung Lotharingiens 
wieder aufzunehmen. 

Nach unſäglichen Anftrengungen war das Gewitter, das jeit vier Jahren * 
©ermanien bedrohte, abgewendet. Dem Mainzer Erzbiſchof gebührt das Ver: 
dienft, dad Reich gerettet zu haben. Aber nur durch Beiziehung der faifer- 
lihen Frauen fonnte er dad Werk vollbringen. Daß er die eigenthümlichen 
Gefahren diefer Maßregel kannte, erhellt aus feinen Handlungen: nicht ums 
fonft hat er die erfte Stelle in der Vormundſchaft der Katferin Großmutter, 
die dritte der Tante Mathilde eingeräumt. Beides geihah, um Ausfchrei- 
tungen der Griechin Theophano gu verhindern. Allein das böſe Weib durch⸗ 
brach die gezogene Linie, riß den entſcheidenden Einfluß in den Lotharingifchen 
Angelegenheiten an fih. Ihre Abfiht ging dahin, den franzöftihen König, 
die Herzoge Carl und Hugo abwechſelnd zu mißbrauchen, den Einen durch 
den Andern abzunügen und dadurd den Beftand eines unabhängigen neuftris 
ſchen Reichs unmöglih zu mahen. Darüber brach der alte Streit zwiſchen 
der Schwiegermutter und der Schnur heftiger al8 je aud. Deutlich fpielt?) 
Gerbert in einem feiner Briefe auf diefe böfe Stimmung an. 

Adelheid arbeitete ebenjo gut, ald Theophano, für die Größe ihres En- 
kels, aber fie wollte zugleich ihre Tochter, die Königin Emma von Fraukreich, 
gegen welche Theophano Haß hegte, erhalten wiſſen. Zu diefem Zwecke war 
durch die Herzogin Beatrir, Bertraute‘) der Kaiſerin Großmutter, hinter dem 
Rüden der Griehin der Plan zu jener Sriedendverhandlung entworfen worden, 
der nicht glüdte, weil Gerbert entgegenarbeitete. Gleih und Gleich gefellt 
fi) gern: der Mönd von Aurillac fühlte fi zu dem ränfevollen Weibe 
bingezogen. Unten wird Far werden, welden ‘Preis feiner Dienfte er von 
Theophano ausbedungen hatte. 

Sn Frankreich fiel fofort Schlag um Schlag, Wenige Tage nad dem 
Abſchluſſe farb König Ludwig von Neuftrien finderlos den 22. Mai 987 
weg.) Richer fagt:*) ein unglüdliher Sturz ſei die Urſache feines Todes 
gewefen. Wäre die geheime Kanzlei Hugo's von Francien auf und gefommen, 
fo wüßten wir vielleicht befferen Beſcheid. Herzog Earl, der einzige noch übers 
lebende Achte Earlinger, bewarb fi al8bald um den erledigten Thron. Da 
er wohl fühlte, daß er ohne den Beiftand des Rheimſer Metropoliten Adals 
bero nicht durchdringen könne, ſuchte er durch Schmeicheleien dieſen Prälaten 


1) Epistol. 100 u. 109. ibid. ©. 813 flg. 2) Epistol. 97. ibid. ©. 812. ) Berk 
1V, 660 gegen oben. %) Gfroͤrer Kirch. Geſch. IL, 1437 fig. 


330 Vaba Gregorins VII und fein Beltalter. ; 


zu gewinnen, den er dad Jahr zuvor ſchwer belelvigt hatte. Adalbers few 
tigte ihn mit einer ablehnenden, auf die Vergangenheit amfpieleuben Au 
wort und ber ironifchen Entſchuldigung ab, es flehe nicht in feiner Gewei, 
den Franzoſen einen König aufzjubrängen. 

Ein Schlauerer war dem Lotbringer zuvorgefommen. In der Berfamm 
fung fränkiſcher Großen, die zur Leichenfeler des verftorbenen Könige voran 
flaltet wurde, erhob ſich Adalbero mit dem Borichlage, daß die oben er 
wähnte, von Ludwig wider den Rheimjer Metropoliten geſchleuderte Unklage, 
welche der König nur verjchoben, nicht ganz zurüdgenommen hatte, nieberge 
ſchlagen werde. Die Fürften flimmten bei, und der Erzbiſchof bewies fein 
Dankbarkeit dadurch, daß er die Berjammelten zu dem Beichluffe bewog, ik 
Königewahl folle demnähft auf einem Reichötage vorgenommen, vorher abe 
über die Sache von einzelnen Großen nicht verhandelt werben. 

Zur feftgefegten Zeit traten die fränfifchen Herren in Senlis zur Könige 
Wahl zufammen. Abermal führte Adalbero von Rheims das Wort. Er Rellte 
der Verſammlung vor, daß Herzog Earl troß feines Erbrechtes als Lchen 
träger eine® fremden Reichs (Deutichlande), als Gemahl einer nit ebew 
bürtigen Frau,) ald ein Menich ohne Kopf, Würde und Kraft, nicht zu 
Nachfolge tauge; feine Erhebung würde Neuftriend Unglüd fein. „Wähle 
den Würbigften zu eurem Haupte,“ fuhr er fort, „ic Ichlage den eblen Her 
308 Hugo vor.” Die Mehrzahl der Anweſenden, Lehenträger des Gapetin 
gers,”) flimmte bei. Anfangs Juli krönte Erzbiichof Adalbero den Gründer 
des Eapetingifchen Haufes zum Könige. 

Mit Adalbero ergriff auch fein geheimer Rathgeber Gerbert für Hugo 
Barthei, und dieß Icheint den erften Anlaß gegeben zu haben, daß Theo 
phano fpäter den vertriebenen Abt von Bobbio preisgab. Im Ramen Hugo’ 
forderte ®erbert den Erzbiihof Siguin von Sens auf, gleih andern frän 
kiſchen Großen dem neuen Könige Huldigung zu leiften. Zu gleicher Zeit fer 
tigte er in Föniglidem Auftrage an die Beherricher des griechiſchen Ofiens, 
Bafllius und Eonftantinus, ein Schreiben aus, in weldhem er, die Madt 
und Größe Hugo's rühmend, für deſſen einzigen Sohn Robert, welcher wohl 
gemerkt damals mit Sujanna vermählt war,“ um die Hand einer Todter 
des byzantiniichen Kaijerhaufes warb. Aus Haß gegen den Herzog Garl 
ſcheint auch die verwittwete Königin Emma lieber die Thronfolge des Fremden, 
als die Erhebung des Schwagers gefehen zu haben. Wenigftend athmet fie 
in einem Briefe an Theophano bittern Groll gegen Lebteren und verfpottet 
feine hochfliegenden Plane. *) 

Aber nah andern Seiten hin ftieß der neue König auf Schwierigkeiten 


’) Richer fagt (Perg UT, 633), Carl habe die Tochter eines Bafallen geebliäht. 
) Band IV, 76. °) Daf. ©. 224. *) Gfrörer, Kirch. Welch. III. 1438 fig. 


Siebtes Buch. Gap. 32. Otto's M. Unmänbigfeit. Willigis rettet d. Reich. Gerberts Anfänge. 537 


genug. Die meiften Großvafallen Neuftriens, die an Macht dem Bapetinger 
nichts nachgaben, befümmerten fih nit um Hugo Capets Königthum, fie 
erfannten entweder den Lothringer Carl an, oder trogten dem Gapetinger in's 
Angefiht und ftellten Urfunden aus, welche mit der Formel begannen, Frank⸗ 
reih habe feinen König.) Ein dritter, der Herzog Carl, griff zum Schwert, 
und binter ihm ftand eine Kaiſerin. 

Die verwitiwete Königin Emma weilte zu Raon, wo ihr angeblicher Ger 
liebter Ascelin Biihof war. Da die legten Carlinger, wie ich früher fagte, 
dort gewöhnlich Hof hielten, legte Carl großen Werth auf den Beſitz diefer 
Stadt, weil er fi mit der Hoffnung fchmeichelte, von ihr aus das übrige 
Reich zu gewinnen. Ein Berwandter half ihm: an der Domfirhe zu Laon 
war ein natürlider Sohn des verftorbenen Königs Lothar, folglich Neffe 
Carls, Namens Arnulf, angeftelt. Diefer fpielte dem Oheim die Stadt in 
die Hand, worauf Earl fih der Perfonen Emma’d und des Biſchofs Ascelin 
bemädhtigte. Er behandelte beide hart. In dem bereits erwähnten Schreiben) 
an Theophano ruft Emma die, Hülfe der Kaiferin gegen ihren wüthenden 
Zeind, den Herzog, an und deutet zugleich leife an, daß Theophano mit gutem 
Zuge die Bitte nicht abſchlagen könne, da der Herzog, auf ihren Schu 
bauend, Laon in feine Gewalt gebracht habe. °) 

Allerdings verhielt fi) die Sache fo. Auf die Nachricht von der Eins 
nahme Laon's, die kurz nad der Krönung Hugo's erfolgte, eilte dieſer mit 
Heeresmadt vor die Etabt, vermochte fie aber nicht zu nehmen, fondern 309 
bald wieder ab. Den Grund hievon enthüllte?) er In einem an Theophano 
gerichteten Schreiben, worin er die deutiche Kaiſerin erfuchte, mit feiner Ges 
mahlin eine Zufammenkunft zu halten, auf welcher vie künftigen Verhältniſſe 
zwifchen dem deutſchen und neuſtriſchen Hofe geregelt werben follten, und dann 
die Nachricht beifügte, daß er aus NRüdfiht auf das Verlangen Theophano's 
die Belagerung von Laon aufgehoben habe. Die Kaiferin hatte alfo ven 
Herzog Earl unter ihren Fittig genommen, und aus Furcht vor der Macht 
des deutichen Hofs fand der Gapetinger für gut, nachzugeben. Es war das 
alte Lied: durd den Gegenfag zweier Thronbewerber wollte die Griechin 
Franfreih zu Grunde richten, die Unterwerfung des Landes unter die deutſche 
Krone vorbereiten. Gleihwohl nahm König Hugo wenigftens an einem derer, 
welde den Fall Laon's veranlaßt hatten, Rache, er berief nämlih, um über 
Arnulf zu richten, ein Eoneil, das wirflih den Bann über Lothars Baftard 
verhängte. ®) 

Noch verwidelter wurden die franzöfiichen Angelegenheiten durch einen 
Todesfall, ver bald nad Anfang des Jahres 988 eintrat, Den 23. Januar 


1) Band IV, 79. ?) Epistol. Gerberti Nr. 119. Ducheöue II, 817. 2) Efcixer, 
Kirch. Gel. M, 1440 fig. 


298 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


des genannten Jahres ftarb') Erzbiihof Adalbero von Rheims. Gerber 
verfichert,) fterbend habe Adalbero ihn jelbft zum Nachfolger empfohlen, aub 
behauptet?) ebenverfelbe, daß er fofort von den angefehenften Mitgliedem des 
Rheimſer Elerus ald Mann ihrer Wahl bezeichnet worden fei. Im der That 
gebahrte er fi wie ein Amtsverweſer. In einem noch vorhandenen Erlafle’) 
ermahnte er Volf und Gemeinde, in Ruhe die Wahl eines neuen Hirten 
abzuwarten und die Güter des Berftorbenen unangetaftet dem Nachfolger 
zu bewahren. 

Sept mußte es ſich zeigen, wer Herr in Rheims fe. Laut dem Be 
zichte Richers, der hier, wenn nicht ald Augenzeuge, doch als Zeitgenoffe Iprict, 
eilte fofort König Hugo nad Rheims, ward ohne Anftand in die Stadt ein 
gelafjen, veranftaltete die Leichenfeier, nahm dann den Bürgern einen Eid 
der Treue und das Angelübniß ab, Stadt und Feftung gegen jeden Feind 
zu vertheidigen, beftätigte ihnen dafür dad Recht, frei einen neuen enziſchoͤf⸗ 
lichen Herrn zu wählen, und fehrte hierauf nad) Paris zurüd,') wo er gewöhn⸗ 
(ih Hof hielt. Demnach ftand dem Volf und Elerus die Befugniß zu, den 
Stuhl durch Wahl zu bejegen. Aber nit die Rheimſer Eimwohnerfcaft, 
fondern die deutſche Kalferin verfügte über Neuftriend Metropole. 

Sn der Brieffammlung Gerbertd findet ſich folgendes Schreiben,*) das 
im Namen der Gemeinde von Rheims an die Gebieterin Theophano gerichtet 
iſt: „ſtets gereicht es uns zur Freude, für Euren Vortheil zu arbeiten, denn 
wir haben und ganz Eurem Dienſte hingegeben. Demgemäß bitten wir Eure 
Herrlichkeit und Das zu gewähren, was Ihr und früher durch Boten zuge: 
fihert habt, nämlich daß wir befugt fein follen, im Kalle irgend ein Etuhl 
längs der Graͤnze zur Erledigung käme, denjelben Eurem Vortheil gemäß durd 
unfere Wahl zu befegen. Dieweil nun bei und Abt Gerbert weilt, der wegen 
jeiner Treue aus Italien vertrieben, Euch ftetd unwandelbare Anhänglicteit 
erwicd, und wegen biefer Gefinnung in unferer ganzen Provinz gefeiert ift, 
wünfchen wir ihn auf den Stuhl von Rheims zu erheben“ u. |. w. 

Die Bittſchrift war vergeblid), nicht Gerbert, fondern der unächte Bars 
linger Arnulf, Lothar Baftard, Carls Neffe, wurde — und zwar gemäß dem 
Verlangen der Theophano — auf den Etuhl des heil. Rhemigius befördert, 
und fo ungern der Bapetinger Hugo das Geſchehene gut hieß, wagte er doch 
nicht, dem ausgeſprochenen Willen der deutichen Kaiferin zu troßen. 

Die eben entwidelte Thatjache verdient gründliche Erörterung, Erftlic 
König Hugo Eapet hat weder Arnulf zum Erzbifchof ernannt, noch überhaupt 
die Wahl gebilligt. in Eid") liegt vor, den der Gapetinger dem neuen 
Metropoliten abverlangte: „Ich, Arnulf, ſchwoͤre, daß id den Sönigen der 


*) Berk III, 636. *) Gfrörer, Kir. Geſch. UI, 1440 fig. 3) Daf. ©. 1441. 
) Epistol. 117, Ducdpeöne II, 816 unten fl. ) Gfrörer a. a. ©. DI, 1442. 


Siebtes Buch. Gap. 32. Otto's NI. Unmündigkeit. Willigis rettet d. Reich. Gerberis Anfänge. 530 


Franzoſen, Hugo und Robert, (der Vater hatte feinen Sohn Robert zum 
Mitregenten angenommen) bie lauterfte Treue bewahren werde. Diefes gelobe 
ih im Ungefiht des Allmächtigen, im Angeficht ver feligen Geifter und der 
ganzen Kirche, für die treue Erfüllung den Lohn des Paradieſes erwarten. 
Sollte ih aber — was ferne fei — meinem Berjprechen untreu werben, fo 
verfehre fi mein Segen in Fluch, fo mögen meine Tage dahinfchwinden, 
mein Bisthum empfange ein Anderer, meine Freunde mögen von mir weichen 
und fih in Topfeinde verwandeln.” Richer meldet,') Arnulf habe dieſen 
Schwur durd den Genuß des Altarfaframents beftegeln müfjen. Klar erhellt 
aus dem Eide, daß der König Mißtrauen gegen den Garlinger Arnulf hegte. 
Würde er nun einem folhen Manne eine Metropole anvertraut haben, von 
deren Führung die Zukunft des neuen Herrjcherhaufes abhieng, wenn feine 
Hände frei und ungebunden gewejen wären? Nimmermehr! j 

Zweitens jo wenig als feine beiden Vorgänger die Garlinger Ludwig 
und Lothar, befaß Hugo Capet Iandesherrliche Gewalt über Stadt und Ges 
biet von Rheimd. Wie ich oben zeigte, beftand faft feit einem halben Jahrhun⸗ 
dert die Einrichtung, daß die deutfchen Kaifer Otto L, Dtto II. den Erzftuhl 
des heil. Rhemigius in Faͤllen ver Erledigung beſetzten. Nun galt damals 
durchs ganze Abendland der Grundfag, den Pabſt Johann X. 921 in der Bulle?) 
an den Gölner Erzbifhof Herimann ausſprach:) „nur der König, dem das 
Ecepter durch Gottes Gnade übertragen ward, kann Bisthümer an Elerifer 
vergeben." Folglich war nicht die frangöfiiche, fondern die deutſche Krone 
Herrin über Rheims. Namentlih findet dieß auf den Erzbiihof Adalbero, 
den Vorgänger Arnulfs, feine Anwendung. Stand derſelbe nit an der 
Spige der deutſchen Parthei im Ueberrhein, und war nit hauptfächlich er es, 
welcher die von König Lothar erftrebte Vereinigung Lotharingiends mit Neu- 
ftrien verhinderte? Wie hätte er ſolches ungeftraft thun Fönnen, wenn er in 
Pflichten der neuftriichen Krone fand? 

Auch Richer zeugt für unfere Behauptung. Adalbero hat laut dem Ber 
richte dieſes Chroniften die Erhebung Hugo's auf den franzöflihen Thron 
durchgejegt und ift fieben Monate jpäter geftorben. Erft nad dem Tode des 
Erzbiichofs aber beſuchte Hugo die Stadt Rheims und ließ ſich die Huldis 
gung leiften. Daraus folgt, daß, jo lange Adalbero lebte, die Bürgerfchaft 
der Krone gar nicht verpflichtet war. Sodann hebt Richer hervor, der König 
fei gutwillig in die Stadt aufgenommen worden. Dffenbar jept er, hiebei 
voraus, daß die Bürger, wenn fie wollten, dem Gapetinger hätten die Thore 
vor der Naſe zujchließen können. Enplich- beichränfte fih die Huldigung, 
weldhe Hugo empfieng, darauf, daß fie fchwuren, die Stadt gegen jeden Feind 
des Königs zu vertheidigen. Dagegen mußte er feiner Seits fämmtliche 


) Ofrörer a.a. DO. III, 1442. *) Jaffd, regest. Ar. 2731. Sicht hen S, 7%, 


540 Pabſt Sregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Mechte der Stadt, namentlich die Befugniß der Einwohner beftätigen, nad 
ihrem eigenen Ermeſſen erzbiſchöfliche Herren zu wählen. 

Drittens nit nur die oben angeführte Urfunde und der Erfolg beweitt, 
daß die Einfegung Arnulf von Theophano ausgieng: in ven Alten des 
Rheimſer Concils vom Jahre 991 findet fi die Anklage,) Arnulf fei wiber 
den Willen des Königs durch Theophano und andere Feinde der neuſtriſchen 
Krone erhoben worden. Die Sade verhielt fid damals jo: der Rheimfer Er. 
ſtuhl übte kirchliche Hoheitsrechte über eine große Anzahl neuftriicher Bis 
thümer, bieng aber nur dem Namen nach von der neuftriichen Krone ab; Stadt, 
Gebiet und Stuhl bildete eine Art von jelbftftändigem geiftlihem Yürftenthum, 
das unter dem Schuße der Ottonen ftand. Dieſes Schupverhältniß hatte zur 
Holge, daß in Erledigungsfällen die Rheimfer nur foldhe Bewerber wählen 
durften, welche dem deutſchen Hofe angenehm waren. Die Bürgerſchaft be 
faß das Wahlrecht, aber blos unter gewiſſen Beichräufungen. 

Rufen wir die tägliche Erfahrung zu Hilfe Wer wählte zu Rheims? 
Ohne Zweifel, wie überall, der Adel und der Clerus. Nun verfügte der deutſche 
Hof im benadpbarten Lothringen über hübſche Lehen, fette Pfründen, die er 
geiftlihen und weltliden Herren unter dem Beding verleihen mochte, jeder 
werde fo lange die Fatjerlihe Gnade genießen, al8 er feine dankbare Geſinnung 
durch die That bei etwaigen erzbiihöflihen Wahlen bewähre. Begreiflicher 
Weiſe mußten die aljo Bevorzugten, um nicht Zehen und Pfründen zu ver 
lieren, wählen, wie es dem Hofe gefiel. Unten wird ſich ergeben, daß aller: 
dings Theophano dieſes Mittel angewendet hat. 

Die an fie gerichtete Zufchrift Gerbertd gibt noch über einen weiteren 
Hebel Aufjhluß, den fie zu gleihem Zwede in Bewegung ſetzte. Die Bitt 
fteller pocyen darauf, daß ihnen von Theophano das Recht verliehen worden 
jet, jobald irgend ein Stuhl längs der Gränze erledigt werde, denſelben — 
entfprechend dem Bortheil des jächfiichen Hofes — durd ihre Wahl zu be 
ſetzen. Längs der Gränze lagen die deutihen Bisthümer Cammerich, Ber 
dun, Meg, Toul. Das Wahlrecht bezüglich dieſer Stühle muß aljo die Gries 
hin den Rheimſern zugefihert haben. Warum that fie dieß? Ohne Frage, 
um die Rheimfer Wähler jo ſtark, als irgend möglid, an das Intereſſe der 
deutſchen Krone zu feſſeln. 

Bei allen bifhöfliben Wahlen wurde damald Beftehung getrieben, ders 
jenige Bewerber, der — die Einwilligung des Hofed vorausgejegt — am 
beften zahlte, drang durch. Mit dem Gelde Derer, welde nad den lothas 
ringifhen Bisthümern, Toul, Metz, Verdun, Cammerich angelten, hat 
Theophano, wie man ſieht, den politiihen Gehorfam der Rheimjer Metros 
pole erfauft. Dan muß die Irrgänge der Simonie fennen, um die unerbitt 


2) Acta concil. rhem. cap. 31. Berk II, 679. 


Siebtes Buch. Gap. 33. Theophano's Wirkſamkeit in Italien und Dentfchland. SA 


liche Entfchloffenheit zu begreifen, mit welcher Petri Statthalter auf Abſchaf⸗ 
fung des Greuels der Greuel drangen. 

Daß Dtto I. die Schußvogtel der deutfchen Krone über den Rheimſer 
Erzftuhl in der Abficht gegründet hat, um von dort aus mittelft Tirchlicher 
Springfedern nad Belteben Neuftrien zu verwirren, fpringt In die Augen. 
Zu gleihem Behufe erhob Theophano den arlinger Arnulf. Derfelbe follte 
nach ihrem Plane Das thun, was er nachher wirklich in's Werk fehte, nämlich 
gemeine Sache mit dem Lothringer Carl maden, und im Bunde mit ihm 
dem apetinger Hugo, den die Kaiferin vernichten oder wenigſtens nicht aufs 
fommen laſſen wollte, einen Pfahl in's Fleiſch treiben. 

Tag und Monat, da Arnulf gewählt und geweiht warb, ift unbekannt. 
Nur fo viel weiß man, daß zwifchen dem Tode Adalbero's und der Einſetzung 
des Nachfolgers längere Zeit verſtrich.) Er kann den Stuhl des heil. Rhemi⸗ 
gius nicht wohl vor dem Sommer 988 beftiegen haben. 


Breinnddreißigfies Lapitel, 


Nachdem Kaiferin Theophano die früher erzählten Dinge in Lothringen verrichtet Hatte, 
wanbte fie fi gegen die Mitte des Sommers 988 über die Alven, um auch Italien 
in ihrer Weife zu ordnen. Gedichte des Kirchenſtaats während ber Jahre B884—990. 
Babft Johann XIV. war im April 884 — kurz nachdem Theophano von Willigis gerufen 
fi ins deutfche Reich begeben hatte, um ihren Sohn Otto III. aus den Händen bes 
Gegenkoͤnigs Heinrich zu empfangen, von Bonifacius, der aus Griechenland zurückkehrte, 
geflürzt und umgebracht worden. Nur ein Jahr Fonnte fi Gegenpabſt Bonifacius 
balten ; dann ermordeten Ihn die Römer. Beweis, daß Sohann Grescentius IV., Sohn 
des gleichnamigen Vaters, der 984 als Mönch farb, Solches und zwar im Ginvers 
fländnifle mit der Kaiſerin Theophano bewerkſtelligte. Ebenderſelbe erhob fofort, unb 
zwar abermal im Ginflang mit Theophano, den Römer Johann XV., fein Geſchoͤpf, auf 
Petri Stuhl, und beherrfchte feitvem faſt unumfchränft Rom und den Kirchenftaat. 
Theophano vermag ihn feit Ihrer Rückkehr nach Italien nicht gründlich zu dämpfen, 
weil er ihr zu mächtig geworben war, bagegen ladet fie ihm nahe Wächter auf den Hale. 
Trafimund mug Spoleto und Camerino abgeben, wirb aber mit der @rbgrafichaft Chieti 
entf&Häbigt. Beide ebengenannte Marken erhält zu Tuscien bin Hugo, Hubert Sohn, 
der bie volle Gunft Theophane’3 erringt und ihr als Gegengewicht wider Gredcentius 
dient. Reue Berwidlungen zu Rheims beflimmen fie im Sommer 990 zur Mücdreife 
nad) Deutſchland. Dort angefommen, ſtirbt Theophano im Juni 991 fchnell weg. Ihre 
byzantinifchen Schöpfungen traurigfter Art. Die Kaiferin Großmutter Adelheid verliert 
allen Einfluß durch die Mänfe der Schnur. Hugo von Tuscien und ber Kapuaner 
Laibulf, fo wie andere Italiener am deutſchen Hofe. Die bevorzugten Günftlinge Theos 
phauo's, Johann der Calabreſe, Erzbiſchof von Piacenza, und Bernwarb ans dem Haufe 
Sommerſchenburg müflen nad) dem Tode ber Griechin weichen. 


Genau fo lange, bis die Erhebung des unächten Carolingers eine vollen⸗ 
dete Thatſache war, blieb Theophano in Deutſchland, dann wandte fie ſich 


) Manfl XIX, 93, Mitte. 


542 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


über die Alpen, um aud Stalien in ihrer Welfe zu ortnen. Unglaublh 
dürftig und mangelhaft find vie Nachrichten der deutſchen und neuftride . 
Ehroniten über die Geſchichte des Zeitraums, der zwilhen 984 bis Ende #9 
verlief. Wäre die Brieffammlung Gerberts nicht auf und gefommen, fo wärk 
undurcdringliches Dunkel die Vorgänge zu Rheims und die Anfänge des Ex 
petingiſchen Königthums beveden. Leider fehlt eine ähnliche Duelle bezügfis 
der italienifchen Ereignifje, und man ift großentheild auf Schlüſſe beichränft. 

Sn einer Stalien betreffenden Urfunde,!) welche Otto III. unter im 
3. Aprit 989 zu Quedlinburg ausftellte, braudt er von Theophano, die da⸗ 
mals in Stalien weilte, den Ausdruck: „unfere geliebte Mutter und Thell 
haberin unferer Königreiche.“ Das deutet darauf bin, daß fie fi von tem 
unmündigen Sohne befondere Vollmachten bezüglich Italiens vor ihrer Ahreik 
hatte ertheilen lafjen. Allerdings bedurfte dieſes Reich einer forgfamen Hant. 
Sch werde zunähft nachholen, was feit dem Frühling 984 dort vorgegangen 
war. Oben wurde gezeigt, daß Theophano allem Anſcheine nach bis zum 
April 984 in Rom blieb, dann zu ihrer Schwiegermutter nad Pavia eilk, 
und in Gefellichaft verfelben über die Alpen herüber fam, um am 29. Juni 
den biöher gefangenen Thronerben aus den Händen des Gegenkönigs Hein 
rih in Empfang zu nehmen. Bald nachdem fie Rom verlaffen hatte, muf 
geichehen fein, was Herrmann der Rahme und einige Pabftbücher folgender 
Maßen?) melden: „der Gegenpabſt Bonifacius, Mörder Benedikts VI., kehrte . 
aus Conftantinopel, wohin er vor 10 Jahren geflohen war, nad Rom zu: 
rũck, ſetzte den Pabſt Johann XIV. ab, warf ihn in die Engelöburg, peinigte 
ihn 4 Monate Tang, und ließ denfelben zulegt ermorden.“ 

Laut einer alten Grabſchrift) verfhied Johann XIV. den 20. Auguft 9%. 
Da die Zeit feiner Gefangenfhaft und Martern 4 Monate dauerte, folgt, daß 
die von dem Gegenpabfte zugerüftete Ummwälzung in den April defjelben Jahre? 
fällt, was genau mit der oben nachgewieſenen Rechnung übereinftimmt. Ben 
ſelbſt verfteht «8 ſich, Bonifacius kann nur mit griebifchem Gelde, vielleict 
aud von griehifhen Waffen unterftügt, Rom überwältigt und den rechtmäßigen 
Pabft geftürzt haben. Meines Erachtens hatte der byzantiniſche Hof die Ab— 
reife der deutſchen Kaiſerin abgewartet, um in der Meltmetropole felber tie 
Srücte des bei Rap Stilo errungenen Sieges über Dtto II. zu pflüden. 

Offenbay glaubte der Kaiſer des Oſtens die deutſche Herrichaft über 
Stalien in Folge der Unruhen, die diefjeits der Alpen nad Otto's II. Tod 
ausbradhen, vernihtet. Allein Bontfacius, das Geſchöpf der Griechin, ver: 
mochte nur furze Zeit die angemaßte Gewalt zu behaupten. ine einzige von 
ihm ausgeſtellte Bulle ift auf uns gefommen, fraft welder er das im Gebiet 


— — — —— 





9) Muratori, antiq. Ital. VI, 349: nostra dilecta genitrix et consors regnorum nostro- 
rum. ) Jaffé, regest. S. 336 oben. 


Siebtes Buch. Gay. 33. Theophano's Wirkſamkeit in Stalien und Deutfchland. 543 


von Silva Candida gelegene Schloß Petrapertufa fammt Zubehör an einen 
Ungenannten für einen Jahreszins von 10 Goldſtücken verpachtete. Eilf Monate 
nach dem Tode Johanns XIV. erfuhr Bonifacius daſſelbe Schickſal, das er 
zweien Vorgängern bereitet hatte. 

Die nämlihen Quellen, welche Johanns XIV. Sturz erzählen, berichten‘) 
weiter: „eilf Monate lang faß Bonifacius nah Johanns XIV. Ermordung 
auf Petri Etuhle, dann ward er felbft jählinas aus der Welt geſchafft. Solchen 
Haß legten die Mörder gegen ihn an den Tag, daß fie die nadte Leiche miß⸗ 
handelten, mit Langen durchftießen und vor die Reiterftatue Conftantind bins 
warfen. Cleriker, die am andern Morgen herbeifamen, hoben die Gebeine 
des Todten auf und begruben fie.“ 

Da der Vorgänger des Bontfadus am 20. Auguft 984 umgebracht 
worben war, ergibt fich, daß Die eilf Monate feines Pontificats im Juli .985 
abliefen. Späteftens zwei Monate nachher — im September‘) 985 — hatte 
Rom einen neuen Pabſt. Derfelbe hieß Sohann,*) wird in der Reihe gleich» 
namiger Statthalter Petri als der fünfzehnte gezählt, war der Sohn eines 
Presbyters Leo und geboren zu Nom in dem Stabttheile, welcher die Bes 
zeihnung zur weißen Henne führte. Dieß ift fo ziemlich Alles, was uns 
über römifche Zuftände während der Jahre 984 und 985 überliefert wurde, 

Zwei Bragen müſſen beantwortet werben: erftend wer hat den Schüß- 
ling der Byzantiner Bonifacius geftürzt, und zweitens wer feste den Nach⸗ 
folger defielben, Johann XV. ein? Ic beginne mit Entwirrung des zweiten 
Knoteus: ftetd iſt Pabft Johann XV. vom deutſchen Reichsregiment aners 
fannt worden, ebenderfelbe leiftete dem fächflihen Hofe — namentlich in ver 
Sade des Rheimjer Erzſtuhles — wichtige Dienfte, und endlih um Pabft 
Sohann XV. zu retten, trat Dtto IIT. feinen erften Römerzug im Jahre 996 
an. Aus diefen drei unbeftreitbaren Thatfachen erhellt mit vollfommener 
Eicdherheit, daß Johann XV. nicht ohne Einwilligung der deutſchen Regierung 
Betri Stuhl beftiegen haben Tann, oder befler, daß er auf ihr Betreiben feine 
hohe Würde erhielt. 

Sodann erjcheint der neue, unter Zuthun des ſächſiſchen Hofes eingeſetzte 
Pabſt faft zehn Jahre in Abhängigkeit von einem römiſchen Großbeamten, 
welcher urfundlih den Titel Patricier empfängt, ein Sohn des 984 verftors 
benen Erescentius war, und gleich feinem Vater Johann Erescentius hieß. 
Mit vdiefem Erescentius verhielt es fih, bezüglich feiner Stellung zu dem 
faiferlihen Haufe faft ebenfo wie mit Johann XV. Die deutiche Regierung 
ließ ihn bis 995, obdgleih er Rom wie ein Tyrann beherrfchte, ungehindert . 
gewähren, insbeſondere aber hat die Kaiferin Theophano in den Jahren 989 


— — — — — 


N) Ehendaf. 3) Zaffo Nr. 2926. ®) Id. ibid. ©, 337. %) Eccard, corpus 
bistor. med. aeri II, 1640. 


544 VPabſt Gregotiuß -VIL und fein Seltalter. 


und 990, da fie Stallen orbnete, hohe Lehenträger eins und abfegte, wi 
wider den Patricier unternommen. Daraus muß man den Schluß ziehe, 
daß Johann Erescentius nicht ohne deniſche Einwilligung das Patriciat a 
ſich gebracht hat. 

Wann begann num die Gewalt des Crescentius? ine Urkunde!) von 
3. Sanuar 986 if auf und gefommen, deren Eingangsworte fo Tanten: „Im 
erftien Jahre der Verwaltung des Herrn Pabfld Johann XV., Römer In% 
zahl 14, am 3. Tage ded Monats Jamar, da Herr Johann Crescentin 


der Sohn, über dic Römer ald Patricier berrfchte, und zwar im erften Jahr, 


diefer feiner Herrihaft." Das Patrielat des Erescentius nahm alfo zwoffchen 
dem 3. Januar 985 und dem gleihen Tag des nädften Jahres, folgfich wm 
die nämliche Zeit, da auch Johann XV. Petri Stuhl beftieg, feinen Unfany. 
ME andern Worten, beide Ereignifie, die Erhebung Johanns XV. auf Bei 
Stuhl und die Beförderung des Gredcentius zur Würde des Batricktie ib 
gleichzeitig, ja fle ſtehen ohne Zweifel in enger Verbindung mit einander. 


Da das Patriciat feinem Begriff nach eine gewiſſe Oberaufficht über 
das Pabſtthum in fich fchließt, da weiter Johann XV. nicht ohne Kiwi 
gung bes deutfchen Hofes die dreifache Krone erlangte, da drittens eben ber 


felhe nur nad) vorangegangenem Sturze des griechiichen Werkzeugs Bontfachs 
erhoben werben fonnte, brängt fi bie Bermuthung auf, daß Johann Cres⸗ 


centius im Auftrage der vormundfchaftlihen Regierung den Schkäling der riechen | 


niedergeichlagen, und dann den fünfzehnten Johann eingefeht habe, fo wie 
daß Grescentius felbft zum Lohn für dieſe geleifteten oder verfprocdhenen Dienſte 
vom ſächſiſchen Hofe ale Patricier anerfannt worden ſei. Ich will fagen: 
die Role, welche Erescentius IV. 985 in Rom fpielte, die Ermorbung bed 
Bonifacius, die Einfegung Johanns XV., war zwiſchen dem Römer und ber 
Oriehin Theophano verabredet. 

Kein geringes Gewicht erhält die eben entwidelte Behauptung burd bie 
Art, in welcher der oben mitgetheilte Bericht tiber den Ausgang de Boni 
facius abgefaßt if. Derfelbe zeichnet ſich durch auffallende Zurückhaltung 
aus. Wir erfahren blos, daß Bonifacius jählings endete, und daß „Leute“ 
die Leiche mißhandelten, durchſtachen, nadt vor die Reiterflatue hinwarfen. 
Aber darüber, wer die Mörder geweien felen, beobachtet der unbekannte Schreis 
ber hartnädiges Stillſchweigen. Natürlich! es vertrug fich nicht mit den Ber 
griffen kirchlichen Anftands, offen zu fagen, daß die Kaiſerin Theophano Be 
fehl gab, den Gegenpabſt aus der Welt zu fchaffen, daß fle weiter dem Mörder 
sum Lohn für diefen Dienft das Patriciat zuerfannte, noch daß fie ebendem⸗ 
jelben den Auftrag erteilte, den fünfzehnten Sohann auf den dur Mord er- 
(edigten Stuhl Petri zu erheben. 


— — — 


Crosoentione, Alio, Romanoram patricio. 





—— —— 


Siedres Bud. Gay. 33. Theophano's Wirkſamkeit in Italien und Deutfchland. 54% 


Auch ein unmittelbares Zeugniß Tiegt vor. Biſchof Bonizo von Sutri 
Schreibt‘) in der mehrfach angeführten Weberficht Älterer Päbſte, Crescentius, 
welcher den Titel Patrictus trug, habe einen Pabft eingefeht, den er nachher 
wieder vertrieb, und auf den fpäter der Grieche Johann von Piacenza ges 
folgt ſei. Das paßt Alles genau auf den fünfzehnten Johann und nur auf diefen. 
Auch Finnen die Verſtoͤße, melde Bonizo ebenvafelbft in Nebenumftänden 
(vielleicht blos durch Nachlaͤſſigkeit der Abfchreiber) gegen die hiſtoriſche Wahr⸗ 
heit begeht, der Glaubwürdigkeit ſeiner Ausſage im Ganzen keinen Abbruch 
thun. War es der Patricier Crescentius, der Johann erhob, ſo kann aus 
den oben entwickelten Gründen fein Zweifel fein, daß er ſolches mit Zuſtim⸗ 
mung und im Auftrage des Faiferlihen Hofes gethan hat. 

Sehr gut flimmen nun diefe mühlam erhobenen Thatfachen zu dem 
allgemeinen Zuſammenhang damaliger Verhältniffee Um die Zeit, da Theo 
phano Rom verließ, Hatten die deutfchen Angelegenheiten eine verzweifelte 
Wendung genommen. Ueberall brachen die Feinde des fächflihen Hauſes 
— und daſſelbe war durch die ganze Welt verhaßt — Dänen,?) Slaven,?) 
Franzoſen, einheimifhe Empörer los. Auch der byzantiniſche Kaiferhof nahm 
die günftige Gelegenheit wahr, er fchidte feinen alten Schützling, jenen Bor 
nifacius, nad Rom zurüuͤck und flattete ihn mit den nöthigen Mitteln aus, um 
den deutfchgefinnten Johann XIV. zu befeitigen, und fi felb auf Petri 
Stuhl zu ſchwingen. Aus Brucftüden römischer Urkunden weist”) Georgi 
nad, daß Bontfacius fein Pontififat vom Jahre 974, dem Zeitpunfte feiner 
erften Erhebung, rechnete,, folglich die deutſchgeſinnten Päbfte Benedikt VII. 
und Johann XIV. als Anmaßer behandelte Aber die Herrlichkeit dauerte 
nur 11 Monate, bis zum Juli 985. 

Diefe Thatfache findet abermal in deutſchen Ereigniſſen ihre Erflärung. 
Genau um biefelbe Zeit war der Tangwierige Thronftreit zwiſchen Otto III 
und dem Gegenfönige Heinrich durch Webertragung des Herzogthums Balern 
an legtern beigelegt worben.*) Alsbald fchlug die lehte Stunde für Bonifacius. 
Daß Theophano das Wefen, das diefer Mann zu Rom trieb, welde Stabt 
die Kaiſerin ſtets im Auge behielt, nicht länger dulden wollte, {ft begreiflidh: 
fie Fonnte jeßt die Hand rühren. Gleichwohl erlaubten die nod immer 
fchwierigen Umftände nicht, deutſche Streitkräfte über die Alpen zu Ichiden. 
Deßhalb bedurfte Theophano, damit fle zum erwünjchten Ziele gelange, ber 
Hülfe eines mächtigen Roͤmers. 

Wen anders aber hätte fie für ihre Zwede verwenden können, als den 
Sohn defielden Großherzogs Johann Crescentius, der durch bie argliftige 
Staatöfunft Otto's L feit 967 zu fchwindelnder Gewalt befördert worben_ 

2) Novae Patrum bibliothesse tomus septimus, pars III, 45. n Gfrorer, Kirch. 
Geſch. II, 1410 fig. %) Bei Baronins ad a. 985. Ausgabe von Lucca XVI, 276. 
) Oben ©. 532. | 

Ofroͤrer, BabR Gregerine vu, Bd. V. En ' 


546 Vabſt Gregorind VIL und fein Seitafler. . m .. 2:2 


war. Der füngere Crescentius aber ftellte feine VBebingungen, auf weile 
Theophans eingehen mußte. In Folge biefer Vebereinfunft iſt fofort Beab 
facius ans der Welt geichafft, ver Priefteriohn Johann XV., ein Gänfäy 
der Grescentier, erhoben und Erescentius felbf mit der Wärbe eines Pau—⸗ 
ziers audgerüflet worben. 

Ein Achter Sohn feines Baters, ſuchte Erescentius IV. aus Dem üe 
übertragenen Amte fo viel Nuten zu ziehen als möglih. Unverlennbar: frei 
er dem von Alberih IL, dem Patricier und Fürften Roms, gegebenen Bew 
bilde nad. Die oben erwähnte Urkunde braucht von feinem Walten bad 
Wort imperare. Crescentius wollte etwas, wie ein Kaiſer fein. Llnwerhele 
reden andere Zeugen. Franzoͤſiſche Geſandte, welde im Auftrage Huge 6 
pet 990 Rom befucht hatten, berichteten‘) nachher: „nur wer (Grescentiad 
ſchmiere, könne Zutritt zum Pabſte erlangen. Die römiihe Kirche, Brut 
und Haupt aller übrigen, ſeufze unter der fchmählihen Tyramei des Batıı 
ciesd.* Richt Bartheilichkeit gab dieſe Behauptung ein. Der roͤmiſche M 
Leo, von dem unten die Rebe fein wird, gegen Ende des zehnten Jabıkas 
derts Bertreter der nämlichen Grundſätze, welche hundert Sabre fpäter Gew 
gor VII. verfocht, ſpricht) ſich in nleihem Sinne aus: „durch (Grescentiud 
bart bebrüdt, hatte Pabft Johann XV. die Kreiheit des Handelns verloren.‘ 

Ein Ravennatifches Pergament‘) vom Mai 988 liegt vor, welches bie Jeit⸗ 
befiimmung trägt: „im dritten Jahre der vähftlichen Renierung Sohanne XV. | 
da wir, feit dem Tode Otto's IL feinen Kalfer mehr im Lande haben‘! 
Welch inhaltihwerer Einn liegt in diefen einfachen Worten! Man mußte in 
Stalien wiſſen, daß die Händel zwiſchen Frankreich und Deutichland fort 
dauerten, und daß Zunder genug zu neuen Unruhen vorhanden ſei. Ungeſchen 
griffen Die Großen Italiens um fih. Nicht Iange vorher war es gefchehen, 
daß jener Ardoin von Ivrea feine Tochter Ichilda mit Cuno, dem Sohne bei 
ehemaligen Königs Adalbert, zu ‚vermählen wagte. *) 

Unter ſolchen Umftänden hatte wahrlih die Kaiſerin Theophano guten 
Grund, jene Reife über die Alpen anzutreten. Die Ehronif von Quedlinburg 
melbet:*) „Iheophano beging das Weihnachtfeſt 989 zu Rom, und bradte 
dad ganze dortige Land unter die Gewalt der deutichen Krone.” Da im 
Mittelalter Weihnachten meift als Anfang des neuen Jahre betrachtet wonrbe, 
während nad unferer Rechnung diefed Fer in den Schluß des alten Jahres 
fällt, if Mar, daß der Mönch nach heutiger Weiſe verftanden, Weihnachten 
988 meint. Bor Weihnachten deffelben Jahres hatte alfo die Kaiſerin Deutſc⸗ 
land verlafien und die zwiſchen dem Rhein und der Tiber liegenden Gegen: 
den durchreist. Dur die Behauptung, Theophano habe Italien unterworfen, 

ı) Berg III, 691 unten. 2) Ibid. ©. 689 gegen unten. °) Yantupgi, meonum. 


Bavennat. II, 303; man vergl. Jahrbücher des beutfcgen Keichs II. b. ©. 65. 9) Oben 
©. 506 fig, *) Perh III, 68, 





Siebtes Buch. Gap. 33. Theophano's Wirkfamkeit in Italien und Deutſchland. 54% 


gibt der Quedlinburger Ehronift, der überhaupt große Verehrung für die Kai⸗ 
ferin zur Schau trägt, zu verftehen, daß vor ihrer Anfunft Unordnungen aus: 
gebrochen waren, und daß ſich manche Große gegen die Herrichaft ihres Sohnes 
aufgelehnt hatten. 

Zwei Jahre, wahrſcheinlich bis zum Spätherbft. 990, blieb Theophane 
in Stalien, während welcher Zeit fie den Titel Kaiferin oder gar Kaiſer ans 
nahm, und die Jahre der Regierung ſeit der Friſt ihrer Vermählung mit 
Dtto II. zählen ließ. Die Chronik des Klofters Farfa bemerkt‘) zum Jahre 
990, daß Theophano daß kaiſerliche Scepter führte. Auch Aktenſtücke brauchen 
ähnlibe Ausdrüde Bon ihrer Wirkfamfeit in Italien zeugen folgende Urs 
Funden: eine päbftlihe Bulle?) Johanns XV., ausgefertigt den 19. October 
989, beftätigt Breiheiten und Rechte des Kloſters Lorſch „aus Liebe zu Otto TIL, 
zu feiner geliebten Mutter Theophbanu, und zu feiner Großmutter, der Herrin 
Adelheid.” Hier werben neben einander die beiden Vormünderinnen erwähnt. 
Ich denke diefe Aufmerffamkeit des Pabſts war eine Frucht der Anmelenheit 
Theophano's in Rom, denn in andern Urfunden, die fi auf Deutichland bes 
ziehen, fchweigt Johann vom deutſchen Kaiſerhauſe. 

Im Sanuar 990 ftellte Theophano felbft zu Rom einen Gnadenbrief?) 
für das Klofter zum h. PVincentius an den Quellen des Volturno aus. Im 
März deſſelben Jahres findet man fie zu Ravenna. Auf Befehl der Katjerin 
bielt*) dort Erzbifchof Johann von Piacenza, ihr Günftling, den 13. März 
Gericht. Den 1. April, „im 18. Jahre ihrer kaiſerlichen Regierung,“ jchenfte®) 
fie ebendaſelbſt auf Bitten des Fürften Hugo dem Klofter Farfa eine in ber 
Marfe Camerino gelegene Beſitzung. 

Sonft erfennt man in zwei andern gleichzeitigen Ereigniffen die Hand ber 
Kaiferin Theophano: erftend in dem Verfahren, welches Pabft Johann XV. 
990 gegen die Gefandten des Capetingers Hugo von Neuftrien einhielt — 
bievon wird unten die Rede fein — ; zweitens in der Beförderung eines jchon 
vorher mächtigen italienischen Kürften. ine Urkunde‘) vom Juli 989 liegt 
vor, aus welcher erhellt, daß damals Hugo, den wir 983 ald Markgrafen 
in Tuscien fanden, nicht mehr blos Markgraf, fondern zugleich Herzog war, 
mit andern Worten, daß er neben Tuscien das Herzogthum Spoleto bejaß. 
Run hatte Lepteres, wie früher”) gezeigt worden, von 982 an bis 985 und 
wahrſcheinlich auch bis 988 Trafimund inne gehabt. Nothgedrungen muß 
man daber annehmen, daß Trafimund Spoleto nicht bis 989 zu behaupten 
vermochte, fondern dieſes Lehen verlor und etwa bloß die Marfe Camerino behielt. 


*) Muratori, script. rer. ital. II, b. 304: Theophanius imperarit anno Dom. 990. 
2) Jaffé Rr. 2935. ”) Muratori, script. I, b. 484, b. 4) Muratori, annali d’Italia 
ad a. 990. Man vergl. noch Jahrbücher des deutſchen Reichs I, b. ©. 66. Note 3. 
5) Daf. u. bei Fatteschi ©. 307: Theophanius gratia divina imperator augustus. °) Mu⸗ 
ratori, ibid. ad a. 989, ) Oben ©. 508. 


27% 


548 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Nur die Reihöregentin Theophano kann es geweien fein, welche Eye 
Ieto Reßterem entzog und Erfterem verlich. In der That wird dieſe Vorau 
fegung durch Flare Zeugniſſe beftätigt, die ich unten anzuführen mir vorbehakk. 
Diefelden liefern nämlih den Beweis, daß Traſimund bis 993 im Bee 
Gamerino’8 blieb, dann aber auch diefe Marfe an Hugo abtreten mußte, ve 
nunmehr neben Tuscien und Epoleto auch noch Camerino behberrichte. 

Warım aber gab Theophano das Herzogthum Spoleto an Hugo? Kam 
läßt fih ein anderer Grund denfen, als der, Solches ſei geſchehen, baut 
Hugo als ein Mann, dem die Griechin volles Vertrauen fchenfte, den 96 
tricier Johann Erescentius und durch ihn den Pabft Johann XV. überwadk. 
Denn feit Carls des Großen Zeiten find die Herzoge von Spoleto vorzupk 
weile als Sterfermeifter des Pabſtthums von den Herren des Abendlandes ge 
braucht worden. Daß Hugo um jene Zeit die Gunft der Kaiferin Tcheophan 
in hohem Grave genoß, erhellt aus der oben mitgetheilten ravennatifchen Ih: 
funde vom 1. April 990. Denn der Fürft Hugo, auf deſſen Fürbitte fie dem 
Klofter Farfa jenes Gut fchenkt, ift Niemand anders, als Marfgraf-Hene 
Hugo von Tuscien⸗Spoleto. Etwa noch übrige Zweifel werben unten burd 
die Geſchichte des Rheimſer Erzfiuhles gelöst werben. 

Hugo beutete nachher die Macht, welche ihm durch die Griechin über 
tragen worben, rüdfictslos gegen Theophano’s Eohn aus. Zunächſt abe 
zeigte er fich fcheinbar dankbar. Um dieß darzuthun, müfjen wir die Kaiſern 
nach Deutfchland zurüdbegleiten. Kein Zeuge beftimmt die Zeit, da fle Zia—⸗ 
Iien wieder verließ — wahrfceinlich geſchah es im Herbite 990; denn er 
im Frühling 991 kommt fie auf deutfhem Boden zum Borfchein. Die Ur 
ſache, weßhalb fie über die Alpen zurüdging, unterliegt feinem Zweifel. Die 
Mendung, welche die deutfch-franzöfiichen Angelegenheiten neuerdings genommen 
hatten, muß fie nah Haufe getrieben haben. 

Die Chronif von Quedlinburg berichtet‘) zum Jahre 991: „die Kaiſerin 
Theophano feierte mit ihrem Sohne, dem Kaiſer Otto III, das Öfte: 
feft 991 (7. ApriD mit Taiferlier Pracht zu Quedlinburg.” Man glaube 
nicht, daß der tamals 10— 11jährige Knabe Otto nur zufällig umd ohne Ab 
fiht den Titel Kaifer empfängt. Der Mönd, der die Chronik ſchrieb, war ein 
Hofmann, fein Merk ift ein Erzeugniß des Hofgeifted und drückt die geheimen 
Wünſche des herrihenden Haufes aus. Nach der Weltanfbanung Theophano's 
gebührte die Faiferlihe Würde ihr felbft und ihrem Sohne fraft Geburtrecte, 
nicht vermöge pähftlicher Salbung, die Dtto III. erft 6 Jahre Ipäter erhielt. 

Der Epronift fährt fort: „zu Quedlinburg erſchienen damals, um dem 
fatferlihen Hofe zu huldigen, außer andern Fürften Europa’, namentlid 
der Markgraf Hugo von Tuscien und der Polenherzog Miesco, welche Beide 


— — — — — — 


) Berg III, 68, 


Eiebted Buch. Cap. 33. Theophano's Wirkſamkeit in Italien und Deutfchland. 549 


das Köftlichfte, was ihre Gebiete hervorbrachten, als Geſchenk überbrachten. 
Miesco und andere Fürſten Fehrten bald wieder, mit glänzenden Gaben bechrt, 
in ihre Heimath zurüd; Hugo aber blieb bei der Kaiferin und ihrem Sohne. 
Ueberall, wohin fie herrſchend und waltend reidten,‘) begleitete fie der Mart- 
graf ald treuer Diener, bis der Hof nach Nimmwegen gelangte. Dort ftarb 
die Kaiferin, ihr Leben gottjelig bejchließend, o Ehmerz! am 15. Juni 991 
eined allzu frühzeitigen Toded. Dem Wunſche der hohen Verblichenen gemäß 
wurde die Leiche im Pantaleonsklofter zu Cöln begraben.“ - Sie wollte neben 
einem byzantinischen Heiligen ruhen. 

Ich werde unten zeigen, daß die Griechin zur rechten Stunde die Zeit 
lichkeit gelegnete, ehe fie noch größeres Unheil, als bereitd zugerüftet worden, 
anrichten konnte. Hier habe ich e8 mit ihrer Umgebung zu thun. Alles in 
dem Berichte ded Duedlinburger Ehroniften — bis auf die einzelnen Worte 
herab — athmet byzantinifche Luft. Nicht die Großen Deutfchlands und Sta: 
liens, nein die Fürften Europa's erſcheinen am jächfiihen Hoflager, um dem 
berrichenden Haufe zu huldigen und glei perſiſchen Satrapen aus Xerxes 
Zeiten das Köftlihfte darzubringen, was das Paſchalik eined Jeden erzeugt. 
Holglih find die Könige Sfandinaviend, Englands, Neuftriend, Spaniens, 
Ungarns, Slaviend von Rechtswegen — nämlid nad den Vorſtellungen der 
Griechin Theophano, auf welche der Chronift pflichtſchuldig einging — Unters 
gebene des fächfiihen Haujed, dem überhaupt das Abendland, wie den By⸗ 
zantinern dort zu Conftantinopolis der Often, gehörte. 

Die übrigen Herren werden zugelafien, um die Pracht des Hofes zu 
ſchauen und ihre Geſchenke am Buße des Thrones niederzulegen, dann aber 
in Gnaden nah Haufe zurüdgeididt. Einer aber darf bleiben, nämlich ber 
Markgraf Hugo von Tuscien; diefer genießt die Ehre, ald treuer Diener den 
Hof von Drt zu Drt zu begleiten. Denn der Tuscier ift unverkennbar eine 
der Brundfäulen des neuen Kaiferreihs, das Theophano in ihrem Kopfe herum 
trägt, bid das Loos gemeiner Sterblichkeit dem Epiele ein Ende macht. Hat 
Hugo von Tuscien nit Dankbarkeit für das übertragene Lehen von Spoleto 
an den Tag gelegt! ! 

Die volltönenden Worte, welde der Ehronift über den Zudrang der 
Fürften braucht, laſſen vermuthen, daß außer Hugo nody andere vornehme 
Staliener nach Deutichland herübergewandert find. Wirklih kommen — doch 
erft im nächften Jahre — vier weitere zum Vorſchein. Derjelbe Ehronift er⸗ 
zähle:?) „ven 16. Dftober 992 ging die glorreihe Einweihung der neuer 
bauten Domkirche zu Halberftadt vor fih. Nah dem Borbilde‘) apoſtoliſchen 


2) Hugo vero cum eadem imperatrice filiogue suo, quocungue regni rel imperando vel 
zegendo proficiscuntur, famulando prosequitur. 2) Ibid. ©. 69. 3) Quam secum 
(— cum Hildewardo) in typo apostolicae dignitatis duodenario numero undecim episcopi 


550 Vabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Amts fegnete diefelbe in Heiliger Zwölfgahl Biſchof Hildewart, er als da 
zwölfte mit eilf andern Kirchenhäuptern, ein. Dieje eilfe waren Die Me 
politen MWilligis von Mainz, Gijelher von Magdeburg, Livizo von Hambur, 
die Bischöfe Ludolf von Augsburg, Hildebold von Worms, Rethar von Bader 
born, Hilderih von Havelberg, Erpo von Verden, Urſus von Padua, Hug 
von Zeiz, Raginbrat von Medienburg. Außer ihnen wohnten der heilige 
Handlung bei: Erzbiſchof Ajo von Capua, Biſchof Reinwart von Trient, 
die Achte Manfo von Montecaffino, Thietmar von Corvey, Luzo von 
Lüneburg, Othrad von Merfeburg, Lantbredit von Longen,) dann der durd⸗ 
lauchtige König Otto III, feine Großmutter, die fürtrefflide Kaiſerin Abel 
heid, deren Tochter Mathilda (Aebtiſſin von Quedlinburg), ein hellleuchtender 
Evelftein des herrfchenden Hauſes,“) ihre Bafe, die ehrwürdige Aebtiſſin Had⸗ 
wig von Gernrode, endlich Bernhard von Sachſen, Laidulf, Graf von Capua, 
und unzählige andere vornehme und mächtige Herren.“ 

Abermal ftoßen wir auf einen Bündel höfticher Hintergedanfen aus bem 
Nachlaſſe der verftorbenen Griechin Theophano. Biſchof Hildewart weiht dk 
neue Kirche ein nad dem Vorbilde apoſtoliſchen Amts in heiliger Zwoͤlfzahl. 
Dem Scheine nad) find die zwölf Apoftel des Weltheilands gemeint, da aber 
nach Fatholifcher Lehre das apoftoliiche Amt vorzugsweiſe auf den Statthalter 
Petri zu Rom, nämlich den Pabft, überging, liegt der Halberſtädter Kirch⸗ 
weihe die Vorftellung zu Grunde, daß auf deutſchem Boden unfere einheimi, 
ſchen Bilchöfe ohne Anftand Dasjenige verrichten fünnen, was zu Rom der 
Pabft vollbringt. Hildewart und Genofjen — oder befjer der fächfliche Hof, 
in deffen Auftrage fie handeln — verfahren unverfennbar fo, als ob man 
für Deutichland feinen Pabft brauche. Denn neben zwölf Nadfolgern ter 
Apoftel, die in Germanien thronen, hat der Etatthalter Petri, der zu Rom 
feinen Sig aufſchlug, feine Bedeutung mehr, wenn es nicht die des fünften 
Rades am Wagen iſt. Sind das nicht Ideen byzantinifhen Etempels! 

Unter den Zwölfen, welde die Weihe vornehmen, findet ſich nur ein 
Waͤlſcher, Urfo von Papua, alle Uebrigen gehören Deutfchland an. Die 
Vermuthung fcheint mir gerechtfertigt, daß man dieſen Urfo deßhalb beizog, 
weil er, obwohl in Italien angeftellt, von Haus aus ein Deutſcher war.’) 
Sehr viele deutſche Eleriker haben unter den Dttonen, wie jpäter unter den 
Saliern, Bisthümer in Stalien erhalten. Im zweiter Reihe werben Biſchöfe 
und Aebte genannt, welche dem Afte anwohnten, ohne felbft bei der Weihe 
Hand anzulegen. Zwei berjelben find Italiener, Erzbifchof Ajo von Capua 
und Abt Manfo von Montes-Eaffino. Die dritte Stufe nehmen ein die höchften 
anmejenden Laien: König Otto III, feine Großmutter, die Kaiferin Wittwe 


— — 





) Tin Ort, den ich nicht zu beſtimmen weiß, fo wenig als Perg. ’) Man ficht 
bier, daß bie Ghronif in Quedlinburg felbft abgejaßt if. Wie plump fchmeichelt der Caplan 
feiner gnaͤdigſten Abtiſſin. 2) Hoͤfler, deutſche Paͤbſte I, 334. 





Siebtes Bud. Gap. 33. Theophano's WMirkfamfeit in Italien und Deutfchland. 581 


Adelheid, und deren Tochter Mathilde. Im vorigen Jahre, ta Theophano 
noch lebte, hatte Dito den Titel Kaiſer empfangen, jet heißt er blos König. 
Iſt die nicht ein handgreiflicher Beweis, daß durd den Tod der Griechin 
das Geremoniel nicht unwichtige Abänderungen erlitt. Warum Apelheids 
Rame, der bei Beichreibung der Ofterfeierlichkeiten des vorigen Jahrs nicht 
bervortritt, jegt zum Vorſchein fommt, werde ich unten darthun. 

Endlih erwähnt die Lifte viertend noch zwei weltliche Großbeamte, den 
Herzog Bernhard von Sachſen und den Grafen Laidulf von Gapua, fammt . 
vielen ungenannten Herren. Daß die zwei darum namentlih aufgeführt wer⸗ 
den, weil fie die VBornehmften unter den Uebrigen waren, leuchtet ein. Abers 
mal fieht man, jeit dem Veroneſer Reichstage von 983 erfcheinen italienifche 
Große häufig am Faiferlihen Hofe und nehmen nit etwa blos an kirch⸗ 
lihen und andern Feſtlichkeiten Theil, fondern greifen, wie das Beiſpiel 
Hugo's beweist, in die NRegierungsangelegenheiten ein. Der deutſche Fürſten⸗ 
ftand läuft Gefahr, auf eigenem Grund und Boden von fremden Günftlingen 
ausgeſtochen zu werben. 

Beſondere Beachtung verdient der Capuaner Laidulf, in deffen Namen 

vielleiht ein Irrthum verborgen iſt. Ueber Bapua herrſchte von 982 bis 993 
Pandulfd des Eiſenkopfs zweiter Eohn Landenulf, den, wie id) früher zeigte, 
Kaifer Dtto IL 982 eingefegt hatte. Angenommen, daß der Capuaner Graf, 
den der Mönd von Quedlinburg aufführt, wirklich regierender Herr war, 
haben der Ehronift felbft oder feine Abfchreiber einen Verſtoß begangen, und 
ftatt Laidulf müßte Landenulf gelefen werden. 

Doch halte ich dieß nicht für glaublihd. Außer den in der früher‘) mit- 
getheilten Urkunde verzeichneten Söhnen hinterließ Pandulf der Eifenfopf nod 
einen weiteren, der vermuthlih dort. darum übergangen ward, weil er zur 
Zeit, da der Vater flarb, die Jahre der Mündigfeit nody nicht erreicht hatte. 
Derfelbe hieß Laidulf und war um 990 Graf in Teano,?) einer Fleinen cams 
panifchen Stadt, die zu Verſorgung der nachgebornen Söhne des herrſchenden 
Hauſes gedient zu haben ſcheint. 

Man begreift, daß die Chronik von Quedlinburg obigen Laidulf recht 
gut als einen Capuaner bezeichnen konnte, nicht weil derſelbe wirklich damals 
das Fürſtenthum Capua beſaß, ſondern weil er ein Mitglied des Geſchlechts, 
das In Capua feinen Stammſitz hatte, und gewiffermaßen ein geborner Graf 
von Capua war. Diefer nämlihe Laidulf erfcheint kurz darauf in enger 
Berbindung mit dem Marfgrafen-Herzoge Hugo, und die Vermuthung drängt 
fih auf, daß er mit Hugo den deutſchen Hof befucht haben dürfte. War 
dieß wirflih der Hal, dann hängt die Reife Beider allem Anſcheine nad 


ı) Oben ©. 490. ?) Perp DIL, 172, Mitte. 207, Mitte. VII, 638. R 


659% Pabſt Eregorius VIEL. und fein Seitalter. 


mit einem fchweren Verbrechen zufammen, das im Jahre 993 zu Capua be 
gangen worden ift. 

Die alte Kürftin Alvara, Pandulfs Wittwe, welche Kaifer Otto IL mr 
Mitregentin ihres Sohnes Landenulf in Capua beftellt hatte, ſtarb lant dem 
Berichte‘) einer alten Chronik von Capua furz vor dem ebengenannten Sohre. 
Die Zeit ihres Todes beflimmt genauer der Ehronift von Monte-Gaffino, wer 
cher meldet,”) Aloara fei vier Monate vor Landenulf verbliben. Aus dem 
Folgenden wird fi) ergeben, daß der Dezember des Jahres 992 gemeint ik 
Mitte April des nächften Jahres, da Fürſt Landenulf einem kirchlichen Um 
zuge zur Feier des Ofterfeftes anmwohnte, ward er beim Heraudtreten ans ber | 
Domlirche in Anmefenheit deſſelben Erzbiihofs Mio, den der Dueblinburge | 
Mönch erwähnt, von unzufrievenen Gapuanern erſchlagen. Die Mörder zogen 
die Leiche nadt aus und warfen fie auf die Straße. Auch den Grzbildei 
brachten nachher die nämlichen Mörder um. Nicht unbeftraft blieb die That 

Markgraf Hugo und der erlauchte Graf Trafimund zogen mit Heeres⸗ 
macht vor Capua, belagerten die Stadt und nöthigten die Bürgerfchaft durch 
Vertrag, die Mörder herauszugeben. Nachdem Hugo „mit feinen Gonfuln“ 
eine Unterfuhung eingeleitet hatte, fchidte er die Schuldigen nah Romanien, 
und ließ. fie dort an verſchiedenen Drten aufbenfen. Zu gleicher Zeit erhielt 
Capua einen neuen Herm. An demfelben Tage nämlid, da Landenulf unter 
den Dolchen der Mörber fiel, war eine Geſandtſchaft an Laidulf, den Grafen 
von Teano, Landenulfs Bruder, abgegangen, um ihm dad Kürftenthum ans 
zubleten. Freudig griff diefer zu, erihien zu Capua und warb als Herr aus 
gerufen, auch behauptete er jeitvem die Herrſchaft 6 Jahre lang. 

Sp berichtet”) im Wefentlihen die Chronif des Klofterd zum h. Bene 
dift in Capua. Einige dunfle Punkte ihrer Ausſage werden durch Leo von 
Monte-Eajfino aufgehellt, welcher beifügt,*) das Heer, welches die Mörder zur 
Mechenichaft zog, fei unter dem Befehle des vom kaiſerlichen Hofe mit dieſer 
Sendung beauftragten Markgrafen Hugo (von Tuscien) geftanden, neben 
ihm hätten Graf Thrafimund von Ehieti, zugleih Marfgraf, ein Ber 
wandter des erinordeten Landenulf, fowie die Grafen der Marien Rainald 
und Oderiſius gedient, auch jei der Zug wider Bapua von ihnen zwei Monate 
nad Zandenulfd Tode — aljo im Juni 993 — angetreten worden. Des⸗ 
gleichen beftimmt Leo die Beftrafung der Schuldigen näher: nad) feiner Be 
hauptung wurden ſechs gehenft, die andern fonft gebüßt. Im Uebrigen ſtimmt?) 
er mit dem Mönde von St. Benedikt darin überein, daß Laidulf von Teano 
die Frucht der Ermordung Landenulfs pflücdte und defien Nachfolger im Fürs 
ſtenthum Gapun wurde. 





) Berg ul, 210, Mitte. 2) Pertz VII, 635 unten. s) Perg Ill, 206 unten fig. 
&) Pert VII, 636. *) Ibid. ©. 638. 


Siebtes Bud. Cap. 38. Theophano's Wirkfamkeit in Stalien und Deutfchland. 553 


Der gefunde Menfchenverftand nöthigt, den Bericht der Chronik von St. 
Benedikt dahin auszulegen, daß Laidulf es geweſen ift, der die Verſchwoörung 
wider Landenulf angezettelt hat, denn derjelbe läßt ſich ja faft im Augenblide 
der That mit den Mörbern in Unterhanblung ein und empfängt aus ihren 
blutigen Händen den Nachlaß des Bruderd. Ausnahmoweiſe wirft in dieſem 
Falle ein dritter Ehronift den Schleier ganz ab, indem er ohne Umfchweife 
ſchreibt:) „dur den böfen Willen feines jüngften Bruders Laidulf ift Lan, 
denulf, Pandulfs des Eifenfopfs Sohn, von einigen ruchlofen Eapuanern ums 
gebracht worden.” Hieraus folgt weiter, daß Hugo von Tuscien und Tra⸗ 
fimund nur zum Scheine die Rolle von Rädern des Unrechts übernahmen. 
Denn während fie einige elende und untergeordnete Werkzeuge zur Strafe 
ziehen, verhelfen fie dem eigentlichen Urheber des Verbrechens, dem unnatürlis 
hen Bruder Laidulf, zum erftrebten Ziele. | 

Nun iſt es eine befannte Erfahrung: wer in Dinge der Art fi einläßt, 
jucht den eigenen Nuten; nit um Andere emporzuheben, fondern um jelbft 
vorwärts zu fommen, treibt der Heuchler fein Spiel. Bleibt alſo übrig, zu 
beftimmen, welchen Bortheil Hugo und Trafimund durd den Zug vor Capua 
erreichen wollten oder wirklich erreicht haben. Dieß ift nicht ſchwer. 

Seit 983 erfcheint, wie früher gezeigt worden, Hugo als bloßer Marks 
graf von Tuscien, 989 befigt er außer Tuscien aud noch das Herzogthum 
Spoleto, nah 993 aber und wahrfcheinlich feit dem ebengenannten Jahre 
ftehen fämmtliche drei, urjprünglid aus dem Kirchenftaate gebildete Großlehen 
Camerino, Spoleto und Tuscien unter feiner Verwaltung, Denn laut dem 
Zeugniffe Damiani’d, das ich unten anführen werde, gab er 996 Spoleto und 
Camerino in die Hände des Kaiferd Otto IIL zurüd und durfte nur Tuscien 
behalten. Demnad hat ihm allem Anſcheine nah das Berbrehen Laidulfs 
und die vor Capua gejpielte Poſſe eine Marfe, nämlih die von Camerino, 
eingetragen. Wenden wir und zum zweiten Betheiligten. 

Im Jahre 982 war Trafimund von Otto II. zum Herzoge von Spoleto 
und zum Markgrafen von Camerino erhoben worden.?) Dagegen 989 hat er 
das Herzogthum nicht mehr inne; denn dafjelbe befindet fi In den Händen 
Hugo's. Da beide in einem leidlihen Berhältniffe zu einander blieben — 
denn fie treten ja 993 gemeinichaftlih den Zug wider Capua an — muß 
man vorausfegen, daß Trafimund irgend welde Entichäbigung für feinen 
Berluft empfing — fonft wären fie fiherlih Todfeinde geworben. 

Je nun, die Art der Entfhädigung erhellt aus den oben mitgetheilten 
Berichten: er wird Graf von Chieti genannt. Yolgli bat er in der Zwi⸗ 
ſchenzeit — und zwar meines Erachtens ald Bertröftung für Spoleto — bie 
genannte Grafſchaft davongetragen. Chieti — Iateinifh Teate — liegt am 


) Berg III, 210. °) Oben ©. 504. 


554 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Fluffe Pescara in der Provinz Abruzzo citeriore des heutigen Königreich 
Reapel, an der Südgränge der alten Marke Camerino. ben dieſe Marte be 
jaß er noch 993, denn der von dem Montecaſſiner Leo gebrauchte Ausırad 
„Traſimund, Graf von EChieti und Marfgraf” läßt feine andere Deutung 
zu, als die, daß Traſimund damals noch Marfgraf in Gamerino war. 

Allein nah 993 mußte Trafimund aus den oben angeführten Gründen 
auch Camerino vollends an Hugo abgeben, jedoch als Erſat dafür erhiett 
meined Erachtens das Geſchlecht dieſes Mannes den erblien Beſiß ver anf 
gedehnten Grafihaft Ehiett, welche jenem, fo denke id, um 989 nur auf ie 
itimmte Zeit überlaffen worden jein wird. Bündig kann man nachweiſen,“) 
daß Trafimunds Söhne und Enkel bis zu den Zeiten Gregors VIL herab 
Grafen von Chieti geblieben find. Außerdem ift vielleicht Laidulf von Gapne 
genöthigt worden, ebe er dad Erbe feines Bruders übernehmen durfte, die 
Grafſchaft Chieti dur Abtretung einzelner Streden zu vergrößern. Sch ziehe 
diefen Schluß deßhalb, weil aus Urkunden erhellt, daß Trafimunds Nadr 
fommen, ültefte wie nachgeborne Söhne, ſtattlich verjorgt waren. Jedenfalls 
hatte der feſte Beflg von Chieti mehr Werth, als die zwar glängenderen aber 
trügerifchen Lehen von Spoleto und Camerino, welche, weil mit dem Fluche der 
Kirche beladen, nie längere Zeit in einer und derfelben Hand — auch nicht in 
ver des Tuscierd Hugo — verhartten. 

Im Jahre 993 lebte die Griechin nicht mehr, auf deren Gunſt Hugo 
den ruchlofen Bau feiner Größe gegründet hatte. Aber irgend eine Anorbuung 
wird von ihr hinterlaffen worden fein, welde den Tuscier ermuthigte, Das 
zu thun, was er in Capua vollbradhte, und was ihn zugleich gegen wohl. 
verdiente Züchtigung deckte. Die öffentlihe Meinung Italiend bemühte er 
ih durch Gaukeleien zu täufchen. Nicht in Capua ſelbſt, ald dem Orte des 
begangenen Verbrechens, zog er die untergeorpneten Werkzeuge zur Reden 
haft, mit Gepräng wurden diefelben durch das mittlere Italien herumgefchleppt, 
und da und dort aufgehenft. Die Welt follte fih durch den Augenſchein 
hberzeugen, weld ein flattliher, ftrenge Gerechtigkeit übender, Herr der Tuscier 
Hugo ſei. Auch ficht man jest, daß der Capuaner Laidulf nicht für nichts 
‚ über die Alpen and Hoflager ritt und der Halberftadter Kirchweihe anwohnte. 
Meines Erachtens hat er dort Gunft und künftige Beſchützer geſucht. Der 
Plan des Brudermords aber ift, denke ih, während der Reife zwiſchen Lais 
dulf und andern Gleichgefinnten verabredet worden. 

Eine alte Hildesheimer Hanpfchrift meldet, die Kaiſerin Theophano 
ſei nach ihrem Tode einer Nonne erſchienen, bitter klagend, daß fie zur ewi⸗ 
gen Höllenpein verurtheilt worden, und zwar darum, weil fie viel unnüßen 





') Muratori, script. rer. ital. I, b. 498 u. 502. vergl, mit Perk VIL 742, Note 24. 
688, Mote 47. ’) Berg IV, 888. auf der leuten Seite. 


Siebtes Cuch. Gap. 33. Theophano’s Wirkfamfeit in Stalien und Deutichland. 555 


Weiberſchmuck aus dem griehiihen Oſten in das Abendland eingeführt und 
dadurd andere Frauen zur Sünde verleitet habe. Neue Arten von Kopfputz, 
ichwere feidene Kleider und vieleiht auch Entblößung gewifler Theile des 
Körpers, welche abendländiiche Begriffe von weiblicher Sittjamfeit zu verhüllen 
geboten, jcheinen dur die Byzantinerin aufgefommen zu fein. Jedenfalls war 
es ein einfältiger Menſch, der folche, wenn auch an ſich keineswegs unbebeus 
tende, Mißbräuche für die fchlimmften Thaten der Theophano hielt. Klügere 
Männer als er fanden nad der Kaiferin Tod andere Mängel zu verbeſſern. 
Bor Allem wurden Aenderungen bezüglich der Vormundſchaft und der Erzie⸗ 
bung des Thronerben getroffen. 

Abt Odilo ſchreibt:) „Kaiferin Theophano, welche damald dem Rathe 
eines gewiflen Griechen und anderer Schmeidhler folgte, ftieß vier Wochen vor 
ihrem Tode folgende Drohung aus: wahrlid, wenn ih nod ein Jahr lebe, 
ſoll die alte Adelheid nichts mehr in der weiten Welt zu jagen haben, aud) 
nicht in einem Winfel Erde, den man mit der flahen Hand zudeden kann.“ 
Eben derjelbe fügt bei, Theophano habe der Schwiegermutter alle Herzeleid 
angethan. 

Adelheid war vom Hofe vertrieben worden. Der Merjeburger Thietmar 
meldet:) „auf die Nachricht vom Tode der Griedin eilte die Großmutter 
herbei, um ihre Rechte geltend zu machen.” Auch Odilo bemerft,') daß fie 
wieder die Bormundfcaft übernahm. Nun wird Mar, warum der Mönd) 
von Quedlinburg bei Beichreibung der Hoffefte an Oftern 991 nur die Kals 
ferin Mutter und den faiferlihen Sohn erwähnt, dagegen bei Schilderung dei 
Kirhweihe des folgenden Jahres, da Theophano geftorben war, neben den 
König Otto die Kaiferin Apelheid und die Muhme Mathilde ftelt; denn 
legtere ift von der Griechin ebenjo mißhandelt worden, wie Adelheid. 

Jener griechiſche Rathgeber, auf den Abt Odilo anfpielt, hieß Johann, 
ftammte von Eltern niedrigen Standes im griechifchen Unteritalien ab, ging 
an den ſfächſiſchen Hof, um dort fein Glück zu verfuhen, und gewann in 
Kurzem jo fehr die Gunft der Kaijerin Theophano, daß er noch unter Otto II. 
zu den höchſten Würden emporftieg.) Im Jahre 982 verlieh ihm der eben 
genannte Kaifer die im Gebiet von Modena gelegene Abtei Nonantula, dar 
mals das reichfte Stift Italiens. Die Worte der Einfegungsurfunde,*) welde 
Otto im eben genannten Jahre ausftellte, find geeignet, einen Begriff von 
den Künften des Griechen zu geben: „das Klofter Nonantula, das fonft den 
erftien Rang in Stalien einnahm und Andern als ein Mufter geiftliden Lebens 
vorleuchtete, iſt durch die Ruchlofigfeit Schlechter Menſchen, durch Mangel taug- 
licher Aebte, und weil unter den einheimijhen Mönchen Feiner fi fand, der 


2) Ibid. ©. 640. 3) Perg III, 772, Mitte. ®) Ibid. ©. 74. Moral, 
annali d'Italia ad a. 982. 


556 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


fähig gewejen wäre, die Leitung zu übernehmen, in den legten Zeiten tief 
herabgejunfen. “ 

Weiter fährt der Kaifer fort: „ſolches erwaͤgend, haben Wir unfere Augen 
auf die Beiftlihen Unferes Hofes gerichtet, und fiche! unter venfelben war 
ein griechifcher Arhimandrit, Namens Johann, Unſer geheimer Rath, ein 
Mann von reinftem Wandel, keuſch, mäßig, gelehrt, in griechifcher Wiſſenſchaft 
wohl bewanbert, von durchdringendem Berftand und firahlend durch Heiligkeit. 
Obwohl ed Uns ein Opfer Foftete, ihn in Unferem geheimen Rathe zu ar 
behren, ja ihn aus Unferem innerften Gemade zu entlaflen, haben Wir 
ihn nad eingeholtem Gutachten weifer und getteöfürdtiger Männer und mit 
Einwilligung der Mönchsgemeinde zum Abt von Ronantula beſtellt.“ Wie 
muß der arme Dtto IL von feiner Umgebung verrathen und betrogen wor 
den fein!! 

Mit dem Tode ded Kaiferd erlangte der Abt einen unbegrängten Ein- 
Auß auf die Wittwe Theophano. Laut dem Zeugniffe‘) des Petrus Damiani 
befchuldigte fie die öffentliche Stimme ehebreheriihen Umgangs mit dem Prieſter. 
Und man muß befennen, daß Das, was fie für ihn that, dieſen ſchmählichen 
Verdacht zu beftätigen geeignet iſt. Im Jahre 989, während ver italienifchen 
Reife Theophano's ftarb') Biſchof Sigwald von Piacenza. Obwohl jofort 
Volk und Elerus einen würdigen Blerifer zum Nachfolger gewählt hatten,’ 
verwarf Theophano die Wahl und beförderte ihren Liebling , den Griechens 
Johann — aud Thietmar von Merfeburg nennt?) denfelben den „gelieb 
ten“ Begleiter der Kaiferin — auf den cerledigten Stuhl, verfteht fi in ver 
Art, daß Johann nebenbei die Abtei Nonantula behalten durfte. 

Doc das genügte beiden noch nicht: der Stuhl von Piacenza war dem 
Metropolitanverband von Ravenna einverleibt. Aber der Günftling wollt 
nicht unter der Auffiht eined Vorgefegten ftchen, der ihn hätte hindern fönnen, 
ftetd am Hofe zu weilen: aljo wurde jened Band gelöst, Piacenza zu einer 
Metropole, Johann zum Erzbiſchof erhoben.) Diefer Borfall liefert einen 
neuen Beweis dafür, daß die Griehin, jobald ed galt ihre Launen zu be 
friedigen, feine audy noch jo ehrwürdige Ordnung der Kirche oder des Staats 
fhonte.e Durch Bulle‘) vom 7. Zuli 997 machte Pabſt Gregor V. dem 
Greuel ein Ende, indem er den Sprengel von Piacenza wieder unter den 
Erzſtuhl Ravenna ftellte. 

Aus der Ehronif von Duedlinburg fcheint zu erhellen, daß Johann von 
Piacenza außer feinen andern Hofgejchäften fi bei Erziehung des unmündi⸗ 
gen Königs betheiligt hat. Nach dem Ableben der Kaiferin hörte das auf. 
Stuhl und Abtei blieb ihm, aber den Hof mußte er meiden. Daß der Grieche 


*) Belege bei Efrörer, Kirch. Geſch. IL, 1476. 2) Pertz IIL, 74. 3) Bere II, 
276: Johannes Calabritanus Theophanu imperatricis dilectus comes, et tunc placentinus 
antistes. *) Muratori, annali d’Italia ad a. 989, 5) Jaffé, reg. pontif. Nr. 2967. 


Siebtes Buch. Cap. 33. Theophano's Wirkfamkeit in Italien und Deutſchland. 557 


dieſen Streich ſchwer empfand, erhellt aus der bübiſchen Rache, die er 997 
am kaiſerlichen Haufe und dem beutfchen Reihe nahm. Auch ein anderer Ers 
zieher des Thronerben erhielt damals den Abſchied. Thietmar erzählt:') „nach⸗ 
dem Otto IIL (984) aus der Gewalt des Gegenfönigs Heinrich befreit 
worden, vertrauten ihn Mutter und Großmutter zunächſt der Aufficht des Grafen 
Hoico an.” Man weiß fonft nichts weiter von dieſem Grafen, als daß er 
auf dem Tage zu Affelburg 984 erfhien. Da er ein Late war, fonnte feine 
Aufgabe faum eine andere gewefen fein, als für die Eörperlihe Entwidlung 
des Kindes zu forgen. 

Drei, Jahre fpäter — 987 — da der Knabe das fiebente Lebensjahr 
erreicht hatte, gab. man ihm einen eigentlihen Erzieher in ver Perſon des 
Clerikers Grafen Bernward, der einer von den Großen der Parthei des Erz 
biſchofs Willigis gewefen iſt, welche dem Tage von Affelburg anmohnten, ?) 
wo aud Graf Hoico fih die Gunft der Kafferinnen erwarb. Bernward ges 
hörte, wie wir wiſſen) dem pfalggräflihen Haufe des herzoglichen Sachſens 
an, und die Sommerfchenburg war der Stammſitz feined Geſchlechtes. Der 
Lebensbeichreiber deſſelben berichtet:*) „während die Höflinge den Knaben durd) 
Nachſicht gegen feine Sinnlichkeit verbarben, während felbft die eigene Mutter 
Theophano, aus Furcht, die Gunft des Sohnes zu verlieren, feinen Lüften 
den Zügel fchießen ließ, blieb nur Bernwarb unerbittlih gegen die Unarten 
“des Thronerben, und erfreute ſich dennoch der Liebe deſſelben.“ Weiter unten 
fügt der Biograph bei, nad Theophano's Tode habe fih Otto ganz der Leis 
tung Bernwards hingegeben und die wichtigften Staatögefchäfte feien nad) feinem 
Mathe entſchieden worden. 

Thangmar, der langjährige Vertraute und Biograph des nacmaligen 
Biſchofs von Hildesheim ft, wie man fieht, der Meinung, Bernward habe 
einen wohlthätigen Einfluß auf den Föniglihen Knaben geübt. Allein anders 
urtheilten Diejenigen, oder beffer Derjenige, in deſſen Händen damals Ger 
maniens Gefchide lagen. Gegen Ausgang des Jahres 992 ftarb") Biſchof 
Gerdag von Hildesheim. Obgleich fich viele der vornehmen Eferifer, die nad) 
damaliger Sitte am Hofe weilten, um die fette Pfründe bewarben, wurde ber 
Erzieher des jungen Königs allen andern vorgezogen,!) und fchon ben 
15. Sanuar 993 ertheilte ihm Metropolit Willigis die Weihe. Denn Hildes⸗ 
heim gehörte zum Mainzer Erziprengel. 

Meines Erachtens iſt der Uebergang von der Würde eines bevorzugten 
Rathgebers im Faiferlihen Palafte auf ein einfaches Bisthum feine Befoͤrde⸗ 
rung. Auch Bernward bat, wie fi) unten ergeben wird, die Sache jo anges 


1) Berk III, 770 oben. *) Berk III, 768. *) Band I, ©. 184. 189 fi. *) Perp 
IV, 759. °) Berg III, 89. 


x 


558. Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


fehen, und kein Zweifel fann fein, daß er unter dem Scheine von Ehre ge 
nöthigt wurde, den Hof und den Prinzen zu verlaffen. 

Wer war ed nun, der den Cleriker Grafen aus der Umgebung Dtto'& IIL 
entfernte? Kein anderer als der Erzbifchof Wiligis, Bormünder des Reiche. 
Denn daß Willigis feit dem Tode Theophano's nicht mehr wie früher wer 
det, ſondern offen das Steuerruder führte, erhellt aus dem fräher‘) mitge 
theilten Zeugniffe, laut weldhem die Steuergelver Italiens in die Hände bei 
Mainzer Erzbiſchofs flofien. Wer über den Staateihap verfügt, der uf 
Regent fein. Aber auch wenn diefes Zeugniß nicht vorläge, würben bie 
eigenen Handlungen Bernwarbe für die Wahrheit obigen Satzes bürgen. 
Derfelbe hat feitvem einen töbtlihen Haß auf den Mainzer Metropofiten ges 
worfen, einen Haß, der nad einigen Jahren zu einem Auöbruche gebich, wei 
“der Deutfchland und Stalien erfchütterte. 

Ob nad) Bernwarde Entfernung dem jungen Könige.ein neuer Hofmeiſter 
zugeordnet wurbe und wer es etwa war, erfahren wir nicht. "Dagegen tbeilt’) 
Thietmar die wichtige Nachricht mit, Adelheid habe fo fange Mutterftelle an 
ihrem Enfel vertreten, bis er unter den Einfluß Ioderer Geſellen (feiner Spiel 
und Jugendgenofien) gerieth, auf deren Rath er die Großmutter fortfchidte. 
Ich denke, eben diefe Spielgenofjen werben es geweſen fein, die ihn drei Jahre 
fpäter dahin brachten, den aus Frankreich verjagten Gerbert an feinen Hof 
zu rufen. 





ı) Dben ©. 411. 2) Berk III, 772, Mitte. 


Siebtes Bud, Cap. 34. Franzoͤſſſche Verwicklungen. Rheimfer Synode von 991. 559 


Vierunddreißigfies Capitel. 


Dem Huldigungselde zuwider, welchen Erzbiſchof Arnulf dem Könige Hugo Capet gefcäworen, 
macht er gemeine Sache mit feinem Oheim, dem Herzoge Garl, und überliefert ihm 
feine Stadt Rheims. Krieg zwifchen dem Garolinger Carl und dem Gapetinger Hugo. 
Dur Verrath gerathen Earl und Erzbifchof Arnulf in die Gewalt des neuftrifchen 
Königs, der fofort in Rom auf Abſetzung Arnulfs bringt, aber fein Gehör findet, weil 
der Dttonifche Hof den Pabſt Johann XV. zwingt, dem deutſchen Staatövortheil zu 
fröhnen. So lange die Kaiferin Theophano lebt, wagt Hugo feinen enticheibenben 
Schlag gegen Arnulf. Aber faum ift die Griechin geftorben,, fo beruft der Capetinger 
im Juni 991 eine franzöfifche Synode nach Rheims, welche den Pabſt für unfrei erflärt, 
weil er von einem Barbaren unterbrüdt fei, dem römifchen Stuhle den Gehorfam aufs 
fündigt und eine Staatölirche in Ausficht ſtellt. Gerbert, zum Nachfolger Arnulfe 
erhoben, veröffentlicht ein Glaubensbekenntniß, vermöge befien er Priefterehe zu gewähren, 
Ehefcheidungen zu dulden, Faſtengebote und Ablaß abzufchaffen verheißt. Synoden⸗ ober 
„Befepeds Streit“ zwifchen Rom und Rheims. Der römifche Abt Leo erfcheint diefleits 
der Alven ; feine großartige Thätigfeit. Er gibt zu, dag ber Pabſt in der Gewalt einer 
fremben Macht fich befinde , zieht aber aus dieſem Eingeſtändniſſe die Folgerung, daß 
alle guten Katholifen fi) vereinigen müflen, den 5. Stuhl zu befreien. Gerbert, durch 
eine wachlende Mafle von Gegnern in ſchweres Bebränge gebracht, benuͤtzt gewandt ben 
dargebotenen Ausweg, indem er vorgibt, er habe das Werk von Rheims nur barum 
eingeleitet, um ber römifchen Kirche Luft zu fchaffen. Zuletzt Handeln bie deutſchen 
Biſchöfe in gleihem Sinne. Was anfänglich ein vernichtender Schlag für Petri Stuhl 
ſchien, beginnt fidh in einen Triumph zu verwandeln. Jahre 990 bis 996. 


Run iſt es Zeit, daß wir die Verwidlungen in’® Auge faflen, um wel 
cher willen die Katferin Theophano im Jahre 990 aus Stalien nah Deutich- 
land zurückreiste. Nah Erhebung Arnulfs auf den Erzftuhl des h. Rhemi⸗ 
gius war Gerbert zu Rheims geblieben, anfcheinend mit demſelben Vertrauen 
befleivet, wie in Adalbero's Tagen. Die erften Alte des neuen Erzbifchofd 
find von Gerbert ausgefertigt.) Gleichwohl bürgt der Erfolg dafür, daß 
Gerbert nicht In Arnulfs, fondern in Hugo Capets Solde feine frühere Stel- 
lung behauptet hat, und allem Anfcheine nach im geheimen Auftrage des 
franzöfiihen Königs die Schritte Arnulfs überwachte. N) 

Was vorauszufehen war, und was aud, wie oben gezeigt worden, in 
den geheimen Abſichten der Kaiferin Theophano Tag, geſchah wirflih: feines 
Eides vergefiend, ließ fih Arnulf mit dem Oheime Earl ein, der indeß von 
Laon ans weitere Fortichritte gemacht, namentlih Stadt und Gebiet von 
Soiffond erobert hatte.) Wähnend, fein Oheim Carl fei vom Schickſale bes 
rufen, den Anmaßer Hugo Bapet zu flürzen und Frankreichs Krone wieder 
an das carlingtihe Haus zu bringen, unterhandelte er mit demfelben wegen 
Vebergabe der Stadt Rheims, aber um den Schein zu retten, büllte er fein 


») Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. TIL, 1442 unten flg, 






560 Vabt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Vorhaben in Geheimniß. Ein Vertrauter des Erabifchofs, der Preabye | 
Adalgar, erhielt den Auftrag, während einer mit Carl verabrebeten Natt |' 
die Schlüffel der Stadt unter dem Kopffiffen des Erzbiſchofs wegzunchme 
und den Scaaren des Herzogs eine Pforte zu öffnen. 

Der Presbyter vollzog, was ihm geheißen war: in einer finftern Radt — 
wahrſcheinlich des Januarmonats 989 — wurde dad herzogliche Heer einge: 
lafien. Die Bürger, durch den Lärm aufgefchredt, wollten fi zur Wehr 
fegen, büßten aber für ihren Wiberſtand mit Plünderung. Der Erzbiidei 
ſelbſt ftellte fih, als ob er den allgemeinen Schreden theile, flüchtete zum Schein 
in einen Thurm, ließ fih zum Schein gefangen nehmen, überhäufte, vor ven 
Oheim geführt, denjelben mit erheuchelten Vorwürfen, ja er fchleuderte gegen 
die Plünderer der Stadt den Bann. 

Später aber warf er die Maske ab, führte unter Carls Banner in 
eigener Perfon Soldaten gegen König Hugo, entzog Lehen des Rheimſer 
Stuhls folhen Rittern, die zum Könige hielten, und übergab fie an Anhänger | 
Carls. Lestere aus einem Briefe‘) Gerberts geichöpfte Thatſache wirft Licht 
auf die innern Zuftände des Rheimſer geiftlihen Fürſtenthumo. Schon war 
Arnulf gegen ein Jahr Erzbifhof von Rheims, che er daran dachte, eine 
Aenderung mit den Lehen vorzunehmen. In der That hatte er früher feinen 
Grund dazu, denn fo lange er felbft feinen dem Könige geſchworenen Eid 
wahrte, brauchte er die Bafallen nicht zu fürchten, welche zu Hugo Gapet 
hielten. Allein jegt — nad Uebergabe der Stadt an verzog Carl — wurde 
dieß anders. 

Wie ſind aber die fraglichen Vaſallen zu den Lehen, bie ihnen jegt Armul! 
entzog, oder auch zu der Verbindung mit dem Könige gekommen, wegen beren 
fie der Erzbifchof verfolgte? Meines Erachtens entweder dadurch, daß Hugo, 
als er nah dem Tode Adalbero's, und ehe eine neue Wahl vorgenommen 
war, Rheims befuchte und die Bürger hulvigen ließ, augenblicklich erledigte 
vom Rheimfer Stuhl abhängige Lehen Vaſallen, die er gewinnen wollte, er 
theilt, oder zweitens dadurch, daß er ſolche Ritter, die fchon früher Rheimfer 
Lehen trugen, unter dem Beding der Dienftwilligkeit mit franzöſiſchen 
Gütern bedacht hatte. Ich denke, lezteres Mittel wird Hugo noch reichlicer 
angewandt haben, als erftered. Je nun, ganz auf derfelben Grundlage rubte 
die Oberherrſchaft, welche Theophano und ihr Gemahl Dtto II., und welde 
ſchon des lezteren Vater Otto I. über Stadt und Gebiet von Rheims übten. 
Wer Lehen an Dienftleute und Vaſallen des Rheimfer Erzftiftd austheilen 
konnte, war Meifter der Stadt und des Stuhles. 

Nah der Einnahme von Rheims konnte fi Gerbert nicht mehr in die 
Länge halten. Ein Brief aus biefer Zeit enthüllt das Geheimniß feiner Ber: 


— — 


) Ibid. 





Siebtes Buch. Cap. 34. Franzöfiiche Verwiclungen. Rheimfer Synode von 991. 561 


bindung mit dem franzöfiihen Hofe. „Das Schwert ift über uns,“ fchreibt‘) 
er an den Trierer Erzbiſchof, „ich fol den franzöſiſchen Königen (Hugo und 
Robert) Trene ermweifen, aber der Herzog @arl, in deſſen Gewalt ich bin, 
läßt mir feine andere Mahl, als Uebertritt oder Berbannung.” Gerbert 
wählte dad Leztere, er flob an den franzöfifhen Hof, wo er mit offenen 
Armen empfangen ward. Gleich nah des Abts Entfernung vergab Arnulf 
alle unbeweglichen Güter, Häufer und Höfe, die Gerbert in Rheims zurüds- 
gelaffen, an Partheigänger Carls. Der Flüchtling fchrieb‘) deshalb an den 
Erzbiſchof einen Abfagehrief, in welchem er mit den fchärfften Maßregeln drohte, 
wenn Arnulf fi nicht entfchlöße, fremdes Eigenthum zu adten. Bon felbft 
verfteht es fi, daß Gerbert durch feine Flucht an den franzöſiſchen Hof völlig 
mit dem deutichen Kaiſerhauſe, namentlich mit Theophano brach. Er felbft 
gefteht‘) dieß in feinen Briefen: „um Hugo's willen fei er mit Otto II. 
verfeindet worden; ohne fein Verſchulden habe ihm die Katferin ihre Hulb 
entzogen.“ 

Noch muß ich bemerken, daß Berbert am franzöfliben Hofe mit einem 
andern Flüchtling zufammentraf, der nachher eine berüchtigte Rolle ſpielte. 
Man erinnere?) fih, wie Herzog Earl, ald er gegen Ausgang des Jahres 987 
mit Hülfe Arnulfs, der damals noch nicht Erzbifhof war, Laon überrumpelte, 
außer der Königin Wittwe Emma auch deren angeblichen Liebhaber den Biſchof 
Ascelin in feine Gewalt befam.”) Diefem Ascelin gelang ed, aus dem Thurme 
von Laon zu entipringen, worauf er fih zu König Hugo begab. 

Gleich nad) der verrätherfichen Lebergabe von Nheims hatte fi der 
Gapetinger zum Kampfe wider den Herzog Earl gerüftet, aber Lezterer trat 
ihm mit gleichen Streitfräften entgegen. Daher fam es, daß feine Schlacht ges 
liefert worden if, obwohl Hugo’8 Lehenleute von Zeit zu Zeit, wie es ſcheint, 
Laon und Rheims berannten. In der That konnten Waffen faum eine Ent 
Scheidung bringen, da der Herzog, abgefehen von feiner eigenen Macht, ſtets 
auf die Hülfe der deutfhen Kaiferin rechnen durfte. Hugo verfuchte Kirchliche 
Mittel. Im Laufe des Jahres 989 berief er nach Senlis eine Synode 
franzoͤſiſcher Biichöfe, welche den Bann über den Priefter Adalgar, als Ber 
räther der Stadt Rheims, verhängte und die Gemeinden Rheims und Laon 
außer kirchlicher Gemeinſchaft erklärte.) Der Ehlag war eigentlih gegen 
Armulf gerichtet, der in den Akten deutlich als Urheber der That bezeichnet 
wird. Da jedod Hugo noch immer Hoffnung hegte, den Erzbiihof in Gutem 
zu gewinnen, begnügte man fi) vorerft fein MWerfzeug anzugreifen. Der 
König und die Synode richteten an Pabſt Sohann XV. zwei Schreiben, *) 
worin fie den Erzbifchof als einen Meincivigen anflagten und verlangten, daß 


%) Ibid. ©. 1444. 2) Oben ©. 537. 5) Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1446, 
42) Daf. ©. 1445. 
Sfrörer, VPabſt Gregorius vu. DD, v. —X 


362 Bat Grezerind VIL un fein Zeitalter 


Rei Siatibalier gegen tenielben veridreite. Eine Gejanttickaft wurde nad 
Rom abgeitidı, um tie Sache tert zu betreiben. 

Allerdines fam es tem Babiie ıu, ten Garlinger Arnulf zur Redenidaft 
zu ıichen. Armilf baue unzweihelbait icinen tem Könige Hugo geſchworenci 
Eid gebrochen, er katte unzweifelbaft das Verbrechen des Hockverrathes um 
Reiche Neuſtrien begangen. Verräther aber ſchont das Kirchenrecht jo wenig 
als das weltliche Geſetz. Außer dieſer Schuld laſtete noch ein anderer Bor; 
wurf auf ibm: von ter Rheimſer Synode des Jahrs 991 iſt Amulf ale 
Knabenſchänder nicht blos angeklagt, ſondern überwieſen worden.) Mit Carls 
Sohne Ludwig trieb er ſodomitiſchen Greuel, und der Vater ſah, wie es fcheint, 
ruhig zu, damit er tie erzbiiköflihe Macht des Thäters ungeſcheut ausbeuten 
fönne. Wer wird im Angefichte folder Thatiachen läugnen, daß Armulf di 
Strafe der Abſetzung durch das Oberhaupt ver Kirche verdiente ! 

Dennod richteten die Geſandten nichts, gar nichts zu Rom aus. Warum 
nicht? Die Anhänger Hugo Capets brachten?) naher verſchiedene Gründe 
des Miplingens vor. Auf der Rheimſer Kirchenverſammlung fagten fie auf, 
Pabft Johann XV. fei von Carls Partheigängern durch einen weißen Zelte 
und andere Gefchenfe gewonnen worden. Später hieß es: „weil die Gefandten 
unterließen, @rescentius, den Oberherrn des Pabſtes zu beftehen, hätten fie 
den Zwed ihrer Sendung nicht erreicht.” Das find leere Worte. König 
Hugo Eapet legte fo großes Gewicht auf Arnulfs Abfegung, daß er fihelid 
hohe Eummen nicht gejpart haben würde, wäre es überhaupt möglid ge 
weien, mit dem goldenen Schlüſſel dieſe Sache abzumachen. Auch wuften 
Andere um diefelbe Zeit und in derſelben Angelegenheit ven Weg an ten 
Pabft recht gut zu finden. Sohann XV. hatte den Erzbiſchof Eigmwin von 
Sens zum apoftolifhen Etellvertreter in Gallien ernannt,’) als welder «a 
auch auf der Rheimſer Eynode von 991 den Vorſitz führte Dieß muß um 
990 geſchehen fein, da der päbftlihe Aft fih aller Wahrfceinlichfeit nah auf 
die Rheimſer Händel bezog, die im Sommer 988 ihren Anfang nahmen! 

Damit begreiflih werde, was die Bevorzugung Sigwins befagen will, 
genügt es die die Etellung zu fchildern, welche der Erzbiſchof von Een ver 
und nad dem Concile von Rheims einnahm. Wie früher) gezeigt worden, 
forderte Gerbert 988, nad) der Erhebung Hugo Capetd, den Metropoliten 
auf, gleich andern neuftrifchen Großen dem neuen Könige Huldigung zu leiften. 

Eigwin war alfo bis dahin dem Capetinger abgeneigt geweſen, mit an 
dern Worten, er hatte zur deutſchen Parthei gehalten. Auf der Rheimfc 
Eynode genoß er zwar die Ehre des Vorrang, aber die Anhänger Huge 
Capets trauten ihm fo wenig, daß Andere für ihn fpraden und die Feder 


) Daf. ©. 1443, ) Daf. ©. 1445. 3) Pers III, 693 gegen oben. +) Shen 
S. 50. 


Siebtes Buh Gap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen. Rheimſer Synode von 991. 563 


führten.) Mit dem Augenblide, da nachher die Etellung des neuen Erz 
biſchofs Gerbert, welchen befagte Verſammlung anftatt des abgefegten Arnulf 
erhoben hatte, jchwierig zu werben begann, erfcheint Eigwin als einer der 
erften, die fih von dem Wanfenden zurüdzogen.?) Aus dieſen Tihatfachen 
folgt meines Erachtens, daß Die, welche den Pabft zu obiger Afte beftimmten, 
von der Vorausſetzung ausgiengen, Sigwin von Send fet ein heimlicher oder 
offener Gegner fowohl Gerberts als des Königs Hugo Capet. 

Der wahre Grund, warum Hugo Capets Bevollmächtigte Fein Gehör zu 
Rom fanden, ift in jener Stelle”) der Rheimſer Verhandlungen niedergelegt, 
wo es heißt: „einem Barbaren unterworfen, müſſe Petri Stuhl den Herrichers 
Launen deſſelben fröhnen und die vom Apoftelfürften erhaltene geiftliche Ges 
walt zum Bortheile barbariicher Ehrfucht mißbrauden.” Unter dem Ehrſüch⸗ 
tigen, der Solches thue, verfteht Gerbert, Abfaffer der Akten, die deutſche Kaiferin 
Theophano. Ste war es in der That, und nur fie, welche den Babft Johann XV. 
nöthigte, dem Kirchenrechte zuwider die Klagen des Concils von Senlis und 
des frangöfifhen Königs abzuweiſen. Bündig kann man darthun, daß bie 
Unterhandlungen zwifhen dem Pabfte und ven frangöfifchen Gefandten im 
Dezember 989 begannen.*) Wohlan, um die nämliche Zeit befand fi Theo- 
phano zu Rom, wie aus der Urkunde erhellt, die fie vafeldft im Januar 990 
ausftellte. ®) 

Der Pabft muß Anfangs Willens gewefen fein, auf die Anträge des 
Gapetingerd einzugeben. Denn die Griechin Theophano fand ja für gut, 
ftarfe Schrauben in Rom anzufegen, was zur Annahme nöthigt, daß ſie auf 
MWiderftand ftieß und mit den gewöhnlichen Mitteln durchzudringen verzwei⸗ 
felte. Hat fie nit im Jahre 989 dem Tuscier Hugo das Herzogthum 
Epoleto übergeben, und zu weldhem andern Zwede fann dieß gefchehen fein, - 
als dazu, damit Hugo auf den Patricier Johann Erescentius, und hinwiederum 
damit diefer auf den Pabſt Johann XV. drüde! Johann ſchmachtete in dop⸗ 
pelter Gefangenjchaft. Ein unfreier Babft aber kann nicht feinen Pflichten ges 
mäß handeln und ebendeßhalb auch feine geiftlihe Gewalt nicht behaupten. 

Bon Rom zurüdgeftoßen, verfuhte Hugo Capet andere Mittel, um den 
Streit mit Arnulf, bei welchem allerdings nicht blos die Zufunft des neuen 
Herricherhaufes, fondern auch Wohl und Ehre der frangöfifhen Nation hödhs 
lich betheiligt war, ‚in Gutem oder wenigftens in gefeslihen Bahnen beizus 
legen. „Achtzehn Monate lang,“ fchreibt®) Gerbert, „jet Arnulf durch Ges 
ſandte, durch Synodalfchreiben, durch fanfte Zureten beſchworen worden, daß 
er zu feiner Pflicht zurückkehre und fi von dem Vorwurfe des Verraths reis 
nige, aber ftetö vergeblich." Diefe achtzehn Monate müſſen allem Anſcheine 


2) Gfroͤrer a. a. D. DI, 1450. 2) Daf. ©. 1468. 3) Daf. S. 1457. 
%) Der Beweis iſt geführt Jahrbücher des dentſchen Reichs II, b. ©. 168. 5) Oben ” 
©. 547. *) Gfroörer a. a. O. II, 1445. * 


—X 


564 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


nad vom 29. März 991 zurückgerechnet werden.) Der Anfang des Wirkens 
mit fanften Mitteln fallt alfo in den Dftober 989. 

Indeß wenn die fraglichen Verfuhe aud den Erzbiichof Arnulf felk 
nicht zur Sinnesänderung beftimmten, machten fie doch nachgerede feine Et: 
fung unhaltbar. Es gelang der königlichen Parthei, die Bilchöfe des Rheimfer 
Erziprengeld, Arnulfs Suffragane, von ihm loszureißen. Sie fpraden ver 
Kirchenbann wider alle Theilnehmer an der Uebergabe von Rheims aus. 
Selbſt die näcften Anverwandten des Erzbifhofs, fein Bruder Richard, fein 
Vetter Bruno, Biſchof von Langres, traten?) zum Könige über. Hieraus er 
heit meines Erachtens, daß die Parthei des Herzogs Earl und Arnulfs von 
der öÖffentlihen Meinung gerichtet war. In der That nur Ebrlofe konnten 
eine Bewegung länger unterflügen, welche einzig dahin abzielte, Frankreich zum 
Vortheile deutjcher Ehrfucht zu zerfleifchen, zu erniebrigen. Mag Hugo Cape 
ein Anmaßer gewejen fein, over nicht: fo wie die Sachen damals fanden, 
vertrat er Franfreih8 Sache. | 

Allmählig verloren Herzog Carl und der Erzbilhof den Muth. „Wie 
Diejenigen, welde bisher am Eifrigften feine Boshelt unterftügt hatten,“ 
fchreibt ©erbert, „von ihm zurüdwichen, gerieth Arnulf in Schreden.“ Aus 
dem Folgenden erhellt, daß ſowohl der Herzog, als der Erzbiſchof bereit waren, 
zu unterhandeln, aber in der Stunde des Zweifelns nahte ihnen Verratb 
Der entfprungene Ascelin hatte mit dem Könige einen Plan, Beide durch Liſt 
zu verderben, verabredet, er knüpfte Unterhbandlungen mit Arnulf an, indem 
er vorgab, daß er dur Vermittlung des Erzbifchofs mit Herzog Earl aus 
geföhnt zu werben und ald Frucht der Verföhnung das Bisthum Laon wieder 
zu erlangen wünfche. Seinerjeitd verhieß er, Einleitung zu treffen, daß König 
Hugo Eapet fih ſowohl mit Arnulf, als mit dem Herzoge vereinbare. Ta 
die Vorſchläge Ascelind den Zeitumftinden angemeffen und nichts weniger ald 
unmöglich jchienen, fand er bei Arnulf und nachher auch bei Carl Gehir. 
Ascelin befuchte Beide, ſchwur ihnen feterlihe Eide. 

Bald darauf Iud er im Namen des Könige Hugo Capet den Enbildel 
an den Hof ein. Arnulf fam und ward huldvollſt vom Könige empfangen, 
als er fein früheres Betragen entichuldigen wollte, bat ihn Hugo Eapet, 4 
Vergangenen nicht zu gedenken, Alles folle abgethan und vergeffen fein, wenn 
Arnulf feinen Oheim Carl vermöge, das Königthum der Capetinger anzuer 
fennen; in diefem alle folle dem Erzbifchofe fein Erzftuhl, dem Herzoge der 
ruhige Befit der Stadt Laon verbleiben. Ungehindert fehrte Arnulf im tie 
Heimath zurüd und arbeitete nun ernftlih am Frieden zwiſchen dem Oheime 
und dem Könige. In Betracht, daß die Redlichkeit Ascelind durch den bis 


%) Der Beweis ift geführt Jahrbücher des deutfchen Reichs II, b. ©. 168. 3) Gfroͤret 
a. a. O. IU, 1445. 


Siebtes Buch. Gap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen. Rheimſer Synode von 991. 565 


herigen Erfolg gerechtfertigt jchien, gab ihm Herzog Earl das Bisthum 
Laon zurüd. 

Seitdem rief Ascelin unter der Hand einzelne feiner früher verbannten 
Anhänger in die Stadt. Warnungen famen zwar dem Herzoge zu, aber er 
glaubte, fie verachten zu dürfen. An dem Abend ded Palmfeftes — den 
29. März) 991 — waren Herzog Earl, Metropolit Arnulf und ver Bis 
ſchof Ascelin im Schloße von Laon zu einem Mahle verfammelt. Nach dem 
Eſſen warf Carl Brodfruften in feinen goldenen Becher, goß Wein darauf 
und |prad zu Ascelin: du haft heute die Palmzweige geweiht und uns den 
Leib ded Herrn gereiht. Wiſſe, daß mir Stimmen zu Ohren gefommen find, 


- die mich auffordern, dir zu mißtrauen. Meinft du ed gut mit mir, fo nimm 


diefen Becher und trinfe. Ohne Bedenken ergriff Ascelin den Becher und 
tranf mit den Worten: möge ed mir wie dem Verräther Judas ergehen, 
wenn ih Böſes im Schilde führe. Diefe Verficherung des Biſchofs beruhigte 
den Herzog. Ascelin blieb über Nacht im Schloſſe. 

Während Carl und Arnulf jchliefen, jchli der Biſchof in ihre Kammer, 
nahm die Waffen Beider weg, eilte dann hinunter nad der- Pforte, fchidte 
einen der Wächter unter dem Vorwande fort, etwas in der Stadt zu holen. 
Durch das geöffnete Thor drangen fogleih Anhänger Adcelind ein, die Draußen 
bereit fanden, flürzten nach der Schlaffammer des Erzbiſchofs und ded Herr 
3098 und überwältigten Beide. Auf den Lärm, der entitand, entflohen bie 
Vaſallen Carls, Alles verloren glaubend, nahmen jedod den zweijährigen 
und jüngften Knaben ded Herzogs, der, wie der Vater, Carl hieß, mit 
fi fort. 

Ascelin ſchickte Eilboten an den König, der unverweilt herbeifam, vie 
Bürger von Laon ihm zu huldigen nöthigte und die Gefangenen übernahm. 
Außer dem Erzbifchofe und dem Herzoge befanden fi die Gemahlin des Letz⸗ 
teren, Adelheid, fein Sohn Ludwig und zwei feiner Töchter in der Gewalt 
Hugo Capets. Alle zufammen wurden eingeferfert.) Man bat feine fichere 
Nachricht über pas fernere Schidjal ded Herzogs Carl und der mit ihm ger 
fangenen $amilienmitgliever — fie verſchwinden fpurlo8 aus der Geſchichte —. 
Dagegen ift gewiß, daß ein anderer Sohn Earld, der Dtto hieß, dem Schlage, 
der den Vater traf, entging und noch im Sahre 991 vom deutſchen Kaijers 
hofe die Fahne Brabant erhielt,*) die ſchon der Vater zu Lehen getragen hatte. 

Dagegen bereitete der andere von den zweien Hauptgefangenen, Arnulf 
— weil er’ ein hoher Prälat der Kirche war und deßhalb nicht, wie der 
Herzog, unter der Hand befeitigt werden fonnte — dem Gapetinger ſchwere 
Corgen. Die Ueberrumpelung Laons und die Bewältigung der beiden Cars 


1) Jahrbücher des beutfchen Reiche IL, b. ©. 168. 3) Sfrörer, Kirch. Geſch. II, 
1446 flg. 2) Band I, vorliegenden Werks ©. 63, 


566 Pabſt Gregorins VD. und fein Seilalter. 


linger war, wie ich jagte, Ende März 991, während bie beutfche Kaifer 
Theophano zu Quedlinburg prädtigen Hof hielt, vor fih gegangen Bu 
zum 17. Juni — alfo über dritthalb Monate — fand es an, ehe Hug 
Capet bezüglih Arnulfs einen enticheidenden Entichluß faßte. Was iR m 
während diejer Zwiſchenzeit gejchehen? Hat Theophano Nichts gethan, um 
Arnulf von Rheims und Carl, die doc ihre Werkzeuge waren, in ihrem 
Dienfte die Rache des Capetingers auf fich geladen hatten, zu retten? Richt 
nur der befannte Eharafter der Griechin, fondern auch beftimmte Thatſachen 
fchließen Tegtere Annahme aus. Sigebert von Gcmblourd meldet‘) zum Jahre 
991: „nachdem Herzog Earl geftorben war, folgte ibm fein ältefter Sohn 
Dtto im Herzogthum Brabant.“ 

Ih möchte auf die bloße Ausjage Sigeberts hin keineswegs für ſicher 
erachten, daß Herzog Earl furz nah erfolgter Gefangenichaft mit Top ab 
ging; denn andere Ehroniften?) — und zwar franzöflihe — laſſen ihn im 
Kerker zu Orleans noch längere Zeit leben, ja fogar Kinder zeugen. Recht 
gut Tann der Mönd von Gemblours den bürgerlichen Tod mit dem phyfſiſchen 
verwechjelt haben. Aber für wahr halte ih, daß Dtto, welcher allem An 
fcheine nach der ältefte Sohn Carls und 991 erwachſen war, gleich nad ve 
Gefangennehmung des Vaters die Fahne Brabant erhielt. Und wenn bief 
wirklich geihah, fo kann Fein Zweifel jein, daß die Belchnung des Sohne, 
die von der Kaljerin ausging, eine Drohung gegen Hugo Capet in fidy ſchloß. 

Roc mehr als die Verleihung Brabants an den legten Carlinger Otte 
fällt ein anderer Umftand ind Gewidt. Solange Theophano lebte, wagte 
der Eapetinger nicht, den legten Streich zu führen: die Synode von Rheimd 
ift erft nach ihrem Tode verfammelt worden. Sichtlidy zitterte Hugo Gapt 
vor ihr, man muß fie im Auslande, wie im deutfchen Reiche felbit, gleid 
einer Klapperfchlange gefürchtet haben. 

Seinerjeit8 unternahm Hugo während der dreimonatliden Friſt Schritte, 
welche die Abficht verrathen, wenn irgend möglich, das Aeußerſte zu meiten. 
Gerbert äußerte 995 auf der Synode’) zu Mouzon, wie zwei Jahre früher 
in dem Briefe!) an den Biſchof Widerhold von Straßburg, König Hugo hab 
Nichts gethan oder bejchloffen, ohne vorher dem Pabſte Bericht darüber zu 
erftatten, und volle 18 Monate fei eine annehmbare Enticheidung Johanns XV. 
abgewartet worden. Man muß diefe 18 Monate vom Tage der Eröffnung 
des Rheimſer Eoncil8 zurüdrechnen, das für immer mit Rom brechen follte. 

Allein der Pabſt ging nad der Gefangennehmung Arnulf und Earls 
jo wenig auf die frangöfifchen Anträge ein, als vorher; denn er felbft war 
ja nicht frei. Weilte nicht Fürſt Hugo von TusciensSpoleto, der den Pas 


mon — — — — 


') Berk VI, 353. 2) Man ſehe die Stellen bei Bouquet X, 144. 145. 210. 226 
=-b noch viele andere. 3) Berk II, 656 oben. *) Manfi XIX, 161 unten. 


Siebtes Bud. Gap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen, Rheimſer Synode von 991. 567 


tricter Erescentius und durd ihn den Pabft Johann in feiner Gewalt hatte, 
bis zum legten Athemzuge der deutichen Kaiferin in deren Nähe! Fürwahr 
die Anwejenheit Hugo's am deutichen Hoflager ift ein Ereigniß, dem unter 
damaligen Berhältniffen hohe Bedeutung zufommt. 

Die Sachen ftanden fo: entweder mußte Arnulf des Erzbisthume Rheims 
entfeßt werben, oder war der Capetinger Hugo und feine Dynaftie verloren. 
Im Bunde mit Rom fonnte aber Hugo der oben entwidelten Umjtände wegen 
den Garlinger nicht befeitigen, alfo verfuchte er das Werk mittelft eines völs 
ligen Bruches durchzuſetzen. 

Auf den 17. Juni 991 berief König Hugo eine Synode) nad der 
Kirche des h. Bafolus unweit Rheims, welche leßtere Stadt gleich nad) der 
Ueberrunpelung Laond in die Hände des Königs gefallen fein muß. Es 
genügt, die Hauptfumme der Verhandlungen des Concils mitzutheilen.) Außer 
dem Metropoliten Eigwin von Sens, der nicht umgangen werben fonnte, weil 
er päbftliher Stellvertreter für Gallien war, und den der neuftrifhe Hof, 
ſei es durch Furcht oder durd Hoffnung, bis zu einem gewifien Grade ge- 
wonnen hatte, waren nur foldhe SKirhenhäupter Neuftrieng anweſend, auf 
deren unbedingte Ergebenheit der König rechnet. Das große Wort führten 
Arnulf, Biihof von Orleans, und Gerbert, dem an des Barlingerd Arnulf 
Etelle der Erzftuhl von Rheims zugevadht war. Wie an einem anderen 
Drte?) nachgewieſen worden, bildete Orleans den Mittelpunkt des Capetingis 
ſchen Hausgutd. Es ift nicht der geringite Beweis von der politifchen Fähig— 
feit Hugo Capets, daß er auf den Stuhl von Orleans in der Perfon Ars 
nulfs einen Cleriker beförderte, der an durchdringendem Scarffinn vielleicht 
nicht einmal dem Abte von Bobbio nachſtand. Man darf wohl fagen, die 
zwei beften Köpfe Neuftriens arbeiteten Damals zu Rheims für den Capetinger. 

Erzbiſchof Sigwin von Send eröffnete die Sigung mit dem Antrage, 
dag dem Beflagten auf jeden Fall Schonung des Lebens zugefichert werde, 
was nicht ohne einigen, wie ich glaube, fcheinbaren Widerſpruch durchging. 
Denn wie ein Narr hätte König Hugo gehandelt, fo fern er das furchtbare 
MWagniß, das er nur dann durchgufegen vermochte, wenn die Biſchöfe Neus 
ftriend ihn ohne Wanken unterſtützten, mit der Hinrichtung eines Kirchens 
hauptes begann. Ich jehe in obigem Vorfchlag ein Mittel, den Angejchuldigten 
zu einem offenen Geſtändniß zu bewegen. 

Der Garlinger Arnulf wurde felber vorgeführt, nachdem die Beweiſe 
feiner Schuld vorgelefen worden waren. Arnulf läugnete Anfangs, aber 
ohne Erfolg. Denn Die, welde feine verborgenften Handlungen kannten, 
der Priefter Adalgar und Arnulfs Geheimfchreiber Rainer, die ſich gleihfalls 


*) Die Aften bei Perg TIL, 658 flg. 2) Ausführlich find die Verhandlungen ges 
ſchildert Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1449 flg. 3) Band IV, ©. 48. 


in des Könige Gewalt befanden, jagten gewonnen oder eingejchüchtert wider 
ibn aus. Er mußte fib vor einem Ausſchuſſe der anweſenden Biſchoöͤfe, die 
mit ihm in die Safriftei gingen, aller anf ihm laftenden Auflagen, d. h. nit 
blo8 des Hochverraths, jondern auch der an Carls Sohne verübten Kuaben 
ſchaͤnderei jchuldig befenmen. Aber das genügte dem Könige nicht, fintemalen 
ihm fein Bortheil vorſchrieb, daß der Barlinger aud in der Meinung des 
großen Haufens zu Grunde gerichtet werde. Die IThüren der Kirche wurden 
geöffnet, bereinftrömte das Volk von Rheims, um anzuhören und zuzuſehen, 
wie der ehemalige erzbifchöfliche Gebieter, in den Staub bingefredt vor tem 
Gapetinger, jeine Unwũrdigkeit eingeftand und um Gnade flehte. Lehtere warb 
ihm bewilligt. 

As Preis der Friſtung feines Lebens mußte er erfilih eine Urkunde 
unterzeichnen, welche bejagte, daß er im Gefühle feiner Sünden das bisher 
unmwürbig bekleidete Erzbisthum nieberlege, daß er den Bilchöfen des Rheimſer 
Metropolitaniprengeld die Yreiheit gebe, einen Nachfolger zu wählen, daß er 
endlih anf jede Zurüdforderung feines Stuhles, ſowie insbeſondere auf das 
Recht, irgend welche Appellation in dieſer Sadye einzulegen, verzichte. Zwei⸗ 
tens mußte er Elerus und Volk von Rheims des ihm geleifteten Eids ver 
Treue entbinden. Hierauf warb er in den Kerfer nad Drleans abgeführt, 
wo auch fein Oheim Barl eingeiperrt war.) 

Der letzte Satz der von Amulf unterjchriebenen Urkunde gibt Aufſchluß 
über das Ziel, auf welches ver Capetinger losſteuerte. Rom follte feine Ge⸗ 
richtöbarkeit mehr über Neuftriens Kirche üben, es gab für Frankreich nab 
dem Plane ded Königs Hugo feinen Pabft mehr. Noch ungefcheuter lüftete 
Biſchof Arnulf von Orleans den Schleier in dem Bortrage, den er hielt. 
BVertheidiger des Etuhles ‘Petri, von denen unten die Rede fein wird, hatten 
geltend gemacht, Feine neuſtriſche Verſammlung, fondern nur der Pabft fönne 
über einen Metropoliten richten. Hierauf entgegnete der Biſchof von Orleans: 
„wir wollen Rom ehren, folange Rom die alten Canones achtet und fih 
felber treu bleibt. Aber was haben wir erleben müfjen! Unglüdlihe Stadt, 
einft zu den Zeiten unjerer Väter durch Päbfte, wie Leo der Große, wie die 
Gregore, verherrlicht, jegt die Beute von Ungeheuern. Hat nicht Johann, 
mit dem Beinamen Dectavian, jedem Lafter fröhnend, gegen denfelben Dtto J., 
den er zum Kaifer Frönte, ſich verfchworen. Nach ihm ward ein Neuling 
und Laie, Leo, erhoben. Aber während Kaiſer Dito auswärts weilte, kehrte 
Detavian nah Rom zurüd, verjagte Leo, verftümmelte den Diakon Johann 
und ftarb, nachdem er feine Wuth an den cebelften Römern ausgelaflen. 
Hierauf ward der Grammatifer Benedift von den Römern erhoben, aber 


*) Manfi XIX, 105 oben. 


Siebtes Bud. Gap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen. Rheimfer Synode von 991. 569 


al8bald fiel der Neuling Leo mit feinem Kaifer Otto über Benedikt her, fing 
ihn, ſetzte ihn ab, ſchickte ihn nach Deutſchland in ewige Verbannung.” 

„Auf Otto I. folgte fein gleichnamiger Sohn, der trefflichfte Fürſt. Zu 
gleicher Zeit riß in Rom Bonifacius den Stuhl Betri an fih, ein Menſch, 
jo lafterhaft, wie fein anderer, Mörder feined Vorgängers. Auch diefer wurde 
jedod vertrieben und auf einer großen Synode verdammt, aber nach Otto's IL 
Tode fehrte er zurüd, ftürzte den guten Pabft Petrus, ehemaligen Biſchof von 
Pavia, warf ihn ind Gefängniß, tödtete ihn.“ 

Handgreiflid taugte ed in den Kram des Bilchofg von Orleans, das 
was während des legten Menfcenalters zu Rom vorgegangen, fo nadt und 
Abſcheu erregend als möglich hinzuftellen. Auch wird Niemand zweifeln, daß 
Biſchof Arnulf jelbft oder daß der capetingifhe Hof, in deſſen Dienften er 
tand, die geheime Geſchichte der Weltmetropole lannte. Wenn er gleich, 
wohl im Wefentlihen nichts gegen die Päbſte feit den Zeiten Johann⸗Oc⸗ 
taviand XII. vorzubringen vermochte, ald was auch andere Firdengeichichtliche 
Duellen, unabhängig von Arnulfs Ausfagen, melden, jo ift dies ein ſchlagen⸗ 
der Beleg dafür, daß felbft aus dem eifernen zehnten Jahrhundert die Außeren 
Umriſſe der PBabftgejchichte unverftümmelt auf und gefommen find. Der Bis 
hof von Orleans fuhr fort: 

„IR es Recht, frage ich, daß ſolchen Ruchloſen, die aller Schande voll, 
aller göttlichen und menſchlichen Wiſſenſchaft baar find, unzählige @lerifer des 
Abendlandes, ausgezeichnet durch Kenntniffe und ſittlichen Wandel, ſklaviſchen 
Gehorſam leiften. — Während von Jedem, der ein Bisthum erlangen will, 
Reinheit der Geſinnung, Wiſſenſchaft geforbert wird, madt man an die Häupe 
ter aller Bifchöfe nicht die gleichen Anſprüche. Was ift denn, frage ich, jener 
auf erhabenem Sige thronende, von Purpur und Gold funfelnde Hohen⸗ 
priefter? Fürwahr nichts weiter ald ein Antichrift, ſobald er ber Liebe ers 
mangelt und mit bloßem Wiſſen fih bläht. Wenn er aber der Liebe und 
des Willens zugleich entbehret, jo ift er nicht mehr als ein marmorner Göße. 
Wohin follen wir und wenden?” 

„Sn dem benachbarten Belgien und in Germanien find, wir willen es, 
trefflihe Briefe. Wenn nur nit gegenjeitiger roll der Kos 
nige (Dtto’s II. und Hugo Gapetd) als unüberfteiglides Hinders- 
niß dazwiſchen träte, fo würden wir die Sade Arnulfs der jchiedsrichters 
lihen Entſcheidung diefer benachbarten Amtsgenoſſen überlafjen, ftatt in jener 
Stadt Rom Recht zu fuchen, wo Alles verfäuflih iſt, wo bie Gerechtigkeit 
um Gold feil geboten wird.“ 

Schonungslos hebt der Bilhof von Orleans, wie man fieht, die zu 
Rom begangenen Greuel hervor, aber er fchweigt gänzlih davon, daß nicht 
Rom, nicht Petri Stuhl die Schuld derfelben trug, fondern daß fie ber rö⸗ 
mifchen Kirche durch fremde Gewalt, dur die Ungerechtigteiten neuttüder 


570 Pabſt Gregorius VIL. und fein Seltaller. 


und deutfcher Könige und Kaiſer, oder durch die unausbleiblichen Früchte ver 
von legtern verübten Thaten aufgendthigt worben wären. Gleichwohl kom 
Arnulf diefe Hauptfrage, um die fi Alles drehte, nicht umgehen und ea 
darum nicht, weil derjenige Pabft, der damals auf Petri Stuhl faß, wi 
Sohann XV. keine Dinge verübt hatte, wie Johann⸗Octavian, wie Leo VIIL 
wie Bonifacius. Mochten die Vorgänger Johanns XV. gethan haben, wel 
fie wollten, im vorliegenden Streite handelte es fi darum, ob das Re 
von Zohann XV. felbft verweigert worden fei. Erft mit dem NAugenblide, 
da der Redner des Rheimſer Concils diefen Punkt zur Sprache bradhte, ging 
er auf die Sache felber ein. Arnulf fuhr fort: 

„Dan beruft ſich gegen uns auf die Beichlüffe von Sardifa, welde ver 
fügen, daß jeder wichtigere Rechtshandel vor den Pabſt gebracht werben 
müffe. Nun es fei fo: haben nidt Wir Biſchöfe, hat nicht umfer gnäbiger 
König die Sache des Erzbiihofs Arnulf dem Pabſte vorgelegt, und bat mar 
nicht demfelben überflüſſige Zeit gelaffen, um zu unterfudhen, zu richten, p 
entfcheiden. Daß gleihwohl Johann XV. uns gar feine Antwort gab, mögen 
Die verantworten, welche daran ſchuld find. * 

Sofort fucht Arnulf darzuthun, daß in gewifien Fällen Provinzialſynoden 
befugt feien, über Biſchöfe zu richten. „Wahrlich, die Kirche koͤnnte gar nidt 


beftehen, wenn man ftetS mur zu Rom Urtheiffprüche einhofen müßte. Denn | 


wie dann? wenn die Verbindung mit Rom durch Barbarenwaffen abgeſchnit 


ten wäre! Wie dann, frage ich weiter, wenn Rom felbft einem Barbaren m 


terworfen, den Herrſcherlaunen deſſelben fröhnen, die geiftlide Gewalt zum 
Vortheil fremden Ehrgeizes mißbrauchen muß.) Soll etwa während folder 
Zuftände Provincialconcilien feine richterlihe Macht zuſtehen, follen die Br 
ichöfe zum größten Nactheil der Könige auf römifche Entjcheidungen harten, 
die vorausfichtlib von den Feinden der Staaten eingegeben werden.“ 

Ganz wirft der Bilhof von Orleans vie Masfe weiter unten weg: 
„and Ehrfurcht für das Andenfen des Apoftelfürften wollen wir, dem Ber 
fpiele unferer Ahnen folgend, die römijche Kirche ehren, aber nur fo mei 
als das Wohl des Staates nicht dadurch gefährdet wird. Richtet Rom ge 
recht, jo ift die Einheit der Kirche gefichert, entſcheidet Petri Statthalter un 
gerecht, fo gilt der Sprud des Apojteld (Galat. 1, 8): wenn auch ein Engel 
vom Himmel Euch das Evangelium anders Ichrete, ald Wir, fo ſei ihm Ylud 
geſagt. Schweigt Rom, wie es bisher in unſerer Sache gethan, nun fo reden 
die dort erlafienen Geſetze.“ 

„D! der unglüdlihen Zeiten, die und des Schutzes der Mutterfirche be 
saubt haben. Wohin follen Wir und wenden, da die Hüterin der Völker in 
Kraftlofigfeit verfunfen if. Denn offen fei es gelagt: feit dem Untergang 


‘) Berg II, 678, Mitte. 


ım ıı 1 


Siebtes Buch. Kap. 34. Franzoͤſiſche Berwicdiungen. Rheimſer Eynode von 991. 574 


des alten Reich8 der Eäfaren hat Rom nad einander die alerandrinifche, die 
antiochenijhe Kirche eingebüßt, ja um von Afrika und Aften zu fchweigen, 
Europa reißt fih von Rom los. onftantinopel hat fich getrennt, das innere 
Spanien weiß nicht von Rom.) Eine Scheidung nicht blos der Dölfer, 
fondern audy der Kirchen ift im Zuge. Der Antihrift, deſſen Scergen bes 
reitd Gallien anfallen, und unſere Nation mit aller Macht unterbrüden wollen, 
rüdt drohend heran gemäß der Weiſſagung des Apofteld (2. Theſſal. 2, 7.8): 
ſchon wirkt das Geheimniß der Bosheit, und nur noch ein Hemmuiß, das 
ihwinden wird, hält e8 auf.” u. |. w. 

Klar ift, daß der Bilhof von Drleand und feine Meinungsgenoffen 
unter dem Antichrift das deutſche Kaiſerthum, Theophano und ihren Sohn 
Otto III. verftanden. Durch diefe hölliſche Gewalt, wollen fie fagen, ſei 
die Fortdauer Fatholifher Einheit ein Unding geworden, und nur die Möge 
lichfeit von Staatskirchen bleibe übrig. Da fih Arnulf wiederholt auf den 
Heidenapoftel beruft, konnte er unmöglich läugnen, daß jedem Chriften die 
Pfliht obliege, Satans Macht zu befümpfen, folgli allen ruchloſen gegen die 
Einheit der Kirche gerichteten Beftrebungen entgegenzutreten. Nun waren bie 
Greuel zu Ron, über die er jo bittere Klage führt, urfprüngli darum entftans 
den, weil fich die Päbfte Johann XII., Benedikt V. und Bonifactus VIL den Werfen 
des Antihrifts, d. h. tyranniicher Kaifergewalt, wenn and nicht immer mit 
erlaubten Waffen, widerjegten. Arnulf hätte daher die Spige ſeines Angriffe 
nicht wider die genannten Päbfte, fondern gegen den Sachſen Dtto, deſſen 
Sohn und Enfel richten jollen, und nur die Art und Weife des päbftlichen 
Widerſtandes, nicht den Widerftand jeldft fonnte er mit Grund rügen. Bel 
allem Anjcheine von Scharffinn verwidelt ihn, wie man fieht, die Heuchelei, 
die er treibt, in arge Widerſprüche mit ſich ſelber. 

Hat Niemand dort zu Rheims bei fo dringender Gefahr feine Stimme 
für die jchwer bedrohte Einheit der Kirche erhoben? Sonſt findet man ſtets, 
daß, wenn auch alle Andern den Muth; verloren, doch Clugny in die Lüde 
fteht, fobald es fih darum handelt, die Rechte des h. Stuhls und die 
Freiheit der Kirche zu vertheidigen. Beſonderer Berhältniffe wegen fonnte 
damals das Stift nicht unmittelbar eingreifen. Oberabt Majolus, alt und 
fränflich geworden, hatte?) im Jahre ded Concild von Rheins — 991 — 
den Möndh Odilo zum Mitabte angenommen. Damit war jener Mittelzus 
ftand eingetreten, wo eine ältere Sonne unterging, eine jüngere fi zum Aufs 
fteigen anſchickte. Solche Wechſel machen befanntlih Fühnes MWirfen nad 
Außen faft unmöglid. Wohl aber wurde die Meinung von Clugny durch 
Mönche eines mit dem Wutterftift eng verbundenen Klofterd vertheidigt. 

An der Loire, im Sprengel von Orleans, lag Fleury; gleich fo vielen 





— — 


) Siehe Band IV dieſes Werlks ©. 439. *) Gſfrorer, Kixch. Bei. TIL, AR, 


572 Vabſt Gregorins VIL. und fein Zeitalter. 


andern Stiften war es in den Stürmen des neunten unb zehnten SJahrkas 
derts durch räuberifche Laien herabgefommen und in Schmug verfunfen. Ak 
um 930 hatte!) der zweite Oberabt von Clugny, Odo, berbeigerufen vurd 
einen Grafen Elifiardus, zu deſſen politiichem Amtöbezirt damals Glugay ge 
hörte, die Ordnung hergeftellt und die Elugniacenfer Regel in dem ermeucrta 
Klofter eingeführt. Im Jahre 987 farb zu Fleury der biöherige Abt Di 
bold. Die Wahl des Nachfolgerd erregte Zwietradht, weil fürftlicher Ehrgei 
ſich einmiſchte. Ein Theil der Gemeinde flimmte für den Mönd, Abbo, ein 
Genoſſen des Stiftes, ver fih durch Gelehrſamkeit und Eifer für dieſelben 
Orundjäge, die zu Elugny herrſchten, auszeichnete, eine andere Parthei be 
günftigte einen Dritten, deffen Ramen man nicht fennt, der aber allen Un 
zeichen nach den Schub mächtiger Laien genoß. Durch die vereinten Bemi 
hungen der Aebte Majolus von Elugny, Ebrarb von Tours und des Rheimſei 
Erzbiihofs Adalbero errang Abbo den Sieg. ?) 

Nun eben diefer Abbo, welcher jeitvem den Nachfolger des Majolus, 
Odilo, wie einen Vorgejepten behandelte,*) obgleich Fleury nicht eigentlich dem 
Clugniacenſer Verband angehörte,t) hat auf dem Rheimſer Eoncil von 991 
mit zwei andern Möndyen die Rechte des h. Stuhls als Hauptredner ver 
fochten. In den Akten beißt) es: „gegen die Ankläger des Erzbiſchofs Ar 
aulf führten drei entſchloſſene Kämpfer, gleich, ausgezeichnet durch Wiſſenſchaft 
und Beredtfamteit, Johann, Vorfteher der Domjchule zu Auxerre, Ranulf, 
Abt von Sens, und Abbo, Rektor des Kloſters Fleury, das Wort.” Der hier 
genannte Abt Ranulf fommt in mehreren Briefen‘) der Sammlung Gerbertd 
vor, aus welchen hervorgeht, daß er ein gelehrter Philolog gewejen fein muß. 
Das Amt des Scholaftifus, das Johann zu Auxerre befleidete, deutet darauf 
bin, daß Daſſelbe aud von ihm gilt. Während die Akten ben einen der 
Redner, NRanulf, fonft auch Rainulf genannt, als Abt bezeichnen, geben fit 
Abbo den Titel Rektor des Klofterd Fleury. Merkwürdig if, daß auch Abbe 
in feinen Briefen von fich felbft den nämlichen Ausdruck braucht,“) da tod 
Andere in Zuſchriften ihn „Abt” anreden. Meines Erachtens nannte | 
fi felbft Rektor, um eine gewiſſe Abhängigfeit von Clugny auszudrüden.‘) 

Rur obenhin werben die Einwendungen, welche die drei Mönche erhoben, 
in ven Synodalakten mitgetheilt. Der Berichterftatter (Berbert) beſchränkt') 
fi auf die Bemerkung, diefelben hätten folgende Punkte hervorgehoben: erft 
müſſe Erzbifchof Arnulf wieder in feine Würde eingeſetzt fein, ehe man über 
ihn richten Fönne; der Streit gehöre nad Rom vor die Enticheidung des 
Pabſtes; man babe die kanoniſchen Formen nicht beobachtet; über die Anklage, 


) Daf. ©. 1337 flg. vergl. mit Mabillon, annal. ord. S. Bened. III, 400 flg. 
3) Mabillon a. a. O. IV, 47 flo. *) Sfrörer III 1611. Note 4. %) Mabillon aa. D. 
IV, 47, 6) Perg III, 666. cap. 19. 6) Bouquet X, 401. 404. 407. ’) Berg 
ll, 669 unten flg. 


Siebtes Buch. Cap. 34. Pranzöfifche Verwicklungen. Kheimſer Synobe von 991. 873 


e Perfonen der Ankläger, der Zeugen, der Richter, hätte von Rechtswegen 
uf einer vorangegangenen befonvdern Eynode erfannt werden müſſen. Man 
opfte ihnen mit tauglihen Stellen Älterer Eynovalbeichlüffe den Mund. 
tur auf das behauptete ausschließliche Richteramt des Pabſtes ging der Bis 
hof von Orleans ausführlich ein, indem er die oben mitgetheilte Rede hielt. 

Wie man ficht, hüteten fi die drei Mönche, den Erzbifchof Arnulf rein 
aſchen zu wollen, nur die Form des eingeleiteten Verfahrens war ed, was 
e angriffen. Ste haben in diefer Beziehung den Nagel auf den Kopf ges 
offen. Daß nicht alltägliher Muth dazu gehörle, um dem Könige von 
ranfreih und einem großen Theil des mit ihm verbündeten Bisthume zu 
rog — und noch dazu in folder Sache — für die Wahrheit zu zeugen, 
ringt in De Augen. Nie hat feitvem Bifchof Arnulf von Orleans die in - 
zt. Bafol gefprochenen Worte dem Abte von Fleury vergeffen: Bürge daflır 
ie rohe Verfolgung , die er über denfelben verhängte. *) 

Es genügte noch nicht, daß König Hugo Eapet und feine Biſchöfe zu 
theims der römifchen Kirche für fih den Gehorfam auffündigten, fie mußten 
uch das frangöfiihe Volf in dieſelbe Bahn hinefnreißen, weil fonft von Unten 
er Rächer der verübten That erftchen mochten. Beide ermangelten nicht, 
stere Gefahr ins Auge zu fallen. Dem Willen des Königs gemäß?) wurde 
n des abgeſetzten Garlingers Arnulf Stelle, Gerbert zum Erzbiſchof erhoben, 
elcher fofort al Preis bevorftehender Befitergreifung ein Glaubensbekennt⸗ 
iß auöftellte,”) das feltfame Dinge in fcheinbar unfchuldigen Worten enthält. 

„Ih Gerbert, durch Gottes zuvorfommende Gnade demnächſt Erzbiichof 
on Rheims, beurfunde vor Allem meinen Glauben in einfachen Sägen.“ 
olgt nun ein ausführlicher, rechtgläubiger Artikel über Dreieinigfeit, Aufer- 
ehung, jüngftes Gericht. Dann fährt Gerbert fort: 1) „die Ehen verbiete ich 
ht; 2) die zweiten Heirathen verdamme ich nicht; 3) den Genuß des Flei⸗ 
hes unterfage ih nicht; 4) daß man mit foldhen Büßern, die mit der Kirche 
18geföhnt find, Gemeinschaft pflegen müße, 5) daß in der Taufe jede Sünde, 
wohl die erbliche, als die freiwillig begangene, erlaffen werde, 6) daß außer 
r fatholiihen Kirche fein Heil fei, glaube und befenne ih; 7) die vier 
ffigen Eoncilien, welde die allgemeine Mutter, die Kirche, annimmt, ers 
nne id an.” 

Diefes Bekenntniß hat nachfolgenden geheimen Sinn:) die vier Bons 
lien, welche Gerbert gelten läßt, find die vier Älteften, das nicänifche, das 
fie von onftantinopel, das von Epheſus, das von Ehalcedon. Sie fielen 

die Zeit, da die römifche Kirche den römiſchen Cäſaren unterthan, und ba 
r Pabſt noch feine Weltmaht war. Indem der Fünftige Erzbiſchof von 


*) Bouquet X, 329. 2) Ducheöne IL 834. epist. 25. ) Den Nachweis im Eins 
nen bei Gfrörer, Kirch. Geſch. III, 1460, 


574 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


Rheims die fpäteren, allgemeinen Kirchenverſammlungen verwirft, welde 
den Sahrhunderten angehören, ta Petri Etatthalter ſich zu felbfftäntign 
Macht aufarbeiteten, taftet er Roms firdlihe Hohelt an. Denfelben Hinte: 
gedanken verfolgt der ſechste Sag, der das chen in Rheims zugerüftete frar⸗ 
zöſiſche Weſen für allein rechtgläubig erklärt, alio verbedt die römiſch⸗katholijch 
Kirche der Keperei beichuldigt. 

Der vierte und fünfte Artifel beftreitet Die Schlüſſelgewalt des Pabſtet 
und ſeine Befugniß, den Bann zu verhängen. Wenn die Taufe, welche da 
König von Frankreich insfünftig durch feine Priefter den Unterthanen ertheile 
läßt, alle Eünden aufhebt, fo braucht man nicht nah Rom zu wallen un 
dort Ablaß zu begehren; auch fchadet römiſcher Bann Denjenigen nicht, melde 
die Königliche Kirche in ihren Schooß aufgenommen hat. Der dritte Artikel 
Ihafft die Baftengebote ab, und erlaubt den Franzoſen, jo oft und wann es 
ihnen beliebt, Fleisch zu effen. Der zweite Artifel geftattet Eheſcheidung, räumt 
Hohen und Niedern das Recht ein, ihre rauen fortzufchiden und andere zu 
ebelihen. Der erfte endlich erlaubt den Prieſtern Weiber zu nehmen. 

Klar ift, der König und feine geiftlihen Nathgeber rechneten durch Ab: 
Ihaffung der Faſten den großen Haufen, durch ungehinderte Ehefcheidung ten 
Adel, durch Beftattung der Priefterehe die Maſſe der Dorfgeiftlichen, durch 
möglich große Ungebundenheit in religiöfen Dingen Alle für den Plan einer 
franzöftich-Fatholifchen Staatsfirhe zu gewinnen. Doc erhellt fowohl aus 
gewiflen Worten, welde der Orleaner Biſchof auf dem Concile fallen lich, 
als aus den was fpäter gejchah, daß Hugo Capet und feine Vertraute vor; 
erft no nicht an Ausführung dachten: ver in Ausficht geftellte Abfall jollte 
zunächft in Rom ald Drohmittel dienen, damit ver Pabſt ſich dazu verſtehe, 
die Abfegung des Carlingers Arnulf gut zu heißen. Würe Letzteres geſchehen, 
jo würde meined Erachtens der Barijer Hof eingelenft, und mit der römiſchen 
Curie ſich zu verftändigen verfucht haben. 

Man fieht: Diefelben Gedanken, die im Laufe des ſechszehnten Jahrhun— 
derts jenſeits und dieſſeits des Rheines, fowie vom engliihen Könige Hin 
rih VIII verwirflidt wurden, gährten ſchon im zehnten, und pfiffige Staat 
männer von damals hatten durchdachte Eyfteme iu Bereitfchaft, welche daran 
abzielten, die Kirche, gebunden an Händen und Füßen, der weltlien Ge— 
walt zu überliefern. Das Hauptmittel, das Hugo Capet für dieſen Zwed 
in Bewegung zu jegen gedachte, beftand in Entfeffelung der Maſſen von ven 
Banden, welche einer Seits Ruhe und Drdnung der Etanten, gedeihlichen 
Fortſchritt der Menfchheit fihern, aber anderer Eritd den ungezügelten Trieben 
der thieriihen Hälfte menfhliher Natur Einhalt thun und darım Haf bei 
Schlechten erregen. Ich wiederhole eine ſchon früher gemacte Bemerkung: 
neben der chriftlichen Uecberlieferung lief dur das Mittelalter eine heidniſche 
her, weldye das Ehriftentbum läugnete, Wurzeln in einzelnen germanifchen wie 


Siebted Bud. Kap. 34. Franzöfifche Verwicklungen. Rheimſer Eynode von 99. 575 


lateiniſchen Fürftenhäufern trieb und meined Erachtens aus den Paläſten ber 
alten römiſchen Cäſarn in die germanifchslateinifche Welt herüber verpflangt 
worden ift. 

Nachdem der Streich zu Rheims gefallen, mußte es fich zeigen, ob die 
römifhe Kirche trog der langen Verknechtung durch Otto J., Otto II. und 
Theophano innere Kraft genug befiße, ihre beleidigte Ehre, Ihre bedrohte Forts 
dauer, ihr Alles zu wahren. Sie hat diefe Kraft entwidelt. Klugheit fchrieb 
vor, den Miderftand damit zu eröffnen, daß Petri Statthalter ſämmtliche in 
Rheims gefaßten Beichlüffe für das erflärte, was fie in Wahrheit waren, für 
null und nichtig. Genau diefe Weife der Abwehr ift gewählt worden. Nächft 
dem Pabfte fam e8 dem deutfchen Bisthum zu, wider Hugo Capet und feine 
Mitſchuldige einzufchreiten.. Denn das zu Rheims verübte Verbrechen war 
zum guten Theile eine $rucht des böfen Samens, den feit 961 deutſche Könige 
ausgeftreut hatten, und wenn daher Germaniend Kirchenhäupter nicht blos 
dem Namen, fondern der That nah Katholiken waren, fonnten fie fih nicht 
über die Verpflichtung täufchen, dem Pabfte zu Züctigung eines nicht ohne 
deutſche Mitfchuld herbeigeführten Unrechts hilfreiche Hand zu leiften. Sie 
haben wirflid in diefem Sinne gehandelt. 

Der Franzoſe Richer meldet:') „mittelft wiederholter Schreiben drangen 
die deutſchen Bifchöfe in den Pabft Johann XV., daß er die Erhebung Ger- 
berts und die Abfegung des Erzbiihofs Arnulf von Rheims für null und nid» 
tig erkläre.” Germaniens Biſchöfen konnte Crescentius nicht, wie den frans 
zöftfchen, Zutritt zum Pabſt verweigern. Doc) zweifle ich ſehr, ob ihre Briefe 
für ſich allein zu bewirken vermocht hätten, daß Sohann XV. fi ermannte, 
Diefer Pabft ift, wie ich früher zeigte, dur Theophano und den Römer , 
Crescentius eingefegt worden. Wer wird zweifeln, daß die Wahl Beider 
deßhalb auf ihn fiel, weil er von Haus aus ein ſchwacher Charakter war. 
Hiezu fam noch, daß die Vormundſchaft, unter der er feit ſechs Jahren ges 
halten wurde, ihn noch mehr einfchüchtern mußte. Man fann vernünftiger 
Meile nicht von einer Taube fordern, daß fie wie ein Adler ihre Fittige 
ſchwinge. | | 

Dennoh hat Johann XV. zulegt wie ein Mann gehandelt; aber dieß 
fam meined Erachtens daher, weil die römische Kirche nicht blos aus dem 
Pabſte beftand, genauer gefproden, weil es zu Rom andere clerifale Häupter 
gab, welde wußten, wie man großen Gefahren zu begegnen habe, und welde 
ben Pabft fortrifien. Zum erftenmal grief damals ein römifches Stift, deſſen 
Wirkſamkeit feitdem . häufig hervortritt, äußerlich fihtbar im die Leitung der 
Kirchenangelegenheiten ein. 

Haft drei Menfchenalter waren feit der Gründung Clugny's verfloſſen, 


) Perg II, 653. (cap. 95.) 





576 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


ungefähr zwei, feit neue Speen der Orbnung von dort auöfrömten, u u 
in Rom Früchte zu treiben begannen. Eoviel Dornen die Laufbahn bet, a 
welcher Clugny's Möndye wandelten, hatte doch der Glanz, welcher die Zugak 
umflrahlt, Nacheiferung in Andern entzimbet: Clugny fland nicht mehr allen 
da und dort wirkten Klöfter für ähnliche Zwede, und ihre Zahl wehrte fi 
mit jedem Jahrzehnt. Auch ift hiebei eine Theilung der Arbeit unverfennber |, 
Während Clugny es fih zur Aufgabe machte, Allem aufzubieten, damit in ven || 
altbefehrten, chriftlichen Reichen die Freiheit der Kirche gegen die rohe Hal 
weltliher Gewalt gefchütt werde, firebten die Racheiferer Eingny’s dahin, 
neubelehrte Länder, welche Ehrſucht im Ramen der Religion unterbrüde 
wollte, als freie Glieder in die große hriftliche Familie einzuführen. Dem 
diefelben Dttonen, welche Petri Etuhl nechteten, die Unabhängigfeit der freim 
Kationen des Weſtens unaufhörlich antafteten, waren im beften Zug, bie ned 
heldniſchen Völker des Dftens, Slaven und Finnen, unter dem Vorwand er 
Belehrung in Ketten zu fchlagen. 

Der aventinifhe Hügel umſchloß ) auf einer Anhöhe, deren Fuß durch ein 
Beugung der Tiber begrängt wird, eine alte, den Heiligen Bonifacins m 
Alexius geweihte Baſilika. Diefelde war während der Zeiten des belregi, 
ments in Berfall gerathen‘) und hatte Feine Priefter mehr. Unter Pabl 
Benedikt VIL aber (974 — 983) fam ein erlaudter Flüchtling aus dem 
Morgenland nad Rom, Sergius, chedem Metropolit von Damascus, welden 
die Saracenen vertrieben hatten. Männer, die des Glaubens wegen ba 
Ehalifen oder ihren Ctatthaltern die Stirme boten, die des Glaubend wegen 
Amt und Heimath verließen, und nah Rom, dem Mittelpunkt Firchlicher Ein 
heit, fi) wandten, haben die Borausfegung der Tüchtigfeit für fih. Sergius 
bat den Pabft um einen Wohnfig, Benedikt VII. verlieh ihm die YBafılifa 
zum heil. Bonifactus, welche der Grieche fofort in ein Klofter ummanbelte 
und unter die Regel des heil. Benebift von Nurfin ftellte.) Griechen un 
Lateiner, Drientalen und Abendländer, wohnten ſeitdem im St. Bonifacn& 
ftifte gufammen. ') 

Als Abt defjelben erfcheint um 990 der Römer Leo, ein Mann, für defien 
Werth nicht blos die fchriftlichen Denfmale, die aus feiner Hand auf und 
gekommen find, nicht blos die Lobſprüche, welche ihm morgenlänvifche und 
abenvländifhe Quellen ertheilen,?) fondern noch mehr als Beides die Zoͤg⸗ 
linge bürgen, die er auögebilvet hat. Unter Leo's Leitung bereiteten fich fir 
einen hohen Beruf zwei Zierden der Menichheit vor, die Apoftel Slaviens, 
der Czeche Woytech mit feinem kirchlichen Namen Adalbert, und der Sachſe 
Bruno⸗Bonifacius, die beide nachher, wie unten gezeigt werden foll, die 


ı) Berg IV, 574. Mabillon, aunal. ord. S. Bened. III, 635 unten fig. N) Mas 
biffon a. a. O. IV, 92 fig. 









Siebtes Bud. Gap. 34. Pranzöflfche Verwidiungen. Rheimfer Synode von 991. 577 


Märtyrerfrone erwarben. Eben diefer Abt Leo gieng gegen Ende des Jahre 
991 als päbftlicher Legat über die Alpen, um Vorkehr gegen Das zu treffen, 
was in Rheims ausgebrochen war. Rider fagt,‘) „gedrängt durch die Schreis 
ben ver deutſchen Bilchöfe, babe Pabſt Johann XV. ven Abt abgeichidt.* 
Ich denfe, daß Leo, die Gefahr erkennend, fich felbft zum Gefandten anbot, 
und fo lange dem Pabft zufegte, bis diefer ihm die überaus ſchwierige Sen⸗ 
dung übertrug. 

Bon der amtliben Thätigfeit, welche Leo am Orte feiner Beftimmung 
entwidelte, zeugt eine Reihe gallifcher und deutscher Synoden, die feit 992 
zufammentraten. Die Chronik von Cöln meldet,“ daß 992 eine Kirchenvers 
ſammlung zu Aachen ftattfand, auf welcher über die Abſetzung des Rheimfer Erz» 
biſchofs Arnulf verhandelt worden fei. Weiter fügt der Chroniſt bei, daß 
auf eben diefer Berfammlung päbftlihe Legaten erfchlenen. Da nun Leo jelbft 
in dem an König Hugo gerichteten Schreiben, von weldhem unten bie Rebe 
fein wird, feine Anmwefenheit in Aachen erwähnt, kann Fein Zweifel fein, 
daß er der von dem Chroniften genannten Synode anwohnte. Außer deutjchen 
Bilhöfen waren auch gallifhe nach Aachen berufen worden. Doc nur bie 
Deutſchen kamen, die Franzoſen dagegen blieben, ohne Zweifel auf Befehl ihres 
Königs, weg. Jetzt Iud fie der Pabft nah Nom, allein abermal verweigerten 
fie den Gehorfam.*) 

Dagegen verfammelten®) ſich die Kirchenhäupter Neuftriendg — wahr. 
Iheinlih im Mai 992 — zu Ehela, einem fonft unbefannten Orte. Außer 
Gerbert erfhienen die Metropoliten Sigwin von Sens, Erchembald von Tours, 
Daibert von Bourged. Den Vorfig führte der jüngere König Robert in eigener 
Perfon. Die VBerfammelten verpflichteten fi, Gerberts Erhebung und 
Arnulf Abjegung aufrecht zu halten und einmüthig zufammen zu ftehen, 
Einer für Alle, Alle für Einen. Sie beichloßen ferner, jagt’) NRicher: „wenn 
in irgend welcher Kirche tyranniſche Gewalt auftauchen follte, dieſelbe gemein⸗ 
Ihaftlih niederzufchlagen, fo wie wenn Einer mit dem Banne belegt würde, 
ſolchen Bann gemeinfam zu löſen. Im Kalle aber der Pabſt fi unterftünde, 
etwas wider die Sagungen der heil. Väter zu thun, fo gaben fie fi das 
Wort, feine Verfügungen für null und nichtig zu erflären, gemäß dem Aus» 
ſpruche des Apofteld (Titum III, 10) einen ketzeriſchen Menfchen, der von der 
Kirche abweicht, meide gänzlich.” 

Meines Erachtens erhellt aus den Beichlüßen von Chela, daß damals 
bereit8 in Stalien oder in Deutfchland die Drohung des Banns gegen Gerbert 
und Genofen, vielleicht auch gegen das Fönigliche Haus und das franzöflfche 
Volk, ausgeiproden war. So entihloßen anjcheinend Gerberts Parthei in den 


ee —— 


1) Berk III, 663. *) Berk I, O99. 5 Berk III, 680 unten. *) Ibid. ©. 6”, 
Mitte. 6) Berk III, 651 und Derhenie Briefe II, 50. bei Duchesne TI, 842. 
Gfroͤrer, Pabſt Gregorius VI BD. . X 





578 Vabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Kampf gieng, begann doch der Boben unter ihren Füßen zu wanfen. Gem 
bert ſchreibt,) offenbar nicht lange nach feiner Erhebung, an Jen Abt und die 
Brüder der Möndögemeinde von Aurillac: „nachdem ich um Gottes Willen 
aus Rheims geflohen,?) hat mid Gott zum Borfteher von Rheims gemalt. 
Meine Erhebung ſtachelte jedoch den Neid ter Nationen und Völlker wider 
mich auf. Weil fie mit Gewalt nichts auszurichten vermögen, greifen fie mid 
mit dem Gefege an. Sn der That ift Geſetzesſtreit fchlimmer als Waffen⸗ 
fampf.” Im Folgenden erfucht er die Mönde um die Hülfe ihrer Gebete. 

Ein zweiter Brief") aus' verfelben Zeit verbreitet einige® Licht über bie 
Mittel, die in Anwendung gebradt wurden, um Gerbertd Stellung zu uw 
tergraben. Sämmtlihe Mönche des berühmten Martinftiftes zu Tours hatten 
ſich wider den dortigen Erzbiihof aufgelehnt, ver, wie aus den Akten ber 
Synode von Ehela hervorgeht, gemeine Sache mit Gerbert machte. Im Ramen 
der mit ihm enge verbundenen Bilchöfe bedrohte fie Gerbert mit Dem Banne, 
wenn fie nicht augenblidlih zum kanoniſchen Gehorfam jzurüdfehrten. Was 
war die Urfache der Auflehnung gewejen ? Sicherlich der Rheimjer Geſetzes⸗ 
ſtreit. Da und dort nahm der nievere Elerus und das Klofter Partbei für 
Kom gegen die verfchworenen Bijchöfe und bereitete dadurch letzteren Ber. 
legenheiten. 

Auch dem Koͤnige Hugo Capet war es nicht wohl zu Muth, er ſuchte 
einzulenken. Ein Schreiben deſſelben au Pabſt Johann XV. iſt auf uns ge 
fommen, welches wohl in bie Zeit furz vor oder nad) dem Eoncile von Chela 
fat. Hier heißt?) es unter Anderem: „Ich bin mir bewußt, nicht® gegen 
Eure apoftoliihe Mactvollfommenheit unternommen zu haben. Möget Ihr 
Euch mit eigenen Augen bievon überzeugen. Auf ver Gränze Italiens und 
Galliens liegt die Stadt Grenoble, in welcher ſchon öfter Könige der Franfen 
mit Päbſten zufammentrafen. Diefe Vorgänge wollen Wir, wenn es Euch 
gefällig iſt, nachahmen. Entſchließet Ihr Euch, unfere Heimath zu befuchen, 
fo würden Wir Euch mit den größten Ehren empfangen. Dieß fagen Bir 
aus Liebe, damit Zhr einfehet, vap Wir und Eurem Richterfpruch nicht ent 
ziehen wollen.” Offenbar rechnete der Gapetinger, wenn er nur einmal den 
Pabſt auf galliihem Boden habe, Alles was er wünjchte, in Gutem oder 
mit Gewalt, von ihm zu erlangen. Seine Schmeichelworte fruchteten fo wenig 
ald die Drohungen des Concils von Chela Immer [hwärzere Gewitter 
wolfen zogen fih über Gerbertd Haupte und über Frankreich zufammen. 

Als römiſche Antwort auf die Vorgänge von Rheims richtete Abt Leo 
an König Hugo Eapet und deſſen Sohn Robert eine Staats⸗Schrift,“) welde 





#) Epistol. II, 35. Ducheöne II, 838. 2) Anfpielung darauf, daß er nach erfolgter 
Vebergabe der Stabt an den Herzog Garl, Rheims verlaflen Hatte und an Hugo Gapeis 
Sof geflohen war, ) Epistol. IL, 50. a. a. ©. *) Manſi XIX, 168, ) Perg 
HI, 686 fig. 


Budh. Gap. 34, Franzoͤſiſche Berwidiungen. Stheimfer Synode von 991. 579 


eit, aber auch von geſundem Menjchenverftand und von Wahrheit 
ie Alten eurer Synode, die mir übergeben worben, haben mid) 
u erfüllt. Wahrlih von Euch gilt dad Wort des Herrn: viele 
hriften geworben, und Euer Verfahren beweist, daß die letzte Zeit 
riftus, der die Wahrheit felber ift und nicht fügen kann, hat gefagt, 
tuhl des feligen Petrus die Grundlage der ganzen Kirche fel. Das 
mpten Eure Widerdriften, in Rom ftehe nur eine marmorne Statue 
Ößentempel. Weil Petri Statthalter und ihre Schüler nicht zu 
en wollen einen Plato, einen Birgit, einen Terentius und das 
h von Philofophen, welche ftolz daher fliegen, wie die Vögel des 
urch die Luft, oder in die Tiefe tauchen gleich den Fiſchen des Meeres, 
fagt Ihr, daß die Söhne der Kirche nicht einmal Thürhüter zu 
bienen, fintemalen fie feine Berfe prechfeln Fönnten. Auch der Apoftel 
ıt dieſe elende Kunft nicht verftanden und iſt doch Pförtner des 
vorden.“ 
Abt gibt zu verſtehen, daß philologiſcher Hochmuth die unreine 
„, aus welcher die groben Vergehen Gerberts und Genoſſen empor⸗ 
Ich glaube, er hat hiemit ins Schwarze geſchoſſen. Weil Gerbert 
Gehülfen, namentlich Arnulf von Orleans, beſſer Latein, vielleicht 
iſch verſtanden als irgend andere Zeitgenoſſen, glaubten fie ſich 
dirche erhaben und zu Allem berechtigt. Claſſiſche Gelehrſamkeit hat 
on wichtige Dienſte geleiſtet, aber nur im Bunde mit der Ueber⸗ 
virkt Philologie wohlthätig, losgeriſſen von ihr wird ſie zum Eber, 
Jarten Gottes verheert. 
die Ausfälle wider die Pähfte der Ottoniſchen Zeiten übergehend, 
ı der Abt weiter: „es ſtehet gejchrieben, daß Cham, Noah's Sohn, 
e Schaam feines Vaters aufvedte und ihn verhöhnte, mit dem ewigen 
aftet ward. Eben Soldhes und noch Schlimmered habt Ihr gethan. 
Srabifchof von Alerandrien, Dioskor, deſſen Nachtreter Ihr ſeid, fi 
tie, gegen den Pabſt Leo (den Großen) zu ſchreiben, ſetzten ihn die Väter 
edon ab. Sie unterfuchten nicht erft, ob er Recht oder Unrecht hatte, 
e ftraften ihn wegen der Thatfahe, daß er ald der Niedere fi 
Höheren auflehnte. Denn es if ein alter Grundſatz der Kirche, 
‚ ohne Zucht, ohne Gliederung fein darf. Diefe Regel bat Biſchof 
n Orleans und fein Sohn, der Abtrünnige (Gerbert ift gemeint), 
3 den Augen gefegt, da fie es wagten, fo free Dinge wider bie 
Rirche vorzubringen.“ 
vergleicht jene Angriffe, welche Arnulf von Orleans auf bie Päbfte 
m Hälfte des zehnten Jahrhunderts machte, mit der That Chams. 
er Abficht haben Arnulf und Gerbert römischen Schmutz aufgewühlt? 
um die Ordnung der Kirche umzuſtürzen, um fremder Shrfugt eine 


580 Gab Gregerins VIEL. und fein Sellalier. 


Brüde zu bauen. Ihr Ziel war Auflehnung. Eben deßhalb verbammt fe 
Abt Leo, denn daß Katholiken ver hiſtoriſchen Wahrheit zu Ehren Unrekt 
aufdeden dürfen, Iäugnet verfelbe Leo keineswegs. Fährt er doch felhe 
alſo fort: 

„Es if wahr, auch die römifhe Kirche wanft mandhmal, aber fett 
richtete fie fi dur; den Beiſtand des Apoftelfürften Petrus wieder auf, u 
vermag Immer den übrigen Kirchen Hülfe zu bringen. Jene Vorrechte fnb 
dem Stuhle Petri von Chriſtus felber übertragen, nicht aber von Syneden 


Dieſelben Vorrechte Finnen auch nicht gemindert werven, well den von Bett |: 
gelegten Grund Feine menfchlihe Gewalt zu erfchüttern vermag. Man m | 


fie antaften, aber auf eine andere Kirche Fönnen fie nicht übertragen werden, 
man mag an ihnen rütteln, aber umgeftoßen Tönnen fie nicht werben.“ Ju 
Fühnen marfigen Zügen rollt ver Abt von St. Bonifacius den Kern be 
Weltgeſchichte auf: die Verheißung des Erlöferd Tann nit zu Schander 
werben: „bu bift Petrus und die Pforten ver Höllen follen Nichte über dich 
vermögen.” 

Weiter zeigt Leo, daß die Stellen der alten Canones, welche bie Bi 
fchöfe der Rheimfer Synode für Ihre Meinung angeführt hatten, arglifig ver 
dreht und aus dem Inſammenhange geriffen fein. Sobann zeiht er die Be 
bauptung, der Orient, Afrika, Hiſpanien ſei mit Rom zerfallen, ver Lüge. 
„Erſt im vergangenen Jahre,” jagt er, „Ichidten die Erzbiichöfe Theodor von 
Aegypten und Oreſtes von Serufalem Gefandte an den Pabft, um bei ihm 
anzufragen, ob Solche, die von der jafobitifchen Kegerei ſich befehrt hätten, in 
den Elerus aufgenommen werben dürften, und um von ihm Vollmacht zur 
Weihung von Altartüchern zu begehren. Deßgleichen ſandte der Clerus zu 
Carthago unter Benebift VIL einen Briefter nah Rom, damit er dort die 
Weihe empfange. Auch Spanien erfennt die Hoheit ded Wpoftelfürften an 
denn unter Johann XII, dem Eohne Alberichs, bezeugte Erzbifchof Jullan | 
von Corduba dem Stuhle Petri feine. Ehrfurcht.“ Am Schluffe flieht an, 
Sag: „Pabſt Johann XV. hat darum nicht früher auf die franzöfifchen Ein 
gaben zu antworten vermocht, weil er, von Erescentius unterdrüdt, der Frei⸗ 
heit des Handelns ermangelte. 


Bon Wichtigfeit wäre, die Zeit der Abfaſſung bes Leonifcen Schreibens 


zu beftimmen. Im Gingange heißt es: „wir hatten eben von Mouzon aus 
einen Bevollmächtigten an Euch, die beiden Könige, abgefchidt, um über die 
Sache Berbertd mit Euch zu unterhandeln, ald und eine Abfchrift der Rheimſer 
Alten in die Hände fam.” Anfangs Juni 995 war Abt Leo zu Mouzen und 
hielt dafeldft, wie unten gezeigt werben wird, eine Synode. Sollte diefer 
Aufenthalt zu Mouzon ein und verfelbe fein mit dem in der Staatsfchrift ers 
wähnten, dann koͤnnte Leo letztere erft nad) dem Sommer 995 entworfen 
haben, Aber ich glaube dieß nicht, Einmal hindert nichts anzunehmen, daß 


— ·— — m — — 


Siebtes Buch. Gap. 34. Franzoͤſiſche Verwiclungen. Rheimſer Synode von 99. 881 


Abt ſchon 992 oder 993 das zum Rheimſer Gebiet gehörige Schloß 
ouzon bejuchte, um von diefem nahen Punkte aus mit dem franzöftfchen 
fe und den Bilchöfen deſſelben Verhandlungen zu pflegen. 

Fürs zweite finden fid in der Zufchrift wirklich Aeußerungen, welche auf 
e frühere Zeit der Abfaſſung hindeuten. Unten erwähnt er nämlich feine 
funft zu Aachen, und weiter, daß der Pabſt die franzöfiihen Bilchöfe, weil 
nicht am legtgenannten Drte erjchienen, nad Rom, jedoch abermal ver 
lich, vorgeladen habe. Beide Thatſachen gehören, wie ich oben zeigte, ind 
hr 992. Kaum fcheint ed glaublid, daß der Abt, wenn er das Schreiben 
h dem Sommer 995 erlaffen hätte, in folher Weile auf Vorgänge zurück⸗ 
ommen wäre, die drei Jahre hinter ihm lagen. Ebenjo unwahrſcheinlich 
de ich es, daß Leo erft nach 995, volle vier Jahre nach der That, eine 
Ihrift der Rheimſer Beichlüffe erlangt haben follte. 

Weiter bemerft!) Leo, daß er, ald die Franzoſen nicht zu Aachen fi 
fanden, nah Haufe, d. h. ohne Zweifel nad) Rom, zurückkehrte. Da ihm 

Abficht des Pabſts, die franzöfiihen Biſchöfe im Fall ihred Wegbleibend 
n Aachen, nah Rom zu berufen, faum verborgen fein konnte, ift feine Rück⸗ 
r in die Heimath erflärlih. Allem Anſcheine nah begab er fi deßhalb 
ch Haufe, um bei den Verhandlungen mit den franzöſiſchen Biſchöfen, deren 
‚jcheinen zu Rom damals erwartet werden fonnte, ja faft mußte, hilfreiche 
and zu leiften. Zu Rom bat er auch meines Erachtens — und zwar um 
3 — die Zujchrift an die beiden Könige von Franfreih entworfen. Daß 
päter — 995 — wieder über die Alpen berüber reiste, fteht vollfoms 
n feft. 

Melhe Wirfung haben nun die beredten Worte des Abts hervorgebracht? 
ir willen ed nicht! Der Geſetzesſtreit dauerte fort, die Schwierigfeiten der 
ge Gerberts mehrten fi, aber zu einer Entſcheidung fam ed nit. Die 
ronif von Cöln meldet:?) „zu Ingelheim trat 994 eine Synode zufammen, 
f welcher das Unrecht zweier Bifchöfe zur Sprache kam.“ Handgreiflich bes 
yt ſich legterer Sag auf Gerbert und den Bilhof von Orleans. Aber 
er den Erfolg der Verfammlung fchweigt der Chroniſt. Eine Reihe Briefe 
rberts ift vorhanden, die meines Erachtens in die Jahre 993 und 994 
(en, und gleihmäßig beweilen, daß ihn die Sohlen feiner Füße brannten. 
ter Anderm erlich er an den Biſchof Widerhold von Straßburg ein weits 
ftiges Schreiden,®) in welchem er dad Berfahren ded Rheimſer Eoncild 
iß zu wajchen ſich abmühte. 

Der Abt Eonftantin von St. Mesmin de Mici (im Sprengel von Or⸗ 
ns) muß ihm angerathen haben, freiwillig dad Bisthum nicderzulegen; denn 


1) Berk III, 689 gegen unten. 2) Berk I, 99. 3) Manfi XIX, 153 vergl. mit 
t. II, 34 bei Ducheöne UI, 837. 


582 Beh Gregerins VII. und fein Seltalter. 


er antwortete‘) ihm, es handle ſich in diefer Sache nicht um feine Berie, I: 
fondern um die Würde des Prieſterthums und um das Wohl des fruyäfiga 
Reihe. Den Bifchof Notfer von Lüttich erinnerte?) er am bie alte Grewi- 
ſchaft, die zwiſchen ihnen feit Jahren beftche, und beichwor ihn, feinen Te 
feinden keinen Glauben zu ſchenken. Notker hatte demnach einen Anlauf ge 
nommen, fi) von Gerbert, den er verloren glaubte, zurüdzuziehen. Daſſebbe 
gilt von dem Metropoliten Sigwin zu Send. Denn Gerbert beginnt‘) mi 
Vorwürfen über den Wankelmuth des ehemaligen Gchülfen, und fucht dam 
weiter darzuthun, Rom könne nicht verdammen, was Gott billige, nicht bi 
gen, was Gott verdamme, noch Sole, die keines Verbrechens überwichn, 
von der Hriftlihen Gemeinſchaft ausſchließen. Gr fürdtete, wie man ficht, 
daß demnächft der Bann über ihn verhängt werde. 

Beſonders belchrend über den damaligen Stand der Dinge if eine Hut 
fertignng,*) gerichtet wider die Verheerer des Erziprengeld von Rheims: „Id 
Gerbert, durch Gottes Gnade Metropolit von Rheims, habe meine fämmilid: 
Suffragane, die Biſchoͤfe von Soiſſons, Laon, Cambray, Noyon, Genilt, 
Amiens, Morin, Beauvais verſammelt, um einzuſchreiten gegen euch Räuber, 
Leutefchinder, Tyrannen. Lafjet ab von Beraubung des Kirchenguts, börd 
auf, die Armen gu plündern, Briefter zu ermorden, ober, dafern Ihr fein 
Genngthunng leiftet, follet Ihr als faules Holz aus dem Garten Gotted mit 
dem Schwerte des heiligen Geifted weggerobet werben.“ Der Zufammenhung 
if Mar. Diele Adelige des Erzftifts waren, um in ihrer Weiſe katholl⸗ 
ſchen Eifer und Abfcheu wider die Ketzerei des Erzbiſchofs und feiner bifhöt 
lihen Genofjen zu bethätigen, wie ein Haufe Raubvögel über Hab und Gut 
der Kirche hergefallen. 

Neue Synoden fanden im Laufe des Jahres 994 an mehreren Orten 
ftatt. In dem oben erwähnten Briefe an Rotfer von Lüttich bemerkt Ger 
bert: „ih arbeite gegenwärtig mit aller Macht darauf hin, daß ein allge 
meines Concil, wo nicht für das gejummte Abendland — denn bieß if m 
möglihd — jo doc für das ganze Gebiet unferer Fürſten (der beiden Künige 
Hugo und Robert), berufen werde, ein Eoncil, auf dem auch unſere Feine 
Stk und Stimme haben follen, ein Concil, das über unfere Sache richten 
mag. Denn ich fuche das Gericht, dad wider meinen Willen mich flieht". 
Ohne Zweifel meint er das Concil von Mouzon, das im Juni 995 zufams 
mentrat, auf dem wirklich Feinde, d. h. deutſche Bifchöfe erfchienen, und welchem 
Abt Leo von St. Bonifacius als päbftliher Richter anmwohnte. 

Mllein eben dieſes Concil hat fremde Arglift für Zwecke, an die Gerbert 
nicht dachte, auszubeuten geſucht. Plötzlich ftieg der Schatten Theophano's 


*) Tbid. epist. II, 38. ®) Ibid. epist. II, 34. 2) Manfli XIX, 167. *) Epist. 
ID, 40. Duchesſne II, 889 unten fig. 





Siebtes Buch. Cap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen. Rheimſer Synode von 991. 589 


ieder aus dem Grabe empor, oder um ohne Bild zu reden, unbekannte 
‚ände arbeiteten in ihrem Sinne Zwiſchen König Otto IIL von Deutſch⸗ 
nd einerjeitö, dann dem gefährlichften Gegner des capetingifhen Haufes, jenem 
rafen Odo von Blois, deſſen frühere Geſchichte ich anderswo)) geſchildert 
ibe, und dem Biſchof Ascelin von Laon andererſeits, wurde ein Bündniß 
ider Hugo Capet abgeſchloſſen. Ueber die Gründe, warum der Laoner Bi⸗ 
Jof, ſonſft Anhänger Hugo's, auf einmal gegen ihn Parthei ergriff, gibt 
iher feinen Aufſchluß. Doc weiſen Aeußerungen, die er DBafallen Hugo’s 
Mund legt, darauf hin, daß Ascelin, der, wie wir willen, das melifte 
m Sturze des Garlingerd Arnulf beitrug, darauf gerechnet hatte, als Preis 
8 Verraths die Inful von Rheims davonzutragen, und nun, weil fie vom 
önige an Gerbert vergeben worden war, grollte. 

Der Plan der Verbündeten ging dahin,?) den Gapetinger, ver verheißen 
ıtte, mit feinen Bilchöfen die ausgefchriebene Synode zu bejuchen, und von 
m man vorausſetzte, daß er nur mit einem ſchwachen Gefolge fommen werde, 
iterwegs niederzumwerfen, ihn und fein Geflecht auszurotten, Frankreich mit 
eutſchland zu vereinigen, den Grafen Odo von Bloid zum Herzoge der 
:anfen zu ernennen, mit dem Erzftuhle Rheims aber den bisherigen Biſchof 
scelin von Laon zu belehnen. Schon befand fi der junge König Otto III 

Meg,’) alſo unfern der deutſch-franzöſiſchen Gränze und nahe bei Mouzon, 
bh fügt Richer bei, daß er einen Haufen Soldaten in der Umgegend zus 
mmengezogen hatte. 

Allein das Geheimniß wurde dem franzöfiihen Könige verrathen, worauf 
sjelbe Laon wegnahm und den Biſchof Ascelin als Hochverräther feſtſetzte. 
och fchlimmer erging es dem Grafen von Blois, ploötzlich farb derfelbe weg. 
b habe an einem andern Orte darauf hingebeutet, daß der ſchnelle, für die 
ıpetinger jo überaus nüplihe Todesfall Odo's nit ohme Zuthun Hugo 
ıpetd eingetreten fein dürfte, 

Der Graf hinterließ eine Wittwe Bertha, die Ältefte Tochter des bur⸗ 
ndifhen Könige Conrad und vorausfihtlide Erbin oder Miterbin des 
ıhbarreihe. Bon Stund an angelte Hugo Capets Sohn, Robert, nad 
- Hand der Wittwe. Obgleich ſchon früher vereheliht, konnte Robert an fo 
oas denken, denn ſchon hatte er feine erfte Gemahlin Sufanna, die Wittwe 
3 Flamaͤnders Amulf, fortgefchiet,*) weil, wie Rider behauptet, Suſanna 
e alte Bettel, er felbft ein 21jähriger raſcher Jüngling war, in der That 
er, weil Robert durch die Heirath mit der Burgunderin Anſprüche auf 
Fed Gut in fein Haus zu bringen hoffte Man darf die Scheidung Ros 


1) Band IV. diefes Werd, ©. 66. 3) Berk III, 653 fig. (Richer IV, 96 u. 97.) 
Nach Böhmer, regest. Nr. 746 war Otto III. den 24. April 995 zu Aachen. Bon da 
B er fich weiter nach Mep begeben haben. Die Synode ſelbſt follte Anfangs Juni eröffnet 
rben. * Oben ©. 536. 


584 Beil Gregering VIL. und fein Seltalten. 


bertö von Suſanna als eine der erften Früchte betrachten, welche Die von Gas 
bert zu Rheims verfündigten Grunbfäge über Eheredht trugen. 

Dhne Zweifel war das Bünbnif, welches König Otto IIL mit ia 
beiden neuſtriſchen Hochverräthern, Odo und Ascelin, einging, ber einzig 
mögliche Weg, die von feiner Mutter Theophano hinterlaffenen Entwürfe 
verwirklichen. Wenn Hugo Capet dur Meudyelmord fiel, wenn fein @e 


ſchlecht aubgerottet, wenn in Folge deſſen Neuftrien, ebenſo wie Italien, mi 


Deutihland vereinigt ward, dann löste fi der Rheimfer Stuoten won felke, 
und ohne Widerfiand mußten Neuftriens Biihöfe, wie der Babk zu Rem, 
den Gefegen ſich fügen, welche der deutſche Dberherr vorichrieb. 
folgt zugleich — was freilih auch um vieler anderer Gründe willen 
zweifelt werben Tann —, daß Rom bei Dem, was damals der fächfliche He 
im Schilde führte, nicht betheiligt geweien if. Demn hätte nit Pabſt Io 
hann fi und feinen Nachfolgern Ketten um den Hals gewunden, wenn ca 
fo etwas unterflüßte!! Ebenſo wenig läßt fit) annehmen, daß Germanien 
geiftliche und weltliche Stände den Plan ihres Königs fannten ober gar bil 
Iigten. Denn wäre dieß der Hall geweien, fo hätte König Dito III. nit 
nöthig gehabt, das Geſchaͤft eines Wegelagerers zu betreiben. Wenn ehrlle⸗ 
bende Nationen auf Eroberungen ausgehen, fielen fie Heere ine Feld u 
. jenden feine Mörder aus. 

Das von Richer der Nachwelt überlieferte Gewebe beweist, daß im ber 
nächften Umgebung Dtto’8 IIL fih Menichen befanden, die an den Planen 
der Mutter fortarbeiteten und in gleihem Sinne den unglüdliden Bringen 
vorwärts trieben. Wir find oben auf andere Belege deſſelben Thatbeftands 
geftoßen — ich erinnere an die Nachricht bei Thietmar, daß verborbene Jüng⸗ 
linge den unmündigen König verführten und mit der Großmutter entzweiten 


H 


— noch weitere werden wir fpäter finden. Das Empörenvfe am Bann 


war, daß die Rathgeber Otto's III. fi nicht fcheuten, außer den deutſchen 
Biihöfen, welche die audgefchriebene Synode bejuchen follten, auch ven 1% 
miſchen Legaten Leo zu Zeugen der beichloffenen Unthat zu machen und dw 
durch auf Beide den Verdacht der Mitſchuld zu wälgen. 

Kaum hatte König Hugo Kenntniß von der wider ihn angezettelten Ber 
ſchwoͤrung erhalten, als er den neuftriihen Bijchöfen verbot,') auf der be 
vorfiehenden Synode zu erfcheinen. Dad an der Mans gelegene Schloß und 
Klofter Mouzon, wohin fie ausgeichrieben war, gehörte?) zum Erzftifte Rheims 
und fand folglicy unter der Krone Neuftrien. Die veutichen Biichöfe wagten 
baher nach Dem, was vorgegangen, etwas, indem fie den franzöfiichen Boden 
betraten. Gleichwohl gingen fie nad Mouzon, vertrauend‘) auf dad Bewußt⸗ 
t) Berk III, 654, Mitte. cap. 09. 2) Ibid. 690, Mitte: in parochis rhemensis 


metropolis Mosomum. Man vergleiche noch die Urkunde des Erzbiſchofs Adalbero vom 
„Jahre 972 bei Bouquet IX, 782. 





Siebtes Buch. Gap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen. Hheimfer Synode von 991. 585 


fein ihrer Unſchuld an dem verjuchten Verbrechen. Mit ihnen kam der päbft- 
lihe Legat, Abt Leo, der, wie man fieht, eine zweite Reife über die Alpen 
angetreten hatte. Die anwejenden Deutihen waren: Erzbifhof Ludolf von 
Trier, die Biihöfe Haimo von Verdun (Nacfolger‘) des um 991 verflor 
benen Adalbero), Notker von Lüttih, Suitger von Münfter. Zu diefen Vieren 
gefellte fi noch aus dem Laienftand Graf Godfried von Verdun und einige 
Andere, deren Namen in den Akten?) nicht aufgeführt werben. Beachtens⸗ 
werth if, daß der Mainzer Willigis wegblieb. Ich denfe, er fam darum nicht, 
weil er feine Mücken feigen wollte. Willigis hatte den Ehrgeiz, daß da, 
wo er ſich zeigte, etwas Bleibendes zu Tag gefördert werben müſſe. 

Die franzöfiihe Nation vertrat der einzige Gerbert. Aus einer Stelle‘) 
der Akten ziehe ich den Schluß, daß er fi deßhalb einfand, um den Bors 
wurf abzulenken, als fei er auf eine päbftliche Ladung nicht erjchienen. Die 
Sigung wurde den 2. Juni 995 in der Marienfirhe von Mouzon eröffnet. 
Den erften Bortrag hielt Biihof Haimo von Verdun, und zwar in franzöfifcher 
Sprade.) Solche geihah meines Erachtens aus wohlverbienter Rüdficht 
auf Frankreichs Ehre, da es ein franzöfifher Ort war, an welchem, und eine 
franzoͤſiſche Sache, über welche verhandelt wurde. Nah ihm fprach Gerbert, 
mit gewohnter Gewandtheit die Beichlüffe der Rheimfer Synode von 991 
vertheibigend. Auf diefe beiden Reden befchränfte ſich die Verhandlung. 

Eine neue Synode ward ſofort auf den erften Juli des laufenden Jahres 
nah Rheims angefagt, dem Metropoliten Gerbert aber ließ der Legat Leo 
ein päbftlihes Schreiben und zugleih die Weifung zuftellen, daß er bi8 zum 
erften Juli fi jeder priefterlihen Handlung enthalten ſolle. Gerbert wider 
ſprach Anfangs, aber auf Zureden des Trierer Erzbifhofs fügte er fich fo weit, 
daß er bis zur fraglihen Frift feine Meffe zu lejen verhieß. 

Ueber die ferneren Vorgänge find blos abgerifiene, unzuverläffige Nach⸗ 
richten vorhanden. In den Zufägen, welche Richer feiner Ehronif beifügte, 
fteht,) daß die franzöftichen Biſchöfe zu Senlis eine Synode hielten, auf wels 
cher außer dem päbftlihen Legaten und dem Erzbifchofe Gerbert, auch der ab» 
gejegte und bisher in Banden gehaltene Carlinger Arnulf erfhien. Weiter 
meldet Rider, die Sache der beiden Gegner jei in Anwejenheit des Legaten 
unterfucht worden, vom Erfolge jchweigt er. Da König Hugo feinen Bis 
fchöfen den Beſuch der Verfammlung zu Mouzon unterfagt hatte, rief er fie, 
denfe ich, gleih nadher in Senlis zufammen, um über Das, was zu Mouzon 
beſchloſſen worden, zu berathen. 


1) Berk IV, 47. 3) Berk III, 690. %) Ibid.: Gerbertus breviter tommemorat, 
non esse in potestate cujusquam episcopi, vel patriarchae, vel apostolici, quemquam fide- 
lium & Communione removere, nisi sponte confessum, vel convictum, vel ad concilium 
venire nolentem. *) Ibid.: Haimo surrexit et gallice concionatus est. °) Ber 


DI, 657. 


586 Wahl Gregerias VIL und fein Seitalter. 


Obgleich ebenderfelbe Ehronift nichts von einem Rheimfer auf den 1. Pd 
995 gehaltenen Eoncile meldet, kann man doch kaum annehmen, daß die von 
Legaten angefagte Synode ımterblieb. Run hat Perg eine Rede veröffentlickk,‘) 
mit welcher Gerbert eine franzöflihe Kirchenverfammiung eröffnete, vie m 
einem Orte, der den Namen Cauceium trägt, ftattfand. ben dieſe Bar 
fammiung muß eine und dieſelbe fein mit der vom Legaten Leo nach Rkciai 
ausgefchriebenen. Denn Cardinal Baronius theilt?) aus römtichen Ha 
ſchriften Stellen der eben erwähnten, in ver Sammlung von Berk abgebradiea 
Rede mit, verlegt fie aber nad Rheims. Hieß vielleicht irgend eine Kirde, 
ein Klofter in oder bei Rheims Cauceium oder iſt In dem Wort ein Im 
thum verborgen !! 

Auch der Inhalt des Bortrags flimmt gut zu den Umfländen Bidik 
aus ganz Frankreich find verfammelt und zwar unter dem Borfige des päbß 
lichen Legaten, Abts Leo. Zuverſichtlich verfiht Gerbert die Beſchlüſſe von 
991, in flarfen Worten hebt er hervor, daß Baht Johann XV., weil ven 
dem Batricier Crescentius unterdrüdt, ein Gefangener fei, darum nidt frd 
handeln fönne, und daß der König von Frankreich, fowie feine Biſchoͤfe, Redi 
gehabt hätten, nicht auf die Entſcheidung eines Pabſtes zu warten, be 
nicht thun könne, was er felbf und was bie Kirche wolle und wollen miſſe. 
Was waren die Früchte des Rheimfer Concils vom Juli 995? Wir wiſſen 
es nicht, doch fo viel flieht fe, daß Gerbert bis ins Jahr 997 hinein Er 
bifchof von Rheims blieb, und baß der Barlinger Arnulf, den man nenlich 
nah Senlis vor den Legaten geführt hatte, wieder in fein Gefängniß zuräd- 
gebracht worben iſt. Denn erft 997 erhielt?) er bleibende Freiheit. 

Unverfennbar ift, daß die Rheimjer Frage eine neue Wendung genommen 
hatte, oder vielmehr daß eine gewiſſe Seite derſelben, die bioher zurüdftand, 
in den Bordergrund zu treten begann. Auch noch andere Beweiſe diefer That 
ſache liegen vor. Richer fchreibt :*) „Öerbert reiste nah Rom, um dort Reden 
Schaft abzulegen. Auch gab ihm der Pabft wirklich die Erlaubniß, feine Sache 
zu vertheidigen, allein da Niemand erjhien, um ihn anzuflagen, warb eine 
neue Tagfahrt anberaumt.” Aus Dem, was Rider vorher und nachher 
meldet, ergibt fi, daß die Reife Gerbertö zwilchen den 5. Februar und den 
Oktober 996 fällt, denn zuvor erwähnt er eine deutiche Synode, die am 
5. Februar 996 abgehalten worden fein fol, und unmittelbar nach der Relie 
Gerbertö fpricht er vom Tode des Könige Hugo Gapet, welder ven 24. Ol⸗ 
tober 996 flarb.Y) . 

Wie? der Halbgebannte, in der weiten Welt Verhaßte fol nach Rom ges 
gangen jein, joll dort beim Pabſte Gchör gefunden haben! Ja fo iſt es. Ob» 





*) Ibid. ©. 691 fi. *) Ada. 995. Ausgabe von Manfi XVI, 338 fd. *) Berk 
I, 667. 9) Bonguet X, 211. 297. 362. 546 flg. 566. 


Siebtes Buch. Cap. 34. Franzoͤſiſche Verwicklungen. Rheimfer Synode von 991. 587 


gleih die Sache ſeltſam genug ausſieht, kann Richer's Ausfage nicht bezwei- 
felt werden, hauptfählicd weil in der Sammlung Gerberts fid) ein Schreiben‘) 
findet, das an den Pabft Johann XV. gerichtet ift und fo lautet: „vaß Eurer 
apoſtoliſchen Herrlichkeit die Meinung beigebracht werben fonnte, als hätte ich 
mich irgend einer Anmaßung fhuldig gemadt, erfüllt mid mit Schmerz. Ich 
bin feit langen Jahren in der Kirche Gotted fo gewandelt, daß ich Vielen 
nügte, Niemanden zu nahe trat. Sch habe keineswegs die geheimen Sünden 
des Erzbifchofs Arnulf verrathen, fondern darum, weil er öffentlich fündigte, 
verließ ih ihn, auch rufe ich Gott zu Zeugen an, daß ih Solches, nicht wie 
meine Gegner behaupten, in der Abfiht that, feinen Stuhl zu erjchleidyen, 
fondern ih that es, um nicht Mitichuldiger feiner Sünden zu werden.” Man 
fieht, er fucht die Gnade des Pabfted zu erlangen, zu unterhandeln. Wer 
aber diefen Weg einichlägt, der geht auch nad Rom, wenn ein Schatte von 
Hoffnung winft. 

Es ift nicht ſchwer, die Bahn zu erflären, in welche nachgerade der 
Rheimſer Handel einmündete Der fächfiihe Hof und die deutſchen Bifchöfe 
verlangten, wie wir willen, Pabft Johann XV. folle die Beichlüffe von 991 
null und nichtig erflären, Branfreih aber zwingen, daß ed zu unbedingtem 
Gehorfam gegen die kirchlichen Gebote des h. Stuhles zurückkehre. Wenn die 
franzoͤſiſche Kirche da8 Geförderte that, Wem unterwarf fie fih dann? Dem 
Apoftelfürften oder feinem Stellvertreter? o Nein! in Wahrheit unterwarf ſie ſich 
einem Gefangenen des jähfiihen Haufe oder unter diefer Masfe der Will⸗ 
für eined fremden Herrſchers, der offenfundig auf Unterbrüdung der freien 
Nationen des Abendlandes hinarbeitete, und als hauptſächliches Werkzeug 
feines Vorhabens den gefangenen Pabft mißbraudte. Ein Thor wäre Hugo 
Gapet gewejen, wenn er ohne genügende Sicherheit bewilligte, was die Deuts 
schen begehrten. Mit gutem Fuge durfte er jagen: ich bin bereit, die Ho⸗ 
heit des Stuhles Petri anzuerfennen, aber ald Vorbedingung fordere ih, daß 
der jebige Pabft volle Freiheit erlange. 

So ſchlimm der Schlag war, den Hugo Capet und feine Bilchöfe zu 
Rheims gegen die Rechte des h. Stuhles geführt hatten, Fonnte das Werk 
der Finfterniß, wenn Flug benügt, ald mächtiger Keil dienen, um den beuts 
fchen Hof zu nöthigen, daß er Gerechtigkeit gegen das Haupt der Kirche übe. 
War nicht Abt Lev in feinem Rechte, wenn er den deutihen Bilchöfen ers 
Härte: Ihr fehet, wohin das Syſtem führt, das der deutfche Hof ſeit Otto's J. 
Tagen befolgt; Neuftrien ift abgefallen, die anderen Reiche des Abendlandes 
werden es ebenſo machen. Einheit und Fortdauer der Fatholiichen Kirche 
fteht auf dem Spiele, Euch kommt es zu, Euren Gebieter, der noh um , 


1) Epistol. II, 38. Ducheöne II, 839, 


688. vabſt Gregorins VIL and fein Schalte — . .: : 


münbig iſt, zu veranlafien, daß er umfchre von dem verberblichen Wege jeineh 
Baterd und Großvater. 

Wirklich hat Abt Leo im angegebenen Sinne geſprochen und gewidt 
Beweis dafür jene Eingeflänpnifie, welche er in dem an die Könige Hugo wu 
Robert gerichteten Schreiben ablegte: allervinge ſei Pabk Johann XV. ca 
Befangener des Batricierd Erescentius und koͤnne nicht frei handeln. ter 
diefer Sat bildete die Grundlage, auf welche Hugo und feine Biſchoͤfe die 
Rothwendigkeit der Beichlüffe von Rheims ſtützten. Sehr verkehrt hätte du 
ber Abt Leo gehandelt, wenn er bie Thatſache in einer andern Abſicht, als 
um die Befreiung des Pabfled anzubahnen, zugab. Denn an fi fonnte fe 
ebenfo gut dazu gebraucht werben, die Bande des Stuhles Petri zu fprengen, 
als den Abfall der franzoͤſiſchen Kirche zu entichulbigen. 

Aunderer Seits bat Erzbiſchof Berbert die neue Wendung der Rheimſer 
Uingelegenheiten mit gewohnter Gewandtheit außgebeutet. Seit er fab, daß 
die beabfihtigte Aufrihtung einer Staatöfirhe in Neuſtrien nicht gelinge, 
änderte er die Fronte, flellte die Sache fo dar, als habe er Das, was 991 
gi Rheims geihah, mur dazu eingefäbelt, um Rom vom beutichen Joche zu 
befreien, bot dem Pabſte feine Dienfte an und reiste felbf an bie Schwelk 
des Apoftelfürften. Nur unter diefer Vorausfegung wird begreiflich, theils 
daß der Legat Feine enticheidende Mußregeln gegen Gerbert ergriff, theils 
daß Johann XV. die Annäherung Gerberts duldete. Noch einige andere 
Zhatfachen kommen in Betracht. \ 

Richer erzählt: *) „Bertha, die Wittwe des Grafen Odo von Blois, nahm 
den jungen König Robert zum Kriegsvogt und Vertheidiger ihres DBermögend 
an.” Dieß muß kurz nad) dem Tode Odo's, alfo im Sommer ober Herbfte 
995 geichehen fein, und war unverfennbar die Einleitung gu der neuen Eh 
zwiſchen Bertha und Robert. Weiter fährt der Ehronift fort: „entjchlofen 
fih mit Robert zu vermählen, fragte Bertha den Erzbifchof Gerbert um Rath, 
der jebod die Sache mißbilligte.” Unmittelbar darauf berichtet‘) der Chronik 
die Reife Gerbertd nah Rom, die, wie ic fagte, in den Frühling 996 fält. 
Dann fügt Richer bei: „nah dem Tode des alten Könige Hugo ehelidte 
Robert die Wittwe Bertha mit Zuftimmung feiner Vafallen.* 

Seit Gerbert Unterhandlungen mit der Eurie angefnüpft bat, iſt er, wie 
man flieht, der erfle, der den Rheimſer Beſchlüſſen von 991, die doc haupts 
fächlih fein Werk waren, entgegenwirft und das alte Kirchenrecht wieder in 
Kraft zu ſetzen ſucht. Endlich liefert noch das Verfahren der deutſchen Bifchöfe 
einen legten und enticheidenden Beweis, daß die eben entwidelte Darftellung 
des Sachverhalts der Wahrheit entipriht. Mit dem Jahre 992, da Abt 
Leo dieſſeits der Alpen erfchten, machen ſich Vorbereitungen zu einem Römer 


‘) Berh II, 667. 


Siebtes Buch. Gap. 35. Dtto’s III. Römerzug von 996 Der Kirchenftaat ergeflellt. 589 


zuge bemerflih, der nicht, wie es fonft der Fall war, darauf abzielte, Petri 
Stuhl in Abhängigfeit von der deutfhen Krone zu ftürzen, fondern im Gegen⸗ 
theil den Zweck hatte, die Freiheit der römiſchen Kirche berzuftellen. “Die 
deutſchen Bifchöfe handelten fo, wie fie unter den obwaltenden Umftänden als 
Söhne der Kirche handeln mußten. 


Sünfunddreißigftes Capitel. 


Im Frühling 993 ſpricht Pabft Johann XV., als erſtes Beifpiel, den Bifchof Ulrich von 
Augsburg für die ganze Kirche heilig. Nachweis, daß dieß eine Vorbereitung bes 
Roͤmerzugs von 996 war. Gewiſſe Rathgeber Otto's III. dringen barauf, daß ehe 
der junge Herrfcher nach Italien ziehe, feine Volljährigkeit abgewartet werbe, was auch 
gefchieht. Ebendieſelben arbeiten auf Vermählung Otto's III. mit einer griechifchen 
Prinzeffin Hin. Johann von Biacenza reist zu dieſem Zwecke als benticher Geſandter 
nach Gonftantinopel. Zuſammenziehung des Neichöheeres in Regensburg. Im Behr. 996 
bricht Otto III. nach Italien auf. Seitdem handelt der junge Herrfcher unter dem aus⸗ 
ſchließlichen Ginflug des Mainzer Erzbifchofs Willigie. Bruno von Kaͤrnthen, feine 
BPerfönlichfeit und Verbindung mit den Glugniacenfern, er wird nach dem Tobe Jos 
hanns XV. unter dem Namen Gregor V. auf Petri Stuhl erhoben, und kroͤnt fofort 
Otto II. zum Kaifer. Diefer bewilligt der römifchen Kirche folgende Zugeftändnifle : 
1) Kaifer und Heer verläßt nach kurzem Aufenthalt Rom und Stalien, 2) das Bolt 
erhält wieber Antheil an den Pabftwahlen, 3) die Marken Gamerino und Spoleto, fo 
wie die Landfchaft Sabinum, werden — jedoch zunähft für die Dauer ber Lebenszeit 
Gregors V. — an den h. Stuhl zurüdgegeben. Gericht über den Patrizier Johann 
Grescentius IV. 


Bid gegen Ende des zehnten Jahrhunderts ift Fein Fall befaunt, daß 
ein Pabſt Verftorbene für die ganze Kirche heilig geiprochen hätte, ſondern 
früher ehrten einzelne Bifchöfe verdiente Todte dadurch, daß fie die Namen 
derjelben in die Gedenkbücher ihrer Kirchen eintrugen und ihr Andenken der 
Gemeinde empfablen.') Set wurde es anderd und zwar war ein beuticher 
Biſchof Ulrih von Augsburg, geftorben?) 973, ver erſte, welder die Ehre 
der Heiligſprechung durd) den Pabſt genoß. Im Februar 993 erließ Johann XV. 
eine an fämmtliche Bilchöfe und Aebte Germaniens und Galliend gerichtete 
Bulle‘) folgenden Inhalts: „auf einem Concile, das am verwichenen legten . 
Januar im Lateran verfammelt war, hat Biihof Kiutold von Augsburg ein 
Buch übergeben, das vom Leben und von den Wundern des ehrwürdigen 
Ulrich, einftigen Haupts der Augsburger Kirche, handelt. Nachdem dieſe 
Schrift verlefen worven, haben Wir einmüthig befchloffen, daß das Andenken 
des heil. Biſchofs Ulrich überall verehrt werde.” Androhungen des Bannes 
gegen Jeden find beigefügt, der dieſer päbſtlichen Verordnung Gehorfam ver 
weigern würbe. | 


*) Gfroörer, Kirch. Geſch. II, 1479 fl. ) Ibid. S. 1988. 


590° VPabſt Gregerins VIL. und fein Seltalter ⸗ RL ‚BE En der | 


Bon dem nämlichen Angsburger Biichof Lintolp.mun, ber den Pabß 
vermochte, feinen Borgänger Ulrich heilig zu ſprechen, melbei‘) bt Dklle, 
daß er der vertrautefte Rathgeber der Kalferin Wittwe Adelheld un fletd 
in ihrer Nähe geweſen ſei. Schwerlih wird man irren, wenn man auslmmi, 
daß Das, was der Pabſt that, ganz oder theilweiſe in ber Abſicht gelcheh 
den Biſchof fammt der Katferin, und durch fle den jungen König Dito IIL 
gu gewinnen. | 

Ein Jahr fpäter war der Römerzug, auf den ich oben binbentete, fo ui 
als beſchloſſen. Denn unter dem 31. October 994 fiellte der Pabſt eim 
Bulle?) aus, in welcher er von Dtto IIL. den Ausprud braucht: „unfer gei 
liher Sohn, auch durch Gottes Gnade Fünftiger Kaifer und Schirmvogt ber 
römiichen Kirche." Gewiß hätte Johann XV. nicht fo geiprochen, wäre er 
nicht verfihert geweien, daß der deutſche König demnähft nad Rom Tommen 
und dort die Kalferfrone erwerben werde. Doch wurben bie Ichten Berbe 
reitungen des bevorftchenden Römerzugs erft im folgenden Jahre getroffen. 
Die Chronik von Hildesheim meldet:*) „im Einverflänoniffe mit Römern und 
Langobarden ſchickte Pabſt Johann XV. Gefandte über die Alpen, um ben 
deutfhen König nah Rom einzuladen.” 

In der Natur der Dinge lag es, daß der Patricier Greöcentins wenig 
Freude über diefe Einlapung fühlen Tonnte, wie fie denn auch zu feinem Ber- 
erben ausfchlug. Dennoch war er nicht im Stande, fie zu verhindern. Deut 
lich erhellt hieraus, daß Crescentius blos fowelt den Pabft in Banden biet, 
ala ihm der Fatferlihe Hof ſolches geftattete. Nur im Auftrage des herr 
fhenden Hauſes vermochte er Johann zu unterbrüden. Es bedarf nicht ein 
mal dieſes Beweiſes, die mehrfah angeführten Säge aus der Schrift des 
Abts Leo genügen. Nimmermehr würde der Abt jo rückhaltlos gegen den 
Patricier aufgetreten fein, wäre dieſer unumfchränfter Gebieter über Rom 
geweſen. 

Allem Anſcheine nach haben gewiſſe Leute, welche damals perſoͤnlichen 
Einfluß auf Otto III. übten, den Römerzug deßhalb hinausſchoben, um erſt 
die Mündigkeit des jungen Königs abzuwarten. Das ſaliſche Geſetz, zu web 
chem, wie ich anderswo dargethan habe,*) der fächflihe Stamm und aud das 
herrſchende Haus hielt, verfügt nichts über die Zeit, mit welder bie Bol 
jährigfeit beginnt, wohl aber das ripuarfiche, deſſen betreffende Beftimmungen 
. aus den fallfchen Rechtsgewohnheiten gefchöpft find und darum aud für 
bie Ealifa zeugen. Zufolge der Ripuaria) tritt nämlich die Mündigkeit 
nad zurüdgelegtem fünfzehnten Lebensjahre ein. Da Otto III. 980 das 
Licht der Welt erblickt hat, ergibt fi, daß er 995 das fünfzehnte Jahr über 

1) Gfroͤrer, 8. G. III, 1479 fig. ?) Jaffé, regest. pontific. Nr. 2950. ) Be 


II, 91. *%) Banb II, 220 fig.. 5) Ich werde dieß in meiner Geſchichte der Volksrechte 
beiweifen. ) Titel 81. Canciami leg. Barbarorum II, ©. 318, b. 


Siebtes Buch. Cap. 35. Oito's M. Römerzug von 996. Der Kirchenflaat hergeftellt. 591 


dritt. Sobald aber dieß geichehen, unternahm ver junge König nicht blos 
en Römerzug, fondern er bahnte zugleich einen zweiten wichtigen Aft an, der 
ie Münbdigfeit vorausſetzte. 

Der Mönd von Hildesheim berichtet: „aus der nächſten Umgebung?) 
es Königs wurden 995 die Biſchöfe Sohann von Piacenza und Bernwarb 
on Würzburg als Gefandte nad Conftantinopel abgeihidt, um eine Braut 
ort für Otto zu holen.” Alſo gleich feinem Vater follte auch der dritte Otto 
ne Griechin freien. Unverfennbar ift dieß ein Gedanke, der aus dem Ideen⸗ 
:eife feiner verftorbenen Mutter Theophano ſtammte. Nun hatte aber die 
riehifhe Heirath Dtto’8 II. fo viel Unheil erzeugt, fo viel Haß heraufbes 
bivoren, daß man unmöglich annehmen kann, die Erneuerung des Fehlers, 
er vor 24 Jahren gemadt worden, ſei von den geſetzlichen Bormündern bed 
‚hronfolgers, von der Großmutter Adelheid, dem Mainzer Metropoliten Wil⸗ 
gis und eiwa der Muhme Mathilde ausgegangen, fondern Leute, die von 
en Zeiten der Herrichaft Theophano’s her Einfluß auf den jungen Yürften 
bten, müßen ihre Hände im Epiele gehabt haben. Aucd der Chronift deutet 
urh den Ausdrud, den er wählt, diefen Zufammenhang an. 

Andere, nicht unerhebliche Thatfachen flimmen zu. Die deutichen Chronifen 
Yiffen fonft nichts von dem Würzburger Bernward zu erzählen, woraus zu 
rhellen fcheint, daß er cin Mann ohne Anfehen war, und daß fi fein ans 
erer geachteter Biſchof, Fein mächtiger Late zu der Sendung bergab. Der 
ndere Gefandte aber, Johann von Piacenza, vielberlichtigter Günftling Theo⸗ 
hano's, legte feitvem bittern Haß gegen Die, welde 996 die Angelegenheiten: 
ed Stuatd und der Kirche leiteten, namentlih gegen Willigid von Mainz 
n den Tag. Wahrlich nicht von ihm kann er den Auftrag zu der Reife nad) 
‚onftantinopel erhalten haben. 

Die Werbung ift in einer zweiten Hinficht wichtig, fofern fie beweist, 
aß aud nah andern Seiten hin Ideen der Theophano wieder Feimten. Wie 
uf dem Veroneſer Reichdtage von 983 die italiſchen Großen gleiche Rechte 
it den deutfchen erlangt hatten, wie im nämlichen Jahre neben dem deutichen 
Retropoliten Willigis der welſche Johann von Ravenna den unmündigen 
'önig zu Aachen krönte, wie während der Vormundſchaft Theophano’s wieders 
lt welſche Herrn auf deutfchen Reichstagen mitfiimmten, jo geht jetzt neben 
m Würzburger Bernward der Ealabrefe Johann nad Conftantinopel ab, 
m dort eine Verbindung feined Herrn mit einer Griechin anzubahnen. Auch 
ätere Vorkommniſſe zeigen, daß Dtto II. von dem Geiſte feiner Mutter 
herrſcht war, obgleich dieſe feit mehreren Jahren im Grabe rubhte. 

Bel den andern obenerwähnten Afte Dagegen, bei dem Römerzuge, waren es 
ht griechiſche, fondern- Mainzer Gedanfen, die den jungen König leiteten. 


2) Berk III, 91. 2 A latero regis. 


wm WahR Geegoriad VI. mob fein Ser. nn 


Im Winter von 995 auf 996 fammelte fi zu Regensburg ein mächtige‘) 
Heer, zu welchem fämmtliche deutſche Stämme, Franken, Balern, Gakıie, 
jäßer, Schwaben, Lotharinger Mannſchaft lieferten.) We trug ein fit 
ches Bepräge. Dito, defien jugendliche Wangen eben ein leichter Fila 
zu fchmüden begaun,") beidhtete bei dem Abt Romuald von Gt. Emmen 
Unter dem Gelänte der Glocken, unter den Gefängen der Cleriker, die heile 
Lanze vorantrageud, brach‘) das Reihöheer Ausgangs Februar 996 gen She 
auf. Bon den höcften geiftliden Wärbeträgern Germaniens folgten ven 
Könige die Erzbiichöfe Willigie von Mainz, Hartwig von Salzburg, dk 
Biihöfe Hildebald von Worms, Widerhold von Straßburg, Robert won 
Speier, Notker Bon Lüttih, Hatmo von Verdun, Lambert von Gonflam, 
Gottſchalk von Freifing, Ehriftian von Paſſau.) Die Gegner des Mainzen 
Willigis und Günſtlinge Theophano’8 und Dito’8 IL, Bernward von Hildes⸗ 
beim und Gifelher von Magdeburg , fehlten. 

Ein weiterer Begleiter muß genannt werben, der damals nod einen 
untergeorbneten Rang einnahm, aber in Kurzem ben erften Stubl ber Chriſter⸗ 
beit befteigen follte: der Hofcapellan Bruno, Sohn des um jene Zeit wieder 
in Kärnthen eingefeßten Herzogs Otto.) Bruno flammte nach der Kunkel⸗ 
felte ab von Kaiſer Otto's J. Tochter Liutgard, welche die Großmmiter bed 
Gapellans geweien war; nach der Schwertfeite gehörte er dem faltfchen Haufe 
von Worms an. Durch ganz Germanien gab es kein eblere® Blut, als bat, 
welches dur Bruno's Adern flo. An einem andern Orte wurde gezeigt,” 
daß fein Vater um 950 geboren ward, daraus folgt, daß Bruno, als ter 
drittgeborne Sohn Dtto’8 aus der Ehe mit der fonft nicht näher befannten 
Judith, das Licht der Welt nicht vor 972 erblidt haben kann, alſo im Früh 
ling 996 höcftens 24 Jahre zählte. 

Urkunden und Zeugniffe flimmen mit dieſem Schluffe überein. Laut 
dem Stiftungsbriefe”) des Klofterd Gravenhaufen befand ſich Bruno 987 ned 
bei Vater und Mutter, aber zwei Jahre fpäter — im September 989 — 
wird der nachmalige Eapellan nicht mehr, als im väterlihen Haufe anweſend, 
aufgeführt, und zwar ohne Zweifel darum nicht, weil der junge Ealier bereits 
der geiftlihen Studien wegen in irgend einem Kloſter weilte. Endlich be 
merft*) ein trefflich unterrichteter Zeitgenoffe, von welchem unten mehr bie 
Rede fein wird, daß Bruno fehr jung war, als er im Mai 996 Petri 
Stuhl beftieg. 

Alfo in der Perſon des Saliers Bruno ift einer der evelften Sprofien 
Germaniens, und zwar in jugendlichem Alter — faum 25jährig — Pabſt 
geworben. Handgreiflih hatte diefe Maßregel tiefen Grund. An ſich if 

2) Gfroͤrer, Kir. Geſch. II, 1481. 9) Urkunde bei Böhmer, regest. Mr. 767. 


3 Die Belege für dieß und das Folgende im erften Bande vorliegenden Werks S. 247 " 
6) Berg IV, 891, 





Siebtes Buch. Cap. 35. Otto's M. Römerzug von 996. Der Kirchenſtaat hergeſtellt. 593 


eine doppelte Erklärung denkbar. Entweder hat Otto den Stammlſippen darum 
nach Rom verſetzt, damit hinfort die hoͤchſte geiſtliche und weltliche Gewalt 
in den Händen eines und deſſelben Hauſes vereinigt ſei, und roͤmiſche Wider⸗ 
ſetzlichkeit gegen kaiſerliche Pläne für immer abgeſchnitten werde. In dieſem 
Falle wäre Bruno's Ernennung gegen die Freiheit der Kirche gerichtet ger 
wejen. Oder umgefehrt haben Die, auf deren Rath Otto III. feinen Better 
mit der Tiara ſchmückte, Solches darum gethan, damit die Melt eine Bürgs 
fhaft erhalte, daß Deutfchlands Kaiſer Die Päbſte nicht mehr — fo wie es 
bisher geſchehen — gleib Eflaven mißhandeln, fondern ihnen würdig bes 
gegnen und ihr Recht angeveihen Infien wollen. Die deutlichſten Beweiſe 
liegen vor, daß letztere Abficht der Erhebung Bruno's zu Grunde lag. 

Erftlih fällt die MWiedereinfegung des Salters Dtto in das Herzogthum 
Kärnthen zufammen mit dem Plane der Erhebung des Sohnes. Die Chronik 
von Hildesheim meldet,“) Dtto, Bruno’8 Vater, habe zur Zeit des Roͤmer⸗ 
zugs von 996, alfo im Frühling, die Mark Aaquilefa inne gehabt. Noch im 
nämlihen Jahre erfcheint Otto auch urkundlich wieder im Beſitze des Herzogs 
thums Kärnthen.?) Offenbar fonnte der Vater dem Pabft gewordenen Sohn 
von Aquileja aus, das zu Italien gehörte, für Nothfälle Fräftig die Hand 
reichen, und der gefunde Menfchenverftand gebietet anzunehmen, daß Die, welche 
zu gleicher Zeit den Vater nad Aquileja, den Sohn auf Petri Stuhl beför- 
derten, Letzterem eine Stübe gewähren wollten. Doc das ift eine Erwägung 
untergeorbneten Range. Es gab damals eine mächtige Parthei, welche Alles 
daran feßte, Petri Stuhl zu befreien, nämlich die Elugniacenfer und ihre Ans 
hänger in der Fatholifchen Welt. 

Wohlan Lestere haben Fein Hehl daraus gemadit, daß fie den Kämthner 
Bruno ald den Shrigen betrachteten. Abbo von Fleury, verfelbe, welcher 991 
der Parthet Hugo Capets und Gerbertd auf dem Rheimfer Eoncile fo muthig 
entgegentrat, fchrieb') 996 an einen Bertrauten: „die Nachricht, daß ein 
Sprößling faiferlihen Geblüts, ein Cleriker vol Weisheit und Tugend, zum 
Statthalter Petri eingefegt worden ift, hat mich mehr gefreut, ald Gold und 
Edelſteine.“ Das heißt fo viel ald: des Kärnthners Erhebung fet der feu⸗ 
rige Wunſch, wo nit das Werk der Clugniacenfer geweien. Die Beförbes 
rung Bruno's ging eigentlih von dem Mainzer Erzbiihof Willigis aus. 
Folglich hat er Das, was er that, im Einflange mit den Clugniacenjern gethan. 

Natürlich! wenn ein Mann, der den Clugniacenfern gefiel, unter bas 
maligen Umftänden Petri Stuhl beftieg, mußte zu Rom Vieles anders werben. 
Mir haben gute Nachrichten über Veränderungen der Art, doc iſt nöthig, daß 
man die Ausſagen der Zeugen auf die Goldwage lege. 


*) Ber IH, 91. 7) Bp. I. vorliegenden Werl ©. 281. 5%) Mabillen, act, 
Ord. 8. Bened. VL, a. ©. 30. Venediger Ausgabe. \ 
Gfröorer, Vabſt Gregorius vIL, Br. v. R 


504 Gab Gregerins VIL und fein Bellefler. 


"König Dtto II. und dad Reichsheer feierte) Oſtern (das 996 af 
den 12. April fie zu Pavia, wo die langobarbifchen Großen dem beuiiäen 
Herriher aufwarteten und ben Eid ver Treue ablegten. Weiter ging da 
Zug auf Ravenna. Hier vernahm Dito durch eine roͤmiſche Befanbticaft Ye 
Kunde vom Tode des Pabſtes Johann XV., der um die Mitte Ypriis It 
dem Berichte?) des römifchen Abts Johann von Gannapara an einem hingen 
Sieber geftorben zu fein fcheint. Derfelbe Abt Johann meldet weiter, We 
Geſandtſchaft, welche den herannahenden König zu Ravenna traf, fei abge 
ſchickt worden von den „Großen*) Roms und von dem ſenatoriſchen Stau", 
und biefelben hätten das Anfinnen geftellt, daß Otto III. .einen Radhfelge 
tes verftorbenen Pabſts ernennen möge. Wie wir willen, hatte zu Rom bil 
zur Bertreibung Johannd XII. eine Art von Demokratie befanden, aber 97 
war biefelbe durch Dtto I. abgefchafft und an ihrer Statt wieder das Abell⸗ 
regiment eingeführt worben. Die gleiche Einrichtung dauerte unter dem yielin 
und dritten Otto fort, bis diefer 996 den Ing nad Italien antrat. Di 
weientliche Folge der Adelsherrſchaft aber war, daß mur ber Herrenſtand, mit 
Ausſchluß des eigentlihen Volls, ein Recht bei ver Pabfwahl übte. Ma 


muß alfo vorausfepen, daß im Jahre 996 nad dem Tode Johannes XV. vr 


Antrieb zur Einfehung eines Nachfolgers zunächft von den römifchen Mbellgen 
ausging. Wohlan! ſtimmt nicht der Bericht Johanns von Gannapara trefr 
lich mit dieſer Borausfegung überein. Die Bornehmen, die Mitglieder des 
Senats find es, welde nicht nur dem beutfchen Gebieter den Tod des Babe 
amtlich anzeigen, ſondern auch ebenvenfelben, al8 habe außer ihnen Niemand 
mitzureden, zu Ernennung eined Nachfolgers auffordern. 

Darüber find alle Quellen einig,*) daß König Otto IIT. fofort die Er 
hebung feines Vetters Bruno auf Petri Etuhl beſchloß. Alles, was ber 
König im Frühjahr 996 that, verräth einen wohl überlegten Plan, ich bin 
deßhalb überzeugt, daß Dito, auch wenn Johann XV. nicht fon vor Un 
funft des Heeres in Rom geftorben wäre, Maßregeln getroffen haben würde, 
damit Bruno bei der nächften Erlebigung die päbftliche Würde erlange. Weiter 
berichtet Johann von Cannapara, noch zu Ravenna habe Dtto III. dem Me 
. tropoliten Willigis von Mainz und dem Bilchofe Hilvebald von Worms ven 
Auftrag ertheilt, mit Bruno dem Heere voraus nah Rom zu eilen und ihn 
dort auf Petri Stuhl einzufegen. Doc wirkten nod Andere mit. Die Chro⸗ 
nit von Quedlinburg fprict fo, als ſei Die durch den König beſchloſſene Er 
nennung Bruno's zu Rom erft noch durch eine Wahl beftätigt worden. Sie 
meldet”) nämlich, nicht bloß der Elerus, fondern auch das ganze römifce 
Volf habe den vom Könige ernannten Bruno zum Babfle erforen, aud 

*) Ofrörer, Kirch. Gefch. II, 1481. *) Berk IV, 590. 5 Perht IV, 591 oben: 


epistolse cum nuntiis, quas mittunt romani proceres et senatorius ordo. *) Berk II, 
13. 91. 778. IV, 591. VII, 80. 6) Perh II, 73. 


Siebtes Buch. Gap. 35. Otto's III. Römerzug von 996. Der Kirchenftaat hergeftellt. 595 


feten die Römer es gewefen, die dem Erwählten ven Pabfinamen Gregor (V.) 
ertheilten. Andere Zeugnifie flimmen zu. Der Ehronift von Hildesheim fagt,*) 
durch etliche Große, die Dtto voranfandte, fei Bruno mittelft öffentlicher Wahl 
und Zuftimmung der Gemeinde auf den Sitz des NApoftelfürften erhoben wor» 
den. Aehnliches deutet Johann von Bannapara an.) Sn der That fonnte 
die Sache gar nicht anderd gehen. Denn wollte der neue Pabſt im Sinne 
der Elugniacenfer die Kirche regieren, fo mußte er vor Allem Vorforge treffen, 
daß außer den Adeligen, welche verbedte Werkzeuge des deutſchen Hofe 
waren, die Gemeinde Antheil an ver Wahl erhielt. Wohl wiffend, was 
er that, lenkte Bruno gleih Anfangs in die Bahn ver älteren Zeiten ein, 
da eine gewiffe Freiheit der Pabftwahlen beftand. Freilich war die Zuftim- 
mung, welde dad Volk dem entfcheidenden Akte Föniglicher Ernennung ers 
theilte, nicht viel mehr als ein Schein. Aber auch mit dem Schein hatte man 
doch Einiges — eine Grundlage für Fünftige Zugeftändniffe — gewonnen. 

Die Einweihung Bruno⸗Gregors fällt’) in ven Anfang Mai, vielleiht _ 
auf den dritten des genannten Monats. inige Zeit fpäter langte König 
Dtto III. zu Rom an und wurde den 21. Mai von Bruno⸗Gregorius V. 
zum Sailer gefrönt. 

Menden wir unfere Aufmerffamfelt zunächft dem Namen Gregor zu, den 
der neue Pabft fich beilegte. Einer der oben angeführten Ehroniften behauptet, 
die Römer hätten ihm venfelben geichöpft. Unzweifelhaft war es der römifche 
@lerus und die Gemeinde, welche ihn zuerft als Gregor begrüßte, aber che 
Solches geihah, mußte er felbft befragt werben, weldhen Namen er tragen 
wolle. In diefer Beziehung erfcheint der Name als fein Werk, und zwar als 
ein bedeutungsvolled. Der Pabfiname drüdte 996 wie heute noch einen Wahls 
ſpruch, ein Vorbild aus, dem Der, welcher ihn wählt, nachzueifern verheißt. 
Gregor ift für die Kirchengefchichte ein hoher, erlauchter: ein Engel in Mens 
fchengeftalt trug ihn zuerſt, feitvem führten ihn lauter Solde, die als Sol 
daten Chrifti für die Kirche gegen mächtige Widerfacher ftritten. Auch war 
er damals felten geworden. Der vierte Gregor, letter Namensvorgänger des 
Kärnthnerd Bruno, fällt in die Zeiten Ludwigs des Frommen und finfender 
Macht der Carlinger. Nicht minderen Glanz werfen auf Bruno die nächſten 
Nachfolger im gleihen Namen. Dem Kärnthner zu Ehren hat der ſechste, 
und hinwiederum diefem zu Ehren hat der fiebte Gregor, — die Leuchte ber 


1) Berb II, 91. *°) Pers IV, 591: hunc (Brunonem) quia regi placuit, a majo- 
ribus (von ben Großen, die zu Ravenna am koͤniglichen Hoflager waren) electum, Magun- 
tinus archipraesul Willigisus et suus collega Hildebaldus episcopus adduxerunt Romam ; 
proinde a Romanis honorifice acceptum ad hoc ordinati episcopi apostolico honore 
promulgarunt. Das Heißt meines Erachtens, die römifche Gemeinde ſei befragt worben, ob 
fie Bruno zum Pabſte haben wolle, und Habe ihre Zuflimmung ertheilt. 2) Zaffe, 
regest. pontif. ©. 340, 


Nas 


596 Vabſt Gregorins VIL und fein Zeitaller. 


Zeiten — feinen Ramen angenommen.) Ich bin überzeugt, daß es I% m 
der Faiferlihen Kanzlei nicht Wenige gab, welde über den Namen, den drum 
wählte, den Kopf geichüttelt haben. 

Rah der Krönung nahmen Pabft und Kaiſer gemeinfam einen Alt ver 
Gerechtigkeit vor. Die Chronik von Hildesheim erzählt:?) „Otto III. few 
zu Rom ein Gericht nieder, welches gegen ten biöherigen Patricier Ereden 
tius, darum weil er gegen den vorigen Pabſt Johann XV. viele Berrüdumge 
verübt hatte, die Strafe der Verbannung verhängte. Aber auf Fürbitten eb 
neuen Apoftoliftus Gregor V. verzieh der Kalfer dem Schuldigen.“ Diele 
Bericht erwähnt muır Das, was unter dem Volke verlautetee Das Berfahren 
wider Crescentius hatte feine geheime Geſchichte. 

Erftlich ſchreibt diefelbe Chronik, daß Otto den 21. Mai nicht blos zum 
Kaifer, fondern auch aum Patricier geweiht worden fei, welche letztere Würde, 
wie wir wiffen, das Vorrecht in fi ſchloß, den h. Stuhl zu beſetzen. Pu 
trier von Rom war aber bis zur Anfunft des deutihen Heeres der von 
Theophano mit diefem Amte befleivete Johann Erescentius IV. geweſen. 
Daraus folgt, daß Dtto IIT., indem er ſich felbft zum Patricier weihen lich, 
den andern entfeßt hat. Man fieht alfo: das Gericht über Erescentius be 
gann fhon am Tage der Katferfrönung, auch ift ihm keineswegs wöllige 
Verzeihung zu Theil geworben: er büßte wenigftend durch Entfernung aus 
einem hohen Amte. 

Sodann fprict”) der Merfeburger Thietmar aus Gelegenheit der Em 
pörung, die ich unten befchreiben werde, von einem dem Kaifer geleifteten Eit, 
den Erescentius brach, und von großer Milde, welche Otto ihm erzeigt unt 
welche @rescentius mit Undanf gelohnt habe. Das lautet fo, als fei ihm 
die Verbannung nur gegen einen Eid der Treue erlaffen worden, und als 
wenn die Begnadigung vom Kaifer ausgegangen wäre. Wenn der Pabrt 
Fürbitte für ihn einlegte, gefchah es ficherlich nicht ohne vorangegangene Bers 
abredung mit dem Kaiſer. Daß cin Mann, wie Erescentius, der jo großen 
Anhang zu Rom befaß, dort für die neue DOrbnung geführlidy fei, Fonnten 
und mußten der Pabſt wie der Kaifer vorausfehen. Da Crescentius glei 
wohl geſchont wurde und, obgleih ohne Amt, zu Rom bleiben durfte, brängt 
fih der Schluß auf, daß enticheidende Erwägungen, von denen die Quellen 
fhweigen, ein weiteres Einfchreiten gegen Crescentius verhindert haben. Meine 
Anfiht ift: der Patricius konnte wohl der von der verftorbenen Kaijerin ihm 
verliehenen Würde entjegt, aber rechtliher Weiſe nicht beftraft werden, aus 
dem einfadhen Grunde, weil er alle die Schritte, deren ihn die Kirchlich⸗ge⸗ 
finnten mit gutem Fuge anflagten, nicht aus eigenem Antriebe, fondern im 
Auftrage der Reichöregentin Theophano und auf ihren Befehl gethan hatte. 


1) Eiche Band II, ©. 388. 2) Berg II, 9. ) Ibid. ©. 776 gegen unten, 


Siebtes Buch. Gap. 35. Otto's I. Romerzug von 996. Der Kirchenſtaat hergeſtellt. 50% 


Nur kurze Zeit blieb der Kaiſer und das Reichöheer in Rom wie In 
Italien. Laut den vorhandenen Urkunden‘) war Otto den 1. Mai 996 noch 
zu Ravenna, vom 21. bis 27. Mai weilte er zu Rom, den 12. Juni findet 
man ihn zu Yuligno, den 24. bis 26. zu PBiltoja, vom 1. bis 5. Auguſt zu 
Pavia. Den 15. September ift er bereits wieder in der Pfalz Ingelheim uns 
weit Mainz angefommen. Sein Großvater Otto I. hatte ſich viele Jahre, 
fein Vater Otto IL wenigſtens drei ald Kaifer in Stalien aufgehalten, ver 
Enfel machte es anders! Nach einer Anwefenbeit von wenigen Monaten ver- 
ſchwindet er wieder aus einem Lande, an weldem doch, wie der Erfolg bes 
wies, feine Phantafie hing. Gewiß 'war diefe ſchnelle Umfehr planmäßig. 
Nicht mehr mit Recht fonnte jegt das Wort ausgefprochen werden, das der 
Drleaner Biſchof auf der Synode zu Rheims hinwarf: „wie dann, wenn 
ein fremder Yürft mit tyranniicher Gewalt Stulien und Rom unterbrüdt |“ 

Auch hat man in Neuftrien nicht fürder Rom zu trogen gewagt, fondern 
das Gegentheil geihah. Das franzöfiiche Reich Fehrte zum Gehorfam gegen 
den h. Stuhl zurüd, und König Robert ftellte auf einmal nah dem pein⸗ 
lihen Schwanken der vorigen Jahre nit nur den abgeſetzten Garlinger Arnulf 
von Rheims wieder her, fondern verzichtete fogar auf die Ehe mit Bertha, 
von welder jein Ehrgeiz goldene Früchte erwartet hatte. Handgreiflich if, 
daß diefe wichtigen Erfolge mit dem gemäßigten Auftreten des jungen Kaiſers 
Otto in Italien zufammenhingen. 

Noch eine andere Urfache wirkte ein, eine Urſache, die biöher in tiefes 
Dunkel gehüllt geweien if. Wie ich früher zeigte, hatte 967 Otto L die 
Maske vorgenommen, als fei er bereit, die großen Güter, welche vermöge 
uralter Erwerbtitel, oder laut ausprüdlicher mit früheren Kaifern abgefchlofs 
jenen Staatöverträge der römifchen Kirche gehörten, an die rechtmäßige Eigen- 
thümerin zurüdzugeben. Aber all dieß war eitler Schaum. Ravenna fammt 
Gebiet, das auf der Lifte der angeblich 967 erftatteten Ländereien vie erfte 
Stelle einnimmt, erjcheint damald als Witthum der Kaiferin Avelheiv. Die 
Städte der Pentapolis und viele andere bildeten, wie ich unten darthun werde, 
einen Theil des kaiferlihen Kammergutd. Im Sabinum und zu Pränefte ſaß der 
Zweig des Erescentiihen Haufed, den Otto's Arglift dem Pabfte Johann XIIT. 
aufgenöthigt hatte. Leber die Marken oder Hergogthümer Tuscien, Spoleto, 
Gamerino waltete jener Hugo, der, wie die Erfahrung der lebten Jahre bes 
wies, ein Kerfermeifter der Nachfolger des Apoftelfürften war. Die Einkünfte 
des h. Stuhles beftanden faft nur in Gefällen, welche derſelbe aus Gebiets 
theilen bezog, die unter Lehenträgern ftanden, welche nicht dem Pabſte, 
fondern nur dem Kaifer, zuweilen fogar gar Feiner höheren Gewalt, huldigten. 

So konnte, fo durfte ed nicht länger bleiben. Hatte man einen Deuts 





2) Böhmer, rogest. Nr. 766—782. 


508 Vabſt Gregorins VI. und fein Seitaller. 


hen auf Petri Stuhl erhoben, fo mußte man auch Gerechtigkeit üben, mufe 
den neuen Pabſt in Stand fegen, daß er der Anftalt, deren Leitung er über 
nommen, einen Theil ihred durch deutſche Schuld entriffenen Eigenthums je 
rüdbringe. Denn wenn man dieß nicht that, wire es jo viel geweien, al 
den Herzogsjohn, den Eifel eines Kaifers, der fat unfehlbaren — und 4 
füge bei, wohl berechtigten Rache Italiens preidgeben. Genau im eben mw 
widelten Sinne haben Die, deren Rathe damals Kaiſer Otto IIL folgte, eder 
befier bat Erzbiſchof Willigis von Mainz gehandelt. Die Marten Gameriw 
und Spoleto, ohne deren Beſitz Selbftftänpigfeit des Kirhenftaats ein Undinz 
ift, find vor der Abreife des Kaiſers dem 5. Stuhle abgetreten worben. 

In einem Schreiben, das Peter Damiani um 1059 an Herzog Godfrie, 
den Gemahl der DBeatrir und Stiefvater der Großgräfin Mathilde richtete,‘ 
heißt ed: „dein Vorgänger Marfgraf Hugo, der dafjelde Fürſtenthum inne 
hatte, dem du jest vorfteheft, war einft Herr in beiden Marken, fowohl in 
der, welche dad tyrrhenijche, als in der andern, welche das adriatifche Der 
beipül. — Beide aber, fowohl die Marf Camerino, ald aud das Herzog: 
thum Spoleto, gab er fpäter an den Kaiſer zurüd, indem er nur Tuscien fid 
vorbehielt.* 

Sowohl der Elerifer, weldjer vorliegenden Brief verfaßte, als aud der 
Fürſt, an den er ihn fchrieb, beſaßen genaue Kenntniß der Dinge, die feit 60 
bis 70 Jahren in Italien fi zugetragen hatten. Man kann alſo unmöglid 
zweifeln, daß durd Hugo, der 1001, ein Jahr vor Dtto, ftarb,?) die Marken 
Spoleto und Camerino an einen deutſchen Kaifer zurüdgegeben worden fint. 
Es fragt fih nur: wann und zu weſſen Gunften ſolches gejchehen fei. Wie 
früher gezeigt worden, hatte Hugo um 993 die drei großen Lehen in jeiner 
Hand vereinigt. Berner ift eine Urkunde‘) vom Juli 995 vorhanden, in 
welcher Hugo Herzog und Markgraf genannt wird, und ald Herr im Für 
ftenthfum Camerino erfcheint. Zu dieſer Zeit befaß alfo der Tuscier ned 
Epoleto und Camerino. Drittens erhellt aus einem Schreiben,*) das Kaifer 
Dtto 999 an Pabft Sylveſter II., den Nachfolger Gregor V. erließ, daß 
im genannten Jahre Marfgraf Hugo Spoleto und Camerino verwaltete. 
Man muß alfo zwiſchen zweien Annahmen wählen, entweder hatte Hugo nad 
995 die zwei Marken an den Kaifer abgegeben und um 999 wieder zurüds 
erhalten, oder ift er erft nah 999 genöthigt worden, biefelben abzutreten. 

Erftered war der Fall. Einmal bemerfe man, wie gut die Verhältiſſe 
bes Pabftes Gregor V. zu obiger Annahme paffen. Bruno beftieg Petri 
Stuhl im Mai 996 und ftarb im Februar 999. Vorausgeſetzt, daß er gleich 
zu Anfang jeined Pontififats vom Kaifer Camerino und Spolcto erhielt, und 


‘) Opp. ed. Paris. II. ©. 381, b. !) Perg III, 144, Mitte. N) Muratori, 


script. rer. italic. I, b. ©, 486. *) Gerberti epistol. I, 158. bei Ducheöne II, 826, 


Siebtes Buch. Gap. 35. Otto's IIL Nömerzug von 996. Der Kirchenſtaat hergeſtellt. 590 


daß weiter Dtto nad Gregors Tode die zwei Landſchaften zurüdzog, wird 
far, warum Hugo 995 — ald dem Jahre vor der Erhebung Gregors — 
und hinwiederum 999 nad des Pabſtes Tode im Beflge derjelben war. 
Zweitens iſt in dem oben genannten an Pabſt Syivefter II, gerichteten Schreis 
ben Dtto’8 III. von einem Rechtsſtreite die Rede, der über acht Grafichaften 
zwifchen der Krone und dem h. Stuhle ſchwebte. Kaum läßt fi ein anderer 
Grund diefed Streited denfen, ald daß er darum entftanden fei, weil Babft 
Sylveſter II., Gregor Nachfolger, im Namen der römifchen Kirdye Anſprüche 
auf Entfhädigung für die faum zuvor nah dem Tode Gregor V. erfolgte 
Rüdgabe der Lehen Camerino und Spoleto erhob. 

Drittens finden ſich in Chronifen Anzeigen, daß Kaiſer Otto die beiden 
Landſchaften nicht für fid, jondern zu Gunſten Gregors V. den Tuscier abs 
verlangt bat. 

Der Biograph Abbo's von Fleury erzählt:‘) „im Wuftrage des Königs 
Robert und in Sachen des abgefegten Rheimſer Erzbiſchofs Arnulf reiste der 
Abt von Fleury nah Rom, um mit Gregor V. zu unterhandeln, traf jedoch 
den Pabft nicht in der Hauptitadt, fondern vernahm, daß er im Gebiete von 
Spoleto weile, wohin ihm Abbo nadeilte. Aufs Liebreichfte ward er dort 
vom Pabfte empfangen, und blieb acht Tage im feiner Umgebung, worauf 
Abbo nad Haufe zurüdfehrte.” 

Warum wird der Pabſt längere Zeit in Spoleto zugebradt haben? Ich 
denfe, um die neue Herrihaft zu ordnen! Auch die Umftände müffen in Bes 
tracht gezogen werden, unter denen Gregor V. fih aus der Hauptſtadt ent. 
fernte. Laut den gefammelten Regeften?) weilte er von Ende April bis Aus, 
gang September 996 in Rom, aus weldhem Zeitraum verfchiedene Bullen 
oder andere NAftenftüde vorhanden find. Dann folgt eine Lücke bis zum 
24. Januar 997, an weldem Tage er zu Reggio, auf der Reife nad) Pavia 
begriffen und als Verbannter, zum Vorſchein fommt. In diefe nämliche Rüde 
fällt Iaut andern Nachrichten eine Abwejenheit ded Pabited aus Rom, wähs 
rend welcher der abgeſetzte Patricier Crescentius eine Verſchwoͤrung anzettelte. 
Denn Thietmar von Merjeburg ſchreibt:“) „während Pabſt Gregorius abs 
weiend von Rom war, riß Erescentius die Herrihaft an ſich.“ Sodann fann 
man, vie unten gezeigt werben joll, beweijen, daß die Abwejenheit, deren Abbo’6 
Biegraph gedenft, und die von Thietmar erwähnte eine und diejelbe war, denn 
im Oktober over November 996 hat der Abt von Fleury den Pabſt beſucht. 

Zugleih kommt jept an Tag, warum Crescentius gerade damals los⸗ 
ſchlug. Wäre es dem Pabſte gelungen, die beiden neu übertragenen Land» 
ſchaften dauernd in Beſitz zu nehmen, fo hätte der abgefeßte Patricier wenig 


1) Sfrörer, Kirch. Geſch. III, 1489. 3) Zaffe, ©. 340 fig. 2) Berk IU, 776. 


600 Zah Gregerins VIL und fein Seitalker. 


Hoffnung gehabt, je wieder zur Gewalt zu gelangen. GErescentins mußte def 
halb eilen. 

Auch an Belegen aus Handveften fehlt e& nicht, daß Otto IIL nad der 
Erhebung Gregors V. anſehnliche Bebietötheile an Petri Stuhl abtrat, ak 
nad) dem frühen Tode des Pabftes alsbald wieder an fi zog. Die Lan 
ſchaft Eabinum war, wie idy anderweitig‘) zeigte, ein alter Beſitz der roͤni⸗ 
ſchen Kirche, ebendieſelbe hatte jedoch in Jahre 967 Johann XII. auf Ar 
dringen Otto's L feinem Neffen Benedikt zu Lehen übertragen. Urkundlich 
fann man nadweifen,?) daß zwiihen 967 und 995 entweder Benedikt felbk 
oder deſſen Eöhne, Johann und Crescentius, ald Landvögte im Eabinum 
faßen. Allein mit dem Augenblide, da Gregor V. Betri Stuhl beftieg, geht 
eine Yenderung bdorten vor. Bon 997 bis 999 — dem Todesjahre Bre 
gord V. wird in einer Reihe gerichtliher Akten, die im Sabinum ausgefelt 
worden find, Fein Landvogt mehr genannt, ſondern nur Pabſt Gregor als ge 
bietender Herr aufgeführt. 

Gregor V. fiel im Zebruar 999 unter Mörderhänden. Unmittelbar 
nachher erjcheint”) dad Sabinum wieder im Befige von Grafen sLandvögten, 
und nicht der leiſeſte Zweifel kann obwalten, daß die Landſchaft dem h. Stuhle 
entzogen und einem Andern zugewiejen war. Unten werde id aus Urfunden 
dartbun, daß dad Sabinum, obgleih ed häufig eine beſondere Verwaltung 
bildete, für einen Beftandtheil der Marfe oder des Herzogthums Spoleto galt. 
Nun erwäge man folgende zwei Punkte: während Gregor Petri Stuhl ein 
nimmt, muß ein Anderer dad Sabinum abtreten und bafjelbe geht in den 
Befig des Pabftes über, geräth aber glei nad) Gregors Tode in die Hände 
eined Dritten. Zweitens zur nämlichen Zeit wechjeln die Marfen Epoleto 
und Gamerino ihren Herrn, füllen jedoch in Kurzem an den früheren Befiger 
zurüd. Allerdings wird nicht ausdrüdlid, gemeldet, daß der neue Pabſt es 
war, zu deſſen Gunſten der Wechfel in den Marken eintrat, gleichwohl nöthigt 
meines Erachtens der gefunde Menfcenverftand, jchon wegen der Nähe ber 
Zeit und ded Orts — abgejehen von den oben angeführten Gründen — vors 
auszufegen, daß es ſich mit den beiden Marken genau ebenjo verhielt, wie 
mit dem Eabinum. 

Dunkel liegt auf der Art und Weife, in welder Kaiſer Otto Epoleto 
und Camerino an feinen päbftlihen Better abgab. Doch läßt ſich Einiges 
ermitteln. Nach dem Tode Gregors zieht Dito die beiden Landichaften wieder 
an fi, fofort entfteht ein Nechtöftreit, der zur Folge hat, daß nicht etwa 
Epoleto und Camerino, fondern daß ein anderes Gebiet — und zwar, wie 
ih unten darthun werde, zur Zufriedenheit beider Theile — an die römijche 
Kirche Fällt. Hieraus folgt meines Erachtens: erftlib Kaifer Otto hat, ale 


ı) Oben ©. 226. 2) Batteschi, serie dei duchi ©. 252 flg. ’) Daſ. ©. 253. 


m 
— 


= 
— 


Siebtes Buch. Cap. 35. Otto's III. Roͤmerzug von 896. Der Kirchenſtaat hergeſtellt. 601 


Gregor V. Petri Stuhl beftieg — irgend eine rechtliche Verbindlichkeit eins 
gegangen, Gebietstheile an die römifche Kirche zurüdzugeben, denn fonft hätte 
Syivefter nad) Wiedereinziehung ver beiden Xehen keinen Rechtöftreit erheben 
fönnen. Zweitens der fraglihe Vertrag fann nicht unbedingt auf Camerino 
und Spoleto gelautet, jondern er muß der Kaiſerkrone irgend welchen Spiels 
raum bezüglich der abzutretenden Etüde gelaffen haben, denn fonft hätte Syls 
vefter IL einfach auf Erftattung Camerino’d und Spoleto’8 geklagt, was laut 
den vorhandenen Aften nicht geichehen if. Drittens die Uebergabe der Marfe 
und des Herzogtbums ift gewiljermaßen eine perſönliche Gunſt gewefen, die 
Dtto IH. feinem Better, dem neuen Pabfte, erwies, jedoch unter Anerkennung 
der oben erwähnten Verbindlichkeit, im Halle aus Gründen des Staatswohles 
beide Lehen nah dem. Tode Gregord V. oder vielleiht aud ſchon vorher 
zurüdgeforvert würden, dem Stuhle Petri anderweitige Entihäpigung zu 
gewähren. 

Und nun noch ein wichtiger Punkt. Der Salier Heinrih TIL hat, wie 
ich jpäter zeigen werde, im Jahre 1047 die römiihe Kirche verfnechtet, um 
Hab und Gut gebradht, d. h. er hat gethan, was Otto L zwilchen 963 und 
967 that. Diefer Greuel rädhte fih an ihm felber, durch die Umſtände ges 
drängt, mußte er 1055 Spoleto und Cumerino an die römijhe Kirche ers 
ftatten. D. h. er befand ſich genau in derfelben Lage, wie Dtto III im Jahre 
996, nur mit dem einzigen Unterjchiede, daß Dtto IIL damals ein Vergehen 
feines Großvaters gut machte, während Heinrich IIL die eigene Schuld ſühnte. 
Drittens als Heinrih die Maßregel bezgügli der Marfen traf, gab er dies 
jelben nicht für immer, jondern nur für die Lebensdauer des Pabſtes Victor IL 
an die römifche Kirche zurüd. Eben diefelbe Bedingung hat aber auch Dtto IIL 
bei Wiedererftattung der nümlichen Gebiete geſtellt. Daraus folgt nun, vaß 
was Heinridy IIL anorbnete, eine Wiederholung Deffen war, was Otto 
60 Zahre früher verfügte, und daß das Vorbild des legteren eine zwingende 
Norm für erfteren gewejen if. Zuverfihtlihd darf man daher aus den im 
Einzelnen genauer befannten Handlungen des Salierd auf die gleihartigen 
Akte feines ſächſiſchen Vorgängers zurüdicließen. 

Um die Abtretung der beiden Marken richtig zu beurtheilen, muß man 
noch die geographiihe Lage derſelben ind Auge fallen. Aus der früher") 
mitgetheilten Urkunde vom Jahre 887 geht hervor, daß damald das (mit 
Camerino vereinigte) Geſammtherzogthum Spoleto folgende Bisthümer ums 
fchloß, die ih In der Richtung von Norden nah Süden längs dem adriatis 
ſchen Meere, dann weiter von Oſten nad Welten vorfchreitend aufzähle : 
1) Beiaro, Fano, Sinigaglia, Ancona, Numana, Ofimo, Fermo, 2) Forli, 
Urbino, Eagli, Eamerino, Ascoli, Teramo, 3) Perugia, Rocera, Spoleto, 


) Oben ©. 141. 





Sim zu, als den, daß Camerino und Epolete, in der Gehalt wie k 
f Hugo von Tuscien an den Kaifer Otto übergab, und wie fie au 


ſers Händen Pabſt Gregor V. empfing, ein zufamıhenhängee 


1 


berrichte, welche 50—60 Jahre früher ber Zuscier Hugo verwaltet hat. 
Run meldet‘) ein trefflich unterrichteter Zeitgenofie, daß alle Land von der 
tusciſchen Meeresküfte an bis nach Ancona hinüber dem Lothringer Gottfrie 
gehorchte. Wie feit 1057, fo müflen demnach ſchon 996 Spoleto und Gar 
rino von einem Meere zum andern fi) erftredt haben. 

Die Frage, mit welchen Mitteln, ob durch Gewalt oder in Güte, Dtto II 
den Tuscier Hugo beflimmte, die zwei Marken herauszugeben, wirb durd 
feine der vorhandenen Quellen gelöst. Ohne Zweifel war die Madıt, wi 
welcher der deutſche König 996 in Stalien erichien, jo bedeutend, daß Hug 
faum Widerſtand leiften konnte. Im Uebrigen hat er dem neuen Pabſte bie 
erzwungene Gabe nicht vergeffen. Cpäter wird fi) zeigen, daß der Tue 
im Verein mit ®erbert auf Gregors V. Sturz binarbeitete. 

Die bisher entwidelten Thatſachen geben ein überrajdhendes Bild von 
den roͤmiſchen Zuftänden unmittelbar vor Gregors V. Pontifikate. Was be 
faß der h. Stuhl in den letzten Zeiten Johanns XV.? Dem Namen nad) die 
Stadt Rom und das umliegende Dufat, aber nicht der That nad. Dens 
wahrer Herr über Rom war der Patricier Johann Erescentius IV. Weiter 
befaß derſelbe Stuhl dem Namen nad Stadt und Gebiet Ravenna, weldye angeb- 
lich Otto I. im Jahre 967 zurüdgeftellt hatte. Aber auch mit diefem VBefige ver: 
hielt es fi, wie mit Rom; nicht nur erhellt auß der früher?) erwähnten Buße 


*) Berk VII, 581 oben. 2) Oben ©. 271. 


Siebtes Buch. Cap. 35. Otto's III. Roͤmerzug von 996. Der Kirchenſtaat hergeſtellt. 603 


Gregors V., daß feit einem Jahrhundert die Päbfte dort feine Landeshoheit 
übten, jondern wir willen überbieß, daß Ravenna einen Theil des für die 
verwittwete SKaiferin Adelheid ausgeworfenen Witthums ausmachte. Sodann 
erfcheinen die noch übrigen Trümmer des ehemaligen Kirchenftaats durch die 
beiden Großlehen Epoleto und Bamerino, wie dur einen Damm, der von 
einem Meere zum andern reichte, mitten entzwei gejpalten. Welche troſt⸗ 
[oje Lage! 

Bon einem der erbrüdenden Gewichte, welche auf dem Erbe des Apoftels 
fürften lafteten, befreite den neuen Pabft die Abſetzung des Patriciers, welde 
Rom und den Dufat in die Hände Gregors bradte. Nachdem dieß ges 
fchehen, begreift man, daß Gregor hohen Werth darauf legte, aud die 
Zürftenthümer Camerino und Spoleto, auf welde die römifche Kirche feit 
Zahrhunderten wohl begründete Anſprüche befaß, zu erlangen. Denn nur wenn 
Spoleto und Camerino mit dem Dufat vereinigt war, konnte die Verbindung 
der Metropole mit den im Norden gelegenen Gebietötheilen und folglid der 
Zufammenhang des Kirchenftaats hergeftellt werden. 

Otto III. bewilligte, was der Better begehrte und um jeden Preis bes 
gehren mußte, aber er gewährte den Wunfh nur als eine der Perjon Gres 
gors V., nicht dem h. Stuhle zugeftandene Gabe, und fnüpfte die Bedingung 
daran, daß er oder feine Nachfolger jpäter in Fällen politischer NRotl wendig» 
feit — jedoch unter Zufiherung genügenden Erſatzes — die beiden Lehen 
zurüdziehen dürfen. Durch diefe Klaufel ift BrunosBregor ald Pabſt in Abs 
hängigfeit von Otto III. geblieben, und unten wird fidh ergeben, daß gewiſſe 
Akte, zu welchen ſich Gregor V. nothgebrungen verftand, geradezu unbegreifs 
lich erfcheinen würden, wenn nicht der eben gejchilderte Sachverhalt den 
Schlüſſel der Erklärung böte. 

Ehe wir zur Geſchichte der Verwaltung des neuen Pabſtes übergehen, 
muß ein weiter Umweg. eingejchlagen, muß zunähft ein Vorgang erwähnt 
werben, der noch in die Zeit der Anwefenheit Otto's III. zu Rom fällt. 
Eine italieniſche Urkunde‘) enthält die Angabe, daß den 25. Mai 996 Kaiſer 
Otto II. gemeinihaftlid mit dem Pabſte Gregor V. im Petersdome eine 
Synode hielt, auf welder kirchliche Angelegenheiten entſchieden wurden. 

Möglicherweife könnten auf diefer Synode die Verhältniſſe, betreffend 
Spoleto und Gamerino, zur Sprache gekommen fein, gewiß aber kennen wir 
einen andern Gegenftand damaliger Verhandlung, einen Gegenftand, der iu 
die Belehrung Böhmens, Slaviens, Ungarns und, wie id glaube, auch in 
die Kirchengefchichte von Byzanz eingreift. Es ift unumgänglid, denſelben 
genau zu erörtern und bis auf feine Wurzel zurückzugreifen. 


> 


1) Zaffs, regest. pontific. ©. 340. 


Batriarhat umzuwandeln, aud; in andern flavifchen Ländern ähnlide 
gründen, bie nicht dem Pabfle, fondern nur der Kaiferfrone unterworfen 
Im Ausführung folder und äfnlier Dinge will fie den Ciechen Mbalbert 
erteilt ihm deßhalb Erlaubniß, Prag zu verlaflen, ruft ihn nah Rom 
ihn zu einer Wallfahrt nach Jerufalem auf, um ihn auf der andern Gei 
tifcgen Meeres geheimen Werkzeugen in bie Hände zu fpielen, bie ihm 
WWeen beibringen follten. Die Aebte von Monte Eaffino und vom römiſch 
den h. Bonifacins und Alerius vereiteln lehtere Geite des von Theophan 
Plans, beuten aber mit feltener Weisheit die auf Schwächung der Rain 
Hitangewalt gerichteten Gedanlen ber Kaiferin aus. Der 5. Rilus geiſtlich 
träger des byzantiniſchen Bafileus in Italien. Anfänge Bruno’, des 
Breußen. Der 5. Romuald, Stifter des Camaldulenſer-Ordens, und feine < 
der Kirche abzielende Tpätigfeit. 


In die Fußtapfen des großen Franken Carl tretend, warf ſich 
Otto J. geraume Zeit vor feiner Kaiferfrönung zum Bekehrer der 
Slaven auf, die im Oſten des deutichen Reiches jaßen, mißbraucht: 
Sener, das Kreuz zum Werkzeuge politiſcher Unterbrüdung.‘) Rad 
Kriegen bezwang er Böhmen und jegte durch, daß in der Haupti 
Landes ein Bisthum errichtet wurde, das er dem Mainzer Metre 
band einverleibte.‘) Als erſter Biſchof beflieg‘) der Sachſe Thietm 
den Stuhl von Prag, Wie es unter folden Umfländen gar ni 
fein fonnte, haften die Böhmen das ihnen durch fremde Waffeng 
gebrungene Chriſtenthum als eine Plage, und jener Biſchof felbft ı 
um fie auf befiere Gebanfen zu bringen. Laut dem Zeugnifie”) 
Johann von Cannapara flarb Thietmar unter Aeußerungen bitterer 





. Gay. 36. Otio’s Verkehr mit Abalbert u. Romuald. Der Grieche Rilus. 605 


Sthum befördert. Noch während Otto's I. Regierung wurden in 
ne Mafregeln ergriffen. 
n Zeiten Adalberts, des erftien Metropoliten von Magdeburg, ges 
rtige Domfchule unter der Leitung Otriks großen Ruf. Mit vielen 
uchte diefelbe auch ver edle Böhme Woytech (wörtlich Heerestroft), 
ı 950 und einer der vornehmſten Familien des Czechenlandes ans 
den jeine Eltern für die geiftlihe Laufbahn beftimmt hatten. Zu 
Magdeburger Metropoliten nahm ver junge Czeche den deutſchen 
albert an, unter dem er in der Kirhengefchichte berühmt geworden 
: dem ih ihn fürber bezeichnen werbe. 
dem Tode des ebengenannten Metropoliten, welder den 21. Mai 
ied,') fehrte Adalbert⸗-Woytech in feine Heimath zurüd. Bald dars 
auch der erfte Bilchof von Prag, Thietmar, von dem oben bie 
worauf der Prager Elerus unfern Adalbert zum Nachfolger wählte. 
r den erledigten Stuhl befteigen durfte, mußte er zuvor die Beleh⸗ 
Ring und Etab aus den Händen des deutſchen Kaiferd Otto II. 
Ihöflihe Weihe von feinem Metropoliten, dem Mainzer Wiligis, 
Da der Kaifer und der Erzbischof fi damald in Stalien bes 
iste Adalbert im Sommer 983 nach Verona, wo eben der früher 
Reichstag verfammelt war, wurde daſelbſt von Dtto IL. belehnt 
Willigis am Peter und Paulstage (29. Zunt) 983 geweiht.?) 
ierig war Adalberts Stellung zu PBrag,?) die Böhmen haften ihn als 
chuldigen der deutichen Oberherrichaft, obgleich er die Pflichten eines 
ines Mönch, eines Bifchofs aufs Gewiffenhaftefte erfüllte.) Johann 
ıpara fagt, hbauptfächlic drei Urſachen hätten dem Prager Biſchof fers 
bleiben in der Heimath unerträglich gemacht: erſtlich die Vielweiberei 
n, zweitens die Priefterehben, welde Adalbert trog aller Anftrens 
cht babe abichaffen fönnen, drittens der Menjchenhandel mit chrift- 
aven und Gefangenen, welchen Böhmens Herzoge aus Gewinnfucht 
n geftatteten. Ums Jahr 988 verließ Adalbert plöglih Prag, wie 
3 bewies, ohne Einwilligung des Volks und des Clerus und ohne 
niß feines Metropoliten, des Mainzers Milligis, eingeholt zu haben. 
ah Rom, wo ihm Pabſt Johann XV. freien Aufenthalt geftattete. 
nächften Scidfale Adalberts gleihen einem Räthſel, obgleih zwei 
en, ja jogar Bertraute, der Eine noch vor dem Echluffe des zehnten 
ertd, der Andere kurze Zeit jpäter, fein Leben bejchrieben haben. 
richten Dinge, welde die Neugierde des Leſers fpannen und unge⸗ 
: Auffchlüffe über die geheime Geſchichte jener Zeit zu gewähren vers 
Aber nie jagen fie genug, fondern halten mitten im fcheinbaren Yin 


af, S. 1398. ) Daf. ©. 1408, 2) Bid. ©. 1521 fig. 


606 Vabſt Gregorins VIL. uıb fein Seltelker. 


fauf zu Seftänbnifien an fi, ofienbar weil fie ald erfahrene Gefhäft 
der Kirhe Bedenken trugen, für Ungeweibte den Schleier Deſſen, 
Berborgenen gewoben war, zu lüften. Ich theile zunächft die m 
Punkte ihrer Ausſagen mit. 

Ungefommen an Peter Schwelle faßte Adalbert den Plan einer! 
nad) Serufalem, aber der Gedanke gedieh nicht zur Ausführung ‚*) ok 
bie reichlichſten Mittel für die ferne Reife zufloßen. In Rom well 
die Kaiſerin Theophano, Otto's II. Witwe, laut den Verſichernn— 
Biographen‘) eifrig bemüht, durch Werke der Wohlthätigfeit die Sh 
verfiorbenen Gemahls zu fühnen. Als fie von der Abficht Adalbe 
ind gelobte Land zu wallen, Tieß fie ihm eine große Summe Geld 
zahlen. Doch Adalbert verfchenfte das Geld an Arme, ſchickte die 3 
die ihm aus Böhmen gefolgt waren, Taufte einen Ejel, um fein | 
tragen, verließ Rom mit nur drei Begleitern, unter welchen fei 
Gaudentius war, und ging — angeblich noch immer zur Reife ins 
land entfchloffen — nach Montecaffino. 

Allein die Moͤnche des Mutterftifts der Benebiktiner rebeten ihm 
fahrt aus, fie flellten ihm nämlich vor, daß es feelengefährlich fei, x 
Drt in der Welt herumgufchweifen, beriefen fi auf den berühmten 
des 5. Hieronymus: nicht in Serufalem geweſen zu fein, fondern r 
gelebt zu haben, helfe In den Himmel. Und fiche, Moalbert, ſonſt 
wo es die Ausführung feiner Plane galt, unbeugfam, ließ ſich umft 
blieb einige Zeit im Stlofter. 

Als aber die Brüder in ihn drangen, biichöffihe Amtsverricht 
ihnen vorzunehmen, insbefondere eine eben neu erbaute Kirche ei 
gerieth er in Zorn, padte feine Hableligfeiten zufammen und 300 
Montecaffine. Und wohin begab er fih? Zu einem hodhberühmten 
haupte, zu dem Griechen Nilus, der ebenfalls gleich Adalbert ent 
Einfluß auf die Geſchicke des Kaiſers Otto III. geübt hat. 

Nilus hauste damals in dem Kloſter zum h. Michael von B 
(Lichtenthal), zwiſchen Benevent und Capua gelegen, das ihm der 
von Montecaffino eingeräumt hatte.) Johann von Cannapara fa 
Nilus weilte eine große Schaar von Mönchen, die mit ihrer HA 
Unterhalt gewannen und nad der Regel des h. Bafilius Tebten. 
ſtürzte vor die Füße des Abts Nilus nieder und bat ihn um Yu 
die Gemeinschaft feiner Moͤnche. Der Abt erwieberte: gerne möchte 
Wunſch erfüllen, fähe ich nicht voraus, daß dieſe Erfüllung mir un 
nigen Schaden brächte. Ich bin ein Grieche (du ein Lateiner), we 
aufnähme, würde der Abt von Montecaffino, dem du entfloheft, bie 








1) Berg IV, 587 u, 601. 2) Sfeörer, Kirch. Geſch. M, 1496. 


. Gay. 36. Dito’s Berkcht mit Adalbert u. Momnald. Der Grieche Rilns. 607 


ih und bie Meinigen wohnen, uns entziehen, denn er bat das 
‚ weil es fein Eigenthum if. Anders ſoll für wich geforgt wers 
will dir einen Brief mitgeben an meinen Freund, den Abt 2eo 
zu den Heiligen Bonifactus und Alexius in Roms; der wird 
men, ober wenn dieß nicht angehen follte, wird er dich an den 
2 im EabassKlofter (ebenfalls zu Rom) empfehlen. Und alfo ges 
ich.“ 

bert ging nah Rom zurück und meldete fi bei Abt Leo — dem⸗ 
wir von der franzöflihen Gefandtichaft her fennen —. Der Abt 
ehemaligen Biſchof durch die härteften Proben der Geduld und des 
Gehorſams. Hola mußte der Ezeche tragen, in der Küche aufs 
efchirre fcheuern, Zimmer fegen. Als Leo ihn zuletzt vollkommen 
d, nahm er ihn — aber nur nad vorgängiger Erlaubniß des 
bann XV. — tn die Gemeinfhaft der Brüder auf. Mehrere 
Adalbert als Mönch im St. BonifaciussKlofter, da erjchienen zu 
iſche Gefandte mit dringenden Briefen des Erzbifchofs Willigie, der 
rgebenen, den flüchtigen Biſchof von Prag, zurüdforberte.* 
ziographen geben zu verftehen, daß nicht nur die Gemeinde von 
«tus, fondern auch der Pabft gerne den Czechen länger zu Rom 
te, aber es ging nit. ine Synode wurde gehalten, welde 
nung des von Willigis geftellten Antrags entſchied. Adalbert er- 
. Stuhle Befehl, in feine Heimath zurückzukehren, und gehorchte. 
n hatten das Verfprechen abgelegt, daß alle die Greuel, welde 
Flucht Adalberts geweſen waren, abgefchafft werben follten. Ans 
en fie Wort, aber bald fielen fie wieder in die alten Enden zurück. 
Adalbert zum zweitenmale nah Rom in Leo's Klofter, wo er 
MWiligis, der Primas Germaniens, und König Otto IIT. mit dem 
einzogen und den Kärnthner Bruno auf den Etuhl des Apoftels 
ben. 

die Geſchichte eines der Wohlthäter des Menſchengeſchlechts, deren 
eben erzählt habe. Aber beim erften Blicke zeigt es ſich, daß fie 
chüllt iſt, obgleich zwei wohl unterrichtete Zeitgenoffen Adalberts 
eichrieben haben. Wie nun den wahren Sachverhalt ermitteln? %orts 
zäftigung mit mittelalterlihen Quellen hat mich gelehrt, daß rechtichaf- 
rt, wie Bruno und Johann von annapara , nie abfichtlic lügen, 
hen, welche fie nieberjchreiben, find wahr, aber fie verfchweigen 
t wefentlihe Mittelgliever und bringen nicht minder Das, was fie 
ünftlihe Verbindungen. 

9 war bie nothwendige unausweichliche Yolge eines Widerſtreits 
en. Die Nachwelt ſoll erfahren, was in ver Welt für und gegen 
Gottes geſchieht, deßhalb if die Gefchichte flets In Kloͤſtern und 


( 


608 vabl Gregerins VIL uuh fein Sellallee. 2 
geiſtliben Anſtalten cultivirt worben, und vie Thaten Derer aufmideikı, 
weiche merkt geglaubt und für den Blauben gewirft haben, galt als cin wie 

Beruf. der ‚ welder auf ver Kirche laſtete, möthigk 
dach er gef Se 2 Ödlnges, mini das Öcheimaif, — 
Es wäre der Gipfel des Unverfiands, durch unvorfichtiges Reben den Bey 
nern Waffen in vie Hände zu liefern, ihre Rache hervorzurufen oder and uu 
ihre Aufmerkfamfelt zu erregen. Deßhalb Tonnte über die Gegenwert vwek 


heimſprache ausbildeten, deren Sinn der große Haufe gevanfenlofer Leler ah 
pfchreiber nicht ahnt, den aber Wiflende verfichen. Auch in deu Biographien 
des h. Adalbert finden ih Spuren verfelben Kunfl. 

Adalbert, ein vom Geiſte der Kirche durchdrungener Glerifer, fühlte 16 
ale Menſch und Chriſt verlegt, weil man ihn zwang, ſchreiende Mipbrände 
unter den boͤhmiſchen Bornehmen zu dulden. Da bie beutfche Gerrfchaft über 
Böhmen nur dadurch aufrecht erhalten werben Tonnte, daß man dem Lambeöherpg 
eine abelige Barthei, die in geheimer Berbinvung mit dem Reichöregimeni 
Raub, entgegenftellte, mußte Adalbert als Lintergebener. veuiicher WBorgefehten 
das Auge zubrhden zu ber Vielweiberei eben biefer Bornehmen, fewie zu dem 
Eflavenhaubel, den fie durch Vermittlung von Juden trieben. Ne mehr 
fränfte ihn, den gebornen Ezechen, das Bewußtfein, ale Biſchof umb Ber 
Fündiger der Lehre vom Kreuze fremden Herren zu Unterbrüdung ber eigener 
Landsleute zu dienen. Denn die Wahrheit zu fagen, war jeder Prager Bi: 
ſchof, mochte er es ſelbſt wiſſen oder nicht, unter damaligen Umfländen Berl 
zeug deutfcher Obergewalt über Böhmen. Der Verband Prags mit der Mainzer 
Metropole trieb ihn nothwendig in diefe Richtung hinein. 

Unter folden Umftänden feimte in Adalbert Seele der Gedanke, eine 
freie, von Mainz unabhängige Slavenkirche in gleicher Art zu gründen, wie 
Winfried⸗Bonifacius einft Die deutſche Kirche — den Kern des Reihe — 
gegründet hatte, und es iſt fein Zweifel, daß Adalbert die Ausführung dieſer 
Idee zur Aufgabe feines Lebens machte. 

Eben diefelbe brachte ihn in Berührung mit zwei verjchiebenen Sphären. 
Plöglich verſchwand Adalbert aus Prag und eilte nach Rom zu Babft Johann XV. 
Das war eine bevenklihe That. An und für fi, d. h. ohne Rüdficht anf 
befondere Umftände, handelt ein Bifchof, der feinen Sprengel im Stiche Täßt, 
ebenfo unrecht, als der Soldat, der von feinem Poften entweicht. Dennod 
flieht feft, daß den Bifchof trog feiner Entfernung aus dem Bisthum feine 
Berantwortung traf, denn fonft hätte erftlich Pabft Johann XV. den Entwichenen 
nicht fo gut aufgenommen, und zweitens würbe dann Adalberts Vorgeſehter, 
Willigis von Mainz, nicht auf Rückkehr des Flüchtlings, fondern auf Bes 
fisafung des Schuldigen geflagt haben. 


Siebtes Buch. Cap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romnald. Der Grieche Rilus. 609 


Folglich muß man annehmen, daß ein Höherer, deſſen Befehlen Adalbert 
Gehorſam fchuldete, ihn zur Abreife aus Prag ermächtigt hatte. Wer dieſer 
Höhere war, darüber geben beide Biographen genügenden Auffhluß. Als 
Adalbert nah Rom fam, wohnte dafelbft die Kaiſerin Theophano, damalige 
Reichöregentin. Wir wiffen, daß fie fi vom Herbfte 988 bis zum Jahr 990 
in Stalien, namentlih gegen das Neujahr 989 zu Rom aufhiell. Um die 
aenannte Zeit ift der Czeche zu Rom angelangt. Eben diefe Kalferin findet 
es nicht nur genehm, daß der Prager Biſchof nicht zu Prag, fondern zu Rom 
weilt, fondern fle zahlt ihm als Beweis ihrer Gnade eine große Summe aus. 
Das heißt mit andern Worten: nicht ohne Erlaubniß oder Zuthun der Theo⸗ 
phano hat Adalbert fein Bisthum verlaffen und eine weitausfchende Reife 
angetreten. 

Was beftimmte fie nun, den Ezechen, oder vielmehr die Idee, welche er 
vertrat, au begünftigen? Ohne Zweifel Ehrfuht. Oben find die Künfte ge 
Ihildert worden, die fie in Anwendung brachte, um $ortdauer oder Entftehung 
einer unabhängigen Dynaftie in Neuftrien zu untergraben, und das weftliche 
Nachbarreich fächfiicher Hoheit zu unterwerfen. Auch im Oſten Deutſchlands 
erftredte fi ein unermeßliches, von Slaven bewohntes Gebiet, das fchon 
Dtto I. — und zwar nicht blos durch Waffen, fondern aud mit Firdhlichen 
Heben — durch Errihtung der Bisthümer Havelberg, Brandenburg, Pofen 
zu unterfochen begonnen hatte.) Shren Handlungen nad) zu fchließen, hegte 
Theophano die Anfiht, das geeignetfte Mittel um fchnell und in großem Umfang 
jenfeit8 und dieſſeits der Oder und Elbe feiten Fuß zu faflen, beftehe darin, 
daß man eine eigene, in gewiſſem Sinne unabhängige, ſlaviſche Kirche gründe. 
Diefelbe follte nicht mehr, wie bisher Böhmen und Prag, dem PVerbande 
von Mainz einverleibt fein, fondern einen eigenen Metropoliten erhalten. 

Möglich if, daß diefer Plan fih der Griechin nicht blos wegen feiner 
innern Zwedmäßigfelt, ſondern auch einer Nebenabfiht wegen empfahl. Uns 
zweifelhaft hatte Erzbifhof Willigie von Mainz feit dem Tode Dtto’8 II. 
vielfach der Kaiſerin⸗Mutter entgegengearbeitet und dadurd Ihren Haß aufge, 
regt, denn radhfüchtig war die Byzantinerin. Solcher Leidenſchaft aber verhieß 
die Lostrennung Prags vom Mainzer Erziprengel, und die Errichtung einer 
befondern flavifhen Metropole flattlihe Befriedigung, denn durch fle verlor 
ja Willigis die Kirchliche Hoheit über Böhmen. Wer taugte num beffer zum 
fünftigen Erzbiihof oder Patriarchen Slaviens, als der aus edlem Slaven- 
bfut entfprofiene, dabei tabellofe, eifrige, von Hingebung für die Zwede der 
Kirche erfüllte, vielleicht etwas ſchwärmeriſche Czeche Adalbert? Man flieht: 
feine und der Griechin Ideen Tiefen in einem Hauptpunfte zufammen. 

Aber anderer Seits verfolgte Theophano Zwede, die ganz ober theilweiſe 


2) Sfrörer, Kirch. Geſch. M, 1281. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius vn Br. V, K\ 


irre 
ini 


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154611* 
1335806—53 
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» was bie Griechin feit einer Reihe von Jahren in Dentihlan, 
neuerdings zu Rheims eingefäbelt hatte, zielte dahin ab, ben Dahl, 
Dberhaupt der lateiniſchen Kirche, in die Stellung eines bygantiniiden 
Obempatriarchen herabzubrüden. Neben dem confantinopelitanifchen Ober 
prieſter gab «6 früher im römiichen Morgenland noch drei andere Batriarden, 
den von Antiochien, ven von Jernſalem und den von Alexandrien, die nicht 
von dem byzantiniichen Stuhle, ſondern nur von dem Hofe bed Oſtens al 
biengen, welcher unumfchränfter Herr des einen wie der andern war. Sa 
ein ähnliches Berhältnig ſollte die Kirche Elaviend, deren Gründung der 
Byzantinerin vorjchwebte, und der fünftige Metropolit Adalbert gebradht werben. 

Angenommen, daß die Kaiſerin⸗Mutter wirflih auf dad eben entwidel« 
Ziel hinſtrebte, was mußte fie thun, um den Czechen Adalbert, der in lateinis 
ſchen Ideen aufgewachſen, rechtſchaffen und unſchuldig war, in ihr Rep zu 
ziehen? Kaum gab es ein anderes Mittel, als daß fie ihn nady dem griechi⸗ 
ſchen Morgenland beförderte und dort — verfteht fi ihm ſelbſt unvermerft — 
in eine Schule hineinlodte, die in feine Eeele den Keim einer neuen &k 
danfenwelt ausftreuen jollte. Unbeftreitbar bat das griechifche Bekenntniß, 
obgleih auf einen grundweſentlichen Irrthum gebaut, feine flarfe Seite und 
wird durch eine in ſich abgeichloffene, eigenthümliche Theorie vertheidigt, welde 
Kraft genug befißt, die Geifter zu feſſeln. Beweis dafür die Thatſache, daß es 
heute noch am Bosporus wie an der Rewa, nad taufenvjährigen Kämpfen, 
ungeſchwaͤcht fortvauert, und damals einen hocherleuchteten Mann, den Abt 
Ritus, beherrichte. Theophano hütete fi wohl, ihre wahre Gedanken bezüg- 
lich Adalberts offen auszufprechen, gerade wie man fi) heute noch hütet, in 
ähnlichen Faͤllen Dafielbe zu thun. 


Hätte fie geſagt: ich will den Czechen nach dem Dften fchiden, damit 


er 


» Gep. 36. Otto's IIL Verkehr mit Apalbert u. Romuald. Der Grieche Rilns. 611 


Die kirchlichen Ideen betrifft, aus dem Lateiner ein Byzantiner, ein 
de, fo wäre die Folge geweſen, daß Adalbert für die Zumuthung 
bevanft haben würbe. Borwände liefern trefflide, tauſendfach für 
3 von Dingen, die man nicht fagen darf, gebrauchte Hebel. ine 
nach Ierufalem war eine Lodung, ganz geeignet des Czechen Phan- 
ftehen. Das Uebrige, nämlich daß Adalbert, einmal auf der an- 
: des Mittelmeeres angefommen, in paſſende Bekanntſchaften vers 
yen wäre, würde fi nefunden haben. Denn vermöge ihrer Abkunft 
der byzantiniſchen Kaiferdtochter drüben nit an auögiebigen Ber 
feblen. 
t noch übrig den Beweis zu führen, daß Theophano wirklich mit 
ine umgieng. Erſtlich erhellt aus ihren eigenen Handlungen, daß 
zſes ſann. Sie ließ dem Czechen eine große Summe ausbezahlen. 
poten, zumal unter fcheinheiligem Aushängeſchild, in den Sad greifen, 
an ſolches als ein unfehlbares Kennzeichen betrachten, daß. irgend 
ißbraucht werden fol. Zweitens auch die beiden Biographen Adal⸗ 
rften, daß hinter der vorgejchügten Wallfahrt etwas anderes lauerte. 
wie der andere,’ namentlich aber Bruno,*) zeichnen fonft Theophano 
Natur, nämlich als ein fhlimmes Weib. Aber mit dem Augenblid, 
bie Stelle fommen, wo fie der Wahrheit zu Ehren geftehen mußten, 
yert Geld von der Kaiſerin empfieng, ändern fie den Son. 
n man fie hört, war Theophano 989 dort zu Rom nur mit Werfen 
hätigfeit, nur mit frommen Spenden beichäftigt, die darauf abzielten, 
em ihres verftorbenen Gemahls zu fühnen. Meines Erachtens hat 
ſage der Außeren Erfcheinung nad ihre Richtigkeit. Eine gewiſſe 
liegt im Weſen des griechiichen Bekenntniſſes, weil es Könige und 
ider die Wahrheit zu. etwas madt, was fie nicht find noch fein 
imlich zu Oberprieftern. Da Theophano, fo wie es ihr Schwieger- 
» I. gethan, und wie es in Eonftantinopel drüben ſeit Jahrhunderten 
riher des Oſtens übten, vor der Welt ald eine gottgeliebte, apoſtel⸗ 
Derheiltgfte Kaiferin daftehen wollte, trug fie ficherlih damals zu 
lei Werke der Heiligkeit zur Schau. 
in Theophano trieb noch andere Dinge als heilige, und bieß war, 
fahen, den Biographen genugfam befannt. Warum fprechen fe 
l, an dem Punkte angefommen, wo das Geldgeſchenk and Tageslicht 
3, als Idealiſten? Handgreiflich thun fie es deßhalb, damit. der Bers 
elentt werde, ald ob die Raiferin das Geld zu einem andern Zwed, 
ner Reife der Sühne hergegeben habe. Sie verrathen alfo durch bie 


ebe oben ©. 500. 
. 39° 


612 Vabk Gregorius VII. und fein Seltalter. 


That, daß Theophano's Großmuth gegen Adalbert in anderem Ginne ange 
legt worben iſt. 

Beide Biographen, Johann von Bannapara und der Sache Bruns, ge⸗ 
fichen gleichmäßig zu, daß Theophano dem Ezechen eine Summe Gelbe, mh 
zwar eine große Summe zuftellte. Der Erftere fügt in einen Wihemzmge bi, 
Adalbert Habe noch am nämlihen Tag oder in der Nacht, die auf bie Je 
ftellung folgte, Alles Empfangene unter Arme vertheilt, nnd keinen PBfensing 
für fi) behalten. Bezüglich dieſes Punktes verweigere ich ihm ben Glaube, 
doch muß diefe Einfprache genau beflimmt werden. Meines Erachtens bei 
man nicht in Abrede ziehen, daß die Summe, welche Adalbert aus hal. 
Händen der Kalferin erhalten hatte, Tpäter Armen zufloß, aber das Une 
ih, daß der Prager Bifchof über das Empfangene fogleih in einem Giaw 
verfügte, an den die Kaiſerin nicht gedacht hatte. Kraft Naturrecht na 
jeder Menfch Geld, das man ihm anbietet, nehmen ober zurückweiſen, abe 
wer die Babe einmal angenommen hat, der muß fie entweder für den won 
Geber beftimmten Zwed verwenden, ober an den lettern zurädieie. 
Dieß fordert die Pflicht der Reblichfeit und unmöglih kann man zugeben, Ka 
Adalbert, der für Gottes Sache fein Leben opferte, fi über eine folde Ak 
fiht weggejeßt habe. Hiezu kommt, daß er, wenn er fo gehandelt hätte, wi 
der ältere Biograph meint, unfehlbar der Race einer mächtigen Sram ven H. 
fallen fein würde. Ä 

Der andere Blograph, Bruno, entfernt den Stein des Anſtoßes. äh 
rend Johann von Cannapara fagt,‘) Adalbert habe dad Geld in ver nim 
lichen Nacht, die auf den Empfang folgte, den Armen geſpendet, braudt der 
Sachſe eine grammatifche Form, welche zu der Deutung berechtigt, daß zwiſcen 
dem Empfang und der Spendung geraume Zeit verlief.) Das von Joham 
verfaßte Leben Adalberts iſt um einige Jahre älter und Bruno hatte die Ar 
beit deſſelben vor fi. Daher Täßt fih die Vorausfegung nicht abweiſen, 
daß er, jedoch mit derjenigen Zurückhaltung, die durch Nothwendigkeit geboten 
war, einen Fehler feines Vorgängers verbeffern wollte. 

Meines Erachtens tft das Geſchenk der Kalferin allerdings — aber er 
nad ihrem Tode — Armen zugewendet worden. Auch glaube ich nicht, daß 
Mönch Johann wiffentlih die Wahrheit verbrehte, fondern er folgte, vente 
ih, einer Veberlieferung, die, wenn auch an ſich unmwahrfcheinlich, feit Tängere 


%) Berk IV, 586 unten flg.: Theophanu imperatrix clam Adalbertum venire feeit, et 
argenti tantum, quantum jurenis Gaudentius (Abalbertd Bruder und Begleiter) vix levar 
posset, pro viatico accipere fecit. Quod (Adalbertus) eadem consequenti nocte par 
peribus fideliter divisit. °) Ibid. ©. 601, Mitte: accipiens vir Dei onus argenti, se 
itineri aut necessitati nil providet, omnia secutura nocte pauperibus expendit. Di 
Sorm auf urus Fann befanntlih die fernfle Zukunft bezeichnen: quid sum miser tum (es 
jüngflen Tage) dieturus, quem patronum rogaturus. 





ach. Gap. 36. Otto'e IIL Verkehr mit Abalbert u. Homnald. Der Grieche Hilus. 613 


jreitet geweien fein mag. Wo Partheien beftehen, werben überall in 
t Thatjachen gefärbt. 
t dem Zeugnifje beider Biographen hat Adalbert nad ver lebten 
ung mit der Kaijerin Rom in der feften Abficht verlaffen, Jeruſalem 
en. Aber ob nicht ſchon damals Zweifel gegen die Aufrichtigfeit der 
in feiner Seele aufgefliegen waren, und ob nicht Andere, die er zu 
men gelernt, ihm den Gedanken eingegeben hatten, vorher einen 
nah Montecaffino, dem Wutterftifte des Benediktinerordens zu 
dem Adalbert ald ehemaliger Mönch felbft angehörte, iſt eine Frage, 
icht verneinen möchte. Bruno fagt: der Weg, den er einfchlug, habe 
Montecajfino geführt. Allerdings geihah es häufig, daß Jeruſalem⸗ 
die von Rom famen, über Montecaffino zogen. Der andere Bios 
tohann von Bannapara, läßt die Frage unentfchieden, indem er einfach 
ſache fefthält, daß Adalbert auf der Wallfahrt begriffen nah Monte 
jelangte. 
t dem Augenblide, da dieß geſchah, entfchlüpfte der Ezeche den Schlingen 
hin. In dem weltgeſchichtlichen Klofter dort oben auf dem Berge 
warme Herzen, welche für die Sade der lateiniſchen Kirche ſchlugen, 
: Köpfe, die für fie wirkten. Durd fie ift ihm der von Theophano 
ne Plan einer Serufalemfahrt ausgeredet worden. Die Gründe, 
eide Biographen den Montecaffinern in Mund legen, haben fider- 
den Ausſchlag gegeben, fie pafjen nit einmal zum @egenftande, 
mung vor zuchtloſem Herumfchweifen der Mönche trifft nicht die 
ten noch den Prager Biſchof, ebenjo zielt der berühmte Ausſpruch 
Hieronymus nicht gegen fromme Reifen, jondern gegen deren Miß- 
Die Kirche hat Wallfahrten ins gelobte Land nie abgerathen, ober 
treiben geſucht. Sobald der Glaube blüht, wird in Vielen die Schn- 
yadhen, das Land und die geweihten Drten zu ſchauen, welde der 
jer durch feine Eörperlihe Anweſenheit verherrliht hat. Gleichwohl 
überzeugt, daß eben jene Gründe namentlih Anfangs dem Czechen 
r gebraucht worden find. 
yem der Abt von Montecaffino den Pilger in feinem Klofter behielt 
andere Gedanken zu bringen begann, unternahm er ein gefährliches 
handelte es fih ja darum, einer mächtigen, rachſüchtigen Kaiſerin ent- 
reiten, ihre Kreife zu durchfreugen. In folden Yälen ift es Regel 
welche große Geſchäfte betreiben, daß man nicht mehr jagt, als was 
hung des Zweckes unumgänglid nöthig ſcheint. Namentlich aber ſchreibt 
heit vor, Diejenigen, auf welche eingewirft werben ſoll, jo zu lenken, 
Das, was fie thun, aus eigenem Antriebe zu thun vermeinen. 
; der czechiiche Fremdling in das Klofter kam, hatten Abt und Brüder 
ntecaffino noch feine Proben feiner Verſchwiegenheit uud Treor | WM 


614 "Geht Gresscind VIL web fein Zeilelker. 


viel gemeinizm genenened Ealı wer Drer gehört dazu, che wmter Us 
känten, wie tie reranägeicgien. rudhultleie Ofrenbeit gezeigt werben lam 
IE vermutbe, daß med eine beiontere Rüdkkr bie fam. Rab wenn 
Dafürbalten barte Aralkert eine telde Gemürhtart, daß er das Gute a 
innerem Adel ter Seele, aus ridrigem Okfüble that, fonft aber arglos wu 
und tie Schlechtigkeit der Meniken nidt kannte. Charaktere ver Urt wol 
mit Rorfikt bebantelt sein, weil man Gefahr lauft, durch Enthüllung de 
nadten Rirflickfeit enrwerer ihr Vertrauen zu verlieren, oder ihnen den Lebent⸗ 
muth zu rauben. 

Tem jei wie ibm wolle: beite Zeugen jagen beſſfimmi aus, daß ter AN 
md tie Mönde von Montecajſino ed waren, welde Adalbert vermochten, ar 
die Rallfahrt in das Morgenland zu verzichten, und alfo einen Plan, den 
die Kaiſerin Theophano offenbar hohen Werth beilegte und für den fie vid 
Geld geipendet hatte, frebögängig madten. Daraus folgt, daß fie in Den, 
was die Griechin beabfichtigte, etwas ſchlimmes, und zwar — da fie unge 
felhaft als Kirhenmänner handelten — etwas für vie lateinifche Kirche Schlimmes 
erblidten. Wir haben alſo hier einen lehten und ſchlagenden Beweis Yafür, 
daß die Kalferin Theophano allervinge tie oben entwidelten Hintergedanlen 
gehegt hat. 

Ehe ich zeigen fann, warum Adalbert — jcheindar wider den Willen 
des Abts von Montecajfino — zu Rilus gelangte, ift nöthig, daß wir lchtern 
ind Auge faflen. Auch von Nilus befigen wir eine Lebensgeſchichte,) tie 
ein griechifcker Zeitgenoffe und Vertrauter in griechiſcher Sprache und mit 
Verftand ſchrieb. Nilus wurde 910 zu Roffano, einem ter Hauptorte dei 
byzantinifchen Calabriens, von Eltern griechiſcher Abfunft geboren. 30 Jahre 
alt trat er in ein Kloſter. Die Etrenge feiner Lebensweije, noch mehr tie 
Gabe Wunder zu thun, welde ihm ter Volksglaube zufchrieb, verfchaffte ikm 
eine Macht über die Gemüther, wie fie häufig ausgezeichnete Elerifer in für: 
mifchen Zeiten erringen. Auch die Großen nahten ihm nur mit Scheue, unt 
bald wurde nicht nur der griediihe Statthalter, fondern fogar der Hof zu 
Eonftantinopel aufmerffam auf ihn. Der Biograph meldet, daß NRilus vie 
Strafe, welche die Einwohner von Roſſano wegen Aufruhrs erleiden follten, 
durch fein Anfehen beim Statthalter abwandte, und daß er einen Ruf nat 
Gonftantinopel ausſchlug. Später wollte man ihn zum Biſchof von Roffane 
machen, aber auch diefe Beförderung wies Nilus zurüd. Kein perfönlider 
Ehrgeiz beherrichte ihn, und doch hat der Abt Nilus eine großartigere Wirt: 
ſamkeit entwidelt, als er vermocdt hätte, wenn er Biſchof, ja Patriarch gs 
worden wäre. 

Um diefe Behauptung zu rechtfertigen, genügt ein Ucberblid der äußeren 


— — 


*) Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. TIL, 1498 fig. 





Siebtes Buch. Cap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romualb. Der Grieche Ritus. 615 


Schickſale feines fpäteren Lebens. Plöglih verließ Nilus feine calabrifche 
Heimath und ging nad Montecaffino zu dem dortigen Abte Aliger, der ihm 
eine feinem Stifte angebörige Zelle, Wallilucium, zwifchen Benevent und 
Capua, anwied. Die Ueberfichlung des Nilus aus Calabrien nad Benevent 
erfolgte ums Jahr 779, alſo um die Zeit, da die Streitigkeiten zwifchen dem 
deutſchen und griechiſchen Hofe den Siedpunft erreicht hatten,‘) weßhalb bald 
darauf der Krieg in Süditalien ausbrad. Der Ort, wo fid Nilus nieberließ, 
lag im Gebiete des Eifenfopfs Pandulf, der eine ſolche Machtſtellung einnahm, 
daß von feinem Beitritt oder Abfall Sieg oder Sturz der griechiſchen und 
deutſchen Oberherrlichfeit über Süpitalien abhing. 

Fünfzehn Jahre blieb Nilus in Wallilucium, dann wanderte er mit 
feiner griehifhen Mönchögemeinde weiter gegen Norden und bezog ein Klofter 
bei Gaeta zwiſchen Capua und Rom. Die Gründe, welde der Biograph 
für den neuen Ortswechſel anführt, find ungenügend, faft- läppiich, die wahre 


Triebfeder erhellt meines Erachtens aus dem Zeitpunkte, in welchen der Wechfel 


fäͤllt. Nilus fam nah Gaeta zwilchen 994 und 995, alfo während des bit- 
terften Zerwürfniſſes zwiihen Pabſt Johann XV. und dem Patricier Cres⸗ 
centius, da jener einmal über das andere Hülfe aus Deutichland begehrte, 
diefer aber, wie ich unten zeigen werde, mit den Griechen wegen eines Bünd⸗ 
niſſes unterhandelte. 

Auch in Gaeta blieb Nilus nicht für den Reſt feines Lebens: gegen 
Ende des Jahres 1004 trat er eine dritte Wanderung und zwar abermal in 
der Richtung auf Rom an. Er fchlug nämlich feine Wohnftätte zu Grotta Fer⸗ 
rata, einem Orte am Latinergebirg, vier Stunden fürlih von Rom, auf. 
Dort ftarb er 1005, drei Jahre nad Otto's III. Tode, im Yöften feines 
Alter. Der legte Umzug ging unter Pabft Johann XVII. vor fid, einem 
Haupte der Kirche, das zum erftenmale feit den Zeiten des Photius in offene 
Gemeinihaft mit den Byzantinern trat. 

Wen die eben angeführten Thatſachen nicht überzeugen, daß Nilus 
Vermittler und Werfmeifter eines engen Bundes zwiſchen dem Stuhle Petri 
und dem Throne von Byzanz war, dem weiß ich den Staar nicht zu ſtechen. 

Es verflößt gegen das deutſche Vorurtheil, daß biefer Grieche in ben 
Kreis der germaniichslatinifchen Welt eindrang, noch mehr Fränft es das ka⸗ 
tholifche Gefühl, zu ſehen, wie Ebenderſelbe Petri Statthaltern den Rath zu 
geben wagte, ftatt ded Kampfes für rechtmäßige aber hart beftrittene Selbſt⸗ 
ländigfeit ruhige und äußerlich behaglihe Knechtſchaft unter byzantinischen 
Schupe zu wählen. Allein man muß die Menſchen nehmen wie fie find, und 
darf die Macht nie vergeffen, welche Erziehung über uns übt. Sicherlich war 
Nilns ein rechtfhaffener Cleriker und wollte in feiner Weile das Gute. Seine 


1) Eiche oben ©. 477 fig. 


616 Ä Pabſt Gregorins VIL und fein Seitalier. 


Gefchichte macht auf mich den Einprud, daß er die Freiheit, für deren Br 
hauptung die römifche Kirche von jeher Fein Opfer jcheute, als eine Ehimän 
betrachtete, welche in dieſer eijernen Welt, wo unabwendbar Betrug und Or 
walt berriche, doch nie verwirklicht werben fünne. Klüger ſchien es ihm, ſich 
den Machtgeboten des weltlihen Arms zu fügen, und innerhalb diejer unbe⸗ 
fiegliden Schranfen jo viet für die Ideen des Chriſtenthums und das Reid 
Gottes zu wirken, ald eben möglid, ſei. 

Und in der That, wenn man die Greuel erwägt, welde die Garlinger 
und nad) ihnen das jächfiihe Haus feit mehr ald 200 Jahren wider den Stuhl 
Betri und Stalien verübt hatten, kann man nicht läugnen, daß der Weltanſchauung 
des Griechen ein gewifjer Schein von Wahrheit zufommt. Angenehmer wäre 
fiherli dad Leben der meiften Päbfte des Mittelalterd verlaufen, und weit 
weniger, als es wirklich der Kal iſt, würde ihre Gedichte einem fortgefehten 
Märtyrertfum gleichen, wenn fie, ftatt ungerechter Gewalt Widerftand zu 
leiften, nachgegeben hätten. Aber dann ftünde auch die lateinifhe Kirche nicht 
fo glorreih da, fie die Tochter des Himmels, welder mittelbar oder unmit⸗ 
telbar das Abendland Alles verdankt, was es an Achter Cultur befigt! 

Da Nilus für den griechiſchen Often wirkte, if klar, daß er das Gegen 
theil Deſſen wollte, was Theophano bezwedte; denn fie arbeitete im Sinne 
eines abendländiſchen Kaiſerthums, das freilih, wenn ed nad ihrem Kopfe 
ging, eine ftarke byzantiniſche Färbung erhalten follte. Kolgli war ihr bie- 
beriger Günftling Adalbert in feindlihe Hände gerathen, ald er nah Walli- 
Iucium fam. 

Richt lange verweilte er dort, denn Nilus fchicte ihn wieder nad) Rom 
zurück an den Abt Leo, der furz darauf ald römifcher Legat in Gallien ver 
Kirche unermeßlihe Dienfte leiftete. Ich glaube, man ift zu der Voraud: 
fegung berechtigt, daß Theophano, als Adalbert wieder nah Rom fam, nidt 
mehr dafelbit weilte. Denn während ihrer Anmwefenheit ihn in die Metro: 
pole zu ſenden, wäre gefährlid für feine Eicherheit gewefen. Angenommen, 
daß er 989 von Rom nad Montecaffino gereist iſt, wird er 990 nadı 
erfolgter Entfernung der Kaijerin die Stadt wieder betreten haben. Wüßten 
wir nicht bereitd aus andern Quellen, daß das Klofter zum h. Bonifacius 
und Alerius damald zu einem Knotenpunkt geworden war, der entjcheidenden 
Einfluß auf die Geſchicke der Kirche übte, fo würde die hohe Bedeutung des 
Stifts aus den beiden Biographieen erhellen. 

Sohann von Canapara jchildert‘) folgendermaßen die Aufnahme, welde 
Adalbert fand: „nahdem Abt Leo die von Adalbert überbrachten Empfehlung: 
ichreiben des Nilus durchgeleſen hatte, forfchte er den gehen, ebe er ihm 
die Hand reichte, aus; denn er war ein Meifter in der Kunft, die Menſchen 





) Perg IV, 588, 


ebtes Buch. Cap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romuald. Der Grieche Rilus. 617 


prüfen. Leo nahm eine firenge Miene an, richtete abgewendeten Blicks 
ıe Menge Fragen an ihn, welche offenbaren follten, weß Geiftes Kind ber 
kömmling fei, machte Schwierigfeiten über Schwierigkeiten, fuchte in bie 
verften Balten feiner Seele einzubringen.” Weiter unten berichtet er dann, 
e Adalbert als Novizenprobe niedrige Dienfte in der Küche und im Speiſe⸗ 
ıle verrichten mußte. | 

Bruno, der andere Biograph, fügt einen merfwürbigen Zug bei: „Adals 
t,“ jagt‘) er, „gewöhnte fi, nie ftilen Gedanken, die in feinem Junern 
fliegen, Raum zu gewähren, fondern Alles, was ihm etwa der böfe Geift 
gab, den Obern zu offenbaren.” Wir lernen bier die Schule kennen, in 
(her die Männer erzogen wurden, die man brauchte, um die großen Ges 
ifte der Kirche in der Gerne und felbftftändig zu betreiben. Nur Solche 
ren hiezu tauglih, für deren unbedingte Hingebung und Eharafterfeftigfeit 
e lange Prüfung Bürgjchaft leiftete. Die um 608 Jahre jpätere Regel 

Geſellſchaft Jeſu enthält ähnliche Vorfchriften. 

An einer andern Stelle fagt”) Bruno über die innern Zuftände des Bo⸗ 
aciuskloſters: „die trefflichften Männer firömten aus Liebe zum Abte in ſel⸗ 
em Stifte zufammen, und zwar nicht minder Griechen als Lateiner. Bier 

erfteren folgten den Vorfchriften des frommen Baftlius, die Latelner ftanden 
er der Regel des großen Benedikt von Nurfla. Mitten unter ihnen wans 
te der Mann Gottes Adalbert, fog die Worte des Lebens ein, die dort 
derfielen, warb oft entzüdt und der höchſten Erfenntniß gewürdigt. . Denn 
nn die heiligen Männer zufammenfamen, war ed, als ob göttliche Funken 
ich einem Regen berabftrömten, die Flamme des Einen entzündete fih an 
: des Andern, himmliſches euer loverte auf dem Altare der Herzen, und 
innerlihe Bewegung zeugte von der Wirfjamfeit der göttlichen Gnade. 
m folcher Art waren Gregorius der Abt, Vater Rilus, Johannes der Gute 
d Kränkliche, Stratus der Einfache, ein Engel in Menjchengeftalt, Johann 
e Gottgelehrte und dabei einer von den vornehmften Männern 
md, Theodor der Schweigfame, Johannes der Schuldlofe, Xeo, der Mann 
ıfältigen Herzens, Freund der Pſalmen und ftetd bereit, dad Wort Gottes 
verfündigen.” Bruno fpricht wie ein Diyftifer, aber aus feinen Sägen 
ht hervor, daß das Stift ein Mittelpunft für Viele war, die nicht nur durd) 
en Eifer für das Reich Gottes ſich audzeichneten, ſondern auch als Prak⸗ 
er eine gewichtige Stellung in der Welt einnahmen. 

Abt Leo fand ferner in unmittelbarem Verkehr mit Pabft Johann XV., 
an ehe er den gewejenen Bijchof förmlich feiner Gemeinde einverleibte, frägt 
erft beim Pabſte an. Wollte man das eigenthümliche Verhältniß des 
tifts in neuerer Ausdrucsweiſe bezeichnen, fo müßte man fagen, Leo und 


*) Ibid. ©. 602, Mitte. 9 Ibid. ©. 603, unten. 


618 Pabſt Gregorins VII. und fein Zeitalter. 


feine Anftalt fei mit Leitung der auswärtigen Angelegenheiten des römifden 
Stuhls betraut geweien. Als um jene Zeit Branfreih den Firchlichen Gehor—⸗ 
fam auffündigt, wird Abt Leo in der Eigenſchaft eines Legaten über die Alpen 
geihidt. Seine Aufgabe it vorzugsweiſe, die ſchwer bedrohte Unabhängigkeit 
des Pabſtthums zu retten, und er löst fie mit ſolcher Geſchicklichkeit, daß ter 
drohende Abfall Franfreihs eine Wendung nimmt, an welche ficherlich Anfange 
feiner der Gegner gedadt hatte, daß er nämlih zu Wiederherſtellung t« 
Kirchenſtaats und pähftliher Macht führt. 

Einer der wichtigften Hebel, den h. Stuhl zu befreien, beftand in Emid⸗ 
tung einer eigenen flavijchen Kirche. Abt Leo kannte dieſes Mittel nicht biet, 
fondern er wandte ed auch und zwar meifterhaft an, denn in der Abficht, ten 
gewefenen Prager Biſchof für feinen apoſtoliſchen Beruf in Slavien vonw 
bereiten, bat er benjelben in das Stift aufgenommen. Aber die flarüt: 
Kirche, über deren Gründung ſowohl Leo al8 Adalbert brüteten, follte mit! 
blos in kirchlicher Hinfiht vom Mainzer Verbande, fondern auch in politiſchen 
Dingen vom deutfhen Reihe unabhängig fein. Die Beftrebungen des Ab 
und die der Kaiſerin Theophano gingen daher, obgleich in einem Punkte zu: 
fammenlaufend, weit auseinander. Dagegen ift Far, daß ſich ver Czeche 
Adalbert unter Leo's Obhut am rechten Orte befand. Denn das Ziel, auf 
das der Abt des Bonifaciusflofters binfteuerte, mußte auch er vernünftiger 
weife wollen und hat es ficherlich gewollt, jobald feine vieleicht Anfangs not 
dunfeln Ideen, geläutert durch die Weltkenntniß des Abt, die nötbige Klar 
heit erlangten. 

Nicht blos den bisher genannten Gebieten, dem neuftrifhen und deutſcher 
Reiche, ven Ländern Polen und Böhmen — und id} füge bei Ungarn — ter: 
dern noch einem andern — dem byzantinifchen Often war der durchdringen 
Blick Leo's zugewendet. Daß der Abt lebhafte Beziehungen zu Dem Grieche 
Ritus, dem geiftlihen Gejchäftsträger des Herrichers Bafllius, unterhielt, er: 
heilt aus beiden Biographieen. Nilus gibt dem Gehen, der im Unfrieher 
aus Montecaffino entflohen zu fein wähnte, Empfehlungsjchreiben an den Akt 
Leo mit, was ein vertrauliches Verhaͤltniß vorausfegt. 

Biograph Bruno zählt unter die ausgezeichneten Männer, welde tus 

Klofter zum 5. Bonifacius zu bejuchen pflegten, insbeſondere den Vater Nils. 
Zugleich gibt er Aufichluß über eine eigenthümliche Einrichtung, welche im 
Klofter Leo's den Wechfelverfehr zwiſchen Lateinern und Griechen alſo ver 
mittelte, daß Verdacht ausgeſchloſſen ſchien. Vermoͤge feiner Stiftung — « 
trug ja den Namen eine griechiſchen und eines abendländiichen Heiligen — 
war das Klofter für Griechen und für Lateiner befiimmt, welche neben einan 
der lebten, jene unter der Regel des h. Bafilius, diefe nad) den Worfchriften 
Benevifts von Nurfia. Indeß deutet Bruno an, der Griechen feien es mu 
pier gewejen, was meines Erachtens zu dem Schlufje berechtigt, daß polit⸗ 


Siebtes Bud. Kap. 36. Otto's III. Berfehr mit Adalbert u. Romuald. Der Grieche Nilis. 619 


her Argwohn Derer, welche die höchfte Gewalt in Rom befaßen, die Zahl 
der Fremdlinge aus dem Oſten befchränft hat. 

Aber obgleich Abt Leo häufigen Verkehr mit Nilus pflog, wäre ficherlich 
die Vorausſetzung irrthümlih, daß Beide in einem wefentlichen Punkte, näms 
lich bezüglich der Stellung des römifhen Stuhls zum byzantinifchen Hofe, die 
nämlihen Anfichten hegten. Die römiſche Kirche, welcher Xeo diente, hat ſich 
gehütet, dem Kampfe gegen abendländifhe Tyrannei ruhige Ergebung in den 
Schutz und folglich in die Willfür des byzantinifchen Hofes vorzuziehen. Sie 
blieb oberfte Hirtin des germantichslatinifchen Weſtens und fnüpfte mit den 
Griechen nur vorübergehend an. Wer wird nun glauben, daß Abt Leo in 
dieſer Lebensfrage von den Anfichten und Zweden der Statthalter Petri abs 
wid! Gewiß fanden feine Gedanken und Handlungen im Einklange mit 
denen der Päbfte. 

Da gleihwohl jene freundliche Beziehungen ftattfanden, fo folgt, daß 
Leo mur bis zu einer gewiffen Gränzlinie Hand in Hand mit dem Griechen 
ging, oder deutlich geſprochen, daß er die byzantinischen Anträge als Keil be 
nüst hat, um etwas Anderes zu erreichen, nämlid um dem deutſchen Herrſcher⸗ 
haufe durch Furcht vor einem völligen Bruche und einem offenen Bündniſſe 
mit dem byzantinifchen Hofe eine gerechte Behandlung des Stuhles Petri abs 
zundthigen. Die Sade ift an fi Far. Wie die Drohungen des Rheimſer 
Concils dazu gebraudht wurden, um die Wiederherftellung des Kirchenftaate 
zu erzwingen, fo follten die Lodungen des Byzantinerd Baſilius als Drittel 
der Dämpfung ſächſiſchen Uebermuths dienen. 

Daffelbe, was von Leo und dem Stifte St. Bonifacius, gilt von dem 
Mutterftifte der Benebiftiner zu Montecaſſino. Diefe Anftalt war eine treue 
Dienerin des h. Stuhles, fie ftand ferner, gleich erfterem Stift, in Verbin, 
dung mit Nilus; gehörte ja doc der Grund und Boden, auf dem er fid zu 
Wallilucium niedergelaffen, den Mönchen von Montecaffino. Dean kann daher 
nicht bezweifeln, daß Letztere diefelben Anfihten, wie Leo, über Gründung 
einer ſlaviſchen Kirche und Roms Stellung zu Griechenland hegten, daß die 
Einen und der Andere Ein und Dafjelbe wollten. 

Kun komme id an Beantwortung einer Hauptfrage. Warum hat, tu 
man doch gleiche Gefinnung in Montecaffino und im Klofter zum 5. Bonls 
factus voraudfegen muß, der Abt des erfteren Stifts nicht den Prager Bis 
hof unmittelbar nah Rom in Leo's Klofter geſchickt, jondern gejchehen laffen, 
daß Adalbert den Umweg über Wallilucium einfhlug Meine Meinung von 
der Sache ift diefe: beide Mebte, der von Montecaffino und von St. Bonis 
facius, waren Unterthanen des Kaiſerreichs und folglich verantwortlid, wenn 
fie dem ausgefprochenen Willen der damaligen Reihöverweierin Theophano 
zuwiberhanbelten. Sie hätten ſich ficherlih, fobald Ihnen ſolche Widerlex 68⸗ 
feit nachgewiefen werben fonnte, empfindlicher Ahndung audgeickt. 


620 - Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


Anders verhielt es fich mit Nilus: er war nicht blos ein geborner Grieche, 

ſondern ftand auch fortwährend unter byzantiniihbem Schutze. Die Zelle Wall: 
Iuchum, wo er wohnte, lag unweit der Bränze des neapolitanischen Kürten 
thums, das dem Throne von Eonftantinopel gehorchte. Alle neapolitaniicen 
Urkunden, die in die Zeit von 980 — 1000 fallen, find im Namen ves Kai: 
jerd Bafilius und mit Beifügung der Jahre feiner Regierung ausgeftelt.') 
Auch wenn Theophano entvedte, daß Nilus ihre Plane durchkreuzte, mußte 
fie einen folden Mann ſchonen, und felbft falls fie nicht auf Die Stimme der 
Vernunft, fondern nur auf die der Leidenſchaft horchte, koſtete es den grie 
chiſchen Abt eine Kleine Reife nah Neapel, und er war gegen ihre Rache 
geſichert. 
Nun bemerke man, wie fein die Sache angelegt if. Laut den Worten 
des Biographen glaubte Adalbert, ald er nah Walliluium Fam, vor den 
Mönden von Montecaffino zu fliehen, wähnte ihr Mipfallen ſich zugezogen zu 
haben. . Sodann traf nur Nilus die Verantwortlichkeit, daß Adalbert nad 
Rom zurückkehrte und das Klofter Leo's betrat. Der Gedanke dieſer That geht 
fcheinbar einzig von Nilus aus. Endlich empfängt Leo den Ankömmling au 
ſcheinend mit großem Mißtrauen, legt ibm die härteften Novizenproben aul, 
nimmt ihn nur nad erfolgter Einwilligung des Pabſts zum Moͤnche an. 
Kurz er fo gut als die Mönche von Montecaffino find nah allen Seiten ge 
deckt. Hätte Theophano die ftrengfte Unterfuhung angeorbnet, fein Schatten 
von Verdacht fonnte auf Jenen oder auf Diefe fallen. Solche Vorfichtemar- 
regeln find unumgänglid, wenn unter deöpotifchen Regierungen große, aber 
den Herrichern mißfällige Dinge ausgeführt werben jollen. 

Sleihwohl waren es die Mönde von Montrcaffino, welde im Einver 
ftändniß mit Abt Lev und dem Pabfte durdy einfache, aber verborgene Mitt 
nicht nur Adalbert von der durch Theophano ihm eingegebenen Wallfahrt ind 
Morgenland abbrachten, ſondern auch ſolche Zurüftungen trafen, daß der 
Prager Bilchof gerade zu Nilus flichen, und daß ferner diefer ihn Ins Klofter 
Leo's befördern mußte, und ficherlih ift im der ganzen Sache fein unnützed 
Wort geſprochen und insbefondere fein fchriftliher Buchſtabe gewechſelt worden. 
Die Elöfterlihen Gejhäftsmänner des Mittelalters beſaßen zum Mindeften 
ebenfo viel Beinheit, als die Diplomaten der heutigen Staatskanzleien, Tir 
mit ſechs Roſſen einherfahren und unſägliches Geld verſchwenden, währent 
Erftere von Brod und Waſſer lebten und feinen Pfenning unnöthig ausgaben. 

Einige Jahre waren verfloffen, feit Leo den ehemaligen Prager Biſchof 
zum Moönch eingefleivet hatte, als böhmiſche Geſandte mit Briefen des Erz— 
biſchofs Willigis zu Rom erfchienen und die Rückkehr des flüchtigen Biſchofs 
forderten. Hier drängt fi die Frage auf: warum iſt Willigis nicht gleich 


— — 





) Man ehe regü neapolitani archiri monumenta UI, 1 fig. Neapoli 1849. 


Siebtes Buch. Cap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u.Romuald. Der Grieche Nilus. 691 


nach der Flucht Adalbert wider ihn eingefchritten, warum wartete er mehrere 
Sahre, bis er that, was ihm feine Pflicht vorſchrieb. Es gibt meines Ers 
achtens nur eine Löfung dieſes Näthfels, nämlich die, daß Willigie fi deß⸗ 
halb gedulden mußte, weil Adalbert mit Einwilligung der Reichsverweſerin 
Theophano Prag verlaffen hatte. Nur nad dem Tode der Lepteren kann 
Die Geſandtſchaft zu Rom angelangt fein, wofür auch andere Thatfachen zeugen. 

Theophano war im Juni 991 geftorben,, ungefähr zu der Zeit, da Aral: 
bert die Mönchsfutte nahm. Kaum fann man voraußfeßen, es ſei dem Mainzer 
Metropoliten verborgen geblieben, daß Adalbert mit Zuftimmung des Pabſts 
feinen Stand gewechſelt hatte. Da Willigis dennoch eine andere Meinung 
ald die vom Pabſte gebilligte geltend machte, drängt fich die Vermuthung auf, 
daß er, auf beſonders günftige Umftände geftüßt, feinen Willen durchfegen zu 
können glaubte. Seit 992 hatten die Verhandlungen zwifchen dem Abte Leo 
als römiſchem Legaten und den Ständen Neuftriend und Germaniens begonnen, 
Verhandlungen, melde zum Römerzuge von 996 und zur Wiederherftelung 
des Kirchenftaatd führten. Im eben dieſer Sache leiftete aber Willigid der 
römiſchen Kirche Dienfte, welche Das, was er bezüglich Adalberts forderte, 
aufwogen. Die Gefandtihaft der Böhmen wird, wie auch Per aus andern 
Gründen vermuthet, in die Jahre 993 oder 994 fallen, da die Vereinbarung 
mit dem römischen Stuhle dem Abjchluß entgegenreifte. 

Warum Willigis fo handelte, wie er gehandelt hat, fft Far. Als Pris 
mas Germaniens mußte er Sorge tragen, daß die Einrichtungen der deutichen 
Kirche und fomit die Verfaffung des Reichs ungeichmälert erhalten werde, daß 
fein Bauernhof der deutfhen Kirche oder dem Neihe abhanden fomme Mit 
gutem Bedacht hatte Otto I. Böhmen dem Mainzer Verband einverleibt. Nur 
wenn dieß fo blieb, war die genannte Provinz dem Reiche gefihert. Deutſch⸗ 
Iand Tann ohne Böhmen nicht beftehen: jeder Verſuch, e8 zu entfremden, möge 
derfelbe ausgehen, von wem er wolle, ift feine Frage der Unterhandlung, 
fondern der Macht, der Schwerter, Lanzen. Aus diefem Gefichtspunfte bes 
trachtete Willigis den Stand der Dinge, und deßhalb erfchienen ihm die von 
Adalbert bezüglich einer unabhängigen jlavifhen Kirche ausgebrüteten Ideen 
als eitel Phantaftereien, und noch dazu als ſtaatsgefährliche Phantaftereien. 

Nicht ohne. Widerftreben bewilligte Johann XV. die Rückkehr des Czechen. 
Sagt ja doch der Biograph, das Verlangen des Erzbiichofs ſei erft er- 
füllt worden, nachdem eine Kirchenverfammlung zu feinen Gunſten entſchieden 
hatte. Auch ging Adalbert nur unter Bedingungen. Dieſelben betrafen, laut 
dem Berichte des einen und des andern Lebendbeichreibers, das Fünftige Bes 
tragen der Böhmen. Johann von Cannapara theilt‘) weiter die wichtige Nach» 
riht mit, Adalbert habe während feines zweiten Aufenthalts zu Prag Vers 


) erh IV, 589. 


622 VPabſt Gregerins VIL und fein Selen. - . - : -  .- 


fuche eingeleitet, Ungarn zu beichren. Hieraus erhellt, daß ſchen 994 Yew 
felbe Blan, der ſechs Jahre fpäter durch Pabſt Sylveſter IL. verwirklicht wur, 
nämlich außer Polen auch dem Reiche Ungarn eine neue kirchliche Werfaffung 
m geben, im Werle war. | 

Die Böhmen hielten die Verſprechungen nicht, welche fie zu Rom burh 
ihre Befandte dem Bifchofe abgelegt hatten. Adalbert war alſo rechtlich fer 
ned Wortes ledig, er Tehrte wieder nad) Rom in Leo's Kloſter zurkd, dert 
befand er ih, als Dtto III. zum Kaiſer gefrönt ward. Abermal drang Gr 
biſchof Willigis beim neuen Pabſte Gregor V. darauf, daß Adalbert ber 
Prager Kirche zurückgegeben werde. „Roc auf der Reife nad Deutichland 
begriffen,“ meldet‘) Abt Johann, „Ichrieb Willigie deßhalb wiederholt Brief 
an den Pabſt.“ Man erficht hieraus, wie Willigis ale einer der erfien bie 
Rüdreife in die Heimath angetreten hat, was ohne Zweifel dazu beitrug, baf 
der Römerzug von 996 fo kurz bauerte. 

Nur mit fhwerem Herzen fügte ſich Adalbert der Nothwendigkeit, Rem 
zu verlaffen. Auch Pabft Gregor V. hätte ihm gerne den fauren Schritt er⸗ 
fpart. Zulegt eröffnete er ihm einen Troft, auf den der Czeche den hoͤchſten 
Werth legte. Scheidend ſprach, laut dem Zeugnifie”) Bruno’s, Gregorins V. 
zu Moalbert: „wenn bu nicht nad) Wunſch unter ven Böhmen wirken kauf, 
magft du das Evangelium unter heipnifchen Slaven prebigen.” Das eben war 
es, was Adalbert begehrte, und worauf fein langer Aufenthalt in Rom ab» 
zielte: päbſtliche Vollmacht zu Gründung einer flavifchen Kirche. In Gefeh- 
ſchaft des LKütticher Biſchofs Notfer ging er über die Alpen zurüd.*) 

An die Stelle Adalberts im BontfactussKlofter trat fofort ein Anderer 
von noch edlerer Geburt, demfelben Berufe ſich widmend, doch Fein Slave, 
fondern ein Germane. Bruno, aus einem mit dem berrichenden Haufe ber 
Dttonen verwandten Geſchlechte ftammend, das im zwölften Jahrhundert dem 
deutichen Reich in der Perfon Lothars einen Kaiſer gab,*) wurde von feinem 
gleihnamigen Vater in die Magveburger Domſchule geſchickt, wo er Wdalbert 
von Prag kennen gelernt haben fol, und mit dem nachmaligen Bifchofe und 
Gefchichtfchreiber Thietmar von Merfeburg zufammenlebte. Später berief ihn 
Otto IT. in den Hofdienſt, & h. beftellte ihn zum Gapellan,‘) und allem 
Anſcheine nad) begleitete Bruno den jungen Kalfer auf dem .Römerzuge von 
996. Aber er blieb nicht in Otto's III. Umgebung. 

Cardinal Damiani berichtet) in der Lebensgeichichte des h. Romualt, 
Bruno fei in einem dem alten Märtyrer Bonifacius gewidmeten Klofter Mönd 
neworden. Das Beiwort: „der alte” foll offenbar den römiſchen Märtyrer 
Bonifacius, der im vierten Jahrhundert lebte, von dem um 400 Jahre fü 


*) Ibid. ©. 591. 9) Ibid. ©. 604 fig. 3) Ibid. ©. 591. *) Berk IV, 578 
vergl.Ymit IILTBS3 fig. ) Verg IV, 860, Mitte. 


Buch. Gap. 36. Otto's II. Berlcht mit Adalbert u. Mommald. Der Grieche Rilus. 623 


ngelfachien, dem Apoftel der Deutfchen, unterfcheiden. Daß unter dem 
. in welches der Sache Bruno fih aufnehmen ließ, das und wohl 
:, von Abt Leo geleitete verftanden werben müſſe, erhellt) aus einer 
ver Lebensgeſchichte Adalbertö, wo Bruno deutlich auf fein Verweilen 
üfactussKlofter unter dem Abte Johann von Cannapara hinweist, wels 
" Nachfolger Leo's wurde und felber im Herbfte 1004 flarb.?) Später 
runo, wie unten gezeigt werben foll, in ein anderes Kofler über. 
ufenthalt in Rom hat bleibende Früchte getragen. Bruno, einer ber 
Menſchen jener Zeit, trat in die Fußſtapfen des 5. Woalbert und 
gleih ihm als Märtyrer der flavifchen Kirche fein Leben. 
Igen wir zunähft dem heimfehrenden Prager Biihof. Johann von 
ara fagt,”) im zweiten Monate nach der Abreife aus Stalien ſei Adal⸗ 
ever mit Kalfer Otto II. zufammengetroffen und zwar in Mainz. Urs 
war Dtto den 15. September zu Ingelheim, kurz vorher oder nad» 
d er au Mainz geweien fein und den Beſuch Adalberts empfangen 
Ein inniges Verhältniß entipann fich zwifchen Beiden. Der eine Bio: 
jeldet,“) Adalbert habe viel mit dem Kaiſer gebetet und ihn ermahnt, 
igfeit eingevenf zu fein, der Andere fügt bei, daß Dtto, von Natur 
rtet, Zuneigung für den Czechen faßte. Diefe Oefinnung mag mits 
haben, daß Adalbert der Rückkehr nad Prag enthoben ward. 
er noch ein anderer bringenderer Grund fam Binz. Die Nachricht 
is Böhmen ein, daß auf Befehl des Herzogs Brüder und Verwandte 
8 ermordet worben fein. Den Anlaß diefer That fchildert) Bruno 
albert hatte fünf Brüder, tapfere Eolvaten. Ber ältefte verfelben, (der 
ı Zeugniffe‘) Thietmars Zebislaw hieß), trat in Otto's TIL Krieg» 
ſchloß überdieß fpäter Freundfchaft mit dem Polenherzog Boleslaw 
‚ auch erhob er am Faiferlihen Hofe Klage über Gewaltthätigfeiten, 
er böhmiſche Herzog — er hieß, gleih dem Polen, Boleslaw — an 
ft und den Eeinigen verübt hatte. Aus Race hiefür ließ ver böhs 
Jäuptling vier Brüder Moalberts umbringen und zog ihre Lehen ein.“ 
Bt, er behandelte fie als Hochverräther. 
r Böhme fonnte nicht wohl darüber zürnen, daß Adalberts Bruder 
Dienſte nahm, denn Böhmen fand unter deuticher Hoheit: ein Ver⸗ 
welches eingeborne Edelleute berechtigte, im kaiſerlichen Heere zu 
Das aber wird dem Herzog gewurmt haben, daß Zebislaw mit dem 
cch einließ und noch mehr vielleiht, daß er foldes mit Einwilligung 
jen Kaiſers that. Denn die Art, in welder Bruno den Hergang 
geftattet Faum eine andere Deutung, als die, daß letzteres der Fall 


ap. 17. ibid. ©. 603 vergl. mit ibid. cap. 27. ©. 609. *) Ibid. ©. 575. 
5. 591. *) Ibid. ©. 592 unten fig. ©) Ibid. ©. 606. ©) VL, 9. Pay 


A. Beh Gregerind VIE. unb fein Sellalier. Eu 1227 


gewefen fei. Man ficht alle: noch che Adalbert felber mach Pelen ein, 
hatte fein ältefter Bruder Partei für den großen Fürſten ergriffen, ver de⸗ 
mals Polen beherrſchte, und der Böhmenherzog erbliäte in fänmmetlichen Ungeh- 
rigen Mitſchuldige dieſes Schrittes. Weiter muß man willen, baß ver ni 
liche Bole Boleslaw, für den Adalbert ald Glerifer umb Zebiſslaw als Gelkei 


wirkte, feit dem Jahr 1000 die Ideen, welche längft ven Prager Biſchof beſch⸗ 


tigten, zu verwirklichen begann, daß er mit Adalbert und Anderer Gäffe eu 


felbfländige Kirche in Slawien aufrichtete, und weiter ein von Germanien w⸗ 
abhängiges Königreich Polen nicht ohne Dito’d8 II. Zutbum gründete. Di 
Geſchichte gibt ihm den Beinamen Ehrobry, d. h. der Kühne. 

Ehe Adalbert einen neuen. Wirkungefreis im fernen Oſten fand, wnkr- 
nahm er — wahrſcheinlich im Herbfte 996 — eine Wallfahrt nach verſche⸗ 
denen Heiligthümern des Weftene. Laut dem Zeugniffe‘) Johannes von Ger 
nayara reiöte er zu Fuß nad Tours, um dort den Reliquien bes 5. Mar 
tinus, dann nad Fleury, um dem Grabe des 5. Benebilt feine Ehrfurcht zu 
bezeugen. Der andere Biograph, Bruno, fügt?) noch zwei weitere Orte bei, 
nämlih Paris mit dem Grabe des Areopagiten Dionyfins, und St. Maurer 
der Loire mit dem Körper des h. Maurus. 

Daß Abalbert außer ven Todten auch der Lebenden nicht vergaß, kam 
man aus dem Beſuche zu Fleury fchließen, wo damals Abbo weilte, ber für 
den. gleichen Zweck, welchem Adalbert fein Leben geweiht hatte, nämlich für 
Verherrlichung und Befreiung der Kirche, eben um jene Zeit Außerordeniliches 
leiftete. Sollte Adalbert Elugny zur Seite gelaffen haben? Beide Biograpben 
ſchweigen, möglicherweife nicht darum , weil ber Czeche das hochberähmte 
Klofter umging, fondern vielmehr deßhalb, weil, obgleih Adalbert Odilo's 
Stift wirflih heimgeſucht hatte, Kirchlichgefinnte fih zu Anfang des eilften 
Jahrhunderts, wie nachher gegen Ende deſſelben Zeitraums, hüteten in Schrif⸗ 
ten, die für gemifchte Lefer beſtimmt waren, einen Ort zu nennen, befien 
Ramen mande vornehme Herren nicht gerne hörten. 

Rah Beendigung der Wallfahrt Fehrte Adalbert an das kaiſerliche He 
lager zurüd, nahm Abſchied von Otto III. und ging nun zu Herzog Boles— 
law dem Kühnen nah Polen. Dort angefommen, muß er den Gnticluf 
ausgefprochen haben, unverweilt dad Werk der Belehrung heidniſcher Slaven 
zu, beginnen. Obgleich Boleslaw ihn Iieber bei fih im Lande behalten hätte, 
wollte er Adalberts Willen nicht durchkreuzen. Er gab ihm 30 Bewaffnete 


| 


zur Bedeckung und ein Schiff, auf welchem der Heilige die Weichjel hinunter | 


nad der Seeftabt Danzig fuhr. Nur zwei geiftlihe Gehülfen begleiteten ihn, 
fein Bruder Gaudentius und der Priefter Benedikt. Sie verweilten einige 


Tage in Danzig, wo Adalbert viel Volk taufte. Dann ſetzte er über das | 





*) Berh IV, 592. 5 Ibid. ©. 606. 


1 Buch. Gap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romuald. Der Grieche Nilus. 625 


nad der Küſte von Samland über, flieg dort aus, fandte das Schiff 
ie bewaffnete Bedeckung zurüd. 
Sein erfted Zufammentreffen mit den heidniſchen Preußen war unbeils 
jend: er wurde mißhandelt, gefchlagen, mußte mehrmals flüchten. Als 
»s Tags mit feinen beiden Gehülfen auf einem Felde ausruhte, das vie 
ı al8 ein heiliges verehrten, fiel ein Haufe wüthender Preußen über 
mbboten her und band fie. Aufrechtfichend und betend empfing Adal⸗ 
en töbtlihen Streih aus der Kauft eines Göbenpriefters, Andere durch⸗ 
ı bie Leiche und trennten den Kopf vom Rumpfe. Dieß geihah ben 
pril des Jahre der Gnade 997. Die beiden Begleiter wurden aus 
on den Mördern verfhont, um ein Löfegeld zu erprefien. Als der 
jerzog Kunde von dem Tode Adalberts erhielt, erfaufte er die Gebeine 
iligen um fchweres Geld‘) und ſetzte fie in Gneſen bei. Stawien hatte 
Märtyrer und damit war viel gewonnen. Vier Jahre fpäter ftanden 
undriffe einer polniichen Kirche fertig da. 

dalberts Geſchichte Tiefert ven Beweis, daß, bevor Gerbert in Berüh- 
nit Otto III. fam, die Ideen, welche feit dem Jahre 1000 in Ungarn, 
und Stalfen verwirklicht zu werben begannen, tbeild im Schooße der 
ben Familie, theild in andern Kreifen Feimten. Nicht Gerbert hat fie alfo 
n ober audgebrütet, ſondern fie find allmählig und auf naturgemäßem 
entſtanden. Nur MWilligis von Mainz arbeitete den Abfichten Adalberts 
n, der Pabft und der Kaiſer haben fein Vorhaben ſchon im Sommer 
ilb und halb gebilligt, und 8-9 Monate fpäter ertheilte Dtto dem 
‚ vol Bewunderung für ihn, Erlaubniß, Prag aufzugeben und nad) 
zu dem Herzoge Boleslaw zu ziehen. Daraus folgt, daß das Ziel, 
der Ezeche verfolgte, in irgend einer Weile mit den eigenen Gedanken 
iſers zufammentraf, genauer geiprochen, daß Dtto III. fchon vor feiner 
ung mit Gerbert im Wefentlichen diefelben Gedanken hegte, zu deren 
rung er im Sahre 1000 ſchritt. Wer hat fie nun dem jungen Kaiſer 
yen, der 996 faum 16 Jahre zählte, und abgefehen von feiner Jugend, 
jähigkeit beſaß, große politiihe Plane zu entwerfen. Ohne Zweifel 
feine Mutter, die Griechin. 

8 Adalbert um 988 aus Prag entwich, gefhah dieß, wie wir wiffen, 
me Billigung der Kaiſerin Theophano. Deutliche Anzeichen find vor- 
daß fie ven Gedanken hegte, Prags und Böhmens geiftlihen Ber- 
ft Mainz aufzulöfen und eine 'eigene Slavenkirche zu errichten, nur 
ie vorher den Biſchof in eine Schule ſchicken, welche Andern nidt 
veßhalb diefer Theil des Planes durch die ebengenannten Andern, dem 
der Kaiſerin zu Troß, befeitigt ward. Noch früher find wir da’ und 
bid. ©. 593 flg. 607 fig. 

zer, Pabſt Sregorius VI. Br. V, X 


626 Pabſi Gregorins VIL und fein Seitalier. 


dort auf zerftreute Ericheinungen geftoßen, welche verrathen, daß Theophau 
wichtige Reuerungen im Schilde führte. 

Unter ihrer Eimwirfung hatte Kailer Otto IL auf dem Beronefer Reit 
tage von 983 den italieniihen und flaviihen Yürften, die im Reichsverbande 
ftanden, gleiche Rechte mit den deutihen Großen ertheilt. Unter ihrem Eis 
fluſſe war es geichehen, daß der Wälſche Johann von Ravenna furz nachher 
den unmünbdigen Nachfolger zu Aachen Frönte. Bon ihr fortgeriffen war Dtte II. 
980 nad Stalien gezogen, hatte fih in den calabriihen Krieg geftürzt, und 
feinen Aufenthalt drüben jo verlängert, daß biefjeitd der Alpen allgemeint 
Unzufriedenheit entftand. Reichsregentin nach dem Tode Otto's II. geworben, 
berief fie wiederholt wäljhe und flaviihe Große auf deutiche Reichstage um 
fchenfte ihr Vertrauen vorzugsweiſe Stalienern, dem Tuscier Hugo, dem Ca 
Iabrefen Johann, Abte von Ronantula und Erzbilcofe von Piacenza; weit 
ichlug fie zweimal — von Ausgang 983 bis zum Sommer 984 und banı 
wieder von 988 bis 990 ihren Wohnfik in Rom auf, endlid legte fie kai 
verfchiedenen Anläffen unverbolene Abneigung wider Deutichland und die 
Deutihen an den Tag, eine Abneigung, die andererſeits reichlich vergolten 
worben iſt. 

Im Angefiht diefer Thatfahen kann über ihre letzten Abſichten Fein 
Zweifel obwalten. Germanien war bis dahin ein Herrenland, die bezwunge⸗ 
nen Slaven und Staliener waren Unterthanen des Reiches geweien. Das 
gedachte Theophano abzuändern, Deutfchland ſollte gleih dem oberelbifchen 
Efavien, gleih Böhmen, Polen, Ungarn, ja auch gleih Gallien, deſſen auf 
feimende Dynaftie die Griehin mit großer Anftrengung niederzuringen jucte, 
in eine Provinz verwandelt, der Sitz des Reiches aber nah Stalien verlegt 
werden. 

Nun eben dieß hat Dtto III. feit dem zweiten NRömerzug ind Werk zu 
jegen geftrebt und die von ihm begonnene Ausführung zeigt, verglichen mit 
den Ideen der Mutter, nur darin einen allerdings wefentlihen Unterſchied, 
daß die wunderbar geſchickte Hand eines Dritten neben dem neurömifcen 
Kaiſerthum einen freien Pabſt einfchob, welhe Zuthat — abgefehen von ans 
dern Unmöglichfeiten, das Unternehmen Otto's zu einem kindiſchen ftempelte, 
ed ganz in die Luft ftellte.e Aber auch hiebei fam an den Tag, daß bad, 
was der Dritte — pämlich Gerbert over Eylvefter II. — that, Teineswege 
eine Frucht bloßen Uebermuths und der Willführ, fondern eine durch die Roth; 
wenbigfeit der Dinge gebotene Gegenmaßregel war. Stets und in allen 
Lagen vermied es die Kirche, angriffsweife zu verfahren, vielmehr beſchränkte 
fie fih immer auf Abwehr ungerechter Gewalt, jedoch fo, daß die Weife der 
Bertheidigung durch die eigenthümliche Art des Angriffe beftimmt wurde. 

Außer dem Czechen Adalbert Fam Kaifer Otto III. um diefelbe Zeit noch 
mit einem andern Haupte des Möndthums in Berührung, deſſen Geſchichte 


Siebtes Buch. Cap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romuald. Der Grieche Nilus. 627 


hier einzufügen ber rechte Ort if. Ums Jahr 907 wurde aus einer Ras 
nilie, deren Mitglieder dad Herzogthum in Ravenna, d. h. die Würde päbſt⸗ 
iher Statthalter bekleideten, Romuald geboren.) In feiner Jugend Iebte er 
usſchweifend, bis eine ſchwere Unthat, welche fein näcfter Angehöriger bes 
ing, ihn zu dem Entichluffe bewog, die Welt zu verlaffen. Aus Anlaß eines 
Stbftreites hatte Romualds Vater einen Stammftppen erfchlagen. Obgleich 
Romuald nicht betheilige war, machte das Verbrechen ſolchen Einprud auf 
bn, daß er fih in das Stift zum h. Apollinaris in Ravenna begab, um bie 
sierzigtägige Buße, welche der Kirchliche Brauch Todtſchlägern vorfchrieb, zu 
jeftehen. Gin Laienbruber forderte ihn auf, die Kutte zu nehmen. Nur nad) 
ängerem Widerſtreben gab Romuald nah, übte feitbem alle Pflichten eines 
Mönchs und ermahnte Brüder, welche die Regel nicht gleich gewiffenhaft bes 
'bachteten, fo ernſt und nachdrücklich, daß fie töbtlihen Haß auf ihn warfen 
ınd ihm fogar nad dem Leben trachteten. 

Notbgedrungen verließ Romuald das Klofter, und floh zu einem Ein- 
iedler im venetianiichen Gebiete, Namens Marinus, bei dem er überreiche Ges 
egenheit fand, fi in der Selbftverläugnung zu üben. Marinus war ein Hei⸗ 
iger ſeltſamer Art, der drei Tage in der Woche nichts ald Brod und Bohnen, 
ie vier übrigen einen Trunf Wein und Maisbrei genoß, und jeden Tag den 
‚anzen Pfalter abfang : zwanzig Pfalmen unter einem Baume, dreißig unter 
inem andern, und fo fort, bis die Sonne niederſank. Romuald mußte mit 
ngen, und wenn er einen Fehler machte, was Anfangs häufig geſchah, fchlug 
yn der Einſiedler mit feinem Steden auf das Iinfe Ohr, daß er faft das 
zehör auf demfelben verlor. Er bat daher den Greis, Ihn von Nun an 
eber auf das rechte Ohr zu ſchlagen. Diefe Geduld entwaffnete die Strenge 
es Alten, 

Eine Umwälzung, die zu Venedig ausbradh, bewog die beiden Einftedler, 
n Sahre 979 ihre Heimath zu verlafen und nad den Pyrenden überzus 
eveln. Peter Candiani IV., feit 959 Herzog von Venedig, ein ehrgeiziger 
nd fählger Fürft, hatte feine Gemahlin Johanna verftoßen, drauf im Jahre 
72 Waldrada, eine Schwefter des Marfrafen Hugo von Tuscien, geehlicht, 
ie ihm große Güter auf dem Feftlande und viel Geld als Mitgift beibrachte. 
Seitdem warb er Söldner, vergrößerte feine Macht nah allen Seiten und. 
ing, unverfennbar im geheimen Bunde mit Katfer Otto IL, darauf aus, bie 
3erfaffung des Staats umguftürzen, und fih, gegen Anerfennung beutfcher 
Iberhoheit, zum unbefchränften Gebieter feiner biöherigen Mitbürger aufs 
ıwerfen. 

Eine Parthei bildete ſich gegen ihn, die auf Gelegenheit Tauerte, welche 
n Sahre 976 kam. Die Verfchworenen zündeten die an des Herzogs Pas 


*) Die Belege bei Gfroͤrer, Kicchengefchichte III, 1573 fig. 
RR 


628 Vabſt Gregorins VIL und fein Sellalter. 


laſt floßenden Gebäude an, ermordeten ihn ſelbſt fammt feinem Sehne, m 
erhoben dad Haupt der Gegenparthei, Peter Urfeolus, zum Herzog.') la 
tiefer konnte fi nur kurze Zeit halten. Der Sohn Gandianfs ans erfer 
Ehe, Bitalianus, vom Vater zum Patriarchen von Grado und Benebig cu 
geieht, war gleich nad der That an den Hof Otto's TL nad; Dentfchlan, 
Gandiani’s Wittwe, Waldrada, war zu der Kaiſerin Mutter Adelheid geflohen, 
die damals zu Piacenza weilte, und beide hatten durch Ihre Klagen burger 
feßt, daß Urfeolus einen Bertrag?) eingehen mußte, welcher ber Republlik ie 
Nothwendigkeit auferlegte, die Wittwe zu entſchädigen. In WBenebig felhk 
nahmen die Anhänger des gemorbeten Banviani, dv. h. bie bentichgeflust 
Barihei, eine fo drohende Stellung gegen Urſeolus ein, daß er für fein Lehen 
fürdten mußte. 


Während der neue Herzog ſich in diefer bebrängten Lage befanb, fam | 


Warin, Abt des St. Michaelflofters zu Cuſan, im Sprengel von Perpignan, 
— wie behauptet wird, auf der Rüdreife von einer römiihen Wallfahrt be 
griffen — nad) Venedig, und bot dem unglüdlichen Herzog eine Yreifätte in 
feinem Stifte an, vefien weite Entfernung ihn gegen jede That der Rade 
fiher ſtellte. Urfeolus nahm das Anerbieten an, den 1. September 979 ver 
ließ er heimlich Benedig und floh nad Eufan. Der ältefte Chronik von 
Venedig, jüngerer Zeitgenofie, behauptet,‘) daß der Abt ſelbſt es war, ber 
den Herzog in der Lagunenſtadt abholte. Cardinal Damiani aber, fonft in 
gutem Ginflang mit dem Chroniften, fügt‘) die Nachricht bei, die beiden Ein 
ſtedler Marinud und Romuald hätten den geflüchteten Herzog nach den Py—⸗ 
renden begleitet. 

Doge Peter Drfeolo war ein audgezeichneter, um die Freiheit feiner 
Vaterſtadt hochverdienter Mann, deſſen Verhältniſſe jedoch blos durch genaue 
Erforfhung der Geſchichte Venedigs aufgehelit werden Eönnen. Hier nur le 
viel: der Plan, ihn gegen die Rache ungerechter aber mächtiger Widerſacher 
ficher zu ftellen, ging von Rom aus, und eben dort iſt auch dem Abte Warin 
und ben beiden Einſiedlern Marinus und Romuald die Rolle vorgezeichnet 
worden, bie fie bei Rettung des Dogen übernahmen. 

Der flüchtige Herzog trat als Mönch in das Klofter Eufan ein, Marinus 
und Romuald feßten in der Rähe ihr Einfiedlerleben fort. Schnell erlangten 
fie hoben Ruf, denn unerbittlich fireng gegen fich felber, nahmen”) fie fich des 
gemeinen Mannes gegen die Bedrückungen Vornehmer an, und nötbigten 
reihe Sünder zur Buße. Unter Anderm erzählt) Damiani: „der Graf des 
Bezirks, dem das Klofter Cuſan angehörte, beichtete eines Tags feine Eün 
den dem 5. Romuald, ver das Bekenntniß fo belaftenn fand, daß er dem 


) Perg VII, 25 fig. vergl. mit Vita Romualdi ibid. IV, 848. *) Lebret, Geſchichte 
von Venedig I, 221, Mabillon, acta Sanctorum ord. 8. Bened. VI, a, ©. 254, 


Siebtes Buch. Cap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romuald. Der Grieche Ritus. 699 


Grafen erklärte, feine Seele fei ewig verloren, wenn er nicht für den Reſt 
feiner Tage Buße in einem Kloſter thue. Widerſtrebend beugte ſich ver 
Reuige unter dad Gebot der Religion, verließ feine Burg, ging nach Italien 
und nahm die Kutte auf Montecaffino.“ 

Nach einem mehrjährigen Aufenthalte bei Eufan erhielt Romuald 
die Nadriht, daß fein Vater, der nad vollbradtem Todtſchlag gleichfalls - 
Mond geworden war, überbrüfftg des enthaltfamen Lebens, dein Klofter den 
Rüden ehren wolle. Alsbald faßte er den Entichluß, in die Heimath zurüds 
zufehren, und ven Vater abzuhalten. Aber die Bevölkerung von Eufan wider⸗ 
ſetzte fi feiner Abreife, weil fie die Anmefenheit des Heiligen im Lande für 
einen Segen des Himmeld hielt. Mit Lift riß er ſich los, eilte nad Ravenna, 
nöthigte den Vater, nicht ohne Anwendung heroiicher Mittel, im Klofter zu 
bleiben.) Romuald gründete feitvem Klöfter an verſchiedenen Drten Staliens 
und Damiani meldet, Markgraf Hugo von Tuscien babe ihm für ſolche Stifs 
tungen eine anfehnlihe Summe angewiefen. Obgleich Wohlthäter ver Mönde, 
war Romuald bei dem Stande verhaßt, weil er unerbittlih auf Zucht drang. 

Co fam die Zeit heran, da Otto III. über die Alpen rüdte. Während 
der deutſche Herricher zu Ravenna war, vernahm er, daß das fonft berühmte 
Apollinarisftift in Elaffe, einem fleinen, wenige Meilen füblih von Ravenna 
gelegenen Drte, in Verfall gerathen ſei. Otto III. beſchloß, dafjelbe wieder in 
guten Etand zu bringen, und fah fih nad einem tauglihen Abte um. Man 
ſchlug ihm Romuald vor, der jedoch die Würde nur nad langem Sträuben 
annahm. Dieſe Begebenheit jcheint in den erften Römerzug Otto's, aljo in 
das Frühjahr 996, zu fallen, denn urfundlich fteht fe, daß Dtto im Mat 
des genannten Jahres zu Ravenna weilte.) Nicht lange behielt Romuald 
das übertragene Amt. Weil die Mönche, murrend über das firenge Regiment 
des Abts, Meutereien erregten, verließ er das Klofter, eilte an den Faijerlichen 
Hof, und legte feinen Hirtenftab vor Otto's IM. Füße nieder. Das wird 
wohl 998 während des zweiten Römerzugs gejchehen fein. 

Kurz darauf erfcheint Romuald an der Spige eined andern, gleichfalls 
in der Nähe von Ravenna befindlichen Klofterd, das er auf der 12 ital. Meilen 
von genannter Stadt entfernten Flußinſel Pereum errichtet hatte.) Hier 
treten die erften Epuren hervor, daß Damiani die Plane des Czechen Adalbert 
aufnahm, gleih ihm für Errihtung einer unabhängigen Kirche in Slavien 
und Ungam wirkte. Zu Pereum fammelten fi nämlid Mönche um ihn, 
die fpäter als Bekehrer Polens und Ungarns fih ausgezeichnet und zum 
Theil diefer Sache ihr Leben geopfert haben, wie Johann und Benedikt, welde 
uam 1003 in Polen ermordet wurden. Außer ihnen findet man jogar einen 


*) Sfrörer, Kirch. Gefch. III, 1574 fig. °) Böhmer, rogest. Nr. 766. ) Vira 
Romualdi cap. 31. bei Mabillon a. a. D. VI, a. ©. 257, 


630 Baht GEregerins VIL. unb fein Sellalter. 


—— Sohn des Polenherzogs Boleslaw als Mönch in der Bemeisk 

auf Bereum. Etliche Jahre fpäter — um 1000 — fam and der Eadk 
Bruno, der, wie ich früher zeigte, im Stifte Leo's am aventiniſchen Berg 
das Moͤnchsgelübde abgelegt hatte, nad dem Inſellloſter Romualve. Bar 
Bereum aus bat Bruno um 1004 feine Belehrungereiſe nad) Sarmatien 
angetreten.) 

Kein Zweifel kaun fein, daß Kaiſer Otto III. die Beſtrebungen, welhe 
von Pereum ausgiengen, im Wefentlichen billigte. Damiani erzählt‘) be 
Kaiſer habe um 1001 auf Bitten Romualds zu Ehren des Heil. Adalben 
von Prag zu Bereum ein eigenes Stift erbaut, das mit Gütern reichlich au 
geftattet worden fei, die Abtſtelle erhielt ein Schüler Romualve. Der Nam 
des Patrons weist darauf bin, daß die Bewohner des Stifte ſich nah ii 
Kaiſers Abficht dem apoftoliichen Berufe der Befchrung öftliher Helden wir 
men follten. Durch dieſe Anftalten wurde Ravenna ein kirchlicher Kueınz 
‚punkt nicht nur für Polen, fondern auch für Ungarn Bon Bereum ans 
wanderte Romuald ſelbſt um 1010 in lehtgenanntes Land hinüber, um bi 
durch deutſche Politik bedrohte Unabhängigkeit der ungarifchen Kirche zu wahren. 
Auch hat Ungarns erſter chriftliher König Stephan I vie Wichtigkeit Rawen 
na's thatfächlic anerkannt, indem er daſelbſt eine Herberge für magyariſche 
Priefter gründete,?) die nad Rom reifen würden. 

Ich werde unten von den Thaten, welche Romuald nad Dito’s Il. 
Tode außerhalb Italien verrichtete, an pafiendem Orte handeln. Hier iR es 
meine Aufgabe, das Bild feines Charakters zu vervollftändigen. Gleich den 
Oberäbten von Elugny, rief er eine ganze Congregation von Möndheftiften ind 
Leben. Deßhalb blieb er nie lange an einem Orte, jondern erfchien bald va 
bald dort, neue Klöfter errichtend, ältere reformirend. Nur auf dem Berg 
Sitria — unfern dem Schloſſe Saffoferrato*) zwifhen Urbino und Fuligno — 
wo er gleihfals eine Abtei geftiftet hatte, harrte er gegen 7 Jahre aus. 
Damiant jagt:*) „jo groß war der Eifer, der in der Bruft des heil. Mannes 
glühte, daß er nie von Dem, was er gethan, befriedigt, bald wieder Neues 
unternahm. Es ſchien, als ob er die weite Welt in Einflebeleien verwandeln 
wollte.“ 

Unter den vielen Pflanzfchulen, die er ſchuf oder erneuerte, wurbe nad 
feinem Tode Camaldoli die wichtigſte und Haupt‘) der übrigen, ähnlich wie 
Clugny für die Klöfter des Elugniacenfer Vereins. Der Ort liegt‘) im Ge⸗ 
biete von Arezzo auf den Bergen, die Tuscien von ber Romagna fcheiden. 
Eine Urkunde vom Jahre 1027 nennt ihn Campus Malduli; Damiani felber 


1) Gftörer, Kirch. Sefch. ILL, 1576. N) Daf. ©. 1545. 3) Mabillon, annal. ord. 
8. Benedicti IV, 275. *) Bfeörer, a. a. D. III, 1579 fig. +) Man vergl. Mabillen, 
annal. ord. S. Bened. IV, 339. 


btes Buch. Gap. 36. Otto's III. Verkehr mit Adalbert u. Romuald. Der Grieche Nilug. 631 


rt ihn unter dem Namen Aqua-bella auf. Bon dieſem Hauptitifte 
pfiengen Romualds Schüler und Nachfolger ihre fpätere Bennenung. 

Die Lebensweije ver älteren Camaldulenſer zeichnete‘) fih durch folgenve 
jenthümlichkeiten aus: jeder Bruder bewohnte fein eigenes, von den undern 
rennted Häuschen; zufammen bildeten diefe Wohnungen, in Straßen abges 
it, eine Heine Stadt. Das Ganze umfchloß eine Mauer; außerhalb der⸗ 
ven befanden fi die Wirthſchaftsgebäude, von wo aus den Brüdern burd) 
ne, dem Klofter verpflichtete, Diener aus dem Lulenftande Färglihe Koft 
eiht ward. 

Stillſchweigen war eine der wichtigſten Obliegenheiten des Camaldulenſer 
snhe. Doc fcheint das Maas dieſer Laft anfangs nicht genau geregelt 
vefen zu fein. inige ſprachen zwo Waftenzeiten lang fein Wort, Andere 
idert Tage. Ebenfo verpflichtete Romuald die Seinigen zu harter Enthalts 
ikeit. Wleifch durfte gar nicht über die Lippen des Camaldulenſers fommen. 
Ber der großen Faftenzeit wurde mehrere Tage der Wode nur Waffer 
»Brod genofjien. Weibern war der Zutritt in Eamaldulenfer Klöfter unters 
t. Nur zu den canonifhen Stunden famen die Brüder im gemeinfchaft- 
en Bethaufe zufammen, um ihre Andacht zu verrichten; ſonſt lad, betete, 
jeder einſam in feiner Zelle, ganz der Beſchaulichkeit hingegeben. Wäh- 
d andere Mönche damald Kutten aus dunklem Stoffe trugen, führte Ro» 
ald, ohne Zweifel ald Zeichen innerer Reinheit, weiße Tracht ein. 

Die Einrihtung des Eamaldulenfer Moͤnchthums follte das alte ägyp- 
be Einſiedlerweſen mit gemeinfamem Kloſterleben vereinigen. Damiani 
ınt den Aegypter Hilarion ein Vorbild Romualds, an einem andern Orte 
it er, dad Stift von Sitria fei eine Nahahmung der nitriichen Einöde?) 
egyptens) geweſen. Die BVerpflihtung zum Stillfhweigen hat Romuald 
nbar aus den Vorſchriften der Klugniacenjer entlehnt. Allein Romuald 
ng noch weiter, als der Stifter von Clugny Odo, welcher den Bedürfniffen 
Natur und aud ihren Schwächen ein gewiſſes Recht einräumte. Romuald 
jegen hoffte, indem er die Anforderungen noch höher ſpannte, den Zwed, 
ı auch Odo verfolgte, um fo ficherer zu erreihen. Dadurch, daß er die 
üder von einander trennte, zu täglicher Einſamkeit verdammte, und Doc 
leich unter Auffiht ſtellte, follte jeve Unverträglichkeit, jede Regung der 
erfucht abgefchnitten werden. Aber auch er vermochte die Natur nicht ganz 
überwinden. Aus den Angaben Damiani’d erhellt, daß grimmiger Haß 
jen den überftrengen Oberabt in den Herzen vieler Brüder kochte und oft 
Frieden der Einſiedeleien ftörte. | 

Wie ein Patriarh des Moͤnchthums hat Romuald während eined mehr 
. hundertjährigen Lebens gewirkt. Unbeugfam griff er kirchliche Mißbräuche 


2) Ibid. ©. 261 unten flg. 2) Man vergl. Sftörer, Kir. Bei. TI, dr, OR, 


x 


632 - Yabf Grrgerind VIL mb fein Seltalter. 


an, vor allen die Simone. Damiani jchreibt:‘) „Rommald erflärte Eines 
für die greulichſte aller Kehereien; denn feiner, weldyer durch Belb eime Kirces 
wärbe erlangt babe, könne jelig werben, es fei denn, daß er Buße thue m 
in den Laienſtand zurüdtrete. Aus Haß über feinen Freimuth wellten ihe 
Biele umbringen; denn bi6 auf Romualds Zeiten wußte in Italien faſt Ri 
wand, daß Simonie Eüinde je.) Er bewies es den Zweifelnben aus ka 
Canones. Wirllich erfchienen einige Bilchöfe, die ihre Etellen erfauft hat 
bei ihm, und veripraden Buße zu thun. Aber ich zweifle,“ führt Damias 
fort, „ob es ihm gelang, aud nur einen einzigen zu befehren. Denn dick 
Keperei iſt namentlich im biſchöflichen Stande jo hartnädig, ſets Gutes vor 
ſprechend, nie Wort haltend, daß es fchwerer fällt, einen Juden von der Bab 
heit des Chriſtenthums zu überzeugen, als einen Simonifen zur Buße p 
bewegen.” Weiter unteu fügt der Garbinal bei, Romuald babe einſt einem 
Abte, der durch Simonie emporgefiiegen, hart zugeieht. Bei finfterer Nacht 
ſchlich verjelbe in die Zelle Romualds und wollte ihn erproffeln, nur mit 
genauer Roth entfam der gehaßte Mahuer durch Hülfe eines treuen Möndt 
den Yäuften des Mörbers. 

Unglaubliche Gewalt übte Romuald über die Gemüther der Zeitgenoſſen 
Seine eiſerne Willenskraft, feine ehrfurchterregende, abgemagerte Geſtalt jagt: 
Schuldbewußten Schreden ein. Damiani erzählt weiter: „Rainer, ver (um 
1014) Markgraf von Tuscien wurde, hat öfter geäußert: nicht ver Kaiſer, 
ja fein Menſch auf der Welt erfüllt mid mit foldyer Furcht, wie der Anbiid 
Romualde. Wenn ich vor ihm ftehe, weiß ich nicht, was ich jagen fol, und 
ih finde feine Entſchuldigung meines Thun.“ 

Diefer nämlidye Greis ift in wiederholte und folgenreihe Beziehungen 
zu Otto II. gerathen. eine Zureden, der Kürze des zeitlihen Lebens ein⸗ 
gedenf zu fein und Buße zu thun, feine Warnungen, die Religion nicht ale 
. Werkzeug weltliher Herridhaft zu mißbrauden, haben vielleicht ftärfer auf Das 

eingewirkt, was jeit 1000 im flaviihen Dften vorgieng, als die Schlaukeit 
©erberts. Ä 


1) Sfrörer, Kirch. Gef. III, 1581. ’) Vita Romualdi cap. 60. (Mabillon, acta 
ord. 8. Bened. VI, a. ©. 265): per totam namque illam monarchiam (da® ganze Gebiet 
bes Markgrafensherzogd Hugo von Tuscien, Spoleto und Gamerino) usque ad Bommakdi 
tempora, vulgata consuetudine, vix quisquam noverat, simoniacam haeresim esse peccatem. 
Gin merkwürbiger Sag! 


Buch. Gap. 37. Anfänge d. Umtsführung Gregor V. Gerbert ia Dits'SIIL Oienſte. 633 


Siebenunddreißigſtes Capitel. 


töführung des Pabſto Gregor V. vom Mai 996 bis gegen Ende des Jahrs 997. 
me viel Mühe fegt er die Wiederherftellung des Garlingers Arnulf durch. Doc macht 
franzöfiihe Hof die Gegenbedingung, daß Kaifer Otto III. den Kirchenſtaat herſtelle 
» amf fernere Unterdrüdung des Stuhles Betri verzichte, fodann daß Gregor V. den 
hof Ascelin von Laon zur Rechenfchaft ziehe. In Bolge diefer Unterhandlungen geht 
t Abbo von Yleury als franzöfticher Botfchafter nach Stalien, wird dem Babfle zu 
yoleto vorgeflellt und überzeugt fi) durch ven Augenſchein, daß die Narken an bie 
nifche Kirche zurückgegeben find. Gerbert entweidht aus Frankreich und begibt ſich 
h einem vergeblichen Berfuche, den Pabſt Gregor V. umzuflimmen, an ben bentfchen 
r, wo er ben jungen Kaifer in greulicher Weife umgarnt, indem er die von der 
chin Theophano ihrem Sohne eingeträufelten Thorheiten ausbentet. Gregors V. 
Gregeln zu Gunſten des Moͤnchthums, Schupbriefe für Clugny nnd andere Klöfter. 
Eude des Jahre 996 zetielt mit griechifcher Hilfe Johann Crescentins IV. eine 
pörung zu Rom an, vertreibt Gregor V. und erhebt fpäter den ehemaligen Erzbiſchof 
; Biacenza zum Gegenpabfl. Gregor V., feit dem Jannar 997 auf der Flucht, hält 
März eine Synode zu Pavia. Beſchlüſſe derfelben. Zweite Synode im Sommer 997, 
he den Gegenpabſt Johann verflucht. Gregor bleibt in Oberitalien, bis Kaifer 
to mit einem großen Heere zu ihm flößt, entichloflen den Gegenpabf zu beftrafen. 


nd nun wenden wir und zu dem SBunfte zurüd, von dem wir oben 
gen. Die Amtsführung des neuen Pabſts Gregorius V. fol geſchildert 
Katfer Otto IIL hatte für die Zufiherung, daß er nicht mehr, fo 
früher gefchehen, die römiſche Kirche unterbrüden werde, dreifache Bürg- 
egeben, erften® durch fein gemäßigte® Auftreten in Italien und den kurzen 
yalt dafelbft, wa8 den Verdacht der Fortdauer gewaltfamer Herrihaft aus» 
zweitens durch den Charakter Defien, den er auf Petri Stuhl erhob; 
durch Abtretung der Marken Spoleto uud Eamerino, der Landichaft 
m und die Wiederherftellung des Kirchenflaate. Die Früchte vieler 
eiften ſchnell. Wenige Monate nad) Einfegung Gregor V. war der 
betreffend Arnulf von Rheims, fo gut als beigelegt, die frangöftiche 
wm Gehorſam gegen Rom zurüdgefehrt. 
b babe oben die Reife erwähnt, welde der Abt von Fleury im Aufs 
ines Gebieters zum Pabſte nad) Rom und Epoleto antrat. Laut dem 
des Mönche, welcher Abbo's Leben befchrieb, fprad‘) Gregor zu dem 
ängft babe Ich Mich gefehnt, dein Antlig zu fhauen, fehr glinflige Ge⸗ 
ber Dich find Mir zu Ohren gefommen. Ich werde dein jetziges An- 
erne erfüllen, denn Ich weiß, daß du nur was recht if, von Mir vers 
Acht Tage blieb Abbo bei dem Pabfte zu Spoleto, ald er abreiste, 
n Gregor V. ein Ballium für den damals noch gefangenen Amulf 
eims, fowie zu Gunften des Klofters Fleury einen Gnadenbrief mit, 


— 


Dfeörer, Kirch. Geſch. III, 1489, 






634 vabn Gergerias WE uud fein Seiäunme: ® 7 Set Bun mal 


welcher Ieptere beftimmte, daß der Biſchof von Orleans — Gerberis Gdik 
auf dem Rheimfer Concil von 991 — zu veſſen Sprengel Bleu echkk, 
in Zufunft nur wenn er gerufen werde, bie Abtel betreten bürfe, uam Wi 
ſelbſt dann, wenn ganz Franlreich dem Banne verfiele, Fleury daven ip E' 
nommen fein folle. | 
Lehterer Satz enthielt eine verbedte Drohung, mit ben fchärfften Hrkäda U’ 
Strafen einzufchreiten, falls der franzöftiche Hof in feinem Tree 
Es bedurfte diefer Mittel niht. Bald lief zu Rom ein Schreiben‘) 
ein, in weldhem ed unter Anderem heißt: „ih babe Eure U 
richtet, ohne den Zorn des Königs zu fürdten, au was Ihr 
durchgeſezt. Zeuge IR die vollflänvige Losſprechung Arnmulfs. 
ih Eurer Herrlichkeit, Ihr wollet dem Erzbiſchofe Arnulf Anwei 
wie er feine Cleriker behandeln, wie die Söhne feiner Kirche von 
Berirrungen ablenfen, und die &üter, welche fein Stuhl verloren 
erlangen möge. Ein alter Dichter fagt: wenn bie Könige rafem, 
ed die Achiver büßen. Diefer Spruch If am Eigenthum ver Werienlick 
von Rheims in Erfüllung gegangen. Denn durch bie böfen Thaten, weiht 
Arnulf und Gerbert verlibten, warb die angeſehenſte Metropole Galllent i 
Elend und Armuth geſtürzt.“ Abermal fieht man, daß fowohl ver Kurliage 
Arnulf als fein Nachfolger Gerbert die Stimmen Derer, durch welde fe ge 
wählt worden waren, um Kirchengut erfauft hatten. | 
Zunachſt fragt es fi, warn hat Arnulf das Erzbisthum zurüd empfangen! 
Aus fihern Nadrichten?) erhellt, daß derſelbe im Juni 997 erzbiidhäflik 
Handlungen vornahm. Doch fält feine Herftellung um 4—5 Monate frabe. 
Wie ih unten zeigen werde, berechtigen die Verhandlungen der Synode ws 
Pawia, welche ins Februar 997 ftattfand, zu dem Scluffe, daß Arnulf dw 
mals bereitö entweder fein Amt wieder angetreten hatte, oder doch im Begrik 
fand, es zu thun. | 
Sicherlich haben fih die franzöſiſchen SKapetinger nur mit ſchweren 
Herzen dazu bequemt, AU das, was 997 zu Rheims mit jo viel Lärm ange 
zettelt. worden, zurüdzunehmen, den Karlinger auf den erftien Stuhl Galliens 
wieder einzufegen. In folden Faͤllen pflegen Mächtige Vorkehr zu treffen, 
damit der Schein fo viel ald möglich gerettet, und ein Theil der erlittenn 
Schmach auf die Schultern Anderer gewälzt werde: Mit einigem Recht 
fonnten die Könige Hugo und Robert fagen, die bedauerliche Maßregel von 
991 fei ihnen dur die Tyrannei abgenöthigt worden, welde das jächfide 
Haus wider Petri Statthalter verübt habe. Nur ein unabhängiger Pabſt wer 
möge Oberhaupt der gefammten abenbländifchen Kirche zu fein. Joham XV. 
aber und feine nächften Vorgänger hätten alle Freiheit ver Bewegung bunt 









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*) Daf. ©. 1490. 5 Höfler, dentſche Paͤbſte 1, 808, 


Buch. Gap. 37. Anfänge d. Amtsführung Gregor V. Gerbert in Otto'e III. Dienfle. 635 


malt des deutichen Hofes eingebüßt. Im der That zeugen, wie wir 
unmiderlegbare Thatfachen dafür, daß hauptſächlich durch die eben ent- 
Wendung, welche franzöftiche Klugheit oder Verlegenheit dem Rheimſer 
gab, Alles das, was feit 996 deutſcher Seits für Italien gefchah, 
näßigte Auftreten Otto's IIL, die Kürze des Römerzugs, die Erhebung 
elloſen, von Kirchlichgeſinnten mit Jubel begrüßten Pabfle Gregor V., 
die Erneuerung des Kirchenftaats, erzmungen worben if. 
ıter diefen Umftänden fonnten Reuftriens Könige die Wunde der Zus 
fung Arnulfs faum wirkſamer ausheilen, ald wenn es ihnen gelang, 
Welt darzutbun, daß die Wiederherftellung päbftliher Macht und Un⸗ 
gfeit gewifjermaßen ihr Werk jei, daß fie nur unter der Bedingung 
* Gerechtigkeit gegen Petri Stuhl die Beichlüffe von Rheims zurüdges 
hätten. Ein fchidlicher Anlaß zu einer foldyen öffentlichen Darlegung 
von felber. In den langwierigen Verhandlungen, die dem Römers 
a 996 allen Anzeigen nad) vorangingen oder folgten, hatte Dtto III. 
sflihtung übernommen, gewiffe Gebietstheile, die einft Eigenthum ber 
ı Kirche gewefen, an diefelbe zu erftatten. Aber im Verhältniſſe von 
zu Nation, von Hof zu Hof genügen bloße Verheißungen nicht, bie 
Mittelalter, wie heute noch, taufendfach gebrochen hat und bridt. 
etinger waren in ihrem Rechte, wenn fie Beweife durch die That, durch 
nichein forderten, daß letzteres Verfprechen buchſtäblich erfüllt worden ſei. 
nau eben bieß haben fie verlangt, und man hat es ihnen auch ges 
Bald nad) Erhebung Gregor, während die Frage über Wiederein- 
ed Barlingers Arnulf fchwebte, wandert der Abt von Fleury als fran⸗ 
Botichafter über die Alpen. Dod nicht zu Rom wird er dem neuen 
orgeftellt, fondern zu Spoleto, und acht Tage lang wohnt er den Ge⸗ 
an, die Gregor V. dort beſorgte. Läßt es fih nicht mit Händen 
daß der Pabft den Gefandten deßhalb zu Spoleto empfing, damit 
t eigenen Augen fich Überzeugen Eönne, daß die Rüdgabe der beiden 
an Betri Stuhl fein eitle8 Gerede, ſondern Wahrheit ſei. Eben 
zog auch der Bericht, den er in die Heimath erftattete, die ſchnelle 
ng des traurigen und langwierigen Streit nad) fid. 
h andere Bürgfchaften, welche zu fordern er ein gleichbegründetee 
jaß, empfing damals ver franzöfifhe Hof. Man muß es geftchen, 
find die Uebergriffe gewefen, welche fih nidt etwa bloß die Kai⸗ 
utter Theophano, fondern etlihe Jahre nad ihrem Tode aud der 
srrfcher Otto III., oder die, welche in feinem Namen das Ruder 
am Nachbarreiche erlaubten, fofern Jener oder Diefe im Jahre 995 
of Ascelin von Laon die oben?) geſchilderte Verſchwoͤrung anzettelten, 


636 Bebft Grrgerind VIL. uub fein Sckafiee. 


welde darauf abzielte, den König Hugo von Fraukreich nicberzumerfen ein 
‚gar zu ermorden. Bor dem Richterfiuble ber Kirche, wie de6 gemeinen RAM, 
verdiente Ascelin firenge Ahndung, und wenn anders ber neue Pabſt Gregu 
ein freies Haupt der Kirche war, fam es ihm zu, Beides, feine Freiheit m 
feine Gerechtigkeit, vaburd zu beweilen, Daß er gegen ben geiſtlichen Be 
brecher einjchritt. 

Der franzöflihe Hof beſtand ohne Zweifel auf dleſer Beftzafung, ma f 
iR ihm auch gewährt worden. Auf dem Gonciie von Bavia verhänge 
Gregor V. den Bann über Ascelin und offenbarte ſomit durch die That, nf 
er hinfort politifche Verbrechen wider Neuſtriens Krone, felbR wenn fie af 
Anfiften des deutichen Kaiſers verübt würden, nicht mehr dulden wet. 
Zwar bat Gregor die fragliche Cenſur wider den Laoner Biſchof unter cam 
andern Titel ausgeſprochen, aber unten wird nachgewieſen werben, daß it 
gewählte Grund nur ein Fünftlicher Vorwand, und dagegen die Berfdiwärum 
von 995 wahre Urfache des Bannes war. 

Im Allgemeinen wirkten die geheimen Verhandlungen, die kurz vor mb 
nad) dem Römerzug von 996 gepflogen worden find, und bie wir nur u 
einzelnen Ueberbleibſeln fenuen, wohlthätig auf die Stellung ber Rhelmia 
Metropole zurüd. Wie ic an einem andern‘) Orte zeigte, hörten die hie 
Ränfe, welche der fächfliche Hof mehr als ein Menſchenalter lang mit da 
dortigen GErzbiihöfen im Bunde gegen die Krone Neuſtrien anzettelte, ven 
Nun an allmählig auf. Der Carlinger Arnulf blieb bis zu feinem 1020 ci 
getretenen Tode dem Könige Robert treu uRd verhielt ſich ruhig. Seitdem ver 
fuchte es allerdings Kaiſer Heinrich II. noch einmal, feine Hände in Bejchum 
des erledigten Erzftuhles einzumijchen, aber ohne Nachdruck und Erfolg. Dauera 
war Rheims für Neuftrien gewonnen. Der erfte proteftantiiche Anlauf ven 
991 hat, wie der zweite von 1049, wider die Abſicht Derer, welche dat f 
Werk der Bosheit betrieben, nicht bloß eine erhöhte Entwidlung der allge 
meinen Kirche herbeigeführt, fonvern ift auch Anlaß geworden, daß die Nat: I: 
folger des h. Rhemigius für immer ihrer doppelten Pflihten gegen Rom un | 
ihre eigenen Nationalfönige eingedenk blichen. 

Bon felbft verficht es fih, daß für Gerbert, zu dem ich mich were I 
die Gefandtihaft, welche Abbo, fein Gegner vom Rheimjer Eoncil her, im | 
Herbfie 996 nah Rom antrat, gleihfam ein Donnerftreih war. ‘Der Boden 
mußte ihm zu Rheims unter den Füßen brennen. Was ift aus ihm geworben! 
Die Beifäge zu Richer's Chronik melden den Tod des Könige Hugo Gapt 
— der Ende Dttober 996 verfhied — die Thronbefteigung feines Sohnts 
Robert und die erften Kriegsthaten des Lebteren, dann fahren?) fie fo fat: 
‚„Gerbert reiöte zum zweitenmale nah Rom, und während er dajelbf weil, 


— — — 


1) Band IV, 133 fd. *) Berg II, 687. 








meh. Gap. 37. Anfänge d. Amıtsführung Gregors V. Gerbert in Dtto'3 III. Dienfte. 637 


inig Robert den gefangenen Arnulf in Freiheit. Als nun Gerbert 
mt der Treulofigfeit vernahm, fnüpfte er Verbindungen mit Otto von 
and an.” Arnulf it, wie ich oben zeigte, gegen den Frühling 997 
en worden. Da, während dieß gefchah, Gerbert in Italien war, folgt, 
terer vor dem Frühling des genannten Jahres, und weiter, da Hugo 
Tod feiner Abreife voranging, folgt, daß er nach dem Oktober 996 
verlaffen hat, um nad Italien zu gehen. 

t Richer's Ausſagen flieht die Briefſammlung Gerberts in gutem Ein» 
Die Königin Adelheid von Franfreih, Hugo Capets Wittwe, hatte 
reiben an den abweſenden Erzbiihof erlafien, worin fie ihm mit 
a Folgen drohte, wenn feine Entfernung aus Rheims länger dauern 
Diefes Schreiben ſelbſt ift nicht mehr vorhanden, wohl aber die Ant» 
erbertd, aus welcher zugleich der Inhalt des erfteren und die ver- 
Etimmung des Briefftellers erhellt. Er fpricht darin von der neuen 
yerts mit Bertha, welche furz nad) dem Tode des Könige Hugo ab» 
n worden war; er bemerft, wie ihm wohl befannt fel, daß man in 
b damit umgehe, den abgefesten Garlinger Arnulf wieder auf den 
In Rheims zu erheben; er erflärt endlich feinen feften Entfchluß, uns 
ver in dem Briefe der Königin enthaltenen Drohungen, an dem Orte 
annung, wo er fid) gegenwärtig befinde, fo lange zu verweilen, bie 
id Bifchöfe darüber entfchleden haben würden, ob die Inful von Rheims 
Recht gebühre oder nicht gebühre. Der Brief der Königin iſt offen» 
er Zeit an ihm gerichtet worden, da er die zweite Reife nad Stalten, 
cher gebenft, gemacht hatte, und aus diefem nämlichen Lande wird 
rwittweten Königin geantwortet haben. 

welcher Abfiht ging er nun gerade nad Stalien? Ohne Zweifel, 
ih der Hoffnung hingab, dort Etwas von Seiten des neuen Pabfts 
V. zu erlangen. Aber feine Hoffnung fchlug fehl. Die Geftnmungen, 
dregor zu Anfang feines Pontififats an den Tag legte, athmeten 
3 unbeugfame Gerechtigkeit. Der Biograph Abbo's Peutet?) an, daß 
Pabft an den neuftriihen Hof eine Bulle erließ, worin er die Ab- 
ſprach, über ganz Franfreih den Bann zu verhängen, falls Arnulf 
Zälde hergeftellt werde. Deßgleichen eıflärte”) Gregor vor einer im 
996 zu Rom gehaltenen Synode Gerbert öffentlich für einen An» 
er Räuber des Rheimſer Stuhles. Diefe Kundgebungen des Pabſtes 
er zweiten italienischen Reife des Ylüchtling® vorangegangen. Und 
tbert etwa, wie ich vermuthe, im Vertrauen auf feine Gewandtheit 
n abjchredenden Anzeigen die Erwartung gehegt haben follte, durch 


istol. I. Ar. 159 bei Duchesne II, 826. *) Wabillen, acta ord. 8. Bened. 
oben. 2) Jaffe, regest. pontific. roman. ©. 340; Gerbertus ecclesise rhe- 
Mor. 


® 


Erfolg eines Andern. Gregor dachte im Frühjahr 997 —* wie im Eon 
mer 996: auf der Kirchenverfammiung von Pavia entiehte er alle viejenige 
ihrer geiftlichen Wemter, welche Theil au ver Bertreibung Arnulfs genmw 

men: Batten. 

Aus Gallien verdrängt, vom Pabſte abgerwiefen, wie er war, blich ia 
mur der eine Ausweg übrig, am Hofe Otto's III. fein Blick zu verfaden 
Er that es, und zwar indem er zunächſt die Bermitilung ber alten Kelch 
Adelheid aurief. Ein an fie gerichteter Brief‘) Gerberts if auf uns ge 
fommen, der im Wefentlichen fo lautet: „Indem ich vielfach erwog, we ad 
Erben noch Treue, Wahrheit, Gerechtigkeit zu finden fein möge, hat id me 
die Ueberzeugung aufgebrängt, daß nur bei Cuch Milde wehnet, da Ihr jew 
Tugenden Euer Leben lang geübt habt. Zu Euch flüchte Ich daher als zu 
einem Tempel des Erbarmens und rufe Eure Hülfe, Euren Rath an. 
ganze Welt iſt gegen mich verichworen und lechzt nad meinem Bine, 
was der Uebel Schlimmftes, fogar Rom, das mich fchügen jollte, ſtößt mich 
zurück. Ich bitte, ich befchwöre Euch, erhebt Euer mächtiges Wort, bami 
die Wuth meiner Keinde aller Orten verflumme,* u. ſ. w. WBerzweifelt muß 
die Lage geweien fein, in der er fih befand. Sein Hüfferuf verhallte nit 


u% 





vergebene. Adelheid, die ihn ohne Zweifel von ben Zeiten ber Taunte, da 


Gerbert Gefchäftsträger des deutſchen Hofes in Rheims geweſen wat, fcheint 
fih bei ihrem Enkel für ihn verwendet zu haben. Der Flüchtling erhielt ein 
Schreiben?) des jungen Kaiſers, das ihm eine glänzende Zukunft verbieß. 

„Otto an Gerbert, den weifeften der Bhtlofophen, feinen Gruß. Wir 
wünfchen Eure Fürtrefflichfeit dauernd in Unfere Nähe zu ziehen, da euer ums 
faſſendes und geregeltes Wiffen Unferer Wenigkeit ſtets ald eine Leuchte er- 
fhien. Um was Wir denken, ohne Umfchweif herauszufagen, Unfer Begehren 
it, daß e8 Euch gefallen möge, Uns, die Wir bisher nur ungenügende Lehrer 
gehabt, in Schrift und Wort zu unterrichten und in Staatögeihäften zu be 
rathen. Diefer Unferer Bitte, die Ihr nicht verweigern werbet, fügen Bir 
zugleich den Wunſch bei, daß Ihr die Bäuerlichfeit Unferer ſächſiſchen 
Natur ſchonungslos ausjätet, und dagegen die Keime griechiſcher Fein⸗ 
heit, die in Uns wohnen dürften, forgfältig ausbildet. “Denn ein Fumke grie 
hifhen Weſens wird fih — fo hoften Wir — bei Uns finden, wenn mr 
Jemand da ift, der ihn anfacht. Laſſet daher die Flamme Eurer Wiſſenſchaft 
auf Uns wirken, dann wird Griechenlands Geift in Ind erwachen. Zunädhk 
möget Ihr Uns in der Zahlenlehre unterweifen, damit Wir durch fie auf 
die Weltweishelt der Alten vorbereitet werden. Meldet Uns fo bald als mög 
Ih Euren Enſchluß.“ | 


) Epist. II, 45. Duchesne II, 841. *) Ibid. I, 153. ©. 824. 


» 


Buch. Kap. 37. Anfänge d. Amisführung Gregors V. Gerbert in Otto s III. Dienfle. 639 


nverfennbar ift e8 der Mutter Geift, der aus dem Sohne fpridt. So 
reißt ſich der Unglüdlihe, daß er das deutfche Blut, welches in feinen 
rollt, ſchmäht und die Sachen, deren nervigte Arme ihn und feine 
auf die höchfte Stufe der Macht emportrugen, als dumme und robe 
verhöhnt. 
ıd wie gewiſſenlos ging Gerbert auf bie griechtichen been des deut⸗ 
aiſers ein! Er antwortete:') „die übergroße Gnade, die Ihr mir ers 
vermag ich nicht durch Verbienfte, fondern nur durch Wünſche für 
3ohlergehen zu vergelten. Wenn ein Funke von Wiffen in uns gläht, 
er Ruhm Eures Haufes denſelben gewedt, Euer treffliher Vater ihn 
. Euer großer Ahn ihn zuerſt entzündet. Wir vermögen daher Euch 
häße zu bringen, die unfer Eigenthbum wären, fondern nur Das zurüds 
was wir Euch verdbanfen, auch bürgt der edle Sinn, der aus Eurem 
gerichteten Schreiben hervortönet, dafür, daß Ihr ſolche Schäge ent 
reits befitzet oder demnächſt — ſelbſt ohne unfer Zuthun — erlangt 
ürdet. Denn wäret Ihr nicht ſchon zu der Einſicht gelangt, daß bie 
hre Urfprung und Wurzel aller Dinge enthalte, fo würdet Ihr nicht 
nach gründlicher Erforfchung diefer Wiffenfchaft begehren, und hättet 
t bereit8 den Kern der Moralphilofophie Euch angeeignet, jo würde 
turen Worten nicht fo vollflommene Demuth ausprägen, eine Demuth, 
leichſam die Thürhüterin aller Tugenden if. Aber auch die Ueber⸗ 
des feiner eigenen Kraft bewußten Geiſtes verräth fi in Eurem 
15 Bürge dafür die redneriſche Fülle, welche Ihr theild aus Eurem 
theil8 aus den Quellen der Griechen fchöpftet. Wahrlich es ift eine 
Erfheinung, wenn ein Mann, Grieche von Geburt, Römer 
trrfhermadt, die Schäge griechifcher und römifcher Weisheit ale 
heil zurückfordert. Wir geboren, o Eäfar, willig Euren Befehlen, 
t in diefer Sache, alſo Fünftig in Allen, was Eure göttliche 
At und auferlegen wird, denn nichts Köftlichered Fennen wir In 
n Welt, als den Anblick Eurer Macht und Herrlichkeit.“ 
Morte Gerberts lauten fo, als ob er wonnetrunfen, gnabenberaufcht 
mn den deutfchen Hof geeilt wäre. Aber unten wirb ſich zeigen, daß 
vergaß, vorher große und wichtige ZJuficherungen fünftigen Lohnes 
ingen. Den Anfang ver Erfüllung machte Dtto ſchon im Frühjahr 
welche Zeit Gerbert dafür dankt,“ daß fein erhabener Gönner ihn 
attlichfte mit dem flattlihen Sasbach — einem Kronhofe Im untern 
hart am Rheine — befchenft habe. Biſchof Thietmar von Merfeburg 
„aus Gallien vertrieben, verweilte Gerbert längere Zeit an Dtto’s 
) erbaute während feines Aufenthalts in Sachſen zu Magdeburg eine 


d. I, 154. ©. 825. ?) Ibid. I, 28. ©. 836. °) Berg II, 838, 


640 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Sonnenuhr eigenthümlicher Einrihtung.” Gerberts Ueberfieblung an ta 
deutſchen Hof fällt in den Frühling 997, und das ganze Jahr über blid 
er in des Kaiſers Nähe, welchen er ſodann um Weihnachten nad Stalka 
begleitete. 

Im Sommer des eben genannten Jahres zog Dtto gegen die überelbiida 
Staven zu Felde, ſchlug fie und Tehrte als Sieger nah Magdeburg zurid.‘) 
Gerbert wünfchte ihm In einem Briefe?) aus diefer Zeit Glück zum errungen 
Triumph und brauchte unter Anderem folgende Wendung: „da ums Anden 
nichts auf der ganzen Erde theurer iſt, als Euer Ruhm, habt Ihr uns dard 
den neulichen Bericht Eurer Thaten die größte denfbare Freude bereitet. Dem 
wahrlih, was fann erhebenver fein, als der Anblid eine großen Yürfen, 
der Regionen jammelt, in das Land der Feinde einbricht, ihre Waffen nieher 
fchmettert und feine eigene hohe Perfon, für das Vaterland, für die Kird«, 
für das Wohl der Seinigen und des gemeinen Weiens’) Tämpfend, den bris 
gendften Gefahren ausjept.* 

Ob Gerbert nicht innerlich lachen mußte, als er letztere Redensart niever- 
fchrieb! Denn aus Dtto III. einen Codrus oder Leonidas zu machen, der fin 
die Götter und das Gemeinweſen fechtenn, felbft den Gefahren des bunflen 
Hades troßt, dazu gehört eine flarfe Einbildungsfraft. Während des näm 
lichen Feldzugs ertheilte Kaiſer Otto feinem unvergleichlihen Lehrmeifter den 
Auftrag, eine philoſophiſche Schrift auszuarbeiten, von welder fpäter am ge 
hörigen Orte die Rebe fein wird. 

Vorerft zurlid zum Pabſte Gregorius V. Wir find auf viele Thatſachen 
geftoßen, welche beweifen, daß damals feit mehr ald einem Menjchenalter. 
mitten unter dem Moder veralteter Zuftände, mitten unter den Verderbniſſen 
ruchlofer Herrichergewalt, ein neuer fittlicher Geift dur die Welt wehte, ver: 
felbe Geift, welder 50 Jahre fpäter durch Cardinal Hildebrand zur vollen 
Entfaltung gedieh. Diefes ätheriſche Element firömte aus von Clugmm’e 
Mauren, aber bereitd auch von vielen andern Klöftern, wie Fleury im Reide 
Neufter, wie St. Bonifactus zu Rom, wie Pereum bei Ravenna, wie wohl 
da und dort einzelne Abteien auf deutihem Boden. Ebendaſſelbe hatte aber 
mächtige Widerfacher, namentlich ftrebte ihm offen oder insgeheim ein Theil 
des Bisthums, nämlich der Theil entgegen, welcher im Bunde mit den Höfen 
ftand. Mohlan die Thätigfeit des Pabe Gregorius war vorzugsmeife darauf 
gerichtet, der heil. Flamme, welde im Klofter glühte, Bahn zu breden, fie 
von den Feſſeln bifcöflicher Schwerkraft zu befreien. Im Sinne des eben 
beichriebenen Möndthums hat der Kärnthner Bruno die Statthalterjcaft 
Petri geführt. 


") Berg DU, 73 unten und 776, Mitte. 2) Epistol. II, 28. Ducheane II, 835. 
?) Pro suorum reique publicae salute. Schon hier fommt dad Wort respublica vor, dad 
nachher in der kurzen Poſſe der Weltreichsverfaſſung eine fo laute Rolle fpielte. 


iebtes Buch. Gap. 37. Anfänge ber Amtsführung Gregors V. Gerbert in Otto's TI. Dienſte. 641 


Dben‘) wurde die Bulle erwähnt, kraft welcher Gregor dem Biſchofe 
rmulf von Orleans, Hauptreoner auf dem Rheimfer Concil von 991, verbot, 
das zu feinem Sprengel gehörige Stift Fleury ohne ausprüdliche Einla- 
ıng des Abts zu betreten. Arnulf verdiente in mehr als einer Hinftcht dieſe 
üchtigung, denn er hatte fi In früherer Zeit fchreiende Gewaltthätigkeiten 
‚gen Abt und Gemeinde von Fleury erlaubt.) Aehnliche Kreibriefe bewil⸗ 
jte Gregor einer Reihe von Klöftern des Abendlandes, verfteht fih, vor allen 
m von Clugny. Das Datum der betreffenden Bulle ft nicht befannt, wohl 
ver ihr Inhalt. Ich vermuthe, daß fie in die erſten Monaten der Amtsfüh⸗ 
ıng Gregors fällt, da der neugefrönte Kaifer noh zu Rom weilte. Auf 
orbitte des glorreihen Kaiſers Otto beftätigte der Pabft feinem geliebten 
‚ohne, dem Abte Odilo, den Beflg aller nicht nur dem Mutterftift, fonbern 
ıch den mit diefem verbundenen Gellen oder Nebenflöftern gehörigen Güter. 
icht weniger als 37 der letzteren werben namentlih aufgezählt: fünf lagen 
ı Sprengel von Macon, eilf in dem von Autun, fleben in dem von Lyon, 
er in dem von Viviers, je zwei in denen von Drange, Gap, Bienne, zwei 
eitere im öftlihen Burgund, je eines in den Sprengeln von Ufez und 
royes.) Weiter entband der Pabft das Mutterftiift von ver Gerichtsbarkeit 
8 Biſchofs von Macon, zu defien Sprengel Erfteres gehörte, und ertheilte 
n Brüdern das Recht, nach freiem Ermefjen Aebte zu wählen, und die Ge- 
ählten durch jeden beliebigen Biſchof weihen zu laflen. 

Ungefähr viefelben Befugniffe erhielt durch Bulle!) vom 27. Mai 996 
r Abt Wintzo des Salvatorflofters, das auf dem Berge Amiato, etliche 
teilen weftlih von Radicofani und der Heerftraße lag, Die am eben genann- 
n Orte vorbei aus Rom nad Siena und Florenz führt. Fleury vertritt 
euftrien, Clugny Burgund, das Salvatorflofter Italien. Auch fein Hei⸗ 
ıthland vergaß Gregor nicht; doch ftieß er dort auf Widerfland, und nur 
f Ummegen gelangte das von ihm begnabete Stift zum Ziele. 

Laut einer Urkunde) vom 22. April 998 erklärt Dtto TIL, er babe 
m Pabfte Gregor V. ausgewirkt, daß Abt Alawich von Reichenau befugt 
n folle, Weihen (gleich einem Bifchofe) zu ertheilen, und beim Gottesdienſte 
ie Dalmatifa fammt Sandalen zu tragen. Wann er folhes vom Pabſte 
angt habe, fagt der Kaiſer nicht, wohl aber bemerkt er, daß die Begünfti- 
ng dem Abte wegen feiner Verdienſte beim Nömerzug (von 996) einge, 
umt worben fe. Man bat daher guten Grund, ven päbftlihen Erlaß in 
» nämlihe Zeit, da Elugny, Fleury und Monte amiato gleiche Vorrechte 
hielten, d. b. in den Sommer 996 zu verlegen. 


1) ©. 633 flg. *) Vita Abbonis cap. 8. Mabillon, acta Sanct. VI, a. 38. 9 Ma 
Ion, annales ord. 8. B. IV, 103 unten flg., bann Jaffé, regest. Nr. 29850. 9) Jaffs, 
d. Nr. 2956. *) Dümge, rogest. badens. ©. 95. vergl. Ofroͤrer, Kirch. Gefch. III, 1488, 

Gfrörer, Pabſt Gregorius vor. Bb. V. X 


642 Gab Gregerins VIL und fein Bellaller. 


Seltſam erfcheint es, daß im vorliegenden Falle Dtto III. eine yäbklik 
Maßregel, wie mit einem Schugbriefe verfchen, in die Welt einführte. Unfend I 
Erachtens war der Zufammenhang biefer: Alawich hatt? das beireffende Reit | 
ſchon bei feiner Anweſenheit in Rom vom Pabfte erlangt, aber nad) Deutik |: 
Iand zurüdgefchrt, fand er, daß fein geifllicher Borgefebter, ver Gonfanı |. 
Bifchof, Anerkennung der Bulle verweigerte. Um nun biefe Klippe aus ben 
Wege zu räumen, wanbte fi der Abt an ben Kaifer und errang obige Un 
kunde. Die Sache hat noch im Laufe des eilften Jahrhunderts böfe Häzkel 
erregt.‘) . 

Ploͤtlich ward die Thätigkeit des Pabſtes Gregorius V. durch fr |, 
de6 ehemaligen, im Mai 996 abgefepten, Patricierd Johann Gredcentind 
unterbrochen. Der Mönd von Quedlinburg melbet?) zum Jahre 997: „von 
den Fallfiriden des Teufels umfangen, bemächtigte ſich Erescentius, währes 
der Abwefenheit des Pabſtes, ver Stadt Rom, warf den Ealabrefen Zohem, 
der eben von der nad Eonftantinopel übernommenen Geſandtſchaft zurkdiium, 
sum Afterpabfte auf, und fchlug die kaiſerlichen Legaten, welche fih zu Rem 
befanden, in Bande.” In einer Kleinigkeit hat der Chroniſt Unrecht, fofen |, 
der Galabrefe nicht gleich zu Anfang der. Empörung mitipielte, fonbern, wi 
ich unten zeigen werde, erft etlihe Monate nach Ausbruch der Empörung be 
Stuhl Petri beftieg. Das Uebrige iſt der Wahrheit gemäß. 

Crescentius fchlug zu Ende des Jahre 996 ober in ven erflen Tagen 
des folgenden los. Denn die Ehronif von Hildesheim erwähnt”) den Aufſtand 
in der legten Zeile, welche die Ereigniffe des Jahre 996 fchildert, und aus |, 
einer Inſchrift) wiflen wir, daß Gregor V. als Flüchtling den 24. Jan. 997 
durch Reggio zog, um demnädhft in Pavia eine Kirchenverfammlung zu halten 
Daß Erescentius Faiferlihe Legaten, Die zu Rom weilten, verbaftete, bezeugt |: 
auch Biſchof Thietmar von Merfeburg, der jedoch flatt des Ausdrucks legatus I. 
den gleichbedeutenden nuntius braucht.“) 

Ueber die Stellung derſelben gibt eine neuerdings entdeckte Duelle‘) 
Auffhluß: „ſeit zur Strafe unferer Sünden das römtjche Reich in die Gewalı 
der Barbaren gerathen ift, haben diefe bei uns rohe und ungelehrte Brafen®) 
eingefebt, welche ſodann Unterrichter beftellten, die, weil fie aus dem Staat 
fchage keinen Gehalt empfangen, die Gerechtigkeit um Geld verfaufen.“ Die 
fraglide Duelle ift ums Jahr 1000 abgefaßt und hat unverkennbar die legten 
Vorgänge unter Dtto II. im Auge. Man fieht: als ver junge Kaifer im 
Mai 996 nah Deutichland zurüdtehrte, hatte er In der Weltmetropole Grafen 
zurüdgelaffen, welche die Rechtspflege überwachten, und im Allgemeinen die 
kaiſerliche Hoheit über Rom wahren follten, weßhalb Erescentius den Aufruhr 

‘) Gfrörer, Kirch. Geſch. IV, 298 fig. 301. *) Perk II,74. 2) Ibid. ©. 9. 
*) Iaffs, regest. ©. 341. 9 Perp III, 776. 9 Am beften abgebrudt bei GSieſebrecht. 
dentſche Kaiſerzeit I, 825 unten fi. 7) GR Judices, dann oomites genannt. 











uch. Say. 37. Anfänge der Amteführung Greg ors V. Gerbert in Dito’SILL. Dienfte. 643 


nfing, daß er diefe Werfzeuge fremder Dbergewalt am Kopfe nahnı. 
, Dtto beim Römerzuge die Hauptftabt fcheinbar dem neuen Pabſte 
n hatte, wollte er doch als oberfter Lehenherr Roms betrachtet fein. 
ftimmt hiezu ein kaiſerliches Schreiben, das id unten anführen 
und in welchem er Rom als nostra urbs regia bezeichnet.) 
ı Uebrigen iſt es mehr eine Nadhläffigfeit des Style, als ein Irr⸗ 
venn der Ehronift von Quedlinburg den Griechen Johann fchon in 
m Aft des Aufruhrs hineinzieht. Derjenige, welcher den ehemaligen 
en des deutfchen Hofs bezahlte und als Werkzeug brauchte, hat aller- 
m Anfang der Bewegung an mitgewirkt. Wer wird glauben, daß 
ver Crescentius ohne einen ftarfen Rüdhalt ſich in ein gefährliches 
E geftürzt habe. Byzantiniſches Gold und byzantiniſche Hülfe war es, 
er vertraute, und die ihn aud in Stand fehte, die angemaßte Ges 
ie verhältnigmäßig lange Frift — gegen vierzehn Monate — zu 
n. 
mif von Mailand, ein Zeuge aus der zweiten Hälfte des eilften 
derts, gibt?) zu verftehen, daß Die Bewegung vom Januar 997 dars 
hnet war, Rom und die Herrichaft über Stalien den Baſileis des 
hen Oſtens in die Hände zu ſpielen. Deßgleichen meldet’) ein 
Der aus dem vierzehnten Jahrhundert, der aus alten, jebt nicht 
chandenen Quellen fchöpfte, daß Johann von Piacenza, ald er, von 
us erhoben, Petri Stuhl beftieg, fehr große Summen, die ihm der 
Kaiſer gegeben, mit fich brachte. 
3 ſtimmt alles trefflich zu älteren, fonft befannten Verhältniſſen. 
us konnte die Abſetzung nicht verwinden, zu räden aber vermochte 
icht mit eigenen Mitteln, fondern nur durch ein Bündniß mit den 
des Oſtens, die fett 30 — 40 Sahren faft unausgefeht Nänfe wider 
ıen |pannen, jede Gewaltthat, durch welche das ſächſiſche Haus bie 
ber Italiener verlegte, flaatsflug für ihre Zwede bemügten. Der 
Hof gewährte dem Römer woirflih die gewünjchte Unterftüßung, 
m Geld und vielleicht auh Waffen, aber nicht ohne ſchwere Bes 
1. Crescentius mußte fich verpflichten, erftend an Gregors V. Stelle 
bt einzufegen, der von Eonftantinopel abhing und durd die That⸗ 
er Erhebung fi unverjöhnlich mit Dtto III. verfeindete, alfo aud 
even mit ihm fchließen konnte —. Hiezu war der Calabrefe Johann, 
Erzbiſchof von Piacenza, auserfehen, welcher offenbar während feiner 
eſandtſchaft in Gonftantinopel das fähflfhe Haus verrathen hatte. 
kte Horderung, die dem Römer auferlegt warb, beftand darin, daß 


rg, leg. II, b. ©. 162. 3) Berk VII, ©. 9 unten flg. 23) Bei Höfler, 
ibſte I, 312. 
—X 


er fi anheiſchig madte, fo gut es ging, für- eine gejehliche, tem Tanonilda 
Borfchriften entſprechende Erwählung des Gegenpabſts Eorge zu tragen. Lep 
terer Bunft erhellt aus ten Thatiaden, die ich jofort mittheilen werde. 

Bis zum 8. Februar 997 blieb Gregor urkundlich‘) zu Reggio, vielleit 
weil er dort das Eintreffen ver von ihm nad Paria berufenen Bildöfe db 
wartete. Ende Februar oter Anfangs März muß tie Synode zufammay 
treten fein. Dreizehn Kirchenhäupter erjchienen, worunter die beiden Me 
politen Johann von Ravenna, Lantulf von Mailand, ein Bilchof aus den 
romanifchen Gebiet, Johann von Albano, ter tem Pabfte auf ver Flucht ge 
folgt zu fein fcheint, einer aus dem fernen Afrifa, Blinwarmund von Hip 
die übrigen Lombarden. Die gefaßten Beiclüffe find ebenfo wichtig Yard 
ihren Inhalt, als durch die Form, in welder fie der Nachwelt überlieſen 
wurden. Wir fennen fie nämlidy nur mittelft eines Schreibens,) das Bali 
Gregor V. an Willigie von Mainz erließ. 

„Gregorius, Knecht der Knechte Gottes, an den geliebten Mitbruder Ri 
gie, Erzbifhof und unfern Stellvertreter, Gruß und apoftolifchen Segen. Fel⸗ 
gende Sapungen der Eynode von Pavia, welde id fammt den Metropolitan 
von Ravenna und Mailand, auch andern Bifchöfen unterfchrieb, behenzg 
wohl und fetd Uns bebülflih, daß fie ind Werk gefegt werden. Wir habe 
befchloffen: erſtens daß alle Bifchöfe des Weſtens (Galliens), welche an Ab 
fegung des Erzbiſchofs Arnulf (von Rheims) Theil nahmen und, nachher zu 
Verantwortung vor die Synode von Pavia geladen, nicht erfchienen, bis auf 
Weiteres ihrer Aemter enthoben find. Zweitens gleike Strafe trifft den Bis 
fhof Ascelin von Laon, der außer dem vorgemelveten Vergehen au nod fit 
an feinem Metropoliten vergriff und ihn (den beiden Königen von Sraufreid) 
auslieferte. Drittens König Robert joll, weil er, wider ein apoftolifches Ver— 
bot, feine Verwandte chelichte, fammt den Bifchöfen, welche dieſe Ehe befor 
derten, zur Buße ermahnt werden. DBerweigern fie ven Gehorfam, fo trifft 
fie der Bann. Viertens Wir haben weiter befchloffen, daß der Neapolitanert, 
der neulih Hand an feinen Erzbifchof legte und durch Simonie den erledigten 
Erzſtuhl erfhlih, mit dem Fluch zu belegen fei, falls er nicht Genugthuung 
leiftet. Fünftens jeder Bilchof, Presbyter, Diakon, Blerifer, der bei Lebzeiten 
des Pabfts und ohne deffen Erlaubniß irgend welche Verbindlichfeiten, ke 
treffend eine Fünftige Pabftwahl, eingeht, wird feined Amtes entjegt, aus ber 
Gemeinſchaft der Gläubigen verftoßen und verfluht. Sechstens Biſchof Gifelber, 
der wider bie Canones feinen eigenen Stuhl verließ, einen fremden fi anmaßte, 
ift auf Fünftige Weihnachten nah Rom zur Verantwortung vorgeladen. Ge 
horcht er nicht, fo wird er feined Amtes entſetzt. Siebtend Wir zeigen Eud 
endlih an, daß Wir einftimmig den Räuber und Verderber der römischen Kirde 


vn MH 






ı) Jaffo Nr. 2964. ) Perk III, 694. 


had. Gap. 37. Anfänge der Amtöführung Gregors V. Gerbert in Otto's III. Dienfle. 645 


n Schooße der Ehriftenheit ausgefchloffen haben, und Wir bitten Euch 
Liebe, Ihr wollet diefe unfere Beichlüffe, ein Seglicher in feinem 
L, verfündigen laſſen.“ 
ht wie ein Vorgefehter zum Untergebenen, fondern wie ein Bruder 
uber, wie ein Freund zum Freund, ſpricht Pabft Gregorius zu dem 
Erzbiſchofe. Man fühlt, daß er überzeugt war, das Pabſtthum, 
er hauptfählih durch Zuthun des Willigis erlangt hatte, nur mit 
yülfe behaupten zu fünnen. Gregor V. bezeichnet weiter ven Erzbifchof 
em Stellvertreter. Wie früher‘) gezeigt worden, hatte Benebift VII. 
ule vom März 975 beftimmt, daß Willigis in ganz Gallien und 
ien den nächſten Rang nad dem Pabſte einnehmen fol. Gab ihm 
Gregor V. obigen Titel mit Bezug auf diefen Erlaß, oder ift anzu- 
daß er dem Erzbifchofe durch eine befonvere, nicht mehr vorhandene 
ie fraglihe Würde übertragen haben dürfte? Ich Halte Lebteres für 
inlicher. 
e im erſten Artikel ausgeſprochene Strafe traf ſämmtliche Biſchöfe, 
n der Abſetzung Arnulfs, oder, genauer geſprochen, an der Rheimſer 
von 991, welde wider Arnulf entfchied, Theil genommen hatten. 
ı diefer Synode waren aber laut den vorhandenen Akten folgende Bis 
ıgegen,?) erftlih Wido von Soiſſons, zweitens Adcelin von Laon, 
ielen Andern, deren Namen aufzuzählen nicht dieſes Ortes if. Dem⸗ 
fiel Ascelin fraft des erſten Artikels dem Urtheile der Suspenfion. 
oh! ſpricht der zweite Artifel noch einmal dieſelbe Strafe gegen As⸗ 
3, mit Beifügung des Satzes, daß er (am Palmfer 991 die Stadt 
wrathen und feinen gefangenen Vorgefegten) Arnulf den Königen in 
de geipielt habe. Aber diefer Beiſatz wird nicht etwa dazu gebraudt, 
ſchon im vorigen Artikel feftgefegte Strafe zu verfhärfen, nein er 
ar nichts an der Sadıe. 
cheint nun unter ſolchen Umftänven der zweite Artifel nicht ald eine 
faſt unerträglihe Tautologie? Weit gefehlt! Der Pabft hatte einen 
rund, den Laoner Biſchof insbefondere aufzuführen, aber einen Grund, 
Sregor aus politiichen Rüdfichten nicht klar ausfprechen durfte. Die im 
Artikel genannte Strafe iſt nicht wegen Theilnahme an Arnulfs Abs 
fondern darum über Ascelin verhängt worden , weil er vor zwei Jahren 
ve mit dem jebigen Kaiſer Otto ſich gegen die Freiheit oder gar gegen 
m feines Gebieterd Hugo Capet verfhworen hatte. Deutlicher rüdte 
Nachfolger, Pabſt Syivefter, mit der Sprache in einer Bulle’) hers 
ft welcher er Aöcelin vor eine Synode lud, damit derſelbe ſich wider 
ı Könige Robert vorgebrahten Klagen verantworte. 


— 


ben ©. 484. ) Berk ILL, 659 unten. 3) Zaffd, zogen. Mr. DOW, 


646 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. | 


Aus Schonung für den fähfifhen Hof ift es geihehen, daß Gregor obix 
Form wählte, denn ſonſt hätte er ja vor der Welt eingeftehen müſſen, da 
das Bergehen, wegen defien der Laoner Biihof zur Rechenſchaft gezoga 
ward, aud auf dem deutichen Kailer lafte. Der zweite Artifel war ein Ah 
der Genugthuung für das Gapetingiihe Haus. Gregor deutete vermittcdk 
defielben an, daß er nicht, wie fein Vorgänger Johann XV. gezwungen gu 
than, die päbftlihe Gewalt zum Vortheil der Dttonen mißbraudyen, ſonden 
ohne Anjehen der Perfon gegen Schuldige nach firengem Rechte verfahren werk. 

Im dritten Artikel erfüllte der Pabft eine hohe, aber auch Harte Pfüct: 
er that, was er vermöge feines Amtes ald Statthalter Petri thun muft, 
indem er gegen die greulihe Ehe des Capetingers Robert mit der Burg 
derin Bertha einjchritt. Auch hier wendet er die ſchonendfte Form an: um 
darum, weil Bertha eine Blutöverwandte des Königs fei, wird Die Ehe ge 
rügt, während doch gegen dieſelbe noch triftigere Gründe vorlagen. Schar 
hat Robert diefen Schlag empfunden, doc fügte er ſich zuletzt, obwohl en 
nad Gregor V. Tode. Unter Sylveſters Pontifikat im Sabre 1000 eb 
1001 trennte fich der zweite Capetinger von der Burgunderin.‘) 

Ueber die näheren Berhältniffe des im vierten Artikel erwähnten Falles 
finde ich nirgends Nachrichten. Der jechste, welder von Giſelher handelt, 
gereicht dem Pabſte zu unverwelklichem Ruhme. Während er felbft, von einm 
Räuber vertrieben, in der Verbannung weilt, während er fih von Yen 
auf allen Seiten umringt fühlt, während er ſich nicht darüber täufcht, daß ern 
ein Wespenneft fit und die Gunft des Kaijers aufs Spiel ſetzt, horcht Or: 
gorius mur auf feine Pfliht und beftraft den treulofen @lerifer, ver ſich ® 
fühnt hatte, aus fchnöder Ehrſucht ein Hochſtift des deutſchen Reichs ums 
ſtürzen. Noch fieben volle Jahre wußte Gifelher dad Schwert des Damolle, 
das über feinem Haupte hing, abzulenfen, die Wiederherſtellung des Mer 
burger Stuhl® zu verzögern. Er vermochte dieß, weil fort und fort der deut 
Hof ihm heimlihen Vorſchub leiftete. 

Johann von Cannapara fügt?) im Leben Adalberts von Prag: „Bruw 
Gregor bejaß hohe Fähigfeiten, ‚große Anlagen, aber, was weniger gut, a 
ließ ſich manchmal von jugendlichem Ungeftüm binreißen.” Ich bin Abe 
zeugt, daß dieſes Urtheil mitunter auf das Verfahren gegen Gifelher anfpklı 
aber ich wünjchte dafjelbe aus dem fonft trefflihen Buche weg. Unter de⸗ 
maligen Umftänden warb die Sade des Stuhles Petri nur dann geförken 
wenn der Pabft, auf Gott vertrauend und ohne menſchliche Rückſichten, dt 
Kirchenrecht wahrte: er mußte mit_feiner Perſon bezahlen, durchgreifen, tel 
ed, was da wolle. Wie fonnte auch Gregor mit gutem Gewiſſen gegen W 
Ehe des Capetingers einfchreiten, fofern er nicht im nämlichen Augenbik 
















‘) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. II, 1504. *) Berk IV, 391 gegen she 


Siebtes Buch. Cap. 37. Anfänge der Amtsführung Gregor V. Gerbert in Otto's III. Dienfte. 647 


durch die That zeigte, daß er mit dem nämlichen Maßftabe, den er an frans 
zöſiſche Mißbräuche anlege, auch deutfche meſſe. Der Pabſt ift nicht für Frank⸗ 
rei oder Germanien da, fondern für alle chriftlihe Nationen, für alle Söhne 
der Kirche. 

Der fünfte und der fiebente Artifel hängen enge zufammen. Johann 
Grescentius IV. hatte bereitd fein Verbrechen vollendet, darum trifft ihn der 
Fluch. Bon dem Calabrefen Johann dagegen iſt nirgends die Rede; er war 
folglih noch nit zum Gegenpabſt eingefegt, ald Gregorins V. die Synode 
zu Pavia hielt, weldhe, wie oben gezeigt worden, Ende Februar oder Ans 
fange März 997 zufammengetreten if. Wohl aber wurden damals Vorbe⸗ 
reitungen zu Gunſten des Calabreſen getroffen. Denn das Verbot im fünften 
Artikel, daß Fein römiſcher Cleriker bei Strafe des Bannes fi unterftchen 
ſolle, Berbindlichfeiten, betreffend cine Wahl, zu den Lebzeiten des Pabftes 
einzugehen, bezieht fi handgreiflih auf Das, was eben in Rom gefchah. 
Man fteht: der Placentiner iſt nicht gewaltfam von Erescentius erhoben, fon, 
dern förmlid gewählt worden. Sehr natürlih! Der Brobherr des Patricierg, 
Kaiſer Baſilius von Conftantinopel, hatte die Bedingung geftellt, daß fein 
Werkzeug Johann nicht im Sturme, fondern unter Beobachtung der Canones 
Petri Stuhl befteige. 

Andere Nachrichten flimmen zu. Alte Verzeichniffe berechnen) das Ponti⸗ 
fifat des Calabreſen auf eine Dauer von zehn Monaten. Geftürzt ift derjelbe 
Ende Februar 998 worden, feine Erhebung fällt demnad in den Mat 997. 
Genau, wie oben gezeigt worden, ſchildert die Yolgenreihe der Begebenheiten 
die Chronik von Hildesheim, Taut deren Zeugniß?) zuerſt Crescentius 106, 
fchlägt, worauf der flüchtige Gregor V. eine Synode zu Pavia hält, welde 
den Bann über Erescentius verhängte. Und nun erft läßt die Ehronif den 
Griechen Petri Stuhl an fi reißen. Weiter berichtet fie dann: „nachdem 
Letzteres geichehen, ſprachen die Bilhöfe Italiens, Germantend, Franciens, 
Galliens (Lotharingend) insgeſammt den Fluch wider den Anmaßer aus.“ 
Laut diefen Worten muß Gregor, ald er Kunde von der Erhebung de6 
Placentiners erhalten hatte, ohne Zweifel im Hochſommer 997, eine große 
Synode in Italien verfammelt haben, zu welcher er Bifchöfe aus allen Theilen. 
des Abendlandes berief. 

Sn der That hanvelte es ſich hiebei um nichts Geringeres, als die las 
tinifchsgermanifche Welt vom drohenden Joche der Byzantiner zu befreien. 
Um die Zeit, in welde man aus andern Gründen diefe Synode verfegen 
muß, hat Gregor V. unter dem 7. Juli eine Bulle?) erlafien, kraft welder 
er den Stuhl von Piacenza (bis dahin im Beſitze des Calabrefen), „welcher 
ungefepliher Weife durch Pahft Johann XV. dem Verband mit dem Metro⸗ 


1) Jaffo, rogest. ©. 344. °) PBerp II, 9. °) Jaffé Nr. 2967, 


648 Pabſt Gregorius VIL. und fein Beitalter. 


politan-Eprengel Ravenna entzogen und zu einem Erzbisthum erhoben were 
ſei,“ wieder befagter Metropole zutheilte. Ich denke, dieſe Urkunde iR au 
Anlaß des vom Hildesheimer Chroniften erwähnten Concils audgeferig 
worden. Leider trägt fie feinen Drt, fonft fönnte man aud den Drt ie 
Concils beftimmen. 





Adtunddreißigfies Capitel. 


Sweiter Römerzug Otto's III. angetreten im inter von 997 auf 998. Geine Beglaz 
find diegmal nicht, wie 996, Bifchöfe, welche vielmehr bis auf wenige Ausnahmen de 
figtlih wegbleiben, fondern Laienfürften. Mit dem Pabfle Gregor V. zieht er nad 
Rom. Strafgericht daſelbſt. Crescentius wirb geföpft, dann gehenft, ber Galabır 
Johann von Piacenza audgepeitfcht und verflümmelt. Erſte Anfänge des Bruchs zwiide 
Dtto III und dem Pabſte Gregor V. Abt Hugo von Farfa, und die Art und Werk 
wie er zur Abtei gelangte. Die vom Kaifer erhobene Beſchuldigung, daß reger T. 
bie Abtei an Hugo verfauft habe, ift grunblos. Nachweis, daß es Gerbert war, welde 
den Raifer und den Pabft entzweite. Auch den Erzbiſchof Willigie von Mainz Bat a 
beim Kaifer verläumbet. Belchimpfungen, die er gegen Gregor V. und BWilligis an% 
ſtieß. Weil der Kaifer, von Gerbert umgarnt, mit Einziehung der Marken Epoleto: 
Gamerino drohte, wird der Pabſt genöthigt, den Erzſtuhl Ravenna an Gerber pr 
vergeben. Bulle, welche Gregor V. zu biefem Zwede erließ : biefes nemliche Pergament 
bereitet die Ermordung bed Pabſtes vor. 


Allem Anfcheine nad) blieb Gregor V. während der übrigen Monate des 
Jahres 997 in Lombardien; denn nah Rom, wo fortwährend @redcentins 
und der Ealabreje Johann ihre Gewaltherrichaft behaupteten, fonnte er nur 
mit Hülfe des Kaiſers zurüdfehren. In der That rüftete ſich Otto III. zu 
einer zweiten italieniihen Heerfahrt. Che er ging, ernannte‘) er feine Mubme, 
Mathilde, die Aebtiffin von Quedlinburg, zur Reichsverweſerin. Diefe Ber 
fügung beweist, daß er auf eine lange Abwefenheit aus der deutfchen Hei 
math rechnete, folglih daß der neue Römerzug von Vornherein einen weient 
lich verjchiedenen Zwed hatte, als der von 996, welcher wie ein ſommerliches 
Gewitter vorüberging. Dem entſprach aud die Zufammenfegung des kaiſer⸗ 
lihen Gefolge. Während es 996 vorzugsweife Bifchöfe geweſen waren, die 
den jungen König begleiteten, werden jetzt als Dtto’8 Gefährten Große aus 
dem Laienftande erwähnt: die Herzoge Otto von Kärnthen,“ des Pabſtes 
Bater, Heinrich”) von Baiern, des Zänkers Sohn, Herrmann?) von Schwa- 
ben, Marfgraf Eftihard von Meißen,’ Graf Birthilo*) aus dem Breisgau, 
wahrfcheinlih einer der Ahnen des Zähringer Hauſes. 

Außer den Biſchöfen Heinrih‘) von Würzburg, Rambert‘) von Eonftanz 


ı) Berg III, 75 u. 91. 2) Die Belege bei Gfrörer, Kirch. Geſch. III, 1495 nad 
Jahrbücher des beutfchen Reihe II, b. S. 98. 2) Siehe unten. %) Jahrbücher bes 
d. R. a. a. O. ©. 9. ) Manſi XIX, 226 unten. 


Indy. Gay. 38. Gregor V. aus Rom verizichen. Spannung zwifchen ihm n. d. Ratfer. 649 


tfer!) vom Lüttich, welche dem römiichen Eoncile vom Sommer 998 
ten oder um die nämliche Zeit eine pähftlihe Urkunde unterfchrieben, 
nd von deutſchen Kirchenhäuptern die Rede, welde mit dem Kaiſer 
jen wären, namentlich nicht von dem Mainzer Willigie. Ja eine zu 
t dritten Monat nach der Ankunft des Kaiſers unter dem 9. Mai 998 
Üte Urkunde?) hebt ausprüdlic hervor, das Gefolge des Kaifers ſei 
n aus Herzogen, Grafen und unzähligen Dienflleuten Germaniens 
igobardiens. 
€ überwiegende Mehrzahl der deutſchen Biſchöͤfe muß gewußt haben, 
r Katfer dieſes Mal in Italien zu thun beabfichtigte, und deßhalb von 
rfahrt weggeblieben fein. Dagegen befand fi in der nächſten Um⸗ 
) des deutichen Herrſchers eine gefallene clerifale Größe, fein Lehr, 
oder, wie fol ich jagen, oberfter Rathgeber, Gerbert, welcher von nun 
hervorragende Rolle zum Verderben Gregors V. und ODtito's IH. 
ı fpielen begann. 
ı Oftober 997 hatte der Kaiſer zu Aachen Hof gehalten.) Bon dort 
auf nah Stalien über den Brennerberg, den 13. Dezember war®) 
rient, den 31. defjelben Monats zu Pavia, ) wo Pabſt Gregorius 
zufammentraf.‘) Die Dienftleute Langobardiens wurden fofort aufges 
ver ftanden ſchon bereit. An ihrer umd des deutſchen Heeres Spihe 
er Kalfer und der Pabſt Mitte Februar 998 auf Rom. Aus einer 
?) ergibt fih, daß fie den 22. Februar 998 vafelbft angelangt 
Widerfiand fanden fie feinen. Denn auf die. Radıridt von des 
Annäherung hatte fi Erescentius mit den Seinigen in die Engels⸗ 
worfen, der Gegenpabft Johann aber die Stadt verlafien und in einem 
‚hurm der Umgegend Verſteck geſucht. 
wert büßte der Gegenpabft. Auf des Kaiſers Befehl jagte ihm Graf 
nach, nahm ihn gefangen, ließ ihn graufam verftimmeln und in ein 
ſtecken. Alsbald erhob fih zu Gunften des Unglüdlichen ein mäch⸗ 
irfpredyer, nämlich fein Landsmann, der Grieche Nilus. Der Bios 
des Abts erzählt:*) „obgleih Nilus den Umgang mit großen Herm 
rundfag mied, fam er doch in Häufige Berührung mit ihnen,’) um 
Untervrüdten, Schwachen zu helfen. Ebenderſelbe ſchrieb zu ſolchem 
viele Briefe, aus denen man ein hübſches Buch bilden Tönnte, wenn 
ımmelt würden. Auch feinen Landsmann Johannes (von Piacenza) 
fchriftlich gewarnt, als diefer, von Ehrgeiz geblendet, den Stuhl Petri 
riß. Wie nun Nilus die Nachricht erhielt, daß Johann gefangen, 


bid. &. 230 oben. *) Manfl XIX, 227. °) Siehe unten ©. 660 fig. *) Böhmer, 
Re. 802—804.  ®) Jahrbücher des d. R. IL, b. ©. 98 fie. 9) Perg II, 74. 
zücher des d. R. II, db. ©. 247. ) Gfrörer, Kirch. Gef. II, 1497 fig. 
übel flimmen diefe beiden Säge zufammen. 


648 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


politan⸗Sprengel Ravenna entzogen und zu einem Erzbisthum erhoben werke 
fel,“ wieder befagter Metropole zutheilte.e Ich denke, dieſe Urkunde iR ai 
Anlaß des vom Hildesheimer Ghroniften erwähnten Concils amögefernig 
worben. Leider trägt fie feinen Ort, fonft könnte man aud den Dirt ii 
Concils beftimmen. 





Achtumddreihigte⸗ Capitel. 


gweiter Mömerzug Otto's III. angetreten im Winter von 997 auf 998. Geine Begkün 
find diegmal nicht, wie 996, Bifchäfe, welche vielmehr bis anf wenige Untuchmen de 
fichtlich wegbleiben, fondern Laienfürften. Mit dem Pabſte Gregor V. zieht ex mi 
Kom. Girafgericht daſelbſt. Crescentius wird geköpft, dann gehentt, der Gelahuk 
Sohann von Piacenza ausgepeitfcht und verftämmelt. Erſte Anfänge bes Bruce zwiiie 
Dtto M. und dem Babfle Bregor V. Abt Hugo von Yarfa, und bie Art und Mic, 
wie er zur Abtei gelangte. Die vom Kaifer erhobene Beihulbigung, daß Greger T. 
die Abtei an Hugo verfauft habe, iR grunblos. Nachweis, daß es Berbert war, melde 
den Raifer und den Pabſt entzweite. Much den Erzbiſchof Willigie von Mainz hat a 
beim Kaifer verläumbet. Beſchimpfungen, bie er gegen Gregor V. unb MBilligis uni 
ſtieß. Weil der Kaifer, von Gerbert umgarnt, mit Ginziehung der Marken Epolee 
Gamerino drohte, wirb ber Pabſt genöthigt, ben Erzſtuhl Ravenna an Gerber pn 
vergeben. Bulle, welche Gregor V. zu biefem Zwecke erließ : biefes nemliche Bergamen 
bereitet die Ermorbung des Pabſtes vor. 


Allem Anfcheine nach blieb Gregor V. während ber übrigen Monate de 
Jahres 997 in Lombardien; denn nah Rom, wo fortwährend Grescentins 
und der Galabrefe Johann ihre Gewaltherrichaft behaupteten, Tonnte er nur 
mit Hülfe des Kaiſers zurüdkehren. In der That rüftete fi) Otto LIL zu 
einer zweiten italienifhen Heerfahrt. Ehe er ging, ernannte") er feine Muhme, 
Mathilde, die Yebtiffin von Quedlinburg, zur Reichsverweſerin. Dieje Ber 
fügung beweist, daß er auf eine lange Abwefenheit aus der deutfchen Hei 
math rechnete, folglih daß der neue Römerzug von Vornherein einen weient 
lich verfchiedenen Zwed Hatte, al8 der von 996, welcher wie ein ſommerliches 
Gewitter vorüberging. Dem entſprach auch die Zufammenjegung des Eaifer 
lichen Gefolge. Während es 996 vorzugsweiſe Bijchöfe geweien waren, bie 
ben jungen König begleiteten, werben jegt ald Otto's Gefährten Große aus 
dem Laienftande erwähnt: Die Herzoge Dito von Kärnthen,*) des Pabſtes 
Bater, Heinrih?) von Baiern, des Zänfers Sohn, Herrmann?) von Schwas 
ben, Markgraf Ekkihard von Meißen,’ Graf Birthilo* aus dem Breidgan, 
wahricheinlih einer der Ahnen des Zähringer Hauſes. 

Außer den Bifchöfen Heinrich") von Würzburg, Lambert‘) von Eonftan 


*) Berk IIL 75 u. 91. ) Die Belege bei Sfrörer, Kirch. Gefch. ILL, 1495 zab 
Jahrbücher des beutfchen Meiche II, b. ©. 98. 2) Siehe unten. *) Jahrbücher bed 
RR. a. a. O. ©. 9. ) Manfi XIX, 226 unten. 


Buch. Cap. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwiſchen ihm u. d. Raifer. 649 


otfert) von Lüttich, welche dem römifchen Eoncile vom Sommer 998 
ıten oder um die nämliche Zeit eine päbftliche Urkunde unterfchrieben, 
end von deutfhen Kirchenhäuptern die Rede, welde mit dem Kaiſer 
gen wären, namentlid nicht von dem Mainzer Willigie. Ja eine zu 
m dritten Monat nad der Ankunft des Kaiſers unter dem 9. Mai 998 
elite Urkunde?) hebt ausbrüdlich hervor, das Gefolge des Kaiſers ſei 
m aus Herzogen, Grafen und unzähligen Dienftleuten Germaniens 
ngobardiens. 
ie überwiegende Mehrzahl der deutſchen Bifchöfe muß gewußt haben, 
r Kaiſer dieſes Mal in Italien zu thun beabfichtigte, und deßhalb von 
erfahrt weggeblieben fein. Dagegen befand fi in der näcften Um⸗ 
) des deutſchen Herrichers eine gefallene clerifale Größe, fein Lehr; 
ober, wie fol ich jagen, oberfter Rathgeber, Gerbert, welcher von nun 
: hervorragende Rolle zum Verderben Gregors V. und Dtito's II. 
u ſpielen begann. 
n Oktober 997 hatte der Kaiſer zu Aachen Hof gehalten.*) Bon dort 
:- auf nah Stalien über den Brennerberg, den 13. Dezember war®) 
srient, den 31. deſſelben Monats zu Pavia, *) wo Pabſt Gregorius 
ı zufammentraf.‘) „Die Dienftleute Langobardiens wurden fofort aufge 
der fanden ſchon bereit. An ihrer und des deutſchen Heeres Spitze 
er Kaiſer und der Pabſt Mitte Februar 998 auf Rom. Aus einer 
7) ergibt fih, daß fie den 22. Februar 998 daſelbſt angelangt 
Widerſtand fanden fie feinen. Denn auf die Nachricht von des 
Annäherung hatte fid) Erescentius mit den Seinigen in die Engels: 
worfen, der Gegenpabft Johann aber die Stabt verlafien und in einem 
;hurm der Umgegend Berfted gejudt. 
ıerft büßte der Gegenpabſt. Auf des Kaiſers Befehl jagte ihm Graf 
nach, nahm ihn gefangen, ließ ihn graufam verftimmeln und in ein 
fielen. Alsbald erhob fih zu Gunſten des Unglüdlichen ein mäch⸗ 
irfprecher, nämlich fein Landsmann, der Grieche Nilus. Der Bios 
des Abts erzählt:“) „obgleih Nilus den Umgang mit großen Herm 
rundfag mied, fam er doch in häufige Berührung mit ihnen,“) um 
Unterdrüdten, Schwachen zu helfen. Ebenverjelbe jchrieb zu foldem 
viele Briefe, aus denen man ein hübfches Buch bilden könnte, wenn 
ımmelt würden. Auch feinen Landsmann Johannes (von PBiacenza) 
ichriftlich gewarnt, als dieſer, von Ehrgeiz geblenvet, den Stuhl Petri 
riß. Wie nun Nilus die Nachricht erhielt, daß Johann gefangen, 


id. S. 230 oben. *) Manfl XIX, 227. ?) Siehe unten &. 660 fl. *) Böhmer, 
tr. 802—804. *) Jahrbücher des d. M. IL, b. ©. 98 fl. 9) Berk II, 74. 
üder dee d. R. D,b. ©. 247. Efroͤrer, Kirch. Geſch. M, 1497 fig. 
abel ſtimmen dieſe beiden Säge zuſammen. 


\ 


650 VPabſt Gregorins VIL mub fein Zellaller. 


geblendet, an Naſe und Zunge verflimmelt worden ſei, eilte ber Bike 
Greis mitten in der Baftenzeit nah Rom, um Schonung für den Gefungan 
u erfichen.“ 

Weiter berichtet der Lebensbefchreiber, Kalfer Otto ſei burd Die Ok 
des Abts gerührt worden, aber nicht jo Pabſt Gregorius V., welcher Bed 
gegeben habe, den gefallenen Gegner vor dem ganzen römifchen Belfe zu bo 
ſchimpfen. Nilus gerieth hierüber in die leidenſchaftlichſte Stimmung, wo 
geblich fuchte der Kaiſer durch einen hohen Beiftlihen, den er an The de 
fchidte, die That zu entichuldigen, der Abt hörte die Worte veſſelben nik 
an, fondern ſtellte fih, als ob er fchlafe; dann fprang er auf, befahl, is 
Roß zu fatteln und ritt, den Kalfer und den Babft eher 0) 
wieder nad, feinem Klofter in Gaeta zurüd. Die Wuth des Alten the 
fi dem Biographen mit, der ein Schüler des Nilus war. Go weit wergit 
fih diefer Menſch, daß er ungeichent feine Schabenfreude über Die bald dw 
auf erfolgte Ermordung des Pabſts Gregorius an den Tag legt. 

Die Angaben des füritalienifhen Griechen werden im Wefentlichen vard 
die Ausfagen eines norbitalienifchen Zeltgenofien bekräftigt. “Der ältek 
Chroniſt von Venedig deutet an,) Gregor habe eine Synode berufen, wei 
den Bannfluch gegen den Afterpabft ausſprach, darauf ſei dem Gefangen 
das geiftliche Gewand abgerifien, er ſelbſt rüdlinge auf einen Eſel gefeht 
ſolcher Geftalt durch die Straßen der Stadt geführt und dem Gefpätte dei 
Poͤbels preißgegeben worden. Ich bin überzeugt, daß Pabſt Gregor mih 
aus blinder Leidenſchaft, fondern mit gutem Bedacht jo handelte. 

Dffenbar war es dem Balabrefen gelungen, mit dem byzantiniſchen Golde, 
das er aus Eonftantinopel brachte, bedeutenden Anhang unter dem Bolfe m 
werben. Deßbalb riet) der geſunde Menſchenverſtand, dur eine in die 
Augen fallende That den Beweis herzuftellen, daß der Arm des Baflleus 
von Eonftantinopel nicht lange gemug fei, um dauernd die kirchliche Drbnung 
des Abendlandes zu flören oder Sölblinge auf Petri Stuhl einzufegen. Die 
Strafe, die den ehemaligen Biſchof von Piacenza traf, war Bart, aber den 
befiehenden @efehen gemäß und darum gerecht. Der doppelte VBerräther am 
fatferlihen Haus und der lateinifchen Kirche verbiente Fein beſſeres Schichſal 
Und wenn Gregorius V. den zudringlihen Bitten des Abts Nilus fein Ge⸗ 
bör fchenkte, fo that er dieß ohne Zweifel darum, weil er vbenfelben für 
einen Mitfchuldigen des Placentiners hielt, was jener ohne Zweifel wir 
ih geweien if. 

Endlich darin, daß Kaifer Otto dem Abte von Gaeta gegenüber fid ſo 
benahm, als fei er perfönlich geneigt, dem gefangenen Gegenpabft weitere 
Demüthigungen zu erjparen, während er doc in der That den Anorbuungen 





) Perg VI, 31. 


Siebtes Buch. Kap. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwiſchen ihm u. d. Raifer. 651 


Gregors V. freien Lauf geftattete, kann ich nur einen At der Heuchelei er- 
bliden. Zu den vielen Schwäden des jungen Kaiſers gehörte, wie jpätere 
Ereignifje bezeugen, auch die, daß er fid gerne in der Vollksgunſt fonnte, 
übertriebenen Werth auf Beifallsbezeugungen des großen Haufens legte. Wer 
fo geartet ift, geräth leiht in Verfuhung, die Gehäſſigkeit von Maßregeln, 
welche der Staatsvortheil vorfchreibt, auf die Schultern anderer Leute — 
wären es auch die eined Pabſtes — abzuwälzen und die Maske vorzuneh⸗ 
men, als jeien diefelben wider den Willen des durchlauchtigſten Herrſchers 
durchgeſetzt worden. 

Nah Beftrafung des Afterpabftes kam die Reihe an Erescentius, der 
noch immer das Gaftel St. Angelo behauptete. Vom Kaiſer mit Belagerung 
ver Burg beauftragt, rüftete Effiharb, der Meißener Markgraf, Sturmzeug. 
Nach mehrtägigen Anftrengungen ward das Schloß — bisher für uneinnehm» 
bar gehalten — den 29. April 998 erftürmt, Erescentius ergriffen, auf das 
Dad hinaufgefchleppt und dort geköpft. Sofort brachte man die Leiche auf 
einen öffentlichen Platz, und henkte fie daſelbſt — weithin fidhtbar, mit den 
Füßen an einem Galgen auf. Zwölf der am meiften beſchwerten Anhänger 
des Gehenkten erlitten diefelbe Strafe.) Kaifer Dtto muß die Hinrichtung 
des ehemaligen Patriciers für ein großes und glückliches Werk gehalten haben, 
denn unter dem 29. April ftellte er zu Gunſten des Klofterd Meinradszell 
eine Urkunde?) mit der Zeitbeftimmung aus: „heute, ald am Tage, da Cres⸗ 
centius enthauptet und aufgehentt warb.” 

Auch die nächften Anverwandten des enthaupteten Patriciers, fein Schwas 
ger Graf Benedikt von Sabinum, Gemahl der Theoderanda, und deſſen Söhne 
Johann und Erescentius wurden zur Rechenſchaft gezogen. Legttere hatten 
während der Gewaltherrfchaft ihres Stammhauptes auf Koſten der benach⸗ 
barten Klöfter und des Stuhles Petri um ſich gegriffen, namentlich die Stabt 
Gere, Eigenthum der römifchen Kirche, widerrechtlid in ihre Gewalt gebracht.) 
Aus Neugierde war Benedikts Sohn Johann nad) Rom gegangen, während feinen 
Dheim das Scidfal ereilte.e Pabſt und Kaiſer erfuhren die Anweſenheit des 
jungen Grafen, ließen ihn verhaften, und fandten nun dem Bater Befehl zu, 
daß er augenblicklich Eere herausgeben folle.) Benedikt erichien wirklich zu 
Kom und verpflichtete fi, den Willen Otto's IIL zu vollfiteden, aber an 
MWorthalten dachte er nicht, ſondern er verließ die Stadt heimlich wieder. 

AS Kaifer und Pabft hievon Kunde erhielten, rüdten fie, den gefanges 
nen Sohn Benedikts mit fi führend, mit Heeresmacht vor Gere, ließen dem 
jungen Menſchen die Hände auf den Rüden fchnüren, die Augen verbinden 
und dem Vater hinein melden: überliefere Gere oder dein Sohn wird vor 
deinen Augen gehenkt. Diefe Drohung wirkte; Petri Stuhl erhielt fein Ei⸗ 


4) Berg I, 91. 776. VII, 31. *) Böhmer, regeat. Rr. 816, M Berg ZI, AN. 


652 Vabſt Gregorins VII. und fein Seitalter. 


genthum zurüd. Schreden herrſchte zu Rom und weithin in ber umliegenta 
Gegend. Abt Hugo von Farfa ſchreibt) Iafoniih in einem auf und gefım 
menen Aftenftüde: „gar firenge Gerichte hielten Kaifer Dito IIL und Pati 
Gregorius. Seitdem hörten Graf Benebift und deſſen Söhne auf, und, wie 
fonft, zu plagen. Zwar hätten fie berzlih geme die alten Bedrückungen fort 
geſetzt, aber fie wagten e8 nicht, weil der Kaifer im Lande war.” 

Diefe Borgänge lauten fo, als habe das befte Einvernehmen zwiſchen 
Kaifer und Pabft beftanden. Aber in Wahrheit verhielt ſich vie Sadıe au 
ders. Schon war der Riß ausgebrochen, der feitvem immer Flaffender wurt. 
Die erfte Epur folder Mißhelligfeiten hängt mit der Geſchichte des ſabiniſchen 
Klofters Farfa zufammen. Durch einen Streit zwifchen zwei Bewerbern um 
die erledigte Abtei gefchah es, daß im Jahre 983 ſämmtliches Bermögen tx} 
Stifts in zwei Theile zerriffen wurde. Was davon im Sabinum, im Her 
zogthum Spoleto und in Tuscien lag, empfing der eine Bewerber, Zohan, 
der auch das Klofter ſelbſt ſammt dem Abtstitel behielt. Alle in der Marl 
Camerino gelegenen Güter fielen dem andern Bewerber, Adam, zu.?) 

So blieb es bis zu der Zeit, da Otto IH. den erften Römerzug antraı. 
Adam hatte indeß das Bisthum Ascoli erlangt und war folglich ſtattlich ver 
forgt, deßhalb zwang ihn Otto IIL, feinen Antheil am Kloftergut herauszu⸗ 
geben, und ftellte durd Urkunde?) vom 25. Mai 996 die Einheit des Stifis 
zu Gunften des Abt Johann wieder ber. Doc erfreute fich -Iegterer des 
Erfolgs nur ein Jahr lang, denn er ftarb im Mai 997. Zu feinem Nads 
folger wurde Alberih gewählt, der cbenfalld nur kurze Zeit dem vereinigten 
Klofter vorftand: er verfchied nämlich nach fehs Monaten, d. h. im Nov. 99°. 

Jetzt gelangte die Abtwürde an den und von früher her befannten Hugo, 
der geboren 973, als dreizchnjähriger Knabe 986 in das Klofter Et. Dur 
rifus auf dem Amiatoberg eingetreten war und folglihd 998 nur 25 Jahre 
zählte. Nicht lauter ging feine Erhebung zu; er hat die Abtei laut jeinem 
eigenen Geftänpnig „vom Pabfte für Geld erfauft." Als Kaiſer Otto II. 
bievon Kunde erhielt, erflärte er Hugo für abgeſetzt, verſchenkte das Kloſter 
an einen Bifchof, der gleich dem jungen Abte Hugo hieß, und jchidte einen 
Vertrauten Namens Erpo nad Yarfa, um die Mönche zu überwahen. Tod 
in den erften Tagen feiner zweiten Ankunft zu Rom nahm der Kaijer viele 
feine Verfügung zurüd, ftellte auf Bitten der Mönchgemeinde den Abt Hugo 
wieder ber, indem er die Bedingung beifügte: daß hinfort die Moͤnchsregel 
jorgfältig beobachtet werde, Abt Hugo aber unentgeldlich die kaiſerliche Be: 
lehnung und die päbftlihe Weihe empfangen folle. 





—— — — 


) Ibid. I ſetze die Schlagworte lateiniſch her: Otto imperator et Gregorius papa — 
nimis districte placita infra Romam exercebant — praefatus comes (Benedictus) donec 
adrixit nullam molestiam — nobis fecit; licet vellet non audebat, quia in regno impe- 
"ator erat. 2) Perh XI, 538 unten fig. 


Siebtes Buch. Kap. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwiſchen ihm u. d. Raifer. 653 


Die betreffende Urkunde,) ausgeftellt zu Rom unter dem 22. Febr. 998, 
ift noch vorhanden. Ihre Worte, bezüglich der wirfli oder angeblich von 
Hugo verübten Simone lauten fo: „weil Mönch Hugo fi die Abtwürde 
in unferem ka iſerlichen Klofter Barfa ohne unjere Einwilligung angemaßt, 
und was noch fchlimmer, vom römifchen Pabſt um Geld erhandelt hatte, iſt 
er von Uns audgetrieben worden.” Aehnliches fagt Hugo felbft in einer 
Denkſchrift:) „vor Gott dem Almächtigen und vor unferer Herrin der Mutter 
Gottes und ewig reinen Jungfrau Marta befenne ih, daß ich, von Ehrfucht 
getrieben, die Abtei Farfa für Geld, welches ich dem Herrn Pabft darbrachte, 
erworben habe.“ | 

Wer ift nun unter dem Pabfte zu verftehen, von dem Hugo angeblich 
die Abtwürde erfaufte? Es gab zwiſchen dem November 997, da Hugo’d 
Vorgänger ftarb, und dem 22. Februar 998, da Hugo vom Kaiſer wieder 
eingefegt ward, zwei, welche den Titel Statthalter Petri ſich beilegten, den 
Afterpabft Johann den Balabrefen zu Rom und den rechtmäßigen aber flüch⸗ 
tigen Pabſt Gregorius V., der damals in Lombardien weilte. Da es uns 
möglich fcheint, daß Gregor V., Eiferer für Wiederherſtellung der Kirchenzucht, 
Freund und Befhüger ver Clugniacenfer, Simonie getrieben habe, wird man 
geneigt, auf den erften zu rathen. Aber Gründe der ftärfften Art dulden dieß nicht. 

Ich fage, unmöglich ift es, daß Kaiſer Dito dem Griechen Johann und 
noch Dazu nad völliger Bewältigung deſſelben und in einer öffentlichen Urkunde 
den Titel „Pabſt“ ertheilt haben folte, während er in dem Calabreſen doch 
nur das erbliden fonnte, was er in der That war, nämlih einen Anmaßer 
und Rebellen. Daffelbe gilt von dem Abte Hugo, der den nämlichen Ausdrud 
gebraudt. Ein anderer Umfland kommt hinzu: Wer wird glauben, daß ber 
Mönd Hugo im November oder Dezember 997, da bereits der Anmarſch 
des deutſchen Kaiſers mit einem mächtigen Heere in Italien befannt fein 
mußte, fo einfältig gewefen ſei, an den Griechen Johann, welder fo gut ale 
verloren war und zwiſchen Luft und Erde ſchwebte, Geld wegzumerfen. Kur 
Gregor V. fann in der Urkunde vom 22. Februar 998 wie in der Denkichrift 
Hugo's gemeint jein. 

Prüfen wir zunächft die Anklage, welche die Urkunde gegen Gregor V. 
erhebt. Diefelbe bezeichnet das Kloſter Farfa als ein kaiſerliches, weßhalb 
fein Abt ohne des jeweiligen Kaiſers Einwilligung daſelbſt beftellt werden 
pürfe. Darin liegt ein verbedter Vorwurf, daß Pabft Gregor, indem er bie 
Inful an Hugo vergab, in fremdes Eigenthum eingegriffen habe. Allerdings 
war Farfa Iange Zeit ein kaiſerliches Stift gewefen und zwar fraft des Er⸗ 
laſſes,) durd melden Lothar J. Iangobarbifches Recht dafelbft einführte, das 


2) Muratori, seript, ital. II, b. ©. 492. 3) Ibid. ©. 547 flg. 5) Giche oben 
©. 125 un, 443, 


654 Vabſt Gregorius VIL. und fein Seltalter. 

Klofter der Gerichtsbarkeit des Stuhles Petri entzog, und dem Tafferliäen 
Throne unterorbnete. Wir wiffen, wie oft die Aebte von Farfa, um allerlei 
Ungebühr zu bemänteln, ſich auf diefe von politifcher Argliſt eingegebene Ur 
-funde beriefen. 

ber feit dem Sommer 996 konnten fie mit Recht ſolches nicht mehr 
thun. Farfa ſelbſt und bei Weitem die meiften Güter des Kioflerd lag 
Iaut dem oben mitgetheilten Zeugniffe im Sabinum, im Herzogthum Spe 
leto, und in der Marke Eamerino. Bon diefen rei Lanbichaften war bie er 
uraltes Eigenthum des Stuhles Petri, und zwar von Alberich IL. als auf 


gebrungenem Gewaltherrſcher des Kirchenftaatd an den Burgunder Iugebah | 


abgegeben, *) aber von Johann XII. zurüdgezogen und dann — jedoch ſicher⸗ 
lich mit Borbehalt pähftlicher Hoheit — an feinen Neffen Benebift übertrage 
worbden.?) Die Ohberlehenherrlichkeit über pas Sabimm fand daher ohre 
Frage dem Pabſte Gregor V., ald dem Rechtönachfolger Johanns ZIEL, gu 

Was die beiden andern Provinzen Spoleto und Gamerino betrifft, f 
hatte fie, wie früher gezeigt worden, Kaiſer Otto III. dur ben UM vom 
Sabre 996 entweder an Petri Stuhl, oder perfönlih an Pabſt Gregor V. 
feinen Better, abgetreten. Hieraus folgt denn, daß Gregor V. nicht bloß 
vermöge der Hoheit, weldye öffentliche Meinung oder allgemeiner Glaube ber 
Menſchen den Päbften Über den Umfang des alten, wenn and; im ber 
That vielfach zerrifienen, Batrimoniums Petri zufchrieb, ſondern noch vielmehr 
in der Eigenſchaft eines neulih von Otto IT. ſelbſt eingefehten und aner- 
fannten Grundherrn allerdings vollfommen befugt war, bei Bergebung der 
Abtwürde eines Stifts, deſſen Mittelpunft und Güter den drei Provinzen 
Sabinum, Spoleto und Camerino angehörten, das entfcheidende Wort zu 
fprehen. Und wenn gleihwohl der junge Kaiſer diefe Befugniß thatſächlich 
beftritt,, fo geſchah Solches offenbar nur veßhalb, weil Dtto III. überhaupt 
an dem Bertrage von 996 rüttelte, oder weil er Händel mit dem Pabfte fuchte. 

Zweitens behauptet die Urkunde, Gregor V. habe die Abtwürbe von 
Farfa an Hugo für Geld verkauft. Diefe Inzicht hat jedoch ohne näher 
Beſtimmung fein Gewicht. Ganz ebenfo ift, wie ih an einem andern Orte‘) 
zeigte, Erzbiihof Hanno von Cöln, der Hocgefinnte und Reine, vom deut⸗ 
ſchen Könige Heinrich IV., welcher in ſchmählicher Weiſe Dienſthandel trieb, 
der Simonie befhuldigt worden. Längft befand der Gebrauch, daß Solde, 
welde höhere und niedere Pfründen erhielten, vorher gewiſſe Taren an Die 
besahlen mußten, welchen die Verleihung zufam. Auch der Pabft erhob ohne 
Zweifel ſolche Abgaben von neu gewählten Aebten und Bifchöfen, deren Stifte 
oder Klöfter in den Gebieten Tagen, über welche der h. Vater Landesherr war. 
Denn fo wenig ald andere Leute kann ein Pabft aus der platten Hand leben. 


) Perg XI, 541 oben. *) Ibid. S. 540. *) Band II, 225 fig. vorliegenden Werk 


1 Bach. Gap. 38. Gregor V. ans Rom vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Raifer. 655 


Ich werbe unten‘) nachweiſen, daß im nämlichen Jahre 998 ein Mann, 
h den Schein gab, das Kirchenrecht in lauterſter Geſtalt zu wahren, 
ih oder auf einer Eynode eine Taxordnung der beichriebenen Art eins 
. Hieraus erhellt, daß legtere von den Kirchlichgefinnten nicht mißbilligt 
n fein fann. Angenommen nun, das Gelb, welches Hugo laut feinem 
n Geftänpniffe an Gregor V. Kammer entrichtete, ſei eine herkoͤmmliche 
gewejen, begreift man jehr gut, daß übler Willen den Pabſt over ven Abt 
imonie bezüchtigen fonnte, während in Wahrheit das Vergehen, welches 
rche mit dem Worte begreift, feinem von Beiden zur Laft fallen mochte, 
tun findet fi in der Urfunde vom 22. Februar 998 wirklich ein Sag, 
reines Erachtens die eben entwidelte Borausfegung rechtfertigt. Es 
yarin: unentgeldlich folle der wiederhergeftellte Hugo die Faiferlidhe Des 
g und die päbfllide Weihe empfangen. Hätte fi die unentgelpliche 
mung dur den Kaifer von jelbft verftanden, d. h. wäre ſie allgemeiner 
uch gewejen, jo würde Otto IH. fiherlih dieſe Saite nicht berührt 
Seine Worte verrathen daher, daß in andern Fällen allerdings eine 
bgabe von dem Belehnten erhoben zu werben pflegte. Und doch hätte 
erlih Dtto III. nicht gevuldig hingenommen, wenn es fi Jemand beis 
ließ, ihn deßhalb der Simonie zu beſchuldigen. Wohlan! diefelbe Tas 
jfeit ift man befugt, auch für den Pabft bezüglich der Tare, die er von 
empfing, in Anſpruch zu nehmen. 
toh mehr! der weientlihe Inhalt jener Urkunde läuft am Ende darauf 
‚dag Dtto die früher verfügte Abjegung Hugo's widerrief, und legtern 
Rechte einfegte, welche ihm Pabſt Gregor V. verliehen hatte. Bon 
einer Seite muß dem Kaiſer vorgeftellt worden fein, daß er nicht wohl 
habe, den Akt des Pabſtes umzuftoßen. Er hob daher die getabelte 
tung auf, dennoch konnte er fich nicht entfchließen, fein Unrecht einzuges 
jondern er bemäntelte den Widerruf durch angebliche Rüdfiht auf die 
den Fürbitten der Mönche von Yarfa. 
3ie unerhört ſchwach wäre aber Otto's Verfahren geweien, wenn Gregor 
das grobe Vergehen, defien ihn der Kaiſer bezüchtigte, auf ſich gelas 
tte. Otto's eigene That widerlegt daher das von ihm ausgeſprochene 
derjenigen Simonie, welche die Kirche verdammt, fann Gregor nicht 
‚ geweien fein. Dem fei, wie ihm wolle, jedenfalls erhellt aus ver 
e vom 22. Februar 998, daß wenigftens feit dem “Dezember 997 
e Mißhelligkeiten zwiſchen dem Kaiſer und dem Pabſte obichwebten. 
ben diejelben hatten dem Abte Hugo ſchwere Berlegenheiten bereitet. 
egt es in der Unvollfommenheit menfchliher Natur, daß dieſer peins 
orfall im Gemüthe des Abts einen Stachel wider den Pabſt zurüds 


&. 671. 


656 . Mob Gregerins VIL ſein Beitalker. 


ließ, ver nicht im Stande geweien war, ben Aft der Ernennung aut y 
halten. Im April 998 fand vie an einem andern Drte*) beichriebme & 
richtsſihung flatt, welcher fowohl Kaiſer Dtto III. als Pabſt Greget V. ou” 
wohnten. Der Eifer, mit welchem Anfangs Archidiakon Leo, der die Bw „ 
handlung leitete, die Berufung des Abts auf Iangobarbifche® Recht beſch 
läßt keinen Zweifel varüber zu, daß die Kirchlichgefinnten, und namentlid in 
Pabſt ſelbſt, das Klofter Farfa zu Anerkennung der Romana nöthigen wein. 
Aber fie drangen nicht durch: vom Kaiſer insgeheim begünftigt, flegk % 
Lombardika, und die Hartnädigkeit, mit welcher Abt Hugo feinen Iombartiige 
Gerichtoſtand vertheidigt hatte, führte eine zweite Demüthigung des Pabſts here 

Richt nur Gregor V. felber, ſondern and; Andere, welche für dieſche 
Sache wirkten, wie er, haben den doppelten Schlag tief empfunden. Den de 
weis biefür liefert Das, was fofort in Farfa vorgieng. Jene wunderben 
Anftalt, deren Häupter wir ſtets bei nahender Gefahr faſt wie Geulen ir 
drohten Päbften zur Seite treten fahen, gerleih in Bewegung. Abt Hay 
berichtet in der oben erwähnten Denffchrift?) weiter: „da die Zucht im unferes 
Klofter Farfa dur die Schuld früherer Aebte gänzlich verfallen war, fo be Hı 
Schloß ich, zu Sühmung der von mir begangenen Simonie, anderöwoher Min 
zu verfchreiben, vie dazu dienen möchten, die Orbnung bei und berzufleis 
Ih wandte mich zuerft ins Klofter nad) Sublaco und brachte von bert einig Fi 
Brüder bieher, doch bald zeigte es fih, daß fie nicht befier waren, als we I 
unfrigen. Run ließ Ih Mönche aus Montecaffino kommen, aber fie tangten 
ebenjowenig für meine Zwede.“ 

„Da ih erfuhr, daß unweit Ravenna ein Klofter ſei, in welchem ein 
wahrhaft chriftliche Lebensweiſe blühe, eilte ich dort hin wie ein Hirſch, ba 
nah der Duelle dürftet, und gewann wirklich etliche Brüder für unfere Ge⸗ 
meinde. Allein diefelben waren al zu firenge, und legten mir felbft wegen 
geringer Abweichungen von ihrer Regel die härteften Bußen auf, die id ge 
duldig hinnahm, in der Hoffnung, meine Sünden zu tilgen und Andere burd 
mein Beifpiel zu beſſern. Mittlerweile kamen einige heilige Männer und 
Väter aus dem Mutterftifte Elugny zu und nad Farfa, lobten meinen Eifer 
für Wiederherſtellung der Zucht, und als id durdy ihre Zureden erfchütter 
- meinen Hirtenftab zu Sühnung meiner Eimonie in ihre Hände nieberlegen 
wollte, riethen fie mir ſolches ab, und fchlugen eine andere Buße vor.” 

Was in diefen Sägen noch dunkel bleibt, wird durch etliche weitere Urs 
funden aufgehellt. Sn einer zweiten Denkichrift?) wiederholt Abt Hugo das 
bereit Gefagte, fügt aber bei, die zwei Clugniacenfer hätten Odilo und 
Wilhelm geheißen. Dann fährt er alfo fort: „flatt, wie ich wollte, die Abt 
würde aufzugeben, forverten mich beide auf, daß ich zur Eühne jener Schuld 






9 Oben ©. 442. *°) Muratori, soript. II, b. ©. 547. 5 Ibid. ©. 548 fg. 


uch. Gay. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Kaiſer. 657 


niacenfer Regel in Farfa einführen ſolle. Ich erklärte mich bereit, 
orfhlag ind Werk zu feßen. Eines Tags, da außer ben beiden 
enfern aud das ehrwürdige und heiligfte Oberhaupt der ganzen römis 
che bei un erjchienen war, beſchwor unfer gefammtes Gapitel bes 
:gel, foweit es die hiefigen Verhältniſſe irgend geftatten, insfünftig 
ıhten. — Diefen unfern Beſchluß befräftigten hierauf die beiden Väter 
nd Wilhelm, fammt dem anweſenden Pabfte durch Ihre Unterfchrift, 
ter bat ebendenfelben auch Pabſt Sylveſter TI. beftätigt.” 
ıB unter dem Klofter unweit Ravenna, welches die erfigenannte Denk 
wähnt, das Stift Romualds zu Elaffe verftanden werben muß, erhellt 
er dritten Urfunde,') die um das Jahr 1048 abgefaßt iſt: „burd 
alien waren die Gebote Ehrifti in Mißachtung gefunfen und fo boͤs⸗ 
Angebungen des Teufeld in Schwang gekommen, daß felbft Solche, 
yeilige Weihen empfangen hatten, ſich nicht fcheuten, nad) Laienart 
zu nehmen, und ohne Bedenken Simonie zu treiben. Da erwedte 
terlöfer einen großen Dann, Namens Romuald, der bie alte Minds - 
Manns» wie in Frauenflöftern berftellte. Diefem Vorbilde nacheifernd, 
(bt Hugo von Farfa in feiner Gemeinde die Regel des weltberühmten 
Elugny, wo heute noch der ehrwürdige Vater Obilo wie ein ſtrah⸗ 
Stern leuchtet, ihren wefentlichen Beftimmungen nad zum Helle ver 
ein.” . 
it Mabillon) nehme ih an, daß der Vater Wilhelm, welcher in beis 
affchriften Hugo's neben Odilo, unzweifelhaft dem Oberabte von Elugny, 
hrt wird, eine Perfon mit dem gleichnamigen Abt von Dijon fel. Bes 
doch der Elugniacenfer Ehronift Rudolf, daß Mafolus der Vorgänger 
e8 war, der den heil. Wilhelm aus Lombardien, feinem Heimathland, 
urgund hinüberführte, daß er ihn dann längere Zeit in Clugny bei ſich 
und fpäter zum Abt des Benignusflofters bei Dijon beftellte. Desgleichen 
ebenberfelbe, daß durch des heil. Wilhelms Zureden Odilo zum Ein» 
8 Klofter Clugny veranlaßt wurde. 
ver Pabſt, welcher dem Gapitel anwohnte, das die Einführung der 
acenfer Regel in Farfa befchloß, und welder nachher bie Beitrittsurs 
ınterfchrieb, ift ohne Frage Gregor V., denn deutlich wird ja Eylveſter II. 
in Racfolger bezeichnet. Da nun die Ernennung Hugo's zum Abte 
ırfa in das Ende November oder in den Anfang des Dezember 997 
a ferner Babft Gregor V. im Februar 999 ftarb,*) fo folgt, daß Alles, 
de oben ausgezogenen Aftenftüde berichten, die Reifen Hugo’d nad 
um, nad Montecaffino, nad Claſſe, die drei mißlungenen Verſuche 
Pert XI, 545. 3) Annales ord. S. Bened. IV, 120 unten. °) Vita sanoti 
ıi cap. 9—11. u. 18. bei Mabillon, acta ord. S. Bened. VI, a. ©. 288 flg. 292., 
m vergleichen Bouquet X, 31. 172. *) Jaffé, regest. Pontiko. .&. 344 oben, . 
sörer, Bahr Gregorius vr. Br. V. m. 


658 Pabſt Gregorius VI. und fein Seitalter. 







turh Mönde aus dieſen Klöftern das Stift Farfa in beffem Stat pn 
bringen, die Ankunft der Elugniacenfer Väter, ihre Verhandlungen mit Hug, 
endlich die Gapitelsfigung, welde für die Regel von Clugny entfchieb, ten 
verhältnigmäßig kurzen Zeitraume angehört, der zwilchen dem Dezember M 
und dem Januar 999 verlief. Meines Erachtens nöthigt der gefunde Menſche— 
verftand anzunehmen, daß über den Verfuchen, welche Hugo mit den Moͤnden 
von Eublaco, Montecaffino und Claſſe anftellte, allein fon gegen 12 Meonck 
hingiengen. Verhält fih die Sache wirklich fo, dann ſpricht hohe Wahre 
lichfeit dafür, daß Hugo gleich nach feiner Ernennung mit der Reform jeimt 
Klofterd begonnen hat. . 

War aber dieß der Hal, dann drängt fih mit flegender Gewalt e J 
Vermuthung auf, daß Pabſt Gregor V. den Mönd von Monte Amiato ı 
der Abfiht nach Farfa beförbert habe, damit Hugo dafelbft ein geregelt 
Leben, flatt der biöherigen Zuchtlofigfeit, einführe. Die Zeitrehnung if ch 
welche und auf diefe Annahme bindrängt. Andere gewichtige Gründe fomma 1 
hiezu. Seit dem Augenblide, da der Kärnthner Bruno Petri Stuhl befiega 1 
bat, legt er brennenden Eifer für geregeltes Möndsthum an den Tag, Rt I 
fih vorzugswelfe auf diefen Etand, begnabigt hervorragende Klöfter dei U 
Abendlandes, Elugny, Fleury, Reichenau mit ftattlihen Vorrechten, Indem a 
fie namentlich der lähmenden Auffiht des von den Höfen ubhängigen Bik I 
thums enthebt. Unter den Abteien, denen Gregor V. ſolche Gunft zuende, | 
nimmt die auf dem Amiatoberg gelegene eine der erften Stellen ein. Das 
ift foviel al8 ein ausdrückliches Zeugniß, daß auf genanntem Berg bie tem 
der Reform durchgedrungen waren. Nun weiter, aus eben dieſem Kloſten 
wählt Pabft Gregor einen Mönd, und beftellt ihn zum Abt in Farfa. Jung 
ift derfelbe Mönch, aber auch vol Feuer: von Stund an wirft er mit großer 
Entichloßenheit für Herftelung mönchiſcher Zucht. 

Ich denfe, mit Händen fann man greifen, daß die Verfegung Hugos 
vom Berge Amiato nad) Farfa etwas planmäßiges, und daß fie nichtE weniger 
als ein Aft der Eimonie, fondern eine Eingebung kirchlicher Organijation 
gedanken war. Erft Hinten drein hat höfifche Verläumdung die Tare, au 
welche Pabſt Gregor nicht verzichten konnte, weil er Mittel bedurfte, um fein 
rechtmäßiges, aber von vielen Beinden bedrohtes Regiment aufrecht zu halten, 
als grobe Eimonie verfchrieen! 

Im Uebrigen ficht man: Hugo macht es ebenfo wie andere firdlide 
Echriftfteller der nämlichen Parthei — er bipfomatifirt, d. h. er fügt nidt, 
aber er verfchmweigt Vieles, hütet fih Dinge au fagen, die am Hofe miß 
deutet werden Fonnten, namentlich den vom Kaiſer wider Gregor erhobenen 
Vorwurf der Simonie wegzuläugnen — der allerdings, je nachdem man das 
Wort nahm, nicht zu beftreiten war. Auch noch in anderen Zügen tritt bie 
jelbe Vorficht hervor. Wenn man die Worte der erften Denklſchrift buchſtab⸗ 


h. Gap. 58. Gregor V. aus Som vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Kaiſer. 659 


bt, fo war es bloßer Zufall, daß die zwei Männer Gottes, Odilo 
elm — nit einmal als Aebte werben fie bezeichnet, — nad Farfa 
sie Theatererfcheinungen fchweben fie daher. Aber in der Wirflich- 
t die Sache anders zufammen. Odilo und Wilhelm find — und 
ı meinem Dafürhalten durd den Pabſt Gregor V. — herbeigerufen 
Wozu? Deßhalb, damit fie den jungen Abt, der in Gefahr ftand, 
Jofparthei umſtrickt zu werden, auf den guten Weg zurüdführen, das 
in ferner dem dauernden und gefeplichen Einfluß des Kloſters Clugny 
en — denn die Annahme der dortigen Regel ſchloß ein gewiſſes 
Oberaufficht des Abts Odilo in fih — und auf folhem Wege Ihn 
Nüftzeuge der Kirche heranbilden. 
jo iſt dieß wirflih geworden. Nah Otto's III. Tode vertheidigte 
wie ich unten zeigen werde — und zwar er ald der Einzige im ches 
Rirhenftaat, — die gemeinfchaftlihe Sache des Stuhles Petri und 
ertbumsd Jahre Tang muthvol'"gegen die Erescentier und ſetzte in 
ampfe feine Inful, feine perfönliche Sicherheit, ja fein Leben aufs 
Nur In einer Richtung ließ er fich feine Vernunft von den Glugnias 
orpredigen. Seit zwei Jahrhunderten durd große und Heine Schnapp⸗ 
naufhörlih bebrängt und geplündert, war das Kloſter Farfa wie 
Hammer und Amboß eingefeilt. Abt geworben febte fih Hugo in 
f, daß es feine erfte Pflicht fei, den Befipftand feines Stifte uners 
h zu wahren, fein Stüd deſſelben, keinen Hof, keinen Ader, fein Haus, 
hweinftall irgend jemanden, wer e8 auch fei, preiszugeben, naments 
: auf das lombardiſche Recht feines Kloſters — was allerdings viel 
ar, — zu verzichten. 
eſe Linie hat er nicht nur gegen die Crescentier ober die beutichen 
— Sonden auch Betri Stuhle gegenüber eingehalten. Als im 
er 998 jener zweite Proceß entfland, in welchem Gregor fi) für den 
irt Hugo's erklärte, rieß biefen der Eifer für Aufrechterhaltung der 
eines Stift fo weit fort, daß er vom Urtheile des Pabſtes Berufung 
Kaiſer Otto einlegte, was nimmermehr gebilligt werben kann. Dod) 
ich zu feiner Entſchuldigung eine Bermuthung wagen. Es will mir bes 
als fei von kirchlich Gefinnten, welche den wahren Stand der Dinge 
‚ Gregor V. gegen Ende feiner päbſtlichen Verwaltung nit mehr in 
ı Grade geachtet und verehrt gewejen, wie Anfangs: die Verleihung 
jſtuhls Ravenna an Gerbert muß ihm geſchadet haben. 
adeß fo vorſichtig der Bericht Hugo's abgefaßt iſt, verräth derſelbe 
m Punkte — obwohl abermals nur verdeckt — merkwürdige Kühn 
Raifer Dtto III. war es gewefen, der zwiſchen dem Dezember 997 
itte Februar 998 dem von Gregor V. ernannten Abte den Hirten 
og, und dann durch bie Urkunde vom 22. Februar des lehtge⸗ 
4° 


BB Veh Gregerins VIL und fein Seele. 
nannten Jahres wieder zuftelite. Allein ganz auders Tamtet bie 
Burn. Er ſelbſt will — ans eigenem Antriebe umb amgeblldh wegen 
wiſſensſerupel — feinen Etab abgeben, doch nit au ben Kafler, feuern u V 
Oberabt von Cluguy Odilo. Radiher bebäft er benfelben, doch abermal 
weit Otto ſolches verfhgt, fondern weil Obilo taz räth und Ihe von HR 
Ehindenfufd unter dem Beding entbinbet, Die Eiugniacenfer Regel u 
einzuführen: eine Forderung, welde nachher Pabſt Gregor V. durch 
beit im Capitelſaale und durch eigenhändige Unterſchrift des betreffenden BP 
trags förmfich beflätigte. Das beißt num mit andern Worten, Hugo hat 
fweigenb, fheils in Umſchweifen revenb, das Recht Dito’S IIT., Wehe # 
Ferfa ein, und abzufegen, beftritten. 

Etwas teutlicher trägt er dieſelbe Meinung in einer Kfagfchrift wm, 
bie er 1026 an ben zweiten Nachfolger Otto's TIT., an Katfer Goureb K 
richtete. Dieſes Schreiben!) beginnt mit dem Eape: „gnäbigfter Herr un G 
bieter, vernehmet den Rechtsſtreit, ter zwiſchen ben Eihnen des Grafen Bar F 
pift von Sabinum und dem Drarienflofter zu Farfa obichwebt, das nad hat 
Sapungen der Welt Euer Kammergut If.“ Wenn Hugo fagt, Farfe u 
nach den Satzungen der Welt, (weldes Wort bekannilich nad} Firdhlichen Be 
griffen eine ſchlimme Rebenbebeutung „verborbene Welt“ hat) Taiferliches Eigen 
thum, fo gibt er damit zu verfichen, daß fi die Sade, vom Gteubyenie E 
der Religion ımb des Kirchenrechts betrachtet, anber& verhält, nämlich we 
befagte® Kofler nicht der Krone, fonbern ſich felber oder der Kirche Gott 
angehöre und darum vom kaiſerlichen Joche frei fein ſollte. Schon zu Enke 
des zehnten Jahrhunderts befand, wie man fieht, ein klaffender Gegenfa} 
wifchen clerifaler Rechtölehre und der Gewohnheit des täglichen Lebens. 

Und num fomme ih an eine Haupffrage: wie iſt der oben nachgewieſen 
Riß entflanden und wer hat Del ins Feuer gegoffen? Bündig Tann man ft 
beantworten. Höchft wahrſcheinlich tft, daß Gerbert e8 war, ber den Zwie⸗ 
fpalt Bervorrief, gewiß dagegen, daß er ihn eifrig beförberte und erweitert. 
In der Sammlung feiner Briefe findet fi nachfolgende an Otto M. ge 
richtete Schreiben: ”) 

„Dem glorreichen Kaiſer Dtto ITI. feinem Gebieter, Gerbert. Ich weiß, 
daß ih den Allmächtigen vielfach beleidigt habe und täglich beleibige, aber 
woburd ich Euch verlegt hätte, das weiß ich nicht, noch kann ich begreifen, 
warum meine Dienfte Euch fo unerwartet mißfallen. Beſſer wäre es für 
mid) gewejen, das von Euch Empfangene nie anzunehmen, als es fo fhmäh 
lig zu verlieren. Nur zwei Fälle find möglich: entweber konntet Ihr dab, 
was Ihr mir zufagtet, wirklich geben, oder Ihr Fonntet es nicht. Konntet 

















') Berg XI, 543, Mitte: quod vestram proprium ost secund um seculi dispest 
fionvm. p) Epistol: ID, 80. Ducheene2II, 836. 


&. Cap. 38. Gregor V. and How vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Kaifer. 661 


icht, jo hättet Ihr es nicht verſprechen follen, fonntet Ihr aber das 
is Ihr verbießet, nun jo frage ich, wer ift der Ramenloje, der es 
einem Kaifer, vor dem fich die ganze Welt beugt, Hinderniſſe in den 
legen. Er trete ans Tageslicht hervor, der verborgene Schurfe, ') damit 
zigt werde und aufhöre, den Kaifer zu meiftern. Sonft glaubte dic 
iß ich bei Euerer Herrlichkeit viel vermöge, jegt habe ich Urſache Die 
ung Solcher anzurufen, für die ich ſonſt Fürbitte einlegte, und melne 
aben wahrlich die Zukunft richtiger beurtheilt, als meine Freunde. 
gtere verbießen mir alles Gute und Schöne, Erftere aber weiffagten, 
jende Anfang meiner Gunft bei Euch und Eure Gnadenbezeugungen 
ein fchlechted Ende nehmen.” In den nächſten Sägen pocht er trogig 
Verdienſte, die er fih drei Menjchenalter hindurch, um Ahn und 
es regierenden Kaiſers, jo wie um diejen jelbft durch jegliche Ent 
und durch ſchwere Gefahren erworben. 
yon in einem früheren Schreiben?) hatte Gerbert geklagt, daß ihm 
Kaiſer Empfangene durd einen Dritten — er wife nit warum — 
worden ſei. Soll man an materielle Güter denken, die ihm vom 
örmlih übertragen worden waren, jedoch nad erfolgtem Empfang 
nen Dritten wieder weggenommen wurden? Allein dann würde er 
den verlornen Befig näher bezeichnen und fi nicht in jo unbeftimmten 
ırten ergehen. Hiczu fommt, daß Gerbert an der Stelle, wo er wirklich 
rlorne beichreibt, nicht von materiellem Befig, jondern von Hoffnungen 
n idealen Errungenfhaften, wie Vertrauen, Gnade des Kaiſers und 
bei Hofe, redet. Entſcheidend ift endlich das Ennveder Dver, das er 
to geltend macht: Ihr Fonntet entweder dad — was id meine — 
oder Ihr fonntet ed nicht. Diefer Doppelſatz paßt nicht auf wirflid 
jene Kandgüter, Lehen oder Pfründen, ſondern nur auf verfprochene. Voll⸗ 
far fcheint mir, daß der Brief von Nichterfüllung gegebener Zus 
andelt. 
oldene Dinge müfjen von Dtto feinem Lehrmeifter und Rathgeber vers 
vorden fein, aber ungenännte Gegner hatten bisher die Verwirklichung 
rprochenen zu bintertreiben gewußt. Daraus folgt erftlih, daß Gerbert, 
in Otto's Dienfte trat, vorfichtig genug gewejen war, fi ein erkleck⸗ 
Raaß von Belohnungen zufihern zu laffen. Das ift der Beweis, ben 
n®) nachzuliefern mir vorbehielt. Zweitens da Gerbert dem geiftlichen 
: angehörte, erfcheint die Vorausſetzung gerechtfertigt, daß Die Zufagen, 





lbid. in quibus tenebris ille furcifer latitat? in lucem veniat, et crucifigatur. 
Epist. I, 28. Ducheöne II, 835. Die betreffenden Worte lauten: a- vobis libera- 
lata, sed a quodam — nescio cur — ablata, restitui petli; in bem erflen oben 
ilten Briefe heißt ed: utinam a vestra munificentia — collata aut non liouisset 
© aut suscepta perdere. ı) ©. 639. 


am genannten Tage verlieh ihm Pabft Gregor V. nit nur den 
ſtuhl Italiens — die Metropole Ravenna — fondern auch die ı 
ſchaft auf den bleibenden Befig der ganzen Stadt und ihres Gr 
war ohne Zweifel das heißerfchnte, längft verfprodene und daru 
Gut, über deſſen Vorenthaltung er in obigem Briefe Flagte und 
gabe er mittelft ebendefjelben zu beſchleunigen fuchte. 

Wer hatte nun die Erfüllung des faiferlihen Verſprechens, 
hiemit gleichbedeutend, die Abtretung des Erzftuhls und der Et 
an Gerbert bi dahin verzögert? Das kann nur Pabft Gregor 
and vielleicht außer ihm noch Willigis von Mainz, denn Grego 
ja, der über Ravenna verfügte und kraft der Afte vom 28. Af 
Herr oder Eigenthümer des Stuhls und der Stadt erſcheint. Bo 
hing es folglich ab, die Verleijung dieſes Befiged an einen A 
währen oder zu verweigern. Derhält ſich aber die Sache wirkli 
id) erachte es für unmöglih, den eben entwidelten Thatbeftand I 
ziehen — dann if Far, daß Gerbert in obigem Echreiben, wie 
und ohne Rennung des Namens — den Pabft als einen — 
zeichnete. Ich überlafje es den Lefern, zu ermefien, welch' greulic 
betriebene MWühlereien wider Gregor vorangegangen fein müſſen, 
fo weit bearbeitet war, daß Gerbert es wagen durfte, ſchwarz aı 
ehrenrührige Ausdrüde von dem geiftlihen Oberhaupt der Epriftenheit 

Ih habe gefagt, außer Gregor dürfte auch Willigis von V 
fein. Meine Beweiſe ſind dieſe: erfilich iſt llar, daß nädhft ber 


nn Mana oe ee BT 


Siebtes Buch. Cap. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Kalfer. 6693 


Verlangen des glorreihen Kaiſers Dtto bewilligen Wir, daß Hinfort in der 
Kirche des Faiferlihen ‘Balaftes zu Aachen fieben CardinalsDiafone und ficben 
GardinalsPresbyter ausjchließlih den h. Dienft verrichten. Niemand fol berech⸗ 
tigt fein, auf dem Altare befagter Kirche das h. Mebopfer darzubringen, als 
allein die genannten fieben Cardinal⸗Presbyter und außer ihnen noch der 
Metropolit von Eöln, zu defien Eprengel Aachen gehört, fowie der Bifchof 
von Lüttich. * 

Aahen war befanntlih die Krönungsftadt, in welcher gewöhnlid — 
doch nicht immer — die Oberhäupter des deutſchen Reichs mit dem h. Del 
geweiht wurden. Die Krönung aber nahm in der Regel der Mainzer Erz 
bifhof entweder für fi allein oder im Verein mit dem Cölner Metropoliten 
vor. Auch ift außer Zweifel, daß diefem Akte ſtets ein Meßopfer voranging 
oder folgte.‘) Bilder ja die Meffe den eigentlihen Mittelpunkt des katholi⸗ 
chen Gottesdienſtes. Indem daher obige Bulle von allen deutſchen Biſchöfen 
nur den Cölner Metropoliten und feinen nächſten Euffragan, den Lütticher, 
ermäctigte, auf dem Altare der Kirche, im welder die Krönung ertheilt zu 
werben pflegte, Meſſe zu lejen, ſchloß fie verdedt den damaligen Mainzer 
Erzbiſchof Wiligie von dem Rechte der Einweihung des deutſchen Könige 
durch das Salböl aus. 

Schon nah wenigen Jahren zeigte es fih, daß Die, welche dem Pabfte 
die fraglihe Bulle entlodten, genau die eben beichriebene Abſicht gehegt haben. 
Thietmar von Merjeburg berichtet ,D daß der Cölner Erzbiſchof Heribert, von 
weldem ſogleich die Rede fein wird, dem nad Otto's Tode 1002 erwählten 
Könige Heinrih IL. grolfte, und zwar deßhalb, weil fi Heinrich nit von 
Heribert felber, fondern von Willigis (und nicht zu Aachen, fondern zu Mainz) 
hatte frönen laffen. Das iſt deutlich genug. Im Uebrigen vergeſſe man nicht, 
daß es laut den eigenen Worten der Bulle Otto IIL war, welder biejelbe 
bervorrief. 

Noch eine andere, nicht minder wichtige Befugniß {ft bald darauf dem⸗ 
felben Willigis entzogen worden. Seit dem Jahre 965 bis zum Schluſſe des 
achnten Jahrhunderts erfcheinen”) Die Mainzer Erzbiihöfe — Wilhelm, Otto's J. 
Baſtard, Hatte, Notbert und Willigis felber als alleinige Grzfanzler des 
Reichs für deutfche Angelegenheiten. Aber ums Jahr 1000 mußte Wiligis in 
diefer Hinfiht einem begünftigten Nebenbuhler weichen. Einem anſehnlichen 
Geſchlechte) zu Worms — der Vater hieß Hugo, die Mutter, eine Orafen- 
tochter, Emma — waren zwei Söhne, Heribert und Heinrich, entiproßt, bie 
beide in den geiftlichen Stand traten und durd die Gunft Otto's TIL hohe 
Kirchenwürden erlangt haben. Den jüngeren dieſer Brüder, Heinrich, erhob*) 

*) Ban vergl. Genni, monum. dominat. pontific. IL, 253 fg. 3) Chronie, V, 18. 


Perk II, 796. &) Jahrbücher des deutfchen Reiche I, c. ©. 228 fig. *) Perg IV, 
741 flg. °) Ibid. ©. 742. Ä J 


664 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. ' 


der Kaifer 995 auf den erledigten Stuhl von Würzburg, den älteren nahe 
er beim Römerzuge vom Winter 997 mit nad Italien, machte‘) ihn jan 
Kanzler, hörte feinen Rath in den wicdhtigften Dingen und bedadıte ihn 999 
mit der Metropole Eöln.') 

Schwerlid gab ed einen andern deutihen Großen, der gleihen Einflej 
wie Heribert am Hofe ded unglüdlihen, mißleiteten Kaiſers befaß. Laut den 
Zeugniſſe) des Mönchs Lambert, der um 1048 Heriberts Leben beſchrich, 
ward dem Cölner nod eine weitere außerordentlihe Ehre zu Theil. Da 
Mönch fagt nämlih, Otto habe Heribert zu feinem Erzfanzler ernannt. 

Die auf und gefommenen Urkunden jcheinen diefer Angabe zu wire 
iprehen. Denn nicht wenige find vorhanden, die er nad feiner Erbebun 
auf den Erzftuhl von Cöln und vor dem Tode Otto's ausfertigte, aber alk, 
die ich verglich, unterzeichnete er nicht als Erzfanzler, fondern als Kanla 
und Stellvertreter de8 Biihofs Peter von Como vder ded Metropoliten Bil 
gis, weldye beide jegt wie früher den Titel von Erzkanzlern, jener für Ste | 
lien, diefer für Germanien beibehielten. Gleichwohl bin id der Anficht, daf 
der Moͤnch im Wejentlihen die Wahrheit melde. Wie? wenn dem Maine 
nur der leere Name blieb, die Madt aber, die jonft mit der Kanzlemwürk 
verbunden wur, an den Cölner überging! In der That muß dieß ver Fal 
gewefen jein. 

Ein dritter Zeuge Thangmar, Berfafjer einer Lebensgeſchichte des Hildes⸗ 
heimer Bifhofs Bernward, welde die Arbeit des Moͤnchs Lambert unendlich 
an innerem Werth übertrifft und cine der beften Quellen über die Ichten Jahre 
Otto's IIL ift, gibt zu verftehen, dag Willigis in Ungnade beim Kaiſer ge 
fallen war. Thangmar meldet?) nämlih, Willigis habe die Händel mit Berw 
ward, von denen unten die Rede fein wird, darum angefaugen, weil er eb 
nicht ertragen fonnte, daß der Hildesheimer — einer der Verbündeten Ha 
bert8 — vorzugsweile die Gunft des Kaiſers genoß. ES ift freilich ein Lob 
redner, ein Partheigänger Bernwards, der dieß fagt, allein auch abgeſehen 
von der perfönlichen Frage, erhellt fo viel mit Sicherheit aus der betreffenden 
Stelle, daß Willigis feinen ehemaligen Einfluß bei Hofe verloren hatte. 

Nun weiter. Anftifter der fleigenden Abneigung Dtto’8 IIL wider da 
Mainzer Erzbiichof war allen Anzeigen nad) Gerbert. Gewiß iſt jedenfalls, vaf 
zur Zeit, da die oben erzählten Dinge vorgingen, auch ein Bruch zwiſchen 
Gerbert und Willigis entftand, ein Bruch fage id, der mit dem Jahre 1000 
in einen verzweifelten Kampf faft des gefammten deutihen Bisthums gegen 
Pabit Syivefter II. ausſchlug. Sicherlich hat Gerbert ſchon 998 den Mainxr 
Erzbiſchof ald einen Feind betrachtet und gehaßt, und wenn Erſterer in dem 
oben erwähnten, gegen den Frühling des genannten Jahres an Otto gerichteten 


) Ibid. ©. 742. *) Vita Bernwardi cap. 18. Perb- IV, 766 unten. 


uch. Gap. 38. Gregor V. ans Rom vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Kaiſer. 665 


n von Schurken fpriht, welche den Kalfer an Erfüllung ertheilter 
jyungen zu verhindern fuchen, fo liegen, wie man ſieht, ſehr ſtarke 
vor, welche zu der Annahme berechtigen, daß @erbert neben dem 
ach auf den Mainzer Erzbifchof gezielt haben dürfte. 
inlih muß der Eindruck bei allen kirchlich⸗Geſinnten gewejen fein, als 
de verlautete, daß derfelbe Menſch, welcher fieben Jahre früher einen 
gefährlihen Streih wider die Einheit der römiſch⸗katholiſchen Kirche 
derfelbe, deſſen ruchlofe Ehrſucht über Frankreich das drohende Ge⸗ 
ner Blaubensipaltung und des Bannes heraufbefhwor — von Pabft 
zum Erzbifhofe und Grundherrn Ravenna’8 erhoben worven ſei. Die 
de Bulle‘) Bregore V. lautet ihrem wejentlihen Inhalte nad) aljo: 
Iregor, Knecht der Knechte Gottes, an Gerbert, den Erzbiichof der 
u Ravenna, unfern geiftlihen Cohn. Da Wir gemäß dem Wohls 
welches der apofloliihe Stuhl ftets für Ravenna hegte, Dich Herr 
zum Oberhirten befagter Stadt eingejept haben, fo wollen Wir Dir 
ch jämmtlihe Vorrechte bewilligen, welche deine Borgänger genoßen. 
önnen Wir und jedoch nicht enthalten, den Wunſch auszufpredhen, daß 
ch der Ehre und des Glanzes, zu dem Du durch Unfere Broßmuth 
wardft, durch ſittlichen Wandel und Innerlihe Rechtſchaffenheit würdig 
ı mögef. Wir fchenfen Dir und deiner Kirche, doch fo, daß Du erft 
m Tode der Kalferin Adelheid den Befig antreten folleft, das Gebiet 
a, das ganze Uferland, Münze, Zol, Marktrecht, Mauern und jämmts 
hore der Stadt. Im Balle etwa ältere Handveften vorhanden find, 
er Unſerer Verordnung widerftreiten, erklären Wir biemit dieſelben für 
3 und befehlen, daß diefe Unfere Urkunde unbefchränfte Kraft habe. 
yenfen ferner Dir und deiner Kirche die Grafſchaft Comacchio vergeftalt, 
' Befigergreifung gleihfalls nad dem Tode bejagter Kaijerin ftattfinde, 
ß Du, deine h. Kirche und deine Nachfolger für ewige Zeiten frei über 
jchenkte verfügen mögen. Deßgleichen beftätigen Wir Dir- und deinen 
‚gern die Schenkung, welde Wir Deinem Vorgänger bezüglid der Bis⸗ 
Montefeltre und "Eervia, fowie der Klöfter St. Thomas und St. Eu⸗ 
fammt allen den letzteren gehörigen Gütern innerhalb und außerhalb 
adt Rimini, in den Grafichaften Rimini, Peſaro, Montefeltre gemadır 
Gleichwie deine Kirche und deine Vorgänger vorgenannte Befigungen 
t hundert Jahren inne hatten, jo ſollſt auch Du ruhiger Eigenthümer 
en fein.“ 
olgt nun eine namentliche Bezeichnung der Schlöffer, Höfe, Ländereien, 
letztere Schenfung in fih begriff.” Dann fährt der Tert fort: „und 
Dir die Gnade des apoftoliihen Stuhls im reihlihften Maße zu Theil 





Manfi XIX, 201 fig. 


666 Bat Gregerins VIL. und fein Seltallen - 


werde, beftätigen Wir Eraft der vom Fürften der Apoſtel auf Uns 
Vollmacht Dir und deinen Nacfolgern das Bisthum Reggio, "Das Dir We 
großmächtige Kalfer Otto III. verliehen hat, fammt allem Zubehir. ie 
lich fchenfen Wir Dir und deiner Kirche für ewige Zeiten die Stadt 
mit Zubehör und befehlen hiemit, daß von der Heerfiraße au bis ans 
Riemand ſich erfühne, daſelbſt irgend welche Gerichtsbarkeit ober Zagberik 
zu üben, außer Denen, welchen Du felbft oder deine Radfolger ſolche Dip 
niß zu übertragen für gut finden.“ | 

Die Urkunde Gregors umfaßt folgende Haupttheile, Deren Edyenfung iu 
Beſtaͤtigung ausgeſprochen iſt: erflih Etavt und Gebiet Ravenna, ua 
allen Hoheitsrechten, zweitens die Grafſchaft Comacchio, drittens ve BEE 
thümer Montefeltre und Gervla, viertens bie Klöfter St. Thomas und Can 
Euphemia mit reihem Befls in den Stäbten oder Grafichaften Reiki] 
Peſaro, Montefeltre, fünftens das Bisthum Reggio, ſechſtens die EME 
Gefena. Aber mehrere Stüde erhielt ber Beichenkte nicht fogleidh, feuben 
mußte fi vorerſt mit der Anwartichaft begnügen. Letzteres gilt vom Gi 
und Gebiet Ravenna, ſowie von der Grafſchaft Comacchio, die Damals ws 
als Witthum im Beide der Kaiſerin Großmutter Adelheid waren. 

Wann if nun Adelheid zu dem Witthum gelangt? Allen Anzeigen ud 
felt dem Tode ihres Gemahls, des Kalfers Otto L Ich babe au cam 
andern Drte‘) nachgewiefen, daß Dito L, wie es fcheint, unmittelbar nah 
dem er 967 Ravenna angeblid, der römijchen Kirche zurüderftattet hatte, ia 
diefer Etadt einen Palaſt erbaute, der vielleicht gleih Anfangs zu Auskat 
tung Adelheids während Fünftiger WittwensTage und wohl auch neh A 
andern hiemit zufammenhängenden Zweden beftimmt war. Häufig fam d 
vor, daß unjere Könige oder Kaiſer ihren Gemahlinnen überreiche Klökt 
als Witthum ausfepten. Namentlih hat in diefer Weile Dito I. kurz md 
der Kaiferfrönung zu Rom über das Stift St. Marimin bei Trier verfügt‘) 
Aber daß eine der wichtigften Städte des Kirchenſtaats und nody dazu cin 
ſoſlche, welche der Kaiſer faum vorher an den rechtmäßigen Eigentbümer 0% 
zugeben ſich verpflichtet hatte, einer Gemahlin oder Wittwe zugefprochen wart 
das erfcheint als ein außerordentlicher Yal, der auf befondere VBeweggrünk 
zu jchließen berechtigt. 

Meine Bermuthung iſt diefe: Adelheid war von Haus aus zur From 
migfeit geneigt, und der Kaiſer felbft oder feine Rathgeber mochten fürdte, 
daß fie nad feinem Tode unter geiftlihen Einfluß gerathen und dann helfer 
werde an dem Gebäude zu rütteln, das Otto L in Italien aufgerichtet hattı. 
Die befte Vorkehr wider folhe Beforgniffe fchien, wenn man fie, die namen 
ich für Zwede der Wohlthätigfeit viel Geld brauchte, bezüglich ihres na 






9 Oben ©. 345. 2) Böhmer, rogest. Ar. 254. 





Siebtes Buch. Cap. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwifchen ihm u. d. Kaifer. 667 


barften Einfommens auf römijches Kirhengut anwied. Denn dann mußte 
fie entweder an Kargheit fih gewöhnen — was für rauen ihrer Art das 
unerträglichfte — oder das Werf Otto's im Ganzen aufrecht erhalten. Ich 
gebe zu, daß diefe meine Vermuthung arg lautet, aber ebendiefelbe entſpricht 
den befannten Umftänden und hat hohen Grad der Wahrfcheinlichkeit für ſich. 
Die Aufgabe des Geſchichtſchreibers iſt nicht, Vorurteilen zu jchmeicheln, 
noch den Kammerdiener alter oder neuer Gewalthaber zu machen, ſondern bie 
nadte Wahrheit zu ergründen. 

Außer Ravenna und Eomachio waren aud die meiften andern Bes 
figungen, welche Gregors V. Bulle vom 28. April 998 dem neuen Erz 
bijchofe Gerbert zuerfannte, nicht unmittelbar dem römiſchen Kirchengut ent⸗ 
nommen, aljo auch nicht — im ftrengen Sinne des Wortd — geichenft. Denn 
ausdrücklich jagt’) ja Gregor: „all das habe die Kirche von Ravenna jchon 
ungefähr 100 Jahre lang inne gehabt." Wer befaß aber diefe Güter vor 
dem bundertjährigen Zeitraum ? Ohne Frage der Stuhl Petri, denn wir 
wiflen ja, daß Carl der Große und fein Vater das griehifche Exarchat, 
defien Hauptfladt Ravenna war, der römifchen Kirche abgetreten hatte, und 
daß dieſe Schenfung der römifchen Kirche erft gegen das Jahr 900, da viels 
föpfiges Adelsregiment in Rom zur Blüthe gedieh, entriffen worden ifl.?) 

Auch die Bulle ſelbſt enthält deutliche Anfpielungen auf ſolchen That 
beftand. Es heißt in derfelben:?) „jollten fi in Euren Archiven Handveften 
finden, welche die Kirche von Ravenna beeinträchtigen Cihr Befigrecht verlegen), 
oder diefer unferer Verfügung zuwiderlaufen, fo erklären Wir diefelben für 
nul und nichtig.” Meines Erachtens betrifft das erftere Glied ſolche Urs 
funden, kraft welcher ältere Erzbifchöfe von Ravenna, oder auch Päbfte, noth⸗ 
gedrungen Güter, die von Rechtswegen der Kirche zu Ravenna gehörten, 
Adeligen preidgegeben hatten; das zweite dagegen ſolche, welde bewiejen, 
daß Ravenna Eigenthum des Apoftelfürften fei, und welche darum der Ver⸗ 
fügung Gregors, kraft deren Stadt und Gebiet an Gerbert verſchenkt ward, 
zuwiderliefen. Jedenfalls erhellt aus den Worten der Bulle, daß Petri Stuhl 
feit 100 Jahren, d. h. etwa um 900 die Hauptftadt des Exarchats verloren 
hatte, und folglih, daß nicht nur die Scenfungsurfunde Otto's L vom 
13. Febr. 962, fondern auch die von deutſchen Chroniſten bezeugte Rüd- 
erftattung des Jahres 967 auf eitel Spiegelfechterei oder Lug und Trug 
binauslief. 

Die Bulle vom 28. April iſt wejentlih eine Schenfungsurfunde, aber 
als ſolche weicht fie mehrfad von den üblichen Bormen ab. Meift gefchah es, 


1) Quae omnia per centum jam curricula annorum vestra ecclesia et vestri anteces- 
sores tenuerunt. 5) Siehe oben ©. 161 fi. *) Si vero alia privilegia aliquibus faota 
apparuerint, sanctae ecclesiae obnoxia et hnio nostro privilegio contrazia, ad ulhikum un 
digenda ila dijadicarimm. ' 


668 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


daß Schenkungen an die Kirche auf den Heiligen, dem bie betreffende Kirche 
geweiht war, oder auf die Kirche ſelbſt ausgefertigt wurden. Hier bagegra 
tritt die Perſon Gerberts in auffälliger Weile hervor:) „Wir fchenfen oder 
beftätigen Dir, oder Dir und Deiner Kirche,“ und nur ausnahmsweiſe gedcafı 
der Tert auch der Fünftigen Nachfolger. Das Alles hat feinen guten Grund: 
die Bulle ſchließt — und dieß ift die durddadhtefte Seite an ihr — cin 
geheime Nöthigung in fih, daß Gerbert demnächſt von Ravenna auf den 
höchſten Stuhl der Chriftenheit befördert, daß er, und zwar in Kurzem, jum 
Nachfolger Gregors eingejept werden mußte. 

Sch gebe Folgendes zu bedenken: der Kirchenftaat, wie ihn Gregor L 
vorfand, und wie ihn Carl der Große dur feine Schentungen — obwohl 
nur theilweiſe — berftellte, war längft zerfegt, und hatte noch durch die 
Bulle, von der wir reden, einen legten Streid empfangen. Gleichwohl lebie 
zu Rom mit ungefhwäcdter Kraft der Gedanke, diefen Staat, gehe es wie 
ed wolle, wieder aufzubauen, und nie fonnte, wer irgend für Die Kirche fühlt, 
auf diefen Gedanken verzihten. Denn die materielle Unabhängigfeit det 
Stuhles Petri — ein unfhägbareds Gut — war durd feine Ausführung dv 
dinge. Nun gab ed unter damaligen Umftänden nur ein Mittel, der römijcen 
Kirche wieder zu Ihrem unentäußerlihen Eigenthbum zu verhelfen, es beſtand 
darin, daß man den Erzbifhof Gerbert, der cben als perſönlichen By 
jehr ausgedehnte und zwar ehemals dem Kirchenſtaate angehörige Gebiet, 
eine Metropole (Ravenna), drei Bisthümer (Montefeltre, Cervia und Reggio), 
zwei Grafichaften (Comacchio und Ceſena), janımt vielen zerftreuten Grundflüde 
erlangt hatte, zum Nachfolger des Apoftelfürften einſetzte Denn in dieſen 
Halle — und nur in diefem — wanderte Gerberts perfönlihes Cigenthun 
mit ihm nady Rom und fiel an Petri Stuhl zurüd. Ich werde unten zeigen 
dag genau die ebengenannte Wirkung näcfte Folge feiner Erhebung zum 
Pabſte war. 

Jener berühmte Vers, den laut des Franzoſen Helgalds Zeugnif,') 
Gerbert felber vichtete: scandit ab R. (Rhemis) Gerbertus in R. (Ravennan) 
post Papa viget R. (Romae) erſcheint als legter Hintergedanfe der Bulk 
vom 28. April. Freilich enthält fie Infofern zugleidh ein gebeimes Zope 
urtbeil wider Pabft Gregor V., was diefer wohl felbit ahnete. Das klingi 
abermal greulih, aber wahr tft es. 

An einer Stelle erwähnt die Bulle den unmittelbaren Vorgänger Gerbertd, 
Johaun. Diefer Johann ift derjelbe, der mit Willigie im Dez. 983 va 





— 


1) Insignia praesulum ejusdem ecclesiae dignum duzimus Tibi.conferenda — donames 
Tibi tuaeque ecclesiae districtum Ravennatis urbis — donamus etiam Tibi tuaeque ecc#- 
sine comaclensem comitatum — dann Tibi, tuaegue ecclesiae ravennati, tuisque zucces“- 
ribus confirmamus. — Tibi, tuaeque ecclesiae, tuisque auccessoribus confirmamns. — Til 
tuaeque ecclesiae donamus Caesenam etc. ») Sfrörer, Kirch. Geſch. ILL, 1589. 


— — 


Siebtes Buch. Gap. 38. Gregor V. aus Rom vertrieben. Spannung zwifchen ihm. d. Kaifer. 669 


unmiündigen Otto IIT. zu Aachen Frönte, derfelbe, dem Pabft Gregor neulich 
durch Urfunde vom 7. Juli 997, das Euffraganbisthum Piacenza zurüdgab, 
und auch Montefeltre unterorbnete.‘) Wie fam es, daß Gerbert an Johanns 
Stelle trat? War Legterer etwa mit Tod afgegangen? O nein, fondern man 
hatte ihn weggeworfen, wie man Rappen wegwirft, bamit jener Raum ges 


winne. Alte Zeugen jagen?) aus, Erzbiſchof Johann habe fih in eine Einöde 
Nzurückgezogen und fei Mönch geworben. Wie es fcheint, rief diefer Gewalts 
ſtreich einigen Widerftand hervor. 


Lambert, der Biograph Heriberts von Cöln, meſdet:) „Dtto IT. nahm 
Heribert mit fih auf dem Römerzuge (von 998), zu Ravenna ließ ihn der 


Kaiſer zurüd, um Unruhen, die dort ausgebrodhen waren, beizufegen. Der 
Kaiſer felbft eilte nad Rom und fchlug dort feine Widerſacher mit überlegener 


wa .n 


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Macht, während Heribert in Ravenna durch Anwendung funfter Mittel zum 
Ziele gelangte." Deutlich bezeichnet der Biograph die Vorgänge des Früh: 
jahre 998. Heribert wird, denke ih, den Erzbiichof Johann zu gutwilligem 
Verzicht beredet und hernach Gerbert eingefegt haben. Abermal fieht man, 


- daß diefe Maßregel von Weitem her vorbereitet war. 


in . 


Es gelang Gerbert, Alles, ſelbſt die Abfaffungsmweife der Bulle, dem 
Pabſte abzutrogen, nur in einem wefentlihen Punkte behauptete Gregor V. 


: feine Selbftändigfeit. Ich meine den Sa am Eingange, wo er dem neuen 
: Erzbifchofe, immerhin in den anfcheinend milden Formen kirchlicher Kanzleis 


nn 2% 


ſprache, die gleichwohl meines Erachtens tief einfchnitten, den Spiegel feiner 
Schlechtigkeit, feines unmwürbigen Lebens vorhält. Gregor durchſchaute aljo 


, das Spiel, das getrieben ward. Warum hat er bei ſolcher Einficht fih dazu 
hergegeben, die Bulle ausfertigen zu Taffen und gut zu heißen. Soll man 
: {in der Schwäche bezüchtigen? Faſt undenkbar fcheint ed, daß Bruno» 
- Gregorius, der fonft fo muthig voranfchritt, der fein Leben für die Kirche 
. opferte, aus Schwähe dem Andringen Gerbertd und Otto's III. nachge⸗ 


geben habe. 

Nur die geheime Gefchichte Spoleto’8 und Camerino's, die ich oben ents 
widelte, vermag fein Verfahren genügend zu erflären. So wie man annlınmt, 
daß Otto mit Einziehung der beiden Marken drohte, dafern Gregor ſich ferner 
weigern würde, Gerbert unter den vorgefehriebenen Bedingungen auf ben 
Stuhl von Ravenna zu erheben, wird Alles verftändlih. Denn jebt blieb 
dem Pabfte die Wahl zwiſchen zweien Wegen übrig: entweder — felbft mit 
Aufopferung perfönlicher Eicherheit und des guten Namens bei der Nachwelt — 
die beiden Marken, Grunpfäulen des Kirchenftaats, dem Etuhle Petri erhals 
ten — oder mit dem Kopfe durd die Wand rennen und trogen. Nun liefern 
ja die oben geſchilderten Vorgänge zu Farfa wirflic den Beweis, daß an 


s) Zaffö Mr. 2967. *) Gfrörer, Kirch, Geſch. III, 1502. ) Berk IV, 2, 


670 Babfl Gregorius VII. und fein Seitalter. 


bem Vertrage von 996 gerüttelt, daß Epoleto und Camerino als letzte Matte 
fhraube angefeßt worden if. Weines Erachtens bat Gregorius V. edel 
gehandelt, als er den erfteren Weg wählte, 


Heununddreißigfies Capitel, 


Kirchliche Mafregeln, welche Berbert nady feiner Einfegung in Ravenna ergriff. Smoke p 
Ravenna Anfangs Mai 998. Kirchenverfammlung zu Rom im Gommer bella 
Jahres. Gerbert amtet erfi neben dem Pabfle, bald ohne ihn und zwar in Dinge, 
über welche nach Kirchenrecht nur Petri Statthalter verfügen fünnen. Dito IIL mi: 
ſchließt fi die Geſezgebung feines Großvaterd Otto I. zu vervollſtändigen. Brite 
dieſes Entſchluſſes. Mechtliche Verhältniffe Italiens. Weberall drängen ſich eine Gel: 
daten den Abteien und Stühlen, doch nicht mehr ald Pächter, fondern als Wehralolla 
auf, Laienfürften wagen, bad Schwert gegen Bifchöfe zu ziehen. Anfänge der Gewalt 
thaten Ardoins von Iorea. Gr ermordet den Bifchof Peter von Bercelli, bebrängt tr 
von Jvrea aufs Blut. Der Pabſt, obgleih um Hilfe angerufen, vermag bie Unte: 
drückten nicht zu ſchützen, weil ber Tuscier Hugo, Gegenſchwäher Arboins, für vielen 
am Hofe arbeitet und den Kaiſer umftridt bat. 


Kurz nad feiner Einfegung, den 1. Mai 998, hielt Gerbert im feine 
Metropole ein Provinzialconcil) auf weldem folgende Suffragane erfchienen: 
bie Bifchöfe von Forli (forum Livii, darum liviensis), Sarfena, Bologna, 
Imola, Faenza, Comachio, Eefena, Eervia (auch Ficocle genannt), Yorlim 
popoli (Forum Pompilii), Boten von Barma. Piacenza finde ich (vielleicht durd 
Gehler der Abfchreiber) ebenfo wenig genannt ald Reggio, welche beiven 
Bisthümer doch Gregor V. neulich dem Erzfprengel Ravenna einverleibt hatte. 
Als Eiferer für Sittenzuht, als MWiederherfteller des Kirchenrechts, gebahrte 
fi) der neue Erzbifchof auf diefer Synode, dem erften großen kirchlichen Akt, 
den er vornahm. 

Drei Beichlüffe)) wurden gefaßt: 1) „der in der Kirhe von Ravenm 
eingerifjiene Mißbrauch, daß die erzbifchöflihen Subdiakone an neugeweihte 
Suffragane Hoftien, jo wie aljährlih an die Archipresbyter des ganzen Eip 
Iprengel8 Salböl um Geld verkaufen, hat aufzuhören; 2) jährlich follen ſämmi⸗ 
liche Archipresbyter des Erzftifts auf den Tag des h. Vitalis (4. Novemben) 
an unfere Subbiafone zu Ehren des Erzftuhle Ravenna (Cd. h. für die er 
bischöflihe Kaffe) je zwei Echillinge bezahlen.“ Der dritte Canon erneunen 
die alte Vorſchrift, daß Fein Bifchof in fremdem Sprengel ohne Ginwiligun 
des betreffenden Kirchenhaupts Priefter einfegnen ober andere heilige Han 
lungen vornehmen bürfe, fo wie daß Priefterweihen an Niemanden zu ertheile 
ſeien, welden firäfliher Wandel, Unreife des Alters, Mängel des Geifrd 
oder Körpers und andere fanonifhe Hinderniffe ausſchließen. 


) Manfi XIX, 219 fig. 


nd. Gay. 39. Gerberi, Erzbiſchoſ v. Ravenna geworben, uniergräbt den Pabſt. 671 


sdrũcklich erflärt der Text die zwei im erſten Artikel befchriebenen 
ıhe für Berfauf der Gaben des h. Geiſtes oder für Simonie; beide 
verboten. Statt des Handels mit Ealböl führt &erbert eine fefte 
Tare ein. Ueber die Frage, ob der Erzbiichof ſich insgeheim vorbe⸗ 
ch von neu eingefegten Bilchöfen eine ähnliche Abgabe öffentlich ober 
n am erheben, fchweigt der Tert; fie muß alfo unentfchieden bleiben. 
ch im nemlihen Monate‘) Mai wohnte Gerbert einer größeren 
) au, welde zu Rom unter dem Borfipe des Pabſts und Im Anwe⸗ 
ed Kaiſers zufammentrat. Die gefaßten Beichlüffe lauten: 1) „König 
ſcheide fih von feiner Verwandten Bertha und thue fiebenjährige 
Berweigert er den Gehorfam, fo trifft ihn, wie Bertha, Kirchenbann; 
:mbald, Metropolit von Tours, der diefe Ehe eingefegnet hat, und 
ern Biihöfe, welche der Trauung anwohnten, find jo lange ihres 
nthoben, bis fie vor dem Stuhle Petri Rechenſchaft ablegen ; 3) das 
o I. gegründete, von feinem Sohne und Nachfolger aber widerrechtlich 
ee Bisthum Merfeburg ift wieverhergeftellt; 4) kann Giſelher, Biſchof 
igdeburg den genügenden Beweis führen, daß er nicht aus Ehrſucht 
nen Stuhl Merſeburg mit dem großen Magdeburg vertauſcht hat, 
r nicht abgeſetzt werden. Stellt es ſich heraus, daß er auf Einlas 
er Gemeinde und des Clerus nad Magdeburg befördert ward, ſo 
r Metropolit. Hat er ohne Einladung des Volks, aber doch nicht 
rjuht und Geldgeiz, den Stuhl von Magdeburg eingenommen, jo 
nad Merfeburg zurüdfehren. Kann er aber den Vorwurf des 
zes und der Ehrjucht nicht abweifen, fo darf er feinen von beiden 
; behalten.” Weitere vier Beſchlüſſe beziehen fih auf die Sache cine® 
quitaniſchen Clerikers, die ich übergehe. 
n Srühling 997 auf dem Concile von Pavia hatte Pabft Gregor V. 
daß Giſelher widerrechtlich feinen Etuhl Merfeburg verließ, hatte ihn 
Inmaßer genannt und demgemäß verfügt, daß er bis Weihnachten 997 
zur Berantwortung fich ftellen folle. Gleichwohl war der Vorgeladene 
Ihienen. Nichts defto weniger hält die neue römiiche Synode vom 
98 nur den Beſchluß der Wiederherftielung des Merfeburger Stuhles 
„ eröffnet dagegen demjelben Gifelher, ver zu Pavia jo gut ald ver 
worden, nicht eine, fondern mehrere Hinterthüren. 
ine Etelle der Chronik Thietmars gibt Auffhluß, obgleich fie hands 
e Irrthümer enthält. Der Merfeburger Biſchof erzählt) nämlich, vor 
Synode zu Rom fei Kalfer Otto III. als Anklaͤger gegen Giſelher 
des Beſitzes zweier Stühle aufgetreten und habe den Beſchluß durch⸗ 
daß Giſelher feines Amtes enthoben und durch päbftliche Boten nad) 





Jaffs, regen, Nr. 843. *) Manfi XIX, 225 fi. *) Perh II, 780. 


672 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Rom zur Verantwortung geladen ward. „Da der Magdeburger Enbitke 
damals,“ fährt Thietmar fort, „an der Gicht Franf darniederlag und bvefhab 
die Reife nah Rom nicht machen fonnte, jchidte er feinen Cleriker (Has 
fapellan) Rotmann dorthin, mit dem NAuftrage, ihn, wenn es nöthig fen 
follte,, dur einen Eid zu reinigen.” Aber nihts von Dem, mas Thietmar 
meldet, geichah Taut den vorhandenen Aften auf der römiſchen Synode von 98, 
wohl aber Hatte im Jahre zuvor, doch nicht Kaifer Otto IIT., fondern Pabk 
Gregor, und nicht zu Rom, fondern zu Pavia, den Magdeburger Bifchef des 
Doppelbefipes angeklagt und ven Beichluß durchgeſetzt, Daß Giſelher feines 
Amtes enthoben und zur Verantwortung auf Weihnachten 997 nad Rom 
vorgeladen warb. Unzweifelhaft iſt es, Thietmar verwechlelt Die Synode von 
Rom mit der Pawefer. Die römifhe Sendung des Clerikers Rotmann de 
gegen muß ihre Rictigfeit haben, denn fie wird durd die eben mitgetheilten 
Sagungen des römiſchen Concils beftätigt. 

Diefes Concil machte die Entſcheidung der Rechtsfrage, ob Gifelker 
Magdeburger Metropolit bleiben, oder als Biſchof nah Merfeburg zurüd 
fehren, oder endlich feines von beiden Bisthümern beibehalten folle, — nit 
von Außerlich fichtbaren Thatfachen, fondern von Gedanfen des Herzens, oder 
von Gefinnungen abhängig. Der Beweis für Gefinnungen aber konnte im 
Mittelalter, wie heute noch, — nur dur Eide geführt werden. Man fickt 
daher, daß ein Anderer, nämlid Rotmann, zu Rom für Giſelher vorgearbeite 
hatte. Bewilligt ja das Concil dem angeflagten Erzbifchof genau vie Be 
weismittel, welche vorzulegen Rotmann von Gifelher nah Rom geſchickt wor 
den war. Bon diefem Augenblide an durfte Giſelher feine Sache, die im 
Frühjahr 997 verzweifelt fand, im Ganzen als gewonnen betrachten, ten 
war Merfeburg mußte herausgegeben werben, aber ob er Metropolit bleiben, 
oder als Biſchof nah Merfeburg gehen werbe, hieng einzig von form 
und Inhalt der Eide ab, die er zu Rom durd feinen Stellvertreter Rot 
mann ſchwor. 

Nun wußte ale Welt, daß Gifelher das war, ale was ihn Gregor auf |: 
der Synode von Pavia bezeichnet hatte, nämlich ein Anmaßer, ein Zertrim |: 
merer des Hochſtifts Merſeburg, ein Verräther an Kirche und Neid. Inden I- 
baher obige roͤmiſche Eynode ihm die Möglichfeit eröffnete, Gefinnungen, an 
bie fein Menſch glaubte, gerichtlih zu beweifen und Thatſachen, am bene I; 
Niemand zweifelte, wegzufhwören, hat fie Meineive ‚hervorgerufen. Ib 
frage nun: wird Pabft Gregor V. freiwillig die zu Pavia verfünbigten, vom |: 
Maren Kirchenrecht gebilligten Beichlüffe zurüdgenommen, wirb er freiwillig 
dem Berräther die Hinterthüre des Meineids aufgefchloffen Haben? D Ren! 
jondern Das was zu Rom vorgieng, muß ihm mit Gewalt anfgebrungen wer |, 
den fein. Es war eine zweite, noch härtere Demüthigung, welche er etlide 
Wochen nad Erlaffung der. Bulle bezüglich Ravenna's erfuhr. | 





8 Bud. Gap. 39. Gerbert, Erzbiſchof v. Ravenna geworben, umtergräbt ben Pabſt. 673 


Gleich Hinter dem Pabſte Hat Gerbert, der neue Erzbifchof, die Aften 
‚hrieben. Bon deutſchen Biſchöfen, die gleichfalls ihre Unterſchrift bei⸗ 
t, waren zugegen Lambert von Conſtanz und Heinrih von Würzburg, 
Iruder des damaligen SKanzlers, nachmaligen Eölner Erzbiſchofs Heribert. 
erbarer Weife nennt er fich in der Unterſchrift nicht Biſchof von Würz⸗ 
fondern Etelivertreter des heil. Kilian, welcher befanntlih Patron und 
der Würzburgs if. Das flieht fo aus, als hätte Heinrich den Belftand 
Heiligen nöthig erachtet, um feinen durch die Theilnahme an dem roͤmi⸗ 
Akte entehrten Namen weiß zu wachen. Aus ven Unterfchriften‘) einer 
de, die am Tage des Concils oder kurz darauf audgefertigt warb, ers 
daß außer den beiden ebengenannten deutſchen Biſchöfen fih damals 
in Dritter, Notfer von Lüttich, zu Nom befand. Notker wohnte jedoch 
ynode, welche die Hand zu Erniedrigung des Oberhaupts der Kirche 
icht an, und unterfchrieb ihre Beſchlüſſe nicht. Aber vie Urkunde unters 
te er. Man erfieht hieraus, meines Erachtens, daß Biſchof Notfer von 
etwas auf feinen guten Namen hielt. 
Herbert hat auf der römifchen Synode vom Mai 998 neben dem Pabſte 
r V. geamtet. Einige Monate fand es an, fo amtete er ohne den Pabſt 
ngen, welche vorzugsweife dem Pabſte zufamen. Otto IIL fand für 
te Gefebgebung feines Ahns Dtto L durch ein wichtiges Edikt, das ich 
n einzigen rühmlichen Aft feiner Regierung betrachte, zu vervollftändigen. 
m?) wir uns zuvörderſt, daß von Otto J. folgende Geſetze erlaffen 
ı waren: 1) Kirchenland darf nicht mehr an Adelige, jondern nur an 
geringen Standes und Romanen verpachtet werben. 2) In allen Klag⸗ 
wegen entriffener Kirchengüter gilt Verjährung nichts, fondern jeber 
jedes Stift iſt befugt, fein Mecht zu jeder Zeit durch Zwelfampf zu 
n. 3) Kirchen dürfen Kechter für ihre Sachen aufftellen; 4A) Laien 
n müſſen in eigener Perſon — unter Vorbehalt weniger Ausnahmen — 
inge führen. Ich habe weiter gezeigt, daß dieſe Geſetze bleibende Wirs 
n Stalten hervorbradhten, namentlich das Anfchwellen gefchloffener welt 
fürftenthümer, und dadurd das Wachsthum großer und Hleiner Tyrannen, 
yerten. 
Schon die Mitwelt pries ihn wegen derfelben. ine merfwürbige Etelle*) 
fi} in der von dem Sachſen Bruno verfaßten Lebensgeſchichte des heil. 
rt. „Indem Dtto IL,“ fchreibt er, „auf den unglüdlichen Gedanken ges 
alle Einfälle, die ihm durch den Kopf fchoßen, auszuführen, geihah es, 
die wohl geordnete Herrichaft über die Welt verlor, und den Frieden, 
ı der Schreden vor feinem Vater geboren hatte, mordete. Wie ſchnell 
id der Deutfchen Land den Tod des Steuermanns, wie nahbrüdlid ward 





Manft XIX, 230. ”) Oben ©. 403 fig. ”) Berg IV. 598. (vita cap. 9.\ 
Örer, Vabſt Gregorius Vu. Br, V, AR 








074 
es imne, Taf 


ficht, nur mit Echaamröthe blidten verkändige, weblunterrichtete Deuilbe wi 
We zwei längeren Dttonen, dieſe halbbyzantiniihen Romantifer,”) Eyichsk 
eines unnügen Weibs oder gewifienlofer Ränfcihmiche, welche ihnen unip 
He Ideen in den Kopf fehten, aber ungeihwädht Ichte Tas Gebädtaif vi 
erſten Dtto fort. Er bat der Kirche viel Boͤſes zugefägt, aber au uulinp 
bare Berbienfte um dieſelbe fi erworben. Wodurch legteres 7 Dbme Frag 
durch feine Geſege! Auf eben diefe deutet meined Erachtens Brume hin 
Wenn er welter hervorhebt, Dito habe es verſtanden, das Fließende, 
einanderfirebende fef zu Fitten,”) fo ann fein Zweifel fein, daß er bie 
meint, durch welde Dito den Grundbeſitz Italiens, und wit ihm bie Fer⸗ 
Dauer deutiher Oberlchensherrlichkeit wider die fletd auf Neuerungen eryidk 
Ehrfucht des weltlichen Herrenflandes ſicher ſtellte. In der That wüßte id 
in der ganzen Weltgefchichte eine fürſtlichen Geſetze aufzuweiſen, Die an Weis⸗ 
heit und wohlihätiger Kraft vor den Ottoniſchen den Vorzug verdienten. 

Indeſſen gibt Bruno zu verftehen, daß die jüngeren Ottonen von der 
Bahn des Vaters oder Ahns abwiechen und aljo aucd feine Geſetze nicht iv, 
wie es ihre Pflicht geweſen wäre, aufrecht erhielten. Noch eine andere allge 
meine Urſache wirkte mit. Bon SKindesbeinen an finnt der Menſch vermöge 
feiner verborbenen Natur auf allerlei Böfes,*) woher es denn fommt, daß die 
Schlechtigkeit, wenn ihr mittelft Huger Schranken ein Loch verftopft ift, ſteid 
dur ein anderes hervorbricht. Zunächſt fragt es ſich, welche Geftalt die Zu⸗ 
fände Italiens, die durch Otto's I. Geſetze feft geordnet worden waren, unter 
feinen beiden faumfeligen Nachfolgern annahmen? Mehrere Thatfachen geben 
hierüber Aufſchluß. 

Wie früher gezeigt worden, hatte Otto II. um 982 Gerbert zum Abte 


%) Trid. ©. 878. 3) Ich theile den betreffenden Sap Bruno’d in der Urfprache mit: 
Otto II., dam omne, quod vult, regem oportere sequi non bene- putat, collectum orbem 
amisit. 2°) Ebenſo migrans migravit Otto rigidus, fluxa gubernare doctus.. *) Tie 
freifiunige Welt und Philofophen beftreiten bie Kirchenlehre von der Erbfünde. Wir Hiſtorifer 
find nicht von folgen Zweifeln geplagt. Das fragliche Dogma iſt einer ber geheimer 
Grundartikel, ohne deren Kenntniß Niemand Geſchichte (nämlich ächte) zu fehreiben vermag. 








Siebtes Buch. Gap. 39. Gerbert, Erzbiſchof v. Ravenna geworben, untergräbt den Pabſt. 675 


von Bobbio erhoben. So reih das Stift war, konnte der Begnadigte des 
Beſitzes nicht froh werden. Ich laſſe einige Briefe des neuen Abts reden. 
Un den Kaiſer fchrieb‘) er: „möchte der Biſchof von Toortona Gerebert — er 
bieß faft wie der Abt — Zeugniß ablegen über meine Unfchuld in der Sache Bros 
wings und Iſimbards, mögen Litefred und Gerhard eingeftehen, wie ed fam, daß 
Rodulf fie aus Ihren Lehen verbrängte.” Ich verftche diefe Worte jo: Browing 
und Ifimbard waren Bafallen von Bobbio geweien, aber aus irgend einem 
Grunde abgejegt worden und hatten deßhalb beim Faiferlihen Hofe Beſchwerde 
geführt. Indem Gerbert fih auf den Biſchof von Tortona, feinen Borges 


; jeßten beruft, welder vom wahren Etande der Sache unterrichtet fei, deutet 
- er an, daß nicht er, Gerbert, fondern ein Anderer — wahrfcheinlih der Biſchof 
- von, Tortona felber — die fragliche Abfegung veranlaßt habe. Derfelbe Sinn 
‚ liegt dem andern Sage zu Grunde. Wenit Litefred und Gerhard (gleihfalle 
‚ audgetriebene Vaſallen) reden wollten, würbe an den Tag kommen, daß bie 
‚ nämlihe Hand, welche beide letztern verbrängte, und ihr Lehen an Rudolf 


übertrug, auch die zwei erfteren geftürzt habe. 

Abermal fchreibt?) er an den Kaiſer: „die Mönde meines Kloſters leben 
im Elend, leiden Hunger und Blöße. Mittelft gewiſſer Handveften, welche 
man bier libelli (2ehenbriefe) nennt, ift das ganze Stiftseigenthum in fremde 
Hände übergegangen. Unfere Schagfammern, unfere Borrathöhäufer find 
ausgeleert. Zu was mein Aufenthalt bier in Stalien fruchten fol, begreife ich 
nicht. Beſſer wäre es, Ihr gebet mir Urlaub nach Gallien zurüdzufehren, ale 
daß ich länger bier in Stalien mit fo vielen andern Unglüdlihen mid vom 
Bettel naͤhre.“ 

In einem dritten an den Bifchof von Tortona gerichteten Schreiben") heißt 
ed: „wenn einem Abte das Recht zufteht, unter dem Aushängeſchild von 
Lehenbriefen die unbeweglihen Güter der Klöfter an den nächſten Beſten 
auszugeben, die beweglichen als Almofen zu verfchenfen und Das was etwa 
nod übrig fein mag, feinem Mönd als Erbe zukommen zu laffen, dann jehe 
ich nicht, wozu die Wahl eines neuen Abtes dienen fol. Frage ich nad) dem 
und jenem Grundftüd, fo Tautet die Antwort ſtets: das hat alles Petroald, 
(Gerberts Borgänger) nicht als Abt, fondern als Privatmann bejeffen! Und 
faſt muß ich glauben, dem fei jo, denn nichts iſt und geblieben, als die nads 
ten Wände, Wafler und Luft. Und doch befichlt mir mein Herr, (der Biſchof 
von Tortona) daß ih alle möglichen Rüdfichten für Petroald nehme, daß er 
jein angeblihes Eigenthum ganz behalten fole” u. |. w. 

Ein viertes Schreiben") ift an einen gewiſſen Bofo gerichtet, der fi dem 
Stifte von Bobbio gern als Vaſall aufgedrungen hätte: „der Worte find ges 


*) Epist. I, 1. Ducdesne II, 789. 2) Tbid. IL, 2. ®) Epist. I, 3. ibid. 


2) 1, 4. ibid. ©. 790. 
ar 


676 YabR Gregerius VIL uud fein Seitelter. 


nug gewechſelt, Thatſachen follen reden: von den Gütern wmeined Kleſter 
gebe ich dir Keinen Schuh breit, weber aus Freundſchaft noch für Bel, mb 
wenn ein Anderer (Betroald) dir ein ſolches Lehen überließ, fo widernde i 
die Verleihung. Erflatte Die Matten, welde deine Dienflleute unferem SR 
weggenommen haben, zurüd, oder du ſollſt erfahren, wa8 ich durch des Kalſer 
Gunſt vermag.“ 

Folgt ein Brief!) an den Biſchof Peter von Pawia: „daß ich die Ari 
des heil. Columban erlangte, verbanfe ich weder bir noch fonft einem Jo 
liener. — Du verlangft Unterredungen mit mir und fährft doch fort das Eigen 
thum meiner Kirche zu plündern. Gleich ald wären unfere Güter beine Gt, 
vertheileft du, dem es doch zufommt mein Recht zu ſchühen, unfere Habe unit 
Soldaten. Schon gut, thut auch fürber, was Ihr bis heute geihan, rarht, 
fiehlet, beget halb Italien gegen mich auf. Den Zeitpunkt habt Ihr alle 
dinge ſchlau gewählt. Mein Herr, der Kaifer, ift in fchweren Krieg verwkde, 
ih werde die Mannfchaften, die ich zu feinem Dienfte gefammelt, nicht prrid⸗ 
halten, noch überhaupt eine Pflicht, die er von mir zu fordern berechtigt iR, 
verweigern.” Bon den vielen Gütern, die das Stift des heil Golumban lm 
Gerberts eigenem Zeugniß da und dort befaß, lagen mehrere im Biothan 
Pavia. Der Bifchof diefes Eprengels aber hatte die Gelegenheit des Abi⸗ 
wechſels auögebeutet, um einen Theil dieſer Ländereien an Wehrvaſallen m 
vergeben. 

Weiter fchreibt”) Gerbert an die Katferin Mutter Adelheid: „bezüglich 
der abgezwungenen Zehen oder Derer, weldhe fie trugen, habe ih dem Wunfde 
des Kaiſers gemäß meine neulich eingereichten Vorſchläge in's Werk gefeht 
Meine gnädigfte Gebieterin (Adelheid) möge ſich erinnern, daß fie meulich mir, 
ihrem treuen Knechte, verſprochen hat, wegen mehrerer anderer (beim Kaifer) 
Fürbitte einzulegen. Seit ich das legte mal Euch aufwartete, babe ich den 
Gripho weder ſelbſt, noch irgend einen feiner Boten gefehen. Das Land, das 
ich geftern meinen Getreuen verlich, Tann ich denfelben doch nicht heute wieder 
entziehen. Und wenn ich Alles das hergebe, was der und jener von mir 
verlangt, dann bleibt mir felber nichts, und mein Aufenthalt in Italien wir 
zwecklos. Nie werde ich gutwillig dem Gripho irgend ein Lehen übertragen.“ 
Man fieht, die alte Kaiſerin hatte dem Abt bei ihrem Eohne Vorſchub ges 
leiftet, daß Bobbio von etlichen der Täftigften Bafallen befreit warb. ber 
gleih verlangte fie Gegenbienfte und drang in den Abt, einem ihrer Schü 
linge, Gripho, Land auszugeben. 

Im Sprengel von Lodi lag ein Klofter, das Principianum hieß.) Bon 
den Berhältnifien deſſelben handelt ein an Kaifer Dtto IL gerichteter Brief‘) 


) L 5. ibid. 2) Epist. I, 6. ’) Mabillon, annal. Ord. S. Bened. III, 616. 
&) Epist. I, 10. Duchesne I, €, 791. 


Siebtes Bud. Cap. 39. Berbert, Erzbiſchof v. Havenna geworben, untergräbt den Pabſt. 677 


Gerberts. „Zwei Brüder des (ebengenannten) Stifte,“ fchreibt er, „haben 
Zuflucht bei mir gefucht, fie Hagen, daß der Bilchof von Lodi im Bunde mit 
einem neu gewählten Abte ihres Kloſters das Stiftseigenthum greulich verfchleus 
dert habe.“ Diefer Ball beweist, daß es Andern ebenſo ſchlecht gieng, ale 
Gerber. Der Bischof von Lodi hatte gleichfalls den Abtwechfel benügt, um 
den Neugewählten, der von ber Gnade des Biſchofs abhieng, zu nöthigen, 
daß er eine Maſſe Güter — und zwar zu Gunſten nicht des Klofters, fons 
dern des Stuhles — an Soldaten vergeben mußte. 

Befonders belehrend endlich ift ein Brief,) den Gerbert an einen Bers 
trauten, Namens Hugo, erließ: „überreih ift das Stift, das mir die Gnade 
des Kaiſers verlich, aber das Schidfal hat ed anders gewollt und mir Wehe 
bereitet. Iſt mein Gebieter, der mir wohl will, ein mächtiger Herr, fo find 
die Widerjacher, welche gegen mid anftürmen, noch mächtiger. Kaum gibt 
es eine Gegend in Italien, wo nicht Feinde von mir fäßen. Meine Kraft 
reiht wider die Abneigung eines ganzen Landes nicht aus. Sie bieten mir 
zwar Frieden, aber nur unter der Bedingung, daß ih mir Hab und Gut 
nehmen laſſe, und ihnen wie ein Sklave zu Dienften bin. So wie ih Miene 
mache, mein gutes Recht zu behaupten, bedrohen fie mid mit dem Degen, 
und wo das Schwert nit ausreicht, greifen fie zur Verlaͤumdung. Die 
Majeftät des Kaiſers und des Reichs würde theild in fich felber, theils in 
meiner Perfon vernichtet, wenn die Berfchleuderung der Güter meines Stifte, 
die man bier mit dem Namen von Lehenbriefen und Lehenrecht befchönigen 
will, aufrecht bliebe. Weil ih aus allen Kräften Widerſtand leiſte, fchelten fie 
mid einen Iyrannen, nennen mid grauſam, treulos.” Alle Anftrengungen 
Gerberts fruchteten nichts, aus den nächſten Briefen erhellt, daß er nicht lange 
nah des Kaiſers Tode,?) des nuplofen Kampfes müde, Bobbio ftehen ließ 
und nah Gallien zurüdfehrte. 

Zu richtiger Würdigung der Herzendergießungen Gerberts müſſen folgende 
Punkte in Betracht gezogen werden: erftlih war es fein Stuhl, fondern ein 
Klofter, das Gerbert dur des Kaiſers Gnade erlangt hatte. Die Klöfter 
aber ftanden damals, mit vieleicht wenigen Ausnahmen, unter dem Krumm⸗ 
ſtab der Biſchöfe, obgleich der zehnte Brief in Gerberts Sammlung beweist, 
daß die Moͤnchsgemeinden da und dort auf Befreiung vom biſchoͤflichen Joche 
binarbeiteten, ein Ziel, das mit dem Pontififat Gregors V. in größerem Ums 
fange erreicht zu werben begann. Andererſeits benügten die Biſchoͤfe ihre Ges 
richtsbarkeit, um befonders bei Abtwechſeln allerlei Vortheile, namentlih Bes 
lehnung taugliher Vaſallen, für fi herauszuſchlagen. 

Zweitens der Vorgänger Gerberts, Petroald, war nicht geftorben, jons 
dern hatte — ohne Zweifel auf Befehl Otto's IL — weichen und dem Frans 


2) Epist. I, 12, ibid. ©. 791; 3) Epist. I, 16. ©. 792, 


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Luft und Waſſer blieben. 

Drittens die mitgetheilten Briefe Gerberts fallen in tie Jahre 982 mt 
983, folglich in einen Zeitraum, ta fih Kaiſer Otto IL wegen des calakri- 
ſchen Kriege in ſchwerem Gedränge befand. Er beftünmte, wie wir wiſſen,) 
geiftliche und weltlike Große um Zuientung von Eoltaten. Auf tie Ber 
legenheiten des Kaiſers rechnend, vertheilten vie Biſchöfe ohne Bedenken 
Büter des Stifts Bobbio, die in ihren Eprengeln lagen, an Dienſtleute. Eie 
fahen voraus, daß Otto auf die etwaigen Klagen des neuen Abts nidt 
hören,?) fondern zufrieden fein werbe, wenn er überhaupt Eolbaten bekomme, 
mochten diefelben von den Biſchöfen mit rechten oder unrecdhten “Dingen auf 
gebracht worden fein. 

Aber auch der Kaiſer felbft fchonte das Stift Bobbio und die Gerecht⸗ 
fame Gerberts nicht. Aus dem erften, zweiten und jechöten Briefe der Samm- 
fung geht meines Erachtens hervor, daß fowohl Otto IL. als feine Mutter 
Adelheid dem h. Eolumban Dienftleute aufprängten. Dem Kaiſer gegenüber 
wagte Gerbert nicht, offen mit feiner Beſchwerde hervorzurüden, er deutet mır 
an, was er meint, aber gegen die Katferin Diutter führte er eine unverholene 


') Oben ©. 512. 3) Dito's II. gleihnamiger Sohn, Kaifer Otto IIL, Hat ber 
Schler, den fein Dater damals beging, wenigfiend theilweife gut gemacht. Denn durch Urs 
kunde vom 1. October 998 befahl er (Böhmer, regest. Nr. 826), daß die vom Biſchoſe zu 
Tortona dem Klofter Bobbio entzogenen Güter zurüderfiattet werben follten. 


6 Bud. Cap. 39. Gerbert, Erzbiſchof v. Mavenna geworben, uniergräbt den Pabſt. 679 


he: „nie wird, jo lange ih etwas zu befehlen habe, Gripho ein Xehn- 
6 Klofterd erhalten.“ 
Immerhin, fo peinlich die Lage war, in die Gerbert theils durd die Art 
Weife feiner Erhebung, theild durch die augenblidlihen Noͤthen Otto's IL. 
h, geben feine Briefe Beweife an die Hand, daß vie Geſetzgebung 
3 L noch immer wirkte. Nirgends befchwert ſich der neue Abt darüber, 
'aien Güter feines Stifts gewaltiam an ſich geriffen hätten, over bie 
oo Dignfte verweigerten, fondern nur den geiftlihen Herern, den Bis 
ı von Pavia und Tortona, gibt er folhe® Schuld. Bon ihnen jagt er: 
fort, wie bisher, raubet uab ſtehlet, theilet das Eigenthum meines 
I), als wäre ed das Eurige, unter Soldaten aus. Aber Bijchöfen ges 
cr gewährte die Geſetzgebung Otto's I. Aebten feinen Schutz. Denn bie 
wie die Andern waren gleihbercchtigt, gerichtliche Streitigfeiten durch 
bemäßige Kämpen ausfechten zu lafjen, abgejehen davon, daß Aebte 
aus andern Gründen fi hüten mußten, Biſchöfe vor Gericht zu laden. 
dagegen, die gerne Vaſallen des Stifts Bobbio geworden wären, 
en laut der eigenen Darftelung Gerberts folgenden Weg ein: fie boten 
hre Sreundfchaft an, wenn er gutwillig das Berlangte gewähre, im Wels 
göfalle dDrohten fie mit Verfolgung oder aud mit böjen Nachreden bei 
Dffene Raubanfälle des Heinen Adels auf geiftlihed-Gut hatten aufs 
t, weil, um mit Bruno zu reden, der Schreden vor Otto's J. Schatten, 
vor feinen Geſetzen, die noch lebten, Landfrieden erzwang. 
Noch wichtiger ift ein anderer Punft. Bis zur Zeit, da Otto feine Ger 
rließ, berrichte der Gebrauh, daß Kirhenland an Adelige häufiger auf 
briefe ald gegen Wehrverträge ausgegcien ward. Ganz anders erjcheint 
age der Dinge in Gerberts Briefen. Hier ift nirgends von Pächtern, 
n nur von Soldaten die Rede, die auf Verpflichtung zum Kriegsdienft 
eiftliche Lehen empfangen. Die Stühle, die Abtelen find zu militäriſchen 
npunften geworden. Nachdem ihnen Otto's L Geſetze Schuß gegen die 
ereien der Laien verfchafft hatten, wollten Bifchöfe und Aebte den Fürften 
hen Standes gegenüber eine Achtung gebietende und felbftftändige 
ıng erlangen. Sie fievelten zu diefem Zwede eine möglid große Zahl 
ewaffneten Dienftleuten auf ihren Gebieten an und belohnten fie mit Lehen. 
Ich wende mich zu einer zweiten DBegebenheit, welche Zeugniß darüber 
‚ wie in dem Zeitraume, der zwiichen 970 und 998 verlief, unter dem 
iſſe der Dttonifchen Geſetze fih die Verhältniffe des niedern Adels zu 
Stuhle, und zwar zu dem mädtigften Stuhle Lombardiens, geftaltet 
. Nachdem Erzbifhof Godfried von Mailand im März 979 das Zeit 
zefegnet hatte,*) wurde Landulf, Bonizo's Sohn, zum Nachfolger ers 





) Berg VIU, 104. 


680 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


hoben. Diefer Landulf aber if, um mit dem Evangelium zu reden, nid 
dur die Thüre in die Hürde gelangt. Ein mailändifcher Chronik vom Ex 
des eilften Jahrhunderts jagt:') „Bonizo, Kandulfs Bater, erwarb große Gr 
walt durd die Gunſt des erften Dtto und beherrſchte ſeitdem Mailand w 
gejähr jo, wie ein Herzog in einem ihm gehörigen Schloffe haust. Eba 
derjelbe verfchafite feinem Sohne Landulf nad) Godfrieds Tode pas Enbis 
thum und zwar dadurch, daß er Mafjen von Gold und Silber am gehörmga 
Orte wirfen ließ.” 

Der neue Erzbijchof verwaltete das Amt entiprechend der Weiſe feine 
Erhebung. „Landulf“, fchreibt) Arnulf, ver Altefie Ehronift Mailande, 
„mißbrauchte die Herrihaft über die Stadt zu allerlei Ungebühr. Darüber 
entbrannten die Bürger in Zom und verſchworen fid) wider ihn.” Wer warn 
diefe Bürger? Bis zur Mitte des eilften Jahrhunderts werben mit ven 
Worte civis ftetd vollberechtigte Infaßen, d. h. Adelige, Soldaten freien 
Standes bezeichnet, und dafür, daß im gleichen Sinne audy Armulf den Auk 
drud gebraucht, bürgen die nächſtfolgenden Ereigniffe. 

Pochend auf die unbefchränfte Macht feines Haufes, zu welder ba 
Vater ald Laie den Grund gelegt, und welde dann der Sohn durch Erwer 
bung des Erzbisthums vollendet hatte, muß Landulf den Stiftsadel Inapp ge 
halten und viele Xehen, die irgend entbehrlid fchienen, eingezogen haben 
Deshalb griff der Adel zum Gewehr, in den Straßen Mailands fam es u 
eincın Kampfe, der unglüdlich für den Erzbiſchof endete, ?) denn derfelbe verlieh 
mit feinen Brüdern die Etadt, nur fein alter Vater, Bonizo, bettlägerig unt 
ſchwach wie er war, blieb in Mailand zurüd. Schon damals theilte Lantulf 
viele Kirchengüter aus, um Auhang unter dem Adel zu gewinnen. Aber 
weil er das Mittel nicht in gehörigem Umfange anwandte, frucktete es nicte. 

Ein zweiter Kampf entipann fib. In offenem Felde bei Garbonate un: 
weit Ecprio ward eine Schlacht geliefert, in welcher beide Theile fchwere 
Verlufte erlitten, und der Erzbiſchof abermal unterlag. Nun vermittelten weile 
Männer eine Uecbereinfunft, die auch zum Abſchluſſe gedieh und den Yrieven 
der Etadt wiederherftellte. Worin beftanden die Bedingungen? Der jünger 
Ehronift Mailands, Landulf, im Herzen demofratifh gefinnt,?) fchreibt:‘) 
„fehr viele Vfarrgüter, Spitäler, andere geiftlihe Etiftungen theifte Landulf 
den Adeligen aus.” Weiter unten fügt er bei: „gewiflen Soldaten, die mit 
dem Erzbifchofe verwandt waren, feien 40,000 Mepen*) Landes, bisher Eigen 
thum des 5. Ambrofius, zu Lehen gegeben worden.“ 

Auch der andere Chronift, Arnulf, beftätigt ſtillſchweigend die Ausſage 
ſeines jüngeren Zeitgenoffien. Denn obgleih er — von Haus Xriftofrat,’) 


— m une 


1) Daf. ©. 54 unten fig. :) Ibid. ©. 9. I. cap. 10. s) Sftörer, Kir. Geld. 
IV, 380. %) Noch heute braucht man im Breisgau bie Gintheilung des Landes nad 
Seftern, indem man das Mans des Kornes, das zur Ausſaat nötig if, zu Grunde legt. 


Siebtes Buch. Kap. 39. Gerbert, Erzbiſchof v. Ravenna geworben, untergräbt den Pabſt. 681 


ch hütet, offen einzugeftehen, daß und mit welchen Mitteln damals der Mais 
Inder Adel zu bleibendem Beſitz und Macht gelangt fei, beftimmte ihn doch 
iebe zur Wahrheit, folgenden Sap feinem Berichte einzufledten: „da Erz- 
iſchof Landulf fühlte, daß er durch Verfchleuderung von Gütern!) die Kirche 
erlegt, den niedern Clerus und das Volk beeinträchtigt habe, ftiftete er das 
lofter zum heiligen Eelfus, das er reichlich ausſtattete.“ Wer die verichleus 
erten Ländereien empfing, fagt Arnulf nit. Da aber fowohl der Elerus als 
er große Haufe über die Verjchleuderung murrte, fo können fie nur dem Abel 
ıgefallen fein. 

Im Uebrigen fcheint mir aus der Darftellung Arnulfs zu erbellen, daß 
rzbiſchof Landulf es Anfangs verſucht hatte, feine und feines Haufes Herr 
haft über Mailand einzig auf den gemeinen Mann zu gründen und den 
del zu befeitigen. Es war der Gegenfag zwiſchen den beiden Hauptelemen, 
n oberitalifcher Bevölkerung, der romaniſchen Maſſe und dem langobars 
ſchen Herrenftand gewefen, der in den Mailänder Händeln zufammenftieß. 

Der jüngere Ehronift läßt den eben befchriebenen Streit ausbrechen, 
ährend Kaifer Dtto IL in Italien weilte. Ic fehe feinen Grund, diefes 
eugniß zu verwerfen, felbft wenn die weitere Angabe, daß Otto IL, von 
7zbiſchof Landulf zu Hülfe gerufen, ſich angeſchickt habe, Mailand zu bela⸗ 
ern, erdichtet ſein ſollte. Da nun Otto II. 980 nach Italien kam und 983 
ıfelbft ftarb, muß, was beide Chroniſten erzählen, zwiſchen 980 und 983 
eichehen fein. Näher läßt ſich meines Erachtens die Zeit nicht beftimmen. 

Im Berlaufe des ganzen Zerwürfniffes mit dem Erzbifchofe hantelten 
e langobardifchen Adeligen als gefchloffener Stand, auch nahmen fie nicht 
af eigene Fauſt Güter weg, fondern nötbigten Landulf in gefeplicher Form 
it Brief und Siegel, ihnen das zu übertragen, was fie begehrten. Bon 
jeiten der Dttonifchen Gefepgebung hätte ihnen daher der Erzbiſchof nicht 
{zufommen vermocht. Auch noch aus einem andern Umftande ergibt fid, 
iß Otto's L Gefege einen großen Einfluß auf jene Händel übten. Wie in 
Ierbertd Sache zu Bobbio, fommen aud zu Mailand Feine Pächter, fondern 
ır Wehrvafallen zum Borfchein. Der jüngere Chronift wendet?) fogar auf 
e Belehnungen, die fie dem Erzbiichof abpreßten, den Ausdrud feudum an. 

Sn beiden Verwicklungen, fowohl in der von Mailand ald in der von 
obbio, waren es niedere Bafallen, welche bier einem Abte, dort einem Erz 
Ichofe entgegentraten. Ueber das gegenfeitige Verhältniß der höchften Lehen⸗ 
äger verfchiedenen Standes, d. h. zwiſchen Prälaten und Laienfürften, gibt 
iner von beiden Fällen Aufichluß, wohl aber ein dritter, Wir müſſen uns 
ich Jvrea wenden. Muratori bat eine Urkunde veröffentlicht,) laut welcher 


2) Berk VIII, 9: dispersis facultatibus. 2) Ibid. ©. 55: quadraginta millia my. 
’»s terre — illis — per fendum dedit. ®) Antig. Ital. I, 889, 


682 Vabſt Gregorius VIL uud fein Seltalter. 


Markgraf Ardoin von Forea im Sommer 996 zu Brescia ein 

Gericht hielt. Der Ivreer, welchen wir früher ale Gegenfchwäher des Tas 
cierd Hugo fennen lernten,‘) war folgli zu der einflußreidhen Würde ca 
kaiſerlichen Pfalzgrafen oder Hofrihters in Lombardien erhoben worben, mb 
zwar allem Anfcheine nach zu der nämlichen Zeit, da fein Schwäher Guy 
auf Befehl Otto's IIT. die Marken Spoleto und Gamerino an Betri Exil 
hatte abtreten müffen.?) Die Bermuthung drängt fih auf, Ardoins Beide 
rung dürfte ein Stück Zuder gewefen fein, mit welhem man bem Scdwähe 
jenes Opfer verfüßte. Sei dem, wie ihm wolle, gewiß if, daß Ardein is 
obgenannten Sahre 996 feine wachſende Macht in frevelhafter Weile zum 
Berverben eines benachbarten Biſchofs mißbrauchte. 

Stadt und Hochſtift Vercelli Hatte zur alten Marke Jvrea gehoört, ) welte 
einſt die Berngare beſaßen. Den dortigen Stuhl nahm — wahrfdeizid 
fett 975 — Biſchof Peter, der erfte feines Namens, ein.) Deutliche Epura 

" Hegen*) vor, daß diefer Peter manche Hörige feiner Kirche, welche durch mit 
uäher befannte Mittel ihre Freiheit erfauft oder erihlihen Hatten, ober m 
leßtere zu erringen, aus dem Lande geflohen waren, wieder in knechtiſchen 
Stand zurücktrieb. Das heißt mit andern Worten: der Bilhof von Vereell 
arbeitete darauf Hin, gewiſſe Lüden auszufüllen, welche feine Borgänger, be 
treffend die Vollſtreckung der Ottoniſchen Gefepe,”) übrig gelaffen. Ned ie 
anderer Hinficht fuchte er eben dieſe Gejepgebung zu verwirklichen, und foldee 
Etreben verwidelte ihn mit dem Markgrafen Ardoin in gefährlichen Steel, 
welcher deßhalb ausgebrochen If, weil Beide, der Markgraf und der Bilkel, 
die ausfchließlihe Gerichtöbarfeit über Stadt und Gebiet Vercelli anſprachen. 

Aus ciner Urkunde‘) Dtto’8 IH. vom Mai 999 fcheint zu erhellen, daß 
Beter, um fein Recht zu begründen, ſich auf einen Freibrief berief, welde 
angeblich oder wirflih einem feiner Vorgänger Liutward, der neben dem Bi 
thum Vercelli auch die Erzfanzlerwürde unter Carl dem Diden bekleidete, 
von eben diefem Kaiſer bewilligt worben fe. Doch wirkten noch anter 
Triebfedern mit, die In der Gegenwart oder in der nächften Vergangenheit 
wurzelten. 

Ein piemonteftfcher Gelehrter, der die mittelalterlihe Geſchichte feine 
Landes vielfach aus alten Urkunden aufgehellt hat, Durandi, fagt,”) unläug 
bar ſei es, daß die Bilchöfe Oberitaliens damals (d. h. unter dem zweiten 
und dritten Dtto) überhaupt jede Gerichtsbarkeit der Laien über Güter um 
Hörige der Kirche beſtritten. In der That laſſen die Ereigniffe, von denen 
fogleidy die Mede fein wird, feinen Zweifel über die Richtigfeit diefer Behaup⸗ 
tung zu. Nun ift aber weiter klar, daß die Bilchöfe unmöglich fo hätten 

1) Oben ©. 506. 2) Oben ©. 598. 2) Memorie di Torino VII, b. ©. 11? 


rren fig. u. 141 fig. 9) Ibid. ©. 114 fig, *) Oben S. 403 fig. 9 Memorie ei 
2.6.33 fg. Dia. ©. 118. 


& Buch. Cap. 39. Gerbert, Erzbifchof v. Ravenna geworben, untergräbt den Pabſt. 683 


In fönnen, wären ihnen nicht allgemeine Rechtögründe zur Seite ger 
n, auf weldhe fie ihr Verfahren zu flüben vermodten. 
Denn obwohl der erfte und zweite Dtto, wie an einem andern Orte‘) 
»wiefen worben, einzelne Stühle da und dort durch befondere Onaden⸗ 
von weltliher Gerichtsbarkeit befreit hatten, waren dieß immerhin ziem- 
itene Ausnahmen, und namentlich in den beiden Fällen von Vercelli und 
von Ivrea, die bier zunächſt in Betracht fommen, lagen Feine folche 
ıfligungen vor. Erſt geraume Zeit nach Ausbrud der Händel mit Ars 
haben die Stühle von Bercelli und JIvrea mittelft Faiferlicher Urkunden 
Srafenbann erlangt. Jener allgemeine Rechtsgrund aber fann nur in 
efeggebung Dtto’8 gefucht werden. Abermals ftoßen wir auf unläug⸗ 
Radywirfungen jenes räthfelhaften Edikts, deſſen Dafein ich anderswo?) 
wieſen babe. 
Da Biſchof Peter, fein Recht behauptend, nicht nachgab, fchritt Marks 
Irdoin zur Gewalt, er knüpfte heimliche Berbindungen mit unzufriedenen 
hnern der Stadt Bercelli an, die dem Bifchofe grollten. Als Solche 
ı genannt: Gifelbert, Archidiakon am Dome, Eunibert, Erzpriefter, ein 
r Gifelbert, etlihe Richter und ehemalige Hörige des Hochſtifts, die 
is der Heimath geflüchtet hatten. Im Einverftändniffe mit diefen Ver⸗ 
nen rüdte Ardoin an der Spike eined Haufens Bewaffneter vor Ber 
brach ein, beftürmte den Dom, wohin fi der Biſchof mit feinen An, 
n geflüchtet hatte, und ließ euer an das Gebäude legen. Mitten im 
ne verbrannte der Biſchof Peter. Zu feinem Nachfolger wurde fofort 
lerifer Raginfred gewählt, der ohne Frage der Parthei Arboind ange 
woher e8 auch fam, daß Feine Klagen über die Vorgänge von Bers 
ever beim faiferlihen Hofe noch beim Pabſte einliefen. ®) 
ie Zeit des Ueberfalls von Vercelli läßt fih nur annähernd beftimmen. 
er Schenfungsurfunde‘) vom 4. September 996 wird Biſchof Peter 
rend erwähnt, Taut einer zweiten‘) vom 31. Dezember 997 hatte Ragins 
Peters Nachfolger, den Stuhl von Vercelli inne. Peter Ermorbung 
aber nothmwendig in den Zeitraum, der zwiichen dem Herbfte 996 und 
usgang des folgenden Jahres verlief. Ich glaube, man iſt berechtigt, 
n Dezember 996 oder die erften Monate des Jahres 997 zu fchließen, 
amals Kaiſer Dtto III. in Deutichland drüben verweilte, Pabſt Gre⸗ 
‚ aber aus Rom vertrieben und durch einen Gegenpabft — den Griechen 
ı — hart bevrängt war. Sicherlich paßte ein Zeitpunkt, mo die Kirche 
(gemein anerlanntes Oberhaupt befaß, der Kalfer aber außerhalb Ita⸗ 
ich befand, trefilich für das Unternehmen Ardoins, und es iſt faum zu 





Oben ©. 402 u. 408 fig. 2) Daf. ©. 406 fig. 9) Memorie a. a. O. 
fee ) Histor. patr. monum. Chartae I, 306. °) Did. ©. 315, 


684 Babl Gregerius VIL und fein Seilakler. 


bezweifeln, daß er niht — fo wie ed geibah — firaflo® weggefommen wir, 
wenn er während der Anwefenheit Otto's oder wührend der unbeftritteen 
Herribaft Gregors V. losgeſchlagen hätte. 

Da Raginfred vurd die fiegreihe Parthei Artoins erhoben werben iR, 
da er weiter über die Mißhandlung feines Borgängere nirgends Beſchwene 
geführt hat, folgt, daß er die Aniprude des Markgrafen, weldye jein Br 
gänger Peter hartnädig beftritt, anerfannt haben muß. Selbſt Kaifer Otto IL 
fand laut deutlihen Anzeigen für gut, Dafjelbe zu thun. Kraft der let a- 
wähnten Urfunde vom 31. Dezember 997 beftätigte er nämlich, auf Pitt 
des Biſchofs Raginfred, alles gejeplihe und rehtmäßige Eigenthun) 
des Doms zu Vercelli und nahm die Canonifer unter diefer Einjchränfung u 
feinen Shug. Die angeführten Worte weifen meines Erachtens darauf bi, 
daß der Kaiſer zwifchen völlig gefehlichen und hinwiederum zwiſchen zweijel⸗ 
haften und beftrittenen Gütern der Kirche von Vercelli unterfchien, lekten 
ftillſchweigend preisgab und folglich das Verfahren Ardoins gegen Beter ver 
ſteckt als gerechtfertigt betrachtete. Kaum traut man feinen Augen, wenn am 
fieht, wie Otto IIL fo von einer Kirche fpredhen Fonnte, deren Haupt lau 
acht bi8 zehn Monate früher das Opfer einer blutigen Gewaltthat geworben war. 

Nur unter einer Vorausfegung läßt fi) die fonft unbegreiflihe Rad 
fiht des Kaifers erklären, nämlih wenn man annimmt, daß Arboin am Het 
mächtige Fürfprecher gefunden hat, welche die Händel zu Bercelli in ein fir 
ihn günftiges Licht ftellten. Nun war das Haus von Ivrea verfchwägert mit 
dem des Tusciers Hugo, und daß lchterer gerade um jene Zeit die volk 
Gunſt des bethörten Kaiferd genoß, wird ſich unten ergeben. Weines & 
achtens ift es nicht ohne Zuthun dieſes Hugo gejchehen, daß der an dem Bi 
Ihofe Peter verübte Mord ungeftraft blieb, fowie daß Dtto die Urkunde ron 
31. Dezember ausftellte. Ich fpreche diefe Behauptung um fo zuverfictlide 
aus, weil der Tuscier Hugo ſchon vor dem Ueberfall von Verceli und zwar 
furz vorher in die dortigen Verwicklungen eingegriffen hat. 

Oben wurde eine Schenfungdurfunde vom 4. September 996 als %- 
weis angeführt, daß am genannten Tage Biſchof Peter noch Ichte umd jein 
Amt verwaltete. Sie iſt noch in anderer Hinfiht merfwürdig. Kraft bie 
Pergaments fchenkte?) nämlih Markgraf Hugo dem Bisthum Vercelli Schlef 
und Hof Earefana (am Po) mit vielen taufend Jaucherten bebauten und un 


)M. a. D.: cum omnibus rebus mobilibus vel immobilibus ad Sancti Eusebii canc- 
nicam juste et legaliter pertinentibus. :) Hist. patr. monum. Chartae I, 305 fly. be 
omne episcopio vercellensi per praesentem cartulam offersionis eo tamen ordine, ut subter 
legitur, habendum confirmo. Dann folgen weiter unten diefe Bedingungen alfo gefaßt: eis 
habendum relinguo (et) faciendum exinde canonicis illis, qui nunc et pro tempore Is 
canonica ipsius episcopii sanctae vercellensis ecclesiae ordinati fuerint, ad eorum usum « 
skumtum — quod voluerint. 


3 Bud. Gap. 39. Berbert, Erzbiſchof v. Kavenna geworben, untergräbt den Pabſt. 685 


ten Feldes, aber er machte die Schenkung nicht ohne eigenthümliche Bes 
gen, welche fo lauten: „die Canoniker des genannten Stuhles follen die 
afte des vergabten Guts genießen und damit machen, was ihnen bes 
Das Gut war alfo dem Stuhle von Vercelli gewidmet, und doch nicht 
fhft, fondern den Domherrn, die damit nad Gutdünken Schalten konnten. 
eine folhe Schenkung nicht geeignet, Unfrieden zwiſchen dem Bifchofe 
en Canonikern auszufäen! Run bemerfe man, daß die Häupter des 
ıpiteld, der Archidiakon Gifelbert, der Erzpriefter Cunibert bei Erſtür⸗ 
der Stadt Vercelli auf Seiten Arboins flanden und gemeine Sache 
m machten. Ich fage: obige Urkunde zielte darauf ab, das Domcapitel 
m Bifchof Peter zu trennen und für Arboins Plane zu gewinnen. 
aber hat vor wie nad dem Ueberfall mit Arboin zufammengefpielt. 
tahdem ed dem Marfgrafen von Ivrea gelungen war, leichten Kaufe 
iſchof Peter zu unterbrüden und diefe Stadt feiner Herrfchaft zu unter» 
„ Ichritt er weiter vor. Im Mittelpunfte feiner Beſitzungen, in Jvrea 
brah ein Kampf zwiſchen ihm und dem dortigen Biſchofe Warmund 
Neuerdings aufgefundene‘ Akten!) melden, Arvoin babe einen Theil der 
Jen Einwohner mit dem Bifchofe entzweit, aud viele Stiftsfoldaten 
t, dann den Biſchof wiederholt aus der Stadt vertrieben, feine Güter 
t, feine Hinterfafien mißhandelt, bifchöfliche Diener umgebradht. Wars 
leiftete entfchlofjenen Widerftand und Fehrte, obgleich er mehr als eins 
üchten mußte, immer wieder in die Stadt zurüd. Der Streit muß 
ngere Zeit unentfchleden hin und her geſchwankt haben. Endlich vers 
der Bifchof in feiner Domlirhe den Bann Über den Mäarfgrafen und 
ne Anhänger. 
ine Beichreibung der Förmlichkeiten dieſes Akts ift auf und gefommen. 
m von zwölf Prieftern, verlas Warmund eine Reihe Flüche wider den 
Igen. Die Priefter antworteten fiat und warfen zugleich die angezün- 
Wachskerzen, welche fie in Händen trugen, auf den Boben nieder. 
Zeit Ardoin nicht in fih ging, erneuerte Warmund den Bann, aber, 
fcheint, ebenfalls erfolglos. Nun rief der Bilchof (benachbarte) Amts⸗ 
n zu einer Synode zufammens; welde eine gemeinſchaftliche Klagſchrift 
bR Gregor V. richtete. In derfelben?) heißt es: „Eure und des Kais 
dacht iſt nicht nur durch den Glauben, fondern auch durch Bande ber 
ndtichaft unauflöglich geeint. Deßhalb wenden wir und an Euch, denen 
mmt, Uebermüthige zu ftrafen, Unterdrückte zu ſchützen“ u. |. w. Folgt 
childerung der unmenſchlichen, von Arboin verübten Greuel. Dann fährt 
st fort: „da während Eurer Abwejenheit (aus Rom) der Kaiſer, weil 
t8 ohne Euch thun wollte, keine Rüdficht auf unfere vorgebrachten Be: 





Memorie di Torino a. a. D. ©. 123 fg. °) Ikid, ©. 397 fig. 


hy 


686 Pabſt Gregerins VII. uud fein Seitaller. 


ſchwerden genommen bat,‘) bleibt und Nichts übrig, als jegt Eure Häk 
anzurufen. * " 

Mit der Abweſenheit des Pabſts aus Rom kann Taum etwas Habei 
gemeint fein, als die gewaltfame, durch Ereöcentius und ben Gegenpabk I 
hann erziwungene Entfernung Gregors V. aus der Well-Metropole und ver w 
freiwillige Aufenthalt in Lombarbien, welcher wenigſtens dreizehn DRonate, vn 
Januar 997 bis gegen Ende Februar 998 dauerte. Während dieſer Jet 
hatten alfo Warmund von Sorea und andere Biſchöfe Gerechtigkeit unb Sim 
„ vom Kaiſer erbeten, aber vergeblih. Daraus folgt zugleih, daß der in ka 
Klagichrift angegebene Grund, warum die begehrte Hülfe verweigert werke, 
nämlich weil Dtto III. nichts während der Abweienheit des Pabſts habe ie 
wollen, nicht der wahre fel. Denn feit dem Dezember 997 befand fd ka 
Kaifer nit nur in Stallen, fondern war aud mit dem flüdhtigen Pebſe 
zufammengetroffen.) Wenn alfo Otto III. nur wollte, hätte er ſchen im 
Dezember gemeinschaftlich mit Gregor V. den Kirhenräuber von Sorea u 
Rechenſchaft ziehen koͤnnen. 

Abermal ſtoßen wir auf klare Beweiſe, daß nicht nur zwiſchen dem Kalk 
und dem Pabſte Spannung herrſchte, ſondern auch daß mächtige Hänk 
am Hofe für Ardoin arbeiteten und den Kalfer hinderten, wider den Rab 
grafen fo zu verfahren, wie das Flare Recht und der geiunde Menſchewe⸗ 
fand gebot. Der am Eingange der Klagichrift angebrachte Cap von ange» 
licher Eintracht zwifchen Kaiſerthum und Tiare ift daher feine Schilderung ie} 
wahren Standes der Sache, fondern ein frommer Wunſch, der ausſpricht, wi 
nach der Anficht der Bittfteller fich jenes Verhältniß hätte geftalten ſollen 
Die Bittfchrift ſelbſt kann nicht vor der Nüdfehr des Pabſts im die ewige 
Stadt, alfo nicht vor dem März 998, überreicht worden fein. 

Hat nun Pabft Gregor dem gerechten Anfinnen Warmunds und jel 
Genoſſen entfprohen? Ja und nein! Ein an Ardoin gerichteter Erlaf") 
Gregors V. iſt neuerdings aufgefunden worden, der weſentlich fo laute: 
„Gregor, Knecht der Knechte Gottes. Unferen Segen können Wir bir alt 
einem Verfolger des Glaubens nicht gewähren, weil du ihm nicht verbienk. 
Mit tiefem Schmerze haben Wir vernommen, daß tu der Kirche von Jorea 
unerträglichen Schaden zufügft, ihre Güter mit Mord und Brand verheeret 
Ob Wir nun gleich überzeugt find, daß du auf Antrieb des Teufels, deſſen 
Eingebung folgend du bisher fo viel Unhell angerichtet haft, auch fünder 
Frevel auf Frevel häufen wirft, erflären Wir dir kraft apoftolifcher Vollmadı: 
laß ab von deinem böfen Vorhaben und leifte hinreichende Genugthuung obe 


1) Ibid. ©. 338: quum igitur tanta et talis, utpote qui omnium nostrum causas per 
pendit, in vestri absentia, nostro christianissimo imperatore ob id differente, nihil delibe- 
zationis promeruit contentio, dignetur pietas vestra oculo animae eam discutere, et. 
N Eiche oben ©. 649. 2) Memorie a. a. D. ©. 338 unten flg. 


Biebtes Buch. Kap. 39. Gerbert, Erzbiſchof v. Ravenna geworben, untergräbt ben Pabſt. 687 


ei verfihert, daß dich bis Fünftige Oſtern das Schwert des Kirchenfluches 
reffen wird.“ 

Als Gregor diefe Bulle veröffentlichte, war fchon zweimal der Bann 
von den Biſchöfen Lombardiens über Ardoin verhängt worden. Der Pabft 
ıber beichränft fi darauf, denſelben zu bedrohen, und feßt alfo thatjädhlich 
ie Verfügung der Bilchöfe vorerft außer Kraft: Ardoin von Ivrea erhält eine 
ffenbar ziemlih lange Gnadenfriſt, um fi eines Beſſeren zu befinnen. 
Sonnenflar ift, ein ſolches Verfahren kann dem Pabſte nur durch Gewalt und 
von Außen aufgenöthigt worden fein. Er deutet ja dieß ſelbſt an, indem er 
u verftehen gibt, wie er wohl wife, daß Mafregeln der Schonung: und 
Milde nichts fruchten werben, fondern in den Wind gefät feien. Das Oſter⸗ 
eft 999, an weldem der Schlag erfolgen follte, hat Gregor nicht mehr ers 
ebt, denn er ftarb im Februar 999. 

So lange der unglüdliche Better des Kalfers auf Petri Stuhle faß, iſt 
em Marfgrafen von Ivrea, obgleich er den Galgen verdiente, Fein Haar 
ſekrümmt worden, und zwar darım nicht, weil verborgene Hände, welche 
en Kaiſer unheildbar mit dem Babfte entzweit hatten, den Räuber hüten. 
Frft nach Gregors Tode ward er zur Verantwortung gezogen, aber zu fpät. 
Der Erlaß des Pabſtes, der in der vorhandenen Abſchrift feine Zeitbeftims 
aung trägt, fällt zwifchen ven Mai 998 und den Februar 999, ich denke, 
a den Sommer des erfigenannten Jahres. Denn es ft nicht denfbar, daß 
Bregor die Bifchöfe Lombardiens allzulange auf einen Beſcheid warten ließ. 

Mit gutem Fug darf man fagen, Dichten und Trachten des Marfgrafen 
on JIvrea war gegen die Gefepgebung Otto's I. gerichtet. Durch eine Reihe 
on Gewaltthaten zeigte er, daß, fo weit fein Arm und Schwert reiche, Fein 
ziſchof aufrecht bleiben folle, welcher an den genannten Geſetzen feftzuhalten 
ch erkühne. Rur Sklaven und halbe Bettler wollte er neben fih auf Italiens 
Stühlen dulden. Nachdem 999 die Acht über ihn verhängt worden, Fündigte 
san das Gefchehene den weltlichen und geiftlichen Fürſten des Kaiferreichs, 
He des Auslands mittelft Nundfchreiben an, welche unter anderen folgende 
5äße enthalten: „Ardoin ſei dem wohlverbienten Banne verfallen, weil er 
iſtlich vom Geiſte teufliihen Hochmuths erfüllt, wider das Königthum ſich 
ufgelehnt, zweitens weil er hohe Aemter (die Marke und die Pfalzgrafſchaft) 
ch freventlich angemaßt, drittens well er das Erbe Gottes (dad Gut der 
Mrche) beraubt, viertens weil er die Bilchöfe beprüdt und aus ihren Städten 
ertrieben habe.” Aus dem zweiten Sage erhellt, daß er nicht mit rechten 
Yingen — fondern allem Anfcheine nach durch Beftehung — fowohl den 
RarfgrafensTitel als die Würde eines Pfalzgrafen erlangt, aus dem vierten, 
aß er noch andere Bifchöfe, ald die von Vercelli und Jvrea, bedrängt hatte. 





*) Ibid. ©. 330 fig. 


Umfurz ver Barfgref von Yorca binarbelteie. 

In ſolchen Dingen iR der Unfang field daS Gchwerfie. Re wi 
Ardoin fo weit vorwärts gefommen fein, hätten ihm nicht am Hefe Dite’6, ven ik 
Plane des Marfgrafen vorzugömwelle bebrobten, unb ber zugleich bie nlllige 
Mittel ver Macht beſaß, um den Ehrfktigen im vediten Singenilil 
bimpfen, Mitveriäworene durch allerlei Ränfe vorgearbeitet. Die Reikenielg 
der Begebenheiten überfpringenb, will id; ſchon bier meine Wuflct 
fammenbang der Sache entwiden. Nirgends wird ein 
Eöhne des Marfgrafen Hugo von Tuscien erwähat, er 
laſſen haben, aber wohl hatte er Töchter, von denen eime, 
cino, dem Sohne Arboins, vermählt war.‘) Um biefe Tochter, feine 
groß zu machen, verband er fi aufs engfle mit Ardoin, dem Kraft 
ner Wille nicht abgefprochen werben Tann, und fchente Feine BRähe, 
bredsen. Daß er den phantaftiihen Schwädling, der auf dem Kaiferthroue 
verachtete, daß er weiter die Krone Italiens dem eigenen Schwiegerſohne 
deſſen Vater zuzuwenden ſuchte, Tann man dem Itallener Tamm 
- Wber greulich find die Künſte des Lugs und Trugs geweſen, wit 
den Eulel Dito’6 des „Starfen” umgarnte. 


Ri 
AHTHTH 


N 


Vierʒigſtes Capitel. 


Das auf dem Beichstage zu Pavia unter dem 30. Sept. 998 erlaffene Erik. Daſelbe 
fichert die Unverleglichkeit des Kirchenguts, bindet aber auch dem Kaifer die Hänbe, oe 
dag Otto III. Solches merkt ober beabfihtigt. Gerbert hat ed dem Kaifer eingegeben 
ansdrücklich wird er, mit Uebergehung des Pabfled Gregor V., beauftragt, daſſelbe p 
vollziehen. Durch diefen neuen Schimpf follte Gregor V. beftimmt werben, freiwillig 
abzudanfen. Weil er nicht wich, fiel er durch Mörder im Februar 999. Urſache, weh 
halb Kaifer Otto tödtliden Hab auf Gregor V. warf, war die ſtandhafte Weigerum 
des Lehteren, die phantaftifche Weltreichverfaflung gnt zu heißen, welche Gerbert ven 
jungen Kaiſer vorgefpiegelt Hatte. 


So hatte fih im Weſentlichen die Lage Italiens geftaltet, als Kalle 
Dtto III. für nöthig fand, die Geſetzgebung feines Ahnherrn zu vervolifän 
digen. Es war keineswegs eine Lüde in letzterer, was die von Ardoin ber 
gangenen Unordnungen möglih machte, fondern die Schuld, daß es fo weit 
fam, traf einzig die eigene Nachläffigkeit des jungen Herrſchers. Immerhin 
lteferten jedoch die Vorgänge zu Jvrea den Beweis, daß die Fortdauer dei 
Reichs auf dem Spiele ſtehe, wenn man nicht unerſchütterlich an Otto's L 
Orundfägen fefthalte. Allein anderswo hatte die Erfahrung gezeigt, daß jene 


BT Dom 6. 000 


Siebtes Buch. Cap. 40. Paweſer Edikt von 998. Pabſt Gregor V. wird ermorbei. 689 


e nicht genügen, um gewifle bedenkliche Mißbräuche auszurotten. So⸗ 
die Abtei von Bobbio als der Erzftuhl von Mailand und wahrſchein⸗ 
och viele andere Biſchöfe oder Aebte Staliend waren genöthigt worden, 
htöfräftiger Welfe eine Maſſe von Gütern an Wehr⸗Vaſallen auszu⸗ 
‚ ohne daß Dtto’8 I. Evifte hiegegen Schuß boten. Die Rothwendigfeit 
te daher gegen Wiederholung ſolcher Fälle Vorkehr zu treffen. Wirklich 
: ein geeignetes Mittel zu Erreichung dieſes Zweckes ergriffen. 
Im September 998 trat ein italtenifcher Reichstag in Pavia zufammen. 
fam ein Geſetzi) folgenden Inhalts zu Stande: „Otto von Gottes 
en, Kaifer ver Römer an die Bonfuln, an den Senat und das 
von Rom, an die Erzbifchöfe, Biſchöfe, Aebte, Markgrafen, Grafen, 
an alle innerhalb Italiens beflellte Richter für ewige Zeiten. Wir 
vernehmen müflen, daß Bilhöfe und Aebte SKirchengüter an beliebige 
nen auf Handveften ausgeben, und zwar nicht zum Wohle der Kirchen, 
n um Geld zu gewinnen oder aus Nüdfichten der Freundſchaft und 
indtſchaft. Wenn die Nachfolger folder Biſchöfe und Aebte aufgeforbert 


1, entweder ihre Kirchen in gutem baulichem Stande zu erhalten, oder. . 


em Staat fchuldigen Verbindlichkeiten zu erfüllen, fo weiſen fie biefe 
ab, indem fie behaupten: da das Gut ihrer Kirche in fremde Hände 
t jet, vermöcdhten fie nicht mehr das Angefonnene zu leiften, und wirklich 
mandmal die baare Unmöglichkeit nicht abgeleugnet werden. Dieweil 
fedurd nicht bloß das Wohl der Kirhen Schaden, fondern aud die 
tät des Kaiſerthums Abbruch erleidet, fofern die Unterthanen Das, was 
8 Schulden, nicht mehr zu entrichten im Stand find, als verordnen Wir 
tiefes unferes Faiferlichen Edikts: alle der Kirche nachtheilige Verleihuns 
n Land, mögen fie mittelft Wehrverträgen, oder mittelft Pachtbriefen 
h gegangen fein, haben nur fo lange, Giltigfeit, als der Biſchof, der 
anftaltete, am Leben bfeibt, den Nachfolger aber binden fie nicht mehr; 
ı diefer ift berechtigt und verpflichtet, alle von dem Vorgänger in bes 
ner Weile ausgegebene Land wieder an ſich zu ziehen, und das Gut 
treffenden Stifts fo zu orbnen, daß er feine Obliegenheiten ſowohl gegen 
ils gegen das Reich erfüllen mag.“ 

m den nächſten Sägen nimmt das Epift einen noch höhern Flug. Der 
ährt fort: „da felbft Könige und Kaiſer Reichsgut nur für ihre Lebens⸗ 
— jedoch mit Ausnahme folder Schenkungen, die an Kirchen gemacht 
— zu verleihen befugt find, Tann Biſchöfen und Aebten unmöglich 
echt zuftehen, Stiftögut für die Zeiten ihrer Rachfolger wegzugeben. 
jedes Geſetz, jede Verordnung, jede Handichrift, jedes Herfommen, das 
den Nußen der Kirche ftreitet, ift eben damit null und nichtig. Deß⸗ 
Berk, leg. IL, a. ©. 37. 

'drer, Pabſt Gregorius vu, Bp. V, X 


60 - BabR Gregerins VIL uub fein Seilakker. 


gleichen fann fein Kalfer etwas befräftigen, was der Eimfegung und der Fear 
dauer des Kaiſerthums zuwiderläuft. Handveſten baben baber nur ham 
Giltigkeit, wenn fie der Kirche nutzen oder in feiner Weile ſchaden. Ba 
ſich erfühnt, dieſer unferer ausgeſprochenen Willensmeinung entgegenzubanben, 
den trifft die Strafe der Acht und zugleich des Kirchenfluchs von Selten ala 
und jeder Bilchöfe, welche gegenmwärtiged Reichsediftt) entweder fen 
unterfehrieben haben, oder noch unterfchreiben werben. Gegeben in ber Bw 
fififa des fellgen Petrus, welche zum goldnen Himmel heißt, den 20. St 
(998) Römerzinszahl zwölf, dem dritten Sabre der päbſtlichen Berwaltug 
Gregors V.“ 

Noch if ein zweites Edikt Otto's II. vorhanden, das aber in ba 
Handſchriften einen Ort und Feine Zeitbeftimmung trägt... Deines Erachten 
wurde dafjelbe auf dem nämlichen Reichstage zu Pavia erlafien. Die Her’) 
lauten fo: „täglih wird gegen vie Geſetze gefündigt, täglich fchenen ſ 
Schlechtgeſinnte nicht, fchlecht zu handeln. Darum gebieten Wir Traft dieſes 
Unferes Gefeges, das mit göttlihem Schuge in alle Ewigfeit. gelten foll: ya 
jeder Zeit des Jahres iſt es dem Richter geftattet, die Geſeße anzuwenden, 
Prozeſſe einzuleiten, Streitigkeiten zu fchlichten, damit, wer täglich Die Gelee 
beleidigt, täglich beftraft werden kann. Denn wahrlich, die Zeit der Meint 
oder der Ernte fol Denen keinen Schuß gegen den rähenden Arm ber Ge⸗ 
rechtigfeit gewähren, welche zu feiner Zeit aufbören, Bdjes zu thım. Weil 
zu thun, die Wahrheit zu fagen, die Gerechtigkeit zu üben, den Geſehen ge 
mäß zu richten, ift jeder Zeit erlaubt gewefen, und wird in alle Zufunft cr 
laubt fein. Denn der fatholifhe Glaube Iehrt, daß wir gute Werke zu thun, 
und Böſes zu meiden ftetS bemüht fein follen. Uns aber liegt Fraft Uniert 
faiferlihen Amtes ob, diefe Pfliht mit Gottes Hülfe einzufchärfen. Dagegm 
verbieten Wir jede Gerichtsſitzung an Weihnachten, am Feſte der Erfcheimma, 
an Oftern, an Chriſti Himmelfahrt und Pfingften, an allen Sonn⸗ und for 
fligen Sefttagen, fowie an gebotenen Faſttagen.“ 

Lepteres Edift nimmt einen Anlauf, als wolle e8 gerichtliche Handlungen 
auf jeden Tag des Jahres geftatten, aber ver Schluß entipricht dem Eingange 
nicht, denn zulegt werden genau alle die Tage audgenonmen, an welde 
Gerichte zu halten das längſt beſtehende Herkommen verbot. Zunäcft fragt 
ed fih, welder Stand verlangte, daß Gerichte zu jeder Zeit des Jahree, 
auh an heiligen Tagen ftattfinden dürfen, und welcher Stand wollte hinwic 
derum ſolche Ausdehnung richterliher Befugniffe durch Nüdfichten des drif 
lihen Gottesdienſts befchränft wiffen? Ohne Zweifel waren es die Grafen 
und Richter, welche das Erftere, waren es Bifchöfe und Aebte, melde das 


— — — — — — 


') Tbid. ©. 37: qui huic imperii nostri edicto subscripserunt. lbid. 
©. 36 unten, 


Siebtes Buch. Gap. 40. Paweſer Edikt von 998. Pabſt Gregor V. wird ermordet. 691 


te begehrten.) Das eben mitgetheilte Edikt macht alfo den Lalenfürften 
Jugeftändniß, obwohl freilich nur ein ſcheinbares. Wohlan diefe Thats 
ift meines Erachten® geeignet, die Zeit der Abfafjung des zweiten Ge⸗ 
zu beſtimmen. 
Wir haben gefunden, daß Otto J., fo oft er zu Gunſten des Clerus 
rdnungen erließ, welche den Laienſtand mehr oder minder verlegten, ſtets 
le Zuthaten beifügte, welche den Zorn der weltlihen Herren beſchwich⸗ 
‚ ein gewifjes Gleichgewicht zwiſchen geiftlichen und weltlichen Anfprüden 
Den follten.?) Ebenſo verhält es fih nad meinem Dafürbalten mit den 
ı Ediften Otto's III.: beide find zu gleicher Zeit im Herbfte 998 zu 
ı and Licht getreten. Das zweite war ein wenig Zuder, welden Otto 
!aten binftreute, um den Wermuth zu verfüßen, den das erſte Edikt in 
hloß. Nie, felbft in Otto's I. Tagen nicht, iſt ein einfchneidenderes Geſetz 
die Laienwelt gegeben worden. Doc bedarf e& der Erläuterung. 
Otto IIL nimmt den Titel Kaffer der Römer an, und wendet fi dems 
ß in erfter Linie an die Confuln, den Senat und das Volf von Rom, 
dann in zweiter an die geiftlihen und weltlihen Fürften des Reiche. 
fommt daher, weil im Herbfte 998 bereitd, wie unten gezeigt werben 
ybwohl nod nicht vollftändig, die neue Reichsverfaſſung zu wirken begann, 
: Rom zum Sik und Mittelpunft des Reichs erhob, dem dortigen Senat 
Bolf den erften Rang anmies, dagegen Deutichland, Lotharingien, Sla⸗ 
Böhmen, Polen in die befcheidene Stellung von Provinzen herab» 
Zwar lauten die Worte „an alle innerhalb Staliens beftellten Richter“ 
8 habe das Edikt bloß für italienifche, nicht auch für deutſche Richter 
ng. Aber dieß ift nur Schein, denn was in Rom, in Italien zu Recht 
d, das hatte vermöge der neuen Verfaffung auch für Germanien und 
ınderen Provinzen des hervorgezauberten Weltreichs geſetzliche Kraft. 
, daß dieß die Meinung des Kaiſers war, bürgen bie Ausdrücke hoc 
ii nostri edictum und universi episcopi. Die anfcheinende Beichränfung 
ichter auf Stalten rührt daher, wet nur in diefem Lande Gerichtöbe- 
t beftanden, deren Mitglieder den Titel judices empfingen. In Deutic: 
hießen Diejenigen, welche die Gerechtigfeitpflege verwalteten, comites, 
auch praesides, oder scabini u. |. w. 
Das Edikt vom 20. Sept. 998 enthält dem Anſcheine nach nur eine, 
That aber drei Hauptbefiimmungen. Die erfle, welche offen ausge⸗ 
en wird, befagt: Verleihungen geiftlihder Güter an irgend welde Per⸗ 
find nur für die Lebenszeit des Biſchofs, Abts oder niederen Clerikers 





Man veral. zum Beifpiel die Deichlüfle der deutichen Reichs⸗Synode vom Jahre er 
7 Kirch. Geſch. TIL, 1146. ) Oben ©. 404 fig. 
—X 


692 . Vabſt Gregorius VIL und fein Seiteter. 


der die betreffende Urkunde ausftellte, rechtöfräftig, den Rachfolgern des Ink 
ſtellers Fönnen fie feine Verbindlichkeit auferlegen. Mag ein Biſchof, Abt, Ku⸗ 
chenländereien verkauft, verfchenkt, oder auf Wehrvertrag ausgegeben haben: das 
entfremdete Gut fällt nad dem Tode Defien, der einen ſolchen ft vor 
nommen, von Rechtswegen an bie betreffende Kirche zurüd. Sebe Erwerbung 
von Kirchengut durch Laien, fei fie an ſich gerecht oder ungerecht, if hinfen 
nur für die Dauer eines Lebens durchführbar, und hört mit bem Augenbikt, 
da ein Nachfolger eintritt, von ſelbſt auf. 

Man muß befennen: das Edikt fchneidet mitten ins Fleiſch hineln, trift 
den Ragel auf den Kopf und macht alle die Mißbräuche, welche oben beſchre⸗ 
ben wurden, geradezu unmöglih. Mit Hülfe dieſes Edikts hätte Berbert alt 
Abt von Bobbio ale Güter, welche fein Vorgänger Petroald für fi wen 
genommen oder an Andere verliehen hatte, zurückziehen können, und ebendai; 
felbe eröffnete dem Rachfolger des Erzbiſchofs Landulf von Mailand eine breite 
Bahn, um fämmtliches Grundvermögen, das durch die verfhworenen Bafallıı 
Jenem abgepreßt worden war, wieder feinem Stifte zu verichaffen. 

Wirklich muß das Edikt einen erfchütternden Eindruck auf den Stand ber 
Lehenträger Staliend hervorgebracht haben. Unten werde ih zeigen, dab 
Arboin, obgleih im Jahre 999 .geächtet und aller Güter beraubt, amf ben 
Schreden, welchen das Geſetz den kleinern Soldaten einjagte, einen Fühnen Plan 
der Rache und der Ehrfucht baute. In Berzweiflung darüber, daß fie fein 
Lehen mehr in erblihen Beſitz zu verwandeln hoffen durften, hoben Lombar: 
diens Vaſallen den gebannten Marfgrafen auf Staliens Thron. 

Noch eine weitere Wirkung hatte das Edikt vom 20. Sept. 998. Im 
Verein mit den Gefegen Otto's I. fehnitt e8 das Fünftine Anfchwellen geſcloſ⸗ 
jener italienifcher Fürftenthiimer vollends gründlich ab, jedoh nur dann, wenn 
die deutfhen Kaiſer Borfehr trafen, daß die Emennung der Bifchöfe unt 
Aebte ausichließlich in ihren Händen bfieb. Denn wenn Letzteres nit ac 
Ihah, wenn 3. B. einzelne Laienfürften, welche von Seiten gewiſſer Bisthümer 
und Klöfter bedeutende Lehen trugen, Einfluß auf Befegung eben Diefer Stühle 
und Abteien übten, konnte e8 Teicht gefchehen, daß folhe Herren den Bewer: 
bern, welche fie. begünftigten, unter der Hand geheime Zufagen abnahmen, 
welche den Begünftigten die Verpflichtung auflegten, nad Antritt der betreffen: 
den Pfründen zwar bie früher von den verftorbenen Vorgängern an die Gönner 
auögegebene Kirchlehen zurüdzuziehen, aber fofort cbenbenfelben wieder w 
überlafien. Mehrere italienifche Große, namentlid die Häufer zu Turin und 
“ Eanofja, haben diefen Schleichweg häufig und mit Erfolg eingefchlagen. 

Längere Zeit ift ed den Oberhäuptern des deutſchen Reichs gelungen, vie 
Ernennung auf hohe erledigte Pfründen in ihren Händen zu behalten. Allen 
in dem Maße, wie fie von diefem Recht einen fchlimmen Gebrauch machten, 
wurde Petri Stuhl duch den mächtigſten der Triebe, den der Gelbfterhaltung, 


Siebtes Buch. Bay. 40. Paweſer Edikt von 988. Pabſt Gregor V. wird ermordet. 603 


wöthigt, Allem aufzubieten,. daß die willführlihe Befegung der Stühle und 
teien den SKaifern entwunden werde. Man ermwäge die Lage der Dinge. 
ar einmal das Edikt vom 20. Sept. 998 in Fleiſch und Blut übergegans 
ı, und befaßen Deutſchlands Könige die ausjchließlihe Befugniß, alle 
‚Ken Stifte, deren Grundbefig nicht mehr dauernd verringert werden konnte, 
dern deren Reichthum und zugleich militärifche Macht fort und fort wuchs, 
‚chen zu übertragen, die Alles der Gnade des Hofs verdanften und welche 
er Seits die Herriher — offen oder insgeheim — auf Bebingungen vers 
ihten mochten: dann wurde die Unabhängigkeit des Stuhles Petri zu einem 
ding, weil bei jedem Streit, der zwifchen Krone und Tiare ausbrach, der 
fehlbare Beiftand des durch feine Oberen dem Hofe verfauften Bisthums 
d Klofterd den Kaiſern die nöthigen Mittel lieferte, um den Päbften jedes 
jebige Zugeftänpniß abzuprefjen. 

Im Wefen der Kirhe und des kirchlichen Rechts lag es, daß Petri 
tatthalter bezüglich der Einfegung von Biſchöfen und Nebten diejelben Bürg- 
aften und Scranfen fordern mußten, welde im eilften Jahrhundert Gre⸗ 
r VIL, einige feiner nädften Vorgänger, jo wie feine Nachfolger begehrt 
ben. Denn die jegensreihe Wirkſamkeit der Kirche ift wefentlich durch gewiſſe 
nrichtungen bedingt, welche verhindern, daß fittlih Unmwürvige die Verwals 
ug der größeren Kirchenämter erlangen. Berbindert aber fonnte letzteres 
ir dann werden, wenn den Päbften, als den Häuptern der gefammten Kirche, 
» Befugniß zuftand, Aufficht über die Art und Weiſe zu führen, in welcher 
riftlihe Herrfher das ihnen Ffraft alten Herkommens übertragene Recht ver 
:nennung von Bilchöfen und Aebten ausübten. Dennoch gejchah es erft im 
ften Sahrhundert, daß Petri Statthalter ernftlih dieſe Befugniß oberfter 
ıffiht geltend machten. Man ließ, fo lange es irgend möglih war, vie 
inge im gewohnten Geleiſe. Erft als eiferne Noth vorzufchreiten gebot, drang 
stri Stuhl auf Verwirflihung der Rechtsſätze, weldhe von Anfang an aue 
m Weſen der Kirchenverfafiung floßen. 

Kraft des Edikts vom 20. September 998 hat Dtto die Rirhenhäupter 
bunden: fie erjcheinen von Nun an, als das, was fie von jeher der Idee 
ch waren, als bloße Berwalter und Nupnießer eines Guts, das ihnen mit 
ichten als perfönliches Eigenthum gehörte. Sie durften daher nicht mehr nad 
utdünken über da8 Vermögen der Stifte verfügen. In gleicher Weife band 
ver damald Otto auch ſich ſelbſt und feine Nachfolger. 

Obgleich nur obenhin berührt und als Nebenfag eingefügt, hat ein zweiter 
rtifel des Edikts gleich vollfommene Kraft, wie der eben entwidelte erfte — 
imlich die Beftimmung: nicht minder als Bijchöfe und Achte über den Beſitz 
x betreffenden Stifte, können auch Kalfer und Könige nur für die Dauer 
red Lebens über Reichsgut verfügen. Was irgend ein Kaifer oder König an 


694 Vabſt Gregorius VIL und fein Beitalder. 


- Andere verlichen hat, fällt nach dem Tode des Werleihere von Redtäwegn 
an die Reihsihagfammer zurüd. 

Das ift eine Lehre, die ins Leben eiugeführt, außerorbentliche Wirtunga 
bervorbringen mußte. In der That hat ihre, wenn auch nicht thesretiike, 
fo doch praktiſche Unwendung, Neuftrien, Spanien, England, zu mädlign 
Reichen gemacht und hätte man fie bei uns befolgt, fo würde Die Lage en 
Dinge in Deutſchland nicht fo fein, wie fie heute geftaftet iR. Was war 
wohl der Anlaß, daß der Berfafier des Edikts gerade dieſe Saite berührt! 
Ich denke, die mehr und mehr in Deutichland wie in Stalien bervortretente 
Beftrebungen großer Bafallen, fi zu ſelbſtſtaͤndigen Dynaften aufzumerfen 
Der geiftige Urheber des Edikts wollte meines Erachtens Denen, welde de 
Einheit des Reichs gefihert wünjchten, fagen: id; weiß, wo Euch ber Eduh 
drüdt, ſtehet mir bei, helfet mir in die Höhe, und dad Uebel, das Ihr be⸗ 
fürchtet, fol gründlich bejeitigt werben. 

Eine andere Frage if, ob Der, in deſſen Namen das Edikt erlaffen war, 
d. h. Dtto III. die wahre Tragweite der zweiten Beſtimmung ahnete ober 
gar Fannte? Ich glaube nein! und zwar nicht blos darum, weil Otio II. 
zwei Jahre fpäter, wie ich unten zeigen werde, die Rechtöfraft des zweiten 
Artitels, fo viel an ihm lag, thatſächlich umfließ, fondern auch noch aus einem 
andern Grunde. Die deutſche Geichichte weist viele und ſchlagende Beifpiek 
auf, daß zu Römerzügen, deren Zwed war, im Sinne der Kirche zu wirken, 
ihr zu helfen, geiftliche Xehenträger, Bilchöfe und Aebte, ſtets die überwiegende 
Mehrzahl von Streitkräften geliefert haben, während umgefehrt auf jolden, 
welche entgegengejegten Abfichten dienten, weltlihe Vaſallen, Herzoge, Marl: 
grafen, Grafen neben den Kaiſern die Hauptrolle fpielten. 

Dieje Herren wollten aber keineswegs für Nichts über die Alpen reiten, 
auf ihre Koften von einem Ende der Halbinjel zum andern jchweifen, ven 
Flebern, dem Dold, dem Gift trogen. — „Die italienische Luft,“ fchreibt*) ver 
Merjeburger Thietmar aus Gelegenheit der kurzen Romfahrt von 1014, „un 
die Eigenſchaften der Landeseinwohner taugen nicht für Deutfche. In Romanien 
und Lombardien drohen taufend Echlingen, fein freundlider Empfang wird dem 
Ankömmling zu Theil, Alles was man bedarf muß in Gold aufgewogen wer—⸗ 
den und Viele gehen dort durch Gift zu Grund“. — Dieje Herren, fage id, 
verlangten einen greifbaren Lohn, Anfangs Vergrößerung der Lehen, bald Erb» 
lichfeit derſelben. 

Indem nun der zweite Artikel des Edikts den Grundſatz ausſprach, daß 
binfort alle Gnaden und Lehen, welde die Kaiſer aus dem Reichögute vers 
geben, nur für ihre Lebensdauer den Belchnten verbleiben, nad dem Tor 
des jeweiligen Herrn an die Schapfammer zurüdfallen, machte er für die Zw 


ı) Berg III, 837, Mitte, 


= 


Sichtes Buch. Kap. 40. Paweſer Ediki von 998. Pabſt Gregor V. wird ermordet. 605 


kunft ſolche Romfahrten, die auf Vergewaltigung der Kirche abzielten und 
auf den Beiftand der Laienfürften berechnet waren, ſchwierig, ja faft unmögs 
lid, weil er den vorausfichtlihen Gehülfen des Kaiſers die Hoffnung eines 
erkteflihen Gewinns entzog. Das lag ſicherlich nicht in den Abfichten Otto's III., 
ſondern er ift überliftet worden. Dem jei wie ihm wolle, jedenfalls enthält 
der zweite Artifel ‚des Edikts noch eine fehr wichtige Klauſel: nur ſolche 
Schenfungen, welche Kaifer an die Kirche machen, haben bleibende Kraft und 
Das vergabte Gut fällt nie mehr an den Staat zurüd, 

Aus dieſer Klauſel hinwiederum ergibt ſich eine dritte Beftimmung, welche 
allerdings nicht förmlich ausgeſprochen fit, aber doc unzweifelhaft in den 
Morten des Cdikts eingehüllt liegt. Wer kann läugnen, daß der Pabft ein 
Biſchof, und zwar der vornehmfte unter allen ift, oder daß der Stuhl, auf 
dem er fißt, eine Kirche, und zwar die erfte der Welt vertritt. Wenn nun 
aber Schenfungen, die von irgend einem Kaiſer an eine Kirche, wie z. B. an 
die römifche gemacht wurden, laut dem Epifte nie ihre Kraft verlieren, jo folgt, 
daß Otto III. durch fein eigenes Gefch verbunden war, Alles was Pippin, Carl 
ver Große, Earl der Kahle und Otto I. je an die Päbſte vergabt hatten, 
fofern e8 anders in feinem Beſitze fich befand, dem wahren Eigenthümer, d. h. 
Petri Stuhle zu erftatten. That er dieß nicht, jo traf ihn von Rechtswegen 
die Strafe, welde er jelbft allen Widerjpenftigen angedroht hatte, nämlid) 
Reichsacht und Kirchenflud). 

Ich weiß recht gut, daß in politifhen Dingen, in ragen der Macht 
gegen Madıt oder gar gegen materielle Unmacht eine weite Kluft zwiſchen 
echt und That klafft. Dennod behaupte ich zuverfihtlih, daß aus den 
Srundfägen, die Dtto III. felbft mittelft des EviftS vom 20. September an⸗ 
erfannte oder wenigftens mit feinem Namen jcdymüdte, alle die Folgerungen 
flofjen, die ich eben 309. 

Immerhin dachte Dtto III. nicht im Entfernteften an Uebernahme einer 
Verbindlichkeit, welche ihn Angeſichts der Welt nöthigte, den Kirchenftaat her⸗ 
zuftellen, deſſen Bruchjtüde wirklich, in feinem Befige waren. Hat er doch 
nur mit Widerftreben Spoleto ſammt Camerino herausgegeben, ſogleich nad) 
Gregord V. Tode aber wieder an fih gezogen, aud als ver neue Pabft 
Sylveſter II. mit aller Macht ihn drängte, nur einige Theile verabfolgt! Man 
muß daher fagen, daß er nicht wußte, was er that, ale er das Edikt vom 
20. September 998 unter feinem Namen in die Welt hinausſchickte. Hands 
greiflicher als fonft verrieth er bei diefer Gelegenheit, daß er durch und durch 
ein Romantifer, d. h. ein Menſch war, der fid mittelft Phantaſtereien von 
Andern mißbrauchen ließ und feinen Funken praftifchen Verſtandes bejaß. 

Wer ift ed nun gewejen, der das CEditt erdadıte, oder ind Leben eins 
führte und die Verantwortlichfeit der Vollſtreckung auf fih nahm? Voraus» 
fihtlih der damalige Pabft Gregor V., denn ſicherlich fam es vorzuaawmelle 






606 Pabf Gregerias VI. uub fein Seiteller, 


dem Pabfle zu, ein Bee wie vorliegende® zu geben, das tief in y Yo Juve 
häftniffe der Kirche einſchnitt. Da überdieß Die Zeitbeftimmung ver Bil v⸗ 


zeichnet ſein ſollte. 

Aber mit nichten: unmittelbar hinter den oben angeführten Warte, v ſ⸗ 
das Datum enthalten, heißt es weiter im Texte: „verfündigt aber wını 
unfer Edikt durh die Hände Berberts, des Metropoliten ve ſe 
Kirche von Ravenna, und zwar auf derſelben Synode,) welche dem (na) I 
Erzbiſchofe von Mailand, Arnulf, das Pabſtthum abjprady.“ 4 

Ich muß zunähft lepteren Deijag erklären. Erzbiſchof Landulf von Ra 1; 
fand, der den früher geſchilderten Bertrag mit dem Stande der Wehreafein Ih 
des heil. Ambrofius abgejchloffen hat, war im Frühjahr 998 — am 23, Rin- 
mit Tod abgegangen.) Den erledigten Stuhl beftieg fofort — allem Anſchei⸗ 
nad) durch die Gnade des ſächſiſchen Hofes — der Cleriker Arnulf, dem 
bald darauf wurden ihm unzweideutige Beweiſe der Gunſt des Kaifer za 
Theil.”) Als Geſandter und Sreiwerber Otto's IIE. gieng er nad, Gonfants 
nopel ab, um — nun zum zweitenmale — für feinen @ebieter die Hand cina 
griechiſchen Prinzeifin zu erlangen. Ich babe oben dargethan, daß der erfe 
Artikel des Edilts vom 20. September insbeſondere der Mailänder Kirde, 
genauer gelprochen, dem Nachfolger Landulf's, Arnulf, eine reiche Herndte von | 
hieß, und wohl aud eingebradt hat. Eine Ehre war der andern werk. 
Seit alter Zeit legten ſich mehrere der größeren Bifchöfe Staliens ven Titel 
papa bei, und diejer Gebrauch dauerte tief ins eilfte Jahrhundert fort, bis 
ihn Gregor VIL für immer abſchaffte,) indem er zum Gefege erhob, daß 
binfort der Name „Pabſt“ ausjchließlih den Statthaltern Petri vorbehalten 
fein folle. Meines Erachtens hat Arnulf ſchon 998 auf die fragliche Aus 
zeichnung verzichten müßen. Mit Diuratori‘) bin id der Meinung, daß dich 
der Sinn der oben mitgetheilten Worte ded Textes iſt. 

Alſo Gerbert war ed, der das Edikt erfonnen, jedenfalls veröffentlicht 
hat. In der That ift demſelben der Etempel feines Geiftes aufgeprägt. Don 
Neuem machte er mittelft deſſelben der Welt feinen Werth bemerklich, un 
gab zu verftehen, daß nur er unter den obwaltenden Umftänden zum Babite 
tauge. Wer es vermochte, dem Kaifer ein ſolches Geſetz abzupreffen over 
durch Lift zu entloden, von dem durfte man mit Recht erwarten, daß er Kraft 
genug befige, Unabhängigkeit und Macht des Stuhles Petri herzuftellen und 


‘) Promulgata (lex) per manus Gerberti — in ea synodo, in qua mediolanensi epis- 
copo Arnulfo — papatum ablatum est. (Berg, leg. II, a. ©. 37.) ?) Berg VII. 104. 
2) Ibid. ©. 9 unten fig. *) Biefeler, Kirch. Sefch., vierte Auflage I, b. ©. 405, Note 17 
und Du Gange, glossarium sub voce Papa. Neue Ausgabe (vom Sabre 1845), Vol. V. 
©. 65, Spalte 3. °) Annali d’Italia ad a. 99, 


Siebtes Buch. Kap. 40. Paweſer Edikt von B98. Pabſt Bregor V. wird ermordet. 607 


) Erbe der Kirche den feindlichen Gewalten, die es an fi gerifien hatten, 
entwinden. Ic bin überzeugt, daß die Parthei Derer, welche Gerbert auf 
tri Stuhl erhoben zu fehen wünfchten, in Folge der Beichlüffe von Pavia 
chs. Allein außer diefem verfolgte Gerbert nad meinem Dafürhalten noch 
en andern Zwed. Gregorius V. ſollte fo tief als möglich gefränft und 
urch zu freimwilligem Rüdtritte beftimmt werben. 

Die nämlihe Abſicht hegte — und gewiß nicht ohne Zuthun Gerberts, 
h Kaiſer Otto II. Wenigſtens findet fih in Gerberts Sammlung ein 
ief, der faum eine andere Deutung zuläßt. „Nicht nur wegen der ver- 
ndtichaftlihen Bande, die Uns verknüpfen,“ ſchreibt) Otto an Gregor V., 
ndern auch wegen der erhabenen Stellung, die Wir, jeder in feiner Art, vor 
Welt einnehmen, follten Wir beide ſtets zufammengehen. Allein ich fühle 
meinem Gemüthe Mißtrauen gegen Euren Charakter“. In der gebrudten 
Sgabe trägt der Brief die Aufichrift: „an Pabft Gerbert.“ Das ift falfch, 
Anfpielung auf gemeinfames Blut beweist unmwiderleglic, daß nur Gregor V. 
neint fein kann. Gerbert war ein Plebejer, während Dtto III., wie fein 
tter Bruno⸗Gregor dem herrichenden Haufe von Deutihland entftammten. 
ie verlegend erfcheinen obige Worte !! 

Gregor V. wieh nicht gutwillig, vermuthlid weil er es für frevelhaft 
It, ein ihm von der Vorfehung anvertrautes Amt darum aufzugeben, weil 
Ehrfüchtiger e8 fo wollte. Jetzt wurden andere Schrauben angefrgt. Im 
nuar?) 999 brach zwiſchen den Klöftern St. Damian und Farfa jener zweite, 
her?) geichilverte Rechtsſtreit aus, welchen Pabft Gregor zu Gunften des 
teren Stifts entſchied. Obgleich Kaiſer Otto IIL vor Beginn des Pro, 
es den Abt Hugo an den Pabft Gregor verwiejen hatte, und obgleidy das 
rchenrecht nad) erfolgtem Spruche des Pabftes Fein weiteres Verfahren zuläßt, 
uhigte fih Hugo keineswegs, fondern brachte die Sache vor den Kaifer, 
d diefer nahm die Berufung an. Jedoch erlebte Gregor V. den Ausgang 
»t mehr, denn plößlich ftarb er im Laufe des Februars“) 999 weg. Die 
iften Quellen melden einfad die Thatfache des Todes, aber etliche, welche 
er eingehen, bezeichnen Gregors V. Ende als ein gewaltſames. 

Der Griechiſche Biograph des Abts Nilus, ein jüngerer Zeitgenoſſe, mel⸗ 
: ) „wie ein Tyrann ward Pabſt Gregor aus der Zahl ver Lebendigen 
Sgetilgt, Taut dem was ich vernahm, traten die Augen der Leiche weit aus 
ı Augenhöhlen hervor und hiengen bis gegen die Wangen herab.” Das 
ıtet auf Ervroßlung hin. In den Zufägen, welde vor der Mitte des 
ölften Jahrhunderts Mönch Rupert der von Lambert verfaßten Lebens: 





1) Epistol. I, 155. Duchesne II, 825: non solum sanguinis linea, verum etiam 
ıdam sui generis eminentia connectimur — nostro animo vestrum metuentes ingenium etc. 
Ueber die Zeit vergl. man Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 15086. 2) Oben ©. 444 fig. 
Zaffe, regest. ©. 344. ) Perg IV, 617. 


608 Pabft Bregorins VIL. und fein Seitaltet. 


geichichte des Coͤlner Erzbifchofs Heribert beifügte, heißt‘) eo, ng kai 
Gift geftorben, das ihm „die Römer“ beigebracht hätten. Dieſelbe Ik geroz 
wiederholt?) ein unbekannter Mönd, der um 1150 das Leben des Bin >" 
Meinwerk von Baderborn ſchrieb. Greuliche Dinge müſſen damals in Ade fiüre : 
palaft zu Rom vorgegangen fein. Gregor V. bat als Märtyrer für we io gertic v 
abhängigfeit der Kirche geblutet, und die ruchloſe Schwäche Otto's IL we Jin ga 
es, welde ihn den Händen von Mördern überlieferte. id 

Noch über das Grab hinüber verfolgte das Andenken und die Ehe % J 1a 
unglüdlichen Pabfts der Haß des nämlichen Fürften. Zehen Monat m ‚ven 
Gregor’d Tode, unter dem 3. Dezember 999 fähte Otto IIL in da ie far ei 
an ihn gebrachten lage des Kloſters Farfa ein Urtheit, welches ve tb gi. dat 
ſcheidung des Verftorbenen umftürzte und die firittige Zelle dem Abe gap gme: 
zuſprach. Tags zuvor hatte der päbftliche Schreiber Peter im Name Du find 
und des neuen Pabſtes Syivefter II. eine Urkunde *) ausgefertigt, welche WB IN = 
und unverhüßt die Behauptung vorbringt, Gregor V. jet vom Gegner gap kx 
dem Abte des Stifts zum heil. Damian, mit Geld beſtochen gewihn ſe 
Es genügt zu Würdigung diefes legten, dem Verſtorbenen zugefügten Schi, ar 
eine Thatfache beizufügen. Als Otto III. im Herbfte 999 mit Babr 6 de 
vefter die Abtei Farfa befuchte, geftand er felbft, — wie fpäter gezeigt na 1° 
den fol — und zwar jchriftlih zu, daß er bei jenem erften Einfchreiten win u 
die von Gregor V. angeordnete Erhebung Hugo's zum Abte von Big 
finnten mißbraucht worden fei, und Unrecht gethan babe. Dieſe erfte Rab Ix 
regel hat aber alle andern wider Gregor verübten Tüden nad ſich gezogen Ik 

Was war Anlaß und Same der ungerechten Leidenſchaft, die der junx |’ 
Kaifer feit mehr als einem Jahre wider den Pabſt, feinen nahen Verwandten. 
in immer beftigern Ausbrühen an den Tag legte? Ohne Zweifel tie rer 
Otto III mit Haft betriebene Organifation der neuen Reihsverfafjung. Bu 
früher nachgewieſen worden, laſſen fih am ſächſiſchen Hofe bis ins Jahr I) 
zurück Spuren gewifjer Gedanfen verfolgen, welche mit Theophano aus Gricten 
land bherübergefommen waren und darauf abzielten, die bisher beftandene pels 
tiihe Ordnung in wejentlihen Punkten abzuändern, Deutichland in eine Pie— 
vinz zu verwandeln, den Eig des Reihe nad Italien, nah Nom zu wı: 
legen. Ebenſo habe ich dargethan, daß Gerbert feit dem Augenblide, va cı 
den Etuhl von Rheims im Stiche ließ und nad Deutſchland floh, fi dieſet 
Ideen bemädtigte und auf fie ſchwindelnde und verbrecheriſche Plane fünftiger 
Größe baute. 

Während des flaviihen Feldzugs von 997 hatte?) ver junge Kaiſer fü. 
nem damaligen Xehrmeifter den Auftrag ertheilt, für ihn eine Edhrift phile 









1) Ibid. ©. 742 unten. 3) Pertz XI. 110, Mitte. 2) Muratori. script. rer. Ital. 
I, db. €. 499 flg. ) Eiche oben S. 640. 


Elebies Und. Cap. 40. Paweſer Cdikt von 988. Pabſt Gregor V. wird ermordet. 600 


vn Inhalts abzufaffen. Gerbert arbeitete das beftellte Buch bie zum 
: von 997 auf 998 aus, begleitete dann den Kaifer auf dem Römer, 
n 998, der, wie id früher zeigte, einen andern Zwed verfolgte, als 
there von 996 ; und als ihm ver rechte Zeitpunkt gefommen fchien, übers 
die bereit gehaltene Schrift. Ste war nicht weniger als ein Sturm 
n Kaiſer und bat auch als folcher gewirkt. Der Abhandlung jelbft, die 
ſtoriſches Gewicht hat, ift eine Zueignung vorangeftellt, die im Weſent⸗ 
fo lautet:*) 
Dein ungertrennlicher Begleiter auf dem italienischen Zuge und zu jebem 
e bereit, lege ich biemit Dir zu Füßen, was ih über die philofophiiche 
die Du und während des legten Slavenkriegs (997) zur Beantwortung 
a, ausgedacht habe. Italien glaube nicht mehr, daß der h. Palaſt feiner 
ig ermangle, Griehenland rühme ſich nicht mehr ausfchließlih des Bes 
kaiferliher Philofophie und römischer Macht. Unfer iſt das römifche 
Kräfte verleihen demfelben Stalien, reih an Kom, Gallien und Ger⸗ 
i, fruchtbar an tapfern Männern, auch die friegerifhen Staaten ver 
n (Slaven) ſtehen und zu Gebot. Unfer bift vu, o Cäſar, Beherrſcher 
dmer, und Auguftus, der Du aus dem erlauchteften Blute Griechen« 
entiproffen, die Griehen an Macht übertrifft, den Römern vermöge 
hts gebieteft, Beiden an Geift und Beredtſamkeit überlegen.“ 
Berbert weiß nichts von deutfcher Abftammung, von ſächſiſchem Blute des 
ı Kaifers. Otto II. ift von Geburt Grieche, durch Erbmadıt Römer. 
ınien wird nur erwähnt, fofern e8 dazu dienen fol, Soldaten zu lies 
welche dazu beftimmt find, auf ten Schladytfeldern des neuen Cajus 
3 Cäſar für Zwede, welche der neue Agrippa durchſchimmern läßt, ihr 
zu vergießen. Welche Epradye wird ©erbert in den geheimen Unters 
jen mit Dtto III. geführt haben, da er e8 wagte, ſolche Dinge ſchwarz 
veiß vorzubringen | 
Der Funke zündete dießmal: Otto IIL fhritt zur Ausführung. Gegen 
ıng des Februars 998 war er zu Rom eingerüdt.?) Unter dem 22. Mai 
er dafelbft eine Urkunde‘) aus, deren noch vorhandene Bleibulle fols 
Zeichen trägt: die Vorderſeite enthält das Bruftbild des Kaiſers mit 
mſchrift: „Kaifer Dtto Auguſtus,“ die NRüdfeite zeigt das Haupt des 
chers, mit Xorbeeren umwunden, Schild und Fahnenſpieß jammt den 
m: „Erneuerung*) des Reiches der Römer.” Als zweiter Beleg Ichließt 
n diefen erften an der Eingang des Edikts vom 20. September 998: 
» Auguftus, Kalfer der Römer, an die Gonfuln, an den Senat und an 
Bolf von Rom." 8 gab aljo in der alten Weltmetropole wieder Con⸗ 


— — 


Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1511. 2) Oben ©. 640. Duͤmge, rogest. ba- 
©. 96. ) Ronoratio imperii Romanorum. 


00 Zah Grrgerind TIL zub (rin Zeitelker. 


fuin, einen Ecnat und dritiens eine Bellögcmeinde, welche yoltlihe Reit 
übte. Tie welthiſtorijchen drei Budfaben ter ramikken Raub S.P.R 
waren gleich Gejpenſtern aus ver Unterwelt aujgefliegen. 

Auch Aemter, vie, wie ji jpäter ergeben wir, mit der nenn ib ’ 
verfaung genau zujammenhängen, Tommen um tiejelbe Zeit zum Berkba N 
34 habe früher‘) gejeigt, daß Zürk Mliberih IL nah Einführung der De 
fratie für gut jand, als Begemwicht wider möglide Unsidrrweifungen ber Ip 
tern, die damals jeit 200 Jahren verjchwundene Stadtpräfeftur ins Ya 
zirudzurufen, fowie daß dieje Wärte bis gegen 979 fortbanerte. Da Dits IL 
dem sömlichen Boll gewiſſe Rechte eribeilte und alle auf Die Blane UAlhbericho IL 
zurudgelommen war, konnte die Wiederherſtellung der Präfeftur faum uni 
bleiben. Wirklich lebte fe auf. Exit dem 9. April?) 998 wird ein Et 
prafelt Johann erwähnt, über deſſen Geidieht id unten das Näige a 
fagen mir veorbebalte. 

Ebendafielbe gilt weiter von einzelnen Gliedern des Siebnerioliegiumi, 
das ohne Zweifel die wichtigfte und hervorragendſte Stelle in Der von Die DL 
und Gyivefter IL gegründeten politiicen Mafchine einmahen. Der Gericu 
gung, weldye unter dem 9. April 998 in der erſten Streitſache des Wi 
Hugo von Farfa ein Urtheil füllte, wohnten”) laut den vorhandenen Me 
an: erfilid von Seiten des Kaiſers, Leo, Archidiaklonns des h. Reichapalafes 
fammt den (ordentlichen) roͤmiſchen Richtern, Gregor, dem Primicerins der 
Defenjoren, Leo, dem Kämmerer des Schatzes; zweitens?) von Celia 
des Pabſtes Gregorius V., als beſonders bevollmädtigte Richter, Atrocius, 
Petrus, Paulus.“ Unten werde id zeigen, daß dem primicerius der erk, 
dem arcarius oder Kämmerer des Schatzes der dritte Rang im Eichur: 
Kollegium zufam. 

Allein nicht blos einzelne Würden, die unter Sylveſters II. Rontikfat 
als weſentliche Beftandtbeile des genannten Kollegiumd ericheinen, taudıe 
ihon 998 auf, jondern um die angegebene Zeit muß der Verſuch gemutt 


2) Oben ©. 334. 2) Muratori, script. rer. ital. II, b. ©. 505: Johannes urbis Roms 
praefectus, dann Urkunde vom Mai 998: Johannes praefectus et comes palatii bei Mast 
XIX, 230. Seitdem oft. 2) Da die Interpunftion bei Muratori handgreiflich falſch if, Tepe 
ih den Text in der Geſtalt her, die ich für die richtige halte: ipsa hora residebat in judicio 
Domnus I,eo archidiaconus sacri imperii palatii ex parte Domni imperatoris una cum Johann 
urbis Romae praefecto, dann et judicibus romanis Gregorio primicerio defensorum (kt 
Tert bat fälfchlich defensore, während die Unterſchrift ibid. S. 508 uuten die wahre Lesart 
gibt) Leone arcario — endlich drittens cum Atrocio, Petro, Paulo dativis judicibus ex 
parte Domni Papae. Als Bevollmäctigter des Kaiferd war allein zugegen der Mrchidiafen 
Leo, wie denn nur er in der Unterfchrift fi) missus (nemlich des Kaiferd) nennt. Jobanı 
der Präfelt, Gregor der Primicerius und Leo der Kämmerer amteten ald ordentliche romiſche 
Michter. Die übrigen drei find Specialbevollmächtigte des Pabſts, weßhalb fie auch in den 
Unterſchriften den Titel dativi jadicos führen. 








Siebtes Bud. Kap. 40. Paweſer Edikt von 998. Pabfl Gregor V. wird ermordet. 701 


worden fein, das ganze Kollegium einzufegen. Cine alte Weberlieferung bürgt 
biefür. Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts und genau zu der Zeit, 
da in Deutfchlaud die Körperfchaft der fleben Kurfürften zu feimen begann, 
werden da und dort Stimmen laut,) welche vorgeben: Pabſt Gregor V. habe 
Innung und Rechte der deutfchen Kurfürften gefchaffen. Dieß If unrichtig, 
erit gegen Ausgang des dreizehnten Säculums find, wie ich bereitö bemerkte, 
die fieben Kurfürften entftanden. Gleichwohl würde man Unrecht thun, die 
ganze Behauptung für erbichtet zu erflären. Vielfach bewährt fih die Ers 
fahrung, daß feftgewurzelten Sagen des Mittelalters, wenn fle auch noch fo 
feltfam Flingen, irgend ein Funke Wahrheit zu Grunde liegt. 

Wie follten auch jene Echriftfteller des dreizehnten und vierzehnten Jahrs 
hunderts darauf verfallen fein, ins Blaue hinein den wenig befannten Pabft 
Gregor V., der zwar Großes erftrebt, aber fo viel ald Nichts ausgeführt 
hat und nicht ganz drei Jahre auf Petri Stuhle faß, mit den deutihen Kurs 
fürften zufammenzubringen. Dffeubar hatte fih eine trübe Erinnerung ers 
halten, daß unter Gregorius V. das Kollegium der römifhen Siebener aufs 
fam, ein Kollegium, welches allerdings in PVielem dem der fpäteren Kurs 
fürften glih, den geheimen Rath des Kaiſers bildete, ihn in feine hohe Würde 
einführte und fogar bei der Wahl des Pabſtes mitwirkte. Dieß halte ich für 
den Hiftoriichen Kern obiger Sage, die weiteren Zuthaten aber für unächte 
Erze, die, wie es in foldhen Fällen zu geichehen pflegt, dem Tauteren Metall 
beigemifcht wurden. 

Allein wenn auch ſchon während der Zeiten Gregors V. Verſuche zu 
oölliger Einführung der Ottonifchen Weltverfaffung gemacht worden find, fo 
zediehen fie nicht zur Reife und zwar darum nicht, weil ein fräftiger Wille 
:ntgegenarbeitete. Ich berufe mih auf folgende zwei Thatfahen: erftlich 
reten mehrere wichtige Aemter des Dttoniih-Sylveftriihen Staates, naments 
ih das vom Kaiſerthum getrennte Patriciat und viele Hofwürden erft in 
Spivefterd II. Tagen, aber auch fogleih, nachdem er Petri Stuhl beftiegen, 
srkundlih hervor. Zweitens beftimmt?) die den Siebnern gegebene Dienft> 
inweiſung, daß fie im Verein mit dem römiſchen Elerus Pabftwahlen vor» 
unehmen haben. Syivefter IT. aber, Gregors V. Nachfolger, ift nit vom 
Tlerus, noch von den Siebnern gewählt, fondern, vwole ich unten zeigen werbe, 
zurch einen Machtſpruch des Kaiſers Otto IIL eingejegt worden. Folglich 
zunen die Siebner, wenn fie auch einzeln fchon vorhanden waren, vor 
yer Erhebung Syivefters, d. h. unter Gregor V. noch nicht die Corporations⸗ 
rechte bejefien haben, die fie laut vorhandenen Aften im Jahre 999 und in 
ven folgenden erhielten. 





— 


1) Nachweis ber Belegftellen bei &frörer, Kirch. Geſch. TIL, 1517. ) Die Yelegs 
Bellen werde ich unten mittheilen. 


Iklemeii imn men Te Sutıbeike Yarlam, weile ie Wnmelriel 
IL u Ren berruss a Scchle Feui gebracht halte. Era wurratk iR 





epeubar in die Ze Nr, Ta ter Zaieipaln zwirden Pabſt umb Safer im 
vollen ge war, erwikat zur Lrte’& IIL Ramen wnt Herrſchaft, ſagt fen 
Een cm Tube Eregor. Bus würte erfi geſcheben fein, wenn bei [is 


taun aus Haſß gegen Gregor tem Kaiter lauter em Stuble Petri verter: 
libe Rarhitlige eingegeben hätte, die neue Welrreitöverfafung eingeführt 
werten wäre. 

Beil Gregor ald guier Kathelike une Pabſt Anichen und Freiheit ie 
Stuhles Petri ungeſchmälert erhalten wollte, weil er zweitend von Natır 
aufrihtig, feurig, der Lüge unfübig, es verihmähte, Aralifi oder Betrug aw 
zuwenden, widerjeßte er fib aus allen Kräften ven Planen des Kailerk. 
Ganz anderd machte ed naher Gerber. Scheinbar mit vollkommener Be 
reitwilligfeit ging er auf die Entwürfe des jungen Herm ein, die er großen 
theild demfelben eingeblajen hatte, aber ftatt fie im Einne Otto's III. zu vol 
fireden, verftridte er den Kalfer in ein Gewebe von Täufchungen, welde alle: 
dings den Gefahren, die der Unabhängigkeit des Pabſtthums drohten, gründlid 
vorbeugten, aber auch zugleich den Enfel Otto's I. zu einer Puppe ermiebrig- 
ten und die Majeſtätsrechte des deutſchen Reichs grob verlegten. Die Red 
lichkeit des Widerſtands, welchen Gregor V. leiftete, ift c8 gewefen, was ibm 


) Muratori, script. IT, b. ©. 505. °) Marini papiri diplomatici ©. 166, Rr. 106, 


Gichteb Buch. Cap. 40. Vaweſer Cdilt von 998. Pabſt Gregor V. wirb ermordet. 703 


ette der bitterſten Kränkungen zuzog und zulegt die Morbihat vom Fe⸗ 
999 herbeiführte. 
tach Gregors V. Tode wurde Gerbert und zwar durch Kaiſer Otto IIT. 
tri Stuhl erhoben und gab ſich fofort als Pabſt den Namen Eyivefter IL 
ıar von Merfeburg, Zeitgenofie, hat folgende Säge aufgezeichnet:*) „ich 
iniges von Gerbert fagen. Derfelbe ftammte aus den Gegenden des 
andes, erhielt von Kindesbeinen an eine treffliche wiſſenſchaftliche Bits 
zulegt gelangte er — jedoch mit unrechten Mitteln — auf den Erz 
on Rheims. Tiefe Kenntnifie befaß er in der Eternfunde und über 
ine Zeitgenoſſen in allerlei Künften. Aus Rheims vertrieben, begab er 
: Dtto’8 III. Hof, verweilte Tängere Zeit dafelhft und erbaute zu Magde⸗ 
ine Sonnenuhr, die er nad dem Etern der Schiffer (dem Bolarftern) 
‚ auf weldhen man mittelt einer angebrachten Röhre bliden mußte. 
m Pabſt Gregor V. geftorben war, ſetzte ihn Otto's II. Gnade 
dachfolger ein, und Gerbert erlebte unter dem Namen Eylvefter noch 
iten Heinrichs II.“ 
dieß iſt alles, was Thietmar über Sylveſter II. meldet, andere gleich⸗ 
deutſche Chroniſten find noch ſchweigſamer. Thietmar hat das Licht der 
ben 25. Juli 976 erblidt?) und zählte folglich 23 Jahre, als Eylvefter 
Stuhl beftieg, er gehörte?) weiter einer vornehmen und mächtigen Bas 
in, welcher die großen Angelegenheiten des Reichs nicht verborgen bleiben 
n, er war enblid Elerifer und mußte als folcher die Zerwürfnifie fennen, 
zwilchen den Jahren 1000 und 1002 die deutfhe Kirche aus Anlaß 
» III. und Sylveſters II. von einem Ende Germaniens sum andern 
terten. 
Barum ift er gleichwohl fo wortfarg? Ich denfe darım, weil das Ge⸗ 
ir die Ehre feiner Nation ihn bewog, den Grundſatz auf die Kaiſer⸗ 
hte anzuwenden, den der römijche Abt Leo bezüglich der Kirche mit den 
n ausſpricht:) „du ſollſt Die Schaam deines Vaters nicht aufdecken.“ 
ings konnte damals ein rechtichaffener Deutfcher nicht ohne Schaamröthe 
erzählen, was zu Rom vorging. Der Berfafler vorliegenden Werts ift 
er andern Lage. Als Gefchichtichreiber Gregors VII. muß er die volle 
heit fagen und folglih von den Rüdfichten, welche den Merjeburger 
F banden, Umgang nehmen. 
Gerbert zählte wenigftens 70 Jahre, als er Petri Etuhl beftieg. Noch 
weit, da er als Erzbiſchof zu Rheims faß, Hatte ihn die Königin Adels 
von Frankreich aufgefordert, zu ihr zu fommen und einen der Krone uns 
ı Adeligen mit dem Banne zu belegen. Hierauf antwortete!) Gerbert: 


) Berk II, 835, Mitte. >) Ibid. ©. 724 flg. ») Eiche oben ©. 579. 
ist. II, 49. Duchesne II, 841 flo. Der Brief ift fälfchlich überfchrieben Adelaidi 
aMeici ſtatt reginae. Gieſebrecht, der bie Meberfchrift für Acht halt, meint (beutiche 


r | Zutsk Gergoerus VIL es ums Inner. 


„es m mir snmögfid. Sure Eitte llen: en meine Tape seien dir 
Ere, mu 105 Greferifer, n a8 6 gererı. Sermür wir mir zaben 
Is. Tie Eicht yemr mem füner. mene Ihrer fingen. vie Sag 
tsiefen muB der game Ricger it te: 'cr Yılr up Sur hüm uf mai der 
Bas ser Wieiuger mheröf, u babe if ee mir mehreren Muern ie 
duajt ven Beruh der Rirke serteer, ıber ver Punn üler du a w 
hängen, wäre eime umgerhmere Sıremye * Es fm nur em Emm von üb 
Sehen, der tie? im er schier sehr I Frühling 99B afer. tem i> 
Ant in einem autern Ebreben, das er gieitials ver Rheins ui afri, 
hass’) er: „ma ih als Nümsfimz lerue. babe ih als Wımm vergefen, mi 
was 16 al6 NRam begehrte, babe ak, Sreis gewerten. veradern gelern 

Un6 ten rüber”, angefahren Gränten fan Pub reger V. km 
H Jabre alı gewerten jein Ta mm Gertert ale GSrris mu eimer, we 
man weiß, üetö an’ Lchenstaner verlichmen Rürte ınyle, we bamıl 
ein Treißigjäßriger einnakm, 0 kei te Rater fein wwicbulies Mi! m 
GErrcikung dieſes Bunities: etwas Ummutürlibed mufte tazmeitden treim 
Bhfli bat ein Verbrechen tem peeiten Erirehher von Reg auf Petri Etahl 
gebahnt. 


2 ⸗2 


aiſereſchichte I, 678) Berbert habe ven Brief ale Erzbiſchef von Arecana an rue Raıra 
Orofmutter eriaffen. Allein dies ik unmöstich. Im Laufe dee Jabes 998 keunte Gerben 
nit lagen, tah er seit Jabr wrr Taa >22 Bette bare. da er laat rer Kerrede ver rilie 
Ierhigen Ehnıft ekentamale ten Katiet auf iezen 3iaeı Seriaiet hatte un? zu Bar. a 
Nom une mehl sub an anteren Erten amtete. (fen is zemz fenıte er bebaurten. Irre 
jenem Ateliaen länın (jam dndum) ten Rirkenbeiuh verboten babe. venn er jak ner ?°o 
Mai 995 be böchftense zum März rei folaenten Jıbret auf tem Stable ven Raram:. 
Noch ungereimter if tie Bebaurtung tenelken RKrıtifere. taz Gerbert ebige Werte ald m 
Aunfziaer ſchtieb. Gieſebrecht wähnt nemlih, Gerbert bike ala 177äbriger Student ta 
Marfarafen Borel um 967 nah Rom kegleitet, uns dieſem Ginfalle zu Lieb giebt er dam 
ten Worten obigen Brief8 eine gewaltfame Teutuna. Ich bemerfe nech, daß irrige Uebe: 
ſchriften mehrfah in ter getrudten Sammlung ren (Werkerte Briefen verfommen. 

') Ibid. epist. II, 35. ©. 838: quae adolescens didici, jarenis amisi, et quae jurenis 
ronenpiri, senex Contemsi. :) Oben ©. 592. 





8 Buch. Gay. 41. Pabſt Enivefter II. Dinge, die bis zum Dez. 999 vorgingen. 709 


Einnndvierzigſtes Capitel. 


welche nach Ermorbdung Gregors V. und vor der polniſchen Reiſe Otto's M. in 
alien vorgingen. Gerbert wird — doch nicht ohne Schwierigkeit — durch einen 
achtſpruch des Kaiſers zum Statthalter Vetri eingeſezt. Ar nimmt ten Namen Syls 
Rer IL an. Gründe dieſer Mahl. Otto zieht die Marken Sroleto und Camerino 
rüd, geräth aber barüber mit dem neuen Babfle in einen Rechtsſtreit. Der Katler 
leibt die Beiden Marken erſt an den Güblangobarben Abemar, dann nad) Rurzem an 
Tuscier Suao. Geſchichte Ademars und des Kriens in Sübitalien. Nachweis, wie 
b in welcher Meile Hugo von Tuscien bie böchſte Gunſt Otio's M. erlangte. Die 
uchelei, melche Otto im Angenblide der Ermordung Gregors V. trieb, verwandelt 
> allmäblig in Schlanaenbifle der Rene. Der Beluch in Farſa. Acht und Kirchen⸗ 
nn über den Marfarafen Arboin von Iwrea verhängt, und die anf feine Verurthei⸗ 
ig bezüglichen Urkunden. Bifchof Leo von Bercelli. Rirchlicde Maßregeln Sylveſters II. 
ine Zufchrift an bie Chriftenheit. erlaflen nach Beſteigung des h. Stubles. Gnabens 
Ne für ben Rheimfer Arnulf, Bulle ver Drohung wider Aöcelin von Laon. 


jaſſen wir vor Allem den Pabſt⸗Namen ins Auge, den Gerbert wählte. 
il 999 verlief das 664. Jahr, feit auf Petri Stuhl ein Cleriker faß, 
nfelben Ramen trua. Denn Sylveſter I., erhoben im Jahr 314, hat 
I. Dezember 335 das Zeitliche geſegnet.) Inter dem 21fährigen Bons 
biefes erften Sylvefters iſt e8 geſchehen, daß Kaiſer Eonftantin der Große, 
8 Cohn, zur römifchsfathofffchen Kirche übertrat, und daß in Kolge 
Schritts eine neue Periode der chriftlihen Gefchichte begann. Indem 
t den Namen Sylveſter fidh beffegte, wollte er meines Erachtens ans 
en, daß mit feinem Montififat abermal eine nene Weltorbnung anhebe, 
Beiffaguna, die wenigftens theilweife in Erfüllung ging. 

sch berichte zunächſt über Die Erelanifie, welche feit den Iekten Tagen 
r6 V. bis zu Otto's III. Reife nach Gneſen eintraten, und werde mid 
zu Schilderung der von dem neuen Pabſt und dem Kalfer gegründeten 
Aung wenden. 

aut Thietmars Zeugniß?) war es ber 4. Februar 999, an welchem 
Gregorius V. verfchieb, eine alte Grabfchrift dagegen bezeichnet?) den 
efielben Monats ale Todestag. Seitdem blieb Petri Stuhl wenigſtens 
bald Monate unbefeht, denn erft Anfangs April erfolgte”) die Einwels 
Sylveſters. Diefer Berzug deutet darauf bin, daß die Sade nicht 
ablief, fondern daß ernftlihe Meinungsverfchiedenheit bezüglich der Nach⸗ 
ausbrah. Sn der That muß man ans vielen Gründen vorausfeßen, 
8 zu Rom an einfichtsvoflen Elerifern nicht fehlte, welche den Abtrün- 
von Rheims, den Schmid der franzöftichen Staatsfirche, wenig geeignet 
Jaffé, regest. Pontific. ©. 13. 2) Ibid. S. 344 oben. 3) Ibid. ©. 345 und 
ins, Ausgabe von Lucca XVI, 428. 

rörer, Pabſt Gregorius VII, Bd, V, 48 


706 . Yabk Gregorius VI. und fein Belballer. —  SPFRE ne Zu 


fanden, die Würde eines Statihaltere Petri zu befleiden. Zuleht grif de 
Gnade, d. h. ein Machtſpruch des Kalfers Otto DIT. durch.) Gr bat va 
sömifhen Kirche ein Oberhaupt aufgendthigt, und eben damit die Bere 
wortfichtelt der Folgen folder That übernommen. 

Eine der erfien Maßregeln nad Gregord V. Tode muß geweſen fc, 
daß Dito III. die an den verftorbenen Pabft auf Lebenshauer verliehen 
Marten Spoleto und Camerino zurüdzog. Fatteschi hat eine Urkunde won 
Anguf 999 veröffentlicht,”) ans welcher erhellt, daß damals Ademer mb 
zwar noch fein volles Jahr die Würbe eines Marfgrafen- Herzogs befichek, 
fowie weiter daß eben berfelbe vermöge dieſer Würbe die Oberauffiät Bier 
die Landſchaft Sabinum führte. Wie wir wiſſen,) fam ber Titel Marigeb 
Herzog gewähnlih den Statthalten von Spoleto-Eamerino zu. Auf iu 
nämliche Ergebniß weist aud die Stellung Ademars zu der Lanbichaft & 
binum bin. Unten werbe ich zeigen, wer dieſer Ademar war. 

Indeß behauptete derfelbe die Marken nur bis zu Ende des Jahres 99, 
ba er einen Dritten weichen mußte, doch nicht ohne anderswo  entichäbig 7 
werden. Der Tuscier Hugo war es, der an Abemars Stelle trat. Baer de 
Abreiſe nach Polen, im Spätherbft 999, erließ der Kalfer an Pabſt Sa 
vefter IT. ein Schreiben,*) in welchem ſich folgender Sap findet: „Ich habe I 
acht Graffchaften, die zwiſchen Uns im Streite find, ans Liebe zu Euch ben 
Euch wohlgeneigten Tuscier Hugo, der auch unfer Verwalter ber Merla 
Spoleto und Camerino ft, übergeben, damit das dortige Bolt einer Obrigfei 
nicht entbehre und, von ihm angehalten, Euch die pflichtigen Dienfte leiſte.“ 

Die Ramen der firittigen Graffchaften, ſowie die Thatſache, daß fr 
wirklich Petri Stuhl erftattet worden find, lernt man aus einem zweit 
Schreiben Otto's III., gerichtet an ebenbenfelben, Tennen. Die betreffenden 
Worte) lauten: „Wir überlafien hiemit dem römiſchen Stuhle die acht Graf 
Ichaften Peſaro, Bano, Sinigaglia, Ancona, Koßombrone (Koffabrunum, fonk 
Forum Sempronfi genannt, am Metauro) Cagli, Jeſi und Oflmo, mit vollen 
Eigenthumsrecht und in der Art, daß der Pabſt fie nah Gutdünken ordner 
mag,°) und daß Niemand befugt fein foll, irgend etwas einzureben. 

Haft in derfelden Reihe”) führt eben viefelben Grafihaften der Schw 
fungsbrief Otto's L vom 13. Februar 962 auf. Da fie jet erft nach vollen 







ı) Nicht blos Thietmar bezeugt dieß in der oben angeführten Stelle, fondern and Mt 
auf und gelommene Bruchſtück einer aquitanifchen Chronik, welches meldet: (Duchesne, hister. 
Franc. seript. II, 635 gegen unten) Otto III. Gerbertum archiepiscopum Ravennae proptet 
summam philosophiam summo amore excolens, ordinarit eum papam vocavitgue nomeR 
ejus Sylvestrum. 3) Serie dei duchi ©. 310. 2) Dben ©. 504. ) Epistol. I, 1. 
Duchesne II, 826. 5) Berk, leg. II,b. S. 162. ©) Ad ordinandum sibi concedimes 
") Donamus simul et Pentapolim, videliooet — Pesaurum, Fanum, Senogalliam, Ancona, 
Ansimgm — Aecalm, Forum Sempron) — ot terzitorium Gallis. 


tes Buch. Gap. 41. Pabſi Eyivefler II. Dinge, die bi6 zum Dez. 909 vorgingen. 70% 


uhren der Enkel des erften Schenfers auslieferte, folgt entweber, daß 
I. fein Wort gar nicht gehalten, oder wenigftens daß Petri Stuhl nie 
volle Eigenthum der acht Grafichaften erlangt hatte. Diele und fehr 
Grfinde liegen vor, welche nöthigen, Teßteren Kal anzunehmen. 
Erflich wählt der zweite Brief Otto's III. den Ausdruck: die Graffchaften 
yiemit dem Stuhle Betri zum Ordnen übergeben. Das Wort or- 
hat eine nachdrüdlihe Bereutung, es bezeichnet nämlich denjenigen 
iß oberfter Hoheitsrechte, kraft deſſen ein Randesherr.befugt iſt, neu er- 
1e Gebietstheile nad) feinem Ermeſſen einzurichten, oder, wie man In 
er Kanzleiſprache fagt, zu organifiren. Wie ich früher‘) zeigte, hatte 
. erft im Jahre 964 — zwei Jahre nah der Krönung — die Marken 
o und Camerino förmlih übernommen und als nunmehriges Kammer 
ngerichtet. Eben diefen Aft aber befchreibt”) der Fortſetzer Regino's, 
r befanntlih unter allen deutſchen Ehroniften die genaueften Nachrichten 
ie Wirkſamkeit Otto's L in Stalien mittheilt, mit den Worten: „ber 
ſei ausgezogen, um das Herzogthum Spoleto und Eamerino zu ordnen.“ 
Das volle Hoheitsrecht über die acht Bomitate erhielt Pabſt Sylveſter IL 
den oben erwähnten zweiten Brief Otto's III. Daraus folgt aber kei⸗ 
96, daß Petri Stuhl nicht fchon früher ein gewiſſes befchränftes Eigen⸗ 
innerhalb des fraglichen Gebiets, 3. B. Gefälle, Hand» und Spann- 
, Zinfe, ja ganze Pachtungen, Dorfihaften, Städte, befaß. Im Ges 
il kann man nachweiſen, daß die römifche Kirche aus den acht Orafs 
n wirklich ſolche Nutzungen zog. Der Hare Wortfinn des Schreibens 
‚ daß der Kalfer die firittige Gutsmaſſe bis zu Austrag der Sache 
Dritten, dem Tuscier Hugo, übergeben hatte und folglich daß diefelbe 
iht in der Gewalt des Pabftes befand. Gleichwohl bemerkt Dtto III. 
, Hugo fei angewiefen, Sorge bafür zu tragen, daß das dortige Bolt 
h. eben die Einwohner der acht Comitate — ihre dem Stuhle Petri ſchul⸗ 
Dienfte wirklich leiſten. Bolglich befaß die römifche Kirche in der Pen⸗ 
s anfehnliches, über das ganze Gebiet verzweigtes Eigenthum, obgleich 
e oberften Hoheitsrechte, welche ftrittig waren, thatſächlich nicht zuftanden. 
Dafielbe Verhältnig aber kann man, wenigftens was Spoleto betrifft, 
00 Jahre rüdwärts bis zu den Tagen Ludwigs des Frommen hinauf 
gen. Denn biefer Kaiſer verorbnete*) Fraft der Urkunde vom Jahre 817: 


, Dben ©. 301. ®) Merk I, 826, Mitte: Spoletinum ducatum et Camerinum 
turas oxivit. °) Eiche oben &. 83 flg. Die betreffenden Worte lauten in ber Urs 
:-fo (Perk, leg. II, b. S. 10): confirmamus — censum et pensionem, seu ceteras 
es, quae annnatim in palatium regis Langobardorum inferri solebant sive de Tuseia 
bardorum, sire de ducatu spoletino — eo scilicet modo, ut annis singulis praediotus 
ı ecclesiae beati Petri apostoli persolvatur, salva super eosdem (ducatus) 
r& jn omnibus ditione et illoram ad nostram partem subjectionn . 
—8 





706 Pabſt Sregorius VII. und fein Beitalter. 


fanden, die Würde eines Statthalter Petri zu befleiden. Zulegt griff de 
Gnade, d. h. ein Machtſpruch des Kaiſers Dtto IIT. durd.‘) Er bat in 
römifchen Kirche ein Oberhaupt aufgenöthigt, und eben damit vie Bern: 
wortlichfeit der Folgen folder That übernommen. 

Eine der erften Mafregeln nad Gregors V. Tode muß geweſen jem, 
daß Otto IIT. die an den verftorbenen Pabft auf Lebensdauer verlichenn 
Marfen Epoleto und Camerino zurüdzog. Fatteschi hat eine Urkunde vom 
Auguft 999 veröffentlicht,”) aus welcher erhellt, daB damals Ademar mi 
zwar noch fein volles Jahr die Würde eines Markgrafen⸗Herzogs bekleldete, 
fowie weiter daß eben derſelbe vermöge diefer Würde die Oberaufficht übe 
die Landſchaft Eabinum führte. Wie wir wiſſen,) fam ber Titel Marfgrals 
Herzog gewöhnlich den Statthaltern von Spoleto-Bamerino zu. Auf ta} 
nämliche Ergebniß weist auch die Stellung Ademars zu der Landfchaft Sa— 
binum bin. Unten werbe ich zeigen, wer dieſer Ademar war. 

Indeß behauptete derfelbe die Marfen nur bis zu Ende des Jahres 99, 
da er einem Dritten weichen mußte, do nicht ohne anderswo entichäbigt m 
werden. Der Tuscier Hugo war es, der an Ademars Stelle trat. Bor ka 
Adreife nach Polen, im Spätherbft 999, erließ der Kaiſer an Pabſt Syl 
vefter IT. ein Schreiben,*) in welchem fich folgender Saß findet: „Ich habe die 
acht Grafichaften, die zwiſchen Uns im Streite find, aus Liebe zu Euch tem 
Euch wohlgeneigten Tuscier Hugo, der auch unfer Verwalter der Marken 
Spoleto und Gamerino iſt, übergeben, damit das dortige Volf einer Obrigfet 
nicht entbehre und, von ihm angehalten, Euch die pflichtigen Dienfte leiſte.“ 

Die Namen der firittigen Grafſchaften, fowie die Thatfache, daß ie 
wirflih Petri Stuhl erftattet worden find, lernt man aus einem zweiten 
Schreiben Dtto’8 IIT., gerichtet an ebenvenfelben, Tennen. Die betreffenden 
Morte) lauten: „Wir überlaffen hiemit dem römischen Stuhle die acht Orat- 
Ichaften Peſaro, Fano, Sinigaglia, Ancona, Foßombrone (Foffabrunum, ent 
Forum Sempronii genannt, am Metauro) Cagli, Zefi und Oſimo, mit vollem 
Eigenthumsrecht und in der Art, daß der Pabft fie nah Gutdünken ordnen 
mag,‘) und daß Niemand befugt fein fol, irgend etwas einzureden., 

Faſt in derfelben Reihe”) führt eben biefelben Grafihaften der Eden 
kungsbrief Otto's I. vom 13. Februar 962 auf. Da fie jegt erft nach vollen 


— — — —— 





) Nicht blos Thietmar bezeugt dieß in der oben angeführten Stelle, ſondern auch doe 
auf uns gekommene Bruchſtück einer aquitaniſchen Chronik, welches meldet: (Duchesne, histor. 
Franc. script. IT, 635 gegen unten) Otto III. Gerbertum archiepiscopoum Rarennae propter 
summam philosophiam summo amore excolens, ordinavit eum papam vocaritque nomen 
ejus Sylvestrum. ?) Serie dei duchi ©. 310. 2) Oben ©. 504. *#) Epistol. I, 198. 
Ducheene IT, 826. 8) Per, leg. II,b. ©. 162. °) Ad ordinandum sibi concedimus. 
) Donamus simul et Pentapolim, videlicet — Pesaurum, Fanum, Senogalliam, Anconam, 
Ausimum — Aesim, Forum Sempronij — pt territorium Callis. 


bies Buch. Gap. 41. Pabſi Eylveſter II. Dinge, bie bis zum Dez. 999 vorgingen. 707 


jahren der Entel des erften Schenkers außlieferte, folgt entweber, daß 
I. fein Wort gar nicht gehalten, oder wenigftens daß Petri Stuhl nie 
volle Eigenthum der acht Grafichaften erlangt hatte. Diele und fehr 
Gründe liegen vor, welche nöthigen, Ießteren Fall anzunehmen. 
Erſtlich wählt der zweite Brief Otto's II. den Ausdruck: die Graffchaften 
hiemit dem Stuhle Petri zum Ordnen übergeben. Das Wort or- 
> bat eine nacdhbrüdliche Bedeutung, es bezeichnet nämlich denjenigen 
uß oberfter Hoheitsrechte, kraft deffen ein Landesherr.befugt ifl, neu er- 
ne Gebietstbeile nach feinem Ermeſſen einzurichten, oder, mie man in 
er Kanzleiſprache fagt, zu organifiren. Wie ich früher‘) zeigte, hatte 
[. erfi im Sabre 964 — zwei Jahre nad der Krönung — die Marken 
to und Gamertno förmlich übernommen und als nunmehriges Kammer⸗ 
ngerichtet. Eben vielen Aft aber befchreibt?) der Fortſetzer Regino’s, 
r befanntlih unter allen deutſchen Ehroniften die genaueften Nachrichten 
He Wirkſamkeit Otto's I. in Italien mittheilt, mit ven Worten: „der 
fet ausgezogen, um das Herzogthum Spoleto und Camerino zu. ordnen.” 
Das volle Hoheitsrecht über die acht Comitate erhielt Pabſt Sylveſter IL 
den oben erwähnten zweiten Brief Otto's II. Daraus folgt aber kei⸗ 
98, daß Petri Stuhl nicht fchon früher ein gewiſſes befchränftes Eigen» 
innerhalb des fraglichen Gebiets, 3 B. Gefälle, Hand» und Spann» 
, BZinfe, ja ganze Pachtungen, Dorfichaften, Städte, beſaß. Im Ges 
it fann man nachweiſen, daß die römifche Kirche aus den acht Graf⸗ 
nm wirklich folhe Nubungen zog. Der Mare Wortfinn des Schreibens 
‚ daß der Kaiſer die firittige Gutsmaſſe bis zu Austrag der Sache 
Dritten, dem Tnuscier Hugo, übergeben hatte und folglich daß diefelbe 
ht in der Gewalt des Pabſtes befand. Gleichwohl bemerft Otto ITL 
‚ Hugo fei angewiefen, Sorge dafür zu tragen, daß das dortige Bolt 
h. eben die Einwohner der acht Comitate — ihre dem Stuhle Petri jchul- 
Dienfte wirklich leiſten. Folglich befaß die römifche Kirche In der Pen- 
3 anfehnliches, tiber das ganze Gebiet verzweigtes Eigenthum, obgleich 
: oberften Hoheitsrechte, welche firittig waren, thatfächlich nicht zuftanden. 
Daffelbe Verhäftnig aber fann man, wenigftens was Spoleto betrifft, 
90 Jahre rückwärts 618 zu den Tagen Ludwigs des Frommen hinauf 
jen. Denn diefer Staifer verordnete*) Traft der Urkunde vom Jahre 817: 


— —— 


Oben S. 301. 2) Berk I, 626, Mitte: Spoletinum ducatum et Camerinum 
arus exivit. °) Eiche oben &. 83 flg. Die betreffenden Worte lauten in ber Urs 
fo (Berk, leg. IL, b. ©. 10): confirmamus — censum et pensionem, seu ceteras 
s, quae annuatim in palatium regis Langobardorum inferri solebant sive de Tuseia 
ardorum, sive de ducatu spoletino — eo seilicet modo, ut annis singulis praediotus 
ecclesiae beati Petri apostoli persolvatur, salva super eosdem (ducatus) 
& jn omnibus ditione et illorum ad nostram partem subjectionn . 
—X 


7110 VPabſt Gregorius VIL. und fein Seltalter. 


wirkliches Eigentyum, d. h. mit vollem Hoheitsrechte, oder, damit ich den uk 
drud der Dttonifchen Kanzlei gebrauche, cum jure ordinandi eingeräumt werk. 

„Unter der Sonne nichts Neueo,“ fchreibt der weile Salomo. Man Hast: 
in heutiger Zeit fogenannte Kirchengüter namhaft machen, welche gang bie, 
ben Eigenſchaften befigen, wie das eben gefchilverte mittelbare römijcde. Ben 
Staate eingefegte Schreiber verwalten dieſelben, Laien verfügen über die be 
treffenden Einkünfte, ver Biſchof aber darf nicht nur feinen Kreuzer verwen 
den, fondern er wird nicht einmal befragt, noch legt man ihm Rechnung ab. 

Gehen wir zu einem zweiten Hauptpunfte über. Seit Sylveſter IL 
Petri Stuhl beftiegen und ver Tuseier Hugo zum zweitenmale bie Gtati 
bafterfchaft in Spoleto und Eamerino übernommen bat, ſchwebt zwiſchen ie 
Krone und der Tara ein Streit, in welcheni es fi um den vollen Bei 
von acht Brafichaften und zwar mit allen Hoheitsrechten, namenilich mi 
dem jus ordinandi handel. Warum verlangt der Pabſt die acht Gomlak, 
die fih wohl gemerkt unter kaiſerlichem Sequeſter befinden ? Offenbar deſhall 
weil der römische Stuhl Erfah für ein Gut anſpricht, das ihm entzogen wer 
den war. Faſt mit der Naje wird man daranf bingefioßen, daß Turz zuwer 
ein anſehnliches Stud des unmittelbaren römiihen Patrimoniums an Die Kıom 
zurüdgefallen fein muß. : Braucht es weitere Beweiſe für die Richtigfeit der 
früher entwidelten Anficht bezüglich der Marfen Epoleto und Gamerins! 

Noch einmal wiederhole ich: unwiderleglich if, daß vor dem KRömerug 
von 996 oder während deſſelben ein Staatsvertrag zu Stande fam, welde 
Folgendes beftimmte: „der künftige Kaiſer räumt der römiſchen Kirche mi 
vollen Hoheitsrechten entweder die Marken Epoleto und Eamerino, oder gewilt 
andere entiprehende Gebietötheile ein. Aus befonderer Rüdficht für Bruns 
Gregor, jeinen Verwandten, überläßt er ihm auf die Dauer feines Pontififatt 
die beiden erftgenannten Marten, behält fi jedoch das Recht vor, dieſelben 
fünftig wieder zurüdzugiehen, wird aber dann Erjag in anderer Weife leiften‘ |. 
Nur unter der Borausfegung, daß lepterer Punkt im Vertrage fland, laͤß 
ſich das Verfahren Syivefters erklären. Entſchädigung muß verfprocden ge I: 
weſen fein, denn fonft hätte der Pabſt keinen Rechtöftreit anfangen fünnen |: 
Der Streit felbft drehte ſich allen Anzeigen nah um das Maß des Erfage 
Die acht Grafichaften der PBentapolis fcheinen dem Kaijer zu viel geweinn k 
fein, aber Spyivefter beftand auf Auslieferung derſelben, und in der Thal fi 
hatte er guten Grund, fo zu handeln. 

Oben‘) ift dargethan worden, daß Gerbert aus den Händen Gregore V. 
mittelft Schenfung vom April 998 außer dem Erzbisthum Ravenna die Oral 
Ihaft Comacchio, die Stadt Ceſena, fowie die Bisthümer Reggio, Cewie 
und Montefeltre und zwar guten Theils als perfönlihen Befig empfing, Rn 


) 6. 665. 





Siebtes Buch. Kap. 41. Pabſt Syivefter II. Dinge, die bid zum Dez. 999 vorgmgen. 741 


fteht feft, daß er, Pabſt geworden, wenigftens Ceſena behalten und aljo dem 
römiſchen Stuhle zugebraht bat. Denn Peter Damiani erzählt‘) im Leben 
des h. Maurus: „einft belagerte Pabſt Gerbert an ver Spige eines mäch⸗ 
tigen Heeres die Stadt Ceſena.“ Wahrfcheinlich geichah dieß im Jahre 1000 
während der polnischen Reife Otto's IIL oder wenigftens vor feiner Rüdfehr 
nah Rom. Die Einwohner von Ceſena müffen vom Pabft abgefallen fein. 
Aber ſicherlich wäre weder dieß gefchehen, noch die Belagerung erfolgt, hätte 
Gerbert nit ald Pabſt Anſprüche auf den Beflg der Stadt erhoben, fie als 
fein Eigenthum behandelt. 

Sollte Syivefter bezüglich der andern dur die Schenfungsurfunde vom 
28. April 998 verliehenen Herrichaften enthaltfamer oder großmüthiger ges 
wejen fein? Thatjachen beweifen das Gegentheil. Als Gerbert Petri Stuhl 
beftieg, erhielt?) das erledigte Erzbisthum Ravenna Leo, bisherigeg Abt von 
Nonantula, der ald Metropolit der Gerichtsſitzung vom 2. Dezember 999 ans 
wohnte,?) welche die Ehre des verftorbenen Pabſts Gregor V. gröblid vers 
legt bat. Aber nur zwei Jahre behauptete Leo die neue Würde, und zwar 
nicht darum, weil er ftarb, fondern weil er auf des Pabſts und Kaiſers Bes 
fehl einem Andern weichen mußte. „Krank geworden,” jagt‘) Peter Das 
miani, „verſchmähte Leo das Erzbisthum und lebte nach feinem Rüdtritt noch 
weitere vier Jahre.” Ein geborner Deutſcher, der Sachſe Friederich, Eapellan 
tes Kaifers und Cardinal der römiſchen Kirche, hatte) dem Kaiſer und Pabſt 
während der Gandersheimer Streitigkeiten, von denen unten die Rede fein 
wird, wichtige und für feine perfönlihe Sicherheit gefährliche Dienfte geleiftet. 
Zum Danfe dafür erhielt‘) er das Erzbisthum Ravenna im November 1001, 
und Leo mußte ihm Plat machen. 

Doch nahm Frieverih die Gabe nicht auf die demüthigenden Bedingungen 
an, unter welcden fein Vorgänger Erzbiihof von Ravenna geweſen war, ſon⸗ 
dern er ſetzte durch, daß ihm befjere bewilligt wurden. Aus Anlaß der Er- 
hebung Friederichs ſtellte') nämlih Kaiſer Dtto III. unter dem 17. Nor 
vember 1001 eine Urkunde‘) aus, welche verorpnete, daß Metropolit Friederich 
hinfort die nugbaren Hoheitörechte über fämmtliche Güter feines Stuhls und 
iiber alle demjelben unterworfenen Bisthümer und Grafſchaften genießen ſolle. 
Folglich hatte Friederichs Vorgänger Leo eben diefe Rechte nicht geübt. Warum 
sicht? Offenbar deßhalb, weil ed bis dahin dem Pabſte Sylvefter gelungen 
war, befagte Nußungen für fich zu behalten. Zu befferem Verſtändniſſe füge 
ich noch die Bemerfung bei, daß im Jahre 1001 das ehemalige gute Eins 
vernehmen zwiſchen Dtto III. und Spivefter IL nicht mehr beftand, und daß 
deßhalb der Kaifer den Pabſt nicht mehr fo wie früher ſchonte. 

&) Opera Damiani (Ausgabe von 1642) I, 187. zweite Spalte, untere Mitte. ?) Mas 


billon, annal. ord. S. Bened. IV, 127. °) Muratori, script. ital. UI, b. ©. 502 unten. 
*) Mabillon a. eben a.D. °) Berk II, 769, Mitte. °) Mabillon a. a. D. IT LAT, 


712 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Indem Spivefter IL, Pabſt geworden, das Erbe von Ravenna ver 1% 
mifchen Kirche zubrachte, indem er ferner ven jungen Kaiſer nötbigte, jem 
acht Grafichaften herauszugeben, vereinigte er eine zufammenhängende Befiy 
mafje, die ed ihm möglid machte, von Norden her auf Wiederberftellung des 
geiammten Kirchenſtaats hinzuarbeiten und auch die Enverbung der Warkıa 
Spoleto und Gamerino anzubahnen. 

Zur nämlicyen Zeit, d. h. im Laufe des Jahre 999 — ergriff Dit 
Maßregeln, die meines Erachtens mit dem eben entwidelten päbſtlichen Blaue 
zuſammenhängen und ihm von Syivefter eingegeben worden find. Die Chronik 
von Benevent meldet:’) „im Jahre 999 befuchte Kaiſer Otto ILL Beneven 
und dad Michaelskloſter“ (auf dem Garganus⸗Berg). Andere Nachrichten 
ſtimmen zu. Laut Urkunden?) war Dito ILL. im Laufe des Jahre 999 
wiederhols zu Benevent und zu Capua. Dieje Reifen hatten verichiebene pe 
litiſche und religiöfe Zwecke. Ich beginne mit erfteren. Leo von Montecaffine 


" berichtet, ) am deutichen Hofe fei zugleich mit Otto IL — d. h. ale Spiel 


genoſſe des Prinzen — ein vornehmer junger Gapuaner Ademar, Sohn des Gleis 
kers Balfamo, auferzogen worden, und Otto habe denſelben jehr lieb gewonnen. 
Das alte Verzeichniß der Dynaften von Capua bezeichnet*) venfelben Npemar 
als einen Neffen der alten Fürftin-Wittwe Yloara von Capua. Weiter er 
fahren®) wir, daß Otto IIL feinen Liebling Ademar — und zwar im Lau 
des Jahrs 999 — zum Markgrafen erhob. 

Daß Spoleto-Bamerino die Marke war, von der Ademar den neuen Titel 
trug, erhellt aus der früher angeführten Urfunde. Dod) durfte er fie nicht lange 
behalten. Aus Gründen, die ich unten entwideln werde, ftieg damals be 
Tuscier Hugo zu hoher Gunft beim Kaifer empor und bradte zu Wege, daj 
Otto ihn in die früher bejefiene Marke wieder einjegte. Ademar mußte ale 
weichen, doch nicht ohne Entſchaͤdigung. Bon 993— 999 hatte der Langobarde 
Zaidulf, Deitihuldiger®) an Ermordung feines Bruders Landenulf, rubig Capu 
beherrſcht, jegt aber fchlug feine Stunde, er follte als Opfer für Ademar 
fallen. Zugleih ordnete Dtto III., um Legtern noch reichlicher auszuflatten 
die Eroberung mehrerer griechiſcher Städte in Unteritalien an. 

Der fogenannte Mönd von St. Benedikt, welder um 1000 fhrich 
aber die lateiniſche Sprache wie ein Barbar handhabt, erzählt”) Folgendes 
„Im Jahre 999 kam Dito IL nad Capua, zog von da weiter ind Michaels 
Klofter auf dem Garganusberg und fehrte dann nad Rom zurüd. Kurz dar 
auf entfandte er den Markgrafen Ademar mit Heeresmacht nad) Capua we 
Reapel. Ademar zwang die Neapolitaner, ihm Geißeln zu ſtellen, aud ven 





— 
— 


) Berg DIL, 177 oben. 2) Jahrbücher des d. Reiche IL, b. ©. 106, Note 4 uu 
ibid. ©. 249. Perß VII, 638. *) Perg II, 210. *) Perk VII, 638, Zelle # 
u. S. 643, Zeile 30. &benfo ibid. III, 207. Ademar marchius. % Siehe oben ©. 5852 fe 
%) Berg II, 207, 





ed Bund. Gap. 41. Pabſt Sylveſter II. Dinge, die bis zum Dez. 999 vorgingen. 713 


anern nahm er Schwüre der Treue ab und fehrte dann um. Nach einiger 
rüdte er mit einem Haufen Alamannen und Franken abermal vor Neapel, 
ihm aud Laidulf, der Yürft von Gapua, Heereöfolge leiften mußte. 
Deutichen drangen in Neapel ein, nahmen den dortigen Kriegsoberften") 
ven und bradyten ihn nad) Capuna. Einige Tage fpäter fielen die Deuts 
ebenjo ſchlau, wie fie es zu Neapel gemadt, über den Fürſten Laidulf 
rerhafteten ihn, feine Gemahlin Maria jammt mehreren ver vornehmſten 
ute, und fchleppten diefelben nah Rom zum Kaifer. Diejer erklärte den 
ner ſeines Lehens verluftig und verurtheilte weiter Laidulf, deſſen Ge⸗ 
i, den neapolitaniihen Kriegsoberjten und die übrigen Edelleute zur 
nnung über die Alpen. Hierauf übertrug Otto das Fürſtenthum Capua 
Günftling Ademar, welder den 11. März 1000 die Huldigung em⸗ 
aber nur vier Monate die Herrichaft zu behaupten vermochte.“ 
50 der Ehronift von St. Benevif. Aus Urkunden?) geht weiter ber 
aß Kaifer Otto um diejelbe Zeit — im Frühjahr 999 — dem Bilchofe 
von Lüttid den Auftrag ertheilt bat, die byzantiniicher Hoheit unter; 
en Städte Campaniens Gaeta, Traetto, Argenti zu erobern, was der 
auch glücklich bewerfitelligte. 
0 lange Gregor V. Petri Stuhl einnahm, iſt nirgends davon die Rebe, 
r junge Kaiſer das Reich gegen Süden zn erweitern ſuchte. Aber mit 
ugenblid, da Gerbert zur höchſten Gewalt gelangte, tritt Otto ILL. in 
eiſe feines unglücklichen Vaters als Eroberer wider das byzantiniiche 
alien auf.“ Natürlich! Sylveſter II. hatte guten Grund, den Waffen 
gen Kaiſers dieje Richtung zu geben. Denn fanden nicht die Städte 
„Gaeta, Capua, Benevent®) auf dem Berzeihniffe der Orte, welche 
or 200 Jahren die Garlinger und neuerdings Otto L der römijchen 
zu jchenfen verhießen, und ging nicht Sylveſter darauf aus, daß, was 
leerer Dunft gewejen, in Wahrheit umzuwandeln ! 
sch fieht man, daß durch Otto's IIL Mutter, die Griechin Theophano, 
eitem ber Zurüftungen getroffen worden waren, um joldye Enwerbungen 
nittelſt friedliher Künfte zu fördern. Sicherlich iſt Ademar nicht der 
Sprößling großer Bafallenhäufer geweien, der am deutſchen Hofe 
em Ihronfolger feine Erziehung erhielt. Dan konnte dieje Spielges 
er heranwachſenden Herrſcher theild als Geißel der Treue ihrer Vers 
t, theild für künftige Zäle als fügfame Werkzeuge zum Sturze ders 
rauchen. 
ır weltlich waren die Zwecke, welche Otto IH. auf der Reife nad) Bes 
Igte. Und doc betrieb der junge Kaijer, je nachdem man die 
militum, noch immer dauerte biefed alte bygantinifche Kriegsamt fort. 


ewieſen, Jahrbücher des deutſchen Reichs IL, b. ©. 109, Note 3. Mer, og, 
164, 


714 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Sache anfieht, bei demſelben Anlafie überaus heilige Geſchäfte. Laut km 
einftimmigen Zeugniſſe der oben angeführten Ehroniften verband ver Kakı 
mit dem Ausfluge nad Benevent cine Wallfahrt auf den nahen Berg Ger 
ganus. Ueber legteren Theil ver Thätigfeit des jungen Kaiſers erfatten di 
Diographen der Mebte Romuald und Nilus genaueren Bericht. Damiasiw 
zähle‘) im Leben des Erfteren: „weil Dtto III. wider fein gegebened Ken 
den ehemaligen PBatricier Erescentius hatte hinrichten laffen, fühlte er Raw, 
beichtete feine Sünden und trat nun baarfuß eine Wallfahrt von Rem ai 
nach dem Michaelstlofter auf dem Berge Öarganus an.“ Es war das Bu 
eineds Wälihen, das nad der Ausjage des italieniihen Biograpker da 
Kaijer drüdte. Aber der Grieche, der das Leben des Abts Nilus bearbeik, 
unterſchiebt ftatt des Crescentius den Griechen Johann von Piacenza, Gege 
pabft Gregors V. 

Derfelbe meldet?) im, Wefentlihen Bolgendes: „weil Dito über die gras 
fame Behandlung Johanns Reue fühlte, madte er zu Fuß eine Walliae 
von Rom bis auf den Garganusberg ; von da zurüdfommend, befuchte er del 
Klofter des h. Nilus zu Gaeta. Als nun der Kailer die Wohnungen in 
Mönche jah, rief er aus: das find die Hütten Israels, das find Bürze 
des Himmelreichs, denn nicht wie Inſaſſen, jondern wie Pilger wohne je 
bier. Dtto betete mit dem Abte im Oratorium, unterhielt ſich lange mit ihe 
und bot ihm ein größeres Klofter an anderem Orte au. Nilus wies Alt 
zurüd, da. aber der Kaifer mit Bitten nicht aufhörte, daß Nilus irgend m 
Zeichen feiner Huld annehmen mödte, antwortete der Abt: was du mir be 
teft, will id nicht, aber Eines will ih, mämlid das Heil deiner Seele; deu 
obwohl du Kaifer bift, mußt du doc fterben und von deinen Hantlumya 
Rechenfchaft geben. Bei diefen Worten,“ führt der Biograph fort, „but 
Dtto in Thränen aus, legte feine Krone in die Hände des Abts nieder w 
empfing mit feinen Begleitern von ihm den Segen.“ 

Eonderbar! obgleih damals ein volles Jahr hinter dem über Greöcentmi 
und den Gegenpabft verhängten Strafgerichte lag, findet fi feine Spur, I 
Dtto, jo lange Gregor V. lebte und die That noch neu war, Scrupel ges 
hätte! Noch fonderbarer, mit gutem Yug, nad römildysfaiferlidem und at 
deutſchem Rechte iſt Crescentius wegen grober Yelonie hingerichtet worte 
Hier gab es vernünftiger Weife nichts zu bereuen, denn die Obrigleit fü 
nah dem Ausipruche des Apofteld das Schwert niht umfonft. Den Geyer 
pabft ferner traf nicht einmal der Tod, allein felbft wenn ihm Otto den Km 
hätte abſchlagen laſſen, brauchte er fi feine Vorwürfe zu machen, denn M 
Grieche Johann, doppelter Verräther an Kirche und Reich, verdiente fu 

















dı FA DT wir en .h. 


2. 


‘) Vita Romualdi cap. 37 u. 38. bei Mabillon, acta Ord. S. Bened. VI, a, 6.% 
auch bei Berk IV, 849. °) Berg IV, 617 fig. 


bied Bud, Cap. 41. Pabſt Sylveſter II. Dinge, bie bis zum De. 999 vorgingen. 715 


es 2008. Da fomit die angeblichen Gründe der Wallfahrt Otto's in fo 
jender Weife durch den Augenſchein oder ben gejunden Menichenverfland 
legt werben, liegt dem Geſchichtſchreiber die Pfliht ob, eine genügende 
rung anderöwoher zu jchaffen. 
Leider ift die Sache nur allguflar. Laut den oben erwähnten Urkunden, 
e für die damaligen Reifen Otto's zeugen, fällt die Wallfahrt nach dem 
anusflofter in den Kebruar und März 999. Folglich iſt ver Kaifer nicht 
m geweſen, jondern hat fromme Werke betrieben in dem Augenblide, da 
u Rom Pabft Gregorius gemordet wurde Wer indgeheim böje 
: thut, will doch vor der Welt den Schein reiten. Wie gut paßte die 
ahrt. “Konnte man nicht fagen: der Kaiſer trägt Feine Schuld an des 
ꝛs Zod, denn zur Zeit der That war er ferne von Rom, noch mehr, er 
ähig eines ſolchen Verbrechens, denn legen nicht die nadten Füße, auf 
er nad dem Garganusberg mitten im Winter lief, und die heißen 
en, die er im Klofter zu Gaeta vergoß, Bürgfchaft ab für ein tiefes, 
‚ lauteres, hriftlihes Gemüth. Greuliche Heuchelei wurde damals ges 
Heuchelei, die nach kurzer Friſt in wirkliche Schlangenbiffe umfchlug. 
der Lebensbeichreiber des Biſchofs Burfard von Worms, ein jüngerer 
aoſſe) berichtet:?) „nah dem (im Aug. 998) erfolgten Tode des Bis 
Hildebald von Worms erhielt Franco den erledigten Stahl, brady aber 
arauf über die Alpen auf und ging zu Kaiſer Dito, deflen Vertrauen 
hunft er in hohem Brave erlangte. Eines Tags fchlofien fi der Kaifer 
7 Biſchof, ohne daß Jemand davon wußte, mit härenem Gewand ans 
und baarfuß in eine Höhle unweit der Kirche zum h. Clemens bei 
in, und weilten dort zwei Wochen, unter Gebeten, Baften, Wachen.“ 
var ohne Frage eine Buße, aber wofür? 
Ioilo, der Oberabt von Elugny, gibt dem Wormfer Biſchof ein gutes 
ß, indem er Franco als einen Mann tadellofen Leumunds bezeichnet. *) 
urtheilt Thietmar von Merjeburg, der Franco's Redlichkeit rühmt.*) 
oßen Schein kaun «8 ſich daher in der Höhle bei San Elemente nicht 
elt haben. Obgleich fämmtlihe Quellen ſich wohl hüten, den deutichen 
der Mitſchuld am Tode des Pabſtes Gregor V. anzuflagen, bin id 
yerzeugt, daß eben dieß ihn gebrüdt hat, In dem Maße, wie Dito 
a Spivefter betrogen fühlte, warb er immer ängftliher, und jeine Uns 
agerte fich zulegt zu wahrer Höllenpein. Der Verlauf meiner Erzählung 
ie Beweiſe liefern. Unverfennbar iſt ed, das Gefühl ſchwerer Schuld 
auf ihm. Die Thatfache geſteht Thietmar offen ein, indem er fhreibt:°) 
Barke feiner Seele nagte das Bewußtjein greuliher Mifjethaten.“ Den 
P. 


Bann 


Berk IV, 829. 2) Ihid. ©. 833. 3) Ivid. ©. 643. 4) Berk ILL, 785. 
111, 781 unten: conscientiae secreto plurima ingemiscens farinora. 


716 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Gegenftand aber bezeichnet er nit, doch kann es nur Gregors blunyı 
Schatten gewejen fein, der Dtto III. verfolgte. Als Anfang diefer Rue ie 
trachte ic) die Höhlenduße. Id glaube, man muß fie in den Mai oder 
Suni 999 verfegen, denn bald darauf ftarb, laut dem Berichte des Bioyıs 
phen, Biſchof Franco. Diefer Tod aber fällt‘) Ende Auguft des genanna 
Jahre. 

Im Herbfte finden wir den Kaiſer mit dem Pabſt Spyivefter IL m 
mit dem Tuscier Hugo auf Beſuch im Klofter Farfa. Ueber das was der 
vorging, gibt eine merfwürbige Urkunde?) vom 3. Oftober 999 Aufichluß, iw 
einen andern Ton anſchlägt, ald es jonft in Aftenftüden der Art ver Fall ij 
„Eines Tage,“ jo läßt ſich der Kaijer vernehmen, „verließen Wir Rom, un 
mit Unferem Markgrafen Hugo, mit dem ehrwürdigen Pabſte Sylveſten IL 
und mit andern unjerer Großen über die Wiederherftellung des Kr 
merreichs °) und über das Wohl des Staats zu berathen. Nachdem dick 
Geſchaͤft beendet war, ſchlugen Wir unfer Hoflager zu Farfa auf. Der A 
dieſes Kloſters, Hugo, legte Und verihiedene Urkunden Unjerer Borgünge 
auf dem Throne, Carls des Großen und Ludwigs ded Frommen vor, um 
die Reihsunmittelbarfeit feined Stiftes zu beweilen und führte Beſchweide 
über die Verfchleuderungen, weldye jener Biſchoff Hugo, dem Wir, ohne ı 
wiflen was Wir thaten, Yarfa geſchenkt Hatten, fi zu Schulden fomma 
ließ. Aus Liebe zu Gott und zum Seelenheile Unjered armen Hemp, da 
damald mit dem Bijchofe Hugo zu Farfa war, und neulich ſchnell wegitart, 
verordnen Wir biemit, daß Barfa hinfort nie irgend Jemand zu Lehen gegr 
ben werben, jondern ftetd unmittelbar unter dem Reiche bleiben jolle.“ Wu 
ſchwerer Fluch gegen Fünftige Kaiſer oder Paͤbſte ift beigefügt, welche je geger 
wärtigem Bejchlufje zuwiderhandeln würden. 

Den in der Urkunde genannten Herpv lernen wir durch Thietmar vw 
Merjeburg und den Biographen Burfardd genauer kennen.) Er war cam 
der vielen Hofcapellane, die den Kaiſer über die Alpen begleiteten und bi 
jeder Gelegenheit nad erledigten Bisthümern und Abteien angelten A 
Franco das Zeitlihe gejegnet hatte, verlieh Otto LIL den Wormjer Stahl 
an Herpo, aber nah wenigen Tagen war der Neuernannte eine Leiche. Nu 
kam ftatt Herpo's ein zweiter Hofcaplan, Razo, an die Reihe. Auch er jolk 
fi ver ‘Pfründe nicht erfreuen, denn während ver Reife nah Deutiglan 
verfchied er unterwegs zu Ehur, im heutigen Graubündten. Wie die Zliega 
ftarben beide laum gegeugte Biihöfe weg. Das ift bedenklich, noch bedenllica 
aber erſcheint, daß fie nunmehr durch ein Geihöpf des Pabſtes Sylveſter I, 
nämlih durch Burkhard, den Bruder des verftorbenen Franco, erjegt wurde 


) Berg IIL, 786. ?) Mabillon, annales Ord. S. Bened. IV, 694. Ar. 18. Pr 
gestituenda republica *) Perg II, 785 u. IV, 834, 


bies Buch. Gap. 41. Pabſt Sylveſter II. Dinge, die bis zum Dez. 999 vorgingen.. 717 


yartnädiger als irgend ein Anderer aus der Sylvefter’ichen Verbrüderung, 
welcher fpäter die Rede fein wird, über zwanzig Jahre an den Planen 
1000 fefthielt. *) 
Da Herpo Taut Thietmard Zeugniß?) aus Halberſtadt flammte, ver 
: ih, daß der Biſchof Hugo, mit welchem Herpo nach Karfa fi begab und 
’ übel in dem verliehenen Klofter wirthichaftete, auch nicht weit wen von 
erftadt au Haufe war. Ich möchte Ihn für den gleichnamigen Biſchof 
Zeiz halten, der awmar erft nenen Ende des Jahrs 1000 auf italieniichem 
n und fn der Umgebung Otto's TIT., zugleih auch als eifriges Mit. 
des Eylveftriihen Bundes zum Vorſchein kommt,) aber recht gut den 
r fon auf dem zweiten Römerzuge von 997 begleitet haben kann. 
Unverholen gefteht Otto ein, im Irrthum geweien zu fein, als er bie 
Iregor V. angeordnete erfte @infehung des Abts Hugo umſtieß, und 
tlofter jenem Fremdling überlieferte. Im Grabe erhielt auf diefe Weiſe 
rftorbene Pabft eine unerwartete Genugthuung. Gleichwohl veranlaßte 
e Kaiſer zwei Monate fpäter die Fällung des obenerwähnten*) Urtheils⸗ 
:8 vom 2. Dezember, welcher die Ehre Gregors aröblich antaftete, ihn 
ftehung bezüichtigte. Welche Charafterfhwäche! Bald’ thut er Buße für 
weres Verbrechen, deſſen Bewußtſein ihn drüdt, bald fühlt er ſich er- 
t, wenn er den Verftorbenen anflagen, gleihfam die Schuld deſſen, was 
angen, auf ihn abwälzen kann. 
das Wichtinfte in der Urkunde vom 3. October 999 {ft ohne Frage bie 
wo Dtto erflärt, daß er mit Hugo von Tuscien, mit Pabſt Syivefter 
it einigen andern feiner Großen über die Wieberherftellung des Gemein, 
Rath gevflogen habe. Respublica, imperium Romanorum waren 
vöhnlihen Schlagworte des phantaftiihen Weltverfaffungplanes, den ich 
im Einzelnen beichreiben werde. Die Ausführung hatte begonnen, aber 
to III. nõthig fand, Beratbungen mit feinen Bertrauten zu pflegen, 
man, wie das Werk wenigſtens einem Theile nach an Geburtswehen 
ine Beftätigung für den früher entwidelten Beweis, daß unter dem 
fat des fünften Gregorius nur der erſte Grund dazu gelegt worden 
nn. Unter Allen, mit denen er berieth, ftellt Dtto den Tuscier Hugo 
der Pabſt Sylvefter wird erft in zweiter Linie genannt. 
jier lernen wir den Grund fennen, weßhalb es dem Tuscier gelang, 
hblangobarden Ademar zu verhrängen, und feine alten Marfen wieber 
zu bringen. Hugo hatte nicht blos für fi) die höchſte Gunft Otto's 
n, fondern auch in gewiffem Sinne den Babft Sylveſter ausgeftochen. 
ı der Tuscier Bedacht nahm, Lebteres zu bewerfftelligen, iſt fonnens 


nen 


Ofrörer, Kirch. Geſch. IV, 175 fig. ?) Perz M, 785, 5 Ofeörer II, 1561. 
€. 68, 


718 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 

























flar: wäre Gerbert jeßt noch, wie ehemals, der Hahn im Korbe des Kaitei 
gewwefen, fo mürde er Spoleto und Gamerino nicht dem Tuscier gegömm, 
fondern für Petri Stuhl geforbert haben. Hugo mußte daher vem um 
Pabft — obwohl behutfam und mit Maaß — entgegenarbeiten. Eeinerkit 
hat ihm Sylveſter IL, wie wir fogleich jehen werten, folches Gebahren nik 
vergeflen. 

Obwohl der Tuscier hoch in Gnade beim Kaiſer fand, vermodte a 
roch im Laufe des Jahre 999 nicht mehr den Markgrafen Ardoin, feinen Ge 
genfchmwäher, zu retten, von beffen bedrohten Haupte er, jo Tange Gregor V. 
auf Petri Stuhle faß, das gezüdte Schwert des Geſetzes abgewendet hal. 
Das kam daher, weil nicht nur Sylveſter IL, der den vorigen Pabſt uakr 
arub, durch feine Stellung als Pabſt genöthigt ward, auf nachdrückliche Be 
firafung des Verderbers der Biichöfe Lombarbiens binzuwirfen, fonbern aus 
weil ein zu DBercelli eingetretener Todesfall auf den Stuhl Diefer Stabt em 
Glerifer beförberte, der alsbald wider Ardoin alle Hülfsmittel feines gewandie 
Geiftes in Bewegung febte, und nachher noch ein Bierteljahrhundert la 
eine hervorragende Rolle in der Geſchichte Lombardiens gefpielt Bat. 

Biſchof Raginfred, den ich früher als Nachfolger des von Ardoin erſcla⸗ 
genen Peter aufführte, war in den Ießten Monaten des Jahre 998 ober a 
den erfien des folgenden mit Tod abgegangen.) Das Bisthum erhielt num 
mehr Mönd Leo, von welhem Bilchof Benzo in der Xobrede auf deu Salkı 
Heinrih IV. fagt:”) „Leo war gleih mächtig in Worten und in ver That. 
Ebenſo urtheilt der Biograph des Hilbesheimer Bernward, Probft Thangmar, 
Augenzeuge defien, was von 1000 bis 1002 in Stalten vorging. Thangan 
braucht?) den Ausdruck: „ausgebreitete Kenntniffe befaß Leo und überbieß Re 
fterichaft in der Beredtſamkeit.“ in dritter Zeitgenofle, der h. Abt Wilken 
von Dijon, erfannte die ausgezeichneten Eigenichaften des Biichofs von Ber 
celli an, aber ſprach ihm alle chriftlihe Milde ab. Rudolph Glaber ſchreibt:) N. 
„der h. Wilhelm pflegte zu fagen: der araufame Leo (Lowe) von Ber I. 
war ganz von Gott verlaffen. Denn wäre der Allmächtige mit ihm gemeln, 
jo würde Leo geliebt haben was Gottes if. Aud behauptete Wilhelm, fr 
fei gleich nach feinem Tode ewig verdammt worben.* 

Sicherlich geihah es nicht ohne Zuthun des neuen Bifchofs, daß Ir 
doin fammt feinem Sohne Ardicino nad) Rom vorgeladen ward. Die U 


*) Memorle di Torino VII, 2. ©. 132. 2) Berk XL, 635: 
Leo ille vercellensis ornans totum seculum, 
In quo fratres mirabantur ut vultus ad speculum, 
Valde potens in sermone, efficax in opere, 
Sapientiae vestitus septiformi podere, 
Pro ecclesiis pugnavit animo et corpore. 


») Perp IV, 771, 9 Ibid. ©, 658 oben, 


tes Buch. Gap. 41. Pabfi Sylveſtetr II. Dinge, die bis zum Dez. 909 vorgingen. 719 


betraf nicht das, was Arboin im Laufe des Jahrs 997 oder 998 wider den 
F Warmund von Ivrea gethan, fondern fie griff weiter zurück auf die Er⸗ 
mg des Biſchofs Peter von Verceli. Man erfennt hieraus bie Einmifhung 
yand Leo's. Das Urtheil!) der Synode, die Über ihn richtete, Tautet: 
e verhängt über Ardoin zu Rom in der Kirche des feligen Apoftelfürften 
& vom Pabſte Eyivefter IT., vom großmädtigen Kaifer Otto ITI. und 
telen in geleslicher Weiſe verfammelten Biſchoͤfen Italiens. Kund und 
fien aller Melt: fintemalen Ardoin vor befagter Synode öffentlich bes 
hat, daß er den Befehl über die Kriegsleute führte, welche den Biſchof 
erichlunen, daß er weiter der Ermordung ſelbſt zuſah und nachher die 
r in feinem Dienfte behielt, ift von der befagten Verſammlung bes 
em worden: Ardoin entfage den Waffen, er efje nie mehr Fleiſch, er 
es einen Mann oder eine Frau zu Füflen, er verweile, fo lange er 
’, nie fiber zwei Nächte in einer und derſelben Herberge, er empfange 
eib des Herrn nur in der legten Stunde feines Lebens, er betrete 
Ort, wo Sole wohnen, die gegen ihn ausgefagt haben, endlich er 
teße fihb unverweilt Mönch zu werben.” 
Aus einem weiteren Aftenftlide?) erhellt, daß Ardoins Sohn, Arbicino, 
A dur die Stimmung, die er zu Rom vorfand, das Urtheil nicht abs 
te, fondern bei Nacht entfloh. Auch Ardoin felber muß ſich der über 
hängten Buße, zumeift wohl dem Eintritt ins Klofler, durch Flucht ent- 
haben. Denn fchärfere Maßregeln wurden nun gegen ihn ergriffen, 
egeln, die feinen Bell, von dem obiger Bann ſchweigt, und zwar nicht 
‚eihslehen, fondern auch Allod, trafen. 
Anter dem 7. Mai 999 ſtellte Kaifer Otto III. zwei Urkunden aus. 
rſte) beftätigte alle von früheren Herrfchern der Kirche zu Vercelli er⸗ 
n Rechte und Kreibeiten, fie fprach weiter ebenberfelben ſämmtliches Eis 
am des geächteten Arboin und feiner Anhänger, Allod wie Lehen, zu: 
fhenfen dir (dem Bilchofe Leo und feinem Stuhle) alles Grundver⸗ 
ı Ardoind, des Sohnes Dado, welder in die Acht erklärt worden ift, 
r den Bilchof Peter von Vercelli erfchlug und die Leiche des Erſchla⸗ 
verbrannte. Deßgleichen fchenfen Wir dir die Güter aller Anhänger und 
yuldigen Ardoins,“ die fofort in langer Reihe aufgezählt werben. 
Die zweite Urkunde*) verlieh dem Biſchofe Leo und feinen Nachfolgern 
anze Grafihaft Vercelli und weiter die ganze Grafſchaft St. Agatha mit 
dazu gehörigen Nutzungen, Hoheitsrechten, Gütern, Schlöffern u. ſ. w. 
e Bewilligung if in den flärfften, bünbigften Worten, die überhaupt 
h fcheinen, ausgebrüdt: „Leo und feine Nachfolger follen ohne irgend 


ı Memorie di Torino a. a. D. ©. 340. Nr. 13. ) Ibid. ©. 351 oben: Ardi- 
filias Ardoini marchionis, vocatus ad palatium papae, ut legem faceret, nootu 
?) Ibid. ©. 343. Mr, 15, “) Tbid. © 946, Mr, 18. 


= 


720 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 










welche Ausnahme befigen die Gewalt, Gericht zu halten, Bußen zu verhänge, 
Steuern und Auflagen zu fordern, überhaupt alle bisher Uns (dem Kailer) # 
ftehende Hoheit; Fein Herzog, fein Markgraf (— auch nicht Der von Son —) 
fein Graf, fein Vicegraf, Feine obrigfeitlihe Perfon, ſei fie hochgeſtellt ea 
nieder, fei fie deutſchen oder italienifhen Bluts, fol Macht haben, Ines 
etwas im Bereiche des vorbefagten, dem Stuhle von Vercelli verlichenn & 
biet8 vorzunehmen, anzuordnen, einzuforbern.* 

Am Schluſſe folgt noch ein merkwürdiges Stüf aus dem Ideenkrehe m 
Weltreichsverfaſſung, die damals faſt ausfchlieglih Dito’8 Gedanken beheriäi 
au baben fheint: „Wir haben Solches verorbnet, damit Unſer Reich gedeie 
damit die Krone Unferer Heeresmacht aufglänze, damit die Herrlichkeit des n 
mifchen Volks wieder erblühe, damit das Gemeinweſen (res publica) bene 
ftelt werde.” Man flieht, wer Hab und Gut von ihm erlangen wel, 
mußte von Seiten des Weltreichs feiner Einfalt und Leichtaldubigkeit beifomme 1: 

Befondere Beachtung verdient außerdem eine Stelle am Gingange hei! 
weiten Urfunde, wo es heißt: „allen Berehrern Gottes und allen Getren 
Unferes Reih® Fund und zu willen, was Geftalt Wir, bewogen von göttlide Er 
Liebe und auf Bitten unferes fürtrefflihften Marfarafen Hugo und auf Fell 
fprache des Herrn Pabſtes Spivefter IT. und auf Verwendung Iinferes wii 
aeliebten Kanzler Heribert, dem Stuhle von Bercelli verliehen haben, mi 
folgt.” Auch bier wieder wird der unvergleichlihe Tuscter Hugo allen ann Ir 
Menſchenkindern, namentlich dem Pabſte und dem Reichöfanaler, vorangeil Im 
und nur dem Kaiſer nachgeſetzt. Natürlih war es dem Marfarafen öl, 
weniger als genehm, daß mit dem Nater Arboin auch deſſen Sohn Arbki ihr 
Hugo's Eidam, Ehren ımd Lehen verlor. Gleichwohl zog der Kalfer Hut Hier, 
Ramen herbei, damit der Welt offenbar werbe, daß der geliebte Tutda lie 
troß des Unfalls, der die näcften Mitgliever feiner Sippichaft betraf, Wilr+ 
Gunſt bei Hofe nicht eingebüßt habe und felbft in einer fo ſchmerzlichen Sin. 
um Rath befragt worden ſei. 


Mißhandlungen von Seiten Arboins erfuhr, veraeffen zu haben. Aber Wh, 
fam auch an ihn die Reihe. Dur Urkunde,‘ ausaeftellt zu Pawia mlliir 


gegend bis auf 3 Meilen in die Runde: „alle Hoheltsrechte und Rupums 
insbeſondere die Befugniß Streitigkeiten über Beſitz durch Urtheil oder Jſr 
fampf zu fchlichten, follen Warmund und feinen Nachfolgern auf ewige Ja 
zuſtehen.“ Man bemerfe, wie forgfältig Otto's III. Kanzlei die Gefepgehut 
feines großen Ahns über gerichtliche Zweifäimpfe wahrte, Erſt im Japıe M 


‘) Jbid. ©. 349, 


echtes Buch. Cap. 41. Pabſt Sylveſter TI. Dinge, die bi6 zum Dez. 999 vorgingen. 791 


der Stuhl von Vercelli, erfi im folgenden hat der von Iwrea den eigent⸗ 
n Srafenbann erlangt, gleichwohl übten beide fchon vorher gewiſſe Rechte, 
be Marfgraf Arboin unerträglih fand, und deßhalb gewaltſam niederzu⸗ 
gen fuchte. Abermal erhellt hieraus, daß Otto's I. Geſetze Beftimmungen 
elten, welche faft nothwendig au einem Bruche zwiſchen dem geiftlichen 
weltlichen Kürftenthum, zwiſchen Bifchöfen und Herzogen oder Mark; 
n, führten. . 
Aus den Jahren 1000 und 1001 Tiegen drei weitere Gnadenbriefe vor, 
re Kaifer Otto III. zu Gunften des Stuhls von Vercelli ausfertigen Tief. 
5 Urfunde*t) vom 1. November 1000 beftätinte er die früher ertheilten 
'e, namentlich die Schenkung der eingezogenen Güter des geächteten Ardoin, 
feines Sohnes Arbicino, und verfügte ferner, daß alle Hörigen ver 
inten Kirche, auch die von Clerikern mit unfreien Welbern erzeugten Kin⸗ 
ins Knechtebienften verbleiben und daß Solche, welche durch ungeſetzliche 
el Freiheit erlangt hätten, In Sflaverei zurückgebracht werben follten. 
leihen erflärte er fämmtliche von verheiratheten Vorgängern Leo's, naments 
von Biſchof Ingo abgeichloffene, der Kirche von Vercelfi nadhtheilige 
bverträge .null- und nichtig. Abermal tritt uns eine Rüdfihtnahme auf 
jefehe Dito’8 I. entgegen. 
Kreifich wirfte noch etwas Anderes, nämlich die Perfönlichfeit Leo's ein. 
Schrift?) des Biſchofs von Vercelli it auf uns gekommen, welche mit 
Borten beginnt: „Menge Chörigen) Volks, Ueberfluß an Soldaten, ftatt- 
Anzahl von Clerikern — das dient den Kirchen des Herrn zum größten 
. Aber in Armuth verfinfen dieſelben und unerträgnliche Schmach wider⸗ 
ihnen, wenn bie Hörigen der Stühle, von Hochmuth und Habſucht er- 
gegen ihre Herrn ſich auflehnen, und auf die Nachficht Schwacher Vor: 
m bauend, ſich erfredhen, den Stand, in dem fie geboren find, zu ver: 
‚ und den Adel der Freiheit ſich anzumaßen.“ Am Schluffe heißt es 
: „dero halben haben Wir, ſoweit unfere Kräfte reichten, alle ehema⸗ 
Hörigen unferer Kirche, die ſich dem Joche der Knechtſchaft durch flrafs 
Rachläßigfeit unferer Vorgänger entzogen, oder mittelft Anwendung vers 
ner Mittel des Trugs Freiheit erfchlichen hatten, In Anweſenheit und 
Mitwirkung des Richterſtandes, des ſtädtiſchen Adels und der ganzen 
nannfchaft unferes Stifts, wieder in Knechtſchaft zurüdgeführt. Die 
elien waren bei dieſem feierlichen Afte geöffnet. Die Geſetzbücher Tagen 
„Mt da und unter dem Jubel der Menge geſchah, daß die erfchlichenen 
tbriefe zerfchnitten, und daß etliche Andere, die ohne Trug und mır 
die Saumfeligfeit unferer Vorfahren frei geworben waren, wieder im 
oflichten genommen wurden.“ Gefinnungen, wie die, welche in vors 





Ibid. ©. 350 flg., Nr. 18. 3) Ibid. ©. 442, Rr. 11. 
drer, Pabſt Gregorius vu. Bh. V, 9 


22 " Beh Gregorins VIL und fein Schlaller. 


liegender Schrift ausgeſprochen find, werben, benfe ich, Urſache geweſen Ich 
warum ber heil. Wilhelm von Dijon den Biſchof Leo einen gottloſen Meike 
einen reißenden Löwen fonder Milde und GErbarmen nannte. 

Durch eine zweite Urkunde‘) vom gleichen Tage (1. November I00N 
befräftigte Kaiſer Dtto dem Stuhle von Bercelli die bereits verlichenen Gum 
den, und fügte neue hinzu, namentlich den Ertrag aller in ben beiden On 
ſchaften Vercelli und St. Agatha, fowie im ganzen Hochflift betrichenen Geb 
bergwerfe ober Goldwaͤſchereien, die bisher Eigenthum ver Krone gem 
Endlich mittelft einer dritten Urkunde”) vom 18. Sanıar 1001 fee Die 
dem Bifchofe Leo und deſſen Nachfolgern, „auf Zürbitte des Markgrafen jap 
Unſeres vielgeliebten Getreuen,“ zwei Kronhöfe. Noch eine Ehre dan 
licher Art widerfuhr dem Biſchofe Leo: Dtto begmabigte ihn, wie M; 
unten zu zeigen mir vorbehalte, mit einem ver hohen Aemter des wat 
byzantinifchsrömifchen Hofſtaates. 

Erbengätter vergaben die Zeichen Ihrer Gunſt nicht, ohne daß Die, wii 
fie empfangen, vielfahe Mühe aufwenden. Auch Biſchof Leo hat es kim 
lich nicht an Fleiß bei Hofe fehlen Iafien, bis er alle oben genannten Ihe 
den herausſchlug. Warum legte er nun folhen Werth darauf, daß ikm Ale 
Dtto das einmal Verliehene zwei⸗ und dreifach befätigte? Meines Gradiek 
war Furcht vor Arboin im Spiele. Fortwährend muß der abgefchte Ruh 
graf ein Gegenftand des Echredens für feine Feinde geweſen fein. we 
gibt feine Ehronif Aufihluß darüber, was felt dem Mai 999 aus ihm y 
worden, doch Tiegt ein Aktenſtück vor, das wenigftend einige Andeutungt 
enthält: ich meine die Abfchrift eines Rundfchreibens, das in der Welt w 
breitet wurde, um die ihm auferlegte Strafe zu verfünden und nebenbei Ri 
leidige zu warnen. 

Die Ueberſchrift)) Tautet: „offener Brief, gerichtet m die Könige u 
Fürften der Reiche.“ Der Tert felbft befagt feinem wefentliden Inhalte naı 
„Wir thun Euch fund und zu wiffen, was Geftalt Markgraf Arboin, well 
Waffen des Aufruhrs gegen die Föniglihe Gewalt erhob, weil er fih p 
Schaden der Krone hohe Aemter anmaßte, weil er das Erbe Gottes beranl 
die Bifchöfe mißhandelte und aus ihren Eiten vertrieb, endlich weil er fi 
alle Soldaten des zweiten Range in ruchloſer Weife gum 9 
fall verführte,!) durch gemeinfamen Beſchluß des Pabſtes und des ı 
fammten Bisthums aus der Kirchengemeinfchaft verftoßen worden iſt. — 2 
warnen Euh, einem Menfchen, der fi folder Verbrechen ſchuldig geme 
bat, Aufenthalt zu gewähren, fondern fordern Euch im Gegentheil auf, I 
Ihr ihn wie einen Feind. zurückweiſet, und Euch gänzlih von ihm abwenbe 





— 


2) Ibid, ©. 352. 2) Ibid. ©. 354, Nr. 20. 2) Ibid. S. 339, Rr. 
*) Socundon vero milites paene omnes in perjurii crimen atrociter coögit, 


tes Buch. Gap. 41. Pabſt Sylveſter II. Dinge, die bis zum Dez. 999 vorgingen. 723 


In die Augen fpringt, daß diefer Brief nicht etwa an mächtige Innfaßen 
eutihen Reichs, fondern daß er an Könige und Kürften gerichtet iſt, 
- mochte auch Kaiſer Otto III. vermöge der fonderbaren Ideen, welche 
nals im Kopfe trug, die Oberberrfchaft über alle Kronen der Ehriftenheit 
ben — doch nicht unter der Hoheit des deutichen Reiches fanden. 
ft fih aber die Sadye fo, dann muß man nothwendig annehmen, daß 
aͤchtete Arboin außerhalb der Lande, die Otto's Scepter huldigten, Freunde 
en hatte, welche ihm offen oder insgeheim Vorfchub leiſteten, Freunde, fage 
je durch obiges Rundfchreiben gewarnt werben follten. Das Rund- 
mn ſelbſt, denke ich, iſt nicht ſchon im Augenblide der Achterflärung, fon, 
in oder zwei Jahre fpäter, aber jedenfalls vor dem Frühling 1002, da 
triumphirend nach Rombarbien zurüdfehrte, abgefaßt worden. 
Belche Länder lagen außerhalb der deutſchen Gränze, aus denen Arboin 
halten modte? Meines Erachtens fann man nur an Burgund denken, 
rt an die Befigungen Ardoins ftieß, und wo, wie bie’ fpätere Geſchichte 
t, mächtige Große hausten, welche jeder ferneren Erweiterung deuticher 
aft entichloffen entgegenarbeiteten, und welche daher Rüdfiht auf den 
BVortheil trieb, dem Markgrafen von Iwrea, als einem trefflichen 
ug wider beutfche Ehrfucht, Hilfreiche Hand zu reihen. Wir wollen 
rerft diefe Spur merken, die in der That um fo größere Aufmerffams 
dient, als die Geſchichte Burgund um jene Zeit von cimmeriſchem 
bebedt if. 
och ein anderes wichtiged Ereigniß lernt man aus dem offenen Briefe 
Daß Ardoin fih am Kirchengut vergrief, daß er Biſchoͤfe verjagte, daß 
er die deutfche Krone das Schwert zog, wußten wir bereitö aus ans 
tuellen, aber daß er auch die Soldaten der zweiten Ordnung zum Abs 
Teitete und aus folhem Anlaß eine Bewegung entzündete, welche faft 
talien ergrief, und, wie der Verlauf vorliegener Erzählung zeigen wird, 
rteljahrhundert fortglühte: — dieſe Nachricht verdanken wir ausschließlich 
undichreiben. Und wie qut ſtimmt fie zu andern befannten Thatfachen. 
erbfte 998 hatte Erzbifchof Gerbert im Auftrage des Kaiſers Otto ein 
jefeb verkündet, das die Dauer aller Wehrlehen, die von der Kirche ab» 
‚ auf die Lebenszeit des Verleihers befchränfte, und folglich den Fleinen 
ägen — d. h. denen, weldhe im Dienfte eines ber großen unmittel- 
Zafallen ſtanden — oder, um mit der Urkunde zu reden, den Soldaten 
Ordnung jede Hoffnung raubte, die Höfe, auf denen fie faßen, und 
(de fie Kriegsbienfte Teifteten, ihren Kindern binterlaffen zu fönnen. 
ilos muß ihre Unzufriedenheit, ihre Verzweiflung über dieſen Schlag 
: fein. Auf eben diefe Gefühle baute der geächtete Arboin einen Plan 
che. 
lem Anſcheine nah fam es — und zwar benfe ich während Otte's 
—X 


724 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Reiſe nad Gneſen — zu einer von Ardoin angeſchürten Schilderhebung, % 
vielleicht mit dem Aufruhre in Gefena zufammenbieng, der ven Pabſt Ey 
vefter veranlaßte, mit Heeresmacht vor die genannte Stadt zu rüden. N 
Bewegung wurde jedoch — wie e8 fcheint — unterbrüdt, und im Andlak 
wartete feitdem Arboin auf beffere Zeiten, die für ihn unmittelbar nad Die 
Tode anbrachen. Wirflih waren e8 feine alten Anhänger, die Soldaten pwein 
Ordnung, die ihn feit 1002 zum König Italiens erhoben. Hiervon wa 
das Nähere. 

Noch ift übrig, daß ich nachweiſe, was Pabft Sylvefter II. für fi ie 
während Kaiſer Otto III. die bisher befchriebenen Geſchäfte abwickelte. M | 
billon hat eine Zufchrift Gerberts an die Biſchöfe der Chriftenheit veröfes 
licht, *) welche er offenbar gleih nad Antritt de8 Pabſtthums erließ, um di 
Grundfäße darzulegen, nad welchen er die Kirhe regieren’ wolle. Er ke 
ginnt: „da ihm das Amt, Ehrifti Heerde zu weiden, troß feiner perfönliea 
Unwürbigfeit übertragen worben fei, liege ihm bie Berbinplichfeit ob, m 
Mitbrüder die Bifchöfe an ihre Pflichten zu erinnern. Groß fei die Wirk 
des Bisthums, von Chriſto eingefebt, von Gott verliehen, über vie hate 
Mächte der Erde gefteltt, da felbft Könige ihr Haupt unter die Füße ta 
Priefter beugen, und durch bifchöflihen Segen Hell zu erringen tradie 
Für folhe Größe zieme fih reiner Wandel, denn wer hoch ftehe, deſſen al 
fei um fo gefährlicher, wem Viel anvertraut, von dem werbe aud Bird 
gefordert. “ 

Er fchildert ſodann nad den Worten des Evangeliums und des Apofık 
die Pflichten ver Kirchenhäupter: „ein Biſchof fol fein untabelhaft, eines Weite 
Mann Cd. h. er fol die Kirche allein als feine Braut betrachten), ehelos, fm 
von Ketzerei, nüchtern, ausgezeichnet durch Gaben des Geiſtes, weife, gelcht, 
reinen Rufes, beſonders aber fol die greulichfte aller Ketzereien, die Simon 
ferne von ihm fein.” Ausführlih und in harten Worten Täßt er fich fofe 
über den Greuel des Kaufs geiftliher Aemter aus. Das ift Alles recht jde 
gelagt, aber er überfah, daß er felbft die Erzbisthümer Rheims und Ravennt 
ſowie zuletzt Petri Stuhl, dur lauter Schleichwege, durch Werbrechen, durd 
die MWilfür eines faft unmündigen Kaiſers erlangt hatte. 

In die Anfänge feines Pontifitats fält nad meinem Dafürhalten aus 
die Bulle,?) welche er an ben Garlinger Arnulf, wiederhergeftellten Grybilee 
von Rheims, feinen ehemaligen Nebenbuhler, erließ: „dem heil. Stuhle Toms! 
es zu, nicht blos Sünder zu berathen, ſondern auch Gefallene wieder auf 
richten, damit die dem Apoftelfürften verlicehene Machtvollkommenheit im Ya 
fih zeige und Roms Majeftät überall hervorleuchte. Derohalben find Bi 






‘) Analecta, Folioausgabe ©. 103 fig. ) Manfl XIX, 242, auch bei Puder 
I, 843, Mr. 55, 


es Gut. Sp. ti. Pabſt Sylveſter IL Dinge, die_bid zum Dez. 905 vorgingen. 725 


Arnulf, der Du wegen gewiſſer Vergehen abgefegt worden wareft, zu 
: gefommen, damit, weil Deine Abdankung römifcher Zuftimmung ers 
elte, an Deinem Beifpiel offenbar werve, dag Roms Gnade Gefallene 
r berftellen fann. Denn dem heil. Petrus ift eine Macht verliehen, mit 
eine irdiſche Gewalt verglihen werden mag. Wir verorbnen demgemäß, 
Dir Ring und Stab zurüdgegeben werde, und daß Du das erzbiichöfliche 
wieder führeft, aud) aller Vorrechte der Rheimſer Kirche genießeſt. Du 
das Pallium an beftimmten Tagen tragen, die Könige der Franken 
I, Deine Suffragane weihen, alle Befugnifie, die Deine Vorgänger bes 
‚ ausüben. Kein Sterbliher erfühne ſich auf einer Synode oder bei ans 
Belegenheiten Dir Vorwürfe wegen Deiner Abdankung zu machen. Der 
rengel von Rheims mit allen dazu gehörigen Suffraganbisthümern, Kiö- 
Pfarreien, Kirchen, Capellen, Höfen, Cchlößern, Meiereien, Bauerwirth- 
n — iſt Dir beftätigt. Wir verfügen ferner unter Anrufung des götts 
Gerichts, daß es feinem Unferer Nachfolger auf Petri Stuhle, feiner 
n hohen oder niedrigen Behörde geftattet fein fol, dieſen Unfern Bes 
anzutaften. * 
Wie früher‘) gezeigt worden, hatte. ſchon Sylvefterd Vorgänger, Gregor V., 
Ballium an Arnulf zurüdgegeben. Diejer bedurfte daher — fireng ges 
en — der Wiedereinfegung durch Gerbert nit. Aber man kann fi 
ı, daß der Garlinger in Feine geringe Unruhe gerieth, als er vernahm, 
hemaliger Topfeind habe Petri Stuhl beftiegen, und daß er nichts vers 
e, um eine förmliche Anerfennung von Seiten defielben zu erlangen. 
einer Urfunde?) erhellt, daß Arnulf felbft fih nah Rom begeben hatte, 
- allem Anſcheine nad die Sache perjönlich betrieb. 
ODb nicht Sylveſters II. Pulfe ein wenig rajcher als gewöhnlich ſchlugen, 
die eben mitgetheilte Bulle ausfertigte. Weld eine Kluft zwijchen den 
Erklärungen bezüglich der Würde des Pabſtthums und den Worten, 
rw 8 bis 9 Jahren auf der Synode zu Rheims gefallen waren! 
Roc mit einem andern ehemaligen Befannten aus den Rheimjer Zeiten 
rieth Sylveſter IL in amtlichen Verkehr, der wahrſcheinlich für beide gleich 
enehm war. Eine an den Biſchof Ascelin gerichtete Bulle, *) der jedoch 
nicht auf und gefommene Schreiben vorangiengen, liegt vor. In ders 
überhäuft er ihn mit Vorwürfen, nennt ihn einen Judas Iſchariot, ja 
efchöpf, das nicht mehr den Namen eines Menden, fondern den eines 
‚8 verdiene, Klagen über Klagen feien, heißt es weiter, gegen Ascelin 
zufen, namentlich habe ihn König Robert von Frankreich des Hochver— 
beſchuldigt. Spivefter fordert den Angeklagten auf, unverweigerlid bie 





Oben &.633 fig. *) Leibnitii annales imperli ed. Pertz III, 736. 3) Ducheöne 
3. Nr. 54. ' 















726 Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


fünftige Oftern — ich denfe des Jahres 1000 — in Rom vor einer Ey 
zu erjcheinen, wo nicht, werde ihn der Bann treffen. Sylveſter hatte hien 
dur die That gezeigt, daß er die Rechte der Krone Frankreichs achte, ım 
nicht, wie ſonſt geſchehen, deutſche Anmaßungen fördern, noch Werräther, di 
mit dem deutſchen Hofe im Bunde ſtanden, ſchützen wolle. 


Bweinndvierzigfies Capitel. 


Wie die Peteréſtadt unter Otto III. zwiſchen 998—1002 ausſah. Hilfsmittel für Kent 
der mittelalterlichen Zuftände Roms: das Curioſum und die Notitia, das Pabſtich 
der Bericht des Cinſiedler Möndye, die mirabilia Romae, die Graphia aurese wis 
Romae, bie Rirchenorbnungen des 12ten und 1dten Jahrhunderts. Wäre Gonftazial 
ums Jahr 1000 aus dem Grabe erflanden, er hätte Rom noch ale feine Stadt ar: 
kannt. Die fieben Hügel, Ringmauern, Thore, Brüden, Erbauung der Leofadt. Tr 
MWaflerleitungen, die größeren Burgen, bie Palatia, die Thermen oder Bäber. 


Nunmehr liegt mir ob, die neue von Sylveſter II. und Otto IIL us 
gebrütete Weltreihöverfafjung zu entwideln, durd welde Rom wieder pol 
tifche Hauptftadt des Abendlandes, ja, gemäß den Einbildungen des u 
glüdlihen Zünglings, der gefammten einft von den Cäſarn beherrſchten Rinw 
welt werden follte. Zunädft aber müfjen wir den Mittelpunkt feiner Trüuse 
felber ind Auge faflen. Drei Städte gibt es auf Erden, an welde unerwef 
lihe Geſchicke gefnüpft find: erftlih Jerufalem, über dad der Prophet jagt 
(Zefa. IL, 3) „von Zion gehet aus die Lehre und das Wort dei 
Herrn von Jeruſalem,“ zweitens Altrom und drittens Neurom oder Gov 
ſtantinopolis. 

Meine Aufgabe iſt, mit Vermeidung alles unnützen antiquarifchen Pruxic 
an der Hand vollgültiger Quellen zu zeigen, welde Geftalt die ewige Et 
nicht zu den Zeiten der NRepublif oder der alten Imperatoren, nein ſonden 
im zehnten Jahrhundert, inöbefondere zur Zeit, da Otto III. dort weilte, vr 
998 — 1002, auf der Marficheide zweier Jahrtaujende hatte. “Der Erf 
wird darthun, daß Das, was ic unternehme, nicht etwa blos Dazu dient, go 
rechte Wißbegierde zu befriedigen, jondern daß es zugleich den Echlüfjel bie 
zu Löſung wichtiger hiftorifcher, die Verfaſſung Roms betreffender ragen, de 
auf anderem Wege nicht beantwortet werden fönnen. 

Folgendes find die hauptſächlichen Hilfsmittel: aus dem vierten um 
fünften Jahrhundert liegen zwei Bejchreibungen Roms vor, welche beive, nah 
mit einander verwandt, durch die Titel curiosum urbis und notitia regions 
unterjhieden werben. Neuerdings hat 2. Preller einen berichtigten Tert Beide 
mit guten Anmerkungen geliefert.) Ich Iege feine Ausgabe zu Grunde. I 





*) Die Regionen der Stadt Rom. Jena 1846. Ste. 


Siebtes Buch. Cap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel, Mauern, Burgen, Bäder. 727 


erften Hälfte des neunten Jahrhunderts befuchte ein deutſcher “Pilger, 
wicheinlih aus dem alamanniſchen Klofter Einfiedlen, die ewige Stadt und 
varf ein Bild ihrer Merkwürdigkeiten, das er in einer Handſchrift nieder, 
e, welche heute noch vorhanden if. Einen genauen Abdruck dieſes koſt⸗ 
ꝛn Denkmals verdankt man dem Gelehrten G. Hänel.‘) Das Alter defjelben 
d dur einen inneren Grund beftimmt: die Leoftadt oder das Borgo, 
ches Pabft Leo IV. (847—855) erbaut hat,?) ftand noch nicht, als der 
fafler Rom bejudhte. 

In dem Jahrhundert, das nad Leo IV. verlief, wurden die Lebensbe⸗ 
eibungen der alten Päbfte zufammengetragen, die unter dem Namen liber 
tificalis ein Sammelwerf bilden und reichen Aufichluß über die Zuftände 
nd bis zu Ende des neunten Sefulums gewähren. Rom ift feit Errich- 
3 des Stuhles Petri von unzähligen Pilgern beſucht worden, die aus 
mbendeifer an die Schwelle des Apoftelfürften wallten, wie man jebt des 
gnügend wegen merkwürdige Städte bereidt. Reiſende der legteren Art 
gen, wenn fie einen Ort genauer anfchauen wollen, nad) einem jogenannten 
gweifer oder einer gebrudten Ueberſicht Defien, was für ſehenswürdig gilt, 
greifen, und Gewinnſucht hat dafür gejorgt, daß faft jede Stadt ein fol 
Hilfsmittel darbietet. 

Schon im Mittelalter ſchuf das Bepürfniß eine Ähnliche Gabe für Solde, 
he Einfiht von den Heiligthümern Roms nehmen wollten. Die Stutt- 
ter Bibliothek enthält einen langen, vielfach zufammengenähten, aber ſchmalen 
rgamentftreifen, auf dem eine Beſchreibung der Stadt Rom verzeichnet iſt. 
fer Streifen wurde aufgerollt und in einer Kleinen levernen Tafche von 
ı Pilger getragen. War er an Ort und Stelle, fo zog er fein Büchlein 
or, entrollte und brauchte es für feine Zwecke. Der Tert des Stuttgarter 
‚gamentftreifens ftimmt meift wörtlid mit der Beichreibung Roms überein, 
che unter dem Namen mirabilia urbis Romae auf und fam und welde 
mhard Montfaucon zuerſt durd den Drud veröffentlihte.)  Chriftliche 
ger liebten von jeher das Webernatürlihe, Magiſche: „pas Wunder ift 

Glaubens Tiebfted Kind.” Der Eigennug der Römer, weldye vom Gelde 
Fremden lebten, forgte dafür, daß ed nit an allerlei Mähren- gebrach. 
» Frucht beider Triebe tritt ftarf in den mirabilia urbis Romae hervor. 
felben bringen mitunter abentheuerlihe Dinge zu Marfte. 

Der ältefte bekannte Tert der Mirabilien reicht*) gegen das Jahr 1143 
auf. Eine ähnliche Beichreibung Roms hat neuerdings Ozanam unter dem 
el graphia aureae urbis Romae herausgegeben, °) eine Beichreibung, welde 





1) Archiv für Philologie, herausgegeben von Seebobe, Jahn und Klotz. Bünfter Bd. 
zig 1837. ©. 115 flg. 2) Siehe oben S. 133. 2) Diarium italicum. Paris 1702. 
283 fig. 4) Biefebrecht, Geſchichte der Kaiferzeit I, 814. 8) Documens inddita 
r serrir & l’histoire littöraire de l’Italie. Paris 1850. ©. 155 flg. 


k 








"08 | Pabſt Gregorins VIL und fein Seitelter. 


den Tert der Mirabilien vielfach erweitert un? um etwas fpäter abge ni: 
den if. Denn die Graphia erwähnt Begebenheiten, welche In de mie 








Zeitraume zum Abſchluß. Ozanams Arbeit wäre aud dann 
wenn fie nichts als einen erweiterten Text der Mirabilien böte. un fm de 
ver Graphia eine Reihe Attenftüde aus der Zeit, da zu Rom vie Ditaile Hunt ' 
Weltverfafjung beftand, angefügt,*) Aftenftüde, die das Siegel Ihrer Geh —8 
ſtunde auf der Stirne tragen und einen unſchätzbaren Werth haben. ja 

Es gibt noch andere fpätere Duellen für die Kenntniß des wird 
lihen Roms, von denen am gehörigen Orte die Rede jein wird. Dep 
jeigten Hilfsmittel genügen, um ein Bild der h. Stadt im Großen (ai 
lid der Einzelnheiten bleiven Knoten genug übrig) gu entwerfen Bas Im 
Dertlihfeiten, Denkmäler, Bauweſen, Einrichtungen in der Notitia u WS 
Curioſum erwähnt werden, und wenn dann ebendiefelben im Pabftbut, B ns 
den Mirabilien und der Graphia als fortvauernd zum Vorſchein fomma, ſim 
kann fein Zweifel fein, daß fie auch im Zeitalter Otto's ILL. oder von MI Tri 
bis 1002 bejtanden, und dieſe Sicherheit wächst nod) mehr, wenn — we ie 
häufig der Fall — Zeugniffe gleichzeitiger Ehronifen oder gar Ausfagen m m 
Urkunden, deren Ort und Tag man fennt, binzufommen. " 

Seit der Haud des Allmädhtigen die Vorfahren des deutſchen Volls — 
die Germanen jind lange ein bevorzugted Werkzeug der göttlichen Yürichum 
geweien — trieb, über die Gränzen des römiichen Weltreichs einzubredkn, 
die modernde Civilijation der alten Roma zu zerftören und ein neues Staat 
weien zu gründen, feit diejer Zeit find harte Geſchicke über Tie ewige Statt 
ergangen. Als Hieronymus die Schredensfunde vernahm, Rom fei von de 
Weftgorhen erobert und ausgeplündert worden, fchrieb er die Worte nieder: 
orbis ruit. Auf die Plünderung von 410 folgten im Laufe des nämlichen 
und des jehsten Jahrhunderts andere Verheerungen durch die Bandalen und 
durch die Dftgothen. 

Liest man gewiſſe Ausfagen alter Zeugen, die von den neuern Stalienern 
aus Haß gegen den deutſchen Namen noch weiter übertrieben werden, jo jollte 
man meinen, fein Stein vom alten Rom ſei auf dem andern geblieben. Der 
Byzantiner PBrofopius, ein Dann von hoher Einfiht, welder Rom um die 
Mitte des jehsten Jahrhunderts mit eigenen Augen jah, fchreibt?) in feiner 
Geſchichte des Gothenkriegs: „durch Belifar ſchwer beprängt, beichloß der 
Gothenhaͤuptling Totilas (im Jahre Ehrifti 546), die Stadt Rom, die er naw 
lid eingenommen hatte, aber zu behaupten verzweifelte, gänzlich niederzureißen 
und dem Erdboden glei zu machen. Wirklich ließ er einen Theil der Stadts 
mauer zerftören und fchicte fih an, auch die Gebäude anzuzünden. Da em 


— — 


) Ibid. von ©. 174 an. 2) Opp. edit. bonnensis Il, 370 fig. 








\elates Bud. Gap. 42. Kom ums Jahr 1000. Hügel, Hauern, Burgen, Bäder. 729 


Belifar Kunde von dem Vorhaben des Gothen und richtete nun ein 
Ben an denfelben, worin er ihn beichwor, die merkwuͤrdigſte aller Städte 
chonen. Die Aufforderung machte tiefen Eindruck auf Totilas. Er 
©, die Senatoren ald Gefangene mit fi) führend, das gemeine Bolf 
te er, mit Weib und Kindern nad) Campanien auszuwandern, alfo daß 
taicht ein lebender Menſch in Rom zurüdblieb. Den Gebäuden dagegen 
Totilas feinen Schaden.“ 
Faſt unmöglich ſcheint es, daß eine fo große Stadt, gänzlich von ihren 
Dhnern entblößt, dem Einſturz entgebe, fobald die Veroͤdung auch nur 
ahr währt. Aber legtere hat nicht jo lange gedauert. In einer der 
x Chroniken des fechsten Jahrhunderts, die dem Comes Marcellinus beis 
wird, heißt‘) e8: „Totilas zerflörte einen Theil der Staptmauern Roms, 
innte etliche Häuſer und führte das geſammte Volk kriegsgefangen nad) 
anien ab. Bierzig Tage oder etwas darüber dauerte die Verodung, alfo 
mr Thiere in der Stadt zurüdblieben. Dann aber fam Belifar, ftellte 
tftörten Mauern wieder her” Cund rief die Bevölferung zurüd). Cine 
Duelle, das Pabſtbuch, hegt meines Erachtens wegen der Großmuth, 
Totilas damals bewies, jehr geneigte Gefinnung für ihn, denn fie 
‚t”) den Ausdruck, Totilad habe, nachdem er die Stadt eingenommen, 
inwohner behandelt, wie ein Bater feine Kinder behandle. 
Die Hauptfade iſt, daß auch Prokop Iegterem Urtheile verdedt bei⸗ 
fofern er zum Jahre 553 folgende wichtige Bemerfung in fein Werf 
bt:*) „ih kenne fein Volk, das mit gleichem Eifer, wie die Römer, ers 
wäre, die Vaterſtadt unverfehrt zu erhalten und Sorge zu tragen, daß 
8 von dem alten Schmude zu Grunde gehe. Und in der That, obgleich 
ſchwere Bedrüdungen (und Plünderungen) durd die Barbaren wiederholt 
r, ftehen bis auf den heutigen Tag die Gebäude aufrecht, ja audy der 
Beitem größte Theil der Denkmäler und Stadtzierden fteht noch. Denn fo 
md dauerhaft find diejelben gefugt, daß nicht der Zahn der Zeit noch 
yergehende Nadläjfigkeit im Erhalten fie zu vernichten vermochte.” Gegen 
Worte eines ernften und hochverftändigen Mannes müſſen hohle Red- 
en verftummen. 
Auf die MWechjelfälle des Gothenkriegs folgte der langobardiſche Sturm. 
Langobarden haben Stalien, haben den Kirchenſtaat greulich verbeert. 
orius J. EHagt*) in feiner Auslegung ded Propheten Ezechiel: „von taus 
ahen Schmerzen niedergedrüdt, fieht Roma ihre Bürger dabinfterben, ihre 
iude in Trümmer fallen und erduldet täglich die Ungebühr der Feinde. 
Senat ift dahin, das Volk am Erlöfhen, Alles mit Ruinen bevedt.“ 





1) Roncallius vetust. chronica II, 331. 2) Edit. Vignoli I, 220, 3) Opp. ed. 
‚1, 572 fig. *) Opp. edit. benedictin. I, 1374, 


730 Vabſt Gregorius VIL und fein Seltalter. 


Gleichwohl Haben die Langobarden die Stadt Rom felbft nie eingenommen, 
und wenn während der Zeit ihrer heftigften Anfälle innerhalb der fchüyenten 
Aingmauern mandye große Gebäude zufammenftürzten, fo geſchah bieß, wel 
alle öffentlichen Einkünfte auf den Krieg oder auf die Ernährung des Belt 
verwendet werden mußten und Richts für Erhaltung der Bauten übrig bir. 
Beſſere Zeiten kamen nad. 

Das bibliihe Wort aedificare befigt befanntlih einen boppelten Sim: 
einen natürlichen und einen myſtiſchen. Belde Bedeutungen haben die Kirhes 
häupter zur Wahrheit gemacht. Wurde irgendwo ein bifchöflicher Stuhl m- 
richtet, fo z0g mit dem Bifchofe als unzertrennlicher Begleiter die Maurertk 
und der Kaltofen ein, wie man aus einer fchlagenden Stelle per Bawarlı 
beweifen kann. Bor allen andern Bifchöfen zeichneten ſich die Pabſte ald 
Bauherrn aus. Man durchleſe das liber pontificalis, und man wird fin, 
daß Wenige unter den Pähften find, von denen nicht bemerkt würde, daß ſie 
irgend ein Baumefen ausführten oder wieberherftellten. 

Obige Säge Prokops gelten nod vom Ende des zehnten Jahrhundens 
und von den Tagen Otto's II. Wenn im Jahre 997 Gonftantinus, xt 
Chlorns Sohn, auf die Erbe zurückgekehrt wäre, fo hätte er befennen müfle: 
ja diefe Stadt Rom iſt im Wefentlichen diefelbe, welche ih einft als Lebender 
fah. Erft in den legten Jahren Gregors VIL haben Innerhalb der Statt 
mauern große Zerftörungen flattgefunden, da einerjeitd die Rormannen Robert 
Wizkards, andererſeits die von König Heinrich IV. mit dem Golde des 
Eomnenen geföderten Römer in wüthenden Kämpfen Haus um Haus, Eirufe 
um Straße erftürmten, mit Mord und Brand wider einander wütbeten un 
mehrere der bevölfertften Regionen dem Erdboden gleih machten. Ganz ar 
ders als mit dem Ottoniſchen und altsfaiferlihen Rom verhält es fid mil 
dem heutigen. Letzteres iſt großentheild erft im Laufe des fünfzehnten un 
ſechszehnten Jahrhunderts entftanven. 

Schauen wir die ewige Stadt mit den Augen eines nordiſchen Pilger! 
an, deſſen Aufmerffamfeit vor Allem die hervorftechenden Eigenthümlichkeiten 
des Bodens, dann die großen Mafjfen-Bauten, Ringmauern, Thore, Thürme. 
Zinnen, Triumphbögen, Kirhen, Paläfte, Watferleitungen, Bäder, Theater, 
Thurmjäulen, Kolofie von Erz und Marmor feſſeln. Rom hieß im Alter 
thum die Stadt der fieben Hügel (urbs septicollis) wegen der fieben Höhen, 
welche fie umſchloß. Vier diefer fieben Hügel — der capitolinus, palatinus 
coelius, aventinus — Tagen in der füblihen, die drei andern — esquiliae, 
viminalis, quirinalis — in der nördlichen Hälfte der Etadt. Auch nod im 
Mittelalter dauerte der Name „die fiebenhügeligte Roma“ fort, aber man 
zählte die Höhen anders, fo daß einer der alten Hügel ausfiel und dafür ein 
anderer, der allerdings längft zur Stadt gehörte, eingerechnet ward. Die 


Siebtes Bach. Cap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel, Mauern, Burgen, Bäder. 731 


Mirabilien ſagen:) „fieben Berge liegen Innerhalb der Stadt: der Janiculus 
Cin Trastevere); der Aventin, welder auch Quirinal genannt wird, 
weil dafelbft einft Duiriten wohnten; der Eölius; das Capitol (d. h. der 
Gapitolinus); der Pallentin, mo der große Palaft ſteht; der Esquilin; der 
Biminal.“ 

Unbegreiflih jcheint e8, daß der namenlofe Verfaſſer den Aventin und 
Dutrinal zufammenwirft, Da doch Beide weit von einander entfernt find. Aber 
unten wird fidh ergeben, daß die wahre Lage des Quirinals vergefien war. 
Man betrachtete den Viminal und den ehemaligen Quirinal als einen Hügel, 
ber nad) erfterem genannt wurde, und diefe Vorftelung hat fihtlichen Einfluß 
auf die mittelalterlihde Regionen-Eintheilung geübt: hierüber fpäter am gehöris 
gen Orte das Nähere. Statt mons palatinus brauchte man um biefelbe Zeit 
den Ausdruf pallentium oder einen ähnlihen, vielleiht um ven Begriff 
palatium (welches Wort jehr häufig vorfommt) beffer von dem Namen des 
Hügeld zu unterfheiden. Wenden wir und zu den Bauwerken. Gäfar Aure⸗ 
Hanus, der von 270—275 driftlicher Zeitrechnung regierte, bat das kaifer⸗ 
liche Rom ummauert, und dieſes fein Werf ftellte 125 Jahre fpäter Honorius 
dauernd ber. Auf den Grundlinien, die er 309, ruhen weientlihd — mit Aus⸗ 
nahme des Borgo — die jegigen Ringmauern Rome. ?) 

Den Umfang der Mauern beftimmt*) die Graphia auf 42 römiſche Mis 
glien. Ein um adt Jahrhunderte älterer Schriftfteller, Vopiscus, im Leben*) 
Yurelians, bringt eine noch höhere Ziffer vor, behauptend, die von Aurelian 
erbaute Ringmauer habe fünfzig Meifen gemefjen, eine handgreifliche Uebertreis 
bung, da der Augenſchein lehrt, daß die heutige roͤmiſche Stadtmauer, welde, 
wie fchon bemerkt worden, wejentlih mit der von Aurelian erbauten und von 
Honorius erneuerten zufammenfält, nur etwa eilf Meilen Ausbehnung hat. 
Beicheidener find die Mirabilien, welde den Umfang der Mauern auf 22 Meis 
fen ſchätzen.“) Faſt diefelbe Zahl gibt ein älterer byzantinifcher Zeuge. In 
einem Auszuge aus Dlympiodor‘) findet fih dic Nachricht, zur Zeit der Er 
oberung Roms durch die Gothen ſei von dem Baumelfter Ammonius eine 
Mefiung vorgenommen worden, laut welder die Ausdehnung der von Aures 
lian erbauten Mauer 21 römiſche Meilen betrug. 

Sicerlih hat im Laufe des Mittelalters Niemand den Umfang Rome 
regelmäßig mit der Stange gemefien, jondern man hielt ſich bezüglich dieſes 
Punktes an Ueberlieferungen, die im Umlaufe waren. Nun lieben es herab⸗ 
gekommene Völker, den Mund voll zu nehmen. Scriftfteller, die Neigung 
zu großen Worten in fi verfpürten, folgten Angaben, wie die des Vopiscus, 








1) Montfaucon diarium ©. 283 flg. 3) Die Belege bei W. U. Becker, Handbuch 
ver römifchen Alterthümer. Leipzig 1843. I, ©. 187 flg. 2) Dzanam a. a. O. ©. 187. 
6) Vita Aureliani cap. 39. s) Montfaucon a. a. Di ©. 283. 6) Bei Photius, 
bibliotheca 80. ©. 63 der Ausgabe von Beder. 


\ 


132 Pabſt Gregorius VIL. uud fein Zeitalter. 


während gemäßigte Alterthümler fih mit der Ziffer des Baumeiſters Aume 
nius begnügten, 

Längs den Ringmauern verfegt die Graphia 362 Thürme, 6900 Bf 
wehren oder Zinnen, von wo aus Bogenjhügen oder Schleuderer bei Bel 
gerungen die Stadt vertheidigten. Die andern Zeugen flimmen biemit im 
Weſentlichen überein. Die Einfiedler Handfchrift zählt 383 Thürme (21 mehr 
als die Graphia), 7020 Bruftwehren (30 mehr), die Mirabilia Dagegen gebe 
genau diefelbe Ziffer wie die Graphia. 

Lestere Spricht ferner im Allgemeinen von 36 Haupthoren und fin] 
posterulae oder Nothpforten. Einzeln aber zählt fie in der diefjeitigen Sta 
nur 12: nämlich porta Capena, auch Paulsthor genannt, porta Appia, ports 
Latina, porta Metronia, porta Asinaria vel lateranensis, porta Labicana, 
porta Tiburtina vel S. Laurentii, porta Montana, Salaria, Pinciana, ports 
Flaminia, porta Collina ad teınplum Hadriani (beim Gaftel St. Angelo) m 
in Trastevere drei weitere Septimiana, Aurelia und Portuensis, aljo im 
Ganzen 15 auf. Diejelden Thore und faft mit ven nämlihen Namen werden 
in den Mirabdilien erwähnt, doch fügen legtere bei, daß auch das von Pabt 
Leo IV. erbaute Borgo zwei Thore hatte. 

Die erftere Ausjage der Graphia ift irrig, beruht aber dennoch auf einer 
alten Ueberlieferung. Plinius fpricht in feiner Naturgeſchichte) von 37 
Ihoren des gelammten Roms. ALS er jchrieb, gab es noch feine Ringmaner, 
welche die ganze Stadt umjchloß, denn diejelbe wurde, wie oben bemerft, er 
durch Aurelian aufgeführt — gleihwohl ftanden im Innern aus den Zeiten 
der älteren — längſt abgeſchafften — Befeftigungen durch die römifcen 
Könige manche Thore, und ihre Zahl muß in Folge der Nothwendigfeit, vi 
immermehr anjhwellenden Vorftädte mit dem Centrum zu verbinden, durd 
da und dort angebradyte Durchgänge alfo vermehrt worden fein, daß fie au 
37 ſtieg. Nachdem Aurelians Ringmauer errichtet worden war, hätte man 
von den alten Thoren billig abjehen jollen, da fie zu nichts mehr dienten, 
gleihwohl hielten jpätere Quellen an der überlieferten Zahl fe. Dem Cu 
riofum und der Notitia ift unter dem Namen breviarium eine UÜeberfict dir 
Stadtdenkmäler beigefügt, welde richtig,?) vielleicht zu Ehren der Stelle de} 
PBlinius, 37 Thore zählt. Die Graphia ihrerfeits ermangelt nicht, gleichfalls 
die Ziffer des Plinius nachzuſchleppen, doc mit Abzug einer Pforte — ob» 
glei die 36 zu den 12 wahren Thoren, welche fie bejchreibt, gar nicht paſſen. 

Dagegen hat die zweite Angabe des Verfafferd der Gruphia, welde 
auch durd die Mirabilia unterftügt wird, guten Grund. Prokop bezeugt, ’) 
daß zur Zeit des Gothenfriege 14 Thore zvras und etlihe Nebenpforten 


‘) Hist. natur. III, 5. 66. vergl. Preller a. a. O. ©, 74 fig. ?) Preller ©. 30. 
2) De bello gothic. I, 19. Opp. edit. bonn. II, 93 unten. 


Gichted Buch. Gap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel, Mauern, Burgen, Bäder. 733 


zvAides, deren Zahl er nicht beftimmt, in das Innere der Etabt führten. Die 
gleiche Zahl gibt der Mönd von Einſiedeln in überraſchend klarer Weife, 
welche helles Licht über die Äußeren Umriſſe Roms zur Zeit vor Erbauung 
des Borgo verbreitet. Derfelbe legt nämlich feiner Befchreibung der Stabt 
die Thore zu Grund und zwar beginnt‘) er mit dem Raume zwifchen dem 
Peters⸗ und dem Klaminifchen Thore. 

Aus den Morten des Mönchs geht hervor, daß er mit dem Namen 

Peterd-Pforte ein Thor bezeichnet, das an der Tiber gegenüber der Engels» 
. burg und dem fpäteren Borgo ſich erhob, und aus ber bieffeitigen Stadt nach 
: der Peteröfirhe und ihren Heiligthümern leitete. Weiterer Aufſchluß findet 
. fh bei Prokop, welcher andeutet,) daß derjenige Theil der aurellanifchen 
; Ringmauer, welcher die dieffeitige Stadt Tängs dem Tiberufer auf der Strede 
vom flaminifhen Thor bis wo jenfelts Die Mauer von Trastevere begann, 
abſchloß, fchwächer geweſen ſei, als die MWerfe, welche Nom längs der Land⸗ 
‚ feite vertbefbigten, und daß deßhalb Belifar am Ufer Hin neue Befeftigungen 
; angelegt habe. Den Schlüffel des ſchwächeren dem Etrome zugefehrten Mauer; 
theils bildete nach feiner Darftellung ein einziges Thor, welchem er ven Ramen 

des Aureliichen gibt, beiflgend, daß es feit neuerer Zeit wegen der Nähe ber 

Heiligthümer des Apoftelfürften Peterspforte genannt werde. An einer andern 

Stelle ſagt) ebenverfelbe, die aurelifche oder bie Beterspforte ſei faum einen 

Steinwurf von dem Grabe des Kaiſers Hadrian (d. h. von der Engeldburg) 

entfernt. 

Unter einer dritten Bezeichnung kommt die Peterspforte vor Die 
Graphia“) und die Mirabilia”) nennen fie Hügelthor, porta collina, nad 
meinem Daflırhalten deßhalb, weil fie zugleih zum St. Petersdom und au 
den Anhöhen des Vatikan und des Saniculus führte. Roch genauer wird 
die Lage des Thores durch zwei Stellen alter römiſchen Kirchenordnungen 
beftimmt, welche Mabillon veröffentlicht hat. In der einen; die dem Anfange 
des vierzehnten Jahrhunderts angehört, heißt®) ed: „wenn Der, welcher zum 
Kaifer gekrönt werden fol, am collinifchen Thore, das neben dem Caſtell 
fteht, angelangt ift, empfängt ihn der Clerus mit Kreuz und Bahnen, und 
geleitet ihn bis zur Baſilika des Apoftelfürften." Die zweite, um zwei Jahr, 
hunderte ältere, enthält”) den Sag: „die römiſchen Feftzline bewegen fi durch 
das Marsfeld nad der adrianifhen Brüde (die des Caſtells Et. Angelo), 
dann geht der Pabft über dieſelbe und tritt, durch das colliniiche Thor ſchrei⸗ 
tend, jenfeits heraus in den Raum vor dem Caſtell Adrians.“ 


1) Archiva.a.D.V,137. *) Opp. II, 94 flg. *) Tbid. S. 106 unten. 9) A. a. O. 
©. 157: porta Collina ad templum Adriani. 6) Porta Collins, quae est. S. Petri. 
*%) Mabillon, Museum italic. II, 397 unten. N) Ibid. ©. 143: ascendit ad campum 
Martis — usque ad pontem Adrianum, intrat per pontem et exit per portam Collinam ante 


eastellum Adriani. 


734 Dab Gregerins VE. und fein Seltalier. 


Den Raum zwifchen dem St. Peterötbor unb bem flaminiichen nahm ie 
Nordweſtſeite der aurelianiihen Ringmauer ein. Mit dem flaminikhen Then 
das mur wenige Schritte von ber heutigen Porta del Popolo entfernt Iag 
beugt die Mauer gegen Oſten um. Die weiteren Thore führt ber Eufhl> 
Mind, Rom umkreiſend, in folgender Reihe auf: „vom flameintichen The 
zum Pincianiichen, das der Zeit verſchloſſen iR, vom pincianiſchen zum fair 
riſchen, vom falarifchen zum Rumentanifchen, vom numentanifchen zum ber 
tinifchen, vom tiburtinifchen zum Präneftiniichen, von der Pränefina zur Uns 
ria, von der Porta Afinaria zur Pforte Metro’s, von dieſer zur Berta iu 
tina, von der Latina bis zur Appia, von der Appia zur Oftienfis.“ 

Das find die zwölf Thore der Mauerfirede, welche bie dieſſeits der Tiher 
gelegenen Stadttheile umſchließt. Bezliglih ver Metronspforte muß bemei 
„werben, daß die Brieflammlung Gregors I. bie Ältefte Quelle iR, in wege 
fie vorfommt. Die betreffende Stelle verbient aud no aus aubern Grie 
den Beachtung. Im Frühling 601 fchrieb‘) Pabſt Gregor L an 
tricierin Ruſticiana, zwei Mönche fein aus dem (auf dem Cöolius 
fogenannten Bühel des Skaurus)) gelegenen Klofter St. Andrea entwichen, 
nachdem fie vorher, um etwaige Verfolger irre zu leiten, das Gerkdht ausge 
fprengt hätten, daß fie auf der appiichen Straße nad Serufalem zu weils 
gedaͤchten. „Als Abends die Flucht verfelben im Klofter befannt wurbe,” 
fährt der Pabſt fort, „eilten mehrere Brüder den Entiprungenen nad) umb ritlen 
durch das Metronsthor, um von dort aus fo ſchnell ald möglich auf die 
latiniſche oder appiſche Straße zu gelangen.” Aus letzterem Sape erhellt 
meines Erachtens, daß die Metronspforte nicht, wie es mit fämmtlichen an 
dern alten Thoren der Fall war, eine befondere Heerftraße beherrichte, die 
von ihr den Namen trug. Die Verfolger benügten ja den Ausgang der Me 
tronspforte nur als Fürzeften Seitenweg, um die appiiche oder Tatinifche Strafe 
zu erreichen. Irgend ein Pfad, wahrfcheinlih nahe ver Stadtmauer, muß von 
der porta Metronis nady der Appia geführt haben. Das ift begreiflich: blos 
unter der Republif und unter den älteren Kaifern, alfo in Zeiten, die nichts 
von einer Metronspforte wußten, find die großen Heerftraßen erbaut worten. 
Wann fam die Metronspforte in Gang? Vermuthli nicht ange vor Gre⸗ 
gor I., da er der Ältefte Zeuge iſt, welcher fie erwähnt, alfo allem Anfceine 
nach während des Gothenkriegs, welcher auch fonft merflihe Veränderungen 
in den Befeftigungswerfen Roms veranlaßte. Mitten inne zwifchen den Thoren 
Asinaria und Appia tritt das Flüßchen Marana mittelft eines alten Bogens 
in die Stadt hinein. Diefer Bogen wurde — wie es fcheint während des 
Gothenkriege — zum Thor umgefchaffen, und heißt heute noch porta Metro- 


— — — — — 


m 1) Epist. XI, 44. Opp. oditio Maurin. II, 1125. 2) Becker, Handbuch der rim 
ferth. I, 499, 








Siebtes Buch. Gap. 42. Rom ums Jahr 1000. Gügel, Nauern, Burgen, Bäder. 735 


) Wir floßen demnach bier auf eine erfte Spur, daß die äußere Geftalt 
is unter Juſtininians Regierung Wechſel erlitt. 
Mit der Beichreibung des Einftedler Mönchs flimmen im Wefentlichen 
H die Mirabilia als die Graphia überein. Zwar braucht letztere flatt 
ientana den Ausdruck montana, aber daß ift ein offenbares Verjehen, denn 
ientana wird verkürzt fo geichrieben, daß ein ungelibtes Auge leicht mon- 
leſen fann. Ueberdieß haben die Mirabilia richtig numentana. Wenn 
r die Graphia von einem labicanifhen, die Einfienler Hanbfchrift aber 
einem präneftinifhen Thore redet, fo geht aus der Reihefolge beider Urs 
n hervor, daß fie einen und denfelben Gegenftand unter verfchiedenen 
ihnungen aufführen. In der That hat die betreffende Pforte öfter ven 
en gewechfelt:?) fie hieß praenestina, dann sessoriana, von dem nahge- 
en Palafte Sessorium, zuletzt labicana und porta major. 
Zwifchen der appia und latina ſtand)) ehedem ein altes Thor, die capena, 
es, als die beiden andern erbaut wurden, eingieng, doch fo, daß der alte 
e zuweilen auf eines der nahe gelegenen, insbeſondere auf die ostiensis 
jetragen wurde. Demgemäß bezeichnen die Mirabilla und die Graphia 
jüblihfte unter den Thoren Roms ald porta capena, beflimmen aber zus 
die wahre Stelle durch den Beiſatz: dafjelbe heiße in neueren Zeiten 
Thor zum heiligen Paulus. Seit nämlih Rom Metropole ver Fathos 
7 Welt geworden, empfingen mehrere Thore neben ihren alten heidniſchen 
en, welche fortdauerten, chriftlihe von nahen Heiligthümern entnommene, 
8 Thor an der Brücke des Caſtels Peterspforte, das tiburtinifhe Lau⸗ 
ispforte, das oftienfiihe Paulspfortee Schon Profop fennt, wie oben 
it worden, den Namen Petersthor, und ebenfo den Ausdruck“)) Paulsthor. 
leihen braucht) er von einer in Trastevere gelegenen Pforte, von welcher 
die Rede fein wird, den Ausdruck St. Panfratiusthor, der heute noch 
if. 
Nach Erwähnung der porta ostiensis als bdesfenigen unter den Stadt- 
ı der Sübfelte, welches dem Strome zunähft gelegen if, fpringt die 
edler Befchreibung in folgender Weiſe nad Trastevere über: „von dem 
», das nad Oftia führet bis zur Tiber, dann (auf dem jenfeitigen Ufer 
Stromes) bis zum Thore von Porto, von da bis zur aureliihen ‘Pforte, 
ya wieder (in norböftlicher Richtung) bis zum nächſten Tiberufer, dann 
er auf die gegenüberliegende Seite des Stroms zum Petersthor,” (von 
wie wir wiffen, die Darftelung des Moͤnchs ausgieng). Er hatte hie 
te ganze damald vorhandene Stadt umfreidt. 
Die beiden Thore von Trastevere trugen bis in bie alte römijche Kaiſer⸗ 





) Daf. I, 209 fig. 2) Die Belege bei Becker, Handbuch der römifchen Alterihümer 
, 7) Daſ. S. 210.  *) Opp. edit, bomnens. II, 439, ) Ibid. ©. 92, 


En en "Wh Grigeciad VIE und fein Beitalier. 


geit yerhl Die mämfiäien Namen, und tragen fie noch, mur daß man bi 
Thor jeht gewöhnliche Pforte St. Panfrazio heißt, welter Ik I 
fon bei Prolop finbel. Auf der langen Strecke von ber Murls 
Dftabhange des Janiculus liegt, und von ber aurelifchen Hm 
empfieng, bis zur Peteröpforte in der Mltfkabt hräkm 
Zeuge fein weiteres Thor. Daffelbe gilt vom Prem 
amd bie Peteröpforte in einer Weife aufammenftellt,‘) tel 
unmöglich annehmen Tann, es habe zu feinen Zeiten eim britteh gang 
ares Thor pwiſchen beiden gegeben. 

tm achten Jahrhundert war letzteres nicht ber Mall. Im Leben il 
Stepfan IV. (768 — 772) wird Folgendes emählt:*) 
und Sergins, (bie Gegner des Pabftes) fammelten eine Edhaar m 
Langobarben, zogen aus ber Gegend von Rieti vor Nom, fiberfchritten Kt 
wilviſche Brůͤcke Cauf das rechte Ufer der Fiber übergehent), und machten cum 
Verfuch, das Petersthor (am Caſtel St. Angelo) zu nehmen, und (non bei 
in die Gtabt einzubringen). Als ihnen foldes nicht gelang, ridtten fie m 
die Pforte des Heil. Pankratius, und wirklich öffneten ihnen mitoerfdmonm 
Römer lehteres Thor." Co das Pabflbud. Wäre zioifden ber Pelers m 
und der Lureliſchen Pforte eine dritte geweſen, fo würde ſicherlich bie Reit 
davon fein, daß die Widerſacher des Pabſts auch dort angeflopft hätten. 

Dennoch beftand während der Katferzeit in dem Minfel zwiſchen dem 
Caſtel St. Angelo und der Aurella ober ver Panfratiuspforte ein Thor, tat 
jedoch ſchon im fechöten Jahrhundert vermauert worben fein muß, aber md 
Erbauung der Leoſtadt wieder geöffnet worben if. Es hieß Septimiam, 
und wird von Spartian im Leben des Katferd Septimlus Severus erwäht, 
der es erbaute.) Auch das Eurlofum und die Notitia weist auf bafiek 
bin.) Nachdem Pabft Leo IV. den Borgo ummanert hatte, Fonnte es Fam 
fehlen, daß die Septimiana, um die nächſte Verbindung zwiſchen Trasteven 
und dem neuen Stabttheile herzuftellen, wieder geöffnet warb. In der That 
führen die Mirabilien ſammt der Graphia neben der portuensis und der Aw 
rella, welche der Einfiebler Mönch allein Tennt, die Septimiana als britted 
Thor von Trastevere auf. Weil der Einfiebler Mönd vor Erbauung be 
Leoftadt Rom befuchte, und alfo aud wor Eröffnung ber Septimiana ge 
ſchrieben hat, konnte er nicht von letzterer reden. 

Man ficht, mit Ausnahme eines unmwefentlihen Punftes ſtimmen drei 
Hauptzeugen, der Einfiebler Mönch, die Graphia und die Mirabiften, betreffend 
die Zahl der Thore und den Umfang der Stabt, genau überein. Die zwölf 
namentlich aufgeführten Pforten, welche Erfterer der jenfeitigen Stabt zu 


H 


FE 
In 
ir 


) De bello gothico I, 19. Opp. II, 94. ) Muratori, script. ital. II, a. ©. 175, 
RL Die Belege bei Beier, Handbuch I, 213. Preller, die Regionen ©. 24 u. 28. Perm 
Dr 216 fig. 


iebtes Buch. Cap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel. Bauern. Burgen. Bäder. 737 


’t, find diefelben, deren die beiden andern gedenken, und wenn er in 
tevere flatt der drei, welde die zwei übrigen Zeugen erwähnen, nur 
fennt, fommt dieß einzig daher, weil zu feiner Zeit die Septimiana vers 
en war. Kein Zweifel fann fein, daß gegen das Jahr 1000 in Kaifer 
8 III. Tagen oben genannte fünfzehn Thore zu den jenfeits und dieſſeits 
Eiberftrom® gelegenen alten Thellen der Stadt Rom führten. 
Gegen die Mitte des neunten Jahrhunderts fügte, wie bereits angedeu⸗ 
oıden, Pabſt Leo IV. einen dritten Stadttheil Hinzu. Um den Räube 
der Saracenen Einhalt zu thun, welche damald die nächfte Umgebung 
Rom verheerten, umjchloß er den weiten Raum zwiſchen dem Nordende 
Trastevere und der Engelöburg, wo außer mehreren PBaläften das große 
zthum des Apoftelfürften, die Peteröfirche, fland, mit ftarfen Mauern. Es 
ein jchwieriged und Foftipieliges Unternehmen, zu weldem ber Karlinger 
r Lothar I. und ganz Stalien beifteuerte.‘) Das Pabftbuh gibt eine 
berung der Gerimonien, mit welchen 2eo IV. das vollendete Werk, ins⸗ 
dere die drei neuen Thore der Leoftadt, einfegnete. „Das erfte Gebet! — 
tet?) der Tert — „ſprach der Pabſt an der Pforte, welche in der Nähe der 
e zum heiligen Peregrinus liegt, das zweite an dem Fallthore (posterula), 
weldyem ſich die Engeldburg erhebt, das dritte an dem Ballthore, das 
Quartier der Sachſen führet.” Das find die nämlichen Thore des Borgo, 
m Wefentlihen heute noch, obwohl mit andern Bezeichnungen, beftehen. 
eritgenannte Pforte Heißt jegt Porta angelifa, ihren älteren Namen empfleng 
on der nahen Kirche zum heil. Beregrinus, welche Chronift Benedikt vom 
e Sorafte als eine längft vorhandene erwähnt,“) und weldhe beutzus 
der Schweizer Leibwache zugewiefen ift.*) 
Die zweite Pforte des Borgo, die aus der Engeldburg in das Blach⸗ 
binausführt, wird jeßt, entiprechend obiger Stelle des Pabſtbuchs, Porta 
ello genannt. Die dritte endlich, welche der Eeite gegen Trastevere zus 
dt ift, heißt gegenwärtig Thor der Reiter, Porta Eavallegieri, im Mittels 
trug fie den Namen, den das Pabſtbuch andeutet, porta Sassiae oder 
ia. „Viele Saracenen,” erzählt) Mönd Benedikt, „wurden in ben 
en des Kaiferd Ludwig II. an dem Thore der Leoftadt erfchlagen, wel 
man die Sachjfenpforte nennt.” Desgleihen berichten®) die römiſchen 
alen zum Jahre 1046, Graf Gerhard von Galeria, Rainers Sohn, jet 
feinen Schaaren durd das Sadfenthor in Rom eingezogen. Warum 
benachbarte Quartier das fächfifche hieß, wird am gehörigen Orte erflärt 
den. Im Laufe des zwölften Jahrhunderts ſcheint das eine oder andere 
x der 2eoftadt zuweilen vermauert gewefen zu fein. Denn die Mirabilien 





1) Muratori, script. ital. II, a. ©. 240, a. 3) Ibid. b. unten u. ©. 241, a. oben. 
3er III, 706 gegen unten. %) Platner u. Bunfen Befchreibung der Stadt Rom II, a. 
34. 8) Berk IU, 713. 6) Berk V, 468. 

Dfrörer, Pabſt Gregorius Vn. Bd. v. 47 





erwähnen flatt der drei Pforten, welde Leo IV. unzweifelha 
zwei. Auch der von dem Pabftbuche auf zwei diefer Ichten 
wandte Ausdruck posterula berechtigt zu der eben ausgeſprochen 

Mit Inbegriff der drei Pforten des Borgo zählte demna 
Stadt Rom in Dttos II. Tagen 18 Thore. 

Die Verbindung zwifchen beiden Ufern der Tiber wurde 
von Brüden vermittelt. Das Euriofum und die Notitia gibt 
der einen wie der andern Duelle gleichlautende Verzeihniß: | 
ämilifche, die aurelifhe, die milviſche, die fublicihe, (pons s 
brücke) die fabriciſche, die Eeftifche und die de& Probus.” Es 
Daß der Tert fle nicht nad) irgend einer Sachordnung oder 
aneinanderreiht, erhellt am deutlichſten aus der Stelle, wel 
Brüde einnimmt, die außerhalb der Mauern fland und die 
den andern if. 

Die Graphia führt?) ebendiefelben naturgemäß in der Richt 
nad Süden und der Strömung ded Fluffes entlang auf: erfi 
heutzutage Ponte molle vor vem Flaminiſchen Thor an der Straf 
fand. Zweitens die adrianiſche, nach der moles Adriani oder 
fo genannt, fonft hieß fie auch lant den oben mitgetheilten 
brüde oder Brüde am Caftel. Heutzutage nennt man fie | 
von St. Angelo. Drittens die Neronianiſche Brüde am Safe 
Bezeichnung Neronianiſche erhielt fie wahrfheinlih darum, w 
dieffeitigen Stadt hinüber nad den Gärten Nero's führte.) 
durch den Beiſatz ad Sassiam beftimmt, fie fland gegenüben 
quartier, das jegt Borgo di ſanto Epirito heißt. Noch heut 
dort in der Tiber Trümmer einer chemaligen Brüde. Alte 2 
der Mirabilien geben*) zu verftchen, daß die Neronianifhe Br 
vierzehnten Jahrhundert eingeftürzt war. 

ALS vierte Brüde wird von der Oraphia die des Antoni 
gesählt. Auch das Pabſtbuch erwähnt fie im Leben Hadrianı 
großen Ueberſchwemmung der Tiber im Jahre 791 redend,’) 
daß die auögetretenen Gewäfjer alle ebenen Etadttheile von t 
zur via lata bededten und erft an der Brüde Antonins wich 


tes Buch. Gap. 42. Mom ums Jahr 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bäder. 739 


r und dem gegenüberliegenden Ufer von Trastevere erhebt fih in der 
eine Inſel, die bei den Alten insula tiberina hieß, im Mittelalter 
aderbaren Ramen Lycaonia erhielt,‘) heutzutage aber S. Bartolomeo 
t wird. Diefelbe if ſchon im Alterthum ſowehl mit Trastevere ale 
r Altſtadt verbunden geweſen. Diejenige Brüde, welche aus der dies⸗ 
Stadt nad der Infel binüberführt, bezeichnet die Graphia als pons 
i in ponte Judaeorum; von der andern Verbindung aus der Inſel 
zadtenere hinüber braucht fie den Ausdruck Felicis Gratiani pons inter 
a et Transtiberim. Beide Ramen rühren von alten, an der einen und 
bern angebrachten Innichriften?) her, welche einen Fabricius als Er⸗ 
der erſten, die Kaiſer Valentinian, Valens und Gratian als Wieder⸗ 
7 der zweiten rühmen. Letztere Innſchrift beginnt mit den Worten: 
ı felicis nominis Gratiani — constitui dedicarique jusserunt. Das 
> die Graphia fo, als fei die andere Brüde von einem Felix Gratian 
: worden! So viel über die fünfte Doppelbrüde. 
er ſechsſten Brüde gibt die Graphia den Namen: Brüde der Senatoren 
r Kirche) Sanfta Maria. Der ältefte Tert der Mirabilien, die mehrs 
vähnten Zufäge und eine dritte Duelle aus dem zwölften Jahrhundert 
a*) ähnliche Ausdrücke. Nichts anderes ift gemeint, ald der heutige 
Motto, von dem bloß die Hälfte ſteht. Noch gegenwärtig erhebt ſich 
a linfen Ufer unweit dem ehemaligen Eingang der halben Brüde die 
ımtlichen Zeugen erwähnte Marienkirche, welche ven Beinamen St. Marla 
ı führt.*) Die erfte größere Beſchädigung erlitt‘) die Senatoren-Brüde 
Zeiten ded Pabſts Honorius III. (1216— 1226) ; drei hundert Jahre 
1557) riß eine große Tiberüberſchwemmung die noch heute fehlende 
weg.°) 
üdblih vom Ponte Rotto kennen alle oben angeführten Quellen zwei 
Brüden, nämlich erftens die des Theodofius am Marmorufer. Längft 
Ibe verſchwunden, doch erblidt man bei feichtem Waſſer in der Tiefe 
yerbette8 Spuren ihres ehemaligen Beſtands, welche ungeſchickte Er- 
ver römifchen Alterthümer auf den von Livius erwähnten pons subli- 
zogen. Schon in ber erften Hälfte des eilften Jahrhunderts war bie 
des Theodoſius halb oder ganz geborften, denn eine päbftlihe Bulle“) 
abre 1018 bezeichnet fie als die gebrochene Brüde am Marmorufer. 
esteren Namen behalte id mir vor, an paflendem Orte das Nöthige 
n. 
adlich ftand weiter unten am Strome — wahrſcheinlich am Südende 


Berg V, 471 oben, 477 unten, vergl. Beder, Handbuch I, 683. 5) Beer a.a.D 

3) Preller a. a. O. S. 243 unten flg., Note u. Tert. %) Bunfen u. Platner 
ung von Rom II, a. ©. 343 unten fig. *) Daf. S. 346. °) Marini pap. 
©. 68. fractus pons, qui est juxta Marmoratam. 





“i°® 


erneuern men mm peu * 


ſchwerlich lange aufrecht blieb. Wenigftens if gewiß, daß Caſ 
nifcher Kanzler der oftgothlihen Könige, die im festen ZJahı 
Stalien herrſchten, und Zeitgenoffe des byzantiniſchen Baflleus ! 
einem noch vorhandenen Schreiben) die Römer auffordert, ale 
einen der Nachfolger Theodorichs von Bern, welcher bemnähft t 
befuchen werde, eine neue Brüde über die Tiber zu bauen. Diı 
vorhandenen genügten folglich dem militärifchen Bedürfniſſe nic 

Wenn ein Norbländer das erfte Mal die Gegend von Roı 
regt Nichts fo fehr fein Erflaunen, als die Trümmer von W 
welche von vielen Seiten her meift auf ſchwindelnd hohen, übe 
gethürmten, Bögen Maffen von Quellwaſſer nah der Weltſtadt fi 
für ein Volt muß es gemwefen fein, das folhe Werke ſchuf! 
felber ſprechen mit gerechtem Stolz von diefen Bauten. Pliniu 
Nichts in der ganzen Welt laſſe ſich mit ihnen vergleihen. F 
über die Wafferleitungen ein Meines Bud) ſchrieb, meint: neben 
die Pyramiden der Aegypter, bie gefeierten Tempel der Griechei 
Prunk da. 

Der ebenerwähnte Frontin nennt®) folgende aquae, die 
Alter der Erbauung aufzähle: 1) die appia, welche bei der Gapı 
die Ringmauer erreichte; 2) anio vetus, welche bei der Tiburtin 
einrüdte; 3) die martia, zu welcher Auguftus als Rebenleitun, 
fügte; 4) die tepula längs der via latina, welche Agrippa di 
verflärkte; 5) die aqua virgo, über den Pinciſchen Berg nad 


Steh Vach. Gay. 42. Mom ums Jahr 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bilder. 741 


find zufammen fieben Hauptfanäle und vier Rebenäfte augusta, julia, 
oovus, herculaneus, aljo je nachdem man rechnen will, 11 Leitungen. 
Das Guriofum und die Rotitia zählt‘) einfimmig und mit Mugabe 
tamen 19 Wafferleitungen auf, dod ohne daß die Lesarten gehörig 
gefellt wären. Als ſolche, deren Borhandenfein durch fpätere Zeugen 
gt wird, hebe ich trajana, marcia, 'caerulea, severiana, julia, antoniniana, 
alexandrina hervor. Die Tırajana kommt?) auf einer Münze vor, 
erandrina in dem Leben des Alerander Severus, der Antoniniana gedenkt 
zuſchrift am Thore der Porta Et. Lorenzo. Don den übrigen wird 
die Rede fein. 
Im die Mitte des fechsten Jahrhunderts beftanden vieleicht etliche aus 
ihl der 19 nicht mehr. Prokop fagt’) im Gothenkriege: „zu Rom gibt 
Wafferleitungen, alle aus Backſteinen aufgemauert, dabei fo weit und 
aig, daß ein Mann zu Roß durd fie hindurchreiten mag. Die Gothen 
bnitten diefelben, um den Römern das Trinkwaſſer zu entziehen.“ Meh⸗ 
er Älteren Wafjerleitungen liefen nicht durch die Lüfte, fondern rannen*) 
ichtbaren Kanälen unter der Erde fort. Aus der Behauptung Profope, 
: auf Bogen ſchwebenden Wafjerleitungen feien von den Gothen durch» 
worden, folgt daher feineswegs, daß nicht noch andere aus den 19 
uriofums und der Notitia vorhanden waren. Jedenfalls fteht feft, 
ach den Zeiten Profops ſorgſame Hände den von den Gothen gemachten 
rieder geheilt haben. 
Benden wir und zu den mittelalterlihen Quellen. Zum Voraus muß 
t werden, daß fie nicht, wie die Römer des Kaiſerreichs, von aqyuae 
jondern den Ausdruck forma gebrauchen, weldher Rinnfal bedeutet. 
Pabſibuch meldet: „Pabft Honorius L (625—638) erbaute eine 
rleitung, welde aus dem fabbatianifhen See (Lago di Bracciano) 
r nad Trastevere führt.” Dieſes von Honorius aufgeführte Werl er 
ritdem den Namen forma sabbatiana. Daſſelbe Buch berichtet“) weiter: 
orma sabbatiana lieferte fein Waſſer mehr, weil 100 hohe Bögen der, 
eingeftürzt waren, aber Pabſt Hadrian L (772— 795) ftellte da6 Wert 
ber.” Dann weiter unten:’) „auch die Jovia und vie Claudia, die 
Inzlih zerfallen waren, mauerte Pabft Hadrian I. wieder auf.” Aber⸗ 
' „da die forma virgo, weil fie voll Trhmmer lag, wenig Wafler in 
ladt lieferte, brachte Haprian diejelbe wieder in guten Staud.“ 
Die Pabſte des neunten Jahrhuuderts blieben in der Eorge für eines 
htigfen Bedarfniiſe großer Stätte nücht hinter ihren Bergängern zurba 


Verller, Regionen ©. 28. 29 u 226 fig 2) Becker a, a EL. I, 706 fig. 
beile gothic. L 19. Opp. dit. binnen. II. 95. ° Beda a. a. L. I, 704 fie 
raseri, script. al IH, 2. ©. 136, 1. % Did E. 100, b. 2) ii E- 190, a 
.S. 19, bh. 









Walez Zeuge fühet‘) jert: „Pal Gerger IV. (B27-B44)ermeiett 
Hilig: Sabteiien © Ben Sergimd IL, dem Racfelger Ggen 
@R4— SET) Yeik e& im einer Datienmifchen Gambfchrift,"). tape Ye 
Pie fern jerin teücherherftelle. Weiter erfahren”) mic; daf Ball! 


t 
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Imerenemi: Inialırc Trattunz. Das Pabfibuch jchreibt:'”) „die Em 
Wr Waferkiung, melde mein antırn Stadtiheilen amd die Bäder un N 
Kirkx dee Aatıraa weriergte, mar zerfallen, Pabſt Hatriam I. flellte fie ml 
yerbra Unienate Int, alle Taf amd der Sateran wieder ans ihr das nöthig 
Wahr empfing.“ Uriprämglic miete lamt dem Zeugnifjet*) Frontind ie 
Geratir mitt weit von ter Perta Maggiore am den Gärten des Pallat, m 
Dr Waherieleh war. Deüge Excien aber beweiſen, daß fie ſpäter in db 
6 ned ivm Vateran fortgeieht worden it. Und zwar char 
den tab Yabdkas tirie Bertihumg als einen zum Ganzen gehörigen Be 
Iwarehel ter Glauten, währen» ter Ginfiehler Mönd im ihr ein Wert fir 


j 
F 


zuenıı 7) Vigueli Eher pentißcal. III, 50. ”) Ruratei Ole 
BL u u Opal IL 173 fl *) Die Ievie mer ein Geitengweig der Marc. 
Pre Wiüte. Roma mel anne 1838. VeLL 2.  *) Mareteria.e. D. €. 259, h ui 
I UL 208 unten fie ) Iıgir a. e. D. V. 120 oben. ) Ti € 18: 


1 
1 
} 
? 


a. 113.136 Pd 6.129.197. 9b 
Wa Pascha papse cap. 22. Biyerli IL 335: forma aquaodectns pairiarchii Iateraneme 
An vita Hadriemi I, cap. 62. Bigmeli IL, 210. 1) Mrd V, €. 133. 135.136 
seO0.m.2% dee ce O. V 129m 137. Sig⸗⸗i IL 28 
Weder, d vimmifiher Hitertpämer I, 550. 


tes Buch. Cap. 42. Rom ums Jahr.1000. Hügel. Manern. Burgen. Bäder. 743 


jeder die Graphia noch die Mirabilien geben ein Verzeihniß der Waſ⸗ 
ngen, doc gedenken‘) beide gelegentlich der forma sabbatina. Außer⸗ 
nnen?) fie eine aqua salvia, „gelegen beim Kloſter de Märtyrers 
ius,“ die mit demfelden Beiſatz auch im Pabſtbuche erwähnt) wirb. 
runnen außerhalb des Paulsthores ift gemeint, der heute tre fontane 
) 

us der Afte vom Jahre 963, kraft welcher Pabſt Leo VIII, das Ges 
Otto's I, feinem Faiferlichen Gebieter dad Grundeigenthum der römifchen 
ſchenlte, erhellt,) daß ein römischer Adeliger die Forma trajana zu Lehen 
Sodann iſt eine Urkunde) vom 15. Februar 979, ausgeſtellt unter 
Benedift VII. und Kaifer Dtto II., auf und gekommen, kraft welcher 
auchte Conſul und Herzog Petrus an den Abt Benedift von Eubiaco 
md verjchenfte, „gelegen zu Rom in ber zweiten Region, nahe bei der 
Claudia.” 

ya laut dem Zeugniffe des Pabſtbuchs Petri Statthalter ungewöhnlichen 
ür Erhaltung der Wafferleitungen bethätigten, da ferner heute noch nad 
albtaufend Jahren mächtige Weberbleibfel diefer Bauwerke vorhanden 
arf man zuverfihtlih den Schluß ziehen, daß in Otto's III. Tagen 
der Notitia und dem Curiofum aufgeführten formae ganz oder doch 
theils ftanden. 

ie Graphia zählt neben den 362 Thürmen, welde die Ringmauer 
', 48 größere Burgen auf, welche zur Vertheidigung der Stadt dienten. 
b, ja jo viel ald gewiß ift, daß mehrere diefer Burgen vor den Mauern 
werden müſſen. Indeß kann man nur fjech8 derjelben nachweiſen: 
die moles Hadriani, heute dad Eaftell St. Angelo genannt, noch ges 
rtig die Hauptburg Rome. In diefem merkwürdigen Gebäude ift feit 
Jahren viel in veutiher Eprache geredet und fommanbirt worden. 
ar von Merfeburg nennt?) e8 das Haus „des (Oftgothenfönigs) Thie⸗ 
Warum fo ? erhellt aus dem Zeugniffe eined andern deutichen Chro⸗ 
welcher fchreibt:®) „die wunderbar fefle Burg des Kaiſers Hadrianus 
hon des Tyrannen Thiederich von Berne Waffenplag. Unverlegt hat fie 
Jahne der Jahrhunderte getrogt und wird fortbefiehen bis an ber 
Ende,” 

iutprand berichtet:°) „am Thore Roms (nämlih an der Porta Sancti 
erhebt fi ein Bollwerk von bewunderungswürbiger Arbeit. “Die Tibers 
führt Hart an demfelben vorüber, alfo daß Niemand binübergelangen 
außer die Beſatzung des Schloſſes geftatte ed. Das Schloß jelbft ift 


Montfaucon, diarium ital. .S. 291. Ozanam a. a. O. ©. 162. 3) Ozanam 
Montfancon S. 287 oben. ) Liber pontif. Vignoli III, 160. ) Nibby, 

iII, 268. °) Pertz, leg. II, b. ©. 170. ) Muratori, antiq. Kal. V, 772, 
) Berg II, 776, unten. ) Ibid. Note 2. 9) Berp II, 318 oben. 





TH Bat Gregorind VI. und feim Zeitalter. 


fo boch, daß vie Kirche, welde im oberften Theile deſſelben fich befindet w 
dem Erzengel Midael geweiht if, ten Namen ‚Kirche zum h. Engel ih 
die Molfen‘ erhalten bat.“ Rielleikt weil das Caſtell in feinem Ineern ei 
Kirke barg, braubr'!) tie Grapbia von tem nahen Petersthore den Ausdu: 
die colliniihe Piorte am Tempel Hadrians. Die äußere Geftalt beſchreibtꝰ 
tie Grapbia tolgentermaßen: „das Denkmal Hadrians ift ein Werk wı e 
Raunliker Größe un? Schönheit, ebemald ganz mit Marmor beredt unt mi 
Malereien geziert. Rund um daſſelbe liefen cherne Gitter mit vergoita 
Prauen und einem chernen Stier (tie aber jegt anderswo ftehen). Auf ta 
vier Eden prangten vier vergoltete Rofe. An jeder Seite war ein ehemes 
Thor ungebradt und im Innern befand fib chedem Das Grab Hatria, 
aus Porpbyrftein gehauen.“ Ä 

Die zweite unter den Hauptburgen Romd war das Kapitolium. Die 
römiſchen Annalen bericten,’) daß in den Jahren 1061 —63, währen der 
Kämpfe wilden ten Gegenpäbſten, Alerander II. in einem Kloſter des 8a 
pitols, Kadaleb aber im Thurme des Cencius auf der Peteröbrüde fein 
Hauptquartier aufiflug. Eben dieſelben melden!) weiter, daß in einem glader 
Kalle 1118 tie cine Partbei das Kapitol bie zum Tiberufer, die andere da 
Caſtell St. Angelo und den Petersdom bejegt hielt. Man fiebt: das Kup 
tol war noch immer eine Feſtung. Mit gutem Auge brauct*) daher die Gm 
pbia von ibn den Auédruck arx. 

Gine tritte Burg bildete das ſogenannte Ecptigonium*®) des Kaiſert 
Severus, cin unermeßlicher Beu am Südabbang des palatiniſchen Bergd wi 
nabe beim Cucus Marimus. Cine Urfunte?) vom Jahre 975 liegt vor, lart 
welter Stephan, Hildebrands Sohn, „Goniul und Herzog,“ Den Münden tie 
Kloſters aum b. Giegor auf tem Berge Göliud einen ihm durch Grbe zuat 
fallenen Tempel au Tem Zwecke abtrat, tamit dad Septizonium beſſer ver 
tbeidige werten fonne. Ausdrücklich it die Erlaubniß beigefügt, das Kleftr 
möge nah Melichen betagten Tempel ausbeuten oder ganz fahleifen. Te 
Bauſteff des beidniſchen Heiligtbume diente demnach als Steinbruch, um Ye 
Werke des Septizoniums au veiſtärken. 

Wirklich baben die Mönche dem Wuniche des Schenkers nach Kräften 
entiproden. Die rẽmiſchen Jabrbücher erzäblen:) „ven Tem meuteriſchen 
Stadipräfekten Peter bedränat, entilob Pabſt Paſchalis II. 1116 aus tem 
Lateran nach dem Kloſter am Hügel des Scaurus und übernachtete in dir 
beſagtem Kloſter gebörigen Feſinng, welche man sedes solis nennt.“ Unter 
dem Kloſter am Hügel des Scaurus verſtebt ter Chroniſt die Abtei Er. Gte— 


') Dyanam S. 157. :) lbid. S. 162. 3) Terg V, 472. %) Ibid. &. 477. 
) Ozanam S. 165: in summitate arcis *) Belege bei Becker, Handbuch I. 434 Na. 


N Abgetrudt ber Mittarelli. annales Camaldol. Vol. I. Anbang S. 96 fig. Rr. 41. 
N) Berg V. 477. 


Siebtes Bud. Gay. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bäder. 745 


o auf dem @öllus, denn häufig bezeichnete man diefelbe mit dem Aus- 
e „San Gregorio am Scaurus-Hügel.‘) Sedes solis aber war einer der 
egerten Namen, die man im Mittelalter dem Septizonium gab. 

Biertend muß die Paulsburg genannt werden, welde laut dem Zeugnifie?) 
prande 963 der roͤmiſche Stadt⸗Adel in geheimem Bunde mit Dtto J., 

Pabſte Johann⸗Octavian XII. zu Troß, beſetzte. Wie der Name an» 
„ lag diefelbe in der Nähe ver großen Bafllifa St. Paolo, folglih vor 

Thore gleihen Namens. Muratori hat eine Inſchrift veröffentlicht, *) 
welcher erhellt, daß Pabft Johann VIIL (872—882) bei St. Paolo 

Feſtung erbaute, um die Bafilifa, die außerhalb der Mauern ftand, gegen 
Anfälle der Saracenen zu ſchützen. Im neunten Zahrhundert hieß biejes 
(oß Johannipolis (Sohannsftadt), im zehnten aber wurde es, wie aus der 
Ne Liutprands hervorgeht, Paulsburg genannt. 

Zwei weitere Burgen des mittelalterlihen Roms habe ich erſt nah müh⸗ 
en Forſchungen entdedt. Plinius fpriht*) in feiner Naturgefchichte von 
m templum Palatii, welchen Livia ihrem kaiſerlichen Gemahle Detavianus 
mftus errichtete. Man fann nicht läugnen, der Name lautet fonderbar 
ag. Ueber Beftimmung der Lage des Tempeld felber befinden ſich die Als 
hümler in nicht geringer Berlegenheit.) Immerhin bat ver Name des 
plum Palatii in den chriſtlichen Zeiten fortgevauer. Das Pabſtbuch er- 
t:%) „Kaifer Decius (der Ehriftenverfolger) gab Befehl, daß der römijche 
hof Eornelius — im Jahre Ehrifti 252 — vor ihn bei Nacht nad) dem Tempel 
Tellus vor dem Heiligthum ded Palatiums geführt werde. Dem kaiſerli⸗ 
ı Gebote gemäß erfchien zugleich mit dem Biſchofe der römiſche Stadtprä⸗ 
. Das Berhör begann und, da Cornelius den Göttern nicht opfern wollte, 
rd er zum Tode verurtheilt und ſofort hingerichtet." 

Wir haben hier nebeneinander zwei Tempel, erftend den der Mutter 
de, welcher im Jahre der Stadt 484 während des Kriegs gegen die Pis 
ter von Conſul Sempronius erbaut worden ifl.”) Dieſer Tempel war ein 
chterlicher Ort für die alten römiſchen Chriften, denn aus den Alten der 
Ärtyrer erhellt,) daß dort — und zwar gewöhnlich bei Naht — das 
ilsgericht über ſtandhafte Chriften erging, das, wenn fein Abfall erfolgte, 
fehlbar mit Hinrichtung endete. Tief hat fi deßhalb der Name ded Orts 
ı folgenden Gefchlechtern eingeprägt. in ganzer Bezirk, deſſen Grängen 

Sage allmählig bis weit über den wahren Umfang hinaus erweiterte, 
$ in tellure. Weber die Dertlichfeit der heidniſchen Tellus herrſcht unter 
ı Alterthümlern endlofer Streit,) der uns glücklicherweiſe nicht berührt. 





1) Berk VII, 238: Sanctus Gregorius ad clivum Scauri. 2) Berk III, 342 und 
n ©. 283. 3) Antiquit. Ital. II, 463. %) Hist. natur. XU, 19. 42. 6) Man 
‚gl. Beer, Handbuch I, 430 flg. °) Edit. Vignol. I, 50 flg. ?) Beder a. a. O. ©. 524. 
Man fehe die von Vignoli a. a. O. gefammelten Belege. °) Beder a. 0.2.1, 523 fig. 


746 Pabſt Sregorius VII. und fein Seitalter. 


Denn im vorliegenden Balle handelt es fi nit darum, zu ermitteln, wo vor 
2000 Jahren das hiftorifche Heiligthum der Mutter Erde fand, fondern bie 


Frage ift einzig, wohin die Meinung ded Mittelalter die Tellus verlegt habe. 


Und bezüglich dieſes Punftes gebriht ed nicht an tüchtiger Auskunft. 
Heute noch ficht an einer der Straßen, die aus dem Raume der failer- 


lichen Fora nad) der Höhe des Duirinald hinaufführen, eine Fleine aber alte 


Marienkirche, die, weil fie auf dem Grunde der chemaligen Tellus erbaut 
ward, oder mit andern Worten, weil dort dad Haldgericht über die ſtand⸗ 
haften Chriften erging, in firdlihen Aften den Namen macellum Martyrum, 
Fleiſchbank der Märtyrer, empfängt.‘) Nun in derfelben Gegend lag weiter 
das in obiger Etelle erwähnte zweite Heiligthum, der Tempel des Palatiume. 
war Iefen einige Handſchriften des Pabſtbuchs nicht templum Palatii, fon 
dern templum Palladis, aber die beften fehreiben Palatii, welches ohne Zweifel 
die richtige Lesart if, zumal da in andern Quellen fein römifcher Tempel der 
Pallas vorfonmmt Drittens erhob fid in der nämlihen Gegend eine mitte: 
alterlihe Burg, die heute noch unverfehrt ift und den Namen Torre dei Condi 
Grafenthurm, trägt. 

Zwei Ducllen,?) eine italifch geichricbene Chronif vom Ende des vie: 
zehnten, und eine lateinifhe aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts jagen 
aus, daß Pabft Innocenz III. — im Jahre 1203 — den Grafenthum cr: 
richtet Habe. Aber fiherlih baute der genannte Pabft auf einem, von Andern 
gelegten, Grunde fort. Ich will fagen, fchon früher muß dort eine Burg ge 
ftanden fein, die jedoh in den Tagen des dritten Innocenz verfallen war, 
weßhalb der Pabft zu einem Neubau fchritt. Denn die Verzicht » Urfun 
Leo's VIII. reiht’) unter die römifchen Gapitane, welde 963 größere Statt: 
lehen inne hatten, einen Paulus, der ohne Zweifel von dem Schloſſe oder 
dem Thurme, in weldhem er faß, den Namen de templo Palatii erhält. Das 
von PBlinius, dem Pabftbuhe und den Märtyreraften erwähnte templum Pa- 
latii hatte ſich gleich vielen andern heidnifchen Helligthümern in eine abelige 
Burg verwandelt. 

Eine ſechste Burg fand am Weſt⸗Ende von Trastevere, auf der Hök 
des Janikulums, in der Nähe des Pankraziſchen vder Aureliſchen Thors. 
Das Pabſtbuch fchreibt,*) der römifhe Biſchof Cornelius habe die Gebeint 
des Apoftelfürften Petrus auf dem aureliihen Berge unweit dem Batifun 
beigefegt. Statt in monte Aurelio fefen andere Handſchriften in monte 
aureo, und gewiß ift, daß feit dem Siege des Chriftenthumsd über die beit- 
nifhe Welt der Name „goldener Berg“ für jene Gegend in den allgemeina 
Gebraud überging. Ein Staliener, Maphäus Vegius, der gegen Ende des 

1) Pignoli a. a. DO. Note 3. Werner Nardini, Roma antica, Ausgabe von Rıbkr. 


Rom 1818. Vol. I, 325. 2) Muratori, script. ital. XVII, 248 unten u. @ccard, corp- 
hist. med. aer. I, 1168, Mitte. 2) Berg, log. IL, b. ©. 170. *) Edit, Vigaoli I, 49. 


Siebtes Buch. Gap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel Mauern. Burgen. Bäder. 747 


fünfzehnten Jahrhunderts ein Büchlein über den alten Petersdom verfaßte, 
fagt,‘) niemand zweifle, daß der Apoftelfürft Petrus auf dem goldenen Berge 
gefreuzigt worden fei. Heute noch heißt die nämliche Höhe Montorio, oder 
der goldene Berg. Derjelbe Berg ift in militärifcher Hinfiht einer der ‚wid. 
tigften Punkte Roms, weßhalb ſchon in den Zeiten der Republif ein Caſtell 
oben errichtet ward.?) Sollte er niht aud im Mittelalter feine Burg ges 
habt haben? 

Gewiß war dieß der Fall. Am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts 
haben die damaligen Könige von Spanien, Yerdinand der Katholifche und feine 
Gemahlin Zjabella, die heute noch ftchende Kirche St. Pietro in Montorio 
erbaut.) Schon vorher ftand auf der nämlihen Stelle eine Marienkirche, 
welde, weil ein nahes Caſtell zu ihrer Bertheidigung diente, Sancta Maria 
in castro aureo hieß.) Daſſelbe goldene Caftell erwähnt eine Bulle*) 
des Pabſts Göleftin III. vom Jahre 1192. Deßgleihen ftand ebendafjelbe, 
oder ein Älterer Vorgänger, jchon im Jahre 963, denn neben andern Capi⸗ 
tanen, welde Stadtleben trugen, kommt in Der BVerzicht-Bulle Leo's VIIL 
ein Johannes zum Vorſchein, der von den Scloffe, in. weldem er faß, den 
Namen de monte aureo empfängt. So viel über die ſechs nachweisbaren 
Burgen des mittelalterlihen Rome. 

Sowohl die Graphia als die Mirabilien geben ein Verzeihniß von Pas 
fäften, vd. b. von Prachtgebäuden, die dem Staate oder den Päbften gehörten. 
Doch ftimmen fie nicht ganz mit einander überein. In erfter Linie nennt®) 
die Graphia „den großen Palaft der Weltmonardie,“ offenbare Hinweiſung 
auf die Reichsverfaſſung Dtto’8 III. Ebendenfelben erwähnt auch eine ges 
richtlihe Urfunde,®) ausgeſtellt 998, folglidd genau zu der Zeit, da Otto IIL 
ſich anſchickte, feine hochfliegenden Plane ind Werk zu ſetzen. Doc) gibt fie dem 
Gebäude einen etwas veränterten Namen: palatium sacri imperii, Palaft des 
heiligen Reihe, was aͤcht byzantiniſch Elingt, denn zu Conftantinopel hieß 
Alles, was mit dem „allerhöchften Herricher” zuſammenhing, Heilig, oder gar 
göttlih. Der Palaft auf dem Aventin ift gemeint, von dem unten ausführs 
lich die Rede fein wird. Bolgt”) weiter in der Graphia „der. kaiferlide Pas 
laft auf dem Pallanteum,” d. h. dem palatinifhen Hügel. Derjelbe mag 
aus den Trümmern der Prachtgebäude, mit welchen die Nachfolger Bäfars 
die Höhe des Hügeld gefhmüdt hatten, errichtet worden jein. Denn vom 
goldenen Haufe Nero's fand) Tängft fein Stein mehr auf dem andern. Die 
Chronik von Kammerich liefert den Beweis, daß der aventiniſche Palaft über 


') Acta Sanct. bolland. Junius VI,b. ©. 70. N) Die Belege bei Beder, Handbuch 
I, 654. 3) Bunfen u. Platner, Befchreibung von Rom III, o. ©. 615. %) Zaffe, 
regest. Pont. Nr. 10, 394. $) Magnum palatium monarchise orbis. Oyanam ©. 158. 
°*) Eiche oben ©. 442 u. Muratori, script. II, b. ©. 505. ?) Dzanam ©. 158: pala- 
tium Caesarianum in Pallantoo. °) Beder, Handbuch der roͤm. Alterth. I, 434 (lg, 


“ 
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38 Zeit Gcgere VIL me wm Isunfr. 


ze Inje der Erbaag ed yaiscunder Kmrmfreußt: Me bezeihuet‘) mimlit 
vor PFulıt ar em Sean me Luu IIE Der hieſt. als Tem alten, wi 
ws ter #orsudregung wie, daß der Merrster des Büchleins von ka 
alten einen wewrer, alalich allem Unrteme mh bem pularinikben, mer- 
reiten wi. 

Kur tie eben erwähnen zwei Werten von tem Grapliien als failerlike 
Paldite, d. E. aid Hersralsen, Igerũbri. tie übrigen Dagegen nitt Dritte 
ver Balau des Romulnd, m weitem ze Heiligthmer, mimlik tie Tcapl 
wi Gomcorris zur ter Pietas, w2 Ininten teen Hiemit verhält es it 
te: Kauer Hatrizm batte zur Seue Des Timsbogens pwijchen tem Eolefcan 
uns Tem Acrım Remanum vinen TeorpelIcmpel ver Roma und Venss ei⸗ 
baut. Im Mirelalier erkiele derjelbe ten Namm Tempel ter Concordia m 
Piras.’, Rıttem tus Heitenthim nietergeitlagen und Rom zur yähk 
liken Zıatı geworten wur, ging dam tus Gebände in das Gigenthum des 
Stattherin über unt hieß cin Buaları. Biertend ter ſefforianiſche Palaſt ki 
Santa Croce in Geruialemme, zwiten Porta Präneftina und Aſfinari. 
Bie ib un einem unten Irte’) gegeigt babe, wird das Echorianum in da 
Urfunte*) Leo's VIIL vem Jahre 963 ald Wohnung eines Conjuls aufgefüht 

Rah tem Echorianum nennt tie Graphia 5) den Pulaft Hadrians un 
Trajans, „wo die große Säule cher.” Tas Forum Trajanum mit jeinen Pradı- 
gebäuten ift gemeint. 6) Der Ralaft Antonins, „wo die antere Eäule au 
fteigt," muß von ter Piazza Golonna am heutigen Corſo verftanden werte. 
Mehrere Tempel une antere Gebäute umgaben*) tie Eäule, und das Gank 
hieß ein Palafi. 7) Ter Palaft Zateran, „bei weldem jegt Tie große Kird: 
ſteht,“ bezieht fib auf das Patriarkium oder die Wohnung des Pabſts. Ten 
die Mirabilien geben‘) ten Beijag „ter Palaft Conſtantins im Lateran, me 
der Herr Pabjt weilet.” 8) „Ter Palaſt Nero’s, wo die Körper der Apofil 
Petrus und Paulus ruhen.“ 

Der Augenjcein zeigt, daß der Ungenannte die Gegend der Peteiskirce 
und des Batifans im Einne hat. Das Pabſtbuch berichtet:’) „nachdem ter 
heil. Petrus ten Märtyrertod erlitten, ward jeine Leibe im Tempel des 
Apollo, nahe dem Drte, da er geftorben, an Nero's Palaft im Vatikan be: 
graben.” Nicht fowohl einen Palaft, als einen Circus hatte Nero in jener 
Gegend erbaut, aber jpäter muß ein Pracdtgebäude von ihm jelbft oder 
von Andern beigefügt worten fein. Die Urkunde‘) Leo's VIII aus ven 
Jahre 963 erwähnt einen vaticanijhen Palaſt, in welchem ein Conſul jap. 





3) Pertz VII, 451: Imperator (Otto III.) Romam profectus, in antiguo Palatio, quo 
est in monte Arventino, versabatur. 2) Die Belege bei Beder, Hanpbu I, 377, Reti 
u ©. 444, Tat. 2) Dben ©. 336. %) Berg, leg. U, b. ©. 170. >) Preller 
Regionen S. 175 unten flog. 6) Montfaucon a. a. DO. ©. 284. ) Muratori, script 
ital. UI, a. ©. 93, b. *) Pertz, leg. II, b. 170. Amatus consul de palatio vaticano 


Siebtes Buch. ap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bäder. 749 


Meiter fommt neuntens ein Palatium des Bamillus zum Vorfchein. Die 
Erflärung iſt ſchwierig: doch geben zwei Stellen der Mirabilien‘) und ber 
Graphia?) Licht. Letztere fpriht von einem Camillianum, das unweit des 
Pantheon und des Tempels der Minerva Ehalcivifa liege. Die Mirabilien, 
deren Text offenbar befjer ift, fagen: „hinter der Kirche zum heil. Markus 
erhebt fich der Tempel des Apollo am Bamillianum.” Die Kirche zum heil, 
Markus gränzt an den Venetianiſchen Palaft, der befanntlich den Corſo fchließt. 
Genau in dortiger Gegend fand”) der Altefte ApollosTempel Roms, umgeben 
von vielen andern prachtvollen Bauten. Eine der Lepteren hieß — jo jcheint 
es mir — im Mittelalter Palaft des Camillus. 

Nah dem Kamillianum läßt die Graphia zehntens den Palaft des Julius 
Käfar folgen, mit dem Beiſatze, daß die Leiche des erften Imperators daſelbſt 
beigefeßt frei. Weiter unten erzählt") die Graphia: „im Batifan ift das 
Grabdenfmal des Julius Gäfar, nämlich ein Obeliskus, (wörtlich agulia Nas 
del) auf deffen Spige die Aſche deffelben in einem Sarfophage ruhet, und 
man hat fie dort untergebracht, damit Der, welcher lebend die ganze Welt bes 
berrichte, aud im Tode noch über alle Sterbliche erhaben fel.” Genau Das- 
felbe berichten”) .audh die Mirabilien. Demnach enthielt ein im vatifaniichen 
Quartier aufgerichteter Dbelisf die flerblichen Ueberrefte des erften Cäſars. 
Aber wie? Tann man einen Obelisk mit dem Namen Palaft taufen! Sollte 
der Unbefannte, welcher zuerft den römifchen Wegweifer jchrieb, aus dem die 
Graphia und die Mirabilien gefchöpft find, eine fo ungeheuerlihe Phantafte 
gehabt haben, um zwei völlig verfchiedene Dinge in Eins zufammen zu mengen? 
Dieß ſcheint kaum glaublid. 

Die Graphia und die Mirabilien geben‘) eine zweite Sage über das 
Grab der Cäſarn, die fo Tautet: „unweit dem Ylaminiihen Thor erbaute 
Octavian etwas wie eine Burg, ver er den Namen Augufleum gab. Cie 
war zum Grabe der Kaiſer beftimmt, und mit Marmorftüden von verfchiedener 
Barbe ausgelegt. Innen befanden fih Gewölbe in mehreren Stodwerfen 
übereinander. Das unterfte umfchloß die Grabfammern der Kaiſer, letztere 
hatten befondere Infchriften, welche beſagten: allhier ruht die Aſche des und 
des Imperators“ u. |. w. Kein Zweifel kann fein, daß der Tert auf das 
Maufoleum Augufts hinweist, das nicht weit von der Flaminia erbaut worden if, 
und guten Theild heute noch fteht. Trefflih paßt für das Maufoleum der 
Ausdruck Palaft, und fiherlih bat Der, welcher zuerft von einem Palafte 
des Julius Cäfur ſprach, in dem feine Aſche aufbewahrt werde, an das Maus 
foleum gedacht. 





1) Montfaucon a. a. O. ©. 288. 2) Oyanam ©. 165. 3) Beder, Handbuch 
I, 604 fig. *) Ozanam ©. 161. ) Montfaucon ©. 290 unten flg. %) Dyanam 
©. 163. Montfaucon ©. 291 unten flg. Berbeflerter Text der Stelle bei Prellet, Regionen 
©. 222, Rote. 


50 Sabũ Steisom3 VII. zer icin Zeitalter. 


Alerringe in es undentbar, tus Cäſare Wide zugleich auf einem Dkelil 
im Vatikan, unt Finwiererum in einer Grabfammer aut tem Mardfet rk. 
Allein Aurtı ver tem Verwurie At seien au widerſprechen, oter Si 
Unmöalitet zuiammenzurcimen, plaate tie ®Berfafter ver beiten Aütlm 
nier. Geier idrieben ne wicter, wad tie Velksſage für wahr hielt. Cka 
tiere Sage aber lief bezüglick des Orrd, we Gätard Leiche liege, in zwi ar 
gegengeĩietzte Rictungen audeinanter. 

Ald ciliter Palaſt wirt ter des Cbrematius aufgezählt. We teriik 
lag, fann man mit Hilfe ter römiſchen Kirkenertnung von 1140 und an 1” 
Stelle in ter Grapbia selber beftimmen. Erſtere Duelle deutet‘) wieterket 1 
an, taß des Chrematius Palaft an dem kei kirchlichen Umzũgen übliden Eu 
rem Gapitel rad ter Engeläburg unt unweit tem Siegesbogen ter Kult 
Theedoñus, Nalcntinianud und Gratian fand. Dieter nämliche Bogen akt 
erhob jih in ter Näbe des alten Peterstbores. Die Kirchenordnung fig 
bei, ter Palaft Ted Ghromariud sei mit feiner Moſaik?) überdeckt gewein 
Die angeteutere Stelle’) der Graphia, welche auf in tie Mirabilien*) über: 
gieng, lautet ie: „bei ter Kirche St. Stephan im Teiche ſteht der Palaß 
des Etatipräfeften Chremarius und das mit Moſaik überdeckte, aus laute 
Gold und Eriftall durch Zauberei aufgeführte Gebäude, wo fich einft die af 
logiſche Werkſtaͤtte mit allen Himmeldzeihen befand, welde vor Zeiten der 
heil. Eebaftianus im Bunte mit Tiburtiue, Tem Sohne des Chromatiud, ir: 
ftörte.* Die Kirche Santo Stephano in piscina lag’) chemald in ter heutigen 
Straße ti Santa Lucia. Tas ſtimmt yur zu der andern oben entwidelten Oertlickkeit 

Ein zwotfter Palast liefert neue Belege Dafür, wie wenig tie römitt 
Stadtſage, Teren Orakel in Den Mirabilien und in der Graphia niedergelegt 
iind, ſich um Geſchichte befünimerte, Die betreffenden Worte des Ternd 
lautın: „Palaſt Des Titus und Vespaſianus außerhalb Ter Stadtmauern ki 
den Katakomben.“ Vor dem appiihen Thore beim gewöhnlichen Eingang: 
zu ten Katakomben — Die ganze Gegend führte von Den Märtyrer-Gräbern 
den Namen Katafomben®) — jtehen noch heute bedeutende Ueberreſte cincd 
großen Gircus, dejjen Erbauung ſonſt auf Ten Kaiſer Caracalla zurüdgeführt 
wurde. Allein aus Steininſchriften, welde man neuerdingd entdeckte, un 
aus Tem Zeugniſſe einer alten Chronif geht?) hervor, daß nit Caracalla, 
ſondern Marentiug, der Gegner Conftantind L, Denjelben errichtet hat. 

Nun eben dieſen Eircus hält Der Ungenannte, welcher die Giaphia ub; 
faßte, fätjchlich für ein Werf der Kaiſer Titus und Vespaſianus. Im gleichen 
Irrthum find die Mirabilien brfangen, indem fie den Circus bei Den Kata— 





1) Mabillon, museum italicum II, 126 u. 143. :) Woͤrtlich holoritreum. ) Sau: 
nam ©. 170. ı) Montfaucon S. 295 unten. 6) Platner u. Bunfen, Beichreikung 
D Rom III, c. ©. 84. 6) Liber pontificalis ed. Viguoli II, 221. ?) Beder, 


Handbuch I, 672, 


Siebtes Buch. Gap. 42. Rom ume Jahr 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bäder. 751 


fomben den nämlihen Kaifern zufchreiben.) Am Eingange der Rennbahn 
erhoben ſich Prachtgebäude, die durch bejondere Treppen mit dem Sitze zus 
fammenbhingen,?) den der Kaifer einnahm, um den Spielen zuzuſchauen. Eben 
diefe Gebäude find es ohne Zweifel, weldhe Graphia und Mirabilien unter 
dem Worte Palaft des Titus und Vespaſianus verftehen. 

Ein weiterer in der Graphia erwähnte Palaft heißt Palatium Domi⸗ 
tiand in Tradtevere, „bei dem goldenen?) Speiſeſal.“ Weltberühmt waren*) 
die Bürten der Domitia in Trastevere und reich mit Prachtgebäuden ge⸗ 
fhmüdt. Das Curioſum und die Notitia kennt)) eine mica aurea in der 
zweiten Etadtregion auf dem Coöliſchen Hügel, die gleichfalls für ein Werk 
Domitiand gehalten wurde. Daß ed aber auch in Trasdtevere einen gols 
denen ESpeifefal gab, erhellt aus einer Etelle®) der Einſiedler Beſchreibung. 
Dielen Icgteren hat die Graphia im Auge. 

Zwei andere Paläfte, ein vierzehnter und ein fünfgchnter, die erweislich 
noch in Otto's II. Zeiten aufrecht ftanden, werden von den Mirabilien auf: 
geführt. Sie machen einen Palaft Octavians mit dem Beifügen namhaft,”) 
daß er bei San Lorenzo in Lucina (auf der MWeftfeite des obern Corſo von 
heute) liege. Das ift allem Anſcheine nach daſſelbe Gebäude, deſſen Benzo, 
Biſchof von Alba, in jeinem Lobgediht auf Heinrich IV. gedenkt. Er ers 
zuhft:°) „als mir die Kaiferin Agnes den Auftrag ertheilt hatte, Pabft Gas 
daloh in Rom einzujegen, machte ich mich auf, zog durch Tuscien und ges 
wann durch reiche Gefchenfe viele Große des Landes, Die mid bis vor die 
Porta Paukrazia (in Tradtevere) begleiteten. Nachdem ich dort angekommen, 
eilten die Römer in Schaaren heraus, cmpfiengen mich mit Freuden, und 
führten mid durch Trastevere hindurd und über die Brüde (Et. Angelo) ” 
nach dem Palafte Octavians, wo ich längere Zeit weilte.” 

Laut dem Zeugnijfe?) der römischen Jahrbücher hielten damals die füds 
liben Regionen Roms zu Hildebrand und feinem Pabft Alerander II., der 
auf dem Gapitol feinen MWohnfig aufſchlug. Die nördlihen Stadttheile das 
gegen und die Straßen um dad Baftel, wo die Erescentier, Anführer der 
Kaiferliden Parthei, hausten, ftanden auf Eeiten Cadaloh's und Benzo's. 
Das paßt jehr gut zu obigen Worten der Mirabilien. Dem wenn man 
eine gerade Linie von der Engeldbrüde nah dem Corſo zieht, durchſchneidet 
fie die Gegend um St. Lorenzo in Lucina. Weiter unten fährt Benzo fort: 
„nad einigen Tagen traten beide Partheien in einem gewiljen Hippotrom 
zufammen, um wegen einer Vebereinfunft zu unterhandeln.” Damit ift meines 
Erachtens die in der Nähe von Lorenzo gelegene heutige Piazza Navonna 


1) Theatrum Titi et Vespasiani ad Catacumbas. Montfaucon ©. 286. 2) Platner 
u. Bunſen III, a. ©. 636. 3) Ad micam auream. 4) Preller, die Regionen ©. 23. 
208 flg. ®) Ibid. ©. 5 u. 122 fly. 6) Archiv für Philologie V, 135. ’) Monte 
faucon S. 284. 9) Perg XL, 612 unten. Y Perzt V, 472. 


752 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


gemeint, welche, wie fpäter gezeigt werden fol, ehemals ein Stadium oder 
eine Rennbahn war. 

Anger dem Palafte Octaviand nennen‘) die Mirabilien noch einen Bald 
des Licinius. Weber die Dertlichkeit deffelben geben die Aften der heil. Bibiom 
und eine Stelle des Pabſtbuchs Auffchluß. Letzteres berichtet:?) „Eimpliaus, 
Oder Petri Stuhl von 468 — 83 einnahm) erbaute innerhalb der Stadt Rom, 
nahe am Palafte des Licinius, eine Baftlifa über dem Grabe der Märtyrern 
Bibiana.“ Diefe Baſilika ift noch heute erhalten, und erhebt ſich ſüdweß 
lih der Pforte San Lorenzo. Berner erhellt aud den vorgenannten Alten 
daß nahe beim Haufe der Bibiana, wo fie bis dahin beigefegt war, der Pal 
fand, welchen Licinius, der Schwager und nahmalige Gegner des grofa 
Conftantinus, für fih erbaut hatte. 

Endlich führt”) jehszehntens die Graphia no ein Palatium Euphemiani 
auf, und zwar im Verzeichniſſe der PBaläfte, das wir oben zu Grunde legta. 
Ueber den Erbauer und die Lage des Euphemianums gibt ein Akt Aufichie, 
den Pabſt Sylveſter II. im März 1002 auf dem Aventin vornahm. E 
dem Klofter des heil. Alerius gehöriger Cchenfungsbrief war durch Alter hal 
zu Grunde gegangen. Der Abt bat deßhalb den Pabft die Urkunde zu m 
neuern, was denn auch geihah.?) Der Tert des vermoderten Pergament 
befagte, jo weit er noch ledbar war: „Euphemianus, Vater des heil. Alerisd, 
und (vor mehreren Jahrhunderten) Studtpräfeft von Rom, habe an das ne. 
von feinem Sohne auf dem NAventin gegründete Stift, neben vielen anden 
Gütern, gefchenft einen Palaft, gelegen auf dem Abhange des Aventin in ta 
Gegend, welche horrea heiße.” Unten werden wir ſehen, daß letztere Dat 
lichkeit im zehnten Jahrhundert eine eigene Region bildete. Auch jonft wit 
der am Buße des Aventin gelegene Palaft der Euphemianus in Urkunda 
Dtto’8 III. und des Pabſtes Honorius 11T. (1216—1227) erwähnt.*) 

Im Uebrigen hat, wie man fieht, der Begriff Palatium in obigen Fäla 
einen ausgedehnten Umfang. Alte Tempel, die, weil nicht für den chriſtlicha 
Gotteödienft verwendet, leer daftanden, große Gebäude In ver Nähe von Thun 
faulen oder Rennbahnen wurden für PBalatien ausgegeben, und auf den Rama E\ 
der Kaiſer getauft, welhen man die Erbauung der Tempel, Säulen ot 
Rennbahnen zufchrieb. Namentlich feßten die römifchen Altertyämler des zie |: 
ten und elften Jahrhunderts voraus, daß die Imperatoren nicht von ben im 
Circus felber angebrachten Sigen den Spielen zugefchaut hätten, ſondem — 
um vom übrigen Volk abgefondert zu fein — befondere Palatien in der Nik I: 
errichteten, von wo aus fie das Treiben Unten in Augenfchein nahmen. I: 
den Mirabilien heißt‘) ed: „am obern Ende des Cirkus marimus ſtand aa} 


— — — 


*) Montfancon ©. 295, Mitte. °) Liber pontific. ed. Vignoli I, 160 fig. ?) Os 
©. 158 unten. %) Marini papiri diplom, &. 127. ) Ibid. ©. 272, b. Re 
faucon ©. 294 unten. 



















ebtes Buch. Cap. 42. Rom ums Jahr. 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bäder. 743 


Weder die Graphia noch die Mirabilien geben ein Verzeichniß der Waſ⸗ 
ungen, doch gevenfen‘) beide gelegentlidh der forma sabbatina. Außer⸗ 
nennen?) fie eine aqua salvia, „gelegen beim Kloſter des Märtyrers 
aſtus,“ die mit demfelben Beifag auch im Pabſibuche erwähnt?) wird. 
Brunnen außerhalb des Paulsthores ift gemeint, der heute tre fontane 
4 

) 

Aus der Afte vom Jahre 963, kraft welcher Pabft Leo VIII, das Ge⸗ 
Otto's I, feinem kaiſerlichen Gebieter das Grundeigenthum der römifchen 
e jchenfte, erhellt,) daß ein römifcher Adeliger die Forma trajana zu Lehen 

Sodann iſt eine Urkunde) vom 15. Februar 979, ausgeſtellt unter 

t Benedikt VII. und Kater Otto II, auf und gefommen, kraft weldyer 
rlauchte Conjul und Herzog Petrus an den Abt Benedift von Eubiaco 
Jaus verfchenfte, „gelegen zu Rom in der zweiten Region, nahe bei der 
a Claudia.” 

Da laut dem Zeugniffe des Pabſtbuchs Petri Statthalter ungewöhnlichen 

für Erhaltung der Wafferleitungen bethätigten, da ferner heute noch nad) 
rthalbtaufend Jahren mächtige Ueberbleibfel diefer Bauwerke vorhanden 

darf man zuverfihtlih den Schluß ziehen, daß In Otto's III. Tagen 

n der Notitia und dem @uriojum aufgeführten formae ganz oder doch 
ntheild ftanden. 

Die Graphia zählt neben den 362 Thürmen, welche die Ringmauer 
en, 48 größere Burgen auf, welche zur Vertheidigung der Stadt dienten. 
jlih, ja fo viel als gewiß ift, daß mehrere diefer Burgen vor den Mauern 
ht werden müſſen. Indeß fann man nur fech& derjelben nachweifen : 
ch die moles Hadriani, heute dad Caſtell St. Angelo genannt, noch ges 
yärtig die Hauptburg Roms. In diefem merkwürdigen Gebäude ift feit 
I Jahren viel in deuticher Eprade geredet und kommandirt worden. 
tmar von Merfeburg nennt?) ed das Haus „des (Oftgothenfönigs) Thies 
h.“ Warum jo ? erhellt aus dem Zeugniffe eines andern deutſchen Chro⸗ 
n, welcher ſchreibt:) „die wunderbar feſte Burg des Katferd Hadrianus 

Ihon des Tyrannen Thiederich von Berne Waffenplag. Unverlept hat fie 

Zahne der Jahrhunderte getrogt und wird fortbeftehen bis an ber 
t Ende.“ 

Liutprand berichtet:?) „am Thore Roms (nämlih an der Porta Sancti 
ri) erhebt ſich ein Bollwerk von bewunderungswürdiger Arbeit. Die Tiber⸗ 
ke führt hart an demſelben vorüber, alſo daß Niemand hinübergelangen 
ı, außer die Beſatzung des Schloſſes geſtatte es. Das Schloß ſelbſt iſt 


1) Montfaucon, diarium ital. S. 291. Ozanam a. a. O. ©. 162. 2) Ozanam 
59. Montfancon S. 287 oben. 9) Liber pontif. Vignoli III, 160. *%) Nibby, 
st III, 268. °) Berk, leg. IT, b. ©. 170. *) Wuratori, antig. Kal. V, 772, 
e. 9 Pertz II, 776, unten. ) Ibid. Rote 2. 9) Berg II, 313 oben, 





24 ab Gregerins VIL uud fein Seilstier. 


Kirche Sanfta Balbina verſezt; ) 5) nahe denfelben bie Bäder Severs ;‘) 
6) die Antoninianifchen Baͤder, von Caracalla unweit den beiden vorgenannten 
erbaut, noch heute ficht man ausgedehnte Weberbleibfel biefer Thermen; 
7) und 8) bie Bäder des Licinius Sura und des Decius auf Dem Niventin;?) 
9) die Bäder des Alexander Severus im Mursfelb zwiſchen dem Bantbesn 
und der Piazza Navonna, eigentlich eine Erweiterung älterer, von Rero an 
gelegter Thermen ;") 10) die Bäder Diocletians auf dem Gränggebiet der Hügel 
Duirinal und Biminal, die heute noch durch ihre ungeheuren Trümmer ben 
Beſchauer in Staunen verfegen;‘) endlih 11) die Bäder Gonfantins‘) — 
de letzten, die im kaiſerlichen Rom erbaut worden find — auf dem Duirinal, 
da wo jetzt der Palaft Rospiglioſi mit feinen Gärten eh. Noch im ſech⸗ 
zehnten Jahrhundert ſah man anjehnliche Ueberbleibfel der legteren. Sept aber 
iR jede Spur verſchwunden. 

Ungleich waren viele. Bauten über die Stadt vertbell. Die wmeiſten 
(nämlich drei) zählte Porta Eapena, in der Katlerzeit bie erfie und aufehs 
lichſte Region der Stadt. Ueberhaupt erfcheinen bie fühlichen Stadttheile bes 
vorzugt, während Trastevere und dann die Nord⸗ und Oſtſeite entweber feine 
ober nur wenige Thermen aufweiſen. Die Bewohner der letzteren mußten 
fi mit balneis d. 5. mit Fleineren BabesAnftalten begnügen, die nur zum 
Abwaſchen des Leibes dienten, währen die Thermen in ihren weiten Räumen 
anbere Zwede des VBergnügens vereinigten.®) 

Die alten Thermen haben ſich guten Theil bis auf vie Seiten 
Otto's III. herab erhalten. Der Mönd) von Einfieveln erwähnt nachfolgente: 
die des Commodus,“) die des Eonftantin,”) die des Diocletian,®) die tes 
Frajan,?) die alerandriniichen oder Die des Alexander Severus,“) die antoninia 
nifchen des Karacalla.'') Fehlen alſo von den im Curioſum aufgeführten nur 
fünf. Dagegen macht die Einfiedler Beichreibung eine Therme namhaft, von 
welcher Curioſum und Notitia nichts weiß: nämlid Bäder des Salluftiue, '') 
Die Gärten des Salluftiud waren große, mit vielen Gebäuden und ficherlid 
aud mit Bädern geſchmückte Anlagen, die fih vom Duirinal über den Pincius 
bin zogen.) Während der kaiſerlichen Zeiten zählte man fie, denke id, 
darum nicht, weil fie neben den großen Staatöthermen faum in Betradt 
famen. 

Das Pabftbuh erwähnt Thermen des Trajan und Domitian, die für 
gleihbeveutend erklärt werven‘t) — ohne Zweifel find die Bäder des Titus 


1) Breller, Regionen S. 114. Beder a. a. D. ©. 689 fg. 3) Breller ©. 23 2. 
200 fig. Beder I, 463 u. 690 fig. 2) Becker I, 684 fig. %) Dal. ©. 691 fig. 
®) Weber den Unterfchied zwifchen thermae und balnea vergl. man Prelle ©. 105 fla 
%) Archiv V, ©. 132 u. 133. ?) Ibid. &. 132 u. 134. N Ibid. ©. 132. 135. 
9). Ibid. ©. 133. 1%) Ibid. ©. 133. 134. 11) Ibid. ©. 129. 136. 2) Did. ©. 133. 
18) Preller ©. 10 u. 134 fig. 4) Liber Pontifio. ed. Vignoli I, 78. 107. 178, 


Siebtes Buch. Gap. 42. Rom ums Jahr 1000. Hügel. Mauern. Burgen. Bäder. 755 


d Trajanıus gemeint. — Berner weiß") diefelbe Duelle ehvas von Thermen 
; Novatus, gelegen im Vicus Patritius, deſſen Dertlichfeit fpäter nachge⸗ 
ejen werden fol. „Diefe Thermen,“ fährt der Bericht fort, „feien durch 
ibſt Pius I. um 160 in eine Kirche verwandelt worden.“ Offenbar dft fein 
entliches, fondern ein von einem Privatmann erbautes Bad gemeint. 

Die Mirabilien und die Graphia Tennen?) zehn verfchievene Thermen: 
die Antoninianifchen (Baracalla’8); 2) die Domitianifchen (worunter laut obiger 
weisftelle aus dem Pabſtbuche die des Titus und Trajanus verftanden 
den müflen; 3) die des Agrippaz 4) die Alerandriniihen; 5) die Dios 
ianifchen. 

Hiezu rechnen fie noch fünf, deren Namen in älteren Quellen nicht vor» 
ımen: nämlich ſechſtens Bäder des Tiberius, welche auf der Hinterfeite 
ı Santa Sujanna liegen, wie die Diocletianifhen anf der Vorderſeite. 
e Kirhe Santa Sufanna fteht heute noch wie vor 1000 Jahren neben den 
ermen Diocletians, rückwärts von ihr gab es alfo Bäder des Tiberius, 
ı denen in früheren Zeiten nicht die Rede ift; flebtend Bäder der Olympias, 
:gen bei San Lorenzo in panis perna. Kloſter und Kirche S. Lorenzo in 
iis perna trägt heute noch diefen Namen und fteht an der gleichnamigen 
raße, die von S. Agatha nah Santa Marla maggiore führt. Der Lage 
h Ffönnen die Bäder der Olympias kaum verfhieden fein von denen, 
(he der Mönd von Einftedlen unter dem Namen der Salluftiichen erwähnt. 

Die Namen der drei übrigen find in beiden Quellen entftellt, doch fo, 
: man die Irrthümer der einen durch die Angaben der andern verbefjern 
n. Die Graphia liest Nepotianiiche, Martminianifche, Licinianifhe Thermen. 
: Mirabilia haben Novatianifche, Lucaniſche, Machinaniſche Bäder. Was 
‚ erfte Wort betrifft, fo halte ich die Lesart Novatianifche für gefund, und 
me an, daß biefelben Bäher- gemeint find, welche das Pabſtbuch mit dem 
sorude Thermen des Novatus bezeichnet, und welche Pabſt Pius L in 
» Kirche umſchuf. Ueberall hatten Thermen einen ſolchen Umfang, daß 
t die ganze Anlage dem Gottesdienfte gewidmet worden fein Tann. 

Statt des offenbar verdorbenen Worts machinnanae muß, fowie bie 
ıphia liest, maximianae gefeßt werden. Denn abgefehen vom Zeugnifie 
Graphia, geben die Mirabilien felber an einer andern Stelle den ächten 
men richtig wieder und beſtimmen zugleich die Dertlichfeit der Marimianis 
n Bäder. „Auf dem cöliihen Hügel,“ ſchreiben) fie, „fteht ein Tempel 
pio's vor den Marimianifhen Thermen.” Das Curioſum, wie die Notitia, 
en auf dem Coͤlius Feine großen Bäder (oder Thermen), wohl aber 85 klei⸗ 
: (fogenannte balnea). Dennoch hindert Nichts, anzunehmen, daß in ſpä⸗ 

') Tbid. ©. 30. 2) Montfaucon ©. 285 unten. Ozanam ©. 158. Die verborbenen 


ırten der Mirabilien müflen aus ber Graphia hergeftellt werben. 2) Montfaucon 
295. . 





48° 


756 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


teren Zeiten einzelne diefer Anftalten des Eölius als Thermen betrachtet un 
fo acnannt wurden. Namentlih dürfte dieß der Fall geweſen fein mit ia 
Bädern, welche ein Mann erbaute, der eine Zeitlang römifcher Kailer war. 

Shen haben wir gefunden, daß Marentius, einer der Gegner Eonfas 
find des Broßen, zu Rom eine Rennbahn erbaute, welche man fpäter au 
Garacalla zurüdführte. Der Bater des Marentius hieß befanntlih Marimiams 
und war gleich dem Eohne Gegenfaifer Eonftantins J. Ihn halte id für 
den Erbauer der Marimianifhen Bäder auf dem Cälius. Nachdem der Kaup 
zwifchen Heidenthum und Chriſtenthum ausgebrochen war, mußten die Gegen 
faifer ihres Wortheild wegen die Gunſt des römiſchen Bolfs zu gewima 
fuchen, das für eine Etüge des alten Bötterglaubens galt. Solches Zid 
aber erreichten fie am füglichften durd Spiele, Brodaustheilung, GErridiug 
von Thermen und Rennbahnen. Das Euriofum und die Notitia, zwei uni 
den ortbodoren SImperatoren des vierten und fünften Jahrhunderts entworfen 
Verzeichniffe, fchweigen fowohl von dem Circus des Marentius, ald von ra 
Bädern, welche Marimian errichtet hatte. Aber die ſpäteren Geſchlechter iv 
fümmerten ſich nicht mehr um höfiſche Rüdfichten der Art. 

Was die Lirinianifchen Thermen betrifft, melden‘) alte Nachrichten, ia 
auf dem Aventin Bäder fanden, welde ein. Yreund des Kaiſers Trojan, 
Licinius Eura genannt, erbaut haben fol, oder nad der Angabe Antere, 
welche der Kaiſer jelbft diefem Freunde zu Ehren errichtete. Ich denke, die var 
der Graphia richtig, von den Mirabilien in verderbter Korm erwähnten Bänr 
des Licinius find diefelben, welche Euriofum und Notitia dem Sura zujcreike 

Wie man fieht, befand die Mehrzahl der alten Thermen in den Taga 
des Kaiſers Otto's III. fort; aber ficberlih nit mehr in alter Pracht ned 
mit dem ehemaligen Aufwant. Zwar hörte in chriftlihen Zeiten der ®ebraut 
nicht auf, daß ſowohl Laien als Elerifer häufig die öffentlichen Bäder be— 
juhten. Das Pabſtbuch erzähle:?) „Kaiſer Conftantius, des großen Ger 
ftantind Sohn, welcher die Keperei der Arianer begünftigte, fchloß rechtalie 
bige Priefter und Laien vom Eintritt in die Kirchen, wie in die öffentlice 
Bäder (balnea) aus.” Allein dic alten Thermen Roms waren für cin 
ſchwellende Bevölkerung von mehr ald einer Million Seelen berechnet gemein, 
während andererfeits die Einfünfte der verarmten Stadt und des Kirchenftaad, 
durch dringendere Ausgaben in Anſpruch genommen, nicht für Erhaltung m 
colofjalen Badeanſtalten der ehemaligen Weltmetropole ausreichten. Deutlidt 
Spuren des Verfalls der Thermen treten in den Quellen des zehnten mi 
eilften Jahrhunderts hervor. Die Mauern fanden noch, doch das Innen 
diente nicht mehr dem früheren Gebrauch. 


1) Breller, Regionen S. 200 fig. Beder, Handbuch I, ©. 463. 691. 3) Nuralen 
script. ital. III, a. ©. 113. 


jebtes Buch. Gap. 43. Hom ums Jahr 1000. Circus. Zora. Bögen. Der Lateran. 757% 


Der Abſchnitt in den Mirabilien, welcher von den Öffentlichen Bädern 
ndelt, beginnt‘) mit ten Morten: „Ihermen find ausgedehnte Paläfte mit 
open Gewölben im Erdgeſchoß, wo während des Winter Wafjer geheizt 
urde; zur Sommerszeit nahm man daſelbſt Falte Bäder. Die Spuren 
ejer Einrihtung find noch heute in den Bädern Diocletians - hinter ber 
irhe Sankta Eufanna fihtlih." So kann man nur von Anftalten ſpre⸗ 
n, die nicht mehr im Gange jind. Gerichtliches Urtheil?) vom Jahre 998: 
st Hugo von Farfa Flagt auf Auslieferung zweier Kirchen jammt Reben, 
ärten, Grotten, Bauernhütten, „gelegen zu Rom in der neunten Region, 
nerhalb der Thermen des Alerander Severus.“ Das ift deutlih: Thermen, 
deren Umfreife fih Kapellen und Reben befinden, werben nicht mehr zum 
aden gebraudt. u 

Ein weiterer Beweis kommt hinzu. Wie früher gezeigt worden, erwähnt 
8 Euriofum und die Notitia Thermen des Commodus, die in der erften 
:gion des Faiferlihen Roms, der porta Capena, ftanden, und noch der Eins 
bier Mönch kennt wenigftend den Namen. Dagegen im Berzeichniffe der 
yermen fchweigen ſowohl die Mirabilien, ald die Graphia von denfelben. 
ennoch werden die Commodianae von den Mirabilien an einer andern Stelle, 
er wohl verftunden als eine hingeſchwundene Größe, ald etwas Geweſenes 
fgeführt. Höchftens flanden nod einige Wände ohne das Dad: „Bei der 
rche von Sankta Balbina,” heißt?) es, „waren (einfl) die Bäder des Eom- 
dus und des Severus.“ St. Balbina iſt bis auf den heutigen Tag erhals 
ı und liegt unweit den Trümmern der Bäder Antonine. 


Breinndvierzigfies Capitel. 


rtſezung. Die Circus und die Theater. Unblutige Spiele. Die Stabtzierden : Coloſſe, 
Thurmfänlen, Triumphbögen , Obeliöfen, eherne und marmorne Standbilder. Die 
großen Plaͤhe: dad Forum romanum, die Prachtforen der Cäſarn, das Macellum Livfae. 
Das chriſtliche Rom. Hauptkirchen und Klöfler. Der Lateran als Patriarhium ober 
Wohnſitz der Päbfe. 


Für die Schauluft des Volfs hatte das Faiferliche, zum Theil fchon das 
nublffanifche Rom viel bewunderte Werfe aufgeführt. Das Curioſum und 
Notitia verzeichnen‘) zwei Eircus oder Rennbahnen, nämlih den Circus 
wimus*) welchen einft König Tarquinius Priskus im Thale zwijchen dem 
entin und Palatin anlegte, dann den Circus Ylaminius in der Niederung 
rdlih vom Capitol zum Tiber⸗Fluſſe. in dritter Eircus, der ded Marens 


2) Montfaucon ©. 285 unten. 2) Muratori, script. ital. II, b. ©.-605, Rote. 
Montfaucon ©. 294. Sancta Balbina, ubi fuerunt thermae Severianae et Commodianae. 
x Text it verborben und muß verbeflert werden and Preller ©. 114 u. Graphia ©. 167, 
Breller ©. 30. *) Beer, Handbuch I, 664 fig. 


> 


158 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


tius, fonft dem Kaiſer Caracalla zugeichrieben, ift übergangen. Diele 
beiden Quellen erwähnen weiter zwei Amphitheater, over für Gludiatorenfünpt 
beftimmte Riefengebäude, nämlich dad des Flavius, defjen Trümmer bis af 
den heutigen Tag das Staunen der Welt erregen, öftlidy vom Forum roman, 
dann das amphitheatrum castrense, an der Etadtmauer bei Santa Era 
Gerufalemme, deffen Umfang nod immer. erfenntlih if. Endlich nema‘ 
fie drei Theater, welche jammt und fonderd auf dem Boden ded Marsiiid 
erbaut waren, die des Pompejus, Balbus, Marcellus. 

Auch diefe Anlagen fanden mit wenigen Ausnahmen nod in Dttes Il 
Tagen, aber fle trugen theilweije andere Namen und dienten nicht mehr ta 
alten Zweden. Der Einfievler Mönch Ipriht?) mehrfach vom Theater id 
Pompejus, theilt”) fogar eine alte Iufchrift mit, Die er auf demjelben eine 
graben fand. Er feunt*) ferner das große (Flaviſche) Amphitheater, jem 
den Circus marimus.’) Auch cin Eircus Flaminius ift ihm befannt, aber um 
feiner Beſchreibung erhellt, daß er nicht die Rennbahn, weldye chemald jan 
Namen trug, fondern die heutige Piazza Navonna im Sinne hat, welde alkı 
dings auf einer Stelle ftcht, wo fih ehemals wenn nicht ein förmlicher Gira, 
fo doch etwas Achnliches, ein fogenannted Etadium, befaud. In Otto’ ll 
Zeiten wechjelte, wie ich unten zeigen werde, der Name des Ichteren Raus 
sum bdrittenmal. 

Seitdem das Ehriftenthum den Gieg über das römische Reich errang, 
baben die alten Votfsjpicle wejentlihe Einjhränfungen erlitten. Durch bo 
fondere Gefege Ichafften die Kaifer Eonftantin I. und Honorius Gladiatorn 
fämpfe und unfittlihe Ecenen ab.“) Man begreift daher, daß von Run u 
die römischen Rennbahnen nicht mehr, wie ehemals, von Menjchenblut gerötkt 
wurden. Diefe Wirfung tritt deutli In den Mirabilien und der Graph 
hervor. Beide Quellen faſſen fämmtlihe der Schauluft gewidmeten Bauwerk, 
welche aus den Zeiten des alten Roms übrig geblieben waren, unter den 
gemeinfchaftlihen Namen „Iheater” zufammen. Im betreffenden ZTerte der 
Graphia iſt eine Lüde, ich laſſe deßhalb die Mirabilien reden :”) „folgen 
Theater fteben zu Rom: 1) das des Titus und Vespafianus bei den Gatw 
fomben, 2) das des Kaiſers Tarquinius beim Septizonium, 3) das ie 
Bompejus, 4) dad des Antonin an der Drüde gleihen Namens, 5) dw 
des Alexander bei Santa Maria Rotonda, 6) dad Nero's beim Gaftl 
St. Angelo, 7) das flaminiſche Theater.” 

Dben wurde gezeigt, daß die Prachtgebäude beim Circus Marentius im 
Mittelalter Palaft des Titus und Veſpaſian zu den Catakomben hießen 
Nah den nämlihen Kaifern erhielt der Circus ſelbſt feinen Namen: die Ren 


’) Preller ©. 168 fig. Beder I, 676 fig. 2) Archiv a. a. O. V, 129. 138. 13. 
Daſ. ©. 126. ) Daf. ©. 135. 136. d) Daf. ©. 136. %) Die Belege ki 
Biefeler, Rich. Geſch., vierte Auflage I, b. ©. 329. ) Montfaucon G. 288. 


Siebtes Bud. Gap. 43. Rom ums Jahr 1000. Circus. Tora. Bögen. Der Eateran. 759 


bahn ded Marentiud iſt im erften Gliede gemeint, im zweiten der Circus 
Maximus, im fiebten der Circus Flaminius. Der Sag, Kaiſer Tarquis 
nius habe den Circus Marimus erbaut, legt Zeugniß für die Wahrheit 
: der anderdöwo') entwidelten Thatſache ab, dag in früheren Mittelalter Roms 
: Bevölferung die MWölfin des Romnlus für eine Rährmutter nicht des Altern 
Königthums und der Republif, fondern des Kaiſerthums hielt. Laut der 
Stadtſage waren Romulus und Numa PBonpilius ſammt den andern Königen 
Kaijer, auf welde die Cäſarn folgten. Die Mirabilien und aud die Gras 
phia fügen weiter einen vierten Circus bei, der Im @uriofum und in der 
Notitia vieleicht wegen feines unbedeutenden Umfangs übergangen ift, ben 
des Nero, welder bei St. Peter im Borgo eingerichtet war.?) Viele Chriſten 
haben dort geblutet. 

Weder die Graphia noch die Mirabilien nennen im Verzeichniſſe der 
Gebäude für Schauſpiele das Flaviſche Amphitheater, eines der Wunder der 
alten Welt. Meines Erachtens jchweigen fie von ihm deßhalb, weil ed wegen 
feiner Größe faum unter den Begriff Theater befaßt werden fonnte. Ans 
derswo jedoch gedenft defjelben die Graphia.“) Beide Quellen führen endlich 
denfelben Circus auf, den der Einfiedler Mönch Fennt, jedoch unter einem ans 
dern Namen. „Unfern von St. Maria Rotonda,“ heißt es im Texte, „ftebt 
das Theater Alexanders.“ In der Nähe des Pantheons gab es Fein ans 
dered Gebäude, das für ein Theater gelten konnte, als die heutige Piazza 
Navonna, oder das jogenannte Stadion, das dort lag. Daß diejed wirklich 
gemeint fei, erhellt aus folgender Stelle!) der römiſchen Kirchenordnung vom 
Fahre 1141: (wenn der Pabft vom Feſtzuge den Rüdweg aus dem St. Beter. 
(Borgo) über das Capitol und das Forum nad) dem Lateran antritt), „übers 
jchreitet er die ‘Peteröbrüde, geht durd den Bogen der Kaifer Theodoflug, 
Balentinian und Gratian, wendet fih dann zwiſchen dem Circus Alcrans 
ders und dem Theater"des Pompejus durd die Säulenhalle vor der Ros 
tunda nad St. Marco, von da am Buße des Capitols vorüber” u. ſ. w. 
In folher Verbindung muß unter dem Circus NAleranderd nothwendig die 
Piazza NRavonna verftanden werden. Der Mönch von Einftedeln hatte die 
nämliche Dertlichfeit Circus des Ylaminius genannt: jegt trug fie in drittem 
Wechſel den Namen Theater Alexanders. u 

Rah Abzug der alten Rennbahnen bleiben als eigentlihe Theater nur 
die beiden des Pompejus und des Antoninus übrig, weldes legtere die Gras 
phia an die Brüde der Juden verſetzt, die Mirabilien dagegen an die Brüde 
Antonind verlegen. Erſteres madt feine Schwierigkeit. Noch heute flieht 
man Trümmer des Pompejaniſchen Theaters. Anders verhält es ſich mit 


r) Oben ©. 120. 2) Beder, Handbuch I, 671 fig. ) Dzanam ©. 157 u. 161. 
*%, Mabillon, museum ital, II, 143. . 





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- a. ARTE hei 


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‚dert das Theater, weldyes ſonſt das Marcelliiche hieß, den Ramen Unten 


760 Pabſt Gregorius VII. und fein Seilalter. 


dem Theater Antonins: im alten kaiſerlichen Rom war fein Schaufpieihei 
diefes Namens vorhanden, fondern, wie oben gezeigt worden, nur bie drei ei 
Marcelus, Balbns und Pompejus. Sodanu unterfheidet die Braybia ef 
genau zwilchen der Brüde Antonins, verjelben, die jept Ponte Gifte bei, 
und des Judenviertels, die nach der Tiberinfel hinüberführt, währenn vie B 














rabilien Coielleiht nur durch Schuld der Abſchreiber) ein falſches Bi wa 


den Brüden entwerfen. Iſt unter der Zubenbrüde, in deren Nähe das These 
des Antonin fand, die Tiherinfel gemeint, was man nad) den Haren Ben 
der Graphia aunehmen muß, fo folgt, daß im eilften oder zwölften Zahıln 







trug. Denn unweit der genannten Brüde erhob ſich das Marcellifche Thea 
und außer ihm fein anderes. 

Unverkennbar hat es feinen guten Grund, daß beide Quellen bie Any 
theater, welche urjprünglich zu blutigen Kämpfen zwiichen Menfchen und Bw 
ſchen, oder zwiſchen Menfchen und Thieren, dann die Birch, welche mu Web 
sennen beftimmt waren, und. drittens die wirfliden Schaufpielhäufer us 
dem gemeinfamen Namen Theater begreifen. Jene Mepeleien der reyablils 
niſchen und kaiſerlichen Zeiten waren durch die erften chriſtlichen Imperatein 
abgethan. Dadurch Hatten die alten Spiele ihren graufamen (Gharafter d 
gefireift, eine Veränderung, weldye bewirkte, daß nunmehr Amphitheater, Cr 
cus und eigentlihe Schaufpielhäufer den Namen Theater empfingen, ver «f 
ein unblutiges Bergnügen hinweist. 

Mimiſche Darftellungen dagegen, fowie Tragödien und Comödien, außer 
dem Wettrennen, Kämpfe zwiſchen Menichen und Thieren, nad Art der ha 
tigen Spanischen Etiergefechte, ja auch Kämpfe zwiſchen Menſchen und Mas 
ſchen — jedoch die einen wie die andern ohne Blutvergießen — haben ven 
Gonftantind Tagen bis herab auf die Zeiten Otto's III. in Rom fortgedauen. 
Caſſiodor befchreibt‘) die Wettrennen, welche während der erften Hälfte dei 
ſechsten Jahrhunderts im Eircus Marimus fattfanden. Im Einflange hie 
mit bezeugt?) der ungenannte, von Balefius im Anhange zu Ammianus Mar 
cellinus herausgegebene Chronift, daß die Römer den Oftgothenfönig Theoderich, 
defien Kanzler Eaffiodor war, höchlich priefen, weil er, das Beifpiel der Kaiſer 
Trajanus oder Valentinianus nadhahmend, Bedacht genommen babe, das Boll 
durch Epiele im Circus oder im Amphitheater zu beluftigen. 

Während der erften Hälfte des fiebten Jahrhunderts ſchrieb Erzbiſcoj 
Iſidor unter dem Namen etymologiae eine Art von Encyelopädte, welche ſich 
über alle Theile des Wiffend verbreitet. Im achtzehnten Buche handelt er 
vom Kriegsweſen, den Waffen und Spielen der Alten, ſchildert) Rennbahnen, 














) Epist. var. II, 51. 2°) Man vergl. Muratori, antig. Ital. IL, 831 fig. 3) Isideni 
opera edid. Arevalo. Vol. IV, 395 fig. 


iebte® Bud. Gap. 43. Rom ums Jahr 1000. Circus. Bora. Bögen. Der Lateran. 761 


mpbhitheater, Gladiatorenfämpfe, Theater, Luſt⸗ und TrauersSpiele, mimijche 
offen und dergleichen. Das Meifte, was er fagt, ift allerdings aus ber 
ergangenheit entnommen, doch fann man faum bezweifeln, daß Manches 
m Dem, was er bejchreibt, noch Im Brauche war, denn wiederholt warnt") 
Ehriftenmenichen, ſolchen Ergöplichkeiten, welche der Teufel eingegeben habe, 
zuwohnen. Auch zu Rom müflen im nämlichen Jahrhundert mimifche 
piele, theatraliſche Vorftelungen etwas Gewöhnliches gewefen fein, denn 
einem Synodalſchreiben, das Pabſt Agatho um 680 erließ, verbietet?) er 
n Biihöfen, Waffen zu tragen, oder zu dulden, daß unter ihren Augen 
piele und Poſſen aufgeführt werben. 

Die Neigung für die vom Pabſte gerügten Luftbarfeiten nahm im Kaufe 
3 achten Sahrhunderts zu Rom nicht ab. Um 742 fchrieb’) Bonifacius, 
r deutiche Apoftel, an Pabſt Zacharias wie folgt: „Leute, welche zu Rom 
iren, verfichern, fie hätten daſelbſt am Neujahr ärgerliche Aufzüge durch 
Gaſſen nad heidnifcher Art und Schmäufe gefehen, bei welchen gottlofe 
sfänge ertönten.” Solche Carnevals-Schwänfe gedeihen nur an Drten, wo 
vater beftehen. 

Einen neuen Aufihwung nahm römiſcher Hang für Spiele während der 
rzen Weltherrichaft des drittin Otto. Wie ich früher bemerkte, ift der Gras 
fa ein Abfchnitt angefügt, welcher lauter Dinge jchildert, die während der 
weſenheit des unglüdlihen Jünglings zu Rom in den Jahren 998— 1002 
rgingen. Meift die Worte obiger Stellen aus Iſidors Etymologieen bes 
end, gibt?) der betreffende Tert folgende Bejchreibung: „auf der Scene 
d im Orcheſter treiben ihr Weſen Mimen, Hiftrionen, Tänzer, Tragöden, 
miler, Mufifer. Die Tragöden befingen in rührenden Verſen die greulis 
n Thaten ruchlojer Könige des Alterthums. Die Comöden ftellen mit Worten 
d Gebärden die Handlungen des täglichen Lebens dar, führen Stüde auf, 

welden fittfame SJungfrauen und lieverlihe Weiber dargeftellt werden. 
e Muflfer fpielen auf der Leier, der Either und Blasinftrumenten. Die 
ſtrionen machen in Frauentracht feufhe und unkeuſche Weiber nah, aud 
ven fie tanzend allerlei Stüde zum Beiten. Die Mimen fuchen durch Ges 
denfpiel Lachen zu erregen. Auf den Amphitheatern kämpfen Gladiatoren 
: Schwertern oder Fäuften bald gegen wilde Thiere, bald wider einander, 
h nit aus Haß, fondern um Geld zu verdienen.” 

So enge fließt fih die Graphia in vorftehendem Abſchnitt an Iſidors 
yrte an, daß man den vielfach verborbenen Tert der erfteren aus letzterem 
fielen kann. Nur in einem wefentliben Punkte weicht fie von ihrem Vor⸗ 
ve ab. Während Iſidor faft durchaus die Form der Vergangenheit braucht 


— — — — — — 


y Ibid. S. 402, Mitte. 406. 400. ) Manſi, Concil. XL, 181, Mitte. ) Epistol, 
uifacii edid. Würdtwein Nr. 61. ©. 106 fig. *) Dianam ©. 172 fig. 


En 
nu. se — — 





zuE DEE Gupent WE se Sin Din. 
— demaii zu Gemitn. Sugar, Glen, di uud ji 





a; Sfr MüR It rer mt or Te ver Tome beſchriebenen Sek 
weiße zur el Der em Woziteziier mn Otes IL Tore Marty 
Bexrzczs ver Eimetz ut." v8 er tie Serbringerin Beatrir beimführte. 

Ter Beyzzirnr Btecer Kira in ter fTrater ”) angeführten Stelle, de 
za feiner Jeu ante wu Ned tie witu;tn Sebünde ter Start Rom uner 
jebrt wuren, entern daſs amt cme Mate ter Heimeren Denfmäler und ie 
ver ter Strefen arredt want. Wer tclire es glauben! Ichtere Bebauptem 
gilt — Malik ia itrinfee Sime — aud ued von ten Zeiten Otto's IL 
Zierden ter genzuuten Art warn Gele#e, ever rieſenhafte Stantbilvder, Eänler 
tyürme, welte in ibtem Imern Schuedenfliegin Bargen, auf denen man hie 
aufjchreiten fonnte, Obelisken, tie teit ter Ercberung Aegyptens nad) Rom 
verjegt worten wuren, Triumphboͤgen, welde Straßen und öffentliche Pliy 
fchmüdten, enblid murmorne, elfenkeinerne, aus Erz gegoffene, zum Theil wer 
goldete Bilder von Göttern, Menſchen und Thieren. 


) Die beiteffensen Berfe lauten (Muratori, sexipt. ital V, 353, b, Mitte): 
Timpana cum eitharis stivisque lyrisque sonant hic, 
Ac dedit insignis dux praemia maxima mimis. 
Wort stiva bedeutet eigentlich einen Gteigbügel, dann auch ein Toninfirument, das di 
talt eines Bügels Hatte, wahrfiheinlich Triangel. 2) Oben ©. 729. " 


Siebtes Bud. Gap. 43. Kom nms Jahr 1000. Circus. Bora. Bögen. Der Lateran. 763 


Zaut dem Berichte 1) Suetons hat Kaiſer Domitian durch bie verfchies 
enen Regionen der Stadt fo große und fo viele Triumphbögen mit Bier 
efpannen und Siegeözeichen errichtet, daß ein Spötter in griechifcher Sprache 
uf eine diefer unnügen Bauten die Worte fchrieb: auxei, „ed iſt des Zeuge 
mug.“ Unzählige Statuen aus vergoldetem Erz, aus Elfenbein, ja auch aus 
hold und Silber, zierten das Capitol, die Tempel, die Straßen, vie großen 
läge. Nach jenen Worten fügt Sueton bei, Domitian habe nicht geduldet, 
ıß zu feiner Ehre andere Bilpfäulen als aus lauterem Gold oder Silber und von 
fimmtem Gewicht auf dem Bapitol gefegt werden durften. Andere Zeugen 
eifen ?) den Eifer älterer und fpäterer Imperatoren, Tempel, Bora, öffent 
be Gärten, Theater, Rennbahnen, Bäder mit prächtigen Kunftwerken zu 
müden. Man begreift, daß leßtere vor allen andern den Begierden ber 
arbaren zum Opfer fielen, nachdem dieſe den Eintritt in Rom zu erzwingen 
gonnen hatten. 

Das Euriofum, deſſen Grundtert dem vierten Jahrhundert angehört, ) 
hit %) in der ewigen Stadt auf: zwei Eolofje, zwei Schnedenjäulen, zwei⸗ 
dzwanzig große Reiterftatuen, achtzig vergoldete, vierundfiebenzig elfenbeinerne 
ötter, ſechsunddreißig Siegesbögen aus Marmor. Die Rotitia, welde uns 
eifelhaft nach dem Curioſum abgefaßt ift, beffimmt‘) die Zahl der Coloſſe, 
r Thurmjäulen, der Roßbilder, der goldenen Götter glei, nennt aber ftatt 
srundfiebenzig elfenbeinerner Bötterftatuen nur vierundſechszig, ftatt ſechsund⸗ 
eißig Triumphbögen nur vierunddreißig. Sollte etwa der Ausfall von zehn 
r einen, von zwei Gebilden der andern Claſſe daher rühren, weil zwijchen 
r Ausfertigung des Curioſums und der Rotitia Roms Eroberung durch 
n Weſtgothen Alarich verlief? Beide Quellen erwähnen‘) weiter einftimmig 
in Rom aufgerichteten ägyptiſchen Obelisken, deren Zahl fie auf ſechs feft- 
en. Im Circus Marimus ftanden zwei, von welchen der größte 122, der 
inere 88 Schuh maß; ein dritter im Vatikaniſchen Feld, 73 Schuh body, 
vierte, von 72 Schuh, im Marefelv, der fünfte und fechöte, je 42 
huh meflend, vor dem Maufoleum Auguſts. 

Roms Plünderung durch die Vandalen traf nicht die feften Gebäude, 
dern die beweglichen Schäße, das in Öffentlihen Kaſſen, Kirchen, Paläften 
handene gemünzte und ungemänzte Bold, Silber, Kupfer, jowie wegen bee 
offs koſtbare Kunſtwerke. Ausprüdlih wird bezeugt, daß ein von den 
ndalen mit geraubten Statuen befradhtetes Schiff auf der Rüdfahrt nadı 
rthage zu Grunde gieng. Allein jo unermeßlih war der Reichthum, daß 

Berluft kaum gefühlt wurde. Aus den Briefen’) des oftgothiichen Kanzlers 
ſſtodor erhellt, daß während der Regierung Theoderichs won Bern faft in 


1) Cap. 13. vita Domitiani. ?) Die Belege bei Preller, Regionen ©. 232 flg. 
Breller, Regionen ©. 52 fig. ı) Did. ©. 30. 6) Ibid. ©. 31. ©) TIbid. 
24. 25 flg- ) Rachgewiefen bei Preller ©. 233, 


764 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


gleiher Zahl wie ehedem Erzitatuen die Pläge Roms jchmüdten. Dice 
König forgte nicht blos für Erhaltung der Bauwerfe, fondern aud für te 
"Bilder. Mande wurden auf feine Koften wieder hergeftellt oder neu errichtet 

Noch ein beſtimmteres Zeugniß über die Zuſtände Roms liegt aus da 
nämlihen Zeit vor. Ein orientaliiher Grieche, Zacharias, erft Rhetor, tam 
Biſchof in Armenien, der unter Juſtinian bfühte, ſchrieb um 550 eine Kirk 
geſchichte, die in ſyriſcher Sprache auf und gekommen ift und neuerdings ven 
Gardinal Angelo Majo veröffentlicht wurde. Ein Abfchnitt des Buche har 
delt von Rom. In der Weife des Curioſums und der Notitia führt ') Jude 
rias ald vorhanden auf: 24 Kirchen der Apoftel, 2 kaiſerliche Pfalzen, 324 
Hauptftraßen der Stadt, 80 goldene, 64 elfenbeinerne Bötterbilver, 1352 öffen 
lihe Brunnen, 31 Marmorbögen, 2 Colofje, 2 Thurmfäulen, 22 Rofftatun, 
46,603 bürgerlide Wohnungen, 1797 Herrenhäufer, endlich 3785 Gr; 
ftatuen. 

Manche diefer Angaben fiimmen aufs Wort oder faſt aufs Wort mi 
der Notitia überein, weldye, wie bereitö bemerkt worden, 2 Eolofje, 2 Thurs 
fäulen, 22 Roßftatuen, 80 goldene, 64 elfenbeinerne Götter, 34 Warast: 
bögen, 324 Hauptftraßen, dann noch 46,602 bürgerliche, 1797 Herrenhäskt, 
1352 Brunnen zählt. Das Zufammentreffen beiver ift fo ſchlagend, daj 
der Schluß ſich aufprängt, Zacharias dürfte einfach die Notitia, die ihm ver 
lag, abgefchrichen haben. Allein eben derſelbe gibt über anderweitige Ba. 
hältnifje Roms, von denen Notitia und Curioſum ſchweigen, ausführliche Nad- 
sichten, wie 3. B. über Kirchen, kaiſerliche Pfalzen, Erzſtatuen, Gräbe, 
Gebärhäuſer. Daraus folgt, daß ihm Quellen zu Gebot fanden, die unab 
bängig von jenen Älteren waren. Demnach muß man vernünftiger Weij 
voraudfegen, daß er die betreffenden Ziffern der Notitia nicht benügt hätt, 
wäre ihm nicht bekannt gewejen, daß ihre Ausjagen noch für die Gegenwart 
— d.h. für das Jahr 550 — paßten. Außerdem fällt eine weitere That: 
ſache ind Gewicht: Procop, Verfafler des Gothenfriege, und Biſchof Zacaria 
jchrieben faft zu gleicher Zeit. Jener behauptet im Allgemeinen (ohne Ar 
führung von Beweiſen), daß trog wiederholter Einbrüche der Barbaren nit 
nur die Gebäude, fondern aud die Zierden Roms faft unverfehrt geweſen 
ſeien. Diejer jagt dasſelbe mit Berufung auf beftimmte Zahlen. Kann mas 
läugnen, daß Einer den Andern, jo gut als irgend möglid, beglaubigt? 

Ein Jahrhundert Später traf die beweglichen Kunftihäge Roms ein wr: 
nichtender Schlag, jedoch nicht von barbariſcher Seite, fondern durch die Hänlt 
eined byzantinischen Herrichers. Nachdem feit langer, langer Zeit Fein Kalk 
mehr die Hauptftadt an der Tiber betreten hatte, erſchien Conſtans IL, xt 
jüngeren Heraflius Sohn, 663 zu Rom, raffte, was an edlen Metallen, jo 








*) Die Beweiöflellen bei Preller a. a. O. S. 237 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 43. Rom ums Jahr 1000. Circus. Bora. Bögen. Der Lateran. 765 


wie an ehernen Bildern und Geräthen aufzutreiben, zufammen und lud Alles 
auf Schiffe, um ed nad Gonftantinopel zu fchiden. Die Kaflen des byzan⸗ 
tinifchen Reihe waren durd den unglüdlichen Kampf gegen den aufftrebenden 
Islam erihöpft: der Raub Staliens ſollte fie füllen. Das Pabftbud) meldet *) 
zum Leben Bitallans, der damals Petri Stuhl einnahm: „was an ehernen 
Zierden der Stadt vorhanden war, felbft die metallenen Ziegel der Kirche 
Santa Maria Rotonda, nahm Kaifer Eonftans fort und fchidte ed nad dem 
Oſten.“ Coloſſe, Thurmfäulen, Obelisfen, ſchwere Roßftatuen fonnten bie 
Griechen nicht wegfchleppen, weil es fo gut ald unmöglich if, ſolche Dinge 
auf weite Entfernungen fortzufhaffen: fie blieben. Jene Taufende Eleiner Zier⸗ 
rathen dagegen, von denen Zacharias rebet, verſchwanden. Sichtbar tritt ber 
Berluft in den Quellen des 9.—12. Jahrhunderts hervor. 

Mie oben bemerft worden, erwähnen Guriofum und Notitia zwei Coloffe. 
Ueber den Sinn ded Wortd gibt eine Etelle Spartiand Aufſchluß, welder 
berichtet, ) daß Kaifer Hadrian die colofjale Bildſäule, welche Nero fih felbft 
vergötternd errichtet hatte, von der Stelle rüdte, dem Sonnengott weihte, und 
eine zweite gleih große zu Ehren der Mondgöttin aufzuthürmen beichloß. 
Dbglei Fein Zeuge die Ausführung des Planes meldet, ſcheint derjelbe doch 
ins Werk gejegt worden zu fein, denn fonft Fönnten die Älteften Etadtbejchreis 
bungen nicht von zwei Coloſſen reden. ebenfalls blieb nur der Coloß Nero’s 
aufrecht, vielleicht weil Eonftans den andern bei der Plünderung von 663 in 
Stüde ſchlagen ließ. 

In Dtto’8 I. Tagen ftand Nero's Eoloß, ebenjo wie die zwei Thurms 
fäulen, deren die Stadtbefchreibungen des 4. und 5. Jahrhunderts neben den 
Coloſſen gedenken. Einftimmig berichten die Mirabilien °) und bie Graphia: *) 
„der Coloß des Amphitheaterd (jet noch fieht man unweit des Coloſſeums 
feine Grundlage, er ſelbſt ift längft verfchwunden) hat eine Höhe von 108 Fuß. 
Die Säule Antonind mit der Schnedenftiege mißt 175 Fuß, enthält im Ins 
nern 203 Stufen und 14 Fenſter. Deögleihen hat die Schnedenfäule Trajans 
eine Höhe von 130 Fuß, 170 Stufen und 14 Fenfter.” Bis auf den heutigen 
Tag überragen die Columnen Trajand und Antonins, aufgerichtet an der 
alten Stelle, Roms Häufer. Die Pläge, wo fie ftehen, wurden oben ®) 
nachgewieſen. 

Mit dem Coloſſe Nero's und den beiden Thurmjäulen erlebten die im 
@uriofum und der Notitin aufgezählten Obelisfen, und zwar wenlgftens vier 
am alten Orte verharrend, Otto's TIT. Tage. Nur biegen fie nicht mehr 
Obelisken, fondern Aguliae, Nadeln. Die Mirabilien ſchreiben:) „mitten im 
Circus fanden zwei Agulien, die kleinere 87, die größere 122 Zuß body.” 





ı) Muratori, seript. ital. III, a. ©. 141, a. 2) Scriptores hist. august. Hadrianus 
©. 18 fig. °) Montfaucon ©. 290. *) Oyanım S. 161. °) ©. 748. °) Monts 
faucon ©. 294 unten, vergl. ODzanam ©. 167.- 


766 Pabſt Eregorius VIL und fein Seitalter. 


Dann weiter:) „im Vatikan erhebt fih die Agulia Cäſar's.“ Bon den 
Plage der drei andern ſchweigen Mirabilien und Graphia. Wohl aber nennt’) 
der Möndh von Einfieveln einen Obelisfen in dem Raume, etwa wilde 
Piazza Navonna und Et. Lorenzo in Rucina, unter welchem obne Zweifel 
derfelbe verftanden werden muß, den die alten Stabtbefchreibungen in ba 
Marsfeld verfegen. Obgleih in mittelalterlihen Quellen nidyt ausdrüdlid 
genannt, find auch die zwei vor dem Maufoleum Augufts aufgerichteten Obelisk 
und dazu noch vier andere Fleinere, von denen nur der einzige Ammianıd 
Marcellinus einen, als in den Gärten des Salluftius befindlich, anführt,‘) 
Zeugen der politiihen Thorbeiten Otto's III. gewejen. Denn beute nodı fick 
man zu Rom außer den fechfen der Notitia und des Curioſums an verfchievena 
Pläben der Stadt vier ägyptiſche Obelisken, nachdem fie erweislich währen 
der fpäteren Zeiten des Mittelalterd umgeſtürzt geweſen waren. *®) 

Wenden wir und zu den Siegeöbögen. Zuverfihtlih darf man annch⸗ 
men, daß die 34 der Notitia, wenn nicht fammt und ſonders, doch bei. wer 
tem dem größten Theile nah in Dtto’8 III. Tagen aufrecht ftanden, obwohl 
die Quellen nicht jeden einzeln aufführen. Die Graphia®) und die Mirabis 
lien®) geben ein Berzeihniß der Bögen, allein weder das eine noch das au 
dere ift vollftändig, fintemal da und dort verjchiedene nadhgetragen werden. 
Der Tert ter Graphia lautet: „von Triumphbögen find zu nennen: ber gol 
dene Aleranders bei St. Celſus, — die Kirhe St. Eelfus liegt und lag fat 
hart an der Engelöbrüde, unweit dem dieffeitigen Ufer — der Bogen der 
Kaifer Theodofius, Valentinian und Gratian bei St. Urfo (in derſelben Ber 
gend); der Triumphbogen vor dem Appifchen Thor am Tempel des Mars; 
die Bögen des Vespaſian und Titus im Circus Marimus; der Bogen Cor 
ftantind vor dem flavifhen Amphitheater (dem heutigen Coloſſeum); ver Be 
gen des Beöpaflan und Titus mit dem febenarmigen Leuchter (aus ben 
eroberten Tempel von Serufalem); der Bogen ded Julius Cäſar und de 
Senatoren zwifchen dem Tempel der Eintracht und des Fatums) (im Form): 
der Bogen Octavians bei St. Lorenzo in Lucina (am obern Theil des kw 
tigen Corſo bei Palazzo Ruspoli); nicht weit davon der Bogen Antonin, 
(die Mirabilien fügen bei „an der Säule gleihen Namens); der Bogen ge 
nannt fleifcherne Hand“ an der Kirche St. Marco (folgt nun eine Kabel über 
den Urfprung des fonderbaren Namens); endlich der goldene Bogen im Eapitele. 

Die Mirabilien bezeichnen legteren mit den Worten der Bogen des gofbenm 
Brods auf dem Capitol. Obgleich ihr Text fichtlich verdorbener ift, ſtimmen fie mi 
der Graphia überein, geben jedoch Zufäge am Eingange wie am Schluß. Ei 
leiten nämlich das Verzeichniß mit der überflüffigen Bemerkung ein: „Triumph⸗ 


ı) Rontfaucon ©. 287. Ozanam ©. 161. ?) Archiv für Philologie V, 132, Mitte 
°) Histor. XVII, 4. *) Den Nachweis bei Preller ©. 221 fig. 6) Dzanam ©. 131. 


m ©) Montfancon ©. 285. ?) Vergl. Mabillon, museum italic. II, 143 unten. 


ichtes Buch. Cap. 48. Rom ums Jahr 1000. Circus. Bora. Bögen. Der Lateran. | 767 


Igen heißt man folche, welche zu Ehren von Eiegen der Kaiſer errichtet wurs 
n.” Am Ende fagen fie: „es gibt außer den Bögen der Triumphe noch ans 
se zum Andenken irgend welder Tugend, wie der Bogen der Yrömmigfeit 
weit des Pantheon.” Auch die römiſche Kirchenorpnung von 1140 ers 
ähnt‘) lehteren Bogen unter demfelben Namen, verfeßt ihn jedoch in bie 
übe der Kirche Santa Maria in Aquirro. Das macht jedoch keinen Unters 
sed, denn beide Punkte find nicht weit von einander entfernt. Eines ähn⸗ 
ben Bauwerks gevdenft?) der Mönch von Einfleblen unter dem Namen Bos 
n der Erinnerung. Daffelbe ftand laut feiner Angabe beim Appifchen There 
id den Antoninifhen Bädern. 

Das Bögenverzeihniß der Graphia wie der Mirabilien erftredt ſich über 
: ganze Stadt. Beginnen wir im Norben mit der Brüde am Eaftel St. 
igelo. Der Möndh von Einfiedlen theilt”) Inſchriften mit, die auf einem 
ogen hart an der Petersbrüde flanden. Das muß derjenige fein, welcden 
rapbia und Mirabilien in die Nähe von Santo Celſo verſetzen und nad 
m Kaiſer Alerander Severus nennen. Etwas weiter zurüd erhob ſich der 
ogen, den die Kaljer Gratian, Valentinian und Theodoſius als Schlußpunft 
ıer großen Säulenhalle erbauten. Die Inschrift‘) dieſes Denkmals ift gleich» 
18 durch den Einſiedler Pilger erhalten worden. Beide eben genannten 
dgen gehörten dem Gebiete an, das die neunte kaiſerliche Region bildete und 
n Circus Flaminius fammt dem Marsfelb oder die Ebene zwiſchen dem Ga- 
:ol, dem jeßigen untern Corſo und dem Fluße begriff. Auf eben demfelben 
oden flanden®) Bögen des Diofletianus, des Claudius, dann die oben er- 
iIhnten des Octavian, bei St. Lorenzo in Lucina, des Antoninus, und ber 
iſcherner Hand, die erft gegen Ende des Mittelalterd abgebrochen wurden. *) 
idlich nennen®) die Mirabilien noch einen Bogen an der Antonind-Brüde 
em heutigen Ponte Sifto), welchen fie gleichfalls auf einen Kaiſer Antonin 
rüdführen. Die neunte Fatferlihe Region umfaßte alfo erweislih zum Mins 
Ren acht verſchiedene arcus. 

Am reichften mit Triumphbögen bedacht war das Forum fammt den ums 
genden Streden. Noch flehen dort vier mehr oder minder gut erhaltene: 
r des Septimius Severus, errichtet im Jahre 203 nad Ehriftus, am öfts 
yen Abhange des Capitol; dann der des Titus mit dem ficbenarmigen 
uchter aus dem Tempel von Serufalem; der des Conftantinus, zur Seite 
3 flaviichen Amphitheater; und endlich dem Duirinale zu der fogenannte 
gen dei Pantani.”) Aber noch mehrere, jetzt verſchwundene, befanden?) ſich 
felbft 6i8 herab auf die Zeiten Otto's III. 

1) Ipid. Mitte. 2) Archiv a. a. O. S. 129 u. 136. arcus recordationis. 3) Archiv 
a. D. V, 119 unten. ) Daſ. ©. 121. 6) Beer, Handbuch I, 597. Platner u. 
mfen, Beichreibung Roms III, c. ©. 88 fig. 6) Montfaucon ©. 295. N) Bunſen 
Blatner III, a. ©. 276. °) Beder, Handbuch I, 359, 


768 Pabſt Eregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Laut der Graphia fand ein Bogen Julius Cäſars und der Senatora 
zwiſchen den Tempeln der Concordia und ded Fatums. Auch die Minragbilin 
fennen dieſen Bogen, verfegen ihn aber vor die Kirche ver heil. Wartim 
Das ift jedoch fein Widerſpruch, denn Et. Martina liegt noch heute auf m 
Norpweftfeite des Forum romanum, in der Nähe jener zwei andern Templ 
Ferner erwähnt‘) die römifche Kirchbenorbnung von 1140 auf den Yora pmi 
weitere Bögen, den des Nerva und einen Aurea genannten, welcde beide m 
zweifelhaft von einander verfchieden waren. Denn es beißt‘) in tem Ik: 
(bei Feftzügen) „geht der Pabſt vorüber am Bogen des Nerva, durchſchneide 
das Forum Trajans, tritt aus demfelben heraus durdy den Bogen Aurea mi 
fteigt nun hinauf nah Santa Maria Maggiore.” Der eine ftand alſo ven, 
der andere binter dem Forum Trajans. 

Enplih führen?) die Mirabilien in derſelben Gegend Drei andere Böga 
auf: „vor dem Tempel der Concordia ift der Triumphbogen, von wo na 
hinauffteigt nad dem Capitol. Bon der andern Seite erhebt fi ein Boge, 
auf welchem abgebildet ift, wie die Soldaten ihren Sold von Eeiten id 
Senats durd die Hand des Eädelmeifterd empfangen, der das Gelb ver 
her mit der Wage abwägt, che er es den Einzelnen austheilt, daher trägt ba 
Bogen den Namen des Erlöferd von der Wage.“ Dann an einer britia 
Stelle:’) „an den alten Tempel der Minerva, welder jetzt Kirche zum heil 
Lorenz in Miranda heißt, ift ein Bogen angebaut.“ 

Da die Mirabilien den Bogen des Septimius Severus fonft unter dieſes 
Namen nicht erwähnen,-da ferner hinter cben demſelben der Aufgang ober di 
Treppe nad dem Capitol beginnt, ift faum zu bezweifeln, daß der Ungenanzt 
unter dem, was er ohne nähere Bezeichnung arcus triumphalis nennt, MM 
Severus-Bogen verſteht. Die Kirche Lorenzo in Miranda ift heute nod ver 
handen,“ und in die Trümmer des chemaligen Tempels der Fauſtina mi 
des Antoninus bineingebaut. Unter ihr weg lief die alte via sacra, an we 
cher laut übereinftimmenden Angaben des Alterthums ein im Jahre der Statt 
691 eingeweihter Triumphbogen des Yabius Marimus lag.) Mit Mont 
faucon®) nehme ich an, daß der Unbefannte mit feinem Minervabogen ta 
Denkmal des Fabius meint. 

Betreffend den Bogen „des Erlöferse von der Wage“ erhellt?) aut 
Münzen oder andern Quellen: erftlih im Jahre der Stadt 792 nahm Kae 
Claudius eine neue Regelung des Gewichts und Werths der Reichsmünjen 
vor; zweitens vom Senate ift eben demjelben 794 vie Ehre eines Triumph 
bogen zuerfannt worden, weßhalb auch Münzen von 797 einen Triumphbogen 


+) Mabillon, museum ital. II, 132. 3) Montfaucon S. 293 unten. hu 
©. 294, Mitte. 4) Plattner u. Bunfen a. a. DO. III, a. ©. 274. ®) Idem IL} 
©. 54 fig. 6) Diarium ital. ©. 300, Rote 23. ?) Die Belege bei Blaituer m 
3unfen III, b. &. 133 unten fig. 





Siebtes Buch. Gap. 43. Rom ums Jahr 1000. Circus. Zora. Bögen. Der Lateran. 769 


it Neiterftatue darftellen. Das natürlichfte Einnbild der Münzregelung ift tie 
Rage, mit Wahrfcheinlichkeit darf man deßhalb annehmen, daß fie auf dem 
ven genannten Triumphbogen nicht fehlte. Drittens der Ort, wo letzterer zu 
chen Fam, muß ein dem Capitol benachbarter geweien fein. Denn der Mönd) 
m Einfiedlen theilt eine Inſchrifty) aus dem Capitole mit, welche die durch 
laudius veranftaltete Einweihung eines öffentlichen Denfmald erwähnt. Vier⸗ 
as weiteren Aufihluß geben die Nachrichten römiſcher Topographen des 
Hözchnten Jahrhunderts. Eie melden,?) daß unter dem Eapitole, bei dem 
utigen Gotteshaufe Santa Maria della Confolazione, eine fpäter zerftörte 
Irche zum Erlöfer „von der Wage“ ftand. Damit ift Alles erflärt: offen⸗ 
r hatte die Kirche nady dem nahen „Claudiſchen Bogen von der Mage” ihren 
amen empfangen. 

Auf dem Forum und den umliegenden Plätzen fah man demnach zu 
tto’8 III. Zeiten außer den noch vorhandenen Triumphbögen des Titus, 
eptimius Severus, Conftantinus und dei Pantani wenigftend jed weitere, 
mlich die des goldenen Brodes, des Julius Cäfar und der Eenatoren, des 
erva, des Fabius, der Mage, und endlich den aurea genannten. 

Snmitten der Fläche, die füdweftlih vom Capitol und dem Forum ros 
mum nad) dem Fluſſe binzieht, ftehen heute nahe bei einander zwei Triumph» 
gen: der nad den Wechölern benannte, welchen laut der vorhandenen Inns 
rift die Kaufleute und Goldſchmiede des Forum boarium zu Ehren des 
iferd Septimius Severus crridteten, und dann der vierftimmige Janus 
ınus quadrifrons), ein Viereck mit zwei fich burchfreugenden Durchgängen. °) 
em Anfcheine nah wird Lepterer in der Notitia ald Triumphbogen des 
nftantinus aufgeführt.*) 

Die norböftlih vom Forum gelegenen Esquilien enthielten im Mittelalter 
nigftens zwei Bögen, von denen einer noch heute vorhanden ift: den des 
rdianus, der gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts abgebroden und 
a Ban der Kirche St. Lorenzo in Damaſo verwendet wurde’) — er ftand 
Umfreife der heutigen Vila Negroni — und zweitend den Bogen bed 
lllienus, der faft unverjehrt fih erhalten hat.®) 

Menden wir uns nad Süden. Der Einfiedler Mönd theilt”) die Inns 
ft eines Triumphbogens mit, welchen Senat und Bolf dem Kaifer Titus, 
Spaflans Sohne, auf dem Circus Marimus gelegt hatte. Aus den Miras 
en®) und der Braphia?) erfieht man, daß nicht einer, fondern zwei. Bögen 
Circus zierten. Deftlih vom Circus Marimus erhebt fi der cöliſche 





1) Archiv a. a. O. V,124 unten. *°) Plattner u. Bunfen II, a. ©. 46. °) Beder, 
ipbuch I, 494. Blattner u. Bunfen III, a. S. 337. *%) Ibid. III, a. 663. Man 
II. noch Breller, Regionen S. 21 u. 195. 6) Platiner u. Bunfen IH, b. ©. 219 flg: 
Daf. ©. 299 fly. ) Archiv a. a. DO. V, 123. %, Montfaucon ©. 294 unten. 
Djanam ©. 167. . 4 
Ofrörer, Pabſt Uregorins vor. Bi. V. . 49 


770 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Hügel, wo man heute einen Bogen, den des Tolabella, bei E. Tommi 
zwiſchen den Klöftern S. Gregorio und Etefano Rotondo fieht.‘) Vemub 
ih ift diefer Bogen derfelbe, ven die Mirabilien unter dem Namen arm 
Syllae aufführen?) und in die Nühe des Septizoniums verlegen. Dem % 
teres ſtand unweit S. Oregorio, man fonnte baber mit Yug jagen, tn 
Bogen Dolabella’d fei nicht weit vom Septizonium entfernt. Den Nasa 
Sylla's mag er darum erhalten haben, weil er laut der noch vorhanden 
Innſchrift von den Eonfuln E. Dolabılla und Eajus Zulius Eilanud eek 
worden if. Die mittelalterliben Innfchriftenlefer befümmerten fi, mit Ark 
nahme des Mönche von Einfievlen, wenig um Genauigfeit. Im Uebnga 
wurde das Beiwort auch anders ausgeſprochen, denn meines Erachtens ik 
derfelde Bogen, den die Graphia ald arcus stillans, gelegen post septa Sols, 
aufführt. *) 

Auch der Aventin hatte zum Mindeften einen Triumphbogen, ber aufm 
Abdahung gegen S. Balbina hin lag. Die Mirabilien fchreiben:*) „wiſta 
dem Aventin und dem Albiften, an dem Orte, wo der h. Spivefter und Em 
ftantin der Große Abſchied von cinander nahmen, flehet der römifche Beyer‘ 
Die Graphia bezeichnet?) dafjelbe Denkmal ald aventinifhen Bogen, „gelga ſ 
zyoifhen dem Aventin und dem Albifton, welder letztere Drt feinen Rasa Fi 
daher befommen habe, weil daſelbſt die weißen Etolen für den Kali kb fi 
reitet worden feien.“ An einer zweiten Etelle meldet‘) fic, daß Albiſton Mi 
©. Balbina liege. 

Noch iſt das Süd⸗Oſtende der Stadt, die Gegend am appifden mtl [ih 
tinifhen Thore übrig, welche unter dem Ramen Porta Eapena die erfe 8 
gion des Faiferlihen Roms ausmachte. Hier zählt”) Curiofum und Koi 
drei Bögen, den des Verus, des Trajanus und des Drufus auf Bi 
ſcheinlich ſtanden alle drei noch in Otto's III. Tagen. Vor der porta Appe 
in einer Borftabt lag?) ein berühmter Tempel des Mars. Laut Aueſeg 
der Mirabilien erhob ſich in der Nähe deſſelben, und zwar innerhalb des Then 
ein Bogen Sylla's. Das wäre denn ein zweiter Bogen Eylla. 
wenn nicht alle Anzeigen täufchen, beruht die Doppelheit auf einem ©% 
fehler. Denn nicht nur erwähnt!” die Graphia in der nämlichen Gegend wi 
innerhalb des appiſchen Thores einen arcus stellae, fondern eben 
fommt auch in einer Stelle des Pabſtbuchs zum Vorfchein.t!) Weiter ne) 
bie Graphia einen andern Triumphbogen außerhalb des appifchen Them 







‘) Blattner u. Bunfen III, a. ©. 490. Beder, Handbuch I, 498 fig. ) Aw 
faucon ©. 287. ?) Dzanam ©. 159. %) Montfaucon S. 287. °) Oyaman EN 
) Tbid. S. 167. ?) Preller, Regionen ©. 2.3.118. 9 Did. S. 116. Ye 
faucon ©. 286 unten. 10) Ozanam S. 159, Mitte. 11) Vita Stephani I. Big 
I, 56: arcus stellae. ':) Oyanam ©. 157: arcus triumphalis foris porta Appis a 
femplum Martis. 


Siebtes Buch. Gap. 48. Rom ums Jahr 1000. Circus. Zora. Bögen. Der Lateran. 771 


d gleichfalls beim Tempel des Mars. Endlich iſt in das heutige Thor 

Sebaftiano, das ehemals appia hieß, ein alter Triumphbogen hineinges 
ut, der den Beichreibungen entipriht, weldse die Quellen von dem Arcus 
3 Drufus entwerfen. ') 

Rechnet man zu den heute noch ftehenden oder in der Graphia, In ver 
rchenordnung von 1140 und in den Mirabilien erwähnten Triumphbögen 
h die beiden Denfmäler der Erinnerung und der Frömmigfeit hinzu, fo bes 
ft fi die Ziffer im Ganzen auf 31. | 

Während die großen, aus Stein gemauerten Denfmäler dem Zahne ber 
it trogten, haben von den vielen Roßftatuen und ehernen Bildern, die in 
ı Quellen des vierten bis zum fechsten Jahrhundert aufgeführt werben, 
r wenige, hödftens drei, die Tage des dritten Dito geſchaut. Laut der 
titia fand?) auf dem Korum ein Roß Gonftantind. Im neunten Jahre 
idert, da der Einfledler Mönd Rom befuchte, nahm daſſelbe nody immer 
ı alten Plaß ein, denn 2eßterer nennt") das Roß Eonftantind neben dem 
rgeöbogen des Eeptimius Severus. Auch während des zehnten Jahrhuns 
ts blieb die Statue allem Anſcheine nach am gleihen Orte In Folge der 
her“) berichteten Verwicklungen erfchlugen die Römer im Eommer 985 den 
genpabft Bonifacius VII., zogen die Leiche nadt aus, fchleppten fie an den 
Ben hinaus ins Feld und warfen?) fie „vor das Roß Gonftantind.” Ohne 
eifel wohnte Bonifacius glei andern Päbſten im Lateran. Die Annahme, 
; die Statue auf dem Forum ftand, weldes dur die Ränge der heutigen 
raße E. Giovanni von dem Flavifhen Amphitheater und dem Lateran ges 
ant ift, paßt daher gut zu obiger Erzählung. Auch fonft fpielte das Roß 
nftantind eine Rolle bei Beſtrafung von Verbrehern. Man erinnere®) fi, 
j Pabſt Johann XI. 967 den geftürzten Etadtpräfekten Peter mit den 
aren an das Roß Eonftantins aufhenten ließ.®) 

Später fcheint jedoch die Etatue anderswohin verfeßt worden zu fein.“ 
iſtimmig berichten Mirabilien”) und Graphla:*) „vor dem Lateran fteht ein 
nes Pferd, das dem Konftantin zugefchrieben wird, dennoch ift ed älter und 
Ht in die Crepublifanifchen) Zeiten hinauf, da Eonfuln in Rom regierten.* 
gt nun eine Fabel, welche Lebtered beweifen fol. Demnach wäre das 
ß Sonftantins, das erweislid vom vierten bis neunten Jahrhundert auf 
a Forum fih befand, fpäter nach dem freien Plate vor dem Lateran ger 
ht worden. Allein merflihe Schwierigkeiten treten dieſer Borausjepung 
gegen. 

«e Auf der Kläche, welche die Mitte des Capitol einnimmt, flieht) man 





2) Plattner u. Bunfen III, a. ©. 621. 3) Preller S. 12. 2) Archiv a. a. D. 
132. ı) Oben ©. 543. %) Muratori, soript. ital. III, b. ©. 334. °) Oben 
331 u. Muratori ibid. ©. 331. ?) Montfaucon S. 296. Dzanam ©. 168. 
Blatiner u. Bunfen III, a. S. 101 fig. 46. 


772 —— Pabſt Gregorius VII und fein Zeitalter. 


heutzutage eines der am beſten erhaltenen Denkmäler Des Alterthums — * 
eherne Neiterftatue Mark Aurel, welde an mebreren Etellen Spuren da 
Vergoldung zeigt. Pferd und Reiter find glei gut gemadt. Run behume 
der gelehrte Römer Fea mit Berufung auf Urfunden, daß viefed Terfad 
urfprünglih auf dem Forum ftand, dann auf Befehl des Pabftes Element II 
(1187 —1191) in den Lateran verfegt und vor dem Patriarchium aufge 
zulegt aber im Jahre 1538 unter der Leitung des berühmten Arciteften m 
Malers Michel Angelo nad dem Capitol übergefiedelt worden fei. 

Zwei Fälle find möglich: entweder iſt die heutige Reiterftatue tes Er 
tols eine und diefelbe mit dem Roſſe Conftantind, Das die Rotitia, der Ga 
fiepler Mönch und die Lebensbefchreiber zweier Päbfte des zehnten Zahrker 
dertd erwähnen. Dann erjcheint es unbegreiflib, daß die erfigenannte Duck, 
die doch aus amtlichen Angaben fchöpfte, Marf Aurel mit Gonftantin we 
wechſelte. Oder waren das Roß Eonftantind und dic Reiterftatue Mark Auch 
verfjchiedene Dinge, tann muß man fagen, daß mit Der Mitte des ciffn 
Sahrhunderts jede fihere Kunde vom Roſſe Conſtantins verfhwinde. 
halte es für räthlicher, letzterer Meinung beizupflichten, zumal da von tes 
Roſſe Eonftantine bis zu Ende des zehnten Jahrhunderts ſtets fo yeiproda 
wird, ala fei ed nichts weiter, denn das Bild eined Pferdes geweſen unt bebe 
feinen Reiter getragen, was doch von der Etatue Mark Aurels nict gilt 

Erft die beiden angeführten Etellen der Mirabilien und der Grark 
deuten an, daß Derjenige, zu defien Ehren da Roß gegoffen worden jei, ar 
ihm ſaß. Das fcheint zu der Etatue Marf Aurels zu paflen. Aber fr 
geben weiter einen Beilag, der nicht paßt; fie jagen nämlich aus, daß zum 
den Hufen des Pferde cin Gefangener Fleinen Wuchſes mit gebundenen Hl 
lag und von dem Roffe zertreten ward. Die Statue des Capitols hat keinn 
Unterſatz der Art, und ein ſolches Beiwerk läßt fih mit dem Gedanken, da 
dem Künftler vorjchwebte, nicht zufammenreimen. Demnach fann, Alles gu 
nau erwogen, das Gebilde, von dem die beiden Quellen reden, weber hi 
alte Roß onftantind, noch die Reiterftatue des Capitol fein. 

Berühmt war im erften Jahrhundert die Neiterftatue, mit welder Kai 
- Domitianus zu Ehren feiner angeblihen Siege über die Deutichen am Nenn 
das Forum ſchmückte. Ausführlich befchreibt‘) diefelbe der gleichzeitige Diet 
Papinianus Statius: „Domitian ſaß hoch zu Roß, lehteres aber zertrat bat 
Bild des gefangenen Rheingotts unter feinen Hufen.*) Ctimmt das wilt 
aufs Wort zu der Beichreibung des Roffes und Reiters, welche die Graphit 
und die Mirabilien geben! Wie fol aber die Statue Domitians auf den Pix} 
vor dem Lateran gefommen fein! 


) Sylvaram I, 1 flg. Bon dem Rofle heißt es Vers 50 flg.: 
” vacuae pro cespite terrae 
Aenea capüvi crinem Yarıı ungnle Bheni. 


Siebtes Buch. Gap. 43. Rom umd Jahr 1000. Cireus. Fora. Bögen. Der Lateran. 77T 


Sch denke, nachdem dur die wüthenden Kämpfe zwilchen den Normannen 
bert Wizcards und den Römern, Kämpfe, von denen am gehörigen Orte 
Rede fein wird, die ſüdlichen Regionen der Stadt und das Forum vers 
rt worden waren, mag irgend einer der Päbſte vom Ende des 11. oder 
a Anfange des 12. Jahrhunderts Anordnung getroffen haben, die Dents 
le, die no auf dem Forum ftanden, namentlich die Reiterftatue Domitians, 
b dem Lateran ald dem fiherften Orte zu bringen. Wie unten gezeigt 
den fol, geben Graphia und Mirabilien zu verftehen, daß Kunftgegenftände 
verſchiedenen Theilen der Etadt um den Lateran, als die Wohnung des 
tifchen Gebieters von Rom, aufgeftellt worden find. 

Zur Zeit, da die Graphia und die Mirabilien ihre jetzige Geſtalt erhiel⸗ 

hatte man ſich — fo ſtellte ich mir weiter die Sache vor — gewöhnt, 
Roß Eonflantins, das nicht mehr vorhanden war, fondern nur in trüber 
nnerung lebte, mit der wirklich geretteten Statue Domitiand zu verwechſeln, 
ı nichts hindert ferner anzunehmen, daß zulcht audh das Denkmal Marf 
reld, das als das einzige unter den drei ehernen Statuen der Zerftörung 
jieng, auf Befehl des Pabſtes Clemens III. aus irgend einem unbekannten 
te — denn nirgends findet fih Nachricht darüber, wo es früher fland — 
h dem Lateran verfegt worden ift. 

Run zu den marmornen Pferden. Die fiebte Faiferlihe Region, genannt 
lata, begriff *) den Raum des heutigen Corſo bis zum Quirinal und 
ı obern Pincius bin. Auf diefer Etrede ftanden ?) laut dem Zeugnifie 
Curioſums und der Notitia Pferde des Tirivated, Könige der Armenier. 
e Bermuthung drängt fih auf, daß hicmit die marmornen Rofje gemeint 
n, von welden fofort die Rede fein wird. Tirivates bat Rom in den 
gen Nero's befudht.”) War er ed, der fie aufſtellen ließ, jo fällt ihre Ans 
igung in die Regierungszeit Nero's, auf welche auch wirklich neuere Kunfls 
ner wegen Trefflichfeit der Arbeit riethen.) Als nächſte Dertlichkeit bei 

Pferden des Tiridates bezeichnen beide Quellen den Schweinemarft, der 
t weit von der Kirche zu den 12 Apofteln entfernt war. 9 Das erfte 
il werden die Roffe — und zwar unter dem feither üblihen Ramen 
alli marmorei — aufgeführt in einer Bulle) des Pabſts Johannes IL. 
re von 560-573 Betri Stuhl cinnahm). Die Gränzen der neugegründeten 
rei zu den 12 Apoſteln beichreibend , jagt er: „vom Capitol und dem 
gen der Goldſchmiede (arcus argentariorum) erftrede fid) eine Steige den 





2) Breller, Regionen ©. 136. 2) Ibid. ©. 12 u. 13: equi Tiridatis rogia Arme- 
am. _ ?°) Ibid. ©. 139. %) Plattner u. Bunfen II, b. ©. 412. 6) Preller 
140. ©) Marini papiri diplom. ©. 1: 

Per viam, quae est sub monte Tarpejo, usque ad arcum 
Argentariorum -— et inde — per scalam mortaorum fit- ascensus 
per cavam montis usque ante caballos mArmoreos. - 





774 Vabſt Gregorius VIL und fein Zeita 


Berg hinan bis zu den marmornen Rofien.“ Nach bi 
fanden die marmornen Roſſe damals allem Anfceiı 
das Capitol zugewandten Abhange des Quirinals. 

Dreihundert Jahre fpäter erwähnt marmorne R 
mal mit Anwendung ded Ausbruded caballi marn 
Mönd. Doc gibt feine Beſchreibung feine genaue 
wo er fic vorfand. Nur foviel erhellt aus feinen Wo 
auf der langen Fläche zwiihen dem Nomentanifchen ' 
genauer geſprochen, daß fie zwiſchen Sancta Eufaı 
©. Apoftoli ftanden. Das paßt chenfo gut auf di 
Via lata. Auch die Graphia und die Mirabilien ſp 
mornen Roſſen, erzählend, daß diefelben zur Zeit | 
zwei fremde Phitojophen, Phidias und Prariteles, erri 
verfennbar liegt diefem Gerede ein Urtheil über den . 
Meiſterſchaft der alten griechiſchen Bildhauer erinnere, 
der beiden Roſſe beftimmen die Mirabilien gar nicht. 
nennt eine Gegend, die ſich bei näherer Prüfung in { 

Gegen Ende des Mittelalters ftanden ’) fie auf 
jegt gänzlich verfhwuntenen Thermen des Eonftantinu 
Rospigliofi. Von da lich’) fie Pabſt Eirtus V. (IE 
Standpunkt am Eingang des Quirinal-Palaſtes verf 
nad eben diefen Rofjen Ercscentius, das Haupt des 
mädtigen Geſchlechtes, feinen Beinamen empfangen. 
daß er nie a caballis marmoreis, fondern ftetd a cal 
wird. Eoliten ſie vielleicht im 10. Jahrhundert jo 
daß ein weiterer Zwiſchenraum fic trennte! Diefe Vor 
ren, warum ter Palaft des erescentiihen Hauſes nun 
beiden feine Bezeichnung erhielt. Tiefes Dunkel lieg! 
ſchichte beider, Roſſe. 

Soviel über die Stadtzierden der Weltmetropoli 
einer Dertlicfeit reden, welder unter allen Plägen 
gebührt. Iſt nicht die Weltherrſchaft der ewigen Eto 
nigmäßig engen Raume ausgegangen, den man Forur 
freie Volk feine Angelegenheiten berieth. Nach dem € 
ganı Das politiihe Eyftem, weldes Tacitus geißelt, 
ftand, daß Auguft und feine Nachfolger den Echein 
Einrihtungen aufrecht erhielten, aber ihr Weſen ver 
forum hat die Wirkungen dieſes verborgenen Spiels fi 


) Archiv a. a. O. V, 132. ) Montfaucon S. 289. £ 
Belege bei Beder, Handbuch 1, 691. 


Siebted Buch. Gap. 43. Rom ums Jahr 1000. Circus. Fora. Bögen. Der Rateran. 775 


der Maske, die Wiege römifcher Größe zu ehren, engten die Imperatoren 
dasſelbe durch Maſſen von Tempeln, Baftlifen, Bögen, Statuen und andern 
Denkmälern dergeftalt ein, daß Fein Plag mehr blieb für etwaige Fünftige 
Volksverſammlungen. 

Die Kaiſer erbauten zweitens auf der Nordſeite des Forum Romanum 
eine Reihe neuer mit Sälen, Hallen, Bibliotheken, Säulen geſchmückter Pracht⸗ 
fora, die an Glanz Alles überboten, was man bis dahin zu Rom gefehen 
. hatte, aber zugleih der Melt fund thaten, daß binfort ein Einziger Herr ver 
: Etadt und des Reiches ſei.) Die Wegweifer des 4. und 5. Jahrhunderts, 
. @uriofum und Notitia, zählen ?) die das alte verdunfelnden kaiſerlichen Fora 
‚in folgende Ordnung auf: „Das des Cäſar (ſonſt auch Jullum genannt), das 
des Auguftus, das des Nerva, envlih das des Trajanus mit angebautem 
- Tempel deflelben Kaiſers.“ Dem Fleiße neuerer Forſcher ift es gelungen, ein 
befriedigendes Bild der Einzelnheiten zu entwerfen. ‘) 

Wohlan, nicht bloß das alte republifanifche, fondern auch die kaiſerlichen 
Voren haben fi im Weſentlichen bis herab auf die Tage des dritten Otto 
erhalten. Man kann den Beweis hiefür nad zwei Richtungen bin führen. 
Einmal fpreden ) die Mirabilien von zwei verfchievenen Foren des Nerva, 
deögleichen von zweien ded Trajanus, einem größeren und einem Fleineren, 
welde an das alte römifche fließen. Noch deutlicher brüdt*) fi die römifche 
Kirchenordnung von 1140 aus: „der Pabft geht bei Proceſfionen vorüber 
am Bogen des Nerva, burdjchreitet dad Forum Trajans, tritt heraus durch 
den Bogen Aurea und zieht dann weiter über Eanta Prarede nah ©. Marla 
Maggiore." Berner an einer zweiten Stelle:) „unter dem Triumphbogen 
zwifchen dem Tempel des Fatums und der Concordia durchgehend, fchreitet 
der Pabſt vorüber am Forum Cäſars und Trajans.“ 

Man Fönnte entgegenhalten: aus den Worten der zwei Zeugen folge 
keineswegs, daß die Fora noch im Weſentlichen ftanden, denn es ſei Immerhin 
denfbar, daß Beide nur die leeren Pläge meinten, welche die alten Namen 
führten. Allein diefer Einwand iſt darum nichtig, weil, wie oben gezeigt 
worden, die kaiſerlichen Fora zugleich als Baläfte gefchilvert werden. Nimmers 
mehr würde dieß der Fall fein, wären nicht außer den Plägen auch die ans 
fehnlihften Stüde der über ihnen errichteten Prachtbauten vorhanden gewefen. 

Die von den Foren eingenommene Fläche erhielt im Laufe des Mittel⸗ 
alter8 einen feltjamen, früher unbefannten Namen. Wiederholt war oben von 
einem templum fatale die Rebe, der unweit dem Heiligthum der Concordia 
fi erhob. Wahrſcheinlich if damit einer der Janustempel gemeint, deren es 


sy) Weder, Handbuch I, 329 flg. 345 fig. 362 ſlg. Man vergl. au die Karte. 
3) Preller, Regionen ©. 12. 13. ?) Montfaucon ©. 293: duo fora Nerrae cum templa 
suo divi Nervae ae cum majori foro Trajani. *) Mobillen, museum ital. I, AUR, 
*) Ibid. ©. 143 unten. 


776 “ Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


mehrere auf dem Foruin gab.) Wohlan in die Nähe eined Janus verlegt’) 
Procop das Heiligthum der Parzen, „welches,“ jo fagt er, „von den Römern 
„tria Fata“ geheißen wird.” Den nämlihen Ramen aber trägt das Pabſt⸗ 
buch an mehreren Stellen auf die Gelammtheit der Zora über. Es erzählt:’) 
„In Folge der Streitigkeiten, welde im Sahre 768 wegen Erledigung des 
Stuhles Petri ausbrachen, verfammelte der pähftlihe Großbeamte Ehriftophorue 
alle Priefter und Häupter des Clerus, die Oberften der Kriegsmacht, das 
gefammte Heer des Kirchenſtaats, alle angefehenen Bürger fammt Der ganzen 
Volksgemeinde vom größten bis zum kleinſten am Orte der drei Yata, und 
brachte zuwege, daß Stephan IV. einmüthig zu Petri Statthalter gewählt ward.* 

Bon felbft verfteht es fih: nur ein großer Platz Fonnte eine ſolche Menge 
von Menſchen fallen. Man muß daher an den ganzen Raum denfen, auf dem 
die Fora fanden. Doch das Pabſtbuch jagt dieß jelber faſt mit ebenfo vielen 
Worten. Es verlegt nämlich in den Umfang der tria fata erſtlich die Kirche") 
zu den H. Damian und Eosmas, weldhe das äußerſte Rordöftende des Yorum 
Romanum einnimmt, zweitens die Bafılifa ber heiligen Martina, ) welde 
gleih dem Heiligthum der Märtyrer Damian und Cosmas heute noch ftehl, 
aber am Nordweftende des Forums unter dem Gapitol zur Seite der Taiferlichen 
Prachtfora liegt. Die tria fata erftredten ſich folglidy über die ganze Flaͤche 
der Bora. Tönt nit aus dem Namen die Ahnung hervor, daß die Parzen 
bezüglich der alten republifanijchen wie der faiferlihen Zora ihr Werk vollendet 
hätten, mit andern Worten, daß die Geſchicke des einen wie der andern für 
immer abgelaufen und verfiegelt feien! 

Gegen Weften ſchloß die Zora das Capitol mit feinen Tempeln und 
Herrlichkeiten ab, gegen Oſten begrängte den Gefichtöfreid der Wunderbau des 
Flavianiſchen Amphitheatere, das bereitd mit feinem heutigen Namen Colofjeum 
bezeichnet zu werden begann. Zur Site des Amphithratere erhob ſich gegen 
Norden der Eoloß Nero’s, jüdlib der Triumphbogen Conſtantins und vor ihm 
einer der präctigften Epringbrunnen des Alterthums, die meta sudans, ein 
Säule, welde Garben von Waſſer in ein unten angebracted Beden ergoß.") 
Auch die meta sudans ftand noch in Otto's IIL Tagen. Der Einſiedler 
Mönd reiht”) fie richtig neben das Amphitheater des Ylavius und den Sie 
gesbogen Conſtantins, die Kirhenordnung von 1140 befchreibt ), wie ber 
Pabſt im Feftzuge, vorüber an der meta sudans, dem Bogen Eonftantind, 
das Amphitheater und den Coloß links Tafjend, nach dem Lateran zurüdfehrte. 

Richt dem Prunfe oder Rechtsgefchäften, wie die Prachtfora unter dem 


) Preller a. a. O. ©. 143. ) De bello gothico I, 25. Opp. edit. bonnens. 
u, 122. 2) Muratori, seript. ital. III, a. ©. 175, b. *) Ibid. ©. 188, a. untere Bitte. 
Deßgl. 192, a. untere Mitte. ®) Ibid. ©. 209, b. Mitte. 6) Breller, Regiowen 
©. 128 fig. Beder, Handbuch I, 530. Blattner u. Bunfen Il, a. ©. 312 flg. i) Are. 
a. a. O. V, 137. ) Mabilion, museum itelic. II, 144 oben. 


Siebtes Bad. Gap. 43. Rom ums Jahr 1000. Circus. Fora. Bögen. Der Lateran. 777 


ıpitol, fondern den Bebürfniffen des täglichen Lebens dienten gewiſſe Räume, 
gleich jenen den Namen Bora trugen. Im Berlaufe unferer Darftellung 
m von dem Schfenmarft (forum boarium), welchen der Siegesbogen ver 
Hofchmiede und der vierftirnige Janus jchmüdte, ſowie vom Schweinemarft 
rum suariam), in der Nähe des Heiligthume der zwölf Apoftel die Rebe. 

Für Eßwaaren gab ed zwei beſondere Verfaufspläge, die nicht Yora, 
dern macella hießen, rings von Eäulenhallen und Buden umfreist waren, 
ten ein Schlachthaus in Yorm eines Kuppelbogens hatten. Das eine, 
hrſcheinlich zum Unterſchied vom Eleineren der 2ivia macellum magnum 
T das große genannt, Frönte die Höhe des cöllihen Berge, wo es bie 
abtbeichreibungen des vierten und fünften Jahrhunderts erwähnen. ‘) Eine 
anze Nero's ift auf und gefommen, welde ein Kuppelgebäude mit Hallen 
» der Inſchrift mac. darſtellt.) Das mag fi auf das macellum des 
lius beziehen, denn Dio Caſſius fagt, daß diefer Kaifer einen Markt für 
waaren erbaut habe.?) 

Das zweite Macellum lag, laut Yusfage*) des Euriofums und der No- 
a, auf dem eöquilinifhen Hügel, und führte den Beinamen Livianum oder 
rise. Es fcheint von Auguft und feiner Gemahlin Livia errichtet worden 
fein.) Kein mittelalterlihed Zeugniß ift mir befannt, weldes das Ma- 
um des Eölius ald vorhanden erwähnt. Das andere aber beftand fort 

über Otto's III. Zeiten herab, und man kann ziemlich genau feine Lage 
hweiſen. Indeß erlitt der Name Livia Verketzerungen. Das Pabſtbuch 
reibt:*) „Pabſt Liberius erbaute eine feitvem nah ihm genannte Baſilika, 
weit des Macellums der Libia.” Die Hauptlirhe Santa Maria Maggiore 
gemeint, welche längere Zeit dem Pabſte, der fie umgeftaltete, zu Ehren 
eria hieß. Eine Handſchrift liest®) ftatt Libiae Lidia. Das Macellum 
Hte demnach von einem noch unbeftimmten Orte bis zur Mutterfirhe Santa 
aria maggiore hin. Weiter meldet”) diefelde Quelle: „Pabft Sirtus II. 
32—440) erneuerte die am Macellum gelegene Bafllita, welche man bis 
‚in dem Pabſte Liberius zu Ehren Liberia genannt hatte, und gab ihr den. 
men Santa Maria Maggiore.“ 

Die andere Gränze des Macellums wird durch zwei Zeugniſſe der Kir⸗ 
nordnung von 1140 und des Pabſtbuchs feſtgeſtellt. Letzteres verlegt®) 
Kirche des h. Vitus, welche ſüdöſtlich von Maria Maggiore an der Straße 
. Eroce Liegt, in die Nähe des Macellums. Die Kirchenordnung fagt:?) 
na Feſtzuge Fehrt der Pabſt aus Maria Maggiore über den esquiliniichen 


*) Preller ©. 4 u. 5. Dann 119. ?) Die Belege bei Beder a. a. O. I, 502 fig. 
Preller ©. 8 u. 9. Dann 131. %) Becker, Handbuch I, 544. *) Muratori, script. 
UI, a. ©. 113, b. oben. 9) Bignoli, liber pontifical. I, 118. ) Muratori a.a. O. 
117, b. unten, °) Vignoli a. a. O. U, 287 unten. 2) Mabillen, museum ital, 
141. 


2 





778 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Berg durd den Bogen ded Galienus am Macellun Lunanum nad dem La 
teran zurück.“ Ctatt Livianum hat der Tert vermöge eines groben Verſtoße 
Lunanum. Im Uebrigen ftand die Veitsfirhe dem Bogen des Gallienu 
gegenüber. 

Keineswegs war etwa dad Macellum der Livia ein bloßer Name, ein Tec 
Platz geworben, ſondern noch in den Tagen der Dttonen wurde dort in einer Weil 
Marft gehalten, daß Beamte aus täglihem Kauf und Verfauf erlaubte un 
unerlaubte Nugungen zogen. Als Zeugen ftelle ich die Urfunde des Pabſt 
Leo VIIL vom Sabre 963, welche neben Baffenhauptleuten, Vorſtehem dr 
Hecrftraßen, der Paläfte, der Wafferleitungen, einen Lehenträger des Macel 
lums der Lidia aufführt.‘) Das nämlihe Pergament liefert meines Erachten 
zugleich einen Beweis dafür, daß der Eßwaarenmarkt auf dem Cölius gega 
die ziveite Hälfte des zehnten Jahrhunderts nicht mehr beſtand. Wäre der 
jelbe noch von irgend welchem Belange gewefen, fo würden ſich ohne Zweite 
erwerbluftige Adelige gefunden haben, welche Luft bezeugten, in gleicher Weil 
den Markt des Gölius wie den des eöquilinifchen Hügeld auszubeuten. Au 
erfterem Berge fteht eine Kirche, welche Stefano rotondo heißt und fo ziemlid 
die Geftalt hat, wie der Kuppelbogen auf der oben erwähnten Münze Rero’d 
welche das Macellum abbildet. Ich denke, eben diefe Kirche wird an bi 
Stelle des großen Macellums getreten fein. 

Durchaus find ed Denkmäler oder Weberbleibjel der heidniſchen Roma 
die bisher nachgewiefen wurden. Gehen wir zu den Bauten des driflli 
hen Roms über, welde an Bedeutung und Zahl den erfteren nicht nachſtehen 
Großentheils find fie aus denfelben hervorgewachſen. Es wäre überflujfig, di 
Kirhen und religiöjen Anftalten der ewigen Etadt einzeln aufzuzählen, denn be 
weitem die meiften, Die man heute noch dort fieht, und die man in leicht zugänglice 
Büchern verzeichnet findet, oder deren Vorgänger, ſtanden ſchon in Otto's Il 
Tagen. ALS Ueberblid des Ganzen möge die Ausfage eines Zeitgenoffen ge 
nügen. Arnold, Sohn eines deutihen Grafen, welder ald Möndy zu St 
Emmeram in Regensburg um 1036 eine Gefcichte dieſes Kloſters verfaßte 
Schreibt?) unter Anderem: „einjt war Roma in den Gögendienft des Heiden 
thums verftrict, weßhalb ihr der Apoftelfürft Petrus den Namen Babylor 
gab. Aber jpäter demüthigte fie fi durd das Verdienft deffelben Petrm 
und feiner Nachfolger unter das Joch Ehrifti, und wurde aus einer teuflijce 
Stadt in eine göttlihe verwandelt. Unnennbar ift die Zahl der Kiichen un 
Klöfter, die von da an bis auf den heutigen Tag aus den Trümmern alte 
Zempel entitanden find und noch erftehen. Ein Greis, der feine Jugend ie 
Rom verlebte, hat mir erzählt, daß aus der Maffe jener Kirchen 120 mi 


1) Perg, leg. II, b. ©. 170: Gardus de macello Lidiae. Wie in der oben angeführke 
Stelle des Pabſtbuchs lautet der Name flatt Livia durch Verketzerung Lidia. 2) Der 
IV, 567, a. Mitte. 








Siebtes Bud. Gap. 43. Mom ums Jahr 1000. Circus. Fora. Bögen. Der Laterau. 779 


ern verbunden find, von denen 20 Ronnen, 40 Mönchen, 60 Eanonifern 
ehören.“ 

Ich werde da und dort einzelne dieſer mit Wohnungen für Cleriker ver⸗ 
nen Kirchen erwähnen. Den erften Rang unter ihnen nahm ver Lateran 
‚ denn dort thronte gewöhnlich, wie es in der früher angeführten Stelle aus 

Graphia heißt, der Herr Pabſt. Als bevorzugte Wohnung der Statt- 
ter Petri erhielt der Lateran feit dem flebten Jahrhundert‘) den Ehren⸗ 
men Patriarhium. Nah dem Tode Conons hatte das Volk 687 ven 
chipresbyter Theodor zum Pabfte aufgeiworfen, „welcher fofort das Patri⸗ 
hinm befeßte." Das Pabfibuh meldet?) weiter: „Zacharias, (ber von 
1—752 Petri Stuhl einnahm) ſchmückte dad Patriarhium des Lateran 
t einem neuen Bauwerke.“ Mönch Benedift vom Berge Sorafte ſchreibt:) 
ter Pabft Sergius III. (904— 911) flürzte ein Theil des lateranenfifchen 
itriarchiums zufammen, aber der Pabſt ftellte es fogleich wieder her.” Der 
echiſche Biograph des Abts Nilns erzählt: „als Nilus 997 Rom befuchte, 
gen ihm der Pabſt und Kaiſer entgegen und führten ihn ins Patriarchium.“ 
dert, Lchensbefchreiber Leo's IX. berichtet:®) „todtkranf Echrte der Pabſt (1054) 
3 Benevent nah Rom in den Tateranenfifhen Palaſt zurüd.“ Ich füge 
i Stellen aus den roͤmiſchen Annalen®) bei: „von der Barthei des Cars 
als Hildebrand beflegt, entfloh 1059 Gegenpabſt Benebift X. aus dem 
triarchium des Lateran;“ und abermal”) zum Jahre 1118: „Gelaſius über 
ym das Pabſtthum, und fchlug feinen Wohnfig im Patriarchium des La⸗ 
ın auf.” 

Weil der Pabft, politifcher Herr der Stadt, im Lateran faß, geſchah es, 
3 bewegliche Kunftwerfe, Gegenftände des Schmucks und der Pracht, vors 
Sweife um diefe feine Wohnung aufgeftelt wurden. Die Graphia fagt:%) 
ꝛx porphyrme Sarg des Kaiſers Hadrianus ſteht nicht mehr am alten Pla 
der Engeldburg, fondern man hat ihn nad dem Lateran geſchafft,“ und 
einer andern Stelle:?) „auf der Spibe des Coloſſeums prangte ehemals ein 
[d mit goldener Krone reich mit Edelſteinen gefhmüdt, aber jest ſtehen 
mpt und Hände dieſes Bildes vor dem Lateran.” Aus dem nämlichen 
unde find meines Erachtens nach Verheerung des Forums in der früher 
hriebenen Weiſe jene Reiters oder Roß- Statuen nad dem Lateran vers 
ınzt worden. 

Beſonderer Umftände wegen möge mir vergönnt fein, außer dem Patri⸗ 
hium ein einziges römifches Stift einzeln hervorzuheben. Auf einer der 
Itenhöben des Aventins, nicht gar weit vom ‘Baulsthore entfernt, fteht heute 


— — — — 


2) Nuratori, script. ital. III, a. 148, b. oben. 9) Ibid. ©. 168, b. Mitte °) Berk 
713 unten. 4) Bere IV, 616. *) Mabillon, acta VI, b. ©. 77. %) Ber 
471, n Ikid. ©. 478. % Oyanam ©. 162 unten. *) Ibid. ©. 167, RR. - 





780 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


noch Klofter und Kirche zum heiligen Saba.) Das Jahr, in weldem es 
baut wurde, kennt man nicht, doc ift gewiß, daß fein Urfprung zum Mi 
deften ind jehst* Jahrhundert zurüdreiht. Denn Mönd Johann aus Mor 
Gaffino, der im neunten Säfulum cin ausführliches Leben des Pabſts Gi 
gorius I. verfaßte, meldet?) nicht blos, daß Gregors Mutter in das Eat 
Klofter eintrat, fondern gibt demfelben auch bereit den Namen cella nov 
der ihm in den folgenden Zeiten geblieben if. Mehrere Urfunden?) aus d 
Sahren 955 und 961 jagen aus, daß das Etift Saba cella nova geheiß 
worden fei, oder bezeichnen es geradezu mit dieſem Namen. Die gleihe B 
hauptung findet fih auch in etlihen Stellen ded Pabſtbuchs.“ aba mı 
reich gemwefen und darum adeliger Gier zum Opfer gefallen fein. Ich felie 
dies daraus, weil die VerzichtsUlrfunde Leo's VIIL. einen weltlichen Herm ®ı 
gorius offenbar als Laienabt von Erlla nova aufführt. Als das einzige unt 
allen Klöftern Roms war es in eines der großen Stadtlehen verwandelt worbe 


Vierundvierzigſtes Capitel. 


Politiſche Cintheilung bed mittelalterlichen Roms. Iufammenfegung des Pabſtbuchs. g 


vierzehn Regionen der heidnifchen Zeiten werden nach der Mitte bes fechöten Jahrhunte 
durch vierzehn chriſtliche verdrängt. Urheber des neuen Syſtems war Bafılend Juſtini— 
Eigenthümlidgfeit der chriftlichen Regionen. Ziemlich deutliche Spuren find vorhanden, d 
im neunten Jahrhundert der Rarlinger Lothar, Ludwigs bed Frommen Sohn, im einig 
wichtigen Punkten die Gintheilung Juſtinians abänderte. Al Dritter griff Fürſt AU 
rich II., Urheber der demofratifchen Verfaffung Roms, auch in das Regionenweſen € 
indem er die von Juftinian begründete Reihenfolge wieder herftellte, fonft aber den Bere 
als fünfzehnten Stadtbezirk, den vierzehn älteren beifügte. Diefe Schöpfung Alberic 
wird zum viertenmale durch Kaifer Otto I. umgeftaltet. Neuer Beweis für die Aed 
heit der DBerzicht-Urfunde Pabſts Leo VIII. 


Jetzo iſt ed Zeit, die innern Einrichtungen des Ottoniſchen Roms zu « 
gründen. Kaifer Auguftus hat die unermeßlihe Weltftadt in vierzehn R 
gionen eingetheilt und einer jeden beſondere Obrigfeiten und Wächter zug 
wiefen.*) Dieſe Anordnung wurde maßgebend für die folgenden Jah 
hunderte bis auf den heutigen Tag, obgleih im Einzelnen wejentlid 
Abänderungen — doch weniger der Zahl nad ald bezüglich der Dertlid 
keiten — cintraten. Auch durch das zehnte Säkulum beftand vie Eintheilun 
Roms in vierzehn Regionen, nur kam, obwohl für furze Zeit, eine fünfzehn 
hinzu. Nun bat das römiihe Volk, wie anderwärts gezeigt worben, inne 


‚ halb des eben genannten Zeitraums ausgedehnte politifche Rechte, namentli 


die Befugniß, Magiftrate, ja den Pabft zu wählen, erlangt. 


) Bunfen u. Blattner, Befchreibung der Stadt Rom III, a. S. 425 flg. ) Opp. Grı 
gorii edit. Maurina IV, 25. 2) Marini papir. dipl. ©. 41 u. 161. *) Edit. Bigno 








ME |], 143. 145. 229. V Die Belege bei Preller ©. 68 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 44. Die chrifllichen Regionen der Stadt Rom. "3 


Bei folhen Staatöformen fpielen unfehlbar — ich berufe mid auf Er: 
fahrungen des neueren Eonftitutionellen Deutſchlands — die Abgränzungen von 
Bezirken oder auch von großen Etädten eine wichtige Rolle, weil fie nicht 
felten entfcheidend auf Wahlen einwirken. Schon aus diefem einen Grund 
erfcheint es von hohem Werth, die Regionen nachzuweiſen, in welche Rom zu 
den Zeiten Alberichs IT. und feines Eohnes Pabft Johann XIT. zerfiel. Abs 
geſehen hievon wird der Erfolg Ichren, daß die fraglihe Nachweifung geeignet 


AR, die lepten Zweifel über Aechtheit der Urkunde Leo's VIII vom Jahre 963, 


Du Er ze 


welder an biftorifcher Bedeutung faum irgend cin Pergament des zehnten 
Jahrhunderts gleich kommt, fiegreich nieverzufchlagen. Immerhin unterliegt die 
Unterfuchung, zu der ich mid wende, großen Schwierigkeiten. 

Aus den römischen Geſchichtsquellen des erften bis zum vierten Eefulum 
wie aus alten Innſchriften ergibt fi, daß die von Auguft eingerichteten Re 
gionen lange Zeit Feine örtlichen Ramen trugen, fondern in der Regel nad 
der Ordnungszahl — als erfte, zweite, dritte u. |. w. aufgeführt wurden. *) 
Nur zwei machen eine Ausnahme. ine Innfchrift ſpricht von einer Region 
Porta Capena, und mehrere alte Chroniften bezeichnen Trastevere als eine 
Region. Allmählig aber fam der Gebrauch auf, daß man im gemeinen Leben 
die Regionen mit oder ohne Beifügung der Ordnungszahlen dur gewiſſe 
Dertlichkeiten beftimmte. Die auf ſolche Weife üblich gewordenen Regionen- 
Namen, weldhe während des vierten und fünften Jahrhunderts allgemeiner 
Geltung genoffen, find im @uriofum und der Notitia verzeichnet, wobei je 
doch zu bemerken, taß man den Umfang einer jeden nicht genau, fondern nur 
annähernd, beftimmen kaun. Ich theile die Namen in der Reihenfolge mit, 
wie beide Quellen fie aufführen. 

Erfte Region porta Capena — fie umfaßte die Etreden von den Abs 
hängen des Eölius auf beiden Seiten der via appia bis zur aurelianijchen 
Stadtmauer.) Zweite Region, coelimontium, Eöllfher Hügel bis über den 
Zateran hin.) Dritte Region, Iſis und Eerapis, begriff) das Flaviſche 
Amphitheater, die Bäder Ted Titus und Trajanus fammt dem bei der heu⸗ 
tigen Kirche Pietro e Marcellino nörblih vom Lateran gelegenen Tempel der 
beiden ägyptiſchen Götter, weldhe der Region den Namen gaben. Vierte Res 
gion, templum pacis, fie ftieß gegen Dften an die vorgenannte Region, in 
ihrem Umkreiſe lagen der Eoloß, der Friedenstempel, welcher weftlih gegen 
das Forum Hin reichte, dann die Carinen und die Euburra.*) Fünfte Region, 
die Esquiliae; wie der Name andeutet, gehörten zu ihr die Höhen des esqui⸗ 


liſchen und wiminalifhen Hügeld, das Macellum Livia's, dann die Niederungen 


bis zur porta tiburtina und praenestina®) hin. Sechste Region, alta Semita; 


— 


) Ibid. ©. 69 fg. ) Daf. S. 113. 5 ldid. S. 1189. 10a © U, 
*) Ibid. ©. 127 fd. °) Ibid. ©. 130 fig. Be 





782 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


begriff den Quirinal bis zur porta Pinciana, Salara und Nomentana.') 
Eiebte Region, via lata, der heutige Eorfo von dem Nordabhang des Eapi 
told bis zum flaminifhen Thor und öflih bis zum Quirinal und Pincio.) 
Achte Region, forum romanum, in {hr lagen die kaiſerlichen Fora und bat 
des Volks, fowie das Capitol mit feinen ſüdweſtlichen Abhängen gegen den 
Fuß Hin.) Neunte Region, circus flaminius, die ausgebehntefte, fie ums 
faßte nit nur den Circus, ver ihr den Namen gab, fondern auch das ge 
fammte Marsfeld, wefentlih die ganze Strede, welche zwiſchen dem heutigen 
Eorfo und dem Strome liegt.*) Zehnte Region, palatium, der palatinifce 
Hügel mit feinen Abhängen.®) 

Die eilfte Region kehrt mad den ſüdlichen Theilen der Stadt zurkd: 
circus maximus. Wie der Name ausweist, enthielt diefe Region den größten 
unter den Eircen fammt feinen Umgebungen. Zwölfte Region, piscina publica, 
umfaßte das Eüdweftende der Stadt von den Gränzen der porta Capena bit 
zum Aventin gegen Norden und dem Tiberufer im Weften.*) Dreizehnte Re 
gion, Aventinus, begriff den aventinifchen Hügel mit feinen Wbhängen.”) 
Endlich vierzehnte Region, Transtiberim, der auf dem weſtlichen Ufer des 
Fluſſes erbaute Stadttheil, heute noch Trastevere genannt.®) 

Bündig fann man darthun, daß zwei diefer Namen nicht den Tagen 
Augufts, fondern einer ‚späteren Zeit angehören. Erſt Bespaflan war «#, 
der den Friedenſtempel erbaute,”) welcher der vierten Region ihren Namen 
gab. Deßgleichen ift das Heiligthum der ägyptiichen Götter Iſis und Serapit 
aller Wahrfcheinfichfeit nach erft unter Garacalla errichtet worden.') Abermal 
fieht man alfo: die örtlihen Regionen-Namen find allmählig vom erften bit 
vierten Jahrhundert chriftlicher Zeitrechnung entftanden. 

So viel über die räumliche und politifhe Eintheilung des heidniſcher 
Roms, welche feitvem unter der Herrfchaft des Kreuzes wejentliche Abänte 
sungen erlitt. Es waren amtliche Aftenfüde, aus denen @uriofum und Re 
titia jchöpften, und diefe Bücher felber tragen unverfennbar ein amtliches Ge— 
präge. Aber aucd diejenigen Aenderungen, welche feitdem eintraten, find alle 
Mahrjceinlichteit nah das Werk einer Regierungsgewalt geweien, und zwai 
liegen, wie unten gezeigt werden ſoll, deutliche Epuren vor, daß zmifchen dem 
fünften und der Hälfte des zehnten Jahrhunderts nicht etwa blos ein, fen 
dern zum Mindeſten zwei Wechjel bezüglich des Eyftemd der Regionen ftatt 
fanden. Gin folder Zuftand hat faft nothwendig eine gewiſſe Begriffe 
oder Namenverwirrung im gemeinen Leben zur Folge. Ih knüpfe an Be 
fannte® an. Als nad dem Einſturze des alten Reichs gewiſſe deutſch 





1) Ibid. ©. 133 fi. *) Iid. ©. 136 fl. °) Ibid. S. 141 fig. °) Tbid 
©. 155 filg. °) Daf. ©. 180 fl. ) Did. ©. 195 fl. N) Ibid. ©. 199 fip 
*) Ibid. ©. 208 fig. ") Die Beweife bei Beder, Handbuch I, 437. 10) Preller, Re 
gionen ©. 123 flg. 


Siebtes Bu. Gap. 44. - Die chriſtlichen Megionen der Stadt Mom. 783 


Frenihümer durch Ncholeon I. anſehnlich vergrößert worden waren, geſchah 
iederholt, daß die begünſtigten Herrn Plaͤtzen oder Straßen ihrer Haupt: 
te, flatt ber bisher üblichen, andere, glängendere Namen gaben. Allein 
e von der Staatögewalt beliebten neuen Benennungen gehen darum doch 
E fofort in den täglichen Gebrauch über, ſondern meift ſteht es drei, ja 

Menfchenalter an, bis fid der gemeine Mann dazu verfteht, ftatt ber 
mw durch lange Gewohnheit befeftigten Namen die von gnädigſter Herr⸗ 
Fe geichöpften in den Mund zu nehmen. 

Nun Aehnliches muß im chriftlihen Rom vorgegangen fein, fo oft ein 
tem der Regionen durch ein anderes verdrängt wurde. Mochte die Staates 
alt diefen oder jenen Bezirf fo oder jo getauft haben, der SPrivatmann, 

in ihm Grundvermoͤgen befaß, das er verfaufen ober verfchenfen wollte, 
Arrte darauf, in dem Kauf oder Schenkungsbrief fein Eigenthum nicht 
H dem neuen amtlichen, fondern nad dem alten gewöhnlichen Regionen» 
amen zu bezeichnen. Genau bejehen, kann ſelbſt die vielgefhäftigfte Res 
erung ein ſolches Gebahren nicht verhindern. Denn das Recht, kraft deſſen 
* laut dem ſchwäbiſchen Sprihworte — ein Jeglicher nach Belieben fein Heu 
troh, oder fein Stroh Heu nennen mag, iſt ein unveräußerlihee. Wir 
erden unten in Privaturfunden auf Belipiele der angebeuteten Art ftoßen. 

Hauptquelle für Kenntniß der hriftlihen Regionen ift das Sammelwerf, 
4 unter dem Namen Pabſtbuch — liber pontificalis — auf uns fam und 
iher irrthümlich einem päbftlihen Bibliothekar des neunten Jahrhunderts beis 
legt wurde. Zunädhft habe ich Einiges über vie Zufammenfegung ded Werkes 
: fagen. Zwei, obwohl fehlerhafte, Abjchriften einer Bearbeitung des Lebens 
r Paͤbſte vom Anfang der Kirche bis herab auf Liberius (352—366), — 
e Arbeit eines unbekannten Geiftlichen, der unter Liberius felber blühte — 
id vorhanden.) Diejen älteftlen Stamm des Pabftbuhs hat zu Ende des 
bien Jahrhunderts durch Beifügung des Lebens der Päbfte von Liberius 
6 auf Bonon ein: gleichfall8 unbekannter Cleriker fortgejegt. Zwei Abſchriften 
bteren Erzeugniffes liegen in den Biblothefen von Neapel und Verona.?) 
ine zweite Bortjegung lieferte ein dritter Verfaſſer, ver die Geſchichte der 
äbfte von Theodor bis auf Konftantin (687— 715) zufügte. Dieſe zweite 
ortſezung iſt in einer Handfchrift der Vatifana erhalten, welde in die Zeiten 
regors IL. fällt und mit Conftantin fchließt.) Die Lebensbeſchreibungen der 
äteren Päbfte — von Gregor II. bis auf Stephan VI. (715—891) find 
m gleichzeitigen römischen Geiftlichen entworfen worden. Alle zufammen bat 
nn eine fpätere Hand des zehnten Jahrhunderts überarbeitet und zu einem 
anzen vereinigt, fo daß fie das jetzige Pabſtbuch bilden. 


!) Blattner u. Bunfen I, 211. 2) Daf. S. 200. 3) Muratori, script. ital. III, a. 
.121, a. 





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SEEN 7 


u: Rat 2 E 7 


784 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Dem, was bezüglich der Regionen als alter eidniſcher Gebrauch nad 
gewiefen worden, entipricht auch tas Berfahren des Pabſtbuches. Wicherhei 
ift von den Regionen nur nach der Orbnungszahl, ohne Beifügung von ör 
lihen. Namen, vie Rede. Das Leben des Pabſts Eimplictus (468 —483 
erwähnt‘) die erfte, dritte, fechöte, fiebte Region. Die dritte Region mir 
genannt?) im Leben Sylveſters I. (314—335), die fiebte und vierzehnte in 
Leben’) des Pabſts Julius (337 — 352). 

Allmählig jedoch erhielten fämmtlihe Regionen der chriſtlichen Zeiten ort 
lihe Namen und zwar in der Art, daß Tehtere gewöhnlich allein aufgeführt 
und nur ausnahmsweiſe die Drdnungszahlen beigefügt werden. Zugleid be 
gann eine andere Reihenfolge, fraft welcer die Regionen, welche ehemals ten 
erften Rang einnahmen, fih mit einer nievereren Ziffer begnügen mußte 
und umgekehrt. Faſt buchftäblih geihah, was das Evangelium mit ben 
Morten ausdrückt: „Die Letzten werden die Erften jein.“ 

Kraft dieſes Wechſels flieg der Aventin, in heidniſchen Zeiten bie brei 
zehnte, zur Ehre der erften Region empor. Das Leben des Pabſts Eugenins, 
welcher von 654—657 auf Petri Stuhle faß, hebt an mit dem Sage:") 
„Eugenius erblidte das Licht der Welt zu Rom auf dem Aventin, dei 
erftien Region.” Daß der Berg fhon um tie Mitte des fiebten Jahr: 
hundert® den nämlichen Rang behauptete, folgt mit Nichten aus ver ange 
führten Stelle. Denn der Ueberarbeiter des Ganzen fönnte leicht die betref⸗ 
fenven Schlagworte gemäß den Begriffen feiner Zeit, d.h. des zehnten Jahr 
hunderts, eingefügt haben. Wir werben fpäter Bälle finden, daß in tem 
Pabſtbuche verfchiedenartige NegionensNamen, Früchte entgegengefegter Er: 
fteme, jcheinbar friedlich neben einander wohnen. 

Allein eine andere Duelle — dabei Denfinal erften Werths — liefen 


den Beweis, daß allerdings fchon im festen Jahrhundert der Aventin di 


Ehre der erften Region genoß. Unter dem 5. Dftober 591 fdhreibt?) Rat 
Gregorius I. an den Subdiafon Eabinus: „id gebiete Dir, Daß du Me 
Garten des (verftorbenen) Presbyters Belicianus, gelegen in der erften Re 
gion vor den Stufen der Kirche Sanfta Eabina, an dad Nonnenflofter Kr 
Euprepia zu ewigem Befige ausfolgeſt. Die Kirche Sankta Eabina fant 
und fteht‘) heute noch auf der Epike des Aventind, welcher demnach gegen 
Ende des fehsten Jahrhunderts die erfte Region bildete. 

Den gleihen Vorzug bewahrte der Aventin aud im zehnten Jahrhunden 
Jotſald, jüngerer Zeitgenofje des Oberabts Odilo von Clugny und Berfafle 
feiner Xebensgefchichte, gibt zu verftehen, daß der Aventin in den Tagen Onlet 





) Muratori, script. ital. III, a. €. 121, a. 2) Ibid. ©. 111, b. Zufag 213. 
2) Doch nur in einigen Handfchriften, Bignoli, liber pontifie. T, 112. *) Muratori a. a C. 
II, a. S. 140, b. °) Jaffe, regest. Nr. 794. Gregorii I. opera edit. maur. IL 571 
°%) Bunfen u. Plattner, 3. d. St. R. II, a. ©. 412 fig. 


Siebtes Bud. Gap. 44. Die hriflicden Regionen der Stadt Rom. 185 


nd folglich auch Otto's III. das vornehme Quartier der Stadt Rom war. 
Jerjelbe fchreibt:‘) „von allen andern Hügeln Roms umſchließt der Aventin 
ie fchönften Häufer, und da er hoch und Iuftig gelegen ift, kann man bas 
TR die Hige leichter aushalten, als fonft in Rom.“ Gut flimmen zu biefer 
Schilderung andere Nachrichten. Auf dem Aventin erhob ſich der kaiſerliche 
teichöpalaft, den die Graphia erwähnt.) Der Chronift von Kammerich bes 
chtet:) „Dtto IIL nahm feinen Wohnfig in dem alten Kaiferpalafte, ber 
m Aventin Frönt.” Bon eben diefem Palafte aus ward das Schattenfpiel 
neuerter Weltherrichaft betrieben. 

Doch nicht nur die Kaifer, fondern auch die Häupter des römifchen Adels 
ieben auf dem Aventin ihr Weſen, weßhalb Jotſald fagt, daß der Aventin 
je fchönften Häufer Roms umfaſſe. Namentlih ſtand') dort das Stamm; 
ms der Tusculaner, welches Alberich II. an die Clugniacenſer abtrat und in 
18 Klofter Santa Maria verwandelte. Die Clugniacenjer wußten, warum 
e gerade auf dem Aventin eine Mohnung erftrebten, und der Same, den fie 
söftreuten, ging auf. In der Abtei St. Maria, welche über dem Aventin 
h erhob, hat Hildebrand, der nahmalige Pabſt Gregorius VII., den erften 
unterricht empfangen,®) und neben S. Maria ftand und fteht noch heute das 
lofter der h. Mlerius und Bonifacius, deſſen Aebte und Mönde wir als 
orfechter gregorianiſcher Ideen in den Tagen der Dttonen kennen gelernt 
ben.) Gift und Gegengift, Kaiſerpalaſt und Feuerheerd der Kirche, waren 
ır dur wenige Schritte getrennt. 

Nun denfelben aventinifchen Hügel, der feit den wüthenden Kämpfen 
yiichen den Römern und den Lanzfnechten Roberts Wizkard veröbete und jept 
e verlafienfte Gegend der ewigen Stadt ift, erklärt”) in Uebereinſtimmung 
it dem Briefe Gregors J. und dem Pabftbuche die Urkunde Leo's VIII. vom 
ahre 963 für die erfte der Regionen. 

Gehen wir über zur zweiten Region. Zwifchen dem Weftabhange des 
ventin und dem Strome ftreicht Tängs dem Ufer eine gegen Norden fchmale 
lädhe hin, die fi gegen Süden zu einer geräumigen Ebene erweitert. Hier 
g der Handelshafen Roms, hier waren zweitens große Magazine angelegt, 
Sbefondere die Horrea Galbiana und Aniciana, welche Euriofum und Notitia 
8 zur aventinifhen Region gehörig aufzählen.) Hier befanden fich weiter 
iger von Marmorblöden,, zum Berfauf an Bildhauer oder Bauunternehmer 
fimmt, weßhalb ver Plag nod heute La Marmorata heißt. Auch ſchon im 
hnten und eilften Jahrhundert erhielt wenigftend der noͤrdliche Theil obiger 
läche denfelben Namen. In der oben?) mitgetheilten Bulle Benedikts VIII. 


1) Mabillon, acta Ord. S. Bened. VI, a. ©. 613. 2) Oben ©. 747. Ozanam 
. 158. 3) Berk VII, 451 oben. %) Berk XI, 536 oben. 6) Mabillon, acta 
Lb. 411. e) Oben ©. 676 fig. ?) Berk, leg. I, db. ©. 170. °) Preller ©. 22. 
). 102. 203. ) S. 739. 
Gfrörer, Vabſt Gregorius vIL Dr. v. 50 





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186 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


vom Jahre 1018 wird die vor dem Helligthum der ägyptiſchen Marla ge 
legene Brüde als pons fractus juxta Marmoratam bezeichnet. Desgleichen 
empfängt‘) in der Graphia die Brüde des Theodofius den Namen pons 
Theodosii in riparmea, welcher leßtere Ausprud offenbar aus den zwei Wer 
ten ripa marmorea zuſammengezogen iſt. 

Eben diefe Uferfirede von dem inneren Raume des Paulsthores im 
Süden bis hinauf zum Nordfaume der Marmorata bildete zwiſchen bem 
fiebten und zehnten Jahrhundert eine eigene, Horrea genannte Region, die je 
gar eine Zeitlang die Ehre des zweiten Ranges genoß. Schenkungsurkunde?) 
vom Jahre 900, Fraft deren ein Presbyter Benedift aus dem Kloſter zu den 
Heiligen Martin, Benedift, Petrus und Maria, „das da gelegen if in dem 
Bezirke, welcher Horrea heißt,” gewiſſe Güter an zwei Eheleute verleiht. Das 
Klofter ift längft zerftört, auch gibt dad Pergament den Rang nicht an, wel 
hen der Bezirf Horrea unter den römifchen Regionen einnahbm. Wohl aber 
wird lesterer beftimmt durch eine zweite Schenfungsurfunde,*) ausgeſtellt 961, 
zu einer Zeit, da die von Alberich II. eingeführte Stadtverfaſſung in volle 
Blüthe fand. Kraft diefer zweiten Afte vergabte ein Graf Balduin mehren 
Ländereien an das ebengenannte Klofter, „welches gelegen ift unter dem Aven⸗ 
tin in der zweiten Region Roms und an einem Orte der Horrea heißt.“ 
Aus einer dritten Urkunde?) vom Jahre 1288 erhellt, daß ver Bezirk Horra 
bi8 gegen das Paulsthor Hin reichte. Denn es iſt darin von Neben die 
Mede, welche innerhalb des Paulsthores auf dem Horrea genannten Bezirk 
lagen. 

Auch das Pabftbuch deutet darauf hin, daß die Gegend der Marmoratu, 
oder was hiemit gleichbedeutend, daß der Nordfaum der Horrea einftmals zu 
zweiten Region gehörte, denn dafjelbe verſetzt') die Kirche zum heil. Gcorz, 
welche den Beinamen in Velabro trug und jebt noch trägt, in die zweite Re 
gion Rome. Das fraglide Heiligthum fteht bis auf den heutigen Tag rüd- 
wärtd von St. Maria Egiztaca, in der Niederung zwiſchen dem Palatin und 
dem Tiberftrome. Zwei tüchtige Zeugen, die Urfunde von 961 und das 
Babftbuch, treten demnach dafür ein, daß die zweite Region Roms einftmald 
den Raum zwijchen den Höhen des Aventin und Palatin und zwiſchen den 
Flußufer einnahm. 

Aber diefe Eintheilung hat jedenfalls nicht Tange gedauert, fie ward viel⸗ 
mehr durch eine entgegengefegte verdrängt, welche die Ehre des zweiten Range 
unter den Regionen einer Gegend auf der Oſtſeite der ewigen Etadt zumie. 

Laut Urkunde‘) vom 15. Februar 977 fchenfte der erlauchte Conſul Peer 


) Ojanam ©. 160. 2) Galletti, del Primicerio. (Roma 1777. 4to.) ©. 369. 
°) Marini, papiri diplom. ©. 160 flg. *) Galletti a. a. O. S. 101, Rote. s) Ede 
Bignoli IL, 61: diaconia beati Martyris Gregorii sita regione secunda ad velum ausm 


| rn 6) Muratori, antiq. Ital. V, 772. 


Siebtes Buch. Gap. 44. Die hritlichen Regionen der Stadt Rom. 187 


Dem Klofter zu Subiaco ein Haus, „gelegen zu Rom in der zweiten Region 
an der Waflerleitung des Claudius.” Wie oben‘) gezeigt worden, läßt ber 
Sat, betreffend die Forma claudia, an ſich eine doppelte Deutung zu, fofern 
entweder die alte eigentlihe Waflerleitung viefes Ramens, ober ihre fpätere 
Fortfepung nach dem Lateran gemeint fein kann. Nicht zu läugnen iſt, mehrere 
Belege fcheinen für lebtere Annahme zu zeugen. Eine Bulle?) vom Februar 1228, 
Eraft welcher Pabft Gregorius IX. den Beſitz des Chorhermftifts im Lateran 
beftätigt, ſpricht von Häufern, „gelegen im lateranifhen Feld neben der 
Waflerleitung des Claudius.“ Ebenfo erwähnt eine Privaturfunde‘) vom 
Fahre 857 Grundſtücke, „gelegen in der zweiten Region, welche nad einer 
Seite bin an den Weg ftoßen, der zur Metronspforte läuft, anderer Seite 
an das Rinnfal gränzen, welches lebendiges Wafler (Quellwaſſer) leitet.“ 
Ohne Zweifel hat der Ausfteller gleichfalls die Kortfegung der Claudia im 
Auge. Auch führt heute noch ein kerzengerader Weg, Yerratella genannt, 
vom 2ateranpalaft nad der Metronspforte. . 

Gleichwohl möchte ich auf diefe zufällig bingeworfenen Worte, fo günftig 
fie auch lauten, für ſich allein feinen Beweis gründen. Suden wir anderöwo 
Auskunft. Sowohl im alten heidniſchen, als im chriſtlichen Rom werden Denk 
mäler, Straßen, Bäder, Bilpfäulen aufgeführt, die ihren Ramen von einem 
Mamur, Mamertus, Mamurtus, oder einen ähnlich Tautenden empfangen. 
Guriofum und Rotitia ſprechen) von einem Bade des Mamertinus, das im 
erften Bezirke Roms, der Porta Eapena, auf der Südgränze der Stadt lag. 
Laut den nämliden Quellen gab’) es in der fechsten Region Cauf dem heu⸗ 
tigen Quirinal ober feinen Abhängen) eine Bilpfäule des Mamurud. In 
den gleichen Stadtbezirk verfegen‘) das Pabſtbuch und die Akten ver heil, 
Sufanna einen Tempel, eine Gafle, (vicus), einen Hügel (elivus) des Mas 
murus, wobei zu bemerken, daß mehrere der beſſern Handfchriften flatt Mas 
muri, Mamurtini leſen. Endlich hieß”) der noch heute unverfehrt erhaltene 
Tullifche Kerker, der am Nordabhange des Capitols in der achten Region fteht, 
faſt durch das ganze Mittelalter hindurch Gefängniß des Mamertinus. 

Wie man ſieht, taugt das in obigen Sätzen gebrauchte Wort Mamerti⸗ 
nus oder Mamurtinus nicht zu einer Ortsbeſtimmung, weil es in verſchiedenen 
Stadtbezirken Denkmaͤler gab, die nad ihm hießen. Anders aber verhält es 
fi) mit einer weiteren Stelle. Das Pabftbuch fchreibt:") „Anaftafius, (mel 


1) ©. 742. %) Crescimbeni storia della chiesa di S. Giovanni avanti porta latina. 
(Roma 1716. 4to.) ©. 254: in campo lateranensi domos juxta formam Claudiam. 
3) Galletti del vestarario (Roma 1758. 4to.) ©. 38: ab alio latere via publica, quae 
vadit ad portam Mitrobi, a tertio latere fistala (älterer Ausbrud für forma) quae ducit 
aquam vivam. %) Breller, Regionen ©. 2. 3. °) Tbid. ©. 10 u. 11. e\ Tal 
Bignoli I, 132 fig. ?) Eine Beweisftelle fiehe unten ©. 786. d, Ede Wapıl 
I, 128. 

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788 Pabſ Gregorius VII und fein Zeitalter. 


cher Petri Stuhl von 398 bis 401 einnahm) erbaute Die Crescentianiſde 
Bafllifa in der zweiten Region Roms, der mamertinifchen Straße.” Genca 
diefelben Ausprüde braucht die Verzichturfunde Leo's, indem fie unter den Re 
gionen Rom ald zweite aufführt regio secunda Mamertini. 

Leider find feine Nachrichten über die Lage der längſt zerftörten Cres⸗ 
centianiſchen Baſilika auf und gekommen, fonft würde e8 leicht fein, die Dat 
lichkeit der Mamertinifhen Region zu ermitteln. Man muß fi daher ut 
andere Weiſe helfen. Zur Zeit des Curioſums und der Rotitia bildete ver 
eöllihe Berg die zweite Faiferlihe Region. Später aber erfcheinen diejenige 
Streden, welde von Mamertinus ihren Namen empfiengen, als nit jun 
Eölius gehörig, fondern wurden in eine eigene Region verwandelt. Denn bi 
Verzichturfunde Leos VIII führt neben dem Eölius die Mamertina als be—⸗ 
fondern Stadtbezirf auf. Nun find zwei Fälle denkbar. Entweder hält obige 
Stelle, betreffend den Pabſt Anaftafius, die alte heidniſche Eintheilung fc, 
dann iſt unzweifelhaft, daß die Region, welche das Pabſtbuch meint, außet 
dem cöllfhen Berg, im engeren Sinne des Wortd, auch den Lateran in fid 
begriff, denn ausdrüdlih bezeugen‘) die Alten, der lateranenfifche Palaft ſei 
zum Eöllius gerechnet worden. Wie man flieht, paßt dieß gut zu den Ein 
gangs erwähnten Pergamenten von 857, 977 und 1228, welche gleichfalls anf 
die Gegend des Lateran hinweiſen. 

Oder aber hat der Unbekannte, welcher am Ende des neunten, vielleid 
auch zu Anfang des zehnten Jahrhunderts die Beftandtheile des Pabſtbuchs 
überarbeitete und In ein Ganzes umgoß, diejelbe Stadteintheilung befolgt, 
welche der Urfunde Leos VII. zu Grunde liegt, dann muß unter der regio 
Mamertini oder viae Mamertinae die Umgegend des Lateran verftanden wer 
den. Leptered ift der Ball. Den Beweis entnehme ih aus dem römiida 
Straßenfyftem. | 

Sowohl Notitia und Euriofum, als binwiederum Leo's VIII. Verzicht 
funde und das Pabftbuh, geben ein Bild der Heerftraßen, welde die Kal 
hauptſtadt mit der Umgebung verbanden. Nur iſt der Gefihtspunft, un 
welchem jene und dieſe ihre Aufgabe löfen, ein verfchiedener. Curioſum u 
Notitia Haben außer Rom das übrige Italien im Yuge, fie verzeichnen dakı 
nit blos die Straßen, welche unmittelbar von Rom ausliefen, fondern aus 
folde, die als Fortfegungen älterer römifcher Wege nad fernen Provinza 
führten oder auch von irgend einem außer Rom gelegenen Punfte aus eina 
Zufammenhang verſchiedener Straßenlinien herftellten. Leo's VIII. Urfunt 
und das Pabſtbuch dagegen befchränfen fih auf Erwähnung der Etraf, 
welche in Rom .felbft oder unmittelbar vor den Thoren fihtbar waren. 

Bon den 29 Straßen, weldhe Eurlofum und Notitia aufzählt,”) fall 


*) Die Beweiſe hei Beer, Kanu I, 5. N Meeller ©. 28. 29 m. 227 fl 


Siebtes Buch. Cap. 44. Die chriſtlichen Regionen der Stadt Rom. 789 


folgende vierzehn in die Claſſe der zu Rom nicht fihtbaren: die Trajana, welche 
von ber Appia aus dur die pontinifhen Eümpfe und nad Bruttium 
führte; die Valeria, Seitenaft der Appia nah dem Fuciner⸗See hin; die Pas 
tinaria, welche etlihe Meilen von Rom entfernt, die zwei großen Heerftraßen 
Nomentana und Salarla mit einander verband; die Tiberina, welde von der 
Flaminia abfallend, länge dem Ufer des Fluſſes hinführte; die Aemilla, Korts 
fegung der Slaminia von Rimini nad Bologna und Aquileja; die Caſſia, 
Verlängerung der Flaminia nah Etrurien und Modena; die Ciminia, aber: 
mal Seitenaft der Flaminia; die Gallica, welde von Genua aus, wo bie 
Aurelia endigte, weiter nad) Gallien führte; die Campana und Zaniculenfis, 
Seitenäfte der Portuenfis; die Laurentina, weldye von der Oſtienſis abfallend, 
nad) Laurentum lief; die Quintia, welde von der Salaria aus nad Reate 
308; die Setina, Ausläuferin der Appia nad) der Stadt Setia; enpli die 
Gornelia, von welder man nichts weiter weiß, ald daß fie, Anfangs mit der 
Flaminia zufammenfallend, über die milviſche Brüde lief. 

Unmittelbar in Rom dagegen begannen folgende 15: die Appia, Latina, 
Labicana, Präneſtina, Tiburtina, Numentana, Salaria, Flaminia, Yurelia, 
Dftienfis, Portuenfis, Afinaria, welche von den Thoren gleichen Namens auss 
liefen, dann die Ardeatina, welde durch einen eigens für fie in der Stabts 
mauer angebrachten Bogen!) nah Ardea am tusciihen Meere zog; weiter 
die Triumphalis, welche über die Aliihe Brüde (am Baftel St. Angelo) nad) 
dem Mons marius führte; endlid die Claudia oder Clodia, welche vom flamts 
nifhen Thore und der milviſchen Brüde aus nad Etrurien lief. 

Nun zur VBergleihung. Der Grund, warum die Verzichturfunde Leo's VIIL 
alte Heerftraßen nennt, liegt darin, weil fie an Adelige zu Lehen gegeben 
waren. Man begreift daher, daß einzelne diefer Straßen, die wegen ftoden, 
den Verkehrs Feine Einfünfte verbießen, übergangen fein mögen. Folgende 
find in dem Pergamente erwähnt: die Appia, Claudia, Salaria, Aurelia, 
Ardeatina, Flaminia, Bortuenfis, Latina, Tiburtina, Mamertina. Mit wenigen 
Ausnahmen wiederholen fi die Namen obiger Lifte, aber die alte Bezeich⸗ 
nung einer Hauptftraße fehlt in dein Pergamente Leo's VIII., einer Haupts 
ftraße, die nimmermehr vergefjen fein kann. Wer wird glauben, daß von dem 
Afinariihen Thor, das hart am Lateranifhen Palafte fteht und ftand, Feine 
Heerftraße austief, und daß folglih das Patriarchium, wo die Päbfte thronten, 
des Borzugs einer freien Verbindung nad) Außen ermangelte! In alten Zeiten 
hatte eine ſolche Straße unter dem Namen via asinaria beftanden. Auch im 
Sabre 963 beftand fie, aber mit anderer Benennung: ich behaupte, fle hieß 
jet via mamertina, und war biefelbe, welche der zweiten Region Ihre Ber 
zeichnung gab. 





2) Beer, Handbuch I, 210 fig. 


uıvo..)2>_—— nm. 


790 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Schlagend erhellt dieß, fobald man das Etraßenverzeichnif des Pabir 
buchs mit dem ver. beiden älteren Stabtbefchreibungen zuſammenhält. Das 
Pabſtbuch zählt folgende auf: die Appia,) Claudia,”) Salarta,*) Aurelia,') 
Ardeatina,’) Flaminia,“) Portuenſis,“) Latina,*) Labicana,“) Präneftina," 
Tiburtina,“) Numentana,'?) Dftienfis,'Y) Triumphalis!*) Dazu noch tie Rs 
mertina.'%) Haarflein find es diefelben Namen und Straßen, wie im Curie 
fum und der Notitia, mit der einzigen Ausnahme, daß das Pabſtbuch fat 
des Ausdrucks asinaria, den es nicht fennt, mamertina fagt. Ungzweifelhait 
begriff aljo die Regio Mamertina das lateranenſiſche Feld fammt dem benat- 
barten Thore, durch weldes die Straße führte, die ehemals Afinaria, i⸗ 
10. Zahrhundert dagegen Mamertina hieß, heutzutage S. Giovanni genannt ıht. 

Und nun iſt es Zeit, noch einen weiteren Punft in Erwägung zu ziehen 
Schon nad der alten kaiſerlichen Regionen-Eintheilung gehörte, wie oben na% 
gewiefen worden, die Umgegend des Lateran,' weil zum Gölius, zum jwein 
Stadtbezirt. Wenn man daher die Mamertina vom Eölius abtrennte, ji 
einer eigenen Region umfhuf und ihr den zweiten Rang anwies, war did 
fein Sprung, ſondern entſprach bis zu einem gewiſſen Grade dem Herfomma. 
Run mußte aber aus ſehr triftigen Gründen eine ſolche Aenderung getroffen 
werben. “Denn nachdem man den Aventin aus Rüdfiht auf den Reichspalaß 
der auf feiner Höhe fand, zur erften Region geftempelt hatte, forderte dir 
Schicklichkeit, daß man dem Drte, wo der Pabft, der geiſtliche Gebieter Romt, 
bauste, in der Stufenfolge der Regionen wenigftend die zweite Stelle cin 
räumte. Sonft würden Petri Statthalter gar zu plump herabgeſetzt wor 
den fein. 

Lage und Ordnungszahl der dritten und vierten Region bat wieder, gleich 
ber eriten, Ausſagen des erften Gregorius zur fturmfeftlen Grundlage. Im 
Sanuar 593 fchreibt 9%) der ebengenannte Pabft an den Subpiafon Peter: 
„wiſſe, daß ich entichloffen bin, eine chemald von den Arianern mißbrauchte 
Kirche, gelegen neben dem Merulanifhen Herrenhaufe in der dritten Re 
gion Roms, dem Heiligen Severinus zu weihen.“ In keiner mir befannten 
Duelle wird fonft das Merulanifche Haus erwähnt, wohl aber kennt!) das 
Pabſtbuch innerhalb der Staptmauern Roms eine merulanifhe Gutsmaffe, und 
zwar nahe bei der Kirche San Pietro in Vincoli, welde an die Trümmer 
der Thermen des Titus gränzt. Allem Anſcheine nad war das Merulaniſce 
Haus der Herrenfig der gleichnamigen Gutsmaſſe. Sodann muß man wife, 


) Edit. Bignoli I, 32. 37. 39. 41. 42. 43. 45. 51. 54 und fonf oft. n I 
©. 104. 110. 2) Ibid. I, 224. *) Ibid. I, 8. 39 und fonf oft. °) Ibie. I, 108. 
110. 5) Ibid. I, 112. 256. ”) Ibid. I, 112. 117. 5 Ibid. I, 102.147. 9 hi 
I, 97.101. 0) Ibid. I, 102. **) Ibid. I, 60. 99. 2) Ibid. I, 22. 244. Ik 
1, 48. 274. °%) Ibid. L,9m 8. **) Ibid. I, 128. 20) Zaffs, zogest. Rr. SR. 
N) Ed. Bignoli II, 221. 


Siebtes Buch. Gap. 44. Die riftlichen Regionen ber Stadt Kom. 9 


aß heute noch ein Weg, der von Santa Marla Maggiore nach dem Lateran 
ihrt, Dia Merulana heißt. ‘) 

Weitere Punkte der dritten Region werden durch dad Pabſtbuch und 
Irfunden beftimmt. Erftere Quelle meldet:?) „Pabſt Hadrian L (772—795) 
at das zerfallene Bebälfe der Kirche zum heiligen Clemens, welche in der 
ritten Region gelegen ift, wieberhergeftellt.” San Elemente liegt und 
ag hinter dem Eolofjeum in der Richtung auf den Lateran. Abermal fchreibt’) 
as Pabſtbuch: „Silvefter I. (314—335) errichtete eine Pfarre in der dritten 
tegion bei den Thermen Domitiand, welche (jept) nad Trajan genanntiwers 
en.” Deutlich ftellt ſich bier heraus, daß die Ortöbeftimmung der trajanijchen 
shermen von der Hand Defien eingefügt if, der das Pabſtbuch im 10. Jahr⸗ 
undert überarbeitet und in feine jetzige Geftält gebradht hat. Die Bäder des 
Situs und Trajanus find gemeint, diefelben, an weldye laut der oben gemach⸗ 
en Bemerkung die merulanifche Gutömafje ſtieß. Sämmtlidhe drei Orte paſſen 
ut zuſammen: die Trajansbäder lagen und liegen mitten inne zwiſchen San 
lemente und Pietro in Bincoli. Die dritte Region reichte jedoch noch um 
In Bedeutendes weiter nach Often, nämlih bis zur Bafilifa Santa Eroce in 
Zerufalemme (das alte Sefiorium) und bis zur Porta maggiore, deren Lage 
h anderswo*) beftimmt habe. Durch Urkunde‘) vom Jahre 924 verjchenfte 
er päbftlihe Primicerius Sergius einen Garten, „gelegen zu Rom in ber 
ritten Region unweit der Porta maggiore und längs der Claudiſchen Waflers 
tung“. Mittelft einer zweiten Akte‘) vom Jahre 929 verkaufte Frau Ste 
hania ein Grundſtück, „gelegen zu Rom in der dritten Region unweit ber 
firhe Jeruſalem“. Dieſe Region muß eine der größeren gewefen fein. 

Melden Drtönamen trug fie? Ohne Zweifel vicus Patricii. Im Pabfts 
uche heißt”) e8: „Cletus (ver dritte Nachfolger des h. Petrus) hat zu Rom 
ı der Region „Straße der Patricier“ (vicus Patricii) dad Licht der Welt 
rblidt.* Abermal fommt die nämliche Region in der Verzichturfunde Leo's VIIL 
ım Vorſchein: regio vico Patricii. Die Straße der Patricier, ſchon in heid⸗ 
ifchen Zeiten fo genannt, lag nördlich vom Coloſſeum, weftlih von ©. Pietro 
ı Bincoli, in den fogenannten Garinen, und entipradh der Richtung nad den 
eutigen Straßen Urbana und Pudentiana.“) Weil fie gegen die Kirche Santa 
Iudentiana binaufführte, braucht 9) die Graphia von ihr den Ausdruck vicus 
atrici ad sanctam Pudentianam. Da der PBatriciervicus nicht weit von 
en oben geichilverten weftlichen Streden entfernt war, Tann faum ein Zweifel 
in, daß er der dritten Region den Namen gab. Derfelbe begriff die Bäder 
es Titus, San Elemente, das Eolofjeum, S. Pietro in Vincoli, die Carinen 
nd eine Strede der Mauer um Porta maggiore. 

) Dan fehe den römifchen Stadtplan von Weſtphal. ) Vignoli I, 211. 3) Ibid. 


107... *) Oben ©. 748 m. 735. *) @alletti, del primioero ©. Ad. 9 De. 
5.197. ”) Bignoli L, 16. 9 Weder, Handbuch I, 534 fig. 595. *) Diaaam E.IM. 


792 Babft Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Wenden wir und zur vierten Region. Curioſum und Rotitia erwähnen‘) 
im ſechſten heidniſchen Etadtbezirk, genannt alta semita, welcher den heutigen 
Duirinal einnahm, einen Platz, der weiße Hühner Hieß. Der fonderbase 
Name rührt meined Erachtens daher, weil dort weiße Hübner aufgezega 
wurden, die man zum Tempeldienſte der Fortuna verwandte. Belanntlih iv 
zeichnet?) Juvenal Leute, die wir jegt Glüdsfinder nennen, mit dem ort 
gallinae filius albae. In der That gab es auf dem Quirinal zum Winter 
drei Kortunatempel.”) Der fechöte heidniſche Stadtbezirk iſt unter der Ham 
haft des Kreuzes zertrümmert oder vielmehr den hriftlihen Regionen via, 
ſechs, fieben, geben zugetheilt worden. Wohl aber hat fi das Gerädai 
der weißen Hühner erhalten, und ſogar der vierten chriftlidden Region ea 
neuen Namen gegeben. 

Pabft Gregorius I. ſchreibie) im Januar 593 an den Subdiakon Orr 
tioſus: „ich gebiete dir, daß du das Haus, gelegen in der vierten Region 
neben den weißen Hühnern (juxta locum, qui appellatur gallinas alba) 
fammt den dazu gehörigen Gärten und Hütten an die Hebtiffin Flora über 
gibſt.“ Während des zehnten Jahrhunderts hieß die betreffende Region felkt 
gallinae albae ine jener Kleinen gleichzeitigen LXebensbejchreibungen im 
Paͤbſte des zehnten Jahrhunderts berichtet, Johann XV. (985—9%) fi 
geboren zu Rom in der Region „weiße Hühner.” Abermal kommt verlelbe 
Name in der Berzichturfunde Leo's VIIL vor: regio ad gallinas alba. 
Eine Dertlichkeit der vierten Region wird beftimmt durch eine Urfunde®) von 
Jahre 976, mo von einem Stück Reben die Rebe ift, „gelegen zu Rom in 
der vierten Region bei dem Gotteshaufe S. Agatha." Diefe Kirche fin 
und fteht heute noch am ſüdöſtlichen Abhange des Quirinals. Noch mehr 
bei ©. Agatha bat man eine Innſchrift gefunden, welde das Dafeln Kt 
weißen Hühner befundet.?) Ohne Zweifel grängte die vierte chriftliche Region 
an die dritte; d. h. fie begann da, wo letztere aufhörte, und reichte biß gegea 
den Quirinal hinauf. 

Ordnungszahl, Name und Lage der fünften Region des zehnten Jahr 
hunderts fteht fef. Zwei Stellen im Pabſibuch Tauten®) fo: „Alexander J 
(der Petri Stuhl von 109—119 einnahm) ift zu Rom in der Region zum 
Ochſenkopf geboren." Aus derfelben Region ftammte?) Pabſt Anaftafius IL 
(496—498), aber ausdrüdlih fügt der Text bei,) daß die Region it 
Stierkopfs, in der er zur Welt fam, die fünfte war. Die Lage des Stie— 
kopfs wird beftimmt burd die Aften‘‘) der h. Biblana, wo es heißt, fie ja 


9) Preller, Regionen ©. 10 u. 11. 2) Satyr. XIII, 141. 5) Beder, Handbud 
I, 579. ) Jaffé, regest. Nr. 857. 6) Muratori, script. ital. III, b. 335. % Sul 
letti, del vestarario ©. 48. 7) PVreller, Regionen ©. 135. Nibby, Roma nel’ anno 188. 
Vol. I, 280. *) Muratori II, a. ©: 95, b. Bignoli L 20. °) Ibid. IL, a 122,b 
% Vignoli I, 170. ») Die Eree del Wann I, WW unien. 


Siebtes Bud. Gap. 44. Die Hriflicen Regionen der Stadt Rom. 193 


n ihrem Haufe beim licinianiſchen Palafte und in der Gegend des Stierfopfs 
vegraben worden. Weiter erfahren‘) wir aus dem Pabſtbuche, daß Pabſt 
Simplicius (468—483) über dem Grabe der h. Biblana am licinianifchen 
Balafte die (noch heute ſtehende) Bafllifa Biblana erbaute. Dieſe Kirche Liegt 
ınd lag unweit des LorengosThores. Auch in Leo's Verzichturkunde fehlt die 
Regio caput Tauri nidt. Da der dritte chriſtliche Stadtbezirk, wie oben ges 
eigt worden, an die Porta Maggiore ließ, darf man annehmen, daß die 
infte Region den Raum von S. Lorenzo an längs den Übrigen Streden der 
fllihen Stadtmauer bis gegen Porta Romentana hin begrifl. Denn fie wäre 
onft zuflein geweſen. 

Die fechste Region trug in Dtto’8 III. Tagen denfelben Namen, den in 
eipnifchen Zeiten die fiebte hatte: fie hieß via lata. Einer der kleineren 
leichzeitigen Biographen berichtet:?) „Pabft Johann XIL, Alberichs U. Sohn,“ 
— derfelbe, den Dtto L ftürzte, — „ward geboren zu Rom in der Region 
ia lata.“ Demnach muß NAlberih II., Johanns XI. Vater, in der via lata 
ehaust haben. Wirklih war dieß der Fall. Eine Urkunde‘) vom 17. Auguft 
42 befagt, daß Alberih, Fürſt von Rom, in der Nähe von der Kirche zu 
en Apofteln Hof hielt. Dafjelbe erhellt aus einem zweiten Pergament, das 
Balletti vweröffentlichte.*) Die Kirche zu den Apoſteln lag und liegt zur Seite 
es heutigen Corſo. Nun erinnere man fih, daß die heidnifhe Region via 
sta kraft der oben geführten Beweiſe den Corſo begrifj. Die Eintheilung 
er Stadt war aljo bezüglich dieſes Bezirks auf der Weftjeite die alte ges 
lieben, während der via lata gegen Dften ein Theil der flebten heidniſchen 
tegion zugewieſen worben jein muß. Der Name alta Semita jelber ging 
in. Gleich allen andern Regionen des zehnten Jahrhunderts hat auch die 
ia lata ihre Stelle in der Urkunde des Pabſts Leo VIIL vom Jahre 963. 

Ueber die Lage der fiebten Region gibt eine Bulle’) des Pabſts Benes 
ift VL (972—974) vom November 973 Aufihluß, fraft welder er dem 
Hofter zu Subiafo den Beſitz der zu Rom in der fiebten Region gelegenen 
kirche Sankt Vitus beftätigte. Kirche und Klofter S. Belt fteht und fand 
ı geringer Entfernung von der Bafılifa Santa Maria Maggiore. Daß der 
ebte hriftlihe Stadtbezirt im Süden bis gegen Santa Agatha hin reichte, er⸗ 
ellt aus einer Bulle‘) vom Jahre 1025, mittelft welcher der damalige Pabft 
Johann XIX. dem Stuhle von Porto den Beſitz der Obſt⸗ und Delgärten 
eftätigte, „welche allhier zu Rom in der fiebten Region unweit des Klor 
erd ©. Agatha in Suburra gelegen find.” Bei diefem Klofter fließen dem⸗ 
ah die Gränzen der vierten und der fiebten Region zufammen. Den ört—⸗ 


ı) Bignoli I, 160. 3) Muratori, script. ital. III, b. 326. 3) Muratori, antig. 
tal. V, 773. *) De vestar. ©. 14. Man vergl. Perg VII, 563, Rote 27. 6) Mus 
atori, antig. Ital. V, 774, Mitte. 0) Jaffé, rogest. Mr. 8094. Maris, papiri ©. 70. 





794 WabR Gregerins VIL und fein Sellelier. 


fihen Namen, welchen die fiebte Region im zehnten Jahrhundert führte, fan 
ih erft unten entbüllen. 

Wie oben gezeigt worben, umfaßte die achte Region in hefbnifchen Zei 
das Kapitol fammt den verfchievenen Fora und hieß forum romanum magıım 
Die Ehre, einen eigenen Bezirk zu bilden, und die alte DOrbuungszahl if ii 
unter der Herrichaft des Kreuzes geblieben, aber ber Rame wure I 
merflicher Weife geändert. Eine alte Nachricht über Pabſt WBeuebift VL 
(972— 974) bejagt:‘) „derfelbe ſei ein Sohn des Mönche Hildebrand geweſea 
und geboren zu Rom in der achten Region unter dem Kapitel.” Deumak 
ſcheint e6, al& babe man im zehnten Jahrhundert, flatt forum magnum, reg 
octava sub Capitolio gefagt. Ja fo war ed. Die Urkunde Leo’s VIIL von 
Sabre 963 führt genau mit denfelben Worten auf eine regio octava mi 
Capitolio. Dem Buchſtaben nad Tonnte, wie man fieht, die achte Regen 
fümmtlihe nächſte Umgebungen des Kapitold, alfo namentlich den Pelein 

in fi fafien. 

" Gleich der achten blieb die neunte Region den Spuren ber beibulide 
Gintheilung treu. Aus der früher mehrfach benüzten gerichtlichen Alte) von 
9. April 998 erhellt, daß die alerandriniichen Thermen in der neunten So 
gion lagen. Diefelben Bäder gehörten aud in heidniſchen Zeiten der neunia 
Region an,”) die aber damals flaminlicher Circus bie. Mittelſt Urfunben 
Tann man den übrigen Umfang der neunten chriſtlichen Region faſt em 
ſchoͤpfend beſtimmen. Durch Lehenbrief*) vom Sabre 1032 gab Nebrife 
Bretioja eine kleine Kirche aus, „gelegen zu Rom in der neunten Region 
unweit der Säule Trajand auf dem Felde, das Kaloleo heißt.” Noch heute 
feht die Säule Trajans, und in ihrer Nähe befindet ſich ein Platz, ver gleic⸗ 
falls noch heute den Namen campo carleo trägt. Man fieht: vie neusk 
Region reichte gegen Süden bis zur Gränze des unter dem Capitol gelegenen 
achten Stadtbezirks. Herner erwähnt eine gerichtliche Akte) vom Jahre 1011 
„einen zu Rom in der neunten Region gelegenen Pla, der Agones beißt.” 
Diefer Plap iſt erweislich verfelbe, der jetzt Piazza Ravona genannt wirb.‘) 
Endlich gehörte zum neunten Stadtbezirk Tayt Urkunde”) vom Sabre 1076, 
dem dritten Gregors VIL, die unweit des obern Corſo gelegene Kirche ©. Le⸗ 
renzo in Lucina. Demnach umfaßte die neunte hriftliche Region gleich der 
neunten heidniſchen das ganze Gebiet zwifchen dem heutigen Corſo und ben 
Tiberftrome, ja gegen das Capitol hin noch einige Streden, die jenſeits ver 
Linie ded Corſo liegen. 

Wie lautete ihr örtlicher Name? Ohne Zweifel clivus argentarii, VDihel 


ı) Muratori, script. ital. II, b. ©. 332, Note o.: regio ootara sub Capitele. 
2) Muratori, seript. ital. IL, b. ©. 508. 8) Eiche oben ©. 757. %) Galli, de 
primicerio ©. 875. %) Daf. ©. 238. 9) Breller, Regionen ©. 171. 5 Gelckk 
del primicerio ©. 298, j 


Eicbieb Bud. Gap. 44. Die chrifilicken Segionen der Stadt Nom. 795 


ꝛx Silberſchmiede. Alte gleichzeitige Rachrichten über Pabſt Leo VIIL — 
mjelben, welchen Otto L auf fämmtlihes Kirchengut zu verjichten zwang, — 
elden,‘) Leo jei zu Rom, am Bühel der Silberfchmiede (in clivo argentarii) 
:boren. Zwar iſt bier der Zuſatz de regione nicht beigefügt, aber überall, 
o ſonſt jene kurzen Lebensbeichreibungen, welche in einem und demfelben 
ei abgefaßt find, die Geburtsflätte eines Pabſtes angeben, iſt die Region 
meint. Man muß daher annehmen, daß Solches auch hier der Fall jet. 
ab wirflih war dem jo. Denn die enticheivende Urkunde Leo's VII. vom 
ihre 963 macht in ihrem Verzeichniffe der Stadtbezirke eine regio rivi ar- 
otarii namhaft. Unzweifelhaft ift rivus verjchrieben für clivus, es gab in 
om mehrere berühmte clivi. 

Die Lage des Büheld der Silberſchmiede wird in der Kirchenordnung 
n 1140 beſchrieben:) „bei Feſtzügen aus dem Borgo durd das Marsfelp 
ch dem Forum und von da nad) dem Lateran zurückkehrend, geht der Pabft 
rüber am Theater ded Pompejus und dem Bantheon, fteigt bei S. Marco 
tan, burchichreitet den Bogen ver fleiichernen Hand und den Bühel ver 
Iberjchmiede, verfolgt weiter die Straße zwilchen den Häufern, die an bes 
stem Bühel ftehen, und dem Capitol, erreicht das Gefängniß des Mamers 
us und fleigt dann wieder hinab nad dem Cerften) Triumphbogen (des 
rums).“ Der clivus argentarii heißt jet Dia di Marforio. Ehemals in 
duiſchen Zeiten war, wie früher gezeigt worden, der Bogen der fleiichernen 
rd fammt dem Bühel der Silberichmiede die ſüdliche Ede der neunten 
gion geweſen; auch im zehnten Jahrhundert gehörte dieſelbe Gegend der 
ınten Region an, nur hieß letztere nicht mehr circus faminius, jondern 
h dem Bühel clivus argentarius. 

Was die nächſten vier Regionen (10—13) betrifft, fan man zwar ihre 
men und Lage nachweiſen, aber die Ordnungszahl, welche fie trugen, nicht 
ſtellen. Das Pabſtbuch berichtet:*) Silvefter I. (314—335) habe für die 
aiſche Kirche erworben einen Garten innerhalb Roms, „gelegen in der 
gion zu den zwei Liebenden.” Beim erften Anblid ſcheint es faft unmoͤg⸗ 
„, daß eine Region fo heiße und der Verdacht einer Verderbniß des Tertes 
gt auf. Allein die Lesart iſt gefund. Eine Handſchrift der Urkunde 
»s VIEL von 963 führt gleichfalls eine Region ad duos adamantes, „zu 
ı zwei Liebenden“ auf. Bei folhem Sachverhalt verbietet meines Erachtens 

geſunde Menſchenverſtand die Vermuthung, daß zwei Denfmale, welde 
8 von einander wußten, einen und denſelben Schreibfehler haben follten. 
stlih muß eine Region zu den zwei Liebenden genannt worden jein. 

Was liegt dem abenteuerlihen Namen zu Grund? Un cinem ans 
4) Muratori, script. ital. III, b. ©. 328 oben. ) Mabillon, museum ital. II, 143. 


Beutatori, seript. ital. III, a. ©. 105, a Bignoli L, 80: hortus intra urbem Romam 
regiene ad duos amantes ober adamantes. 





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796 BabR Gregorins VIE. und fein Zeltaller. 


dern Orte‘) Babe ich gezeigt, daß zwei Recenfionen ber Berzichturtn 
Leo's VIIL auf uns gefommen find, eine Im Wefentlichen gefunbe, we 
Bert unter die Roten verwies, und eine vielfach verborbene, welche verf 
Sammler der Aufnahme in’ den Text würdigte. In der erfteren, die fonf 
den Regionennamen meift mit der zweiten übereinftimmt, beißt es nicht ad d 
amantes, fondern ad duos montes. Zwei Berge oder Hügel find geme 
allein weil die Worte ad duos montes und ad duos amantes faft gleich lauten, 
der rohe Volkowitz aus den zwei Bergen zwei Liebende gemacht, eine Berbreie 
welche nad der gewohnten Weife des römijchen Poͤbels durch irgend ı 
ſchlüpfrige Babel erläutert und ausgemalt worben fein mag. Im Lebe 
war die Benennung zu den zwei Liebenden gäng und gäbe In Urkunde 
des 11. Jahrhunderts wird zu Rom ein Srauenflift erwähnt, welches A⸗ 
des h. Erlöfers „bei den zwei Liebenden” hieß. Doch keunt man die Rage 
felben nicht. 

Wo bat man nun die zwei Berge oder zwei Liebende zu funhen? 1 
zweifelhaft zielt ver Rame auf die nördlichen Höhen der fiebenhügeligen Ei 
den Esquilin, Biminal und Quirinal. Die heidniſche Eintheilung madhte ı 
dem Esquilin fammt dem Viminal eine befondere Region, den Quirinal 
faßte fie in der alta semita Die chriſtliche Eintheilung weiß nichts ı 
einem Esquilin, noch von einer alta semita, und doch Fönnen bie drei Gi 
nicht von ihr übergangen fein! In Wahrheit find file unter dem Namen 
zwei Berge verhüllt. Allein der Quirinal, Viminal und die Esquilien we 
ja drei Berge, während doch nur zwei gezählt werden! Die Antwort if, t 


- man im mittelalterliben Rom nichts mehr von Duirinal, als einem ciga 


Hügel, wußte. Den Beweis liefern die oben aus den Mirabilien angeführ 
Säge: ) „der Berg Aventin hieß einft auch Duirinal, weil dort oben, ! 
jet die Kirche zum h. Alerins fteht, ehemald Quiriten faßen.” Gut fim 
biezu, daß im ganzen Terte des Pabſtbuchs nirgends vom Quirinal die R 
if. Meines Erachtens find die beiden Hügel oder „die zwei Liebenden“ | 
Hriftlihert Rom als zehnte Region gezählt worden. 

Diie heidniſche Eintheilung Hält folgenden Bang ein: am Güboflen 
Roms beginnend, nennt fie nad) einander in der Richtung von Eüden nad) Nord 
die Regionen porta Capena, Coelius, Isis und Serapis, templum pac 
wendet fih dann zu den mittleren und nörbliden Stabttheilen und fehrt a 
lich vom Marsfeld aus wieder nad Süden zurück, um die dort gelegen 
Regionen, welche die Weftfelte ausfüllten, nachzuholen. Eine ähnliche Or 
nung beobachtet die chriftlihe Eintheilung. Drei Regionen kennt fie auf b 
Süpweftfeite dieſſeits der Tiber, welche den fünf alten, coelius mons, pal: 


) Oben ©. 308 fi. 5 Galletti, del primicerio ©. 259 u. 375 fg. 9 Am 
faucon ©. 284 oben. 


Siebtes Buch. Gap. 44. Die riflichen Hegionen der Gabi Nom. 7197 


inus, Circus maximus, piscina, porta Capena entfprehen. Der Eölius bat 
'inen ehemaligen Namen behalten, doch mit einer Heinen Abänderung. Das 
zabſibuch ſchreibt:) „Cder zweite Nachfolger Petri) Elemens iſt geboren zu 
tom in der Region coelio monte.” Den nämlihen Ausdruck braucht bie 
rfunde Leo's VIII. vom Jahre 963: regio Coelio monte oder nad) der 
edart des befieren Textes: regio coelimonte. 

Der Umfang der Porta Capena iſt im hriftlichen Rom derfelbe geblieben, 
ber nicht der Name. Nörvli von der alten appifchen Pforte und ſüdlich vom 
ſoelius liegt und lag das Metronsthor. Dieſes hat der fünlichften chriftlichen 
tegion einen neuen Ramen gegeben. Ueber den Babft Johann XVIIL (1003 
6 1009) berichten?) alte gleichzeitige Aufzeichnungen, daß er zu Rom in der 
tegion porta Metroni oder secus portam Metroni das Licht der Welt erblidt 
abe. Auch hiemit fiimmt die Urkunde Leo's VIIL aufs Wort überein: fie 
wähnt eine regio secus portam Metronii. 

Lage und Umfang der Region Horrea wurde oben?) beichrieben. Gleich 
m Scenfungsbriefe des Grafen Balduin vom Jahre 961 führt fie die Vers 
chturkunde Leo's VIIL als befondern Stabibezirf auf. Aber nicht, wie 
ner, weist fie Ihr den zweiten Rang an, fondern einen unbeftimmten nieder 
m, den man, da für die Regionen ad duos montes, Montecoelio, secus 
ortam Metronii und horrea nur die Ziffern 10—13 übrig bleiben, unter 
iefen wählen muß. 

Während die Drdnungszahlen der eben genannten Bezirke nicht mit ges 
gender Eicherheit dargelegt werben können, flieht Name, Lage und Ordnungs⸗ 
ıhl der 14. Region feft: fie begriff die alte, auf dem rechten Ufer bes 
Stroms gelegene Vorſtadt, welde nah der heidniſchen Eintheilung Trans⸗ 
berim hieß und gleichfalls die 14. Region bildete. Das Pabſtbuch fchreibt:*) 
Julius (337—352) erbaute eine Bafilika jenfeits der Tiber in der 
4. Region.” Aber nicht mehr Traftevere wurde fie genannt, fondern anders. 
n den Zeiten der Imperatoren hatten, außer den Brätorianern und einzelnen 
btheilungen der Feldlegionen, auch Mannfchaften der Ylotten von Ravenna 
nd Mifenum ftehende Lager) in Rom, und zwar erftere jenfeitd der Tiber. 

Seitdem ging der Name Ravennaten auf den ganzen Stabttheil über 
nd wurde Bezeichnung der 14. Region. Im Pabftbuche heißt‘) es: „Calli⸗ 
us (der von 218 bis 221 Petri Stuhl einnahm), ift geboren zu Rom in 
er Region Stadt Ravenna.” Die alten Akten ®) deſſelben Pabſts brauchen 
en nämlichen Ausdruck, fügen aber bei, Stadtravenna liege in Traftevere. 
Ye Graphia fpriht”) von einem Tempel der Ravennaten, welder in Traſte⸗ 


4) Bignoli I, 13. 7) Muratori, script. ital. IIL, b. ©. 338, Mitte u. 341, Mitte. 
‚6.785 fig. *) Vignoli I, 112. °) Breller ©. 100. °) Bignoli I, 38: de regione 
re — Ravennatium. ?) Oyanım ©. 160, ' 


ner 


- gm 2° 


798 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitakter. 


vere fiche. Wohlen, auch die Urkunde Leo's VIII. vom Jahre 963 i 
eine römifche regio urbis Ravennae auf. 

Zunähft muß id) eine oben übrig gelaffene Lüde ausfüllen, d. 6. da 
Ramen ver fiebten Region nachweiſen. Im Pabſtbuche heißt‘) es: „En 
tus IIL (432—440) erwarb für die Kirche ein Haus, gelegen zu Rem u 
Siſinum.“ Demnad gab es in der Stabt irgend einen Plag, ober che 
Gegend, welde Sicinum hieß. Weiteren Aufſchluß gibt eine zweite Eick,) 
welche meldet, daß Pabft Silvefter L ein Herrenhaus fammt Bad inzerkel 
der Etadt, „gelegen in der Region des Sifinnius,“ erlangte. Der Bezirt mt 
Sicinnius war aljo eine Region. Den Urfprung des Namens lem m 
durch Gefhichtichreiber des vierten und fünften Sahrhunderts, Anm 
Marcellinus, Rufinus, Hieronymus, Sokrates fennen. Laut ihrem Bencqhe) 
erftürmte aus Anlaß der Wahlftreitigkeiten, weldhe 366 nad; dem Tore bei 
Liberius ausbrachen, Damafus, der begünftigte Bewerber, die von der Park 
des Begenpabfteß befegte und neben dem Macellum der Livia gelegene Kirk 
des Siſinnius. 

Diefelbe Begebenheit erzählen zwei Wugenzeugen, die Presbyter Her 
celinus und Fanſtinus, in einer noch vorhandenen, an den kaiſerlichen He 
gerichteten Befchwerbefchrift,*) bezeichnen aber die Kirche, welche der Schauplet 
obiger Kämpfe war, als die wohlbefannte Bafllifa des Liberius, welde pi 
ben heute noch üblihen Namen Santa Maria Maggiore erhielt, und eine be 
Mutterfirhen Roms if. Daraus folgt, daß Maria Maggiore chemals ri 
Heiligthum des Sifinnius, dann Liberiad hieß und einer römischen Region ka 
Namen gab. Denn unmöglich fann man annehmen, weder daß obige Ge 
Ihichtfchreiber, noch daß die beiden Presbyter den Ort falfch bezeichnen. 

Diefe Ergebniffe werden nun durch die Verzichturfunde des Pabſts Leo VI 
in merfwürdiger Weife beftätigt. Die mehrfach genannte zweite Recafn 
erwähnt außer den bisher nachgewiefenen 13 Regionen der Stadt zwei me 
tere, regio Liberatica und regio Sisinnii. Zuvörderft if unbeftreitbar, daf in 
zehnten Jahrhundert und zu Anfang des eilften wirklich eine römiſche Regen 
bie Benennung liberatifche trug. Jene gleichzeitigen Aufzeichnungen über % 
Paͤbſte des fraglichen Zeitraums fagen®) aus, daß Johann XVIL, der 100, 
als Sylveſters IL. Nachfolger, Petrt Stuhl nur ſechs Monate einnahm, P 
Rom in einer Region geboren fei, weldhe die eine Handichrift bivertica, di 
zweite und beffere Hiberatica nennt. Letztere Lesart flieht nur an einem dw 
zelnen Buchſtaben: man fege zu Anfang flatt H ein L und der Tert bat kix 
Richtigkeit. Die nämliche Region iſt gemeint, welche Leo's Urkunde ale Liben 


ı) Bignoli I, 143. 9 Ibid. ©. 80. 3) Die Beweisfellen daſelbſt nacdhgewicht 
Mote 11. *) Abgedruckt in Sirmondi opera I, 225 flg. Die Beweisſtelle ibid. ©. 226, Kix 
%) Muratori, seript. ital. TIL, ©, DAL, Herr Mir u. Aue & 


Siebtes Buch. Gap. 44. Die chriſtlichen Kegionen der Stadt om. 199 


tica aufführt. Webrigens kommt noch in einer roͤmiſchen Urkunde‘) vom Jahre 
1358 eine regio Biberatica vor, woraus erfihtlih, daß der alte Rame ges 
woͤhnlich verfegert wurbe. - 

Zweitens iſt gewiß, daß die Liberatica in der Reihenfolge der Regionen 
yie fiebte war. Denn Kirche und Klofter St. Belt, nur durch dad Macels 
um der Livia von Santa Maria Maggiore getrennt, gehörte ja vermöge des 
ben?) entwidelten Beweiſes der fiebten Region an. Daher muß man ans 
sehmen, daß es die ſiebte Region geweſen ift, welde nad der Mutterkirche 
6 Liberius oder nah Santa Maria Maggiore ihren Namen erhielt. 

Allein nun fhürzt fih ein anderer, fcheinbar noch größerer, Knoten. Stets, 
o weit Geſchichtquellen reihen, gab es im heidniſchen, wie im mittelalterlichen 
md im modernen Rom, nur vierzehn Regionen und nicht mehr. Zählt man 
ıber die in der Urkunde Leo's VII. erwähnten zufammen, fo fommen fünfs 
ehn heraus. Sollte keiner der Abfchreiber gefühlt haben, daß dieß ein Stein 
ed Auftoßes feil Gewiß hat es wenigftens der Abfafler der zweiten Recenfion 
efühlt, denn, während er fünfzehn zu zählen fcheint, führt er in Wahrheit 
me vierzehn auf, da ja die Regio Sifinnii und Liberatica nur verfchiedene 
Namen einer und derſelben Region, nämlich der fiebten, find. Meines Ers 
chtens muß man vorausfegen, daß Der, welder zuerft die beiden Namen 
ufammenftellte, zwifchen fie das Wörtchen vel hineingefchrieben hat, jo Daß 
er Text anfänglich lautete regio Liberatica, vel regio Sisinnii. Spätere 
lbſchreiber, welche den Scrupel der Fünfzehnzahl nicht mehr empfanden, ließen 
en mildernden Beiſatz vel weg, weßhalb abermal fünfzehn verfchievene Namen 
am Vorſchein famen. Man ficht hieraus: die Urkunde Leo's VIIL — als 
dings die wichtigfte des zehnten Jahrhunderts — ift durch viele Hände 
egangen, ehe fie ihre heutige Geſtalt erhielt. 

Mit der Rahmeifung, daß die Worte Regio Sifinnii und Liberatica 
leihbeveutend find, haben wir jedod wenig gewonnen. Deun die Frage 
rängt fidy auf, warum jener erfte Abfchreiber, welcher die Klippe der Zünfs 
ehnzahl umſchiffen wollte, nicht einfach entweder Liberatica oder Sifinnti weg, 
eß, und lieber den Schein beibehielt, als zähle er fünfzehn Regionen. Klar 
t, daß irgend ein Hinderniß wichtiger Ratur ihm die Hände band. Wohlen, 
e erfte Recenfion gibt bierüber Aufſchluß. Zunächſt bemerfe ih, daß in 
den Recenfionen diefelbe Reihenfolge der Regionen eingehalten ift, jedoch 
it dem Unterfchieve, daß an der nämlichen Stelle, wo bie zweite Regio 
iberatica liest, die erfte den etwas veränderten Laut Libantisa braudt. Am 
age liegt daher, daß die Worte Liberatica und Libantica verſchiedene Formen 
ne& und befielben Namens find und die fiebte chriftliche Region bezeichnen, 


*) Nerini de templo et ooemobio Sametorum Bomifacii et Alexii. Romae 1752. 4to. 
» 528: Leno do regiono Biberatien. 5 ©. 793. 





800 Beh Gregoriud VIL und fein Zellalier. 


Allein hinter Libantica und am nämlichen Orte, wo bie zweite Rereuiie 
Regio Siſinnii folgen läßt, fügt die erfle den Gap regio Fundana ein, weige 
nicht, wie regio Sisinnii bloße Umfchreibung fein Tann, ſondern offenbar de 
Name einer wirklichen Region if. Es gab demnad zu Rom im Zahre M 
nicht bloß vierzehn, fondern fünfzehn Stadtbezirke. Wo foll man bie reg 
Fundana ſuchen? Nicht in der Altſtadt, ober ben bieflelt auf bem Unke 
Ufer befindlichen Bezirken, denn dort erfcheint da6 ganze Stabtgeblet Ya 
ftalt unter Regionen vertheilt, daß für eine neue fünfzehnte fein Raum übrig beit 

Alfo müflen wir und nach der jenfelt® auf dem rechten Ufer gelegen: 
Etrede wenden. Wie an einem andern Drte') nachgewieſen worden, bean 
feit alter Zeit der Kirchenflaat aus einer Maſſe abgefonberter, obgleich mel 
zuſammenhängender Batrimonien, bie binwiederum in einzelne Fundi de 
Etiftögüter zerfielen. Sodann unterſchied) man zwei Klafien von PBalrkns 
nien, das des lateranenfiichen Palaſtes, welches für den Unterhalt bes PBabfet 
und das allgemeine, das für die Bedürfniſſe des Gemeinweſens befkmm 
wor. Mit gutem Fuge darf man fagen, daß felt der Zeit, da Pabſt Leo IV 
bie Umgegend des Peterdoms mit Mauern umſchloß und mit ber alten Stab 
verband, dieſe feine Schöpfung den Mittelpunkt des lateranenſiſchen Gtiftungs 
vermögen® bildete. Entſcheidend find die Akten?) der ravennatijchen Gymebı 
von 877. 

Laut denfelben gehörten zum Iateranenflihen Grundſtock auswärt: 
die Patrimonien Appia, Labicana, Campania, Tivoli, Chieti, Sabinum, I 
cien, zweitens zu Rom eine Reihe Anftalten, welde in einer Weife zuſan 
mengeftellt find, die kaum einen Zweifel darüber zuläßt, daß fie jamm 
und fonders innerhalb der Leoftadt lagen: 1) die Säulenhalle des h. Pete 
wo Taufende von Kranken und Pilgern zufammenftrömten,’) und allem Us 
ſcheine nach täglich reichlihe Opfer fielen; 2) vie päbſtliche Münze Sei 
den Älteften Zeiten hat erweislich*) der Ort, wo Geld gefchlagen wurde, drei 
mal in Rom gewechſelt. Während der Republif fland die Münze auf bes 
Eapitol neben dem Tempel der Juno, unter den heidniſchen Kaifern hatte fi 
ihre Stelle in der dritten Region, nad Aufrichtung päbftlicher Herrfchaft war 
derte fie in die Leoſtadt, wo fie fich feit unvorbenfliher Zeit befindet. Di 
heutige Münzftätte ift neben dem Batifan von Pabſt Eugenius IV. (143! 
bis 1447) erbaut worben.) Daß aber auch ihre Vorgänger ebendort ſtanden 
darf man aus obiger Stelle der Akten von Ravenna fließen. 

Weiter folgt in den Akten drittens die ordinaria und actionarica publica 
meines Erachtens ein mittelalterliher Name für Das, was man jept mit ben 
Ausdrude apoftolifche Kammer bezeichnet: das Oberrentamt oder die Ober 








) Oben ©. 22 fig. 2) Daf. ©. 106. 113 m. 160. %) Daf. ©. 163 fig 
9 Preller, Regionen ©. 124 fig. ®) Blattuer u. Bunfen, Beſchreibung Roms IL, a. 392 


Sichtes Buch, Gay. 44. Die Hrißlichen Segienen ber Stadt Nom. 801 


entämter des lateranenſiſchen Grundſtocks find gemeint. Den Schluß bildet 
iertens die Ripa. Selbſwerſtändlich zielt dieß zunächſt auf diejenigen Ufer⸗ 
trecken, welche an den Borgo ſtießen. Das war ein gewinnverheißendes 
jeld. Wer das Tiberufer am Borgo, und die aus den jenſeitigen Bezirken 
yerüberführenden Brüden inne hatte, konnte nach Gutdünken Steuern von den 
abllofen Pilgern erheben, die aus Ofen, Süden und Norden nad) dem Hei 
igthume des Apoftelfürften wallten. Am gehörigen Orte wird dargethan wers 
en, wie in Pabſt Aleranvers II. Tagen die Erescentier ſchmähligen Gewinn 
ms dem Beſitze des Ufers der Leoſtadt und der dortigen Brüdenthürme zogen. 

Hauptfähli um außer dem Petersdome auch jene eng mit dem Dienfle 
es Apoftelfürften zufammenhängenden Anftalten, wahre Pulsadern des päbfts 
ihen Einfommens, nad Möglichkeit gegen feinvliche Angriffe zu jchirmen, bat 
teo IV. den Borgo ummauert, und überdieß daſelbſt, wie ich unten nadızu- 
veifen mir vorbehalte, eine Maſſe handfeſter Fremblinge, Sachſen, Langobarden, 
Sriefen, Franken angeſiedelt. Man fieht nun: vor allen Punkten Roms vers 
tente der Borgo den Namen „Gegend der Kirchenfliftungen,“ regio fundana, 
le in der ächten Abfaffung der Verzicht⸗Urkunde Leo's VII. zum Vorſchein 
ommt. Rod in einer andern Hinſicht paßte die Bezeihnung. Der Borgo 
ſt nicht bloß zum Schuge der großen Kirchenftiftungen, ſondern aud aus den 
Finfünften jämmtlicher auswärts gelegener fundi erbaut worden. Das Pabft- 
uch erzäblt:*) „nachdem Leo IV. den Borgo zu ummauern bejchlofien hatte, 
verlangte er Rath von fämmtlihen Angehörigen des Patrimoniums Petri. 
Diefelben beantragten, daß alle Städte des Staats, alle einzelnen But 
naffen, und alle Klöfter der Reihe nah Dienfte beim Werfe thun und 
Beiträge liefern follten. So geihah ed auch.“ Die Patrimonien zerfielen, 
wie wir wiflen, in massae, biefe hinwiederum in fundi. Genau bejehen, 
ging daher hauptſächlich von letzteren die Hülfe aus. 

Durd Erbauung eben dieſes Borgo aber war ein neuer Stadttheil ent⸗ 
fanden, war folglich thatfächlih zu den vierzehn Bezirken des alten Roms 
ein fünfzehnter binzugefommen. SImmerbin bildete die neue Anlage lange Zeit 
eine eigene, vom Regiment der Altſtadt abgefonderte Verwaltung. Erft Pabft 
Sirtus V., (1585 bi8 1590), hat die Leoſtadt, die bis dahin — fo fagt?) 
meine Duelle — für ausfchließlihes Eigenthum des jeweiligen Statthaltere 
Petri galt, mit der Altſtadt in der Art vereinigt, daß fie unter die herfömm- 
lichen vierzehn Regionen aufgenommen ward, deren vierzehnte und letzte fie 
heutzutage if. Schon im eilften Jahrhundert nahm der Borgo eine ähnliche 
Stellung ein. Durch Bulle vom 17. Dezember 1026 fchenfte”) Pabſt os 
hann XIX. an den Bilhof von Porto fämmtlihe im Borgo gelegene Klöfter, 
fowie die Nugungen aus der geiftlichen Gerichtsbarkeit über den ganzen Bes 

2) Bignoli III, 111. ?) Platiner n. Bunfen I, a. ©. 45. °) Marini papiri diplom. ©. 76. 
Gfrörer, BabR Gregerins VI, Be. V. 51 





802 Pabſt Gregorius VII. ımb fein Seitalter. 


zirk. Nur als eigentlicer Eigenthümer des Borgo Fonnte Johann XIX. fr 
verfahren. 

Allein in dem Zeitraume von 930—964 muß es anders geweſen fein. 
Vergegenwärtigen wir uns die damaligen Berhältniffe: die Staatdeinrid 
timgen, welde uns in der Verzichturfunde Leo's VIII. entgegentreten, me 
ren, wie ich anderswo gezeigt habe, Im Wefentlihen das Werk des Für 
Alberih IL Er hatte zu Rom eine demokratiſche Verfaffung gefchaffen, weld 
darauf abzielte, die Rückkehr adeliger Vielherrfchaft zu verhindern. In Form 
von Wahlen, deren Äußeres Gerüfte auf der Regioneneintheifung beruhte, übe 
das Volk die ihm bewilligten zum Vortheil des Fürften ausgedachten Rede. 
Politiſche Nothwendigkeit trieb daher Alberih IT., auch die Bevöoͤlkerung ta 
Leoftadt in feinen Kreis zu ziehen, was er nur dadurch ins Werk zu feha 
‚vermochte, daß er den Borgo als fünfzehnte Region den vierzehn alten kl 
fügte. Hätte er Solches nicht gethan, fo drohte Gefahr, daß die dortige Br 
völferung, welche der Mehrzahl nah aus fchlagfertigen Leuten beftand, in de 
Schlingen feiner Gegner falle. 

Doch kann der Borgo nur kurze Zeit — wahrfcheinlich nicht über die 
Tage des erften Dtto hinaus — in der befchriebenen Weiſe mit der Altſtadt 
verbunden geblieben fein. Beweis dafür die Thatfache, daß der Abfchreiber, 
von dem urjprünglid die zweite Recenfion der Leonifchen Bulle ausging, 
Anftoß an der Zahl fünfzehn nahm, und die Klippe durch den oben entbülter 
Kunftgriff zu bejeitigen fuchte, was nicht der Fall fein würde, wenn ir 
Borgo länger ald ein Menſchenalter Eigenfhaften und Rechte einer Region 
behauptet hätte. Ohnedieß wiffen wir ja, daß, wie oben bemerft worven, die 
Leoftadt bis gegen Ende des Mittelalter eine abgefonverte Gemeinde mit 
eigenem Rathhaus und Gefängniß ausmachte. 

Nunmehr find die nöthigen Thatfachen ermittelt, um ein bündiges Urtkeil 
über die Geſchichte der römiſchen Regionen fällen zu können. Die heibnilde 
Eintheilung beftand bis ins fünfte Jahrhundert, denm eines der amtlide 
Aktenftüde, welche von ihr zeugen, die Notitia, fällt in den angegebenen Jet 
raum. Auch noch in der erften Hälfte des fechöten Jahrhunderts dauerte fe 
fort. Zwar fchweigen Caſſiodors Staatöbricfe, Hauptquelle für die Tage 
des glorreihen Oſtgothen Theoderih, der damald Stalien und Rom be 
berrichte, gänzlih von alten und neuen Regionen, aber fie erwähnen Dinge gr 
nug, welche beweilen, daß König Theoderich, gebrängt durch die politiſchen 
Berhältniffe, heidniſche Erinnerungen des römiihen Volks forgfam fdhenk. 
Der von Balefius herausgegebene namenlofe Ehronift fchreibt:*) „nachden 
Theoderih den Gegenfönig Odoaker beficgt hatte, befuchte er die Stadt Rom 
und hielt im verfammelten Senate eine Rede, Eraft welcher er das Verſpreche 


*) Aumianus Marcelliuus ed, Grauer. S. 720 unten fig. 


Gichted Buch. Gap. 44. Die chriſtlichen Regionen der Stadt Rom. 803 


iblegte, alles das unverbrühlih zu wahren, was die römifhen 
taifer vor ibm verordnet hätten. Drauf flieg er hinauf in den pas 
atiniſchen Palaft und gab den Römern ircenfiihe Spiele. Ueberdieß vers 
heilte er jährlih 120,000 Scheffel Getreide unter das Bolf, auch warf er 
edes Jahr 200 Pfund Goldes aus zur Wiederherftellung des Palatiums und 
ur Ausbeflerung der Stadtmauern.“ 

Aufs Wort flimmen biemit Caſſtodors Staatsbriefe überein: die Spiele 
n Circus Marimus wurden ebenfo gehalten,‘) wie in ven Tagen Domitians 
nd dad Bolf nahm mit gleiher Leidenichaft für die Grünen oder Blauen 
Zarthei, wie au Conftantinopel in den Anfängen Juſtinians. Die Curia des 
5enats am Forum ftand noch immer, und das Forum bot einen prächtigen 
Inblik, wie in alter Zeit.) Auch das Theater des Pompejus war Außerlich 
'halten, doch hatte e& gelitten, weßhalb Theoderich Geld aus feinen Kammers 
nfünften anwies, um das was zerfallen, berzuftellen.) Richt minder dauers 
n die gräßlien Vergnügungen im Amphitheater des Titus (oder dem Eos 
ſſeum) fort, und Theoderich munterte den Conſul Marimus auf, die Kämpfer, 
ren viele ihr Leben verloren, glänzender als biöher, zu belohnen.*) Beſon⸗ 
ers belehrend iſt das ſechste Echreiben des fiebten Buches,) wo Caſſiodor 
it gerechtem Stolz von der Herrlichkeit römiſcher Bauten ſpricht: „jo reizend 
t das Forum Trajand, daß es Jedem, felbft Denen, die es täglich jehen, Bes 
underung abnöthigt. Die römtihen Waflerleitungen vereinigen zierlichſte 
schönheit mit Nüplichfet. An Reinheit dem blauen Himmel gleih, ſtroͤmt 
e aqua Virgo, nie mit Regenwaſſer vermiſcht, dahin, und auf jchwindelns 
a Bögen durd die Lüfte geleitet, ftürzt die Claudia, gleih den Catarakten 
6 Nils über die Höhen des aventiniihen Bergd herab.” Endlich erhellt 
18 dem dreißigften Schreiben deo zehnten Buchs,“) daß längs der via sacra 
af der Oſtſeite des Forum romanum eherne Elephanten fi erhoben, bie 
ver ſchadhaft geworden waren, weßhalb Theoderich fie ausbeflern ließ. 

Mit den andern Einrichtungen der alten Kaifer hat der Oſtgothe die 
idniſchen Regionen aufrecht erhalten. Um das Gewicht der eben angeführ- 
rn Thatfachen richtig zu ſchätzen, muß man wiflen, daß das Pabftbuch nie 
n großen und den flaminiſchen @ircus, nie das forum romanum, "nie eine® 
r alten Theater, nie dad Amphitheater ded Titus nennt, daß ed endlich 
w eim einzigesmal vom Forum Trajans fpricht,”) und zwar weil ſolches 
gen einer Ortsbeſtimmung unvermeivlih war. Man muß, fage ich, weiter 
mägen, daß auch die chriftliche Regioneneintheilung, wie fogleich gezeigt wer⸗ 
u ſoll, jede Epur des Heidenthums gefliffentlich ausmärzte, 

Während demnad die heidniſche Eintheilung in der erften Hälfte bes 


9 Variar. III, 51. Opp. Cassiodori ed. Garetius I, 56. 2) Ibid. IV, 30. Opp. I, 69. 
Ibid. IV, 51. Opp. I, 76 file. *) Ibid. V, 42. Opp. I, 94. ®) Opp I, 119. 
Opp- 1, 169. ’) Vignoli I, 112, 

1* 





804 Babſt Gxegerins VIL. und fein Bellaller. 


ſechsten Jahrhunderts unverrüdt fortdauerte, ift fie in ber zweiten Hälfte bed 
felben Sekulums durch die chriftliche verbrängt worden. Deun indem Ball 
Gregor I. den Aventin als erfte, die Gegend um bie Thermen bes Tiint ol 
dritte, die weißen Hühner als vierte Region aufführt, theilt er gleichem de 
Kern oder die Grundgedanken ver chriftlichen Eintheilung mit. Der Wei 
trat alfo zwifchen 550 und 590 ein. ber durch Wen? Ich antwerk: 
nothwendig durch eine Staatögewalt, denn nur eine folche befigt die wäthig 
Macht, um Dinge der Art ins Werk zu ſehen. Ich fage zweitens durch ein 
fchreibfelige, neuerungsfüchtige Staatögewalt. Denn nur Yürften, welche ©e 
fehe und Verordnungen ſcheffelweiſe erlafien, glauben ih berufen, Rast 
alter ſtädtifchen Einrichtungen umzuorgeln. Sch fage drittens: vie Gtaniöge 
walt, welde bie alten Regionen abfchaffte, muß ein bedeutendes Maaß Ari 
lichen Eifers zur Schau getragen haben. Dem die am meiſten bervorfiedens 
Eigenihaft des neuen Regionenfoftems ift Abneigung gegen Alles, was « 
das Heidenthum und Bolföherrfchaft erinnert. Verſchwunden finb ans ben 
Regionenverzeihniß die Heiligthümer der Iſis und des Serapis, verſchummde 
der Friedenstempel, verfchwunden der Gircus Marimus und Flaminins, ver 
ſchwunden das Palatium Eäfars, verſchwunden endblih die Foren. Wahr 
die Umtaufung des Ausdrucks Forum romanım magnum in den andern „&k 
gend unter dem Gapitol* verräth einen Bewaltigen, in deſſen Nafe Yorm 
und Bolföherrihaft wie Peft und Schwefel roh. Bon den ehemaligen Be 
zeichnungen blieben nur drei an fi völlig farblofe Ramen: Aventin, Ben 
Eöltus und breite Straße (via lata) aufredt. 

Endlich fage ich viertend: Der, welcher die neuen Regionen ſchuf, wa 
überaus monarchiſch gefinnt. Denn indem er dem Aventin wegen der Katferburg 
bie dort oben ftand, den erften Rang unter den Regionen zuerfannte, hieß die 
foviel, als ob er der Welt erklärt hätte, nicht der Pabſt, fonvern ver Kai 
iſt Statthalter Gottes auf Erden und geborner Herr von Rom. Run! al 
diefe Merkmale pafien einzig auf den Byzantiner Juſtinian, der durch ſein 
Feldherrn die Oſtgothen ausrottete, Italien unter griechtiche® Joch beugte, De 
Pabſt wie einen Knecht behandelte, und eine greulihe Despotie einrictete. 

Chen oben haben wir in der Metronspforte feine Hand erfannt. € 
genügte ihm nicht, diefelbe in die Reibe der Thore eingefügt zu fehen, er be 
nannte außerdem den in ihrer Nähe gelegenen Stadtbezirk nad der Metrons 
pforte. Auch fonft finden ſich Epuren feines Eingreifens in römifche Berbält 
niffe. Jener Syrer Zacbariad,‘) der unter Zuftinian fchrieb, fagt:?) zu Kos 
find zwei prächtige Pfalzgen, welche der Kaiſer (wenn er dort weilt) bewohnt 
und wo fih dann die Eenatoren um ihn verfammeln.* Das find obne Zweit 
dieſelben zwei Pfalgen, die in den fpäteren Quellen erwähnt werben, nämlk 


) Siehe oben ©. 764. 2) Preller, Regionen ©. 237. 


Siebtes Buch. Cap. 44. Die chriflichen Regionen der Stadt Rom. 805 


die aventinifche, weldhe vor der andern bevorzugt und auch älter gewefen fein 
nuß, denn die Ehronif von Cammerich bezeichnet‘) fie ja als die alte; zwei⸗ 
end die palatiniiche, welche in den Tagen Theoderichs zerfallen war, und 
vohl erft mit Geld, das Juftinian oder feine Nachfolger anwieſen, ausgebaut 
vorden if. Ein befonderer Grund wirkte vieleicht mit, daß Juſtinian ges 
ade den Aventin zum kaiſerlichen Wohnfig wählte. Die auf. altem Römer; 
oden entftandenen germanifchen Reiche befaßen blos Landheere, das byzantis 
tifche dagegen war zugleich Sees und Landmacht. Nun lag der Handeldhafen 
Roms zu den Füßen des Aventin?) in den Horreid. Nach Belieben Tonnten 
aber die Baſileis ihre oben gelegene Pfalz zu Land oder zu Schiffe heim- 
chen und je nach Umftänden aud) vertheivigen. 

Anderöwo*) wurde bemerft, daß zufammenhängende Nachrichten über den 
tirhenftaat erft mit den Briefen Gregord I. beginnen. Einzelne gerftreute 
nd zwar wichtige Belege fommen jedoch ſchon im Zeitalter Juftinians vor. 
Im Jahre 545 ſchickte Pabſt Vigilius, auf der Reife nad Eonftantinopel 
egriffen, wohin ihn Juſtinian vorgeladen hatte, eine Kormflotte aus Sicilien 
ad Rom.*) Der heilige Stuhl bezog alfo damals bereits große Einfünfte 
us der Infel. Im Jahre 549 befahl‘) derfelbe Pabft dem Diakon Sebaftias 
u8, der zum Verwalter der dalmatinischen Güter des heil. Petrus eingefegt 
yar, diefe Provinz nicht eher zu+verlafien, als bis er ſämmtliche Renten nicht 
ur des dalmatinifchen, fondern audy des prävalitanifdhen Patrimoniums eins 
ezogen haben würde. Petri Etuhl befaß folglich drüben zwei abgejonderte 
zutsmaſſen, die dalmatinifche und die von Prävalis, (Preweſa). 

Der Nachfolger des Vigilius, Pabft Pelagius I. forderte‘) im Jahre 556 
en PBatricier Placivus, Oberverwalter der galliihen Befigungen des römiſchen 
5tuhls auf, alles in der Gutskaſſe vorhandene Geld nah Rom zu fchiden, 
denn unfere in Italien gelegenen Ländereien find dergeftalt (durch den Krieg) 
erheert, daß fie nichts zu leiften vermögen." Pelagius fügt bei, noch lieber 
‚äre es ihm, wenn Placidus um das bereit gehaltene Geld wohlfelles Laud⸗ 
ich faufe, in dad man Arme fleiven könne. Zum zweitenmale jchreibt”) er 
n April des folgenden Jahres: „Placidus möge das erfaufte Landtuch nad) 
em Hafenplag Porto (an der Tibermündung) fenden. Denn in dieſer Stabt 
errſche ſolche Armuth, daß der Anblid der Unglüdlihen, die zum Theil aus 
uten Häufern ftammen, Thränen auöpreße.” In einem Briefe aus dem 
ahre 558 Hlagt®) er über vorgelegte Gutsrechnungen, „die in der Weiſe, wie 
3 griechiſche Verwalter machen, gefälfcht feien.” Zum Jahre 559 befcheinigt?) 
: den Empfang von 500 Golpftüden aus der Kaſſe des Piceniichen Güter- 
erbands. 


ı) Oben ©. 748. 2) Daf. ©. 788. s) Dben ©. 12. 2) Jaffé, regest. 
.78, Mitte ) Ibid. Nr. 609. ) Ibid. Nr. 623. ) Ibid. Mr. 629. 9 Ibid. 
x. 631. 9 Ibid. Rr. 633. " 





806 Pabk Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Befondere Beachtung verbient das Bruchſtück einer Bulle,') welde Be 
gius I. um 558 an den Faiferlichen Oberftattbalter (praefectus praetorio) w 
Afrika richtete. Die Worte lauten: „während der legten 25 bis 30 Jahr 
da Stalien unauögejegt Kriegsnoth erlitt, hat die römifhe Kirche nur an 
entfernten Inſeln und Orten Einfünfte bezogen, mit denen fie ihre Glerit 
und Arme — obgleih blos zur Außerften Nothdurft — ermährte.“ We 
wird, ja muß der weitere Inhalt des Ecreibend geweien fein? Oh— 
Trage, die Forderung, daß es nunmehr anders werben müfje, deutlicher ge 
ſprochen, daß es hoͤchſte Zeit fei, die der römiſchen Kirhe von Geiten de 
faiferlichen Hofes gemachten Zufiherungen zu erfüllen. Handgreiflid weit 
dad Bruchſtück auf Zugeftändnifie bin, welche Baflleus Juſtinian, fei es we 
Ausbruch des Gothenkriegs, ſei es im Laufe defelben, dem heil. Stuhle we 
beißen hatte, auf Zugeftändniffe jage ih, deren die mit Unrecht beſtritter 
Verzichtbulle Leo's VIII. unverhohlen gebenft. 

Diefelben find wirklih in Vollzug gefeßt worden; denn der Kirchenſtae 
ericheint unter Öregorius IL. feit 590 al8 ein georbnetes Gemeinweſen, und ix 
Pabſt klagt nirgends über Vorenthaltung. Aber Herrfcher, wie Zuftinian, cı 
weifen nie Onaden umfonft, fondern fie ftellen Gegenbebingungen, welche ſicher 
lich in vorliegendem alle unter Anderem dahin lauteten, daß die römiid 
Stadtverfafjung fo eingerichtet werde, wie es der Baftleus für gut finde. 3 
diefen vorgefchriebenen Punkten gehörte nun meined Erachtens die neue Re 
gioneneintheilung, indbejondere die Bevorzugung des Aventins. 

Die Regionen, heidniſche wie chriftlihe, waren ein Syftem, d. b. fi 
hatten eine folde Natur, daß man nit wilfürlih ein Stück herausnehmer 
oder einfügen fonnte, fondern im Falle Veränderungen beliebt wurden, tai 
Ganze umgießen mußte. Hieraus folgt mit genügender Sicherheit, daß Ju 
ftinian nicht blos die drei Regionen, welde Pabſt Gregor namentlich aufführ 
fondern auch die übrigen eilf im Pabſtbuch erwähnten — jo wie fie oben ge 
fchilvert worden, — geſchaffen hat. Namentlid glaube ih, daß die Ehre tei 
zweiten Range, die der Lateran unter den Namen mamertiniicher Region ta 
vontrug, fein Werf war. Denn obgleib Tyrann aus Grundfag und Ka 
gung, nahm er Beradt, den guten Schein vor der Welt zu wahren, un 
hüthete ſich fiherlid das Anjehen des Pabſts, den er als fein Werkzus 
brauchen wollte, dur Erniedrigung des Palafts, in welchem Petri Etarthalte 
bausten, vor den Augen der Römer herabzufegen. 

Allein zwifchen den Tagen Juſtinians und dem Zeitalter des römilcen 
Fürſten Alberih II. muß eine andere Fauſt in dad von Erfterem gegründet 
Regionenſyſtem eingegriffen haben, fofern fie die dem Lateran vorbehaltene Würte 
des zweiten Ranges vernichtete. Sm der früher angeführten Ecdyenfungsur 


) Ibid. Mr. 659. 


Siebtes Buch. Gap. 44. Die hriftlichen Regionen der Stadt Kom. . 807 


funde, welche Graf Balduin im Jahre 961 ausftellte, da Pabſt Johann Octa⸗ 
vian fürchterliche Bedrängniſſe durch König Berngar erlitt, weßhalb er fid 
zulegt entichloß, den Sadfen Dtto L nah Stalien zu berufen — in dieſer 
Urkunde fage ich, erjcheint die Niederung zwilchen Aventin, Balatin und dem 
Strome ald zweite Region, und hiemit ftimmt, wie ich früher zeigte, eine 
Stelle des Pabſtbuchs überein. Folglich hatte der Lateran die Ehre, Mittels 
punft der zweiten Region zu fein, verloren. Das war unverfennbar ein Ges 
waltftreih wider den Pabſt. Wer hat nun diefen Streik geführt? Meines 
Erachtens derfelbe Earlinger Lothar, Ludwigs Sohn, der jeden Anlaß, Petri 
Statthalter zu fränfen, gierig benüßte, derfelbe, der im Angefiht des Pabſts 
unmittelbar vor dem Luteran auf der Malftätte zur Wölfin Kaifergeriht hal 
ten ließ,) derfelbe, welcher die Unterthanen des Stuhls zur Untreue verleitete, 
das Kirhengut an die Stabtjunfer verjchleuderte,‘) und das Kleinod der alten 
Melt, die Romana, abzufchaffen verjuchte. *) 

Die oben entwidelten Gründe berechtigen zu der Vorausfegung, daß 
Lothar — wenn er anders der Lirheber des Wechſels war — nicht bei Bes 
vorzugung der Horrea ftehen bleiben Eonnte, jondern auch an den übrigen Res 
gionen rütteln mußte. Wegen Mangeld an Zeugnifien ift es jedoch nicht 
möglih, den Umfang dieſer Abänderungen zu ermitteln. Doch glaube idy in 
einem Punkte feine Hand zu erfennen. Laut den Urkunden, die oben nach⸗ 
gewiejen wurden, reichte die dritte Region, genaunt vicus patricii, bis an bie 
öftlihe Stadtmauer, indem fie die Porta Maggiore, dann die Kirche Geruſa⸗ 
lemme, und folglich aud) den mit lepterer verbundenen?) Palaſt Seflorium um⸗ 
faßte. Im Seſſorium aber faß feit den Zeiten Alberichs II. einer der beiden 
römiſchen Stadtconfuln, während der andere im Batifan hauste. Diefe Ein- 
rihtung Alberichs hatte, erweislich eine Ältere zur Grundlage, oder ahmte 
fie nah. Aus dem Büchlein über die Gewalt der Kaiſer erhellt,”) daß ber 
kaiſerliche Sendbote, welhem Lothar, Ludwigs Sohn, einen dauernden Sie In 
Kom anwies, im St. Peters⸗Palaſt, d. h. im Batifane wohnte. Nun gab 
ed aber zu Rom häufig nicht blos einen, fondern zwei, ja mehrere Sendboten 
in des Kaiſers Dienfte.*) Wo hatten die zweiten oder mehreren, fofern fie zu 
Rom amteten, ihr Quartier? Eine etwas dunfle Antwort gibt Mönch Bene⸗ 
dift vom Berge Sorafte, indem er ſagt:) „unweit des Laterand an einem 
Orte, genannt zur Wölfin, hätten ſtets Faiferliche Richter geweilt, bereit Klagen 
anzuhören.” Der Ehronift drüdt ſich feiner Gewohnheit gemäß ungeeignet aus. 
Die Dertlichfeit zur Wölfin war laut Ausfage des andern Zeugen fein Haus 
noch ein Palaft, ſondern ein freier Plab oder eine Malftätte, dad Quartier 
aber, welches die kaiſerlichen Richter einnahmen, muß ein Haus oder Palaſt 


1) Siehe oben ©. 116 fig. *) Siehe oben &. 748. °) Oben ©. 119. Y D5. 
©. 115 fg. 9 Bay IL, 712. 


808 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


in der Nähe der MWölfin und des Laterans — aller Wahrſcheinlichkeit nad 
das Sefforium — geweſen fein. Kurz die zwei Stadtconfuln der Zeiten As 
berih8 find in die Bußftapfen der Sendboten Lothard getreten. 

Meines Erachtens hat der Karlinger außer den andern Gemaltftreiden, 
die er 824 zu Rom verübte, auch die Regioneneintheilung angetaftet, von ia 
zwei Sendboten, feinen Echergen, den einen in S. Peters. Palaft, als Mitte 
punkt der pähftlihen Gutsverwaltung, den andern nady dem Sefjorium nak 
bei dem Patriarchium verjegt, und zu letzterem Behufe die Horrea zum zweiten 
Stadtbezirk erhoben, dagegen die bisherige zweite Region, genannt Mamertina, 
theilweife oder vielleicht ganz zur dritten, vicus patricii, gefdhlagen. Der Late 
ran war nunmehr wie eingejchnürt, und etliche hundert Echritte von der Reh 
nung des Pabftd jaß der Branfe, der von Antöwegen alle Bewegungen des 
Oberhaupts der Kirche belauerte. 

Auch die von Lothar beliebte Abänderung dauerte nicht lange A 
Dritter griff Fürſt Alberidh II. in dad Regionenweien ein. Aus Bergleihung 
der in der Berzichturfunde Leo's VIIL aufgeführten Namen mit denen des 
Pabſtbuchs und anderer Quellen des zehnten Jahrhunderts ergibt fib, daß 
Alberih im Wejentlihen das Syſtem Juſtinians wiederberftellte, doch wohl 
zugleih in manchen Punkten verbefierte. Der Lateran wurde wieder unter 
dem alten Namen Mamertina zur zweiten Region, dagegen blieb vie Etrede 
um das Sefjorium und die Porta Maggiore bei der dritten. Sonſt fügte 
Alberih II. noch aus den früher entwidelten Gründen den Borgo, als fünf 
schnten Stadtbezirf, den Älteren 14 bei. 

Begreiflier Weife konnten weder Alberih IL, no fein Sohn Zohan 
Octavian verhindern, daß einzelne Privatperjonen in Akten freiwilliger Gr 
richtsbarkeit, wie Schenkungen, ihr Eigenthum nah Ortsnamen Lothariſchen 
Gepräges beftimmten.. Ein Beifpiel liefert die Urkunde jenes Grafen Baltuin 
vom Jahre 961. Name, wie Amtötitel dieſes Herrn, weist auf burguntilde 
Abkunft hin: er wird wohl Einer der vielen Emporfönmlinge geweſen jein, 
die den Königen Hugo oder Berngar Reihthümer und Ehren verdankten. 
Schwerlid liebte er den Pabſt; der für die Horrea beanſpruchte zweite Rang 
jcheint zu beweijen, daß er Rom lieber unter weltlihem Regiment, als unte 
geiftlihem Krummſtabe gejehen hätte. 

Biel kürzer ald die Lothariſche, beftand die Regioneneintheilung Alberict. 
Urkunden follen reden. Durd Pergament‘) vom 22. Juli 975 verfchenfte 
Stephanus, Sohn weiland ded Conſuls und Herzogs Hildebrand, einen von 
feinem Bater ererbten heidniſchen Tempel, genannt septem solia minor, ald 
Steindrud zu Ausbefferung der Feftungswerfe des Septizoniums, fowie meh 
tere andere Grundftüde, „AUeB gelegen zu Rom in der zweiten Region 


*) Mittarelli, annalen camalddl. I, Sıhang S. 98 (la. Nr. 41. 


Siebtes Bud. Gap. 44. Die chriſtlichen Megionen der Stadt Mom. 809 


ınmweit dem Septizonium und dem Circus (maximus), ferner unweit den Trüms» 
nern eined alten Kalferpalaftes“ an das Kloſter S. Gregor, das die Höhe 
es Eölins kroͤnte. Die bier genannten Oertlichkeiten gehörten unzweifelhaft 
em cöliihen Berge an, der folglich wieder, wie im vierten und fünften Jahr⸗ 
undert, den Rang der zweiten Region einnahm. Faſt noch deutlicher drüdt 
ih eine Urfunde‘) vom Jahre 978 aus, Fraft welcher Benedikt, „Abt des 
Hofters zum 5. Erasmus, das zu Rom auf dem cölifchen Berge fteht, einen 
Zauern mit Weins und Delgärten, gelegen zu Rom in ver zweiten Region 
abe bei befagtem Klofter zum h. Erasmus“ belehnte. 

Man könnte vermuthen, aus irgend einem nicht mehr nadhweisbaren 
Srunde fei zu Rom zwiſchen 970 und 980 beliebt worden, bezüglich des Eölius 
ie alte heidniſche Regionenreihe wieder Ind Leben zu rufen. Allein neben der 
ben bejchriebenen Beränderung trat eine zweite ein, welche auf die erfte uns 
nwartete® Licht wirft. Gleichwie die Mumertina ded zweiten Ranges vers 
aftig ging, fo büßte ihr weltliher Nebenbuhler, der Aventin, den erften ein. 
wei Lehenbriefe?) aus dem Sabre 1025 liegen vor, fraft welder der Abt 
es Gregoriuskloſters Baupläge zu Errihtung von Hütten, gelegen in der 
rften Region, genannt Horrea, an Bauern gegen Zind ausgab. Zunäcft 
ragt es fich: war die Bevorzugung der Horrea gleichzeitig mit der des Coͤ⸗ 
ius? Nichts hindert anzunehmen, daß ſchon 975, ja wie ich ſogleich zeigen 
verde, ſchon 967 die Dramertina dem Gölius, der Aventin den Horrea weis 
ben mußte. Denn wenn wir Erfteres erft durch ein Aktenftüd von 975, das 
Zweite erft dur ein Pergament von 1025 erfahren, jo fann Solches einzig 
aher rühren, weil von vielen älteren Urkunden römijcher Klöfter, die viel- 
eicht verloren oder verborgen find, bis jept nur jene wenigen and Tageslicht 
‚egogen wurden. 

Meine Meinung geht dahin: ald Dtto I. im Jahre 967 die demofras 
iſche Verfaſſung Alberichs II. abſchaffte, hielt er e8 für nöthig, auch gegen 
ie Regioneneintheilung, welde in der That die örtlibe Grundlage erfterer 
ildete, einzufchreiten.. Demgemäß entzog er dem Lateran den zweiten Rang 
u Bunften des Eölius, damit jedod die Pille verjüßt oder ein Schein gleis 
hen Maßes hergeftellt werde, ordnete er an, daß hinfort auch der Aventin, 
Sig der Kaiſerburg, nicht mehr erfte Region heißen, fondern diefe Ehre an 
ie Horrea abtreten folle. Sicherlich fand ein geheimer Zufammenhang zwis 
chen den gleihhartigen Demüthigungen ftatt, welche Aventin und Mamertina 
fuhren. 

Ob Dito L damald aud mit andern Regionen Uenderungen vornahm 
— was an fi) wahrfcheinlihd — darüber kann wegen Mangeld von Nach⸗ 


ı) Salletti, del primicerio ©. 213. 2) Rittarelli, annales Camaldol. I, Anhang 
5. 273 flg. Rr. 121 m. 122. 





810 : Gab Geogerins VEL unb.fein Beiteller. - - © = 


. sichten nichts entichleven werben. Nur fo viel möchte: ih behaupten, I 


Otto L 967 zugleid den Borgo wieder von der Gtabtwerwaltung ablowter 
und dadurch bie Zahl der Regionen auf vie ehemalige Ziffer von 14 yarkı 
führte Denn die Leoſtadt erjcheint‘) 1026 wieder ald Gemeinde für fi 
Dagegen wird fpäter an pafiendem Orte gezeigt werben, daß um 1045 di 
fundige Hand — die Gregors VI. unter dem Einfluffe des Gapellans Hih 
brand, nachmaligen Pabſtes — abermal das Syſtem römifher Regionen mrı 
lich umgeftaltete. 

Und nun fomme id an einen Hauptpunft: die römijchen Regionen « 
der zweiten Hälfte des zehnten und der erfien Hälfte des eilften Zahrhunder 
ericheinen wie ein vielfach umgewühltes Feld oder wie ein Strom voll Ap 
und Sandbaͤnke. Gleichwohl begeht die Verzichturkunde Leo’6 VIII. Sei de 
reichten Stoff auch nicht einen einzigen Verſtoß gegen fiher befannte The 
jachen, ſondern was fie vorbringt, ſteht in gutem Ginflang mit den Andſet 
jener gleichzeitigen Heinen Lebensbeſchreibungen, vieler Urfunben und db 
Pabſtbuchs. Das If ein letzter unwiderſtehlicher Beweis ihrer Bedhike 
Wäre fie ein Werk des Betrugs und, wie die Gritifer jagen, - u Yixfe 
des zwölften Jahrhunderts geichmicbet, fo würde es dem Abfaſſer plaiterbin 
unmöglich gewefen fein, ein fo marfiges und naturgereues Bild der via 
fchen Zuftände unter Otto L zu entwerfen. 


Sünfundvierzigfies Capitel. 


Römifche Pläge, die neben den Regionen genannt werden: Orpheum, Fasëciola, Gannapeı 
Adelige Häufer beftehen neben den bürgerlichen fort. Viei oder Quartiere ber Fraub 
Sachſen, Langobarden, Friefen, Garden, Gorfen, Griechen fammt ihren Scholen # 
Inuungsgebäuden. Zufammenfirömen von Pilgern. Der Verkehr mit ihnen wichtig 
Nahrungszweig ber Stadt. Weil dem fo war, wurden die alten Denkmäler forgfäl 
erhalten. Nachweis über bie Bevölkerung Roms im 10ten und 11ten SZabrkunde 
Reben und Heder innerhalb der Stadtmauern. Fieberluft oder malaria. 


Außer den 14 oder 15 Regionen kommen in den Quellen noch ande 
Pläbe zum Vorſchein, die manchmal den Namen Regionen empfang: 
Euriofum und Notitia führt”) in der fünften heidnifhen Region — ven E 
quiliae — ein Waflerbeden des Orpheus auf. Laut Nachrichten der Alt 
hieß fo ein mit dem Bilbniffe des Orpheus, dargeftellt, wie er durch ie 
Spiel die Thiere bändigt, geſchmückter) lacus oder Brunnenfee, dergleich 
ed in Rom Biele gab. Das Denkmal des Orpheus hat fi unter dem Ram 
Orpheum lange Zeit erhalten. Das Pabſibuch fpricht*) Cim Leben Sylveſters 


4 Din ©. 801. 2) Mreller, Regionen ©. 8. 9. 9 Def. E 18 1 
9) Bignoli L, 80. 


Siebtes Buch. Cap. 45. Pläge. Vici. Fremde. Vollsmenge. Fieberluft. 811 


von einem Haufe, „gelegen innerhalb Roms in der Region Orphea.“ Aus 
andern Stellen‘) defjelben Werks erhellt, vaß die heute nod nördlich von den 
Thermen des Titus ſtehenden Kirchen Suncta Lucia in Selce und San Mar- 
tino an den Plag Orpheum gränzten. Auch die römifche Kirchenordnung von 
1140 fennt?) in gleicher Gegend das Orpheum. Es gehörte allem Anfcheine 
nad der dritten chriftlihen Region an, und das Volk mag altem Herfommen 
zu Lieb manchmal ftatt „Straße der Patricier“ eine Region Orphea im Munde 
geführt haben. 

Im Pabſtbuche heißt”) es: „Selle III. (der Betri Stuhl von 483—492 
einnahm) ſei der gleichnamige Eohn eines Römers Felix, Prieſters an ver 
Pfarrei Basciola geweſen.“ Aus der Pfarrei macht‘) einer der jüngeren Bios 
graphen eine regio fasciolae. Und gewiß ift, daß man zu Rom im eilften 
und zwölften Jahrhundert von einer regio fasciolae ſprach. Die Graphia 
fchreibt :*) „innerhalb des Thores mit dem Sternenbogen ift die Region Fas⸗ 
ciola, in welcher die Kirche San Nereo ſich erhebt." San Nereo fteht heute 
noch nördlich von den Antoninianifchen Thermen, fünlih vom Metronsthor, und 
gehörte ohne Frage der nach letzterem Thore genannten Region an. Abermal 
mag dad Volk zuweilen ftatt regio secus portam Metronii Region der Binde 
gelagt haben. Eine kirchliche Sage lief nämlid um, laut welcher der Apoſtel⸗ 
fürft auf feiner Flucht bei der Kirhe S. Nereo die Binde (fasciola) vers 
lor, mit welder er dad von den Ketten wund gerlebene Bein ummwunden hatte.®) 

Mehrfach findet fih in den Quellen des zehnten und eilften Jahrhuns 
derts ein Platz „Cannapara“ erwähnt. Zweimal jagt”) die Graphia: „an 
einem Orte, welder Cannapara heiße, fei einft ein Tempel der Erde, oder 
der Geres und der Erde (tellus) geftanden.” Allein der Berfaller des Büch⸗ 
leins irrt. Wie ich anderswo®) zeigte, lag die Tellus unweit des jpäteren 
Grafenthurms, die Tellus ſelbſt aber war zu einer Gegend graufenhaften Nas 
mens geworben, welche, wie ed in foldhen Bällen zu geſchehen pflegt, bie 
Bollsfüge mehr und mehr erweiterte und bis über das Forum hinüber und 
nad) der Oftfeite des Capitols ausdehnte. Die eigentliche Stelle der Canna⸗ 
para wird durd die Mirabilten, welche übrigens den Tempel der Tellus gleich 
falls mit der Cannapara zufammenreihen, und durd zwei Bullen beftimmt. 

Laut den Mirabilien”) fand einft auf einem der Abhänge des Capitols 
über einem Orte, welder damals Cannapara hieß, der Tempel der Juno 
(moneta). Die angegebene Dertlichfeit des Junotempels trifft zu; ein Heilig⸗ 


%) Ibid. IL, 212. 263. 287 u. 288. 2) Mabillon, Museum ital. II, 132. 9 Vignoli 
L 163 unten. 4) Muratori, script. ital. III, b. ©. 42. ) Dzanam ©. 159. 
°) Plattner u. Bunſen III, a. S. 600. ) Oyanam ©. 159 : in tellure id est in Can- 
napara fuit domus Tellaris. Dann abermald ©. 166: in Cannapara templum Cereris e& 
Telluris.._ *°) Oben ©. 745 fd. 9 Montfancon ©. 293: ex alia parte Capitolii supra 
Cannaparam templum Junonis, und ebenfo, doch mit verborbenem Kert, hd. &. TR won, 


812 Pabſt Gregorius VIE. and fein Beitalter. 


thum diefer Göttin fchmücte in heidniſchen Zeiten die Höhe des Eapitold.') 
Welche Eeite ift nun gemeint? Die Antwort hierauf gibt eine Bulle?) dei 
Pabſts Innozenz IIL vom Jahre 1199, welde von einem Haufe revet, dat 
bei Sankt Theodor am Buße der Bannapara lag, Deßgleichen erhellt ans 
einem Schenfungsbriefe Anaklets IL, (der von 1130 bis 1138 &egenpakt 
war), daß das Beinhaus (Leihengewölbe) der Kirche Sankt Theodor an die 
Cannapara gränzte.) Die Dertlidfeit von S. Theodoro kann genan nad: 
gewiefen werden. Dieje Kirche fteht heute noch ſüdlich vom Campo Vaccino 
(dem alten forum romanum) auf der Südoſtſeite des Capitols. Die Canna⸗ 
para firih demnadh vom Dftabhang des Capitols bis gegen S. Theodor hin. 
Die uriprünglihe Bedeutung des Worts fcheint Sailerbahn gewefen zu fein. 
Doch war die Cannapara im zehnten Jahrhundert allen Anzeigen nad ein 
vornehmed Quartier. 

Die bewohnten Gebäude der Weltftabt aufzählend, unterfcheiden Curioſum 
und Notitia zwifchen bloßen Bürgermwohnungen (insulae) und Herrenhäufen 
(domus). Aud im zehnten Jahrhundert dauerte derfelbe Unterſchied fort, und 
mande in der Etadt Rom zerftreuten adeligen Sitze werden durch Beifügunz 
naher Dertlichfeiten, wie die Cannapara, oder gewifler größeren Kunftvenkmälr 
räumlid beftimmt. ine Urkunde) vom Auguft 939 erwähnt einen Herzog 
Georg, „der da genannt wird de Cannapara.“ Unverfennbar erhielt er dieſen 
Beinamen daher, weil fein Haus in der Gannapara ftand. Ein zweites Bei: 
fpiel liefert der Möndy und nacdhmalige Abt des Klofterd S. Alexius auf dım 
Avıntin, Johann von Cannapara,°) welcher die Ältere Lebensgefchichte des hail, 
Adalbert von Prag abfaßte; ein drittes liefert der Edelmann Peter von Gun: 
napara, den eine Urkunde‘) von 966 nennt. 

Die Erescentier verdanften den bekannten Beinamen jenen marmornea 
Roſſen, die vor ihrem Stammhauſe ftanden. In den bereitd erwähnten Ber 
gamenten von 939 und 966 kommen zum Vorjchein ein Gregor „vom Aven⸗ 
tin“, ein Sergius „vom Palatium“, ein Bonizo „vom Coloß“. Der Eiſte 
hauste meines Erachtend auf dem Aventin, der zweite auf dem Palatin, dr 
dritte neben dem Coloß oder dem Amphitheater des Flavius. Weiter führt‘) 
Biſchof Bonizo von Sutri einen römischen Edlen Belinzo von Marmorati 
auf, der meined Erachtens darum diefen Beinamen erhielt, weil fein Stamm 
fig über dem Marmorufer an der Tiber fih erhob. 


) Beder a.a. O. I, 409. . *) Epistol. Innocentii III. edid. Steph. Baluzius Vol |, 
©. 405: casalinum in regione S. Theodori in pede Cannapariae. ?) A Cannaparia usgue 
in carnarium S. Theodori. Die Urkunde abgedrudt 5.432 des feltenen Werks imemorie istoriche 
di santa Maria in Araceli di Roma, raccolte dal Padre Fr. Casimiro Romano del‘ 
ordine di Minori. Roma 1736. 4to. *) Im Auszuge bei Muratori, antig. Ital. V, 773; 
ganz bei @iefebrecht, deutfche Kaifer I, 818. °) Perg II, 575. e) Abgebruct ki 
Gieſebrecht, deutſche Kaiſer J, 822. ) Defele, script. boic. IL, 801, a. Belinzo, nobi- 
lssimus Romanus de Marmorata. 





” 


L 


Siebtes Buch. Gap. 45. Pläge. Vici. Frembe. Bollömenge. Fieberluft. 813 


Die heidniſchen wie die chriftlihen Regionen der Stadt zerfielen in Unters 
abtheilungen, welche Bicl genannt wurden. Das Wort bezeichnet ein Stabts 


‚ quartier, oder einen durch Duerftraßen abgefonderten Häuferverband.‘) Aus 


©elegenheit der Vici Iernen wir einen merkwürdigen Theil der Benölferung 
Roms fennen. Das Pabſtbuch berichtet ) zum Leben des zweiten Sergius 
(844— 847): „nachdem faracenifche Seeräuber im Auguſt 846 den Hafenplag 
Oſtia eingenommen und andgeplündert hatten, befchloß man zu Rom, die in 
der Stadt anmwefenden Sachſen und Friefen, ſowie die Genoſſenſchaft (schola) 
der Sranfen, wider den Feind auszufenden.” Man könnte denken, Ankömm⸗ 
linge feien bier gemeint, die um jene Zeit irgend eines Geſchäfts wegen zu 
Rom ſich eingefunden hatten. Allein die Sache verhielt fi andere, Außer 
den Myriaden von Pilgern aus allen Nationen, die regelmäßig nad ven 
Schwellen der Apoftel und von da wieder zurüd "in die Heimath ftrömten, 
waren dafelbft Maſſen von Fremdlingen germantichen oder Iatinifchen Bluts 
angefiedelt, welche ihre befonderen Quartiere bewohnten, bejondere Kirchen und 
Begräbnißpläpe hatten, endlich bejondere Genoſſenſchaften bildeten. Letztere 
hießen Scholä, die Quartiere nannte man, wie oben bemerft worden, Vic 
und bezeichnete fie durch Beifügung der Nationalität genauer. Je nah Ums 
fländen bot ver Pabſt die fremden Gerofjenichaften nicht bloß, wie im obigen 
Hal, zur Vertheibigung der römiſchen Kirche, fondern auch zu Feſtzügen auf. 

Als Pabft Leo III. von der Reife, die er nach Paderborn an dad Hofs 
lager Carls des Großen angetreten hatte, im Jahre 800 zurüdfehrte, heißt 
es im Pabſtbuche, ) „rüdten zu feinem Empfange, außer den Häuptern des 
Elerus und den adeligen Herren und Frauen, ſämmtliche Genofjenfcaften 
(scholae) der $remdlinge, die der Kranfen, der Langobarden, der Briefen, der 
Sachſen bi8 an die milvifhe Brüde mit Kreuz und Fahnen aus, und bes 
grüßten den nahenden Pabft mit geiftlihen Gefängen.” Noch werden erwähnt 
Genofienichaften der Sarden, Corſen und Griehen. Die beiden erfteren hatten, 
durch Die Saracenen bedroht, Zuflucht in Rom gefuct.*) Die Sarden faßen”) 
in der liberatifchen Region um Eanta Maria Maggiore und das Klofter des 
h. Belt, ein eigener Vicus trug nad ihnen den Namen.) Das Uuartier 
der Eorfen befand fih in der Nähe eined Kloſters zum heil. Cäfarius, ”) 
wahrfceinlidh deffelben, das heute noch den nämlichen Namen trägt und am- 
Eüpdoftende der Stadt lieg. Die Grieben hatten zu ihrem Mittelpunkt 
bie ſüdweſtlich vom Palatin gelegene Kirche ©. Maria in Cosmedin, die 
unter andern Quellen °) auch vom Einfievler Möndh erwähnt wird.) Nod 


1) Meber bie Bedeutung von vicus, insula, domus vergl. man Preller ©. 79. 86 flg. 
2) Bignoli III, 62. ®) Ibid. IT, 250.) Ibid. III, 115. 118. ®) Ibid. IL, 292. 
*) Ibid. III, 72. 7) Ibid. II, 293. °) 3.8. liber pontifie. Vignoli II, 218. 283. 
ıt, 201. 9) Archiv V, 129. 136 137: de porta appia usque scholam graecam in Ayla 
Man vergl. Plattner u. Bunfen II, a. ©. 380 flg. u. Berk V, 588, Mitte, 


814 Vabſt Sregorins VIL und fein Zeitalter. 


heute heißt eine Heine Etraße bei der genannten Kirche vicolo della Greca 
(schola). 

Bei Weiten am Meiften if von den Genofienfchaften der Sachſen (. h 
Angeljachien), Frieſen, Franken und Langobarden die Rebe, weil fie ben 
Stuhle Petri wictige militäriſche Dienfte leifteten. QDuartier und Gola 
der Sachſen wie der Langobarden lag im Borgo. Das Pabſtbuch emählt:) 
„im Anfange der Regierung Leo's IV. (847—855) brady Feuer im ſächfiſchen 
Duartiere aus und verzehrte die Häufer der Sachſen und Langobarten tr 
der Hilfe, die von allen Eeiten geleiftet wurde. Ta erſchien ver Pabk um 
that dem wütbenden Elemente durch ein Wunder Einhalt.* Bekanntlich bat 
Raphael diefe Begebenheit dur ein Wandgemälde in den Etanzen des Bali 
fand gefeiert. Well die Sachſen drüben wohnten, hieß im eilften Jahrhunden 
das Thor, welches den fänlihen Theil ded Borgo abichloß, Porta Eaikä,') 
empfieng ferner die untere der zwei Brüden, welde aus dem Borgo nad ber 
Altſtadt hinüberführten, in der Oraphia?) die Benennung pons Nerooianus ad 
Sassiam. Aus demjelben Grunde wird noch beute das große Krankenhaud 
im Borgo Spital zum 5. Geift in Saffta genannt.) Auch die angefievelten 
Franken und Briefen wohnten vorzugswelfe im Borgo; und ebenbort fanden 
die Tauſende von Pilgern Unterkunft, welche fletd aus den Ländern jenſeits 
der Alyen nad Rom ftrömten. 

Eine halb verfälfchte Urfunde‘) it auf und gefommen, angeblid ausge 
ftelt von Eurl dem Großen, in der That herrührend von einem ver Gare 
linger des neunten Jahrhunderts. Jedenfalls war das Pergament fchon gegen 
Ende des zehnten Seculums vorhanden. Der Auöfteller befennt, daß er ein 
Kirche, gelegen in der durch Leo IV. erbauten Neuftadt, unweit dem Batifun 
und geweiht dem Erlöfer, von dem ebengenannten Babfte erworben, aud mi 
den nöthigen Einfünften für 3 Presbyter und 12 wohlunterrichtete Glerike, 
von welden lepteren A fletd Franken, 4 Aquitaner, 4 endlih WBelgen®) fein 
müſſen, ausgeftattet habe. Weiter verordnet er: dieſe Prieſter der Ealvater 
kirche follen alle Wallfahrer, die aus den Ländern jenſeits der Alpen fommen, 
arme und reiche, edle und unedle, ohne Unterjhied ded Standes, durd die 
Heiligthümer der ewigen Stadt herumführen und ihnen als Wegweifer bie 
nen; fie follen ferner denjenigen aus der Zahl befagter Pilger, welche wäh 
tend der Reife zu Rom fterben, die legten Ehren unentgeldlich erweifen un 
fie begraben. 

Die gleihe Vorforge dauerte durch das eilfte Jahrhundert fort. Durd 
Bulle ) vom 21. März 1053 beftätigte Pabſt Leo IX. die Vorrechte wer 
Kirche zum Erlöfer, genannt schola Francorum, und fügte bei: „wenn ven 


*) Bignoli II, 79. *) Perg V, 468. *) Dzanam ©. 160, Mitte *) Big 
UL, 80 unten. *) Marini papiri diplomat. ©. 105 flg. 9) Quatuor de Gallia, 
Gallia beigica. N Jafd, reger. Pant. zum. Mr. 3200. 





Siebtes Bach. Gap. 45. Plaͤtze. Vici. Fremde. Bollömenge. Bieberluft. 815 


ı Pilgern, weldhe aus den Ländern jenſeits der Alpen kommen, weſſen Etans 
) fie au Seien, Reihe, Arme, Edle, Unedle, während ihres Aufenthalts 
Rom oder im Umkreiſe der Stadt bis anf die Entfernung nad Albano 
r Sutri, Einzelne fterben, fo follen fie in befagter Kirche zum Erloͤſer ihre 
te Rubeftätte finden; Engländer aber, die in der Schola Sachſens franf 
rden und mit Tod abgehen, werben in befagter Sachſenſchule beftattet. 
iefen, welche ebendaſelbſt einer Krankheit erliegen, fol man nicht in der 
jefenfchule, die fonft St. Michaelöfirche heißt, fondern zum Erlöfer (in der 
anfenfchule) begraben. Alle andern Pilger, Deutiche und Lateiner, die in 
Leoftabt oder auf 3 Meilen im Umfreife verfcheiden, follen in der Lombar⸗ 
hen Schola, d. 5. der Kirche zum h. Juſtinus beflattet werben.“ 

Diefe vier Kirchen ſtehen) noch heute in der Nähe des Et. Peterdomes: 

Frankenſchule zum Erlöfer und die Sriefenichule zu S. Michele hinter dem 
lafte der Inquifition — leptere heißt S. Salvatore in Magello (welchen Aus⸗ 
ick Schon die angebliche Urfunde Carls des Großen braudt), die Lango⸗ 
denichule am Campo Santo auf der Südſeite des Petersdomes, fie wirb 
sanııt S. Maria in Campo, die Sachſenſchule beim großen Spital in Saſſia, 
heißt S. Spirito. 

Welch ein Strom von Pilgern muß im 9., 10., 11. Jahrhundert nach 
Weltmetropole gewogt fein. Der Verkehr mit diefen Fremdlingen war 
wichtigſte Nahrungszweig Roms. Ebendeßhalb gebot nicht nur Pflicht, fons 
n auch politiiche Nothwendigkeit den Pähften, Allem aufzubieten, damit bie 
-bandenen Dentmäler nicht zerfallen. In der That liest man von ben 
iften Bäbften des Mittelalters, daß fie entweder neue Gebäude aufführten 
x alte wieberherftellten. Und ald um die Mitte des 11. Jahrhunderts 
ibſt Gregor VL in eine Lage gerieth, daß er die Unterflüsung ter chrift 
en Länder jenfeitd der Alpen anrufen mußte, wurden die auswärts gefams 
Iten Gelder in eine fogenannte Baufafle vereinigt. Diele Kafle diente, wie 
kter gezeigt werben fol, noch ganz andern Zweden, aber weil ed eine der 
ten Aufgaben des Stuhles Petri fhien, das Beſtehende zu erhalten, gab 
in ihr jenen Namen. Eine Stadt, wie Rom, die vom Capitale der Ber- 
imgenheit zehrt, erhält nothgedrungen ihre Alterthümer. Hauptfählid darum, 
el diefer Hebel feit dem fünften Jahrhundert wirkte, gli Rom zu den 
titen Otto's IIL noch dem Conſtantiniſchen. 

Zum Schluſſe einige Beinerfungen über die Volkszahl der Stabi. Das 
trioſum und die Notitia zählen?) gegen 47,000 bürgerliche Wohnungen und 
de an 2000 Herrenhäufer auf. Noch im fechöten Jahrhundert gibt’) der 
leche Zacharias diefelbe Ziffer. Diefe Zeugniffe berechtigen zu dem Schluße, 





9») Blattuer u. Bunfen IL, a. ©. 30 fig. u. 395. *) Preller, Regionen ©. 30 u. 31. 
Daf. ©. 237. 





6 nimm ci Praucee TR anf en Sasse 
im vierten anb fhnftrn Jahrhaidert die MibäMFtrnug Imbigemneht mhk d 
Wilden Köpfe brinug. Habere begläubigte Mesfapen älterer Zten Al 


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Bolgı fo große Auſtrengungen König Hugo von Italien machte, ı 
Rom in feine Gewalt zu bringen, trohte bie Stabt allen Stürmen. Di 
wäre sicht möglich geweien, hatte Rom nicht eine ftarfe Bevölkerung u 
hqhloſſen. 

Das © gilt vom Ende des eilften Jahrhunderts. Im den lag 


Welt — zuleht aus der Stadt hinausgeſchlagen. Heute zählt wie criftl 
BWeltmetropole ungefähr 160,000 Eimvohnerz in Alberichs . und Gregors VI 
Lagen war fie meines Erachtens nicht Heiner, Zwei merkwürdige, obml 
wiht in ‚beftkmmten Ziffern ausgedrückte Belege finden ſich bei Garni 
Peter Damiani. Im einer feliler Meinen Schriften ſpricht er won Geie 
erfcheinungen, fowie davon, daß die h. Mutter Gottes einft am einem ihn 
Befte eine fehr große Zahl abgeſchiedener Seelen durch die Kraft ihres Gchd 
aus dem egfeuer erlödte. „Die Zahl der aljo Befreiten,“ fagt”) er, ie 
traf die der gefammten römiſchen Volksgemeinde von heute.“ Man fick, € 
will eine große Maſſe bezeichnen, und wählt zu biefem Behufe das Beh 
der volfreihften Stadt, die er kannte. Sodann ermahnt ebenderſelbe in dad 
an den Präfeften von Rom, Cencius, gerichteten Schreiben‘) viefem hal 
Beamten, die Rechtsſachen der unermeßlichen römiſchen Volkomenge, — 
feiner Obhut anvertraut ſel, gewiſſenhaft zu beſorgen. 

Andererſeits glaube ich nicht, daß die Einwohnerzahl von bamals fl 
höher belief, ald bie. gegenwärtige. Ich berufe mich auf zwei Haupigrint 
einen landwirthſchaftlichen und einen mediciniſchen. 

Der Umfang des heutigen Rom, entſprechend den durch bie alte aurell 
Mauer gezogenen Grenzen, ift kaum zum britten Theile bewohnt oder W 
Häufern und Straßen befegt, zu zwei Drittheilen in Gartens und Rei 
verwandelt. Wohlan, ungefähr das Gleiche muß im zehnten und eilften I 


) Blattner u. Bunfen I, 184 fig. *) Siehe oben ©. 729 fly. *) Opp: edid UF 
tani. (Paris 1642. fol.) Pars II, ©. 268, b. (opuscal. 34, cap. 3): tanta mulikul# 
de tormentis erepta, ut numerum totins romanae plebis excedat. « ) Ibid. Pars 1 Ih 
care, mo disciplinem tam innumerabilis populi, qui tibi commmnlssus est, negligu. 


Siebtes Bud. Gap. 45. Pläge. Bici. Fremde. Bollömenge. Fieberlufi. 817 


undert der Fall geweien fein. Durd Bulle!) vom November 973 beftätigte 
Pabft Benedikt VI. der Abtei Eubiaco den Beſitz alles Eigenthums, „namentlich 
ad Klofter Cosmas und Damian mit Bauernhäufern und Haupthof,) ges 
egen an der via lata, fowie eine Kirche, die in der britten Region fteht, und 
ın einen Ort grenzt, der massa juliana genannt wird.” Das Wort massa 
ezeichnet ftets einen größeren Zufammenhang von Grundſtücken, gleihwohl 
erjegt das Pergament die Juliana deutlich innerhalb der Stabtmauern Roms. 
serner erhellt aus der mehrfach angeführten gerichtlichen Akte) von 998, daß 
m Umfreife der alerandrinifhen Bäder (bei der heutigen Piazza Navona) 
teben und Bauernhäufer angelegt waren. Heute zu Tage ift lehtere Gegend 
ie bevölfertfte Roms, während der Aventin und das Forum, die im eilften 
Jahrhundert einen belebten Anblid darboten, jegt verövet find. 

Ih gebe noch zwei weitere Belege. Durd Bulle) vom Jahre 955 
efräftigte Pabft Agapet einem römifchen Klofter den Beſitz der (am heutigen 
sorjo gelegenen) Säule Antonind fammt der Zelle und dem ungebauten Lande 
terra vacans), das fie umgibt. Deßgleichen ſchenktes) Pabft Benedikt IX. 
n Jahre 1037 dem Bisthum Porto „innerhalb der Mauern Roms ein Stüd 
and, wo ehedem ein großed Herrenhaus erbaut war, fammt Zubehör. Gränzen 
nd nad einer Seite hin der Play, wo einft dad Haus der Martezza, nad) 
er andern abermal ein Pla, wo einft dad Haus des Berno fland.” Der 
Amliche Pabſt beftätigte”) ferner demfelben Bistum ausgedehnte, mit Reben, 
ven, Gärten, Bruchtbäumen bejegte Grundftüde, „pie innerhalb der Mauern 
tom® rund um den Lateran lagen.” Und nun zu einem zweiten Punfte. 

Mer je den Kirchenftaat befuchte, weiß, daß zur Zeit der heißeften Som, 
ermonate in Rom malaria, Fieberluft herrſcht. Und zwar übt Fraft wohl bes 
äbrter Erfahrungen dieſes ververblihe Etwas an Orten, die ſchwach ober 
sr nicht bewohnt find, den ſtärkſten Einflug, während die Schäplickeit in 
m Maaße abnimmt, wie die Dichtigkeit der Bevölkerung fleigt. Niedrig 
Hegene, dem Anſehen nad ungefunde Etraßen, wo Haus an Haus fid 
iht, Teiden weniger an Fiebern. Im Alterthum wiederholt ſich diefelbe Er⸗ 
beinung. Keine Region war in den Zeiten der Republif verrufener,*) als 
ke Esquilien; dort gab es einen lucus mefitis, dort fanden Altäre der mala 
wtuna und der febris, dort lag der allgemeine Begräbmißplag, dort moberten 
kbeine von Sklaven und Berbrechern, unbeerbigt. Aber Alles änderte fi 
it dem Nugenblide, da Augnſt den Hügel. mit Anlagen Ihmüdte, eine 
chte Bevölferung hinzog, und reihe Blinftlinge beftimmte, Paläfte daſelbſt 





1) Muretori, antig. Ital V, 774. 2) Cam easis ot eurte. n Oben ©. 787. 
Marini papiri ©. 39 gegen unten. °) Idem, ibid. ©. 82, Witte u. 83 oben. °) Die 
lege bei Beer, Handbuch L 537 fig. 

&frörer, Bahr Gregerius vL BB, V. 62 


818 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitaller. 


zu erbauen. Seitdem preist‘) Horatius die Eöquilien als eine gefuie 
end. 

en Sollte nım fich herausftellen, daß zur Zeit Gregors VIL. Klagen ik 
die ungefunde Luft Roms eben fo hänfig waren, als heutzutage, fo muß mu 
sugefichen, die Bevölferung ſei damals im Ganzen nicht größer gerwefen, a 
jept. Ich trete biefen Beweis an. Garbinal Peter Damiani, der Zeitgenek 
und Gehilfe Hildebrands, fchreibt:?) „nicht bloß meine Seele bat zu Res 
vielfache Bein erbuldet, fondern aud mein Körper erfuhr die Macht har 
nädiger Fieber, weßhalb ich früher folgende Verſe bichtete:?) 

Roma, die Peindin der Menfchen, verzehret dad Mark in ben KAuochen. 

Roma, du Mutter ber Fieber, der Tod hängt bir an ber Werfe. 

Bahrlich, die römifche Dual Hält fe am Recht bed Befiges, 

Hat fie dich einmal gepadt, dann fcheidet fie erfi von dem Tobien!“ 





Sechsundvierzigfies Cepitel. 


Die Ditoniſche Weltreichsverfaſſung. Große Hofämter voll Prunk, aber ohhne weil 
Macht: Patricier, Magifter des 5. Palaſtes, geheime Räthe, Veſtiarier, Grafen dei 
h. Palaſtes, Logotheten. Bezirkobeamte, Gonfuln, welche jährlich wechfeln , Procenfais, 
Fleine Richter (pedanei). Die Kriegemadht zerfällt in zwei Abteilungen: erfkend in die 
Leibwache, zweitens in die durch Aushebung aufgebrachten Feldregimenter. Anführer da 
leptern,, welche nie eine anfehnlidye Stärke erlangten, war ein Denifdger, Gerhart. 
Die Leibwache ſtand unter dem Befehle des Tuöculanere Ulberihd. Wiederaufleben te 
Macht des tusculanifchen Haufed. Bewaffnung bed Heered, Lieferungsweſen. Epiel mit 
Triumphen, Echmud des Kaiferd. Das Sinnbild des Adlers. 





Alfo ſah Rom ums Jahr 1000 unferer Zeitrehnung aus. Daß tie 
„goldene?) Etadt”, voll prächtiger Denfmäler des Alterthums, den fächfijchen 
Kaifern, nachdem fie Stalien erobert hatten, beſſer behagte, ald die rohen und 
verhältnigmäßig Aärmlihen, mit Stroh oder Edindeln gededten Städte und 
Burgen Deutſchlands, ift in der Ordnung. Otto IL bat die Jahre 962 bie 


1) Satir. I. 8, 14: 
Nuno licet Esquiliis habitare salabribus, atque 
Aggere in aprico spatiari, qua modo tristes 
Albis informem spectabant ossibus agrum. 
2) Opp. ed. Cajetani III, 188, b.: 

Roma, vorax hominum, domat ardua colla virorum, 

Roma ferax febrium, necis est uberrima frugum. 

Romanae febres stabili sunt jure fideles, 





Bu Quem semel invadunt, vix a vivente recedunt. 
T ?) Aurea Roma ſagt die Graphia (Ozanam ©. 155). Schon Prudentins braucht denſelben 
x. Ausorud am Schluffe des Gedichte contra Symmachum : 


quod genus ut sceleris jam nesciat aurea Roma. 
Pi ber Franke Ermold Nigellus bei Berk IL, 480, Bers 79: 
Francia! plaude lubens, plaudat simul aures Roma! 


Siebtes Buch. Gap. 46. Bruntende Hofämter der Weltzeichöverfaffung. Kriegemadht. 819 


965 in Italien, und eben dafelbft abermal die Jahre 967 bis 972 zugebradht. 
Wiederholt weilte er während dieſes boppelten Aufenthalts zu Rom. Rod 
größere Neigung für die chriſtliche Metropole bethätigte Otto's I. gleichnamis 
ger Sohn Dtto II. Erweislich arbeitete er unter dem Einfluffe der Griechin 
Theophano darauf hin, den Sitz des Reichs nad Stalien, nad Rom zu vers 
legen. Der dritte Dtto betrat daher einen vorgebahnten Weg, als er feit 
997 anhub, die Gedanken feines Vaters und noch mehr feiner Mutter ins 
Bert zu chen. 

So Mäglih das Ende war, welches jein Unternehmen fand, hat es doch 
mächtig auf die folgenden Geſchlechter eingewirft, und zwar zunächſt auf bie 
Literatur. Wer ſollte es glauben, fogar die Mirabilien, fonft ein farblofes, 
nur auf Befriedigung der Neugierde von Pilgern berechneted, Machwerk, tragen 
deutliche Spuren diefer von Dtto III. angeregten Ideen. Nicht nur geben‘) 
fie, ohne zu wiſſen, was fie fagen, ein Verzeichniß der zum Behufe des Welt 
reih8 von dem neuen Kaiſer des Erdkreiſes eingefebten Beamten, ſondern fie 
theilen auch ein Diftihon mit, das von den Hoffnungen zeugt, welche kaiſer⸗ 
lich gefinnte Römer an die Plane Otto's III. fnüpften. „Dem Tempel der 
Dellona,* melden?) fie, „ward folgender Vers angeheftet: 

Greifin war Roma geworben, doch jetzo verjünget erhebt fie 
Aus der Ruinen Gedraͤng freudig die Stirne empor.“ 

Das weist handgreiflih auf Otto III. bin. 

Die Graphia befteht, wie früher gezeigt worden, aus zwei Haupttheilen, 
erftlich einem topographifchen, der aus denfelben Quellen geichöpft ift, wie die 
Mirabilien, und meift ten nämlichen Tert wiederholt. Dennoch enthält aud 
ver erſte Theil deutlihe Anflänge an die Plane Otto's III. Nicht nur 
yringt fie daſſelbe Diftihon, fondern fie gibt”) außerdem einen Hexameter 
mm Beften, der meined Erachtens urfprünglid in engem Berband mit dem 
Diftichon fland 

Roma, die Herrin der Welt, lenkt wieder die Zügel des Erdrunds. 


Der zweite Theil vollends iſt aus lauter Zegen der Dttonifchen Weltreichs⸗ 
yerfaffung zufammengefeßt. 

Hätte Dtto III die Gedanfen, über denen er brätete, nur ein halbes 
Menſchenalter lang in Fleiſch und Blut zu verwandeln vermoct, fo wäre Petri 
Stuhl unfehlbar zu einem PBatriarchat herabgefunfen. Denn neben einem in 


ı) Montfaucon ©. 289 flg. mit ber Weberfchrift de judicibus imperatorum in Roma. 
) Ibid. ©. 292: 
Roma vetusta fui, sed nunc nova Roma vocabor, 
Eruta ruderibus, culmen ad astra fero. 
) Ojanam ©. 174: 
Roma caput mundi regit orbis frena rotandi. 
vꝛe 


820 Pabſt Gregorins VIL und fein Seitalter. 


Rom angeflebelten, wenn auch dem Scheine nad dhriftlichen Eultanate lam 
ein freier Pabft nimmermehr beftehen. Eine große, dringente Gefahr naht 
daher der römifhen Kirche. Indem Pabſt Eylvefter II. Otto's III. His 
geipinnfte zu häticheln fchien, hat er Ihn aräulih mißbraudt, aber aub die 
Miederfehr ähnlicher Anfchläge für die Zufunft unmöglihd gemacht: er leifck 
der Ehriftenheit einen unermeßliben Dienft, gab feinem Nachfolger ein Ber 
fpiel, das beherzigt worden if. Mit Sylveſter II. begann eine neue Entwidiu 
der Gefchichte des Pabſtthums, größere Ziele wurden ſeitdem erfirebt. Was 
Feinde erdacht hatten, fchlug, wie ed fonft jo oft geihab, zum Vortheil der 
Kirche aus. 

Selbft Die, welche, wenn Vernunft im Staatsweſen herrſchte, fit m 
warnended Beifpiel am unglüdliben Ausgang Otto's III. nehmen muhta, 
find durch feine phantaftiihen Einbildungen wie durch einen Zauber berauitı 
und bingerifien worden. König Heinrich II. wandte die Kraft eines Lebens 
auf, um das durch Otto's III. Thorheit an den Rand der Grube gehradr 
Reich der Deutichen wieder aufzurichten, und that gewöhnlich das fchnurgerait 
Gegentheil von Dem, was feinem Borgänger beliebte. Allein auch er ſtellte, 
wie unten gezeigt werben fol, angefommen auf der Höhe feiner Madıt, ein 
Urfunde aus, deren Sigel die Umfchrift trägt: 


Roma caput mundi regit orbis frena rotundi. 


Der legte Sprößling des ſächſiſchen Haufes ftand folglich in Gefahr, auf Ab 
wege zu geratben. @onrad II. fchlug wirklich folhe Bahnen ein, und unter 
Heinrich III. galt Otto TIL. als ein Urbild von Regentenwetshelt und Ha: 
ſchermacht. 

Für die Weltverfaſſung Otto's III. liegen Zeugniſſe vor, die fein 
Zweifel zulaffen. Quellen find erftlih jene Stüde im zweiten Haupttbel 
der Graphia, zweitens Aufzeihnungen in Handichriften der vatikaniſchen Br 
bliothef, die dem eilften und zwölften Jahrhundert angehören — aus ihnen baben 
Die geichöpft, weldhe den erften Stoff der Graphia zufammentrugen ; dritten 
eine gute Anzahl römijcher und anderer Urkunden. Ich beginne mit lezteren 
Sie führen zwifchen den Jahren 998—1002 eine Reihe Aemter auf, terra 
Namen man feit den Zeiten der alten weftrömiihen Kaiſer in Stalien nidı, 
oder faum vernahm, die aber in den Beſchreibungen des Hofftaates der bw 
zantiniſchen Baſileis vielfach erwähnt werben. 

Zum Vorſchein kommen ein Magifter‘) des kaiſerlichen Palaftes, geheim 
Räthe und Protoveftiarier oder Veftiarier?) des heiligen Palaftes; Grafen dee. 


‘) Urkunde vom 2. Dez. 999 bei Muratori, script. ital. II, b. ©. 502: Albericas ps 
latii imperialis magister. ?) Machgewiefen Jahrbücher des d. R. IL, b. ©. 134: Johames 
Protos a secretis et protorestiarius Ottonis regis. Urkunde von 999: (ibid. 135) Gregwis 
vostiarius sacrı palatiı. 


Siebtes Bud. Cap. 46. Prunkende Hofämter der Weltreichöverfaflung. Kriegsmacht. 821 


„ Palaftes — wohl diejelben, die fonft auch comites familiares heißen‘) — Pros 

tojpatharier;') weiter Logotheten und Archilogotheten des heiligen Palaftes, 
. eine Würde, welche jedoh nur hohen Geiftlichen ertheilt worben zu fein 

Icheint, denn in den mir befannten Fällen find es ſtets Bifchöfe, welche dieſen 
präcdtigen Titel erhalten. Der Biograph Heribertd von Eöln führt etliche 
Worte aus einem Handfchreiben Otto's III. an, worin der Kaiſer feinen bis⸗ 
, berigen Kanzler als Cölner Erzbifhof und Archilogotheten begrüßt.) Deßs 
gleichen erfcheint der und wohl befannte Viſchof von Vercelli urkundlich) als 
Zogothet des heiligen Palaſtes. 

Größeres Erftaunen als dieſer Flitter erregt ein Amt, welches fonft nur 
Könige und Kaifer, oder unabhängige Fürften, oder Stellvertreter des abwe⸗ 
, jenden Reichöoberhaupts befleideten, und welches dagegen Dtto IIL., während 
. er felbft zu Rom weilte, Dritten übertrug. Nachdem Pipin und Carl der 
- Große mit Petri Stuhl in die früher befchriebene Verbindung getreten waren, 
, nahmen fie den Titel Patricier an. Ebendenſelben führte, wie früher“) ges 
zeigt worden, Alberich IL als unabhängiger Fürſt von Rom, fowie feit 986 
Erescentius IV. ald Stellvertreter der abwejenden Reihöverweferin Theophano. 
Anders hielt ed Dtto IIL, er ernannte einen Patricier, dem er den erften 
Rang an feinem Hofe anwied und den er auf Reifen mit fih nahm. 

Als folder Patricier wird wiederholt ein gewiffer Zazzo erwähnt, wels 
her Name italienische Verkürzung eined lateinifchen oder deutſchen Worte 
zu jein jcheint, das ich nicht zu beftimmen vermag. Thietmar von Merjeburg 
erzählt:°) „auf der Reiſe nad Gneſen begleitete den Kaiſer fein damaliger 
Patricius Ziazzo.“ Ebenvenfelben nennen‘) auch die ältefte Benetianer Chronik 
und eine Urfunde vom Januar 1000. War der Patricier eine Perſon mit 
einem Andern, den Thietmar zum Jahre 984 unter dem Namen Clazzo aufs 
. führt,”) fo würde folgen, daß Zazzo aus deutſchem Blute ftammte und einen 

Bruder Friederich hatte, den ih im Falle der Bejahung für den nachmaligen 
Cardinal und Erzbifhof von Ravenna halte. Weiter geht aus obigen Worten 
des Merjeburger Ehroniften hervor, daß Zazzo feine hohe Würde nicht dauernd 
behauptete, jondern entweder vor oder nad der Heimkehr des Kaiſers durch 
einen Andern verdrängt worven if. Denn wer jagt: damald war der und 
der Patricier, gibt zu verfiehen, daß fpäter ein Anderer an die Stelle des 
damaligen trat. 

Das politiihe Syftem , an deſſen Spitze der Kaiſer mit allem jenem 


4) Urkunde vom 28. Jan. 1001 bei Fantuzzi, monum. ravennat. I, 225. Otto protos- 
patarius et comes sacri palatii. Urfunde vom Jahre 996 bei Böhmer Nr. 781. Baim- 
baldas noster familiaris comes. 2) Berk IV, 743, Mitte: Otto, imperator sola Dei 
gratis, Heriberto archilogothetae gratiam et Coloniam ac pallium. 3) Urfunde vom 
4. April 1001 bei Fantuzzi III, 13. %) Oben ©. 244. ®) Berk TIL, 780. S, Role 
gewiefen Jahrbücher des deutſchen Reichs U, b. ©. 110, Note 4. Vera TI, TER, 


822 Pabſt Gregorius VII. and fein Zeitalter. 


Prunf von heiligen Grafen, Veftiariern, Protoveftiariern, Spathariern, Ri 
giftern des Palafted, Logotheten und Ardilogotheten zu ftehen kam, hieß‘) in 
der Kanzleiſprache Otto's III. „das wiederhergefiellte Reich der Römer, te 
Republik, das Gemeinwejen der Römer.” In einer Urkunde?) vom Jahre 1001 
nennt er fich felbft „Dito den Römer, den Sachſen, den Italiener, von Goties 
Gnaden Kaifer der römiſchen Welt.” Der Hofftaat, der ihn umgab, empfing 
den Titel „römifcher Senat.” Die Ehronif von Quedlinburg fchreibt:’) „uf 
dem Zuge nad Gneſen begleiteten den Kaifer nit Wenige aus dem römijden 
Senate.” Die nämlihe Reife fchilvert!) eine alte von Baronius angeführt 
Duelle alfo: „mit dem römijchen Senat, mit Bilhöfen und Clerikem, brad 
Kaifer Dito über die Alpen nad Slavien (d. b. Polen) auf.” Leptere Wone 
lauten fo, al8 feien von den weltlichen Mitgliedern des Senats die Hofflerter 
unterfchieden worden. 

Bon felbft verfteht es fih, daß eine politiihe Edhöpfung, die fib ald 
das Triebwerk eined Weltftaated anfündigt, eigenthümlicher Werkzeuge be 
durfte, dazu beftimmt, die Majeftät des Reihe nidt etwa bloß im Mitte 
punkt um die geheiligte Perſon des Herrichers, jondern im Umfreife des Ganzen, 
in den Provinzen als den Gliedern des Rieſen, zu vertreten. Während ver 
Zeiten der Republif und der alten heidniſchen Kaifer hatten Conſuln und Pre; 
confuln die Provinzen der römifchen Welt erft unterjoht, dann beherrſcht, vcı: 
waltet, audgebeutelt. Wohlan eben folhe Namen leben mit ähnlicyer Beſim— 
mung unter Dtto III. wieder auf. Ein erfledlihe Anzahl von Proconiula 
und Conſuln und wahrjcheinlid eine noch größere von Bewerbern um jelbige 
Aemter muß damals zu Rom fi umgetrieben haben. 

Eines der koftbarften Bruchſtücke,“) welche von der Ottoniſchen Berfar 
fung zeugen, beginnt mit den Worten: „ed gibt verſchiedene Klaſſen von Rid- 
tern. Die cine befteht aus Conſuln, welde in die Amtöbezirfe vertheilt werden; 
eine zweite aus Richtern zu Buß (d. h. Kleinrichtein, Schulzen und Amt 
leuten), welche der betreffende Bonful ernennt.” Die Gonfuln waren, wie man 
fieht, vorncehme Herren, denn fie werden den Fußrichtern entgegengefegt; folg 
lidy amteten fie, wenigftend theilweije, zu Roß, insbejondere wenn fie in ihren 
Bezirken berumreisten. Wie lang dauerte nun ihre Anftelung ? Genau cbm- 
jolang, wie dad Amt der alten republifanijchen Conſuln. Die Grapbia, kr 
wir auch die Aufbewahrung obigen Bruchftüdd verdanken, meldet:°) „für jer 


') Siehe die oben ©. 898 flg. angeführten Belege. :) Böhmer Nr. 872, ) $ 
I, 77. *) Ad a. 1000. Ausgabe von Lucca XVI, ©. 400, b. unten. ) Gieſebreqt 
beutiche Kaiſer I, 825: alii (judices sunt) consules distributi per judicatus, alii pedanei 3 
cousulibus creati. °) Ojanam, documents inedits S. 172: consules in unaquague pr- 
vincia ab imperatoribus constituli sunt, ut subditos suos consilio regant, et mon amplis 
nisi per annum consulatam teneant. Proconsul vicem consulis agat. Man bemerie dei 
Wortfpiel von consulea und conallum. 


au a ı 


_ 


Siebtes Buch. Cap. 46. Prunkende Hofämter der Weltreihöverfaflung. Kriegsmacht. 823 


Provinz werden von den Kaiſern Eonfuln eingefegt, damit fie ihre Untergebenen 
weislih regieren, ihr Amt dauert aber nur ein Jahr. Stellvertreter der Con⸗ 
fuln find die Proconfuln.* 

Aus der Bergleihung beider Stellen erhellt — was freilih aud aus 
andern Gründen far ift — daß man bezüglich der Dttonifhen Eonfuln zwei 
voejentlihe Dinge unterfcheiden muß, nämlich erftend den Willen und zweitens 
Die That oder den Vollzug des Erdachten. Sicerlih Tag es in der Abſicht 
Otto's III., feine Conjuln mit wirklichen Provinzen auszuftatten, d. b. Ihnen 
Statthaltereien in Deutſchland, Gallien, Polen, Ungarn, Neuftrien, Spanien, 
Dritannien, Mauritanien, Afrifa, Aegypten u. |. w. anzuwelfen. Aber das 
ging nicht fo fchnell, ald Dtto III. wünjchte, weil der Kal eintrat, ven 
Schiller mit den Worten befchreibt: eng im Hirne wohnen die Gedanten, 
aber hart im Raume ftoßen fi die Dinge, mit andern Worten, weil 
Deutiche, Italiener, Ungarn und Slaven — von andern Rationen zu ſchweigen 
— fi hübſch für die aus Rom ihnen zugedachten Gonfuln und deren weifes 
consilium bedankten. Die Folge war, daß Dito III. vorerft ſich begnügen 
mußte, feine Conſuln bis auf Weiteres in den nädften um Rom liegenden 
Bezirken des Kirchenſtaats — den judicatus — zu verforgen. In der zweiten 
Stelle wird die Abfiht, in der erften die That bejchrieben. 

Was war das eigentliche Wahrzeichen des alten Rom? Ich fage die Les 
gion, jene Soldaten, die beide Eigenihaften, welche Macchiavel dem deut 


ſchen Fußvolk feiner Zeit nahrühmt, Wuth und Ordnung — furore ed or- 
. dinanza — in höcfter Vollfommenheit beſaßen. Mochte der Unglüdliche, 


welcher zwiichen 997 und 1002 dem Traume unmöglicher Dinge feine Krone 
zum Opfer brachte, noch fo verfehrt fein: eines konnte Ihm nicht entgehen, 
nämlich daß er etwas, wie Legionen, bebürfe, um feinen Lieblingstitel „Wieder⸗ 
berfteller oder Kaifer der römifchen Welt,“ mit einigem, Scheine von Recht zu 
führen. Wirklich lebten die Legionen wenigftend dem Namen nad) wieder auf. 

Sn einer Urkunde von 999 werben erwähnt:') „Gerhard von Gottes 
Gnaden, erlauchter Graf und Felvhauptmann (magister) der faiferlihen Streits 
macht, Oregorius von Tusculum, Befehlshaber der Faiferlihen Flotte;“ weis 
ter „Alberih, Gregors Sohn, Magifter des kaiſerlichen Palaſtes.“ Das find 
allerdings prächtige Titel, aber an fich geben fie feinen Haren Begrif. Doc 
Licht und Farbe ftrömt herbei durch eine Stelle der Graphia, die jo lautet:?) 
„der Graf des kaiſerlichen Palaftes, der über allen Grafen der Welt fteht, 
und dem die Obhut des Palaftes anvertraut ift, bat unter fih zwei andere 
Grafen, nämlich den Grafen der erften und den Grafen der zweiten Cohorte. 


1) Urtheilsſpruch vom 2. Dez. 999 bei Muratori, script. ital II, b. ©. 502: Gerardus 
gratia Dei inclitus comes atque imperialis militiae magister; Gregorius excellentissimus vir, 
qui de Tusculano, praefectus navalis; Albericus, Gregorii fillus, atıne yuanl arms 
magistr. °) Oyanım ©. 171. 


824 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Die erfte Eohorte zählt 555 Mann, welde den Kaifer (von Wittag) bit 
Mitternacht bewachen. Die zweite Cohorte beftebt gleihfalls aus 555 Ram, 
die den Dienft von Mitternacht bi8 Mittag verſehen. Graf des Failerlihen 
Malaftes aber ift (gegenwärtig) der Tusculaner (nämlich Alberich).“ 

Kann man nidt mit Händen greifen, daß die eben angeführten Eik 
zwiſchen 998 — 1001 niedergefchricben wurden! Nur innerhalb dieſer Zeit war 
ein Tusculaner Graf oder Magifter des failerlihen Palaftes. Ic fprede 
zunäcft von den Eolvaten, dann von den Oberften. Unverfennbar bejeidad 
die Graphia jene 1110 Soldaten als kaiſerliche Leibwache. Nun fommt eis 
folhe Schaar, wie früher‘) gezeigt worden ‚- jhbon in Otto's 1. Tagen ver, 
aber diefelbe beftand damals nur aus A400 Mann. Daraus folgt, daß unter 
dem Enfel des erften Otto die Leibwache nahezu um das Dreifache vermehrt 
worden ift. 

Wo hatte die Leibwache ihr Etandlager? Ich denfe, in der Engelöburg, 
denn fo oft feit den Zeiten ded Oſtgothen Diederih von Berne Deuticde übe 
Rom herrichten, lag dort eine- Beſatzung. Ueberdieß deutet ein Ereigniß, me 
des um 1000 eintrat, darauf hin, daß wirkli unter Dtto III. die Engel 
burg den Kaijerliben als Hauptwaffenplag diente. In einem Echreiben’) 
Sylveſters IL. an den Kailer, das zu der Zeit abgefaßt ift, da Beide nicht 
mehr gut miteinander ftanden, wird mit dem Banne gedroht, wenn nidt 
unverzüglich das Bildniß des Erzengeld Michael, das die Hände Ungenannier 
bei Nacht über dem Haupithore der Burg weggenommen hätten, wieder an 
die frühere Stelle komme. Nur die faiferlihe Leibwadhe kann es geweſen 
fein, die fo etwad wagte. Aus Zorn darüber, daß der Pabft ihrem Kriege 
berrn trogte, haben — fo ſcheint es — unſere Leute die päbftlicen Zeicen 
des Erzengeld von dem Thore der Burg, die ihre Kaferne war, herunterge⸗ 
riſſen und das kaiſerliche Banner aufgepflungt. 

Den Befehl über beide Fahnen oder Cohorten der Leibwache führte cin 
Tusculaner, dem die Graphia den Titel Graf des kaiſerlichen Palaſtes gibt 
Diefer Titel fann nicht verjchieden fein von dem andern, den Die Urkunde 
vom zweiten Dezember 999 erwähnt und der Magifter des faiferlichen Palaſtes 
lautet. Denn im Begriff des Wortd magister liegt ed, daß der alſo Br 
titelte feinem hoͤhern Beamten gehorcht, fondern unmittelbar unter dem Befehl 
des Gebieterd ficht. Nun jagt ja die Oraphia ausprüdlih, daß der Graf des 
kaiſerlichen Palaftes alle andern Grafen der weiten Welt überrage. Unzweiftl⸗ 
haft ift daher, daß beide Quellen mit etwas verfchiedenen Ausdrüden eine m 
biefelbe Würde bezeichnen. Weiter meldet die Urkunde von 999, der Magier 
— alſo aud der Graf des faiferlihen Palaftes — habe Alberich geheißen 


) Oben ©. 816. >) Höfler, beutfche Pabſte I, 330. 


Gichtes Bud. Cap. 45. Pläge. Bici. Frembe. Bollömenge. Fieberluft. 817 


junbert der Fall gewefen fein. Durch Bulle!) vom November 973 beftätigte 
Pabſt Benedikt VL. der Abtei Eubiaco den Beſitz alles Eigenthums, „namentlich 
ad Klofter Cosmas und Damian mit Bauernhäufern und Haupthof,”) ges 
gen an der via lata, fowie eine Kirche, die in der britten Region ſteht, und 
ın einen Ort grenzt, ber massa juliana genannt wird.” Das Wort massa 
bezeichnet fiet einen größeren Zufammenhang von Grundſtücken, gleihwohl 
yerfept das Pergament die Juliana deutlich innerhalb der Stadtmauern Roms. 
Ferner erhellt aus der mehrfach angeführten gerichtlichen Akte”) von 998, daß 
m Umfreife der alerandriniihen Bäder (bei der heutigen Piazza Navona) 
Reben und Bauernhäufer angelegt waren. Heute zu Tage iſt letztere Gegend 
die bevölfertftie Roms, während der Aventin und dad Forum, die im eilften 
Jahrhundert einen belebten Anblid darboten, jetzt veroödet find. 

Ih gebe noch zwei weitere Belege. Durch Bulle) vom Jahre 955 
befräftigte Pabft Agapet einem römifchen Klofter den Beſitz der (am heutigen 
Corſo gelegenen) Säule Antonins fammt der Zelle und dem ungebauten Rande 
(terra vacans), das fie umgibt. Deßgleihen fchenfte‘) Pabft Benedikt IX. 
im Sabre 1037 dem Bisthum Porto „innerhalb der Mauern Roms ein Stüd 
Land, wo ehedem ein großes Herrenhaus erbaut war, fammt Zubehör. Grängen 
find nach einer Seite hin der Pla, wo einft dad Haus der Marteyja, nad 
ber andern abermal ein Platz, wo einft dad Haus des Berne ftand.” Der 
nämlihe Pabſt beftätigte”) ferner demfelben Bisthum-ausgedehnte, mit Neben, 
Dliven, Gärten, Fruchtbäumen befegte Grundftüde, „die innerhalb der Mauern 
Rome rund um den Lateran lagen.” Und nun zu einem zweiten Punkte. 

Wer je den Kirchenftaat befuchte, weiß, daß zur Zeit der heißeften Soms 
mermonate in Rom malaria, Fieberluft herrſcht. Und zwar übt Fraft wohl bes 
währter Erfahrungen dieſes verderblihe Etwas an Orten, die ſchwach ober 
gar nicht bewohnt find, den ftärfften Einfluß, während die Schädlidfeit in 
dem Maaße abnimmt, wie die Dichtigfeit der Bevölferung fteigt. Niedrig 
gelegene, dem Anfehen nad ungefunde Etraßen, wo Haus an Haus fid 
reiht, leiden weniger an Fiebern. Im Alterthum wiederholt fich diefelbe Ers 
fcheinung. Keine Region war in den Zeiten der Republif verrufener,“) als 
die Esquilien; dort gab es einen lucus mefitis, dort flanden Altäre der mala 
fortuna und der febris, dort lag der allgemeine Begräbnißplag, dort moderten 
Gebeine von Sklaven und Verbrechern, unbeerdigt. Aber Alles änderte ſich 
mit dem Nugenblide, da Auguſt den Hügel. mit Anlagen jhmüdte, eine 
dichte Bevölkerung hinzog, und reihe Bünftlinge beftimmte, Paläfte daſelbſt 


t) Muratori, antig. Ital. V, 774. 3) Cum casis et curte. 9 Oben ©. 757. 
2) Marini papiri ©. 39 gegen unten. 5) Idem, ibid. ©. 82, Mitte u. 83 oben. e) Die 
Belege bei Beder, Handbuch I. 537 fig. 


®frörer, Pabſt Gregorius vi Bi. V. 52 





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818 Pabſt Gregorins VIL und fein Seitaller. 


zu erbauen. Seitvem yreist‘) Horatius die Esquilien als eime geiunbe 
end. 

Sollte nım fi) berausftellen, daß zur Zeit Gregor VIL. Klagen ik 
die ungefunde Luft Roms eben jo häufig waren, als heutzutage, jo muß ma 
zugeftchen, die Bevölferung ſei damals im Ganzen nicht größer geweien, al 
jept. Ich trete diefen Beweis an. Cardinal Peter Damiani, der Zeitgenekt 
und Gehitfe Hildebrands, fhreibt:?) „nicht bloß meine Seele bat zu Rem 
vielfache Bein erduldet, ſondern auch mein Körper erfuhr die Madıt bar 
nädiger Fieber, weßhalb ich früher folgende Berfe dichtete:?) 

Roma, die Feindin der Menfchen, verzehrei das Marl in ben KRuscdhen. 
Roma, du Mutter der Fieber, der Tod bäugt bir au ber Ferſe. 
Wahrlich, die römifhe Dual Hält feſt am Recht des Beſthes, 

Hat fie dich einmal gepadt, dann fcheidet fie er von dem Tobten!“ 





Sechsundvierzigſtes Capitel. 


Die Dttonifcge Weltreihöverfaflung. Große Gofämter voll Brunf, aber one wefenile 

Macht: Patricier, Magifter des h. Palaſtes, geheime Mäthe, Beiarier, Grafen dei 

h. Palaſtes, Logotheten. Bezirföbeamte, Gonfuln, welche jährlicg wechſeln, Precenfain, 

Peine Richter (pedanei). Die Kriegemadht zerfällt in zwei AbtKeilungen : erfiens in we 

Leibwache, zweitens in die burch Aushebung aufgebrachten Feldregimenter. Muführer der 

Ieptern, welche nie eine anſehnliche Stärke erlangten, war ein Deutſcher, Gerhart. 

Die Leibwache ſtand unter dem Befehle des Tusculaners Ilberich. Wiederaufleben tm 

* Macht des tusculanifchen Haufes. Bewaffnung des Heeres, Lieferungswefen. Epiel mit 
Triumphen, Schmud des Raiferd. Das Sinnbild ded Aplers. 


Alfo ſah Rom ums Jahr 1000 unferer Zeitrehnung aus. Daß die 
„goldene, Etadt”, voll präctiger Denfmäler des Alterthums, den ſächſiſchen 
Kaifern, nachdem fie Stalien erobert hatten, befier behagte, als die rohen und 
verhältnißmäßig ärmlichen, mit Stroh oder Schindeln gededten Städte un 
Burgen Deutihlands, if in der Drdnung. Otto L hat die Jahre 962 bis 


*) Satir. I. 8, 14: 
Nuno licet Esquiliis habitare salubribus, atque 
Aggere in aprico spatiari, qua modo tristes 
Albis informem spectabant ossibus agrum. 
2) Opp. ed. Cajetani III, 188, b.: 
Roma, vorax hominum, domat ardua colla virorum, 
Roma ferax febrium, necis est uberrima frugum. 
Romanae febres stabili sunt jure fideles, 
Quem semel inradunt, vix a vivente recedunt. 
?) Aurea Roma fagt die Graphia (Dzanam ©. 155). Schon Prudentius braucht denſelben 
Ausdruck am Schluffe des Gedichts contra Symmachum : 
quod genus ut sceleris jam nesciat aurea Roma. 
Ebenfo der Franle Ermold Nigellus bei Berk IL, 480, Bers 79: 
Franeia! plaude Yubenr, ander wumuı anren Yuan 


Siebtes Bud. Gap. 46. Bruntende Hofämter der VWeltreichsverfaffung. Kriegsmacht. 819 


965 in Stalien, und eben dafelbft abermal die Jahre 967 bis 972 zugebracht. 
Wicderholt weilte er während dieſes doppelten Aufenthalts zu Rom. Noch 
zrößere Neigung für die hriftlihe Metropole bethätigte Otto's I. gleichnamis 
ger Sohn Dtto II. Erweislich arbeitete er unter dem Einfluffe der Griechin 
Theophano darauf hin, den Sip des Reichs nah Stalten, nah Rom zu vers 
egen. Der dritte Otto betrat daher einen vorgebahnten Weg, als er feit 
397 anhub, die Gedanken feines Baterd und noch mehr feiner Mutter ins 
Berk zu fegen. 

So kläglich das Ende war, welches fein Unternehmen fand, hat es doch 
nächtig auf die folgenden Geſchlechter eingewirft, und zwar zunächſt auf Die 
titeratur. Wer follte e8 glauben, fogar die Mirabilien, fonft ein farblofes, 
mr auf Befriedigung der Neugierde von Pilgern berechneted, Machwerk, tragen 
yeutlihe Spuren diefer von Otto III. angeregten Ideen. Nicht nur geben‘) 
ie, ohne zu willen, was fie fagen, ein Verzeichniß der zum Behufe des Welt 
eih8 von dem neuen Kalfer des Erpfreifes eingefehten Beamten, fondern fie 
heilen auch ein Diftihon mit, das von den Hoffnungen zeugt, welde kaiſer⸗ 
ih gefinnte Römer an die Plane Otto's IIT. Inüpften. „Dem Tempel der 
Bellona,* melden?) fie, „ward folgender Vers angeheftet: 

Greifin war Roma getworben, doch jeßo verjünget erhebt fie 
Aus der Ruinen Gedräng freudig die Stirne empor.“ 

Das weist handgreiflih auf Dtto II. bin. 

Die Grapbia befteht, wie früher gezeigt worden, aus zwei Haupttheilen, 
ftlich einem topographifchen, der aus denfelben Quellen gefchöpft if, wie die 
Mirabilien, und meift ten nämlichen Tert wiederholt. Dennoch enthält aud) 
er erfte Theil deutlihe Anklänge an die Plane Otto's II. Nicht nur 
ringt fie daſſelbe Diftihon, fondern fie gibt?) außerdem einen Herameter 
um Beften, der meined Erachtens urfprünglich in engem Verband mit dem 
Diftihon fand 


Roma, die Herrin der Welt, lenkt wieder die Zügel des Erdrunds. 


Der zweite Theil vollends iſt aus lauter Fetzen der Ottoniſchen Weltreichs⸗ 
yerfafjung zufammengefeßt. 

Hätte Dtto III. die Gedanken, über denen er brätete, nur ein halbes 
Menfchenalter lang in Fleiſch und Blut zu verwandeln vermocht, jo wäre Petri 
Stuhl unfehlbar zu einem Patriarchat herabgefunfen. Denn neben einem in 


) Montfaucon ©. 289 fig. mit der Weberfchrift de judicibus imperatorum in Roma. 
') Ibid. ©. 292: 
Roma vetusta fui, sed nunc nova Roma vocabor, 
Erute ruderibus, culmen ad astra fero. 
) Dyanam ©. 174: 
Boma caput mundi regit orbis frena rotundi. 
NR 





820 - Dabſt Gregerins VIL und fein Beilalier. 


Rom angefiedelten, wenn aud dem Scheine nad dhrifilichen Geuftanate im 
ein freier Pabſt nimmermehr beftehen. Eine große, dringende Gefahr naht 
daher der römifhen Kirche. Indem Pabſt Eylvefter II. Dtto’s IT. Hi 
gefpinnfte zu hätfcheln fchien, hat er ihn gräulih mißbraudt, aber anb ik 
Wiederkehr ähnlicher Anfchläge für die Zukunft unmöglich gemacht: er lei 
der Ehriftenheit einen unermeßlihen Dienſt, gab feinem Nachfolger ein Ber 
fptel, das beherzigt worben if. Mit Eyivefter IT. begann eine neue Entweidiug 
der Geſchichte des Pabſtihums, größere Ziele wurden feitbem erſtrebt. Web 
Feinde erdacht hatten, fchlug, wie es fonft fo oft geihab, zum Vortheil der 
Kirche aus. | 

Selbſt Die, welche, wenn Bernunft im Staatsweſen herrſchte, fi ein 
warnended Beifpiel am unglüdlihen Yusgang Dtto’8 III. nehmen muftn, 
find durch feine phantaftiichen Einbilvungen wie durch einen Zauber beraufdt 
und hingeriſſen worden. König Heinrich II. wandte die Kraft eines Lebens 
auf, um das dur Otto's III. Thorheit an den Rand der Grube gebredk 
Reich der Deutichen wieder aufzurichten, und that gewöhnlich das fchnurgerabe 
Gegentheil von Dem, was feinem Borgänger beliebte. Allein auch er felik, 
wie unten gezeigt werben foll, angefommen auf der Höhe feiner Macht, ein 
Urkunde aus, deren Sigel die Umfchrift trägt: 

Roma caput mundi regit orbis frena rotundi. 
Der legte Sprößling des ſächſiſchen Hauſes ſtand folglich in Gefahr, auf Ab⸗ 
wege zu geratben. Conrad II. fchlug wirklich folhe Bahnen ein, und unter 
Heinridy TII. galt Otto II. als ein Urbild von Regentenweisheit und Ham 
ſchermacht. 

Für die Weltverfaſſung Otto's IH. liegen Zeugniſſe vor, vie feinen 
Zweifel zulaffen. Quellen find erftlih jene Stüde im zweiten Haupttkil 
der Graphia, zweitens Aufzeihnungen in Handichriften der vatifanifchen Bi 
bliothef, die dem eilften und zwölften Jahrhundert angehören — aus ihnen hakcı 
Die geichöpft, welche den erften Stoff der Graphia zufammentrugen ; drittens 
eine gute Anzahl römifcher und anderer Urkunden. Ich beginne mit Iepteren. 
Sie führen zwifhen den Jahren 998—1002 eine Reihe Aemter auf, deren 
Namen man feit den Zeiten der alten weftrömiihen Kaiſer in Italien nidt, 
oder faum vernahm, die aber in den Beichreibungen des Hofftaates der hy 
zantinifchen Baſileis vielfah erwähnt werben. 

Zum Vorſchein konımen ein Magifter‘) des Faiferlihen Palaftes, geheime 
Räthe und Protoveftiarier oder Veftiarier?) des heiligen Palaſtes; Grafen des b. 













*) Urkunde vom 2. Dez. 999 bei Muratori, script. ital. II, b. ©. 502: Alberiens pa- 
latii imperialis magister. 2) Nachgewiefen Jahrbücher des d. R. IL, b. ©. 134: Johannes 
Protos a secretis et protoreatiarius Ottonis regi. lrfunde von 999: (ibid. 135) Gregoriss 
vestiarius sacri palatii. 


Siebtes Bud. Gap. 46. Prunkende Hofämter der Weltreichöverfaflung. Kriegsmacht. 821 


Balaftes — wohl diejelben, die fonft auch comites familiares heißen‘) — Bro» 
töfpatharier;‘) weiter Logotheten und Archilogotheten des heiligen Palaftes, 
ine Würde, welche jevoh nur hohen Geiftlichen ertheilt worden zu fein 
ıheint, denn in den mir befannten Fällen find es ſtets Bifchöfe, welche dieſen 
prächtigen Titel erhalten. Der Biograph Heriberts von @öln führt etliche 
Worte aus einem Handichreiben Otto's III. an, worin der Kaiſer feinen bis, 
berigen Kanzler als Cölner Erzbiihof und Archilogotheten begrüßt.) Deßs 
gleichen erjcheint der und wohl befannte Bifchof von Vercelli urkundlich) ale 
Rogothet des heiligen Palaftes. 

Brößeres Erftaunen als dieſer Flitter erregt ein Amt, welches fonft nur 
Könige und Kaiſer, oder unabhängige Fürften, over Stellvertreter des abwes 
enden Reich&oberhaupts befleideten, und welches dagegen Otto IIL, während 
er felbft zu Rom weilte, Dritten übertrug.‘ Nachdem Pipin und Carl der 
Große mit Petri Stuhl in die früher bejchriebene Verbindung getreten waren, 
nahmen fie den Titel Patricier an. Ebendenſelben führte, wie früher‘) ges 
zeigt worden, Alberih IL als unabhängiger Zürft von Rom, fowie feit 986 
Ereöcentius IV. ald Stellvertreter der abwejenden Reichöverweferin Theophano. 
Anders bielt e8 Otto IIL, er ernannte einen Patricier, dem er den erften 
Rang an feinem Hofe anwied und den er auf Reifen mit ſich nahm. 

Als folder Patricier wird wiederholt ein gewifler Zazzo erwähnt, wel- 
her Rame italienische Verkürzung eines lateiniſchen oder deutſchen Worts 
zu jein fcheint, das ich nicht zu beftimmen vermag. Thietmar von Merfeburg 
erzählt:) „auf der Reife nad Gneſen begleitete den Kaiſer fein bamaliger 
Patricius Ziazzo.“ Ebendenjelben nennen‘) auch die Altefte Venetianer Chronik 
und eine Urkunde vom Januar 1000. War der Patricier eine Perſon mit 
einem Andern, den Thietmar zum Jahre 984 unter dem Namen Ciazzo aufs 
führt,”) fo würde folgen, daß Zazzo aus deutſchem Blute ſtammte und einen 
Bruder Friederich hatte, den ich im Falle der Bejahung für den nachmaligen 
Gardinal und Erzbiihof von Ravenna halte. Weiter geht aus obigen Worten 
des Merfeburger Ehroniften hervor, daß Zazzo feine hohe Würde nicht dauernd 
behauptete, fondern entweder vor oder nad der Heimkehr des Kaiſers durch 
einen Andern verdrängt worden iſt. Denn wer fagt: bamald war der und 
der Patricier, gibt zu verftehen, daß fpäter ein Anderer an die Stelle des 
damaligen trat. 

Das politiiche Syftem , an deſſen Spige der Kalfer mit allem jenem 


. %) Urkunde vom 28. Ian. 1001 bei Fantuzzi, monum. rarennat. I, 225. Otto protos- 
patarius et comes sacri palatii. Urkunde vom Jahre 996 bei Böhmer Nr. 781. Baim- 
baldus noster familiaris comes. 2) Berk IV, 743, Mitte: Otto, imperator sola Dei 
gratia, Heriberto archilogothetae gratiam et Coloniam ac pallium. 3) Urkunde vom 
4. April 1001 bei Bantugzi III, 13. *) Oben ©. 244. ) Ber IIL,780. 9 Re 
gewiefen Iahrbüder bes beutichen Reis IL, b. ©. 110, Ro 4. 1) Rera TI, WE. 





822 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Prunk von heiligen Grafen, Beftiariern, ‘Protoveftiariern, Spathariern, Mw 
giftern des Palaſtes, Logotheten und Archilogotheten zu ftehen Fam, hieß‘) in 
der Kanzleifprahe Otto's III. „das wiederhergeftellte Rei ver Römer, die 
Republik, das Gemeinwejen ver Römer.” In einer Urkunde?) vom Jahre 1001 
nennt er fich felbft „Otto den Römer, den Sachſen, den Staliener, von Gottes 
Gnaden Kaifer der römischen Welt.“ Der Hofftaat, der ihn umgab, empfing 
den Titel „römifher Senat.” Die Chronik von Dueblinburg ſchreibt:) „an 
dem Zuge nad Gneſen begleiteten den Kaifer nicht Wenige aus dem römiſchen 
Senate.” Die nämlihe Reife ſchildert') eine alte von Baronius angeführte 
Quelle alfo: „mit dem römijhen Senat, mit Bilchöfen und G@lerifern, brad 
Kaifer Dito über die Alpen nad Stavien (d. h. Polen) auf.” Leptere Worte 
lauten fo, als feien von den weltlichen Mitgliedern des Senats die Hofflerifer 
unterfchievden worden. 

Bon felbft verfteht es fih, daß eine politiihe Schoͤpfung, die ſich als 
das Triebwerk eines Weltftaates ankündigt, eigenthümlicher Werkzeuge be 
durfte, dazu beftimmt, die Majeftät des Reihe nicht etwa blos im Mitte 
punft um die geheiligte Perſon des Herrichers, fondern im Umfreife des Ganzen, 
in den Provinzen als den Gliedern des Riefen, zu vertreten. Während ber 
Zeiten der Republif und ver alten heidnifchen Kaifer hatten Conſuln und Bro: 
conjuln die Provinzen der römiichen Welt erft unterjodht, dann beberrfcht, vers 
waltet, ausgebeutelt. Wohlan eben folhe Namen leben mit ähnlicher Beftims 
mung unter Otto III. wieder auf. Ein erfledlihe Anzahl von Proconſuln 
und Confuln und wahrſcheinlich eine noch größere von Bewerbern um felbige 
Aemter muß damals zu Rom fib umgetrieben haben. 

Eines der foftbarften Bruchſtücke,“) welche von der Dttonifchen Berfai: 
fung zeugen, beginnt mit den Worten: „ed gibt verjhiedene Klaffen von Rid— 
tern. Die eine befteht aus Confuln, welche in Die Amtöbezirfe vertheilt werden; 
eine zweite aus Richtern zu Buß (d. h. Kleinrihtein, Schulzen und Amt: 
leuten), weldhe der betreffende Conjul ernennt.” Die Conſuln waren, wie man 
fieht, vornehme Herren, denn fie werden den Sußrichtern entgegengefegt; folg— 
li amteten fie, wenigftend theilweile, zu Roß, insbejondere wenn fie in ihren 
Bezirken herumreisten. Wie lang dauerte nun ihre Anftelung? Genau chen 
jolang, wie dad Amt der alten republikaniſchen Conſuln. Die Grapbia, der 
wir aud die Aufbewahrung obigen Brucdftüdd verdanfen, meldet:°) „für jede 


') Siehe die oben ©. 698 flg. angeführten Belege. 2) Böhmer Rr. 872. 3) Perg 
II, 77. *) Ad a. 1000. Ausgabe von Lucca XVI, ©. 400, b unten. 8) Gieſebrecht, 
beutihe Kailer I, 825: alii (judices sunt) consules distributi per judicatus, alii pedanei a 
consulibus creati. °) Ojanam, documents inedits S. 172: consules in unaquague pro- 
vincia ab imperatoribus constituli sunt, ut subditos suos consilio regant, et non amplius 
nis| per annum consulatum teneant. Proconsul vicem consulis agat. Man bemerfe das 
Wortfpiel von consules und consilium. 


⸗ 


Siebtes Bud. Cap. 46. Pruutende Hoſaͤmter der Weltreicheverfaffung. Kriegsmacht. 823 


Provinz werden von den Kaiſern Conſuln eingeſetzt, damit ſie ihre Untergebenen 
weislich regieren, ihr Amt dauert aber ı nur ein Jahr. Stellvertreter ver Con⸗ 
fuln find die Proconfuln.* 

Aus der Vergleihung beider Stellen erhellt — was freilih auch aus 
andern Gründen Far ift — daß man bezüglid der Dttonifchen Conſuln zwei 
wejentlihe Dinge unterfcheiden muß, nämlich erftens den Willen und zweitens 
die That oder den Vollzug des Erdachten. Sicherlich lag es in der Abficht 
Otto's III., feine Conſuln mit wirflihen Provinzen auszuftatten, d. h. ihnen 
Statthaltereien in Deutihland, Gallien, Polen, Ungarn, Neuftrien, Spanien, 
Britannien, Mauritanien, Afrifa, Aegypten u. f. w. anzuwelfen. Aber das 
ging nicht fo ſchnell, als Dtto III. wünſchte, weil der Fall eintrat, den 
Schiller mit den Worten befchreibt: eng im Hirne wohnen die Gedanken, 
aber hart im Raume ftoßen fid die Dinge, mit andern Worten, weil 
Deutſche, Italiener, Ungarn und Slaven — von andern Nationen zu ſchweigen 
— fi hübſch für die aus Rom ihnen zugedachten Eonfuln und deren weiſes 
consilium bedanften. Die Folge war, daß Otto III. vorerft fi begnügen 
mußte, feine Gonfuln bis auf Weiteres in den nächſten um Rom liegenven 
Bezirken des Kirchenſtaats — den judicatus — zu verforgen. In der zweiten 
Stelle wird die Abficht, in der erften die That befchrieben. 

Was war das eigentliche Wahrzeichen des alten Rom? Ich fage die Les 
gion, jene Soldaten, die beide Eigenſchaften, welche Macchiavel dem deut⸗ 
ſchen Fußvolk feiner Zeit nachrühmt, Wuth und Ordnung — furore ed or- 
dinanza — in höchſter Vollfommenheit beſaßen. Mochte der Unglückliche, 
welcher zwifchen 997 und 1002 dem Traume unmöglidher Dinge feine Krone 
zum Opfer brachte, noch fo verfehrt fein: eines konnte ihm nicht entgehen, 
nämlid daß er etwas, wie Legionen, bebürfe, um feinen Lieblingstitel „Wieder⸗ 
herfteller oder Kaifer der römifchen Welt,“ mit einigem Scheine von Recht zu 
führen. Wirklich lebten die Legionen wenigftend dem Namen nad) wieder auf. 

Sn einer Urfunde von 999 werben erwähnt:") „Gerhard von Gottes 
Gnaden, erlauchter Graf und Feldhauptmann (magister) der Faiferlichen Streits 
macht, Gregorius von Tusculum, Befehlshaber der Fatferlichen Flotte;“ weis 
ter „Alberih, Gregors Eohn, Magifter des Faiferlihen Palaſtes.“ Das find 
allerdings prächtige Titel, aber an fich geben fie feinen Maren Begriff. Doch 
Licht und Farbe firömt herbei durch eine Stelle der Graphia, die fo Tautet:”) 
„der Graf des Faiferlihen Palaſtes, der über allen Grafen der Welt fieht, 
und dem die Obhut des Palaftes anvertraut if, hat unter ſich zwei andere 
Grafen, nämlich den Grafen der erftien und den Grafen der zweiten Eohorte. 


3) Urtheilsfpruch vom 2. Dez. 999 bei Muratori, script. ital. II, b. ©. 502: Gerardus 
gratia Dei inclitus comes atque imperialis militiae magister; Gregorius excellentissimus vir, 
qui de Tusculano,, praefectus navalis; Albericus, Gregorli filius, atquo palatii imperialis 


magister. 2) Ojanam ©. 171. 





824 Baht Gregerind VIL und fein Scihel 


Die erfte Gohorte zählt 555 Mann, welde den K 
Mitternacht bewachen. Die zweite Gohorte beſteht gie 
die den Dienft von Mitternacht bis Mittag verfehen. 
Palaſtes aber iR (gegenwärtig) der Tusculaner (näm 

Kann man nicht mit Händen greifen, daß die 
lichen 998—1001° niedergefchrieben wurden! Nur in 
ein Tusculaner Graf oder Magifter des kaiſerlichen 
junähft von den Eolvaten, dann von den Oberſten. 
die Graphia jene 1110 Soldaten als kaiſerliche Leibn 
folde Schaar, wie früher‘) gezrigt worden ‚- ſchon in 
aber diefelbe befand damals nur aus 400 Wann. 9 
dem Enkel des erften Otto die Leibwache nahezu um 
worden iſt. 

Wo hatte die Leibwache ‘ihr Etandlager? Ich de 
denn fo oft feit den Zeiten des Oſtgothen Diederich v 
Rom herrjchten, lag dort eine- Bejagung. Ueberdieß d 
ches um 1000 eintrat, darauf hin, daß wirklid unter 
burg den Katferlihen als Haupnwaffcaplag diente. 
Sylveſters II. an den Kaifer, das zu der Zeit abgefa 
mehr gut miteinander flanden, wird mit dem Bann 
unverzüglich das Bildniß des Erzengeld Michael, das 
bei Nacht über dem Haupithore der Burg weggenome 
die frühere Etelle lomme. Nur die kaiſerliche Leibw 
fein, die fo etwas wagte. Aus Zorn darüber, daß dı 
heren trogte, haben — fo ſcheint e8 — unfere Leute 
des Erzengel von dem Thore der Burg, die ihre Ka 
riffen und das kaiſerliche Banner aufgepflangt. 

Den Befehl über beide Fahnen oder Cohorten de 
Tusculaner, dem die Graphia den Titel Graf des Fai 
Diefer Titel fann nicht verfchieden fein von dem and 
vom zweiten Dezember 999 erwähnt und der Magifter ! 
lautet. Denn im Begriff des Worts magister liegt 
titelte feinem höhern Beamten gehorcht, fondern unmitt 
des Gebieters ſteht. Nun fagt ja die Graphia ausdrüd 
tlalſerlichen Palaftes alle andern Grafen der weiten Wel 
haft {ft daher, daß beide Quellen mit etwas verſchieden 
biefelbe Würde bezeichnen. Weiter meldet die Urkunde 
— alſo auch der Graf des Faiferlihen Palaſtes — 1 


) Oben ©, 316. 5 Höfler, deutſche Pabſte 1. 830. 


Elehted Bud. Gap. 46. Pruntende Hofämter ber Weltreihöverfaffung. Kriegemacht. 825 


Diejer Alberich aber war laut demſelben Pergament ein eheleiblicher Sohn 
des Tusculaners Bregorius, und folglich felbft ein Tusculaner. 

Ich habe anderswo ') nachgewieſen, daß Gregorius von der jüngeren Marozia, 
einer Nichte der alten viel berüchtigten, und von einem Bater Namens Deusdedit 
abſtammte und demnady der weiblichen Seitenlinie ded Hauſes Tusculum ans 
gehörte, die feit dem kinderloſen Tode des Pabftes Johann Octavianus Rechte 
umd Befigungen des männlichen Hauptzweigs geerbt hatte. Ebenſo wurde 
gezeigt, daß aller Wahricheinlichkeit nad) Gregorius von Tuoculum ein Bruder 
des Pabſts Benevift VII. war, der von 974—983 Petri Stuhl einnahm. 
Damals fühlte Kaifer Otto II. die Norhwendigkeit, durch Wiedererhebung 
eines Tusculaners die Macht der Erescentier zu dämpfen, die dem ſächſiſchen 
Hof über den Kopf zu wachſen drobten. Begreiflid iſt, daß auch Otto III., 
nachdem er 998 den Empörer Ereecentius IV. hatte enthuupten lafjen, zu 
derſelben Maßregel griff. 

Oregorius von Tusculum, Vater mehrerer Söhne und einer Tochter, die 
wir fpäter werden kennen lernen, erjcheint feit den Zeiten Benedikts VII. als 
Haupt feines Haufe. Nicht blos durch den Sohn Alberih, der die faifers 
lihe Leibwache befehligte, erlangte er Einfluß, fondern er felbft genoß bis 
zum Jahre 1001 die volle Gunft des unglüdlichen Kaiſers, den er inı Vunde 
mit Sylveſter IL verderben half. Otto ILL vertraute ihm die Reichsflotte an, 
die freilich vorerft ein bloßed Gedanfending war. Epäter werden wir fehen, daß 
Dtto, als es fih um einen Kampf zur See handelte, bei den PVenetianern 
Rath fuchen mußte. Indeſſen ift faum zu zweifeln, daß unter dem Titel der 
Sorge für die Flotte bedeutende Summen in die Hände des Tusculaners floßen. 
In dem oben erwähnten Briefe?) an Otto ILL. fchreibt Sylveſter IL weiter: 
„ih habe Euch durch Gregor von Tusculum mehrere Nachrichten mitgetheilt, 
die für die Sicherheit Eurer Perfon wichtig find.” Offenbar ſpricht der Pabſt 
hier von dem Tusculaner, ald von einem Manne, der die Etaatögeheimnifje 
kannte. Auch Biſchof Thietmar ftimmt zu. Aus Gelegenheit der römijchen 
Empörung von 1001, weldye der Kaifer nicht zu bewältigen vermochte, meldet*) 
der Merjeburger Ehronift: „Gregorius, der bis daher dem Kaiſer 
fehr theuer geweſen war, arbeitete auf den Untergang vefjelben Hin.“ 

Kaum läßt fi etwas denken, was das Spiel, welches damals getrieben 
ward, beſſer aufdedte, als der Umftand, daß die verborgenen Hände, welche 
die Karten milchten, felbft ven O:berbefehl über die Leibwache, weldye mit ihrer 
Kriegsehre für die Sicherheit des Kaifers einſtand, einem Römer, einem Tus⸗ 
eulaner in die Hände zu ſchmuggeln wußten. Welche Beihimpfung des deuts 
Shen Namens! Die rechtichaffenen Soldaten, weldye nad dem Tode des Kai⸗ 


) Oben ©. 481 fig. Man vergl. Aberbieß die Gtammtafel bei Perg VIL 562 fig. 
2) Höfler I, 880. 5 Berg IN, 781. , 


826 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


ſers, ale das Werk des Fluches auf allen Eeiten einftürzte, allein mit w 
wandelbarer Treue der verlornen Sade ihres Herm anbingen, mußten ii 
Lofungswort von einem Wälſchen empfangen. 

Die Frage drängt fi auf, ob Dtto zwiſchen 998 und 1002 außer da 
zwei Fahnen der Leibwache nicht noch fonft ein ſtehendes Soldheer unterhich 
Da neben Alberih, dem Oberſten der Leibwade, noch ein bejonderer Zei» 
hauptmann der faljerlihen Kriegsmacht erwähnt wird, welder, wie wir wila, 
Gerhard hieß, muß man, glaube id, die Frage bejaben. Zu dem chen 
widelten Grunde fommt nody ein anderer enticheidender hinzu. Die Grapku 
meldet:') „auf den erften Juni follen Die, welde für den Kriegspienft aus 
gehoben find, an das Heer abgeliefert werden.” Diefe Worte beweijen ur 
läugbar, daß aud die alte römiſche Aushebung oder die conscriptio militari 
wieder ind Leben gerufen worden ift, was freilid an ſich unumgänglich noͤihig 
war, da Otto II., wie wir willen, von einem Weltreich, von Bieter 
berung fämmtliher Provinzen des alten römijhen Erdfreijes träumte. Ju 
Ausgleihung dafür, daß dem Tusculaner Alberih der Befehl über die Lat 
wache anvertraut worden war, überließ man meined Erachtens das übrige Her 
einem Sachſen — ich halte nämlih Gerhard für einen Deutfchen. Wit da 
italienischen Refruten, die man ihm zuwies — fonnte er nichts machen — fe 
haben nachher, als es zum Schlagen fam, den Kaifer verrathen, daß akt 
die deutſche Leibwache, die guten Dienft thun wollte und wirklich that, bed 
im Wefentlichen dem Kriegsherrn wenig frommte, dafür forgte der Italienn 
Alberich. 

Stark fann das Heer, das Gerhard befehligte, in feinem Falle gawein 
fein. Denn feit dem Augenblide, da die Kämpfe in Italien ausbrachen, jepte 
Otto III., wie wir unten fehen werben, alle feine Hoffnung auf tes 
fhen Zuzug. 

Die Graphia gibt noch andere dankenswerthe Nachrichten, betreffend die 
Waffen und die Kriegsgebräuche des Heeres. Sie jhreibt :?) „wann der Kalt 
ind Feld zieht, folgt ihm die Heeresmufif: an Poſaunen und Trompeten, an 
Pfeifen und Trommeln ,’) an allen Arten von Eaitenfpiel darf es nicht fehlen. 
Das Wort tympanum, das ich durd Trommel überjegt habe, wird von 
Sfidor, dem Sevillianer Erzbifhof, erklärt!) durd den Sag: tympanum be 
fagt ein Fell oder ein Stück Leder, das von einer Seite*) über Holz aut 
geipannt it.” Das fcheint auf die Handpaufe oder dad jogenannte Tam- 
burin, zu deſſen Tönen der italienische Bauer tanzt, binzudeuten. Da id je 
doch den Gebraudy des Tamburind für friegeriihe Mufif faum begreife und 
andererfeitd das Anjehen Du Cange's nicht verwerfen will, welcher behaupte, 


ı) Oyanam ©. 181: in calendis Junii in militiam adscripti ad exercitum mittanter. 
2) Ipid. ©. 178. 2) Eiche Du Gange sub voce tympanum. ) Ligno ex una pane 


gxtensum. 





Siebtes Bu. ap. 46. Prunkende Hofämter der Weltreicheverſafſung. Kriegsmacht. 897 


. die eigentlihe Trommel fei erft durch die Türfen in Gebrauch gefommen, möchte 


KUN 


J 


Tr. 


4 


ich unter obigem Worte eine SKefjelpaufe verftehen. Die macht Lärm genug, 
und raufchend war ſicherlich Otto's III. Feldmuſik. 

Die Graphia fährt‘) fort: „Sporen faflen die Tatferlichen Soldaten vom 
Bannerträger, den Harnifh vom Oberften der Leibwache, Lanze und Schild 
vom Zugführer, eiferne Beinjchienen vom Yelphauptmann, Helm und Buſch 
vom Kaifer, die Gurt fammt den Feldzeichen, Schwert, Ring, Spangen zum 
Schmud der Arme und Beine gleihfalld von dem Kaiſer.“ Folgt noch ein 
anderer Satz, welder zeigt, daß die kaiſerliche Heeresmacht aus Fußvolk und 
Keitern beftand, und daß die Reiter mit runden, die Yußfnechte mit langen 
Schilden ausgerüftet waren. 

Einige der obigen Kunftausdrüde bedürfen der Erläuterung. Unter tri- 
bunus verftehe ich den erften Offizier der Cohorten, in welche das Heer eins 
getheilt war, unter Diktator muß laut den eigenen Ausſagen des Berfaflers 
der Graphia der Graf des faiferlihen Palaſtes oder der Oberſt der Leibwache 
verflanden werden; denn er nennt den Tusculaner Alberih einen Diktator — 
und dad war derjelbe in der That. Meine Anficht über den Begriff von 
capiductor babe id) in der Ueberſetzung ausgedrückt. Endlih das Wort magister 
militiae wird durch die früher mitgetheilte Urkunde erklärt: nur der Feld⸗ 
hauptmann des italienischen Heeres kann gemeint fein. 

Fünf verjchiedene Titel tragen die, aus deren Händen und Vorräthen der 
einzelne Solvat feine Waffen und Ausrüftung empfing. Wahrjcheinlich belief 
fi) die Zahl derſelben noch höher, denn wenn ed auch nur einen Kaifer, einen 


. Beldhauptmann, einen Oberften der Leibwade gab, fo dienten im Heere ficher- 


li mehrere Tribune und noch viel mehr Zugführer. Es mögen etliche 
Dupende verjchiedener Magazine vorhanden gewejen fein. Im Fall nun heute 
eine ähnliche Einrichtung getroffen, im Kal dad Recht, die Stüde der Aus- 
rüftung anzufhaffen und auszutheilen, vier, fünf, ſechs Dutzenden von 
Berwaltern übertragen würde, was müßte die Yolge diefer Maßregel fein ? 
Sadverftändige mögen enticeiden. 

Meine Anficht ift: daß der failerlihe Schatz unfehlbar zu furz fommen, 
die Verwalter aber fi über die Maßen befaden würden. Ein Kind kann 
ſehen, daß ein ſolches „Lieferungsweſen“ zu eitel Betrug und Unterjchleif führt. 
Nun fage ih: Die, welde dem Kaifer Otto all das Epielzeug in die Hände 
ſchoben, waren abgefeimte Menſchen; nidt aus Dummheit haben fie jo ges 
handelt, fondern aus Berechnung. Indem man faft allen Häuptern des 
Heeres eine breite und ebene Straße eröffnete, fi auf Koften des Schages 
zu bereichern, wurde ein eherner Riegel vorgeſchoben, welcher die Aufftellung 





2) Milites calcarla accipiurt a tribuno, loricam a dictatore, lanceam et scutum & 
tapidoetore (capiductore), caligas ferreas a magistro militiae, galeam cristatam a Camure, 
tingulum militare cam signis, gladium, aunulum, armillas, torgues et dextzalia ab \mparekora. 


828 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


einer irgend beträchtlichen und brauchbaren Heeresmacht verhinderte. Ltte IL 
follte ſchwach, Hein, das Schattenbild eines Kaifers bleiben: fo wollten et 
Sylveſter II. und feine italienischen Verbündeten. 

Meiter theilt die Graphia eine Reihe Nachrichten‘) mit, aus denen cr: 
belt, daß Die, welche die Verfaſſung von 999 zufammengebraut haben, taraı 
ausgingen, den Kaiſer mit eitlem friegeriibem Schaugepräng zu belultige: 
„wenn der Sailer einen Feind verjagt, fo wird ihm die Trophee, erjclägt a 
aber einen Beind, fo wird ihm die Ehre des Triumphs zuertannt. Tr 
Trophee ijt nämlich die Belohnung für den halbvollen, der Triumph aber ft 
der Danfpreid für vollendeten Eieg Man nennt tie Trophee aub ka 
ftilen Triumph. Derſelbe befteht darin, daß der Kaiſer feftlich in vie goltw 
Stadt einrüdt und durch einen Beihluß — hier fehlen einige Worte, it 
denfe fie lauteten des Volls und des Senats — geehrt wird. Bei volkm 
Triumph zicht er mit Lorbeer gekrönt, in purpurnem Gewande, vor verſammel⸗ 
tem Senat und Bolfe auf das Bapitol. Hat aber der Kaiſer eine Edlatt 
gewonnen, fo fommt ihm die Ehre der golpnen Palme zu. Denn die Palnı 
bat Dornen, und weil der Kaifer Dornen überwand, erhält er die Palme. 
Hat er ohne Kampf einen fliehenden Feind nicdergeworfen, fo wird er mr 
mit Lorbeer gekrönt, weil der Lorbeer eine Pflanze ohne Stadeln if. Fur 
pur aber und die mit Palmen geſchmückte Toga legt er beim vollen Triumyk 
an, aud trägt er in legterem alle das Scepter in der Hand, über dem 
Erepter iſt ein goldner Adler, deffen Augen Epvelfleine bilden, angebradt, 
und zwar der Adler veßhalb, weil er das Sinnbild der Herrichermadt it 
Denn gleihwie der Adler höher als irgend ein anderer Vogel fi in die 
Lüfte emporfchwingt, je wird der Kaiſer dur den Sieg laut dem Uırtkil 
Aller bis gen Himmel erhoben.“ 

Man traut feinen Augen nicht! Wenn der Kaiſer auch nur einige Feint 
verjagt, jo winft ihm die Trophee, wenn er gar einen Feind tödtet, d. h. durd 
feine Soldaten todtichlagen läßt, fo gebührt ihm die Auszeichnung des Triumpd. 
Liefert er aber ein fiegreiches Gefecht, nun dann fommt Bolf und Senat in Be 
wegung, Purpur, Palmen, Scepter, Adler müſſen herhalten. Unmöglich ericeizt 
es, die Ehre des Triumphes noch leichter, alltäglicher zu machen. Jede militäriit: 
Nauferei vor den Thoren fchraubte den dritten Dtto zu einem Scipio, Marius, 
Eulla, Pompejus, Cajus Julius Cäſar, ja zum Himmel empor. Sicherlic fin? 
im Anfange der neuen Herrlichkeit jede Woche ſolche Triumphzüge oder Parade⸗ 
märſche von der Porta Flaminia die via lata hinauf nad) dem Capitol abge 
halten worven, bis die Kinderei jelbft dem dritten Dtto entleiden mochte. 

„Bor dem Senate und dem Volke“ heißt es, „fteigt er hinauf ins Gapi- 
tol,“ und dann am Schluffe „durd den Sieg wird der Kaifer laut dem Urteil, 





u‘ 


2) Ibid. ©. 177 ie. 


Siebtes Bud. Cap. 46. Prunkende Hofämter ver Weltreichöverfaflung. Kriegsmacht. 829 


der wörtlih „im Munde Aller“ bi8 zum Himmel erhoben.” Deutlich bricht 
hier die Abficht Dur, Otto III. an die Beifalldbezeugungen des großen Hau⸗ 
end zu gewöhnen und dadurch zu — beherricen. 

Der Adler, ald MWahrzeihen römifher Macht, iſt aus dem alten Reiche 
ju den Byzantinern übergegangen, aber bis zu Ende des zehnten Jahrhunderts 
nicht zu den deutichen Königen gewandert. Eo viel der Franfe Carl der Große 
ıusd römiſcher Ueberlieferung entlehnte, finden fih nur geringe Spuren, daß 
yas Aplerbild ven Weg zu den Franken gefunden hätte.) Ums Jahr 978 
srangte auf dem Firft ded Palaftes zu Aachen ein eherner Adler, der von 
Barl dem Großen errichtet worben fein fol. Das ift Alles, was bezüglich 
dieſer Sache feit ſteht.) Meines Wiſſens fommt der Adler ald Symbol 
faiferliber Gewalt zum erftenmal unter Dtto III. in obiger Stelle vor. Uner⸗ 
wartet jchnel haben die nächſten Kaifer aus dem faliihen Stamm dad ges 
gebene Borbild nachgeahmt. Auf Siegeln werden Kaifer Conrad II. und 
befien Sohn Heinrich III. dargeftellt, die Weltfugel in der einen, das Ecepter 
mit dem Reichsadler darüber in der andern Hand haltend. Meberdieß erhielt der 
Adler unter Heinrich III. auch bereitd auf den Reichdbannern eine Stelle‘) 
Man erfieht abermal hieraus, daß Otto's III. Beifpiel, fo unglücklich feine Laufs 
bahn endete, mächtig auf die fpäteren Herrſcher nachwirkte. 

Auch der Ehmud des Kaiferd wird von der Graphia — und zwar mit 
peinliher Ausführlichfeit — geſchildert. Sie zählt”) zuvörderft zehn verſchiedene 
Arten von Kronen auf: „1) die von Eppich, mit welder Herfuled befränzt 
worden fein ſoll; 2) die von Delzweigen, welche Milde bedeuten; 3) die von 
PBappellaub; 4) die von Eichenblättern, welche einft Romulus trug; 5) die 
von Lorbeer; 6) die trojifhe Mitra; 7) die Krone von phrygiſcher Arbeit, 
(geftidt oder aus Email bereitet); 8) die eiferne, welde Pompejus, Julius 
@äfar, Dctavian und Trajan fich beilegten, weil fie mit Eifen die Weltherrs 
Ihaft errungen haben; 9) die aus Pfauenfedern, welche eigentlid die erfte 
der Welt ift, und dem, der fie trägt, die oberfte Würde verleiht. Mit Eins 
willigung des Kaiſers bedient fi der Pabft des Kranzes aus “Pfauen- 
federn; endlich 10) die goldene mit Perlen und Evelfteinen gefchmüdte, welche 
Kaifer Diokletian in Perſien fennen lernte und nad dem Abendland vers 
pflanztee Der jegige Kaijer trägt die goldene Krone. Auf ihrem Umkreis 
it der Vers eingegraben: 

Roma caput mundi regit orbis frena rotundi.“ 

Sofort geht die Braphia zu den Kleidungsftüden über: „da Hemd des 
Kaiſers beſteht aus feinftem und glänzend weißen Byſſus (Mufjelin) mit 
goldnem Knopf und an den Seiten mit goldnem Caum. Das zweite Kleid 
des Kaifers heißt Chlamys, wird über den Kopf geworfen und iſt nicht ges 


1) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch, Geſch. IV, 404. n) Dyanam ©. 173 in. 


830 | Babf Gregerins VIL uud fein Seltalker. 


naht, fondern mit Epangen zufammengehalten. Folgt bie Tunila aus Eder 
lach mit Bold, Evelfteinen, Perlen reich geziert, auch längs ber Schalter, ba 
Aermeln und den Füßen zu mit 72 Schellen und ebenſo vielen Grangten be 
hängt; darüber trägt der Kalfer im Frieden eine Toga, die Über die finke 
Schulter geworfen wird. Im Krieg legt er das Palubamentum, ober den 
Feldherrnrock an, aus Scharlach, Burpur und Goldſtickerei bereitet. Urqh 
eine Trabea von Scharlach und Purpur trägt der Kalfer, bie fich wenig von 
der Toga nnterfcheidet. Die Gurt des Kaiſers beficht aus Gelb uns ic 
feinen, und iſt mit 72 Schellen behängt. Un die Gurt ſchließt ſich cm 
gleihfalls goldgeſtickte Ebürze au. Die Schnalle der Gurt bildet ein geb 
denes Rad, das mit Perlen und Edelſteinen gejiert, abermal bie Umfchrift bet: 
Roma caput mandi regit orbis freua rotundi.“ 

„Anf dem Knauf der Echnalle find abgebifvet die drei Welttheile: Ag, 
Afrita, Europa. Außerdem legt der Kaiſer eine rofenfarbene Dalmatife mm, 
die über und über mit goldenen Adlern, Evelfteinen, Perlen und mit 365 geb 
denen Schellen prangt. Roc hat der Kaiſer einen gofonen Mantel (mantem), 
auf welchem mit Perlen nnd Edelſteinen der Thierfreis abgebildet IR, un 
365 goldne Schellen hängen. Die Beinbefleivung des Kaiſers beſteht u 
Goldſtoff, ift mit 4 Adlern und 24 Goldſchellen ausgerüftet. Die Schuhe dei 
Kaiſers find gleichfall® goldgeſtickt und über und über mit Wolern, Drake 
und Löwen geziert.* 

„Am Hals trägt er ein goldnes Band, auf dem Kopfe eine goldne Kay, 
auf der Bruft eine golpne Kette, dazu Epangen aus gleihem Metall au 
Ecdultern, Armen, Händen. Weber alle dieje Kleider legt der Kaiſer noch 
einen goltnen, mit Steinen und Perlen bejäten Ueberwurf an, (anabolum) 
und zwar ift dieſes Stück wejentlih ; fintemalen der Kaiſer ohne daſſelbe feine 
giltige Entſcheidung füllen kann.“ 

In dieſer Beichreibung tritt der Gedanke kaiſerlicher Weltherrfcaft prım 








— — 








nn fend hervor. Der Kaifer trägt die Erdtheile Europa, Aſien, Afrika, gemalt 
m an feinem Leibe herum. Anderswo ſpricht der Verfaſſer dieſelbe Anſicht ned 
5, bündiger aus, indem er ſagt:) „näcft Gott dem Allmächtigen ift der Kaiſer 
—* alleiniger Gebieter des Erdkreiſes, ihm ſteht der Befehl und die Geſetzgebunz 
zu, er lenkt die Zügel der Welt, und weil dem fo iſt, müſſen alle Menſten⸗ 
it finder fib vor ihm in den Staub nieverwerfen." Klingt das nicht byzanti 
Br niſch oder moskowitiſch! Und doch verräth ver Verfaſſer, daß er ein Staliener 
ee’ und noch dazu ein Scalf if, denn wirft er nicht die Aeußerung hin — daj 


die Krone aus Pfauenfedern, welche die hochſte Gewalt verleiht, nur von des 
Pabfte — freilich mit Einwilligung des Kaiſers — getragen wird. Dieſe Jronk 


N | 3 6. 19. 


Siebtes Bud. Gap. 46. Prunkende Hofämter ber Weltreichöverfaflung. Kriegsmacht. 831 


verbirgt tiefen Ernſt. Wirklich befaß das Heft der Macht nur dem Scheine 
nad Kaiſer Dtto III, in der That Pabft Eylvefter II. 

Im Uebrigen geftehe ich nicht zu begreifen, wie ein Menſch alle oben 
befchriebenen Gewande anlegen oder fortichleppen fan. Unfer armer Kaiſer 
muß bedeckt mit den unzähligen, feidenen und goldenen Fetzen, Echellen und 
Troddeln, wie ein Delgöge auögefehen haben. Und doc wiederholt fi die 
oben angebeutete Ericheinung: der Flitterſchmuck fand unter den nächſten deuts 
ſchen Herrichern bereitwillige Nachahmer. 

Außer den Adlers&cepter erwähnt die Graphia noch ein anderes Einns 
bild kaiſerlicher Weltherrſchaft, nämlih die Weltkugel oder den fogenannten 
Reichsapfel. Sie meldet!) nämlih: „neben dem Adler trägt der Kailer aud 
eine goldene Kugel in feiner Hand. Solches hat einft Cäſar Octavianus 
eingeführt, und zwar wegen der über den ganzen Eidkreis zeiftreuten Nationen, 
die den Kaifern gehorhen, denn „der Apfel“? fol die Geftult der Erde 
bezeichnen.” 

Veberfpringen wir jegt 16, theilweife 40 Jahre, und verjeßen und in 
die Zeiten, da Heinrich II., der nächfte, und Conrad IL, der übernächſte Nach⸗ 
folger Otto's III., berrichten. Mönd Ademar von Angouleme, der um 1028 
al8 Augenzeuge ſchrieb,“) erzählt:*) „Kaiſer Heinrich IL. vergabte an das Klofter 
Elugny ein Scepter, eine Kugel, (sphaeram) einen Krönungsmantel, eine 
Krone, ein Erucifir, alled von Gold und wägend zufammen 100 Pfund.” 
Genaueren Bericht über den Hergang erftattet®) Ehronift Rudolf der Kabls 
fopf, der felbft im Klofter Clugny gelebt und dort um 1050 geſchrieben hat: 
„ald ed an dem war, daß Heinrih II. nad Rom aufbreden follte, um dort 
zum Sailer gefiönt zu werden, lich der damalige Pabft Benedikt VIII. einen 
goldenen Apfel, (aureum pomum) verfertigen, ringsum mit Evelfteinen zieren, 
fiber dem Apfel aber, nämlich fo, daß es gleichfam aus demfelben heraus: 
wuchs, ein goldened Kreuz anbringen. Das Kreuz follte anzeigen, daß der fünfs 
tige Kalfer die Weltherrihaft im Sinne Ehrifti und des Evangeliums zu 
führen verpflichtet fei. Wie nun Heinrih in Rom einzog, übergab ihm der 
Pabſt obigen Ehmud. Heinrih aber ſprach lächelnd: heiliger Vater, ich jebe 
wohl, daß Du dur diefes Einnbild mir die Lehre geben willft,‘) mid felbft 
zu beihränfen. Dann den Apfel mit der Hand ergreifend, fuhr er fort: 
wahrlih ih kann von Deinem Geſchenk feinen beffern Gebrauch machen, als 
wenn ih es an Männer abtrete, die dur Selbftverläugnung den Beweis 
abgelegt haben, daß fle Ehrifti Kreuz auf fih nehmen, Sprachs und fdhidte 
den Apfel nah Clugny ins Kloſter.“ 


9) Ibid. ©. 178. 2) Ut malum figuram orbis designet. 3) Berk IV, 109. 
*%) Tbid. ©. 133. °) Bouquet, script. gal. X, 10 unten flg. ®) Innuens qualiter none 
monarchia sese moderari debuerat. 


832 Pabſt Gregorius VIL und fein Beitalter. 


Kaiſer Heinrich II. hat die Folgen gefehen, welche Dtto’& II. Herrider 
wahnsinn nad fi zog, und man Tann fagen, fein Leben war ver Aufgabe 
gewidmet, diefe Uebel zu heilen, was ihm aud großen Theild gelang. Te} 
halb jah er auf das Kreuz, nicht auf den unten hängenden Apfel Eva’s, mi 
legte die Gaben in die rechten Hände nieder. Aber nicht fo dachten feine lali 
ihen Nachfolger, weldhe in der von ihm gegründeten Echöpfung zugleid Kit 
tel der Größe und des Mißbrauchs erbten. Daß auf ihren Regierungsfieges 
der Adler und der Apfel zum Borfchein fommt, habe ih oben gezeigt. Cha 
diefelben ahmten ven Gebrauch eined andern beveutungsvolleren Sinnbilvd ai 
der Rüftfammer des dritten Dtto nad. Muratori hat eine Urkunde Gontave I. 
vom Yebruar 1038 veröffentliht,‘) an welcher eine Bleibulle hängt, auf derer 
Vorderfeite zwei Männergeftalten abgebilvet find, die erſte ein Ecepter, bi 
andere einen Apfel baltend, die NRüdfeite zeigt das Bild Roma’s mit de 
Umſchrift: 

Roma caput mundi regit orbis frena rotundi. 

Der Schatten Otto's IIT. geifterte Jahrhunderte lang durch das beutid 
Reich und ich behaupte, der dritte Salier, Heinrih IV., war ein Opfer ie 
Erinnerungen, welche die Griechin Theophano und ihr unglüdlicher Seh 
fterbend hinterließen. AU dieß wird im Folgenden bi zur unabweidlid« 
Gewißheit klar werden. 

Der Verfaſſer der Graphia ſpricht ſo, als hätten alte gefeierte Helde 
der römiſchen Geſchichte die zehn Kronen und dad andere Zeug, als hab 
namentlih Cäſar Octavianus Auguftus die Weltfugel oder den Reichsapft 
ausgehekt. Das iſt alles Dunf. Nicht aus dem alten Rom, ſondern au 
dem neuen, aus Byzanz, flammt der Flitter, den die Graphia befdhreibt, um 
Theophano war e8, die ihn herüberbrachte. Doc nit blos der Flitter fus 
von dorther, fondern auch gewiſſe Leiftungen, ohne weldhe die Kindereien gar 
nicht hätten angeichafft werden können, und welche mit Centnerlaft auf ie 
Volt Staliend drückten. 


— — — —— — 


9) Antiq. Ital. III, 697. 


Siebtes Buch. Cap. 47. Finanzen u. inneres Betriebe des Weltreiche. Die Siebner. 833 


Ziebenundvierzigfies Kapitel. 


ie Rinanzen ber Ottonifchen Weltreichsverfaſſung. Der junge Kaifer erhebt in Stalien 
Steuern , welche zuletzt allgemeine Unzufriebenheit erregen. Nachweis, bag Otto IIL., 
troß des Anfcheind .riefenhafter Plane, nicht that was er felber wollte, ſondern was ein 
Anderer, Klügerer,, ihm eingab: ber Romantifer .gegängelt von einem Praftifer, dem 
Pabſte Syivefter II. Drei römifche Formeln, Hauptzeugen ber MWeltreichöverfaflung, 
betreffend erftlich die Stellung des Patricierd , zweitens bie Machtbefugnifle des Eiebners 
Gollegiums. Aufgabe des Lepteren war, bie Romana zu allgemeiner Geltung zu bringen. 
Ueberficht älterer Verſuche, welche gemacht wurben, um bie äraften Schäben ber durch 
Lothars Geſetze von 824 verfäguldeten Unficherheit italienifcher Rechtözuftände zu heilen. 
Die dativi judices. 


Die Eohorten der Leibwache, die Bruchftüde italieniſcher Feldregimenter, 
‚n denen die Graphia fpricht, waren nicht nach germanifhem Gebraude auf 
ben angewiefen, fondern fie empfingen Sol. Daß die Sache fi fo vers 
lt, geht aus einem Großamte der neuen Berfafjung hervor. „Der Vierte 
ıter den Siebnern,“ heißt es in einer Urfunde,‘) auf die ich fpäter zurück⸗ 
mmen werde, „trägt den Titel Sedelmeifter und zahlt den Soldaten 
old aus.” Kin Sofpheer Foftet befanntlih Geld, viel Gel. Dieſes Del 
ver gelangte in den Staatsfefel nur durch Steuern. Folglich beweifen die 
»n der Graphia befchriebenen Einrichtungen, daß Otto TIT. wenigſtens wäh. 
nd des Beftands der Weltverfaffung, und zwar in Stalten, Steuern eingeführt 
ıben muß. | 

Auch an andern Belegen fehlt es nicht. Neben dem eiferfüchtigen Gegen⸗ 
6 der Grescentier und Tusculaner, neben den verborgenen Umtrieben dee 
ymbarden Arboin, war es offenbar allgemeine Unzufriedenheit über Steuers 
ud, was den Sturz Otto's III. herbeiführte. Pabſt Sylveſter IL. fchreibt?) 
ı den jungen Kaifer: „Ih muß Euch von einem fchlimmen Vorfalle zu Orta 
m Zufammenfluß der Tiber und Nera im römifhen Tuscien) berichten. 
zährend ich daſelbſt Gottesdienſt hielt, zogen in der Kirche Die, welche Uns 
de Abgabe verweigern, wider die andere Parthei das Echwert, welche Ver⸗ 
lihtung Aller, Steuern zu entrichten, behauptet, und ein wilder Aufruhr ents 
annte, der Uns nöthigte, den Ort zu verlaffen.” Ausführliere Nachrichten 
iden’) fih in der Graphia: „des Kaifers find die Beftungen, alle Gewerbe 
rtes), alle Häfen an Flüffen und Meeren, die Brüden, die Schanzen (d. 5. 


°) Gieſebrecht, deutſche KRaiferzeit I, 825: quartus saccellarius, qui stipendia erogat 
litibus. 2) Höfler a. a. D. I, 330: Sylveſter II. braucht den fanften Ausdruck munera 
tr munuscula, aber aus dem Zufammenhange erhellt, daß Steuern gemeint find. °) Oyas 
m ©. 181. 
Gfrörer, Pabk Gregorins Vu. Bb. V, n 


SM: °°0 Pohl Grogerind TIL ub fin Seile. .- --  . 
Burgen), die Hurenhäufer, bie mmmenerten Sri (burgi), bie Bde 








Grundſteuer. 

So weit byzantiniſche Herrſchaft reichte, wurden Steuern aller Art ei 
getrieben, namentlich im griechiſchen Stalien, wo Verzweiflung”) über Eier: 
drud um 1008 den Aufftand des Melus und in Folge defielben die Eimwus 
derung der Rormannen nah Apulien berbeiführte.e Ich vermuthe, Dtte IIL 
bat dad Borbild feines neuen Beſchatzungſyſtems aus dem benachbarten Gala 
brien und Apulien entlchnt. 

Unläugbar ift, kindiſch ericheint das Weſen, da6 damals Otto zu Rem 
trieb, oder vielmehr das Ungenannte ihn zu treiben anleiteten. Kindiſch, fage 
id, ericheint das Getriebe, fofern man nämlid Ehre und Würde des Kalfer 
thums ald Maßſtab der Beurtheilung anlegt. Allein wählt man einen eu: 
gegengefebten Standpunft, jo gewinnt die Sache ein anderes Licht. Gin haar 
Iharfer Verſtand tönt aus dem Puppenfpiel hervor, jedoch ein Berftand, ver 
nicht den Bortheil des unglüdlihen Jünglings, ſondern das Gegentheil im 
Auge hatte. Ich wende mich zu dieſer zweiten Seite. 

Zunächſt fommt der jährliche Wechfel der Gonfuln in Betracht, die laut 
dem Ausipruche der Graphia „in die Gerichtsbezirke vertheilt wurden.“ Wk 





— 


) Oben 6.404. ) Die Belege bei Gfrörer, 8. @. IV, 120. 





Siebtes Buch. Cap. 47. Finanzen u. innered Betriebe des Weltreichs. Die Siebner. 835 


maren vor 998 das mittlere Stalien ,‘) die Marken Spoleto und Gamerino, 
Das römiſche Tuscien, die Pentapolis, felbft bis zu einem gewiffen Grabe 
das roͤmiſche Dufat politifch eingetheilt gewefen? In Dukate und Comitate, 
dann diefe wiederum in Gaftalvate oder In Bezirke von Sendboten oder Bis 
farien der Grafen, Markgrafen, Herzoge, fo zwar, daß Herzöge, Grafen, 
Baftalden und Vikarien oder Sendboten in den betreffenden Gebietötheilen das 
Recht ſprachen und die Verwaltung. beforgten.) Wenn nun der neuen Eins 
ichtung gemäß Eonfularrichter in ein Comitat oder Dufat kamen, fo hatte 
yer biöherige Graf fo viel ald nichts mehr zu amten. Das Nämliche galt aud) 
son den Untergebenen des Grafen, den Gaftalden oder Sendboten, denn das 
rüber angeführte Aftenftüd beftiimmt ja ausprüdlih, daß Pedanei oder Uns 
errichter von den Conſuln beftellt werben follen. 

Man flieht daher, daß befagtes Bonfulat ein wohlerdachtes Mittel war, 
ım die richterliche Gewalt der Grafen und Gaftalden und damit die Erblich- 
eit der Lehen zu untergraben. Ohne Zweifel hat Syivefter eben dieß beab⸗ 
ichtigt: er wollte wo möglich Feine Erbgrafen mehr im Kirchenſtaat dulden, 
ın ihrer Statt follten befoldete und wechſelnde Staatsrichter eingefegt werben 
— obgleih er durch Kriegegefahr gedrängt, in einem urkundlich befannten 
Salle eine Ausnahme machte. 

Ich berufe mich zunächſt auf jenes Schreiben Sylveſters II. an den Kaifer. 
Rad) den oben mitgetheilten Worten, betreffend den Aufruhr zu Orta, fährt 
er Pabſt fort:*) „die Aufregung nahm noch mehr zu, weil eine arme Frau 
ei Uns ihren Richter verklagt hatte und deßhalb das Gerücht ging, die Klage 
ei nur zum Nachtheil des Grafen (oder aus Haß gegen denjelben) angeftellt 
md von Uns angenommen worden.“ Im erſten Sape ift von einem Richter, 
m zweiten von einen Grafen die Rede. Zwei Fälle find moͤglich: entweder 
zeichnen beide Ausdrücke dieſelbe PBerfon, nämlich den Grafen, dann ift der 
Sina: nachdem das arme Weib den Grafen, der in irgend einer anhängigen 
Sache ihr Richter geiwefen war, beim Pabfte verklagt hatte, wurde ausge⸗ 
prengt , Syivefter habe die Klage nur darum angenommen, weil er, ſei es 
en Grafen überhaupt, jei es insbefondere dem Grafen von Orta, etwas aus 
aben wollte. Oder nimmt man an, daß im erften und zweiten Saß vers 
hiedene Perſonen gemeint find, dann kann man meines Erachtens nur fols 
ende Deutung unterlegen: das Weib hatte den Richter, .d. b. den Gonful 


1) Gin Graf faß im Tivoli (fiehe oben ©. 349 flg.), ein zweiter im Sabinum 
©. 344), ein dritter, von dem fofort die Rebe fein wird, zu Orta, ein vierter fammt 
daftalden zu Borto am Ausflufle der Tiber (Marini papiri diplomat. S. 67 unten flg.), 
 fünfter zu Terracina (flehe unten). 3) Man vergl. die Urkunde Otto's IL vom 
abre 981 bei Muratori, script. ital. IL, b. ©. 478, u. Hegel, Gtäbteverfaflung I, 457 flg. 
) Höfler I, 330, 

63° 


836 Vabſt Gregorius VEL und fein Seltalter. 


deßhalb verflagt, weil ihr von ihm nicht bereitwillige Rechtshülfe gegen ve 
Grafen, welcher der Klägerin zu nahe getreten, geleiftet worben fei, und bie &xy 
ner behaupteten nun, der Pabft babe die Klage blos darum angehört, weile 
Groll gegen den Grafenftand überhaupt ober insbeſondere gegen den Orefa 
von Drta bege. Für unferen Zwed if es gleichgiltig, ob man bie eine in 
andere Deutung vorsieht. Genug der Fall beweist, daß bie Unzufriebenen im 
Kirchenfinate dem Pabfte Abneigung wider Grafen zutrauten. 

Weiter findet ſich in einem ber römiichen Attenftldle, welche bie neu 
Welterfaffung fchildern, folgende‘) Stelle: „feit das alte Römerreih cin 
Beute der Barbaren geworben ift, haben biefe uns ungelehrte, des Reh 
unfundige und barbarliche, Grafen zugefchidt, weldhe dann Unterrichter es 
flellten, die, weil fie aus dem Staatsſchatze' keine Befolbang 
empfangen, die Gerechtigkeit um Geld verfaufen. (Gegen ſolchen Mifbrens 
fann man bei den Grafen felber Teinen Schup finden), benn weil fie unge 
Iehrte Barbaren find, vermögen fie da6 Wahre nicht vom Falſchen zu unter 
ſchelden und werben von ihren Unterrichtern hinters Licht geführt.” Yolgenber 
Grundgedanke liegt in den Worten: weder die fremben, uns vom UArndlande 
aufgebrungenen Grafen, noch die von Diefen eingefehten Unterrichter (Gaſtalden, 
Sendboten, Vikarien) taugen etwas, denn Erſtere vermögen wegen Unver 
ſtands nicht zu richten, die andern verkaufen aus Armuth die Gerechtigkeit wa 
Geld. Das einzige Mittel, einen beffern und georbneten Zuftand Gerbeizuführen, 
beftehe darin, daß man befolbete, mit gründlicher Kenntniß des Rechts amd 
gerüftete Männer, und zwar geborne Romanen, zu Bezirförihtern einfepe. 

Gewiß die Anhänger der Dttonifhen Weltverfaffung verftanden es, dem 
Volk die angefonnene Steuer fo mundgereht als möglich zu machen. Dad 
fei, hieß es, der einzige mögliche Weg, zu einer vernlinftigen Rechtspflege m 
gelangen. Das ftehende Heer und der Glanz des kaiſerlichen Hofes zu Rem 
wird in ähnlicher Weile vertheidigt worven fein. Es find Anflänge moderne 
Bildung, die und entgegentönen. 

Das wäre ein Punkt. Tiefern Einblid in die Abfihten Derer, weld« 
das Werk der neuen Berfaffung zugerüftet haben, eröffnen die auf uns ge 
fommenen Formeln. Es find veren vier, von weldhen der Verfaſſer ber 
Graphia drei — und zwar als wefentlihe Beftandtheile — feinem Büchlein 
einverleibt bat. Indeß kennt man die drei fammt einer vierten, welde bie 
Graphia nicht in ganzer Ausdehnung aufnahm, aber doch theilweife bemüpte,”) 
aud aus einer bejondern Handichrift des Vatikans, die dem Ende des eilften 
Sahrhunderts angehört. Eine, die ich in erfter Linie gebe, enthält vie Be 
ftallung des kaiſerlichen Patriciers. 














*) Gieſebrecht, ventiäe Koller U, 826 unten Ag. Ich überfepe nach tem Gimme. 
) Ibid. ©. 818. 


Siebtes Buch. Cap. 42. Binanzen u. inneres Betriebe des Weltreiche. Die Siebner. 837 


Der Tert‘) lautet: „die Patricierwürde darf feinem Manne von niedriger 
Geburt, feinem neuen Menſchen ertheilt werben, fondern nur einem Solchen, 
ber dem Kaiſer vollfommen befannt, der ihm getreu, der verftändig und zus 
glei demüthigen Sinnes if. Hat fi ein Tauglicher der Art gefunden, fo 
trete der Protofpatharius vor den Kaifer, küſſe deſſen Schulter und fprede: 
Brößter der Kaifer! der Mann ift da, den du gerufen haft. Hierauf ſtellt 
ſich der Hyparch oder lateiniſch der Präfekt zur Linken des Kaiſers, und dieſer 
ſagt zu ihm: gehe hin mit dem Protoſpatharius und hole den fünftigen Patri⸗ 
eins. Nachdem ſodann Lepterer eingeführt worven, küſſe er erft die Füße, 
dann das Knie, zulebt die Wange des Kaiſers, weiter küſſe er die umftchenden 
Römer, welde ihn willfommen heißen. Nun hebt der Kaifer an: dieweil es 
Uns allzufhwer fallen würde, die Uns von Gott verliehene Gewalt allein 
auszuüben, als ernennen Wir dich zu unferem Gehülfen und räumen dir Boll 
macht ein, den Kirchen und den Armen Recht zu ſprechen, aljo daß tu einft 
vor dem allmächtigen Richter über und Ale Verantwortung ablegen magft. 
Dieß geiprochen, Tege der Kaiſer dem PBatricier den Prachtmantel um, ftede an 
feinen rechten Zeigefinger den Siegelring und übergebe ihm ein Handfchreiben, 
das die Worte enthält: fei Patricier, fei barmberzig, ſei gerecht. Zulegt bes 
feftige er dem Patricier den goldenen Reifen um das Haupt und entlafje ihn.“ 

Vom Patriciat find ausgefchloffen Leute niedrigen Stande, Unbekannte 
und — was hieraus folgt — Arme. Zu Belleivung der Würde werden 
vier Eigenſchaften erfordert: der Bewerber muß dem Kaifer wohl befannt und 
zweitens ein ®etreuer defjelben fein. Das heißt: er muß einer der erlaucdhten 
Familien oder dem hohen Adel angehören — denn nur mit foldhen geht der 
Kaifer um und fennt fie genügend; weiter muß er fchon feit längerer Zeit in 
des Kaiſers Dienften geftanden oder ein Getreuer gewefen fein. Aus der 
erften, wie aus der zweiten Bedingung ergibt fih, daß nur die Erften des 
Hofs zur Patricierwürde taugten. 

Drittend wird erforbert, daß der Bewerber vernünftig, ein Mann von 
gefundem Kopfe fei. Im Mittelalter geſchah es nämlich zuweilen, daß Herren, 
gegen deren vornehme Geburt fi nicht das Mindefte einwenden ließ, die z. B. 
10 und 15 Ahnen zählten, doch wenig Verftand befaßen. Einen Fall der 
Art berichtet Chroniſt Negino, indem er meldet:?) „Rudolf, ein gar vors 
nehmer Herr, dabei aber flodvumm, hat darum, weil feine Brüder mächtige 
Grafen waren, im Sahre 892 das Bisthum Mürzburg erlangt.” Solche 
Rudolfe nun ſchloß die dritte Bedingung vom PBatriciat aus. Eigentlich dumm 
durfte der künftige Patricier nicht fein, fondern e8 ſchien nöthig, daß er über 
das zum Sammerherrnvienft befähigende Maß von Einſicht fih ausweile. 

1) Ibid. ©. 823 unten flg. ») Ada. 892. Verb I, 605: Wirziburgensem cathedram 


Rudolfus licet nobilis, stultissimus tamen, frater scilicet Chunradi et Sebebarl wuiium, 
obtinujt. 





sr mm? Pabft Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Dafür aber, daß des fünftigen Patriciers „Geiftesträfte nicht über di 
ebenbeſchriebene Linie hinausreichten, jorgte die vierte Elaujel:- me sit elatı 
. D 5 er fei demürhig und unterwürfig gegenüber Denen, welche über ihm ficken, 
er Rede feine Naje nicht in Dinge, in welche laut dem Plane Derer, % 
das Weltwerfaſſungowerl ſchufen, Ungeweihte nicht hineinfehen, noch viel mı 
niger hineinlangen dürfen. Die vierte Glaufel zeugt won nicht alltäglider 
Menfcentemtnig. Wer mehr Grüße im Kopfe hat oder zu haben glaul 
als m Handhabung eines Äuferlic zwar glänzenden, in der That bebeutungs 
Iofen Amtes genügt, der verräth feinen Ueberſluß in der Regel — wenn nläl 
andere eine forgfältige, namentlich -eine eleritale Erziehung vorbeugt, — tut 
hechfahrendes Gebahren, dur allerlei Prahlereien, weldye die Umgebung a 
das Geheimniß einweihen, daß man eigentlich zu weit höheren Dingen beruia 
wäre und ſich noch lange nicht am rechten Plape befinde. Im Uebrigen wir 
RG unten ergeben, daß die Ottoniſche Verfafjung für eine Behörde gelernt 
hat, welche «6 nicht beim Buchftaben obiger Glaufeln bewenden ließ, ſonden 
dieſelben phaktlich volog. 

HiRerifher Glanz umſtrahlte die Patricierwürde, Könige und Kaifer 
hatten fie bis auf Dito III. herab belleidet. Auch die Formel erfenm — 
wenigſtens bis zu einem gewilien Grade — ſolche Majeftät des Patricia 
am. Der Kaiſer redet den neubeftallten Patricius mit den Morten an: „Id 
mein Gehuͤlfe (Mitkaijer), ſprich den Kirchen und den Armen Recht in ter 
Urt, daß du es einft vor Gott verantworten magſt.“ Stets haben mohlge 
ſchulte römifhe und deutjche Juriften es als eines der vornehmften Hoheit 
echte betrachtet, daß Fürſten nicht hier unten auf Erden, ſondern erſt im einem 
andern und zwar ewig dauernden Leben, auch nicht vor zweibeinigten Mer 
fen, fondern bloß vor Gott, dem Allmächtigen und Allwiſſenden, Recenfhait 
ihres Thuns abzulegen brauchen, Num eben dieje Befreiung von irbifder 
Verantwortlichfeit erfennt Otto jeinem Patricier zu, woraus folgt, dap er iha 
faſt als einen Gleichgeftellten chrte. ine Krone erhielt zwar derſelbe nict, 
weder die goldene, no die von Eichenlaub, noch endlich die aus Pfau 
federn bereitete. Dafür ward er mit einem befondern Schmude, nämlich mit 
dem goldenen Reifen Ceirculus aureus) bedacht, der feitdem Auszeichnung er 
Batricier blieb und aud in der Geſchichte der Salief eine Rolle fpielt.‘) 

Es muß einen triftigen Grund haben, daß man dem Kaifer einen Pat 
cier als ftehende Figur zur Seite ſtellte. Ic denke, für den Fall, daß Die 
Rd der Ordnung, in welde ihn ein flärkerer Wille verjegt wiſſen wel, 
nicht gefügt hätte, follte der Patricier in Bereitſchaft gehalten werben, um 
ihn zurädzutreiben. Vorerſt aber diente der Patricier zum kaiſerlichen Epik 
zeuge, ungefähr wie zu den Zeiten der fränfifhen Herzoge aus dem Karlinger 


Eicht LE. 


| Slebtes Buch. Cap. 42: Finanzen u. inneres Betriebe des Weltreichs. Die Siebner. 839 


Ramme die 12» und 15jährigen Majordome den verrotteten Meromwingern 
dienten. Reben dem Patricius wird noch der Protofpatharius, den wir aus 
Urkunden fennen, und der Hyparch erwähnt. Hyparchos if ein alter grie⸗ 
hifcher Rame für Beamte der Republik, welde die römiſche Epradye mit 
ben Worten Profurator oder Legat bezeichnet. Doc überſetzt die Graphia 
den griechiichen Ausdruck durch den lateinifchen praefectus. Ottoniſche Urs 
fanden führen, wie wir willen, einen Etadtpräfeften auf, der Johann hieß, 
Bielleiht muß man an dieſen denken, doch könnte möglicherweife auch der Graf 
oder Magifter des Taiferlihen Palafted gemeint fein. Der Patricius, Proto⸗ 
ipatharius, Präfeft und andere oben genannte Herren gehörten einer und ders 
jelben Klafje, nämlih dem weltlihen Hofftante des Kaiſers, an. Ihre Lage 
war eine glänzende, zu Prunf und Wohlleben berechtigte, aber wahren Eins 
Ruß auf die öffentlichen Angelegenheiten bejaßen fie nicht, und follten fie nicht 
befigen. Dieß erhellt theils aus dem fehr geringen Maße fittlicher und gei- 
iger Bähigfelten, die vom Patricius, dem vornehmften unter den übrigen 
Genoſſen derjelben Kaffe, gefordert werden, theild aus der zweiten Formel," 
weiche und die Triebrävder des Ottoniſchen Staats kennen lehrt. 

„Im römifchen Reiche und in der römifcdyen Kirche gibt es fieben Groß⸗ 
richter der Pfalz, welche man ordentliche nennt. Ihre Beſtimmung ift den 
Kaiſer einzufegen (ordinant imperatorem) und in Gemeinſchaft mit dem römis 
fchen Clerus den Pabſt zu wählen. Die Amtönamen der fieben lauten fo: 
ber erfte heißt primicerius, der zweite secundicerius, Das Wort drüdt ihre 
Berrihtung aus. Beide ftehen dem Kaiſer zur Rechten und zur Linfen, ges 
wifiermaßen regieren fie mit ihm, und ohne ihre Mitwirfung darf der Kaifer 
nichts Wichtiged anordnen. Auch in Kirchenſachen befigen fie hohe Gewalt, 
bei allen öffentlihen Umzügen führen fie den Pabft an der Hand, haben den 
Borrang vor den Bilchöfen und andern Großen und find berechtigt, mit 
Ausschluß aller Biihöfe an den hoben Feſten die Oktave oder die Schluß- 
lektion zu balten.* 

„Der dritte unter den Großrichtern führt den Titel „Kämmerer des Schahes“ 
(arcarius) und verwaltet die Staatskaſſe. Der vierte ift der Cedelmeifter, 
der den Soldaten Eold ausbezahlt, zu Rom am Samftag vor Oftern?) die 
jährlihen Almojen vertheilt, fowie den römischen Biihöfen, Clerikern und Bes 
amten ihren Gehalt zuftellt. Der fünfte heißt Kanzler (protoscriniarius), der 
jechöte erfter Defenfor, der die Defenforen überwacht. Der fiebte endlich ift 
der amminiculator, der die Obhut über Wittwen und Waiſen, Unglüdliche 
und Gefangene bat. Die Sieben richten nicht in peinlichen Dingen, noch 
verhängen fie Todesurtheile. Sie find alle Cleriker zu Rom (d. h. wörtlid, 


*) Gieſebrecht ©. 825. *) Woͤrtlich sabbatum scrutiniorum. Man {che bei Du Lang. 
Serutinium, Hebdomada major, und eleemosyna paschalia. 


840 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter 


fie haben das Recht, in Rom anwefend jede clerifale Handlung zu verrihte) 
und fönnen nie zu andern Würden befördert werden.“ 

Ohne Frage erjcheinen die Eieben ald höchſte, wie ſoll ich fagen, Ve— 
amte oder Vormünder ded Kaiſers und üben eine Gewalt, wie nie ein an 
derer Beamter. Die zwei erften der Sieben ordiniren den Kaifer. Bekannt: 
lid) wird dieſes Wort jonft nur von Geiſtlichen gebraudt und hat aud hir, 
obwohl verdedt, clerifale Bedeutung. Seit den Zeiten Otto's ILL empfing 
namlich die deutihen Kaiſer kurz vor der Krönung förmliche Weihen zu Elm, 
fern. Man weiß z. B., daß dieß mit Heinrih III, dem Vater des vierten 
Heinrich, der Bau war.!) Aber aud) von Otto III. gilt das Nämlide, id 
werde unten zeigen, wie er jpäter als Möuch und Cleriker ſich gebahrte. Eh 
der Biſchof irgend einem Geijtlihen die Weihen ertheilt, legt er befannılid 
demjelben Pflichten auf, nimmt ihm feierlihe Verjprehungen ab. Mit gutem 
Fuge darf man vorausjegen, dag die Verfajjung von 1000 den beiden erfta 
unter den Sieben das Recht verlieh, Ähnlihe Forderungen vor der Weihe un 
den Kaijer zu ſtellen. Wenn derjelbe audy feiner eigentliden Wahl unterlag, 
jo mußte er es ſich gefallen lajjen, daß die Sieben ald Preis ihrer Witwir 
fung zu einer Geremonie, die er, um im vollen Einne Des Worte Kalle 
zu werden, nicht entbehren fonnte, gewilje Bedingungen vorjcyrieben. 

Zweitend die oberjten unter den Sieben regieren mit dem Kaijer, oder 
vielmehr fie regieren dad Rei durch ihn: Fein neues Geſetz, Feine irgend 
wichtige Maßregel der Verwaltung ift giltig,. ohne daß fie ihre Zuftimmung 
gegeben hätten. Drittend ebendiejelben maden nidt nur Den Kaijer zum 
Kaijer, jondern fie haben auch bedeutenden Antheil an der Wahl des Pubites 
und nehmen nächft Petri Statthalter den erjten Rang in der kirchlichen 
Hierardie ein. Viertens in den Händen der Sieben befindet ſich der Staus 
Ihag, das Heer, die Gercdhtigkeitpflege, alle große Anftalten der Wohlthätigs 
feit, d. h. fie find Herren des weltlichen Staats. Fünftens die Sieben ge 
hören dem geiftlihen Stande an und find folglid dem Pabfte, als dem Ober 
haupte der gejammten Kirche, zu kanoniſchem Gehorſam verpflichtet. Sechstens 
die Sieben können nicht zu andern Aenitern befördert, noch meines Erachtens 
— da Beförderung bei hohen Würden der Art manchmal Masfe der Entfernung 
it — abgejegt werden. Wer mag auf legterer Clauſel vorzugsweije bs 
ftunden jein, Sylveſter IL oder Dtto III.? Ich denke der erftere, nämlih 
um ſich ſicher zu ftellen, damit nicht etwa einer der Sieben, gefödert durch 
die Hoffnung der Tiare, gemeine Sade mit dem Kaifer gegen den regierenden 
Pabſt made. 

Und nun nachdem fo der Boden geebnet, komme id an Beantwortung 

*) Genni, monum. dominat. pontif. II, 264: Cardinales (duo) induunt eum (Hear 


cum III.) amictu, alba et cingulo, et sio deducunt eum ad domnum Papam (Clementem IL), 
qui ibi clericum facit sum. 


Giebtes Buch. Cap. 47. Finanzen u. inneres Getriebe des Weltreichs. Die Siebner. 841 


einer Hauptfrage. Der Tert jagt: „im römiſchen Reih und in der römilchen 
Kirche gibt ed bis auf den heutigen Tag fieben Großrichter.” Das lautet uns 
verkennbar fo, als hätten die Sieben feit alter Zeit beftanden. Iſt dieß wahr ? 
Es if wahr und nicht wahr, die Sieben find dem Namen nad) alt, der That 
nad neu. Haft jo weit ausführlichere kirchliche Akten zurüdreihen, fommen 
am Hofe der Päbfte hohe Beamte zum Vorſchein, welde die in obiger Ars 
funde erwähnten Titel tragen. Ich gebe Beijpiele aus dem fiebten, achten 
und binwiederum aus dem zehnten Jahrhundert, furz vor den Zeiten Otto's II. 
und der Einführung des neuen Weltftaates. 

Im älteften römifchen Ritualbudhe, das vieleicht fiber Gregor I. hinaufs 
reicht, ‘) heißt?) es: „bei feierlichen Umgügen, (wie .z. B. am Ofterfefte) reiten 
vor dem Pabſte der Primicerius, mehrere Defenjoren, (und weiter andere 
Beamte der Kirche), hinter dem Zelter des Pabſtes folgt der Nomenculator, 
(derjelbe Würdeträger, der oben Amminiculator heißt), der: Saccellarius“ (und 
andere). Im Jahre 709 machte Pabſt Gonftantin 1. eine Reife nah Con⸗ 
ftantinopel, auf welder ihn außer vielen Biſchöfen nadıftchende Hofbeamte 
begleiteten:*) Georg Sekundicerius, Johannes erfter Defenſor; Cosmus Ecdels 
meifter; Sifinnius Nomenceulator; Sergius Kanzler (Scriniarius). Zweimal 
hintereinander fchidten?) die Päbſte Zacharias (741— 752) und Stephan III. 
(753— 757) einen und denjelben SBrimicerius, der Ambrofius hieß, als ihren 
BDevollmädtigten an die Langobarvenfönige Liutprand und Aiſtulf. Ein Ars 
carius oder Schapfämmerer der römischen Kirche wird gleihfalld ſchon im 
fiebten Jahrhundert erwähnt.®) 

Was das neunte und zehnte Jahrhundert betrifft, treten urfundlih auf: 
unter Pabſt Leo IV. (847— 855) Tiberius, Primicerius des römijchen Etuhs 
le6;’) unter Marinus IL (942— 946) Niclas, durdy des Herrn Gnade Primi⸗ 
cerius, und Georg, durch Gottes Fürfehung Secundicerius der römischen Kirche; ”) 
unter Bonifacius VII, dem Eindringling, (984—985) Leo, Schatzkämmerer 
des apoftoliichen Stuhles;°) unter Stephan VIII. (929— 31) Niklas Primis 
cerius, Georg Secundicerius, Andreas Schapfämmerer, Johann Sedelmeifter, 
Leo, Vrotoseriniarius der apoftoliihen Kirche.) Der römijchen Synode vom 
Herbfte 963 wohnten an: Bonofilius Primicerius, Georg Serundicerius, 
Stephan Amminiculator, Andreas Schapfämmerer, Sergius crfter Defenjor, 
Johann Sedelmeifter der römiſchen Kirche.) 

Es gab aber außer den genannten noch andere große päbſtliche Hofämter, 
die in gleichem Range fanden, und gleihwohl auf der Lifte der ſieben Pfalz 
richter nicht vorfommen. Solche päbftlihe Großbeamte waren: der Bizthum, ?) 


1) Mabillon, museum italic. I, ©. 1 fig. 2) Ibid. ©. 4. 2) Jaffé, regest. 
©. 173. °) Pabſtbuch, Muratori I, a. ©. 152, Mitte. 6) Ibid. 162, b. Mitte u. 
166, a. oben. *) Ibid. ©. 142, b. )) Muratori, antig. Ikal. V, 708, 9 IA, 
© 771. 9%Iid © 773. *Y) Per U, 342. 















949 — Geb Gergeiiat Seltelit. 


(vicedominus) Saushofmeißer, der Bestiariud — and Bestararins') genmmi - 
Auficher über Kielver und Borräthe, der Oberfämmerer”) (cabicnlaris), dx 
Superifa.”) 

Schon hierand Tann man criehen, daß die Siebner der Ditenlihen 
faſſung als geſchloſſene, päbſtlich⸗kaiſerliche Regierungsbehörne, (in weider 
jpäter das Borbild der veutichen Kurfürften fand), nicht alt, fondern 
funfelnen waren. Andere Brkmde von unüberwintlicher Etärte kommen 
Wer wird fich einbilden,*) daß zu Rom von jcher ein Collegium briek 
welches gewifjermaßen zugleich die päbſtliche und wie laiſerliche Regierung 
torgte. War doch Otto AL der erſte dentſche Herrſcher, der in der She 
kadt danernd feinen Gig aufihing und keinir der ſpäteren Kaijer hat Im 
und zwar aus guten Grüuden — nachgeahmt. Kur auf Oue's Tage 
die ganze Beichreibung,, auf dieſe jedoch ſchlagend mis poingender Gauch 
Hätte das Ding nah Ouo's Tode länger gebauert, oder wäre «6 Wk 
in früheren Zeiten eingeführt geweien, fo würde unjägliche Verwirrung nah 
entfanden fein, vom welder die Ghroniten genug zu berichten hätten E 
jo vieltöpfige, tünftliche Regierungsmalchine mag für den YHugenblid und mis 
einem ®Babfte, der fo durchdringenden Verſtand, jo umerbittlidye Schatfe ki 
wie Sylveſter IL, ihre Wirkungen hervorbringen und im Gelciſe bleiben, ai 
für die Länge tangt fle nichts. Ich halte Eyivefter’s IL Grfindung für ji 
aber nicht für weile. 

Unzweifelhaft ift, daß Eyivefter IL, oder wenn man lieber fo wil, Wi 
Kaiſer Otto IH. unter des Pabſtes Einflug dem Siebner⸗Collegium Nasa 
von Aemtern zuwicd, die fhon alt waren, deren Träger aber jegt einen gan 
neuen Wirkungskreis, eine früher nicht erhörte Gewalt, cıhielten. 

Ueber Zufammenfegung und Ergänzung der Eiebner gibt*) cine vr 
Formel, meines Erachtens die widtigfte von allen, Aufſchluß: „wenn ) 
Stelle eined der fieben Richter zu bejegen ift, jo werde der Vorgeſchlagene v 
den Kaijer gebracht und durch den Primicerius eingeführt. Zuvörderſt jpri 
der Kaiſer zu Lebterem: mein PBrimicerius, fich wohl zu, ob Der, den du ve 
ftellft, nicht der Leibeigene eined Andern, und etwa nicht jo arm ift, daß 
des Geldes wegen mein Eeelcnheil in Gefahr bringen könnte. Dann went 
ji) ver Kaifer zu dem Bewerber mit den Worten: büte dich, Daß du nk 
bei irgend welcher Gelegenheit das Geſetz unſeres heiligften Vorgängers uf 
nianus verlegefl. Hierauf ſchwoͤrt der kunftige Richter: cwiger Fluch trei 
mich, wenn id je Solches thue. Dann nimmt ihm der Kaiſer dın Eid a 















*) Mabillon, museum italic. II, ©. 4. 3) Muratori, script. ital. III, a. 198, a. obe 
®) Berg III, 342. 4) Allerdings Carl Hegel, DBerfafler ber itatienifhen Städtegeſchich! 
if (I, 244 fig.) anderer Meinung! Geiſter, die mit lauter Philoſophie großgezogen wurbe 

häufig den Wald vor lauter Bhamen wit, ua der gefunde Menſchenverſtaud pfle 

darke Seite wit va —XX dv Serra. . DS, Wu, 


Siebtes Bud. Gay. 47. Finanzen n. Inneres Getriebe des Weltreichs. Die Siehner. 849 


8 das genannte Gejek aufrecht halten zu wollen. Dieß gethan, legt ihm 
Kaiſer den Prachtmantel um, fo zwar, daß die Agraffe des Mantelfchloßes 
d rechts, das Schloß ſelbſt nad links zu ftehen fommt, um anzubeuten, 
dem Richter hinfort das Geſetz geöffnet, falfches Zeugniß aber verfchlofien 
folle, gibt ihm weiter dad Buch der Sammlungen‘) in die Hände, [pres 
&d, nad dieſem Buche richte Rom, richte die Leoſtadt, richte die ganze 
Mt. Zuletzt umarmt ihn der Kaiſer und entläßt ihn.“ 

Die Hormel für Einjegung des Patriciers fchriceb vor, daß nur Herren 

des Kaiſers Umgebung, nur Vornehme und Reiche, zu den Aemtern des 
Rlihen Hofftaats befördert werden dürfen. Ganz anders lautet die Bes 
‚ung der Siebner. Es genügt, wenn der geiftlihe Bewerber nicht bettelarm 

fondern auf früheren Pfründen fchon etwas vorgeipart hat, und zweitens, 

un er nicht wirklicher Sklave eined Herrn ijt. Der Sohn eined Hörigen 
z er immerhin fein, aber er muß in diefem Halle perfönliche Freiheit durch 
n Löfebrief erlangt haben. Von andern, als diefen zwei negativen Bes 
Zungen, jchweigt die Formel. Allein va es eine der höchften Würden des 
ſerreiches ift, um die es fich handelt, da weiter in bündiger Weife ver 
andſatz ausgeſprochen wird, nur Sflaverei, nicht Niedrigfelt der Geburt, 
' völlige Eniblößung, nicht Geringfügigfeit des Beſitzes fchließe von der 
werbung aus, jo verfteht es ſich, daß der Urheber der Formel die Befähls 
ng zum Eintritt in die Behörde der Siebner nur durch geiftige Vorzüge, 
ch Verſtand, Wiſſenſchaft, Charakter bedingt wiſſen will. Stillſchweigend 
ldigt er derjelben Lehre, welche Pabft Gregor VII. mit den Worten auds 
fcht:?) „die römifche Kirche iſt, wie früher das weltliche Reich der Römer, 
r darum groß geworden, weil fie bei Auswahl ihrer Beamten nicht jowohl 
Glanz der Geburt, als auf Tugend des Geiſtes und des Körpers ſah.“ 
an darf überzeugt fein, daß Spyivefter IL nichts unterließ, die beften Ger 
iftöleute, die fähigften, ſchlauſten Cleriker in die Körperfchaft der Sieben 
zureihen. 

Den Vorzug aber erhielten Solche, die eine genaue Kenntniß des römi⸗ 
an Rechts befaßen. Denn unverhüllt tritt in der Formel die Abficht her⸗ 
„ das Geſetzbuch Juſtinians nicht blos in Rom oder im Kirchenftaate, ſon⸗ 
n im weiten Umfreife des Kaiſerreichs, ja in der ganzen chriftlichen Welt 

in urbe et orbe — zu außjcließlicher Geltung zu bringen. Das Werks 
g dazu folte das Siebner-Eollegium, als höchfte Gerichtsbehoͤrde der Chris 
ıheit, fein. Wir foßen bier auf einen fkühnen Gedanken, welder dem 
eiten Syivefter zu bleibendem Ruhme gereicht, jo gerechten Tadel dieſer 
ibſt auch fonft verdient. " 


1) Det ei in manum libram codicum. 2) Im Briefe am König Ullonsd von Kotllien, 
anf XZ, 341. 


rg ur sin Bad Gregorius VII un fein Zeitalter. 


34 habe an cincm audern Orte gezeigt, wie verderblich die deutidar 

ia allen Ländern des ehemaligen römijchen Reichs, wo fe ie 

warden, gewirkt haben; wie fie namentlich das Gut der Armen, kt 
eſtegten, der Romanen, den eingewanderten Bremdlingen, dem germaniide 

, preis gaben. Auch abgeſehen von der Unficherheit des romaniita 

Beige, dein Schuld man auf Rechnung der Lombardifa, Ealifa un & 
puaria fchreiben muß, brachte die Vielheit des rechtlichen Bekenntnifjes ums 
Noctgeil, weil fc die Verjhmelzung der verjebiedenen im einem und tw 
Land angeficbelten Elemente, der Romanen und Germanen, zu din 


H 


einheitlichen Nation hemmte. 
, Soon im adıten und neunten Jahrhundert wurde dieſes Uebel geh 
web beklagt. Eribiſchof Agobamus von Lyon jagt‘) im einer Zufcelit u 


& 


Ludwig den Frommen: „ein Öffentliches Unglück ift die Verſchiedenhe 

henden BVoltsrchhte, welche nicht nur zwiſchen Stadt und Stall 
der und jener Gegend, jondern jelbit mandmal zwifcen ven Bo 

— und deſſelben Hauſes eine Scheidewand aufführt. Zumela 
geigicht es, daß wenn Vier oder Fünf zuſammen gehen oder figen, Feiner ww 
ihnen unter dem gleichen Gejege ſtehet. — Wahrlib das Relch mürde me 
ſentlich gewinnen, die Menſchen würden befjer werden, wenn ein und ta 
felbe @ejeg- über Ulle herrſchte, denn die Vielheit erzeugt nichts als Zwietradt, 
nichts al endloſe Streitigkeiten und Verbrechen.“ Imsbejondere hebt‘) Apr 
barbus hervor, daß die von den Vollsrechten beförderte Gewohnheit des gu 
richtlichen Schwörens zu unzähligen Meineiven führe, 

- Etwas Aehuliches befagen nad meinem Dafürhalten gewiſſe am fit 
ſchwierige Worte") im Anhange zw der dritten unter ven oben angeführten 
Bormeln, welche andeuten, die ſchlimmſte Folge der Einfegung jener rohe 
barbariſchen Grafen auf italieniihem Boden jei die, daß fie Rechtslundig 
zwaͤngen, gleihfam in das römische Geſch hineinzuſchwören, d. h. vor rom 
niſchen Gerichten, deren eigenthümliches Recht doch in Fragen über Mein 
und Dein nur den Beweis aus Urfunden dulvet, den germanijchen Eid zu 
zulaſſen. 

Noch ſchlimmer als in Gallien geſtalteten ſich die Dinge in Jialen 
weil es dort der natürliche unaufhaltſame Gang der Begebenheiten war, was 
die Vielheit der Rechte erzeugte, während hier arglifiige Berechnung des jungen 
Kaiſers Lothar I. mittelft des Edilts von 824 vie verfchiedenen Stände der 
Geſellſchaft kuͤnſtlich wider einander verhept hat. Die Größe des Uebels läft 
ſich am beften aus den ſeltſamen Mitteln ermefien, welde Roth erdachte, um 


Int 


Dom Bouquet, recneil des histor. VI,366 ſig. *) Ibid. ©. 857 oben. 7) Oki 
AZ: D. 6.008. Divkiben ante Im Urtatı Ute au brbarl (women) je 


» in legem cogunt jarazı. 


Siebtes Buch. Bay. 47. Finanzen u. inneres Betriebe des Weltreiche. Die Giebner. 845 


ſbhülfe zu ſchaffen. Schon die Juſtinianiſche Geſetzgebung kennt) den Uns 
erſchied zwiſchen ordentlichen Richtern, welche bleibend an den Gerichtshöfen 
ngeſtellt find, und außerordentlichen, die der Kaiſer in beſondern Fällen zu 
kutſcheidung gewifier Sachen ernennt. Der nämliche Unterſchied ging auch 
uf die römifchen Gerichte des Mittelalters über, aber in eigenthümlicher 
Beife. Ich gebe zunächſt Beiſpiele. Auszug?) aus einem Protokoll vom 
jahre Ehrifti 943, dem erften des Pabſtes Marinus II.: „geurtheilt haben 
fe ordentlihen Richter Niklas, Primicerius, und Georg, Serundicerius des 
poftolifhen Stuhles.“ Der Auszug ift fo kurz, daß er die ungweifelhafte 
Inwefenheit anderer Richter, die einen Gegenfab zu den genannten ordents 
chen bilden, mit Stilfchweigen übergeht. Man lernt Tebtere fonft genug» 
sm fennen. 

Urfunde*) vom Juli 966: „Nectöftreit iſt ausgebrochen awifchen dem 
Ibte Georg von Subiaco und Dem fogenannten Kaiſerchen Peter wegen ge: 
iffer Aecker. Eine Gerichtöfibung wird angeorbnet, um die Sache zu ent: 
beiden. Hiebei erfcheinen erftend als ordentliche Richter Leo, Schapmeifter, 
nd ein zweiter Leo, SProtoferiniarius oder Kanzler des h. Stuhles, dann 
wei Richter, welhe man Dativi nennt, nämlih Johann und Wido, endlich 
18 Beifiger viele Edelleute.“ Alto neben den beiden orventlihen Richtern 
mten zwei andere. Dieſe lebteren heißen dativi, für welches Wort fonft auch 
ad einfache und matürlichere dati gebraucht wird. Der Sinn fann nicht 
weifelhaft fein, fle find von Jemand gegeben, d. h. für den befondern Rechts» 
all aufgeftelt. Unter dem Jemand darf aber nicht der Etaat oder die Bes 
örde verftanden werben, denn wäre von einem aus außerorventlichen Rich⸗ 
ern zufammengejegten Gerichte die Rede, fo würden nicht neben den ordent⸗ 
chen Richtern andere auftreten. Die Zufammenfegung des Gerichts würde dann 
ine gleichartige, nicht eine zerfebte, vielgeftaltige fein. 

Wohlan darüber, wer die Dativi gab, findet fih erwünjchter Nachweis 
ı den Alten der Rechtshändel des Kloſters Farfa. Die Presbyter des 
Stiftes zum h. Euftadhius haben den Abt Hugo von Farfa wegen gewiffer 
‚elen zugleich beim Pabft Gregorius V. und bei Kaifer Otto III. verklagt.*) 
Yiejer Prozeß aber fchließt eine Meinungsverfchtedenheit zwilchen dem Pabſte 
nd Kalfer in fih, da Dtto IIL, wie früher‘) gezeigt worden, mit dem Abte 
yugo das lombarbifche, Gregor V. dagegen mit den ‘Presbytern das roma- 
Ifche Geſetz angewendet willen will. An dem Gerichte, das zufammentritt, 
ehmen Theil erftlih von Seiten des Kaiſers — ex parte Domni im- 


1) Als Beleg möge folgende Stelle dienen: (Novell. 114. cap. 3) jubemus ordinarios 
diees (ds opdıyaplas dıxasds) — quamcungue litigatorum partem absentem in judi- 
um vocare. — Aliis antem omnibus judicibus, qui per imperialem jussionem causas 
mminant, — permittimus etc. 3) Muratori, antig. Ital. V, 768, | Eiehrtrrik 
a. O. I, 822. %) Muratori, soript. ital. II. b. ©. 605, Eiche vorn &. MR IN, 


die Gerichte einziehen mußte! 


846 "7 YahR Gregerins VII uub fein Seitelter- 


peratoris — eo, Archidiakon des Reihöpalaftes, und der Stabipräft N 
hann (der nachher als Dativns, nämlich des Kalfer, unterfchreibt), zweit 
die (ordentlichen) römifchen Richter Gregor PBrimicerius und Leo, Schapmeik 
der römifchen Kirche, vrittene von Gelten des Babes — «x put 
Domni papae — als Dative vefjelben Adrian, Peter, Paufns.” Ju cam 
weiten Protokoll, dieſelbe Sache betreftenp, werben bie nämlichen bier wkı 
dem Namen dativi aufgeführten Adrian und Paul, nicht dativi, ſondem di 
judices genannt.‘) Beide Worte haben eine unb diefelbe Bebeutung. 














nächften Beſten, fondern nur foldhe brauchen, welche Kenntuiß fewehl von 1% 
miſchen al® auch, wie ſich umten ergeben wird, vom germanifchen Sedie ie 
faßen. Kenntniffe ver Art werben aber nur durch beſendere Stubien 
Die man als Beruf treibt. Folglich brängt fi die Bermn 

es in Rom und an. andern Orten Itallens, vie ſich im gleicher Lage 
Kom befanden, eine befondere Klaſſe oder einen Stand von Menſchen ah, 
bie als Dativi ihr Leben zu gewinnen fuchten. Das beißt: man muß ann 
men, daß, obgleich die Befähigung zum Dations kein richterliches 
lieb — venn zu einem Hilförihter wurbe der Datious mur durch den vorlber 
gehenden Auftrag eine® Dritten — doch Manche einen Beruf aus ven & 
ichäften von Dativen madten. Vollkommen ftimmt die That mit dieſer Ber 
ausfegung überein: urfundlih kommen Männer und Yrauen zum Vorſchei. 
die ald Söhne oder ald Wittwen von Dativen bezeichnet werden. ?) 

Mas war die Wurzel, aus welcher die Anftalt der Dativ⸗MRichter ber: 
vorfeimte? Ohne Frage das unüberwindliche Mißtrauen, das, felt Lothar 1. 
jenes ruchlofe Geſetz erließ, theild zwilchen dem Wolfe verſchiedenen rechtliche 
Bekenntniſſes, theild und noch mehr zwiſchen den Mitgliedern germaniider 
und romanifcher Gerichte herrfchte. Keiner traute dem Andern Gerechtigkeit 
zu. Da nun die Bielbeit des rechtlichen Belenntniffes tauſendfach in das 
tägliche Leben eingriff, wurde durchgeſetzt, daß bei allen Streitigfeiten gemilhter 
Art die Partheien Dativi ernennen, und für fie Sig und Stimme in ba 
Gerichtshöfen fordern durften. 

Richt bloß aus dem oben entwidelten Gegenſatz zwiſchen Pabſt Gregor V. 
und Kaifer Otto III. erhellt der angebeutete Uriprung des Dattvo⸗Weſert, 
fondern noch klarer aus den weiteren Schritten de6 Abts Hugo. Diefer wer 
warf die Zuftändigfeit deö Gerichte, deſſen Zuſammenſetzung ich nachgewieſen 

1) Buratori a. a. D. ©. 50% unten. I) Beiſpiele: Uekunde vom Jahre 956 (Bew 
tuzzi, mon. rarennas. 1, Kir. WR), we dir Marsa, Mittwe des Dativns Audreas, Urkmir 
vom Jahre 855 (khrd. I, Pe, U}, wo cin yaaaan, Maker urh Delned Arne, enktull, 












Siebtes Bud. Cap. 47. Finanzen u. inneres Betriebe des Weltreichs. Die Siebner. 847 


Habe, ertroßte Aufſchub und erhielt eine Frift von etlichen Tagen. Run ging 
er nad Farfa heim. Zur feftgefegten Zelt erfchien er wieder zu Rom, aber 
er fam nicht allein, fondern er bradyte den Kloſtervogt Hubert und andere 
Iangobarbifhe Richter mit, die er dem Gericht als feine Dativi vorftellte. 
Wirklich wurden biefelben in der Eigenſchaft von dativi judices zugelaffen. *) 
Bor ſelbſt verfieht es ſich, daß Reichthum oder eine hervorragende Stellung 
in der Geſellſchaft dazu gehörte, um für den und jenen Prozeß Dativi zu er⸗ 
nennen. In der That ift von ihnen auch nur aus Gelegenheit fetter und 
großer Rechtöftreitigleiten die Rede. Yür Arme gab es keinen Echuß der Art. 
Vae minoribus! | 

Anzeigen liegen vor, daß dad Dativ-Wefen eine Auspehnung erhielt, 
welche Denen, die fi) mit den fraglichen Geſchäften befaßten, nicht blos vor» 
übergehenden Antheil an den ®erichten, fondern bleibende Aufträge von Seiten 
mächtiger Männer oder Anftalten verfchafft bat. Unter den Theilnehmern 
der roͤmiſchen Herbſtiynode vom Jahre 963 wird außer vielen Biſchoͤfen, Cle⸗ 
ritern, päbftlihen Hofbeamten — worunter der Primicerius Bonofilius und 
der primus defensor Sergius, mit andern Laien aufgeführt) ein Johann 
mit dem Beiſatz de primicerio. Was foll das heißen? Der nämliche Jo⸗ 
hann kommt in einer Urkunde?) vom Juli 966 vor, Johannes de primicerio. 
Ebenſo erſcheinen in einer dritten Urkunde‘) aus der Zeit des Pabſts Ste- 
phan VII. (929—931) als Gerichtöbeiftger ein Benedikt de Leone, de Azo 
und ein Heinrid de Sergius. Noch räthjelhafter Flingen die Unterfchriften 
eines Papyrus vom Sahre 998, welche fo Tauten:*) Johannes, Conſul und 
Herzog, weldher genannt wird de primicerio, Leo, Sohn Johauns de primi- 
cerius, Benedift der jüngere de imperatore. In die Mugen fpringt, daß mit 
den Beilägen feine Orte, ſondern blos der Kaifer, der päbſtliche Primicerius 
und hohe Beamte, welde Leo, Azzo, Sergins hießen, gemeint jein Eönnen. 

Ih halte nur eine Erklärung für möglid, nämlich diefe: die Genannten 
hatten fih mit jenen vornehmen Herm in ein dauerndes Berhältniß einges 
laffen, welches fie verpflichtete, den letzteren als Dativi Dienfte zu leiften. 
Eine Art gerichtlicher Vaſallenſchaft fand zwiſchen beiden Tcheilen flat. In 
der natürlihen Entwidlung des täglichen Verkehrs fcheint es mir zu liegen, 
daß die Anftalt der Dativi, nachdem fie einmal Wurzel gefaßt hatte, ſich in 
der angegebenen Weife weiter au&bilbete. 

Kehren wir zu unferem Ausgangspunkte zurüd. An das Privatrecht der 
Salika, Lombardika, Ripuaria und der fränfiichen Gapitularien legte das Siebner- 
Gollegium die Art. Diefe barbarifchen Gelege über Mein und Dein follten 
nicht bloß aus dem Kirchenftaate, fondern aus Stalien, ja aus dem Abendland 


1) Muratori a. a. D. IL, b. ©. 506. 2) Berk III, 342. ) Sierra. D- 
1 892. id ©. 818. °) Maripi papiri diplom, S. 108, dor Mile, 





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848 Babſt Gregorins VIL und fein Seitalser. 


verbrängt und durch die Romana erfept werden. Zugleich Tann fein Zweik 
fein, daß Otto III. oder vielmehr Pabſt Sylveſter II. entfchloffen war, va 
ganze Werk Zuftinians einzuführen. In der Beſtallungformel für die Siebne 
heißt es: „hierauf übergibt‘) der Kalfer dem neuen Richter das Bub de 
Handſchriften over Sammlungen.“ Nicht von einer Handſchrift i 
die Rede, fondern von mehreren. Bekanntlich befieht das Geſetzbuch Iufı 
nians aus drei Haupttheilen, den Digeften oder Panbelten, dem Gober m 
den Novellen. Bon allen dreien, fage ich, galt obiger Eag der Formel. 

Zwar haben deutſche Rechtsalterthümler mehrfach behauptet, nur bie Re 
vellen und etwa magere Auszüge der Panbeften oder bed Goder ſeien w 
dem zwölften Jahrhundert im lateiniſch⸗deutſchen Abendlande befannt geweſer 
Allein diefe Behauptung ift in ſolchem Umfange irrig. Das griechiſche Unter 
Stalten, das Erarhat Ravenna bis zur fräuftichen Eroberung, die ben bt 
zantinifchen Baſileis unterworfenen Fürſtenthümer im Iangobarbifchen üben 
Neapel, zeitenweiſe Gaeta, Amalfi, find flet nah juſtinianiſchem Recht gr 
richtet worden. Ebenſo gab es zu Rom bis ins zehnte Jahrhundert her 
Schulen des nationalen Rechts.) Wer wird fi nun überreben laſſen, ba 
diefen Orten je vollftändige Sammlungen des Juftinianifchen Befepbnds mar 
gelten! Selbſt im Iangebarbifchen Tuscien waren — und zwar währen br 
Stürme des achten Jahrhunderts — Eober und Pandeften befannt um g 
richtlih gebraucht. Theilt doch ein zu Arezzo im Jahre 752 abgefaßtes Gm 
achten?) Auszüge aus beiden mit.*) 

Mit dem NAugenblide, da die neue Weltverfaffung ind Leben trat, &i 
gannen bie römifchen Gerichte aus Pandekten und Coder Entfcheidungsgräni 
zu entnehmen. Diefe wichtige Thatfahe erhellt auß dem Urtheilfpruce ve 
2. Dezember 999, welcher den Iangwierigen Rechtshandel zwifchen dem Ab 
Hugo und feinen Gegnern beenbigte. Hugo's Gegenpart wurbe nämlich m 
Beziehung auf Gefebesftellen, die fi in den Digeften und im Cober finden, 
in contumaciam verurtbeilt.*). Der Ausgang zeugt von der Feinheit de 
Pabftes. Früher hatte Abt Hugo Allem aufgeboten, damit er nach der Lar 
gobardifa gerichtet werde, denn bei Anwendung der Romana wäre er unte 
legen, weil er, um zu fiegen, Grunpfäbe langobardiſcher Berjährung gelte 
machen mußte, welche weder der gefunde Menfchenverftand noch die Roman 
anerfennt. Sept aber entfchieden die Richter dennoch nach römiike 
Acht und zwar, ohne daß Hugo Wiverfprud erhob. Das ift begreiflid 





‘) Det ei in manum librum codicum. *) Siehe oben ©. 421 fl. ?) Murater 
antiquit. Ital. III, 869. *) Muratori II, b. &. 502. Die Entfcheibungsgründe lauten: qui 
Justinianus imperator praecepit: contumacem tertiavice vocamus: datum firmuı 
erit: item in alio loco idem imperator dicit: litigator si se subtraxerit et terti 
scclamatus non apparuerit, inter uhrentar Audieium datum firmum est 
Man vergl. hiemit Dig, W. b. a. 1.1 WU CART SUN LT TI 


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Siebtes Buch. Gap. 48. Das Syſtem her Glasglocke u. der beraufchenden Lehre. 849 


denn er fiegte, obwohl nicht auf die von ihm früher hervorgehobenen Gründe, 
fondern auf die römifche Lehre von der contumacia hin. Eingefchüchtert durch 
die hartnädige Abgeneigtheit des Kaifers und des neuen Pabftes, hatten Hugo's 
Gegner es unterlafien, der Testen Ladung Folge zu leiſten und deßhalb traf 
fie die Strafe der Widerſetzlichkeit. 

Die neue Weltverfaffung kam in Gang, doch dauerte dieß nicht lange, 
hauptſächlich weil der Widerftand des Mainzer Erzbifhofs Willigie und ges 
wife andere Berwidlungen dem Pabſte Syivefter einen Strih durch die Rech⸗ 
nung machten. Nad nicht ganz zwei Jahren ftürzte deßhalb das Fünftliche 
Wert in fih zufammen. Gfeihwohl haben von Allem, was Syivefter beab- 
ficstigte, feine Bemühungen für den Sieg des römiihen Privatrehts den 
meiften Erfolg gehabt und vergeftalt nachgewirft, daß im Laufe eines Jahr⸗ 
hundert ein Hauptziel feines Strebens erreiht ward. Man bevenfe: 35 
Fahre nad Sylveſters Tode erließ Kalfer Conrad IL das Geſetz,) daß bin, 
fort im ganzen Bereich des Kirchenftants nur nach der Romana gerichtet wers 
den dürfe. Zu gleicher Zeit .fommen in Lombarbien die erften Spuren von 
Schulen des römischen Rechts vor, und arbeiten die beften Köpfe unter dem 
Glerus, Männer, wie Lanfrauf, für Verbreitung und Erläuterung der Digeften. 
Endlich noch zwei weitere Menfchenalter ſteht es an, fo fchläft die Lombardika 
ein, um nicht mehr zu erwachen. Das Grablied aber fangen der gerichteten 
Verbrecherin die fiegreihen Schwerter der lombarbiihen Bürgerheere. In 
einer Beziehung verdient Sylveſter IL den Danf der Nachwelt, fofern er von 
Weitem ber den endlichen Sieg eines Privatrechts) vorbereitete, das 
zefchriebene Vernunft und Gerechtigkeit ift. 


Adtundvierzigfies Capitel. 


Tünfliche Mittel, welche Syivefter II. in Bewegung fepte, um den Kaifer in Abhängigkeit 
vom paͤbſtlichen Willen zu erhalten: Syſtem der Blasglode und der beraufchenden 
Lehre. Gine vierte römifche Formel, betreffend das Bürgerrecht, liefert den Beweis, 
daß Sylveſter II. und Otto III., doch jeder in verfchiedenem Sinne, die Erbfürflen von 
Bolen und Ungarn in den Bereich der neuen Weltreichverfaflung hineinzuziehen trachteten. 


Beim erften Anblick erjcheint e8 wie ein Wunder, daß dem Pabfte — 
venn auch nur für kurze Zeit — gelang, den Kaiſer Otto, der doch in feiner 
Jugend der eigenen Mutter und Großmutter vielfahe Verlegenheiten bereitet, 
ven Lehrern getrogt, fpäter den zum Pabft eingefepten Namensvetter aus lauter 
Eitelfeit und Eigenfinn dem Tode geweiht hatte, ver endlich unverkennbare 


ı) Berg, log. IL, a. 40. 3) Ich unterfcheive nämlich im Suftinianifchen Werke drei 
Beftanbiheile; erfllich das Fürſtenrecht, zweitens das Strafrecht, bezüglich deſſen ich dem ger⸗ 
saniichen Berfahren den Vorzug gebe, brittend das Brivatregt, non dem en wüinet 
laoſyruch gilt. . 

Ofsöres, PabR Gregorins VI Bb, V, 64 


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850 Pabſt Gregorius VII. und fein Seitalter. 


Spuren einer in der alten Kaiferzeit häufigen Kranfheit, nämlich des Herrice: 
wahnfinns, verrieth, alfo zu gängeln, daß er nicht that, was er wollte, is 
dern das, was feinem faktiichen Vormünder, dem Pabſte gefiel. Lieber vie 
Hebel, welche Eylvefter zu diefem Behufe in Bewegung feßte, gibt feine Forme 
Aufſchluß. Denn das Ding läßt fih nicht in Formeln faſſen. Dennoch kam 
man das Getriebe mit den Quellen in ver Hand nachweiſen, allein feld 
Unterfangen ift darum ein wenig bevenflich, weil man in ein Gebiet eindringn 
muß, welches zu betreten ber Ausſpruch eines deutſchen Etaatsminiiter 
„beichränftem Untertbanenverftande” bei Strafe verbot. 

Aufgabe: in Zeiten der Abfpannung, eines gewiffen Marasmus, in Zeim 
ferner, wo in hohen Sphären wenig geiflige Kräfte vorhanden find, mitte 
der Fürften die Staatsmafchine alfo zu lenfen, daß der Erfolg dem Vortheil 
einer Parthei oder gar eines einzelnen nicht fürftlihen Tauſendkünſtlers eu 
ſpricht. Erſtes Erforderniß: eine Lehre muß aufgeftellt werben, welde nut 
Dben die Anſprüche fürftliher Gewalt jo hoch als möglich ſteigert, nad Untn 
aber völlige Unfähigkeit des UntertbanensBerftande verfündet, und dabur 
Allen, : die nicht im Bunde find, den Muth nimmt, irgend etwas Freies m 
fagen und am Ende zu denken. | 

Eine folhe Lehre war 3. B. zu den Zeiten der Stuart die Theorie ven 
göttlichen Rechte der Könige, das ihnen geftatte, alled Beliebige zu thun. Mi 
minderem Aufwand theologiſcher Nevensarten, vie oft Fein Glück maden ok 
gar Berlegenheiten bereiten, läßt fi auch die Lehre vom hiſtoriſchen Redi 
für ähnliche "Zwecke benügen. Cine naturgemäße Monarchie, eine geſunde 
Staatsgewalt bedarf folder fünftlihen Krüden nicht, denn Die vertheiviar nt 
ſelbſt nicht durch Morte, fondern durch die That. Wo fte in voller Krafı ki 
fteht, FANt e8 feinem Menſchen ein, auf Neuerungen zu finnen, oder fi ein 
bilden, daß es anders fein follte. Aber in ungefunten Machtgebieten if ti 
fraglihe Theorie ein brauchbares und faft nothwendiges Mittel, weil fir mi 
ein Taumelbecher wirft, ter Die Epige des Etaatd in die gehörige Stim 
mung verießt. 

Bekannt ift, daß Nhilofophen, getaufte und ungetaufte, fowie antır 
Geifter, welche befonvere Anlage für Erfinding gewinnbringender Nkın 
taſie ſtücke beſitzen, vorzugsweiſe geeignet find, Die fraglicden Theorien audıw 
brüten. Wenn leßtere recht in Flor fommen, ift es ein unfehlbarer Beweis. 
daß etwas Franf ift in Dänemark, und zweitens daß über kurz oder lam 
ein Umfturz bevorfteht. 

Zweites Erforderniß: eine Glasglode muß bereitet werden, welde hi 
Eigenſchaft befigt, den Herrfcher, in deffen Namen das, mas beabfictigt wirt, 
geichieht, hermetifch gegen jeden Einfluß folder Perfonen und Gewalten ab 
ſchließen, die das Vertrauen des Künſtlers nicht genießen. Die höechſte Pa⸗ 
fon ſoll mit unberingter Keruchalung er ten un Ten quaänglic fein 


Siebtes Buch. Cap. 48. Das Eyftem der Elaeglocke u. der beraufchenden Lehre. 851 


welde das Gleiche, Bewußte wollen. Das Maß der Mahrfcheinlichkeit, bes 
ſagtes Gebläſe in geringerer oder gröfierer Güte herzuſtellen, wird durch bie 
Kleinheit der Reihe und Etaaten bedingt. In großen Monarchien gelingt 
der Buß felten, aber in fleinen und kleinſten findet man die Glasglocken zus 
weilen von hoͤchſter Vollkommenheit, alfo daß felbfi Steuermänner von bes 
fchränfter Geifteöfraft in Etand gefeht werben, eines ungetrübten Machtges 
nufjes fich, und zwar oft für Tange Zeiten, zu erfrenen. 

Mittelft diefer technifchen Auseinanderfetung habe ih ten geheimen Zus 
ſammenhang Defien enthüllt, was 999 zu Rom im Palaft auf dem Aventin 
vorging. Otto III. war von folder Gemüthöbeidaffenheit, daß er Alles verabs 
fcheute, was ihn hinderte, feinen Einfällen nachzuleben, und nur Diejenigen liebte, 
welche bereitwillig auf feine Bhantaften eingingen. Die Klugheit gebot daher, 
ben Ausftrahlungen feines Ich einen ungehinverten Spielraum zu eröffnen. 

Run frage ih: konnte dieß füglicher geſchehen, als durch jene in der 
Graphia niedergelente Theorie, die ficherlich den Hoffreifen des Aventins abs 
gelaufcht ward, und die ungeſcheut verfündigt: nächſt Gott dem Allmächtigen 
iſt Kaiſer Dito die zweite Perfon der Schöpfung, ihm gehört die ganze Melt, 
Europa, Aften und Afrika, ihm fteht ausfchließlich Geſetzgebung und Verwal⸗ 
tung des Gemeinweſens der Römer zu, er darf von Rechtswegen befehlen, 
anorbnen, treiben und fordern, was ihm beliebt. Solche Orakel feßten den 
jungen Yürften in eine angenehme und behaglihe Etimmung, welhe nod) 
burch geeignete Rüdfiht auf feine Etudien gefleigert ward. Gerbert hatte 
ihn auf „zweckdienliche Weiſe“ in die römifche Geſchichte eingeweiht. Nicht 
Ichwer Fonnte e8 daher werben, darzuthun, daß Otto III. ein zweiter Romus 
nd, Brutus, icero, Cato, Batilina, Auguftns, Tiberius, Nero, Hadrian, 
Sulla, Marius, Diofletian, Eonftantin, ja noch mehr als alle zufammen el. 
Unten werde ich zeigen, daß auch Epiegelbilder aus dem Kreiſe des großen 
Sranfen Carl nicht gefpart wurden, um das Echattenfpiel zu vollenden. 

Zweitens, die Glasglode betreffend, ift Mar, daß Syivefter II. Fleiß 
sufiwenden mußte, damit dem Kaifer erftlich ſolche Stafiener, die auf den Ge⸗ 
yanfen geratben mochten, entweder aus Ehrgeiz Dtto III. in eine andere Bahn ' 
zineinzulenken, oder aus Anhänglichkeit für feine Perfon ihn zu warnen, ſowie 
we'tens alle felbfiftändige Deutfche ferne gehalten würden. Die Formel für 
Beftallung des Batriciers bezeugt, daß im weltlichen Hofftaate fi lauter 
Herren befanden, die fein Ueberfluß an Witz zum Hochmuth verleitete. Die 
Erhobenen begnügten ſich ohne Zweifel mit den Genüſſen und Annehmlichkeiten 
es Aventin und des Staatsihagee. Der Tuscier Hugo, ein Mann von 
ihnlichem Charafter wie Eylvefter IL, und darum an fi verbädtig, war 
lem Anfcheine nach gewonnen und fpielte mit dem Pabſte zufammen. Bon 
iefer Seite brauchte alſo Eylvefter nichts zu befürchten und ungehtutert kon 
en die Sieben, die als Blerifer vom Pabſte abbingen, in tem Siam rt tie 

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852 WabR Gregerius VII. und fein Zeilaller. Kar 


theilten Borfchrift wirfen. Die einzige ernfliche Gefahr drehte von | 
fand her. Denn dort lagen die Wurzeln ver wirklichen (nicht agihech 

- Macht Otto's III., und wenn fe irgend einem Sterblichen, fm cd wall 
"Großen zu, dem unglüdlichen cher die Augen zu öffnen. 

Gerbert verfäumte Nichts, um biefe Kippe zu umfchiffen, es „ide I 
aud) bis zu einem gewiſſen Grade. Run iſt es Zeit, ein Zeugemehit up 
flellen und das Ergebniß der Formeln durch die Ausfagen von Cieiin A 
ergänzen. Biſchof Thietmar von Merjeburg ſchreibt: ) „NKaffer Die IL 
wollte das vergeffene Weſen der alten Römer herftellen, und that wei 
Bieles, was Manchem nicht gefiel. Er fpeidte allein auf erhöhten Pier & 
halbrundem Tiſche.“ Bei Tafel tritt am Haufigſten der natlrfide Ball 
hinter dem erborgten angefünftelten herwor und wird Ginfläffen Wer MAN 
lich. Die neue Hofordnung forgte dafür, daß ſolche Ergüſſe nicht Wilhd 
fonnten: gleich einem Gotte fpeißte der Kaifer allein. Im Uebrigen Im E' 
"daß Thietmar nur ungern und mit Innerem Widerfireben dieſe Saite ve! 
Er fchämte fi deſſen, was am kaiſerlichen Hoflager vorging. 

Offener rüdt?) die Chronik von Kammerich mit der Sprache mal: 
„Dtto III. hielt damals Hof zu Rom in dem alten Kalſerpalaſte auf wa 
aventinifhen Berge. In jugendlicher Ueberſchäzung feiner Kräfte und ken 
Hausmadıt, verfiel er auf den großen aber unausführbaren Gebanfen, de 
einftige Herrlichkeit ded Römerreiche® herzuftellen. Auch die ſtrenge Kirden 
zucht, welche durch den Geiz und den geiftlihen Handel ver Römer zerfeln 
war, wollte er wieder auf die ehemalige Reinheit zurüdführen. Und um weh 
defto leichter bewerfftelligen zu können, erwics er den Römern das gräßk 
Vertrauen; er 309 fie überall als eingeborne und der alten Gebräuche hr 
dige Leute feinen Deutſchen vor, und folgte ausfchließlich Ihrem Rath.“ Mar 
bemerfe die fonderbare Logik: weil die Römer fih von jeher als habfüchti 
und treulo® gezeigt hatten, fchenfte Dito IIT. ihnen ausfchließliches Vertrauen. 
Gleichwohl hat Otto III. genau nach diefer Art zu fchließen gehandelt. 

Ein Dritter, Thangmar, Biograph des Hiltesheimer Biſchofs Bermwart 
auch Augenzeuge, der felbft das Leben zu Rom mitgemadt bat, ftimmt bei 
Aus Gelegenheit des großen Aufftandes von 1001 Täßt”) er den Kaifer alle 
von einem Thurme herab zu den Römern ſprechen: „böret auf die Worte 
Eured Vaters und beherziget fie. Seid Ihr meine Römer, um deren Willen 
ih Vaterland und Verwandtſchaft verließ! Habe ich nicht Euch zu Tieb die 
Sachſen und alle Deutiche, mein Fleiſch und Blut, fortgeftoßen! (projeci) habe 
ih Euch nicht in die entfernteften Theile der Erde geführt, wohin Eure Bäter, 
bie damaligen Herren der Welt, nie ihren Fuß febten, habe ich nicht baburd 
bewirkt, daß der Ruhm Eures Namens überall verherrlit warb!) ud 


1) Berk TIL, BL, Mitte RR TE. RUN, 770. 9) Di 
meint die Reife nach Enelen, von wider wnlen ie Ar an U, 
























btes Buch. Gap. 48. Das Syſtem der Glasglocke u. der beraufchenden Lehre. 858 


an Kindesftatt angenommen, Euch Allen vorgezogen unp chen dadurch 
Aller auf mich geladen. Zum Danfe dafür habt Ihr Mi Euren 
erworfen, habt Ihr meine liebften Freunde ermordet, und geht damit 
ch aus der Etadt zu vertreiben.” Dan fieht, e8 war am kaiſerlichen 
: Ichlimme Empfehlung, ein Deuticher zu fein. Wie Ausfäsige ſchob 
Etammgenofjen des Kaiſers zur Seite. 

8 dieſer und ähnlicher Künfte der Täuſchung, die darauf abzielten, 
jer hermetiih gegen alle fremde Einflüffe abzufchließen, öffnete doch 
ende ded Jahres 999 eine unbefannte Hand, die ich für die des 
Erzbiſchofs Willigis halte, den um die Perſon des Herrichers ges 
Kreis, aber ſeitdem findet man auch, daß das Bitter verftärft, enger 
det ward. ALS legte Verpuppung verwandelte fih der balbbyzantinijche 
I des Aventin in cinen Mönchs⸗ oder Pabftkaifer, der Palaſt jelbft 
Klofter. Das Schreiben,') weldhes Dtto III, zurüdgefommen aus 
nd vol Zorns, an Spivefter II. erlich, beginnt mit den Worten: 
men der heiligen und untheilbaren Dreifaltigkeit, Wir Otto, Knecht 
ftel, und nad dem Willen Gotted des Seligmaderd, Kaiſer der 
' Sn mehreren Urfunden?) aus der Zeit nah dem Jahre 999 nennt 
leichfalls „Knecht Jeſu Ehrifti” oder „der Apoftel.” Meines Erachtens 
urjprünglid aus Trotz gegen den Pabft obigen Titel angenommen; 
e damit fagen: Ich bin fo viel als Ihr. Dennod flug der Wechfel 
theil des Pabftes aus. Die zwei früher erwähnten Urfunden Otto's III., 
en Stuhl von Bercelli und den Anmaßer Ardoin, betreffen, find aus⸗ 
inter dem November 1000 zu Rom im Palaftklofter.”) Wie man 
ar der aventiniſche Palaſt, oder wenigftend ein Theil defjelben, zum 
umgeftaltet. Alſo fonnten in der Regel nur Glerifer oder Mönde 
atritt zu ihm finden, Cleriker, die unter des Pabſtes Auffiht ftanden. 
it Gewalt und ohne Zweifel wider den Rath Aller, die ihm wohl; 
hatte Otto die Erneuerung Defjen, was er alted Römerreid, nannte, 
est, feinen Wohnfig dauernd in Rom aufgeihlagen, und den Pabſt 
V., weil er dem verderblichen Plane entgegenarbeitete, dur ein Vers 
befeitigt. Neben einem Kaiſer aber, der zu Rom thront, gibt es für 
abhängigen Pabſt feinen Raum, und dod muß jeder Pabſt — man 
hl jagen kraft Naturnothwendigkeit — die Unabhängigkeit des Stuh—⸗ 
ri in jeder Weife vertheidigen. Mit dem Augenblide der fogenannten 
erftellung des Reichs geriethen daher Krone und Tiare in Kriegsſtand 
mander. Mittel des Zwangs, Waffen, konnte Eylveſter IL nicht ans 
denn ein Pabſt iſt fein Krieges und Heeresfürſt, ſondern nur Künſte 
jerß, leg. II, b. ©. 162. 2) Nachgewieſen Jahrbücher des beutfchen Reiche IL, b. 


lg., Rote 3. ?) Memorie di Torino, serie segonda, TU, db. &. 351 u. Toh\ 
In palatio monasterio.” 





854 ZebR . web ln Sellelise. 
ver GR, und wenn — er De in Bewegung fir, mag man Die imma 





auf dem Unvenien Eytochers, nämlich Die Thatjache, daß er aid Poll 
und viclieidht noch mehr ald Bewerber um Pie treifadge Sirene, zu den w 
Echsten Unteruchmen Otto's IIL vie Hände bet. Er Hätte ſich, gleich Bw 
gor V. wirerjegen, nicht aber daß Bertraum des laijerlichen Romantiled © 





alten römilten Gäjarn unterworfen geweien war, nämlich anf Bolm wi 
Ungarn. Eeit anderthalb Menſchenaltem hatten die Ottonen begonm, 
diefe beiden Rachbarreiche unter dem Vorwande der Belchrung zu bewälign 
und in zinspflichtige Kammergebiete zu verwandeln. Beide follten jept vs 
dem Joche deutidher “Dienfibarfeit befreit, und dagegen in eim eigemthämlidch, 
aber noch unllared Berhältniß zu „Rom“ gebracht werden. Gin weite 
Altenfud — das vierte — gibt hierüber Anfichluf. 

Die Ueberſchrift) lautet: „Art und Welfe, wie Einer zum Römer aufge 
nommen werden ſoll.“ Der Tert ift alſo abgefaßt: „wenn Einer Römer pa 
werden wünjct, jo ide er in aller Demuth feine Getreuen an ta 
Kaijer und ftelle durch fie die Bitte, daß ihm geftattet werde, dem römiiden 
Geſetze zu huldigen und Aufnahme ind römijche Bürgerrecht zu empfahen. 
Und wenn dann joldic8 Anjinnen dem Kaijer gefällt, jo ift aljo zu verfahren: 
der Kaiſer halte eine Sitzung mit feinen Großridtern und Meiftern.?) Zwei 
der Richter treten fodann mit gebeugtem Haupte vor den Kaiſer, fpreden: 
unfer Eäjar, was gebeut Dein höchſter Wille? Der Kaifer erwiedert, daß die 
Zahl der Römer vergrößert werde. Demgemäß ertheilen Wir dem Bewerkr, 
den Ihr heute angemeldet habt, das Bürgerrecht und befchlen, daß man ihn 
in dad Verzeihniß der Bekenner des römischen Geſetzes eintrage.* 

Es handelt fi hier nicht um kleine Leute, oder um Einzelne, die zu 
Rom fi nicderlaffen wollen, fondern un etwas ganz Andercd. Die, von 
welden die Rede iſt, haben Getreue, vermögen Oefanttichaften nad Rom ju 
ſchicken, fie find aljo große Herren, und denfen ficherlid nicht daran, was fr 
an Land und Leuten auswärts befigen, aufzugeben, fondern fie wollen, in bet 
Berne bleibend, Römer werden. Aus dem Folgenden wird ſich ergeben, da} 

) Gieſebrecht a. a. D. IL, 824 unten fla 3) Sedeat cum optimatibus suis jed- 


eibus atque magistris. Die Eiebner {nd gemeint, aber wir mekmürhiq, Daf fie der Sitel 
magistri einpfangen! In Wohrhe woren Io Die% II Dirier un Wuceisen. 






Siebtes Unch. Cap. 49. Belehrung Ungarns. Die Könige Geifa u. Gtepfant. 855 


ie Formel auf die Erbfürften Stephan von Ungarn und Boleslam Chrobry 
on Polen zielt, mit denen, ald der Tert abgefaßt ward, bereits Unterhand- 
ıngen im Gange geweſen jein müfjen. 

Das Wort Römer Romanus, wie fonft der Ausdruck respublica Roma- 
orum, bezeichnete ein bloße® Gedankending und hatte daher feinen prafti- 
den Einn, auch faßten es der Kaiſer und der Pabft verſchieden auf. Dtto III. 
erftand darunter, daß der Neuling fi der durch die Weltverfafjung von 
99 gefchaffenen neurömifch-Fatferliben Majeftät, aljo am Ende ihm — Otto III. 
:lber — unterwerfe. Der Pabft dagegen verlangte, der Angemeldete folle als 
tömer den ypäbftlihen Stuhl und nur dieſen als Oberherrn anerfennen. 
Inten wird ſich zeigen, daß über die Bedeutung des Worts Streit zwiſchen 
zeiden entftand, fowie daß hiebet der Pabſt im Vortheile blieb, Dito LIL 
agegen und noch mehr das deutſche Reich über die Maaßen zu kurz fam. 


Heunundvierzigfies Capitel, 


wifchenereignifle, die Muhme Otto's III., Aebtiſſin Mathilde, welche er 997 zur Reiches 
verweferin beftellt Hatte, und auch feine Großmutter, bie Kaifesin Witwe Adelheid, 
fterben fchnell weg. Lebtere ficht das Unglüd ihres Enkels voraus und erkennt in 
Pabſt Sylveſter II. den Verderber deflelben. Das Reich Ungarn. Rüdblid auf die 
ältere Geſchichte der Magyaren. Schwarzs und BWeißslingarn verſchiedene Sprachen 
und Stämme im Lande. Dewiuz⸗Geiſa und fein Sohn Waick⸗Stephan begünftigen das 
Chriſtenthum nicht blos wegen des Glaubens, fondern zugleich in der Abficht, mit Hilfe 
ber Kirche eine regelmäßige, das ganze Land verbindende Monarchie aufzurichten. 


Ehe id) zu der ungariſchen und polnifhen Verwicklung übergehe, muß 
ber gewifje Ereigniffe berichtet werden, die indeſſen anderöwo eingetreten 
aren. Otto III. hatte, ehe er im Spätherbite 997 ven zweiten Römerzug 
atrat, feine Muhme, die Aebtiffin Mathilde von Quedlinburg, zur Reichs⸗ 
»rweſerin beftellt.‘) Der Mönch von Quedlinburg, welcher freilih es zu⸗ 
eilen mit der Wahrheit nicht genau nimmt jondern zu färben liebt, vers 
chert, daß fle das ihr übertragene Amt mit Ruhm und Gewifjenhaftigfeit 
erwaltete.?) Mathilde ſtarb unvermuthet den 7. Februar 999; als Aebtiffin 
lgte ihr Otto's III. jüngere Schwefter Apelheid, Nichte der verftorbenen 
Rathilve. Das Reichsverweſungsamt blieb unbejegt, obwohl der Aebtijjin Tod 
ſchnell als möglich theild dem jungen Kaiſer nad) Rom, theils ihrer Mutter, 
er alten verwittweten Kaiſerin Adelheid, angezeigt worden war. 

Die Mutter überlebte ihre Tochter nur um zehn Monate. Erjchütternd 
, was Oberabt Odilo von den lepten Zeiten der verwittweten Kaijerin 
Iroßmutter berichtet.) Sie war — wie es fcheint im Yrühjahr 999 — 
ah ihrem Helmathlande Burgund verreist, um dort gewille zwiſchen dem 


*) Oben ©. 648. °) Perb II, 75 fig. ) Berk IV, 6A2 Ile, 


— 
856 Debl Gregorins VIE and fin Setalter. 


König Rudolph III., dem Neffen der alten Katjerin, und deſſen meuteriiden 
Bajallen ausgebrodene Zwiftigleiten beizulegen, was Ahr ur. Aheilweile gr 
lang.) Der Biograph führt‘) ven Leſer mad dem ſchönſten Punften ter 
wölfchen Schweiz, die dem Verfaffer vorliegender Gefchichte als ugs 

befannt find, aber in den Quellen des früheren Mittelalters 
nur jelten erwaͤhnt werben, nad Et. Maurice in Wallis, nad Laufann, 
Genf, Drbes, endlich nach Peterlingen, umwelt des Neuenburger Sees. Yung 
der Sinnemwelt abgeftorben und nur dem Gedanken am die Eroigfeit hing 
geben, betete Adelheid in den verjciedenen Kirchen des Landes, namentlis 
zu St. Maurice am Grabe des h. Mauritius und feiner ‚Benofjen, und vn 
theilte, wie immer, reihlihe Almoſen. 

As fie ſich eben anſchickte, Et. Maurice zu verlafjen und nad Gef 
abzugeben, erhielt fie Nachricht, daß jener Biſchof Franco von Worms, einer 
der Bertrauten ihres Enfeld, des Kaljers Otto, plötlich weggeftorben fe. 
Diefe Kunde erfüllte fie mit Grauen: „o Gott, rief fie aus, was ftcht nd 
meinem Enfel dem Kaiſer bevor. Im Geifte jehe ih: viele Andere werden 
in Italien um ihn fterben, zulegt wird das Todesloos ihm felber treffen, den 
legten Sprofjen des Faijerlihen Haufes, und dann werbe ich ſchutlos u 
verlafen in der Welt daftehen. O Herr des Himmels und der Erbe! af 
mich das nicht erleben, nimm mich von binnen.“ Adelheids Gebet warb cr 
hört. Sie ſtarb um Mitternacht zwiſchen dem 16. und 17, Dezember 999 
im elfäßiichen Klofter Selz, das fie gegründet hat. 

Die alte Hefuba erkannte prophetiih den nahen Untergang Otto's II. 
und des fähflihen Herrſcherſtammes. Doppelter Schmerz für fie, daß fie bi 
folder Einfiht dem unglüdliden Enkel doch nicht helfen konnte. Kurz nah 
dem Tode der Adelheid, jchrieb der Oberabt von Clugny, der im ben legten 
Jahren viel_um fie gewefen fein muß, das Furze Denfmal ihres Lebens, das 
ebenfo fehr ihm felbft als die alte Kaiferin ehrt. Jedenfalls ift das Büchlein 
geraume Zeit vor dem Ende des Pabfts Sylveſter II. verfaßt, Nun wird 
Niemand läugnen, daf tie Worte, welde er der Kaiferin in Mund legt, und 
welche Adelheid ohne Zweifel wirklich geſprochen hat, einen herben Tadel 
des von dem regierenden Pabft gegen Otto III. eingeleiteten Verfahrens 
enthalten. p 

Wenige Tage, nachdem ihm die Kunde vom Tode der Großmutter zus 
gefommen fein Fann, trat Dtto III. die Reife nad) Polen an. Ich follte vaber 
zunäͤchſt diefe beſchreiben, allein Gründe, deren Gewicht unten hervortreten 
wird, beftimmen mich, vorher der Verhandlungen mit Ungarn zu gedenten, 
die allerdings genau mit den Vorgängen in Polen zufammenhängen. 

Das wilde Volk der Ungarn ift im Laufe des zehnten Jahrhunderts für 


EEE a Perg IV bar {ig "ober die Zoh. dr Reale Race, Ta en ZU 


GSiebtes Buch. Gap. 49. Velchrung Ungarns. Die Könige Geiſa u. Stephant. 857 


Die byzantinischen Rahbarn im Süden, wie für die germanifchen im Nord» 
weten, ein Gegenſtand des Schredens, eine Bottesgeißel geweien, und nicht 
viel fehlte, daß fie unter Ludwig dem Kinde und. Conrad L das deutſche Reich 
vernichtet hätten. Erft der Sieg, weldyen Dtto 1. auf dem Lechfeld im Sommer 
955 wider fie erftritt, ftedte magyariſcher Wuth dauernde Grängen; ſeitdem 
begann eine Rüdwirfung deutſcher Macht auf den magyariihen Staat. Doch 
noch che es jo weit kam, hatten Byzantiner es verfucht, durch Ausſendung 
von Belchrern die gefährlihen Nachbarn zu zähmen. 

Der griehifche Ehronift Georg Cedrenus meldet:) „(ums Sahr 950) 
fam Bulojudes, ein Zürft der Türfen, unter dem Vorwande, den chriftlichen 
Glauben anzunehmen, nad Eonftantinopel, ward daſelbſt getauft, aud von 
Kaifer Eonftantin, dem Purpurgebornen, (912—959) mit der Würde eines 
Patriciers begnadigt. Reichlich befchentt kehrte Bulofudes nad feiner Heis 
math zurüd. Bald darauf begab fih ein anderer türkiſcher Fürſt, Gylas, 
derjelben Abficht wegen, nah Byzanz; er ward getauft und in gleicher Weiſe 
behandelt wie Buloſudes. Bei feiner Rückkehr nahm er den Mönd Hies 
rotheus mit fi), welden der byzantinifhe Patriarch Theophylakt (933 bie 
956) zum Bilchofe der Türken geweiht hatte. Hierotheus befehrte viele 
Zürfen, aud blieb Gylas ſeitdem dem Glauben treu, machte feine Einfälle 
ind byzantiniſche Reich mehr und faufte gefangene Ehriften los. Bulojudes 
aber fiel wieder ab, befriegte die Byzautiner häufig mit allen feinen Leuten. 
Als er einft das Land der Franken ausplündern wollte, warb er gefangen 
und auf Befehl des fränfiihen Könige Johannes gehenkt." Statt die 
Könige „Johann,“ nennt‘) ein anderer gleichzeitiger Byzantiner, Johann 
Scylizes, den deutichen König Dtto, und durch dieje Feine Verbeſſerung wird 
der Bericht des Cedrenus Har.. 

Unter den Türken muß dad Volk der Magyaren verftanden werben, das 
wirflih einem und demjelben Hauptftamme mit den heutigen Zürfen, nämlich 
dem finnijchen, angehört und daher mit gutem Bug In mittelalterlihen Quellen 
da "und dort den Namen Türken empfängt. Selbſt auf dem griechiſchen Un⸗ 
terfaß der Krone, welche, wie unten gezeigt werden ſoll, König Stephan I. 
aus den Händen des Pabſts Eyivefter erhicht, wird das Oberhaupt des mas 
gyariichen Volks Kral, d. h. König, nicht der Ungarn, jondern der Türken 
genannt.) Auch was Cedrenus über die Innern Zuflände der Magyaren 
meldet, befömmt durch die deutichen Berichte bezüglih des Einfalld von 955 
feine Beftätigung. Die Ungarn hatten damals nod) feine gemeinfame Nas 
tionalobrigfeit, fondern fanden unter verfchiedenen Zürften, die auf eigene Fauſt 
Krieg führten. „Drei Herzoge des Volks der Ungarn,“ jo jchreibt’) Wis 


1) Die Beweisftellen gefammelt bei &frörer, Kirch. Geſch. III, 1373. 2) Pertz XL, 
©. 233, Note 34: xpains Tovoxias. 95) Berk III, 459, Mitte: tres duces gentie unga- _ 
riae capti — mals morte, ut digni erant, multati sunt;, suspendio namape Creyustun. , 


858 Pabſt Gregoriud VIL und fein Seitalter. 


dufind, Chronist von Corvey, „wurden nah der Schlacht auf dem Ledieh 
fliehend gefangen, und endeten, jo wie fie ed verdienten, fie verzappelten noaͤm⸗ 
ih am Galgen.“ Roh ift -der Ausprud des ſächſiſchen Mönchs, entipridt 
aber der Volkswuth, die um die Mitte des zehnten Jahrhunderts bei den 
Deutihen gegen die magyarijchen Dränger glühte. iner der aufgehenlten 
Herjoge muß der von Cedrenus erwähnte Bulojudes geweſen fein. 

In der bereitd angedeuteten Weiſe beutete fofort König Otto I. den Eich 
über die Ungarn aus. Mittelft der Waffe chriftlider Belehrung follte dad 
wilde Volk deutſchem Einfluffe unterworfen werden. Die Zeiten der Kir 
famfeit des Biſchofs Piligrim von Paſſau jowie der Gründung des Man— 
gebietd an der Ens und der mittleren Donau begannen.) Im Bunde mit 
dem erften Markgrafen von Oſtrich Burfard?) und wohl audy mit dem zweiten, 
dem Babenberger Liutpold, ſchickte Piligrim Schaaren von deutſchen Moͤnchen 
und Ganonifern hinunter nad Möften, um das Kreuz zu verfündigen. Yukeı 
der jedem Cleriker obliegenden Pfliht, war «8 die ehrgeizige Hoffnung, ven 
Paſſauer Stuhl zur Metropole Ungarns zu erheben, was den Bildof Bil 
grim zu jenen Kraftanjtrengungen begeifterte. Und wirklich gelangte er nah 
an das erwünſchte Ziel. 

In einem Berichte, den er 974, im Jahre nad Otto's I. Tode, an ka 
neu ernannten Pabſt Benedikt VIL erftattete, heißt”) e8: „die Ungam luden 
mich ein, entweder in eigener Perſon zu kommen, oder Glaubensboten abjw 
ordnen. Nachdem ich diefem Anfinnen gemäß Mönde, Ganonifer und Cle⸗ 
niker aller Grade abgejhidt hatte, fegnete der Herr ihr Wirken vergeftalt, 
dag allein vom ungariihen Adel gegen 5000 Seelen aus beiden Geſchlechtem 
gewonnen wurden. Die riftliden Gefangenen, die aus aller Welt zujumw 
mengeraubt, den größten Theil des gemeinen Volks in bejfagtem Lande aut 
machen, erfreuen ſich jetzt vollfommener Religtonsfreiheit. Während fie fon 
nur verftohlen ihre Kinder dem Herrn weihen durften, bringen fie jept die 
felben ohne Scheue zur Taufe und bauen neue Tempel. Denn obgleich net 
die Mehrzahl der Ungarn in den Striden des Heidenthums gefangen liegt 
flören fie doch den Gottesdienſt nicht, jondern geftatten den Prieſtern frei je 
gehen, wohin es ihnen beliebt.“ 

Am Schluſſe ſpricht Pillgrim den Wunſch aus, daß es dem Pabfte ge 
fallen möge, die alten Vorrechte des Erzſtuhles Lorſch — Lauriacum — M 
feit jeiner Zerftörung durd) die Heiden nah Paffau verlegt worden,*) zu « 
neuern und Paſſau zur Metropole Pannoniens zu erheben. Benedikt VIL 
erfüllte die Bitte Piligrims. Mittelft einer an fämmtlide Metropoliten Cr 
maniend, Robert von Mainz, Theoderih von Trier, Apalbert. von Magde 


1) Siehe Band I, 403 fg. 2) Daf. ©. 408. 3) Ofrorer, 8. G. II, 1. 
8) Bräter, 8.8. M, 1372, | 


Siebtes Buch. Gay. 49. Belehrung Ungarns. Die Könige Geiſa u. Giephantl. 859 


: burg, Gero von @öln, Sriederih von Ealzburg, Adaldag von Hamburgs 
- Bremen, fowie an Kaifer Dtto II. und an deſſen Better, Herzog Heinrich II. 
; von Baiern, gerichteten Bulle,) weldhe dem Wusgange des Jahre 974 ans 
augehören jcheint, ertheilte er dem Stuhle Piligrims Metropolitan⸗Rechte, ers 
Härte den bisherigen Verband Paſſau's mit Salzburg für aufgehoben und 
beftimmte mit Berufung auf eine Bulle des Pabſts Agapet vom Jahre 946 
Die Sränzen der beiden Erziprengel alfo: „die Kirchen des obern Pannoniens, 
(Krain, Steiermarf, Kaͤrnthen, Stüde von Oberöftreich) follen wie biöher der 
Dbhut von Salzburg unterworfen bleiben, hingegen ſei das untere PBannonien 
und Möflen, fammt Avarten und Mähren, wo in alten Zeiten fieben Bis» 
thümer beftanvden hätten, dein Erzftuhle Paſſau zugeordnet.” 

Der heilige Vater hatte geiprochen, aber noch fehlte die kaiſerliche Ber 
ftätigung, die um fo jchwerer ind Gewicht fiel, weil feit Jahren durch Die 
eiferfüchtigen Gegenftrebungen der Stühle Salzburg und Paſſau, von denen 
der erftere die ihm von dem großen Zranfen Carl übertragenen Gerechtſame 
ungejhmälert bewahren wollte, während der andere nad einer unabhängigen 
Stellung rang, entgegengefehte Verfügungen der Päbfte und theilweile auch 
der deutſchen Herricher herworgerufen worden waren.) Auch beim Kaiſer 
ſchien Piligrim durchzudringen. Anfangs October 977 hielt Dtto Hof zu 
Regensburg: mit andern Großen erſchien Piligrim dafelbit und bewegte Him⸗ 
mel und Erde, damit die Erhöhung feines Stuhles beftätigt werde. 

Altes ſchien in gutem Zuge: fchon hatte der kaiſerliche Geheimſchreiber 
im Namen des Reichskanzlers Willigis unter dem 5. Dftober 977 eine Urs 
funde aufgeſetzt, Eraft welcher Kaiſer Otto das Gut Ensburg ſammt 10 Kron« 
böfen bei Lorih an Paſſau ſchenken und zugleich beftimmen follte, daß Paſſau⸗ 
Lorſch jept wie ehemals den Rang einer Mutterfirche einnchmen und des alten 
Anſehens, der alten Macht genießen möge. Allein die Urkunde ward nicht 
vollzogen, d. 5. nicht mit dem Faiferlihen Siegel audgerliftet, fundern viel 
mehr unter gleihem Tage durch eine andere verdrängt, welche zwar die Schen⸗ 
fung beftätigte, aber von MetropolitansRechten des Pafjauer Stuhles ſchweigt. 

Beide Urkunden, die ausgefertigte, aber nicht vollgogene, und die ger 
fiegelte, find auf uns gefommen und liefern den vollftändigen Beleg einer im 
Sabre 977 innerhalb der Regensburger Pfalz von zwei deutjchen Kirchen⸗ 
bäuptern angelponnenen Staats⸗Intrike. Der Salzburger Metropolit Friedrich, 
ebenfo fhlau und thätig wie Piligrim, hatte in dem langen Kampfe den Sieg 
über den Gegner bavongetragen, nachdem von Biligrim nichts verfäumt worden, 
Dtto II. zu überrumpeln. Die kirchliche Hoheit Salzburgs, ſchon unter dem 
1. Oktober 977, vier Tage vor dem legten Verſuche Piligrims, durd einen 


1) Saffs, regest. Pontifie. Nr. 2893 u. Gfrörer a. a. D. 111, 1380, Die Bee 
bei Ofrörer, Kirch. Gef. I, 1208 fig. 1223 fig. 12897. 9 Di ER In, 


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860 | Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


Gnadenbrief!) Otto's IL anerfannt, ift nachher auch noch mittelft einer zweiten 
Urkunde‘) ebendefjelben vom 18. Mai 982 befräftigt worden. 

Vielleicht hat der Kampf zwiſchen Salzburg und Paſſau dazu beigetragen, 
daß das Gebiet, um das fie ftritten, feinem von beiden zufiel, ſondem um 
jo jehneller einer würdigeren Beftimmung entgegenreifte. Sch fage abfichtlid 
beigetragen“. Denn undenkbar ift es, daß Petri Etuhl je dauernd die Han 
dazu geboten hätte, ein großes Rei und eine Nation, wie Die der Magyarez, 
in firchlicher Beziehung dem Ehrgeiz zweier Gränzftifte Germaniens preiszugeben 

Während Piligrims Sendboten und andere deutfche Bekehrer, durd 
Ottoniſche Waffenmacht unterftügt, in Ungarn die chen gefchilverten Fon- 
Ichritte machten, dauerten Magyariihe Raubzüge gegen den byzantinijcen 
Süden fort. Lintprand von Cremona tritt bier ald Zeuge ein. In dem ds 
richte, den er über jeine Geſandtſchaft nad Eonftantinopel an Otto L cr 
jtattete, jhreibt?) er: „zur Zeit, da Ihr die Stadt Bari belagertet,") brad 
ein Haufe Ungarn, nicht ftärfer als 300 Köpfe, ind Herz des byzantinijden 
Gebiets ein und nahm bei Thefjalonib 500 Griechen gefangen, die nad 
Ungarn abgeführt wurden. Weil dieſer Schlag über Envarten gelang, ver⸗ 
juchte eine andere Raubſchaar von nur 200 Ungarn Aehnliches in der Nüke 
von Gonftantinopel; aber da fie ohne Vorſicht durch einen gewiffen Hohlweg 
zogen, geriethen 40 derjelben in griehijhe Gewalt. Eben diefe ungarilden 
Gefangenen hat jegt der griechiſche Baſileus Niccphorus aus der Haft br 
freit, in feine Dienjte gezogen, mit herrlichen Kleidern ausgerüftet und nimmt 
fic mit fi auf den Feldzug nah Afiyrien.“ Der Byzantiner wollte te 
Saracenen gegenüber mit den ehemaligen Gefangenen prunfen. Dieje tapfern 
Magyaren erſchienen dem herabgefommenen Griechenvolk als Halbgötter un 
Söhne des Ares. 

Bald geſchah Aehnliches auf der Nordſeite. Als jelt 982, nach der un 
glüdliden Schlacht am calabrijhen Vorgebirg, alle von den Dttonen unters 
jochten Slavenftämme fid in Waffen gegen ihre Dränger erhoben, fam an 
den Tag, daß auch die ungariiche Bekehrung, fofern fie von Paſſau um 
Salzburg ausging, mehr eine Wirkung der Furcht vor deutjcher Uebermadt, 
al8 der Leberzeugung gewejen ij. Schon um 980 begann das Werk ju 
warfen. Mittelft einer Urfunde,*) die in die ebengenannte Zeit fällt, ge 
ftattete Dtto Il. dem Regensburger Biſchof Wolfgang, ein feſtes Schloß an 
der Erlaf wider die Ungarn zu erbauen. Zwei bi drei Jahre jpäter muß 
das ganze deutſche Gränggebiet von den Magyaren überfluthet worden jein. 
Denn in einen Gnadenbriefe,t) welchen Dito. IIL un dem 30. Sept. 985 


ausſtellte, heißt e8: „der ehrwürdige Biſchof Biligrim hat bei Uns Klage ge 


) Daf. ©. 1280 fig. 3) erg III, 357, Mitte. 2) D. h. im Frühling 968: 
fiche oben ©. 56. ) Sitten, Kid. Bei III, 1382. 


Siebtes Buch. Gap. 49. Belehrung Ungarns. Die Könige Beıfa u. Stephan. 861 


führt, daß nicht bloß unter der vorigen Regierung (Dtto’8 IT.), fondern auch 
unter Unferer Herrſchaft die Ländereien feines Stuhle® von den Barbaren 
(Ungarn) verwüftet und in eine Einöde verwandelt worden ſeien.“ Aus 
Rüdfiht auf ſolche Beſchädigungen, verfügte die Urkunde weiter, follen der 
Paſſauer Kirhe alle Abgaben deuticher Anſiedler erlaffen fein, welche binfort 
die verheerte Marke anbauen würden. In Kolge deſſen geſchah, was früher”) 
berichtet worden: Biſchof Piligrim und andere mächtige Landherren in Oftrich 
machten ruhmvolle Anftrengungen, das Berlorne zu erfegen, neuen Boden zu 
gewinnen, was auch gelang. 

Trop des Wiederausbruchs der Raubzüge längs der Gränze im Norden 
und Süden ging weder das von deutichen Clerikern gegründete katholiſche, 
noch das von den Älteren griechiichen Senpboten ausgeftreute griechiiche Bes 
fenntniß in Ungarn gänzlih zu Grunde. Daß Erfteres nicht geichah, erhellt 
aus den Thatlachen, die ich unten anführen werde. Kür die Kortvauer des 
zweiten bürgen gewifle Maßregeln, welcde ver erfte katholiſche König Ungarns, 
Stephan der Heilige, traf. Diefer Fürſt, der fich und fein Reich dem Apoftels 
fürften Petrus zu Eigen gab und als ewiges Lehen zurüdemvfing, duldete 
und ſchützte gleihwohl in feinem Lande Anftalten der anatolifchen Kirche. 
Durd Urkunde?) vom Sahre 1025 fliftete er ein Klofter für griechiiche Nonnen 
zu Vesprim, ja ebenverfelbe ließ fogar auf feine Koften eine prächtige Kirche 
zu Gonftantinopel erbauen.) Ich brauce faum zu fagen, daß König Stephan 
dieß ficberlich nicht gethan hätte, wäre er nicht durch Rüdficht auf beſtehende⸗ 
Einrichtungen dazu beſtimmt worden. Weil das griechifche Befenntniß bereits 
von früher her in Ungarn Eingang gefunden hatte, hielt e8 der König für 
weife, neben der römifchsfatholifchen Kirche, der er jelbft angehörte, auch der 
griechifchen, welcher da und dort verſchiedene feiner Unterthanen anhingen, 
Zugeſtändniſſe einzuräumen. 

Ueber die Geſchichte Ungarns während des Zeitraums, der von 985 
bis 1001 verlief, befigen wir folgende Quellen: erſtens die Ausfagen des 
Merfeburger Ehroniften Thietmar und des Sachſen Bruno⸗Bonifacius, die 
als Zeitgenoffen und hochftehenve, wohl unterrichtete Männer vollen Glauben 
verdienen, dann zwei Biographien des Königs Stephan, eine kürzere und eine 
ausführlichere ,*) die gegen Ende des eilften Jahrhunderts abgefaßt find; 
drittens eine LWeberarbeitung Beider, die einem Biſchof Hartwig — vermuth» 
lich demfelben, der von 1106 bis 1126 den Regensburger Stuhl einnahm, 
zugefchrieben wird.) Im Ganzen laſſen fi die Lebensbefchreibungen mit 
den Ausfagen der beiden Zeitgenoffen vereinigen, immerhin aber hat die vers 
fhönernde Sage vielfach auf erftere eingewirft. 


) Band I, ©. 404 fig. ?) Fejer cod. diplom. Hungar. I, 312. N Rn 
x], 235, Mitte. *) Ihid. ©. 222 fig. 1Fwb 


862 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter. 


Thietmar von Merfeburg fchreibt:') „der Vater des ungarifchen Königt 
hieß Dewir (oder Dewiuz) und war ein graufamer Dann, der viele im erfa 
Ausbruce feines Zorns umbradte. Als er Ehrift wurde, wüthete er geger 
feine Unterthanen, die dem Glauben widerſtrebten, und wuſch fo, bremen! 
vor Eifer für die Sache Gottes, die Schmad des alten Wahnes (des Heiden 
thums) ab. Dennoch opferte er neben dem allmäcdhtigen und wahren Ger 
auch den falfhen Götzen, und als er deßhalb von einem Bifchofe zur Rei 
geftelt wurde, entgegnete er: ih bin reich aenug, um Beides thun zu fonnn 
Seine Gemahlin, welche wegen ihrer Schönheit auf Slaviſch Beleancn: 
(bela knezina) d. h. die fchöne Fürftin genannt ward, tranf über die Maßen 
tummelte Rofie, wie ein Eolvat, und fchlug einft, vom Zorne übermwältiat 
einen Mann todt. Diefe Fürſtin,“ fügt der deutſche Bifchof bei, „hätte beit 
gethban, die Spindel zu drehen.“ 

Unter dem Sohne des Dewiuz kann Thietmar nach dem Zufammenben; 
faum einen andern verftehen, als denfelben, den er an einer zweiten Stelk’ 
Waick nennt und als Eidam des bairifhen Herzogs Heinrich oder Schwage 
des nachmaligen Kaiſers Heinrich IT. bezeichnet, d. h. den erften dhriffice 
König Ungarns, der in der Taufe den Namen Stephan empfing, und ut 
©ifela, der Schwefter des ebengenannten Kailers, fich vermählt hat. De 
Vater und die Mutter Waids führt?) der Sachſe Bruno, doc ohne fhr 
Namen zu nennen, in ber Lebensgefchichte des h. Adalbert von Prag mi 
den Worten auf: „ver h. Adalbert fchidte Boten (um 996) an den Groß 
fürften von Ungarn oder vielmehr an defien Gemahlin. Denn ledtere bielt da 
Eteuerruder des Landes in ihrer Hand, beherrichte den Gatten und gebahn 
fidy nicht wie eine rau, fondern wie ein Mann. Unter ihrem Einfluffe war 
aud der Grund zu Einführung des Chriſtenthums gelegt. Aber daſſelbe mr 
miſchte fih mit alten heibnifchen Gebräuchen, alfo daß ver halbe Glaub 
Ihlimmer war, als volles Heidenthum.“ 

Hören wir nun die ausführlichere unter den zwei Lebensbeſchreibungen:“ 
„der fünfte Nachfolger des Herzogs, unter dem die Ungarn in ihre feitherg 


. Heimath eingewandert find, hieß Geiſa und war ftreng und graufam gepa 


die Eingebornen, aber milde und barmberzig gegen Fremde, namentlich gega 
Ehriften, und obgleich er noch (theilweiſe) den Gebräuden des Heidenthum 
anhing, ftrebte er nach Frieden mit den benachbarten Nationen und verhie 
allen Chriften, welche fi in feinem Reiche niederlafien würden, große 2er 
theile und volle Sicherheit des Eigenthums, Elerifern und Mönchen aber ge 
ftattete er freien Zutritt zu feiner Perſon.“ Weiter unten heißt es, ba 
Geiſa's Gemahlin ihm einen Sohn gebar, den der h. Adalbert taufte us 
der den Fatholifhen Namen Stephan empfing. 


) Perg III, 862. 2) Ibid. ©. 784 unten. *) Berk IV, 607, Mitte. 9 Peg 
z], 230 fig. passim, 


Siebtes Buch. Gap. 49. Belehrung Ungarns. Die Könige Beifa u. Stephan I. 863 


N Aehnliches berichtet‘) die Fleine Biographie: Stephans Vater, urfprüng- 
lich Heide, ſei fpäter zum chriftlihen Glauben übergetreten und habe feine 
.Waffengefährten bewogen, Dafjelbe au thun, alle diejenigen aber, welche dieſen 
‚Rath zurückwieſen, graufam verfolnt. Noch fünt fle bei, daß der alte Fürſt 
kurz vor feinem Tode (der nach einer andern alten Nachricht?) um 997 eins 
‚tat), den Sohn und Nadfolger Stephan mit einer fehr edlen und hochges 
‚bornen Frau aus dem kaiſerlichen Blute Germaniens vermähltee Der Name 
dieſer Gemahlin iſt Durch den Biographen®) des Kaiſers Heinrich IT., fowie 
durch gleichzeitige Infchriften?) aufbewahrt worden: fie hieß Giſela. Endlich 
fagt”) eine der Älteften ungarifhen Ehronifen aus, die Mutter Stephans oder 
Die Gemahlin feines Vaters fei eine Polin und Schwefter des Herzogs Miſeko 
(Micislaw I.), (folglich eine Muhme des erften farmatifchen Königs Boleslaw 
Ehrobry) geweien. Man begreift jebt, warum diefe Fürftin vom Volke den 
flaviihen Beinamen Bela Knezina erhielt. Denn das Slaviſche (oder Polniſche) 
war ihre Mutterfprache. 

Unläugbar ſtimmen die eben mitgetheilten, verfchledenen Quellen ents 
nommenen Ausfagen über das Geſchlecht des Königs Stephan im Ganzen 
wohl zufammen. Die einzige weſentliche Abweichung befteht darin, daß der 
Merfeburger Biſchof den Bater Dewiuz, den Sohn Wald nennt, während 
die Biographen jenem den Namen Geiſa, diefem den Namen Stephan geben. 
Das macht jedoch Feine Schwierigfeit. Meines Erachtens führten die beiden 
erften der Kirche ergebenen Herricher Ungarıs, Vater und Eohn, vor und 
nad ihrer Bekehrung, beziehungsweife Taufe, verfchiedene Namen, zuerft 
nämlich beidnifche, nachher chriſtliche. Daß dem fo war, kann man fogar 
mit einem Zeugnifie belegen, das, wie es fcheint, dem Ende des eilften Jahrs 
hunderts angehört. Der Chronif des aquitanifhen Moͤnchs Ademar, der um 
1028 ſchrieb,) find nämlich von einer Hand aus dem Anfang des zwölften 
Jahrhunderts Zufäge beigemifht,”) die mande Schladen, aber aub Gold⸗ 
förner enthalten. inter Anderem behaupten®) fie, des h. Stephan Vater 
babe nad feiner Bekehrung einen Namen befommen, ver von demjenigen 
verfchleden geweien, welden er früher als Heide trug. Zwar verliert dieſe 
Angabe dadurch einen Theil ihres Gewichts, daß beigefügt wird, Stephane 
Bater babe früher Gouz (Geiſa) geheißen, ſei aber ald Chrift ebenjo wie der 
Sohn, nämlich Stephan, genannt worden. Immerhin bleibt die Thatſache 
des Namenwechſels aufrecht. 

Anfangs, denfe ich, führte Stephans Vater den Namen, welden ihm 
Biſchof Thietmar gibt, nämlih Dewiuz, oder einen ähnlich lautenden; nad» 


) Tbid. ©. 226. #) Ibid. Note 18. 3) Berk IV, 810 gegen oben. ) Berk 
xI, 235, Rote 38. %) Chronica Hungarorum cap. 3. bei Endlicher rerum hungaric. 
monumenta Arpadiana ©. 65. %) Berk IV, 109. ) Did. ©. 110. y 
©, 129 unten. 


864 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


dem er aber Barthei für das Ehriftenthum ergriffen, nannte er ſich ſelbſt 
oder nannten ibn Andere Geiſa. Diejes Wort, obgleich, wie es fcheint, m 
gyariſchen Urſprungs, muß einen guten driftliden Klang gehabt haben. Daı 
zwei der fpäteren Nachfolger Stephband aus Arpads Stamme, Geiſa 
(1075—1077) und Geiſa I. (1141—1161) erneuerten den Ramen t 
Ahns. Stephan felbft, ohne Zweifel zu einer Zeit geboren, va fein Ba 
noch Heide war — ift er ja ſchon um 997 in die Ehe getreten — erhielt a 
Kind den heidnifhen Namen Waid, den ihm Thietmar zufchreibt, und den 
erft nach der Taufe, die allem Anjcheine nach mit ver Bermählung zujamme 
fiel,') gegen den Fatholifhen Namen Stephan vertaufchte. 

Im Uebrigen hat es einen triftigen Grund, daß Chroniſt Thietmar m 
die heidniſchen und nie die chriftlihen Namen des Vaters und Sohnes ı 
Mund nimmt. Gemäß den Grundjägen der Politif des glorreichen Kaile 
Heinrih IL, dem er mit Leib und Seele anhing, verwarf, wie ich umtı 
zeigen werde, der Merfeburger Bilchof die Zugeftänpniffe, welche Katfer Dtto II 
und Pabſt Sylvefter II. den beiden Ungarn gemadt hatten, fah im ihnen n 
Rebellen gegen die Hoheit des deutſchen Reihe, und verweigerte ihnen de 
halb die Ehre des chriſtlichen Namens. 

Dem jei, wie ihm wolle, unverfennbar erhellt aus den oben dargelegt 
Zeugniffen, daß die von Dewinz⸗Geiſa begonnene, von Waid-Stephan vol 
brachte Einführung des ChriftenthHums in Ungarn zugleich einen andern Zwe 
verfolgte, nämlich ein früher beftandenes viclföpfiges Regiment abzuſchaffer 
und flatt defielben die geordnete Herrichaft eines Einzigen aufzurichten. Lehen! 
wo das Kreuz unter wilden Völkern geprebigt ward, hat es das Aufbläh 
geordneter Zuftände, den Sieg einer durch Geſetze gemäßigten monarchiſce 
Gewalt in feinem Gefolge gehabt. Dieß ift die geheime Urſache, wam 
ſelbſt ruchlofe Fürften nirgends das Chriſtenthum offen umſtürzen, fonde 
im Gegentheil bie zu einem gewiflen Grade begünftigen, fo wenig fie i 
Uebrigen von den Schranken, welde es ihren Begierden entgegenfegt, a 
baut zu fein pflegen. Wenn auch jchon vor den Zeiten Waicks und fein 
Vaters in Ungarn ein Keim von Etwas wie Reichs⸗Einheit beftand, we 
ih weder behaupten nod leugnen möchte, fondern dahin geftellt fein Lake 
bürgen die Thatfachen, welche ih früher entwickelte, dafür, daß das Lu 
unter eine Anzahl von Häupilingen getheilt war, die, dafern fie ehva Cie 
aus ihrer Mitte dem Scheine nad als Oberherrn ehrten, doch ihrem eigener 
Willen folgten. 

Waicks Vater muß erfannt haben, daß er mit Hülfe des Clerus ſih 
und feinem Haufe die Alleinherrfchaft fihern koͤnne. Muthig legte er Ham 
ans Werk, nahm die von früherher in Ungam anwejenden Glerifer unit 


') Pag IV, MO u. 818 wm. | | 


k Slebtes Bud. Cap. 49. Belehrung Ungarne. Die Könige Geiſa u. Stephaun L 865 


feinen Schuß, rief aus dem Ausland Ehriften herbei. Allein in dem Maaße, 
wie er folches that, ſtieß er auf doppelten Widerſtand. Biefe, welche theils das 
Machsthum feiner Macht fürchteten, theils bei dem hergebrachten Götterbienfte 
bleiben wollten, arbeiteten ihm entgegen. Nach dem gewöhnlichen Kaufe menſch⸗ 
fiber Dinge ift anzunehmen, daß letzterer Grund häufig ald Vorwand für 
erſtere Beſorgniß gebraucht worden fein mag. Sowohl der alte Fürft ale 
feine Gemahlin brachten heroifche Mittel in Anwendung, beide handelten als 
'Hrieneöhäupter, die wußten, daß Alles, Leben und Herrichaft, für fle auf dem 
:&piele Rebe. Einftimmig fagen die oben abgehoͤrten Zeugen aus, Dewiuzs 
Bella babe rüdfichtlo8 gegen die eigenen Landsleute — nämlich feine polis 
tiſchen und religiöfen Gegner — newüthet. Da er mehr aus Berechnung als 
aus Ueberzeugung ſich für die chriftliche Kirche erflärt hatte, geichah es, daß 
er zuweilen in heidniſche Gebräuche aurlidfanf, und daß die Bermengung ent⸗ 
fand, welche Bruno⸗Bonifacius mit Recht tabelt. 

Sn einer gewifien Hinficht dauerten ähnliche Verhältniſſe, wie während 
der Herrihaft des Vaters, unter dem Sohne fort. Auch Wald kämpfte zu⸗ 
aleich für den Glauben und für die Befeftigung monarchiſcher Gewalt. Die 
Fürzere Lebensbefchreibung berichtet:") fogfeich, nachdem Stephan feinem Vater 
nachgefolgt war, hätten die Anhänger des Heidenthums, namentlich Viele vom 
Adel, einen gefährlichen Aufftand gegen ihn erregt, und die Stadt oder Keftung 
Besprim, den Mittelpunkt der Macht. Stephans, belagert. „Der bedrohte 
Fürſt,“ fügt fie bei, „fammelte ein Heer, fchlug die Empörer und zog Ans 
fange ihre Güter In der Art ein, daß er fie zu Ausſtattung des von ihm 
gegründeten Klofters Martinsberg verwendete. Später aber milverte er bie 
Härte diefer Maßregel auf den Rath feiner-Getreuen, indem er verfügte, daß 
die Nachkommen der gezlichtigten Aufrührer ihr väterliches Erbe zurüderhalten 
und als einzige Buße hinfort den Zehnten ihres Einfommens an beſagtes 
Klofter entrichten follten.* Außer Vesprim fcheint die Stadt Gran — wenn 
ih jo fagen darf — zum unmittelbaren Gebiete Stephans gehört zu haben. 
Denn diefelbe Duelle meldet ,?) daß Stephan zu Gran (Strigenium) das 
Licht der Welt erblicdt hat. Ohne Zweifel war dieß auch der Grund, warum 
Stephan darauf beftand, daß das ungarifche Erzbisthum oder die Kirchliche 
Oberbehoͤrde des Reichs in Gran errichtet warb. 

Laut andern Nachrichten befanden fich unter den Gegnern des jungen 
Bürften einige feiner nächften Verwandten, und awar folde, welde unabhäns 
gige Gebiete befaßen. Die Hilpesheimer Chronik erzählt”) zum Jahre 1003: 
„König Etephan von Ungarn überfiel mit Heeresmadht feinen Oheim, den 
König Zul, nahm ihn mit Weib und Kind gefangen, und nöthigte das ganze 


)Berh XI, 227. 5 Ibid. ©. 226. ®) Per II, 92: regnum ejus vi ad chrl. 
sianitatem compulit. 
Gfrorer, Pabſt Oregerius TIL Bo. v. 68 


866 Pabſt Sregorius VII. und fein Zeitalter. 


Reich veffelden, dem chriſtlichen Glauben zu huldigen.“ Nadt tritt hier die 
Shatfache der Vielberrfchaft hervor, die aus frühern Zeiten ber in Unger 
beſtand. Noch ein zweiter Hebel wirfte gleih mächtig auf bie damaliger 
Kämpfe ein: die Verfchtevenheit der in Pannonien feit Einwanderung der 
Magyaren angefiebelten Stämme. 

In der Fürzeren Lebensbefchreibung heißt e8:') „nachdem Stephan bie 
kirchliche Einrichtung Ungarns bereitd vollendet hatte , erhoben die Bißener, 
ein wildes der Kirche feinvfeliges Geſchlecht, Waffen gegen ihn, wur 
aber durch ein Fönigliches Heer, das Etephan, ohne daß jene es ahnten, 
wider fie aufbot, zu Paaren getrieben und gezüchtigt.“ Welchem Etammr 
gehörten dieſe Bißener an und waren fie Injaßen des unter dem Nomen 
Ungarn begriffenen Landes oder niht? Die nämlidhe Völferfchaft, bie ver 
dem Prümer Regino Pecinaki, von andern lateiniihen Chroniſten Peijinei, 
von Deutfchen gewöhnlich Petichenegen genannt wird, empfängt im Munte 
flavifcher Schriftfieller den Namen Beßi oder Bißeni,?) und alte Radıridte 
melden,’) daß Herzog Zultan, einer der Ahnen Stephans, Bißener im Wie— 
felburger Comitate oder am Neufiedler See, ald Wächter der Gränge geya 
Deutichland, anſiedelte. Auch der Biograph bezeichnet Hinter den oben ange: 
führten Morten die Bißener ziemlich deutlich als Untertbanen Stephans. 

Neben den Bißenern erwähnt?) der fogenannte Rotar des Könige Bela 
Ruthenen, die im Laufe des zehnten Jahrhunderts mitten unter ven eigen 
lichen Ungarn Wohnfipe empfingen. Eben verjelbe fügt*) weiter bei, daß 
ein Häuptling der Bißener, der mit feinem Etamme an der Theiß faß mt 
die Zeiten Etephand I. erlchte, fi allen Bemühungen des Könige zu It 
beharrli weigerte, zum dhriftlihen Glauben überzutreten und daß er all 
Heide ftarb. Wie ih an einem andern Orte‘) gezeigt habe, finden fi in da 
Ländern am Ural, am kaſpiſchen und ſchwarzen Meere häufige Beifpiele, vei 
urfprünglihe Wohnfige wandernder Bölfer von fpäter eingenommenen but 
die Worte weiß und fchwarz unterfchieden werden. Weiße Bulgaren, wei 
Chazaren nannte man die in den Urfiben gebliebenen, ſchwarze die ausge⸗ 
wanderten, in andern Ländern angefievelten Zweige der fragliden Stämme. 
Mohlan, ein Ahnliher Sprachgebrauch kommt bezüglid des chriſtlichen ven 
Stephan gegründeten Reiches, jedoch in der Art zum Vorſchein, daß den il 
teren, durch eigentlihe Magyaren bejegten Landestheilen jüngere, in welda 
bie oben erwähnten Fremdlinge Wohnfige empfingen, entgegengefegt werten 

In den Zufäßen zur Chronik des Aquitanierd Ademar fteht*) folgen 
Behauptung: „es gibt zwei Haupttheile von Ungarn, ein weißes Ungam m 
ein ſchwarzes Ungarn.” Offenbar bat der unbekannte Veifaſſer diefe Rab 

) Berk XI, 228. 3) Zeuß, die Deutfchen und bie Nachbarſtämme ©. 7. 


*) Ibid. ©. 754 und Enblicher a. a. O. ©. 53. *) Endlicher a. a. O. 6. 
9) Band II, 440. *) Very IT, AW, 


Siebles Bud. Gay. 49. Belehrung Ungarns. Die Könige Geiſa m. Stephan I. 867 


richt von Leuten empfangen, welche Ungarn aus eigener Anſchanung kannten, 
allein er fchmälert das Verdienſt feiner Mittheilung durch den finnlofen, nicht 
aus gefunder Beobachtung, fondern aus eigenem Gehirn geichöpften, Beiſatz: 
ſchwarz Ungarn trage feinen Namen, weil die dortigen Einwohner ſchwarz 
feien, wie Mohren. Immerhin bat man Grund, Ihm dieſe Vernünftelei zu 
verzeihen, denn weiter unten bringt er eine Thatſache bei, welche der Natur 
ſelbſt abgelaufcht iR und uns gleihfam in den Kern der Dinge verjeht, die 
ums Sahr 1000 im Donaulande vorgingen. „Stephan,“ ſchreibt) er, 
„König von Ungarn, überzog das jchwarze Ungarn mit Krieg, und ward 
vom Allmädtigen gewürdigt, das ganze Tebtgenannte Land theils durch 
Waffengewalt und Furcht, theild durch Liebe zum allein wahren Glauben zu 
befehren.* 

Laut der oben angeführten Stelle des Biographen war Geiſa⸗Dewiuz, 
Stephans Vater, der fünfte Abkömmling aus dem herzoglihen Stamme Uns 
garnd. Ohne Zweifel rechnet er die Reihe fo: auf Alm, der fein Volk aus 
der afiatiihen Heimath nah dem Donaulande führte,?) folgte deſſen Sohn 
Arpad, welchen andere ungarifhe Chroniften als Ahnherrn betrachten, auf 
diefen in gleicher Weiſe Zultan, Tocſun, endlich Gelfa, Stephans Pater. Als 
Erben ihrer Ahnen empfingen Geifa und Stephan die unmittelbare Herrſchaft 
über die von Alm und Arpad zuerft mit ihrem Stammgefolge bejegten Streden 
um Besprim, Stuhlweißenburg ,) Gran, das Herz des Magyarenlandes. 
Die Bewohner eben diefer älteften arpadiſchen Erwerbungen folgten ihren 
Herzogen Gelfa und Stephan willig, als letztere in die Kirche übertraten. 

Aber während der Raubfriege des zehnten Jahrhunderts waren dem ars 
pabifchen Kern neue Landestheile angefchoffen, die man almählig von dem 
alten oder weißen Ungarn dur die Benennung des ſchwarzen, d. h. jungen 
unterschied. Und bier bildeten fih andere Verhältniffe aus. Gfüdlihe Sol⸗ 
daten, Anfangs aus den umliegenden Landen , befonders aus den öftlichen, 
feit Attila's Tagen Tummelplägen beutegieriger Horden, durch Ausficht auf 
Raub herbeigelodt, gelangten dort zur Gewalt, und gehordhten in Kurzem den 
Häuptlingen aus Alms Stamme gar nicht mehr, ober nur zum Scheine. 
Wenn ed fo fort ging, hätte fih Ungarn in einen Amelfenhaufen winziger 
meifterlofer Herrichaften aufgelöst. Denn Raub nah Außen erzeugt fraft 
eines Naturgeſetzes Zerrüttung und Eigenmacht Feiner Tyrannen im Innern, 
Die erfannte NRothwendigfeit, dem drohenden Hebel vorzubeugen, bewog Bella 
zu Begünftigung des Kreuzes, und das vom Vater begonnene Werf vollen 
dete in glorreicher Weiſe der Sohn, indem er durch Einführung des Chriftens 
thums Schwarz und WeißsUngarn zu einem einheitlihen Reiche vereinigte. : 

*) Ibid. ©. 131, Beifa 4: Stephanus rex Ungriae, bello appetens Ungriam nigram, 
sam vi quam timore et smore ad .fidem veritatis totam illam terram convertere moruit. 


5) CEudlicher S. 6 fig. Nan vergl. die Worte der kleineren Viographie, Berg XI, 227. 
| 5%" 


868 Pabſt Eregorius VII. und fein Seitalter. 


Die auf und gekommenen Chroniken der Magyaren gehören ohne Aus 
nahme den Zeiten vom Ende des eilften Jahrhunderts und abwärts an. re 
Berfafier hatten die wohlthätigen Folgen der von Stephan getroffenen Ein 
sihtungen vor Augen; die pelnlihen Zuftände, welche der großen That Ste⸗ 
phans vorangingen, die Klippen, welche er überwinden mußte, waren vergefien. 
Aber die oben entwidelten Bruhftüde und Andeutungen, die meift auf va 
Ausfagen fremder Beobachter beruhen, geftatten Einficht in den wahren Ju 
fammenhang der Begebenheiten. 

Ich will noch aus einem Foftbaren Zeugniß, dad der eigenen Hand dei 
Ungarfönigd angehört, darthun, wie richtig der Franzoſe geſehen bat, deſſen 
Aufzeihnungen in die Zufäge der Ghronif Ademars übergingen. In ver 
Anmweifung für feinen Thronfolger, von der unten welter die Rebe fein 
wird, ſchreibt') Stephan der Heilige: „als ſechste Hauptpflicht will ic dir, 
o mein Sohn, and Herz legen, daß du Leute anderen Stammes und Fremd» 
linge ehreſt. Deßhalb ift das NRömerreih fo groß gewachien, weil viele edle 
und weile Männer in dafjelbe aus allen Ländern der Erde zufammenftrömten, 
und no heute wäre Rom eine Magd, hätten nicht die Eneaden (des Aeneas 
Enkel) dafelbft eine Freiftätte für Alle errichtet. Wenn Fremdlinge einwan⸗ 
dern, bringen fie verfchievene Zungen, Gewohnheiten, Kenntniſſe und Waffen 
mit fi, lauter Schäpe, welche geeignet find, die Macht der Könige zu mehren, 
den Uebermuth des Auslands zu dämpfen. Glaube mir, mein Sohn, ein 
Reih, wo nur eine Zunge gehört wird, nur eine und dieſelbe 
Sitte herrſcht, bleibt ſchwach und gebrehlih.) Darum, mein Eobn, 
ehre Fremdlinge aller Stämme, damit fie lieber in deinem Lande fidy nicder 
laſſen, al8 irgendwo fonft.* 

Zwei urfprünglich verfchievene Gedanken find hier in Eins zuſammenge⸗ 
floſſen: erfilih die allerdings wahre aber ziemlich alltägliche Klugheitregel, 
daß Fürften wohl thun, fähige Fremdlinge in ihr Land zu ziehen, zweitent 
der Satz, es fei nicht gut für ein Land, wenn nur eine Epradye, ein © 
braud in ihm herrſche. Letzteres Hingt feltfam -und hat doch einen tichn 
Sinn. Wenn heute irgend ein deutfcher Echulmeifter, um mit ben angeblid 
glüdjeligen Folgen der Zerriffenheit feiner eigenen Heimath zu prunfen, Kran 
zoſen die Worte des Königs Stephan vorpredigte, würden fie ficherlidy in die 
Fauſt laden und denfen: der Menſch ift unter dem Hute nicht gefund. Ohae 
Zweifel hätten fie Recht zu lachen. Folglich muß jener Sag unter gemifen 
Umftänden falfch fein. Aber er ift auch wahr. Frage: unter welchen Bein 
gungen kommt ihm Wahrheit zu ? 

Ich fage: dann wenn ein an fi Heiner Stamm in die Lage geräth, 


) Enbliher ©. 305 unten fig. ”) Wörtlih: uam unius linguae uniusgue mei 
Jognum Imbecilie ot fragilo ar 


Echtes Bud. Gap. 40. Belehrung Ungarns. Die Könige Geiſa u. Stephan I. 869: 


durch Enge und umfichtige Behandlung andere Lanbestheile, die, obwohl durch 
geihichtlihe Entwidlung mit ihm verbunden, dod an Sprade, Sitten, Blut 
von ihm verichieden find und in Yolge befonderer Verhältniffe ſich losreißen 
und ein eigenes ſtaatliches Leben gründen wollen, dauernd mit ſich zu vers 
einigen und zu einem politiichen Ganzen zu verjchmelgen. Der Stamm, deffen 
Erbherzog Stephan war, beftand aus reinen vollblutigen WMagyaren, aber 
neben ihnen wohnte auf dem Boden, den man jeit der Einwanderung Alme 
Reich der Arpadiven nannte, ein ganzes Gemengjel von Völkerſchaften, Sias 
ven, Ruthenen, Ehrobaten, Ehafaren, Petſchenegen, Bulgaren, ja auch Is⸗ 
maeliten oder Saracenen,') die durch Sprade, Abkunft und Sitten von den 
Magyaren geichieden waren. In der menjdlichen Natur lag ed, daß der Adel 
des Arpadiſchen Schwerpunttes zu jeinen Erbherzogen ſprach: „Wir find das 
Salz von Ungarn, Unjere Sitte muß allein bei Hofe gelten, Unfere Sprache 
die herrſchende werden; vertheilet an Und die großen Lehen, feget Uns zu 
Hauptleuten über die Andern ein, zwinget Leßtere, Unjeren Gebräuchen ſich 
aunzubequemen, Unjere Sprade zu lernen.” 

Hätte Herzog Dewluz⸗Geiſa und deffen Sohn Stephan auf ſolche und 
ähnliche Rathſchlaͤge gehorcht, jo wäre nie etwas Tüchtiges aus Ungarn ges 
worden. Stephan handelte anders und wollte, daß aud feine Nuchfolger 
anders handeln. Er dachte, die verfchiedenen Zungen und Bolfsthümlichkeiten 
Ungarns jeien Baufteine , die, wenn man fie mit fluger Schonung behandle, 
zu einem mächtigen Münjter zufammengefügt werden mögen, und die Vor⸗ 
jehung bat jein diefem Gedanken entiprchended Wirken gejegnet. Ic wieders 
hole, was idy zuvor ausſprach: die Art von Stuatöweisheit, welche aus den an⸗ 
geführten Worten Stephaus hervortönt, wächst nur unter Verhältniſſen, wie 
die, welche oben entwidelt worten find, und ver Eag aus dem ſechsten Abs 
ſchnitte der Anweilung Stephans ift für Sole, welde hiſtoriſchen Sinn 
haben, ein unwiderleglicher Beweis, daß «8 allerdings vor dem Juhre 1000 
an der Donau und Theiß ein weißes und ein fchiwarzed Ungarn gab, und 
daß Stephan durch glüdlihe Waffen und noch mehr durch Aufrichtung der 
Kirche beide weſentlich verfchiedene Theile zu einem Reichskörper vereinigt hat. 

Damit wäre die Behauptung gerechtfertigt, von der id oben ausging, 
nämlic daß unter Stephan I. ähnliche Verhältniſſe ftattfanden, wie zu den 
Zeiten feines Vaters. Aber in einem wichtigen Punkte unterjchied er fid von 
lepteren. Herzog Dewiuz⸗Geiſa hat aus politiicher Berechnung bie Kirche bes 


1) Der Notar fagt (Endlicher S. 53 unten): multi hospites confluebant ad Tocsun 
ducem (den Großvater Etephane) ex diversis nationibus. Nam de terra Bular (d. 5. aus 
Weiß⸗ oder Alt» Bulgarien oder dem Wolgaland) venerunt quidam nobilissim) domini cum 
magna multitudine Isma&litarum, guorum nomina fuerunt Bila et Boscu. Quibus dux 
per diversa loca Hungarorum condonarit terras, eb insuper castrum, quod dicitur Pest, in 
perpetuum concessit. | 


80 Babk Gregotius VII. und fein Zeitalter. 


günftigt. Stephan dagegen war ein aufrichtiger Chriſt. Zwei jcpriftlite 
Denfmäler des erften Königs von Ungarn find auf ung gefommen: die mehr 
fach genannte Anweilung, weldhe er für jeinen Nachfolger aufjeßte, und cine 
Heine Sammlung von Geſetzen, welche erft vor etliden Jahren wieder aufs 
gefunden und durch Enblicher veröffentlicht wurden. Faſt jeder Sag, dies 
foftbaren Nachlafjed legt Zeugniß von feinem ungeheuchelten Glauben ab. 
MWahrlih die Kirche wußte, warum fie ihn heilig ſprach. Stephan J. if ein 
Wohlthäter nicht nur feines eigenen Volks, jonden aud der Menjchheit ge 
wefen, er hat die Ruhe im Oſten des Abendlandes gefihert, und wie Wil 
beim der Eroberer in Britannien drüben, aus harten und widerſtrebenden, 
aber fräftigen Elementen ein Gemeinwefen gegründet, das wegen diefer Zw 
ſammenſetzung langen Athem befigt. 


Sünfzigfes Capitel. 


Des ungariſchen Könige Stephan I. Verhandlungen mit dem 5. Stuhle. Eylveſters IL 
Bulle vom 27. März 1000 unzweifelhaft äht. Weil Stephan I. nur gegenüber dem 
Pabſte nicht auch in Bezug auf den Kaifer politifche DBerbindlichkeiten übernahm, keirite 
der erſte Zunder von Zwietracht zwifchen Otto III. und Syivefter II., ein Zunder, ber 
während ber polnifchen Verwicklungen and Tageslicht hervorbrach. 


Die Ungarn fpielten im Laufe des zehnten Jahrhunderts eine ähnliche 
Mole auf dem Feftland, wie vor den Zeiten der beiden Dlafe Die Rormannen 
zur See. Ihr Köcher und ihr Echwert bedrohte die weite Welt. Das hörte 
durch dad Verdienſt Stephans auf. Friede, Friede mit allen Völfern, wurte 
jest da® Looſungswort. Die größere Biographie meldet:“) „Etephan br 
feftigte den in redlicher Abfiht mit den umliegenden Nationen abgefchloffenen 
Frieden.” Don den Nachbarreihen war während der drei letzten Menſchen⸗ 
alter Germanien am bärteften durd die Raubzüge der Ungarn betroffen wor: 
den; es ift daher in der Ordnung, daß das faiferlihbe Haus die auf Br 
fehrung des Volks gerichteten Plane Stephans I. bereitwillig unterftügte un 
feine Vermählung mit der Tochter des verftorbenen Herzogs Heinrich IL von 
Baiern gut bieß. 

Ob ihm aber bei Abjchluß diefer Ehe nicht Anerkennung einer gewiſſen 
Abhängigfeit vom deutſchen Reiche zur Bedingung gemacht wurde? ift ein 
Frage, die ih aud Mangel an Nachrichten nicht genügend zu beantworten 
weiß. Beft dagegen fteht, daß Otto's III. Nad;folger Heinrich IL, Etephant 
Schwager, ein Recht deutſcher Oberhoheit über Ungarn nicht bloß ange 
ſprochen, joadern zuletzt auch durchgefegt hat. Dem fei, wie ihm wolle, io 
firebte Stephan zugleih nad der königlichen Würde, die er nur durd Ein 


9 Berk ZI, 232 oben, 


Gichtes Buch. Sap.50. Sylveſters IL Bulle v. 27. März 1000 an Gtephan L von Ungarn. 871 


willigung des Pabſts und des Kaiſers erlangen Eonnte, und nad politiſcher 
Selbſtaͤndigkeit. 

Bezüglich des letzteren Gedankens kam ihm der Böhme Adalbert, der 
damals für Befreiung des ſlaviſchen und magyariſchen Oſtens vom Joche der 
deutſchen Kirche arbeitete, auf halbem Wege entgegen. Nicht bloß die groͤ⸗ 
Bere Lebensbeſchreibung,) ſondern, wie wir ſahen, auch der Zeitgenoſſe Bruno⸗ 
Bonifacius bringt den h. Adalbert in Verbindung mit Stephan oder deſſen 
Vater, und das angeknüpfte Verhältniß dauerte ſelbſt nach dem Tode des 
Märtyrers fort. Laut dem Zeugniſſe des Biographen?) kamen zwei Mönche, 
Andrea und Benedikt, welche der Schule Adalberts angehörten, aus Polen 
nad Ungarn herüber, um dem Könige bei Einrichtung der ungarifchen Kirche 
bülfreihe Hand zu leiften. 

Bei folder Sachlage fonnte es kaum fehlen, daß Stephan I. von Uns 
garn einer’ der erften abendländifchen Bürften war, ver die Wendung, welche 
Sylveſters IL. Beinheit den Weltreihsphantafien des unglüdlichen Dito IIL 
gab, zum eigenen Vortheil benübte. 

Dietmar von Merjeburg jchreibt:*) „burd die Gnade des Kaiſers Dtto III. 
und auf fein Betreiben gejhah es, daß der Eidam des bairiſchen Herzogs 
Heinrih, Wald, ald Belohnung für die Bisthümer, die er in feinem Lande 
aufrichtete, die Königsfrone und den Kirchenjegen erhielt." Da der Ungar 
Beides nicht aus den Händen Otto's, fondern auf fein Betreiben empfing, 
ift von feld flar, daß ein Anderer, nämlich der Pabſt, es geweſen fein ınuß, 
der Krone und Segen an Stephan ertheilte. Berner verliehen Päbfte ſolche 
Gaben nie, ohne Gegenbedingungen zu machen. Der gefunde Menfchenvers 
ftand nöthigt daher zu der Voraudfegung, daß vorher Verhandlungen ges 
pflogen, Briefe gewechjelt worden find, und daß Stephan gewiſſe Verpflich⸗ 
tungen übernommen hat. 

Die größere Biographie berichtet?) Folgendes: „ein Schreiben, ausge⸗ 
rüftet mit dem apoſtoliſchen Segen, gelangte nach Ungarn. Aufs Beſte em⸗ 
pfing Volk, Clerus und Adel die Boten, die es überbrachten, darauf ward 
Stephan als König begrüßt, gekrönt und mit dem h. Oele geſalbt. Daß 
er dieſer Ehren würdig ſei, bethätigte der neue König durch die Geſetze, die 
er erließ, und durch die Verpflichtungen, denen er ſich unterzog.“ Endlich 
melvder®) Bifhof Hartwig: „Im vierten Jahre nad) dem Tode jeined Waters 
ſchickte Stephan den Abt Aftricus, der aud Anaftafius genannt wird, nad) 
Ron zur Echwelle der h. Apoftel, um den PBabft zu bitten, daß er dem neus 
befehrten Pannonien feinen Segen ertheile, daß er die Kirche von Gran zur 
Metropole erhebe, daB er die übrigen eben errichteten Bisthümer beftätige, 


1) Ibid. ©. 231. 2) Ibid. S. 232 untere Mitte, 5) Perg III, 784. 8) Nerk 
XL 235 unten fig. 9) Ibid. ©, 233, 





872 Vabſt Gregorius VII. und fein Beitalter. 


endlich daß er den Herzog mit ber Königöfrone begnadige. — Nachdem dr 
Pabft den Vortrag des Abts angehört hatte, bewilligte er alle dieje Bitten 
und überdieß ein Kreuz, weldes dem Könige ald Zeichen apoftoliicher Wirk 
vorangetragen werden ſolle.“ - 

Im Grunde enthalten diefe drei Zeugniffe die Summe Deffen, was ta 
mals in Ungam vorging. Noch ausführlichere Nachrichten finden ſich im cine 
Bullet) Pabſts Eylvefter IL vom 27. März des Jahres 1000, Allein dir 
felbe redet von Dingen, die gewifjen Ohren unerträglib find, als z.B. dej 
Stephan fid) und fein Reid dem h. Stuhl zu eigen gegeben und ale Lehen 
zurückempfangen Habe. Da die Bulle überdieß erft im ſechzehnten Jahrhunden 
— und zwar — man denfe fid — durd einen Jefuiten ans Tage 
licht gezogen wurde, und da man feitdem trop vieler Nachforſchungen nit 
gends die Urſchrift auffand, jo ermangelten und ermangeln Geifter der ange 
deuteten Art nicht, befagte Urkunde für untergefchoben und eitel Trug je 
erklären, 

Ich habe ſchon vor Jahren die Frage der Acchtheit am einem andern 
Orte jartfam behandelt?) und nachgewleſen, daß fein Zug in der Bulle if, 
der nicht durd andere alte Urfunden oder Zeugniſſe vollftändig beglaubigt 
würde. Ihr Inhalt ift aljo wahr. Sodann muß man wiſſen, daß bald nad 
Anfang des ſechzehnten Jahrhunderts ein fürchterlicher Zürkenfturm über Un 
garn hereinbrach, daß mehrere Menſchenalter lang ein türfiicher Paſcha im 
Schloſſe zu Dfen bauste, und daß während biefer Zeit oomaniſcher Dberge 
walt unzählige Kirchen und Klöfter fammt ihren Urfunden zerſtört worden 
find. Das Verſchwinden der Urfchrift beweist alfo nichts. Nie, ich muß es 
geftchen, ift mir die Art von Gritif, welde ih im Auge habe, jo läden 
lich erſchienen, als im Betreff der fraglichen Bulle Eyivefters I. Immer 
hin mögen die Fröſche quaden, jo lange fie wollen, am Himmel flimmern 
doc) die Sterne. 

Der wejentlihe Inhalt des von Eylvefter erlaffenen Schreibens lautel 
fo: „Eylvefter, Knecht der Knechte Gottes, dem Herzoge der Ungarn Umjern 
Gruß und apoftoliihen Segen! Die Anfunft deiner Geſandten, bejonders des 
ehrwürdigen Aftritus hat Uns mit Freude erfült. — Wir danken Gott vu 
Vater und unferem Herrn Jeſu Ehrifto, daß während Unferer Tage in dem 
Sohne Geiſa's ein neuer David crwedt ward, das auserwählte Bolf der 
Ungarn zu weiden. Auch preifen Wir deine Großmuth, dieweil du durch deine 
Geſandte und die überfdidten Briefe dein Reid, das Volk, defien Herzog du 
bift, und al’ deine Habe dem Apoftelfürften Petrus zu ewigen Gigenthum 
geſchenkt haft. Unfere Abſicht iR, dir Alles zu gewähren, was bu vom 
apoſtoliſchen Stuhle erbateft: die Krone, den Föniglihen Namen, die Erich⸗ 


*) Iaflo Pr. 2095. Gfrorer, Kicch. Geſch. II, 1582 fig. 


Siebtes Buch. Sap.50. Sylveſterd II. Bulle v. 27. März 1000 an Stephan I. von Ungarn. 843 


tung der Metropole zu Gran und ver Übrigen Bisthümer für jetzt und Fünf» 
tige Zeiten. Das Reich, welches deine Großmuth dem Stuhle Petri anbot, 
und das Volk der Ungarn nehmen Wir in den Echuß der h. römiſchen Kirche, 
geben ed aber bir, deinen Erben und rechtmäßigen Nachfolgern für immer 
zurüd. Jedoch follen deine Erben, fobald fie durch die Stände des Reiche 
gefegmäßig erwählt worden, verbunden fein, gleich dir Unjern Nachfolgern ges 
bührende Huldigung zu leiften, fi der h. römifchen Kirche, welche ihre Unter⸗ 
thanen nicht wie Sklaven, fondern wie Kinder hält, hold zu erweilen und im 
fatholiihen Glauben getreulich zu verharren. Und dieweil deine Herrlichkeit, 
die Apoftel nachahmend, das Amt der Previgt und der Ausbreitung des Glau⸗ 
bens übernommen und Uns in Unſerem hohenpriefterlihen Berufe freiwillig 
unterftügt hat, verwilligen Wir als bejondere Auszeihnung, daß du, fowie 
deine Erben und Nadyfolger, fofern fie auf die befchriebene Weife erwählt und 
vom apoftolifhen Stuhle beftätigt fein werden, für jegt und alle Zufunft fols 
gende Ehre genießen: ein Kreuz mag man ihnen nad) erfolgter Krönung voran⸗ 
tragen, auch wirft du und werden deine Nachfolger Vollmacht haben, bie 
Kirche Ungarns zu ordnen und einzurichten. Wir flehen endlih zum allmäch—⸗ 
tigen Gott, der Uns gebot die Krone, welche eigentlih für den Herzog 
von Polen befimmt war, Dir zu verleihen, daß er Dis in allen Früchten 
der Gerechtigkeit wachen laſſen möge.“ 

Die Krone, welde damald Stephan mit der Bulle aus den Händen 
ESylveſters II. empfing, iſt noch heute vorhanden, aber nicht mehr ganz in ihrer 
urfprüngliden Geſtalt.) Die jegige Krone befteht nämlich aus einem lati⸗ 
nifchen Oberſatz und einem griechijchen Unterfage. Der erfte fam im Jahre 1000 
aus Rom. Auf dem Echeitel prangen die Bilder Ehrifti und von act Apofteln, 
deren Namen mit Iangobarbifchen Buchftaben beigefügt find. Der Unterfag iſt 
byzantiniich, enthält auf der Vorderſeite das Bild Jefu Ehrifti, zu Seiner 
Rechten und Linken die Bilder der Erzengel Michael und Gabriel, auf einem 
unten angebradhten goldenen Reifen die Märtyrer Cosmas, Georgius, Demes 
trius, Damianus, auf der Hinterfeite die Köpfe dreier Herrſcher, naͤmlich 
zweier griechifhen Kaiſer mit der Unterſchrift: Michael Dufas, in Ehrifto 
gläubiger Kaifer der Römer, und Conftantin, der Purpurgeborne, Kaifer der 
Römer, und endlich eines ungarifchen Häuptling mit der Schrift Geob (oder 
ein ähnlihed Wort), treuer Herzog, Kralid (xpaans d. h. König) der Türkei, 

d. h. Ungarns, 

Bon 1067 an faßen auf dem Throne zu Conſtantinopel Michael Dukas 
(des Dukas Sohn) als Kaiſer und als deſſen Mitregent Conſtantin XI., beide 
Söhne von Herrſchern und folglich Purpurgeborne. Zu gleicher Zeit war in 
Ungarn Geiſa UI. Gegenfönig des vom faliihen Katjerhofe beſchützten und ges 


a) Efrorer, Kirch. Geſch. III, 1538 fig. u. Berk XI, 233, Rote 34. 


874 VPabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


haltenen Salomo. Ohne Zweifel hat er fih im Gedränge nad) Byzanz um 
Hülfe gewendet, und in Folge des Beiſtands, den er erhielt, muß es geſchehen 
fein, daß er ald Sinnbild feiner den Byzantinern geleifteten Huldigung die 
"aus Eonftantinopel ihm zugejchidte Krone mit der lateinifchen Stephans fünf 
li verbinden ließ. Zu beſſerem Verſtändniß will ich noch beifügen, daß 
Geifa IL zulegt die Oberhand über feinen Gegner gewann und von 1075 
bis 1077 an wirfliher König von Ungarn wurde. 

Wie jchon oben bemerft worden, ftimmen vollfommen beglaubigte That 
ſachen aufs Wort mit den einzelnen Sägen der Bulle überein. Nach tem 
Tode Stephans L erhielt Ungarn einen König durh Wahl,‘ folglich war cd 
ein Wahlreich. Dieſelbe Einrichtung dauerte auch ſpäter fort, dod hat man 
guten Grund, die Wahl mehr als eine Förmlicfeit, denn als etwas Wein 
liche8 zu betrachten; denn fie fiel ſtets auf Mitglieder des herrſchenden Hanict, 
in der Regel auf den älteſten Sohn des Vorgängers, und diente nur dajı, 
den Nadyfolger in geſetzlicher Weiſe zu nöthigen, daß er einen Eid auf de 
beftehende Verfafjung leiftete. Deßgleichen haben theils Stephan I. felbit, theild 
feine Nachfolger thatſächlich das ihnen von Eylvefter verliehene Recht, Ungams 
Kirche zu ordnen, ausgeübt. 

In einer Urkunde vom Jahre 1036 fagt?) Stephan L: „id habe von 
dem Oberhirten der römischen Kirche Vollmacht empfangen, nicht blos an allen 
Drten, wo ed mir gutdünft, Bisthümer und Abteien gu gründen, fondern aut 
die errichteten Stifte mit pafjenden Freiheiten auszuftatten.” Ebenfo verlangte 
König Bela IV. in einem an Pabjt Gregor L. gerichteten Schreiben?) vor 
Jahre 1238, daß ihm bezüglid der Wallachei, die er eben, vom Pabſte aufs 
gefordert, zu erobern im Begriffe fand, diefelben kirchlichen Befugniſſe ertheil 
werden, welche der heil. Stuhl dem erjten Könige Ungarns, Stephan L, ein 
geräumt habe, nämlich dad Net, Sprengel zu errichten und abzugrängn 
auch Biſchöfe einzufegen. 

Der Alt, Eraft deſſen Stephan fein Reich dem Stuhle Petri zu eigen 
gab und als Lehen zurüdempfing, war nicht mehr und nicht weniger ald tie 
jelbe Borm der Hulvigung, mit welcher die Gothenfönige des alten Ready 
von Toledo, wie die angelſächſiſchen Herriher, vorangingen, dieſelbe ferne, 
welche der glorreichfte Fürft des eilften Jahrhunderts, Wilhelm der Erobere, 
1066 dem Pabſte Alerander IL leiſtete. Ste fchließt feine Demüthigung in 
fih, fondern eine Pflicht, welder Verheißungen zur Eeite ftchen. Alle cin 
ſichtigen Katholifen haben in den Zeiten ungetrübter Einheit der Kirche nett 
begehrt, daß die Großen ter Erve ſich als Diener Jeſu Ehrifti und folglid — 
da in dieſem wichtigen Gebiet nichts bloßes, In der Luft jhwebendes und dich⸗ 
bares, Gedanfending — ein unfehlbares Spielzeug der Argliſt und Bosheit — 


4) Die Belege bei Birdeer, RS. IN, Wr DE ER, 


Gichtes Buch. Cap. 50. Sylveſters U. Bulle v. 27. März 1000 an Stephan 1. von Ungartt. 875 


fein, darf, fondern gemäß dem Spruche bes Evangeliums et verbum caro 
factum est, in Fleiſch und Blut übergehen muß — als Getreue oder Eöhne 
des fihtbaren Stellvertreter Ehrifti, deg Oberhaupts der römifchen Kirche, 
befennen. 

Daß aber Stephan wirflidd Das verrichtete, was in der Bulle Syls 
vefterö IL zu leſen flieht, dafür ftelle ich weiter einen Zeugen, den Niemand 
verwerfen kann, nod je verworfen hat. Pabft Gregorius VII. jchreibt‘) unter 
dem 28. October 1074 an den Ungarkönig Salomo: „jeder Mann in Deinem 
Lande mag Dir fagen, daß einft Dein Vorgänger Stephan fein ganzes Reid 
mit Allem was darin iſt dem feligen Apoftelfürften Petrus zu eigen gegeben 
hat.“ Handgreiflich fpielt hier Gregor VIL auf die Bulle Sylveſters IL an. 

Wahrlid wer die Aechtheit dieſes Pergaments läugnen will, der muß 
die Geſchichte des halben Mittelalter umftoßen. Als ein Zeichen unheilbarer 
Berftandesblödigfeit betrachte ich e8 daher, wenn Kritifafter auf dem fraglichen 
Einfall beharren. Und hiemit genug! 

Der Merjeburger Thietmar ſpricht im Allgemeinen von Bisthümern, 
welde Stephan errichtet habe. Die ältere Biographie beftimmt?) die Zahl 
derfelben auf gehen. Ihre Namen find”) Gran (anfangs einzige Metropole), 
Stublweißenburg, Colocza, Vesprim, Raab, Bacs, Erlau, Waizen, Czanad 
und Groswardein. Doch ift nur der Stiftungsbrief?) von Stuhlweißenburg 
auf und gekommen. Stet war ed Grundfag der Statthalter Petri, ein 
ganzes Reich nie einer einzigen Metropole unterzuordnen, jondern wenigftens 
zwei Erftühle in jeglichem größeren Lande einzufegen, damit einer durch den 
andern in der rechten Bahn des Gehorſams gegen den Apvftelfürften ers 
halten werde. Kaum läßt. fih annehmen, daß Spyivefter diefe Regel hintans 
feste. Es geſchah auch nidht. Jener Aftrifus, der die Geſandtſchaft nah Rom 
übernahm und den Vertrag mit Betri Stuhl zu glüdlihem Ende bradte, war 
Schon früher durd König Stephan zum Bilchofe von Colocza erhoben worden. *) 
Als ſolchen bezeichnet ihn aud Spivefter in der Bulle vom 27. Mürz des 
Jahres 1000, weldhe im Uebrigen, wig wir fahen, des Biſchofs von Eolocza 
und jeiner Klugheit mit warmen Lobſprüchen gedenft. Sicherlich verdiente 
bei Einrihtung der ungarischen Kirche Niemand eher die Ehre, mit der Metros 
politanwürbe bedacht zu werben, ald Aftrifus, durch deſſen Hände das wich 
tige Geichäft ging. Wollte nun der Pabſt ihm diefe Auszeichnung verſchaffen, 
fo mußte er nicht Gran, fondern Colocza zum Erzftuhl beftimmen. 

Aber er that letzteres nicht, fondern gab, dem Wunſche des Königs ent- 
fprechend, erfterem Drte den Vorzug und zwar handelte er wohlweislidh fo. 
Denn da nicht nur Aftrifus felbft vorausfichtli eine Beförderung wünjchte, 


1) Manft XX, 138. Jaffé Nr. 3645. 3) Berk XI, 232 unten. °) Gfroͤrer, 
8. ©. III, 1549. °) Perg XI, 232 unten. 


einige Zeit des Augenlichtes. Damit nun die im Glauben ı 
Heerde durch Entfernung des Hirten feinen Schaden erleide, 
mit Einwilligung des Pabftes den viel erwähnten Biſchof 
locza zum Verweſer der Metropole. Nach drei Jahren £ 
durch Gottes Gnade die Sehfraft wieder und erhielt fofort 
thum zurüd, Aftrifus dagegen ward vom Pabfte mit dem $ 
und ging wieder nad; Colocza.“ Kür den Kern dieſer frı 
gende, deren wahren Zufammenhang vielleicht Harwwig fi 
halte ich die Thatſache, daß Aftritus das Pallium und folg 
rechte davon trug. Mftritus wohnte 1007 der deutſchen Reid 
furt bei, und unterzeichnete?) die Beſchlüſſe mit dem Beifag« 
Ungarn.” Mögligerweife könnte er fi damald diefen T 
der Metropole Gran beigelegt haben, obgleich ich dieß nicht 
halte. Wewiß dagegen ift, daß er 1015 Erzbiſchof von € 
eine Urfunde Königs Etephan vom eben genannten Jahre ſ 
Würde zu. 

Eylveſter IL hat Fraft der Bulle dem ungariſchen Könı 
bindlichteiten betreffend den Etuhl Petri auferlegt, aber fein 
welches verriethe, daß er ihn auch bezüglich des römifchen ı 
hätte. Wäre c8 nun dem Pabfte irgend Ernft mit den 
Weltverfafjung geweien, die er uud Andere damals dem ung! 
vergaudelten, fo müßte letzteres ebenfo gut geſchehen fein ı 
Deften mochte Dito — vorausgefegt, daß er den wahren €ı 


able Bud. Gay. 51. Dito’s III. Reife nach Gneſen. Boleslaw I., König von Polen. 877 


eliverfafjungsgebanfen ald Das betrachtet, was fie an fih waren, nämlid 
3 Kindereien, die eine praftiiche Anwendung gar nicht zuließen. 


Einundfünßigfies Capitel. 


lei dem Ungar Stephan verlangte auch der Bole Boleslaw Chrobry von Pabſt Syl⸗ 
veter II. Anerkennung eines unabhängigen Slawenreichs und bie Koͤnigskrone für ſich. 
Doc bezüglich dieſes Punktes brach zwiſchen dem Pabſte und dem Kaifer Zwiſt aus. 
Weil er fi durch Preigebung des von Otto I. eroberten Bolens den Haß ber fächfiichen 
Fürſten zugezogen hätte, die aus ben unterworfenen Provinzen große Nutzungen zogen, 
nahm Dtto III. die Unterhandlung mit Boleslaw in bie eigene Hand, verließ Italien, 
made Mitten im Winter von 999—1000 die Reife nach Polen. Borgänge und Feſte 
zu Gnefen. Otto fept dem biöherigen Herzoge Boledlam bie Koͤnigokrone auf, wogegen 
biefer fich verpflichtet, „Mitwirker bei Wiederherftellung bes römifchen Kaiſerreichs“ und 
„Breund anch Bundesgenofle des römischen Volks“ zu fein. Unermeßliche Beftechungen. 


Anders dagegen verhält es fich mit einem zweiten Lande, das gleichfalls 
ı der Bulle erwähnt wird. Eylveſter fagt, die Krone, die er an Stephan 
berichide, jet uriprünglih dem Polenherzoge zugedacht geweſen. Ebendaſſelbe 
ehauptet zweitens eine gute polnische Duelle,‘) von der unten die Rede fein 
rd, und drittens Biſchof Hartwig in feiner Bearbeitung der Lebensgeſchichte?) 
ztephans. Nur begeht?) Letzterer infofern einen Irrthum, al8 er behauptet, 
icht, wie es doch in Wahrheit der Kal war, Boleslaw Chrobry, fondern deſſen 
zater Micislaw ſei es geweſen, für den Pabſt Eylvefter die Krone babe ans 
rtigen laſſen. Sichtlich rührt der Verftoß Hartwig’ daher, weil die Bulle 
?ylveſters, die er fonft ausfchreibt, den Namen des Polenherzogs verjchwieg, 
veßhalb der Regensburger Bilchof, verlaffen von der einzigen vollig zuverläfs 
gen Duelle, die ihm zu Gebote fand, die weiteren Einzelnheiten aus minder 
uten, zum Theil ſchlechten, Nachrichten entnahm. 

Unter diefen Umftänden fann die Angabe der Bulle nicht bezweifelt wers 
en: die Krone, welche nad Ungarn gelangte, muß urfprünglich dazu beftimmt 
eweſen fein, dad Haupt des Polen Boleslam Chrobry zu zieren. Daraus 
gt denn, daß zu gleider Zeit mit dem Ungarn Stephan auch der Polens 
irſt Boleslaw Unterhandlungen in Rom angefnüpft hatte, und daß er ebenſo 
ie jener die Königsfrone, d. h. Anerkennung politiicher Selbſtſtändigkeit vom 
zabſte begehrte. ofen nun Sylveſter dem Polen Ähnlihe Bedingungen 
ie dem Magyaren gewährte, mit andern Morten, fofern er feinen Norbes 
alt gewiffer Hoheitörechte des deutſchen Reichs machte, braten es die bes 
ehenden Berhältniffe mit fih, daß Otto's perfönlihe Sicherheit und Macht 


*) Machgeiwiefen Gfrörer, Kirch. Geſch. II, 1539, Note 6. ) Berk XI, 233, 


878 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


auf dem Epiele ftand. Der Zufammenhang nöthigt mich zunächſt einen Ri 
blik auf die überelbifchen Länder zu werfen. 

Sm erften Bande!) vorliegenden Werks ift gezeigt worden, daß und m 
Dtto I. feit feinem Regierungsantritt theild in eigener SPerfon, tbeild dur 
aufgeftellte Markgrafen die jenfeitd der Elbe wohnenden Slawen unteriett 
daß und wie er, um das Werk der Waffen zu befeftigen, in dem erobert: 
Lande eine Reihe Stühle, Havelberg, Aldenburg, Brandenburg, Merichur: 
Meisen, Poſen, Zeiz fammt der Metropole Magdeburg errichtet. Mit ta 
gleißenven Borwand , die Lehre vom Kreuz und das Heil der Eeelen zu be 
fördern, ſchmückte ſich ſächſiſche Ehrſucht. Die Wahrheit ift, himmeljcreient 
Greuel wurden an den Unterjochten verübt, und wirkungslos verhallten t 
Klagen, welche einzelne rechtichaffene Glerifer wider die Graufamfeit ihn 
eigenen Landsleute erhoben. Doch fällt ein Theil der Schul auf gemif 
Stammgenoſſen des mißhandelten Volks. 

Damit das erftrebte Ziel leichter erreicht werde, wandten Otto's I. Hau 
leute den Kunftgriff an, entferntere Slawen zur Jagd auf Die eigenen Lant: 
leute abzurichten. Und wahr ift e8, mit unbegreiflicher KRurzfichtigfeit ginge 
ſlaviſche Stammesfürften in die Schlinge. Um 960 taudt, als erfter hif 
riſch beglaubigter Polenherzog, Miesko (Miceslaw), auf, ver fi mit d 
Ezehin Dobrawa vermählte, und durch fie beflimmt ward, den chriflide 
Glauben anzunehmen, kirchlichen Beftrebungen fein Land zu öffnen.) M 
Waffengewalt zwang der fächftihe MarfgrafsHerzog Gero denſelben, ber ben 
hen Krone zu huldigen und Zins zu zahlen.) Seitvem leiftete Micislaw mi 
derholt den Dttonen Heereöfolge, und half ihnen die Elbeflawen unteriocden' 
Ohne Zweifel bildete fi der Sarmate ein‘, durch Anſchluß an die Deutice 
und auf Koften feiner Etammgenofien zu höherer Macht auffteigen zu können 
Wäre es Gero gelungen, feine Abfichten ganz durchzuſetzen, ſo würde Micidlan 
eines Andern belehrt worden fein. Was ihm in diefem Kalle blühte, deutet” 
Biſchof Thietmar mit den Worten an: „fo lange Markgraf) Hodo lebie 
wagte der Pole Micislaw nie, im PBelzrode das Haus zu betreten, wo Het 
weilte, oder ſich niederzufegen, fo lange jener ſtand.“ 

Doc es kam nicht fo weit, hauptfächlich deßhalb, weil von Elugny Ideen aut 
ftrömten, welche gegen kirchliche und politifche Entwürbigung der Slaven verber 
genen aber ſehr nachdrücklichen Widerftand erhoben. Der Plan tauchte aul, 
eine felbftändige ſlaviſche Kirche, ein vom deutſchen Joche unabhängiges Reid 
an der Oder und Weichſel, zu errihten. Schon in den Tagen Dtto’d IL 
brüteten einzelne auögezeichnete Slaven und Staliener über folhen Gedanken, 
auch eine mächtige Griechin arbeitete ihnen, bi6 zu einem gewilfen 


9 Bd. L ©. 150 fe. 7) Verh III, 464.783. 5 Ibid. ©. 748 oben. 753 cha. 
®) Ibid. ©. 66 unten. 67, Miie., ITS SWL, wen Die, 9 Siehe Bb.L 15%. 


Rates Bud. Gay. 51. Dtto’s III. Meife nach Gneſen. Boleslaw I., König von Polen. 879 


Srade, in die Hände. Ich vermuthe nämlich, daß der früher!) nachgewieſene 
fan Theophano’s, ſlaviſche Patriarchate und auch weltliche ſlaviſche Statt⸗ 
haltereien zu gründen, die unabhängig von deutſchem Einfluß, nur unter dem 
renrömiſchen Kaiſerthum ſtehen ſollten, mit dem Widerwillen zuſammenhing, 
Weiden die Byzantinerin gegen die Deutſchen überhaupt und insbeſondere gegen 
Ihre Art, Elavien zu beherrfchen, gefaßt hatte. 

Gewiß iſt, daß den eben gefchilverten Entwurf — jedoch mit Ausnahme 
des Punfts der Erneuerung des wefträmifchen Kaiſerthums — der Czeche Adal⸗ 
Bert von Prag, der Stallener Romuald, Etifter des Camaldulenſer Ordens, 
und ohne Zweifel auch Odilo von Clugny fammt manchen feiner Ordensge⸗ 
noſſen hegten. In der That nur diefer Gedanke hatte praftiihen Werth 
und führte zum ermwünfcten Ziele. Was die Bremer und wohl aud die 
Magveburger Erzbiichöfe, ſowie Chronift Adam in einzelnen Stellen feiner 
Kirchengefchichte des Nordens, verfuchten — den Grafen und Herzogen Sadıs 
ſens ins Gewiffen zu reden, fie zur Uneigennützigkeit und Menjchenliebe zu 
ermahnen — fruchtete nichts. Der Geier jagt und raubt gerade fo lange, 
als man ihm nicht den Schnabel verfchließt, die Fänge beſchneidet, oder bie 
Schwingen ſtutzt, denn Jagen und Rauben ift feine Natur. Wollte man die 
Kirche in Slavien zu gebeihliher Blüthe befördern, fo mußte man bie zers 
fireuten Glieder des Volks zu einem großen Reiche vereinigen, ein tüchti⸗ 
ges Haupt bemjelben vorſetzen, und drittens dieſes Haupt unter Aufficht des 
Stuhles Petri ftellen. 

Wunderbar fam die damalige Lage der Dinge dieſen Ideen, welde 
in den Köpfen einiger der begabteften Zeitgenofien lebten, zu Hülfe: abermal 
bewährte fih die@alte Erfahrung, daß die Meinung der Beften der Wirklich⸗ 
feit oft um wenige Sahre, oft um Menfchenalter voraneilt, aber unfehlbar 
die Ausführung vorbereitet. Herzog Micislaw von Polen ftarb 992, auf 
dem Throne folgte”) ihm fein und der Ezehin Dobrama Sohn Boleslam, 
der durch Thaten den Beinamen des Kühnen verdiente, und ſich um Slavien 
ähnliche Verbienfte erwarb, wie der Sachſe Heinrich I. um Germanien. Daß 
er fofort zu Rom wegen Errichtung eines großen Slaven-Reihs, zu dem, 
außer Polen, Böhmen, Mähren, Schleſien und die Gebiete zwijchen Oder 
und Elbe geichlagen werben follten, und zwar auf der Grundlage ausgebchn- 
ter Rechte des Stuhles Petri unterhandelte, gebt unzweifelhaft aus den Ipä- 
teren Ereigniffen hervor. Aber ob er ſchon unter Johann XV., oder unter 
Gregor V., oder endlich erft in den Zeiten Sylveſters IL. die betreffenden 
Anträge geftellt hat, Fann aus Mangel an Nachrichten nicht entfchieden werden. 
Sedenfalld war Spyivefter IL eingeweiht. 

Wenn nun der Pabſt auf die Vorfchläge des Polen einging, ohne Rüds 


1) Oben ©. 509 fig. 548 fig. 608 fig. 9 Perh M, 09, 


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Unfäugbar iR die Glaſglocke, mittelſt welcher Sylveſter ſeinen 
Stüler gegen fremde Ginflüffe, namentlich gegen beutiche, abgeſchloſſen haute, 
bei biefem Unlafie von unbefaunter Hand eiwas gelüftet worben. Sieb 


Polen zu Gneſen Zugeftäntniffe machte, die weit über dad Maaß Haan 
gingen, das ihm alltäglide Klugheit und feine Stellung als deutſcher Kailer 
einzuhalten rietb, verwarf der Pabſt nachher die zwiſchen Beiden verabrebett 
Uebereinfunft und verweigerte der Koͤnigskrone, welde Otto auf das Haupt 
des Polen geiegt hatte, tie Anerfennung des römiſchen Stuhles. 
Scinerjeitö trat Otto III. nur mit innerem Widerfireben, ja ich mödt 
jagen, in ter ängflliben Etimmung eines Schülers, der die Ruthe des Hol 
meiſters fürdtet, dem ausgeſprochenen Willen Sylveſters entgegen. Bis nad 
Anfang Dezember 999 blieb er zu Rom: unter dem zweiten des genannten 
Monats wurde vie richterlie Entſcheidung) amdgefertigt, welche das An 
denfen Gregors V. beidimpfte. Die Bermuthung liegt nahe, daß er dieß ia 
ter Hoffnung that, den Groll Eyivefterd zu beſchwichtigen. Scheidend hinter 
ließ er ein Schreiben?) an den Pabſt, das fo lautet: „tiefen Kummer bereite 
es mir, daß ich nicht im Etande bin, Euren Wünſchen zu entfpredhen. Wein 
Herz ſchlägt für Euch, aber die Eigenthümlichfeit meines Körpers madt mir 
eine Luftweränderung zum Bebürfniß, denn id fann das Clima Staliens nidt 
in die Länge ertragen. Doc verlaß ih Euch nur mit tem Leibe, meine Ge⸗ 
danfen ſchweben um Euch, überbieß bleiben zu Eurem Schutze mehrere ver 


ı) Oben ©. 698. Fpiat. I, 158. Dudjedue IL 826. 


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Siebtes Buch. Gap. 51. Dito’s III. Heife nach Enefen. Boleslaw I., König von Bolen. 881 


vornehmſten Männer Italiens zurüd, namentlich der Tuscier Hugo, der Euch 
eänzlih ergeben if.” Folgt nun der Sap über die acht ſtrittigen Grafſchaften, 


: den ich früher") mitgetheilt habe. 


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Wie füß klingen diefe Worte! Otto fucht vor dem Pabſte den wahren 
Zwed der bevorfiehenden Reife zu verbergen. Der Grund, mit welchem er 
Die Nothwendigkeit einer Quftveränderung rechtfertigen möchte, läuft auf eine 
leere Ausrede hinaus. Wer je ein Jahr in Stalien zugebracht bat, weiß aus 
Erfahrung, daß in den Monaten November bid März Nordländer fih zu Nom 


: ebenfo behaglich fühlen, als irgend zu Haufe Nur im Eommer herrſcht 
ſchlimme Luft und bevrobt die Fremden mit Fiebern. Otto aber verlich bie 
- ewige Stadt im Dezember, alfo gerade während ber gelündeften Jahreszeit. 


Viele römifhe und andere Große, laut dem NAusdrude?) der Ehronif 


von Quedlinburg und Thietmars, Senatoren und Gardinäle, der Patricier 


Zazzo, dann ber Bruder des h. Adalbert, Gaudentius, kaum zuvor zum Erz⸗ 
bifchof der Polen erhoben,?) begleiteten den Kaiſer. Sicherlich fehlte es unter 
dieſen edlen Herrn nicht an folden, welche die Verbindlichkeit übernommen 
hatten, den Bortheil des Pabſts zu wahren und in Sylveſters II. Einne 
Dtto III. zu überwachen. Bor der Welt wurde als Zweck der Reife eine 
Wallfahrt zum Grabe des h. Adalbert audgegeben, an welhem viele Wunder 
geichehen follten. Die wahre Abficht blieb in Dunkel gehüllt. Ende Januar 
gelangte die glänzende Gefellichaft nad Regensburg.) Mit hoben Ehren 
wnrbe der Kalfer vom Bilchofe der Stadt, Gebhard, empfangen.?) Auch Gi⸗ 
felher von Magteburg fand fih ein, und zwar diefer in eigener Angelegenheit. 
Obgleich wiederholt verurtheilt und zu Herausgabe der Güter des Merjeburs 
ger Stuhles aufgefordert, fepte er durch feine Künfte durch, daß Dito ihm 
Aufſchub bewilligte. 

Weiter ging der Zug Über Zeig, Meißen nah der polnischen Gränze. 
Im. Dorfe Eilau am Bober traf Dtto mit dem polnischen Herzoge Boleslaw 
Ehrobry zufammen, der mit verfchwenderifhem Aufwande den hohen Gaſt 
ehrte. Man erficht hieraus, daß durch vorangegangene Unterhandlungen bie 
Geremonien des Empfangs geregelt worden waren. Gemeinſam ſetzte bad 
deutiche, italieniſche und polniſche Gefolge die Fahrt nad Gueſen, der kirch⸗ 
lichen Hauptfladt Polens, fort. In der Nähe des Orts angefommen, fticg 
Kaijer Otto III. vom Pferde, legte die Eticfel ab und wallte baarfuß zur 
Kirche des h. Adalbert, wo er weinend feine Andacht verrichtet. Don nun 
an gingen geheime Dinge vor, die man durch Vergleihung verſchiedener 
Quellen ermitteln muß. 

Die älteſte auf uns gefommene polniihe Ehronif, das Werk eines itas 

‘) Oben ©. 7086. 2) Berg IIL. 77 u. 780. ) Muratori, script. ital. IL b. 
602 unten. *) ine bort amegeflellte Urkunde nachgewiefen Jahrbücher d. d. Reichs 


I, db. ©. 112. 
Ofrörer, BabR Gregerins vu. Br. V, 86 


882 Pabſt' Sregorins VII. und fein Beitalter. 


fienifchen Clerikers, der bald nad Anfang des zwölften Jahrhunderts in 
Polen lebte,) berichtet”) Bolgendes: „im Jahre 1000 Fam Kaiſer Dtte DIL 
nah Gnefen, um am Grabe des h. Aralbert feine Andadt zu verrichten, 
zugleih aber auch um den glorreihen Boleslaw Fennen zu lernen, mie ge 
f&hrieben fichet in dem Buche von den Leiden des Märtyrers“ (Aralben). 
Der Ehronift deutet biemit an, daß er feine Angaben über den Aufmtbalt 
Ditv’8 zu Onefen aus einer ohne Zweifel gleichzeitigen Geſchichte Adalbent 
fchöpfte, welche die Trefflichkeit feiner Nachrichten erklärt. Nachdem er fofer 
die von Boleslaw zu Ehren’ des Eaſtes angeftellten Kampfſpiele feiner Ritte 
— wahre Turniere — geſchildert hat — fie rannten in zwei durch verſchieden 
Kleidung ausgezeichneten von Gold und edlem Pelzwerk firogenden Edaarr 
wider einander — fährt er fort: „im Angeficht feiner Großen fprad Otto IN. 
es ift nicht würdig, daß ein fo herrlicher Fürft ten geringen Namen cine 
Herzogs oder gar Grafen trage, fondern er verdient mit dem föniglichen Dia 
dem geihmüdt und auf dert Thron erhoben zu werden. Dieß gefagt, nahr 
er fein eigenes Diadem herunter und feßte e6 zum Zeichen des Bundes an 
das Haupt ded Boleslaw, auch gab er ihm als Reichsbanner einen Nage 
vom Kreuze Ehrifti fammt der Lanze des h. Mauritius, wogegen ihm Be 
leslaw einen Arm des h. Adalbert ſchenkte. Beide fühlten an jenem Tag 
ſolche LXiebe zu einander, daß Otto den Polen zum Bruder und Mitwirke 
bei Wiederherſtellung des Reichs beftellte, au einen Sreund und YBundekge 
nofien des römilchen Volkes nannte.“ ®) 

Getroffen, er ift e8! Der Bericht des italienifchen Clerikers trägt de 
Wahrheit Eiegel auf ver Etime, denn haarflein wiederholt er die KAmfl 
wörter der Weltreihöverfaffung, namentlich der vierten Formel, welche vor 
Aufnahme mächtiger Fremden in das römiſche Bürgerrecht handelt. 

Nicht nur die Königsfrone, fondern auch gewiſſe kirchliche Bollmadıtr 
hat damald Otto III. dem Polen ertheilt. Der Ehronift erzählt weite 
müberbieß verlieh der Kaifer betreffend Kirchenangelegenheiten, foweit fie te 
Thron angehen, im Bereiche Polens und der fünftig au machenden Eroberunge 
an Boleslaw und deffen Nachfolger vollfommene Gewalt, welche Webereinfurf 
nachher Pabſt Syivefter durch eine Bulle beftätigte." Ausführlichere Nat 
richten finden fi bei andern Zeugen, doch ftimmen die Ausſagen derſelber 
— wenigftens anfcheinend — nicht zum Beſten mit einander überein. 

Thietmar von Merfeburg ſchreibt:) „Dtto hat damals den Bruder It 
“5. Adalbert, der mit feinem flaviihen Namen Radim, auf lateiniſch Gautes 
tius hieß, zum Erzbiſchofe von Gneſen erhoben und ihm die drei Stühle Keb 


1) Perg IX, 419 fig. 3) Ibid. ©. 428 fig. ®) Ibid. ©. 429: imperator em 
fratrem et cooperatorem imperli institult, a0 pepuli romani amicum et socium appelark 
*) Berg II, 781. 


Siebtes Buch. Gap. 51. it's III. Heife nach Eneſen. Boledlaw L, Rönig von Polen. 883 


"Berg,N) Krafau und Breslau untergeorbnet.* Lant der ausdrücklichen Bemer⸗ 
- Bang des Ehroniften verweigerte jedoch Bifchof Unger von Rofen, in deſſen 
Eprengel die drei neu errichteten Etühle lagen, feine Zuftimmung zu Ichterer 
Maßregel. nefen, Rolberg, Breslau, Krafau waren Anftalten, welhe Bos 
7 Yeslaw erft während ber lebten Zeit gegründet hatte, denn nirgends ift von ihnen 
7 früher Die Rebe, Poſen Dagegen gehörte zu den äfteren Bisthümern, welde aus 
“Yen Zeiten bes erften Dito ſtammten. Mit gutem Fug fonnte daher Unger 
von Poſen, um defien kirchliches Machtgebiet e8 ſich handelte, feine Einwils 
— ligung geben ober verweinern. Der Miverfpruh, den er einlente, hielt die 
 firchliche Ehöpfung des Polen — vielleicht nicht gegen die geheime Abficht 
+ Dtto’8 II. — vorerft in der Schwebe. Im Uebrigen ficht man, daß Bo⸗ 
leslaw zur Zeit, da bie vier neuen Bisthümer entſtanden, Herr über Echlefien, 
» SHinterpommern, wie über das innere Polen war. 
. Laut der Ausfage eines dritten Zeugen, dem mehrere andere zur Seite 
„ Reben, fchweiften die kirchlichen Vollmachten, welche Otto dem Polen ertheilte, 
« weit fiber das Maas hinaus, das Thietmar feſthält. Die Chronik von Hils 
desheim meldet?) zum Jahre 1000: „während feiner Anwefenheit in Polen 
s berief Otto III. eine Synode, errichtete auf derſelben fieben Bisthümer und 
. beftellte den Bruder des h. Märtyrers Adalbert, Gaudentius, mit Zuftimmung 
des Pabſts zum Metropoliten in der Stavenhauptftant Prag.” Ganz daſ⸗ 
ſelbe bezeugt”) der Verfaſſer der Lebensgefchichte des Biſchofs Meinwerf von 
Paberborn. Auch Lambert von Hersfeld behanptet,*) Gaudentius, Adalberts 
. Bruder, fei 1000 zum Erzbiſchofe von Prag eingefegt worden. 

Abgefehen von der Abweichung des Zeitgenofien Thietmar, widerſtrebt 
es dem natürlichen Gefühl, anzunehmen, daß Dtto fi fo weit vergaß, Prag 
dem Polen preizugeben, da die Abtretung diefer Stadt den Verluſt dee 
ganzen dem Mainzer ‚Sprengel einverfeibten Landes Böhmen nad ſich zichen 
mußte. Ein weiterer Grund kommt Hinzu: die älteſte Prager Ehronif bes 
richtet,) daß 998 nah dem Märtyrertode des h. Adalbert der Elerifer Thiat⸗ 
dag das Prager Bisthum empfing, und 1017 ald Prager Biſchof ſtarb. 
Auch Thietmar von Merfeburg führt) den Biſchof Thiatdag als Nachfolger 
Des b. Adalbert auf, und verfept”) feinen Tod in dad angegebene Jahr. 
Demnad Scheint für die erzbifchöfliche Amtsführung des Gaudentius zu Prag 
Tein Raum übrig zu bleiben. 

Gleichwohl verbietet meines Erachtens der gefunde Menjchenverftand, bie 
Ausfage zweier fo glaubwürbiger Berichterftatter, wie des Monde von Hils 
deshelm und Lamberts, zu verwerfen, zumal da die beiderfeitigen Zeugniſſe 


2) Salsa cholbergensis ecclesia. Das Beiwort salsa feheint anzudeuten, daß Kolberg 


auf der baltifchen Küfe gemeint ifl. ) Berg III, 92. 2) Perg XI 109 unten. 
*) Berk III, 91 unten. ) Ibid. ©. 119 unten u. 120 oben. %) Ibid. ©. 808, 
) Ibid. €. 854. 


884 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


fih ungezwungen vereinigen laflen. Auf der Eynode, welche Dtto allerding 
zu Gnefen hielt, muß beichlofjen worben fein, daß es vorerft bei tem vi 
neu errichteten polnischen Etühlen Gneſen, Kolberg, Breslau, Krafau fein Bewer 
den haben und daß Gaudentius zu Gneſen feinen Ei einnehmen möge, daß ab 
demnächft, wenn vorher gewiffe Bedingungen erfült feien, drei weitere Bi 
thümer für. Polen gegründet werden follen, und daß dann Gaudentius u 
Metropolite des ganzen fünftigen Elavenreih8 nah Prag überfiedeln wert 
Die Bedingungen der angedenteten Art dürften folgende gewejen fein: wenn cı 
Boleslaw die beiden deutihen Metropolen Magdeburg und Mainz für &i 
engung ihres Firhlihen Machtgebiets, fowie die deutichen Grafen und Wa 
grafen längs der Gränze, für den Berluft ihrer Einfünfte aus den überell 
fhen ©ebieten, deren Abtretung an Polen im Werfe war, gehörig entidät: 
haben würde. 

So einfältig fih Dtto III. in Polen benahm, bat er doch offenbar ( 
die Zugeftändniffe, die er machte, allerlei „Wenn und Aber“ gefnüpft, u 
fhon der Widerſpruch des Pofener Biſchofs Unger beweist, daß es de 
Kaifer nit an gutem Willen fehlte, dem Polen Boleslaw gegenüber, d 
ihm an Berftand und Schlauheit unermeßlid überlegen war, politifche Here 
meifterfünfte ſpielen zu lafjen. 

Noch ganz andere Gründe ald die Nothwenbigfeit, abweichende Angab 
von Zeugen, denen faſt gleiches Gewicht zukommt, in Einklang zu bringe 
empfehlen den eben enwickelten Verſuch der Vereinigung. Kurz nad te 
Tode Otto's III. brach Boleslaw Chrobry in Böhmen cin, und zwar jun 
unter dem Vorwande, den vertriebenen Erbfürften des Landes, den cr wirfli 
mit fi führte, wieder auf den Thron feiner Väter einzuſetzen. Aber bald waı 
er die Maske ab, verjagte feinen bisherigen Schügling, und lich ſich felt 
al8 Herrn Böhmens ausrufen.‘) Und nun muß gefcheben fein, was de 
ältefte polnische Chroniſt weiter meldet,?) nämlih Daß Boleslaw Chrobry ; 
Prag feinen Herriherfig aufiblug und das Land jeinen Euffraganbiidik: 
unterordnete. Dffenbar handelte er nah einem vorbedadten Plane, deſſ 
Aueführung er dadurch angebahnt hatıe, daß er fih durch Pie unüberlegte 
Zugeftindniffe Otto's eine Berechiigung, das zu thun, was er jegt that, a 
theilen ließ. 

Fürs Zweite unterzeichnete ) ber Bruder des 5. Adalbert während de 
legten Tage der Anweſenheit Otto's II. zu Rom die rickterlide Endentſchei 
dung in der Sache des Abts Hugo von Farfa mit der Bormel: „id Gas 
bentius, Erzbifhof zum h. Märtyrer Adalbert, ftimme zu.“ ei 
ohne Beijpiel iſt es, daß ein Erzbifchof ohne Angabe eincs beftimmten Eipi 


) Berg TIL. 799. Ich werde fnäter auf biefe Begebenheiten jurüdfommen. 5) He 
IX, 428. °, Muratori, seript, ml. IL, db, ©, WOR uolen, 


Siebtes Buch. Cap. 51. Otto's III. Heife nach Gneſen. Boleslam L, König von Polen. 885 


aufgeführt wird. Diefe Sonderbarfeit muß ihren Grund haben: offenbar rührt 
fie daher, weil im Dezember 999 zwar bereits feft befchloffen war, daß Baus 
dentius polnischer Erzbischof werden folle, aber weil gleihwohl die weitere 
Frage feines fünftigen Eiges, ob zu Prag oder zu Gneſen, noch ungelöst 
jhwebte. Kurz, für fih allein beweist die Unterfhrift, daß die Sache fi 
jo verhielt, wie oben aus ganz andern Erwägungen entwidelt worden ift. 

Bor Allen zog Pabſt Eylvefter II. aus den Gneſener Verhandlungen 
zwiſchen Dtto IIL und Boleslaw Vortheile. Der Pole erkannte nicht blos 
für fih und fein Reich die lirchliche Oberhoheit des römifhen Stuhles an, 
fondern er übernahm aud zu gleicher Zeit die Errichtung eines Jahreszinſes 
an die Kammer des Apoftelfürften. Laut der Angabe‘) des Merfeburger 
Thietmar führte Boleslaw 1013 beim Pabſte fchriftliche Beſchwerde, daß er 
wegen der geheimen Nachſtellungen des deutſchen Könige Heinrih II. außer 
Standes gefegt fei, den jährlichen Zins zu entrichten, zu welchem er fich gegen 
Petri Etuhl verpflichtet habe. Kein anderer Zeitpunft laͤßt fih denken, da 
Boleslaw dieſe Verbindlichkeit übernahm, als aus Anlaß der Gründung einer 
von Deutichland unabhängigen polnischen Kirche, aljo im Jahre 1000, wäh- 
rend Otto's Anweſenheit zu. Gnefen. 

Gleichwohl legte Eylvefter wenig Zufriedenheit über die Vorgänge zu 
Gneſen an den Tag. Zwar muß man aus der oben mitgetheilten Etelle 
der älteſten polnischen Ehronif den Schluß zichen, daß er die neu errichteten 
Stühle durd) Bulle beftätigte. Dagegen bat er die firhlihe Anerkennung 
der föniglihen Würde, welbe von Otto dem Polen unter dem Sinnbild 
der UÜcherreihung des failerliben Diadems ertheilt worden, beharrlich verwels 
gert. Wie ih fpäter zeigen werde, machte Boleslaw nach Otto's 1IL Tode 
unausgeſetzte Anftrengungen, die Königsfrone vom Pabjte zu erlangen, und 
zwar lange vergeblih. Erſt nachdem Kaifer Heinrich IL, ein ihm überlegener 
Gegner, verblihen war, genoß der Pole die Genugthuung,?) eine vom Etatts 
halter Petri geiegnete Krone auf fein Haupt zu fegen. 

Unverfennbar ging Eyloefter von den Grundjüge aus, daß nicht dem 
Kaiſer, fondern nur dem Etrllvertreter des Apoftelfürften die Befugniß zus 
ftehe, Könige zu zeugen, ein Glaube, den das ganze Mittelalter und insbes 
ſondere die älteſten Earlinger theilten. Denn Leptere hielten fih erſt dann 
für rechtmäßige Herrſcher der Franken, nachdem im Aufırage des Pabſtes ver 
h. Bonifacius. und fpäter der Pabft ſelbſt Pippin zum Könige gefalbt hatte, 
Sylveſter verzich es, wie man ficht, dem Polen nicht, daß er ftatt mit ihm 
— dem Pabſte — mit dem Knaben Otto über die Königsfrone Polens uns 
terhandelte. 

Andererſeits bethätigte Dtto III. zu Gneſen eine, man kann fügen, faft 


1) Berg II, 833, Mitte, 2) Die Belege bei Bfrörer, K. &, IV, 2 in 


EL En a 


886 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


unerhörte Uneigennüpigfeit. Erſtlich ftellte er dem Polen durch vie unbevad 
ten Zujagen, welde er von fid) gab, bedeutende Erwerbungen in Ausidt, 
die, wenn fie auch nicht oder nicht ganz aufrichtig gemeint waren, baaren 
Werth für Boleslaw hatten. Fürs Zweite erflärte er den bisher beſtandenta 
Lehenverband wilden Polen und der deutihen Krone für gelöst, und crlie 
den Tribut, welden ſchon Boleslaws Vater Micislaw feit den Zeiten Dite'ö L 
an die faiferlide Kammer entrichtet hatte.) Verdeckt, obgleich unzweidentiz 
ipielt Thietmar von Merſeburg hierauf an. Nachdem er nämlich den Berlauj 
der glücklichen Kriege geihilvert hat, welde Boleslaw nad Oito's IIL Tote 
wider das deutiche Neih führte, ruft?) er aus: „von all diefem Unheil trägt 
Dtto IH. die Schuld! Der Allmächtige möge es dem Kaiſer verzrihen, daj 
er den Polen, der bis dahin zinspflidtiger Vaſall des deutſchen Reiches ge 
weien, zu einem felbftändigen Herrn machte.“ 

Und was empfing Otto IIL als Gegenleiftung für alle dieſe Opfer? 
Die Zufiherung ded Polen, „Mitwirker bei Miederherftelung des römijcen 
Reichs, Bundesgenoſſe und Freund des römiſchen Volks zu jein.“ Allen 
Anſcheine nach blieb es nicht bei bloßen Worten, ſondern ein klein wenig That 
kam hinzu. Thietmar ſagt,) beim Abſchied habe der neue König von Polen 
dem Kaifer zu deſſen größter Freude 300 gepanzerte Ritter mitgegeben. Di 
fenbar ſollte dieſes Häuflein Eolvaten eine Abjihlagszahlung oder ein Aufgelt 
ter verheißenen Beihülfe zu Wiederherftelung des Römerreiches fein. 

Man fann nicht läugnen, die Entftchung eined unabhängigen Slave 
reihe, oder was hiemit gleichbedeutend, die Eprengung des unnatürlichen Ber 
hältniſſes zwiſchen Polen und der deutihen Krone war ein Glück für vie 
Kircbe, das Abendland und am Ende aud für Germanien ſelbſt. Beſſer if 
es, Unverftand oder überlegene Weisheit dieſes oder jenes Fürſten hebt freis 
willig Zuftände auf, die dod nicht in die Länge haltbar find, al& fie werten 
gewaltfam durd die Wucht der Ereigniffe zerftört, weil legtere Art der Löjung 
gewöhnlih den Völkern Opfer fofte. Ih will glauben, daß im Gefolge 
Otto's III. feh Männer befanden, welche dieſe Wahrheit erfannten, und fe 
dem Kaijer in einer Weife, die feinem phantaftiihen Einne entſprach, ki 
bradten. Man mag ihm vorgeſtellt haben, das Weſen großer Weltreikk, 
wie des von ihm bergeftellten neurömifchen, fordere, daß jede der verjchiedenen 
Rolfsthiimlichkeiten, die es in ſich fchließe, zu dem ihr gebührenden Redte 
gelange, taß über Elaven, Magyaren, Romanen nicht Deutiche, fondern ge 
borne Elaven, Magyaren, Romanen zu Etatthaltern eingefegt werden — 
denn als Etatthalter römischer Reichsgewalt betrachtete ficherlich Otto den 
Polen Voleslaw und den Ungar Stephan — endlih daß die Klugheit vor 


ſchreibe, Deutſchlands hohe Vafallen, welche durdy ihre Herrſchſucht fich ſelbſt 


1) Eiche oben ©. 878. Y Berg DL, IR uelr Bile 9 UL €, 781 gegen ober. 


Siebtes Buch. Cap. 52. Dito’s III. Aufenthalt am Rhein. Die Slasglode fpringt. 887 


und das Reich bei den umliegenden Nationen verhaßt gemacht hätten, bei 
Zeiten zu dämpfen und fie an die befcheidene Role von Provincialen zu ges 
wöhnen, zu welcher fie jedenfalls, wenn der Plan des Weltreichs gelang, 
berabfteigen mußten. 

Allein außer den eben geſchilderten Bernunftgründen haben ohne Zweifel 
metallene mitgewirft, um den jungen Kaifer in eine den Wünfchen des Polen 
günftige Stimmung zu verfegen. Nach den oben mitgetheilten Säßen berich⸗ 
tet!) der polniſche Ehronift weiter, daß Boleslaw zur eier feines Königs 
thums dreitägige Feſte anftellie, bei welchen jeden Tag die gebrauchten gols 
denen und filbernen Gefäße durch andere noch Eoftbarere erjegt wurden, und 
daß er zulegt den ganzen Schmuck von unermeßlihem Werthe dem Kaiſer 
Ichenkte. Nebenher vergißt der Chronift nicht beizufügen, Boleslaw habe 
auch das Gefolge ded Kaiferd mit Geſchenken überſchüttet und dadurch zu 
Wege gebracht, daß diefe Herren, die ihm ſchon vorher wohl wollten, feine 
feurigften Freunde wurden. “Der deutihe Kaiſer brauchte damals, gewiſſer 
Umpftände wegen, die id unten nachweilen werde, Geld, fehr viel Gel. 


Bweinndfünfzigfies Capitel. 


Dtto UI. fehrt aus Polen nach Deutſchland zurüd und verweilt daſelbſt ſechs Monate. 
Während biefer Zeit fpringt die Glasglocke, und Mißtrauen wider Pabſt Eylveſter IL 
gewinnt die Oberhand in Otto's IH. Seele. Gr öffnet das Grab Carls des Großen 
und fammelt mit Geldſummen, bie er durch grobe Simonie aufbringt, ein anfehnliches 
Heer, um mittelft Kolbe und Streitaxt die erfannten Mängel der Weltreichsverfaflung 
zu verbefien. Sein dritter Römerzug, angetreten im Juli 1000. 


Otto's Aufenthalt zu Gnefen fällt laut der Ausſage zweier Zeugen?) in 
die große Yaftenzeit ded Jahres 1000. Auch eine Urkunde”) ift vorhanden, 
die der Kaiſer unter dem 13. März 1000 zu Gueſen ausſtellte. Bei Her 
annahen der Dfterwoche Eehrte?) er, von Boleslaw geleitet, nad Magdeburg 
zurüd, wo beide dad Palmfeft begingen. Hier forderte Dtto den alten Gi⸗ 
felher auf, das Erzbisthum niederzulegen und fi mit dem Etuhle von Mers 
feburg zu begnügen. Allein durd wohl angebradhte Geſchenke bewirkte‘) Gi⸗ 
jelher, daß ihm Aufſchub bis zu einem demnächſt befchlofjenen Tage zu Qued⸗ 
linburg bewilligt ward. 

Die Berfammlung fam zwar zu Stande, aber Giſelher erichten „Krank⸗ 
heit halber“ nicht. Der Cleriker Rotman und der Probft Waltherb führten 
für ihn das Wort. Nun wurde eine neue Synode nad) Aachen anberaumt, 
vor welcher zwar Giſelher fich ſtellte, aber durch Yürbitte eines römijchen 


4) Berg IX, 429. 2) Berg III, 92 oben u. XI, 109 unten. Johxboou. un 
deutfchen Reichs U, b. ©. 112. ) Bere II, 781. 


838 BabR Gregorins VIL und fein Zeitalter, 


Archidialons abermal eine weitere Friſt bis zu Abhaltung eines allgemeine 
Goncild erhielt. Der alte Fuchs ſtarb als Erzbiichof den 25. Januar 1004 
Erjt nad) jeinem Tode wurde unter König Heinridy II. der Merjeburger Ext 
wiederhergeſtellt. Gewiß ift die Offenheit merkwürdig, mit welcher Bilde 
Thietmar eingeſteht, ) daß der deutſche Kaiſer fih von einem ſchuldigen Ba 
falen um Geld Etraflofigfeit ablaufen ließ. 

Urkundlich?) findet man Otto vom Ende April bis Ausgang Mai 100 
zu Aachen, wo er außer der mißlungenen Kirhenverfammlung verfcdichene au 
dere Dinge betrieb. Erſtlich gebot er das Grab Carls des Großen zu öffnen 
fticg in Begleitung zweier Biſchöfe und des italieniijhen Grafen Di wi 
Lumello hinab, um — laut der Behauptung‘) Thietmars, mit eigenen Auge 
gu ſchauen, wo der tobte Held liege. Der letztgenannte Graf hat über fcin 
Wahrnehmungen einen Bericht aufgelegt, der fo lautet:*) „nachdem dus Ge 
wölbe geöffnet worden war, traten wir ein zu Gar. Gr lag nidt wie as 
dere Leichname hingeſtreckt, fondern jaß wie ein Lebender auf einem Smhle 
eine goldene Krone auf dem Haupte, ein Scepter haltend und mit Han 
ſchuhen angethan, durch welde die Nägel der Finger durchgewachſen waren 
Ueber ihm erhob ſich ein Baldachin, aus Kalk und Marınor gebildet. Wi 
durglöcerten denſelben und alobald verbreitete ſich ein fchr ftarfer Geruh 
Eofort ftürzten wir vor dem Kaiſer auf die Kniee nicder und beteten. Otte III 
befahl, der Leiche neue Gewänder anzulegen, Die Nügel zu bejchnciven un 
antere Diängel auszubeilern. Bon den Gliedern war nod feines durch Fänl 
niß zerſtört, außer der Naſe, welde Otto IIL aus Gold herſtellen lich. Nach 
dem Oito III. cinen Zahn aus dein Viunde des Kaiſers zum UAndenken mir 
genommen, wurde das Grab wieder verſchloſſen.“ Ohne Zweifel bildete hd 
der Unglückliche cin, durch die läımende Iheilnahme, welche er für den alten 
Helden biwics, feine Achnlichkeit mit ihm zu befräftigen. Die Mitwelt aber 
jay*) in der Etörung der Ruhe Carls cine ruchlofe Neugierde. 

Die Chronik von Quedlinburg theilt?) aus Gelegenheit der bamaligen An 
weſenheit Oito's LIL zu Aachen die Nachricht mit, der junge Kaiſer habe die 
Abſicht ausgeſprochen, die cbengenannte Stadt nächſt Rom zur eıften und hen⸗ 
lichſten des ganzen Reichs zu machen. Weist dieß nicht Darauf bin, daß a 
nid;t mehr, wie jonft, ausſchlicßliche Liche für Rom oder Italien hegte, jew 
dern dm Oegentheil Damit umging, den Gig des Reiches wenigſtens abwed- 
felnd nad dem Kıeblingsaufenthalte Carls des Großen zu verlegen! Auch au 
dere Belege find vorhanden, daß allerdings Gedanken der Art fein Iunene 
bewegten. Otto III. machte zur nämlichen Zeit außerorventliche Unftrengungen, 
um ein möglich zahlreihes Heer zu erlangen, das ihn nach Stalien begleiten 


) Berg TIL, 781. ) Wähuer, regest. Mr. 831 868. 2) Perg VIL 108 ann. 
®) Berg I1L, 92 oben. M Wa. ©, Tr, wie Wine. 


Giehies Und. Gap. 52. Dits's II Hufenthalt am Rhein. Die Gladglode fpringt. 889 


jolte. Der Biograph des Erzbiſchofs Heribert ſagt:) „von allen Eeiten 
ſuchte Dtto (vor Antıitt des dritten Römerzugs) Soldaten an fi) zu ziehen.“ 
Aber unerwartete Echwierigfeiten ftellten ſich der Erreichung dieſes Zieles 
entgegen. 

Mehrere geiſtliche und weltliche Fürſten des Reichs erſcheinen,“ nachdem 
Otto über die Alpen zurückgekehrt war, in der Umgebung des Kaiſers, Für⸗ 
ſten, von denen man mit qutem Bug annehmen kann, daß fie ihn nad) Ita⸗ 
lien begleiteten: fo Herzog Heinrid von Baiern, der zwei Jahre jpäter als 
Nachfolger Otto's ILL den deutſchen Thron beftieg, jo die Biſchöfe Eigfricd 
von Augsburg, Hugo von Zeiz und insbejondere Heinridy von Würzburg, des 
Kölner Heribert Bruder. Allein Heinrid von Baicrn iſt allen Anzeigen nad) 
darum mitgezogen, um den Kaijer zu überwachen und zu verhindern, daß allzus 
große Ihorheiten von Ihn begangen würten. Auch blieb er nit bei Otto, 
jondern fehrte ſchon 1001 zurüd, was dagegen die drei genannten Biſchöfe 
betrifit, jo kann man fie kaum ald Freunde des Kaiſers betrachten, denn fie 
ftanden, wie fich |püter ergeben wird, in engem Bunde mit Eylvefter IL., der 
jeit 1000 aud dem Kaifer gegenüber unverhüllt feine wahre Natur zeigte. 
Hiezu fommt noch, daß der mächtigfte unter den Drein — Heinrich von 
Würzburg — nur um den Preis ſchwerer Opfer, welde Otto IIL bringen 
mußte, den dritten Römerzug mitgemadt hat. 

Genau aus der Zeit vom Ende Aprıl bis Anfangs Juni 1000, da 
Oito IL theild zu Aachen, theild zu Tribur weilte und die dritte Hecrfahrt 
über die Alpen vorbereitete, find folgende Akte auf und gefommen: durd Urs 
funde’) vom 1. Mai jchenkte der Kaiſer dem Hodftift Würzburg einen großen 
Wildbann; dur Uikunde) vom 15. defielbeu Monats verlich er ebendem⸗ 
jelben Schloß und Hofgut Salz, fanımt dem ganzen Salzgau; endlich durch 
Urkunde‘) vom 30. Mai vergabte er dem nämlichen Biſchof und Etuhle mit 
einem Scylage die zwei Grafſchaften Walpfaßen und Ranggau in Oftfranien. 
Welche Verſchwendung gegen einen Prälaten, von deſſen Eigennützigkeit auch 
die jpätere Geſchichte Zeugniß ablegt, und der nur für unverhältnißmäßigen 
Lohn die Hülfe, welche der Kaifer bedurfte, zu leiften fi) entichloß. 

Immerhin genügten die Etreitfräfte, welche auf ſolche Weile durch zwei⸗ 
deutige Freunde geliefert wurden, bei Weitem nicht. Denn um die Lüde aus⸗ 
zufüllen, griff Dtto damals zu unerhörten Mitteln. In den Jahrbüchern dis 
Kloſters Sanct Gallen findet fi die Angabe, daß Kaifer Otto III Eimonie 
in einem Umfang übte, wie nie ein Fürſt vor ihm, daß er für Geld Geſetz 
und Geredtigfeit verfaufte. Die Chronik des genannten Stifts erzähle‘) unter 
Anderem Folgendes: „nad dem Tode des Abts Ulrich, der im. Januar 990 


) Berg IV, 745 oben. ) Vita Bernwardi cap. 22. Berh IV, 768 fig. *) Böbs 
mer, rogest. Mr. 865. 858. 659. %) Berg IL, 151 fig. 


890 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Rarb,) ward Gerhard zum Nachfolger in St. Gallen eingefegt. Diefer Prält 
verfuhr wie ein Tyrann, verſchleuderte die Schäge des Klofterd, mißhandele 
die recktichaffenften Brüder, gab eine Menge Güter an Soldaten aus, machte 
mit dem räuberijchen Adel gemeinfame Sade. Zulcgt wandte fi das Gapitd 
Hagend an Kaifer Otto IIL“ Der Mönd) theilt ſowohl die Beichwerbeictit, 
gerihtet an Otto, als aud einen Beſcheid des Lepteren mit, der fid bar 
den Titel: Otto III., Romanorum imperator Augustus, beilegt. 

Als die Klagſchrift einlief, weilten bei Hofe viele Bifchöfe, Aebte, Laim 
fürften. Mehrere der Erfteren, welde insgeheim die Beforgniß hegten, dej 
ähnliche Beſchwerden gegen fie von Ceiten ihrer Untergebenen vorgebradt 
werden Fönuten, riethen dem Kaijer, die Mönche, als unberechtigte Ehren, 
einfach abzuweifen, doch fegten Andere, die beſſer gefinnt waren, durd, def 
fowohl Abt Gerhard, als feine Aukläger vorgeladen wurden. Der bt un 
bie Brüder erſchienen, allein durch wohl angebradte Beftechungen um wi 
Hülfe des alamanifchen Grafen Mozzo, feines Verbündeten, errang Geha 
den Eirg. Die Mönde wurden zur Verträglichkeit ermahnt, mit fahlen Ver 
tröftungen abgefpeist und mußten mit ihrem Abte in das Klofter zurüdichren 
„Bei diefer Gelegenheit,“ fährt der Berichterftatter fort, „Dichtete einer der An 
Hläger, ein guter Kopf, der fi aufs Verſemachen verftand, einige (im Urte 
mitgetheilte) Iateinifche Herameter,?) welde den Kaiſer greulicher Beftedlidfe 
bezüchtigen und in die Hölle verwünſchen.“ Kurz darauf, fchließt”) der Mond 
ſei Abt Gerhard geftorben. Laut andern fihern Rathridhten‘) war der 22. Wu 
1001 Todestag des Abts Gerhart. 

Dieſer Vorgang fällt unzweifelhaft in den Sommer 1000. Denn nai 
langer Abwejenheit befand fih damals Dtto wieder faſt ſechs Monate hinter 
einander auf veutfhem Boden, auch umgab ihn zur angegebenen Zeit ein Ho 
von Bifchöfen und Achten, Die großentheild nicht beſſer waren, als Gerhan 
von St. Gallen. Hiezu fommt, daß der furz darauf im Mai 1001 erfolgt 
Tod Gerhards vortrefflid paßt. Nun fage ih: wie laut und allgemi 
müfjen die Klagen über die Ehrlofigfeit des Kaiſers geweien fein, da cu 
Et. Galler Mönd es wagte, ſolche Verſe niederzufchreiben, und da jeiw 
Genoſſen ſich nit fcheuten, den racheſprühenden Erguß in ihrem Archive amt 
zubewahren. Die von andern Chroniften,, welche fonft den Hofton anfdlagen 
halb wider ihren Willen eingeftandenen Thatfachen, nämlid) daß Otto LIL fd 
von Giſelher beftehen ließ und unermeßliche Geſchenke von dem Polen Bolcd 
law anıahm,®) empfangen jegt erit Das gebührende Licht. 

Noch bricht Eiſen. Otto hatte fi damals in Kopf gefegt, um jeka 
Preis eine erkledlihe Anzahl von Soöldnern zufammenzubringen. Soldater 


*) Ibid. ©. 35. 2) Abgebrudt Bd. 1,177. 9 Perg 1,154. ©) Mid. S. 5 
6) Was der füplihe Holkront won Dartisterg Mary IL, TI, Wite wergeblich Läuguet 


_ 


Gichtes Bud. Gap. 52. Otte’s IIL Aufenthalt am Rhein. Die Glasglocke fpringt. 891 


aber foften Gelb. Alſo verſchmähte ver Unglüdliche fein Mittel ſchnellſter An, 
bäufung baarer Summen. Die Gerechtigkeit wurde an den Meiftbietenven 
verfauft, Erblichfeit großer Lehen um Geld bewillige. Thietmar von Merſe⸗ 


: burg gibt zu verfiehen,') Dtto habe zugeftanden, daß Markgraf Effihard von 
Meißen, derjelbe, der fih unmittelbar nad) des Kaiferd Tod zum Gegenfönig 
. aufwarf, den größten Theil feiner Lehen in Eigenthum verwandeln durfte. 


Berzogene Prinzen, verborbene Schooßfinder des Glücks jagen, gleichgiltig 
gegen die Kolgen, der Befriedigung des Wunfches nach, der fie augenblicklich 
beherrſcht. 

Aber warum legte er ſo großes Gewicht auf Soldaten? Offenbar weil 
die Glasglocke geiprungen war, oder weil ihm nachgerade — und zwar ficher« 
lich nicht ohne Zuthun deutſcher Großen, die der abweiende Pabſt Sylveſter I. 
nicht mehr ferne von ihm halten konnte — ein Licht darüber aufging, daß 
die Weltverfafiung für fih nicht ausreiche, daß er ihre Mängel durch die 
Zauberfraft von 50,000 Mann zu Roß und Buß verbefjern müſſe. Er wollte 
feinen Muth an den Stalienern, an Hugo von Tuscien, vielleiht audh am 
Babe Syivefter IL, kurz an al’ den treuen Rathgebern vom Yrühling 999 
Fühlen. Auf das wiederhergeflellte Römerreih hatte er nicht verzichtet, aber 
ftatt jener Formeln und des Geheimenraths der Sieben follten jegt Streit⸗ 
folben, Schwert und Lanze fhwierige Knoten löfen. Stimmt nun dieß nicht 
trefflih zu dem vom Quedlinburger Ehroniften angedeuteten Gedanken, daß 
in Zufunft neben Rom Wachen zweiter Sid des Reiches fein ſolle. 

Immerhin war Dtto IIL deutſcher Kaiſer, gebot über Land und Leute 
und fonnte, wenn er vernünftige Dinge begehrte, auf geſetzlichem Wege ſich 
ein Heer verſchaffen. Warum brachte er gleichwohl nur ſolche Mannſchaften 
zufammen, die ihm für baaren Eold zuliefen, oder die ihm falſche Freunde 
um den Preis verfchleuderter Etaatögüter lieferten? Ohne Trage deßhalb, 
weil alle Vernünftigen den beabfictigten dritten Römerzug mißbilligten, weil 
fie forderten, daß er in Deutihland bleibe und die während der legten 
Zeiten begangenen Behler gut made. Da noch im nämlihen Jahre und zwar 
ungefähr zu der Zeit, um welche der Katjer wieder zu Rom anlangte, dieſſeits 
energifche Maßregeln ergriffen wurden, welche den Zwed hatten, ihn zur uns 
gefäumten Rüdkehr nad) Deutfchland zu nöthigen, muß man trog des Still⸗ 
ſchweigens der überaus magern Quellen vorausfegen, daß Dieſelben, welde 
den eben angedeuteten Echritt thaten, im Sommer 1000, da er noch am 
Rheine weilte, nichts verfäumt haben, um ihn zurüdzuhalten. Otto ILL horchte 
nicht auf die Etimme des Wohlwollens und der Vernunft: hier, wie jonft 
überall, folgte er dem Eigenfinn, oder wenn man jo will, einem böjen Sterne. 

Bis über Pfingften, das im Jahr 1000 auf den 19. Mai fiel, blieb?) 


4) Chronie. V, 5. Perg III, 792. *) Perg Ul, 92 


802 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


er zu Aachen, den 30. nnd 31. defielben Monats war er zu Tribur‘) aa 
Mittelrhein, Mitte Juni zu Hohentwiel,') wo häufig die alten Henoy 
Schwabens hausten. Vieleicht fand dort die oben befchriebene Berhandlung ia 
Sachen des Abts Gerhard von Et. Gallen ftaft; legterer Drt ift von Hohen⸗ 
wiel nicht zwei Tagereijen entfernt. Den 20. Juni findet man ihn urn 
ih zu Chur?) an der Eplügenitraße nah Stalin, den 6. Juli bereits p 
Pavia.“) Otto muß anjehnlide Etreitfräfte mit fich geführt haben, dema 
vermochte feitdem mit denjelben das platte Laud von Stalien niederubalta. 
Nur reichten fie nicht aus, um den Aufftand der Römer, der bald nad den 
Neujahr 1001 begann, zu bemeiftern, 


Breinndfünfzigfies Capitel. 


Nachdem Dtto IH. im Sommer 1000 auf italifhem Boden angelommen, beginnt ein frigiger 
Briefwechfel zwifchen ihm und dem Pabſte. Eylveſter droht mit Bann wegen gemals 
famer Entfernung ber päbftlihen Zeichen aus ber Engeloburg und fordert Eutihärigug 
im Eabinum. Dtto IIL antwortet mit Klagen über verfchwenderifchen Haushals ältere 
Stalithalter Petri, fpricht weiter von Priefterbetrug und bringt ald Belege die eidichten 
Scheufungeurkunde Conſtantins L und eine angeblih gleichfalls unächte Bergabung 
Carls des Kahlen vor. Nachweis, wann und zu welchem Zwede die Goldbulle Ces⸗ 
flantind gefchmiedet worden. Jener Vorwürfe unerachtet tritt Otto IIL acht Graf 
fhafıen der Pentapolis an die römiiche Kirche ab. Gründe, warum er dieß than, m 
auch dad Eabinum herausgeben muß. Eylveſter II. führt um die nämliche Zeit ein 
herbe Sprache wider einzelne feiner Borgänger. Vorzeichen eines nahenden Ölarmi. 
Segen den Yoveniber 1000 erfdyeint Otio ILL wieder zu Rom. Kurz darauf begiaus 
erjcyutsernde Schläge in Deuiſchland zu fallen. 


Die Ehronit von Quedlinburg meldet,?) daß der Kaijer längere Zeit Rt 
in Pavia aufhielt. Drei Urkunden, die er in der zweiten Hälfte des Jahrs 1000 
— unter dem 9. Juli und 1. November ausſtellte,“) beibäftigen ſich mi 
Anordnungen, weldhe wider den geächteten Markgrafen Ardoin von Iprea ge 
richtet ſind. Das macht wahricheinlih, daß er theilweile aus Beſorgniß ver 
einer möglihen Bewegung Dis Geächteten Monate lang in Lombartien ver 
weilte. Doch hatte die Zögerung noch einen andenm Grund: Otto jchmolk 
mit dem Pabſte. Seinerſeits fuchte Ihn »Sylveſter nah Rom zu locken. 

Ich habe anderswo") zwei Ecreibin®) envähnt, welde Dir ud a 
den abweſenden Kaiſer erließ. Das eine zeigt an, daß die Bildjäule des 
Erzengel Michael über dem Thore der Hadriansburg gewaltjam weggenommes 
worden fei, und droht mit dem Kirdyenbann, wenn nicht ſpäteſtens bie zum 
nächften Peters und Paul⸗Feſt Genugthuung geſchehe. Das zweite berührt 

1) Böhmer, regest. Nr. 859. 860. 9 Daf. Nr. 864 u. 865. 2) Bag ILT: 
Papiae aliquamdiu remoratur. *) Eiche oben ©. 720 fl. °) Oben ©. 824 u. 833 1% 
©) Bei Höfler, dveutie Böhte T, TI, 


Te a ! 


Siebtes Bud. Cap. 58. Gpigiger Briefwechfel zwiſchen Dito III. u. Eylvefler I. 893 


im @ingange kurz, daß der Tusculaner Gregor neulich den Auftrag empfangen 
babe, dem Kaiſer gewiffe wichtige Nachrichten zu überbringen, geht dann über 


- zu der Empörung in Horta und fchließt mit der Bitte an Dtto, die Rüders 


fattung gewiſſer dem roͤmiſchen Stuhle gehörigen Güter im Eabinum verans 
laſſen zu wollen. Das eine {ft unter dem erflen, das zweite unter dem 
12. Juni auegefertigt, jedoch ohne Angabe des Jahre. 

Allein da 999 Kaifer und Pabft in gutem Einvernehmen lebten und 
überdieß zu Rom oder in der Nähe weilten, da ferner um die Mitte des 
Jahre 1001 beide aus Rom vertrieben waren, da endlich Otto im Juni 1002 
das Zeitliche gefegnet hat, folgt nothwendig, daß der eine, wie der andere 
Brief in den Juni 1000 und demnach in die Zeit fällt, um welche ſich der 
Kaifer — was dem Babfte faum verborgen fein konnte — zur Rüdfehr nad 
Ztalien anſchickte. Offenbar hatten ſowohl die Abfendung Gregors, als beide 
Schreiben den Zweck, Otto's Reife zu beſchleunigen. 

In der Zuſchrift, welche Otto III. vor der Abreiſe nach Gneſen an 
ESylveſter richtete, findet fi der Troſt, daß es dem Pabſte während der Ab⸗ 
wejenheit des Kaiſers an genügendem Schupe nicht fehlen werde. Das heißt 
jo viel als: eine deutſche Befagung bleibe in Rom zurüd. Wie ih fchon 
früher angedeutet habe, kann es nur diefe Befagung gewefen fein, welde das 
päbftliche Abzeichen vom Thore ihres Standlagers herabriß und vielleicht ftatt 
befielben Taiferlibe Sinnbilder aufpflanzte. Anführer von Truppen werben 
ohne höheren Auftrag nie einen fo bedenflichen Schritt wagen. Man muß 


daher auf fremdes Zuthun fchließen. Zwei Zälle find möglich: entweder 


hat der Kaiſer felbft insgeheim und von Deutfchland aus den betreffenden 
Befehl gegeben, oder waren hochgeftellte Männer im Epiele, welde einen 
unheilbaren Bruch zwiſchen Dtto III. und Eylvefter II. herbeiführen wollten! 
Die Landſchaft Eabinum gehörte, wie ih an einem andern Orte‘) nad 
wies, zu den Älteften Befigungen des Etuhles Petri, war fpäter von Als 
berich II. al8 Lehen an fremde Eolvaten ausgegeben, aber von Dito I. zur 
Zeit des Pabfted Johann XII. der römischen Kirche zurüderftattet worden, 
jedoch in der Weiſe, daß der genannte Pabſt fie alsbald feinem Neffen, dem 
Grafen Benedikt, verlich. In diefem Stande blicben die Dinge bis zur Ers 
hebung des Pabſts Gregor V., der, wie früher gezeigt worden, die Tiare 
nur unter der Bedingung übernahm, daß Otto III. der römiſchen Kirche die 
Marten Epoleto und Camerino abtrete, deren Anhängiel Eabinum war, 
MWirtlib wurden nicht bloß die Marfen, fondern auch legtere Landſchaft 
an Gregor V. überliefert. Mährend fonft Graf Bencdift oder feine Eöhne 
ald BrafenEtatthalter im Eabinum zum Vorfchein fommen, find genau jo 
lange, als Gregorius V. Betri Etuhl einnahm, alle dortigen Urkunden im 


%) Oben ©. 600. 


894 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Namen ded Pabſtes ausgeftellt.‘) Allein mit feinem Tode hörte dieß au 
in mehreren Pergamenten,, die merfwürdiger Weile mit dem Februar 999 — 
dem Monate, da Gregor V. endete — beginnen,*) erhält ein Gerhard der 
Titel?) Grafstandoogt des ſabiniſchen Gebiets. Vielleicht war dieſer Gerhart 
derfelbe, den wir oben ) als Feldhauptmann der Italienifchen Etreitmadt kenne 
lernten. Er wäre, benfe ich, ziemlich plutt ta gefeffen, wenn er bloß ix 
Befehl über ein Heer befaß, welches guten Theild nicht in Der Wirklichkeit, for 
dern in der Gedankenwelt befand. Man fand deßhalb für gut, ihn auf einn 
warmen Lehen im Eabinum zu verforgen. Run madte Eyloefter II., w 
wir wilfen, Anſprüche auf Entfhäpigung für die neulich eingezogenen © 
bietötheile, und zwar nit nur betreffend die Marfen, ſondern aud la 
obigen Echreiben bezüglih des Sabinums. Was follte nun Otto IIL thun 

Auf den Plan der Wiederherftellung des Roͤmerreichs Hatte ter jun 
Kaifer, ald er im Sommer 1000 nad Stalten zurüdfehrte, keineswegs ve 
zihtet. Ausführen aber Eonnte er benjelben nur im Bunde mit dem Pabſt 
alfo mußte er fi gut oder übelwollend mit Sylveſter IL. wegen obiger do 
derung verftändigen. 

Sichtlih in der unmuthigen Stimmung, welche Menfchen, vie fich felb 
nicht beherrſchen fönnen, befällt, wenn fie durd die Umſtände genöthigt we 
den, in einen fauren Apfel zu beißen, erließ Otto II. an Pabſt Sylveſte 
jenes früher erwähnte Echreiben,*) das unter den Alten des Mittelalters cin 
hervorragende Stelle einnimmt: 

„Im Namen der heiligen und untheilbaren Dreifaltigkeit, Dtto, Kuh 
der Apoſtel und nad dem Willen Gottes des Seligmaders Kaifer der Römer. 
Wir befennen, daß Rom das Haupt der Welt, und daß vie römifche Kirk 
Mutter aller übrigen ift, aber Wir können auch nicht verheblen, daß ebenti 
felbe durch die Kahrläffigfeit und den Umverftand mander Päbfte viel von 
ihrem alten Glanz einbüßte. Denn nit nur haben fie tie außerhalb da 
Etadt gelegene Befigungen verkauft und zum Nachtheil des Heil. Petrus a 
hergelaufenes Boll weggeworfen, fondern auch — mit großem Schmenzj be 
rühren wir diefe Thatfahe, — etwaige Herrſchaftsrechte, Die fie in bie 
Unferer faiferliden Etadt Rom felber übten, aus Habgier und Uebermuth ba 
großen Haufen preidgegeben und, zum Gemeingut Aller gemacht. Sie har 
auf folhe Weife das Eigenthum der heil. Apoſtel Petrus und Paulus ver 
ſchleudert, ja fogar die Altäre ausgeplündert, und wenn fie je aufgeforber 
wurden, Genugthuung zu leiften, das Uebel ärger gemacht, die DBerwiru 
verdoppelt. * 

„Nachdem fo die alten päbftlichen Gefege umgeftürzt worden waren, bi 


*) Siehe oben S. 600 u. Fatteschi, serie dei duchi etc. ©. 283. 3) Ibid. come 
sector territorii sabinenris. SW. Ber, a I, S. 168 


Eiebtes Bud. Cap. 58. Epigiger Brieſwechſel zwifchen Otto III. u. Eylvefler I. 8095 


römtfhe Kirche ihren ehemaligen Glanz verloren hatte, geriethen einige der 
Bäpfte auf den Einfall, der felbfiverfchuldeten Armuth dadurch abzubelfen, daß 
fie auf einen großen Theil Unferer Reichslande Anſprüche erhoben. Vergeſſend, 
Daß fie jelbft das Eigenthum der Kirche verfchleudert hatten, jchoben fie bie 
Schuld auf Andere und ſuchten fib durch Eingriffe in fremdes Gut zu 
erholen. Zu foldem Behufe wurden allerfei Lügen in Umlauf gelegt, wie 


* Die angeblihe Schenlungsurkunde Genftantine, welche der Diafon Ichannes, 


zubenannt Etumpffinger, mit aoldenen Buchſtaben zuſammenſchrieb, wie weiter 


. die Behauptung, daß ein gewiſſer Carl (— der Kahle iſt gemeint —) dem 
. beil. Peter das Reichsgut, Dad von Rechtswegen Uns gehört, vergaht habe. 


‚a > 


... 


Auf letzteres Mährchen antworten Wir: jener Carl fonnte nichts verfchenfen, 
was er felbft nicht weder mit Recht noch thatfächlidh befaß, denn ſchon war 


‚er — ald er die Schenkung gemacht haben fol, von einem beflern Carl — 
‚ dem deutſchen Barlinger Carl dem Diden, oder von deſſen Bruder Carl⸗ 


mann — verjagt, vertrieben, in fein früheres Nichts zurüdgeworfen. Hat er 
daher eine Schenfung gemadıt, fo fam ihr doch feine Rechtskraft zu, weil er 
nichtö hergeben Fonnte, was ihm felbft nicht mit Fug gehörte, fondern er hat 
geichenft wie Räuber thun, welde wiſſen, daß fle das übel erworbene Gut 
doch nicht lange behalten werden, und es deßhalb Teichtlih am Andere 
weggeben.” 

„Genug von diefen und ähnlichen Fälſchungen! Ich, Kaiſer Dtto, habe 
Mich entjchloffen, eine Achte Echenfung zu machen, beftehend aus ſolchem Gut, 
das von Rechtswegen Mein volles Eigenthum ift. Gleichwie Ich nämlih and 
Liebe zum heil. Peter den Herrn Eylveſter, Meinen ehemaligen Lehrer, zum 
Pabſt erfor, einfepte und erwählte, fo winme Sch aus Liebe zum nämlichen 
Apoftelfürften demſelben Pabfte gewiſſe Reihögüter, damit er etwas habe, was 
er von Eeiten des ehemaligen Schülers dem heil. Petrus darbringen könne. 
Acht Grafſchaften find es, die Ich in folcher Weile aus Liebe zum Pabſt Eyl- 
vefter dem Apoftelfürften aus meinem Eigenthume widme, und zwar mit der 
Befugniß, daß befagter Pabft zu Ehre Gottes und des heil. Petrus, zu feinem 
eigenen und Unferem Seelenheil das Gewidmete befiten und zum Vortheil 


feines hohen Amtes nad; Gutdünken ordnen möge. Die Namen diefer Orafs 


fchaften lauten Peſaro, Fano, Sinigallia, Ancona, Foſſombrone, Cagli, Ich, 
Dfimo.“ Folgen noch die gewöhnlichen Androhungen wider Solche, welde 
je es wagen würden, vorliegende ewige Schenfung anzutaften. 

Nachſtehende Hauptjäge find in Otto's Echreiben niedergelegt: erftlich 
Kom, das Haupt der Welt, war von jeher eine Fatferlihe Stadt, und tft und 
bleibt es: Dito wird nie auf die Hoheit Roms verzidhten. Zweitens wenn 
auch Päpfte je — nicht die Oberherrlichfeit über Rom, denn diefe wird durd 
den erften Sag ausgefchloffen, jo doch — gewiſſe herrichaftlihe Rechte im 
Umfange der Stadt befaßen, fo haben fie dieſelben aus tyranniſchen Gelüften 





* 
* 
ln Iuviis a lare S. Petri alienarorunt. 2) Genni, monum. I, 352 flg. 





35531 vorg 
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Gtatthalter bezahlt worben war. Obige Stelle, tft richtig 
ſchlagendſten Belege für deu Beſtand römiicher Demokratie, welche ich frühe 
ans andern Urfunden nachgewieſen babe. 

Drittens außerhalb Rom beſaß Petri Stuhl allerdings früher 
des Grundvermögen, aber gerwifie Bäbfte haben dieſes Cigenthum bes Sipofek 
fürften aus Sahrläffigfeit, und um augenbiiklich für ihre Berfchwenbung Geh 
zu befommen, am Andere und zwar meih an bergelaufene Leute bunfler Ui 
funft verkauft.) Viertens nachdem Petri Erbtheil in folder Weiſe durch die 
eigene Schuld der Päbſte vergeudet war, geriethen leztere auf den Gedanken, 
ihrer Armuth dadurch abzuhelfen,; daß fie nach fremdem Eigenthum, nad ben 
Kammergute des Reihe, begehrlihe Hände auöftredten. Fünftens zu felden 
Behufe wurden allerlei Lügen ausgeheft, insbeſondere zwei: nämlich erſtens 
die Schenkung Conftantins, weldhe der Diakon Johannes, Stumpffinger ge 
nannt, „mittelft einer goldgefchriebenen Urfunde ſchmiedete, und zweitens ein 
dem Neuftrier Carl, dem Kahlen, angedichtete Vergabung. 

Zum erflenmal wird in vorliegendem Schreiben Dttö’8 IIL die Eden 
fung Gonftantind von einer der großen Gewalten ded Mittelalter unzweifel⸗ 
haft aufgeführt. Zwar Ginige wähnen, fchon im adıten Jahrhundert babe 
ein Pabft auf diefelbe angefpielt, aber meines Erachtens Tann dieſe Behau— 
tung nicht beftehen. Im Jahre 777 ſchrieb) Pabſt Hatrian I. an da 
Sranfen Carl den Großen: „gleihwie zu den Zeiten des feligen Pabſtes 


| 







‘) Sed, quod absque dolore non dicimus, si quid in hac nostra urbe regia habuerust, 
ut majori licentia evagarentur, omnibus cum vindicante pecunis in commune ded« 
runt. ‘) Romam caput mundi profitemur, romanam ecclesiam matrem omniam ecde 
siarum osse töstamur, sed incuria et inscitia pontifcum longe suae claritatis titalos obfes- 
casse. Nam non solum, quae extra urbem esse. videbantur, vendiderunt et quibusdam cel- 


Eiebtes Bud. Gap. 53. Spitziger Briefwechfel zwiſchen Otto III. u. Eploefter I. 897 


Sylveſter von dem erhabenen Kaiſer Eonftantin glorreichen Andenkens vie 


- Heil. Kirche Roms erhöht und mit reihem Landbefi in Stalien befchenft 


worden iſt, alfo erfreut fih auch in unfern Tägen dieſelbe Kirche erwünschten 


Fortgangs — fintemalen ein neuer Gonflantinus und allerchriftlichfter Kaiſer 


GSottes erftant, durch defien Hände der Allmächtige feiner heil. Kirche Alles, 
(was ihr gehört) zuſtellt. Auch das Vebrige, was durch verfchievene Kaiſer, 
Patricier und andere gottesfürdtige Herren zum Helle ihrer Seelen dem 
Stuhle Petri in Tuschen, Spoleto, Benevent, Corſika oder im Sabinum ver 
gabt, aber bis jegt durch das verruchte Volk der Langobarden vorenthalten 
worden war, wird durch Euch wieder an Uns fommen. Wir befigen hierüber 
in Unfern Archiven verſchiedene Echenfungsbriefe, welche Wir durch Unfere 
Geſandte Euch einhändigen lafſſen.“ 

Laut der Anficht jener Erititer fol dieß eine Anfpielung auf die foges 
nannte goldene Bulle Conftantins fein. Allein Hadrian ſpricht nur von ge 
wiſſen Herrichaften im Lande Hesperien,) welde Gonftantin der roͤmiſchen 
Kirche verlichen habe, während die faliche Urfunde den Mund übervoll nimmt 
und vorgibt, daß durch Gonftantin an den Pabſt Sylveſter I. nicht etwa blos 
Rom, und der Tateranifhe Palaft, fondern alle Städte und Provinzen Itas 
liegs, ja das gefammte Abendland abgetreten worden fel.) Eodann erwähnt 
Hadriän MWidmungsbriefe anderer Kalfer und Herren, die er vernünftiger 
Weiſe gar nicht nennen Eonnte, wenn er die Schenkung Eonftantind im Einne 
gehabt und folglich geglaubt hätte, daß ſchon Conftantin ganz Italien, ja 
das gefammte Abendland an die römifche Kirche vergabt habe. Daher ift 
Har, daß Habdrian I. nicht auf die goldene Bulle Hindeutet, fondern auf bie 
fogenannten Akten Sylveſters, welche, wie aus dem Dekret des Pabſtes Ges 
lafius erhellt,) obgleich gleichfalls unädht, ſchon zu Ende des fünften Jahr- 
hunderts umliefen. 

Erft im neunten Säculum, zur nämlihen Zelt, da die Sammlung dee 
falfchen Iſidor auftauchte, finden fich deutlihe Spuren der Schenkung Eonftan- 


tins. Doch iſt es nicht ein Babft noch ein Kaiſer, fondern ein fränfiicher Bis 


fchof, der auf fie hinweist. In der Bertheidigungsfchrift, welche, entſprechend 
dem Wunfche des Pabſtes Nikolaus I., Biſchof Aeneas von Parld unter Earl 
dem Kahlen wider die Anmafungen des byzantiniſchen Patriarhen Photius 
auffeßte, heißt?) es unter Anderem: „nachdem Conftautin der Große zum 
chriſtlichen Glauben befehrt worden, hat er in richtiger Erwägung, daß zwei 
Herrſcher an einem und demfelben Orte nicht neben einander beftehen mögen, 


1) Potestatem in: his Hesperiae partibus largiri dignatus est. 3) Manft XIX, 644 
unten: tam palatium nostrum (lateranense) quam romanam urbem et omnes Italiae seu 
ooeidentalium regionum provincias, loca et civitates saepefato beatissimo pontifici et patri 
nostro Silvestro, universali papao, contradimus atque relinguimus. 2) Genni I, 304. 
%) D’ücery, specileg. (Folioausgabe) I, 147. 

Gfrörer, Pabſt Gregorius Vn. Br. V. 


KL 


898 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


Rom verlaffend, eine neue Hauptſtadt am Bosporus gegründet, und tem 
Stuhle Petri nicht blos das hoͤchſte Richteramt über die gefammte Kirche, ſonden 
aud kraft eines wunderbaren Teftaments den erblichen Beſitz vieler Proring 
übertragen.“ Aeneas fügt bei, daß in den Archiven Galliens Abicritte 
diefer Urkunde aufbewahrt würden. Derfelben Zeit gehört meines &radtm 
auch die Uchberlieferung an, welde der Mönd von Quedlinburg der Ehren 
feines Kloſters einverleibte:') „von Conftantin fei, ehe er den Ei nad Con 
flantinopel verlegte , die Stadt Rom fammt unermeßlichen andern Befigunge 
dem heil. Petrus übergeben worden.“ 

Was war der erfte Keim der Ideen, welche allmählig zur goldenen Zul 
Eonftantind ausgefponnen worden find? Ich fage: eine Bertheidigungewat 
des Stuhles Petri wider fränkische Arglift und Gewalt. Karlingiihe H 
linge beſchuldigten Petri Statthalter der Undanfbarkeit, weil Ießtere, nict zu 
frieden mit den Gütern, welche ihnen Carl der Große und feine Vorgänge 
geſchenkt hätten, fletS neue Forderungen madten. Hierauf erwiederten di 
Vertheidiger des Pabſtthums: Earl Martel, Pipin und deſſen Eohn hak 
der römischen Kirche mit nichten irgend etwas geichenft, ſondern nur, und zwa 
vertragmäßig auch überdich gar unvolllommen, heimgegeben, was ihr, ber redi 
mäßigen Eigenthümerin, durh landkundige Räuber, durch Longobarden und ge 
wife Griechen entriffen worden war. Denn geraume Zeit, che es Karlinger, j 
ebe es einen Chlodwig gab, beſaß Petri Etuhl — und zwar in Folge te 
Bekehrung Conſtantins — einen großen Theil Italiens, vie Karlinger ak 
haben vermöge förmlicher Verträge die Pfliht übernommen, dieſes Erbe de 
Räubern zu entreißen und der Kirche zurüdzuerftatten: wie man fieht, im & 
jentlihen dieſelben Gedanken, welde Hatrian I. in obigem Briefe aueipritt 

Man muß bezüglihd der Schenkung Conftantind zwiſchen Inhalt un 
Form unterjcheiden. Vollkommen feft ſteht, daß feit dem zweiten Dritttbei 
des vierten Jahrhundertd und aus Anlaß ver Befehrung Conftantind zus 
chriſtlichen Glauben ein Kirchenftant emporkeimte, fofern theils Konftantin felht 
theils in Folge der Gefege, welche er oder feine nächſten Nachfolger zu Gunfr 
des Ehriftenthumes erließen, Taufende reiher Eigenthümer ausgedehnte Lat 
fundien au Petri Stuhl vergabten, weldye nad und nad) zu einem mehr ci 
minder gefchloffenen Ganzen anfhwollen. Feſt ſteht ferner, daß vor ver lange 
bardiſchen Eroberung, ja noch in den Tagen des erflen Gregorius das Et 
Petri einen größeren Umfang hatte, als je zwifchen dem achten und zmölft 
Jahrhundert. Erdichtet dagegen ift, daß Eonftantin eine Echenkungsurfun 
audfertigte, welche Rom und Stalien, oder gar bie Herrſchaft über das g 
fammte Abendland dem Stuhle Petri zufprad. Die Volksſage licht es übera 
das große Meffer zu führen, insbefondere aber Erſcheinungen, welche die Fra 


t) Werk TIL, 28, . 


Siebtes Bud. Cap. 53. Spigiger Briefwechſel zwifhen Otto III. u. Sylvefler I. 809 


illgemeiner Verhältniſſe find, an beftimmte Perfönlichkeiten, die auf die frag« 
ihen Berhältnifje einwirkten, anzufnüpfen. Die fogenannte goldene Bulle 
Bonftantins aber ift allen Anzeigen nad urfprünglich aus der Volksſage bers 
sgewachſen. 

Die betreffenden Worte des Ottoniſchen Schreibens liefern einen neuen 
Belcg für die auch ſonſt vielfach bewährte Thatſache, daß bis in die heid⸗ 
tifcben Zeiten zurüd an Höfen dieſelbe — wie ſoll ih fagen — freigeiftiiche 
Anficht verfolgt werden kann, welche feit der Bewegung des ſechszehnten Jahr⸗ 
ſunderts den großen Haufen der Köpfe beherriht. Sofern die dhriftlidhe 
Religion brauchbar erjcheint, weltliche Herrichaft zu begründen, zu erweitern, 
as Volk im Gehorfam zu erhalten, findet fie in hohen und höchſten Kreiſen 
ereitwilligen Beifall und Gnade. Otto J. verſchwendet die präctigften Vers 
prediungen, um die Kaiferfrone aus den Händen des Pabſts Johann⸗Octavian 
u empfangen, und nachdem dieß gefchehen, läßt er fi als den allerchriftlichiten, 
eiligften Herrn und Kaifer feiern. Ja der dritte Dito nimmt fogar den Titel 
Knecht der Apoftel” an. Aber mit dem Augenblicke, da der heiligfte Kaifer 
m Namen derjelben Religion gebrängt wird, Pflichten zu erfüllen, fih Bes 
Hränfungen feiner Macht gefallen zu lafien, ertönen Klagen über Priefterbes 
rug, und der Hintergedanfe tritt hervor, daß nichts auf der Erde volle Bes 
echtigung habe, als allein fürftlihe Gewalt. 

Unläugbar erhellt aus der oben angeführten Stelle der Schrift des Pas 
ifer Biſchofs Aeneas, daß damals die falihe Schenfung bereitd vorhanden 
var. Ueber die Abfichten des Fälſchers gibt der Inhalt einige Winke. Es 
eißt am Schluffe des Pergaments: „Wir ſchenken hiemit unferem Pabſte 
Syivefter I. und feinen Nachfolgern für ewige Zeiten ſowohl den lateraniſchen 
Balaft, ald auch die Stadt Rom, fowie fämmtlihe Orte, Städte, Provinzen 
staliend und des gefammten Abendlanded. Und damit folde Schenkung feft 
che, haben Wir beſchloſſen, den Sitz des Reiches nad dem Oſten zu vers 
gen, und eine neue Hauptfladt in Byzanz zu erbauen, dieweil es wider 
nnig wäre, daß hier zu Rom, allwo der Herr des Himmels und der Erde 
ine geiftliche Weltmacht aufgerichtet hat, fürder ein irdiſches Königthum beftehe.“ 

Sehr ftark tritt, wie man ficht, der Gedanke hervor, daß zu Rom hin- 
ort, als der geifllihen Metropole des Erpfreifes, fein weltliher Herrſcher 
nehr thronen dürfe. Das muß feinen Grund haben. Vom Jahre 850 bie 
375 trug den Faiferlichen Titel der Karlinger Ludwig II., Lothars Eohn, ein 
Fürft, der nicht mehr, wie feine Vorgänger, jenfeitö der Alpen hauste, ſon⸗ 
ern in Stalien faß, und den Päbften jener Zeit viele böfe Stunden bereitete. 
Benn je von Einem fland von ihm zu befürchten, daß er erſtlich ſämmtliches 
Rirchengut einziehe, und zweitens in Rom felber feinen Thron aufridhte. An 
item Willen, Beides zu thun, hat es ihm wahrlich nicht gefehlt, ſondern 

vie 


p 





900 Vabſt Gregorins VIL und fein Seitalter. 


aur an der nöthigen Macht.) Wohlan! gegen foldhe Anfchläge, bie ma 
dem zweiten Ludwig zutraute, {ft die falihe Echenfung gemünzt. 

Noch ein anderer Yingerzeig weist auf denſelben Thatbeftand hin. Yı 
der Goldbulle fchenkt nicht blos Kaiſer Eonftantin I. dem Pabfte Rom m 
das Abendland, fondern ertheilt ihm auch das Recht, eine Krone zu trag 
Nun war Rifolaus I., Zeitgenoffe Ludwigs IL, erweislih ver erſte Fat, 
welcher ſich frönen ließ.) Paßt die nicht prädtig! Auch wird jet be 
greiflih, warum die faljhe Urkunde zuerft in Gallien zum Borfchein few 
Carl der Kahle, -Zundesherr des Bifchofs, und Ludwig IL waren Todfeinde, 
vorausfichtlih übernahm daher erfterer mit Freuden die Vogtei eines Berge 
ments, das je nad) Umftänden dazu benüßt werben fonnte, dem gehaßten its 
lieniſchen Better ein Bein unterzufchlagen. 

Etwas mehr ald 100 Jahre nad Ludwig II. famen Otto IL und II 
auf den Gedanken zurüd, den Sitz des Reihe nah Rom zu verlegen IR 
ed ein Wunder, daß man ſeitdem die geſchmiedete Urfunde forgfam wiede 
beroorfuchte! Als Urheber der Fälſchung bezeichnet Otto IIL einen fonft ur 
gend?) erwähnten „Diafon Johann mit den verftümmelten Yingern.” Das 
tft meines Erachtens ein Gefchöpf der Phantafie. Der erfte fränkiſche Hol 
ling, der von der Urkunde hörte, wird, denfe ich, gelagt haben, ver Pfaffe 
Hans, der das Ding zufammenfchmierte, hätte wohl verbient, daß man Ihe 
die Schreibfinger feiner Hand abhieb.*) Das wurde denn buchſtäblich ge 
nommen und aus dem unbefannten Verfaſſer ein Diafon Hans mit ben 
Stumpffingern gemadit. 

Für einen zweiten großen Betrug erflärt das Schreiben Otto's IH. tie 
Schenkung Earl des Kahlen. Doc zeigt fi biebei ein auffallender Mediel 
im Ton. Bon vorne herein nimmt der Tert einen Anlauf, als fei fein Won 
an der Echenfung Carls wahr, dann aber folgt eine Auseinanderfegung, 
welche beweifen fol, daß der Neuftrier Carl, ob er gleih wirklich fcenfte, 
fein Recht gehabt habe, zu fchenfen. Deutlich fieht man, daß ein gewiſſer 
Zwang den kaiſerlichen Brieffteller in eine Bahn hineintreibt, Die er, wenn 
er feinen eigenen Ideen gefolgt wäre, nicht eingefchlagen hätte. Man fann 
Dasjenige genau beftiimmen, was den fragliben Zwang auf ihn übte, es if 
das unter dem Titel „von der Eaiferlihen Gewalt über Rom“ befannte Büd- 
lein, aus dem das Schreiben Otto's mehrere Sätze“) entlehnt. Wir haben 


ı) Siehe oben ©. 132 fig. *) Gfroͤrer, Garolinger I, 294 unten flg. 5 Gieſeler, 
8. G. 4te Aufl. IL, a. 189. *%) Meruit ut digitis mutilaretur. ) Schreiben Otto'e, 
respondemus, Carolum nihil dare jure potuisse, utpote jam a Carolo meliore fagatum, jam 
imperio privatum, jam destitutum et annullatum. Ergo quod non habuit, dedit. Sic dedit, 
si dare potuit, ut pote qui male acgquisivit et din se possessurum non sperarit: 
FT ber Kaiferlicden Gewalt: fugato itaque isto Carolo prae metu alterius Caroli 


infirmatur antequam de regno egrederetur italico. Egressus namque vix, de- 


Gichtes Buch. Cap. 53. Spitziger Briefwechfel zwifchen Otto II. u. Sylveſter IT. 901 


ſonſt Anzeigen gefunden, daß dieſe Etaatöfchrift, welche ein unbekannter Ges 
lehrter, ohne Zweifel auf Antrieb des erfien Otto und um deſſen Kaiſerthum 
anzubahnen, abgefaßt hat, feiner Zeit nicht geringes Aufſehen erregte, und 
unter jolhen Umftänden erfcheint es begreiflih,) daß der Enkel auf das 
Werk eines namhaften Schriftftellers, der feinem Haufe einen wichtigen Dienft 
geleiftet hatte, Rüdfiht nahm. | 

Sehr gereizt, fehr leidenſchaftlich if ver Ton, in welchem das Echreiben 
gegen die Landanſprüche der Päbfte zu Felde zieht. Daraus folgt, daß Otte 
jelbft, oder daß wenigftens fein Haus durch folhe Anſprüche empfindlich bes 
rührt worden fein muß. Nun finden fih in den Quellen nur zwei Begeben, 
beiten erwähnt, die hiebei in Betracht kommen mögen: erſtens die Vorgänge 
des Jahre 967, da Otto I., nachdem er vorher das ganze Erbe des h. Per 
trus an fi geriffen, den Entſchluß faßte, einen Theil der eingezogenen Güter 
an die Kirche zurüdzugeben, und zweitens die Verhandlungen von 996, welche 
bewirften, daß Gregor V. die Marken Spoleto und Camerino erhielt. Es 
iſt gar nicht anders denkbar, als daß bei beiden Gelegenheiten die Wortführer 
des heiligen Stuhles auf die ältere Geſchichte des Kirchenſtaats zurüdgriffen 
und die mohlbegründeten Rechte nachwieſen, welche Petri Statthaltern auf 
ausgedehnte Gebiete zuftünden. Namentlich aber werden fidh die bei letzterem 
Anlaß vorgebradten Beweiſe dem Gedächtniſſe Otto's TIL eingeprägt haben, 
da fie, wie ich unten zeigen werde, es gewejen find, welche den jungen Kaiſer 
nöthigten, das angeblich freiwillige, in der That aber mit größtem Widerwillen 
gewährte, Opfer der acht Grafichaften dem h. Petrus darzubringen. 

Dieſelbe Thatfache des Leidenichaftlihen Tons ſpricht für die Annahme, 
dag auch die päbftlihen Verfchleuderungen auswärtiger Güter, über welche 
Otto III. Eagt, in den Zeitraum fallen, der zwilchen ihm felbft und jeinem Groß⸗ 
vater verlief. Ein anderer enticheidenvder Grund fommt hinzu. Der Vorwurf, 





fanctus est. Dann weiter: cuncta illis (Romanis) contulit, quae voluerunt, quemadmodum 
dantur illa, quae nec recte acgniruntur nec possessura sperantur. Perg, script. III, 722. 

3) Anders urtheilt freilich Herr Wilmans (deutfche Jahrbücher IL, b. ©. 240): „Wie? 
fol Otto II., der vor Allen durch feine Bildung hervorragte, den feine Abſicht, dad Römers 
reich zu erneuern, nothwendig mit beflen Schidfalen in ben beiden letzten Jahrhunderten vor 
ibm befannt machen mußte —. fo armen Geiſtes — gewefen fein, daß er, wenn er auch bie 
Fabel der Schenkung Carls für wahr hielt, ihre Unrechtmäßigkeit nicht von dem Gtands 
punkte oder aus dem Gefühl feiner kaiſerlichen Machtvollkommenheit darthat, fondern erſt noch 
der Gründe und der Worte des libellus bedurfte! Dieß wird jeder zugeben müflen. Unſeres 
Wiſſens wäre biefe Urfunde bie einzige Achte, welche die Worte einer Chronik nachſchriebe.“ 
Meine Antwort auf dieſe ſchillernden Redensarten lautet einfach fo: ich gebe nichts von AN’ 
dem zu: Dtto ragte nicht vor Allen an Bildung hervor; er befaß blutwenig Verſtand noch 
gefchichtliche Kenntnifle, denn fonft wäre er nicht auf ben verkehrten Ginfall gerathen, das 
Mömerreich herzuftellen. Endlich abgefehen von Otto's Perfönlichkeit, verräth es keineswegs 
Geiftedarmuth, fondern im Begentheil Klugheit, wenn Fürften die Schriften tätiger rs 
lehrten benügen. 


902 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


daß die herrichaftlihen Rechte, welde Petri Etatthalter innerhalb der Manen 
Noms befaß, dem großen Haufen preiögegeben worden feien, fpielt, wie id 
oben zeigte, auf die demofratiihe Verfaſſung an, die bis 967 beftand. Diejet 
Vergeuden ſtädtiſcher Rechte aber wird in einem Athem mit dem Veijchlenden 
des ländlichen Grundeigentbums erwähnt. Daraus ergibt fidy nicht geringe 
Wahrfcheinlichkeit, daß beide gerügten Mißbräuche einer und derjelben Zeit a 
gehören. Abermal gedenfen die Quellen nur eines Anlafjes, den Dtte IL 
bezüglich letzteren Punkts mögliher Weife im Auge haben fann. Nachden im 
Sabre 967 durch Otto I. anfehnlihe Gebietstheile an Die römiſche Kirdı 
zurückgegeben worden waren, geſchah «8, daß Pabft Johann XIII. die Braj 
ſchaft Sabinum an feinen Neffen Benedikt, Stadt und Gebiet Praͤneſte a 
feine Schwefter, die Senatorin Stephania ſammt deren Kindern, als ha 
ausgab,*!) und hinwiederum, daß — ficherlid nit ohne Einwilligung deſſelbe 
Pabſts — in Tivoli ein deutiher Graf Berard, in Rom felbft der @rofhere 
Johann Erescentius ſich feſtſetzte.) Meined Erachtens deutet Otto IIL au 
dieſe Faͤlle hin: er will ſagen, mit Unrecht beſchweren ſich die Römer über 
das Schwinden des Kirchenſtaats, nicht der Kaiſer, nicht irgend jemand ſonſ 
fondern die eigene Echuld der Päbfte, namentlid Johannes XIII, hat dieſet 
Siechthum durch ſchlechte Wirthſchaft herbeigeführt. 

Daß der angegebene Zuſammenhang richtig iſt, erhellt noch aus einem 
weiteren Umftande, welcher als Gegenprobe unjerer Darftellung betradid 
werden darf. Der oben mitgetheilte Brief Sylveſters, worin er GErjag fü 
päbftlihe Güter im Eabinum anſpricht, ging vorliegendem Schreiben Otto's III 
um einige Monate voran. Sollte Dtto eine Antwort ſchuldig geblieben fein. 
Nun ih fage: das Echreiben enthält, fo erklärt, wie es eben erflärt wurde, iv 
gleich eine verdedte Abfertigung des Briefs, fofern Otto zu verftehen gibt, dei 
Sylveſter II. obige Forderung ohne Grund ftelle, da nidt etwa durd ar 
liſtige Maßregeln feines Ahns Otto I, fondern einzig durch die Fahrlaͤſſig⸗ 
feit Johannes XII. die Landſchaft Sabinum für Petri Stuhl verloren ge 
gangen fei. 

Im Uebrigen werben die im erften Haupitheile des kaiſerlichen Schri— 
bens vorgebrachten Beſchuldigungen und Ausreden durch Thatfachen, theilweiſ 
durch die eigenen Geftändniffe Otto's III. widerlegt. In weſſen Gewalt be 
fanden fi damald die von den Garolingern Pippin, Earl, Ludwig dem 
Srommen, Carl dem Kahlen und hundert Jahre fpäter durch den Eadim 
Otto I. dem Apoftelfürften mittel wiederholter Echenfungsbriefe zugefagt 
Gebiete Benevent, Sabinum, Pränefte, die Marfen Spoleto und Eameriss, 
das Herzogthum Tuscien, die acht Grafſchaften der Pentapolis, welche Otto IL 
im fraglihen Schreiben an Spyivefter II. abtritt, die Linie von Luni nad 


) Oben ©. 343 fig. 


Siebtes Bud. Cap. 53. Spigiger Briefwechfel zwifchen Otto III. u. Sylveſter 11. 903 


Mantua? Ohne Ausnahme waren fie im Befige der kaiſerlichen Kammer, 
oder folder Vafallen, die ihre VBelehnung unmittelbar oder mittelbar, offen 
oder verdedt, dem ſächſtſchen Haufe verdankten. Wenn je fonft, gilt hier ver 
wohlbewährte politiiche Grundſatz: als Urheber einer That muß Derjenige bes 
trachtet werden, dem fie Nuten brachte, cui bonum, is fecit. Nicht päbſt⸗ 
lihe Bahrläffigfeit. hatte den Kirchenſtaat gerbrödelt, fondern durch Fatferliche 
Lift oder Gewalt war er den rechtmäßigen Eigenthümern entlodt, entwunden, 
weggenommen worden. 

Nah dem bitterböfen Eingange, der mehr als die Hälfte des Schreibens 
ausfült und mehr ald genug von der unmuthigen Stimmung des Abfafiers 
zeugt, folgt die Hauptſache: Kaifer Otto III. erflärt, daß er freiwillig, 
aus eigenem Antriebe die acht genannten Grafichaften zu vollem Eigens 
thum an Sylveſter IT. übergebe, und fügt dann bei: „Solches geſchehe aus 
Iauterer Liebe zum heiligen Petrus." Allein letztere Aeußerung abgerechnet, 
findet fih in dem Schreiben feine Spur der fraglichen Gefinnung , fondern 
das fchnurgerade Gegentheil. „Die Liebe,“ fchreibt der Apoftel, „eifert nicht, 
ſucht nit das Ihrige,“ während aus jedem der kaiſerlichen Worte hervors 
tönt, daß Otto III. im Herzen die Nothwendigkeit verwünfchte, in dem Grade, 
wie er es wirflih that, den Großmüthigen fpielen zu müffen. - Unüberwind» 
liche Verhältniffe waren es, die ihn zum Echenfen trieben. 

Aus dem Schreiben, das er vor der Abreife nach Polen an Syivefter IL 
erließ, geht hervor, daß 999 ein Rechtöftreit über die acht Grafichaften, Die 
er jetzt abtritt, ſchwebte. Seit feiner Rückkehr Hatten fi die Umflände fo 
geftaltet, daß Otto IIL dem Rechte den Lauf laſſen und fi mit Eylvefter IL, 
abfinden mußte, und zwar darum, weil er wegen der oben angeführten Ders 
widlungen der Beihülfe des Pabftes bedurfte. Doc ift er, wie andere Fürften 
im gleihen Fall — zu ftolg, die Wahrheit einzugeftehen: er ftellt als einen 
Alt der Gnade bin, was ein redhtliher Zwang war. Der Rectöftreit bins 
wiederum, der nunmehr mit Auslieferung der acht Orafichaften endigte, wur 
zelte in den vor Erhebung Gregors V. abgefchloffenen Verträgen. Otto ſchweigt 
von dieſen Verträgen, aber ihre rechtlihe Wirfung erfennt er thatfählih an. 
Noch einmal wiederhole ich den an einem andern Orte ausgefprochenen Sag: 
das Schreiben Otto's III. erhält nur dann Licht und Zufammenhang, wenn 
man zugibt, daß in Folge der Unterhandlungen, welche Johanns XV. Tode 
vorangingen, die Marken Epolıto und Camerino dem Fünftigen Pabfte Gres 
gorius V., vorerft auf Lebensdauer, aber mit der Rechtswohlthat anderweis 
tigen Erfages für den Hall ver Zurüdziehung, durd einen förmlichen Staates 
vertrag gewährleiftet worden find. 

Wir haben früher Kaiſer Dtto ald Schwärmer und Phantaften kennen 
gelernt. Obiges Schreiben dedt eine andere Seite ſeines Charakters auf. 
Man flcht: bei aller Schwäche des Willens und des Kopfes rollt in dem 


004 Pabſt Sregorins VII. und fein Zeitalter. 


Enfel doch etwas vom Blute des habſüchtigen und gewalttätigen Ahnt, 
Otto's L 

Im Uebrigen fam der junge Kaiſer nicht mit Abtretung der acht Oral 
Ichaften weg, vielmehr mußte er aud noch das Sabinum an Petri Stil 
herausgeben. Nur bis zum Jahre 1000 erſcheint der oben erwähnte Gerhand 
ald Landvogt im Sabinum. Bon dem Auguft 1000 dagegen bis zum 
Sommer 1002 — den Zeitpunft, da nad) dem Tode Otto's IIL die Flamna 
über Sylveſter IL. von allen Seiten zujammenfchlugen und ihn nöthigta, 
Beinde zu befriedigen — find alle Urfunden der Landſchaft in des Pabſtes 
Namen audgefertigt.) Das nöthigt zu dem Schluffe, daß fie ihm einge 
händigt worden war. 

Wer follte glauben, daß faft um die nämlihe Zeit Pabſt Sylveſter I. 
eine ähnliche Sprade wie Dtto IIL wider Einige feiner eigenen Borginge 
führte! Und doc iſt dieß der Kal. Oben?) habe ich erzählt, daß der Kaiſer 
im Frühling 999 ven Yürften Laidulf von Capua verhaften ließ und balı 
darauf in die Verbannung nad Deutihland ſchickte. Das erledigte Fürſten⸗ 
thum erhielt der nad Gregors V. Tode mit Spoleto und Camerino beichut 
Ademar. Doch vermochte derfelbe das Lehen nur vier Monate, alfo bis in den 
Juli des ebengenannten Jahres zu behaupten, um welde Zeit die Gapuanı 
ihn verjagten und den bisherigen Grafen Landulf von St. Agatha, einen 
Sohn des Fürften Landulf III. von Benevent, zu ihrem Herrn erhoben‘) 
Letztere That war eine Auflchnung wider die Hoheit des deutſchen Reichs und 
blieb auch nicht unbeflraft — wir werden unten fehen, daß Otto IIL 1001 
ein Heer nad dem Süden Staliend ausſchickte — ebendiefelbe bedrohte aber 
zugleih die nahe Gränze der päbftlihen Beſitzungen. Vielleicht geſchah «#6 
aus Rüdfiht auf die Bewegung in Capua, daß Pabft Eyivefter II. fein 
Etadt Terracina, die nur eine Tagreife von Capua entfernt ift, im beſſem 
Vertheidigungsſtand jeßte. 

Zu folhem Behufe ſchloß er unter dem 26. Dezember 1000 einen 
Wehrvertrag eigenthümliher Art mit einem namhaften Soldaten. Die be 
treffende Urkunde?) befagt: „fintenmalen Graf Darferius Uns treue Kriegk 
hülfe zugefichert hat, übertragen Wir dem genannten Grafen, feinen Eöhnen 
und feinen Enfeln®) unter vem Namen eined Lehens“) die obere und unten 
Etadt Terrarina fammt Umgegend und der ganzen Grafihaft gleichen Ramend. 
Häufig ift es vorgefommen, daß ältere Päbfte, von augenblidlicher Geldvei— 
legenheit gedrängt, ausgedehnte Befigungen der Kirche auf Pachtverträge gegen 
geringe Summen an den näcften Beften ausgaben. Wir jchaffen dieſen Miß—⸗ 


*) Satteschi a. a. O. ©. 253 u. 254 oben. 2) ©. 713. %) Berg II, 29. 
*) Jaffs, regest. Pontifie. Roman. Nr. 2996. *) Es iR alfo ein libellas tertii gene 
*) Sub nomine benefcii. 


Siebtes Buß. Cap. 53. Epipiger Briefwechſel zwiſchen Otto M. u. Eyfsefler IL. 905 


brauch) ab, verorbnend, daß hinfort Lehen im Wefentlihen nur gegen Kriegs» - 
dienfte ertheilt werben follen. Nichtsdeſtoweniger wollen Wir, um die Gefahr 
der Berwandlung von Kirhengütern in fefted Eigenthum zu verhindern, vors 
behalten haben, daß bejagter Darferius von heute an alljährlih im Januar» 
monat an die Beamten der apoftoliihen Schapfammer je vier Goldſchillinge 
entrichte.* 

Aus den anderswo?) angeführten Briefen, welche Syfvefter II. 20 Jahre 
früher als Abt Gerbert von Bobbio jchrieb, erhellt, daß er die italienische 
Sitte der Verpachtung ausgedehnter Kirchengüter an Adelige ald eine fremde 
Erſcheinung und zugleich als einen Mißbrauch betrachtete. Jetzt hatte er dieſe 
Sitte genauer kennen gelernt, und fand denn doch einen geringen Pacht⸗ 
Ihiling darum empfehlungswerth, weil dadurch die Verwandlung des Lehens 
in volles Eigen erfchwert werbe. Eonft aber jegt er an die Stelle des Pachts 
den Wehrvertrag und beftimmt, daß hinfort die Belehnten ihre Obliegenheiten 
wejentlih in Geftalt von Kriegsdienften abtragen jollen. An die Stelle des 
romaniſchen Pachts tritt alfo hinfort das germaniiche Lehen. Einzelne Beis 
jpiele ähnlicher Belehnungen find uns jchon früher da und dort im Kirchen⸗ 
ftaat vorgefommen. Gleichwohl ift die Verordnung Sylveſters etwas Neues, 
fofern er zum Syſtem oder zur Regel erhebt, was biöher nur Ausnahme war. 

Befondere Beachtung verdienen die Ausfälle gegen einige feiner unges 
nannten Vorgänger. Er konnte Das, was er erreichen wollte, vollfommen 
gut bewerfftelligen, ohne früheren Pähften einen Schimpf anzuhängen. Gleich» 
wohl wählt er legteren Weg, Sprit Tadel aus, und zwar herben, der faft 
an die Ausdrüde des Ottoniſchen Schreibens Hinftreif. Warum gejhah nun 
Solches? Meined Erachtens deßhalb, weil mehr und mehr Anklagen, wie 
gegen Dtto, fo au wider Spyivefter II. laut wurden: jener fei Fein rechter 
Kaiſer, diefer Fein rechter Pabſt. Dem Aerger über Stimmen der Art gibt 
Spivefter verdedt Luft, indem er ſich felber lobt: ich bin ein anderer Mann, 
als die meiften meiner Vorgänger, während legtere, nur auf augenblidlichen 
Bortheil bedacht, das Gut der Kirche vergeubeten, habe ich nicht nur viele 
verlornen Befigungen des h. Peter wieder zuſammengebracht, ſondern treffe 
auch geeignete Anftalten, um dad Erworbene zu vertheidigen. Dan kann aus 
der Urfunde vom 26. Dezember 1000 berausfühlen, daß ein Ausbrud von 
Bolföunzufriedenheit, eine Empörung, im Anzuge war. 

Erft gegen den Spätherbft 1000 fehrte Otto II. aus Oberitalien nad; 
Rom zurüd, Trübfelig und verzagt muß feine Stimmung gewefen fein, denn 
er wandelt fjofort den aventinishen Palaf in ein Klofter um. Die beiden 


*) Et quoniam sanctae romanae ecclesiae pontifices nomine pensionis per certas in- 
dietiones haec et alia nonnulla attribuisse nonnullis indifferenter constat, cum lucris operam 
darent et sub parvissimo censu maximas res ecclesiae perderent; id genus doni totum in 
melius commutamus. 2) Oben ©. 675 fig. 


J 


906 Pabſt Gregorius VIL. und fein Zeitalter. 


Erlaſſe) vom 1. November 1000, welde dad DBermögen des geädteten U 
doin der Kirche von Vercelli zuſprechen und fonft Recht und Befig bejagkaı 
Stifts ftattlid mehren — überhaupt die erften Urfunden, weldye von eıneuene 
Anwefenheit Otto's in der Weltmetropole Zeugniß ablegen — find ausgekel 
im Palaft-Klofter. Was weiter vorging, war keineswegs geeignet, va 
Schwermuth des unglüdlihen Fürſten zu erheitern. Ungefähr jo viele Jet 
als erfordert wurde, um die Nachricht von der Aufunft Otto's IIL in Rom 
nah Mainz und Gandersheim zu befördern, dauerte es, bis in Deuticlan 
drüben mit wachſender Heftigfeit Schläge erfolgten, welche uxiverfennbar hu 
auf abzielten, die völlige Losreißung Otto's III. von Syivefter IL und fein 
Rückkehr in das heimathlihe Reich zu erzwingen. 


Yierundfünfigfles Eapitel, 


Der Sandersheimer Streit zwifchen dem Mainzer Metropoliten Willigie und dem Hill 
heimer Biichofe Bernward, welcher leptere die geheimen Plane Syiveflers LI. unters 
Willigis will im Bunde mit Sophia, der einzigen fähigen Schweſter Otto's UL, N 
Pabſt als DVerberber des jungen Kaiferd flürzgen und biefen nöthigen, daß er mai 
Deutfchland zurückkehre. Während deſſen zeiten die weltlichen Fürſten wider den Kailı 
eine Verſchwörung an, welche Willigis zu vereiteln fucht. 


Otto TIL, der einzige übrige Eproffe vom Mannsftamme des berricente 
Hauſes, hatte drei Schweftern, Mathilde, Adelheid, Sophia, die urfprünglit 
fammt und fonderd für dad Klofter beftinnmt waren. Außer Liutgarda, de 
Tochter des erften Otto, welde den Franken Gourad ehelichte und mit ib 
die Kärnthner Linie ftiftete, aus welcher Pabſt Gregor V. und der Ealin 
Eonrad IL. hervorging, nahmen die faiferlihen Töchter den Schleier, und zwä 
ward dieß offenbar aus Staatsgründen angeordnet, weil Berfchwägerungti 
herrſchender Häufer mit Unterthanen leicht der Ruhe und der Ehre der Staater 
Eintrag tun. Mathilde, Otto's II. ältere Schwefter, durchbrach jedoch vi 
eingeführte Regel, indem fie dem Aachener Pfalggrafen Ezzo ihre Hanl 
reichte.) Ansdrücklich wird bezeugt,’) daß die kaiſerliche Familie dieje Ver— 
bindung als ernicdrigend mißbilligte. Doc, wie wir wiffen,”) verzich?) zul 
Otto III. der Schwefter und ftattete fie fanmt ihrem Gemahl mit binrcides 
dem Gut aus, um Standes gemäß leben zu fönnen. Die beiden jünger 
Töchter Otto's II. gingen wirflic ind Klofter und wurden Webtiffinnen, Arc 
heid in Quedlinburg, Sophia in Gandersheim. 

Die Chronik von Quedlinburg gibt*) zu verftehen, daß Adbelheid de 
Liebling ihres Bruders, des Kaiſers war, was meined Crachtens bemeilt 


*) Eiche oben ©. 721 fg. Siehe B.L ©. 81.  ) Perg II, 785 ob 
) Pay IL 1. 


Siebtes Buch. Gap. 54. Anfänge des Ganderöhelmer Streits. 007 | 


daß fie fi, wenn auch immerhin durd ein weiches Gemüth, doch keineswegs 
durch geiftige Vorzüge auszeichnete. Anders die jüngere Schwefter Sophia. 
Sie hatte das leidenſchaftliche Weſen der Mutter Theophano geerbt, befaß 
aber zugleich etwas, was den andern Kindern Dtto’8 II. fehlte: Einfiht und 
Thatkraft. Diefe Sophia verftändigte fih mit dem erften Prälaten Germas 
niens, mit Willigis von Mainz, über einen Plan, der den Zweck hatte, 
ihren Bruder, den SKaifer zu retten. Schon längere Zeit dauerte die Ver⸗ 
bindung des Erzbiſchofs mit der Prinzeſſin, aud) wirkten auf Das, was jebt 
geihah, noch andere Berhältniffe ein. 

Das Stift Gandersheim ift um die. Mitte des neunten Jahrhunderts 
vom jächflihen Herzog Liudolf, dem Ahnherrn des Ottoniſchen Geſchlechts, zus 
nädhft als Hausflofter gegründet worden.) Seit Heinrih L ftanden meift 
Töchter des Königlichen Haufes demfelben als Achtiffinnen vor: daſſelbe lag 
im Suffraganiprengel von Hildesheim, der binwiederum dem Metropolitans 
verbande von Mainz einverleibt war. Dem Herfommen gemäß ftand daher 
dem Hildesheimer Biſchofe die geiftliche Auffiht zu. Indeſſen glauben fi 
befanntlicy fürftliche Aebtilfinnen minder durch das Kirchenrecht gebunden, ale 
andere, aus gewöhnlihem Blute entiproffene In gleiher Richtung mochte 
der Umftand wirfen, daß Gandersheim eigenthümlicher Vorrechte genoß. Durch 
Sreibrief‘) vom Jahre 948 hatte Pabſt Agapet das Klofter in den bejondern 
Schup des Stuhles Petri genommen, und bei Strafe des Bannd allen Bi⸗ 
jchöfen verboten, Gerichtsbarkeit über das Stift anzufprehen. Diefe Urfunde 
ließ zur Noth die Deutung zu, daß der Vorfteherin von Gandersheim das 
Recht gebühre, nad ihrem Ermeſſen Biſchofe zum Behufe kirchlicher Verrich⸗ 
tungen herbeizurufen. 

Aebtiſſin von Gandersheim war feit 960 ®erberga, Tochter Heinrichs L, 
Herzogs von Baiern, Schwefter des gleichnamigen Zänfers und Enfelin des 
Königs Heinrih J. von Deutichland. Unter ihrer Verwaltung nahm Sos 
ꝓhia, Otto's IIL Schwefter, um 988 den Schleier, erflärte aber fofort, daß 
fie fi) nicht von einem einfachen Bifchofe, fondern blos von dem Metropoliten, 
dem Mainzer Erzbiichofe Willigis, einfleiden lafen werde. Osdag, damals 
Bifhof von Hildesheim, widerſprach, worüber zwiſchen ihm und Willigie ein 
Streit entftand, der unter Vermittlung ded Knaben Otto und feiner Mutter 
Theophano dahin ausgeglichen ward, Daß beide, Osdag und Willigis, die 
Einweihung vornehmen follten.”) Dagegen behielt fi Osdag für alle andern 
Fälle ausichließlih das fragliche Recht vor.) Bald darauf — 989 —”) 
ftarb Osdag; auch fein Nachfolger Gerdag faß nur wenige Jahre auf dem 
Hildesheimer Stuhl. Im Januar 993 beftieg denjelben Bernward, bis dahin 
Otto's Erzieher und Günftling der Kaiſerin Mutter Theophano. 

1) Die Belege für Dieß und das Folgende bei Efrörer, Kirch. Geſch. II, 1555 flg. 
n) Ibid. ©. 1566. 








U | 


908 Babft Bregorius VIL und fein Zeitalter. 


I babe an einem andern Orte‘) nachgewieſen, daß es $ 
der Bernward unter dem Scheine der Veförderung vom Hofe e 
‚war darum entfernte, weil er Verdacht eines verderblichen Ein 
den Veruward auf den jungen König übte, Deßgleichen fieht j 
phia in Beruward einen Verderber ihres Bruders fah und ba 
mar, durch jeine Biographie Bernwards Hauptzeuge über den C 
Streit, eribleh „Sopbia habe wider den Willen der Aeb 
das Kloſter verlaſſen und fit un den Hof begeben, um für ' 
Grztiitefs gu wirken, aud gegen zwei Jahre daſelbſt zugebrad 
die wieberbolten Verftelungen des Biſchofs Bernward, der ie 
teten Worten ermabnte, ibred Rufes zu jdonen und der Regel 
Der Viegtard Füge weiter bei, daß Sophia vom Hofe nat ! 
ligis eilte, idn ned mehr gegen Bernward aufreizte, und exit 
deredeim zurüdtebete. Meine Erachtens fallen dieſe Umtrie 
da Erzdudei Willigis die Auslieferung ter Marken Spoleto 
an Pen Studl erzwang. und man fieht abermal, daß es ibn 
gefoke dar, Tiere were und gerechte Maßregel durchzufechten 
die Andinger der vererdenen Theopbane, ſowie ale, welche 
hererungen Time L und feine gemaltthätigen Regiments feñ 
madten. 

Vei dierer Summung der Partheien kam tag Jabr ic 
Dite'd UL nad Gucejen, jein kutzer Aufenthalt am Rhein, zu 
tedt ne Jan deran. Eine von der Aedtijſin erbaure R" 
und elte eingeweidt werten. Gerderga, alt mp bettlägeri, 
Aroeduung des Bertäfts ihrer Rukes auch Üen My 
sen haben, des Bermmarb widt 
wandte it ungehlumt um dem 
px weißen Nur zögern 
mars Verüche erheilt 










Siebtes Buch. Gap. 54. Anfänge des Gandersheimer Streits. 909 


Ibe erzählt: „nachdem die alte Aebtiffin Gerberga, dur Kranfheit and Bett 
‚feffelt, ihre Nichte beauftragt hatte, für Einweihung der neuen Kirche Vor⸗ 
hr zu treffen, wandte fih Sophia, ihrem früheren Betragen gemäß den Bis 
of übergebend, an den Mainzer WMetropoliten. Diefer wollte Anfangs 
mmen, aber durch Borftellungen Bernwards umgeftimmt, trat er zurüd. 
uch die zweite Aufforderung der Prinzeffin wies er aus gleihem Grunde ab, 
ſt als Sophia von Neuem in ihn drang, erflärte er ſich bereit, das Ders 
ngte zu thun.* 

Am Tage vor der feftgefebten Friſt, ven 20. September, erſchien Willis 
B zu Gandersheim in Gefellfhaft der Biſchoͤfe Retharius von Paderborn 
d Berengerd von Verden, ſowie des ſächſiſchen Herzogs Bernhard. Ob: 
eich eingeladen, kam Bernward nicht, ſchickte aber am 21. als feinen Stellvers 
ter den ehemaligen Bifchof von Schleswig, Eggehard, der, durd die Dänen 
8 feinem Sprengel vertrieben, wie es fcheint ſeit 983 Zuflucht in Hilvess 
im gefunden hatte. Eggehard erklärte dem Metropoliten, Bernwarb habe, 
rhindert durch Gefchäfte, die er im Auftrage des Kaiſers beforge, fih nicht 
ıfinden können, fei aber erftaunt, daß Willigis darauf beftche, in fremdem 
iSthum eine Kirche zu weihen, deren Ort feit undenklichen Zeiten unter dem 
ildesheimer Hochftifte ſtehe. Ohne NRüdfiht auf ,viefe Einreden fandte 
illigis Botſchaft nad Hildesheim, daß, wenn Bernward nicht am folgenden 
orgen erfcheine, die Kirche ohne ihn eingeweiht werden würde. Bernward 
m abermal nit, dagegen wiederholte Eggehard am 22., unterflügt von 
iſdesheimer Domherren, die fih indeß eingefunven hatten, feine Einſprache 
d ſetzte durch, daß die Kirchweihe von Neuem vertagt ward. 

Gleichwohl gab MWilligis den Kampf nicht auf, vielmehr hielt er während 
8 Gottesdienſtes — der 22. September fiel auf einen Sonntag — eine 
ırede an das Bolf, in welcher er verfündigte, daß er Fünftigen 28. No⸗ 
mber an Ort und Stelle eine Synode halten werde, fepte fi dann im 
yore nieder auf den bifchöflihen Stuhl und gebot von dort aus, einen bie» 
r unbefannt gebliebenen Freibrief zu verlefen,‘) welcher Seven mit Etrafe 
drohte, der die Zehnten, Güter oder Gerechtſame des Stiftd Gandersheim 
taften würde. Wie es fcheint, tft die Bulle Pabftd Agapetus gemeint, 
f die man ſich bisher in dem begonnenen Streit noch nicht berufen hatte. 

Thangmar behauptet,*) nachdem die Sache fo weit gekommen, hätten 
n den Bifchöfen, welche der legten Scene anmwohnten, einige, entrüftet über 
s eigenmäcdtige Verfahren des Mainzer Metropoliten, indgeheim Bernward 
rd) Bermittlung Eggehards aufgefordert, perjönli bei Kaifer und Pabft 
eſchwerde zu führen. Immerhin fünnen es Derjenigen, welche fo hanbelten, 
ir wenige gewefen fein, denn der Erfolg Tieferte, wie wir unten jehen 


*) Berg IV, 768 unten fig. 





910 Zeh Grrgerins VII. mb fein Schleier. 


werben, den Beweis, daf tie Rehrheit der deutichen SKirchenhäupter auf Exit 
6 Mainzer Metropoliten Rand. Mag Bernwarb frembem Raibe gefeig 
fein, oder, was er ſelbſt beichlefien, Andern unterlegt haben, gewiß iR, wi 
den 2. Revember 1000 von Hilbeöhelm darch das Tirol nad; Jialien di 
reißte. Bolie zwei Monate war er unterwegö, denn erſt ben 4. Zanmar 1001 
traf er zu Rom ein, wo ihm Kaiſer und Pab einen überaus guäbigen üw 
yjang bereiteten. *) 

Es erbittert auch die beiden Partheien einander gegenüberfiauden, wu 
tech bis zum November 1000 nichts Unheilbares geichehen. ber um 3. 
des genannten Monate, auf den von ihm ausgeſchriebenen Tag that Wiligh 
einen weiteren Schritt, der feine Rüdfchr mehr zuließ. Ichangmar fagt:’) 
„Uebelwoliende, namentlich die Brinzeffin Sophia, hätten ihn vorwärts ge 
trieben.” Doch diefe Behauptung verbient meines Erachtens Teinen Glauben 
Biligis war fein Rohr, das auf fremden Anſtoß wartete, ſondern ein Dem 
von Stahl, und er hat wohlbebadht die Brüde abgebrochen , weil ihen Inte 
fihere Nachricht zugelommen, daß Kaller Dito nad Rom zurldigefcht wu 
wieder von Sylveſter IL umgarat ſei. " 

Den 23. Rovember fand ſich Wiligie zu Gaudersheim ein, mit im 
famen Biſchof Retharius von Baberborn und viele?) Cd. 5. Biſchoͤfe a 
bloße Girrifer) ans Thüringen, Hefien, ſowie aus den zum Herzogthum Eadia 
gehörigen Gebieten des Mainzer Metropolitanverbande. Bon Seiten ver Ge 
genparthei erfchienen Eggehard und mehrere Hildesheimer Domherrn. Da 
Schleswiger wamte den Erzbiſchof, in fremdem Sprengel Berfammlungen m 
halten, bis ihn Willigis mit harten Worten. anfuhr: „Ihr habt hier Richts 
zu Schaffen, beforget Eure eigenen Angelegenheiten und fehrt dahin zurüd, ver 
wannen Ihr gefommen feid.” Als der Metropolit ſich anfchidte, ein Zeugen 
verhör über die Frage anzuftellen, ob Gandersheim dem biſchöflichen Eprengel 
von Mainz oder dem von Hildesheim angehöre, erneuerte Eggehard feinen 
Widerſpruch. Run drohte Wiligis, ihn binauswerfen zu lafjen. 

„Auf diefe Erflärung bin,“ fagt Thangmar, „verließ Eggehard den Ber 
fammlungsraum, und gebot allen Angehörigen des Hildesheimer Bisthunt 
und des Gandersheimer Stifts, dad Gleihe zu thun und an einem anden 
Orte mit ihm zu tagen.” Auch etliche von denen, welche mit Wiligis gelon⸗ 
men, hätten, fügt der Biograph bei, ihren Unwillen über das ungeeignet 
Verfahren des Erzbiſchofs faum verhehlt. Nah Entfernung Eggehards jeptt 
Willigis mit den Difchöfen, welche ihn herbegleitet hatten, das Zeugenbör 
fort, und entſchied zulegt dahin, daß Gandersheim dem biſchöflichen Eprengel 
von Mainz einverleibt fe. Damit war ein fchwerer Würfel gefallen, ein 














») Ibid. ©. 767. *) Ibid. ©. 767 unten, cap. 20. 5 Der Tert ſchlupft übe 
biefe Frage weg. 








Siebtes Bad. Gap. 54. Anfänge bed Gandersheimer Streits. 911 


Bruch zwiſchen Pabſt Sylveſter und dem Mainzer Erzbiſchof, ja auch, wie 
der Erfolg bewies, zwiſchen Sylveſter und der deutſchen Kirche fo gut ale 
sntichieden. 

Schnell erfuhr man zu Rom, was In Sachſen vorgegangen. Noch im 
Januar 1001 trat eine Synode in Rom zufammen, welcher 20 Bifhöfe aus 
Romanien,‘) etlihe aus Tuscien und Italien, von bdeutfchen aber 
wr vier: nämlih Bernward von Hildesheim, Eiegfried von Augsburg, Hein 
ih von Würzburg, Hugo von Zeiz anwohnten. Den Borfig führte Pabit 
Sylveſter IL. in eigener Perfon, auch Kaiſer Otto III. und Herzog Heinrich 
von Balern waren zugegen. Nachdem die Evangelien verlefen worden, erhob 
ich Bernward als Anfläger wider Willigis. Der Pabft ftellte hierauf die 
Brage: ob die Verfammlung, welche neulich Willigis in einem fremden Eprens 
gel wider den Willen des rechtmäßigen Biſchofs gehalten habe, als eine Eys 
node betrachtet werden dürfe? Die anwefenden Deutfchen unterlichen es, ihre 
Stimmen abzugeben: nur die Romanen flimmten und zwar erft, nachdem fie 
ich zu einer geheimen Berathung zurückgezogen hatten. Hieraus erhellen zwei 
Dinge: erftlih, daß die Deutfchen nad ihrer Rückkehr in die Heimath als 
Berräther behandelt zu werden fürchteten, im Fall fle gegen Willigid abges 
Rimmt hätten; zweitens daß man das, was dem Gandersheimer Streite zu 
Brunde Tag, nicht einmal in der Synode laut zu fagen wagte, weßhalb eine 
geheime Verhandlung nöthig ſchien. | 

Wie man fi denfen kann, fielen bie Beſchlüſſe im Sinne Sylveftere II. 
aus. Im Einklange mit der Synode erflärte er Alles, was Willigis zu 
Bandersheim gethan, null und nichtig, ihn felbft des Verſuchs einer Kirchen» 
Ipaltung ſchuldig, und ſprach feierlich das Gandersheimer Etift dem Hildes⸗ 
beimer Stuhle zu. Noch wurde befchloffen, daß für den fommenden Juni 
eine ſächſiſche Kirhenverfammlung nah Pölde berufen, und daß Garbinal 
Friederich ald Stellvertreter des Pabſts dorthin beordert werben ſolle. Wie 
ſchon früher?) bemerkt worden, war Cardinal Friederih ein geborner Sachſe 
und iſt bald nach feiner Rüdfehr von ver deutſchen Gejandtihaft auf den 
Erzftuhl von Ravenna befördert worden. Meines Erachtens berechtigen viele 
beiden Thatfahen zu dem doppelten Echluffe, daß der Pabſt nicht wagte einen 
Andern, als einen Deutfchen, nad Poͤlde zu fchiden, jowie daß er die Sendung 
für ein gefährliches Unternehmen hielt, dad hohen Lohn verdiene. In der 
That fam Cardinal Friederich kaum mit dem Leben davon. 


2) Ibid. ©. 768: Coadunata est synodus viginti episcoporum de Romania, aliquanti 
etiam affuere de Italia et Tuscia. Offenbar verficht Thangmar unter Romania die Gebiete, 
welche rechtlich — obgleich nicht thatſächlich — zum Kirchenftaat gezählt wurden: den römifchen 
Dukat, römifch Tuscien, Spoleto, Camerino, die Pentapoli8 und Ravenna ; unter Italien 
aber — wie aus dem Begenfag zu Tuscien und Romanien erhellt — bie Lombardei. 

Ohm ©. 711. 


igen werde, Kngft mit ihrem ſchwachen Könige, in Zerwürfniß Iebten, Eduf 
gefunden Haben muß. Den 10. April Fam Bernward nach Hildesheim zu 
AUSHEID begann er feine biihäflidhe Stabt zu befefligen und bradie 
gungen Sommer mit biefem Geſchäfte zu Bernward hat, wie man fch, 
möglich gehalten, daß er demnährt mit Waffenmacht angegriffen werde. 
Der Sommer 1001 kam heran, und mit ihm die vom Pabſt auf da 
22. Juni nad Pölde, — einem am Fuße des Harzes gelegenen Klofer‘) — 
ausgeicriebene Synode. Auf den fergefepten Tag erſchien Earbinal Friede 
ri, fand aber fhlimme Aufnahme. Thangmar nennt?) nur zwei, die den 
Etellvertreter des Pabſis die gebührenden Ehren erwieſen hätten: erſtens den 
Hildesheimer Biſchof felber, und zweitens den Hamburger Metropoliten Linie 
Cibentius), einen gebornen Staliener, der 964 mit dem gefangenen Baht 
Benedilt V. als defien Kaplan nad; Hamburg abgeführt, und 988 nad des 
Tode des Eribiſchofs Adaldag von König Otto IIL oder von beffen Mutei 
auf den Stuhl des heil. Andfar erhoben worden war.) Als die Synode 
eröffnet werben follte, ging es bunt zu. Wan verweigerte dem Bevollmäd- 
" figten des Pabſtes den Gintritt, Berwünfgungen umtönten ihn. Doch nahe 
Friederich zulegt zwiſchen Bernward und Livijo Ping mb begann, nachden 


BIER 


*) Berh IV, 770 unten fig. mid S. 7. ”) Did ©. 293, Rot 1. 
} ©, Gfeörer, 8. ©. II, 1562. 


Gichte Buch. Gay. 54. Mnfänge des Banderöheimer Streits. 913 


Stille gefchaffen, in fanften Worten die Verſammlung zum Frieden, zur Eins 
tradht zu ermahnen. Dann zog er ein an den Mainzer Erzbifchof gericktetes 
Echreiben des Pabftes hervor. Willigis weigerte ſich daſſelbe in Empfang 
pa nehmen. Dennoch ward e8, dem Beichluffe der Mehrheit gemäß, vorges 
lefen: es enthielt Vorwürfe und Aufforberungen zum Gehorfam. 

Zunähft ergriff Willigis das Wort, er wandte fih an den Erzbifchof 
son Hamburg-Bremen, mit der Frage: was nad Livizo's Anficht zu thun 
ſei? Der Gefragte entgegnete: „da der beleidigte Theil (Bernwarb) den 
Schuß unferer Herren, des Pabftes und des Kaiſers angerufen hat, fo finde 
ch es recht, daß du vor dem anmefenden Stellvertreter des Apoftolifus Rede 
ſteheſt.“ Aldbald wurden die Thüren des Berfammlungfaales aufgeriffen und 
bereinftürgte ein Haufe bewaffneter Laien — meift Mainzer Dienftleute unter 
dem Rufe: „nieder mit Bernwarb, nieder mit dem Cardinal Frieverich.“ 
Bernward fcheint jedoch einen ſolchen Ausbruch vorausgefehen zu haben. Denn 
Thangmar meldet,‘) daß er gleichfalls eine ſtarke Anzahl bewaffneter Dienft- 
eute mit fih brachte und in der Rage war,. Gewalt mit Gewalt abzutreiben. 
Indeß kam es nicht zum Blutvergießen, da ed den Gemäßigten gelang, Ord⸗ 
mng und Ruhe berzuftellen. Dagegen verließ Willigis plötzlich den Saal, 
jefolgt von dem päbftlichen Gefanbten, der ihn im Namen des Etuhles Petri 
mfforderte, bei der zweiten Sigung am folgenden Tage unverweigerlic ſich 
inzufinden. 

Allein ftatt zu gehorchen, reiste Willigis während der Nacht von Pölde 
ıb. Als dieß der Cardinal erfuhr, erflärte er den Biſchöfen in der nächſten 
Sitzung, daß fie fih bis künftige Weihnachten in Rom vor dem Pabſte zu 
dellen hätten, an Willigis aber richtete er ein Schreiben, folgenden Inhalts: 
„weil du dich der Synode entzogen, und den Befehlen des Pabſtes Troß ges 
boten haft, fo wiffe, daß dir biemit im Namen ver Apoftelfürften Paulus und 
Betrus durch deren Stelivertreter, Sylveſter II., jede geiftliche Verrichtung 
auf fo lange unterfagt ift, bis du vor ihm zur Verantwortung erjchienen 
ſein wirft. * 

Kurz darauf kehrte der Cardinal über die Alpen zurüd. Der Bericht, 
welchen er dem Babfte und Kaifer erftattete, machte auf Beide einen peinlichen 
Eindrud. Sie erließen fofort an ſämmtliche deutſche Biſchöfe einen Aufruf: 
ale follten ohne Ausnabme bis Fünftige Weihnachten zu Rom fi einfin⸗ 
den, und zwar nicht etwa jeder für fi allein, ſondern mit ihrer gefammten 
Dienfimannfehaft, auch nicht blos zu einer Synode, fondern ebenfogut zum 
Kampfe gerüftet, fo daß fie ſtehenden Fußes gegen jeden Beind aufbrechen 
könnten, welchen ihnen der Kaiſer bezeichnen würde. 

Der erſte Kirchenfürft Germaniens war jest mit halbem Banne belegt; 


ı) Berp IV, 778. 
Gfrörer, Pabſt Gregorius VI. * v. 58 


914 Pabſt Gregorius VIL und fein Zeitalter. 


allein dic fchredte weder Willigis felbft noch auch die Mehrheit der brutien 
Biſchoͤſe. Dagegen drängten fid näher und näher um Bernward Grit 
wolfen zufammen. Als er im Hochſommer 1001 ein Feſt in ber an ka 
Weſer unterhalb Minden gelegenen Abtei Hildwarthauſen, die ibm ver Kalter 
geichentt hatte, begehen wollte, wurden feine Leute von Mainzer Batıla 
angefallen und fortgefagt. Nicht beffer erging eö ihm zu Gandersheim. An 
die Nachricht, daß Bernward das Klofter heimzuſuchen gedenfe, bot die Pr 
ceffin Sophia ihre eigenen Dienftleute auf und rief überpieß Hilfe aus Rıim 
herbei. Mauern und Thürme waren mit Bewaffneten befept, Allee bereit, da 
Hildesheimer mit Faltem Eifen zu empfangen. Unter ſolchen Umftänten fun 
e8 Bernwarb gerathen, auf den Befuch in Gandersheim zu verzichten.) 

Der Streit zwiſchen Hildesheim und Mainz batte fi bis dahin af 
Sachſen befchränkt. Allein indeß war Einleitung getroffen, tie Sade vor ie} 
gefammte Episcopat Germaniens zu bringen und zu dieſem Zwed von Bi 
ligis eine allgemeine deutſche Kirchenverfammlung nad Yranffurt auf in 
15. Auguft anberaumt worden. Außer dem Mainzer erfchienen die Wette 
politen Heribert von Eöln und Liudolf von Trier. Bernward, obgleih an 
geladen, kam nicht, vermuthlich weil er dem Landfrieden mißtramte. Abermd 
fchitte er an feiner Statt den vertriebenen Biſchof von Schledwig, Eggehan, 
fammt dem Hilpeöheimer Domprobft Thangmar, demjelben, dem wir bie am 
führliche Geſchichte dieſer merkwürdigen Händel verbanfen. Beide entideb 
digten das Ausbleiben Bernwards mit Unwohlſein. 

In der erften Sitzung zog MWilligis gelinde Saiten auf und ließ de 
Ausrede gelten, allein in der zweiten beftand er darauf, Bernward fole m 
müſſe perfönlich fich ftellen, im entgegengefeßten Falle forderte er vom Des 
probfte einen Eid, daß der Hilvesheimer wirklich durch Krankheit gehinden 
jet, welches Anfinnen jedoch Thangmar ablehnte.) Obgleich fofort, kant dr 
Angabe des Biographen, Viele der Anweſenden verlangten, daß die Ur 
fiht über das Gandersheimer Stift dem Hildesheimer Stuhle zurüderfatt 
werde, fegte Willigis den Beichluß durd, die Entſcheidung des Streits ein 
fünftigen Tage in Fritzlar vorzubehalten. Nicht bloß diefer Beſcheid war dı 
Sieg für Willigis, fondern noch mehr die Thatfache, daß Germaniens Kinder 
häupter ungeichent mit ihm tagten. Denn das vom römifchen Cardinal mr 
hängte Strafurtheil, welches ihm jede pricfterliche Verrichtung unterfagk, 
ſchloß vor allem die Theilnahme an Synoden in fih. Thangmar ermangelt') 
nicht, dieß auf der Frankfurter Berfammlung hervorzuheben. Dadurch, wi 
die deutſchen Biſchöfe dem Rufe des Mainzers folgten, mit dem Halbgebaunkn 
unterhandelten, hatten fie verbedt mit Pabſt Sylveſter II. gebrochen. 

Gleich nachher ſchickte Bernward den Probft Thangmar, der ſchon is 


‘) Thid. ©. 773 oben. 2) Die Belege bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. M, 1568. 


Siebtes Bud. Gap. 54. Anfänge des Banbershehner Etreits. 915 


Ruuppigen Jahr auf ber römlichen Reife fein Begleiter geweien war, abermal 
weh Italien mit Briefen an den Pabſt und an Otto III. Thangmar traf 
mu Kaiſer im Gebiete von Spoleto. Weihnachten nahte heran, die Frift 
Fir Die ausgefchriebene römische Synode. Aber weder die deutſchen Bifchöfe 
EAmen, noch ihre Dienſtleute mit Roſſen und Waffen — obwohl, wie id 
musste zeigen werde, einige, im Ganzen jedoch wenige, unter Wegs waren. 
ESetlbſt der Pabft konnte in Bezug auf den Drt nicht Wort halten, weil Rom 
Beit Heben Monaten ſich in vollem NAufftande befand. Nachdem Kalfer und 
SPBabrR Weihnachten 1001 zu Todi — einem Fleinen Städtchen zwifchen Rarnt 
und Perugia — gefeiert hatten, hielten fie ebendafelbft am dritten Tage — 
wen 27. Dezember — das angefagte Concil. Rur 30 Bifchöfe wohnten dem⸗ 
Pelben au, worunter 27 aus dem Kirchenflaate, Tuscien und Langobarvien, 
3 aus Deutihland: Sigifriev von Augsburg, Hugo von Zeiz, Notfer von 
Eñttich. 

Thangmar trat als Ankläger gegen Willigis auf, und der ehemalige 
Garbinal Sriederih, nunmehr Erzbiſchof von Ravenna, bekräftigte feine Aus» 
fagen. Allein obgleih harte Reden gegen den Mainzer und feinen Anhang 
fielen, hatte Syivefter niht den Muth, etwas Enticheidendes zu verfügen, 
vielmehr beihloß die Berfammlung das Eintreffen des Cölner Metropoliten und 
einiger Andern abzuwarten, deren Ankunft man entgegenſah. Dian vertagte 
deßhalb die Synode erft auf das Erfcheinungsfer (6. Januar 1002), dann 
auf zwei weitere Friften, denn fortwährend verzögerten die Nahenden — offen» 
bar abſichtlich — den letzten Gang, obgleich ihnen Boten, fie zur Eile zu 
mahnen, entgegengeihidt worden waren. ') 

Des Wartend müde, ging der Kalfer nad der Burg Paterno,?) wohin 
ihn Thangmar begleitet zu haben fcheint. Die genannte Burg liegt etliche 
Meilen von Rom am Fuße des Berges Sorafte, und hatte eine flarfe deutſche 
Beſatzung, welde die aufftändiihen Römer unaufhörlih bevrängte.”) Den 
11. Januar verabfchiedete fih Thangmar vom Kaiſer und kehrte reichbejchenft 
nad) Deutſchland zurüd, waraus erfichtlich, daß Dtto und Syivefter dad Zus 
ftandeflommen ber Synode aufgegeben hatten. Kurz nad ihm traf‘) Heribert 

ein, gerade recht, um den Kaiſer vor feinem Tode zu fehen. 

Folgende Andere befanden") fi noch unter Wegs: die Biſchoͤfe Heinrich 
von Würzburg, (ver fhon an der römifhen Synode vom Januar 1001 Theil 
genommen hatte, aber indeß nad der Heimath zurüdgefehrt, und nun zum 
Zweitenmale nad Rom aufgebrochen fein muß), Burdard von Worms, der 
Abt von Fuld, dieſe mit ihren bewafineten Bafallen, außerdem noch Dienſt⸗ 
leute des Mainzer Erzftuhles, offenbar von ihrem Lehenherrn geihid. Man 


*) Berg IV, 774 unten. 2) Ber III, 782 oben. ) Berk IV, 773, Beiſaß x. 
*%) Berg II, 781 unten. %) Berk IV, 836 ober. 6 
8 ® 


S6 *y9 Poabſt Oregerius VIL und fein Seitalter. 


erficht hieraus, daß Willigis, während er der päbſtlichen Ladung vor bie us 
geſchriebene Synode Trop bot, dem Kaiſer den politiichen Gehorfam bemahn 
wollte. Die Ehengenannten hatten Tuscien durchzogen, als fie die Kun 
von Dito’s IT. Tode vernahmen, worauf fie unverweilt umfehrten.) 

Run zur Erflärung des Ganderöheimer Streits. Daß es dem geintita 

* und weltlichen Ständen Germaniens nicht an triftigen Gründen der Un 
friedenheit Aber das Reihsoberhaupt mangelte, ift unfäugbar. Im Bun 
mit Sylveſter arbeitete Dtto feit Jahren daranf Hin, die Hoheit des beutida 
Reichs zu erniebrigen, den Eig der Gewalt nad Rom zu verlegen, Deut 
fand in eine Provinz, bie Deutſchen in Unterthanen der Römer zu verwan 
deln. Eben derſelbe hatte ferner neulich den Polen Boleslaw ald König anm 
tannt, ihm den jährlichen Tribut, den er früher an die deutſche Scapfamme 
entrichten mußte, erlaflen und zugleich durch dieſe unbefonnene Maßregel de 
Einfünfte, welche deutiche Große aus den Gebfeten über der Elbe jogen, Bob 
geſtellt. Wegen geringerer Urfachen find und waren oft Kriege geführt, Em 
Pärungen angezettell worden. Wenn daher bie beutichen Meichsfürften m 
ernſtlichem Wiberftand ſich rüfteten, iſt dieß begreiflih. In der That war ım 
jene Zeit eine Verſchwörung mächtiger Laien im Merk, 

Nachdem Thietmar die Gefchichte Otto's bis zu deſſen lehten Tagen en 
ithlt Hat, berichtet?) er weiter: „die deutſchen Herzoge und Grafen fannen 
damals, nicht ohne Mitwiſſen gewiſſer Bichöfe, auf eine Schilderhebung gegen 
den Kaiſer, auch den Herzog Heinrich von Balern, der nachher den beutfden 
Thron beftieg, wollten fie in ihren Bund hereinziehen. Aber Leßterer wich, 
eingedenk der Lehren, welche ihm fein fterbender Vater gegeben, jede Thal 
nahme zurüd. Kurz vor feinem Tode erhielt Otto II. Kunde von bien 
Umtrieben, und vernahm die Nachricht mit Ergebung.“ Was beabfichtigten 
die Verfhworenen? Ohne Zweifel, den Kaifer zu ſtürzen und einen andem 
Herrſcher einzufegen. Der nachherige Erfolg bewies, daß Einige nebenbei den 
Plan hegten, Deutſchland zu zerreißen und auf eigene Fauſt Meine Herrichatr 
ten zu gründen. 

IR es nun irgend glaublich, daß Erzbiſchof Wiligis von Mainz in dem 
Streite, den er gegen Bernward von Hildesheim erhob, ähnliche Ziele, oder 
gar den gleichen Zwed verfolgte? Gewiß nicht, denn fonft Hätte er nicht ge 
meine Sade mit der Pringeffin Sophia gemacht, welde des Wahnfinnd be 
ſchuldigt werden müßte, wenn fle die Hand dazu geboten haben würde, ba 
eigenen Bruber, das einzige Übrige männliche Mitglied ihres Haufe, zu nt 
thronen. Richt dem Kaifer, fondern dem Pabfte galten die von Willigie und 
Sophia zugerüfteten Schläge. Offenbar ging der Mainzer Erzbiſchof von dem 
Grundfage aus, daß den Rechten, welche Petri Statthaltern zuftünden, ebenſo 


*) Perg IV, 836 oben. 2 Bag in, 798 oben. 


Siebtes Bud. Gap. 54. Anfänge des Gaudersheimer Streits. 917 


jerichtige Pflichten entſprechen, und daß fein Pabſt feine geiflihe Gewalt 
yazu mißbrauchen dürfe, Könige und Kaifer zu mißleiten, in verderbliche Plane 
m verwideln, Reiche zu zerftören, Nationen zu zerftüdeln. Weiter glaubte 
rw — und mit ihm viele Andere — Eylvefter IL babe fi eben dieſer Ver⸗ 
zehen ſchuldig gemadt und deßhalb fein hohes Amt verwirft. 

Ohne Frage beabfichtigte Willigis den Sturz Syivefterö: aber nicht un» 
wittelbar konnte er demſelben beikommen, fondern nur mittelbar durch gewiſſe 
yeutihe Werkzeuge des Pabſtes. An ver Spike einer nicht unbedeutenden 
Barthei hoher deutſcher Cleriker, die mit Syivefter zufammenhielten, und deren 
Entwürfe der Berlauf meiner Erzählung enthüllen wird, ftanden Bernward, 
von Dtto zum Protoferinius, d. h. zu einer der Großwürden des Weltreiche 
erhoben, ‘) der Bölner Erzbiſchof Heribert, Archilogothet?) deſſelben Weltreiche, 
der Hamburger Livizo und andere mehr. Nicht jchwer fiel ed dem Mainzer, 
ine Reibung mit Bernward herbeizuführen, denn ver Hildesheimer Biſchof 
war fein Suffragan. Wiligis griff den von Sophia gebotenen Anlaß auf, 
hberzeugt, daß in Kurzem, fo wie ed auch wirklich geſchah, Pabſt Syivefter 
für Beruward eintreten müfle, und daß ebendamit der Kampf auf das Ges 
biet, wohin er — der Erzbiſchof — fteuerte, binübergefpielt werben würde. 

Zu gleicher Zeit, da Willigis in Gandersheim dem Biſchofe Bernward 
den Fehdehandſchuh hinwarf, befriegte einer feiner Verbündeten, Biſchof Ber 
senger von Verden, den Hamburger Livigo mit der nämlihen Waffe, Indem 
er diejem feinem Metropoliten die Abtei Ramesloh ftreitig machte :*) ein neuer 
Beweis, daß, was geſchah, ein Syftem, Theil eined wohlüberlegten Planes 
war. Mit lauter Händeln über Klöfter wurde Sylveſter unfehlbar in den bes 
abfihtigten Kampf verwidelt. 

Smmerbin darf man den wider ihn zugerüfteten Schlag nicht als eigent- 
liches Ziel des Mainzer Erzbifchof® betrachten, fondern der Angriff auf Syl⸗ 
vefter follte nur als Mittel zu Erreihung von etwas Anderem dienen. Die 
Endabfiht des Metropoliten ging dahin, durch Blosftelung des Pabftd den 
Kaiſer zu nöthigen, daß er von Syivefter ſich zurüdziche und nad) Deutjchland 
heimkehre. Nach feiner Rückkehr in die Heimath aber würde man ihm bie 
Augen geöffnet und wohl auch für die Zufunft feine Schwefter Sophia ale 
Mitregentin zur Seite geſetzt haben. 2 

Jedenfalls ift Har, daß der enge Bund mit der Prinzeſſin Sophia den 
Schwerpunkt des von Willigts verfolgten Planes bildete. Ihre Mitwirkung 
bot erftlich dem jungen Kaifer eine Bürgfchaft ded Vertrauens, da Dtto nicht 
wohl den Verdacht hegen fonnte, Daß die eigene Schwefter auf fein Verderben 
ausgehe, fie war alfo geeignet, Otto IIL zu beftimmen, daß er um jo eher 


) Berk IV, 779 zu unterſt flg. 2) Den Beleg oben ©. 821, 2) Die Belege 
bei Gfroͤrer, Kirch. Geſch. III, 1567. 


918 Wabft Gregoriug VER. und fein Beitlter. 


auf die von Willigis geftellten Anträge eingebe. Diefelbe Mitwirkung vertif 
Wweitens dem Erzbiſchofe große Vorthelle. Im einem Falle wie der vorfiegemk, 
wo der lehte Eproffe eines herrihenden Haufes durch ſchwere Fehler fid jet 
in eine unhaltbare Lage verfegt hat, fann Demjenigen der Sieg Taum at 
geben, auf deffen Seite die einzige faͤhige Schwefter des Herrichers fett 
In der That übte die Pringeffin Sophia jelbft nah Otto's unerwartet jänd 
Tem Tode jo großen Einfluß, daß hauptſächlich durch fie der Sturz des Mat 
grafen Effihard von Meifen, der fih zum Gegenfönig aufgeworfen hatte, ct 
schieden und im Folge deſſen die Krone Heinrich IL, dem müchfiberedtigte 
Haupte der jüngern ſächſiſchen Linie, gefihert ward. *) 

Nicht nur in Deutſchland auch in Italien gährte doppelter Hab geyc 
Kalfer und Pabſt. Der große Haufe murrte wegen der eingeführten Steuen 
die Großen zettelten Ränfe an, weil fie hofften, daß die von Otto begangene 
Mifgriffe ihnen zu gute fommen müfjen. Für fid allein hätte weder die Mt 
geneigthelt der Menge noch die Verrätherei der Großen dem Kaifer geſchade 
aber mit dem Augenblid, da die Unruhen in Deutſchland begannen, wurde 
die ftalienifhen Umtriebe gefährlich, da was drüben über dem Alpen mit | 
viel Lärm vorging, dieſſelts faum verborgen bleiben konnte. Auch zweifle It 
ſeht, ob «8 in ber Abficht des Erzbifchofs Willigis lag, feinen Angrifi au 
Pabſt Sylveſter geheim zu halten. Thangmar fagt,”) daß noch che Bilde 
Bernward gegen Ausgang des Jahres 1000 ſich der Stadt Rom nähert 
das taufendzüngige Gerücht, ihm vorauseflend, die Kımde von den Borfülk 
zu Gandersheim durd Italien verbreitet hatte. 





*) Gbenfo daf. IV, 7 u. 9. °) Perg IV, 767 gegen unten: nam de archiepiscept 
et tumultu Gandershemii oborto ante accessum Domni episcopi (Bernwardi) fama pras 
eurrens cuneta divulgaverat. 


Cichies On. Gay. 55. Gmpörungen in Tivoll und Mom. Otto W. flirt. 919 


Sünfundfünfzigfies Capitel. 


Ausbruch von Empörungen in Tivoli, in Rom, im übrigen Stalin. Die Tioolefen hatten 
einen vom Kaifer zu ihrem Landvogt beftellten jnugen Mann, Namens Mazolin, er⸗ 
ſchlagen, uud die Beſatzung, die in ihrer Stadt lag, vertrieben. Nun rüdte Otto IIL 
mit SHeereömadht vor Tivoli, richtete aber nichts and, worauf Pabſt und Kaifer den 
Aufrührern Gnade bewilligten. Alsbald griff dad Haupt der Tusculaner, Gregor, zum 
Gewehr und zwang das deutiche Heer fammt Otto II. und Eylveſter IL die Stadt 
Rom zu räumen. Die Sache hing allem Anfcheine nach fo zufammen : bie Gredcentier, 
alte Gegner des tusculanifchen Haufes, hatten fi von dem Echlage bed Jahres 988 
wieber erholt; vie Witwe des enthaupteten Patricierd Johann war Kebfe des Kaiſers 
geworden, au auf Eylveſter II. übten fie Einfluß; zugleich fanden fie in enger Ver- 
bindung mit den alten Kapitangefchlechtern des Kirchenftaatd , die bis zur Ginführung 
ber Weltreichsverfaſſung Brafenrechte übten. Um nun die Grescentier felber und dieſe 
ihre Berbündete nieverzuhalten, beſtanden die Tuscnlaner darauf, daß der Grundfatz, 
welcher ſtatt lebenslaͤnglicher Statthaltereien jährlich wechfelnde anorbnete, aufrecht ers 
halten werde. Als gleichwohl Pabſt und Kaifer ven Mord Mazzolins, der ein jährlich . 
wechfelnder Vogt gewefen, verziehen und fo thatfächlih auf jene Norm verzichteten, 
flug Gregor los. Demokraten und riflofraten in Rom. Gregor verräth Leptere, 
behauptet aber die Stadt. Vergebliche Verfuche des jungen Kaiſers, den Aufruhr niebers 
zufchmettern. Gewiſſensbiſſe Otto's III.; er flirbt den 23. Ian. 1002 zu Paterno. 


Anfangs Januar 1001 traf, wie wir wiflen, Bernward zu Rom ein; 
fur; darauf bligte die Blamme der Empörung auf, und zwar zuerft in Tivoli. 
Leider ſtimmen die auf und gefommenen Berichte nicht mit einander überein. 
Thangmar, welcher Augenzeuge war, und darum vor Allen Anderen gehört zu 
werben verbient, erzählt") Kolgendes: „ein kaiſerliches Heer belagerte die 
Stadt Tivoli, richtete jedoch fo wenig aus, daß man von der Nothwendig⸗ 
keit des Abzugs ſprach. Nun begab fih Dtto von Rom aus, wo er weilte, 
perjönlih in Gefelichaft des Pabftes Sylveſter II. und des Biſchofs Bern» 
ward vor die Stadt. Bernward rieth, den Angriff zu verftärfen und mehr 
Soldaten heranzuziehen, was auch geſchah. Nach einigen weiteren Tagen bes 
gehrten der Pabſt und der Biſchof Einlaß in die Stadt, wurden wirklich aufs 
genommen und fchloßen mit den empörten Einwohnern einen Bergleih, kraft 
defien letztere halbnackt mit Beſen in der Hund vor dem Kaifer erichienen, 
fi) unterwarfen und im Ganzen Gnade erhielten. Der Kaiſer ftand von ber 
angedrohten Zerftörung des Orts ab und verlangte nur Bürgſchaft fünftigen 
Gehorfams. Als nun aber die Römer,“ fährt der Biograph fort, „erfuhren, 
daß Dtto Tivoli verfchont babe, ergriffen fie vol Neid darüber die Waffen 
gegen den Kaifer, verrammelten die Thore, beftürmten Otto's III. Palaſt.“ 
Noch muß bemerkt werden, daß Thangmars Bericht fein Wort enthält, wel- 


1) Ibia. ©. 769, Mitte fig. 


020 Pabſt Gregorius VIL und fein Seitalter. 


ches hinderte, anzunehmen, die Unterwerfung der Tivolefen fei in Rom jelbt 
vorgegangen. 

Auch Damtani erwähnt in feiner Lebensgeſchichte des h. Romuald dal, 
felbe Ereigniß. Er fagt:') „Kaifer Otto belagerte Tivoli und zwar deßhalb, 
weil die Einwohner einen Faiferlihen Vogt, Namens Mazzolin, erichlagen, 
den Kaiſer jelbft aus ihren Mauern vertrieben hatten. Tivoli,“ fügt be 
Biograph bei, „Ichwebte deßhalb in dringender Gefahr, gänzlich zerftört zu 
werden; aber der Allmäctige führte den h. Romuald herbei, welder turt 
feine Dazwiſchenkunft bewirkte, daß Otto den Empörern verzich. Tod mußten 
fie einen Theil ihrer Mauern abbrechen, Geißel der Treue ftcllen, un ta 
Mörder Mazzolind ausliefern.“ Während fowohl Thangmar ald auch die 
andern Quellen von der überaus wichtigen Frage, betreffend die Urjade de 
Belagerung Tivoli’s, ſchweigen, erfolgte fie laut der Ausfage Damiani’s darın, 
weil die Einwohner den kaiſerlichen Vogt Mazzolin erfchlagen und ſich wite 
die Herrſchaft Dtto’8 III. empört hatten. 

In einer Beziehung wird letzteres Zeugniß durch eine dritte Duck, 
durd die Chronif von Kammerich beftätigt, welche meldet:?) „von Aufrührem 
ward Mazzolin, ein treffliher Züngling und Bertrauter des Kaijers, erſcla— 
gen, furz darauf empdrten fi die Römer wider Otto IIL felber, und bela⸗ 
gerten ihn drei Tage lang in feiner Burg auf dem Aventin.“ Den Namen 
deffen, der den römijhen Aufſtand veranlaßte, verſchweigen die bisher a 
gehörten Zeugen, aber ein vierter nennt ihn, nämlich Biſchof Thietmar wen 
Merfeburg, welcher jchreibt:”) „Gregor, ein Mann, der fonft dem Kaifer ſeht 
theuer gewefen war, jettelte eine Berfhwörung in Rom an, riß die Stat 
mit fid fort, und nöthigte den Kaiſer zur Flucht.“ 

Unter diefem Gregor fann faum ein Anderer verftanten werden, als ta 
Tusculaner gleihen Namend, Haupt diefed mächtigen Geſchlechtes, deſſen 
Eohn die faiferlihe Leibwache befehligte, der felbft Reihsanmiral der failer 
lihen Flotte und ein Dann war, dem Otto fonft großes Vertrauen bewieſen 
hatte. Sodann ift die von Thangmar mitgetheilte Nachricht, der römiide 
Aufjtand fei ausgebrochen, nicht etwa weil die Römer den bedrängten Tr 
voleſen helfen wollten, fondern im Gegentheil weil fie Neid oder Eiferſucht 
über die den Nachbarn bewilligte Gnade fühlten, an fi fo eigenthümlich un 
erhält zugleich durch die perjönlihe Anwejenheit ded Zeugen ſolches Gewidt, 
daß man fie unmöglih verwerfen fan. Heft fleht alfo: der Tusculaner 
Gregor hat den römifchen Aufruhr darım entzündet, weil er dem Kaijer nidt 
veraich, den Tivoleſen ftatt völliger Zerftörung ihrer Stadt Straflofigfeit be 
willigt zu haben. 

Und nun verfuhen wir es, auf dieſe fihere Grundlage Hin, weitered 





) Ibid. S. 849, Mitte. *Y Berk TIL, 481, Mitte, $) Berg IL, 781. 


Siebtes Bud. Gap. 55. Empoͤrungen in Tivoli und Kom. Otto IIL ſtirbt. 991 


icht zu gewinnen. Wie ih an einem andern Orte‘) zeigte, liegen Beweiſe 
dr, daß Tivoli faſt bis zu Anfang des zehnten Jahrhunderts zurüd eine bes 
andere Grafſchaft bildete, oder wenigftend feine eigenen Stabtgrafen befaß. 
raf von Tivoli war urfundlih?) im Jahre 983 ein geborner Franke, Nas 
end Berard. Weiter wird in einer Urkunde”) vom Jahre 1000 ein Sohn 
fielben Berard, Rainald, erwähnt, der den Titel Graf empfängt, und an 
ı8 Klofter zu Sublaco die Schlöfler Arcula, Roviano und Anticoli (letztere 
eide liegen zwiſchen Tivoli und Subiaco an der Beugung des Anio) vers 
benfte, welche er von dem damals verftorbenen Pabſt Gregor V. erworben 
atte. Richt blos die längft eingeführte Gewohnheit, kraft welcher Söhne 
m Vaͤtern in Lehen und Grafichaften folgten, ſondern aud die Thatſache 
es durch die Urkunde beglaubigten Grundbefited in der Umgegend von Tis 
oli, berechtigt zu der Annahme, daß der Titel Graf, den Rainald erhält, urs 
zrünglich ſich auf Tivoli bezog. 

Allein im Jahre 1000 kann Rainald nicht mehr wirklider Graf in Tis 
oli geweien fein. Hiefür bürgt nicht blos der Umſtand, daß die fragliche 
Irfunde, obgleich. fie ihn Graf nennt, dody den Ort beizufügen vergißt, wäh» 
md das Pergament von 983 ausdrüdlih den Water Rainalde Berard als 
drafen von Tivoli bezeichnet — ſondern noch entichiedener das doppelte Zeugs 
iß Damiani’d und der Chronif von Kammerih. Denn laut der Ausfage 
Jeider gebot damals in Tivoli nit Graf Rainald, ſondern der kaiſerliche 
Zogt Mazzolin. Wie kam nun diefer nah Tivoli? Das iſt meines Ers 
chtend nicht fchwer zu enthüllen. Die Graphia meldet,*) daß Otto IIL, als 
rfte Frucht der Weltreihöverfafjung, jährlich wechſelnde Conſularrichter in die 
zezirke des Kirchenftaats ausſendete. Weiter erhellt aus dem früher angeführ« 
m Briefe‘) Eylvefterd IL, daß der Aufruhr zu Orta allem Anjcheine nach zum 
‚heile deßhalb entftand, weil der dortige Graf fi durch den Gonfularrichter 
ejchwert glaubte. Ein dritter Fall ift der unſrige. Mazzolin, ein Günftling 
IRtto's IIL, war meines Erachtens als Gonfularrihter nach Zivoli geihidt 
yorden. Den Aufruhr zu Tivoli, der zu Ermordung ded Fremdlings führte, 
alte ih für ein Werk Rainalds, der dafür Rache nahm, daß ein Anderer 
ym Ind Neft gejegt worden. Ein vierted Beiſpiel liefert die Geſchichte des 
5abinums: wie ich oben zeigte, ift Gerhard nur ein Jahr Landvogt der ebens 
enannten Provinz gewejen. 

Sn der Urfunde von 1000 erhält Rainald den Titel: „Graf Rainald, 
Sohn weiland des Grafen Berard, der da war ein Sranfe aus fränfiichem 
Stamme” (ein nicht in Stalien von fränfifchen Eltern, jondern im eigentlichen 
jrancien geborner Sproſſe). In einem. zweiten Pergament‘) ſpricht er aljo 


1) Oben ©. 349. 2) Muratori, antiq. Ital. I, 382. *) Ibid. V, 773. *) Oben 
5. 822 fig. ») Oben ©. 835. 6) Berg VII, 642, Note 4. zu 


922 Baht Gregerins VIL uud fein Sechtalter. 


von ſich felber: „id Rainald, Sohn weiland des Grafen Berard, ans fris 
fiihem Stamme, Graf der zum Herzogthum Spoleto gehörigen Landſchaft da 
Marien.” Weiteren Aufihluß über den Vater gibt eine Stelle!) der Chroni 
des Kloſters Montecaffino: „von Berard, welder den Beinamen des Franka 
trägt, ſtammt ab das Grafenhaus des Marſenlandes.“ Die Lage biekr 
Brovinz babe ih an einem andern Orte?) nachgewieſen. Nicht blos in 
Marſenlande faßten Bater und Sohn Wurzel, fondern aud Tivoli brachten 
fie für einige Zeit an fi, doch ohne dieſes Lehen dauernd behanpten p 
tönnen. Bid gegen dad Jahr 1006 bin wird Rainald, Berards Sohn, wis 
terholt in der Ehrenif von Montccaffino ald Wohlihäter des Stifte und al 
ein mächtiger Mann aufgeführt.) 

Als Urheber der römiihen Empörung und wahrfebeinlich zugleih ah 
Gegner Rainalds erſcheiut der Tusculaner Gregor. Run ift weltbefanst, 
daß fib um den Gegenjag zwiſchen den Häufern der Gredcentier und der 
Tusculaner im zehnten Jahrhundert großentheild die Geſchichte des Kirchen 
Raats dreht. Sollte ebenderjelbe nicht aud obiger Verwicklung zu Grumk 
liegen? Obgleich das Haupt der Erescentier, Patricius Johann, 998 au 
Balgen geendet hatte, entwidelte das Geſchlecht unmittelbar nad dem Ted 
des Kaiſers Dito III. eine erfiaunlide Madt. Das beweist, daß die Cres 
centier während der Jahre, da die Weltreih6-Berfaffung im Schwange ging 
die Hände nicht in den Schoos gelegt haben. Nachrichten liegen Über gewiſt 
Mittel vor, dur deren Anwendung es ihnen gelang, fi von dem Schlag 
Des Jahres 998 zu erbolen. An vertorbenen Höfen, wie der Otto's UL, 
wo Betrug an ter Tagesordnung ift, jpielen unfehlbar liederliche Weiber 
eine Roll. 

Der Clugniacenſer Rutolf, welder um 1047 ſchrieb, erzäblt,*) du 
Otto III. die Wittwe des 998 entbaupteten Erescentius zu feiner Kebie ııfer. 
Ungefübr Daſſelbe berichten Peter Damiani, der ficberli nicht ins Blaue hinan 
eine ſolche Saite berührte, im £eben®) des Abts Romuald, und Leo ven 
Montecajfino in jeiner Chronik.) Nach deutſchen Begriffen fcheint es freilid 
abenteuerlid, daß ter Patricius, der ſchon 986 zur Gewalt gelangte, un 
al8 er hingerichtet ward, einen mündigen Eohn befaß, eine Witwe, blühend 
genug, um die Begierden eines 20jährigen Kaiferd zu reizen, binterlahen 
baben je. Allein man muß erwigen, daß die Mittwe recht gut zweite ia 
dritte Gemahlin des Grescentiers geweien fein fann, und weiter daß 50 unt 
6ljährige Männer, welde 16 und 20jührige Mädchen heirathen, in Italien 
beut zu Tage häufig find und wohl aud vor 800 Jahren es waren. Unter 
jol&en Umftänden wäre es unftatthaft, die Wusjagen fo gewichtiger Zeugen 


') Ibid. ©. 623. 5 Oben ©. 234 fi. 9 Berk VIL 634. 636. 637. 648. 
643. ©) Perp VII, 57. 9) Berg IV, 849. 0) Berk VII, 643. 


Siebtes Buch. Gap. 55. mpdrungen in Tivoli, uud Mom. Otto IIL ſtirbt. 923 


zu verwerfen. Fleiß und Mühe genug wird von den Brescentiern aufgewen- 
det worden fein, um eine Eya ihres Stammes dem jungen Herrſcher in die 
Arme zu führen. Daß aber die Wittwe ihre Stellung benügte, um für die 
Angehörigen zn wirken, verfteht fid) von felber. 

Richt nur bei Otto IIL, fondern aud beim Pabſte Sylvefter gewannen 
die Crescentier Einfluß. Wie unten gezeigt werden wird, benügte Syivefter I.- 
unmittelbar nad Otto's III. Tode die Crescentier ald Gegengewicht wider die 
hoch angefchwollene Macht der Tusculaner. Ja wahrſcheinlich geſchah dieß noch 
bei des Kaiſers Lebzeiten. Laut dem oben mitgetheilten Berichte Thangmars 
war es außer Biihof Bernward Pabft Syivefter II., welcher jenen Vertrag 
mit den Tivolefen ſchloß, der lehteren Straflofigfeit gewährte und den Tusculaner 
Gregor in Wuth verfeßte. Auch behandelte jeitvem Gregor den Pabſt ald einen 
Todfeind, denn der Aufftand, welchen er anzettelte, endigte damit, daß nicht nur 
Otto III., jondern audy Sylveſter II. ſchimpflich aus der Stadt vertrieben wurde. 

Kun iſt es, abgejehen von der Gunft Otto's IIL und dem eigennügigen 
Schutze Sylveſters, den Erescentiern hauptſächlich dadurch gelungen, wieder 
aufzufommen, daß fie die auf den Graͤnzen des Kirchenſtaats angefiebelten 
Bafallengefchlehter, welde vor Einführung der Weltreichs⸗Verfaſſung ven 
Zitel Grafen führten, insbejondere die Häufer ded Marſenlandes und von 
Rieti, in ihren Kreis zogen und fich mit ihnen verſchwägerten. Die Dinge, 
welde nad dem Februar 1002 im Kirchenftaante vorgingen, geben hierüber, 
wie am gehörigen Drte gezeigt werben fol, genügenden Aufſchluß. Wollte 
daher der Tusculaner Gregor die gehaßten Crescentier nieverbalten, fo mußte 
er zugleich den Auffchwung ihrer Verbündeten hemmen. Das pafjendfte Mittel 
aber, diefen Zwed zu erreihen, beftand in unerfhütterliher Aufrehthaltung 
des Orundgejeges der neuen Verfaſſung, welches jährlichen Wechſel der Statt- 
Haltereien des Kirchenftaatd anordnete. Die Tusculaner, weldhe den Befehl 
ũber die bewaffnete Macht führten, brauchten hievon nichts zu fürchten, wohl 
aber fonnten fie den Artikel ausbenten, um die Erescentier und deren Yreunde 
aus dem Befige alter Grafenrechte zu verdrängen. 

Und jegt find wir am Ziele. . Durch Begnadigung der Tivolefen, welche 
den einjährigen Richter Mazzolin erichlugen, hatten der Kaiſer und der Pabſt 
auf den Grundfag des Wechſels der Eonfulate verzichte. Der Zusculaner 
behandelte fofort — meines Eradhtend nicht ohne Grund — dieſes Verfahren 
als eine gegen ihn und fein Haus gerichtete Maßregel und griff zu den Waffen. 
Alles hängt harmonisch zufammen. 

Was den römifchen Aufftand felbft betrifft, geben alle Quellen eine ges 
färbte Darfiellung, offenbar weil fie unangenehme Dinge verbergen zu müſſen 
wähnten. Thangmar erzählt:') „die Römer verfchloßen plögli die. Thore 


) Berg IV, 770. 





924 Beh Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


ver Start und ermerteten einige Hofleute des Kaiſers. Bernward aber feurrte 
die Peiagung ter faiterliden Burg zu muthigem Widerſtande an Wirllic 
rüncte E Otto zu einem Audtalle, bei welchem Biſchof Bernward vie h. Lane 
vortragen wollte. Tennet fam c& nicht zum Kampfe, weil tie Römer, m 
geftimmt turt tie Gnade Jeſu Chrifti, welder Bernwart® Geber erhört hatte, 
in nd gingen, ihre Vertreden bereuen und Unterwerfung anboten* Au 
bielt Kaver Lite von einem Thurme herab die früher‘) mitgerheilte Rebe an 
tie Reuigen, teren Inhalt unrerfennbar den Augenzeugen verrärh, ta fe 
Dinge entbält, welde wunterbar gut zu ben Tamaligen Nerbältmiiien pafın. 
„Die Rede,“ tübre Thangmar tort, „machte ſolchen Eindruck auf die Römen, 
tag fie in Tbränen ſttwammen und zwei der Anſtifter Des Aufruhrs, Benile 
und einen andern (Ungenannten), tem Kaiſer außslicferten.* 

Nach einem telden Eingange jollte man erwarten, taß Otto's Herridalt 
über Rem unverweilt hergeſtellt ward. Aber nein das Gegentheil gefdicht: der 
Kaiter und ter Pabft verlangen jofort tie Stadt und ſchlagen außerhalb ein 
Lager auf, die Empörung aber Dauert bid zum Tore Otto's fort, denn weite 
unten beridict’) Thangmar, daß vie faiterlihe Belagung von PBaterno mauſ⸗ 
börli Ten meuteriiten Römern yujepte. 

Rickt nur tie Werte ter Rede, wilde Dtto an tie Römer bielt, jew 
tern aut tie vollfommen beglaubigte Thatjache des doppelten Aufſtandes in 
Tivoli, wie in Rem, lafien feinen Zweifel Darüber zu, daß unter Otto IL 
währent des Beſtands der Weltreichöverfaſſung in übnlicher Weiſe, wie zu 
den Zeiten tea Pabites Jebaun-Octavian, das geſammte Volk die Warten 
iubite und cut ent peutide Ride geneßf. In gutem Einklange ſtebt dich 
mit Ten tuber“) angeiübiten Zeugniſen, laut welchen Otto III. vie Stade 
prörftur wiederberitellte. Teeies Amt batte, wie wir wiſſen,“) baupnidlt 
ten Zweck, eiwaige Auswückie ter Demokratie zu beichneiden. 

Achnlide Dinge, wie Thangmar, aber mit andern Nebenumſtänden, 
meldei) die Chremf ven Kammend: „30 Tage lang belagerten Die Römer 
mir ſtaiker Made Ten Rarer in ter Burg auf dem Arentin, jehnitten die 
Zuiubr von Lebenẽmuteln ab und ließen Niemand eins oder audgeben. Xils 
leute wäre cd um Urne III. geicheben gemweten, bätten nidt Herzog Hem— 
rcid von Baicin und Marfgrat Hugo, welde draußen in abgeſonderten 
Lagern fanden, iem Hüln'ie gebradt, indem fte in Gutem ohne Anmentung 
von Gewalt Tie Römer dbewogen, ihnen Zugang gum Kalter au gemwährn 
Ver ibn gelangt, ſtelten ic ihm ver, daß die Macht ter Empörer unüber 
windlich, Entiatz mehr als zweifelbait jet, und bewogen ibn, Rom beimli& u 
verlaffen. Wirklich zeg Otto IU., begleitet von Pabſt Sylvefter II, au 

1) Oben S. 85219. °) Perg IV. 073. Beiſaßz x. ) Eben S. 00. 9) 8.39. 
*%) Tag VII 451. 


Gichted Bud. Say. 55. Empsrungen in Tivoli und Som. Otto II. ſtirbt. 92% 


Rom fort, durchwanderte feitvem Ravenna und andere Städte Staliens, überall 
bemüht, Streitkräfte zufammenzubringen, mit weldhen er die römifchen Ems 
pörer züchtigen wollte. Aber er vermochte letztere Abficht nicht zu verwirklichen, 
weil er zu Anfang des Jahrs 1002 unvermuthet wegſtarb.“ Unten wirb 
man fehen, daß der lebte Theil des Berichts, den die Chronik von Kammerich 
erflattet, durch Urkunden beflätigt wird, was auch bezüglich der anderen Ans 
gaben ein günftiges Vorurtheil erwedt. 

Endlich fchreibt‘) Thietmar von Merfeburg: „Gregor griff mit den aufs 
rührerifchen Römern die Deutfchen unvermuthet an, nur mit Wenigen ent 
fam der Kaiſer dur ein (unbefegtes) Thor, die Mehrheit der Beſatzung 
blieb in der Burg eingeſchloſſen. Aber Otto rief alle feine Getreue, wo fie 
fih befinden mochten, zu Hülfe, indem er fie befhwor, wenn fie je Treue 
für ihn hegten, in dieſer Roth ihn nicht zu verlaffen. Nun gingen die Römer 
in ſich, machten fich gegenſeitig Vorwürfe und geftatteten aud, daß die in 
der Burg Eingefchloffenen unbeläftigt ausziehen durften. Allein der Kaiſer 
traute den lügenhaften Verfiherungen der Empörer nit, fondern bebrängte 
fie bis zu feinem Tode, der kurz darauf erfolgte, unaufhoͤrlich.“ 

Thietmar's Ausfage verträgt fih, bucftäblich aufgefaßt, nicht mit dem 
Berichte des Ehroniften von Kammerich, aber wenige Aenderungen genügen, 
um beide in Einklang zu bringen. Nimmt man.an, daß fchon zu Anfang 
des Aufruhrs geihah, was der Merfeburger Ehronift erzählt, nämlich daß 
Dtto alle feine Getreue von Nah und Fern aufbot; daß zweitend unter dieſen 
Aufgebotenen auch Helurih von Baiern und Hugo von Tuscien waren; daß 
Drittens die Belagerer auf das Verſprechen hin, Otto zum Abzuge zu bes 
wegen, dem Herzoge und dem Markgrafen Eingang geftatteten; daß viers 
tens in Folge diefer Maßregel Uneinigfeit unter ven Aufrührern ausbrach, jos 
fern die Einen den Kaiſer fammt dem veutfchen Heere umbringen, die Andern 
den Eingefchloffenen eine goldene Brüde bauen wollten; daß fünftend Herzog 
Heinrih und Markgraf Hugo den Kalfer vermochten, fih zum Abzuge zu vers 
fieben; daß endlich fechstens dieſem Entſchluſſe gemäß der Kaifer und der 
Pabft fammt der Beſatzung Rom und die Burg verließen: fo gewinnt Alles 
guten Zufammenhang und entfpricht dem gewöhnfichen Laufe folder Begeben⸗ 
heiten. Hiezu kommt noch ein befonderer Umftand: die Behauptung Thiet⸗ 
mars, daß Dtto ſchon zu Anfang des Aufruhrs mit Wenigen floh, während 
bie Beſatzung in der Burg verblieb, wird nicht blos durch die Ausſage der 
Kammericher Chronik, fondern auch durch die Thangmar’8 ausgeſchloſſen. Da 
nun aber beide Lestere auch fonft mit einander übereinftimmen, fchreiben die 
Regeln der Kritit vor, den Merfeburger nur infoweit zu hören, als die zwei 
Andern auf feiner Seite flehen. 


s) Perg II, 781. 


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Geil Gergsıins VIL wub Beitaller. 
fund alle drei Zeugen einig, bie römiiche 
Kanjſers, des Bab und ber Befapung 
folgt aber, daß vie Reue ter Römer, weldyer fowohl 
als Thietmar reden, entweder eine erhewchelte war, ober fidh 
gewiſſe Rebenpuntte, insbefontere nicht auf die Rückkehr um Geherfen, bon 
Dean wer ſich in Wahrheit unterworfen hat, fährt nicht fort, zu troten, med 
verläßt eim Eieger, der wirflih vie Oberhand über Euipörer erlangte, de 
von dieſen befirittienen Städte und Burgen. Run bezeugt Thietmar mit bärıı 
Worten, daß Uneinigfeit unter den Belagerern ausbrach. Diefe Angabe win 
aber — obwohl verdeckt — auch durch Thangmar beftätigt. Denn nach feine 
Darfellung überliefern dieſelben Römer, welche nachber gleichwohl in ber En 
porung verharrten, dem Kaiſer einige Anftifter des Aufruhre. Folglich herrſche 


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. Uneinigfeit unter den Aufſtändiſchen, oder mit andern Werten, die Einen 


wollten, wa6 die Andern mißbilligten. 

Un der Epige Derer, welche den Abzug gut hießen umb doch babel bie 
Empörung fortſehten, fand der ven Thietmar erwähnte reger. Denn wir en 
fahren ja, daß er die Bewegung nicht nur angezettelt, ſondern auch durchge⸗ 
führt hat. Die Andern, al6 deren Haupt Benilo und ein Ungenannter er 
fcheint, müflen Dinge, die über die Forderungen Gregors binausgingen, d. h. 
allem Unfcheine na die Vernichtung der Eingeſchloſſenen begehrt haben. 
Gegen Legtere nun — und nicht auch gegen die Erfteren, war die von Thang⸗ 
mar mitgetheilte Rede Otto's III. gerichtet. Denn in derfelben deutet‘) ber 
Kaiſer an, daß es unter den Belagerern zwei Partheien gab: eine, welde 
feine Bertraute ermordet habe und ihm felber ein ähnliches Schickſal bereiten 
wolle, und eine zweite, die verjöhnlihe ©efinnungen hbege. Otto madte Ein 
drud auf die Empörer und erreichte den zunäcft beabfichtigten Zwed, aber 
nicht dur die Kraft feiner Beredtfamfeit, fondern weil Gregor es feinem eis 
genen Bortheil angemefien fand, dem Kaiſer in die Hände zu arbeiten. Die 
zwei Partheien erhoben fich wider einander, die Wüthenden wurden von ihren 
bisherigen Genofjen übermannt, ihre Häuptlinge, Benilo und der Ungenannte, 
an die Kaiſerlichen audgeliefert. 

Die Sache ſtellt fi jept fo heraus: als Gregor, das Haupt des tuß 
eulaniihen Hauſes, den Schild gegen die deutſche Herricaft, den Kaiſer und 
den PBabft, erhob, ſchloſſen fi der Bewegung aud die Demofraten Romd 
an, die, wie es bei diefer Barthei ftets der Fall, von Haß und Leidenfcaft 
glühten, während Gregor, ein gewiegter Ariftofrat, nur beftimmte, wohl über 
legte Zwede verfolgte, nit nad Blut türftete, fondern Mactgewinn fudte. 
Als nun, durch Eilboten des Kalferd herbeigerufen, mit andern Deutfcen, 
die damals außerhalb Roms fih befanden, auch Herzog Heinrich von Baiem 


1) ) Berk Iv, 770. 


Siebies Bad. Gap. 55. Empörungen in Tivoli und Mom. Otto M. ſtirbt. 997 


und Hugo von Tuscien heranzogen und von den Belagerern der Burg Ein 
aß in den aventinifchen Palaft begehrten, wogegen fie dad Verſprechen abs 
egten, daß fie Dito zum Abzug beftimmen würden, entfland unter den beiden 
Höher vereinigten Partheien des Aufftands Streit: die Einen wollten nichts 
yon einem Bertrage hören, Gregor aber und feine Anhänger geſtanden vie 
Forderung der beiden Fürften zu. Nachdem die Lestern fi mit dem Kaiſer 
iber Die Nothwendigkeit des Abzugs verftändigt hatten, hielt Dtto II. — 
vie id, glaube, nicht ohne vorläufige Uebereinkunft mit Gregor — jene Rebe, 
wveldhe darauf abzielte, den Riß unter den Aufrührern zu vollenden, die 
Müthenden nieberzuarbeiten. 

Allem Anfcheine nach wollten die, welche das Getriebe leiteten, dem uns 
glücklichen Herrſcher das Vergnügen gönnen, zu glauben, daß er durd feine 
Beredtiamfeit oder durch den Zauber feiner Perſon dem Aufruhre eine mildere 
Wendung gegeben habe. Denn wie Fönnte fonft Thangmar dem Kaifer die 
Worte!) in den Mund legen: „ich fenne die Hänpter des Aufruhrs und bes 
zeichne fie mit dem Winke meiner Augen, ich kenne aber auch die Gutge⸗ 
finnten (nämli unter den Empörerh), und würde ed für ein Wunder ers 
achten, wenn fie es unterließen, fi von den Ruchloſen abzufondern.“ Bis 
zum letzten NAugenblide ift Otto III. von allen Seiten betrogen worden, 
was freilih nicht anders fein Fonnte, da er unfählg war, Wahrheit zu 
ertragen. 
Gregor von Tusculum that das Seinige, um die vom Kaiſer audges ' 
ſprochene Erwartung zu verwirklichen. Die würhenden Demofraten wurden übers 
mannt, die zwei fchlimmften Schreier unter ihnen feitgepadt und ausgeliefert, 
worauf der Kaifer, der Pabft und die deutiche Heeresabtheilung dem von 
Hugo und Heinrih unterhandelten Vertrage gemäß abzogen. ©regor mußte, 
warum er fo handelte: mit einem Schlag erreidte er zwei Zwede, fchaffte 
fi zu gleicher Zeit das Fatferlihe Heer und die ebenjo läftigen Wortführer 
der Demofraten vom Hald. Nunmehr war er alleiniger Herr in der von 
den Deutichen geräumten Stadt Rom, und genoß gar noch die Genugthuung, 
dag Otto fi einbildete, von ihm aus den Händen blutdürfliger Rotten ges 
rettet worden zu ein. 

BVorliegende Auffaffung der Vorgänge in Rom rechfertigt fih felber, zur 
befondern Empfehlung aber gereicht ihr, daß jedes Wort der Darftellung 
Thangmars, der als Augenzeuge den meiften Glauben verdient, aufrecht bleibt, 
und einen guten Einn erhält. Nur darin zeigt fi der Hilnesheimer Doms 
probft als Höfling oder geiftlichen Diplomaten, daß er da und dort Mittel 
glieder verfchweigt. Männer, wie er, lügen uie, aber zuweilen, ja oft jagen 
fie nicht Alles was file wiſſen. Nihft Thangmar behält die Ehronif von 


) Berg IV, 770. 





85 


928 Pabſt Gregorius VII. und fein Zeitalter, 


Kammerich Recht. Wie ih fhon früher") zeigte, if diefelbe eine der wenige 
Duellen, welde über die Weltreih-Verfaffung Auskunft geben. Derjeni 
Abſchnitt, welcher die Geſchichte Otto's III. behandelt, muß aus dem Verit 
eined eingeweihten Augenzeugen gefchöpft fein. Namentlich ſcheint mir wu 
von der Rolle zu gelten, welche Herzog Heinrih von Baiern und Hugo x 
Tuscien fpielten. Beide dringen auf Abzug, und zwar rieth meine Cradta 
der Baier, daß Dito nicht etwa blos Rom, fondern daß er Stalien verlor 
und nad Deutſchland zurüdfchre, was, wie wir fahen, auch Willigie ve 
Mainz verlangte, der im folgenven Jahre dem zweiten Heinrich die wid 
tigften Dienfte leiftete. Als deutſcher Reichsfürſt und als mächfiberedrigt 
Verwandter des Faiferlihen Haufes durfte der Herzog. nicht dulden, ta 
das unfinnige Epiel des italieniſchen Weltreihd weiter getrieben werde. 

Obgleich Otto vermöge eines Vertrags aus Rom abzog, ſchieden rm 
Gregor nicht ald Freunde, fondern ald Gegner. Der Kriegszuſtand Kiel 
wie denn der Ehronift von Kammerich bemerkt, Dito habe das ganze Jat 
über alles Mögliche gethan, um für Züchtigung der meuteriichen Römer Snei 
fräfte auf die Beine zu bringen. Der Ausmarſch des Kaiſers und Pabke 
aus Rom erfolgte laut dem Zeugnifie?) Thangmard am Sonntag exsurgt 
welcher im Jahre 1001 auf den 16. Februar fiel. 

Die weiteren Ereigniffe, fofern fie nicht in die Geſchichte des Ganderl 
heimer Streits einſchlagen, find nur durch Urfunden und wenige Etellen m 
Ehronifen befannt. Aber alles, was wir aus dieſen Quellen erfahren, beiläri, 
die oben angeführten Eäge der Ehronif von Cambray. 

Den 7. März 1001 waren Kaifer und Pabft urfundlich”) zu Pen 
Die Faftenzeit brachte!) Dito in Ravenna zu. Laut einer Urkunde” so 
4. April umgaben ihn dort der Pabſt, die Biihöfe Leo von Vercelli (bei til 
Gelegenheit mit dem Titel logotheta sacri palatii aufgeführt), Per ni 
Como, Dtbert von Verona, Dominicus von Eutri, Sergius von Ceſena, dar 
die Achte Andreas von Et. Salvadore am Tieinfluffe und Odilo von Cluar 
denen laut einer anderen Duelle noch der h. Romuald beigefügt wert 
muß. Es handelte ſich für beide Letztere darum, einen Unglüdlihen, wir 
nicht was dieſes Lebens, fo Toh was das fünftige betrifft, zu retten. T 
Biograph) Romualds meldet: „der Kaiſer habe fih im Kloſter au Chi 
den ftrengften Büßungen unterjogen, ein härenes Kleid unter dem gell 
turdwirften Purpurmantel getragen, auf hartem Stroh geſchlafen, tie gun 
Vaſienzeit gebetet und gefaftet, ja fogar das Verfprehen abgelegt, demnoͤt 
Mönch zu werden.” 

Dtto fühlte Reue über gewiſſe ſchwere Eünden, aber dieſe Reue gir 

*) Oben S. 852. 3) Perg IV, 770 gegen unten. 7) af, regen. S. Mi 
*) Perg VII, 33, untere Mitte, ) Berg IV, 849 unten flg. 


Siebted Buch. Cap. 55. Empörungen in Tivoli und Rom. Otto II. ſtirbt. 920 


nicht fo tief, daß er, den angebornen und durdy Erziehung befeftigten Stolz 
überwindend,, wohlgemeinten Rath befolgt hätte Der Biograph berichtet‘) 
weiter an einem andern Orte: „Romuald nahm den Kaifer beim Worte und 
drang in ihn, daß er fogleich fi zum Eintritt ind Klofter entichließe. Otto III. 
entgegnete: ich werde thun, was du verlangft, aber vorher muß ih das 
menuterifhe Rom überwinden und ald Sieger in Ravenna’d Mauern einziehen. 
Der Abt aber antwortete: wenn du nah Rom geheft, wirft du Ravenna 
nie mehr ſehen.“ Aehnlich hatte einft der Elugniacenfer Oberabt Majolus 
zu Dito’8 Vater geſprochen. Im Uebrigen bemerfe man, wie gut obige Worte 
zu der Ausfage der Ehronif von Kammerich fiimmen. Racegevanfen erfüllten 
neben Regungen der $römmigfeit und Reue Otto's IIL Gemüth. 

Don Ravenna aus machte er im April eine geheimnißvolle Reife nad 
Benedig. Ohne gründliches Eingehen in vie Geſchichte des Freiftaatd von 
Can Marco kann man die Einzelheiten dieſes Faiferlihen Ausflugs nicht dars 
fielen. Hier nur fo viel: Dtto fuchte in der Lagunenftadt eine Flotte zum 
Kampfe wider Eüditaliener und vielleikt Saracenen, iſt aber dafelbit graus 
famer, als je jonft, hinters Licht geführt worden. Zurüdgefommen aus Bes 
nedig, verweilte?) er zu Ravenna Eid Mitte Mai 1001. In den übrigen 
Monaten des Jahres 1001 ſoll laut der älteften Chronif?) von Venedig 
Folgendes geſchehen fein: „da der Kaifer vernahm, daß die Bewohner Bes 
nevents fich wider feine Hoheit empört hätten, griff er fie mit Heeresmacht 
an, unterjodhte die Stadt und tödtete Viele. Hierauf ging er nad Ravenna 
zurüd und begab fih dann fpäter nach Pavia. In letzterer Etadt erhielt er 
die Nachricht von einem Aufftande der Nömer, und fchidte deßhalb ein Heer 
unter dem Befehle des Patricius Zazzo wider fi. Im ESpätherbfte beſchloß 
er nah Rom zurüdzufehren. Da er aber Nachftelungen der dortigen Eins 
wohnerſchaft fürdtete, ſchlug er feinen Wohnfig im Schloſſe Baterno auf, wo 
ihn unvermuthet eine Krankheit überfiel, an der er ftarb.* 

Diefe Angaben find jedoch großentheild ungenau oder geradezu falich. 
Die Jahrbücher von Benevent melden,*) daß Otto diefe Etadt 1001 mit 
einem großen Heere belagerte, allein ob er Benevent oder irgend einen andern 
meuterifchen Ort Sübitaliend einnahm, ift eine andere Frage, oder beſſer mehr 
als zweifelhaft. Feſt fteht,”) daß fowohl der damalige Fürſt von Benevent, 
Landulf IIL, ald deſſen gleihnamiger Eohn, Landulf von Et. Agatha, ver: 
im Sahre 1000 den von Dtto in Capua eingefegten Günftling Ademar aus 
@apua vertrieben, und fi felbft zum Gebieter letzterer Stadt aufgeworfen 
hatte, die Herrichaft behaupteten. Kaifer Dtto III. fann daher weder gegen 
Benevent noch gegen Capua etwas von Bedeutung ausgerichtet haben. 


t) Ibid. ©. 853, Mitte. 3) Böhmer, reogest. Nr. 875—881. ) Berk VIL 
34 unten. *%) Berg II, 177. ®) Ibid. u. III, 209. 
Sfrörer, Pabſt Gregorius vIL Be. V, &8 





f} WeÜR Gergerins VIL mob fein "Sellin. 


Schaum felt fi der Benediger Chremif die Sache fo vor, «ls je 
Die Römer ert im Sommer 1001 wider Dito.fidh empört, und als fein fr 
rare des ber Patricier Zauo befehligte, zur Unterwerfung gr 

werben. Die Rädicht des Kaiſers nad Rom, welhe Ye 
t, erfcheimt deutlich als eine Frucht des Sen 
‚ in Rom feinen Wohnftp anfgeiälgn, 
sicht ewaltiamen Widerſtaud — vn 
niebergefchlagen — wohl aber geheime Rachkefmgen kr 
ale diefe Berausfegungen werben theils var Is 
wurd bie glaubtwärbigen Berichte Thangmars, Thietmars we 
ausgeſchloſſen. 
Zeitraums vom Mai bis Dezember 1001 
Juni fand Dito im Lager bei der Kine 
ven Mi Roms, ven 19. Juli findet man ihn zoike 
Ubene und Uiria auf dem Latinergebirg, den 25. unb 31. deſſelben Mom 
galt biefer verlängerte Aufenthalt im der Nähe Rund 
Kimpfen wider den Insculaner Gregor und deſſen Anhang. Zwiicenhinde 
es geichehen ſein. daß Otto IIL, ven Patricier Zazzo mit einer Heert⸗ 
abtheilung vor Rom und den Bruder Bermvarbs, Tammo, mit einer zweien 
in Baterne?) zurhdiaffend, den Zug nad Benevent unternahm. Rom fi 
wicht, und auch der Kaifer blieb nicht länger in Sübitalien. Den 14. Du 
tober fommt er im der Hauptſtadt Lombardiens Pavia zum Vorſchein, wo a 
Hof hielt. Hatten ihn etwa Beforgniffe vor einer Bewegung des geädteter 
Ardoin zu einem Abſtecher nah dem obern Stalien beftimmt! Vom 21. bis 
23. November weilte‘) Otto III. wieder zu Ravenna. Im Dezember if a 
mit dem Pabſte zu Tobi, wo er vergeblich auf den Anzug der von ihm unt 
Spivefter IL aufgebotenen deutſchen Biſchöfe hart und nachgerade zur trau 
rigen Gewißheit gelangt, daß er auch von diefer Eeite, dem letzten Anker ver 
Hoffnung, feine Hülfe erwarten dürfe. 

Schwermüthig und trübe war feine Etimmung, doch fo, daß er fih end» 
lich in fein Echidjal ergab und in der größten Noth die Würde der deuticen 
Kaiferkrone nicht vergaß. Bei diejer Gelegenheit wird einigermaßen ber 
Schleier eines finftern Geheimniſſes gelüfte. Thietmar von Merieburg 
ſchreibt: ) „Außerlich zeigte Otto ftets ein heiteres Gefiht — (die Wälicen, 
welche ihn mißleiteten, follten nicht fagen fönnen, daß fie einen beutihen 
Kaiſer erniedrigt gefehen hätten) — aber innerlich erbebend über dem Bes 


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*) Böhmer a. a. O. Rr. 883 ſig. Jahrbücher des deutſchen Reiche IL, d. €. 126% 
248 fig. Gieſebrecht, deutſche Kaifer I, 801. *) Berg IV, 773 unten und 774 ob. 
) Böhmer a. a. Rr. 883 fig. 4) Berg III, 781 gegen unten: quamvis exterius vuku 
seraper hilari se simularet, tamen conscientiae secreto plurima ingemiscens facinora, nocis 
silentio vigiliis oratjonibusgue intentis Inorimarım quoquo riris abluere man desistit- 


ME - Bu 1 


Siebtes Buch. Cap. 55. Empörungen in Tivoli und Rom. Otto III. ſtirbt. 994 


wußtjein jchwerer Verbrechen, brachte er die Stille der Nächte unter Wachen, 
Gebeten und Thränenftrömen zu.” Welch' feierliher Ton! Was follen die 
das Gewiſſen drüdenden Miffethaten fein, welde Otto IIL auf fih ge 


laden hatte? 


Zuvörderft muß bemerft werben, daß der Merfeburger Ehronift, der doch 
ausführlid die Thaten und Scidfale Dtto’8 III. und Heinrih6 II. befchreibt, 


u die Geſchichte des Pabſts Gregor V. in faft unbegreiflicher Kürze abfertigt:t) 


„König Otto II. erhob nad dem Tode Johanns XV. feinen Vetter Bruno, 


den Eohn ded Herzogs Dito, unter dem Namen Gregor V. auf Petri Etuhl, 


- und empfing aus defien Händen die Kaiſerkroue;“ Dann welter unten:?) 


„nad Vertreibung ded Gegenpabftd Johann von Piacenza kehrte Gregor V. 
in die Stadt Nom zurüd und warb mit großen Ehren wieder eingejegt ;“ 
endlih abermal:?) „nachdem die Dinge zu Rom in gute Ordnung gebracht 


waren, ftarb Gregor V. im Februar 999 und erhielt Gerbert zum Nadys 


folger.“ Ebenſo wortfarg eilt der Merfeburger über die Geſchichte Syl 


vefterö II. weg. Außer der eben angeführten Stelle jagt‘) er an einem 


"zweiten Orte: „ih babe oben aus Gelegenheit des Pabſts Bruno feinen 


Nachfolger Gerbert genannt, hier will ich nody Einiges über legtern beifügen.” 
Kun erzählt Thietmar furz die früheren Schidjale Gerberts, feine Erhebung 
auf den Stuhl von Rheims, rühmt die reihen Kenntnifje, die er bejaß, lobt 
die Uhr, die er zu Magdeburg baute, und fährt dann fort: „nach dem Tode 
Gregors V. erlangte Gerbert durch die Gnade Otto's IIL unter dem Namen 
Spivefter das Pabſtthum und erlebte noch die Zeiten Heinrihe II.“ Das 
ift Alles! 

Noch feltfamer erfcheint die Schweigſamkeit eines zweiten Zeugen, bes 
Gregorianers Bonizo, Biſchofs von Sutri, der fonft gründliche Kenntnifjfe der 
PBabftgeihichte verräth. Im der mehrfach angeführten Ueberfiht nennt er alle 
irgend bedeutende Männer, die vom Anfange des zehnten Jahrhunderts an bie 
zur Mitte des eilften Petri Stuhl beftiegen. Aber eine Ausnahme macht 
er: von dem Kärnthner Bruno oder von dem deutichen Pabfte Gregor V. 
fagt er auch nicht ein einziges Wort.“) Meber den Grund diefer Stummheit 
fann fein Zweifel fein. 

Prüft man die übrigen Schriften Bonizo's, jo zeigt fih, daß er, glei 
andern Oregorianern, in Bezug auf frühere deutſche Kaiſer einen fo verjöhns 
lihen Ton als irgend moͤglich anjchlägt, damit man ihm und feinen Mei 
nungsgenoſſen den Freimuth, mit welhem fie die Geſchichte Heinrichs IV. 
behandelten, um jo weniger mißdeuten fünne. Der Vorwurf muß nämlid 
von den Hoffchriftftellern wider fie erhoben worden fein, daß fie überall 


4) Iid. ©. 775 unten flg. 3) Ibid. ©. 776 unten flo. °) Ibid. ©. 780, Witte, 
“) Ibid. ©. 8385. 5) Man vergl. Patrum nova bibliothega, Vol, VII. (Romae 1854), 
Dritter Theil, ©. 45 fig. 
nn» 


032 Pabſt Gregorins VIL und fein Zeitalter. 


fchwarz fähen und die Fürften herabſetzten. Beſonders merkwürdig ik bi 
Schonung, mit welder Bonizo von Kaifer Heinrich III. redet, ver ded ti 
Vergewaltigung der Kirche aufs Höchfte trieb. Ueber Gregor V. freilid bött 
der Biſchof von Eutri faum etwas jagen können, ohne eine Anklage mie 
feinen Mörder zu erheben, alfo jchwieg er ganz. 

Ich jage nun: unter den jchweren Verbrechen, welche das Garifin 
Otto's TIL. an der Markſcheide feine Lebens ängftigten, muß vor Allem ti 
Ermordung Gregors verftanden werden. Sonft macht ed Thietmar, wie Be 
nizo. Um nicht wider den unglüdlihen Jüngling zeugen zu müſſen, der ve: 
983—1002 Germaniend Thron cinnahm, ſchlüpft er behutſam über die & 
ſchichte Gregors V. und Sylveſters IL hinweg, Aber indem er vie Iegta 
Stunden des Kaiſers beſchreibt, tritt die Wahrheit hervor: der Schatten ti 
Märtyrerd fchwebt vorüber, der die vom ſächſiſchen Haufe an der Kirde var 
übten Frevel mit feinem Blute jühnte.‘) Die Zeiten der Gerechtigkeit fü 
Bruno find bald darauf angebrochen, ald der ſechste Gregor, ver zu iM 
Ideen des Kärnthners zurüdfehrte, und noch mebr als der Kirchenheld ta 
eilften Jahrhunderts, der fie fiegreih durchfocht, den Pabſtnamen Oregors \ 
fih beilegten. Eine würdigere Genugthuung konnte ihm nicht zu Tki 
werden. 

Kaum einen Monat vor Otto IH. ftarb Markgraf Hugo von Tuscien 
als deſſen Todestag cine alte von Baronius mitgetheilte) Grabfcrift de 
21. Dezember 1001 bezeichnet. Peter Damiani erzählt”) in einem Ecreiba 
an Herzog Godfried: „als Kaiſer Dtto II. dad Ende Hugo’s vemahn 
brach er in die Worte des Pfalmiften (Pi. 123, 7) aus: der Strid if gr 
riſſen und Wir find befreit." Die Augen waren ihm, wie man fieht, übe 
das Treiben feiner ehemaligen Vertrauten, der „Mitarbeiter am Werfe te 
Wiederherftellung des Römerreichs“ aufgegangen, die Täuſchungen zerronnen 

Für ihn ſelbſt gab es nur noch drei Auswege: die Rückkehr nad 
Deutichland, (vor der fih jedoch nicht blos fein perfönlicker Stolz, fonten 
vielleicht and gerechte Rüdficht auf die beleidigte Ehre Germaniens fträußte 
welcher er Eühne ſchuldete), oder das Klofter, oder endlich das Grab. Tat 
Schickſal entſchied für letzteres: Otto III. farb im Schloſſe Paterno der 
23. Januar 1002 bei Einbruch der Abenddämmerung.“) Als Urſache tdi 
Todes bezeichnet?) Thietmar eine Blatterkrankheit, die ausgebrochen ſei. Da 
Burgunder Ademar, der nicht viel über 20 Jahre nah Otto ſchrieb, ſprit 
das Wort „Vergiftung“ aus.) Andere Chroniften des cilften Jahrhundert 
behaupten?) Dafjelbe und fügen bei, die Wittwe des Crescentius, Otto's Kebſe. 


1) Fit expiatio per sanguinem. !) Ausgabe von Lucca XVI, 422, a ) Op: 
(Paris 1642. Fol.) III, 382, b. Mitte. %) Berk IV, 775 oben und unten Beiiaf 
5) Pertz III, 782, oben. e) Berg IV, 131, Mitte. 7) Berg IV, 745. VII, 57. vergl 
mit VII, 57, 


Siebtes Buch. Cap. 55. Empörungen in Tivoli und Rom. Dtto IIL ſtirbt. 933 


fei ed geweſen, die den 22jährigen. Jüngling und zwar aus Race wegen 
einer Heirath, welche Otto beabfihtigte, aus der Welt geichafft habe. Neuere 
Schriftfteller verwerfen diefe Ausfage, indem fie theild auf dad Stillfchwe is 
gen Thietmars fowie der Chronifen von Dueblinburg und Hildesheim, theile 
auf eine Aeußerung Thangmars hinweifen, welcher berichtet,‘) kurz ehe er fid 
von Otto III. verabſchiedete — was den 11. Januar 1002 gefhah — habe 
der Kaifer fi gegen ihn beklagt, daß er einen leichten Anfall von Yieber 
fühle. Daraus, meinen fie, folge, daß Otto III. auf natürlidem Wege einer 
Krankheit erlag. 

Meined Erachtens gebietet der geſunde DMenfchenverftand, anders zu urs 
theilen. Erftlih find Bifte” befannt, welche, ehe fie den Tod veranlafien, 
Fieber und Beulen erzeugen. Fürs Zweite fteht feſt,) daß Otto um jene 
Zeit den Erzbiihof Arnulf von Mailand als feinen Gefandten nach Conſtan⸗ 
tinopel geihidt hatte, um für den jungen Kaiſer die Hand einer griechiichen 
Prinzeifin zu erbitten. Solche Unterhandlungen pflegen Kebfen nicht zu vers 
gefien! Endlich, und dieß halte ich für enticheidend, find einer Handichrift des 
von Thangmar abgefaßten Büchleins, welche dem eilften Jahrhundert ange, 
hört,) gewilfe Zufäge angefügt, deren Duelle offenbar mündliche Aeußerungen 
des Domprobft8 waren, und bie faft durchaus Züge aus der geheimen Ges 
fchichte jener Zeit enthalten, Züge wie man fte fonft in mittelalterlihen Chro⸗ 
nifen vergeblih ſucht. Wohlan! einer diefer Zufäge lautet:*) „der lebte Tag 
unſeres mildeften Kaijerd nahte heran, obgleich er bi8 dahin volle Ga 
fundheit genoß und obgleih Niemand irgend ein Zeichen von 
Siechthum an ihm bemerkte.” Ich frage: können diefe feltfamen Worte 
einen andern Einn haben, als anzubeuten, daß Dtto nicht auf natürlichem 
Wege aus der Welt ſchied. Die Biographie Bernwards, anerkannt die befte 
Duelle für den Aufenthalt Otto's in Italien während der Jahre 1000 bie 
1002, ftinnmt alfo — obwohl verdedt — mit den andern oben angeführten 
Zeugen überein! 

Der Befehlshaber des Schloſſes Paterno verheimlicdhte‘) den Tod des 
Katjerd einige Tage und rief indeß die deutſchen Befagungen, die zerftreut in 
verfchiedenen Orten lagen, fo ſchnell als möglich durch ausgeſendete Boten 
zufammen. Manche mußten aus Mangel an Pferden, — ein fiheres Opfer 
der Volkswuth — zurüdgelafien werben.) Die Berittenen nahmen den 
Leihnam ihres Kriegsherrn in die Mitte, brachen in Eilmärjchen nach dem 
Norden auf, machten täglid nad) allen Seiten Front und ſchlugen fich unter 
wüthenden Kämpfen nit dem Schwert in der Yauft durch. Denn bereits 
lag das von Dtto L gegründete Werk des Fluchs in Trümmern: überall ers 


1) Berk IV, 775 oben. ) Berk VIII, 55 unten flg. ) Berk IV, 755 fla. 
&) Ibid. ©. 774, Zeichen v. ®) Berk III, 78 u. 782, \ 


984 Vabſ Grrgerins VII uud fein Beltaflet. 


hoben fich die Italiener gegen die verhaßte Fremdherrſchaft und derm Bar | 
theidiger, und ſchon am 15. Febrnar — am breiundzwanzigften Tag nab 
Otto's Verſcheiden — wurde der geächtete Arboiu in Bavia zum Kia 
Italiens ausgerufen.) — Die erfle befannte Urkunde,“ weldye der neue Käcz 
auöftellte, gehört dem 20. Februar 1002 an. 

Am achten Tage des Rüdzugs erreichten") unfere Leute Berona, (Wihd⸗ 
Bern), wo die Verfolgung aufhörte. Gepriefen feien dieſe rechtichaffenen El 
daten, daß fie die Treue gegen den Kaiſer fo männlich bewahrten. Weller 
rüdten fie dur das heutige Tirol nad) Baiern, wo ihnen ein Borihmad p 
Theil ward, daß mehrere Bewerber nad der Krone Germaniend amgelte, 
und fi anſchickten, das deutſche Reich zu zerreißen. 


Schenudfünfjigfies Capitel. 

Pabſt Sylveſter IL. und fein Werl, Alte Gage, daß er bei den Garacenen Sparient ie 
ſchwarze Magie erlernt, und mit Hilfe des Böfen die drei Stühle Mpeims, Mayen, 
Mom, errungen habe. Lügen über fein Verhäliaiß zu Gregor VIL Ben Gykscher IL 

"geht um das Jahr 1000 der erſte Aufruf zu einem foriichen Kremzguge amd, Uxfedes 
diefer Mafregel. Die gegenfeitige Stellung Sylveſters U. und der Gingniarenfer. 


Dtto IIL, der lehte männlihe Sprofie der älteren Linie des fädfiihen 
Haufes, fiel zunächſt als Opfer der geiftigen Eimvirfungen, wohl aud bei 
auf ihn übergangenen Blut feiner Mutter, ver böfen Griechin Theophau 
Aber aub Pabſt Eylvefter II, den freilich Otto felbft gewaltfam auf Petri 
Stuhl erhoben hatte, trägt einen Theil der Schuld. Die Volksſage, Ejzeug⸗ 
niß des gefunden Naturgefühls, dad dem gemeinen Manne innwohnt, urtheilt 
anders, als gelehrte Chroniften, wie Thietmar, Thangmar oder die Mönde 
von Hildesheim und Quedlinburg, über Menſchen und Saden. Eie ftellte*) 
Gerbert ald einen Zauberer bin, der bei den Saracenen in Cordova die 
ſchwarze Magie erlernt und durch diefe hölliihe Kunft die drei Erzftühle — 
drei R — errungen habe. 

Nicht lange ftand es an, fo gab Partheigeift diefen und ähnlichen Sagen 
eine Wendung, welche abgefeimte Bosheit erdacht hat: Eylvefter IL foll der 
geiftige Vorgänger des fiebten Gregorius geweſen fein, fol ihm den Weg ge 
bahnt haben. Nichts kann falſcher fein, als diefe Behauptung, welche aus 
führlid) Cardinal Benno, ein unverfhämter Lügner, vorbringt.°) Am meifen 
mag biezu die Kühnheit beigetragen haben, mit welder Eylvefter die Reihe 
Ungarn und Polen vom deutſchen Joche zu befreien und in ein eigenthüm⸗ 


— — — — — — 


1) Muratori, aeript. ital. IV, 149. Auch bei Berk III, 217 oben. 5) Memorie di 
Torino VII, b. ©. 354 nuten flg. 2) erg III, 78 u. 782. *) Scandit ab R. (Rhemis) 
Gerbertus in R. (Ravennam) post Papa viget R. (Romae) fiehe Bouquet X, 99 u. Gfrärr, 
mn 8. ©. LI, 1589. ®) Goldaſt, apologiae pro imperatore Henrico IV. etc. ©. 11 flg. 





Siebtes Buch. Gap. 56. Pabſt Silvefter II. und fein Wert. 935 


liches Vaſallenverhältniß zum Stuhle Petri zu verſetzen unternahm. Allein 
Serbert hat keineswegs zuerft ven Gedanken der Befreiung Ungarns und Po; 
end angeregt. Die große Idee der hriftlihen Etaatenfamilie, welche durch 
das geiftlihe Band römtfcher Kircheneinheit zu einem wohlgegliederten Ganzen 
verfchmelzen fol, diefe Idee, aus welcher heraus die politiiche Unabhängigfeit 
der Magyaren und Slawen als nothwendige Folge floß, war lange vor Syls 
vefter II. vorhanden, und auch die Ausführung haben vor ihm — wenn jchon 
im Kleinen, — reine Geiſter, der Czeche Adalbert von Prag, der Sachſe 
Bruno⸗Bonifacius, der Staliener Romuald in Angriff genommen. 

Was die Vollftredung im Großen betrifft, jo bat fie Sylveſter zugleich 
überflürzt und durch Beimiſchung unlauterer Elemente gefährvet, woher es Fam, 
daß fein Wirken in diefer Hinfiht der Kirche mehr fchadete ald nützte. Was 
Spyivefter zu bauen begonnen hatte, ift nachher durch die Kaifer Heinrih IL. 
und Conrad II. umgeworfen worven, weßhalb fpäter die Päbfte Leo IX., 
Nikolaus IL, Alerander II, Gregor VII. wieder von Vorne anfangen mußten. 

Auch in andern Dingen weldhe Kluft zwiſchen Gerbert und Hildebrand! 
Gerbert wechfelte mit dem Kleide, das er trug, mit dem Amte, das er erichlich, 
die Grundfäge. Dienftbefließener Etaatslirhler zu Rheims, ergriff er, auf 
Petri Stuhl durd faiferlibe Gewalt erhoben, für kanoniſches Recht — und 
zwar zum Verderben feines Wohlthäters — Parthei. Er lebte gleichjam von der 
Hand in den Mund, arbeitete für den laufenden Augenblid, darum ging feine 
Schöpfung mit ihm unter. Denn Wetterfahnen, Geifter ohne Ueberzeugung, 
bringen nicht Dauerndesd hervor. Dagegen auf Seiten Gregor VII. felſen⸗ 
fefter Glaube an das Evangelium, unerſchütterliche Standhaftigfeit, tadellofer 
Wandel, Aled ein Buß: Kräfte, welche bewirkten, daß im Weſentlichen Das, 
was er ſchuf, heute noch beſteht. 

Obgleich grundverſchieden nach Lebensrichtung und Charakter, glichen ſich 
Gerbert und Hildebrand an Schärfe des Verſtandes. Zwar dem Enftem, 
das Gerbert erdachte, um Otto IIL von fih in Abhängigkeit zu erhalten, 
fann man meined Erachtend Weisheit nit nachrühmen, theild weil es nur 
auf den Augenblid berechnet war, noch mehr, weil ihm jede fittlihe Stütze 
fehlte. So etwas läßt fi bloß unter einem Pabſt wie Eylvefter IL, unter 
einem Kaiſer wie Dtto IIL verfuhen. Tauſend Jahre können vorübergehen, 
ehe zwei Erjcheinungen der Art in dem Raume einer Stadt zufammentreffen. 
Ueberdieß in welche Verlegenheit würden die näcdhften Nachfolger Sylveſters IL 
gerathen fein, wenn Kaiſer Heinrich II. fie an dem Worte ihres Vorgängers 
feftgenommen, wenn er fie für Das, was Jener that und ſprach, verant⸗ 
wortlich gemadt hätte. Bei allem dem kann man nicht Täugnen, daß Eyl- 
veſter durchdringenden Echarffinn beſaß. Dieſer Echarffinn hat ſich dadurch 
bethaͤtigt, daß er auf der Höhe des Pabſtthums ſtehend, als der Erſte, einen 
welterſchütternden Gedanken ausſprach, der zwei Menſchenalter ſpäter wieder 


936 Pabſt Sregorius VII. und fein eitalter. 


auftauchte, und nun allmählig verwirfliht ward. Die Idee eines Kreuuge 
tritt in einem feiner Briefe fertig, in fich abgeichloffen, ans Tageslicht. Meines 
Erachtens haben befondere Zeitumftände nicht wenig auf diefelbe eingemirft. 

Ausgezeichnete Soldaten nahmen in der zweiten Hälfte des zehnten Jahr, 
hunderts den Thron zu Gonftantinopel ein: zu ihnen gehörte Ricenhorus, 
welchen Bifchof Liutprand mit Unrecht in dem Geſandtſchaftsberichte an Ouo L 
berabfegen will. Mit Heeresmadht brach‘) derſelbe 968 in Syrien ein, jdn 
die Earacenen und belagerte Antiohia, doch ohne durchzudringen. Aber m 
folgenden Jahre ward Syriens Hauptfladt von einem Kriegsoberſten dei 
Nicephorus, Namens Burzes, erftürmt. Seitvem blieb Antiochien über hm 
dert Jahre lang in den Händen byzantiniſcher Statthalter.) Roc welter 
dehnte Kaiſer Baſil IL, Zeitgenofie und Gegner der veutfchen Kaifer Otte IL, 
Otto IIL, Heinrih IL, die Eroberungen im faracenifchen Often aus: cr 
unterjohte 992 die Gränzländer, nahm die Etädte Lariffa und Emeſa mit 
flürmender Hand, zwang die arabifchen Emire von Damascus, Tyrus, Bery 
tus ihm zu huldigen.?) 

Es konnte faum fehlen, daß folde Ereigniffe in der Nähe den Muth 
der Ehriften Paläftina’s auffrifchten, die Hoffnung der Erlöfung von jar« 
cenifhem Joch in ihnen erwedten. Eigenthümlihe Urfahen bewirften, daß ſie 
furz darauf den Beiftand des Pabſtes anriefen. Jeruſalem gehorchte gegen 
Ende des zehnten Jahrhunderts dem Ecepter der fatimidiſchen Eultane Aegyp⸗ 
tens. Unter den Weibern des ziPiten biefer Eultane — er hieß AzizBilah, 
Sohn des Moez, und beftieg im Jahre Ehrifi 975 den Thron, — war eine 
Melcitin, oder griechiſche Ehriftin, welche ihm feinen Nadfolger Hadem Bam⸗ 
rillah gebahr.”) Eben diefelbe hatte zwei Brüder, Jeremiad, auch Drefled 
genannt, und Arfenius, von welchen der Sultan den erfteren zum Patriarchen 
von Serufalem erhob, den andern, Arfenius, auf den griechiſchen Erzftuhl von 
Misre oder Alerandrien beförberte.”) Eultan Aziz Billah farb im Herbft 996. 

Auf ihn folgte fein mit der Ehriftin erzeugter Sohn Hadem Bamnillah, 
der zur Zeit, da er zur Herrſchaft gelangte, nicht ganz eilf Jahre zählte. Bes 
raufht von den Lehren der Echiiten, zu welden fih, wie wir wiflen,*) das 
Haus der Fatimiden befannte, verfiel der junge Fürſt in Herrfcherwahn 
finn, wollte als Gott verehrt fein, und beging Greuel und Rarrheiten ohne 
Zahl. Auch in Paläftina wüthete er. Hiedurd in Verzweiflung getrieben, 
muß der Patriarch Jeremias — oder wie ihn die abendländiſchen Quellen 
nennen — Oreſtes fih mit der Bitte an den Pabſt gewendet haben, daß 
Spyivefter die Fürften des Abendlandes auffordere, der bebrängten Kirche des 


*) Belege aus faracenifchen Quellen bei Weil, Befchichte der Kalifen III, 18 fig. und 
129; aus byzantinifchen Ghronifen bei Lebeau, histoire du bas empire (neue Ausgabe von 
Saint-Martin) XIV, 72 fle. 2) Lebeau ibid. XIV, 187. ?) Le Quien oriens chri- 
stianus IIL, 474 fig. *) Sie Wr. IT, W8k An, 








Siebtes Buch. Gap. 56. Pabft Sitvefler II. und fein Werk. 037 


Landes, in dem einft ver Erlöfer lebte, hilfreiche Hand zu reihen. Denn kaum 
Niſt denkbar, daß Syivefter, ohne von einer gefegmäßigen Behörde in Paldftina 
dazu veranlaßt worden zu fein, Im Namen des Stuhls von Serufalem an 
. die Gläubigen der Tatholifhen Welt einen Aufruf erließ, welcher fo lautet:') 
| „Die Kirhe von Serufalem an die allgemeine Kirche, die da herrſchet 
. über die Scepter der Koͤnigreiche. Da es Dir wohl gehet, o unbefledte Braut 
‚ des Herrn, defien Leibe anzugehören ich mich rühme, lebe ich der Hoffnung, 
daß es mir gelingen werde, mit Deiner Hülfe mein gebeugted Haupt wieder 
zu erheben. Gewiß darf ih auf Dich bauen, fobald Du überzeugt bift, daß 
ich die Deinige bin. Seiner der Deinigen wird wähnen, daß ein Unredt, 
das an mir verübt ward, Euch nichts angehe. Obgleich jetzt niedergetreten, 
ftand ich doch einft oben: hier erfchollen die Drafel ver Propheten, hier wohns 
ten die PBatriarhen, von bier gingen die Apoftel aus, von hier nahm der 
Glaube feinen Anfang, bier ward dem Fleiſche nach der Erlöfer geboren, ges 
freuzigt, begraben, zum Himmel emporgetragen. Aber während der Prophet 
verfündet (Jeſ. 11, 10): fein Grab wird glorreih fein, fucht der Teufel 
durch die Hände der Helden (Saracenen) die heiligen Stätten umzuſtürzen. 
Darum, o Soldat Ehrifti! erhebe Dich, pflanzge Dein Banner auf und flreite 
für mid. WIR Du das Schwert nicht ziehen, fo unterftüge mich mit Deinem 
Mathe, mit Deinen Schäßen” u. f. w. 

Der Sa am Eingange: die allgemeine Kirche herrſche über die Königs 
reiche, fcheint darauf hinzudeuten, daß, ald Syivefter das Schreiben abfaßte, 
die Weltreihöverfaffung im beften Zuge war. Meined Erachtens fällt es in 
den Ausgang des Jahre 999, die Markfcheide des erften und zweiten Jahr- 
tauſends der hriftlihen Zeitrechnung. Kaum traut man feinen Augen, einen 
fo feurigen und beftimmten Aufruf zum heiligen Krieg vor ſich zu fehen, ber 
96 Jahre vor dem erften ſyriſchen Kreuzzug in das Abendland ausging. 

Keineswegs verhallte er erfolglos im Weften, aber aud im Often ward 
er nicht überhört. Der Burgunder Ademar fchreibt:?) „die Juden des Abends 
landes und die Saracenen Spaniens fandten in den Orient Briefe des Ins 
halte, daß die Ehriften des Weftens, wenn man nicht Gegenmaßregeln ergreife, 
mit Heeresmacht die Saracenen Aftens überziehen würden. Deßhalb verhängte 
der Sultan von Aegypten Verfolgung tiber die Gläubigen des Morgenlandeg, 
und auf feinen Befehl ward die Kirche zum heil. Grab in Serufalem von den 
Heiden Ende September 1010 erbrochen.“ Aehnliches meldet‘) der Elug- 
niacenfer Rudolf, doch fo, daß er die Schuld der verrätherlihen Mithellung 
an den Chalifen Aegyptens ausjchließlih den Juden von Orleans zuſchiebt. 

Das Wehe, welches Aegyptens und Aſiens Beherrfcher den Kirchen des 


‘) Gerberti, epist. I, 28. Duchesne II, 794, ») Berk IV, 137 oben, Bou⸗ 
quet X, 34. 


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635 K:% Ge:::72# VIL 22 ie7 Zeiralter. 


Ei: um, enrörtee ten Eifer ver Ebritten des Meftend: auf bate 
= :2 zır va kormtom Ba cclzsr — und ñferlich nicht obne Naten 
un 2; Stiztmeid. ten Ericeter II. errönen lieg — ter erjte Kreusaug na: 
sım arlstum Sant rar Am Versen bat meined Erachtens aufır eine 
Arre-ler: 23 


* tert: Girl cin arefer, ſtaatemänniſcher Gedäanke vi 
Meer zer. Tauit ein gterdaetet Friedeneſand in Eurepa, ein ruhige 
Reternzonverkotgben zerisierener Irineliter Reihe möglich ici, ſollte tie geb 
tier: Res, welt: vbersb wehren !tur, sollte der Wañfenmuth lanarz 
germaniter Iusent im Orten sum Wohle ter geſammten Cbriftenheit % 
sro wirten. 

Ging Frace Eirier mir nt cu beannwerten übrig, betreffend tie Etelim 
weit: Zrirener II. sum Cluaniacenier-Orden einnabm. SHicrüber gibt cin 
Pile!; Ted Pabne Auf—clus, melde keine Zeitbeftimmung trägt, aber wob 
ind Ahr I ON Pille. Ein Riitor, teren Stubl man nicht kennt, war Wind 
aeworten und in tin QlusniacentersRerein eingetreren, batte aber Tot kit 
tem net krrorite Weiben — und war mit Vowwiſſen des Abd — et 
teile Hierüber müren Rlasen in Rom angebradt worden fein, werk 
tenn tie Clugniacenier, — wie es Ifeint, um eine Rüge abzuwenden — (d de 
Klugheit gemäß tanten, selen über ten einichlägigen Rechtögrundiat kin 
Pabfte anzuiragen. Der Pabft gab folgenten Beſcheid: 

„Solveñter, Knecht der Knechte Gottes, an ten geliebten Sohn Ddile 
treñlichen Abt und an ten ganzen ibm anvertrauten Verein Gruß un? ırene 
liiten Zcsen! Stets empieblen Wir uns Guren Gebeten und wüniten. N 
‘er dieielten für Uns emrerienden möget. So lange Wir ay’tmz 
ſteben, sell Gut Niemand su mabe treten. Bezüglick der Araaı. 2 
Sfr Und turt Euren Bruder, den Mint Gerbald, vorgeleat, getritze! 
Uns ertbeilten aroſtoliſichen Gewalt mit tem Benrath unſerer Mitbiſdöie ins 
Willensmeinung dabin: Mir erfennen an, daß der Biſchof, um den es ñ. 
bandelt, gejetzmäßig eingeſetzt werden it und biſchöfliche Verrichtungen e 
Recht vornehmen fonnte. Aber nachdem er aus Liebe zu Gott auf als m! 
liten Ehren verzichtet hatte, kam cd ihm nidt mehr u, Geſchäfte u 
jorgen, tie ibm, ta er ned Bitter war, eblagen. Gleichwohl ta ır 
gutem Glanben bantelte, und das, was cr that, im Ginflang mir ter Vie 
nung anderer Biſchöfe und nit obne Vorwiſſen jeined Abts verritet DS 
und da ferner eine redliche Abfiht nie dem Höchſten zuwider iſt, betuc 
Kir, wie folgt: die Weihen, welde er ertbeilt bat, find gültig und ter: 
von Abgeneigten nicht angefochten werden. Aber für die Zufunte nehme ñ 
der fraglide Biichof nicht mehr heraus, Aehnliches zu thun.“ 

Obgleich der Pabſt das, was geſchehen und worüber Klagen eingelaufe 


) Bouquet X, 427, 


Siebtes Buch. Gap. 56. Pabſt Silveſter II. und fein Werk. 939 


aren, nicht weiter angefochten wiſſen will, ja fogar gut heißt, gibt er doch 
em Clugniacenfern bezüglich des Grundſatzes — der heute noch frittig IR) 
- Unrebt. Unter diefen Umftänden beißen die anfcheinend freundlichen und 
ommflingenden Worte am Eingange fo viel als: thut Nichts wider mich, 
» werde aud ih Euch nichts anhaben. Bei der tiefen Kluft, welche zwi⸗ 
ben der Gefinnung ded Einen. und der Anden beftand, konnte ihr gegen; 
itiges Verhältniß kaum ein freundliches fein. Ich babe früher?) gezeigt, 
ıB Abt Odilo aus Gelegenheit gewiffer Aeußerungen der alten Kaiſerin 
delheid das Verfahren Syivefterd II. mißbilligte. Gleichwohl achteten bie 
Iugniacenfer, als treue Söhne der Kirhe, den Pabſt in der Perſon Ger- 
erts und mieden thatſächlichen Bruch, während feinerfeits Sylveſter II. das 
ttliche Feuer der Mönche fürdhtete und fie, fo gut ed ging, ferne von fi 
ielt. Ihr Verkehr hatte nichts PVertrauliches, ſondern beichränfte ſich auf vie 
sphäre des gejchäftlichen Lebens. 

Ueber die weiteren Schickſale Sylveſters IL. von dem Augenblide, da 
Itto farb, bis zu feinem eigenen Tode, der den 12. Mai 1003 erfolgte, 
verde ich jpäter an paflendem Orte berichten. 


— 


1) Man vergl. Mabillon, annal. ord. S. Bened. IV, 134 flg. ) Dben ©. 856. 





ER R ZWEITEN 


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und von GIFOrer (Gregor EI 


m EEE" engem — 








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APR 29 1938